Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle
herzlich. Ich wünsche uns einen guten Tag und für die
Beratungen in dieser Woche alles Gute. Insbesondere
wünsche ich, dass wir die Sorgfalt, die der erste Tagesordnungspunkt verdient, walten lassen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Beratung des Antrags der Bundesregierung
Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte
an der United Nations Interim Force in Lebanon ({0}) auf Grundlage der Resolution
1701 ({1}) des Sicherheitsrates der Vereinten
Nationen vom 11. August 2006
- Drucksache 16/2572 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({2})
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
Hierzu liegen ein Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD sowie je ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP, der Fraktion Die
Linke und der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen
vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. - Ich höre dazu
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Bundesminister des Auswärtigen, Herrn
Dr. Steinmeier.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube,
wir alle spüren: Dies ist keine ganz gewöhnliche Debatte
im Deutschen Bundestag. Vor zehn Jahren wäre vermutlich niemand auf die Idee gekommen, hier darüber zu diskutieren oder gar zu empfehlen, deutsche Soldaten Seite
an Seite mit Soldaten anderer europäischer Länder in den
Nahen Osten zu schicken. Frieden zu stiften - diese Aufgabe überließen die Europäer in den zurückliegenden
Jahren den USA. Das historische Bild vom Händedruck
zwischen Jizchak Rabin und Jassir Arafat entstand 1993
in Washington, das von Menachem Begin und Anwar el
Sadat 1979 in Camp David.
Wir dürfen gemeinsam feststellen: Seitdem haben
sich die Verhältnisse in der Welt grundlegend verändert
und wir uns mit ihnen. Europa entwickelt sich von einem
Flickenteppich heterogenster nationaler Interessen zu einer - ich glaube - gemeinsam handlungsfähigen Kraft.
Das versetzt uns - mit uns meine ich Europa - in die
Lage, jetzt auch im Nahen Osten mitzuhelfen, Frieden zu
schaffen und zu sichern. Europa wird künftig - davon
bin ich überzeugt - ein Faktor für Frieden, auch im Nahen Osten. Das ist die eigentliche Nachricht; das ist der
eigentliche Einschnitt, den wir uns bewusst machen
müssen. Ich finde, das ist keine schlechte Nachricht.
({0})
Weil das so ist und weil wir wussten, dass das
Schweigen der Waffen nur durch internationale Präsenz,
durch ein internationales Hilfeversprechen erreicht werden konnte, durften und dürfen wir nicht abseits stehen.
Wir stehen in einer gemeinsamen Verantwortung. Für
die Bundesregierung sage ich: Wir sind entschlossen,
uns dieser Verantwortung zu stellen.
Es geht beim Libanoneinsatz nämlich nicht um das
prinzipienlose Brechen außenpolitischer Tabus, die wir
uns aus guten Gründen nach der Zeit des Nationalsozialismus selbst auferlegt haben. Nein, es geht um Glaubwürdigkeit und um die Anerkennung von Normalität, die
uns nicht mehr vor Inanspruchnahme schützt. Es geht
schließlich auch um die Respektierung der Tatsache, dass
uns nicht nur der Libanon, sondern auch Israel ausdrücklich um Beteiligung an diesem Einsatz gebeten haben.
({1})
Redetext
Vor zehn Jahren hätte sich wohl niemand vorstellen
können, dass wir als Teil der europäischen Familie sowohl das Existenzrecht Israels schützen als auch helfen,
die staatliche Souveränität des Libanon und die Autorität
der libanesischen Regierung zu stärken. Das muss man
nicht kleinreden. In der Region weiß man eben - das
sage ich gerade mit Blick auf diejenigen, die immer wieder kritisch fragen: Werden wir nicht selbst zur Zielscheibe durch einseitige Festlegungen? -, dass die Europäer und die Deutschen einen entscheidenden Anteil
daran haben, dass die Waffen mittlerweile schweigen.
Mit unseren deutschen Soldaten, mit den britischen,
französischen, italienischen, spanischen und vielen anderen sorgen wir dafür, dass die ausgebombten Menschen bald wieder ein Dach über dem Kopf haben, Straßen geflickt werden und Kraftwerke repariert werden.
Ohne diese Bereitschaft wäre der Waffenstillstand nicht
erreicht worden.
Emotion sei an einer Stelle in dieser nüchternen Debatte erlaubt, die wir hoffentlich verantwortungsvoll
miteinander führen: Es war ein bewegender Moment für
mich, als Kofi Annan in der Runde der europäischen Außenminister einzeln abfragte, wer bereit sei, an der internationalen Hilfe teilzunehmen, um Stabilität an der
Grenze zwischen Israel und Libanon zu sichern, und einer nach dem anderen aus der Runde der Außenminister
sagte: Wir sind dabei.
Es besteht kein Zweifel: Mit diesem Einsatz, für den
wir hier im Parlament hoffentlich eine breite Mehrheit
bekommen, betreten wir politisches Neuland. Aber ich
sage: Auch dieser Einsatz steht in der guten Tradition
deutscher Außenpolitik. Immer dann, wenn der Bundestag einen solchen Einsatz zugelassen hat, haben wir dies
getan, um Frieden zu schaffen, um Friedensverträge zu
sichern oder um Flucht und Vertreibung zu verhindern.
Diesen ehernen Grundsatz gebe ich all denjenigen zu bedenken, die sich Kriterienkataloge erhoffen. Dieser
eherne Grundsatz gilt auch für diesen Einsatz und für
alle Zukunft.
Der Verteidigungsminister wird den geplanten Einsatz gleich noch intensiver erläutern. Worum bittet die
Bundesregierung den Bundestag? Wir wollen uns mit bis
zu 2 400 Soldaten an der internationalen Mission der
Vereinten Nationen im Libanon beteiligen. Die Hauptaufgabe dieser internationalen Mission wird darin bestehen, Waffenschmuggel seeseitig an der Grenze zum Libanon zu verhindern. Es handelt sich, wie Sie wissen,
um ein robustes Mandat. Die Soldaten der Bundeswehr
werden das Recht haben, den Seeverkehr vor der Küste
des Libanon zu kontrollieren, verdächtige Schiffe umzuleiten, sie zu betreten und zu durchsuchen. Das steht eindeutig in den Einsatzregeln der Vereinten Nationen. Die
libanesische Regierung hat diese Einsatzregeln akzeptiert. Die gesamte maritime Taskforce unter Beteiligung
anderer europäischer Einsatzkräfte wird unter der Führung der deutschen Bundesmarine stehen.
Wenn wir über Militär reden - darüber ist heute zu
entscheiden -, dann muss uns bewusst sein, dass wir uns
nicht darauf beschränken dürfen. Deutschland will sich
darüber hinaus engagieren. Der Libanon muss seine
Souveränität nach außen und innen schützen. Er braucht
deshalb - ich sagte es am Anfang - eine starke, eine
handlungsfähige Regierung. Um dies zu ermöglichen,
schicken wir nicht nur Soldaten, sondern auch Grenzschützer und Zollbeamte in die Region, die der libanesischen Regierung bei der Sicherung der Grenzen und bei
der Sicherung des Beiruter Flughafens helfen und verhindern sollen, dass dort Missbrauch getrieben bzw. weiterhin Waffen eingeführt werden, die in die Hände derjenigen gelangen, in deren Hände sie nicht kommen
sollen.
Natürlich tun wir nicht nur das. Wir beteiligen uns
auch auf bilateralem Wege mit bisher mehr als 27 Millionen Euro an Maßnahmen zur humanitären Hilfe und
am Wiederaufbau des Landes. Europäische Mittel, zu
denen auch Deutschland einen Beitrag leistet, kommen
hinzu.
Was ist der Sinn dieser Sache? Ich finde, die Menschen im Libanon sollten spüren, dass es für sie und ihre
Familien in der nächsten Zeit wieder vorangeht. Das
sollten wir ihnen zeigen, damit keine anderen Flaggen
über den wieder aufgebauten Brücken wehen, sondern
möglichst europäische.
({2})
Natürlich wissen wir, dass der Bundeswehreinsatz allein dem Nahen Osten keinen dauerhaften Frieden bescheren kann. Aber er sorgt zunächst einmal für Stabilität in einer Region, die sich in einer hoch angespannten
Situation befindet. Wir brauchen diese Stabilität - das ist
meine feste Überzeugung -, um dazu beizutragen, dass
die Menschen in der Region überhaupt erst wieder Vertrauen aufbauen und den Mut fassen, über die Gräber
und die Minenfelder hinweg das Gespräch miteinander
zu suchen.
Das, was für unseren außen- und sicherheitspolitischen Ansatz immer gegolten hat, gilt auch hier: Dauerhafter Friede wird im Nahen Osten nur zu erringen sein,
wenn wir an einem klugen Mix von Maßnahmen festhalten. Dazu gehört auch die militärische Präsenz. Vor allen
Dingen aber müssen wir politische Fortschritte erzielen
und den Menschen ganz konkrete Hilfen anbieten, die
ihren Alltag verbessern helfen.
Der Libanoneinsatz ist für mich nicht der Abschluss
eines turbulenten Sommers, sondern ich verstehe ihn als
das Startsignal für die eigentliche Arbeit, die jetzt auf
uns wartet. Ich jedenfalls will mich in den kommenden
Monaten mit aller Kraft dafür einsetzen, dass es im Nahen Osten politisch vorangeht.
({3})
Die Chancen dafür stehen gar nicht so schlecht. Allerdings muss ich zugeben: Nach 60 Jahren des Dauerkonflikts ist das nicht gerade sehr wahrscheinlich. Aber nach
der letzten Eskalation scheint überall die Einsicht gewachsen zu sein, dass Frieden und Sicherheit die VoBundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier
raussetzungen für ein dauerhaft besseres Leben darstellen und dies nicht mit Gewalt zu erreichen ist.
In den Prozess, der jetzt ansteht, können wir Europäer
unsere Erfahrungen einbringen. Wir brauchten die Zerstörung von zwei Weltkriegen, bis wir begriffen haben,
dass es nur ein tragfähiges Fundament für Frieden, Sicherheit und Wohlstand in Europa gibt: die Einsicht,
miteinander zu reden, zu arbeiten und Handel zu treiben,
statt aufeinander zu schießen.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang ein
Thema ansprechen, das auf der Botschafterkonferenz,
die Anfang September stattgefunden hat, eine Rolle
spielte: Wer hätte vor 50 Jahren gedacht, dass Deutsche
und Franzosen heute in der Lage sind, ein gemeinsames
Geschichtsbuch zu schreiben? Dieses Geschichtsbuch ist
vor kurzem erschienen. Es wird in diesen Tagen an die
ersten Schulen in Deutschland ausgeliefert. Es ist übrigens eines der wenigen, vielleicht das einzige, das in allen Bundesländern anerkannt ist.
({4})
Ich wünschte mir, dass dies in einigen Jahrzehnten
auch im Nahen Osten möglich würde. Denn das wäre ein
Signal dafür, dass dort die Gräben überwunden sind und
die Region in eine Zone des Friedens, der Sicherheit und
der Stabilität verwandelt wurde.
Wer eine solche Vision beschreibt, der darf sich nicht
aufs Hoffen beschränken. Deshalb reden wir täglich mit
den Verantwortlichen, mit den Beteiligten in der Region,
werben für den Weg von Verständigung und Aussöhnung. Vor zehn Tagen erst war ich in Beirut, in Tel Aviv,
in Ramallah. Wir stehen, wie Sie wissen, in Kontakt mit
Syrien. Immerhin gibt es Anzeichen, dass einige in Damaskus die Spirale der Gewalt überwinden wollen.
Wenn man darauf hofft, dass diese Entwicklung eintritt, darf man sie gerade nicht blauäugig angehen. Ich
weiß, dass nach 60 Jahren Terror und Gewalt in der Region Vertrauen nur langsam wachsen wird. Deshalb gehöre ich zu denjenigen, die sagen: Wir werden im Verlaufe dieses Prozesses eine Nahostkonferenz brauchen,
auf der die offenen Fragen abschließend geregelt werden. Aber wir sollten dieses Instrument nicht zu einem
Zeitpunkt missbrauchen und verbrennen, zu dem es
keine Wirkung entfalten kann. Deshalb bin ich sehr dafür und werde auch während der Generalversammlung
der Vereinten Nationen in der laufenden Woche dafür
werben, das Nahostquartett wieder zu beleben, das aus
den Vereinten Nationen, der Europäischen Union, Russland und den USA besteht. Dieses Quartett soll die
Steuerung der nächsten Schritte des Nahostfriedensprozesses übernehmen. Ich kann mir durchaus einen erweiterten Aufgabenbereich vorstellen: nicht nur beschränkt
auf den Kernkonflikt Israel/Palästina, sondern die Regionalkonflikte mit Libanon und Syrien einbeziehend.
Wenn im Verlaufe dieser nächsten Schritte ein Klima des
Vertrauens und des guten Willens geschaffen worden ist,
dann kann am Ende eine Nahostkonferenz substanzielle
Ergebnisse erzielen.
Meine Damen und Herren, Sie verstehen meine Bewertung: Ich glaube, dass die Tür zum Frieden im Nahen
Osten einen Spaltbreit offen steht. Wenn wir diese Tür
aufstoßen wollen, müssen jetzt alle Beteiligten ihre Verantwortung wahrnehmen. Die palästinensische Seite
muss das Existenzrecht Israels anerkennen und auf die
Anwendung von Gewalt verzichten und Israel muss sich
bewusst machen, dass es den Frieden auf Dauer nicht
militärisch gewinnen kann, sondern auch selbst nach
Verständigung und Ausgleich mit seinen Nachbarn suchen muss.
({5})
Wir können nicht sämtliche Verantwortung in der Region lassen. Auch wir stehen als Mitglied der Weltgemeinschaft selbstverständlich in einer großen Verantwortung. Wir müssen unsere Kraft im Nahen Osten
einbringen, solange die eigenen Kräfte dort zum Frieden
noch nicht ausreichen. Das bedeutet in dieser Diskussion
heute und morgen bei der Abstimmung ganz konkret:
Ich bitte um Ihre Zustimmung, ich bitte um die Zustimmung des Deutschen Bundestages zu der Beteiligung der
Bundeswehr am Einsatz im Libanon.
Danke.
({6})
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Werner Hoyer für
die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lassen Sie mich beginnen mit einer Bemerkung zum
Thema Schulbücher. Was zwischen Frankreich und
Deutschland nun endlich Wahrheit wird - der Herr Minister hat es erfreulicherweise gerade angekündigt -, das
brauchen wir dringend auch für Polen und Deutschland.
Wir haben gestern mit Bronisław Geremek hier diskutiert. Ich glaube, das ist eine der größten und wichtigsten
Baustellen, die wir in der Außenpolitik haben: endlich
das deutsch-polnische Verhältnis wieder so ins Lot zu
bringen, dass wir eines Tages auch ein gemeinsames
deutsch-polnisches Geschichtsbuch auflegen können.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die FDP-Fraktion
lehnt nach sorgfältiger Beratung und Abwägung den Antrag der Bundesregierung ab. Wir haben uns das nicht
leicht gemacht, weil die Abwägung in der Tat außerordentlich schwierig ist. Wenn ich das richtig verstehe,
dann sehen die Debattenlinien in den meisten Fraktionen
sehr ähnlich aus. Es kann sein, dass die Gewichtungen
anders sind.
({1})
Es gibt aber sehr wohl Kolleginnen und Kollegen, die
aus ganz grundsätzlichen Erwägungen nach wie vor der
Auffassung sind, dass deutsches Militär im Nahen Osten
ein Tabu ist. Ich habe einen hohen Respekt vor dieser
Meinung, obwohl ich sie nicht teile. Andere sind der
Auffassung, dass uns gerade unsere Geschichte nicht die
Legitimation oder den Vorwand dafür liefert, uns dort
herauszuhalten - gegebenenfalls auch nicht militärisch.
Schließlich gibt es diejenigen, die sagen, dass es gleichwohl unklug ist, sich militärisch zu beteiligen, obwohl
wir insgesamt zweifellos bereit sind, eine große Verantwortung zu übernehmen. Zu dieser Argumentationslinie
bekenne ich mich.
Ich glaube, dass es nicht klug ist, dass wir das politische Kapital - auch das Vertrauenskapital -, das wir bei
Konfliktparteien im Nahen Osten besitzen, aufs Spiel
setzen, indem wir unnötigerweise einen militärischen
Beitrag leisten.
({2})
Ich gehöre weiß Gott nicht zu denjenigen, die aus grundsätzlichen Erwägungen gegen die Überlegung sind, dass
man die Erreichung politischer Ziele auch mit militärischen Mitteln unterstützen muss. Die FDP-Fraktion hat
deswegen häufig genug auch Einsätzen der Bundeswehr
im Rahmen von UN-Missionen zugestimmt. An diesem
Punkt sind wir aber der Auffassung, dass das, was wir im
politischen Prozess beizutragen haben, gefährdet werden kann, wenn wir uns militärisch beteiligen.
Man kann jetzt natürlich darüber diskutieren, ob unsere Rolle im politischen Prozess durch eine militärische
Beteiligung Deutschlands gestärkt oder geschwächt
wird. Die Antwort wird davon abhängen, wie sich die
Dinge in den nächsten Jahren entwickeln. Wenn dort in
den nächsten Jahren alles ganz ruhig und freundschaftlich über die Bühne geht, dann wird man eines Tag Lob
dafür einfahren, dass sich Deutschland auch militärisch
beteiligt hat. In dem Moment aber, in dem irgendwo der
Funke überspringt - wir haben in der letzten Zeit bei
verschiedenen Gelegenheiten gemerkt, wie leicht im Nahen Osten ein Flächenbrand entstehen kann -, wird es
ausgesprochen problematisch. Dann ist Deutschland
auch nicht mehr neutral. Das ist aber die Forderung, die
man erheben muss, wenn man sich an einer UN-Mission
beteiligt.
({3})
Eines ist ganz klar: Das Existenzrecht des jüdischen
Staates Israel in sicheren Grenzen steht für uns alle hier
im Deutschen Bundestag nicht zur Disposition.
({4})
Auf der anderen Seite wissen wir auch, dass Frieden nur
herrschen kann, wenn es für die Palästinenser eine bessere Lebensperspektive in einem eigenen palästinensischen Staat gibt. Diese Dinge gehören zusammen. Daran
muss gearbeitet werden.
({5})
Ich begrüße es außerordentlich, dass der Außenminister den politischen Prozess jetzt wieder so stark ins Auge
fasst. Genau darum geht es. Wir haben die Vorstellung,
eine dem KSZE-Prozess nachgebildete Konferenz auf
den Weg zu bringen, schon in den letzten beiden Legislaturperioden im Deutschen Bundestag zur Abstimmung
gestellt - teilweise mit Unterstützung der Christdemokraten - und sind dabei an Rot-Grün gescheitert. Ich
finde es gut, dass die Bundesregierung hier jetzt einsteigt.
Ich weiß natürlich, dass das in einer Region, in der
man nicht bei allen Beteiligten von vornherein Friedenswillen voraussetzen kann, nicht leicht ist. Das ist wohl
wahr. Es ist aber aller Mühen wert; denn dieser Konflikt
im Nahen Osten ist der schwierigste und gefährlichste,
den es in unserer Region und möglicherweise in der ganzen Welt gibt.
({6})
Er hat das Potenzial zu einem weltweiten Flächenbrand
und deswegen ist jede politische Anstrengung sinnvoll.
Auch wenn die Resolution 1701 weiß Gott nicht jeden befriedigen mag, wird es durchaus sinnvoll sein, mit
militärischen Mitteln gewissermaßen Zeit zu kaufen, um
dem politischen Prozess eine Chance zu geben. Die abzuleitende Frage ist dann aber immer noch, ob es klug
ist, dass Deutschland sich daran beteiligt. Wir sind der
Auffassung, dass das nicht der Fall ist.
Meine Damen und Herren, wenn man den politischen
Prozess in den Vordergrund rückt, dann wird man auch
Überlegungen darüber anstellen müssen, wie wir mit der
Hamas und der Hisbollah umgehen. Niemand von uns
wird den terroristischen Charakter eines Teiles dieser
beiden Organisationen infrage stellen. Wir alle sind uns
dessen und der Problematik, die damit verbunden ist, bewusst. Auf der anderen Seite müssen wir aber auch die
Rolle wahrnehmen und analysieren, die Teile von
Hamas und Hisbollah in den gesellschaftlichen Eliten
von Palästina und des Libanon spielen. Das sind teilweise wichtige Rollen. Ohne deren Beteiligung wird es
nicht möglich sein, Frieden zu erzielen. Deswegen muss
es auch unser Ziel sein, auf den geeigneten Wegen zu
versuchen, dazu beizutragen, dass auch die gemäßigten
und die wohlwollenden Kräfte bei Hamas und Hisbollah
in einen Prozess einbezogen werden können, der eines
Tages zu einer friedlicheren Situation im Nahen Osten
führt.
({7})
Das gilt dann übrigens ebenso für Syrien. Von daher
unterstütze ich mit Nachdruck die Bemühungen des Außenministers, auch mit Syrien wieder ins Gespräch zu
kommen. Dass das im Überschwang des subjektiv empfundenen Sieges über die große israelische Armee nicht
leicht sein wird, ist etwas anderes. Das wird dauern. Das
wird vielleicht auch sehr viel Diskretion erfordern. Aber
da sind Sie auf dem richtigen Weg.
Mit der militärischen Beteiligung gehen Sie nicht den
richtigen Weg. Da aber die Mehrheitsverhältnisse offensichtlich so sind, wie sie sind,
({8})
sage ich gleichwohl: Wenn die deutschen Soldaten unterwegs sind, werden wir sie nach Kräften unterstützen.
Wir erwarten, Herr Finanzminister, dass die Bundesregierung der Bundeswehr dann die notwendigen Mittel
zur Verfügung stellt.
Danke sehr.
({9})
Das Wort hat nun der Bundesminister der Verteidigung, Dr. Franz Josef Jung.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Bundesregierung bittet mit diesem Mandat
für die Bundeswehr den Deutschen Bundestag um eine
Entscheidung von historischer Bedeutung. Es geht um
die Beteiligung der Bundeswehr an der Friedenssicherung im Nahen Osten.
Grundlage dafür ist die UN-Resolution 1701. Man
mag, Herr Kollege Hoyer, an dieser Resolution das eine
oder andere kritisieren. Aber Tatsache ist: Diese Resolution hat dazu beigetragen, dass die Waffen schweigen.
Immerhin haben in dieser Auseinandersetzung über
1 200 Menschen ihr Leben gelassen. Dass die Waffen
dauerhaft schweigen, ist ein wichtiger Beitrag, den die
Bundesrepublik Deutschland in diesem Friedensprozess
unterstützend leisten kann. Deshalb kann ich Ihre Argumentation nicht nachvollziehen.
({0})
Wichtig ist, dass dieser UN-Resolution sowohl die israelische als auch die libanesische Regierung zugestimmt haben. Damit werden die Voraussetzungen dafür
geschaffen, eine dauerhafte Friedenslösung herbeizuführen. Das ist in der Argumentation ein ganz wichtiger
Punkt. Natürlich ist dieser militärische Beitrag nicht die
Lösung des Konfliktes. Aber ich behaupte: Ohne dass
die Waffen schweigen, ist eine politische Lösung dieses
Konfliktes nicht möglich. Deshalb ist es essenziell wichtig, hier einen Beitrag zu einem dauerhaften Waffenstillstand zu leisten.
({1})
Es geht - das wurde zu Recht angesprochen - um das
Existenzrecht des Staates Israel. Es geht aber auch um
die Souveränität des Staates Libanon. Es geht ebenso um
die Lösung des Konfliktes zwischen Palästina und Israel
im Hinblick auf die Umsetzung der Roadmap hin zu einem eigenen Staat Palästina.
Dass nicht nur der überwiegende Teil der libanesischen Regierung und der Bevölkerung diesem Einsatz
zustimmt, sondern auch über 73 Prozent der Bevölkerung Israels diesen Einsatz befürworten, zeigt, wie ich
finde, das Vertrauen, das die Bundesrepublik Deutschland, aber auch die Bundeswehr im Hinblick auf eine
Friedenssicherung in diesem Prozess gewonnen hat.
({2})
Ich will darauf verweisen, dass wir im Bereich der humanitären Hilfe schon einen wesentlichen Beitrag geleistet haben; der Außenminister hat darauf hingewiesen.
Die Bundeswehr hat mittlerweile über 233 Tonnen
Hilfsgüter in den Libanon geliefert: von Babynahrung
über medizinische Versorgung bis hin zu Zelten und UNFahrzeugen. Aber auch Hilfspersonal wurde gestellt, das
unmittelbar vor Ort humanitäre Hilfe leistet und im Hinblick auf die Umsetzung der UN-Resolution von Bedeutung ist. Jetzt aber geht es um die dauerhafte Absicherung des Waffenstillstandes.
Voraussetzungen waren aus unserer Sicht die Anforderung der libanesischen Regierung, klare Einsatzregeln
und ein klares Einsatzkonzept. Diese liegen mittlerweile
vor. Sie wissen, dass es im Zusammenhang mit der Aufhebung der Seeblockade durch Israel eine Diskussion
gab. Ich denke, wir sollten unseren französischen, italienischen und griechischen Freunden dafür dankbar sein,
dass sie in der Zwischenzeit dort die Seesicherheit mit
garantiert haben, damit die Seeblockade aufgehoben
werden konnte, um jetzt durch unsere Verantwortung
eine zusätzliche Sicherung im Hinblick auf die libanesische Grenze und den Waffenschmuggel zu gewährleisten.
Es geht um die Absicherung der seeseitigen Grenzen
des Libanons innerhalb der Territorialgewässer. Aber die
Area of Maritime Operations - sprich: das maritime Einsatzgebiet - umfasst bis zu 60 Seemeilen vor der libanesischen Küste. Wir haben dort ein robustes, aber kein offensives Mandat und die Kontrolle eines verdächtigen
Schiffes ist möglich, auch wenn ein Kapitän widerspricht.
Lassen Sie mich dazu etwas anmerken. Selbstverständlich gilt auch hierbei die Verhältnismäßigkeit der
Mittel. Sie werden zunächst zu geringfügigeren Maßnahmen - zum Beispiel Umleitungen - greifen, bevor sie
beispielsweise in einer kritischen Situation gegen den
Willen eines Kapitäns borden. Aber auch dies beinhaltet
das Mandat. Deshalb weise ich darauf hin, dass es zu riskanten oder auch kritischen Situationen für unsere Soldatinnen und Soldaten kommen kann. Ich denke, dass
auch im Zusammenhang mit diesem Mandat ehrlich über
die Risiken gesprochen werden muss, die gegebenenfalls auf unsere Soldatinnen und Soldaten zukommen.
Denn Auslandseinsätze - das gilt auch für andere Regionen - sind auch immer mit Risiken für Leib und Leben
unserer Soldatinnen und Soldaten verbunden. Deshalb
ist es auch notwendig, darauf hinzuweisen, wenn es um
eine Entscheidung für einen entsprechenden Einsatz der
Bundeswehr in friedensstiftender Mission geht.
Der Libanon hat sich mit diesen Rules of Engagement
und auch mit dem Einsatzkonzept eindeutig einverstanden erklärt. Das Mandat, für das wir Sie um Zustimmung
bitten, sieht folgende Aufgaben vor: erstens die Führung
der maritimen Operation - diese soll durch einen deutschen Admiral gewährleistet werden -, zweitens Aufklärung und Überwachung des Seegebietes, drittens Kontrolle des Seeverkehrs, viertens Umleitung von Schiffen
im Verdachtsfall, fünftens Lufttransport, sechstens humanitäre Hilfe - dazu habe ich schon etwas gesagt -,
siebtens Eigensicherung und Nothilfe und achtens technische Ausrüstungshilfe und militärische Beratung.
Diese Ausrüstungshilfe kann auf dem gesamten Gebiet
des Staates Libanon durchgeführt werden.
Das Mandat ist vonseiten der Vereinten Nationen bis
zum 31. August 2007 vorgesehen. So haben wir vonseiten der Bundesregierung das Mandat jetzt auch beschlossen.
Die Obergrenze sind 2 400 Soldatinnen und Soldaten,
die sich wie folgt aufschlüsseln: 1 500 Kräfte werden
vonseiten der Marine gestellt. Die UNO hat zwei Fregatten einschließlich zwei Bordhubschraubern sowie zwei
Versorgungsschiffe - das ist der Einsatzgruppenversorger mit dem Einsatzrettungszentrum und dem Tender und vier Schnellboote angefordert. Es haben aber auch
andere Nationen ihre Bereitschaft signalisiert, bei dieser
maritimen Taskforce mitzuwirken. Dabei handelt es sich
um Dänemark, Norwegen, Schweden und die Niederlande. Welche Nationen gegebenenfalls dort bereits im
Einsatz sind, habe ich bereits erwähnt. Wir haben uns
- da dieses Mandat effektiv und kooperativ ist - selbstverständlich damit einverstanden erklärt, dass in den
Führungsstäben auch Verbindungsoffiziere vonseiten der
libanesischen Armee vertreten sind, um die Kooperation
bei diesem Einsatz zu ermöglichen.
Zu den 2 400 Soldatinnen und Soldaten gehören des
Weiteren 100 Soldatinnen und Soldaten für den Lufttransport, 400 für die Führung in den Stäben und logistische Unterstützung, 100 für Beratung und Ausbildung
der libanesischen Armee und 300 im Hinblick auf die
planerische Reserve. Damit ist die Durchhaltefähigkeit
auch für diese Operation gewährleistet und wir haben
alle Eventualitäten in dieses Mandat mit eingerechnet,
um damit die Voraussetzung für einen effektiven Beitrag
zur dauerhaften Friedenssicherung in dieser Region zu
schaffen.
Ich will auch etwas zu den Kosten des Mandats sagen: Für das Jahr 2006 ist ein Kostenrahmen von 46 Millionen Euro und für das Jahr 2007 von 147 Millionen
Euro vorgesehen. Ich denke, es ist offensichtlich, dass
hier ein neuer Auftrag auf die Bundeswehr zukommt,
der natürlich nicht in unseren Kostenkalkulationen im
Verteidigungsetat berücksichtigt werden konnte, sodass
wir uns noch darüber verständigen müssen, welche zusätzlichen Ausgaben notwendig sind. Ich wiederhole
meinen Satz: Man kann nicht immer mehr Aufgaben von
der Bundeswehr verlangen und gleichzeitig nicht die
entsprechenden finanziellen Grundlagen zur Verfügung
stellen. Ich gehe aber davon aus, dass wir die Finanzierung sicherstellen werden.
({3})
Lassen Sie mich noch einmal unterstreichen: Es geht
um einen Frieden stiftenden Auftrag der Bundeswehr.
Ich glaube, es wird zu wenig wahrgenommen, dass Europa - sei es Frankreich, Italien, Spanien, seien es andere
europäische Nationen - zum ersten Mal einen essenziellen Beitrag zur Friedenssicherung im Nahen Osten leistet. Es geht um die Unterstützung und Umsetzung der
UN-Resolution 1701. Ich glaube, nur auf dieser Grundlage besteht eine Chance für eine friedliche, politische
Lösung in Nahost. Es entspricht unserer Wertorientierung, aber auch unseren internationalen und europäischen Verpflichtungen und liegt in unserem nationalen
Interesse, dass wir diesen Einsatz leisten.
Alle Argumente sprechen dafür, dass Sie, meine sehr
verehrten Damen und Herren Abgeordneten des Deutschen Bundestages, diesen Einsatz unterstützen. Das
Mandat ist im Interesse dieser Frieden stiftenden Mission. Ich bitte aber auch um Ihre Unterstützung im Interesse der Soldatinnen und Soldaten, die in einer nicht
einfachen Situation einen wichtigen Beitrag zur Friedenssicherung im Nahen Osten leisten.
Besten Dank.
({4})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Gregor Gysi für
die Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Heute ist nicht der Tag, darüber zu sprechen,
dass der amerikanische Präsident Außenpolitik zunehmend als Militär- und Kriegspolitik betreibt. Heute geht
es auch nicht darum, dass seine These, mittels Krieg Terror zu bekämpfen, eindeutig widerlegt ist. Krieg ist eine
Höchstform von Terror und mittels Terror kann man Terror nicht wirksam bekämpfen.
({0})
Die Kriege in Afghanistan und im Irak beweisen täglich,
dass sie den Terrorismus erhöhen. Mir geht es heute
auch nicht darum, darauf hinzuweisen, dass man zur
Adresse von Terroristen wird, wenn man sich an solchen
Kriegen beteiligt.
({1})
Ein vernünftiger Blauhelmeinsatz kann sogar gegenteilige Wirkungen haben, wenn man dadurch als Friedenstifter anerkannt wird.
Es ist auch nicht der Tag, um über das veränderte Verhältnis der deutschen Parteien zum Krieg zu diskutieren.
Dem völkerrechtswidrigen Krieg gegen Jugoslawien
stimmten bekanntlich alle Fraktionen außer meiner zu.
Ich will auch nicht über die These von Herrn Kuhn und
anderen reden, dass Verteidigung nicht mehr national,
sondern nur international möglich sei, wobei mir bei der
Vorstellung, dass dies 190 Staaten so sähen und ihre Soldaten vom Süd- bis zum Nordpol stationierten, mehr als
schwummrig wird.
({2})
Wir waren nun Zeugen eines Krieges zwischen Israel
und der Hisbollah im Libanon und sind froh, dass ein
Waffenstillstand, wenn auch noch sehr fragil, zustande
gekommen ist.
({3})
In diesem Zusammenhang macht es Sinn, UN-Truppen
zu entsenden,
({4})
um einen weiteren militärischen Konflikt zu verhindern.
Im Unterschied zur UN-Resolution sind wir allerdings
der Meinung, dass es zur Verhinderung eines weiteren
Krieges und zur Neutralität gehörte, wenn die Truppen
nicht nur im Libanon, sondern auch in Israel stünden.
({5})
Hier und heute geht es aber um die Frage, ob sich
Deutschland an solchen UN-Truppen beteiligen sollte.
Ich habe viele Argumente dafür gehört und möchte entscheidende dagegen nennen. Zunächst geht es um die
Geschichte und die Verantwortung für sie. Die Nazis haben Millionen Jüdinnen und Juden ermordet und damit
ein einzigartiges, unbeschreibliches Verbrechen in der
Geschichte der Menschheit begangen. Deshalb beschloss die UNO die Bildung des Staates Israel. Bei einem Konflikt zwischen Israel und einem anderen Staat
sind deutsche Soldaten die Letzten, die dazwischenstehen sollten. Jede Seite wird bei jeder Schwierigkeit einen historischen Bezug herstellen. All dies überforderte
unsere Soldaten.
({6})
Wenn man Blauhelme im Auftrag der UNO stellt,
muss man hinsichtlich des Konfliktes neutral sein. Man
muss gegenüber beiden Seiten die gleiche Glaubwürdigkeit besitzen. Die Bundesregierung ist nicht neutral und
will es auch nicht sein. Ich glaube darüber hinaus, dass
auch niemand hier im Saal neutral ist. Sie sind es nicht
und ich bin es auch nicht.
In unserer Gesellschaft gibt es diesbezüglich vier
Gruppen: Mit der einen will ich mich heute nicht beschäftigen. Es sind jene, die sich für die Fragen nicht interessieren und deshalb weder Gefühle noch Gedanken
in die eine oder andere Richtung entwickeln.
Dann gibt es Menschen, deren Herzen für Israel
schlagen. Sie verweisen auf die bereits benannte millionenfache Ermordung von Jüdinnen und Juden durch die
Nazis. Sie haben Verständnis dafür, dass gerade Jüdinnen und Juden nicht noch einmal bereit sind, sich wehrlos umbringen zu lassen. Sie verweisen auch darauf, dass
es arabische Organisationen und Staatschefs gibt, die
nicht nur das Existenzrecht Israels bestreiten, sondern
dieses Land vernichten wollen. Sie sehen die entsetzlichen Attentate und Terroranschläge, die seit Jahren in Israel begangen werden. Sie fühlen auch kulturell stärkere
Nähe zu Juden als zu Arabern. Unter all diesen Umständen haben sie eher Verständnis dafür und versuchen, zu
übergehen, dass Israel sich nicht nur wehrt, sondern auch
angreift, bestimmte Resolutionen des UN-Sicherheitsrates nicht einhält, auch Untaten begeht und Völkerrecht
verletzt. Jedermann solle, so ihre Meinung, zu jeder Zeit
wissen, dass dieses Land seine Vernichtung durch niemanden dulden wird.
Dann gibt es jene, deren Herzen für die arabische
Seite schlagen. Sie wissen selbstverständlich um die millionenfache Ermordung der Jüdinnen und Juden. Sie
weisen aber darauf hin, dass bei der Gründung des Staates Israel diejenigen nicht gefragt wurden, die damals
dort lebten. Sie haben den gesamten Prozess hinterher
als einen Prozess gegen Palästinenserinnen und Palästinenser erlebt. Sie betonen, dass der Staat Israel seit Jahrzehnten existiert, die Palästinenser über diese Jahrzehnte
aber nur als Flüchtlinge in den anderen Ländern geduldet
wurden. Als endlich ein Autonomiegebilde entstand, war
es nicht lebensfähig und ist es bis heute nicht. Bis heute
gibt es keinen palästinensischen Staat. In den vielen
Kriegen und Auseinandersetzungen, die stattfanden, gab
es immer Tote auf beiden Seiten, aber deutlich mehr Tote
unter Palästinensern und anderen Arabern. Für sie hat Israel sein militärisches Übergewicht nicht nur genutzt,
sondern auch missbraucht. Sie verweisen auf die Völkerrechtswidrigkeit bestimmter Handlungen Israels
und sehen andererseits über Untaten und Völkerrechtsbruch der arabischen Seite eher hinweg. Ebenso schweigen sie eher zum Bestreiten des Existenzrechts des israelischen Staates oder zu Vernichtungswünschen durch
bestimmte arabische Organisationen und Staatsoberhäupter. Sie fühlen sich aber moralisch doppelt legitimiert. Israel wird in besonderer Weise von den USA unterstützt, die eine imperiale Politik betreiben, während
sie selbst an der Seite der Palästinenserinnen und Palästinenser sich mit den Unterdrückten solidarisieren. Vor
der Gründung des Staates Israel hätte man nach ihrer Argumentation an der Seite der Jüdinnen und Juden stehen
müssen, weil sie verfolgt und unterdrückt wurden. Nun
aber seien diese in Israel eher mächtig und unterdrückten
Palästinenserinnen und Palästinenser, sodass man an deren Seite zu stehen habe.
Die erste Gruppe versucht, die zweite nicht selten mit
dem Vorwurf des Antisemitismus zum Schweigen zu
bringen, was in einigen Fällen zutrifft, aber in vielen Fällen ein vorschnelles und ungerechtfertigtes Urteil ist.
Unabhängig davon bleibt, dass in Argumenten beider
Gruppen viele Wahrheiten stecken, die nur zeitlich und
örtlich nicht zusammenpassen, die sich aber gegenseitig
nicht widerlegen.
Es gibt noch eine weitere Gruppe. Das sind jene, die
sich eher zugunsten Israels äußern, im Innern aber anders denken und fühlen. Sie halten aber ihre Gedankenund Gefühlswelt für politisch nicht korrekt. Sie wollen
dem Vorwurf des Antisemitismus entgehen und äußern
sich deshalb anders. Ich bin ziemlich sicher, dass auch
Sie Vertreterinnen und Vertreter dieser Gruppe kennen.
In meiner Generation ist das alles kompliziert und
wirr genug. Es gibt keine Klarheit. Es gibt Angst vor
Diskussionen. Wir, Frau Bundeskanzlerin, sind nach
meiner Auffassung keinesfalls berechtigt, diese völlig
ungeklärte Gedanken- und Gefühlswelt, die in unserer
Generation noch immer herrscht, die jungen Soldaten
austragen zu lassen. Diese können das nicht.
({7})
Sie sind überfordert. Wir alle haben nicht das Recht, sie
in eine solche Situation zu bringen.
Zum Argument der erhofften Normalität im Verhältnis zu Israel möchte ich vier Bemerkungen machen.
Normalität kann man nicht durch Soldaten und Geschütze herstellen. Sie, Frau Bundeskanzlerin, wollen
zwar hin mit den Soldaten, aber möglichst nicht auf
Land. Sie suchen eine Stellung, bei der Sie hoffen, der
Konfrontation zu entgehen. Das aber ist nicht Ausdruck
von Normalität, sondern von Anormalität. Normalerweise sagt man zu einem solchen Einsatz klar Ja oder
klar Nein und sucht nicht eine solche Zwischenlösung.
Man sollte auch nicht auf ein Angebot der israelischen
Regierung eingehen, Normalität über Soldaten zu gewinnen. Über 170 Staaten entsenden keine Soldaten und
sind nicht anormal.
Ein weiteres Argument ist mir wichtig. Gegen die
Neutralität spricht zweifellos, dass die deutschen Soldaten Waffenlieferungen an die Hisbollah verhindern sollen, die Bundesregierung ihre Waffenlieferungen an Israel aber fortsetzt, bis hin zu U-Booten, die sogar mit
Atomwaffen bestückt werden können. Nun gibt es den
Vorwurf, dass derjenige, der gegen Waffenlieferungen an
Israel ist, das Existenzrecht dieses Staates gefährde. Ich
halte das für Unsinn. Seit Jahrzehnten ist Israel den arabischen Nachbarländern militärisch überlegen. Zum
Frieden hat das nicht geführt. Die umgekehrte Situation
hätte allerdings verheerendere Folgen gehabt. Wären die
Nachbarländer Israel militärisch überlegen gewesen,
hätten sie versucht, dieses Land zu vernichten. Trotzdem, sage ich, ist die weitere Aufrüstung Israels ein Fehler. Wenn Waffenlieferungen an die Hisbollah verhindert
und an Israel eingestellt würden, änderte sich nichts an
der militärischen Überlegenheit Israels - sie nähme nur
nicht mehr zu. Das ist doch das Mindeste, was man erwarten darf. Außerdem hat Israel mit den USA die
stärkste Militärmacht an seiner Seite. Es gibt Gefährdungen Israels: kulturell und in anderer Hinsicht, aber nicht
militärisch. Israel sollte überlegen, ob es auch kulturell
Teil des Nahen Ostens sein will oder weiterhin versucht,
Europa in den Nahen Osten zu tragen. Letzteres wollen
die übrigen Menschen im Nahen Osten nicht.
Bekannt ist, dass beide Konfliktseiten bestimmte,
aber sehr unterschiedliche Erwartungen an den Einsatz
deutscher Soldaten haben. Die einen hoffen auf Verantwortung wegen unserer Geschichte und die anderen hoffen, dass Reste von dieser Geschichte noch vorhanden
sind. Eine Bundesregierung, die das weiß, hätte schon
deshalb von vornherein Nein zu einem Einsatz unserer
Soldaten sagen müssen.
({8})
Die anderen Regierungen hätten das verstanden. Es war
die Bundesregierung, die ungefragt ihre Bereitschaft zur
Entsendung von Soldaten bekundete und damit auch die
Einladungen aus Israel und dem Libanon provozierte. Es
ist die erste Regierung in der Geschichte der Bundesrepublik, die den Grundsatz aufgibt, keine Soldaten in den
Nahen Osten zu entsenden. Andererseits hätte die Bereitschaft erklärt werden sollen, jede humanitäre Hilfe
bei der Beseitigung von Schäden in Israel und im Libanon zu gewähren. Ich bin allerdings auch dafür, beiden
Seiten einmal deutlich zu sagen, dass künftig wieder diejenigen die Wiedergutmachung von Schäden zu bezahlen haben, die sie anrichten, und nicht regelmäßig Dritte.
({9})
Ferner brauchen wir dringend unter Einbeziehung
sämtlicher Seiten eine Nahostfriedenskonferenz.
Deutschland sollte vorschlagen, dass eine solche organisiert werden sollte, und bekunden, dass wir bereit sind,
sie in Berlin stattfinden zu lassen. Das wäre eine gewaltige politische, aber auch selbstbewusste Leistung.
Mir tun unsere Soldaten auch Leid, weil ich weiß,
dass sie in eine völlige Überforderungssituation gedrängt
werden.
({10})
Natürlich machen sie das freiwillig, aber ich bezweifle,
dass sie das wirklich überschauen. Deutschland hätte ein
politischer Vorreiter im Friedensprozess werden können.
So werden wir es nicht. Deutschland wird nicht Teil der
Lösung, sondern Teil des Konflikts.
({11})
Wir halten das für eine Fehlentscheidung, die wir nicht
mittragen können. Ich fürchte, dass auch Sie diese Entscheidung eines Tages bereuen werden.
({12})
Das Wort hat nun Fritz Kuhn für die Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Gysi hat einen interessanten Satz gesagt,
nämlich: Es gibt keine Klarheit. Das ist die Überschrift
Ihrer Rede gewesen, Herr Gysi.
({0})
Sie haben nicht klar gemacht, für was Sie eigentlich stehen und was Ihre Position in Wirklichkeit ist.
Die Mehrheit meiner Fraktion wird dem Antrag auf
deutsche Beteiligung im Libanon im Rahmen des
UNIFIL-Mandats zustimmen.
({1})
Ich will begründen, warum, und dabei auch gleich eine
Antwort auf den Besinnungsaufsatz geben, den Sie abgeliefert haben.
({2})
Der erste und entscheidende Punkt ist, dass die VNResolution, die zur Erweiterung des UNIFIL-Mandats
geführt hat, einen tatsächlich existierenden schrecklichen Krieg in einen Waffenstillstand überführt hat. Das
ist wichtig und dazu stehen wir.
({3})
Die deutsche Beteiligung hat wie das ganze UNIFILMandat den Sinn, einen höchst fragilen Waffenstillstand
Schritt für Schritt in einem mühsamen Prozess - das betone ich - in einen stabileren Waffenstillstand zu überführen, der es dann möglich macht, in der ganzen Region
wirklich einen tragfähigen Friedensprozess zu beginnen.
Da frage ich Sie, Herr Gysi: Warum sollen wir an einem
solchen UN-Mandat nicht teilnehmen, wenn wir dieses
Ziel mit diesem Schritt erreichen können?
({4})
Im Kern geht es um die Souveränität des Staates Libanon, die noch nicht voll und ganz hergestellt ist. Es
geht zum Beispiel darum, das Gewaltmonopol im eigenen Staatsgebiet zu stärken. Das ist der Kernpunkt, über
den wir insgesamt reden. Auch das ist ein schwieriger,
aber für die Chance des Friedens in der Region entscheidender Prozess. Deswegen sollten wir uns dem nicht
verweigern.
Wenn das Gewaltmonopol des Staates Libanon gestärkt wird, wird auch Israel mit mehr Sicherheit ausgestattet sein und damit wird das Existenzrecht Israels in
der Praxis ein Stück weit gestärkt werden.
({5})
Das ist der entscheidende Punkt, den Sie, Herr Gysi, in
Ihrer Argumentation ausgelassen haben.
Wir sind auch dafür, weil es um eine Stärkung der
Vereinten Nationen geht und weil es wichtig ist, dass
die Europäer geschlossen - und nicht: Europa minus
Deutschland - in diesen Friedensprozess im Nahen Osten eintreten. Das war immer ein wichtiger Punkt. Wer in
den letzten Jahren in Israel war, wird wissen, dass die Israelis oft sagen: Die Europäer reden schön. Aber was tun
sie tatsächlich zur Stärkung des Existenzrechts der Israelis? - Deswegen werden wir diesem Einsatz, so schwierig er im Detail ist, zustimmen.
Dies entspricht auch der Logik der bisherigen Rolle
Deutschlands, Herr Hoyer. Wir haben uns die Fragen,
die Sie hier aufgeworfen haben, präzise gestellt: Wird
die Vermittlungsmöglichkeit Deutschlands und wird das
hohe Ansehen Deutschlands auf beiden Seiten des Konflikts gestärkt, wenn wir zustimmen, oder geschwächt,
wenn wir es nicht tun? Unsere Auffassung ist ganz klar
die: Weil alle Seiten, die Libanesen, letztlich auch die
Syrer und die Israelis, sagen: „Ja, das ist ein guter Einsatz; die Deutschen sollen sich daran beteiligen“, wird
unsere Vermittlungsrolle gestärkt und nicht geschwächt,
wie Sie in Ihrer Argumentation nahe gelegt haben.
({6})
Wir befinden uns im Kernbereich deutscher Interessen, wenn es darum geht, die Menschenrechte und den
Frieden in der Region zu stärken. Ich will dazusagen:
Dazu gehören natürlich auch die Menschenrechte der
Menschen, die in Palästina leben, die eine eigene Staatlichkeit wollen
({7})
und die eine auch wirtschaftlich existenzfähige Staatlichkeit brauchen, mit Zugängen zum Beispiel zum Gazastreifen. Ich behaupte: So wie das Existenzrecht Israels sind auch diese Fragen in unmittelbarem deutschen
Interesse.
Dennoch ist klar: Das Existenzrecht Israels ist eine
elementare Bedingung der deutschen Politik. Ich kann
nur noch einmal auf die Seite der FDP schauen und Sie
fragen, meine Damen und Herren: Ist es nicht eigentlich
vernünftig, in einer solchen Situation noch einmal
gründlich darüber nachzudenken, was aus der besonderen Verantwortung Deutschlands in Bezug auf Israel
wirklich folgt?
({8})
Ihr Argument, daraus folge, dass wir uns auch auf der
Seeseite nicht einmischen dürfen, halten wir für ziemlich
dürftig. Ich sage Ihnen, Herr Westerwelle: Aus einer besonderen Verantwortung kann auch eine besondere Ausrede resultieren, wenn man die Verantwortung so buchstabiert, wie Sie es getan haben. Ich finde, dass Sie sich
an einer entscheidenden Stelle verrannt haben, an der Sie
sich klar der Verantwortung Deutschlands stellen müssten.
({9})
Herr Westerwelle, ich weiß nicht, ob Sie nachher reden werden oder ob Sie heute kneifen werden.
({10})
- Aus der Rednerliste geht hervor, dass er nicht reden
will. Ich finde aber, er sollte sich der Diskussion wirklich mit präziser Argumentation stellen.
Ich will noch einmal das Beispiel Kongo in Erinnerung rufen. Bislang, nach dem ersten Wahlgang - wir
alle in diesem Hause hoffen, dass das so bleibt -, ist es
so, dass der Einsatz, den auch wir hier unterstützt haben,
dazu geführt hat, dass die früheren Bürgerkriegsparteien
nicht übereinander hergefallen sind. Sie, Herr
Westerwelle, haben noch letzte Woche gesagt, dass die
Schwierigkeiten, die es in der Hauptstadt des Kongo
gab, ein Beleg dafür sind, wie richtig es war, sich wie Sie
dem Einsatz zu verweigern.
({11})
Ich finde, dass man dann, wenn man den Maßstab zur
Beurteilung verloren hat, wann Einsätze der Vereinten
Nationen bzw. von den VN mandatierte Einsätze erfolgreich sind, auch fehlgeht bei der Beurteilung der Probleme, über die wir hier reden.
({12})
Herr Kollege Kuhn, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Niebel?
Ja, gerne.
Vielen Dank, Herr Kuhn. - Könnten Sie mir die Frage
beantworten, ob das hier zu diskutierende Mandat Ihrer
Ansicht nach ein neutrales Mandat zur Sicherung des
Waffenstillstandes oder ein Unterstützungsmandat zugunsten einer der beiden Konfliktparteien ist? Was folgt,
wenn Sie der Ansicht sind, es sei ein neutrales Mandat
zur Sicherung des Waffenstillstandes, daraus für Waffenstillstandsverletzungen, die von irgendeiner Seite begangen werden? Müsste man dann nicht dagegen vorgehen?
Denken wir das einmal etwas weiter: Müsste man dann
nicht, wenn die Vereinten Nationen als Auftraggeber
dieses Mandats im Rahmen ihrer Deutungshoheit zu
dem Schluss kämen, dass Israel einen Waffenstillstandsbruch begangen hätte, beispielsweise im Zuge einer Befreiungsaktion für entführte Soldaten, die ich im Übrigen
sehr gut verstehen könnte, gegen entsprechende Kommandos vorgehen? Wollen Sie das unseren deutschen
Soldaten wirklich zumuten?
({0})
Lieber Herr Niebel, wir haben uns in der Fraktion
- das hat auch zu unserer Haltung geführt - sehr präzise
gefragt, ob deutsche Soldaten bei dem Einsatz in die
Lage kommen könnten, auf Israelis schießen zu müssen.
Sowohl die Rules of Engagement als auch die Situation,
dass wir auf See und nicht zu Lande agieren, schließen
aus, dass so etwas passieren könnte, wie in Ihrer Frage
angedacht.
({0})
- Denken Sie doch über die Rede Gysis nach. Da hätten
Sie genug zum Nachdenken.
({1})
Die FDP schwankt ja bei ihren Begründungen systematisch. Herr Hoyer hat vorhin das UNIFIL-Mandat als
sinnvolles Mandat bezeichnet,
({2})
während Herr Westerwelle am Freitag in der „Bild“-Zeitung das schiere Gegenteil behauptete. Ich darf einmal
Herrn Westerwelle aus der „Bild“-Zeitung zitieren:
({3})
Doch in Nahost fehlt das überzeugende politische
Konzept. Der Einsatz soll einen brüchigen Waffenstillstand sichern. Dazu braucht es Friedenswillen
auf beiden Seiten. Besteht der wirklich?
Westerwelle ignoriert völlig, dass beide Seiten darum
gebeten haben, dass dieser Einsatz stattfindet, und dass
beide Seiten darin auch eine Chance auf Frieden sehen.
Deshalb wäre es verheerend, wenn wir den Weg beschreiten würden, den Sie hier vorschlagen.
({4})
Ich habe einen anderen Verdacht, Herr Westerwelle;
aus dem kann ich Sie nicht entlassen. Ich vermute nämlich, dass für die Haltung, die Sie eingenommen haben,
taktische Fragen der deutschen Innenpolitik im Vordergrund stehen. Angesichts dessen sollten Sie sich nicht so
verdrücken, wie Sie es heute tun.
({5})
Der Einsatz, liebe Kolleginnen und Kollegen, über
den wir reden, ist dennoch nicht einfach. Wir werden es
erleben, dass dieser Einsatz dauernd, zum Beispiel aufgrund innenpolitischer Auseinandersetzungen im Libanon, in schwierige Phasen eintritt, aber er wird dadurch
nicht in seiner Gänze falsch. Wir sagen, Herr Außenminister: Nur wenn es in einem wahrscheinlich nicht
sehr lange geöffneten Fenster gelingt, rasch zu einer
Friedenslösung für die ganze Region zu kommen, haben
wir die Chance, dass aus diesem Einsatz wirklich ein
Beitrag zu mehr Frieden resultiert. Deswegen haben wir
einen Antrag vorgelegt, der klar sagt, was wir erwarten.
Wir erwarten von dem Nahostquartett und von der internationalen Völkergemeinschaft ein rasches Eintreten für
eine politische Lösung, zum Beispiel durch EinberuFritz Kuhn
fung einer Sicherheitskonferenz. Hier muss sowohl das
Verhältnis zwischen Israel, Syrien und dem Libanon,
zum Beispiel bezüglich der Scheeba-Farmen, als auch
die Frage der Zweistaatlichkeit zwischen Israel und Palästina erörtert werden.
Frau Merkel, ich will es noch einmal sagen: Es gibt
einen Punkt, bei dem ganz speziell Sie in der Verantwortung stehen. Ein Hindernis für Friedenslösungen in den
letzten Jahren war, dass die US-amerikanische Regierung, insbesondere der dortige Präsident, eigentlich jedes Problem in der Region auf die Fragestellung heruntergebrochen hat, dass es um einen Kampf gegen den
al-Qaida-Terrorismus gehe. Wenn Sie die Probleme zwischen Palästina und Israel und die Rolle der Hisbollah
im Libanon ausschließlich unter dieser Fragestellung sehen, dann sind Sie nicht mehr in der Lage, ein klares politisches Konzept für die Gesamtregion im Sinne der
Roadmap und deren Fortentwicklung auf den Weg zu
bringen.
({6})
Ich fordere Sie deshalb an dieser Stelle auf, alles Ihnen Mögliche zu tun, dass auch die Amerikaner an dieser entscheidenden Stelle in den politischen Friedensprozess eintreten und dass sie nicht ausschließlich auf
der israelischen Seite stehen. Dies ist der entscheidende
Punkt, um im Rahmen dieses Mandats voranzukommen.
Ich weiß, wie schwierig es ist, meine Forderung zu erfüllen. Aber ich spüre, dass Sie, Frau Bundeskanzlerin, dies
inzwischen auch so sehen.
Ich möchte kurz noch etwas zu der Rede von Herrn
Jung sagen. Herr Jung, in den vergangenen Wochen haben Sie sich nicht mit Ruhm bekleckert.
({7})
Denn wer bei einer Unterrichtung im Kanzleramt erklärt,
man könne im Rahmen humanitärer Aktionen auch Fregatten in die Region schicken und brauche keinen Parlamentsbeschluss, der ist schlecht über die Rechtslage unterrichtet.
Ich habe in diesem Zusammenhang eine Bitte. Nutzen
Sie die Zustimmung in diesem Hause bitte nicht für eine
pauschale Erhöhung Ihres Budgets, das immerhin
24 Milliarden Euro ausmacht.
({8})
Denn wir wissen erstens, dass wir von der UN einen gewissen Betrag für diesen Einsatz zurückbekommen.
Zweitens kennen wir eine ganze Reihe von Möglichkeiten in Ihrem Hause, in Milliardenhöhe einzusparen. Deswegen wirkt es wohlfeil, wenn Sie sagen, wir schieben
aufgrund des Einsatzes frisches Geld hinterher.
({9})
Ich glaube nicht, dass dies ein vernünftiger Weg ist, den
wir beschreiten sollten.
({10})
- Herr Niebel, Sie haben in der Diskussion nicht überzeugen können. Ihr Geschrei macht Ihre Argumente aber
auch nicht besser.
({11})
Reden Sie nachher von dieser Stelle aus oder sagen Sie
Westerwelle, dass er dies tun soll.
({12})
Aber mit einem solchen Geschrei können Sie nicht überzeugen.
({13})
Zum Abschluss möchte ich betonen, dass wir zustimmen werden. Wir legen aber Wert auf den politischen
Rahmen; denn nur mit ihm wird der Einsatz sinnvoll.
Wir fordern Sie auf, dafür das Nötige zu tun.
Ich sage noch einmal: Konstruktive Opposition heißt
für uns nicht, immer nur einfach Nein zu sagen, wenn etwas auf dem Tisch liegt, sondern konsequent zu prüfen,
was aufgrund der Sachlage notwendig ist. Wir haben es
uns nicht leicht gemacht, haben wochenlang diskutiert
({14})
und sind dann zu dieser Entscheidung gekommen. - Es
hätte auch Ihnen gut getan, ein bisschen differenzierter
zu argumentieren;
({15})
denn der Besinnungsaufsatz von Herrn Gysi hat kein besonderes Niveau in die Debatte gebracht.
Ich danke Ihnen.
({16})
Nächste Rednerin ist die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung,
Heidemarie Wieczorek-Zeul.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
alle haben in den letzten Wochen mit Schmerzen der militärischen Auseinandersetzung zusehen müssen. Wir haben aber die Hoffnung, dass es die Chance auf eine
nachhaltige Friedensregelung gibt. Es kann niemanden
von uns gleichgültig lassen, dass in einem Teil der Welt,
der uns räumlich und menschlich so nahe ist, Menschen
nicht in Frieden und Sicherheit leben können. Wir haben
alle gespürt: Es gibt auf Dauer nur politische Lösungen
für diese Region. Krieg ist keine Lösung.
Ich habe in meinen Gesprächen in Beirut, den Gesprächen mit Jugendlichen der israelischen Stadt Kfar Saba
und mit Jugendlichen aus Israel und Palästina, die über
das Willy-Brandt-Zentrum hier waren, gespürt, dass alle
- besonders die jungen Menschen - die Hoffnung haben,
dass diese Situation zum Frieden führen wird. Sie alle
setzen Hoffnung in uns und betrachten uns als glaubwürdig hinsichtlich unseres Handelns. Deshalb lassen Sie
uns im Rahmen dieser Entscheidung deutlich machen,
dass wir die Chance des Friedens nutzen und unsere Verantwortung wahrnehmen wollen.
({0})
Zu den von mir angesprochenen Jugendlichen will ich
noch sagen: Sie haben im Willy-Brandt-Zentrum während der gesamten Konflikte immer wieder den Dialog
gesucht und versucht, Perspektiven für den Frieden zu
entwickeln.
Es gibt jetzt einen Waffenstillstand. Es ist unsere Aufgabe, dazu beizutragen, dass dieser Waffenstillstand
dauerhaft und stabil ist und dass die Staatlichkeit des Libanon hergestellt und gesichert wird. Da ist die militärische Entscheidung, die heute zu treffen ist, das eine. Das
andere ist, alles dafür zu tun, dass die Staatlichkeit des
Libanon wirkungsvoll wiederhergestellt wird. Ich verweise auf die Stockholmer Konferenz, auf der viele Länder - übrigens auch arabische Länder - entsprechende
Entscheidungen getroffen haben. Ich verweise darauf,
dass es am Rande der Konferenz in Singapur Treffen der
Geberländer gegeben hat.
Auch an dieser Stelle sage ich: Wir setzen unsere humanitäre Hilfe, die wir bisher in großem Umfang geleistet haben, fort. Die Bundesregierung will dazu beitragen,
dass der Warenverkehr an den Binnengrenzen kontrolliert und verhindert werden kann, dass Waffen geliefert
werden. Wir tragen dazu bei, dass die entstandene Ölverschmutzung beseitigt wird. Wir setzen die Maßnahmen
zur Unterstützung bei der Berufsausbildung fort und tragen dazu bei, dass die Menschen im Süden des Libanon
wieder sauberes Wasser haben. Es ist wichtig, dass die
Menschen spüren, dass auch wir unsere Verantwortung
wahrnehmen. Das tun wir auch mit diesen Maßnahmen.
({1})
Libanon wird wieder Partnerland der deutschen
Entwicklungszusammenarbeit; das sage ich an dieser
Stelle ausdrücklich. Wir sehen diese Verpflichtung. Es
ist aus unserer Sicht Teil eines Friedensprozesses, uns so
zu entscheiden.
Die Frage, die heute immer wieder angeklungen ist,
lautete: Wie können wir eigentlich in Zukunft Gewalt
verhindern? Ich glaube, dazu muss man die Perspektive,
so wie es auch hier dargestellt worden ist, ausweiten.
Natürlich geht es um den Kernkonflikt zwischen Israel
und Palästina. Ohne Lösung dieses Kernkonfliktes wird
es keine Lösung der Folgekonflikte geben. Jeder Lösungsansatz muss davon ausgehen, dass es zwei souveräne Staaten, Israel und Palästina, geben muss, die sich
gegenseitig respektieren. Ohne diese wechselseitige Anerkennung wird es keinen Frieden in der Region geben.
Das Existenzrecht Israels muss gesichert bleiben. Israel
hat das selbstverständliche Recht, in Frieden zu leben
und vor entsetzlichen Angriffen geschützt zu sein. Wir
sehen aber auch die Verantwortung, dass ein eigenständiger Staat Palästina geschaffen wird, der in Frieden mit
seinen Nachbarn leben will und leben kann.
Dazu sind aus meiner Perspektive drei weiterreichende Lösungsschritte nötig:
Erstens. Wir brauchen einen politischen Dialog zwischen Israel und Palästina und zwischen Israel und den
arabischen Staaten, bei dem nicht in Gut und Böse eingeteilt wird, sondern bei dem gilt, was Amos Oz gesagt
hat: Allen Beteiligten des Konflikts soll zugestanden
werden, jeweils Rechte für sich zu reklamieren. Uri
Avnery hat das so ausgedrückt: Die Zukunft gehört den
Kräften des Friedens und der Versöhnung beider Völker,
beider Staaten, aber mit einer gemeinsamen Zukunft.
Zweitens gilt: Ohne politische, wirtschaftliche und
soziale Entwicklung wird es keinen dauerhaften Frieden
im Nahen Osten geben. Die gesamte Region hat schwerwiegende Probleme. In allen arabischen Ländern gibt es
eine sehr junge Bevölkerung, die nach Bildung, nach
Arbeitsplätzen und nach Zukunftschancen in Frieden
verlangt. Es herrscht eine Knappheit an Wasser und
fruchtbarem Land. Diese Situation verlangt von uns die
Unterstützung derjenigen, die für eine gute Regierungsführung, für Transparenz und die Verwirklichung der
Menschen- und Frauenrechte sind. Die Wirtschaft benötigt eine Dynamik, die im regionalen Kontext wurzeln
muss. Nur Menschen, die den Reformprozess mittragen
wollen, lassen sich nicht stets aufs Neue radikalisieren.
Das ist das Ziel der Arbeit in unserem Ministerium, die
wir für diese Region und die arabischen Länder insgesamt leisten. Wir brauchen auch eine vorwärtsgerichtete
Einbindung des Nahen Osten in die Weltwirtschaft.
Hier sind alle gefordert: Europa mit seiner Nachbarschaftspolitik und die arabischen Staaten, die ihre wirtschaftlichen Chancen in ihren Ländern und Regionen
entfalten müssen. Auch Israel kann einen wichtigen Beitrag leisten und damit zur nachhaltigen Überwindung der
Gegensätze beitragen.
Drittens. Ein weiterer Punkt ist die Stärkung der Rolle
der Vereinten Nationen und des UN-Generalsekretärs.
Eines leuchtet mir hier nicht ein. Mit der Entscheidung
über die Entsendung der Bundeswehrsoldaten, mit der
Entscheidung über UNIFIL ist auch eine Stärkung der
UN verbunden. Wer die amerikanische Politik in dieser
Region kritisiert, der muss doch ein Interesse daran haben, dass die Rolle der Vereinten Nationen dort gestärkt
wird.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden immer
wieder gefragt - Frank-Walter Steinmeier hat dies bereits angesprochen -, warum etwas, was in Europa den
Frieden stabilisiert hat, nicht auch im Nahen Osten gelingen sollte. Mit einer Nah- und Mittelostkonferenz
könnten Prozesse für Frieden und Sicherheit in Gang
kommen, um wirtschaftliche Zusammenarbeit zu organisieren und Konfliktpotenzial abzubauen. Der Frieden in
dieser Region ist einen neuen Anlauf wert. Ich sehe es
ganz anders als Sie, Herr Hoyer: Wir würden den politischen Prozess gefährden, wenn wir uns heute verweigerten. Das ist die Kritik an Ihrer Position, die damit verbunden ist.
({3})
Der Einsatz der Bundeswehr in diesem Rahmen ist
ein Zwischenschritt. Er kann ein Zwischenschritt auf
dem Weg zu einem dauerhaften Frieden in der Region
sein. Er ist Teil eines politischen Gesamtkonzeptes mit
langfristigen Perspektiven, mit Perspektiven für einen
wirtschaftlichen Wiederaufbau und für Sicherheit. Ich
bitte Sie: Lassen Sie uns diesen Schritt gemeinsam machen, auch um der Jugendlichen willen aus dieser Region, aus Israel und Palästina, die vor einer Woche bei
uns waren. Sie stehen in schwierigen Situationen zusammen, obwohl sie im Konflikt leben, und sie setzen ihre
Hoffnungen auf uns. Ich bitte Sie, dem Mandat mit breiter Mehrheit zuzustimmen.
Ich danke Ihnen.
({4})
Ich erteile der Kollegin Birgit Homburger, FDP-Fraktion, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
möchte zunächst eine Bemerkung zu Ihrer Rede machen,
Herr Kuhn. Ich bin der Meinung, dass die Reaktion, die
Sie hier gezeigt haben, völlig unangemessen war.
({0})
Wer in dieser Frage die endgültige Wahrheit zu wissen
glaubt, der agiert schlicht anmaßend, Herr Kuhn.
({1})
Sie nehmen für sich einen Abwägungsprozess in Anspruch und sprechen dies gleichzeitig anderen ab.
Ich möchte sehr deutlich sagen, dass nicht die FDP einen außenpolitischen Konsens verlassen hat. Sie haben
Ihre Position verändert, die Bundesregierung hat ihre
Position verändert. Die FDP ist bereit, gerade für diese
für uns so wichtige Region im Nahen Osten Verantwortung zu übernehmen; das haben wir vielfach zum Ausdruck gebracht. Deswegen hätten wir uns im Sommer
ein klares Wort der Bundeskanzlerin gewünscht. Wir
hätten uns ein Angebot einer diplomatischen und humanitären Unterstützung, einer Hilfe beim Wiederaufbau
und bei der Ausbildung von Polizei- und Militärkräften
gewünscht, weil das wichtig ist.
({2})
Ein solches Angebot hätten wir uns frühzeitig gewünscht. Dann wäre es nicht zu dieser Diskussion über
eine militärische Beteiligung gekommen.
({3})
Ich möchte Ihnen aber auch sagen: Wir akzeptieren,
({4})
dass Sie aufgrund Ihres Abwägungsprozess zu dem Ergebnis gekommen sind, dass Sie die Bundeswehr in dieser Region einsetzen wollen. Wir erwarten aber, dass Sie
den Kolleginnen und Kollegen meiner Fraktion, die nach
einem schwierigen Abwägungsprozess zu einem anderen Ergebnis kommen, denselben Respekt entgegenbringen.
({5})
Herr Minister Jung hat völlig zu Recht gesagt, der
Waffenstillstand sei eine Voraussetzung für die politische Lösung. Deswegen sagen auch wir: Ja, wir finden
diese UNIFIL-Mission wichtig. Die Frage, die beantwortet werden muss, lautet aber: Ist die deutsche Beteiligung an einer maritimen Komponente zwingend, um
diese Operation tatsächlich durchzuführen?
({6})
Wir kommen zu dem Ergebnis, dass sie nicht zwingend
ist, weil es in diesem Bereich eine Vielzahl von Angeboten anderer Länder gab. Deutsche Soldaten müssen
nicht unbedingt überall präsent sein. Das gilt vor allem,
wenn wir andere Fähigkeiten besitzen, die wir sinnvoll
einsetzen können. Diese Fähigkeiten sollten wir aus
Gründen politischer Klugheit einsetzen und nicht riskieren.
({7})
Herr Kollege Kuhn, Sie können nicht komplett ausschließen, dass es zu einer Konfrontation zwischen Israelis und deutschen Soldaten kommt.
({8})
Sie können diesen Fall in einem militärischen Szenario
wie diesem schlicht nicht ausschließen. Deswegen sagen
wir Ihnen: Wenn es zu einer solchen Situation käme,
gäbe es Diskussionen. Diese Diskussionen wären mit Sicherheit schwierig und würden nicht zu einer Stabilisierung von UNIFIL beitragen. Wir sollten deutsche Soldaten nicht in eine solche Situation bringen.
Deswegen ist das Ergebnis unseres Abwägungsprozesses, dass wir unsere Vermittlerposition, die in der Region akzeptiert ist, durch eine militärische Teilnahme an
UNIFIL riskieren. Diese Vermittlerposition ist für eine
Gesamtlösung aber von großer Bedeutung. Deswegen ist
es eine Frage politischer Klugheit, keine Soldaten in diesen Einsatz zu schicken.
({9})
Frau Kollegin Homburger, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Beck?
Ja, bitte.
Frau Kollegin, würden Sie mir bitte zu etwas mehr logischer Klarheit verhelfen? Ich habe Ihren Kollegen
Niebel eben so verstanden, dass er der Auffassung ist,
Deutschland könne wegen seiner besonderen Verpflichtung nicht neutral gegenüber Israel sein und deswegen
sei die Resolution 1701 keine tragfähige Basis.
({0})
- So habe ich Sie verstanden. - Sie sagen jetzt, die Resolution 1701 wäre auch ohne deutsche Beteiligung durchführbar. Daher möchte ich Sie fragen, wie Ihre Fraktion
zu der UN-Resolution 1701 in der Sache steht.
({1})
Frau Kollegin, wir haben sehr deutlich gesagt, dass
wir die UNIFIL-Mission unterstützen.
({0})
- Herr Kollege Kuhn, das gilt auch für den Kollegen
Westerwelle,
({1})
den Kollegen Niebel und für unsere gesamte Fraktion
gleichermaßen. Wir anerkennen, dass es aufgrund der
Anstrengungen zu einem Waffenstillstand gekommen
ist. Deshalb müssen wir alles dafür tun, dass der Waffenstillstand weiterhin gehalten werden kann, weil er eine
Grundvoraussetzung für eine politische Lösung ist. Die
Frage ist aber, ob es klug ist, deutsche Soldaten in einen
solchen Einsatz zu schicken oder nicht. Unsere Antwort
lautet: Wir können besser dazu beitragen, wenn wir
keine deutschen Soldaten entsenden. Das ist das Ergebnis unseres Abwägungsprozesses.
({2})
Ich glaube, dass das sehr deutlich dargestellt worden ist.
({3})
Darf die Kollegin Beck noch einmal nachfragen?
Nein, Herr Präsident, ich würde jetzt gern mit meinen
Ausführungen fortfahren.
Ich möchte noch wenige Bemerkungen zu dem machen, was der Bundesverteidigungsminister gesagt hat
und was auch von anderen Kollegen angesprochen
wurde. Bei der politischen Vorbereitung des militärischen Einsatzes kamen Fragen grundsätzlicher Art
auf. Wenn man einen solchen Einsatz plant, muss man
sich doch überlegen, ob er überhaupt effektiv sein kann.
Der Verteidigungsminister hat hier deutlich gemacht,
was die Marine darf. Er hat aber nicht gesagt, welche
Fragen noch offen sind. Dazu gehört beispielsweise die
Tatsache, dass Waffen, die sich auf einem Boot befinden,
das beim Schmuggel erwischt und angehalten wurde,
von deutschen Soldaten nicht beschlagnahmt werden
dürfen. Vor diesem Hintergrund stellt sich doch die
Frage, was mit diesen Schmugglerschiffen passiert. Der
Kollege Struck sagt, man müsste sie an die Kette nehmen und die Waffen der libanesischen Regierung übergeben können. Damit zeigt er eine Möglichkeit auf. Was
passiert aber, wenn sich ein Schiff nicht kontrollieren
lassen will? In diesem Falle haben Sie diese Möglichkeit
nicht. Diese Frage ist genauso offen wie die Fragen über
die Befugnisse der libanesischen Verbindungsoffiziere,
die an Bord genommen werden sollen. Hier heißt es vonseiten der Bundesregierung, dass weiterer Klärungsbedarf besteht.
Wenn der Einsatz zum Ziel führen soll, den Waffenstillstand dauerhaft zu sichern und den politischen Prozess zu ermöglichen, dann müssen diese Fragen genauso
beantwortet werden wie die folgenden Fragen: Wie kann
man sicherstellen, dass Waffen, die der libanesischen
Regierung übergeben werden, nicht doch an die Hisbollah gelangen? Wie kann man landseitig die Sicherung
der Grenzen gegen Waffenschmuggel gewährleisten?
Wie kann die Entwaffnung der Hisbollah vonstatten gehen?
All diese Fragen müssen beantwortet werden und
werden auch von den Koalitionsfraktionen gestellt. Wir
haben das in den Beratungen in den Ausschüssen immer
wieder erlebt. Ich bitte um Verständnis dafür, dass wir
diese Fragen klar und eindeutig beantwortet haben
möchten,
({0})
genauso wie wir darauf bestehen, dass deutlich gemacht
wird, dass der politische Prozess im Mittelpunkt steht.
({1})
Das muss die gemeinsame Anstrengung sein. An dieser
Anstrengung wird sich die FDP-Bundestagsfraktion weiter beteiligen.
Vielen Dank.
({2})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Andreas
Schockenhoff, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Angesichts der historischen Bedeutung dieses ersten Nahosteinsatzes der Bundeswehr haben wir die Interessen
unseres Landes und die Einsatzbedingungen sehr genau
geprüft und abgewogen. Vorbehaltlich der Beratungen in
den Ausschüssen kann ich für meine Fraktion sagen: Die
CDU/CSU-Fraktion wird dem Antrag der Bundesregierung auf Beteiligung deutscher Streitkräfte an der
UNIFIL-Mission zustimmen.
({0})
Dieser Einsatz liegt im Interesse unseres Landes und ist
dank der hartnäckigen Verhandlungen der Bundesregierung politisch und militärisch gegenüber unserer Bevölkerung, insbesondere gegenüber unseren Soldaten, verantwortbar.
Der Bundesverteidigungsminister ist bereits auf die
völkerrechtlichen Grundlagen und die militärischen Aspekte ausführlich eingegangen. Ich will für meine Fraktion betonen, dass wir dem Mandat zustimmen können,
weil die Einsatzregeln so gefasst sind, dass die Marine
ihren Auftrag effizient und erforderlichenfalls robust
durchführen kann. Nun sind die Voraussetzungen gegeben, das Seegebiet vor der libanesischen Küste aufzuklären, zu überwachen und die Ladung an Bord von Schiffen zu überprüfen. So kann verhindert werden, dass
Waffen, insbesondere Raketen, über den Seeweg an die
Hisbollah geschmuggelt werden. Die rechtlichen Grundlagen dafür sind gegeben. Der Einsatz erfolgt auf Bitten
der libanesischen Regierung und auf Wunsch Israels.
Das waren für uns unverzichtbare Vorbedingungen.
Denn nichts wäre für die Stabilisierungsbemühungen
schlimmer, als wenn sich Israel gezwungen sähe, militärisch wieder einzugreifen, weil die UNIFIL-Seestreitkräfte aufgrund unzureichender Kontroll- und
Eingreifrechte nicht in der Lage wären, den Waffenschmuggel wirksam zu verhindern. Die wirksame Umsetzung des UNIFIL-Mandats ist eine unverzichtbare
Voraussetzung dafür, dass über den fragilen Waffenstillstand hinaus das notwendige Vertrauen aufgebaut werden kann, um den Nahostfriedensprozess wieder zu beleben.
Angesicht der Tatsache, dass die Bundeswehr bereits
in acht weiteren, zum Teil seit Jahren anhaltenden Einsätzen engagiert ist, müssen wir den Bürgern begründen,
warum auch dieser Einsatz im deutschen Interesse
liegt. Was also sind unsere Interessen?
Erstens. Wir haben ein klares Sicherheitsinteresse daran, dass die Region befriedet wird. Jeder Konflikt dort
hat unmittelbare Auswirkungen auf uns. Wie nah diese
Bedrohung sein kann, haben als jüngstes Beispiel die
Festnahmen im Zusammenhang mit den Kofferbomben
gezeigt.
Zweitens. Für eine Befriedung der Region ist die Sicherung des Existenzrechts Israels unverzichtbar. Das
haben wir hier im Bundestag wiederholt gemeinsam bekräftigt. Jetzt gibt es den Wunsch Israels, dafür auch einen militärischen Beitrag zu leisten. Der militärische
Beitrag, über den wir morgen zu entscheiden haben, ist
mit Blick auf die besondere historische Situation unseres
Landes richtig, angemessen und verantwortbar.
({1})
Drittens. Für die Befriedung der Region ist es wichtig, dass es dort berechenbare und starke Verhandlungspartner gibt. Denn mit schwachen Staaten ist
keine verlässliche Partnerschaft möglich, noch weniger
lassen sich mit ihnen regionale Sicherheitsstrukturen
aufbauen. Deshalb liegt es in unserem, besonders aber
auch im israelischen Interesse, dass die Regierung unter
Ministerpräsident Siniora eine starke Regierung ist.
Wenn die Menschen im Libanon die Erfahrung machen,
dass ihnen der Staat Sicherheit, Wohlfahrt und Rechtsstaatlichkeit bietet, dann werden sie sich an staatlicher
Politik und weniger an Organisationen wie der Hisbollah
orientieren.
({2})
Darum befürworten wir nachdrücklich alle Maßnahmen der Bundesregierung, die staatlichen Strukturen im
Libanon durch Ausrüstungshilfe und Beratung zu stärken sowie die libanesische Regierung beim Wiederaufbau nachhaltig zu unterstützen. Der Libanon muss wieder in die Lage versetzt werden, seine innere und äußere
Souveränität eigenständig auszuüben. Dabei geht es
auch darum, den Einfluss der Hisbollah in der libanesischen Gesellschaft zu begrenzen. Ein weiter wachsendes
Ansehen dieser vom Iran protegierten und gesteuerten
Terrororganisation liegt nicht in unserem Interesse.
Viertens. Wir haben ein Sicherheitsinteresse an einer
Regelung des Nahostkonfliktes. Die Wiederbelebung
des Nahostfriedensprozesses zu erreichen, steht in unmittelbarer Wechselwirkung mit der Befriedung des südlichen Libanon und damit auch mit der Unterbindung der
Waffenlieferungen an die Hisbollah. Ziel bleibt die Existenz zweiter souveräner, lebensfähiger und demokratischer Staaten Israel und Palästina, verbunden in gemeinsamer Sicherheit und garantiert durch die internationale
Gemeinschaft. Dazu müssen alle Seiten ihren Beitrag
leisten; der Außenminister hat bereits darauf hingewiesen. Dazu gehören beispielsweise die umgehende Freilassung des in Gaza entführten israelischen Soldaten und
ein Ende des Raketenbeschusses auf Israel.
({3})
Wir unterstützen Präsident Abbas nachdrücklich in
seinen Bemühungen um eine Regierung der nationalen
Einheit. Vor allem unterstützen wir sein beharrliches
Drängen darauf, dass sich auch die Hamas zum Gewaltverzicht und zur Respektierung des Existenzrechts
Israels verpflichtet.
Doch auch Israel muss seinen Beitrag leisten, beispielsweise durch den Abzug seiner Militärkräfte aus
dem Gazastreifen, durch die Freilassung der im Zuge der
Krise inhaftierten Hamas-Parlamentarier und durch die
Umsetzung des Abkommens über Bewegung und Zugang, um in den palästinensischen Gebieten die Voraussetzungen für wirtschaftliche Entwicklung und ein einigermaßen normales Leben zu schaffen.
Auch Syrien, ein Land, in dem die Situation sehr
schwierig ist, muss in die Stabilisierungsbemühungen
einbezogen werden. Im Gegensatz zum Iran ruft Syrien
nicht zur Zerstörung Israels auf. Deswegen unterstützen
wir die Bemühungen der Bundesregierung, Syrien in die
Stabilisierung der Region einzubinden.
({4})
Fünftens sei der Vollständigkeit halber erwähnt, dass
wir aufgrund des Engagements zahlreicher deutscher
Unternehmen auch ein wirtschaftliches Interesse an der
Befriedung der Region haben.
({5})
Sechstens haben wir schließlich ein Interesse daran,
den Einsatz der Bundeswehr zeitlich zu begrenzen.
Immer nachdrücklicher stellen sich die Bürger die Frage:
Unter welchen Voraussetzungen und wann kann ein
Bundeswehreinsatz beendet werden? Angesichts der
Tatsache, dass wir seit mehr als zehn Jahren in Bosnien,
seit 1999 im Kosovo und seit fünf Jahren in Afghanistan
mit großen Bundeswehrkontingenten militärisch engagiert sind, ist diese Frage berechtigt.
Ich will zunächst darauf hinweisen, dass wir bereits
eine ganze Reihe von Bundeswehreinsätzen, beispielsweise in Mazedonien, erfolgreich beendet haben. Den
Einsatz im Kongo werden wir nach dem Ende des Wahlprozesses dem Mandat entsprechend beenden. In Bosnien, wo die internationale Staatengemeinschaft den
Frieden zu Beginn der Operation im Jahre 1995 mit
32 000 Soldaten sicherte, tun dies heute noch 6 500 Soldaten, darunter rund 1 000 Bundeswehrsoldaten. Ich
sehe aufgrund der politischen Situation in Bosnien-Herzegowina Möglichkeiten, die Präsenz der Bundeswehr
weiter zu reduzieren.
Was den Libanoneinsatz betrifft, so ist das UNIFILMandat entsprechend der Sicherheitsratsresolution bis
zum 31. August 2007 terminiert; der Verteidigungsminister hat darauf hingewiesen. Realistischerweise
wird man davon ausgehen müssen, dass die internationale Seeüberwachung erst beendet werden kann, wenn
zwei Voraussetzungen erfüllt sind:
Erstens muss die libanesische Marine dann in der
Lage sein, den Waffenschmuggel aus eigener Kraft wirksam zu unterbinden. Um dies möglichst schnell zu erreichen, sollte die internationale Gemeinschaft den Libanon mit Ausstattungshilfe und mit Ausbildungshilfe
unterstützen.
Zweitens muss in der Region, insbesondere aufseiten
Israels, das Vertrauen aufgebaut sein, dass der Waffenschmuggel über die See effektiv unterbunden wird.
Dies zeigt, wie wichtig es ist, sich mit Nachdruck
auch um eine politische und wirtschaftliche Stabilisierung zu bemühen, wie es die Bundeskanzlerin und der
Bundesaußenminister tun. In diesem Kontext ist die Beteiligung der Bundeswehr am UNIFIL-Mandat nicht nur
vertretbar, sondern geboten.
Vielen Dank.
({6})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Gert Winkelmeier.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Noch bevor ein Einsatz deutscher Streitkräfte im Libanon öffentlich diskutiert wurde, gab es einen Bruch in
der deutschen Außenpolitik. Während Bundesregierungen bei früheren Kriegen im Nahen Osten immer für einen sofortigen Stopp desselben und für diplomatische
Lösungen eintraten, wollte diese Bundesregierung keinen sofortigen Kriegsstopp. Frau Merkel übernahm zu
hundert Prozent die US-Position. Das ist ein Bruch in
der Außenpolitik.
Linke in unserem Land können Ja sagen zum Einsatz
von UNIFIL-Truppen, wenn diese nicht einseitig die Interessen einer der Kriegsparteien unterstützen. Es gibt
aber ein klares Nein zu einer deutschen Beteiligung an
UNIFIL. Damit wissen wir uns mit zwei Dritteln der
deutschen Bevölkerung einig: Bundeswehrsoldaten haben im Kriegsgebiet Naher Osten nichts zu suchen! Mit
dem Einsatz deutscher Soldaten fällt eines der letzten
Tabus. Es wird ein gesellschaftlicher Grundkonsens verlassen, der beinhaltete, dass wir uns an Einsätzen im Nahen Osten nicht beteiligen. Es galt sogar die Regel, dass
Deutschland nicht einmal Waffen in Spannungsgebiete
liefert. Dieser Grundkonsens wurde mittlerweile vielfach gebrochen. Ich nenne hier nur als Stichwort die
U-Boot-Lieferungen an Israel, die vom deutschen Steuerzahler mit circa 300 Millionen Euro subventioniert
werden.
Es gibt Pläne, nach denen der Kampfeinsatz der Marine zur Unterbindung des seeseitigen Waffenschmuggels nur den Anfang darstellt. Schon jetzt werden
Bodentruppen der Bundeswehr im Grenzgebiet nicht
ausgeschlossen. Ich befürchte, dass unser Land in eine
Situation kommen kann, in der Bundeswehrsoldaten auf
arabische oder israelische Militärs schießen müssen und
umgekehrt.
Die Regierungsparteien lassen die Frage unbeantwortet, wie lange die Marinesoldaten im Nahen Osten bleiben sollen. Das ist gegenüber den Angehörigen der
Soldaten unverantwortlich. Ich habe den Eindruck, die
Bundesregierung drängte sich förmlich nach diesem
Kampfeinsatz. Sie hat kein politisches Konzept, wie unser Land aus diesem Einsatz, der viele Jahre dauern
kann, wieder herauskommt. Ich kann mir dieses Drängen
nach diesem Kampfeinsatz nur so erklären, dass man vor
den USA als Musterschüler dastehen will, weil man deren Hilfe benötigt, um ständiges Mitglied des Sicherheitsrates zu werden.
({0})
Der friedfertige Mensch stellt sich die Frage, warum
unser Land nicht die Diplomatie stärkt. Das größte Problem ist, dass wir mit dem Kampfeinsatz deutscher Marinestreitkräfte zur Kriegspartei werden. Dadurch werden wir auf mittlere Sicht unsere Diplomatiefähigkeit
und unsere guten Beziehungen zu den arabischen Staaten in diesem Raum verlieren. Dabei müsste die Diplomatie an erster Stelle stehen! Mit Diplomatie muss
durchgesetzt werden, dass Hamas und Hisbollah - beide
Regierungspartei in ihrem jeweiligen Land - das Existenzrecht Israels anerkennen. Dann ist eine neue Nahostfriedenskonferenz möglich. Ich fordere deutsche Diplomaten statt deutsche Soldaten für den Nahen Osten. Der
Weg zu einer KSZE für den Nahen Osten ist noch sehr
weit, er ist aber notwendig.
Ich kritisiere an dieser Stelle immer, dass die Bundesregierung einseitig auf militärische Optionen zur Konfliktlösung setzt. Wir hätten im Nahen Osten ein wesentlich höheres Ansehen, wenn wir uns klar auf zivile
Konfliktlösungen konzentrieren würden. Wenn die Marine die Ölpest im Mittelmeer bekämpfen könnte, dann
wäre dies der konkreteste Beitrag für den Frieden. Der
nichtmilitärische Weg würde auch die politische Stellung der deutsch-israelischen Freundschaftsgesellschaften in Deutschland stärken. Auch das wäre in unserem
Sinne.
Kritik habe ich auch am Entscheidungsprozess des
Bundestages. Wir Abgeordneten werden erst gefragt,
wenn bereits alle Entscheidungen bis ins Detail getroffen
und veröffentlicht worden sind. Ich selbst kann noch mit
gutem Gewissen gegen die Regierungsvorlage stimmen.
Mitglieder der Regierungskoalition, die auch gegen diesen Kampfeinsatz sind, werden aber in Gewissenskonflikte gedrängt.
({1})
Das ist nicht in Ordnung und auch das muss hier einmal
gesagt werden.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat nun der Kollege Walter Kolbow, SPDFraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Kollege Schockenhoff hat für die CDU/CSU-Fraktion
das Fazit gezogen, dass die Beteiligung an der internationalen Mission UNIFIL durch die deutsche Bundeswehr vertretbar und geboten sei. Für meine Fraktion
kann ich mich dieser Bewertung und den dafür in Anspruch genommenen Argumenten und Begründungen
anschließen.
({0})
In der mir zur Verfügung stehenden Zeit will ich
trotzdem einige grundsätzliche Punkte ansprechen und
zunächst dem Kollegen Winkelmeier, der keiner Fraktion mehr angehört, deutlich machen, dass er sich um die
Befindlichkeit und die Entscheidungsfreiheit unserer
Fraktionskolleginnen und -kollegen keine Sorgen machen muss.
({1})
Damit das nicht auch wieder fehlinterpretiert und -transportiert wird, darf ich feststellen, dass unsere Abgeordneten in dieser Entscheidung selbstverständlich frei sind.
({2})
Meine Damen und Herren, auch wegen der öffentlichen Debatte möchte ich mich folgendem Thema zuwenden: Bedeutet der zehnte Einsatz der Bundeswehr,
der morgen beschlossen werden soll, eine Militarisierung der Außenpolitik, was hier immer wieder angeführt
wird? Ich meine, nein. Die Debatte hier und auch die
Gründe, die von der Regierung für diesen Einsatz hier
eingebracht und dem Parlament vorgelegt worden sind,
sprechen eindeutig dafür, dass die Schaffung des Friedens ohne die Sicherung durch militärische Optionen
nicht möglich sein wird. Das Gleiche galt auch für das
Vorgehen aller anderen Bundesregierungen bei den neun
vorhergehenden Einsätzen.
({3})
Deswegen auch mein Hinweis an den sehr geschätzten Kollegen Hoyer, der gemeint hat, darauf hinweisen
zu müssen, dass wir mit unserer Beteiligung an UNIFIL
unnötigerweise einen militärischen Beitrag leisten würden: Wir würden keinen anderen als einen notwendigen
Beitrag in dieser Region leisten.
({4})
Wir haben zwar nicht mit dem Ergebnis - wir unterscheiden uns nämlich nicht in unserem Respekt voreinander -, aber mit der Geschwindigkeit, mit der Sie zu
der Entscheidung gekommen sind, einige Probleme.
Durch Ihre Vorgabe, Herr Kollege Westerwelle, sind Sie
natürlich in bestimmte verdächtige Diskussionen geraten.
({5})
Deshalb will ich noch einmal auf den Abwägungsprozess hinweisen, der notwendig ist und der in diesem
Hause zu dieser Entscheidung geführt hat. Ich denke
auch, dass all das, was zur Gesamtkonzeption im Nahen
Osten gesagt worden ist, unabdingbar zur Begründung
des militärischen Beitrages ist. Nur mit Frieden ist das
Existenzrecht Israels zu sichern. Nur mit Frieden ist die
Staatlichkeit des Libanon zu stärken. Nur im Frieden
wird Palästina aufgebaut werden können und wird es zu
einer gesicherten Zwei-Staaten-Lösung zwischen Israel
und Palästina kommen können. Dazu ist diese Mission
auch da und sie ist unabdingbar.
({6})
Selbst wenn der Waffenstillstand bräche, müssten wir
die humanitäre Hilfe fortsetzen, die von unserer Ministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sowie unserem Außenminister in bewährter Weise
vorangetrieben wurde und die die Bundesregierung
- entschlussfreudig wie sie ist - im Krisengebiet unverzüglich geleistet hat.
({7})
Zivilgesellschaftliche Strukturen können nur im Frieden gefördert werden. Die daraus zu entwickelnden Abrüstungsinitiativen gelten nicht nur für den Nahen und
Mittleren Osten, sondern tragen darüber hinaus zur Stärkung der Vereinten Nationen in der Welt bei.
({8})
Weil sich die neun Fraktionsvorsitzenden der Knesset, verehrter Herr Präsident, an Sie gewandt haben, um
auf das Schicksal der gekidnappten und gefangen gehaltenen israelischen Soldaten hinzuweisen, will ich hier
sagen: Es ist unabdingbar - das will ich der Weltöffentlichkeit von diesem Platz aus zurufen -, dass diese Gefangenen freigelassen werden.
({9})
Das gilt ebenso für die gefangenen Parlamentarier und
Regierungsmitglieder der gewählten palästinensischen
Vertretung. Beides gehört zusammen und wäre auch ein
Beitrag zur Stärkung von UNIFIL.
({10})
Wie wichtig es ist, die regionalen Mächte einzubeziehen, wird durch die operative und strategische Politik
der Frau Bundeskanzlerin und des Bundesaußenministers unter Beweis gestellt. Diese Politik muss weiterhin
aktiv betrieben werden. Ich rechne weiterhin mit der Unterstützung des Parlaments. Deswegen sind die Reisen
von Parlamentarierinnen und Parlamentariern in das Krisengebiet unabdingbar und notwendig, um hier gemeinsam voranzukommen.
Inzwischen sind weitere Voraussetzungen für die
deutsche Beteiligung an UNIFIL erfüllt. Der entscheidende Punkt ist, dass die israelische und die libanesische
Seite einen militärischen Beitrag Deutschlands auf See
nicht nur begrüßen, sondern auch gefordert haben. Das
stärkt in der Tat die deutsche Vermittlerrolle. Das stärkt
aber auch das Gewaltmonopol der Vereinten Nationen,
in deren Auftrag und auf deren Bitte wir tätig sind. Damit müssen sich all diejenigen auseinander setzen, die
der Meinung sind, dies sei ausschließlich militarisierte
Außenpolitik. Nein, dies ist aktive Friedenspolitik.
({11})
Ich komme zum Schluss. Einige haben sich - das ist
bei jedem Einsatz nachvollziehbar - Sorgen um unsere
Soldatinnen und Soldaten gemacht. Das ist in Ordnung. Wir alle hoffen, dass die Soldatinnen und Soldaten
auch nach diesem zehnten Einsatz im Auftrag des Parlaments, wenn er denn zustande kommt, heil und gesund
zurückkehren und diesen Einsatz unbeschadet überstehen werden.
({12})
Aber wer wüsste besser als der Fraktionsvorsitzende
der SPD, der amtierende Verteidigungsminister sowie
alle anderen, die Verantwortung für unsere Soldatinnen
und Soldaten tragen, wie etwa der Generalinspekteur,
dass unsere Soldatinnen und Soldaten vorbereitet, motiviert, ausgebildet und ausgerüstet sind? Sie haben nach
neun Einsätzen nachgewiesenermaßen ein Gefühl für die
Situation gewonnen. Unsere Soldatinnen und Soldaten
sind befähigt, diesen Einsatz durchzuführen. Deswegen
muss die Politik - das hat sie heute überzeugend dargelegt - auch sie befähigen, diesen Einsatz durchzuführen.
Dem entsprechen dieses Mandat und auch die Vorbereitung durch die Bundesregierung. Deswegen meinen wir,
hier guten Gewissens Ja sagen zu können.
({13})
Als letzter Redner in der heutigen Debatte erhält der
Kollege Freiherr zu Guttenberg für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Es ist tatsächlich keine gewöhnliche Debatte,
Herr Bundesaußenminister, und sie ringt uns die Verpflichtung ab, ein Ja, aber auch ein Nein entsprechend
tief gehend zu begründen. Begründungsarbeit bedeutet
allerdings auch, mit redlichen Argumenten vorzugehen,
Herr Gysi, statt nur subtil mit Ängsten zu arbeiten.
({0})
Ihr Vorgehen - das klang auch vorhin wieder durch - ist
deswegen so bedauernswert, weil es keine intellektuelle
Abwägung erkennen lässt, sondern lediglich den Gefallen am - zugegebenermaßen sehr elegant formulierten Populismus.
({1})
Auch konturloser und gewisperter Populismus ist
letztlich Populismus. Davon sollten wir uns nicht einwickeln lassen.
({2})
- Das Stammtischniveau scheint dann auf, Herr Kollege,
wenn beispielsweise Herr Gysi darauf hinweist, dass
ihm unsere Soldaten Leid tun. Unsere Soldaten tun mir
dann Leid, wenn sie mit solchen Begründungsmustern
konfrontiert werden.
({3})
Es ist viel von einem historischen Einsatz die Rede.
Man kann vielleicht auch anders herangehen und fragen:
Sind wir Zeugen eines außenpolitischen Paradigmenwechsels? Vielleicht sollten wir darauf ohne Schüchternheit mit Ja antworten. Allerdings handelt es sich um einen Paradigmenwechsel, der nach 1989/1990 eingeleitet
wurde - und zwar verantwortungsvoll -, mittlerweile
über Jahre andauert und auch - zugegebenermaßen gelegentlich etwas kurvenreich - fortgeführt wird. Diese
Kurven zu begradigen, ist eine der vordringlichen Aufgaben des Parlamentes und einer Bundesregierung.
Dafür sind Einsatzkriterien und frühzeitig definierte Interessen wie auch Ausschlusskriterien und Ausstiegsszenarien zu nennen. Hierzu hat die Bundesregierung in den
letzten Wochen und Monaten einen substanziellen und
guten Beitrag geleistet.
Ja, es handelt sich um einen der kompliziertesten
Konfliktherde der Erde. Wer jedoch so durchschaubar,
so uninspiriert und letztlich so banal argumentiert, wie
das vorhin der Fall war, erweckt den hoffentlich falschen
Eindruck, dass ihm weniger an der Lösung dieses
Schlüsselkonflikts als an innenpolitisch motivierten
Schlagworten gelegen ist.
Insbesondere bei denen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, die noch vor einigen Jahren zu Recht
über Goslar geklagt haben, ist das ein bemerkenswerter
Wandel, der eher Anlass zum Nachdenken gibt. Es gab
nämlich auch Politiker aus Ihrer Fraktion, die einst vor
deutschen Sonderwegen gewarnt haben. Zwar ist jeder
Vergleich verwegen und die Situationen unterscheiden
sich gänzlich,
({4})
aber Sie haben damals auf eines gepocht: auf europäische Verantwortung.
({5})
Bei diesem Mandat haben Sie einen Beschluss des
Europäischen Rates, wonach die EU eine führende Rolle
spielen soll. Zudem war die Führungsstruktur innerhalb
der Vereinten Nationen nie europäischer als jetzt. Definiert sich Verantwortung derartig schnell neu? Ich
meine, wenn man über europäische Verantwortung redet,
sollte man solche Gesichtspunkte entsprechend in die
Argumentation mit einfließen lassen.
({6})
Die politische Komponente, die genannt wurde, ist
ohne Frage essenziell und darf sich auch nicht in Lippenbekenntnissen erschöpfen. Wahrscheinlich ist in der Region auch ein exponentiell höherer Grad an Kreativität,
Konsultationen, Gesprächen und ähnlichen Anstrengungen zu leisten als in den letzten Jahrzehnten. Stichworte
wie die Revitalisierung des Quartetts, der Road Map, die
Einbindung der Nachbarstaaten, vielleicht auch die Ausarbeitung im weiteren Kontext und die Verknüpfung mit
der so genannten neuen Ostpolitik wurden bereits genannt.
Sie haben Fragen aufgeworfen, Herr Hoyer, die auch
für uns bedenkenswert sind. Die Frage, ob man in diesem Konflikt neutral sein kann, hat auch Herr Gysi angesprochen. Ich persönlich sage: mit Sicherheit nicht. Allerdings muss man aufpassen; denn der Begriff dient
mittlerweile der gezielten Irreführung. Man wird sich
entscheiden müssen, aber nicht nur zwischen zwei Seiten. Denn es gibt in diesem Fall noch eine dritte Seite,
nämlich das internationale Recht. Dabei liegen Sie dann
plötzlich richtig. Auf der Seite des internationalen
Rechts fühle ich mich gottlob nicht neutral. In diesem
Sinne ist das Vorbringen des Neutralitätsarguments
eher verwegen. Was ist denn die genannte Alternative
bzw. die Konsequenz einer postulierten Neutralität von
Ihrer Seite? Sollen wir beiseite stehen? Den Eindruck
hatte ich nicht, als ich Ihre Ausführungen verfolgt habe.
Allerdings Anerkennung durch de facto Wirkungslosigkeit, eine gewisse Ideenlosigkeit und Impulslosigkeit,
das ist eine Haltung, die zumindest Ihrem eigenen
außenpolitischen Verantwortungsbewusstsein, das ich
über Jahre bei Ihnen feststellen durfte, nicht entspricht.
({7})
Internationales Recht ist eine Grundlage, die uns in der
Form nicht neutral macht. Über Neutralität zwischen den
beiden Seiten kann man lang sprechen. Wenn wir aber
die Neutralitätsfrage auf das internationale Recht übertragen, dann sind wir auf dem Irrweg.
Herr Hoyer, das führt uns zur nächsten Frage: Werden
wir zur Konfliktpartei? Im Rahmen des internationalen
Rechts werden wir nicht zur Konfliktpartei - darauf haben schon andere hingewiesen - oder - anders gesprochen - wenn überhaupt, wird die gesamte internationale
Gemeinschaft zur Konfliktpartei. Das ist ein interessantes Argument. Womit stärkt man aber letztlich die internationale Gemeinschaft - das ist ein Interesse, das wir
alle teilen -, insbesondere die von vielen fast tränenblind-nostalgisch gesehenen Vereinten Nationen? Mit
Sicherheit nicht durch ein derartiges Verhalten! So werden Sie keine Stärkung erreichen, ganz zu schweigen
von der Überzeugungskraft und der Durchsetzbarkeit
unserer Interessen, wenn es um die Reform der Institutionen innerhalb der Vereinten Nationen geht.
Herr Niebel, Sie haben ständig darauf hingewiesen,
die Bundesrepublik könne ihren Ruf als anerkannter Verhandlungspartner im Nahen Osten verlieren. Ein potenzieller Verhandlungspartner, der sich der internationalen
Gemeinschaft mit fahrigen Gründen entzieht, wird es allerdings schwer haben, das Attribut „Anerkennung“ aufrechtzuerhalten. Das wird kaum gelingen.
({8})
Die letzte Fragestellung betrifft die historische Dimension. Das ist wahrscheinlich die schwierigste, aber eine,
die in meinen Augen mit ganz besonderer Sorgfalt an der
Anfrage Ehud Olmerts zu messen ist, genauso wie an der
Libanons. Das Begriffspaar „moralische Verpflichtung“,
das heute einige Male gefallen ist, ist damit auf eine andere, nicht unbedingt niedrigere Ebene gerückt. Die Interessen wurden nahezu erschöpfend aufgezählt. Es wäre
müßig, sie zu wiederholen. Aber es lohnt sich, zu wiederholen: Wir haben kein Interesse daran, von Partnern
und solchen, die uns bewusst nicht als Verbündete sehen,
lediglich als irrlichternde außenpolitische Populisten
wahrgenommen zu werden.
Vielen Dank.
({9})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung des Antrags
der Bundesregierung auf Drucksache 16/2572 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Entschließungsanträge auf den Drucksachen 16/2611, 16/2609, 16/2605 und 16/2610 sollen
an dieselben Ausschüsse überwiesen werden, jedoch
nicht an den Haushaltsausschuss. Sind Sie damit einverstanden? - Das scheint der Fall zu sein. Dann sind die
Überweisungen so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Mittwoch, den 20. September
2006, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.