Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle
herzlich, wünsche Ihnen einen guten Tag und uns heute
gute Beratungen.
Vor Eintritt in unsere Tagesordnung darf ich Ihnen
mitteilen, dass die SPD-Fraktion uns mitgeteilt hat, dass
die ehemalige Abgeordnete Gisela Hilbrecht als stellvertretendes Mitglied aus dem Verwaltungsrat der Filmförderungsanstalt ausgeschieden ist. Als Nachfolgerin wird
die Kollegin Angelika Krüger-Leißner vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offenkundig der
Fall. Dann ist die Kollegin Angelika Krüger-Leißner als
stellvertretendes Mitglied in den Verwaltungsrat der
Filmförderungsanstalt gewählt.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene
Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern:
ZP 1 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD zu der ersten
Beratung des Antrags der Bundesregierung
Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der United Nations Interim Force in Lebanon ({1}) auf
Grundlage der Resolution 1701 ({2}) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 11. August 2006
- Drucksachen 16/2572, 16/2611, 16/2616 Berichterstattung:
Abgeordnete Eckart von Klaeden
Gert Weisskirchen ({3})
Dr. Werner Hoyer
Wolfgang Gehrcke
Kerstin Müller ({4})
ZP 2 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({5}) zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. Werner Hoyer, Dr. Wolfgang
Gerhardt, Birgit Homburger, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP zu der ersten Beratung des Antrags der Bundesregierung
Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der United Nations Interim Force in Lebanon ({6}) auf
Grundlage der Resolution 1701 ({7}) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 11. August 2006
- Drucksachen 16/2572, 16/2609, 16/2617 Berichterstattung:
Abgeordnete Eckart von Klaeden
Gert Weisskirchen ({8})
Dr. Werner Hoyer
Wolfgang Gehrcke
Kerstin Müller ({9})
ZP 3 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({10}) zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Monika
Knoche, Hüseyin-Kenan Aydin und der Fraktion der LINKEN
zu der ersten Beratung des Antrags der Bundesregierung
Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der United Nations Interim Force in Lebanon ({11}) auf
Grundlage der Resolution 1701 ({12}) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 11. August 2006
- Drucksachen 16/2572, 16/2605, 16/2618 Berichterstattung:
Abgeordnete Eckart von Klaeden
Gert Weisskirchen ({13})
Dr. Werner Hoyer
Wolfgang Gehrcke
Kerstin Müller ({14})
ZP 4 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({15}) zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Jürgen Trittin, Winfried Nachtwei,
Kerstin Müller ({16}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN zu der ersten Beratung des Antrags der Bundesregierung
Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der United Nations Interim Force in Lebanon ({17}) auf
Grundlage der Resolution 1701 ({18}) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 11. August 2006
- Drucksachen 16/2572, 16/2610, 16/2619 Berichterstattung:
Abgeordnete Eckart von Klaeden
Gert Weisskirchen ({19})
Dr. Werner Hoyer
Wolfgang Gehrcke
Kerstin Müller ({20})
ZP 5 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der LINKEN
Rechtsextremismus wirksam bekämpfen - Konsequenzen
aus dem Wahlergebnis der NPD in Mecklenburg-Vorpommern
({21})
ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Priska Hinz ({22}), Krista Sager, Hans-Josef Fell, Margareta Wolf ({23}) und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Technologiepolitik auf nachhaltige Innovationen ausrichten
- Drucksache 16/2621 Redetext
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({0})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Thea Dückert,
Matthias Berninger, Brigitte Pothmer, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Mehr Ehrgeiz bei der Erreichung der Lissabon-Ziele
- Drucksache 16/2622 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({1})
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
ZP 8 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
({2})
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Jerzy Montag,
Markus Kurth und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anhebung der Vergütung von Berufsbetreuern
- Drucksache 16/2649 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({3})
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Reinhard Loske,
Ute Koczy, Thilo Hoppe, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Keine Hermes-Bürgschaft für den Ilisu-Staudamm in der
Türkei
- Drucksache 16/2626 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({4})
Auswärtiger Ausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Jelpke, Petra
Pau, Jan Korte, Kersten Naumann und der Fraktion der LINKEN
Erhaltung des Trennungsgebots - Keine Errichtung gemeinsamer Dateien von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten des Bundes und der Länder
- Drucksache 16/2624 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({5})
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthias Berninger,
Bärbel Höhn, Dr. Thea Dückert, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Mehr Wettbewerb und Verbraucherschutz auf dem Telekommunikationsmarkt
- Drucksache 16/2625 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({6})
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Kultur und Medien
Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so-
weit erforderlich, abgewichen werden.
Der Tagesordnungspunkt 30 c muss abgesetzt wer-
den. Dabei handelt es sich um den Entwurf eines
Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Ver-
besserung der personellen Struktur beim Bundeseisen-
bahnvermögen und in den Unternehmen der Deutschen
Bundespost. Zudem soll die federführende Beratung
vom Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
nunmehr auf den Haushaltsausschuss übergehen. Sind
Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? - Auch
dazu gibt es keinen Widerspruch. Dann ist das so be-
schlossen.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 d so-
wie den Zusatzpunkt 6 auf:
5 a) Abgabe einer Erklärung durch die Bundesregie-
rung
Hightech-Strategie der Bundesregierung -
Neue Grundlage für Deutschlands Innova-
tionspolitik
b) Unterrichtung durch die Bundesregierung
Die Hightech-Strategie für Deutschland
- Drucksache 16/2577 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({7})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Kultur und Medien
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Heinz Riesenhuber, Ilse Aigner, Michael
Kretschmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten René
Röspel, Jörg Tauss, Nicolette Kressl, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Forschungsprämie zur besseren Kooperation
von Wissenschaft und Klein- und Mittelunternehmen ({8}) zügig umsetzen
- Drucksache 16/2628 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({9})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia
Pieper, Ulrike Flach, Uwe Barth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Innovationen durch Investitionen - Sonderprogramm für die Wissenschaft zur Verbesserung der Kooperation mit der Wirtschaft
({10})
- Drucksache 16/2083
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({0})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss
ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Priska
Hinz ({1}), Krista Sager, Hans-Josef Fell,
Margareta Wolf ({2}) und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Technologiepolitik auf nachhaltige Innovationen ausrichten
- Drucksache 16/2621 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({3})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung 90 Minuten vorgesehen. - Auch darin besteht offenkundig Einvernehmen.
Dann erteile ich nun das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung der Bundesministerin für Bildung und
Forschung, Frau Dr. Schavan.
({4})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Mit der Hightechstrategie für
Deutschland legt die Bundesregierung ihre Ziele, Instrumente und Strategien in der Forschungs- und Innovationspolitik der kommenden Jahre vor. Wir stellen uns
dem weltweiten Innovationswettbewerb und wir konkretisieren damit eine Leitlinie unserer Politik, die die Bundeskanzlerin genannt hat: die Zukunft nicht zu verbrauchen, sondern verantwortungsbewusst Talente zu nutzen,
Technologien weiterzuentwickeln und die Rahmenbedingungen so zu modernisieren, dass eine gute Zukunft
für künftige Generationen eröffnet werden kann.
({0})
Wo stehen wir heute in diesem Wettbewerb? Mit einem F-und-E-Anteil von rund 2,5 Prozent des BIP liegt
Deutschland international auf Platz neun, hinter Ländern
wie den USA und Japan, aber auch hinter Ländern wie
Israel, Korea oder Schweden. Mit 8,4 Prozent der weltweit anerkannten Fachpublikationen in den Natur-, Ingenieur- und Medizinwissenschaften, mit 12 Prozent aller
weltweit relevanten Patente und mit 16,5 Prozent der
OECD-Exporte an Technologiegütern sind die Ergebnisse des deutschen Innovationssystems beachtlich. Sie
machen Deutschland gar zum Exportweltmeister von
Technologiegütern.
({1})
Unser Land ist führend im Maschinenbau, erstklassig
im Fahrzeugbau und in der Umwelttechnik sowie
Schrittmacher in vielen Bereichen der erneuerbaren Energien, der Laser-, Nano- und Medizintechnologie. Diese
Leistungskraft wird durch eine exzellente Forschungslandschaft gefördert und von rund 170 000 innovativen
Unternehmen getragen.
Die Hightechstrategie für Deutschland ist erstmals
eine gemeinsame Strategie aller Ministerien, die ihren
Beitrag zur Innovationspolitik leisten. Sie ist verbunden
mit einem konsequenten Fokus auf Wege der Kooperation zwischen Wissenschaft und Wirtschaft. Sie ist verbunden mit einer Betrachtung von technologischen Entwicklungsprozessen und Rahmenbedingungen, mit für
jeden technologischen Bereich klar formulierten Zielen
auf der Grundlage einer Stärken-Schwächen-Analyse
und mit Anreizen für strategische Kooperationen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft. Vor allem ist sie verbunden mit einem deutlich erhöhten finanziellen Einsatz von insgesamt rund 15 Milliarden Euro bis zum
Jahr 2010.
({2})
Diese Bundesregierung macht also Ernst mit einer
umfassenden und neuen Strategie, die die Innovationskraft unseres Landes stärken wird. Damit verbunden ist
die Aufforderung an die Länder, jetzt ihre Innovationsstrategien vorzulegen,
({3})
über die im Dezember zwischen der Bundeskanzlerin
und den Ministerpräsidenten beraten wird.
({4})
Hinter der Hightechstrategie für Deutschland steckt
ein ungewöhnlich hohes Potenzial: Damit können wir
das 3-Prozent-Ziel im Bereich Forschung und Entwicklung erreichen, das die Mitgliedsländer der Europäischen Union für das Jahr 2010 innerhalb der Lissabonstrategie als Zielvorgabe gesetzt haben; damit
können wir den lange eingeforderten besseren Technologietransfer in neue Produkte, Dienstleistungen und Verfahren erreichen; wenn alle 17 Innovationsstrategien
konsequent und mit dem entsprechenden finanziellen
Einsatz der Unternehmen umgesetzt werden, können damit viele neue Arbeitsplätze geschaffen werden.
({5})
Wenn ich sage, dass 1,5 Millionen neue Arbeitsplätze
entstehen können, ist das nicht übertrieben, sondern eher
untertrieben. In vielen Analysen steckt nämlich folgender Zusammenhang: Im Bereich von Forschung und Entwicklung brauchen wir in den nächsten Jahren rund
90 000 Arbeitsplätze mehr; davon sind circa 60 000 in
den Unternehmen anzusiedeln, die - laut Prognosen - je
30 industrielle Arbeitsplätze nach sich ziehen. Damit kämen wir auf 1,8 Millionen neue Arbeitsplätze. Weil wir
bescheiden sind, sagen wir: 1,5 Millionen neue Arbeitsplätze.
({6})
Innovationspolitik, die über Ressortgrenzen hinweg
als roter Faden unseres Regierungshandelns angelegt ist,
bringt Deutschland voran. Es gibt keine wirksame Alternative, die den geistigen und materiellen Wohlstand unseres Landes künftig sichern könnte. Wir verbinden mit
dieser Strategie die Vision von einem Land, das Leistung
in Wissenschaft und Wirtschaft würdigt und anerkennt.
Wir wollen Talente und Begabungen in allen Bereichen
fördern, Kräfte bündeln und unsere Konzepte so optimieren, dass aus Deutschland eine der forschungsfreudigsten und im Blick auf den Technologietransfer erfolgreichsten Nationen der Welt wird. Wir spekulieren nicht
über Zukunft, wir sorgen vor.
({7})
Innovationskonzepte der Vergangenheit waren zu
stark auf Forschung konzentriert. Jetzt ist unser Ziel,
dass sich Forschungsideen auch auf den Märkten durchsetzen. Es sollen neue Märkte für Produkte, Dienstleistungen und Verfahren entstehen sowie bestehende
Märkte zu Leitmärkten ausgebaut werden.
Die Hightechstrategie für Deutschland setzt neue
thematische Prioritäten in der Energieforschung, der
Gesundheitsforschung, der Nanotechnologie sowie der
Informations- und Kommunikationstechnologie und
schließlich der Sicherheitsforschung. Zur Neuausrichtung der Projektförderung werden Innovationsplattformen eingerichtet. Seitens des BMBF wird der Prozess
der Strategiebildung auf der Ebene der Plattformen unterstützt.
Deutschland, das Land der Ideen, wird zum Land der
Taten. Dafür müssen die Wege von der Entwicklung zum
Markt kürzer und schneller werden. Mit der Hightechstrategie für Deutschland werden Forschungsförderung
und Rahmenbedingungen erstmals konsequent gemeinsam betrachtet. Dazu nenne ich nur wenige Beispiele.
Die Forschung im Rahmen der Grünen Gentechnik muss
ein angemessenes Umfeld für ihre Anwendung erhalten.
Wir werden in Kürze Vorschläge dazu vorlegen, die einerseits Kommunikation zur besseren Akzeptanz befördern und andererseits Sorge dafür tragen, dass Forscher
nicht nur nicht behindert werden, sondern auch wirklich
gut arbeiten können.
({8})
Ich nenne die Marktdurchdringung deutscher Technologieprodukte, die durch Normungs- und Standardisierungsprozesse unterstützt werden muss. Die Auswertung
von Informations- und Kommunikationslösungen muss
durch E-Government im Interesse der Bürgerinnen und
Bürger beschleunigt werden. Die Prosperität der Zukunftsbranche Medizintechnik braucht geeignete Vergütungsregelungen für Innovationen im Gesundheitswesen.
Die Zukunft der Informations- und Kommunikationsmärkte bedarf einer modernen Medienordnung.
({9})
Ein leuchtendes Beispiel der Hightechstrategie ist die
OLED-Initiative. Das BMBF fördert Forschung und
Entwicklung auf dem Gebiet organischer Leuchtdioden,
so genannter OLED, in den nächsten Jahren mit
100 Millionen Euro. Gleichzeitig werden die beteiligten
Unternehmen 500 Millionen Euro investieren. Das ist
ein Beispiel für das, was für alle 17 Innovationsstrategien gelten muss: Wir mobilisieren mit öffentlichen Mitteln ein Mehrfaches an Mitteln aus der Wirtschaft. Ich
bin davon überzeugt, dass dies eines von vielen positiven Beispielen sein wird, und rufe die Wirtschaft dazu
auf, ihren Beitrag zu allen 17 Innovationsstrategien zu
leisten.
({10})
Eine der zentralen Botschaften der Hightechstrategie
für Deutschland ist die neue Priorität für Innovationspolitik als Zentrum unseres Regierungshandelns. Wir
unterstreichen diesen Aufbruch für einen neuen Stellenwert der Innovationspolitik durch die deutliche Erhöhung der Investitionen in Forschung und Entwicklung
bis zum Ende dieser Legislaturperiode mit insgesamt zusätzlich 6 Milliarden Euro. Einen solchen Anstieg von
Investitionen hat es in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie gegeben. Wir investieren in die Zukunft
unseres Landes.
({11})
Wir leisten eine Innovationspolitik aus einem Guss.
Wir setzen Anreize für eine anwendungsorientierte Wissenschaft, eine forschungsfreundliche Wirtschaft und
neue strategische Kooperationen zwischen Wissenschaft
und Wirtschaft. Wir führen eine Forschungsprämie für
Forschungsaufträge kleiner und mittlerer Unternehmen
an Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen ein. Sie soll die Wissenschaftseinrichtungen
motivieren, sich stärker auf wirtschaftsrelevante Themen
und Forschungsaufträge einzulassen. Die Prämie wird an
die Hochschulen und Forschungseinrichtungen ausgezahlt.
Wir werden Deutschlands Spitzencluster in einem
themenoffenen Wettbewerb - nach dem Grundsatz: Stärken stärken - prämieren und fördern. Durch diese Förderung sind die ausgewählten Cluster imstande, ihr Profil
zu schärfen, Entwicklungshemmnisse zu überwinden
und zu internationalen Anziehungspunkten zu werden.
Auf diese Weise werden neue Märkte für deutsche Technologien, Produkte und Dienstleistungen erschlossen
und mehr F-und-E-Direktinvestitionen aus dem Ausland
angezogen.
({12})
Die Förderung innovativer kleiner und mittlerer Unternehmen durch die Bundesregierung wird im Rahmen
der Hightechstrategie prioritär ausgebaut. Das gilt für
Aktivitäten des Wirtschaftsministeriums und für mein
Haus. Die Förderung von KMU in der Spitzentechnologie über Fachprogramme hinaus wird einheitlich gestaltet und auf diesem Wege ausgebaut. Durch mehr
Transparenz wird ein einfacherer Zugang zu den Programmen ermöglicht. Die Mittel zur Förderung von ForBundesministerin Dr. Annette Schavan
schung und Entwicklung der KMU werden bis 2009 um
40 Prozent auf 850 Millionen Euro steigen. Die Finanzierung von Forschungsvorhaben durch Banken und Investoren wird erleichtert. Die Bedingungen für Wagniskapital werden verbessert.
Dies alles betrifft das Stichwort Rahmenbedingungen.
Wir wissen das und setzen es in dieser Strategie um.
Fachprogramme sind das eine, gute Rahmenbedingungen, um das, was in den Fachprogrammen an Potenzial steckt, umsetzen zu können, sind das andere.
Kleine und mittlere Unternehmen sind auch deshalb
so stark im Fokus, weil wir wissen, dass sie nicht nur die
meisten Jobs in Deutschland schaffen, sondern auch besonders kreativ sind. Unsere Strategie hilft den Unternehmen bei Kontakten zur Wissenschaft und bei der
Umsetzung ihrer eigenen Forschung in Produkte; Existenzgründern wird der Weg in den Markt erleichtert.
({13})
Meine Damen und Herren, wissenschaftlichen Forschungsergebnissen fehlt oft die notwendige Reife für
eine wirtschaftliche Verwertung. Zur Schließung dieser
Lücke ist es notwendig, mögliche Anwendungen, die erfolgversprechend sind, im Blick auf ihre technische
Machbarkeit zu prüfen. Hierzu wird ein einheitliches
Förderkonzept in geeignete Fachprogramme eingebaut.
Die Umsetzung der Hightechstrategie für Deutschland
schließlich wird von der Forschungsunion Wirtschaft Wissenschaft begleitet. Hier erarbeiten Vertreter der
Wirtschaft und der Wissenschaft unter Beteiligung der
jeweiligen Ressorts Empfehlungen für die weitere Ausgestaltung der Hightechstrategie, die in unsere unmittelbare Forschungspolitik einfließen. Ich halte es für ein
sehr interessantes Zeichen, dass erstmals auch bei der
Konkretisierung von Forschungsförderung Wirtschaft
und Wissenschaft von Beginn an zusammenarbeiten.
Das wird auch den Prozess der Mobilisierung von finanziellen Investitionen seitens der Wirtschaft befördern.
({14})
Die Forschungsunion ist ein deutliches Signal für eine
neue Mentalität als Grundlage erfolgreicher Innovationspolitik. Wirtschaft und Wissenschaft haben klar definierte Ziele sowie einen klaren Zeitplan für die Umsetzung, der mit einem jährlichen Fortschrittsbericht
verbunden ist, und tragen gemeinsam Verantwortung für
einen beschleunigten Technologietransfer.
Mit der Hightechstrategie für Deutschland leisten wir
zugleich einen Beitrag zu einer europäischen und internationalen Innovationspolitik. Wir stellen die Weichen
so, dass Deutschland ein starker Motor für den Forschungsstandort Europa sein kann. Die EU-Präsidentschaft im kommenden Jahr gibt uns Gelegenheit, wichtige Entscheidungen für den Forschungsstandort Europa
zu verwirklichen: Der Europäische Forschungsrat wird
seine Arbeit aufnehmen. Das 7. Forschungsrahmenprogramm tritt in Kraft. Wir stehen in den Vorbereitungen
für einen möglichen europäischen Exzellenzwettbewerb
über neue Wege zum Technologietransfer in Europa. Die
Lissabonstrategie ist das Herzstück der europäischen Innovationspolitik. Sie ist Voraussetzung, um im weltweiten Innovationswettbewerb stark zu werden. Sie ist der
Motor für eine neue Dynamik in Europa. Hierbei nimmt
die Hightechstrategie für Deutschland eine Vorreiterrolle
ein.
({15})
Gewachsene Forschungs- und Innovationskompetenz in
Deutschland steigert auch die Möglichkeiten europäischer und internationaler Kooperationen.
Meine Damen und Herren, die Hightechstrategie für
Deutschland ist auf eine überaus positive Resonanz in
der Öffentlichkeit gestoßen. Sie ist das Ergebnis gelungener Kooperation zwischen den Ressorts und eines
neuen Dialogs zwischen Wissenschaft und Wirtschaft.
Sie ist ein Zeichen der Entschlossenheit der Bundesregierung, diese Legislaturperiode zu nutzen, um die Weichen auf Zukunft zu stellen und künftigen Generationen
die Basis für geistigen und materiellen Wohlstand zu
schaffen.
({16})
„Ideen zünden“ steht für Kompetenz und Leidenschaft bei dieser wichtigen Zukunftsaufgabe. Ich danke
allen Beteiligten für die hervorragende Arbeit der vergangenen Monate und bin zutiefst davon überzeugt, dass
die Hightechstrategie für Deutschland eine innovationspolitische Erfolgsgeschichte werden kann.
Vielen Dank.
({17})
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
die Kollegin Cornelia Pieper, FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wachstumschancen und Wohlstand lassen sich nur durch
Innovationen erschließen; das ist richtig, Frau Ministerin. Deswegen ist es gut, dass die Bundesregierung eine
Hightechstrategie vorgelegt hat. Angesichts der globalen
Herausforderungen, die Sie in der Hightechstrategie beschreiben, will ich aber daran erinnern: Wir befinden uns
nicht nur mit unseren europäischen Nachbarn im Wettbewerb, sondern auch mit anderen Kontinenten.
Die Aufholjagd mancher Länder hat ungeheure Ausmaße. Denken Sie nur an Indien und China: Indien gehört
heute zu den Top Ten der Weltrangliste. China hat dem
Rest der Welt mit einem groß angelegten Technologieprogramm den Kampf angesagt. Dabei schreckt man in
China nicht vor staatlichen Zwangsmaßnahmen zurück,
({0})
durch die der chinesischen Wirtschaft die Auflagen gemacht werden, Hightechimporte beim Staat zu beantragen und einen Plan für ihren Nachbau bzw. ihre Kopie
vorzulegen.
Frau Ministerin, es ist erschreckend, dass man in
Deutschland - dem Land, in dem der Transrapid erfunden wurde - heute zur Kenntnis nehmen muss: Das
Transrapidkonsortium strebt ein Joint Venture mit China
an, wenn Deutschland nicht endlich die Transrapidreferenzstrecke in München baut. Was die Hightechstrategie
angeht, müssen wir mit dem Schneckentempo aufhören.
({1})
Die Bilanz technologischer Dienstleistungen
Deutschlands wies im Jahre 2002 einen Negativsaldo
von 7,5 Milliarden Euro aus: Deutschland importiert
mehr Erfindungen, Patente und Ingenieurleistungen, als
es ausführt. Das ist in der Tat ein Problem. Deutschland
muss im weltweiten Wettbewerb mithalten. Das wollen
wir alle. Deswegen müssen wir schneller, unbürokratischer und besser werden.
Das Bekenntnis der Bundesregierung zum auf EUEbene vereinbarten Ziel, 3 Prozent des BIP in Forschung
und Entwicklung zu investieren, ist richtig, Frau Ministerin. Allerdings müssten, so haben die deutschen Forschungsinstitute, die den Bericht zur technologischen
Leistungsfähigkeit Deutschlands 2006 erstellt haben,
festgehalten, allein Bund und Länder ihre jährlichen
Ausgaben um 6 Milliarden Euro steigern, um dieses Ziel
zu erreichen. Damit entzaubert man Ihre Hightechstrategie und Ihr 6-Milliarden-Euro-Innovationsprogramm.
({2})
So wichtig die Hightechstrategie auch ist, da sie richtige und wichtige Ansätze, die Sie gerade beschrieben
haben, enthält, gehört zur Ehrlichkeit auch, zu sagen,
dass bei dem 14,6-Milliarden-Euro-Programm laufende
und künftige Programme bis 2009 buchhalterisch zusammengerechnet worden sind. Das ist die Wahrheit.
Daher ist das, was Sie im Rahmen der Hightechstrategie
tun, kein Drauflegen, sondern eigentlich nur ein Zusammenfassen.
({3})
Will Deutschland die Herausforderungen der Globalisierung im 21. Jahrhundert annehmen, müssen Sie, Frau
Ministerin, und muss die Bundesregierung einen Zahn
zulegen. Der Bedarf an akademischen Fachkräften
wurde uns durch den OECD-Bericht erneut vor Augen
geführt. Die Studienabbrecherquote liegt in Deutschland
bei 35 Prozent; das OECD-Mittel beträgt 23 Prozent.
Hier ist noch viel zu tun. Dazu gehört für mich das
Thema Freiheit und Autonomie an den Hochschulen. Ich
denke vor allem an den Hochschulpakt, über den Sie gerade mit den Bundesländern verhandeln. Warum wurden
diese Verhandlungen eigentlich verschoben? Auch das
verdeutlicht das Schneckentempo aufgrund des Kompetenzgerangels zwischen Bund und Ländern.
({4})
Mut und Tatkraft zu mehr Freiheit und Wettbewerb für
Innovationen sind notwendig, um in der Champions
League der Industrienationen mitspielen zu können.
({5})
Herr Tauss, die Europäische Kommission hat jüngst
ein Zehnpunkteprogramm zur Innovationsförderung in
der europäischen Wirtschaft beschlossen, so genannte
Lead Markets, durch die Innovationen für die Wirtschaft
erleichtert werden sollen, indem Behörden gezielt günstige Bedingungen für die erfolgreiche Vermarktung innovativer Waren und Dienstleistungen schaffen. Ebenso
brauchen wir schnellere, leichtere und unbürokratischere
Genehmigungsverfahren für Produkte, die neu auf den
Markt kommen. Auch diesem Thema sollte sich die
Bundesregierung mehr als bisher widmen.
({6})
Sorgen Sie dafür, Frau Ministerin, dass Sie sich von ideologischen Prestigeobjekten verabschieden! Sie wollen
Innovationsmotor sein mit Blick auf die deutsche EURatspräsidentschaft im nächsten Jahr; doch bei der Beratung über das Siebte Forschungsrahmenprogramm der
EU haben Sie restriktiv gehandelt: Sie haben die anderen
europäischen Länder davon abhalten wollen, weiter embryonale Stammzellforschung zu betreiben und dies von
der Europäischen Union fördern zu lassen.
({7})
Mit einem Innovationsmotor hat das nichts zu tun. Wer
ständig nur auf die Risiken neuer Forschungsfelder hinweist, verspielt Deutschlands Chancen.
({8})
Ich finde es gut, dass Sie die Idee der Forschungsprämie, die die FDP schon vor fünf Jahren gemeinsam
mit dem BDI und den Wissenschaftsorganisationen erarbeitet hat, auf den Weg bringen. Aber leider ist auch dieses Programm zu kurz gesprungen, es ist ein Tropfen auf
den heißen Stein. Denn Sie wollen nur einen Teil der Unternehmen fördern, nämlich jene 18 Prozent aus dem
KMU-Bereich, die heute schon forschen. Sie legen ein
finanzpolitisches Korsett an. Wir dagegen wollen ein
Programm von 200 Millionen Euro.
({9})
Ich sage Ihnen, Frau Ministerin: Wenn diese Bundesregierung in den Haushalt für nächstes Jahr 400 Millionen Euro zur Subvention der Steinkohlenförderung einstellen kann, dann muss es doch möglich sein, für so ein
Zukunftsprogramm 200 Millionen Euro aufzulegen. Das
wäre ein Innovationsschub für ein Anreizsystem zugunsten eines Wissenstransfers zwischen Wissenschaft und
Wirtschaft. Investieren Sie in die Zukunft in Größenordnungen, die wir im globalen Wettbewerb brauchen! Bewegen Sie sich nicht im Schneckentempo!
Vielen Dank.
({10})
Nächster Redner ist der Kollege René Röspel, SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ein schöner Morgen in Berlin, ein guter Tag für
die Forschung in Deutschland!
({0})
Mit der Hightechstrategie legt Frau Ministerin
Schavan eine ressortübergreifende, Technologiepolitik
koordinierende und bündelnde Strategie vor. Fast wie in
einem virtuellen Haus werden Technologien künftig unter einem programmatischen Dach in Themenfeldern zusammengefasst und eine gemeinsame Strategie zu ihrer
Umsetzung erarbeitet.
Nun muss ich mich doch ein paar Sekunden mit der
FDP aufhalten. Frau Pieper, wenn wir bei dem Bild des
Hauses bleiben, muss ich feststellen, dass Sie zum Fundament des Forschungshauses in den letzten Jahren nun
wirklich nichts beigetragen haben; insofern sind Ihre
Forderungen bemerkenswert.
({1})
Im Gegenteil, als Sie noch regiert haben vor zehn Jahren,
ist die Baugrube sogar zugeschüttet worden: Bis 1998
sind die Mittel für Forschung und Bildung und Technologie gekürzt worden.
({2})
Erst unter Rot-Grün - das kann man an dieser Stelle
durchaus einmal feststellen - sind die Mittel für Bildung
und Forschung erhöht worden, und zwar um 37 Prozent.
Die sozialdemokratische Bildungs- und Forschungsministerin Edelgard Bulmahn hat angefangen, wieder in
die Köpfe der Menschen in diesem Land zu investieren.
({3})
Sie reden von „Schneckentempo“. Dabei sind Sie während Ihrer Regierungszeit im Schneckentempo sogar in
die falsche Richtung gekrochen.
({4})
Wir gehen in die richtige Richtung und wir haben den
Gang beschleunigt. Sie haben davon geredet, dass wir
nicht genug investieren würden. Dabei waren es Sie, die
in den letzten Jahren durch Ihre heftige Blockade im
Bundesrat verhindert haben, dass wir althergebrachte
Subventionen abschaffen.
({5})
Ohne die Eigenheimzulage hätten wir schon jahrelang
Hunderte von Millionen Euro mehr in Forschung und
Technologie investieren können.
({6})
Ich bin sehr froh - damit komme ich zur Hightechstrategie zurück -, dass Frau Ministerin Schavan diesen
Kurs hält, weiter in die Köpfe der Menschen investiert,
und auf diesem Fundament ein gutes Haus konstruiert.
Die Hightechstrategie enthält eine Menge interessanter
Technologieansätze, etwa optische Technologie und maritime Technologie. Ich empfehle jedem die Lektüre des
entsprechenden Berichtes. Frau Schavan hat ja schon
eine Menge ausgeführt. Gesundheitsforschung und Medizintechnik beispielsweise bilden schon heute einen gigantischen Wirtschaftssektor. Trotzdem stecken wir
800 Millionen Euro zusätzlich in diesen Bereich, nicht
nur aus wirtschaftlichen Gründen, sondern weil dieser
Bereich für viele Menschen, die betroffen sind, hohe Bedeutung hat.
({7})
Aus meiner Sicht das zentrale Technologiefeld - der
Kollege Dieter Grasedieck wird noch im Besonderen
darauf eingehen - ist allerdings die Energietechnologie.
Sie muss vordringlich gefördert werden, nicht nur weil
es um die Zukunft der kommenden Generationen geht von denen wir heute eine Menge Gäste auf den Besuchertribünen sehen. Wir dürfen eben nicht alles Öl und
alle Rohstoffe, die wir zur Verfügung haben, verschwenden und den künftigen Generationen, unseren Enkeln
und deren Kindern, nichts mehr davon übrig lassen, sondern wir müssen bereits heute in Energieeinsparung, in
Energieeffizienz, in neue Energietechnologien investieren. Das tut diese neue Bundesregierung. Damit ist sie
auf einem guten Weg.
({8})
Eine weitere wichtige Komponente der Energietechnologie ist - das merken wir bereits heute; Dieter
Grasedieck und ich kommen aus dem Ruhrgebiet, der
Stahlregion - das immense Arbeitsplatzpotenzial in diesem Bereich. Ich glaube, dies wird vielfach unterschätzt.
Es gibt aber auch Technologiebereiche, auf die wir
Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten genauer
schauen werden; das ist unbestritten. Als Beispiel nenne
ich die Grüne Gentechnik. Die Vorfälle und die Debatten in der Öffentlichkeit in den letzten Wochen bezüglich des „Genreises“ von Aldi zeigen, dass man noch
nicht in der Lage ist, mit dieser Gentechnologie unbedenkliche Produkte auf den Markt zu bringen. Im Gegenteil: Die Verunsicherung bei den Verbrauchern ist sogar gewachsen.
({9})
Von daher sehen wir es als unsere Aufgabe an, nicht nur
Kosten-Nutzen-Analysen im wirtschaftlichen Sinne einzufordern, sondern auch nachzufragen, was eine Technologie für die Umwelt, die Nachhaltigkeit und die Gesellschaft bedeutet, welche Konsequenzen sie hat und
welchen Stellenwert zum Beispiel die im Bericht erwähnten 50 Biotechnologieunternehmen, die sich in
Deutschland mit der Grünen Gentechnik befassen, gegenüber den 150 000 Beschäftigten im ökologischen
Landbau - Tendenz steigend - einnehmen. Ich glaube,
eine solche Abwägung gehört zur Politik.
({10})
Was auf Seite 8 dieses Berichts der Bundesregierung
steht, ist richtig - ich darf zitieren -:
Die Neugier und Offenheit eines jeden Einzelnen
gegenüber Neuem prägen die Zukunftsfähigkeit unseres Landes. Zu grundlegenden Erfahrungen zählt
aber auch, dass mit dem wissenschaftlich und technisch Möglichem verantwortungsbewusst umgegangen werden muss.
Ich glaube, das zeigt, dass diese Regierung verantwortungsbewusst vorgehen wird.
({11})
Die Sicherheitsforschung - dabei geht es auch um
Sicherheitstechnologien - ist ein weiterer Bereich, den
wir sehr konstruktiv begleiten werden. Frau Schavan,
Sie haben am 4. Juli 2006 in Karlsruhe in Ihrer Rede zur
Sicherheitsforschung gesagt - ich darf zitieren -:
Die Freiheitsrechte dürfen nicht zugunsten der
Sicherheit unter Druck geraten.
Das ist richtig. Sie werden uns auch in diesem Fall an Ihrer Seite haben.
({12})
Ich bin froh, dass Sie gestern in den Ausschussberatungen klargestellt haben, dass es sich bei der Sicherheitsforschung nicht nur um ein technologiezentriertes
Programm handelt, sondern dass auch die Ursachenforschung wichtig ist. Man ist allerdings durchaus irritiert,
dass in der Kapitelüberschrift in diesem Bericht steht:
Sicherheitstechnologien: Keine Chance für Kriminalität und Terrorismus …
Ich sage ausdrücklich: Es darf keine Verengung des
Sicherheitsbegriffs auf Kriminalität und Terrorismus geben. Wenn wir uns in Erinnerung rufen, dass allein die
Hochwasserkatastrophe an der Elbe im Jahre 2002 nicht
nur annähernd 100 Tote, sondern auch materielle Schäden von bis zu 11 Milliarden Euro verursacht hat, dann
erkennen wir, dass die Begriffe Gefahr und Sicherheit
aufgrund der zunehmenden Zahl von Naturkatastrophen
ganz anders definiert werden müssen.
({13})
Meine Damen und Herren, zu jedem Technologiebereich gibt es in diesem Bericht auch eine SWOT-Analyse, also eine Analyse der Stärken und Schwächen des
jeweiligen Bereiches; Frau Ministerin Schavan erwähnte
das. Ein Begriff ist mir dabei sehr häufig untergekommen. Oftmals wird als Herausforderung bzw. Schwäche
des jeweiligen Technologiebereiches der Fachkräftemangel genannt. Wir müssen befürchten, dass bereits in
einigen Jahren nicht mehr genügend Fachkräfte - sowohl Ingenieure und Wissenschaftler als auch normal ausgebildetes Personal - zur Verfügung stehen. Auf Seite 8
des Berichts steht zu Recht - ich darf zitieren -:
Die Innovationskraft unseres Landes hängt entscheidend von der beruflichen Qualifikation der
hier lebenden Menschen ab.
Das ist nicht allein Aufgabe des Staates, sondern liegt in
der Verantwortung aller.
Wie viele andere Kollegen beschäftige auch ich nach
Beginn des neuen Ausbildungsjahres seit Montag eine
Auszubildende für Bürokommunikation in meinem
Büro.
({14})
Wenn ich durch die vielen Bewerbungsgespräche in den
letzten Wochen eines gelernt habe, dann ist das die Tatsache, dass die meisten der jungen Menschen diesen
Ausbildungsplatz verdient hätten. Sie sind nämlich besser als ihr Ruf; sie haben einen guten Eindruck auf mich
gemacht.
({15})
Wir müssen ihnen die Chance geben, Bestandteil dieser
Gesellschaft und des Arbeitslebens zu werden. Hightech
ist ohne gut ausgebildete Menschen nicht möglich.
({16})
Mein Appell an die Wirtschaft ist, nicht nur Hightech
zu fördern und Forschung zu unterstützen, sondern sich
ebenso an der Ausbildung von Menschen zu beteiligen.
Wir als Sozialdemokraten werden darauf achten, dass
dies geschieht.
({17})
Vielen Dank.
({18})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Petra Sitte, Fraktion Die Linke.
({0})
Danke schön. - Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Dass Sie, Frau Ministerin, eine Hightechstrategie vorgelegt haben, ist unbestritten dringend notwendig.
Der methodische Ansatz selbst ist nicht neu. Japan hat
ihn erstmals in den 50er-Jahren getestet und danach einen gewaltigen wissenschaftlich-technischen Aufstieg
genommen. Die Chinesen haben sich des gleichen Ansatzes bedient: Ihre Wirtschaft boomt derzeit ohne Ende.
({0})
- Das höre ich mir nachher noch einmal an.
Der Reichtum intellektueller Ressourcen dieses Landes steht der Knappheit finanzieller Ressourcen des
Staates gegenüber. Man muss sich also überlegen, wie
man beides in ein optimales Verhältnis zueinander
bringt. Aus unserer Sicht muss das mit dem Ziel geschehen, den Nutzen für möglichst viele Menschen zu vergrößern. Ihre Sicht dagegen richtet sich vor allem auf die
Kommerzialisierung von Erkenntnissen. Das heißt, mit
Steuergeldern geförderte Forschungsergebnisse werden
letztlich privatisiert. Darin liegt der entscheidende Unterschied zwischen Ihrem und unserem Herangehen.
Wohlgemerkt: Wir sind nicht gegen die Verwertung
des Wissens; aber das ist nicht unsere alleinige Priorität.
Nichtsdestotrotz haben Sie sich nun auf der Basis einer Stärken-Schwächen-Analyse vorhandener Potenziale
für Förderprioritäten entschieden. Diese Klarstellung
macht sicherlich das Hauptverdienst der Hightechstrategie aus. Es ist ein Anfang gemacht; das ist ja schon einmal etwas.
Ich will aber einige Grundprobleme benennen, weil
sie wesentlichen Einfluss auf Erfolg oder Misserfolg dieser Strategie haben; das haben Sie selber erwähnt.
Erstens. Die EU versucht, Wissenschafts- und Technologieentwicklung sowohl in Inhalt als auch in den
Fördermodalitäten zu harmonisieren. Sie betrachtet
sich selbst als konkurrierenden Block zu anderen Regionen der Erde. Zeitgleich versuchen alle EU-Länder, sich
mittels nationaler Strategien ebenfalls einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Ländern, auch denen
der EU, zu verschaffen. Nun haben auch noch die
16 deutschen Bundesländer Innovationsstrategien entwickelt. Dabei ist es kaum gelungen, die Regelungen untereinander zu harmonisieren. Das wird von der Wirtschaft
zu Recht kritisiert. Ich komme aus der Region Halle/
Leipzig und sehe, dass dort ganz unterschiedliche Regelungen gelten. Die gegenwärtige Situation bedarf also
nicht des Aufbaus von Technoblöcken oder eines Leitmarktes Deutschland, wie Sie es bezeichnen, sondern
kooperativer Lösungen, die sich langfristig als zukunftsfähig erweisen werden.
({1})
Bei Ihrem Ansatz ist immer der Sieg das Ziel. Aber
wir alle wissen: Es wird nur wenige Gewinner geben.
Das haben wir längst beim Wettbewerb um Industrieansiedlungen erlebt. Auch da hat niemand die Konkurrenzlinie verlassen. Es werden also weiter Unsummen
öffentlicher Gelder im Glauben an Markt und Wettbewerb in Fördertöpfe von Einzelstrategien geworfen,
ohne dass man es am Ende auch nur plumpsen hört.
Bei der Umsetzung von Erkenntnissen müssen wir
uns doch fragen: Was ist gesellschaftlich wirklich sinnvoll? Umgesetzt werden sollte doch das, was vielen
Menschen und damit der Gesellschaft als Ganzes Nutzen
bringt und eben nicht zu vermarkten ist. Ich will noch
einmal daran erinnern: Hier werden Steuergelder eingesetzt. Also sollten doch jene, die diese Steuergelder sozusagen als Absender zahlen, die ersten Adressaten dieser Politik sein.
({2})
Zweitens. Die Hightechstrategie begleitet inhaltlich
die Investitionen in Forschung und Entwicklung. Bis
2009 - das haben Sie gesagt - sollen 15 Milliarden Euro
ausgegeben werden. Sie finanzieren aber genau genommen nur die Basis einer Förderpyramide. Ich meine, damit ist es längst nicht getan. Wir brauchen mehr Förderebenen. Bislang konzentrieren Sie sich vor allem auf die
Gründung von innovativen Unternehmen. Dagegen ist
nichts einzuwenden; diesem Ziel dienen der Hightechgründerfonds und die Forschungsprämie. Letztere sollte
im Übrigen nicht nur für Wissenschaftseinrichtungen,
sondern vor allem auch für kleine und mittelständische
Unternehmen erreichbar sein.
Was meine ich mit „mehr Förderebenen“? Ich meine,
dass sich die Förderung eben auch auf die Phasen der
Genehmigungen, der Vorserienproduktion, der Produktionsaufnahme und der Markteinführung erstrecken
muss. Das ist besonders wichtig für den Osten; denn gerade in diesen Phasen verhungern viele Unternehmen
oder sie werden ausgebootet.
Ich will das an einem Beispiel aus meiner Heimatstadt Halle illustrieren. Dort hat ein hochinnovatives junges Unternehmen einen Alzheimerfrüherkennungstest
entwickelt. Klinische Studien waren erfolgreich. Jetzt
könnte man in die Vorserienproduktion gehen. Bis dahin
wäre alles wunderbar, wenn nicht - wie es jetzt geschieht - die öffentliche Förderung ausgesetzt würde.
Für mich ist das unfassbar: Wir haben ein solches Unternehmen mit 5 Millionen Euro öffentlich gefördert. Und
was passiert? Jetzt wird die Förderung ausgesetzt; die
Firma muss Insolvenz anmelden. - Nebenbei bemerkt ist
Alzheimer zu einer der großen Volkskrankheiten geworden. Heute ist übrigens Weltalzheimertag.
({3})
Ich glaube, dass man sich solcher Produkte annehmen
müsste. Gerade dieses Produkt wäre eigentlich ein
Selbstläufer geworden. - Jetzt steht - wie immer in solchen Fällen - ein großer Pharmakonzern auf der Matte
und möchte die Lizenz kaufen. Dann sind die Arbeitsplätze und natürlich auch die Investitionen weg.
An dieser Stelle werden Sie sicherlich genauso den
Kopf schütteln wie ich. Ich fühle mich in diesem Zusammenhang an den MP-3-Player erinnert: hier entwickelt,
versilbert in den USA; ganz zu schweigen von den Arbeitsplätzen, die dadurch verloren gegangen sind. Dass
all dies nach einer umfangreichen Förderung mit Steuergeldern passiert ist, ist unverantwortlich.
({4})
Die Hightechstrategie wird auch von einer Kontroverse um einzelne technologische Innovationen begleitet. Es ist völlig klar: Innovationen kann man nicht
grundsätzlich ablehnen. Aber man muss darüber streiten,
welche Auswirkungen die Innovationen haben. Dass
man sich an dieser Stelle nicht mit 17 Hightechstrategien
im Einzelnen auseinander setzen kann, ist ganz klar. Ich
finde Ihren Ansatz aber durchaus methodisch interessant. Stärken, Chancen, Schwächen und Herausforderungen zu definieren, macht die Sache transparenter. Dadurch könnten das Parlament und die Öffentlichkeit
besser beteiligt werden. Die von Ihnen eingerichteten Innovationskreise sind ein interessantes Instrument, aber
dienen zunächst einmal Ihrer eigenen Beratung; sie wenden sich nicht in erster Linie an die Öffentlichkeit.
Bei der Hightechstrategie geht es um Zukunftsfragen.
Das heißt, dass noch vieles konkretisiert werden muss.
Es ist auch notwendig, einen gesellschaftlichen Dialog
darüber zu führen, was letzten Endes gefördert werden
soll. Ich möchte auf einige ausgewählte Themen näher
eingehen:
Erstens. Geförderte Projekte wie Galileo, Artes-11,
Ariane 5, ISS und Rapid Eye sind von erheblichem zivilen Nutzen. Sie können aber auch militärisch genutzt
werden. Diese fließenden Grenzen sehen wir im Übrigen
auch im Bereich der Sicherheitsforschung; Herr Röspel
hat es bereits erwähnt. Deshalb fordern wir an dieser
Stelle größtmögliche Transparenz in der Umsetzung.
Zweitens. Ich sehe in der elektronischen Gesundheitskarte keinen Leuchtturm für die Hightechstrategie.
({5})
Dabei leuchten höchstens die Augen von Krankheitsverwaltern. In den Mittelpunkt gehören Projekte der Altersforschung, der medizinischen Betreuung von Schwerstkranken und der Hospizforschung. Unsere Gesellschaft
altert. Darauf brauchen wir menschenwürdige Antworten. Das Thema ist es wohl wert, an vorderster Stelle in
eine Hightechstrategie aufgenommen zu werden.
({6})
Drittens. Unter dem Titel „Nukleare Sicherheits- und
Endlagerforschung stärken“ ist deutlich erkennbar, was
man sich offen hält: die Revision des Atomausstiegs.
Sie haben in diesem Zusammenhang butterweiche Formulierungen gewählt und versuchen in dieser Frage ganz
offensichtlich, die große Koalition zu überwintern, um
dann neue Blüten zu treiben.
Viertens. Im Teil „Neue Wege in Landwirtschaft und
Industrie“ wird versucht, der Grünen Gentechnik zu
neuer Akzeptanz zu verhelfen. Über den Wechsel von
der Nahrungsmittel- hin zur Rohstoff- und Energielieferantenschiene soll diese neue Akzeptanz aufgebaut werden. Selbst wenn man - wie ich - für einen differenzierten Umgang mit der Grünen Gentechnik plädiert, muss
man anerkennen, dass auch mehr Akzeptanz an dem
Grundproblem der Anwendung Grüner Gentechnik letztlich nichts ändert.
Fünftens. Ich halte den von Ihnen gewählten Ansatz
in der Nanotechnologie für tragfähig. Die angestrebte
Begleit- bzw. Anwendungsforschung greift nach meinem Empfinden aber zu spät. Es ist eine so sensible
Hochtechnologie, dass meiner Meinung nach in diesem
Bereich vor allem Voraussetzungsforschung betrieben
werden muss, um letztlich verantwortlich entscheiden zu
können, welche Entwicklungen in diesem Bereich gefördert werden sollen und welche nicht.
Sechstens. Wenn in Zukunft über Internet nicht mehr
nur Daten abgerufen, sondern auch Geräte direkt erreicht
werden können, stellt sich die Frage nach informationeller Selbstbestimmung und Datensicherheit in einer völlig
neuen Qualität. Immerhin eröffnen sich Möglichkeiten
der lückenlosen Erfassung menschlicher Bewegung und
Aktivitäten. Daher kann es bei diesen Anwendungspotenzialen nicht nur um Forschungsförderung gehen.
Gleichermaßen haben wir zu ergründen, wie man unzulässigen Zu- und Eingriff in die Privatsphäre der Menschen verhindern kann.
Ich weiß, dass diese Stichpunkte nur fragmentarisch
sind. Niemand kann hier auf Vollständigkeit plädieren.
Die vorgelegte Hightechstrategie ist für mich ohnehin
nur Auftakt für weitere Diskussionen. Ohne solche Diskussionen besteht das Risiko einer Fehlauswahl. Wenn
wir falsch auswählen, nährt man damit am Ende unter
Umständen Wissenschaftsskepsis und Wissenschaftsfeindlichkeit. Ich glaube, das kann nicht in unserem Interesse sein. Im Interesse der Menschen muss am Ende
mehr Lebensqualität erreicht werden.
({7})
Die Hightechstrategie sollte demzufolge wesentliche
Inspiration aus der Frage gewinnen, wie sich Menschen
die zukünftige Gesellschaft vorstellen. Wenn es sich
lohnt, eine Sache zu machen, dann lohnt es sich auch, sie
gut zu machen.
Danke schön.
({8})
Das Wort hat nun die Kollegin Ilse Aigner, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Politik beginnt mit dem Betrachten
der Realität. - Was erkennen wir bei dieser Betrachtung?
Nur wenn wir an der Spitze des weltweiten Innovationswettbewerbs mitspielen, hat unser Land eine Chance.
In Deutschland wird Forschung auf Spitzenniveau betrieben. Es hapert aber bei der Umsetzung. Heute wurden schon der Transrapid und der MP3-Player angesprochen. Ich nenne als Beispiel Herrn Professor Grünberg
aus Jülich: Er wird als Anwärter für den Nobelpreis gehandelt. 1989 hat er den Riesenmagnetwiderstand entdeckt. Acht Jahre später baute IBM den ersten Lesekopf
für dann kleinere Festplatten. Heute wird die Entwicklung von Hitachi weitergeführt. Jülich freut sich zwar
über die Lizenzeinnahmen; die Arbeitsplätze sind aber
leider anderswo entstanden. - Das wollen wir ändern,
das können wir ändern und das müssen wir auch dringend ändern.
({0})
Die Grundlage dafür bildet die Hightechstrategie. Daran ist Folgendes wichtig und neu:
Erstens. Die ganze Bundesregierung verpflichtet sich
zu innovationsfreundlichem Handeln.
({1})
Zweitens. Es gibt über alle Ressorts hinweg 17 abgestimmte Innovationsfelder.
Drittens. Der Schwerpunkt liegt auf der Umsetzung.
Viertens. Die Bundesregierung und die sie tragende
Koalition haben - das kann man nicht oft genug sagen beschlossen, in den nächsten Jahren 6 Milliarden Euro
zusätzlich in Forschung und Entwicklung zu investieren.
({2})
Eine Hightechstrategie braucht nicht nur Forschungsförderung; sie braucht auch einen innovativen Staat, eine
innovative Wirtschaft und insgesamt eine innovative Gesellschaft. Wir brauchen schlicht auf breiter Front einen
Kulturwandel in Deutschland.
Wir setzen auf strukturelle Neuerungen, etwa auf die
Forschungsprämie; dazu haben wir einen Antrag eingebracht. Was soll mit der Forschungsprämie erreicht
werden? Hochschulen und Forschungseinrichtungen, die
Mittel aus der Wirtschaft einwerben, bekommen als Forschungsprämie einen Aufschlag von 25 Prozent. Die
Forschungsprämie konzentriert sich auf den Mittelstand.
Warum? Die Forschungseinrichtungen müssen und sollen stärker auf den Mittelstand zugehen, um ihn zu mehr
Aktivitäten in Forschung und Entwicklung zu bewegen.
Der Mittelstand muss mehr in Innovationen investieren.
({3})
Die Wirtschaft insgesamt - nicht nur der Mittelstand muss ihren Beitrag dazu leisten. Um das 3-Prozent-Ziel
zu erreichen, muss die Wirtschaft zwei Drittel aufbringen, ein Drittel der Staat. Wir fordern das von der Wirtschaft ein.
Viel erwarte ich vom Wettbewerb der Spitzencluster. Sie sind auf der einen Seite Leuchttürme und auf der
anderen Seite Magnete. Welche Anziehungskraft, welche Sogwirkung eine richtig gemachte Clusterpolitik haben kann, zeigt das Beispiel Dresden. Mit Silicon
Saxony existiert in den neuen Bundesländern heute,
16 Jahre nach der Wiedervereinigung, ein Forschungsund Industriecluster von europäischem Gewicht.
({4})
1994 waren 650 Personen in der Halbleiterbranche beschäftigt. Heute sind es 9 000. Infineon rechnete 1994
mit höchstens 1 450 Beschäftigten. 2002 waren es schon
4 400. Alle Prognosen wurden übertroffen. Die Wirkung
auf die Region war und ist enorm. Mit jedem direkten
Arbeitsplatz waren 1,5 zusätzliche Arbeitsplätze verbunden. Das ist die Umsetzung von Wissen in Arbeitsplätze.
({5})
Wir gehen davon aus, dass sich beim Clusterwettbewerb eine ähnliche Dynamik entwickelt wie beim Exzellenzwettbewerb der Hochschulen, der zurzeit läuft.
Damit bin ich beim wichtigsten Rohstoff der Hightechstrategie, nämlich bei den Menschen. Seit Jahren warnen
uns die Forschungsinstitute - Herr Röspel hat das schon
angesprochen - vor einem Fachkräftemangel, der bei
anspringender Wirtschaft auf uns zukommen könnte.
Die Hightechstrategie weist sechs Querschnittstechnologien auf: Nanotechnologie, Biotechnologie, Mikrosystemtechnik, optische Technologien, Werkstofftechnologien und Produktionstechnologien. Bei vier von diesen
sechs Feldern erscheint in der Rubrik „Herausforderungen“ in der Stärken-und-Schwächen-Analyse das Wort
„Fachkräftemangel“. Deshalb müssen wir alle unsere
jungen Menschen optimal ausbilden und ihre Fähigkeiten bestmöglich zur Geltung bringen. Das können wir
nur, wenn wir die gesamte Bandbreite unseres Ausbildungssystems nutzen.
Es ist wichtig und richtig: Wir müssen den akademischen Nachwuchs fördern. Es ist aber unredlich, bei der
Akademikerquote Deutschland mit anderen Ländern
eins zu eins zu vergleichen, wie in der gerade erschienenen OECD-Studie geschehen.
({6})
Andere Länder haben nämlich keine echte Alternative
zur akademischen Ausbildung. In Amerika heißt es: entweder Studium oder Hilfsarbeiter, um es einmal ganz
deutlich zu sagen. Wir haben eine Alternative: die berufliche Aus- und Weiterbildung. Ein Beispiel: In den USA
muss man quasi ein Hochschulstudium absolvieren, um
den Beruf der Krankenschwester zu erlernen. Ob diese
Krankenschwestern für die berufliche Praxis besser ausgebildet sind als unsere Krankenpflegerinnen und -pfleger, ist eine ganz andere Frage.
({7})
Das duale System ist ein riesengroßer Vorteil. Andere Länder beneiden uns darum. Gehen Sie einmal in
einen Betrieb des Maschinenbaus oder der Automobiltechnik! Sie sehen dann fleißige Menschen an FünfAchs-CNC-Fräsmaschinen stehen. Diese werden nicht
am Bürotisch ausgebildet, sondern sowohl in der beruflichen Erstausbildung als auch in der Weiterbildung in der
Praxis für diesen Beruf bestens qualifiziert. Das ist ein
Standortvorteil.
({8})
Zur Hightechstrategie gehören selbstverständlich
auch die Höchstqualifizierten. Für diese ist der Wissenschafts- und Arbeitsmarkt global. Für Nachwuchswissenschaftler verbessern wir gerade die Bedingungen
durch das Wissenschaftszeitvertragsgesetz entscheidend.
„Mehr Chancen für Spitzenkräfte“ ist unser Motto. Von
diesen Chancen muss man aber auch erfahren. Wir waren in diesem Jahr in Kalifornien. Die Kolleginnen und
Kollegen, die dabei waren, können sich vielleicht an eine
Gruppe junger Forscherinnen und Forscher am Cal-Tech
erinnern. Eine ihrer wesentlichen Forderungen war eine
wesentlich bessere Vernetzung bzw. ein besserer Austausch mit der deutschen Wissenschaft, damit sie wieder
Kontakt zu uns haben.
({9})
Deshalb ist die angekündigte Internationalisierungsinitiative goldrichtig.
({10})
Das Potenzial der Hightechstrategie hat unsere Ministerin Dr. Schavan mit 1,5 Millionen Arbeitsplätzen beziffert. Um dieses Potenzial auszuschöpfen, müssen alle
an einem Strang ziehen. Das Ziel ist hoch gesteckt, aber
aller Mühe wert.
Vielen Dank.
({11})
Das Wort hat nun die Kollegin Priska Hinz, Bündnis 90/
Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine gute
Hightechstrategie kann dazu beitragen, dass der Wandel
von der Industrie- zur Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft wirklich gelingt, weil durch Stärkung von Forschung und Entwicklung Investitionen in neue Märkte
und auch in neue Dienstleistungen möglich werden, weil
die Effizienz der Mittel gesteigert werden kann und weil
durch Bündelung Transparenz und die Überprüfung der
Wirksamkeit von Mitteln möglich werden, was bei öffentlich geförderten Projekten besonders wichtig ist.
({0})
Wir freuen uns, dass bewährte Programme in die
Hightechstrategie aufgenommen wurden, aber wir haben
auch Kritik an Ihrer Strategie, Frau Schavan, nämlich
die, dass Sie kein zukunftsfähiges Leitbild haben, an
dem Ihre Strategie ausgerichtet ist.
({1})
Sie haben in einem Interview festgestellt, dass die Forschungsförderung in Deutschland lange Zeit das Ziel
und auch die Zeit hatte, aus Geld Wissen zu machen.
Jetzt sei es Zeit, aus Wissen Geld zu machen. Das ist im
Zusammenhang mit der Hightechstrategie viel zu kurz
gesprungen; denn es geht nicht darum, mit irgendetwas
an die Spitze des internationalen technologischen Fortschritts zu gelangen,
({2})
sondern es muss darum gehen, eine intelligente Förderpolitik zu betreiben. Dabei müssen sich die technologische Entwicklung und vor allem die Problemlösungen an
den drängenden Fragen der Gegenwart ausrichten.
({3})
Deswegen muss das Leitbild für die technologische Entwicklung das ressourcenleichte und nachhaltige Wirtschaften sein. Wir brauchen eine Technologieförderung,
die im Blick hat, dass wir in einer Gesellschaft leben, die
sich gravierend verändert. Wir wollen Antworten auf die
Fragen, welche Folgen der Klimawandel hat, wie wir mit
den ökologischen und wirtschaftlichen Auswirkungen
der Energie- und Ressourcenknappheit umgehen, welche
Konsequenzen Wanderungsbewegungen, der demografische Wandel und das Gefühl der bedrohten kollektiven
und individuellen Sicherheit haben. Bei Ihnen, Frau
Schavan, vermissen wir ein solches Leitbild.
({4})
Ihre Hightechstrategie enttäuscht vor allen Dingen deshalb, weil sie einfach Schwerpunkte aneinanderreiht und
sich im Wesentlichen auf rein technische und technologische Lösungen bezieht, ohne den Blick auf den gesellschaftlichen und ökologischen Kontext zu richten. Sie
haben nur noch über 17 Strategien gesprochen und nicht
mehr über diese eine Hightechstrategie.
Bei der Agrogentechnik und der Fusionsforschung
bezeichnen Sie Ihre neuen Schwerpunkte als neue Freiheit und Verzicht auf ideologische Scheuklappen; das ist
dem Vorwort Ihrer Broschüre zu entnehmen. Das zeigt
doch, dass Sie nicht verstanden haben, welches die eigentlich wichtigen Zukunftsfelder vor allen Dingen öffentlich finanzierter Innovationspolitik sind. Da sind Sie
ganz im Gestern geblieben und kommen nicht im Morgen an.
({5})
Ein zentrales Ziel der Technologieförderung sollte
doch zum Beispiel sein, Deutschland zum Leitmarkt für
Effizienztechnologien zu machen. Da sollten wir tatsächlich Spitzenreiter in der Welt werden. Da haben wir
ein gutes Fundament. Wir brauchen stärkere Anstrengungen bei der Erforschung, Entwicklung und Markteinführung. Das gilt insbesondere für emissionsfreie Technologien, erneuerbare Energien sowie für erneuerbare
Ressourcen.
Ihr Vorgehen mit der Aneinanderreihung der 17 Schwerpunkte - finanziell sind noch nicht alle unterlegt - birgt
auch eine weitere Gefahr, nämlich die, dass Forschung
unter dem Gesichtspunkt der reinen Verwertbarkeit gesehen wird. Natürlich müssen kreative Ideen auch in
marktfähige Produkte umgesetzt werden - das ist grundsätzlich wichtig und richtig -,
({6})
aber die Forschung hat auch ein eigenes Erkenntnisinteresse und das müssen wir ihr erhalten. Es kann nicht
darum gehen, dass Forschung nur noch unter dem Gesichtspunkt betrieben wird: Kann das ein Unternehmen
hinterher auch benutzen?
({7})
Die angewandte Forschung muss auch möglich sein,
wenn Firmen erst hinterher prüfen: Wie können wir das
Ergebnis in marktfähige Produkte umsetzen? Auch dann
müssen Förderinstrumente greifen.
({8})
Insofern ist Ihre Hightechstrategie allerdings noch zu
dünn. Es gibt zum Beispiel die Ankündigung für einen
Clusterwettbewerb. Er beginnt aber erst im Jahr 2008. Es
gibt die Ankündigung für ein Private-Equity-Gesetz.
Das kommt aber frühestens im Jahr 2007.
Priska Hinz ({9})
({10})
Dabei wäre es für die KMU doch essenziell, dass die
Bundesregierung im Bereich Wagniskapital in die Pötte
kommt.
Wir Grünen haben einige Ideen dazu, wie es gerade
kleinen forschungsintensiven Unternehmen leichter gemacht werden kann. Wir schlagen zum Beispiel vor, dass
künftig die Kosten für Patentanmeldungen auf die Bilanzsumme des Unternehmens anrechenbar sind. Damit
kann die Kapitalbasis gerade junger Unternehmen bei
der Einführung neuer Produkte und Prozesse gestärkt
werden. Innovative Unternehmen können so ihren tatsächlichen Wert besser abbilden, was ihre Position gegenüber Kapitalgebern stärkt.
Wir wollen außerdem das Gesetz für Unternehmensbeteiligungsgesellschaften zugunsten besonders investitionsbereiter Unternehmen modernisieren. Dabei müssen die steuerlichen Regelungen verbessert werden,
fokussiert auf Wagniskapital. Wir als Grüne wollen, dass
Deutschland ein höchst attraktiver Standort für diese
Unternehmen wird, damit diese dann zum Erreichen des
3-Prozent-Ziels beitragen können, was wir doch alle gemeinsam schaffen wollen.
({11})
Mit Ihrer Forschungsprämie allein, die Sie jetzt einführen wollen, ist das nicht zu machen, auch wenn wir
dem Instrument generell positiv gegenüberstehen.
Aus dem Koalitionsantrag ergeben sich mehr Fragen
als Antworten. Die Erfahrungen anderer Länder sind gut,
was die Einführung einer Forschungsprämie angeht. Allerdings muss man in Betracht ziehen, dass in vielen
anderen Ländern die Forschungsprämie den Wirtschaftsunternehmen zugute kommt. Sie haben in Ihrem Antrag
formuliert, dass sie nur den Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen zugute kommen
soll.
({12})
Das ist richtig. Aber es stellt sich die Frage: Wie kann erreicht werden, dass die Forschungsprämie in den Hochschulen auch tatsächlich bei den Forscherinnen und Forschern ankommt, um so ein Anreizsystem zu schaffen?
Wir fragen uns auch: Wie können eigentlich Unternehmensverbünde davon profitieren? Nur dann nämlich
können tatsächlich Cluster entstehen. Nur dann ist die
Forschungsprämie als Finanzierungsinstrument eine
sinnvolle Ergänzung für die Hightechstrategie.
Die Koalitionsfraktionen fordern, die Bundesregierung solle die Definitionsmerkmale für förderfähige
KMU nicht zu eng fassen. Das ist mehr als gummiartig.
Wir als Grüne wollen, dass verstärkt die kleineren KMU
zum Zuge kommen.
({13})
Wenn Sie für die Unternehmen, die profitieren können,
die Grenze von 500 auf 1 000 Mitarbeiter hochsetzen,
aber weiterhin nur eine Forschungsprämie von 32 Millionen Euro verankern, dann verteilen Sie die Forschungsprämie vor allem auf große Unternehmen. Gerade die kleinen hoch innovativen Betriebe werden
nichts davon haben.
({14})
Unklar bleibt auch, warum es eigentlich eine Mindestfördersumme geben soll. Wenn das ganze Verfahren
unbürokratisch sein soll, fragt man sich doch, warum gerade die Bereiche, die wenig kostenintensiv forschen,
nicht zum Zuge kommen sollen. Das macht bei dieser
Fördersumme überhaupt keinen Sinn.
({15})
Die Forschungsprämie scheint also noch nicht so innovativ zu sein, wie es wünschenswert wäre.
Es gibt aber noch zwei weitere Bereiche, in denen Sie
die Zeichen der Zeit nicht richtig erkannt haben. In der
Sicherheitsforschung zum Beispiel schimmert nach wie
vor durch, dass bei Ihnen die Technikzentriertheit einen
hohen Stellenwert besitzt. Gestern im Ausschuss haben
Sie, Frau Schavan, ausdrücklich betont, dass es Ihnen
bei der Sicherheitsforschung vor allem um „technologische Schutzmaßnahmen für die zivile Bevölkerung“
geht. Auch der Presse war zu entnehmen, dass sich Ihr
Ministerium vor allem auf die Entwicklung von Technologien konzentriert. Wissen Sie, weltweit ist die Sicherheitstechnologie ein so boomender Bereich, dass man da
nicht noch gutes öffentliches Geld hinterher werfen
muss. Wichtig wäre, dass die Präventions-, Ursachenund Krisenforschung mit einbezogen wird. Wichtig ist,
dass Geistes- und Sozialwissenschaften integriert werden. Wichtig ist auch, dass sich die Sicherheitsforschung
nicht nur mit Terrorismus und innerer Sicherheit, sondern auch mit den Folgen des Klimawandels, mit Naturkatastrophen, technischen Katastrophen und deren
Bewältigung beschäftigt. Da fehlt es noch an einem innovativen Konzept der Bundesregierung. Wir sind gespannt darauf, wann Sie das vorlegen werden.
({16})
Ihre falsche Schwerpunktsetzung wird auch noch in
einem anderen Bereich deutlich, nämlich der Dienstleistungsforschung. Der Dienstleistungssektor wird nach
einhelliger Meinung aller Fachleute in Zukunft eine immer größere volkswirtschaftliche Bedeutung bekommen.
In den letzten 14 Jahren sind hier bereits 4,7 Millionen
neue Arbeitsplätze entstanden. Angesichts dessen ist die
Fördersumme der Hightechstrategie von 50 Millionen
Euro lächerlich gering; denn gerade an der Schnittstelle
zwischen technologischer Forschung und der Entwicklung wissensbasierter Dienstleistungen können sich neue
Priska Hinz ({17})
Beschäftigungsfelder und marktfähige Produkte ergeben.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss.
Die Hightechstrategie lässt noch nicht erkennen, wie
Bund, Länder und die Wirtschaft das 3-Prozent-Ziel erreichen sollen. Sie lässt leider noch kein Feuerwerk an
Ideen zünden. Vor allem besetzt sie nicht die wichtigen
Zukunftsfelder. Die Idee ist gut, die Umsetzung noch
ziemlich schlecht.
Danke schön.
({18})
Dieter Grasedieck ist der nächste Redner für die SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die große Koalition steigert den Forschungsetat
um 6 Milliarden Euro. Die FDP aber spricht vom Verspielen. Die FDP spricht vom Schneckentempo. Frau
Pieper, Sie fordern Wirtschaftsförderung und Hochschulförderung. Wir machen beides. Wir führen das bei
der Clusterbildung zusammen. Moderne Berufe werden
durch dieses Programm kreiert. Ich meine, das ist der
richtige Ansatz. Das ist der Weg in die Zukunft.
({0})
- Ja, das auch noch.
Frau Hinz sprach vorhin vom Leitbild. Für uns ist das
Leitbild bei diesem Programm: durch Innovation neue
Arbeitsplätze schaffen. Da waren wir erfolgreich in den
letzten drei Jahren. Da können wir Erfolge aufweisen. So
wurden beispielsweise 20 000 neue Arbeitsplätze im
Rahmen der CO2-Gebäudesanierung geschaffen. Das ist
ein Erfolg.
({1})
Wir haben im Bereich der erneuerbaren Energien
25 000 neue Arbeitsplätze hinzugewonnen. Auch das ist
ein Erfolg.
({2})
Darauf müssen wir immer wieder hinweisen; denn
wir wollen an der Stelle weitermachen. Wir wollen weitermachen, indem wir die Zusammenarbeit der Hochschulen mit der Wirtschaft fördern. Die Stärken sollen
- auch innerhalb der Wirtschaft - gefördert werden. Das
hat die Ministerin vorhin schon erwähnt. Wir wollen die
kleinen und mittleren Betriebe in den Vordergrund
stellen. Gerade die kleinen und mittleren Betriebe sollen
gefördert werden, weil diese Betriebe kreativ und wirklich flexibel arbeiten. Schauen Sie sich das doch bitte in
Brandenburg und in Bremen an. Hier produzieren Mechaniker und Ingenieure Teile für Satelliten und für die
Luftfahrt, etwa für die Airbusse A350 und A380 - absolute Spitzentechnologien. Wir brauchen eine Weiterentwicklung in diesen Bereichen, weil wir davon ausgehen, dass es bis zum Jahre 2020 zu einer Verdopplung
des Luftverkehrs kommen wird. Dafür brauchen wir in
den nächsten Jahren gut ausgebildete Kräfte und Spezialisten. Man sieht das unter anderem daran, dass Airbus in
Hamburg 1 000 Ingenieure sucht. Das ist ein guter Ansatz. Wer hätte vor zehn Jahren davon geträumt, dass
Airbus Boeing überholt? Das ist seit dem Jahre 2004 der
Fall; das war damals eine Schlagzeile wert. Wir ernten
die Früchte unserer Forschungspolitik der letzten Jahrzehnte, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({3})
Wir fördern aber nicht nur die Luftfahrt, wir haben
unter anderem auch die Satellitenforschung im Blick.
Betrachten wir zum Beispiel die Ariane V, die sich jetzt
auf dem Weltmarkt etabliert hat. Vor etwa vier Monaten
wurden mit ihr 8,3 Tonnen erfolgreich in den Weltraum
gebracht. Das war absoluter Weltrekord. Durch unsere
Satellitenforschung verbessern wir auch gleichzeitig unser Leben: Es wird sicherer und bequemer - ich erinnere
nur an die Möglichkeiten, die das Handy bietet -, auf der
anderen Seite natürlich auch ein wenig hektischer.
Sicherer wird das Leben zum Beispiel dadurch, dass
Naturkatastrophen schon im Anfangsstadium erkannt
werden können und man dann Gegenmaßnahmen planen
bzw. sich wie zum Beispiel bei Taifunen darauf einstellen kann.
({4})
Satellitentechnik macht das Leben unter anderem auch
dadurch sicherer, dass Flugzeuge durch Navigationssysteme gelenkt werden können. Solche Unfälle wie vor einigen Jahren bei Konstanz am Bodensee können dadurch
vermieden werden. Die Zahl der Unfälle kann dadurch
insgesamt wesentlich reduziert werden. Mit Satellitenhilfe können schließlich Blinde gelenkt werden. Das
sind enorme Vorteile, die sich durch diese Entwicklung
ergeben. Unser Leben wird also sicherer und bequemer
durch Satellitenforschung.
Das ist aber nur ein wichtiger Sektor. Ein weiterer
wichtiger Sektor, der im Programm der großen Koalition
angesprochen wird, ist die Energieforschung - die Herausforderung des Jahrhunderts. Sie wurde vorhin schon
von meinem Kollegen René Röspel angesprochen. Die
Energietechnologie stellt eigentlich das Rückgrat unserer Volkswirtschaft dar. Sie müssen wir weiterhin fördern. Bei erneuerbaren Energien und Kraftwerkstechnologie sind wir Exportweltmeister. Hier müssen wir
weiter voranschreiten. Bei Windkraftanlagen haben wir
eine hervorragende Marktposition: 40 Prozent der Weltproduktion wird bei uns gebaut und 60 Prozent von diesen 40 Prozent führen wir aus. Das ist ein Exportschlager.
Ein weiterer Exportschlager ist natürlich auch unsere
Kraftwerkstechnologie. Dadurch, dass der Wirkungsgrad bei Kohlekraftwerken in den letzten Jahren wesentlich verbessert wurde, reduzieren wir den CO2-Ausstoß.
Bei Steinkohlekraftwerken liegen wir bei 45 Prozent, bei
Braunkohlekraftwerken bei 43 Prozent. Damit halten wir
die technologische Spitzenposition in der Welt. Andere
Länder erzielen Wirkungsgrade von 25 bis 30 Prozent.
Wir sind hier auf dem richtigen Wege und müssen da
weitermachen. Deshalb unterstützen wir diesen Bereich
durch unsere neuen Innovationsprogramme.
({5})
Durch das CO2-Gebäudesanierungsprogramm haben wir natürlich den CO2-Ausstoß reduziert, aber nicht
nur das; wir haben dadurch auch 20 000 Arbeitsplätze
geschaffen. Ich habe darauf hingewiesen. Im Bereich
erneuerbare Energien sind insgesamt 170 000 Arbeitsplätze entstanden. Auch das war ein Erfolg unserer Politik. Wir haben aber nicht nur Arbeitsplätze, sondern
auch Ausbildungsplätze geschaffen. Das ist gerade in
der heutigen Situation von besonderer Bedeutung. Ich
nehme als Beispiel einmal aus meinem Wahlkreis die
Städte Bottrop und Gelsenkirchen: Dort sind über hundert neue Ausbildungsplätze im Bereich der erneuerbaren Energien geschaffen worden.
({6})
In einem Kohlekraftwerk dieser Region werden beispielsweise über 400 Ausbildungsplätze pro Jahr zur
Verfügung gestellt.
Wir sind also auf dem richtigen Weg. Auf diesem
Weg gehen wir mit unserem Programm weiter. Eine neugierige und lernende Gesellschaft schaffen wir nur durch
neue, moderne Ausbildungsplätze.
({7})
Allein das ist ein Grund, das neue moderne Technologieprogramm der großen Koalition zu begrüßen.
({8})
Ich erteile das Wort der Kollegin Ulrike Flach, FDPFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir reden
heute über die Hightechstrategie. Daher lohnt es sich,
einmal im Lexikon nachzuschlagen, was der Begriff
„Strategie“ eigentlich bedeutet:
({0})
Ein längerfristig ausgerichtetes planvolles
- das fällt Ihnen besonders schwer, Herr Tauss Anstreben einer vorteilhaften Lage. Strategie zielt
auf den richtigen Einsatz bestimmter Mittel in Zeit
und Raum ab und ist im Unterschied zur Taktik
langfristig angelegt.
({1})
Legt man diese Definition zugrunde, dann muss man
sagen, dass die Bundesregierung uns keine Hightechstrategie - das muss man ganz nüchtern so konstatieren -,
sondern eine Hightechtaktik mit ausgesprochen großen
Schwächen vorgelegt hat.
({2})
Ihre Taktik ist ein wohl verpacktes Bonbon für den
geneigten Wähler - das muss ich zugeben, Frau Schavan mit dem klaren taktischen Ziel, den Innovationsbegriff
politisch zu besetzen. Sie wollen innovativ wirken, ohne
sich den Mühen innovativer Politik wirklich zu unterziehen.
({3})
Marketingmäßig muss man Ihnen ein Lob aussprechen
- ich habe nichts anderes erwartet; es ist die Fortführung
der Politik, die die SPD in den sieben Jahren ihrer Regierung gemacht hat -: Sie haben eine bunte Hightechfibel
aufgelegt. Politisch gesehen, Frau Schavan, bewegen Sie
sich in der Tat auf den Spuren aller Vorgängerregierungen.
({4})
- Aller Vorgängerregierungen!
Neu ist die Sicherheitsforschung. Wir haben aber
eben erfahren, dass es dazu im Ausschuss heftige Diskussionen gegeben hat. Auch dieser Punkt ist also zwischen den Koalitionspartnern heftig umstritten.
({5})
Neu ist auch das Private-Equity-Gesetz. Frau Hinz,
wenn es so dringend notwendig ist - auch wir sind dieser
Meinung -, dann muss ich Sie fragen: Warum haben Sie
es in den letzten Jahren dann nicht gemacht?
({6})
Natürlich begrüßen wir, dass in diesem Jahr - das war
auch im letzten Haushalt der Fall - mehr Geld für Forschung und Entwicklung zusätzlich ausgegeben wird.
Wir haben dies immer gefordert. Herr Röspel, es ist daher ausgesprochen unredlich, gerade Frau Pieper und
mir vorzuwerfen, dass wir nicht mehr Geld für Forschung ausgeben wollten.
({7})
In den acht Jahren als Mitglieder des Deutschen Bundestages
({8})
haben wir Sie Jahr für Jahr angetrieben, mehr Geld für
diesen Bereich einzustellen.
({9})
Der letzte Minister, der weniger Geld ausgegeben hat,
war übrigens kein Liberaler, sondern kam von den
Christdemokraten, die jetzt Ihr Koalitionspartner sind.
Vielleicht wenden Sie sich einmal an die, um sich zu beschweren.
({10})
Nach meinem Wissen gibt es in den Haushalten in
Deutschland keinen anderen Etat, der so gut gestellt ist
wie dieser. Ich sage für meine Fraktion, dass das gut ist.
({11})
Aber unabhängig davon, dass mehr Geld etwas Schönes
ist: Sie müssen schon wissen, was Sie mit diesem Geld
tun wollen. Wenn man sich Ihre Hightechstrategie anschaut, dann muss man sagen, dass das alles andere als
klar ist. Sie verteilen Sahnehäubchen auf alte Kuchenstücke von Edelgard Bulmahn und Sie verkünden dabei
gleichzeitig Ziele wie die Schaffung von 1,5 Millionen
zusätzlichen Jobs oder die Senkung der Flugunfallrate
um 80 Prozent bis 2020. Frau Schavan, an diesen Zielen
werden wir Sie in den nächsten Jahren messen.
({12})
Wenn Sie diese großen Ziele erreichen, dann beglückwünsche ich Sie. Ich bezweifle aber, dass Sie mit dieser
Strategie dabei erfolgreich sind.
({13})
Sie legen uns heute zwar die Strategie vor. Wir wissen
auch, dass Sie, Frau Schavan, die offizielle Koordinatorin dieses Programms sind. Aber gleichzeitig haben wir
vor wenigen Tagen erfahren müssen, dass Ihr Haus nicht
in der Lage war, uns zu sagen, wie sich die Mittel für
diese Strategie auf die einzelnen Ressorts verteilen. Wir
hatten große Probleme, mit Vertretern Ihres Ministeriums darüber zu reden, wo das Geld außerhalb Ihres Hauses eingesetzt wird. Man erkennt deutlich: Sie nennen
sich zwar Koordinatorin. Aber Sie sind im Prinzip eine
Kaiserin ohne Kleider
({14})
und für das Ganze eher formal zuständig, wie uns das
Kollege Glos vor wenigen Wochen so schön ins Stammbuch geschrieben hat.
({15})
Schauen wir uns die inhaltlichen Schwerpunkte an;
von der Sicherheitsforschung habe ich bereits gesprochen. Die Grüne Gentechnik haben Sie eben wieder angeführt. Ich kann Ihnen nur sagen: Auch hier erleben wir
bei dieser Regierung nur Luftblasen. Gestern Abend
ging über den Ticker, dass Herr Seehofer das Gesetz, das
in diesem Zusammenhang beschlossen werden soll, erneut verschieben will. Wo ist denn da eine Hightechstrategie?
({16})
Seit der letzten Wahl warten wir bis zum heutigen Tage
darauf, dass Sie das Geplante umsetzen.
({17})
Das heißt, es hinkt nach wie vor an wichtigen Stellen, an
denen dieses Land innovativ nach vorne gehen könnte.
Wie sieht es mit den Leuchttürmen aus? Der Leuchtturm Galileo ist ein wichtiges Projekt. Herr Glos hat der
Welt vor wenigen Tagen seine großen Bedenken diesbezüglich mitgeteilt. Es gebe Verzögerungen. Die Kostenaufteilung zwischen Staat und Wirtschaft sei ungeklärt
und der Starttermin fraglich. So viel zu dem Thema, das
Sie, Herr Grasedieck, eben so ausführlich dargestellt haben.
Zur Gesundheitskarte. Frau Ministerin Schmidt - sie
ist immer noch im Amt - geht aufgrund eines Gutachtens offensichtlich von Kostensteigerungen aus, sodass
das Projekt dreimal so teuer wird wie ursprünglich geplant. Wie stellen Sie das haushalterisch dar? Ich bin gespannt, was Herr Steinbrück zu diesem Thema sagt.
({18})
Zum Transrapid. Frau Pieper hat Ihnen schon erklärt, was Thyssen-Krupp interessanterweise dazu sagt.
Aber noch interessanter finde ich natürlich den Brief von
Herrn Ude - er ist Mitglied einer der Parteien, die die
Koalition bilden -, der uns in diesen Tagen erreicht hat.
Er schreibt uns deutlich: Alle Betroffenen lehnen das
Projekt ab. Die Finanzierung ist sehr unwahrscheinlich
und der geplante zu erzielende Gewinn nicht realistisch.
Das Projekt ist aus wirtschaftlicher Sicht nicht ausreichend untersucht. Neue Entwicklungen lassen höhere
Kosten erwarten. Es entstehen für den Bund Mehrkosten.
Da frage ich mich, wie so etwas ein Leuchtturm sein
soll.
({19})
Das ist eine leicht schimmernde Kerze und sonst nichts.
Frau Ministerin, wir wären froh, wenn Sie eine Strategie gehabt hätten, die wirklich eine wäre. Die von Ihnen
vorgestellte ist aus Sicht meiner Fraktion bisher ein
Torso. Wir werden Ihnen gerne behilflich sein, eine Strategie zu entwickeln. Das von Ihnen Vorgestellte benötigt
noch ein bisschen mehr Inhaltliches.
({20})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Eberhard Gienger,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lassen Sie mich von der Hightechstrategie auf die spezielle Biotechnologie zu sprechen kommen, die mittlerweile Ausgangspunkt und Motor für zahlreiche Anwendungen geworden ist, und zwar in der Medizin, in der
Ernährungs- und Futtermittelindustrie und in der chemischen Industrie. Insgesamt 500 Biotechnologieunternehmen sind mittlerweile in Deutschland angesiedelt, mehr
als in jedem anderen Land in Europa.
({0})
83 Prozent davon sind in den Bereichen der Roten Biotechnologie, 19 Prozent im Bereich der Tiergesundheit
und 10 Prozent immerhin in der Grünen Biotechnologie
tätig.
Zu diesem Thema kann ich Ihnen, Frau Flach, sagen,
dass Herr Seehofer die Verschiebung des in diesem Zusammenhang zu beschließenden Gesetzes sicherlich deswegen angekündigt hat, weil er zunächst Ergebnisse der
wissenschaftlichen Forschung vorliegen haben möchte,
bevor in diesem Bereich eine kommerzielle Anwendung
stattfindet.
({1})
13 Prozent der Biotechnologieunternehmen sind zudem im Bereich der industriellen Anwendung - das ist
die Weiße Biotechnologie - tätig.
Die Bundesregierung verfolgt das Ziel, den Biotechnologiestandort Deutschland europaweit nicht nur hinsichtlich der Zahl der Unternehmen, sondern auch hinsichtlich des Umsatzes und der Beschäftigtenzahlen an
die Spitze zu führen. Wir streben an, Wachstumsbremsen
zu erkennen und vor allem abzubauen.
({2})
Neue Schlüsselfelder wie die Weiße Biotechnologie,
also die industrielle Anwendung, und die Nanotechnologie sind weiter zu erschließen.
Um die wissenschaftlichen Grundlagen der Biotechnologie zu erweitern, sind drei Forschungsfelder zentral: erstens die Genomforschung, die die genetischen
Baupläne von Mikroorganismen, Pflanzen und Tieren
bis hin zum Menschen analysiert, zweitens die Systembiologie, die auf ein quantitatives Verständnis der dynamischen Lebensprozesse durch Modellierung dieser Vorgänge im Computer abzielt, und schließlich drittens die
molekulare Medizin, die die molekularen Grundlagen
menschlicher Erkrankungen aufklärt.
Die Förderung grundlagennaher Forschungsvorhaben ergänzt die institutionelle Förderung der großen Forschungsorganisationen, um dadurch neue Innovationsund Wertschöpfungspotenziale in den Bereichen Chemie, Ernährung, Landwirtschaft, Medizin sowie - über
die Lebenswissenschaften hinaus - in der Informationstechnologie zu erschließen.
Die Biotechnologie führt zu neuen industriell nutzbaren Produkten und macht Industrieprodukte umweltschonender. So arbeiten die Forscher beispielsweise an der
Entwicklung von umweltschonenden Biochemikalien,
biologisch basierten Materialien für den Kunststoffersatz, Fein- und Spezialchemikalien sowie von Enzymen
für die Stoffumwandlung, nicht nur in Waschmitteln.
Wirtschaftsexperten rechnen allein im Bereich der Weißen Biotechnologie mit einem Umsatz von circa 50 Milliarden Euro weltweit. Damit Deutschland auf diesem
neuen Feld der Biotechnologie auch eine führende Rolle
spielt, hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung die Förderinitiative „Bioindustrie 2021“ ins Leben gerufen, mittels deren der Ausbau von Kompetenzen
und Strukturen gefördert werden soll.
({3})
Es wird ein Clusterwettbewerb für junge und Start-upUnternehmen zur Entwicklung neuer Produkte und Verfahren im Bereich der Weißen Biotechnologie gestartet.
Auch die Nanotechnologie hat sich eine Brücke zwischen der belebten und der unbelebten Natur gebaut. Sie
treibt die konsequente Vernetzung von Biotechnologie
und Nanotechnologie voran.
({4})
Beispiele dafür gibt es schon heute: Nanopartikel, die lokal Wirkstoffe freisetzen, nanostrukturierte Oberflächen
zur Herstellung von bioaktiven Prothesen, die die Immunabwehr reduzieren, und Nanosensoren, mit denen sich
beispielsweise geringfügige Änderungen der Eiweißkonzentration in der Frühphase der Demenzkrankheit Alzheimer erkennen lassen. Somit hat die Nanotechnologie
eine hohe Bedeutung für den Standort Deutschland.
({5})
Für die Produkte wichtiger Industriezweige wie Automobilbau, Chemie, Pharma, Informationstechnik oder
Optik hängt die künftige Wettbewerbsfähigkeit wesentlich von der Erschließung des Nanokosmos ab.
Im Jahr 2006 werden - gemeinsam mit den Ländern insgesamt rund 162 Millionen Euro an institutionellen
Fördermitteln und rund 134 Millionen Euro an BMBFProjektmitteln in die Nanotechnologie investiert. Zusammen mit den 25 Millionen Euro, die das Bundesministerium für Wirtschaft zur Verfügung stellt, und den
circa 11 Millionen Euro, die das Bundesministerium der
Verteidigung dazusteuert, kommen wir auf eine Gesamtfördersumme in Höhe von rund 330 Millionen Euro für
das Jahr 2006.
({6})
Diese Investitionen in die Nanotechnologie lohnen
sich: Seit 1995 sind immerhin rund 200 Nanotechnologie-Start-up-Unternehmen mit insgesamt circa 5 000 Arbeitsplätzen gegründet worden. Demnach kann der
Nanotechnologie neben der Bedeutung für die Sicherung
der Arbeitsplätze durch den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit in fast allen Industriebranchen ein hohes Potenzial bei der Schaffung von Arbeitsplätzen zugebilligt
werden.
Bei der Förderung der Biotechnologie durch das
BMBF wird an den Gliedern der Innovationskette angesetzt. Junge internationale Spitzenkräfte in den Lebenswissenschaften werden durch den „Bio-Future-Wettbewerb“ nach Deutschland geholt bzw. in Deutschland
gehalten. Das bietet den Nachwuchswissenschaftlern die
Möglichkeit, sich ein eigenes Forschungsteam zusammenzustellen und kreative Projekte eigenverantwortlich
voranzutreiben.
({7})
So gab es bei diesem Projekt, das seit 1999 läuft,
51 Preisträger, von denen mittlerweile immerhin 21 an
Universitäten im In- und Ausland untergekommen sind
und 11 Start-up-Unternehmen gegründet haben, in die
sie privates Kapital in Höhe von circa 70 Millionen Euro
eingebracht haben. Durch die Förderung wurden
250 Arbeitsplätze geschaffen.
Es gibt weitere Beispiele: Die „Gründungs-Offensive
Biotechnologie“, die Hightechgründerfonds, die die Kapitalbasis schaffen, das Projekt „Bio-Chance-Plus“, das
Forschungsvorhaben von KMU in der Biotechnologie
fördert, und viele andere mehr.
Ich habe jetzt vor allem die Vorzüge der Biotechnologie genannt. Ich weiß natürlich, dass es durchaus Kritikpunkte gibt. Aber ich glaube, wir sollten die Risiken
nicht überbewerten, sondern vor allem die Chancen nutzen, die uns zur Verfügung stehen. Denn elementar ist
die Frage nach den Risiken für Deutschland auch für den
Fall, dass wir die neuen Technologien nicht nutzen. Wie
sagte doch gerade unsere Ministerin: „Wir investieren in
die Zukunft unseres Landes.“
Vielen Dank.
({8})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Ute Berg, SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Flach, eine
Bemerkung zu Ihnen. Sie haben eben auf Herrn Rüttgers
verwiesen und zu Recht gesagt, dass er die Forschung
als Minister sträflich vernachlässigt und zweimal den
Etat zurückgefahren hat. Sie haben dann darauf hingewiesen, dass seine Partei jetzt unser Koalitionspartner
ist. Ich verweise nun darauf, dass Ministerpräsident
Rüttgers im Moment auch Ihr Koalitionspartner ist. Vielleicht sollten Sie einmal ein Auge darauf haben.
({0})
Jetzt zur Hightechstrategie. Wenn sich zwei starke
Partner zusammentun und gemeinsam an einem Strang
ziehen, dann kann mehr entstehen als nur die Addition
der Einzelleistungen. Dann kann eine Dynamik in Gang
gesetzt werden, die ein Vielfaches an Leistung erzeugt.
Diese Erkenntnis liegt der Hightechstrategie zugrunde.
Alle Politikbereiche, die Forschung und Entwicklung
berühren, sind eingebunden. Ziel ist es, dass sich insbesondere in den Zukunftsbranchen, die viele neue Arbeitsplätze schaffen, Partner aus Forschung und Wirtschaft, Partner aus Deutschland und der ganzen Welt
zusammentun, ihre Kräfte bündeln und ihre Erfolge
potenzieren.
({1})
Die Zauberworte heißen Vernetzung, Cluster und
Wissenstransfer. Vorbilder sind das allseits bekannte
Dresdener Silicon Valley - Frau Aigner hat einiges dazu
gesagt -, aber auch kleine Innovationsnetzwerke wie
Augenoptik Rathenow in Brandenburg. Dort haben sich
15 kleine Firmen der Optikbranche zusammengeschlossen, die mit einem Fraunhofer-Institut und vielen Fachhochschulen der Region zusammenarbeiten und unter
anderem Brillengläser und Mikroskope vermarkten. Das
tun sie sehr erfolgreich. Dresden und Rathenow ist gemein: Es werden Brücken zwischen Forschung und Zukunftsmärkten geschlagen. Das muss verstärkt geschehen, und zwar überall in Deutschland.
({2})
„Vorsprung durch Innovation ist der einzige Weg, um
Wohlstand und Beschäftigung am Standort Deutschland
zu sichern. Das Gebot der Stunde heißt Erneuerung“, so
der Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft, Professor
Hans-Jörg Bullinger.
({3})
Wir werden dafür innovationsfreundliche Rahmenbedingungen schaffen. Wir führen im Rahmen der Hightechstrategie ein neues Förderinstrument zur Vernetzung von
Wissenschaft und Wirtschaft ein, nämlich die Forschungsprämie. Ich muss sagen: Ich verstehe die Kritik,
die vonseiten der Grünen und der FDP geäußert wurde,
nicht so recht. Denn ich meine, dass es ein sehr effektives Instrument ist, um gerade kleine und mittlere Unternehmen zu fördern, die in der Vergangenheit durchaus
hin und wieder zu kurz gekommen sind.
({4})
Hochschulen und öffentliche Forschung sollen auch für
sie eine Rolle spielen. Hochschulen und öffentliche Forschungseinrichtungen bekommen eine Prämie, wenn sie
Forschungsverträge mit Unternehmen abschließen. Dieser Zuschlag beträgt 25 Prozent des Auftragswertes. Mit
der Forschungsprämie unterstützen und motivieren wir
Wissenschaftler, gezielt auf Unternehmen zuzugehen
und Forschungsaufträge einzuwerben.
({5})
- Und umgekehrt.
({6})
Die Förderung wird explizit auf die Zusammenarbeit
von Hochschulen und Forschungseinrichtungen mit innovativen kleinen und mittleren Unternehmen zugeschnitten. Das hat gute Gründe. Gerade innovative
kleine und mittlere Unternehmen sind nämlich besonders geeignet, neues Wissen auf den Markt zu bringen.
Sie können schnell und flexibel handeln. Sie können Nischenmärkte erschließen und gezielt auf individuelle
Kundenwünsche eingehen. Sie können so zu einer treibenden Kraft des technologischen Strukturwandels werden.
Das ursprüngliche BDI-Modell, das die FDP offenbar
vertritt, lehnen wir aus verschiedenen Gründen ab.
({7})
Danach sollen Fördergelder sozusagen mit der Gießkanne verteilt werden.
({8})
Profitiert hätten davon wohl vor allem große Unternehmen; kleinere wären wegen ihrer geringeren Verhandlungsmacht benachteiligt gewesen. Davon bin ich fest
überzeugt.
({9})
Das ist definitiv nicht in unserem Interesse. Wir wollen
gerade die Kleinen als Innovationsmotoren unterstützen.
({10})
Impulse für Innovationen kann aber auch der Staat geben, und zwar als öffentlicher Auftraggeber, indem er
innovative Produkte und Dienstleistungen selbst anfordert und damit fördert. So wurde zum Beispiel auf
Bundesebene eine innovative Software installiert, um
öffentliche Ausschreibungen über eine interaktive Onlineplattform abwickeln zu können. Ein kommunales
Beispiel: Die Hamburger Stadtverwaltung hat in öffentlichen Einrichtungen eine moderne Lichttechnik installieren lassen, um Strom zu sparen. Die alten Leuchten wurden durch moderne Systeme, die mit lichtlenkenden
Spiegeln und elektronischen Vorschaltgeräten arbeiten,
ersetzt. Von diesem öffentlichen Auftrag haben lokale,
regionale und europäische Anbieter profitiert.
Aber auch die Bundesanstalt für Materialforschung
und -prüfung, die Bundesanstalt für Geowissenschaften
und Rohstoffe und die Physikalisch-Technische Bundesanstalt sind am Technologietransfer beteiligt. Sie führen gemeinsam mit Unternehmen Forschungsarbeiten
durch. Nur ein Beispiel von vielen: Die PhysikalischTechnische Bundesanstalt hat gemeinsam mit zwei Unternehmen über drei Jahre spezielle hochleistungsfähige
Stromsensoren entwickelt. Diese Sensoren können nun
von den Unternehmen erfolgreich vermarktet werden.
In Zukunft wollen wir diese Form der Zusammenarbeit noch stärker auf Projekte konzentrieren, die in unmittelbarem Interesse der beteiligten Unternehmen liegen und die gut und schnell umgesetzt werden können.
({11})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, klar ist: Wir brauchen eine Auffrischung der Wirtschaftsstruktur durch
Unternehmen der Spitzentechnik und der wissensintensiven Dienstleistungen. „Wer aufhört, besser zu werden,
hat aufgehört, gut zu sein“, hat der Unternehmer und Sozialdemokrat Philip Rosenthal schon vor vielen Jahren
gesagt. Recht hatte er.
({12})
Mit der Hightechstrategie leisten wir unseren politischen
Beitrag dazu, dass der Standort Deutschland gut bleibt
und immer besser wird.
Danke schön.
({13})
Bevor ich nun dem Kollegen Dr. Joachim Pfeiffer für
die CDU/CSU-Fraktion das Wort erteile, begrüße ich auf
der Besuchertribüne eine Delegation des mongolischen
Parlamentes.
({0})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir freuen uns über
Ihren Besuch und über das große Interesse, das die Mongolei gerade den Beziehungen zu Deutschland widmet.
Ich nutze die Gelegenheit, auf diesem Wege noch einmal
zum 800. Staatsjubiläum der Mongolei zu gratulieren,
das wir gemeinsam vor wenigen Wochen in Ihrem wunderschönen Land begehen konnten.
({1})
Herr Kollege Pfeiffer, Sie haben das Wort.
({2})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Gegenwärtig wird aus zum Teil durchaus nachvollziehbaren Gründen gefragt, wo denn die große Koalition zukunftsweisende und neue Akzente setze. Bei
der Forschungs- und Innovationspolitik ist das wirklich
kraftvoll der Fall. Mit der Hightechstrategie wird ein
neues Kapitel der Innovationspolitik aufgeschlagen.
Zum ersten Mal wird nicht nur richtig analysiert, sondern auch ein in sich richtiges, umfassendes und schlüssiges Gesamtkonzept vorgeschlagen. Die Hürden der
Ressortabgrenzung werden eingerissen; die gesamte Regierung hat sich zu innovationsfreundlichem Handeln
verpflichtet.
Die Forschungspolitik wird in dieser großen Koalition nicht mehr Steinbruch der Bundesregierung sein.
Wenn im Haushalt Mittel fehlen, werden nicht mehr automatisch die Forschungsmittel gekürzt. Bis zum
Jahr 2009 wurden belastbar und definitiv 15 Milliarden
Euro für die Spitzentechnologie und für technologieübergreifende Querschnittsmaßnahmen bereitgestellt.
Eine integrierte Strategie sorgt dafür, dass die Grundlagenforschung und die anwendungsorientierte Forschung
im Einklang mit einem klaren Rechtsrahmen und mit
klaren Normen verbunden werden. Das schafft Planungssicherheit. Besonders wichtig ist, dass diese Maßnahmen mit einer Markteintrittsstrategie gekoppelt werden, mit der die notwendigen Finanzierungsinstrumente
für Start-ups auf dem wachsenden Hightechsektor flexibel zur Verfügung gestellt werden können.
({0})
Ich möchte auf zwei Themen etwas vertiefender eingehen: auf den Mittelstand und die Energieforschung.
Der Mittelstand wird in allen politischen Sonntagsreden
gern bemüht. Er steht im Fokus, da 70 Prozent aller Beschäftigten in mittelständischen Unternehmen arbeiten
und er 80 Prozent aller Ausbildungsplätze stellt. Wir machen nun ernst. Im Mittelpunkt der Hightechstrategie
stehen neue Ideen für den Mittelstand. Kleine und mittlere Unternehmen werden zielgerichtet gefördert. Dabei
stellt die Forschungsprämie das zentrale Element dar.
Um was geht es? Öffentlich finanzierte Forschungseinrichtungen und Hochschulen, die Forschungsaufträge in der Wirtschaft akquirieren, werden mit einer zusätzlichen Prämie von 25 Prozent des Auftragswertes
gefördert. Das Ganze ist also zentral auf den Mittelstand
zugeschnitten. Diese Prämie wird branchen- und themenoffen gewährt. Das Förderregime soll so ausgestaltet
werden, dass es unbürokratisch und schnell funktioniert.
({1})
Das wird zu einem Kulturwandel führen. Die Prämie ist
geeignet, die Situation im Hinblick auf die Förderung
von Forschung und Entwicklung breitenwirksam zu verbessern und die Kooperation der kleinen und mittelständischen Unternehmen mit der Wissenschaft auf vielfältige Art anzuregen.
Nur so wird es möglich sein, den Technologietransfer
zwischen Forschung und Wirtschaft zu beschleunigen,
damit aus Forschungsergebnissen schnell Markterfolge
werden, damit der Mittelstand nicht nur, was Ausbildung
und Beschäftigung anbelangt, das Rückgrat der Wirtschaft bleibt, sondern er auch wieder zur Speerspitze der
Innovationen wird, und damit die neuen 1,5 Millionen
Arbeitsplätze wirklich möglich werden.
({2})
Ein weiteres zentrales Aktionsfeld ist die Energieforschung. In den letzten Jahren - das muss ich leider auch
an unseren Koalitionspartner gerichtet sagen - wurde die
Energieforschung sträflich vernachlässigt.
({3})
Damit wurde ein Stück der Zukunftsfähigkeit Deutschlands verspielt.
Gemessen an unserem Bruttoinlandsprodukt sind unsere Investitionen in die Energieforschung im Vergleich
zu den USA, zu Frankreich und zu Japan nur halb so
hoch. Nun wird die Energieforschung mit dem Hightechprogramm wieder zu einer zentralen Säule, zu einem
wichtigen Eckpfeiler unserer Forschungspolitik. Betrachtet man alle 17 definierten Hightechsektoren, die
ein Gesamtvolumen von 12 Milliarden Euro haben, stellt
man fest, dass die Energietechnologien mit 2 Milliarden
Euro, also mit fast 20 Prozent, einen wichtigen Eckstein
bilden.
({4})
Herr Kollege Pfeiffer, darf der Kollege Tauss Ihnen
eine Zwischenfrage stellen?
({0})
Ja, wenn er will.
Er will ganz offenkundig.
Lieber Kollege Fischer, wenn Herr Tauss Redezeit
will, dann bekommt er sie auch; keine Sorge. Das unterscheidet uns.
({0})
Lieber Kollege Pfeiffer, Sie haben die Energieforschung in den USA angesprochen. Ich teile durchaus die
Auffassung, dass wir in dem Bereich Energieforschung
mehr tun müssen. Dennoch möchte ich darauf hinweisen: Als wir gemeinsam in den USA waren - auch die
Kollegin Aigner war dabei -, haben uns amerikanische
Wissenschaftler gesagt, dass sie mit großem Interesse
die Situation in Deutschland beobachten und die Leistungen bewundern, die hier im Hinblick auf Energieeffizienz und erneuerbare Energien erzielt worden sind.
Auch das sollten wir zur Kenntnis nehmen. Meine Frage
lautet: Darf ich Sie bitten, auch das positiv zu würdigen?
({1})
Lieber Herr Kollege Tauss, wenn Sie mich hätten
fortfahren lassen,
({0})
dann wäre ich zu dieser Würdigung gekommen.
({1})
Allerdings bedanke ich mich dafür, dass Sie meine Redezeit durch Ihre Zwischenfrage ein wenig verlängert
haben.
Natürlich gehe ich gerne auf Ihre Frage ein: In der Tat
haben wir in Deutschland, was die Energieeffizienz anbelangt, große Fortschritte gemacht, nicht erst in den
letzten sieben Jahren, sondern in den letzten 20 Jahren.
({2})
Ich glaube, das können wir uns alle auf die Fahne schreiben.
Wenn wir es damit ernst meinen, dass wir mit der
gleichen Menge Energie doppelt so viel Bruttoinlandsprodukt generieren wollen, und diesen Weg konsequent
weiter beschreiten wollen, müssen wir uns allerdings
alle Optionen offen halten und dürfen keine Denkverbote erlassen.
({3})
Völlig richtig, Herr Tauss: Die erneuerbaren Energien
werden eine herausragende Rolle spielen, bei der Stromerzeugung gleichermaßen wie bei der Wärmeversorgung
und der Kraftstoffgewinnung. Man braucht sich nur einmal CHOREN in Freiberg/Sachsen anzuschauen, und man
muss zugeben - auch da kann ich Sie nur bestätigen -: Bei
„Biomass to Liquid“ sind wir an der Weltspitze der Innovation. Das will ich sehr wohl würdigen. Gleiches gilt
für die Kraftwerkstechnologie, auch im Hinblick auf fossile Energieträger wie Kohle oder Gas. Hier können und
werden wir die Wirkungsgrade weiter erhöhen. Wir werden auch die CO2-Abscheidung angehen, sodass ein
Schuh draus wird. Damit fördern wir nicht nur die Wirtschaft, sondern wir bringen auch die Technologie nach
vorne und tun nebenbei etwas für die Umwelt.
({4})
Ich könnte diese Aufzählung fortsetzen, aber ich will in
meiner normalen Redezeit fortfahren.
Ich glaube, wir können uns gemeinsam auf die Fahnen schreiben, was im letzten halben, dreiviertel Jahr
Herausragendes beim energieoptimierten Bauen erreicht worden ist. Dies gilt es jetzt weiterzuentwickeln.
({5})
Es ist richtig, dass die technologische Weiterentwicklung
von Heizungs-, Kälte-, Lüftungs- und Klimaanlagen,
von Mess- und Regeltechnik, Wärmedämmung, Strom
sparender Beleuchtung usw. jetzt angegangen wird.
Die Damen von FDP und Grünen haben gefragt, wo
das Gesamtkonzept sei. Es gibt ein Gesamtkonzept:
Wir forschen und entwickeln in diesem Bereich weiter,
und zwar sehr zielgerichtet und gut ausgestattet. Dieses
wird flankiert durch 1,4 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt, die über die KfW für Gebäudesanierung im
Bestand bereitgestellt werden. Die für dieses Jahr vorgesehenen Mittel dafür sind bereits abgerufen: Plus
200 Millionen Euro aus dem letzten Jahr sind 1,6 Milliarden Euro abgerufen. Dadurch werden Investitionen
in der Größenordnung von 8 bis 10 Milliarden Euro ausgelöst. Die entsprechenden Baumaßnahmen werden
nicht in Schwarzarbeit ausgeführt, sondern vom mittelständischen Handwerk. Davon profitiert der Bausektor
in Deutschland.
({6})
Das heißt, es werden neue Arbeitsplätze geschaffen und
bestehende Arbeitsplätze erhalten. Hier gehen Forschung und Entwicklung Hand in Hand mit Wirtschaftsförderung und Steuerpolitik, wie die Möglichkeit, den
Arbeitslohnteil von Handwerkerrechnungen von der
Steuer abzusetzen, zeigt.
({7})
Dort sehen Sie ein Gesamtkonzept, wie Forschung und
Entwicklung und Energiepolitik, sinnvoll angewandt, in
die richtige Richtung zusammenwirken.
Herr Tauss, jetzt müssen Sie leider wieder zuhören!
({8})
Bei diesen Maßnahmen darf es allerdings nicht bleiben.
Wir sind uns einig, dass wir die Sicherheitsforschung im
Hinblick auf kerntechnische Anlagen nicht vernachlässigen dürfen. Wir sind uns auch bei der Fusionsforschung
einig. Ich sage aber ebenfalls - ohne Schaum vor dem
Mund und ohne zu glauben, dass die Kernenergie der
Weisheit letzter Schluss wäre -:
({9})
Die Kernenergie ist eine Option. Wir haben im Moment
noch die sichersten Kernkraftwerke der Welt. Aber nicht
mehr lange; denn die technologische Entwicklung
schreitet voran. Ich bin der Meinung, wir können es uns
nicht leisten, an der Forschung, die international auf die
Entwicklung zukünftiger Reaktorsysteme - der vierten
Generation - gerichtet ist, nicht zu partizipieren. Diese
Partizipation gehört zu einem technologieoffenen Energieforschungsgesamtkonzept der deutschen Hightechstrategie.
({10})
Wir dürfen nicht aus ideologischen Gründen außen
vor bleiben. Da muss ich den Kollegen von der SPD
manchmal schon sagen - das sei mir noch erlaubt, Herr
Präsident -: Wenn ich Ihre Reflexe höre und sehe, muss
ich an den alten Witz von dem Autofahrer denken,
({11})
der nachts auf der Autobahn fährt, sich über den Gegenverkehr zwar wundert, aber, als er im Radio den Verkehrsbericht hört, auf seiner Strecke sei ein Geisterfahrer
unterwegs, laut antwortet: Was heißt da „einer“? Hunderte!
({12})
So komme ich mir vor, wenn ich sehe, wie Sie reagieren,
wenn über Kernenergie überhaupt nur gesprochen wird.
({13})
Die ganze Welt geht rational an die Dinge heran und beschäftigt sich mit den Themen und wir blenden uns dort
aus.
({14})
- Herr Tauss, ich setze dort und auch hier auf die Kraft
der Vernunft und der Rationalität, sodass wir Deutschland dort nicht abkoppeln werden.
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.
In diesem Sinne sind wir mit der Hightechstrategie
auf dem richtigen Weg und wir werden mit ihr nicht nur
Arbeitsplätze schaffen, sondern Deutschland auch nach
vorne bringen. Packen wir es an!
Vielen Dank.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Swen Schulz, SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Pfeiffer, das mit den Witzen ist immer so eine Sache. So veraltet, wie Ihr Witz ist, ist auch das Festhalten
an der Kernenergie, das Sie hier immer propagieren.
({0})
Wenn man am Ende einer Debatte redet, wie das jetzt
bei mir der Fall ist, dann hat man das Privileg, die Argumente der anderen Rednerinnen und Redner aufnehmen
zu können. Für ein Mitglied der Regierungskoalition ist
es natürlich immer interessant, was die Opposition zu
der Arbeit der Regierung zu sagen hat. Vielleicht hat die
Opposition ja starke Ideen oder Einwände, die uns zum
Nachdenken bringen sollten. Ich muss sagen, dass wir
gerade vom Bündnis 90/Die Grünen und von der Linken
durchaus einige Aspekte gehört haben, die nachdenkenswert sind. Ich werde auf einiges eingehen, soweit es
meine Redezeit erlaubt. Ich muss allerdings auch sagen,
dass von dem, was die FDP hier mit einer teilweise etwas aufgeblasenen Rhetorik gesagt hat, relativ wenig
übrig bleibt. Das ist schade. Eigentlich können Sie das
besser.
({1})
Insgesamt ist in dieser Debatte deutlich geworden,
dass wir auf gutem Wege sind. Die Menschen verbinden
mit der großen Koalition die Erwartung, dass sie tatsächlich Großes bewegt. Wenn es ein Existenzrecht, eine Begründung für die große Koalition als parlamentarischen
Ausnahmefall gibt, dann doch wohl die Fähigkeit, alle
Kräfte zusammenzunehmen. Genau das tun wir in diesem so wichtigen Feld. Wir investieren in die Zukunft
und beschreiten damit den richtigen Weg.
({2})
Dabei möchte ich betonen - das mag den Koalitionspartner gelegentlich nerven, aber es bleibt wahr -, dass
Rot-Grün in den letzten Jahren eine harte und sehr gute
Vorarbeit geleistet hat. Dafür danken wir auch unserem
früheren Koalitionspartner, den Grünen.
({3})
In der großen Koalition ist nun einiges möglich, was
vorher noch durch eine Mehrheit im Bundesrat verhindert wurde. Darauf dringen wir. Wir zollen natürlich
auch der Ministerin für die erkennbar erreichten Erfolge
Respekt. Vielen Dank dafür.
({4})
Frau Kollegin Flach, ich muss auf Ihre Rede eingehen. Es ist richtig, dass wir mit der CDU/CSU koalieren.
Auch die FDP hat mit der CDU/CSU koaliert. In Ihrer
Regierungszeit wurde der Forschungsetat heruntergefahren.
({5})
Wir fahren den Forschungsetat jetzt wieder hoch. Nun
kommt eine Denksportaufgabe: Was macht den Unterschied? - Die SPD ist in der Regierung. Das ist doch
ganz klar.
({6})
Wenn wir über die Entwicklung Deutschlands sprechen, dann muss ein spezieller Gedanke immer auch
Ostdeutschland gelten. Der Aufholprozess gegenüber
dem Westen ist noch nicht beendet. Darum ist es gut,
dass die auf Ostdeutschland ausgerichteten Förderinstrumente in der Hightechstrategie weiterhin einen wichtigen Platz haben.
({7})
Wir müssen aber aufpassen, dass wir bundesweit wirkende Maßnahmen nicht so gestalten, dass in der Praxis
Teile Deutschlands ausgeschlossen werden.
Ich will darum bewusst die geplante Forschungsprämie ansprechen. Das ist ein richtiges und wichtiges Instrument, das ich unterstütze. Wir müssen aber darauf
achten, dass wirklich die kleinen und mittleren Unternehmen davon profitieren;
Swen Schulz ({8})
({9})
denn wenn wir den Kreis der förderungsfähigen Unternehmen zu weit fassen, dann besteht die Gefahr, dass
viele KMU gar nicht teilhaben können. Ostdeutschland
ist allerdings aufgrund der spezifischen Entwicklung nun
einmal von kleinen Unternehmen geprägt.
Mir ist in diesem Zusammenhang aber genauso
wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Situation und die
Perspektiven in Ostdeutschland bei weitem nicht so
schlecht sind, wie das häufig behauptet wird. Es gibt ungeheuer positive Erfahrungen und Wirkungen gerade der
Forschungspolitik der letzten Jahre in den neuen Bundesländern. Darauf werden wir weiter aufbauen.
({10})
Die Hightechstrategie besticht natürlich auch durch
die große und ansteigende Summe der Ausgaben. Doch
es geht der Koalition nicht bloß darum, mehr Geld auszugeben, um die Statistiken zu verbessern. Wir wollen
nachhaltig und mit Verstand investieren. Daher müssen
wir reflektieren, was wir technologisch können wollen.
Darum ist Technikfolgenabschätzung von so großer Bedeutung, etwa bei der Gentechnik.
Ein anderes Beispiel - es ist schon erwähnt worden ist die Sicherheitsforschung. Sicherheit kann nicht nur
technisch erreicht werden. Deshalb ist es so wichtig und
richtig, dass wir die Friedensforschung stärken
({11})
und dass wir die Mittel für die Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften erheblich steigern. Das muss mit der
Hightechstrategie verbunden werden. Wir können den
Terrorismus nicht nur durch Verbesserungen, etwa bei
der Flugsicherheit, bekämpfen, sondern wir benötigen
eine Vorstellung davon, warum es Konflikte gibt, wie sie
aussehen, wie sie beigelegt und vermieden werden können. Unser Ansatz ist: Wir dürfen nicht nur Technologie
produzieren, sondern wir müssen uns auch immer unserer Verantwortung vergewissern.
({12})
Schließlich möchte ich noch einen wichtigen Aspekt
- vielleicht den wichtigsten von allen - ansprechen, der
schon in vorherigen Reden eine Rolle spielte. Die ganze
Hightechstrategie hat keinen Sinn, wenn wir nicht
gleichzeitig in die Bildung der Menschen investieren.
({13})
Wir können unsere Strategie gleich bleiben lassen, wenn
wir nicht über die Forscher, die Wissenschaftler, die
Akademiker, die Ingenieure und die gut ausgebildeten
Fachkräfte verfügen, die das, was wir uns hier so schön
ausdenken, wirklich in die Tat umsetzen. Hier haben wir
durchaus Probleme.
({14})
Bildung für alle jederzeit - das muss unser Ziel sein, das
wir aber noch nicht erreicht haben.
({15})
Über die Situation auf dem Ausbildungsmarkt haben
wir schon gestern diskutiert. Weiterbildung ist von zentraler Bedeutung. Gleiches gilt für den Hochschulpakt
zur Schaffung neuer und guter Studienplätze. In der gestrigen Ausgabe des „Tagesspiegel“ war ein langer Artikel
über die Situation an den Hochschulen zu lesen. Die
Überschrift lautete: „Die Kunst des Einklagens“. Was ist
das bloß für eine Situation? Immer wieder wird uns nachgewiesen, dass wir in diesem zentralen Bereich der Bildung der Menschen international zurückfallen. Auch
wenn es stimmt, Frau Aigner, dass wir wegen der hohen
Qualität der beruflichen Bildung in einer besonderen Situation sind, müssen wir auf dem Gebiet der akademischen Bildung trotzdem mehr machen, wie Sie wissen.
({16})
Was aber passiert in vielen Bundesländern? Bildung
wird verknappt und verteuert, sodass viele Menschen
nur noch mit der Hilfe von Anwälten und mit einem dicken Geldbeutel studieren können.
({17})
Viele, die sich bilden wollen und die wir auch brauchen,
dürfen oder können es nicht, weil sie es sich nicht leisten
können. Diese Situation können wir uns weder volkswirtschaftlich noch gesellschaftlich leisten. Das kann
nicht unser Ernst sein.
({18})
Ich fordere Sie, liebe Frau Bundesministerin, auf:
Wirken Sie engagiert an der Etablierung eines Systems
der Hochschulfinanzierung mit, bei dem die Bundesländer und die Hochschulen Anreize erhalten und dafür belohnt werden, zusätzliche Studienplätze in guter Qualität
bereitzustellen.
({19})
Die Föderalismusreform hat dafür die Grundlage geschaffen. Jetzt müssen Bund und Länder diese Chance
ergreifen. Ich setze darauf, Frau Ministerin, dass Sie in
dieser Frage ebenso erfolgreich sein werden wie in der
Konstruktion der Hightechstrategie.
Vielen Dank.
({20})
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Michael Kretschmer für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist
schon ein gewaltiger Kraftakt, wenn diese Bundesregierung in einer Zeit der Haushaltskonsolidierung 6 Milliarden Euro lockermacht und damit ein klares Zeichen für
Forschung und Entwicklung für die Zukunft setzt.
({0})
Man kann es nicht oft genug sagen: Die Bundesregierung unter Angela Merkel setzt damit wie keine andere
Bundesregierung in der Geschichte der Bundesrepublik
ein Zeichen.
Das Ziel ist klar: Deutschland soll seinem Ruf als
Land der Erfinder und Ingenieure, aber auch als das der
Dichter und Denker gerecht werden. Wir wollen an diese
Tradition anschließen, weil wir wissen, dass nur so der
Wohlstand, von dem wir heute zehren, in der Zukunft erhalten werden kann. Darum setzt die Hightechstrategie
auf die Förderung moderner Entwicklungen wie in den
Bereichen Nanotechnologie, Gesundheit, Optik, Weltraumtechnologie und Produktionswesen. Die Chancen
für Technologiesprünge liegen in den Grenzbereichen,
etwa zwischen Nanotechnologie und Biotechnologie
oder zwischen der Textil- und der Automobilindustrie.
({1})
Wir machen aber auch Ernst mit der Verbindung von Natur- und Geisteswissenschaften. Der Mittelansatz für die
Geisteswissenschaften wird beträchtlich erhöht, weil sie
existenziell sind, um Antworten auf die komplexen Fragen unserer Zeit zu finden.
({2})
Die Strategie setzt auch auf die Vervielfachung der
eingesetzten Mittel. Um das 3-Prozent-Ziel von Lissabon zu erreichen, müssen wir nicht nur den Anteil der
Wirtschaft erhöhen, sondern wir müssen vonseiten dieses Bundestages auch eine Forderung an die Länder richten, ebenfalls ihren Beitrag zu leisten. Gerade nach der
Föderalismusreform ist das eine sehr wichtige Aussage.
({3})
Wir als Bund werden nicht allein erfolgreich sein,
wenn es um das Erreichen des 3-Prozent-Zieles geht.
Wir brauchen die Wirtschaft und die Länder. Das ist eine
sehr wichtige Forderung.
({4})
Nicht nur ich finde diese Ideen gut und richtig, die wir
als CDU/CSU in der vergangenen Legislaturperiode entwickelt haben, sondern sie werden auch von der Wissenschaft gelobt. Die Forschungsprämie - ein Vorschlag,
den wir entwickelt haben ({5})
richtet sich gerade an die Mittelständler - auch in den
neuen Bundesländern - und an die Hochschulen. Sie fördert die Kooperation, die heute in der Tat ein Problem
ist. Forschung und Entwicklung findet zunehmend in
den Unternehmen oder im Ausland statt. Wir müssen
diesen Trend umkehren und die Hochschulen stärker mit
einbinden. Deswegen ist die Forschungsprämie notwendig.
({6})
Wir setzen auch ein deutliches Zeichen bei der Projektförderung. Ein Aufwuchs von 14,6 Prozent im
kommenden Jahr bedeutet, dass neue Ideen eingearbeitet
werden. Die Projekte haben eine begrenzte Laufzeit und
bei der Projektförderung gibt es einen hohen Eigenanteil. Das ist eine besonders große Innovation. Die Projektförderung ist ein deutliches Signal, dass es der Regierung mit Forschung und Entwicklung ernst ist.
Die Forschungsinstitute können sich im Gegensatz zu
der Situation vor einem Jahr unter der Vorgängerregierung darauf verlassen,
({7})
dass wir einen kontinuierlichen Aufwuchs haben. Wir
erinnern uns an die Diskussion, als die Haushalte überrollt wurden, und sich zum Beispiel die Max-Planck-Gesellschaft oder das Fraunhofer-Institut an uns gewandt
haben. Jetzt können wir sagen: Wir halten an dem Aufwuchs von 3 Prozent fest. Darauf können sich die Forschungsinstitute in Zukunft verlassen.
({8})
Unterm Strich kann man sagen: Wir sind auf einem
guten Weg. Diesen Weg sollten wir fortsetzen. Dahinter
steht eine klare Aussage: Dieses Land will wieder etwas.
Dieses Land will nach vorne. Es meldet sich zurück im
internationalen Wettbewerb in der Wissensgesellschaft.
Diese Bundesregierung macht auch Schluss mit den
ideologischen Glaubenskämpfen in der Forschungspolitik. Es ist vielleicht eine der größten Veränderungen,
dass nun Schluss ist mit der mutwilligen Verhinderung
von Technologien in unserem Land. Unter Rot-Grün
wurde die Grüne Biotechnologie bekämpft.
({9})
Die deutsche Spitzenstellung in der Sicherheitstechnik
der Kernenergie wurde gefährdet. Bei der Kernfusionstechnik sind wir bewusst ins Hintertreffen geraten.
Schwerpunkte für die eigene Politik zu setzen ist das
eine. Etwas anderes ist es, bewusst Technologien zu verhindern und zu zerstören. Damit vergeht man sich an der
Zukunft.
({10})
Das ist eine besonders bösartige Form grüner Klientelpolitik, die wir in den letzten Jahren erlebt haben und die
nun Gott sei Dank zu Ende geht.
({11})
Uns sind Ideen und neue Gedanken wichtiger. Überall
im Land merkt man ein Aufatmen, weil die Menschen
merken, dass jetzt ein neuer Wind durch dieses Land
geht.
Die Diskussion geht heute noch weiter. In dem Antrag
der Grünen zur Technologiepolitik ist vieles aufgeführt,
was nicht gemacht werden soll. Danach soll kein Geld
für Fusionsforschung und Grüne Biotechnologie gewährt werden. Es ist viel vom Gefährdungspotenzial die
Rede. Außerdem soll die Raumfahrt überprüft werden
und vieles mehr. Das ist das Gegenteil von dem, was wir
wollen. Wir setzen auf Fortschritt und neue Technologien.
({12})
Wir wollen den Menschen Mut machen und wir wollen,
dass sie sehen, dass etwas vorangeht.
Das Gleiche gilt für die FDP. Es ist zum Teil zum Piepen, auf welch flachem Niveau die Diskussion verläuft,
(Beifall der Abg. Priska Hinz [Herborn]
({13})
beispielsweise wenn wir zu hören bekommen, dass die
Ministerin uns nicht informiert hat, in welchen Häusern
wie viel Geld für die Hightechstrategie ausgegeben
wird. Frau Flach, Sie wissen es. Sie sind Mitglied des
Haushaltsausschusses. Ihnen wurde schon vor vielen
Wochen die Liste überreicht, in der eindeutig aufgeschlüsselt ist, welches Haus wie viel zur Hightechstrategie beiträgt. Das ist auch richtig so. Die Zahlen sind
sehr interessant.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Flach?
Aber selbstverständlich.
Herr Kretschmer, ich freue mich, dass Sie mir Gelegenheit geben, das klarzustellen. Sie wissen, dass es
nicht um Summen geht, die irgendwo eingetragen sind.
Vielmehr geht es um die Frage der titelscharfen Eingrenzung der einzelnen Positionen in den einzelnen Ressorts.
Es wäre schön, wenn Sie Ihre Kollegen von SPD und
Union dazu befragten. Dann käme heraus, dass eine titelscharfe Abgrenzung nicht möglich war.
({0})
Den entsprechenden Bericht erhalten wir erst in den
nächsten Wochen. Die Frage lautet: Wissen Sie das
nicht, Herr Kretschmer?
({1})
Liebe Frau Kollegin, Sie haben in der Debatte etwas
ganz anderes gesagt. Sie haben gesagt, es sei nicht klar,
welches Haus wie viel beiträgt. Darauf bin ich eingegangen.
({0})
Alles andere wird sich in den Haushaltsverhandlungen
zeigen. Natürlich wird im Haushalt - das wissen Sie jeder Titel einzeln aufgeführt. Wir sollten ehrlich miteinander umgehen. Wir sollten diese große Strategie nicht
mit Kleinkram kaputtmachen.
Es ist ziemlich klar, dass in der Wissensgesellschaft
nicht mehr die Großen die Kleinen schlagen; schon eher
gewinnen die Schnellen gegen die Langsamen. Es
kommt noch etwas anderes hinzu: Die Mutigen werden
die Ängstlichen schlagen. Deswegen müssen wir den
Menschen Mut machen. Die Bundesregierung und wir in
der Koalition tun das. Wir müssen auf Fortschritt setzen.
Wir müssen Ja zu den neuen Technologien sagen. Das
muss sich in der Gesellschaft herumsprechen. Wir müssen es in die Gesellschaft - in die Universitäten, in die
Schulen, in die Familien - tragen.
Hierbei geht es natürlich auch um die Frage der Ausbildung. Jeder, der ein Studium oder eine Ausbildung beginnt, will wissen, ob das, was er studiert oder lernt, in
Zukunft eine Chance hat. Deswegen ist es wichtig, das
Signal auszusenden: Wir wollen die neuen Technologien; wir setzen auf den Fortschritt; wir sind wieder im
Wettbewerb angekommen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/2577, 16/2083, 16/2621 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. Die Vorlage auf Drucksache 16/2628 - das betrifft
Tagesordnungspunkt 5 c - soll an dieselben Ausschüsse
wie die Vorlage auf Drucksache 16/2083 betreffend Ta-
gesordnungspunkt 5 d und zusätzlich an den Finanzaus-
schuss, den Verteidigungsausschuss und den Ausschuss
für die Angelegenheiten der Europäischen Union über-
wiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist
der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b sowie
Zusatzpunkt 7 auf:
6 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Laurenz
Meyer ({0}), Thomas Bareiß, Veronika
Bellmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten
Ludwig Stiegler, Dr. Rainer Wend, Dr. Angelica
Schwall-Düren, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD
Das Nationale Reformprogramm Deutschland
und die Lissabon-Strategie weiterführen Wirtschaftswachstum und Beschäftigungspolitik zum Erfolg führen
- Drucksache 16/2629 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({1})
Auswärtiger Ausschuss
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Finanzausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
b) Unterrichtung durch die Bundesregierung
Nationales Reformprogramm Deutschland 2005
bis 2008
Umsetzungs- und Fortschrittsbericht 2006
- Drucksache 16/2467 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({2})
Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Thea
Dückert, Matthias Berninger, Brigitte Pothmer,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Mehr Ehrgeiz bei der Erreichung der Lissabon-Ziele
- Drucksache 16/2622 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({3})
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich
höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Bundesminister für Wirtschaft und Technologie,
Michael Glos.
({4})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Lissabonstrategie ist ein ehrgeiziges Reform- und Wachstumsprogramm. Die Fragen lauten:
Was tun wir? Was tut Europa? Was können wir im internationalen Kontext gemeinsam tun, damit das Ganze
nicht zu einer wirkungslosen Beschäftigung mit sich
selbst wird? Alle von uns eingeleiteten Reformen und
Einzelmaßnahmen haben ein großes Ziel: mehr Wachstum und Beschäftigung auch in Europa.
Wir in Deutschland gehen voran. Wir sanieren die öffentlichen Finanzen und die sozialen Sicherungssysteme. Die Haushaltskonsolidierung wird dabei überwiegend von Kürzungen auf der Ausgabenseite und dem
Abbau von Steuervergünstigungen getragen, so wie es
von allen Seiten ständig gefordert wird. Anders als prognostiziert warten wir nicht, bis uns das Wasser bis zum
Hals steht. Vielmehr handeln wir rechtzeitig.
({0})
Wir nutzen den Aufschwung und kommen wegen
konjunkturbedingter Mehreinnahmen schneller voran als
erwartet. Davon werden auch die Beitragszahlerinnen
und Beitragszahler durch sinkende Abgaben profitieren.
Wir sehen zurzeit nicht nur eine bessere Konjunktur,
sondern auch dauerhafte Wachstumsperspektiven. Das
haben wir uns immer gewünscht. Das Prognosespektrum
für die Konjunktur geht nach oben. Der Deutsche Sparkassen- und Giroverband, der nahe am Puls der Bevölkerung ist, spricht bereits von einem Wachstum in Höhe
von 2,5 Prozent in diesem Jahr. Für 2007 gibt es erste
Wachstumserwartungen, die bis zu 1,7 Prozent reichen.
Davon geht beispielsweise das RWI Essen aus. Das
heißt, die geplante Mehrwertsteuererhöhung, die wir wegen der finanziellen Konsolidierung leider vornehmen
müssen, wird das Wachstum nicht zerstören. Das ist eine
gute Nachricht.
({1})
Vor allen Dingen ist es eine gute Nachricht, dass die
Unternehmungen in Deutschland zusätzliche Arbeitskräfte einstellen, und zwar auch im Bereich der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung. Die Bundesregierung investiert in starkem Maße zusätzlich in
Forschung und Entwicklung; darüber haben wir in diesem Haus gerade debattiert. Ich finde, es ist richtig, dass
wir als stärkstes Land in der Mitte Europas vorangehen
und bei dem, was wir im Jahr 2000 in Lissabon gemeinsam beschlossen haben, eine Vorbildfunktion für andere
europäische Länder übernehmen.
({2})
Unsere Energiepolitik gibt - das wird ein wichtiges
Thema unserer europäischen Ratspräsidentschaft sein Antworten auf europäische und globale Fragen der
Energieversorgung. Bis zur zweiten Hälfte des Jahres
2007 werden wir ein energiepolitisches Gesamtkonzept
entwickeln. Dazu gehört vor allen Dingen die Erhöhung
der Kraftwerkskapazitäten. Wir lassen uns hier nicht
durch Drohungen einschüchtern nach dem Motto „Wenn
ihr diese oder jene Maßnahme ergreift, dann bauen wir
nicht“. Das nehmen wir nicht allzu ernst; denn dann werden andere dies übernehmen. Wir werden zudem darauf
achten, dass der europäische Energiemarkt besser funktioniert als bislang. Ich halte das für eine wesentliche Aufgabe unserer Ratspräsidentschaft.
({3})
Ich bin dafür, dass wir an der strikten Regulierung der
Netze festhalten, so wie es beschlossen ist und die Bundesnetzagentur ausführt. Ich bin allerdings gegen eine
Verstaatlichung der Netze. Die Diskussion darüber
bringt uns nicht weiter. Ich meine, dass eine Verschärfung der Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende
Energieunternehmen ein wichtiges Thema ist, mit dem
wir uns beschäftigen sollten. Ich werde deswegen eine
Kartellgesetznovelle auf den Weg bringen.
({4})
Europa hat beim Thema Wachstum und Beschäftigung zwei Gesichter. Bei der Öffnung der Märkte und
der Sorge um industrielle und private Verbraucher ist die
Kommission Treiber und Überwinder nationaler Widerstände. Aber jede Medaille hat zwei Seiten. Auf der anderen Seite ist die Kommission für viel bürokratischen
Wildwuchs verantwortlich. Insbesondere diesen möchte
ich in der Zeit der deutschen Ratspräsidentschaft aufs
Korn nehmen.
({5})
Ein wesentlicher Beitrag aus Brüssel bestünde bereits
darin, die zunehmenden Eingriffe in die Kompetenzen
der Mitgliedstaaten zu beenden, vor allen Dingen bei
vielen kleinen Dingen. Besonders ärgerlich ist die Tendenz der Kommission, verstärkt in die Verwaltungsstrukturen der Mitgliedstaaten einzugreifen; das sorgt
nur für Ärger. Wir lehnen dies ab. Nun soll es noch mehr
EU-Kommissare und -Behörden geben. Diese halten die
Menschen von Europa in mentaler Hinsicht oft nur ab;
denn vieles, was sie tun, verärgert die Menschen. Die
EU sollte sich vielmehr im Rahmen des Lissabonprozesses auf ihre originären Zuständigkeiten besinnen.
({6})
Verehrter Herr Kollege Brüderle, Sie sprechen nach
mir. Ich weiß nicht, was Sie sagen werden. Ich nehme
an, wir sind uns in einem einig. Ich bin überzeugt, dass
wir beide nichts davon halten, dass man auf Etiketten
von Weinflaschen drucken soll, dass Weintrinken der
Gesundheit schadet.
({7})
Ich bin der Meinung, dass Wein - in Maßen genossen im Gegenteil die Gesundheit fördert.
({8})
Das ist nicht nur ein Beispiel von parteiübergreifendem
Konsens in diesem Haus, sondern auch ein Beispiel dafür, welche Verrücktheiten sich die EU-Kommission und
bestimmte Kommissarinnen und Kommissare einfallen
lassen.
({9})
Deswegen werden wir neue Regelungen auf ihren europäischen und nationalen Mehrwert hin prüfen. Ich kann
zum Beispiel in einer solchen Maßnahme keinen Mehrwert erkennen.
({10})
Trotz allen Ärgers - Mehrwert entsteht, wenn wir den
Binnenmarkt weiter vertiefen. Die deutschen Unternehmen wickeln über 60 Prozent ihres Exports im europäischen Raum ab. Deswegen müssen verbliebene Handelshemmnisse abgebaut werden. Auch bessere
Rechtsetzung ist ein zentrales Thema. Wir müssen bei
neuen Überlegungen Bürokratie durch Rechtsfolgenabschätzung vermeiden. Wir müssen Bürokratie zurücknehmen, wo es überflüssig gewordene Vorschläge gibt.
Es ist noch sehr viel in der Pipeline, was früher abgenickt worden ist und jetzt zur Umsetzung ansteht. Hier
müssen wir vermeiden, immer noch draufzusatteln und
damit zusätzlichen Ärger zu verursachen. Ich könnte
Beispiele bringen, aber ich lasse sie wegen der Redezeit
und wegen des Friedens in der Koalition weg. Vor allen
Dingen müssen wir manche bestehenden Rechtsnormen
abschaffen, die kaum jemand braucht. Davon gibt es genug. Die Kommission wäre gut beraten, wenn sie auch
das auf den Tisch legen würde.
({11})
Auf europäischer Ebene brauchen wir bestmögliche
Rahmenbedingungen für eine gesunde, international
starke Industrie. Richtig verstandene Industriepolitik
kann dazu beitragen. Ich bringe ein Beispiel. Es sind die
Ergebnisse, die auf dem Automobilsektor mit der Initiative CARS 21 auf den Weg gebracht worden sind. Hier
geht es darum, längerfristig Abgasnormen und andere
Standards zu entwickeln, an die sich die europäische Industrie halten muss. Wir wollen während unserer Präsidentschaft auch bei der Raumfahrt, bei der Informationsund Kommunikationstechnologie und beim Maschinenbau ein Stück vorankommen.
Die europäische Gemeinschaft, die Gemeinschaft der
europäischen Völker, unsere Kultur- und Wertegemeinschaft, wenn man so will, muss sich international behaupten können. Auch das ist ein Ziel, das wir in unserer
Präsidentschaft verwirklichen wollen.
({12})
Wir lesen viel - Untergangspropheten haben eine besonders gute Konjunktur in manchen Zeitungen - über aufund absteigende Wirtschaftsräume. Der unbefangene
Bürger muss denken, China und Indien seien inzwischen
Musterländer der Produktivität und des Wohlstands. Ich
kann nur sagen: Man muss sich das alles einmal genau
anschauen. Hier gibt es differenzierte Entwicklungen.
Aus jeder Statistik das herauszusuchen, was einem besonders gut oder schlecht gefällt, und uns möglicherweise Ghana als Vorbild hinzustellen, trägt nicht zur
Glaubwürdigkeit bei.
({13})
Das soll nicht heißen, dass wir uns zufrieden zurücklehnen können und nichts mehr zu tun brauchen, sondern
das soll heißen, dass wir in Europa genügend Kraft und
Selbstbewusstsein haben, um uns in der Welt behaupten
zu können, wenn wir zusammen die Stärken, die in Europa vorhanden sind, nutzen. Dafür, dass wir zwangsläufig absteigen müssen, gibt es weder historische noch
wirtschaftliche Gesetzmäßigkeiten. Wir entscheiden
durch unsere Leistung und durch unseren Ehrgeiz über
unsere Möglichkeiten.
Der Schlüssel zur Gestaltung der Globalisierung, die
uns sehr beschäftigt, ist die Europäische Union. Nur gemeinsam bringen wir das notwendige Gewicht dafür auf.
Wir müssen gemeinsam dafür sorgen, dass Handelshemmnisse in der Welt abgebaut werden. In der Doharunde gibt es leider im Moment einen Stillstand. Der
multilaterale Ansatz des Abbaus der Handelshemmnisse
muss erhalten bleiben. Peter Mandelson war diese Woche wieder bei mir. Ich habe ihn aufgefordert, gemeinsam mit uns die Zwischenzeit zu nutzen, um bilaterale
Handelsabkommen auf den Weg zu bringen. Aber das
soll nicht heißen, dass wir von der multilateralen Lösung
Abschied nehmen wollen. Ich hoffe, dass die Runde wieder in Gang kommt.
Wir können uns auch überlegen, möglicherweise stärker mit dem amerikanischen Wirtschaftsraum zu kooperieren; aber das ersetzt nicht alles. Das Richtige ist, multilateral im Rahmen der WTO zu handeln.
Es gibt vieles, was wir nur gemeinsam durchsetzen
können. Ich nenne den Schutz des geistigen Eigentums.
Ich war letzte Woche sehr lang mit dem Ministerpräsidenten Wen Jiabao zusammen. Die Chinesen sehen ein,
dass das notwendig ist; sie sagen es zumindest. Aber es
muss dort natürlich auch umgesetzt werden. Das ist etwas, was wir nicht allein erreichen können, was wir nur
im Rahmen der WTO und im Rahmen Europas lösen
können.
Wir müssen natürlich auch alle kriminellen Machenschaften auf unserem Gebiet bekämpfen. Dabei hilft
zum Beispiel der Finanzminister mit seinen Zollbehörden.
Wir wollen unsere europäische Reformagenda entschlossen nutzen und werden Zeichen setzen, wie wir
Europa gemeinsam nach vorn bringen - zum Nutzen der
Bürgerinnen und Bürger Europas und zum Nutzen der
Deutschen.
Herzlichen Dank.
({14})
Das Wort hat nun der Kollege Rainer Brüderle für die
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die
Bundesregierung hat uns einen Tätigkeitsbericht vorgelegt. Das will ich nicht kritisieren. Sich über seine Tätigkeiten klar zu werden, kann nie falsch sein. Angesichts
der Koalitionsstreitereien an allen wesentlichen Reformbaustellen beschränkt sich vieles auf allgemeine
Absichtserklärungen. Manchmal wird ein Thema nur
angerissen, werden nur Schlagwörter genannt, ohne eine
Idee dazu, wie ein Problem gelöst werden soll. Bei allen
wirklich wichtigen Reformbaustellen bleibt Ihr Bericht
nebulös; manches ist schon wieder Makulatur. Von Umsetzung und Fortschritt ist in diesem Umsetzungs- und
Fortschrittsbericht an vielen Stellen nichts zu sehen.
Es ist höchste Zeit, das hinter dem Bericht der Bundesregierung stehende Konzept kritisch zu beleuchten:
({0})
die Lissabonstrategie.
({1})
Darüber müssen wir an dieser Stelle sprechen. Es hört
sich zunächst einmal sehr gut an, dass sich die EU zum
Ziel gesetzt hat, bis 2010 zum wettbewerbsfähigsten und
dynamischsten Wirtschaftsraum der Welt zu werden.
Dagegen hat selbstverständlich niemand etwas. Entscheidend sind aber die Mittel, die zu diesem Ziel führen
sollen.
Was die europäischen Staats- und Regierungschefs im
März 2000 in Lissabon beschlossen haben, lässt ganz offensichtlich weite Interpretationsspielräume. Das ist
auch an den heute zur Debatte stehenden Anträgen zu erkennen. Man kann die Lissabonstrategie als ein Programm zur Umstrukturierung der EU verstehen, als ein
Programm zu mehr Flexibilisierung, zu mehr Freiheit im
Binnenmarkt. Das wären hehre Ziele. Dann kann man
über einzelne Unterpunkte, Mittel und Maßnahmen trefflich streiten. Man kann den Lissabonprozess aber auch
als zentralistischen Aktionismus verstehen, als einen
Versuch, die Wirtschaft mit Zielvorgaben zu lenken, als
Beitrag zu der Idee, dass man Wachstum zentral planen
kann. Die Lissabonstrategie enthält zahllose verpflichtende Leitlinien, zahllose Zielvorgaben, zum Teil auch in
sich widersprüchliche Ziele. Ich erinnere etwa an den
Kok-Bericht, der nach fünf Jahren eine Zwischenbilanz
gezogen hat.
Die Aktionspläne anderer EU-Länder sind ebenso
vage wie die der Bundesregierung. Das zeigt: Die Pläne
haben in Wahrheit keine politische Bedeutung. Mit Fortschrittsberichten wird kein Wachstum erzeugt. Es kann
nicht vorrangige Aufgabe der Politik sein, Beschäftigungsquoten zu definieren, sie dann einzuhalten oder zu
verfehlen. Ziel muss sein, unser Land besser, lebenswerter, wohlhabender zu machen.
({2})
Das Ziel ist dann erreicht, wenn diejenigen, die arbeiten
wollen, auch eine Arbeitsstelle finden. Ich warne davor,
zu sehr auf die Quoten zu schauen.
Von Anfang an wurde die Lissabonagenda von politischen Zielsetzungen bestimmt, die das ökonomisch Notwendige vernachlässigt haben. Deshalb hat die Strategie
bisher versagt, so auch der Bericht von Herrn Kok. Sie
musste scheitern. Jede derartige Strategie muss an
Machbarkeitsillusionen scheitern, die hinter diesem
Konzept standen und stehen.
Es haben andere Wirtschaftsräume im 20. Jahrhundert
versucht, mit der Festlegung von Wachstumsvorgaben
die Vereinigten Staaten an Wirtschaftskraft zu überholen. Wir alle wissen, das ist gescheitert. Es mutet grotesk
an, wenn Marktwirtschaften jetzt im 21. Jahrhundert mit
quasi planwirtschaftlichen Elementen Ähnliches versuchen.
({3})
Die Europäische Kommission lamentiert, die Umsetzung durch die Mitgliedstaaten sei die Achillesferse der
Lissabonstrategie. Am liebsten würden einige Politiker
in Brüssel die gesamte Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik zentralisieren.
Als im vergangenen Jahr jeder einsehen musste, dass
die Lissabonstrategie gescheitert war, wurde sie ein bisschen modifiziert, ein bisschen gestrafft. Sie soll jetzt ein
bisschen stärker auf Beschäftigung und Wachstum ausgerichtet sein. Andererseits sollen Wachstum und Beschäftigung stärker in den Dienst des sozialen Zusammenhalts gestellt werden. Weiterhin kann also jeder in
der Lissabonstrategie sehen, was er gern sehen möchte.
Europa strebt danach, für Forschung und Entwicklung
3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts auszugeben und
eine Beschäftigungsquote von mindestens 70 Prozent
zu erreichen. Diese Vorgaben zu erfüllen, ist im Prinzip
nichts Schlechtes. Forschung und Entwicklung können
die Voraussetzung für Wachstum schaffen. Hohe Beschäftigung ist das Ziel unserer Wirtschaftspolitik. Aber
wir dürfen uns nicht der Illusion hingeben, damit sei es
getan.
({4})
Zum Beispiel ist die Beschäftigungsquote seit Beginn
des Lissabonprozesses in Europa - auch in Deutschland - gestiegen. Der Abstand zu den USA und zu Japan
hat sich verringert. Allerdings ist die Zahl der geleisteten
Arbeitsstunden in Europa im gleichen Zeitraum um
5,5 Prozent zurückgegangen. Damit wird der positive
Effekt für die Wachstumsstrategie letztlich aufgehoben.
Damit haben wir keinen Schub des Wachstums ausgelöst.
({5})
Bloße Zahlenvorgaben, ohne die ökonomischen Zusammenhänge zu berücksichtigen, reichen nicht aus. Sie
schaffen kein Wachstum. Vorgaben für Beschäftigungsquote, für Jüngere, für Ältere schaffen per se nicht mehr
Wohlstand. Ja, wir wollen Jüngeren mehr Beschäftigung
bringen. Wir wollen Älteren mehr Chancen geben. Aber
damit haben wir es nicht geschafft.
Was Europa nur weiterbringen kann, ist: Wir müssen
stärker ein Europa des Wettbewerbs schaffen. Dazu gehört eine Europäisierung der Wettbewerbspolitik.
Dazu gehört weniger Bürokratie beim innereuropäischen
Güter- und Dienstleistungshandel. Dazu gehört in der
Arbeitsmarkt-, Steuer- und Standortpolitik Wettbewerb
zwischen den Mitgliedsländern. Aber Wettbewerb ist in
der Lissabonstrategie kaum zu sehen. Die dort genannte
Methode der offenen Koordinierung - eines der Kernelemente von Lissabon - ist keine offene Diskussion über
eine zweckmäßige Wirtschaftspolitik. Sie ist zuallererst
Koordinierung und Planung. Das Ziel ist am Ende Harmonisierung. Die Europäische Union drängt sich auf
diese Weise in Politikbereiche, für die sie keine Regelungskompetenz hat.
({6})
Für die Sektoren Soziales, Forschung und Gesundheit
etwa ist sie gar nicht zuständig. Durch die Hintertür wird
so eine Standardisierung der Sozialpolitik betrieben.
Durch die Hintertür bekommen wir europäischen Wirtschaftszentralismus. Über wissensbasiertes Wirtschaftswachstum können wir uns freuen. Die Lissabonstrategie
will den Sektor der Informationstechnologie fördern und
das Wachstum stärken. Herr Verheugen als EU-Kommissar hat das präzisiert. Gefördert werden soll die ITIndustrie. Im Klartext heißt das: Industriepolitik für
Großunternehmen. So stelle ich mir ein erfolgreiches
Europa nicht vor.
({7})
Das zeigt auch, wes Geistes Kind die Lissabonstrategie ist. Sie wurde damals von 15 Mitgliedsländern in
Lissabon beschlossen, von denen elf sozialistisch oder
sozialdemokratisch regiert wurden. Sie wurde von Regierungen beschlossen, die an die Steuerbarkeit der
Wirtschaft und an die zentrale Planung von Wachstum
glaubten. Das ist aber eine Anmaßung von Wissen. Das
funktioniert nicht. Das ist vielleicht ein Stück Wiederbelebungsversuch der Sozialistischen Internationale.
Man hat sich vom Lissabonprozess eine günstige
Stimmung für wachstumsfreundliche Reformen versprochen.
({8})
Aber in den Bereichen, in denen Europa mehr Wettbewerb schaffen könnte, scheitern die Ansätze kläglich an
Nationalprotektionismus. Das Schicksal der Dienstleistungsrichtlinie gleicht einer Beerdigung zweiter Klasse.
({9})
Auch sie war zentraler Teil der Lissabonstrategie. Sie
war sogar eines der wichtigsten Vorhaben der Europäischen Kommission. Europa hat an dieser Stelle bewusst
auf Wachstum verzichtet.
Jeder macht aus der Lissabonstrategie das, was ihm
gerade recht ist: viel Prozess, wenig Ergebnis. Wer verstanden hat, wie Marktwirtschaft funktioniert, konnte
nicht viel mehr erwarten. Die Lissabonstrategie gilt als
Hoffnungsträger für Europa. Wenn der Lissabonprozess
zum Ziel hat, Europa wettbewerbsfähiger zu machen,
mehr Arbeitsplätze zu schaffen, Wirtschaft und Verbrauchern mehr Freiheiten zu geben, ist das positiv. Dazu
muss man sich allerdings von falschen Zielvorgaben verabschieden. Dazu muss man Bürokratie abbauen, statt
europäische Erfolgskontrollen einzuführen.
({10})
Dazu müssen Märkte aufgebrochen werden, beispielsweise im Energiebereich.
Wir haben es ja aktuell im Fall Eon/Endesa erlebt:
Wir sind von einem freien europäischen Energiemarkt
noch weit entfernt. Es handelt sich um ein großes Politikum, wenn sich im Energiebereich ein Unternehmen in
einem anderen Land engagieren will. Das wird sofort als
nationale Herausforderung angesehen. So schaltete sich
die spanische Regierung ein und es gab Gipfeltreffen. In
diesem Bereich gibt es noch keinen echten Markt in
Europa. Hier liegen die Probleme. Es handelt sich um
Pseudoliberalisierungen, solange es andere Hemmnisse
im grenzüberschreitenden Verkehr gibt. Das müssen wir
ändern.
({11})
Wir brauchen in Europa einen Steuerwettbewerb und
keine einheitlichen Steuersätze. Das Einzige, was vereinheitlicht werden sollte, sind die Bemessungsgrundlagen. Das würde Vergleichbarkeit schaffen.
Wenn man meint, sich alles ersparen zu können und
mit immer mehr um sich greifender Koordinierung und
Harmonisierung den Wettbewerb in Europa quasi unterdrücken und ihn ein Stück weit von Europa fernhalten zu
können, dann kann man gleich auf die Lissabonstrategie
verzichten und sie beerdigen.
Wir müssen in Deutschland eine Politik betreiben, die
unseren Investitionsstandort stärkt. Wir brauchen endlich eine Steuerreform. Aber diese wurde ja von der
großen Koalition auf die lange Bank geschoben. Wir
brauchen mehr Flexibilität, damit neue Arbeitsplätze
entstehen, betriebliche Bündnisse für Arbeit und eine
deutliche Senkung der Lohnnebenkosten.
({12})
Dann werden sich unsere Unternehmen auch im Wettbewerb stärker behaupten und mehr Arbeitsplätze schaffen
können.
Im Antrag der Koalitionsfraktionen werden Anstrengungen für die Reform der Sozialversicherungen gefordert. Diese soll vorangetrieben werden. Das ist richtig,
aber im Gesundheitswesen ist davon weit und breit
nichts zu spüren. Im Gegenteil, hier herrscht Rückschritt
statt Stillstand. Stillstand wäre dabei noch ein Fortschritt.
({13})
Wir müssen die Bedingungen für Bildung und Forschung am Standort Deutschland verbessern. Das ist Voraussetzung für Innovationen.
Für all diese Vorhaben brauchen wir aber keine Koordination auf europäischer Ebene. Europa sollte sich in
den wirtschaftsrelevanten Politikbereichen konzentrieren auf die Durchsetzung von Wettbewerb, auf den Stabilitätspakt, auf die Umstellung seines Haushaltes - weg
von Subventionen, hin zu Investitionen. Das würde den
Rahmen schaffen, damit Europa wettbewerbsfähiger
wird. Aber den Wettbewerb zwischen den Regionen und
zwischen Konzepten, Ideen und Wegen quasi über Standardisierung und Harmonisierung zu unterdrücken, ist
nicht das Konzept, wie Europa an die Spitze der Entwicklung kommt.
({14})
Deshalb ist für mich bei einer Debatte über diesen
Themenbereich das Zentrale, über die Strategie zu sprechen. Es geht nicht an, zu sagen, weil es sich um Europa
handelt, ist das tabu und es reicht aus, uns zum stärksten
Wirtschaftsraum der Welt zu erklären. Damit hat man
kein Problem gelöst. Wir haben es oft genug erlebt:
Diese visionären, fast theologischen Aussagen bringen
keine Lösung unserer Probleme. Zu Hause den Laden in
Ordnung zu bringen, seine Hausaufgaben zu erledigen,
und zwar im Wettbewerb mit europäischen Nachbarn
und anderen Regionen, ist die Aufgabe, die wir angehen
müssen. Nur durch einen fairen, offenen Wettbewerb
kann sich die bessere Lösung durchsetzen und nicht
durch Unterlaufen des Wettbewerbs, indem pseudoeuropäisch standardisiert und harmonisiert wird. Damit wird
nur verhindert, dass sich der beste Standard bzw. Lösungsansatz durchsetzen und die beste Steuerpolitik für
Europa prägend wird. Viele wollen das jedoch nicht und
nehmen Zuflucht zu Wegen, die am Ziel vorbeiführen.
Vor diesem Hintergrund ist es Zeit, über die Grundlagen dieses Prozesses zu diskutieren, statt sie zu tabuisieren und eine Schimäre vor sich her zu tragen. Redlichkeit und Ehrlichkeit bringen Europa voran. Schöne
Familienfotos,
({15})
tolle Treffen der Regierungschefs und große Deklarationen leisten nur einen Beitrag dazu, dass Europa eher bei
den Menschen an Vertrauen verliert als gewinnt.
Vielen Dank.
({16})
Das Wort hat nun die Kollegin Doris Barnett für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Das war kein Meisterstück, lieber Rainer Brüderle.
Deutschland als größte Volkswirtschaft Europas hat
den Auftrag, alles zum Gelingen der Vereinbarungen
von Lissabon aus dem Jahr 2000 beizutragen. Heute
- wir haben es gerade gehört - gibt es viele Skeptiker,
die sagen, Lissabon sei gescheitert, wir sollten das Ziel
aufgeben, die Europäische Union bis zum Jahre 2010
zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt machen zu wollen.
Sie sagen weiterhin, wir seien nicht fähig, ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum mit mehr und besseren Arbeitsplätzen und einem größeren sozialen Zusammenhalt
zu schaffen. Man brauche mehr Markt und Wettbewerb;
das sei das einzige Ziel.
Sicher hätte sich Europa die Frage nach der Erreichbarkeit der ursprünglichen Lissabonziele schon früher
stellen können, statt sich damit erst im letzten Jahr zu befassen. Denn die Weltwirtschaft hat sich seit der Beschlussfassung im März 2000 negativ entwickelt. Der
11. September 2001 ist nur ein Faktor von vielen. Sollen
wir aber nun aufgeben und die Flinte ins Korn werfen,
nur weil wir allzu ehrgeizig waren? Nein, natürlich
nicht. Das tun wir doch auch hierzulande nicht. Nur wer
sich ehrgeizige Ziele steckt, erreicht am Ende des Tages
mehr als der mit nur einer niedrigeren Latte.
Richtig ist, dass eine Neuausrichtung der Lissabonstrategie notwendig ist. Wir steuern mit dem jetzt
vorgelegten Reformprogramm das Unsrige dazu bei,
weil unsere Anstrengungen der letzten Jahre endlich
Wirkung zeigen. Die Konjunkturerholung in Deutschland - wie auch in anderen Teilen Europas - wird endlich spürbar. Nicht zu unterschätzen sind auch die
finanzpolitischen Entscheidungen, die niemandem hier
leicht gefallen sind. Aber sie werden mithelfen, die
Wachstumskräfte der Wirtschaft zu aktivieren und damit
neue Beschäftigungschancen zu eröffnen. Immerhin haben bei einer Umfrage in der letzten Woche rund
60 Prozent der befragten Unternehmen angegeben, dass
sie bereits in diesem Jahr neue, zusätzliche Arbeitsplätze
schaffen werden. Das ist ein Erfolg der schon länger eingeleiteten Reformpolitik in Deutschland.
({0})
Diese eingeleitete Wachstums- und Beschäftigungsstrategie wird allerdings umso erfolgreicher sein, je
besser es uns gelingt, die verschiedenen Politikfelder optimal miteinander zu verbinden und auf Wachstum und
Beschäftigung auszurichten. Schließlich wollen wir,
dass die Unternehmen ihr Potenzial voll entfalten und im
Wettbewerb bestehen können. Zum Potenzial der Unternehmen gehören ja gerade gut ausgebildete Fachkräfte
und die nötige Innovationsfähigkeit. Sie sind - neben der
Finanzpolitik, der gezielten Förderung von Forschung
und Entwicklung und dem Ausbau der Infrastruktur wichtige Garanten für die Zukunftsfähigkeit der Unternehmen.
Alle am Wirtschaftsleben Beteiligten wissen, wie sehr
es auf gut ausgebildete Fachkräfte in ausreichender
Zahl ankommt. Letzte Woche, als ich mit dem Unterausschuss „Regionale Wirtschaftspolitik“ in MecklenburgVorpommern war, wurde uns nicht vorgejammert. Aber
die Unternehmen sagten uns, wie händeringend sie
Fachkräfte suchen. Denn in der Zwischenzeit haben sich
neben einigen wenigen großen Unternehmen auch viele
kleine und mittelständische Firmen dort niedergelassen,
die zum Teil Weltmarktführer in ihrem Sektor sind.
Von entscheidender Bedeutung ist hierbei das persönliche Engagement, das durch keine Richtlinie, Verordnung oder Gesetz ersetzt werden kann. Da gibt es den
Wirtschaftsförderer, der nicht nur Broschüren druckt,
sondern Klinken putzen geht und für Ansiedlungen
wirbt. Da gibt es die Bürgermeisterin, die sich mehr um
Betriebe und um den Abbau von Bürokratie kümmert.
Da gibt es den Wirtschaftsminister, der ständig auf
Achse ist, um über persönliche Kontakte zu Firmen
rechtzeitig Weichen im Lande zu stellen.
Ich bin froh, sagen zu können, dass der Osten unseres
Landes aufholt - nicht mit alter Industrie, sondern mit
dem, was Lissabon fordert: wissensbasiert. Dafür brauchen wir allerdings noch eine ganze Weile unsere GAMittel und die Mittel aus den EU-Strukturfonds. Wir
brauchen aber auch die Anstrengungen vor Ort, um
junge Menschen ausbildungsreif ins Berufsleben zu entlassen. Wir brauchen vor allem Unternehmer, die ehrgeizig und risikobereit sind, die gewillt sind und begreifen,
dass eine Ausbildung über den derzeitigen Bedarf hinaus
die absehbaren Engpässe in wenigen Jahren erst gar
nicht entstehen lassen.
({1})
Auch das gehört zu Lissabon: Dynamik entsteht mit
Weitsicht. Weitsicht und Innovationsfähigkeit haben etwas mit dem Willen zu tun, in Wissen zu investieren.
Das müssen die Unternehmen, das müssen die Länder
und das müssen die Betroffenen selbst, die Menschen,
auch wollen.
Darum strengen wir uns an, das ständige Weiterlernen, das so genannte lebensbegleitende Lernen, zum
ganz selbstverständlichen Teil der Arbeitswelt werden
zu lassen. Die Anstrengungen, die die Menschen in ihre
eigene Beschäftigungsfähigkeit stecken, werden ihnen
zum Vorteil gereichen, weil sie ihren Wert im Sinne von
Arbeitspreis steigern. Denn der Mangel an gut qualifizierten Mitarbeitern wird zunehmen, nicht zuletzt wegen
der demografischen Entwicklung. Wir müssen und werden uns überall dort besonders anstrengen, wo Ressourcen wichtig, aber knapp sind.
Das ist so bei den Menschen in unserem Land; das ist
aber auch so in Sachen effiziente Nutzung der Energie.
Mit intelligenten Werkstoffen - in der Debatte zuvor ist
dies angeklungen -, die unsere Chemiker, Ingenieure
und Laboranten entwickeln und erproben, gelingt es, den
Wärmebedarf von Häusern dramatisch zu reduzieren.
Das geht herunter bis auf null Energie, ja sogar bis zu
Energie plus. Damit aus diesen Forschungsergebnissen
und Pilotprojekten, in die wir gerne staatliche Gelder
stecken, ein preiswertes Produkt für die Masse wird und
damit Arbeitsplätze im Handwerk gesichert und weitere
geschaffen werden, unterstützen wir Sanierungswillige
- seien es Einzelpersonen oder auch Kommunen - mit
günstigen Krediten der KfW. Das waren bisher
1,4 Milliarden Euro für 2006 plus 200 Millionen Euro
aus 2005, die allerdings schon im Mai dieses Jahres verausgabt waren. Weil wir mit diesem Projekt einen richtigen Renner initiiert haben - ich muss zugeben, dass die
hohen Energiekosten als überzeugendes Argument daran
erheblich mitgewirkt haben -, ist es wohl nicht unziemlich, darüber nachzudenken, die Fördersumme beizubehalten bzw. sie ab dem nächsten Jahr sogar anzuheben.
Vielleicht entwickeln auch die Bausparkassen Sonderprogramme für CO2-Vorhaben ihrer Sparer.
An diesem Beispiel lässt sich zeigen, wie die Lissabonstrategie praktisch funktioniert: Wir fördern eine
kluge Energiepolitik, die Innovationskräfte in der Forschung und anschließend in Unternehmen freisetzt.
Hightechprodukte werden mit gut ausgebildetem, qualifiziertem Personal hergestellt. Unterstützt durch gezielte
Finanzhilfen ist es der Bevölkerung möglich, in nachhaltige Sanierungs- und Neubaumaßnahmen zu investieren,
was im Handwerk zu Arbeit und Arbeitsplätzen und damit nicht nur zur Stärkung der Steuereinnahmen, sondern auch der Sozialsysteme führt. Der CO2-Ausstoß,
der zu 40 Prozent von Privathaushalten verursacht wird,
wird reduziert. Das nenne ich nachhaltige Wirtschaftspolitik im Sinne der vereinbarten Lissabonstrategie.
Dazu bedarf es aber eines starken Staates. Starke Ellenbogen hätten das nämlich nicht erreicht.
Das jetzt vorgelegte Nationale Reformprogramm gibt
ausführlich Auskunft darüber, wie sich die Wirtschaftslage gestaltet und wie der gesamtwirtschaftliche Rahmen
ausgestaltet wird, wie der strukturelle Wandel voranzubringen ist und wie der Arbeitsmarkt auf die neuen Herausforderungen ausgerichtet werden muss. Ich gebe zu:
Natürlich kann es von der EU nicht einen Plan für alle
Länder geben.
Mit unserem Antrag stellen wir, die Koalitionsfraktionen, klar, welche Themen wir besonders berücksichtigt
haben wollen, weil sie unserer Meinung nach für Wirtschaftswachstum und sozialen Zusammenhalt von herausragender Bedeutung sind. Allerdings will ich in der
jetzigen Debatte nicht verhehlen, dass die Umsetzung
der Lissabonstrategie durch die Kommission auch behindert wird. Es ist ja bekannt, dass wir mit unserem Forschungsprogramm, unserer Förderung von Mittelstandsprojekten, den GA-Mitteln und natürlich auch mit
den EU-Geldern die vorgegebenen Ziele der Lissabonstrategie unterstützen. Deshalb ist es für mich umso
unverständlicher, dass die Beihilfenkontrolle der EUKommission seit langem darauf ausgerichtet ist, den
Handlungsspielraum der Mitgliedstaaten im Bereich der
Regionalförderung systematisch einzuengen. Denn
gleichzeitig drängt die Kommission mit ihrer eigenständigen Regionalförderung im Rahmen der Strukturfonds
immer stärker in originäre Zuständigkeitsbereiche der
Mitgliedstaaten.
Aus der Kommission ist in letzter Zeit immer häufiger zu hören, dass die Mitgliedstaaten eigentlich kein
Recht mehr haben sollten, neben der EU-Regionalförderung eine eigene nationale Förderung zu betreiben. Die
neue Strukturfondsverordnung und das Vorgehen der
Kommission bei deren Umsetzung verstärken diese zentralistischen Tendenzen; in dieser Beziehung gebe ich
Herrn Brüderle gerne Recht.
({2})
Am Ende dieses Prozesses könnte nämlich stehen,
dass die Förderung schwacher Regionen primär von der
EU betrieben wird und die Mitgliedstaaten sich an dieser
Politik bestenfalls im Wege der Kofinanzierung beteiligen können. In keinem anderen Bereich verletzt die
Kommission zurzeit so eklatant das Subsidiaritätsprinzip wie im Bereich der Regionalpolitik. Damit wird den
Mitgliedstaaten ein wichtiges Werkzeug aus der Hand
genommen, um die von ihnen zu verantwortende nationale Reformpolitik umzusetzen. Wir können doch jetzt
nicht anfangen, für einen Durchgriff der EU-Kommission die integrierten Politikprozesse wieder aufzudröseln.
Bund und Länder bestehen deshalb zu Recht darauf,
dass die Mitgliedstaaten ausreichende Möglichkeiten behalten, eine eigenständige Regionalförderung als Teil
des Nationalen Reformprogramms zu betreiben.
Es muss weiterhin Sache der Mitgliedstaaten sein, zu
entscheiden, wie die in den einzelnen Regionen bestehenden Probleme zu beheben sind. Die Mitgliedstaaten
müssen in der Lage sein, ihre eigenen, regionalen Probleme mit eigenen Mitteln zu lösen; denn sie tragen die
politische Verantwortung dafür.
Ausgangspunkt und Basis für die Lösung von Regionalproblemen, die in die nationale Problemlösung eingehen, muss der jeweilige Mitgliedstaat sein. Bei besonders gravierenden Regionalproblemen kann die EU die
Anstrengungen der Mitgliedstaaten zur Lösung dieser
Probleme unterstützen, aber nicht umgekehrt. Das Ziel
eines einheitlichen Wirtschaftsraums Europa ist kein
Freibrief für Bestrebungen der Kommission, das Subsidiaritätsprinzip, wo immer es geht, zu unterwandern.
Deshalb prüfen auch wir die Brüsseler Vorschläge sehr
kritisch, zum Beispiel zur Dienstleistungsrichtlinie.
Die Lissabonstrategie ist trotz allem ein wichtiges
und brauchbares Instrument. Mit dem vorgelegten Nationalen Reformprogramm wollen wir zu ihrem Gelingen
beitragen. Wir laden Sie alle ganz herzlich ein mitzumachen.
Vielen Dank.
({3})
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Diether Dehm für
die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! „Mehr
Ehrgeiz bei der Erreichung der Lissabonziele“ beantragen heute die immer noch mit ihrer Oppositionsrolle ringenden Grünen. Die Bundeskanzlerin wollte die Lissabonstrategie im vergangenen Mai mit vollem Herzen
unterstützen: Das A und O in einer Welt zunehmender
Widersprüche sei wirtschaftlicher Erfolg. Welch eine
armselige Schrumpfung menschlichen Glücks auf die
Gewinnziffern der Konzerne und Großbanken!
({0})
Frau Bundeskanzlerin, werte Regierende, soweit anwesend, wenn Sie weiterhin wollen, dass die Profitdefinition wirtschaftlichen Erfolgs das A und O in dieser
Welt ist, werden Sie eine demokratische Revolution bewirken, wie sie in Lateinamerika bereits begonnen hat.
Ihre Strategie wird aber nicht nur an uns scheitern,
sondern auch an Ihnen. Die EU sollte bis 2010 - das ist
in 40 Monaten - die dynamischste Region der Welt werden, stärker noch als die USA. Herr Glos, Sie lachen da
zwar nicht, aber da lachen doch die Hühner.
({1})
Mehr und bessere Arbeitsplätze, sogar Vollbeschäftigung und ein gestärkter sozialer Zusammenhalt waren
damals als Ziele der Lissabonstrategie formuliert worden. Von alledem ist nichts übrig geblieben. Der Wachstumsabstand zu den USA ist lange Jahre immer größer
geworden.
Auf dem Brüsseler Frühjahrsgipfel 2005 wurden die
Prioritäten abgespeckt. Die soziale Rhetorik, wie etwa
der ursprünglich angekündigte Kampf gegen Armut und
soziale Ausgrenzung, ist faktisch tot. Lissabon heißt bei
uns: Nationales Reformprogramm, Agenda 2010, Hartz IV
sowie jede Menge neue Armut, Insolvenzen von Kleinunternehmen und Entlassungen. Die Situation ist für die
Betroffenen meist ausweglos.
({2})
Als Sie, Kolleginnen und Kollegen von der FDP, diesen Neoliberalismus noch auf der Regierungsbank verschärfen durften, hat Ihr Herr Friedhoff - Herr Brüderle,
vielleicht erinnern Sie sich noch an ihn - öffentlich eine
andere Vor-Lissaboner Katze aus dem Sack gelassen. Ich
zitiere sinngemäß: Wir werden den Kommunen so lange
das Geld streichen, bis sie nichts mehr zu verkaufen haben. Das wurde zum Desaster für unsere Gemeinden.
Aber die Menschen wehren sich. Die Linke konnte
bei der Kommunalwahl vor etwa zehn Tagen in Niedersachsen mit 136 Abgeordneten in die Kommunalparlamente einziehen. Bisher hatte sie 13 Kommunalmandate
inne. Das ist eine Verzehnfachung. Ähnliches geschah
im Frühjahr bei der Kommunalwahl in Hessen.
({3})
- Zum Thema: Zeigen Sie mir einmal eine Partei, die bei
der Kommunalwahl in Hessen und Niedersachsen so
stark gewonnen hat wie die Linke!
({4})
Das liegt auch an Ihrer neoliberalen Politik. Das ist für
uns ja von Vorteil. Machen Sie weiter mit dieser Politik,
stärken Sie uns weiter!
Die Megakoalition von Helmut Kohl bis Gerhard
Schröder, von Sabine Christiansen bis Dieter Hundt, von
den Wirtschaftsgrünen bis zu den Wirtschaftsliberalen,
von der Freihandelskanzlerin bis zum Dieter Bohlen des
Verfassungsrechts, Udo Di Fabio, will den Menschen an
den Fernsehapparaten Nacht für Nacht einbläuen, es
gäbe keine Alternative zum Kaputtsanieren der öffentlichen Haushalte, zu Lohnstreichungen und brutalen Rentenkürzungen. Aber immer mehr Menschen fragen sich
und zum Glück auch uns, Gewerkschafter und linke Kirchenleute: Warum ist der Staat nur dort innovativ, wo er
die Profite und Aktienkurse der Konzerne und damit die
Managergehälter mästet? Warum zieht er sich dort zurück, wo er ein Helfer für die Menschen mit kleinen und
mittleren Einkommen sein soll? Warum finanzieren
überwiegend Lohnsteuerzahler und Handwerksmeister
die staatlich vorgehaltenen Netze in diesem Land, mit
denen Finanzspekulanten, die Energiekonzerne und die
Deutsche Bank dann ihre Profite machen, und zwar ohne
sich an der Finanzierung der staatlichen Logistik auch
nur halbwegs zu beteiligen?
({5})
- Was macht Herr Wolf in Berlin? Ich denke, die verhandeln dort jetzt über die Regierung. Fragen Sie mich in
diesem Zusammenhang nicht, was Herr Wolf jetzt in
Berlin macht. Ich weiß allerdings, dass er und seine Partei in Berlin oft versucht haben, das abzufedern, was von
der Bundesebene den Gemeinden und Ländern aufgebürdet wurde.
({6})
Manchmal ist das Verhindern des Schlimmsten schon ein
Fortschritt.
Ihr Nationales Reformprogramm will Deregulierung.
Das heißt auf gut Deutsch: Gesetzlosigkeit für die
Globalplayers. Sie unterbieten die Steuern in anderen
Staaten, machen den Staat arm und bewirken damit weitere Steuersenkungen bei den Nachbarstaaten. Aber wo
soll denn diese Abwärtsspirale enden? Oskar Lafontaine
hat Ihnen oft genug die Auswege gezeigt:
({7})
Börsensteuer, Schließung der Steueroasen, Kampf gegen
die Hedgefonds und keine Senkung der Unternehmensteuer. Darum gibt es auch die Hasstiraden der Herren
Beck und Struck und anderer aus der einstmals dritten
Garnitur der SPD.
({8})
Es wurde empirisch unwiderlegbar nachgewiesen:
Deutschland liegt laut OECD-Statistik satte 6 Prozent
unter der durchschnittlichen Steuerquote in der EU. Das
Steuerdumping kommt also nicht von der Welt über
uns, es kommt vor allen Dingen von uns in die Welt. Es
reißt uns und andere in die Tiefe.
({9})
- Hören Sie einmal genau hin.
Ich zitiere die „FAZ“ von gestern zu den wahren Ursachen der gewaltsamen Unruhen in Ungarn - die
„FAZ“ ist ja nicht gerade die Zeitung der Linken -:
({10})
Zwar hat das Land bedeutende westeuropäische
und amerikanische Investoren angelockt, aber dies
mit Steuerbefreiungen bezahlt, so daß der Staatshaushalt nicht konsolidiert werden konnte.
Das zu den Unruhen in Ungarn.
ATTAC, die bedeutende junge Organisation von Globalisierungskritikern, sagt:
Wenn sich Nationalstaaten auf Steuerdumping einlassen, verlieren alle … Um diesen ruinösen Wettlauf zu beenden, fordern wir:
In der EU: Einheitliche Bemessungsgrundlagen
und Gewinnsteuersätze … Langfristig: Weltweit
einheitliche Konzernbesteuerung auf Basis einheitlicher Bemessungsgrundlagen, …
ATTAC schlägt vor:
Eröffnet ein EU-Konzern eine Filiale in einem
Land mit niedrigem Gewinnsteuersatz, muss die
Differenz zum Steuersatz in der EU nachversteuert
werden …
Warum blenden Sie diese Alternativen ständig und so
dogmatisch aus?
({11})
Eine Politik, die ungerührt den wenigen nutzt, verliert
das Vertrauen der vielen. Aber der Widerstand der vielen
wächst.
Ich danke für Ihre Geduld.
({12})
Nun hat das Wort der Kollege Laurenz Meyer für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn es so einfach wäre, wie es von der Linken zum
Schluss vorgetragen wurde,
({0})
und wenn es dann auch noch richtig wäre, dann wären
wir froh. Aber so einfach kann man es sich nur machen,
wenn man nicht bereit ist, sich mit der Wirklichkeit in
der Welt auseinander zu setzen.
({1})
Dazu kann man nur sagen: Erhalte mir meine Vorurteile,
hilf mir nicht weiter und lass mich meinen Verstand
nicht gebrauchen! Da hört es für mich auf. Deswegen
will ich mich damit auch nicht weiter beschäftigen.
Es geht darum, dass die Situation, in der wir uns befinden, gegenüber den Vorjahren ernsthaft verbessert ist,
dass wir aber diesen Prozess verstetigen müssen, wenn
wir unsere Ziele erreichen wollen.
({2})
Ich persönlich habe nichts dafür übrig, dass jetzt bei uns
das große Lied von der Sorge gegenüber den Asiaten,
China usw. angestimmt wird. Ich empfehle uns allen in
dieser Auseinandersetzung ein gesundes Selbstbewusstsein, aber auch Mut.
Um das, was in den vergangenen Jahrzehnten entstanden ist, etwa in China, realistisch beurteilen zu können,
muss man sich ein bisschen von den Prozentzahlen lösen. Angesichts von 10 Prozent Wachstum in China gegenüber 2 Prozent Wachstum bei uns denkt man erst einmal: Mein Gott, holen die auf! Aber sie holen bisher
nicht auf.
({3})
Das Pro-Kopf-Einkommen in Westeuropa ist in den letzten 20 Jahren von 11 000 Dollar auf 22 000 Dollar gesteigert worden. Der Abstand zu den Chinesen ist heute
weitaus größer als noch vor 20 Jahren.
Die bestehende Situation kann zwar nicht mit Prozentzahlen beschrieben werden, muss aber trotzdem
ernst genommen werden, weil es um eine große Masse
geht, weil sich in China natürlich etwas tut und weil wir
- der Herr Wirtschaftsminister hat dankenswerterweise
sehr ausführlich darüber gesprochen - in den WTO-Verhandlungen, zum Beispiel über den Schutz geistigen
Eigentums, wirklich ernste Probleme zu bewältigen haben. Aber ich rate uns zu Mut statt zu einer Schneckenhausmentalität. Wir haben in Europa und in Deutschland
etwas vorzuweisen. Jetzt gilt es, das zu sichern und auszubauen.
({4})
Wir sollten schauen, wo unsere Stärken liegen. Ich
fange einmal mit dem Thema Energie an, das der Wirtschaftsminister ja breit behandelt hat. Unsere Stärken lagen in der Vergangenheit sicher darin, dass wir einen
guten und nach Risikostreuungsgesichtspunkten ausgewogenen Energiemix hatten.
({5})
Diesen gilt es zu erhalten. Dass Stichworte wie Wirtschaftlichkeit und Kosten überhaupt wieder eine Rolle
spielen, ist der neuen Koalition zu verdanken. Diese Gesichtspunkte waren in der Zeit der rot-grünen Koalition
leider etwas zu stark in den Hintergrund getreten.
({6})
Wir haben in unserer Koalitionsvereinbarung ambitionierte Ziele im Energie- und Umweltbereich aufgestellt.
Jetzt sollten wir alles daransetzen, diese ambitionierten
Ziele auf möglichst effiziente Weise zu verwirklichen.
({7})
Deshalb - das sage ich hier für unsere Fraktion ganz
klar, auch an die Adresse des Umweltministers - werden
Vorhaben, die zusätzliche Kosten verursachen und nicht
unbedingt nötig sind, zum Beispiel bezüglich der Wärme
in den Haushalten und Energiepass, von uns nicht unterstützt. Hier muss geschaut werden, wie wir unser Ziel
möglichst kostengünstig erreichen können. Dabei unterstützen wir den Wirtschaftsminister in seinen Absichten.
Wir sollten hier nicht immer noch mehr draufsatteln, sodass das Ganze sehr teuer wird, sondern überlegen, wie
man es am effizientesten erreichen kann.
Laurenz Meyer ({8})
({9})
- Weil Sie das gerade sagen, will ich noch einmal unterstreichen: Unser Energiemix ist richtig und sollte nach
Möglichkeit in der breiten Streuung, die wir haben, auch
erhalten bleiben.
({10})
- Aus unserer Sicht mit der Kernenergie. Das ist in dem
Zusammenhang einfach eine Frage des Verstandes, was
übrigens auch die allermeisten Länder, die sich von der
Kernenergie abgewandt hatten, so sehen. Ich bin ganz
sicher, dass der Diskussionsprozess zu dieser Frage auch
in Deutschland weitergehen wird.
Meine Damen und Herren, die Zementierung unserer
Arbeitsmärkte ist durchaus ein Schwachpunkt. Das ist
wiederholt festgestellt worden, jetzt wieder von den internationalen Organisationen. Die Frage, über die wir
hier diskutieren müssen, ist: Wie bekommen wir - gerade jetzt, wo sich die Konjunktur bewegt und wir Wirtschaftswachstum haben - möglichst viele schneller in
den Arbeitsmarkt hinein? Hier geht es auch um die zentrale Frage, ob nicht erst bei 2 Prozent oder 1,5 Prozent
Wachstum eingestellt wird, sondern, wie auch in anderen
Ländern, schon bei 0,7 Prozent.
({11})
Lassen Sie uns schauen, wo in diesem Zusammenhang in Europa die besten Lösungen gefunden worden
sind, wo es in Europa vernünftige Steuersysteme und
Arbeitsmarktreglementierungen gibt. Ich nenne als Beispiel Dänemark, das hier große Erfolge hatte, und zwar
bei sozialer Absicherung und gleichzeitig mehr Freiheit
in den Beziehungen am Arbeitsmarkt. Wir sollten über
solche Dinge wirklich ohne Scheuklappen reden und
nachdenken,
({12})
dabei immer die Interessen unserer Beschäftigten im
Auge haben und schauen, wie Menschen in Arbeit kommen können. Mehr Arbeit schaffen in Deutschland und
den Menschen die Angst nehmen, ihren Arbeitsplatz zu
verlieren, das ist für uns nach wie vor die zentrale sozialpolitische Aufgabe, die auch etwas mit Sicherheit zu tun
hat.
({13})
In diesem Zusammenhang ist die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft von großer Bedeutung. Im Rahmen der Gesundheitsreform müssen wir ernsthaft über
dieses Thema diskutieren. Dieser Wachstumsmarkt muss
stärker vom Markt gesteuert werden. Die Krankenversicherungen müssen miteinander im Wettbewerb stehen.
Auf diese Weise müssen die Kosten in Grenzen gehalten
werden.
Darüber hinaus müssen wir die Lohnzusatzkosten
senken. Das tun wir zum Beispiel durch die Senkung des
Beitragssatzes zur Arbeitslosenversicherung zum 1. Januar nächsten Jahres.
Bei der Energieversorgung in Deutschland müssen
wir dafür sorgen, dass nicht funktionierende Märkte besser funktionieren. Dort, wo sie nicht funktionieren, muss
der Staat eingreifen und Missbrauch verhindern. Diese
Aufgabe hat der Wirtschaftsminister beschrieben. Wir
unterstützen ihn und seine Strategie.
Gleichzeitig gilt es, alles zu tun, um zusätzlichen
Wettbewerb zu fördern: sei es durch neu zu bauende
Kraftwerke, sei es durch den Wettbewerb aus dem Ausland. Hier spielen die Kuppelstellen und die anderen
Themen, über die hier bereits diskutiert worden ist, eine
sehr große Rolle.
Über die Hightechstrategie haben wir heute Morgen
gesprochen. Auf diesem Gebiet sind wir vorne. Wir
müssen auch in Zukunft vorne bleiben und diese Stärke
ausbauen. Das ist eine wichtige Aufgabe. Ich bin froh,
dass die Bundesregierung dieses Thema ins Zentrum ihrer Politik gerückt hat, hierfür Geld in die Hand nimmt
und die kleinen und mittleren Unternehmen auf diesem
Weg mitnimmt.
Stichwort Bürokratieabbau. In dieser Woche haben
wir die Einsetzung des Normenkontrollrates erlebt. Wir
werden seine Arbeit begleiten. Gleichzeitig werden wir
den Bürokratieabbau mit einem zweiten Mittelstandsentlastungsgesetz fortsetzen. Wir haben ja gesehen, in welchem Umfang der deutschen Wirtschaft durch das erste
Bürokratieabbaugesetz Kosten erspart werden konnten.
Bei der Unternehmensteuerreform und der Erbschaftsteuerreform sind wir auf einem guten Weg. Damit setzen wir ein wichtiges Zeichen dafür, dass die Unternehmen ihre Steuern wieder in Deutschland zahlen, dass die
vorhandenen Arbeitsplätze erhalten bleiben und dass die
Betriebe fortgeführt werden können. Das sind wichtige
Aufgaben.
Hinzu kommen weitere politische Ziele, die wir nicht
aus dem Auge verlieren dürfen. So muss zum Beispiel
die verhängnisvolle Fehlsteuerung unseres Steuersystems, dass Fremdkapital besser als Eigenkapital behandelt wird, korrigiert werden. Langfristig müssen wir zu
einer Eigenkapitalstärkung kommen, insbesondere im
Interesse der kleinen und mittleren Unternehmen. Das ist
die richtige Richtung.
Wir werden die Rahmenbedingungen für die Förderung von Wagniskapital verbessern, damit Deutschland
mit den anderen europäischen Ländern konkurrieren und
hierzulande privates Geld für neue, junge und technologieorientierte Unternehmen mobilisiert werden kann.
Lassen Sie mich abschließend noch kurz ein Thema
aufgreifen, das uns im Herbst dieses Jahres beschäftigen
wird und über das sich insbesondere die PDS einmal Gedanken machen sollte. Es geht um eine Kerngruppe bei
den Arbeitslosen. Wir setzen mit unserer Wirtschaftspolitik bei denjenigen an, die am Arbeitsmarkt gegenwärtig keine Chance haben, weil sie keine Berufsausbildung oder keinen Schulabschluss haben.
Laurenz Meyer ({14})
Wir stehen vor folgender Alternative: Entweder haken wir diese Gruppe endgültig ab, kümmern uns nicht
mehr um sie und setzen nur noch auf Sozialtransfers
oder wir lassen uns Möglichkeiten einfallen, wie wir
diese Menschen durch eine Kombination von niedrigeren Löhnen und staatlichen Sozialtransfers wieder in Arbeit bringen können.
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.
Dafür zu sorgen, dass diese Menschen Arbeit bekommen, ist die zentrale Aufgabe, die wir im Herbst dieses
Jahres angehen müssen. Deswegen sage ich: Weg mit all
dem Unfug und ran an sachliche Lösungen im Interesse
der Bürger in Deutschland!
Unser Ziel ist - ich wiederhole es -, sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze zu schaffen und den Menschen die Angst zu nehmen, ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Daran wird unsere Politik gemessen.
Danke schön.
({0})
Ich erteile das Wort nun der Kollegin Dr. Thea
Dückert für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Vorab ein Wort an Herrn Dehm von der Linken: Ja,
Bündnis 90/Die Grünen wollen den europäischen Prozess und wollen das Europa der Zukunft mitgestalten,
weil wir nämlich ein soziales und ökologisches und
wettbewerbsfähiges Europa wollen.
({0})
Deswegen haben wir einen Antrag vorgelegt, mit dem
wir von der Bundesregierung mehr Ehrgeiz einfordern,
Europa voranzubringen.
({1})
Wir sind keine Verweigerer wie Sie, sondern wir wollen
mitgestalten und sehen hier erhebliche Handlungsdefizite, auch aufseiten der Bundesregierung.
({2})
Die Bundeskanzlerin hat erklärt, dass sie will, dass
Deutschland in Europa eine Spitzenposition einnimmt.
Das ist ein hehres Ziel, das zu unterstützen ist. Nur,
wenn man sich den Bericht über die Umsetzung der Lissabonstrategie ansieht, muss man leider feststellen, dass
eigentlich Enttäuschendes präsentiert wird. Es ist einfach so - Sie stehen nicht dazu, Sie thematisieren das
nicht einmal -, dass Deutschland auf dem Weg zur Erreichung der Ziele der Lissabonstrategie mit Trippelschritten, wenn überhaupt, vorankommt. Das reicht nicht aus.
({3})
In Ihrem Bericht, meine Damen und Herren, ist viel Eigenlob, wenig Konzeptionelles und auch nicht viel Ehrlichkeit enthalten. Wenn man dabei vorankommen will,
Europa zum wettbewerbsfähigsten wissensbasierten
Wirtschaftsraum der Welt zu machen, reicht es eben
nicht, lauter „Wünsch dir was“-Vorschläge zu machen.
Das gilt auch für den Antrag der großen Koalition, für
den Frau Barnett hier gesprochen hat. Das ist ein klassischer „Wünsch dir was“-Antrag, wie ich an den folgenden Beispielen zeigen will: Sie schreiben zu Recht, Sie
wollen die Erschließung von sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungspotenzialen forcieren und damit
Schwarzarbeit und Schattenwirtschaft reduzieren. Das
klingt gut. Nur, ich glaube, dass die deutsche Bevölkerung auch wissen will, wie Sie das erreichen wollen.
({4})
Denn die Menschen reiben sich im Moment die Augen:
Mit einer Erhöhung der Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte in einem Schritt machen Sie genau das Gegenteil:
Sie werden Schwarzarbeit forcieren.
({5})
Mit Ihrem Plan, die Möglichkeiten, etwas dazuzuverdienen, für Leute mit kleinen Einkommen zu reduzieren
oder ganz zu streichen, machen Sie genau das Gegenteil
von dem, was Sie im Zuge der Umsetzung der Lissabonstrategie machen müssen und was Sie hier versprechen: Sie bereiten der Schwarzarbeit den Weg, Sie
machen ein richtiges Konjunkturprogramm für Schwarzarbeit.
({6})
In Ihrem Bericht versprechen Sie Brüssel, dass mit
dem Ausbildungspakt auch in Zukunft bedarfsgerecht
ausgebildet wird. Doch es ist nicht bedarfsgerecht ausgebildet worden. In Ihrem Bericht steht kein einziges Wort
darüber, dass zurzeit noch 215 000 Jugendliche einen
Ausbildungsplatz suchen. Sie sagen nicht, wie Sie dem
abhelfen wollen. Wir fordern in unserem Antrag unter
anderem, ein Sonderqualifizierungsprogramm für Jugendliche aufzulegen, weil gehandelt werden muss - der
Ausbildungspakt bringt es an dieser Stelle nicht.
({7})
Sie sollten die geschönten Berichte, die Sie nach Brüssel
senden, zurücknehmen und sich den Problemen zuwenden! Das Problem liegt doch auf der Hand, es ist uns immer wieder bescheinigt worden, etwa mit der PISA-Studie: Deutschland ist mit seinem Schulsystem immer
noch versetzungsgefährdet. Wir kommen voran, aber wir
verringern den Abstand zu den anderen europäischen
Ländern nicht. Wir hatten heute Morgen eine Diskussion
über Wissenschaft und Forschung. Wir sind im Hochschulbereich an der Spitze - allerdings mit den AbbreDr. Thea Dückert
cherquoten. Gerade haben wir von der OECD bescheinigt bekommen, dass wir mindestens doppelt so viel
ausbilden müssen. Wir haben einen Braindrain, uns rennen die jungen Leute weg, sie gehen ins europäische
Ausland. Hier müssen wir ansetzen. Sie erwähnen dieses
Problem in Ihrem Bericht nicht einmal.
({8})
Eine Weiterbildungsstrategie für Erwachsene ist nicht
zu sehen. Alle skandinavischen Länder haben doppelt so
hohe Weiterbildungsquoten als Deutschland. Wir verschwenden in Deutschland gerade bei den älteren
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern Wissen und Erfahrung - und das trotz einer problematischen demografischen Entwicklung. Sie sagen nichts dazu.
({9})
Ich behaupte, dass wir in Deutschland eine viel höhere Erwerbsquote bei Älteren hätten, wenn wir eine
konsequente Weiterbildungspolitik während des gesamten Erwerbslebens durchführen würden - Stichwort: lebenslanges Lernen. Ich sage Ihnen: Verrenten Sie Ihr
Programm „Initiative 50 plus“ - die Instrumente gibt es
sowieso schon - und legen Sie eine Gesamtstrategie und
eine Initiative für berufliche Weiterbildung gerade der
Älteren auf, die im Job und in den Betrieben sind. Dann
können Sie auch auf Ihre Fantasien vom Kombilohn verzichten.
({10})
Sie feiern in Ihrem Bericht die Frauenerwerbsquote.
Ja, sie ist gestiegen. Nehmen Sie aber doch einmal das
ganze Problem in den Blick. Sie ist zwar gestiegen, aber
für das Arbeitsvolumen der Frauen gilt das nicht. Die
Anzahl der Minijobs und der Teilzeitarbeit ist gestiegen.
Arbeitsplätze mit einer auskömmlichen Entlohnung sind
rar. Mit einer Differenz zwischen dem Frauen- und dem
Männerlohn von ungefähr 28 Prozent - so viel verdienen
Frauen in Vollbeschäftigung weniger als Männer - sind
wir in Europa wirklich ein Schlusslicht. Hierauf brauchen wir Antworten.
({11})
Nirgendwo in Europa stehen Frauen beispielsweise
bei der Besetzung von Führungspositionen schlechter
da. Hierzu möchte ich Antworten von Frau Merkel, weil
ich mir sicher bin, dass Herr Glos, der ja auch nicht mehr
hier ist, keine Antworten zu diesem Thema liefern wird.
({12})
Die Männerdominanz in den Führungsetagen, in der
Wissenschaft, in der Wirtschaft und am gesamten deutschen Arbeitsmarkt ist ein reales Innovationshindernis
für Deutschland.
({13})
Diese Lücke müssen wir im europäischen Kontext
schließen. Man sieht, dass das mit Selbstverpflichtungen
nicht klappt. Hier können wir uns ein Beispiel an den
Gesetzen in Norwegen nehmen.
Nirgendwo in Europa fehlen Arbeitsplätze für Geringqualifizierte in so großer Zahl. Gerade bei kleinen
Einkommen sind die Lohnnebenkosten das größte Problem. Mit unserem Progressivmodell haben wir ein Konzept dafür vorgelegt; wir wollen Steuergelder eben nicht
verschleudern, sondern gezielt für die Senkung der
Lohnnebenkosten bei kleinen Einkommen einsetzen.
Hier kann man mit Steuergeldern die effektivsten Effekte erzielen. Man darf sie nicht zum Stopfen von
Haushaltslöchern verwenden, wie Sie das tun.
({14})
Meine Damen und Herren, über das Thema Lohnnebenkosten muss weiter diskutiert werden. Sie tun das ja
selber in Ihrem Bericht. Es ist ganz interessant: In dem
Bericht schreiben Sie, dass die Lohnnebenkosten weiter
gesenkt werden sollen. Bei Status und Zeitplan steht
dann - das haben wohl Ihre Beamten ziemlich ehrlich
dort hineingeschrieben -: „In Vorbereitung“. Ich sage:
Noch ehrlicher wäre es, wenn Sie darauf hinweisen würden, dass dank Ihres Murkses bei der Gesundheitsreform
und der Schwierigkeiten, andere Reformen durchzusetzen, zunächst einmal ein Höhertreiben der Lohnnebenkosten auf Ihrer Agenda steht.
({15})
- Das entnehme ich der aktuellen Debatte zur Gesundheitsreform und den Einlassungen der Kassen, die schon
darauf hinweisen, dass aufgrund dessen, was Sie hier
vorlegen, im nächsten Jahr mit einem Beitragssatz von
möglicherweise 15 Prozent zu rechnen ist.
({16})
Genau an dieser Stelle trifft frei nach Müntefering der
Satz zu: Was ich vor der Wahl verspreche, ist das eine
und was ich nach der Wahl tue, ist garantiert das andere.
({17})
Es geht weiter - das sprechen Sie in Ihrem Umsetzungsbericht nicht an -: Sie müssen zugestehen, dass Sie
eine Aktivierungsquote von nur 13 Prozent bei den
Langzeitarbeitslosen haben. Das ist erheblich unter
dem, was Ihnen von der EU vorgegeben ist. Sie sagen,
wir müssten die Langzeitarbeitslosen stärker fördern.
Dies ist richtig. Aus Ihrem Munde ist das aber pure Heuchelei, weil Sie viele Instrumente zur Integration von
Langzeitarbeitslosen streichen, weil Sie die Mittel für
das Fördern nicht ausgeben, sondern sparen wollen, und
weil Sie tolerieren, dass das Fördern in Deutschland viel
zu kurz kommt.
({18})
Nehmen Sie sich - Herr Meyer, Sie haben es angesprochen; tun Sie es doch endlich! - ein Beispiel an Dänemark. Dort wurden Instrumente aufgelegt, die Sie in
Deutschland gerade streichen wollen, beispielsweise die
Jobrotation. Reden Sie nicht nur, sondern handeln Sie
gemäß den Zielen, die Sie selber formuliert haben.
Eines Ihrer Ziele ist die Erhöhung der Zahl der Unternehmerinnen und Unternehmer. Natürlich brauchen wir
mehr Unternehmerinnen und Unternehmer. Aber auch
dazu legen Sie widersprüchliche Konzepte vor. Bei der
Unternehmenssteuerreform, die Sie vorschlagen, werden
die großen Unternehmen mit etwa 8 Milliarden Euro
entlastet. Bei der Verwirrung, die Sie hier verbreiten, ist
zu vermuten, dass diese Entlastung von den kleinen und
mittleren Unternehmen bezahlt werden muss.
Wo sind denn die Konzepte für die Förderung von
kleinen Unternehmen und von Selbstständigen? Wo ist
denn zum Beispiel ein Konzept zur leichteren Unternehmensgründung in Form einer GmbH? Wo ist denn ein
Konzept zur sozialen Absicherung von kleineren Unternehmen? Sie sind doch allein auf die Großkonzerne
fixiert, während die mittleren und kleinen Unternehmen
sehen können, wo sie bleiben. Sie schaffen Eintrittshilfen für zukünftige Unternehmerinnen und Unternehmer
ab, indem Sie zum Beispiel Instrumente wie die Ich-AG
einkassieren, die gerade für Frauen und den Osten gut
sind. Das ist Ihre Politik.
Sie führen - Herr Glos übt das jedenfalls - eine Politik der modernen Wirtschaftsrhetorik ein, machen aber
genau das Gegenteil. Wir sind das einzige Land in Europa, das noch immer ein mittelalterliches Relikt fördert,
nämlich den Meisterzwang. Schaffen Sie ihn im europäischen Kontext ab und senken Sie die Lohnnebenkosten!
Dadurch werden wir Dynamik in den Arbeitsmarkt bringen.
({19})
Frau Kollegin, bitte denken Sie an Ihre Redezeit.
Ich komme zum Schluss. Herr Glos hat darauf hingewiesen, dass wir demnächst die EU-Präsidentschaft
übernehmen werden, und erklärt, dass er gerade im
Energiebereich einiges tun will. Aber, Herr Glos - das
sage ich zum Abschluss -: Sie haben hier nur einen einzigen Punkt genannt, nämlich die Steigerung von Kraftwerkskapazitäten. Sie sind genau wie Herr Meyer - das
wurde in seinem Beitrag deutlich - beim Thema
Energieeffizienz blind und taub.
({0})
Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist schon überschritten.
Ich komme zum Schluss. - Wenn wir Europa nach
vorne bringen wollen, dann müssen wir gerade im Bereich der Energieeffizienz Weltmeister werden; denn unter dem Aspekt der Kosten, die Sie, Herr Meyer, selber
beklagt haben, ist jede eingesparte Energiestunde die billigste.
({0})
Ich erteile nun das Wort dem Kollegen Kurt Bodewig
für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Aufgabe der Opposition ist es, anzugreifen.
Aber ich habe manchmal den Eindruck, dass hier mit
Zerrbildern operiert wird, die von der Wirklichkeit meilenweit entfernt sind. Herr Brüderle machte den Auftakt,
indem er die Lissabonstrategie en passant für gescheitert
erklärt hat. Werter Kollege, das war eine leicht oberflächliche Analyse. Wir sollten doch einmal beschreiben, was durch die Lissabonstrategie in Europa an realen Veränderungen und Initiativen ausgelöst worden ist.
Ich will ein Beispiel nennen. Das Projekt „Galileo“
verfügt über eine hohe Technologiequalität und eine
hohe Anwendungsdichte. Mit diesem Technologievorsprung werden wir uns weit vor alle anderen technologischen Zentren dieser globalen Welt positionieren.
({0})
Wir sollten einmal zur Kenntnis nehmen, dass auch dies
ein Teil der Lissabonstrategie ist, nämlich ein wissensbasierter und effizient arbeitender Wirtschaftsraum zu werden.
Gescheitert ist die Lissabonstrategie bei der Festlegung des Zeitpunkts. Die Einschätzung, diese Ziele innerhalb von zehn Jahren zu erreichen, war zu ehrgeizig
und nicht realistisch. Aber damit sind die Ziele selber
nicht falsch.
Angesichts des Beitrags des Kollegen Dehm, der im
Moment nicht da ist, sollten wir doch einmal feststellen,
dass die Agenda 2010 Wirkung zeigt. Alle Forschungsinstitute machen deutlich: Die getroffenen Maßnahmen
entfalten positive Wirkungen auf dem Arbeitsmarkt. Unser Bemühen, soziale Sicherungssysteme zukunftsfest zu
machen, ist gelungen. Wir sollten ein bisschen von diesen Zerrbildern wegkommen, weil Europa mit Sicherheit
ein lohnendes Projekt ist.
Mit Blick auf die neuen Mitgliedstaaten können wir
zurzeit eine Wohlstandsangleichung feststellen, die noch
vor vier Jahren niemand für möglich gehalten hat. Die
Wohlstandsangleichung findet übrigens nicht nur in diesen Ländern statt, sondern wir sind als deutsche Volkswirtschaft in einem hohen Maße an der Wohlstandsentwicklung beteiligt, und zwar nicht nur durch Input,
sondern auch durch Wirtschaftsbeziehungen, die sich in
den Exportzahlen sehr deutlich widerspiegeln. Auch das
sollten wir an dieser Stelle klar machen.
Aus dem Umsetzungs- und Fortschrittsbericht zum
Nationalen Reformprogramm wird deutlich, dass wir
durchaus Erfolge erzielt haben. Beispielsweise liegen
wir bei der Frauenerwerbsquote mit 59,6 Prozent kurz
vor dem im Bericht genannten Ziel von 60 Prozent. Darüber redet zwar niemand, aber ich finde, dass wir auch
das berücksichtigen sollten.
({1})
Auch bei den älteren Arbeitnehmern haben wir große
Fortschritte gemacht.
Es reicht aber nicht aus, stehen zu bleiben. Wir müssen weitermachen. Dazu gehören Bildungsinvestitionen. In den Haushaltsberatungen wurde deutlich, dass
die Zahlen sehr gut sind. Sie zeigen, dass wir versuchen,
das 3-Prozent-Ziel zu erreichen. Wir haben große Fortschritte erzielt und zusätzliche Investitionen vorgesehen.
Das gilt auch für die Verkehrsinfrastruktur und andere
große Strukturbereiche, für die im Bundeshaushalt die
Investitionen deutlich aufgestockt wurden. Ich glaube,
das ist ein gutes Zeichen: Die Volkswirtschaft springt an.
Ich teile die Auffassung des Bundeswirtschaftsministers. Wir werden auch die Klippe am Beginn des kommenden Jahres überschreiten. Die Dynamik, die sichtbar
wird, wird alle Prognosen - die der vergangenen Jahre
ohnehin, aber auch am Beginn dieses Jahres formulierten - deutlich überschreiten. Das wird uns gelingen. Wir
werden an dieser Stelle weiterkommen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Ulrich aus der Fraktion Die Linke?
Gerne. Das machen wir im Ausschuss auch immer
gern.
Herr Bodewig, Sie haben eben ausgeführt, dass die
Wohlstandsvermehrung in Deutschland mit der
Agenda 2010 und Hartz IV einhergeht. Ist Ihnen bewusst, dass wir eine zweigeteilte Gesellschaft haben?
Gerade gestern wurde veröffentlicht, dass unter Hartz IV
die Kinderarmut deutlich angestiegen ist. Glauben Sie
nicht, dass der Wohlstandsgewinn in Deutschland sehr
einseitig verteilt ist und dass die Masse der Bevölkerung
nichts davon hat?
({0})
Es gibt mit Sicherheit bestimmte Sektoren in unserer
Gesellschaft, die Nachteile erfahren haben. Mir sind aber
Berechnungen von Hartz-IV-Empfängern bekannt, nach
denen diese - etwa in einer Familie mit drei Kindern wesentlich besser dastehen als eine allein erziehende
Verkäuferin, die ihren Lebensunterhalt aus ihrem Erwerbseinkommen bestreiten kann. Auch das sollten wir
zur Kenntnis nehmen.
({0})
Hartz IV wurde von Ihnen als Stigmatisierungsbegriff
verwandt. Ich glaube, das ist falsch. Sie sollten sich noch
einmal die Instrumentarien und einzelnen Regelungen
deutlich machen und auch auf den Einzelfall beziehen.
Ich möchte auf einen weiteren Punkt hinweisen. Unser Ziel war es, durch Strukturreformen Impulse zu geben. Die Zahlen zeigen, dass wir eine positive Arbeitsmarktentwicklung und eine aus diesen Strukturreformen
resultierende Fortentwicklung zu verzeichnen haben. Ich
möchte in diesem Zusammenhang an eine Bemerkung
von Herrn Meyer anknüpfen. Er hat gesagt, wir sollten
selbstbewusst auf das in diesem Land vorhandene Potenzial zeigen. Die Strukturreformen waren notwendig, um
dieses Selbstbewusstsein in einer positiven Arbeitsmarktentwicklung fortzuentwickeln. Ich glaube, das ist
die Antwort auf Ihre Frage.
({1})
Ich will aber auch deutlich machen: Wenn es uns gelingt, technologisch voranzukommen und große Projekte
auf den Weg zu bringen, dann ist es die nationale Aufgabe in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union,
diese Impulse weiter zu verstärken.
Frau Kollegin Barnett hat auf einen Punkt hingewiesen: Wie ist die Arbeitsteilung zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten? Ich glaube, es gibt nur
zwei Wege. Es gibt entweder das Gemeinschaftsrecht
- das füllen wir aus - oder eine gemeinsame Verständigung darüber, dass europäische Initiativen, auch wenn
sie nicht durch Gemeinschaftsrecht geprägt sind, fortgesetzt werden.
An dieser Stelle will ich noch einen Punkt erwähnen.
Wir leben auch davon, dass wir in dieser globalen Welt
mit sich neu entwickelnden Zentren wie Indien, Brasilien und China - das wurde bereits erwähnt - konkurrieren. Die Konkurrenz darf aber nicht bei den Arbeitskosten stattfinden. Denn damit werden wir nicht mithalten.
Es handelt sich um Länder, in denen Millionen Menschen keine Tarifverträge kennen. Sie erzielen Einkommen an der untersten Schwelle; eine Krankenversicherung gibt es nicht. Das kann nicht der Maßstab sein.
Vielmehr muss es um Kreativität gehen: Wir müssen in
Bildung, in Forschung und in Wissenschaft investieren.
Wir müssen Impulse geben. Vor allem müssen wir eine
Mentalität erzeugen, dass wir als geeintes Europa im
globalen Wettbewerb bestehen wollen.
Dazu gehört auch etwas, das wir immer nur am Rande
erwähnen: Ein großer Vorteil unserer Volkswirtschaft ist,
dass wir das europäische Sozialmodell vertreten. Wir
geben den Menschen die Möglichkeit, unter den veränderten Bedingungen der globalen Auseinandersetzung
- es gibt globale ökonomische Auseinandersetzungen,
Konkurrenzen, Wettbewerbe - individuelle Sicherheit zu
finden. Deswegen ist es eine Aufgabe auf der europäischen und der deutschen Agenda, das europäische Sozialmodell in unseren gesamten europapolitischen Vorhaben zu verankern. Das ist ganz entscheidend. Es ist ein
wichtiger Aspekt, der zum Erfolg führt. Deshalb ist es
sinnvoll, darüber nachzudenken, wie zukunftsfest unsere
sozialen Sicherungssysteme sind.
Gleichzeitig ist anzumerken, dass sich die europäischen Länder hierbei angleichen werden. Herr Brüderle,
Harmonisierung ist keine Absage an den Markt. Harmonisierung heißt, für gleiche Bedingungen bei der Produktion zu sorgen. Es war einer der Kernfehler im ersten
Entwurf einer europäischen Dienstleistungsrichtlinie,
dass Folgendes nicht beachtet wurde: Wer zu den Bedingungen eines anderen Landes bei uns in Deutschland auf
den Markt geht, der wird all diejenigen diskriminieren,
die sich an deutsches Recht, an deutsche Vorgaben halten. Das ist nicht sinnvoll. Es ist der richtige Weg, Qualität und den Grundsatz „Gleiche Arbeit zu gleichen
Bedingungen“ innerhalb eines Landes mit innovativen
Konzepten zu verbinden.
({2})
Deswegen war die Dienstleistungsrichtlinie in diesem
Punkt falsch.
Es ist uns gelungen - das zeigt der Fortschrittsbericht -,
in wesentlichen Feldern der Ökonomie weltweit präsent
zu sein. Eine ganze Reihe von deutschen Unternehmen
ist in Marktnischen erfolgreich und ist Weltmarktführer.
Die Voraussetzung dafür sind qualifizierte Beschäftigte.
Das Mitnehmen der Arbeitnehmer spielte in diesem Prozess eine ganz wichtige Rolle.
Deutschland hatte nach dem Fall der Mauer - wir alle
begrüßen ihn -, nach dem Ende der Teilung Europas in
Ost und West zwei Lasten zu tragen: Kosten im europäischen Prozess und Sonderbelastungen durch die deutsche Wiedervereinigung. Wären bei den Maastrichtkriterien die Sonderbelastungen einbezogen worden, hätte
man nie von der Verletzung der Defizitkriterien sprechen
können. Wir haben also eine doppelte Leistung erbringen müssen. Das hat natürlich Einfluss auf das Volumen
der Mittel, die wir zur Verteilung und für Initiativen zur
Verfügung haben.
In den 16 Jahren nach der deutschen Wiedervereinigung mussten hohe Aufwendungen erbracht werden; die
Mittel wurden erfolgreich eingesetzt. Wir sollten im europäischen Ausland darstellen, dass Deutschland auf
doppelte Weise belastet war und trotzdem erfolgreich
den Weg vorangeschritten ist. Es gibt überhaupt keinen
Grund, dieses Land in den Keller zu reden. Es gibt eine
Kontinuität der Politik über die Jahre. Diese Koalition
wird den Weg voranschreiten. Der Fortschrittsbericht
zeigt sehr deutlich, dass Erfolge erreichbar sind, dass
aber noch nicht jeder Schritt gegangen ist. Wir sollten
diesen Weg in Europa gemeinsam weitergehen. Ich bin
optimistisch, dass dies gelingt. Als größte Volkswirtschaft der Europäischen Union tragen wir eine besondere Verantwortung.
Vielen Dank.
({3})
Das Wort hat nun die Kollegin Ulla Lötzer für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Trotz aller Beschwörung der konjunkturellen Erholung
durch Herrn Glos, Herrn Meyer und Frau Barnett müssen wir feststellen, dass die Europäische Union nach wie
vor Nachzügler bei der wirtschaftlichen Entwicklung ist
und nicht zum weltweit wettbewerbfähigsten Raum geworden ist. Diese Entwicklung beruht maßgeblich auf
der italienischen und deutschen Wirtschaftspolitik. Die
Wachstumsrate Deutschlands in den letzten fünf Jahren
war nicht einmal halb so hoch wie der Schnitt der
25 europäischen Staaten.
Ja, Kollegin Barnett, die Bundesregierung steht in einer besonderen Verantwortung für die europäische Entwicklung und dafür, hier eine Wende einzuleiten. Im Gegensatz zu Ihnen erkennen wir im vorgelegten Bericht
und im Antrag keine Neuausrichtung.
Entscheidend für die im EU-Vergleich niedrige
Wachstumsrate ist und bleibt die Binnenmarktschwäche.
In Deutschland wurde der Anstieg des privaten Konsums
auf ein Sechstel der durchschnittlichen EU-Rate gedrückt. Daran ändert die leichte konjunkturelle Erholung
nichts. Auch im zweiten Quartal 2006 sank der private
Konsum um 0,4 Prozent. Natürlich wird die geplante
Mehrwertsteuererhöhung hier als Bremse wirken, Herr
Glos. Sie muss deshalb dringend zurückgenommen werden.
({0})
Einer der Hauptgründe ist die Entwicklung der
Löhne und Gehälter in Deutschland. Während die
Reallöhne im Schnitt der 25 EU-Länder 2005 stiegen,
sanken sie in Deutschland um 1,8 Prozent. Statt einer
Wende steht 2006 eine Fortschreibung dieser Entwicklung bevor. Nach wie vor hinkt Deutschland bei der
Lohnentwicklung in Europa hinterher. Nach wie vor hat
Deutschland im Gegensatz zu 18 europäischen Nachbarstaaten keinen gesetzlichen Mindestlohn. Diese lohnpolitische Sonderrolle ermöglicht der deutschen Exportindustrie, ihre Marktanteile zulasten der europäischen
Nachbarstaaten zu vergrößern. Dieser Faktor schafft allerdings erhebliche Ungleichgewichte in der EU. Dem
sehen die europäischen Nachbarn nicht tatenlos zu.
Trotzdem heißt es in Ihrem Programm - Herr Meyer hat
das heute Morgen wieder gefordert -: Niedriglohnsektor
ausbauen. Sie erhöhen die Gefahr eines europaweiten
Absenkungswettlaufs um die niedrigsten Löhne und Gehälter. Das wird nicht nur in Deutschland, sondern in
ganz Europa die Wachstums- und Beschäftigungsdynamik weiter bremsen.
({1})
Die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns ist
auch aus europäischer Sicht längst überfällig.
({2})
Ich komme nun auf die Unternehmensteuerreform
zu sprechen. Herr Meyer, schauen wir uns Ihre Forderungen vor dem Hintergrund der europäischen EntwickUlla Lötzer
lung einmal genauer an. Nach Berechnungen der EUKommission liegt die Steuerbelastung der Unternehmen
in Deutschland entgegen der von Ihnen gebetsmühlenartig wiederholten Behauptung weit unter dem EU-Durchschnitt. Während die Steuern auf Vermögen und Unternehmenseinkommen im EU-Durchschnitt 8,3 Prozent
des Bruttoinlandsprodukts ausmachen, sind es in
Deutschland mickrige 5,6.
({3})
Es besteht also kein Anlass, im Namen der Wettbewerbsfähigkeit die Steuern weiter zu senken. Im Gegenteil: Es
gibt genügend Spielraum, die Vermögensteuer wieder
einzuführen und die Unternehmen endlich wieder an der
Finanzierung der Gesellschaft zu beteiligen.
({4})
Bei der Marktöffnung konzentrieren Sie sich auf die
Fortschreibung der Energiemarktliberalisierung. Sie ignorieren dabei, dass die bisherige Liberalisierung zur
Herausbildung marktbeherrschender Energiekonzerne
geführt hat und dass sie eine der wesentlichen Ursachen
für die gestiegenen Gewinne dieser Konzerne, aber vor
allem auch für die gestiegenen Energiepreise für die Verbraucher ist. Deshalb brauchen wir einen Ausbau der
Preiskontrolle und eine Besteuerung der Sonderprofite
aus dem Emissionshandel. Im Gegensatz zu Ihnen, Herr
Glos und Herr Brüderle, sagen wir: Die Strom- und Gasnetze sind in die öffentliche Hand zu überführen.
({5})
Nach wie vor setzt die europäische Energiepolitik
auf fossile Brennstoffe und Atomtechnologie. Nur
16 Prozent aller mittels Strukturfonds vergebenen öffentlichen Finanzhilfen entfallen auf erneuerbare Energien. Wo ist da der ausgewogene Energiemix, den Sie
vorhin forderten, Herr Meyer? Auch hier ist endlich eine
Wende durch konsequente Förderung von Energieeffizienz und erneuerbaren Energien notwendig. Mit Ihrem
Programm werden Sie die notwendige Kehrtwende allerdings nicht schaffen. Der Fokus ist verfehlt, ob alte oder
neue Lissabonstrategie, ob nationale oder europäische
Programme. Eine Wende muss im Rahmen der deutschen Ratspräsidentschaft den sozialen und den ökologischen Strukturwandel in den Mittelpunkt rücken, damit
der Nutzen für die Bürgerinnen und Bürger wirklich im
Vordergrund der Lissabonstrategie steht.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
Nun hat das Wort der Kollege Thomas Bareiß für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Deutschland brummt - das war vor wenigen Tagen vom Chefvolkswirt des Internationalen Währungsfonds in Singapur zu hören. Daran wird auch das
Schlechtreden von Frau Lötzer und ihrer Fraktion nichts
ändern.
Wir haben vom Wirtschaftsminister vorhin gehört,
dass der IWF für dieses Jahr 2 Prozent Zuwachs erwartet. Das sind 0,7 Prozentpunkte mehr, als noch im Frühjahr dieses Jahres erwartet wurden. Damit ist die
Konjunktur in Deutschland, immerhin der größten
Volkswirtschaft in Europa, endlich angesprungen und
die fast schon zum Scheitern verurteilte Lissabonstrategie gewinnt an Fahrt. Das ist - das muss man heute auch
einmal sagen - vor allem dem Vertrauen in die neue
Bundesregierung unter Angela Merkel zu verdanken. Sie
hat das Nationale Reformprogramm für den Zeitraum
2005 bis 2008 vorgelegt und damit einen wichtigen Beitrag zur erfolgreichen Umsetzung der Lissabonstrategie
geleistet.
({0})
Ein wichtiger Bestandteil ist dabei gerade für
Deutschland als Exportnation der gemeinsame europäische Binnenmarkt. Die Europäische Kommission
schätzt, dass der Binnenmarkt seit 1993 zu 2,5 Millionen
Arbeitsplätzen und einem zusätzlichen Bruttosozialprodukt von 877 Milliarden Euro geführt hat. Die Europäische Union ist heute ein Vorbild für viele Regionen. Sie
bringt Vorteile, die für alle spürbar sind. Der vergrößerte
Markt bedeutet eine Zunahme des Wettbewerbs, einen
stärkeren Innovationsdruck, höheres Wachstum, mehr
Wohlstand und mehr Arbeitsplätze. Ich sage gerade für
die CDU/CSU-Fraktion: Wir stehen in besonderer Weise
für mehr Wettbewerb und für mehr Wachstum.
({1})
Ein Beispiel für den greifbaren, auch im Geldbeutel
spürbaren Nutzen des gemeinsamen Binnenmarkts ist
die Liberalisierung der Telekommunikation, die vorhin schon angesprochen wurde. Das Ergebnis sind deutliche Preissenkungen. Aber Mobilfunknutzer im europäischen Ausland bezahlen bisher immer noch erhöhte
Preise für Telefongespräche. Die Roaminggebühren sind
im Durchschnitt mehr als fünfmal höher als die tatsächlichen Kosten für die Netzwerkbetreiber. Es ist zu begrüßen, dass die Europäische Kommission im Juli einen
neuen Verordnungsentwurf vorgelegt hat, wonach die
Tarife für Mobilfunkgespräche im Ausland um bis zu
70 Prozent gesenkt werden. Das ist ein Beispiel dafür,
dass Europa funktionieren kann und auch für den Menschen greifbare Erfolge hat.
({2})
Trotz dieser und anderer Erfolge stehen die Menschen
der Europäischen Union misstrauisch gegenüber. Es gibt
bei vielen Bürgerinnen und Bürgern in Europa ein Unbehagen gegenüber der EU. Es muss unser aller Anliegen
sein, dass die Menschen wieder mehr Vertrauen in Europa haben. Ich habe den Eindruck, dass bei der Europäischen Kommission die Tendenz herrscht, das bisher vielfach mangelnde Engagement der Mitgliedstaaten durch
zentrale Kontrolle zu fördern, geradezu durch nicht mehr
nachvollziehbare Bevormundung zu ersetzen. Das ist
nach meiner Überzeugung der falsche Weg.
Ein Beispiel für die Gefahr von Fehlentwicklungen
sehe ich in den gegenwärtigen Verhandlungen über die
Erhaltung des Namensrechts der Sparkassen. Ich bin
der festen Überzeugung, dass das für Deutschland wichtige dreigliedrige Bankensystem erhalten bleiben muss.
Ohne Frage, das Nebeneinander von Privatbanken, Genossenschaftsbanken und Sparkassen ist einzigartig in
der EU. Aber gerade weil es über 50 Jahre auch ein Garant unseres wirtschaftlichen Erfolges war, dürfen wird
das jetzt nicht einer Überregulierung durch die Kommission preisgeben.
({3})
Deshalb unterstützen wir auch nachdrücklich die Bemühungen von Bundeskanzlerin und Bundesfinanzminister,
in Brüssel die Interessen der deutschen Wirtschaft und
der deutschen Verbraucher zu vertreten.
Die Bundesregierung leistet bereits ihren Beitrag zur
Umsetzung der Lissabonstrategie. Ich möchte hier nur
einige wenige Punkte nennen. Der erste und ein wichtiger Punkt ist die Haushaltskonsolidierung. Auch wenn
es anscheinend hier im Haus von vielen nicht als eine
politische Verpflichtung angesehen wird - ich halte es
vor allem für eine moralische Verpflichtung, die
Maastrichtkriterien einzuhalten. Ich bin froh, dass wir es
jetzt nach vier Jahren geschafft haben, den EU-Stabilitätspakt wieder einzuhalten.
({4})
Zweiter Punkt. Bei der Unternehmensteuerreform
würde uns manchmal ein Blick ins benachbarte EU-Ausland guttun. Die Bundesregierung muss eine Unternehmensteuerreform in Gang setzen, die die Attraktivität
des Standorts Deutschland deutlich erhöhen wird. Die
Steuersätze für Unternehmen sind derzeit international
nicht mehr konkurrenzfähig.
({5})
Wir alle wissen, dass wir auf einen Steuersatz von unter
30 Prozent kommen müssen. Ich sage aber auch ganz
klar: Nicht nur die Steuersätze, sondern auch die Steuersystematik muss eine wichtige Rolle spielen.
Dritter Punkt. Bei den kleinen und mittleren Unternehmen hat Deutschland eine enorm große Verantwortung. Die Mittelstandsinitiative, die die Bundesregierung im Juli 2006 im Kabinett auf den Weg gebracht hat,
ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Sie eröffnet dem Mittelstand neue Perspektiven und nutzt das
große Potenzial mittelständischer Unternehmen. Kleinere und mittlere Unternehmen sind und waren Garant
unseres wirtschaftlichen Erfolges. Daher müssen sie zukünftig verstärkt auch in der Nachhaltigkeitsstrategie
und im Lissabonprozess eine Rolle spielen.
Als letzten und schwierigsten Punkt möchte ich den
Umbau der Sozialversicherungssysteme nennen. Die
Lissabonstrategie und das damit verbundene Nationale
Reformprogramm zeigen, dass wir in Deutschland noch
Hausaufgaben vor uns haben. Die freien Reserven der
Pflegeversicherung beispielsweise werden spätestens im
Jahr 2008 aufgebraucht sein. Deshalb brauchen wir gerade für die jüngere Generation eine grundlegende
Struktur- und Finanzreform. In diesem Punkt trägt die
große Koalition eine ganz wichtige Verantwortung.
({6})
Angesichts der demografischen Entwicklung muss die
Umlagefinanzierung um eine kapitalgedeckte Komponente ergänzt werden. Nur so lassen sich auch in Zukunft eine menschenwürdige Pflege bezahlen, die Lohnnebenkosten stabil halten sowie Wachstum und
Arbeitsplätze in unserem Land sichern.
Deutschland übernimmt am 1. Januar 2007 - das
wurde schon angesprochen - die europäische Ratspräsidentschaft. Darin liegt eine große Chance für Deutschland und für Europa. Ich würde mir wünschen, dass unsere Bundesregierung innerhalb der Europäischen Union
eine Führungsrolle übernimmt
({7})
und die Ziele der Lissabonstrategie kontinuierlich weiterentwickelt. Wir brauchen eine Lissabonstrategie mit
klar definierten und erreichbaren Zielen. Der Bürger
muss erkennen, welche Chancen mit diesem Prozess
verbunden sind.
Wenn Europa neben China und Indien in der Welt zukünftig noch eine wichtige wirtschaftliche Rolle spielen
will, darf die Lissabonstrategie nicht bei leeren Worthülsen und bloßen Absichtserklärungen stehen bleiben. Europa kann erfolgreich sein, wenn wir diese Herausforderung gemeinsam angehen. Deshalb wird die CDU/CSUFraktion den Prozess der Lissabonstrategie kritisch begleiten und konstruktiv unterstützen.
Herzlichen Dank.
({8})
Herr Kollege Bareiß, das war Ihre erste Rede in diesem Haus. Ich gratuliere Ihnen sehr herzlich dazu und
wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg.
({0})
Nun hat das Wort die Kollegin Katja Mast für die
Fraktion der SPD.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen
und Kollegen! Wir stehen vor großen Herausforderungen, die alle unter das Schlagwort „demografischer Wandel“ fallen. Es werden weniger Kinder geboren und die
Bevölkerung wird älter. Das ist eine Chance für
Deutschland. Wir können die Generationenfrage neu
stellen. Wir können die Generationen neu zusammenbringen.
Der demografische Wandel zwingt uns bereits heute,
entscheidende Weichen zu stellen. Wir brauchen Fachkräfte. Deshalb dürfen wir es uns schon heute nicht mehr
leisten, ältere Arbeitnehmer zu früh aus dem Erwerbsleben ausscheiden zu lassen
({0})
und das Erwerbspotenzial von Frauen ungenutzt zu lassen.
({1})
Außerdem müssen wir unsere sozialen Sicherungssysteme demografiefest machen.
Mit diesen Herausforderungen steht Deutschland
nicht allein da. Der demografische Wandel zeigt seine
Spuren in allen europäischen Ländern.
Im Jahr 2000 haben sich auch deshalb die EU-Mitgliedstaaten auf die Lissabonstrategie verständigt. In ihr
wurden konkrete Ziele vereinbart. Das ist auch das qualitativ Neue an dieser Strategie: „Führen durch Ziele“,
wie es in Unternehmen üblich ist, nicht „Führen über Instrumente“, wie Herr Brüderle es hier gefordert hat.
({2})
Welche Ziele gibt es für den deutschen Arbeitsmarkt?
„50, 60, 70“ lautet die Zauberformel. Das sind handfeste
arbeitsmarktpolitische Ziele für das Jahr 2010.
50: Wir wollen eine Beschäftigungsquote von älteren
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern von 50 Prozent
erreichen. Hierbei haben wir seit 2000 eine Steigerung
von 37,5 Prozent auf 45,4 Prozent erreicht.
60: Wir wollen die Erwerbsbeteiligung von Frauen
auf 60 Prozent steigern. Hierbei stehen wir mit
59,6 Prozent schon ganz gut da.
70: Wir wollen die Erwerbsbeteiligung unserer gesamten Bevölkerung auf 70 Prozent erhöhen. Sie liegt
heute bei ungefähr 65 Prozent.
Wir haben diese Ziele noch nicht ganz erreicht. Wir
haben aber auch noch vier Jahre Zeit und wir sind auf einem guten Weg.
({3})
Es geht uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten nicht nur darum, diese Ziele einfach abzuarbeiten.
Wir wollen mehr und bessere Arbeitsplätze, weil nur
durch Beschäftigung Teilhabe am öffentlichen Leben
möglich ist. Wir wollen den vorsorgenden Sozialstaat,
der Chancen eröffnet.
Im Übrigen, wenn wir schon bei den Entwicklungen
am Arbeitsmarkt sind: Wir haben es geschafft, dass in
Deutschland die Zahl der sozialversicherungspflichtig
Beschäftigten erstmals seit Jahren wieder zunimmt. Im
letzten Monat waren es 130 000 Arbeitsplätze mehr als
im Jahr davor. Das ist ein Plus von 0,5 Prozent. Die Zahl
der Arbeitslosen ist sogar um 426 000 gesunken. Das
ist eine knappe halbe Million. Das hätte vor einem Jahr
- Sie erinnern sich, wir waren alle im Wahlkampf - keiner gedacht. Das ist das Resultat der größten Arbeitsmarktreform aller Zeiten.
Für mehr Beschäftigung haben wir im Koalitionsvertrag eine solide Grundlage geschaffen. Aber gerade auch
die rot-grüne Regierung hat mit der Agenda 2010 sehr
mutige Reformen auf die Schiene gesetzt und die Grundlage für unsere heutigen Erfolge gelegt.
({4})
Für mich stellt sich die Frage: Wie haben wir das erreicht? Da wir das alle gerne schnell vergessen, rufe ich
es mit vier Beispielen in unser Gedächtnis zurück:
Erstens. Die Frauenerwerbsquote steigerten wir
durch unsere Strategie der Vereinbarkeit von Familie und
Beruf: im Jahr 2000 durch das Teilzeit- und Befristungsgesetz. 2003 haben wir durch das 4-Milliarden-Euro-Investitionsprogramm im Bereich der Ganztagsschulen
eine kleine Revolution in Deutschland hervorgerufen.
2004 haben wir das Tagesbetreuungsausbaugesetz verabschiedet. Es gibt heute mehr Plätze für unsere Kleinen.
Lassen Sie mich in die Zukunft schauen. Die Einführung des Elterngeldes 2007 steht für einen Paradigmenwechsel in der Familienpolitik.
Zweitens. Rente, Bevölkerungsentwicklung und
Staatshaushalt in Einklang bringen - auch das haben wir
vorangetrieben. 2001 haben wir die private Altersvorsorge gestärkt. Mit einem mutigen Schritt haben wir die
Riesterrente eingeführt. Seit 2004 gibt es den Nachhaltigkeitsfaktor in der Rente. Im Koalitionsvertrag haben
wir die Beitragsstabilität vereinbart. Mit der Rente ab 67
- darauf gehe ich später ein - machen wir die Rente demografiefest.
Drittens. Natürlich, Frau Dückert, kann es uns nicht
nur darum gehen, bestehende Jobs zu erhalten; vielmehr
wollen wir die Schwarzarbeit zurückdrängen. Deshalb
fördern wir private Haushalte als Arbeitgeber: Durch
steuerliche Begünstigung werden sie gestärkt. Man kann
nun Handwerkerrechnungen, Pflege- und Kinderbetreuungskosten besser oder teilweise erstmals steuerlich absetzen. Mit dem CO2-Gebäudesanierungsprogramm machen wir genau dasselbe; denn wir stärken damit das
lokale Handwerk und die lokalen Arbeitsplätze. Mit dem
25-Milliarden-Euro-Investitionsprogramm stärken wir
im Übrigen die Binnennachfrage.
Viertens. Wir haben die Beschäftigungsquote von
Älteren erhöht. Mit welchen Schritten? 2002 haben wir
die Frühverrentung abgeschafft. Auch das ist eine Tatsache, die nicht in allen Köpfen verankert ist. Arbeitsmarktpolitik findet aber auch vor Ort statt. Seit 2005 fördern wir deshalb regionale Beschäftigungspakte für
ältere Arbeitnehmer. Das Spektrum ist bunt. In meiner
Heimat Pforzheim und im Enzkreis in Baden-Württemberg nutzen wir die Kompetenz von erfahrenen Arbeitnehmern als „Silverstars“. Sie beraten Hauptschüler bei
der Berufswahl, arbeiten in einem Kompetenzzentrum
und generieren neue Geschäftsideen im Ideenbüro. Lokale Akteure wissen besser als wir hier in Berlin, was sie
brauchen und wie sie Ältere in Jobs bringen. Ich bin gespannt auf die Vermittlungsergebnisse dieser Projekte.
({5})
Wir haben im Bereich der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik in den letzten Jahren sehr viel erreicht. Aber wir
sind noch nicht fertig. Wir dürfen uns jetzt nicht auf unseren Lorbeeren ausruhen; denn trotz unserer Veränderungen verbessert sich die Situation nicht von heute auf
morgen. Gerade weil wir öffentlich viel zu selten über
die Situation von älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern reden, will ich heute ihre Situation betrachten.
Häufig bewerben sich arbeitslose Ältere gar nicht mehr
auf einen Job; denn sie glauben, sie werden sowieso
nicht mehr berücksichtigt. Ein Mentalitätswandel ist notwendig. Aber nicht nur bei den Älteren, sondern auch
bei den Arbeitgebern ist dieser Mentalitätswandel notwendig. Es hält sich bei Neueinstellungen Älterer hartnäckig das Vorurteil, dass sie sich nicht weiterbilden,
unflexibel seien und einen überdimensionierten Kündigungsschutz hätten. Das stimmt so nicht. Einige Unternehmen haben das auch schon festgestellt.
Lassen Sie mich noch mal zurück zu den Möglichkeiten der Politik kommen. Mit der Initiative „50 plus“ haben wir eine umfassende Strategie entwickelt, die zwei
Ziele hat: erstens ältere Beschäftigte länger im Erwerbsleben zu halten und zweitens ältere Arbeitslose schneller
wieder in Beschäftigung zu bringen. Für beide Zielsetzungen bündeln wir die Instrumente in der Initiative
„50 plus“. Mit Fördermöglichkeiten bei der Weiterbildung erhöhen wir die Beschäftigungsfähigkeit.
({6})
Finanzielle Anreize wie Kombilöhne oder Eingliederungszuschüsse fördern die Einstellungen Älterer.
Wenn ich hier über Arbeitsmarktpolitik für ältere Arbeitnehmer rede, so kann und will ich das Thema Rente
nicht aussparen. In den 60er-Jahren hat ein Rentner in
der Regel 9,5 Jahre Rente bezogen, heute sind es
17 Jahre. Die Menschen werden älter und sind zum
Glück auch länger gesund. Um die Rente auch für künftige Generationen zu erhalten, müssen wir auf diese Entwicklung reagieren. Mit der schrittweisen Erhöhung
des Eintrittsalters auf 67 Jahre geht es also darum,
dass auch die Enkel der heutigen Rentner am Generationenvertrag festhalten wollen. Erst die heute 42-Jährigen
werden davon voll betroffen sein. Das ist eine Lösung
auf dem Weg, die Generationen neu zusammenzubringen.
Lassen Sie mich zusammenfassen: Die Lissabonstrategie wird von uns umgesetzt, weil wir mehr Teilhabe
wollen. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, der
Umbau der sozialen Sicherungssysteme, das Erschließen
neuer Beschäftigungspotenziale und die Beschäftigungsfähigkeit Älterer stehen hierbei exemplarisch für unser
Verständnis vom vorsorgenden Sozialstaat, der Chancen eröffnet.
({7})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 16/2467 und 16/2622 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Die Vorlage auf Drucksache 16/2629 zu Tagesord-
nungspunkt 6 a soll an dieselben Ausschüsse wie die
Vorlage auf Drucksache 16/2467 - das betrifft den Ta-
gesordnungspunkt 6 b - und zusätzlich an den Auswärti-
gen Ausschuss, an den Ausschuss für Ernährung, Land-
wirtschaft und Verbraucherschutz, an den Ausschuss für
Arbeit und Soziales, an den Ausschuss für die Angele-
genheiten der Europäischen Union sowie an den Haus-
haltsausschuss überwiesen werden. Sind Sie damit ein-
verstanden? - Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist das so
beschlossen.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 29 a bis 29 n
sowie die Zusatzpunkte 8 a und 8 b auf:
29 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform
der Führungsaufsicht
- Drucksache 16/1993 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({0})
Innenausschuss
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Übereinkommen Nr. 170 der Internationalen
Arbeitsorganisation vom 25. Juni 1990 über
Sicherheit bei der Verwendung chemischer
Stoffe bei der Arbeit
- Drucksache 16/2227 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({1})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesdisziplinargesetzes, des Bundesbeamtengesetzes und weiterer Gesetze
- Drucksache 16/2253 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({2})
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab-
kommen vom 12. August 2004 zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und der Repu-
blik Ghana zur Vermeidung der Doppelbe-
steuerung und zur Verhinderung der Steuer-
verkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom
Einkommen, vom Vermögen und vom Veräu-
ßerungsgewinn
- Drucksache 16/2254 -
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 26. Oktober 2004 zwischen der
Europäischen Union, der Europäischen GeVizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
meinschaft und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Assoziierung dieses
Staates bei der Umsetzung, Anwendung und
Entwicklung des Schengen-Besitzstands
- Drucksache 16/2255 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({3})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Auflösung der Unabhängigen Kommission zur Ermittlung des Vermögens der Parteien und
Massenorganisationen der DDR
- Drucksache 16/2256 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({4})
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
g) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Tierzuchtrechts sowie zur Änderung des Tierseuchengesetzes und des
Tierschutzgesetzes
- Drucksache 16/2292 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({5})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
h) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Weiterverwendung von Informationen öffentlicher Stellen ({6})
- Drucksache 16/2453 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({7})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Kultur und Medien
i) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2004/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom
15. Dezember 2004 zur Harmonisierung der
Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt
zugelassen sind, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG ({8})
- Drucksache 16/2498 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({9})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
j) Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst
Friedrich ({10}), Jan Mücke, Patrick Döring,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Qualität der Mauterfassung durch unabhängigen Versuch nachweisen und Kontrollverfahren zertifizieren
- Drucksache 16/1680 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({11})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
k) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Harald Terpe, Birgitt Bender, Elisabeth
Scharfenberg, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Gesetzliche Voraussetzungen für heroingestützte Behandlung Schwerstabhängiger
schaffen
- Drucksache 16/2075 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({12})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
l) Beratung des Antrags der Abgeordneten Monika
Knoche, Ulla Jelpke, Frank Spieth, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der LINKEN
Heroinmodell in die Regelversorgung über-
führen und Therapiefreiheit der Ärztinnen
und Ärzte schützen
- Drucksache 16/2503 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit
m) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sevim
Dagdelen, Petra Pau, Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Bundesweiter Abschiebestopp für Flüchtlinge
aus Togo
- Drucksache 16/2627 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({13})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
n) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung zur Modernisierungsstrategie für die deutsche Wasserwirtschaft und für ein stärkeres internationales
Engagement der deutschen Wasserwirtschaft
- Drucksache 16/1094 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({14})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
ZP 8 a)Erste Beratung des von den Abgeordneten Jerzy
Montag, Markus Kurth und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Entwurfs eines Gesetzes zur Anhebung der
Vergütung von Berufsbetreuern
- Drucksache 16/2649 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({15})
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Reinhard Loske, Ute Koczy, Thilo Hoppe,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Keine Hermes-Bürgschaft für den Ilisu-Staudamm in der Türkei
- Drucksache 16/2626 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({16})
Auswärtiger Ausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Es handelt sich dabei um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe,
das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen jetzt zu den Tagesordnungspunkten 30 a
und b sowie 30 d bis m. Es handelt sich dabei um die
Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Tagesordnungspunkt 30 a:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des Allgemeinen Eisenbahngesetzes
- Drucksachen 16/1851, 16/2226 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
({17})
- Drucksache 16/2636 Berichterstattung:
Abgeordneter Winfried Hermann
Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt auf Drucksache 16/2636, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in
der zweiten Beratung mit den Stimmen der CDU/CSUFraktion, der SPD-Fraktion und der FDP-Fraktion gegen
die Stimmen der Fraktionen der Grünen und der Linken
angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit mit der gleichen Mehrheit angenommen.
Tagesordnungspunkt 30 b:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 13. April
2005 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande
über den Zusammenschluss der deutschen
Bundesstraße B 56n und der niederländischen
Regionalstraße N 297n an der gemeinsamen
Staatsgrenze durch Errichtung einer Grenzbrücke
- Drucksache 16/1939 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
({18})
- Drucksache 16/2638 Berichterstattung:
Abgeordnete Dorothée Menzner
Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt auf Drucksache 16/2638, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.
Tagesordnungspunkt 30 d:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung ({19}) zu dem Antrag
der Abgeordneten Patrick Döring, Horst
Friedrich ({20}), Ernst Burgbacher, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Buslenkzeiten anpassen - Mittelständische
Busunternehmen retten
- Drucksachen 16/584, 16/1900 Berichterstattung:
Abgeordneter Klaus Hofbauer
Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung, den Antrag auf Drucksache 16/584
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist die
Beschlussempfehlung mit den Stimmen der CDU/CSUFraktion, der SPD-Fraktion, der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke gegen die
Stimmen der FDP-Fraktion angenommen.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/1900 empfiehlt der Ausschuss, eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist
diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der KoaliVizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
tionsfraktionen, der Fraktion des Bündnisses 90/Die
Grünen und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen
der Fraktion der FDP angenommen.
Tagesordnungspunkt 30 e:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({21})
Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages
hier: § 2 - Wahl des Präsidenten und der Stellvertreter
- Drucksache 16/2200 Berichterstattung:
Abgeordnete Bernhard Kaster
Christine Lambrecht
Jörg van Essen
Dr. Dagmar Enkelmann
Volker Beck ({22})
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist
dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.
Tagesordnungspunkt 30 f:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({23}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Behm,
Alexander Bonde, Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Kürzungen bei der Finanzierung der Entwicklung ländlicher Räume verhindern
- Drucksachen 16/952, 16/2637 Berichterstattung:
Abgeordnete Marlene Mortler
Holger Ortel
Dr. Kirsten Tackmann
Cornelia Behm
Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/952 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion und der FDP-Fraktion gegen
die Stimmen der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen
und der Fraktion Die Linke angenommen.
Wir kommen jetzt zu den Beschlussempfehlungen des
Petitionsausschusses. Das sind die Tagesordnungspunkte
30 g bis 30 m.
Tagesordnungspunkt 30 g:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({24})
Sammelübersicht 80 zu Petitionen
- Drucksache 16/2528 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 80 ist mit den Stimmen
des ganzen Hauses angenommen.
Tagesordnungspunkt 30 h:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({25})
Sammelübersicht 81 zu Petitionen
- Drucksache 16/2529 Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 81 ist mit den Stimmen der
Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP, des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion
Die Linke angenommen.
Tagesordnungspunkt 30 i:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({26})
Sammelübersicht 82 zu Petitionen
- Drucksache 16/2530 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 82 ist mit den Stimmen
des ganzen Hauses angenommen.
Tagesordnungspunkt 30 j:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({27})
Sammelübersicht 83 zu Petitionen
- Drucksache 16/2531 Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 83 ist mit den Stimmen der
FDP-Fraktion, der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion
und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 30 k:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({28})
Sammelübersicht 84 zu Petitionen
- Drucksache 16/2532 Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 84 ist mit den Stimmen der
FDP-Fraktion, der Unionsfraktion, der Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen und der SPD-Fraktion gegen
die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen.
Tagesordnungspunkt 30 l:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({29})
Sammelübersicht 85 zu Petitionen
- Drucksache 16/2533 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 85 ist mit den Stimmen
der FDP-Fraktion, der CDU/CSU-Fraktion und der
SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion des
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Bündnisses 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke
angenommen.
Tagesordnungspunkt 30 m:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({30})
Sammelübersicht 86 zu Petitionen
- Drucksache 16/2534 -
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthal-
tungen? - Die Sammelübersicht 86 ist mit den Stimmen
der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion und der Fraktion
des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen der
FDP-Fraktion und der Fraktion Die Linke angenommen.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 7 a und 7 b
auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthias
Berninger, Ulrike Höfken, Rainder Steenblock,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Forderung der EU nach Transparenz bei Subventionen für die Wirtschaft vollständig umsetzen und die Neuausrichtung der Förderung
vorbereiten
-Drucksache 16/2517 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({31})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus
Löning, Hans-Michael Goldmann, Michael Link
({32}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Europäische Transparenzinitiative aktiv unterstützen
-Drucksache 16/2203 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({33})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich
sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Kollegin Margareta Wolf von der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Wir haben schon in einem anderen Zusammenhang über Probleme in der Europäische Union diskutiert.
Der Anlass für die Debatte jetzt ist ein Antrag von uns
und ein Antrag der FDP, in denen es um mehr Transparenz bei Subventionen innerhalb der Europäischen
Union geht.
Wir alle wissen: Der europäische Prozess befindet
sich im Stocken. Deshalb hat der Verwaltungskommissar, Herr Kallas, eine Initiative auf den Weg gebracht
und ein Grünbuch vorgestellt, in dem dargelegt wird,
dass die Europäische Union in Kooperation mit den Ländern die Offenlegung aller Subventionen, aller Fördermittel erreichen will. Wir sagen: Dies ist eine gute Initiative. Deshalb haben wir den vorliegenden Antrag
gestellt.
Er war nötig, weil sowohl Wirtschaftsminister Glos
wie auch Landwirtschaftsminister Seehofer von Mai dieses Jahres bis zum 19. September alles dafür getan haben, die Offenlegung der Fördermittel im Rahmen der
Europäischen Union zu verhindern. Ich finde es bedauerlich, dass sich beide Minister heute dazu nicht äußern,
und dies nicht, weil ich der Meinung wäre, sie sollten
auf unseren Antrag reagieren. Nein, es geht vielmehr um
Folgendes: Wir übernehmen in drei Monaten die EURatspräsidentschaft und in einem zentralen Punkt, bei
der Offenlegung der Mittelverwendung, stimmen wir
nicht zu.
({0})
Frau Kollegin Wöhrl, Herr Kollege Paziorek, wir alle
wissen doch, dass die europäische Verfassung unter anderem daran gescheitert ist, dass viele Bürgerinnen und
Bürger in Europa den Eindruck haben, die EU koste nur
Geld. Warum sich ausgerechnet Deutschland drei Monate vor der Übernahme der Ratspräsidentschaft gegen
eine solche Offenlegung wehrt, ist nicht nachzuvollziehen. Wir wissen zwar nur wenig darüber, was Frau
Merkel in dieser Zeit durchsetzen will, aber immerhin
hat sie im Mai im Deutschen Bundestag gesagt, dass sie
die Vertragsdebatte anschieben und Misstrauen gegenüber intransparenten Kapitalströmen innerhalb der EU
abbauen wolle.
Die Beiträge von Herrn Glos und Herrn Seehofer weisen in genau die andere Richtung. Dieser Tage hört man
so oft, Frau Merkel sei geschlagen mit ihren CDU-Ministern. Die Initiative dieser beiden Herren, die kurzfristige Ziele verfolgt und lobbygelenkt ist, unterstreicht das
ausdrücklich.
({1})
Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, in
den Berichten, die Sie in den letzten Tagen in den Zeitungen über die Verständigung zwischen Frau Merkel
und Herrn Barroso lesen konnten, finden Sie immer wieder einen Satz: Die Deutschen sind unglaubwürdig,
wenn sie dauernd von der europäischen Verfassung reden, sich der Lösung realer Probleme aber verweigern.
Deutschland ist ein Land mit einer sehr langen Liste von
Streitfällen mit der Kommission. Auch diese Liste arbeiten Sie nicht ab.
Worum geht es? Es geht um Agrarsubventionen in
einer Größenordnung von 40 Prozent des gesamten EUHaushalts und um Strukturmittel in einer GrößenordMargareta Wolf ({2})
nung von 308 Milliarden Euro. Insgesamt reden wir über
ein Volumen von 1 300 Milliarden Euro. Die Kommission ist dafür, dass die Verwendung dieser Mittel offen
gelegt wird. Dabei unterstützen wir sie.
({3})
Jeder Mensch weiß, dass Transparenz die Voraussetzung für eine moderne Verwaltung ist. Dass Herr Glos
dagegen ist, muss besonders verwundern; schließlich bezieht er sich gerne auf die Tradition der Wirtschaftsminister, die das Haus vor ihm geführt haben. Die Bundesrepublik Deutschland hat seit 1967 die Kultur, alle zwei
Jahre einen Subventionsbericht vorzulegen. Diese Berichte wurden von Karl Schiller eingeführt, unter dessen
Ägide das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz verabschiedet wurde. Seit 1967 nimmt der Bundestag alle zwei
Jahre den Subventionsbericht zur Kenntnis. In diesen
Berichten können Sie, oh Wunder, seit 1967 ganz genau
nachlesen - jetzt ist das Wirtschaftsministerium gar
nicht mehr im Saal vertreten -, wie die Beihilfeerstattung durch die EU erfolgt. Deswegen verstehe ich überhaupt nicht, was jetzt gemacht wird. Dieser Bericht enthält all die Zahlen, die Herr Glos im Rahmen der
Transparenzinitiative ins Internet stellen müsste.
Umso unerklärlicher ist das Verhalten, da elf Länder
in Europa diesem Ansinnen der Kommission bereits folgen und das bei ihnen schon Tradition hat. Deutschland
aber hat bis zum 19. September Nein gesagt. Man konnte
sich nicht durchsetzen und jetzt sagen wir: Wir unterstützen die Kommission. - Das ist eine ganz konsistente Europapolitik. Frau Merkel, Sie können stolz sein auf Ihre
beiden Minister.
Herzlichen Dank.
({4})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Ursula Heinen,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Wolf, Sie haben
die Fakten nicht richtig dargestellt. Die Minister befinden sich untereinander gerade in der Ressortabstimmung. Das Abstimmungsverfahren mit der Europäischen Union zu der Transparenzinitiative läuft bereits.
Sie mahnen an, dass man sich mit der Initiative befassen
solle. Die Regierung befasst sich aber schon längst damit. Sie sollten sich informieren, bevor Sie solche Behauptungen im Deutschen Bundestag aufstellen.
({0})
Es geht doch längst nicht mehr um die Frage, ob es
mehr Transparenz gibt. Es geht darum, wie die Transparenzinitiative ausgestaltet wird und wir unsere deutschen
Interessen einbringen können. An diesem Punkt sind wir.
Die Entscheidung über das Ob ist längst gefallen.
Deshalb führe ich dazu ein paar Punkte an. So, wie die
Europäische Kommission sich das vorgestellt hat, nämlich nur die Unterstützungszahlungen aus der ersten Säule
und einen Teil der Strukturfondsmittel offen zu legen,
können wir das nicht mittragen; denn dann kämen wir automatisch zu einem Sondergesetz für die Landwirte,
weil nur die davon betroffen wären. Würde es beispielsweise Sinn machen, dass ein Landwirt, also eine Person,
seine Daten veröffentlichen muss, aber ein Unternehmen,
das Geld aus einem anderen europäischen Fonds bekommt, überhaupt nichts veröffentlichen muss? Dazu sagen wir - und gehen davon aus, dass der Koalitionspartner
das entsprechend unterstützen wird -: Wir wollen keine
halbe Transparenz, sondern volle Transparenz.
({1})
Wenn, dann sollte man alles veröffentlichen - ich fände
das gut -, aber nicht nur bei bestimmten Personengruppen, die dann quasi an den Pranger gestellt würden, weil
man von ihnen wüsste, wie viel sie erhalten.
Allerdings glaube ich nicht, dass damit - Sie haben
das gerade erwähnt - das Verhältnis der Bürger zu Europa wesentlich verbessert würde. Ich habe mir das in
Großbritannien einmal angesehen. Dort werden entsprechend dem Informationsfreiheitsgesetz die Subventionszahlungen veröffentlicht. Dadurch können wir alljährlich
lesen, dass Prinz Charles und die Königin 1,5 Millionen
Euro - so viel ist es, glaube ich - von der EU bekommen. Aber die Einstellung Großbritanniens zur Europäischen Union hin hat sich durch diese Veröffentlichung
nicht nennenswert verändert.
({2})
Man sollte jetzt nicht auf einmal sagen: Mehr Transparenz ist das Allheilmittel, um die Probleme der Bürger
mit der Europäischen Union zu regeln.
({3})
- Sie sollten die Zwischenrufe laut genug machen, sodass ich hier vorne auch etwas davon habe.
({4})
Ansonsten finde ich es etwas unhöflich, wenn Sie dazwischenrufen, ohne dass man hier vorn am Rednerpult genug davon verstehen kann. Ich glaube, die Präsidentin ist
gern bereit, Ihnen das Wort zu erteilen.
Wie gesagt: Wir wollen, dass alle Zahlungen aus dem
Strukturfonds veröffentlicht werden, sodass man genau
erkennen kann, wohin Subventionen tatsächlich geflossen sind.
Aber noch einen weiteren Punkt halten wir für ganz
entscheidend: Wer veröffentlicht diese Daten? Wollen
wir, weil wir gut sortierte Daten haben, eine Art nationalen Alleingang machen und diese veröffentlichen, während alle anderen Länder dann eben nicht veröffentlichen? Oder wollen wir, dass es von der Europäischen
Kommission zentral veröffentlicht wird? Das ist der
zweite Punkt, den wir anregen: Die Datenveröffentlichung sollte über die Europäische Kommission erfolgen
und nicht über die Nationalstaaten. Das wäre ein guter
Weg, den wir gehen könnten.
({5})
Worauf wir aber in der Tat achten müssen, ist, dass
wir mit der Initiative zu mehr Transparenz nicht automatisch mehr Bürokratie bekommen. Wir können nicht das
eine Übel, undurchsichtige Zahlungsströme innerhalb
der Europäischen Union, beseitigen und ein anderes,
mehr Bürokratie, entstehen lassen. Man wird sehr genau
auf die Verfahren achten müssen und darauf, was alles
veröffentlicht wird.
Die Grünen haben in ihrem Antrag geschrieben, die
Fördersummen sollten zu Arbeitsplätzen oder Ähnlichem ins Verhältnis gesetzt werden. Ich weiß nicht, wer
diese Aufgaben erfüllen soll. Ich weiß nur, dass dies eine
neue Behörde erfordern würde. Allein in Deutschland
müssten 366 000 Landwirte veröffentlichen; hinzu kämen Unternehmen, die aus anderen Fonds Geld beziehen, die großen Lebensmittelhersteller etc. Wenn die
Fördergelder dann auch noch Jahr für Jahr - oder, wenn
wir es in einem größeren Rahmen sehen, für die Förderperioden insgesamt - in Bezug zu bestimmten Größen
gesetzt werden müssen, dann würde es verdammt kompliziert. Das ist kaum machbar. Ich halte es auch nicht
für sinnvoll, wenn wir in Brüssel die Bürokratie erhöhen,
um eine vermeintliche Transparenz zu schaffen, die es
dann überhaupt nicht mehr gibt. Meines Erachtens
würde es ausreichen, wenn wir die Fördersummen nennen, die Unternehmen, Personen etc. bekommen haben,
und auf eine derart komplizierte Darstellung verzichten.
Darüber hinaus werden wir darüber diskutieren müssen, ob wir Bagatellgrenzen einführen. Das heißt: Wenn
die Fördersumme gering ist - beispielsweise 10 000 oder
15 000 Euro im Jahr nicht überschreitet -,
({6})
kann es Sinn machen, auf die Veröffentlichung zu verzichten, um nicht noch mehr Daten zu sammeln, die
nicht nötig sind. In diesem Sinne würde ich sagen, Frau
Wolf: Die Bundesregierung ist auf einem guten Weg. Sie
ist im Abstimmungsverfahren. Die Transparenzinitiative
wird kommen, auch in Deutschland. Aber sie muss auf
unser System passen. Daran arbeiten die Minister. Mittlerweile sind die Ressorts sich bei diesem Thema einig.
Ich fasse es gerne noch einmal zusammen: Wir wollen, dass alle Fonds offen legen müssen und nicht nur
einzelne - es darf auf keinen Fall eine Lex Landwirte
geben -, und die Veröffentlichung muss über die Europäische Kommission erfolgen. Wenn wir das schaffen,
haben wir einen guten Beitrag zur Transparenz in Europa geleistet und machen keinen Kleinkleckerkram, wie
es von den Grünen gewünscht wird.
Recht herzlichen Dank.
({7})
Nächster Redner ist der Kollege Markus Löning,
FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Frau Heinen, Sie haben das
richtig angesprochen: Die EU steckt in einer Vertrauenskrise, gerade was den Umgang mit EU-Geldern angeht.
Spätestens seit dem Abgang der Santer-Kommission gibt
es eine Menge Misstrauen in der Bevölkerung. Die EU
gilt als unübersichtlich und bürokratisch. Es gibt wenig
Erfolge, die öffentlich sichtbar werden. Insofern sollte
man die Transparenzinitiative zwar nicht überbewerten
- das ist schon richtig -; aber sie ist ein wichtiger Schritt
in die richtige Richtung, mit dem wir wieder mehr Vertrauen der Bürger in die Handlungs- und Arbeitsweise
der EU schaffen können.
Ich freue mich, dass wir als Freie Demokraten diesen
Transparenzantrag zu Beginn des Sommers eingebracht
haben. Die Grünen sind uns vollinhaltlich gefolgt. Dann
ist uns auch die Bundesregierung gefolgt. Ich muss sagen: So macht Opposition Spaß. Wenn wir diese Reihenfolge in Zukunft auch bei anderen Anträgen einhalten
können, macht uns das natürlich sehr glücklich.
({0})
Der Einzige, den wir bis jetzt nicht überzeugen konnten - auch das muss man an dieser Stelle deutlich sagen,
liebe Frau Heinen -, ist der bayerische Ministerpräsident, der Herr Stoiber. Er macht es lieber weiterhin im
Versteckten, im Geheimen. Er möchte nicht so gerne offen legen.
({1})
Das finden wir sehr schade.
Wir haben uns in der Fraktion in der Abwägung der
Güter durchaus sehr schwer getan. Es geht hier nämlich
auch um die Veröffentlichung von schützenswerten
Informationen über Personen, um Eingriffe in die Privatsphäre, um Datenschutz, um Steuergeheimnisse und
Ähnliches. Man sollte das also nicht auf die leichte
Schulter nehmen.
Man muss aber auch zur Kenntnis nehmen, dass sich
die öffentliche Debatte hier in den letzten Jahren hin zu
mehr Transparenz verschoben hat. Die Bürger verlangen
von uns Politikern, von den Verwaltungen und Regierungen mehr Transparenz im Handeln. Es gibt an dieser
Stelle eine Neugewichtung der Werte. Ich finde es sehr
wichtig, dass wir das hier ebenfalls klar machen und
dass deutlich wird, dass wir das nicht auf die leichte
Schulter nehmen und etwas Schützenswertes wie die Privatsphäre Einzelner leichthin aufgeben wollen.
Ich möchte aber, da hier sehr viel über die Veröffentlichung von Geldern und Subventionen gesprochen worden ist, an dieser Stelle auch Folgendes sagen. Das ist
ein wichtiges Thema und ein wichtiger Teil dieser Transparenzinitiative; aber es ist eben nur ein Teil. Wichtig ist,
dass in diesem Zusammenhang endlich auch andere Fragen geklärt werden, zum Beispiel welcher Rechnungshof eigentlich für die Prüfung der Aushändigung dieser
Gelder zuständig ist. Macht das der Landesrechnungshof, weil die Landesverwaltungen die Gelder auszahlen,
ist der Bundesrechnungshof zuständig oder etwa der Europäische Rechnungshof? Ich denke, es ist höchste Zeit,
dass endlich klar wird, welcher Rechnungshof zuständig
ist. Auch diese Gelder müssen der Kontrolle der Rechnungshöfe unterliegen, und zwar einer strengen Kontrolle; denn nur wenn streng kontrolliert wird, können
wir dem Misstrauen der Bürger entgegenwirken.
({2})
Meine Damen und Herren, es geht auch um eine
ganze Reihe von anderen Punkten, die ich gerne hier ansprechen möchte; es geht eben nicht nur ums Geld. Die
Europäische Kommission spricht in ihrem Grünbuch im
Zusammenhang mit der Transparenzinitiative explizit
an, dass es um berufsethische Regeln und Standards für
Inhaber politischer Ämter geht. Selbstverständlich gibt
es solche Standards schon. Aber es ist richtig und unterstützenswert, wenn die Kommission hier die Initiative
ergreift, diese Standards und Regeln immer wieder zu
überprüfen und eine neue öffentliche Debatte darüber zu
führen. Es ist wichtig, dass die Bevölkerung sieht, dass
unsere Mandatsträger in Europa transparent in ihrem
Verhalten sind und ihre Vermögensverhältnisse veröffentlichen. Da sind sie an vielen Stellen sogar transparenter als wir Bundestagsabgeordnete. Ich finde, auch
das muss unterstützt werden.
Das Gleiche gilt für die Lockerung des Umgangs mit
internen Dokumenten. Es ist für die Bürger - auch für
uns Politiker - wichtig, dass nachvollzogen werden
kann: Wie verlaufen die politischen Prozesse innerhalb
der EU? Wann wird was entschieden? Wo kann man auf
die Dokumente zugreifen? Wir wollen, dass auf solche
Dokumente schneller zugegriffen werden kann. Das
würden wir uns übrigens auch für den Bundestag wünschen.
Einen weiteren Punkt finde ich außerordentlich wichtig - er gibt immer wieder Anlass für Vorurteile gegenüber dem, was in Brüssel passiert -: eine klare Regelung
des Umgangs mit Lobbyorganisationen. Einerseits
brauchen wir die Zivilgesellschaft. Wir wollen, dass sie
auf die Politik Einfluss nimmt. Wir brauchen das Knowhow der Zivilgesellschaft, seien es Menschenrechtsorganisationen, Umweltorganisationen, ein berufsständischer
Verband, sei es eine Industrieorganisation. Wir Politiker
sind also auf den Know-how-Input aus diesen Lobbyorganisationen angewiesen.
Andererseits dürfen wir uns natürlich nicht zu Opfern
der Lobbyorganisationen machen. Deswegen ist es so
wichtig, dass jegliche Einflussnahmen im Sinne der
Transparenz offen gelegt werden. Ich finde es sehr lobenswert, dass die Europäische Kommission an dieser
Stelle ansetzt und in Zukunft mehr Transparenz gewährleisten möchte.
({3})
Lassen Sie mich zum Schluss noch eines ansprechen:
Der Rechtsrahmen für das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung, OLAF, soll neu gesetzt werden. Wir können ausdrücklich sagen: Es ist sehr begrüßenswert, wenn
bei OLAF Fortschritte gemacht werden. OLAF muss
mehr Kompetenzen erhalten. Wir brauchen auf europäischer Ebene eine vernünftige Betrugsbekämpfung, damit
möglichen Vorfällen nachgegangen werden kann und
nicht immer nur dumm rumgequatscht wird.
Aber es ist so, wie ich am Anfang sagte: Die Transparenzinitiative ist nur ein kleiner Schritt, um die Akzeptanz der EU bei den Bürgern zu stärken.
({4})
Wir brauchen innerhalb der EU auch in Zukunft Erfolge.
Ohne Erfolge wird es in der EU keine weitere Erhöhung
der Transparenz geben. Wir Politiker müssen immer
wieder betonen - das sage ich, da in der Debatte, die wir
vorhin geführt haben, vom Lissabonprozess die Rede
war -: Die Osterweiterung ist für Deutschland ein solcher Erfolg. Sie hat zu mehr Arbeitsplätzen und zu höherem Wachstum geführt. Das müssen wir den Menschen
immer wieder sagen.
Auch in unserer Außenpolitik müssen wir erfolgreich
sein. Zu guter Letzt brauchen wir Erfolge in der Wirtschaftspolitik, die hier gemacht wird. Diese Erfolge
brauchen wir, damit Europa wieder mehr Akzeptanz gewinnt.
Vielen Dank.
({5})
Nächster Redner ist der Kollege Michael Roth, SPDFraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Transparenz schafft Vertrauen. Wir alle kennen die Vorwürfe gegenüber der Europäischen Union, dort werde
viel Geld verbraten und die Bürgerinnen und Bürger profitierten davon nicht. Die SPD-Fraktion unterstützt daher
die Initiative der EU-Kommission, offen zu legen, wer in
welchem Umfang wofür Mittel der Europäischen Union
erhält. Die Bürgerinnen und Bürger profitieren nämlich
von der Europäischen Union. Es liegt an uns, dies immer
wieder öffentlich zu sagen. Allerdings müssen wir auch
über die notwendigen Instrmente verfügen, um die Bürgerinnen und Bürger zu informieren.
({0})
Wir alle kennen aus unseren Wahlkreisen eine ganze
Reihe von Projekten, mit denen die Europäische Union
viel Gutes tut: Qualifizierungsmaßnahmen für Jugendliche, Ausweisung von Gewerbegebieten, Förderung von
Projekten im naturnahen Tourismus usw. - viele Projekte,
auf die wir stolz sein können! Das Problem ist, dass überwiegend noch nicht einmal wir Bundestagsabgeordnete
Michael Roth ({1})
wissen, wohin das Geld der EU überhaupt fließt. Deswegen ist die Transparenzinitiative gut.
({2})
Auch in dieser Debatte ist es bereits erwähnt worden:
75 Prozent der Mittel, die die Europäische Union zur
Verfügung stellt, werden gar nicht von Brüssel aus an die
entsprechenden Instanzen weitergeleitet, sondern von
den nationalen bzw. regionalen Ebenen verwaltet. Für
die Regional- und Strukturpolitik sind in Deutschland
die Länder zuständig. Ich habe manchmal den Eindruck,
dass zum Beispiel der hessische, der bayerische oder der
baden-württembergische Wirtschaftsminister, wenn sie
ein rotes Band durchschneiden, nur ungern erklären,
dass dafür in großem Umfang EU-Mittel zur Verfügung
gestellt wurden.
({3})
Deswegen muss deutlich gemacht werden: Die Europäische Union ist an vielen Projekten beteiligt und viele segensreiche Maßnahmen kämen ohne die Mittel aus Brüssel nicht zustande.
({4})
Die Offenlegung, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist
von unserer Warte aus längst überfällig. Ich würde gerne
auf einige Punkte, die in den vergangenen Wochen und
Monaten immer wieder kritisch angemerkt worden sind,
eingehen; lassen Sie uns einfach einmal darüber reden.
Erstens. Ein wesentlicher Vorwurf, der erhoben worden ist, lautet: Bürokratieaufwand. Doch alle fraglichen
Daten liegen bereits vor, weil sie sowieso nach Brüssel
weitergemeldet werden müssen. Es stellt aus meiner
Sicht keinen immensen Bürokratieaufwand dar, wenn
diese Daten darüber hinaus veröffentlicht werden, beispielsweise über das Internet.
Zweitens. Der Vorwurf lautet, Geschäftsgeheimnisse
würden gefährdet. Unabhängig von der Transparenzinitiative gilt weiterhin der strenge deutsche Datenschutz.
Deswegen haben wir genügend Möglichkeiten, dafür zu
sorgen, dass Geschäftsgeheimnisse von Betrieben und
Unternehmen nicht gefährdet, nicht ausgeplaudert werden.
Drittens. Es gibt Bedenken seitens der Wirtschaft. Ich
verstehe das nicht: Ist es denn unanständig, wenn der
Staat Fördermittel zur Verfügung stellt? Unanständig
wäre das aus meiner Sicht nur dann, wenn diejenigen,
die in Sonntagsreden auf den Tagungen von Wirtschaftsverbänden immer wieder fordern, der Staat müsse
schlank sein, er müsse sich aus der Wirtschaft heraushalten, am Montag beide Hände offen halten und staatliche
Subventionen einstreichen. Das fände ich unanständig.
({5})
Kommen wir zur Landwirtschaft. Die Gemeinsame
Agrarpolitik ist eine ganz wichtige Säule; die Kollegin
Heinen sprach dankenswerterweise schon darüber. Ich
meine aber, unsere Landwirte brauchen keine Angst vor
Transparenz zu haben.
({6})
Denn profitieren wirklich nur die britische Königin oder
multinational agierende Nahrungsmittelkonzerne von
entsprechenden EU-Mitteln? Ist es nicht vielmehr so,
dass auch unsere kleinen, mittelständischen, familiengeführten Betriebe in Deutschland davon profitieren? Sie
müssen sich dafür auch nicht schämen. Ganz im Gegenteil: Falls es in der Verteilung der Mittel für die Landwirtschaftspolitik ein Problem gibt, könnte der Reformmotor in Schwung gebracht werden, weil deutlich wird,
dass Mittel aus der Gemeinsamen Agrarpolitik an die
Falschen fließen. Durch Transparenz könnte eine Diskussion hierüber initiiert werden, die ich begrüßenswert
fände.
({7})
Transparenz schafft darüber hinaus Fairness zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union.
Zwischenzeitlich gibt es elf Mitgliedstaaten, die - über
ganz verschiedene Wege - Transparenz ermöglicht haben; meistens ist das ausgegangen von privaten Initiativen. Einheitliche, allen gemeinsame Bedingungen gibt
es nicht. Deswegen ist es nur gut, dass die Transparenzinitiative ein gemeinsames Fundament schafft, sodass in
allen 25 - perspektivisch: 27 - Mitgliedstaaten die Regeln vereinheitlicht werden und offen gelegt wird, unter
welchen Bedingungen zum Beispiel die Agrarwirtschaft
Mittel von der EU erhält.
Ich bedanke mich ganz herzlich bei der Bundesregierung. Es hat zwar ein wenig gedauert, aber gut Ding will
Weile haben. Nun gibt es eine einvernehmliche Position
der Bundesregierung.
({8})
Hierzu haben viele ihren Beitrag geleistet. Ich würde
mich darüber freuen, wenn die Bundesregierung jetzt
auch in den Gremien der Europäischen Union mit
Schwung, mit Elan und mit entsprechender Sorgfalt dafür sorgen würde, dass die Transparenzinitiative mit Leben erfüllt wird.
Zum Schluss eine kleine Bemerkung an die Kollegin
Wolf, die versucht hat, die Europapolitik der Bundesregierung zu kritisieren. Die Europapolitik dieser Bundesregierung unter der Führung von Bundeskanzlerin Merkel
steht in der Kontinuität der Europapolitik der vorangegangenen Bundesregierung. Wenn Sie die Regierung dafür kritisieren, dass sie Nein sagt zu einem Aufschnüren
der europäischen Verfassung, dass sie Nein sagt zu einer
selektiven Öffnung im Bereich der Justiz- und Innenpolitik, dem Übergang vom Prinzip der Einstimmigkeit
zum Mehrheitsprinzip, kann ich nur sagen: Die Bundesregierung hat Recht, Joschka Fischer hätte das genauso
gemacht. Wir wollen die Verfassung als Ganzes. Deswegen sollte man hier nicht Äpfel mit Birnen vergleichen,
Frau Kollegin Wolf.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({9})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Hakki Keskin,
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Die Transparenz ist seit langem ein unverzichtbares Erfordernis in demokratischen Gesellschaften. Die
Bürger verlangen Transparenz vor allem über die öffentlich verwalteten Gelder; denn das sind die Steuern der
EU-Bürger. Daher haben sie ein Recht, zu erfahren, ob
ihre Gelder rechtmäßig, sachgerecht, sorgfältig und effizient vergeben und verwaltet werden. Die Unionsbürger
wollen zu Recht wissen, wer wie viel Geld und wofür
von der Gemeinschaft erhält. Sie wollen wissen, welche
Rolle die Lobbys spielen. Sie wollen außerdem erfahren,
welche berufsethischen Regeln und welcher gemeinsame Verhaltenskodex für die Führungskräfte der europäischen Institutionen gelten. Es geht also um die Offenlegung von Informationen über die Verwaltung,
Verwendung und Empfänger von EU-Geldern.
Ich meine in Übereinstimmung mit allen Vorrednern,
dass Transparenz Vertrauen schafft. Das haben wir auch
bitter nötig in Europa. Daher entspricht die Transparenzinitiative der Europäischen Kommission voll und ganz
den Erwartungen und dem Verlangen der EU-Bürger. Sie
wollen beispielsweise wissen, weshalb die schweizerische Firma Nestlé im Jahre 2004 für britische Agrarprodukte 21 Millionen Pfund erhalten hat. Sie wollen auch
wissen, ob es gerechtfertigt ist, dass das britische
Königshaus rund 1 Million Pfund an Agrarsubventionen
erhält.
Sehr geehrte Damen und Herren, wie wichtig ein
Höchstmaß an Transparenz ist, zeigt die Tatsache, dass
nach wie vor Milliarden an EU-Geldern unrechtmäßig
vergeudet werden. Jedes Mal, wenn das Schlagzeilen
macht, verlieren die Institutionen der EU an Glaubwürdigkeit. Gerade deshalb ist es nicht nachvollziehbar
- unser Herr Minister ist nicht da -,
({0})
dass Bundesminister Glos die Transparenzinitiative der
EU-Kommission nur eingeschränkt umsetzen will. Herr
Glos will nämlich, dass nur Fördersummen oberhalb von
2 Millionen Euro offen gelegt werden sollen.
({1})
- Das steht in den Medien.
({2})
- Dann soll er das klarstellen. - Dies stellt einen höchst
bemerkenswerten Sinneswandel des Ministers dar; denn
als Abgeordneter hatte er sich stets für mehr Transparenz
und auch für mehr Bürgernähe ausgesprochen.
Es ist außerdem bedenklich, dass ausgerechnet die
Bundesrepublik Deutschland zu der Minderheit der EUStaaten zählt, die sich gegen eine Offenlegung des Verbleibs von Fördermitteln sperrt. Wie ich jedoch heute der
Presse entnehme, will die Bundesregierung ihren Widerstand gegen mehr Transparenz nunmehr aufgeben. Ich
möchte dies vom Herrn Minister gerne bestätigt wissen.
Die Grünen und die FDP bewegen sich mit ihren Anträgen lediglich im Rahmen der Transparenzinitiative
der Kommission. Die Fraktion Die Linke vertritt jedoch
die Auffassung, dass die Transparenzinitiative deutlich
ausgeweitet werden muss. Deshalb fordern wir mehr
Transparenz in der Steuer- und Finanzpolitik sowie bei
den Großkonzernen. Es muss öffentlich klar nachvollziehbar sein, wo und in welcher Höhe beispielsweise
Großkonzerne ihre Milliardengewinne erwirtschaften
und versteuern. Außerdem muss die Umsetzung der
Transparenzinitiative mithilfe von Sanktionen, also einer
Art Kontrolle, gewährleistet sein.
Ich komme zum Schluss. Wie wir alle wissen, hat die
EU zurzeit erhebliche Probleme, von den Bürgerinnen
und Bürgern akzeptiert zu werden. Die von uns geforderte Transparenzpolitik auf allen Entscheidungsebenen
würde diesem Misstrauen entgegenwirken.
Ich danke Ihnen.
({3})
Das Wort hat die Kollegin Marlene Mortler, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Europa ist nicht das Problem, Europa ist die Chance - so bringt es Emilia Müller, die bayerische Ministerin für Bundes- und Europaangelegenheiten, immer wieder auf den Punkt. Ich teile diese Einschätzung. Ich sage aber auch ganz klar: Europa darf nicht
übertreiben. Europa muss hart und ständig daran arbeiten,
seine Akzeptanz - das haben wir heute schon mehrfach
gehört - und seine Glaubwürdigkeit zu erhöhen.
Ich erinnere zum Beispiel an das Abstimmungsverhalten der Bürgerinnen und Bürger in Frankreich beim
EU-Referendum. Ich erinnere auch an unsere Vereinbarung, die wir nächste Woche parteiübergreifend beschließen wollen, nach dem Motto: Wir machen uns fit
für Europa. Wir wollen künftig früher und ausführlicher
darüber informiert werden, was die Kommission plant.
Dabei wollen wir ihr auch auf die Finger klopfen und,
wenn es sein muss, auch einmal auf die Finger schlagen
können.
({0})
Ich sage ganz deutlich und bewusst: Wer Transparenz
fordert, muss bei sich anfangen.
({1})
Viel zu wenige wissen, auf welchen Irrwegen und Abwegen bestimmte Ziele auf EU-Ebene verfolgt werden.
Die Frage ist auch: Wer steckt dahinter? Viel zu wenige
wissen, welche Macht inzwischen die NGOs, die Nichtregierungsorganisationen, in der Kommission haben.
Eine bestimmte Vorgehensweise - das beobachte ich
sehr aufmerksam - hat inzwischen System: Wenn man
etwas durchsetzen will, wird zunächst der Verbraucher
vorgeschoben mit der Begründung, dass er es so wolle.
Vor dem Hintergrund einer Pressemitteilung meiner
Kollegen Ulla Heinen und Peter Bleser vom August dieses Jahres fragt man sich: Was will die Kommission eigentlich? Ulla Heinen und Peter Bleser schreiben:
Sollte die EU-Kommission ihr Vorhaben in die Tat
umsetzen, die festen Verpackungsgrößen bei vielen
Artikeln des täglichen Bedarfes abzuschaffen, bedeutet dies eine deutliche Schwächung der Wettbewerbsstellung des Verbrauchers.
({2})
Die Preistransparenz wird erschwert
- das ist logisch -,
Täuschungen durch häufige Änderungen der Packungsgrößen werden erleichtert.
Wenn wir die Transparenzinitiative zurückverfolgen,
dann müssen wir auch zur Kenntnis nehmen, dass sich
im Rahmen des so genannten Konsultationsverfahrens
EU-weit lediglich 16 Bürgerinnen und Bürger beteiligt
haben. Diese Zahl ist äußerst gering angesichts von
455 Millionen Menschen, die theoretisch die Möglichkeit dazu gehabt hätten.
({3})
- Das Konsultationsverfahren ist am 31. August abgelaufen, lieber Herr Kollege.
({4})
Die Kommission hat es sehr offensiv kommuniziert.
Trotzdem war die Beteiligung nicht stärker.
Worum geht es den Grünen in ihrem Antrag? Sind sie
einfach auf den EU-Zug aufgesprungen oder haben sie
ihn sogar ganz bewusst in Gang gesetzt? Ich meine, Sie
planen gezielt einen Anschlag auf die erste Säule der gemeinsamen Agrarpolitik.
({5})
Aber nicht mit uns! Unsere Kanzlerin Dr. Merkel hat
eindeutig festgestellt, dass die erste Säule für unsere
Bäuerinnen und Bauern in Europa verlässlich bleiben
muss.
({6})
Das ist auch so im Koalitionsvertrag festgeschrieben.
Damit Sie mich richtig verstehen: Ich bin durchaus
für Transparenz, aber sie muss für alle gelten.
({7})
Dann müssen alle die Hosen herunterlassen: vom Landwirt über die Unternehmer bis hin zu den angesprochenen NGOs. Vielleicht sollte die Kommission mit gutem
Beispiel vorangehen und selber sagen, was jeder Kommissar verdient. Das Ganze kann man auch auf die Kabinettsmitglieder beziehen.
({8})
- Es muss noch deutlicher werden.
({9})
Gegebenenfalls müssen sogar alle staatlichen Beihilfen offen gelegt werden, nicht nur auf europäischer
Ebene, sondern auch im Bund und in den Bundesländern. Ich will kein Zerrbild; darin sind wir uns sicherlich
alle einig. Wir wollen echte Transparenz und echte Vergleiche. Wenn wir den Blick nur auf Europa und auf die
Landwirtschaft richten, dann passiert genau das, was Sie
mit Ihrem Antrag erreichen wollen, nämlich dass wieder
einmal die Landwirte madig gemacht werden und die
Zahlungen im Rahmen der ersten Säule infrage gestellt
werden. Diese Gelder haben aber einen anderen Ursprung. Wer die Geschichte kennt, weiß das. Sie sind ein
Teilausgleich für politisch gewollte Preiskürzungen.
Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist zwar schon überschritten. Gestatten Sie dennoch eine Zwischenfrage des
Kollegen Trittin?
Selbstverständlich, Herr Trittin.
Frau Präsidentin! Liebe Frau Kollegin Mortler, ich
möchte Sie fragen: Ist es nicht auch und gerade im Interesse der Familienbetriebe bzw. der kleinen Landwirte,
die zum Beispiel die Region Franken charakterisieren,
nicht immer mit den großen, teilweise geradezu industriell produzierenden landwirtschaftlichen Betrieben und
den Zuwendungen, die beispielsweise an große Nahrungsmittelkonzerne gehen, in einen Topf geworfen zu
werden, wenn über Subventionsabbau gesprochen wird?
Nützt nicht vielleicht die Transparenz, die wir hier gemeinsam einklagen, den Landwirten in der Legitimation
ihrer Tätigkeit, die wir doch alle wollen?
Der Verbraucher entscheidet nicht zwischen Klein
und Groß. Er urteilt über die Landwirtschaft, wie sie sich
in Ihrem Antrag darstellt.
So, wie es kleine Menschen wie mich und große Menschen wie Sie gibt,
({0})
soll es auch kleine und große Betriebe geben. Wie in der
Vergangenheit, als es um ökologische und konventionelle Landwirtschaft ging, sagen wir von der Union auch
jetzt ganz deutlich: Wir brauchen alle. Wir wollen keine
Gleichmacherei.
({1})
Professor Dr. Radermacher, Mitglied des Club of
Rome, hat es kürzlich auf den Punkt gebracht: Ich bin
dankbar für jeden Bauern um die Ecke, der nicht nur die
Umwelt pflegt, sondern auch Nahrungsmittel erzeugt.
Leider denken wir oft nur in Krisensituationen darüber
nach. - Wir brauchen unsere Landwirte. Die Landwirte
haben nichts zu verbergen. Deshalb bin ich persönlich
absolut gegen die Einführung von Schwellenwerten.
Ich bin dafür, dass die Diskussion über Schwellenwerte der Vergangenheit angehört. Vor allem bin ich dafür - das war der zweite Streitpunkt -, dass nicht die
Mitgliedstaaten, sondern die Kommission selbst die Daten veröffentlicht.
Zum Schluss appelliere ich an die Bundesregierung:
Fordern Sie die EU-Kommission auf, die Spielregeln in
diesem Zusammenhang so zu gestalten, dass kein Datendschungel produziert wird, der in einen Datenfriedhof
mündet. Bereiten Sie die Daten auf allen Ebenen, also
ressortübergreifend, so auf, dass sie zu einem echten Informationsgewinn für die Menschen in unserem Land
führen.
Ich danke Ihnen.
({2})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Garrelt Duin, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Die „Zeit“ hat Ende August für einen Artikel über die Transparenzinitiative die Überschrift gewählt: „Der Bürger soll dumm bleiben“. Diese Überschrift wurde durch Diskussionen in Deutschland
ausgelöst, die auch ich - das sage ich ganz ausdrücklich für sehr unglücklich gehalten habe. Ich bin froh, dass wir
hier jetzt in den Koalitionsfraktionen und in der Bundesregierung einen Schritt weiter sind. Eine solche Überschrift wird, wenn wir zur endgültigen Beschlussfassung
kommen, nicht mehr gerechtfertigt sein. Wir werden
dem dort formulierten Vorurteil entgegentreten, indem
wir verdeutlichen: Wir stehen hinter der Transparenzinitiative, so wie sie vorgelegt wurde.
({0})
Nicht alle Äußerungen der letzten Wochen waren hilfreich. Ich möchte eine Äußerung aus der Stellungnahme
des Bundesrates explizit hervorheben. Dort heißt es, bei
der Umsetzung der gemeinsamen Agrarpolitik sei „bereits
heute eine prinzipiell hinreichende Transparenz gewährleistet“. Dem will ich ausdrücklich widersprechen. Wenn
man die Bürgerinnen und Bürger Deutschlands fragen
würde, ob sie den Eindruck hätten, dass in der gemeinsamen Agrarpolitik alles, was sie wissen wollten, offen gelegt werde, dann würden sie wohl zu anderen Antworten
als jener aus der Stellungnahme des Bundesrates kommen.
({1})
Selbst der Bauernverband - den kennen Sie, Herr
Goldmann, gut - war da offener als der Bundesrat.
Es ist heute mehrfach angesprochen worden, dass
Prinz Charles in der Liste der Subventionsempfänger
auftaucht. Wenn ich richtig informiert bin, hat er auch
viel Geld in den ökologischen Landbau investiert.
({2})
Deshalb erhält er von einigen hier Zustimmung. Soweit
ich informiert bin, können wir davon ausgehen, dass das
deutsche Staatsoberhaupt in solch einer Liste nicht auftauchen würde.
({3})
Es ist völlig in Ordnung, dass darüber diskutiert wird,
wer das Geld bekommt und in welcher Höhe, wer die
Empfänger der europäischen Subventionen und Beihilfen sind.
Es war eine politische Entscheidung - unabhängig davon, ob sie im Bundestag, im Europäischen Parlament
oder in den Landtagen getroffen wurde -, diese Mittel
einzusetzen.
({4})
Man sollte also, wenn die Mittel irgendwo ankommen,
nicht so tun, als habe man das nicht gewollt, und diese
Entscheidung damit verleumden. Ich finde, wir können
sehr offen mit diesem Thema umgehen und deutlich benennen: Es ist richtig, dass die Empfänger das Geld erhalten.
({5})
Wenn in bestimmten Fällen deutlich wird, dass Mittel
nicht korrekt eingesetzt wurden, wenn ein Projekt gescheitert ist oder ein Empfänger nicht ordentlich mit den
Mitteln umgegangen ist, dann sind wir aufgefordert,
entweder den Sinn der Unterstützung zu erläutern oder
das entsprechende Programm zu streichen und zu sagen:
Das war nicht in Ordnung; daraus ziehen wir Konsequenzen. Auch hier haben wir überhaupt keinen Anlass,
uns in irgendeiner Weise zu verstecken.
Liebe Kollegin Mortler, wenn Transparenz dazu führt,
dass es zu einer intensiven Diskussion über die Zukunft
der gemeinsamen Agrarpolitik in Europa kommt, ist
das kein Nachteil; denn ich habe nicht das Gefühl, dass
hier der Stein der Weisen schon gefunden wurde.
({6})
Kein Empfänger muss Angst haben. Wir, die wir in
Deutschland in der Politik die Mittel auf den verschiedenen Ebenen dorthin leiten, wo wir es für richtig halten,
werden lediglich stärker gezwungen, Dinge einmal zu
erklären. Es kann durchaus sein, dass ein Unternehmen,
das schon gut dasteht, eine höhere Beihilfe bekommt,
dass wir aber eine gute Erklärung dafür haben. Warum
sollen die Bürgerinnen und Bürger dann nicht einen Anspruch darauf haben, dass wir ihnen diese Erklärung geben? Die Bundesländer sind - das halte ich für einen
sehr wichtigen Punkt - in diesen Prozess einzubeziehen.
Das ist nicht nur eine Aufgabe des Bundes; denn viele
Mittel, die aus Europa kommen, werden von den Bundesländern an die Regionen und die Empfänger verteilt.
Deswegen ist es wichtig, die Bundesländer rechtzeitig
und intensiv einzubeziehen, damit dort alle notwendigen
Informationen erfasst werden können.
Wir, die Koalitionsfraktionen, werden einen eigenen
Antrag zu diesem Thema vorlegen, der auf der Grundlage dessen, was Herr Roth und andere sowie ich gerade
gesagt haben, im Kern sieben Punkte umfasst. Wir dürfen die Transparenzinitiative nicht nur nicht verhindern,
sondern müssen sie aktiv einfordern. Des Weiteren müssen die Bundesländer einbezogen werden. Bei der Offenlegung müssen wir darauf hinwirken, dass die Förderwirkung erfasst wird. Das wird zwar nicht unbedingt in
jedem Einzelfall gelingen. Aber warum soll es nicht
möglich sein, auf der entsprechenden Homepage einen
Link zu einem bestimmten Projekt zu installieren, damit
man sehen kann, ob eine Evaluierung stattgefunden hat
und, wenn ja, ob das Projekt erfolgreich war oder nicht?
Das ist technisch gar kein Problem und dient sicherlich
der Befriedigung des Informationsinteresses derjenigen,
die sich um diese Dinge kümmern. Es muss zudem benutzerfreundlich sein. Nicht die verwaltende Instanz,
sondern die tatsächlichen Nutznießer müssen genannt
werden. Die direkten und die indirekten Empfänger von
EU-Geldern, also diejenigen, die Mittel von Bund oder
Ländern bekommen, müssen gleich behandelt werden.
Das Stichwort „Gleichbehandlung“ wurde in diesem Zusammenhang schon genannt. Last, but not least sprechen
wir uns - auch wenn es hier Irritationen gegeben hat sehr eindeutig gegen die so genannten Schwellenwerte
aus. Diese haben in diesem Zusammenhang keine sinnvolle Bedeutung.
Ich möchte noch kurz auf den Kollegen Löning eingehen. Er hat darauf hingewiesen, dass es bei der Transparenzinitiative nicht nur um die Veröffentlichung von Beihilfen und EU-Mitteln geht, sondern dass diese Initiative
auch einen strukturierten Rahmen für die Lobbyarbeit
und ein Feedback im Hinblick auf die Einhaltung der
Konsultationsstandards enthält. Frau Kollegin Mortler
hat darauf hingewiesen, dass sich bislang nur sehr wenige Bürgerinnen und Bürger an den Konsultationen
beteiligt haben. Ich finde, das ist erst recht ein Ansporn,
dieses Instrument weiter auszubauen, damit sich in Zukunft mehr Bürgerinnen und Bürger an den Konsultationen, die ich für ein wichtiges Instrument der Politik
der Europäischen Union halte, beteiligen.
Die Transparenzinitiative löst sicherlich nicht alle
Probleme der Europäischen Union, die bei den Referenden im Mittelpunkt gestanden haben. Aber sie ist ein
wichtiger Schritt auf dem Weg zu mehr Offenheit und
Transparenz in der Europäischen Union. Deswegen werden wir diese Initiative nach Kräften unterstützen.
Vielen Dank.
({7})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/2517 und 16/2203 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:
Beratung des Berichts des Petitionsausschusses
({0})
Bitten und Beschwerden an den Deutschen
Bundestag
Die Tätigkeit des Petitionsausschusses des
Deutschen Bundestages im Jahr 2005
- Drucksache 16/2500 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Vorsitzende des Petitionsausschusses, Kersten Naumann.
({1})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen
vom Ausschussdienst! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Seit nunmehr 57 Jahren ist der Petitionsausschuss die zentrale Einrichtung unseres Parlaments für
die Behandlung aller an den Deutschen Bundestag gerichteten Petitionen, Bitten und Beschwerden. Das
Jahr 2005 war in diesen 57 Jahren mit 22 144 Eingaben
ein Rekordjahr. Diese Zahl der Neueingänge wurde bisher nur ein einziges Mal, im Jahr 1992, übertroffen.
Was signalisiert uns diese anhaltend hohe und steigende Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an dieser
Form der direkten Demokratie? Erstens. Das Bild vom
Petitionsausschuss als dem „Seismografen der Nation“
wird bekräftigt und der Ausschuss funktioniert. Zweitens.
Das Vertrauen in unser Parlament und in den Petitionsausschuss als letzte Instanz, etwas über den politischen
Weg ändern zu wollen, besteht bei der Bevölkerung.
Drittens. Es gibt für die Bürgerinnen und Bürger genügend ungelöste oder unzureichend gelöste Probleme, die
der Erledigung harren.
Wie weit der Bogen der uns erreichenden Eingaben
gespannt ist, zeigen die Einzelfälle, die wir im schriftlichen Bericht veröffentlicht haben. Der Bericht gibt nicht
nur Auskunft über positiv erledigte Einzelfälle wie beim
Unterhaltsrecht, bei Visaerteilungen, beim Erhalt von
Postagenturen und vielem mehr. Die meisten Schicksale
sind unbenannt in Zahlen zusammengefasst. Ein deutlicher Schwerpunkt, wie bisher jedes Jahr anhaltend hoch
und konstant, liegt im Bereich des Bundesministeriums
für Gesundheit und Soziale Sicherung mit allein fast
8 000 Petitionen. Das ist fast ein Drittel aller neu zugegangenen Petitionen. Kein Wunder, denn die soziale Sicherung und die Gesundheit sind das A und O im Leben
eines jeden Menschen.
Dazu ein Beispiel: Ein Problem, das immer mehr
Menschen bedrückt, ist der Verlust des Krankenversicherungsschutzes. Insgesamt dürften zwischenzeitlich
ungefähr 300 000 Menschen davon betroffen sein. An
den Petitionsausschuss wurde daher häufig das Anliegen
herangetragen, für einen bezahlbaren Krankenversicherungsschutz zu sorgen. Aber bei der bestehenden
Rechtslage kann in der Regel nicht weitergeholfen werden. Deshalb sieht der Petitionsausschuss hier dringenden Reformbedarf und hat dem Bundesministerium für
Gesundheit und den Fraktionen zahlreiche Petitionen als
Material zur Kenntnis übergeben. Damit liegt die Initiative hier im Parlament bei den Fraktionen. Wir hoffen,
dass sie davon Gebrauch machen.
Auch bei anderen Sachgebieten ist ein deutlicher Zuwachs zu verzeichnen. Dieser betrifft unter anderem das
Staats- und Verfassungsrecht. Mehr als 1 000 Petitionen
sind hier im Vergleich zum Vorjahr hinzugekommen.
Rund 3 700 Petitionen gingen allein an das Bundesministerium des Innern; das ist mehr als doppelt so viel wie
2004. Änderungen bei der Visaerteilung, im Ausländer-,
Aufenthalts-, Integrations- und Asylverfahrensgesetz haben hier ihre Auswirkungen gezeigt.
Die Anzahl der Petitionen im Bereich des Arbeitsrechts, der Arbeitsvermittlung, der Sozialversicherung
und der Kinderbeihilfen ist anhaltend hoch und stieg,
was die Neueingänge betrifft, ebenfalls. Ich denke, das
sollte dem Parlament und den Fraktionen zu denken geben; denn jede Petition muss für uns Abgeordnete eine
hilfreiche Kontrollanregung gegenüber der Regierung
sein.
Zunehmend nutzen die Bürgerinnen und Bürger das
Petitionsrecht also auch, um das Parlament auf Lücken
und Härten in der Gesetzgebung oder auf Missstände im
Verwaltungshandeln hinzuweisen. Das wird ganz besonders bei so genannten Massenpetitionen, in denen viele
Menschen gemeinschaftlich ein Anliegen vorbringen,
bzw. in Sammelpetitionen, bei denen die Eingaben mit
Unterschriftenlisten versehen sind, deutlich. Über
450 000 Menschen haben sich im Berichtsjahr einzeln
oder in Gemeinschaft an den Petitionsausschuss gewandt. Das ist wahrlich eine beeindruckende Zahl von
Rückmeldungen aus der Bevölkerung. Je mehr Rückmeldungen wir bekommen, desto besser sind unsere
Möglichkeiten, Schwachstellen zu erkennen. Alle Abgeordneten sollten versuchen, diese abzustellen.
Um in dieser Hinsicht noch näher am Puls der Zeit zu
sein, wurde im letzten Jahr ein entscheidender Schritt
beim Einstieg in das Zeitalter des elektronischen Parlaments gemacht. Da ist zum einen die Möglichkeit, Petitionen per E-Mail durch Nutzung eines Internetformulars einzureichen; etwa 10 Prozent unserer Eingaben
kommen bereits per E-Mail. Zum anderen besteht seit
dem 11. September 2005 in einem auf zwei Jahre angelegten Modellversuch für jeden Interessenten die Möglichkeit, Petitionen öffentlich im Internet mitzuzeichnen
und damit zu unterstützen oder auch zu kommentieren.
Die Anträge für eine solche öffentliche Petition, die von
allgemeinem Interesse sein muss, sind ebenfalls im Internet zu finden.
Der Petitionsausschuss führte somit auch ein Stück
mehr Transparenz in die Bearbeitung von Petitionen ein,
da die Bearbeitungsstände im Internet einsehbar sind.
Der Petitionsausschuss kann - das Einverständnis aller
Fraktionen vorausgesetzt - eine öffentliche Beratung
derartiger Eingaben vorsehen. Noch in diesem Jahr wird
eine erste öffentliche Beratung stattfinden.
Bis heute wurden über 200 Eingaben als öffentliche
Petitionen zugelassen und von insgesamt rund
300 000 Bürgerinnen und Bürgern mitgezeichnet. Weitere 15 000 Kommentare aus der Bevölkerung gaben
wichtige Hinweise zu den einzelnen Themen der veröffentlichten Eingaben. Damit wird der Ausschuss in die
Lage versetzt, noch qualifizierter Empfehlungen gegenüber dem Plenum des Deutschen Bundestages abzugeben.
Ich gehe davon aus, dass uns eine dritte Neuerung, die
auf eine Stärkung von Elementen der direkten Demokratie zielt, noch mehr Erkenntnisse bei der Bearbeitung der
Petitionen bringen wird. Dabei handelt es sich um eine
weitere Änderung der Verfahrensgrundsätze des Petitionsausschusses. Es wurde festgelegt, dass bei Sammeloder Massenpetitionen, die innerhalb von drei Wochen
ein Quorum von 50 000 Unterstützern erreichen, eine
Anhörung des Petenten oder mehrerer Petenten in öffentlicher Ausschusssitzung zu erfolgen hat.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer wissen möchte,
womit wir uns im Bereich der öffentlichen Petitionen beschäftigen, dem kann ich nur den Besuch der Internetseite des Petitionsausschusses empfehlen. Sie werden erkennen, dass die Themenvielfalt überraschend groß ist.
Damit haben sich auch unsere Möglichkeiten verbessert, unseren Auftrag zu erfüllen und unsere Arbeit
transparenter zu machen. Es wäre im Interesse der Sache
sehr wünschenswert, wenn wir aus unserem Modellversuch „öffentliche Petitionen“ eine dauerhafte Einrichtung machen könnten.
({0})
Der Petitionsausschuss konnte im Berichtszeitraum in
der Hälfte aller Fälle den Petenten helfen. In einem Drittel aller abgeschlossenen Fälle ist den Petenten mit einem Rat oder einer Auskunft geholfen worden. In circa
5 Prozent der Fälle hat bereits das Einreichen einer Petition eine veränderte Haltung der Verwaltung bewirkt;
dem Anliegen konnte sofort durch die Behörde entsprochen werden. Bei weiteren 3 Prozent der Fälle hat der
Petitionsausschuss dem Anliegen des Petenten durch ein
entsprechendes Votum Rechnung getragen.
Förmliche Bitten an die Bundesregierung, einem Petitionsbegehren in vollem Umfang zu entsprechen, sind
nur relativ selten ergangen. Im Jahr 2005 wurden sechs
Petitionen von über 16 000 bearbeiteten Petitionen an
die Bundesregierung zur Berücksichtigung überwiesen.
In 39 Fällen wurde die Petition an die Bundesregierung
mit der Maßgabe, nach geeigneten Mitteln und Möglichkeiten der Abhilfe zu suchen, zur Erwägung überwiesen.
Viele Beispiele aus der Praxis bekräftigen, dass die
Arbeit des Petitionsausschusses nicht selten da anfängt,
wo Gerichte und Verwaltungen dem Betroffenen nicht
mehr helfen können. Um nicht missverstanden zu werden: Auch der Petitionsausschuss kann sich nicht über
geltendes Recht hinwegsetzen. Seine Entscheidungen
besitzen Empfehlungs-, nicht Weisungscharakter. Häufig
geht es aber darum, Sachverhalte in einen größeren Zusammenhang zu stellen und teilweise mit Fantasie und
Fingerspitzengefühl andere Lösungswege für den Petenten zu finden, die seinen Vorstellungen zumindest nahe
kommen. Vor allem aber bieten solche Fälle häufig Material für Vorschläge zur Gesetzgebung, weil sie
Schwachstellen bestehender Regelungen aufzeigen.
Nicht von ungefähr wurden in 163 Fällen Petitionen den
Fraktionen zur Kenntnis gegeben.
Das Grundgesetz und das Befugnisgesetz räumen uns
als Petitionsausschuss einige Möglichkeiten der Gestaltung unserer Arbeit ein. Eine Möglichkeit ist zum Beispiel, Ortstermine durchzuführen, um sich ein Bild vom
Sachstand einer Petition zu machen. Davon haben die
Mitglieder des Ausschusses im vergangenen Jahr zweimal Gebrauch gemacht.
Gestatten Sie mir, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, an dieser Stelle eine persönliche Bewertung der
Arbeit des Petitionsausschusses. In Gesprächen mit den
Mitgliedern des Petitionsausschusses habe ich immer
wieder gehört, dass die dort gemachten Erfahrungen für
die Arbeit als Abgeordnete sehr hilfreich sind. Dies zu
betonen ist umso wichtiger, als das Engagement und die
kompetente, engagierte und ideenreiche Arbeit der einzelnen Abgeordneten in einem Ausschuss wie dem Petitionsausschuss oftmals nicht die gebührende Anerkennung in den Fraktionen erhalten. Doch gerade in der
täglichen Arbeit des Petitionsausschusses begreifen sich
die Abgeordneten als Vertreterinnen und Vertreter des
Volkes, können sie doch unmittelbar für die Belange
Einzelner eintreten. Ich würde mir wünschen, dass dies
so bleibt; denn mit andauernd hoher Arbeitslosigkeit, sozialen Verwerfungen sowie globalen und strukturellen
Verflechtungen, wie sie uns nach wie vor in zahlreichen
Eingaben kundgetan werden, wachsen die Herausforderungen. Deshalb sind wir aufgerufen, täglich nach tragfähigen nachhaltigen Lösungen zu suchen.
Werte Kolleginnen und Kollegen, nicht vergessen
möchte ich, einen besonderen Dank an die Mitarbeiter
und Sachbearbeiter des Petitionsausschussdienstes der
Bundestagsverwaltung zu richten.
({1})
Nur mit ihrem unermüdlichen Einsatz und einer stets
kollegialen Zusammenarbeit mit den Ausschussmitgliedern konnte die steigende Zahl der Anfragen, Bitten und
Beschwerden bearbeitet werden - und dies bei gleich
bleibender bzw. zeitweise verminderter Arbeitskapazität.
Ich möchte mich als Vorsitzende aber auch bei den
Ausschusskolleginnen und -kollegen aller Fraktionen
bedanken. Das vergangene Jahr war für mich lehrreich,
spannend und in jeder Hinsicht sehr reich an Erfahrungen. Ich wünsche mir für die kommenden Jahre weiterhin eine bürgernahe Arbeit sowie eine konstruktive und
sachliche Zusammenarbeit im Sinne der Petentinnen und
Petenten und werde dabei die Worte von Mahatma
Gandhi beherzigen, die da lauten:
Die Demokratie muss dem Schwächsten die gleichen Chancen zusichern wie dem Stärksten.
Danke schön.
({2})
Das Wort hat der Kollege Günter Baumann, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Wir beklagen in unserem Land in zunehmendem
Maße niedrige Wahlbeteiligungen, zurückgehendes Engagement vieler Bürger für die Gemeinschaft. Kurz gesagt, wir stellen Politikverdrossenheit fest. Diese hat
verschiedene Ursachen und wir sind alle aufgefordert,
ihr an den verschiedensten Stellen entgegenzuwirken.
Bei der Arbeit des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages stellen wir erfreulicherweise eine
ganz andere Entwicklung fest. Die Zahl der Bürgerinnen
und Bürger, die von ihrem im Grundgesetz verankerten
Recht Gebrauch machen, sich mit Bitten und Beschwerden an den Bundestag zu wenden, nimmt ständig zu. Im
Jahre 2005 - wir haben es gerade gehört -, gab es 22 000
Petitionen. Das ist die zweithöchste Zahl nach 1992. Dafür sehe ich zwei Hauptursachen. Zum einen machen wir
für unsere Tätigkeit in immer stärkerem Maße Werbung, indem wir zum Beispiel auf Messen mit einem
sehr informativen Stand auftreten und für die Bürgerinnen und Bürger als Ansprechpartner zur Verfügung stehen.
Der Anstieg der Zahl der Petitionen hat meines Erachtens aber einen zweiten Grund. Es hat nämlich etwas
damit zu tun, dass Gesetze für den Bürger zum Teil unverständlich sind und dass die Anwendung durch die ZuGünter Baumann
ständigkeit verschiedener Behörden im Land teilweise
Schwierigkeiten hervorruft.
Hinter jeder Petition verbirgt sich ein Mensch mit seinem kleinen oder größeren Problem, der mit seinem Anliegen schon an anderen Stellen gescheitert ist und nun
im Petitionsausschuss seine letzte Hoffnung auf Hilfe
sieht.
Auch in dem Jahr, über das wir heute reden, ist der
Anteil der Bürgerinnen und Bürger aus den neuen Bundesländern an der Gesamtzahl der Petenten prozentual
am höchsten. Gemessen am Bundesdurchschnitt entfallen auf den Osten Deutschlands rund 43 Prozent aller
Petitionen. Das sind 9 500, was gegenüber dem Vorjahr
einen Anstieg um rund 50 Prozent bedeutet.
Es ist ein positives Zeichen, dass sich Menschen über
Petitionen besonders stark in die Politik einbringen. Die
Themen der im Ausschuss behandelten Petitionen sind
ein politischer Seismograf, der auch die regionalen Besonderheiten im wiedervereinten Deutschland widerspiegelt. So stehen zum Beispiel Probleme des Arbeitsmarktes, der sozialen Sicherung oder auch der
Rentenanrechnung in den neuen Bundesländern besonders im Mittelpunkt. Auch Probleme bei der Privatisierung der ehemaligen staatlichen Betriebe sind ein reines
Ostthema.
Ein konkretes Beispiel: So kritisierten mehrere Petenten die in den alten und den neuen Bundesländern unterschiedlich hohe Bemessung des Arbeitslosengeldes II.
In den unterschiedlichen Regelsätzen liege nach ihrer
Ansicht eine nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung. Der Gesetzgeber habe nach Art. 3 des Grundgesetzes wesentlich Gleiches auch im Wesentlichen gleich zu
behandeln. Der Petitionsausschuss folgte dem Argument. Wir haben ein Votum abgegeben und es ist gelungen, zu erreichen, dass seit dem 1. Juli 2006 eine in Ost
und West einheitliche Regelleistung von 345 Euro gewährt wird.
({0})
Auch die unterschiedlichen Rentenbiografien zwischen Ost- und Westdeutschen geben weiterhin Anlass
zu einer Vielzahl von Eingaben. Der Einigungsvertrag
und auch im Nachhinein verabschiedete Gesetze konnten nicht alles regeln.
Mir persönlich ist eine Gruppe von Betroffenen ganz
besonders wichtig. Das sind diejenigen, die überhaupt
keine oder nur geringe Rentenansprüche stellen können,
weil ihnen eine normale Erwerbsbiografie in der DDR
verweigert wurde. Ich meine, den Opfern des SED-Regimes muss endlich für ihren Einsatz für Freiheit und
Demokratie Gerechtigkeit widerfahren; es muss endlich
eine Lösung gefunden werden.
({1})
Dazu hatten wir eine Vielzahl von Petitionen. Ich denke,
wir befinden uns mit dem vorliegenden Koalitionsvertrag auf einem guten Weg, um hier zu einer Klärung zu
kommen.
Nach diesem Problem aus den neuen Bundesländern
noch eine ganz besondere Erfolgsstory, die im letzten
Jahr ihren positiven Abschluss gefunden hat. Sie betrifft
das Postleitzahlenbuch. 1993 gab es die letzte Auflage
des Postleitzahlenbuchs in Deutschland. Zum Ärger vieler Bürger erfolgte durch die Deutsche Post keine Aktualisierung mehr. Das heißt, viele Menschen in unserem
Land, die keinen Computer besitzen, hatten Probleme,
Briefe mit aktuellen Postleitzahlen zu adressieren. Wir
hatten seit 2002 eine Vielzahl von diesbezüglichen Petitionen.
Der Ausschuss entschied sich parteiübergreifend, das
Problem zu lösen, und überwies die Petition der Bundesregierung als Material. Zunächst sah das Wirtschaftsministerium kein allgemein begründetes Interesse und war
auch nicht bereit, tätig zu werden. Der Ausschuss ließ
aber nicht locker. Erst nach einer repräsentativen Befragung von Bundesbürgern, in der sich 90 Prozent dafür
aussprachen, ein neues Buch aufzulegen, konnten wir
eine Wende in diesem Fall erreichen. Im letzten Jahr war
es für meinen Kollegen Hagemann und mich eine besondere Ehre, als wir in einer großen Filiale der Post in Berlin
von einem Post-Vorstandsmitglied das erste Exemplar
des Postleitzahlenbuchs unter sehr starkem Medieninteresse überreicht bekamen. Es handelt sich also um eine
Geschichte, die einen vollen Erfolg hatte. Inzwischen sind
nämlich mehrere Auflagen des Buches, das 6,95 Euro
kostet, schon vergriffen. Es ist also sehr stark nachgefragt. Hiermit hatte der Petitionsausschuss also großen
Erfolg.
({2})
- Ich schreibe dir nachher gleich.
Wo ich gerade beim Thema Post bin, möchte ich ergänzen: Auch bezüglich der Schließung von Postfilialen
erreichte uns eine Vielzahl von Petitionen. Wir konnten
im Ausschuss einmütig eine Reihe von Schließungen abwenden und haben somit dafür gesorgt, dass die Post
auch heute noch in vielen kleinen Gemeinden und Ortschaften Ansprechpartner ist.
Meine Damen und Herren, neben Fleiß und Sachverstand gehören eben auch Hartnäckigkeit und Ausdauer
zur Arbeit der Abgeordneten im Petitionsausschuss.
Die Debatte zum Jahresbericht 2005 gibt mir Gelegenheit, im Namen der Mitglieder der Arbeitsgruppe Petitionen der CDU/CSU allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ausschussdienstes für ihre fleißige und
kompetente Arbeit ganz herzlich zu danken.
({3})
Ohne ihre Tätigkeit wäre es uns nicht möglich, diese
Berge von Petitionen, die sich jede Woche auf unserem
Schreibtisch auftürmen, ordnungsgemäß zu bearbeiten.
Ein herzlicher Dank geht auch an die Abgeordneten aller
Fraktionen im Ausschuss für, wie ich denke, das sehr
gute Miteinander und die kollegiale Zusammenarbeit. So
konnten wir im letzten Jahr vielen Bürgerinnen und Bürgern in unserem Land helfen. Bei nahezu 50 Prozent aller Petitionen haben wir eine Lösung zugunsten oder im
Sinne des Petenten gefunden. Ich denke, das ist eine sehr
gute Zahl. Das stärkt das Vertrauen in unsere lebendige
Demokratie und ermutigt uns, gemeinsam diesen Dienst
für unsere Bürger fortzuführen.
Herzlichen Dank.
({4})
Nächster Redner ist der Kollege Jens Ackermann,
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Petitionsausschuss ist das Ohr des Parlamentes am Bürger.
Als Schnittstelle zwischen Bundestag und Bürgern
nimmt er auf, was den Menschen am Herzen liegt, welche Probleme sie mit Gesetzen und Behörden haben,
welche Vorschläge und Lösungsansätze sie entwickelt
haben. Er leistet einen wichtigen Beitrag gegen die Politikverdrossenheit. Die zahlreichen Petitionen sind ein
deutliches Zeichen: Die Bürgerinnen und Bürger vertrauen unserem Petitionsausschuss. Sie verdeutlichen,
wie wichtig dieser Ausschuss ist. Er ist für viele die
letzte Anlaufstelle, eine Alternative zur Resignation. Es
wäre fatal für das Ansehen der Politik, dieses Vertrauen
zu enttäuschen.
({0})
Die Arbeit im Petitionsausschuss ist, wie die Ausschussvorsitzende, Frau Naumann, es angesprochen hat,
in der Tat eine Bereicherung für die Abgeordnetentätigkeit. Die Möglichkeit, die Eingabe auch per E-Mail an
den Ausschuss richten zu können, ist ein wichtiger
Schritt hin zur Nutzung der modernen Kommunikationsmittel und ermöglicht den direkten Kontakt mit den Bürgern. Mit dem Modellversuch der öffentlichen Petitionen ist die Arbeit des Ausschusses transparenter
geworden. Damit hat der Petitionsausschuss einen Weg
eingeschlagen, der zu mehr Bürgernähe führt. Es müssen
aber auch hier alle Schritte gegangen werden. Stellungnahmen der Bundesbehörden müssen ebenfalls eingesehen werden können. Nur so können der gesamte Weg der
Petitionen und die Entscheidungsfindung des Ausschusses nachvollzogen werden. Erst dann ist das Verfahren
auch als wirklich bürgernah zu bezeichnen.
Selten hat es mehr Eingaben gegeben als im Jahr
2005: ganze 25 Prozent mehr als im Vorjahr und sogar
40 Prozent mehr als noch 2003. In den neuen Bundesländern, ohne Berlin, hat sich die Zahl der Petitionen im
Jahr 2005 im Vergleich zum Vorjahr sogar verdoppelt.
Was sagt uns das? Ich habe dazu eine etwas andere Auffassung als der Kollege Baumann. Zum einen zeugt es
von Vertrauen in den Deutschen Bundestag und in den
Parlamentarismus. So weit sind wir uns einig. Es spiegelt den noch vorhandenen Glauben der Bevölkerung an
die Politik und ihren Gestaltungswillen der Bevölkerung
wider. Rund die Hälfte der Eingaben sind Bitten zur Gesetzgebung. Das ist der positive Aspekt.
Wer sich mit den Eingaben genauer beschäftigt, kann
aber feststellen, dass der Anstieg der Zahl der Eingaben
mit der Unzufriedenheit der Bürger mit der Politik der
Regierung in Verbindung steht. Je größer die Unzufriedenheit unserer Mitbürger mit der Bundesregierung,
desto häufiger wenden sie sich an ihr Parlament. Die
Menschen wollen, dass der Reformstau aufgelöst wird;
sie wollen, dass ihre Initiativen und Anliegen vorangetrieben werden. Sie möchten auch, dass Ungerechtigkeiten beseitigt werden. Man muss es so deutlich benennen:
Es ist eben auch ein Zeichen schlechter Regierungsarbeit, wenn sich so viele Bürger in ihrer Verzweiflung
und Ungeduld an unser Parlament wenden.
Wen wundert es da, dass über 40 Prozent der Petitionen
im Jahr 2005 den Zuständigkeitsbereich des Gesundheitsministeriums betrafen? Erlauben Sie mir dazu folgende Bemerkung: Ich mag gar nicht daran denken, welchen Anteil die Eingaben zum Gesundheitswesen in den
kommenden Jahren haben werden, wenn die Gesundheitsreform so, wie es jetzt diskutiert wird, umgesetzt werden
würde.
({1})
Lassen Sie mich ein weiteres Beispiel aus dem Pool
der Petitionen nennen, an dem deutlich wird, was Bürger
bewegt, um den Deutschen Bundestag um Hilfe zu bitten, weil die Regierung nicht handelt. Herr Baumann hat
es schon angesprochen: Es betrifft die Verbände von
Opfern der SED-Diktatur. Als Abgeordneter aus Sachsen-Anhalt liegt mir ihr Anliegen besonders am Herzen.
Es geht den Opfern oft nicht um finanziellen Ausgleich;
es geht ihnen mehr um moralische Anerkennung oder
Rehabilitation. Ihr Schicksal darf nicht in Vergessenheit
geraten.
({2})
Aus diesem Grund hat der Petitionsausschuss eine bessere Regelung eingefordert. Die Regierung muss handeln. In ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der FDP
hat die Bundesregierung dies nunmehr in Aussicht gestellt. Von einem Gesamtkonzept ist da die Rede, das
nun zeitnah vorgelegt werden soll. Wir - ich denke, da
spreche ich im Namen aller Kollegen des Petitionsausschusses - werden da die Regierung beim Wort nehmen.
Doch nicht nur bei den Bürgern rumort es. Auch bei
den Beamten wächst die Unzufriedenheit. Hierfür stehen allein 2 133 Eingaben zum öffentlichen Dienstrecht.
Insgesamt hat sich die Zahl der Eingaben zum Geschäftsbereich des Innenministeriums gegenüber dem
Vorjahr mehr als verdoppelt. Diese Warnhinweise müssen wir als Gesetzgeber ernst nehmen. Wir brauchen motiviertes Personal. Das liegt nicht nur im Interesse der
Mitarbeiter selber, sondern auch im Interesse von Staat
und Gesellschaft insgesamt.
({3})
Der Petitionsausschuss ist das zentrale Gremium für
die Anliegen der Bürgerinnen und Bürger. Als Abgeordneter muss ich mich in die Lage der Menschen versetzen
können. Das haben wir im Ausschuss wohl alle getan.
Dennoch sind wir nicht immer einer Meinung gewesen.
Das liegt in der Natur der Sache. Aber wir konnten häufig etwas bewegen, Gerechtigkeit anmahnen und Anliegen in die Gesetzgebung einbringen.
Bedanken möchte ich mich im Namen der FDP-Fraktion auch bei den Mitarbeitern und Sachbearbeitern im
Ausschussdienst. Sie sorgen für eine zügige Bearbeitung
der Eingaben und kümmern sich vorbildlich um die ihnen anvertrauten Petitionen und Petenten.
Wenn es zu Verzögerungen bei der Bearbeitung
kommt, so liegt dies nicht so sehr an den Sachbearbeitern, sondern eher an den Kapazitäten in den Abgeordnetenbüros und in den Regierungsstellen, die um Voten
und Stellungnahmen angefragt worden sind. Ich denke,
dass wir an dieser Stelle unsere Arbeit selbstkritisch betrachten sollten.
({4})
Durch unsere Aufgabe im Petitionsausschuss haben
wir eine ganz besondere Verpflichtung gegenüber dem
einzelnen Bürger. Häufig sind schnelle Lösungen und
Entscheidungen von großer Wichtigkeit für den Verlauf
einer Petition und damit für den einzelnen Petenten. Eine
zügige Bearbeitung der Petition muss ein wichtiges Prinzip sein und auch bleiben.
Der Jahresbericht 2005 des Petitionsausschusses ist
eine Sammlung der Eingaben und der Sorgen, die
Deutschland bewegen. Es zeigt, wie wichtig der Petitionsausschuss für den deutschen Parlamentarismus ist.
Seine Bedeutung kann nicht hoch genug eingeschätzt
werden. Dieser Verantwortung sind wir uns alle bewusst.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
({5})
Das Wort hat der Kollege Gregor Amann, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich mich bei der Ausschussvorsitzenden
und allen Mitgliedern des Ausschusses für die vertrauensvolle und gute Zusammenarbeit bedanken. Mein
ganz besonderer Dank gilt aber unserem Ausschussdienst und seinen Mitarbeitern,
({0})
die jede eingehende Petition sichten und vorbearbeiten.
Nur so können wir Ausschussmitglieder uns trotz der
Vielzahl der eingehenden Petitionen für jedes Anliegen
die notwendige Zeit für eine ausgewogene Entscheidung
nehmen.
Als ich im Herbst letzten Jahres in den Bundestag gewählt und Mitglied des Petitionsausschusses wurde,
hatte ich, ehrlich gesagt, keine klare Vorstellung von
dem, was mich in diesem Ausschuss erwarten würde.
Daher wusste ich auch nicht, wie interessant und lehrreich die Tätigkeit als Mitglied des Petitionsausschusses
sein kann. Denn die Bandbreite der Themen, die in diesem Ausschuss behandelt werden, umfasst alle Lebensbereiche des Menschen.
Aber dennoch: Bei jedem unserer „Fälle“ geht es um
das Schicksal von Menschen. Häufig sind es Menschen,
deren letzte Hoffnung der Petitionsausschuss ist. Ich
spreche sicher im Namen vieler Kollegen aus dem Ausschuss, wenn ich sage, dass einem manche Schicksale,
die wir dabei kennen lernen, schon sehr nahe gehen.
Mich persönlich beschäftigt vor allem immer wieder die
Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex Aufenthaltsrecht, Asyl und Abschiebung, auch wenn die Anzahl der Petitionen zu diesem Themenbereich im Berichtszeitraum rückläufig war.
Wie schwierig dieses Thema ist, zeigt der Fall eines
chinesischen Falun-Gong-Anhängers, der im vorliegenden Bericht enthalten ist. Der Petent hat hier Asyl beantragt, da er als Falun-Gong-Anhänger in China Verfolgungen ausgesetzt sei. Dennoch wurde seinem Antrag auf
Asyl nicht stattgegeben. Auch der Petitionsausschuss
schloss sich der Argumentation an, dass er Falun Gong
nicht aus Überzeugung praktiziere und dieser Glaubensbewegung im Übrigen erst nach seiner Ausreise aus China
beigetreten sei. Der Petent wurde im Frühjahr 2005 abgeschoben, in ein Arbeitslager eingewiesen und steht heute
nach Intervention der Bundesregierung unter Hausarrest.
Entscheidungen des Petitionsausschusses in diesem
sensiblen Bereich sind also besonders schwierig und
können weitreichende Auswirkungen haben. Auch wir
Ausschussmitglieder sind dabei, wie dieser Fall zeigt,
nicht vor Irrtümern und Fehlern gefeit.
Fehler in der Gesetzgebung zu entdecken, ist eine der
Aufgaben des Petitionsausschusses. Ein Beispiel dafür
ist das neue Zuwanderungsgesetz, mit dem leider keine
Lösung für das Problem der so genannten Kettenduldungen gelungen ist. Nach wie vor wird die Erteilung
von Aufenthaltstiteln in den verschiedenen Bundesländern sehr unterschiedlich gehandhabt. Knapp
200 000 Menschen leben nur mit einer Duldung in
Deutschland, davon über 50 000 schon länger als elf
Jahre. Manche leben in ständiger Angst vor einer Abschiebung. Mir leuchtet nicht ein, warum das so sein
muss.
So auch im folgenden Fall, der aus meinem Wahlkreis
stammt: Es handelt sich um eine Familie aus dem Kosovo. Die Eltern sind einst als Bürgerkriegsflüchtlinge
eingereist. Inzwischen leben sie seit 13 Jahren in
Deutschland. Die Kinder, in Deutschland geboren, spre4960
chen Deutsch als Muttersprache. Die Familie lebt in
wirtschaftlicher Unabhängigkeit von jeglichen staatlichen Sozialleistungen, da der Mann eine feste Arbeitsstelle hat. Sie sind vorbildhaft in ihre Stadt und ihren
Stadtteil integriert. Dennoch sollten sie jetzt, nach
13 Jahren, abgeschoben werden.
Man schickt also Menschen, die sich hier eine Existenz aufgebaut haben und unser Land nicht nur kulturell
bereichern, sondern auch zu unserem Steueraufkommen
und unserem Bruttosozialprodukt beitragen, in ein Land,
in dem sie auf Hilfsleistungen der internationalen Gemeinschaft angewiesen sind, in ein Land, dessen Sprache die Kinder nicht sprechen, und das auch den Eltern
inzwischen fremd ist.
({1})
Eben weil Integration eine „Zweibahnstraße“ ist, wie es
der Bundesinnenminister im vergangenen November an
dieser Stelle betont hat, brauchen wir endlich eine Bleiberechtsregelung für diese Menschen.
({2})
Bei den Kriterien für ein Bleiberecht müssen wir uns
fragen, ob die derzeit diskutierten Vorschläge ausreichend sind. Das gilt zum Beispiel für die Frage nach der
Sicherung des Lebensunterhalts. Gerade Familien mit
Kindern sowie kranke und traumatisierte Menschen sind
häufig nicht in der Lage, ihren Lebensunterhalt aus eigener Kraft zu sichern. Eine Bleiberechtsregelung sollte
aber auch diese Personengruppen erfassen, unabhängig
von ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Mit der
Eingabe des Vereins Pro Asyl hat diese Problematik den
Petitionsausschuss in diesem Jahr nicht mehr nur in
Form von Einzelschicksalen erreicht, sondern als grundsätzliche Frage.
Unabhängig von diesem noch laufenden Petitionsverfahren appelliere ich an die Innenministerkonferenz, sich
endlich auf eine umfassende Bleiberechtsregelung zu einigen.
({3})
Aber: Es ist einfacher, etwas von anderen zu fordern, als
es selbst zu tun. Daher will ich auch uns, die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, auffordern, auf diesem
Gebiet aktiv zu werden; denn auch wir können eine entsprechende gesetzliche Regelung beschließen. Ich verweise auf das Beispiel Spanien aus dem vergangenen
Jahr.
Sie sehen, die Arbeit im Petitionsausschuss ist nicht
immer einfach. Wir wägen ab, ringen um die beste Lösung und versuchen stets - und zwar über Parteigrenzen
hinweg -, ein ausgewogenes und gerechtes Votum zu erreichen. Sehr gut gefällt mir in diesem Zusammenhang
der Grundsatz von Albert Schweitzer:
Humanität besteht darin, dass niemals ein Mensch
einem Zweck geopfert wird.
Ich finde, dies ist ein sehr schöner Leitspruch für den Petitionsausschuss. In diesem Sinne wünsche ich uns im
Ausschuss weiterhin eine gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit.
({4})
Das Wort hat die Kollegin Petra Pau, Fraktion Die
Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Unsere Kollegin Kersten Naumann hat die Arbeit des
Petitionsausschusses als Seismografen der Nation und
als eine Form direkter Demokratie gewürdigt. Dem will
ich überhaupt nicht widersprechen. Im Gegenteil: Ich
appelliere an uns, die Probleme und Belange, die im Petitionsausschuss behandelt werden, noch viel ernster zu
nehmen; denn es gibt wohl keinen Parlamentsausschuss,
der näher am wahren Leben dran ist, als dieser.
Frau Naumann hat summiert: Es gab noch nie so viele
Petitionen, wie im vergangenen Jahr, jedenfalls nicht seit
1992. Das ist der Positivbefund. Es darf aber spekuliert
werden, was die Ursachen dafür sind. Liegt es daran,
dass die demokratischen Möglichkeiten hierzulande immer engagierter genutzt werden, oder liegt es daran, dass
die Bürgerinnen und Bürger von immer mehr Sorgen geplagt werden?
Wenn ich mir die Petitionen ansehe, auch die, die ich
selbst bearbeite, dann stelle ich fest: Das Zweite ist der
Fall. Immer mehr Bürgerinnen und Bürger fühlen sich
ungerecht behandelt, geraten in soziale Nöte, ringen mit
Gesetzen, die sie in ihrer Würde beschränken. Das ist der
ernste Befund, über den in der heutigen Debatte zu reden
ist. Die Gesundheitsreform und die Hartz-Gesetze haben
dazu beigetragen. Ich verweise auch auf die berührenden
Beispiele, die der Kollege Amann vorhin vorgetragen
hat.
Die Subbotschaft vieler Petitionen lautet also: Wir
fühlen uns von der Politik verlassen. Auch das ist ein
Hauptbefund. Diese Verlassenheit korrespondiert mit aktuellen Untersuchungen. Demnach halten immer weniger Bürgerinnen und Bürger die Demokratie für eine
gute Staatsform. Diese Tendenz gilt für die gesamte
Bundesrepublik. Im Westen zweifelt rund ein Drittel an
der Güte der Demokratie und im Osten ist es weit mehr
als die Hälfte. Ich halte das für alarmierend. Ich denke,
der Bundestag darf nicht darüber hinweggehen; denn
schließlich geht es nicht um irgendeine Demokratie, sondern um die Bundesrepublik und darum, wie sie von den
Bürgerinnen und Bürgern wahrgenommen wird. Vielen
kommt sie immer fremder vor und sie werden immer
gleichgültiger.
Das aber ist ein Einfallstor für Rechtsextremisten.
Diese nutzen es weidlich. Sie merken, ich fahre dort fort,
wo ich gestern in der Debatte über den Rechtsextremismus aufgehört habe.
Ich denke, das sollten wir immer wieder tun. Denn
der sicherste Verfassungsschutz ist noch immer eine couragierte Zivilgesellschaft. Das ist eine Binsenweisheit
für alle, die das Grundgesetz und die Würde des Menschen ernst nehmen.
({0})
Wenn sich aber immer mehr von der Demokratie abwenden, dann ist das Grundgesetz in Gefahr. Schlimmer
noch: Der Sozial- und der Bürgerrechtsstaat stehen auf
dem Spiel. Auch darum geht es in dieser Debatte. Das
betrifft unsere alltägliche Arbeit, nicht nur die im Petitionsausschuss.
In den Petitionen werden immer wieder zwei große
Fragen angesprochen: die soziale Frage und die Gerechtigkeitsfrage. Bei beiden liegt etwas im Argen. Das
ist die Generalbotschaft, die mit dem Bericht des Petitionsausschusses heute zur Debatte steht. Wir können,
müssen und sollten die Arbeit des Petitionsausschusses
- hier schließe ich mich dem Dank meiner Vorrednerinnen und Vorredner an - und auch die Arbeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter würdigen. Aber es geht nicht
nur darum. Es geht in diesen Debatten auch um die
Grundlinien der Bundespolitik im Spiegel der Bürgerinnen und Bürger.
Seismografen sollen helfen und Hinweise geben, bevor Katastrophen ausbrechen. Wir kennen das in Zusammenhang mit Vulkanen, Erdbeben oder dem Tsunami
zum Jahreswechsel 2004/2005, der uns allen noch in Erinnerung ist. Wenn aber der Petitionsausschuss ein Seismograf sein soll, dann müssen wir, der gesamte Bundestag, die Signale ernst nehmen. Ich entnehme dem Bericht
und den Petitionen, dass sie eine Vorwarnung vor einem sozialen Tsunami hierzulande sind. Die Kollegin
Naumann hat hier über das Problem des Verlustes der
Krankenversicherung gesprochen. Wir könnten sicherlich weitere solche Probleme aufzählen, die wir als Vorwarnung aufnehmen und die wir lösen sollten.
Es grummelt an vielen Stellen. Trotzdem führen wir
im Bundestag immer öfter aufgeregte Debatten, die - das
sollten wir uns selbstkritisch sagen - lebensfremd sind.
Ich nenne ein Beispiel: Wie oft haben wir im vergangenen halben Jahr hier im Bundestag über Hartz-IV-Missbrauch gesprochen? Ich kenne nur eine belastbare Untersuchung zu diesem Thema und in der steht: Der
Sozialmissbrauch durch Langzeitarbeitslose liegt deutlich unter 3 Prozent. Aber um diese 3 Prozent haben sich
die aufgeregtesten Debatten im letzten halben Jahr gedreht und nicht um die 97 Prozent, die trotz aller Sozialbeschränkungen noch immer arbeitslos sind.
({1})
Ich finde, das ist Politikmissbrauch. Vielleicht wenden
sich auch deshalb so viele an den Petitionsausschuss.
Aber immer mehr wenden sich ab bzw. nicht einmal
mehr dorthin.
({2})
Jedes Klagen über den Aufwind der Neonazis bleibt
brotlos, wenn wir nicht auch darüber gemeinsam nachdenken.
Die Vorsitzende des Petitionsausschusses hat einen
weiteren positiven Befund gewürdigt. Das praktische Petitionsrecht wurde in den vergangenen Jahren ausgeweitet. Es kann per Internet und massenhafter wahrgenommen werden. Diese Einschätzung unterstütze ich. Aber
auch hier sollten wir nicht dem Irrtum verfallen und den
Baum mit dem Wald verwechseln. Denn in Fragen direkter Demokratie ist die Bundesrepublik immer noch ein
EU-Entwicklungsland. Die Bürgerinnen und Bürger der
Bundesrepublik können sich inzwischen zwar bequemer
und umfassender über Missstände beschweren. Sie können - auch über den Petitionsausschuss - Anregungen
geben. Aber sie haben kaum Rechte, ihre politischen
Umstände direkt mitzugestalten.
In den Ländern um uns herum haben die Bürgerinnen
und Bürger die Möglichkeit, ihr persönliches Votum abzugeben, zum Beispiel zum EU-Verfassungsvertrag. Nur
in der Bundesrepublik wähnt sich die Mehrheit der politischen Klasse immer noch klüger. Ich finde, das ist vordemokratisch. Ich habe das hier schon mehrfach gesagt.
Auch das gehört übrigens zur Negativbilanz von RotGrün. Dieses Manko wurde zementiert, anstatt endlich
mehr direkte Demokratie zu wagen.
({3})
Gegen Demokratieverdruss hilft letztlich nur mehr Demokratie. Denn die Bürgerinnen und Bürger wollen ernst
genommen werden. Die Realität in der Bundesrepublik
ist anders. Sie werden oft als Souverän gehandelt, aber in
der praktischen Politik als Problem behandelt.
Ich habe eingangs gefragt, was uns der Jahresbericht
des Petitionsausschusses wirklich zeigt. Meine Antwort
lautet: Er stellt der Bundespolitik einen gefährlichen Befund aus. Schauen wir nur auf die Wahlbeteiligung. Am
vergangenen Wochenende hatten wir dazu Gelegenheit.
Wahlen sind in der Demokratie die kleinste Übung. Schon
sie gelten aber im Moment für eine Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger als brotlos. Wir sollten uns darum
kümmern, dass das Grundgesetz und die Demokratie hier
nicht leer laufen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({4})
Das Wort hat der Kollege Josef Winkler, Bündnis 90/
Die Grünen.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Werte Kollegin Pau, das Bild war mir doch
ein bisschen zu düster gezeichnet,
({0})
obwohl natürlich auch ich Kritik an der Bundesregierung
anzubringen habe. Aber so schlimm ist die Lage nun
auch wieder nicht, dass man die Briefe ans Parlament
- und die Zahl der Eingaben steigt ja - platt als gegen
das Handeln der Bundesregierung gerichtet abtun kann.
Ich sehe das als Vertrauensbeweis bezüglich der Funktionsfähigkeit der parlamentarischen Demokratie und
nicht als Kritik am Zustand derselben.
({1})
Ich bedanke mich sehr herzlich für die Zusammenarbeit mit der Frau Vorsitzenden sowie mit den Kolleginnen und Kollegen im Ausschuss. Ebenso bedanke ich
mich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bundestagsverwaltung und der Fraktionen, auch der eigenen.
Außerdem sollten wir, da es sich um das Berichtsjahr
2005 handelt, in unseren Dank den ehemaligen Vorsitzenden des Petitionsausschusses, Herrn Dr. Guttmacher
von der FDP, einschließen.
({2})
Die bereits angesprochenen Erweiterungen des Petitionsrechtes sind ja, wenn man so will, ein Kind rot-grüner gemeinsamer Politik, das es zu hegen und zu pflegen
gilt. Dieses Kind hat inzwischen eine ganze Reihe Patenonkel und -tanten im Parlament gefunden. Ich kann da
nur sagen: Willkommen im Klub! Bei der Erweiterung
der demokratischen Rechte brauchen wir keine Nachhilfe; das hat schon die alte Bundesregierung durchgesetzt - unter tätiger Mithilfe der Opposition.
({3})
Die Möglichkeit, Petitionen per E-Mail einzureichen,
hat der Ausschuss aus eigenem Ermessen durchgesetzt;
da brauchten wir nicht lange zu fragen. Inzwischen gehen bereits 10 Prozent der Petitionen per E-Mail ein. Wir
müssen als Haushaltsgesetzgeber allerdings beobachten,
wie sich das entwickelt, ob nicht in Zukunft mehr Personal in der Verwaltung für die Bearbeitung benötigt wird.
Im Moment scheint es noch zu gehen.
Auch die öffentlichen Petitionen finden - das wurde
angesprochen - großen Anklang. Ich denke, die Möglichkeit, auf der Webseite des Bundestages eine virtuelle
Unterschriftenliste zu installieren, ist etwas, was sich immer mehr durchsetzen wird. Ich unterstütze ausdrücklich, dass der diesbezügliche Modellversuch, der vom
Technikfolgenabschätzungsbüro des Bundestages evaluiert wird, in eine dauerhafte Einrichtung übergeht. Die
„Generation Praktikum“, ein Thema, das zurzeit viele
bewegt, hat es gezeigt: Eine Petition zu diesem Thema
hat in relativ kurzer Zeit fast 50 000 Unterschriften bekommen. Wir sollten die Möglichkeit, über so wichtige
Themen mit den Petenten öffentlich ins Gespräch zu
kommen - vielleicht nicht mit allen 50 000 auf einmal -,
auch im Rahmen öffentlicher Ausschusssitzungen nutzen. Ich freue mich, dass wir im Kreise der Obleute und
der Vorsitzenden vereinbart haben, so bald als möglich
- wenn es geht, in diesem Jahr - erstmalig eine öffentliche Beratung durchzuführen. Wir müssen dann natürlich
schauen, dass wir aus verschiedenen interessanten Themengebieten Petitionen auswählen.
Ich will eine inhaltliche Anmerkung zu einer Sache
machen, die der Kollege Amann angesprochen hat, und
zwar zur Frage der Kettenduldung und des Bleiberechts für langjährig in Deutschland lebende Menschen. Das ist mir wirklich ein Herzensanliegen. Vor
zwei Jahren stand Otto Schily an diesem Pult und sagte,
das Zuwanderungsgesetz führe dazu, dass die Kettenduldungen ausliefen, sodass das in Zukunft geregelt sei.
({4})
Das stimmt offensichtlich nicht; das Problem besteht
nach wie vor. Das ist der eigentliche Skandal an der Sache.
({5})
Die Abschiebung in ein chinesisches Arbeitslager
wurde schon angesprochen. Abschiebungen nach China
müssen wir in Zukunft ernster nehmen.
Insgesamt ist zu beobachten, dass immer mehr Petitionen zu Asylverfahren und zur Visaerteilung eingehen.
Bei der Visaerteilung gibt es - vielleicht im Nachgang
zum Visa-Untersuchungsausschuss und der in diesem
Zusammenhang etwas hysterisch geführten Debatte tatsächlich Probleme. Inzwischen wird zu hart geurteilt.
Die Mitarbeiter in den Botschaften und Konsulaten sind
offensichtlich verunsichert. Oft werden sogar berechtigte
Visaanträge nicht mehr gewährt, was zum Beispiel dazu
führt, dass nach Meinung der Botschaft hoch betagte Eltern ihre Kinder bis zu ihrem Lebensende nicht mehr sehen sollen - das ist ein Fall aus der Ukraine - oder dass
Familien auseinander gerissen werden bzw. voneinander
getrennt bleiben. Das können wir nicht zulassen. Die Petitionen zeigen, dass hier dringend etwas geändert werden muss. Dieser Appell richtet sich in erster Linie an
die Bundesregierung.
({6})
Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. Im Hinblick auf die Asylpetitionen liegt mir aber noch eine Angelegenheit am Herzen. Ich weiß: Wir alle arbeiten fleißig und wollen möglichst zeitnah zu Ergebnissen
kommen. Insbesondere Asylpetitionen müssen allerdings wirklich rasch bearbeitet werden, weil die Landesbehörden sonst nicht bereit sind, etwaig anstehende Abschiebungen auszusetzen. Das könnte noch verbessert
werden. Ich schaue jetzt ganz gezielt nirgendwohin, damit sich niemand beleidigt fühlt. Aber hier gibt es noch
Nachholbedarf. Asylpetitionen müssen schneller bearbeitet werden.
Nichtsdestotrotz ist die Zusammenarbeit vertrauensvoll. Ich möchte gerne, dass das so bleibt. Wir werden
das Unsrige dazu beitragen. Die Kollegin Lazar wird
gleich noch zu einigen anderen Punkten Stellung nehmen.
Herzlichen Dank.
({7})
Das Wort hat der Kollege Gero Storjohann, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Im Jahre 2005 wurde mit dem Modellvorhaben
der öffentlichen Petitionen eine neue Plattform geschaffen, auf der jeder Bürger mitdiskutieren kann. Das Petitionsrecht ist dadurch wesentlich transparenter geworden. Es ist schon dargestellt worden, dass es deswegen
auch intensiver genutzt wird. Wir haben gehört, dass
seitdem über 22 000 Petitionen eingereicht worden sind.
Herr Ackermann und Frau Pau haben herausgestellt,
dass diese eventuell hohen Zahlen Rückschlüsse auf die
aktuelle Politik und auf die Politik des Jahres 2005, als
noch die rot-grüne Regierung im Amt war, zulassen. Mit
dieser Aussage habe ich mich beschäftigt und bin zu folgendem Ergebnis gekommen: Zurzeit liegen 14 000 Petitionen vor. Das entspricht einem Rückgang gegenüber
dem Jahr 2005 um umgerechnet 14 Prozent.
({0})
Wenn Sie daraus den Rückschluss ziehen, dass die jetzige große Koalition eine bessere Politik macht, dann
nehmen wir das gerne an.
({1})
Aber ich meine, so sollten wir das nicht handhaben.
Wir sollten zur Kenntnis nehmen, dass viele Petitionen eingebracht wurden und dass wir es dabei mit vielen
Einzelschicksalen zu tun haben, um die wir uns intensiv
kümmern müssen. Es ist ein gutes Zeichen, dass wir so
viele Petitionen bekommen. Denn das zeigt, dass die
Bürger Vertrauen in unser Petitionsrecht haben und
dass sie in uns die Hoffnung setzen, ihnen helfen zu können. Ich denke, so sollten wir dieses Thema angehen.
({2})
Ich möchte an einem Beispiel verdeutlichen, dass das
System der öffentlichen Petitionen dem Bürger ein Forum bietet, das durchaus Erfolge mit sich bringen kann:
Am 5. September 2005 - am 1. September 2005 startete
das neue System - hat Herr Peter Klamser eine öffentliche Petition zu der Thematik „Personalausweise im
Scheckkartenformat“ vorgetragen; sie war eine der ersten öffentlichen Petitionen. Er hat 141 Unterstützer gefunden. Vor kurzem, also etwas mehr als ein Jahr später,
wurde vom Bundesinnenministerium ausgeführt, die
Konzeption eines neuen Personalausweises sei bereits
eingeleitet worden. Entweder ist diese Petition also angenommen worden oder dieses Vorhaben war ohnehin
schon geplant. Der Petent jedenfalls kann zufrieden sein.
Meine Damen und Herren, zu den Zahlen ist schon
sehr viel gesagt worden; das möchte ich nicht wiederholen. Was auffällt, ist die unterschiedliche Annahme des
Petitionsrechts in den Bundesländern: In Berlin kommen über 1 000 Petitionen auf 1 Million Einwohner, im
Saarland entfallen 80 Petitionen auf 1 Million Einwohner - obwohl das Saarland, wie ich glaube, gar nicht
1 Million Einwohner hat.
({3})
Inwieweit hier ein Zusammenhang mit der politischen
Landschaft bzw. der Zufriedenheit mit der Politik besteht, können wir nicht beurteilen. Wir könnten nur spekulieren; aber das wollen wir nicht. Wir wundern uns lediglich, dass es so ist.
Von den neu eingereichten Petitionen waren
20 756 Einzelpetitionen und 795 Sammelpetitionen; für
Letztere gab es 375 500 Unterschriften, also eine sehr
große Anzahl.
Es gab auch Kuriositäten, etwa eine Petition für unseren Exbundestrainer Jürgen Klinsmann: „Klinsmann
muss bleiben!“
({4})
Sie sehen: Nicht jede Petition ist erfolgreich. Klinsmann
ist zwar erhalten geblieben, aber nicht als Bundestrainer.
Das darf jedoch nicht davon ablenken, dass dem Petenten die gleiche Aufmerksamkeit bei der Bearbeitung seiner Belange gebührt. Denn gerade für die, die keine andere Plattform für ihre Bitten und Beschwerden haben,
ist das Petitionsrecht - Art. 17 Grundgesetz - geschaffen
worden.
Es ist ein Forum, das genutzt wird: Im Jahr 2005 sind
16 648 Petitionen zum Abschluss gebracht worden. Das
ist eine beachtliche Leistung. Wir sind froh, dass der
Ausschussdienst das zusammen mit uns leisten kann.
Hierbei ist zu erwähnen, dass es nicht in jedem Einzelfall erforderlich ist, dass eine förmliche Beratung im
Ausschuss stattfindet. Vielfach erkennen die Behörden
schon, wenn wir sie um Stellungnahme ersuchen, dass
ein Fehler vorliegt, und korrigieren diesen im Sinne des
Petenten. Häufig erkennen die Petenten, nachdem ihnen
die Rechtslage erläutert worden ist, dass ihre Petition
keine Aussicht auf Erfolg hat, und verzichten auf eine
weitere Behandlung.
In meinem Tätigkeitsbereich, der Verkehrspolitik,
gibt es zwei Beispiele, die ich gerne vortragen möchte.
Schwerpunkt der Eingaben im Verkehrsbereich, zu dem
der Straßenverkehr, das Eisenbahnwesen, die Wasserstraßen, Schifffahrt und Luftfahrt zählen, waren vor allem die Straßenbauvorhaben aus dem Bundesverkehrswegeplan, den wir im Jahre 2003 beraten haben. Zum
großen Teil konnten entsprechende Petitionen im
Jahre 2005 abgeschlossen werden. Aufgrund des Fehlens finanzieller Mittel war es oftmals nicht möglich,
dem Wunsch der Petenten nach Ausbau bestimmter Straßen oder Schienenwege nachzukommen. Auch den Eingaben, die sich aus ganz verschiedenen Gründen gegen
einen weiteren Ausbau richteten, konnte aufgrund übergeordneter Interessen in der Regel nicht entsprochen
werden. Soweit sich Petenten auf wirksame Maßnahmen
zur Verbesserung des Straßenzustandes in bestimmten
Orten bezogen, wurden ihre Petitionen von uns an den
jeweils zuständigen Landtag abgegeben.
So manches Mal ist der Petitionsausschuss die letzte
Hoffnung für die Menschen. Wir arbeiten im Ausschuss
kollegial und engagiert zusammen, um den Menschen zu
dienen. Ich danke - wie alle anderen auch - dem Mitarbeiterstab ganz herzlich, ich danke den Mitgliedern des
Petitionsausschusses und ich bin überzeugt, dass wir
auch im nächsten Jahresbericht wieder feststellen werden: Was für ein Glück, dass es das Petitionsrecht gibt!
({5})
Nächster Redner ist der Kollege Klaus Hagemann,
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wenn wir die Presseberichterstattung dieser
Tage über die Arbeit des Petitionsausschusses verfolgen, erkennen wir, dass es zwei Arten von Kommentaren
gibt: auf der einen Seite - heute formuliert -, dass wir
die „Frustpost“ der Bevölkerung bearbeiten oder dass
wir der „Kummerkasten der Nation“ seien. Diese Seite
hat Frau Pau in ihrem Beitrag hauptsächlich - oder nur beleuchtet. Frau Pau, wenn ich mich recht erinnere, waren Sie ein einziges Mal im Ausschuss.
({0})
Deswegen können Sie die Arbeit, die sich im Petitionsausschuss abspielt, gar nicht so genau kennen.
Auf der anderen Seite - solche Darstellungen scheinen mir immer mehr zu werden - heißt es in der Presse:
Die Bürger wollen mitreden. - Ich glaube, wir dürfen
nicht nur eine Seite sehen, sondern wir müssen beide Seiten der Medaille betrachten. Und zwar wollen die Bürger
über den Petitionsausschuss in der Politik mitwirken. Dafür sollten wir dankbar sein. Fast 500 000 Menschen haben sich an uns gewandt - durch ihre Unterschrift, durch
ihre Eingaben -, sie haben zu politischen Entwicklungen
Stellung genommen und uns entsprechende Hinweise gegeben. Sehr geehrte Frau Pau, das zeigt mir, dass ein Interesse an der parlamentarischen Demokratie besteht.
Das möchte ich hier doch noch einmal unterstreichen.
({1})
Ich glaube, Sie haben es vorhin selbst gesagt: Bei der
Hälfte der Petitionen geht es um die Änderung der Gesetzgebung. Hier will der Bürger mitreden. Das ist gut
so. Wir haben als rot-grüne Mehrheit in der letzten Legislaturperiode den Antrag eingebracht, mehr direkte
Demokratie in unserem Land zu wagen. Leider haben
wir in diesem Hause keine entsprechende Mehrheit dafür
erhalten. Wir sind hier aber auf dem richtigen Weg und
wir müssen uns weiter bemühen.
Es ist schon darauf hingewiesen worden: Unterhalb
der Schwelle der Grundgesetzänderung haben wir einiges verändert. Modernisierung, Aktualisierung und Vereinfachung des Petitionswesens seien hier noch einmal
hervorgehoben. Die Ideen des elektronischen Petitionswesens, der Beteiligung, der Mitzeichnung und der öffentlichen Petitionen sind durch eine Reise, die wir zum
schottischen Parlament gemacht haben, Herr Kollege
Storjohann, in unsere politische Arbeit eingeflossen.
Diese Gedanken haben wir als SPD-Fraktion in die Diskussion eingebracht. Ich denke, dass wir das auch realisieren konnten.
Ich bin dankbar, dass wir das Interesse unter Mitbürgerinnen und Mitbürger wecken konnten, die den
Wunsch haben - das ist schon einmal unterstrichen worden und ich möchte das wiederholen -, mitzuwirken,
sich einzubringen und über die elektronischen Wege und
an öffentlichen Diskussionen teilzuhaben. Daran erkenne ich, dass dies eine Stärkung der parlamentarischen
Demokratie ist. Wir sind hier auf einem guten Weg, den
wir konsequent weitergehen sollten. Das zeichnet sich
schon nach einem Jahr des Modellversuchs ab. Ich sage
es noch einmal: Wir müssen diesen Weg konsequent
weitergehen.
({2})
Auf ein anderes Instrument ist schon hingewiesen
worden, nämlich auf die Vor-Ort-Termine, die wir sehr
gezielt durchgeführt haben. Wir werden sie auch weiterhin durchführen, wenn es um wichtige Probleme geht.
Lassen Sie mich auf einen Vor-Ort-Termin hinweisen,
den wir im Februar 2005, also vor 21 Monaten, durchgeführt haben. Wir waren in Rheinland-Pfalz, in dem schönen Bundesland, aus dem ich komme. Wir waren in
Ramstein in der Pfalz und wir waren in Spangdahlem in
der Eifel. In diesen beiden Orten befinden sich US-Militärflughäfen. Die Menschen klagen natürlich über den
Fluglärm und haben entsprechende Petitionen eingereicht.
Zum Inhalt der Petitionen möchte ich gar nicht viel
sagen. Bei dem Vor-Ort-Termin, den wir durchgeführt
haben, waren einige Kollegen dabei. - Heute ist nur ein
Regierungsmitglied da. Herr Altmaier, es ist sehr schön,
dass Sie da sind. Zeitweise war niemand anwesend.
({3})
Es sei erwähnt, welches Interesse das Petitionswesen bei
der Bundesregierung, aber auch bei unseren Kolleginnen
und Kollegen hervorruft. - Nicht nur wir als Parlamentarier, sondern auch die Bürgerinnen und Bürger, die die
Petition geschrieben haben, haben bei diesem Vor-OrtTermin vom Bundesverteidigungsministerium zugesagt bekommen, dass die etwa 20 Fragen bzw. Anregungen, die sie vorgetragen haben, beantwortet bzw. zur
Diskussion gestellt werden, damit die Petition abgeschlossen werden kann. Im Sommer 2005 wurde ein
Zwischenbericht vorgelegt. Dabei ist es geblieben. Bis
zum heutigen Tage ist auf die Anregungen und Fragen
der Bürger und auch auf unsere Fragen - ich sage nichts
zum Inhalt - nicht weiter eingegangen worden. So kann
man mit dem Parlament, mit Petitionen und mit den Bürgerinnen und Bürgern nicht umgehen.
({4})
Ich erwarte - das sage ich für meine ganze Fraktion -,
dass das Bundesverteidigungsministerium bis Herbst
dieses Jahres die Antworten vorlegt, damit wir darüber
diskutieren und abschließend beraten können. Ich betone: Ich will mir nicht jede Angelegenheit, die in dieser
Petition steht, zu Eigen machen, aber es müssen Entscheidungen auf Grundlage dessen, was vorgelegt wird,
getroffen werden.
Keine Fristverlängerung mehr - diese Bitte möchte
ich an den Ausschussdienst richten und ihm gleichzeitig
für seine Aktivitäten herzlich danken.
Ich habe nur noch wenige Sekunden Redezeit. Lassen
Sie mich zum Schluss noch auf ein anderes Thema hinweisen, nämlich auf das Bundesausbildungsförderungsgesetz. Allein in dieser Woche haben wir fünf Petitionen erhalten, bei denen es nicht um das BAföG an
sich, sondern um den Vollzug des Gesetzes durch die
einzelnen Länderbehörden geht. Mit dieser Thematik
müssen wir uns in den nächsten Wochen und Monaten
nicht nur als Petitionsausschuss, sondern auch als Fachausschuss intensiv beschäftigen.
Die Presse hat uns Mitglieder des Petitionsausschusses einmal als „Ameisen“ bezeichnet. Ich sehe das als
Kompliment; denn Ameisen sind fleißige Tiere. Diese
Arbeit im Petitionsausschuss machen wir alle zusätzlich
zu der Arbeit in anderen Ausschüssen, in denen wir tätig
sind. Sie könnte - ich wiederhole mich - durch eine verstärkte Anwesenheit auf der Regierungsbank oder durch
die Anwesenheit von mehr Kolleginnen und Kollegen
stärker honoriert werden.
({5})
Lassen Sie uns in dem oben beschriebenen Sinne weiterarbeiten.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({6})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Monika Lazar,
Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
„Probleme sind Gelegenheiten, zu zeigen, was man
kann.“ Das hat ein Mann gesagt, der die Verhältnisse
zum Tanzen gebracht hat, Duke Ellington. Der Petitionsausschuss hat diese Gelegenheit genutzt. Der Jahresbericht zeigt, dass der Petitionsausschuss viel bewegen
kann. Er kennt und löst Probleme.
Mit dem Jahresbericht ernten wir aber nicht nur die
Früchte geleisteter Arbeit. Der Bericht ist auch Handlungsauftrag für das Parlament und die Bundesregierung. Insbesondere die zahlreichen Eingaben zur Sozialund Arbeitsgesetzgebung - Stichworte sind Hartz IV,
ALG II, Anrechnung von Partnereinkommen und Hinzuverdienstmöglichkeiten - zeigen immer noch dringenden
Handlungsbedarf.
Bündnis 90/Die Grünen hat sich in der vergangenen
Legislaturperiode für zahlreiche Änderungen zur Sicherung unseres Sozialsystems stark gemacht. Gerade darum reagieren wir besonders aufmerksam auf Fehler und
Mängel in diesem Bereich. Die Petitionen zeigen uns,
wo Änderungen und Verbesserungen notwendig sind.
Das greifen wir auf. Wir wollen, dass die Förderung und
Betreuung der ALG-II-Empfängerinnen und -Empfänger
verbessert wird. Die Versäumnisse beim Einsatz arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen werden uns in den Eingaben vor Augen geführt.
In den Petitionen wird auch gefordert, die Rahmenbedingungen für die Schaffung von sozialversicherungspflichtigen Jobs im SGB II zu verbessern. Die Beispiele
in den Petitionen zeigen, dass die gegenwärtigen Regelungen noch unzureichend sind. Angesichts der konkreten Lebensrealität vieler Menschen, wie sie in den Petitionen beschrieben wird, halte ich auch die Ausweitung
der Sanktionen gegen ALG-II-Empfänger, wie es geplant ist, für völlig unangebracht.
({0})
Die Petitionen zeigen vielmehr die Notwendigkeit
zahlreicher Klarstellungen und Verbesserungen im Leistungsrecht, wie zum Beispiel die Absenkung der Einkommensgrenze für den Kinderzuschlag zur Bekämpfung der
Kinderarmut, die Sicherung von Altersvorsorgevermögen oder die Einbeziehung von Sozialgeldbezieherinnen
und -beziehern in die gesetzliche Krankenversicherung.
Ein anderes Thema, das mich wütend macht, sind die
Petitionen zum Thema Stasi. Ehemalige hauptamtliche
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ministeriums für
Staatssicherheit organisieren sich nicht nur, sondern äußern sich auch in der Öffentlichkeit immer unverblümter
und ohne einen Hauch von Unrechtsbewusstsein. Teil
dieser groß angelegten Rechtfertigungskampagne sind
die zahlreichen und oft wohlorganisierten Petitionen, die
uns erreichen. In dem Jahresbericht wird von einer „Flut
von Petitionen“, die den Ausschuss überschwemmen,
gesprochen.
Was mich bedrückt, ist nicht die Tatsache, dass die
ehemaligen Stasimitarbeiter Petitionen einreichen; das
ist ihr gutes Recht. Es sind auch nicht die Forderungen
wie die rentenrechtliche Regelung zur Berücksichtigung
höherer Verdienste, die mich stören. Darüber haben und
werden wir im Ausschuss weiterhin sachlich diskutieren
und entscheiden. Was ich aber unerträglich finde, sind
die Unverfrorenheit und Dreistigkeit, mit denen die Tatsachen verdreht werden und sich die Täter als Opfer darstellen.
({1})
Dies macht mich umso wütender, als wir noch immer
zahlreiche Petitionen von Menschen vorliegen haben,
die Opfer genau jener Menschen waren, die sich jetzt
bitter über das so genannte Rentenunrecht und die Siegerjustiz beklagen. Aber der Petitionsausschuss wird
sich nicht vor den Karren verbohrter Ewiggestriger spannen lassen. Wir lassen es nicht zu, dass diese Menschen
das demokratische Instrument des Petitionsrechtes für
ihre Zwecke missbrauchen.
({2})
Der Petitionsausschuss ist und bleibt Lobby für Menschen, die Unrecht erlitten und Ungerechtigkeit erfahren
haben, nicht für Menschen, die Unrecht und Ungerechtigkeit geschaffen und ausgeführt haben.
Im Petitionsausschuss haben die Bürgerinnen und
Bürger das Wort. Darum möchte ich mit dem Zitat eines
Petenten enden.
Auf die im Petitionsformular im Internet gestellte
Frage, ob nach der Vorstellung des Petenten ein Gesetz
oder eine Vorschrift geändert oder ergänzt werden müsse
und wenn ja, welches oder welche, antwortete der Petent: „Ja, dass man sorgfältiger mit den Menschen umgehen sollte“.
({3})
Sorgfältiger mit den Menschen umgehen: Ich glaube,
das ist ein gutes Motto für den Petitionsausschuss und
sollte auch weiterhin unser aller Anspruch sein.
Vielen Dank.
({4})
Ich erteile das Wort Kollegen Karl Schiewerling,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Um Hilfe bitten und im Rat
mit anderen im Rahmen der Regeln des Rechtsstaates
auf Unterstützung und ein Einsehen anderer und auf Ermessensspielräume der ausführenden Verwaltung hoffen: Das sind nicht selten die Gründe, die die Menschen
bewegen, den Petitionsausschuss ihres Parlaments, des
Deutschen Bundestages, anzurufen. Es sind zumeist
ganz persönliche Angelegenheiten, mit denen sich die
Menschen an den Petitionsausschuss wenden. Ich meine
nicht die Petitionen, über die man schmunzeln könnte
wie die, das Bundesverfassungsgericht abzuschaffen,
weil der Petent der Meinung ist, dass dieses Gericht
keine guten Urteile fällt. Auch solche Anliegen beschäftigen unseren Ausschuss.
Ich meine vielmehr die vielen Petitionen von Menschen, die in einer angespannten sozialen Situation - mitunter auch aus ihrer Sicht in einer sozialen Krisensituation - leben. Die soziale Sicherheit oder Unsicherheit
der Menschen in unserem Land - so erlebe ich es als
neues Mitglied im Petitionsausschuss - wird dabei von
den Petenten schnell mit den Worten gerecht oder ungerecht beschrieben.
Gesetze, Entscheidungen und Regelwerke - allgemeine und für jeden Bürger dieses Landes gleichsam verbindliche - werden von den Petenten als ungerecht empfunden. Gerade für mich als Mitglied des Ausschusses
für Arbeit und Soziales ist die Auseinandersetzung mit
diesen Fragen wichtig. Davon ist das Sozialgesetzbuch
in seiner ganzen Ausfächerung - dazu gehört das Kinder- und Jugendhilferecht genauso wie der Bereich des
alten Sozialhilferechts, dem heutigen SGB XII - betroffen. Als Beispiel möchte ich den großen Teil der Petitionen anführen, die sich auf den im SGB II geregelten Bereich der Grundsicherung beziehen. In vielen Fällen
fühlen sich die Menschen durch diese Regelungen zur
Grundsicherung ungerecht behandelt. Aus dem Bericht
des Petitionsausschusses 2005 wird deutlich, dass die Einführung der Regelungen zur Grundsicherung im SGB II
im vergangenen Jahr ein heftiges Thema war.
Viele Petenten verkennen jedoch, dass es sich beim
Arbeitslosengeld II im Gegensatz zu der bisherigen Arbeitslosenhilfe nicht um eine Lohnersatzleistung, sondern um eine steuerfinanzierte, bedarfsorientierte Fürsorgeleistung handelt. Leistungen der Grundsicherung
werden daher nur dann erbracht, wenn die Hilfebedürftigkeit nicht anderweitig - insbesondere durch die Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen oder
durch eigener Hände Arbeit - beseitigt werden kann.
Ein dem Petitionsausschuss immer wieder vorgetragenes Argument lautet, dass die Regelleistung im
SGB II nicht ausreiche und damit kein menschenwürdiges Leben geführt werden könne. Man kann zwar mit
der Regelleistung keine großen Sprünge machen, aber
menschenunwürdig ist sie nicht.
Dass Einschnitte bei Sozialleistungen von den Betroffenen oft als persönliche Härte empfunden werden, ist
verständlich. Ich verkenne nicht, dass das SGB II für
viele Menschen gravierende Einschnitte mit sich geKarl Schiewerling
bracht hat. Doch der Gesetzgeber hat mit diesem Gesetz
entschieden, dass das SGB II die Grundsicherung vorsieht; es soll keine Arbeitsplätze schaffen. Vielmehr fordert der Gesetzgeber die Menschen zu mehr Eigeninitiative auf. Der Staat wollte ein Gesetz, das staatliche
Leistungen neu definiert, und zwar durch ein neues Regelwerk, das für alle gleich ist, auch wenn es von Petenten grundsätzlich und individuell - in der persönlichen
Situation und Wahrnehmung - als ungerecht empfunden
wird. Das sind exakt jene Beispiele, für die der Petitionsausschuss keine Hilfestellung geben kann.
Es gibt aber auch jene Situationen, in denen individuell geholfen werden muss, besonders im Sozialbereich. Ein Gesetz in seiner Allgemeinheit kann nicht jede
Lebenssituation berücksichtigen. Ein Regelwerk kann
nicht jedes noch so schwierige oder große Schicksal von
vornherein einplanen. Ein Gesetz oder Regelwerk kann
nicht jeder erdenklichen Lebenssituation im buchstäblichen Sinne gerecht werden.
Deshalb gibt es Einzelfälle, in denen Menschen durch
das Raster des Regelwerkes fallen. Es kommt auch vor,
dass sich Ämter gegenseitig Zuständigkeiten zuschieben, beispielsweise weil alle die Kosten scheuen. Dann
kann die persönliche Situation als wirklich ungerecht
empfunden werden. Gerade für diese Menschen ist der
Petitionsausschuss des Bundestages sehr wichtig. Er ist
auch für diejenigen Menschen wichtig, die durch die
Standardraster des Bürokratie- und Vorschriftendschungels unserer Republik durchfallen, egal ob es um das
SGB II, um das Thema Rente oder um andere Bereiche
geht.
Fazit: Es wird immer Grenzfälle und objektive Ausnahmen geben, etwa weil ein Gesetz sehr grundsätzlich
und allgemein formuliert ist oder weil die Ausführungsvorschriften von den handelnden Personen in den Institutionen sehr akribisch umgesetzt werden.
Gerechtigkeit heißt aber nicht, es jedem recht zu machen. Der Schutz des Einzelnen ist zwar ein hohes Gut
unserer Demokratie; wo der Schutz des Einzelnen aber
zu einer Belastung für alle anderen wird, erfährt auch die
Freiheit ihre Grenzen. Die Arbeit des Petitionsausschusses ist für die Menschen in unserem Land so ungemein
wichtig und notwendig, weil er den Menschen die Möglichkeit eröffnet, ihr Anliegen vorzubringen und somit
gesehen zu werden bzw. Gehör zu finden. Dies ist vor allem für diejenigen Petenten wichtig, die weder ein noch
aus wissen. Es ist eine Frage der sozialen Gerechtigkeit,
wie wir damit umgehen.
Ich freue mich auf die weitere Zusammenarbeit im
Ausschuss.
Herzlichen Dank.
({0})
Ich erteile das Wort Kollegin Lydia Westrich, SPDFraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Ich freue mich, dass ich heute zum Jahresbericht 2005
des Petitionsausschusses reden darf. Meistens rede ich
über Finanzpolitik. Es ist schon etwas anderes, über den
Petitionsausschuss zu reden. Es eröffnet mir die Gelegenheit, öffentlich den Kolleginnen und Kollegen
Danke zu sagen. Es ist einzigartig, wie wir im Petitionsausschuss miteinander arbeiten. Wir haben den Vergleich zu den anderen Ausschüssen, in denen wir mitarbeiten. Herzlichen Dank! Der Dank geht auch an die
Mitarbeiter des Ausschusses und der Fraktionen. Liebe
Andrea Staschok, auch dir herzlichen Dank. Die Mitarbeiter setzen sich unermüdlich für die Anliegen der Petenten ein. Ohne sie wüssten wir manchmal weder ein
noch aus.
Besonders danken möchte ich den Bürgerinnen und
Bürgern. Viele Tausende haben uns als direkten Ansprechpartner gewählt, haben unser Angebot vertrauensvoll genutzt. Sie, meine Damen und Herren im ganzen
Land, haben uns nicht nur Ihre Nöte geschildert, die Sie
mit der Verwaltung, mit der starren Bürokratie oder mit
uns gehabt haben, sondern auch Ihre Finger direkt auf
die Gesetzgebung gelegt. Mit Ihren persönlichen Fällen
haben Sie gezeigt, wie Gesetze, die wir verabschiedet
haben, im Endeffekt wirken. Das nachzuvollziehen, ist
in keinem anderen Ausschuss möglich. In keinem anderen Ausschuss habe ich so viel wie im Petitionsausschuss gelernt.
Wenn ich Eingaben aus dem grauen Stapel der Petitionsakten lese, werde ich ständig zur Reflektion der
auch von mir verabschiedeten Gesetze gezwungen. Es
gibt viele Petitionen etwa zur Agenda 2010 oder zu den
Gesundheitsreformen. Sie sind nicht immer freundlich
formuliert und einfach zu lesen. Ich muss mich dann immer fragen, ob wir als Gesetzgeber die beabsichtigte
Wirkung erreicht haben, ob wir Lücken gelassen haben,
ob wir nachbessern müssen. Ich muss mich auch oft fragen, wie ich am besten erkläre, warum ich nicht der Meinung des Petenten bin und warum ich ihm nicht Recht
geben kann; denn die Bürgerinnen und Bürger haben
eine Begründung verdient.
Wir haben als Mitglieder des Petitionsausschusses
ebenfalls gelernt, uns zu bescheiden; denn wir haben oft
nach sehr intensivem Bemühen einsehen müssen, dass
wir nicht helfen können, obwohl uns der Fall - Herr
Storjohann, erinnern Sie sich noch an den Fall mit der
Solaranlage? - zu Herzen geht. Wir können Gerichtsbescheide nicht abändern - meistens sind Fristüberschreitungen ein Hindernis - oder Gesetze, die sich im Einzelfall negativ auswirken, nicht rückwirkend ändern. Aber
gerade in den letzten Fällen waren die Petenten oft bahnbrechend für zukünftige Leidensgenossen. Durch die
Schilderung ihrer persönlichen Probleme haben wir häufig Vorschriften geändert oder Missstände ausgeräumt,
sodass nachfolgende, ähnliche Fälle durch den Mut des
ersten Petenten profitieren konnten. Es ist wichtig, dass
wir als Mitglieder des Petitionsausschusses das, was
falsch läuft, richtig stellen.
Wir haben natürlich viele kleine Sternstunden, in denen wir direkte Hilfe leisten können und uns die Lösung
von schwierigen Problemen gelingt, zum Beispiel in den
Fällen, in denen sich herausgestellt hat, dass die Rente
zu niedrig angesetzt war, und die Petenten eine kleine
oder manchmal sogar eine saftige Nachzahlung erhielten. Eine Petentin bekam beispielsweise Kinderpflegekrankengeld nachgezahlt. Wir haben zudem die Weiterzahlung der Waisenrente beim Ableisten eines
freiwilligen sozialen Dienstes veranlasst, weil es uns ungerecht erschien, dass das nur im Rahmen des Zivildienstes möglich sein soll. Wir haben des Weiteren bei
der Gewährung von Kindergeld in Ausbildungszeiten
helfen können. Die von Schließung betroffenen Postfilialen wurden - das haben Sie schon erwähnt, Herr
Baumann - nach unserem Protest erhalten. Es gibt noch
viele ähnliche Beispiele. Das Schönste an unserer Petitionsarbeit ist, wenn wir direkt helfen können oder feststellen, dass Behörden Probleme von selbst lösen, wenn
sie einen Brief vom Petitionsausschuss erhalten. Das
zeigt, dass die Menschen Recht haben, wenn sie sich an
uns, den Petitionsausschuss, wenden.
Das Petitionsrecht ist mehr als 200 Jahre alt und ist
- in der jeweiligen Zeit natürlich in Abstufungen - für
die Menschen nutzbar gewesen. Es hat sich kontinuierlich weiterentwickelt, bis zum heutigen Verfassungsrang.
Die Petenten, die früher oft als Querulanten bezeichnet
wurden, sind heute Mitwirker und Mitgestalter bei der
Gesetzgebung. Etwas Besseres als den aktiven Dialog,
den wir, die Mitglieder des Petitionsausschusses, täglich
führen, kann sich eine lebendige Demokratie gar nicht
wünschen.
Die SPD-Fraktion hat schon vor Jahren eine zeitgemäße Vervollkommnung der Petitionsarbeit angemahnt;
das wurde schon mehrfach angesprochen. Auch wenn
du, lieber Josef Winkler, nun ein bisschen sauer sein
wirst, möchte ich deutlich sagen: Es war die rastlose Tätigkeit unserer Sprecherin Gabriele Lösekrug-Möller - sie
kann sehr hartnäckig sein - und anderer, die es ermöglicht hat, dass das neue Petitionsrecht am 1. Mai dieses
Jahres in Kraft getreten ist. Die Möglichkeit, Petitionen
per E-Mail zu verschicken, oder der Modellversuch zur
Mitzeichnung von Petitionen im Internet - hoffentlich
können wir diesen Modellversuch bald stoppen, um ihn
in „normales“ Recht zu überführen - haben so gut eingeschlagen, wie wir es nicht erwartet haben.
Beinahe hätten die vielen Praktikantinnen und Praktikanten das notwendige Quorum von 50 000 für eine Anhörung in öffentlicher Sitzung erfüllt. Was sie aber auf
jeden Fall erreicht haben, war eine öffentliche, von den
Medien aufgenommene Diskussion über ihre missliche
Lage, sodass nun viele Menschen darüber nachdenken,
wie der „Generation Praktikum“ geholfen werden kann.
Das zeigt, dass ernsthaft gemeinte Massenpetitionen
Einfluss nicht nur auf uns, den Gesetzgeber, sondern
auch auf die Gesellschaft haben und verändernd wirken
können. Lebendiger kann man eine Demokratie gar nicht
halten. Ich kann daher allen Kolleginnen und Kollegen
und den Ministerien nur raten, gelegentlich in den Foren
für Petitionen von öffentlicher Bedeutung nachzusehen;
denn hier wird in der Regel sehr sachkundig und diszipliniert über Themen wie das Ehegattensplitting, die Arbeitsvermittlung oder die BAföG-Gesetzgebung diskutiert. Das kann uns nur helfen.
Wir arbeiten weiter daran, den Einfluss des Petitionsausschusses, der für berechtigte Anliegen der Bürgerinnen und Bürger kämpft, in allen Winkeln unseres Staates
zu stärken. Es macht Spaß, wieder an diese Arbeit zu gehen.
Vielen Dank.
({0})
Ich erteile das Wort Kollegen Paul Lehrieder, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Herr Kollege Hagemann hat darauf
hingewiesen, dass die Präsenz auf der Regierungsbank
bei diesem wichtigen Thema etwas zu wünschen übrig
lässt. Herr Kollege Hagemann, ich sehe das nicht ganz
so schlimm. Immerhin ist schon der zweite Staatssekretär da und mittlerweile ist ein Staatsminister eingetroffen. Im Übrigen können Sie davon ausgehen, dass uns
das Bundeskabinett in vollem und tief verwurzeltem
Vertrauen zu diesem Petitionsausschuss und zu seiner
Ausschussvorsitzenden dieses Feld überlässt. Ich finde
das also nicht so dramatisch. Die Regierung glaubt, dass
die Petitionen in diesem Ausschuss in vernünftigen und
ordentlichen Händen sind. Bei der Diskussion hat sich
im Übrigen wie bei nur wenigen Themen in diesem Hohen Hause gezeigt, dass quer durch die Fraktionen Applaus für die einzelnen Redebeiträge gewährt wurde.
Das war bei keinem anderen Thema so häufig der Fall
gewesen wie heute bei dem Thema Petitionen.
Insbesondere für unsere jugendlichen Zuhörerinnen
und Zuhörer und für die Besucher auf den Besucherrängen möchte ich zitieren:
Jedermann hat das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder
Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die
Volksvertretung zu wenden.
Art. 17 des Grundgesetzes hört sich zunächst einmal so
selbstverständlich wie abstrakt an. Als neu gewählter
Abgeordneter dieses Hohen Hauses habe ich zu Beginn
dieser Wahlperiode in einer dieser „zuständigen Stellen“
Platz genommen, dem Petitionsausschuss des Deutschen
Bundestages. Seine Arbeit wird oft unterschätzt und vielen Bürgern ist diese auf den ersten Blick so unscheinbare Einrichtung gar nicht bekannt, völlig zu Unrecht.
Meine wichtigste Erfahrung zu Beginn war: Von meinem Amt als Bürgermeister der Gemeinde Gaukönigshofen im Wahlkreis Würzburg führte mein direkter Weg
in den Petitionsausschuss. Die Aufgaben, Ansprechpartner für die Belange der Mitbürger und Volksvertreter im
besten Sinne des Wortes zu sein, ähneln sich und bauen
aufeinander auf. Jede Petition, die ich bearbeite, bringt
neue Anliegen aus den unterschiedlichsten Politik- und
Themenbereichen. Die Petenten bedienen sich dabei eines der wichtigsten Mittel, über das sie neben dem
Stimmzettel verfügen: im eigenen Interesse Einfluss auf
die Politik zu nehmen und auch den Wildwuchs von
Normen und Vorschriften anzuprangern. Hier wird ein
Grundrecht hautnah ausgeübt.
Als Bundestagsneueinsteiger bekam ich so die einmalige Gelegenheit, in kurzer Zeit einen intensiven und ungefilterten Überblick über das zu bekommen, was unsere
Wähler bewegt, und mir selbst als Bundestagsabgeordneter Fragen zu stellen: Wie wirken sich die Gesetze, die
ich mitbeschließe, auf den Alltag aus? Wo ziehen Vorschriften Ungerechtigkeiten nach sich? Wo muss bürokratisches Unterholz gelichtet werden?
Für alle Beteiligten bietet der Petitionsausschuss
große Chancen: Der Bürger bekommt für ein konkretes
Anliegen Unterstützung und kann sich mithilfe des Ausschussdienstes über seine Rechte und Möglichkeiten klar
werden. Kurzum: Er wird ernst genommen. Behörden
und Gesetzgeber bekommen ein Feedback aus dem täglichen Leben über Schwachstellen und Ungerechtigkeiten
im Praxistest der Vorschriften. Als Abgeordnete schließlich bekommen wir unschätzbare Rückkoppelung über
das Wirken der Gesetzgebung in Fällen, wie sie jedem
von uns auch in unserer Wahlkreisarbeit begegnen. Wir
bekommen Handreichungen dafür, dass unser Gemeinwesen effizienter und für den Wähler nachvollziehbarer
funktioniert, und ein Gefühl für die Stimmung in der Bevölkerung. Man kann den Petitionsausschuss als Feinjustierungselement zwischen Exekutive und Legislative
bezeichnen. So viel Erkenntnis ist natürlich auch mit einer Menge bienenfleißiger Arbeit verbunden, Arbeit, die
immer wieder durch Erfolg belohnt wird, wie ich an folgendem Beispiel aufzeigen möchte.
In acht Zuschriften wandten sich Mitglieder von Imkereivereinen an den Petitionsausschuss und forderten
für die Hobbyimker eine Befreiung von der Beitragspflicht zur gesetzlichen Unfallversicherung. Sie machten
darauf aufmerksam, dass die geltende Rechtslage keine
klare Abgrenzung zu gewerbsmäßig betriebenen Imkereien festlege. Erst ab einer Größe von 25 Bienenvölkern
könne von einer Wirtschaftlichkeit des Unternehmens
und damit von einem gewerblichen Betrieb im Sinne der
Unfallversicherung ausgegangen werden. Außerdem hätten Hobbyimker, deren Durchschnittsalter bei 59 Jahren
liege, als Rentenempfänger keinen vollen Nutzen aus den
Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung. Der Petitionsausschuss stellte im Ergebnis seiner parlamentarischen Prüfung fest, dass die beanstandete Rechtslage zur
Unfallversicherungspflicht eines Unternehmens eine
klare Grenzziehung zwischen erwerbsmäßig betriebenen
Imkereien und Hobbyimkern erschwert. Er unterstützte
das Anliegen und wies auf den bereits festzustellenden
Rückgang der Zahl der Hobbyimker hin. Nach Auffassung des Ausschusses ist diese Entwicklung auch auf die
Belastung durch die Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung zurückzuführen.
Der Petitionsausschuss empfahl deshalb dem Deutschen Bundestag, die geltenden Regelungen zu überarbeiten. Das Plenum nahm die Anregung auf und überwies die Eingabe der Bundesregierung zur Erwägung
mit dem Ziel, dass durch eine Änderung der bestehenden
Rechtslage für Abhilfe gesorgt wird. Die Bundesregierung sagte daraufhin zu, das Anliegen in einem der
nächsten anstehenden Gesetzgebungsverfahren aufzugreifen und dabei eine möglichst eindeutige Grenzziehung zwischen dem Interesse der Rechtssicherheit und
den Interessen der Betroffenen vorzusehen.
Nicht zuletzt ausgelöst durch eine Vielzahl teils öffentlicher Petitionen hat es der prekäre Status der Generation Praktikum - meine Vorrednerin hat bereits darauf hingewiesen - bis ans Licht einer breiteren Öffentlichkeit geschafft. Gerade Hochschulabsolventen bemühen sich immer häufiger mit Hoffnung auf einen festen
Arbeitsplatz um einen Praktikumsplatz. Sie füllen so unter Umständen einen kompletten Arbeitsplatz aus, bekommen dafür aber kaum oder wenig Geld. Junge Berufsanfänger befinden sich so nicht auf dem Weg in ein
festes Anstellungsverhältnis, sondern in einer Schleife
immer neuer Praktika und in einer Lücke des Berufsbildungsgesetzes. Wo keine tarifvertraglichen Bindungen
existieren, greift dieses Gesetz nicht.
Der Petitionsausschuss des Bundestages empfahl, die
Petition dem Bundesministerium für Bildung und Forschung als Material zu überweisen mit dem Ziel, dass
dieser negativen Entwicklung entgegengewirkt wird.
Mittlerweile hat Bundesarbeitsminister Müntefering
auch von diesem Podium aus vor genau zwei Wochen einiges zu diesem Thema ausgeführt. Er hat es sich zu Eigen gemacht und ich bin sicher, dass sich hierbei in Zukunft einiges verbessern wird.
In konkreten Fällen Probleme zu lösen und für Klarheit zu sorgen, ist eine dankbare Aufgabe für einen
Volksvertreter und hat eine Bedeutung darüber hinaus:
Für den Petenten ist der Staat nicht anonym. Für den Abgeordneten, den er ins Parlament entsandt hat, ist er
Wähler, aber auch Bürger mit oft berechtigten Anliegen.
Zu begrüßen sind die zwischenzeitlich eingeführten
Messeauftritte. Ich konnte selber an einem Messeauftritt
des Petitionsausschusses teilnehmen. Solche Auftritte
mit Ansprechpartnern vor Ort auf einer angenehmen
Messe werden dazu beitragen, dass die Politikverdrossenheit ein Stück weit abgebaut werden kann.
({0})
Ich darf mich bei allen Kollegen im Petitionsausschuss für die kollegiale Zusammenarbeit sowie bei den
wissenschaftlichen Mitarbeitern sehr herzlich bedanken.
Es ist festzustellen, dass im Petitionsausschuss sehr
wenig Ideologie zum Tragen kommt. Jetzt muss ich aber
doch ganz kurz zur Linkspartei hinüberschauen. Liebe
Frau Pau, au, au, au! Ich habe Sie gestern Morgen im Petitionsausschuss sehnsüchtig vermisst. Ich habe mir die
Augen ausgeschaut. Frau Pau war nicht da. Stattdessen
führte sie heute eine Rede über Rechtsextremismus fort,
die sie gestern Nachmittag begonnen hatte. Ich bin gespannt, ob morgen Teil drei ihrer Rede zum Rechtsextremismus kommt. Ich würde es begrüßen, wenn wir uns
bei der nächsten Ausschusssitzung wieder sehen, Frau
Pau, und dann über die Belange unserer Petenten diskutieren, statt dass pseudostaatstragende Reden gehalten
werden, die uns im Petitionsverfahren nicht sonderlich
weiterbringen.
Herzlichen Dank.
({1})
Und nun hat Kollegin Gabriele Frechen, SPD-Fraktion, das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr
Kollege Klaus Hagemann, ich gebe dem Herrn Kollegen
Lehrieder Recht: Es hätte noch schlimmer kommen können. Früher haben wir unseren Tätigkeitsbericht nur bei
Nacht und Nebel und nicht in der Kernzeit vorstellen
dürfen.
({0})
Das ist heute anders. Ich bedanke mich beim Ältestenrat
dafür, dass wir hier sozusagen zu prominenter Zeit berichten dürfen.
„Ein gut funktionierendes Petitionsrecht ist eine Auszeichnung für die Demokratie“, sagte mir ein Bürger aus
meinem Wahlkreis. Als ganz überzeugtes Mitglied des
Petitionsausschusses kann ich das natürlich nur unterstützen. Aber stimmt das denn? Ist das wirklich eine
Leistung der Demokratie? Weit gefehlt!
Es war ein langer Weg vom römischen Kaiserreich
über das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, in
dem es Bürgern gestattet war, demütige Bitten an die
Obrigkeit zu richten, und das Preußische Landrecht von
1794 bis zum Jahr 1949; denn erst seit 1949 ist es wirklich ein Petitionsrecht, wie es die Demokratie verlangt.
Es wurde als Art. 17 ins Grundgesetz aufgenommen.
Heute ist das Petitionsrecht kein demütiges Bitten
mehr - Gott sei Dank! -, sondern ein Grundrecht für jedermann. Ich sage jetzt nicht dazu: „für jede Frau und jedes Kind“, weil im Grundgesetz einfach „jedermann“
steht. Mehr noch: Der Parlamentarische Rat machte das
Petitionsrecht 1949 zu einem unantastbaren Grundrecht,
also einem Recht mit Ewigkeitscharakter.
Die Arbeit im Petitionsausschuss bietet den direkten
Kontakt zwischen den Menschen, die wir vertreten, und
dem Parlament. Diese Unmittelbarkeit ist einer der
Gründe dafür, dass ich mich auch in der zweiten Wahlperiode wieder freiwillig für diesen Ausschuss entschieden habe. Für uns bietet sich die Möglichkeit, auf diesem
Wege die Auswirkungen der Gesetze, die wir verabschiedet haben, aber auch der Gesetze, Herr Kollege
Ackermann, die lange vor Rot-Grün verabschiedet wurden - ich denke an Ostrenten und an Treuhandgeschäfte,
die heute noch im Petitionsausschuss reflektiert werden -, zu betrachten. Das soll es zu Ihrem Hau vom Reformstau aber auch gewesen sein. Ansonsten arbeiten
wir ja doch ganz gut zusammen.
({1})
Wir bearbeiten ein ganz breites Spektrum. Das ist
heute schon vielfach gesagt worden. Ich mache es deshalb kurz. Es sind auch ganz widerstreitende Positionen dabei. Die einen wollen die Vermögensteuer gänzlich aus dem Gesetz gestrichen haben. Die Regelung soll
nicht nur nicht angewendet werden, sondern sie soll raus
aus dem Gesetz. Die anderen wollen Veränderungen
beim Arbeitslosengeld II. Die einen wollen ein Recht, in
der privaten Kasse versichert zu sein. Die anderen kämpfen darum, überhaupt eine Krankenkasse zu haben. Ungeklärte Grundstücksprobleme, das Thema Ostrenten sowie die Überschuldung durch falsche Beratung bei den
Banken sind Anliegen, die bei uns auf dem Tisch oder
- besser gesagt - bei der Politik vor der Tür landen.
Wir erhalten so ganz tiefe Einblicke in menschliche
Schicksale. Wir können sicherlich nicht immer und auch
nicht überall helfen; denn die Grenze unserer Arbeit ist
das geltende Recht. Das gilt aber nur für die Vergangenheit und Gegenwart. Für die Zukunft sind uns, was den
Extrakt aus unserer Arbeit im Petitionsausschuss anlangt, natürlich keine Grenzen gesetzt. Im Gegenteil:
Aus den Petitionen müssen, sollen und können wir für
die Zukunft lernen.
Im Berichtszeitraum wurden die allermeisten Voten
einmütig erzielt. Manchmal wurde selbst noch in der Sitzung Einigung erreicht. Heute habe ich mitunter das Gefühl - aber das kommt dann im Tätigkeitsbericht 2006 -,
dass sich auch hier das Sprichwort bewahrheitet, das
Sein bestimmt das Bewusstsein, und dass Dinge anders
sind, wenn man in der Opposition ist oder vielleicht
noch gar nicht in der Regierungsverantwortung war.
Über die Neuerungen im Petitionsrecht haben die
Kollegen schon ausführlich berichtet. Ich bin überzeugt
davon, dass die von uns eingebrachten Veränderungen
die richtigen Schritte sind, um den Menschen das Petitionsrecht näher zu bringen. Ein einfaches, transparentes
Petitionsrecht ist, glaube ich, wesentlicher Grundstein
für die Teilhabe an einer lebendigen Demokratie.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die erneute deutliche Zunahme der Zahl der Eingaben im letzten Jahr
zeigt, dass die Bürgerinnen und Bürger den Petitionsausschuss zunehmend als Anlaufstelle für ihre Sorgen und
Proteste nutzen. Wenn unsere Obfrau, Gabriele
Lösekrug-Möller, zitiert wird mit dem Satz: „Bei uns
brummt’s“, dann heißt das auch - ich sage: nicht nur,
aber auch -, dass unsere Öffentlichkeitsarbeit der letzten
Jahre Erfolg zeigt.
Fast 500 000 Menschen haben sich 2005 an den Petitionsausschuss gewandt. Welche Bedeutung hat diese
Zahl? Glaubt man der Berichterstattung, so handelt es
sich dabei um einen Beschwerden- oder Frustrekord.
Selbstverständlich trifft es zu, dass Menschen ihren
Frust bei uns abladen. Aber die Lektüre des Tätigkeitsberichts zeigt doch sehr schnell und deutlich, dass diese
Begriffe zu kurz greifen; denn es ging auch - das wurde
schon angesprochen - um die Unterstützung bei Visaerteilungen, die Generation Praktikum oder auch um den
UV-Schutz für Minderjährige in Solarien. Diese Anliegen werden von Petenten an uns herangetragen, die noch
nicht einmal selbst davon betroffen sind. Sie tun dies,
weil sie Verantwortung für die Gesellschaft übernehmen
und uns sagen wollen, wo sie einen deutlichen Handlungsbedarf sehen. Sie fordern uns auf: Macht was daraus. - Es ist dann unsere Aufgabe zu entscheiden: Können und wollen wir und, wenn ja, wie können und wollen wir daraus etwas machen?
Aus diesem Grund begrüße ich die Zunahme der Zahl
der Eingaben ausdrücklich. Die Menschen machen nur
von ihrem demokratischen Grundrecht Gebrauch. Ein
Grund für die Zunahme sind sicherlich auch - der Vorredner hat es angesprochen - die Besuche von Messen
und Ausstellungen. Dort kommen die Menschen praktisch im Vorübergehen mit uns ins Gespräch. Das hat
eine unheimlich positive Wirkung. Ich selber gehe sehr
gern auf die Messen und unterstütze da die Ausschussarbeit. Ich lade alle Kolleginnen und Kollegen, ob Mitglieder des Ausschusses oder nicht, ein, diese Chance zu
nutzen, mit den Bürgern ins Gespräch zu kommen, und
ich rufe die Bürgerinnen und Bürger auf, diese Messen
zu besuchen, um mit den Abgeordneten ins Gespräch zu
kommen.
Demokratie lebt vom Vertrauen zueinander, vom Verständnis füreinander und vom Respekt voreinander. Ein
Gespräch ist ein erster wichtiger Schritt dazu.
({3})
Ich schließe die Aussprache.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:
Beratung des Antrags der Bundesregierung
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in
Afghanistan unter Führung der NATO auf
Grundlage der Resolutionen 1386 ({0}) vom
20. Dezember 2001, 1413 ({1}) vom 23. Mai
2002, 1444 ({2}) vom 27. November 2002,
1510 ({3}) vom 13. Oktober 2003, 1563
({4}) vom 17. September 2004, 1623 ({5})
vom 13. September 2005 und 1707 ({6}) vom
12. September 2006 des Sicherheitsrates der
Vereinten Nationen
- Drucksache 16/2573 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({7})
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss
gemäß § 96 GO
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Staatsminister Gernot Erler das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Eine Debatte um die Verlängerung des ISAF-Mandats in
Afghanistan fünf Jahre nach dem 11. September 2001
und der darauf folgenden Intervention in Afghanistan ist
eine wichtige Gelegenheit, um über die Lage des Landes
zu sprechen, aus dem uns heute viele Besorgnis erregende Nachrichten erreichen.
Notwendig ist eine nüchterne Analyse. Zu einer Beschönigung gibt es keinen Anlass. Sie könnte sogar zu
falschen Folgerungen und zu unerfüllbaren Erwartungen
führen. In den letzten Wochen hat sich die Bundesregierung dieser Aufgabe einer nüchternen Analyse unterzogen und nach dem ersten Afghanistankonzept vom Jahr
2003 ein fortgeschriebenes vorgelegt. In diesem Konzept
werden auf 25 Seiten Licht und Schatten der Entwicklung beschrieben und dann die notwendigen politischen
Rückschlüsse gezogen.
Es gibt positive Entwicklungen. Afghanistan hat
heute eine neue Verfassung, ein gewähltes Parlament
und einen gewählten Staatspräsidenten. Das Pro-KopfEinkommen hat sich in den letzten fünf Jahren verdoppelt. Heute gehen 7 Millionen Kinder in die Schule, Jungen wie Mädchen. Für die innere Sicherheit hat Afghanistan Fähigkeiten in Form einer nationalen Armee und
einer nationalen Polizei aufgebaut. Es gibt auch erste
Grundlagen für ein rechtsstaatliches Justizwesen. Das alles ist angesichts des schwierigen historischen Hintergrundes, zu dem auch mehr als zwei Jahrzehnte Bürgerkrieg gehören, nicht wenig.
Zugleich gibt es aber auch Besorgnis erregende Zustände und Entwicklungen. Afghanistan steht noch
lange nicht auf eigenen Füßen. Es ist abhängig von einem stetigen Fluss internationaler Hilfszahlungen, im
Augenblick im Umfang von etwa 2 Milliarden Dollar
pro Jahr; diese machen mehr als die Hälfte des Staatshaushaltes aus. In Afghanistan gibt es fortgesetzt Armut.
Der Wohlstand ist regional unterschiedlich verteilt. Flächendeckend hat sich die Hoffnung auf eine Besserung
der Lebensverhältnisse jedenfalls nicht erfüllt. Die Menschen machen auch im Alltag schlechte Erfahrungen,
zum Beispiel mit einer streckenweise unfähigen und korrupten Verwaltung, mit einer zum Teil katastrophalen
Personalpolitik des Präsidenten, die eher Claninteressen
als Fähigkeiten prämiert, und mit einem zum Teil unzureichenden Schutz im Alltag. So wurden beispielsweise
in diesem Jahr schon über 200 Schulen zerstört oder demoliert; das betrifft 100 000 Schülerinnen und Schüler.
In Teilen des Landes, besonders im Süden und Osten,
ist der Krieg zurückgekehrt. Da kämpfen die Einheiten
der Operation Enduring Freedom zusammen mit der afghanischen Nationalarmee gegen regelrechte Verbände
der Taliban und deren Unterstützer. Im ganzen Land hat
die Zahl der Anschläge flächendeckend zugenommen.
Typisch für die inneren Zusammenhänge dieser Zustände ist der bisherige Fehlschlag im Kampf gegen den
Drogenanbau. Die Drogenindustrie erwartet in diesem
Jahr eine Rekordernte beim Opium. Man schätzt den
Umsatz mit diesen Produkten auf 2,8 Milliarden Dollar.
Er hat damit einen Anteil von ungefähr 30 bis 40 Prozent
am afghanischen Bruttosozialprodukt. Dieses Geld fließt
in die Taschen der Drogenmafia und der örtlichen Warlords und wird wohl auch zur Finanzierung von terroristischen Aktivitäten genutzt. Es gibt daher einen entschiedenen Widerstand, wenn es um den Kampf gegen den
Drogenanbau geht. Aber ohne einen Erfolg in diesem
Bereich ist eine Verbesserung der Sicherheitslage nicht
vorstellbar.
({0})
Es ist völlig klar: Vorerst besteht keine Chance, dass
Afghanistan aus eigener Kraft mit diesen Problemen fertig wird. Deswegen ist das Engagement der internationalen Gemeinschaft weiter unverzichtbar. Ein stabiles Afghanistan liegt auch in unserem eigenen Interesse. Denn
auch in den Nachbarregionen müssen noch viele Konflikte gelöst werden.
Die Hauptaufgabe bleibt eine politische. Die Grundlage dafür ist der Fahrplan für den „Afghanistan Compact“, beschlossen auf der Londoner Konferenz im Januar dieses Jahres. Die Anstrengungen beim Aufbau von
Militär und Polizei, bei der Reform des Sicherheitssektors und im Justizwesen sowie bei der Drogenbekämpfung müssen fortgesetzt werden. Es müssen auch mehr
Anstrengungen bei der Armutsbekämpfung unternommen werden. Wo Erwartungen der Menschen enttäuscht
werden, werden sie anfällig für eine gefährliche Nostalgie, die man auf folgende Kurzformel bringen könnte:
Früher hatten wir keine Freiheit, aber Brot; heute haben
wir kein Brot, aber alle Freiheiten. Das ist eine ganz gefährliche Entwicklung.
Es ist auch klar: Die Bemühungen zur Schaffung einer flächendeckenden Sicherheit müssen fortgesetzt
werden; denn diese Sicherheit ist nötig, um die von mir
genannten politischen Ziele zu erreichen. Das ist der
Hintergrund dafür, dass der UN-Sicherheitsrat am
12. September beschlossen hat, das ISAF-Mandat um
zwölf Monate zu verlängern. Das ist auch der Hintergrund dafür, dass das Bundeskabinett einen Tag später
einen entsprechenden Beschluss zur Fortsetzung der
deutschen Beteiligung an ISAF getroffen hat und jetzt
dem Bundestag zur konstitutiven Zustimmung vorlegt.
Damit kommt die Bundesregierung übrigens einer Bitte
der Vereinten Nationen und Afghanistans nach.
Das Mandat für die deutsche ISAF-Beteiligung soll
inhaltlich unverändert bleiben. Die Obergrenze liegt
weiterhin bei 3 000 Soldatinnen und Soldaten. Der
Schwerpunkt des Einsatzes soll im Norden und in der
Kabuler Region liegen. Es bleibt auch dabei, dass Einsätze in anderen Regionen nur zeitlich und im Umfang
begrenzt als Unterstützungsmaßnahmen erfolgen können, wenn sie für den Gesamterfolg von ISAF unverzichtbar sind. Die Bundesregierung besteht auf der Trennung und Unterscheidbarkeit von OEF, also der
Operation Enduring Freedom, und der ISAF-Mission.
({1})
Ich möchte mit der Feststellung schließen, dass wir
uns der Risiken dieses Einsatzes bewusst sind. Aber die
politischen Ziele, nämlich die Stabilisierung und die Sicherstellung der Eigenverantwortlichkeit Afghanistans,
bleiben unerreichbar, wenn es die internationale Gemeinschaft nicht schafft, ein sicheres Umfeld zu schaffen. Dieses sichere Umfeld ist wichtig für eine Verbesserung der ökonomischen und sozialen Situation, für die
notwendigen Reformen in Verwaltung, Regierung und
bei den Sicherheitsorganen sowie für den Kampf gegen
die Korruption. Damit kann mehr Vertrauen im Land geschaffen werden. Außerdem kann damit eine nachhaltige
Festigung der demokratischen Strukturen einschließlich
des Schulwesens und der Gleichberechtigung von Männern und Frauen sowie von Jungen und Mädchen erreicht werden.
Vor diesem politischen Hintergrund bittet die Bundesregierung um die konstitutive Zustimmung dieses Hauses zu dem von ihr gemachten Vorschlag.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich freue mich, eine
Gruppe afghanischer Parlamentarierinnen begrüßen
zu können, die Deutschland, Berlin und unser Parlament
besuchen.
({0})
Wir wünschen Ihnen für Ihre parlamentarische Arbeit
und die Entwicklung Ihres Landes alles Gute.
Nun erteile ich das Wort Kollegen Rainer Stinner,
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich stehe noch ganz unter dem Eindruck eines einstündigen Gespräches von Mitgliedern des Verteidigungsausschusses mit unseren parlamentarischen
Kolleginnen aus Afghanistan. Ich kann nur sagen: Die
Informationen, die wir bekommen haben, waren in ihrer
Breite, Vielfalt und Tiefe sehr beeindruckend. Ich würde
mir wünschen, dass das, was wir in dieser Stunde gehört
haben, der ganze Deutsche Bundestag einmal live hätte
erleben können. Das hätte sicher sehr viel Eindruck gemacht. Nochmals ganz herzlichen Dank für die umfangreichen Informationen!
({0})
Die FDP-Fraktion wird der Verlängerung des Mandates zustimmen. Nach dem Gespräch von heute bin ich
umso mehr davon überzeugt, dass dies eine richtige Entscheidung ist. Das Gespräch hat zu zusätzlichen Argumenten für diese Entscheidung geführt.
Wir alle wissen, Afghanistan erlebt eine dramatische
Entwicklung. Ich will es einmal so ausdrücken: Wir sind
in der Gefahr, den Kampf um Afghanistan zu verlieren.
Damit meine ich nicht in erster Linie den militärischen
Kampf. Ich meine den Kampf um die Herzen, um die
Unterstützung und um das Verständnis der afghanischen
Bevölkerung. Das ist der eigentlich entscheidende
Kampf, in dem wir stehen. Wir müssen alles dafür tun,
diesen Kampf zu gewinnen.
({1})
Wir wissen, der militärische Einsatz kann dafür nur
die Voraussetzung sein. Die eigentliche Entwicklung der
Gesellschaft muss - das wissen wir doch alle - auf zivilem Gebiet erfolgen. Deshalb müssen wir das Entsprechende tun. Wir müssen aus dieser Situation aber auch
die entsprechenden politischen Konsequenzen ziehen,
die unser politisches Handeln prägen.
Die Bundesregierung hat ein Afghanistankonzept
vorgelegt; das finde ich positiv. Ich halte es auch für positiv, dass hier erstmals ein sehr realistisches Bild gezeichnet wird. Es findet keine Beschönigung mehr statt.
Das halten wir für gut und richtig. Dies wurde schon dargestellt und findet unsere volle Unterstützung. Das muss
auch so sein. Denn wir müssen uns klar machen, vor
welch schwieriger Aufgabe wir dort insgesamt stehen.
Wir müssen natürlich auch mit unseren Partnerländern - hinter verschlossenen Türen; das sehe ich ein offen über Defizite sprechen, was den Aufbau der Justiz,
die Drogenproblematik und die Entwaffnung angeht.
({2})
Wir müssen uns bewusst sein, dass auch auf unserem
eigenen Gebiet, dem Polizeiaufbau, Beschönigungen
nicht angebracht sind.
({3})
Wir sind beim Polizeiaufbau - dies ist die deutsche Aufgabe - im Hintertreffen in Bezug auf das, was wir erreichen wollten. Ich kritisiere in keinster Weise die gemachten Anstrengungen. Aber die Maßnahmen der
Bundesregierung werden nicht an den gemachten Anstrengungen, sondern an den Ergebnissen gemessen. Die
Ergebnisse sind - das müssen wir ohne jede Aggressivität feststellen - heute noch nicht so, wie sie sein sollten.
Wir alle wissen, eine funktionierende Polizei ist ein ganz
wesentliches Element jeder Exitstrategie. Von daher sollten wir hier mehr tun.
Wenn wir also Erfolg haben wollen - und wir müssen
Erfolg haben -, dann sollten wir aus dieser Analyse politische Konsequenzen ziehen. Das möchte ich in der mir
verbleibenden Zeit kurz tun.
Erstens. Nach unserer Meinung muss Afghanistan ein
wirkliches Schwerpunktland deutscher Entwicklungszusammenarbeit werden.
({4})
Wir wissen, dass dieser Bereich ein entscheidendes
Spielfeld ist, um Erfolg zu haben. Es muss ein wirkliches Schwerpunktland werden. Wenn Sie vergleichen, in
welcher Höhe wir heute Entwicklungshilfe zum Beispiel
an China und an Afghanistan geben, dann stellen Sie
fest, dass da eine Disproportionalität besteht. Ich möchte
Sie bitten, in den Haushaltsberatungen eine entsprechende Schwerpunktverlagerung einzuleiten. Ich weiß,
das geht nicht von heute auf morgen. Aber es ist völlig
unfassbar, dass China auf Dauer mehr Entwicklungshilfe
bekommt als das Kernland Afghanistan, um das wir uns
kümmern müssen.
Zweitens. Wir müssen den Polizeiaufbau noch wichtiger nehmen. Wir erleben in Afghanistan, dass es zunehmend schwieriger wird, Polizeiberater zu rekrutieren. Wir
erleben, dass die Polizeiberaterpositionen einiger PRTs
nicht besetzt sind. Auch das müssen wir ernster nehmen.
Auch hier erwarten wir, dass in den Haushaltsberatungen
entsprechende Vorkehrungen getroffen werden.
Drittens. Wir erwarten von der Bundesregierung, dass
unsere Soldatinnen und Soldaten ohne Wenn und Aber
in Afghanistan geschützt werden. Das bezieht sich sowohl auf geschützte Fahrzeuge als auch auf den Feldlagerschutz. Ich darf Ihnen berichten: Der Zulauf geschützter Fahrzeuge ist kein Problem der Produktion der
Industrie - ich füge hinzu: Die kann 30 Dingos pro Monat produzieren -, sondern ein Problem der Finanzierung.
Deshalb wird bis zum Jahr 2011, was unter sicherheitspolitischen Gesichtspunkten fast dem Sankt-Nimmerleins-Tag entspricht, die Auslieferung von 149 Dingos verschoben. Auch das muss entsprechend angepasst
werden.
({5})
Viertens. Die FDP-Fraktion verlangt - ich habe das
auch schon im Ausschuss verbalisiert -, dass der Verteidigungsausschuss des Bundestages zeitnah informiert
wird, wenn deutsche Soldaten außerhalb unseres Kerngebietes - Nordafghanistan und Kabul - eingesetzt werden. Die Mandatsverlängerung enthält eine Klausel, die
das theoretisch ermöglicht. Wir möchten darüber informiert werden.
Fünftens. Wir erwarten, dass dieses Afghanistanprojekt vom Kabinett in seiner Gesamtheit nach außen als
gemeinsames Projekt vertreten wird. Auf Arbeitsebene
läuft die Zusammenarbeit in Afghanistan gut. Das Problem liegt aber, meine sehr geehrten Damen und Herren
Minister, sofern anwesend, im Kabinett. In der Öffentlichkeit wird nicht deutlich, dass die Frau Ministerin und
Herr Minister Jung ein wirkliches Team sind, die an einem gemeinsamen Projekt arbeiten. Das ist der Eindruck
der Öffentlichkeit.
({6})
Wir sind ein Land und Sie stellen gemeinsam die Bundesregierung. Wir erwarten, dass Sie das deutlicher zum
Ausdruck bringen. Warum machen Sie nicht einmal gemeinsam eine Reise nach Afghanistan? Warum stellen
Sie sich nicht gemeinsam in Afghanistan vor und sagen:
Wir haben ein gemeinsames Projekt, an dem wir, die wir
aus verschiedenen politischen Richtungen kommen, zusammenarbeiten müssen.
({7})
- Dieses Dreamteam scheint euch wirklich zu beeindrucken.
({8})
Wir brauchen nicht nur gemeinsame militärische Einsatzregeln, die Rules of Engagement, wir brauchen auch
- so formuliere ich das einmal - Rules of Behavior. Wir
müssen dafür sorgen, dass die Soldaten der ISAF der afghanischen Bevölkerung mit Respekt gegenübertreten.
Nur so können wir die Herzen und Unterstützung gewinnen. Auch darüber müssen wir mit unseren Kollegen in
den anderen Ländern sprechen.
({9})
Wir müssen - das ist mein letzter Punkt - einen Zielstatus für dieses Land definieren. Für mich ist politisch
völlig indiskutabel, dass die Bundeswehr in 20 Jahren
noch immer in Afghanistan sein soll. Wir müssen den
angestrebten Zustand definieren. Dabei möchte ich uns
alle um Realitätsnähe bitten. Wir werden aus Afghanistan nicht die Schweiz machen können. Das wollen wir
auch gar nicht. Außerdem ist die Frage, ob jeder unserer
Standards unmittelbar übertragbar ist. Wir sollten diesbezüglich sehr realitätsnah sein.
Herr Präsident, ich komme zum Schluss. Nur wenn
wir und unsere Partner der ISAF an diesen politischen
Aufgaben hart arbeiten und sie einer Lösung näher bringen, macht ein militärischer Einsatz überhaupt Sinn. Das
ist die Voraussetzung. Wir müssen auch den Soldaten
klar machen, dass wir an einem politischen Prozess arbeiten, um ihnen zu zeigen, dass wir ihre schwere Arbeit
schätzen und dass wir sie unterstützen.
Wir fordern die Bundesregierung auf, diese Aufgaben
energisch anzupacken. Dabei haben Sie unsere volle Unterstützung.
Vielen Dank.
({10})
Ich erteile das Wort dem Bundesminister der Verteidigung, Franz Josef Jung.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung bittet den Deutschen Bundestag um Zustimmung zur Verlängerung des ISAF-Mandates für den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan.
Wir diskutieren über die teilweise schwierige Lage in
Afghanistan. Ich komme gleich darauf zurück. Ich
denke, man darf dabei nicht verkennen, was dort innerhalb der letzten fünf Jahre, seit dem Sturz des TalibanRegimes, geleistet worden ist. Es ist zu Recht darauf hingewiesen worden. Es gibt eine Verfassung, es gab Präsidentschaftswahlen und vor fast einem Jahr fanden die
Parlamentswahlen statt. Wenn heute Parlamentarierinnen aus Afghanistan unter uns sind, zeigt das aus meiner
Sicht, dass sich der demokratische Prozess positiv entwickelt hat. Das finde ich sehr gut.
({0})
Der Petersbergprozess wurde mit den Wahlen abgeschlossen. Anfang dieses Jahres fand die Londonkonferenz statt, auf der im Hinblick auf Stabilisierung und
Wiederaufbau eine Konzeption für die nächsten fünf
Jahre entwickelt worden ist. Ich glaube, ein ganz entscheidender Punkt ist, dass im Hinblick auf Stabilität
und Sicherheit zwar noch ein weiter Teil des Weges beschritten werden muss, dass der Wiederaufbauprozess
aber noch stärker ins Blickfeld genommen werden muss.
Ich finde, dass gerade hier die Bundesregierung einen
entscheidenden Schritt nach vorne gegangen ist und dass
der Einsatz der Bundeswehr, wie er beispielsweise im
Norden Afghanistans durchgeführt wird, ein Stück als
beispielhaft bezeichnet werden kann.
ISAF hatte großen Anteil daran, dass Afghanistan in
den letzten Jahren diese erfolgreiche politische Entwicklung - ich habe sie gerade aufgezeigt - genommen hat.
Ich glaube, dass es ganz wichtig ist, dass wir dort, wo
wir jetzt Aufgaben übernehmen - im Norden Afghanistans, in Masar-i-Scharif, wo wir das Camp aufbauen, in
Faizabad, Kunduz und in Kabul -, Stabilität und Wiederaufbau zusammenführen. Das ist ein ganz wichtiger
Punkt der vernetzten Sicherheitspolitik.
Herr Kollege Stinner, ich muss darauf hinweisen, dass
hier eine sehr gute Zusammenarbeit erfolgt. Wöchentlich findet eine Abstimmung statt, die vonseiten des
Bundesaußenministeriums unter Beteiligung beispielsweise des Entwicklungsministeriums, des Verteidigungsministeriums und des Innenministeriums durchgeführt wird, um genau diese Dinge fortzuentwickeln.
({1})
Natürlich wissen wir, dass - ich formuliere es einmal
wie folgt - die Aktivitäten, die wir in Afghanistan wahrnehmen, zunächst nicht von allen gutgeheißen wurden.
Aber Tatsache ist, dass wir mittlerweile das Kommando
im Norden haben. Unsere italienischen Freunde, die das
Kommando im Westen haben, sehen diese Konzeption
ebenfalls als richtig an. Im Süden haben die Kanadier
und unsere englischen Freunde das Kommando, die das
ebenfalls so sehen. Mittlerweile unterstützen auch unsere amerikanischen Freunde diesen Prozess, wobei, wie
Sie wissen, vorgesehen ist, im September 2006 die vierte
Stufe umzusetzen.
Der Kommandeur der US-Truppen in Afghanistan hat
es so formuliert: Das effektivste Waffensystem, das wir
haben, ist der wirtschaftliche Wiederaufbau. Das zeigt
den richtigen Weg. Wir brauchen Stabilität. Wir brauchen aber auch Wiederaufbau, damit die Menschen die
positive Entwicklung sehen, damit sie nicht das Gefühl
haben, hier ist eine Besatzungsarmee. Sie müssen von
diesem positiven Prozess überzeugt sein.
({2})
Sicherheit entsteht nicht allein durch Truppenpräsenz,
sondern vor allem durch erlebbare Fortschritte beim
Wiederaufbau. Deshalb ist der Weg, den wir eingeschlagen haben, richtig. Wir sollten ihn fortsetzen. Dieser
Weg und damit unser Einsatz im Norden Afghanistans
findet übrigens die breite Zustimmung der Bevölkerung.
Dies ist auch ein Schutz für unsere Soldatinnen und Soldaten im Hinblick auf die Umsetzung ihrer nicht einfachen Aufgaben. Wir haben im Norden Afghanistans
bereits mehr als 250 Projekte der zivil-militärischen Zusammenarbeit durchgeführt. Wir werden dem weiterhin
Rechnung tragen.
Dieser erweiterten Rolle, die wir seit dem vergangenen Jahr mit diesem Mandat wahrnehmen - die Umstrukturierung ist jetzt erfolgt -, wollen wir auch mit
dem zukünftigen Mandat Rechnung tragen. Deshalb bitten wir um eine inhaltlich unveränderte Fortschreibung
des Mandats mit einer Personalobergrenze von 3 000 Soldatinnen und Soldaten.
Ich betone auch im Hinblick auf die Diskussion der
letzten Wochen noch einmal, dass unser Aufgabenschwerpunkt im Norden Afghanistans und in Kabul liegen wird. Zur Unterstützung des Gesamtauftrags können
unabweisbare Notwendigkeiten entstehen, zum Beispiel
Aufklärung, Führung, Transport oder Logistik. Wir haben die Obleute gerade über diese Maßnahmen informiert. Ich nehme das auf, Kollege Stinner, was Sie gesagt haben: Wir werden das weiterhin so machen. Denn
ich bin der Auffassung, dass wir eine breite Unterstützung für die Aufgabe brauchen, die wir dort wahrnehmen.
Aber um es noch einmal klar zu sagen: Es gibt keine
dauerhafte Verlegung der deutschen Truppen, sondern
wir bleiben im Aufgabengebiet, im Norden Afghanistans
und in Kabul. Das wird auch unser zukünftiger Auftrag
sein.
({3})
Wir haben dort jetzt circa 2 800 Soldatinnen und Soldaten im Einsatz. Weil sich die Sicherheitslage dort in
den letzten Monaten verschärft hat, habe ich, wie Sie
wissen, angeordnet, dass wir dort nur noch mit
geschützten Fahrzeugen fahren. Es sind jetzt ausreichend Fahrzeuge im Einsatz, um das zu ermöglichen.
Aber damit hier keine falsche Vorstellung entsteht: Es ist
natürlich weiterhin notwendig, dass die Soldatinnen und
Soldaten auf Patrouille gehen, dass sie in den Ortschaften sind, dass sie Kontakt mit der Bevölkerung haben,
dass sie dort Gespräche führen. Das ist mit Risiko verbunden. Deshalb ist es, wie ich finde, richtig, dass wir
mit geschützten Fahrzeugen fahren. Aber es ist wichtig,
die Bevölkerung von dem positiven Prozess zu überzeugen und positive Akzente zu setzen. Auch das wird unser
Auftrag sein.
({4})
Zudem haben wir die Aufklärung verstärkt, um zusätzlich für Sicherheit zu sorgen; denn der Schutz unserer Soldatinnen und Soldaten liegt uns besonders am
Herzen.
Gerade vor dem Hintergrund dieser getroffenen Maßnahmen haben wir aus meiner Sicht zu Recht die Hoffnung, diesen Stabilisierungs- und Wiederaufbauprozess
positiv fortsetzen zu können. Was wäre die Alternative?
Wenn wir diese Maßnahmen jetzt beenden würden, dann
bestünde die Gefahr, dass das Land einen Rückfall auf
den Stand von vor über fünf Jahren erleiden würde, als
Afghanistan im Grunde genommen ein Ausbildungszentrum für den Terrorismus war.
Deshalb brauchen wir weiterhin diesen Auftrag, um
Stabilität und Wiederaufbau gewährleisten zu können,
im Sinne einer friedensstiftenden Mission dort, aber
auch im Hinblick auf die Sicherheit unserer Bürgerinnen
und Bürger; denn nur so können dort Gefahrenlagen und
terroristische Situationen unmittelbar bekämpft werden,
bevor sie unsere Bürgerinnen und Bürger in Deutschland
erreichen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bitte darum, das so angelegte Mandat zu verlängern. Ich füge
hinzu: Ich finde, unsere Soldatinnen und Soldaten leisten
dort einen beispielhaften Einsatz. Es ist, wie ich gerade
dargelegt habe, durchaus ein risikoreicher Einsatz. Aber
wenn ich sehe, wie breit die Zustimmung der Bevölkerung ist und mit welchem Engagement die Soldatinnen
und Soldaten ihren Auftrag ausführen, um Stabilität zu
gewährleisten, aber auch Wiederaufbau zu ermöglichen,
muss ich feststellen: Dies ist genau der richtige Weg.
Deshalb bitte ich Sie um eine breite Unterstützung.
Diese Unterstützung haben unsere Soldatinnen und Soldaten verdient.
Besten Dank.
({5})
Ich erteile das Wort Kollegin Monika Knoche, Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen Kolleginnen des afghanischen Parlamentes! Als
die Twin Towers einstürzten, war klar: Diesen horrenden
Terrorakt werden die USA mit Krieg beantworten. Uneingeschränkte deutsche Kanzlersolidarität führte zu einer Beteiligung an dem Krieg gegen Terror. Und das Ergebnis? Nach fünf Jahren gleicht die Situation in
Afghanistan der im Irak.
Was Rot-Grün mit der Vertrauensfrage erzwang,
führte trotz internationaler Sicherheitstruppe weitgehend
in eine Bilanz des Scheiterns. Kabul kontrolliert das
Staatsgebiet nach wie vor nicht. Während kanadische
Sozialdemokraten dieser Tage eine Rückführung ihrer
Soldaten erwägen, will Deutschland mit noch mehr
schwerem Gerät im härtesten Einsatz der NATO/ISAF
bestehen. Ich rede hier für eine Exitstrategie.
({0})
Ein Rückzug, sagt die Regierung, käme einer Niederlage gleich. Zu gewinnen ist die Mission aber auch nicht.
Was Sie jetzt vorhaben, kommt einer never ending story
gleich. Die USA führen den Krieg, die ISAF assistiert.
Zwar werden die ISAF-Soldaten nicht als Feinde der Bevölkerung wahrgenommen, doch können sie ISAF und
Enduring Freedom nicht mehr trennen. Vielleicht trägt
das KSK dazu bei.
Die Lage ist instabiler als je zuvor. Im Süden geben
die Taliban den Ton an. Ich zitiere drei Zeitungen, „Die
Welt“, die „FAZ“ und die „taz“.
„Die Welt“ sagt:
Was als Aktion für Stabilität und Wiederaufbau aufgelegt war, ist plötzlich zu einem vollständigen
Guerillakrieg geworden.
Die „FAZ“:
Die Amerikaner igeln sich ein, die Taliban greifen
an … Die Afghanen haben genug vom Krieg.
Die „taz“:
Im afghanischen Sumpf muss die NATO sich eingestehen, was sie überhaupt leisten kann - und notfalls abziehen.
Liest man das Afghanistankonzept der Regierung, so
findet man, was die Konsequenzen betrifft, Schönfärberei vor. Die Regierung leugnet das Scheitern. Sie benennt die neuen Gefahren von Attentaten und Anschlägen nicht.
({1})
Durch die Strategie der so genannten Doppelhutkonstruktion - die USA stellen den Kommandeur von ISAF,
der zugleich OEF befehligt ({2})
sollen Synergien zwischen einer völkerrechtswidrigen
Operation und dem NATO-geleiteten ISAF-Mandat entstehen.
Die Regierung weigert sich beharrlich, zur Kenntnis
zu nehmen, dass der Kampf gegen den Terror nicht
durch Krieg zu gewinnen ist. Die afghanische Bevölkerung braucht dringlichst Wirtschaftsprogramme, Beschäftigung, Wiederaufbauhilfe und soziale Unterstützung, um sich wieder auf ihre eigenen kulturellen und
Wissenspotenziale besinnen zu können. Die Menschen
wollen Zukunft.
({3})
Bekommen haben sie unter Karzai Korruption, einen
florierenden Drogenanbau und die Vertreter ebendieser
Warlords und Drogenbarone in der Regierung. Auf dem
Petersberg wurden sie allesamt zu Tisch gebeten. Heute
beherrscht die Burka das Straßenbild und Mädchenschulen sind die Zielscheibe von Angriffen. Die Grenzen zu
Pakistan sind nicht sicher. Was tut Deutschland, was tun
die USA, um hier Einfluss zu nehmen? Das bleibt ein
Fragezeichen.
Ich stelle fest: Keines der kriegslegitimierenden Ziele
wurde erreicht. Eines stimmt aber immer: Aus einer Niederlage wird nicht dadurch ein Erfolg, dass man sie leugnet. Afghanistan soll auf unsere volle Unterstützung zählen können.
({4})
Wir sollten garantieren, die KSK-Einsätze zu beenden,
den Abzug der Bundeswehr einzuleiten, die Entwicklungszusammenarbeit zu intensivieren, die Beachtung
der Frauen- und Menschenrechte voranzutreiben und die
Korruptionsbekämpfung durch eine sinnvolle Drogenpolitik in Angriff zu nehmen. Das bedeutet die Subventionierung der agrarischen Produktion und einen lizenzierten, legalen und kontrollierten Mohnanbau für den
Aufbau eines staatlichen Monopols der Mohnaufbereitung für medizinische Zwecke.
Meine Herren und Damen, Afghanistan braucht nachhaltige Unterstützung, ISAF eine Exitstrategie. Das
Geld, das für das Militär bereitgestellt wird, ist besser investiert in Wirtschaftshilfe, Rechtsstaatsbildung, Armutsbekämpfung, Polizei und die Sicherung der Grenzen. Durch all das wird die Zivilgesellschaft gestärkt.
Um sie sollte es uns doch eigentlich gehen.
Danke.
({5})
Ich erteile das Wort Kollegen Winfried Nachtwei,
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Kollegin Knoche, Sie haben behauptet, die Bundesrepublik habe ihr Kriegsziel in Afghanistan nicht erreicht.
Sie haben offensichtlich überhaupt nicht verstanden, woWinfried Nachtwei
rum es der Bundesrepublik und der internationalen Gemeinschaft insgesamt in Afghanistan geht.
({0})
Gerade das deutsche Engagement in Afghanistan ist ein
schlagendes Beispiel dafür, dass wir nicht die berühmte
uneingeschränkte Solidarität praktiziert haben, sondern
einen eigenständigen, UN-treuen Weg gegangen sind.
({1})
Vorhin wurden bereits die 14 sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen aus allen Landesteilen Afghanistans
begrüßt. Auch ich, Kollege Stinner, bin noch äußerst beeindruckt von der Begegnung mit ihnen. Ohne der Regierung zu nahe treten zu wollen, muss ich sagen: Das
eine Stunde dauernde Gespräch mit ihnen war für mich
lehrreicher als 50 Stunden Unterrichtung durch die Bundesregierung.
({2})
Ihnen sage ich meinen ganz herzlichen Dank! Ich danke
Ihnen für Ihr tolles Engagement und für Ihre sehr offenen und kritischen Worte. Ihre Botschaft war eindeutig:
ISAF muss fortgeführt werden. Aber es müssen massive
Veränderungen vorgenommen werden; sonst sind die
bisherigen Erfolge akut bedroht.
Die internationale Diskussion ist sehr stark von den
Forderungen nach mehr Soldaten und nach größerer
Kampfbereitschaft in Richtung Süden geprägt. Diese
Perspektive ist nicht nur verkürzt. Ich sage ausdrücklich:
Das ist ein Irrweg.
({3})
Die Bundesregierung hat ein neues Afghanistankonzept vorgelegt. Der darin dargelegte, durchdeklinierte,
umfassende Ansatz ist richtig. Wir entnehmen diesem
Afghanistankonzept wichtige Informationen und Anregungen. Insofern ist dieses Afghanistankonzept hilfreich. Wenn man öfter vor Ort ist, wenn man viele Kontakte nach Afghanistan hat, muss man allerdings
einräumen, dass es auch verbesserungsfähig ist. An manchen Stellen ist es noch zu blass.
({4})
Ich stelle ein paar Fragen, auf die dort keine Antwort
gegeben wird: Warum kam es zu einem so breiten Aufstand im südlichen Afghanistan? Warum wächst die Abneigung in Teilen der afghanischen Bevölkerung nicht
nur gegenüber der Regierung, sondern auch gegenüber
der internationalen Gemeinschaft insgesamt? Welche
Rolle spielen dabei die Art und Weise der Drogenbekämpfung, die Art und Weise der militärischen Terrorbekämpfung und das oft rücksichtslose Umgehen mit den
Traditionen und Werten der Einheimischen?
Was sind die Schlussfolgerungen? Die deutschen Beiträge gelten - diese Erfahrung habe ich gemacht - insgesamt als besonders sinnvoll und wirksam, sie sind durchweg gut angesehen. Der deutsche ISAF-Beitrag, der
eindeutig auf den Norden bezogen ist, muss unbedingt
fortgeführt werden. Kollegin Knoche, das müssen einige
endlich in den Kopf kriegen: Es gibt in Nachkriegssituationen wie dieser keinen Aufbau, keine Entwicklung
ohne ein Mindestmaß an Sicherheit. Das ist die simple,
aber entscheidende Erfahrung, die hier umgesetzt wird.
({5})
Anderes muss deutlich verbessert werden, verstärkt
werden, korrigiert werden. Ich habe Hinweise darauf bekommen, dass das richtige Konzept der Provincial-Reconstruction-Teams in der Umsetzung doch an vielen
Stellen hakt. Hier muss vieles zusammengeführt werden.
Den qualitativ ausgezeichneten deutschen Beitrag zum
Polizeiaufbau müssen wir quantitativ aufstocken. Bisher,
das müssen wir eingestehen, ist er quantitativ ein Kleckern.
({6})
Hier müssen wir auch quantitativ klotzen.
Ferner müssen wir unsere Bemühungen um den Aufbau verstärken, Stichwort: Afghan Ownership.
Schließlich brauchen wir eine Korrektur auf parlamentarischer Ebene. Ich stelle fest, dass wir den ganzen
Komplex, die Riesenherausforderung Afghanistan, viel
zu sehr in den einzelnen Ausschüssen, ressortorientiert,
diskutieren.
({7})
Die verschiedenen Ausschüsse müssen zusammenkommen. Was wir aus dem Verteidigungsministerium mitgeteilt bekommen, müssen wir zusammenführen mit dem,
was wir aus den anderen Bereichen bekommen. Dann
können wir den richtigen, umfassenden Ansatz auf der
parlamentarischen Ebene vernünftig begleiten, kontrollieren, weiterbringen.
({8})
An der Staatengemeinschaft ist es, Überprüfungen
- nicht der Konzepte; da gibt es viele und die sind insgesamt schlüssig und gut - und Korrekturen bei der Bekämpfung von Drogenanbau und Terrorismus und nicht
zuletzt beim Umgang mit den Traditionen und Werten
der afghanischen Bevölkerung vorzunehmen.
Sehr geehrte Kolleginnen aus Afghanistan, Sie haben
uns bei Ihrem Besuch deutlich gemacht, dass ISAF unbedingt fortgesetzt werden muss, dass sich aber zugleich
der Kurs der internationalen Gemeinschaft gehörig ändern muss. Ich sage Ihnen: Wir haben verstanden. Wir
lassen Sie nicht im Stich, und zwar zu unserem gemeinsamen Nutzen. Das haben wir nicht nur im Kopf, sondern auch im Herzen.
Ich danke Ihnen.
({9})
Ich erteile das Wort Kollegen Detlef Dzembritzki,
SPD-Fraktion.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, wenn
auch mit einer Ausnahme, die Beiträge, die wir hier im
Haus gehört haben, ausgesprochen wohltuend, weil man
doch sehr viel Übereinstimmung feststellt. Das gilt für
den Beitrag des Staatsministers, aber auch für die Beiträge von der FDP und den Grünen. Da spiegelt sich der
Grundkonsens in diesem Hauses wider.
Wir alle wissen - ich denke, es ist richtig, dass das angesprochen worden ist -, dass die Situation in Afghanistan trotz mancher Fortschritte nicht einfacher geworden
ist. Wir alle wissen auch, dass die militärische Präsenz
deswegen notwendig bleibt. Wir wissen aber auch - ich
unterstütze das, was der Kollege Nachtwei und Herr
Dr. Stinner eben gesagt haben -, dass die zivilen Strukturen weiterhin zügig aufgebaut werden müssen, weil
das der Hoffnungsträger ist. Wenn wir diese Hoffnung
nicht erfüllen, dann ist die Gefahr sehr groß, dass auch
deutsche Truppen als Besatzungstruppen und nicht als
diejenigen, die dort Hilfe organisieren, empfunden werden.
Es war immer klar, dass der deutsche militärische
Beitrag zu ISAF in klarer Abgrenzung zur Operation
Enduring Freedom steht. Hier gab es nie ein Missverständnis. Ich denke, dass wir immer gewusst haben, dass
dieser Beitrag als flankierende Maßnahme zum zivilen
Wiederaufbau Afghanistans verstanden wird.
Meine Damen und Herren, einige von uns waren ja in
Afghanistan und können die Situation realistisch einschätzen. Sie wissen, dass die Arbeit, die die Frauen und
Männer der Bundeswehr, aber auch - das füge ich hinzu die zivilen Helfer der Entwicklungszusammenarbeit dort
hervorragend leisten,
({0})
unter Bedrohung ihres eigenen Lebens geleistet wird.
Umso mehr ist dieser Einsatz zu schätzen und umso
mehr müssen wir hier mit vernünftigen Maßnahmen und
vernünftigen Argumentationen operieren.
Es ist schon gesagt worden und ich bitte um Verständnis, dass auch ich das noch einmal wiederhole: Ohne
diesen Einsatz wäre der Besuch unserer afghanischen
Kolleginnen nicht denkbar. Frau Kollegin Knoche, seit
vorgestern Abend war ich auf Ihren Beitrag gespannt.
Sie waren dabei und wir haben das Gespräch mit den
Kolleginnen geführt. Sie haben eine Kollegin sogar gefragt: Wie sehen Sie denn diesen ISAF-Einsatz?
({1})
Die Kolleginnen aus Afghanistan haben uns erklärt, dass
sie überhaupt nicht die Möglichkeit und Chance hätten,
ihr politisches Engagement einzubringen und politische
Verantwortung zu übernehmen, wenn es diesen ISAFEinsatz nicht gäbe.
({2})
Um uns ein Stückweit zu zeigen, dass sogar bei Ihnen
Nachdenklichkeit entsteht, hätten Sie das fairerweise
darstellen und uns teilhaben lassen sollen, wie Sie mit
solchen Informationen umgehen.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, vor wenigen Tagen
wurde uns von der Bundesregierung ein Afghanistankonzept vorgelegt. Ich finde das interessant, aber ich
denke, dass wir alle darin übereinstimmen, dass hier
durchaus noch ein Stückchen Substantiierung möglich
ist und dass man sich damit auseinandersetzen kann, sodass noch ein wenig mehr Zielorientierung deutlich
wird. Nach wie vor begrüße ich die ressortübergreifende
Zusammenarbeit und ich unterstreiche das, was der Kollege Nachtwei gesagt hat: Auch wir als Parlamentarier
stehen in der Verantwortung, diese Zusammenarbeit zu
verbessern. Ich will gleich hinzufügen: Auch wir stehen
generell in der Verantwortung, den Kontakt zum afghanischen Parlament zu verbessern.
({4})
Wir müssen ihnen zum Beispiel die Information geben, welche materielle und welche finanzielle Hilfe geleistet wird, damit auch die Parlamentarierkollegen dort
wissen, was die Regierung eigentlich tut. Dann können
auch nicht solche Missverständnisse wie das entstehen,
als Herr Dr. Stinner den Versuch gemacht hat, die Entwicklungszusammenarbeit mit Afghanistan und die mit
China gegeneinander auszuspielen. Ich will nur festhalten, dass wir mit den 80 Millionen Euro, die Afghanistan
erhält, im Spitzenfeld liegen.
({5})
- „Das ist die Spitze“, sagt die Ministerin. - Sie haben
China problematisiert. Lassen Sie uns das an anderer
Stelle tun. Ich persönlich habe eine Vielzahl Argumente
dafür, dass es richtig ist, mit diesem Land wirtschaftlich
zusammenzuarbeiten. Es ist nicht korrekt, den Eindruck
zu erwecken, als würden für China Mittel abgezwackt,
die eigentlich für Afghanistan vorgesehen gewesen sind.
Deswegen habe ich diese Zahl hier erwähnt.
({6})
Wenn man sich die Situation in den Regionen ansieht,
dann weiß man, dass es notwendig ist, sowohl die materielle als auch die gesellschaftliche Infrastruktur zu verbessern. Wir brauchen Straßen und wir brauchen fähige
Menschen, die in der Lage sind, Wirtschaftskreisläufe in
Gang zu setzen und Eigenverantwortung im Land wahrzunehmen. Ich finde es nach wie vor problematisch, dass
internationale Organisationen - zum Teil auch wir selbst,
insbesondere aber die Vereinten Nationen - die eigenen
Kräfte des Landes, deren Anzahl langsam steigt, sofort
absorbieren. Ein Arzt, ein Lehrer, ein Ingenieur entscheidet sich eher, Fahrer bei der UN zu werden, als einen Job
innerhalb der Regierung und der kommunalen Strukturen anzunehmen. Auch diese Problematik müssen wir in
den Griff bekommen. Ich denke, das kann ein Thema für
die Reformdebatte innerhalb der UN sein.
Ich glaube, dass wir ein weitaus stärkeres Gewicht
darauf legen müssen, uns in den beruflichen Bereichen
- etwa bei den Qualifizierungsmaßnahmen - stärker einzubringen.
Wir müssen auch zunehmend bereit sein, uns kritischen Diskussionen zu stellen. Ich denke, dass es wirklich wichtig ist, dass wir uns - aufbauend auf dem
Afghanistankonzept der Bundesregierung - regelmäßig
vonseiten der Regierung berichten lassen, welche Erfolge im zivilen Bereich erzielt worden sind und wo kritische Punkte sind.
Herr Dr. Stinner, Sie haben von Verhaltensweisen gesprochen. Ich stimme Ihnen völlig zu: Wir müssen auch
einmal den Mut haben, das Verhalten unserer Freunde zu
diskutieren. Wir müssen den Mut haben, die Frage zu
stellen, ob das Vorgehen der Vereinigten Staaten in allen
Situationen hilfreich ist.
Wir müssen uns auch - liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß, dass das eine sehr problematische Diskussion ist - die kritische Frage stellen, wie wir den Zugang
zur Bevölkerung zum Beispiel in den Nordregionen, wo
wir tätig sind, verbessern können. Denn wir sehen die
Notwendigkeit, dort immer stärkeres Gerät einzusetzen,
und die Abstände werden im wahrsten Sinne des Wortes
immer größer. Wie können wir wenigstens in den zivilen
Bereichen stärkere Kooperationsmöglichkeiten schaffen
und wie können wir erreichen, dass sich das Handeln
schneller vollzieht, sodass tatsächlich spürbare Verbesserungen eintreten?
Wir müssen uns genauso, zum Teil gegenüber unserer
Bevölkerung, aber in besonderer Weise gegenüber der
afghanischen Bevölkerung, mit dem Problem auseinander setzen, dass viel Geld zur Verfügung gestellt wird,
aber von dem vielen Geld nicht alles dort ankommt, wo
es ankommen soll. Ist das schlechte Informationspolitik?
Liegt es teilweise an Korruption, mit der wir uns auseinander setzen sollten? Ich denke, das ist ein ganz wichtiger Punkt.
Ich möchte die Bundesregierung ausdrücklich ermutigen, die Schritte der Dezentralisierung weiterzugehen.
Ich glaube, es ist ganz wichtig, dass wir uns dort einbringen und dass wir nicht nur für die Zentrale, sondern gerade im dezentralen Bereich Hilfe leisten. Ich denke hier
auch an die Provinzräte. Ich habe mich in Kunduz mit
denen zusammengesetzt; das war ein Querschnitt der
Bevölkerung, engagierte Leute. Wir müssen schauen,
wie wir ihnen zum Erfolg verhelfen können, damit sie
sich gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern, die sie in
diese Funktion eingesetzt haben, rechtfertigen können.
Es gibt viele Möglichkeiten, hier anzuknüpfen.
Kollege Dzembritzki, Sie müssen zum Ende kommen.
Lieber Herr Präsident, ich sage, dass wir alle Mühen
unternehmen müssen, im Interesse unserer Kolleginnen
und natürlich auch unserer Kollegen in Afghanistan.
Aber Womanpower verdeckt hier Manpower enorm.
({0})
Wir wissen, dass wir mit dem Einsatz von ISAF ein gutes Werk tun. Lassen Sie uns dieses gute Werk auch weiterhin zivil erfolgreich begleiten!
Vielen Dank.
({1})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Bernd
Schmidbauer, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Herr Dzembritzki, es ist wohltuend, dass
hier - im Unterschied zu den Debatten der letzten Tage,
als es um ähnliche Dinge ging - die Übereinstimmung
nahezu bei 100 Prozent ist. Ich begrüße das außerordentlich. Das zeigt deutlich, wie die Arbeit im Ausschuss abläuft, und das zeigt deutlich, welche Fortschritte gemacht wurden, unabhängig davon, wie man das bewertet
- der eine sieht die Dinge etwas pessimistischer, der andere kann sie etwas positiver darstellen.
Fünf Jahre nach dem Sturz des Talibanregimes ist es
gelungen, die Brutstätte des Terrorismus auszutrocknen, den Sumpf auszutrocknen. Das allein ist ein ganz
wichtiger Punkt und ist der Erfolg schlechthin, den wir
erreicht haben, ein wichtiger Schlag gegen den internationalen Terrorismus.
({0})
Das können manche natürlich negieren. Es gehört eben
ein klarer Blick dazu, aber den habe ich vorhin erlebt. In
den Aussprachen mit den Vertreterinnen und Parlamentarierinnen Afghanistans Fragen zu stellen und hinterher
die Antwort so darzustellen, dass sie einem ins Konzept
passt, ist nicht die edle Art.
({1})
Ich finde es gut, dass die internationale Gemeinschaft
gezeigt hat, dass wir uns nicht einschüchtern lassen, sondern entschlossen gegen den internationalen Terrorismus
vorgehen. Dies wurde auch klar. Was die Attentate der
letzten Jahre angeht, ist bekannt, wo die Beteiligten herkamen und wo sie ausgebildet wurden. Das macht deutlich, was bisher erreicht wurde. Ich denke, dass die
internationale Gemeinschaft sowohl politisch als auch
wirtschaftlich viel für das Land geleistet hat.
Ich erinnere an den großen Bogen der Konferenzen
von Petersberg bis hin zu London, wo der AfghanistanCompact als Fahrplan für die weitere Arbeit in diesem
Land eine große Zustimmung erhalten hat. Ich will aber
in diesem Zusammenhang anmerken, dass es nun um die
Umsetzung geht. Notwendig sind entsprechende Kontrollen, die laufend erfolgen müssen. Das hat sich bei einigen Schwerpunkten als schwierig erwiesen. Bei der
Drogenbekämpfung beispielsweise war immer wieder
davon die Rede, dass es eine Lead-Nation gibt. Inzwischen firmiert der London-Compact als Partnerschaft. Es
bleibt aber wichtig, dass wir Kontrollen durchführen und
Fortschritte abfragen können, um zu erkennen, welche
Anstrengungen unternommen werden.
Verteidigungsminister Jung und Herr Erler haben bereits darauf hingewiesen: Das Land hat einen gewählten
Präsidenten und ein gewähltes Parlament. Der Aufbau
der staatlichen Institutionen, der Justiz, der Armee und
der Polizei geht voran. Auch wenn das afghanische Volk
noch weit von einer Demokratie nach unseren Vorstellungen entfernt ist, so sehen wir doch, dass in Afghanistan Schritt für Schritt auf eine demokratische politische
Ordnung hingearbeitet wird. Es ist zwar wünschenswert,
dass die Fortschritte schneller erreicht werden, aber man
muss realistisch sein. Ich erinnere noch einmal an die
Ausgangssituation: Afghanistan ist eines der ärmsten
Länder der Erde, das nach 22 Jahren Krieg und Bürgerkrieg völlig zerstört ist. 6 Millionen Afghanen sind in
andere Staaten geflohen. Kriminalität, Korruption und
Drogenwirtschaft sind nach wie vor an der Tagesordnung. In vielen Regionen herrschen Hungersnot und
Wassermangel.
Aktuell geht es um die Fortsetzung der Beteiligung
bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz in Afghanistan. Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat
am vergangenen Dienstag zur Entscheidung über den
Einsatz im Libanon gesagt - ich zitiere -:
Immer dann, wenn der Bundestag einen solchen
Einsatz zugelassen hat, dann haben wir dies getan,
um Frieden zu schaffen …
Das ist die Grundlage unseres Handelns. Es ist auch die
Grundlage für den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan.
({2})
Die Bundesregierung hat ihr neues Afghanistankonzept vorgelegt. Unter anderem wird darin deutlich gemacht, dass sich die Situation in den Regionen erkennbar verschlechtert hat. Ich gehe einen Schritt weiter und
beurteile die Sicherheitslage als äußerst kritisch. Die
Berichte, die wir erhalten, sprechen eine eindeutige
Sprache. Es ist in diesem Land zu den heftigsten und erbittertsten Kämpfen seit dem Sieg über die Taliban im
Jahr 2001 gekommen. Der UNO-Sonderbeauftragte berichtet, dass die internationale Gemeinschaft mit einem
Aufstand konfrontiert ist und dass das Reservoir der Talibanrebellen, die sich in den Nachbarländern aufhalten,
unerschöpflich ist.
Fraglich ist aber, ob es eine Alternative gibt. Wir können doch nicht nur die Situation beklagen. Was den Drogenanbau angeht, hat sich die Situation in der Tat verschlechtert. Der Opiumanbau hat von 4 100 Tonnen im
Jahr 2005 auf 6 100 Tonnen im Jahr 2006 zugenommen.
({3})
Dies entspricht einem Weltmarktanteil von 92 Prozent.
Das ist die Realität. Es ist aber kein Grund, über
Exitstrategien nachzudenken - wie es eine Vorrednerin
in dieser Debatte getan hat -; vielmehr sind mehr Ausdauer, Geduld und auch noch größere Anstrengungen
notwendig, um letztlich gegen die Talibanrebellen, die
Warlords, Kriminalität, Drogenanbau und Korruption in
Afghanistan erfolgreich zu sein. Das ist die einzige Alternative. Wichtig ist nicht nur militärisches Engagement, sondern auch die internationale Hilfe für den zivilen Wiederaufbau. Die Entwicklungshilfeministerin hat
darauf hingewiesen, dass wir da an der Spitze liegen.
Daran erkennt man, dass wir uns bemühen und dass wir
uns nicht verstecken, sondern einen hohen Einsatz bringen, um ein Gesamtkonzept, das aus militärischen, zivilen, politischen, entwicklungspolitischen und polizeilichen Elementen besteht, umzusetzen.
Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.
Was auf der Konferenz in London verabschiedet
wurde, muss sich bewähren.
Vieles von dem, was der Kollege vorhin angesprochen hat, teile ich voll und ganz, etwa die Forderung
nach einer Verstärkung des Polizeieinsatzes.
Ich möchte der Bundeswehr, unseren Soldatinnen und
Soldaten für ihren Einsatz unter lebensgefährlichen Bedingungen in Kabul und im Norden Afghanistans besonders danken. Der Deutsche Bundestag weiß, was unsere
Soldatinnen und Soldaten leisten. Die CDU/CSU-Fraktion erwartet, dass unsere Soldatinnen und Soldaten die
bestmögliche Ausrüstung für ihren gefährlichen Dienst
erhalten. Darüber wird zurzeit ja debattiert. Der Verteidigungsminister hat heute davon gesprochen. Im Namen
unserer Fraktion sage ich der Bundeswehr und allen Soldaten herzlichen Dank.
({0})
Ich denke, dass bei allen Problemen und Schwierigkeiten der internationale Einsatz in Afghanistan weiterhin
äußerst wichtig ist.
Herzlichen Dank.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Antrags auf
Drucksache 16/2573 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Der Entschließungsantrag auf Drucksache 16/2623 soll an dieselben
Ausschüsse überwiesen werden, jedoch nicht an den
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Rechtsausschuss und an den Haushaltsausschuss. Sind
Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind
die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 10 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Gudrun
Kopp, Martin Zeil, Christian Ahrendt, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Bundeskartellamt stärken - Ausgewogene
Wettbewerbsaufsicht auf den Energiemärkten
- Drucksache 16/1678 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({0})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
FDP sechs Minuten erhalten soll. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich erteile als erster Rednerin der Kollegin Gudrun
Kopp, FDP-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Wir müssen dringend eine riesige Bugwelle von
weiteren Wettbewerbsdefiziten abarbeiten. Als Beispiele
nenne ich die Bereiche Bahn, Post, Telekommunikation
und Energie. Das Bundeskartellamt ist die zentrale
Wettbewerbsbehörde, deren Arbeit von entscheidender
Bedeutung für die Ordnung unserer Volkswirtschaft ist.
Fusionskontrollen, Kartellbekämpfungen und Missbrauchsaufsicht sind vornehmste Aufgaben der Wettbewerbshüter.
({0})
Schauen wir genauer hin. Die Zahl der Fusionskontrollverfahren ist im Jahr 2005 um 15 Prozent gestiegen.
Eine ähnliche Entwicklung lässt sich auch auf EU-Ebene
verzeichnen. Die Bearbeitung von Fusionskontrollen ist
fristgebunden. Das heißt, innerhalb von vier Wochen
muss entschieden werden, ob eine vertiefte Prüfung notwendig ist oder nicht. Das wiederum bedeutet, dass eine
solche Prüfung personalintensiv ist. Wenn Sie sich fragen, was wir von der Kartellbekämpfung haben, dann
kann ich Ihnen nur sagen: Der Nutzen für die Volkswirtschaft, die öffentliche Hand, die Industrie und die Privatwirtschaft, ist sehr groß. Die Bearbeitung einer zweistelligen Zahl solcher Verfahren liegt derzeit beim
Bundeskartellamt auf Halde. Es fehlt an Personal. Das
darf doch eigentlich nicht wahr sein.
({1})
Schauen wir auf den fehlenden Wettbewerb im Energiebereich! Die Regulierung der Netze - sie machen ein
Drittel der Wertschöpfung bei Strom und Gas aus - wird
im Augenblick von der Bundesnetzagentur wahrgenommen. Ihr stehen 180 Stellen für die Missbrauchsaufsicht
zur Verfügung. Aber beim Bundeskartellamt sind gerade
einmal drei oder vier Mitarbeiter mit der Missbrauchskontrolle des vor- und nachgelagerten Bereichs - dieser
macht immerhin zwei Drittel der Wertschöpfung aus beschäftigt. Das ist viel zu wenig. Ich betone: 180 Stellen stehen der Bundesnetzagentur zur Verfügung - sie
leistet im Übrigen sehr gute Arbeit und hat unsere Unterstützung -, während es beim Bundeskartellamt nur drei
oder vier Mitarbeiter sind; das rechnet sich nicht. Das
kann niemand wollen.
Ich möchte Ihnen an dieser Stelle einmal deutlich machen, in welchem Maße das Bundeskartellamt für die
Refinanzierung der eigenen Arbeit sorgt. Das Bundeskartellamt hat im Zeitraum 2000 bis 2005 Bußgelder in
Höhe von etwa 900 Millionen Euro verhängt; das ist
eine ganze Menge. Die Wettbewerbshüter in diesem Amt
fahren 60 Prozent ihres Gesamtbudgets in Höhe von
17 Millionen Euro durch Einnahmen wieder ein. Deshalb ist es absolut notwendig, das Bundeskartellamt
auch materiell zu stärken. Es reicht nicht, wie es Bundeswirtschaftsminister Glos derzeit plant, die kartellrechtlichen Aufgreifkriterien für missbräuchliches Marktverhalten im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb zu
verändern. Eine rechtliche Stärkung ist sicherlich ein guter Weg. Aber ohne eine personelle und materielle Stärkung ist dies alles gar nichts. Man darf nicht vergessen,
dass den Wettbewerbshütern eine milliardenschwere
Lobbymacht - ich nenne als Beispiel nur die vier Energieriesen - gegenübersteht. Wir müssen uns klar machen, dass wir dieser Macht etwas entgegensetzen müssen.
({2})
Es ist erfreulich, dass gerade in der letzten Zeit die
Entscheidungen des Bundeskartellamtes gerichtlich bestätigt wurden. Dadurch wird seine Arbeit in besonderer
Weise gewürdigt. Ich nenne als Beispiel nur die Entscheidung des Bundeskartellamtes über die Langfristlieferverträge für Energieimporte.
({3})
Die FDP-Bundestagsfraktion legt Ihnen einen Antrag
vor, in dem wir Sie alle bitten, unserem Vorschlag für
eine personelle Stärkung des Bundeskartellamtes zu
folgen. Wir müssen in diesem Bereich Farbe bekennen.
Die Mitglieder des Wirtschaftsausschusses erinnern sich
vielleicht noch daran, dass im Mai dieses Jahres der Präsident des Bundeskartellamtes bei uns zu Gast war und
uns seine Situation dargelegt hat. Ich hatte den Eindruck,
dass alle der Meinung waren, dass wir dringend etwas
tun müssen; denn nichts kommt uns Steuerzahler teurer
zu stehen als Monopole und Oligopole. Wer beim Bundeskartellamt spart, spart an der falschen Stelle.
({4})
Wir wollen, dass die Wettbewerbskontrollbehörden
- auf der einen Seite die Bundesnetzagentur und auf der
anderen Seite das Bundeskartellamt - gegeneinander abgeglichen werden, damit deutlich wird, wo welche Stellen transferiert werden können. Das heißt, dass in Zukunft möglicherweise nicht alle 180 Stellen bei der
Bundesnetzagentur gebraucht werden, sodass wir zumindest teilweise Stellen auf das Bundeskartellamt übertragen können. Das wäre sinnvoll und würde uns in
volkswirtschaftlicher Hinsicht einen riesengroßen Nutzen bringen.
Ich hoffe sehr, dass es nicht beim - zumeist populistischen - Ruf nach mehr Wettbewerb und bei Vorschlägen
für eine Dauerpreiskontrolle - ein schreckliches Wort bleibt; denn das ist nicht der richtige Weg. Der Weg besteht in mehr Wettbewerb, einer weiteren Öffnung der
Märkte und einem Einschreiten gegen Oligopole und
Monopole zur Stärkung insbesondere der Energieverbraucher. Das wäre auch ordnungspolitisch ein sehr sauberer Weg. Den sollten wir gemeinsam gehen. Ich fordere Sie auf, dem Antrag der FDP-Bundestagsfraktion
zuzustimmen und damit einer Stärkung des Bundeskartellamtes nichts mehr in den Weg zu stellen.
Herzlichen Dank.
({5})
Ich erteile das Wort Kollegen Albert Rupprecht,
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Frau Kopp, das Grundanliegen Ihres Antrags ist in
der Tat richtig.
({0})
Das Bundeskartellamt muss gestärkt werden und es ist
zwingend notwendig, dass gegen die überhöhten Preise
- es sind in der Tat überhöhte Preise - auf dem Strommarkt vorgegangen wird.
({1})
Was wir auf dem Strommarkt erleben, ist ein Trauerspiel. Millionen Verbraucher, Tausende Unternehmer
sind von vier großen Stromkonzernen abhängig.
({2})
Die Verbraucher erleben seit dem Jahr 2000 einen dramatischen Anstieg der Strompreise, der weit über den
Anstieg der Produktionskosten hinausgeht. Das ist das
Ergebnis von Marktmacht und das Ergebnis eines fehlenden Wettbewerbs. Das ist nicht akzeptabel und kann
von uns als politisch Verantwortlichen nicht hingenommen werden.
Was wir zudem erleben, ist ein äußerst unfaires Wettrennen zwischen Stromkonzernen und Bundeskartellamt. Auf der einen Seite versuchen fünf Mitarbeiter im
Bundeskartellamt, nachzuweisen, dass die Stromkonzerne ihre Marktmacht missbrauchen. Diesen fünf Mitarbeitern stehen auf der anderen Seite Hunderte von
Topjuristen der Topkanzleien dieser Welt gegenüber. Es
kann nicht sein, dass sich staatliche Behörden mit einem
hoheitlichen Auftrag in ein Wettrennen mit privaten Unternehmen begeben müssen.
({3})
Wir brauchen endlich mehr Wettbewerb auf dem Energiemarkt. Die Netzagentur hat in den vergangenen Wochen Maßnahmen ergriffen und die Durchleitungsgebühren gesenkt, ein richtiger und wichtiger Schritt für mehr
Wettbewerb.
({4})
Bis dieser Wettbewerb funktioniert, muss zumindest vorübergehend ordnend eingegriffen werden. Das Bundeskartellamt muss in die Lage versetzt werden, Missbrauch
von Marktmacht wirkungsvoller zu bekämpfen.
({5})
Deswegen müssen wir zweierlei tun: Erstens. Wir müssen das Bundeskartellamt personell stärken. Zweitens.
Noch wichtiger ist - da bin ich anderer Meinung als Sie,
Frau Kopp -, dass die Instrumente bzw. die Waffen des
Bundeskartellamtes geschärft werden. Dazu bedarf es einer Änderung des Wettbewerbsrechts, die Minister
Glos angekündigt hat.
({6})
Zum ersten Punkt, der Personalfrage: Die FDP
schlägt vor, die Planstellen von der Bundesnetzagentur
umzuschichten und zum Bundeskartellamt zu verlagern.
({7})
Das ist nicht machbar und deswegen der falsche Weg.
({8})
- Es ist nicht machbar. - Die meisten Mitarbeiter der
Bundesnetzagentur kommen aus dem technischen
Dienst und sind in 50 Außenstellen deutschlandweit verteilt tätig. Das Bundeskartellamt aber braucht keine technischen Mitarbeiter, sondern fachkundige Juristen.
({9})
Genau hier hat auch die Bundesnetzagentur selbst Engpässe. Es bringt herzlich wenig in dieser äußerst sensiblen Phase, in der die Bundesnetzagentur zusätzliche
Aufgaben bekommt, zwischen Netzagentur und Bundeskartellamt Stellen hin- und herzuschieben. Wir brauchen
vielmehr beide Organisationen stark aufgestellt, sowohl
die Netzagentur als auch das Kartellamt.
({10})
Das heißt dennoch, dass das Kartellamt ausreichend Mitarbeiter haben muss. Das ist richtig.
Deswegen glaube ich, dass wir dreierlei tun müssen,
um vernünftige Ergebnisse zu erzielen. Der erste Schritt
ist - das ist vonseiten des Ministeriums inzwischen zugesagt -, dass zwei zusätzliche Mitarbeiter eingestellt
werden.
({11})
Zum Zweiten: Es wäre in der Tat vernünftig, wenn wir
das Bundeskartellamt von den Abbauplänen der Bundesbehörden in Zukunft ausnähmen, analog den Organen
Albert Rupprecht ({12})
der Rechtspflege, die per Haushaltsgesetz von den Abbauplänen ausgenommen werden. Das würde in der
Konsequenz dem Bundeskartellamt jährlich sechs Stellen bringen.
({13})
Zum Dritten: Wenn wir darüber diskutieren, wie wir das
GWB ändern und neue Aufgaben für das Bundeskartellamt schaffen, müssen wir in der Konsequenz auch über
zusätzliche Mitarbeiter reden. Aber die Reihenfolge ist
die: Zunächst müssen wir wissen, welche zusätzlichen
Aufgaben sie haben. Dann muss in einem zweiten
Schritt darüber entschieden werden, welche Personalausstattung das Bundeskartellamt bekommt. Wer A
sagt, muss in der Konsequenz auch B sagen.
Mindestens genauso dringend wie die Personalausstattung brauchen wir - da unterscheiden wir uns in der
Einschätzung - schärfere Instrumente. Sonst ist meiner
Meinung nach alles vergebene Liebesmüh. Wer David
gegen Goliath in den Kampf schickt, muss David scharfe
Waffen geben; sonst hat der keine Chance. Deswegen
muss das Wettbewerbsrecht verschärft werden.
Es ist die richtige Entscheidung von Minister Glos gewesen, insoweit die Zügel sehr viel straffer anzuziehen.
({14})
In Zukunft müssen die Konzerne - das ist auch richtig ihre Preise, ihre Kosten und ihre Kalkulationsmethoden
vor dem Kartellamt rechtfertigen. Bisher ist es umgekehrt. Bisher ist es so: Das Kartellamt muss Versorgern
nachweisen, dass sie Verstöße begehen. Dieser Nachweis dauert enorm lange und ist äußerst kostenintensiv.
Die Konzerne spielen schlichtweg auf Zeit, gehen in juristische Auseinandersetzungen und führen das Bundeskartellamt letztlich an der Nase herum. Deshalb ist es
richtig und ein mutiger, ein erstklassiger Schritt, hier
Kante zu zeigen und deutlich zu sagen: Die Beweislast
muss umgekehrt werden.
({15})
Wir brauchen darüber hinaus weitere Maßnahmen.
Zum Beispiel muss es in Zukunft möglich sein - auch
das plant das Bundeswirtschaftsministerium; auch das
hat Herr Minister Glos angekündigt -, dass die hohen
Margen, die die Energieversorger kassieren, von vornherein als Missbrauch eingestuft werden - mit allen
rechtlichen Konsequenzen, es sei denn, der Energieversorger kann die Marge rechtfertigen und begründen.
Minister Glos hat hier in der Tat eine energiepolitische Wende eingeleitet. Ministerium, Kartellamt und
Netzagentur arbeiten Hand in Hand. Was uns alle freut
oder zumindest freuen müsste, ist, dass wir die ersten Erfolge der schärferen Gangart bereits sehen. Vattenfall hat
angekündigt, die Preise zu senken. In Bayern kündigen
die Versorger an, die Preise in den nächsten Jahren zumindest nicht zu erhöhen. Ich bin mir sicher, dass dies
ohne stärkeren Druck und ohne die Ankündigung des
Wirtschaftsministers nicht geschehen wäre. Es hätte sich
schlichtweg gar nichts bewegt.
Die Verbraucher freuen sich zu Recht über das Durchgreifen des Ministers. Der Chef des Verbraucherverbandes, Herr Richmann, sagt zur Verschärfung des Wettbewerbsrechts: Das ist die beste Nachricht für
Stromkunden seit langem. - Die „Süddeutsche Zeitung“
schreibt in einer Überschrift: „Glos schafft Ordnung“
und ergänzt: Ludwig Erhard würde es genauso machen.
Sehr geehrte Damen und Herren, lassen Sie mich zum
Schluss zusammenfassen: Das Bundeskartellamt braucht
eine angemessene Personalausstattung. Der FDP-Antrag geht in die richtige Richtung. Er greift aber bei zwei
Punkten zu kurz. Erstens. Die Umschichtung des Personals von der Netzagentur zum Kartellamt ist in der Art
nicht praktikabel. Zweitens. Das Kartellamt braucht
schärfere gesetzliche Instrumente. Das ist entscheidend.
Das ist der zentrale Punkt. Hierauf gibt Ihr Antrag leider
keine Antwort.
Herzlichen Dank.
({16})
Ich erteile das Wort Kollegen Herbert Schui, Fraktion
Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die FDP
möchte das Bundeskartellamt stärken, um wettbewerbsgerechte Preise auf dem Strommarkt sicherzustellen.
Das ist vom Grundsatz her erfreulich; denn damit wird
von den Wirtschaftsliberalen festgestellt, dass der Markt
im Energiebereich nicht richtig funktioniert. Ähnlich
verlangt der Wirtschaftsminister eine stärkere staatliche
Kontrolle des Energiemarkts, eine rechtliche Stärkung
des Bundeskartellamts, eine Umkehr der Beweislast und
vieles mehr. Wirklich erfreulich!
Diese Forderungen machen klar, dass die Liberalisierung der Energiemärkte im Jahr 1998 wirklich keine
Vorteile gebracht hat. Das Ergebnis ist bekannt: eine
Welle von Übernahmen, steigende Energiepreise, baufällige Stromleitungen, übermäßige Gewinne, mit denen
weitere Übernahmen finanziert werden. So will Eon bekanntlich für 29 Milliarden Euro den Spanier Endesa
kaufen. Der Bundeswirtschaftsminister würde es begrüßen, sagt er, wenn dieser Coup zustande käme, weil er
meint, dass ein Großkonzern unter deutscher Führung
besser ist als ein Großkonzern unter nichtdeutscher Führung. Diese Konzentration aber ermöglicht dann noch
höhere Monopolgewinne. Das ist unternehmerisches
Rentnertum. Das ist Einkommen ohne wirtschaftliche
Gegenleistung. Das ist unternehmerisches Schmarotzertum.
({0})
Diese harschen Worte habe ich aus den Düsseldorfer
Leitsätzen der CDU aus dem Jahre 1949 übernommen.
Damals gab es den Begriff des Sozialschmarotzers noch
nicht.
Die FDP freilich springt mit ihrem Antrag zu kurz.
Sie fordert die Bundesregierung dazu auf, ein paar Mitarbeiter von der Bundesnetzagentur abzuziehen und im
Bundeskartellamt einzusetzen. Das verschiebt allerdings
nur das Problem, statt es zu lösen. Wir können davon
ausgehen, dass die Bundesnetzagentur nicht zu üppig
ausgestattet ist. Vielmehr ist insgesamt mehr Personal
für die Gesamtaufgabe notwendig.
Die Stromproduktion ist zu 80 Prozent bei den vier
Großen konzentriert. Diese mächtigen Unternehmen
müssen von einer unterfinanzierten Behörde, dem Kartellamt, beaufsichtigt werden. Beim Verfahren gegen
Eon - so der Präsident des Bundeskartellamtes, Böge, am
10. Mai 2006 vor dem Wirtschaftsausschuss - stünden
den sieben Mitarbeitern seines Amtes namhafte Kanzleien und Gutachten von vier renommierten Professoren
gegenüber.
Für eine erfolgreiche Monopolkontrolle ist das Bundeskartellamt sicherlich die geeignete Behörde. Aber sie
muss finanziell wesentlich besser ausgestattet sein, als
dies jetzt der Fall ist.
Der Antrag der FDP wird diesen Anforderungen nicht
gerecht; vielmehr muss ein umfassend gestärktes Kartellamt fürs Erste mit der Preisaufsicht zusammenarbeiten,
damit die staatlichen Instanzen ihren Aufgaben gerecht
werden können. Damit wir wenigstens die Preise für die
Durchleitung von Strom voll im Griff haben, sollten die
Stromnetze in öffentliches Eigentum überführt werden
- aus denselben Gründen, die dafür genannt werden,
dass wenigstens das Schienennetz bei der Privatisierung
der Bahn im öffentlichen Eigentum bleibt.
({1})
Aber machen wir uns nichts vor: Auch ein absolut
kontrolliertes Stromdurchleitungsnetz wird bei den
Stromerzeugern keinen Wettbewerb hervorrufen; denn
wenn neben den vier Großen ein Kleiner versuchen
würde, zu niedrigeren Preisen anzubieten, und dies auch
könnte, weil das Stromnetz in öffentlicher Hand es ihm
ermöglicht, so würde - da können Sie sicher sein - dieses Unternehmen innerhalb eines halben Jahres aufgekauft werden und dann wäre der Konkurrenzkampf wieder beendet.
Vielen Dank.
({2})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Rolf Hempelmann,
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen!
Der Antrag der FDP trägt einen ausgesprochen ambitionierten Titel: „Bundeskartellamt stärken - Ausgewogene
Wettbewerbsaufsicht auf den Energiemärkten“. In der
Konsequenz allerdings läuft der Antrag im Wesentlichen
darauf hinaus, die Personalausstattung des Bundeskartellamts zulasten der Bundesnetzagentur zu verbessern.
Es bleibt also relativ wenig von dem ambitionierten Titel
übrig.
Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Debatten
über die Wettbewerbsbedingungen auf dem deutschen
Energiemarkt und über die gegenwärtigen Preisentwicklungen greift der Antrag also entschieden zu kurz oder,
anders gesagt, er bewegt sich nicht auf der Höhe der aktuellen energiepolitischen Diskussion.
Fangen wir an mit dem Punkt: Reduzierung des Personals bei der Bundesnetzagentur. Die Bundesnetzagentur ist eine noch junge Behörde. Sie hat ihre Arbeit vor
einem Jahr aufgenommen. Diejenigen, die sich damals
mit dem Energiewirtschaftsgesetz und den entsprechenden Verordnungen befasst haben oder die jetzt im Beirat
der Bundesnetzagentur die Arbeit der Behörde verfolgen, können feststellen, dass es keine einfache Arbeit ist,
dass sie aber durchaus erfolgreich begonnen wurde.
Angesichts der Tatsache, dass noch in diesem Jahr das
Konzept einer Anreizregulierung in eine Verordnung gegossen und dann sehr bald umgesetzt werden soll, ist es
geradezu abstrus, Personal von dieser gerade frisch entstandenen Behörde - zugunsten von wem auch immer abziehen zu wollen.
({0})
Meine Damen und Herren, interessanter als der Vorschlag der FDP ist da schon der Vorstoß des Bundeswirtschaftsministers Glos zur Stärkung der Wettbewerbsaufsicht, also die Stärkung des Bundeskartellamtes
jenseits von Personalfragen. Ich will ganz ausdrücklich,
um zunächst beim Thema Personal zu bleiben, sagen,
dass ich durchaus all das bestätige, was hier bezüglich
der personellen Unterausstattung des Bundeskartellamtes
und bezüglich der Waffenungleichheit zwischen Kartellamt und denen, mit denen es sich zu befassen hat, also
insbesondere den großen Energiekonzernen - allein
schon in Bezug auf die Personalfrage besteht diese ja -,
gesagt worden ist. Ich frage mich dabei allerdings, wie
man tatsächlich fachkundige Juristen - wobei zu fragen
ist, inwieweit die Bezeichnung „fachkundiger Jurist“
nicht schon an sich ein Paradoxon darstellt - an diese
Behörde bekommen will. So gut, wie sie in der Wirtschaft bezahlt werden, werden wir sie wahrscheinlich
auch beim Kartellamt nicht bezahlen können. Vom
Grundsatz her glaube ich aber in der Tat, dass eine bessere Personalausstattung dieser Behörde angezeigt ist.
Kollege Hempelmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Kopp?
Aber gerne.
Vielen Dank, Herr Kollege Hempelmann. - Die
180 Planstellen bei der Bundesnetzagentur, die in unseGudrun Kopp
rem Antrag angeführt werden, sind ja derzeit noch nicht
alle besetzt. Der Antrag zielt deshalb auf eine Verlagerung von Stellen zum Bundeskartellamt. Wir möchten
nämlich das Gesamtbudget nicht überziehen und nehmen so Rücksicht auf die Kosten.
Verstehe ich Sie jetzt richtig, dass Sie dafür wären,
zusätzliche Stellen beim Bundeskartellamt zu schaffen,
über die hinaus, die bei der Bundesnetzagentur noch
nicht besetzt sind? Das wäre ja auch ein Weg. Wir haben
uns allerdings extra bescheiden gegeben und haben gesagt: Solange nicht alle 180 Planstellen von der Bundesnetzagentur gebraucht werden, können wir das Bundeskartellamt stärken, das dies ja auch dringend nötig hat.
Da der Minister ohnehin, wie er gesagt hat, eine Novellierung des GWB vorschlagen und die Instrumente
schärfen will, um eine Waffengleichheit zwischen dem
Bundeskartellamt und den vier großen Unternehmen im
Strombereich herzustellen, ist es, wie ich denke, opportun, seine Vorschläge abzuwarten und zu schauen, wie
sich der Aufgabenkatalog der Behörde dadurch verändert. Dann wird man sehen müssen, wie das personelle
Tableau weiterzuentwickeln ist.
({0})
Dann wird man auch im Abgleich mit dem Aufgabenkatalog der Bundesnetzagentur sehen, inwieweit sich möglicherweise durch neue Ausgestaltung der Möglichkeiten
des Bundeskartellamtes Entlastungen an anderer Stelle,
etwa bei der Bundesnetzagentur, ergeben. Das kann ich
aber heute so nicht vorhersagen. Deswegen sage ich:
Das Personal ist zwar ein wichtiges Thema, aber an erster Stelle steht die Weiterentwicklung des Aufgabenkataloges und des Instrumentenkastens dieser Behörde.
({1})
Der Minister hat also angekündigt, dass er eine GWBNovelle in Angriff nimmt und dass er dem Kartellamt
bessere Möglichkeiten zur Feststellung des Missbrauchs
einer marktbeherrschenden Stellung an die Hand geben
will. Ich unterstelle einmal, dass er das dann auch mit
dem notwendigen Personal unterfüttern wird.
Ich möchte darauf aufmerksam machen, dass das kein
einfach zu beschreitender Weg sein wird. Eben ist einmal das Bild von David und Goliath benutzt worden. Ich
bin in der Tat für Waffengleichheit, ich bin aber nicht für
Rollentausch. Weder die eine noch die andere Seite darf
zum David werden, der sich gegen einen Goliath zu
wehren hat. Insofern muss man sehr genau schauen, wie
man die Instrumente des Bundeskartellamtes schärft,
ohne das Ganze in Beliebigkeit zu stellen, indem zum
Beispiel die Berechenbarkeit von Investitionen für die
Unternehmen untergraben wird.
({2})
Wir wollen ja, dass alle Unternehmen, große wie kleine,
neue wie alte Marktteilnehmer, in den nächsten Jahren
intensiv investieren, sowohl in die Netze als auch in die
Kraftwerke. Wir brauchen insbesondere für neue Kraftwerke mehr Liquidität am Markt. Das ist übrigens der
sicherste Weg zu mehr Wettbewerb: Wenn wir mehr
Kraftwerke bekommen, stärken wir damit die Nachfrageseite und sorgen gleichzeitig dafür, dass Preisdruck auf
der Erzeugungsseite entsteht.
Meine Damen und Herren, das Wettbewerbsrecht
muss also so weiterentwickelt werden, dass beide Seiten,
sowohl das Bundeskartellamt als auch die von ihm überwachten Unternehmen, sehr genau wissen, woran sie
sind, und die Folgen ihres Tuns entsprechend abschätzen
können.
Wir müssen vermeiden, dass es ein Nebeneinander
von Bundeskartellamt einerseits und Bundesnetzagentur
andererseits gibt, ohne dass eine deutliche Abgrenzung
zwischen den Aufgaben beider Behörden besteht und
ohne dass auf die Kompatibilität der Tätigkeiten beider
Behörden geachtet wird.
Wir dürfen keinen Wettlauf organisieren - sozusagen
ein „race to the bottom“ -, bei dem die eine Behörde versucht, die andere Behörde zu überbieten. Dies könnte
beispielsweise dadurch geschehen, dass die eine Behörde die Entgelte bis auf ein Minimum absenkt und die
andere Behörde einen starken Preisdruck erzeugt. Es
sollte auch immer die Tatsache beachtet werden, dass
wir Ansprüche an die Netzqualität, an den Kraftwerkspark und an die Versorgungssicherheit haben. Beide Bereiche müssen immer zusammen betrachtet werden.
Deswegen müssen trotz der Wettbewerbsmentalität zwischen beiden Behörden - wenn sie sich schon
entwickelt - neben dem Preisniveau auch die Qualität,
die Versorgungssicherheit und die Notwendigkeit von
Investitionen im Blick behalten werden.
Nach meiner Auffassung - das hat auch der Kollege
Rupprecht vorhin schon erwähnt - greift der Antrag der
FDP zu kurz. Vor allen Dingen wird darin die Tatsache
missachtet, dass wir an dieser Stelle nicht bei Null anfangen. Ich habe vorhin schon angedeutet, dass wir mit
der Bundesnetzagentur eine Behörde geschaffen haben,
die etwa ein Drittel des Strompreises regulieren kann
und damit bereits erfolgreich begonnen hat. Diese Behörde, die zurzeit eine Anreizregulierung entwickelt, ist
gefordert, beide Bereiche, also Preis und Qualität, im
Auge zu behalten. Wir müssen den gleichen Anspruch
an das Bundeskartellamt stellen. Wir haben bereits jetzt
ein wirksames Instrumentarium, um nicht nur im Netzbereich, sondern auch darüber hinaus einen Wettbewerbsdruck zu erzeugen.
Ich will ein Beispiel aus dem Ruhrgebiet, aus dem ich
komme, nennen. Dort gibt es zurzeit eine ganze Reihe
von Kraftwerksprojekten. Es besteht aber die große Befürchtung, dass das Netz nicht ausreichend ausgelegt ist,
um alle Kraftwerke ans Netz zu bringen. Diejenigen, die
die Kraftwerke bauen wollen, sind zum Teil große und
etablierte Unternehmen, die schon jetzt in dieser Region
Kraftwerke unterhalten. Aber zum Teil handelt es sich
auch um kleine und neue Anbieter. Es gibt also einen
bunten Strauß von Anbietern. Nun wird es sehr darauf
ankommen - der Minister hat angekündigt, genau dies
tun zu wollen -, dass es zügig eine Kraftwerksanschlussverordnung gibt, mit der sichergestellt wird, dass es einen diskriminierungsfreien Netzanschluss für all diese
Kraftwerke gibt.
Wir müssen natürlich in einem weiteren Schritt dafür
sorgen, dass die notwendigen Netzkapazitäten auf eine
möglichst marktgerechte und marktkonforme Art und
Weise aufgebaut werden. Dies darf nicht im Rahmen von
Staatsdirigismus und schon gar nicht im Rahmen von
Enteignungen und Verstaatlichung der Netze vonstatten
gehen. Denn der Staat ist nie ein besonders guter Investor gewesen und er war in solchen Angelegenheiten selten wirtschaftlich besonders erfolgreich.
({3})
Das ist gerade in der Region, aus der viele Ihrer Fraktionskollegen kommen, Herr Schui, historisch nachweisbar.
({4})
Wie gesagt, wir brauchen eine Netzanschlussverordnung, mit der ein Anschluss der Kraftwerke sichergestellt wird. Wir brauchen daneben den Ausbau von Netzkapazitäten, wodurch es ermöglicht wird, dass wir uns in
den nächsten Jahren auf viele neue Kraftwerksprojekte
freuen können. Ich bin der Überzeugung, dass mit jedem
neuen Kraftwerk das Angebot zunimmt und damit die
Nachfrageseite gestärkt wird. Dadurch ergeben sich positivere Auswirkungen auf den Wettbewerb als beispielsweise durch die von Ihnen vorgeschlagene Verlängerung
einer staatlichen Preiskontrolle.
Vielen Dank.
({5})
Ich erteile das Wort Kollegen Matthias Berninger,
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wir
uns die Stromrechnung anschauen, dann können wir
feststellen, dass rund 30 Prozent der Kosten auf die Produktion des Stroms und 30 Prozent auf den Transport
- sprich: auf die Netzentgelte - entfallen. Für 40 Prozent
der Stromkosten ist die Politik auf kommunaler und auf
Bundesebene verantwortlich. Für die Netze ist, wie der
Name schon sagt, die Bundesnetzagentur zuständig. Für
den Bereich der Stromproduktion ist das Bundeskartellamt zuständig. Ich teile die Einschätzung, die hier schon
mehrfach vertreten wurde, dass wir dem Bundeskartellamt mehr Instrumente, mehr Werkzeuge an die Hand geben müssen, damit dieses seine Aufgabe im Sinne des
Wettbewerbs und der Verbraucherinnen und Verbraucher
optimal ausfüllen kann.
Eine Einschätzung im FDP-Antrag teile ich nicht. Ich
halte es offen gestanden für einen entscheidenden Webfehler dieses Antrages, dass das Problem „Mehr Wettbewerb auf dem Strommarkt“ dadurch gelöst werden soll,
dass wir in eine umfangreiche Diskussion darüber eintreten, welche Planstelle von der Bundesnetzagentur zum
Bundeskartellamt verschoben werden kann.
({0})
Wir können auch Planstellen zum Beispiel vom zuständigen Bundesministerium oder von wo auch immer dorthin verschieben. Das ist zu kurz gesprungen.
Ich glaube, dass die jetzt im Entwurf des Bundeshaushaltes vorgesehenen zwei zusätzlichen Stellen für das
Bundeskartellamt zu wenig sind. Als Parlamentarier
sollten wir dem Kartellamt über die Fraktionsgrenzen
hinweg in vorauseilendem Gehorsam mehr Personal zur
Verfügung stellen, damit dieser Prozess - zuerst bekommt das Kartellamt neue Werkzeuge an die Hand und
wenn dann zusätzliches Personal da ist, kann es mit den
Werkzeugen auch etwas anfangen - nicht zu lange dauert. Denn die Strompreise sind zu hoch. Sie sind deshalb
zu hoch, weil die Marktmacht der vier großen Stromkonzerne in Deutschland ohne jeden Zweifel zu groß ist. Die
Fraktionsvorsitzende der Grünen, Renate Künast, hat es
einmal so beschrieben, dass sie sozusagen wie Besatzer
agieren und den Strommarkt in Deutschland in vier Besatzungszonen aufteilen.
({1})
Die im FDP-Antrag gelobte Novelle zum Energierecht
von 1998 hat eben nicht dazu geführt, dass diese Marktmacht entscheidend zurückgefahren werden konnte. Wir
müssen hier vonseiten der Politik mehr tun.
({2})
24 von 25 Regulierungsbehörden sind der Meinung,
dass eine eigentumsrechtliche Entflechtung im Bereich
der Stromnetze sinnvoll ist, damit nicht diejenigen, die
den Strom produzieren, über die Kontrolle der Netze den
Markt kontrollieren.
Herr Kollege Hempelmann, wir haben beim Thema
Energiewirtschaft den einen oder anderen Streit in der
rot-grünen Koalition ausgefochten. Wir waren für mehr
Wettbewerb; Sie waren für etwas weniger Wettbewerb.
({3})
- Meine Erinnerung ist in diesem Punkt sehr gut. Wenn
man der Debatte heute aufmerksam zugehört hat, konnte
man feststellen: Kollege Rupprecht ist wesentlich forscher und entschiedener als Sie.
({4})
Die große Koalition sollte die Chance nutzen, auf
dem Weg zu mehr Wettbewerb in der Energiewirtschaft
weiterzugehen. Dazu gehört es, über die Trennung der
Stromproduktion von den Netzen nachzudenken.
Wenn 24 von 25 europäischen Regulierungsbehörden sagen: „Das ist der richtige Weg zu mehr Wettbewerb“ und
eine - natürlich die deutsche - sagt: „Wir sind da eher
skeptisch“, dann sollte man einmal darüber nachdenken.
Das hat nichts mit Staatswirtschaft zu tun, sondern
schlicht damit, dass es nicht darauf ankommt, dass neue
Kraftwerke gebaut werden. Wenn Sie ein neues Kraftwerk bauen und es nicht an das Netz anschließen können, haben Sie als Investor ein großes Problem. Fragen
Sie einmal diejenigen, die nicht RWE, Eon, Vattenfall
oder EnBW heißen und in ein neues Kraftwerk investieren wollen! Diese vier Monopolisten finden bei jeder
Lösung ein Problem, um Wettbewerber vom Markt fern
zu halten. Daran müssen wir arbeiten; das müssen wir
ändern.
({5})
Mein Eindruck ist, dass wir in diesem Zusammenhang
mit dem Bundeskartellamt einen ganz wichtigen zusätzlichen Partner gewinnen können.
Auch über die eigentumsrechtliche Entflechtung sollten wir nachdenken. Da gibt es im Bundeskabinett mit
dem Bundesumweltminister Sigmar Gabriel, in der SPD
verantwortlich für einen Kurswechsel in der Energiepolitik, einen Verbündeten, mit dem das durchaus möglich
sein sollte.
Das soll aber nicht in Abrede stellen, dass der Bundeswirtschaftsminister mit seiner Ankündigung, den Einfluss des Bundeskartellamts in diesem Bereich zu stärken, auf dem richtigen Weg ist. Wir werden ihn dabei
und auch beim Standhalten gegen die Drohung der vier
großen Energiekonzerne mit einem Investitionsstau unterstützen. Die Drohung mit einem Investitionsstau ist
nichts anderes als die Ankündigung eines Selbstmordes
aus Angst vor dem Tod. Da sollten wir gelassen sein.
Wir sollten uns nicht ins Bockshorn jagen lassen. Denn
mehr Wettbewerb erzielt man nur dann, wenn man den
großen Monopolen Ärger macht. Insofern freue ich
mich, dass sie in den vergangenen Wochen schmerzverzerrt aufgeschrien haben.
Vielen Dank.
({6})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/1678 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 11 a bis 11 c auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Öffentlichkeitsbeteiligung in Umweltangelegenheiten nach der EG-Richtlinie 2003/35/EG
({0})
- Drucksache 16/2494 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über ergänzende Vorschriften zu Rechtsbehelfen in Umweltangelegenheiten nach der EG-Richtlinie
2003/35/EG ({2})
- Drucksache 16/2495 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({3})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Übereinkommen vom 25. Juni 1998 über den
Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und
den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten ({4})
- Drucksache 16/2497 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({5})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Bundesminister Sigmar Gabriel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute in erster Lesung über ein Paket mit drei wichtigen umweltrechtlichen Gesetzentwürfen - sie sind eben
schon genannt worden -: das Öffentlichkeitsbeteiligungsgesetz, das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz und das
Århus-Vertragsgesetz. Damit sollen die Voraussetzungen
für eine baldige Ratifizierung der so genannten Århuskonvention durch Deutschland geschaffen werden.
Die Konvention verfolgt mit den drei Säulen Information, Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz das
Ziel von mehr Transparenz in umweltpolitischen Entscheidungen, insbesondere für Bürgerinnen und Bürger,
aber auch für Verbände. Damit wird eine höhere Akzeptanz von Verwaltungsentscheidungen erreicht. Zugleich
ist die Etablierung von verfahrensrechtlichen Mindeststandards ein effektiver Beitrag zum Schutz der Umwelt
und zur Verbesserung der Umweltqualität. Das sind
wichtige Instrumente einer modernen Umweltpolitik.
({0})
Die Europäische Gemeinschaft hat zur Anpassung
des europäischen Rechts an das Übereinkommen mehrere Richtlinien erlassen, die zu großen Teilen bereits
deutsches Recht sind. Durch die vom Bundeskabinett
beschlossenen Entwürfe zum Öffentlichkeitsbeteiligungsgesetz und zum Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz werden die verbliebenen Vorgaben der Richtlinie umgesetzt.
Damit wird das Bundesrecht zugleich vollständig an die
Vorgaben der Århuskonvention angepasst.
Was sind die zentralen Fortschritte, die mit diesen Gesetzen verbunden sind? Wir führen die Verbandsklage
für Umweltverbände ein und bei bestimmten umweltbezogenen Planungen wird erstmals eine Öffentlichkeitsbeteiligung eingeführt.
Über die Verbandsklage für Umweltverbände ist in
den vergangenen Wochen oft debattiert worden. Das ist
ein Streitpunkt, den es schon seit vielen Jahren - auch in
der Ländergesetzgebung - gibt. Es wird immer behauptet, dass sich mit dem Verbandsklagerecht die Verfahren
verlängern würden. Aus meiner Erfahrung als Landespolitiker kann ich sagen: Das Gegenteil ist der Fall.
Erstens klagen Umweltverbände in der Regel nur
dann, wenn die Aussicht auf Erfolg groß ist, wenn also
in den Zulassungsverfahren Rechtsfehler bereits relativ
deutlich zu beobachten sind. Das führt bei den Behörden
dazu, dass sie, um solchen Verfahren zu entgehen, mit
der Zulassung bestimmter Vorhaben und den rechtlichen
Voraussetzungen wesentlich penibler umgehen.
Zweitens. Die frühzeitige Beteiligung von Verbänden
entspricht dem Prinzip, dass viele Augen mehr sehen als
zwei, was dazu führt, dass die Planungen besser und
qualifizierter sind und damit Klageverfahren überhaupt
vermieden werden können. Dadurch kommt es eher zur
Verkürzung als zur Verlängerung von Verfahren.
({1})
Von daher ist die Verbandsklage kein Instrument gegen
die Durchsetzung von Zulassungsverfahren, sondern
hilft bei der Beschleunigung.
({2})
Wir erweitern darüber hinaus die Bürgerrechte, weil
Umweltverbände jetzt erstmals Rechtsverletzungen wie
Individualkläger geltend machen können. Es ist angemessen, dem deutschen Parlament zu sagen, dass es in
der Regierung darüber eine Debatte gab. Ich verhehle
nicht, dass aus meiner Sicht anzustreben gewesen wäre,
den Umweltverbänden auch ein generelles Klagerecht zu
geben.
({3})
Das hätte man aus meiner Sicht machen können. Es beinhaltet ein gewisses europarechtliches Risiko, dass wir
auf Individualrechte zurückzugehen. Auf der anderen
Seite kann man auch Verständnis für die Position haben,
die sich in der Bundesregierung durchgesetzt hat. Natürlich kann man die Frage stellen, ob man einem Verband
mehr Rechte geben sollte, als ein einzelner Bürger in
Deutschland hat, ob man also über das Individualklagerecht hinausgehen sollte. Man kann schon nachvollziehen, wenn gesagt wird: Nein, wir wollen das Klagerecht
der Verbände an dem Recht orientieren, das auch der
einzelne Bürger in Deutschland hat, und nicht darüber
hinausgehen.
({4})
Das ist eine Position, die man einnehmen kann. Wie gesagt: Ich hätte mir auch den anderen Weg vorstellen können. Dies ist aber die Position, die die Bundesregierung
in ihrer Gänze eingenommen hat.
Dem Umweltschutz dient es, wenn der Sachverstand
und die Kompetenz von Umweltverbänden im Beteiligungsverfahren stärker berücksichtigt werden. Den Interessen der Wirtschaft hat die Bundesregierung dadurch
Rechnung getragen, dass die Verbandsklage individualrechtlich ausgestaltet worden ist.
Meine Damen und Herren, das Gesetzespaket stellt
einen ausgewogenen Kompromiss zwischen den Interessen von Bürgern, Umwelt und Wirtschaft dar. Unser gemeinsames politisches Ziel sollte ein In-Kraft-Treten der
drei Gesetze noch im Jahre 2006 sein, damit wir Vertragspartei der Århuskonvention sind, wenn wir am
1. Januar 2007 die Ratspräsidentschaft der Europäischen
Union übernehmen und dort unsere Führungsrolle aktiv
und verantwortungsvoll wahrnehmen wollen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Das Wort hat jetzt der Kollege Horst Meierhofer von
der FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit
den eingebrachten Gesetzentwürfen soll die EG-Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie in deutsches Recht umgesetzt werden. Dies sollte - Herr Minister Gabriel hat es
angesprochen - möglichst bald geschehen; eigentlich
hätte es schon zum 25. Juni letzten Jahres passieren sollen. Die Konsequenz ist, dass bereits ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet wurde.
Aber besser spät als nie!
Die FDP hat die Århuskonvention grundsätzlich begrüßt. Sie gibt den Bürgerinnen und Bürger grundsätzlich mehr Möglichkeiten, sich einzubringen und mit zu
entscheiden. Dass sie endlich ratifiziert wird, ist aus
Sicht der FDP deshalb nur richtig. Auch die Entwürfe
der deutschen Umsetzungsgesetze haben ihren Ursprung
letztlich in der Århuskonvention. Hinsichtlich der Öffentlichkeitsbeteiligung kann ich nur sagen: Wir Liberale sind natürlich für eine frühzeitige und effektive
Beteiligung der Öffentlichkeit.
({0})
Dennoch stellt sich bei der Betrachtung des Gesetzentwurfs die Frage: Schießt der Bund nicht an einigen
Stellen über die vorgegebenen Ziele hinaus und wird damit nicht unnötigem Verwaltungsaufwand und unnötiger
Bürokratie Tür und Tor geöffnet?
({1})
Ich nenne beispielsweise die Art und Weise der Unterrichtung der Öffentlichkeit. Es ist so, dass bei der Beteiligung der betroffenen Öffentlichkeit im Rahmen der
UVP jeder Verband bundesweit, also nicht nur der, der
unter Umständen vor Ort betroffen sein könnte, einzeln
benachrichtigt werden muss. Aus unserer Sicht wäre es
eigentlich vernünftiger, eine zentrale Veröffentlichung
vorzunehmen, die für alle reichen sollte. Das würde weniger Bürokratie
({2})
und eine deutliche Reduzierung des Verwaltungsaufwands bedeuten. Mit dieser Meinung sind wir nicht allein. Auch der Bundesrat hat das über den Verkehrsausschuss vorgeschlagen.
Es gilt ferner, dass die geplanten Änderungen sich auf
die in den Öffentlichkeitsrichtlinien angesprochenen
Vorhaben beschränken und dass sie nicht über eine Einszu-eins-Umsetzung des Europarechts hinausgehen dürfen. Dafür setzt sich die FDP in allen Bereichen ein und
selbstverständlich auch in diesem.
({3})
Im Vorfeld hat natürlich das Thema Verbandsklage
für Gesprächsstoff gesorgt. Diese soll nun eingeführt
werden. Bis auf die begrenzte naturschutzrechtliche Verbandsklage im Bundesnaturschutzgesetz gab es bisher
keine Möglichkeit, Umwelt- und Naturschutzbelange
losgelöst von Individualinteressen gerichtlich geltend zu
machen.
Nach dem Entwurf des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes sollen nun anerkannte Naturschutzverbände unabhängig davon, ob sie in ihren eigenen Rechten verletzt
sind, die Verletzung von Naturschutzvorschriften als
Sachwalter rügen können. Die FDP steht zu einem klar
definierten Verbandsklagerecht im Umweltrecht als Ergänzung zum Individualschutzrecht. Schließlich sind wir
als Bundesrepublik Deutschland diese Verpflichtung eingegangen.
Die Befürchtungen - der Herr Minister hat es bereits
angesprochen -, dass die Einführung der Verbandsklage
zu einer Klageflut bei den Verwaltungsgerichten führen
könnte, waren bislang unberechtigt. Die Erfahrungen
zeigen vielmehr, dass sich die Verbände bislang sehr bedacht eingeschaltet haben, vermutlich - Sie haben es
richtigerweise angesprochen - auch aus Gründen der
Kosten, die unter Umständen auf die Verbände zukommen können. Dennoch und gerade deswegen appellieren
wir an die Naturschutzverbände, sich ihrer Verantwortung bewusst zu sein und es trotz der erweiterten Klagerechte auch in Zukunft nicht zu einer Klageflut kommen
zu lassen.
({4})
Wir dürfen nicht vergessen, dass die Einführung der
Verbandsklage eine Ausnahme in der deutschen
Rechtstradition im öffentlichen Recht darstellt. Danach
muss der Kläger die Verletzung eigener Rechte geltend
machen, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist.
Der Entwurf des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes bestimmt nun erstmals umfassend etwas anderes. Der Anwendungsbereich dieser Klagemöglichkeit geht nämlich
wesentlich weiter als bei der im Jahre 2002 eingeführten
Verbandsklage nach § 61 Bundesnaturschutzgesetz. Leider lässt die jetzige Ausgestaltung ein bisschen zu wünschen übrig. Ich darf dazu einige Beispiele nennen:
Zum Ersten dürfen entscheidungsirrelevante Aspekte
nicht zum Gegenstand des Streitstoffes im Rechtsbehelfsverfahren gemacht werden. Bei dem vorliegenden
Entwurf sind wir uns aber nicht ganz sicher, ob das tatsächlich ausgeschlossen ist.
Des Weiteren ist die Regelung hinsichtlich der Beachtlichkeit von Verfahrensfehlern unserer Meinung
nach misslungen. Es gibt mittlerweile schon Stimmen,
die die völlige Streichung dieser Regelung fordern. Zumindest ist diese Regelung zu unbestimmt und damit zu
weitgehend.
Ein weiterer Punkt: Wesentliche Verfahrensfehler
sind nach dem Gesetzentwurf in der Regel die Nichtdurchführung der Umweltverträglichkeitsprüfung und
die Nichtdurchführung der Vorprüfung über die UVPPflichtigkeit. Ob und welche Verfahrensvorschriften daneben als wesentlich anzusehen sind, darüber lässt uns
die Bundesregierung im Moment leider noch im Unklaren.
Insgesamt würde ich sagen, es ist alles andere als eine
einfache und übersichtliche Regel, die hier geschaffen
wird. Die Bundesregierung hat sich in ihrem Gesetzentwurf grundsätzlich für ein Anerkennungsverfahren
klagebefugter Naturschutzverbände durch das Umweltbundesamt entschieden. Eine Ausnahme soll für Vereinigungen gelten, die noch nicht anerkannt sind. In diesem
Fall soll die Anerkennung auf das im Einzelfall angerufene Gericht verlagert werden. Doch hier fangen die Probleme an: Eine Bindungswirkung für das Umweltbundesamt besteht nicht. Vielmehr wird ausdrücklich das
Nebeneinander von Inzidententscheidung und Anerkennungsverfahren ermöglicht. Das ist weder einfach noch
übersichtlich.
An dieser Stelle und an vielen anderen sieht man, dass
noch einiges an Beratungsbedarf vonnöten ist.
Herzlichen Dank.
({5})
Das Wort hat jetzt der Kollege Andreas Jung von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
sprechen heute in erster Lesung über drei Gesetze. Es
handelt sich dabei sozusagen um die Großmutter und
ihre beiden Enkel. Die Großmutter ist die Århuskonvention, nicht etwa, weil sie schon von 1998 stammt und
also schon einige Jahre alt ist, sondern weil sie der Ursprung ist. Umgesetzt wurde sie quasi durch ihre Tochter, die Richtlinie der Europäischen Union. Diese Richtlinie wiederum setzen wir jetzt mit zwei Fachgesetzen in
deutsches Recht um.
Andreas Jung ({0})
Die Gesetze wurden von der Bundesregierung als eilbedürftig gekennzeichnet, teilweise - Kollege Meierhofer
hat es angesprochen - wegen der anhängigen Vertragsverletzungsverfahren. Das gilt aber nicht für das Århusübereinkommen selbst; da läuft ein solches Verfahren nicht.
Die Eilbedürftigkeit wird dort damit begründet, dass die
Präsidentschaft Deutschlands im Europäischen Rat bevorsteht. Da die Europäische Union das Übereinkommen bereits ratifiziert hat und Deutschland damit quasi schon
Vertragspartner geworden ist, wird hierdurch auch ein Signal gegeben. Herr Minister, ich wünsche mir, dass die
Tatsache, dass das Übereinkommen gerade jetzt ratifiziert
wird, ein Signal dafür ist, dass Deutschland im Rahmen
der Präsidentschaft im nächsten Jahr internationale Umweltschutzthemen, insbesondere das wichtige Thema des
internationalen Klimaschutzes, in den Mittelpunkt stellt
und versucht, hier einiges voranzubringen. Ich glaube, das
ist dringend notwendig. Ich hoffe, dass dieses Signal damit verbunden ist.
({1})
Zum Übereinkommen selbst möchte ich bemerken,
dass ich das Århusübereinkommen als gutes Beispiel für
internationalen Umweltschutz empfinde, weil es auf jeden Fall hohe, ehrgeizige Maßstäbe setzt, die zudem international sind. Wir werden beim Umweltschutz Fortschritte erzielen, in Deutschland, aber auf internationaler
Ebene, gemeinsam mit den Partnern in der Europäischen
Union und weit darüber hinaus. Unsere Sorge war ja immer, dass wir hier höhere Standards als andere haben,
was letztlich dazu führt, dass Investitionsvorhaben anderswo umgesetzt werden und Arbeitsplätze abwandern.
Deswegen ist das Wichtige an diesem Übereinkommen,
dass auch die anderen sich diesen Standards verpflichten
und wir somit gemeinsam hohe Standards haben. Das
halte ich für entscheidend.
({2})
Die erste Säule des Übereinkommens wurde bereits
mit dem Umweltinformationsgesetz umgesetzt. Ich
denke, das war ein entscheidender Fortschritt. Jeder Bürger hat heute einen einklagbaren Anspruch gegenüber jeder Behörde, was wichtige Umweltinformationen angeht. Damit wurde die Grundlage geschaffen für die
zweite und dritte Säule, über die wir jetzt reden. Nur der
Bürger, der informiert ist, kann tatsächlich seine Rechte
wahrnehmen.
Die zweite Säule ist die Beteiligung der Öffentlichkeit,
das Öffentlichkeitsbeteiligungsgesetz. Hierdurch werden
insbesondere das Bundes-Immissionsschutzgesetz, das
Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung, einige
Verfahrensordnungen, aber auch das Baugesetzbuch, das
Flurbereinigungsgesetz sowie das Kreislaufwirtschaftsund Abfallgesetz geändert. Schon diese Aufzählung
zeigt, welch große Bandbreite an Investitionsvorhaben,
an Infrastrukturmaßnahmen, an Industrieanlagen hiervon erfasst wird. Das wiederum zeigt die Bedeutung des
Gesetzes, über das wir heute beraten.
Der entscheidende Fortschritt ist, dass wir von einer
Anhörung der Öffentlichkeit zu einer Beteiligung der
Öffentlichkeit übergehen. Das ist keine Wortklauberei,
sondern ein handfester Fortschritt. Letztlich bedeutet das
den Schritt vom Bürger als Bittsteller zum mündigen
Bürger. Ich denke, das ist ein sehr wichtiger Aspekt.
({3})
Diese Regelung wird praktische Auswirkungen haben: Die Behörde muss detailliert über ein Vorhaben informieren. Sie darf sich nicht in Allgemeinplätzen erschöpfen; das ist allerdings auch schon heute so. Aber
die Verwaltung muss noch viel offensiver arbeiten. Das
Projekt muss in seiner Gänze und mit seinen Auswirkungen dargestellt werden. Am Ende des Verfahrens muss
das Ergebnis der Öffentlichkeitsbeteiligung in die das
Verfahren abschließende Entscheidung einfließen.
Das bedeutet mit Sicherheit ein Mehr an Transparenz
und zunächst einmal auch ein Mehr an Verwaltungsaufwand. Deshalb halte ich es im Übrigen für richtig und
wichtig, diese Regelung eins zu eins umzusetzen und
nichts draufzusatteln, also nichts Unnötiges vorzuschreiben.
({4})
Wenn ich darauf hinweise, dass sich zunächst einmal
ein Mehr an Verwaltungsaufwand ergeben kann, dann
verbinde ich damit die Hoffnung, dass ein Mehr an
Transparenz auch zu einem Mehr an Akzeptanz führt.
Dadurch kann es gelingen, kritische Fragen und Bedenken schon im Vorfeld aus dem Weg zu räumen und so
streitige Verfahren zu vermeiden. Wenn das gelingt,
würde der Verwaltungsaufwand für Unternehmen und
Behörden weniger und die Verfahren könnten schneller
abgeschlossen werden, weil es weniger Rechtsstreitigkeiten gibt.
({5})
Wir alle sind nicht blauäugig und wissen daher: Trotz
allem wird es auch in Zukunft Verfahren geben, die man
nicht gütlich regeln kann. Es werden also weiterhin streitige Verfahren stattfinden. In diesem Zusammenhang
komme ich auf die dritte Säule zu sprechen, die den Zugang zu den Gerichten regelt.
In den bisherigen Redebeiträgen ist schon angesprochen worden: In der Tat erfährt das deutsche Verwaltungsrecht hiermit eine einschneidende Veränderung.
Bisher galt der Grundsatz, dass derjenige klagen kann,
der sich in seinen eigenen Rechten verletzt fühlt. Die
einzige Ausnahme stellt das Bundesnaturschutzgesetz
dar, in dem die Verbandsklage schon heute verankert ist.
Das Verbandsklagerecht soll jetzt erheblich ausgeweitet
werden. Ich habe die Bereiche, die davon betroffen sind,
bereits angesprochen.
Wir alle wissen - das ist schon thematisiert worden -,
dass die Verbandsklage in der Vergangenheit kritisch beurteilt wurde. Man fragte sich: Führt sie nicht dazu, dass
jeder gegen alles klagen kann, also zu einer Prozessflut?
Wichtig ist: Verbandsklage ist nicht gleich Verbandsklage. Deshalb ist es ein großer Erfolg, dass die Regelung, die im ursprünglichen Gesetzentwurf von Herrn
Trittin enthalten war, verhindert werden konnte: dass
Andreas Jung ({6})
jede Bürgerinitiative - ich hätte fast gesagt: jeder Feierabendstammtisch - klagen darf und dass an die Vereine
und Verbände, die klagen dürfen, keinerlei Anforderungen gestellt werden.
Die Regelung, die im vorliegenden Gesetzentwurf getroffen wurde, sieht solche Anforderungen vor. Die Umwelt- und Naturschutzverbände, die das als Satzungsziel
formuliert haben und ein beständiges Engagement zeigen, sollen klagen dürfen, wie es schon heute im Bundesnaturschutzgesetz vorgesehen ist. Hier hat sich diese
Regelung bewährt. Warum sollte man das Rad neu erfinden, wenn es schon rollt?
({7})
Ich habe von einer Eins-zu-eins-Umsetzung gesprochen. Kollege Meierhofer hat dazu gesagt: Es gibt manche Bereiche, in denen der Gesetzentwurf über eine
Eins-zu-eins-Umsetzung hinausgeht. Dazu hört man allerdings unterschiedliche Einschätzungen. So gibt es
eine wichtige Frage, die auch Minister Gabriel angesprochen hat: Worauf kann sich ein Verband, der klagt, berufen - nur auf eine Verletzung subjektiv-öffentlicher
Rechte, also etwa auf die Verletzung der Rechte eines
anderen? In diesem Zusammenhang wird kritisiert, man
bleibe hinter einer Eins-zu-eins-Umsetzung zurück.
Beide Bewertungen machen deutlich: Es besteht noch
Beratungsbedarf. Diese Fragen werden in den weiteren
Beratungen zu prüfen, zu diskutieren und zu klären sein.
Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl von Stellungnahmen
des Bundesrates. Diese Stellungnahmen stellen jedoch
die Gesetzentwürfe in ihrem Grundsatz nicht infrage. Sie
enthalten lediglich Vorschläge zu Detailregelungen zugunsten von Vereinfachungen und zur Vermeidung von
Dopplungen. Obwohl es hier noch Beratungsbedarf gibt,
bin ich sicher, dass wir mit der Verabschiedung dieser
Gesetzentwürfe einen wichtigen Beitrag zu mehr Umweltschutz und mehr Bürgerbeteiligung in Deutschland
leisten können.
Herzlichen Dank.
({8})
Das Wort hat jetzt der Kollege Lutz Heilmann von der
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Endlich hat die Regierung Gesetzentwürfe zur Umsetzung der Århuskonvention und der EU-Richtlinie zur
Öffentlichkeitsbeteiligung vorgelegt. Ich bin mir aber sicher: Hätte die EU nicht bereits ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet, wären selbst die vorliegenden Gesetzentwürfe nicht zustande gekommen. Ich hätte mir
von Regierungsseite und von Koalitionsseite ein bisschen mehr Selbstkritik gewünscht und nicht nur die Suche nach Ausreden. Die Gesetzentwürfe machen eines
deutlich: Sie haben die Intention, dass Deutschland in
diesen Bereichen europäisches Schlusslicht bleibt. Aber
nicht nur das - es wurde schon angesprochen -: Mit diesen Gesetzentwürfen brechen Sie sogar Ihren Koalitionsvertrag, in dem Sie erklärten, EU-Richtlinien eins zu
eins umzusetzen. Wie Umweltverbände jetzt feststellten,
sind Ihre Gesetzentwürfe allenfalls eine Eins-zu-nullKomma-sechs-Umsetzung.
Worum geht es konkret? Sinn der Århuskonvention
und der daraus abgeleiteten Richtlinie zur Öffentlichkeitsbeteiligung ist, die Beteiligung der Bürgerinnen und
Bürger sowie von Verbänden an umweltrelevanten Entscheidungen zu verbessern und ihnen besseren Zugang
zu Gerichten zu gewähren. Davon ist in Ihren Gesetzentwürfen nicht viel übrig geblieben. Im Gegenteil, Ihre
Gesetzentwürfe zeigen, welch geringen Stellenwert Sie
der demokratischen Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger beimessen. Kollege Jung, ich muss Ihnen eins sagen:
Für mich waren die Bürgerinnen und Bürger nie Bittsteller beim Staat. Für mich sind es die Bürgerinnen und
Bürger, die sich das Gremium Staat geben, um ihre Ziele
durchzusetzen.
Den Spielraum bei der Umsetzung der Richtlinie haben Sie über die Grenze des rechtlich Zulässigen hinaus
ausgereizt. Zum Beispiel soll es keine Erweiterung der
Rechte der Bürgerinnen und Bürger, vor Gericht zu ziehen, geben. In Deutschland wird es den Bürgerinnen und
Bürgern deshalb auch weiterhin nur dann möglich sein,
den Klageweg zu beschreiten, wenn sie persönlich betroffen sind. Wird also ein angrenzendes Naturschutzgebiet abgebaggert, ist der Klageweg versperrt. Umweltverbände erhalten ein Verbandsklagerecht nur bei
drittschützenden Tatbeständen. Verbände, die sich für
Umweltbelange einsetzen, können damit auch zukünftig
nicht gegen Verstöße gegen den Naturschutz, den Tierschutz oder den Klimaschutz klagen.
({0})
Zur Verdeutlichung: Bisher ist die Verbandsklage nur im
Bundesnaturschutzgesetz geregelt; das wurde schon angesprochen. Klimaschutz, Tierschutz und die ökologische Intaktheit der Flüsse fallen nicht darunter. Eine Klagemöglichkeit auf diesen Gebieten ist somit nicht
gegeben.
Aber selbst das Bundesnaturschutzgesetz wird dank
der Föderalismusreform, die Sie vor wenigen Wochen
im Eiltempo hier durchgezogen haben, bald das Papier
nicht mehr wert sein, auf dem es steht. Denn mit Ihrer
Föderalismusreform haben Sie die Zuständigkeit für den
Naturschutz und damit auch die Verbandsklage den Ländern übertragen. Wenn man sich die Kampagnen gegen
Umweltverbände in einigen Bundesländern anschaut,
braucht man kein Prophet zu sein, um zu erkennen, dass
die Verbandsklage bald der Vergangenheit angehören
wird. Deshalb wird Ihr Gesetzentwurf unter Umständen
zu der absurden Situation führen, dass die Naturschutzverbände künftig zwar gegen die Lärmbelästigung von
Anwohnerinnen und Anwohnern klagen können, aber
gerade nicht mehr in Naturschutzangelegenheiten.
Mit den vorgelegten Gesetzentwürfen bleibt Deutschland bei den Klagemöglichkeiten für Bürgerinnen und
Bürger sowie Verbände in Umweltangelegenheiten europäisches Schlusslicht. So bringen Sie Deutschland - was
Sie immer wieder propagieren - nicht nach vorne. Deshalb lassen Sie uns die Chance nutzen und Deutschland
vom letzten Platz wenigstens ins Mittelfeld zurückholen.
Ich fordere Sie auf: Setzen Sie die Richtlinie wenigstens
eins zu eins um und bleiben Sie Ihrem Koalitionsvertrag
treu! Glauben Sie mir: Es fällt mir schwer genug, Sie an
die Einhaltung Ihres Koalitionsvertrages zu erinnern.
({1})
Ich danke Ihnen.
({2})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Sylvia Kotting-Uhl
von Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Minister Gabriel! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Was ist Öffentlichkeitsbeteiligung überhaupt, warum wird sie praktiziert und wer ist diese Öffentlichkeit, die beteiligt werden soll? Demjenigen, der
etwas plant, der investieren will, etwas unternehmen
will, ist sie oft eher lästig - das ist dann die berühmte
„Bürokratie“, die man abschaffen muss, oft auch die
„unnötige Bürokratie“, Herr Jung -, eine Spezies, die
mitreden will, obwohl sie von der Hauptsache: der Unternehmung, der Planung, dem, worum es eigentlich
geht, gar nichts versteht. Aus dieser Perspektive ist es
sinnvoll, es mit der Beteiligung der Öffentlichkeit nicht
zu übertreiben.
Diesem Anspruch wird die Koalition mit ihrem
Antrag - das sehe ich ganz anders als Sie, Herr
Meierhofer - durchaus gerecht. Dulden wir die Öffentlichkeit, informieren wir sie, gewähren wir ihr Einblick aber auch nicht viel mehr.
Eine solche Sicht der Dinge vernachlässigt zwei
wichtige grundsätzliche Wahrheiten und macht es den
viel umworbenen Investoren nicht einfacher, sondern
letztlich schwerer. Erste Wahrheit. Betroffene und interessierte Bürgerinnen und Bürger - diese organisieren
sich manchmal auch in Feierabendvereinen, Herr Jung wissen oft mehr über ihre direkte Umwelt, über die vorhandene Pflanzen- und Tierwelt, als es jeder Planer oder
Verwaltungsmitarbeiter wissen kann.
({0})
Das heißt, durch die Öffentlichkeitsbeteiligung können
wichtige Aspekte in die Planungsprozesse eingespeist
und damit die Entscheidungsgrundlagen für Planungsabwägungen fundiert verbreitert werden. Der
Investor kann frühzeitig Unwägbarkeiten und Alternativmöglichkeiten erkennen, die ihm die Planung erleichtern. Das hilft, Kosten zu sparen, wenn er dies nutzt.
Zweite Wahrheit. Eine richtige und weit reichende
Öffentlichkeitsbeteiligung hilft, die Akzeptanz für das
Vorhaben und für das Verwaltungshandeln zu steigern,
wenn das Verfahren zur Zufriedenheit aller Beteiligten
organisiert wurde.
({1})
Wir wissen: Akzeptanz ist die beste Konfliktprävention.
Deshalb ist es richtig, dass diese Beteiligung gemäß der
europäischen Richtlinie zur Öffentlichkeitsbeteiligung
frühzeitig und umfassend genug vorgesehen ist, dann
nämlich, wenn noch alle Optionen offen sind.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf ignorieren Sie
diese grundlegenden Einsichten Europas ein Stück weit.
Ich will nicht behaupten, dass alles, was von Europa
kommt, immer der Weisheit letzter Schluss ist. Aber Europa hat gute und weise Ziele. Eines dieser Ziele ist es,
eine Union moderner demokratischer Bürgerinnen und
Bürger zu bilden. Moderne Bürgerinnen und Bürger
wollen beteiligt werden. Sie wollen sehen, dass es sich
lohnt, sich zu engagieren - von mir aus auch in einem
Feierabendverein -, und dass durch dieses Engagement
Verbesserungen erreicht werden können.
Jetzt noch einige Worte zu den Änderungsanträgen
der unionsgeführten Bundesländer im Bundesrat. Mit 22
der 23 Änderungsanträge wollen Sie die Standards für
die Öffentlichkeitsbeteiligung noch einmal absenken,
obwohl Sie schon mit dem vorliegenden Gesetzentwurf
den Anforderungen von Europa kaum genügen können.
So, meine Damen und Herren von der Union, kommen
wir nicht zu einem modernen Europa mit mündigen Bürgern.
({2})
Sie demonstrieren hier leider eine Unfähigkeit zu modernen Reformen. Sie verkennen, wie dringend wir den
mündigen Bürger und die mündige Bürgerin brauchen.
Mit Ihrer Politik des Misstrauens gegenüber der Öffentlichkeit tragen Sie wenig dazu bei, unser Land für den
Weg in die Zukunft fit zu machen.
Im Gegensatz dazu werden wir im entsprechenden
Ausschuss Änderungsanträge vorlegen, mit dem der
Geist von Århus wieder belebt wird.
Danke schön.
({3})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Matthias Miersch
von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! An
dieser Stelle kann man wieder einmal sehr gut den Ausspruch unseres Fraktionsvorsitzenden Peter Struck zitieren, dass ein Gesetzentwurf nie so aus dem Bundestag
herauskommt, wie er eingebracht wurde. Wir haben
heute die unterschiedlichen Sichtweisen wahrgenommen. Ich glaube, wenn wir alles zusammentun, werden
wir zu einem guten Ergebnis kommen.
An die Opposition gerichtet, die in diesem Fall wieder
einmal nicht einheitlich stimmt,
({0})
muss man sagen: Frau Kotting-Uhl, es ist gut, dass Sie
zumindest anerkannt haben, dass man die Dimension
dieses Gesetzentwurfes als historisch bezeichnen kann.
Bundesminister Gabriel hat zu Recht ausgeführt, dass es
in der Bundesrepublik Deutschland bisher noch nie ein
Verbandsklagerecht mit diesen Möglichkeiten, mit dieser Reichweite gegeben hat.
({1})
Wenn wir uns darüber hinaus anschauen, wie weit die
gerichtliche Kontrolle der Überprüfung gehen kann,
dann stellen wir fest, dass erstmals in das Gesetz hineingeschrieben wird, dass es bei bestimmten Verfahrensverletzungen zwingend zu einer Aufhebung kommt. Das
wird zu einer elementaren Änderung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts führen; denn das
Bundesverwaltungsgericht hat bislang nur gefordert,
dass nachgewiesen wird, dass die Entscheidung nicht anders ausgefallen wäre. Insofern glaube ich schon, dass
das Gesetzeswerk, das wir heute beraten, ein Meilenstein
ist.
All diejenigen, die immer sagen, dass sie das Europarecht in diesem Bereich eins zu eins umsetzen wollen, lade ich dazu ein, sich dies einmal genau anzuschauen.
Es hat keinen Sinn - auch wenn wir den zeitlichen
Druck haben -, ein Gesetz zu verabschieden, das ein
neues Verletzungsverfahren oder ein neues Klageverfahren zur Folge hat, das die Bundesrepublik Deutschland
verliert.
Es ist sinnvoll, sich einmal die Ziele des Gesetzes vor
Augen zu führen. Zum ersten Mal ist es nicht der Dritte,
der in seinen Rechten verletzt sein muss; es ist vielmehr
die breite Öffentlichkeit, die ihre Rechte geltend machen
kann. Dabei kann es beispielsweise um einen wichtigen
Aspekt der Nachhaltigkeit gehen. Darüber hinaus stellt
sich die Frage, inwieweit man Verfahrensfehler nicht nur
individuell rügen kann. - Wenn man diese Zielsetzung
des Gesetzes betrachtet und berücksichtigt, dass ein breiter Zugang zu den Gerichten gefordert wird, muss man
sich zwei Punkte sehr genau anschauen; ich bin dem
Kollegen Jung außerordentlich dankbar dafür, dass er
das hier noch einmal dargestellt hat.
Punkt eins: die Klagebefugnis. Wenn ein Verband die
Interessen der Öffentlichkeit geltend machen soll und
breiten Zugang zu den Gerichten haben soll, dann kann
es aus meiner Sicht nicht sein, dass die Klagebefugnis
nur auf die individuellen Rechte Dritter beschränkt wird.
Vielmehr müssen dann Verbandsinteressen und die Interessen der Öffentlichkeit ebenso geltend gemacht werden dürfen.
({2})
Punkt zwei. Wenn wir uns die gegenwärtige europäische Rechtsprechung anschauen und betrachten, wie der
Europäische Gerichtshof den Umgang mit Verfahrensfehlern handhabt, dann stellen wir fest, dass er nicht nur
den Grundsatz des Bundesverwaltungsgerichts gelten
lässt, sondern sehr wohl auch Verfahrensfehler in den
Mittelpunkt seiner Prüfung rückt. - § 2 und § 4 sollten
wir uns also noch einmal sehr genau anschauen.
Nun zu Ihnen, Herr Meierhofer: Transparenz ist die
Grundlage dafür, dass gute Entscheidungen getroffen
werden. Jeder von uns muss es aushalten, dass es eine
gerichtliche Kontrolle gibt, und zwar eine weit gehende
gerichtliche Kontrolle. Es stellt sich die Frage, wie wir
diese Kontrolle gestalten. Als Strafrechtler sage ich: Jemand, der in Untersuchungshaft sitzt, muss innerhalb
von sechs Monaten angeklagt worden sein. Warum ist es
uns nicht möglich, in der verwaltungsgerichtlichen
Rechtsprechung ähnliche Organisationsabläufe vorzuschreiben? Da sind natürlich auch die Länder gefordert.
All das spielt eine Rolle genauso wie die Frage, inwieweit wir den Streitwert mit berücksichtigen; denn
viele Verbände sind nicht in der Lage zu klagen, weil sie
das Prozessrisiko nicht eingehen können. Das alles sind
Punkte, die wir hier nach der ersten Lesung einbringen
können. Nach den Redebeiträgen von Ihnen allen glaube
ich, dass es eine konstruktive Zusammenarbeit werden
kann. Ich freue mich auf die Beratungen in den Fachausschüssen und lade Sie alle herzlich dazu ein.
Vielen Dank.
({3})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 16/2494, 16/2495 und
16/2497 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 12 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Barbara Höll, Dr. Kirsten Tackmann, Kersten
Naumann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Überschuldung privater Haushalte wirksam
bekämpfen
- Drucksache 16/1544 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({0})
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das
so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Kollegin Dr. Barbara Höll von der Fraktion Die
Linke das Wort.
({1})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In
knapp 20 Minuten beginnt heute in der Bundeshauptstadt die Lange Nacht der Schuldnerberatung. Ab 18 Uhr
können sich Betroffene einmal ohne die sonst übliche
lange Anmeldungszeit beraten lassen. Angesichts von
1 200 Privatinsolvenzen allein von April bis Juni dieses
Jahres hier in Berlin, einer 70-prozentigen Steigerung
gegenüber der Zahl vom Vorjahr, dürfte der Andrang
groß sein.
In Deutschland sind mehr als 3 Millionen Haushalte
überschuldet; mehr als 6 Millionen Menschen sind davon betroffen. Hinter dieser Zahl verbergen sich viele
Einzelschicksale. Angesichts dessen scheint die Lange
Nacht der Schuldnerberatung - eingebettet in die laufende Aktionswoche - das Mindeste zu sein, was getan
werden muss, um auf ein facettenreiches Problem mit
weit reichenden Konsequenzen für Wirtschaft und Politik, unser aller Zusammenleben und vor allem für die
einzelnen Menschen, die betroffen sind, aufmerksam zu
machen.
Schulden und Schuldenmachen sind in unserer Gesellschaft etwas Alltägliches. Wir sprechen aber heute
über Überschuldung. Dabei geht es nicht unbedingt um
große Summen. Bereits die Jahresabrechnung der Mietnebenkosten kann Menschen in die Katastrophe führen.
Angesichts dauerhafter Arbeitslosigkeit, geringer Einkommen, von Krankheit und Trennungssituationen oder
der Geburt von Kindern besteht oftmals kaum eine
Chance für die Einzelnen, aus ihrer Situation herauszukommen. Sie sind verarmt und befinden sich in einer
hoffnungslosen Situation.
In meiner Heimatstadt Leipzig ist eine Steigerung der
Privatinsolvenzen um 21 Prozent zu verzeichnen. Der
Umfang der Schuldnerberatung und die Zahl der Insolvenzverfahren nehmen parallel stetig zu. Wir haben in
unserer Stadt sechs Beratungsstellen. Wurden in einer
Beratungsstelle im Jahr 2001, also noch vor fünf Jahren,
jährlich 42 Fälle von Privatinsolvenzen bearbeitet, so
waren es im vergangenen Jahr 418 Fälle. Das wirklich
Erschreckende daran ist, dass nur 2 Prozent der betroffenen Menschen über ein Einkommen verfügen, das über
der Pfändungsfreigrenze liegt. Das heißt, sie haben keine
Chance, aus eigener Kraft aus ihrer Situation herauszukommen.
Am 16. August dieses Jahres sprang in Frankfurt an
der Oder ein junger Mann aus dem fünften Stock seines
Mietshauses. Er hatte 885,29 Euro Mietschulden. Die
Zwangsräumung war angedroht, obwohl er mehrfach
seine Bereitschaft zur Mitarbeit an der Schuldentilgung
signalisiert hatte. - Dies ist kein Einzelschicksal. Hinter
der Zahl überschuldeter Haushalte verbergen sich viele
menschliche Tragödien. Die Armutssituation ist für die
Betroffenen äußerst belastend und folgenschwer. Sie hat
auch weit reichende Konsequenzen. Ich glaube, der
größte Fehler, den wir machen können, ist das Verharmlosen, indem man so tut, als seien das alles Menschen,
die mal über ihre Verhältnisse konsumiert hätten.
Die wahren Ursachen der steigenden Zahl von Überschuldungen werden gern übersehen und wenig thematisiert. Meines Erachtens sind sie vor allem in einer Politik
begründet, die den Reichtum und das Vermögen schützt,
fördert und vermehrt und Millionen Menschen in immer
schnellerem Tempo ins soziale Abseits befördert.
({0})
Hartz IV, Lohndumping, Arbeitslosigkeit, wachsende
Ausgaben für Wohnen, Gesundheit und Bildung, ein sinkendes Realeinkommen und breit angelegte steuerliche
Benachteiligungen der Habenichtse bilden den wirtschaftspolitischen Boden, auf dem die Überschuldung
privater Haushalte gedeiht und wächst. Hinzu kommt ein
immer aggressiveres Marketing der Banken und Kaufhauskonzerne. Verlockende unseriöse Kreditangebote
treiben gerade Geringverdienende, Arbeitslose und
junge Menschen in die Schuldenfalle. So paradox es
klingen mag: Auch an Armut lässt sich verdienen; das
bezieht sich gerade auf Kreditinstitute, Banken und Insolvenzvollstrecker.
Einigkeit sollte darüber herrschen, dass die effektivste
Prävention in der schlichten Aufgabe besteht, den Menschen ein eigenes Einkommen zu garantieren, von dem
sie in Würde leben können. Das wäre durch die Schaffung von - auch öffentlich geförderten - Arbeitsplätzen,
durch Mindestlöhne und die Abschaffung der folgenschweren Hartz-IV-Regelungen möglich.
Mit dem von uns vorgelegten Antrag werden wir das
Problem der Verschuldung von Menschen sicherlich
nicht lösen können. Aber wir können einen wichtigen
Beitrag leisten, nämlich dass die Finanzierung der
Schuldnerberatungsstellen sichergestellt wird. Dazu
sind neben den Kommunen und Wohlfahrtsverbänden
auch die Länder und wir im Bundestag gefordert, mit gesetzlichen Regelungen eine dauerhafte Finanzierung der
Schuldnerberatungsstellen zu garantieren, sodass eine
dem tatsächlichen Bedarf entsprechende Beratung angeboten werden kann, die die Betroffenen ohne lange Wartezeiten in Anspruch nehmen können.
Ich denke, dass die heutige Debatte einen Einstieg bedeuten kann. Wir sollten die heutige Lange Nacht der
Schuldnerberatung in der Hauptstadt Berlin unterstützen. Ich wünsche allen, die sich heute Nacht engagieren,
alles Gute und hoffe, dass sie mit der Beratung helfen
können.
Danke.
({1})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Ursula Heinen von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die genannten Zahlen
sind in der Tat alarmierend. Nachdem es 1999 noch
2,7 Millionen überschuldete Privathaushalte in Deutschland gab, sind es mittlerweile 3,1 Millionen. Eine halbe
Million weiterer Haushalte ist darüber hinaus akut überUrsula Heinen
schuldungsgefährdet. Der 2. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung hat deutlich aufgezeigt, dass
Überschuldung eine der wesentlichen Ursachen für Armut und soziale Ausgrenzung ist.
({0})
Es handelt sich also um ein Thema, das wir sehr ernst
nehmen müssen.
Für Verschuldung gibt es weit mehr Gründe als die
von meiner Vorrednerin genannten. Veränderungen der
persönlichen Lebenssituation können Ursache für Verschuldung sein, beispielsweise wenn der Partner stirbt,
eine Ehe scheitert, ganz plötzlich Arbeitslosigkeit eintritt, die Selbstständigkeit scheitert oder eine Krankheit,
etwa eine Psychose oder Alkoholsucht, auftritt. Aber
auch die mangelnde Finanzkompetenz des Einzelnen
kann zur Verschuldung führen, unabhängig davon, wie
sich die sonstige Situation darstellt.
Erschwerend kommt hinzu, dass Überschuldung oft
nicht einen Einzelnen, sondern auch die Familienangehörigen betrifft. Sie alle können sich wahrscheinlich vorstellen, wie es ist, wenn sich die Kinder plötzlich nichts
mehr leisten können, wenn sie an einer Klassenfahrt
nicht teilnehmen können, weil die Eltern kein Geld haben. Für die Kinder ist es natürlich schwierig, mit der Situation umzugehen und einzugestehen, dass die Eltern
wenig Geld haben.
Es ist aber auch für die sonstige Umgebung schwierig, beispielsweise für den Arbeitgeber, der erlebt, dass
es bei einem Arbeitnehmer immer wieder zu Pfändungen
kommt, oder für die Gläubiger, die versuchen, ihr Geld
zu bekommen. Nicht alle, die Geld verliehen haben, sind
böse Menschen. Man hat etwas gekauft, eine Leistung
bekommen und derjenige, der die Leistung erbracht hat,
möchte natürlich das Geld dafür sehen. Letztendlich
wirkt sich die private Überschuldung auch auf die öffentlichen Haushalte aus.
Ich glaube, wir sind uns in diesem Haus einig, dass
die Betroffenen ohne Hilfe von außen oft nicht klarkommen. Deshalb gibt es seit Anfang der 80er-Jahre Schuldnerberatungsstellen, die sich aktiv um die Menschen
kümmern, die so verschuldet sind, dass sie nicht mehr allein aus der Misere herauskommen. Das, was diese Beratungsstellen für die Betroffenen erreichen, ist für unsere
Gesellschaft unglaublich wichtig. Die Schuldnerberatung nimmt eine bedeutende Rolle in unserem gesellschaftlichen Leben ein. Sie nimmt - das ist unbestritten eine Schlüsselposition bei der Entschuldung ein.
Es gibt gute aktuelle Zahlen zu den Leistungen der
Schuldnerberatungsstellen, die das Bundesministerium
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend veröffentlicht
hat: Nach einjähriger Beratung sank der Anteil derjenigen überschuldeten Haushalte, in denen keiner Berufstätigkeit nachgegangen wurde, von 50 Prozent auf 40 Prozent, also um 10 Punkte. Der Anteil der Überschuldeten,
die den Weg in gesicherte Arbeitsverhältnisse fanden, erhöhte sich von 28 Prozent auf immerhin 46 Prozent. Die
Gläubigerzahl konnte im Durchschnitt um ein Fünftel reduziert werden. Die Schuldnersumme sank um durchschnittlich 8 000 Euro. Die Ausgaben für die Hilfe zum
Lebensunterhalt im Rahmen der Sozialhilfe sanken um
ein Drittel. - Das sind tolle Leistungen, die mit Hilfe der
Schuldnerberatungsstellen erbracht worden sind.
Blickt man auf die Struktur der Beratungsangebote, erkennt man, dass es eine ganze Reihe von Trägern
gibt, die sich im Bereich der Schuldnerberatung engagieren. In Deutschland gibt es 1 200 Beratungsmöglichkeiten. Die größten Träger sind der Deutsche Caritasverband, das Diakonische Werk der Evangelischen Kirche
in Deutschland, das Deutsche Rote Kreuz, der Deutsche
Paritätische Wohlfahrtsverband, die Arbeiterwohlfahrt,
die Verbraucherberatungsstellen der Länder sowie die
Sozialämter der Gemeinden, Städte und Landkreise. Ihnen allen sollten wir ein herzliches Dankeschön für ihre
Arbeit sagen; denn wir alle haben etwas davon.
({1})
Nun zur Finanzierung: Nach dem Sozialrecht sind
die Kommunen aufgefordert, Schuldnerberatungsstellen
zur Verfügung zu stellen. Den größten Kostenanteil tragen dabei die Bundesländer, die Kommunen sowie die
Träger der Beratungsstellen. Genauso wie in vielen anderen Bereichen - darauf wurde schon hingewiesen; das
ist unstrittig - gibt es finanzielle Engpässe. Nicht alle
Menschen können so gut beraten werden, wie sie es verdient haben oder wie es wünschenswert ist. Aber Sie von
der Linken machen es sich mit Ihrer Forderung nach einer Finanzierung durch den Bund zu einfach. Damit
kommen wir nicht weiter.
({2})
Es ist sicherlich beliebt, zu sagen: Bund, hilf uns; ansonsten fällt uns zu diesem Thema nichts ein. Ich meine
aber, dass Überschuldung ein gesamtgesellschaftliches
Problem ist und dass wir bei der Unterstützung der
Schuldnerberatungsstellen wesentlich mehr Kräfte brauchen.
Was können wir tun? Wir können beispielsweise zusammen mit der Wirtschaft über Kooperationsangebote
zur Finanzierung der Beratungsstellen sprechen. Bereits
heute existieren gemeinsame Projekte von Beratungsstellen und Sparkassen. Mittlerweile sind in vier Bundesländern Sparkassenverbände an der Finanzierung von
Schuldnerberatungsstellen beteiligt. Das geschieht in
Niedersachsen und Schleswig-Holstein auf freiwilliger
Basis, während in Nordrhein-Westfalen und RheinlandPfalz eine solche Beteiligung durch das Landessparkassengesetz vorgeschrieben wird. Wenn ich sehe, wie Sie
sich engagieren, dann frage ich mich, warum Sie in
Mecklenburg-Vorpommern und Berlin nicht die Chance
genutzt haben, entsprechende Verpflichtungen einzugehen und die Banken zu motivieren, sich an der Finanzierung der Schuldnerberatungsstellen zu beteiligen. Das
wäre besser gewesen, als hier nach dem Bund und einer
entsprechenden Bundesfinanzierung zu rufen. Man kann
andere, kreative Wege gehen. Die Kooperation mit den
Sparkassen etwa halte ich für einen richtigen Weg.
Die Bundesregierung muss außerdem dafür sorgen,
dass die Gespräche zwischen der Arbeitsgemeinschaft
der Schuldnerberatung der Verbände einerseits und den
Bundesverbänden der Kredit-, Versicherungs- und Wohnungswirtschaft sowie den Verbänden des Handels und
der Inkassounternehmen andererseits wieder aufgenommen werden, um zusätzliche Quellen für die Finanzierung der Schuldnerberatungsstellen zu erschließen. Es
wäre eine gute Sache, wenn wir gemeinsam dafür sorgten, dass das Familienministerium die Federführung bei
dieser Aufgabenwahrnehmung hat und versucht, alle Beteiligten ins Boot zu holen.
Frau Kollegin Heinen, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Frau Kollegin Dr. Höll?
Ja.
Frau Dr. Höll, bitte schön.
Frau Kollegin, das können wir ganz kurz machen. Da
Sie über unseren Antrag reden, möchte ich Sie fragen, ob
Sie bereit sind, den Punkt II.2 in Gänze zur Kenntnis zu
nehmen. Ich darf zitieren:
Die Kreditinstitute und Wirtschaftsverbände werden, wie in anderen Ländern bereits der Fall,
- wir beziehen uns auf europäische Länder entsprechend der durchschnittlichen Gläubigerstruktur an der Finanzierung beteiligt …
Das heißt, wir haben sehr wohl im Blick, dass sich Banken, Kreditinstitute und Wirtschaftsverbände an der Finanzierung der Schuldnerberatungsstellen beteiligen sollten. Unser Blick ist also nicht nur auf die Sparkassen
beschränkt. Die Beteiligung der Sparkassen ist vielleicht
ein kleiner Schritt. Aber wir sollten - entsprechend der
Gläubigerstruktur - weitergehen. Das ist ein breiterer
Ansatz.
Ich bin nur etwas erstaunt darüber, dass Sie in Ihrem
Antrag völlig außer Acht lassen, dass in vier Bundesländern bereits Kooperationen zur Finanzierung bestehen,
während in den Bundesländern, in denen Sie an der Regierung beteiligt sind, solche Kooperationen nicht stattfinden. Es verwundert mich, dass Sie alle anderen in die
Pflicht nehmen wollen, sich aber dort, wo Sie die Verantwortung tragen, um diesen Punkt nicht kümmern.
({0})
Ein Verweis auf andere europäische Länder ist sicherlich
sinnvoll. Aber ich halte es auch für sinnvoll, sich die
Praxis in den Bundesländern einmal genau anzuschauen.
Das haben Sie nicht gemacht. Der Schwerpunkt Ihrer
Argumentation liegt darauf, dass der Bund seine Finanzierungsbeteiligung ausbauen muss.
({1})
Lassen Sie mich noch drei Punkte ansprechen, in denen zurzeit Reformbedarf besteht. Der erste Punkt ist,
dass der Bund im Bereich der Rechtsetzung aktiv werden muss. Es gibt Verbraucherinsolvenzverfahren, aber
wir brauchen schnellere Verfahren. Es ist erforderlich,
dass die angekündigte Reform der Verbraucherinsolvenzverfahren endlich auf den Tisch kommt.
Der zweite Punkt betrifft strukturelle Maßnahmen.
Die Finanzdienstleister müssen sich verpflichten, wesentlich besser über ihre Produkte zu informieren, sie
transparenter zu gestalten und ihren Beratungspflichten
intensiver nachzukommen, als es zurzeit der Fall ist. Wir
als Bundestag müssen darauf achten, dass die Vereinbarung zum Girokonto für jedermann eingehalten wird.
Dieses Thema haben wir im Ausschuss für Verbraucherschutz regelmäßig auf der Tagesordnung. Darüber müssen wir die Kreditinstitute berichten lassen.
Der letzte Punkt ist, dass wir Maßnahmen zur Stärkung der Eigenkompetenzen brauchen. Das heißt, dass
man auch schon mit Kindern den richtigen Umgang mit
Geld üben muss. Es gibt in vielen Bundesländern mittlerweile Projekte in Schulen, in denen der Umgang mit
Geld erläutert wird. Auch das ist ein Weg in die richtige
Richtung. Wenn wir diese Maßnahmen umsetzen, schaffen wir es vielleicht, das Problem an der Wurzel zu fassen, anstatt nur auf die Arbeit der Schuldnerberatungsstellen zu verweisen.
In diesem Sinne kann ich nur sagen, dass Ihr Antrag
den Schuldnerberatungsstellen erst einmal nicht weiterhilft. Uns würde es weiterhelfen, wenn Sie konstruktiv
an den anderen Punkten mitarbeiten würden.
({2})
Danke.
({3})
Das Wort hat jetzt der Kollege Hans-Michael
Goldmann von der FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
bin durchaus froh darüber, dass es hier einen Grundantrag von Ihrer Partei, Frau Dr. Höll, gibt. Ich bin auch
der Meinung, dass man das Thema sehr ernst nehmen
muss. Was mich aber schon ein bisschen irritiert, ist,
welche Schlüsse Sie aus einem sehr schwierigen Sachverhalt ziehen und wie mutig Sie sind.
Angesichts der Tatsache, dass wir in besonderer
Weise Schuldnerberatung notwendig haben, durchaus
auch in Bundesländern, in denen Sie Mitverantwortung
tragen bzw. bisher getragen haben, und dass wir in Berlin eine Lange Nacht der Schuldnerberatung haben,
muss man sich doch einmal fragen, woher das alles
rührt. Warum muss man in Berlin ein halbes Jahr warten,
bis man bei der Schuldnerberatung einen Termin bekommt? Warum sind in Berlin 300 000 Menschen arbeitslos und warum geraten diese wegen ihrer Arbeitslosigkeit in die Schuldenfalle? Wenn Sie diese Fragen
verinnerlichen, dann kommen Sie sehr schnell zu dem
Ergebnis, dass der Lösungsvorschlag, den Sie in Ihrem
Antrag entwickeln, ganz sicherlich nicht die Lösung ist.
({0})
Es geht nicht darum, dass der Staat mehr Geld zur Verfügung stellt, um die Schuldnerberatung zu verbessern,
sondern es geht darum, die Arbeitsmarktsituation so zu
verbessern, dass weniger Menschen Schulden machen.
({1})
- Das sprechen Sie in Ihrem Antrag aber gar nicht an.
Wenn Sie beides tun wollen, dann finde ich das prima.
({2})
- Wir haben ein Verständnisproblem. Sie können die
Schuldnerberatung noch so gut finanzieren, aber wenn
Sie das Problem der Arbeitslosigkeit nicht in den Griff
bekommen, dann werden Sie in diesem Bereich nicht erfolgreich sein.
({3})
Sie können noch so viel Schadensbewältigung betreiben
wollen, aber wenn Sie nicht für Aufklärung, Information
und Bildung sorgen, was Frau Heinen völlig zu Recht
angesprochen hat, und schon in der Schule damit anfangen, dann werden Sie das Problem nicht in den Griff bekommen.
({4})
Ich will allerdings auch sagen, dass es aktuelle Entwicklungen gibt, die einen Beitrag zur Verschärfung dieses Problems leisten; das sage ich Ihnen ganz ruhig und
gelassen. Die Mehrwertsteuererhöhung ist für viele
Menschen ein weiterer Weg in die Schuldenfalle.
({5})
Mir ist es unverständlich, dass Sie diesen Weg gehen. Es
gibt ein anderes Problem, um das wir uns intensiv kümmern müssen: Das ist die Explosion der Energiekosten,
die wir im Moment haben und die die Menschen auch
belastet. Wir müssen dringend für mehr Markt in diesem
Bereich sorgen und wir müssen dringend dafür sorgen,
dass die Energiepreise für die Menschen erträglicher
werden.
({6})
Arbeitslosigkeit, Unkenntnis und zum Teil - auch das
will ich sagen - Verantwortungslosigkeit sind nach meinem Verständnis für die Schuldensituation verantwortlich. Ich finde es schon schlimm, wenn auch Eltern, die
nicht so gut gestellt sind, sozusagen alles mitmachen,
den Kindern alles geben wollen, auch sich selbst alles
geben wollen, was sie sich eigentlich nicht leisten können. Dass sie dann von Banken angesprochen werden,
die ihnen schnell Geld zur Verfügung stellen wollen, ist
auch nicht richtig. Wir müssen wirklich einmal daran erinnern, meine ich, dass sehr viele Menschen für ihr
Schuldenproblem auch ein Stück Eigenverantwortung
tragen. Wir dürfen nicht immer nach der Lösung durch
den Staat rufen, sondern wir müssen besonders an die
Betroffenen appellieren, ihrer Verantwortung gegenüber
ihren Finanzmitteln gerecht zu werden. Das sollte dann
auch in einem solchen Antrag angesprochen werden.
({7})
Die FDP hat sich immer dafür eingesetzt, dass dann,
wenn geholfen werden muss, auch geholfen wird. Wir
sind für Schuldnerberatung. Ich bin froh darüber, dass
die Finanzmittel für die Schuldnerberatung von unserer
Seite immer so zur Verfügung gestellt worden sind, wie
das notwendig gewesen ist. Ich appelliere wirklich noch
einmal sehr nachdrücklich an Sie: Sorgen Sie aktiv dafür, dass sich die Situation der Schuldnerberatungsstellen dort, wo Sie noch Verantwortung tragen, zum Beispiel in Mecklenburg-Vorpommern oder hier in Berlin,
verbessert!
Allerdings müssen wir auch Weichenstellungen im
Bereich der Gesetzgebung vornehmen. Notwendig ist
eine Anpassung des Kontopfändungsrechts an die Bedeutung des bargeldlosen Zahlungsverkehrs. Die Justizministerin hat schon beim Amtsantritt erklärt, dass die
Bundesregierung eine Reform des Zwangsvollstreckungsrechts in Angriff nehmen will. „Wo ist das Eckpunktepapier, das diese Dinge voranbringt, wo sind die
Vorschläge, die hier auf den Tisch gelegt werden müssen?“, könnte man die Ministerin fragen, wenn sie denn
da wäre. Aber vielleicht tragen Sie, lieber Kollege
Spanier, das an sie heran. Ich habe den Eindruck, dass
auch Sie in diesem Bereich Handlungsbedarf sehen.
Ich freue mich auf die Ausschussberatung, weil es
notwendig ist, wirklich deutlich zu machen, dass wir zu
einem Gleichgewicht von Eigenverantwortung und Hilfestellung für diejenigen kommen müssen, die ohne
Schuld in Not geraten sind; diese Menschen gibt es.
({8})
Ich will noch einmal betonen: Sie können noch so viel
machen - wenn Sie nicht das Kernproblem der Arbeitslosigkeit verringern, wenn Sie nicht dafür sorgen, dass
mehr Menschen in Arbeit kommen, dann werden Sie
dieses Problem nicht lösen, sondern nur Pflaster verteilen. Das ist in diesem Bereich zu wenig.
Herzlichen Dank.
({9})
Ich erteile das Wort Wolfgang Spanier für die SPDFraktion. Oder wollten Sie doch nicht tauschen?
({0})
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
- Dann gebe ich das Wort Marianne Schieder für die
SPD-Fraktion.
({1})
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Es ist zwar schon gesagt worden, aber auch
ich möchte noch einmal betonen, dass das Anliegen, das
diesem Antrag zugrunde liegt, nämlich die Überschuldung privater Haushalte wirksam zu bekämpfen, ein sehr
wichtiges und ein sehr berechtigtes ist. In der Tat laufen
zunehmend mehr Haushalte in Deutschland in die Schuldenfalle und brauchen dringend Hilfe, um sich wieder
von der übergroßen Schuldenlast befreien zu können.
Die Ursachen hierfür sind vielfältig. Herr Kollege
Goldmann, wirklich nicht jedes Thema eignet sich dafür,
die Mehrwertsteuerdebatte aufzumachen.
({0})
- Na ja.
Seit 1993 hat sich die Zahl der überschuldeten Haushalte in der Bundesrepublik auf heute circa 3 Millionen
verdreifacht. Dies bedeutet, dass immerhin 8,1 Prozent
aller Haushalte auf absehbare Zeit zahlungsunfähig sind.
Weitere 570 000 gelten als akut überschuldungsgefährdet und laufen Gefahr, noch zu diesen 8,1 Prozent hinzuzukommen. Diese Zahlen machen deutlich, dass die
Überschuldung privater Haushalte ein wirklich großes
Problem ist und dass dringender Handlungsbedarf besteht.
Es wird auch etwas getan. Die rot-grüne Bundesregierung hat 1999 mit dem Verbraucherinsolvenzverfahren
auch für private Haushalte die Möglichkeit geschaffen,
Konkurs anzumelden und im Wege des Restschuldbefreiungsverfahrens ihre Schuldenlast abzubauen. Die
Justizministerkonferenz der Länder hat im Juni 2006 einen Gesetzentwurf der Bund-Länder-Arbeitsgruppe
„Neue Wege zu einer Restschuldbefreiung“ beraten
und zur Kenntnis genommen. Auf der Grundlage dieses
Entwurfs wird im Bundesjustizministerium derzeit ein
Referentenentwurf erarbeitet. Es gibt also eine Weiterentwicklung des Verfahrens.
Die Schuldnerberatung, die im Mittelpunkt des vorliegenden Antrags steht, ist ein sehr geeignetes Instrument, um wirksam gegen die Überschuldung privater
Haushalte zu kämpfen. Die in den Schuldnerberatungsstellen tätigen Männer und Frauen leisten eine hervorragende Arbeit.
({1})
Sie beraten nicht nur in finanzieller Hinsicht, sondern
umfassend und gehen der Ursache auf den Grund. Nicht
umsonst sind es gerade die Wohlfahrtsverbände, die
diese Beratungsstellen einrichten; denn sie können mit
Blick auf die verschiedenen Ursachen nicht nur Angebote zur finanziellen Beratung, sondern auch andere Angebote machen.
Allerdings ist auch Fakt, dass nur 12 Prozent aller
überschuldeten Haushalte von den Beratungsstellen unterstützt werden können; denn mit den zur Verfügung
stehenden knappen Finanzmitteln können die Träger der
entsprechenden Beratungsstellen nicht mehr bewältigen. Eine Beratung für lediglich 12 Prozent der Betroffenen ist selbstverständlich zu wenig. Der Auf- und Ausbau eines bedarfsgerechten und flächendeckenden
Netzes an Beratungsstellen ist dringend erforderlich.
Dass dies nur möglich sein wird, wenn dafür seitens
des Staates die entsprechenden Finanzmittel zur Verfügung gestellt werden, ist auch klar. Aber liebe Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion Die Linke, liebe Frau
Kollegin Höll, wir können dieses Problem nicht lösen.
Der Bund ist dafür nämlich nicht zuständig - und das
wissen Sie ganz genau.
Abgesehen davon, dass schon ein Blick ins Gesetz genügt, um dies festzustellen, hat Ihnen die Bundesregierung bereits mehrfach in Antworten auf Ihre Kleinen
Anfragen dargestellt, dass es für den Bund keine Möglichkeit gibt, sich an der Finanzierung der Schuldnerberatungsstellen zu beteiligen.
({2})
Die Zuständigkeit ist klar verteilt: Die Schuldnerberatung ist Ländersache. Nach den langen Debatten, die wir
zum Thema Föderalismusreform hier hinter uns gebracht
haben, sollten auch Sie wissen, dass wir aus einer Ländersache nicht einfach eine Bundessache machen können.
({3})
Wer sich in den Bundesländern umsieht, stellt selbstverständlich schnell fest, dass die Umsetzung der Aufgabe sehr unterschiedlich gehandhabt wird und es in der
Tat da und dort noch viel zu tun gibt. Dies gilt in ganz
besonderem Maße auch für das Bundesland, aus dem ich
komme, für den Freistaat Bayern.
Wer hier etwas verbessern will, muss das Anliegen
dorthin bringen, wo es hingehört, nämlich in die dafür
zuständigen Landtage, und nicht hier in den Bundestag.
In den Landtagen muss gehandelt werden. In den Landtagen müssen die finanziellen Mittel zur Verfügung gestellt werden und muss darauf geachtet werden, dass
wirklich ein flächendeckendes Netz an Beratungsstellen
aufgebaut wird und auch erhalten werden kann.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion
Die Linke, in den Landtagen müssen Sie beschließen
lassen, was Sie hier von uns fordern. Ich bitte Sie deswegen: Ziehen Sie Ihren Antrag heute zurück und bringen
Sie ihn an der richtigen Stelle ein, nämlich in den Landtagen. Wir können ihm - nicht, weil wir nicht wollen,
sondern weil wir nicht zuständig sind - heute auf keinen
Fall zustimmen.
({4})
Frau Kollegin Schieder, in diesem Haus war das Ihre
erste Rede. Dazu gratulieren wir Ihnen alle ganz herzlich
und wünschen viel Erfolg.
({0})
Als Nächstes spricht Ulrike Höfken für Bündnis 90/
Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Eines ist richtig: Die Koalition hat kein ausreichendes Konzept für verschuldete Haushalte. Die bisherigen Regelungen - das wissen wir - reichen nicht
aus. Wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen brauchen wir eine Kultur der zweiten Chance, eine humane
Antwort auf die rüden Praktiken, wie wir sie besonders
ausgeprägt in der Kreditbranche finden.
Im Koalitionsvertrag, aber auch in der Regierungspolitik der großen Koalition fehlt jedoch ein überzeugender
Ansatz. Die Unterstützung und der Ausbau von Schuldnerberatungsstellen sowie die vorsorgende Verbraucherberatung sind wirklich dringend erforderlich. Die
Wartezeiten dort sind lang. Aber das - darauf hat die
Kollegin von der SPD zu Recht hingewiesen - fällt tatsächlich in die Verantwortung der Länder.
Wer - wie ich mit dem Kollegen Terpe gerade vor
drei Wochen - in der Verbraucherzentrale in Rostock
gewesen ist, der kann ganz besonders erschüttert darüber
berichten, dass gerade dort, wo die PDS bzw. die Linke
mit in der Regierung ist, die Situation besonders fatal ist.
Diese Verbraucherzentrale musste Insolvenz anmelden.
Ich sage einmal ganz klar: Das liegt in Ihrer Verantwortung. Dort ist inzwischen alles gecancelt, was eine vorsorgende Verbraucherberatung eigentlich ausmacht. Es
ist alles auf reine Notfallmaßnahmen und auf eine Endof-the-Pipe-Beratung reduziert, also eine Beratung dann,
wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Wir
werden also den Antrag der Linken ablehnen, weil er in
gewisser Weise unredlich ist.
Trotzdem, Frau Heinen, kann man auf der Bundesebene viel tun. Die Bundesregierung müsste ihre Kompetenzen wahrnehmen. An erster Stelle sollte Frau
Zypries den schon im Januar dieses Jahres angekündigten Gesetzentwurf, der jedermann ein Recht auf ein Girokonto einräumt, vorlegen. Wo bleibt das Gesetz eigentlich?
({0})
Der Bericht der Bundesregierung vom 14. Juli 2006 hat
den Handlungsbedarf doch mehr als deutlich offen gelegt. Das Konzept der Selbstverpflichtung der Kreditwirtschaft ist nach zehn Jahren gescheitert. Ich zitiere
aus dem Bericht:
… steht es für die Bundesregierung fest, dass es
sich bis heute um ein unverändertes Phänomen …
handelt.
Weiter heißt es,
dass sich die Empfehlung des Zentralen Kreditausschusses aus dem Jahr 1995 zum Girokonto für jedermann in der Praxis nicht in dem gewünschten
Umfang bewährt hat.
Wie lange wollen Sie sich jetzt noch auf der Nase herumtanzen lassen, Kollegen und Kolleginnen von der
großen Koalition? Wollen Sie etwa die gescheiterte
Selbstverpflichtung durch eine neue „Selbstverpflichtung, die diesen Namen verdient“ - das ist wieder ein Zitat aus dem Bericht - ersetzen?
({1})
- Das hoffe ich.
Man muss sich einmal klar machen, was das heißt.
Dieses Land kann es sich doch nun wirklich nicht leisten, dass jährlich allein bei Sozialtransfers geschätzte
50 Millionen Euro verloren gehen. Diese landen nämlich
als teure Bareinzahlungsgebühren bei den Banken. Für
jeden der Betroffenen macht das etwa 460 Euro im Jahr
aus. Ich will jetzt gar nicht von der Mehrwertsteuererhöhung reden, die da dann auch noch draufgeschlagen
wird. Ganz klar ist: Hier braucht es eine Lösung und die
kann die Bundesregierung herbeiführen.
({2})
Handeln Sie also so, wie wir es in unserem Gesetzentwurf, den wir am 7. März vorgelegt haben, vorgeschlagen haben. Die Bundesregierung muss endlich eine verbraucherfreundliche Überarbeitung des Insolvenzrechtes
vorlegen, vor allem bezüglich der Kontopfändungen.
({3})
Sie muss die Zuständigkeiten für Schuldenprobleme von
privaten Haushalten in der Bundesregierung klar benennen und dann auch wahrnehmen. Sie muss Pilotprojekte
- das ist schon erwähnt worden - wie die Arbeitshilfe
„Unterrichtshilfe Finanzkompetenz“ für Lehrerinnen
und Lehrer ausweiten. Ich halte es auch nach wie vor für
richtig - das ist ja auch insgesamt ein Anliegen des Verbraucherschutzausschusses -, das Fach „Hauswirtschaft“ im Sinne von privater Kompetenz für Wirtschaft
wieder einzuführen bzw. auszuweiten. Das heißt, wir
fordern die Bundesregierung auf, hier einen Aktionsplan vorzulegen und wirklich gegen die Verschuldung
anzukämpfen.
Danke schön.
({4})
Jetzt spricht Wolfgang Spanier, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wir alle sind uns einig,
({0})
dass die wachsende Überschuldung privater Haushalte
eine Besorgnis erregende Entwicklung darstellt. Wir
sind uns sicherlich auch alle über die Bedeutung der
Schuldnerberatungsstellen in unserem Land einig, die
wirklich eine hervorragende Arbeit leisten.
Es ist gerade darauf hingewiesen worden, dass es seit
1999 das Verbraucherinsolvenzverfahren gibt. Das
heißt, dass es auch für einen privaten Schuldner tatsächlich die Möglichkeit gibt, nach mehreren Jahren redlichen Verhaltens - ich nenne es einmal so - die Restschuld erlassen zu bekommen und einen neuen Start ins
Leben zu unternehmen. Seit 1999 sind immerhin
200 000 Anträge auf Aufnahme dieses Verfahrens gestellt worden. Die ersten - das dauert ja eine gewisse
Zeit - sind bereits erfolgreich abgeschlossen worden.
Von Jahr zu Jahr steigt die Zahl der Anträge. Im letzten
Jahr waren es 66 000. Insgesamt hat also die Akzeptanz
dieses Verfahrens, das in der Zeit von Rot-Grün auf den
Weg gebracht wurde, eine erfreuliche Entwicklung genommen.
Wir sind uns nicht einig, was den Antrag der Fraktion
Die Linke betrifft.
({1})
Ich bin Frau Schieder sehr dankbar, dass sie in ihrer ersten Rede hier im Deutschen Bundestag die Sache auf den
Punkt gebracht hat.
({2})
Sie hat nämlich festgestellt, dass der Bund in diesem Bereich - das ist schlicht und einfach eine verfassungsrechtliche Beurteilung - für die Finanzierung nicht zuständig ist. Er darf ein solches Gesetz nicht erlassen. Der
Bund ist auch nicht zuständig für die Finanzierung von
Verfahrenswegen. Das fällt nun einmal in den Zuständigkeitsbereich der Länder. Man muss klar sagen, dass
es sich nicht um ein Abwiegeln des Problems, sondern
um eine Tatsache handelt, um die wir nicht herumkommen. Der Bundesgesetzgeber sollte sich auf die Aufgaben konzentrieren, für die er zuständig ist. In diesem
Punkt möchte ich Frau Höfken voll und ganz unterstützen.
Es liegen in diesen Wochen einige wichtige Gesetzgebungsvorhaben an, die eine deutliche Verbesserung
bewirken können. Ich nenne zum Beispiel eine vereinfachte Entschuldung völlig mittelloser Personen, aber
auch eine effektivere und einfachere Gestaltung des Verbraucherinsolvenzverfahrens. Ferner gibt es die Sicherung der privaten Altersvorsorge von Selbstständigen,
die in die Insolvenz gehen. Diese soll bei einem Konkurs, wenn ich das einmal so salopp sagen darf, nicht
über die Wupper gehen.
All das sind wichtige Vorhaben. In der Tat haben wir
an dieser Stelle eine Bringschuld. Es ist sicherlich Aufgabe der Regierung und des Parlaments, in den nächsten
Wochen und Monaten diese Vorhaben umzusetzen. Ich
glaube, auf diesen Kern sollten wir im Deutschen Bundestag unsere Überlegungen konzentrieren.
Lieber Herr Goldmann, das Thema hat nichts mit der
Mehrwertsteuererhöhung und auch nichts mit dem gesetzlichen Mindestlohn zu tun,
({3})
für den ich mich persönlich sehr einsetze. Wir sollten die
Thematik Schuldnerberatung, um die es heute geht, nicht
zum Vorwand für allgemeinpolitische Ausführungen
nehmen.
({4})
Wir sollten uns auf das konzentrieren, um was es heute
wirklich geht.
Lassen Sie mich zum Schluss etwas zum Thema
Hauswirtschaft und Schule sagen. Ich war fast
25 Jahre Lehrer. Wir müssen wirklich aufpassen, dass
wir nicht die Verantwortung für die Lösung aller gesellschaftlichen Probleme in die Schule verlagern und sozusagen für jedes Problem ein neues Schulfach fordern.
({5})
Ich glaube, das ist wirklich der falsche Lösungsweg. Ich
will in diesem Zusammenhang gar nicht über die Zuständigkeit von Bund und Ländern reden. Aber ich will darauf aufmerksam machen, dass das Familienministerium
bereits seit Jahren Unterrichtshilfen für Lehrerinnen und
Lehrer genau zu dieser Problematik anbietet.
Schönen Dank.
({6})
Damit schließe ich die Aussprache.
Zwischen den Fraktionen ist Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/1544 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit
einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erleichterung von Planungsvorhaben für die Innenentwicklung der Städte
- Drucksache 16/2496 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({0})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Es ist hierzu verabredet, eine halbe Stunde zu debattieren. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist so
beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem
Parlamentarischen Staatssekretär Achim Großmann.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Das Bauplanungsrecht ist zentraler Pfeiler einer funktionsfähigen und nachhaltigen Stadtentwicklung: Es
schafft die Basis für Investitionssicherheit und solide
Wirtschaftsbedingungen ebenso wie für Wohnen, sozial
gerechte Infrastruktur und für eine lebenswerte Umwelt.
Mit dem Gesetzentwurf greift die Bundesregierung
zentrale Anliegen der Stadtentwicklung auf. Die Herausforderungen des wirtschaftlichen und demografischen
Wandels konzentrieren sich besonders in den Städten
und Gemeinden. Dies erfordert die Orientierung der
Siedlungsentwicklung auf die Innenstädte, auf die Wiederherstellung und die Sicherung funktionsfähiger, urbaner Stadtzentren und -quartiere sowie die zügige
Durchführung notwendiger Anpassungsmaßnahmen.
Besonders dringlich ist auch die Stärkung des Arbeitsmarktes. Spürbare Fortschritte bedürfen einer Stärkung von Investitionen und der Generierung neuen wirtschaftlichen Wachstums gerade in den Städten. Zentrales
Anliegen des Gesetzes ist es daher, dass Planungsverfahren der Innenentwicklung beschleunigt durchgeführt werden können. Auch das ist ein Ziel der Koalitionsvereinbarung, in der festgelegt wurde, das Bau- und
Planungsrecht zur Stärkung der Innenentwicklung der
Städte und zur Beschleunigung wichtiger Planungsvorhaben - vor allen Dingen in Bezug auf Arbeitsplätze,
Wohnbedarf und Infrastrukturausstattung - zu vereinfachen und zu beschleunigen.
Mit dem vorgelegten Gesetzentwurf wird es zu einer
spürbaren Beschleunigung bei der Aufstellung solcher
Bebauungspläne kommen, die Baurechte im besiedelten Bereich der Kommunen schaffen. Die künftige Formel im Städtebaurecht lautet: schnelle und konzentrierte
Verfahren bei Investitionsvorhaben der Innenentwicklung, Verfahren nach den allgemeinen Anforderungen
und mit förmlicher Umweltprüfung dagegen insbesondere für Vorhaben auf der grünen Wiese. Dies beschleunigt Investitionsvorhaben an städtischen Standorten und
vermeidet Flächenverbrauch. Durch dieses Gesetz können die planerischen Aktivitäten der Städte und Gemeinden auf die Innenentwicklung gelenkt werden.
Wie sehen nun die Eckwerte dieses Gesetzes aus?
Kernbestandteil des Gesetzes ist das beschleunigte Verfahren. Es ist für Bebauungspläne konzipiert, die entweder für eine Grundfläche von weniger als 20 000 Quadratmetern - das entspricht ungefähr vier Fußballfeldern oder nach einer umweltbezogenen Vorprüfung des Einzelfalls für eine Grundfläche von 20 000 bis weniger als
70 000 Quadratmetern Festsetzungen treffen. Hier sollen
unter anderem eine zeitlich verkürzte Öffentlichkeitsund Behördenbeteiligung, eine Beschleunigung der Genehmigungsverfahren, der Verzicht auf eine förmliche
Umweltprüfung mit umfangreichen Formalien und die
Möglichkeit, auch ohne vorhergehende Änderung des
Flächennutzungsplanes vorzugehen, für ein rasches Verfahren sorgen.
Außerdem sind folgende Änderungen vorgesehen:
Die Schaffung und Sicherung der insbesondere für die
verbrauchernahe Versorgung bedeutsamen, zentralen
Versorgungsbereiche in Städten und Gemeinden, soll
auch im Interesse der Stärkung der Innenstädte, durch
ein neues Instrument verbessert werden. Der Abschluss
von Sanierungsverfahren soll erleichtert und beschleunigt
werden. Die Handhabung des Vorhaben- und Erschließungsplanes soll zur weiteren Stärkung der Innenentwicklung verbessert werden. Im Interesse der Rechtssicherheit
schließlich sollen die Fristen zur Geltendmachung von
Fehlern der Bebauungspläne und die Fristen für Normenkontrollverfahren generell auf ein Jahr verkürzt werden und die Bürgerbeteiligung ernster genommen werden.
Der Gesetzentwurf hat bei den damit bisher befassten
Fachgremien großen Rückhalt gefunden. Das sind die
kommunalen Spitzenverbände, die Wirtschaftsverbände
und die übrige Fachöffentlichkeit. Der Bundesrat wird
sich morgen in erster Lesung mit dem Gesetzentwurf beschäftigen.
In den letzten Monaten haben wir die Gesetzesänderungsvorschläge an einige Gemeinden und Städte mit
der Bitte weitergeleitet - das ist schon Tradition, wenn
wir das Baugesetzbuch ändern -, Planspiele durchzuführen, also mit dem neuen Gesetzeswerk sozusagen
schon zu arbeiten und uns dann Defizite und auch Stärken des Gesetzentwurfes zu benennen, damit wir wie in
früheren Gesetzgebungsverfahren darauf reagieren können. Wir haben also, so glaube ich, nicht nur den Gesetzentwurf gut vorbereitet, sondern auch erste Erfahrungen,
die in einigen Gemeinden und Städten gesammelt worden sind, berücksichtigt.
Ihnen liegt ein Gesetzentwurf vor, der aus meiner
Sicht wirklich gut vorbereitet ist. Ich hoffe, dass dadurch
eine zügige Beratung und Verabschiedung des Gesetzentwurfes möglich wird.
Das Gesetzgebungsverfahren ist von der Bundesregierung so vorbereitet, dass das Gesetz noch zum Jahreswechsel in Kraft treten kann, damit die von ihm ausgehenden investiven Impulse bald zum Tragen kommen
können.
Vielen Dank, dass Sie mir zugehört haben.
({0})
Für die FDP-Fraktion hat Patrick Döring das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrter Herr Staatssekretär, zur beschleunigten
Diskussion über den Gesetzentwurf wollen wir als FDPFraktion sehr gerne beitragen. Wir unterstützen das Anliegen der Bundesregierung. Ich denke, das politische
Umfeld, in dem sich diese Diskussion heute abspielt, ist
ausgesprochen vorteilhaft. Wir, zumindest die ordentlichen Mitglieder des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung, können den Trend zurück in die Stadt,
zu neuer Zentralität und Urbanität fast mit Händen greifen, wenn wir sehen, was dazu alles auf unseren Schreibtisch kommt.
Deshalb ist es gut, dass dieser Trend jetzt mit einer
Beschleunigung der Planungsverfahren unterstützt wird.
Als letzte Woche der Kongress der Stiftung „Lebendige
Stadt“ in Essen stattfand, konnte man in sehr vielen Gesprächen feststellen, dass die Kommunen diesem Trend
intensiv nachkommen, indem sie eine Nachverdichtung
vornehmen und die Städte attraktiver machen. Deshalb
sind die Ansätze, die dieser Gesetzentwurf zeigt, aus unserer Sicht unterstützenswert.
({0})
Insbesondere die von Ihnen angesprochene Verkürzung
der Einspruchsfristen ist positiv.
Im Zusammenhang mit der Planungsbeschleunigung
haben wir im Ausschuss noch ein anderes Thema auf der
Tagesordnung. Wir werden sehen, ob wir das genauso
gut und solide hinbekommen wie in diesem Fall.
Auch die Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung
bezüglich des Einspruchs gegen bestehende Bebauungspläne von denjenigen, die schon während der Aufstellungszeit genug Gelegenheit hatten, Einspruch einzulegen, ist ausgesprochen positiv. Das sage ich auch vor
dem Hintergrund meiner kommunalpolitischen Praxiserfahrungen. Der Verzicht auf die Umweltverträglichkeitsprüfung bei den von Ihnen genannten Vorhaben ist
gut. Auch das unterstützen wir.
Deshalb will ich nur drei Punkte ansprechen, die wir
aus unserer Sicht in den bevorstehenden Ausschussberatungen intensiv besprechen sollten. Da lässt sich vielleicht einiges klären.
Der erste Punkt betrifft die Frage, was eigentlich eine
Innenentwicklung ist. Einige aus der Stadtbauratszene,
mit denen ich gesprochen habe, fragen: Sind damit denn
auch die Stadtteilquartiere gemeint? Wie weit außen
kann „innen“ sein? Ich denke, dass wir das in den Ausschussberatungen in bewährt guter Form klären können.
({1})
Der zweite Punkt, der uns zumindest diskussionswürdig erscheint, ist die Frage, ob es nicht sinnvoll ist, dieses
beschleunigte Planungsverfahren bei Nachverdichtungen von Wohnquartieren grundsätzlich anzuwenden,
und zwar unabhängig von der Frage, ob es sich um innen
oder außen handelt. Im Zusammenhang mit der nachhaltigen Stadtentwicklung wollen wir alle die Lückenbebauung stärker forcieren. Auch darüber können wir im
Ausschuss sorgfältig diskutieren.
Der dritte Punkt, den meine Fraktion ansprechen
möchte, ist - auch Sie haben das angesprochen -, dass
bei laufenden Sanierungsverfahren zukünftig nachträglich Fristen verkürzt werden können. Gelegentlich haben
wir bei denjenigen, die nicht so schnell sanieren können,
weil sie die dafür notwendigen Mittel nicht haben, die
Sorge vernommen, dass ihnen über dieses Verfahren zusätzlicher Druck gemacht wird, dem sie nicht standhalten können. Ich denke, dass wir diese Sorge im Rahmen
der gemeinsamen Beratungen ausräumen können.
Bei alledem, was an dem Gesetz richtig und gut ist,
muss man, wenn man etwas weiter in das politische Umfeld schaut, feststellen - lassen Sie mich auch das
sagen -, dass es in diesem Haus und im politischen
Spektrum Tendenzen gibt, die für die nachhaltige Stadtentwicklung sowie für die Schaffung von mehr Urbanität
und Zentralität nicht gut sind. Das betrifft zum Beispiel
die zuletzt auf dem so genannten Zukunftskongress der
Grünen geführte Diskussion über eine Citymaut. Die
Menschen werden nicht in die Städte ziehen, um dort zu
wohnen, zu leben und zu arbeiten, wenn man es teurer
macht - oder gar verbietet -, mit dem Auto in die Stadt
zu fahren. Eine neue Zentralität, eine nachhaltige Stadtentwicklung und mehr Urbanität werden wir nicht erreichen, wenn wir Fahrverbotszonen errichten.
Deshalb müssen wir sehr genau darauf achten, dass
wir den positiven Trend in unseren Städten, der zu mehr
Urbanität führt, nicht dadurch stören, dass wir diejenigen, die sich zur Stadt bekennen, die in der Stadt leben,
arbeiten und wirtschaften wollen, mit zusätzlichen Belastungen und Erschwernissen, insbesondere beim
PKW-Verkehr, konfrontieren. Eines ist klar: Die individuelle Mobilität auch dieser Menschen muss gewährleistet sein.
Jeder, der weiß, was in unseren Städten täglich los ist,
beispielsweise beim Lieferverkehr, erkennt, dass Fahrverbotszonen kein Weg zu mehr Urbanität sind.
Herzlichen Dank.
({2})
Für die Union erteile ich Peter Götz das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der
Vorbereitung zum Koalitionsvertrag haben wir uns lange
überlegt, ob es klug und richtig ist, in dieser Legislaturperiode das Bau- und Planungsrecht erneut in die Hand
zu nehmen, zumal vor gut zwei Jahren mit dem Europarechtsanpassungsgesetz Bau in einer umfassenden Novellierung des Baugesetzbuches eine Reihe von Vereinfachungen und Beschleunigungen beschlossen worden
ist. Vieles spricht dafür, das Baugesetzbuch, dessen Umsetzung im Verwaltungsvollzug lange Vorläufe benötigt,
nicht alle paar Jahre zu verändern. Dennoch war es richtig, dass wir vor einem Jahr im November in der Koalitionsvereinbarung das Ziel verankert haben, Planungsvorhaben für die Innenstadtentwicklung der Städte und
Gemeinden zu erleichtern.
Für die Union möchte ich dankbar anmerken, dass die
seit Jahrzehnten bei Veränderungen im Bau- und Planungsrecht bewährte Tradition der Planspiele - Herr
Staatssekretär Großmann hat es angesprochen - auch bei
diesem Gesetz angewandt worden ist und so gemeinsam
und in enger Abstimmung mit ausgewählten Kommunen
bereits frühzeitig die Auswirkungen gesetzlicher Änderungen getestet worden sind. Das soll uns ermutigen,
dies auch in Zukunft bei anstehenden Änderungen auf
diesem Gebiet zu tun. Ich würde mir wünschen, dass wir
Vergleichbares auch bei anderen Gesetzen, also nicht nur
im Planungsrecht, schaffen.
({0})
Durch den wirtschaftlichen und demografischen
Wandel stehen wir nicht nur vor großen gesellschaftspolitischen, sondern auch vor erheblichen stadtentwicklungs- und wohnungspolitischen Herausforderungen.
Die Sicherung der Zukunftsfähigkeit unserer Städte und
Gemeinden ist eine gemeinsame Aufgabe von Kommunen, Staat, Wirtschaft und Gesellschaft. Wir wollen und
brauchen in unserem Land starke Städte und Gemeinden. Deshalb ist es nur konsequent, im Rahmen unserer
parlamentarischen Zuständigkeit die Bedingungen dafür
weiter zu verbessern. Damit meine ich die finanziellen
Rahmenbedingungen genauso wie die städtebaulichen,
über die wir heute reden.
Mehr denn je müssen wir uns auf die Wiederherstellung und Sicherung funktionsfähiger urbaner Stadtquartiere konzentrieren. Wir alle wissen: Die Wiederbelebung
innerörtlicher Industrie-, Bahn- oder auch Konversionsbrachen ist für alle Beteiligten - egal an welcher Stelle sie
stehen - erheblich anstrengender als das Bauen auf der
grünen Wiese.
({1})
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf greifen wir
zentrale, kommunale Anliegen einer modernen Stadtentwicklung auf. Wir erreichen damit eine investitionsfreundlichere lokale Politik. Wir bauen unnötige Bürokratie ab, fördern urbane Zentren, sichern die
verbrauchernahe Versorgung und ermöglichen gleichzeitig eine nachhaltige Stadtentwicklung. Durch die Reaktivierung der Innenstädte und Stadtteilzentren werden die
Orte sozialer und kultureller Begegnungen gestärkt und
die Lebensqualität erhöht. Es geht auch um die Sicherstellung wohnortnaher Versorgung, die im Hinblick auf
die geringere Mobilität vor allem älterer Menschen besonders geschützt werden muss. Wir fördern so die Identifikation der Bürgerinnen und Bürger mit ihrer Heimat.
Wir geben durch die Einführung beschleunigter Bebauungsplanverfahren für ausgewählte Projekte den
Gemeinden ein Instrument an die Hand, das der Aufforderung unseres Bundespräsidenten „Vorfahrt für Arbeit“
gerecht wird. Mit dem neuen § 13 a erhalten die Kommunen die Möglichkeit, einen Bebauungsplan im beschleunigten Verfahren aufzustellen, wenn er der Wiedernutzbarmachung von Flächen dient.
Nachdem bei der Innenentwicklung europarechtlich
keine Notwendigkeit für eine formelle Umweltverträglichkeitsprüfung mit dem damit verbundenen aufwendigen Verfahren einschließlich Umweltbericht besteht,
ist es folgerichtig, darauf zu verzichten.
({2})
Wir sollten nicht mehr, sondern weniger Bürokratie einfordern.
Ich halte es durchaus für angemessen, bei innerörtlichen Projekten auf einen naturschutzrechtlichen Ausgleich zu verzichten, soweit nicht eine Grundfläche von
20 000 Quadratmetern - Herr Staatssekretär Großmann
hat es angesprochen - überschritten wird und wenn dadurch neue Arbeitsplätze geschaffen werden können.
Auch die beabsichtigten Vereinfachungen im unbeplanten Innenbereich machen viel Sinn. Dies führt dazu,
dass die gezielte erstmalige Inanspruchnahme von Flächen für Siedlungszwecke weiter verringert wird. Damit
wird ein wichtiges Ziel unseres Koalitionsvertrages umgesetzt. Vor dem Hintergrund demografischer Entwicklungen sind wir klug beraten, innerörtliche Strukturen zu
stärken. Innenentwickung und Nachverdichtung durch
kleinteilige Ergänzung des Siedlungsbestandes bieten
neben ökologischen Motiven auch Kostenvorteile gegenüber größeren Siedlungserweiterungen und bauen
gleichzeitig einer innerörtlichen Verslumung entgegen.
Solche Vorhaben können mit den Mitteln der Städtebauförderung, sei es aus dem Stadtumbauprogramm oder
dem Programm „Soziale Stadt“, begleitet werden und
können zusätzlich helfen.
Herr Döring, wenn ich von Innenstadtentwicklung
rede, meine ich nicht nur Stadtzentren und historische
Altstädte, sondern genauso Großsiedlungen und Ortskerne kleinerer Gemeinden.
({3})
Ich denke, da sind wir uns einig. Vielleicht sollte man
dies noch deutlicher herausstreichen.
Wir sollten auch deutlich machen, dass der Begriff
der Innenentwicklung nicht zu eng gefasst wird.
({4})
Möglichst viele Kommunen und Investoren sollen diese
Neuregelungen nutzen können.
Auch die vorgesehenen Änderungen beim Abschluss
von Sanierungsverfahren werden zu einer wesentlichen Erleichterung für Städte mit Sanierungsgebieten
führen. Gerade die Erhebung von Ausgleichsbeträgen,
vor allem bei lang andauernden Sanierungsmaßnahmen
und stagnierenden oder gar sinkenden Bodenwerten, ist
ein Relikt aus dem Städtebauförderungsrecht der 70erJahre, das heute zu Recht infrage gestellt werden muss.
Ich selbst stand vor 25 Jahren vor der leidvollen Aufgabe, nach Abschluss einer Innenstadtsanierung ein Sanierungsverfahren abzurechnen. Es war so gut wie nicht
möglich, das einigermaßen gerecht zu machen.
({5})
Wenn es jetzt gelingt, den Abschluss von Sanierungsverfahren durch vereinfachte Abrechnungsregeln zu erleichtern und von überflüssiger Bürokratie zu befreien,
werden viele Menschen in den Rathäusern, aber auch in
den Aufsichtsbehörden dafür dankbar sein und aufatmen.
({6})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich eine
abschließende Bemerkung machen. Die vorgesehenen
Vereinfachungen und Beschleunigungen führen zu Kostenentlastungen bei den Kommunen und zu einer Entbürokratisierung in zentralen Bereichen der Immobilienwirtschaft. Schon allein deshalb ist es ein gutes Gesetz.
Wir sollten es zügig beraten, damit es bald in Kraft treten
kann.
Herzlichen Dank.
({7})
Dorothée Menzner spricht für die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir debattieren hier einen Gesetzentwurf, mit
dem die Regierung dreierlei erreichen will: entbürokratisieren, Verfahren beschleunigen und diese vereinfachen.
Aber wie sagte ein Mitarbeiter einer Bauverwaltung
dazu? Ich zitiere: Es bahnt sich ein gesetzgeberischer
Salto rückwärts an, der die an der Bauleitplanung Beteiligten in vergangen geglaubte Zeiten zurückzuwerfen
droht - mit neuen Widersprüchen, neuen Fragen und
neuen Unsicherheiten im Vollzug.
Wir, die Linke, setzen da noch eins drauf. Heidrun
Bluhm, unsere wohnungspolitische Sprecherin, und ich
sind uns einig: Der Kern dieses Gesetzes ist vollkommen
kontraproduktiv.
({0})
Da inszenieren Sie einen völlig neuen Plantyp, den - wir
haben es gehört - Bebauungsplan der Innenentwicklung. Die Folge ist - auch das wurde eben schon angesprochen -: Bei allen Grundstücken bis zu einer Größe
von vier Fußballfeldern werden die Bebauungspläne
pauschal von Umweltprüfungsverfahren freigestellt.
({1})
Dabei ist jedem, der sich nur im Entferntesten einmal
mit Planung befasst hat, klar: Die Bedeutung einer Fläche für Wohnumfeld oder Stadtraum kann nicht an der
Größe gemessen werden.
({2})
Ist es Ihnen so wichtig, Flächen zu verplanen, zu verbauen, zu versiegeln, immer getreu dem Motto: Rendite
vor Nachhaltigkeit, Profit vor Lebensqualität?
({3})
Wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, diesem Gesetz zustimmen, dann geben Sie damit innerstädtisches
Grün zur Bebauung frei.
Die Linke meint, in einer Zeit, in der für immer mehr
alte oder finanzschwache Menschen nur das unmittelbare Wohnumfeld übrig bleibt, sollten wir mit freien Flächen sorgsam umgehen.
Kolleginnen und Kollegen, ich möchte außerdem
noch anmerken: Das Gesetz, das wir hier debattieren,
widerspricht dem Gesetz zur Anpassung des Baugesetzes an EU-Richtlinien vom Juni 2004. Damals wurde die
Umweltprüfung in die Bauleitplanung eingeführt. Nun
schafft die Koalition Verwirrung und tritt sogar die
Rechtsprechung mit Füßen. Der Europäische Gerichtshof hat klipp und klar festgestellt, dass es nicht zulässig
ist, Schwellenwerte auf der Grundlage von Grundstücksgrößen festzulegen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nichts gegen behutsame Nachverdichtung; aber ich frage mich, wie wir mit
diesem Gesetz den Flächenfraß mindern wollen, wenn
wir in Versuchung geraten, das letzte innerstädtische
Grün zuzubauen. Hat sich die Bundesregierung nicht
dazu verpflichtet, den Flächenverbrauch bis zum
Jahr 2020 deutlich zu verringern, von heute 130 auf dann
30 Hektar pro Tag?
Gehen wir einmal davon aus, der vorliegende Gesetzentwurf würde in Kraft treten. Damit würden Sie nach
unserer Überzeugung nichts erreichen. Wir werden mit
Klagen rechnen müssen, weil die Widersprüche zum
EU-Recht offensichtlich sind. Wir regen daher an, diesen
Gesetzentwurf zu überarbeiten, und melden an dieser
Stelle zwei Verbesserungsvorschläge an:
Erstens. Auf Umweltprüfungen kann nur unter definierten Bedingungen verzichtet werden, nicht pauschal.
Zweitens. Den Gemeinden dürfen wichtige Steuerungsmöglichkeiten nicht aus der Hand genommen werden.
({4})
Wer auf Kompensationspflichten verzichtet, wird den
Flächenfraß nicht mindern und die Stadtentwicklung
nicht verbessern. Aus diesem Grund lehnt die Fraktion
Die Linke diesen Gesetzentwurf ab. Er ist nicht geeignet,
den Flächenverbrauch zu verringern, Bebauungsverfahren zu beschleunigen oder unsere Städte lebenswerter zu
machen.
Vielen Dank.
({5})
Für das Bündnis 90/Die Grünen spricht Toni
Hofreiter.
Vielen Dank. - Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Kolleginnen
und Kollegen von der großen Koalition, es ist auf alle
Fälle lobenswert, dass Sie die Planungsvorhaben für die
Innenentwicklung der Städte erleichtern wollen. Ihr Vorhaben als solches begrüßen wir.
({0})
Aber ist dieses Vorhaben, das Sie nun in einen Gesetzentwurf gegossen haben, wirklich zielführend? Beseitigen Sie durch diesen Gesetzentwurf die Hemmnisse für
die Innenstadtentwicklung? Glauben Sie wirklich, dass
die Innenstadtentwicklung an Umweltprüfungen oder an
der Beteiligung der Öffentlichkeit scheitert? Wo sind die
wirklichen Hinweise darauf?
Ich weiß nicht, wer von Ihnen jemals in der Kommunalpolitik tätig war.
({1})
- Wenn so viele von Ihnen in der Kommunalpolitik tätig
sind, dann sollten Sie sich für diesen Gesetzentwurf
schämen. Denn dann müssten Sie wissen, dass das nicht
daran liegt.
({2})
Welche Gründe gibt es dafür, dass in den Innenstädten
Probleme auftreten? Zum Teil liegt das an extrem überhöhten Grundstückspreisen. Deshalb sind manche Projekte nicht realisierbar. Wenn in den Innenstädten Leerstände zu verzeichnen sind, hat das meistens mit
Fehlentscheidungen in der Kommunalpolitik oder in der
Landespolitik zu tun,
({3})
die es gestatten, dass auf der grünen Wiese Supermärkte
gebaut werden.
({4})
Wir alle wissen doch, wie unsere Ortschaften inzwischen ausschauen: Es gibt einen Ortskern und ein großes
Industriegebiet am Rande der Stadt. In diesem großen
Industriegebiet findet man Discounter und andere Supermärkte. Wer hat das zugelassen? Wer hat dem zugestimmt? Wer hat diese Vorhaben erleichtert? Das waren
schwarze und manchmal leider auch rote Landesregierungen. Diese Entscheidungen wurden in unionsgeführten Rathäusern getroffen, die damit die Verödung der Innenstädte selbst eingeleitet haben.
({5})
Dieser Gesetzentwurf ist reiner Aktionismus, ebenso
wie Ihr Infrastruktur-Planungsbeschleunigungsgesetz.
({6})
Warum werden denn viele Vorhaben nicht realisiert? Das
Problem ist, dass trotz der Mehrwertsteuererhöhung
schlichtweg kein Geld da ist. Es gibt planfestgestellte
Projekte in der Größenordnung von mehreren Milliarden
Euro. Werden sie realisiert? Nein, sie werden nicht realisiert, weil kein Geld vorhanden ist.
Nachdem ich festgestellt habe, dass dieser Gesetzentwurf nicht zielführend ist, frage ich: Ist es sinnvoll, die
Umweltprüfung und die Bürgerbeteiligung abzuschaffen?
({7})
- Die Bürgerbeteiligung wird reduziert; in diesem Fall
haben Sie Recht. Nichtsdestotrotz ist dieser Schritt nicht
sinnvoll. Sie wissen, dass die Verkürzung der Fristen
entsprechende Auswirkungen hat. Es ist in der heutigen
Zeit nicht sinnvoll, die Umweltprüfung, die erst vor kurzem eingeführt worden ist, abzuschaffen.
({8})
In welcher Zeit leben Sie eigentlich? Die Umweltprobleme nehmen zu und nicht ab.
Was für eine Regelung wollen Sie einführen? Sie wollen die Umweltprüfung für Bebauungspläne, die eine
Grundfläche von weniger als 20 000 Quadratmetern betreffen, komplett abschaffen. Ist das sinnvoll?
({9})
Gibt es keine Vorhaben mit einer Flächeninanspruchnahme von weniger als 20 000 Quadratmeter, die problematisch sein könnten?
({10})
- Das glauben Sie doch nicht im Ernst. Wenn Sie das
wirklich glauben, dann würde mich interessieren, welche
Vorstellungen Sie von bestimmten Betrieben haben.
Spannend finde ich auch, dass die FDP erklärt hat, sie
will sich ein neues Umweltprofil zulegen, ein besseres
Umweltprofil. Und hier ist sie ganz vorn mit dabei, wenn
es darum geht, eine Umweltprüfung abzuschaffen.
({11})
Das ist also das neue Umweltprofil der FDP! Von der
CDU erwarten wir ja nichts anderes und bei der SPD, na
ja, wird es immer schlimmer, seit sie in der großen Koalition ist.
Man kann es ganz kurz zusammenfassen: Wir Grünen
stehen für attraktive Innenstädte. Aber mit diesem Gesetzentwurf wird das nicht erreicht; denn Sie wollen die
Bürgerrechte beschneiden und die Umweltprüfung abschaffen. Das ist aus unserer Sicht grundlegend abzulehnen.
Ich danke Ihnen.
({12})
Petra Weis hat das Wort für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kollege
Hofreiter, ob ich Ihre Enttäuschung über meine Partei in
den nächsten vier Minuten verringern kann, wage ich zu
bezweifeln. Aber ich kann Ihnen versichern: Alles das,
was ich sage, meine ich tatsächlich ernst.
Schon an den Ausführungen von Staatssekretär
Großmann und des Kollegen Götz ist deutlich geworden,
dass wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf den Städten ein weiteres - wie ich finde: ausgesprochen zielführendes - Instrument an die Hand geben, mit dem sie zügig auf den gewaltigen Veränderungsbedarf im Zuge des
wirtschaftsstrukturellen und des demografischen Wandels reagieren können. Herr Kollege Döring hat zu Recht
darauf hingewiesen, dass dieses Gesetz zum rechten
Zeitpunkt kommt.
({0})
Dazu gehört neben der Schaffung von investitionsfreundlichen Rahmenbedingungen vor allen Dingen die
Möglichkeit, durch die Wiedernutzung von Flächen und
die Nachverdichtung von Flächen den Flächenverbrauch weiter zu reduzieren. Frau Kollegin Menzner, das
ist in der Tat ein wichtiges Ziel dieses Gesetzentwurfes.
Das vorgesehene beschleunigte Genehmigungsverfahren für solche Bauvorhaben in den Innenstädten, bei
denen es darum geht, brachliegende innerstädtische
Grundstücke wieder nutzbar zu machen, begünstigt all
diejenigen Projekte, die der Erhaltung, Erneuerung und
Fortentwicklung bereits vorhandener Ortsteile dienen.
Wir können so in Zukunft darauf setzen, dass bei wichtigen Planungsvorhaben, die positive Effekte auf den
Wohnungsmarkt, auf die Infrastrukturausstattung und
natürlich auch auf die Arbeitsplatzsituation erwarten lassen, Investitionen erleichtert und beschleunigt werden.
Ein weiterer wichtiger Aspekt des Gesetzesvorhabens
ist die Sicherung zentraler Versorgungsbereiche und
einer verbrauchernahen Versorgung. Dabei geht es
nicht allein um die Stärkung der Zentralität und der Urbanität als solche, sondern auch und vor allem um die Interessen derjenigen Bewohnerinnen und Bewohner, die
wegen ihrer geringeren Mobilität besonderer Aufmerksamkeit bedürfen: Ich rede - Kollege Götz hat schon
darauf hingewiesen - natürlich von der älteren Generation, einer Bevölkerungsgruppe, die in den nächsten Jahren weiter wachsen wird. Es erübrigt sich fast die Feststellung, dass das, was für ältere Menschen gut und
richtig ist, auch für junge Familien gut ist, die ja eine
weitere Zielgruppe unserer Stadtentwicklungs- und
Wohnungsbaupolitik darstellen.
({1})
Insofern ist es sinnvoll, Bebauungspläne zu ermöglichen, mit denen gezielt Bestimmungen über die Zulässigkeit bestimmter Arten von Nutzungen und damit insbesondere Einzelhandelsbetriebe getroffen werden
können. Es ist in diesem gedanklichen Zusammenhang
nur folgerichtig, dass es im Zuge einer Änderung des
§ 34 des Baugesetzbuches zukünftig möglich sein soll,
die entsprechenden Regelungen auch auf Wohnbauvorhaben auszudehnen.
Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein weiterer Baustein für eine auf die Städte als wirtschaftliche Zentren
und als Orte des sozialen Zusammenhalts konzentrierte
Stadtentwicklungspolitik. Wenn Städte Ausgangspunkt
für Wachstum und Beschäftigung und zugleich für eine
hohe Lebensqualität ihrer Bewohnerinnen und Bewohner sein sollen - ich bin zutiefst davon überzeugt, dass
sie es sind -, dann muss der Innenstadtentwicklung unsere besondere Aufmerksamkeit gelten und dann muss
die Standortqualität der Städte nachhaltig gesteigert und
die Attraktivität der Quartiere für alle Bevölkerungsgruppen verbessert werden. Wenn die Städte Anziehungspunkte für Handel, Gewerbe und Wohnen gleichermaßen sind, werden wir mit diesem Gesetzentwurf
dazu beitragen, unnötigen Verkehr zu vermeiden und die
städtische Umwelt- und Lebensqualität zu stärken.
Mit dieser Änderung des Baugesetzbuches schaffen
wir eine weitere Voraussetzung dafür, dass sich qualitätsvolles Bauen und akzeptable Kosten auch im Innenstadtbereich nicht ausschließen, getreu dem Motto „Zeit
ist Geld“. Sollte es uns als Folge dieser Neuregelung gelingen, das große Wort vom Bürokratieabbau mit Leben zu erfüllen und diesen Prozess für die Bürgerinnen
und Bürger ganz praktisch erfahrbar zu machen, wäre
uns fast schon ein kleines Husarenstück gelungen. - Sie
merken schon, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich lasse
mir weder meinen Humor abhanden kommen noch meinen unerschütterlichen Glauben an die Gestaltungsfähigkeit von Politik.
({2})
Ich bin sehr gespannt auf die Ergebnisse des Praxistestes in den kommenden Wochen mit ausgewählten
Städten und Gemeinden und natürlich auch auf die weiteren Beratungen in den Ausschüssen. Ich setze darauf,
dass wir in enger Abstimmung mit den Akteuren vor Ort
- lieber Kollege Hofreiter und liebe Kollegin Menzner,
diesen Akteuren billige ich in diesen und anderen Fragen
übrigens hohe Kompetenz zu - ein praktikables und zukunftsweisendes Instrument schaffen, das die nachhaltige Stadtentwicklung tatsächlich unterstützt.
Ich danke Ihnen, dass Sie mir zum Ende der Debatte
noch zugehört haben.
({3})
Damit schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 16/2496 an die Ausschüsse vorgeschlagen, die in der Tagesordnung vorgesehen sind. Gibt
es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Damit ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 14 sowie Zusatzpunkt 9
auf:
14 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Wolfgang Wieland, Volker Beck ({0}), Silke
Stokar von Neuforn, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für
die Anti-Terror-Dateien unter Beibehaltung
der Trennung von Polizei und Nachrichtendiensten
- Drucksache 16/2071 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({1})
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla
Jelpke, Petra Pau, Jan Korte, Kersten Naumann
und der Fraktion der LINKEN
Erhaltung des Trennungsgebots - Keine Errichtung gemeinsamer Dateien von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten des Bundes
und der Länder
- Drucksache 16/2624 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({2})
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Zwischen den Fraktionen ist eine Debatte von einer
halben Stunde verabredet, wobei Bündnis 90/Die Grünen fünf Minuten erhalten soll. - Dazu höre ich keinen
Widerspruch. Das ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache, um das Wort dem Kollegen Wolfgang Wieland, Bündnis 90/Die Grünen, zu geben.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn es
doch immer so prompt funktionieren würde. Wir haben
diesen Antrag im Juni eingebracht - die Präsidentin hat
den Titel verlesen: „Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für die Anti-Terror-Dateien unter Beibehaltung der
Trennung von Polizei und Nachrichtendiensten“ - und
für heute haben wir die Debatte auf die Tagesordnung
setzen lassen. Was geschieht? Das Kabinett hat den
Gesetzentwurf gestern beschlossen.
({0})
Man muss aber auch hier sagen: Was lange währt
- wir hatten es schon lange angemahnt -, ist leider noch
nicht gut geworden. Was ist hier geschehen? Die halbe
Republik wurde mit den Begriffen „Volltextdatei“ und
„Indexdatei“ in eine Art kollektiven Diskussionsprozess
einbezogen. Das alles hat leider nicht dazu geführt, dass
wir einen Gesetzentwurf bekommen werden - er liegt
uns offiziell noch nicht vor, aber informell haben wir ihn
bereits erhalten -, von dem wir sagen könnten, dass der
kreißende Berg eine Maus geboren hat. Lieber Kollege
Benneter, leider hat er einen Datenmoloch geboren.
({1})
Das kann nicht so bleiben. Hier ist ein erheblicher Nachbesserungsbedarf anzumelden.
({2})
- Vielen Dank, Frau Kollegin Piltz. Wir werden uns von
unserer Seite hier Mühe geben müssen. Das gilt auch für
Sie vonseiten der Liberalen.
Frau Jelpke, in diesem Zusammenhang ein Wort an die
PDS. Ja, auch Sie können das Ganze kritisch begleiten. In
dem Antrag, den Sie hier vorgelegt haben, schreiben Sie
allerdings, dass die Trennung von Polizeibehörden und
Nachrichtendiensten, um die es wesentlich geht, mit diesem Gesetzentwurf eingeebnet werden würde. Sie schreiben, dass es bei einem nahtlosen Informationsaustausch
nur zwei Abteilungen eines Hauses wären. Dazu muss
man Ihnen leider sagen - ich meine das ganz ernst -: Es
ist der Traum vieler Konservativer, ein solches Bundessicherheitsamt - ich darf mich da nicht versprechen -, wie
es genannt wird, zu schaffen. Es entsteht hier aber nicht,
Kollege Gunkel. Das kann man wirklich sagen.
Der PDS muss man sagen: Wer immer ruft, dass es
brennt, den nimmt man nicht mehr ernst, wenn es wirklich einmal brennt. Darüber sollten Sie nachdenken.
({3})
Kollege Maurer, Sie sind in Ihrer Polemik immer maßlos. Dadurch verpufft sie.
({4})
Schauen Sie sich den Antrag, den Sie geschrieben haben,
einmal an. Das zieht einem wirklich die Schuhe aus. Das
hätten wir auch schon vor 30 Jahren in einem Artikel
von Frau Jelpke in einer ganz anderen Zeitung wortgleich nachlesen können.
({5})
Nun zu unseren Hauptkritikpunkten an dem Entwurf
der großen Koalition im Einzelnen:
Erstens. Der Umfang der gespeicherten Daten wird
einfach zu groß werden. Sie schreiben, dass Sie Einzelpersonen aufnehmen wollen, die weltweit verbal dazu
aufrufen, Gewalt anzuwenden, oder diese befürworten.
Dann müssten Sie beispielsweise mit Herrn
Ahmadinedschad anfangen, der diese Kriterien beinahe
täglich erfüllt. Nur, welchen Sinn hat es, so viele Primärverdächtige in eine Datei aufzunehmen? Wir haben Datenfluten, die wir gerade nicht wollten. Wir wollten mit
dieser Antiterrordatei mehr Effizienz erreichen. Sie erreichen wir so nicht.
({6})
Zweitens. Alle Kontaktpersonen eines Verdächtigen - das ist verfassungsrechtlich sehr bedenklich - sollen in die Antiterrordatei aufgenommen werden können.
Das sind Personen, die über die hinausgehen, die als
Mitglieder oder Unterstützer einer terroristischen Vereinigung primär in diese Datei aufgenommen werden. Kriterien, wer eine solche Kontaktperson ist, werden nicht
angegeben; dazu wird in der Begründung gesagt: Das
sollen die Polizeien und die Nachrichtendienste nach ihren Erfahrungen entscheiden. - Hier besteht die Gefahr,
dass das soziale Umfeld der verdächtigen Personen ganz
breit erfasst wird. Das geht zu weit. Das ist mit den Freiheitsgarantien unserer Verfassung jedenfalls nicht zu
vereinbaren.
({7})
Drittens. Der Kreis der Behörden, die auf die Datei
zugreifen können, wird wieder ausgeweitet. Auch einzelne Polizeidienststellen, die nicht definiert sind, sollen
Zugriff nehmen können, nicht nur die Landeskriminalämter. Das heißt, zwar nicht jeder Dorfpolizist - nicht jeder, das ist immer die Angst Ihres bayerischen Kollegen
Beckstein -,
({8})
aber jeder Großstadtpolizist, der in entsprechenden Bereichen arbeitet, wird dann Zugriff nehmen können.
Darüber hinaus gibt es die Regelung des Eilfalles, die
sehr bedenklich ist; denn im Eilfall soll Onlinezugriff
auf die Volltextdatei genommen werden. Gerade im terroristischen Bereich ist in der Regel von einer gegenwärtigen Gefahr für Leib, für Leben und für höherwertige
Rechtsgüter auszugehen.
({9})
Diese Inflation an zugriffsberechtigten Behörden, an
Möglichkeiten, online auf die Volltextdatei zuzugreifen,
verstößt unseres Erachtens gegen das Trennungsgebot
zwischen Polizei und Geheimdienst.
Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.
Ich komme zum Ende, ja.
Ihr Kollege Wiefelspütz,
({0})
der heute nicht da ist - wahrscheinlich bereitet er sich
schon auf seinen morgigen Geburtstag vor -, sagte, er
lege großen Wert darauf, dass die Grünen zustimmen.
Wir werden ihm diesen Gefallen gerne tun, allerdings
nur nach erheblichen substanziellen Veränderungen und
Verbesserungen dieses Entwurfes.
Vielen Dank.
({1})
Als Nächster spricht Clemens Binninger, CDU/CSUFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Herr Kollege Wieland, als ich Ihnen in
den letzten Minuten zugehört habe, wurde mir eines
deutlich: warum es Rot-Grün in sieben Jahren nicht geschafft hat, eine Antiterrordatei hinzubekommen.
({0})
Wenn man nach dem Motto „Für jede Lösung ein Problem“ diskutiert, kann das auch nicht gelingen. Wir haben es in der großen Koalition jetzt hinbekommen. Insofern wird deutlich, dass, wenn man zwei Partner
austauscht - die Grünen und den Innenminister -, die
Dinge in diesem Land klappen.
({1})
Deshalb sind wir froh, dass wir jetzt eine Antiterrordatei
bekommen.
({2})
Ich will aber vorausschicken, dass wir bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus eine große
Schwierigkeit haben, nämlich frühzeitig Erkenntnisse
zu gewinnen. Ich will das an einem praktischen Beispiel
aus den USA deutlich machen. Im Sommer 2001 erlangte eine US-Sicherheitsbehörde Erkenntnisse darüber, dass sich eine Gruppe von Flugschülern auffällig
verhält und sich offensichtlich nur für Starts und Landungen interessiert. Diese Erkenntnis landet bei einer Sicherheitsbehörde, aber es passiert nicht mehr damit. Eine
weitere Sicherheitsbehörde erhält fast zeitgleich Erkenntnis darüber, dass eine Person polizeilich auffällt,
gerichtlich vorgeladen wird und sich dieser Ladung entzieht. Die Erkenntnisse werden aber nicht zusammengeführt. Hätte man sie zusammenführen können, weil man
eine Datei gehabt hätte, dann wäre aufgefallen, dass es
sich um die gleiche Person handelt. Man hätte einen der
Attentäter, der Todespiloten, frühzeitig identifizieren
und vielleicht sogar alles verhindern können.
Ich glaube, daraus wird deutlich, wie dringend wir
unseren Sicherheitsbehörden ein Instrument an die Hand
geben müssen, mit dem es gelingt, die bei unterschiedlichen Stellen vorhandenen Erkenntnisse zusammenzuführen. Wir brauchen ein Frühwarnsystem. Die Antiterrordatei wird sozusagen als Radarschirm dienen, der
es ermöglicht, aus verschiedenen Mosaiksteinen der Erkenntnisgewinnung ein Bild zu zeichnen. Deshalb ist es
notwendig, dass die Antiterrordatei endlich eingerichtet
werden kann.
Zu Ihren Anträgen: Erschrecken Sie nicht, aber ich
muss den Grünen bei aller Kritik in einem Punkt ein Lob
aussprechen.
({3})
Trotz der Forderungen, die Sie stellen und die Sie etwas
kompliziert und bürokratisch vorgetragen haben, bekennen Sie sich im Grunde zu der Notwendigkeit einer AntiClemens Binninger
terrordatei. Ich glaube, darin habe ich Sie nicht missverstanden. In diesem Punkt verdient Ihre Position meinen
Respekt. So viel zu meiner ungewohnten Herzlichkeit
Ihnen gegenüber.
Der Antrag der Linken - auch dazu haben Sie einiges
ausgeführt, Herr Wieland - ist eine bodenlose Frechheit.
({4})
Ihre Formulierung zeigt - man kann nur hoffen, dass die
deutsche Öffentlichkeit davon Notiz nimmt -, dass Sie
an der Sicherheit unseres Landes kein Interesse haben.
Mit Ihnen ist keine Politik zu machen.
({5})
Herr Kollege Wieland, Sie haben beschrieben, was in
die Datei aufgenommen wird. Ich will das kurz präzisieren. Es werden drei Personengruppen aufgenommen:
Mitglieder von terroristischen Vereinigungen, gewaltbereite Fanatiker, die dem Terrorismus zuzuordnen sind,
und Kontaktpersonen der beiden erstgenannten Gruppen, wenn die Kontakte so eng sind, dass sie Auskünfte
über den Terrorismus geben können. Ich glaube, darüber
kann es keinen Streit geben.
Wichtiger erscheint mir, darauf hinzuweisen, dass alle
diese Daten schon heute vorhanden sind. Die Antiterrordatei bedeutet keine neue Erhebungsgrundlage für Daten. Die Sorge, dass dadurch eine Datenflut generiert
wird, ist unbegründet. Alle Daten sind heute schon vorhanden. Sie sind aber auf 37, 38 oder vielleicht noch
mehr Sicherheitsbehörden verteilt. Jetzt geht es darum,
diese Daten - sofern sie für den Terrorismus relevant
sind - zusammenzuführen. Dafür ist die Antiterrordatei
vorgesehen. Es werden also keine neuen Daten erhoben.
Was wird gespeichert? Wir haben lange darüber gestritten, ob eine Volltext- oder eine Indexdatei eingerichtet werden soll. Dieser Streit ist Geschichte, weil das
Bundesinnenministerium einen klugen Weg eingeschlagen hat: Es sollen Grunddaten eingegeben werden, mit
denen man die Personen identifizieren kann, und es werden erweiterte Grunddaten eingegeben, die etwas über
die Fähigkeiten der Terrorverdächtigen aussagen. Ich
halte das für wichtig, weil wir für die Nachrichtendienste
bereits ein solches System haben. NADIS weist aber einen großen Mangel auf:
({6})
Es zeigt nur ein Aktenzeichen an. Dann ist eine schriftliche Anfrage nötig und es kann einige Wochen dauern,
bis die Erkenntnisse die anfragende Behörde erreichen.
Das können wir uns in diesen Zeiten aber nicht leisten.
Wir brauchen die schnelle Zusammenführung von Erkenntnissen und wir brauchen vor allem Daten, die es erlauben, bei der Abfrage entsprechende Schlüsse zu ziehen. Wenn eine Person kontrolliert oder observiert wird,
dann muss doch die kontrollierende Dienststelle wissen,
ob es sich um eine gefährliche Person oder um einen
Mitläufer handelt, ob er besondere Fähigkeiten hat oder
Waffen besitzt und wo er sich aufgehalten hat. Deshalb
halte ich diese Daten für unverzichtbar. Wir haben im
Übrigen die notwendigen Regelungen in den Gesetzentwurf aufgenommen, um den Datenschutz zu gewährleisten. Für besonders sensible Daten besteht die Möglichkeit der verdeckten Eingabe, sodass nur die speichernde
Dienststelle etwas von der Anfrage erfährt und Verbindung aufnimmt.
({7})
- Der Quellenschutz war immer ein Problem. Dieses
Problem haben wir gelöst.
Es gibt die Möglichkeit der beschränkten Dateneingabe. Insofern sind in dem Gesetzentwurf alle Ihre Forderungen erfüllt.
Ich darf Sie ermuntern, von Ihrer Grundposition, die
Antiterrordatei mitzutragen, nicht abzuweichen; denn
wir können es uns angesichts der Bedrohungslage nicht
länger erlauben, auf diese Datei zu verzichten. Es ist
wahrscheinlich eines der wichtigsten Instrumente, das
wir den Sicherheitsbehörden in diesem Land zur Verfügung stellen.
Wir müssen schnell dafür sorgen, dass die Datei in
Betrieb genommen werden kann.
({8})
Sie haben zum Schluss Ihrer Rede das Trennungsgebot
angesprochen. Ich will mich ein bisschen als Hellseher
versuchen: Ich möchte fast wetten, dass die Rednerin
von der FDP, die nach mir spricht, das Trennungsgebot
ausführlicher darstellt.
({9})
Ich glaube, wir sollten im Innenausschuss einmal grundsätzlich über das Thema Trennungsgebot diskutieren.
Ich würde uns allen empfehlen, bei der Ergründung der
Frage, was das Trennungsgebot überhaupt ist, eine exzellente Abhandlung der Wissenschaftlichen Dienste
dieses Hauses zu diesem Thema heranzuziehen. Sie werden dann zwei interessante Punkte finden:
Erstens. In einem Begleitschreiben zum Grundgesetz,
dem Polizeibrief der Militärgouverneure, findet sich
ein konkreter Satz, auf den immer wieder Bezug genommen wird. Dort heißt es nicht, der Nachrichtenaustausch
zwischen Nachrichtendienst und Polizei sei untersagt.
Vielmehr heißt es dort nur, die Nachrichtendienste - sie
werden dort anders genannt - dürften keine polizeilichen
Befugnisse erhalten. Das ist der einzige Satz, der darauf
Bezug nimmt.
({10})
Zweitens. Herr Wieland, es kommt hinzu, dass dieser
Polizeibrief 1968 außer Kraft getreten ist. Das heißt, dieser Polizeibrief gilt gar nicht mehr. Sie müssen sehr
lange in der Verfassung suchen, bis Sie nur im Ansatz
eine Stelle finden - Art. 87 GG wird oft bemüht -, der
dieses Trennungsgebot so explizit beschreibt, wie Sie es
gerne hätten.
({11})
- Nein, nein, Herr Kollege Benneter!
Ich glaube, dass wir uns beim Thema Trennungsgebot
den Fakten stellen sollten. Man sollte nicht immer dieses
Trennungsgebot in den Vordergrund stellen und damit
notwendige Diskussionen verbauen. Es gibt kein verfassungsrechtliches Trennungsgebot, so wie Sie es immer
beschreiben. Wenn es das geben soll, müssen Sie die
Stelle in der Verfassung klar benennen. Wenn das Gebot
so klar wäre, schlösse es aber eines nicht aus: den notwendigen Informationsaustausch zwischen Sicherheitsbehörden, Polizei und Nachrichtendiensten im Rahmen
klarer Regeln. Nur das wollen wir; das halten wir für unverzichtbar.
Ich möchte mit den Positionen des BKA-Präsidenten
und des Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz schließen. Beide sagten, wir müssten jetzt - auch
vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit den Kofferbombern und im Zusammenhang mit dem Nena-Konzert wirklich versuchen, frühzeitig Erkenntnisse zu erlangen,
die uns Hinweise auf den Terrorismus geben. Die Antiterrordatei ist ein Instrument dazu, weil sie Erkenntnisse
zusammenführt. Deshalb fordere ich Sie noch einmal
auf: Machen Sie im Interesse der Sicherheit unseres Landes mit! Leisten Sie einen Beitrag dazu, dass wir dieses
wichtige Instrument möglichst bald den Behörden zur
Verfügung stellen können.
Herzlichen Dank.
({12})
Für die FDP spricht Gisela Piltz.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nach langer Debatte der Innenminister egal welcher
Couleur hat es jetzt einen gemeinsamen Beschluss gegeben, der aus unserer Sicht in die richtige Richtung geht;
er ist aber wieder ein typischer Kompromiss à la große
Koalition:
({0})
ein bisschen Index, ein bisschen Volltext, damit beide
Seiten zufrieden sind. Es bleibt abzuwarten, was am
Ende dabei herauskommt.
Grundsätzlich begrüßen wir - Herr Binninger, Sie
hätten uns dafür auch einmal loben können -, dass eine
Indexdatei eingeführt wird.
({1})
Genau wie Sie glauben wir nämlich daran, dass es einen
besseren Datenaustausch zwischen den Behörden geben
muss. Dabei sind zwei zentrale Punkte zu beachten.
In der Tat geht es auch - ich habe den Eindruck, dass
Sie mein Büro überwachen lassen - um die Einhaltung
des Trennungsgebotes.
({2})
Ich möchte hier jetzt nicht eine staatsrechtliche Vorlesung halten. Ich glaube, das können andere besser. Ich
möchte nur einen Satz aus einem Aufsatz von Christoph
Gusy zitieren:
Am Horizont wird damit der rechtsstaatliche Kern
des Trennungsgebotes erkennbar: Wer ({3}) alles
weiß, soll nicht alles dürfen; und wer ({4}) alles
darf, soll nicht alles wissen.
Ich denke, das fasst das Trennungsgebot ganz gut zusammen. Wir sind 60 Jahre lang gut damit gefahren. Sie
müssen schon gute Gründe haben, wenn Sie so weit gehen wollen, wie Sie es jetzt vorhaben. Ich glaube, man
kann es bei gutem Wissen auch anders - zurückhaltender regeln. Wenn Sie es so regeln, dass es aus unserer Sicht
verfassungsrechtlich einwandfrei ist, stimmen wir gerne
zu.
({5})
Aus unserer Sicht ist das Freitextfeld bedenklich;
denn dort kann jede Behörde mehr oder weniger das eintragen, was ihr passt. Der Zugriff auf nicht gesicherte Informationen wird damit erlaubt, obwohl dies für die Arbeit mancher Behörden weder erforderlich noch geeignet
ist. Das ist aus unserer Sicht ein Verstoß gegen das Trennungsgebot. Das Freitextfeld führt zudem zu missverständlichen Interpretationen. Es muss dabei aber auch
ein praktischer Aspekt berücksichtigt werden: Wer soll
das alles eigentlich pflegen und kontrollieren? Auch hier
muss man sich fragen, ob das wirklich notwendig ist.
Wir meinen: Nein, nicht in diesem Umfang.
({6})
Aus unserer Sicht ist die geltende Einfallregelung
möglicherweise ein Verstoß gegen das Trennungsgebot;
darüber werden wir reden müssen. Ich möchte eine weitere kritische Anmerkung machen. In dem Entwurf eines
Gemeinsamen Dateiengesetzes steht unter A - Problem
und Ziel -: Ziel des Gesetzentwurfes ist es, angesichts
der Bedrohung durch den internationalen Terrorismus
den Informationsaustausch zwischen Polizeien und
Nachrichtendiensten weiter zu verbessern.
In § 6 steht aber, dass eine weitere Verwendung der
Daten beispielsweise auch dann möglich ist, wenn dies
der Verfolgung einer besonders schweren Straftat dient.
Was hat das denn mit Ihrem ursprünglichen Ziel, eine
Antiterrordatei einzurichten, zu tun? Wir finden, die allgemeine Strafverfolgung sollte in diesem Gesetz nicht
berücksichtigt werden. Das ist nicht ausgewogen; denn
Erkenntnisse, die mit besonderen Befugnissen von Geheimdiensten gesammelt werden, dürfen von polizeilichen Behörden nicht zur allgemeinen Strafverfolgung
genutzt werden. Das ist der Kern des Trennungsgebotes.
({7})
Ein weiterer zentraler Punkt, den wir kritisch sehen,
betrifft den Umgang mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Der vorgelegte Gesetzentwurf enthält - es ist sehr schade, dass wir in erster Linie
über ihn und nicht über die Anträge debattieren - einen
umfangreichen Datenkatalog, den so genannten zweiten
Datenkranz. Es bleibt zu prüfen, ob jedes Merkmal geeignet und erforderlich ist. Für mich jedenfalls ist nicht
jedes Merkmal zwingend notwendig. So kann man beispielsweise lange und trefflich darüber streiten, ob es
sinnvoll ist, die Religionszugehörigkeit als Merkmal
aufzunehmen.
({8})
Die Speicherung der Daten von Kontaktpersonen sehen
wir ebenfalls kritisch. Unbeteiligte dürfen auf keinen
Fall in Verdacht geraten. Das ist noch nicht völlig ausgeschlossen.
Kurz zu den Anträgen: Die überzogenen Forderungen
und die absolute Verweigerung der Linkspartei nutzen
nichts. Dem Antrag der Grünen kann ich ehrlich gesagt
nicht entnehmen, was mit Projektdateien eigentlich gemeint ist. Ich sehe auch hier das Trennungsgebot nicht
ganz eingehalten. Das kann man aber im weiteren Verfahren sicherlich noch klären.
Aus Sicht der FDP brauchen wir ein rechtsstaatlich
einwandfreies Gesetz, ein Gesetz, das diesmal vor dem
Bundesverfassungsgericht Bestand hat. Das ist das Allerwichtigste; denn wir können es uns im Kampf gegen
den Terror nicht leisten, den Entwurf eines Gesetzes zu
verabschieden, das hinterher vom Bundesverfassungsgericht gekippt wird.
({9})
Einem rechtsstaatlich einwandfreien Gesetzentwurf werden wir gerne unsere Zustimmung geben. Ansonsten
werden wir nicht zustimmen. Wir hoffen auf die Einsicht
der Regierungskoalition
Kommen Sie bitte zum Ende.
- ich bin gleich fertig, Frau Präsidentin - und darauf,
dass CDU/CSU und SPD uns, den Kritikern, entgegenkommen. Wir helfen Ihnen gerne, aber nur, wenn es
rechtsstaatlich einwandfrei ist.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat der Kollege Klaus Uwe Benneter, SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Kollege Binninger, mein Koalitionspartner,
({0})
zwei Anmerkungen zu Ihren Ausführungen: Sie tun dem
Kollegen Wieland Unrecht, wenn Sie sagen, dass RotGrün die Einrichtung einer Antiterrordatei verzögert
habe. Es waren vielmehr die Bundesländer, die hier
draufsatteln wollten, und zwar in einer Weise, die wir
nicht mittragen konnten. Das ist der Grund, warum sich
die Einrichtung dieser Datei verzögert hat. So viel Wahrheit muss sein.
({1})
Herr Binninger, unserem gemeinsamen Anliegen, das
wir gestern durch die Bundesregierung haben beschließen lassen - wenn ich das einmal so ausdrücken darf -,
({2})
tun Sie keinen Gefallen, wenn Sie sich auf diese Art und
Weise gegen das Trennungsgebot aussprechen. Es ist
egal, ob das der Polizeibrief von 1949 oder eine andere
Rechtsgrundlage ist. Sie können ruhig einmal in Art. 87
Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes nachschauen.
({3})
- Herr Uhl, Sie werden etwas dazu finden.
({4})
Es geht darum, dass die Polizei andere Aufgaben hat als
die Nachrichtendienste. Weil die Nachrichtendienste
nicht nur andere Aufgaben, sondern auch andere Befugnisse haben, dürfen sie ihre Aufgaben nicht mit den polizeilichen Befugnissen erledigen. Das steht ihnen nicht
zu. Das ist das, was hinter dem Trennungsgebot steht.
({5})
Es besteht mit Ausnahme der PDS bei allen Übereinstimmung, dass wir eine Antiterrordatei brauchen. Aber
darauf braucht man, so denke ich, nicht weiter einzugehen.
In dem Antrag der Grünen steht wörtlich:
Eine wirksame Bekämpfung des Terrorismus ist auf
einen funktionierenden Informationsaustausch zwischen den Sicherheitsbehörden des Bundes untereinander und mit den Ländern angewiesen.
Klarer kann man es eigentlich nicht sagen. Herr
Binninger, Sie könnten auch einmal die Grünen zitieren.
Ich finde, wenn die Grünen schon einmal so klar ausdrücken, warum wir eine Antiterrordatei brauchen, dann
sollten wir das alle gemeinsam begrüßen.
({6})
Wir haben nun aber das Pech, dass die Grünen durch die
Bundesregierung bereits überholt worden sind.
({7})
- Ja, sie ist fix. - Sie hat gestern zügig, aber sorgfältig einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt. Da spielen
Indexdatei oder Volltextdatei überhaupt keine Rolle
mehr. Das sind irreführende Begriffe, die uns überhaupt
nicht weiterführen.
({8})
Jetzt geht es nur noch um Grunddaten und erweiterte
Grunddaten. Das sind immer noch Grunddaten. Es geht
auch nicht darum, dass wir einen neuen Datenpool schaffen würden, sondern darum, dass alle bereits vorhandenen Daten, die aufgrund der gesetzlichen Grundlagen
von den jeweils dafür zuständigen Sicherheitsbehörden
rechtlich einwandfrei erhoben wurden, nun automatisiert
zusammengeführt und automatisiert abgerufen werden
können. Es sollen also nicht irgendwelche neuen Daten
erhoben werden, sondern die alten vorhandenen Daten
werden jetzt in einer Weise zusammengeführt, dass dem
Informationsbedürfnis, das die Sicherheitsbehörden bei
einem wirksamen Kampf gegen den Terrorismus haben,
Rechnung getragen wird.
Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, mit dem
wir in Vorbereitung dieses Gesetzentwurfes sehr gut zusammengearbeitet haben, hat vorsorglich einige Kritikpunkte genannt, was diesen Gesetzentwurf angeht.
({9})
- Das sind Punkte, auf die auch wir in unseren gemeinsamen Diskussionen hingewiesen haben. - So muss für
uns klar sein, dass der Kreis der beteiligten Behörden
wirklich klein gehalten wird, und zwar nicht nur aus
datenschutzrechtlichen Gründen, sondern erst recht aus
sicherheitsrelevanten Gründen; denn es wird keine Sicherheitsbehörde Daten in diese Datei einstellen und
freigeben, wenn sie davon ausgehen muss, dass diese
breit gestreut werden. Schon aus diesem Grunde müssen
wir uns den Kreis der zu beteiligenden Behörden noch
einmal genau ansehen.
In Bezug auf die Kontaktpersonen, die in dieser Datei
mit aufgeführt werden sollen, werden wir ganz penibel
darauf achten, dass die Regelungen, die das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zur Aufnahme von
Kontaktpersonen in solche Dateien getroffen hat, minutiös eingehalten werden, damit wir uns auf verfassungsrechtlich einwandfreiem Terrain bewegen.
({10})
Auch über die Aufnahme von besonderen Bemerkungen gibt es bei uns Diskussionsbedarf. Auch wir sind der
Auffassung, dass man nicht nur aufgrund von Anhaltspunkten in eine solche Datei aufgenommen werden darf.
Das müssen dann schon Tatsachen sein, konkrete Tatsachen, konkretisierbare Tatsachen, aufgrund derer man
dann in eine solche Datei geraten kann. Das kann nicht
einfach der Friseur oder der Bäcker von nebenan sein,
sondern nur derjenige, der als Kontaktperson auch einen
Bezug zum internationalen Terrorismus hat. So stellen
wir uns das vor.
Noch einmal zum Trennungsgebot. Ich habe schon auf
Folgendes hingewiesen: Polizeibehörden dienen der Abwehr konkreter Gefahren, der Verfolgung von Straftaten,
der Ermittlung von Tatsachen aufgrund eines konkreten
Verdachts. Verdeckte Ermittlungen und der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel sind den Polizeibehörden - das
wissen wir - nur ganz eingeschränkt möglich und unterliegen einer ganz strengen Zweckbindung. Das ist der
Grund dafür, warum wir darauf achten müssen, dass hier
nichts durcheinander gerät. Die Polizeibehörden sind
dem Legalitätsprinzip unterworfen.
Das ist etwas anderes als bei den Nachrichtendiensten, die weit im Vorfeld Aufklärung betreiben können,
die aber deshalb auch keine Exekutivbefugnisse haben
dürfen. Sie können sich Informationen holen.
({11})
Wenn sie ihnen nicht gegeben werden, dann dürfen sie
sie sich jedenfalls nicht zu Unrecht einfach aneignen. Insofern konzentriert sich die Arbeit der Dienste auf das
Sammeln und Auswerten von Informationen, um offene
und geheim gehaltene Aktivitäten und Pläne von Personen, Organisationen und anderen Staaten möglichst frühzeitig zu erkennen. Das ist die Aufgabe der Nachrichtendienste. Sie unterscheidet sich damit ganz deutlich von
den Aufgaben der Polizeibehörden. Diese unterschiedlichen Aufgaben gewähren unterschiedliche Befugnisse.
Das gilt es hier insbesondere einzuhalten.
Vonseiten der PDS wurde darauf hingewiesen, dass
die neue Datei Diffamierung, Denunzierung und Ausgrenzung befördern würde. Diese Gefahr ist mit dieser
Datei nicht verbunden.
({12})
Die Behörden werden nur im Rahmen ihrer geltenden
Befugnisse und Aufgaben Daten einstellen und übermitteln. Man kann nicht so einfach mir nichts, dir nichts an
solche Daten kommen.
Wir trennen ganz klar zwischen Grunddaten und erweiterten Grunddaten. Die Grunddaten sind nur solche, die zur Identifizierung von Personen dienen: Name,
Vorname, Geburtsdatum, Familienstand, was man eben
so zur Identifizierung von Personen benötigt. Dann gibt
es noch den Hinweis darauf, ob erweiterte Grunddaten
zu einer bestimmten Person vorhanden sind. Auf die erweiterten Grunddaten hat nicht jeder einfach Zugriff,
sondern man muss sich mit der Stelle, mit der Behörde
in Verbindung setzen, die diese Daten gespeichert hat.
Die kann diese Daten freigeben. Nur dann ist der Zugriff
insoweit möglich.
Genau diese klare Trennung, die hier vorgenommen
wird, erlaubt es, in breiterem Umfang Behörden einzubeziehen,
({13})
die Landesbehörden, die sich mit Verfassungsschutz und
Kriminalität beschäftigen, und auch die Bundesbehörden. Ich denke, dass das Trennungsgebot, das uns grundgesetzlich vorgegeben ist, hier eingehalten ist.
Wir sind als Staat verpflichtet, alles zu tun, alles Erforderliche und alles Mögliche, um die Bevölkerung vor
dem internationalen Terrorismus zu schützen, aber wir
dürfen dabei nie vergessen, worum es eigentlich geht: Es
geht um das höchste Gut unserer Gesellschaft; es geht
gerade auch im Kampf gegen den internationalen Terrorismus darum, unsere Freiheit zu verteidigen und zu
schützen.
({14})
Das Wort hat die Kollegin Ulla Jelpke für die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im
Kampf gegen den Terror hat die rot-grüne Bundesregierung in den letzten Jahren ein verfassungswidriges Gesetz nach dem anderen vorgelegt.
({0})
- Das ist wahr, erst das Gesetz zum großen Lauschangriff - ist der nicht zurückgewiesen worden, Kollege
Wieland? -,
({1})
dann das Luftsicherheitsgesetz. Ich sage Ihnen schon
heute: Auch das jetzt vom Kabinett beschlossene Gesetz
zur Antiterrordatei wird nach Karlsruhe gehen. Wir werden sehen.
Liebe Kollegen, an dieser Stelle möchte ich ganz klar
sagen - leider muss man das in diesem Hause immer
wiederholen -: Wenn Sie die Verfassung weiter aushöhlen, um den Terror zu besiegen, dann siegt der Terror.
Das darf unserer Meinung nach nicht sein. Es ist ja nicht
so - Sie tun so, als ob es so wäre -, dass ein Geheimdienst die Polizei heute nicht warnen dürfte, wenn er erfährt, dass ein Terroranschlag in diesem Land bevorsteht. Natürlich darf er das; das ist völlig unbestritten.
({2})
Die Antiterrordatei aber soll nicht einen unmittelbar
bevorstehenden Anschlag verhindern, sondern sie soll die
Zusammenarbeit von Polizei und Geheimdiensten auf eine
völlig neue Stufe stellen. Der Datenaustausch zwischen
den unterschiedlichsten Behörden - insgesamt 37 -,
({3})
zwischen Länder- und Bundespolizei, Zoll, Militärischem Abschirmdienst, Bundesnachrichtendienst und
Verfassungsschutz, soll zur Regel werden. Damit wird
die Trennung zwischen Polizei- und Geheimdienstarbeit
eindeutig aufgehoben.
An dieser Stelle noch einmal zu Herrn Binninger, aber
auch zu Herrn Benneter. Geheimdienste und Polizei haben aus gutem Grund völlig unterschiedliche Befugnisse;
das wissen auch Sie. Die Polizei handelt bei konkreten
Verdachtsmomenten. Geheimdienste dagegen observieren auch unschuldige Menschen mit Methoden, die der
Polizei untersagt sind. Die Polizei lässt sich noch kontrollieren, während man das von den Geheimdiensten
nicht mehr sagen kann. Nicht umsonst haben wir gegenwärtig einen Untersuchungsausschuss zum BND-Skandal.
Mit der Antiterrordatei käme die Polizei zu Erkenntnissen, die sie gar nicht gewinnen dürfte, und die Geheimdienste ebenso. Getrennt ermitteln, gemeinsam auswerten, das würde die Trennung von Polizei und
Geheimdiensten noch weiter aufheben. Effektive Beschränkungen für den Datenaustausch sieht die Regierung nicht vor. Im Gegenteil, in so genannten Eilfällen, wie Herr Schäuble gestern bekannt gab, muss man
nur auf den Knopf drücken und alle Daten sind da. Ich
sehe nicht, wo der neue Gesetzentwurf eine Kontrolle
vorsieht.
Auch die Grünen - jetzt komme ich zu Ihnen, Herr
Wieland - erklären in ihrem Antrag eine Volltextdatei,
aus der jede Behörde praktisch online alle möglichen
Daten abrufen kann, für rechtsstaatlich unhaltbar. Immerhin. Das begrüße ich.
({4})
Aber, Herr Wieland, Sie wollen, weil Sie halt nur eine
ehemalige Bürgerrechtspartei sind
({5})
- Sie haben sich hier heute ja zum Liberalen bekannt -,
jetzt durch die Hintertür eine Volltextdatei einführen.
Wenn Sie beispielsweise Projektdateien als zeitlich befristete Volltextdateien einführen - das ist ein Zitat -,
dann hilft das auch nichts.
({6})
Auch wenn man es zeitlich begrenzt: Verfassungsbruch
ist Verfassungsbruch.
({7})
Die Bundesregierung hat genau die Idee, die in Ihrem
Antrag enthalten ist, in ihren Gesetzentwurf hineingeschrieben.
Die Bundesregierung will in der Datei die Religionszugehörigkeit erfassen. Das ist eindeutig ein Angriff auf
die Religionsfreiheit. Wenn ich befürchten muss, dass
37 Sicherheitsbehörden meinen Glauben für terrorismusrelevant halten, überlege ich mir in Zukunft sehr genau, ob ich mich zu meiner Religion bekenne. Die Bundesregierung setzt damit ganz eindeutig Menschen
muslimischen Glaubens unter Generalverdacht. Da sind
wir gänzlich dagegen.
({8})
Außerdem will die Bundesregierung praktisch eine
Kontaktschuld einführen. Erfasst werden soll, wer eine
nähere persönliche oder geschäftliche Beziehung zu einem Verdächtigen hat. Das weitet den Kreis der Durchleuchteten ins Uferlose aus
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.
- ich komme gleich zum Schluss -: Vermieter, Partner, Kinder, Kommilitonen, Freunde usw. Das Recht auf
informationelle Selbstbestimmung wird hier gänzlich
ausgehöhlt. Besonders an die rechte Seite gerichtet sage
ich: Der Datenschutzbeauftragte hat genau das kritisiert.
Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
Wir lehnen den Antrag der Grünen ab und werden uns
vor allem für das Grundgesetz einsetzen; denn wir glauben, dass die vorhandenen Gesetze ausreichen.
Danke.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/2071 und 16/2624 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. -
Damit sind Sie offensichtlich einverstanden. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 15 a und 15 b so-
wie Zusatzpunkt 10 auf:
15 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung telekommunikationsrechtlicher Vorschriften
- Drucksache 16/2581 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({0})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien
b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des
Telekommunikationsgesetzes
- Drucksache 16/1519 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({1})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien
ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthias
Berninger, Bärbel Höhn, Dr. Thea Dückert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Mehr Wettbewerb und Verbraucherschutz auf
dem Telekommunikationsmarkt
- Drucksache 16/2625 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({2})
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Kultur und Medien
Zwischen den Fraktionen ist eine Debattenzeit von einer halben Stunde vereinbart. - Dazu höre ich keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort der
Kollegin Dr. Martina Krogmann, CDU/CSU-Fraktion.
({3})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
In dieser Debatte geht es zentral um ein Thema, um das
der Innovation.
({0})
Es geht um Innovation in einer der wichtigsten Zukunftsbranchen in unserem Land, nämlich der Telekommunikation. Die gesamte Branche befindet sich gerade
jetzt in einem ungeheuer dynamischen Prozess. Durch
neue Technologien und die Konvergenz der Medien, also
durch das Zusammenwachsen von Fernsehen, Telefon
und Internet auf einer Plattform, haben wir riesige ChanDr. Martina Krogmann
cen für Wachstum, Innovation und neue Arbeitsplätze.
Dafür ist das Gesetz ein zentraler Baustein.
({1})
Es geht um drei Themenbereiche. Es geht um neue
Märkte, es geht um die Stärkung des Vertrauens der Menschen in neue Telekommunikationsdienste durch effektiven Verbraucherschutz und es geht darum, Telekommunikationsunternehmen für Kosten zu entschädigen, die
ihnen durch staatliche Strafverfolgungsmaßnahmen entstehen.
Die Regelung in Bezug auf die neuen Märkte, insbesondere der inzwischen berühmte § 9 a des Telekommunikationsgesetzes, ist aus meiner Sicht der wichtigste
Punkt. Deshalb möchte ich mich darauf konzentrieren.
Worum geht es? Mit dem § 9 a setzen wir eine Vereinbarung des Koalitionsvertrages um.
({2})
Wir wollen, dass neue Märkte nur dann reguliert werden,
wenn andernfalls die Entwicklung eines nachhaltig wettbewerbsorientierten Marktes behindert wird.
({3})
Wenn dann reguliert wird, sollen Innovationen und Investitionen bei der Auferlegung der Maßnahmen berücksichtigt werden. Um dies zu verstehen, müssen wir uns
vor Augen führen, dass der Telekommunikationsmarkt
ein besonderer Markt ist, weil wir es hier mit ehemaligen
Monopolstrukturen zu tun haben. Wir brauchen Regulierung, um den Zugang zu den Festnetzen zu öffnen und
Chancengleichheit und Wettbewerb überhaupt zu ermöglichen.
Nun muss man allerdings unterscheiden: Für bestehende, das heißt alte Märkte ist dieses Grundprinzip
- wenn auch in unterschiedlicher Intensität - nach wie
vor notwendig und richtig. Wenn wir dieses Prinzip aber
einfach auf neue Märkte übertragen, dann wird doch
kein Unternehmen bereit sein, in neue Märkte zu investieren. Keiner wird bereit sein, Millionenbeträge in die
Hand zu nehmen, selbst aber das volle Risiko zu tragen,
wenn er diese Investitionen automatisch seinen Wettbewerbern zur Verfügung stellen muss, die ohne ein eigenes Risiko einfach davon profitieren. Das kann nicht
richtig sein.
({4})
Deshalb müssen wir uns darüber Gedanken machen
- und zwar schnell -, wie wir unser Innovationstempo
steigern. Genau dafür schafft der § 9 a Telekommunikationsgesetz die Voraussetzung.
Unser Ziel ist also genauso einfach wie klar: Wir wollen, dass sich Investitionen lohnen, von wem auch immer. Deshalb schaffen wir Anreize durch Freistellung
von der Regulierung. Die klare Bedingung dabei ist: Es
muss sich wirklich um etwas Neues handeln. Wir wollen
einen hochinnovativen Markt, in dem die besten Ideen
und Geschäftsmodelle belohnt werden. Wir geben den
Unternehmen das Signal: Zeigt uns, was ihr könnt, zeigt
uns eure Innovationen, dann bekommt ihr die Vorteile,
die euch als Vorreiter zustehen! Denn es muss sich lohnen, innovativ zu sein.
Jetzt kommt aber der entscheidende Punkt. Das gilt
nur, solange der Wettbewerb nicht behindert wird. Genau das ist die Balance zwischen Innovations- und Investitionsanreizen und Wettbewerb. Diese Balance wollen und brauchen wir.
Deshalb will ich hier eines klarstellen: Niemand in
der Koalition, schon gar nicht die Union, hat die Absicht, neue Monopole entstehen zu lassen.
({5})
Das ist absolut absurd. Wer das behauptet, hat den Gesetzentwurf einfach nicht verstanden.
({6})
Denn die Balance zwischen Investitionsanreizen und
Wettbewerb, von der ich sprach, gilt für jedes auf dem
neuen Markt mächtige Unternehmen. Heute kennen wir
logischerweise nur Unternehmen, die auf bestehenden
Märkten mächtig sind. Wir wissen aber nicht, welche
Unternehmen zukünftig auf neuen Märkten mächtig sein
werden. Dies ist ein Gesetz für Unternehmen, die neue
Märkte erschließen, nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Es kann jetzt sehr wohl sein, dass das Gesetz schon
bald seinen ersten konkreten Anwendungsfall findet.
Das würden wir natürlich begrüßen, weil das hieße, dass
in unserem Land Innovationen entstehen. Es könnte sein,
dass im Zusammenhang mit den VDSL-Investitionen
der Deutschen Telekom AG ein neuer Markt entsteht,
der dann natürlich von der Regulierung freigestellt
würde. Das wird sich erweisen. Denn wie die neuen
Märkte konkret aussehen werden, welche Produkte also
aus Sicht des Verbrauchers nicht substituierbar, also
nicht austauschbar sind, kann niemand vorhersehen,
schon gar nicht die Politik. Aber das ist auch nicht unsere Aufgabe. Es ist die Aufgabe des Regulierers, dies
gemeinsam mit der EU-Kommission im bewährten Verfahren zu prüfen.
Für uns ist völlig klar, dass wir erst einmal abwarten
müssen, ob sich überhaupt ein neuer Markt entwickelt,
bevor wir gleich mit der alten Regulierungskeule kommen. Das sieht die EU-Kommission genauso. In
Erwägungsgrund 15 der Märkteempfehlung der Kommission heißt es, dass „neue und sich abzeichnende
Märkte … grundsätzlich nicht für eine Vorabregulierung
in Betracht“ kommen. Auch die Monopolkommission
sieht das so. In ihrem Sondergutachten dazu heißt es,
dass neue Märkte zunächst von der Regulierung ausgenommen werden sollten.
Über die eine oder andere Formulierung des neuen
§ 9 a im Telekommunikationsgesetz wird noch im Laufe
des Gesetzgebungsprozesses zu reden sein. Das Grundprinzip aber, die Balance zwischen Investitionsanreizen
und Wettbewerb zu wahren, muss für mehr Dynamik in
unserem Land bestehen bleiben.
({7})
Für unsere Debatte in den kommenden Wochen liegt
mir eines besonders am Herzen. Jenseits der Linien von
Opposition und Koalition dürfen wir einen Grundsatz
nicht aus den Augen verlieren: In der sozialen Marktwirtschaft ist staatliche Regulierung wegen ihres freiheitsbeschränkenden Charakters nicht der Normalfall,
sondern die zu begründende Ausnahme. Der sich selbst
tragende Wettbewerb, die Überführung der sektorspezifischen Regulierung in das Wettbewerbsrecht muss unser Ziel bleiben. Mit anderen Worten: Regulierung muss
sich schnellstmöglich selbst überflüssig machen.
An uns als Gesetzgeber liegt es, dafür den Rahmen so
zu setzen, dass dies auch geschieht. Deshalb ist es für
uns im Parlament ganz entscheidend, dass wir uns bereits im anstehenden Review-Prozess auf EU-Ebene
frühzeitig einmischen und darauf hinwirken, endlich
transparentere und dynamischere Prozesse zu erreichen,
die diese Zukunftsbranche in Deutschland und in Europa
insgesamt voranbringen.
({8})
In diesem Sinne freue ich mich auf eine weitere sachliche Debatte heute hier und in den kommenden Wochen, in der es uns allen darum gehen sollte, in unserem
Land durch die richtigen Rahmenbedingungen Anreize
für Investitionen zu setzen und Innovationen zu beschleunigen.
Vielen Dank.
({9})
Das Wort hat der Kollege Hans-Joachim Otto, FDPFraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Die Reden der Frau Kollegin Dr. Krogmann hören
sich immer wieder schön an und enthalten viel Richtiges. Ich will mit den Punkten beginnen, in denen wir
übereinstimmen.
Wir stimmen völlig darin überein, dass es zwischen
Wettbewerbsfähigkeit und Innovationsbereitschaft eine
Balance geben muss. Wir sind uns weiterhin völlig einig
darüber, dass unsere zentrale Aufgabe darin besteht, einen sich selbst tragenden Wettbewerb zu erzeugen; denn
Wettbewerb ist immer noch der beste Kundenschutz und
der beste Wachstumsmotor.
Wir sind uns auch darin einig, dass es neue Märkte
gibt, die am Anfang von einer Regulierung freigestellt
werden müssen, damit die Pioniere ihren Pioniergewinn
auch wirklich erzielen können. Das ist eine europaweit
anerkannte Regelung und im Übrigen schon Praxis der
Bundesnetzagentur auf Grundlage des bestehenden Telekommunikationsgesetzes.
Das große Manko der Rede von Dr. Krogmann ist,
dass sie ein bisschen vernebelt, worum es hier geht.
({0})
- Doch. - Bei dem vorgesehenen § 9 a, der gegenüber
der Vorlage von vor zwei Jahren hinzugekommen ist,
geht es um nichts anderes als um Regulierungsferien für
die Deutsche Telekom hinsichtlich ihres Produktes
VDSL.
(Beifall des Abg. Matthias Berninger ({1})
- Liebe Frau Kollegin Dr. Krogmann, ich erahnte diesen
Zwischenruf. Deswegen habe ich die Koalitionsvereinbarung mitgebracht. Darin steht schwarz auf weiß, dass
es darum geht, die breitbandigen Telekommunikationsnetze eine Zeit lang von Regulierungseingriffen freizustellen.
({2})
Wir wissen doch ganz genau, wie das damals ablief. Die
Deutsche Telekom AG hat öffentlich gefordert: Ihr
müsst VDSL freistellen, sonst investieren wir nicht. Das
ist der Hintergrund.
({3})
Liebe Frau Kollegin Dr. Krogmann, ich könnte mir
vorstellen, mit Ihnen gemeinsam in § 9 a eine Regelung
zu verankern, nach der neue Märkte vorübergehend von
der Regulierung freigestellt werden, wenn § 9 a eine
klare Definition der neuen Märkte enthält.
({4})
Es reicht doch nicht, ein vorhandenes Netz ein bisschen
aufzurüsten, breitbandiger und schneller zu machen. Es
geht darum, dass wirklich neue Produkte entstehen.
({5})
Ich habe mir die Mühe gemacht, einmal zu schauen,
was die Deutsche Telekom in ihren Broschüren in Sachen Innovation VDSL anbietet: E-Learning, E-Government - das haben wir alles schon. Durch VDSL wird
nichts wirklich Neues geschaffen. Es ist kein neues Produkt. Solange es kein neues Produkt gibt, kann es keine
Regulierungsferien geben.
Sie haben gesagt: Überlassen wir es doch der Bundesnetzagentur, festzustellen, was neue Märkte sind. Ich bin
sehr misstrauisch; denn der Koalitionsvertrag sieht ausdrücklich einen Eingriff in den Wettbewerb vor, indem
VDSL freizustellen ist. Es gibt Abhängigkeiten.
({6})
- Im Koalitionsvertrag steht das drin. - Das ist der Hintergrund. Wir sollten ehrlich miteinander umgehen. Es
geht darum, VDSL freizustellen, damit den Zugang der
Hans-Joachim Otto ({7})
Telekom zum Markt zu sichern, die letzte Meile vom
Wettbewerb freizuhalten, der Telekom den ihr lästigen
Wettbewerb vom Hals zu halten. Das ist der entscheidende Punkt.
({8})
Wir sind mit vielen Intentionen des Telekommunikationsgesetzes einverstanden. Wir sind mit den Entschädigungsregelungen einverstanden, wobei wir noch darüber
reden müssen, dass der Bundesrat sie aus dem Gesetz
nehmen will. Wir sind uns einig darin, dass vernünftige
Kundenschutzbestimmungen geschaffen werden müssen, die nicht überzogen sind. Wir sind uns auch einig
darin, dass faire Entschädigungsregelungen vorgesehen
werden müssen. Wir sind uns weiter einig darin, dass wir
einen sich selbst tragenden Wettbewerb brauchen. Eingriffe aber, die durch den Koalitionsvertrag zugunsten
eines sehr marktstarken und staatlich beeinflussten Unternehmens getroffen werden, sind nicht marktkonform.
Sie haben im Übrigen vergessen, mitzuteilen, dass die
EU-Kommission genau meiner Meinung ist. Das ist ein
Eingriff in den Markt. Sie hat uns mit einem Marktverletzungsverfahren gedroht.
Frau Krogmann, ich habe meine Rede weggelegt und
das Gespräch mit Ihnen aufgenommen. Wir befinden uns
an einem entscheidenden Punkt. In dem Grundsatz stimmen wir überein: Wir wollen Wettbewerb. Angesichts
dessen sollten wir in § 9 a eine Formulierung finden, die
nicht ein einzelnes Unternehmen, eine einzelne technische Aufrüstung privilegieren soll, sondern nur tatsächlich neue Märkte und Produkte. Alles andere wäre Protegierung eines Staatsunternehmens. Das kann nicht unser
Ziel sein.
({9})
Wer Wettbewerb will, der kann staatlich beeinflussten
Unternehmen keine Regulierungsferien gewähren. Das
ist die Kernaussage.
In der Tat: Das ist der entscheidende Punkt, von dem
abhängt, ob die FDP-Fraktion sich letztlich für dieses
Gesetz aussprechen wird oder nicht. Wenn Sie bereit
sind, § 9 a so anzupassen, dass klargestellt wird, neue
Märkte heißt neue Produkte, dann werden wir uns einig.
({10})
Wenn Sie aber zugunsten der Deutschen Telekom AG
eine Sonderregelung schaffen wollen, dann werden wir
diesen Weg im Interesse eines sich selbst tragenden
Wettbewerbes nicht mitgehen können.
Vielen Dank.
({11})
Für die SPD-Fraktion spricht der Kollege Martin
Dörmann.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Der Bereich der Telekommunikation zählt zu
den dynamischsten Wirtschaftszweigen. Er ist ein wichtiger Motor für Innovation und Wachstum in Deutschland. Wir als Verbraucherinnen und Verbraucher profitieren hiervon, und zwar in mehrfacher Hinsicht. Neue
Produkte und Anwendungen bereichern unsere Lebensalltag. Zudem freuen wir uns über sinkende Telefonpreise aufgrund des funktionierenden Wettbewerbs.
Die SPD will, dass dies so bleibt und dass die Erfolgsgeschichte der Telekommunikation in Deutschland fortgeschrieben wird.
({0})
Diesem übergeordneten Ziel dient der Gesetzentwurf der
Bundesregierung. Er stärkt den Verbraucherschutz und
will die Rahmenbedingungen für zusätzliche Investitionen und Innovationen verbessern.
Lassen Sie mich zunächst auf die Gesichtspunkte des
Verbraucherschutzes eingehen. Von einem funktionierenden Verbraucherschutz profitieren nicht nur die
Kunden. Auch die Telekommunikationsunternehmen
werden ihre Produkte nur dann dauerhaft und erfolgreich
platzieren können, wenn die Menschen wissen, dass sie
nicht abgezockt werden. Es ist gut, dass die Branche insgesamt dies erkannt hat und Verbraucherschutz durch
Selbstverpflichtungen umsetzt. Dennoch bedarf es klarer
gesetzlicher Regelungen, um schwarzen Schafen von
Anfang an keine Chance zu geben und die Kunden vor
Übervorteilung und Verschuldung zu schützen.
({1})
Unter diesen Gesichtspunkten werden wir im neuen
Telekommunikationsgesetz bereits bestehende Kundenschutzregelungen neuen Geschäftsmodellen anpassen
und sie weiter verbessern. Wir wollen mehr Preistransparenz, mehr Kostenkontrolle und Jugendschutz. Die
Regelungen reichen beispielsweise von Preisobergrenzen und Preisansagepflichten bei Mehrwertdiensten bis
hin zu einem besseren Zugang behinderter Menschen zu
Telekommunikationsleistungen.
({2})
Ich möchte einen zweiten Punkt erwähnen, der bislang weniger im Fokus der öffentlichen Debatte steht,
mir aber dennoch wichtig ist. Es geht um die Entschädigung von Unternehmen, die im Rahmen von strafrechtlichen Ermittlungsarbeiten in Anspruch genommen werden, indem sie den Behörden bestimmte Daten zur
Verfügung stellen. Dadurch entstehen den Unternehmen
nicht unerhebliche Kosten. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht hierzu eine vernünftige Regelung zur
gesetzlichen Anknüpfung der noch zu beschließenden
Verordnung an das TKG vor.
Im Hinblick auf die im nächsten Jahr anstehende gesetzliche Regelung zur Vorratsdatenspeicherung haben
die Koalitionsfraktionen bereits im Bundestagsbeschluss
vom 16. Februar dieses Jahres deutlich gemacht, dass
wir eine angemessene Entschädigung der Unternehmen
sicherstellen werden. Dies will ich noch einmal bekräftigen.
({3})
In der aktuellen Debatte hat die Frage, ob und inwieweit neue Märkte im Bereich der Telekommunikation
reguliert werden sollen, eine besondere Bedeutung. Im
Koalitionsvertrag haben sich Union und SPD darauf geeinigt, insbesondere Anreize für den Aufbau bzw. Ausbau
moderner und breitbandiger Telekommunikationsnetze
zu schaffen. Zu diesem Zweck sollen entsprechende Investitionen für einen gewissen Zeitraum von Regulierungseingriffen freigestellt werden, um dem Investor die
notwendige Planungssicherheit zu geben.
({4})
Dies soll jedoch nur für solche Investitionen gelten,
durch die neue Märkte entstehen. Herr Kollege Otto, es
handelt sich nicht um eine Lex Telekom,
({5})
sondern um ein Gesetz, das wir allgemein gültig formulieren müssen und das entsprechende Anforderungen
enthält.
({6})
Ganz wichtig ist, dass es keinesfalls darum geht, Regulierung prinzipiell infrage zu stellen.
Im Gegenteil, gerade die Regulierung im Telekommunikationsmarkt war und ist eine echte Erfolgsgeschichte. Die gesetzlich verankerten Maßnahmen der
Regulierungsbehörde, also der Bundesnetzagentur, haben in entscheidendem Maße dazu beigetragen, dass wir
im Telekommunikationsmarkt einen funktionierenden
Wettbewerb haben, durch den die Kunden erheblich profitieren, insbesondere durch dramatisch gesunkene
Preise für das Telefonieren oder für das Surfen im Internet.
({7})
Dennoch sind die Umsatzerlöse im TK-Bereich seit
Beginn der Liberalisierung deutlich gestiegen, nicht zuletzt deshalb, weil Innovationen und neue Produkte hinzugekommen sind. Der Wettbewerb funktioniert also
und wir wollen ihn erhalten.
({8})
Gerade weil die Regulierung in Deutschland jedoch
so erfolgreich ist, gibt es an einer anderen Stelle ein Problem, über das wir reden müssen, nämlich bei einem
neuen, gerade erst entstehenden Markt, der zunächst
hohe Investitionen in neue Infrastrukturen erfordert.
Hier ist das Gleichgewicht zwischen dem Risiko einerseits und dem möglichen Ertrag für das Unternehmen
andererseits fraglich. Für das investierende Unternehmen lohnt sich das Investment möglicherweise nicht,
wenn es sofort reguliert wird. Denn Regulierung bedeutet erheblich geringere Möglichkeiten, für ein neues Produkt einen guten Preis zu erzielen. In einem neuen Markt
liegt das spezifische Investitionsrisiko gerade darin, dass
sich die Akzeptanz der neuen Produkte erst erweisen
muss und sich nur schwer abschätzen lässt.
({9})
Dies kann letzten Endes den Vorteil einer solchen Investition von vornherein infrage stellen. Die Konsequenz
wäre - ich weiß nicht, ob Sie das wollen -: Das Unternehmen investiert gerade nicht und es entstehen keine
neuen Arbeitsplätze.
Diese Folge gilt es zu vermeiden. Aus diesem Grunde
sieht bereits der europäische Rechtsrahmen vor, dass in
Bereichen neuer Märkte zunächst nicht reguliert wird,
um Investitionen nicht zu behindern. Ich finde es schade,
dass das in der öffentlichen Diskussion und leider auch
von manchen Diskutanten, Herr Otto, übersehen wird.
Genau darum geht es im Gesetzentwurf der Bundesregierung. Der neue § 9 a des TKG sieht vor, dass neue
Märkte nur dann in die Marktregulierung einbezogen
werden sollen, wenn ansonsten ein nachhaltig wettbewerbsorientierter Markt langfristig behindert würde. Damit ist das Spannungsverhältnis, um das es hier geht, beschrieben.
Herr Kollege, wären Sie mit einer Zwischenfrage des
Kollegen Fricke einverstanden?
Gerne.
Bitte schön.
Herr Kollege, ich gestehe Ihnen ja zu, dass Sie Gutes
wollen. Aber weil Sie wiederholt die Begriffe „neue Produkte“ und „neue Märkte“ verwendet haben - bei den
neuen Märkten kann ich mich Ihnen sogar vollkommen
anschließen -, frage ich ausdrücklich: Wo grenzen Sie
zwischen einem neuen Produkt und einem neuen Markt
ab? Ist für Sie zum Beispiel VDSL ein neues Produkt
oder eröffnet es gleichzeitig auch einen neuen Markt?
Herr Kollege, ich bin für die Zwischenfrage dankbar.
({0})
Wir wollen nicht nur Gutes, wir tun auch Gutes.
Die Frage, die Sie stellen, wird nicht der Gesetzgeber
alleine zu entscheiden haben, sondern wir werden in der
Regulierungsbehörde am Ende auch eine Entscheidung
zu treffen haben. Wir werden uns als Gesetzgeber sicherlich der Diskussion stellen müssen, inwieweit wir beispielsweise definieren müssen, was neue Märkte sind.
Aber das muss, wenn wir darüber überhaupt diskutieren,
technikneutral sein. Es kann nicht einzig und allein auf
den Einzelfall bezogen sein. Deshalb stellt sich diese
konkrete Frage im laufenden Gesetzgebungsverfahren in
einem bestimmten Licht, sicherlich aufgrund aktueller
Ereignisse; aber der Gesetzgeber muss eine Regelung
finden, die allgemein gültig ist.
({1})
Ich komme auf diesen Gesichtspunkt übrigens gleich
noch einmal zu sprechen.
({2})
Ich habe gerade gesagt, dass das Spannungsverhältnis, um das es hier geht, in § 9 a beschrieben ist. Einerseits sollen Investitionen in eine effiziente Infrastruktur
gefördert und Innovationen unterstützt werden. Andererseits darf eine hieraus folgende Regulierungsfreistellung
nicht dazu führen, den Wettbewerb auf Dauer auszuhebeln. Wir werden im weiteren Gesetzgebungsverfahren
zu prüfen haben, ob diese beiden Ziele durch die vorliegende Gesetzesformulierung schon optimal umgesetzt
sind oder ob es im Detail noch Änderungsbedarf gibt.
Folgende Fragestellungen sollten hierbei aus meiner
Sicht berücksichtigt werden - das ist speziell an die FDP
gerichtet, deren Mitglieder sich gerade unterhalten -:
({3})
Was ist erforderlich, damit Deutschland hinsichtlich der
technischen Möglichkeiten nicht hinter vergleichbaren
Staaten zurückbleibt und alle Potenziale für Innovationen wirklich genutzt werden? Wie stellen wir im Bereich
neuer Märkte sicher, dass Investitionen nicht allein deshalb unterbleiben, weil durch eine zu frühzeitige Regulierung die notwendige Berechenbarkeit für das investierende Unternehmen von vornherein nicht gegeben ist?
Ist es sinnvoll, den Begriff des neuen Marktes technikneutral gesetzlich zu definieren, um die Planungssicherheit zu erhöhen?
({4})
Schließlich: Mit welcher Regelung können wir einerseits
dem europäischen Rechtsrahmen genügen und andererseits nachteilige Auswirkungen auf den Wettbewerb in
den bereits bestehenden Märkten vermeiden?
({5})
Um diese und andere Fragen wird es im parlamentarischen Verfahren der nächsten Wochen und in der hierzu
vorgesehenen Anhörung gehen. Ich lade alle Kolleginnen und Kollegen, auch die von der FDP, ein, daran teilzunehmen.
({6})
Ich denke, wir werden interessante Diskussionen führen.
Wir als Regierungskoalition sind uns unserer Verantwortung sowohl für die technische als auch für die wettbewerbliche Entwicklung bewusst und werden sie wahrnehmen. Ich bin davon überzeugt, dass es uns letztlich
gelingen wird, sowohl im Hinblick auf die Verbraucherthemen als auch hinsichtlich der Regulierung einen
guten Gesetzentwurf zu verabschieden - im Sinne von
mehr Innovationen, Wachstum und Beschäftigung, im
Sinne eines weiterhin funktionierenden Wettbewerbs auf
dem Telekommunikationsmarkt und im Interesse der
Verbraucherinnen und Verbraucher.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({7})
Die Kollegin Ulla Jelpke hat ihre Rede zu Protokoll
gegeben.1)
({0})
Ich erteile dem Kollegen Matthias Berninger,
Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
({1})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dieser
Gesetzentwurf enthält eine ganze Reihe von Punkten,
die sich mit Fragen des Verbraucherschutzes beschäftigen, die heute Abend nicht im Mittelpunkt der Diskussion standen. Ich will allerdings anmerken, dass es im
Gesetzgebungsverfahren erklärungsbedürftig ist, warum
Verbraucherschutzvorschriften, die für ein Telefonat aus
dem Festnetz gelten, nicht in gleicher Weise für Telefonate mit dem Mobiltelefon gelten sollen. Ich glaube,
dass das weder unter Gesichtspunkten des Verbraucherschutzes noch in Anbetracht des für die Entwicklung der
Märkte sehr wichtigen Themas Verbrauchervertrauen ein
kluger Gedanke ist. Über diese Fragen werden wir im
Zuge der Anhörung ausführlich diskutieren.
Ich würde gern auf die Regulierungsferien des § 9 a
des Telekommunikationsgesetzes zu sprechen kommen.
Selbstverständlich haben Sie eine Menge Druck gekriegt, seitdem Sie den Koalitionsvertrag de facto zu einem Telefonbuch gemacht haben,
({0})
1) Anlage 2
in dem für die Deutsche Telekom eine ganze Seite reserviert wurde,
({1})
um ihre Wettbewerber vom Markt auszuschließen. Daher ist Ihre Beschreibung des § 9 a TKG zurückhaltender
geworden. Die sehr kritischen Anmerkungen der Wettbewerber und der EU-Kommission sowie die Äußerungen von Chefregulierer Matthias Kurth, der ansonsten
immer sehr gelobt wird, haben durchaus Spuren bei Ihnen hinterlassen.
Ich will dieses Thema von einer ganz anderen Warte
aufziehen. In Frankreich investieren die Wettbewerber
des dortigen ehemaligen Monopolisten in diese neue
Technologie.
({2})
- Jetzt kommt der Zuruf: „Daran hindert in Deutschland
niemand!“ Aber selbstverständlich! Seitdem Sie in Ihren
Koalitionsverhandlungen über die Lex Telekom diskutiert haben,
({3})
sind die Wettbewerber der Telekom - zum Beispiel
Hanse Net, das Unternehmen, das eine große Investition
in Hamburg getätigt hat, und andere - massiv ins Hintertreffen geraten. Für sie ist das Risiko, zu investieren
- anders als in anderen europäischen Ländern -, viel zu
groß. Das ist unser Problem.
Ich glaube, dass die Telekom, selbst wenn sie keine
Regulierungsferien erhalten würde, durch Ihr Verhalten
eineinhalb, zwei oder sogar zweieinhalb Jahre Vorsprung
im Wettbewerb bekommen hat. Dieses Geschenk haben
Sie auf dem Silbertablett serviert. Die Verbraucherinnen
und Verbraucher werden es mit schlechtem Service und
überhöhten Preisen zu bezahlen haben. Man muss kein
Prophet sein, um diese Entwicklung vorherzusehen.
Wir brauchen schnelle Internetverbindungen. Deutschland ist, was die Breitbandigkeit angeht, noch lange nicht
vorne. Insbesondere in den ländlichen Räumen sind noch
einige Verbesserungen möglich.
({4})
Das Problem ist, dass Sie an einer Stelle, an der man Zukunftsmärkte fördern und die Wettbewerber zu Investitionen ermutigen könnte, der Telekom permanent den
Teppich ausrollen. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn
es um die Frage geht, ob die alte Infrastruktur der Bundespost, die leeren Rohrleitungen, auch für Wettbewerber nutzbar sein soll oder ob Wettbewerber bei der Installation neuer Gerätschaften,
({5})
statt komplett neue Leitungen zu legen - Beispiel Strom
-, Unterstützung durch eine wettbewerbsfreundliche Politik bekommen sollen.
Überall hinterlässt die Koalition Spuren mit dem Ergebnis, dass Magenta die Farbe der Wahl ist,
({6})
dass also die Telekom den gesamten Markt beherrschen
soll. Das wird im Rahmen der Anhörung deutlich werden. Sowohl Ihr Kopfschütteln als auch Ihre Zwischenrufe bestärken mich darin, dass ich Recht habe. Genau
das haben Sie vor. Das steht in Ihrem Programm.
({7})
Die Interessenvertreter aus diesem Bereich geben das sogar relativ offen zu. Daher sollten Sie sich nicht zu stark
beschweren.
({8})
Wir werden alles tun, um, wie es im europäischen
Sinne ist, auch in Deutschland gerade bei der neuen
Technik Wettbewerb auf dem Telekommunikationssektor zu gewährleisten, weil wir glauben, dass mehr Wettbewerber eine bessere Infrastruktur schaffen werden als
ein Monopolist.
({9})
Dahinter steht der Glaube an Wettbewerb, ein Glaube,
der in der großen Koalition, zumindest was den Telekommunikationssektor angeht, nicht verbreitet ist. Wenn
Sie Ihre Linie durchsetzen, werden Sie in ein paar Jahren
im Telekommunikationssektor wie jetzt im Energiesektor mit schwierigen, komplexen Vorgehensweisen die
Kontrolle der Monopolisten über die Netze wieder zurückführen müssen. Die Konsequenz wäre, dass wir in
der Zwischenzeit im internationalen Vergleich bezogen
auf die Größe der Bevölkerung weniger Anschlüsse haben und dass die Verbraucherinnen und Verbraucher so
lange für das schlechtere Angebot den höheren Preis zu
bezahlen haben.
({10})
Das schadet am Ende der Entwicklung dieses Zukunftsmarktes. Noch gibt es solche Regulierungsferien nicht.
Aber wenn es die Opposition nicht gäbe und die EUKommission nicht und keine Wettbewerber, hätten Sie
heimlich, still und leise den ganzen Weg schon längst
magentafarben gepflastert. Das wissen Sie sehr genau,
Kollege Barthel, deswegen ärgern Sie sich ja auch.
Ich danke für die Aufmerksamkeit zur späten Stunde.
({11})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/2581, 16/1519 und 16/2625 an die
in der Tagesordnung vorgesehenen Ausschüsse vorge-
schlagen. - Damit sind Sie offenbar einverstanden. Dann
ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 16 a und 16 b auf:
16 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Martin
Zeil, Frank Schäffler, Rainer Brüderle, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Keine Vorzugsbehandlung der Deutschen
Post AG bei der Umsatzsteuer
- Drucksache 16/676 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({0})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthias
Berninger, Alexander Bonde, Dr. Thea Dückert,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Mehr Wettbewerb bei der Post
- Drucksache 16/838 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({1})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt sind zu
Protokoll gegeben.1)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/676 und 16/838 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Damit sind Sie offenbar auch einverstanden. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten MarieLuise Dött, Katherina Reiche ({2}), Michael
Brand, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dirk
Becker, Marco Bülow, Petra Bierwirth, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Integriertes Küstenzonenmanagement kontinuierlich fortentwickeln
- Drucksache 16/2502 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({3})
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Tourismus
1) Anlage 3
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss
Auch hierzu sind die Redebeiträge zu Protokoll gege-
ben.2)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/2502 an die in der Tagesordnung vorgesehenen Ausschüsse vorgeschlagen. - Auch damit sind
Sie einverstanden. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla
Jelpke, Sevim Dagdelen, Dr. Hakki Keskin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Auswirkungen des Zuwanderungsgesetzes
sofort evaluieren
- Drucksache 16/1204 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({4})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Auch hierzu sind die Redebeiträge zu Protokoll gege-
ben3) und es wurde verabredet, die Vorlage auf
Drucksache 16/1204 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse zu überweisen. - Damit sind Sie ein-
verstanden. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des Überstellungsausführungsgesetzes
und des Gesetzes über die internationale
Rechtshilfe in Strafsachen
- Drucksache 16/2452 -
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
Hierzu sind die Redebeiträge ebenfalls zu Protokoll
gegeben.4)
Interfraktionell ist verabredet, den Gesetzentwurf auf
Drucksache 16/2452 an den Rechtsausschuss zu überweisen. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht
der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({5}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Behm,
Undine Kurth ({6}), Ulrike Höfken,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
2) Anlage 4
3) Anlage 5
4) Anlage 6
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
UN-Moratorium für die Grundschleppnetzfi-
scherei auf der Hohen See durchsetzen
- Drucksachen 16/1151, 16/2565 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Franz-Josef Holzenkamp
Holger Ortel
Dr. Christel Happach-Kasan
Dr. Kirsten Tackmann
Cornelia Behm
Hierzu sind die Redebeiträge ebenfalls zu Protokoll
gegeben.1)
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
cherschutz auf Drucksache 16/2565 zu dem Antrag der
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel
„UN-Moratorium für die Grundschleppnetzfischerei auf
der Hohen See durchsetzen“. Der Ausschuss empfiehlt,
den Antrag auf Drucksache 16/1151 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Die Gegen-
probe! - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlussemp-
fehlung mit den Stimmen der Koalition und der FDP ge-
gen die Stimmen der Linksfraktion und von Bündnis 90/
Die Grünen angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 21 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Reinhard Loske, Kerstin Andreae, Cornelia
1) Anlage 7
Behm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Kfz-Steuer klimafreundlich reformieren CO2-Ausstoß und Verbrauch als Bemessungsgrundlage
- Drucksache 16/2073 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({7})
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
Auch hierzu sind die Reden zu Protokoll gegeben2)
und es wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/2073 an die in der Tagesordnung aufgeführten
Ausschüsse vorgeschlagen. - Damit sind Sie einverstanden. Dann ist so beschlossen.
Damit sind wir am Schluss der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 22. September 2006,
11 Uhr, ein.
Genießen Sie die gewonnenen Einsichten! Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend.
Die Sitzung ist geschlossen.