Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sitzung ist eröffnet.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige
Tagesordnung um die Beratung der Beschlussempfeh-
lungen des Auswärtigen Ausschusses auf den Druck-
sachen 16/2616, 16/2617, 16/2618 und 16/2619 zu den
gestern überwiesenen Entschließungsanträgen zum Li-
banoneinsatz zu erweitern. Von der Frist für den Beginn
der Beratung soll abgewichen werden. Sind Sie damit
einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist so beschlos-
sen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 sowie die Zusatz-
punkte 1 bis 4 auf:
2 a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Bundesregierung
Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte
an der United Nations Interim Force in Lebanon ({1}) auf Grundlage der Resolution
1701 ({2}) des Sicherheitsrates der Vereinten
Nationen vom 11. August 2006
- Drucksachen 16/2572, 16/2614 Berichterstattung:
Abgeordnete Eckart von Klaeden
Gert Weisskirchen ({3})
Dr. Werner Hoyer
Wolfgang Gehrcke
Kerstin Müller ({4})
b) Bericht des Haushaltsausschusses ({5})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/2615 Berichterstattung:
Abgeordnete Herbert Frankenhauser
Lothar Mark
Jürgen Koppelin
Michael Leutert
Alexander Bonde
ZP 1 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({6}) zu dem Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD zu der ersten
Beratung des Antrags der Bundesregierung
Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte
an der United Nations Interim Force in Lebanon ({7}) auf Grundlage der Resolution
1701 ({8}) des Sicherheitsrates der Vereinten
Nationen vom 11. August 2006
- Drucksachen 16/2572, 16/2611, 16/2616 Berichterstattung:
Abgeordnete Eckart von Klaeden
Gert Weisskirchen ({9})
Dr. Werner Hoyer
Wolfgang Gehrcke
Kerstin Müller ({10})
ZP 2 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({11}) zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. Werner Hoyer, Dr. Wolfgang
Gerhardt, Birgit Homburger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP zu der ersten Beratung des Antrags der Bundesregierung
Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte
an der United Nations Interim Force in Lebanon ({12}) auf Grundlage der Resolution
1701 ({13}) des Sicherheitsrates der Vereinten
Nationen vom 11. August 2006
- Drucksachen 16/2572, 16/2609, 16/2617 Berichterstattung:
Abgeordnete Eckart von Klaeden
Gert Weisskirchen ({14})
Dr. Werner Hoyer
Wolfgang Gehrcke
Kerstin Müller ({15})
ZP 3 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({16}) zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Monika Knoche,
Redetext
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Hüseyin-Kenan Aydin und der Fraktion der LINKEN zu der ersten Beratung des Antrags der
Bundesregierung
Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte
an der United Nations Interim Force in Lebanon ({17}) auf Grundlage der Resolution
1701 ({18}) des Sicherheitsrates der Vereinten
Nationen vom 11. August 2006
- Drucksachen 16/2572, 16/2605, 16/2618 Berichterstattung:
Abgeordnete Eckart von Klaeden
Gert Weisskirchen ({19})
Dr. Werner Hoyer
Wolfgang Gehrcke
Kerstin Müller ({20})
ZP 4 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({21}) zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Jürgen Trittin, Winfried Nachtwei,
Kerstin Müller ({22}), weiterer Abgeordneter
und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN zu der ersten Beratung des Antrags der
Bundesregierung
Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte
an der United Nations Interim Force in Lebanon ({23}) auf Grundlage der Resolution
1701 ({24}) des Sicherheitsrates der Vereinten
Nationen vom 11. August 2006
- Drucksachen 16/2572, 16/2610, 16/2619 Berichterstattung:
Abgeordnete Eckart von Klaeden
Gert Weisskirchen ({25})
Dr. Werner Hoyer
Wolfgang Gehrcke
Kerstin Müller ({26})
Über die Beschlussempfehlung zum Antrag der Bundesregierung werden wir später namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. Gibt es Widerspruch dagegen? - Das ist nicht der Fall. Dann ist so
beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Dr. Rolf Mützenich von der SPDFraktion das Wort.
({27})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Unsere Fraktion wird heute über den Einsatz
der Bundeswehr vor der libanesischen Küste nicht
einheitlich abstimmen. Wie sollte das in dieser Frage
auch möglich sein? Der Libanoneinsatz ist nicht nur ein
schweres, er ist auch ein außergewöhnliches Mandat. Er
ist ein Mandat, das die Gefühle und das Gewissen aufwühlt. Unabhängig, wie einzelne Kolleginnen und Kollegen gleich abstimmen werden: Einige werden auch
dann noch letzte Zweifel nicht bestreiten wollen.
Die Motive derjenigen, die mit Nein stimmen werden,
sind vielfältig. Manche führen grundsätzliche Bedenken
gegen einen militärischen Einsatz an; für manche kommt
dagegen die ganze Anfrage zu früh; wieder andere befürchten die Einbeziehung in Kämpfe. Einzelnen Abgeordneten sind die Einsatzregeln und das Mandat zu ungenau und damit nicht ausreichend. Dennoch fragen
diese Kolleginnen und Kollegen, ob ihr Nein nicht fehlgedeutet oder gar missbraucht werden könnte; denn es
liegt auf der Hand: Wenn Israel eine deutsche Beteiligung wünscht, dann kann man doch schlecht argumentieren, dies widerspreche dem israelischen Sicherheitsinteresse.
({0})
Andere fragen, ob ein Nein eine wenn auch noch so geringe Hoffnung, aus der Gewaltspirale auszubrechen, behindern könnte, und vor allem: Könnte ein Nein eine
dumpfe Minderheit in unserem Land dazu verleiten, dieses Nein als gegen Israel gerichtet zu sehen?
Aber auch einige derjenigen, die mit Ja stimmen werden, werden letzte Zweifel behalten. Manche werden mit
Rücksicht auf Israel Ja sagen, andere werden Ja sagen,
weil sie die Souveränität und die Autorität des Libanon
stärken wollen, andere werden aus Respekt gegenüber
den Vereinten Nationen zustimmen. Wieder andere wollen vor allem einen brüchigen Waffenstillstand sichern
helfen. Die Zweifel werden dort bestehen, wo viele nicht
ausschließen können, dass dies der Beginn eines langen
militärischen Engagements sein könnte. Andere wissen
um die Gefahr militärischer Auseinandersetzung oder
befürchten Anschläge gegen die Marineverbände. Diese
von vielen gehegten letzten inneren Unsicherheiten sind
meines Erachtens nicht Ausdruck von Unvermögen;
vielmehr bildet diese Zerrissenheit die Komplexität und
die Einmaligkeit der Entscheidung ab. Sie ist mithin angemessen.
Ich hätte mir gewünscht, dass auch die Spitzenvertreter anderer Fraktionen, vor allem jene, die in den vergangenen Tagen und Wochen mit apodiktischer Bestimmtheit Nein gesagt haben oder im Nachhinein alles besser
gewusst haben, ein wenig Selbstzweifel gehabt hätten;
das hätte der Debatte gut getan.
({1})
Noch vor wenigen Monaten hätte ich mir nicht vorstellen können, dass Israel der Stationierung deutscher
Truppen in seiner unmittelbaren Nachbarschaft zustimmen würde. Mehr noch ist eingetreten: Israel hat ausdrücklich um die Beteiligung der Bundeswehr gebeten.
Darüber hinaus ist das Land bereit, seine Sicherheit im
Norden einer durch die UN mandatierten und geführten
Truppe zu überantworten. Beide Vorgänge sind beeindruckend und einmalig.
Deshalb geht es beim UNIFIL-Mandat auch um die
Sicherheit Israels. Die Truppe handelt aber nicht anDr. Rolf Mützenich
stelle Israels. Die Bundeswehr ist Teil einer UN-Friedenstruppe. Sie ist weder Partei noch Schiedsrichter.
UNIFIL handelt im Auftrag der internationalen Gemeinschaft, im Sinne der Sicherheitsratsresolution 1701
und der Einsatzregeln. Die neue UNIFIL kann keinen
Frieden erzwingen. Äußerungen dazu während des Besuchs der israelischen Außenministerin waren missverständlich. Die Truppe kann den Waffenstillstand flankieren und den Waffennachschub an die Hisbollah
behindern. Wenn sie sogar noch den Rahmen für Gespräche zwischen den Konfliktparteien erleichtern könnte,
wäre dies ein gewaltiger Beitrag.
Nur die Konfliktparteien selbst können Frieden
schließen. Wir dagegen können Brücken bauen; wir können zuhören, wir können Botschaften transportieren, wir
können Ideen befördern. Das ist die Aufgabe der Diplomatie und diese hat die Bundesregierung, vor allem der
deutsche Außenminister, in den vergangenen Wochen
wahrgenommen. Der deutsche Außenminister war zur
richtigen Zeit an den richtigen Orten. Wir unterstützen
dies und ermuntern ihn, auf diesem Weg weiterzugehen.
({2})
Guido Westerwelle behauptete in diesem Zusammenhang, dass - Zitat - in der deutschen Außenpolitik das
Militärische eine der ersten Antworten ist, nicht die
letzte. Das ist nicht nur Unfug; das ist Demagogie.
({3}))
Der Außenminister war während des Krieges in Beirut, in Jerusalem, in Ramallah, in Amman, in Kairo und
in Riad. Er hat sich für eine Feuerpause stark gemacht
und versucht, Denkblockaden aufzubrechen. Dies ist
eine zivile Konfliktbearbeitung im freiheitlichen und
demokratischen Sinne. Das hätten Sie unterstützen sollen.
({4})
Dabei will ich Ihnen gar nicht vorhalten, dass Sie die
liberalen Traditionen in der Außenpolitik verlassen haben; denn in der Rückschau hat eine liberale Außenpolitik sowohl Licht- als auch Schattenseiten. Vielmehr
möchte ich Ihnen sagen: In den vergangenen Monaten
haben in erster Linie Sie nochmals unterstrichen, dass
Sie derzeit nicht in der Lage sind, eine kluge deutsche
Außenpolitik zu formulieren, weil Sie in einem innenpolitischen Tunnelblick gefangen sind. Das macht Sie an
dieser Stelle so unglaubwürdig.
({5})
Dass weder der Vorsitzende der FDP noch die Linkspartei Zweifel haben, mussten wir in den vergangenen
Tagen hinnehmen. Ein wohl begründetes, abgewogenes
Nein kann niemand kritisieren. Was ich aber kritisiere,
sind die Selbstgefälligkeit und die Maßlosigkeit.
({6})
Maßlos, liebe Kolleginnen und Kollegen, war der Vorwurf von Oskar Lafontaine, dass diejenigen, die eine militärische Flankierung des Waffenstillstands befürworten, Deutschland für terroristische Anschläge anfälliger
machen. Selbstgefällig sind diejenigen, die ein Nein als
das allein richtige Verhalten beschreiben.
({7})
- Sie dürfen sich nicht mit Beckstein vergleichen. Er ist
nicht im Bundestag; Oskar Lafontaine ist hier im Bundestag und auf ihn antworte ich.
({8})
Ich glaube aber nicht, dass die Linkspartei den
Wunsch der Vereinten Nationen nach Friedenstruppen
für immer ablehnen kann. Schauen Sie nach Italien: Die
italienischen Kommunisten - beide Parteien - haben
einen langen, zum Teil schwierigen Lernprozess durchgemacht. Schauen Sie nach Spanien, wo sich bei der Abstimmung über die Beteiligung an UNIFIL lediglich
zwei Parlamentarier der Stimme enthalten haben. In Sachen Friedenstruppen sind Sie innerhalb der europäischen Linken weitgehend isoliert. Das sollte Ihnen zu
denken geben.
({9})
UN-Friedenstruppen können dann sinnvoll sein, wenn
sie das Töten stoppen, wenn sie den Rahmen für Stabilität bilden und damit den Dialog zwischen den Konfliktparteien erleichtern. Auch die Linkspartei wird sich dieser grundsätzlichen Frage in Zukunft stellen müssen.
Konstruktiver Pazifismus erschöpft sich nicht in Antimilitarismus. Es kann durchaus sein, dass militärische Beiträge in begrenztem Umfang den Aufbau dauerhafter,
friedensfördernder Strukturen und Mentalitäten erleichtern können. Um derartige Strukturen wird es in den
kommenden Monaten gehen.
Deutsche Außenpolitik und somit europäische Außenpolitik muss einen politischen Prozess im Nahen Osten initiieren. Natürlich sind wir allein dazu nicht in der
Lage; aber europäische Staaten sind derzeit die vorrangigen Partner für die Region - ob uns dies passt oder nicht.
Wir werden akzeptiert und gebraucht, und - nicht zu vergessen - wir sind die unmittelbaren Nachbarn. Dabei
geht es um Sofortmaßnahmen sowie um mittel- und
längerfristige Schritte. Wie wir diesen Weg nennen, ist
unerheblich. Es liegen genügend Vorschläge auf dem
Tisch.
Es geht um die Beachtung der legitimen Interessen
der Konfliktparteien, um die Förderung von Kompromissen und um die Bildung von Anreizen. Es geht um
Entspannung in einem Zeitalter neuer Spannungen. Neben dem israelisch-palästinensischen Kernkonflikt
müssen die Beziehungen zwischen Syrien und Libanon
auf der einen Seite und die notwendigen Gespräche dieser Staaten mit Israel unterstützt und begleitet werden.
Es geht auch um den innerlibanesischen und um den innerpalästinensischen Dialog. Gleichzeitig müssen wir
die USA überzeugen, endlich wieder Schritte zu einer
Konfliktregelung mitzugehen und Blockaden zu beenden.
({10})
Vor allem aber geht es um die Erkenntnis, dass die Konflikte im Nahen Osten kein Nullsummenspiel sind. Am
Ende können alle nur gewinnen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({11})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Kollegen Dr. Wolfgang Gerhardt von der FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Beschäftigung mit der Vorlage der Bundesregierung zur
Entsendung deutscher Soldaten, in diesem Fall der Marine, lenkt unseren Blick zum wiederholten Male auf
eine Region, die es mit so vielen Katastrophen und Unverträglichkeiten zu tun hatte: mit autoritären Regimen,
mit schwachen Institutionen, mit Trümmern eigener Politik, aber auch mit Trümmern der Politik anderer
Mächte, die sich dort Verbündete suchten oder sich einzumischen versuchten.
Trotz gemeinsamer arabischer Kultur in der gesamten
Region ist die Fähigkeit zur Zusammenarbeit unterentwickelt. Das spüren wir im Barcelonaprozess, den wir
ja den Ländern des mediterranen Raums bis in den Nahen Osten anbieten. Das hat auch der Vater des jetzigen
Präsidenten Bush gespürt, der nach dem ersten Golfkrieg
mit der Madrider Konferenz den aus meiner Sicht überzeugenden Versuch gemacht hat, ein Stück KSZNO zur
Kontrolle von militärischen Kapazitäten, zu Menschenrechten, zu Fragen der Wasserrechte in diese Region zu
bringen. Die Modernisierungsfähigkeit vieler Eliten und
Gesellschaften ist dort recht dürftig. Manche kulturelle
Authentizität wird von der dortigen Region behauptet,
um nicht über Menschenrechte in den eigenen Gesellschaften ernsthaft reden zu müssen.
Wir reden hier über mehr - deshalb möchte ich jede
Überhöhung vermeiden, möchte sie aber auch nicht gegen meine Argumentation gerichtet sehen - als über den
schmalen Beitrag der Entsendung von Marinesoldaten.
({0})
Zum wiederholten Mal beschäftigen wir uns auch mit
Israel, einem Land, für das wir zu Recht besondere Gefühle hegen.
({1})
Wir wollen, dass seine Bürgerinnen und Bürger in Frieden leben können und ihre Zukunft nicht mehr durch
Anschläge beeinträchtigt wird. Es ist im Übrigen aber
auch unsere Überzeugung, dass das der überwiegende
Wille der Mehrheit des palästinensischen Volkes ist.
Wenn man genau hinhört, kann man feststellen, dass
auch dort der Wunsch nach einer Zweistaatenlösung
und die Bereitschaft zur Akzeptanz einer solchen, die es
ermöglicht, in Frieden nebeneinander leben zu können,
überwiegen.
({2})
Dazu gab es im Übrigen viele Chancen.
In entscheidenden Punkten ist aber immer wieder
nicht genügend Kraft aufgebracht worden, die Chancen
zu ergreifen. Es gab einen sehr mutigen Schritt von
Sadat. Er hat mit seinem Leben dafür bezahlt. Es gab
eine mutige Politik von Yitzhak Rabin. Er hat mit seinem Leben dafür bezahlt. Auch die Chance beim Angebot von Ehud Barak an Jassir Arafat wurde nicht genutzt. Das war aus meiner Sicht ein großer Fehler des
damaligen palästinensischen Führers. Immer wieder haben die Extremen auf beiden Seiten die Mehrheit daran
gehindert, zu einer vernünftigen Lösung zu kommen.
Meine Bewertung ist also, dass die Mehrheit zum Frieden schon willens ist.
({3})
- Lassen Sie mich doch in Ruhe argumentieren. Ich habe
es vorhin schon einmal gesagt: Ich bin gegen jede Überhöhung dieser Diskussion. Da es in Ihren Reihen vielleicht Kolleginnen und Kollegen gibt, die genauso denken wie ich, sollten wir uns das auch ersparen. Es ist
doch niemand im Besitz der ganzen Wahrheit.
({4})
„Zum Frieden oft nicht in der Lage“, so würde eine
Bilanz lauten können. Wir können uns mit dieser Verstrickung von Gewalt und Gegengewalt - in diesem Sinne
bin ich mit dem Zwischenruf einverstanden - nicht mehr
abfinden;
({5})
wir wollen es auch nicht. Deshalb streiten wir hier auch
nicht über das Ob eines Beitrags, sondern über das Wie
eines Beitrags. Darauf möchte ich hinweisen.
({6})
Das Potenzial zur militärischen Konfliktlösung ist
an seinem Ende angekommen. Es war auch nie ein wirksames Instrument; jetzt ist es für jeden offenkundig. Das
Selbstverteidigungsrecht Israels gegen terroristische Anschläge steht außer Frage. Aber in dieser asymmetrischen Auseinandersetzung nutzt militärische ÜberlegenDr. Wolfgang Gerhardt
heit erkennbar wenig. Diese Erkenntnis setzt sich jetzt in
Israel durch. Das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser kann nicht mit Anschlägen, die unschuldigen Zivilisten in Israel unendliches Leid zufügen, in irgendeiner Weise wahrgenommen oder verbessert werden. Auch
das muss gesagt werden.
({7})
Eigentlich wollen das auch alle nicht, äußerte neulich
ein israelischer Staatsbürger in einem eindringlichen
Beitrag und schrieb dann weiter: Wenn auf allen Seiten
aber nur noch über die Rechtmäßigkeit gesprochen wird,
dann bleibt kein Raum mehr für Mitgefühl. - Das ist
aber die Voraussetzung für eine Lösung und die Respektierung der Lebensinteressen anderer.
Es geht um Grenzen. Es geht möglicherweise um
Wasserrechte. Es geht um Transparenz hinsichtlich der
militärischen Arsenale. Es geht um eine Einigung über
die heiligen Stätten und es geht um regionale Vereinbarungen. Aber wenn das ganze Konzept den Menschen
nicht die Aussicht auf ein halbwegs erträgliches Leben
in der Zukunft ermöglicht, dann wird das nicht gelingen.
({8})
Es muss überprüft werden, ob der jetzige Beitrag
Deutschlands, ob die internationale Zusammenarbeit, ob
die Absprachen in der Europäischen Union und ob die
Einflussnahme Amerikas, Russlands und Chinas - bei
der einen Seite geht es die Einflussnahme auf die Sponsoren und bei der anderen Seite um den Einfluss auf die
Politik - ausreichend besprochen worden sind.
Ich wehre mich dagegen, in Deutschland seit Wochen
über Truppenstellerkonferenzen zwar zu diskutieren,
aber nicht ausreichend öffentlich deutlich zu machen,
was denn am Ende die politische Konzeption, für die wir
das alles unternehmen, sein soll.
({9})
Mich persönlich hindert die deutsche Katastrophengeschichte nicht daran, einem militärischen Beitrag zuzustimmen, wenn er erforderlich wäre. Aber wenn ein
militärischer Beitrag erforderlich ist, dann muss er von
dem Primat der Politik begleitet werden, und zwar eindringlicher und klarer, als es bisher geschehen ist.
({10})
Die Fragen, die ich dazu stelle, sind nicht illegitim. Ich
glaube, dass es nicht zu viel verlangt ist, wenn man das
Minimum für einen weiteren politischen Lösungsweg
anspricht.
({11})
Die Befürworter des Einsatzes leben bisher allein von
dem Prinzip Hoffnung. Das ist im politischen und
menschlichen Leben allgemein ein wichtiges Prinzip.
Aber dies allein ist kein Konzept, um in dieser Region
weiterzukommen.
({12})
Deshalb gibt es legitime Fragen zu den Ressourcen des
Mandats, seiner Aufgabengerechtheit und seinen Risiken.
Ich möchte auch beschrieben haben, was das Kriterium des Erfolgs ist.
({13})
Denn wahr ist, dass die Hisbollah im Innern nur in einem langjährigen Verhandlungsprozess entwaffnet werden kann und nicht ausreichend klar ist, ob den Sponsoren außerhalb der Meilenzone und der Patrouillen
wirklich das Handwerk in Bezug auf Waffenlieferungen
gelegt werden kann.
({14})
Wenn man ein Mandat erteilt, dann ist die Frage gerechtfertigt, ob die Krisendiplomatie das Ihre dazu beiträgt, dass die Soldaten das Gefühl haben, dass sie Teil
einer Lösung sind, die Lösung aber nicht allein bei ihnen
liegt. Diese Dimension hat die deutsche und internationale Politik bisher nicht ausreichend zum Ausdruck gebracht.
({15})
Manches an dieser Debatte, die überhöht wurde, hat
mich sehr gestört. Sie verlief so, als wären die einen
mehr im Recht und hätten die höheren moralischen Argumente und die anderen nicht. Heute entscheidet sich
nicht, wer von uns, wenn es hoffentlich zu einem Verhandlungsprozess kommt, historisch Recht hat; das wollen wir einmal dem Ablauf der Zeit überlassen. Heute interessiert, ob man dem Mandat zustimmt.
Ich sage für meine Fraktion, wobei ich auch die Meinung derjenigen Kolleginnen und Kollegen respektiere,
die sich anders als ich entscheiden: Das Mandat ist uns
zu schmal. Die politische Begleitung im Hinblick auf
einen Lösungsansatz reicht uns nicht aus. Wir neigen
nicht dazu, Soldaten einzusetzen, wenn ihr Teilbeitrag
im politischen Lösungsprozess nicht klar ist. Es vergeht
ein Tag nach dem anderen, ohne dass wir dazu Ausreichendes hören.
Herr Gerhardt, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme zum Schluss. - Sie sagen, das alles
komme jetzt. Es wäre zu wünschen, dass es so wäre.
Aber auf sicherem Boden befinden Sie sich nicht. Unser
Argument ist, dass vorher etwas mehr Klärung stattfinden sollte. Wir können diesem Mandat so nicht zustimmen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Das Wort hat jetzt der Kollege Eckart von Klaeden
von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen!
Lieber Herr Kollege Gerhardt, man hat Ihnen anmerken
können - so war mein Eindruck -, wie unwohl Sie sich
in Ihrer Position fühlen, die Sie hier haben vortragen
müssen.
({0})
Sie haben Ausführungen zu einer Nahostfriedenskonferenz gemacht, denen in dieser Allgemeinheit jeder hier
zustimmen kann. Aber die Begründung, warum Sie dem
Mandat, das heute zur Entscheidung ansteht, nicht zustimmen,
({1})
sind Sie schuldig geblieben.
({2})
Jeder, der sich mit dieser Frage sachkundig beschäftigt, weiß, dass dieses Mandat mit Gefahren, Risiken und
Schwierigkeiten verbunden ist. Das liegt daran, dass das
Mandat nicht wie bei anderen Mandaten am Ende eines
Friedensprozesses, zum Beispiel zur Absicherung eines
Friedensvertrages, steht, sondern dass es der Beginn eines politischen Prozesses ist und die Voraussetzung dafür - darüber darf nicht hinweggesehen werden -, dass
dieser Prozess gelingen kann.
({3})
Jeder, der sagt, man könne eine Friedenslösung auch
ohne das UNIFIL-Mandat erreichen, nimmt gleichzeitig
in Kauf, dass die Kampfhandlungen in der Region wieder beginnen.
({4})
Der Weg wird schwierig sein. Die Ursachen für den
Konflikt sind nicht gelöst. Die UN-Resolution 1559, die
unter anderem die Entwaffnung der Milizen, so vor allem der Hisbollah vorsah, ist nicht umgesetzt worden.
Dass die Hisbollah Israel angegriffen hat, ist die Folge
davon. Die Resolution 1680 beinhaltet den Auftrag, dass
die offenen Grenzfragen zwischen Syrien und dem Libanon geklärt werden und Syrien vollständige diplomatische Beziehungen zum Libanon aufnimmt. Diese nicht
gelösten Aufgaben werden die Kontrolle der syrischlibanesischen Grenze erheblich erschweren.
Nichtsdestotrotz brauchen wir einen politischen Prozess, bei dem UNIFIL eine wesentliche Voraussetzung
und ein Bestandteil ist, um diese Fragen zu lösen.
Wir haben als Deutsche eigene und wichtige Interessen daran, dass der politische Prozess in der Region gelingt. Wir haben ein Interesse, das sich aus der historischen Verantwortung ergibt, an dem Existenzrecht
Israels. Das wird nur zu sichern sein, wenn es endlich
einen lebensfähigen palästinensischen Staat gibt. Wir haben auch ein Interesse, das sich aus der Geographie ergibt, weil unsere Verbündeten in der Europäischen
Union und in der NATO unmittelbar an die Krisenregion
grenzen und die Gefahr besteht, dass die Konflikte übergreifen. Wir haben ein Interesse, das sich aus der inneren
Sicherheit unseres Landes ergibt, weil wir immer wieder
erleben müssen, dass Extremisten in unserem Land den
Konflikt zum Anlass nehmen für ihre Aktivitäten bis hin
zu Terroranschlägen. Wir haben letztlich auch ein wirtschaftliches Interesse, weil Konflikte in dieser Region zu
steigenden Energiepreisen führen und es uns erschweren, die Arbeitslosigkeit in unserem Land zu bekämpfen.
Wenn wir aber über die historische Verantwortung
sprechen, würde ich mir von der Linkspartei auch einige
Ausführungen zu der historischen Verantwortung wünschen, die sie als ehemalige Staatspartei der DDR in die
Wiedervereinigung eingebracht hat und die damit zu unserer gesamtdeutschen Verantwortung geworden ist.
Dazu gehört zum Beispiel die Rolle von Abu Nidal, dem
Drahtzieher von Anschlägen in über 20 Ländern, bei denen in den 70er- und 80er-Jahren Hunderte von Menschen ums Leben gekommen sind, und der mit dem
Ministerium für Staatssicherheit kooperiert hat. Zu nennen sind auch die Zusammenarbeit mit RAF-Mitgliedern, ihre Ausbildung in Terrorlagern in Jordanien und
die spätere Unterbringung in der ehemaligen DDR, sowie die Tatsache, dass der Drahtzieher des Attentats in
München 1972, Abu Daoud, der Kommandeur des so
genannten Schwarzen September, nach einem Attentat
1981 in der DDR gesund gepflegt worden ist und dort einen VIP-Status genossen hat. Die Kooperation von arabischen Terroristen und der Staats- und Parteiführung
der DDR hätte von Ihnen durchaus erwähnt werden können; denn dies gehört zur Verantwortung unseres Landes, insbesondere zu der Verantwortung, zu der Sie sich
bekennen müssen.
({5})
Ich merke, dass das bei Ihnen auf Widerspruch stößt.
Deswegen will ich Ihnen ein Zitat von Markus Wolf vorlesen. Er hat auf die Behauptung, die DDR solle Kontakte mit Organisationen gepflegt haben, welche Terrorakte gegen jüdische und israelische Ziele verübt haben,
geantwortet:
Man kann dies nicht ganz von der Hand weisen …
Die Kontakte müssen aber heute so gesehen werden, dass damit faktisch terroristische Aktionen
vom Territorium der DDR aus geduldet wurden …
Es bleibt … Verantwortung und Schuld dafür, etwas
geduldet zu haben, was zu solchen Handlungen
führte.
Ein Wort zu diesem Thema in Ihrer gestrigen Rede, Herr
Gysi, wäre sicherlich angemessen gewesen.
({6})
Man darf nicht von historischer Verantwortung reden,
wenn man die eigene immer ausspart.
({7})
Ich will auch auf die Argumente eingehen, die von
der FDP vorgetragen worden sind. Der Kollege Hoyer
hat gestern gesagt, es sei unklug, sich unnötigerweise
militärisch zu beteiligen und das deutsche politische Vertrauenskapital aufs Spiel zu setzen.
({8})
Wer diese Ansicht vertritt, verkennt, dass die militärische Beteiligung und der politische Prozess untrennbar
miteinander verbunden sind. Das haben bereits die Auseinandersetzung um die Rules of Engagement und die
Luft- und Seeblockade gezeigt. Die Blockade Israels
zur See und zur Luft konnte aufgehoben werden, weil
sich die Bundeskanzlerin dafür eingesetzt hat, konsequent und besonnen, dass das deutsche Mandat robust
ausfällt. Für die Robustheit dieses Mandats hat sie sich
nur deshalb einsetzen können, weil sie vorher die grundsätzliche Bereitschaft zur militärischen Beteiligung erklärt hat. Hätte sie diese Bereitschaft nicht erklärt, hätte
die Luft- und Seeblockade nicht aufgehoben werden
können. Das ist der erste große Erfolg der Bundesregierung und zeigt, wie das UNIFIL-Mandat, eine humanitäre Lösung und der Weg zu einer Friedenslösung zusammenhängen.
({9})
Die Kollegin Homburger hat gestern gesagt, Deutschland habe andere Fähigkeiten als nur das Militär. Das ist
richtig. Ich verstehe aber nicht, warum Sie das sagen,
Frau Homburger. Es ist doch völlig klar, dass wir auch
unsere anderen Fähigkeiten anbieten, humanitäre Hilfe
und die Begleitung des politischen Prozesses. Sie wollen
damit suggerieren, es ginge nur um das Militär. Das ist
eine falsche Darstellung, die die Öffentlichkeit in die
Irre führen soll.
In dieses Horn stößt auch der Kollege Westerwelle. Er
hat in der „Berliner Zeitung“ am 1. August gesagt:
Es war bisher eine klare Haltung aller Regierungen
seit Gründung der Bundesrepublik, dass deutsche
bewaffnete Soldaten im Nahen Osten nichts verloren haben.
({10})
Das ist völliger Unsinn; denn die deutschen Soldaten
gibt es nicht seit Gründung der Bundesrepublik, sondern
erst seit 1955,
({11})
Außerdem hat sich die Frage von Auslandseinsätzen
der Bundeswehr erst nach der Wiedervereinigung, also
Anfang der 90er-Jahre, gestellt.
Sie suggerieren damit eine Tradition, die es überhaupt
nicht gibt.
({12})
Der Kollege Niebel sagte in einem Interview mit der
„Berliner Zeitung“:
Wir müssen Auslandseinsätze von unseren eigenen
politischen Interessen abhängig machen.
Ich frage Sie, Herr Kollege Niebel: In welcher Region
außerhalb Europas haben wir eigentlich mehr eigene Interessen als in dieser Region? Warum stimmen Sie anderen Einsätzen zu, lehnen diesen Einsatz aber ab?
Weiter sagt der Kollege Niebel - Ähnliches sagt der
Kollege Westerwelle -:
Die Bundesregierung tut gut daran, sich an internationalen Friedenseinsätzen zu beteiligen. Aber sie
tut auch gut daran, nicht bei jedem Einsatz dabei zu
sein, gerade nicht bei diesem Einsatz.
Damit suggerieren Sie, wir würden zu den Toptruppenstellern im Rahmen der Vereinten Nationen gehören.
Das Gegenteil ist richtig: Zurzeit gibt es 21 VN-Peacebuilding- und Peacekeeping-Missionen. Deutschland ist
an zehn Missionen beteiligt. Im Verhältnis zur Bevölkerungszahl - das scheint mir der angemessene Maßstab zu
sein - sind die größten Truppensteller die Vereinigten
Staaten, Frankreich, die Niederlande, Ghana, Georgien
und Großbritannien, aber nicht die Bundesrepublik
Deutschland.
({13})
Warum wollen Sie den Eindruck erwecken, wir seien auf
der ganzen Welt militärisch engagiert? Das ist schlichtweg falsch.
Sie setzen sich immer wieder dafür ein, und zwar zu
Recht, dass bei der Lösung internationaler Konflikte ein
multilateraler Ansatz gefunden wird. Sie kritisieren, dass
sich die Vereinigten Staaten - angeblich - nicht ausreichend engagieren. Jetzt haben wir zum ersten Mal in einer wirklichen Krisenregion einen Einsatz mit einem
multilateralen Ansatz, der von der Europäischen Union
geführt wird.
Das Hauptargument der Falken in den Vereinigten
Staaten gegen den Multilateralismus ist, dass er nicht effektiv ist und zu einer Ausrede für das Nichtstun degeneriert ist. Jetzt können wir das Gegenteil beweisen und
zeigen, dass multilaterales Vorgehen effektiv ist. Das
wird man aber nicht schaffen, wenn man sich von vornherein verweigert.
Sie treten für eine Nahostkonferenz ein. Dieses Bestreben wird von uns geteilt. Eine solche Konferenz
kann aber nur dann erfolgreich sein, wenn an ihr Länder
teilnehmen, die den inneren Transformationsprozess hin
zu den Prinzipien des Völkerrechts bereits hinter sich haben.
({14})
- Es geht doch um den Erfolg dieser Konferenz. Sie wollen sich ja nicht nur zusammensetzen und verhandeln.
Sie wollen doch auch, dass diese Konferenz Erfolg hat.
Wer soll denn zum Beispiel hinter dem Schild von Palästina sitzen? Ist es nicht wichtig, dass zunächst einmal in
diesen Staaten ein Prozess befördert wird, der dafür
sorgt, dass das Gewaltmonopol des Staates wieder hergestellt werden kann, dass sich die Regierungen zu den
Prinzipien des Völkerrechts bekennen und diese Prinzipien auch umsetzen können?
({15})
Dann können sie an einer Nahostkonferenz teilnehmen.
({16})
Schließlich geht es auch um die Frage, wie wir insgesamt zur Durchsetzung des Völkerrechts stehen. Die
Kollegin Homburger hat gestern gesagt, es käme im
Grunde nicht darauf an, wer sich beteiligt. Deutschland
müsse sich nicht beteiligen, da ja genug Angebote anderer Länder vorlägen. Dieser Ansatz ist falsch; denn das
Völkerrecht kennt kein Gewaltmonopol im innerstaatlichen Sinne, wo Recht von der Staatsgewalt durchgesetzt
wird. Die Vereinten Nationen müssen sich immer wieder
um die Unterstützung der Staaten zur Durchsetzung des
Völkerrechts bemühen. Deswegen hängt die Autorität
des Rechts ganz wesentlich von denjenigen ab, die bereit
sind, sich für seine Durchsetzung zu engagieren.
Angesichts der enormen Interessen, die wir in dieser
Region haben, muss man doch fragen: Mit welchem Argument sollen wir erwarten, dass andere sich engagieren,
während wir uns nicht beteiligen? Freiheit bedeutet Verantwortung; oder, um es anders zu sagen:
Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du
zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines
Gesetz werde.
({17})
Ich kann nicht feststellen, dass die Welt an den Prinzipien, die von der FDP und der Linkspartei gegen diesen
Einsatz vorgetragen wurden, genesen würde.
({18})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Lothar Bisky von
der Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist gut,
dass im Libanon die Waffen schweigen.
({0})
Es wäre besser gewesen, wenn durch den Einsatz der internationalen Gemeinschaft ein Waffenstillstand nicht
erst nach 33 grausamen Tagen und Nächten erreicht worden wäre. Und um es diplomatisch auszudrücken: Die
Bundesregierung hat hier keine rühmliche Rolle gespielt.
({1})
Die Geiselnahme und die Raketenangriffe durch die Hisbollah waren völkerrechtswidrig und sie sind zu verurteilen. Sie aber zu einem Anlass für einen größer angelegten Luftkrieg und für eine Bodenoffensive gegen den
Libanon zu machen, war ebenso wenig im Einklang mit
dem Völkerrecht.
({2})
Wir alle können nur wünschen, dass aus diesem
furchtbaren Krieg die Schlussfolgerung gezogen wird:
Mit militärischer Stärke und Überlegenheit lassen sich
politische Konflikte nicht dauerhaft lösen.
({3})
Im Gegenteil! Deshalb gilt: Mit der Gewaltspirale im
Nahen Osten muss endlich Schluss gemacht werden.
({4})
Frau Bundskanzlerin, Sie haben in diesem Hohen
Hause vor kurzem gesagt, Ihnen würde zu viel über den
UN-Militäreinsatz und zu wenig über den politischen
Friedensprozess diskutiert. Die Botschaft höre ich wohl
und ich unterstütze sie. Das Handeln der Bundesregierung entspricht dem aber nicht. Bei den Menschen in unserem Lande setzt sich der Eindruck fest: Wenn die Politik Konflikte scheinbar nicht mehr lösen kann, werden
die Truppen in Marsch gesetzt.
({5})
Sie haben Ihre viel geliebten Trippelschritte - zumindest
in der Außenpolitik - sehr rasch aufgegeben. Ob Afghanistan, Kosovo oder Kongo - die Liste der Einsatzgebiete wird immer länger. Und es stimmt leider: Die vorherrschende Politik steckt mehr und mehr Gedanken und
materielle Ressourcen in militärische Konfliktbearbeitung. Das ist nicht der richtige Weg.
({6})
Wir bevorzugen zivile Lösungen. Gerade im Nahen
Osten, in einer Region, in der Gewalt zum Alltag geworden ist, muss die diplomatische, die zivile Lösung der
Konflikte und ihrer Ursachen im Vordergrund stehen.
Leider war die Bundesregierung mit als Erste bereit, Soldaten zu entsenden. Dabei wäre es in diesem Falle gut
verstanden worden, wenn Deutschland gesagt hätte: Wegen unserer besonderen Geschichte werden wir uns im
Nahen Osten engagieren, aber nicht militärisch. Sie versuchen, dieser Besonderheit dadurch Rechnung zu tragen, dass Sie keine Bodentruppen in den Libanon schicken. Wir sagen: Das ändert am Grundproblem gar
nichts. Von einer historischen Mission ist die Rede und
damit falle das letzte Tabu in Sachen deutscher Beteiligung an Militäreinsätzen. Die Tabus sind schon lange
gebrochen und Die Linke will nicht, dass die BundesDr. Lothar Bisky
wehr zu einem Instrument weltweiter und uneingeschränkter Interventionspolitik wird.
({7})
Wir müssen uns für ein Israel einsetzen, in dem man
in gesicherten Grenzen und frei von Gewalt leben kann.
Richtig ist aber auch, dass wir uns rechtzeitig und
gleichzeitig für die legitimen Rechte der Palästinenser
einsetzen müssen. Dieser doppelte kategorische Imperativ folgt aus unserer Geschichte. Darum sollte man die
UN-Resolution 1701 nicht unter der Hand zu einer Entschließung machen, in der es fast nur um die Entwaffnung der Hisbollah geht, wenn der künftige Friede im
Nahen Osten geklärt werden soll.
({8})
Nein, es geht um die dauerhafte Sicherung der territorialen Integrität und Souveränität Libanons. Und da darf
daran erinnert werden, dass ein Teil dieses Landes
18 Jahre lang von Israel besetzt war. Der Antrag der
Bundesregierung ist einseitig zulasten des palästinensischen Volkes formuliert. Sein Recht auf Sicherheit, Frieden und einen eigenständigen Staat ist nicht erwähnt.
Nur wenn wir an den Verpflichtungen insgesamt festhalten - darum geht es mir -, werden wir unserer Verantwortung gerecht.
Damit wird zugleich deutlich, warum deutsche Soldaten in Nahost fehl am Platze sind. Denn wenn wir uns
militärisch exponieren, sind wir Teil des Problems und
gefährden unsere Rolle als Mittlerin zwischen Israel und
der arabischen Welt. Darauf kommt es aber gerade jetzt
an.
({9})
Deshalb begrüße ich, dass der Vorschlag zur Einrichtung einer ständigen Konferenz für Sicherheit und
Zusammenarbeit in Nahost mehr und mehr Anhängerinnen und Anhänger findet. Ich fordere die Bundesregierung auf, sich jetzt nicht nur beharrlich für diese
Idee einzusetzen, sondern sie auch umzusetzen.
Wir haben eine besondere Verpflichtung, mitzuhelfen,
dass die Menschen im Nahen Osten - Juden, Palästinenser, Libanesen, Syrer und die anderen - friedlich und in
Würde zusammenleben können. Die Linke ist dagegen,
diese Verantwortung nur militärisch zu definieren.
({10})
Wir möchten, dass die humanitäre Hilfe und die diplomatische Unterstützung des Friedensprozesses im Mittelpunkt deutscher Außenpolitik in Nahost stehen.
Genau deshalb bitte ich Sie um Ihre Stimme für unseren Entschließungsantrag. Er enthält konkrete Schritte
für eine friedliche Hilfe im Nahen Osten. Wie auch immer Sie zu dem Einsatz der Bundeswehr stehen: Es wäre
gut, wenn Sie unsere Vorschläge wenigstens vorurteilsfrei prüften und in Ihrer Außenpolitik aufgriffen. Auch
heute gilt nämlich der Satz von Marie von EbnerEschenbach:
Frieden kannst du nur haben, wenn du ihn gibst.
Ich bedanke mich.
({11})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Kerstin Müller von
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr verehrter Herr Bisky, Sie sagen:
Es ist gut, dass im Libanon die Waffen schweigen.
Die Frage ist aber: Warum? Sie müssen einfach zur
Kenntnis nehmen, dass es ohne die Resolution 1701 und
ohne den Beschluss der internationalen Gemeinschaft,
Truppen zu entsenden - die Aufstockung von UNIFIL -,
noch heute keinen Waffenstillstand in der Region gäbe,
sondern noch heute dort gekämpft würde.
({0})
Das ignorieren Sie einfach.
Sehr geehrter Herr Gerhardt, Sie können sich hier
noch so winden, weil es inzwischen von allen Seiten
Kritik an Ihrer Position hagelt. Man glaubt der FDP und
vor allen Dingen ihrem Herrn Vorsitzenden nicht, dass
sie wirklich aus Sorge über unser Verhältnis zu Israel
diesem Einsatz nicht zustimmen wollen.
({1})
Ihr Kollege Kinkel, immerhin ehemaliger Außenminister, hat dazu am Wochenende das Nötige gesagt. Er
meinte, nachdem die israelische Regierung und die beteiligten arabischen Regierungen Deutschland um Beteiligung gebeten hätten, habe sich die Lage total verändert.
Natürlich ergibt sich aus der Bitte Israels kein Automatismus. Wir müssen aber zur Kenntnis nehmen, dass
sich das Verhältnis zwischen Deutschland und Israel in
den letzten Jahren verändert hat. Genau das kommt in
der Bitte Israels um Beteiligung zum Ausdruck. Es gehört schon besonders viel Ignoranz dazu, wenn man es
- mit dem Argument, man habe eine besondere Verantwortung - trotzdem ablehnt, dieser Bitte Israels zu entsprechen.
({2})
Wie können Sie sich auf die deutsche Verantwortung
gegenüber Israel berufen, wenn sich sowohl die israelische Regierung als auch die israelische Friedensbewegung - der Wunsch ist breit in der Gesellschaft
verankert - und der Zentralrat der Juden in Deutschland
explizit eine deutsche Beteiligung an UNIFIL wünschen?
({3})
Kerstin Müller ({4})
Nein, mit außenpolitischer Seriosität hat die Entscheidung des größten Teiles Ihrer Fraktion wenig zu tun. Sie
lehnen aus rein innenpolitischen Erwägungen und aus
Populismus diesen Einsatz der Bundeswehr - wie schon
den Einsatz im Kongo - ab.
({5})
Wir alle wissen, dass das anders aussähe, wenn Sie
Regierungsverantwortung hätten. Der Kollege Kinkel
sagte: Ich bin überzeugt, würde die FDP den Außenminister stellen, könnten wir uns ein Nein nicht leisten. So ist es, meine Damen und Herren!
({6})
Herr Gerhardt, die Befürworter des Einsatzes leben
nicht vom Prinzip Hoffnung. Diese Resolution und die
damit verbundene UNIFIL-Aufstockung haben bereits
jetzt - Herr von Klaeden hat es erwähnt - zur Aufhebung
der israelischen See- und Luftblockade sowie zum erstmaligen Einmarsch der libanesischen Armee in den Südlibanon seit 1975 - seit der Bürgerkrieg begonnen hat geführt.
Meine Damen und Herren, es ist ein historischer
Schritt - das möchte ich zu bedenken geben -, dass Israel erstmalig der Internationalisierung eines Grenzkonfliktes zustimmt und eine robuste UN-Truppe an seiner Grenze akzeptiert. Das ist ein bedeutender
Vertrauensbeweis Israels in die internationale Gemeinschaft, der ganz neue Chancen, etwa für die Lösung anderer Konflikte in der Region, eröffnen könnte. Hier
denke ich zum Beispiel an den israelisch-palästinensischen Konflikt. Auch aus diesen Gründen unterstützt
die Mehrheit meiner Fraktion nicht nur den UNIFILEinsatz, sondern auch eine deutsche Beteiligung daran.
({7})
Weil eine Beteiligung Deutschlands von allen Seiten
gewünscht wird, sehen wir Deutschlands Rolle als ehrlicher Makler und Vermittler in der Region nicht gefährdet, sondern eher gestärkt. Dennoch war für uns von Anfang an klar: Aufgrund unserer Geschichte sollte der
deutsche Beitrag möglichst zurückhaltend sein. Vor allem muss ausgeschlossen sein, dass deutsche Soldaten
zwischen die Fronten von Hisbollah und Israelis geraten.
Ich meine, das ist dadurch gewährleistet, dass die Bundeswehr nicht am Boden, sondern „nur“ - das Wort
„nur“ meine ich natürlich in Anführungszeichen - zur
seeseitigen Absicherung zum Einsatz kommt.
Das vorliegende Mandat ist hinreichend robust und
nicht nur symbolischer Art. Deswegen - auch das muss
man ehrlich sagen - ist dieser Einsatz risikoreich. Wie risikoreich der UNIFIL-Einsatz tatsächlich wird, hängt
stark davon ab, ob der politische Prozess zur Stabilisierung des Libanon und der gesamten Region vorankommt. Hier erwarten wir Initiativen der Bundesregierung.
Wir brauchen Fortschritte im innerlibanesischen Dialog, die zu einer Stärkung des libanesischen Staates und
zu einer friedlichen Entwaffnung der Hisbollah führen;
denn international will niemand die Hisbollah mit Gewalt entwaffnen. Wir brauchen neue Initiativen im israelisch-palästinensischen Konflikt. Wir müssen auf Verhandlungslösungen mit dem Ziel einer friedlichen
Koexistenz aller Staaten in der Region hinwirken, auch
im Hinblick auf Syrien. Hier benötigen wir einen Perspektivwechsel. Alles dem Krieg gegen den Terrorismus
unterzuordnen, wie es die aktuelle US-Administration
leider getan hat, das führt wirklich in die Sackgasse.
({8})
Wir brauchen Lösungen auf multilateraler Ebene.
Hier müssen wir das Rad nicht neu erfinden. Vielmehr
sollten wir die Initiativen neu beleben: das Nahost-Quartett, die Roadmap, die saudische Friedensinitiative, die
Genfer Initiative, die Verhandlungen mit Syrien und dem
Iran sowie die Überlegung, eine Nahostkonferenz einzuberufen. Ich sage sehr deutlich: Es ist nicht hinnehmbar,
dass die USA solche multilateral wichtigen Abstimmungsprozesse verschleppen. Ich erinnere an die Blockade im Sicherheitsrat während des Libanonkrieges
und an die Nichteinberufung des Nahost-Quartetts. Das
war fahrlässig. Vielleicht hätten wir schon früher zu einem Waffenstillstand kommen können.
({9})
Hier erwarten wir von der Bundesregierung konsequente Überzeugungsarbeit. Frau Merkel, nutzen Sie
doch in diesem Zusammenhang einmal auf sinnvolle
Weise Ihre viel beschworene Freundschaft mit Herrn
Bush. Überzeugen Sie die USA, dass nur eine Rückkehr
zum Dialog und zu Verhandlungen sowie eine Abkehr
von der Ideologie des Krieges gegen den Terror zu einer
dauerhaft friedlichen Entwicklung in der Region führen
werden.
({10})
Zum Schluss noch ein Wort an Sie, Frau Bundeskanzlerin. Ich habe wirklich Probleme damit, dass Sie die Zustimmung Ihrer Fraktion zum Libanoneinsatz mit der
Ankündigung verbunden haben, unsere Truppen aus
dem Kongo abzuziehen und sich in Darfur erst gar nicht
zu beteiligen.
({11})
Ich finde, das geht nicht. Das hat mit konzeptioneller
und nachhaltiger Außenpolitik nichts zu tun. Im Kongo
müssen wir unsere Entscheidung von der Lage vor Ort
abhängig machen. In Darfur findet ein schleichender
Völkermord statt. Hier geht es darum, ein zweites Ruanda zu verhindern. Das kann man nicht mit einer möglichen Beteiligung am Libanoneinsatz verknüpfen. Deshalb meine ich: Wenn wir gefragt werden, dann können
wir der UNO nicht die kalte Schulter zeigen. Hier erwarKerstin Müller ({12})
ten wir von Ihnen diplomatische Initiativen und eine
Entscheidung, die an der Sache orientiert ist.
Vielen Dank.
({13})
Das Wort hat jetzt die Bundeskanzlerin Dr. Angela
Merkel.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor wenigen Wochen war im Nahen Osten noch Krieg. Jetzt ruhen die Waffen. Hunderttausenden wird es wieder möglich sein, in ihre Heimat zurückzukehren.
In der vergangenen Woche nun hat das Bundeskabinett - vorbehaltlich der Zustimmung des Deutschen
Bundestages - entschieden, dass sich die Bundeswehr
mit einem Marineverband an der UNIFIL-Mission der
Vereinten Nationen beteiligen wird. Ich habe es vor einer
Woche nach dem Kabinettsbeschluss gesagt und ich wiederhole es heute hier im Deutschen Bundestag: Dieser
Einsatz der Bundeswehr im Nahen Osten ist kein Einsatz
wie jeder andere, er ist ein Einsatz von historischer
Dimension. Warum ist dieses Wort nicht zu hoch gegriffen, obwohl es ja nun wahrlich nicht der erste Einsatz
der Bundeswehr außerhalb Deutschlands und Europas
ist? Wir alle wissen, dass sich bereits mit der Zeitenwende des Jahres 1989/1990 und mit der Wiedervereinigung Deutschlands auch Deutschlands Verantwortung in
der Welt verändert hat. Das hat Konsequenzen, eben
auch militärische.
Auch die Gestaltung des Mandats selbst ist nicht der
Grund für die Bewertung „historisch“. Die Bundesregierung hat von Anfang an Wert auf ein ebenso wirksames
wie robustes Mandat gelegt. Deutschland konnte den
Vereinten Nationen zusammen mit den europäischen
Partnern ein solides maritimes Kräftepaket anbieten,
dessen Führung Deutschland übernehmen wird. Die
Bundeswehr ist gewollt, und zwar von Israel und vom
Libanon. Es gilt also neben der Wirksamkeit die Kooperation als zweiter Eckpfeiler dieses Mandates. Das war
für uns die entscheidende Voraussetzung, um einem Einsatz der Bundeswehr in dieser Region zustimmen zu
können, ihn überhaupt in Erwägung zu ziehen und die
Dinge dann auch positiv zu bewerten. Die UNIFIL-Mission hat neben der Überwachung der Waffenruhe unter
anderem die Aufgabe, die libanesische Regierung bei
der Sicherung ihrer Grenzen und gegen illegale Waffenlieferungen zu unterstützen, es geht außerdem um die
Ausbildung der libanesischen Armee. Das Ziel ist, dass
der Libanon seine Aufgaben in Zukunft alleine durchsetzen kann.
({0})
Wir haben darüber hinaus natürlich ein umfassendes
Paket von Maßnahmen zur zivilen Unterstützung des Libanon, vor allem bei der Sicherung der landseitigen
Grenzen, aber auch beim Wiederaufbau, angeboten. Das
Ganze ist ein in sich schlüssiges Paket.
Zu keinem Zeitpunkt ging es nur um militärische Fragen. Es ging vielmehr immer auch darum, die Bedingungen für einen neuen Anlauf des diplomatischen Friedensprozesses überhaupt zu schaffen. Die militärische
Umsetzung der UN-Resolution 1701 ist zwingend notwendig. Doch ohne einen neuen politischen Friedensprozess würde sie letztlich wirkungslos bleiben. Beide
Dinge hängen miteinander zusammen.
({1})
Über diesen Friedensprozess stehe ich, stehen wir mit
dem libanesischen Ministerpräsidenten Siniora in ganz
engem Kontakt. Wir wollen einen stabilen, souveränen
Libanon und wir wollen die libanesische Regierung nach
Kräften unterstützen. Ich freue mich, wenn der libanesische Ministerpräsident nächste Woche Berlin besuchen
wird.
Ebenso stehe ich natürlich mit dem israelischen Ministerpräsidenten Olmert in engstem Kontakt. Dass er
sich in mehreren öffentlichen Aussagen ausdrücklich für
einen Einsatz der Bundeswehr im Nahen Osten ausgesprochen hat, ja dass er darum gebeten hat, kann zwar
nicht das allein relevante Kriterium sein. Aber ein in seiner Bedeutung nicht hoch genug zu bewertendes Zeichen des Vertrauens in Deutschland, in das Land, in
dessen Namen vor 73 Jahren die Vernichtung der Juden
und kurze Zeit später der Zweite Weltkrieg begannen,
das ist Olmerts Bitte allemal. Ein solches Zeichen des
Vertrauens sollten wir sehr ernst nehmen.
Es ist also nicht der Auslandseinsatz der Bundeswehr
als solcher und auch nicht die konkrete Gestaltung des
Mandates, die diesen Einsatz von allen anderen abhebt,
es ist die Region, die diesen Einsatz zu einem besonderen Einsatz, einem Einsatz von historischer Dimension
macht. An kaum einem anderen Ort der Welt wird die
einzigartige Verantwortung Deutschlands, die einzigartige Verantwortung jeder Bundesregierung und des
Deutschen Bundestages für die Lehren aus der deutschen
Vergangenheit, so deutlich wie hier.
({2})
Lassen Sie es mich deshalb sehr persönlich sagen: Ich
respektiere die Entscheidung derer, die, wie die meisten
Kolleginnen und Kollegen der Freien Demokraten, gerade in diesem Zusammenhang dem Einsatz der Bundeswehr im Rahmen der UNIFIL-Mission nicht zustimmen
wollen. Ich sage aber ebenso klar, dass ich gerade wegen
der von Ihnen angeführten Argumente am Ende meines
Entscheidungsprozesses zu genau der gegenteiligen Antwort komme.
({3})
Ich sage ganz deutlich: Ja, wir sind nicht neutral und
wir wollen auch gar nicht neutral sein. Deutschlands Außen- und Sicherheitspolitik seit 1949 war nie neutral.
({4})
Sie war, ist und bleibt wertegebunden. Wertegebundenheit ist das Gegenteil von Neutralität.
({5})
Deshalb engagieren wir uns seit Jahrzehnten in der Europäischen Union. Deshalb engagieren wir uns in der
NATO. Deshalb wollen wir eine starke UNO. Deshalb
engagieren wir uns für eine weltweite Durchsetzung des
internationalen Rechts, für Frieden, für die Wahrung der
Menschenwürde und für Teilhabe. Deutschland ist nicht
neutral. Auch die internationale Staatengemeinschaft ist
nicht neutral. Sie setzt sich für Frieden, Souveränität und
Menschenwürde gerade in dieser Region des Nahen Ostens, einer Region vor den Toren Europas, ein. Dabei
- das ist meine tiefe Überzeugung - muss auch Deutschland einen Teil der Verantwortung übernehmen, und
zwar auch einen militärischen.
Meine Damen und Herren, ein besonderer Einsatz ist
dies natürlich auch, weil sich an kaum einem anderen
Ort unserer Welt die Konflikte so sehr und so dicht ballen wie in dieser Region. Die militärische Umsetzung
der UN-Resolution 1701 kann bei aller Bedeutung der
heutigen Abstimmung deshalb auch nur der Anfang eines langen Weges sein. Natürlich muss die Waffenruhe
in einen neuen Anlauf für einen umfassenden politischen
Friedensprozess übergeleitet werden. Ohne die Waffenruhe könnten wir über einen politischen Friedensprozess
aber überhaupt nicht miteinander reden.
({6})
Natürlich brauchen wir wieder eine aktive Rolle des
Nahost-Quartetts. Die Bundesregierung wird sich dafür
einsetzen. Ich sage das gerade auch mit Blick auf unsere
Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr des Jahres 2007.
In diesem Zusammenhang begrüßen wir die Absicht der
Palästinenser zur Bildung einer Regierung der nationalen Einheit, auch wenn dieser Prozess schwierig ist.
({7})
Auch die wiederholten Signale von palästinensischer
und israelischer Seite, die Friedensgespräche wieder aufzunehmen, werden von uns unterstützt. Natürlich ist es
notwendig, die Zwei-Staaten-Lösung zu erreichen, um
sowohl das Existenzrecht Israels zu garantieren als auch
den Menschen in den palästinensischen Autonomiegebieten eine vernünftige Zukunft zu geben, und natürlich
müssen die Grenzfragen zwischen Israel, dem Libanon
und Syrien geklärt werden. Genau deshalb versuchen
wir auch, Syrien aus seiner internationalen Isolation herauszuholen.
Meine Damen und Herren, der Katalog der Aufgaben
im Hinblick auf das Gesamtbild der Region ist beinahe
erdrückend groß, aber es gibt keine vernünftige Alternative dazu, diese Aufgaben anzugehen und zu versuchen,
sie zu lösen. Gerade deshalb, weil Europa hier eine zusätzliche Verantwortung übernimmt, sage ich auch ganz
klar und unmissverständlich: Zu keiner Stunde darf Europa denken, es könne dies alles alleine schaffen. Bei
aller gewachsenen Bedeutung Europas: Ohne die USA
geht in der Region wenig bis manchmal auch gar nichts.
Im Rahmen unserer Möglichkeiten werde ich deshalb
auch ganz persönlich alles daransetzen, die Vereinigten
Staaten von Amerika zu ermuntern, sich wieder stärker
für die Belebung dieses Friedensprozesses einzusetzen;
({8})
denn jetzt ist die Stunde da: Das Fenster der Gelegenheit
ist geöffnet. Die Menschen in Israel, im Libanon, in Palästina und in den angrenzenden Ländern haben einen
Anspruch auf Frieden und Teilhabe. Die UNO, die EU,
die USA, Russland - das Quartett -: Wir alle müssen die
Gunst der Stunde nutzen.
Meine Damen und Herren, Deutschland hat nach
1945 erfahren: Nicht alleine, sondern nur in der Gemeinschaft mit anderen kann man den eigenen Interessen am
besten dienen. Europa als Friedens- und Wertegemeinschaft war die bahnbrechende Idee des letzten Jahrhunderts nach unendlich viel Leid und Krieg. Der Impuls
dieser Idee leitet uns auch heute bei allen außen- und sicherheitspolitischen Entscheidungen. Deutschlands Sicherheit hängt auch von der Sicherheit in anderen Regionen ab.
({9})
Der Nahostkonflikt spielt sich nun einmal in der unmittelbaren Nachbarschaft Europas ab. Durch die Auseinandersetzungen in dieser Region gewinnt der globale
islamistische Terror, der uns seit Jahren bedroht, einen
Teil - nicht mehr und nicht weniger - seiner Rechtfertigung. Ein politischer Fortschritt in Nahost ist daher auch
ein wichtiger Schritt, dem islamistischen Terror einen
Teil seiner Grundlage zu entziehen.
Die Bundesregierung hat die Bedingungen sorgfältig
analysiert und geprüft, unter denen ein deutsches Engagement sinnvoll und vertretbar ist. Das Mandat ist robust. Wirksamkeit und Kooperation sind seine Eckpfeiler. Es hilft den Menschen in der Region. Es dient
deutschen Interessen. Ich bitte Sie deshalb um eine
breite Zustimmung zu diesem Mandat.
Herzlichen Dank.
({10})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Guido Westerwelle
von der FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Bundeskanzlerin, Ihre Einschätzung - die Sie
ganz am Anfang geäußert haben -, die heutige Entscheidung sei historisch, teilen wir ausdrücklich. Wir bedanken uns ebenfalls ausdrücklich für die Art und Weise,
wie Sie Ihre Haltung, die nicht meine Haltung ist, hier in
diesem Hause wohltuend begründet haben.
({0})
Wir entscheiden heute nicht über die UNResolution 1701, wir entscheiden auch nicht über einen
gewünschten Waffenstillstand, sondern wir entscheiden
über die deutsche Teilnahme von bewaffneten Soldaten
der Bundeswehr an UNIFIL. Wir müssen also abwägen,
ob die Vorteile oder die Nachteile einer deutschen bewaffneten Teilnahme überwiegen. Es ist nicht ehrenrührig, Zweifel an der Richtigkeit dieses Einsatzes zu haben.
({1})
Wir haben in unserer Fraktion die Argumente abgewogen. Wir haben es uns gewiss nicht leichter gemacht
als die Fraktionen des Hohen Hauses, die diesem Einsatz
heute mehrheitlich zustimmen werden. Unsere besondere deutsche Verantwortung für Israel, die sich aus dem
größten Verbrechen der deutschen Geschichte ergibt, ist
in diesem Hause unbestritten.
Für mich ganz persönlich ist es eine Konsequenz aus
der Geschichte, dass wir gegenüber Israel nicht neutral
sind. Neutralität ist mehr als Wertegebundenheit. Wir
sind und dürfen nicht neutral sein und wir wollen gegenüber Israel auch nicht neutral sein. Genau diese Neutralität, eben im Konfliktfalle nicht Partei zu ergreifen, wird
von deutschen Soldaten verlangt, wenn sie als Teil der
Vereinten Nationen an diesem Einsatz teilnehmen.
({2})
Walter Scheel, Hans-Dietrich Genscher und Otto Graf
Lambsdorff haben im August einen gemeinsamen Brief
an die Bundeskanzlerin geschrieben, in dem sie ihre Ablehnung des Einsatzes begründen und aus dem ich hier
zitieren möchte:
Für uns
- so schreiben die drei ist das Bekenntnis zum Existenzrecht Israels und
seiner Sicherheit konstitutiv für die deutsche Außenpolitik. Das entspricht der historischen und moralischen Verantwortung unseres Volkes. Dieser Verantwortung entspricht es aber auch, dass wir
deutsche Soldaten vor Konfliktsituationen mit israelischen Soldaten oder auch Zivilpersonen bewahren.
({3})
Mir - auch das gehört zum innerpolitischen Streit dazu können Sie vorhalten, diese Haltung sei innenpolitisch
motiviert. Mir können Sie auch vorhalten, ich säße nicht
in der Regierung. Aber diesen dreien sollten Sie ihre außenpolitische Klugheit nicht absprechen.
({4})
Kann diese Konfrontation - und sei es durch ein Versehen - zwischen deutschen und israelischen Soldaten
wirklich ausgeschlossen werden? Wir sollten uns nicht
in Gewissheit wiegen, weil es um einen See- statt um einen Landeinsatz geht. Wenn andere Kollegen aus diesem
Hohen Hause - übrigens ausdrücklich auch aus meiner
Fraktion - aus der deutschen Geschichte gegenteilige
Schlüsse ziehen, so respektiere ich diese Haltung. Genauso wie ich anderen honorige Motive für ihre Entscheidung zugunsten dieses Einsatzes nicht abspreche,
so erwarte ich, dass honorige Motive auch denen nicht
abgesprochen werden, die sich gegen diesen Einsatz
wenden.
({5})
In der öffentlichen Debatte konnte man gelegentlich
den Eindruck gewinnen, die Marine habe den Auftrag,
vor der Küste des Libanon allein durch Präsenz den Waffenstillstand zu sichern. Wir alle wissen, dass das nicht
stimmt, und doch ist das Wort „Kampfeinsatz“ mittlerweile wieder gänzlich aus dem Sprachgebrauch der Bundesregierung gestrichen worden.
Was darf die Marine und was darf sie im Einsatz
nicht? Sie darf im Verdachtsfall - etwa von Waffenschmuggel - Schiffe umleiten. Aber wer entwaffnet die
Hisbollah und ihre Helfer?
({6})
Wir sollen den Waffenschmuggel aufspüren, aber die
Waffen nicht konfiszieren. Die Marine darf nicht beschlagnahmen, was sie finden soll. Unsere Soldaten sollen Waffennachschub für die Hisbollah unterbinden.
Übergeben wir dann, wenn er dennoch geschieht, den
Fall an die libanesischen Autoritäten, die dann die Hisbollah entwaffnen werden? Ich hoffe, dass so viel Gutgläubigkeit der Realität standhält.
Die Entwaffnung der Hisbollah soll ausdrücklich
nicht durch die Vereinten Nationen, sondern durch die
Regierung des Libanon bewerkstelligt werden. Mein Zutrauen ist nicht sehr ausgeprägt, dass eine libanesische
Zentralregierung, die seit Jahren die Entwaffnung der
Hisbollah leisten soll, dies aber nicht tut, jetzt diese Aufgabe bewerkstelligt.
({7})
Mein Zutrauen ist auch nicht sehr ausgeprägt, dass
eine libanesische Regierung, in der Minister der Hisbollah sitzen, hinreichend entschieden die Entwaffnung
ebendieser Hisbollah bewirkt. Wenn es der Libanon
dann doch nicht macht und die Vereinten Nationen es
nicht machen sollen, ist es dann wirklich ausgeschlossen, dass Israel es doch in die eigenen Hände nimmt? Einen solchen Bruch des Waffenstillstands müssten die
Vereinten Nationen und damit auch die deutschen Soldaten unterbinden. Wenn Israel eine Operation zur
Befreiung seiner verschleppten Soldaten über den Seeweg durchführt, müssen wir das unterbinden? Dürfen
wir das unterbinden? Wichtiger noch: Wollen wir das
unterbinden?
Israel ist so groß wie Hessen. Vom Golan bis zum
Mittelmeer ist es kaum weiter als von Pankow bis nach
Potsdam. Als ich mit Mitte zwanzig als junger Student
das allererste Mal auf den Golanhöhen stand, habe ich
verstanden, wie nahe die Konfliktparteien einander gegenüberstehen. Kann man dort Zusammenstöße wirklich
ausschließen?
({8})
Deutschland kann helfen und Deutschland soll helfen.
Wir können beim Wiederaufbau und bei der Infrastruktur helfen. Wir können politisch helfen und wir können
ehrliche Makler im Nahostkonflikt sein. Sie wissen, Herr
Außenminister, dass wir Ihnen dafür auch Respekt zollen.
Es ist richtig, dass nach einigem Hin und Her die libanesische und die israelische Regierung auch um unsere
Soldaten gebeten haben; ich fürchte aber, aus völlig unterschiedlichen und sich womöglich auch ausschließenden Gründen. Israel erwartet nämlich zu Recht, dass wir
im Zweifel Partei sind. Der Libanon erwartet Neutralität
der Vereinten Nationen und möglichst wenig Beeinträchtigung der eigenen Souveränität.
Der Bundesaußenminister hat gestern gesagt, vor
zehn Jahren wäre ein bewaffneter deutscher Einsatz im
Nahostkonflikt undenkbar gewesen. Ich meine, noch vor
einem Jahr wäre ein solcher Einsatz undenkbar gewesen.
Der Deutsche Bundestag beschließt heute mit großer
Mehrheit, die Haltung zu ändern, die Staatsräson für alle
Vorgängerregierungen war. Das respektieren wir als
Minderheit. Aber wir erwarten den gleichen Respekt für
diejenigen, die bei dem bleiben wollen, was bisher überparteilich unstrittig für Deutschland galt.
({9})
Wenn sich aber die Mehrheit heute für den Einsatz
entscheidet, dann muss sie auch der Bundeswehr die finanziellen Mittel dafür zur Verfügung stellen.
({10})
Weil sich die Mehrheit heute so entscheidet, füge ich
als jemand, der heute zur Minderheit zählt, hinzu: Das
ganze Parlament steht bei diesem schwierigen Einsatz
hinter unseren Soldatinnen und Soldaten, ausdrücklich
auch wir, die wir in der Minderheit sind.
Vielen Dank.
({11})
Das Wort hat jetzt der Kollege Gert Weisskirchen von
der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wenn man die gestrige und heutige Debatte richtig
verfolgt hat, dann, glaube ich, kann man feststellen, dass
es in diesem Hause einen Konsens gibt. Er besteht darin,
dass es, wenn der Weltsicherheitsrat eine Entscheidung
trifft - hier gibt es möglicherweise noch einen Unterschied zu Ihnen, die Sie in der Minderheit sind; aber alle
anderen sind davon überzeugt -, unsere Aufgabe als
Deutscher Bundestag ist, zu prüfen, ob wir die Umsetzung der Resolution 1701, die der Weltsicherheitsrat
nach reiflicher Überlegung beschlossen hat - es war ein
schwieriger Kompromiss -, unterstützen sollen. Die entscheidende Frage ist, wie wir das unterstützen sollen.
Herr Kollege Westerwelle, wer will, dass das internationale Recht, das Völkerrecht - ich dachte bislang,
dass auch die Liberalen das im Grunde wollen - durchgesetzt wird - wenn es sein muss, mit höchst begrenzten
militärischen Instrumenten und Mitteln -, der muss die
Kraft aufbringen, das politisch durchzusetzen und mitzuhelfen, dass die schwache Hoffnung gestärkt wird, die
darin besteht, dass die Resolution 1701 zu einem Erfolg
führt, in einen neuen Friedensprozess in dieser Region
mündet und einen Weg eröffnet, auf dem der Nahe Osten, diese schwierige, geschundene Region, eine Chance
hat, inneren Frieden zu finden. Darum geht es. Wir sind
der Auffassung, dass die höchst begrenzten militärischen
Instrumente dazu dienen, Frieden herzustellen.
Lieber Kollege Westerwelle, ich bitte Sie herzlich darum, noch einmal genau darüber nachzudenken, ob für
Sie, der Sie argumentieren, es gehe darum, Vertrauenskapital nicht zu verspielen, das Wort Vertrauen nicht ein
Ersatzwort ist, mit dem Sie rechtfertigen, dass Sie sich
der Verantwortung an einem Punkt entziehen, an dem es
notwendig ist, Verantwortung zu übernehmen. Das ist
meine Sorge. Ich hoffe sehr, dass die Kolleginnen und
Kollegen im Deutschen Bundestag die historische Verantwortung, von der Sie gesprochen haben, ernst nehmen und mithelfen, dass diese Region in einen Prozess
geführt wird, in dessen weiteren Verlauf drei Ziele verfolgt und, wenn es geht, auch erreicht werden.
Erstens. Die Anerkennung des Existenzrechts des
jüdischen Staats Israel war die Grundkonstante der
Kanzler Adenauer, Kiesinger, Brandt und Schröder. Das
gilt auch für Frau Merkel. Diese Grundkonstante bleibt
bestehen. Sie darf nie und in keiner Weise beschädigt
werden. Das bedeutet, dass wir dann, wenn Israel dies
wünscht, die Resolution 1701 durch das begrenzte militärische Instrument, das wir einsetzen, mit unterstützen.
Zweitens müssen wir den Libanon stärken. Kollege
Westerwelle, Sie haben darauf hingewiesen, wie fragil
dieser Staat ist, diese Konstruktion, dieses Konglomerat
von Gruppen, von Clans, die untereinander zerstritten
sind. Aber wenn der Libanon den Einsatz von UNIFIL
zur Stärkung der eigenen Souveränität wünscht, können
wir uns dem dann wirklich entziehen und dabei - ich
sage es noch einmal - das Wort Vertrauenskapital vorschieben? Erwecken wir damit nicht den Eindruck, wir
wollten uns genau wegen dieses Wortes an der VerantGert Weisskirchen ({0})
wortung vorbeischlängeln, wenn es darum geht, die Souveränität Libanons zu stärken?
Drittens. Morgen trifft sich das Quartett am Rande der
Generalversammlung der UN. Was hat das Quartett auf
der Agenda? Auf der Agenda steht das Gespräch, das
gestern zwischen Präsident Abbas und der Außenministerin Livni stattgefunden hat. Worüber haben diese beiden gesprochen? Sie haben genau darüber gesprochen,
worum es jetzt geht, nämlich darüber, dem Prozess der
Verständigung zwischen Palästina und Israel eine
neue Qualität zu geben. Ist es denn nicht schon ein Erfolg, dass es eine Waffenruhe gibt? Ist es denn nicht
schon ein Erfolg, dass sich die Kontrahenten darum bemühen, einen neuen Verständigungsprozess in die Wege
zu leiten? Schon allein das ist ein Erfolg dessen, was die
Bundesregierung gemacht hat.
Auch deswegen glaube ich, dass der Begriff des Vertrauenskapitals oder der Neutralität in dem Sinne gemeint ist, wie es die Frau Bundeskanzlerin hier ganz
richtig interpretiert hat. Vertrauen und Neutralität bedeuten in diesem Zusammenhang ganz klar und eindeutig:
Das Mandat muss gestärkt werden und die Bundeswehr
ist dazu da, das Vertrauen, das die Konfliktparteien in
uns setzen, eingebettet in einen politischen Prozess mit
einem begrenzten Mandat zu beantworten.
Lieber Kollege Westerwelle, manchmal muss etwas,
was in der Vergangenheit richtig war, in der Gegenwart
überprüft werden. Willy Brandt hat das sehr klar in seinem letzten Brief gesagt, den er übrigens für das Treffen
der Sozialistischen Internationale in diesem Reichstag an
die Delegierten gesandt hat.
({1})
Für ihn war das immer klar. Er sagt in seinen Erinnerungen: Zivilcourage hat nur dann einen Zweck und einen
Sinn, wenn sie dazu führt, dass Freiheit durchgesetzt und
gesichert wird. Das ist die Aufgabe, die wir haben: den
Menschen in dieser geschundenen Region eine Chance
zu geben, ihr eigenes Leben selbst zu gestalten, Freiheitswege zu öffnen, in der Region die Chance zu eröffnen, dass die Konfliktparteien aufeinander zugehen und
daran wieder anknüpfen, was 1991 mit der Madrider
Konferenz auf dem Weg hin zum Osloprozess begonnen
hatte. Das wird schwierig. Lieber Kollege Botschafter
Israels, das wird ein ganz schwieriger und steiniger Weg.
Deutschland fühlt sich auf diesem Weg den Partnern
verpflichtet, die bereit sind, konstruktiv aufeinander zuzugehen und auf Gewalt zu verzichten. Das heißt, dass
Hamas gegenüber Abbas deutlich machen muss, dass sie
Israel nicht nur anerkennen will, sondern auch - ich
hoffe, dass das in diesem Prozess möglich ist - auf den
Einsatz von Gewalt verzichten will, damit der jüdische
Staat Israel ein Ausgangspunkt für eine Region des Friedens und der Sicherheit wird, in der alle, die in dieser
Region leben, eine Chance haben, Freiheit für sich selbst
zu erobern und dafür zu arbeiten, dass Frieden in dieser
Region eine Chance hat.
({2})
Das Wort hat der Kollege Oskar Lafontaine von der
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte noch einmal die Gründe vortragen, warum meine Fraktion den Antrag der Bundesregierung ablehnt. Ich beginne mit einem Satz der Bundeskanzlerin,
der im Grunde genommen schon deutlich macht, warum
wir diesen Antrag ablehnen müssen. Die Bundeskanzlerin sagte nämlich - dieser Satz war typisch -: „Im Nahen
Osten ruhen die Waffen.“
({0})
Wie kann man sagen, im Nahen Osten ruhen die Waffen?
Dies zeigt, dass die Herangehensweise an die Frage, die
wir heute zu stellen haben, dadurch gekennzeichnet ist,
dass man relevante Daten ausblendet, nicht zur Kenntnis
nehmen will und daher schlicht und einfach zu völlig falschen Ergebnissen kommt.
({1})
Ich sage, meine Damen und Herren: Im Nahen Osten ruhen die Waffen nicht.
Der Redner der SPD setzte sich mit dem Argument
auseinander, ob das militärische Engagement im Nahen
Osten die Terroranschlagsgefahr in Deutschland erhöhe. Er warf mir vor, ich hätte dies hier behauptet.
Auch dies ist kennzeichnend für Ihre Vorgehensweise.
Ich sagte in meinem Beitrag in der Haushaltsdebatte:
Wenn der Innenminister Bayerns feststellt, dass unsere Beteiligung am Libanonkrieg die Terroranschlagsgefahr in Deutschland erhöht, dann ist es
nicht zulässig, dass Sie einen solch gravierenden
Vorwurf einfach übergehen …
Ich sagte weiterhin:
Sie werden nicht überrascht sein, dass in den letzten
Jahren auch aus den Sicherheitsdiensten immer
wieder angemahnt worden ist, dass unser militärisches Engagement am Hindukusch und sonst wo
nicht dazu geeignet ist, die Terroranschlagsgefahr
in Deutschland zu mindern, sondern dass es vielmehr
so ist, dass durch dieses militärische Engagement
die Gefahr, dass terroristische Anschläge auch hier
in Deutschland unternommen werden, immer weiter steigt.
Es ist kennzeichnend für Ihre Debatte, dass Sie nicht
in der Lage sind, sich mit Argumenten aus den eigenen
Reihen auseinander zu setzen, und dass Sie meinen, Sie
könnten ohne weiteres die Argumente der dafür zuständigen Dienste der Bundesrepublik Deutschland übergehen. Man kann zu dem Ergebnis kommen, dass man, obwohl eine solche Analyse richtig ist, militärisch so
entscheiden muss. Es ist aber gegenüber unserer Bevölkerung unredlich, dieses gravierende Argument einfach
zu übergehen.
({2})
Deshalb wiederhole ich, dass ich mich hier nicht nur auf
Herrn Beckstein oder auf die Sicherheitsdienste in
Deutschland stützen möchte, sondern dass es auch meine
Auffassung ist - dies sage ich jetzt in dieser Debatte -,
dass dieses Engagement die Anschlagsgefahr in
Deutschland erhöht.
({3})
Die Bundeskanzlerin und andere haben darauf hingewiesen, dass wir in dieser Frage nicht neutral seien. Es
hörte sich so an, als sei dies gerade eine Begründung für
unsere Entscheidung. Ich habe mit dieser Aussage erhebliche Probleme, denn sie ist dazu geeignet, dass wir
falsche Entscheidungen treffen. Ich bin vielmehr der
Auffassung, dass wir neutral sein müssen, und zwar
wenn es um die Wertegebundenheit geht, die Sie hier angesprochen haben. Um die Tragweite dessen deutlich zu
machen, will ich hier den Führer der christlichen Opposition im Libanon, General Aoun, zitieren - ich zitiere
nicht wörtlich; das war in der „Frankfurter Allgemeinen
Zeitung“ nachzulesen -, der sagte: Wir verstehen nicht,
dass die Vereinten Nationen die Entführung von zwei israelischen Soldaten als terroristischen Akt verurteilen,
während sie das Bombardieren unseres ganzen Landes,
wobei über 1 000 Zivilisten umgekommen sind, nicht als
terroristischen Akt verurteilen.
({4})
Die Kritik des Führers der christlichen Opposition an
der Entscheidung der Vereinten Nationen ist für jeden,
der in der Wertegebundenheit zum Beispiel zu dem Ergebnis kommt, dass jedes menschliche Leben einen Wert
an sich darstellt und dass man die Kampfhandlungen der
einen Seite nicht mit den Kampfhandlungen der anderen
Seite rechtfertigen kann, völlig gerechtfertigt. Ich bin der
Meinung, dass dieser Hinweis des Führers der christlichen Opposition aufgegriffen werden muss.
Ich möchte das noch deutlicher machen, indem ich
Alfred Grosser, einen französisch-deutschen Intellektuellen, zitiere, der kürzlich sagte: Wir werden auf die
Art und Weise, wie wir bisher Politik betreiben, im Nahen Osten nicht weiterkommen, weil diese Politik zu einer Demütigung der arabischen Welt führt.
({5})
Das ist nach wie vor der Fall. Sie sind stolz darauf,
dass Sie nicht neutral sind. Sie wollen dazu beitragen,
dass keine Waffen an die Hisbollah geliefert werden,
während Sie gleichzeitig Waffen an Israel liefern. Das
mag aus Ihrer Sicht begründet sein, aber Sie müssen
nach dem klassischen Grundsatz „Audiatur semper et
altera pars“ - man bedenke auch immer die Argumentation der anderen Seite - verfahren. Dann kommen Sie zu
dem Ergebnis, dass aus Sicht der arabischen Welt eine
solche Vorgehensweise nicht akzeptabel ist und als Demütigung empfunden wird.
({6})
Ich bitte Sie, über den Rat von Alfred Grosser nachzudenken.
Wir lehnen diesen Einsatz auch deshalb ab, weil Sie
sich nach wie vor konstant weigern, zu sagen, was Sie
unter Terrorismus verstehen. Der Kollege Struck - ich
sehe ihn im Moment nicht - erregte sich in der Haushaltsdebatte darüber, dass ich ihn aufgefordert habe
- übrigens auch die Kanzlerin -, endlich zu sagen, was
man unter Terrorismus verstehe. Er verwandte in diesem
Zusammenhang das Wort „beschämend“; der Außenminister sprach von „unerträglich“. Ich will jetzt nicht
sagen, ob es in meinen Augen beschämend oder unerträglich ist, dass die Regierung und die Mehrheit des
Parlaments nicht in der Lage sind, zu sagen, was sie unter Terrorismus verstehen. Nur so viel: Solange man das
nicht kann, ist man nicht in der Lage, irgendwie rational
gegen den Terrorismus auf dieser Welt vorzugehen. Das
ist völlig ausgeschlossen.
({7})
Der Kollege Weisskirchen hat an das Völkerrecht erinnert. Natürlich müssen wir das Völkerrecht beachten.
Dafür hatte ich plädiert. Das Völkerrecht kann man auf
der Welt aber nur durchsetzen, wenn man es selbst
beachtet. Deshalb möchte ich hier den Satz „Im Nahen
Osten ruhen die Waffen“ aufgreifen und daran erinnern,
dass wir nach wie vor am Irakkrieg beteiligt sind, der
nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts
völkerrechtswidrig ist.
({8})
Es hat keinen Sinn, das - wie andere Feststellungen
auch - einfach auszuklammern und zu übergehen, weil
es einem nicht passt. Dieser Krieg ist völkerrechtswidrig
und wir sind an ihm durch die Gewährung der Nutzung
von Flugplätzen sowie die Gewährung von Überflugrechten und sonstigen Hilfen an eine der Krieg führenden Parteien beteiligt. Das Bundesverwaltungsgericht
hat Recht. Die Mehrheit dieses Hauses ist völlig im Unrecht, wenn sie ein solches gravierendes Argument übergeht.
({9})
Letzter Punkt zu dem Satz, im Nahen Osten schweigen die Waffen.
({10})
Es gibt einen untrennbaren Zusammenhang zwischen
den Auseinandersetzungen im Libanon und den Bedrohungen, denen der Iran sich durch die ständige Diskussion in den Vereinigten Staaten ausgesetzt sieht.
({11})
- Sie nehmen das wohl gar nicht mehr wahr. - Der Iran
sieht sich einer Bedrohung ausgesetzt, weil im Pentagon
Pläne gehandelt werden - sie werden in Amerika veröffentlicht -, den Iran mit Nuklearwaffen anzugreifen.
Dazu haben mehr als 100 Physiker, darunter fünf NobelOskar Lafontaine
preisträger, in einem offenen Brief Stellung genommen.
Sie haben geschrieben, das sei äußerst unverantwortlich.
Sie warnen vor den verhängnisvollen Konsequenzen für
die Sicherheit der Vereinigten Staaten und der gesamten
Welt, wenn solche Pläne erörtert werden.
Man kann doch das alles nicht einfach übergehen.
Deshalb sagte ich eben, Frau Bundeskanzlerin: Ihr Satz
„Im Nahen Osten ruhen die Waffen“ ist typisch für die
Art und Weise, in der diese Entscheidung vorbereitet
worden ist. Die Tatsache, dass Sie sich weigern, die Begriffe zu klären, wird eines Tages dazu führen, dass wir
solche Entscheidungen bereuen.
Herr Kollege Lafontaine, kommen Sie bitte zum
Schluss.
Ich komme zum Schluss.
In einer der ersten Führungsvorschriften des damals
noch jungen Heeres Bundeswehr stand als Geleit zum
Kapitel „Führung“ das Dichterwort: „Nur wer klare Begriffe hat, kann befehlen.“ Über dieses Wort sollten Sie
einmal nachdenken.
({0})
Das Wort hat jetzt der Kollege Jürgen Trittin vom
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen
Sie mich es verdeutlichen: Wir reden hier nicht über eine
Teilnahme am Irakkrieg. Wir reden darüber, ob sich
Deutschland an einem kriegsbeendenden UN-Einsatz
beteiligt, über nichts anderes.
({0})
Lieber Kollege Bisky - ich gehe bewusst auf Sie
ein -, wir sind in einem Punkt einer Meinung. Deshalb
brauchen wir nicht zur Rabulistik zu greifen und darüber
zu streiten, ob der Libanon Teil des Nahen Ostens ist
oder nicht. Wir sind uns einig, dass dieser Krieg zwischen Israel und Libanon zu lange gedauert hat. Ich habe
oft die Frage gestellt: Was wäre eigentlich passiert, wenn
man sich schon am 16. Juli beim Gipfel der G 8 den Vorschlag eines sofortigen Waffenstillstandes von Kofi
Annan zu Eigen gemacht hätte? Es würden mehr Menschen leben.
({1})
Wenn man es für richtig hält, dies an dieser Stelle zu erwähnen, dann müsste man, um der Wahrheit Genüge zu
tun, auch erwähnen, warum dieser Krieg in einen Waffenstillstand überführt werden konnte. Nämlich deshalb,
weil 18 Nationen gesagt haben: Wir sind bereit, diesen
fragilen Waffenstillstand mit eigenen Soldaten abzusichern. Das war der Grund, weswegen es jetzt einen Waffenstillstand im Libanon und im Konflikt zwischen Libanon und Israel gibt.
({2})
Darum geht es im Kern auch beim Mandat der Vereinten Nationen. Da mag man Fragen haben und da
mag es Unzulänglichkeiten geben. Das stimmt. Jeder,
der sich mit diesem Prozess beschäftigt, weiß, welche
Probleme in diesem Mandat und den Einsatzregeln, die
wir alle studiert haben, stecken. Es muss aber doch auch
die Frage erlaubt sein: Hätte man warten sollen, bis es
ein perfektes Mandat gegeben hätte? Man hätte nicht
warten dürfen, weil das die Verlängerung des Krieges
bedeutet hätte. Deswegen ist das Mandat richtig, das zu
diesem Zeitpunkt gekommen ist.
({3})
Sie, Herr Westerwelle, haben hier gesagt, Sie wollten
nicht das UN-Mandat, sondern die deutsche Beteiligung diskutieren. Die Argumente aber, die Sie gebracht
haben, sowohl in Ihrer Stellungnahme nach Unterrichtung durch die Bundeskanzlerin als auch in den drei Kolumnen der „Bild“-Zeitung, bewegten sich alle auf dieser Ebene, auf der Sie sich auch bei Ihrer Rede hier
bewegten, nämlich: Was passiert, wenn die Konfliktparteien, übrigens unter Einschluss Syriens, unter Einschluss Libanons, unter Einschluss Israels, ihre Verpflichtungen, die sie mit ihrer Zustimmung zu dem UNMandat eingegangen sind, verletzen oder nicht einhalten? Das sind schwerwiegende Fragen, über die man diskutieren muss. Nur, meine Damen und Herren, das Argument, dass UNIFIL unter Umständen auch scheitern
kann - darüber muss man sich im Klaren sein -, ist ernst
zu nehmen, aber es ist kein Argument gegen eine deutsche Beteiligung.
({4})
Dieses Argument „Was passiert, wenn die Mission
scheitert?“ gilt auch für die 1 000 Chinesen, die künftig
im Libanon die Spezialaufgabe wahrnehmen, Minen zu
räumen und die Folgen von Streubomben zu beseitigen.
Dieses Argument gilt auch für die 1 000 türkischen Soldaten, die sich an diesem Friedenseinsatz beteiligen.
({5})
Dieses Argument gilt auch - das sage ich jetzt mit Blick
auf Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei - für die 3 000 italienischen Soldaten, die von einer Mitte-links-Regierung mit Unterstützung durch die
Rifondazione Comunista in diesen Einsatz geschickt
worden sind.
({6})
Stehlen Sie sich doch nicht davon! Ich finde, die italienische Regierung muss an dieser Stelle gelobt werden. Sie
verhält sich verantwortungsbewusst, sie demonstriert,
was Linkssein heißt, nämlich nicht, sich auf Herrn
Beckstein zu berufen, sondern sich international für den
Frieden zu engagieren.
({7})
Wenn es um einen friedenserhaltenden UN-Einsatz
geht, sollten wir auch vermeiden, die so genannte militärische Lösung und die politische Lösung ständig gegeneinander zu stellen. Wer sich den Konflikt im Nahen Osten anschaut, der muss doch zu dem Ergebnis kommen:
Es gibt keine Friedenslösung und keine Verhandlungslösung, wenn man diesen fragilen Waffenstillstand nicht
absichert. Auf der anderen Seite gilt auch: Diese UNMission ist keine ungefährliche Mission. Ich werde daher denjenigen, die sich heute anders entscheiden, meinen Respekt nicht verweigern.
Aber wir haben hier eine Verantwortung. UNIFIL ist
ein sehr altes Mandat. In der Vergangenheit sind über
200 Blauhelmsoldaten ums Leben gekommen. Hier geht
es nicht um eine schlanke Entscheidung. Niemand, egal
wie er sich entscheidet, macht es sich an dieser Stelle
einfach; jeder prüft intensiv sein Gewissen. Aber es ist
eben auch richtig, dass der Erfolg dieser Mission davon
abhängt, ob das Fenster für die Lösung dieser Krise
wirklich genutzt wird. Denn es ist offenbar, dass es für
den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern, für
den Konflikt zwischen Israel und Libanon und für den
Konflikt zwischen Israel und Syrien keine militärische
Lösung, sondern nur eine politische Lösung gibt.
({8})
Wir entscheiden heute über ein Mandat für ein Jahr.
Wir alle wissen, dass wir vor der nächsten Sommerpause
in diesem Haus darüber erneut entscheiden müssen. Ich
sage auch an Ihre Adresse, Frau
Es wird entscheidend davon abhängen, ob Sie
als Ratspräsidentin der Europäischen Union im ersten
Halbjahr des nächsten Jahres nachvollziehbare Schritte
hin zu einem Friedensprozess einleiten können. Wir
wünschen Ihnen dazu gutes Gelingen.
Aber wir sagen auch im Interesse der Soldatinnen und
Soldaten, die in diesen Einsatz geschickt werden: Es
wird nötig sein, die Risiken dieses Einsatzes zu minimieren, die sich beispielsweise aus einer Weigerung, die
Rolle des Nahostquartetts anzuerkennen, ergeben, und
zu einer politischen Lösung zu kommen. Dafür wünschen wir Ihnen eine gute Hand. Das wird auch der Maßstab sein, an dem wir künftig diesen Einsatz messen werden.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Ulrike Merten von der
SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Wir beraten heute abschließend
über die Beteiligung der Bundeswehr an der UN-Mission UNIFIL im Libanon. Die Debatte gestern und auch
heute hat gezeigt, dass eine solche Beratung - ganz abgesehen davon, dass es sich um einen besonderen historischen Gegenstand handelt - nie zur Routine für dieses
Parlament wird. Es ist wichtig, in der Öffentlichkeit
noch einmal deutlich zu machen, dass wir jeden einzelnen Einsatz mit großer Sorgfalt diskutieren, bevor wir
darüber beschließen.
({0})
Es ist mehrfach darauf hingewiesen worden, dass der
Waffenstillstand, der seit dem 14. August errungen
wurde, ein erster wichtiger Schritt ist. Jetzt muss er abgesichert werden. Die Europäische Gemeinschaft hat an
der schnellen Verabschiedung der UN-Resolution wie an
der zügigen und effizienten Ausgestaltung des Mandats,
des Operationsplanes und der Einsatzregeln einen sehr
großen Anteil. Darüber hinaus wird sie sich an der
Truppe mit einer Gesamtstärke von 15 000 Soldaten mit
7 000 Soldaten beteiligen. Dies ist ein wichtiges Signal;
denn es zeigt, dass die Europäer bereit sind, UN-Mandate zu unterstützen. Wir können nicht - das ist in der
Vergangenheit immer wieder geschehen - auf der einen
Seite lamentieren und beklagen, wie wenig wirksam und
durchsetzungsfähig UN-Missionen sind, wenn wir nicht
auf der anderen Seite bereit sind, uns mit einem entscheidenden Beitrag daran zu beteiligen.
Das Mandat gewährleistet auch, dass die Welt, anders
als es in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten der
Fall gewesen ist, sehr genau hinsehen wird, was in dieser
Region passiert, und sich nicht mehr heraushalten kann.
Indem wir in diesen militärischen Prozess eingebunden
sind, sind wir aus meiner Sicht auch zwangsläufig in den
politischen Prozess, der jetzt verstärkt werden muss, eingebunden.
Wenn die Mehrheit des Bundestages dem Antrag der
Bundesregierung heute folgt, wird sich Deutschland an
diesem robusten Friedenseinsatz im Nahen Osten beteiligen. Es hat im Vorfeld dieser Entscheidung erhebliche
Zweifel daran gegeben, ob unsere besondere historische
Rolle, unsere Verantwortung dies zulässt. Wir haben im
Verteidigungsausschuss lange und mit großer Nachdenklichkeit darüber debattiert. Eine Bedingung, die sehr
frühzeitig geäußert worden ist, war, dass die israelische
Regierung diesem Einsatz zustimme. Nachdem nicht nur
dies der Fall war, sondern die ausdrückliche Bitte, zu
helfen, an Deutschland gerichtet worden ist, war meines
Erachtens der Weg für ein deutsches Engagement frei.
Deutschland genießt auf beiden Seiten hohes Ansehen und Vertrauen. Wir mussten natürlich die Frage beantworten: Stellen wir uns unserer Verantwortung, inUlrike Merten
dem wir uns militärisch an einem Einsatz beteiligen,
oder glauben wir, in dieser Region nur dann weiter als
glaubwürdiger Makler gelten zu können, wenn wir uns
ausschließlich auf politische und diplomatische Instrumente stützen? Nachdem auch der Libanon ausdrücklich
darum gebeten hat, seine Küstengewässer in enger
Kooperation mit ihm militärisch zu sichern und Waffenschmuggel zu unterbinden, und explizit die Bitte an
Deutschland herangetragen hat, hier zu helfen, ist ein
weiteres Argument hinzugekommen, unsere Verantwortung auch in Form einer militärischen Komponente
wahrzunehmen.
Nachdem die Bundesregierung sich zu einem maritimen Beitrag entschlossen hatte, konnte sich die libanesische Regierung aus innenpolitischen Gründen lange
nicht dazu durchringen, an die Vereinten Nationen Anforderungen zur seeseitigen Sicherung zu richten. Die
Einwände und Bedingungen, die der Libanon in den Verhandlungen über die Einsatzregeln vorbrachte, ließen
vergleichsweise lange offen, ob diese und damit das
Mandat so effektiv und durchsetzungsfähig sein würden,
dass die Voraussetzungen für einen Erfolg dieser militärischen Friedensmission gegeben seien.
Ich bin außerordentlich erleichtert darüber, dass es in
den letzten Wochen gelungen ist, auf bestimmte Mindeststandards nicht nur zu bestehen, sondern sie auch
durchzusetzen und damit die Effektivität und Wirksamkeit der Mission auch zu gewährleisten. Dies ist aus meiner Sicht mehr als eine lediglich semantische Verständigung. Hier geht es um den Nachweis darüber, dass der
Beitrag, den wir leisten, mehr als ein symbolischer sein
wird.
Wir haben lange mit großer Nachdenklichkeit und
auch leidenschaftlich über diesen Einsatz debattiert.
Wenn wir ihn heute beschließen, gehört zur Seriosität
dazu, darüber zu reden, wie die Bundeswehr diesen weiteren Auslandseinsatz bewerkstelligen kann. Der Einsatz
im Libanon ist der zweite Auslandseinsatz der Bundeswehr in diesem Jahr, der zu Jahresbeginn noch nicht abzusehen war. Entsprechend konnten weder er noch der
EU-Einsatz im Kongo im Verteidigungsetat des Jahres
2006 eingeplant werden.
Parallel wurde kein laufender Einsatz beendet. Umso
wichtiger ist die Verlässlichkeit eines Satzes in der Koalitionsvereinbarung, auf den der Bundesverteidigungsminister dankenswerterweise hingewiesen hat. Danach
wird die Bundesregierung dafür Sorge tragen, dass der
Bundeswehr die dafür notwendigen Ressourcen zur Verfügung stehen.
({1})
Effizienz und Schutz unserer Soldaten sind die Determinanten für den Erfolg und die zeitliche Berechenbarkeit unseres militärischen Engagements. Auch dieser
Bundeswehreinsatz birgt Gefahren; das wissen wir.
Auch dieses Mal ist es unsere Aufgabe, die Risiken mitzubedenken und sie durch gut ausgebildete und ausgerüstete Streitkräfte sowie durchsetzungsfähige Einsatzregeln zu begrenzen. Die Marine fühlt sich für die
Erfüllung ihres Auftrages gut gewappnet. Aber sie wartet - ich glaube, zu Recht - auf eine breite Zustimmung
des Parlaments zu diesem Auftrag.
Im Falle der mehrheitlichen Zustimmung hier im
Bundestag werden sich die Marineeinheiten morgen auf
den Weg in den Libanon begeben.
Kommen Sie bitte zum Schluss, Frau Kollegin.
Ich wünsche ihnen und den anderen betroffenen Soldaten alles Gute bei der Erfüllung ihrer Aufgaben.
Herzlichen Dank.
({0})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Karl Lamers von
der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch Deutschland muss seinen Beitrag leisten zu
mehr Stabilität und Frieden im Nahen Osten. Wir dürfen
hier nicht abseits stehen.
Ich bin zutiefst überzeugt, dass auch die Beteiligung
deutscher Streitkräfte an dieser Friedensmission, zusammen mit vielen europäischen Partnern, eine entscheidende Voraussetzung für eine politische Lösung des
Libanonkonflikts insgesamt ist. Es war ein Krieg mit
1 200 Toten. Wir haben jetzt eine fragile Waffenruhe.
Was wir brauchen, ist ein militärisch stabiler Waffenstillstand als Ausgangspunkt für einen echten Friedensprozess.
Wir Deutsche haben ein eigenes Interesse an einem
dauerhaften Frieden im Nahen Osten; denn das ist Nachbarschaft. Die Frage ist: Wie kann, wie muss ein deutscher Beitrag aussehen?
Die FDP hat in den letzten Wochen verlangt, statt der
Beteiligung an einem Militäreinsatz sich allein auf diplomatische Verhandlungen zu beschränken. Ich bin
überzeugt, dass man sich mit dem Hinweis auf Diplomatie allein hier nicht einfach militärisch heraushalten und
wegducken kann. Das ist für mich keine Außenpolitik.
({0})
Politisch gehandelt und diplomatisch erfolgreich verhandelt haben Sie, Frau Bundeskanzlerin und Herr Bundesaußenminister, in den zurückliegenden Wochen, mit
Israel und mit dem Libanon. Damit haben Sie die Waffenruhe entscheidend mit auf den Weg gebracht. Respekt!
({1})
Wer in der internationalen Diplomatie Friedenspolitik
aktiv mitgestalten will, der muss, so meine ich, auch
Dr. Karl Lamers ({2})
bereit sein, bei einer internationalen militärischen Friedensmission der UNO mitzumachen.
({3})
Denn nur wenn die Waffen auch künftig schweigen und
nicht neue hineingeschmuggelt werden, hat Diplomatie
eine echte Chance.
Ich frage Sie: Können wir uns hier der Verantwortung
verweigern? Natürlich ist Verantwortung eine Bürde.
Aber wollen wir die Bürde auf die Schultern unserer
Freunde und Verbündeten abladen? Solidarität der
NATO und im europäischen Rahmen ist für mich etwas
anderes. Die europäische Verantwortung ist nicht teilbar.
Die Zeit der Scheckbuchdiplomatie ist vorbei. Friede, so
sagt Immanuel Kant, muss gestiftet werden, er kommt
nicht von selbst.
({4})
Hier und heute geht es um einen Friedenseinsatz. Militärische Einsätze sind nie populär. Wir sind aber nicht
in diesen Deutschen Bundestag gewählt worden, um Populäres zu tun, sondern dazu, Richtiges zu tun. Deswegen sind wir heute hier. Wir wollen unseren Mitmenschen erklären, worum es bei diesem Einsatz geht,
nämlich darum, zu mehr Stabilität und in letzter Konsequenz zu einem echten Friedensprozess im Nahen Osten
zu kommen.
({5})
Erst dieser militärische Friedenseinsatz gibt der Diplomatie Raum und Entfaltungsmöglichkeiten.
Kann Deutschland trotz seiner historischen Verpflichtung an einem solchen Einsatz teilnehmen? Fakt ist, dass
sowohl der israelische Ministerpräsident Ehud Olmert
wie auch die Außenministerin Zipi Livni diesen Beitrag
ausdrücklich gewünscht haben. Das muss man doch einmal zur Kenntnis nehmen. Hat nicht die Bundeskanzlerin
mit großem politischen Fingerspitzengefühl Deutschland
in dieser Friedensmission dadurch richtig positioniert,
dass sie die Entsendung von Bodentruppen ablehnt, was
die Verbündeten verstehen, aber einen effektiven Einsatz
der Marine vorschlägt, was unsere Verbündeten erwarten. Herr Gerhardt, das Mandat ist nicht zu schmal, es ist
exakt richtig!
({6})
Zu verhindern, dass erneut Raketen der Hisbollah auf israelischem Territorium einschlagen, das ist für mich ein
echter Beitrag zum Frieden.
Nicht nur Israel will, dass Deutschland mitmacht,
sondern auch der Libanon. Gerade darin liegt die
Chance, unsere von allen Staaten der Region geschätzte
Mittlerposition zu bewahren. Dadurch stärken wir den
Respekt, den uns die Staatengemeinschaft heute entgegenbringt; wir schwächen ihn nicht. Geht es für Israel
letztlich um seine Existenz, so geht es für den Libanon
um die Wiedergewinnung seiner innerstaatlichen Souveränität gegenüber der Hisbollah-Miliz und um den Wiederaufbau des Landes.
Fazit: Unsere besondere Verantwortung aus der Geschichte heraus zwingt uns nicht zum Heraushalten, sondern zum verantwortlichen Mitmachen. Das ist unsere
Position.
({7})
Mit unserem Beschluss entsenden wir heute eine effektive maritime Taskforce zum gemeinsamen Einsatz
mit unseren Verbündeten in das Seegebiet des Libanon.
Können wir, so fragen wir uns alle, substanziell wirklich
etwas erreichen und bewirken? Ich meine: Ja. Die Einsatzregeln sind jetzt klar. Das heißt, das Mandat ist
robust: keine Chance zum Waffenschmuggel in einer
künstlichen Sechs-Meilen-Zone; kein Vetorecht für mitfahrende libanesische Offiziere; Aufbringen verdächtiger Schiffe auch gegen den Widerstand des Kapitäns.
Wir brechen also nicht als zahnloser Tiger oder bloßer
Zuschauer zu einer lustigen Kreuzfahrt auf. Nein, wir
haben die Chance, das Seegebiet effizient zu kontrollieren und Waffenschmuggel in die Hände der Hisbollah zu
verhindern.
Zu Recht weist Bundesverteidigungsminister Jung
darauf hin, dass ein solcher Einsatz gefährlich werden
kann. Das ist klar. Es ist aber auch klar, warum wir dieses Risiko trotzdem eingehen: für mehr Stabilität, für
mehr Frieden im Nahen Osten und damit für uns alle.
({8})
Für unsere Soldaten ist eine breite Unterstützung im
Parlament ausgesprochen wichtig. Deswegen bitte ich
jeden Einzelnen, sich seine Entscheidung zu überlegen.
Mit Blick auf Herrn Gysi, Herrn Lafontaine und Herrn
Bisky sage ich: Ich befürchte, dass ein erkleckliches
Maß an Ignoranz gegenüber der Realität und mangelnde
Bereitschaft zur Übernahme internationaler Verantwortung sie daran hindern.
({9})
Zur FDP gewandt, möchte ich sagen: Folgen Sie den
nachdenklichen Überlegungen Ihres Mitglieds und früheren Außenministers Klaus Kinkel, der sorgenvoll ein
Mittun anmahnt!
({10})
Ich komme zum Schluss. Für diesen maritimen Einsatz sind unsere Soldaten bestens gerüstet. Aber solche
Einsätze kosten auch richtig Geld. Geiz wäre lebensgefährlich. Angesichts der neuen Herausforderungen in
Afghanistan, im Kongo und jetzt auch im Libanon muss
uns allen klar sein, dass der Verteidigungshaushalt die
zusätzlichen finanziellen Belastungen, die sich aus diesen Veränderungen ergeben, nicht allein tragen kann.
Herr Kollege, Sie müssen wirklich zum Schluss kommen.
Wir brauchen neue Finanzierungsformen aus dem Gesamthaushalt.
Wir stimmen diesem Antrag zu. Ich möchte schließen
mit einem Satz von Aristide Briand, der gesagt hat:
Der Friede erfordert unentwegten, zähen, dauernden Dienst, er verlangt Ausdauer, erlaubt keinen
Zweifel.
Ich danke.
({0})
Das Wort hat der Kollege Rolf Kramer, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren heute nicht über einen normalen Einsatz der Bundeswehr, sondern über einen möglichen Einsatz im Nahen
Osten, also in einer Region, in der seit Jahrzehnten ein
Konfliktherd vorhanden ist, der für viele Auseinandersetzungen auf diesem Globus konstitutiv ist.
Wir haben schon einige Beiträge zur Verantwortung
aus unserer Geschichte gehört. Wir alle wissen: Es gibt
honorige und begründbare Argumente aus der Geschichte sowohl für als auch gegen einen Einsatz. Ich
meine: Wir sollten uns deshalb auf die Tradition der
Auslandseinsätze der Bundeswehr besinnen und sie zur
Grundlage unserer Entscheidung machen. Die Bundeswehr wird nur eingesetzt, wenn es ein Mandat der Vereinten Nationen oder einer vergleichbaren übernationalen Organisation gibt. Dies ist mit der Resolution 1701
gegeben. Alle betroffenen Länder haben dieser Resolution zugestimmt. Das ist der eigentlich wichtige Punkt.
Wenn wir uns dafür entscheiden, dann geschieht dies mit
Zustimmung aller Betroffenen.
Deutschland und Europa stehen hier in einer ganz
besonderen Verantwortung. Denn wir haben in den letzten Wochen mit dafür gesorgt - ganz besonders unser
Außenminister, Frank-Walter Steinmeier -, dass es im
Nahen Osten zu einem Waffenstillstand gekommen ist,
der zurzeit zwar fragil ist, aber immer noch hält. Deshalb
muss diesem Schritt ein weiterer Schritt folgen. Das Engagement der Bundeswehr und Deutschlands ist eine
konsequente Fortsetzung unserer Friedensbemühungen
im Nahen Osten. Vielfach wird beklagt, dass die Entwicklung in den letzten Wochen zu zögerlich und zu
zaghaft gewesen sei. Ich finde es nur sachgerecht und
richtig, dass die Bundesregierung mit den Vereinten Nationen, mit Israel und mit dem Libanon jetzt Regeln für
den Einsatz gefunden hat, die der Aufgabe angemessen
sind.
Die Bundeswehr beweist bei allen Einsätzen jeden
Tag aufs Neue, dass sie die ihr gestellten Aufgaben hervorragend löst. Es handelt sich immer um Aufgaben, die
der Entwicklung und Erhaltung des Friedens in der jeweiligen Region dienen. Ich bin überzeugt, dass das
auch in diesem Fall so sein wird.
Da es um die seeseitige Absicherung des Libanon
geht, hat die Bundesmarine die Hauptlast dieser Mission zu tragen. Dass die Soldatinnen und Soldaten der
Bundeswehr dieses Metier beherrschen, zeigen sie beispielsweise seit Jahren am Horn von Afrika. Die Überwachung des Schiffsverkehrs, die Kontrolle von Ladung
und die Unterbindung des Seeschmuggels ist dort die
Hauptaufgabe. Darin ist die Marine seit Jahren geübt.
Viele tausend Soldatinnen und Soldaten haben inzwischen an diesen Einsätzen teilgenommen.
Es gibt bei diesem Mandat freilich einen erheblichen
Unterschied: Eine Kontrolle auch gegen den Willen der
Schiffsführung wird möglich sein. Dieses Mandat ist
notwendigerweise robust; aber es ist kein offensives
Kampfmandat. Wir schicken die Soldatinnen und Soldaten nicht in einen Kampfeinsatz, sondern sie haben die
Aufgabe, den Waffenschmuggel zu unterbinden und die
Souveränität des Libanon zu unterstützen und zu fördern. Sie haben die Aufgabe, der Politik die Möglichkeit
zu eröffnen, eine friedliche Lösung der Probleme im Nahen Osten zu finden. Aller Erfahrung nach wird bereits
die Anwesenheit der internationalen Truppen eine Beruhigung der Lage befördern. Wir sind davon überzeugt,
dass allein schon die Eindämmung von Gewalt und der
Einhalt von Tod und Zerstörung diesen Einsatz rechtfertigen.
Aber es darf überhaupt kein Zweifel auftreten: Immer
wenn der Bundestag auf Antrag der Regierung einem
Auslandseinsatz zustimmt, ist es für die Soldatinnen und
Soldaten gefährlich. Es gibt keinen per se ungefährlichen Auslandseinsatz. Und es muss auch ausgesprochen
werden: Dieser Einsatz wird zu den gefährlicheren gehören. Es wird ein Einsatz sein, der mit großer Wahrscheinlichkeit nicht nach einem Jahr beendet sein wird.
Aus vielerlei Gründen ist dies für Deutschland und
für die Bundeswehr eine bisher so nicht da gewesene
Herausforderung. Deshalb dürfen die Soldatinnen und
Soldaten nur bestmöglich ausgebildet, ausgestattet und
so gesichert wie nur möglich in den Einsatz geschickt
werden. Dieser Verantwortung müssen wir uns stellen.
Ich bin überzeugt, dass die Regierung und die Bundeswehrführung dieser Verantwortung ebenfalls gerecht
werden. Nach Abwägung aller Argumente ist eine Zustimmung zum Antrag der Bundesregierung aus meiner
Sicht zu verantworten.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Christian Ruck,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Am Ende zweier intensiver Debatten über den Libanoneinsatz ist deutlich geworden, dass die überwältigende
Mehrheit in unserer Beteiligung an UNIFIL zu Recht einen wichtigen Beitrag nicht nur zum Schutz des Libanon
und seiner Integrität, sondern auch zur Stabilisierung einer höchst instabilen Region als Ganzes sieht.
Der Schritt, den wir hier tun, wird von der israelischen, aber auch von der arabischen Seite begrüßt. Für
uns ist er sicher in mancherlei Hinsicht ein Opfer; wir
haben darüber ausführlich und im Detail diskutiert. Ich
verstehe die Besorgnis von manchen, auch draußen, wir
könnten in die Gefahren einer hoch komplizierten und
mit politischen Tretminen und Irrationalitäten bespickten Region hineingezogen werden. Aber es ist auch deutlich geworden, dass wir als Deutsche und Europäer in
Wahrheit schon längst, seit Jahren, involviert sind und
dass es keinen Konflikt auf der Erde gibt, der uns im Alltag, auch ökonomisch und sicherheitspolitisch, so tangiert wie der Nahostkonflikt.
Für mich bedeutet unser Beitrag zu UNIFIL auch eine
neue Chance auf Frieden und Sicherheit - nicht nur dort,
sondern auch bei uns, und ich verbinde damit die Hoffnung, die geäußert wurde, dass wir mit dem Opfer, das
wir hier bringen, mehr politisches Gewicht für politische Lösungen in die Waagschale werfen können.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es wurde schon
deutlich: Wir Deutsche haben doch etwas einzubringen.
Wir haben ein vertrauensvolles, freundschaftliches Verhältnis zu Israel aufgebaut; aber wir haben auch ein gutes Ansehen in der arabischen Welt. Wir finden mehr
Gehör und mehr Gesprächspartner als manche andere.
Das ist ein Pfund, das wir stärker einbringen wollen. Da
hat unsere Bundeskanzlerin unsere volle Unterstützung.
Wir wollen unsere Fähigkeit vertiefen, die Verbindungen
zwischen den Dialogbereiten auf allen Seiten zu stärken,
und mithelfen, dass die Vernünftigen und Dialogbereiten
in dieser Region den Gang der Dinge bestimmen und
nicht die Radikalen und Hasserfüllten.
Ich freue mich ausdrücklich über die angedachten Gespräche mit Syrien. Ich war, ohne das überbewerten zu
wollen, Anfang Juli einen Tag in Syrien, mit einem sehr
dichten Programm.
({1})
Ich kann nur eines sagen: Ich habe einige Vorurteile verloren und einiges an Hoffnung gewonnen.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es wurde schon gesagt: Der Waffenstillstand und der politische Dialog
schaffen Raum für Friedensgespräche, aber auch für einen wichtigen Eckpfeiler dauerhafter Sicherheit, nämlich für Entwicklungspolitik, für ökonomische Entwicklungs- und Aufbauarbeiten. Das sind für mich zwei
Seiten derselben Medaille: Es gibt keine Sicherheit ohne
Entwicklung und keine Entwicklung ohne Sicherheit.
({3})
In diesem Zusammenhang ist es aufschlussreich, sich
noch einmal den Bericht über die Entwicklung in der
arabischen Welt vor Augen zu führen. Es gibt in der
Region gravierende Entwicklungsmängel, eine hohe Arbeitslosigkeit, zum Teil eine erdrückende Armut, ein
niedriges Bildungs- und Ausbildungsniveau und auch
eine niedrige ökonomische Wettbewerbsfähigkeit. Das
zusammen mit einem hohen Bevölkerungswachstum
und einer überragend hohen Jugendarbeitslosigkeit ergibt ein explosives Gemisch, vor allem angesichts nicht
nur fehlender Entwicklung, sondern auch fehlender Entwicklungsperspektiven. Deswegen ist es richtig und
wichtig, dass wir Aufbauhilfe und Soforthilfe sowie Unterstützung bei der Sicherung der Grundbedürfnisse im
Libanon und in Palästina leisten; gerade diese Aufgabe
darf im Moment und in Zukunft nicht den radikalen Islamisten überlassen bleiben.
({4})
Richtig und wichtig ist, dass wir eine neue Offensive
starten und weitere Anstrengungen für eine langfristige
Entwicklungszusammenarbeit in dieser Region, in der
die Situation sehr schwierig ist, unternehmen. Das können wir auf verschiedenen Gebieten tun: bei der Unterstützung von Wirtschaftsreformen, beim Aufbau einer
effizienten Verwaltung und bei der Durchführung von
politischen Reformen in der arabischen Welt. Mit der
Entwicklung hin zu einem modernen Staat und einer modernen Wirtschaft in dieser Region verbinden wir die
Hoffnung, dass sich auch die dortigen Gesellschaften
modernisieren, sodass dem Fanatismus und dem Radikalismus der Nährboden entzogen wird.
Deswegen bitte ich Sie, nicht nur möglichst geschlossen hinter diesem gefährlichen Einsatz unserer Soldaten
zu stehen, sondern auch ein entwicklungspolitisches
Konzept zu unterstützen, durch das der Frieden in dieser
Region langfristig gesichert wird.
Vielen Dank.
({5})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Gabriele
Groneberg, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Damen und Herren! Den Vorwurf, wir hätten uns mit der Entscheidung über den Libanoneinsatz
nicht intensiv auseinander gesetzt, kann uns wirklich
niemand machen. Seit Wochen haben wir intensiv darüber diskutiert. Noch gestern fanden Ausschusssitzungen statt, in denen alle relevanten Aspekte ausführlich
beleuchtet wurden. Diese Entscheidung berührt uns alle.
Nicht umsonst ist sie als „historisch“ bezeichnet worden.
Manchmal habe ich allerdings den Eindruck, dass in den
prinzipiellen Diskussionen, die wir geführt haben, vergessen wurde, worum es eigentlich geht bzw. worum es
am Anfang gegangen ist.
Wir alle waren entsetzt und betroffen von der Entwicklung in Nahost seit Anfang Juli dieses Jahres: Bilder
von Trauer und Verzweiflung, von Toten und Verletzten
und von schrecklicher Zerstörung. Wir alle wollten, dass
dieses Leiden beendet wird. Nicht zuletzt dem Einsatz
der Europäer, vor allen Dingen dem der Bundesregierung bzw. des deutschen Außenministers, ist es zu verdanken, dass ein Waffenstillstand vereinbart wurde. Die
UN-Resolution 1701 ist die Grundlage für einen Einsatz,
durch den der Krieg dauerhaft beendet und der Weg für
die humanitäre Hilfe und den Wiederaufbau freigemacht
werden soll - Hilfe, welche die Menschen in dieser Region dringend brauchen.
In der heutigen Debatte ist sehr viel von Verantwortung geredet worden. Es wurde betont, dass wir Deutsche eine besondere Verpflichtung und Verantwortung
haben. Sicherlich, das ist klar. Aber wir genießen in dieser Region auch ein besonderes Vertrauen. Wir haben
also nicht nur eine besondere Verantwortung, sondern
uns wird von beiden Seiten, der israelischen und der arabischen, auch ein besonderes Vertrauen entgegengebracht. Ich glaube nicht, dass wir das Recht haben, diese
von uns erbetene Unterstützung zu verweigern, eine Unterstützung, die die Sicherheit gewährleisten soll, die unsere Hilfs- und Durchführungsorganisationen dringend
brauchen, um ihre Arbeit tun zu können.
({0})
Die mit viel persönlichem Einsatz und viel Geld aufgebaute Infrastruktur darf nicht wieder durch Kampfhandlungen zerstört werden. Man darf nicht vergessen:
Das war in den letzten Jahren ein fortlaufender Prozess.
Ich denke, dass diese UN-Mission die Verstärkung, die
sie bald bekommen wird, dringend benötigt, um in der
Region dauerhaften Frieden zu schaffen.
Die internationale Gemeinschaft bemüht sich auf allen Ebenen um den Wiederaufbau des Landes. Auch wir
werden in diesem Rahmen unseren Beitrag leisten. Darüber hinaus werden wir unsere Unterstützung der palästinensischen Gebiete fortsetzen und intensivieren. Denn
nur dann, wenn zugleich der israelisch-palästinensische
Konflikt gelöst wird, kann auch ein Ende dieses Konflikts herbeigeführt werden; dies gilt sowohl für die israelische Seite als auch - das möchte ich in aller Deutlichkeit sagen - für die palästinensische Seite.
({1})
Aus persönlicher Erfahrung kenne ich den Nahen und
den Mittleren Osten ganz gut. Seit vielen Jahren beobachte ich die politische Entwicklung in dieser Region.
Einen Kritikpunkt müssen wir uns in diesem Zusammenhang wirklich gefallen lassen: Wir alle hätten uns in den
vergangenen Jahren auf Grundlage der bereits gefassten
Resolutionen noch viel intensiver um politische bzw. diplomatische Lösungen im Nahen Osten bemühen müssen.
({2})
Wenn denn jetzt die Chance gegeben ist, wenn jetzt die
Tür zu einer dauerhaften Lösung einen kleinen Spaltbreit
geöffnet wird, dürfen wir uns diese Tür nicht selber zuschlagen, indem wir uns aus der Verantwortung ziehen
und uns an diesem Einsatz nicht beteiligen. Wir nehmen
unsere Verantwortung bereits wahr, indem wir humanitäre Nothilfe leisten und indem wir beim Wiederaufbau
der lebensnotwendigen Wasserversorgung und bei der
Bekämpfung der Ölpest helfen. Diese Leistungen werden abgefragt. Wir leisten diese Hilfe und wir leisten sie
gerne. Das darf nicht alles umsonst gewesen sein! Deshalb müssen die Bemühungen, die dafür nötige Sicherheit vor Ort herzustellen, fortgesetzt werden.
Wir haben - ich sage das ausdrücklich - auch eine
Verantwortung gegenüber unseren Soldaten. Wenn wir
überlegen, uns an einem solchen Einsatz zu beteiligen,
machen wir es uns nicht leicht. Ganz viele von uns sind
persönlich betroffen: dadurch dass sie Mütter, Väter,
Ehemänner, Ehefrauen, Töchter und Söhne bei der Bundeswehr haben. Die Entscheidung, die heute getroffen
wird durch diejenigen, die Ja sagen, ist eine ganz besondere. Ich persönlich danke allen Kollegen, die sich dazu
bekennen, die diesem Einsatz zustimmen, gerade wenn
sie selber davon betroffen sind, wenn ihre Kinder einen
solchen Einsatz leisten.
({3})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Dr. Sascha Raabe, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte
eingangs auf das zurückkommen, was der Kollege Oskar
Lafontaine hier vorhin gesagt hat. Er hat die Hoffnung
auf Waffenruhe und Frieden infrage gestellt. Er hat tränenreich erklärt, dass der arme iranische Präsident im
Augenblick nachts fast nicht mehr schlafen könne, weil
er von den bösen Vereinten Nationen bedroht werde.
Lieber Herr Kollege Lafontaine, ich habe mehr Angst
davor, dass Präsidenten, die den Holocaust leugnen und
Israel ausradieren möchten, Atomwaffen in die Hände
bekommen. Angst machen mir nicht die Vereinten Nationen, sondern Populisten wie Sie, die so etwas in den
Raum stellen.
({0})
Dass wir - das hat die Bundesregierung deutlich gemacht - auch im Konflikt mit dem Iran auf eine diplomatische Lösung setzen, steht doch außer Frage. Der
Vorwurf, dass wir im Libanonkonflikt zuerst an militärisches Eingreifen dächten statt daran, wie wir zivil helfen
können, ist völliger Unfug. Wir haben sowohl im Nahen
Osten als auch im Kongo - auch gegen diesen Einsatz
haben Sie gestimmt - seit vielen Jahren im Rahmen von
Entwicklungszusammenarbeit und ziviler Hilfe dafür gesorgt, dass Entwicklung möglich ist. Natürlich ist Entwicklung nicht möglich, wenn Menschen abgeschlachtet
werden, wie es im Kongo passiert ist, wo drei, vier Millionen Menschen sterben mussten, oder wenn wie in
Israel oder im Libanon Raketen einschlagen, Granaten
einschlagen, Menschen zerfetzt werden. Solange so etwas geschieht, kann ich den Menschen nicht helfen.
Deswegen ist es selbstverständlich und auch richtig, dass
wir im Rahmen der Vereinten Nationen im Kongo geholfen haben, und es ist auch richtig, dass wir im Libanon
für Frieden sorgen - damit Entwicklung möglich wird.
({1})
Mit der Forderung, mehr Geld für Entwicklungszusammenarbeit auszugeben, rennen Sie bei mir als Entwicklungspolitiker offene Türen ein. Selbstverständlich:
Weltweit werden 1 000 Milliarden Euro jährlich für
Militär und Rüstung ausgegeben, aber nur 70 Milliarden Euro für Entwicklungszusammenarbeit. Von diesen
1 000 Milliarden Euro machen die Friedensmissionen
der Vereinten Nationen aber nur einen relativ kleinen
Betrag aus. Anders ist es zum Beispiel mit dem Krieg im
Irak. Unbestritten, wir waren gegen diesen Krieg. Aber
gerade wenn man will, dass nicht die Vereinigten Staaten
von Amerika sagen, wie die Weltsicherheitspolitik auszusehen hat, sondern dass die Vereinigten Staaten dieser
Erde, die Vereinten Nationen, die Sicherheitspolitik und
Friedenspolitik bestimmen, muss man sich an Einsätzen
beteiligen, die auf dem legitimen Willen der Völker dieser Erde beruhen.
({2})
Unser deutscher Beitrag zum Wiederaufbau des Libanon kann sich sehen lassen. Unsere Ministerin
Heidemarie Wieczorek-Zeul hat sich auf der Geberkonferenz dafür eingesetzt, dass international insgesamt
730 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden. Das
Technische Hilfswerk arbeitet dort gerade an der Wiederherstellung der Wasserversorgung. Viele zivile Organisationen arbeiten unter schweren Bedingungen und
sind dankbar dafür, dass sie ihre Arbeit tun können, ohne
dass Granaten einschlagen. Wir sollten an dieser Stelle
einmal unseren Hilfsorganisationen danken, die nicht
- wie Sie - nur reden, sondern vor Ort helfen.
({3})
Die Blindgänger der Streubomben, die dort zum Einsatz kamen und liegen geblieben sind, behindern leider
zum Teil den Wiederaufbau dort. Ich glaube, trotz unseres guten, freundschaftlichen Verhältnisses zum Staat Israel war es richtig, dass unsere Ministerin deutliche
Worte gefunden und darauf hingewiesen hat, dass der
Einsatz der Streubomben falsch war. Wir sollten uns in
diesem Hause dafür einsetzen, dass er auf der ganzen
Welt verboten wird.
({4})
Ich glaube aber auch, dass die militärische Auseinandersetzung - so schlimm sie war - und das ganze Leid
zu einem Prozess des Nachdenkens auf allen Seiten geführt haben. Jetzt besteht die Chance, dass wir dort mit
unserem Außenminister und der gesamten Bundesregierung ein umfassendes Friedenskonzept durchsetzen können. Ich hoffe sowohl für die Palästinenser und die Libanesen als auch für die Israelis, dass dort bald Frieden
einkehrt und eine Entwicklung genommen wird, in deren
Zuge die Armut überwunden wird und die tatsächlichen
Konfliktursachen bekämpft werden. Der Waffenstillstand ist die Voraussetzung dafür.
Deshalb bitte ich Sie zum Abschluss dieser Debatte
auch im Interesse der ärmsten Menschen dort vor Ort:
Stimmen Sie diesem Einsatz zu, damit Frieden und Entwicklung vorankommen können.
Vielen Dank.
({5})
Zu einer Kurzintervention gebe ich dem Kollegen
Oskar Lafontaine das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Ich will den Kollegen Dr. Sascha Raabe nur darauf hinweisen, dass ich nicht von den Vereinten Nationen, sondern von den USA gesprochen habe. Ich sehe da
einen gewissen Unterschied. Ich halte es für wichtig,
dass wir das festhalten.
Ich habe auch nicht von dem iranischen Präsidenten,
sondern vom Iran gesprochen und denke dabei an die
Millionen Menschen, die dort wohnen und sich bedroht
fühlen, wenn sie lesen, dass Atomwaffen gegen sie eingesetzt werden sollen.
({0})
Herr Kollege Raabe, bitte.
Herr Kollege Lafontaine, es freut mich, dass auch Sie
den Unterschied zwischen den Vereinten Nationen und
den USA anerkennen.
({0})
Die Vereinten Nationen haben das Recht, dem Iran, der
ein friedliches und auf die zivile Nutzung angelegtes
Atomprogramm durchführen darf, mit Sanktionen zu
drohen, wenn er nicht darauf verzichtet, zu versuchen,
durch die Urananreicherung auch Atomwaffen zu bauen.
Wir wollen friedliche und keine militärischen Sanktionen. Daran haben wir auch nie einen Zweifel gelassen. Sie konstruieren jetzt eine Bedrohung der iranischen
Bevölkerung durch die Sanktionen der Vereinten Nationen. Die USA sind nicht die Vereinten Nationen, sondern nur ein Mitglied der Vereinten Nationen. Wenn
Deutschland die Vereinten Nationen stärken will, dann
muss man bereit sein, sich an den Friedensmissionen der
Vereinten Nationen zu beteiligen, dann darf man sich
nicht außen vor stellen und zu allem Nein sagen.
Abschließend sage ich noch einmal: Herr Lafontaine,
ich habe Angst, dass ein Land, das das Existenzrecht Israels und den Holocaust leugnet, später einmal Atomwaffen hat. Ich glaube, es ist aller Ehren wert, dass der
iranische Präsident und der eine oder andere im iranischen Volk, der dies genauso sieht, durch sanften Druck
der Vereinten Nationen dazu gebracht werden, darüber
nachzudenken, ob das richtig ist. Ich sage: Das ist falsch.
Ich möchte in einer friedlichen Welt leben. Dies wird am
besten ohne Atomwaffen und durch ein Gewaltmonopol
der Vereinten Nationen erreicht.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Druck-
sache 16/2614 zu dem Antrag der Bundesregierung zur
Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der
United Nations Interim Force in Lebanon. Ich weise da-
rauf hin, dass etliche Erklärungen zur Abstimmung nach
§ 31 der Geschäftsordnung vorliegen.1)
Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Druck-
sache 16/2572 anzunehmen. Es ist namentliche Abstim-
mung verlangt. Ich weise darauf hin, dass wir unmittel-
bar im Anschluss an die namentliche Abstimmung noch
vier einfache Abstimmungen zu den Entschließungsan-
trägen durchführen. Ich bitte alle Kolleginnen und Kol-
legen, bei der Stimmabgabe sorgfältig darauf zu achten,
dass die Stimmkarten, die sie verwenden, ihren Namen
tragen.
Sind die Plätze an den Urnen alle besetzt? - Das ist
der Fall. Ich eröffne die Abstimmung.
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der
Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schrift-
führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu
beginnen.
Ich bitte alle Kolleginnen und Kollegen, ihre Plätze
einzunehmen. Wir kommen nun zu den Abstimmungen
über die Beschlussempfehlungen des Auswärtigen Aus-
schusses zu den Entschließungsanträgen zu dem Antrag
1) Anlagen 2 bis 4
der Bundesregierung zur Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz im Libanon.
Zusatzpunkt 1. Entschließungsantrag der Fraktionen
der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 16/2611. Der
Auswärtige Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/2616, den Entschließungsantrag anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Opposition angenommen.
Zusatzpunkt 2. Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 16/2617 zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der FDP. Der Ausschuss
empfiehlt, den Entschließungsantrag auf Drucksache
16/2609 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der SPD, des
Bündnisses 90/Die Grünen und der CDU/CSU bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und der FDP angenommen.
Zusatzpunkt 3. Beschlussempfehlung des Auswärtigen
Ausschusses auf Drucksache 16/2618 zu dem Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke. Der Ausschuss
empfiehlt, den Entschließungsantrag auf Drucksache
16/2605 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der SPD, des
Bündnisses 90/Die Grünen und der CDU/CSU und FDP
bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke angenommen.
Zusatzpunkt 4. Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 16/2619 zu dem Entschließungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die
Grünen. Der Ausschuss empfiehlt, den Entschließungsantrag auf Drucksache 16/2610 abzulehnen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der SPD, der CDU/CSU, der FDP und der Fraktion
Die Linke bei Gegenstimmen des Bündnisses 90/Die
Grünen angenommen.
Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen
Abstimmung unterbreche ich die Sitzung.
({0})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen
Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung auf
Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der
United Nations Interim Force in Lebanon, Drucksachen 16/2572 und 16/2614, bekannt: Abgegebene Stimmen 599. Mit Ja haben gestimmt 442, mit Nein haben
gestimmt 152, Enthaltungen fünf. Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Endgültiges Ergebnis
Abgegebenen Stimmen: 599;
davon
ja: 442
nein: 152
enthalten: 5
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Albach
Peter Altmaier
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Otto Bernhardt
Clemens Binninger
Carl-Eduard von Bismarck
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({0})
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Anke Eymer ({1})
Georg Fahrenschon
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({2})
Dirk Fischer ({3})
Axel E. Fischer ({4})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Michael Glos
Dr. Reinhard Göhner
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Karl-Theodor Freiherr
zu Guttenberg
Olav Gutting
Holger Haibach
Ursula Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung ({5})
Dr. Franz Josef Jung
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({6})
Volker Kauder
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Kristina Köhler ({7})
Manfred Kolbe
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Johann-Henrich
Krummacher
Dr. Karl Lamers ({8})
Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Stephan Mayer ({9})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Friedrich Merz
Laurenz Meyer ({10})
Maria Michalk
Hans Michelbach
Philipp Mißfelder
Marlene Mortler
Carsten Müller
({11})
Stefan Müller ({12})
Bernward Müller ({13})
Hildegard Müller
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Dr. Peter Paziorek
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Daniela Raab
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Katherina Reiche ({14})
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Albert Rupprecht ({15})
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({16})
Hermann-Josef Scharf
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Dr. Andreas Scheuer
Georg Schirmbeck
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({17})
Andreas Schmidt ({18})
Ingo Schmitt ({19})
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Wilhelm Josef Sebastian
Horst Seehofer
Kurt Segner
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Max Straubinger
Thomas Strobl ({20})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Antje Tillmann
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß ({21})
Gerald Weiß ({22})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Anette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer ({23})
Elisabeth WinkelmeierBecker
Matthias Wissmann
Dagmar Wöhrl
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
SPD
Dr. Lale Akgün
Niels Annen
Rainer Arnold
Ernst Bahr ({24})
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Petra Bierwirth
Volker Blumentritt
Kurt Bodewig
Clemens Bollen
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Bernhard Brinkmann
({25})
Edelgard Bulmahn
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Martin Dörmann
Dr. Carl-Christian Dressel
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Detlef Dzembritzki
Siegmund Ehrmann
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Rainer Fornahl
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Sigmar Gabriel
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann
({26})
Nina Hauer
Hubertus Heil
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({27})
Frank Hofmann ({28})
Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Brunhilde Irber
Johannes Jung ({29})
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange ({30})
Dr. Karl Lauterbach
Helga Lopez
Gabriele Lösekrug-Möller
Caren Marks
Katja Mast
Markus Meckel
Petra Merkel ({31})
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Michael Müller ({32})
Gesine Multhaupt
Franz Müntefering
Andrea Nahles
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Christoph Pries
Dr. Wilhelm Priesmeier
Mechthild Rawert
Steffen Reiche ({33})
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
Karin Roth ({34})
Michael Roth ({35})
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({36})
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Marianne Schieder
Ulla Schmidt ({37})
Silvia Schmidt ({38})
Renate Schmidt ({39})
Heinz Schmitt ({40})
Carsten Schneider ({41})
Olaf Scholz
Ottmar Schreiner
Reinhard Schultz
({42})
Swen Schulz ({43})
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Dr. Rainer Tabillion
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Jörn Thießen
Franz Thönnes
Hans-Jürgen Uhl
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Gunter Weißgerber
({44})
Dr. Rainer Wend
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Engelbert Wistuba
Heidi Wright
Uta Zapf
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
FDP
Hans-Michael Goldmann
Gudrun Kopp
Harald Leibrecht
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Markus Löning
Burkhardt Müller-Sönksen
Hans-Joachim Otto
({45})
Dr. Rainer Stinner
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Marieluise Beck ({46})
Volker Beck ({47})
Cornelia Behm
Birgitt Bender
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Alexander Bonde
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Hans Josef Fell
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Priska Hinz ({48})
Ulrike Höfken
Thilo Hoppe
Ute Koczy
Fritz Kuhn
Renate Künast
Undine Kurth ({49})
Markus Kurth
Dr. Reinhard Loske
Anna Lührmann
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({50})
Winfried Nachtwei
Omid Nouripour
Brigitte Pothmer
Claudia Roth ({51})
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Dr. Gerhard Schick
Rainder Steenblock
Silke Stokar von Neuforn
Wolfgang Wieland
Josef Philip Winkler
Margareta Wolf ({52})
Nein
CDU/CSU
Dr. Wolf Bauer
Ernst-Reinhard Beck
({53})
Renate Blank
Eberhard Gienger
Ralf Göbel
Joachim Hörster
Norbert Königshofen
Katharina Landgraf
Dr. Eva Möllring
Henry Nitzsche
Michaela Noll
Norbert Schindler
SPD
Gregor Amann
Ingrid Arndt-Brauer
Klaus Barthel
Lothar Binding ({54})
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Dr. Peter Danckert
Renate Gradistanac
Angelika Graf ({55})
Reinhold Hemker
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({56})
Ernst Kranz
Waltraud Lehn
Dirk Manzewski
Lothar Mark
Hilde Mattheis
Detlef Müller ({57})
Florian Pronold
Maik Reichel
Sönke Rix
René Röspel
Ortwin Runde
Dr. Frank Schmidt
Ewald Schurer
Dr. Margrit Spielmann
Andreas Steppuhn
Rüdiger Veit
Dr. Marlies Volkmer
Dr. Wolfgang Wodarg
Waltraud Wolff
({58})
FDP
Jens Ackermann
Dr. Karl Addicks
Daniel Bahr ({59})
Uwe Barth
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich ({60})
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Dr. Edmund Peter Geisen
Miriam Gruß
Joachim Günther ({61})
Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Elke Hoff
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Dr. Heinrich L. Kolb
Hellmut Königshaus
Jürgen Koppelin
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Ina Lenke
Michael Link ({62})
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Dirk Niebel
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Jörg Rohde
Frank Schäffler
Dr. Konrad Schily
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Florian Toncar
Christoph Waitz
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({63})
Martin Zeil
DIE LINKE
Hüseyin-Kenan Aydin
Dr. Dietmar Bartsch
Karin Binder
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Diana Golze
Dr. Gregor Gysi
Heike Hänsel
Lutz Heilmann
Hans-Kurt Hill
Dr. Barbara Höll
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Dr. Hakki Keskin
Katja Kipping
Monika Knoche
Jan Korte
Katrin Kunert
Michael Leutert
Ulla Lötzer
Ulrich Maurer
Dorothée Menzner
Kersten Naumann
Dr. Norman Paech
Bodo Ramelow
Elke Reinke
Paul Schäfer ({64})
Volker Schneider
({65})
Dr. Herbert Schui
Dr. Ilja Seifert
Dr. Petra Sitte
Frank Spieth
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Winfried Hermann
Sylvia Kotting-Uhl
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
fraktionslos
Gert Winkelmeier
Enthalten
CDU/CSU
Karl Schiewerling
FDP
Christian Ahrendt
Marina Schuster
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Irmingard Schewe-Gerigk
Bis zum Beginn der Frage
stunde um 14 Uhr unterbre es mit einem größeren Ges
chehen zu tun habe“, der Schluss
che ich die Sitzung.
({66})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die unterbrochene
Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 3 auf:
Fragestunde
- Drucksache 16/2584 Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie.
Die Fragen 1 und 2 der Kollegin Christine Scheel
werden schriftlich beantwortet.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz. Für die Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Gerd Müller zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 3 der Kollegin Bärbel Höhn auf:
Ist aus der Erklärung des Bundesministers für Ernährung,
Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Horst Seehofer, er
habe die Öffentlichkeit über die bayerischen Gammelfleischfunde vom 25. August 2006 deshalb erst am 1. September 2006 informiert, weil er erst habe klären lassen, „ob man
zu ziehen, dass die Bundesregierung in anderen Fällen eine
Information der Öffentlichkeit über Funde verdorbener Lebensmittel unterlassen hat, die er nicht als „größeres Geschehen“ bewertete, und, wenn ja, um welche Fälle handelte es
sich dabei?
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau
Höhn, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Die Information der Öffentlichkeit ist und war auch in diesem Fall
Aufgabe des Bundeslandes, in dem sich das Geschehen
ereignet hat. Das Bundesland steht hier in der Verpflichtung, auch gegenüber der Öffentlichkeit.
Das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz hat die Öffentlichkeit von
sich aus und ohne formale Zuständigkeit jedoch ebenfalls informiert. Aus der in der Frage erwähnten Erklärung des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft
und Verbraucherschutz, Horst Seehofer, ist nach Auffassung der Bundesregierung in erster Linie der Schluss zu
ziehen, dass jedwede Information der Öffentlichkeit
durch die zuständigen Behörden natürlich zunächst eine
sorgfältige Aufklärung des zugrunde liegenden Sachverhalts erfordert. Art und Umfang dieser gebotenen Sachverhaltsermittlung richten sich nach den Umständen des
Einzelfalls. Generalisierende Ausführungen sind daher
insoweit nicht möglich.
Frau Kollegin, haben Sie eine Zusatzfrage? - Bitte.
Angesichts dessen, dass sich der Skandal mittlerweile
sehr ausgeweitet hat, ist es erschreckend, dass es offensichtlich sechs Tage dauert, um von einem ersten Anfangsverdacht, von dem am 25. August bereits in der
Zeitung berichtet wurde, der also bereits öffentlich bekannt war, zu dem Ergebnis zu kommen, dass es sich um
Gammelfleisch handelt und dass bei den Kontrollen einiges falsch gelaufen ist. Was will das Bundesministerium
tun, um diesen Missstand zu beheben, dass sechs Tage
für eine solche Recherche benötigt werden?
Zunächst weise ich noch einmal darauf hin, dass die
Kontrollen von den Bundesländern durchgeführt werden
und es deshalb auch die Aufgabe der Bundesländer ist,
die Öffentlichkeit zu informieren.
In Bezug auf den genannten Vorfall darf ich darauf
hinweisen, dass am 25. August eine Betriebsprüfung
stattgefunden hat. Daraufhin hat ebenfalls am 25. August
eine Presseagentur in Bayern auf diesen Vorstoß hingewiesen. So ist der Ablauf des Verfahrens. Am 31. August
wurde eine weitere dpa-Meldung verbreitet, dass in Bayern große Mengen von Gammelfleisch gefunden wurden. Bayern hat aber erst am 1. September dem BMELV
einen klaren und umfassenden Sachstandsbericht übermittelt. Die Informationen davor waren Tickermeldungen. Es ist nicht Aufgabe des Bundes, in die Öffentlichkeit zu gehen, was wir allerdings gemacht haben. Eine
Information der Öffentlichkeit kann nur auf einer fundierten Grundlage erfolgen. Diese Information ist erfolgt.
Haben Sie eine weitere Zusatzfrage?
Ja, ich habe eine weitere Zusatzfrage an den Staatssekretär.
Bitte schön.
Der Vorsitzende der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie, Jürgen Abraham, hat gesagt,
dass es sich bei den 1 500 Tonnen Gammelfleisch, die
jetzt gefunden worden sind, um ein Zehntel dessen handelt, was offensichtlich noch vagabundiert. Das heißt,
90 Prozent sind noch nicht entdeckt. Wir haben es also
mit einer Menge von 15 000 Tonnen zu tun, was umgerechnet auf jeden Menschen in Deutschland ungefähr
200 Gramm bedeutet. Das ist keine Kleinigkeit. Was will
das Bundesministerium tun, um diese 90 Prozent des
Gammelfleischs, die noch gar nicht entdeckt worden
sind, zu finden und den Verbraucher davor zu schützen?
Frau Kollegin Höhn, die Zahlen, die Sie jetzt in den
Raum stellen, sind reine Spekulation. Dennoch hat das
Bundesministerium die zuständigen Bundesländer in einer Sonderkonferenz der Verbraucherschutzminister eindringlich darauf hingewiesen, alle notwendigen Maßnahmen vor Ort in der Zuständigkeit der Bundesländer
umzusetzen. Dies ist in vollem Gange. Ich verweise aber
noch einmal auf die Zuständigkeit der Bundesländer für
die Kontrollen im Lebensmittel- und im Fleischbereich.
Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
Die Frage 4 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch und die
Frage 5 der Kollegin Monika Lazar werden gemäß Nr. 2
Abs. 2 der Richtlinien schriftlich beantwortet.
Nun rufe ich den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung auf. Für die Beantwortung der Frage steht der Parlamentarische Staatssekretär Andreas Storm zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 6 der Kollegin Cornelia Hirsch auf:
Bleibt die Bundesregierung bei der in ihrer Antwort auf
die Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke „Neue Regelungen
zur Hochschulzulassung und zu Studienabschlüssen“ ({0}) vertretenen Auffassung, dass für
den Bund nach der Föderalismusreform keine Möglichkeit zur
bundesweiten Regelung des Hochschulzugangs für Menschen
mit Berufsabschluss besteht und sie demnach von ihrem im
Koalitionsvertrag angekündigten Vorhaben Abstand nimmt?
Frau Präsidentin! Ich beantworte die Frage der Abgeordneten Hirsch wie folgt: In der Fragestellung wird die
Auffassung der Bundesregierung unzutreffend wiedergegeben. Die Bundesregierung hat von dem im Koalitionsvertrag der Parteien CDU, CSU und SPD formulierten
politischen Ziel der Verbesserung der Durchlässigkeit
des Bildungssystems insbesondere auch im Hinblick auf
den Hochschulzugang von beruflich Qualifizierten zu
keinem Zeitpunkt Abstand genommen. Die Umsetzung
dieses Ziels strebt die Bundesregierung gemeinsam mit
den Ländern an. Die Bundesregierung hat in der Beantwortung der Frage 10 in der genannten Kleinen Anfrage
jedoch darauf hingewiesen, dass von der neuen Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Hochschulzulassung nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 33 des Grundgesetzes Regelungen des Hochschulzuganges nicht umfasst sind. So
heißt es nämlich in der Begründung des Gesetzentwurfes
ausdrücklich, dass von dieser Kompetenz Regelungen
des Hochschulzuganges, die aufgrund ihres engen
Bezugs zum Schulwesen zur Zuständigkeit der Länder
gehören, nicht erfasst werden.
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Danke schön für die Beantwortung. Der Begründung
kann ich allerdings nicht ganz folgen und ich möchte
deshalb nachfragen. Sie haben eben zitiert „aufgrund ihres engen Bezugs zum Schulwesen“, haben sich also auf
Kompetenzen der Länder bezogen. Bei der beruflichen
Bildung handelt es sich aber explizit um eine Kompetenz, die beim Bund liegt. Von daher ist mir unklar, weshalb diese Formulierung - Hochschulzugang mit engem
Bezug zum Schulwesen - Sie daran hindern könnte, eine
Regelung zum Hochschulzugang zu treffen, die einen
sehr engen Bezug zu der Bundeskompetenz, nämlich zur
beruflichen Bildung, hat. Könnten Sie darauf näher eingehen und das begründen?
Die Bundesregierung interpretiert diesen Passus in
der Begründung ausdrücklich so, dass die Regelung des
Hochschulzugangs nicht in die Bundeskompetenz fällt.
Der politisch entscheidende Punkt ist aber, dass die Bundesregierung unverändert an der Absicht festhält, dort,
wo das bisher noch nicht der Fall ist, deutlich verbesserte Möglichkeiten für den Zugang aus dem Bereich des
dualen Bildungssystems in das Hochschulstudium zu
schaffen.
Es gibt in einer Reihe von Ländern schon sehr weit
reichende Regelungen. Ich darf zum Beispiel auf die Regelungen in Ihrem Heimatland Thüringen oder auch auf
die Regelungen im Land Hessen verweisen, um nur zwei
Bundesländer zu nennen, die in den letzten Jahren rechtliche Voraussetzungen für den Zugang von Personen an
die Hochschule geschaffen haben, die ihre Qualifizierung zunächst im dualen System erhalten haben.
Sie haben die Möglichkeit einer zweiten Zusatzfrage.
Danke schön. - Meine Frage bezog sich explizit auf
eine bundesweit einheitliche Regelung. Deshalb noch
eine Nachfrage.
Die Bundesregierung hätte durchaus die Möglichkeit,
beispielsweise im Rahmen der Verhandlungen zum
Hochschulpakt die Zuweisungen an die Länder an die
Bedingung zu koppeln, dass die Länder sich auf solch
eine bundesweit einheitliche Regelung verständigen
oder zumindest in ihrem Gebiet den Zugang entsprechend ermöglichen.
Wenn Sie sagen, es sei das politische Ziel der Bundesregierung, dass so etwas geschieht, dann frage ich: Gibt
es Vorstöße der Bundesregierung im Rahmen der Verhandlungen zum Hochschulpakt oder sind in dieser Hinsicht andere Maßnahmen geplant?
Frau Abgeordnete Hirsch, es gibt eine ganze Reihe
von Ansatzpunkten für die Behandlung dieses Themas
und für Vorstöße der Bundesregierung. Ich darf unter anderem den Europäischen Qualifikationsrahmen und den
in den nächsten Jahren auszuarbeitenden Nationalen
Qualifikationsrahmen nennen.
Beim Hochschulpakt geht es vor allem darum, die
Kapazitäten in der Lehre für den absehbaren Anstieg der
Studierendenzahlen um etwa 25 Prozent in den nächsten
sechs Jahren sicherzustellen und gleichzeitig in ausreichendem Umfang mehr Anreize für die Forschung an
den Hochschulen zu schaffen. Diese wichtige Aufgabe
von einer solchen Detailfrage abhängig zu machen,
scheint mir keine kluge Erwägung zu sein.
Aber noch einmal: Es gibt eine ganze Reihe von Ansatzpunkten, an denen wir dieses Thema in Abstimmung
mit den Ländern beharrlich weiterverfolgen.
Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen für die Beantwortung dieser Fragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen
Amtes. Für die Beantwortung der Frage steht Herr
Staatsminister Gernot Erler zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 7 des Kollegen Volker Beck auf:
Mit welchen Maßnahmen unterstützt die Bundesregierung
die Umsetzung der UN-Sicherheitsratsresolution 1706 - Sudan/
UNMIS - und was unternimmt sie, um einen Genozid in Darfur/
Sudan zu stoppen bzw. zu verhindern?
Herr Kollege Beck, ich beantworte zunächst den ersten Teil Ihrer Frage.
In der Resolution 1706 vom 31. August 2006 beschloss der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eine
auf die Region Darfur bezogene Aufgabenerweiterung
der VN-Mission im Sudan, der UNMIS. Dies dient dem
Ziel, die rasche und wirksame Durchführung des Darfurfriedensabkommens vom Mai dieses Jahres zu unterstützen. Dafür ist derzeit die Afrikanische Union, die AU,
mit ihrer Friedensmission AMIS zuständig. Die AU hat
jedoch ihre Kapazitätsgrenze erreicht. Ohne internationale Unterstützung für AMIS in der Übergangsphase ist
eine effektive Wahrnehmung der Aufgaben nur noch bedingt möglich. Vor diesem Hintergrund wurde in der
Resolution 1706 auch die umgehende logistische und
personelle Unterstützung von AMIS durch die Vereinten
Nationen beschlossen.
Die Bundesregierung unterstützt AMIS im Rahmen
einer gemeinsamen Aktion der EU, die Hilfe in den Bereichen Ausbildung, Planungsberatung und Lufttransport leistet. Außerdem stellt Deutschland bis zu fünf Zivilpolizisten, die als Berater und Ausbilder tätig sind.
Gerade heute reisen fünf Polizeibeamte im Rahmen eines regulären Personalwechsels in den Sudan.
Die Resolution 1706 legt ferner fest, dass UNMIS
spätestens bis zum 31. Dezember 2006 von AMIS die
Verantwortung für die Unterstützung der Durchführung
des Darfurfriedensabkommens übernehmen soll. Die
Bundesregierung beteiligt sich an den diplomatischen
Bemühungen, die Zustimmung der sudanesischen Regierung zu diesem Übergang zu bewirken. Im Rahmen
der Europäischen Union hat sich die Bundesregierung
erfolgreich für die Verabschiedung von Ratsschlussfolgerungen eingesetzt, in denen die sudanesische Regierung unmissverständlich zur Zustimmung zu der UNMission in Darfur aufgefordert wird. So viel zum ersten
Teil Ihrer Frage.
Ich komme jetzt zum zweiten Teil: Grundlage für ein
dauerhaftes Ende der Gewalt in Darfur ist eine politische
Lösung des Konflikts. Die Bundesregierung unterstützt
daher die Mission AMIS der Afrikanischen Union, zu
deren Mandat auch der Schutz der Zivilbevölkerung gehört, und setzt sich für eine schnelle Umsetzung der Resolution 1706 ein.
Im Übrigen wurde zur Unterbindung der Gewalt in
Darfur vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mittels mehrerer Resolutionen - ich nenne hier insbesondere die Nummern 1556 von 2004, 1591 von 2005 und
1672 von 2006 - ein Sanktionsregime erlassen. Es besteht ein Waffenembargo und ein Verbot für offensive
militärische Flüge. Außerdem wurden Reisebeschränkungen und Finanzsanktionen gegen Personen verhängt,
die den Friedensprozess und die Stabilität in Darfur bedrohen, Menschenrechtsverletzungen begehen oder gegen das Waffenembargo verstoßen. Die Bundesregierung hat diese Maßnahmen vollständig umgesetzt.
Der UN-Sicherheitsrat hat zudem mit der UN-Resolution 1593 von 2005 den Internationalen Strafgerichtshof
mit der strafrechtlichen Verfolgung von Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen in Darfur beauftragt. Der IStGH hat daraufhin im Juni 2005 offizielle
Ermittlungen eingeleitet.
Darüber hinaus setzt sich die Bundesregierung für
eine Fortsetzung und Ausweitung des Dialogs der betroffenen Gruppen ein. Von besonderer Bedeutung ist
hier die Partizipation der Zivilgesellschaft, die bislang
nicht ausreichend an den Diskussionen um eine stabile
Friedenslösung beteiligt wurde. Der im Darfurfriedensvertrag vereinbarte so genannte Darfur-Darfur-Dialog
kann dazu einen wichtigen Beitrag leisten.
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Vielleicht kurz eine Bemerkung vorab: Das, was Sie
vorgetragen haben, zeigt, wie ich finde, dass das, was
wir zurzeit tun, nicht ausreichend ist. Es ist gut und
schön, dass wir fünf Polizisten in Darfur zur Unterstützung einsetzen. Die Resolution 1706 sieht aber nach
meiner Kenntnis 22 000 Soldaten und Polizisten zusätzlich zur Verstärkung von UNMIS in Darfur vor. Da kann
der Beitrag der Bundesregierung bzw. der Bundesrepublik Deutschland zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht
überzeugen.
Ich möchte Sie nun fragen, wie es sich die Bundesregierung vorstellt, diesen Teil der UNMIS-Mission, der ja
von der Völkergemeinschaft erst einmal dargestellt werden muss, zu erfüllen, welche Länder bislang relevante
Kontingente zur Verfügung gestellt haben, und warum
die Bundesregierung nichts zur Verfügung stellen kann
oder will, obwohl man selbst jetzt, wo AMIS im Land
ist, von einem schleichenden Völkermord sprechen
muss. Ob AMIS noch länger als bis zum Ende dieses
Monats bzw. dieses Jahres bleibt, ist völlig offen, sogar
eher unwahrscheinlich. Das heißt, die derzeitig schon
schlechte Lage, die zur Folge hat, dass in vielen Teilen
Darfurs keine Versorgung mit Lebensmitteln möglich
ist, wird sich noch weiter verschlechtern und das Sterben
wird noch eklatant weiter zunehmen. Vor diesem Hintergrund muss man ja einerseits schauen, mit welchen
Maßnahmen man auf die Regierung in Khartum Druck
ausübt, damit sie eine Umsetzung der Resolution 1706
akzeptiert. Andererseits muss man sich fragen, wer
dann, wenn die Regierung sie akzeptiert, was tut.
Deshalb meine Fragen: Wer soll nach den Vorstellungen der Bundesregierung diesen zusätzlichen UNMISEinsatz darstellen? Es sind, glaube ich, 17 000 Soldaten
und 5 000 Polizeikräfte vorgesehen. Welche Vorstellungen hat die Bundesregierung bezüglich einer Beteiligung
der Bundesrepublik Deutschland?
Herr Kollege Beck, zunächst noch einmal zur Klarstellung: Im Rahmen von AMIS sind nicht lediglich fünf
Polizisten im Einsatz, sondern die Bundesregierung hat
auch schon mehrfach Lufttransporte im Rahmen von
AMIS durchgeführt. Das hat auch viel Anerkennung
vonseiten der Afrikanischen Union gefunden. Wir beteiligen uns also schon aktiv an der AMIS-Mission.
Man darf auch nicht vergessen, dass wir gleichzeitig
auch noch an UNMIS beteiligt sind. Dazu ist auf der Kabinettssitzung, aus der ich gerade komme, der Beschluss
gefasst worden, dass wir uns mit maximal 75 Soldaten
und weiteren vier Polizisten, die dort eingesetzt werden
sollen, beteiligen. Insofern handelt es sich schon um ein
deutlich sichtbares Engagement, das die Bundesregierung im Sudan bei diesen im Grunde genommen verschränkten Friedensprozessen, einerseits zwischen Norden und Süden, andererseits zwischen Darfur und dem
Rest des Landes, an den Tag legt.
Was Ihre Frage nach der Umsetzung der Resolution
1706 vom 31. August dieses Jahres angeht, habe ich eine
gute Nachricht: Wir gehen davon aus, dass jetzt gesichert ist - dafür hat sich die Bundesregierung außerordentlich intensiv eingesetzt -, dass AMIS bis zum Ende
dieses Jahres in Darfur bleiben wird.
Wir wissen, wie schwierig die Mission von AMIS vor
Ort ist und dass ein Auslaufen des Mandates zum Ende
dieses Monats zur Debatte stand. Heute trifft sich der
Peace and Security Council der AU am Rande der UNVollversammlung in New York. Wir erwarten, dass dort
der Beschluss gefasst wird, das Mandat für AMIS um
drei Monate, also bis zum Ende dieses Jahres, zu verlängern. Der Übergang von der AMIS-Mission zu der erweiterten UNMIS-Mission, das so genannte Rehatting,
wäre auf diese Weise sichergestellt. Das wird aber nur
funktionieren, wenn weitere umfangreiche finanzielle
Mittel für die AMIS-Mission zur Verfügung gestellt
werden. Die Vereinten Nationen planen, AMIS mit der
Bereitstellung von Mitteln in Höhe von 70 Millionen Dollar zu befähigen, wenigstens eine minimale
Schutzfunktion bis zum Ende dieses Jahres vor Ort
wahrzunehmen.
Die Weltgemeinschaft hat sich in der Tat auf zwei
Punkte konzentrieren müssen. Der erste Punkt ist die
Verlängerung der AMIS-Mission bis zum Ende dieses
Jahres. Der zweite Punkt, den Sie selbst angesprochen
haben, ist die bisher vehemente Ablehnung der erweiterten UNMIS-Mission durch Präsident al-Baschir und die
sudanesische Regierung. In seiner Rede vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen hat er seine Drohung wiederholt, dass er eine solche Mission nicht zulassen will.
Im Augenblick hat es also nicht viel Sinn, Truppensteller nach einer Umsetzung zu befragen, weil in der
Weltgemeinschaft Einvernehmen darüber besteht, dass
rein faktisch und aus Sicherheitsgründen eine Umsetzung der Resolution 1706, die den Einsatz von 22 500
uniformierten Kräften vorsieht, ohne eine Zustimmung
der sudanesischen Regierung nicht möglich ist.
Ich habe Ihnen schon dargelegt, dass es im Augenblick große Anstrengungen gibt, eine Änderung der Haltung der sudanesischen Regierung zu erreichen. Darauf
konzentriert sich die Aktivität der Bundesregierung in
Zusammenarbeit mit den anderen EU-Staaten. Erst danach wird sich die Frage nach den Truppenstellern ergeben.
Haben Sie eine weitere Zusatzfrage? - Bitte.
Ihre Haltung verstehe ich dem Grunde nach. Umso erstaunlicher finde ich es, dass sich die Bundeskanzlerin in
der letzten Haushaltswoche zu dieser Frage negativ eingelassen hat. Sie hat gesagt, dass sich Deutschland an
UNMIS in Darfur nicht beteiligen wird, weil wir - wie
heute Morgen beschlossen - einen seegestützten Einsatz
im Libanon durchführen.
In seinem Artikel im „Tagesspiegel“ vom Sonntag
warnt Kofi Annan zu Recht davor, dass wir in Darfur ein
zweites Ruanda erleben könnten. In den letzten Jahren
sind dort schon einige Hunderttausend Menschen zu
Tode gekommen.
Herr Kollege, darf ich Sie daran erinnern, dass Sie
eine Zusatzfrage stellen wollten?
Nach der Geschäftsordnung dürfen wir die Zusatzfrage kurz begründen, Frau Präsidentin.
Ja, kurz.
Des Weiteren hat Kofi Annan darauf hingewiesen,
dass schon insgesamt 2 Millionen Menschen vertrieben
wurden.
Ich selbst war mit dem Menschenrechtsausschuss im
Juni vor Ort und habe mir die Situation angeschaut. Es
war damals eine relativ ruhige Phase. Jetzt ist die Lage
wesentlich dramatischer. Kofi Annan hat gesagt, die Vetomächte - ich finde, auch Deutschland als starkes Land
ist im Hinblick auf diese außenpolitischen Fragen genauso angesprochen - sollen sich konsistent gegenüber
der sudanesischen Regierung verhalten. Zu dem notwendigen Druck gehört für mich auch, dass die Bundesregierung einerseits versucht, die Sanktionen für den Fall zu
erweitern, dass die sudanesische Regierung nicht zustimmt, und dass sie andererseits bereit ist, die Völkergemeinschaft bei einem erweiterten UNMIS-Einsatz zu unterstützen. Wir sollten nicht jetzt schon sagen, dass wir
dazu nicht in der Lage sind, da wir noch gar nicht wissen, was man von uns verlangt.
Teilen Sie die Ansicht, dass man hier weitergehen
muss? Welche Unterstützung können wir der Völkergemeinschaft im Rahmen einer konstruktiven Zusammenarbeit anbieten? Welche Schritte sind möglich, um die
sudanesische Regierung gegebenenfalls mit Sanktionen
zur Akzeptanz der Resolution 1706 zu bewegen?
Kollege Beck, ich teile die Eindrücke, die Sie vor Ort
gesammelt haben, vollkommen. Auch ich habe vor kurzem Darfur besucht, bin in Flüchtlingslagern gewesen
und kann nur darin zustimmen, dass die Entwicklung
dort absolut dramatisch ist.
Aber gerade deswegen, Herr Kollege Beck, macht es
Sinn - das habe ich eben ausgeführt -, zunächst einmal
dafür zu sorgen, dass AMIS mit seiner Grundschutz- und
übrigens auch Beobachterfunktion weiter vor Ort tätig
sein kann. Es war eine sehr schwierige Aufgabe, das zu
bewältigen. Dazu musste man die Staaten der AU überzeugen. Dazu musste man in der UN dafür sorgen, dass
entsprechende Mittel bereitgestellt werden; die Summe
habe ich genannt. Wir erwarten dazu heute einen positiven Beschluss des Friedens- und Sicherheitsrates der
AU.
Es macht auch Sinn - insofern möchte ich die Antwort auf Ihre erste Nachfrage erweitern -, sich ganz darauf sowie auf die Androhung von Sanktionen und auf
Versuche zu konzentrieren, Staaten einzubinden, die
enge Beziehungen zu dem Sudan haben - ich denke zum
Beispiel an China, aber auch an Russland; das ist zum
Teil gelungen -, um Druck auszuüben. Ich weise darauf
hin, dass die von Ihnen als Ausgangspunkt genommene
Resolution 1706 durch ein Veto Chinas und Russlands
durchaus hätte verhindert werden können. Das ist nicht
passiert. Das ist ein erstes Signal an die sudanesische
Regierung, dass sie sich nicht darauf verlassen kann,
dass ihre engeren Partner einen anderen Weg gehen.
Auf all dies konzentriert sich die Bundesregierung im
Augenblick. Ich sage noch einmal: Eine Entscheidung,
was die Truppensteller angeht, steht jetzt nicht auf der
Tagesordnung und kann, solange die politischen Rahmenbedingungen nicht geklärt werden, sinnvollerweise
nicht Gegenstand unserer Beratungen sein.
Herr Staatsminister, ich danke Ihnen für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Für die Beantwortung steht
Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Christoph
Bergner zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 8 des Kollegen Volker Beck ({0})
auf:
Wie bewertet die Bundesregierung kriminalistisch und
verfassungsrechtlich eine eventuelle Speicherung der Religionszugehörigkeit vor dem Hintergrund des Art. 140 des
Grundgesetzes in Verbindung mit Art. 136 Abs. 3 Weimarer
Reichsverfassung: „Niemand ist verpflichtet, seine religiöse
Überzeugung zu offenbaren. Die Behörden haben nur soweit
das Recht, nach der Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft zu fragen, als davon Rechte und Pflichten abhängen
oder eine gesetzlich angeordnete statistische Erhebung dies
erfordert“?
Herr Kollege Beck, ich beantworte Ihre Frage wie
folgt: Die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppierungen
kann ein kriminalistisch bedeutsames Merkmal für eine
sicherheitsbehördliche Abfrage darstellen. In diesem Zusammenhang kann auch die Zugehörigkeit zu einer Religions- und Weltanschauungsgemeinschaft oder deren
Untergliederungen von Bedeutung sein.
Die negative Bekenntnisfreiheit, die durch Art. 4
Abs. 1 und 2 des Grundgesetzes ebenso wie durch
Art. 140 des Grundgesetzes in Verbindung mit Art. 136
Abs. 3 Satz 1 der Weimarer Reichsverfassung geschützt
wird, kann im Sinne kollidierenden Verfassungsrechts
und im Rahmen des in Art. 136 Abs. 3 Satz 2 der Weimarer Reichsverfassung genannten Vorbehaltes unter
Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit eingeschränkt werden. Ich darf diesen Vorbehalt noch einmal zitieren:
Die Behörden haben nur soweit das Recht, nach der
Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft zu fragen, als davon Rechte und Pflichten abhängen oder
eine gesetzlich angeordnete statistische Erhebung
dies erfordert.
Diese Maßgaben sind letztlich auch für die Speicherung und Weitergabe zu beachten. Danach kann im Rahmen der vorstehend genannten Erwägungen eine Speicherung und Weitergabe der oben genannten Daten
grundrechtlich zulässig sein.
Ihre Zusatzfrage, Herr Kollege.
Da die Bundesregierung heute die Einführung einer
Antiterrordatei beschlossen hat, würde mich insbesondere interessieren, wie es sich dabei mit der Speicherung
der Daten der Religionszugehörigkeit verhält. Ich meine,
dass es nicht zu begründen ist, dass man allein aus der
Zugehörigkeit zur islamischen Religionsgemeinschaft irgendeinen Verdacht kriminalistischer Natur impliziert,
sondern allenfalls bei der Zugehörigkeit oder Nähe zu einer islamistischen Gruppierung. Aber das ist etwas anderes als die Religionszugehörigkeit.
Nach meiner Auffassung sind die Gründe, aus denen
man Daten zur Religionszugehörigkeit speichern darf, in
dem von Ihnen zitierten Artikel der Weimarer Reichsverfassung, der geltendes Grundgesetzrecht ist, abschließend genannt. Darunter fällt die Antiterrordatei ausdrücklich nicht.
Herr Kollege Beck, ich darf Sie darauf aufmerksam
machen, dass in dem Gesetzentwurf, den das Kabinett
heute beschlossen hat, die Passage enthalten ist, dass
Angaben zur Religionszugehörigkeit, soweit diese im
Einzelfall zur Aufklärung oder Bekämpfung des internationalen Terrorismus erforderlich sind, aufgenommen
werden sollen. Die Bundesregierung ist sich der Schutzgüterabwägung, die sowohl im Hinblick auf die negative
Bekenntnisfreiheit als auch im Hinblick auf das Recht
auf informationelle Selbstbestimmung beachtet werden
muss, durchaus bewusst. Sie macht aber geltend, dass
die Sicherheit des Bundes und der Länder sowie Freiheit
und Sicherheit der Person nach der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts ebenfalls wichtige Schutzgüter sind, die in den Abwägungsprozess einzubringen
sind. Der Gesetzentwurf, über den das Parlament noch
zu diskutieren und zu befinden hat, ist deshalb entsprechend abgefasst worden.
Ihre zweite Zusatzfrage.
Das Bewusstsein ist ja schön und gut. Es stellt sich nur
die Frage, was aus dem Bewusstsein folgt: ob die Lösung
in diesem Bewusstsein sachgerecht ist. Deshalb möchte
ich von Ihnen gerne wissen, in welchen Fällen man aus
der Religionszugehörigkeit - ich vermute einmal, dass
damit die Zugehörigkeit zu einer islamischen Glaubensgemeinschaft gemeint ist, weil wir in der Innenpolitik
über andere religiös bzw. konfessionell motivierte Terrortaten gegenwärtig nicht diskutieren -, also aus der Zugehörigkeit zu der islamischen Glaubensgemeinschaft, eine
Sicherheitsgefährdung ableiten kann. Ist dies nicht vielmehr nur dann der Fall, wenn jemand einer bestimmten
radikalislamischen Gruppierung nahe steht?
Herr Kollege Beck, ich lege großen Wert darauf, dass
im Gesetzentwurf der Bundesregierung von Religionszugehörigkeit allgemein die Rede ist. Hier wird nicht der
Fokus auf eine bestimmte Religionszugehörigkeit gelegt. Ich wäre auch dankbar, wenn das Parlament bei der
Beratung dieses Gesetzentwurfs nicht den Eindruck erweckte, als würde dies in einer Ausschließlichkeit, die
dann auch diskriminierend sein kann, vorgenommen.
Der zweite Punkt, auf den ich in diesem Zusammenhang hinweisen muss, ist - deshalb habe ich diese Passage zitiert -, dass die Speicherung der Religionszugehörigkeit nur dann erfolgen kann, wenn Beziehungen zu
terroristischen Aktivitäten nahe liegend sind. Dieser Formulierung sind intensive Gespräche mit Sicherheitsbehörden auch in den Ländern vorausgegangen. Es ist also
keine Formulierung, die auf einem plötzlichen Einfall
beruht. Es gibt vielmehr ein sicherheitspolitisches Bedürfnis, das zu diesem Gesetzentwurf geführt hat.
({0})
Herr Kollege, Sie hatten die Möglichkeit, zwei Zusatzfragen zu stellen.
({0})
- Sie müssen diesen Dialog, ob Sie wollen oder nicht,
offensichtlich an anderer Stelle weiterführen.
Die Frage 9 der Kollegin Monika Lazar wird gemäß
Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde schriftlich beantwortet.
Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Für
die Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Karin Roth zur Verfügung.
Die Fragen 10 und 11 des Kollegen Peter Hettlich
werden schriftlich beantwortet, ebenso die Frage 12 der
Kollegin Cornelia Behm.
Damit rufe ich Frage 13 des Kollegen Dr. Anton
Hofreiter auf:
Wie ist der Widerspruch zu erklären, dass in der Antwort
auf die Kleine Anfrage der Fraktion des Bündnisses 90/Die
Grünen „Fünfjahresplan für die Bundesfernstraßen“ auf Bundestagsdrucksache 16/2202 darauf verwiesen wird, dass angesichts des derzeitigen Sachstandes noch keine konkreten Aussagen zur Aufnahme von Maßnahmen in den FJP und deren
Investitionsstruktur getroffen werden können, gleichzeitig
aber der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Ulrich Kasparick,
unter Verweis auf den Fünfjahresplan schon Zusagen über den
Bau von Bundesstraßen macht?
Vielen Dank. - Herr Kollege Dr. Hofreiter, ich
möchte Ihre Frage folgendermaßen beantworten: Der
Entwurf des Fünfjahresplans befindet sich in der Abstimmungsphase. In diesem Zusammenhang werden natürlich Gespräche über mögliche Projekte geführt. Abschließende Entscheidungen über Struktur und Inhalt des
Fünfjahresplans sind jedoch nicht getroffen worden.
Dieser befindet sich zurzeit in der Abstimmung. Selbstverständlich führt auch der Herr Parlamentarische
Staatssekretär Kasparick zu den Projekten des Fünfjahresplans Gespräche. Hinweise auf eine mögliche oder
wahrscheinliche Aufnahme in den Investitionsrahmenplan stehen aber immer noch unter dem Vorbehalt der
endgültigen Entscheidung.
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Dann stimmen Sie mir also zu, dass Äußerungen von
Abgeordneten, ein bestimmtes Projekt sei in den „Fünfjahresplan für die Bundesfernstraßen“ aufgenommen,
nicht wahrheitsgemäß sind?
Wenn Abgeordnete behaupten, dass ein Projekt aufgenommen wurde, dann ist diese Aussage immer unter
dem Vorbehalt der endgültigen Entscheidung zu sehen.
Haben Sie eine weitere Zusatzfrage? - Bitte.
Wann wird der „Fünfjahresplan für die Bundesfernstraßen“, der inzwischen seit weit mehr als einem Jahr
überfällig ist, endgültig fertig sein?
Sie wissen, dass die neu gebildete Bundesregierung
Koordinations- und Abstimmungsgespräche mit dem
Parlament und den Ländern führt. Wir gehen davon aus,
dass in den nächsten Wochen darüber entschieden wird
und sich dann die entsprechenden Gremien des Parlaments damit befassen können.
Ich rufe die Frage 14 des Kollegen Wolfgang Wieland
auf:
Entspricht die Aussage der Bundeskanzlerin Dr. Angela
Merkel, „Tempelhof soll bleiben“ ({0}), der Auffassung der Bundesregierung trotz des offenkundigen Widerspruchs zur Äußerung
des Sprechers der Bundesregierung vom gleichen Tage, der
Bund stehe weiter dazu, den Flughafen Tempelhof wie geplant zum 31. Oktober 2007 zu schließen ({1})?
Kollege Wieland, die Bundesregierung steht zum
Konsensbeschluss mit den Ländern Berlin und Brandenburg. Danach wird in Schönefeld der Flughafen Berlin
Brandenburg International, BBI, als Singleairport errichtet und die bisherigen internationalen Berliner Flughäfen
Tegel und Tempelhof werden geschlossen.
Haben Sie eine Zusatzfrage? - Bitte.
Wenn das so ist, frage ich mich, wie es kommt, dass
die Bundeskanzlerin Ende August im Rahmen einer öffentlichen Veranstaltung ausgeführt hat, sie werde sich
für ein Offenhalten von Tempelhof einsetzen, und damit
Hoffnungen, zum Beispiel bei der Industrie- und Handelskammer, geweckt hat.
Ich gehe davon aus, dass das, was wir mit den Ländern Berlin und Brandenburg verhandelt haben, nach
wie vor gilt. Sicherlich gibt es eine öffentliche Debatte
darüber, insbesondere was Tempelhof angeht; aber es
gibt bisher keine andere Entscheidung seitens der Bundesregierung.
Weitere Zusatzfrage.
Davon war ja auszugehen. Die Bundeskanzlerin hat
auch nicht gesagt: Das Bundeskabinett hat einen neuen
Beschluss gefasst. Sie hat vielmehr gesagt: Ich werde
mich dafür einsetzen, dass Tempelhof offen bleibt. Deswegen meine Frage: Gibt es irgendwelche Aktivitäten
der Bundeskanzlerin, die dahin zielen, das, was sie vor
der Berliner Wahl gesagt hat, nach der Berliner Wahl
umzusetzen?
Ich gehe davon aus, dass die Bundeskanzlerin noch
einmal initiativ würde, wenn es im Zusammenhang mit
Tempelhof neue Entwicklungen gäbe.
Ich rufe die Frage 15 des Kollegen Wieland auf:
Was hat die Bundeskanzlerin und/oder die Bundesregierung unternommen oder was werden sie unternehmen, um
dieses Versprechen aus dem Berliner Wahlkampf umzusetzen?
Diesbezüglich gibt es keine Zuständigkeit des Bundes. Die Kompetenz für die Genehmigung und den Betrieb von Flughäfen liegt nach dem Grundgesetz bei den
Ländern. Die zuständige Senatsverwaltung in Berlin hat
mittlerweile den Widerruf der Betriebsgenehmigung sowie die Befreiung von der Betriebspflicht für den Flughafen Tempelhof zum 31. Oktober 2007 ausgesprochen.
Herr Kollege, Ihre Zusatzfrage, bitte.
Frau Staatssekretärin, die Antwort, dass die Länder
zuständig sind, ist zweifelsohne richtig. Da genauso
richtig ist, dass es einen so genannten Konsensbeschluss
gibt, den der Bund und zwei Bundesländer gefasst haben
- Sie haben ihn angeführt -, kann ich doch davon ausgehen, dass der Bund nicht nur in die Frage des Baus eines
neuen Flughafens, den er mitfinanzieren soll, involviert
ist, sondern auch in die Frage der Aufrechterhaltung
oder Schließung der bisherigen innerstädtischen Flughäfen. Die Bundeskanzlerin hat nicht gesagt: Ich warte darauf, ob sich etwas Neues ergibt. Sie hat vielmehr gesagt: Ich werde aktiv und werde mich dafür einsetzen,
dass Tempelhof offen bleibt. Nun sagen Sie: Es gibt
keine Spur von irgendwelchen Äußerungen oder Aktivitäten - gar nichts. Heißt das, dass die Bundeskanzlerin
ihr Wahlversprechen gebrochen hat?
Sie haben nach den Zuständigkeiten gefragt. Das
Thema lautet: Wer ist für die Entscheidung, ob Tempelhof weiterbetrieben wird oder nicht, zuständig? Ich habe
ausgeführt, dass dies im Rahmen des Senatsbeschlusses
geklärt wurde. Inwieweit unsere Bundeskanzlerin direkt
oder indirekt Einfluss genommen hat, ist mir nicht bekannt.
Haben Sie eine weitere Zusatzfrage?
Es geht mir um den Kern meiner beiden eingereichten
Fragen. Es tut mir Leid. Ich habe nur gefragt: Was hat
die Bundeskanzlerin getan? Sie antworten: Mir ist nichts
bekannt. Sie antworten doch für die Bundesregierung.
Das heißt, die Chefin der Bundesregierung sagt, dass sie
etwas tut, und Sie als Staatssekretärin sagen, dass Ihnen
davon leider gar nichts bekannt ist. Heißt das, dass sie es
nicht getan hat oder dass Sie es möglicherweise nur nicht
wissen?
Ich gehe davon aus, dass die Bundeskanzlerin im
Rahmen ihrer Möglichkeiten aktiv werden konnte. Ob
der Senat der Initiative der Kanzlerin gefolgt ist, ist mir
nicht bekannt.
({0})
Frau Staatssekretärin, ich danke Ihnen für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.
Für die Beantwortung steht die Parlamentarische
Staatssekretärin Astrid Klug zur Verfügung.
Die Fragen 16 und 17 des Kollegen Fell werden
schriftlich beantwortet.
Damit kommen wir zur Frage 18 der Kollegin Bärbel
Höhn:
Hat sich die Bundesregierung im Zuge der Beratungen
über einen Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen
Parlaments und des Rates über Beschränkungen des Inverkehrbringens und der Verwendung von Perfluoroctansulfonaten, PFOS, für Ausnahmeregelungen eingesetzt, um die weitere Verwendung dieser Stoffe in der EU zu ermöglichen?
Bitte sehr.
Verehrte Frau Kollegin Höhn, Ihre Frage nach den
Beratungen über die europäische Richtlinie über die Beschränkung des Inverkehrbringens und der Verwendung
von Perfluoroctansulfonaten beantworte ich Ihnen wie
folgt:
Deutschland hat sich ebenso wie zahlreiche andere
Mitgliedstaaten in der Vergangenheit bei der Kommission der Europäischen Gemeinschaft mit großem Nachdruck für ein grundsätzliches Verbot des Inverkehrbringens und der Verwendung von PFOS eingesetzt. Von den
Beschränkungsmaßnahmen ausgenommen werden sollten dabei nur Anwendungen, für die es derzeit keine geeigneten Ersatzstoffe gibt. Hierzu zählen aus Sicht der
Bundesregierung lediglich bestimmte Anwendungen in
der Halbleiterindustrie, zum Beispiel fotolithografische
Prozesse in der Fotoindustrie, zum Beispiel industrielle
Beschichtungen von Filmen in der Galvanikindustrie,
zum Beispiel die Nutzung von Antischleiermitteln bei
der Verchromung sowie die Verwendung von PFOS in
Hydraulikflüssigkeiten für die Luft- und Raumfahrt.
Die Europäische Kommission hat daraufhin am
5. Dezember 2005 einen Richtlinienentwurf vorgelegt,
der ein grundsätzliches Verbot für PFOS mit den oben
genannten Ausnahmen vorsieht. Darüber hinaus enthält
der Richtlinienvorschlag der Kommission zusätzlich
eine Ausnahme für Feuerlöschschäume sowie eine generelle Ausnahme für die Verwendung von PFOS in überwachten geschlossenen Systemen, sofern die Emission
von PFOS einen bestimmten Grenzwert nicht überschreitet.
Bei den Beratungen in der Ratsarbeitsgruppe „Technische Harmonisierung - Gefährliche Stoffe“ hat sich die
Bundesregierung dafür eingesetzt, dass die beiden von
der Kommission zusätzlich vorgesehenen Ausnahmen
gestrichen werden. Hierfür gibt es eine breite Unterstützung der Mitgliedstaaten.
Die Streichung der Ausnahme von Feuerlöschschäumen hat auch der Bundesrat gefordert. Weiterhin hat der
Bundesrat die Bundesregierung gebeten, bei den Beratungen in Brüssel darauf hinzuwirken, dass die Ausnahme für den Einsatz von PFOS in der Halbleiterindustrie unbedingt beibehalten wird.
Bei der von der aktuellen Präsidentschaft erbetenen
Überprüfung und Spezifizierung der im Kommissionsvorschlag aufgeführten Ausnahmen hat sich herausgestellt, dass die Ausnahme bei der Verwendung von PFOS
als Antischleiermittel auf die Hartverchromung begrenzt
werden kann. Die Verwendung von PFOS als Antischleiermittel bei der dekorativen Verchromung ist nicht notwendig.
In diesem Zusammenhang hat sich auch herausgestellt, dass die von der Kommission vorgesehene Ausnahme für die Verwendung von PFOS in der Galvanikindustrie als Antischleiermittel für das Verchromen zu eng
gefasst ist. Es wurde nämlich übersehen, dass PFOS in
geringen Mengen auch als Netzmittel bei der Metallisierung von Kunststoffen, zum Beispiel bei der Aluminiumbeschichtung, verwendet wird. Auch hierzu gibt es
derzeit keine Alternativen. Nach dem aktuellen Vorschlag der finnischen Präsidentschaft ist deshalb die
Ausnahme für die Galvanik entsprechend überarbeitet
worden. Die Emissionen von PFOS sollen jedoch bei
den genannten Ausnahmen für die Galvanik durch die
Anwendung der besten zur Verfügung stehenden Technik auf das kleinstmögliche Maß reduziert werden. Auch
dieser Vorschlag stieß bei den Beratungen in Brüssel auf
breite Unterstützung der Mitgliedstaaten.
Da bei den Beratungen in Brüssel kein Konsens über
eine Befristung der Ausnahmen erzielt werden konnte,
hat sich Deutschland für die Aufnahme einer ReviewKlausel in die Richtlinie eingesetzt. Auch dieser Vorschlag fand breite Zustimmung bei den Mitgliedstaaten.
Über die genaue Ausgestaltung der Review-Klausel wird
derzeit noch beraten.
Zusammenfassend kann man also sagen, dass aus unserer Sicht nach derzeitigem Beratungsstand Beschränkungsmaßnahmen für das Inverkehrbringen und das Verwenden von PFOS geschaffen werden, die ein hohes
Maß an Umweltschutz sicherstellen und dabei die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen angemessen berücksichtigen.
Haben Sie eine Zusatzfrage, Frau Höhn?
Nun wissen die meisten Leute wahrscheinlich nicht,
was PFOS ist. Es ist ein hochgiftiger Stoff, eine Untergruppierung der perfluorierten Tenside. Die wurden
kürzlich in einem Fluss in Nordrhein-Westfalen festgestellt. Den Babys soll jetzt Mineralwasser gegeben werden, weil die Werte im Trinkwasser zu hoch sind. Über
diesen hochgiftigen Stoff reden wir nun. Ich hatte die
Bundesregierung dazu angeschrieben und habe Anfang
August eine Antwort bezüglich des Umgangs mit diesem
Stoff bekommen. Staatssekretär Machnig schreibt:
Die Bundesregierung begrüßt alle Maßnahmen, die
getroffen werden, um den Eintrag von PBT-Stoffen
- das umfasst auch PFOS … in die Umwelt so weit wie möglich zu reduzieren.
Die Bundesregierung unterstütze ausdrücklich den von
der EU-Kommission vorgelegten Richtlinienentwurf. Warum ist in der Antwort an die Abgeordnete Bärbel
Höhn von den ganzen Ausnahmen, die Sie jetzt hier lang
und breit darstellen, keine Rede gewesen?
({0})
Grundsätzlich ist die Position der Bundesregierung
- die sich auch in den noch nicht abgeschlossenen Verhandlungen und Beratungen über die Richtlinie auf europäischer Ebene ausdrückt - ein Verbot, mit Ausnahmen
dort, wo es keine Alternativstoffe für PFOS gibt und der
alternativlose Einsatz von PFOS in einem sehr geringen
Umfang erfolgt. In diesem Fall halten wir den Einsatz
für vertretbar und das ist auch Gegenstand der Beratungen auf europäischer Ebene.
Sie haben das Vorkommen von PFOS in NordrheinWestfalen angesprochen. Wir wissen, dass PFOS sehr
gefährlich ist. Es ist ein sehr persistenter, das heißt kaum
biologisch abbaubarer, und hochgiftiger Stoff. Das ist
unsere Motivation gewesen, auf europäischer Ebene gemeinsam mit anderen Mitgliedstaaten auf ein Verbot
bzw. Beschränkungen des Einsatzes von PFOS zu drängen. Bei dem Vorkommen in Nordrhein-Westfalen geht
es um die Verwertung eines Bioabfallgemisches, wobei
es offensichtlich unzulässigerweise zu einer Vermischung von Bioabfällen und industriellen Abfällen gekommen ist. Sie wissen, dass das Umweltministerium in
Nordrhein-Westfalen in dieser Sache ermittelt, gemeinsam mit belgischen Behörden, weil die Spur nach Belgien führt. Die Erkenntnisse, die dort gewonnen werden,
werden in den nächsten Wochen Gegenstand der Beratungen in der entsprechenden Länderarbeitsgruppe „Abfall“ und in der Umweltministerkonferenz sein. Dort soll
geprüft werden, ob wir daraus Konsequenzen für den
Umgang mit solchen Fällen ziehen müssen.
Haben Sie eine weitere Zusatzfrage?
Ja, danke schön. - Ich will noch einmal darauf hinweisen: Die Anmerkung Deutschlands zu der EU-Richtlinie, die die Ausnahmen beinhaltet - Sie haben das ja
eben noch einmal bestätigt -, ist vom April 2006. Es
geht immerhin um eine Menge von 450 Kilogramm allein in Deutschland, die von einer der Ausnahmen betroffen wäre. Wir wissen, dass diese Gifte im Mikrooder Nanogrammbereich am Ende in den Flüssen und im
Trinkwasser auftauchen. Von 450 Kilogramm auf Nanogramm heruntergerechnet, das bedeutet eine Menge Verdünnung. Deshalb stelle ich noch einmal meine Frage.
Schon im April hat sich die Bundesregierung auf EUEbene für die Ausnahmen eingesetzt. Das war Monate,
bevor ich meine Anfrage gestellt habe. Ich habe auf
meine Anfrage, in der ich genau diese Fragen gestellt
habe, im August eine Antwort bekommen, in der die
Ausnahmeregelungen, die Sie selber beantragt haben,
nicht enthalten sind. Ist das der Stil der Bundesregierung
Abgeordneten gegenüber?
Ich kenne den Brief, den Sie zitieren, nicht. Aber ich
gehe davon aus, dass Ihnen der damals aktuelle Stand
mitgeteilt wurde. Der Diskussionsprozess bezüglich der
Ausnahmen, der damals im Gang war und immer noch
andauert - es gibt noch keine abschließende Entscheidung über die Richtlinie -, beruht auf Risikofolgenabschätzungen, die dem wissenschaftlichen Stand entsprechen und zu dem Ergebnis geführt haben, dass das
Risiko abschätzbar und vertretbar ist, dass die Mengen,
um die es geht, so gering sind, dass auch das Umweltrisiko so gering wie möglich ist; denn der Einsatz von
PFOS bleibt auf die ganz wenigen Fälle, in denen es
keine alternativen Stoffe gibt, beschränkt.
Frau Staatssekretärin, ich danke Ihnen für die Beantwortung.
Die Fragen 19 und 20 der Kollegin Sylvia KottingUhl werden schriftlich beantwortet.
Im Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und des
Bundeskanzleramtes werden die Fragen 21 und 22 des
Kollegen Hans-Joachim Otto ({0}) und die
Fragen 23 und 24 des Kollegen Christoph Waitz ebenfalls schriftlich beantwortet.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Für die Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Gerd
Andres zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 25 der Kollegin Britta Haßelmann
auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, nachdem sie in ihrem
Entwurf zur Stellungnahme zum Fünften Bericht zur Lage der
älteren Generation in der Bundesrepublik Deutschland sagt,
sie teile die Einschätzung der Kommission, dass Anreize zur
Frühverrentung beseitigt und Maßnahmen zum Erhalt und zur
Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit älterer Menschen
auf den Weg gebracht werden müssen, die so genannte 58erRegelung ({1}) aufzuheben,
und, wenn ja, zu welchem Zeitpunkt?
Frau Kollegin Haßelmann, ich beantworte Ihre Frage
wie folgt: Die Bundesregierung hat nicht die Absicht,
diese Regelung aufzuheben. Sie läuft nach einer Verlängerung am 31. Dezember 2007 aus. Sie wird nach Festlegung der Koalitionsfraktionen nicht verlängert.
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Sehr geehrter Herr Kollege Staatssekretär, wie vereinbaren Sie Ihre jetzige Auskunft mit den Stellungnahmen
der Bundesregierung, die da lauten, dass solche Frühverrentungsstrategien kontraproduktiv für die Beschäftigungssituation der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind? Ich stelle hier einen Widerspruch fest: Sie
können doch nicht in Ihrer Stellungnahme zum Altenbericht darlegen, dass solche Maßnahmen kontraproduktiv
sind, aber dann, wenn es um das konkrete Regierungshandeln geht, sagen: Wir halten bis zum Ende des
Jahres 2007 an dieser Regelung fest.
Doch, das können wir. Wir haben es auch getan. Ich
will begründen, warum: Wir haben im gesamten Bereich
der Sozialpolitik eine Reihe von Veränderungen vorgenommen. Es gibt zwei Ausnahmen. Nicht geändert wurden § 428 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch und die
Regelung zur Altersteilzeit. Wir hielten es für notwendig, die Laufzeit des § 428 SGB III zu verlängern; das
Datum habe ich Ihnen genannt. Das hängt damit zusammen, dass wir in der Koalition verabredet haben - das
hatten wir schon zu einem früheren Zeitpunkt beschlossen -, die Bezugszeiten des Arbeitslosengeldes und entsprechender Leistungen zu verkürzen.
In der letzten Legislaturperiode haben wir die Arbeitslosen- und die Sozialhilfe zusammengelegt und die
Grundsicherung für bedürftige arbeitslose Menschen
eingeführt. Wir hielten es für notwendig, diese Regelung, §428 SGB III, für einen begrenzten Zeitraum zu
verlängern. Ich habe gesagt: Wir haben nicht die Absicht, sie erneut zu verlängern; dann läuft sie aus. Diese
Vorgehensweise macht Sinn.
Ihre Zusatzfrage.
Da Sie in Ihrer letzten Bemerkung gesagt haben, dass
das Sinn macht, frage ich Sie: Auf welche Daten beziehen Sie sich? Sie müssen die 58er-Regelung doch ausgewertet haben, um zu dem Ergebnis zu kommen, dass sie
eine durchaus sinnvolle Maßnahme ist, sowohl für die
Unternehmen als auch für die Beschäftigten. Mein Eindruck ist allerdings, dass die Beschäftigungsquote älterer
Menschen in Deutschland beschämend niedrig ist und
dass die Maßnahmen, die Sie gerade beschrieben haben,
nicht dazu geführt haben, dass für die Menschen ab
55 Jahren neue Beschäftigungsverhältnisse geschaffen
werden konnten.
Das weiß ich nicht. Noch vor wenigen Jahren betrug
die Beschäftigungsquote dieser Altersgruppe ungefähr
39 Prozent. In der Zwischenzeit liegt sie bei knapp
45 Prozent. Im Rahmen der Lissabonstrategie haben wir
uns auf das Ziel verständigt, in der gesamten Europäischen Union eine Beschäftigungsquote von 50 Prozent
zu erreichen.
Auf welche Daten beziehen wir uns? Nach wie vor ist
die Arbeitslosigkeit Älterer, insbesondere in der von Ihnen genannten Altersgruppe, relativ hoch. § 428 SGB III
sieht im Grunde genommen nur vor, dass man Leistungen bezieht, ohne der Vermittlung zur Verfügung stehen
zu müssen. Unsere Datenbasis habe ich Ihnen genannt.
Dass wir das für sinnvoll halten, habe ich Ihnen auch gesagt. Natürlich müssen wir daran arbeiten, die Beschäftigungsquote älterer Menschen zu erhöhen; denn das wird
immer notwendiger. Das tun wir auch.
Ich rufe die Frage 26 der Kollegin Haßelmann auf:
Welche Maßnahmen sieht die Bundesregierung für eine
Erhöhung der Beschäftigungsquote älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor, deren rechtlichen Rahmen sie verbessern will, wie in der erwähnten Stellungnahme erklärt?
Die Regierungsparteien haben im Koalitionsvertrag
festgehalten, dass sie sich einig sind, dass die Beschäftigungssituation älterer Menschen in Deutschland nachhaltig verbessert werden muss. Dazu bedarf es eines
Bündels abgestimmter Maßnahmen in den Bereichen
Arbeit, Bildung und Gesundheit. Fehlanreize zu Frühverrentung müssen beseitigt, die Beschäftigungsfähigkeit älterer Menschen erhalten und die Wiedereingliederung älterer Arbeitsloser verbessert werden. Mit der
Initiative „50 plus“ fördert die Bundesregierung das
Bestreben, die Fähigkeiten und Erfahrungen der über
50-Jährigen voll zu nutzen und das faktische Renteneintrittsalter deutlich zu erhöhen. Es geht um einen Wandel
der Einstellung insbesondere der Arbeitgeberinnen und
Arbeitgeber, es geht um den Abbau von Vorurteilen hinsichtlich Qualifikation, Leistungsbereitschaft und -fähigkeit älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Hier
müssen Politik und Sozialpartner gemeinsam initiativ
werden und im Rahmen ihrer jeweiligen Verantwortung
zu verbindlichen Vereinbarungen konkreten Ergebnissen
und zu praktikablen Lösungen kommen.
Konkret wird die Bundesregierung zur Erhöhung von
Beschäftigungsfähigkeit und Beschäftigungschancen einen Kombilohn für Ältere und einen Eingliederungszuschuss für die Einstellung Älterer auflegen, die berufliche Weiterbildung besser fördern sowie die Regelung,
dass Arbeitsverträge von Arbeitnehmern, die das
52. Lebensjahr vollendet haben, ohne sachlichen Grund
befristet werden dürfen, europarechtskonform ausgestalten.
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Andres, Sie haben in Ihrer Stellungnahme betont, dass Sie Fehlanreize
zur Frühverrentung vermeiden wollen. Wie, finden Sie,
geht das einher mit den Ergebnissen der Auswertung der
58er-Regelung?
Das zu erklären, habe ich eben schon mit zwei Antworten versucht. Ich sage es noch einmal: Wir befinden
uns in einer Übergangsphase. Wir haben alle Maßnahmen rentenrechtlicher und sonstiger Art, die Frühverrentung möglich machen, beseitigt. Faktisch besteht neben
der Altersteilzeit im Arbeitsförderungsrecht die Regelung des § 428 SGB III, die noch begrenzt beibehalten
wird. Nichtsdestotrotz hält die Bundesregierung es für
dringend notwendig, die Beschäftigungsfähigkeit zu erhöhen. Wir tun das schon die ganze Zeit, wir liegen da
gar nicht auseinander. Der Versuch, hier Widersprüche
zu konstruieren, ist zwecklos. Wir wollen die Beschäftigungsquote älterer Arbeitnehmer erhöhen. Wir glauben,
dass dazu in der Gesellschaft eine Veränderung notwendig ist, besonders bei den Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern, aber auch bei den Betroffenen selbst.
Haben Sie noch eine Zusatzfrage?
Sie haben das Programm „50 plus“ erwähnt. Wenn
die Öffentlichkeit die Presse liest, muss sie den Eindruck
gewinnen, Sie würden da etwas ganz Neues aus dem Hut
zaubern. Aus meiner Sicht sind es alte Maßnahmen, die
schon die letzte Bundesregierung auf den Weg gebracht
hat. Deshalb meine Frage: Was sind Sie darüber hinaus
bereit zu tun im Hinblick auf die Beschäftigungsfähigkeit älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer? Gibt
es Ihrerseits Kontakte zu den Gewerkschaften, zu den
Unternehmen? Wird es, wie in anderen europäischen
Ländern, groß angelegte, offensive Medienkampagnen
zur Gesellschaftspolitik, zum Bild älterer Menschen in
der Gesellschaft, geben? Planen Sie so etwas? Oder meinen Sie, mit dem Programm „50 plus“, das aus meiner
Sicht aus sehr alten Maßnahmen besteht, ist alles getan?
Wir planen nicht nur, was Sie alles aufgezählt haben,
sondern wir tun das auch. Wir haben sogar die Absicht,
das Renteneintrittsalter von 65 auf 67 zu erhöhen. Sie
wissen, dass es gegen bestimmte Maßnahmen kräftige
Widerstände gibt, aus ganz unterschiedlichen Lagern.
Wir haben ein großes Verbundnetzwerk unter dem Stichwort „Neue Qualität der Arbeit“ aufgelegt. Wir machen
große Versuchsreihen zu einem besseren Umgang mit
dem Alter, mit der Beschäftigung älterer Menschen. Wir
halten das Demografieproblem für ein ziemlich drängendes und wir setzen uns mit ihm auseinander. Dabei nehmen wir auch andere europäische Länder zum Vorbild;
das hat auch die alte Regierung getan. Sie wissen sicherlich, dass ich schon für die alte Regierung solche Fragen
beantwortet habe und daran gearbeitet habe und es jetzt
für die neue auch tue.
Die Frage 27 des Kollegen Dirk Niebel und die
Frage 28 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch werden
schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 29 der Kollegin Cornelia Hirsch
auf:
Mit welchen Modifikationen werden die vom Bundesminister für Arbeit und Soziales, Franz Müntefering, in seiner
Haushaltsrede angekündigten zusätzlichen Plätze zur so genannten Einstiegsqualifizierung Jugendlicher eingerichtet, um
den Erkenntnissen der Begleitforschung Rechnung zu tragen?
Frau Abgeordnete Hirsch, die Richtlinienänderung
wird derzeit vorbereitet. Im Kern wird die Aufstockung
der Plätze von 25 000 auf 40 000 vorgesehen.
Darüber hinaus soll klargestellt werden, dass Betriebe
erworbene Kenntnisse durch die Einstiegsqualifizierung
bescheinigen. Daneben erfolgen redaktionelle Anpassungen an die durch die Novelle zum Berufsbildungsgesetz geänderten Paragrafenfolgen, die wir entsprechend
aufnehmen wollen.
Ihre erste Zusatzfrage, bitte.
Danke schön. - Zielgruppe der Einstiegsqualifizierungen sollten gerade benachteiligte Jugendliche sein,
die auf dem Ausbildungsstellenmarkt ansonsten kaum
Chancen haben, sodass sie über eine solche Einstiegsqualifizierung den Weg in ein reguläres betriebliches
Ausbildungsverhältnis finden können. Hier lautet meine
Frage, inwieweit berücksichtigt wird, dass die Zielgruppe, die mit dem Programm primär angesprochen
werden sollte, bisher offensichtlich nicht erreicht wurde
und dass ganz im Gegenteil eher Abiturienten dieses
Programm wahrgenommen haben.
Ich kann das, was Sie sagen, gegenwärtig nicht bestätigen. Wir haben bei der Einstiegsqualifizierung die Erfahrung gemacht, dass bis zu 60 Prozent derjenigen, die
teilgenommen haben, anschließend auch eine Ausbildung erhalten haben. Ich sage ausdrücklich - deswegen
habe ich das auch so vorgetragen -: Wir setzen darauf,
dass diese Qualifizierungen entsprechend bescheinigt
und testiert werden, weil das ein weiterer Schritt in Richtung einer modularisierten Ausbildungs- und Qualifizierungsstrategie ist. Ich sage auch ganz offen - das muss
man gar nicht bestreiten -: Die Ausweitung von 25 000
auf 40 000 Plätze ist ein Stück weit eine Reaktion auf
das quantitative Ausbildungsplatzproblem, das wir gegenwärtig haben.
Wenn es geht, werden wir am 1. Oktober 2006 starten. Sie wissen vielleicht, dass das nicht das Einzige ist,
was wir tun. Die Bundesagentur für Arbeit unternimmt
gegenwärtig zum Beispiel den Versuch, für 5 000 bis
7 500 Jugendliche mit Migrationshintergrund ein entsprechendes Programm auf den Weg zu bringen.
Wir glauben, dass wir eine Menge für Benachteiligte
tun. Ich wehre mich dagegen, dass man sagt - darüber
müsste man vielleicht diskutieren -, dass diese Einstiegsqualifizierung nur für diejenigen durchgeführt
wird, die vom Bildungshintergrund oder Sonstigem her
in der Tat benachteiligt sind.
Haben Sie eine zweite Zusatzfrage?
Ja, bitte. - Grundsätzlich stimmen Sie mir aber zu,
dass es für die große Mehrzahl der Jugendlichen ein
sinnvollerer Einstieg wäre, direkt einen betrieblichen
Ausbildungsplatz zu erhalten. Deshalb meine Nachfrage
an dieser Stelle: Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung hier?
Sie haben angesprochen, dass wir zurzeit das Problem
haben, dass ein ganz massiver Mangel an regulären Ausbildungsplätzen besteht. Es ist bekannt, dass die betriebliche Ausbildungsquote trotz des Ausbildungspakts
schon im letzten Jahr auf den tiefsten Stand seit der Wiedervereinigung gesunken ist. Welche Maßnahmen plant
die Bundesregierung oder inwieweit kommt sie zu einer
kritischen Bewertung des Ausbildungspakts, durch den
das angestrebte Ziel offensichtlich nicht erreicht werden
kann?
Wir halten am Ausbildungspakt fest. Ich darf als Ergebnis sagen, dass die Verpflichtung, die die Wirtschaft
eingegangen ist, auch in diesem Jahr deutlich übertroffen wurde. Mehr als 40 000 neue Ausbildungsplätze sind
akquiriert worden. Wir haben im Ausbildungspakt verabredet, dass die Wirtschaft über die Kammersysteme
ihre Anstrengungen verstärkt, Ausbildungsplätze zu akquirieren.
Daneben führen wir eine Reihe von Zusatzprogrammen durch, die Sie kennen. Ich nenne beispielsweise die
Programme des Bildungsministeriums und der Länder
für die neuen Länder. Es gibt jede Menge Aktivitäten innerhalb der Arbeitsförderung durch die Bundesagentur
und wir erhöhen die Zahl der Angebote durch die Bundesagentur. Schließlich bauen wir die Einstiegsqualifikationen aus.
Diejenigen, die Ausbildungsplätze anbieten, wollen
die Jugendlichen häufig „ausprobieren“; dazu kann man
so oder so stehen. Sie möchten eine Einstiegsqualifikation durchführen, um zu sehen, ob der Jugendliche die
Aufgaben erfüllen kann und ob sie mit ihm klarkommen.
Ich halte das nicht für verwerflich - ganz im Gegenteil.
Sie wissen sicherlich, dass es in unserem Schulsystem
vielerorts Berufspraktika für Schülerinnen und Schüler
zur Berufsorientierung und zum näheren Kennenlernen
möglicher späterer Ausbildungsbetriebe, bei denen sie
sich bewerben können, gibt.
Alles in allem finde ich, dass das, was wir tun, eine
ganze Menge ist und wir werden diese Aktivitäten und
Anstrengungen fortsetzen.
Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen für die Beantwortung der Fragen.
Wir sind damit am Ende der Fragestunde.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die Regierungsbefragung um 16 Uhr zu beginnen und bis dahin die Sitzung zu unterbrechen. Deshalb unterbreche ich jetzt die
Sitzung bis 16 Uhr.
({0})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Lage auf dem Ausbildungsmarkt.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat die Bundesministerin für Bildung und Forschung,
Dr. Annette Schavan.
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Das Kabinett hat sich heute auf der
Grundlage der Ausbildungsstatistik der Bundesagentur
für Arbeit aus dem August mit der Situation auf dem
Ausbildungsmarkt beschäftigt. Die Zahlen, die uns zu
diesem Zeitpunkt vorliegen, weisen darauf hin, dass die
Lage auf dem Ausbildungsmarkt nach wie vor angespannt ist. Die Zahl der Jugendlichen, die Ende August
noch ohne Ausbildungsplatz waren, wurde von der Bundesagentur auf rund 215 000 geschätzt. Das sind 10 000
oder 10 Prozent mehr als im August 2005. Zur richtigen
Bewertung muss darauf hingewiesen werden, dass uns
die Zahlen für eine verlässliche Zwischenbilanz erst
Ende September und der dann aufgearbeitete Bericht am
11. Oktober dieses Jahres vorliegen werden. Eine wirkliche Bilanz des Ausbildungsjahres lässt sich somit erst im
Dezember ziehen.
Die 215 000 Jugendlichen ohne Ausbildungsplatz setzen sich aus zwei ganz unterschiedlichen Gruppen zusammen. Da sind zum einen jene, die sich in diesem
Ausbildungsjahr erstmals beworben haben. Der weitaus
größere Teil sind zum anderen so genannte Altbewerber
aus den vergangenen Jahren, die aber bei der BA noch
als Interessenten gemeldet sind.
Die Erfahrungen der vergangenen Jahre zeigen, dass
mit Beginn des Ausbildungsjahres bis zum Dezember
eine intensive Phase der Nachvermittlung anfängt, was
auch in diesem Jahr so sein wird. Dabei spielen drei
mögliche Angebote an die betroffenen Jugendlichen eine
Rolle. Die erste Möglichkeit ist der reguläre Ausbildungsplatz, den wir uns eigentlich wünschen. Die zweite
Möglichkeit ist die neu geschaffene Einstiegsqualifikation. Die dritte Möglichkeit sind außerbetriebliche Qualifizierungen.
Die Bundesregierung hat nicht nur mit Blick auf dieses Ausbildungsjahr, sondern begleitend auch für die
nächsten Jahre dieser Legislaturperiode mehrere Maßnahmen ergriffen, um dem Anspruch gerecht zu werden,
jedem Jugendlichen, der kann und will, eine qualifizierte
Ausbildung zu ermöglichen. Diesen Anspruch an uns
selbst haben wir auch im Koalitionsvertrag formuliert.
Zu diesen konkreten Maßnahmen und Programmen
gehört erstens das Bund-Länder-Sonderprogramm für
die neuen Länder, das vom BMBF und von den Landesregierungen je zur Hälfte finanziert wird. Daraus sollen
13 000 zusätzliche Ausbildungsplätze gefördert werden.
Das BMBF stellt hierfür und für die anderen Sonderprogramme der Vorjahre, die jeweils eine Laufzeit von drei
bis vier Jahren haben, 90 Millionen Euro zur Verfügung.
Das zweite Programm, „Jobstarter“, betrifft die Ausbildungsstrukturen. Es wird vor allen Dingen für Projekte in Regionen eingesetzt, in denen die Strukturen für
Ausbildung schwierig sind. Das sind nicht nur die neuen
Bundesländer, sondern auch andere Regionen in
Deutschland. Wir haben dieses Programm ursprünglich
mit 100 Millionen Euro ausgestattet. Aufgrund der aktuellen Lage haben wir diesen Betrag auf 125 Millionen Euro erhöht. Seit April 2006 fördert das BMBF
52 Projekte in der ersten Förderrunde. Im Rahmen der
zweiten Runde sind bislang 270 Projektanträge eingereicht worden und wir werden aufgrund der Aufstockung
der Mittel bis zu 100 Projekte fördern können. Es geht
dabei um die Förderung der Verbundausbildung und um
die ausbildungsbegleitende Hilfestellung für neue Ausbildungsbetriebe.
Ich weise drittens auf das Sonderprogramm des Kollegen Müntefering zur Förderung der Einstiegsqualifizierung Jugendlicher hin, das ursprünglich auf 25 000 Plätze
angelegt war. Es ist jetzt vorgesehen - das Kabinett wird
dies in einer der nächsten Sitzungen beschließen -, die
Zahl auf 40 000 zu erhöhen.
Viertens ist die Aufstockung der Zahl der außerbetrieblichen Ausbildungsplätze insbesondere für Jugendliche mit Migrationshintergrund durch die Bundesagentur für Arbeit von bislang 5 000 auf jetzt 7 500 Plätze
vorgesehen.
Ich möchte schließlich auch auf die zusätzlich zu
schaffenden Plätze in ausländischen Unternehmen hinweisen. Herr Staatssekretär Storm und Frau Staatsministerin Böhmer haben gestern nach mehreren Gesprächsrunden mit den Vertretern ausländischer Unternehmen
dieses Programm öffentlich vorgestellt. Ende August
waren 260 900 Ausbildungsplätze registriert. Das sind
10 600 mehr als im Vorjahr.
Wir haben unterschiedliche Nachrichten seitens der
Industrie- und Handelskammern und des Handwerks.
Bei den Industrie- und Handelskammern ist mit einem
Zuwachs der Ausbildungsplätze um etwa 4 Prozent zu
rechnen. Beim Handwerk ist der Stand des vergangenen
Jahres in etwa unverändert geblieben.
Insofern lässt sich die derzeitige Lage wie folgt zusammenfassen: Erstens. Die im Rahmen des Ausbildungspaktes zugesagten zusätzlichen oder neuen Ausbildungsplätze werden geschaffen. Die Zusage wird nicht
nur eingehalten; sie wird vielmehr übertroffen. Es gibt
mehr Ausbildungsplätze als im vergangenen Jahr. Zweitens. Die Zahl der Bewerbungen übersteigt aber weiterhin die Zahl der bislang zur Verfügung gestellten Ausbildungsplätze, sodass die Phase der Nachvermittlung auch
in diesem Jahr eine große Rolle spielen wird.
Erlauben Sie mir eine letzte Bemerkung. Neben der
Reaktion auf die aktuelle Lage sind zwei andere politische Initiativen wichtig, die wir angegangen sind. Die
eine Initiative betrifft die Altbewerber, die auch bei einer
noch so hohen Steigerung der Zahl der Ausbildungsplätze nicht ohne weiteres vermittelt werden können. Für
sie müssen wir zusätzliche Möglichkeiten - zum Beispiel aufgrund der Erfahrungen mit der Einstiegsqualifikation im Bereich der Teilqualifikationen - schaffen. Die
zweite Initiative betrifft die Modernisierung der Strukturen beruflicher Bildung, die im Innovationskreis berufliche Bildung diskutiert wird. In seiner heutigen Sitzung
werden erste Impulse für die Modernisierung vorgelegt,
die vor allem mehr Durchlässigkeit zwischen den Bildungsgängen und eine stärkere Fokussierung auf die
Nahtstelle zwischen Schule und Ausbildung und die
Durchlässigkeit in den tertiären Bereich vorsieht.
Vielen Dank.
({0})
Danke, Frau Ministerin. - Ich bitte, zunächst Fragen
zu dem Themenbereich zu stellen, zu dem eben berichtet
wurde. Das Wort hat die Kollegin Cornelia Hirsch.
Meine Frage bezieht sich auf Folgendes: Sie haben
sich sehr positiv zum Ausbildungspakt geäußert. Aber
Sie haben dabei nicht das zentrale Problem erwähnt, mit
dem wir im Bereich der dualen Berufsausbildung zurzeit
konfrontiert sind, nämlich dass das Angebot an betrieblichen Ausbildungsplätzen von Jahr zu Jahr weiter zurückgeht. Es erreichte im letzten Jahr den tiefsten Stand
seit der Wiedervereinigung und wird auch in diesem Jahr
erwartungsgemäß zurückgehen.
Aus diesem Grund ist es für meine Fraktion nicht verständlich, warum es von der Bundesregierung nicht als
sinnvoll erachtet bzw. warum nicht zumindest geprüft
wird, eine gesetzliche Ausbildungsplatzumlage einzuführen. Denn aus unserer Sicht könnte allein mit diesem
Schritt das Problem gelöst werden, dass sich die Betriebe immer weiter aus ihrer Verantwortung zur Finanzierung der beruflichen Bildung zurückziehen und keine
Ausbildungsplätze mehr bereitgestellt werden.
Alles andere, was Sie vorgetragen haben, bezog sich
nur auf den Versuch, die Lage auf irgendeine Weise
- zum Beispiel durch die Sonderprogramme, die Sie geschaffen haben - in den Griff zu bekommen. Sie gehen
aber nicht das zentrale Problem an, dass die betriebliche
Ausbildungsquote immer weiter zurückgeht. Daher lautet meine Frage: Wie positioniert sich die Bundesregierung dazu?
Eine Ausbildungsplatzumlage bzw. -abgabe schafft
keinen Ausbildungsplatz. Wir haben in Deutschland ja
Erfahrungen mit Abgaben. Im Zweifelsfall ist es für ein
Unternehmen sehr viel preisgünstiger, eine Abgabe zu
zahlen, als einen Ausbildungsplatz zu schaffen. Sie wissen, dass es einzelne Branchen, wie die Baubranche, gibt,
die einen Fonds eingerichtet hat, in den alle beteiligten
Unternehmen einzahlen und aus dem Unternehmen, die
ausbilden, eine finanzielle Unterstützung bekommen
können. Branchenspezifische Regelungen können, wie
die Baubranche und die dortige Entwicklung auf dem
Ausbildungsmarkt zeigen, durchaus sinnvoll sein. Aber
eine Ausbildungsabgabe lehnt die Bundesregierung ab.
Wenn man den Ausbildungspakt bewerten will, dann
stellt sich wie so oft die Frage, ob das Glas halb voll oder
halb leer ist. Ich habe bewusst beide Informationen genannt. Es sind sicherlich Ausbildungsplätze entstanden,
und zwar in dem Umfang, zu dem man sich im Ausbildungspakt verpflichtet hat. Aber richtig ist auch: Die
Zahl der Bewerbungen in diesem Jahr ist - wir gehen davon aus, dass dies noch einige Jahre so sein wird - stärker gestiegen. Daraus ergibt sich nach heutigem Stand
die Lücke, über die ich eben gesprochen habe.
Das Wort hat die Kollegin Priska Hinz für die Grünen.
Frau Ministerin, Sie haben richtigerweise darauf hingewiesen, dass es eine große Anzahl von Altbewerberinnen und Altbewerbern gibt, die bislang keine Chance auf
dem Ausbildungsmarkt haben. Je länger ihr Einstieg
dauert, desto geringer ist ihre Qualifikation anzusetzen.
Deswegen möchte ich Sie fragen, warum Sie nicht die
einmaligen Überschüsse der Bundesagentur für Arbeit in
diesem Jahr nutzen wollen, um ein Ausbildungsprogramm aufzulegen, das spezifisch auf Altbewerber ausgerichtet ist und mit dem man etwa 50 000 Ausbildungsplätze über drei Jahre finanzieren könnte.
Grundsätzlich ist die Bundesregierung der Überzeugung, dass vorhandene Überschüsse, die ja aus Mitgliedsbeiträgen stammen, an die Mitglieder zurückgegeben werden müssen. Das ist von der Systematik her der
erste wichtige Schritt. Sie wissen, dass die Höhe des
Überschusses mit der 13. Zahlung der Sozialabgaben in
diesem Jahr zu tun hat und dass deswegen nicht davon
ausgegangen werden kann, dass sich die Entwicklung in
den folgenden Jahren fortsetzt. - Das ist der erste Punkt.
Zweitens zur Gruppe der Altbewerber: Der erste
wichtige Schritt ist, eine genauere Aufschlüsselung zu
erhalten, aus der hervorgeht, wer sich hinter dieser großen Zahl verbirgt. Es gibt jene, die in eine berufliche
Vollzeitschule gehen. Die Möglichkeiten des Berufsbildungsgesetzes müssen hier besser genutzt werden. Die
erworbene Bildung muss zusammen mit zusätzlicher
Praxiszeit eingesetzt werden können, um eine Prüfung
vor einer Kammer abzulegen. Ich bin überzeugt: Wenn
man die Statistiken der Bundesländer zugrunde legt,
dann wird man feststellen, dass die Schüler in den beruflichen Vollzeitschulen einen erheblichen Anteil ausmachen.
Wir brauchen als zweiten Schritt ein Instrument, das
deutlich macht, wie viele jener Jugendlichen, die sich
hinter dieser Zahl verbergen, aktuell für eine Ausbildung
zur Verfügung stehen. Wenn beispielsweise 120 Jugendliche als Ausbildungsplatzsuchende in einer Region gemeldet sind und diese eingeladen werden, um ihnen vor
Ort ein Angebot zu unterbreiten, dann macht man in vielen Regionen die Erfahrung, dass nur ein Bruchteil dieser Jugendlichen tatsächlich kommt und an dem Angebot interessiert ist.
Drittens. Ich bin davon überzeugt, dass wir mit der
Einstiegsqualifikation und der daraus resultierenden unmittelbaren Verbindung zwischen dem Jugendlichen und
dem Betrieb die gleichen Erfahrungen machen werden
wie in der ersten Runde, nämlich dass die Jugendlichen
zum größten Teil anschließend die Möglichkeit haben,
eine Ausbildung zu machen.
Wir brauchen also differenzierte Antworten und müssen die Möglichkeiten des Berufsbildungsgesetzes besser nutzen. Zudem müssen wir in stärkerem Maße an die
Jugendlichen herankommen; denn wenn von 100 eingeladenen Jugendlichen nur zehn kommen, dann fragt man
sich, wo die 90 nicht erschienenen abgeblieben sind und
welche Möglichkeiten man hat, sie zu erreichen.
Letzter Punkt: Die Bundesagentur wird - das geht genau in diese Richtung - jetzt das Programm für die
7 500 Jugendlichen auflegen. Die Agenturen sind dabei,
vor Ort in den Betrieben dafür zu werben und so die entsprechenden Plätze zu schaffen. Nach den Meldungen,
die wir bekommen haben, wird es jedoch sogar schwierig werden, diese 7 500 Plätze tatsächlich zu besetzen.
Vonseiten der Agenturen sind also erste Schritte in diese
Richtung getan. Jetzt wird es darauf ankommen, die
Plätze, die zur Verfügung gestellt werden, auch konkret
zu nutzen.
Die nächste Frage stellt der Kollege Willi Brase von
der SPD.
Frau Ministerin, Sie haben in Ihrem kurzen Beitrag
darauf hingewiesen, dass in der beruflichen Bildung
strukturelle Innovationen notwendig sind und dass Sie
einen entsprechenden Arbeitskreis eingerichtet haben.
Die Bundesregierung hat in der Drucksache 16/2170 auf
eine Anfrage von Abgeordneten darauf hingewiesen,
dass Sie unter anderem vorschlagen wollen, zur Verbesserung der Ausbildungssituation „finanzielle Erleichterungen für ausbildende Betriebe durch Wegfall von ausbildungsbezogenen Kammergebühren“ auf den Weg zu
bringen.
Meine Frage lautet: In welcher Art und Weise wird
die Bundesregierung hier tätig? Gibt es entsprechende
Initiativen?
Die Diskussion über die durch die Kammergebühren
entstehenden Kosten für Ausbildung ist nicht neu. Diese
Kosten sollen nicht allein die Betriebe tragen, die dort
eingetragen sind und ausbilden, sondern alle Betriebe,
die Pflichtmitglieder in der Kammer sind. Mich würde
interessieren, welchen Weg die Bundesregierung einschlägt und wie es dort weitergeht.
Nachdem ich diesen Vorschlag gemacht habe, haben
wir Rückmeldungen aus großen Kammern bekommen,
die das bereits praktizieren. Zugleich ist klar, dass die
Politik in diesem Bereich nur appellieren kann. Vor Ort
muss genau geprüft werden, welche Betriebe bereit wären, in die Ausbildung einzusteigen, wenn die Frage der
Kammergebühr anders geregelt wird. Durch diesen Vorschlag sind vor Ort Debatten in Gang gekommen. Es haben sich auch Kammern gemeldet, die das bereits so
praktizieren. Die Bundesregierung wird jedoch keine
Initiative ergreifen können, um dies gleichsam zu einer
Regel werden zu lassen.
Es fragt die Kollegin Möller.
Frau Ministerin, wird die Bundesregierung den Jugendarbeitsschutz erhalten bzw. ausbauen oder gibt es
gegenteilige Forderungen? Wird die Bundesregierung
die Forderung nach einer weiteren Flexibilisierung der
Auszubildendenvergütungen zurückweisen?
Zur ersten Frage: Die Bundesregierung hält am Jugendschutz fest. Initiativen sind nicht geplant. Die Erfahrung vor Ort zeigt, dass dort, wo mehr Beweglichkeit
notwendig ist, dies am allerbesten zwischen Ausbilder
und Auszubildendem geregelt wird. Denken Sie etwa an
die Ausbildung zum Koch bzw. eine Ausbildung im
Gastronomiegewerbe. Dort gibt es vor Ort vernünftige
Regelungen, die gewährleisten, dass ein Jugendlicher
unter 18 Jahren nicht deshalb auf eine Lehrstelle, die er
bekommen kann, verzichten muss, weil es Jugendschutzregelungen, die vor allem die Arbeitszeit betreffen, gibt, die im Alltag eines Hotels oder eines gastronomischen Betriebes nicht eingehalten werden können.
Das Zweite: Das Berufsbildungsgesetz sieht bei nicht
tariflich geregelten Vergütungen Abweichungen von bis
zu 20 Prozent vor. Das ist durch die Vorgängerregierung
so in das Berufsbildungsgesetz aufgenommen worden.
Es gibt keinerlei Bestrebung, das zu verändern.
Die nächste Frage stellt der Kollege Dobrindt.
Vielen Dank. - Frau Ministerin, Sie haben ausführlich
dargestellt, dass der Ausbildungspakt greift und dass
sich die Ausbildungsplatzlücke - das hoffen wir alle noch weiter schließen werde. Ich weise darauf hin, dass
alles, was dazu beiträgt, in ganz hohem Maße das Verdienst gerade der mittelständischen Unternehmerinnen
und Unternehmer in unserem Land ist, die sich unter
enormen Anstrengungen auch dieses Jahr wieder bemüht
haben, zusätzliche Ausbildungsstellen zu schaffen und
jungen Menschen eine Zukunft zu geben.
Meine erste Frage ist folgende: Wir haben im letzten
Jahr als eines der positiven Merkmale dieses Ausbildungspaktes erkannt, dass gerade die behinderten und
schwerstbehinderten Frauen und Männer zu fast
100 Prozent - es sind 97,4 Prozent - eine Ausbildungsstelle bekommen haben. Das war ein schöner Erfolg, der
leider viel zu wenig diskutiert wurde. Haben Sie Erkenntnisse, ob sich dieser positive Trend auch dieses
Jahr fortsetzt?
Zweitens. Frau Ministerin, Sie haben die Verbundausbildung angesprochen und gesagt, dass diese im Zuge
der Neufestlegung des Berufsbildungsgesetzes, das wir
gemeinsam vor zwei Jahren novelliert haben, immer
stärker genutzt wird und dass dadurch die Basis für die
Verbundausbildung verbreitert wurde. Wir haben gleichzeitig die Stufenausbildung in diesem Berufsbildungsgesetz neu geregelt. Es ist der Auftrag gegeben worden, in
Zukunft alle Berufe daraufhin zu überprüfen, ob eine
Stufenausbildung möglich ist. Haben Sie Erkenntnisse,
inwieweit diese Überprüfungen abgeschlossen sind und
wann wir mit Ergebnissen rechnen können? Können wir
damit rechnen, dass es künftig für mehr Berufe als jetzt
eine Stufenausbildung gibt, sodass jungen Menschen,
die theorieschwächer sind, eine Ausbildung vermittelt
werden kann?
Zu Ihrer ersten Frage: Mir liegen noch keine Zahlen
vor; aber aus meinen eigenen Besuchen in Ausbildungsbetrieben weiß ich, dass es eine Menge übrigens in der
Regel kleine und mittelständische Unternehmen gibt, die
nach wie vor auch schwache oder behinderte Jugendliche einstellen.
Die zweite Frage betraf die Stufenausbildung. Wir haben derzeit für rund 75 Berufe die Stufenausbildung
eingeführt. Ich glaube, ein sehr wichtiger Schritt ist, dass
sich das Wirtschaftsministerium und mein Haus darauf
verständigen, welches die Kriterien sind, aufgrund derer
wir Zustimmung oder Nichtzustimmung zu einer solchen Stufenausbildung im Kontext eines Berufsbildes
geben.
Ein wichtiges Kriterium ist, dass auf eine Stufe tatsächlich eine zweite folgen kann. Es geht also nicht um
Stufenausbildungen, die nicht entwicklungsfähig sind,
sondern um solche, die Jugendlichen wirklich die Möglichkeit geben, aufzubauen.
Das zweite Kriterium, das von Seiten der Länder zunehmend, und zwar je mehr Stufenausbildungen es gibt,
in die Debatte gebracht wird, ist, dass wir keine so starke
Spezialisierung schaffen dürfen, dass immer mehr
Schulklassen in den Berufsschulen gebildet werden. Die
Stufenausbildungen, die wir einrichten, müssen auch
handelbar sein.
Der dritte Punkt ist: Es sind in den vergangenen Jahren auch Stufenausbildungen entstanden, bei denen man
bei genauerem Hinsehen feststellt, dass es eine ganz geringe Zahl von Auszubildenden gibt.
Die verschiedenen Partner in der beruflichen Ausbildung haben ihre jeweils eigene Sicht. Aber zur Modernisierung der beruflichen Bildung wird - davon bin ich
überzeugt - gehören, dass immer mehr ein System entsteht, in dem erworbene Kompetenzen weiterentwickelt
werden, also Stufenausbildung Teil eines interessanten
Qualifikationskonzeptes sein kann.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Sager.
Daran kann ich sehr gut anknüpfen. Auch ich möchte
zu den strukturellen Reformen fragen.
Können Sie etwas genauer beschreiben, welche Maßnahmen Sie eingeleitet haben oder konkret einleiten
möchten, um zu erreichen, dass Jugendliche oder junge
Erwachsene, die im so genannten Übergangssystem
sind, die also keinen Ausbildungsplatz bekommen haben, eine größere Chance erhalten, aus diesem Übergangssystem einen Mehrwert für ihre weitere berufliche
Ausbildung zu gewinnen, indem auch für kleinere Lernschritte Zertifikate ausgestellt werden, die einen Anschluss ermöglichen?
Ja, das kann ich gern tun. - Was Sie meinen, läuft unter dem Stichwort „Modernisierung über Modularisierung“. Das setzt eine große Transparenz der Bildungsgänge in der dualen Ausbildung und in der beruflichen
Vollzeitschule voraus.
Auf europäischer Ebene ist jetzt der europäische Qualifikationsrahmen vorgelegt worden. Wir werden das in
Deutschland aufgreifen. Ich werde den Ländern vorschlagen - ich weiß, dass es darauf eine sehr positive
Resonanz gibt -, dass wir einen nationalen Qualifikationsrahmen erarbeiten.
In diesem Kontext wird auch aufgrund dieser Maßnahme die Transparenz bestehender Bildungsgänge
wichtig sein. Dann lässt sich genau dieser Schritt - erworbene Kompetenzen in die nächste Stufe einbringen tun. Dies gilt dann für mehrere Bereiche.
Das Erste ist, nicht mehr nur und nicht mehr vorrangig Übergangszeiten in der Schule, sondern stärker in
Kontakt mit Betrieben zu schaffen, sodass eine wirkliche
Kammerprüfung nach bestehendem Recht möglich ist.
Das Zweite ist, auch die Einstiegsqualifikation, wie
wir sie jetzt haben, als Modul zu begreifen, das anerkannt wird, wenn danach eine duale Ausbildung möglich
ist.
Das Dritte wird sein, auch im Blick auf andere Phasen
der dualen Ausbildung - zunächst gibt es etwa nur einen
Praxisteil - einen anderen Umgang mit Zeit als in der
Vergangenheit zu ermöglichen und über die Definition
von Modulen dann den Aufbau einer beruflichen Bildung zu schaffen.
Das Letzte ist ebenfalls ein wichtiges Anliegen. Auf
der einen Seite spricht man von denen, die Schwierigkeiten haben, den Benachteiligten. Auf der anderen Seite
gibt es in diesem Zusammenhang der Modernisierung
aber auch das Ziel, eine stärkere Durchlässigkeit in den
tertiären Bereich zu erreichen. Auch dafür ist es wichtig,
ein modularisiertes System zu haben, das dann die Möglichkeit gibt, all die Qualifikationen zu erwerben, die
notwendig sind, um diesen Wechsel zu vollziehen.
In diese Richtung also wird die Modernisierung gehen.
Wir sind derzeit dabei, erstens unterschiedliche Modelle auch mithilfe der Wissenschaft miteinander zu vergleichen und zweitens auf europäischer Ebene in einem
Kreis von sechs Ländern über solche Modernisierungsstrukturen zu reden. Dazu gehört auch ein skandinavisches Land, nämlich Dänemark. Dort ist man in einem
solchen Prozess. Ganz konkret und dann auch zeitlich
klar definierbar geht es anschließend um die Arbeit an
einem nationalen Qualifikationsrahmen, der damit verbunden ist.
Bevor ich dem Kollegen Schummer das Wort zu seiner Frage gebe, weise ich auf Folgendes hin: Mir liegen
noch sechs Fragemeldungen vor. Wenn wir diese noch
abarbeiten wollen, setzt das Disziplin der Fragenden wie
natürlich auch der Ministerin voraus, was die Länge der
Antworten betrifft.
Bitte, Herr Kollege Schummer.
Frau Ministerin, Sie haben über den Aufwuchs bei der
Zahl der Plätze für Einstiegsqualifizierungen von
25 000 auf 40 000 berichtet. Ist damit absehbar, dass bis
Ende des Jahres jedem Schulabgänger eine entsprechende Qualifizierung über EQJ zur Verfügung stehen
wird? Wie sind die aktuellen Zahlen des Übergangs von
der Einstiegsqualifizierung in eine reguläre berufliche
Ausbildung? Würden Sie es generell unterstützen, wenn
dieser Übergang von der Einstiegsqualifizierung in eine
Nachvermittlung in einen Berufsausbildungsweg beschleunigt werden könnte?
Das würde ich begrüßen.
Bis jetzt liegt die Quote des erfolgreichen Übergangs
in eine duale Ausbildung bei 60 Prozent.
({0})
Zu Ihrer ersten Frage: Wenn man die Erhöhung der
Platzzahl bei der Einstiegsqualifizierung und dazu das
bedenkt, was im letzten Jahr im Bereich der Nachvermittlung noch erreicht werden konnte, dann ist davon
auszugehen, dass bis zum Ende des Jahres jeder Jugendliche das eine oder andere Angebot bekommen kann.
Frau Kollegin Dagdelen, bitte.
Frau Ministerin, im Zusammenhang mit der Initiative
von Herrn Staatssekretär Storm und Frau Staatsministerin Böhmer möchte ich fragen: Hat die Bundesregierung
eigentlich in Bezug auf die Initiative vor, für die Verbesserung der Situation von Jugendlichen mit Migrationshintergrund Vorschläge zu unterbreiten oder konkrete
Maßnahmen zu ergreifen? Oder soll es bei diesem Appellationscharakter bleiben, der seit Jahren vorherrscht?
Vor dem Hintergrund des Auslaufens des Programms
KAUSA möchte ich fragen, ob Sie konkrete Maßnahmen ergreifen wollen.
Darüber hinaus interessiert mich: Wie steht die Bundesregierung eigentlich zur Forderung nach Einführung
einer Migrantinnen- und Migrantenquote bei Ausbildungsplätzen? Halten Sie persönlich, Frau Ministerin,
falls sich die Bundesregierung dazu noch keine abschließende Meinung gebildet haben sollte, diesen Ansatz perspektivisch für einen richtigen Ansatz zur Lösung der
Probleme von Jugendlichen mit Migrationshintergrund?
Die Bundesregierung denkt nicht an die Einführung
einer Quote. Auch ich persönlich halte nichts von der
Einführung einer Quote. So viel zu Ihrer letzten Frage.
Nun zu Ihrer zweiten Frage: Wir haben nicht nur appelliert, sondern das Programm der Bundesagentur, das
ich eben erwähnt habe und das sich vor allen Dingen an
Jugendliche mit Migrationshintergrund richtet, die
Schwierigkeiten haben, eine Lehrstelle zu finden, wird
auf 7 500 Plätze aufgestockt.
Zu Ihrer ersten Frage: Das Gespräch, das Frau
Böhmer und Herr Storm mit ausländischen Unternehmern geführt haben, ist ein Schritt dazu, Unternehmen
zu finden, die sich verstärkt gerade um diese Zielgruppe
kümmern.
Festzuhalten ist aber, dass die Bundesagentur ganz
konkret 7 500 zusätzliche Möglichkeiten geschaffen hat.
({0})
Frau Kollegin, wir sind ziemlich am Schluss der Befragung der Bundesregierung. Ich würde gerne noch den
übrigen Fragenden das Wort geben.
Herr Rossmann, bitte.
Frau Ministerin, meine Frage zielt auf die Verbundausbildung, deren Ausweitung ja schon in früheren Berufsbildungsberichten immer gefordert worden ist. Welche Entwicklungen haben dazu geführt, dass diese
Verbundausbildung jetzt besser angenommen worden ist?
Sehen Sie über die zwischenbetriebliche Verbundausbildung hinaus auch Chancen für eine Verbundausbildung zwischen Betrieben und außerbetrieblichen Einrichtungen? Das wäre speziell im Hinblick auf die große
Zahl junger Menschen, die schon älter sind, aber noch
keine Ausbildung haben, sozusagen eine andere Form
des Verbunds. Wie hoch schätzen Sie die Kapazitäten,
die gegenwärtig in Deutschland an außerbetrieblicher
Ausbildung vorhanden sind, ein? Muss man hier rechtzeitig Vorkehrungen treffen?
Ich bin davon überzeugt, dass in den außerbetrieblichen Werkstätten noch eine Menge an Kapazitäten vorhanden ist. Ich kann diese nicht beziffern, aber sie sind
eine feste Größe und können in die Verbundausbildung
einbezogen werden, vor allem da, wo es aufgrund der
strukturellen Situation schwierig ist, einen Verbund zwischen Betrieben aufzubauen.
Zum ersten Teil Ihrer Frage: Verbundausbildung
funktioniert dann am besten, wenn die Betriebe ausreichend begleitet, beraten und unterstützt werden. So kann
nämlich exakt festgestellt werden, wo Hilfestellung notwendig ist. Mein Eindruck ist, dass vor allem der Anteil
an pädagogischer Hilfestellung bzw. sozialpädagogischer Begleitung in Ausbildungsbetrieben bzw. bei Auszubildenden zunimmt.
Frau Kollegin Hinz, bitte.
Frau Ministerin, Sie haben ja den Innovationskreis
Bildung ins Leben gerufen, der, wie ich glaube, heute
wieder getagt hat.
({0})
Priska Hinz ({1})
- Oder gleich tagt. - Könnten Sie bitte sagen, wann in
etwa mit ersten Ergebnissen aus diesem Innovationskreis
zu rechnen ist und ob Sie diese Ergebnisse dann nicht
nur mit der interessierten Fachöffentlichkeit, sondern
auch im Parlament diskutieren wollen und, wenn ja, in
welcher Form?
Es ist davon auszugehen, dass wir aufgrund von Beschlüssen, die bereits heute und dann in den nächsten
Wochen zunächst mit den Ländern besprochen werden,
im Laufe des nächsten Jahres konkrete Vorschläge für
strukturelle Veränderungen vorlegen werden. Diese Vorschläge werden selbstverständlich im zuständigen Fachausschuss beraten werden.
Herr Kollege Ulrich, bitte.
Frau Ministerin, wie will die Bundesregierung sicherstellen, dass die durch das Jobstarter-Programm auf den
Weg gebrachten Kooperationen auf kommunaler und regionaler Ebene nachhaltig fortgesetzt werden können,
wenn den Trägerinnen und Trägern, wie bisher durch die
Förderkriterien der Fall, keine dauerhafte und langfristige Finanzierung garantiert wird?
Für das Jobstarter-Programm ist zunächst eine Laufzeit von drei bis fünf Jahren vorgesehen. Wir werden in
diesem Zeitraum immer wieder Bilanz ziehen und
schauen, was sich durch dieses Programm in der betreffenden Region entwickelt. Danach wird zu entscheiden
sein, inwieweit Verlängerungen möglich sind und ob
nach einer Anschubfinanzierung die Projekte selbstständig laufen. Das wird sehr unterschiedlich sein. Klar ist
aber: Wir werden uns nicht aus Regionen zurückziehen,
in denen nur mit einer solchen Unterstützung Ausbildung geleistet werden kann.
Wir wissen aber auch, dass aufgrund der demografischen Entwicklung gerade in den neuen Bundesländern
- dort gibt es besonders viele derartiger Projekte; außerdem wurde dort ein zusätzliches Angebot an Ausbildungsplätzen geschaffen - mancher Ausbildungsplatz
schon heute nicht besetzt werden kann, weil die Jugendlichen fehlen.
Herr Kollege Kretschmer, bitte.
Frau Ministerin, können Sie uns über das Programm
Jobstarter berichten, mit dem Ihr Haus in einer sehr umfassenden Weise das Problem des Ausbildungsplatzmangels in diesem Jahr angeht?
Das will ich gerne tun. Wir fördern aktuell
52 Projekte. 270 zusätzliche Anträge liegen für die zweite Runde vor. Durch die Aufstockung der Mittel wird ermöglicht, dass mindestens 100 Projekte gefördert werden können.
Letztlich ist im Jobstarter-Programm das zusammengefasst, wofür es bislang Einzelprogramme gab. Damit
verfolgen wir das Ziel, zu strukturellen Verbesserungen
zu kommen, Kooperationen zu fördern und ausbildungsbegleitende Hilfen für Unternehmen zu schaffen. Außerdem wollen wir damit das Potenzial von betriebsnahen
Ausbildungsmöglichkeiten nutzen.
Wir sind damit am Ende der Befragung der Bundesregierung. Frau Ministerin, vielen Dank für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der LINKEN
Rechtsextremismus wirksam bekämpfen Konsequenzen aus dem Wahlergebnis der
NPD in Mecklenburg-Vorpommern
Ich gebe das Wort der Kollegin Petra Pau, Fraktion
Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
In Berlin wurde ein Wahlkampfhelfer der SPD von Neonazis krankenhausreif geprügelt. In den Schweriner
Landtag zog die rechtsextremistische NPD mit über
7 Prozent Zuspruch ein. In Delmenhorst kämpft eine engagierte Bürgerschaft seit Wochen dagegen, dass dort
ein Schulungszentrum für Nazikader entsteht.
Allein diese drei Vorfälle könnten diese Aktuelle
Stunde begründen. Aber genau das ist nicht das Anliegen der Fraktion Die Linke. Unser Befund geht weiter
und damit auch unser Anliegen. Der Bundestag muss
sich dem Rechtsextremismus gründlich und systematisch zuwenden - und nicht nur, wenn Schlagzeilen
durch die Medien geistern. Darum geht es mir.
Seit Jahren fragen wir Monat für Monat nach den
rechtsextremistischen Straf- und Gewalttaten, die beim
Bundesinnenministerium registriert werden. Der Befund ist: Stündlich werden im Bundesschnitt drei rechtsextremistische Straftaten und täglich werden drei rechtsextremistische Gewalttaten erfasst. Die reale Zahl ist
weit höher, die Dunkelziffer ohnehin.
Entsprechend groß ist die Zahl der Opfer, die aus nationalistischen, rassistischen oder antisemitischen Motiven bedroht und geschlagen, körperlich oder geistig verkrüppelt werden. Rechtsextremismus ist also längst
keine Randfrage, sondern ein Alltagsproblem und in seiPetra Pau
ner gewaltsamsten Ausprägung auch eine tödliche Gefahr.
Gemessen daran finde ich es geradezu fahrlässig, dass
der Bundestag in den zurückliegenden Jahren der Komplexität dieser Herausforderung ausgewichen ist. Das
Wenige, was versucht wurde, erschöpfte sich oft in Symbolhandlungen, wie einem partiellen Versammlungsverbot, oder wurde peinlich in den Sand gesetzt, wie das gescheiterte NPD-Verbotsverfahren.
Ich möchte etwas anderes und schlage vor, dass wir
die Debatte heute als Auftakt nehmen, endlich tiefer gehende und langfristige Strategien zu erarbeiten, um den
Rechtsextremismus zu bannen.
({0})
Das wiederum geht nur parteiübergreifend und ressortübergreifend. Es geht nur mit gebündeltem Sach- und
Fachverstand. Es geht nur, wenn wir den Blick mitten in
die Gesellschaft und auf das ganze Spektrum der Politik
richten.
In der vergangenen Woche wurden aktuelle Ergebnisse einer Langzeituntersuchung veröffentlicht. Demnach ist der Zuspruch zur bundesdeutschen Demokratie
noch weiter gesunken als vordem: im Westen auf unter
70 Prozent und im Osten - das ist aus meiner Sicht alarmierend - auf unter 40 Prozent. Unter unserer Bundestagskuppel müssten eigentlich die Alarmglocken läuten;
denn das ist ein riesiges Einfallstor für Neonazis aller
Schattierungen. Wir sollten daher weniger darüber diskutieren, warum Neonazis so agieren, wie sie agieren.
Wir müssen endlich gründlicher darüber debattieren,
was diese Demokratieverdrossenheit fördert und was dagegen hilft.
Immer mehr Menschen fühlen sich sozial abgehängt,
nicht gebraucht, nicht gefragt. Sie fühlen das nicht nur;
sie erleben das auch so. Damit meine ich nicht nur diejenigen, die schon morgens mit ihrer Büchse Bier lauthals
über starke Männer und vermeintlich bessere Zeiten philosophieren. Seriöse Untersuchungen belegen: Die sozialen Anfälligkeiten für rechtsextremistische Parolen
greifen vor allem bei jenen, die engagiert nach Zukunft
streben, sich aber zugleich davor fürchten, Verlierer der
Globalisierung zu werden. Das wiederum ist die Mitte
der Gesellschaft.
Auch deshalb ärgert es mich, wenn das Thema
Rechtsextremismus vorwiegend im Ressort Innenpolitik
angesiedelt wird, garniert mit Appellen an Elternhaus
und Schule. Natürlich muss auch dort mehr getan werden. Aber die Generalschlüssel liegen an ganz anderer
Stelle: zum Beispiel in der Sozial-, Arbeitsmarkt- und
Steuerpolitik.
({1})
Dort werden die großen Gerechtigkeitsfragen entschieden. Es ist unredlich, wenn die Bundespolitik von den
Kommunen mehr Freizeitangebote für Jugendliche fordert und zugleich Länder und Kommunen durch die eigene Politik finanziell austrocknet.
Geradezu ein Trauerspiel ist der Streit um die akut gefährdeten Projekte für mehr Demokratie und Toleranz
wie CIVITAS, die mobilen Beratungsteams gegen Rechtsextremismus und die Opferhilfe. Sie leisten vor Ort eine
unverzichtbare Arbeit und sollen nun doch abgewickelt
werden. Mit Vernunft und mit Logik hat das nichts zu
tun, zumal meine Erfahrung sagt: Jedes dieser Teams
weiß mehr über den grassierenden Rechtsextremismus
als der gesamte Bundestag. Jede Mitarbeiterin und jeder
Mitarbeiter bewirkt real mehr gegen Rechtsextremismus
und Rassismus als jede symbolische Bundestagsdebatte.
({2})
Nächster Redner ist der Parlamentarische Staatssekretär Hermann Kues.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Der Einzug der NPD in den
Landtag von Mecklenburg-Vorpommern ist ein erschütternder Vorgang. Ich sage ausdrücklich: Es ist ein erschütternder Vorgang. Was uns zusätzlich Anlass zur
Sorge gibt, ist die Allianz von Neonazis und rechtsextremen, gewaltbereiten Kameradschaften in MecklenburgVorpommern. Ich glaube, dass dies ein Alarmsignal ist,
das wir ernst nehmen und mit dem wir uns auseinander
setzen müssen, wenn wir es mit der Demokratie gut meinen. Ich kann deshalb nur dringend empfehlen, dass die
demokratischen Parteien hier zusammenstehen und nicht
versuchen, die Wahlergebnisse in die eine oder andere
Richtung zu instrumentalisieren.
({0})
Das Programm „Jugend für Toleranz und Demokratie - gegen Rechtsradikalismus, Fremdenfeindlichkeit
und Antisemitismus“ muss konsequent weiter umgesetzt
werden, wie es im Koalitionsvertrag vereinbart ist. Der
Mittelansatz ist gegenüber der ursprünglichen mittelfristigen Finanzplanung von 17 Millionen auf 19 Millionen Euro erhöht worden.
Wir müssen uns aber über dieses Programm hinaus
fragen, was in unserer Gesellschaft schief läuft, dass
Rechtsextreme wählbar werden, und was wir dagegen
tun können.
({1})
Die Arbeitslosigkeit als mögliche maßgebliche Ursache
ist bereits angesprochen worden. Das würde aber zu kurz
greifen. Es geht vielmehr um ein Ursachenbündel: Es
geht um Auflösungserscheinungen in der Gesellschaft
und um individuelle Gefühle der Perspektivlosigkeit und
Ratlosigkeit. Es geht um die Einstellung bzw. die Grundhaltung von jungen Menschen. Diese wird in der Familie, der Schule und durch das weitere Umfeld vermittelt.
Wir müssen also tiefer bohren. Notwendig ist eine
geistige Auseinandersetzung. Wenn jemand rechtsextrem wählt, steckt dahinter die Grundhaltung, dass man
den Menschen, die anders sind, den Fremden, nicht den
gleichen Wert, die gleiche Würde zubilligt wie sich
selbst. Wenn aufgrund dieser Einstufung, der Abhängigkeit der Menschenwürde des Einzelnen von seiner Herkunft und seiner Hautfarbe, Minderheiten missachtet
werden, dann ist das letztlich der Ausgangspunkt für
rechtsextremistisches Verhalten. Deswegen brauchen
wir hier eine intensive geistige Auseinandersetzung.
({2})
Dies ist ein Auftrag an alle, an den Staat und an die Politik auf allen Ebenen - auf der Bundesebene, der Länderebene und der kommunalen Ebene -, aber auch an alle
gesellschaftlichen Gruppen. Angesprochen sind auch die
Familien und die Vereine, angefangen von den Sportvereinen bis hin zu den Feuerwehren. Es ist von entscheidender Bedeutung, den Anfängen zu wehren; dazu ist
auch Zivilcourage gefordert. Es ist Handeln auf allen
Ebenen erforderlich, nicht nur vonseiten des Staates und
der Politik, sondern auch von den Bürgerinnen und Bürgern.
Ich teile die Sorge von Joachim Gauck, dem Vorsitzenden des Vereins „Gegen Vergessen - Für Demokratie“, dass viele Menschen unserer Gesellschaft nicht begriffen haben, dass die Demokratie jeden Tag neu
erkämpft werden muss
({3})
und dass das Verharren in einer Zuschauerrolle - ich
könnte auch sagen: eine Tribünenmentalität - die Demokratie letztlich viel stärker bedroht als jedes Wahlergebnis.
({4})
Die Bundesregierung nimmt die Auseinandersetzung
mit Extremismus jeglicher Art, hier dem Rechtsextremismus, sehr ernst. Sie tritt dem Rechtsextremismus mit
repressiven, aber auch mit präventiven Maßnahmen entgegen. Die Verfassungsschutzbehörden werden die intensive Beobachtung des Rechtsextremismus und der
rechtsextremistischen Parteien fortführen. Wichtig ist
aber auch die Auseinandersetzung mit den Ursachen des
Rechtsextremismus - ich sagte es bereits -, die Aufklärung der Öffentlichkeit und die Entwicklung von langfristigen Präventionsstrategien.
Es hat jetzt eine sehr aufgeregte Diskussion um das
Auslaufen eines Aktionsprogramms gegeben, obwohl
immer vorgesehen war, dass es Ende dieses Jahres ausläuft. Das bezieht sich auch auf die Programme CIVITAS
und ENTIMON. Im Rahmen von ENTIMON sind im
gesamten Förderzeitraum 4 500 Projekte gefördert worden. Bei 80 Prozent der Projekte haben die Kommunen
längst gesagt, dass sie diese Projekte für so interessant
halten, dass sie sie fortsetzen wollen; das war ja auch
Sinn dieser Projekte. Es ist aber ausdrücklich vereinbart,
dass das Gesamtprogramm gegen Rechtsradikalismus
„Jugend für Toleranz und Demokratie“ nicht ausläuft.
Die bisherigen Projekte - die Anzahl habe ich bereits
genannt - werden wir auswerten. Damit sind wir schon
beschäftigt. Danach müssen wir entscheiden, wie wir
diese Projekte in eine neue, bessere und effizientere Strategie einbinden. Die wissenschaftliche Begleitung hat
bereits gezeigt, dass der zentrale Schlüssel zum Erfolg
dieser Projekte die zusätzliche Einbindung der kommunal Verantwortlichen ist. Deswegen wird ein Schwerpunkt auf der Förderung lokaler Aktionspläne, auch in
kommunaler Verantwortung, liegen. Es ist völlig klar,
dass die Bemühungen, die von außen herangetragen
werden, kaum Erfolg haben, wenn man die Kommune
nicht dafür gewinnen kann. In diesem Sinne handelt es
sich um ein auf Dauer angelegtes neues Programm, das
Anfang 2007 starten wird.
({5})
Wir werden zusammen mit dem Haushaltsausschuss
dafür sorgen - das will ich gerne ergänzen -, dass es bei
bestimmten Projekten, wie den mobilen Beratungsdiensten, die die Kommunen auch künftig beraten sollen, und
den Opferberatungsstellen, keine Förderlücke gibt. Das
heißt aber nicht, dass alle Projekte, die bislang auf den
Weg gebracht worden sind, eins zu eins weitergefördert
werden. Das muss man fairer- und ehrlicherweise sagen,
weil man sonst falsche Erwartungen weckt. Ich denke,
man sollte die Tatsache, dass das eine oder andere Projekt ausläuft, nicht nutzen, um den Eindruck zu erwecken, dass das diesen Projekten zugrunde liegende Anliegen unzureichend gewürdigt würde.
Ich glaube, dass wir die Erfahrungen, die in den vergangenen Jahren gemacht worden sind, nutzen sollten.
Die mobilen Beratungsteams sollten die Kommunen, die
sich auf diesem Gebiet engagieren, weiterhin begleiten.
Herausgehobene modellhafte Maßnahmen sollten wir
unterstützen.
Deshalb kann ich nur wiederholen: Die demokratischen Kräfte müssen zusammenstehen. Sie sollten sich
nicht gegeneinander ausspielen. Wir müssen gemeinsam
alles tun, damit Intoleranz, Extremismus, Rechtsextremismus und Antisemitismus in unserer Gesellschaft keinen Raum haben.
({6})
Ich appelliere an alle, dass sie das ihrige dazu beitragen.
Wir müssen dafür sorgen, dass alle Respekt vor dem anderen haben, auch vor anders Denkenden. Wenn wir, die
demokratischen Parteien, das gemeinsam vorantreiben,
dann sind wir langfristig auf dem richtigen Weg.
Herzlichen Dank.
({7})
Für die FDP-Fraktion hat der Kollege Ernst
Burgbacher das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
7,3 Prozent in Mecklenburg-Vorpommern für die NPD 60 000 Menschen haben die NPD gewählt. In Berlin waren es 40 000 Menschen. Das hat uns alle erschreckt.
Wenn wir zeitweise geglaubt haben, das Gespenst habe
sich verzogen - in meinem Heimatland, in BadenWürttemberg, saßen die Republikaner zwei Legislaturperioden lang im Landtag; das rechtsextreme Phänomen
kennen wir auch aus anderen Bundesländern -, dann
sind wir jetzt, nach Sachsen, ein zweites Mal aufgewacht.
Wir alle sollten einsehen, dass es keine Patentrezepte
gibt. Es macht auch keinen Sinn, sich gegenseitig Schuld
zuzuschieben. Frau Pau, Sie haben den Eindruck erweckt, als gäbe es Lösungen. Die PDS hat acht Jahre
lang in Schwerin mitregiert, es aber trotzdem nicht verhindern können. Von den 18- bis 24-Jährigen - auch
diese Zahl will ich einmal nennen - haben 17 Prozent
NPD gewählt. Das kann uns nicht ruhen lassen.
({0})
Deshalb müssen wir alle miteinander überlegen, wo
die Ansatzpunkte sind. Ich will deutlich machen, dass es
nicht nur um die Bekämpfung des Extremismus von
Rechts geht, sondern genauso um die Bekämpfung des
Extremismus von Links.
({1})
Es geht um jede Form von Extremismus, weil jede Form
unsere Demokratie gefährden kann. Wir sollten nicht unterscheiden und nur die eine Seite herausgreifen. Jede
Form von Extremismus muss von uns bekämpft werden.
({2})
Es gibt durchaus gemeinsame Anknüpfungspunkte, da
für beide Formen ähnliche Erklärungsmuster gelten.
({3})
Nach unserer festen Überzeugung ist die Bildung eine
Zugangsmöglichkeit. Wir wissen aus allen Statistiken,
dass Extremismus dort geringer ist, wo der Bildungsstandard höher ist. Deshalb muss das Thema Bildung angegangen werden, und zwar insbesondere im Bereich
Geschichtsunterricht. Es kann nicht sein, dass der Umfang des Geschichtsunterrichts in unserem Land weiter
reduziert wird. Damit begehen wir ein Verbrechen; denn
nur wer über historisches Bewusstsein verfügt, kann gegen solche Entwicklungen wehrhaft sein. Wir sind dafür
zwar nicht zuständig, dennoch sollte von diesem Haus
der Appell ausgehen: Bildung ist ein Schlüssel.
({4})
Ein zweiter Schlüssel sind sicher die wirtschaftlichen
Verhältnisse. Wir wissen: Gerade in den neuen Bundesländern, gerade in Mecklenburg-Vorpommern - Wahlanalysen zeigen das - führen Abwanderung und Alterung
zu wirtschaftlicher Depression. Die Strukturschwächen
sind natürlich ein Schlüssel. Deshalb ist das beste Programm gegen Extremismus eine Politik, die Wachstum
und Beschäftigung ermöglicht. Es muss alles getan werden, um die Weichen so zu stellen, dass wir auch in diesen Ländern wieder zu mehr Beschäftigung kommen.
({5})
Ausdrücklich hinweisen will ich auf den starken Anstieg rechtsextremistischer Kriminalität. Die Zahl der
Gewalttaten ist laut Verfassungsschutzbericht für das
Jahr 2005 um 23,5 Prozent gestiegen. Wir brauchen natürlich eine konsequente strafrechtliche Sanktion von
Gewalttaten; aber insbesondere brauchen wir Prävention. Prävention spielt in diesem Zusammenhang eine
ganz besonders große Rolle. Kriminalprävention heißt
auch: Polizei vor Ort. Deshalb hier mein Appell: Wir
müssen mit den Ländern reden. Die Reduzierung von
immer mehr Stellen bei der Polizei führt zu weniger Präsenz vor Ort. Wir wissen, dass gerade das eine große
Auswirkung auf die Kriminalität haben kann. Wir sollten
jetzt nicht kleinlich sagen, dass das nicht möglich ist,
sondern wir sollten dafür offen sein, diese kritischen
Punkte zu beleuchten.
Lassen Sie mich im Rahmen meiner kurzen Redezeit
zu einem letzten Punkt kommen: den Programmen, die
Sie, Herr Staatssekretär, angesprochen haben. Wir brauchen in diesen Programmen dringend Konstanz. Die jetzige Diskussion tut dem Ganzen sicher nicht gut. Wir
müssen bedenken, dass sich sehr viele Menschen in diesem Bereich ehrenamtlich engagieren. Für sie ist es ein
Stück weit ein Schuss vor den Bug. Deshalb fordere ich
Sie auf, schnell Klarheit herzustellen. Das heißt natürlich, dass wir evaluieren und Programme überprüfen. Ich
will ausdrücklich sagen: Es gibt in diesem Bereich hervorragende Programme. Viele sind von verschiedenen
Stiftungen ausgezeichnet worden. Ich möchte mich an
dieser Stelle ausdrücklich bei allen bedanken, die in diesen Programmen tätig sind.
({6})
Lassen Sie mich eine abschließende Bemerkung machen - meine Redezeit ist abgelaufen -: Wir müssen insbesondere an die jungen Menschen denken. Wir müssen
verhindern, dass junge Menschen in diese Entwicklung
hineingezogen werden. Dabei spielt das Vertrauen in die
Politik eine große Rolle. Es spielt eine Rolle, wie wir
selbst den Vorbildcharakter von Politik leben. Es spielt
aber auch eine Rolle, dass Politik wieder handelt, dass
Politik entscheidet und dass die Menschen im Lande darauf vertrauen, dass Politik Probleme löst. Ich glaube,
auch das ist ein ganz wesentlicher Schlüssel.
Herzlichen Dank.
({7})
Für die SPD-Fraktion spricht der Kollege Wolfgang
Thierse.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
In vier Länderparlamenten sind seit Sonntag rechtsextremistische Parteien vertreten. In zahllosen, vor allem ostdeutschen Kommunen sind sie auch vertreten. Das ist
beunruhigend für alle Demokraten. Darin sind wir uns
im Urteil einig. Die Neonazis breiten sich aus. Die NPD
stabilisiert sich, vor allem auch in Ostdeutschland.
Ich will der Kürze der Zeit wegen nur zwei Bemerkungen dazu machen:
Erstens. Es ist üblich geworden - es ist stereotyp, was
am Wahlabend immer zu hören ist -, von Protestwahl
und Protestwählern zu sprechen. Ich nenne das eine verharmlosende Veredelung eines gefährlichen politischen
Verhaltens.
({0})
Denn in Deutschland muss man wissen und in Deutschland kann man wissen, was es bedeutet, Nazis zu wählen. Daran darf nichts, aber auch gar nichts beschönigt
werden.
({1})
Es ist, wie ich finde, keine erlaubte Rechtfertigung,
einfach von Ursache und Wirkung zu sprechen und in
diesem Zusammenhang auf die sozialen und wirtschaftlichen Probleme hinzuweisen, als wären Arbeitslose gewissermaßen verpflichtet, rechtsextremistisch zu wählen.
Im Übrigen, liebe Kollegin Pau, ist es schlimmer: Es
sind nicht nur soziale Gründe. In Deutschland gibt es ein
stabiles Neonazipotenzial. Wilhelm Heitmeyer gibt jedes
Jahr eine Studie heraus, in der er die Mentalitäten und
Auffassungen der Deutschen untersucht. Er verzeichnet,
dass es in Deutschland einen stabilen, aber sich langsam
steigernden Prozentsatz von Menschen mit minderheitenfeindlichen, antisemitischen, ausländerfeindlichen,
also insgesamt rechtsextremistischen Einstellungen gibt.
Es ist schlimmer: Vor allem junge Männer haben die
NPD gewählt. Sie denken und fühlen zum Teil wirklich
rechtsextremistisch; da dürfen wir uns nichts vormachen.
Es ist schlimmer: Die NPD fährt eine Doppelstrategie. Auf der einen Seite ist sie biedermännisch, nachbarschaftlich und bedient sich sozialer Probleme; auf der
anderen Seite agieren die Gewalttäter aus den freien Kameradschaften gewissermaßen wie eine moderne SA.
Beides verbunden nennt Udo Voigt, der NPD-Vorsitzende, die „nationale Volksfront“. Mecklenburg-Vorpommern haben sie sich als Modellland ausgesucht,
diese Strategie erfolgreich umzusetzen. Auf diese Strategie müssen wir antworten.
Eine zweite Bemerkung. Der Rechtsextremismus ist
kein nur ostdeutsches Problem, aber eines mit einer heftigen ostdeutschen Schlagseite. Die Organisatoren, Aktivisten und Ideologen kommen zwar aus dem Westen;
aber sie haben im Osten besonders viel Erfolg. Da spielt
eine Erbschaft aus DDR-Zeiten eine Rolle: eine autoritäre Fixierung auf Staat und Politik, von denen man alles
erwartet und von denen man dann, wenn die Wunder
nicht eintreten, regelmäßig enttäuscht ist bis zur absoluten Demokratieverachtung.
Des Weiteren: Das Ja zur Demokratie, das die Westdeutschen in den 50er-Jahren gewissermaßen im Prozess
des wirtschaftlichen Aufschwungs, des Wirtschaftswunders, leichter sagen konnten, muss in Ostdeutschland
trotz und angesichts großer sozialer und wirtschaftlicher
Probleme gesagt werden. Das ist ein viel schwierigerer
Prozess.
Natürlich weiß ich, dass Arbeitslosigkeit, erfahrene
Arbeitslosigkeit und Angst vor Arbeitslosigkeit, und soziale Zukunftsängste ein geradezu heftiges Bedürfnis
nach einfachen Antworten erzeugen, die die demokratischen Parteien nicht geben dürfen. Das nutzen die
Rechtsextremisten aus. Da hilft nur Ehrlichkeit. Wir
können mit ihnen in Populismus nicht in Wettstreit treten
und keine Wunder versprechen, weder bei der Arbeitslosigkeit noch bei Ausbildungsplätzen noch bei Wohlstandswachstum noch bei der strukturellen Entwicklung
in Ostdeutschland. Da haben wir keine Wunder zu versprechen. Wir haben Veränderungsschmerzen zu erklären. Wer regiert - liebe Kolleginnen und Kollegen von
der Linkspartei PDS, Sie haben es erfahren -, der muss
Schmerzen bereiten. Es geht nicht anders, wenn man
Veränderungen aus Verantwortung für die Zukunft
durchsetzen will.
Weil das so ist, weil die Veränderungsschmerzen noch
dauern werden, brauchen wir eine Demokratieoffensive,
brauchen wir mehr denn je politische Bildungsarbeit, Jugendarbeit in Schule und Freizeit, alle Anstrengungen
zur Stärkung der Zivilgesellschaft, also zur Unterstützung der demokratischen Initiativen in Ostdeutschland,
auch den Schutz der Demokraten durch Staat, Polizei
und Justiz. Wir brauchen das Zusammenwirken aller Demokraten, der Kommunalpolitiker, der Kirchen, der Gewerkschaften, der Vereine, das Zusammenwirken von
Bund, Ländern, Kreisen und Gemeinden. Der Bund hat
die Pflicht, gewissermaßen immer wieder neu voranzugehen, indem er anstiftet, Programme finanziert und politisch zeigt, wie geschlossen und einig wir im Kampf
gegen Rechtsextremismus sind.
({2})
Das Wort hat die Kollegin Monika Lazar für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Am vergangenen Sonntag hat sich in Mecklenburg-Vorpommern jeder siebte Wähler für die NPD entschieden.
7,3 Prozent derjenigen, die ihre Stimmzettel abgegeben
haben, glauben, dass unser Land Rechtsextremisten
braucht, um voranzukommen. In Berlin gewannen die
Neonazis im Verhältnis zur vorigen Wahl 20 000 Stimmen hinzu und zogen in fünf Bezirksvertretungen ein.
Der NPD-Wahlerfolg vor zwei Jahren in Sachsen war
also keine Eintagsfliege. Wer von diesen aktuellen Ergebnissen schockiert ist, der hat die schleichende Entwicklung an der braunen Front viel zu lange ausgeblendet.
({0})
Alarmierende Hinweise gibt es seit Jahren. Der Verfassungsschutz berichtet von einer Zunahme rechter Gewalttaten um 23,5 Prozent in nur einem Jahr. Umfragen
zeigen diffuse fremdenfeindliche Einstellungen bei bis
zu 60 Prozent der Bevölkerung. Negative Haltungen zu
Fremden gehen Hand in Hand mit Forderungen nach
Vorrechten für Deutschstämmige.
Wir müssen uns fragen: Was macht Nazis in Deutschland stark? In sozial schwachen Wirtschaftsgebieten
kümmern sich Rechtsextreme um die praktischen Probleme der Bevölkerung und bieten das an, was sich viele
Menschen wünschen: soziale und kulturelle Angebote,
Gemeinschaftsgefühl und Freizeitspaß. Besonders in Regionen, in denen die demokratischen Parteien zu wenig
in der Bevölkerung präsent sind, fällt dies auf fruchtbaren Boden. Das simple Erklärungsmuster, wirtschaftliche Perspektivlosigkeit mache Menschen zu Naziwählern, greift allerdings zu kurz. Auch im bürgerlichen
Milieu, Herr Burgbacher, punkten Rechtsextreme mit
Antisemitismus und mit der kulturellen Abwertung Andersdenkender.
Wie lautet die Antwort auf diese Entwicklungen? Als
Stichworte nenne ich die Diskussion über die Abschaffung der Bundesprogramme, die Verharmlosung von Naziaktivitäten als Ostproblem, die strafrechtliche Verfolgung von antifaschistischen Symbolen und die
verunglückte NPD-Verbotsdebatte. So darf unsere Antwort doch wohl nicht ausfallen.
({1})
Auf rechtsextremen Internetseiten wird darüber gewitzelt, wie hilflos sich die demokratische Politik gebärdet. In einer Schlagzeile wird getitelt:
Der „Kampf gegen rechts“ tobt heftig, solange irgendjemand dafür bezahlt.
In diesem Artikel wird hinterfragt, ob es uns Demokraten mit dem Kampf gegen den Rechtsextremismus wirklich ernst ist. In diesem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, dass über jeden Cent gestritten wird und die
Länder und Kommunen nicht so recht in die Bundesförderung einsteigen wollen. Ja, die Nazis freuen sich,
wenn Netzwerke und Beratungsstellen nicht mehr arbeitsfähig sind. Sie machen sich über die Angst der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter lustig, die kurz vor ihrer
Kündigung stehen.
Was machen wir? Ursprünglich war es die Idee der
Grünen bzw. der rot-grünen Bundesregierung, das Programm CIVITAS aufzulegen, mit dem Initiativen in den
neuen Ländern gefördert werden sollten. In den vergangenen fünf Jahren konnten auf diesem Wege wertvolle
Strukturprojekte entstehen. Sie haben Netzwerke gebildet. Sie beraten Kommunen, helfen Opfern rechter Gewalt und Naziaussteigern und klären an Schulen auf. Wir
Grüne haben Jahr für Jahr dafür gesorgt, dass sie ihre
Arbeit fortsetzen konnten.
Auch jetzt kämpfen wir weiter. Teilweise haben wir
gemeinsam schon etwas erreicht. Nach der Bundestagswahl sah es zunächst so aus, als würde die Union die
Mittel für diese Programme streichen; das wurde verhindert. Später war eine Ausweitung auf den Linksextremismus und auf den Islamismus vorgesehen; auch das ist
vom Tisch. Ich frage mich: Wo haben wir es zum Beispiel in Mecklenburg-Vorpommern mit Linksextremismus zu tun? Meines Erachtens gibt es ihn dort nicht.
Ende 2006 sollten diese Programme auslaufen, ohne
Übergangslösung. Jetzt hat ihnen das Bundesfamilienministerium, erschrocken und alarmiert durch die jüngsten
Landtagswahlergebnisse, eine Gnadenfrist eingeräumt.
Die Initiativen werden ein halbes Jahr länger als geplant
Fördergelder erhalten. Das ist allerdings nur eine
Scheinlösung; denn der Gang zum Arbeitsamt wird für
die Mitarbeiter dieser Initiativen nur verschoben.
Was aber geschieht dann? Das neue Programm soll
kommen. Es startet allerdings ein halbes Jahr später als
ursprünglich angekündigt. Wenn gesagt wird, dass man
ein neues Programm auflegt und dafür erneut Mittel in
Höhe von 19 Millionen Euro zur Verfügung stellt, klingt
das zwar gut, aber es kommt auf die Details an.
Erstens. Auf das neue Programm können sich keine
Strukturprojekte bewerben. Das dürfen nur Modellprojekte tun, die etwas Neues anbieten, nicht jedoch die
bewährten Initiativen. Seit dieser Woche wird im Ministerium von einer „bundesweiten Einsatzgruppe“ von Sozialpädagogen gesprochen, die beraten soll. Allerdings
sage ich der CDU/CSU: All das gibt es schon. Man muss
es nicht neu erfinden.
({2})
Außerdem ist dieser Begriff meines Erachtens militärisch geprägt. Daher sollte er, zumindest in diesem Zusammenhang, nicht verwandt werden.
Zweitens. Für längerfristige Strategien dürfen künftig
nur Kommunen und Landkreise Anträge stellen. Die
freien Träger bleiben außen vor. Wir werden für ein
neues Antragsrecht, für eine gleichberechtigte Antragstellung kämpfen.
({3})
Drittens. Wir akzeptieren nicht, dass die Initiativen jedes Jahr aufs Neue um ihre Existenz bangen müssen. Die
Förderung muss institutionalisiert werden.
({4})
Mit 5 Millionen Euro könnten die Strukturprojekte dauerhaft gesichert werden. Wenn die Bundesregierung
jährlich Millionen für dies und jenes ausgibt, sollten
doch auch diese 5 Millionen bereitgestellt werden können.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, entscheiden Sie
sich klar, wen Sie stärken wollen: die Zivilgesellschaft
oder Rechtsextreme.
({6})
Das Wort hat der Kollege Ronald Pofalla.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
18. August 2006: NPD-Helfer greifen einen SPD-Wahlkampfstand in Hagenow an. 8. September 2006: Zwei
SPD-Mitglieder, die in Berlin-Marzahn Wahlplakate
aufhängen wollen, werden von Rechtsextremen verfolgt.
Einer wird, am Boden liegend, getreten - gegen den
Kopf - und so schwer verletzt, dass er ins Krankenhaus
muss. 9. September 2006: Mitglieder der CDU in BerlinRudow werden an einem Wahlkampfstand von 20 NPDSympathisanten umringt, Bürger werden eingeschüchtert, sie sollten keine Werbemittel der CDU annehmen.
Dies, meine Damen und Herren, waren nur einige
Meldungen der letzten Wochen aus den beiden Landtagswahlkämpfen in Berlin und in Mecklenburg-Vorpommern. Sie erinnern, wie ich finde, auf beklemmende
Weise an die Schlägertrupps der 30er-Jahre.
({0})
Solche Einschüchterungsversuche und Gewalttaten haben nichts - ich betone: überhaupt nichts - mit Wahlkampf zu tun. Sie machen deutlich, welche Gesinnungen
hinter den Führungskräften der NPD stehen, sie machen
deutlich, dass sie vor Gewalt nicht zurückschrecken.
Deshalb müssen wir als Demokraten das gemeinsam offen legen und gegen solche Schlägertrupps vorgehen.
({1})
Ich sage aber auch sehr deutlich - zur politischen
Auseinandersetzung komme ich gleich noch -: Dies sind
eindeutig Vorgänge für die Strafverfolgungsbehörden
und für die Staatsanwaltschaften. Da sind wir Politikerinnen und Politiker aus gutem Grunde nicht diejenigen,
die in der Verantwortung stehen, zu handeln. Ich erwarte
von den zuständigen Staatsanwaltschaften, dass diese
Vorkommnisse mit allem Nachdruck verfolgt werden
und, wenn die Beweislage ausreicht, zu Anklagen vor
Gericht führen.
({2})
Meinem Kollegen Hubertus Heil, dem Generalsekretär der großen Volkspartei SPD, droht eine Anzeige der
NPD, weil er, von seinem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch machend, auf diese Methoden hingewiesen hat. Ich erkläre unmissverständlich für CDU und
CSU: Wir Demokraten lassen uns von solchen Einschüchterungsversuchen nicht beeindrucken. Ganz im
Gegenteil, an dieser Stelle stehen wir gemeinsam zusammen und machen deutlich: Wir Demokraten lassen uns
von der NPD nicht einschüchtern.
({3})
Wir dürfen aber - da stimme ich Herrn Thierse und
den Vorrednern zu - die NPD nicht verharmlosen. Wenn
es in einzelnen Ortsteilen und in einzelnen Ortschaften
ich habe mir die Stimmenanteile der beiden Landtagswahlen gestern noch einmal im Detail angesehen - der
NPD gelungen ist, über 30 Prozent der Stimmen zu bekommen, muss ich auch in Richtung der demokratischen
Parteien sagen: Wir müssen uns selbstkritisch fragen,
was wir versäumt haben.
Ich bin der festen Überzeugung, dass sich viele der
Menschen, die die NPD gewählt haben, nur vor einen
Karren haben spannen lassen, weil die demokratischen
Parteien keine Antworten auf ihre Probleme gefunden
haben. Deshalb glaube ich, dass wir uns an diesem Tag,
an dem wir eine solche Debatte führen, auch kritisch mit
uns - damit meine ich alle demokratischen Parteien auseinander setzen und uns fragen müssen, ob wir mit
den Wahlkämpfen, die wir schlechterdings praktizieren,
wirklich noch die Menschen wirksam ansprechen können, die in der Gefahr stehen, von der falschen Seite
überzeugt zu werden.
({4})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte
noch eine Anmerkung machen, weil es in den letzten Tagen mit Blick auf die Bundesfamilienministerin Äußerungen gab, die ich nicht teilen kann. Um es deutlich zu
sagen: Ich finde es nicht gut, dass als Erstes Kritik an der
Bundesfamilienministerin geübt wird, wenn sich die demokratischen Parteien aufmachen, um gegen die NPD
vorzugehen - auch argumentativ. Ich halte das erstens
deshalb für unangebracht, weil die Programme - das hat
der Staatssekretär gerade betont - zum Teil fortgeführt
werden, und zweitens, weil die Überprüfung der Programme ergeben hat, dass nicht alle die Wirksamkeit erzielt haben, die wir uns wünschten.
({5})
Ich sage es sehr deutlich: Nicht jedes rot-grüne Programm, das von der Absicht her richtig war, ist erfolgreich umgesetzt worden. Deshalb muss die neue Bundesregierung auch eine Überprüfung der vorhandenen
Programme vornehmen.
({6})
Sie muss die vorhandenen Mittel zielgenauer und effektiver einsetzen, damit wir - darin sind wir uns doch hoffentlich einig - die NPD und ihr Gedankengut am
Schluss wirksam bekämpfen.
Herzlichen Dank.
({7})
Für die Fraktion Die Linke spricht nun die Kollegin
Dr. Gesine Lötzsch.
({0})
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Jeder von uns muss sich fragen, was
er dazu beigetragen hat, dass die NPD jetzt in zwei
Landtagen sitzt. Wir wissen, dass die NPD bei einem
Wahlergebnis von 2 Prozent dümpeln würde, wenn der
NPD durch politische Entscheidungen der letzten Jahre
nicht die Wähler zugetrieben worden wären.
Hier nur ein Stichwort: Hartz IV. Die Hartz-Gesetze
sind das größte Demütigungsprogramm in der Geschichte der Bundesrepublik.
({0})
Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit treiben die
Menschen in die Fänge der Rechtsextremen.
({1})
Wir als Politiker müssen alles tun, um den Menschen
wieder Perspektiven zu geben.
({2})
Ein weiterer schwer wiegender Grund für die Erfolge
der Rechtsextremen in Ostdeutschland ist die Politik der
Gleichsetzung von Nationalsozialismus und DDR. Die
DDR wird als Vehikel genutzt, um die Verbrechen des
Nationalsozialismus zu relativieren und zu bagatellisieren.
({3})
- Ich werde Ihnen das erklären. - Egal, ob man in eine
Zeitung schaut oder eine Fernsehsendung sieht: Wenn
über die DDR geschrieben oder gesprochen wird, dann
fehlt fast nie der Vergleich mit dem Nationalsozialismus.
Jeder Jugendliche, der die DDR aus eigener Erfahrung
oder aus den Erzählungen der Eltern kennt, kann aus dieser Gleichsetzung nur die Schlussfolgerung ziehen, dass
der Nationalsozialismus so schlimm doch gar nicht gewesen ist.
({4})
Ein junger Mann, der eine Ausbildung als Erzieher
absolviert, erzählte mir zum Beispiel, dass die Lehrer in
der Erzieherschule die Jugendämter in der DDR und im
Faschismus in einem Atemzug nennen.
({5})
In beiden Systemen seien Familien auseinander gerissen
worden. Das ist eine groteske Verharmlosung. Unter
Hitler wurden Menschen und Familien nicht nur auseinander gerissen. Damals wurden ganze Familien vergast.
Das ist der Unterschied.
({6})
Die Dämonisierung der DDR ist ein gefundenes Fressen für Rechtsextreme. Der Spitzenkandidat der NPD in
Mecklenburg-Vorpommern hat folgerichtig gleich nach
der Wahl erklärt, dass in der DDR nicht alles schlecht
war. Damit erreicht er eine Empörung bei den etablierten
Parteien und erhofft er sich eine Zustimmung bei den
Ostdeutschen.
Meine Damen und Herren, mit der Verteufelung der
DDR geht eine ständige Verharmlosung der Verbrechen
des Nationalsozialismus einher.
({7})
Der Historiker Baring spricht vor der CDU-Fraktion im
Hessischen Landtag nur noch von einer „beklagenswerten Entgleisung“, wenn er über die Verbrechen der
Hitler-Diktatur spricht. Dieser Mann, der in kaum einer
Talkshow fehlt, wird nicht etwa scharf zurechtgewiesen.
Nein, er wird von der CDU noch verteidigt. Ich finde das
wirklich absurd.
({8})
Der Faschismus ist doch wohl kein bedauerlicher Unfall
der Geschichte. Ich finde, die Bundeskanzlerin hätte sich
auch zu diesem Vorfall im Hessischen Landtag klar äußern müssen.
Die NPD ist eine antidemokratische und menschenverachtende Partei, die bereit ist, über Leichen zu gehen
und Menschen anzugreifen und einzuschüchtern, um
ihre Ziele zu erreichen. Wir als Linkspartei werden uns
mit der NPD nie abfinden. Wir werden uns parlamentarisch und außerparlamentarisch gegen diese Partei zur
Wehr setzen.
Meine Damen und Herren, wir werden auch nicht akzeptieren, dass die Bundesregierung versucht, mit ständigen Programmwechseln die kontinuierliche Arbeit gegen Rechtsextremismus zu behindern. Wir befinden uns
derzeit in den Haushaltsberatungen. Wir haben alle
Chancen, die Fehler, die gemacht wurden, rückgängig zu
machen und die Verunsicherung der Menschen in den
Initiativen zu beenden. Eine kontinuierliche und verlässliche Förderung der Initiativen muss die richtige Antwort sein. Ich hoffe, dass wir in den Haushaltsberatungen
mit den Stimmen aller Fraktionen der verdienstvollen
Arbeit der Initiativen Rückhalt geben, dass wir die Menschen nicht in Angst und Schrecken versetzen und die
Nazis nicht triumphieren lassen. Dafür müssen wir gemeinsam in den Haushaltsberatungen die richtigen Entscheidungen treffen. Ich hoffe auf Ihrer aller Stimme.
Vielen Dank.
({9})
Für die SPD-Fraktion spricht nun die Kollegin
Gabriele Fograscher.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Lötzsch, eine Aktuelle Stunde aus Anlass der
rechtsextremen Entwicklungen in unserem Land dazu zu
nutzen, das DDR-System und die Diktatur zu rechtfertigen, ist schon sehr verräterisch und auch ziemlich daneben.
({0})
Herr Pofalla, eine Familienministerin, die für die Programme zuständig ist und die es zulässt, dass über Wochen und Monate hinweg Unklarheit über die Ausgestaltung und die Weiterführung dieser Programme herrscht,
muss sich auch Kritik anhören.
({1})
Immer wenn die NPD Wahlerfolge erzielt, immer
wenn ein Aufmarsch stattfindet, wenn rechte Schläger
Menschen auf der Straße attackieren, dann wendet sich
die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und der Medien
dem Thema Rechtsextremismus zu. Leider wendet sich
diese Aufmerksamkeit ebenso schnell wieder dem Tagesgeschäft zu. Um aber Einstellungen zu ändern und
um Demokratie und Toleranz zu lehren und zu lernen,
braucht es einen langen Atem. Was also kann man tun?
Man muss zunächst einmal erkennen, dass das Wahlergebnis nicht zufällig oder überraschend zustande
kommt. Die NPD verfolgt eine gezielte Strategie; das
sagt sie auch ganz offen. Die „Süddeutsche Zeitung“ von
gestern zitierte Holger Apfel aus Sachsen:
Die NPD werde jetzt die Republik aufrollen, über
die „Achse Schwerin-Dresden“. Seine Fraktion
werde geschulte Leute nach Schwerin entsenden,
um den Kameraden zu helfen.
Man muss zur Kenntnis nehmen, dass sich die Rechten dort breit machen, wo demokratische und gesellschaftliche Strukturen schwach sind. Sie gründen Bürgerinitiativen, sie bieten Konzerte an, sie veranstalten
Sommerfeste für die ganze Familie, sie unterwandern
Vereine. Sie tarnen sich als Biedermann und machen
sich breit in der Gesellschaft.
NPD zu wählen ist kein Protest. Diejenigen, die ihr
Kreuz bei der NPD machen, wissen doch, wen und was
sie wählen. An eindeutigen Aussagen von Kandidaten
und auf den Wahlplakaten fehlt es nicht. Spätestens seit
Wahlkampfhelferinnen und Wahlkampfhelfer von Rechten angegriffen wurden und Wahlversammlungen aller
demokratischen Parteien gestört werden, muss es doch
klar sein: Hier geht es nicht um eine Auseinandersetzung
Rechts gegen Links, sondern um gezielte und gesteuerte
Angriffe auf Demokraten und auf die Demokratie.
({2})
Was also kann man tun? Wir müssen die Menschen,
die sich vor Ort für Demokratie, für Vielfalt und für Toleranz einsetzen, unterstützen. Deshalb ist es gut, dass
der Bund jährlich 19 Millionen Euro für Initiativen und
Projekte zur Verfügung stellt. Es ist gut, dass das „Bündnis für Demokratie und Toleranz“ Bürgerinitiativen auszeichnet, dass es „Schule ohne Rassismus“ und viele andere Initiativen gegen rechts gibt. Aber das reicht
offensichtlich nicht aus. Der Strategie der Rechten müssen wir eine Strategie der Demokraten entgegensetzen.
Es braucht Strukturen, in denen engagierte und kompetente hauptamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
Ehrenamtliche unterstützen. Es braucht Strukturen, um
Netzwerke zu bilden, die Opfer zu beraten und mit mobilen Beratungsteams - Herr Kues, ich begrüße ausdrücklich Ihre ermutigende Aussage dazu ({3})
wirksam gegen die Rechten vorzugehen. Deshalb brauchen wir über die zeitlich begrenzte Projektförderung hinaus eine nachhaltige Finanzierung dieser Strukturprojekte.
Der Kampf gegen Rechtsextremismus ist nicht allein
Aufgabe des Bundes. Vielmehr sind die Länder, Kommunen und alle gesellschaftlichen Akteure insgesamt gefordert.
Man kann sich zwar fragen - wie es Herr Burgbacher
und auch Herr Pofalla getan haben -, ob die Bundesprogramme ausreichend und wirksam sind, doch die Antwort allein in der Beseitigung der Ursachen der Perspektivlosigkeit von jungen Menschen zu sehen, geht nicht
weit genug. Das Problem löst sich nicht von allein und
es wird sich auch nicht automatisch durch Wachstum
und Beschäftigung lösen. Was machen wir denn, bis sich
Wachstum und Beschäftigung in Mecklenburg-Vorpommern und anderen ländlichen Regionen einstellen? Wo
sollen die Arbeitsplätze entstehen, wenn sich international agierende Unternehmen scheuen, in einer Region zu
investieren, in der die Rechten Wortführer sind?
Dort, wo es zu Übergriffen rechter Gewalt gekommen
ist, gibt es doch schon konkrete negative Auswirkungen,
zum Beispiel im Bereich Tourismus. Das ist der Grund,
warum sich viele Kommunen scheuen, offensiv gegen
rechts vorzugehen. Sie fürchten um den Ruf ihrer Gemeinde. Deshalb haben die Rechten dort ein leichtes
Spiel.
Statt aufgeregter Debatten brauchen wir mehr Zivilcourage und Mut, eine offensivere Auseinandersetzung
mit der rechten Ideologie, mehr Information und Aufklärung und mehr Leidenschaft der Demokraten für die Demokratie.
({4})
Für die Unionsfraktion spricht nun der Kollege
Dr. Hans-Peter Uhl.
({0})
Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Am vergangenen Sonntag haben 580 000 der
1,4 Millionen Wahlberechtigten in Mecklenburg-Vorpommern von ihrem Wahlrecht keinen Gebrauch gemacht und 60 000 haben die NPD gewählt. Bei der letzten Wahl waren es nur 7 700. In Berlin haben die Wähler
der NPD zum Einzug in fünf von zwölf Bezirksparlamenten verholfen.
Die Zahl der politisch rechts motivierten Straftaten
hat dramatisch - um fast 30 Prozent - zugenommen. Die
NPD - es wurde bereits gesagt; auch wir stellen das
fest - bekämpft unseren Rechtsstaat, schürt Hass und
schadet vor allem dem Ansehen der Bundesrepublik
Deutschland. Deswegen gehört der Kampf gegen den
Rechtsextremismus zur Hauptaufgabe aller demokratischen Parteien in unserem Land. Das ist auch das Ergebnis der heutigen Debatte in diesem Haus.
({0})
Wir haben in unserem Koalitionsvertrag Folgendes
festgehalten:
Toleranz und Weltoffenheit sind Markenzeichen einer freiheitlichen Gesellschaft. Deshalb dürfen Extremismus, Rassismus und Antisemitismus keine
Chance haben.
Darauf haben wir uns geeinigt, aber dem wird auch jeder
in den Oppositionsparteien zustimmen.
Gerade in Zeiten von sozialen Ängsten und Millionen
von Arbeitslosen haben Extremisten, besonders aber die
Rattenfänger vom rechten Rand Hochkonjunktur. Mit
Parolen wie „Hartz IV, Praxisgebühr, Mehrwertsteuer jetzt reicht’s“, mit denen im Wahlkampf geworben
wurde, kann man zwar Wähler einfangen, aber keine
Probleme lösen. Herr Thierse, Sie haben das bereits ausgeführt.
Extremisten entzieht man den Nährboden durch die
Vermittlung von Werten wie Freiheit, Demokratie und
Menschenwürde. Die Schaffung einer Zukunftsperspektive ist das wirksamste Mittel gegen die dumpfen braunen Parolen.
({1})
Die Förderprogramme - sie wurden bereits angesprochen - müssen daraufhin evaluiert werden, ob sie in ausreichendem Maße zielgerichtet und effektiv sind. Ich bin
dankbar, dass hier nicht wie in einer Haushaltsberatung
darüber gestritten wird, ob 19 Millionen Euro für die
Förderung von Projekten gegen rechts ausreichen oder
ob mehr Mittel zur Verfügung gestellt werden sollen.
Das wäre wahrscheinlich zu platt argumentiert. Ich will
nicht aus der Tatsache, dass die Zahl der NPD-Wähler
von über 7 000 auf rund 60 000 gestiegen ist, den
Schluss ziehen, dass die Programme nichts bewirkt haben, und fragen, ob man alles so organisiert hat, wie man
es hätte tun müssen.
In der heutigen Ausgabe der „FAZ“ ist ein sehr tief
gehender, analytischer Artikel von Schirrmacher erschienen. Es ist empfehlenswert, ihn zu lesen. Man muss
die Analyse und die Ergebnisse nicht teilen. Aber er
kommt von der demografischen Analyse zu der bedenkenswerten Schlussfolgerung, dass wahrscheinlich eine
längerfristige Radikalisierung des Landes zu befürchten
ist. Er ist der Meinung, dass die Alterung der Bevölkerung einerseits und der Überschuss der dort gebliebenen
jungen Männer andererseits dazu führen, dass diese
nicht nur keine Aussicht auf Arbeit, sondern auch keine
Aussicht auf einen Lebenspartner haben. Aufgrund dessen entstehe ein Milieu, das zu Radikalisierung und
Aggressivität neige sowie für die Parolen der Rechtsradikalen und die Anpreisung männerbündischer Lebensformen empfänglich sei. Wenn man diese Analyse teilt,
dann ist es sicherlich falsch, sich auf eine Skandalisierung der rechtsextremen Wähler zu beschränken. Dann
muss man vielmehr tiefer gehende, langfristig angelegte
sozialpädagogische Maßnahmen ergreifen. Aus diesem
Grunde brauchen wir eine Evaluierung. Herr Thierse,
Sie haben darauf zu Recht hingewiesen, dass wir nichts
schönreden dürfen. Wir brauchen aber eine tiefer gehende Strategie. Für das zur Diskussion stehende Phänomen gibt es offenbar mehr Gründe als nur den fehlenden
Arbeitsplatz.
Ich lehne ein neues Verbotsverfahren gegen die NPD
strikt ab. Parteiverbote sind letztlich staatliche Reglementierungen des Parteienspektrums. Sie dürfen nur
eine Ultima Ratio sein. Ich verstehe zwar, dass man die
Flucht nach vorne antreten will und auf ein Parteiverbot
per Urteil des Bundesverfassungsgerichts hofft. Aber
freie und geheime Wahlen sind nun einmal mit Nebenwirkungen und Risiken verbunden; das kennen wir alle
als Demokraten. Damit muss man leben. Deswegen ist
ein solches Verbot sicherlich der falsche Weg.
Einerseits sollten wir gelassener sein. Schauen Sie
sich die Entwicklung der Wählerstimmen für die Rechtsradikalen in Italien und Frankreich an! Andererseits
müssen wir alle zusammen den Kampf entschlossen aufnehmen. Diese Debatte zeigt, dass wir alle an einem
Strang ziehen und uns für einen effektiveren Kampf gegen die NPD - in diesem Fall in Mecklenburg-Vorpommern - einsetzen.
Danke schön.
({2})
Für die SPD-Fraktion spricht nun die Kollegin
Kerstin Griese.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich möchte mit einem Dank an all diejenigen beginnen,
die die Bekämpfung des Rechtsextremismus nicht als ein
tagesaktuelles Thema - mit Höhen und Tiefen - betrachten, sondern die sich seit vielen Jahren gegen rechts engagieren. Ich nehme das für viele von uns in der Politik
in Anspruch. Wir wissen, dass der Kampf gegen den
Rechtsextremismus und der Kampf für Demokratie und
Toleranz Daueraufgaben sind. Wenn man sich die von
Herrn Pofalla beschriebenen Angriffe im Wahlkampf sowie die Erlebnisse unseres Fraktionsvorsitzenden Peter
Struck in Mecklenburg-Vorpommern vor Augen führt,
dann darf man nicht gelassen sein. Dort wurden gewalttätige Angriffe auf unsere Demokratie begangen. Alle,
die sich gegen die gewalttätigen Schlägerhorden, die wie
die SA auftreten, und sich gegen die NPD und die Neonazis engagieren, bedürfen unser aller Unterstützung.
({0})
Ich bin dankbar, dass die zivilgesellschaftliche Arbeit,
die dort geleistet wird, von einer großen gesellschaftlichen Breite getragen wird. Ich glaube, es ist wichtig, das
in der heutigen Debatte zu erwähnen. Das sind Menschen aus allen demokratischen Parteien, aus der katholischen und der evangelischen Kirche, aus jüdischen
Gemeinden, aus Bürgerbündnissen, aus Wohlfahrtsverbänden und aus Initiativen vor Ort. Dazu gehört zum
Beispiel der Bürgermeister von Pirna, der hautnah am eigenen Leib erlebt, was es heißt, wenn Neonazis die städtische Arbeit bedrohen. Dazu gehören auch Träger von
politischer Bildungsarbeit und Jugendarbeit. Diese zivilgesellschaftliche Aufgabe geht uns alle an.
So wichtig ich dieses Programm finde - ich habe
mich dafür in den letzten Monaten sehr engagiert -: Die
19 Millionen Euro des Bundes reichen nicht. Bund, Länder und Kommunen müssen gemeinsam ihre Anstrengungen verstärken. In Mecklenburg-Vorpommern gibt es
Landstriche, wo die NPD die Einzigen sind, die Nachhilfeunterricht anbieten, die Fußballturniere organisieren,
die Stadtteilfeste und Familienpicknicks veranstalten.
Das heißt, dass die Zivilgesellschaft in den Kommunen,
in den Ländern und im Bund mehr denn je gefragt ist.
({1})
Es geht deshalb neben der sicherheitspolitischen, innenpolitischen Arbeit auch um eine präventive pädagogische Arbeit in den Regionen. Zur Weiterentwicklung
der Programme - ich bin Ihnen, Herr Staatssekretär
Kues, und Ihnen, Frau Ministerin von der Leyen, sehr
dankbar für die konstruktiven Gespräche, die wir dazu in
den letzten Tagen führten - brauchen wir zwei Dinge:
Wir brauchen erstens eine kontinuierliche Unterstützung
der Menschen, die sich für Demokratie und Toleranz engagieren, und zweitens eine weitere bundesweite Förderung, die langfristig angelegt ist, damit diese Arbeit weiterentwickelt werden und gedeihen kann.
({2})
Wenn Sie sich die Evaluation - es gibt schon eine
Zwischenevaluation - ansehen, sehen Sie, dass in vielen
Bereichen die Ziele erreicht worden sind. Dass jetzt
80 Prozent der Projekte von ENTIMON von lokalen
Trägern übernommen werden, zeigt, dass die Projekte
gewirkt haben. Sie haben dort besonders gut funktioniert, wo es eine Vernetzung etwa in Form einer sehr
kompetenten mobilen Beratung in Schulen und Stadtteilen gegeben hat.
Die Evaluation - das sagt auch die Bundesregierung
auf ihrer Homepage - zeigt: Die Stärkung der Zivilgesellschaft bleibt weiterhin eine wichtige Aufgabe. Deshalb mein Appell: Lassen Sie uns gemeinsam schauen,
wie wir diese Arbeit kontinuierlich und langfristig sichern können, wie wir besonders den mobilen Beratungsteams, Opferberatungsstellen und Netzwerkstellen
eine langfristige Grundlage geben können!
({3})
Ich hatte in der letzten Woche ein interessantes Erlebnis. Ich war in Dresden, in Sachsen, zur Ordination der
ersten Rabbiner in Deutschland seit 1942. Es war ein
sehr bewegendes und schönes Ereignis, das zeigt, dass es
wieder vielfältiges jüdisches Leben in Deutschland gibt.
Dieses Ereignis konnte nur unter starkem Polizeischutz
stattfinden. Ich war auch im ein paar hundert Meter entfernt liegenden Dresdner Landtag, in dem mit 9,2 Prozent die NPD sitzt, die dafür sorgt, dass das Gedankengut existiert, aufgrund dessen solche Ereignisse nur
unter Polizeischutz stattfinden können.
Weil wir uns koalitionsintern gegenseitig zitieren,
will ich dazu Herrn Milbradt, den sächsischen Ministerpräsidenten, zitieren, der zur NPD gesagt hat: Wir dürfen
nicht darauf hoffen, dass das nur eine Welle ist, die irgendwann wieder vorbei ist. Diese Einschätzung teile
ich. Es geht um ein langfristiges Engagement aller demokratischen Kräfte. Solange solche Festakte wie diese
Rabbinerordination nur unter Polizeischutz stattfinden
können, müssen wir alle uns gemeinsam gegen diese
braunen Horden und dieses Gedankengut stellen.
({4})
So wichtig die Jugendarbeit ist - wir wollen diese
Programme im Bereich der Jugendpolitik weiterführen
und verstetigen und wir wollen ausdrücklich auch einen
zusätzlichen Fördertopf für die langfristige und kontinuierliche Sicherung der Strukturprogramme -, so wichtig
ist es, auch immer zu betonen: Es ist kein Jugendproblem alleine. Die Erwachsenen sind Vorbilder. Das,
was in den Köpfen der Jugendlichen gedeiht, kommt
auch von Erwachsenen. Wir sollten uns das Motto
„Ohne Angst verschieden sein zu können“ vor Augen
halten. Das muss in die Herzen und Köpfe der jungen
Menschen, aber auch der Eltern- und Großelterngeneration. Dazu müssen alle Demokratinnen und Demokraten
gemeinsam Position beziehen. Deshalb hoffe ich auf
weitere gute Gespräche, um die Arbeit, die vor Ort für
Demokratie und Toleranz geleistet wird, sichern zu können. Auch die Bundespolitik muss ein Zeichen setzen,
dass wir den Rechtsextremen keinen Fußbreit überlassen.
Vielen Dank.
({5})
Für die Unionsfraktion spricht nun der Kollege
Eckhardt Rehberg.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Frau Kollegin Lötzsch, die Aussage, die Politik habe der NPD die Wähler zugetrieben, ist ein Vorwurf, den ich für mehr als schwerwiegend halte. Ich
hätte erwartet, dass Sie, wenn Sie eine Aktuelle Stunde
über die Konsequenzen des Einzugs der NPD in den
Landtag von Mecklenburg-Vorpommern beantragen, etwas selbstkritischer wären. Sie tragen seit acht Jahren
Mitverantwortung in Mecklenburg-Vorpommern. Vor allem die Schuld so pauschal zuzuweisen, ohne sich einmal an die eigene Nase zu fassen, halte ich für unangemessen, Frau Kollegin Lötzsch.
({0})
Die Gleichsetzung des Nationalsozialismus mit der
Zeit von 1949 bis 1989 ist doch ein Ablenken. Ich
denke, wenn wir diesen Punkt ernst meinen, gerade was
die Gruppe der jungen Leute, der 18- bis 24-Jährigen,
betrifft, dann muss uns alle doch erschüttern, dass eine
bundesweite Studie über 5 600 Schüler ergeben hat, dass
nicht einmal jeder zweite das Ende des Zweiten Weltkrieges richtig datieren konnte. Ich weiß, dass das Ländersache ist. Ich komme aus der Landespolitik. Wenn
wir auf das Jahr 2011 schauen - dann werden aller Voraussicht nach in Mecklenburg-Vorpommern und in Berlin wieder Wahlen sein -, dann stellen wir fest, dass die
zukünftigen Erstwähler heute 13 bis 15 Jahre alt sind.
Schauen Sie sich an, was bis zur zehnten Klasse gelehrt wird - die Rahmenpläne der einzelnen Länder
unterscheiden sich nicht wesentlich von dem, was in
Mecklenburg-Vorpommern im Geschichts- und Sozialkundeunterricht vorgesehen ist -: Es wird wohl die Zeit
von 1933 bis 1945 beschrieben, aber es wird weder Zeit
noch Raum dafür gelassen, die Verbindung zu aktuellen
Entwicklungen, insbesondere was den Rechtsextremismus betrifft, herzustellen.
({1})
Da muss ich sagen: Es muss dafür Zeit und Raum gegeben werden. Schüler, die von der Hauptschule, der Realschule oder der Regionalschule in die Berufsschule
wechseln, hören fast gar nichts über Diktaturen, weder
über die braune Diktatur noch über rote Diktaturen. Wir
sollten auf keinem Auge blind sein, weder auf dem rechten noch auf dem linken. Frau Kollegin Lazar, es tut mir
Leid, aber ich muss den Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern zitieren, der sagte, die innere Sicherheit werde nicht nur durch rechtsextremistische Bestrebungen gefährdet, sondern auch dem islamischen
Extremismus und Terrorismus sowie zunehmend dem
Linksextremismus gelte die besondere Aufmerksamkeit
des Verfassungsschutzes. Wenn wir auf diesem Gebiet
wirklich etwas erreichen wollen, dann müssen wir die
Spannbreite von links bis ganz nach rechts sehen. Das ist
die Aufgabe der Demokratie.
({2})
Deswegen gehört es dazu, dass wir auch vonseiten
des Bundes Druck auf die Länder ausüben, damit für die
Lehrer Pflichtfortbildungsprogramme in Geschichte und
Sozialkunde durchgeführt werden und das Thema Nationalsozialismus weit vor der zehnten Klasse gelehrt wird.
Was nützt es, wenn Sie mit einem 14-Jährigen zu welchem Ereignis auch immer, zum Beispiel zur Jugendweihe, der ich wirklich nicht nahe stehe, nach Buchenwald oder Sachsenhausen fahren? Der hat vorher
niemals etwas von diesem Thema gehört und nachher
hört er auch nichts davon. Ihm hilft eine solche Reise
nichts, aber auch gar nichts.
Lassen Sie mich zum Schluss jemanden ganz Unverdächtigen zitieren. Man muss seine Meinung nicht teilen. Ich bin heute der Einzige aus Mecklenburg-Vorpommern, der zu diesem Thema spricht, was ich bedauere.
Ich spreche von dem Landesrabbiner William Wolf,
79 Jahre. Wer diesen Mann kennt, der weiß, dass das,
was er sagt, ernst ist und dass es von Herzen kommt. Er
sagt, die überwältigende Mehrheit habe demokratisch
gewählt. Er sei glücklich und stolz auf die Mecklenburger und Vorpommern. Zur Angst bestehe kein Anlass. Er
riet der Politik zu großer Gelassenheit. Eine demokratische Gesellschaft müsse das aushalten. Mehr als 90 Prozent hätten demokratisch gewählt. Er sagt zum Schluss:
Ich lebe und arbeite furchtbar gern in Mecklenburg-Vorpommern.
Herzlichen Dank.
({3})
Das Wort hat der Kollege Sebastian Edathy für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nur eine kurze Anmerkung zu dem, was der Kollege
Rehberg eben vorgetragen hat. Ich bin sehr dafür - meine
gesamte Fraktion ist dafür -, dass wir uns linksextremistischen Tendenzen ebenfalls entgegenstellen. Ich bin
aber auch dafür, dass wir Probleme lösen, die tatsächlich
da sind. Das Thema Linksextremismus oder Islamismus
ist in Mecklenburg-Vorpommern bei weitem nicht so
ausgeprägt, wenn es denn überhaupt vorhanden ist, wie
das Thema Rechtsextremismus.
({0})
Es ist einfach nicht gut, wenn manche Teile des Hauses
den Eindruck erwecken, hier müssten Probleme erst konstruiert werden, um sie anschließend lösen zu können.
({1})
Das Problem, das wir mit dem Thema Extremismus in
Deutschland haben, ist das Problem des Rechtsextremismus.
Wir machen die Erfahrung, dass wir in diesem Parlament oftmals anlassbezogen über Rechtsextremismusbekämpfung und -prävention reden. Es kommt entscheidend darauf an, dass wir uns nicht auf Rituale verbaler
Erregung beschränken, sondern dass wir zu konsequentem, handfestem Handeln gelangen.
({2})
Das muss auch ein Ergebnis dessen sein, was wir in den
nächsten Wochen bei der Haushaltsberatung miteinander
zu besprechen haben. Das Thema Rechtsextremismusbekämpfung ist kein Randthema, sondern eine zentrale
Herausforderung für unsere Demokratie.
Rechtsextremismus in Deutschland hat sich radikalisiert. Das klingt zunächst einmal seltsam, aber bei den
Straftaten gibt es über die letzten zehn Jahre einen klaren
Anstieg. Er hat sich professionalisiert. Das sehen wir an
der NPD. Das sehen wir an Wahlabsprachen. Das sehen
wir an Bündnissen der NPD mit dem nicht parteigebundenen Rechtsextremismus in Deutschland. Und Rechtsextremismus in Deutschland hat sich deutlich verjüngt.
Das sehen wir zum Beispiel am Wahlverhalten derer, die
18 bis Mitte 20 sind. Sie haben ganz überdurchschnittlich NPD gewählt. Wir sehen es aber auch bei der Mitgliedschaft dieser radikalsten rechtsextremistischen Partei, die wir in Deutschland haben.
Was heißt das? Das heißt, die Einschätzung, dass wir
es wahrscheinlich nicht mit einem nur vorübergehenden
Problem zu tun haben, ist sehr realitätsnah.
Wenn wir über das Thema Rechtsextremismus sprechen, müssen wir wissen: Wir brauchen einen langen
Atem. Wir brauchen auch Programme, die über fünf
Jahre hinausgehen. Wir brauchen einen stetigen Ansatz.
Wir müssen schließlich darauf achten, dass wir den
Rechtsextremisten in Deutschland nicht nur nicht die
Straßen und Plätze, sondern auch nicht - das muss der
entscheidende Punkt sein - die Herzen und Köpfe der
Menschen überlassen, gerade und schon gar nicht der
heranwachsenden Menschen in Deutschland.
({3})
Was mich nicht gelassen bleiben lässt, Herr Kollege
Uhl, ist, wenn wir feststellen: Offenkundig ist es rechtsextremistischen Organisationen in Deutschland in den
letzten Jahren zunehmend gelungen, erfolgreich - leider
erfolgreich - junge Menschen anzusprechen. Deswegen
ist der entscheidende Ansatz, mit dem wir uns beschäftigen müssen, der Ansatz der Vorbeugung, der Prävention.
Zehnmal wichtiger, als Angebote für potenzielle Aussteiger aus der Neonaziszene zu machen, ist es, Angebote und Vorkehrungen zu erarbeiten, die dafür sorgen,
dass junge Menschen erst gar nicht in die Szene abrutschen, dass sie erst gar nicht einsteigen.
({4})
In diesem Zusammenhang einige Worte zum Thema
Bundesprogramm. Zunächst zur Wirksamkeit von Präventionsprogrammen. Es ist ja wohl eine Binsenwahrheit, dass man schlecht wird messen können, wie die
Wirksamkeit von Aufklärung über Risiken ist und wie
sich ein missbilligtes Verhalten entwickelt; das ist nicht
unmittelbar abzulesen. Aber ich möchte mir nicht vorstellen, wie es um bestimmte Regionen unseres Landes
bestellt wäre, wenn es diese Programme nicht gegeben
hätte.
({5})
Wir müssen bei der Weiterentwicklung der Programme sicherstellen, dass es keine zeitlichen Lücken
gibt. Wir müssen sicherstellen, dass diejenigen Initiativen, die mit professioneller Arbeit hervorragende Ergebnisse erzielt haben - wie die Initiativen im Bereich der
Opferberatung und der mobilen Beratung -, eine sichere
finanzielle Perspektive bekommen, eine dauerhafte Finanzierung auch seitens des Bundes. Ich würde Sie
schon darum bitten, Herr Kues, noch einmal zu prüfen,
ob Antragsteller immer die Kommunen sein müssen. Ich
kann mich gut erinnern: Vor einigen Monaten war in der
Ortschaft Pretzien in Sachsen-Anhalt der Bürgermeister
bei einer so genannten Sonnenwendfeier dabei, wo das
Tagebuch von Anne Frank verbrannt worden ist. Wir haben jetzt in Mecklenburg acht Gemeinden, in denen die
NPD bei der Landtagswahl stärkste Kraft geworden ist.
Wir sehen, dass in vielen Kommunen das Problembewusstsein für das Thema Rechtsextremismus leider nicht
so ausgeprägt ist, wie es nötig wäre.
Im Ziel sind wir uns einig: möglichst eine kommunale
Einbindung von Projekten, die wir durch den Bund fördern. Aber es muss eben auch möglich sein, dass der
Bund dort, wo es objektiv ein Problem gibt, das von der
Kommunalpolitik nicht zur Kenntnis genommen wird,
eine Anreizfunktion wahrnimmt bzw. eine Mitverantwortung übernimmt. Das würde ich mir jedenfalls dringend wünschen.
({6})
Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen: Es
reicht nicht aus, wenn wir uns nur auf Bundesebene mit
dem Thema beschäftigen. Es ist ja schon gesagt worden:
Die Länder und auch die Kommunen müssen mit ins
Boot. Das ist auch völlig klar. Mit einem Bundesprogramm können wir zum Beispiel nicht das Schließen von
Jugendzentren in vielen Regionen kompensieren. Aber
genau in solche Ortschaften gehen ja die Neonazis, machen Angebote und bieten Ausflüge oder Konzertveranstaltungen an. Wir brauchen - darüber bitte ich auch
diese Bundesregierung einmal nachzudenken - einen konzeptionell neuen Ansatz. Es findet jetzt auf Einladung
der Bundeskanzlerin ein Integrationsgipfel statt. Es wird
auf Einladung des Bundesinnenministers einen Islamgipfel geben. Vielleicht könnte sich die Bundesfamilienministerin die Idee zu Eigen machen, ein Bündnis gegen
Rechtsextremismus unter Einbeziehung der staatlichen
Akteure auf allen Ebenen, aber auch der großen Organisationen und Verbände, wie zum Beispiel der Sportvereine, zu schmieden. Ich finde es vorbildlich, dass
Schalke 04 einen Nichtvereinbarkeitsbeschluss gefasst
hat: Wer NPD-Mitglied ist, kann nicht Mitglied bei
Schalke 04 sein. Damit macht man deutlich: Rechtsextremist zu sein, ist nicht akzeptabel.
({7})
Man könnte beispielsweise im Rahmen eines solchen
Bündnisses die Bundeszentrale für politische Bildung
beauftragen, Angebote schon in Kindergärten und
Grundschulen zu machen. Das muss ja nicht heißen, Geschichtsunterricht zu machen, sondern viel eher, demokratische Verhaltensweisen einzuüben.
Ganz zum Schluss bitte ich Sie, liebe Kolleginnen
und Kollegen: Lassen Sie uns an einem Konsens festhalten, der hier in diesem Hause über viele Jahrzehnte getragen hat: Ja, Rechtsextremismus in Deutschland ist
real, aber nein, als normal werden wir ihn nie betrachten.
({8})
Das Wort hat der Kollege Thomas Dörflinger für die
Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Letzter,
der in dieser Debatte das Wort nimmt, habe ich die Gelegenheit, durch die Reihen zu sehen und festzustellen:
Wir haben heute keine aufgeregte Debatte geführt. Wir
hätten angesichts der Ereignisse des vergangenen Sonntags allen Anlass dazu gehabt. Daran, dass wir das nicht
getan haben, haben wir gut getan. Fast alle haben sich ja
auch an diese Maßgabe gehalten.
Mich hat etwas nachdenklich gestimmt, dass die Präsidentin des Zentralrates der Juden in Deutschland mit
Blick auf die Ereignisse des vergangenen Sonntags davon gesprochen hat, es handele sich um eine Bankrotterklärung der Politik. Nun muss man diese drastische Formulierung so nicht teilen, aber es ist dennoch Anlass,
innezuhalten und einen Blick darauf zu werfen, was man
politisch und gesellschaftlich getan hat. Dabei stellt sich
die Frage: Haben wir denn alles richtig gemacht? Selbstverständlich ist es richtig, dass sich die Wirksamkeit und
die Effizienz von Programmen wie den beiden, über die
wir heute in dieser Debatte reden, nicht oder nicht alleine an Wahlergebnissen ablesen lässt. Wenn es aber
entsprechende Wahlergebnisse gibt, wenn die Zahl der
Landtage in Deutschland, in denen Rechtsextremisten
sitzen, nicht sinkt, sondern wächst, wenn man sich die
Analyse von Frank Schirrmacher in der „FAZ“ - HansPeter Uhl hat sie ja zitiert - vor Augen führt und sich
vergegenwärtigt, dass es Landstriche in Deutschland
gibt, in denen man beim Durchfahren den Eindruck hat,
die NPD bestimme dort - vermeintlich oder tatsächlich das politische oder gesellschaftliche Geschehen, dann
können wir nicht zu dem Ergebnis kommen, dass wir auf
diesem politischen Feld alles richtig gemacht haben. Insofern besteht durchaus Anlass zur Selbstkritik, meine
sehr verehrten Damen und Herren.
({0})
Allerdings habe ich mit Blick auf die Debatten, die
wir in der Vergangenheit geführt haben, den Eindruck,
dass es manchmal schon falsch ist, die Frage zu stellen
- ich stelle sie trotzdem -: Haben wir alles richtig gemacht? Mit Blick auf das, was uns seitens des Ministeriums heute Morgen im Ausschuss für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend bezüglich der Fortführung der Programme vorgetragen wurde, sage ich: Ja, Herr Staatssekretär, das Ministerium scheint mir auf dem richtigen
Wege zu sein. Es ist nämlich richtig, diese Dinge auf
eine breitere und vor allen Dingen nachhaltigere Grundlage zu stellen.
Ich will versuchen, einen weiteren zusätzlichen Aspekt in die Debatte einzubringen: Ich möchte dazu raten,
ein Stück weit aus der Geschichte zu lernen - vorzugsweise aus der eigenen; das ist am einfachsten. Wenn man
sich die Strategie vor Augen führt, die diejenigen, die
man getrost als die geistigen Eltern bzw. Großeltern derer, die heute rechts außen stehen, in den späten 20erund frühen 30er-Jahren in Deutschland gefahren haben,
erkennt man gewisse Parallelen. Es ergeben sich Parallelen insoweit, als man damals versucht hat, bestehende
gewachsene Strukturen zunächst zu unterwandern, diese
Strukturen dann in einem zweiten Schritt zu zerstören
und in einem letzten Schritt diejenigen, die für diese
Strukturen eingestanden sind und innerhalb dieser Strukturen ehrenamtlich oder hauptamtlich gearbeitet haben,
umzubringen. Der Fokus der Aktivitäten war also auf die
gewachsenen Strukturen des so genannten vorpolitischen Raums gerichtet.
Wenn wir die Gegenwart betrachten, können wir erkennen, dass wir überall dort, wo es diese gewachsenen
Strukturen in Vereinen und in Verbänden und das damit
verbundene ehrenamtliche Engagement nicht gibt, aufgefordert sind, auf den verschiedenen politischen Handlungsfeldern etwas zu tun, damit diese Strukturen entstehen können. Es ist auch mir klar, dass uns dies nicht von
heute auf morgen gelingt. Außerdem wird es viel Geld
kosten. Wir sollten aber dieses Geld - ich teile die Auffassung - auf mehreren politischen Ebenen und über einen langen Zeitraum für diesen Zweck zur Verfügung
stellen.
Ich will noch auf einen Punkt zurückkommen, der
mich in dieser Debatte gestört hat. Beim Beitrag des
Kollegen Ernst Burgbacher kam kurzfristig Unruhe auf.
Ich bin der festen Überzeugung, dass die Demokraten
dieser Republik - damit meine ich nicht nur diejenigen,
die in diesem Parlament sitzen - daran gemessen werden
sollten, inwieweit sie sich gegen die Bedrohung unserer
Demokratie - unabhängig davon, aus welcher Motivation dies geschieht - zur Wehr setzen. Wir können den
Grad unserer Empörung und unsere Forderung nach
strafrechtlichen Konsequenzen nicht davon abhängig
machen, aus welchen politischen, religiösen oder sonstigen Motiven eine solche Straftat verübt wird. Wir müssen einem Angriff auf die Demokratie per se entgegentreten.
Wenn in einer ähnlichen Debatte jemand etwas Ähnliches sagt wie vorhin der Kollege Burgbacher, dann wünsche ich mir, dass wir uns unabhängig von der tagespolitischen Aktualität und unabhängig von der persönlichen
politischen Ausrichtung in diesem Punkt einig sind: Die
Demokraten dieser Republik stehen zusammen, wenn es
Angriffe auf unsere Demokratie, unabhängig aus welcher Richtung sie erfolgen, gibt.
Herzlichen Dank.
({1})
Damit ist die Aktuelle Stunde beendet.
Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 21. September 2006, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.