Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sitzung ist eröffnet.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene
Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufge-
führten Punkte zu erweitern:
1 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung einer
„Bundesstiftung Baukultur“
- Drucksachen 16/1945, 16/1990 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({0})
Innenausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Hüseyin-Kenan Aydin, Dr. Diether Dehm, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Dauergenehmigungen für Militärflüge aufheben
- Drucksache 16/857 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({1})
Innenausschuss
Verteidigungsausschuss
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Beck
({2}), Irmingard Schewe-Gerigk, Marieluise Beck ({3}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Meinungs- und Versammlungsfreiheit für Lesben und
Schwule in ganz Europa durchsetzen
- Drucksache 16/1667 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ({4})
Innenausschuss
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Jelpke, Sevim Dagdelen, Monika Knoche, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der LINKEN
Flüchtlingen aus Nahost Schutz bieten
- Drucksache 16/2341 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ({5})
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Lukrezia
Jochimsen, Katja Kipping, Dr. Petra Sitte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Bundespolitik soll im Streit um die Waldschlösschenbrücke vermitteln
- Drucksache 16/2499 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien ({6})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Gesine
Lötzsch, Petra Pau, Dr. Hakki Keskin, Dr. Gregor Gysi
und der Fraktion der LINKEN
Fertigstellung des Mauerparks im Bereich der ehema-
ligen innerstädtischen Grenze in Berlin
- Drucksache 16/2508 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike Höfken,
Rainder Steenblock, Matthias Berninger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN
Forderung der EU nach Transparenz bei Subventionen im Agrarbereich vollständig umsetzen und die
Neuausrichtung der Förderung vorbereiten
- Drucksache 16/2518 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union ({7})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
2 Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten
Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes
- Drucksache 16/2455 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({8})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Redetext
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter Bleser, Ursula
Heinen, Klaus Brähmig, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Mechthild Rawert, Waltraud Wolff ({9}), Ulrich Kelber, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Die weltweit letzten 100 westpazifischen Grauwale schützen
- Drucksache 16/2510 Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, soweit
erforderlich, abgewichen werden.
Außerdem mache ich auf eine nachträgliche Ausschussüberweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:
Der in der 43. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich
dem Finanzausschuss ({10}) zur Mitberatung
überwiesen werden.
Zweites Gesetz der Bundesregierung zur
Änderung des Gesetzes zur Verbesserung der
personellen Struktur beim Bundeseisenbahnvermögen und in den Unternehmen der Deutschen Bundespost
- Drucksache 16/1938 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({11})
Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall.
Dann ist das so beschlossen.
Wir setzen die Haushaltsberatungen - Tagesord-
nungspunkt 1 - fort:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2007
({12})
- Drucksache 16/2300 -
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 2006 bis 2010
- Drucksache 16/2301 Ich erinnere daran, dass wir am Dienstag für die heutige Aussprache insgesamt elf Stunden beschlossen haben.
({13})
Wir beginnen die heutigen Haushaltsberatungen mit
dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für
Arbeit und Soziales, Einzelplan 11. Zur Eröffnung erteile ich das Wort dem Herrn Bundesminister Müntefering.
Herr Müntefering, wenn Sie wegen Ihrer gegenwärtigen Geh- und Stehbehinderung vom Platz aus reden
möchten, dann ist es Ihnen unbenommen. - Bitte schön.
({14})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
bedanke mich für die Möglichkeit, von meinem Platz
aus zu sprechen. Gott sei Dank bin ich auf den Fuß und
nicht auf den Kopf gefallen.
({0})
Das Reden werde ich schon hinbekommen.
({1})
In den letzten Tagen haben die Bundeskanzlerin und
der Finanzminister die großen Linien der Politik erläutert. Es bleibt dabei: Wir wollen den Haushalt konsolidieren. Dazu muss auch dieser Einzelplan seinen Teil
beitragen. Wir wollen, dass Arbeitslosigkeit reduziert
wird; da sind wir auf einem guten Weg. Wir wollen, dass
unsere Sozialsysteme stabilisiert werden. Wir sind 2006
dabei, ein gutes Stück voranzukommen. Der Haushaltsentwurf für das Jahr 2007 eröffnet die Möglichkeit, diesen Weg im Jahr 2007 weiterzugehen.
Im Jahr 2006 - das wurde schon gesagt - ist die Zahl
der Arbeitslosen zurückgegangen. Die Beitragseinnahmen der Arbeitslosenversicherung und übrigens auch der
Rentenversicherung sind gestiegen. Das ist ein Zeichen
dafür, dass sich am Arbeitsmarkt einiges tut. Nicht nur
im Bereich des Arbeitslosengeldes I, sondern auch im
Bereich des Arbeitslosengeldes II sind die ersten positiven Signale vorhanden. Die Tatarenmeldungen von vor
acht bis zwölf Wochen über die Kosten im Bereich des
Arbeitslosengeldes II werden sich nicht so erfüllen, wie
es damals von manchen befürchtet worden ist. Dies ist
eine gute Tendenz. Diesen Weg wollen wir auch im
nächsten Jahr weitergehen.
Es gibt eine Sorge, die wir alle miteinander haben,
nämlich die, ob es für die jungen Menschen in unserem
Land im Herbst hinreichend viele Ausbildungsplätze
gibt. Wir haben in den letzten Wochen gemeinsam mit
der Wirtschaft, mit großen und kleinen Unternehmen sowie mit dem Handwerk, versucht, zusätzliche Ausbildungsplätze zu schaffen. Die Situation ist noch nicht befriedigend. Deshalb müssen wir Druck machen und allen
klar machen - das ist ganz wichtig -, dass die jungen
Menschen, wenn sie aus der Schule kommen, eine
Chance haben müssen, einen Ausbildungsplatz zu finden.
Die Bundesagentur für Arbeit sorgt im Moment dafür,
dass es für 5 000 junge Menschen aus Familien mit Migrationshintergrund zusätzliche außerbetriebliche Ausbildungsplätze gibt. Denn diese haben es besonders
schwer am Arbeitsmarkt. Möglicherweise werden es
mehr als 5 000 sein, die hier in besonderer Weise gefördert werden. 14 000 Ausbildungsplätze für OstdeutschBundesminister Franz Müntefering
land werden vom Ministerium der Kollegin Schavan finanziert.
Die Bundesagentur hat eine Förderquote von
42 000 bis 43 000 außerbetrieblichen Ausbildungsplätzen und die Argen haben eine solche von 3 000 bis
4 000. Das Unterteilen des Arbeitsmarktes in die Bereiche Arbeitslosengeld I und Arbeitslosengeld II hat auch
dazu geführt, dass in dem Bereich der Argen die Zahl
der Ausbildungsplätze und die Zahl der Vermittlungen
gegenüber dem früheren Engagement der BA abgenommen haben. Deshalb müssen wir an dieser Stelle noch
einmal Druck machen.
({2})
Ich möchte Sie heute darüber informieren, dass ich
veranlasse, dass die Zahl der Plätze im Bereich EQJ
- das ist die Einstiegsqualifizierung für Jugendliche zum 1. Oktober von 25 000 auf 40 000 angehoben wird.
Das sind noch einmal 15 000 Jugendliche mehr, die eine
Chance bekommen, in diesem Jahr in diese Qualifizierung hineinzukommen. Das, finde ich, ist eine richtige
und wichtige Entscheidung.
({3})
Das gibt unser Haushalt her. Das hat auch etwas mit der
Entwicklung des Jahres zu tun. Die Kosten kommen ab
1. Oktober auf uns zu. Wir werden das Angebot der
40 000 EQJ-Plätze bis zum Jahre 2007 weiterführen,
möglichst auch darüber hinaus, damit die Jugendlichen
sich auch darauf einstellen können.
Diese Plätze richten sich besonders an solche Jugendliche, die es schwer haben, aufgenommen zu werden. Sie
machen eine Art Praktikum und bekommen dafür knapp
200 Euro Bundesmittel, gewissermaßen als Ausbildungsvergütung, und wir zahlen Sozialversicherungsbeiträge für diese jungen Menschen.
60 Prozent von ihnen sind im letzten Jahr nach einem
halben Jahr in eine ordentliche Ausbildung übernommen
worden. Das ist eine gute Quote. Den Weg wollen wir
weitergehen.
({4})
Diese 40 000 sind meiner Meinung nach eine gute Zahl
für den Ausbildungsmarkt insgesamt.
Ich möchte hier ankündigen, dass wir uns neben der
Notwendigkeit, dass wir uns Gedanken über die jungen
Menschen machen, die aus der Hauptschule kommen,
auch Gedanken darüber machen müssen, was mit denjenigen passiert, die beispielsweise von der Hochschule
kommen. Ich sehe mit großer Sorge - das wird zurzeit
recherchiert -, dass eine Art Praktikamethode um sich
greift, die nicht toleriert werden kann. Darum müssen
wir uns kümmern.
({5})
Praktika im klassischen Sinne des Wortes sind sinnvoll, wenn junge Menschen für kurze Zeit die Chance
haben, sich in einen Beruf hineinzulernen und hineinzudenken. Wenn aber manche Unternehmen - längst nicht
alle, Gott sei Dank! -, diese Möglichkeit nutzen, um
Vollzeitarbeit, die es bei ihnen gibt, von Menschen erledigen zu lassen, die man Hospitanten, Volontäre oder
Praktikanten nennt, und ihnen kein Geld dafür gibt, dann
ist das nicht in Ordnung. Das müssen wir nötigenfalls
noch etwas nachdrücklicher erklären, als es bisher in unseren Gesetzen steht.
({6})
Es gibt erfreulicherweise einen Zusammenschluss von
300 namhaften Firmen in Deutschland, die das erkannt
und zugesagt haben, dass sie das ganz fair handhaben
wollen. Mit denen zusammen möchten wir eine Organisation schaffen, damit klar wird, dass diese Entwicklung
bei den Praktika, die nicht richtig ist, aufhört und dass
wir da zu ordentlichen Ergebnissen kommen. Die jungen
Leute, die von der Hochschule kommen, dürfen an der
Stelle nicht „missbraucht“ werden, sondern müssen eine
ehrliche Chance bekommen. Unternehmen, die Arbeit
haben, sollen die Leute einstellen, ihnen Geld bezahlen
- einen ordentlichen Lohn geben - und sollen sie nicht
missbrauchen auf so genannten Praktikaplätzen.
({7})
In den vergangenen Tagen haben wir es schon gehört:
Wir wollen dadurch noch einmal Druck machen, dass
wir einen Teil der Mittel aus dem 25-Milliarden-Programm für die energetische Gebäudesanierung vorziehen. Die Anträge für das Jahr 2006 sind längst gestellt
und genehmigt. Nun wollen wir dafür sorgen, dass es da
keinen Abbruch gibt. Die energetische Gebäudesanierung bleibt auch angesichts der Energiekosten, die wir
haben, hoch interessant.
Ich würde es sehr begrüßen, wenn Bund, Länder und
Gemeinden sich noch einmal zusammensetzen und auch
die öffentlichen Gebäude in eine solche Aktion einbeziehen würden. Das wäre eine wirklich gute Sache für Ende
dieses Jahres, Anfang nächsten Jahres.
Öffentliche Investitionen können natürlich längst
nicht alles, was man für die Konjunktur tun muss, leisten. Aber wir haben in Deutschland Arbeit. Wir leben an
verschiedenen Stellen von der Substanz, auch was die
Gebäude angeht. Wenn Bund, Länder und Gemeinden
gemeinsam darangehen, sehr schnell die energetische
Gebäudesanierung und die Modernisierung von Kindergärten, Schulen, Hochschulen und öffentlichen Gebäuden zu forcieren, dann ist das auch noch einmal ein zusätzliches Angebot für das Handwerk in Deutschland
und für die Schaffung von Arbeitsplätzen. Den Weg
müssen wir weitergehen. Es ist doppelt sinnvoll, dass
wir das vorantreiben.
({8})
Im Januar werden die Arbeitslosenversicherungsbeiträge von 6,5 Prozent auf 4,5 Prozent sinken. Das
wurde in den letzten Tagen intensiv diskutiert, vor allen
Dingen vor dem Hintergrund, dass die Bundesagentur
uns einen erfreulichen Überschuss für dieses Jahr meldet. Ich bin dafür, dass wir damit ganz nüchtern umgehen. Wenn dauerhaft ein weiterer Überschuss bei der
Agentur gesichert ist, dann bin ich dafür, dass man die
Beiträge weiter senkt.
({9})
Ich bitte aber, das Wort „wenn“ mitzuhören. Ich möchte
eine mittelfristige Finanzplanung der BA bis zum Jahre
2010 haben. Ich möchte nicht, dass wir im Verlauf der
Legislaturperiode, im Jahre 2008 oder im Jahre 2009, einen neuen Zuschuss des Bundes geben müssen, weil
dann kein Überschuss mehr da ist. Das will ich bitte geklärt haben, ehe wir mal schnell daran gehen, Geld auszugeben. Es ist auch, glaube ich, solide, dass wir das in
dieser Weise machen.
({10})
Ich habe erste Berechnungen dazu gesehen; da war
das keineswegs selbstverständlich. Man muss berücksichtigen, dass 3,1 Milliarden Euro des Überschusses der
Agentur aus dem Einmalvorgang der 13. Zahlung resultieren. Wir haben die Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge vom 1. auf den 30. oder 31. eines Monats umgestellt. Deshalb gibt es in diesem Jahr 13 Zahlungen.
Dieser Überschuss wird im nächsten Jahr fehlen. Deshalb muss man im Umgang mit diesen Mitteln vorsichtig
sein.
Aber: Da soll nichts weggenommen werden. Wenngleich diese etwas überhöhte Debatte der letzten Tage
darüber, wem das Geld eigentlich gehört, vielleicht doch
noch einmal vor folgendem Hintergrund gesehen werden
muss: Seit 1988 - die Kanzlerin hat es gestern auch gesagt - hat die Agentur jedes Jahr einen Zuschuss gebraucht.
({11})
- Herr Niebel, seit Sie weg sind, ist es etwas besser geworden.
({12})
Das bestätigen alle. Vielleicht hat es ja etwas mit Ihnen
zu tun, dass der Überschuss jetzt aufgetreten ist.
In den letzten zehn Jahren hat die Agentur Zuschüsse
in Höhe von 38,8 Milliarden Euro gebraucht, im Schnitt
also etwa 4 Milliarden Euro pro Jahr. In diesem Jahr hat
sie keinen gebraucht. Jetzt macht man sich groß und fordert: Dieses Geld muss sofort zurückgegeben werden.
Dazu sage ich: Vorsicht, wir sollten an dieser Stelle ehrlich miteinander umgehen.
Die Initiative „50 plus“ führen wir fort. In diesem
Herbst werden wir auch im Parlament und in den Fraktionen intensiv darüber sprechen. Ich glaube, dass wir
auf diesem Gebiet eine gute Entwicklung haben. Ziel der
Koalition ist es, dass im Jahre 2010 50 Prozent derer, die
55 Jahre und älter sind, in Deutschland noch in Beschäftigung sind.
({13})
Ihr Anteil liegt zurzeit bei 45,4 Prozent. Diese Zahl müssen wir langsam aber sicher erhöhen, und zwar nicht nur,
weil das im Rahmen der Lissabonstrategie so beschlossen wurde, sondern auch, weil das sinnvoll ist und wir
diese Altersklasse in besonderer Weise brauchen.
Wir werden uns im nächsten Jahr um das Thema der
zusätzlichen Altersvorsorge zu kümmern haben. Herr
Brüderle hat mit dem, was er gestern dazu erzählt hat,
seine völlige Unkenntnis zum Ausdruck gebracht.
({14})
Sie können ihm mitteilen: Bei der Altersvorsorge
läuft es gut. Die betriebliche Altersvorsorge und die
Riesterrente gewinnen. Hunderttausende kommen hinzu
- im letzten Jahr 1,2 bis 1,5 Millionen Menschen -, die
jetzt auch nach Riester sparen.
In Deutschland muss ein Bewusstsein dafür entstehen, dass neben die gesetzliche Rente ein privates Rentensparen treten muss. Das muss selbstverständlich werden. Wir müssen das staatlicherseits unterstützen. Die
Riesterrente unterstützen wir beispielsweise dadurch,
dass wir einen erhöhten Kinderzuschlag in Höhe von
300 Euro zahlen und das Bauen oder Kaufen von
Wohneigentum in die Riesterrente einschließen; denn
ein Eigenheim bzw. eine Wohnung ist ein Gut, das man
im Rahmen der Altersvorsorge gut gebrauchen kann. Altersvorsorge muss im Laufe dieser Legislaturperiode zu
einer festen Größe in den Köpfen der Menschen werden.
Wer in Deutschland in den Beruf geht, muss eigentlich
gleichzeitig mit privater Altersvorsorge beginnen.
In diesem Zusammenhang appelliere ich an die Tarifparteien, dafür zu sorgen, dass dieses Thema in die Tarifverhandlungen einbezogen wird.
({15})
Der letzte Metall-Tarifvertrag ist da sehr gut. Da haben
die Unternehmen und die Arbeitnehmer Regelungen gefunden, die alle Arbeitnehmer einschließen. Wenn uns
das flächendeckend gelingt, muss man nicht mehr darüber sprechen, ob die Riesterrente obligatorisch sein
sollte. Wenn man das im Rahmen der Tarifverträge regelt, sind auch die niedrigen Einkommensgruppen einbezogen sowie diejenigen, die aus eigenem Impuls heraus keinen Vertrag über eine Riesterrente abschließen
würden. Dieses Moment der privaten Altersvorsorge
wird uns im nächsten Jahr noch intensiv beschäftigen.
In den nächsten Wochen werden wir im Rahmen der
Debatte über die Rentenreform über die Anhebung des
Renteneintrittsalters von 65 auf 67 Jahre sprechen.
Das ist zu präzisieren. Wir müssen das Gesetz erarbeiten. Anfang nächsten Jahres werden wir die entsprechenden Beschlüsse zu fassen haben. Darüber wird es sicher
noch hinlängliche Diskussionen geben. Ich bin aber sicher, dass wir auf einem vernünftigen Weg sind. Bisher
konnte man in Deutschland zwischen 60 und 65 Jahren
in Rente gehen. Wenn man früher ging, musste man natürlich einen Abschlag hinnehmen. Dieses Fenster werden wir auf das Alter zwischen 62 und 67 Jahren vergrößern. Wer früher geht, muss weiterhin einen Abschlag
hinnehmen. Angesichts der Tatsache, dass die Menschen
länger leben, und das relativ gesund, dass die jungen
Leute später in die Jobs gehen als meine Generation, ist
es, so glaube ich, gerechtfertigt zu sagen, dass wir diese
Veränderung bei der gesetzlichen Altersrente Schritt für
Schritt bis zum Jahr 2029 durchsetzen wollen.
({16})
In den vergangenen Wochen ist darüber spekuliert
worden, ob die Renten erhöht werden können. Auch bei
diesem Thema empfehle ich Vorsicht. Die Höhe der
Rentenversicherungsbeiträge, die eingehen, sagt nichts
über mögliche Rentenerhöhungen aus. Rentenerhöhungen sind an die Entwicklung der Löhne und Gehälter gebunden. Im Moment sind die Zahlen, die ich dazu bekomme, hochambivalent; anders kann man das nicht
nennen. Denn ob es aufgrund der Arbeitsplätze, die es in
diesem Jahr zusätzlich gibt, zu einer höheren Lohnsumme kommt und um wie viel die Löhne eigentlich
steigen, wird man erst sehen, wenn man ein Stück weiter
ist. Deshalb empfehle ich an dieser Stelle Vorsicht.
Ich sage aber den Rentnerinnen und Rentnern in
Deutschland: Wenn es nach den geltenden Gesetzen,
also ausgerichtet an der Entwicklung der Löhne und Gehälter, Möglichkeiten zur Rentenerhöhung gibt, werden
wir sie natürlich nutzen. Wir werden die Karte des Nachholfaktors nicht vor dem Jahre 2010 ziehen. Wenn es die
Chance zur Rentenerhöhung gibt, werden wir die Renten
erhöhen; ob es möglich ist, wird man sehen. Auch wenn
Zeitungen mit ganz großen Buchstaben schön lange Tabellen dazu drucken und anschließend schreiben, ich
würde mich weigern, den Menschen die Rente zu geben,
dann sage ich hier - die offene Debatte muss ich bestehen; das weiß ich -: Es gibt ein Gesetz, und wenn laut
Gesetz die Renten erhöht werden müssen, dann werden
sie erhöht, und wenn nicht, dann in diesem Jahr noch
nicht. Die Karte des Nachholfaktors werden wir jedenfalls nicht ziehen. Das sollten die Menschen bei uns im
Land wissen.
({17})
Es gab in den letzten Tagen den Rat - es soll angeblich ein sachverständiger Rat sein -, dass man die
345 Euro Hartz IV bzw. das Arbeitslosengeld II kürzen
soll. Ich weise darauf hin, dass das Kabinett am 23. August dieses Jahres beschlossen hat, dass wir auf der
Grundlage der EVS, der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe, bei der Sozialhilfe in Höhe von 345 Euro
bleiben. Das werden Bundestag und Bundesrat noch zu
beschließen haben.
Diese Entscheidung zur Sozialhilfe ist keine Daumenpeilung, keine Willkür, sondern gründet auf der Erfahrung der vergangenen Jahre. Es wird nichts gekürzt
- es kann gar nichts gekürzt werden -, und da die Sozialhilfe die Referenzgröße für das Arbeitslosengeld II ist,
sehe ich auch nicht, wie man beim Arbeitslosengeld II
unter das Existenzminimum gehen könnte. Der Irrtum
dessen, was da als sachverständig kommt, ist: Wenn man
eine Kürzung um 30 Prozent vornehmen würde und den
Menschen, denen die Zahlungen gekürzt werden, sagen
würde, sie könnten dafür arbeiten, betrifft das nur
350 000 Personen - das schätzen die Sachverständigen
selbst -, aber nicht die anderen 4 Millionen. Wir können
nicht 4 Millionen Menschen sagen, dass wir um 30 Prozent kürzen, aber nicht wissen, wo sie zusätzliches Geld
durch Arbeit herbekommen können. Deshalb finde ich,
dass wir in dieser Frage eine klare Antwort geben müssen.
({18})
Wir werden in diesem Herbst eine intensive Debatte
über den Niedriglohnbereich führen. Dazu wird es
- das ist im Kabinett so vereinbart worden - Anhörungen unter der Leitung meines Hauses geben, und zwar
zum Kombilohn, zum Mindestlohn, zum Zuverdienst,
zum dritten Arbeitsmarkt und zur Effizienzverbesserung
der Umsetzung im Bereich des Arbeitslosengeldes II.
Das sind die fünf großen Themen, die behandelt werden
müssen. Die Fraktionen wurden dazu angeschrieben.
Wir werden Ende September mit diesen Beratungen beginnen.
Etwa 15 bis 20 Prozent der Menschen bei uns im
Land arbeiten im Niedriglohnbereich. Das heißt, sie erhalten einen Lohn, der unterhalb der Grenze liegt, die
aus unserer Sicht akzeptabel ist. Wir müssen uns mit diesem Thema beschäftigen. Ich weiß, dass es dazu viele
Fragezeichen gibt. Ich meine aber, dass wir eine offene
und klare Debatte darüber führen sollten. Denn es ist
zweifellos so, dass viele Menschen bei uns im Land die
Erfahrung machen: Oben ist der Deckel drauf, der freie
Fall nach unten ist eröffnet. Löhne in Höhe von 4 Euro,
3,50 Euro und 3 Euro pro Stunde - auch die habe ich gesehen - sind aus meiner Sicht sittenwidrig. Deshalb
muss man als Politiker etwas dazu sagen und versuchen,
es zu ändern.
({19})
Ich will abschließend ein Wort zu unserer europäischen Aufgabe sagen. Ich war Anfang der Woche bei einer ASEM-Konferenz. Dort tagten Arbeitsminister aus
dem asiatischen und dem europäischen Raum. Wir werden natürlich während unserer europäischen Präsidentschaft im nächsten Jahr von Deutschland aus ganz besonders auf die soziale Dimension Europas zu achten
haben. Wer die Zustimmung zu Europa haben will - das
kann man aus den Abstimmungen in Frankreich und in
den Niederlanden lernen; Abstimmungen, die wir nicht
bestehen mussten -, muss erreichen, dass die Menschen
wieder das feste Gefühl haben können, dass Europa sich
für sie lohnt, dass Europa so, wie es sich aufstellt, eine
soziale Dimension hat. Diese Aufgabe müssen wir uns
vornehmen. Wer Europa gut will, muss wollen, dass
Europa den Menschen vermitteln kann, dass es mehr ist
als eine Idee von Wettbewerb und Markt, dass es auch
eine Idee des Zusammenlebens und der sozialen Dimension der Gesellschaften ist.
({20})
Wenn uns das im nächsten Jahr gelingt - damit werden
wir uns auch im Rahmen der G 8 beschäftigen müssen -,
dann haben wir, glaube ich, unseren Teil dazu beigetragen, dass Deutschland und Europa insgesamt einen guten Weg nehmen.
Ich bin für das Jahr 2007 ganz zuversichtlich, dass
wir auf der Grundlage des vorliegenden Entwurfs einen
guten Weg gehen können. Alle Spötter sind schon ein
bisschen leiser geworden. Als ich in den vergangenen
Tagen die Oppositionsreihen beobachtet habe, habe ich
zunehmend das Gefühl bekommen, dass Ihnen das Pulver ausgeht
({21})
- das war heute Morgen Ihre erste Reaktion -, weil Sie
genau merken, dass wir Recht haben. Wir haben in diesem Jahr, im Jahr 2006, mit unserer Politik des Anstoßens bzw. der Impulsgebung am Arbeitsmarkt und den
daraus folgenden Konsequenzen einen Weg begonnen,
der die Chance eröffnet, aus der Sparkurve herauszukommen und das zu erreichen, was wir wollen; einen soliden Haushalt, Arbeitslosigkeit runter und stabile Sozialsysteme. Wir sind auf dem richtigen Weg.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({22})
Für die folgenden Redner gilt natürlich, dass sie wieder vom Rednerpult aus sprechen.
({0})
Als nächste Rednerin hat die Kollegin Dr. Claudia
Winterstein von der FDP-Fraktion das Wort.
({1})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr verehrter Herr Minister, über die Haushaltsrisiken
haben Sie verständlicherweise nicht gesprochen. Deswegen will ich das an dieser Stelle tun. Ihre Haushaltsplanung für das Jahr 2007 erweist sich nämlich erneut als
unsolide. Ihr Haushaltsentwurf ist eine Quelle massiver
Haushaltsrisiken. Das galt für den Haushalt des Jahres
2006 und das gilt auch für Ihren Haushaltsentwurf 2007.
Wohin man schaut, drohen Haushaltslöcher.
Ich beginne mit dem schlimmsten Fehler, den Sie machen. Die Kosten für das Arbeitslosengeld II sind im
Haushaltentwurf für das Jahr 2007 wieder zu gering angesetzt. Das hat nun schon Methode. 2005 haben 10 Milliarden Euro gefehlt und 2006 werden statt 24,4 Milliarden Euro wahrscheinlich 27 Milliarden Euro gebraucht.
Dennoch setzen Sie für 2007 lediglich 21,4 Milliarden
Euro an. Sie lügen sich in die Tasche. Denn die Zahl der
Leistungsempfänger ist 2006 ebenso wie 2005 ständig
gestiegen. Bisher gibt es keine Anzeichen für eine
Trendwende. Hier liegt das größte Haushaltsrisiko Ihres
Etatentwurfs.
Es droht ein Haushaltsloch von etwa 3,5 Milliarden
Euro. Wenn sich das nur zur Hälfte bewahrheitet, dann
ist der Haushalt 2007 erneut verfassungswidrig.
({0})
Denn nach dem Haushaltsplan liegen die Investitionen
um gerade einmal 1,5 Milliarden Euro über der Neuverschuldung. Dringend nötig sind deshalb weitere Reformen bei Hartz IV. Die Koalition aber schiebt diese Debatte schon seit Monaten vor sich her. Die Union spricht
von einer Generalrevision, die SPD nur von Nachbesserungen. Tatsächlich aber geschieht nichts.
({1})
Von dem angekündigten Gesamtkonzept zu den Themen Kombilohn, Mindestlohn und Hartz IV ist bisher
nicht einmal ein grober Rahmen zu erkennen.
({2})
Die Koalition ist uneinig und hilflos.
({3})
Nächster kritischer Punkt: die Beteiligung des Bundes
an den Unterkunftskosten der Empfänger des Arbeitslosengeldes II. 2006 hat der Bund hierfür nach großem
Streit 3,9 Milliarden Euro gezahlt. Das war erheblich
mehr als das, was nach den Berechnungen der Bundesregierung notwendig und berechtigt gewesen wäre. Diesen
Frieden haben Sie sich teuer erkauft. Jetzt holt Sie dieses
Problem in voller Schärfe ein: Auf der einen Seite stehen
die Länder, die 2007 ganze 5,5 Milliarden Euro haben
wollen, auf der anderen Seite steht die Bundesregierung,
die im Haushaltsentwurf 2007 lediglich 2 Milliarden
Euro eingeplant hat. Hier droht wiederum ein milliardenschweres Haushaltsloch.
({4})
Für die FDP will ich klar sagen: Es darf nicht sein, dass
sich der Bund noch einmal in der Weise über den Tisch
ziehen lässt, wie es 2006 der Fall war.
({5})
Ein weiterer kritischer Punkt: der Aussteuerungsbetrag. Der Bund verlangt von der Bundesagentur für
Arbeit eine Strafzahlung in Höhe von 10 000 Euro für
jeden Arbeitslosen, der vom Arbeitslosengeld I in das
Arbeitslosengeld II wechselt. Dieser Aussteuerungsbetrag wird im Haushaltsentwurf für das Jahr 2007 mit
5,1 Milliarden Euro und damit um 1,1 Milliarden Euro
höher als im Haushalt 2006 angesetzt. Das schafft wiederum ein Haushaltsrisiko; denn in diesem Jahr musste
der erwartete Wert bereits von 5 auf 4 Milliarden Euro
korrigiert werden. Damit liegt er wahrscheinlich immer
noch zu hoch: Man geht mittlerweile eher von 3,7 Milliarden Euro aus. Sie lügen sich also wieder in die TaDr. Claudia Winterstein
sche. Wo bleiben denn hier Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit, Herr Müntefering?
({6})
Es geht hier aber auch um ein grundsätzliches Problem: Mit dem Aussteuerungsbetrag bereichert sich der
Bund unzulässig aus Beitragsgeldern.
({7})
Forderungen, den Aussteuerungsbeitrag auch noch zu
erhöhen, lehnt die FDP deshalb eindeutig ab, ebenso wie
andere Ideen, Beitragsgelder einfach in den Bundeshaushalt umzuleiten.
Damit meine ich zum Beispiel die Debatte über die
Verwendung der Überschüsse der Bundesagentur.
({8})
Diese Gelder dürfen nicht zur Haushaltskonsolidierung
genutzt werden. Die Bundesagentur hat völlig Recht,
wenn sie hier mit Klage droht. Die Mittel der Bundesagentur stammen aus den Beiträgen der Versicherten und
der Arbeitgeber. Von diesem Geld hat der Bund die Finger zu lassen!
({9})
Wenn die Bundesagentur Überschüsse erwirtschaftet,
müssen diese Mittel den Beitragszahlern zurückgegeben
werden, also muss der Beitragssatz gesenkt werden, um
so Arbeitgeber und Arbeitnehmer direkt zu entlasten.
Nun hat die Bundesagentur für 2006 einen Überschuss von etwa 9 Milliarden Euro zu erwarten. Mit diesem Polster kann sie für 2007 die Senkung des Beitrags
zur Arbeitslosenversicherung von 6,5 auf 4,5 Prozent
absichern. Ein Großteil dieses Überschusses fließt also
richtigerweise in die Senkung des Beitragssatzes. Aus
der Sicht der FDP muss das aber für den gesamten Überschuss gelten. Er muss für die Senkung des Beitragssatzes genutzt werden, für nichts anderes.
({10})
Leider wird das in der Koalition nicht mit der notwendigen Klarheit gesehen. Der Kollege Schneider von der
SPD zum Beispiel hat bei der Veröffentlichung der
neuen Zahlen gleich erklärt, es käme jetzt darauf an, diesen Überschuss der Bundesagentur in den Bundeshaushalt zu überführen. Herr Schneider, auch als Haushälter
dürfen Sie sich nicht so weit vergessen, Beitragsmittel
einfach in die Taschen des Staates umzuleiten.
({11})
Nächster Punkt: Arbeitsmarkt. Die Zahlen sind ein
wenig besser geworden - das freut uns alle -, allerdings
fürchten die Sachverständigen, dass diese erfreuliche
Entwicklung gleich im nächsten Jahr durch Mehrwertsteuererhöhung und Konjunktureinbruch wieder gestoppt wird. Jedenfalls sind die leichten Verbesserungen
kein Grund, sich auszuruhen. Wo sind also die notwendigen Reformen des Arbeitsmarktes? Fehlanzeige, in jeder Hinsicht! Die große Koalition glänzt hier durch
Nichtstun.
Beim Kündigungsschutz distanziert sich die Koalition inzwischen sogar von ihrem eigenen Koalitionsvertrag: Die SPD will ohnehin überhaupt keine Reform, und
die Union hat inzwischen eingesehen, dass das, was im
Koalitionsvertrag steht, weniger statt mehr Flexibilität
bringen würde, und will diese Verschlimmbesserung nun
auch nicht mehr.
Stattdessen gerät die Regierung immer weiter auf die
schiefe Bahn einer Debatte über einen generellen Mindestlohn. Gerade hat das Kabinett die Ausweitung des
Entsendegesetzes auf die Gebäudereiniger beschlossen.
Der nächste Versuch, das Entsendegesetz auszuweiten,
wird sicher nicht lange auf sich warten lassen. Minister
Müntefering hat seine Zielrichtung ja ganz offen präsentiert. Er hat gesagt:
Da muss man jetzt versuchen, das Feld Zug um Zug
aufzurollen.
Er will also ein Entsendegesetz für alle Branchen, einen
lückenlosen Mindestlohn. Ich kann hier nur wiederholen: Ein Mindestlohn ist maximaler Unsinn: Entweder ist
er zu niedrig - dann ist er wirkungslos - oder er ist zu
hoch - dann vernichtet er Arbeitsplätze.
({12})
Herr Minister, das Fazit ist für mich klar: Ihr Haushaltsentwurf enthält die größten Risiken für den Gesamthaushalt. Dabei müsste Ihr Hauhalt als der größte Einzeletat gerade mit besonderer Sorgfalt gestaltet sein.
Leider ist das Gegenteil der Fall.
Danke.
({13})
Das Wort hat jetzt der Kollege Ronald Pofalla von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit einem Dreivierteljahr führt
Angela Merkel die neue Bundesregierung. Ich finde, die
Debatte zu diesem Haushalt gibt Anlass, deutlich zu sagen, dass die Zwischenbilanz auf dem Arbeitsmarkt
lautet: Deutschland hat die Trendwende geschafft.
({0})
Nach langer, langer Zeit sind die Fakten wieder positiv.
Zum ersten Mal seit fünf Jahren, also seit 60 Monaten,
steigt die Zahl der sozialversicherungspflichtigen
Beschäftigungsverhältnisse wieder an. 60-mal hat Nürnberg mitgeteilt, dass es immer weniger sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse gibt. Nun
verzeichnen wir bereits drei Monate hintereinander wieder einen Anstieg. 128 000 sozialversicherungspflichtige
Beschäftigungsverhältnisse mehr als vor einem Jahr sind
nach meiner festen Überzeugung ein außerordentlich
positives Signal, das wir auch entsprechend zur Kenntnis
nehmen sollten.
({1})
Daneben gibt es eine weitere Entwicklung, nämlich
bei der Anzahl der Erwerbstätigen. In diesem Bereich
haben wir den dritthöchsten Stand im Nachkriegsdeutschland erreicht. Durch diese Entwicklung wird
ebenfalls deutlich, dass sich in den letzten Wochen und
Monaten auf dem Arbeitsmarkt Beachtliches verändert
hat. Verglichen mit dem August des Vorjahres haben wir
in Deutschland 430 000 Arbeitslose weniger. Das ist ein
echt positives Signal für den Arbeitsmarkt.
({2})
Diese Verbesserungen sind aber nicht vom Himmel
gefallen. Die Abschaffung der Ich-AG ist in Kraft; hier
gibt es endlich ein solides und Erfolg versprechendes
Förderkonzept. Die Personal-Service-Agenturen sind
von der Bildfläche verschwunden, weil sie ineffizient
waren und staatliche Gelder verschleudert haben.
({3})
Bei Hartz IV haben wir als große Koalition, wie ich
finde, eine grundlegende Kurskorrektur vorgenommen.
Dass wir die Einstandspflicht der Eltern für ihre Kinder
wieder eingeführt haben, war ein erster richtiger Schritt.
Damit sind nach Auffassung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion alte Fehler korrigiert worden.
({4})
Daneben haben wir gemeinsam verabredet, die Unternehmen am Standort Deutschland zu stärken und um
über 5 Milliarden Euro zu entlasten. Das zeigt: Es wurde
viel getan.
Es bleibt aber auch noch viel zu tun. Zur Zwischenbilanz gehört deshalb auch die Aussage, dass wir den Kurs
weiter halten müssen. Nach meiner Überzeugung müssen wir das Tempo an verschiedenen Stellen sogar erhöhen; denn die Herausforderungen sind nach wie vor groß
- hier dürfen wir uns nicht täuschen -, weil uns die Zahlen am Arbeitsmarkt noch nicht zufrieden stellen können.
Wir haben nach wie vor über 4 Millionen Arbeitslose.
Diesen 4 Millionen Arbeitslosen stehen gerade einmal
600 000 offene Stellen gegenüber. Über 1 Million Bürger sind ein Jahr oder länger arbeitslos. Fast doppelt so
viele sind ohne jede berufliche Bildung. Rund
80 000 Jugendliche - diese Zahl finde ich besonders bedrückend - verlassen Jahr für Jahr unsere Schulen ohne
Abschluss. Diese Zahlen zeigen, dass es heute für Millionen Menschen heißt: passive Stütze statt beruflicher
Perspektive. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist der
Auffassung, dass sich das in Deutschland in den nächsten Monaten ändern muss.
({5})
Durch die zitierten Fakten werden aber nicht nur die
Herausforderungen beschrieben, vor denen wir stehen.
Sie sind auch der Weckruf für all diejenigen, die sich
nach wie vor für einen Mindestlohn aussprechen. Ich
danke daher Franz Müntefering, dass er bereits auf dem
DGB-Bundeskongress im Mai 2006 klare Worte gegen
den gesetzlichen Mindestlohn gefunden hat.
({6})
Er hat sich nicht nur auf dem DGB-Bundeskongress entsprechend aufgestellt, Frau Nahles, sondern er hat auch
die Kraft besessen, die unfreundlichen Reaktionen auf
dem DGB-Bundeskongress hinzunehmen und dennoch
die, wie ich finde, glasklare und richtige Position zu vertreten, dass ein gesetzlicher Mindestlohn mit dieser großen Koalition in dieser Legislaturperiode nicht zu machen ist. Herzlichen Dank an Franz Müntefering!
({7})
Die Wirklichkeit sieht doch folgendermaßen aus:
Wenn wir in Deutschland einen gesetzlichen Mindestlohn einführen würden, würden wir Hunderttausende
von Arbeitsplätzen vernichten, weil hier - Gott sei
Dank - immerhin mehr als 1 Million Menschen im
Niedriglohnbereich arbeiten. Von daher ist für uns als
CDU/CSU-Bundestagsfraktion klar: Für uns ist ein gesetzlicher Mindestlohn völlig inakzeptabel. Diejenigen,
die diese Forderung weiterhin aufstellen, werden sich an
uns die Zähne ausbeißen.
({8})
Diese klare Position der Union wird auch im aktuellen
Gutachten des Sachverständigenrates bestätigt.
Die Kernbotschaften des neuen Gutachtens des Sachverständigenrates lauten:
Erstens. Der Weg in den Mindestlohn ist falsch. - Für
unsere Fraktion kann ich nur sagen: Dem stimmen wir
zu.
({9})
Zweitens. Der Weg über den Kombilohn ist richtig. Dem stimmen wir ebenfalls zu.
Drittens spricht sich der Sachverständigenrat in dem
Gutachten, das morgen der Öffentlichkeit vorgestellt
werden wird, für echte Strukturreformen am Arbeitsmarkt aus; darauf lege ich für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion großen Wert. Der Sachverständigenrat
macht, wie ich finde, zu Recht deutlich, dass wir die
strukturelle Arbeitslosigkeit in Deutschland nur dann
wirksam werden bekämpfen können, wenn wir grundlegende Strukturreformen am Arbeitsmarkt vornehmen.
Auch an dieser Stelle gibt es Zustimmung vonseiten der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
({10})
Ich empfehle allen, die das Gutachten des Sachverständigenrates vorschnell mit einer Fundamentalkritik
überzogen haben, sich die Details dieses Gutachtens anzusehen. Es ist vernünftig, allen Arbeitslosen ein Arbeitsangebot zu unterbreiten. Genau das haben wir für
die Jugendlichen bereits gemeinsam beschlossen. Es ist
richtig, dass denjenigen, die ein Arbeitsangebot ablehnen, die Sozialleistungen deutlich gekürzt werden. Diese
Position haben wir vonseiten der CDU/CSU-Bundestagsfraktion schon immer vertreten.
Es entspricht genau unserer Philosophie, dezentral zu
entscheiden. Der Sachverständigenrat hat in seinem Gutachten vorgeschlagen - diese Position haben wir als
Unionsfraktion schon seit mehreren Jahren vertreten -,
dass der eigentliche Kernbereich des Arbeitsmarktes vor
allem für die Langzeitarbeitslosen und für die Geringqualifizierten von den Kommunen organisiert werden
soll. So gesehen ist dies ein bemerkenswertes Gutachten,
das wir uns vonseiten der CDU/CSU-Bundestagsfraktion noch einmal ansehen werden, um daraus in den Gesprächen in der Koalition die richtigen Konsequenzen zu
ziehen.
({11})
Dieses Gutachten ist an einer Stelle falsch wiedergegeben worden. Sie alle haben in den Zeitungen gelesen,
dass der Sachverständigenrat beim Arbeitslosengeld II
eine generelle Kürzung von 30 Prozent vorschlägt. In
dem Gutachten steht, dass allen Arbeitsfähigen in
Deutschland ein Arbeitsangebot unterbreitet werden soll
und dass denen, die dann dieses Arbeitsangebot nicht annehmen, 30 Prozent der Leistungen gekürzt werden sollen. Genau das halten wir vonseiten der Unionsfraktion
für richtig.
({12})
Unser gemeinsames Ziel ist: Wir wollen die Trendwende auf dem Arbeitsmarkt verstetigen. - Dass Sie,
Herr Kuhn, als jemand, der in der vergangenen Regierungskoalition auch für das Thema Arbeitsmarkt zuständig war, dazwischenreden, wundert mich.
({13})
Wenn zu Ihrer Regierungszeit die Daten, die ich gerade
genannt habe - 430 000 weniger Arbeitslose und
130 000 neue sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse -, so gewesen wären,
({14})
dann hätten Sie doch vonseiten der Grünen in Deutschland Freudenfeste organisiert. Deshalb sollten Sie an
dieser Stelle besser schweigen.
({15})
Die große Koalition wird im Herbst verschiedene
Projekte angehen müssen. Wir werden ein Kombilohnmodell entwickeln müssen. Für die über 50-Jährigen
und für die unter 25-Jährigen haben wir eine gute Grundlage geschaffen. Auf dieser Grundlage werden wir Geringqualifizierten über 50 Jahren und Geringqualifizierten unter 25 Jahren ganz gezielt die Möglichkeit bieten,
wieder in den Arbeitsmarkt zurückzukehren. Unser Ziel
sollte sein, über ein solches Kombilohnmodell in den
nächsten Jahren bis zu 200 000 Menschen wieder in den
Arbeitsmarkt zu bringen.
Wir werden uns mit dem Bereich aktiver Arbeitsmarktpolitik zu befassen haben. Ich sage es glasklar:
Die Bundesagentur schlägt selber vor, von den 80 Instrumenten, die ihr zur Verfügung stehen, auf zehn herunterzugehen, um die verbleibenden Instrumente wirkungsvoller im Arbeitsmarkt einzusetzen. Das entspricht der
Absicht der Unionsfraktion, die Arbeitsmarktinstrumente so zu bündeln, dass sie endlich Wirkungen im Arbeitsmarkt zeigen. Dafür werden wir uns einsetzen.
({16})
Wir müssen uns auch mit Optimierungen im Zusammenhang mit Hartz IV befassen. Es kann nicht sein,
dass Arbeitsagenturen bei Arbeitslosen, die sich krankmelden, erst nach sechs Monaten nachforschen, ob sie
tatsächlich nicht arbeiten können. Es kann nicht sein,
dass Vermittler nur in vier von zehn Fällen Hinweisen
nachgehen, dass ein Langzeitarbeitsloser gegen Auflagen verstößt. Es kann nicht sein, dass bei Ausländern in
mehr als jedem fünften Fall noch nicht einmal geprüft
wird, ob eine deutsche Arbeitserlaubnis vorliegt.
Wir werden über Effizienzsteigerungen bei den Überprüfungsmechanismen im Zusammenhang mit Hinweisen auf Missbrauchsfälle reden müssen,
({17})
weil die Leistungskraft derer, die diese Kontrollen
durchführen, erhöht werden muss. Es geht um Steuergelder, die für das Arbeitslosengeld II eingesetzt werden.
Deshalb muss die Überprüfungspraxis der Bundesagentur deutlich verbessert werden.
({18})
Wir werden auch über den Kündigungsschutz zu reden haben.
({19})
- Ja. - Werfen Sie mal einen Blick in die Studie der
Weltbank, die in den letzten Tagen veröffentlicht worden
ist! Danach liegt Deutschland auf Platz 129, hinter Ländern wie Papua-Neuguinea, Jamaika, Trinidad oder
Tobago.
({20})
Ein zentraler Grund für diesen Platz der Bundesrepublik
Deutschland - das ist zumindest die Auffassung der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion - ist der Kündigungsschutz.
({21})
Wir brauchen beim Kündigungsschutz weitere deutliche
Flexibilisierungen, wenn wir den Arbeitsmarkt in Bewegung bringen wollen.
({22})
Ich will noch zwei Bereiche nennen, die über den
Koalitionsvertrag hinausgehen, aber über die wir unserer
Ansicht nach in der großen Koalition reden sollten. Die
Bertelsmann-Stiftung veröffentlicht in diesen Tagen einen ersten Entwurf für ein Arbeitsgesetzbuch. Im
Grunde wird in allen Analysen, die sich mit dem Arbeitsmarkt befassen, deutlich, dass die unübersichtliche
Anzahl der Gesetze und Verordnungen sowie die Rechtsprechung im Arbeitsrecht das Ziel richtig erscheinen
lassen, in der Bundesrepublik Deutschland ein Arbeitsgesetzbuch zu schaffen.
Wir haben im Einigungsvertrag festgelegt, dass wir in
Deutschland ein Arbeitsgesetzbuch schaffen wollen. Wir
sind der Auffassung, dass die große Koalition das Ziel in
Angriff nehmen sollte, in dieser Legislaturperiode über
ein Arbeitsgesetzbuch zu beraten und es nach Möglichkeit auch zu verabschieden.
({23})
Der zweite Bereich ist die Arbeitnehmerbeteiligung.
Der Bundespräsident hat zu Beginn des Jahres angeregt,
dass wir uns mit der Frage der Arbeitnehmerbeteiligung
befassen sollten. Die Bundes-CDU hat Anfang des Jahres eine Kommission unter Leitung von Karl-Josef
Laumann eingesetzt, die jetzt ihre Ergebnisse veröffentlicht hat. Aus diesen Ergebnissen wird deutlich, dass wir
sehr wohl die Chance haben, Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer stärker an den Erträgen und am Kapital
der Unternehmen zu beteiligen.
Wir sind der Auffassung, dass die große Koalition im
Verlauf dieser Legislaturperiode auch das Ziel in Angriff
nehmen sollte, sich mit der Frage der Verbesserung der
Arbeitnehmerbeteiligung zu befassen; denn wir sind der
festen Überzeugung, dass ein zusätzliches Standbein für
die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geschaffen
werden kann, indem sie am Produktivvermögen der Unternehmen in Deutschland beteiligt werden. Wir jedenfalls wollen dieses Ziel in Angriff nehmen.
({24})
Erlauben Sie mir eine abschließende Anmerkung zu
den Überschüssen der Bundesagentur. Ich bin dem
Bundesarbeitsminister außerordentlich dankbar, dass er
gerade so deutlich Stellung bezogen hat. Um es klar zu
sagen: Auf der Basis eines Überschusses in Höhe von
8,8 Milliarden Euro fehlten uns in den Jahren 2007,
2008 und 2009 lediglich 1,2 Milliarden Euro pro Jahr,
um eine zusätzliche Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrags um 0,5 Prozentpunkte sicherzustellen. Ich
finde, dass wir uns im kommenden Herbst die Zahlen
genau ansehen sollten; denn möglicherweise fällt der
Überschuss der Bundesagentur für Arbeit höher aus als
8,8 Milliarden Euro. Aber selbst wenn es dabei bleibt:
Wir geben in Deutschland 15 Milliarden Euro für Arbeitsmarktinstrumente aus. Diese große Koalition sollte
daher, wenn der Überschuss der Bundesagentur für Arbeit nicht ausreicht, den Arbeitslosenversicherungsbeitrag zusätzlich um 0,5 Prozentpunkte zu senken,
Herr Pofalla, denken Sie an die Zeit.
- darüber nachdenken, woher die für diese Senkung
benötigte 1 Milliarde Euro kommen soll. Dazu sollte
diese Koalition eigentlich die Kraft haben.
({0})
Wir, die Unionsfraktion, sprechen uns jedenfalls für eine
Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrags auf
4 Prozent aus.
Herzlichen Dank.
({1})
Das Wort hat jetzt der Minister für Arbeit, Bau und
Landesentwicklung des Landes Mecklenburg-Vorpommern, Helmut Holter.
({0})
Helmut Holter, Minister ({1}):
Stimmt, Herr Niebel, es ist auch Wahlkampf. - Sehr
geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr
geehrter Herr Pofalla, Ihre Botschaft, dass eine Trendwende am Arbeitsmarkt eingetreten sei, nehmen die
Menschen im Lande so nicht wahr.
({2})
Sie nehmen vielmehr zwei Dinge wahr, die in den letzten
Tagen von Berlin aus verbreitet wurden:
Erstens. Die Bundesagentur für Arbeit hat einen großen Überschuss. Aber sie bzw. die Arbeitsgemeinschaften sind nicht in der Lage, weitere arbeitsmarktpolitische
Maßnahmen zu genehmigen, weil das Geld fehlt. Das
verstehen die Bürgerinnen und Bürger nicht, genauso
wenig wie ich.
({3})
Zweitens. Der Sachverständigenrat hat - ich bin Ihnen dankbar, Herr Müntefering, dass Sie das klargestellt
haben - eine Senkung des Arbeitslosengeldes II um
30 Prozent empfohlen. Das hat nichts mit dem Wahlkampf in Mecklenburg-Vorpommern zu tun, sondern damit, dass dies den Unmut breiter Schichten der Bevölkerung hervorruft, und zwar nicht nur derjenigen, die vom
Arbeitslosengeld II leben müssen.
({4})
Dass dem so ist, will ich Ihnen an einem Beispiel zeigen. Sie kennen sicherlich nicht Dirk Susemihl. Er ist jedenfalls ein Mecklenburger, der als Koch in großen Hotels und auf Kreuzfahrtschiffen gearbeitet hat und nun
Arbeitslosengeld II empfängt und vergeblich Arbeit
sucht. Er schreibt Bewerbungen, erhält aber nur Absagen. Er gibt nicht auf und wendet sich an einen privaten
Vermittler. Dieser sagt ihm: Bring mir einen Vermittlungsgutschein; dann habe ich einen Job für dich. Die
Minister Helmut Holter ({5})
Arbeitsagentur erklärt hingegen: Du kannst keinen Vermittlungsgutschein bekommen, weil kein Geld da ist. Solche Widersprüche müssen aufgelöst werden. Meine
Heimatzeitung, die „Schweriner Volkszeitung“, hat das
Ende August unter der Überschrift „Arbeitsamt blockiert
Jobs“ dokumentiert. Das ist dort nachzulesen. Das ist eigentlich ein riesengroßer Skandal.
({6})
Ich rede nicht über diejenigen, die nach Arbeit lechzen, sondern über diejenigen, die ein Arbeitsangebot haben, dieses aber nicht annehmen können, weil einige
Euro fehlen, um einen Vermittlungsgutschein oder einen
Bildungsgutschein auszustellen. Dirk Susemihl ist kein
Einzelfall. Ich könnte Ihnen über viele ähnlich gelagerte
Fälle in Mecklenburg-Vorpommern berichten. So entsteht der Eindruck: Die in Berlin veralbern uns im Land.
Damit muss meines Erachtens Schluss gemacht werden.
Über Alternativen darf nicht nur diskutiert werden. Vielmehr müssen auch welche angepackt werden.
({7})
Ich rede im Moment noch nicht einmal über die Langzeitarbeitslosen, sondern über die Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter der Arbeitsgemeinschaften, die ebenfalls
aufgebracht sind, weil sie mit den politischen Entscheidungen nicht umgehen können. Was bedeutet es denn,
230 Millionen Euro von 1,1 Milliarden Euro, die zuvor
gesperrt wurden und den Arbeitslosen nicht zugute kommen, freizugeben? Das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein, um nun all die Maßnahmen, die schon lange
vorbereitet wurden, in Gang zu setzen. Ich fordere Sie
auf: Geben Sie den Rest der 1,1 Milliarden Euro ebenfalls frei, damit die Langzeitarbeitslosen endlich in den
Genuss von arbeitspolitischen Maßnahmen kommen!
({8})
Ich habe den Eindruck - schließlich geht es um eine
Haushaltsdebatte -, dass Sie Arbeitsmarktpolitik unter
haushälterischen Gesichtspunkten betreiben und nicht
aus Sicht der Betroffenen, die das Geld bitter nötig haben.
({9})
Das ist irgendwie wie beim Autofahren: Einmal wird gebremst, ein anderes Mal Gas gegeben. Einmal sperren
Sie, ein anderes Mal geben Sie frei.
Jeder, der schon einmal mit einem solchen Fahrer gefahren ist, weiß: Das schlägt mächtig auf den Magen.
Mit einem solchen Stil sollte Schluss gemacht werden.
2006 sollte das Desaster sein Ende finden, damit Planungssicherheit für die Arbeitsgemeinschaften, die Projektträger, die Beschäftigungsgesellschaften und für all
diejenigen Langzeitarbeitslosen, die in solchen Projekten arbeiten wollen, gewährleistet ist; denn das Arbeitsangebot, von dem Herr Pofalla gerade gesprochen
hat, ist in strukturschwachen Regionen gar nicht so vorhanden. Auch das gehört zur Wahrheit.
({10})
Ich will mich dem Einzelplan 11 zuwenden. Ihnen,
Herr Müntefering - davon bin ich überzeugt -, wird es
nicht gelingen, mit diesem Einzelplan Ihre Glaubwürdigkeit zu stärken. Es wurde bereits gesagt: Der Aussteuerungsbetrag soll um 27,5 Prozent erhöht werden.
Das heißt, Sie gehen davon aus, dass mehr Arbeitslose
aus dem Arbeitslosengeld I in das Arbeitslosengeld II
wechseln werden. Was für eine Politik ist das? Sie planen von vornherein ein, dass die Langzeitarbeitslosigkeit
in Deutschland zunehmen wird.
({11})
Im Übrigen kenne ich keine Versicherung in Deutschland, die die Gelder, die die Versicherten aufgebracht haben, für andere Zwecke als die der Versicherten verwenden will.
({12})
Ich verstehe absolut nicht, warum von der Arbeitslosenversicherung ein Aussteuerungsbetrag an den Bund gezahlt werden soll. Dieses Geld, nicht nur der Überschuss, muss den Versicherten zugute kommen. Sie
haben es bitter nötig. Ich bitte Sie daher, dieses Prinzip
noch einmal grundlegend zu überdenken.
({13})
Sie wollen aber auch die Mittel für das
Arbeitslosengeld II um 3 Milliarden Euro und die Beteiligung des Bundes an den Kosten der Unterkunft um
1,6 Milliarden Euro kürzen. Sie planen also, die Kommunen stärker zur Kasse zu bitten, obwohl bei diesen
wirklich nichts mehr zu holen ist. Ich weiß nicht, in welche Taschen Sie da greifen wollen. Auf der anderen
Seite wollen Sie die Leistungen für die Langzeitarbeitslosen kürzen.
Es ist richtig, dass Sie mit 6,5 Milliarden Euro
30 Millionen Euro mehr für Leistungen zur Eingliederung in Arbeit bereitstellen. Gleichzeitig planen Sie aber
von vornherein 1 Milliarde Euro für Mehrausgaben beim
Arbeitslosengeld II ein. Sie wollen also Mittel für die
passiven Leistungen vom Mittelansatz für die aktiven
Leistungen abzweigen. Wir brauchen das Geld aber für
die aktiven Leistungen. Sie betreiben ein reines Hin- und
Hergeschiebe. Ich fordere Sie auf: Machen Sie damit
Schluss! Sorgen Sie dafür, dass eine klare Haushaltsplanung zur Verfügung steht und ausreichend Geld für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen vorhanden ist! Fassen
Sie neuen Mut und leiten Sie eine Wende in der Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik in Deutschland ein!
({14})
Einige von Ihnen, vielleicht alle, wissen, dass ich
diese Wende schon seit Jahren gefordert habe, speziell
für den Osten. Inzwischen ist Langzeitarbeitslosigkeit
aber nicht nur ein Thema in den neuen Ländern; es steht
in der gesamten Bundesrepublik auf der Tagesordnung.
Deswegen stellt sich eine große Frage: Was machen wir
mit all denen, die keine Chance auf Vermittlung in reguläre Arbeitsverhältnisse haben? Ich bin bereit, über alle
Modelle zu diskutieren; das ist sicherlich bekannt. Aber
sollen diejenigen, die die Chance auf Vermittlung nicht
Minister Helmut Holter ({15})
haben, dauerhaft von Hartz IV, von 345 Euro, leben?
Können Sie sich das vorstellen? Schließen Sie Ihre Konten, geben Sie mir alle Ihre Scheckkarten; Sie erhalten
Ihre Miete und die Kosten für Telefon, Wasser und
Licht. Nehmen Sie 345 Euro und versuchen Sie, ohne
Empfänge und irgendwelche Einladungen einen Monat
durchzukommen. Ich garantiere Ihnen: Am 10. des Monats werden Sie um einen Notgroschen bitten. Sie werden mit 345 Euro nicht klarkommen.
({16})
Deswegen müssen wir über andere Wege reden.
Wir müssen über sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse reden, auch über die, die durch
öffentliche Kassen unterstützt werden. Ich rede ganz bewusst vom öffentlich geförderten Beschäftigungssektor. Damit stehe ich nicht alleine. Der DGB fordert
dies, in der Bundesagentur für Arbeit wird darüber gesprochen, auch beim Bündnis 90/Die Grünen. Es ist
auch ein Thema im Ombudsrat. Kurt Biedenkopf ist
nicht linksparteiverdächtig, er gehört der CDU an. Willkommen an Bord!
Es gibt inzwischen viele, die über öffentlich geförderte Beschäftigung in Deutschland reden. Ich stelle einen Stimmungswandel bei all denen fest, die sich ehrlich
und ernsthaft mit Arbeitslosigkeit in Deutschland auseinander setzen. Es gibt keinen anderen Weg, als eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung anzubieten,
die mit Steuermitteln finanziert wird. Die Langzeitarbeitslosen - das ist hinreichend bekannt - nehmen zwar
gern einen 1-Euro-Job an. Das ist aber so etwas Ähnliches wie ein Freigang aus dem Gefängnis Arbeitslosigkeit, in dem sich die Langzeitarbeitslosen unverschuldet
befinden. - Es ist wie mit dem Wetter, Herr Pofalla: Es
gibt die gefühlte und die gemessene Temperatur. Die
Statistik ist das eine, das wirkliche Leben ist das andere.
Wir müssen dazu beitragen, dass sich die Gefühlswelt
der Menschen verändert.
({17})
Es ist bereits angesprochen worden, dass wir uns im
Wahlkampf befinden. Es gibt nicht nur Umfragen zum
Wahlverhalten in Mecklenburg-Vorpommern und in Berlin, sondern es wird auch gefragt, was das größte Problem für die Menschen ist. Ich bin nun der dienstälteste
Arbeitsminister in Deutschland und bin in dem Land mit
der höchsten Arbeitslosigkeit.
({18})
- Warten Sie einmal ab! Ich komme noch dazu, keine
Sorge. - Deswegen, meine Damen und Herren von der
FDP und der CDU/CSU, rede ich über alternative Wege
aus der Arbeitslosigkeit; denn all das, was bisher gelaufen ist, zeigt keine Wege aus der Arbeitslosigkeit. Meiner Auffassung nach - das bestätigen die Umfragen - ist
die Arbeitslosigkeit das größte Problem. Dann kommt
erst einmal eine ganze Zeit gar nichts, dann folgen Abwanderung, Unsicherheit, Umweltschäden und andere
Dinge, die eher als marginal erachtet werden können.
Deswegen geht es darum, Alternativen nicht nur zu diskutieren, sondern auch umzusetzen.
Ich fordere Herrn Müntefering auf, Mut zu haben.
Wir beide hatten Gelegenheit, darüber zu diskutieren.
Wir haben eine inhaltliche Nähe in den Fragen, was man
machen muss, festgestellt.
({19})
- Ich habe auch zu meinen Kollegen von der CDU/CSU
in manchen Fragen eine inhaltliche Nähe. Das ist gar
nicht mein Problem. Ihr Problem, Herr Niebel, ist, dass
Sie Alternativen durch die parteipolitische Brille begutachten. Das bringt den Arbeitslosen doch überhaupt
nichts.
({20})
Es stellt sich die Frage, ob es ausreichend gemeinnützige Tätigkeiten im Lande gibt, um all diejenigen, die
arbeiten können und arbeiten wollen, in Arbeit zu bringen. Es mangelt doch nicht an der Marktfähigkeit der
Arbeitslosen, sondern es fehlt an fähigen Arbeitsmärkten. Es ist die Aufgabe der Politik, solche Arbeitsmärkte
zu organisieren, damit die Menschen eine Chance auf
Arbeit haben.
({21})
Ich stelle ein Umdenken fest, nicht nur im linken Lager,
sondern auch in anderen Bereichen. Ich hoffe, dass wir
gemeinsam an einem Strang ziehen können.
Axel Troost, jetzt Abgeordneter hier im Deutschen
Bundestag, ist einer der Väter der gemeinwohlorientierten Arbeitsförderprojekte in Mecklenburg-Vorpommern. Kornelia Möller, die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Linksfraktion, hat mit ihm gemeinsam einen
Antrag zur öffentlich finanzierten Beschäftigung geschrieben. Ich unterstütze diesen Antrag und ich bitte
Sie: Legen Sie die parteipolitische Brille ab und prüfen
Sie den Antrag - Herr Andres, wir beide hatten Gelegenheit, viel über diese Fragen zu diskutieren - auf die
Machbarkeit hin! Überwinden Sie die ideologischen und
ordnungspolitischen Schranken! Es ist nicht zuerst eine
Frage des Geldes, sondern eine Frage des politischen
Willens, ob ein solcher Weg gegangen werden kann oder
nicht. Ich fordere Sie auf, diesen Weg zu gehen.
({22})
Wir haben in Mecklenburg-Vorpommern die Rechte
der Betroffenen gestärkt. Wir haben regionalisiert, wir
haben Regionalbeiräte gebildet und haben den Betroffenen Sitz und Stimme bei der Vergabe von Fördermitteln
gegeben. Das ist kein Plädoyer für Kommunalisierung.
Da unterscheiden wir uns deutlich von der CDU/CSU.
Es geht vielmehr um die Demokratisierung der Entscheidung.
({23})
Es geht darum, dass die Betroffenen mitmachen können.
Ich meine, unsere Republik braucht eine stärkere Demokratisierung der Arbeitsmarktpolitik.
Minister Helmut Holter ({24})
Nun, meine Damen und Herren von der FDP und der
CDU/CSU, gehört es nach meiner Auffassung zu den
Lebenslügen in Deutschland, dass die Massenarbeitslosigkeit konjunkturell bedingt ist und mit den herkömmlichen Instrumenten wirkungsvoll zu bekämpfen ist.
Selbst wenn ihre Zahl von 80 auf zehn reduziert wird, es
bleibt bei den herkömmlichen Instrumenten. Einige davon sind gut; die lehne ich nicht ab. Die Experten sagen
für Mecklenburg-Vorpommern voraus, dass nur eine
bzw. einer von zwei Arbeitslosen wieder eine Stelle auf
dem regulären Arbeitsmarkt finden wird. Für Zehntausende oder gar Hunderttausende in der Bundesrepublik
ist der Zug längst abgefahren. Die Arbeitsmarktforscher
sagen, dass in den nächsten 15 Jahren in Ostdeutschland
eine weitere Million Arbeitsplätze wegfallen wird. Deswegen bin ich der Überzeugung, dass an der öffentlich
finanzierten Beschäftigung kein Weg vorbeiführt. Lassen Sie uns gemeinsam diesen Weg gehen. Es gibt genug
Arbeit, die ein Unternehmen, das nach privatwirtschaftlichen Prinzipien arbeitet, überhaupt nicht machen kann
und auch nicht machen soll; wir müssen da differenzieren. Es ist wichtig, dass über gemeinnützige Tätigkeiten
ein Beitrag zur Strukturentwicklung geleistet wird. Lassen Sie uns dazu die Mittel aus Brüssel, Berlin, Nürnberg, den Ländern und den Kommunen bündeln, damit
dieser Weg eröffnet werden kann. Dann stellt sich die
Frage nach den Finanzen nicht mehr, dann ist die Finanzierung gesichert.
({25})
Ich bin der Überzeugung - schauen wir nach Schweden -, dass wir in Skandinavien sehen können, wie der
Weg zur öffentlich finanzierten Beschäftigung aussieht.
Lassen Sie die Bremse los! Ich bitte Sie: Ziehen Sie Lehren aus Hartz IV, aber nicht in der Richtung, die ich eingangs kurz geschildert habe, die zurzeit in Deutschland,
konkret auch in Mecklenburg-Vorpommern, diskutiert
wird. Sie gehen einen Irrweg. Wir brauchen uns über
Rechtsextremismus und über gute Wahlergebnisse der
NPD nicht zu wundern, wenn Sie diesen Weg weiter beschreiten.
({26})
Deswegen fordere ich Sie zur Umkehr auf. Machen Sie
eine Arbeitslosen- und Beschäftigungspolitik für die
Menschen, mit den Menschen und nicht gegen sie. Dass
das bisher nicht geschieht, genau das spüren die Menschen in Mecklenburg-Vorpommern und in ganz
Deutschland.
Ich bitte Sie, sich ein Herz zu fassen, Mut zu haben,
ordnungspolitisch-ideologische Schranken zu überwinden und den Weg hin zu mehr öffentlich geförderter Beschäftigung zu gehen. Das ist ein Gebot der Vernunft.
Die Menschen im Lande sind auf diese Vernunft angewiesen, damit sie ein Leben in Würde führen können, ein
Leben, in dem sie durch ihrer Hände Arbeit ihren Lebensunterhalt verdienen können. Nur eine Politik, die
darauf abzielt, ist eine wirkliche Arbeitsmarktpolitik.
Die Menschen in Mecklenburg-Vorpommern und in
ganz Deutschland haben sie bitter nötig.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({27})
Das Wort hat die Kollegin Brigitte Pothmer vom
Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Holter, jetzt haben wir den Wahlkampfteil hinter uns und
jetzt können wir uns wieder der Auseinandersetzung
über die Arbeitsmarktpolitik zuwenden.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ja, es ist
richtig: Der Arbeitsmarkt profitiert derzeit tatsächlich
von dem konjunkturellen Aufschwung. Ich will hier
deutlich sagen: Das freut uns alle sehr. Aber 4,3 Millionen Arbeitslose und mehr sind wirklich kein Grund, sich
hier gegenseitig auf die Schultern zu klopfen und zu feiern, wie es sich vonseiten der großen Koalition angedeutet hat.
({1})
Die Belebung auf dem Arbeitsmarkt kommt doch
ausschließlich denjenigen zugute, die erst seit kurzer
Zeit arbeitslos sind. Die wirklichen Problemgruppen auf
dem Arbeitsmarkt, die Langzeitarbeitslosen, profitieren
davon in keiner Weise.
Zusätzlich ist der Anteil an Ausbildungsplätzen noch
einmal um 2 Prozent zurückgegangen. Herr Müntefering, Sie reagieren auf den öffentlichen Druck, indem
Sie die Anzahl der Plätze des EQJ-Programms ein wenig
erhöhen. Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Gut, dass Sie
überhaupt etwas tun; aber das ist zu wenig. Die Dimension dieses Problems und die Dimension Ihrer Lösung
passen in keiner Weise zusammen.
({2})
Betrachten wir doch einmal ganz nüchtern die Ursachen für diesen Aufschwung. Es fängt bei den Jobs an,
die wegen der Fußballweltmeisterschaft zusätzlich entstanden sind. Weitere Jobs sind durch die Vorzieheffekte
aufgrund der anstehenden Mehrwertsteuererhöhung entstanden. Das Wichtigste ist aber: Dieser Aufschwung ist
die erste Dividende der Reformpolitik der rot-grünen
Regierung.
({3})
Dieser Aufschwung ist vor allen Dingen nicht das Ergebnis der aktiven Arbeitsmarktpolitik dieser Regierung.
Herr Pofalla, Sie kommen jetzt daher und tun so, als
sei es vor allen Dingen Angela Merkel, die diese Trendwende herbeigeführt hat. Dazu kann ich wirklich nur sagen: Da lacht doch die Koralle.
({4})
Herr Müntefering, Sie sagen: Die Richtung stimmt.
Ich frage Sie, welche Richtung eigentlich? Ich glaube,
die staunende Öffentlichkeit wäre Ihnen wirklich außerordentlich dankbar, wenn Sie das einmal erläutern könnten. Hier ist doch in keiner Weise irgendeine klare Richtung zu erkennen: in Sachen Mindestlohn, in Sachen
Kombilohn, in Sachen Kündigungsschutz. Sie haben uns
doch gerade vorgeführt, dass Sie in dieser Koalition
noch nicht einmal in der Lage sind, ein Sachverständigengutachten einheitlich zu interpretieren. Herr Pofalla
sagt: In diesem Sachverständigengutachten steht, dass es
gar nicht darum gehe, die Regelsätze flächendeckend zu
senken. Herr Müntefering sagt hier: Die Regelsätze werden überhaupt nicht gesenkt. Dennoch sagen Sie uns
hier: Die Richtung stimmt.
Wenn es in dieser Koalition Einigkeit gäbe, dann kämen wir tatsächlich auch einmal voran. Wenn Sie sich in
Sachen Mindestlohn verständigen könnten, dann gäbe
es nicht nur diese Minibewegungen, dann hätten wir
diese Regelung nicht nur auf die Gebäudereiniger, sondern auch auf die Zeitarbeitsfirmen - sie hatten diesen
Wunsch - ausgedehnt. Dann wären wir einen Schritt vorangekommen.
Herr Müntefering, Sie sagen, jetzt sei es an der Zeit,
Druck im Kessel zu machen. Ich habe das Gefühl: Ihr
Druck im Kessel ist nichts anderes als heiße Luft.
Betrachten wir einmal das Programm für mehr Beschäftigung Älterer! Ihre Initiative „50 plus“ sieht
Lohnkostenzuschüsse von 30 bis 50 Prozent vor. Herr
Müntefering, das ist geltende Gesetzeslage, und zwar
seit 2001. Das Problem besteht aber darin, dass die Regelung bisher leider wenig Anwendung gefunden hat,
nämlich nur in 8 200 Fällen. Sie behaupten jetzt, dass
Sie damit 50 000 bis 70 000 Menschen in Arbeit bringen
wollen. - So weit zur Seriosität Ihrer Politik.
({5})
Weiter geht es. In kleinen und mittleren Unternehmen
soll die Bundesagentur für Arbeit Weiterbildungskosten
übernehmen. Das finden wir richtig. Diese Regelung
wollten wir ausdehnen. Das Problem besteht nur darin:
Die große Koalition hat beschlossen, diese Regelung auf
2006 zu begrenzen.
Nächster Punkt: Entgeltsicherung. Das ist ebenfalls
geltende Gesetzeslage. Herr Müntefering, wenn Sie auf
diese Art Druck im Kessel machen, reicht das nicht einmal aus, um das Teewasser heiß zu bekommen.
Betrachten wir noch einmal die Neuregelung zum
Kündigungsschutz! Dazu hat Herr Pofalla heute noch
etwas gesagt. Keiner will sie, nicht die Gewerkschaften,
nicht die Wirtschaft. Auch Sie, Herr Müntefering, sagen
in öffentlichen Interviews immer wieder, dass die geltende Regelung besser ist. Warum, verdammt noch mal,
nehmen Sie die Neuregelung dann nicht vom Tisch?
Das Problem besteht eigentlich in der Bunkermentalität dieser Regierung. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass
Koalitionsrunden die Beratung mit der Fachwelt ersetzen. Kritik wird niedergebügelt. Gefundene Kompromisse werden selbst dann durchgesetzt, wenn alle längst
wissen, dass sie kein Beitrag zur Lösung des Problems
sind. Das muss sich ändern.
({6})
Wenn es in Ihrer Arbeitsmarktpolitik überhaupt Konsequenz und eine klare Linie gibt, dann bei der Umwidmung von Hartz-IV-Regelungen zu einem Teil der Strafgesetzgebung. Den Druck auf Arbeitslose zu erhöhen
und den Kreis der Leistungsempfänger immer weiter
einzuschränken, das schafft aber keine Arbeitsplätze.
({7})
Die Formel „Fördern und Fordern“ ist unter Ihrer Regierung zu einer hohlen Phrase geworden, die bei den Betroffenen wirklich nur noch Bitterkeit auslöst.
({8})
Ich frage Sie: Was bleibt denn vom Fördern, wenn
Qualifizierungsprogramme für Erwerbslose immer weiter zusammengestrichen werden? Von einer durchgreifenden Senkung der Lohnnebenkosten, von der Geringqualifizierte wirklich profitieren würden, haben Sie sich
längst verabschiedet.
Die Kanzlerin hat uns von der Opposition gestern
vorgeworfen, wir hätten keine Alternativen.
({9})
Für uns trifft das in keiner Weise zu. Unser Modell einer
progressiven Staffelung der Sozialabgaben würde die
Einstellungshürden für Langzeitarbeitslose und Berufsanfänger tatsächlich senken. Nehmen Sie diese Vorschläge doch einmal ernst und setzen Sie sich damit auseinander!
„Mehr Druck im Kessel“, an dieser Stelle stimmt die
Formel - leider, kann ich da nur sagen. Dieser Druck
richtet sich nämlich nicht gegen die Arbeitslosigkeit,
sondern gegen die Arbeitslosen. Sie piesacken die Jobsuchenden, wo Sie nur können. Aber neue Jobs und Zugangschancen für Langzeitarbeitslose im ersten Arbeitsmarkt entstehen nicht. Wo ist denn Ihr Vorschlag zur
Schaffung sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse im dritten Sektor? Auch dazu gibt es
von unserer Seite einen Vorschlag. Ich bin gespannt, wie
Sie darauf reagieren.
Stattdessen konfrontiert uns Ihr Spitzenpersonal in
der Sommerpause mit dem gesammelten Mumpitz der
großen Koalition. Steinbrück fordert Urlaubsverzicht für
Arbeitslose. Riester empfiehlt, keine Autos zu kaufen.
Söder will den Arbeitslosen Hausarrest erteilen. Tiefensee will sie als unbewaffnete Busbegleiter auf Streife
schicken. Meinen Sie das, wenn Sie sagen, die Richtung
stimme? Nichts für ungut, Herr Müntefering, aber das ist
doch einfach unwürdig. Davon sollten Sie sich distanzieren, und zwar nachdrücklich.
({10})
Das Drama der großen Koalition sind nicht wirklich
die widerstreitenden Auffassungen; das gehört zur demokratischen Normalität. Aber nicht zu ertragen ist die
geschwätzige Sprachlosigkeit, die diese Regierung uns
zumutet. Sie sind orientierungslos und versuchen auch
noch, uns diese Orientierungslosigkeit als konzeptionellen Pragmatismus zu verkaufen.
Herr Müntefering, Sie haben gesagt, Sie wollen nicht
an den Wahlversprechen gemessen werden, sondern an
der Koalitionsvereinbarung. Soll ich Ihnen mal etwas sagen? Die Koalitionsvereinbarung interessiert letztlich
keinen Menschen. Sie werden an der Frage gemessen, ob
Sie einen Beitrag zur Lösung der Probleme in diesem
Lande bzw. in Ihrem Fall einen Beitrag zur Bekämpfung
der Arbeitslosigkeit leisten. Im Moment deutet nichts
darauf hin, dass Sie in der Lage sind, dem Notstand abzuhelfen.
Ich danke Ihnen.
({11})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Waltraud Lehn von
der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich wende
mich zunächst an Minister Holter. Herr Minister, dass
Sie hier eine parteipolitische und wahlkampforientierte
Rede halten, ist völlig in Ordnung. Das würde ich Ihnen
wirklich nie vorwerfen. Wenn Sie aber in diesem Zusammenhang alle anderen in diesem Haus aufrufen, ideologiefrei zu denken, dann ist das, mit Verlaub, lächerlich.
({0})
Ich will Ihnen sagen, was ich besonders problematisch finde. Sie haben hier ausschließlich Forderungen
an den Staat und an den Steuerzahler und die Steuerzahlerin formuliert. Aber Sie haben nicht ein einziges Mal
die Verantwortung der Wirtschaft oder der Unternehmen, die ebenso für die Schaffung und Erhaltung von
Arbeitsplätzen verantwortlich sind, thematisiert. Wer
hier so fahrlässig eine Rede hält, der disqualifiziert sich
an dieser Stelle in ideologischer Hinsicht selbst.
({1})
Meine Damen und Herren, eine der erfreulichsten
Botschaften dieses Sommers ist ohne Frage die positive
Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt. Wir haben es geschafft, rund 450 000 Menschen zusätzlich in Arbeit zu
bringen. Erstmalig ist es auch gelungen, bei der Zahl der
Langzeitarbeitslosen einen Abbau zu erreichen. Das
reicht nicht aus; das ist sicherlich zu wenig. Diese Entwicklung muss fortgesetzt werden. Dazu ist eine Vielzahl von Anstrengungen notwendig. Aber es hat sich gezeigt, dass es Perspektiven für die Menschen in diesem
Land gibt. Wenn wir vor sechs Monaten, einem Jahr
oder zwei Jahren gesagt hätten, dass wir es schaffen
würden, im Laufe eines Jahres fast 500 000 Menschen
zusätzlich in Arbeit zu bringen, dann hätte die ganze Republik Kopf gestanden. Das darf man wirklich nicht
kleinreden.
({2})
Allerdings ist das nichts, was nur mit der neuen Koalition zu tun hätte.
({3})
Daran hat auch die alte Koalition durchaus ihren Anteil;
das will ich der Vollständigkeit halber hinzufügen.
({4})
Wir wollen diese erfolgreiche Entwicklung fortsetzen
und wir tun das sehr konsequent. Wir fahren die Verschuldung weiter zurück; das ist ein wichtiges Signal.
Wir investieren zusätzliche Mittel vor allem in Bildung;
auch das ist ein wichtiges Signal. Wir konzentrieren uns
auf das Wesentliche. Das bedeutet für die Arbeitsmarktpolitik, dass wir uns weiterhin gezielt für die einsetzen,
die unserer besonderen Unterstützung und Hilfe bedürfen. Das sind die Menschen, die lebensälter sind. Die
Initiative „50 plus“, die aufgelegt wurde, wird auf ihre
Wirkung hin untersucht und ausgebaut werden. Außerdem richten wir uns mit Angeboten an die jungen Menschen, die nicht nur eine Perspektive brauchen, sondern
sich überhaupt erst einmal an die Anforderungen des Arbeitsmarktes gewöhnen müssen. All dies setzen wir fort.
All dies bauen wir aus. Ich glaube, es ist gut so, dass wir
das tun.
An dieser Stelle möchte ich allerdings auch darauf
hinweisen, dass die Unternehmen in einer Zeit, in der es
ihnen nun wirklich nachweislich und merklich besser
geht, in der Pflicht sind, gerade für die jungen Menschen
mehr zu tun.
({5})
Ich finde es schon schlimm, dass die Zahl der Ausbildungsplätze zurückgeht. Ich selber habe in diesem
Sommer erlebt, wie Unternehmer bei der Bundesagentur
vor Ort oder den Argen auflaufen und fragen: Was bekomme ich denn, wenn ich einen Auszubildenden einstelle? - Die Entwicklung, dass der Staat noch etwas geben muss, damit jemand ausbildet, ist nicht positiv und
muss sehr kritisch hinterfragt werden. Ausbildung muss
wieder eine Selbstverständlichkeit für jedes Unternehmen in diesem Land werden.
Auch bei den Arbeitsmarktinstrumenten müssen wir
wieder für mehr Klarheit sorgen. Es existiert zurzeit eine
Vielzahl sehr unterschiedlicher Instrumente. Diese sind
unterschiedlich sinnvoll, unterschiedlich wirksam und
werden unterschiedlich genutzt. Wir brauchen dringend
eine Konzentration auf geeignete Instrumente und die
Weiterentwicklung sinnvoller Instrumente. Letztlich
muss es darum gehen, bei Fehlentwicklungen gegenzusteuern und unsinnige Maßnahmen abzuschaffen.
Alles in allem ist der Trend jedoch gut; wir sollten ihn
fortsetzen. Ich sage aber auch: Die positiven Nachrichten der letzten Monate sollten uns nicht dazu verleiten,
uns schon am Ende unseres Weges zu wähnen. Einige
Nachrichten der letzten Wochen bereiten mir da durchaus Sorge:
Mir geht es zunächst um den vom Minister angesprochenen Überschuss bei der Bundesagentur. An unseren Koalitionspartner gerichtet sage ich: Man muss wissen, dass rund 4 Milliarden Euro dieses Überschusses
- unabhängig davon, ob er nun insgesamt 8 Milliarden
oder 9 Milliarden Euro beträgt - nur damit zusammenhängen, dass es ausnahmsweise 13 Beitragszahlungen
gegeben hat. Darüber hinaus muss man wissen, dass ungefähr 6 Milliarden bis 6,5 Milliarden Euro benötigt
werden, um die bereits beschlossene Senkung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung umzusetzen. Wenn
nun die Arbeitsagentur jedes Jahr Mittel in einer Größenordnung von erheblich mehr als 6,5 Milliarden Euro
erwirtschaften würde - diese Summe muss die Arbeitsagentur selber erwirtschaften; sonst kann das, was wir
beschlossen haben, gar nicht funktionieren -, dann kann
man in der Tat darüber nachdenken, ob und wie man diesen Überschuss an die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bzw. die Versicherten weitergibt.
Ein weiteres Problem will ich ansprechen: die Kosten
der Unterkunft für Arbeitslosengeld-II-Empfänger.
Frau Winterstein hat es richtig dargestellt; dieses Problem ist noch nicht vom Tisch. In diesem Zusammenhang sind 2 Milliarden Euro etatisiert worden. Sie wissen: Es wurde ausgehandelt, dass sich der Bund mit
29,1 Prozent an diesen Kosten beteiligt. Das Ziel dieser
Beteiligung war es, die Kommunen im Zuge der Reformen um 2,5 Milliarden Euro zu entlasten. Mit weiteren
2,5 Milliarden Euro aus Verbesserungen bei der Gewerbesteuer wollte man den Kommunen helfen, mehr Geld
vor Ort zu investieren, übrigens gerade in den Ausbau
von Kinderbetreuungseinrichtungen.
Voraussetzung war und ist, dass die Länder zu einer
vollen Weitergabe der Entlastungsbeträge an die Kommunen bereit sind. Das ist inzwischen überwiegend der
Fall. Aber ich finde es schon bemerkenswert, dass beispielsweise Nordrhein-Westfalen den Kommunen bislang circa 25 Prozent der Entlastung vorenthält. Dass
dieses Geld natürlich in den Kommunen fehlt, ist durchaus ein Problem.
Im Haushalt 2007 stellen wir, wie gesagt, den Kommunen 2 Milliarden Euro zur Verfügung. Wir wissen:
Die Länder, die Städte und Gemeinden fordern deutlich
mehr. Ich sage an dieser Stelle aber ganz klar: Alles in
allem ist die Entlastung der Kommunen viel höher, als
ursprünglich gemeinsam vereinbart und erwartet worden
ist. Denn allein bei der Gewerbesteuer werden die Städte
und Gemeinden in diesem Jahr voraussichtlich 12 Milliarden Euro mehr einnehmen als noch 2003. 5 Milliarden Euro standen als Entlastung im Raum; 12 Milliarden
Euro plus die Entlastungsbeiträge für die Kosten der Unterkunft sind es tatsächlich geworden.
Nun ist das nicht in jedem Land oder in jeder Kommune gleich. Deshalb scheint es mir geboten, die Verteilungsgerechtigkeit zwischen den Ländern, aber auch innerhalb der Länder aufzugreifen, und zwar von den
Ländern selbst. Diese Verantwortung haben sie und dieser Verantwortung sollten sie auch gerecht werden.
Verantwortung ist auch ein gutes Stichwort für ein anderes wichtiges Thema in diesem Bereich. Wir haben
den Arbeitsgemeinschaften und Optionskommunen
2005 und 2006 rund 6,5 Milliarden Euro für die aktive
Arbeitsmarktpolitik bereitgestellt. Diese Hausnummer
kann sich sehen lassen. Im Jahr 2005 wurden aber nur
56 Prozent dieser Mittel genutzt. Selbst wenn man berücksichtigt, dass diese Agenturen noch aufgebaut werden mussten und dass sich die Arbeitsgemeinschaften
entwickeln mussten, muss man kritisieren - Herr Holter,
hören Sie gut zu -, dass nach meinen Informationen, die
von gestern Abend 18 Uhr datieren, bis zum heutigen
Tag nur 2,6 Milliarden Euro dieser 6,5 Milliarden Euro
abgeflossen sind. Wer sich dann hier hinstellt und meint,
sagen zu können - obwohl sich der Bundeshaushalt in
einer Notlage befindet und die Verschuldungsgrenze
überschritten ist -, man könne davon nicht 1 Milliarde
Euro sperren, der hat wirklich Scheuklappen auf den Augen.
Klar ist, dass das nicht in jeder Kommune und in jeder
Region gleich ist. Aber Sie müssen einmal darüber diskutieren, wie man das Geld anders verteilen kann. Wir
sind immer für ein Gespräch offen. Ich prognostiziere
Ihnen - ich sage: leider -, dass die Mittel für die aktive
Arbeitsmarktpolitik auch in diesem Jahr nicht in dem
Umfang ausgegeben werden, wie ich mir das wünsche
und wie sich die Mehrheit in diesem Haus das wünscht.
Ich glaube, wir haben im Rahmen des Möglichen und
des wirtschaftlich Verantwortbaren gehandelt.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Heinrich Kolb von
der FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
war zu erwarten, dass die Vertreter der Koalition hier
selbstzufrieden verkünden, der Aufschwung sei da, er
habe den Arbeitsmarkt erreicht und wir seien auf einem
guten Weg.
({0})
Ich will für meine Fraktion klar sagen, Herr Brandner:
Auch wir freuen uns über die Chance auf einen Aufschwung.
({1})
Auch wir freuen uns über jeden Arbeitslosen, der eine
neue Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt gefunden hat und der damit die Chance bekommt, auf Dauer
sein eigenes Auskommen zu sichern. Allein, es sind zu
wenig Menschen, die davon profitieren. Herr
Müntefering, obwohl der Aufschwung in Deutschland
nach den neuen Zahlen der OECD sogar 2,2 Prozent
Wachstum in diesem Jahr bringen könnte, bleibt sein Effekt auf den Arbeitsmarkt und auf die Finanzierung der
sozialen Sicherungssysteme ausgesprochen schwach.
Man könnte auch sagen, dass es ein Aufschwung ohne
Wirkung ist.
({2})
Ich will das an Zahlen belegen. Es ist alarmierend,
wenn im Jahresvergleich die Arbeitslosenzahl zwar um
426 000 gesunken ist, die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im gleichen Zeitraum aber nur
um 129 000 zugenommen hat. Das sollten doch eigentlich kommunizierende Röhren sein: Wer nicht mehr arbeitslos ist, sollte eine Beschäftigung gefunden haben.
Offensichtlich treten aber viele Menschen aus dem Arbeitsmarkt aus. Herr Müntefering, unser Bestreben muss
es sein, neue Beitragszahler zu generieren, weil nur so
die Zukunft der sozialen Sicherungssysteme gewährleistet werden kann.
({3})
Fast noch alarmierender ist es, wenn trotz des leichten
Anstiegs der Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse das Beitragsaufkommen stagniert. Das kann man bislang am Beispiel der Rentenversicherung im laufenden Jahr feststellen.
Herr Müntefering, die allgemeinen Beitragseinnahmen beliefen sich von Januar bis Juli des Jahres 2005 auf
95,546 Milliarden Euro, im Vergleichszeitraum dieses
Jahres auf 105,772 Milliarden Euro. Mithin ergab sich
ein Plus von 10,2 Milliarden, was fast ausschließlich auf
den Einmaleffekt des 13. Monatsbeitrags zurückzuführen sein dürfte. Sie hatten zwar nur 9,6 Milliarden Euro
veranschlagt, aber der Durchschnitt der Pflichtbeiträge
im letzten Jahr lag deutlich über 11 Milliarden Euro, sodass man sagen kann: Bei den eigentlichen Pflichtbeiträgen aus der regulären Beschäftigung treten Sie auf der
Stelle.
Die Erklärung für dieses Phänomen dürfte darin liegen, dass sich ein Trend fortsetzt, der nach einem statistischen Taschenbuch des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung - damals hieß es noch
so - schon seit Jahren anhält: Die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Vollzeitstellen bewegt sich deutlich
nach unten, während gleichzeitig die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Teilzeitstellen zunimmt. Im Klartext: Mehr Menschen sind sozialversicherungspflichtig
beschäftigt, aber das Beitragsaufkommen insgesamt
bleibt konstant.
Wenn diese Analyse zutrifft, liebe Kolleginnen und
Kollegen, dann haben wir ein Problem;
({4})
dann wird es nämlich wahrscheinlich, dass zutrifft, was
der Schätzerkreis schon im Mai errechnet hat: Das Defizit aus laufenden Einnahmen und Ausgaben der Rentenversicherung wird 4,6 Milliarden Euro betragen. Das
heißt, dass die Zusatzeinnahme durch den 13. Monatsbeitrag schon in diesem Jahr ein gutes Stück wieder verschlungen wird und die Nachhaltigkeitsrücklage am
Ende des Jahres gerade noch bei 7,3 Milliarden Euro liegen wird.
Und, Herr Müntefering, es gibt Grund zur Annahme
- das sage ich hier sehr deutlich, darüber soll man nicht
hinweggehen -, dass die Situation im Jahre 2007 noch
schlechter aussehen wird. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass das Defizit in der Rentenversicherung,
das wir in den letzten Jahren hatten - in den letzten Jahren betrug es zwischen 4 und 5 Milliarden Euro -, im
nächsten Jahr niedriger sein wird. Es gibt zusätzliche Risiken, von denen ich hier nur drei nennen möchte.
Das erste Risiko haben Sie selbst geschaffen: Die
Rentenversicherungsbeiträge für die Empfänger von
Arbeitslosengeld II haben Sie mit dem SGB-III-Änderungsgesetz um 2 Milliarden Euro gekürzt. Es ist unschwer vorherzusagen, dass diese Maßnahme das Defizit
der Rentenversicherung entsprechend erhöhen wird.
Die Beiträge, die die Rentenversicherung zur Krankenversicherung der Rentner zahlen muss, werden sich
als Folge der Gesundheitsreform schon im Jahre 2007
erhöhen. Das kann man heute noch nicht auf Cent und
Euro genau sagen. Es ist aber unschwer vorherzusagen,
dass sich das in der Größenordnung von 1 Milliarde
Euro bewegen wird.
Die Risiken aus dem Urteil des Bundessozialgerichtes
zu den Abschlägen bei den Erwerbsminderungsrenten
belaufen sich nach einem Schreiben Ihres Staatssekretärs
Tiemann, Herr Minister, im Jahre 2007 auf 500 Millionen Euro, die der Nachzahlungen für die Jahre von 2002
bis 2006 auf rund 1 Milliarde Euro.
Wenn Sie mitgerechnet haben: Das sind 4,5 Milliarden Euro. Das ist schon mehr, als Sie aus der Beitragsanhebung ab 1. Januar 2007 - das sind nämlich gerade einmal 4 Milliarden Euro - erwarten dürfen. Das heißt, man
muss kein Prophet sein, um vorauszusagen: Schon Ende
2007 ist der Einmaleffekt des 13. Monatsbeitrages verfrühstückt, wird die untere Schwelle der Nachhaltigkeitsrücklage schon wieder angekratzt oder gar unterschritten. Damit ist es wahrscheinlich, dass im Jahre
2008 ein einmaliger Bundeszuschuss von 800 Millionen
Euro nicht ausreichen und eine erneute Beitragserhöhung notwendig wird. Das nenne ich eine Katastrophe.
Das ist nur noch eine Verwaltung des Mangels; mit einer
geordneten Rentenpolitik hat das wirklich nichts, aber
auch gar nichts mehr zu tun.
({5})
Was lernen wir aus alledem, liebe Kolleginnen und
Kollegen? Zur Lösung der Probleme der sozialen Sicherungssysteme reicht offensichtlich auch ein Wachstum
von bis zu 2,2 Prozent nicht aus. Es verbietet sich daher
eine Politik, die über eine Erhöhung der Mehrwertsteuer sogar noch eine Abschwächung dieses Wachstums in Kauf nimmt.
({6})
Ich fordere Sie auf, die Mehrwertsteuererhöhung auch
vor dem Hintergrund kräftig sprudelnder Steuerquellen
rückgängig zu machen.
Und: Fangen Sie endlich mit einer grundlegenden
Reform des Arbeitsmarktes an, damit nicht nur die
vorhandene Arbeit neu verteilt wird, sondern zusätzliche
Arbeitsplätze entstehen. Worauf warten Sie eigentlich
noch? Herr Pofalla hat gesagt, er habe die Studie der
Weltbank gelesen, wonach Deutschland in einem Ranking zur Frage „Wo ist es einfach, einen Arbeiter einzustellen?“ auf Platz 129 der Welt liegt. Wenn die Bundesregierung Kenntnis von diesen Fakten hat, dann finde
ich es skandalös, dass Sie, Herr Bundesminister, vor einer Neuregelung des Kündigungsschutzes zurückscheuen.
({7})
Ich frage provokativ: Soll denn die größte Reform des
Kündigungsschutzes, die Sie, Herr Pofalla, vollmundig
angekündigt haben, ersatzlos gestrichen werden? Das
kann ja wohl nicht sein. Herr Pofalla, das, was Sie diesbezüglich in den Koalitionsvertrag geschrieben haben,
war nicht das Gelbe vom Ei. Das zeigt übrigens auch,
wie wenig Ahnung Sie, ein führender Vertreter der
Union, davon haben, welche Fragen aus Sicht des Mittelstandes in unserem Land ausschlaggebend sind, wenn
es darum geht, ob ein zusätzlicher Mitarbeiter eingestellt
wird.
Herr Müntefering, Sie haben in diesen Tagen geäußert, man solle das Thema Kündigungsschutz nicht überbewerten. Deshalb weise ich Sie auf eine ganz aktuelle
Umfrage des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung hin:
Auf die Frage nach den Einstellungsbarrieren, also warum der Aufschwung auf dem Arbeitsmarkt nur eine
begrenzte Wirkung entfaltet, nannten 59 Prozent der befragten Unternehmer den Kündigungsschutz. Herr Minister, an solchen Fakten dürfen und können Sie nicht
vorbeigehen.
({8})
Es ist traurig: Die Union ist bei der Reform des Arbeitsmarktes vollständig auf Tauchstation gegangen.
Herr Pofalla - zum Mitschreiben -: Entscheidend ist
nicht die Frage, ob wir eine Befristung oder eine Verlängerung der Probezeit brauchen. Wir brauchen beides.
Wir brauchen die Möglichkeit zur Befristung der Probezeit und die Möglichkeit zu einer Verlängerung. Wir
müssen alle Maßnahmen ergreifen, die die Chance für
neue Arbeitsplätze in diesem Land bieten.
({9})
Zu Ihrer verfehlten Politik hätte man noch vieles sagen können. Ich will noch einmal ein Zitat anführen, das
ich schon im Frühjahr dieses Jahres vorgetragen habe
und das sich leider bewahrheitet hat. Damals hat die „Financial Times Deutschland“ Folgendes geschrieben:
Diese Koalition wird Gesetze verabschieden, die
sie mit dem Etikett „Reform“ versehen wird. Aber
zu echten Strukturreformen, die die Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft verbessern, wird es nicht
kommen … Die bittere Wahrheit ist, dass Politiker
wie Merkel oder Steinbrück zu echten Reformen
entweder nicht fähig sind oder kein Interesse daran
haben.
Man muss sagen: Leider wahr.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({10})
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Ralf Brauksiepe
von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Die soziale Sicherung ist der größte Ausgabenblock im
Bundeshaushalt, das gilt auch für 2007. Im nächsten Jahr
werden für Sozialausgaben rund 135 Milliarden Euro
zur Verfügung gestellt. Das ist über die Hälfte der Gesamtausgaben des Bundes. Das zeigt, dass der vorgelegte Haushalt in hohem Maße ein Instrument des sozialen Ausgleichs ist. Dazu bekennen wir uns.
({0})
Jeder weiß, dass Arbeitsmarktpolitik nicht nur durch
den Bundeshaushalt bestimmt wird. Die Beitragsmittel
der Bundesagentur für Arbeit kommen hinzu. Seien
wir doch einmal ehrlich: Jeder, der in der Vergangenheit
Verantwortung getragen hat, hätte sich doch solche Luxusdiskussionen gewünscht, wie wir sie jetzt über die
Frage führen, was wir mit den Überschüssen machen.
Über Jahrzehnte hinweg haben wir uns mit der Frage beschäftigt, wo wir das Geld hernehmen, um Defizite zu
decken. Aufgrund der Rahmenbedingungen, die wir
durch unsere Politik gesetzt haben, haben wir in diesem
Bereich jetzt Überschüsse.
({1})
Das ist eine gute Entwicklung. Die Überschüsse werden
wir im Sinne der Beitrags- und Steuerzahler nutzen.
In diesem Zusammenhang muss man Gegensätze
nicht künstlich aufbauen; denn niemand hat gesagt, es
könne auf gar keinen Fall eine Senkung von Beiträgen
geben; es hat aber auch niemand gesagt, es müsse eine
Beitragssatzsenkung um jeden Preis geben. In der großen Koalition arbeiten wir gemeinsam daran, eine weitere Absenkung der Lohnnebenkosten finanzierbar zu
machen. Im Detail gibt es sicherlich Unterschiede: die
Senkung der Lohnnebenkosten ist ein besonderes Herzensanliegen der Union. Auf diesem Weg wollen wir
weitergehen. Das ist die richtige Botschaft.
({2})
Hinsichtlich der Mittel für den Arbeitsmarkt sieht es
im Haushalt in der Tat schwieriger aus. Für die rein passive Leistung Arbeitslosengeld II werden wir in diesem
Jahr voraussichtlich 27 Milliarden Euro ausgeben. Im
nächsten Jahr sind im Vergleich dazu rund 6 Milliarden
Euro einzusparen. Einsparungen in Höhe von 4 Milliarden Euro erwarten wir infolge der Reformgesetze im Bereich des Sozialgesetzbuches II. Sie werden im nächsten
Jahr ihre volle Wirkung entfalten. Da bleibt in der Tat
ein Risiko. Es wird umso einfacher, dieses Risiko zu begrenzen, je besser es uns gelingt, diese Finanzlücke
durch wachsende Beschäftigung und abnehmende Arbeitslosigkeit zu schließen. Auf diesem Weg befinden
wir uns. Die Signale vom Arbeitsmarkt sind sehr positiv
und stimmen hoffnungsvoll.
Ich muss sagen, der Kollege Kolb und die Kolleginnen und Kollegen von der FDP tun mir manchmal ein
bisschen Leid.
({3})
Wir machen es Ihnen ja nicht leicht. Ich erinnere mich:
Wie waren die Zahlen im Mai? Da gab es den höchsten
Rückgang der Arbeitslosigkeit in einem Mai seit der
Wiedervereinigung. Da haben Sie, Herr Kolb, gesagt,
dass aber die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten zurückgehe. Im Juli hatten wir den ersten
Rückgang der Arbeitslosigkeit in einem Juli seit der
Wiedervereinigung. Da sagten Sie: Aber es gibt nur
50 000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse mehr. Das war Ihnen zu wenig. Jetzt haben
wir im August fast 130 000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse mehr und einen Rückgang der Arbeitslosigkeit um mehr als 400 000. Das sind
doch positive Zahlen und Fakten. Sie müssen immer
akrobatischer werden, um unsere Politik schlecht reden
zu können. Wir sind auf dem richtigen Weg. Das zeigen
diese Zahlen.
({4})
Natürlich ist dieser Trend nicht überall in der gleichen
Art und Weise feststellbar. Ich vermute, Sie, Herr Kolb,
werden weiter Anstrengungen unternehmen, um noch
ein Haar in der Suppe zu finden. Aber ich sage Ihnen
ganz deutlich: Wir sind auf dem richtigen Weg, auch
wenn der sich nicht überall gleich auswirkt. Wir haben
eben von Herrn Holter ein beeindruckendes Geständnis
gehört: längste Amtszeit als Arbeitsminister und höchste
Arbeitslosigkeit. Das ist in der Tat sehr beeindruckend.
({5})
Ich sage Ihnen, Herr Holter: Mit Ihrem Vorschlag, die
volkseigenen Betriebe wieder aufleben zu lassen, werden wir die Probleme nicht lösen. Deswegen werden wir
das, was Sie uns mit Ihren ideologischen Scheuklappen
vorgemacht haben, nicht machen.
({6})
Sie können genauso Beispiele aus Berlin nennen: RotRot erhöht die Arbeitslosigkeit; Rot-Rot erhöht die Armut. Das ist Ihre Botschaft, die Sie uns heute wieder eindrucksvoll verkündet haben.
({7})
Herr Kollege Brauksiepe, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fricke?
Aber gern. Sie müssen sich aber nicht angesprochen
fühlen, wenn ich über rot-rote Politik spreche.
Nein, das tue ich nicht. Ich wollte Ihnen nur die Mühen ersparen, sich an einer Stelle abzuarbeiten, an der es
nicht wirklich notwendig ist.
Herr Kollege Brauksiepe, könnten Sie mir Folgendes
erklären: Sie sagen, Sie seien hinsichtlich des Arbeitsmarktes - ich würde mir für alle Arbeitslosen wünschen,
dass es so wäre - auf dem richtigen Weg. Warum steigt
dann im Haushalt der Aussteuerungsbetrag bzw. die
sich dahinter verbergende Zahl der Menschen, die von
ALG I in ALG II kommen? Denn wenn der Weg richtig
wäre, müsste dieser Betrag bzw. diese Zahl doch sinken,
müsste es weniger Leute geben, die lange oder länger in
Arbeitslosigkeit sind.
({0})
Herr Kollege, Sie haben mit dem Hinweis auf den
Aussteuerungsbetrag in der Tat auf ein Risiko auf der
Einnahmeseite im Haushalt hingewiesen. Sie haben damit vollkommen Recht. Ich sage auch nicht, dass man
jetzt einfach, gerade wie es einem passt, an der Schraube
drehen kann. Ich finde, dass es erst einmal eine gute
Nachricht ist, dass der Aussteuerungsbetrag nicht so
hoch ist, weil es uns in diesem Jahr durch die Rahmenbedingungen, die wir gesetzt haben, gelungen ist, mehr
Menschen aus dem Arbeitslosengeld I in Arbeit zu bringen. Darum geht es uns.
Ich sage Ihnen voraus: Wenn dieser Trend sich fortsetzt, dann heißt das, dass die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt insgesamt weiter so positiv ist, dass sich das
auch auf den Bundeshaushalt auswirken wird. Dann
werden auch Sie als Vorsitzender des Haushaltsausschusses ganz bestimmt Ihre Freude an unserer Politik
haben.
({0})
Wir müssen natürlich bei dem, was wir in Zukunft
machen, bei den arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen, die wir ergreifen, darauf achten, dass sie nicht zu
mehr Ausgaben führen. Das heißt aber nicht, dass Leistungen gekürzt werden müssen. Es heißt vielmehr, dass
vor allem bei Hartz IV noch stärker auf die Eingliederung in den regulären Arbeitsmarkt, auf ein Leben ohne
Fördergelder geachtet werden muss, und dass wir
Hartz IV nicht als ein sozialpolitisches Reparaturinstrument für alle Defizite in Familie, Bildungswesen oder
bei der Integrationspolitik heranziehen dürfen.
Es heißt darüber hinaus auch, dass wir bei dem Paket,
das wir im Herbst schnüren werden, indem wir das Entsendegesetz ausweiten, genau das, was Sie von der FDP
hier als Drohgebilde an die Wand gemalt haben, nicht
tun. Das Entsendegesetz auszuweiten bedeutet doch, tariflichen Vereinbarungen mehr Raum und mehr Gestaltungsmöglichkeiten zu geben. Genau darum geht es uns.
Wir wollen keine gesetzlichen Regelungen; für uns gehen tarifliche Regelungen vor gesetzlichen Regelungen.
Wir sind auf einem guten Weg, das mit dem Koalitionspartner so zu vereinbaren.
({1})
Ich bin für die Signale dankbar, die wir dazu bekommen
haben.
Wir werden uns insbesondere verstärkt darum bemühen müssen, Langzeitarbeitslose in den Arbeitsmarkt
zu integrieren. Wir werden Schwerpunkte bei den älteren
und den jüngeren Langzeitarbeitslosen setzen. Das, was
Minister Müntefering unter dem Stichwort „50 plus“ angekündigt hat, passt in ein solches Gesamtkonzept.
({2})
Es muss unser gemeinsames Ziel sein, sowohl ältere
Arbeitslose, die Arbeitslosengeld I beziehen, vorher allerdings gut verdient haben, möglichst schnell wieder in
Beschäftigung zu bringen - das ist ein wichtiges Element dieser Initiative -, als auch aus der Gruppe der
Langzeitarbeitslosen bestimmte Teilgruppen anzusprechen, Ältere wie Jüngere, die zwar keine guten Einkommensperspektiven haben, die aber bereit sind, durch eigener Hände Arbeit ihren Lebensunterhalt zu sichern. Es
muss möglich sein, ihnen durch einen Kombilohn von
staatlicher Seite eine Unterstützung zu geben. Daran arbeiten wir.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich in
diesem Zusammenhang etwas zum Gutachten des Sachverständigenrates sagen. Uns geht es nicht um eine
Kürzung der Regelsätze. Aber wir bekennen uns dazu,
dass wir durch die Reformmaßnahmen, die wir ergriffen
haben, deutlich gemacht haben: Diejenigen, die sich
nicht an die Spielregeln halten, müssen mit Leistungskürzungen rechnen. Diese Entscheidung war richtig.
Dazu stehen wir.
({4})
Ich bin der Meinung, dass man sich sehr genau ansehen muss, wie sich der Sachverständigenrat zu den Hinzuverdienstregelungen geäußert hat. Mir scheint das,
was ich hierzu gehört habe, sehr beachtenswert zu sein.
Auf eines müssen wir achten: Es darf in der Tat nicht darum gehen, dass sich jemand, der Transferleistungen bezieht, fragt: Was kann ich hinzuverdienen, ohne dass mir
die Transferleistung gekürzt wird? Es muss wirklich darum gehen, dass diejenigen, die bereit sind, viele Stunden lang für einen geringen Lohn zu arbeiten, um von
den Transferleistungen unabhängig zu werden, unterstützt werden. An diesem Leitmaßstab müssen wir uns
bei den Reformen, die wir anpacken, orientieren.
Lassen Sie mich noch ein paar Worte zu den Rentenfinanzen sagen. Auch hier macht sich die positive wirtschaftliche Entwicklung durchaus bemerkbar. Wir werden bei dem Kurs bleiben, auf den wir uns verständigt
haben: Im nächsten Jahr muss der Rentenbeitrag leicht
erhöht werden. Gleichzeitig werden wir das, was wir uns
unter dem Stichwort „Rente mit 67“ vorgenommen und
im Koalitionsvertrag und darüber hinaus verabredet haben, Stück für Stück in praktische Politik umsetzen. Das
ist ein moderater Weg, der den Interessen der Rentner
und der Beitragszahler gerecht wird.
Ende Oktober dieses Jahres werden uns verlässliche
Angaben zur tatsächlichen Wirtschafts- und Arbeitsmarktentwicklung vorliegen. Vor diesem Hintergrund
werden wir als große Koalition im Herbst dieses Jahres
unsere Vorstellungen dazu vorlegen. Sie alle sind herzlich eingeladen, daran konstruktiv mitzuwirken.
Völlig klar ist: Wir werden nicht im Bundestag politisch darüber entscheiden, ob es zu einer Rentenerhöhung kommt oder nicht. Wir haben politisch entschieden, dass wir den Rentnerinnen und Rentnern in dieser
Legislaturperiode keine zusätzlichen Lasten durch eine
Rentenkürzung aufbürden werden; das ist wahr. Rentenerhöhungen können wir weder beschließen noch versprechen. Klar ist aber: Wenn wir weiterhin den Weg des
wirtschaftlichen Aufschwungs und der finanziellen Konsolidierung beschreiten, dann ist das gut für die Entwicklung der Renten. Daran arbeiten wir. Hier bitte ich um
Ihre Unterstützung.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort hat jetzt der Kollege Markus Kurth vom
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Brauksiepe, Sie haben wieder ein Bild gezeichnet,
das den Eindruck vermittelt, dass fast alles eitel Sonnenschein ist. Was mich betrübt und besorgt, ist, dass angesichts dieser positiven Darstellung von teilweise durchaus begrüßenswerten Entwicklungen am Arbeitsmarkt
ein Bereich im Schatten bleibt: die Langzeitarbeitslosigkeit insbesondere junger Menschen bzw. derjenigen
unter 25 Jahren.
Vor dem Hintergrund der Situation dieser Gruppe, die
immer größer wird und sich immer weiter vom Arbeitsmarkt entfernt, sehen die Bewertungen des Überschusses
der Bundesagentur für Arbeit und der nicht verausgabten
Mittel im Rahmen des Sozialgesetzbuches II ganz anders aus.
({0})
Einer der wenigen, der dieses Problem angesprochen
hat, ist Herr Pofalla. Er hat gesagt: 80 000 junge Leute
gehen Jahr für Jahr ohne Abschluss von der Schule. Die
40 000 Schulabgänger, die die Schule mit einem relativ
schlechten Hauptschulabschluss verlassen, muss man eigentlich noch hinzuzählen.
Ich will Ihnen auch die neuesten Zahlen des Instituts
der deutschen Wirtschaft Köln, das erst jüngst eine Untersuchung zum Qualifikationsniveau durchgeführt hat,
nicht vorenthalten. Daraus geht hervor: Zum ersten Mal
in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ist
die Aufwärtsmobilität bei der Bildung unterbrochen.
Zum ersten Mal ist eine jüngere, nachkommende Generation - formal - nicht besser qualifiziert als eine ältere
Generation. Im Jahr 2004 haben 22 Prozent der Berufsschüler die Berufsschule ohne Abschluss verlassen.
Zehn Jahre zuvor waren es 15 Prozent. Das heißt, unten
wird eine immer größere Gruppe abgehängt. Damit sei
es der Zahlen an dieser Stelle genug. Diese Situation ist
bildungspolitisch, sozialpolitisch und letzten Endes auch
ökonomisch eine Bedrohung. Ich komme zu dem
Schluss, dass wir da konzentriert investieren müssen.
Selbstverständlich ist an dieser Stelle staatliches Handeln und Fördern gefragt.
Vor diesem Hintergrund werde ich natürlich schon stutzig - sollten wir alle stutzig werden! -, wenn 1,2 Milliarden Euro des Überschusses der Bundesagentur für
Arbeit aus nicht verausgabten Fördermitteln, aus Einsparungen im Bereich des Sozialgesetzbuches III stammen. Man sollte stutzig werden, wenn, wie Waltraud
Lehn sagt, nur 2,6 Milliarden Euro abgerufen worden
sind. Das muss einen schon merkwürdig stimmen! Die
1,1 Milliarden Euro, die Sie gesperrt haben, haben doch
nur dazu geführt, dass der Griffel in vielen Job-Centern
schnellstens hingeworfen wurde - leider! - und erst jetzt
wieder aufgenommen wird, anstatt an dieser Stelle zu
fördern!
Die Frage ist nicht nur, wie viel Geld ausgegeben
wird. Ich glaube, man muss sich angesichts der Dramatik
der Situation auch genau anschauen, wofür das Geld
ausgegeben wird; nicht nur die Menge, sondern auch die
Art und Weise der Ausgaben sind wichtig. Dass den Jugendlichen unter 25 Jahren, denen eine Ausbildung, eine
Nachqualifizierung fehlt, dann 1-Euro-Jobs, so genannte
Mehraufwandsentschädigungsjobs, angeboten werden,
erfüllt mich mit tiefer Sorge. Ich halte das für skandalös.
Andere Mittel sind wichtig! Sie sprechen an dieser Stelle
vom öffentlich geförderten Beschäftigungssektor. Auch
das Land Berlin - um einmal ein Land mit einer Regierungsbeteiligung der PDS/Linkspartei zu nennen - stellt
36 000 solche Mehraufwandsentschädigungsjobs. Wo
bleiben denn die vernünftigen, sozialversicherungspflichtigen Arbeitsgelegenheiten, wo bleiben ordentliche
Qualifizierungsmöglichkeiten in den Bereichen, in denen Sie die Möglichkeit haben, solche anzubieten?
({1})
Bei den Ausschreibungsverfahren - ich muss es noch
einmal ansprechen - zielen wir vorbei, wir sparen auf
Kosten dieser jungen Menschen. Ich will ein Beispiel
- mehr erlaubt mir meine Redezeit nicht - nennen: Ich
habe vor einigen Wochen das Jugendausbildungszentrum in Münster besucht. Es wird vom Sozialdienst
Katholischer Männer betrieben. Dort hat man eine Werkstatt für Zweiradmechanik eingerichtet, die so gut ist,
mit so guten Werkzeugen ausgestattet ist - übrigens über
Spenden vom Lions Club und vom Bistum, nicht aus öffentlichen Mitteln -, dass die IHK, die Industrie- und
Handelskammer in Münster, sämtliche Gesellenprüfungen in dieser Werkstatt abhält. Dort wurde eine überbetriebliche Ausbildung angeboten.
Diese Werkstatt steht seit zwei Monaten leer: Man hat
die Ausschreibung verloren, obwohl die Werkstatt qualitativ am besten war - da hat man sich beim regionalen
Einkaufszentrum noch einmal rückversichert -, weil nur
der Preis den Ausschlag gegeben hat. Wohin gehen die
Jugendlichen jetzt? Der Anbieter, der die Ausschreibung
gewonnen hat, hat eine Halle bezogen, in der „Werkecken“ stehen. Da feilen jetzt die jungen Menschen, die
praxisnah in der Zweiradmechanikwerkstatt arbeiten
könnten, an Metallklötzchen herum, die am Ende des
Arbeitstages in die Tonne geworfen werden. Wenn wir
weiterhin nach dieser Art von Ökonomik mit der Kreativität und dem Potenzial unserer jungen Menschen unter
25 Jahren umgehen, werden wir uns in zehn Jahren noch
umgucken. Dann werden wir sehen, wie die Folgen der
schönen Einsparungen, über die wir hier jetzt reden, mit
gewaltigen Mehrkosten auf uns zukommen werden.
Hunderttausende der heute jungen Leute werden uns
dann vorwerfen: Ihr habt uns mit eurer damaligen Sparpolitik um unsere Chancen gebracht! Dagegen stehen
wir, Bündnis 90/Die Grünen.
Vielen Dank.
({2})
Das Wort hat jetzt der Kollege Klaus Brandner von
der SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die Einbringung des Bundeshaushalts nach der Sommerpause dient immer dazu, vorauszuschauen, welche Aufgaben vor uns liegen und welche
Anstrengungen im kommenden Halbjahr, aber auch im
nächsten Haushaltsjahr von uns zu bewältigen sind. Die
große Koalition - um es ganz deutlich sagen - hat bereits vieles auf den Weg gebracht. Sie setzt den unter der
Vorgängerregierung begonnenen Reformkurs konsequent fort, sie setzt auf Kontinuität. Wir können feststellen, dass die Reformen greifen: Die Konjunktur zieht
an, die Wachstumsprognosen sind sehr positiv, der positive Trend auf dem Arbeitsmarkt setzt sich fort, wir
haben mehr Erwerbstätige, mehr sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, weniger Konkurse und die Arbeitslosigkeit geht zurück.
Die Bundeskanzlerin hat diese Daten gestern gewürdigt und der Bundesarbeitsminister, der Vizekanzler, hat
diese Daten heute ebenfalls gewürdigt. Lieber Herr Pofalla, eigentlich passen diese guten Daten nicht so ganz
in Ihren Beitrag hinein. Der Erfolg der großen Koalition
kann sich sehen lassen, was die harten Daten und Fakten
zeigen. Ich glaube, das ist das Ergebnis harter Arbeit. Es
wurde gut zusammengearbeitet und es gab Profilierungen in der Sache und nicht so sehr im Hinblick auf parteitaktische Überlegungen.
({0})
Ich will ganz deutlich sagen: Diesen Weg müssen wir
konsequent fortsetzen, wenn wir für die Menschen in
diesem Land das leisten wollen, was sie von uns, der
großen Koalition, in der die große Zusammenarbeit angesagt ist, erwarten.
({1})
Ich weiß, dass die schlechte Presse, die man manchmal
erhält, den einen oder anderen nervös macht. Ich sage Ihnen aber: Ich glaube bestimmt und bin davon überzeugt,
dass wir auf einem guten Weg sind. Mit der Koalitionsvereinbarung haben wir eine gute Grundlage dafür geschaffen.
Zu dem, was hier bezüglich der Ich-AG angesprochen wurde, sage ich ganz deutlich, dass wir ein erfolgreiches arbeitsmarktpolitisches Instrument noch erfolgreicher gemacht haben, indem wir durch gesetzliche
Veränderungen eine Existenzförderung in bestimmten
Bereichen möglich gemacht haben. Wir als große Koalition messen der Existenzförderung von Arbeitslosen
eine große Bedeutung bei, weil damit die Menschen eine
Beschäftigungschance erhalten, die sie ohne eine solche
Aktivität nicht gehabt hätten.
({2})
Wir setzen dabei ganz deutlich auf die Wirkung der
gesetzlichen Maßnahmen und auf Evaluation. Wir sind
bereit, Konsequenzen aus unseren Schritten und auch
aus den Fehlern zu ziehen, die in einem mutigen Gesetzgebungsverfahren durchaus gemacht werden dürfen;
denn wer nichts anpackt, der macht auch nichts falsch
und der sitzt die Probleme aus. Das ist in diesem Land
lange genug geschehen. Deshalb bauen wir darauf, dass
wir in einer großen Gemeinschaft die Kraft haben, Fehlentwicklungen schnellstens zu korrigieren, weil nur das
den Menschen in diesem Land hilft.
({3})
Sie sprachen davon, dass es im Bereich der Arbeitsmarktpolitik mehr dezentrale Entscheidungen geben
müsse. Die Sozialdemokraten sind für dezentrale Entscheidungen nach klaren Strukturvorgaben. Das ist immer unsere Position gewesen. Wir dürfen in diesem Zusammenhang nicht vergessen, dass der Einfluss der
CDU und der CSU im Bundesrat auch schon während
der Zeit, in der Rot-Grün die Bundesregierung gestellt
hat, derart stark war, dass sie Strukturen mit geschaffen
haben, die nachkorrigiert werden müssen und innerhalb
deren die Dezentralität und die Entscheidungskompetenz
an Bedeutung gewinnen müssen. Es muss aber auch klar
sein: Wer die Musik bezahlt und die Strukturen veranlasst, der muss auch die Verantwortung dafür bekommen, diese Entscheidungen systematisch umsetzen zu
können. Das sollten wir aufgreifen. Ich halte das für
wichtig. Lassen Sie mich insofern sagen, dass Sie uns
hier an Ihrer Seite haben, wenn Sie die Arbeit effizient
voranbringen wollen.
Sie haben den Kündigungsschutz angesprochen. Die
Situation ist schon ein bisschen aberwitzig. Unser Land
ist Exportweltmeister und weist eine äußerst hohe Produktivität und Produktqualität auf, was nur mit flexiblen
und guten Arbeitskräften zu erreichen ist. Diese Arbeitskräfte haben einen Anspruch auf soziale Sicherheit.
Diese wird man aber nicht mit einem dauernden Gerede
über den Kündigungsschutz erreichen, als sei der Kündigungsschutz die Bremse für das Beschäftigungswachstum in diesem Land.
({4})
Deshalb sage ich klar: Die Menschen haben einen
Anspruch auf Sicherheit und sind nicht nur Kostenfaktoren. Die SPD hat keine Notwendigkeit gesehen, an dem
Kündigungsschutz etwas zu verändern, weil wir in den
letzten Jahren gerade für kleine und mittlere Betriebe
Korrekturen vorgenommen haben. Wir haben somit ein
Recht geschaffen, durch das es aufgrund der verankerten
Befristungsmöglichkeiten die größte Flexibilität gibt.
Das, was wir in der Koalitionsvereinbarung festgelegt
haben, ist die Grundlage. Alles, was darüber hinausgeht
- um es deutlich zu sagen -, wird mit der SPD nicht zu
machen sein.
({5})
Ich will an dieser Stelle ganz unmissverständlich sagen: Wenn die Wirtschaft nach großmundigen Forderungen erklärt, dass sie das, was im Koalitionsvertrag an
weiteren Regelungen vorgesehen ist, nicht braucht und
wir alles so lassen sollen, wie es ist, weil sie mit der aktuellen Rechtslage zufrieden ist und den Grad der Flexibilität als ausreichend hoch ansieht, dann sollten wir alle
gemeinsam sagen: Die Situation ist so, wie sie ist, gut.
Jetzt müssen wir die Debatte um den Kündigungsschutz
beenden und uns anderen wesentlichen Themen in diesem Land zuwenden.
({6})
Hier ist auch das Stichwort Mindestlohn gefallen.
Wir sind sehr dafür, dass die Tarifvertragsparteien stark
sind und tarifliche Regelungen organisieren, weil tarifliche Regelungen einen Mindestlohn bedeuten. Das entspricht unserer Verfassung und dem Grundsatz, dass in
Deutschland vorrangig die Tarifvertragsparteien dafür
zuständig sind, die Höhe von Löhnen und Gehältern sowie die Arbeitsbedingungen zu bestimmen.
({7})
Wir müssen aber auch feststellen, dass es in der tarifpolitischen Landschaft zu einer Erosion gekommen ist.
Deshalb ist die große Koalition - das ist genau das, was
Kollege Brauksiepe mit seinem Zwischenruf sagen
wollte - auf dem Weg, durch mehr Allgemeinverbindlichkeit und eine umfassendere Entsendegesetzgebung
da, wo es zu Erosionen kommt und aufgrund der ÖffKlaus Brandner
nung des europäischen Marktes Probleme entstehen können, gesetzlich einzugreifen. Diesen Weg werden wir
vorrangig gehen.
({8})
- Herr Kolb, hören Sie gut zu. Wenn es am Ende Bereiche gibt, in denen die Tarife und Löhne auf ein unsoziales und sittenwidriges Niveau sinken, dann darf der Staat
nicht den Nachtwächter spielen und nur zuschauen, wie
dort etwas vor sich geht, was er sich nicht wünscht, sondern dann muss sich der Staat seiner Verantwortung stellen. Diesen Weg werden wir gemeinsam gehen müssen.
Das wollte ich heute Morgen einmal deutlich ansprechen.
({9})
Herr Kollege Brandner, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Heinrich Kolb?
Bitte.
Bitte, Herr Kolb.
Herr Kollege Brandner, können diese Eingriffe auch
bedeuten, dass diese Arbeitsplätze am Ende und in der
Konsequenz entfallen? Die niedrigen Löhne, über die
Sie sprechen, beispielsweise im Friseurhandwerk in
Sachsen, sind tariflich vereinbart. Wenn Sie jetzt per Gesetz einen deutlich höheren Mindestlohn vorgeben, wird
es offenkundig dazu kommen, dass diese Arbeitsplätze
künftig so nicht mehr bestehen. Nehmen Sie diese Konsequenz in Kauf?
Erster Punkt. Herr Kolb, diese Vermutung muss nicht
eintreten. Sie beabsichtigen, mit dieser Unterstellung
von vornherein vorzugeben, dass Mindestlöhne Arbeitsplätze gefährden würden. Im europäischen Ausland wurden dazu ganz andere Erfahrungen gemacht.
({0})
Der zweite Punkt. Für diese Bundesregierung und insbesondere für meine Fraktion möchte ich deutlich sagen:
Wenn wir einen Mindestlohn vereinbaren, werden wir
das nicht ohne die gesellschaftlich relevanten Kräfte tun.
So wurde auch in Großbritannien vorgegangen, wo es
eine „Low Pay Commission“ gibt, in der Wissenschaftler, Gewerkschafter und Vertreter von Unternehmerverbänden gemeinsam Normen festsetzen. Sie dürfen nicht
davon ausgehen, dass wir ein solches Projekt blind von
oben verordnen,
({1})
sondern wir werden ein solches Projekt beteiligungsorientiert angehen. Wenn Sie dann auf der Seite derjenigen
sind, die sich ins Abseits stellen, kann ich daran nichts
ändern. Ich will Ihnen nur sagen: Wir werden einen solchen Schritt sehr behutsam, aber auch sehr beharrlich
und klar konturiert vornehmen, damit die Menschen in
diesem Lande wissen: Mit uns ist Sozialdumping nicht
zu machen.
({2})
Zum Kombilohn ist vieles gesagt worden. Wir haben
sehr viele Kombilohnmodelle und dabei bleibt es auch.
Wir werden gut daran tun, diese Modelle zu systematisieren. Kombilohn ist weder ein Schimpfwort noch eine
Wunderwaffe oder Zauberformel. Wir müssen dabei an
der Sache orientiert unsere Arbeit machen. Arbeitslosen
können wir mit arbeitsmarktpolitischen Instrumenten
- der Kombilohn ist ein arbeitsmarktpolitisches Instrument - am ehesten zu einem Arbeitsplatz verhelfen.
Deshalb möchte ich diese Debatte gerne unaufgeregt
führen.
Ich komme zu dem, was der Sachverständigenrat angeblich zur Senkung des Arbeitslosengeldes gesagt hat.
Herr Pofalla, ich möchte gerne etwas zu Ihren Worten
anmerken, die wir heute Morgen hören konnten. Es
heißt, der Sachverständigenrat fordere bei Ablehnung eines Arbeitsangebotes eine Kürzung der Leistungen.
Es stimmt mich schon ein bisschen nachdenklich,
dass man einen Sachverständigenrat braucht, der in einem Gutachten öffentlich etwas fordert, was wir schon
in vielen Gesetzgebungsverfahren festgeschrieben haben.
({3})
Für solche Feststellungen, verehrter Herr Pofalla, brauchen wir weder einen Sachverständigenrat, noch brauchen wir politisch kluge Aussagen dazu.
({4})
Um es klipp und klar zu sagen: Wir haben in den
Hartz-IV-Gesetzen gemeinsam mit der CDU/CSU Sanktionsregelungen beschlossen. Wer ein zumutbares Arbeitsangebot ablehnt, hat keinen Anspruch auf Finanzierung, und zwar weder nach SGB III noch nach SGB II.
Wir haben im SGB-II-Fortentwicklungsgesetz diese Praxis noch einmal verändert und die gesetzlichen Rahmenbedingungen für eine weiter vereinfachte Anwendung
geschaffen. Deshalb betrachte ich es ein bisschen als
Flop, wenn man öffentlich so tut, als könnte in diesem
Land jemand Geld bekommen, ohne sich dafür der gesellschaftlichen Verantwortung stellen zu müssen. Insofern ist die heutige Debatte eine sehr gute Gelegenheit,
um festzustellen, dass - wenn das Sachverständigengutachten tatsächlich zu diesem Ergebnis kommen sollte kein Handlungsbedarf besteht.
Dass der Bundesminister eindeutig festgestellt hat,
dass es beim Regelsatz keinen Änderungsbedarf gibt, ist
eine weitere klare Botschaft für die Menschen in diesem
Lande, die durch eine solche Debatte verunsichert werden. Damit muss Schluss gemacht werden. Ich glaube,
wir müssen uns verstärkt den inhaltlichen Aufgaben
widmen. Dann werden wir das Land nach vorne bringen.
Lassen Sie mich noch drei kurze Stichworte nennen.
Das wird schwierig, Herr Kollege, weil der Blick auf
die Uhr deutlich macht, dass dafür keine Zeit mehr zur
Verfügung steht.
({0})
Es sind nur einige Stichworte. - Wir müssen das
Thema der Leistungsgeminderten bzw. der Langzeitarbeitslosen aufgreifen. Wir müssen die Ausbildungssituation für die Jugend offensiv angehen und wir müssen
deutlich machen, dass Überschüsse in der Bundesagentur nicht in den Haushalt fließen. Diese Überschüsse
konnten durch die Arbeitsmarktpolitik erwirtschaftet
werden und sie müssen auch in diesem Bereich bleiben.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Stefan Müller für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
beraten heute in erster Lesung des Bundeshaushalts 2007 den Einzelplan 11 mit einem Volumen - das
ist schon angesprochen worden - von 122 Milliarden
Euro. Das ist der größte Einzeletat im Bundeshaushalt.
Er deckt knapp 50 Prozent des gesamten Ausgabevolumens ab. Allein dadurch wird deutlich, welchen Stellenwert die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik in diesem Land
hat. Daran möchte auch niemand etwas ändern.
Die große Koalition hat sich vorgenommen, den
Haushalt des Bundes zu konsolidieren und vor allem die
Neuverschuldung zu reduzieren. Wir tun das nicht zum
Selbstzweck; wir schlagen diesen Weg vielmehr deswegen ein, weil wir es uns nicht mehr leisten können, unseren Kindern immer mehr Belastungen aufzuwälzen, die
sie später irgendwann einmal tragen müssen. Dieser Weg
ist richtig. Ich wünsche mir deshalb, dass die Opposition
diesen Weg unterstützt.
({0})
Dieser Weg geht aber nicht völlig spurlos an der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik vorbei. Es wird umso
schwieriger, als wir erkennen müssen, dass die Ausgaben im Sozialbereich durch gesetzlich bedingte Fehlentwicklungen immer weiter angestiegen sind. Nur wenige
in diesem Hause werden bestreiten, dass es im Sozialrecht, insbesondere bei den Hartz-IV-Gesetzen, Fehlanreize gegeben hat und die Ausgaben im SGB -II-Bereich
immer weiter angestiegen sind. Ich will gar nicht von
Leistungsmissbrauch reden, was uns von einer bestimmten Seite dieses Hauses immer wieder unterstellt wird.
({1})
Der Missbrauch wird vielleicht gar nicht in einem so
großen Umfang betrieben, wie es immer wieder dargestellt wird.
Letzten Endes geht es aber um eine ungerechtfertigte
Inanspruchnahme von Leistungen, die an sich vom Gesetzgeber seinerzeit nicht beabsichtigt war. Wir haben in
diesem Jahr durch zwei Änderungsgesetze zum SGB II
bereits gesetzgeberisch darauf reagiert, natürlich mit
dem Ziel, die Ausgaben weiter einzuschränken. Es ist
aber kein Selbstzweck, die Ausgaben in diesem Bereich
weiter einzuschränken. Wir wollen vielmehr die immer
knapper werdenden finanziellen Mittel auf die konzentrieren, die wirklich Hilfe brauchen. Es ist mir sehr wichtig, an dieser Stelle noch einmal klar zu machen, dass es
um die Menschen geht, die wirklich hilfsbedürftig sind,
und nicht um andere, die vielleicht Hilfe in Anspruch
nehmen, obwohl sie sie gar nicht brauchen.
({2})
Wir haben auf die Situation der weiterhin ansteigenden Ausgaben auch im Bundeshaushalt 2006 reagiert;
das wurde bereits angesprochen. Der Haushaltsausschuss hat eine qualifizierte Haushaltssperre in Höhe
von 1,1 Milliarden Euro im Einzelplan 11 verhängt. Ich
will nicht verhehlen, dass dies bei den Kommunen für
gewisse Probleme gesorgt hat; das ist keine Frage. Jeder
hat das in seinem Wahlkreis erlebt. Die Optionskommune in meinem Wahlkreis, die gute Arbeit leistet, stand
oft genug vor dem Problem, Geld für Integrationsleistungen ausgeben zu müssen, ohne zu wissen, wie viel
Geld unter dem Strich tatsächlich fließt. Das hat aber
dazu geführt - so ehrlich sollten wir uns gegenüber
schon sein -, dass sich die Kommunen einmal kritisch
angesehen haben, wofür die Gelder ausgegeben werden.
Überall dort, wo das Geld nicht dringend für die Integrationsarbeit gebraucht wird, hat es offensichtlich
Handlungsspielräume gegeben, das Geld wieder zurückzugeben. Ich bin allen Beteiligten dankbar, dass Anstrengungen unternommen wurden, die Mittel, die einige
Kommunen nicht abrufen, an die Kommunen weiterzuleiten, die zusätzlich Geld brauchen. Mein Dank geht in
diesem Fall an das Ministerium sowie an die Kolleginnen und Kollegen des Haushaltsausschusses, die das
letztendlich unterstützt haben.
({3})
Der Haushaltsausschuss hat in dieser Woche die
Haushaltssperre teilweise aufgehoben. Die freigegebenen Gelder stehen nun wieder zur Verfügung, um an
Kommunen mit Mehrbedarf verteilt zu werden. Entscheidend sind aber zwei Dinge: Wir haben dafür gesorgt, dass es Einsparungen im Bereich des SGB II
geben kann. Trotzdem können die Kommunen, die nachweislich gute Arbeit leisten, ihre Tätigkeit fortsetzen. Ich
finde, das ist für diese Kommunen ein sehr gutes Signal.
Stefan Müller ({4})
({5})
Wir haben bei den arbeitsmarktpolitischen Instrumenten erste Maßnahmen für einen effizienteren Einsatz der
Mittel ergriffen. Kollege Brandner hat bereits auf den
neuen Gründungszuschuss hingewiesen. Dabei geht es
darum, mit weniger Geld Existenzgründungen von Arbeitslosen noch besser zu fördern. Ich finde, wir sind
dort auf einem guten Weg. Wir werden weitere Schritte
machen, die dazu dienen, die arbeitsmarktpolitischen Instrumente noch besser auszurichten, das heißt, bestehende Instrumente zu verbessern, sie dort, wo es sinnvoll
ist, zusammenzufassen und insgesamt effizienter zu gestalten. Sollte es die Möglichkeit geben, in diesem Bereich etwas einzusparen, dann sollten wir das tun. Aber
es geht nicht um Einsparungen um ihrer selbst willen,
sondern darum, knapper werdende Mittel an diejenigen
effizienter zu verteilen, die Unterstützung brauchen.
Es ist unbestritten - das wurde schon angesprochen -,
dass es bestimmte Personengruppen in diesem Land
gibt, die besondere Unterstützung brauchen, zum Beispiel ältere Menschen bzw. ältere Arbeitnehmer. Wir alle
wissen um die Probleme dieser Gruppe in Deutschland.
Wir erleben in persönlichen Gesprächen das Leid der älteren Menschen - ich finde allerdings, es ist schwierig, bei
über 50-Jährigen von älteren Menschen zu sprechen - und
erfahren, dass es Menschen gibt, die arbeiten wollen,
aber nicht arbeiten können, weil ihre Beschäftigungsperspektiven so schlecht sind. Es ist das erklärte Ziel
dieser Koalition, die Beschäftigungsperspektiven für
die Älteren in unserem Land deutlich zu verbessern.
Der Bundesarbeitsminister hat bereits die Initiative
„50 plus“ vorgestellt. Das ist die richtige Richtung. Wir
werden das im kommenden Herbst politisch auf den
Weg bringen.
Eines ist aber auch klar: Alleine etwas politisch auf
den Weg zu bringen, ist eine Sache. Die andere Sache
ist, dass wir in diesem Land einen Bewusstseinswechsel
brauchen. Jemand, der älter als 50 Jahre ist, darf nicht
zum alten Eisen gehören. Auch in der Wirtschaft muss
sich die Erkenntnis durchsetzen, dass eine gesunde Mischung aus älteren und jüngeren Mitarbeitern für die Betriebe von Vorteil ist.
({6})
Wir haben arbeitsreiche Monate hinter uns und arbeitsreiche Monate vor uns. Ich glaube, dass wir auf
einem guten Weg sind. Alle sind eingeladen, an diesem
Weg mitzuwirken.
({7})
Zum Schluss der Beratung über diesen Geschäftsbereich erhält das Wort der Kollege Hans-Joachim Fuchtel
für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
heutige Beratung hat gezeigt, dass die haushaltspolitische Musik in diesem Jahr ganz eindeutig im Haushalt
des Vizekanzlers spielt
({0})
und dass es erhebliche Risiken in diesem Haushalt gibt.
Ich möchte die Opposition jedoch beruhigen: Wir werden im Herbst in der Koalition eine Reihe von Maßnahmen ergreifen, mit denen diese Risiken eingeschränkt
werden.
Am wenigsten brauchen wir dabei die Belehrung von
den Grünen. Sie sind jetzt seit neun Monaten nicht mehr
in der Regierung. Ist Ihnen aufgefallen, dass jetzt das
Maastrichtkriterium eingehalten wird, und ist Ihnen aufgefallen, dass der Arbeitsmarkt sich zu beleben beginnt?
({1})
Es gibt über 400 000 Arbeitslose weniger. Über
130 000 zusätzliche versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse sind entstanden.
({2})
Ich an Ihrer Stelle wäre ganz ruhig; denn kaum sind Sie
weg, geht es aufwärts mit Deutschland.
({3})
Der Minister Holter aus Mecklenburg-Vorpommern
ist nicht mehr hier.
({4})
Das ist eine Unverschämtheit, nachdem er hier eine politisch deplacierte Rede als Bundesratsmitglied gehalten
hat. Wir haben daran erkannt, dass sich die PDS ausschließlich im ALG II einigelt. Das ist reine sozialistische Politik. Ihren Wählern kann man nur zurufen: Steigen Sie aus dem sinkenden Schiff aus, steigen Sie in
einen Dampfer, der Fahrt aufnimmt! Unterstützen Sie
eine Politik, die auf Arbeitsplatzschaffung im ersten Arbeitsmarkt ausgerichtet ist
({5})
und nicht den zweiten Arbeitsmarkt kultiviert.
({6})
Dem Kollegen Kolb von der FDP möchte ich sagen:
Sie sind lange genug im Geschäft und wissen, dass sich
eine konjunkturelle Verbesserung auf dem Arbeitsmarkt
verzögert niederschlägt. Deshalb sollten Sie noch ein
bisschen warten, bevor Sie alles geißeln. Wir haben die
richtigen Weichenstellungen vorgenommen und nur wegen Ihrer Oppositionsbrille können Sie das nicht sehen.
Ansonsten müssten Sie uns in diesem Bereich zustimmen.
({7})
Erfreulicherweise ist heute anders als noch bei der
letzten Haushaltsberatung, als ich das hier schon einmal
für die Unionsfraktion gesagt habe, ganz klar geworden:
Wenn sich Spielräume eröffnen, den Beitrag weiter zu
senken, dann müssen diejenigen, die den Beitrag eingezahlt haben, von Beitragssenkungen profitieren.
({8})
Wir dürfen die Leistungsträger nicht frustrieren, wir
müssen sie unterstützen. Spätestens seit Kurt Beck das
so deutlich erkannt hat, glaube ich wirklich daran, dass
wir gemeinsam als Koalition eine weitere Beitragssenkung erreichen.
Schwieriger ist es mit dem Bereich des Arbeitslosengelds II. Hier ist ganz klar, dass es eine Reihe von Fehlentwicklungen gibt, denen wir entgegenwirken müssen.
Ich fürchte, mit den bisherigen Reformen haben wir nur
die Milchzähne der Fehlentwicklungen gezogen.
({9})
Jetzt müssen wir noch weitere Zähne ziehen, um auf die
Ebene zu kommen, die mein Kollege soeben dargestellt
hat: dass diejenigen Unterstützung bekommen, die sie
brauchen, und diejenigen, die sich selbst helfen können,
verpflichtet werden, sich in entsprechendem Maß tatsächlich selber zu helfen.
({10})
Ich bin überzeugt, dass es notwendig ist, darüber zu
reden, wer bei den Arbeitsgemeinschaften eigentlich
den Hut aufhat. In diesem Herbst muss geklärt werden,
wer den Hut aufsetzt und damit die Verantwortung für
diesen großen Sektor trägt. Wir wollen schließlich wissen, wer die Verantwortung trägt.
({11})
Es kann nicht sein, dass der eine bestellt und der andere
zahlt. In solchen Fällen wird es zu teuer. Das muss geklärt werden. Wenn wir das schaffen, werden wir viel
Geld sparen. Wir sind in unseren Haushaltsansätzen auf
Reduzierungen eingestellt.
Ein weiterer Aspekt umfasst die Eingliederungshilfen. Dazu kann ich nur sagen: All das, was hier erzählt
wurde, geht an der Sache vorbei. Tatsache ist, dass
6,5 Milliarden Euro im Haushalt standen. Tatsache ist,
dass wir 1,1 Milliarden Euro gesperrt haben. Tatsache
wird sein - damit sage ich etwas, was heute noch nicht
gesagt worden ist -, dass wir auch in diesem Bereich einen Überschuss von mindestens 1,5 Milliarden Euro am
Ende des Jahres haben werden. Das ist die Realität.
({12})
Es ist völlig falsch, dass hier gejammert wird, man
habe das Geld nicht richtig ausgegeben. Alle, die zusätzliches Geld benötigen, werden durch unsere haushaltspolitischen Maßnahmen dieser Tage bedient werden. Es
ist eine Unverschämtheit, dass dies hier falsch dargestellt wird. Es ist reiner Wahlkampf, den Sie hier veranstalten. Wir werden feststellen - wir haben jetzt 240 bis
250 Millionen Euro entsperrt -, dass wir am Ende des
Jahres einen Riesenüberschuss haben werden. Ich bin
gespannt, ob dann all diejenigen, die erst das Geld angefordert, aber nicht ausgegeben haben und die uns in der
Öffentlichkeit gegeißelt haben, hierher kommen und sich
entschuldigen. Das wäre eigentlich die richtige Forderung, die wir stellen müssten.
({13})
Wir werden auf eines achten müssen: Es wird leider
sehr viel getrickst und in gewissen Bereichen gestaltet,
was wir so nicht wollen. Wenn Sie gestern die „Welt“
gelesen haben, dann werden Sie festgestellt haben, dass
es Arbeitsgemeinschaften gibt, die sogar Führerscheine
finanzieren und Zuschüsse von bis zu 2 500 Euro für
Autos geben. So haben wir uns die Eingliederungshilfe
nicht vorgestellt. Sie muss anders angelegt werden, damit man das dem Steuerzahler erklären kann.
({14})
Es kann doch nicht sein, dass man Jobfinderprämien einführt, wie das jetzt in einigen Arbeitsgemeinschaften gemacht wird. Es kann nicht sein, dass selbst diejenigen,
die einen Job gefunden haben, ohne den Kundenservice
zu nutzen, im Nachhinein 1 000 Euro erhalten, nur weil
sie jetzt einen Job haben. Es geht doch nur darum, genug
statistische Fälle zu haben, um die Existenzberechtigung
zu belegen. So geht es nicht. Wir werden die Hilfen auf
die Fälle begrenzen, die wirklich Unterstützung brauchen.
Ein Letztes: Wir müssen mit all unseren Maßnahmen
darauf hinwirken, dass es nicht zu Mitnahmeeffekten
im Arbeitgeberlager kommt, und verhindern, dass die
Arbeitgeber nur dann ausbilden und nur dann einstellen,
wenn sie Zuschüsse erhalten. Wir brauchen die Solidarität aller. Wir appellieren an alle, gemeinsam in eine
Richtung zu gehen, damit es nicht zu solchen Mitnahmeeffekten kommen kann. Wenn wir es schaffen, Solidarität herzustellen, dann werden wir auch im Sozialetat mit
weniger Geld auskommen. Das ist die Aufgabe. Herr
Minister, wir haben einen arbeitsintensiven Herbst vor
uns. Sie können sicher sein, dass wir von der Unionsfraktion unseren Beitrag leisten werden, eine solide
Finanzierung Ihres Etats sicherzustellen.
({15})
Weitere Wortmeldungen zu diesem Geschäftsbereich
liegen nicht vor.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend, Einzelplan 17.
({0})
Präsident Dr. Norbert Lammert
- Liebe Kolleginnen und Kollegen, es wäre schön, wenn
diejenigen, die sich nun anderen Verpflichtungen widmen müssen, dazu beitragen könnten, dass die nötige
Konzentration im Plenum für den neuen Geschäftsbereich hergestellt wird.
Das Wort erhält zunächst die Bundesministerin Ursula von der Leyen. Frau von der Leyen, bitte schön.
Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Geld allein macht bekanntlich nicht glücklich.
Aber wir debattieren im Augenblick den Bundeshaushalt
und da geht es vorrangig um Geld. Es macht mich ehrlich gesagt stolz und glücklich, dass unser Politikbereich
derjenige ist, der den zweithöchsten prozentualen Aufwuchs in diesem Jahr gehabt hat. Dies ist ein klares Zeichen: Wir investieren in Familie; Investition in Familie
ist eine Zukunftsinvestition.
({0})
Wir haben allen Grund dazu: wenig Kinder, ein sich
abzeichnender Fachkräftemangel, ungenutzte Potenziale älterer Menschen. Das sind ernst zu nehmende Vorboten dafür, welche Umstellungen vor uns liegen. Diese
Umstellungen müssen wir bewältigen. Deshalb kann
eine nachhaltige Familienpolitik keine Politik sein, die
an dem festhalten will, was schon immer so war. Eine
nachhaltige Familienpolitik ist vielmehr eine Politik, die
nicht nur den Istzustand betrachtet, sondern auch aus den
stattfindenden Veränderungen lernt und Schlüsse zieht.
Es geht um die Gestaltung dessen, was auf uns zukommt.
Ziel muss dabei sein, dass der für uns hohe Wert von
Familie - die inneren Bindungen - auch in einer modernen Welt lebbar ist. Wir brauchen vorwiegend vier
Schwerpunkte: eine Politik, die das Zusammenleben
von Männern und Frauen mit Kindern in einer globalisierten Welt möglich macht; eine Politik, die lebhafte
Beziehungen zwischen Älteren und Jüngeren fördert;
eine Politik für die Integration von in unsere Gesellschaft neu Hinzugezogenen; vor allem eine Politik, die
Kindern vom Lebensanfang an Chancen auf Bildung und
Chancen auf Erziehung gibt.
({1})
Bereits in diesem Jahr haben wir die Weichen dafür
ganz konkret gestellt. Es ist klar: Das war mit vielen Diskussionen verbunden. Dabei haben wir Vertrautes auf
den Prüfstand gestellt. Wir haben eingefahrene Denkmuster infrage gestellt. Aber wenn wir Familie und ihre
Werte auch am Anfang des 21. Jahrhunderts lebbar machen wollen, dann müssen wir jetzt handeln. Ich nenne
hier nur vier der wichtigsten Weichenstellungen, die sich
auch im Haushalt 2007 niederschlagen: das Elterngeld,
die Mehrgenerationenhäuser, das Aktionsprogramm
„Frühe Hilfen für Eltern und Kinder“ und das Programm
„Jugend für Vielfalt und Demokratie“.
Das höhere Volumen des Einzelplans 17 für das kommende Jahr geht eindeutig auf das Elterngeld zurück.
Ich will Ihnen ganz ehrlich sagen: Ich freue mich und ich
bin stolz darauf, dass es explizit in das Investitionsprogramm aufgenommen worden ist. Das ist der richtige
Akzent. Investition heißt auch investieren in Familie und
nicht nur in greifbare Güter oder in Beton Gegossenes.
Investition heißt vor allem investieren in die Menschen,
ihre Beziehungen und die Entfaltung dieser Beziehungen.
({2})
Das Elterngeld macht auch sehr klar - ich glaube, das
ist wichtig -, dass die Gesellschaft junge Menschen bei
einer ihrer wichtigsten Entscheidungen im Leben nicht
allein lässt, sondern sie gezielt unterstützt. Das heißt, jeder junge Vater und auch jede junge Mutter kann jetzt
am Lebensanfang der Zeit für sein Kind oder für ihr
Kind oberste Priorität beimessen, ohne den bisherigen
Einkommensverlust hinzunehmen. Zeit ist Geld und das
Elterngeld schafft Zeit für Kinder.
Damit erfüllt das Elterngeld zwei Kernanliegen: Die
Bedürfnisse der Kinder und die beruflichen Perspektiven
der Eltern werden gemeinsam betrachtet. Sie werden
nicht mehr in Konkurrenz zueinander gestellt. Damit sichert das Elterngeld Wahlfreiheit, nämlich die Freiheit,
bei den Kindern zu sein, und die Möglichkeit zu arbeiten.
Natürlich muss dieser Gedankengang nach dem ersten Lebensjahr weitergesponnen werden. Das bedeutet:
Ausbau familienentlastender Netze, Ausbau der Kinderbetreuung und der Tagespflege, familienfreundliche Arbeitsstrukturen. Dies alles ist unerlässlich, wenn man ein
geschlossenes Konzept haben will. Wir haben noch einen - im internationalen Vergleich - langen Weg vor
uns. Ich will hier auch ganz klar sagen: Auf diesem Weg
müssen viele Akteure tätig werden; denn diese Felder
sind keine originären Handlungsfelder des Bundes. Der
Bund kann unterstützen, zum Beispiel durch verbesserte
Absetzbarkeit der Kinderbetreuungskosten und der haushaltsnahen Dienstleistungen, aber Länder, Kommunen,
freie Träger und Arbeitgeber tragen ebenfalls einen Teil
der Verantwortung und diesen müssen wir auch einfordern.
({3})
Zur Familienpolitik gehört selbstverständlich auch
eine Politik für ältere Menschen und ihre Potenziale,
vor allem für das, was diese vielen kompetenten, leistungsbereiten und verantwortungsbewussten älteren
Menschen zu geben bereit sind. Wir wissen aus vielen
Untersuchungen, dass sie zu geben bereit sind, und zwar
nicht nur im materiellen Sinne, sondern auch in dem
wichtigen immateriellen Sinne.
Wir müssen gerade vor dem Hintergrund des demografischen Wandels Familie weiter denken, in weiteren
Dimensionen. Familie ist natürlich der Ort, wo zuallererst Alltagssolidaritäten erfahren und erlernt werden.
Aber man kann sich nicht mehr allein auf die Kernfamilie beschränken. Man kann vielmehr, wenn man es richtig bedenkt und auch richtig gestaltet - das ist mir wichtig -, jene, die Kinder haben, mit jenen verbinden, die
keine Kinder haben. Die Beziehungen zwischen beiden
Gruppen dürfen unter keinen Umständen allein auf
finanzielle Dinge verkürzt werden.
Jeder hat Familie. Jeder hat eine Herkunftsfamilie.
Nicht alle, aber viele haben eine eigene junge Familie.
Die Kunst besteht darin - das muss unsere Aufgabe
sein -, zu erreichen, dass sich sowohl die Familie als
auch die vielen Angebote für die einzelnen Generationen
in die Nachbarschaft öffnen. Unter ein Dach sollen auch
jene eingeladen werden, die keine eigenen Kinder haben
oder deren Kinder zum Beispiel weit weg wohnen.
Das ist der Grundgedanke des Aktionsprogramms der
Mehrgenerationenhäuser. Sie sollen Drehscheiben für
bürgerschaftliches Engagement sein. Sie sollen genauso
Drehscheiben für Dienstleistungen rund um die Familie
sein, also in einem modernen Sinne das leisten, was früher Dorfstrukturen oder Großfamilien geschafft haben.
Die Ausschreibung für die ersten 50 Häuser wurde vor
kurzem gestartet. Im kommenden Jahr wollen wir mit
den Mehrgenerationenhäusern in die Fläche gehen.
20,5 Millionen Euro sind dafür im Haushalt veranschlagt.
Lassen Sie mich aus dem Bereich der Politik für
Kinder und Jugendliche noch zwei wichtige Punkte
herausgreifen.
Die frühen Hilfen für Eltern und Kinder schützen
und fördern die Kinder, die am Lebensanfang besonderen sozialen und besonderen gesundheitlichen Risiken
ausgesetzt sind. Inzwischen ist das Servicebüro ausgeschrieben, das heißt, wir können jetzt mit der Arbeit beginnen, die vielen innovativen Ansätze zu vernetzen, die
es in Ländern und Kommunen schon gibt, um systematisch eine Art Frühwarnsystem genau für diese Kinder zu
entwickeln, sodass sie am Lebensanfang nicht allein gelassen werden.
Man kann auch das Programm „Jugend für Vielfalt
und Demokratie - gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus“ als eine Art
Frühwarnsystem bezeichnen. Mit dem neuen Programm
werden nach Auslaufen der Programme „Civitas“ und
„Entimon“ für Maßnahmen zur Stärkung von Vielfalt,
Toleranz und Demokratie dauerhaft 19 Millionen Euro
festgeschrieben. Das neue Programm ist nicht einfach
nur eine Fortsetzung der alten Programme. Wir haben
aus den Erfahrungen gelernt und setzen insbesondere auf
die Entwicklung integrierter lokaler Strategien und die
Zusammenarbeit mit Partnern vor Ort.
„Lernen von guten Erfahrungen“ ist auch ein Stichwort, das sich für die EU-Ratspräsidentschaft anbietet,
die im ersten Halbjahr 2007 ansteht. Das wird ein spannender Prozess werden. Ganz Europa ist vom demografischen Wandel betroffen, aber unterschiedlich. Wir sehen deutliche Unterschiede in der Entwicklung der nordund westeuropäischen Länder, die sehr viel früher und
sehr viel flexibler auf den Geburtenrückgang reagiert haben. Wir sehen andere Entwicklungen in den mittel- und
südeuropäischen Ländern. Dieses halbe Jahr ist eine
ganz besonders gute Chance, nicht nur im Bereich der
Jugendpolitik - da auch -, sondern auch in anderen Politikfeldern - ich nenne beispielhaft die Frage: Wie gehen
wir in einer alternden Gesellschaft mit dem Potenzial älterer Menschen um? - voneinander zu lernen, weil die
Länder in der EU einerseits unterschiedlich, andererseits
aber dann doch sehr ähnlich sind, auf ähnlichen Wurzeln
beruhen, ähnliche Chancen haben, aber auch mit ähnlichen Schwierigkeiten zu kämpfen haben.
2007 ist das Europäische Jahr der Chancengleichheit. Deshalb sage ich auf unseren Politikbereich bezogen: Es geht ganz klar um die Chance für jeden - ob
Kind, Mann oder Frau, ob Jung oder Alt, ob mit Zuwanderungshintergrund oder ohne -, sein oder ihr Leben und
die Lebensziele selbstständig zu entwickeln. Das kann
man aber nur auf der Basis der eigenen Fähigkeiten und
Kompetenzen. Unsere Aufgabe ist es, den Rahmen dafür
zu schaffen, dass junge Menschen die Fähigkeiten und
Kompetenzen, die ihnen innewohnen - in unterschiedlicher Form; aber sie wohnen ihnen inne -, von Anfang an
entfalten können, zum Blühen bringen können. Sie werden später genügend schwierige Entscheidungen fällen
müssen. Unsere Aufgabe ist es, ihnen die Chance auf
Bildung und Erziehung von Anfang an zu geben.
Über diese Chance werden wir im nächsten Jahr auf
EU-Ebene diskutieren können. Wir werden von anderen
Ländern lernen können. Wir können aber auch sehr konsequent mit unseren eigenen Vorstellungen den Folgen
des demografischen Wandels Rechnung tragen. Ich bitte
Sie dafür um Ihre Mithilfe und freue mich auf die gemeinsame Arbeit.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort erhält nun die Kollegin Miriam Gruß für die
FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Fangen wir mit dem Positiven an;
denn das ist schnell abgearbeitet. Die Ankündigung von
Frau Ministerin von der Leyen, ein Kompetenzzentrum
für Familienleistungen einzurichten und dafür die Mittel in diesen Haushalt einzustellen, begrüßen wir. Ich
habe es an dieser Stelle schon einmal gesagt: Der Aufwand, der in Deutschland für Familien betrieben wird,
ist enorm hoch, der Ertrag jedoch sehr bescheiden.
({0})
Das muss sich ändern.
Die FDP versteht unter Familienförderung etwas anderes als das Gießkannenprinzip. Wir müssen da die
richtigen Akzente setzen, wo Familien Leistungen am
dringendsten benötigen. Für alle ein bisschen hilft keinem weiter. Zu hoffen bleibt, dass aus den Erkenntnissen
dieses Kompetenzzentrums sinnvolle und durchdachte
Schlüsse gezogen werden, sodass die Familien an den
Stellen unterstützt werden und Leistungen dort effektiv
gebündelt werden, wo es wirklich notwendig ist.
({1})
Dafür hat Ihnen, sehr geehrte Frau Ministerin, der grenouillesche, das heißt der richtige Riecher gefehlt. Ein
weiteres „Viel Lärm um nichts“ können Sie den Familien nicht zumuten.
Wir wollen jungen Menschen in Deutschland Mut
machen, sich für Kinder zu entscheiden. Dafür müssen
wir ihnen aber auch Verlässlichkeit und Vertrauen in die
Unterstützung bieten, die ihnen zur Verfügung steht.
({2})
Ein Elterngeld alleine reicht da nicht aus.
Kinder sind ein wertvolles, aber auch teures Gut. Jeder, der Kinder hat, weiß, was ich meine. Die Kosten für
Familien sind eklatant, wenn sie Kinder haben. Die Ausgaben für ein Kind sind von 1998 bis heute um mehr als
10 Prozent gestiegen. Durchschnittlich 549 Euro gibt
eine Familie laut Statistischem Bundesamt pro Kind im
Monat aus. Wir reden hier lediglich über die Grundversorgung. Da ist kein Klavierunterricht, keine Reitstunde
oder gar ein gemeinsamer Familienurlaub enthalten.
({3})
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat gestern in der
Haushaltsdebatte gesagt: Es geht um die Menschen und
darum, ihnen das zu geben, was sie brauchen. - Ein
schöner Satz; aber, verehrte Damen und Herren von der
Bundesregierung, mit Ihrer Politik nehmen Sie den Menschen das, was sie brauchen.
({4})
Die Mehrwertsteuererhöhung wird insbesondere
Familien treffen. Sie bedeutet für viele Familien in
Deutschland schlichtweg eines: Verzicht, Verzicht auf
den neuen Schulranzen, Verzicht auf Spielzeug, Verzicht
auf eine Feier zum Kindergeburtstag. Denn all dies machen Sie um 3 Prozentpunkte teurer.
({5})
Mehr als 2,5 Millionen Kinder und Jugendliche in
Deutschland leben nach Angaben des Kinderschutzbundes schon jetzt auf Sozialhilfeniveau. Damit hat sich die
Zahl der armen Kinder seit 2004 verdoppelt. Die Situation dieser jungen Menschen wird sich durch die Steuererhöhung weiter verschlechtern.
Um Familien und Kinder in Deutschland zu fördern,
kommt es darauf an, die richtigen Prioritäten zu setzen.
Diese kann ich im Einzelplan 17 nicht erkennen. Die
Mehrausgaben für das Elterngeld sind nur ein Beispiel
dafür. Es nützt den Familien nämlich nichts, wenn sie
nach dem ersten Geburtstag des Kindes keine
Anschlussbetreuung haben.
({6})
Wir müssen früher ansetzen, bevor wir später viel für das
zahlen, was wir heute versäumt haben.
Ganz elementar dafür ist meiner Ansicht nach eine
Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz. In der
vergangenen Woche habe ich an alle Fraktionen und an
die kinder- und jugendpolitischen Sprecher einen Brief
geschrieben, um eine interfraktionelle Initiative zu starten. Die Zeit ist reif dafür, über Parteigrenzen hinweg
den Schutz und die Rechte der Kinder in das Grundgesetz aufzunehmen. Bis heute habe ich viel positives
Feedback erhalten. Eine Rückmeldung der Fraktionen,
die die Bundesregierung stützen, steht allerdings noch
aus. Ich warte gespannt auf deren Antwort und darauf,
was ihnen die Kinder in Deutschland wert sind. Denn
das steht nicht im Einzelplan 17.
({7})
Das Wort erhält nun die Kollegin Christel Humme für
die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen!
Die Frau Ministerin hat gerade darauf hingewiesen: Das
Jahr 2007 wird das Europäische Jahr der Chancengleichheit. Auf den entsprechenden Internetseiten ist nachzulesen:
Ziel der Europäischen Kommission ist es, Diskriminierungen wirksam zu bekämpfen, Vielfalt als
positiven Wert zu vermitteln und Chancengleichheit für alle zu fördern.
Das passt gut: Chancengleichheit ist ein zentraler Maßstab sozialdemokratischer Politik und wird es auch in
Zukunft bleiben. Mit dem Haushalt 2007 - Frau Ministerin, auch Sie haben das gesagt - sind wir im Hinblick auf
den Aspekt der Chancengleichheit sehr gut aufgestellt.
Trotz der notwendigen Haushaltskonsolidierung sind
die Mittel im Einzelplan 17 um 16 Prozent aufgestockt
worden. Mit diesen zusätzlichen Mitteln werden wir das
Elterngeld - das haben wir gerade gehört - finanzieren.
Unser Elterngeld wird die Chancengleichheit für Frauen
und Männer am Arbeitsplatz fördern. Väter können zukünftig in den Betrieben leichter sagen, dass sie Familienarbeit übernehmen wollen. Frauen werden bei der Einstellung und bei Beförderungen bessere Chancen haben.
Denn nun wird es auch für die männlichen Mitbewerber
attraktiver, Elternzeit zu nehmen. Diskriminierende Rollenzuweisungen am Arbeitsplatz und in der Familie werden mit dem Elterngeld endlich aufgebrochen.
Ich meine, dass der Vorschlag des Bundesrates - wir
werden über das Elterngeld in den nächsten 14 Tagen zu
diskutieren haben -, den Anspruch auf den Geschwisterbonus auf drei Jahre zu verlängern, völlig falsch ist.
Denn das würde bedeuten, dass die betroffenen Frauen
eine wesentliche Benachteiligung am Arbeitsplatz erfahren würden. Wir alle wissen doch: Je länger die Babypause dauert, desto schwieriger ist für Frauen der Wiedereinstieg in den Job. Dann helfen anschließend auch
keine so genannten Wiedereinsteigerprogramme, ganz
zu schweigen von den Folgen für die späteren eigenständigen Rentenansprüche der Frauen.
Ich begrüße es daher sehr, dass Sie, Frau Ministerin,
in dieser Richtung eine klare Position bezogen haben
und den Vorschlag des Bundesrates ablehnen.
({0})
Junge Frauen um die 30 sind zu über 95 Prozent - das
wissen wir - berufstätig. In diesem Alter entscheiden sie
sich für oder gegen Kinder. Diese Frauen brauchen unsere Unterstützung mit besseren Rahmenbedingungen
für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Dafür setzen wir uns ein und das meinen wir, wenn wir von echter
Wahlfreiheit für Frauen und Männer sprechen.
Das alleine - Frau Golze, auch das wissen wir - reicht
natürlich nicht.
({1})
- Entschuldigung. Frau Gruß, ich kann verstehen, dass
Sie nicht verwechselt werden wollen. - Zu mehr Chancengleichheit von Frauen und Männern - das ist eine
Binsenwahrheit - gehört ein gutes und verlässliches Betreuungsangebot auch für Kinder unter drei Jahren, wie
es uns die europäischen Nachbarstaaten vormachen.
Der aktuelle Bericht der Bundesregierung zur Umsetzung des Tagesbetreuungsausbaugesetzes zeigt, dass es
Fortschritte gibt. Danach ist das Betreuungsangebot in
Westdeutschland für unter Dreijährige tatsächlich gestiegen, aber eben nur von 4,2 Prozent auf 9,6 Prozent in
vier Jahren. Wir stellen leider immer noch fest: Der Fortschritt ist vielerorts noch eine Schnecke. Die Länder und
Kommunen sind an dieser Stelle gefordert, in den nächsten zwei Jahren noch größere Anstrengungen zu unternehmen.
({2})
- Ich sage gleich noch etwas dazu, Frau Lenke, weil ich
weiß, dass Sie dazu immer wieder etwas hören wollen.
({3})
Sollte der bedarfsgerechte Ausbau der Kinderbetreuung nicht erfolgen, werden wir einen Rechtsanspruch
auf einen Betreuungsplatz für unter Dreijährige im Gesetz formulieren.
({4})
Das haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart, und das
werden wir auch umsetzen.
Frau Lenke und Frau Gruß, Kommunen brauchen natürlich auch Geld. Sie haben in der Haushaltsdebatte gebetsmühlenartig darauf abgestellt, dass wir die Mehrwertsteuer zurücknehmen sollten. Beantworten Sie mir
aber einmal die Frage, wie die Betreuung finanziert werden soll. Denn ein Drittel des Mehrwertsteueraufkommens geht an die Länder und es sind die Länder und die
Kommunen, die die Betreuung organisieren und umsetzen müssen.
Mit der Verwendung der Mehreinnahmen im Haushalt haben wir zwei wichtige Ziele erreicht: Konsolidierung auf der einen Seite und Zukunftsinvestitionen in
mehr Bildung und Betreuung auf der anderen Seite, was
gerade im Interesse der Familien, ihrer Kinder und der
nachfolgenden Generationen liegt. Darin unterscheiden
wir uns wesentlich. Wir haben ein Zukunftskonzept und
Sie sagen Nein dazu. Das reicht uns natürlich nicht.
Frau Kollegin Humme, darf Ihnen die Frau Kollegin
Lenke eine Zwischenfrage stellen?
Bitte.
Bitte schön.
Frau Humme, wir beide sind schon etwas länger im
Bundestag. Ich erinnere mich daran, dass die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe den Kommunen 1,5 Milliarden Euro zur Betreuung von Kindern
unter drei Jahren einbringen sollte. Ich habe im Rahmen
von verschiedenen Initiativen immer wieder die alte und
die neue Bundesregierung danach gefragt. Aber ich habe
keine Antwort bekommen. Ich frage Sie, warum Sie
nicht mehr von dieser Finanzierungsart sprechen, sondern warum Sie jetzt davon sprechen, dass die Einnahmen aus der Mehrwertsteuererhöhung für die Kinderbetreuung verwendet werden sollen. Ich möchte weiterhin
gerne wissen, wo das steht.
Die Entlastung der Kommunen ist im Rahmen der
Hartz-IV-Gesetzgebung zugesagt worden. Sie waren dabei, als wir im letzten Jahr entschieden haben, dass die
Kommunen vom Bund mehr Geld zur Verfügung gestellt
bekommen. Die Aufgabe der Kommunen ist es, einen
Teil dieser Einsparungen - diese gibt es; sie sind auch in
meinem Kreis gegeben; sie stehen definitiv auf dem Papier - für die Kinderbetreuung zu verwenden.
Frau Lenke, Sie als Kommunalpolitikerin - Sie lassen
keine Gelegenheit aus, dies zu betonen ({0})
wissen ganz genau, dass wir als Bund keinerlei Möglichkeit haben, jede Kommune zu verpflichten, die Gelder so
einzusetzen, dass sie für die Investition in die Zukunft
unserer Kinder genutzt werden können. Ich gebe zu, dass
das ein Problem ist. Aber wir haben den Kommunen das
benötigte Geld für die Betreuung gegeben. Ich glaube,
da könnte sich einiges bewegen. Es gibt Gemeinden, die
das genutzt haben. Darauf sind wir stolz.
({1})
Ich merke, dieses Thema muss im Ausschuss noch
vertieft werden. Darf denn nun auch die Kollegin Deligöz eine Zwischenfrage stellen?
Bitte schön.
Frau Humme, Sie haben die 9 Prozent zitiert. Stimmen Sie mir zu, dass dieser Anteil regional sehr unterschiedlich ausfällt, dass gerade im Süden unseres Landes, wo die Defizite am größten sind, dieser Anteil nach
wie vor nur bei 2 bis 3 Prozent liegt und dass dort etwas
getan werden muss?
Ich möchte in diesem Zusammenhang auch fragen,
wie Sie zu der Idee der Grünen stehen, über Absenkung
- nicht Abschaffung - des Ehegattensplittings einen
Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung für unter Dreijährige teilzufinanzieren? Wie stehen Sie zu dieser Idee, zumal auch Ihr Finanzminister sich bereits sehr positiv gegenüber dieser Idee geäußert hat?
Vielen Dank, Frau Deligöz. Ich nehme an, dass Sie
mit den 9 Prozent die Quote von 9,6 Prozent bei Betreuungsplätzen für unter Dreijährige meinen.
Richtig ist, dass an dieser Stelle schon eine Menge geschehen ist und wir regional sehr große Unterschiede haben. In Städten in Ostdeutschland haben wir 37 Prozent,
in Westdeutschland aber ein hohes Defizit. Viele Kommunen haben gute Ansätze. Ich denke etwa an die Kommune Leer, in der das Kinderangebot auch von unseren
Initiativen nach vorne gebracht wurde.
Sie haben vollkommen Recht: Wir brauchen zusätzliche Mittel. Sie wissen, dass alle Parteien darüber nachdenken, wie man zusätzliche Mittel akquirieren kann Mittel, die vielleicht auch nicht zielgenau zu den Familien kommen, die Kinder haben. Da werden wir sicherlich - das Ministerium tut das auch - eine Menge zu untersuchen und zu überlegen haben. Dazu gehört meiner
Ansicht nach auch, das Ehegattensplitting auf den Prüfstand zu stellen und zu überlegen, ob das nicht zielgenauer für die Betreuung eingesetzt werden kann. Reicht
Ihnen das?
({0})
- Gut.
({1})
Diese Zwischenfragen machen gleichzeitig deutlich:
Wenn wir Familienpolitik betreiben wollen, dann brauchen wir Partner, wir brauchen die öffentliche Hand das ist klar. Bund, Land und Kommune müssen da zusammenwirken, aber wir brauchen auch die Unternehmen. Diesen Appell dürfen wir nicht vergessen, denn wir
brauchen auch die privaten Initiativen. Das ist gar
keine Frage. Denn Chancengleichheit ohne familienfreundliche Arbeitsbedingungen ist meiner Ansicht nach
nicht zu machen.
Von daher danke ich der Frau Ministerin, dass unsere
Allianz für Familie weitergeführt und das Konzept der
lokalen Bündnisse fortgesetzt wird.
({2})
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, ich bin froh, dass
das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz seit dem
18. August nach langem Ringen endlich in Kraft ist.
Auch das wird die Chancengleichheit von Frauen und
Männern stärker in den Mittelpunkt rücken. Denn
Frauen sind es, die immer noch weniger verdienen. Wir
konnten das heute in der Presse nachlesen und bestätigt
bekommen. Frauen sind in den Führungsetagen noch immer nur mit der Lupe zu finden. Ich denke, das muss
sich dringend ändern.
Neben dem guten Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz brauchen wir einen tatsächlichen Mentalitätswandel und Verhaltensänderungen. Darum bin ich froh, dass
in unserem Haushalt, im Einzelplan 17, die Gleichstellungsstelle mit 2,8 Millionen Euro etatisiert ist. Damit
setzen wir im Jahr der Chancengleichheit 2007 ein wichtiges Signal, vor allem für die Frauen.
Chancengleichheit für alle schließt auch ein - das ist
ein wichtiger Punkt -, unsere Anstrengungen zur
Armutsprävention fortzusetzen. Oft erleben wir - das
ist leider so, es ist nicht von der Hand zu weisen -, dass
das Familieneinkommen so gering ist, dass es nicht für
den Unterhalt der Kinder reicht. Dann zahlen wir - das
haben wir durchgesetzt, das ist auch gut so - einen Kinderzuschlag. Je nach Einkommen sind das bis zu
140 Euro zusätzlich zum Wohn- und Kindergeld.
({3})
- Ich weiß, das Instrument ist sehr kompliziert. Darum
möchten wir schnell erreichen, dass es einfacher und flexibler gestaltet wird. Wir haben das Ziel, nicht nur
150 000 Kinder mit diesem Instrument zu erreichen,
sondern in Zukunft 420 000. Ich hoffe, dass wir im Rahmen der Haushaltsdebatte und darüber hinaus zu einem
guten Weg finden, genau das zu erreichen.
({4})
Ich bleibe dabei: Der Ausbau der Betreuung, das Elterngeld und damit eine höhere Erwerbsquote von
Frauen sind immer noch die besten Instrumente, Familienarmut zu bekämpfen.
Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, Chancengleichheit - das haben wir auch vorhin von der Ministerin gehört - ist nicht ohne bessere Bildungschancen realisierbar. Unser Ziel sind die qualitativ gute Betreuung und
Bildung von Anfang an. Das ist die Voraussetzung für
einen besseren Spracherwerb und einen besseren Integrationsprozess. Wir wollen nicht, dass die Herkunft
über den Bildungsabschluss und damit über die Zukunftschancen unserer Kinder entscheidet.
Unser Ziel ist die Chancengleichheit für Frauen und
Männer, für alle Kinder, aber auch - was in einer älter
werdenden Gesellschaft immer wichtiger wird - für ältere Menschen. Dass nur noch jeder zweite Betrieb - wir
haben das heute morgen in mehreren Reden gehört Mitarbeiter beschäftigt, die älter als 50 Jahre alt sind, ist
personalpolitisch unklug und gesellschaftspolitisch ein
Skandal. Deshalb unterstütze ich Bundesarbeitsminister
Franz Müntefering, der die Beschäftigungschancen der
Älteren verbessern will.
Ich unterstütze auch die Bundeskanzlerin Angela
Merkel. Sie hat eine interessante Bemerkung gemacht.
Im Rahmen einer Veranstaltung hat sie vorgeschlagen
- Sie haben schon darauf hingewiesen -, Kinderrechte
in die Verfassung aufzunehmen.
({5})
Ich denke, das ist ein Projekt, das wir gemeinsam in Angriff nehmen können. Dieses Projekt wäre ein gutes Signal für das kommende Europäische Jahr der Chancengleichheit.
Schönen Dank.
({6})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Diana Golze, Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Kolleginnen und Kollegen! Kinder, Jugendliche und Familien haben es in der Bundesrepublik nur so lange gut,
wie nett lächelnde Politikerinnen und Politiker ihnen
versichern, dass gerade ihr Wohl im Mittelpunkt des Interesses stehe.
Wenn der Bundeshaushalt aufgestellt wird, ist es damit aber schnell vorbei. Die schwarz-roten Sozialpolitiker ziehen jeden Tag mit neuen Zumutungen durchs
Land. Für Kinder und Jugendliche halten sie bestenfalls
die Perspektive auf eine Rente mit 67 bereit. Dazu bieten
sie ihnen einen desolaten Ausbildungsmarkt, Jugendarbeitslosigkeit und 1-Euro-Jobs. Die Familien müssen
über die Mehrwertsteuererhöhung die Steuergeschenke
für Unternehmen und Vermögende finanzieren.
Davon unbeeindruckt lächelt die Jugend- und Familienministerin von der Leyen in die Kameras. Ihr Anspruch lautet: Die Politik kann und muss geeignete Rahmenbedingungen für Familien schaffen. Nach der
Lektüre des zweiten Haushalts aus dem Hause von der
Leyen kann ich nur sagen: Diese Politik ist ein Zukunftsrisiko für viele Kinder und Jugendliche in diesem Land.
({0})
Der Einzelplan 17 erhält einen Aufwuchs in Höhe
von knapp 726 Millionen Euro. Wir alle kennen den
Grund: das Elterngeld. Aus der Sicht der Koalition ist
das eine familienpolitische Innovation. Ich nenne das Elterngeld eine sozialpolitische Mogelpackung. Es benachteiligt Eltern mit niedrigem oder gar keinem
Erwerbseinkommen und wird dazu beitragen, die Kinderarmut zu verschärfen. Eine dreiviertel Milliarde Euro
nimmt diese Regierung in die Hand, um Gut- und Besserverdienenden den Zugang zu steuerfinanzierten Sozialleistungen zu ermöglichen. Die wirklich Bedürftigen
sind davon teilweise ausgeschlossen. Das ist die sozialund familienpolitische Logik von Schwarz-Rot.
({1})
Während Frau von der Leyen beim Elterngeld aus
dem Vollen schöpft, müssen sich viele andere Bereiche
in Bescheidenheit üben. Die Mittel für den Kinder- und
Jugendplan des Bundes werden sogar leicht gekürzt. Für
das Bundesprogramm zur Stärkung von Vielfalt,
Toleranz und Demokratie - ehemals unter den Namen
„Civitas“ und „Entimon“ bekannt - hat das Familienministerium keinen Euro mehr als in den Jahren zuvor
übrig. Und das alles, während Neonazibanden durch
Mecklenburg-Vorpommern und Berlin ziehen und die
dortigen Wahlkämpfer aller demokratischen Parteien in
Angst und Schrecken versetzen.
Die mit viel Mühe und Bundesmitteln seit dem
Jahr 2001 aufgebauten Projekte gegen Rechts, die mobilen Beratungsbüros und Opferberatungsstellen werden
ohne Perspektive im Regen stehen gelassen. Weil es bis
heute keine Ausschreibung gibt, darf getrost davon ausgegangen werden, dass im ersten Halbjahr 2007 eine
deutliche Förderlücke entsteht. Die Mitarbeiter gehen in
diesen Tagen zum Arbeitsamt. Die Kündigungen für die
Büroräume sind unterschrieben. Mit den Mehrkosten für
die Wiederbeschaffung dieser Infrastruktur werden
knappe Mittel verschwendet. Das nenne ich einen unverantwortlichen Umgang mit öffentlichen Mitteln.
({2})
Ich möchte meinen Beitrag insbesondere nutzen, um
auf einen der größten sozialpolitischen Skandale der Gegenwart einzugehen: die dramatisch zunehmende Kinderarmut in der Bundesrepublik. Ich zitiere aus Ihrem
Koalitionsvertrag:
Wir wollen materielle Kinderarmut reduzieren und
hierzu den Kinderzuschlag mit Wirkung ab dem
Jahr 2006 weiterentwickeln … Wir wollen den Berechtigtenkreis ausweiten, um weitere Kinder zu erreichen und ihren Eltern zu ermöglichen, ohne Bezug von ALG II für sie zu sorgen.
Wer den Einzelplan 17 aufschlägt, in dem sich eine
solche Weiterentwicklung niederschlagen müsste, findet
selbst für das Jahr 2007 die unveränderte Summe von
150 Millionen Euro.
Das Problem drängt. Den Betroffenen ist nicht damit
geholfen, dass die Bundeskanzlerin erklärt, durch die
Reformen der letzten Jahre sei die Armut nur besser
sichtbar geworden. Ich frage mich, was Frau Merkel von
ihrem eigenen Wahlkreis eigentlich weiß, in dem mehr
als jedes vierte Kind von Sozialgeld lebt.
({3})
Ich will Ihnen gerne ein Beispiel aus den alten Bundesländern nennen. Einem Papier der Arbeitsgemeinschaft der Verbände der Freien Wohlfahrtspflege Aachen
ist folgendes Zitat entnommen:
Es ist ein erheblich anwachsender Zulauf bei der
Aachener Tafel und bei Möbel- und Kleiderkammern zu verzeichnen, d. h. Menschen können mit
den Finanzmitteln nicht mehr im gebotenen Umfang ihren Lebensunterhalt sicherstellen … Die
Aachener Zeitung hat inzwischen eine breit angelegte Spendenaktion ins Leben gerufen, um für
Kinder ausreichende Mahlzeiten zur Verfügung
stellen zu können. Besonders in sozial belasteten
Stadtvierteln scheitert die Bereitstellung eines Mittagessens für Kinder in Kindertagesstätten immer
häufiger an den fehlenden Finanzmitteln der Eltern … In den Kindertagesstätten wird zunehmend
festgestellt, dass keine wetterfeste Kleidung, keine
Winterjacken, Schals und Mützen vorhanden sind.
Doch Kinderarmut hat mehr Gesichter als nur die
mangelnde materielle Versorgung des Kindes. Wie eine
Langzeitstudie des Frankfurter ISS belegt, hat Armut für
Kinder weitere Dimensionen: fehlende soziale Kontakte
und daher unzureichend entwickelte soziale Kompetenzen, Auswirkungen auf den Gesundheitszustand und die
körperliche Entwicklung und auch mangelnde Versorgung im kulturellen Bereich. Alle fünf Dimensionen
wirken sich negativ auf die Zukunftsperspektiven der betroffenen Kinder aus.
Der Kinderzuschlag, den weiterzuentwickeln Sie
sich vorgenommen hatten, hat das Ziel, zu verhindern,
dass Eltern wegen ihrer Kinder auf den Bezug von
ALG II oder Sozialgeld angewiesen sind. Das ist eine
gute Idee, leider schlecht umgesetzt. Die Geschichte des
Kinderzuschlags im Bundeshaushalt liest sich wie folgt:
Im Jahr 2005 wurde er mit 217 Millionen Euro veranschlagt. Weil aber die Regeln so schwierig und undurchschaubar waren, wurden neun von zehn Anträgen abgelehnt und der Etat im Jahr 2006 um 67 Millionen Euro
gekürzt. Denn das Geld wurde nicht abgerufen. Diese
Kürzung wird nun im Jahr 2007 fortgeschrieben. Allen
großmütigen Ankündigungen zum Trotz: Die Kinderarmut steigt und der Kinderzuschlag sinkt. Das ist
schwarz-rote Haushaltslogik.
({4})
Die Linke hat im Juni ein Konzept vorgelegt, das einen Ausbau des Kinderzuschlags mit dem Einstieg in
eine bedarfsorientierte Kindergrundsicherung verbindet. Wir wollen alle Kinder aus der Sozialhilfe herausholen. Alle Kinder unter 18 Jahren sollen in Zukunft ein
Kindergeld erhalten, das ihnen in voller Höhe zugute
kommt. Gleichzeitig wollen wir den Kinderzuschlag zu
einem einkommensabhängigen Instrument ausbauen,
das jedem Kind den Zugang zu einem soziokulturellen
Existenzminimum in Höhe von 420 Euro garantiert.
Nach unseren Berechnungen würden von diesem Konzept circa 2,1 Millionen Familien mit 3,1 Millionen Kindern profitieren.
({5})
Unser Konzept ist im Vergleich zum heutigen Kinderzuschlag sehr viel einfacher und garantiert den Betroffenen ein Armut verhinderndes Leistungsniveau. Es ist mit
einer gerechten Steuerpolitik - hiermit beantworte ich
Ihre Frage - ohne weiteres finanzierbar. Schließlich ermöglicht es erhebliche Einsparungen bei Sozialgeld und
Arbeitslosengeld II. Es kostet auch weniger, als die Bundesregierung mit ihrer Steuerreform den Unternehmen
als Geschenk hinterherwerfen will.
({6})
Das beste Rezept gegen die Arbeitslosigkeit von morgen ist die Armutsverhinderung von heute. Die Verhinderung von Kinderarmut ist eine Investition in die Zukunft, die perspektivisch die sozialen Kassen entlasten
und stabilisieren wird.
Demnächst steht unser Konzept in diesem Hause zur
Abstimmung. Ich hoffe, Sie erinnern sich dann an Ihren
Koalitionsvertrag. Sie können sich sicher sein, dass wir
im Hinblick auf die Karte der Kinderarmut des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes dasselbe tun wollen wie Sie,
nämlich zu verhindern, dass im Osten, aber auch in einigen Hochburgen der Kinderarmut im Westen rote Flecken zu sehen sind. Die Geduld der Menschen im Land
mit dieser Regierung hat sicher bald ein Ende.
Vielen Dank.
({7})
Ich erteile das Wort der Kollegin Britta Haßelmann,
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin, vorhin sagten
Sie, dass Sie für eine nachhaltige Familienpolitik stehen,
in der nicht immer alles so bleiben kann, wie es ist. Das
ist aus meiner Sicht ein frommer Wunsch, insbesondere
wenn ich in Richtung CDU/CSU sehe und mir die konkrete Politik, die Sie im Moment machen, vor Augen
führe; ich werde gleich noch darauf zu sprechen kommen.
Wie es schon beim ersten Haushalt, den Sie vorgelegt
haben, der Fall war, müssen wir auch angesichts dieses
Haushaltsentwurfs zur Kenntnis nehmen, dass Sie sich
vieler Themen des Einzelplans 17 überhaupt nicht richtig angenommen haben. Ich frage mich, ob wir uns,
wenn wir über Ihren Etat, den Etat des Einzelplans 17,
sprechen, bis zum Ende der Regierungszeit von Union
und SPD ausschließlich mit den Themen Elterngeld und
Mehrgenerationenhäuser als den einzigen Akzent dieser
Regierung beschäftigen müssen.
({0})
Familie, ältere Menschen, Frauen und Jugend, all diese
Aspekte zusammen bilden doch die Kernelemente Ihres
Ministeriums und sind der Auftrag für unser politisches
Handeln. Oder etwa nicht?
({1})
- Ich habe der Ministerin sehr gut zugehört.
Einen Ihrer vier Schwerpunkte wollen Sie nun bei der
Jugend setzen.
({2})
Ich frage mich allerdings: Wie passt das damit zusammen, dass Sie die Mittel für die Jugendsozialarbeit
kürzen? Sie sollten sich einmal genauer mit der Jugendpolitik beschäftigen! Sie kürzen die Mittel für die Jugendsozialarbeit.
({3})
Dabei dachte ich, wir alle wissen, dass die Jugendsozialarbeit von zentraler Bedeutung ist: zur Herstellung von
Chancengerechtigkeit und zur Ermöglichung der erfolgreichen Teilhabe junger Menschen am gesellschaftlichen
Leben.
({4})
An dieser Stelle, meine Damen und Herren von der
großen Koalition, nehme ich Sie in die Pflicht. Sie könnten zeigen, wie wichtig Ihnen dieses Thema wirklich ist.
Aber hier passt etwas nicht zusammen. Erinnern Sie sich
nur daran, wie wir hier im Parlament über die Ereignisse
im Zusammenhang mit der Rütli-Schule diskutiert haben. Betroffenheits- und Sonntagsreden, wie sie damals
gehalten wurden, passen nicht dazu, dass Sie nun die
Mittel für die Jugendsozialarbeit kürzen.
({5})
Meine Damen und Herren von SPD und Union, anders als noch im letzten Haushalt, in dem die Ansätze für
die Gleichstellungs- und Seniorenpolitik zugunsten des
Ansatzes für die Familienpolitik gekürzt wurden, schlagen Sie jetzt von vornherein vor, alles in einem Topf zusammenzuführen. Sie wollen zwar ein paar Unterpunkte
bilden, damit das, was Sie tun, nicht so sehr auffällt.
Dennoch beabsichtigen Sie, diese Ansätze zusammenzuführen, damit alles wunderbar deckungsgleich ist.
({6})
Dann nennen Sie das Ganze „Förderung von gesellschaftspolitischen Maßnahmen der Familien- und
Gleichstellungspolitik sowie für die ältere Generation“.
Diesen Schritt begründen Sie damit, dass Sie dem verstärkten generationen- und politikübergreifenden Ansatz Ihres Ministeriums folgen. An dieser Stelle will ich
Ihnen sagen: Mein Eindruck ist, dass auch Sie sich, Frau
Ministerin, auf diese Weise auf ganz leisen Sohlen von
einer engagierten Frauen- und Gleichstellungspolitik in
diesem Hause verabschieden.
({7})
Wir beobachten schon seit geraumer Zeit - meine
Kollegin Schewe-Gerigk weiß das nur zu gut -, dass die
Gleichstellungspolitik in allen Debatten, die über dieses
Thema geführt werden - ob im Familienausschuss oder
in öffentlichen Äußerungen -, ausschließlich darauf reduziert wird, die Bedeutung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu betonen. Das ist richtig und gut.
Aber das ist nicht das, was wir mit Gleichstellungspolitik verbinden. Es gibt eine Reihe von Fragen, die offensiv gestellt werden müssten. Dabei geht es zum Beispiel um Folgendes: gleicher Lohn für gleiche Arbeit,
Frauen und Führungspositionen und den Abschied vom
Alleinverdienermodell. Diese Stichworte machen deutlich, wie wichtig es ist, darüber zu diskutieren und hier
politische Akzente zu setzen.
Um noch eines oben draufzusetzen, sage ich: Die öffentliche Diskussion und unser politisches Handeln zeigen, wie notwendig es ist, in diesem Hause und im zuständigen Ausschuss weiterhin über Gleichstellung zu
diskutieren und Akzente zu setzen. Denken Sie nur an
die dümmlichen Äußerungen einer TV-Journalistin zur
Rolle der Frau, die für alle emanzipierten Frauen und
Männer eine Beleidigung sein muss.
({8})
Das Familienministerium hält sich sehr bedeckt,
wenn es um neue Initiativen zur Gleichstellungspolitik
geht. Vermutlich hängt Ihnen, Frau Ministerin, noch das
Ringen um die zwei Vätermonate - bereits das höchste
der emanzipatorischen Gefühle für die Konservativen in
Ihrer Fraktion - nach.
Lassen Sie mich jetzt zum Elterngeld kommen. Sie
machen mit dem Elterngeld den zweiten Schritt vor dem
ersten. Wir Grünen werden nicht müde, zu betonen: Wir
brauchen eine flächendeckende Kindertagesbetreuung
und einen Rechtsanspruch auf Betreuung ab dem ersten
Lebensjahr. Wir haben keinen Anlass, Frau Humme, bei
der Kinderbetreuung Entwarnung zu geben.
({9})
Natürlich ist dank der Initiativen von Grünen und SPD
mit dem Tagesbetreuungsausbaugesetz der Betreuungsausbau in Gang gekommen. Das ist auch gut so. Aber
das kann uns doch nicht zufrieden stellen. Wir brauchen
mehr Betreuungsplätze und die Ausweitung des Rechtsanspruches,
({10})
uns zwar jetzt und nicht erst in ein paar Jahren.
({11})
Wir können nicht sagen, wir führen erst einmal das Elterngeld ein, warten einmal ab und sehen irgendwann,
wie wir bei diesem Thema weiterkommen.
({12})
Wir Grüne schlagen Ihnen vor, das Ehegattensplitting abzuschmelzen, es in ein Individualsplitting umzuwandeln und die frei werdenden 2 Milliarden Euro für
eine Kinderbetreuungskarte vorzusehen, durch welche
Eltern vom Bund eine Geldleistung zur Inanspruchnahme von Kinderbetreuung erhalten. Es ist also ganz
einfach, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({13})
Ich werbe bei Ihnen für diese Idee um Zustimmung.
({14})
Wenn es wirklich so ist - wie die Kanzlerin gestern
betonte -, dass Sie den Menschen nicht vorschreiben
wollen, wie sie zu leben haben, dann frage ich mich, warum Sie von der Union so stur sind und so viel Beharrungsvermögen zeigen, wenn es um das Ehegattensplitting geht.
({15})
Das Gleiche gilt für das Elterngeld. Hier privilegieren Sie ganz offensichtlich das Alleinverdienermodell.
Dazu, Frau Ministerin, haben Sie nichts ausgeführt. Dabei hat die Anhörung zum Elterngeld sehr deutlich gemacht, dass beispielsweise Eltern, die sich dafür entscheiden, gemeinsam und gleichzeitig Kindererziehung
und Berufstätigkeit zu verbinden, durch die Elterngeldregelung ganz klar benachteiligt werden.
({16})
Wenn Sie den Menschen wirklich nicht vorschreiben
wollen, wie sie zu leben haben, müssen Sie bereit sein,
die Elterngeldregelung für den Fall, dass beide Eltern
auf Teilzeit gehen, nachzubessern. Sonst werden Sie Ihrem Anspruch nicht gerecht, über den gesetzlichen Rahmen nicht nur, wie bisher, das Einernährermodell zu fördern.
Ein weiteres Beispiel von wegen „Sie schreiben niemandem vor, wie er zu leben hat“ und „Es herrscht
Wahlfreiheit“ ist der Geschwisterbonus von 36 Monaten, der immer noch nicht vom Tisch ist.
({17})
Frau Humme hat darüber gesprochen und gesagt, im
Moment will nur der Bundesrat das. Wer hat denn im
Bundesrat die Mehrheit? Der Bundesrat wird bestimmt
durch die CDU/CSU-Ministerpräsidenten.
({18})
Das ist kein Niemand, der das fordert. Ihre Ministerpräsidenten wollen die 36 Monate Geschwisterbonus; das
muss man ganz deutlich sagen.
Jede und jeder von uns weiß, dass die Möglichkeiten,
in den Beruf zurückzukehren, die Karrierechancen und
die Altersvorsorge mit der Auszeit vom Beruf, die jemand nimmt, schlechter werden; Sie haben vorhin auch
darüber gesprochen. Mit dem erklärten Ziel des Elterngeldes ist das nicht zu vereinbaren.
({19})
Im Übrigen kostet diese Forderung - das ist jetzt schon
klar, das ist errechnet - über 100 Millionen Euro. Deshalb, Frau Ministerin, können Sie sicher sein, dass die
grüne Fraktion an dieser Stelle alles dafür tun wird, dass
die Regelung, die von der CDU/CSU verlangt wird,
nicht in Kraft tritt. Ich fordere die große Koalition auf:
Setzen Sie ein eindeutiges Zeichen, verabschieden Sie
sich von dieser Regelung!
({20})
Zum Schluss möchte ich auf den Zivildienst eingehen. Mit Wehr- und Einberufungsgerechtigkeit hat das,
was sich in diesem Bereich abspielt, nichts zu tun.
({21})
Wir haben das in diesem Haus schon einige Male thematisiert. In diesem Haushalt stellt sich aber, was Wehrund Zivildienst angeht, nicht nur die Gerechtigkeitsfrage. Schauen Sie sich den Etat einmal an: Die Ansätze
stimmen nicht annährend überein mit dem, was wir an
Dienstpflichtigen zur Verfügung haben. Sie haben da
also eine kleine Sparbüchse angelegt. Ich rate Ihnen,
noch einmal darüber nachzudenken, die Jugendsozialarbeit, die die jungen Menschen leisten können, aufzustocken. Das wäre eine Maßnahme. Legen Sie keine
Sparschatulle an für Dinge, die wir nicht brauchen!
({22})
Sehr geehrte Frau Ministerin, meine Damen und Herren, wir erwarten, dass Sie eine ausgewogene Politik für
alle Generationen machen und dass sich dies nicht nur in
Sonntagsreden widerspiegelt; denn dann würde sich aufgrund Ihrer Behandlung der Programme Elterngeld, Geschwisterbonus und Ehegattensplitting an der Familienpolitik langfristig leider nichts ändern.
({23})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Ilse Falk für die
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Eine Haushaltsdebatte bedeutet das Ringen darum, wie
das Geld, das der Staat durch direkte und indirekte Steuern einnimmt, in kluger und umsichtiger Weise den
Menschen wieder zugute kommen kann. Wir erleben das
nun schon seit drei Tagen und finden immer wieder Beispiele dafür. Wir streiten um Geldsummen, deren Höhe
wir uns oft gar nicht mehr selber vorstellen können, und
begründen, warum welche Ausgabe im jeweiligen Haushaltsplan gerechtfertigt ist.
Unser Problem ist, dass der Haushalt in sich zwar ein
logisches Zahlenwerk ist, dass sich die Begründung der
einzelnen Ausgaben aber hartnäckig jeder mathematischen Beweisbarkeit entzieht. Das ist natürlich auch
beim Einzelplan 17 nicht anders. Ich will aber trotzdem
den Versuch unternehmen, deutlich zu machen, warum
es gerade bei diesem Haushalt ein hohes ökonomisches
Interesse an der Bereitstellung von Mitteln geben muss.
Gerade dieses Ministerium der Generationen spiegelt
Veränderungen in der Gesellschaft wie ein Seismograf
wider, auf die es zu reagieren gilt, wenn nicht alles noch
viel teurer werden soll.
Eine Vorbemerkung zu den wichtigsten Veränderungen der letzten Jahrzehnte: Männer und natürlich besonders auch Frauen leben neue Lebensentwürfe, weil ihnen
Bildung, Wissenschaft und Forschung völlig neue Perspektiven eröffnet haben. Neue Lebensentwürfe bedeutet, dass die Familien neue Formen des Miteinanders
finden müssen. Niedrige Geburtenraten und hohe Lebenserwartung - gemeinhin als demografischer Wandel
bekannt - fordern uns mächtig heraus. Traditionelle Formen der Arbeit und lebenslanges Verweilen in demselben Beruf werden seltener. Weil wir von diesen Veränderungen wissen, müssen wir uns damit befassen, was wir
durch diese Veränderungen gewinnen, was wir möglicherweise verlieren und was wir von dem Vertrauten auf
jeden Fall bewahren sollten.
Fangen wir mit dem Beginn des Lebens an. Wir wissen, dass Kinder zuallererst die Beziehung zu ihren
Eltern suchen und dass sie gerade in ihrer ersten Lebensphase feste Bezugspersonen und eine liebevolle Zuwendung brauchen, damit sie ihre Talente entfalten können.
Zuwendung bedeutet Anwesenheit, also Zeit. Deshalb
müssen die Eltern ihr Leben so gestalten können, dass
sie Zeit für ihre Kinder haben und dass Familie tatsächlich auch gelebt werden kann.
({0})
Deshalb sollten wir uns freuen, wenn sich Mütter oder
Väter auf ihre Rolle einlassen und zum Beispiel von dem
neuen Elterngeld und den damit einhergehenden Vätermonaten in möglichst großer Zahl Gebrauch machen.
({1})
Ich gehe jetzt nicht auf die Einzelheiten ein. Die Ministerin hat schon einiges dazu gesagt und das steht bei
der Verabschiedung demnächst auch noch einmal ganz
groß auf der Tagesordnung. Ich will nur so viel sagen:
Das Elterngeld und die Vätermonate sind für uns speziell
mit der Hoffnung verbunden, dass gerade auch Väter die
Gelegenheit und Chance haben, das Abenteuer Kind und
Haushalt zu erleben, wodurch sie lernen, die Leistungen
der Mütter besser wertzuschätzen, und wodurch sie ihre
Erfahrungen hoffentlich nutzbringend für alle in die Arbeitswelt tragen können. Das heißt also: hoher Nutzen
für das Miteinander in der Gemeinschaft und großer Gewinn für die Kinder.
({2})
Eine weitere Folge sind positive Auswirkungen auf die
Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsarbeit, die von
den allermeisten Frauen nun einmal so gewünscht wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, weil wir wissen,
dass die Verwirklichung des Wunsches, zwei Berufsfelder miteinander zu vereinbaren, die Zeit für die Familie
knapper werden lässt und die Kräfte unter Umständen
auch überfordert - ich glaube, das müssen wir uns ab
und zu auch einmal eingestehen -, muss die Inanspruchnahme von Dienstleistungen leichter und auch
selbstverständlicher werden.
({3})
Durch die Bereitstellung flexibler Kinderbetreuung
durch Tagesmütter, Kita oder Hilfen zu Hause, durch die
vollständige Absetzbarkeit der Kosten für sozialversicherungspflichtig Beschäftigte im Privathaushalt wie in
jedem Betrieb
({4})
und durch Förderung von Dienstleistungszentren, in denen bezahlbare Teilzeitangebote für den Haushalt abgerufen werden können, entlasten wir Eltern von den Aufgaben, die andere ebenso gut oder vielleicht sogar besser
erledigen können, und verschaffen wir ihnen Freiräume,
die für das entspannte Miteinander in der Familie notwendig sind.
Die Konsequenz ist: Die Nachfrage von Dienstleistungen schafft Arbeitsplätze und damit natürlich auch
Vorteile für diejenigen, die sich zwar selber diese Hilfe
nicht leisten können, aber Arbeit suchen. Wir haben hier
mit der verbesserten Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten und haushaltsnahen Dienstleistungen rückwirkend zum 1. Januar dieses Jahres erste Schritte getan.
Aber von der Verwirklichung der Idee „Haushalt als Betrieb“ sind wir leider doch noch ein ganzes Stück entfernt.
Wir haben es im privaten Haushalt mit einem riesigen Schwarzarbeitsmarkt zu tun. Deshalb sollten wir alles daransetzen, attraktive Angebote für reguläre Arbeit
zu machen.
({5})
Das wäre nicht nur gut investiertes Geld, sondern es
könnte auch dazu ermutigen, den so lange diskreditieren
Arbeitsplatz Haushalt aufzuwerten, sowohl als Ausbildungsberuf, als anspruchsvolle Fortentwicklung zu
selbstständiger Haushaltsführung als auch für einfachere
Arbeiten für Menschen mit eher praktischen Fähigkeiten. Das Ziel sind der Abbau von Schwarzarbeit und die
Schaffung neuer sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplätze.
An dieser Stelle ein Wort zu der immer wieder angesprochenen Kinderarmut. Kinderarmut ist immer abhängig von der Lebenssituation der Eltern. Es spiegelt
sich in den Zahlen wider, dass wir es mit einer hohen Arbeitslosigkeit zu tun haben. Deshalb ist das Wichtigste,
was wir für die Kinder tun können, um sie aus der Armut
herauszuholen, all unsere Kraft darauf zu verwenden,
Arbeitsplätze zu schaffen, und zwar auch im Bereich
Haushalt.
({6})
Bleiben wir einen Moment bei der Wirtschaft. Auch
sie kann dazu beitragen, Fehlentwicklungen und hohe
Folgekosten zu vermeiden. Familiengerechte Arbeitsplätze und Betriebsstrukturen, die auch die Wahrnehmung von Familienaufgaben zulassen, müssten im
ureigenen Interesse der Unternehmen liegen. Gerade Arbeitgeber sollten nicht unterschätzen, wie wichtig gute
Rahmenbedingungen für das Aufwachsen von Kindern
sind, damit sie später einmal - da sollten die Unternehmen ganz egoistisch sein - tüchtige Arbeitnehmer und
Arbeitnehmerinnen oder aber verantwortungsvolle
Chefs werden, die wir uns in stärkerem Maße wünschen.
({7})
Sowohl Tugenden wie Pflichterfüllung, Pünktlichkeit
und gegenseitiger Respekt als auch das Verständnis von
ethischer Unternehmensführung werden im Elternhaus
grundgelegt. Darüber hinaus erwarten wir von Unternehmern, dass sie sich, wenn nicht bereits geschehen, noch
stärker der Ausbildung Jugendlicher annehmen. Ich
weiß, es wird vielfach beklagt, dass Jugendliche nicht
die nötigen Voraussetzungen mitbrächten, die für eine
Erfolg versprechende Ausbildung nötig seien. Aber weil
eben alles mit allem zusammenhängt, müssen wir die
Defizite aufzeigen und Hilfestellung geben. Deshalb bin
ich dem Arbeitsminister dankbar, dass er gerade Jugendlichen, die besondere Schwierigkeiten haben, einen Ausbildungsplatz zu finden, mehr Chancen auf dem Arbeitsmarkt eröffnen will.
Weil wir wissen, dass die Unsicherheit der Eltern in
der Erziehung häufig groß ist und ihnen eine Vielzahl
von Miterziehern das Leben noch zusätzlich schwer
macht, müssen wir sie in ihrer Erziehungskompetenz
stärken und sie ermutigen, die ihnen - ganz altmodisch zuvörderst obliegende Pflicht der Erziehung verantwortungsvoll wahrzunehmen. Politik muss aber auch mit der
Verbesserung frühkindlicher und schulischer Bildung,
der Qualifizierung der Erziehenden, der Stärkung der
Lehrkräfte und der Verbesserung des schulischen Umfelds Ernst machen. Diese Bereiche finden sich zwar
nicht alle im Bundeshaushalt wieder, aber es spielt eben
alles zusammen.
Wo Fehlentwicklungen zu befürchten sind oder bereits sichtbar werden, brauchen wir mehr präventive Angebote, damit nicht aus kleinen Anfängen große Schädigungen entstehen. Erziehungsberatung und ambulante
Erziehungshilfen sind teuer, aber immer noch preiswerter als Reparaturmaßnahmen.
({8})
Das gilt natürlich auch für den Bereich - die Ministerin
hat ihn vorgestellt - der aufsuchenden Hilfen, das heißt,
Familien werden zu Hause aufgesucht, weil diese Familien nicht zu den Hilfseinrichtungen kommen und sie anders nicht zu erreichen sind. Wir müssen Familien
begleiten, um die Kinder aus dem Teufelskreis der Arbeitslosigkeit ihrer Eltern, in dem sie aufwachsen, zu befreien.
Die aufsuchende Hilfe ist hochkomplex und kostenintensiv. Dabei ist es sehr wichtig, die Kinder im Blick zu
behalten. Es lohnt sich für die Kinder und die Eltern.
Aber - das kann man immer wieder feststellen - es lohnt
sich auch für die Kasse.
Was für das Aufwachsen der Kleinkinder gilt, setzt
sich in allen Altersstufen fort. Jugendliche brauchen in
der schwierigen Phase des Erwachsenwerdens eine gute
Mischung aus Begleitung und Herausforderung, damit
sie ein gesundes Selbstbewusstsein entwickeln. Hier
setzt der Einzelplan 17 wichtige Akzente, zum Beispiel
mit der Förderung vielfältiger Angebote der Jugendarbeit, der Finanzierung von Freiwilligenjahren und
Maßnahmen zur Unterstützung bürgerschaftlichen
Engagements. Mittel zur Integration junger Menschen mit
Zuwanderungsgeschichte dienen der Konfliktprävention
ebenso wie der Verbesserung ihrer Ausbildungschancen.
Das alles sind wertvolle Investitionen in die Zukunft.
Im Bundeshaushalt 2007 sind mehr als 5 Milliarden
Euro für die Generationen veranschlagt. Darüber hinaus
werden jährlich etliche Milliarden - die Zahlen schwanken - für staatliche Maßnahmen und Leistungen für Familien in unterschiedlichen Lebenslagen aufgewendet.
Wir unterstützen das Familienministerium ausdrücklich
in seinem Vorhaben, dieses Geld effektiver einzusetzen.
Das System staatlicher Familienleistungen soll sortiert
und bilanziert werden. Es wird geprüft, ob wir künftig
die Ausgaben in einer Familienkasse bündeln, um sie genauer und zielgerichteter einsetzen zu können.
Ich komme zum Schluss. Unternehmensbilanzen
kann man auf Euro und Cent nachrechnen. Soziale Bilanzen hingegen bilden Zukunftsfähigkeit ab. Lassen Sie
uns öfter die gesellschaftlichen Zusammenhänge in den
Blick nehmen, damit wir die knapp gewordenen Finanzmittel klug anlegen. Die Sozialhaushälter aller Ebenen
werden es uns danken.
({9})
Das Wort hat nun die Kollegin Sibylle Laurischk,
FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau
Ministerin, ich möchte vorab etwas zu Ihren Ausführungen anmerken. Das Elterngeld wirft nach meinem
Dafürhalten verfassungsrechtliche Fragen auf, die noch
zu klären bleiben. Dazu wird gerade die FDP in der Zukunft noch einiges zur Diskussion beisteuern. Darauf
möchte ich kurz hinweisen, weil die Haushaltsmittel in
diesem Bereich deutlich aufgestockt werden.
Zur Kinderarmut haben Sie nach meinem Dafürhalten nichts Substanzielles gesagt. Dabei ist die Kinderarmut ein Problem, das zunehmend an Bedeutung gewinnt.
Ich hätte mir durchaus vorstellen können, dass Sie zum
Beispiel auf das Unterhaltsvorschussgesetz oder auf den
Kinderzuschlag eingegangen wären.
Sie verantworten auch die Mittel für die Integration
junger Zuwanderinnen und Zuwanderer. Diese Mittel
werden wie im Vorjahr - ich zitiere aus den Anmerkungen zum Haushaltsplan - „bedarfsgerecht“ veranschlagt.
19 Prozent eines Jahrgangs von Schülern mit Migrationshintergrund verlassen die Schule ohne Abschluss.
Damit wächst ein großer sozialer Sprengsatz heran. Die
Bedeutung von Integration durch Spracherwerb hat auch
der Bundesinnenminister in seiner Haushaltsrede für seinen Bereich „Integrationskurse für Erwachsene“ deutlich gemacht. Aber auch er stockt die Ansätze für die
Integrationskurse 2007 nicht auf.
Ich weise an dieser Stelle insbesondere darauf hin,
dass die Integrationskurse für Mütter und Kinder mit Migrationshintergrund nicht ausreichend wahrgenommen
werden können, weil die notwendigen Mittel fehlen. Ich
halte es für wichtig, dass Sie sich als Frauen- und Familienministerin gerade um diese Möglichkeiten verstärkt
kümmern. Das Abhalten eines Integrationsgipfels reicht
eben nicht aus.
({0})
An dieser Stelle möchte ich auf etwas hinweisen, was
mich in der jüngsten Berichterstattung sehr erschüttert
hat. Die Situation muslimischer Frauen ist mittlerweile
so schwierig, dass sich eine Anwältin in Berlin, die diese
Frauen vertritt, nicht mehr in der Lage sieht, ihren Beruf
auszuüben, weil sie ebenfalls Angriffen ausgesetzt ist.
Ich meine, dass die Frauenministerin der Bundesrepublik zu diesem Thema etwas hätte sagen müssen.
({1})
Es ist nach meinem Dafürhalten eine sehr bedenkliche
Entwicklung, wenn eine Anwältin, die als Mitglied der
Anwaltschaft Organ der deutschen Rechtspflege ist, ihren Beruf wegen integrationspolitisch fragwürdigen Zuständen in Deutschland aufgibt. Wir müssen in dieser
Frage ganz intensiv arbeiten. Egal welches Ministerium
oder welcher Ausschuss, wir sind hier als Abgeordnete
gefordert.
({2})
Ich bin der Meinung, dass junge Migrantinnen und
Migranten vom Europäischen Jahr der Chancengleichheit für alle 2007 profitieren sollten. Sie haben ausgeführt, dass Sie ein Programm „Jugend für Vielfalt und
Demokratie“ auflegen wollen. Wir hoffen auf ein schlüssiges Konzept. Das von uns sehr kritisierte so genannte
Gleichstellungsgesetz allein darf nicht als ausreichend
betrachtet werden. Hier muss mehr getan werden.
Das Europäische Jahr der Chancengleichheit für alle
muss auch für Senioren von Bedeutung sein. Wir fordern die Bundesregierung auf darzulegen, wie sie vorgehen will, damit auch Senioren angesprochen werden und
in ihrer gesellschaftspolitischen Bedeutung stärker vernetzt werden. Sie sprechen zwar ständig von Mehrgenerationenhäusern. Aber das reicht uns als seniorenpolitische Aussage nicht aus.
({3})
Die Formen der Altersdiskriminierung beispielsweise
sind subtil. Das ist insbesondere auf dem Arbeitsmarkt
zu spüren. Wir wissen, dass der Altenbericht einige Lösungsvorschläge beinhaltet. Dazu haben Sie bislang
noch nichts gesagt. Das Verzögern der Vorlage des Altenberichts kritisieren wir ausdrücklich.
Frau von der Leyen, Familienpolitik muss alle Generationen und beide Geschlechter umfassen. Nur dann hat
das bewährte Netz Familie eine Chance, seinen Mitgliedern und Angehörigen Halt und Perspektive zu geben.
Frau Ministerin, es bleibt viel zu tun.
({4})
Nächster Redner ist der Kollege Wolfgang Spanier für
die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Gerade in Haushaltsdebatten
ist es sehr schwer, Wiederholungen zu vermeiden. Auch
ich werde es nicht schaffen; aber ich erlaube mir deswegen, auf die grundsätzlichen Fragen nicht näher einzugehen.
Frau Ministerin von der Leyen ist auf die demografische Entwicklung und deren Auswirkungen eingegangen. Das erspare ich mir.
Ich will mich auf einige wenige Punkte konzentrieren.
Frau Ministerin, ich möchte - Sie ahnen es wahrscheinlich - eine Anmerkung zur Seniorenpolitik machen. Sie
haben vorhin mit Vehemenz, ja geradezu mit Verve von
den Potenzialen, der Leistungsfähigkeit und den Kompetenzen der Älteren gesprochen. Das hat mir gut getan.
({0})
Vom finanziellen Volumen her geht es - wenn man
den Betrag beispielsweise mit dem Zuschuss zur Rentenversicherung in Höhe von 78,4 Milliarden Euro vergleicht - um eine ganz bescheidene Summe. Es sind gerade einmal 10 Millionen Euro. Übrigens bewegen wir
uns damit auf dem finanziellen Niveau zuzeiten von RotGrün. Nichtsdestotrotz ist es Aufgabe des Ministeriums
und des zuständigen Ausschusses, dafür zu sorgen, dass
wichtige gesellschaftliche Impulse gegeben werden und
dass neue Initiativen, die in der Gesellschaft entstehen,
aufgegriffen und unterstützt werden.
({1})
Es handelt sich zwar nur um 10 Millionen Euro. Aber
die damit finanzierten Maßnahmen sind in gesellschaftspolitischer Hinsicht durchaus wichtig.
Ich will kurz auf drei Bereiche eingehen. Zur Fortsetzung der Baumodelle der Alten- und Behindertenhilfe: Insgesamt sind es nun bundesweit 39 Projekte.
Hinzu gekommen sind elf Projekte, die unter der Überschrift „Das intelligente Heim“ laufen. Das finde ich
sehr gut; denn die Technikunterstützung des Lebens älterer, aber auch behinderter Menschen wird dabei in den
Blickpunkt gerückt. Auch dabei geht es nur um bescheidene 2,5 Millionen Euro. Darin stecken aber viele Anregungen. Das erinnert mich an Klostergründungen, als
Mönche ins Land geschickt wurden, die dann eine breite
Öffentlichkeit erreichten.
Neu ist das Modellprogramm „Neues Wohnen - Beratung und Kooperation für mehr Lebensqualität im Alter“. Dessen Budget ist noch kleiner, dennoch ist das ein
wichtiger Ansatz. Es sollen zehn Projekte bundesweit
gefördert werden. Dabei geht es um ganz wichtige Themen, neue Kooperationsmodelle, damit auch andere Beteiligte in den Stadtquartieren zusammengebracht werden können. Mit dem Projekt „Wohnen im Stadtteil“
erreichen wir eine Nähe zum Programm „Soziale Stadt“.
Wir müssen dabei darauf achten, was bezüglich der Innovationen von überregionaler Bedeutung ist. Auch dieses Programm zielt in die richtige Richtung und wird
hoffentlich - ich bin mir sogar sicher - wichtige Impulse
geben.
Ich kann nicht umhin, auf das Aktionsprogramm
„Mehrgenerationenhaus“ zu sprechen zu kommen. Es
ist mit 88 Millionen Euro in unserem kleinen Etat ein dicker finanzieller Brocken. Man darf die Mehrgenerationenhäuser jedoch nicht mit Erwartungen überfrachten.
Mit ihnen werden wir nicht die Probleme und Verwerfungen unserer Gesellschaft lösen können, das erwartet
auch niemand. Der Ansatz ist jedoch richtig und da er
heute schon mehrfach beschrieben worden ist, werde ich
nicht weiter darauf eingehen. Stattdessen will ich ein
paar konkrete Anmerkungen machen.
Die ersten 50 Mehrgenerationenhäuser sollen demnächst bewilligt werden. Die Bewerbungen laufen. Ich
habe mir sagen lassen, dass eine große Anzahl von
Onlinebewerbungen eingegangen ist. Das ist sehr erfreulich. Bis zum 20. September läuft die erste Tranche. Ich
bin darauf gespannt, wie die Beurteilung ausfallen wird.
Ich hoffe, wir stimmen darin überein, dass es sich hier
um ein lernendes Programm handelt und man auch prüfen sollte, ob es wirklich 27 Kriterien sein müssen, die
man bei der konkreten Vergabe einhalten muss. Ich
möchte darum bitten, die Erfahrungen aus der ersten
Tranche zu nutzen, um hier möglicherweise wichtige
Veränderungen vornehmen zu können.
({2})
Da es sich hier um einen vagen Begriff handelt,
möchte ich ein paar weitere Anmerkungen machen. Es
soll sich um einen „offenen Tagestreff“ handeln. Ein wesentlicher Bestandteil ist ferner, dass vier Generationen
berücksichtigt werden müssen. Zuerst habe ich gestutzt.
Es geht um Kinder und Jugendliche, Erwachsene, die
Älteren, also 50 plus, und die Hochbetagten. Jeder mag
sich einordnen. Ich erachte es als wichtig, dass gleichzeitig die frühe Förderung von Kindern hier mit verankert
werden soll. Ein entscheidendes Bewertungskriterium
ist, dass Ehrenamtliche und Hauptamtliche auf gleicher
Augenhöhe miteinander umgehen. Dieses Kriterium
wird sicherlich auch angelegt werden.
({3})
Ich bin der Meinung, dass die Entscheidungen, die
jetzt anstehen, transparent gemacht werden müssen. In
meinem Wahlkreis gibt es mehrere Bewerbungen. Ich
bin in dieser Angelegenheit völlig neutral.
({4})
Die Bewerber werden darauf achten, ob sie wirklich
gleich behandelt werden. Ich mahne die Gleichbehandlung nicht an, sondern setze einfach voraus, dass das
Entscheidungsverfahren die notwendige Transparenz
hat.
({5})
Selbstverständlich gehört dazu, dass wir regelmäßig
über den weiteren Fortgang informiert werden.
Bei der Entscheidung ist es sicherlich hilfreich, dass
eine Kooperationsgruppe eingerichtet wird, die eine Art
Beiratsfunktion übernehmen soll. Vielleicht sollte man
aber darüber nachdenken, Frau Ministerin, ob wir wirklich noch zwei zusätzliche Gremien brauchen. Brauchen
wir noch einmal einen Nachhaltigkeitsrat? Es gibt im
Deutschen Bundestag einen Beirat für nachhaltige Entwicklung. Warum soll er sich nicht auch mit unseren
Themen befassen? Wir haben einen Nachhaltigkeitsrat
bei der Bundesregierung verankert. Man sollte noch einmal darüber nachdenken, ob ein zusätzlicher Nachhaltigkeitsrat nicht überflüssig ist. Wenn das Kompetenznetzwerk wirklich ein neues Gremium wird, sozusagen
institutionalisiert wird, dann hätte ich meine Bedenken.
Hingegen Fachleute zusammenbringen, das kann man
machen. Das wollte ich mit auf den Weg geben. Zu einem „lernenden Programm“ gehört auch, dass man kritische Nachfragen stellen kann und das eine oder andere
überprüft.
Wir werden uns mit der Lage der älteren Generation
sicherlich noch ausführlicher befassen, wenn wir den
Fünften Bericht zur Lage der älteren Generation hier im
Haus diskutieren.
({6})
- Da gebe ich Ihnen Recht. - Deswegen möchte ich zwei
Anregungen geben. Die Situation der älteren Migranten
ist ein Schwerpunkt in dem fünften Altenbericht. Man
sollte auch einmal auf die Lage der älteren Menschen
mit geistiger Behinderung eingehen. Es hat historische
Gründe, auf die ich nicht näher eingehen muss, dass jetzt
zum ersten Mal Menschen mit geistiger Behinderung in
das Seniorenalter hineinwachsen. Wir sollten überlegen,
ob wir Impulse setzen können, um die besonderen Bedürfnisse dieser älteren Menschen zu berücksichtigen.
({7})
Ganz zum Schluss noch eine Bemerkung, die ich mir
nicht verkneifen kann. Als ich zur Einbringung des
Haushalts 2006 eine kleine Rede halten durfte, bin ich
auf das Heimgesetz eingegangen. Wir waren uns alle einig, wie das geregelt werden sollte.
({8})
Mittlerweile ist die Föderalismusreform in Kraft. Leider
hat es sich ergeben, dass die Länder mit 14 : 2 Stimmen
nicht bereit waren, auf unsere übereinstimmende Vorstellung einzugehen.
({9})
Das ist bedauerlich. Wir hätten die Chance gehabt, nicht
nur die stationäre Altenhilfe, sondern auch die ambulante Altenhilfe durch eine Modifizierung des Heimgesetzes zu fördern und zu unterstützen. Ich hoffe, dass die
16 Länderparlamente diese Aufgabe sobald wie möglich
in Angriff nehmen. Da wir alle den Ländern und den
Länderparlamenten zumindest parteipolitisch verbunden sind, würde ich Sie bitten, das zu unterstützen.
Herzlichen Dank.
({10})
Das Wort erhält nun die Kollegin Elke Reinke, Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau von der Leyen, Sie haben sich für Ihre Regierungszeit große Ziele gesteckt. Sie wollen junge Familien in der Phase der Familiengründung unterstützen
- sprich: Elterngeld eingeführt -, den Zusammenhalt
zwischen den Generationen mit den Mehrgenerationenhäusern stärken und Sie wollen sich mehr um die Kinder
kümmern, die auf der Schattenseite des Lebens geboren
wurden.
({0})
Über das erschreckende Ausmaß der bestehenden Kinderarmut hat meine Kollegin Diana Golze bereits gesprochen. An Ihrer Stelle, Frau Ministerin, hätte ich
mich zuerst dieser Herausforderung gestellt. Ich bin sehr
gespannt, welche Antworten Ihr Ministerium auf dieses
dringende Problem entwickelt.
Frau Ministerin, Sie haben erreicht, dass wieder mehr
über Familien gesprochen wird. Ich habe aber den Eindruck, dass Sie damit nicht die Familien von Geringverdienenden, Erwerbslosen, Studierenden und Auszubildenden meinen.
({1})
Ich finde einige Ihrer Grundgedanken richtig. Sie erklären, dass Sie bei der Drehscheibe Mehrgenerationenhaus sozialpolitische Maßnahmen mit arbeitsmarktpolitischen Instrumenten verbinden wollen. Herausgekommen
ist allerdings eine Mischung aus einem ausgeweiteten
Niedriglohnsektor und ehrenamtlicher Arbeit. Ihr
Dienstleistungsunternehmen Mehrgenerationenhaus ist
nichts anderes als eine moderne Fassung der alten
Dienstmädchengesellschaft.
({2})
Auch die Leute, die zu Armutslöhnen diese Arbeit verrichten müssen, haben oftmals Kinder, die dann wieder
im Schatten der Armut groß werden müssen.
({3})
Für Sie, Frau von der Leyen, ist das Mehrgenerationenhaus eine Antwort auf das Verschwinden der traditionellen Großfamilie. Sie wollen auf der einen Seite künstlich
Familien erzeugen, auf der anderen Seite werden Familien durch eine völlig verfehlte Arbeitsmarktpolitik zerrissen. In Sachsen-Anhalt ist das völlig normal. Für die
Niedrigverdienenden ist es zumutbar, dass sie von ihren
Familien getrennt werden.
In meinem Bekanntenkreis ist ein fünffacher Familienvater mehrere Jahre lang quer durch die Bundesrepublik zu verschiedenen Arbeitsorten gefahren, um seine
Familie zu versorgen.
({4})
Vor einem Jahr hat er seine Arbeit verloren. Jetzt hat er
Zeit und er hat neue Zukunftsängste. Die Bundesagentur
für Arbeit fordert ihn jetzt auf, seine Wohnung zu verlassen, weil sie nicht mehr angemessen ist. Jahrelang hat er
versucht, diesen Wohnsitz zu erhalten. Er hat alles versucht, damit seine Familie in diesem Umfeld bleiben
kann. Nun wird sie aus diesem sozialen Umfeld herausgerissen. Die Agentur wird ihm auch keine neue Stelle
vermitteln, weil es genug jüngere Arbeitssuchende gibt,
die nun ebenfalls wochenlang durch die Republik reisen.
Wie erklärt er seinem ältesten Sohn, dass er jetzt eine
Genehmigung braucht, wenn er aus dem Haushalt der
Eltern ausziehen will?
Nur zur Erinnerung: Durch den Arbeitslosengeld-IIBezug des Vaters ist die Familie jetzt eine Bedarfsgemeinschaft. Nun kommen Sie mir nicht damit, dass Sie
sagen: Das ist ein Einzelfall. Ich kann Ihnen etliche dieser Fälle schildern; daran sind Familien zerbrochen.
Wenn Sie mit offenen Augen durch Ihren Wahlkreis gehen, dann werden Sie Fälle dieser Art sicherlich ebenfalls sehen.
({5})
Machen wir es uns nicht zu einfach. Als gewählte
Volksvertreter sollten wir Probleme offen benennen. Unbequeme Wahrheiten auszusprechen, ist kein Populismus, im Gegenteil: Unsere Wähler und Wählerinnen
erwarten klare Worte. Ihre Ankündigung zu den Mehrgenerationenhäusern hat ein reges Interesse bei vielen
freien Trägern und sozialen Institutionen hervorgerufen.
Sie hofften auf qualifizierte Arbeitsplätze und auf finanzielle Unterstützung, um neue Projekte zu entwickeln
bzw. um bestehende auszubauen. Das war in meinem
Wahlkreis nicht anders.
Doch nach genauem Studium der Ausschreibungsunterlagen blieb von der geweckten Erwartung nicht allzu
viel übrig. Eine Förderhöhe von jährlich 40 000 Euro für
ein Projekt hört sich nach sehr viel an. Von diesem Betrag sind 50 Prozent für Personalkosten vorgesehen. Davon kann man gerade einmal eine halbe Stelle finanzieren, wenn man nach Tarif zahlt. Die Förderung ist
teilweise an fragwürdige Bedingungen gebunden. Projektteilnehmer werden unter anderem aufgefordert, Werbefahrten zu anderen Mehrgenerationenhäusern zu veranstalten. Das Ganze ist also nichts anderes als eine gut
durchdachte Propagandaveranstaltung für Ihr Ministerium.
({6})
Ihr Mehrgenerationenhaus könnte - aber nur, wenn es
finanziell solide ausgestattet wäre - als ein soziales Zentrum funktionieren. Hier könnten Jüngere und Ältere,
Menschen mit und ohne Behinderung lernen, respektvoll
und gleichberechtigt zusammenzuleben.
Es gibt viele Tätigkeitsfelder, durch die Familien unterstützt werden können und durch die gleichzeitig neue
Erwerbsarbeit entsteht, die so dringend benötigt wird.
Sie argumentieren, dass sich viele ältere Bürger mehr soziale Nähe wünschen und gerne gebraucht werden wollen. Senioren bieten nicht nur Hilfe an. Immer mehr
ältere Menschen brauchen Unterstützung, weil das Problem der Altersarmut immer prekärer wird. Diese Entwicklung hat Ihre Regierung mit der Fortentwicklung
von Hartz IV und der Halbierung der Rentenbeiträge für
ALG-II-Empfänger verstärkt.
Wenn die Regierung keine armutsfesten Mindestrenten einführt, dann werden Ihre Mehrgenerationenhäuser noch einen ganz anderen Schwerpunkt bekommen: Ältere Menschen müssen untereinander die
Solidarität ersetzen, die die Gesellschaft ihnen gegenüber nicht mehr aufbringt.
({7})
Ein Dialog zwischen den Generationen ist notwendig.
Dazu muss der Staat keinen künstlichen Familienersatz
schaffen. Sie können sich ein Programm in dieser Form
sparen. Sie könnten mit diesem Geld dem Ziel einer bedarfsdeckenden und beitragsfreien Kinderbetreuung ein
großes Stück näher kommen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({8})
Das Wort hat nun die Kollegin Monika Lazar, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
möchte mich in meinem Beitrag auf das Bundesprogramm gegen Rechtsextremismus, für Vielfalt und
Toleranz beziehen. Frau Bundesministerin von der
Leyen hat dankenswerterweise schon dieses neue Programm erwähnt. Allerdings ist die Aussicht für viele Akteure leider nicht so rosig, wie das hier geschildert
wurde.
Nach monatelanger Unklarheit darüber, ob das Geld
ganz gestrichen, gekürzt oder für neue Inhalte ausgegeben werden soll, blieb der Ansatz für 2007 nun doch bestehen. Das ist erfreulich. Aber wie geht es jetzt weiter?
Ende 2006 laufen die bisherigen Bundesprogramme
„Civitas“ und „Entimon“ nach fünfjähriger Modellphase
aus. Diese Modellphase war ausgesprochen erfolgreich.
Bürgerinnen und Bürger lernten in Projekten vor Ort,
Zivilcourage zu zeigen. Es gab Aufklärung, unter anderem in Schulen und Behörden. Opfer rechtsextremer Gewalt bekamen endlich spezifische Hilfe. Viel Erfahrung
und Fachwissen liegen jetzt vor. Der Bund ist nun in der
Verantwortung, die gewachsenen Strukturen auch weiterhin zu unterstützen.
({0})
- Selbstverständlich. Darüber sind wir uns einig.
({1})
Das ist doch überhaupt kein Problem. Ich bin ja erst am
Anfang; darauf komme ich noch.
Bundesfinanzmittel zur Stärkung der Zivilgesellschaft
sind im Entwurf 2007 wieder eingeplant. Die entscheidende Frage ist: Für welche Projekte und auf welchem
Weg soll dieses Geld ausgegeben werden? Dazu sind die
Vorstellungen der Bundesregierung leider noch unkonkret. Was wird etwa aus den mobilen Beratungsteams,
den Netzwerkstellen und der Opferberatung
({2})
und was aus Aussteigerprojekten wie „Exit“? Für sie
geht die Zitterpartei weiter, auch wenn im Haushalt die
gleiche Summe zur Verfügung stehen wird. Viele Träger
sind stark verunsichert, müssen Büros schließen und sich
arbeitslos melden; Kollegin Golze hat dankenswerterweise auch darauf schon hingewiesen. Sollen sich etwa
die Rechtsextremen ab dem nächsten Jahr freuen, wenn
die engagierten Aufklärer nicht mehr vorhanden sind?
Ich kann und will mir das nicht vorstellen.
({3})
Natürlich müssen sich auch die Länder an der Finanzierung angemessen beteiligen.
({4})
Wir wissen, dass nicht alle das tun. Thüringen gibt da
leider ein sehr schlechtes Beispiel.
({5})
Ich hoffe, ab nächstem Jahr tut sich da etwas. Aber es
sieht nicht allzu gut aus.
In Sachsen zum Beispiel haben etliche Projekte Geld
aus dem Programm „Weltoffenes Sachsen“ erhalten,
aber oft erst, nachdem dieses durch das Bundesprogramm „Civitas“ gefördert wurde. Durch das neue Bundesprogramm, das Anfang 2007 beginnt, entsteht aber
ein Übergangszeitraum. Dann wird es für die Projekte
schwierig, da es Anfang des Jahres Zusagen weder vom
Bund noch vom Land gibt. Diese Lücke muss noch geschlossen werden.
({6})
Auch beim Antragsverfahren sind Veränderungen
angedacht. Künftig sollen nur noch die Kommunen Anträge auf Fördergelder stellen dürfen. Ich halte es für
richtig, dass die Verantwortung der Kommunen gestärkt
wird. Leider aber sind viele Kommunen und Landkreise
oft noch Teil des Problems. Ihnen fehlt die Sensibilität
für das Thema oder, schlimmer noch, sie teilen die Ansichten. Gerade dort aber ist die Arbeit gegen Rechtsextremismus nach wie vor notwendig. Wenn jedoch freie
Träger selbst keine Förderanträge mehr stellen können,
besteht die Gefahr, dass sie zu Bittstellern werden.
Deshalb brauchen wir ein gemeinsames Recht für
Kommunen und Träger vor Ort, Fördermittel zu beantragen.
({7})
Nur so können sich beide auf Augenhöhe gleichberechtigt gegenüberstehen. Nur so wird es auch eine inhaltliche Auseinandersetzung geben, die gleichberechtigt ablaufen kann.
Es gibt in den Ländern und Kommunen viele Aktionen, um die Zukunft der Strukturprojekte abzusichern.
Aktiv sind dabei Menschen aus allen demokratischen
Parteien. Zum Beispiel hat die CDU-Landtagsfraktion
von Mecklenburg-Vorpommern in einem Brief vom
15. August an Bundeskanzlerin Merkel geschrieben
- ich zitiere -:
Leider zeigt sich, dass die demokratische Grundordnung in unserem Land noch nicht tief genug verankert ist, als dass sie nicht doch noch ins Wanken
geraten kann.
Diese Warnung sollte auch die Bundesregierung ernst
nehmen und den gefährlichsten Feinden unserer Demokratie, den Rechtsextremen, keinen Raum lassen. Zu diesem Kampf gehört, die Initiativen zu stärken, inhaltlich
und finanziell.
({8})
In dem Brief heißt es weiter:
In den letzten Monaten hat die CDU-Landtagsfraktion mit unterschiedlichen Partnern eine Reihe
kleinteiliger Veranstaltungen … organisiert. Dabei
haben uns die kompetenten Mitarbeiter des mobilen
Beratungsteams … durch Detailkenntnis und Kompetenz geholfen. Wir halten deren Arbeit in Mecklenburg-Vorpommern auch in der Zukunft für unerlässlich und wünschen uns, dass der Bund hier auch
künftig seinen finanziellen Beitrag leistet.
Das ist eine sehr eindeutige Aussage.
Leider gibt es noch keine Antwort von der Bundeskanzlerin. Ich hoffe, sie will nicht abwarten, ob die NPD
am 17. September in den Landtag von MecklenburgVorpommern einzieht, um dann gegebenenfalls hektisch
zu reagieren.
Ich hoffe ebenfalls, die Bundesregierung findet rechtzeitig Lösungen für die Strukturprojekte, damit sie sich
ganz auf ihre eigentliche Arbeit konzentrieren können
und nicht länger als Bittsteller von Tür zu Tür laufen
müssen. So viel sollte unsere Demokratie uns allen wert
sein. Alle Bürgerinnen und Bürger müssen sich für unsere Demokratie einsetzen. Auch die Politik muss ihre
Aufgaben erledigen. Wir haben jetzt die Chance, Zivilcourage nicht nur moralisch, sondern auch finanziell zu
unterstützen.
({9})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Johannes Singhammer, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Familie steht vor einer Renaissance. Wir wollen
diejenigen unterstützen, die in einer Familie zusammenleben. Die erste finanzwirksame Entscheidung des Haushalts 2006 war die bessere steuerliche Anrechenbarkeit
der Kinderbetreuung. In diesem Haushalt, dem Haushalt
2007, spielt das Elterngeld eine zentrale Rolle.
Wir wollen - und tun das auch - eine moderne Familienpolitik betreiben, allerdings keine Familienpolitik
ohne Grundsätze. Wir wissen, Familie ist nicht das Idyll
im Winkel. Harte Realität ist auch, dass immer mehr
Ehen geschieden und weniger geschlossen werden, viele
Menschen zeitlebens kinderlos bleiben und die Öffentlichkeit immer öfter über spektakuläre Fälle von Kindesmisshandlung diskutiert.
Für die ganz große Mehrheit der Menschen in
Deutschland ist das Zusammenleben in der Familie
trotzdem erwünscht, erhofft und auch alternativlos. In einer vor kurzem veröffentlichten Umfrage des Allensbach-Instituts wurde untersucht, welche Gruppe sich als
besonders glücklich empfinde. Ich glaube, es erstaunt
wenig, dass sich vor allem Eltern mit kleinen Kindern
trotz aller Probleme als besonders glückliche Gruppe
empfinden. Deshalb macht es Sinn, Familienpolitik zu
betreiben und diese als roten Faden zu betrachten. Denn
wenn es den Familien in unserem Land gut geht, dann
geht es auch unserem Land gut.
({0})
Wir wissen, dass sich die Lebensmodelle von Familien in den vergangen Jahrzehnten mehr verändert haben
als in den vergangenen Jahrhunderten.
({1})
Dem tragen wir Rechnung: mit der Einführung des Elterngelds, mit der Förderung der besseren Vereinbarkeit
von Familie und Beruf, mit dem besseren Schutz von
Kindern vor Vernachlässigung und mit der besseren Einbindung der älteren Generation durch die Nutzbarmachung der Potenziale des Alters vor dem Hintergrund einer veränderten demografischen Alterspyramide.
Wichtig ist aber auch - lassen Sie mich das an dieser
Stelle sagen -, dass es beim Haushalt, bei der Einbringung des Haushalts, der Diskussion darüber und der Entscheidung über die Ausgaben, nicht ausschließlich darum geht, Realitäten zur Kenntnis zu nehmen und zu
verwalten, sondern auch darum, zu gestalten. Zum Gestalten gehört, dass nicht auf Leitbilder verzichtet wird.
Familienpolitik und Leitbilder gehören zusammen. Es
lohnt sich, die Leitbilder wieder in den Fokus zu rücken,
die unser Grundgesetz aus gutem Grund gewählt hat. In
Art. 6 des Grundgesetzes steht:
Ehe und Familie stehen unter dem besonderen
Schutze der staatlichen Ordnung.
Das ist auch gut so.
({2})
- Wenn Sie die Verfassung ändern wollen, sollten Sie
das hier sagen. Wir wollen das nicht.
({3})
Wir folgen dem Grundsatz der Wahlfreiheit.
({4})
- Gleich komme ich noch zu Ihnen.
({5})
Der Grundsatz der Wahlfreiheit bedeutet für uns vor
allem, dass es in der Verantwortung der Eltern liegt, wie
sie ihre Kinder betreuen und erziehen.
Für uns ist es wichtig, dass sich die Väter und Mütter
entscheiden können, ob sie sich ganz der Familie widmen oder wie sie Familie und Erwerbsarbeit miteinander
verbinden. Wir haben in der Vergangenheit überwiegend
auf die Betreuung der Kinder innerhalb der Familie gesetzt. Wegen der veränderten gesellschaftlichen Bedingungen fördern wir heute zugleich die Betreuung außerhalb der Familie.
({6})
Gerade diese Frage wird sich vermehrt im Zusammenhang mit der Einführung des Elterngeldes stellen.
Eines sage ich Ihnen aber auch - um einmal Wahlfreiheit an einem praktischen Beispiel zu dokumentieren -:
Frau Haßelmann, Sie haben das Ehegattensplitting angesprochen. Sie wollen das Ehegattensplitting zum Teil
schleifen
({7})
und begründen das mit einem besonderen Zugewinn an
Humanität. Ich bitte Sie, auch einmal an die Millionen
von Frauen zu denken, die in der Vergangenheit einen
anderen Lebensentwurf gewählt haben
({8})
und die jetzt, nachdem die Kinder aus dem Haus sind
- Sie wollen ja das Ehegattensplitting erkennbar daran
knüpfen, ob Kinder im Haus sind oder nicht - und weil
sie sich ganz der Kindererziehung gewidmet haben, ein
wesentlich geringeres Alterseinkommen haben als ihr
Ehemann. Wenn Sie das Ehegattensplitting jetzt schleifen, dann treffen Sie Millionen dieser Frauen. Das ist
kein Zugewinn an Humanität, sondern - das sage ich Ihnen an dieser Stelle - eine ganz grobe Ungerechtigkeit.
({9})
Herr Kollege Singhammer, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Deligöz?
Ich gestatte eine Zwischenfrage, wenn Sie die richtige
Frage stellen, Frau Deligöz.
({0})
Herr Singhammer, ich stelle Ihnen immer die richtige
Frage; das wissen Sie doch.
Geben Sie mir Recht, wenn ich sage: Eine Familie mit
zwei Einkommen - die Frau ist womöglich als Verkäuferin im Supermarkt tätig, der Mann als Fernfahrer; beide
verdienen also nicht viel - hat, obwohl beide Ehepartner
arbeiten, um ihrer Familie einen Mindestunterhalt zu gewährleisten - denn beide sind keine Großverdiener -,
nichts vom Ehegattensplitting. Denn bei einem etwa
gleich hohen Einkommen ist der Betrag, der sich aus
dem Ehegattensplitting ergibt, für diese Familie null. Im
gleichen Zug hat ein sehr gut verdienender Ehemann
- ein Bundestagsabgeordneter, sagt meine Kollegin
Schewe-Gerigk - mit einer Frau, die nicht erwerbstätig
und zu Hause ist, bei diesem Einkommen Vorteile von
bis zu 8 000 Euro, und dies auch ohne Kinder.
({0})
Dies ist ungerecht gegenüber Kinder erziehenden Eltern,
die trotz ihres niedrigen Einkommens die Kosten für ihre
Kinder tragen müssen.
Stimmen Sie mir darin zu, dass es ein Aspekt der Gerechtigkeit ist, Familien, die die Verantwortung übernehmen, Kinder zu erziehen, staatlich mehr zu unterstützen
als diejenigen, die keine Kinder haben! Das müsste doch
eigentlich auch in Ihrem Programm stehen. Denn auch
Sie definieren „Familie“ als den Ort, wo Menschen miteinander und füreinander Verantwortung übernehmen.
Frau Kollegin, Sie hatten sich zu einer Zwischenfrage
gemeldet.
Das ist eine Zwischenfrage. Ich würde gern wissen,
ob mir Herr Singhammer da zustimmt.
Wenn ich mir nicht notiert hätte, dass ich Ihnen zu einer Zwischenfrage das Wort erteilt habe, könnte ich das
gar nicht mehr als solche erkennen.
({0})
Deswegen wäre es gut, wenn nach der bestellten guten
Frage nun auch eine gute Antwort erfolgte.
Ich habe ja von Ihnen gelernt, dass gut Ding Weile
braucht, Herr Lammert. Von daher stelle ich jetzt meine
Frage.
({0})
- Das war liebenswürdig von mir gemeint.
Das hat auch jeder so verstanden. Es muss jetzt auch
wirklich damit sein Bewenden haben. Der Kollege Singhammer sollte den Teil der Ausführungen, die er als
Frage verstanden hat, beantworten.
({0})
Dann stelle ich meine Frage: Wie vereinbaren Sie das
mit Ihren CSU-Grundsätzen? Diese Gerechtigkeitsfrage
würde mich sehr interessieren.
Frau Kollegin Deligöz, ich werde mich bemühen, Ihre
Fragen umfassend zu beantworten.
Zunächst einmal haben Sie danach gefragt, ob das
Ehegattensplitting bei dem von Ihnen skizzierten Beispiel eines Ehepaares, das über ein gleich hohes Einkommen verfügt, zu Begünstigungen führt.
({0})
Das ist ganz klar zu beantworten - das ist nichts
Neues -: In diesem Fall nicht.
Dann haben Sie danach gefragt, ob es gerecht sei,
wenn ein Partner mehr und der andere weniger verdient
und diese Unterschiede im Rahmen des Ehegattensplittings als Vorteil zu Buche schlagen. Dazu möchte ich Ihnen sagen, dass dieses Zerrbild, das hier gelegentlich
gemalt wird - oft werden der Zahnarzt und die Zahnarztgattin bemüht, die aus dem Vorteil, den das Ehegattensplitting bietet, Tennisstunden bezahlen kann -, so nicht
zutrifft. In einer Untersuchung wurde vor kurzem ganz
klar festgestellt, dass das Ehegattensplitting zielgenau
den Familien mit Kindern Vorteile bringt. Damit dient es
genau der Gruppe, der es dienen soll. Dabei bleibt es.
({1})
- Ob Ihnen das passt oder nicht: Es ist so.
({2})
Es kommt noch ein entscheidender Grund hinzu. Ehepartner übernehmen in der Ehe eine ganz besondere
Verantwortung füreinander, auch unterhaltsrechtlich.
Deshalb ist es richtig - das Bundesverfassungsgericht
hat dies wiederholt festgestellt -, dass diese besondere
Verpflichtung einen besonderen Schutz braucht. Deshalb ist das Ehegattensplitting zu Recht eingeführt worden. - Ich denke, ich habe Ihre Fragen damit gut beantwortet.
({3})
Wahlfreiheit - ich möchte auf diesen Punkt zurückkommen - erfordert natürlich auch finanzielle Gerechtigkeit für Familien. Das ist heute schon angesprochen
worden.
Herr Kollege Singhammer, es gibt noch eine Zwischenfrage der Kollegin Lenke.
Aber sehr gerne.
Bitte schön.
Herr Singhammer, ich möchte noch einmal auf das
Ehegattensplitting zurückkommen. Sie sagen, die Ehe
solle geschützt werden und Kinder sollten vom Staat gefördert werden. In meiner Frage geht es um die finanzielle Förderung der Kinder durch den Staat.
Bitte beantworten Sie mir die Fragen: Finden Sie es
richtig, dass Alleinerziehende mit Kindern vom Ehegattensplitting nicht profitieren? Finden Sie es weiterhin
richtig, dass auch eine Frau, die genauso viel verdient
wie ihr Mann und die gleichzeitig die Kinder erzieht,
keinen Vorteil durch das Ehegattensplitting hat?
Das Ehegattensplitting wurde vor 30 oder 40 Jahren
eingeführt, als die Ehefrau zu Hause blieb, Kinder bekam und Kinder erzog, während der Ehemann erwerbstätig war. Sind Sie mit mir darin einig, dass wir jetzt eine
Vielfalt von Lebensgemeinschaften haben, auf die dieses von Ihnen vielleicht präferierte Modell nicht passt?
({0})
Frau Kollegin Lenke, ich denke, ich habe vorweg einen Teil Ihrer Frage schon beantwortet. Bei der ganzen
Diskussion gefällt mir nicht - gestatten Sie mir noch
diese Bemerkung -, dass wir uns mit der Frage beschäftigen, wo wir bei der Familie und bei der Ehe noch ein
paar Millionen Euro einsparen können.
({0})
Ich finde diese ganze Richtung falsch. Ich bin der Meinung, dass wir uns überlegen sollten, wie wir noch mehr
für die Familien und gerade für die Kinder tun können.
({1})
Die Menschen draußen im Lande erwarten, dass wir genau darauf und nicht darauf, wo man in diesem Bereich
noch Geld einsparen kann, den Fokus setzen. Das sage
ich im Hinblick auf die Frauen, die eine andere Lebensentscheidung getroffen haben und die unter einer Änderung besonders leiden würden.
({2})
Wahlfreiheit erfordert aber auch finanzielle Gerechtigkeit für Familien. Das Deutsche Jugendinstitut hat
vor kurzem eine Studie vorgelegt, in der nachgewiesen
wird, dass es allein aufgrund des Geburtenrückgangs
im Jahr 2010 weniger Kinder geben wird und deshalb für
die Beibehaltung des Status quo hinsichtlich der Kindertagesbetreuung weniger Ausgaben nötig sind. Das betrifft alle politischen Ebenen, auch die Kommunen. Das
Deutsche Jugendinstitut beziffert die Minderausgaben
auf 3,6 Milliarden Euro.
Unsere Botschaft ist klar: Niemand, der mit Finanzplanung zu tun hat und für geordnete Haushaltsführung
Sorge trägt - das ist weiß Gott ein schwieriges Unterfangen -, sollte der süßen Versuchung erliegen, durch immer weniger Kinder sich zu immer mehr Einsparungen
auf dem Rücken der Familien verführen zu lassen. Zu
Ende gedacht würde diese Form des Einsparens uns alle
frösteln lassen. Eine derartige Rendite - das Wort traut
man sich in diesem Zusammenhang gar nicht in den
Mund zu nehmen - wäre zynisch und alles andere als
klug.
Moderne Familienpolitik auf Grundlage eines familienpolitischen Leitbildes wird den Herausforderungen
am besten gerecht. Ich möchte zum Schluss an dieser
Stelle der Familienministerin herzlich danken. Ihr ist es
in den vergangenen Monaten gelungen, die Familienpolitik dahin zu bringen, wo sie hingehört, nämlich ins
Zentrum des politischen Geschehens.
Vielen Dank.
({3})
Das Wort hat jetzt der Kollege Otto Fricke von der
FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Bundeshaushalt und Familie, Senioren und Kinder:
Frau Ministerin, ich glaube, Sie müssen in der nächsten
Zeit neben der Frage der Programme, die Sie vorstellen
- mittlerweile sind es fast unüberschaubar viele geworden, sie werden haushälterisch inzwischen ja auch zusammengezogen -, mehr und mehr Ihre Aufgabe darin
sehen, die Umstellung unserer Sozialsysteme den Familien, den Kindern und insbesondere den Senioren
- den kommenden Senioren - klarzumachen.
Ich weiß, dass das haushaltärisch nicht in Ihren Haushalt fällt. Aber es wird Ihre wesentliche Aufgabe sein,
nicht nur darüber zu reden, wie man das alles verbessern
will, und mit Ihrer hellen und klaren Stimme zu sagen,
wie wichtig Familie und Kinder sind, sondern auch klarzumachen, was alles auf die betroffenen Personenkreise
in Zukunft zukommen wird.
({0})
Ich vermisse Ihre Stimme bei der Unterstützung des
Sparkurses. Es muss Kindern, Familien und Senioren
klar sein: Sparen heißt in eurem Interesse dauerhafte Sicherheit. Ich gehe davon aus, dass Sie diese Position vertreten. Ich glaube aber, dass es dringend notwendig ist,
das unseren Bürgerinnen und Bürgern zu erklären.
({1})
Zur Antidiskriminierungsstelle, die Frau Humme
angesprochen hat: Frau Humme, sie ist schon im aktuellen Haushalt enthalten. Sie ist zwar gesperrt, aber sie ist
drin.
({2})
Insofern ist das nichts Neues und nichts Besonderes.
Sie haben die Hoffnung geäußert, dass das Geld nun tatsächlich auch richtig eingesetzt wird. Ich kann nur davon
abraten, die Antidiskriminierungsstelle im nächsten Jahr
schon in Kraft zu setzen. Ich sehe, dass wir in den Ministerien schon am ersten Korrekturgesetz - wahrscheinlich
auch am zweiten Korrekturgesetz - arbeiten, weil so viel
Murks gemacht worden ist. Die Justizministerin hat in
der Debatte sogar indirekt zugegeben, dass diese Stelle
erst dann kommen sollte, wenn das Gesetz auch in der
Form vorliegt, wie es im Übrigen von den Koalitionsfraktionen tatsächlich gewollt ist, und nicht, wie es
fälschlicherweise beschlossen worden ist.
({3})
Ich komme zum Elterngeld: Ja, es ist richtig, es ist
gut, dass dieses Elterngeld kommt. Aber was ist denn
das Elterngeld? Da habe ich ein Problem. Dient es der
Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder ist es, wie ich
oft höre, eine Sozialleistung? Das macht sich deutlich
fest an der Frage des Elterngeldes für Hartz-IV-Empfänger.
Sie können mich jetzt in die böse Ecke stellen und behaupten, ich würde es den Hartz-IV-Empfängern nicht
gönnen, dass sie Elterngeld bekommen. Wenn das Elterngeld die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zum
Ziel hat, dann dürfen wir es bei Hartz IV nicht machen.
Wenn Sie aber zu dem Ergebnis kommen, dass die
Hartz-IV-Empfänger mit Kindern zu wenig Geld bekommen und es deswegen für diesen Personenkreis notwendig ist, Elterngeld zu geben, dann sollten Sie sagen:
Die Leistungen aus Hartz IV sind für Eltern zu wenig.
({4})
Das können Sie auch an der Antwort auf die Frage festmachen: Was ist denn nach dem ersten Jahr? Ist es nach
dem ersten Jahr, in dem die Leistung gegeben wurde, auf
einmal so, dass die Eltern, die Hartz-IV-Empfänger sind,
genügend Geld haben? Ich glaube kaum, dass Kinder
nach einem Jahr auf einmal weniger Geld kosten. Jeder
von uns weiß doch: Je älter Kinder werden, umso mehr
Geld kosten sie und umso mehr sollten sie uns auch wert
sein.
({5})
- Sie sagen, das verstünden die Familien nicht. Sie meinen, wenn Sie das Geld rausgeben, verstünde das jeder.
Als Haushälter weiß ich: Wenn ich heute gebe und morgen nichts habe, dann ist das schlecht. Wenn ich heute
weniger gebe, aber morgen noch etwas habe, dann ist
das gut. Das ist wahrscheinlich der Unterschied zwischen der Haushaltspolitik Ihrer Art und der Haushaltspolitik einer liberalen Fraktion.
({6})
Ich komme - Herr Singhammer hat es gerade in einer
Weise angesprochen, der ich nicht ganz zustimmen
kann - zu dem Buch, das heute vorgestellt worden ist.
({7})
- Welche Reaktionen! Keine Angst! Ich halte von der
Position von Frau Herman nichts. Aber ein Bundestag,
der sich mit der Frage, warum dieses Buch so gut läuft,
nicht beschäftigt, der macht einen Fehler.
({8})
Der Jurist sagt: Hör immer der anderen Seite zu! Das gilt
auch hier, auch wenn das nicht mein Familienbild und
nicht mein Frauenbild ist! Emanzipation ist meiner Meinung nach dringend notwendig gewesen. Sie zurückzudrehen wäre ein Fehler für unsere Gesellschaft. Aber Sie
machen die Rollladen runter und sagen: Das ist schlecht.
Auch das ist ein Fehler. Schauen Sie lieber nach, wo die
falschen Denkansätze in diesem Bereich liegen! Wo
läuft es falsch? Dann müssten Sie eines sehen: Weder
von konservativer noch von sozialdemokratischer Seite
kann ein bestimmtes Familienbild vorgegeben werden.
In diesem Land muss jeder Bürger im Bereich Familie
die für ihn richtige Lösung finden. Tut er das nicht, wird
er auf Dauer nicht glücklich sein. Und das ist es doch,
was wir erreichen wollen: Wir wollen glückliche und zufriedene Familien. Jeder soll auf seinem Weg glücklich
werden.
({9})
Zum Schluss will ich noch etwas zur Seniorenpolitik
sagen. Frau Ministerin, es ist richtig - auch Herr Spanier
hat Recht -, auf diesem Gebiet passiert etwas. Es gibt
aber ein Problem: Im Bundestag sitzen zu wenig „Ältere“. Herr Spanier hat gesagt, er wäre mit seinen dreiundsechzigeinhalb Jahren schon ein Senior. Das stimmt
doch nicht. Sie stehen doch voll im Leben. Mit „Senior“
haben Sie mit dreiundsechzigeinhalb Jahren doch noch
nichts zu tun.
Herr Kollege Fricke, erlauben Sie eine Zwischenfrage
der Kollegin Sager?
Aber selbstverständlich.
Frau Sager, bitte.
Danke schön. - Ich möchte auf Ihre Ausführungen
von eben zurückkommen. Herr Kollege, viele Frauen beklagen zu Recht, dass es verdammt schwer ist, Familie
und Beruf unter einen Hut zu bringen. Könnte es sein,
dass der Grund dafür nicht nur im Mangel an Kinderbetreuungseinrichtungen und Ganztagsschulen liegt? MüssKrista Sager
ten nicht die Unternehmen angesichts des demografischen Wandels deutlich familienfreundlicher werden?
Sollten nicht gerade die Vertreter des Turbokapitalismus
dafür werben, dass die Unternehmen familienfreundlicher werden?
({0})
Liebe Frau Kollegin, bis auf die Aussage zum Turbokapitalismus, die ich nicht ganz einordnen konnte, weil
ich nicht weiß, wen Sie damit gemeint haben,
({0})
stimme ich Ihnen ausdrücklich zu.
Ich komme auf meinen Redebeitrag zurück.
({1})
Frau Ministerin, gehen Sie auf das ein, was von den
Senioren in Zukunft erwartet wird. Wenn Sie die Planungen von Herrn Müntefering zur Rente mit 67 und zur
Hinterbliebenenrente unterstützen, dann sollten Sie den
Bürgern sagen, warum das unterstützenswert ist. Halten
Sie sich nicht zurück; warten Sie nicht, bis die Wolken
vorübergezogen sind. Es ist Ihre Aufgabe, klarzumachen, was der Staat zukünftig noch leisten kann.
Es ist fast nicht nötig, Ältere zu fördern. Sie können
das nämlich selber. Als Beispiel nenne ich Ihnen unseren
Kollegen Schily. Er wird nächstes Jahr 70 Jahre alt und
hat im letzten Jahr seine erste Legislaturperiode angetreten. Wir mussten ihn nicht fördern. Er ist angetreten,
weil er die entsprechenden Fähigkeiten hatte und sagte:
Es geht um meinen Einsatz für die Politik. Ihre Aufgabe
ist es, den Bürgern in unserer Gesellschaft das klar zu
machen. Wenn Sie das vorhaben, haben Sie unsere Unterstützung.
Herzlichen Dank.
({2})
Das Wort hat jetzt der Kollege Sönke Rix von der
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
weiß nicht, ob ich mich jetzt dafür entschuldigen muss,
dass ich erst 30 Jahre alt bin.
({0})
Herr Fricke, Frau Herman wird sich sicher dafür bedanken, dass Sie Werbung für ihr Buch gemacht haben. Ich
bin aber froh, dass Sie in Ihrer Antwort auf die Zwischenfrage Frau Sager Recht gegeben haben und nicht
letztendlich doch Frau Herman.
Die Lesung des Bundeshaushalts ist für die einen ein
sehr trockenes Geschäft. Für die anderen hängt ihre persönliche Zukunft daran, weil sie Angestellte einer Einrichtung sind oder weil sie dort nachmittags betreut werden bzw. eine warme Mahlzeit erhalten. Manchmal
hängt aber auch die Zukunft einer ganzen Einrichtung
oder des gesamten Bereichs der Kinder- und Jugendhilfe
daran.
Hier wurden bereits einige Informationen über den
Einzelplan preisgegeben. Ich bin in der glücklichen
Lage, Ihnen und denen, die es vor allem betrifft, zu sagen, dass es im Bereich der Kinder- und Jugendpolitik
im Vergleich zum Haushalt 2006, den wir vor der parlamentarischen Sommerpause verabschiedet haben, nur
kleine Unterschiede gibt. Natürlich hätte ich größere
Freude daran gehabt, zu verkünden, dass die Mittel aufgestockt wurden. Geld ist aber nicht alles. Es nützt
nichts, schlechtem Geld noch gutes Geld hinterher zu
werfen.
Genau das passiert, wenn man keine Ideen mehr hat.
Gerade die sind in der Kinder- und Jugendpolitik mehr
denn je gefragt. Kinder und Jugendliche sind eigenständige Persönlichkeiten mit vielfältigen Fähigkeiten. Sie
haben eigene Rechte. Die Stärkung der Persönlichkeit
und die individuelle Förderung müssen das Ziel aller
kinder- und jugendpolitischen Maßnahmen sein.
({1})
Alle Kinder und Jugendlichen sollen von Anfang an
die gleichen Voraussetzungen erhalten, damit sie die
Chancen haben, ihre vielfältigen Fähigkeiten und Talente zu entwickeln. Unser Ziel ist eine gute Qualität von
Bildung, Erziehung und Betreuung von Anfang an.
Wir brauchen dazu ein Gesamtsystem, das auf die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen ausgerichtet ist.
Wenn hier viele kleine Zahnräder ineinander greifen,
kann auf einen großen teuren Reifen getrost verzichtet
werden.
Kinder brauchen andere Kinder, um Beziehungserfahrungen sammeln zu können. Denn sie sollen sich emotional, sozial und kognitiv gut entwickeln. Der Ausbau
der Kinderbetreuung ist daher von elementarer Bedeutung. Eine qualifizierte frühe Förderung ergänzt die Bildungsangebote über das Elternhaus hinaus. Sie ermöglicht den Kindern eine echte Chancengleichheit bei
Bildung und Erziehung. Absolut notwendig sind dabei
die Qualifizierung der Tagespflege und die Weiterentwicklung der Qualität der Kinderbetreuung.
({2})
Bei der notwendigen Modernisierung des schulischen
Lernens spielt die Einrichtung von Ganztagsschulen
eine entscheidende Rolle. Ganztagsschulen bieten mehr
Zeit und Raum, jedes Kind individuell zu fördern. Dabei
ist die Kinder- und Jugendhilfe ein zentraler Partner. Von
ihren Erfahrungen in der Bildungsarbeit, in Kindertagesstätten, in kulturellen Einrichtungen, Sport- und Freizeitverbänden sowie in der Schul- und Jugendsozialarbeit
kann die Entwicklung eines durchgängigen Bildungsangebotes nur profitieren.
Eine kurze Anmerkung: Frau Haßelmann, Sie haben
vorhin von einer Kürzung der Mittel für die Jugendsozialarbeit gesprochen. Dort ist nur eine Neustrukturierung vorgenommen worden. Die Summe ist immer noch
die gleiche.
({3})
Nicht alle Kinder haben die gleichen Zugänge zu Bildung. Dies gilt vor allem für Kinder und Jugendliche
aus sozialen Brennpunkten und mit Migrationshintergrund. Rund 12 Prozent der Jugendlichen mit Migrationshintergrund haben keinen Schulabschluss. Zudem
finden sie auch mit Schulabschluss seltener einen Ausbildungsplatz. Die Konsequenz daraus ist der Aufenthalt
in schulischen und berufsvorbereitenden Warteschleifen.
Damit es nicht so weit kommt und die Jugendlichen
keine wertvolle Zeit verlieren, muss früher angesetzt
werden.
({4})
Ein Ausbau der Frühprogramme für Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund ab dem Kindergarten, so, wie wir ihn vereinbart haben, ist der erste und
wichtigste Schritt. Denn wir alle wissen: Bildung ist der
Grundstein jeglicher Integration. Dies gilt auch für die
berufliche Integration, die besonders Hauptschülerinnen
und Hauptschülern schwer fällt. Von ihnen bleiben circa
9 Prozent eines Jahrgangs ohne Schulabschluss. Ihre
Chancen auf eine berufliche Integration sind deshalb erheblich schlechter.
Für Kinder und Jugendliche aus sozialen Brennpunkten und mit Migrationshintergrund gilt gleichermaßen:
Die Spirale von Armut und mangelnden Bildungschancen muss durchbrochen werden. Die grundlegende Bereitschaft, sich für die eigene berufliche Zukunft zu engagieren, muss bei den Jugendlichen geweckt, gefördert
und - das füge ich bewusst hinzu - gefordert werden.
Das Prinzip der ausgestreckten Hand muss dabei Grundlage allen politischen Handelns sein.
Werte, die in der Arbeitswelt geschätzt werden, wie
etwa Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit und Durchhaltevermögen, müssen bereits früh in der Erziehung und Bildung vermittelt werden. Es ist unabdingbar, die Situation
benachteiligter junger Menschen zu verbessern. Gerade
diese jungen Menschen brauchen ausgezeichnete Entwicklungs- und Bildungsangebote. Sonst verbauen wir
ihnen jeden Weg in eine selbstbestimmte Zukunft.
({5})
Zukunftsweisende Politik für Kinder und Jugendliche
wird durch eine ganzheitliche Familienpolitik ergänzt,
die den Zusammenhalt der Generationen fördert und
stärkt und damit den Zusammenhalt der gesamten Gesellschaft sichert. Geteilte Werte und gelebte Gemeinsamkeit schlagen Brücken, auch zwischen den Generationen.
Erziehung bedeutet, Kinder stark für das Leben zu
machen, ihnen zu helfen, ihren Platz in unserer Gesellschaft zu finden und eigenverantwortlich zu handeln.
Alle Kinder verfügen über besondere Stärken, Talente
und Neigungen. Unsere politischen Entscheidungen
müssen wir daran messen lassen, ob sie den Interessen
der Entwicklung der nachfolgenden Generationen gerecht werden, dem Wohle von Kindern und Jugendlichen
dienen und den Zusammenhalt der Generationen und damit der gesamten Gesellschaft fördern und stärken.
Meine Kolleginnen und Kollegen, Kinder- und Jugendpolitik ist eine Querschnitts-, Langzeit- und Zukunftsaufgabe. Leider ist dieser Haushaltsansatz nicht
der größte des gesamten Zahlenwerks.
({6})
Gerade weil das so ist, sind alle handelnden Akteure gefordert, aus den vorhandenen Mitteln mit Kreativität,
Einfallsreichtum und engagierter Arbeit das Maximum
herauszuholen.
Ich danke an dieser Stelle allen, die sich jeden Tag um
die Kinder- und Jugendarbeit in unserem Land verdient
machen, und bitte sie, dies gemeinsam mit allen Beteiligten auch weiterhin zu tun.
({7})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Ole Schröder von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Mit dem Haushaltsentwurf 2007 setzen wir ein
deutliches Signal für Familien und Kinder. Mit dem
Elterngeld erreichen wir eine deutliche Verbesserung
für Familien und Kinder. Hierfür sind erstmalig 1,6 Milliarden Euro eingestellt worden.
Trotz der Erhöhung des Volumens des Einzelplans 17,
bedingt durch das Elterngeld, aber auch durch die Mehrgenerationenhäuser, steht natürlich auch dieser Haushaltsentwurf unter dem allgemeinen Konsolidierungsdruck.
So haben wir beispielsweise die Verwaltungsausgaben
der institutionell geförderten Zuwendungsempfänger um
circa 2,2 Prozent gekürzt.
Frau Haßelmann, bei der sozialen und beruflichen
Integration haben wir allerdings nicht gekürzt. Dieses
Kapitel ist mit 12,1 Millionen Euro gleich hoch geblieben. Wir haben innerhalb dieses Bereichs allerdings eine
Umschichtung vorgenommen, und zwar von der Jugendsozialarbeit - minus 400 000 Euro - hin zum Titel „Jugend und Arbeit“, um in diesem Rahmen ein Programm
für Schulverweigerer zu finanzieren.
Für den von Ihnen genannten Titel „Jugendsozialarbeit“ wird dennoch weiterhin genauso viel Geld ausgegeben wie bisher. Das ist möglich, weil es dem Ministerium gelungen ist, Gelder aus dem EU-Sozialfonds zu
generieren. Diese Gelder fließen direkt in die geplanten
Programme. Insofern ist die Befürchtung, die Sie eben
geäußert haben - dass wir hier sparen würden -, unbegründet.
({0})
Darauf können wir aber in den Beratungen sicherlich
noch eingehen.
Nach wie vor müssen wir uns fragen, ob wir in
Deutschland 20 Zivildienstschulen brauchen; sie kosten
immerhin 47 Millionen Euro. In diesem Haushaltsentwurf sind an dieser Stelle erneut Mehrausgaben in Höhe
von 500 000 Euro zu verzeichnen. Vor dem Hintergrund
der Überkapazitäten in unseren Zivildienstschulen zeigt
sich hier deutliches Einsparpotenzial. Darauf sollten wir
in den Beratungen noch einmal zu sprechen kommen.
Das Ministerium arbeitet bereits an entsprechenden Verbesserungsvorschlägen. Ich denke, dass wir hier in guter
Zusammenarbeit zu vernünftigen Lösungen kommen
werden.
Zudem werden wir auch die Entwicklung des Kinderzuschlages genauer beobachten müssen. Gegenwärtig wird ein Volumen von 150 Millionen Euro dafür veranschlagt. Das entspricht der Höhe der Ausgaben, die
nach der derzeitigen Rechtslage zu erwarten sind. Aber
wir sollten darauf drängen, die im Koalitionsvertrag vereinbarte Weiterentwicklung in diesem Bereich energisch
anzupacken. In diesem Zusammenhang denke ich vor allen Dingen an die immens hohen Verwaltungsaufwendungen. Hier können wir sicherlich Geld einsparen, damit mehr Geld für die Kinder zur Verfügung gestellt
werden kann.
({1})
Meine Damen und Herren, wir als Haushälter haben
die Aufgabe, uns auch die kleinen Titel genau anzusehen
und sie intensiv zu kontrollieren. Das tun wir. Doch bei
aller Liebe zum Detail, die wir im Haushaltsausschuss
haben: Noch viel wichtiger ist es, ein familienpolitisches Gesamtkonzept zu erstellen. Liebe Kolleginnen
und Kollegen, eine verbesserte Ausgestaltung der Familienpolitik ist wesentlich für die Zukunft unserer Gesellschaft. Wir haben schon in der letzten Debatte, zum
Haushalt 2006, intensiv darüber diskutiert. Die Familienpolitik der letzten Jahre ist immer noch zu ineffektiv,
zu ineffizient, zu intransparent und zum Teil, wie ich
meine, ungerecht. Ihre Systematik weist Schwächen auf,
gerade im Vergleich zu anderen europäischen Ländern.
Das Problematische ist, dass durch den Förderdschungel der vielen familienpolitischen Maßnahmen eigentlich keiner mehr richtig durchblickt.
({2})
Nicht umsonst hat das Bundesverfassungsgericht schon
vor drei Jahren in seinem Urteil zur verfassungsrechtlichen Prüfung des Kinderunterhaltsrechts mehr Normklarheit gefordert. Das sollten wir umsetzen.
({3})
Das Geld sollte den Kindern und Eltern zugute kommen
und nicht in der Förderbürokratie versickern. Die unterschiedlichen familienpolitischen Leistungen müssen daher gebündelt werden. Wir brauchen ein Gesamtpaket, in
dem die Anzahl der unterschiedlichen Fördermaßnahmen reduziert und die unnötige Bürokratie in der Familienpolitik abgebaut wird. Letztendlich sind es drei Säulen, die wir brauchen: eine einkommensunabhängige
Leistung wie das Kindergeld, um die Grundsicherung jedes Kindes zu gewährleisten; einkommensabhängige
Leistungen wie das Elterngeld und die steuerliche Berücksichtigung von Kindern, um auch Berufstätigen die
Realisierung ihres Kinderwunsches zu erleichtern; und
natürlich, drittens, bedarfsabhängige Leistungen zur
Übernahme der Kosten für Kinderbetreuung, wodurch
die Wahlfreiheit garantiert wird und die Schwarzarbeit
im Betreuungssektor vermieden werden kann. Was wir
nicht brauchen, sind 50 verschiedene monetäre Leistungen, die man nur noch nachvollziehen kann, wenn man
dicke wissenschaftliche Studien von über 100 Seiten zu
Rate zieht.
({4})
Eine solche Bündelung der Maßnahmen ist auch sinnvoll, um ein weiteres wichtiges Projekt der Koalition zu
ergänzen: die einheitliche Familienkasse, eine Kasse
neuen Typs, eine einheitliche Anlaufstelle.
Frau Familienministerin, ich bin gespannt, was die
von Ihnen jetzt ausgeschriebene Evaluation der familienpolitischen Maßnahmen bringen wird. Nur, eins ist klar:
Letztendlich entscheiden nicht die Gutachten, sondern
entscheidend ist der politische Mut, dieses Reformprojekt auf den Weg zu bringen. Ich hoffe, dass Sie weiter
so mutig voranschreiten. Wir werden Sie dabei unterstützen.
({5})
Das Wort hat jetzt Kollegin Kerstin Griese von der
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
will zum Abschluss unserer Debatte etwas dazu sagen,
was der rote Faden unserer Politik für Kinder und Jugendliche, für Familien, für die Gleichstellung von
Frauen und Männern, für die Solidarität der Generationen und für die Unterstützung des zivilgesellschaftlichen
Engagements ist. Uns geht es um den Zusammenhalt in
der Gesellschaft. Es geht um den Einsatz füreinander
und um mehr und bessere Chancen von Anfang an. Deshalb begrüße ich es wie schon meine Vorredner, dass
dieser wichtige Haushaltstitel gestärkt wird.
Es geht uns Sozialdemokraten - ich glaube, das können Sie alle hier teilen - um die wichtige Frage: Was hält
die Gesellschaft zusammen? Was stärkt die Menschen,
damit sie sich füreinander und miteinander engagieren,
sei es in der Familie, im Stadtteil, in der Schule, in der
Ausbildung, im Arbeitsleben oder zwischen den Generationen? Uns geht es - dafür brauchen wir keine Bücher,
wie sie heute erscheinen - nicht darum, jemandem einen
Lebensentwurf aufzuzwingen.
({0})
Es geht uns darum, Freiheit und Gerechtigkeit - das
gehört immer zusammen - herzustellen, damit ein solidarisches Zusammenleben möglich ist, und es geht dabei
um die Verantwortung füreinander.
({1})
Es geht darum, dass wir Menschen stärken, damit sie
nicht wegsehen, wenn Kinder schlecht behandelt werden
oder wenn Rechtsextremisten jemanden anpöbeln.
Ganz besonders sind diese großen Werte, über die wir
hier reden, gefragt, wenn es um die Schwächsten in der
Gesellschaft geht, nämlich die Kinder, deren Chancen in
Deutschland immer noch viel zu sehr davon abhängen,
welche und ob überhaupt Bücher im Regal der Eltern
stehen und in welchem Stadtteil sie aufwachsen. Meine
Vorredner haben schon viel dazu gesagt. Weniger Bildungschancen bedeuten weniger Zukunftschancen. Genau da setzen wir an. Auf frühe Förderung und Unterstützung kommt es an, auf Mehrgenerationenhäuser und
den Ausbau von Bildung und Betreuung.
Frau Golze, ich will auf das eingehen, was Sie zur
Kinderarmut gesagt haben. Ja, in Deutschland leben
2,5 Millionen Kinder von ALG II, also schon längst
nicht mehr von Sozialhilfe, was deutlich weniger wäre.
Betroffen ist jedes sechste Kind in Deutschland. Das ist
schlimm, aber nicht mit Kinderarmut gleichzusetzen.
Kinderarmut kann man nämlich nicht allein materiell
und statistisch und vor allen Dingen nicht mit dem
ALG-II-Satz begründen. Es ist ja auch nicht so, dass wir
in den letzten Jahren weniger Geld für die Familien ausgegeben haben. Die Leistungen sind kontinuierlich gestiegen. Wir müssen alle gemeinsam - da stimme ich
Herrn Schröder zu - darüber nachdenken, wie man dieses Geld zielgerichteter ausgeben kann.
Kinderarmut macht sich insbesondere durch eine fehlende Förderung der Kinder und durch fehlende Bildungsanreize durch das Elternhaus bemerkbar. Hier
müssen wir ansetzen. Wir müssen auf Bundesebene verstärkt Chancengleichheit ermöglichen und viel früher
damit beginnen. Ich appelliere dabei aber auch an die
Länder, weil sie für die Schulpolitik zuständig sind. Ich
glaube, Kinderarmut muss durch mehr Bildungschancen
und mehr Möglichkeiten zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit für die Eltern bekämpft werden. Das ist die nachhaltigste Lösung.
Wenn Alleinerziehende ihr Leben selbst in die Hand
nehmen können sollen, dann muss die Politik dafür sorgen, dass es ein gut funktionierendes Netz an Kinderbetreuungsmöglichkeiten, mehr Familienfreundlichkeit am
Arbeitsplatz und gezielte finanzielle Hilfen gibt. In diesem Sinne tun wir sehr viel für die Bekämpfung von
Kinderarmut.
Wir als SPD haben schon vor Jahren in der Regierung
damit begonnen, Kindern früher und mehr Chancen auf
Bildung und Betreuung zu geben. Sie kennen das Ergebnis: mehr Ganztagsgrundschulen. Ich bin froh, dass
wir endlich den Einstieg in den Ausbau der Betreuung
für unter 3-Jährige geschafft haben, und zwar auch in
Westdeutschland. Wir warten nicht ab, Frau Haßelmann.
Die erste Evaluation liegt vor; der Ausbau beginnt.
Wenn Sie in die Kommunen gehen, dann sehen Sie das
selbst. Alle bemühen sich, den Bedarf zu erheben. Wir
sind uns sicherlich einig, dass wir alle das gerne noch
sehr viel schneller hätten. Ich bin aber froh, dass nun
endlich mit dem Ausbau der Betreuungsmöglichkeiten
für unter 3-Jährige begonnen wird.
({2})
Ich muss aber sagen, dass man die Schwerpunkte in
NRW zurzeit leider etwas anders setzt. Dort ist die FDP
übrigens mit in der Regierung. Durch die massiven Kürzungen der Zuschüsse für die Kindergärten haben wir
dort in den Kommunen ein großes Problem. Die Kommunen, denen es am schlechtesten geht, müssen diese
Kürzungen nun auf die Eltern abwälzen. Das ist keine
Familienfreundlichkeit.
({3})
- Das habt ihr eingeführt.
Wir führen gerade eine Debatte darüber, dass sich
Leistung wieder lohnen muss. „Leistung muss sich wieder lohnen“ ist früher eher von der rechten Seite des
Hauses als Ruf erklungen. Ihnen ging es dabei meistens
um weniger Staat. Die Debatte hat sich aber geändert.
Die Menschen wollen nämlich, dass die Gesellschaft
und der Staat mehr Verantwortung übernehmen. Deshalb
sage ich heute als Sozialdemokratin: Leistung muss sich
lohnen.
({4})
Wir müssen darum etwas tun, damit unsere Gesellschaft
nicht mehr so starr und undurchlässig ist. Wir müssen
mehr in die Chancen für Kinder investieren. Die Leistungsträger in unserer Gesellschaft sind eben auch die
Mütter und Väter in der Mitte der Gesellschaft, die Beruf
und Familie erfolgreich vereinbaren.
({5})
Durch das Elterngeld, das wir einführen, wird genau
diese Mitte der Gesellschaft unterstützt. Herr Fricke, es
gibt keinen Gegensatz zwischen der Vereinbarkeit von
Familie und Beruf und der Sozialpolitik; wir haben beides gemeinsam geschafft. Das Elterngeld wird nämlich
insbesondere denen zugute kommen, die geringe und
mittlere Einkommen erzielen. Der übergroße Teil geht
an diese Einkommensschichten. Das heißt, wir haben
beides sinnvoll miteinander verbunden.
({6})
Ich halte die Geringverdienerregelung, die wir im
Rahmen der Ausgestaltung des Elterngelds vorgeschlagen haben, bis heute für eine der besten Regelungen. Davon können sich die Sozial- und Arbeitsmarktpolitiker
einiges abschauen. Es ist nämlich der richtige Ansatz dafür, dass sich Arbeit wieder lohnt.
({7})
Mit diesem Konzept werden übrigens auch einmal die
Männer als Leistungsträger angesprochen. Sie werden
durch das Elterngeld darin unterstützt, sich mehr um ihre
Rolle als Elternteil zu kümmern und genauso Verantwortung zu tragen wie die Frauen.
Frau Kollegin Griese, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollege Otto Fricke?
Wenn er keine Werbung für Bücher macht, dann
gerne.
({0})
Bitte schön, Herr Fricke.
Nein, ich glaube, das Buch kursiert im Moment in anderen Reihen.
({0})
Geschätzte Kollegin Griese, Sie sagten gerade, dass
das Elterngeld eine Sozialleistung ist. Wenn das so ist
und wenn auch die CDU/CSU das als eine Sozialleistung
ansieht, dann hätte ich von Ihnen doch gerne eine Antwort auf die Frage, warum die Zahlung dieser Sozialleistung nach einem Jahr abrupt endet.
Geschätzter Kollege Fricke, Sie haben mir nicht richtig zugehört. Ich habe gesagt: Das Elterngeld ist eine
Verbindung beider Komponenten, der Vereinbarkeit von
Familie und Beruf und einer sozial gerechten Ausgestaltung. Es ist nämlich so, dass 63 Prozent der Elterngeldzahlungen Familien mit kleinen und mittleren Einkommen zugute kommen. Das ist ein Beweis für die sozial
gerechte Ausgestaltung dieser Leistung. Das Neue an
unserer Politik ist, dass wir an beides denken, an die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und an soziale Gerechtigkeit.
Leistungsträger in unserem Land sind auch die vielen
ehrenamtlich engagierten Menschen. In Deutschland
sind das 23 Millionen. Sie sind der Kitt, der unsere Gesellschaft stark macht. Ein gutes Beispiel dafür sind die
Freiwilligendienste, die wir mit diesem Haushalt weiter
ausbauen; es sollen weitere Plätze geschaffen werden.
Dass es noch immer mehr Bewerbungen von jungen
Menschen als freie Plätze gibt, ist ein erfreuliches Zeichen.
Das gilt auch für den internationalen Jugendaustausch, den wir weiter fördern. Ich will angesichts der
aktuellen Lage nur einen Satz zum deutsch-israelischen
Jugendaustausch sagen, der unter schwierigen Bedingungen weitergeführt werden muss. Wir alle hoffen, dass
in dieser Region die Waffen schweigen. Ich möchte denen danken, die sich weiterhin für den deutsch-israelischen Jugendaustausch und diese Begegnungen engagieren; denn wir brauchen diese Arbeit.
({0})
Ein Thema, das uns ebenfalls sehr wichtig ist, ist die
Arbeit gegen Rechtsextremismus. Ich bin sehr froh,
dass wir gemeinsam durchgesetzt haben, dass die Mittel
in Höhe von 19 Millionen Euro für das Programm „Jugend für Vielfalt, Toleranz und Demokratie - gegen
Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus“ langfristig zur Verfügung stehen werden. Das
ist notwendig. Es geht eben nicht um Strohfeuerprogramme, sondern es geht um eine langfristige Verstetigung der Arbeit, wie wir das im Koalitionsvertrag festgehalten haben.
Ich bin froh - das war uns als SPD sehr wichtig -,
dass der Schwerpunkt auf der Arbeit gegen Rechtsextremismus liegt; denn wir alle wissen, wie hoch dort
das Gefahrenpotenzial ist.
Für uns ist eine kontinuierliche und nachhaltige Arbeit für Demokratie und Toleranz die beste Prävention.
All das kann nur funktionieren, wenn die Projekte und
Initiativen vor Ort unterstützt werden. Ich habe in diesem Sommer einige Bürgerbündnisse und mobile Beratungsteams besucht und konnte mich davon überzeugen,
in welcher gesellschaftlichen Breite dort gearbeitet wird:
parteiübergreifend mit Kirchen, Verbänden und Vereinen. Ich danke auch den vielen Menschen, die sich bei
der Ministerin dafür eingesetzt haben, dass diese Arbeit
fortgeführt wird.
Wir als SPD wollen, dass erfolgreiche Arbeit fortgeführt werden kann. Die Struktur von mobilen Beratungsteams, Opferberatungsstellen und Netzwerkstellen
bildet einen überregionalen Hintergrund, vor dem sich
sehr viele Menschen ehrenamtlich engagieren können.
Diese Arbeit ist wichtig und muss sicherlich weiterentwickelt werden. Aber sie darf nicht beendet werden.
({1})
Gerade angesichts der aktuellen Situation müssen wir
wachsam sein. Wir erleben in Berlin und MecklenburgVorpommern, wie Menschen im Wahlkampf von Rechtsextremen belästigt und fotografiert, wie Autokennzeichen aufgeschrieben werden, wie sie sogar bedroht und
verfolgt werden. Das ist Mitgliedern meiner Partei mehrfach passiert. Das zeigt uns, dass wir alle gemeinsam dafür einstehen müssen, dass rechtsextreme, rassistische
und Menschen ausgrenzende Parteien nicht noch einmal
in die Landtage einziehen dürfen.
({2})
Viele von Ihnen haben Patenschaften für Projekte wie
„Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage“ übernommen. Ich nenne hier auch das Netzwerk für Demokratie und Courage in Sachsen; Sachsen ist übrigens das
Bundesland mit der höchsten Dichte an organisierten
Rechtsextremen. Die Arbeit gegen Rechtsextreme, die
von der Zivilgesellschaft geleistet wird, ist wichtig. Ich
halte auch die Idee der Kollegin Lazar für unterstützenswert, uns zu überlegen, ob wir ausschließlich Kommunen oder auch Verbünden von Trägern die Möglichkeit
geben, Projekte zu beantragen.
({3})
Ich komme zum Schluss, nur noch ein paar Sekunden.
Eine Minute ist nicht mehr drin.
Frau Laurischk, wir sind nicht die Bösen. Der Titel
für die Integration junger Zuwanderinnen und Zuwanderer ist in unserem Haushalt weder gekürzt noch gestrichen worden. Er liegt weiterhin bei einem Volumen von
66 Millionen Euro. Ich habe mich noch einmal erkundigt: Kein Projektträger, der um Unterstützung gebeten
hat, ist zurückgewiesen worden. Wenn Sie das im Innenausschuss kritisieren wollen, können Sie das dort tun.
Da, wo es um die Integration junger Migranten geht, haben wir die Mittel in gleicher Höhe für die Weiterführung der Arbeit bereitstellen können.
({0})
Vielen Dank.
({1})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Ich rufe deshalb die Tagesordnungspunkte 2 a bis 2 e
sowie die Zusatzpunkte 1 a bis 1 g auf:
2 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung des Elterngeldes
- Drucksache 16/2454 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({0})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Angelika Brunkhorst, Michael Kauch, Horst Meierhofer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
FDP
Exportaktivitäten deutscher Unternehmen im
Technologiebereich erneuerbarer Energien
sachgerecht unterstützen
- Drucksache 16/1565 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und
Technologie ({1})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heidrun
Bluhm, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Generelle Altschuldenentlastung auf dauerhaft leer stehende Wohnungen
- Drucksache 16/2078 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({2})
Finanzausschuss
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heidrun
Bluhm, Dr. Barbara Höll, Dr. Gesine Lötzsch,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Grunderwerbsteuerbefreiung bei Fusionen
von Wohnungsunternehmen und Wohnungsgenossenschaften in den neuen Ländern
- Drucksache 16/2079 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({3})
Finanzausschuss
e) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht über die aktualisierten Stabilitäts- und
Konvergenzprogramme 2005 der EU-Mitgliedstaaten
- Drucksache 16/1218 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({4})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
ZP 1 a)Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung einer „Bundesstiftung Baukultur“
- Drucksachen 16/1945, 16/1990 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({5})
Innenausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Hüseyin-Kenan Aydin,
Dr. Diether Dehm, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der LINKEN
Dauergenehmigungen für Militärflüge aufheben
- Drucksache 16/857 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({6})
Innenausschuss
Verteidigungsausschuss
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker
Beck ({7}), Irmingard Schewe-Gerigk, Marieluise Beck ({8}), weiterer Abgeordneter und
der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Meinungs- und Versammlungsfreiheit für Lesben und Schwule in ganz Europa durchsetzen
- Drucksache 16/1667 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ({9})
Innenausschuss
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Jelpke, Sevim Dagdelen, Monika Knoche, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Flüchtlingen aus Nahost Schutz bieten
- Drucksache 16/2341 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ({10})
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Lukrezia Jochimsen, Katja Kipping, Dr. Petra
Sitte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
LINKEN
Bundespolitik soll im Streit um die Waldschlösschenbrücke vermitteln
- Drucksache 16/2499 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien ({11})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
f) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Gesine Lötzsch, Petra Pau, Dr. Hakki Keskin,
Dr. Gregor Gysi und der Fraktion der LINKEN
Fertigstellung des Mauerparks im Bereich der
ehemaligen innerstädtischen Grenze in Berlin
- Drucksache 16/2508 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike
Höfken, Rainder Steenblock, Matthias Berninger,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Forderung der EU nach Transparenz bei Subventionen im Agrarbereich vollständig umsetzen und die Neuausrichtung der Förderung
vorbereiten
- Drucksache 16/2518 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union ({12})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b auf. Es
handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu
denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Tagesordnungspunkt 3 a:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({13})
- zu dem Antrag des Bundesministeriums der
Finanzen
Entlastung der Bundesregierung für das
Haushaltsjahr 2004 - Vorlage der Haushalts- und Vermögensrechnung des Bundes
({14}) - Unterrichtung durch den Bundesrechnungshof
Bemerkungen des Bundesrechnungshofes
zur Haushalts- und Wirtschaftsführung des
Bundes ({15})
- Drucksachen 15/5206, 16/820 Nr. 28, 16/160,
16/413 Nr. 1.3, 16/2025 Berichterstattung:
Abgeordneter Bernhard Brinkmann ({16})
Wer stimmt für Nr. 1 der Beschlussempfehlung, Ertei-
lung der Entlastung für das Haushaltsjahr 2004? -
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dann haben dieser
Beschlussempfehlung alle Fraktionen zugestimmt bei
Gegenstimmen der Fraktion die Linke.1)
Wer stimmt für Nr. 2 der Beschlussempfehlung, Aufforderung an die Bundesregierung? Ich bitte um das
Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist
die Beschlussempfehlung einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 3 b:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({17})
- zu dem Antrag des Präsidenten des Bundesrechnungshofes
Rechnung des Bundesrechnungshofes für
das Haushaltsjahr 2004
- Einzelplan 20 - zu dem Antrag des Präsidenten des Bundesrechnungshofes
Rechnung des Bundesrechnungshofes für
das Haushaltsjahr 2005
- Einzelplan 20 - Drucksachen 15/5005, 16/820 Nr. 27, 16/500,
16/2026 Berichterstattung:
Abgeordnete Otto Fricke
Petra Merkel ({18})
Dr. Gesine Lötzsch
Anja Hajduk
Wer stimmt für Nr. 1 der Beschlussempfehlung, Fest-
stellung der Erfüllung der Vorlagepflicht? Ich bitte um
das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? -
Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.
Wer stimmt für Nr. 2 der Beschlussempfehlung, Ertei-
lung der Entlastung? Ich bitte um das Handzeichen. -
Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussemp-
fehlung ist ebenfalls einstimmig angenommen.
Damit setzen wir die Haushaltsberatungen fort. Wir
kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministe-
riums für Gesundheit, Einzelplan 15.
Als erster Rednerin erteile ich das Wort der Gesund-
heitsministerin Ulla Schmidt.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Etat des Bundesgesundheitsministeriums ist im Ver-
gleich zu anderen ein kleinerer Einzeltitel. Es ist aber
dennoch ein Haushalt, aus welchem sehr wichtige, für
die Menschen in unserem Land sogar existenziell wich-
tige gesundheitspolitische Aufgaben erfüllt werden müs-
sen.
Ich nenne an erster Stelle den Kampf gegen Aids, der
mit 13,7 Millionen Euro der umfangreichste operative
1) Anlage 2
Posten ist. In den letzten Jahren steigen die Zahlen der
Neuinfektionen nicht nur in anderen Regionen der Welt,
sondern auch in Europa und bei uns in Deutschland wieder an. Das muss uns alle zur Wachsamkeit aufrufen und
macht sehr deutlich, dass Aufklärung und Information
verstärkt werden müssen. Wir haben deshalb die Mittel
für die Aidsprävention um fast ein Drittel erhöht und
werden entsprechende Forschungsprojekte fördern.
({0})
Für uns steht die Bekämpfung von Aids auch während der anstehenden EU-Ratspräsidentschaft im Mittelpunkt der Vorhaben des Ministeriums. Dabei steht für
uns die politische Bedeutung der Aidsbekämpfung im
Vordergrund. Das heißt insbesondere, dass die politisch
Führenden in dem betreffenden Land Verantwortung
übernehmen müssen. Denn wir wollen verdeutlichen:
Aids ist kein gesundheitspolitisches Randthema, sondern
hat allergrößte soziale und wirtschaftliche Bedeutung für
die Zukunft Europas, insbesondere die Zukunft Osteuropas. Dabei darf nicht nur bei der Unterstützung derjenigen, die bereits erkrankt sind, angesetzt werden.
Vielmehr muss auch auf Prävention gesetzt werden, um
die Menschen von Infektionen zu schützen. Im Rahmen
der deutschen Präsidentschaft werden wir im März
nächsten Jahres in Bremen die große internationale Konferenz „Verantwortung und Partnerschaft - gemeinsam
gegen HIV/Aids“ veranstalten, mit der wir diese Zusammenhänge verdeutlichen wollen. Es kommt uns darauf
an, dass politisch Verantwortliche gemeinsam mit der
Zivilgesellschaft diesen Kampf aufnehmen.
Auch die Mittel für die Bekämpfung des Drogenund Suchtmittelmissbrauchs haben wir um 2 Millionen Euro für die Fortsetzung der Jugendkampagne
„rauchfrei!“ erhöht. Die Zahl der Jugendlichen, die rauchen, ist in den letzten Jahren - Gott sei Dank - kontinuierlich gesunken. Aber sie ist noch immer viel zu hoch.
Deshalb wollen wir den Kampf gegen das Rauchen fortsetzen. Ich hoffe, dass die Debatte über „rauchfrei!“ in
unserem Land fortgeführt wird, und zwar auch durch die
Initiativen des Deutschen Bundestages.
({1})
Wir haben in unserem eigenen Bereich bereits Ernst gemacht. Das Bundesgesundheitsministerium ist das erste
rauchfreie Ministerium. Ich hoffe, dass wir Nachahmer
finden werden.
({2})
Die Reform der Pflegeversicherung werden wir anpacken, wenn die Gesundheitsreform unter Dach und
Fach ist. Wir werden die Finanzierung der Pflegeversicherung auf langfristig tragfähige Fundamente stellen
sowie notwendige Anpassungen und Verbesserungen
vornehmen. Wir werden schrittweise die Höhe der Leistungen anpassen. Wir wollen vor allem die Menschen
unterstützen, die oft bis an die Grenzen ihrer Belastbarkeit zu Hause, im Familien- oder im Verwandtenkreis
pflegebedürftige Angehörige, Partnerinnen und Partner
oder Freundinnen und Freunde, zum Beispiel demenziell
erkrankte Menschen, rund um die Uhr betreuen.
({3})
Ohne die Leistungen der Familien wäre gar nicht daran
zu denken, das zu schultern, was die Gesellschaft im
Pflegebereich zu tun hat. Wir, die Koalition, werden hier
entsprechende Schwerpunkte setzen.
({4})
- Herr Kollege, ich habe gesagt: Wenn wir die Gesundheitsreform verabschiedet haben, wird im kommenden
Jahr die Reform der Pflegeversicherung auf den Weg gebracht.
({5})
- Gut, dann sage ich: nachdem die Gesundheitsreform
verabschiedet ist.
Zu den wichtigsten Vorhaben in dieser Legislaturperiode zählt die Gesundheitsreform. Die Koalition hat
gestern beschlossen, der Reform drei weitere Monate
Zeit für Beratung und Erörterung zu verschaffen. Es ist
richtig, dass wir hier im Hause über die sehr umfängliche Materie - mit der Reform werden immerhin in vielen Bereichen des Gesundheitswesens grundsätzlich
neue Ansätze für mehr Qualität, Transparenz und Effizienz auf den Weg gebracht und die privaten Krankenversicherungen in den Wettbewerb einbezogen - intensiv beraten. Dafür brauchen nicht nur wir Zeit. Vielmehr
wollen wir allen, Ihnen und den Verbandsvertretern, ausreichende Beratungs- und Anhörmöglichkeiten geben,
um Vorschläge einzubringen und die Interessen zu artikulieren. Ich halte es daher für eine richtige Entscheidung der Koalitionsfraktionen, das In-Kraft-Treten der
Reform um drei Monate auf den 1. April 2007 zu verschieben. Das ist verkraftbar; denn auch der Bundesrat
braucht Zeit für seine Beratungen.
({6})
Die Gegner der Reform, die unterschiedliche Interessengruppen vertreten, sollten das nicht als Zeichen dafür
werten, dass die Reform nicht kommt. Das vermuten offensichtlich so manche. Ich kann Ihnen versichern: Sie
kommt. Sie wird am 1. April 2007 starten. Der Gesundheitsfonds startet 2008 und parallel dazu wird ein vereinfachter und verbesserter, weil an den Krankheitsrisiken
orientierter Risikoausgleich eingeführt.
({7})
Zurzeit wird mit besonderer Heftigkeit der neue
Gesundheitsfonds diskutiert. Dabei werden gezielt Legenden in die Welt gesetzt, um den Ansatz schlechtzureden. Was ist die Grundidee des Fonds? Die Grundidee
besteht darin, dass die gesetzliche Krankenversicherung
mit über 70 Millionen Versicherten eine Solidargemeinschaft ist.
({8})
Die Leistungen, die von der gesetzlichen Krankenversicherung finanziert werden,
({9})
werden unabhängig vom Portemonnaie des Versicherten
erbracht. Das heißt, jeder Versicherte erhält auf der Höhe
des medizinischen Fortschritts das, was medizinisch notwendig ist. Das ist das Herzstück des Sozialstaates. Dieses System kann nur funktionieren, wenn sich alle zu
gleichen und fairen Bedingungen an der Finanzierung
beteiligen. Der Gesundheitsfonds sichert die Solidargemeinschaft so ab, wie es in § 1 des SGB V steht.
({10})
Ich möchte eines klarstellen: Mit dem Gesundheitsfonds wird keine neue Behörde geschaffen.
({11})
Ich sage das hier noch einmal, weil das immer gern überhört wird. Der Gesundheitsfonds ist sinnvoll und unbürokratisch. Er ist ein Finanzierungsverfahren. Über den
Gesundheitsfonds fließen, wie vorgesehen, die Steuermittel zur Stützung der beitragsfreien Mitversicherung
von Kindern in die gesetzliche Krankenversicherung.
Der für einen fairen Ausgleich der unterschiedlich verteilten Krankheitsrisiken und der unterschiedlichen Einkommen der Versicherten notwendige Prozess wird
durch den Fonds gestärkt. Die dazu notwendige Verwaltungsarbeit wird wie bisher von den bewährten Experten
des Bundesversicherungsamtes geleistet. Sie führen
heute den Risikostrukturausgleich durch; dieser wird
weiterentwickelt. Beim Einzug der Beiträge der Arbeitgeber und der Versicherten wird sich der Fonds auf die
sachkundigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der
Krankenkassen stützen.
Vor dem Hintergrund dieser Tatsachen ist es schwierig, vieles von dem, was Lobbyisten heute dazu sagen,
zu verstehen. Man kann es vielleicht als Desinformation
bezeichnen. Ich bin mir aber nicht sicher; vielleicht ist es
auch nur die Angst vor Transparenz, Effizienz und vor
mehr Wahl- und Wechselmöglichkeiten, die wir den Versicherten eröffnen werden.
({12})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, obwohl alle Interessengruppen das Wort Patient im Munde führen, spricht
keiner derer, die die Eckpunkte kritisieren, davon, was
die Menschen in diesem Land berührt. Sie fragen sich:
Wird es für meinen Arzt, der in Ruhestand geht, einen
Nachfolger geben? Wird das Gesundheitssystem bezahlbar bleiben? Erhalte ich die Behandlung und die Medikamente, die ich brauche? Kann das die Gesundheitsreform
sicherstellen? Wie sieht es mit der Gerechtigkeit bei der
Vergabe von Terminen aus? - Ich nehme diese Fragen
sehr ernst.
Die Frage, ob es der Politik gelingt, die Rahmenbedingungen so zu setzen, dass das, was für meine Generation selbstverständlich war - wir konnten uns immer
in ärztliche Behandlung begeben und haben das erhalten,
was medizinisch notwendig war -, auch für unsere Kinder und Enkelkinder selbstverständlich bleibt, ist die
Kernfrage des Sozialstaats. Diese Frage hat die Koalition mit Ja beantwortet. Deshalb haben wir uns sehr intensiv damit auseinandergesetzt, wie wir eine gute Versorgung in allen Teilen dieses Landes sicherstellen
können und was getan werden muss, damit kranke Menschen eine gute Behandlung erhalten. Das ist der Grund,
warum wir die medizinische Versorgung von Menschen
mit seltenen oder schweren Erkrankungen verbessern,
indem wir beispielsweise die Krankenhäuser für die ambulante Versorgung öffnen. Das ist der Grund, warum
wir die palliativmedizinische Versorgung verbessern;
denn wir wollen, dass schwerstkranke Menschen auch in
der Phase des Sterbens zu Hause betreut, gepflegt und
versorgt werden können und nicht gezwungen sind, in
Krankenhäuser zu gehen, wenn sie es nicht müssen.
({13})
Das ist der Grund, warum wir Vater/Mutter-Kind-Kuren
zu Pflichtleistungen der Krankenkassen machen, und das
ist der Grund, warum empfohlene Impfungen von den
Krankenkassen bezahlt werden müssen; denn wir wollen, dass in diesem Land eine gute Durchimpfungsrate
besteht, damit die Menschen vor Krankheiten geschützt
sind.
({14})
Das ist auch der Grund, warum wir dafür sorgen, dass
die geriatrische Rehabilitation zur Pflichtleistung der
Kassen wird; denn wir wollen, dass in einer älter werdenden Gesellschaft auch die 65-Jährige und der 70-Jährige nach einem Sturz oder einem Schlaganfall alle Behandlungen bekommen, damit ihre Selbstständigkeit so
lange wie möglich gewährleistet ist.
Darüber zu reden, wäre Aufgabe auch dieses Parlaments;
({15})
denn das sind die Dinge, die die Menschen interessieren.
Das wäre die Aufgabe, um die sich die Krankenkassen
kümmern müssten und über die sie reden müssten. Die
Krankenkassen sollten gute Versorgungsangebote organisieren, den Menschen Wahl- und Wechselmöglichkeiten einräumen und ihnen Tarifangebote machen. Ferner
sollten sie neue Instrumente nutzen, die wir den Akteuren in die Hand geben, zum Beispiel Rabattverhandlungen, Ausschreibungen, Einzelverträge, besondere Versorgungsangebote, die Verpflichtung zum Hausarzttarif,
die Förderung der integrierten Versorgung und die Einbeziehung der Pflege und der nicht ärztlichen Berufe.
Unser Ziel ist es, das auf den Weg zu bringen. Wir sind
davon überzeugt, dass der Gesundheitsfonds, der die Finanzströme transparent macht und der dafür sorgt, dass
der einzelne Versicherte wesentlich besser als heute vergleichen kann, was ihm seine Kasse für seine Beiträge
bietet, dazu beiträgt, dass der Wettbewerb um gute Qualität in der Versorgung angestoßen wird.
Ich sage noch eines abschließend, weil die Zeit zu
Ende geht.
({16})
- So kann man auch mit kleinen Sachen manchen Leuten
Freude machen.
({17})
Das hängt immer von den Ansprüchen ab, die man selber hat.
({18})
Ein wichtiges Ziel, das wir mit dieser Reform erreichen wollen und das für mehr Frauen und Männer in diesem Land Bedeutung hat, als es vielleicht manchen hier
im Hause bewusst ist, besteht darin, dass niemand in diesem Land ohne Versicherungsschutz ist. Dies ist eine
wichtige Aufgabe gerade für die Generation Praktikum.
Unsere Kinder erhalten heute nicht mehr mit der gleichen Selbstverständlichkeit wie wir nach der Berufsausbildung eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung und ihr Krankenversicherungsschutz ist nicht
garantiert, weil es viele Formen der Beschäftigung gibt.
Hier setzen wir an und ermöglichen jedem in diesem
Land einen Krankenversicherungsschutz, weil wir wissen, dass er gerade bei veränderten Erwerbsbiografien
ein Bindeglied ist. Eine der Grundlagen für Freiheit, Gerechtigkeit, Bildung und auch für Teilhabe an der Erwerbstätigkeit und am gesellschaftlichen Leben ist, dass
man seine Gesundheit so gut wie möglich schützen kann
und dass man Hilfe erhält, wenn man krank ist. Das ist
eine der wichtigsten Aufgaben für mich, die wir mit dieser Reform angehen.
Wenn wir in den kommenden Zeiten intensiv in die
Debatte einsteigen, dann würde ich mich freuen, wenn
alle ihre Erfahrungen einbrächten, damit wirklich eine
Debatte darüber entsteht, was wir in diesem Lande brauchen, damit die Menschen eine gute gesundheitliche
Versorgung haben, und wie die Institutionen des Gesundheitswesens so transparent, effizient und unbürokratisch organisiert werden können, dass möglichst jeder
Euro nur da eingesetzt wird, wo er den Patientinnen und
Patienten zugute kommt. Das wäre schon ein guter Erfolg.
Danke schön.
({19})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Claudia Winterstein von der FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Ministerin, Ihre Rede hat wenig Neues gebracht.
Statt hohler Worte hätten Sie uns im Parlament und auch
den Menschen in unserem Lande lieber einen Gesetzentwurf vorlegen sollen. Die Reform ist wieder einmal verschoben. Ob das nun an der Unfähigkeit Ihres Ministeriums oder an den Streitereien in der Koalition oder an den
Wahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern liegt,
weiß man nicht. Wahrscheinlich spielt alles eine Rolle.
Also sind wir im Prinzip nicht viel weiter als noch vor
dreieinhalb Monaten, als wir an dieser Stelle über den
Haushalt 2006 gesprochen haben. Jetzt zeigen Sie mit
dem Gesundheitsfonds, dass diese große Koalition einfach nicht funktionieren kann. Zwei Große haben versucht, sich zu einigen. Sie haben aus zwei völlig gegensätzlichen Konzepten einen Kompromiss gezimmert.
Das Ergebnis ist Ihnen gründlich misslungen, Frau Minister.
({0})
So diskutieren wir ein Machwerk, wie es stümperhafter und unbefriedigender kaum sein könnte. Niemand
braucht diesen Fonds, nur Sie, Frau Schmidt, und auch
noch Frau Merkel. Stirbt der Fonds, wackelt die Koalition.
({1})
Sie haben sich in eine Situation gebracht, in der Sie
kaum noch handlungsfähig sind. Ihre Hilflosigkeit zeigt
sich vor allem in Ihrem Umgang mit der Kritik an der
Gesundheitsreform. Kritik an diesem Versuchsballon
gibt es reichlich: von den Krankenkassen, von Wissenschaftlern, von den Sozialverbänden, von der Wirtschaft,
vom Koalitionspartner, auch aus den eigenen Reihen und
sogar vom Wissenschaftlichen Beirat, der sich das Modell dieses Fonds ausgedacht hat.
({2})
Frau Ministerin, leider ignorieren Sie diese Kritiker
beharrlich, anstatt sich mit den Bedenken konstruktiv
auseinander zu setzen. Die Verunsicherung und das Unverständnis, das Sie damit in der Bevölkerung erzeugen,
scheinen Ihnen völlig gleichgültig zu sein; denn 80 Prozent der Deutschen sind gegen Ihre Reform. Aber Politik
für die Menschen sieht anders aus.
({3})
Ich möchte die wichtigsten Kritikpunkte hier einmal
aufgreifen.
Zum Thema Wettbewerb. Sie haben Ihrer Gesundheitsreform den Namen „Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung“ gegeben. Schaut man sich den Inhalt an, kann man über
diesen Namen eigentlich nur lachen. Es müsste heißen:
Gesetz zur staatlichen Lenkung der gesetzlichen Krankenversicherung.
({4})
Das wäre wesentlich passender.
Ein wichtiges Mittel, sich im Wettbewerb abzugrenzen, nehmen Sie den Krankenkassen, wenn zukünftig
das Ministerium über die Beitragssätze entscheidet. Damit stellen Sie das deutsche Gesundheitssystem endgültig unter die vollständige Kontrolle des Staates. Bei
Geldnot braucht die Regierung dann nur noch zu entscheiden: entweder Beiträge herauf oder Versorgung
herunter. Selbst den letzten Funken von Wettbewerb, die
kleine Prämie, ersticken Sie unter den geplanten Bedingungen. Damit streichen Sie nicht nur den letzten Rest
CDU aus dem Konzept, vielmehr nehmen Sie den Krankenkassen auch den letzten Rest von Autonomie.
({5})
Der neue Spitzenverband, in den Sie die Kassen zwingen wollen, verfolgt den gleichen Zweck; das Ministerium bestimmt, die Kassen folgen. Das ist das Gegenteil
von Wettbewerb, Selbstbestimmung und Vertragsfreiheit
im Gesundheitswesen. Das ist zentralstaatlicher Gesundheitssozialismus. Höhere Kosten und weniger Transparenz sind die Folgen.
Zum Thema Bürokratie. Frau Ministerin, im gleichen Atemzug, in dem Sie den Wettbewerb abbauen,
bauen Sie neue Bürokratie auf, und das völlig ohne Not.
Denn das Einziehen und das Verteilen der Beiträge über
die Kassen funktioniert gut. Bisher konnten Sie nicht begründen, was durch den Fonds als zentrale Geldsammelstelle eigentlich besser werden soll. Im Gegenteil: Durch
den neuen Fonds werden beim Bundesverwaltungsamt
neue Ressourcen benötigt. Auch das kostet wieder Geld.
Zum Thema Haushaltsrisiko. Ungeklärt ist nicht nur
die Frage nach der Entschuldung der Krankenkassen
zum Start des Fonds; unberechenbar sind auch die Haushaltsrisiken: Ausgabensteigerung, Kürzung der Bundesmittel, Mehrwertsteuererhöhung. Bereits für 2007 erwarten die Krankenkassen eine Finanzierungslücke von
etwa 7 Milliarden Euro. Die Regierung zwingt die Kassen zu Beitragssatzerhöhungen. Es ist schon seltsam: Im
Haushalt 2007 kürzen Sie den Steuerzuschuss an die
Krankenkassen auf 1,5 Milliarden Euro, um ihn dann
2009 wieder auf 3 Milliarden Euro zu erhöhen. Dabei
wissen Sie nicht, woher Sie mittel- und langfristig überhaupt die 15 Milliarden Euro für die Kindermitversicherung nehmen sollen. Steht da nicht schon wieder die
nächste Steuererhöhung vor der Tür?
Genauso wenig können Sie sagen, wie Sie zum Start
des Fonds ein ausreichendes Finanzpolster schaffen wollen, damit die Versicherten nicht gleich wieder über die
Prämie und höhere Beitragssätze stärker belastet werden. Die Horrorzahl von 16 Prozent geistert schon durch
den Raum.
Dabei war doch das löbliche Ziel der großen Koalition, die Arbeitskosten zu senken und die Beitragssätze
zur gesetzlichen Krankenkasse zu reduzieren. Es geschieht aber das Gegenteil. Schon im nächsten Jahr steigen die Beitragssätze zur Krankenversicherung um mindestens einen halben Prozentpunkt. Dabei ist der
Durchschnittssatz mit 14,2 Prozent schon jetzt wieder
auf dem Niveau, auf dem er vor Ihrem letzten Reformversuch 2004 war.
Wie sollen in Deutschland Arbeitsplätze entstehen,
wenn wir nicht endlich damit aufhören, den Faktor Arbeit weiter derart zu belasten?
({6})
Das ist keine solide Politik, sondern rot-schwarze Planlosigkeit auf dem Rücken der Beitrags- und Steuerzahler.
Das Unbehagen der Bürger über Ihre Gesundheitsreform scheinen Sie zu spüren, Frau Ministerin; es spiegelt
sich jedenfalls im Haushaltsentwurf für Ihr Ministerium
wider. Sie versuchen, konzeptionslose, handwerklich ungenügende Politik durch lautes Getöse nach außen zu
überdecken. Viel zu viel Geld fließt in die Selbstdarstellung, in Kampagnen und Werbung. Über 6 Millionen
Euro wollen Sie für Öffentlichkeitsarbeit ausgeben, so
wie zum Beispiel für die jüngste Anzeigenkampagne zur
Gesundheitsreform. Während Sie den Krankenkassen
vorwerfen, Beitragsgelder zu verschwenden, geben Sie
2,5 Millionen Euro für Zeitungsanzeigen aus - und das,
um dem Bürger ein unfertiges Reformprojekt zu verkaufen.
Das gilt auch für die Präventionskampagne. Sie soll
mit über 3 Millionen Euro ein Gesetz unterstützen, das
es überhaupt noch nicht gibt.
({7})
Sie geben an dieser Stelle Steuergelder aus, ohne dem
Bundestag einen Gesetzentwurf vorgelegt zu haben.
Sie lassen sich beraten, wie Sie Ihr Image in der Öffentlichkeit verbessern. Dabei wären Sie am besten beraten,
Frau Schmidt, die Kritik der Krankenkassen und anderer
aufzunehmen und die Reform entsprechend umzuarbeiten.
Gute Politik braucht keine teuren Kampagnen.
Die Anforderungen an eine Gesundheitsreform sind
im Prinzip recht einfach: Stabilität der Beiträge, Durchblick für die Patienten und Zukunftsfestigkeit für eine älter werdende Gesellschaft. Diesen Anforderungen werden wir nur über neue Strukturen und wirklichen
Wettbewerb im Gesundheitswesen gerecht, nicht durch
Ihre Staatsmedizin.
({8})
Die FDP hat ein Konzept für einen wirksamen, bezahlbaren und langfristigen Versicherungsschutz vorgelegt: freie Wahl von Kasse und Tarif für jeden Bürger,
damit Wettbewerb ins System kommt, sozialer Ausgleich über Steuermittel,
({9})
damit alle gut versichert sind und der Faktor Arbeit entlastet wird, sowie Bildung von Altersrückstellungen, um
der demografischen Herausforderung gerecht zu werden.
Wir müssen die Ursachen der entsprechenden Probleme angehen. Durch Ihre jährlichen so genannten
Jahrhundertreformen werden aber nicht einmal die
Symptome beseitigt. Ich fordere Sie noch einmal auf,
Frau Ministerin: Nehmen Sie die Kritik ernst! Noch besteht die Möglichkeit, eine Reform zu entwerfen, die den
Namen verdient: mit mehr Wettbewerb, mehr Wahlfreiheit und besserer Zukunftsabsicherung. Ihr zentralistischer Einheitsfonds reduziert die Vielfalt, erhöht die
Kosten und schafft keinerlei Perspektive für die Zukunft.
({10})
Das Wort hat jetzt der Kollege Wolfgang Zöller von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Grüß Gott, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn man die Diskussionen der letzten Tage und Wochen verfolgt hat, konnte man den Eindruck gewinnen, wir würden eine Gesundheitsreform
mit dem Ziel anstreben, einen möglichst bürokratischen
Fonds zu schaffen und nach Möglichkeit alle Beteiligten
zu verärgern.
({0})
Für wie dumm halten Sie eigentlich die Beteiligten, die
sich wirklich bemühen, die gute medizinische Versorgung, die wir in Deutschland haben, zu erhalten bzw.
noch zu verbessern und langfristig bezahlbar zu gestalten?
({1})
Wir machen doch keine Reform um der Reform willen. Wir stellen endlich einmal den Patienten in den Mittelpunkt unseres Handelns.
({2})
Es ist erstmals eine Reform, bei der keine notwendigen
Leistungen gekürzt oder gestrichen werden. Es ist erstmals eine Reform, bei der die Versorgung aus einer
Hand kommt und ein entscheidendes Stück vorangetrieben wird. Der Patient wird nicht mehr zwischen den verschiedenen Versorgungsebenen oder den Sozialsystemen
hin und her geschoben, je nach Lage des Budgets. Wir
durchbrechen endlich auch die starren Abgrenzungen
zwischen stationär und ambulant und binden in der
integrierten Versorgung sogar die Pflegeversicherung
mit ein. Damit wollen wir eine umfassende Behandlung
ganzer Krankheitsbilder und somit eine optimale Versorgung der Patienten gewährleisten.
Eine ausgewogene Reform muss natürlich die Einnahme- und die Ausgabenseite betrachten. Wir können
uns in den Sozialsystemen zu Tode reformieren, wenn
wir den Arbeitsmarkt nicht in den Griff bekommen.
1,5 Millionen weniger sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze bedeuten nun einmal 6,5 Milliarden Euro
Einnahmen weniger.
({3})
Eines sollten wir auch nicht unterschätzen: 1 Million
junger Menschen hat Deutschland verlassen. Wenn Sie
nach dem Grund fragen, bekommen Sie die Antwort:
wegen der Abgabenlast und der Bürokratie. Also müssen
wir doch an diese Ursachen herangehen.
({4})
Deshalb, meine sehr geehrten Damen und Herren von
der Opposition, ist es umso erfreulicher, dass jetzt hier
eine Trendwende erkennbar ist. Über 400 000 Arbeitslose weniger, über 120 000 neue sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze, die Prognosen des Wirtschaftswachstums erstmals nach oben korrigiert - das sind doch
positive Signale, die uns auch eine Perspektive für die
Zukunft geben.
Auch in der gesetzlichen Krankenversicherung hat
sich die Finanzsituation verbessert. Einen wichtigen
Beitrag hierzu hat unsere erste Reformmaßnahme, das
Arzneimittelwirtschaftlichkeitsgesetz, geleistet. Denn
entgegen der auch von Ihnen vorgetragenen Kritik, die
von anderen Seiten noch verstärkt wurde, hat sie bereits
bestimmte Wirkungen entfaltet. Allein die Möglichkeit,
dass die Versicherten von Zuzahlung befreit sind, wenn
sie preisgünstige Arzneimittel wählen, hat dazu geführt,
dass bei über 2 000 Arzneimitteln die Preise um bis zu
40 Prozent gesenkt wurden.
({5})
Das zeigt, dass Wettbewerb besser ist als staatliche Regulierung.
({6})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, allerdings ist
bei einem hohen Anspruch an die Leistungsfähigkeit unseres Gesundheitswesens auch klar, dass wir einen
Schritt hin zu mehr Eigenverantwortung gehen müssen. Diesen Schritt werden die Menschen aber nur akzeptieren, wenn die Gesundheitsleistungen effizient und
in hoher Qualität erbracht werden. Hinsichtlich der Erhöhung von Effizienz und Qualität durch mehr Wettbewerb im Gesundheitswesen sehe ich erhebliche Verbesserungsmöglichkeiten, die wir Ihnen mit unserem Gesetz
vorstellen werden.
({7})
Wir brauchen eine Erhöhung der Transparenz und
Abbau der Bürokratie in allen Bereichen; da sind wir uns
einig. Wir werden zum Beispiel die Information der Versicherten über Leistungsangebote und die Qualität der
Leistungserbringer verbessern. Oder nehmen wir die
vertragsärztliche Versorgung: Hier werden wir die Vergütung ambulanter ärztlicher Leistungen auf feste Preise
bei weitgehender Pauschalierung umstellen. Die derzeitige Budgetierung ist dann nicht mehr notwendig.
Neben der Erhöhung der Transparenz haben wir uns
auch für den Bürokratieabbau entschieden. Ärzte, Pflegekräfte und Krankenhäuser werden sich künftig wieder
mehr auf die Versorgung der Patienten konzentrieren
können. Dazu werden wir zum Beispiel die Wirtschaftlichkeitsprüfungen vereinfachen. Wir werden einen wesentlich einheitlicheren und entbürokratisierten Rahmen
für die Chronikerprogramme schaffen. Wir werden dann
nicht mehr 1 500 verschiedene, sondern vielleicht nur
noch sieben bis zehn Programme haben.
Wir brauchen aber nicht nur mehr Transparenz und
weniger Bürokratie, sondern auch mehr Entscheidungsund Wahlmöglichkeiten für die Versicherten.
({8})
Hierbei möchte ich besonders auf die Veränderungen bei
der Kostenerstattung hinweisen. Denn gerade diese kann
- davon sind wir überzeugt - das Kostenbewusstsein
stärken.
({9})
Daher können die Krankenkassen künftig Tarife im Zusammenhang mit der Kostenerstattung anbieten. Gleichzeitig werden die Kostenerstattungsmöglichkeiten erweitert.
Neben der Kostenerstattung sind weitere Veränderungen geplant. So werden die Kassen für spezielle Versorgungsformen gezielte Tarife anbieten, zum Beispiel
Hausarzttarife. Gleichzeitig werden die Selbstbehalttarife für Pflichtversicherte geöffnet. Auch mit diesen Veränderungen werden wir das Kostenbewusstsein der Versicherten fördern.
Zur privaten Krankenversicherung.
({10})
Fest steht: Die private Krankenversicherung bleibt als
Vollversicherung erhalten. Das heißt aber nicht, dass es
hier keine Veränderungen geben wird. Auch hier soll der
Wettbewerb gestärkt werden. Daher werden wir den
Wechsel der Versicherten innerhalb der PKV künftig dadurch erleichtern, dass wir die Altersrückstellungen
transportabel machen.
Ein Punkt kommt, wie ich meine, immer noch zu
kurz: Dabei geht es um die Solidarität und die Eigenverantwortung. Solidarität heißt nicht nur, dass die Solidargemeinschaft für mich einzutreten hat, sondern auch,
dass ich mich der Solidargemeinschaft gegenüber solidarisch verhalten muss.
({11})
Dieses Bewusstsein muss gestärkt werden.
Ich bin in der letzten Zeit in den Medien wegen meiner Äußerung, dass sich Übergewichtige - man hat auf
mich geschaut und gesagt, ich sei sowieso zu dick eventuell an den Behandlungskosten beteiligen sollen,
ziemlich beschimpft worden. Ich wiederhole an einem
Beispiel, was ich damit gemeint habe: Ein junger 25-jähriger Mensch kommt zum Arzt und sagt: Herr Doktor,
ich habe Probleme; ich brauche auf der rechten Seite
eine neue Hüfte. Darauf sagt der Arzt: Wenn ich Sie mir
so betrachte, dann meine ich, dass Sie mindestens
140 Kilogramm schwer sind. Nein, sagt der Patient,
150 Kilogramm. Dazu der Arzt: Eine Hüftoperation wird
wenig bringen. Wenn Sie nicht bereit sind, Ihr Gewicht
zu reduzieren, werden Sie in einem halben Jahr auf der
anderen Seite eine neue Hüfte benötigen. Darauf bekommt der Arzt die Antwort: Sie haben das gefälligst zu
machen; schließlich zahle ich meinen Beitrag.
In diesem Zusammenhang habe ich gefragt, ob man
nicht das Bewusstsein etwas stärken könnte, indem man
sagt: Es könnte sein, dass der Patient an den durch bestimmte Essgewohnheiten entstehenden Kosten prozentual beteiligt wird. Das gilt im Übrigen genauso für das
Rauchen und das Trinken im Übermaß.
({12})
Wir brauchen in diesem System mehr Ehrlichkeit,
und zwar angefangen vom Missbrauch mit Versichertenkarten bis hin zu den Abrechnungen. Wir tun in der Diskussion so, als sei immer nur eine Gruppe betroffen. Es
ist aber nicht nur eine Gruppe davon betroffen.
Ich will an einem Beispiel klar machen, dass alle am
System Beteiligten betroffen sind: Wir haben in den
Krankenhäusern eine leistungsgerechte Vergütung eingeführt, die zum Beispiel Folgendes vorsieht: Eine normale Geburt wird mit rund 900 Euro vergütet,
({13})
ein Kaiserschnitt, also eine komplizierte Geburt, mit
rund 2 000 Euro. Mit welchem Ergebnis? Plötzlich haben etliche Krankenhäuser nur noch Kaiserschnittgeburten zu verzeichnen. Ist das medizinisch notwendig?
Jetzt wäre es verkehrt, zu sagen, daran sei nur einer
schuld; deshalb habe ich dieses Beispiel gewählt. Überlegen wir einmal, wer daran schuld sein könnte: Ist es
die Krankenhausverwaltung, die sagt: „Macht das in dieser Richtung; dann haben wir mehr Einnahmen“? Ist es
der Arzt, der sagt: „Dafür bekomme ich eine höhere Vergütung“? Ist es die schwangere Frau, die den Kaiserschnitt wählt, weil sie aufgrund von Zeitungsberichten
meint, dies sei die modernste Methode? Oder ist es vielleicht so, dass viele Ärzte aus Haftungsgründen diese
Methode so oft anwenden?
Diesen Punkt spreche ich aus folgendem Grund an:
Vor zehn Tagen hat ein Mann einen Arzt, der vor
19 Jahren seine Tochter zur Welt gebracht hat, mit der
Begründung verklagt, dass seine Tochter zweimal durch
das Abitur gerauscht ist und dass der Arzt deswegen bei
der Geburt etwas verkehrt gemacht haben muss. Ich
glaube, man müsste einmal den Arzt, der bei der Geburt
des Vaters dabei war, fragen, ob er nicht etwas verkehrt
gemacht hat.
({14})
Jetzt müssen die Krankenhäuser diesem Fall nachgehen. Da kommen wir aber an einen kritischen Punkt: In
Deutschland ist die medizinische Versorgung mit immer
mehr bürokratischem und finanziellem Aufwand verbunden, nur um Haftungsabsicherungen zu gewährleisten. So bekommen wir langsam eine Amerikanisierung
unseres Gesundheitswesens.
Ich bitte alle Beteiligten - vom Versicherten über den
Arzt bis zur Politik -, ihr Möglichstes zu tun, dass nur
das Notwendige von der Solidargemeinschaft und nicht
das Wünschenswerte finanziert wird.
({15})
Heute ist das leider nicht der Fall, sonst hätte ich diese
Beispiele nicht erwähnen müssen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir brauchen ein Umdenken in unserer Gesellschaft. Neben den
genannten Veränderungen sehen unsere Eckpunkte noch
weitere Reformschritte vor. Alle diese Maßnahmen stellen langfristig die Weichen für die zukünftige Entwicklung unseres Gesundheitswesens. Wir schaffen die
Strukturen, welche die Leistungsfähigkeit des Systems
durch mehr Eigenverantwortung, Freiheit und Wettbewerb und damit durch mehr Effizienz stärken.
Vielen Dank.
({16})
Das Wort hat jetzt die Senatorin für Gesundheit,
Soziales und Verbraucherschutz des Landes Berlin, Frau
Heidi Knake-Werner.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ein Blick auf
die Situation der Länder kann auch diesem Haus nicht
schaden. Ich kann das beurteilen, weil ich beide Seiten
gut kenne.
Nach einer im „Stern“ veröffentlichten Forsa-Umfrage sprechen sich 78 Prozent der Befragten für einen
Stopp der geplanten Gesundheitsreform aus. Der Patient,
Herr Zöller, hat nämlich begriffen, wie Sie ihn in den
Mittelpunkt stellen. Der Patient hat Sorge, dass es für ihn
teurer und risikoreicher wird, wenn er krank wird.
({0})
Frau Ministerin, die Terminverschiebungen sind doch
längst keine Kalenderfrage mehr. Die Koalition ist in
wesentlichen Punkten völlig zerstritten. Wenn Sie ehrlich wären, würden Sie nicht die Termine, sondern die
Eckpunkte ändern.
({1})
Wir brauchen eine Gesundheitsreform, die nicht die
Ratlosigkeit verlängert, sondern die die Probleme endlich löst. Gestatten Sie mir, für die weitere Beratung einige Hinweise aus Ländersicht zu geben.
Bei der jetzt anstehenden Gesundheitsreform erleben
wir eine ähnlich gesundheitspolitisch unverantwortliche
Senatorin Dr. Heidi Knake-Werner ({2})
Fehlleistung wie einst bei Rot-Grün. Selbst die wenigen
strukturell sinnvollen Vorhaben, die die Ministerin in die
Eckpunkte hat retten können, wiegen bei weitem nicht
auf, dass der großen Koalition für eine grundlegende Gesundheitsreform der Mut fehlt. Zuversicht bei der Reform der Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung lassen Sie durchgängig vermissen.
Dass in einer Koalition Kompromisse gemacht werden müssen, ist mir nicht gänzlich unvertraut. Aber dass
man aus den Verhandlungen mit dem Gegenteil von dem
herauskommt, mit dem man hineingegangen ist, ist
schon etwas ungewöhnlich.
({3})
Gerade die SPD hat versprochen, die Krankenkassenbeiträge zu senken, erstens durch die Einbeziehung weiterer
Einkommensarten zur Finanzierung des Gesundheitssystems und zweitens durch eine stärkere Steuerfinanzierung.
Jetzt passiert exakt das Gegenteil. Als Erstes streichen
Sie die Steuerfinanzierung zusammen. Jetzt liegt sie
nur noch bei 1,5 Milliarden Euro gegenüber vorher
4,2 Milliarden Euro. Damit nicht genug: Sie werden den
Krankenkassenbeitrag nicht ändern, sondern Sie werden
ihn erhöhen.
Statt einer höheren Steuerfinanzierung bürden Sie
dem System durch die Mehrwertsteuer noch zusätzliche
Kosten von 900 Millionen Euro auf. Dabei wird es nicht
bleiben.
({4})
- Zum Land Berlin könnte ich Ihnen eine ganze Menge
sagen.
({5})
- Darauf komme ich noch. - Während Sie den Arbeitgebern einen stabilen Beitrag für die Zukunft garantieren,
müssen die Versicherten mit zusätzlichen Lasten rechnen.
({6})
Was daran sozial, was daran solidarisch ist, das würde
ich gerne verstehen.
So wie Ihre Planungen aussehen - alle Fachleute bestätigen das -, werden die meisten Kassen nicht umhin
können, den Versicherten einen Zuschlag aufzubürden.
Wahrscheinlich wird es auch dabei nicht bleiben, sondern die Kassen werden gezwungen sein, am Leistungskatalog zumindest für die Kranken zu streichen. Das ist
sozial und gesundheitspolitisch unverantwortlich.
({7})
Gleichzeitig, meine sehr verehrten Damen und Herren
- in diesem Punkt hat sich die Union leider komplett
durchgesetzt -, verzichten Sie auf sämtliche Maßnahmen, mit denen das System ohne zusätzliche Kosten zu
sanieren wäre. Sie scheuen sich, die international einmaligen Renditen der Pharmaindustrie anzutasten. Sie
knicken beim Abbau von Verbandsinteressen und Standesprivilegien ein.
({8})
Sie holen die Besserverdienenden eben nicht in die Solidargemeinschaft zurück. Auch daran ist gar nichts solidarisch.
({9})
Was noch schlimmer ist: Sie haben das angekündigte
Kernstück der Gesundheitsreform, nämlich die grundlegende Reform der Kassenfinanzierung, in den Sand gesetzt. Ihre Gesundheitsreform ist eben keine einheitliche
Solidarveranstaltung. Sie ist ein neuer Risikofaktor für die
Krankenkassen. Sie sollen zwar alle mit gleichen Beiträgen ausgestattet werden; aber das macht nur Sinn, wenn
gleichzeitig ein zeitgemäßer Risikostrukturausgleich
kommt. Nach allem, was man hört, soll er auf das Jahr
2009 verschoben werden.
Die Kassen sollen sich entschulden, was natürlich jenen Kassen gewaltige Schwierigkeiten bereitet, die
schon seit Jahren unterfinanziert sind - siehe Risikostrukturausgleich. Aus Berliner Sicht kann ich Ihnen sagen, mit welchen Risiken wir zu rechnen haben. Kassen
wie die Berliner AOK mit ihrer äußerst prekären Versichertenstruktur, deren Probleme mit dem jetzigen Risikostrukturausgleich überhaupt nicht abgebildet sind,
werden sich nicht in der vorgesehenen Frist am eigenen
Schopf aus der Schuldenfalle ziehen können.
({10})
Über 400 Millionen Euro müsste das AOK-System
aufbringen, um die Berliner AOK zu entschulden - und
das trotz langjähriger Sanierungsbemühungen in Berlin
selbst. Das kann nicht funktionieren und das weiß auch
die Gesundheitsministerin. Deshalb tut das Bundesministerium alles, um die Aufsicht führenden Länder dafür
in Haftung zu nehmen und ihnen den schwarzen Peter
zuzuschieben. Wie erklärt sich sonst, dass uns der zuständige Staatssekretär aus dem Gesundheitsministerium
in einem Schreiben auffordert, bei unserer AOK - wörtlich - „dafür Sorge zu tragen, dass die zwingend notwendigen Maßnahmen zur Entschuldung umgesetzt werden“? Das ist eine völlig unmissverständliche Ansage:
Wir sollen die Kassen zwingen, schon jetzt die Versicherten mit Sonderbeiträgen zu belasten - ob prozentual
oder durch die kleine Kopfpauschale, das ist für die Kassen eine Wahl zwischen Pest und Cholera.
({11})
Ist Ihnen eigentlich bewusst, welcher Teufelskreis damit eröffnet wird? Natürlich ist Ihnen das bewusst: Die
Kassen mit den ungünstigsten Versicherungsstrukturen
- Sie wissen, dass das die großen Versicherungsgemeinschaften sind - werden die höchsten Sonderzahlungen
verlangen müssen. Im Wettbewerb werden sie dadurch
weiter zurückfallen, jüngere und risikoärmere Versicherungsgruppen verlieren und infolgedessen noch ungünstigere Kostenstrukturen haben.
Senatorin Dr. Heidi Knake-Werner ({12})
Wir von der Linkspartei sind durchaus der Meinung,
dass man die Anzahl der Kassen reduzieren kann. Ob es
aber der richtige Weg ist, ihre Anzahl dadurch zu verringern, dass man viele von ihnen in den Ruin treibt, das
wage ich zu bezweifeln.
({13})
- „Wer hat die Aufsicht?“ Das ist ja eine ganz tolle
Frage.
Wir sind für einen gezielten Bürokratieabbau.
({14})
Es ist aber keine intelligente Lösung, wenn man für die
Verwaltung des Gesundheitsfonds eine neue Behörde
aufbaut und damit mehr Bürokratie aufbaut.
Wenn der Wettbewerb zwischen den Kassen nicht
mehr auf der Ebene der Leistungen geführt wird, sondern es darum geht, wer die niedrigsten Kopfpauschalen hat, werden wir am Ende eine zutiefst gespaltene,
unsolidarische Kassenstruktur erhalten. Dann würde die
Zweiklassenmedizin auch in der gesetzlichen Krankenversicherung festgeschrieben.
Frau Knake-Werner, erlauben Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Spahn von der CDU/CSU-Fraktion?
Natürlich.
Bitte.
Frau Senatorin, Sie haben gerade die Schulden der
AOK Berlin erwähnt. Ich frage mich, wie es passieren
konnte, dass die AOK Berlin widerrechtlich einen so hohen Schuldenberg hat anhäufen können und mit welchen
Entscheidungen seitens der Aufsicht das zusammenhängt.
({0})
Das hat mit der Aufsicht nichts zu tun.
({0})
Das hat etwas mit der ungeheuer komplizierten Struktur
im Land Berlin zu tun. Ich darf Sie vielleicht daran erinnern, dass 1989 die Mauer gefallen ist und wir eine Vereinigung zweier völlig intakter Gesundheitssysteme
vollzogen haben.
({1})
Wir hatten zum Beispiel die Aufgabe, die Anzahl der
Krankenhausbetten von 46 000 auf heute 19 600 zu reduzieren. Diese Anzahl liegt unterhalb des Bundesdurchschnitts.
({2})
Wir haben eine Fülle struktureller Veränderungen
vorgenommen, um die Kassen zu entlasten. Das reicht
aber nicht aus, wenn die Versichertenstruktur so kompliziert ist wie die bei der AOK Berlin. Das räumt sogar
die Gesundheitsministerin ein.
({3})
Es wird - das ist schon völlig klar - keine Reform des
Kassenwesens geben und keine Einbindung der privaten
Krankenversicherung. Was ist daran solidarisch? Stattdessen bestehen zusätzliche Risiken für jene Kassen, die
vorrangig die Armen versichern und mit hohen Morbiditätsraten, einem ungünstigen Altersaufbau und einem
hohen Anteil an Chronikern zu kämpfen haben. Für den
Risikostrukturausgleich sind nicht wir verantwortlich,
sondern der Bund.
Die Leidtragenden dieser Stückwerkreform werden
nicht nur die Versicherten und die Kassen sein, sondern
auch die Krankenhäuser. Dazu ein weiteres Beispiel
aus Berlin: Ich bin zuständig für das größte öffentliche
Krankenhausunternehmen in der Bundesrepublik, Vivantes. Mithilfe eines Sanierungskurses haben wir die
Privatisierung und Zerschlagung öffentlicher Krankenhäuser erfolgreich verhindert.
({4})
Um dies möglich zu machen, hat sich das Land mit
230 Millionen Euro an der Entschuldung beteiligt. Die
13 000 Beschäftigten haben im Rahmen eines Notlagentarifvertrages einen jährlichen Einkommensverzicht in
Höhe von 35 Millionen Euro hingenommen. Zudem hat
das Unternehmen die Kassen um 120 Millionen Euro
entlastet, indem eine Budgetabsenkung um 20 Millionen
Euro jährlich akzeptiert wurde. Das ist unser Beitrag zur
Senkung der Belastung der Kassen.
({5})
Seit 2005 schreibt dieses Unternehmen schwarze
Zahlen. Trotz der Veränderung bei den Bereitschaftsdiensten und der Umstellung auf den TVöD haben wir
gute Chancen, auch weiterhin schwarze Zahlen zu
schreiben - bis zu Ihrer Reform.
Denn nun werden die Krankenhäuser mit weiteren
Sanierungsbeiträgen und Kürzungen belastet; hinzu
kommt die Erhöhung der Mehrwertsteuer. Roundabout
sind das bei meinem Krankenhausunternehmen Vivantes
19,5 Millionen Euro.
Senatorin Dr. Heidi Knake-Werner ({6})
({7})
Damit ist ein Abrutschen in die roten Zahlen vorprogrammiert. Aber das ist es nicht allein. Vielmehr erhöht
das erneut den Druck zur Privatisierung. Das kann die
Linke nicht widerstandslos hinnehmen.
({8})
- Nein, das war auch vor 20 Jahren nicht so; die Linkspartei ist bekanntermaßen eine neue Partei.
({9})
- Regen Sie sich doch nicht so auf! Ich spreche hier als
Gesundheitssenatorin von Berlin, auch im Namen der
Linken hier im Hause. Das ist doch völlig selbstverständlich.
({10})
Das Enttäuschendste an der gegenwärtigen Debatte
zur Gesundheitsreform ist für mich, dass wochenlang
über Kosten gestritten wird und dabei auf der Strecke
bleibt, was eigentlich wichtig ist und hier immer von der
Ministerin und Herrn Zöller hervorgehoben wird, nämlich, wie es gelingen kann, eine gute, ganzheitliche Versorgung für die Patientinnen und Patienten zu organisieren.
Ich finde, dass gerade bei der integrierten Versorgung
die Verlängerung der Ratlosigkeit nicht mehr reicht. Wir
brauchen endlich stabile Rahmenbedingungen, damit
ambulant und stationär arbeitende Ärzte, Reha- und
Pflegeeinrichtungen nicht länger nebeneinander und
doppelt arbeiten, sondern endlich zusammen und abgestimmt versorgen. Dazu braucht es lediglich eine Umschichtung der Mittel - das wissen alle - im Interesse
der integrierten Versorgung. Es geht eben nicht um mehr,
sondern um anders und sinnvoller. Dafür gilt es, sich einzusetzen.
({11})
Ein letzter Gedanke: Leider ist in der Debatte über die
Gesundheitsreform untergegangen, dass Gesundheitsförderung und Prävention immer noch die humansten
Wege zur Kostendämpfung sind. Die Ministerin hat gerade gesagt, dass Nichtraucherschutz und Aidsprävention dabei natürlich einen hohen Stellenwert haben müssen. Ich sage ganz klar: Es ist völlig unverantwortlich,
dass die Blockierer von gestern auch heute noch das gerade aus Ländersicht notwendige Präventionsgesetz verhindern können.
Vielen Dank.
({12})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Birgitt Bender von
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt
eine gute Nachricht:
({0})
Die Kanzlerin hat die Notbremse gezogen. Die Gesundheitsreform hat jetzt Zeit bis zum Frühjahr. Das heißt,
die Koalition kann noch einmal anfangen. Das sollten
Sie auch tun.
({1})
Die schlechte Nachricht lautet: Der Gesundheitsfonds ist noch nicht vom Tisch. Er gehört aber runter
von der Tagesordnung, weil damit kein einziges notwendiges Ziel der Reform erreicht und auch kein einziges
Versprechen der Koalition eingelöst wird. Die Finanzierungsbasis wird dadurch nicht gestärkt, sondern geschwächt, der Wettbewerb wird nicht gestärkt, sondern
beseitigt, das Geld nicht in bessere Behandlung und Verhinderung von Krankheiten gesteckt, sondern in mehr
Bürokratie. Das kann es doch noch nicht gewesen sein.
({2})
Zur Finanzierung, Herr Kollege Tauss. Was bringt
der Fonds? Ich wäre durchaus bereit, Ihnen zuzugestehen, dass er bei entsprechendem politischen Willen vielleicht etwas bringen könnte. Bringt er die Einbeziehung
der Privatversicherten, also eine Bürgerversicherung
nach holländischem Vorbild? Nein. Die PKV bleibt wieder schön unter sich; Solidarität wird dadurch nicht gestärkt, sondern geschwächt.
({3})
Bringt der Fonds eine Ausweitung der Finanzierungsbasis? Nein. Er bringt weiterhin nur Beiträge auf Arbeitseinkommen. Das ist keine nachhaltige Finanzierung.
({4})
Bringt der Fonds mehr Steuermittel? Nein. Die Reform verspricht im Vergleich zum Istzustand weniger
Steuermittel. Dafür sieht der Fonds einen staatlich verordneten Einheitsbeitrag vor, der schon im nächsten Jahr
1,5 Prozent höher liegen wird als der derzeitige.
({5})
Ist das, werter Herr Kollege, die versprochene Senkung
der Lohnnebenkosten? Was nach der Reform übrig
bleibt, sind Beitragssatzerhöhungen. Dieser Fonds ist
Ihre Kapitulation vor Ihren selbst gesetzten Politikzielen.
({6})
Meine Damen und Herren, es ist viel von Wettbewerb die Rede. Ihr Gesetzentwurf, den Sie dem Parlament noch nicht vorgelegt haben, trägt die Überschrift
„Wettbewerbsstärkungsgesetz“. In der Tat wäre es notwendig, den Wettbewerb zu stärken.
({7})
Aber welche Folgen hätte er tatsächlich, Herr Kollege
Barthle? Gegenwärtig ist es doch so, dass die gesetzlichen Krankenkassen unterschiedliche Beitragssätze haben.
({8})
Sie variieren in einer Größenordnung von etwa
2,5 Prozentpunkten.
({9})
Das heißt, es gibt einen Wettbewerb um niedrige Beitragssätze.
({10})
In Zukunft würde es einen staatlich festgesetzten Einheitsbeitrag geben, aber keinen Wettbewerb.
Vor allem die rechte Seite dieses Hauses sagt immer:
Den Wettbewerb wird es dann durch die Kopfpauschale
geben.
({11})
Was aber dabei herauskommt, wenn man eine Kopfpauschale mit einem Überforderungsschutz in Höhe von
1 Prozent des Haushaltseinkommens erhebt, das haben
Ihnen die Kassen doch vorgerechnet.
({12})
Die AOK hat Ihnen dargelegt - Herr Kollege, ich habe
noch nicht gehört, dass Sie das widerlegen können -,
dass die AOK Mecklenburg-Vorpommern, nur um eine
Kopfpauschale von rechnerisch 10 Euro erheben zu können,
({13})
ihren Beitrag tatsächlich bei 41,66 Euro festsetzen
müsste, um dem Überforderungsschutz Rechnung zu tragen. Doch selbst dann könnte sie nicht 100 Prozent des
rechnerischen Einkommens realisieren.
({14})
Daran können Sie erkennen, dass das nicht funktioniert.
({15})
Sie, Herr Kollege Zöller, haben in erfrischender und
dankenswerter Offenheit gesagt, dass diese Form der
Kopfpauschale nicht praktikabel ist. Hier kann ich Ihnen
nur zustimmen.
({16})
Vor allem ist sie kein Beitrag zu mehr Wettbewerb. Denn
wozu würde sie führen? Menschen mit geringem Einkommen müssten zunächst einmal den staatlich verordneten Einheitsbeitrag zahlen, der für alle gleich hoch ist.
({17})
Dann müssten Menschen mit geringem Einkommen die
Kopfpauschale zahlen - so es sie denn gäbe -, und zwar
bis zur Grenze ihrer persönlichen Überforderung, also
bis zu 1 Prozent ihres Haushaltseinkommens, also 7, 8
oder 10 Euro. Mehr würden sie bei keiner Kasse zahlen.
({18})
Warum sollten Menschen mit geringem Einkommen
dann eigentlich die Krankenkasse wechseln? Wo ist
denn hier der Wettbewerb?
({19})
Wie sieht es für die gut verdienenden GKV-Mitglieder aus? Sie müssten, um dem Überforderungsschutz
Rechnung zu tragen, eine sehr hohe Kopfpauschale zahlen; ich erinnere an die von mir erwähnten 41,66 Euro.
Ihnen würde man das Signal geben: nichts wie weg aus
der gesetzlichen Krankenversicherung, rein in die PKV!
({20})
Denn billiger als Einheitsbeitrag plus Kopfpauschale ist
die PKV allemal.
Sie wollen, dass die PKV als Vollkostenversicherung
bestehen bleibt. Dazu kann ich nur sagen: Wettbewerb
war gestern.
({21})
In Zukunft wird es, jedenfalls nach den Plänen der
Koalition, weniger Wettbewerb denn je geben.
Der Wettbewerb um Beiträge wäre auf Eis gelegt.
Durch die Erhebung einer Kopfpauschale würde die
Position der gesetzlichen Krankenkassen im Wettbewerb
mit der PKV verschlechtert. Das würde bedeuten: Eine
Kopfpauschale - so es sie denn gäbe - mit Überforderungsschutz wird es nicht geben.
({22})
Eine Kopfpauschale - so es sie denn gäbe - ohne Überforderungsschutz wäre eine soziale Drohung und als solche abzulehnen.
({23})
Im Übrigen: Wollten die Kassen Ihre berühmte Kopfpauschale tatsächlich erheben, müssten sie, um überhaupt planen zu können, zunächst einmal die Haushaltseinkommen ihrer Versicherten erheben.
({24})
Dazu würden sie eine Datei benötigen, die alle Haushaltseinkommen enthält; diese sind den Kassen bisher
allerdings nicht bekannt.
({25})
Eine Datei, die die Haushaltseinkommen aller gesetzlich Versicherten ausweist, Frau Kollegin WidmannMauz, haben nicht einmal die Finanzämter.
({26})
Hier kann ich nur sagen: Datenschutz und Bürgerrechte
lassen grüßen. Entspricht das etwa Ihrem Motto „Mehr
Freiheit wagen“?
({27})
Diese Reform würde nicht zu mehr Freiheit und mehr
Wettbewerb führen. Sie hätte einheitsfinanzierte Kassen
in einem Einheitsverband zur Folge. Hier regiert die
Staatsgläubigkeit. Dass das kein zukunftstaugliches Modell sein kann, sollte die Bundeskanzlerin eigentlich aus
ihrer eigenen Biographie wissen.
({28})
Sie scheint aber nichts daraus gelernt zu haben.
Übrigens muss man politisch keine Verehrerin der
Selbstverwaltung der Kassen sein, um diese Reform abzulehnen. Wir Grünen wissen, dass diese Art von Selbstverwaltung nicht der Weisheit letzter Schluss ist. Die berufsständische Struktur der Krankenkassenverbände ist
heutzutage überholt. Nur, die Alternative ist nicht ein
staatlich gesteuertes Gesundheitswesen mit Direktzugriff des Bundesgesundheitsministeriums.
({29})
Was wir brauchen, ist Wettbewerb. Auch Wettbewerb
um Beiträge - den schaffen Sie gerade ab -, Wettbewerb
aber vor allem als Suchprozess, nach mehr Qualität,
nach mehr Wirtschaftlichkeit, die den Patienten zugute
kommt, zu suchen. Dafür sehe ich in Ihrem Konzept
keine Ansätze.
({30})
Selbst die Möglichkeit, dass Kassen Direktverträge abschließen - die es ja gibt und die Sie angeblich auch
wollen -, machen Sie de facto platt. Wie wird es denn
sein? Da hocken die Kassen in Zukunft zwangsweise in
ihrem Dachverband, einem Monopolisten, zusammen
und müssen sich mit ihren Konkurrenten absprechen, bevor sie einen Direktvertrag mit den Ärzten abschließen.
({31})
Was glauben Sie, was dabei herauskommt? Die Blockade als Dauerzustand. Ich sage es noch einmal: Dadurch entsteht nicht mehr Wettbewerb, sondern dadurch
habe ich gar keinen Wettbewerb mehr.
({32})
Wir brauchen auch mehr Wettbewerb auf der Anbieterseite, da mögen Sie schreien, so viel Sie wollen; Sie
fühlen sich offensichtlich getroffen.
({33})
Dieser Wettbewerb findet nicht statt: Weiterhin müssen
alle rezeptpflichtigen Arzneimittel von den Kassen erstattet werden. Auf dem Apothekenmarkt auch nichts
Neues. Gewiss, Sie wollen die Arzneimittelpreisverordnung liberalisieren. Das ist schön. Aber das wird nur
wirken, wenn gleichzeitig die zunftartige Struktur des
Apothekenmarkts aufgebrochen wird. Es gibt zwar vereinzelt die Erkenntnis in dieser Republik, dass wir mehr
Wettbewerb bei der Arzneimitteldistribution brauchen,
allein, in die Politik der Koalition hat diese Erkenntnis
noch keinen Eingang gefunden.
({34})
Deswegen halten wir die so genannte Reform für nutzlos
und untauglich.
({35})
Kommen Sie mir ja nicht mit dem Platzhalterargument, das immer gestreut wird, nach dem Motto „So machen wir’s jetzt, doch nach der nächsten Wahl macht die
CDU daraus ihre Kopfpauschale in Reinform
({36})
bzw. die SPD macht daraus die Bürgerversicherung.“
({37})
Was ist das für ein Konzept? Erst jagen Sie eine Reformattrappe mit Bürokratieaufschlag durch die Republik,
dann wollen Sie drei Jahre damit verbringen, der Morgenröte der Originalumsetzung Ihrer Parteitagsbeschlüsse entgegenzuträumen, oder wie?
({38})
Das ist doch kein politisches Konzept! Ich kann nur sagen: Ministergehälter sind kein Überbrückungsgeld für
die Zeit bis zum nächsten Wahltag, sondern diese Gehälter werden für geleistete Arbeit gezahlt. Deswegen müssen Sie die politische Arbeit, gezielt einen Kompromiss
in Ihrer großen Koalition zu finden, auch leisten. Darauf
warten wir noch.
({39})
Zum Abschluss. Man kann in gewisser Weise froh
sein: Reform verschoben; Fonds sowieso verschoben;
selbst wenn feststehen sollte, dass er zum 1. Januar 2009
kommt, wird er nicht kommen; denn wer glaubt schon,
dass Sie ausgerechnet im Wahljahr die Chuzpe haben, so
etwas einzuführen? Trotzdem hätte dieses Vorgehen einen hohen Preis: Denn wenn feststeht, dass dieser Fonds
Gesetz wird, dann werden Vorbereitungen getroffen,
dann werden Umstellungen vorgenommen, denen gegenüber sich der Aufwand für die Umstellung auf
Hartz IV bescheiden ausnimmt. Der Unterschied ist nur:
Für die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe gab es gute Gründe. Für die Einführung eines Gesundheitsfonds gibt es überhaupt keinen guten Grund außer der Gesichtswahrung der großen Koalition.
({40})
Für diesen Unsinn Gelder zu binden, Energien zu binden, heißt, Gelder zu verschwenden, die man dringend
bräuchte für eine Verbesserung des Gesundheitswesens
und der Prävention. Deswegen sage ich Ihnen im Namen
der Grünen: Gehen Sie zurück auf Los! Ziehen Sie kein
Geld ein! Fangen Sie noch einmal an, zusammen über
Wege zu mehr Solidarität und mehr Wettbewerb nachzudenken! Wir hätten Ihnen ein Konzept dafür vorzuschlagen; aber wir wissen, dass Sie Kompromisse suchen
müssen. Die Bremer Stadtmusikanten haben gesagt: „…
etwas Besseres als den Tod findest du überall“. - Ich
sage der Koalition: Was Besseres als diese Reform finden Sie allemal. Also tun Sie es auch!
({41})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Carola Reimann von
der SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Veränderungen im Gesundheitsbereich werden ja von einem besonders großen
öffentlichen Interesse und oft auch von einem besonders
großen Getöse begleitet.
({0})
Leider wird dabei oft auch der Eindruck vermittelt,
mit einer wirklich großen, umfassenden und mutigen
Reform könne man alle Probleme unseres Gesundheitssystems mit einem Schlag für alle Zeit loswerden. Diese
häufig verbreitete Erwartung muss enttäuscht werden;
({1})
denn unser Gesundheitssystem unterliegt einem ständigen Entwicklungsprozess, den wir auch wollen und der
durch unterschiedliche und zum Teil auch schwer kalkulierbare Faktoren wie dem medizinisch-technischen
Fortschritt beeinflusst wird. Angesichts dieses kontinuierlichen Prozesses müssen wir deshalb auch die gesetzlichen Rahmenbedingungen kontinuierlich weiterentwickeln.
Aus diesem Grund muss die aktuell diskutierte Gesundheitsreform auch im Zusammenhang mit der letzten
Reform in 2004, mit dem Gesetz zur Modernisierung der
gesetzlichen Krankenversicherung - kurz: GMG -, betrachtet werden. Kollegin Bender, hier haben wir erste
Schritte hin zu mehr Wettbewerb, mehr Qualität und
mehr Wirtschaftlichkeit unternommen. Durch die vorgelegten Eckpunkte zur Gesundheitsreform werden diese
im GMG festgelegten Instrumente für mehr Qualität und
mehr Wettbewerb aufgegriffen, verstärkt und ergänzt.
({2})
Im Bereich der Strukturreformen sind wir mit großen Schritten vorangekommen. Ich will ein paar Beispiele dafür nennen: In der integrierten Versorgung wird
in Zukunft auch die Pflege enthalten sein. Wir werden
die Chroniker-Programme weiterentwickeln. Der Kollege Zöller hat etwas dazu gesagt. Wir werden die Krankenhäuser weiter öffnen. Es wird endlich eine KostenNutzen-Bewertung für Arzneimittel und auch ein neues
Honorarsystem für niedergelassene Ärzte geben.
({3})
Besonders hervorheben möchte ich die erweiterten Möglichkeiten für die Kassen, Verträge abzuschließen. Darunter fallen zum Beispiel Rabattverhandlungen, aber
auch die Ausschreibung von Arzneimittelwirkstoffen
und Hilfsmitteln. Kollegin Bender, das stärkt den Wettbewerb unter den Anbietern.
({4})
Bei allen Reformen im Gesundheitsbereich wird befürchtet, dass es zu Ausgrenzungen aus dem Leistungskatalog kommt. Bei dieser Reform ist das Gegenteil der
Fall. Wir haben insbesondere für sehr alte und sehr
kranke Menschen wichtige Bereiche aufgenommen. Ich
nenne in diesem Zusammenhang die Palliativmedizin
und die geriatrische Reha, die jetzt Pflichtleistungen im
Leistungskatalog sind.
Kolleginnen und Kollegen, die Strukturreformen, die
in der öffentlichen Diskussion leider allzu häufig vernachlässigt werden und auch finanzrelevant sind, sind
wichtige Bestandteile der Gesundheitsreform. Im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit steht aber vor allem der Gesundheitsfonds. Es ist ein offenes Geheimnis, dass wir Sozialdemokraten in einigen Punkten, wie
zum Beispiel bei der Steuerfinanzierung und auch bei
der Einbeziehung der privaten Krankenversicherung,
wesentlich weitergehende Vorstellungen haben.
({5})
Viel ist auch über den Startzeitpunkt des Fonds berichtet und diskutiert worden. Für mich sind aber die Voraussetzungen für einen funktionierenden Fonds entscheidender. Um das Ziel des Fonds, für mehr
Wirtschaftlichkeit und Wettbewerb im Gesundheitswesen zu sorgen, erreichen zu können, brauchen wir als unverzichtbare Voraussetzung einen zielgenauen morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich.
({6})
Ich will das kurz erläutern: Im Fondsmodell ist vorgesehen, dass die Kassen einen Betrag pro Versicherten aus
dem Fonds erhalten. Dieser Betrag ist in seiner Höhe unabhängig vom eingezahlten Versichertenbeitrag. Der
entscheidende Punkt ist, dass zu diesem Betrag ein Zuschlag hinzukommt, durch den das Krankheits- und
Morbiditätsrisiko des Versicherten abgebildet wird.
({7})
Das ist eine Art Morbi-Zuschlag. Der Gesamtbetrag, den
die Krankenkasse aus dem Fonds erhält, muss für einen
chronisch Kranken somit höher sein als für einen jungen
gesunden Versicherten. Das steht durchaus in den Eckpunkten.
({8})
Damit dieser Morbiditätszuschlag exakt ermittelt
werden kann, brauchen wir mit dem Start des Gesundheitsfonds einen zielgenauen, morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich.
({9})
Wir alle wissen, dass die Krankheitsrisiken der Versicherten in den verschiedenen Kassen - Stichwort Wettbewerb - sehr ungleich verteilt sind. Die eine Krankenkasse weist eine große Zahl von alten und kranken
Menschen und damit teure Versicherte auf, während eine
andere Kasse vor allem jüngere und gesunde Mitglieder
hat. Dieses Problem haben wir insbesondere mit Blick
auf die Wechsel zwischen den gesetzlichen Krankenversicherungen immer wieder thematisiert.
Zu einem fairen Wettbewerb zwischen den Kassen
um die bessere Versorgung und nicht um die besten Risiken, also die gesündesten und solventesten Versicherten,
kommen wir nur, wenn die Risiken durch Morbiditätszuschläge pro Versicherten ausgeglichen werden.
({10})
Fehlt dieser Ausgleich, bleibt es bei dem schädlichen
Wettbewerb um junge und gesunde Versicherte. Diesen
Wettbewerb wollen wir nicht.
Was wir brauchen, ist ein Wettbewerb um den besten
Service, die beste Qualität der Versorgung und die beste
Betreuung für die Versicherten.
({11})
Unser Ziel ist es, dass jeder Versicherte für eine Kasse
gleich wichtig ist, egal ob jung oder alt, wohlhabend
oder nicht, gesund oder krank. Nur so entsteht ein gesunder Wettbewerb um die beste und kostengünstigste Versorgung im Land und nur dann erhalten wir eine klare
Information über die wirkliche Leistungsfähigkeit einer
Krankenkasse.
Darüber hinaus ist der zielgenaue, morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich auch für die Reform der
ärztlichen Vergütung von Bedeutung; denn wenn man
mit der neuen Art der Vergütung der Ärzte das Morbiditätsrisiko von den Ärzten weg auf die Krankenkassen
verlagert, braucht man einen angemessenen Ausgleich
zwischen den Kassen.
({12})
Es wird also deutlich: Große Teile der Gesundheitsreform entfalten nur dann ihre gewünschte Wirkung, wenn
wir gleichzeitig einen solchen zielgenauen, morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich einführen.
Um den jetzigen Risikostrukturausgleich in diese
Richtung weiterentwickeln zu können - das will ich an
dieser Stelle sagen -, brauchen wir eine aktuelle Datenerhebung, die zum Beispiel Entlassdiagnosen in Krankenhäusern, Wirkstoffverordnungen und Diagnosen im
ambulanten Bereich erfasst. Die entsprechende Verordnung zur Datenerhebung existiert seit geraumer Zeit. Sie
muss noch in diesem Jahr vom Bundesrat auf den Weg
gebracht werden.
Die Verschiebung der Einführung der Gesundheitsreform war hier schon Thema. Ich appelliere aber an alle
Beteiligten, den Startschuss für den Risikostrukturausgleich nicht weiter zu verschieben.
({13})
Auch wenn die Bundeskanzlerin gestern Abend im Koalitionsausschuss vorgeschlagen hat,
({14})
das In-Kraft-Treten der Gesundheitsreform auf das Frühjahr des nächsten Jahres zu verschieben, um eine ausführliche Beratung zu ermöglichen - das begrüßen wir
alle -,
({15})
entlässt das alle Beteiligten nicht aus der Verantwortung,
die Vorbereitungsarbeiten, zum Beispiel die Datenerhebung, die man notwendigerweise braucht, um weiterarbeiten zu können, zeitnah auf den Weg zu bringen.
Schließlich ist die Einführung - damit komme ich zum
Schluss - eines solchen zielgenauen, morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs für einen funktionierenden Fonds unverzichtbar.
Danke.
({16})
Das Wort hat jetzt der Kollege Daniel Bahr von der
FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Ministerin Schmidt, ich war gestern
Abend auf einer Veranstaltung des AOK-Bundesverbandes, auf der Sie eine Rede gehalten haben. Es war etwa
gegen 20 Uhr, als Sie das Wort ergriffen haben. Sie haben erklärt, dass die Einigung hinsichtlich der Gesundheitsreform kurz bevorsteht, und haben deutlich gemacht, warum es so nötig sei, dass diese Reform zum
1. Januar 2007 in Kraft tritt. Eben habe ich von Ihnen gehört, warum es so nötig und sinnvoll sei, dass man sich
etwas mehr Zeit nimmt, sodass die Gesundheitsreform
erst zum 1. April 2007, also drei Monate später, in Kraft
tritt. Frau Ministerin Schmidt, ich kann mir diesen Sinneswandel nicht erklären, aber Sie müssen eine wunderbare Nacht erlebt haben.
({0})
Die Kanzlerin hat endlich die Notbremse in einem
Zug gezogen, der in voller Fahrt Richtung Einheitskasse
und Staatsmedizin steuerte. Das, meine Damen und Herren von der Union, ist das bisher Beste, was die Union in
diesen Verhandlungen zur Gesundheitsreform erreicht
hat. Die Kanzlerin hat das Vorpreschen der Ministerin
zunächst gestoppt. Aber ein Verschieben allein macht
die Gesundheitsreform nicht besser.
Frau Schmidt, da rächt sich im Übrigen auch, dass Sie
der Öffentlichkeit Arbeitsentwürfe aus dem Ministerium
vorgestellt haben und damit Fakten schaffen wollten, die
weit über die Eckpunkte hinausgegangen sind. So haben
Sie provoziert, dass die Kanzlerin Sie hier ausgebremst
hat. Aber die Union stellt auch fest, dass sie zwar eine
CDU-Kanzlerin hat, aber eine SPD-geführte Bundesregierung erlebt.
({1})
Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie sollten diese Pläne einstampfen und noch einmal neu verhandeln. Diese Gesundheitsreform kann nur besser werden.
({2})
Ich kann mich noch an die Verhandlungen erinnern.
Drei Monate lang hat die Arbeitsgruppe unter der Führung von Herrn Zöller und Frau Schmidt verhandelt. Dabei ist ein mehrere hundert Seiten umfassendes Papier
herausgekommen, das - weil man sich nicht in allen
Punkten einigen konnte - an die Spitzengruppe um die
Kanzlerin weitergegeben wurde. In dem Papier, das ich
bekam, stand auf Seite 1: Politisch noch klärungsbedürftige Punkte sind kursiv und fett geschrieben.
Als ich Seite 2 des Papiers, des Ergebnisses dieser
Arbeitsgruppe nach drei Monaten Verhandlungen, aufgeschlagen habe, habe ich gleich den ersten Punkt gefunden, in dem sich die Arbeitsgruppe nicht einigen
konnte. Da stand - fett und kursiv geschrieben -:
Am Ende der Verhandlungen noch einzufügen:
Hinweise auf Grundsätze und Ziele dieser neuen
Reform.
Wenn Sie nach dreimonatigen Verhandlungen die Ergebnisse in der Fachgruppe vorlegen, aber noch nicht
einmal wissen, welche Ziele Sie erreichen wollen, dann
kann das Verhandlungsergebnis in keiner Weise Ihren
Ansprüchen gerecht werden.
({3})
Mir fällt dabei nur ein Spruch von Mark Twain ein:
„Kaum verloren wir das Ziel aus den Augen, verdoppelten wir unsere Anstrengungen.“
Die Gründe für die Gesundheitsreform waren doch
klar: steigende Beitragssätze für die Krankenversicherung, die in diesem Jahr zu verzeichnen waren, und eine
Altersentwicklung in Deutschland, die dazu führt, dass
die Kosten im Gesundheitswesen in den nächsten Jahren
tendenziell steigen.
Das Problem waren also die steigenden Krankenkassenbeiträge. Was erleben denn die Versicherten im
nächsten Jahr als erste Auswirkung des Kompromisses
dieser Koalition? Steigende Krankenkassenbeiträge! Die
Lohnzusatzkosten werden nämlich nicht gesenkt; sie
steigen vielmehr massiv. Die Krankenkassenbeiträge
werden auf über 15 Prozent steigen.
In Ihrem eigenen Koalitionsvertrag vom November
letzten Jahres - er ist noch gar nicht so alt - steht als Ziel
der Koalition unter Punkt 2.1 die Senkung von Lohnzusatzkosten. In diesem Punkt wird angekündigt, „die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung mindestens
stabil zu halten und möglichst zu senken“.
Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie haben sich von Ihrem eigenen Ziel der Senkung oder der
Stabilisierung der Lohnzusatzkosten längst verabschiedet. Die Lohnzusatzkosten werden weiter den Arbeitsmarkt belasten.
({4})
Den Druck auf den Beitragssatz haben Sie im Übrigen selbst zu verantworten. Die Mehrwertsteuererhöhung um 3 Prozentpunkte wird die gesetzliche KrankenDaniel Bahr ({5})
versicherung um etwa 800 Millionen Euro belasten. Die
Senkung des Bundeszuschusses aus der Tabaksteuererhöhung, der in diesem Jahr noch über 4 Milliarden Euro
beträgt und im nächsten Jahr auf 1,5 Milliarden Euro
sinkt, wird den Druck zu einer Beitragssatzerhöhung
verstärken.
Wenn Sie jetzt angeben, dass Sie etwas gegen die Beitragssatzerhöhung tun mussten, dann ist festzustellen,
dass Sie von der Koalition für die Beitragssatzerhöhung
im nächsten Jahr selbst verantwortlich sind.
Des Weiteren war von einem Gesetz die Rede, das
sich zunächst einmal positiv anhört: das Wettbewerbsstärkungsgesetz. Frau Schmidt und Herr Zöller haben
behauptet, dass mit diesem Gesetz mehr Wettbewerb
erreicht werden soll. Ist es denn mehr Wettbewerb, wenn
künftig nicht mehr einzelne Krankenkassen die Höhe ihres Beitragssatzes im Wettbewerb zueinander festlegen?
Ist es mehr Wettbewerb, wenn der Zusammenhang zwischen Beitrag und Leistung verloren geht? Ist es mehr
Wettbewerb, wenn ein bundeseinheitlicher Beitragssatz
von der Politik festgesetzt wird? Ist es mehr Wettbewerb,
wenn künftig die Produktvielfalt in der privaten Krankenversicherung über einen Zwang zum Basistarif komplett abgeschafft wird?
({6})
Ist es mehr Wettbewerb, wenn die Kürzungen für Apotheker schon vor den Verhandlungen mit den Kassen
feststehen? Ist es mehr Wettbewerb, wenn künftig ein
Bundeskrankenkassenverband bundeseinheitliche Vorgaben macht? Ist es mehr Wettbewerb, wenn künftig die
Kassen alle freiwilligen Leistungen streichen werden,
um keinen Zusatzbeitrag verlangen zu müssen?
Das ist allenfalls ein Wettbewerb, der darauf abzielt,
keinen Zusatzbeitrag zu verlangen. Es ist allenfalls ein
Wettbewerb, was die Kostenfrage angeht. Wir werden
feststellen, dass es keinen Wettbewerb um die richtige
Versorgung und die richtige Leistung gibt; es wird allenfalls zu einem Wettbewerb kommen, bei dem die Krankenkassen an allen Ecken und Enden sparen. Sie werden
damit aber keinen Anreiz für den dringend nötigen Wettbewerb um innovative Versorgungsformen schaffen.
({7})
Die vorliegenden Pläne bedeuten nicht nur die Abschaffung der heutigen gesetzlichen Krankenversicherung, sondern auch der heutigen privaten Krankenversicherung als Vollversicherung. Gesetzliche und private
Krankenversicherung werden vereinheitlicht. Dieses Gesetz stärkt nicht den Wettbewerb. Es ebnet den Weg in
ein staatliches und zentralistisches Gesundheitswesen.
Was den Gesundheitsfonds angeht, hat Frau Schmidt
ausgeführt, dass keine neue Behörde geschaffen wird.
Tatsächlich werden 20 neue Behörden geschaffen, weil
regionale Einzugsstellen eingeführt werden sollen. Es
muss eine neue Verwaltungsstruktur geschaffen werden,
um 70 Millionen Versichertenkonten anzulegen. Der Zusammenhang zwischen Beitrag und Leistung geht verloren, weil ein bundeseinheitlicher Beitrag anonym an
diese Behörden gezahlt wird. Die Bundesregierung wird
den Beitragssatz festlegen. Wie wollen Sie das als Gesundheitsministerin denn machen? Da sage ich Ihnen
voraus: Wenn Sie sich im Oktober die Zahlen anschauen
und zu dem Schluss kommen, dass die Krankenkassenbeiträge und damit die Lohnzusatzkosten im nächsten
Jahr steigen müssen, dann wird es doch politischen
Druck geben, weil man diese Belastung für den Arbeitsmarkt nicht will. Was tut man? Da die Bundesregierung
in Zukunft die Höhe des Beitragssatzes in der gesetzlichen Krankenversicherung festlegt, wird es jährlich ein
Kostendämpfungsgesetz geben, um zu verhindern, dass
im nächsten Jahr der Beitragssatz steigt. Ob das unser
Gesundheitswesen tatsächlich weiterbringt, bezweifle
ich sehr; denn das ist Gesundheitspolitik nach Zuteilung
und Kassenlage.
({8})
Ähnlich verhält es sich bei Ihren Vorschlägen zur
Entschuldung. Gut wirtschaftende Krankenkassen, die
sich nicht verschuldet haben - vielleicht weil die Aufsichtsbehörden in den Bundesländern darauf geachtet
haben -, sollen nun bestraft werden, weil sie ihre Rücklagen bzw. Überschüsse, die sie aufgebaut haben, den
Krankenkassen, die nicht vernünftig gewirtschaftet haben, zur Verfügung stellen müssen. Das bereitet den Weg
in die Einheitskasse, und zwar schon bevor der Gesundheitsfonds besteht.
Meine Damen und Herren von der Union, Sie behaupten, der Gesundheitsfonds sei unbedingt notwendig, um
mehr Wettbewerb zwischen den Krankenkassen zu erreichen. Aber die Zusatzprämie, die Sie einführen wollen,
ist schon längst tot - auch im Eckpunktepapier -, und
zwar dadurch, dass sie maximal nur 1 Prozent des Haushaltseinkommens betragen darf. Ich sage Ihnen voraus:
Keine einzige Krankenkasse in Deutschland wird eine
Zusatzprämie verlangen; denn es bedeutet zu viel Aufwand und verursacht zu viele Kosten, eine solche Zusatzprämie einzufordern.
({9})
- Dann denken Sie nochmal darüber nach, Frau Widmann-Mauz. - Wir brauchen den von Ihnen geplanten
Gesundheitsfonds gar nicht; denn mit ihm lässt sich kein
einziges Problem lösen. Im Gegenteil: Der Gesundheitsfonds wird dem Gesundheitswesen nur neue Probleme
bereiten. Deshalb sollten Sie schleunigst Abstand von
Ihren Plänen nehmen.
({10})
Der letzte Punkt. Frau Schmidt hat eben gesagt, sie
mache die Reform für die Enkelkinder, für ein nachhaltiges System. Ich kann nur feststellen, dass die geplante
Reform weder einen Beitrag zur Verbesserung der Situation auf dem Arbeitsmarkt leistet noch für eine Entkopplung der Finanzierung des Gesundheitswesens von den
Arbeitskosten sorgt. Auch Vorsorge in Form von
Daniel Bahr ({11})
Rückstellungen für die steigenden Kosten durch eine alternde Bevölkerung wird nicht betrieben. Im Gegenteil:
Sie greifen das System an, das Rückstellungen für die
steigenden Kosten im Alter gebildet hat, nämlich die private Krankenversicherung. Stampfen Sie Ihre Pläne
schleunigst wieder ein! Verhandeln Sie lieber neu! Es
kann nur besser werden.
Vielen Dank.
({12})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Annette WidmannMauz, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Die große Koalition geht mit der Gesundheitsreform
eine der größten und wichtigsten Reformen in dieser Legislaturperiode an. Sie ist gleichzeitig eines der größten
Reformvorhaben in der gesetzlichen und der privaten
Krankenversicherung. Das ist kein kleiner Schritt. Das
zeigt die aufgeregte Debatte heute hier im Haus, genauso
wie manche Aufgeregtheit draußen und die Besorgnisse
der Menschen in den vergangenen Wochen. Deshalb gilt
für uns: Sorgfalt und Gründlichkeit gehen vor Schnelligkeit. Auch wenn Sie noch so sehr daran herummäkeln,
Herr Bahr: Wir sind die Herren des Verfahrens und werden diesen Weg bis zum Gesetzentwurf und zur Verwirklichung der Reform konsequent gehen.
Manche Besorgnis über steigende Beiträge im nächsten Jahr hat gar nichts mit der aktuellen Reform oder
dem Haushalt zu tun. Vielmehr rührt sie her aus den
Sünden der Vergangenheit. Ich erinnere nur an das Beitragssatzsicherungsgesetz. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, damals hatten Sie die Verantwortung. Sie haben mit diesem Gesetz den gesetzlichen
Krankenkassen verboten, den Beitrag zu erheben, den
sie zur Deckung ihrer Ausgaben benötigten, und haben
sie damit in die Verschuldung getrieben. Heute tun Sie
so, als ob Sie damit nichts zu tun hätten. Aber das ist
nicht richtig.
({0})
Wir haben immer gesagt: Die Schulden von heute
sind die Beitragssatzerhöhungen von morgen. Mit der
Gesundheitsreform im Jahr 2003 haben wir den Krankenkassen einen klaren Weg der Entschuldung vorgegeben.
({1})
Die Krankenkassen wissen seit 2003, dass Ende nächsten Jahres der Hammer fällt. Wenn sie nun meinen, ihre
Schulden abbauen zu müssen, dann resultieren die Beitragssatzerhöhungen aus der Vergangenheit. Diese Erhöhungen haben aber mit der aktuellen Reform gar nichts
zu tun.
({2})
Bei der letzten Reform haben die Versicherten sowie
die Patientinnen und Patienten die Hauptlast getragen.
Dieses Mal werden die Patienten nicht die Leidtragenden sein. Im Gegenteil: Für die Patienten wird sich die
medizinische Versorgung in vielerlei Hinsicht verbessern. Wir haben schon viel darüber gehört, was diese
Koalition bereits in diesem Jahr im Arzneimittelbereich
auf den Weg gebracht hat. Im ersten Quartal lagen die
Steigerungsraten noch bei 10,5 Prozent. Im ersten Halbjahr sind sie auf 5,1 Prozent zurückgegangen. Wenn wir
uns die Juliausgaben anschauen, stellen wir fest: Der
Umsatz ist um 3,5 Prozent zurückgegangen. Das sind
erste Erfolge. Diese Erfolge werden wir fortsetzen. Wir
werden eine Kosten-Nutzen-Bewertung einführen; denn
sie ist ein Schutz vor überhöhten Preisen, die in keinem
Verhältnis zum Nutzen für den Patienten stehen.
({3})
Rabattverträge werden wir einführen und damit den
Wettbewerb stärken. Vom Hersteller bis zum Apotheker
wird es Vertragsfreiheit geben, die auch zum Nutzen der
Kundinnen und Kunden in der Apotheke sein wird.
Die Palliativversorgung ist ein wichtiges Thema,
weil sie eine humane Antwort auf die Forderung nach
Sterbehilfe ist. Patientinnen und Patienten haben jetzt einen konkreten Anspruch auf Leistungen wie Schmerztherapie sowie pflegerische und ärztliche Versorgung,
um die letzten Tage ihres Lebens menschenwürdig in der
vertrauten Umgebung mit ihren Angehörigen verbringen
zu können. Das ist konkrete Hilfe beim Sterben.
({4})
Das Thema Mutter-/Vater-Kind-Kur ist angesprochen worden. Was haben wir erlebt? Die Eltern sind auf
den Instanzenweg geschickt worden. So kann man natürlich Kostenreduktion durch Zermürbungstaktik betreiben. Jetzt ist diese Kur eine Pflichtleistung, eine klare
Verbesserung für die Mütter und Väter.
({5})
Denken wir an die Schnittstelle zwischen Krankenund Pflegeversicherung. Wer kennt den Sturz oder den
Schlaganfall im Alter nicht? Wie oft wurde die Rehabilitation mit dem Hinweis, das sei nicht mehr nötig, der Patient komme ohnehin in die Pflege, verweigert? So wurden die Kosten auf die Pflegeversicherung gewälzt.
Auch hier ist in der Vergangenheit viel zu wenig geschehen, um die Selbstständigkeit der Menschen zu erhalten.
Die Rehabilitation wird jetzt zur Pflichtleistung. Ich
könnte noch viele weitere Beispiele nennen.
Unser Ziel ist die Sicherstellung einer guten medizinischen Versorgung in ganz Deutschland. Wir gehen
nämlich dem Problem der Unterversorgung im ambulanten Sektor nach. Warum stehen immer weniger Ärzte in
Mecklenburg-Vorpommern zur Versorgung zur Verfügung? Bei Vergütungsunterschieden von bis zu 100 Prozent innerhalb Deutschlands ist das doch überhaupt kein
Wunder. Warum werden die Wartelisten bei den Ärzten
immer länger? Sie werden es, weil eine leistungsgerechte und verlässliche Honorierung in Euro und Cent
ein entscheidender Faktor ist. Sie entscheidet nämlich
nicht nur über das Ein- und Auskommen des Arztes,
sondern auch über das Hierbleiben oder Auswandern der
deutschen Ärzte.
({6})
Wir gehen die Probleme an. Wir tun das nicht, damit in
erster Linie die Ärzte mehr verdienen können, sondern
damit die Patientinnen und Patienten in unserem Land
überall gut versorgt sind und ärztliche Angebote finden.
({7})
Wenden wir uns dem Thema Transparenz zu. Mit
der Umstellung der Finanzierung auf den Gesundheitsfonds können Versicherte in Zukunft die Leistungsfähigkeit und die Angebote ihrer Krankenkasse besser beurteilen. Sie können nämlich wirklich vergleichen. Kommt
meine Krankenkasse mit den durchschnittlichen Krankenkosten aus oder braucht sie einen Zusatzbeitrag?
Kann sie sogar etwas an die Versicherten zurückzahlen?
Ist der Preis für die gebotene Leistung angemessen? Bietet mir eine andere Krankenkasse ein interessanteres Angebot für den Beitrag? Mehr Transparenz bewirkt mehr
Wettbewerb. Dort, wo Wettbewerb herrscht, gibt es Angebote und Auswahl und damit ein Mehr an Wahlmöglichkeiten für die Versicherten in unserem Land.
Selbstbehalttarife, die wir aus den unterschiedlichsten
Lebensbereichen, auch aus der privaten Versicherungswirtschaft, kennen, Kostenerstattungstarife, Hausarzttarife und integrierte Versorgungsverträge sind weitere
Stichworte. Es wird also mehr Wahlmöglichkeiten geben, und zwar nicht nur in der gesetzlichen Versicherung, sondern auch in der privaten. Auch hier beenden
wir die lebenslange Bindung an das Unternehmen. Manche sprechen sogar von einer Gefangenschaft. Wir eröffnen auch hier Wechselmöglichkeiten durch die Mitnahme der Altersrückstellung.
({8})
Wer schreit draußen eigentlich am lautesten? Die
Besitzstandswahrer melden sich laufend zu Wort.
({9})
Sie stehen vor unseren Abgeordnetentüren und wir hören
sie auf den Plätzen der Republik. Ich sage Ihnen ganz
klar: Wer unter der Decke im Dunkeln gut zu munkeln
hatte, der scheut natürlich Licht, Bewegung und Frischluft, er scheut Transparenz und Wettbewerb, ob es in der
Selbstverwaltung ist oder untereinander. Ich kann das
subjektiv durchaus verstehen. Diese Reflexe erinnern
mich an den Werbesong „Ich will so bleiben, wie ich
bin.“ Sie alle haben jetzt die junge, blonde, hübsche Frau
im Gedächtnis,
({10})
aber Sie wissen genau, dass die Zielgruppe völlig anders
aussieht, nämlich nicht so gut. In unserem Gesundheitswesen ist es ähnlich. Auch hier brauchen wir Anstrengungen, um fit zu werden. Diese sind notwendig.
Im Vordergrund der Kassenstrategie stand doch bislang zunächst einmal der Versicherte, der viel Geld mit
in die Kasse bringt. Erst danach ging es um die Frage,
wie man den Patienten gut und vor allen Dingen effizient
und kostengünstig versorgen kann. Die Jagd nach den
jungen Gutverdienern ist in unserem heutigen System
angelegt. Schauen Sie sich die Verknüpfung der DMP
mit dem Risikostrukturausgleich an. Sie ist doch so angelegt gewesen, dass alle am Ende finanzielle Vorteile
hatten, aber die Versorgung überhaupt nicht in dem entsprechenden Maße besser wurde. Das sind Fehlanreize,
die wir beenden müssen.
Schauen Sie sich die intransparenten Strukturen an.
Ich weiß nicht, wieviel mein Arztbesuch kostet und was
mein Arzt von der Kasse für die Leistung erhält, die er
an mir erbringt. Wir kennen nur Punkte, aber wir kennen
keine Preise. Unter diesen Deckmänteln konnten neben
bester Medizin und hervorragender Versorgung in
Deutschland trotzdem Verantwortungslosigkeit, Selbstbedienung, Bürokratie, Funktionärstum und Verschwendung in vielen Bereichen entstehen. Wir können dies
doch nicht negieren. Deshalb braucht das deutsche Gesundheitswesen Frischluft und Bewegung; denn dieses
System soll und muss in Zukunft in einer älter werdenden Gesellschaft noch mehr leisten können. Die Medizin
wird durch technische Innovation in Zukunft noch mehr
leisten müssen. Wir müssen dieses System fit machen.
Dazu gibt es überhaupt keine Alternative.
Das fängt bei den Kassen an. Der Fonds wird die
Jagd auf die jungen Gutverdiener beenden und den Blick
auf die Patientinnen und Patienten richten, weil die
Kasse für jeden Versicherten die gleiche Pauschale mit
risikoadäquaten Zuschlägen aus dem Fonds erhält.
({11})
Damit dieses auch klar ist: Wir haben heute einen Risikostrukturausgleich und nur weil wir einen Fonds einführen, fällt dieser nicht weg. Wir werden mit dem
Fonds wieder einen Risikostrukturausgleich haben.
({12})
Dazu stehen wir. Sonst funktioniert der Wettbewerb in
unserem System nicht.
Schauen wir uns an, welche Auswirkungen das auf
die Kassenkapazitäten hat. Kundenorientierung wird in
Zukunft im Mittelpunkt stehen. Das ist wichtig. Es wird
Angebote wie Vertragstarife und Wahltarife für die Versicherten in unserem Land geben; denn ihr Kostenbewusstsein soll und muss geschärft werden, damit Zusatzbeiträge möglichst vermieden werden können, und
Wahltarife sollen die individuellen Wünsche abbilden.
Wir wollen die Sensibilität für den Preis fördern und dies
gelingt durch den Wettbewerb.
({13})
Frau Kollegin, denken Sie an Ihre Redezeit?
Der Aufwand für dieses Fitnessprogramm ist erheblich, aber der Aufwand lohnt sich. Dieser Umbau unseres Gesundheitswesens bedeutet soziale Gerechtigkeit
mit den Mitteln von Markt und Transparenz.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Das Wort hat der Kollege Ewald Schurer, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die
öffentliche Diskussion über die Gesundheitsreform hat
sich noch nicht unmittelbar auf die Gestaltung des
Einzelplans 15 im Haushalt 2007 ausgewirkt. Dennoch
möchte ich hier vorweg sagen: Ich finde es politisch
richtig und ich finde es gut, dass wir mit der Verschiebung um ein Vierteljahr, die gestern beschlossen worden
ist, ein Stück weit den Druck von dieser Diskussion nehmen, um mehr Zeit für politisch klare Festlegungen und
Definitionen für eine tragfähige Reform des Gesundheitswesens für die Zukunft zu bekommen. Es geht darum, für eine zukunftsfeste Qualität der Versorgung der
Menschen auf guter ökonomischer Grundlage zu sorgen.
Als Haushälter möchte ich bewusst die Grundsatzfrage ansprechen, dass die Beitragsfinanzierung im
System auch künftig unverzichtbar sein wird. Notwendig ist ein Diskurs darüber, inwieweit mit Steuermitteln
versicherungsfremde Leistungen - Schwerpunkt ist die
beitragsfreie Mitversicherung von Kindern - erbracht
werden können. An dieser Stelle gibt es einen ersten Bezugspunkt zum aktuellen Haushalt. Im Vergleich zum
Haushalt 2006 ist er diesbezüglich zwar um
2,7 Milliarden Euro kleiner, veranschlagt für solche
Zwecke aber immer noch 1,5 Milliarden Euro. Wie wir
wissen, plant diese Koalition auf Basis der nun vorliegenden Eckpunkte vom Juli dieses Jahres, dass der Etat
2008 vermutlich wieder Mittel in Höhe von 1,5 Milliarden Euro - in der Zukunft wird vielleicht sogar mehr
Geld zur Verfügung stehen - bereitstellen wird.
Man muss sich darüber im Klaren sein, dass es beim
geplanten Gesundheitsfonds eben auch um Folgendes
geht: Wenn man Steuermittel langfristig einsetzen
möchte, dann geht dem eine Grundsatzentscheidung voraus. Als Haushälter muss ich anmerken, dass eine solche Grundsatzentscheidung sich an den Erfahrungen, die
wir in anderen Sozialsystemen gemacht haben, messen
lassen muss. Sicherlich ist es gut zu wissen, welche
Finanzierungsangebote wir derzeit im Bereich der Alters- und Rentenversicherung haben. Wenn man künftig
versicherungsfremde Leistungen, speziell die Mitversicherung von Kindern - dafür habe ich Verständnis - mit
Steuermitteln finanzieren möchte, dann muss man sich
fachliche Aspekte vergegenwärtigen und darüber im
Klaren sein, dass das natürlich gewisse Dimensionen
hat.
Eine dieser Dimensionen ist ganz eindeutig: Trotz aller Probleme beinhaltet eine Steuerfinanzierung in der
Tat im Prinzip eine Verbreiterung der Bemessungsgrundlage.
({0})
Man muss über den Faktor Arbeit hinaus - ich beziehe
mich auf die engere Definition dieses Begriffs; ich verweise auf die hier dargestellten Probleme - andere Finanzierungsformen nutzen. Wir sollten künftig in der
Lage sein, über den Steuertopf eine Art solidarische
Mitfinanzierung zu bewerkstelligen. Das ist wichtig.
Wie ich in einer Schrift des BDI gelesen habe, wäre das
im Prinzip eine „solidarisch motivierte Steuer“.
({1})
- Kollege Kampeter, ich bin für alle guten Vorschläge
offen, manchmal sogar für die Ihrigen.
({2})
Es gibt fachliche Gründe, diese Steuerdimension einzubringen. Als Haushälter möchte ich davor warnen, mit
Steuermitteln künftig inflationär umzugehen. Es geht um
das richtige Verhältnis von Beitragsfinanzierung und einem Additiv „Steuermittel für die versicherungsfremden
Leistungen“. Ich möchte auch davor warnen, die privaten Haushaltseinkommen mit einem Zusatzbetrag oder
einer Zusatzprämie von mehr als 1 Prozent zu belasten.
Das würde die Versicherten und die Patientinnen und Patienten mit Sicherheit überbelasten. Wenn wir eine solide
Finanzierungspolitik betreiben wollen, dann können wir
uns das nicht leisten.
({3})
Die große Koalition - da bin ich mir sicher - will das
nicht. Wir wollen ein Gesundheitssystem, das auch künftig monetär berechenbar ist. Der Bundeshaushalt braucht
berechenbare Grundlagen. Ständig beliebige Definitionen nach Kassenlage - die Regierung will sie eindeutig
nicht - nützen ihm nicht. Gesundheitsreform und Bundeshaushalt sind wie kommunizierende Röhren. Wir
brauchen klare politische Festlegungen, die auch mittelfristig tragfähig sind. Das ist notwendig, um solide arbeiten zu können.
({4})
In diesem Zusammenhang erscheint es mir als Haushälter dringend geboten, über die löblichen Ansätze dieser Gesundheitsreform hinaus auch für die Zukunft kostenwirtschaftliche Hebungen - ich habe keinen besseren
Begriff - einzufordern. Über die jetzigen Ansätze hinaus
muss die integrierte Versorgung auf Dauer auf alle Patientinnen und Patienten und auf alle Bereiche dieses
Sektors ausgeweitet werden, damit die milliardenschweren Effizienzreserven, die im System theoretisch und
praktisch vorhanden sind - alle Experten sagen das -,
generiert werden können. Die Ansätze - nach einem
schwierigen Prozess haben Union und SPD einen Kompromiss geschlossen; das muss man einmal sagen - müsEwald Schurer
sen weiterentwickelt werden, damit die Arzneimittelund Medikamentenpreise in Deutschland auf ein vernünftiges europäisches Mittelmaß kommen. Es ist nicht
gut, wenn wir erleben müssen, dass gewisse Medikamente in Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Staaten weit überteuert angeboten werden.
Schließlich - das ist von den Kolleginnen und Kollegen schon gesagt worden; das ist eine sozialdemokratische Komponente; sie anzusprechen kann und darf man
mir nicht nehmen -: Ein Risikostrukturausgleich wird
nur dann wirklich gegeben sein, wenn auch die Beteiligung der privaten Krankenkassen gesichert ist. Dazu
gibt es im Prinzip keine Alternative.
({5})
Der Kollege Zöller hat schon von der Solidarität im System gesprochen. Wenn er das im nächsten Vierteljahr
noch ein Stück weiterentwickelt, bin ich da ganz optimistisch.
({6})
Die Reform hat auch wirklich gute Ansätze. Noch
einmal in aller Kürze: Die allgemeine Versicherungspflicht, ein sehr wichtiges Projekt der Sozialpolitik allgemein, muss gelobt werden. Dass geriatrische Patienten
und Pflegebedürftige, die an chronischen Krankheiten
leiden, künftig Ansprüche nach dem Leistungskatalog
haben, ist wichtig; dass Mutter- oder auch Vater-KindKuren Pflichtleistung werden, ebenfalls.
({7})
Dass empfohlene Impfungen künftig Gegenstand des
Katalogs sind, ist wirklich absolut notwendig. Ganz
wichtig noch - das ist von der Kollegin Widmann-Mauz
schon gesagt worden -: Dass im Eckpunktepapier der
Leistungsanspruch auf Palliativversorgung definiert
werden soll, ist ohne Alternative, weil das menschliche
Leben auch am Schluss mit Würde begleitet werden
muss.
Im eigentlichen Haushalt - das noch zum Schluss haben wir, wenn man von den 1,5 Milliarden Euro zur
globalen Abgeltung bei der GKV absieht, was sozusagen
ein durchlaufender Posten ist, diesmal noch 425 Millionen Euro zur Verfügung. Das ist in dem Bereich ein Aufwuchs um 26 Millionen Euro. Warum? Ich sage es in aller Kürze: Damit werden unter anderem notwendige
Baumaßnahmen des Ministeriums in Bonn sowie für
das Paul-Ehrlich-Institut, das BfArM und das RobertKoch-Institut bewältigt, die dringend notwendig sind.
Hierfür werden insgesamt 46 Millionen Euro - das ist
diesmal ein größerer Posten - zur Verfügung gestellt.
Herr Kollege, Sie denken bitte an die Redezeit. Sonst
reden Sie auf Kosten Ihrer Kollegin.
Recht herzlichen Dank.
Ganz zum Schluss möchte ich noch auf eines hinweisen. Man hat immer auch eine Vision.
({0})
Meine Vision bei dieser Gesundheitsreform ist: Der Gesundheitsfonds wird aufgebaut;
({1})
er wird mehr oder minder virtuell aufgebaut. Wir greifen
auf die bewährten Strukturen und die qualifizierten Kapazitäten der gesetzlichen Kassen beim Beitragseinzug
zurück. Wir bauen keine unnötige Bürokratie auf.
Herr Kollege!
Ganz zum Schluss noch eine Überzeugung - lassen
Sie mich das bitte noch sagen -: Der Risikostrukturausgleich wird dann zu einem vollen Erfolg werden,
({0})
wenn es uns gelingt, die PKV künftig voll und ganz in
diesen Risikostrukturausgleich einzubeziehen. Diese Vision wird eines Tages Wahrheit werden.
Ich bedanke mich für die große Aufmerksamkeit.
({1})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Hans Georg
Faust, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Mit den Eckpunkten zur Gesundheitsreform,
den zurzeit erfolgenden Konkretisierungen und dem Entwurf zur Änderung des Vertragsarztrechts sind wir dabei, unser altehrwürdiges Gesundheitssystem effizienzsteigernd zu verändern und umfassend zu modernisieren.
({0})
Im Mittelpunkt dieser großkoalitionären Kraftanstrengung steht der Versicherte, vor allem der Versicherte, der als Patient Hilfe benötigt. Doch wo sucht der
Patient in seiner Not Hilfe? Er sucht sie nicht bei der
Politik, nicht bei der Krankenkasse, auch nicht bei der
Verbraucherberatung; nein, er sucht diese Hilfe beim
Arzt in der Praxis oder auch im Krankenhaus.
Wenn ich dieses Kernelement unseres Gesundheitswesens, den Arzt-Patienten-Kontakt, betrachte, dann
ist das Ergebnis durchaus zwiespältig. Auf der einen
Seite gilt: gute Erreichbarkeit tags und nachts, noch flächendeckende Versorgung, breites Leistungsangebot von
gut ausgebildeten und, wie wir wissen, auch im Ausland
hoch geschätzten Ärzten. Auf der anderen Seite gilt:
stark reglementiert, abgeschottete Sektoren, übermäßiger Dokumentations- und Bürokratieaufwand. Für Ärzte
und Krankenhäuser besonders belastend ist die Ungewissheit über eine angemessene Honorierung in Gegenwart und Zukunft.
Wir tun etwas und wir tun das Richtige. Im Vertragsarztrechtsänderungsgesetz werden die Liberalisierungen
und Flexibilisierungen, die die Ärzte sich selbst erarbeitet haben, in Gesetzesform gegossen. Dadurch wird die
vertragsärztliche Berufsausübung effizienter und moderner gestaltet. Ärzten ist es zukünftig erlaubt, Kollegen
ohne Begrenzung und auch fachgebietsübergreifend einzustellen. Sie können ihre Tätigkeit an weiteren Orten
ausüben und - was ich im Interesse von sektorenübergreifenden Versorgungsmodellen für besonders wichtig
halte - sowohl in der eigenen Praxis als auch im Krankenhaus in Teilzeit tätig sein.
({1})
Das sind richtige und wichtige Schritte, die spät kommen, aber sie kommen, genauso wie die Erleichterungen
bei der Einforderung der Praxisgebühr. Die Eckpunkte
der Gesundheitsreform tragen der berechtigten Forderung der Ärzte nach einer angemessenen Honorierung
weitgehend Rechnung.
({2})
Eine Gebührenordnung mit festen Preisen in Euro und
Cent wird eingeführt und die Mengensteuerung neu geordnet.
Jedem Gesundheitspolitiker, aber auch den Ärzten ist
klar, dass es keine ungesteuerte Leistungsausweitung geben kann.
({3})
Auf der anderen Seite aber müssen krankheitsbedingte
Mehrausgaben von der Solidargemeinschaft, mithin den
Krankenkassen, und nicht von den Ärzten getragen werden.
({4})
Mit den gesetzestechnischen Ausformulierungen im
neuen Reformgesetz sind wir dann auf einem guten Weg,
wenn wir von den Budgets wegkommen.
({5})
Die Regelungen zur integrierten Versorgung schaffen in unseren abgeschotteten Gesundheitsteilsystemen
viele Brücken, Durchlässe und Übergänge. Hierzu setzen wir die finanziellen Anreize so, dass die ökonomischen Ergebnisse in die gleiche Richtung weisen wie die
medizinischen Ziele. In diesem Zusammenhang, meine
Damen und Herren, ist die Debatte um die so genannte
doppelte Facharztschiene vollkommen überflüssig.
Wenn es gelingt, den ambulanten und den stationären
Sektor so zu vernetzen, dass der Arzt, der es in einer sektorenübergreifenden Kooperation am besten kann und
am effizientesten macht, auch der ist, zu dem der Patient
automatisch geleitet wird, dann ergeben sich von selbst
Strukturen, die einen gesetzgeberischen Eingriff überflüssig machen.
({6})
Noch ein Wort zu den Ärzten in den Krankenhäusern.
Mit den Tarifabschlüssen werden sich die Arbeits- und
Finanzbedingungen für die Ärzte in den Krankenhäusern
deutlich verbessern. Aber ob alle Krankenhäuser das
leisten können, da habe ich meine großen Zweifel. Denn
die Krankenhäuser befinden sich in der Konvergenzphase des Zweiten Fallpauschalenänderungsgesetzes
und damit ordnet sich die Krankenhauslandschaft in
Deutschland neu. Krankenhäuser kooperieren mehr miteinander, verteilen die Aufgaben, verdichten ihre Leistungen und machen mehr ambulant. Das führt zu Bettenabbau und Spezialisierung und immer häufiger auch
zu Trägerwechseln, eine Entwicklung, meine Damen
und Herren, die vorhersehbar war und die wir in weiten
Bereichen auch so gewollt haben.
Zusätzlichen Druck dadurch auszuüben, dass den
Krankenhäusern pauschal ein Sanierungsbeitrag von
1 Prozent abverlangt wird, führt, wenn dieser Vorschlag
nicht modifiziert wird, zu weiterer Ausdünnung der
Krankenhauslandschaft in der Fläche. Die Länder haben
aus Gründen der Daseinsvorsorge ein Netz erreichbarer
Krankenhäuser für ihre Bürger gespannt. Wenn dieses
Netz durch ökonomischen Druck an vielen Stellen reißt,
werden die Kosten für das Flicken der Maschen über Sicherstellungszuschläge für die Krankenkassen höher
sein als der jetzige Pauschalgewinn.
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir befinden
uns unabhängig von den Lösungen für die Detailfragen
mit unseren Gesetzeswerken auf einem richtigen Weg.
Hier geht mit Sicherheit Sorgfalt vor Schnelligkeit. Ich
jedenfalls bin der festen Überzeugung, dass nach gründlicher und eingehender Beratung und Verbesserung im
Detail die Patienten, ihre Ärzte und auch die Krankenhäuser davon profitieren werden.
Vielen Dank.
({7})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Jella Teuchner,
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! In einem sind wir uns, glaube ich, alle einig:
Wenn man von einem Titel absieht, ist der Einzelplan 15
in diesem Haushalt relativ unspektakulär. Spektakulär
- das wurde in der heutigen Debatte recht deutlich - ist
allerdings der Titel „Pauschale Abgeltung für versicherungsfremde Leistungen“. Werden den Krankenkassen
2006 dafür noch 4,2 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt, sollen 2007 dafür noch 1,5 Milliarden Euro zur
Verfügung stehen und 2008 soll dieser Titel ganz entfallen.
Geplant war ja, Mittel, die durch die Tabaksteuererhöhung generiert werden, den Krankenkassen zur
Verfügung zu stellen. Die erhofften Mehreinnahmen
konnten aber nicht realisiert werden. Im Haushaltsbegleitgesetz 2006 wurde deshalb festgelegt, diese Mittel
zurückzufahren.
Dies wurde beschlossen, bevor die Eckpunkte zur
Gesundheitsreform vorgelegt wurden.
({0})
In diesen Eckpunkten ist nun vorgesehen, dass diese
Mittel, beginnend 2008 mit 1,5 Milliarden Euro,
({1})
stetig ausgebaut werden sollen.
({2})
Zu Recht: Rund 5 Milliarden Euro haben die Krankenkassen 2005 für Maßnahmen ausgegeben, die in der Verordnung über die Verteilung der pauschalen Abgeltung
als versicherungsfremde Leistungen definiert sind.
Dieser eine Titel macht deutlich: Wir stehen mit der
Umsetzung der Eckpunkte in der Pflicht, die Finanzierung der gesetzlichen Krankenkassen verlässlich zu regeln. Gerade dieser Titel ist es auch, der bei Kassen, Verbänden und in der Politik große Bedenken gegenüber
den Eckpunkten auslöst. Diese Bedenken müssen ernst
genommen werden.
In den Eckpunkten ist ein Gesundheitsfonds vorgesehen, über den in Zukunft die Beiträge der Arbeitnehmer und Arbeitgeber sowie Steuerzuschüsse an die
Krankenkassen über risikoadjustierte Prämien weitergegeben werden sollen. Wir ersetzen also funktionierende
Strukturen durch ein neues System. Wir sind uns alle darin einig, dass die erste Aufgabe dabei ist, dass diese
neuen Strukturen auch funktionieren. Alles andere wäre
grob fahrlässig und würde das bewährte System der gesetzlichen Krankenkassen in seinem Bestand gefährden.
Die zweite Aufgabe ist, vor dem Hintergrund einer
Finanzierungslücke von fast 7 Milliarden Euro bei den
Krankenkassen eine verlässliche Finanzierung der Krankenkassen zu organisieren. Das stellt ganz klare Anforderungen an den Gesundheitsfonds:
Erstens. Alle Schulden der Krankenkassen müssen bis
zum Start des Fonds getilgt sein.
Zweitens. Der Fonds muss beim Start 100 Prozent der
anfallenden Ausgaben abdecken können.
Drittens. Die Organisation muss so gewährleistet sein,
dass der Beitragseinzug funktioniert.
Viertens. Der morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich muss gewährleistet sein.
Fünftens. Der Steuerzuschuss muss abgesichert sein.
Sonst droht statt eines Wettbewerbs um eine effiziente
und gute Versorgung ein reiner Preiswettbewerb. Dies
darf nicht passieren.
Dies stellt aber auch Aufgaben an die Haushaltspolitik. Es ist schwierig zu erklären: In den Eckpunkten sagen wir, eine Steuerfinanzierung versicherungsfremder
Leistungen sei notwendig. Gleichzeitig fahren wir gerade die Steuerfinanzierung trotz gestiegener Steuereinnahmen zurück. Wir versuchen, bei den Arzneimitteln
Kosten zu sparen; gleichzeitig belasten wir als eines von
zwei europäischen Ländern, die auf Arzneimittel den
vollen Mehrwertsteuersatz erheben, die Krankenkassen
gerade hier durch die Mehrwertsteuererhöhung.
({3})
Es ist uns allen bewusst, dass wir nicht mehr ausgeben können, als wir haben. Wir müssen aber die Wirkungen des Haushalts und der Gesundheitsreform, wenn wir
schon beides gleichzeitig im Bundestag beraten, gemeinsam betrachten, damit wir unsere Ziele und eine verlässliche Finanzierung der Krankenkassen erreichen. Alles
andere wäre für uns grob fahrlässig.
Vielen Dank.
({4})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Norbert Barthle, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Als letzter Redner geht es häufig nach der Devise: Es ist schon alles gesagt worden, nur noch nicht
von allen. Insofern ist es ganz gut, dass ich als Haushälter zu diesem Thema sprechen darf und etwas zum Haushalt sagen kann.
({0})
Erlauben Sie mir einige wenige Vorbemerkungen.
Den Auftritt der Senatorin Knake-Werner, die hier eine
langweilige und inhaltlich falsche Rede
({1})
gehalten hat, um Wahlkampf für die PDS in Berlin zu
betreiben, und die schnell aus dem Plenum entschwunden ist, noch bevor diese Debatte beendet ist, fand ich
unglaublich.
({2})
Da die PDS auf diese Art und Weise Wahlkampf macht,
kann ich nur hoffen, dass die Berliner Wählerinnen und
Wähler dies entsprechend würdigen.
Frau Kollegin Bender, wir schätzen Sie alle. Wir wissen, dass Sie seit langer Zeit in diesem Metier tätig sind,
und sprechen Ihnen Kompetenz zu. Sie haben hier eine
Rede gehalten, in der Sie den Eindruck erwecken, als
hätten Sie nie etwas mit Gesundheitspolitik zu tun gehabt. Das ist schon etwas eigenartig. Da sollten Sie sich
an die Nase packen.
({3})
Herr Kollege Bahr, in Ihrer Rede haben Sie genau das
verstärkt, was Sie beklagen. Sie haben Verunsicherung
betrieben.
({4})
Denn Sie bauen Pappkameraden auf und argumentieren
gegen Dinge, die noch gar nicht entschieden sind. Was
soll das eigentlich?
({5})
Ich wünsche mir von allen Beteiligten, dass in den
Debatten die fixierten Eckpunkte nicht so interpretiert
werden, wie es der Opposition gerade ins Konzept passt,
sondern dass man darüber an der Sache orientiert und
auf der Basis der getroffenen Entscheidungen diskutiert.
Ich bin froh, dass die Frau Ministerin überwiegend
zum Haushalt gesprochen hat. Das war wohltuend.
({6})
Auch ich möchte auf den Haushalt zu sprechen kommen.
Wenn man den durchlaufenden Posten „Zuschuss an
die GKV“ abzieht, dann ist der Gesundheitsetat ein
kleiner und feiner Etat. 425 Millionen Euro bei einem
Gesamtvolumen des Bundeshaushalts in Höhe von
267 Milliarden Euro bedeuten gerade einmal einen Anteil von 1,6 Promille. Mit diesen 1,6 Promille steuern
und regeln wir einen Markt, in dem rund 240 Milliarden
Euro umgesetzt werden. Das entspricht nahezu dem Volumen des gesamten Bundeshaushalts. Das ist insgesamt
gesehen nicht schlecht.
Wir betonen immer wieder, dass das Thema Gesundheit die Menschen fundamental berührt. Deshalb ist es
auch nachvollziehbar, dass so viele Debatten häufig mit
großer Leidenschaftlichkeit und Aufgeregtheit geführt
werden. Die Weltgesundheitsorganisation definiert Gesundheit als den Zustand vollkommenen körperlichen,
geistigen und sozialen Wohlbefindens. Gesundheit ist
also nicht allein das Fehlen von Krankheiten und Gebrechen. Nach dieser Definition bin ich häufiger krank, als
ich es bisher wusste.
Diese Definition macht aber auch deutlich, wo die
Schwierigkeiten in diesem Metier liegen, nämlich in der
unscharfen Abgrenzung von Krankheit und Gesundheit:
Welche Maßnahmen und Leistungen tragen zur Gesundheit bei und müssen erstattet werden? Bei diesem Thema
können wir künftig sicherlich noch viel Kreativität beweisen. Der Beitrag des Kollegen Zöller hat dies schon
gezeigt.
({7})
Lassen Sie mich auf die Frage zurückkommen, die
immer wieder an uns gerichtet wird: Warum wird der
Zuschuss an die GKV innerhalb von zwei Jahren von
4,2 Milliarden Euro auf null abgeschmolzen? Ganz einfach: Wir korrigieren einen Webfehler der Vorgängerregierung. Denn die pauschale Abgeltung versicherungsfremder Leistungen der GKV, für die zwischen 2004 und
2007 insgesamt 9,2 Milliarden Euro in die GKV geflossen sind, ging einher mit der schrittweisen Erhöhung der
Tabaksteuer. Aber nachdem sich Tanken für die Rente
und Rauchen für die Gesundheit nicht als annähernd so
erfolgreich, wie vom damaligen Finanzminister Eichel
erwartet, herausgestellt haben, war es nachvollziehbar,
dass man hier umsteuert. Deshalb fließen letztmals 2007
1,5 Milliarden Euro als Einnahme in die GKV.
Gleichzeitig aber schaffen wir den Einstieg in den
Systemwechsel. Das ist die entscheidende Neuerung innerhalb des Gesundheitswesens. Denn zur Finanzierung
der beitragsfreien Versicherung der Kinder in der GKV
stellen wir nach heutiger Planung ab 2008 1,5 Milliarden
Euro und ab 2009 3 Milliarden Euro zur Verfügung. Die
Koalition ist sich auch darüber einig, dass dieser Betrag
weiter erhöht werden soll. Allerdings geht dies nur in
Stufen; das geht nicht auf einen Schlag.
({8})
- Herr Kollege Bahr, ein Anfang wurde gemacht. Das ist
der entscheidende Punkt. Ein chinesisches Sprichwort
besagt: Auch der weiteste Weg beginnt mit dem ersten
Schritt.
({9})
Deswegen ist es sehr richtig, es so zu machen.
Natürlich beklagen die Kassen diese Kürzung. Aber
zur Wahrheit gehört eben auch, dass durch das Arzneimittelversorgungs-Wirtschaftlichkeitsgesetz - ein komplizierter Name - eine Entlastung von 1,5 Milliarden Euro
für die Kassen pro Jahr erwartet werden darf. Im Jahre
2009 kommen zu den 3 Milliarden Euro Steuerzuschuss
also noch Einsparungen in Höhe von 1,5 Milliarden Euro
hinzu. Mit diesen 4,5 Milliarden Euro ist die Kürzung um
4,2 Milliarden Euro bereits im Jahre 2009 überkompensiert. Auch das muss man zur Kenntnis nehmen.
Ich finde es übrigens schon bemerkenswert, dass es
uns gelungen ist, innerhalb von zwei Jahren die Kürzung
von Steuermitteln in Höhe von 4,2 Milliarden Euro, die
als Zuschuss in ein soziales Sicherungssystem geflossen
sind, durch andere Maßnahmen auszugleichen. Das ist
etwas, was uns mancher Haushälter nicht zugetraut
hätte.
Die zweite Frage, die immer wieder an uns herangetragen wird, lautet: Warum wird eigentlich der Arbeitgeberbeitrag eingefroren und den Arbeitnehmern die
Mehrkosten aufgebürdet, wenn in diesem System mehr
auf Steuerfinanzierung umgestellt werden soll?
({10})
Ich sage klipp und klar: Die Entwicklung gebietet dieses. Wir haben immer weniger sozialversicherungspflichtige Beschäftigte, auch wenn dieser Trend etwas
umgedreht werden konnte. Langfristig wird es aber allein aufgrund der demografischen Entwicklung so sein,
dass die Schere zwischen Beitragseinnahmen in den sozialen Sicherungssystemen und dem Bruttoinlandsprodukt immer weiter auseinandergeht. Deshalb ist es notwendig, an dieser Stelle umzusteuern, um auch für den
Arbeitsmarkt Entlastung zu schaffen.
({11})
Nebenbei bemerkt: Es geht hier auch immer um die
Frage, ob eine stärkere Steuerfinanzierung sozial gerecht sei. Wir erfahren da immer wieder Kritik aus dem
linken Teil des Hauses. Das, meine Damen und Herren,
kann ich nicht verstehen. Bisher beteiligen sich am Solidarausgleich innerhalb der GKV weitgehend die Versicherten, zum Teil auch die PKV-Versicherten. Finanzieren wir stärker über Steuermittel, dann gilt der Satz, dass
starke Schultern mehr tragen als schwache Schultern.
Denn dann beteiligen sich aufgrund der Steuerprogression die Gutverdiener überdurchschnittlich an diesem
Ausgleich. Dasselbe gilt für die Unternehmen, denn die
bezahlen auch Steuern.
Was an diesem Vorgehen unsolidarisch sein soll, entzieht sich meiner Erkenntnis - im Gegenteil: Das ist Solidarität der Starken mit den Schwachen im besten Sinne
des Wortes.
({12})
- Nein, das ist sinnvolle Politik für die gesellschaftliche
Entwicklung von morgen.
Zu dem Vorwurf, dass sich die PKV-Versicherten stärker an dem GKV-Ausgleich beteiligen sollen, kann ich
nur sagen: Meiner Ansicht nach ist die PKV-Versicherung ein gut funktionierendes System.
({13})
Ein Rentnerehepaar, das 800 Euro pro Monat an Beiträgen an die private Krankenversicherung bezahlt,
würde bei einem Wechsel in die GKV 150 Euro bezahlen. Stellen Sie sich das so vor? Wenn es so ist, dann
müssen Sie das auch sagen.
Wir Haushälter haben in den anstehenden Beratungen
die Aufgabe, diesen Bundeshaushalt sorgfältig durchzuforsten. Es gibt sicherlich ein Thema, bei dem wir mit
Ihnen, Frau Ministerin, nicht ganz einig sind: Das sind
die Personalkosten. Ihr Haus hat sehr hohe Personalkosten.
Wir Haushälter waren und sind uns einig, dass wir
den Personalabbau kontinuierlich fortführen müssen.
Dazu wird es notwendig sein, dass man nicht mehr mit
dem Rasenmäher Personal einspart, sondern dass man
gezielt Aufgabenkritik betreibt, insbesondere in den
nachgeordneten Behörden. Ich denke an DIMDI, an
BZgA oder was auch immer. Da gibt es sicherlich noch
die eine oder andere Einsparmöglichkeit.
Ansonsten kann man zu dem Haushalt sagen: Die Ministerin hat die Prävention hervorgehoben. Das ist die
richtige Weichenstellung. Da hat sich etwas verändert.
Dazu stehen wir. Frau Ministerin, wir Haushälter stehen
Ihnen in fairer und vertrauensvoller Zusammenarbeit zur
Seite, immer dann, wenn Sie Richtiges vorhaben. Fairness und Vertrauen bilden ohnehin die gute Basis für
eine Zusammenarbeit.
Danke.
({14})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen deshalb zu dem Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Bildung und Forschung,
Einzelplan 30. Das Wort hat die Bundesministerin
Dr. Annette Schavan.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diese Bundesregierung - das zeigt der Einzelplan 30 - hat die Kraft
zur wirklichen Priorität für Bildung, Wissenschaft und
Forschung, weil wir, beide Regierungsfraktionen gemeinsam, das als die Grundlage einer überzeugenden Innovationspolitik verstehen.
({0})
Wir investieren deutlich mehr Geld. Wir konzentrieren Kräfte. Wir optimieren Konzepte und stellen an
wichtigen Stellen und bei wichtigen Themen die Weichen neu.
({1})
Hinter dem Einzelplan 30 steckt ein breites Spektrum
an Themen, die für die junge Generation von zentraler
Bedeutung sind und die wichtig sind mit Blick auf die
Zukunftsfähigkeit unseres Landes. Das sind nämlich
Themen, mit denen vielfältige Chancen, Potenziale und
Dynamik verbunden sind.
Der Haushalt verzeichnet gegenüber 2006 einen
Zuwachs von 500 Millionen Euro. Das entspricht 6,2 Prozent. Allein im Bereich Projektförderung konnten wir einen Zuwachs um 14,4 Prozent auf 2,62 Milliarden Euro
erreichen.
({2})
Wer von Ihnen erlebt hat, wie schwierig es in der Vergangenheit war, in diesem Bereich die notwendigen
Mittel aufzubringen, der weiß, welche Bedeutung diesem 6-Milliarden-Programm im Rahmen des 25-Milliarden-Investitionsprogramms, das wir in dieser Legislaturperiode aufgelegt haben, zukommt.
({3})
Die Projekte, die hinter den Zahlen stehen, widerlegen die Aussage von Frau Hajduk, wonach die Regierung die Umorientierung Richtung Forschung und Zukunft nicht leiste. Im Übrigen widerlegen sie auch die
Aussage von Herrn Kuhn, dass wir - er bezog das auf
die berufliche Bildung - nicht konkret würden. Nein,
dieser Haushalt zeigt: Wir werden sehr konkret. Denn
wir sind davon überzeugt: Politik wird nicht durch
Schlagzeilen gemacht. Politik wird vielmehr dort bedeutsam, wo wir unsere Ideen umsetzen.
({4})
Im Bereich der beruflichen Bildung werden wir konkret. Ich weise Sie nur darauf hin, dass der Mittelzuwachs 23 Prozent beträgt. Das macht Programme wie
„Jobstarter - Für die Zukunft ausbilden“ möglich, das
mit 100 Millionen Euro gefördert wird. Eine weitere
Aufstockung der Fördermittel für dieses Programm auf
125 Millionen Euro ist mit Blick auf ganz spezielle Themen im Bereich KMU - 10 000 Ausbildungsplätze für
Jugendliche aus Migrantenfamilien, weitere 13 000 Ausbildungsplätze für die neuen Länder - vorgesehen.
Im Herbst dieses Jahres werden wir spüren - das weiß
ich aus den Gesprächen, die ich in den letzten Tagen geführt habe -, dass sich die besseren Wirtschaftsdaten
auch auf den Ausbildungsmarkt auswirken. Damit tritt
genau das ein, was wir in den vergangenen Jahren immer
wieder gesagt haben. Aus der unmittelbaren Beziehung
zwischen Arbeitsmarkt und Ausbildungsmarkt schließen
die Experten in den letzten Tagen, dass wir in diesem
Jahr voraussichtlich deutlich mehr Ausbildungsplätze
zur Verfügung haben als im letzten Ausbildungsjahr.
Auch das ist ein wichtiges Signal an die jungen Leute in
Deutschland.
({5})
Wir werden konkret im „Hochschulpakt“, der „Excellenzinitiative“ und im „Pakt für Forschung und Innovation“. Wenn Sie die Mittel, die im Haushalt bereitgestellt
wurden, was im Haushalt schon drinsteckt und das, was
seitens der Länder investiert wird, zusammenzählen,
dann merken Sie, dass das für die universitäre und die
außeruniversitäre Forschung in den nächsten Jahren einen wirklichen Schub bedeutet.
Wir werden konkret in der Hightechstrategie. Wir
werden noch Gelegenheit haben, in diesem Hohen
Hause ausführlich darüber zu diskutieren. Ich glaube,
wir haben auch auf diesem Gebiet gemeinsam etwas eingelöst, was seit vielen Jahren in Deutschland diskutiert
wird. Die Frage war: Wie muss eine forschungspolitische Strategie aussehen, in deren Fokus die Entwicklung
neuer Produkte, Strategien, Dienstleistungen und Verfahren steht?
({6})
Ich danke allen, die daran mitgewirkt haben.
Das, was heute vorliegt, ist nicht das Ende. Es ist vielmehr das Drehbuch. Es enthält alle Details, eine klare
Stärken- und Schwächenanalyse, klare Zieldefinitionen,
einen Zeitplan und einen Investitionsplan. Diese Regierung und die sie tragenden Fraktionen setzen dafür
15 Milliarden Euro ein. Das ist ein neues Kapitel der Innovationspolitik in Deutschland.
({7})
Wir werden konkret im Bereich der Weiterbildung
und der Bildungsforschung und den Geisteswissenschaften. Im Bereich der Weiterbildung werden wir in den
nächsten Monaten - das ist ein erstes Ergebnis des Innovationskreises - das Thema Grundbildung angehen und
eine Reihe von Einzelaktivitäten zur klareren Erfassung
von Standards der Grundbildung unterstützen. Es geht
dabei um Alphabetisierungskonzepte, die damit verbundene Didaktik und die damit wiederum verbundene
Ausbildung. Angesichts von 4 Millionen funktionellen
Analphabeten müssen wir sehr viele konkrete Fragen
stellen.
({8})
Wir nehmen Verantwortung wahr. Wir werden
konkret und leisten damit unseren Beitrag in Europa zum
3-Prozent-Ziel. Denn wir wollen nicht zuletzt mit Blick
auf die europäische Präsidentschaft Deutschlands im
nächsten Jahr Motor für den Forschungsstandort Europa
werden.
({9})
Lassen Sie mich abschließend ein Thema aufgreifen,
das auch zu diesem Einzelplan gehört. Es geht um die
Lebenswissenschaften. Dazu sage ich mit der gleichen
Leidenschaft: Auch hier nehmen wir in Europa Verantwortung wahr. Es geht um eine gute Balance zwischen
Forschung und Forschungsfreiheit auf der einen Seite
und unseren Pflichten und Überzeugungen im Bereich
des Lebensschutzes auf der anderen Seite. Ich spreche
damit die im 7. Forschungsrahmenprogramm geplanten
Verfahren und die Beratungen zur Stammzellforschung
an. Ich sage ganz deutlich: Ich lehne es ab, embryonale
Stammzellforschung zum Lackmustest für Forschungsfreundlichkeit in Deutschland zu machen.
({10})
Zweitens. Deutschland ist bei der Stammzellforschung in der Weltspitze.
({11})
Niemand soll uns weismachen, dass man, wenn man in
Fragen der embryonalen Stammzellforschung mit einem
Stichtag arbeitet, nicht mehr wettbewerbsfähig sei. Das
ist schlicht falsch.
Drittens. Wir haben in der Diskussion über das
7. Forschungsrahmenprogramm, nachdem das Europäische Parlament, wie ich finde, fälschlicherweise beBundesministerin Dr. Annette Schavan
schlossen hat, dass sämtliche bioethische Regelungen
nicht mehr in ein spezifisches Programm genommen
werden, sondern in das eigentliche Forschungsrahmenprogramm - das ist etwas, was der Ministerrat nicht
mehr ändern konnte
({12})
und nun nicht mehr ändern wird -, ein viertes Verbot
durchgesetzt. Die Kommission erklärt sich in einer Protokollerklärung verbindlich dazu, keine Projekte zur Finanzierung aus EU-Mitteln vorzulegen, in denen
menschliche Embryonen für die Gewinnung von embryonalen Stammzellen vernichtet werden müssen. Damit
sind wir ein Stück weiter, wenngleich - das sage ich allen Kritikern; es gibt jetzt Kritiker von beiden Seiten mir ein europäischer Stichtag lieber gewesen wäre. Er
war nicht durchsetzbar. Es wurde aber mehr Lebensschutz als im 6. Forschungsrahmenprogramm erreicht.
Zugleich wurde in diesen Debatten sehr deutlich, dass
für Europa wie für Deutschland gilt: Wir dürfen nicht
nur dieses Segment sehen. Wir müssen die ganze Bandbreite sehen. Wir investieren in die vielfältige Forschung
mit adulten Stammzellen und in viele erfolgreiche Projekte in Deutschland, vor allem in der Entwicklungsbiologie.
({13})
Die Bundeskanzlerin hat gestern davon gesprochen,
dass Leitlinie unserer Regierungspolitik sein muss,
Zukunft nicht zu verbrauchen. Im Einzelplan 30 stecken
viele Chancen, Zukunft nicht zu verbrauchen, sondern
auf Zukunft vorzubereiten, vor allem mit Blick auf die
nächste Generation, aber eben auch mit Blick auf die Innovationsfähigkeit Deutschlands.
Ich danke allen Mitgliedern des Haushaltsausschusses
und unseres Fachausschusses sehr für die bisherige gute
Beratung. Ich danke vor allen Dingen den Kolleginnen
und Kollegen aus den Regierungsfraktionen für die Unterstützung bis hierher, nicht nur in dieser Haushaltsberatung, sondern auch bei allen damit verbundenen Projekten.
({14})
Das Wort hat die Kollegin Ulrike Flach, FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Bei kaum einem anderen Thema sind sich zumindest
oberflächlich alle in diesem Lande so einig, dass wir investieren und etwas machen müssen, wie bei dem großen Thema Bildung, Forschung und Innovation und bei
dem Ziel, das wir alle haben, nämlich 3 Prozent des
Bruttoinlandproduktes für diesen Bereich auszugeben.
Insofern, Frau Schavan, muss ich an dieser Stelle sagen, obwohl dies der Opposition manchmal schwer fällt:
Sie sind deutlich weiter auf dieses Ziel zugegangen als
Ihre Vorgängerin. Sie haben diesen Haushalt eindeutig
verbessert.
({0})
Sie machen auch - das muss man als FDP sehen; vor
einem halben Jahr haben wir noch darüber gesprochen
- zumindest den Versuch, die klassischen rot-grünen
Felder - Hätschelkinder wie das schöne Thema „Chancengleichheit der Frauen“ und die „Deutsche Stiftung
Friedensforschung“ - zu kürzen und Titel, die wir, die
FDP, immer für wichtig gehalten haben, kräftig zu erhöhen. Das betrifft zum Beispiel die naturwissenschaftliche
Grundlagenforschung, die IuK-Technologie und die Forschung an den Fachhochschulen.
Ich bin allerdings gespannt, ob Sie sich im Kreise der
CDU/CSU durchsetzen werden. Ich erinnere mich noch
sehr gut, dass die Friedensforschung bereits im letzten
Entwurf dieses Etats zunächst gestrichen worden war,
dass sie dann allerdings doch wieder aufgenommen
wurde.
({1})
Wir kennen das berühmte strucksche Gesetz. Es kommt
vieles in das Parlament hinein. Wir wollen einmal sehen,
wie es wieder herauskommt. Ich vermute, an dieser
Stelle werden Sie Schwierigkeiten bekommen.
Wir halten es für richtig, dass Sie auf dem Weg sind,
die Akademien zu einer schlagkräftigen Organisation
zusammenzuführen. Nur, Frau Schavan - nehmen Sie
mir das nicht übel -: Das Ganze als „Konzil“ zu bezeichnen, das ist bei aller Liebe eher ein Hinweis darauf, aus
welchem beruflichen Bereich Sie kommen, hat aber weniger etwas Zukunftsfähiges. Übrigens finde ich es sehr
erstaunlich, dass die Damen und Herren der SPD diesen
Begriff mittragen.
({2})
Leider enden an dieser Stelle die Freundlichkeiten der
FDP. Frau Pieper wird gleich sicherlich noch einige
handfeste Ausführungen zu diesen Aspekten machen.
Wenn man Ihren Etat betrachtet, findet man darin, begleitet von der Hightechbroschüre, die Sie uns vorgelegt
haben, sehr viele schöne Worte und sehr viel Hochglanz.
Aber im Großen und Ganzen handelt es sich dabei, was
Ihre Ziele angeht, um die Nebel von Avalon.
({3})
An dieser Stelle will ich auf einen weiteren Punkt zu
sprechen kommen: die Sicherheitsforschung. Ich erinnere mich noch an die Zeiten, als ich im Forschungsausschuss für genau dieses Thema kämpfte. Wie ich sehe,
nickt Frau Burchardt begeistert. Wir beide waren nämlich immer völlig gegensätzlicher Meinung; die SPD war
damals leider auf Ihrer Seite. Vor kurzem habe ich allerdings den Medien entnommen, dass Sie im November
dieses Jahres endlich ein Projekt zu diesem Thema vorstellen wollen. Dafür nehmen Sie 12 Millionen Euro in
die Hand.
Ich bin gespannt, Frau Schavan, was dabei herauskommt. Denn ich glaube nicht, dass die große Koalition
in dieser Frage so stark zusammenhalten wird, dass Sie
Ihre Vorstellungen tatsächlich werden umsetzen können.
({4})
Sollte es dennoch so sein, Herr Tauss, wird die FDP die
erste Fraktion sein, die Ihnen zustimmt.
({5})
Es gibt noch ein weiteres sehr wichtiges Thema, das
wir Haushälter mit großem Interesse beobachten: den
Hochschulpakt.
({6})
Uns interessieren vor allem die Fragen: Wie geht das
Ganze weiter? Was passiert eigentlich mit den berühmten Overheadkosten? Ich entnehme den Diskussionen,
die die Staatssekretäre am gestrigen Tage geführt haben,
dass sich bei diesem Thema wieder nichts bewegt hat.
Frau Pieper und ich hatten plötzlich ein Déjà-vu.
({7})
Denn das Gleiche haben wir, als Frau Bulmahn Ministerin war, unzählige Male erlebt. Offensichtlich sind die
Verantwortlichen der Länder wieder einmal stärker als
die Verhandlungsführer des Bundes.
({8})
Offensichtlich ist es immer wieder das gleiche Spielchen
- das richtet sich insbesondere an die Kolleginnen und
Kollegen der SPD -: Der Föderalismus führt dazu, dass
man gerne und ausführlich diskutiert. Dann geht man
nach Hause und nichts ist dabei herausgekommen.
({9})
Daher, Frau Schavan, sage ich Ihnen: Wenn Sie an
dieser Stelle nicht nachsteuern, wird der Hochschulpakt
wahrscheinlich in die Binsen gehen. Zumindest wird er
sich nicht so entwickeln, wie wir es uns erhoffen.
({10})
Nun möchte ich noch auf einen anderen Aspekt hinweisen: Die Helmholtz-Gemeinschaft hat in den letzten
Monaten zu Recht überlegt, was sie mit ihren
Forschungszentren in Jülich und Karlsruhe macht.
Hier wird erneut deutlich, dass Sie mit den Ländern
nicht zurechtkommen.
({11})
In wenigen Tagen findet eine Feierstunde statt, in deren Rahmen Ministerpräsident Rüttgers zu diesem
Thema sprechen wird. Die Helmholtz-Gemeinschaft
möchte in Jülich in Zusammenarbeit mit dem Standort
Aachen ein High Performance Computing Center, sozusagen eine Research School, eröffnen. Aber, Frau Schavan, es fehlt Geld. Bitte nehmen Sie von dem Aufwuchs
in Ihrem Etat 1,2 Millionen Euro in die Hand und drängen Sie den Ministerpräsidenten des Landes NordrheinWestfalen, das Gleiche zu tun.
({12})
Das dortige Wissenschaftsministerium tut das.
({13})
An dieser Stelle muss man eines sagen: Koalitionen
müssen zusammenhalten und das tun, was sie auch vor
der Wahl tun wollten: das Land nach vorne bringen. Hier
haben Sie die Möglichkeit, einen Leuchtturm zu setzen,
der deutlich über das hinausgeht, was Sie uns in Ihrer
Broschüre schriftlich darzustellen versucht haben.
({14})
Lassen Sie mich zum Abschluss - Frau Pieper wird
gleich noch auf viele andere Aspekte eingehen - ein
Wort zum Thema Stammzellforschung sagen. In Brüssel
haben Sie im Prinzip eine Niederlage erlitten. Wir sind
sehr froh darüber, dass Sie diese Niederlage erlitten haben. Natürlich sind wir nicht froh über das, was im Moment hier abläuft, und wir sind auch nicht froh über die
Signale, die aus dem Forschungsministerium im Hinblick auf die Stammzellforschung herauskommen. Ich
sage an dieser Stelle noch einmal sehr deutlich - auch in
Richtung Kollegin Sitte -: Wir werden in den nächsten
Tagen erneut eine Mehrheit in diesem Parlament zu finden versuchen,
({15})
um zumindest den Stammzellstichtag, den wir brauchen,
damit unsere Forscher vorankommen, durchzusetzen.
Wir wollen keine Kriminalisierung in diesem Lande.
({16})
Wir werden das auch gegen Ihren erklärten Willen
durchkämpfen, Frau Schavan. Deswegen glaube ich, wir
werden über dieses Thema noch viele anregende Diskussionen führen. Im Endeffekt muss etwas herauskommen,
was gut für die Forscher ist und gut für dieses Land.
({17})
Nächster Redner ist der Kollege Klaus Hagemann,
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Flach,
lassen Sie mich zu Ihrer Bitte an die Frau Ministerin, die
Maßnahme in Jülich zu unterstützen, spontan bemerken:
Sie müssen als FDP einen schwachen Stand in der Koalition in Nordrhein-Westfalen haben, wenn Sie die Bundesministerin bitten müssen, eine Maßnahme in NRW zu
unterstützen.
({0})
Das beweist mir jedenfalls Ihre Sorge.
Mehr Sorgen bereitet mir in diesem Zusammenhang
das Folgende: Wir haben Ende vergangenen Jahres eine
Menge Geld - Verpflichtungsermächtigungen im Umfang von 586 Millionen Euro - für die Beseitigung von
Atomabfällen von Forschungsreaktoren bewilligt. Doch
jetzt zeigt sich, dass auch das nicht ausreicht, dass weitere erhebliche Belastungen auf die öffentliche Hand zukommen.
({1})
Das macht deutlich, dass die Kernkraft nicht so billig ist,
wie es die Atomwirtschaft und die FDP immer darstellen, Frau Flach.
({2})
Bei der gestrigen Diskussion über den Einzelplan 04
- Kanzleramt - hieß es - Frau Ministerin hat es schon
dargelegt -: Die Zukunft nicht verbrauchen. Wir beschäftigen uns heute beim Einzelplan 30 mit dem Gegenteil: Wie gestalten, wie schaffen wir Zukunft und wie
sichern wir die Zukunft mit den Mitteln der Gegenwart?
({3})
Wir haben hierfür in der Vergangenheit unter der Führung der SPD im Bundesministerium für Bildung und
Forschung gute Voraussetzungen geschaffen, damit
diese Bemühungen weitergehen können.
({4})
Das Ganztagsschulprogramm läuft sehr gut. Die entsprechenden Mittel werden jetzt auch von den südlichen
Bundesländern abgerufen. Auch die Exzellenzinitiative,
um die wir lange gekämpft haben und bei der wir schon
wesentlich weiter sein könnten, läuft jetzt gut. Ferner sei
der Pakt für Forschung und Innovation erwähnt; entsprechende Steigerungen sind vorgesehen.
({5})
Jetzt ist die SPD an der großen Koalition beteiligt und
wir können einen weiteren Aufwuchs feststellen, den wir
mit den zur Verfügung stehenden Mitteln unterstützen
können.
({6})
Insgesamt haben wir für Forschung und Bildung, wenn
man die Mittel aus allen Einzelplänen zusammenrechnet,
rund 12 Milliarden Euro vorgesehen. 8,5 Milliarden Euro
davon sind im Einzelplan 30 des Ministeriums für Forschung und Bildung vorgesehen. 850 Millionen Euro
entfallen auf das Ganztagsschulprogramm, 3 Milliarden
Euro sind in den übrigen Einzelplänen vorgesehen. Prozentual haben wir eine Steigerung von 6,2 Prozent, während der Gesamthaushalt nur um 0,2 Prozent wächst.
Das sind Zukunftsinvestitionen in Forschung und Entwicklung.
Wenn man mit den Verantwortlichen der Forschungsorganisationen redet, sagen sie: Deutschland ist ein guter
Forschungsstandort,
({7})
aber es müssen mehr Anstrengungen unternommen werden. Es sind mehr Anstrengungen erforderlich, um den
Standard erhalten und verbessern zu können.
({8})
Die Bundesrepublik Deutschland wendet
2,52 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Forschung
und Entwicklung auf, während es im EU-25-Durchschnitt 1,82 Prozent sind. Wir könnten sagen: Wir liegen
deutlich vorne, wir können uns zurücklehnen.
({9})
- Richtig, liebe Kollegin Aigner. Das können wir nicht,
wir müssen noch weiter voran.
({10})
Schauen wir uns die Zahlen der USA an. Dort ist es
etwas mehr, nämlich 2,6 Prozent. In Japan sind es
3,1 Prozent. Dieses Ziel müssen auch wir anstreben.
Deswegen hat die Koalition gemeinsam ein Programm
aufgelegt, um dieses 3-Prozent-Ziel zu erreichen.
({11})
Die Koalition hat vereinbart, 6 Milliarden Euro für
die Forschung zusätzlich zur Verfügung zu stellen. Frau
Flach, mit diesem 6-Milliarden-Euro-Programm werden
eben nicht nur bunte Broschüren mit schönen Bildchen
auf Hochglanzpapier gedruckt - Informationen sind aber
notwendig -, sondern wir haben die 6 Milliarden Euro
für die nächsten Jahre obendrauf gepackt und die Mittel
für die einzelnen Programme deutlich erhöht. Das ist der
richtige Weg, den wir auch konsequent weitergehen werden. So viel Kritik haben Sie hier ja auch gar nicht geübt.
({12})
Frau Ministerin, ich möchte noch einmal unser starkes Interesse anmelden: Wir vom Haushaltsausschuss
- ich kann hier für meine Fraktion reden - möchten weiterhin beteiligt werden und wissen, was im Einzelnen
geschieht. Deshalb bitten wir um die notwendige Berichterstattung. Wir sind froh, dass es im Rahmen dieser
Forschungsinitiative, wie ich glaube, zum ersten Mal gelungen ist, einen abgestimmten Plan und ein abgestimmtes Konzept über die Ressortgrenzen hinaus vorzulegen.
Ich sage es noch einmal: Wir wollen auch weiterhin beteiligt sein und informiert werden.
Wir bitten Sie, immer wieder eine Art Evaluierungsbericht vorzulegen, aus dem hervorgeht, wohin die Mittel geflossen sind, wofür sie verwendet worden sind, wie
viel Geld wohin gegeben worden ist und wer von diesen
Mitteln profitiert. Diese Fragen werden wir im Fachausschuss immer wieder stellen, damit wir über die Verwendung informiert werden. Wir bitten in diesem Zusammenhang auch darum, die Mittel jetzt schnell
herauszugeben, damit mit ihnen gearbeitet werden kann;
denn die Zeit drängt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, nach der
Vereinbarung ist vorgesehen, dass sowohl der Bund
- darüber habe ich gesprochen - als auch die Länder und
die Wirtschaft ihre Anteile leisten müssen;
({13})
denn nicht nur der Bund ist hier mit einem halben Prozent gefordert, sondern natürlich sind auch die Länder
mit einem halben Prozent gefordert, während die Wirtschaft mit zwei Prozent beteiligt ist. Hinter vorgehaltener Hand hört man immer wieder, dass sowohl die Länder als auch die Wirtschaft Probleme haben werden, ihre
Ziele zu erreichen.
({14})
Hier muss der notwendige Druck von Ihnen und von der
Kanzlerin auch auf die Wirtschaft erfolgen, damit das
gemeinsam vereinbarte Ziel erreicht werden kann.
({15})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Kröning?
Ja.
Herr Hagemann, Sie haben die Stichwörter 3-ProzentStrategie und Aufteilung zwischen den staatlichen Ebenen und der Wirtschaft angesprochen. Können Sie dem
Plenum und insbesondere auch der Bundesministerin bestätigen, dass der Haushaltsausschuss vor der Sommerpause darum gebeten hat, dass bis zur Mitte der Sommerpause Nachweis darüber geführt wird, dass und vor
allen Dingen auch wie das geschieht, damit die 3-Prozent-Strategie bis 2010 aufgeht? Können Sie dem Hause
auch bestätigen, dass dieser Nachweis durch die Bundesregierung bisher nicht geführt worden ist und dass uns
das bei den Beratungen über die Einzelpläne beschäftigen wird?
({0})
Herr Kollege Kröning, ich kann das bestätigen. Wir
haben uns ja schon öfter darüber unterhalten, zumal ja
auch große Teile im Einzelplan des Wirtschaftsministeriums enthalten sind. Ich habe auch noch einmal die Bitte
an die Regierung gerichtet, dass wir als Haushaltsausschuss stärker in die Berichterstattung und in die Evaluierung einbezogen werden und dass uns die Ergebnisse
vorgelegt werden. Ich wiederhole und mache deutlich:
Die Fragen, wofür die Mittel verwendet worden sind,
wie viele Mittel zur Verfügung gestellt wurden und wer
davon profitiert, müssen beantwortet werden. Das ist unser Ziel und darum bitten wir Sie. Verehrter Kollege
Kröning, deswegen kann ich Ihre Fragen mit Ja beantworten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, in diesen
Programmen werden natürlich auch die Forschungsprämien für kleine und mittlere Unternehmen erwähnt;
denn 40 Prozent der Unternehmen - so ist zu vernehmen lassen im Ausland forschen. Wir sollten dafür sorgen,
dass diese Forschungen in den Fachhochschulen und
Universitäten unseres Landes erfolgen. Der Gedankenansatz ist sicherlich interessant. Uns interessiert jetzt
nur, wie dies konkret ausgestaltet werden soll,
({0})
wie der Mehrwert entstehen soll, damit es nicht zu Mitnahmeeffekten kommt, sondern zusätzliche Leistungen
in der Forschung erbracht werden.
({1})
Es gibt interessante Ansätze der Hochschulrektorenkonferenz. Sie schlägt vor, den Fachhochschulen mehr
Geld für die Forschung zur Verfügung zu stellen, und
zwar zusätzlich zu dem Geld, das - Frau Ministerin, wir
finden das sehr positiv - für das Programm FH³ zur Verfügung gestellt wird.
({2})
Frau Schavan hat die Anregung der DFG aufgegriffen, eine Vollkostenfinanzierung zu gewährleisten, sodass nicht nur die Projektkosten, sondern auch die allgemeinen Kosten, die Verwaltungskosten bezuschusst
werden. Darüber sollten wir nachdenken. Wir sollten
aber auch darlegen: Es darf nicht sein, dass nur der Bund
seinen Anteil erhöht und die Länder ihren Anteil zurückfahren.
({3})
Es muss nachgewiesen werden, dass hier mehr Geld zur
Verfügung gestellt wird. Das ist sicherlich der entscheidende Punkt. Gerade bei den Overheadkosten bitte ich,
dies zu berücksichtigen. Bevor wir das Programm beginnen, sollte das Ministerium entsprechende Vorlagen präsentieren.
Goethe hat in seinem Werk „Wilhelm Meisters Wanderjahre“ formuliert:
Es ist nicht genug, zu wissen, man muss auch anwenden; …
Er hat die Entwicklungen, die sich heute vollziehen, gut
vorausgesehen. Wenn der Bund, die Länder, die öffentliche Hand erhebliche Mittel für die Forschung zur Verfügung stellen, müssen wir uns fragen, welche Produkte
damit entwickelt werden, wie viele neue Arbeitsplätze
und Ausbildungsplätze entstehen.
Wir erinnern uns an das negative Beispiel des MP3Players. Er wurde von einer deutschen Forschungsorganisation, der Fraunhofer-Gesellschaft, entwickelt. Der
Wirtschaft wurde angeboten, ihn zu produzieren. Leider
war kein deutsches Unternehmen bereit, dies zu tun.
Man ist dann nach Amerika gegangen. Die dortige Wirtschaft ist das Risiko eingegangen. Dort sind die Arbeitsplätze geschaffen worden, dort wird produziert. Gerade
dieses Beispiel ist abschreckend. Mit dem 6-MilliardenEuro-Programm wollen wir erreichen, dass so etwas
nicht noch einmal geschieht.
({4})
Im Einzelplan 30 beschäftigen wir uns mit der Frage,
wie wir die Zukunft gestalten wollen. Natürlich brauchen wir auch dafür gut ausgebildete Wissenschaftler.
Deswegen gilt es, auch über die Lehre nachzudenken.
Dank der Bemühungen insbesondere meines Kollegen
Tauss ist es im Rahmen der Verfassungsreform gelungen, dass die Länder bereit sind, Gelder des Bundes anzunehmen.
({5})
Entsprechende Regelungen sind bei der Reform des
Grundgesetzes getroffen worden. Die Annahme der Gelder wird auch durch den Hochschulpakt 2020 gewährleistet.
Der erste Ansatz beträgt 160 Millionen Euro. Wir
können in der mittelfristigen Finanzplanung eine steigende Tendenz feststellen. Hinzu kommen die Mittel aus
dem Hochschulbauprogramm. Frau Ministerin, unserer
Meinung nach kann eine Freigabe der Mittel erst erfolgen, wenn konkrete Vorlagen da sind. Hier sind zunächst
einmal die Länder gefordert, sich untereinander abzustimmen. Sie müssen ein abgestimmtes Konzept zu der
Frage, was sie wollen, vorlegen. Das geht uns hier im
Bundestag weniger an. Interessant ist, dass sich die Länder jetzt mit 16 : 0 einigen müssen. Das heißt, sie sind
gezwungen, eine gemeinsame Vorlage zu erarbeiten.
({6})
Eine gerechte Verteilung der Finanzlasten der Länder entsprechend dem Anteil der Studierenden ist unserer Meinung nach dringend erforderlich.
({7})
Investitionsmittel des Bundes kann es meiner Ansicht
nach nur geben, wenn die Länder - das ist wichtig - zusätzliche Studienplätze schaffen und sie finanzieren. Das
möchte ich deutlich herausstellen.
({8})
Im Entschließungsantrag der CDU/CSU und SPD zur
Grundgesetzänderung auf Drucksache 16/2052 heißt es:
Eine quantitative Steigerung der Zulassungszahlen ist
notwendig. Daran sollten wir uns orientieren. Wir sollten
auch sehen, dass die Studierendenzahlen in den nächsten
Jahren um 25 bis 30 Prozent ansteigen werden. Deswegen ist schnelles Handeln erforderlich.
({9})
Ich fasse zusammen: Notwendig sind aus meiner
Sicht die Freigabe der Mittel, ein klares und faires Konzept und Vereinbarungen zwischen den Ländern. Die
Aufgabenverteilung muss gerecht erfolgen und auch
zwischen Bund und Ländern müssen entsprechende Vereinbarungen getroffen werden.
Herr Kollege, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Vielen Dank, Frau Präsidentin.
Ich komme zum Schluss. Ich denke, dass wir sowohl
durch den Hochschulpakt als auch durch die Erhöhung
der Mittel für Stipendien und ein sicheres BAföG der
jungen Generation demonstrieren können, dass wir Interesse daran haben, ihre Zukunft zu sichern und zu gestalten, und dass nicht nur Interesse bei einigen Ländern besteht, durch Studiengebühren bei den Studenten
abzukassieren. In diesem Sinne hoffe ich auf gute Beratungen im Ausschuss.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Petra Sitte, Fraktion Die
Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das
Bundesministerium für Bildung und Forschung nimmt
mit einer Etathöhe von 8,25 Milliarden Euro den fünften
Rang unter den Einzelhaushalten ein. Höhere Etats sind
für Arbeit und Soziales, für die Bundesschuld, für Verkehr und Bau und für das Verteidigungsministerium veranschlagt.
Im Koalitionsvertrag wurden Bildung und Wissenschaft als „Schlüssel zur Zukunft“ bezeichnet. Für Bildung und Wissenschaft gibt diese Regierung in der
Summe aber nur ein Drittel des Verteidigungshaushaltes
aus.
({0})
Es liegt klar auf der Hand: Diese Entwicklung geht in
die falsche Richtung.
Gemessen an den zivilisatorischen Herausforderungen müsste das Haushaltsvolumen für Bildung und Forschung eigentlich wesentlich höher sein.
({1})
Wie sonst, wenn nicht durch Bildung, Wissenschaft und
Wirtschaft werden wichtige Grundlagen der Gesellschaft
konditioniert? Haushalt ist eben ein Bestandteil von Gesellschaftspolitik. Die soziale Frage ist nicht mehr von
Bildungs- und Wissenschaftspolitik zu trennen. Deswegen muss ein Haushalt auch Ungleichheiten abbauen. Er
muss dazu beitragen, dass viele in dieser Republik an
solchen gesellschaftlichen Ressourcen wie Bildung und
Arbeit teilhaben können.
({2})
Im jüngsten Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands wird gefordert, dass Bund und
Länder in Vorlage gehen. Darin heißt es:
Die grüne Welle für Forschung und Technologie,
Bildung und Wissenschaft in den öffentlichen
Haushalten ist nicht nur auf dem Papier festzuschreiben, sondern konsequent in der notwendigen
Umschichtung der öffentlichen Haushalte von
Bund und Ländern umzusetzen.
Die Steigerungen der Ausgaben für Bildung und Forschung in diesem Haushalt - so begrüßenswert sie allemal sind - bleiben nicht nur hinter dem Wünschenswerten, sondern auch hinter den Erfordernissen zurück.
({3})
Eines muss deutlich gesagt werden: Die aktuelle Ausgabensteigerung kompensiert zunächst nur den Rückgang der staatlichen Forschungsbeteiligung früherer
Jahre. Der Anteil des Staates an der Forschungsfinanzierung ging nämlich in den Jahren 1995 bis 2004 von
37,9 Prozent auf 30,4 Prozent zurück. Die angekündigten 6 Milliarden Euro für zukunftsträchtige Forschungsund Entwicklungsinvestitionen sind also nicht wirklich
zusätzliches Geld.
Anlässlich dieses Programms sagte die Bundesforschungsministerin - ich zitiere -:
Bildung und Forschung werden in Deutschland die
neue Gerechtigkeit schaffen.
Ich zitiere weiter:
Mit einer ausgezeichneten Bildung für alle Menschen schaffen wir die neue Gerechtigkeit.
({4})
Da höre ich im Übrigen auch die Vorsitzende der CDUGrundsatzkommission heraus.
Es wird Sie also nicht wundern, wenn wir an dieser
Stelle die Frage stellen, welche bildungs- und forschungspolitischen Weichenstellungen konkret in Richtung einer ausgezeichneten Bildungssituation gestellt
werden. Wie steht es um die Referenzprojekte der so genannten neuen Gerechtigkeit?
Ich komme als erstes zur Föderalismusreform, der
„Mutter aller Reformen“, wie es der Ministerpräsident
aus Bayern in der ihm eigenen Bescheidenheit formulierte. Die Föderalismusreform ist beschlossene Sache.
Von allen Seiten unbestritten wird deutlich angemahnt
und beklagt, dass der Bund in der Bildungspolitik wesentliche Kompetenzen verloren hat. Die gemeinsame
Bildungsplanung ist stark beschnitten. Das Ganztagsschulprogramm als beispielgebender bildungspolitischer Impuls wäre künftig nicht mehr möglich, weil Sie
ein Kooperationsverbot verankert haben. Die Abschaffung der Gesetzgebungskompetenz für das Hochschulrahmengesetz verhindert künftig bundesweit geltende
Mindestregelungen über Ziele und Aufgaben von Hochschulen.
({5})
- Nein, mein Guter, daran ganz bestimmt nicht.
({6})
Die Abweichungsmöglichkeiten der Bundesländer im
Bereich der Hochschulzulassung und Hochschulabschlüsse werden die Mobilität der Studierenden einschränken. Die millionenschwere Gemeinschaftsaufgabe
„Hochschulbau“ läuft aus. Modellversuche von Bund
und Ländern im Bildungsbereich sowie Hochschulsonderprogramme, die gerade für die Förderung von Frauen
in der Wissenschaft wichtig sind, werden künftig nicht
mehr möglich sein. Das ist ein echter Verlust. Zu diesem
Schluss kommt man, wenn man bedenkt, dass schon
heute viele Bundesländer nicht in der Lage sind, diese
bewährten Instrumente fortzuschreiben.
({7})
- Das ist nicht falsch.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Tauss?
Was bleibt mir anderes übrig?
Bitte, Herr Tauss.
Sie könnten Nein sagen; das wäre die Alternative.
Aber ich bedanke mich, dass Sie meine Frage zulassen.
Möglicherweise dient sie der Klarstellung.
Liebe Kollegin Sitte, Sie haben gerade gesagt, Hochschulsonderprogramme seien künftig nicht mehr möglich. Darf ich Sie bitten, sich den neuen Art. 91 b zu Gemüte zu führen, der ausdrücklich die von Ihnen
angesprochenen Dinge ermöglicht? Dort haben wir eine
neue echte Gemeinschaftsaufgabe begründet. Die Hochschulrektorenkonferenz sagt, das sei eine gute Lösung.
Würden Sie das konzedieren?
Herr Tauss, Sie wissen genauso gut wie ich, dass in
der Debatte über die Föderalismusreform daran Kritik
geübt wurde; denn nun ist ein Abstimmungsprozess zwischen dem Bund und 16 Bundesländern notwendig. Alle
16 Bundesländer müssen nun die gleichen Prioritäten
setzen.
({0})
- Nein. Man braucht eine einstimmige Entscheidung der
Länder.
({1})
Ob das für das ausgesprochen erfolgreiche Programm
„Frauen in der Wissenschaft“ gut ist, bezweifle ich. Sie
wissen sicherlich, wie hoch der Anteil der Professorinnen in diesem Land ist, dass der Anteil promovierter
Frauen in einem Missverhältnis zum Anteil der Frauen
unter den Professoren steht - man kann durchaus von einem Bruch sprechen - und dass die Lösung dieses Problems keine Priorität bei einem Finanzminister in der
Bundesrepublik Deutschland haben wird.
({2})
- Das ist zu hoffen.
Das erste große Referenzprojekt der Bundesregierung
wird nicht mehr Gerechtigkeit in Bildung und Wissenschaft bringen, sondern Unterschiede vertiefen. Das bedeutet nichts anderes als Ungerechtigkeiten. Schon jetzt
starke Bundesländer und Universitäten werden davon
profitieren. Aber die anderen werden nicht nur abgekoppelt. Vielmehr wird sich ihr Rückstand noch vergrößern.
Risikogruppen werden wachsen und sehen sich schließlich mit der Tatsache konfrontiert, dass sie von zunehmend geringer werdenden so genannten Leistungsgruppen unterstützt werden müssen. Das halte ich für ein
falsches gesellschaftliches Konzept.
({3})
Als zweites großes Referenzprojekt gilt der Hochschulpakt 2020. Darüber laufen noch die Verhandlungen zwischen den Ländern.
({4})
Aber schon jetzt ist klar, dass die Probleme, die die Föderalismusreform verursacht, durch diesen Pakt nicht
kompensiert werden können.
({5})
Der Bund sieht laut eigener Planung bis 2010 rund
1 Milliarde Euro für den Hochschulpakt vor. Im Haushalt 2007 sind dafür 160 Millionen Euro eingestellt. Bis
2014 wird sich die Zahl der Studierenden - so die Prognose der Kultusministerkonferenz - auf 2,7 Millionen
erhöhen. Nun hat der Wissenschaftsrat seinerseits berechnet, was sich daraus finanziell ergibt, und festgestellt, dass allein in diesem Jahr 400 Millionen Euro eingestellt werden müssten. Es sind aber nur 160 Millionen
Euro. Wir haben es also schon jetzt mit einer großen Differenz zu tun.
({6})
- Ja, sicher.
Zudem ist dieser Ansatz schon jetzt völlig überfrachtet; denn die Kapazitäten sollen spürbar ausgebaut werden und 16 Bundesländer sollen daran partizipieren.
Darüber hinaus soll die Forschung gefördert und die
Sonderprogramme sollen ausgeglichen werden. Das
funktioniert natürlich nicht. Das heißt, es wird keinen
wirksamen Beitrag zur Reduzierung der Unterfinanzierung des Hochschulwesens geben.
({7})
- Das weiß jeder.
Die Studienbedingungen werden sich unter dem Ansturm neuer Jahrgänge verschlechtern. Die individuelle
soziale Situation jedes Einzelnen bzw. jeder Einzelnen
wird sich auf den nächsten Bildungsgang auswirken. Insofern bleiben die angekündigten Investitionen in die
Köpfe wohl eher eine Worthülse. Auch hier zeigt sich
keine neue Gerechtigkeit.
({8})
In der letzten Woche hat Frau Schavan eine Hightechstrategie verkündet. Auch diese sollte als Referenzprojekt für neue Gerechtigkeit sorgen.
({9})
Neben der Bereitstellung wachsender Mittel für Grundlagenforschung war es überfällig - da stimme ich Ihnen
zu -, Voraussetzungen für die bessere Umsetzung von
Forschungsergebnissen zu schaffen.
Eine Strategie aus einem Guss, wie Sie es selbst formuliert haben, gehört auch zu unserem Konzept. Insofern ist diesem Ansatz zuzustimmen. Natürlich bringt
die Bündelung von Wissenschaft und Wirtschaft am
Ende mehr Arbeitsplätze. Selbstverständlich begünstigt
sie den Wandel in strukturschwachen Gebieten. Das
weiß jemand besonders gut, der - wie ich - aus einem
Gebiet kommt, in dem innerhalb weniger Jahre
60 000 Arbeitsplätze allein in zwei Betrieben weggefallen sind.
Nichtsdestotrotz bedarf aber gerade die Förderung
von Hochtechnologien auch einer gesellschaftlichen
Debatte. Die Risiken und Chancen von geförderten
hochsensiblen Technologien werden heute kaum noch
thematisiert. Ich erwähne hier nur die Gentechnik und
die Sicherheitsforschung. Wenn man dazu irgendetwas
sagt, bekommt man sofort den Vorwurf, ideologische
Scheuklappen zu tragen.
({10})
Ich finde aber, das gehört in die öffentliche Debatte und
nicht nur in Innovationskreise. Es werden eben nicht nur
Steuergelder ausgegeben - das allein wäre schon Grund
genug -, sondern es werden auch Grundlagen unseres
gesellschaftlichen Zusammenlebens berührt - ob das soziale und ökologische Nachhaltigkeit betrifft oder Demokratie und Bürgerrechte.
({11})
Ich will an dieser Stelle einmal anmerken: Eine Forschungsförderung, die ausschließlich unter dem Primat
der Ökonomie und der Verwertbarkeit von Forschungsergebnissen für neue Märkte steht,
({12})
kann grundsätzlich natürlich nicht zuerst auf Gerechtigkeit abzielen. Innovation ist eben nicht nur, wenn der
Markt laut Hurra schreit. Da sind schon Zweifel angebracht, ob diese Forschungspolitik mit ihren Ergebnissen
am Ende allen Menschen in diesem Lande zugute
kommt.
({13})
Abschließend möchte ich mich zwei Referenzprojekten widmen: der beruflichen Ausbildung - die haben
auch Sie erwähnt - und der beruflichen Weiterbildung die haben Sie zum wiederholten Male nicht erwähnt.
({14})
Zum Pakt für Ausbildung will ich nur sagen: Es fehlen
nach wie vor 140 000 Plätze. Alles, was Sie dazu gesagt
haben, stellt quasi einen Tropfen auf den heißen Stein
dar. Nichtsdestotrotz ist es wichtig, gerade in diesem Bereich als Integrationsleistung vermehrt Mittel einzustellen.
Zum Thema Weiterbildung will ich sagen: Wir haben einen akuten Fachkräftemangel. Zudem gibt es Tausende Arbeitslose, die über eine abgeschlossene Lehre
oder eine abgeschlossene Hochschulausbildung verfügen. Natürlich müssten diese Leute als Erste in die Weiterbildung aufgenommen werden. Was passierte? Es
kam das Leben und es kamen die Bundesanstalt für Arbeit und Hartz IV daher, und 40 000 Leute im Bereich
der beruflichen Weiterbildung verloren innerhalb kürzester Zeit ihre Beschäftigung. Die, die übrig geblieben
sind, arbeiten zum großen Teil in prekären Beschäftigungsverhältnissen zu Niedriglöhnen.
({15})
Bezeichnend für diese Entwicklung ist, dass man inzwischen sogar von „pädagogischen Wanderarbeitern“
spricht. Das kann doch wohl nicht wahr sein. Daran
muss unbedingt etwas geändert werden.
({16})
Ich will an dieser Stelle noch erwähnen, was ich im
Bereich der Weiterbildung als „Krönung“ empfinde:
dass nämlich die mittelfristige Finanzplanung vorsieht,
den ohnehin schon sehr geringen Anteil der Weiterbildung weiter zu reduzieren. Das halte ich für falsch. Wir
werden das auch in den Ausschussberatungen thematisieren. An dieser Stelle bedürfte es eigentlich eines Bundesgesetzes für berufliche Weiterbildung. Aber - um auf
Ihre Frage zurückzukommen, Herr Tauss - Bund und
Länder haben es abgelehnt, sodass ein Rahmengesetz
weiter fehlen wird. Es bleibt bei einem dramatisch unterfinanzierten System.
({17})
Meine Damen und Herren, das alles kann eigentlich
nicht die „neue Gerechtigkeit“ sein, von der Sie gesprochen haben, Frau Schavan. Ich meine, diese Art „neue
Gerechtigkeit“ ist nichts anderes als die Fortsetzung der
alten Ungerechtigkeit mit neuen Mitteln.
Danke schön.
({18})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Priska Hinz, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
möchte mit einer positiven Feststellung beginnen: Es ist
gut, dass die Mittel für den Bildungs- und Forschungshaushalt in diesem Jahr erhöht wurden.
({0})
Das freut uns sehr. Trotzdem bleibt richtig, was meine
Kollegin Hajduk gestern gesagt hat: In der Finanzplanung werden die Mittel verstetigt, sie werden aber nicht
weiter erhöht. Von daher gibt es keinerlei absehbare weitere Investitionen in die Zukunft, was diesen Bereich angeht.
Priska Hinz ({1})
Natürlich ist es erfreulich, dass auch der Ansatz bei
der beruflichen Bildung erhöht wurde. Das ist aber auch
kein Problem, da er im letzten Jahr stark gekürzt wurde.
Jetzt kann man sich natürlich auf den Lorbeeren ausruhen und sagen: Da gibt es eine Erhöhung um 23 Prozent.
Nach wie vor zu wenig Geld fließt allerdings in die
Benachteiligtenförderung. Im Haushalt sind 67 Millionen Euro veranschlagt. Damit sind wir noch längst nicht
auf dem Niveau von 2005. Frau Schavan, das Programm
für die „Zweite Chance“, für die Sie seit einem Dreivierteljahr werben, suchen wir immer noch vergebens. Die
Zielgruppe dieses Programms ist es, die am meisten der
Förderung bedarf. Wenn die Kanzlerin es ablehnt, dass
die BA-Überschüsse, die jetzt einmalig angefallen sind,
auch für diese Zielgruppe eingesetzt werden, dann heißt
das, dass vielleicht mehr zusätzliche Ausbildungsplätze
in diesem Jahr zur Verfügung gestellt werden, aber wieder mehr Jugendliche auf der Straße bleiben als im letzten Jahr. Das ist das Grundproblem Ihrer Ausbildungspolitik.
({2})
Natürlich fehlt es an einer strukturellen Reform des
Berufsbildungssystems. Ihr Innovationskreis hat noch
nichts in Richtung Modularisierung und besserer Zertifizierung von Ausbildungsabschnitten zustande gebracht.
Doch das müsste dringend eingeführt werden, um den
jungen Menschen die Gelegenheit zu geben, überhaupt
eine Ausbildung zu machen.
Das Thema Weiterbildung haben Sie erwähnt, aber
nur im Sinne von Standardsetzung. Ihr Innovationskreis
beschäftigt sich mit Qualitätssicherungsmanagement.
„Wissensbasiert“ ist Ihr Lieblingswort. Aber es wird
kein Cent mehr für Weiterbildung ausgegeben. Das, was
Sie ins Fenster hängen, ist das Bildungssparen. Bildungssparen kann ein Baustein im Rahmen einer gesamten Weiterbildungsstrategie sein, aber man kann nicht
einseitig den Individuen die alleinige Verantwortung für
die Weiterbildung aufbürden; denn dann können wieder
nur bestimmte Menschen, die ein hohes Einkommen haben, Weiterbildung finanzieren und die anderen bleiben
außen vor. Wir jedenfalls werden Ihnen bei diesem
Thema noch Nachhilfe geben.
({3})
Der Schwerpunkt der Ministerin soll die Forschungspolitik sein. Sie haben die Hightechstrategie vorgestellt. Wir fragen uns, warum eigentlich eine Bauchladenförderung eine gezielte Innovationsstrategie sein
soll.
({4})
Alles wird jetzt unter das Thema Hightechstrategie subsumiert. Wir haben vor allem drei Kritikpunkte an dieser
Hightechstrategie.
Erstens. Alle Forschungsbereiche werden nach dem
Kriterium der sofortigen Verwertbarkeit eingeordnet.
Frau Sitte hat schon darauf hingewiesen. Es besteht natürlich das Problem, die Forschung und kleine und mittlere Unternehmen zusammenzubringen und gute Ideen
und Innovationen schnell in Produkte umzusetzen. Aber
die Lösung kann nicht heißen, bei der Förderpolitik die
Grundlagenforschung zu vergessen.
({5})
Wir brauchen auch einen Erkenntnisgewinn. Der ist
dringend notwendig. In der Hightechstrategie wird aber
vor allen Dingen Ihre Technikzentriertheit deutlich. Das
kann man der Hochglanzbroschüre wunderbar entnehmen.
({6})
Mein zweiter Kritikpunkt. Die öffentlichen Mittel
werden nicht auf zukunftsträchtige Bereiche konzentriert. Wenn Sie jetzt 11 Millionen Euro für Fusionsforschung ausgeben wollen,
({7})
statt vorrangig das Geld für Klimaforschung und erneuerbare Energien auszugeben, dann ist das eine falsche
Weichenstellung.
({8})
Wir haben doch jetzt im Haushalt wieder das Problem,
dass die Kosten für den Rückbau der Versuchsanlage auf
235 Millionen Euro steigen. Das ist ein Fass ohne Boden. Jetzt wollen Sie auch noch Geld in die Fusionsforschung stecken. Das ist ein völlig falscher Ansatz.
({9})
Agrogentechnik ist kein Heilsbringer. Die Mehrheit
der Bundesbürger und -bürgerinnen wollen das auf dieser Basis hergestellte Zeug nicht essen; sie wollen kein
Genfood. Also lassen Sie die Finger von der Agrogentechnik und der zusätzlichen Förderung dieses Bereiches!
Warum wollen Sie so viel Geld in die Raumfahrttechnik stecken, anstatt die Mobilitätsforschung und integrierte Verkehrskonzepte zu fördern? Warum gibt es
kaum Mittel für Innovationen im Dienstleistungssektor?
Schließlich leben wir in einer wissensbasierten Gesellschaft und es ist zu erwarten, dass in diesem Sektor neue
Arbeitsplätze entstehen. Solche Weichenstellungen vermissen wir in Ihrer Hightechstrategie.
({10})
Drittens. Ein Grundproblem ist, dass Sie Ihr Versprechen, die Geistes- und Sozialwissenschaften in Ihre
Hightechstrategie einzubeziehen, nicht einlösen.
({11})
Ihre Hightechstrategie ist technologiefixiert. Sie wollen
vor allen Dingen Unternehmensentwicklungen unterstützen. Das sieht man auch bei der Sicherheitsforschung.
Aber es ist nicht nötig, Unternehmen zu unterstützen, die
Priska Hinz ({12})
dank ihrer technischen Apparate schon jetzt sehr viel
Geld verdienen.
Wir haben noch viele Fragen zur Forschungsprämie.
({13})
Kollege Hagemann hat vieles vorweggenommen. Wir
werden dem nachgehen, damit es nicht zu Mitnahmeeffekten kommt und tatsächlich Innovationen finanziert
werden können.
Wir haben vor allen Dingen noch viele Fragen dazu,
wie Sie eigentlich Nachwuchsförderung betreiben wollen, Frau Schavan. „In kluge Köpfe investieren, kluge
Köpfe gewinnen“ ist Ihr Motto. Aber zu dieser Zielgruppe gehören augenscheinlich nicht die Frauen. Die
Mehrzahl der Frauen in den Nachwuchsbereichen wird
von der Vereinbarung „Realisierung der Chancengleichheit für Frauen in Forschung und Lehre“ nicht mehr profitieren können; denn das wurde ersatzlos gestrichen.
Das ist eine falsche Politik.
({14})
Wir glauben, dass mehr Geld im Haushalt allein nicht
ausreicht, um eine zukunftsträchtige und innovative Politik zu machen. Deshalb können wir diesen Haushalt
nicht unterstützen.
Danke schön.
({15})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Ilse Aigner, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Kollegin Hinz, Ihr Vorwurf, Frau
Ministerin Schavan tue nichts für die Geisteswissenschaften, ist vollkommen aus der Luft gegriffen, um
nicht zu sagen: absurd. Die Geisteswissenschaften haben
in den letzten Jahrzehnten wahrscheinlich keinen so starken Aufwuchs erfahren. Man kann das so wirklich nicht
im Raum stehen lassen.
({0})
Der Haushalt 2007 ist eigentlich der erste Haushalt
der großen Koalition. Der Haushalt 2006 war mehr ein
Übergangshaushalt. Ich wage, hier zu sagen: Dieser
Haushalt ist ein neuer Start. Mit den fünf Buchstaben des
Wortes „Start“ lassen sich fünf Themen verbinden: S wie
Sanieren, T wie Technologien, A wie Anreize, R wie Reformen und T wie Talente.
({1})
Zum ersten Punkt. Ich glaube, wir brauchen nicht
ernsthaft darüber zu diskutieren, dass der Bundeshaushalt saniert werden muss. Die Bundesregierung wird
dies Schritt für Schritt realisieren. Wie in einer Firma
reicht Sanieren allein nicht aus; vielmehr muss eine
Firma auch in die Zukunft investieren. Das tut auch
diese Bundesregierung; sie investiert in die Zukunft. Wir
haben mit dem Koalitionsvertrag, wie schon erwähnt,
ein Programm aufgelegt, das vorsieht, in dieser Legislaturperiode 6 Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung zu investieren.
({2})
Auch dies wird die Bundesregierung - zusätzlich Schritt für Schritt realisieren.
({3})
Der Haushalt des Forschungsministeriums erfährt
eine enorme Steigerungsrate von über 6 Prozent. Dies
sind über 500 Millionen Euro zusätzlich. Mein Dank gilt
hier der Frau Ministerin und dem Bundesfinanzministerium, aber auch den Kolleginnen und Kollegen des
Haushaltsausschusses. Es ist relativ leicht, Umschichtungen zu fordern. Umso schwieriger ist es, das zu realisieren. Deshalb kann man nicht oft genug betonen, dass
es in diesem Haushalt eine konkrete Umsteuerung hin zu
Zukunftsinvestitionen gibt.
({4})
Geld allein ist aber nicht alles. Auch deshalb haben
wir diese Hightechstrategie entwickelt. Damit komme
ich zum Stichwort „Technologien“. Bei der Verfolgung
dieser Hightechstrategie ist zum ersten Mal ressortübergreifend zusammengearbeitet worden. Man hat mir berichtet, dass in diesem Frühjahr alle an der Nanotechnologie beteiligten Ministerien dieser Bundesregierung
zum ersten Mal an einem Tisch gesessen haben, um sich
über dieses Thema zu verständigen und eine Innovationsstrategie festzulegen. Das wird eine Kernaufgabe
der Bundesregierung sein. Wie die Frau Ministerin gesagt hat, ist es der Startschuss und eigentlich das Drehbuch für die nächste Zeit. Am Ende dieser Legislaturperiode werden wir damit mehr für Forschung getan
haben und wir sind hoffentlich auf einem guten Weg in
eine innovative Gesellschaft.
({5})
Richtig ist auch, dass neue Themenfelder dazugekommen sind, weil neue Herausforderungen entstanden sind.
Am Montag jähren sich zum fünften Mal die verheerenden Attentate von New York. Es folgten Attentate in
Spanien und in England. Die EU hat dieses Thema aufgegriffen und im 7. Forschungsrahmenprogramm die
Sicherheitsforschung aufgenommen. Wir müssen dies
auf nationaler Ebene flankieren.
({6})
Mit dem neuen Programm zur Sicherheitsforschung
entwickeln wir das zivile Potenzial unserer Industrie auf
einem weltweit wachsenden Sektor. Wie sehr dies im Interesse der Menschen ist, ist uns erst im Juli wieder - leider - vor Augen geführt worden. Ich denke an die Kofferbomben, die Gott sei Dank nicht explodiert sind.
Leider wollen dies offensichtlich einige im Haus immer
noch zum Tabu erklären.
Die Menschen haben dafür kein Verständnis.
({7})
Sie wollen und sie brauchen Sicherheit - Sicherheit vor
terroristischen Anschlägen, vor Verbrechen und auch
zum Schutz der Privatsphäre im vollelektronischen Zeitalter. Es ist richtig, dass wir bis zum Ende der Legislaturperiode 100 Millionen Euro in diesen Bereich investieren. Es ist höchste Zeit.
({8})
- Nicht nur. Sehr geehrter Dispatcher, es ist ein neuer
Schwerpunkt.
Mit der Hightechstrategie kommen nicht nur neue
Themen, sondern es gibt auch neue Instrumente. Die will
ich unter den Begriff der Anreize subsumieren. Wir sprechen hier von der Vollkostenfinanzierung und von der
Forschungsprämie. Wir gehen damit neue Wege, etwas
weg von staatlichen Steuerungsinstrumenten und mehr
hin zu wissenschafts- und wirtschaftsgetriebener Forschung im Wettbewerb der Besten. Damit ist eindeutig
unsere Handschrift erkennbar.
Der so genannte Overhead auf eingeworbene Mittel
der Deutschen Forschungsgemeinschaft stärkt die Hochschulforschung und ist das zentrale Angebot des Bundes
für den Hochschulpakt.
({9})
Mit diesem Aufschlag zur Deckung der Gemeinkosten
der Universitäten besteht noch mehr Anreiz, sich um
diese Mittel zu bemühen.
({10})
Die Forschungsprämie ist ein Kernelement der
Hightechstrategie.
({11})
Sie ist im Prinzip eine Art Overheadfinanzierung für
Mittel, die man nicht aus dem öffentlichen Bereich, sondern von der Wirtschaft akquiriert. Einig sind wir uns,
glaube ich, darüber: Wir brauchen die Wirtschaft zur Erreichung des 3-Prozent-Ziels.
({12})
Sie muss zwei Drittel des Volumens bringen. Deshalb
müssen wir die Anreize entsprechend setzen.
Mit der Forschungsprämie konzentrieren wir uns auf
den Mittelstand. Warum konzentrieren wir uns auf den
Mittelstand? Die Großindustrie forscht weitestgehend
selbstständig. Der Mittelstand weiß oft überhaupt nicht,
was die Forschungsinstitutionen für ihn überhaupt leisten können. Also Konzentration der Forschungsprämie
auf den Mittelstand, damit das Rückgrat unserer Wirtschaft, der Mittelstand, bei Forschung und Entwicklung
einen entscheidenden Schub nach vorn bekommt.
({13})
Wichtig dabei ist, dass dies ein sehr unbürokratisches
Instrument ist. Die Mittel werden nicht vergeben, weil
ein Programm aufgelegt wird, sondern weil aus der Wissenschaft heraus ein Gedanke entsteht und dann gemeinsam mit den Forschungseinrichtungen ein Projekt entwickelt wird. Damit wird sozusagen aus dem eigenen
Ansatz heraus Forschung und Entwicklung betrieben.
({14})
- Es geht bald los; ganz ruhig. Wir werden den Antrag
demnächst einbringen bzw. die Vorbereitungen sind
schon getroffen.
In diesem Zusammenhang möchte ich auch noch einmal darauf hinweisen, dass das Volumen des FH-Programms innerhalb von zwei Jahren verdreifacht wird,
nämlich von 10 auf 30 Millionen Euro. Das ist eine riesige Leistung. Wir sind uns einig darüber, glaube ich,
dass die Fachhochschulen der Motor schlechthin für den
Mittelstand vor Ort sind.
({15})
Ich komme zum vierten Punkt: Reformieren ist wichtig. Eine Reform hat uns direkt betroffen, die Föderalismusreform. Trotz aller Unkenrufe ist sie gut gelungen.
({16})
- Doch, sie ist gut gelungen.
({17})
Die Verantwortlichkeiten im Bildungs- und Forschungsbereich wurden klar zugeordnet. Mit der Einigung über
den Hochschulpakt haben wir eine verfassungsrechtliche
Grundlage geschaffen, auf der wir gemeinsam unter anderem Programme zur Sicherung der Kapazitäten auflegen können.
Damit bin ich bei meinem letzten Punkt, nämlich den
Talenten. Ich glaube, das ist ein Punkt, der der Frau Ministerin ganz besonders am Herzen liegt. Sie betont immer wieder, dass wir in unserem Land ohne die Talente
überhaupt nicht - jetzt hätte ich fast gesagt: überleben
können. Sie sind eigentlich die Basis. Aus diesem
Grunde müssen wir sie fördern. Deshalb werden wir den
Hochschulpakt gemeinsam mit den Ländern aufstellen.
({18})
Das geschieht in diesem Herbst. Die Länder müssen da
ihren eigenen Beitrag leisten.
({19})
Das gilt aber nicht nur für die Hochschulausbildung,
sondern wir müssen auch im Bereich der beruflichen
Bildung entsprechend die Weichen stellen. Hier gibt es
mit „Jobstarter“ und „EQJ“ Programme, mit denen wir
dafür sorgen, dass diejenigen, die noch nicht versorgt
sind, unterkommen.
Für mich ist aber viel wichtiger, dass Strukturreformen nach dem neuen Berufsbildungsgesetz auch durchgeführt werden. Die gestuften Ausbildungen, die der
Kollege Schummer gemeinsam mit dem Kollegen Brase
vorangebracht hat und die schon in der letzten Legislaturperiode eingeführt wurden,
({20})
müssen auch umgesetzt werden, damit junge Menschen
die Chance erhalten, überhaupt in einen Betrieb einsteigen zu können. Dies ist auch ein Beitrag zur Sicherung
des schon angesprochenen Fachkräftenachwuchses,
den wir dringend brauchen und der in den nächsten Jahren fast zur Mangelware werden könnte. Deshalb werden wir unser Augenmerk darauf richten.
Sehr geehrte Damen und Herren, noch einmal zusammengefasst: S wie Sanieren, T wie Technologien, A wie
Anreize, R wie Reformen und T wie Talente - S-t-a-r-t:
der Start in eine gute Zukunft.
({21})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Cornelia Pieper,
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Eigentlich wollte ich zu Beginn meiner Rede nicht auf
die Föderalismusreform eingehen. Aber nachdem
meine Vorrednerin dieses Thema aufgegriffen hat, muss
ich es tun. Ich glaube, dass diese Föderalismusreform
gerade für uns Bildungs- und Forschungspolitiker nicht
der große Wurf ist, sondern eher nach hinten losgehen
wird.
({0})
Denn es kommt in der globalen Welt von heute darauf
an, dass wir fit werden für den Wettbewerb, dass der europäische Bildungsraum gestärkt wird, dass eine nationale Bildungs- und Forschungsstrategie entwickelt wird.
Frau Ministerin, Sie haben in Ihren Reden vor Verbänden, die ich gelegentlich verfolgen konnte, selbst ausdrücklich Wert darauf gelegt, dass Deutschland sich an
europäischen, an internationalen Maßstäben ausrichtet.
Aber mit dieser Föderalismusreform, mit dieser Zersplitterung der Bildungslandschaft ist das in Zukunft aus
meiner Sicht nicht mehr leistbar.
({1})
Meine Damen und Herren, wir reden heute über den
Haushalt. Aber ich glaube, es ist wichtig, festzuhalten,
dass Sie, Frau Ministerin, Ihrer Verantwortung als Bundesbildungsministerin nicht gerecht geworden sind, seit
Sie in diesem Amt sind. Denn Sie haben Bereiche vernachlässigt, die für die Zukunft vieler Arbeitsloser, insbesondere Langzeitarbeitsloser, in diesem Land entscheidend sind, ebenso für viele junge Menschen, die
keinen Schulabschluss schaffen und keine Berufsausbildung machen können. Das sind in Deutschland
9 Prozent; jedes Jahr verlassen 82 000 junge Menschen
ohne Schulabschluss die Schule. Für diese Menschen ist
die Weiterbildung eine wichtige Säule der Bildungspolitik; für sie ist es die Zukunft. So schaffen sie es vielleicht überhaupt noch, in den Arbeitsmarkt zu kommen
bzw. zurückzukehren. Unter Ihnen, Frau Ministerin, ist
diese vierte Säule, die Weiterbildung, zum fünften Rad
am Wagen der Bildungspolitik dieser Bundesregierung
geworden.
({2})
Ich will es einmal auf den Punkt bringen: Der Titel für
Weiterbildung und lebenslanges Lernen ist gegenüber
den Istausgaben 2005 um 12 Prozent, mehr als
5 Millionen Euro, gekürzt worden. Dabei ist Weiterbildung - ich sage es noch einmal - der Schlüssel zum Erfolg auch bei der Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit. Seit dem Jahr 2000 sind die jährlich neu
begonnenen Maßnahmen von 520 000 um mehr als
300 000 reduziert worden. Das ist ein Armutszeugnis für
die Bundesregierung.
({3})
- Lieber Herr Tauss, hören Sie mir zu! Da können Sie etwas lernen.
Was ich von manchen Bürgerinnen und Bürgern, die
sich an die Arbeitsagentur wenden, da so zu hören bekomme! Eine Frau wollte eine Maßnahme zur Umschulung zur Altenpflegerin machen und konnte sogar eine
Einstellungsgarantie des Trägers vorweisen. Von der
Bundesagentur hat sie einen Brief mit der Ablehnung der
Finanzierung dieser Weiterbildungsmaßnahme mit der
Begründung bekommen - ich zitiere -: Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Dame X nach Abschluss der Umschulung in der Altenpflege bereits 46 Jahre alt ist.
Erfahrungsgemäß haben Umschulungsabsolventen in
dieser Branche ohne Berufserfahrung im Vergleich zu
jüngeren Berufsanfängern ungünstigere Einstiegschancen. Auch die Vorlage von Einstellungszusagen ändert
hieran prinzipiell nichts.
({4})
Meine Damen und Herren, wir reden hier vom lebenslangen Lernen. Eine 46 Jahre alte Frau ist jung. Wir alle
sollten uns weiterbilden, egal wie alt wir sind. Ändern
Sie also diese Strategie in Ihrer Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik!
({5})
Zum Hochschulpakt. Frau Ministerin, hier wurde vieles angesprochen. Ich möchte fragen, wie es um den
Hochschulpakt steht. Können Sie nach der von Ihnen
unterstützten Föderalismusreform überhaupt noch die
nötigen Initiativen entfalten? Da stellen sich mir viele
verfassungsrechtliche Fragen. Wann kommt der Pakt
konkret?
Wir haben gehört, dass der Studierendenberg anwachsen wird. Das heißt, es geht vorwiegend um die Finanzierung zusätzlicher Stellen in der Hochschullehre.
Wenn man den Schlüssel von einem Professor auf
20 Studierende zugrunde legt, dann würde das 35 000
neue Stellen bedeuten. Die Spitzenuniversitäten in den
Vereinigten Staaten haben eine Relation von 1 : 10; an
dieser Stelle ist das einmal erwähnenswert. Bei uns liegt
der Schlüssel bei 1 : 60. Da gibt es noch viel zu tun.
Das bedeutet, Sie müssen hier zulegen. Sie müssen
mehr Finanz- und Investitionsmittel für die Hochschulen
einstellen. Das Centrum für Hochschulforschung der
Bertelsmann-Stiftung hat im Juni dieses Jahres in einem
Gutachten bereits für 2007 ein Defizit von 36 000 Studienplätzen in Gesamtdeutschland aufgezeigt. Auch aufgrund der demografischen Entwicklung muss man berücksichtigen, dass gerade in den neuen Bundesländern
eine ganz andere Situation eintreten wird. Im Westen
wird der Studentenberg wachsen. An den Hochschulen im
Osten Deutschlands jedoch werden zukünftig mehr Studienplätze zur Verfügung stehen: bis 2009 15 000 freie
Studienplätze, so wurde errechnet. In den alten Bundesländern dagegen wird es ein Defizit von 46 000 geben.
Wir von der FDP erwarten von Ihnen eine Zukunftsinitiative für die Hochschulen in den neuen Bundesländern mit einem gezielten Hochschulmarketing nach
der Devise „Go east!“, damit junge Studierende aus den
alten Bundesländern mehr in Erwägung ziehen, auch an
Universitäten in den neuen Bundesländern zu gehen.
({6})
Die Weichenstellungen in diesem Haushalt werden
zeigen, ob Deutschland die forschungsbasierte Technologienation in Europa und der Welt sein kann. Ich finde,
Sie gehen mit viel zu viel Ängstlichkeit und vielen ideologischen Prestigeprojekten voran, Frau Ministerin. Sie
blockieren Initiativen auf europäischer Ebene. Sie haben
sich im Zusammenhang mit der Stammzellforschung Ihrer Initiative im Rahmen des 7. EU-Rahmenforschungsprogramms gerühmt. Wir verurteilen dies; denn so kann
man nicht Innovationsmotor in Europa sein. Der Motor
stockt doch, wenn Sie in der Grünen Gentechnik und der
Stammzellforschung, die in der regenerativen Medizin
bzw. der Gesundheitsforschung ein wichtiger Bereich
ist, nicht vorangehen, wenn auch ethische Auflagen
- dies ist auch für uns Liberale wichtig - notwendig
sind.
({7})
Stoßen Sie das Tor endlich auf und seien Sie nicht so
ängstlich!
Frau Kollegin, beachten Sie bitte Ihre Redezeit.
Frau Präsidentin, natürlich weiß ich, dass meine Redezeit zu diesem Beitrag vorbei ist. Ich komme jetzt zum
Ende, möchte aber auf Folgendes hinweisen: Auch
meine Vorredner haben länger geredet.
Frau Pieper, das entspricht nicht der Wahrheit. Ich
bitte Sie jetzt wirklich, Ihren Schlusssatz zu sagen.
Sehr gern, Frau Präsidentin.
Frau Ministerin, wir erwarten von Ihnen in Zukunft
mehr Mut in der Bildungs- und Forschungspolitik. Dann
werden auch wir Sie unterstützen.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Nicolette Kressl, SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Man kann nicht in die Zukunft schauen, aber man
kann den Grund für etwas Zukünftiges legen - denn
Zukunft kann man bauen.
Das ist ein Zitat eines meiner Lieblingsschriftsteller,
Antoine de Saint-Exupéry. Auf was, wenn nicht auf den
Haushalt für Bildung und Forschung, kann dieses Zitat
übertragen werden und symbolhaft gelten?
({0})
Dieses Zitat gilt zunächst für das Volumen an sich,
nämlich für den Aufwuchs um 6,2 Prozent. Wenn wir
das von uns initiierte IZBB - ich finde, es ist immer
noch ein wichtiges Programm -, das in einem anderen
Einzelplan steht, zu dem Haushalt hinzunehmen, dann
liegen wir insgesamt bei 9,4 Milliarden Euro für Bildung, Forschung und Wissenschaft. Das ist schon ein
ganz wichtiges Ziel, das wir in vielen Jahren erreicht haben.
({1})
Ob wir einen guten Grund für den Erfolg von Forschung, Wissenschaft und Bildung bauen, hat natürlich
nicht nur etwas mit dem Finanzvolumen zu tun, sondern
auch damit, wie gut und klug dieser Grund aufgebaut ist.
Denn Innovationen und Entwicklungen in diesem Bereich - ich will es einmal bildlich sagen - wachsen nie
für sich allein. Es gehören immer ganz viele Elemente
zusammen, damit wir hier erfolgreich sein können. Wir
müssen sehr vieles im Bereich Bildung und Forschung
verzahnen. Auch dafür gibt es in diesem Haushalt gute
Ansatzpunkte.
({2})
Ich will drei Beispiele dafür nennen. Da ist zunächst
die Hightechstrategie. Es ist völlig richtig und ein guter
Schritt, den schon in den letzten Jahren erfolgreichen
Ansatz, Schlüsseltechnologien aufzugreifen, jetzt
ressortübergreifend zu verfolgen. Damit erfolgt die Konzentration auf das Wesentliche.
({3})
In diesem Zusammenhang wird auch über eine Forschungsprämie gesprochen. Wir haben diesen Punkt
zwar noch nicht festgezurrt. Aber ich möchte dazu sagen, dass wir dies ausdrücklich unterstützen.
({4})
Aber wie in solchen Fällen üblich liegen die kritischen
Punkte immer im Detail. Wir werden darüber noch miteinander zu diskutieren haben; denn wir wollen, dass es
für die mittelständischen Unternehmen hier einen erfolgreichen Ansatz gibt.
({5})
Frau Kollegin, die Kollegin Flach möchte Ihnen gerne
eine Zwischenfrage stellen. Lassen Sie sie zu?
Ja.
Bitte schön.
Danke schön, Frau Kollegin. - Sie haben zu Recht
darauf hingewiesen, dass es sich im Prinzip nicht um
viel Neues handelt, sondern dass einfach der Versuch gestartet worden ist, Punkte endgültig zusammenzuführen.
Das haben wir alle schon immer eingefordert. Die Ministerin hat erklärt, mit dieser Strategie würden
1,5 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen. Können
Sie mir erklären, warum diese Maßnahme im Gegensatz
zur Vergangenheit in den nächsten Jahren greifen wird?
Sehr geehrte Frau Flach, ich kann mich überhaupt
nicht daran erinnern, dass Frau Ministerin Schavan gesagt hat, dass diese Maßnahme jetzt sofort greifen wird.
Sie wissen doch, dass der Aufbau von Arbeitsplätzen
durch Investitionen in die Forschung erfolgen soll. Sie
haben vorhin davon gesprochen, dass wir die Grundlagenforschung fördern müssen. Jetzt wollen Sie ernsthaft
behaupten, Frau Schavan und wir wüssten nicht, dass es
Zeit braucht, bis diese Arbeitsplätze geschaffen werden.
Unsere Strategie fördert jetzt den Aufbau von Arbeitsplätzen. Aber es ist ein fortwährender Prozess, den wir
gemeinsam weiterentwickeln wollen. Insofern kann ich
die Logik Ihrer Frage nicht erkennen.
({0})
Wenn die Präsidentin es erlaubt.
Frau Kollegin, der von Ihnen besonders geschätzte
Kollege Tauss möchte Ihnen gerne eine weitere Zwischenfrage stellen. Lassen Sie diese zu?
({0})
Bitte schön, Herr Tauss.
Frau Kollegin Kressl, ich möchte da gerne noch einmal nachfragen. Die Frage der Kollegin Flach impliziert,
dass dieser Punkt bisher nicht zur Kenntnis genommen
worden ist. Sollten wir uns nicht einmal darüber unterhalten, welche Investitionen in Forschung und Entwicklung beispielsweise in den letzten Jahren zu neuen Arbeitsplätzen beigetragen haben? Die Firmen, vor allem
die großen, machen heute Umsätze in Bereichen, die es
vor fünf Jahren noch gar nicht gegeben hat. Auch im Export stellen wir das fest.
Aus meiner oder unserer Region kenne ich die genaue
Zahl nicht. Da möchte ich die Kollegin Kressl fragen, ob
sie diese kennt. Nach meiner Kenntnis sind allein in meinem Wahlkreis 12 000 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze im letzten Jahr neu entstanden. Teilen Sie
meine Auffassung, dass der Pessimismus der Kollegin
Flach an dieser Stelle nicht ganz zutreffend ist?
Sehr geehrter, geschätzter Herr Kollege Tauss!
({0})
Ich glaube, die Frage von Frau Flach war nicht von Pessimismus geprägt, eher von dem allerdings vergeblichen
Versuch, die Strategie, die wir bisher hatten, in Misskredit zu bringen.
({1})
Ich möchte Ihre Frage anhand eines konkreten Beispiels
beantworten: Wir haben sehr konkrete Zahlen über Arbeitsplätze, die durch die Förderung neuer Energietechnologien entstanden sind. Erst in der letzten Woche
haben wir erfahren, dass wir in kurzer Zeit
40 000 Arbeitsplätze durch die Investitionen im Bereich
neue Energien, Solartechnik aufgebaut haben.
({2})
Damit haben wir kein Problem.
({3})
Wir sind davon überzeugt, dass es Sinn macht, bei der
Hightechstrategie - ich habe das schon erwähnt - auf bestimmte Schlüsseltechnologien zu setzen. Dazu gehört
auch das Programm in der Sicherheitsforschung. Darüber wurde schon gesprochen. Wir stimmen dem auch
zu.
Für uns allerdings - darauf werden wir sehr genau
achten - gehört die Atomenergie - dazu gibt es unterschiedliche Positionen in den Fraktionen - nicht zu den
zukunftsfähigen Schlüsseltechnologien. Ich erinnere an
die Summe, die Herr Hagemann genannt hat, die wir im
Moment für den Rückbau von Kerntechnikanlagen ausgeben müssen. Für uns ist es sehr wichtig, dass nicht
durch die Hintertür bei der Sicherheitsforschung Kernforschung mitfinanziert wird. Das möchte ich auch noch
einmal für unsere Fraktion sehr deutlich sagen.
({4})
Frau Hinz, Sie haben gesagt, das sei nur technologieorientiert. Es ist mir überhaupt nicht klar, wie Sie bei
diesem Haushalt zu dieser Aussage kommen. Wir setzen
in diesem Bereich noch einmal 50 Prozent Aufwuchs
drauf. Ich halte es für wichtig, das zu tun. Denn man
muss sehen: Innovationen entstehen aus Überschneidungen. Der Bereich der Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften leistet einen enormen Beitrag zur Förderung
von Innovation, auch wenn das nicht sofort ablesbar ist.
({5})
Deshalb unterstützen wir den Zuwachs in diesem Bereich ausdrücklich. Diese wissenschaftliche Arbeit ist
für die Zukunftsfähigkeit eines Landes genauso wichtig
wie die auf den ersten Blick rein ökonomisch orientierte
Wissenschaft. Beide müssen zusammenarbeiten. So werden wir erfolgreicher sein, als wenn wir getrennt in
Schubladen arbeiten und denken.
({6})
Ich möchte, weil ich gesagt habe, dass es neben dem
Volumen auch immer eine Verzahnung geben muss,
noch einmal darauf hinweisen, wie eng die Hochschulpolitik und die Ausbildungspolitik miteinander verzahnt sind.
Wir wissen seit Jahren, dass es einen Verdrängungswettbewerb von Abiturientinnen und Abiturienten im
Ausbildungsbereich gibt. Ich habe kein Problem damit,
wenn junge Menschen aus Überzeugung eine Ausbildung beginnen.
Was wir aber nicht zulassen dürfen, ist, dass die jungen Menschen eine Berufsausbildung beginnen, weil sie
ihre Chancen nach einer akademischen Ausbildung so
schlecht einschätzen. Ich bin dem Arbeits- und Sozialminister dankbar, dass er heute Morgen die Frage „Generation Praktikum“ noch einmal sehr offensiv angesprochen hat.
({7})
Das betrifft nicht nur ein Feld. Die Unsicherheit von
Studierenden oder Abiturienten wirkt sich darauf aus, ob
sie in den Ausbildungsmarkt gehen.
({8})
Die Tendenz, dass inzwischen nur noch Realschüler in
Berufen genommen werden, bei denen früher Hauptschüler eine Chance hatten, ist schlecht. Wir können da
nicht einfach zusehen. Das ist einer der Gründe, warum
wir eine gute Hochschulpolitik brauchen; denn gute
Hochschulpolitik - über den Hochschulpakt wird Herr
Rossmann noch etwas sagen - wirkt sich eben auch auf
dem Ausbildungsmarkt aus. Wir müssen das Thema in
seiner Verzahnung sehen. Nur so können wir eine gute
Bildungs- und Forschungspolitik machen.
({9})
Lassen Sie mich noch etwas zum Thema Ausbildung
sagen. Die Zahlenbasis ist so unsicher wie selten zuvor.
Wir fürchten, dass die Zahl der Unternehmen, die ihre
freien Ausbildungsplätze der Bundesagentur für Arbeit
melden - man spricht von der Einschaltquote -, gegenüber den letzten Jahren gesunken ist. Daraus folgern wir,
dass die BA-Zahlen weniger aussagekräftig sind. Das
ändert aber nichts daran, dass wir mit sehr viel Engagement in die Nachvermittlungsphase gehen müssen. Wir
müssen uns auch um die Jugendlichen kümmern, die
- ich sage das in Anführungszeichen - ein ganz spezielles Problem haben, die weniger akzeptiert werden, weil
sie etwa einen Migrationshintergrund haben oder - das
muss man ehrlicherweise hinzufügen - nicht ausbildungsreif sind.
Ich will an die Debatte von heute Morgen anknüpfen.
Franz Müntefering hat heute Morgen angekündigt, die
Zahl der Einstiegspraktika von 25 000 auf 40 000 erhöhen zu wollen. Das betrifft zwar nicht diesen Haushalt,
aber es ist mit ihm verzahnt. Auch hier sind wir auf dem
richtigen Weg. Ich finde es gut, dass in diesem Zusammenhang zusätzliche Mittel investiert werden.
({10})
Zum Thema Einstiegsqualifikationen muss man aber
auch Folgendes sagen: Sie wurden Teil des Ausbildungspakts, weil wir wissen, dass es Jugendliche gibt, die
Schwierigkeiten haben, einen Ausbildungsplatz zu finden. Wir wollen aber nicht, dass verstärkt Realschüler
und Abiturienten in diese Maßnahmen geholt werden. Es
wird auf die IHKs ankommen. Sie müssen bei der Vermittlung der Unternehmen sehr genau hinschauen. Es
gibt sehr viele IHKs, die sich auf diesem Gebiet schon
engagieren. Wie gesagt: Einstiegsqualifikationen sind
wichtig, aber sie müssen zielgenau eingesetzt werden. In
den nächsten Wochen werden wir hier genau hinschauen.
({11})
Zusammenfassend sage ich - Frau Präsidentin, das ist
meine letzte Bemerkung -: Wir sind sicher, dass das
Fundament, auf dem die Zukunftsfähigkeit basiert, mittels dieses Haushalts weiter gestärkt wird. Frau Ministerin, die SPD-Fraktion unterstützt Sie ausdrücklich bei
der Umsetzung dieser Programme und beim Thema Verzahnung. Das wird umso besser gelingen, je stärker Regierung und Parlament verzahnt zusammenarbeiten.
Vielen Dank.
({12})
Das Wort hat der Kollege Kai Gehring, Bündnis 90/
Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Stellen Sie sich vor, es ist Geburtstag und fast niemand
feiert ihn. So geschehen vor wenigen Tagen, als das
BAföG 35 Jahre alt wurde. Frau Ministerin Schavan war
das Jubiläum des wichtigsten bildungspolitischen Förderungsinstrumentes lediglich ein paar kühle Zeilen wert.
Deutlicher kann man seine Abneigung gegenüber diesem Instrument kaum zeigen.
({0})
Dabei sorgt das BAföG bis heute dafür, dass mehr
junge Menschen, vor allem aus einkommensschwachen
Haushalten, studieren können. Die Ausbildungsförderung ist ein zentraler Baustein für mehr Zugangsgerechtigkeit und eine höhere Bildungsbeteiligung. Es ist bezeichnend, dass Sie darüber in Ihrer heutigen Rede kein
Wort verloren haben. In Ihrem Haushaltsentwurf kürzen
Sie die Ausgaben für die BAföG-Empfänger um insgesamt 32 Millionen Euro. Das, was Sie bei der Begabtenförderung richtigerweise drauflegen, nehmen Sie den
Schülern und Studierenden aus einkommensschwachen
Familien offensichtlich in dreifacher Höhe weg.
({1})
Für Ihre Kürzungen gibt es zwei mögliche Erklärungen. Entweder Sie planen Leistungseinschränkungen für
BAföG-Empfänger - ({2})
- Schauen Sie doch einmal in Ihren Haushaltsentwurf.
Beim „BAföG - Schülerinnen und Schüler“ ist ein Minus von 10 Millionen vorgesehen und beim „BAföG Zuschüsse an Studierende“ soll um 22 Millionen Euro
gekürzt werden. So steht es jedenfalls in Ihrem Entwurf.
Also entweder planen Sie Leistungseinschränkungen
- das wäre angesichts der Einführung von Studiengebühren in vielen Ländern ein weiterer Rückschlag für einkommensschwache Studierende - oder Sie rechnen mit
sinkenden Studierendenzahlen und haben Ihr Ziel, die
Studierendenquote auf 40 Prozent eines Jahrgang zu
steigern, längst wieder aufgegeben. Dies wäre ein fatales
Signal für den Wissensstandort Deutschland.
({3})
Dass Sie dieses Ziel, die Anhebung der Studierendenquote auf 40 Prozent, längst aufgegeben haben, lässt
auch Ihr Haushaltsansatz für den Hochschulpakt vermuten. Zunächst einmal ist vollkommen unklar, wofür
genau die eingestellten 160 Millionen Euro ausgegeben
werden sollen. Erwarten Sie etwa, dass der Bundestag
160 Millionen Euro freigibt, ohne zu wissen wofür? Legen Sie endlich ein Konzept für den Hochschulpakt vor,
Frau Schavan.
({4})
Wie wollen Sie den dringend notwendigen Ausbau
von Studienplätzen fördern? Welche Konsequenzen ziehen Sie aus der Föderalismusreform und daraus, dass
Kooperationen zwischen Bund und Ländern - anders als
Sie es ursprünglich wollten - möglich bleiben? Halten
Sie gebetsmühlenartig an Ihrer Umwegfinanzierung fest,
also nach dem Motto: „Der Bund gibt Geld für die Forschung und die Länder finanzieren die zusätzlichen Studienplätze“, oder haben Sie endlich eingesehen, dass
auch der Bund per Wissenschaftsförderung über den
neuen Art. 91 b des Grundgesetzes direkt in den Ausbau
der Studienplatzkapazitäten investieren kann und dies
angesichts steigender Studierendenzahl dringend muss?
({5})
Wir Grüne haben schon im Februar dieses Jahres ein
Konzept und einen umfassenden Forderungskatalog für
einen Hochschulqualitätspakt vorgelegt. Von Ihnen ist
bis heute nichts Substanzielles dazu gekommen.
({6})
- Das ist kein Regierungspapier, oder?
({7})
In jedem Fall muss wesentlich mehr Geld in den demografie- und bedarfsgerechten Ausbau der Studienplatzkapazitäten investiert werden, als von Ihnen im
Haushalt veranschlagt worden ist. Der Wissenschaftsrat
sieht auf Basis einer eher konservativen Kalkulation für
das nächste Jahr einen Bedarf von zusätzlich 400 Millionen Euro für mehr Studienplätze. Frau Sitte hatte vorhin
schon darauf hingewiesen. Das ist übrigens eine Zahl,
Frau Schavan, die Sie sich in Interviews zu Eigen gemacht haben. Dennoch stellen Sie lediglich 160 Millionen Euro für den Hochschulpakt zur Verfügung. Noch
vor wenigen Monaten hatten Sie in der mittelfristigen
Finanzplanung 210 Millionen Euro veranschlagt. Nun
ist es ein Viertel weniger; soviel zum Thema nachhaltige
Haushaltspolitik.
Damit gestehen Sie Ihre eigene Konzeptionslosigkeit
beim Hochschulpakt und auch den schleppenden FortKai Gehring
gang der Verhandlungen ein. Das Treffen in der Sommerpause musste ja abgesagt werden, weil alle im Urlaub waren.
({8})
Ich hoffe, dass Sie sich jetzt schnell wieder zusammensetzen, um Lösungen zu erarbeiten.
({9})
Es geht beim Kapazitätsaufbau nicht nur um Zahlen,
sondern vor allen Dingen darum, wer in die Hochschulen kommt und wer draußen bleiben muss.
Sie haben die Mittel für die Juniorprofessur im Haushaltsentwurf auf null gesetzt. Ich fände es sehr spannend,
zu wissen, ob das wirklich im Hochschulpakt enthalten
sein soll. Es stellt sich die Frage, ob diese im Hochschulpakt eingeplant sind. Das wäre dann finanzpolitische
Augenwischerei.
Herr Kollege, ich bin sehr gespannt auf Ihren letzten
Satz.
Mein letzter Satz. BAföG und Hochschulpakt zeigen
aus unserer Sicht: Bei den wichtigen hochschulpolitischen Instrumenten herrschen in Ihrem Haus entweder
Rotstift oder Konzeptionslosigkeit vor.
({0})
Als nächstes hat das Wort der Kollege Klaus-Peter
Willsch, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Als letzter Redner der CDU/CSU in dieser Debatte über den Einzelplan
„Bildung und Forschung“ muss ich natürlich auf einige
Punkte eingehen, die von Vorrednern hervorgehoben
wurden.
Frau Hinz, Sie haben sich darüber beklagt und die Gefahr an die Wand gemalt, dass die Gleichberechtigung
der Frauen ins Hintertreffen geraten könnte. Ich bin
jetzt von zehn Rednern in dieser Debatte der dritte
Mann. Wenn dieses Parlament einigermaßen Spiegel unserer Gesellschaft ist, dann ist es um die Frauen in Forschung und Bildung nicht schlecht bestellt.
({0})
Das ist ein weiter Weg, den ich jetzt gehe, aber ich will
dies ansprechen, um zu verdeutlichen, wie dürftig die
Kritik und die Argumente gegen den Entwurf waren, die
vonseiten der Opposition vorgetragen wurden. Sie haben
wirklich die letzten Punkte, die Sie irgendwie finden
konnten, herangezogen. Es hätte diesem Parlament gut
getan und es wäre ein schönes Zeichen für die Bevölkerung gewesen, wenn Sie gesagt hätten, dass wir in der
Frage, dass wir für Bildung und Forschung mehr tun
müssen, in diesem Haus übereinstimmen
({1})
und dass wir der Auffassung sind, auf dem richtigen
Weg zu sein. Stattdessen haben Sie künstlich an irgendwelchen Punkten herumgekrittelt. Das führt uns aber
nicht weiter.
Einen Punkt, Frau Hinz, will ich noch ansprechen: Sie
haben gesagt, die Grundlagenforschung würde ins
Hintertreffen geraten. Diese Aussage halte ich nun wirklich für abwegig. Sie wissen, dass wir die Mittel für die
großen Forschungsorganisationen seit Jahren um jährlich 3 Prozentpunkte erhöhen.
({2})
Hören Sie sich einmal an, wie das von denjenigen, die in
diesem Bereich arbeiten, beurteilt wird. Professor
Mlynek, der Präsident der Helmholtz-Gemeinschaft, hat
dazu gesagt: Das 6-Milliarden-Euro-Programm wird einen positiven Impuls für Deutschland als Innovationsstandort setzen. Gerade die Grundlagenforschung ist ein
Motor für Innovationen und damit auch für Wertschöpfung und die Entstehung neuer Arbeitsplätze. - Besser
hätte auch ich das nicht formulieren können.
Hier schlagen Sie Schlachten, die niemand angefangen hat. Denn gerade die Mittel für die Grundlagenforschung werden auf wirklich sinnvolle Weise vom Parlament bereitgestellt und vom Ministerium eingesetzt. Ich
glaube, in dieser Frage hätte uns etwas mehr Gemeinsamkeit und Übereinstimmung auch in der öffentlichen
Wahrnehmung und Darstellung gut getan.
({3})
Ich will noch eines nachtragen - denn offensichtlich
ist das in der Sommerpause untergegangen -: Lieber
Kollege Hagemann, Sie haben in einer Ihrer kurzen Zwischenfragen, die Sie im Wechselspiel mit dem Kollegen
Kröning gestellt haben, nach der Umsetzung gefragt.
Der entsprechende Bericht liegt uns vor. Am 20. Juli dieses Jahres wurde er unseren Büros zugesandt.
({4})
Ich habe eine Kopie dieses Berichts, die ich Ihnen gleich
geben werde, bei mir, sodass auch Sie ihn sich anschauen können. Lassen Sie uns dann in der Arbeitsgruppe und im Ausschuss in aller Ruhe beraten, wie die
Umsetzung in Zukunft angegangen wird.
({5})
Eines muss klar sein: Wir brauchen in Zukunft noch
mehr helle Köpfe in Deutschland. Im Hinblick auf die
Lohnkosten können wir in Europa nämlich keinen Wettbewerb gewinnen. Wir müssen, was die Ideen betrifft,
besser und schneller sein, und wir müssen in der technischen Entwicklung vorne sein. Vor allem - das Schöne
ist, dass wir das in dieser Deutlichkeit nun erstmals in
der parlamentarischen Beratung zum Haushaltsentwurf
festgehalten haben - müssen wir all das zusammenführen und in Form einer Strategie, der Hightechstrategie,
dafür sorgen, dass die Ideen, die bei uns entwickelt wurden, in Patente, in die Produktion, in neue Verfahren, in
den Markt und somit auch in den Export fließen.
({6})
Herr Kollege, der Kollege Kröning würde Ihnen
gerne eine Zwischenfrage stellen.
Jederzeit, Herr Kollege.
Bitte schön.
Frau Präsidentin! Herr Kollege Willsch, da meine
Zwischenfrage Ihre Redezeit verlängert, dürften Sie eigentlich kaum dagegen sein.
Sie haben eben den Bericht von Mitte Juli dieses Jahres in den Händen gehalten. Könnten Sie daraus bitte zitieren, wie die Bundesregierung sicherzustellen gedenkt,
dass die Länder ihren Beitrag von 0,5 Prozent und wie
die Wirtschaft ihren Beitrag von 2 Prozent bis zum
Jahr 2010 leisten? Seien Sie doch so nett, dem Hause das
vorzutragen.
({0})
Herr Kollege Kröning, ich danke Ihnen für Ihre Zwischenfrage. Aber ich bin nicht geneigt, die mir für die
Antwort auf Ihre Zwischenfrage eingeräumte Zeit dafür
zu verwenden, diesen Vermerk vorzulesen.
({0})
Er ist mir nämlich zu lang. Ich gebe ihn Ihnen oder dem
Kollegen Hagemann ja gleich. Dann können wir uns in
Ruhe austauschen. Aber ich bitte um Verständnis dafür,
dass ich das nicht für die richtige Form des parlamentarischen Umganges halte.
({1})
Die Hightechstrategie habe ich bereits angesprochen
und die Notwendigkeit betont, Ideen in Patente umzuwandeln und diese Patente auf den Markt zu bringen.
Hier ist bereits ein gutes Stück Arbeit geleistet worden.
Sicherlich werden wir in der Detaillierung im Haushaltsausschuss noch ausführlicher darüber diskutieren. Das
ist genau der Weg, den wir gehen müssen, wenn wir unser Ziel erreichen wollen, 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes unseres Landes für Forschung und Entwicklung zu mobilisieren und dieses Geld so einzusetzen,
dass es sich in zusätzlichen Arbeitsplätzen niederschlägt.
Deshalb unterstützen wir den Weg, den die Regierung
eingeschlagen hat.
({2})
Meine geschätzte Kollegin Aigner ist schon darauf
eingegangen, dass die Sicherheitsforschung in diesem
Zusammenhang ein wichtiger Aspekt ist. Ich denke, dieses Thema sollten wir wirklich sehr ernst nehmen. Denn
auf diesem Feld haben die Bürger ganz besonders hohe
Erwartungen an uns, und zwar zu Recht.
Schon im vordemokratischen Staat war die Gewährleistung der Sicherheit der Einwohner die höchste und
vornehmste Pflicht eines Staates. Das ist nach wie vor
so, insbesondere angesichts der Bedrohungsszenarien,
die wir erleben und die zum Teil dafür sorgen, dass wir
sprachlos sind und um Antworten ringen müssen. In einem solchen Fall können wir nicht ganz selbstverständlich sagen, dass sich schon alles regeln wird. Des Öfteren müssen wir leider zur Kenntnis nehmen, dass das
Leben riskant ist - jeden Tag. Gleichwohl hat der Bürger
einen Anspruch darauf, dass wir uns ihm gegenüber verantwortlich zeigen, auch durch die Förderung von mit
wissenschaftlicher Akribie betriebener Sicherheitsforschung, und das Menschenmögliche tun, um die Sicherheit zu gewährleisten. Das werden wir tun: Wir werden
Deutschland so sicher machen, wie das eine Regierung,
wie das ein Parlament in einem Land überhaupt organisieren kann. Deshalb ist es wichtig, dass die Sicherheitsforschung einen Schwerpunkt darstellt.
({3})
Ich möchte auf einen kleinen Dissens, den es unter
Partnern geben kann - sonst wäre das Leben langweilig -,
eingehen. Lieber Kollege Hagemann, Sie haben die Kosten für die Entsorgung des besagten Nuklearmaterials
beklagt. Sie wissen, dass nicht alles davon mit Kernenergie zu tun hat, sondern dass es um Material aus allen möglichen Bereichen der Grundlagenforschung geht.
({4})
In diesem Zusammenhang erlaube ich mir die Bemerkung - auch wenn es im Koalitionspapier erst einmal anders steht, wird man darüber diskutieren dürfen -, dass
es besonders ärgerlich ist, dass wir, wenn schon die Kosten da sind, auf die Erträge aus diesem Bereich verzichten wollen. Die könnten wir ganz leicht mitnehmen,
({5})
wenn wir uns dafür entschieden, die Kernkraftwerke ein
bisschen länger laufen zu lassen.
({6})
Das wäre gut für unser Land, das wäre gut für die Energieversorgung unserer Bürger, die dadurch kostengünstigen Strom bekämen. Jedenfalls wäre das klüger, als
wenn man sie stattdessen mit Atomstrom aus Frankreich
versorgt.
({7})
Bei diesem Thema werden wir geistig beweglich bleiben
müssen,
({8})
über dieses Thema werden wir unter Partnern weiter
streiten müssen.
Mit der Forschungsprämie betreten wir Neuland. Ich
bin im Sommer immer in meinem ganzen Wahlkreis unterwegs, besuche vor allen Dingen Firmen. Wir haben
Ausbildungsplätze mobilisiert und dabei auch über die
Forschungsprämie gesprochen. Sie ist sehr positiv aufgenommen worden, es gab sehr positive Resonanz. Denn
mit der Forschungsprämie rücken die Unternehmen stärker in das Blickfeld der universitären und der außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Zum Zweiten gibt
es mit Blick auf KMU einen erheblichen Aufwuchs der
Forschung durch Fachhochschulen. Denn häufig hat der
Betrieb vor Ort bereits eine Kooperation mit Werkstudenten, mit Studenten, die ihre Diplomarbeit schreiben,
oder Absolventen, die ihre Doktorarbeit schreiben, kennt
die Leute schon, und sieht jetzt eine neue Möglichkeit,
die Zusammenarbeit mit Wissenschaft und Forschung zu
intensivieren. Genau das ist es, was wir in Deutschland
brauchen. Den Schwerpunkt auf KMU zu setzen, war
deshalb völlig richtig. Wir werden uns, wenn es um die
Feinsteuerung geht, sicher noch verschiedentlich im
Haushaltsausschuss mit diesem Thema beschäftigen.
({9})
Ich warte geradezu sehnsüchtig auf die Frage der Präsidentin nach meinem letzten Satz.
Ja.
Ich erspare Ihnen die Mühe, mich insofern zu ermahnen. - Ich will zum Schluss ein kleines Schmankerl bringen.
Aber nur ein ganz kleines!
Ein ganz kleines. - Die „Bild“-Zeitung hat am letzten
Freitag Millionen von Lesern verkündet: Wer faul ist,
kann eigentlich nichts dafür. Wissenschaftler der Universität Minnesota haben das Stubenhockergen gefunden.
Es sorgt für einen Orexin-A-Mangel, der Trägheit hervorruft. - Ich finde, wir sollten es uns in Deutschland
nicht so leicht machen. Wir sollten anpacken, wir sollten
alle zusammen sagen: Jawohl, wir können es noch und
wir wollen wieder nach vorne. Wenn wir so weitermachen wie bisher im Bereich Bildung und Forschung, bin
ich mir sicher, dass wir mit dieser neuen Regierung nach
vorne kommen und Deutschland wieder an die Spitze
bringen.
Danke schön.
({0})
Es spricht der Kollege Dr. Dieter Rossmann, SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Als allerletzter Redner seitens der SPD-Fraktion muss
ich noch einmal an die letzte Parlamentsdebatte anknüpfen, als wir die Föderalismusreform verabschiedet haben. Der Sprecher des kleinsten Koalitionspartners, der
CSU, Herr Dr. Ramsauer, hat letztens erklärt, die SPD
sei fürchterlich unzuverlässig, weil sie bei der Föderalismusreform nicht Ruhe gegeben hätte, bis sie noch etwas
durchgesetzt hatte.
({0})
Wir freuen uns, dass wir die Kooperation des Bundes mit
den Ländern im Wissenschaftsbereich durchsetzen
konnten. Es ist uns ein Bedürfnis, Ihnen, Frau Aigner, zu
sagen: Sie haben den Kopf damals hochgereckt, Sie dürfen ihn aufbehalten. Es ist gut, dass wir an dieser Stelle
gemeinsam etwas frei geschlagen haben, damit es einen
guten Hochschulpakt geben kann.
({1})
Nach diesem Lob für Frau Aigner will ich umgekehrt
leicht süffisant sagen: Sie haben sich ja viel Mühe mit
dem Start gegeben. Wir können aber ganz selbstbewusst
sagen: Wir laufen schon seit langem, nämlich seit 1998,
erfolgreich - und nun laufen Sie mit. Das mag gut sein.
({2})
Man kann das auch anhand von Zahlen deutlich machen:
Alle in diesem Raum wissen, dass die Zahlen für Bildung und Forschung bis 1998 nach unten gingen, weil
CDU/CSU und FDP regiert haben. Seit 1998 gehen sie
nach oben, weil die SPD regiert, und zwar zuerst mit den
Grünen und danach mit der CDU/CSU. - Insoweit können wir das abwandeln, was uns gestern Ihr Fraktionsvorsitzender ins Stammbuch schreiben wollte, der
meinte, es sei immer dann gut, dass die SPD regiert,
wenn die CDU/CSU dabei sei. Wir sagen es jetzt anders:
Es ist immer gut für Bildung und Forschung, wenn die
SPD in Deutschland regiert.
({3})
Ich komme auf den Ausgangspunkt zurück, nämlich
auf die Föderalismusreform, mit der uns in der Tat eine
gemischte Speise aufgetischt worden ist. Wir haben ausdrückliche Kompetenzen in der Bildungsforschung und
in der Bildungsberichterstattung. Daneben haben wir
große Verantwortung und Kompetenz in der beruflichen
Bildung und wir haben die Förderkompetenz im Hochschulbereich. Zu diesen drei Punkten möchte ich einige
Anmerkungen machen und auch das in meine Ausführungen aufnehmen, was von den verschiedensten Kräften hier gesagt worden ist.
Frau Ministerin, für den Bereich der Bildungsforschung haben Sie meine ausdrückliche Anerkennung
dafür, dass die Mittel dort beträchtlich steigen und es damit zu einer Unterfütterung für die nationale Bildungsberichterstattung kommt. Dieses Instrument sollten wir
nutzen. Wir Sozialdemokraten können uns gut vorstellen
- bei Ihnen ist das sicherlich nicht anders -, dass der nationale Bildungsbericht Gegenstand einer Parlamentsberatung wird. Wir fordern von hier aus auf, dass das auch
in allen Länderparlamenten geschieht.
({4})
Wenn es eine nationale Bildungsverantwortung gibt,
dann müssen sich Bund und Länder gemeinsam bemühen, aus diesem Instrument etwas zu machen und die
Bildungsforschung in den Blick zu nehmen.
Wir haben heute bei der Beratung über den Haushalt
des Arbeits- und Sozialministers gehört, dass es bezüglich der beruflichen Bildung eine breite Zustimmung
für die Nutzung der verschiedensten Instrumente gibt. Es
ist wichtig, dass auch etwas umgesetzt wird. An dieser
Stelle äußere ich meine ausdrückliche Freude darüber,
dass es in der Sommerpause gelungen ist, für Jugendliche mit Migrationshintergrund zusätzliche Plätze in der
überbetrieblichen Ausbildung zu mobilisieren.
({5})
Das schafft Vertrauen darin, dass dem inhaltlichen Anliegen, das damals während der Rütli-Debatte vorgebracht wurde, entsprochen wird. Bisher sind es
5 000 Plätze und es kommen noch 2 500 hinzu. Dabei
muss es nicht bleiben; denn wir haben eine ganz große
Verantwortung dafür, in diesem Bereich Verlässlichkeit
zu erreichen und für Qualifikation zu sorgen.
Wir erkennen ausdrücklich an, dass die Ministerin
den Anteil derer, die von der Hochbegabtenförderung
profitieren und ein entsprechendes Stipendium erhalten
- das bezieht sich auf den beruflichen und akademischen
Bereich -, von 0,7 Prozent auf 1 Prozent anheben will.
Dies wird von uns mitgetragen. Das ist eine richtige Entwicklung. Das andere große Förderwerk, das wir in
Deutschland haben, das BAföG, darf darunter aber nicht
leiden.
({6})
Um das hier gegenüber den Grünen einmal ausdrücklich
klarstellen: Es leidet nicht, denn es ist ein Leistungsgesetz und wenn dort nachfinanziert werden muss, dann
wird dort nachfinanziert. Die SPD hat im Koalitionsvertrag durchgesetzt, dass es ein Leistungsgesetz bleibt.
Dazu steht sie auch.
({7})
Wir werben allerdings dafür, das BAföG weiterzuentwickeln.
Wir haben jetzt die Chance, einen guten Hochschulpakt zu entwickeln, in den wir das aufnehmen, was
schon im Pakt für Forschung und Innovation und mit der
Exzellenzinitiative unter der Regierung von Schröder
und Bulmahn auf den Weg gebracht wurde. Dies findet
in der Hightechinitiative und im Hochschulpakt eine
Fortsetzung.
Es wird vielfach gefragt, welches die wesentlichen
Elemente des Hochschulpakts seien. Man kann das nicht
sagen, bevor man nicht in die abschließenden Verhandlungen mit dem Partner eingetreten ist. Es hat hier Zweifel gegeben, ob die diese Koalition tragenden Fraktionen
der CDU/CSU und der SPD die Ministerin nachdrücklich darin unterstützen, Entsprechendes einzufordern:
von der Wirtschaft, wenn es um Forschung geht, und
von den Ländern, wenn es um Hochschulbildung geht.
Wir wollen hier noch einmal ausdrücklich sagen: Sie haben jede Rückendeckung dafür, dass in diesen Bereichen
ein Gemeinschaftswerk zwischen Bund und Ländern
entsteht.
({8})
Es mag bei den jeweiligen Akzenten unterschiedliche
Meinungen geben. Folgende Elemente des Hochschulpaktes zeichnen sich aber ab:
Erstens. Die Vollkostenfinanzierung wird Teil eines
solchen Hochschulpakts sein.
Zweitens soll eine Förderung über Lecturer möglich
sein. Vielleicht kann man die Juniorprofessur als weiteres Element einbeziehen.
({9})
Es geht also um die unmittelbare Förderung von Lehre.
Dritte Komponente wird die Förderung von Frauen
sein müssen, weil die Frauen einen wesentlichen Anteil
der wachsenden Studierendenzahl darstellen werden. Es
geht hierbei um wesentliche Ressourcen, die sich endlich auch in einem erfolgreichen Studium entfalten können müssen.
({10})
Viertes Element ist die Stärkung der Fachhochschulen. Die Fachhochschulen sind ganz wichtige Ausbildungsträger im Hochschulbereich; sie haben eine lange
Tradition. Momentan kann man ein Zusammenwachsen
beobachten, sodass man alte Debatten über GesamthochDr. Ernst Dieter Rossmann
schulen fast vergessen kann. Wir sagen von uns aus:
Man sollte natürlich auch Aspekte wie die Erforschung
besserer Lehre berücksichtigen.
Eines ist wichtig: Es darf nicht nur ein Pakt der Quantität entstehen; es muss auch ein Pakt der Qualität werden.
({11})
Man sollte deutlich machen, dass hier zwei Elemente
miteinander verbunden werden: Auf der einen Seite werden die Ingenieur- und Naturwissenschaften ausgebaut;
auf der anderen Seite werden die Mittel für die Geistesund Sozialwissenschaften verdoppelt. Da diese Komponente hinzukommt, handelt es sich um eine ganzheitliche Strategie. Wir sind darauf angewiesen, dass an den
Hochschulen der Zukunft berufsbezogen, wissenschaftsorientiert, gleichzeitig aber auch gesellschaftlich und sozial verpflichtet studiert wird. Diese Koalition geht daran, die Umsetzung dieses Vorhabens materiell zu
unterfüttern.
({12})
Die Aussage in Bezug auf Kapazitäten und Qualitäten
ist uns wichtig, weil wir - ohne das mit Häme zu begleiten - wissen, in welch unterschiedlichem Maße die
Länder bisher daran beteiligt sind, Studienplätze zur
Verfügung zu stellen und Wissenschaftsressourcen zu
mobilisieren: Bayern hat ein Prä bei der Mobilisierung
von Wissenschaftsressourcen, aber nicht bei der Ausbildung von Studierenden. Wir haben Stadtstaaten, die sich
in beiden Bereichen, vor allen Dingen im Ausbildungsbereich, stark engagieren. Wir haben ein großes Flächenland wie NRW, das sich vor allen Dingen bei den Studienplatzkapazitäten engagiert.
Es wird ein Kunststück sein - aber wir werden Sie dabei unterstützen -, die verschiedenen Interessen so unter
einen Hut zu bringen, dass der Hochschulpakt tatsächlich als Botschaft für die Zukunft in Deutschland wirken
kann. Sie sollen von uns jede Unterstützung bekommen.
({13})
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Noch eine kleine Bemerkung: Vielleicht wären wir
schon weiter, wenn man sich in diesem Hause früher auf
eine kleine, aber wichtige, milliardenschwere Veränderung hätte einigen können: Hightech statt Hausbau. Wir
hätten schon drei Jahre weiter sein können. Dass wir es
jetzt erreichen, freut uns auch. Die Hightechinitiative ist
auf gutem, gemeinsamem Boden gewachsen.
Danke schön.
({0})
Damit ist die Aussprache zu diesem Geschäftsbereich
abgeschlossen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Einzelplan 16.
Außerdem rufe ich die Zusatztagesordnungspunkte 2
und 3 auf:
ZP 2 Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur
Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes
- Drucksache 16/2455 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter
Bleser, Ursula Heinen, Klaus Brähmig, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Mechthild Rawert, Waltraud Wolff ({1}), Ulrich Kelber, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Die weltweit letzten 100 westpazifischen Grauwale schützen
- Drucksache 16/2510 Wir warten, bis die Abgeordneten die Plätze gewechselt haben. - Als erster Redner hat das Wort der Bundesminister Sigmar Gabriel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute
Vormittag hat das Umweltbundesamt seinen Jahresbericht vorgestellt. Eines der wichtigsten Schwerpunktthemen dieses Jahresberichtes lautet:
Umweltschutz als Motor für Innovations- und Infrastrukturpolitik.
Die wissenschaftliche Botschaft des UBA ist eindeutig:
Die Zukunft für Wachstum und wirtschaftlichen Erfolg
liegt im Umweltschutz. Wer das ignoriert, gefährdet den
wirtschaftlichen Erfolg des Exportweltmeisters Deutschland und damit Tausende von Jobs in unserem Land.
({0})
Wenn aus insgesamt 6,5 Milliarden Menschen auf
dieser Erde demnächst 9 Milliarden werden und immer
mehr Menschen auf begrenzte Rohstoffe und Energiereserven zugreifen, deren Preise dadurch ständig ansteigen, dann drohen nicht nur extreme wirtschaftliche Gefahren für ein rohstoffarmes Land wie Deutschland, weil
sich die Preissteigerungen auf die Produkte auswirken,
die wir auf dem Weltmarkt absetzen müssen - wenn sich
Länder wie China in neomerkantilistischer Weise Rohstoffquellen kaufen, dann ist das für ein Land wie die
Bundesrepublik eine wirtschaftliche Gefahr -, sondern
es droht auch die Zunahme von Krieg und Bürgerkrieg
um Rohstoffquellen.
Die Alternativen liegen auf der Hand - sie sind weder
teuer noch unerreichbar -: mehr Effizienz in der Nutzung von Energie und Rohstoffen und verstärkter Einsatz von natürlichen und nachwachsenden Rohstoffen
statt der Abhängigkeit von begrenzten und damit knapper werdenden Rohstoffen. Damit wächst nicht nur die
Unabhängigkeit von knappen und teuren Rohstoffen;
vielmehr können wir beginnend bei dem Rohstoffeinsatz
und dem Produktdesign auch die Gesundheits- und Umweltgefahren immer weiter abbauen und die Schwierigkeiten bei der Nachnutzung oder Entsorgung immer weiter reduzieren.
Die Einsatzgebiete sind praktisch unbegrenzt. So
forscht beispielsweise die Deutsche Gesellschaft für
Luft- und Raumfahrttechnik am Forschungsflughafen
Braunschweig über den Ersatz von Metall und Kunststoff durch Materialien aus nachwachsenden Rohstoffen
im Flugzeugbau. Die Weiße Biotechnologie nutzt Mikroorganismen und Enzyme, um schadstoffhaltige Prozesse zum Beispiel in der Chemieindustrie zu ersetzen.
Sie ermöglicht zudem den völlig unproblematischen
Einsatz der Gentechnik, weil sie dort nur in geschlossenen Kreisläufen eingesetzt wird.
({1})
Die Nanotechnologie kann eine erhebliche Verringerung
des Energie- und Rohstoffeinsatzes ermöglichen. - Gerade ein Hochtechnologieland wie Deutschland kann
diese Alternativen nutzen und daraus enormen wirtschaftlichen Erfolg ziehen. Sie sind eine Riesenchance
für wirtschaftliches Wachstum und Arbeitsplätze, aber
auch für die Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen für uns und die künftigen Generationen.
({2})
In diesem Sinn verstehen die Regierungskoalition und
das Bundesumweltministerium ihre Arbeit in dieser Legislaturperiode. Der Haushaltsentwurf 2007 setzt erneut
entsprechende Schwerpunkte. Ich will nur einige Beispiele nennen.
Das erste Beispiel sind die erneuerbaren Energien.
Die Haushaltsansätze für Forschung und Entwicklung
erneuerbarer Energien wurden und werden unter dieser
Bundesregierung kontinuierlich und deutlich aufgestockt. 2005 haben sie noch 45 Millionen Euro betragen.
2006 waren es bereits 83 Millionen Euro. 2007 sind es
88 Millionen Euro und bis 2009 erfolgt ein jährlicher
Aufwuchs um 5 Millionen Euro. Auch der Abfluss der
Haushaltsmittel ist in diesem Bereich trotz des späten InKraft-Tretens des Haushaltes 2006 bis Ende August mit
einem vergleichbaren Volumen bewältigt worden: 2005
waren es 25,3 Millionen Euro; 2006 waren es in nur wenigen Wochen - genau gesagt: in sieben Wochen 25 Millionen Euro. Vorliegende Anträge werden seit
Jahresanfang kontinuierlich bewertet und die Bewilligung wird vorbereitet.
In diesem Bereich ist ein riesiges Jobwunder zu verzeichnen. Es sind 170 000 dauerhafte Arbeitsplätze im
Ingenieurwesen, für Facharbeiter und Kaufleute entstanden. Ich habe eben noch einen Teil der Debatte über den
Haushalt der Kollegin Schavan mitverfolgt. Wir beraten
im Zusammenhang mit den erneuerbaren Energien auch
die Frage der Erhöhung der Ausbildungskapazitäten. In
der letzten Gesprächsrunde ist uns mitgeteilt worden,
dass in der Branche der erneuerbaren Energien in den
nächsten Jahren rund 2 500 zusätzliche Ausbildungsplätze entstehen werden. Ich wünschte mir, dass sich andere Branchen daran ein Beispiel nehmen würden. Dann
ginge es uns besser.
({3})
Das zweite Beispiel ist das Marktanreizprogramm.
Bei der Beratung des Haushaltes gibt es zwei Botschaften. Die gute Botschaft lautet: Das Marktanreizprogramm entwickelt sich insbesondere im Bereich der erneuerbaren Wärme ungeheuer rasant. Im ersten Halbjahr
2006 wurden doppelt so viele Anträge gestellt wie im
gesamten Vorjahreszeitraum. Bereits jetzt sind es
25 Prozent mehr als im gesamten Jahr 2004.
Ich weiß, dass bei den letzten Haushaltsberatungen einige Kollegen darauf hingewiesen haben, dass es hier
Mittelabflussprobleme gibt. Das hatte damit zu tun, dass
das Programm noch nicht so bekannt war. Außerdem
waren damals die Rohstoffpreise niedriger. Das Programm hat nun sehr großen Zulauf und schafft Arbeitsplätze im Handwerk. Das führt aber zu folgenden Problemen: Da beim BAFA momentan kistenweise neue
Anträge eingehen - es sind 1 300 pro Tag; im Wesentlichen betreffen sie den Bereich der erneuerbaren Wärme -,
sind die begrenzten Mittel in Höhe von 180 Millionen
pro Jahr relativ schnell am Ende. Wir haben diesen Ansatz zwar im letzten Haushaltsjahr verstetigt. Aber wir
merken, dass wir an unsere Grenzen stoßen. Wenn wir
hier industriepolitisch und ökologisch genauso erfolgreich sein wollen wie im Bereich des erneuerbaren
Stroms, dann werden wir in den nächsten Monaten darüber nachdenken müssen, wie wir die Entwicklung verstetigen können und welche Konzepte notwendig sind,
um das begrenzte Mittelvolumen so zu organisieren,
dass wir der sich abzeichnenden Tendenz nachkommen
und damit sowohl etwas für das Klima als auch etwas für
die Arbeitsplätze im Handwerk tun können.
({4})
Das Förderprogramm für erneuerbare Wärme ist das
eine. Das andere ist das CO2-Gebäudesanierungsprogramm. Bei diesem Programm, das für den Umweltbereich wichtig ist und beim Kollegen Tiefensee ressortiert, lässt sich die gleiche Entwicklung beobachten. Der
Finanzminister hat bereits angekündigt, dass in diesem
Jahr 350 Millionen Euro - aus den Folgejahren vorgezogen - zusätzlich zur Verfügung gestellt werden, damit es
nicht zu einem Antragsstau kommt.
Das dritte Thema ist die Ressourceneffizienz. Es ist
höchste Zeit, dass wir uns mit dem Thema Effizienz stärBundesminister Sigmar Gabriel
ker als in der Vergangenheit auseinander setzen. Die
Weltmarktpreise für importierte Rohstoffe im Euroraum
sind von 2000 bis 2005 um 81 Prozent gestiegen. Die
beste Möglichkeit, hiergegen etwas zu unternehmen, ist,
effizienter mit Rohstoffen und Energie umzugehen.
Schließlich sind 40 Prozent der Kosten im produzierenden Gewerbe Materialkosten. Die durchschnittlichen
Lohnkosten liegen dagegen nur bei rund 25 Prozent. Angesichts dessen bin ich verwundert, warum wir täglich
darüber diskutieren, wie wir den Faktor Arbeit preiswerter machen können, was meistens dadurch geschieht,
dass Menschen arbeitslos gemacht werden. Wir sollten
stattdessen darüber reden, wie sich die Material- und die
Energieeffizienz erhöhen lassen. Es ist doch besser,
wenn wir Megawattstunden arbeitslos machen als Menschen.
({5})
Für das Bundesumweltministerium steht die Arbeit im
Bereich „Forschung und Energie“ im Mittelpunkt, genau
wie die Debatte in der EU über die Ökodesignrichtlinie
sowie der Dialog mit Gewerkschaftern und Unternehmern über eine stärkere Material- und Rohstoffeffizienz.
Das vierte Thema ist der Klimaschutz. Ich wiederhole
das, was ich in der Debatte über den Nationalen Allokationsplan und in Fragestunden gesagt habe. Ursprünglich war für die zweite Periode des Emissionshandels zur
Reduzierung der Treibhausgase, zur Verbesserung des
Klimaschutzes und zum Erreichen der Klimaschutzziele
in Deutschland eine Reduzierung der CO2-Gase um
21 Prozent bis 2012 geplant. Das werden wir sicherlich
schaffen. Damals wurde prognostiziert, dass man in der
zweiten Handelsperiode rund 500 Millionen Tonnen
CO2 emittieren muss. Wir haben einen Nationalen Allokationsplan vorgelegt, der 471 Millionen Tonnen CO2
vorsieht, also deutlich ambitionierter ist als das, was in
der letzten Legislaturperiode als notwendig vorhergesagt
wurde. Damals hatten wir eine Reduzierung von
3 Millionen Tonnen CO2. Nun sind es 15 Millionen Tonnen, die wir sozusagen als Senkung eingebaut haben.
Damals musste die Energiewirtschaft 3 Prozent Senkung
tragen. Nun sind es 15 Prozent. Ich halte das für einen
außerordentlichen Erfolg dieser Regierungskoalition.
Denjenigen, die behaupten, wir täten nichts, und das Jahr
2005 mit relativ geringer Emission herausgreifen, sage
ich: Wir können und dürfen uns nach den europäischen
Vorgaben nicht auf ein Jahr verlassen. Vielmehr müssen
wir die Durchschnittszahlen von 2002 bis 2006 zugrunde
legen.
Zum Thema Auktionierung: Ich wünsche mir, dass
wir schnell zu einer Auktionierung kommen. Aber dann
brauchen wir vorher Wettbewerb auf dem Strommarkt.
Sonst steigen die Preise weiter. Wir hätten dann nicht
mehr Geld und würden den Verbrauchern das Geld nur
schneller aus der Tasche ziehen.
({6})
Das fünfte Thema ist das nationale Naturerbe. Eine
herausragende Zusage der Bundesregierung ist die Festlegung, dass insgesamt 125 000 Hektar gesamtstaatlichrepräsentative Naturschutzflächen des Bundes unentgeltlich in eine Bundesstiftung eingebracht oder an die
Bundesländer übertragen werden. Wenn man weiß, dass
die Kenntnisse der Natur in Zukunft stärker gebraucht
werden, um die Industriepolitik abzusichern und zur
Neige gehende Rohstoffe zu ersetzen, dann muss man
dafür sorgen - das ist die Konsequenz -, dass die Artenvielfalt möglichst groß ist. Man sollte es schon aus Respekt vor der Schöpfung tun, die bewahrt werden muss.
Wer aber nur in der ökonomischen Kategorie denkt, dem
muss man sagen: Wenn du willst, dass Wirtschaft erfolgreich ist, dann darfst du nicht hinnehmen, dass die Rohstoffquellen der Zukunft zerstört werden, indem die Artenvielfalt immer mehr abnimmt. Deswegen wird das
Projekt, 125 000 Hektar Flächen in eine Bundesstiftung
einzubringen, nicht nur von der Naturschutzszene seit
langem gefordert. Es ist eines der wichtigsten Projekte,
die wir in den nächsten Jahren weiter voranbringen wollen.
({7})
- Ich kann Sie leider nicht verstehen. Das Klatschen war
lauter als Ihr Zwischenruf. Ich glaube, das ist auch berechtigt. Aber Sie werden zu diesem Thema ja mit Sicherheit noch Wesentliches beitragen.
Eine letzte Bemerkung zum Thema Atomenergie. Ich
will angesichts der Debatte über Forsmark und Brunsbüttel nur sagen, dass es bei der Haltung der Bundesregierung bleibt. Wir wissen, dass es sich dabei um eine
kritische Technologie handelt, und wir werden - das ist
die gemeinsame Position beider Koalitionsparteien - auf
die Sicherheit keinen Rabatt geben. Daran gibt es keinen
Zweifel.
({8})
Wir haben den Betreiber von Brunsbüttel aufgefordert, uns die technischen Nachweise für seine Behauptung zu erbringen, es gäbe bei ihm keine Wechselrichterproblematik wie in Forsmark, weil eine andere
Technologie verwendet werde. Er hat diese Nachweise
bis heute nicht erbracht und hat sich entschieden, zu sagen: Wir werden die gesamte Technik austauschen, um
uns überhaupt nicht mehr davon abhängig zu machen. Das zu kritisieren, halte ich für einen relativ abenteuerlichen Vorgang; denn das ist der Beweis dafür, dass es
richtig war, nach Forsmark den Betreibern nicht zu hundert Prozent zu glauben, sondern ihren Behauptungen
nachzugehen und sie zu prüfen.
Die Betreiber von Brunsbüttel haben nachgemeldet,
dass es doch mehr Probleme gebe, als sie ursprünglich
gedacht haben. Wir haben den Druck auf dem Kessel gehalten, um im Ergebnis eine Lösung zu finden. Jetzt zu
sagen: „Ihr müsst die abschalten“, und dabei zu ignorieren, dass es trotz eines denkbaren Ausfalls der Wechselrichter eine gesicherte Notstromversorgung gibt, heißt,
den Bund zur Willkür aufzufordern. Das gab es früher
nicht - das ist vernünftig gewesen - und das wird es
auch unter der neuen Regierung nicht geben.
({9})
Es bleibt dabei: Wir geben beim Thema Sicherheit
keinen Rabatt. Es bleibt auch bei der Koalitionsvereinbarung. Ich habe, wie gesagt, der vorhergehenden Debatte gelauscht. Mir fiele zum Thema Strompreise einiges ein, insbesondere die Tatsache, dass wir noch
Kernenergie nutzen und die Preise trotzdem steigen. Ich
verstehe daher nicht, dass man sagen kann, dass durch
die Nutzung der Kernenergie die Preisstabilität gewährleistet werde. Wir erleben derzeit das Gegenteil.
Meine Redezeit ist um. Ich bin mir aber sicher, dass
wir hier noch gelegentlich über dieses Thema zu sprechen haben.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({10})
Das Wort hat der Kollege Michael Kauch, FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Blicken
wir auf das Jahr 2007 - über diesen Haushalt beraten wir
heute -, so sind vor allem die deutschen Präsidentschaften in der Europäischen Union und in der Gruppe
der G-8-Staaten von herausragender Bedeutung. In diesen Präsidentschaften geht es um nicht mehr und nicht
weniger als um einen Planeten, den wir für unsere kommenden Generationen lebenswert erhalten wollen.
Es geht darum, die anstehenden Veränderungen der
wirtschaftlichen Strukturen durch Innovationen zu beschleunigen, damit - das ist unser Ziel - Europa weiterhin einer der Technologieführer in der Welt bleibt.
({0})
Deshalb muss Deutschland eine Priorität seiner Präsidentschaften auf die Themen Energiesicherheit und
Klimaschutz setzen. Beides ist untrennbar miteinander
verbunden. Dabei geht es aber nicht nur um die Aufgaben des Bundesumweltministers und des Bundeswirtschaftsministers. Ich würde mich freuen, wenn die Kanzlerin selbst diesen Themen in den Präsidentschaften, die
vor uns liegen, das notwendige Gewicht gibt.
({1})
Die jüngsten Zahlen zeigen, wie dringlich schnelles
weltweites Handeln ist; denn nach einer aktuellen Studie
der Internationalen Energieagentur werden die CO2Emissionen bis 2050 um 137 Prozent steigen, wenn wir
nichts verändern. Es geht also kaum noch um Reduzieren, sondern es geht darum, den Anstieg zu verringern,
der vor uns liegt. Das erfordert eine globale Klimaschutzoffensive mit dem Ziel einer CO2-armen Wirtschaft. Vor allem Energieeffizienz und die CO2-Abscheidung bei Kohlekraftwerken haben global die größten
Einsparpotenziale für CO2.
Diese Potenziale sind nach der Studie der Internationalen Energieagentur übrigens größer als die der Technologien, derentwegen wir uns im Parlament regelmäßig
die Köpfe einschlagen, größer als die von Kernenergie
und größer als die von erneuerbaren Energien, zumindest in globaler Sicht. Deshalb brauchen wir den Ausbau
erneuerbarer Energien. Wir brauchen aber auch die Forschung für andere Elemente des Energiemixes, den wir
für die Stabilisierung der globalen CO2-Emissionen
brauchen.
({2})
Machen wir uns nichts vor: Die Kohle, die Tausende von
Kilometern breit in der Erde Chinas liegt, wird verbrannt
werden. Die Frage ist, mit welcher Technologie. Da können wir Deutsche unseren Beitrag leisten.
({3})
Die nationale wie die internationale Energieforschung sind deshalb von essenzieller Bedeutung. Umso
bedauerlicher ist es, dass die Bundesregierung zwar auf
der einen Seite ein großes Tamtam mit dem Energiegipfel veranstaltet, auf der anderen Seite aber immer noch
nicht ein eigenes Programm, eine eigene Strategie zur
umweltfreundlichen Energienutzung und Energieerzeugung vorgelegt hat. Hier stochern Sie weiterhin im Nebel.
({4})
Die deutsche Präsidentschaft sollte bestrebt sein, die
internationale Kiotogemeinschaft möglichst schnell auf
weitere Staaten zu erweitern und den Emissionshandel
auf weitere Sektoren der Volkswirtschaft auszuweiten.
Daher sollte die EU-Ratspräsidentschaft die Kommission darin bestärken, den Emissionshandel auch auf den
Luftverkehr auszuweiten. Ich möchte der deutschen Präsidentschaft mit auf den Weg geben, dass das Europäische Parlament ein Modell vorgeschlagen hat, das gerade nicht die Einbeziehung des Luftverkehrs in den
Emissionshandel vorsieht, sondern ein separates Handelssystem. Dieses hätte die einzige Wirkung, den Luftverkehr zu verteuern, ohne eine wirkliche ökologische
Wirkung zu erzielen. Ich bitte Sie, dieses Modell zu verhindern und auf die Vorschläge der Europäischen Kommission zurückzukommen.
({5})
Die Bundesregierung muss erst einmal ihre Hausaufgaben in Deutschland erledigen, und zwar vor allem in
Bezug auf den Nationalen Allokationsplan II. Hier
kann man nur feststellen, dass die Bundesregierung weiterhin, wie auch in dieser Zuteilungsperiode, den Energieversorgern milliardenschwere Geschenke zulasten
der Verbraucher macht, indem sie die Zertifikate zu
100 Prozent kostenlos abgibt. Herr Gabriel, auch in
anderen Ländern gibt es noch nicht den perfekten Wettbewerb auf den Energiemärkten. Ich stelle aber fest: Dänemark versteigert 10 Prozent und Großbritannien versteigert 8 Prozent. Sie aber wollen nichts versteigern.
Offensichtlich wollen Sie die Geschenkpolitik fortsetzen.
({6})
Herr Gabriel, wir wollen die Emissionszertifikate in
dem Umfang versteigern lassen, wie es die EU zulässt.
Das wäre im Interesse auch der Verbraucherinnen und
Verbraucher. Die Zertifikate sind sowieso in die Energiepreise eingerechnet. Wenn Sie sie versteigern würden,
könnten Sie die eingenommenen Mittel nutzen, um die
Stromsteuer zu senken. Das würde die Strompreise für
die Verbraucherinnen und Verbraucher senken und nicht
steigern.
({7})
Ich möchte auch die Kolleginnen und Kollegen von der
Linkspartei dazu einladen, unser Modell zu unterstützen;
denn die Senkung der Stromsteuer würde genau dem
entgegenwirken, was Sie heute öffentlichkeitswirksam
vorangestellt haben, nämlich dem Umstand, dass die hohen Energiepreise die Armut in Deutschland fördern.
Es gibt ein weiteres Problem mit dem Nationalen
Allokationsplan II, das ein wenig versteckt ist. In Ihrem
Plan steht, dass Neuanlagen, die bis 2012 gebaut werden, keinen Erfüllungsfaktor haben, also hundertprozentig ausgestattet werden. Haben Sie eigentlich geprüft, ob
diese hundertprozentige Ausstattung über 14 Jahre lang
nicht gleichzeitig bedeutet, dass Sie für diese Kraftwerksbetreiber auch nach 2012 nicht versteigern dürfen?
Bedeutet das, dass Sie bereit sind, künftigen Parlamenten die Verpflichtung aufzuerlegen, auch über 2012 hinaus Geschenke in zwei- und dreistelliger Milliardenhöhe zu verteilen, aus der sie möglicherweise nicht mehr
herauskommen? In einer Haushaltsdebatte muss auch
einmal gefragt werden, inwieweit Sie durch diesen Nationalen Allokationsplan künftige Parlamente in ihrer
Haushaltspolitik - aus meiner Sicht in die falsche Richtung - binden.
({8})
Wir begrüßen ausdrücklich, dass die deutsche Präsidentschaft einen Schwerpunkt auf die Artenvielfalt und
den Schutz der Urwälder und der Meere legen will. Hier
sind erhebliche Anstrengungen erforderlich, auch um
das genetische Reproduktionspotenzial unseres Planeten
für kommende Generationen zu erhalten. Wenn Sie diese
Strategie verfolgen, dann wünsche ich mir aber auch,
dass Sie Anträge erarbeiten, die mehr Substanz haben als
der, den Sie uns heute zu den Grauwalen vorlegen. Im
Feststellungsteil steht zwar viel Richtiges; dennoch fallen die Schlussfolgerungen recht dünn aus.
({9})
Kommen wir zu dem Gesetzentwurf, der auf Ihre Initiative hin hier mit beraten wird, nämlich dem zur Änderung des EEG. Dieser Gesetzentwurf ist ein Eingeständnis dessen, dass die mit dem EEG verbundenen Kosten
für energieintensive Unternehmen offensichtlich zu hoch
sind. Auf der anderen Seite haben Sie hier auch ein bisschen Etikettenschwindel betrieben; denn dieser Gesetzentwurf ist natürlich kein Gesetzentwurf zur Kostensenkung. Dieser Gesetzentwurf ist ein Gesetzentwurf zur
Umverteilung von Kosten und Belastungen.
({10})
Sie wollen die finanziellen Lasten für energieintensive Unternehmen zwar verringern; Sie verschweigen
aber, dass das Mehrkosten für alle anderen bedeutet. Die
Kostensenkung für die einen läuft also darauf hinaus,
dass den anderen noch tiefer in die Tasche gegriffen
wird. Sie treffen die Geringverdiener, die schon heute
von den staatlich verteuerten Strompreisen besonders
betroffen sind. Für die FDP ist Umweltpolitik auch ein
Gerechtigkeitsthema. Deshalb schlagen wir uns bei der
EEG-Reform auf die Seite der Verbraucherinnen und
Verbraucher und sagen Nein zu Ihrer Kostenverschiebungspolitik.
Vielen Dank.
({11})
Das Wort hat die Kollegin Katherina Reiche, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Eine Debatte zum Haushalt, auch zu dem des Umweltministeriums, bietet die Möglichkeit, einen gewissen
politischen Ausblick zu geben, in diesem Fall einen Ausblick auf die umweltpolitische Agenda. Der Bundesumweltminister hat einige Punkte angesprochen, auf die
ich später noch eingehen werde.
Zunächst möchte ich noch einiges zur Diskussion
über die Sicherheit deutscher Kernkraftwerke sagen.
Gestern war dieses Thema Gegenstand einer Sondersitzung des Umweltausschusses. Wie Sie, Herr Minister,
meine ich, dass wir mit diesem Thema sehr ernsthaft
umgehen müssen. Aber gerade deshalb eignet es sich
eben nicht für politische Possenspiele. Ich halte es für
unverantwortlich, dass in den vergangenen Wochen der
Versuch unternommen wurde, die Sicherheit deutscher
Kernkraftwerke grundsätzlich infrage zu stellen. Auslöser der Debatte - das haben Sie bereits ausgeführt - war
eine Betriebsstörung im schwedischen Kernkraftwerk
Forsmark. Unbestritten ist, dass es dort einen ernsten
Vorfall gab. Aber ich kann mich doch des Eindrucks
nicht erwehren, dass dieser Vorfall als Alibi benutzt
wird, um ungerechtfertigte Vorverdächtigungen auszusprechen.
({0})
Wir müssen die Diskussion hier versachlichen.
Sowohl das Umweltministerium - das hat der Minister eben deutlich gesagt - als auch die zuständigen Aufsichtsbehörden haben erklärt, dass Forsmark auf
Deutschland nicht übertragbar ist und dass die Sicher4694
Katherina Reiche ({1})
heitsstandards deutscher Kernkraftwerke den gesetzlichen Vorschriften entsprechen.
Wie angekündigt, wird gemeinsam mit den Ländern
eine Sicherheitsprüfung der Stromversorgung in den
Kernkraftwerken durchgeführt, Stichwort „Wechselrichter“. Ich begrüße das ausdrücklich. Ich erwarte von den
Betreibern der Kernkraftwerke auch, dass sie sich hieran
aktiv beteiligen. Aber bevor die Ergebnisse nicht vorliegen, können wir auch keine Schlüsse ziehen.
({2})
Ich finde, an diese Reihenfolge müssen wir uns halten.
({3})
Für das kommende Jahr hat der Bundesumweltminister eine Überprüfung der Atomaufsicht in Deutschland
durch die Internationale Atomenergie-Organisation angekündigt. Prinzipiell ist jede Initiative zu begrüßen, die
darauf abzielt, die Sicherheitsüberprüfung und die Informationssysteme in Deutschland noch weiter zu verbessern. Aber genau das muss dann auch im Mittelpunkt
stehen und darf am Ende nicht zu einem Streit über Zuständigkeiten führen. Die Aufsichtsbehörden der Länder
verfügen über eine hohe Kompetenz und wir sollten sie
auch in Zukunft nutzen.
({4})
Am vergangenen Sonntag haben Sie, Herr Gabriel, in
der „Welt am Sonntag“ ein neues Standortsuchverfahren
für die Endlagerung radioaktiver Abfälle vorgeschlagen. Ich möchte ganz deutlich sagen, auch an dieser
Stelle, dass das nicht die Position der Unionsfraktion ist.
({5})
Herr Minister, ich hätte mir gewünscht, dass Sie mit uns
das Gespräch suchen, bevor Sie Ihre Vorstellungen in die
Öffentlichkeit tragen.
({6})
Im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD ist
vereinbart, dass wir in dieser Legislaturperiode die Lösung der Frage der Endlagerung radioaktiver Abfälle zügig und ergebnisorientiert angehen wollen. Der Koalitionsvertrag gilt - da bin ich ganz auf Ihrer Seite. Das
muss umgesetzt werden.
Ein neues Standortsuchverfahren widerspricht dem
Gedanken des Koalitionsvertrags aber diametral;
({7})
denn es führt zu weiteren Verzögerungen. Es ist weder
sinnvoll, noch ist es notwendig. Von den zusätzlichen
Aufwendungen und Kostenbelastungen für den Haushalt
möchte ich gar nicht reden. Von „zügig und ergebnisorientiert“ kann man bei einem solchen Verfahren nicht
sprechen.
Der Erkundung in Gorleben aus den 70er-Jahren waren verschiedene Standortsuchen und eine Vielzahl
wissenschaftlicher Studien vorausgegangen. Bis zum
heutigen Tag hat eine Vielzahl wissenschaftlicher Begleituntersuchungen stattgefunden; wahrscheinlich ließen sich die Bände über Kilometer aufreihen. Alle Studien bisher haben die Eignung von Gorleben als
Endlager bestätigt und niemals infrage gestellt.
({8})
So hat beispielsweise das Bundesamt für Strahlenschutz, immerhin eine Behörde des Umweltministeriums, noch im November 2005 festgestellt, dass zur
Endlagerung radioaktiver Abfälle keines der möglichen
Wirtsgesteine in Deutschland einem anderen vorzuziehen ist.
({9})
Auch die aktuelle Studie der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe vom August dieses Jahres unterstreicht die Eignung des Salzstocks in Gorleben als
Endlager. Von einer politischen Standortauswahl kann an
dieser Stelle überhaupt nicht gesprochen werden.
({10})
Nun wird als Begründung für eine neue Standortauswahl immer wieder auf die Schweiz verwiesen. Ich
möchte noch einmal deutlich machen, dass für uns dieser
Vergleich hinkt. Die Schweiz steht heute an der Stelle,
an der Deutschland bereits in den 70er-Jahren war.
({11})
Wenn jetzt die Landesregierung von Baden-Württemberg zu Recht dafür plädiert, verschiedene Standorte zu
suchen, dann bittet sie die Schweiz, das zu tun, was wir
in Deutschland bereits in den 70er-Jahren gemacht haben. Insofern brauchen wir diese erneute Suche nicht. Da
waren wir vor 30 Jahren schon.
({12})
Die Endlagerung radioaktiver Abfälle ist eine nationale Verantwortung und zu der bekennen wir uns auch.
Unabhängig davon, Herr Kelber, wie man zur Nutzung
der Kernenergie steht:
({13})
Wir haben uns darauf verpflichtet, die Endlagerfrage in
dieser Legislaturperiode zu lösen.
({14})
Zwischenlager, in denen radioaktive Abfälle lagern,
werden de facto zu Endlagern.
({15})
Hinzu kommen Abfälle aus medizinischen Einrichtungen und aus den Forschungsanstalten. Wir müssen uns
Katherina Reiche ({16})
um dieses Problem kümmern, auch in dieser Legislaturperiode.
({17})
Wir haben hierzu eine klare Position; die möchte ich
abschließend zu diesem Thema vortragen: Wir wollen
keine weitere Verzögerung bei der Endlagerfrage. Wir
wollen, dass die Informations- und Öffentlichkeitsarbeit
wieder aktiv aufgenommen wird. Dazu gehört eine großzügige Besucherregelung. Wir wollen, dass der Schacht
Konrad in Betrieb genommen wird und die Arbeiten
hierfür zügig beginnen. Wir wollen, dass das Moratorium in Gorleben aufgehoben wird; denn die Untersuchungsergebnisse stehen der Eignungsfeststellung nicht
entgegen.
({18})
In den kommenden Wochen werden wir mit dem Zuteilungsgesetz die Rahmenbedingungen für den Handel
mit Emissionsberechtigungen für die zweite Handelsperiode zwischen 2008 und 2012 festlegen. Mit dem Zuteilungsgesetz werden die Voraussetzungen für den Bau
von neuen Kraftwerken und die Erneuerung von Kraftwerksparks geschaffen. Das ist ökologisch sinnvoll, das
ist ökonomisch geboten; denn neue und effiziente Kraftwerke werden durch ihre geringere CO2-Emission einen
Beitrag zu mehr Klima- und Umweltschutz leisten.
Gleichzeitig brauchen wir neue und zusätzliche Erzeugungskapazitäten, um mehr Wettbewerb in den
Strommarkt zu bekommen. Ich werbe deshalb an dieser
Stelle dafür, dass die Energieversorgungsunternehmen,
die beim Energiegipfel hohe Investitionen zugesagt haben, diese Zusage auch einhalten.
Mit dem Nationalen Allokationsplan wurden im
Juni dieses Jahres bereits wichtige Weichenstellungen
vorgenommen. Insbesondere die deutlich höhere CO2Minderungspflicht für die Energiewirtschaft im Vergleich zur Industrie ist aus unserer Sicht ein wichtiger
Schritt, um Mitnahmeeffekte, die so genannten Windfall-Profits, zulasten der Stromverbraucher zu vermeiden. Damit wird auch anerkannt, dass sich die Industrie
im internationalen Wettbewerb befindet, aber der Strommarkt hier in Deutschland nur unzureichend Wettbewerb
ermöglicht. Nach Schätzungen der energieverbrauchenden Industrie entstehen der Energiewirtschaft durch
Windfall-Profits Zusatzgewinne von fast 5 Milliarden
Euro. Diese belasten natürlich die Stromverbraucher und
unsere Wirtschaft.
Wir werden im Gesetzgebungsverfahren zu prüfen
haben, ob dieser Schritt ausreicht, um Windfall-Profits
zu vermeiden, oder ob weitergehende Maßnahmen notwendig sind. Auch das muss man ergebnisoffen prüfen.
Wir müssen auf jeden Fall sicherstellen, dass die Stromverbraucher nicht noch mehr belastet werden.
({19})
In diesem Zusammenhang begrüße ich auch die Entscheidung der Bundesnetzagentur zur Senkung der
Netzentgelte in der vergangenen Woche. Auch das ist
ein wichtiger und richtiger Schritt für mehr Wettbewerb
auf dem Strommarkt. Der Wettbewerb funktioniert noch
nicht; das habe ich gesagt. Der Netzzugang muss verbessert werden. Ein stärkerer Wettbewerb auf dem Strommarkt entlastet Wirtschaft und Verbraucher. Gerade unsere Unternehmen, die sich in einem schwierigen
internationalen Umfeld befinden, sind auf wettbewerbsfähige Strompreise angewiesen.
Wir werden deshalb in den kommenden Monaten neben dem Zuteilungsgesetz weitere Schritte zu unternehmen haben - da möchte ich insbesondere das Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz ansprechen -, um
einen schnellen Netzausbau zu ermöglichen; denn die
Netzkapazitäten sind für einen funktionierenden Wettbewerb wahrscheinlich mindestens so entscheidend wie die
Erzeugerkapazitäten. Die Netzkapazitäten stoßen, zumindest in manchen Bereichen, schon heute an ihre
Grenzen und sind damit eine Markteintrittsbarriere. Diesen Zustand wollen wir beenden.
({20})
An dieser Stelle möchte ich noch auf die Diskussion
über die Förderung von erneuerbaren Energien im
Wärmebereich eingehen. Herr Minister hat es bereits
angesprochen: Vor wenigen Wochen hat das Bundesamt
für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle mitgeteilt, dass die
Mittel für das Marktanreizprogramm für dieses Jahr bereits ausgeschöpft seien und dass keine weiteren Zusagen mehr gegeben werden könnten. Das Programm hatte
ein Volumen von 180 Millionen Euro. Anträge für insgesamt 160 000 Investitionsvorhaben wurden gestellt,
50 Prozent mehr als im vergangenen Jahr. Das zeigt,
dass dieses Marktanreizprogramm ein wirklicher Erfolg
ist. Es ist ein effizientes Förderinstrument mit einem
sehr geringen Anteil an öffentlichen Mitteln, die ein hohes Wachstum für erneuerbare Energien im Wärmemarkt
ermöglichen. Berechnungen zeigen, dass auf 1 Fördereuro 10 Euro an privaten Investitionen kommen.
Deshalb bitte ich darum, dass wir bei der Diskussion
über neue Instrumente für die Förderung der Energie im
Wärmebereich darauf achten, dass wir das, was wir erreicht haben, erstens nicht kleinreden und zweitens ausgiebig nutzen; denn es zeigt, dass unser Instrument am
Markt funktioniert.
({21})
Wir müssen überprüfen, ob wir mit den Mitteln, die für
2007 eingestellt sind, eine verlässliche Förderung über
das ganze nächste Jahr ermöglichen können, damit die
Förderung nicht unterbrochen werden muss und die
Marktentwicklung sowie die entstandenen Arbeitsplätze
gesichert werden können.
Meine Damen und Herren, abschließend einige Worte
zum Nationalen Naturerbe. Wir haben uns besonders
dem Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen verpflichtet. Ich finde es sehr schön, Herr Minister, wenn auch Sie
von der „Bewahrung der Schöpfung“ sprechen; das hören wir äußerst gern.
({22})
Im Juni dieses Jahres hat der Bund den Ländern und der
Deutschen Bundesstiftung Umwelt ein Flächenangebot
Katherina Reiche ({23})
im Umfang von 100 000 Hektar vorgelegt, die diesen
unentgeltlich zur Verfügung gestellt werden sollen. Damit die Sicherung des Nationalen Naturerbes gelingt,
kommt es jetzt darauf an, dass die möglichen Träger das
Angebot des Bundes umfassend nutzen. Einige Länder
haben Bedenken hinsichtlich einer Übernahme der Flächen bekundet. Ich hoffe aber, dass diese Bedenken sehr
schnell geklärt und ausgeräumt werden können; denn die
Sicherung des Nationalen Naturerbes ist eine große
Chance, die wir uns nicht entgehen lassen sollten.
({24})
Meine Damen und Herren, in den kommenden Monaten stehen wir in der Umweltpolitik vor wichtigen Weichenstellungen und Entscheidungen. Wir als Unionsfraktion in dieser Koalition werden uns engagiert und
aktiv einbringen.
Vielen Dank.
({25})
Das Wort hat die Kollegin Eva Bulling-Schröter,
Linksfraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister! Vor der Bundesrepublik liegt die Aufgabe, den CO2-Ausstoß und Rohstoffverbrauch drastisch - ich wiederhole: drastisch und
nicht nur ein bisschen - zu reduzieren. Dabei muss auf
Risikotechnologien wie Atomkraft und Grüne Gentechnik verzichtet werden,
({0})
weil sie nichts anderes als gefährliche Scheinalternativen
sind. Einen solchen Prozess zu steuern, ist alles andere
als einfach.
Die zweite Aufgabe ist jedoch nicht weniger anspruchsvoll. Eine verantwortliche Regierung muss dafür
sorgen, dass der Wandel möglichst fair, also sozial gerecht, stattfindet. Das ist keine Nebenbedingung, sondern Voraussetzung für eine zukunftsfähige Politik.
({1})
Gemessen daran hat die Koalition unserer Meinung
nach versagt. Die Reduzierung des CO2-Ausstoßes stagniert seit Jahren.
({2})
Das Tempo der Materialeinsparungen ist viel zu gering.
({3})
Der Umweltminister lässt sich von den Atomkonzernen
wie ein Tanzbär an der Nase herumführen.
Stichwort „Energiepreise“; dies wurde schon angesprochen. Wie wollen Sie, Herr Gabriel, den Bürgerinnen und Bürgern erklären, dass die Strompreise das
zweite Jahr hintereinander im zweistelligen Prozentbereich steigen, die Gewinne der Stromversorger aber explodieren? Das versteht niemand mehr; zumindest der
kleine Verbraucher versteht es nicht.
({4})
Dabei geht es nicht nur um sich verteuernde Rohstoffe
- die sind nämlich gar nicht so teuer geworden, dass es
diesen Preisanstieg rechtfertigen würde; dies dient nur
als Begründung für steigende Preise -, sondern auch um
überhöhte Netzentgelte und Monopolprofite im Stromerzeugungsbereich. Über die redet im Übrigen kaum
noch jemand. Es geht zu einem gehörigen Teil auch um
Extraprofite, die diese Bundesregierung den EVUs freiwillig in den Rachen wirft.
Ich frage mich, welche glaubhaften Schritte die
Koalition unternimmt, um die leistungslos im Emissionshandel erzielten Sondergewinne abzuschöpfen.
Dass die verschenkten Zertifikate zu den jeweiligen
Marktpreisen in den Strompreis eingehen, mag sich
nicht verhindern lassen. Aber dass die Bundesregierung
auch in Zukunft störrisch auf eine zumindest anteilige
Versteigerung der Zertifikate - und damit auch auf Milliardeneinnahmen - verzichten will, ist eine unverzeihliche Ignoranz zulasten des Bundesetats und der Stromkunden.
({5})
Aber wer allein im Juli von Eon Parteispenden in Höhe
von 250 000 Euro erhält, hat vielleicht etwas Beißhemmung. Um das glaubhaft zu machen und für jeden, den
dies interessiert, verweise ich auf die Drucksache 16/2440:
Die SPD hat von Eon 150 000 Euro und die CDU
100 000 Euro erhalten.
({6})
Allerdings hat die CDU gleich noch 200 000 Euro von
der Deutschen Bank bekommen.
({7})
Frau Reiche, ich glaube, auch Ihre Rede wurde von den
großen Atomkonzernen geschrieben.
Wir haben heute ein Sechspunkteprogramm vorgestellt. Für die Schaffung sozial gerechter Energiepreise
fordern wir neben der Versteigerung der Zertifikate als
Sofortmaßnahme eine Windfall-Profit-Tax, also eine
Steuer auf Sondergewinne, Extraprofite aus dem Emissionshandel, wie dies auch in Schweden und Finnland
angedacht ist. Die angestrebten Einnahmen in Höhe von
fast 5 Milliarden Euro sollen einen Energieeffizienzfonds speisen und der sozialen Abfederung einkommensschwacher Haushalte bei steigenden Energiekosten
dienen; da besteht zu Ihnen, Herr Kauch, eine Differenz.
({8})
Dieser Energieeffizienzfonds könnte Arbeitsplätze
schaffen und die brauchen wir. Überdenken Sie dies also
bitte!
Wir fordern weiterhin die Beibehaltung bzw. Wiedereinführung der Preisaufsicht für Strom- und Gastarife.
Daneben halten wir eine Ausdehnung der Regulierungsaufsicht auf den Bereich des Stromgroßhandels und der
Regelenergiemärkte für notwendig. Den Wettbewerb allein über die Netze zu organisieren, scheint angesichts
der hohen Konzentration bei der Erzeugung kaum möglich.
Natürlich müssen die Übertragungsnetze eigentumsrechtlich von den vier großen EVUs getrennt werden.
Wir sagen: am besten in gesellschaftliches Eigentum.
({9})
Zur Stärkung der Verbraucherrechte schlagen wir
schließlich vor, den bei uns föderal organisierten Verbraucherschutz um einen nach Branchen organisierten
zu ergänzen. Das Vorbild in Großbritannien mit seinen
Consumer Watchdogs ist ein Erfolgsmodell. Energywatch, Water Voice oder Postwatch geben den Verbrauchern auf der Insel durch ihre umfassenden Rechte eine
starke Stimme.
({10})
Eine ähnlich starke Stimme wollen wir hier im Parlament haben. Was den Einzelplan 16 angeht, sollten wir
verhindern, dass der Etat bis 2010 um 3 Prozent gesenkt
wird.
({11})
Das Wort hat die Kollegin Sylvia Kotting-Uhl, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Minister, der Umwelthaushalt 2007 steigt auf den
ersten Blick um 0,4 Millionen Euro. Angesichts der Herausforderungen viel zu wenig, reizt es mich zu sagen.
Aber die Wahrheit sieht noch einmal ganz anders aus.
Beamtenpensionen sind es, die ab 2007 in den Fachhaushalten etatisiert werden. Rechnet man sie heraus, sinkt
der Umweltetat effektiv um 1 Million Euro.
Das solcherart ausgerüstete Innovationsministerium
soll damit unter anderem dem zentralen Problem des
Klimawandels begegnen, der sich inzwischen, wie wir
alle wissen, in ganz anderer Dramatik darstellt als die
grünen Schwarzseherinnen und Schwarzseher es immer
prognostiziert haben. Die global diskutierte Strategie
„Weg vom Öl“ ist hier der zentrale Baustein. Trotzdem
machen wir mehr oder weniger so weiter wie bisher. Mit
5 Millionen Euro mehr für Forschung pro Jahr - das entspricht einem Forschungsvorhaben im Jahr - kann man
die Zukunftsaufgaben nur halb anpacken.
({0})
Das Markteinführungsprogramm für erneuerbare
Energien kürzen Sie um über 3 Prozent, obwohl die Mittel bereits Mitte dieses Jahres aufgebraucht waren. Gegen die noch viel umfangreicheren Kürzungen bei Ihrem
Kollegen Seehofer - das Markteinführungsprogramm
„Nachwachsende Rohstoffe“ wird um über 34 Prozent
gekürzt - hören wir von Ihnen keinen Widerspruch. Angesichts der Steuerorgie bei den Biokraftstoffen und angesichts dieser Zahlen frage ich mich, was Sie dem Klimawandel handfest entgegensetzen wollen, wenn Sie
sich nicht der Lieblingsargumentation Ihres Koalitionspartners anschließen wollen.
2008 sind wir Gastgeber der 9. Vertragsstaatenkonferenz des Übereinkommens über die biologische Vielfalt.
Das ist gut und bietet vielleicht sogar eine Chance für
die Erkenntnis auch bei Ihnen, dass Schutz der Biodiversität und Grüne Gentechnik nicht zusammenpassen.
({1})
Zum Stichwort Artenschutz noch eine Bemerkung
zum Antrag „Ölprojekt Sachalin II und Grauwale“. Diesem Antrag fehlt die nötige Klarheit. Die abzusehende
Schädigung nur so weit wie möglich zu vermeiden,
reicht uns für eine Zustimmung nicht aus.
Zurück zur Vertragsstaatenkonferenz. Was nicht geht,
ist, deren Finanzierung zulasten der E-und-E-Vorhaben
auf dem Gebiet des nationalen Naturschutzes zu machen. Sie streichen hier 650 000 Euro, die dem gern genannten Nationalen Naturerbe und dem Erhalt der Artenvielfalt dienten. Nebenbei bemerkt fließen diese
Ausgaben in strukturschwache Regionen, wo sie Arbeitsplätze schaffen.
Als Sie damals ankündigten, das Umweltministerium
zum Innovationsministerium machen zu wollen, ergänzte Reinhard Loske, dass es auch ein Verteidigungsministerium sei. Man kennt ja seine Pappenheimer. Was
den Atomausstieg betrifft, geben Sie ständig den Erzengel Gabriel. Jetzt hätten Sie die Chance zu zeigen,
dass Ihr Schwert auch scharf ist.
({2})
Weisen Sie die Atomaufsicht in Schleswig-Holstein an,
Brunsbüttel abzuschalten, bis der Sicherheitsnachweis
nachvollziehbar erbracht ist.
({3})
Sie fordern immer wieder Aufklärung, setzen Fristen,
aber lassen sie verstreichen. Sie lassen sich am 8. August
von Vattenfall versichern, in Brunsbüttel gebe es keine
Wechselrichter. Am 23. August akzeptieren Sie den Irrtum der Betreiber und setzen den 28. August als neue
Frist. Jetzt haben wir den 7. September. Wir haben einen
Betreiber, der falsche Aussagen gemacht hat - er hat sich
„geirrt“. Ich frage dieses Hohe Haus allen Ernstes: Wollen wir annehmen, dass dieser Betreiber seine Anlage
nicht kennt, und auf dieser Annahme unser Vertrauen in
seine Zuverlässigkeit gründen?
Wir haben einen Minister, der sein Nichthandeln damit begründet, dass - ich zitiere nach den Angaben der schleswig-holsteinischen
Atomaufsicht auch bei dem Misslingen der Nachweisführung kein Zustand vorliegt, aus dem sich
Gefahren ergeben könnten. Die Störfallbeherrschung sei durch redundante Notstromdiesel garantiert, unabhängig von der Funktion der Wechselrichter.
Nun frage ich Sie: Befriedigt Sie das? Mich nicht!
({4})
Es kann doch hier nicht darum gehen, in dieser Situation
nachgeschobene „Feldwegerklärungen“ zu akzeptieren,
die nicht einmal alle Vattenfall-Verantwortlichen verstehen können - die nicht einmal den Unterschied zwischen
Wechselstrom und Gleichstrom kennen - und die in keiner Weise erklären können, warum denn die Wechselrichter überhaupt ausgewechselt werden müssen, wenn
sie doch gar keinen Schaden anrichten können.
Es geht hier vielmehr um die Frage: Wie bewerten wir
dieses gesamte Sicherheitssystem? Und zum Gesamtsystem des Vertrauens in die Sicherheit gehört doch wohl
auch die Glaubwürdigkeit des Betreibers.
({5})
Ich vertraue einem Betreiber nicht, der mit falschen Fakten kommt, Fristen ignoriert und seine Verpflichtungen
nicht erfüllt.
({6})
- Jetzt kommen mir wieder alle damit - auch Minister
Gabriel hat sich in der Presse so eingelassen -, dass man
Dutzende Beispiele nennen kann, in denen Vorgänger
Trittin Vergleichbares getan habe. Dazu sage ich Ihnen:
Ich hätte von einem Minister Trittin in diesem Fall genauso eine bundesaufsichtliche Weisung gefordert.
({7})
Ich bin mir ziemlich sicher, dass Jürgen Trittin alles getan hätte, um Vattenfall in diesem Fall das Handwerk zu
legen. Wir reden hier vom Betreiber einer Risikotechnologie und nicht von einem Currywurststand.
({8})
So, und in dieser Situation, in der es nur darum gehen
kann, Strommengenübertragungen von einem Reaktor
auf einen anderen im eigentlichen Sinne des Atomkonsenses zu diskutieren - Übertragungen von alten auf
neue Reaktoren, um mehr Sicherheit zu generieren -,
kommt Ihr unnachahmlicher Kollege Wirtschaftsminister Glos und fordert erneut eine Laufzeitverlängerung für
AKWs! Da kann ich nur sagen: Gutes Timing! Sie sprechen sich wohl überhaupt nicht ab.
({9})
Sie wollen also die Kampfansage der EVUs um Laufzeitverlängerungen just zu einem Zeitpunkt unterstützen,
bei dem sich zeigt, dass sie nicht einmal ihren laufenden
Betrieb im Griff haben. Dazu kann ich nur sagen: Respekt für dieses Ausmaß an Realitätsferne! So etwas haben die Fundis unter den Grünen zu ihren besten Zeiten
nicht zustande gebracht.
({10})
Wir als Opposition werden Ihnen als Regierung dieses Chaos nicht durchgehen lassen. Klären Sie, was sie
wollen. Einigen Sie sich in der Energiefrage, der entscheidenden Frage dieses Jahrhunderts! Und Sie, Minister Gabriel, handeln Sie! Lassen Sie sich nicht nachsagen, Sie seien ein zahnloser Tiger, ein flammenloser
Erzengel! Nutzen Sie die Reichweite, die ein Minister
hat, zum Wohl von Umwelt und Menschen!
Ich danke Ihnen.
({11})
Das Wort hat die Kollegin Petra Hinz für die SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen! Die Bundestagswahlen sind noch
nicht ein Jahr vorüber, wir beraten jetzt die erste Lesung
des Haushalts 2007. Frau Kotting-Uhl, es wundert mich
schon sehr, dass Sie hier all das, was im Einzelplan 16 zu
Programmen steht, dermaßen niedermachen. Es wundert
mich schon sehr, dass Sie das, was Rot-Grün in den zurückliegenden sieben Jahren auf den Weg gebracht hat,
in dieser mit wenig Sachkenntnis angereicherten Form
vortragen. Ich kann nur sagen: Sie haben das Thema absolut verfehlt!
({0})
Sie haben Ihre Politik der zurückliegenden Legislaturperiode damit eindeutig niedergemacht. Denn an den
Schwerpunkten hat sich überhaupt nichts geändert - im
Gegenteil, es ist eine Fortsetzung.
({1})
Wir sollten die Tatsache „20 Jahre Umweltministerium“ meiner Meinung nach einmal zum Anlass nehmen, um einen Bogen über diese Zeit zu spannen. Es ist
nämlich interessant, in welcher Weise das Budget in den
zurückliegenden Jahren einen Zuwachs erfahren hat.
Anschließend komme ich auf die Frage der Atomkraft zu
sprechen, liebe Frau Reiche.
Vor 20 Jahren, 1986, gab es diesen Einzelplan noch
überhaupt nicht. 1987 ist das Ressort dann mit 236 Millionen gestartet. Heute, zum Entwurf des Haushalts
2007, reden wir über ein Budget von 790 Millionen
Euro. Die Flächen des Nationalerbes, die Millionen wert
sind und die darüber hinaus auch noch Arbeitsplätze
schaffen, sind darin noch in keiner Weise berücksichtigt.
Petra Hinz ({2})
Aber das wird hier nicht erwähnt, denn es passt nicht in
die Bilanz der Grünen.
Ich möchte auf ein weiteres Ereignis aufmerksam machen, das sich in diesem Jahr zum 20. Male gejährt hat,
und zwar auf den Reaktorunfall in Tschernobyl, Frau
Reiche. Heute diskutieren wir noch immer über die Auswirkungen von Tschernobyl. Sie haben sich zur Atomkraft positiv geäußert.
({3})
Darüber sollten Sie einmal mit Ihren Haushältern sprechen. Im Zusammenhang mit Tschernobyl haben wir im
Haushaltsentwurf rund 5,9 Millionen Euro etatisiert. Im
Jahr 2008 - als Fachpolitikerin sollten Sie das eigentlich
wissen; aber die Haushälter wissen es definitiv - müssen
wir über einen zusätzlichen Betrag für die Sanierung des
Sarkophags diskutieren. So viel zum Thema Sicherheit
von Atomkraft.
({4})
Der jüngste Zwischenfall in Schweden, in Forsmark,
macht doch deutlich, dass wir verstärkt Energie einsparen und in die Gewinnung alternativer Energien investieren müssen. Basiert diese Politik etwa auf falschen
Informationen bzw. einer falschen Wahrnehmung? Verschleiern wir tatsächlich etwas? Ich glaube, Sie versuchen aus ideologischen Gründen zu verschleiern.
({5})
Frau Reiche, in der großen Koalition haben wir uns
diese Aufgabe gemeinsam vorgenommen, obwohl wir
wissen - Sie haben es der Öffentlichkeit heute exemplarisch vorgeführt -, dass einige damit Schwierigkeiten
haben. Es liegt aber in unserer Verantwortung, eine klare
Strategie zu erarbeiten. Wir müssen mögliche Wege sichtbar machen und die Basis für Investitionsentscheidungen
schaffen. Damit bringen wir ein Stück weit Nachhaltigkeit in die Debatte. Ich sprach gerade das 20-jährige
Jubiläum des Bundesumweltministeriums an. Nachhaltigkeit sollte Ihnen ein Begriff sein, gerade im Zusammenhang mit dem Agendaprozess.
Wir müssen alles daran setzen, um uns in der Energieversorgung so unabhängig wie möglich zu machen. Die
Diskussion, die wir führen, geht über die Minderung des
CO2-Ausstoßes hinaus. Genau darum geht es in einer
Diskussion über nachhaltige Energiegewinnung. Auf die
Frage, wie die Energieversorgung der Bundesrepublik
langfristig aussehen könnte, müssen wir kurz- bis mittelfristig eine Antwort geben.
Der Begriff Nachhaltigkeit wird sehr oft, teilweise inflationär gebraucht. Das Bekenntnis zur nachhaltigen
Entwicklung, das am Anfang der 90er-Jahre stand, die
Agenda 21, war ein Impuls für die Stärkung des Bewusstseins für die Zusammengehörigkeit der Welt. Damit war ein internationaler Aufbruch verbunden. Dieser
Impuls muss stärker genutzt werden. Im Rahmen der
Geberkonferenzen - auch das ist bereits gesagt worden müssen Projekte genauer hinterfragt werden. Von Zeit zu
Zeit muss auch eine Zwischenbilanz gezogen werden.
Dieses Thema wird im Rahmen der Haushaltsberatungen
sicherlich eine Rolle spielen.
Das Know-how im Bereich der Zukunftstechnologien wird - das hat der Minister gerade angesprochen weltweit nachgefragt. Das ist ein Pfund, mit dem man
wuchern kann. In diesem Bereich haben rund
170 000 Menschen Arbeit gefunden. Außerdem konnten hier über 2 000 Ausbildungsplätze realisiert werden.
Internationales Verhandeln ist Grundlage für besseres
Verstehen. Trotzdem stellen sich die Fragen „Wer mit
wem?“ und vor allem „Unter welchen Bedingungen
kann Entwicklung stattfinden?“. Wir brauchen weitere
vertrauensbildende Maßnahmen. Wir müssen die Entwicklungs- und Schwellenländer davon überzeugen,
dass Nachhaltigkeit auch etwas mit ihrer Zukunft zu tun
hat.
Der Gedanke, der der Agenda zugrunde liegt, ist zukunftsweisend, nicht nur in der Umweltpolitik. Das ist
im Haushaltsentwurf nachzulesen.
Im Haushaltsentwurf ist für die internationale
Zusammenarbeit, insbesondere für die Konferenzen,
die im nächsten Jahr stattfinden - auch wegen der notwendigen Sicherheitsmaßnahmen -, ein Mehrbedarf berücksichtigt worden. Im Rahmen der Haushaltsberatungen - das hat der Minister gerade angesprochen werden wir die Effizienz und Effektivität der Zielvereinbarung überprüfen.
Zur Unterlegung des Wirtschaftswachstums sowie zur
Stärkung von Zukunftsbereichen wurde mit dem Haushalt 2006 ein 25-Milliarden-Euro-Impulsprogramm
umgesetzt. Für Forschung und Entwicklung stehen im
FuE-Programm rund 6 Milliarden Euro zur Verfügung.
Ein Hinweis an das Ministerium: Ich würde mir wünschen, dass für dieses Programm über das hinaus, was
Rot-Grün für diese Querschnittsaufgabe in der vergangenen Legislaturperiode beschlossen hat, in den anderen
Ressorts Mittel zur Verfügung gestellt würden, die von
den Projekten abgeschöpft werden könnten.
Für das KfW-CO2-Gebäudesanierungsprogramm
steht bis 2009 jährlich 1 Milliarde Euro zur Verfügung,
um die energetische Gebäudesanierung zu intensivieren. Das ist ein Impulsgeber für die Baukonjunktur. Den
wirtschaftlichen Aufschwung setzen wir somit auch im
Bereich des Klimaschutzes fort.
({6})
Schwerpunkte im Programmhaushalt seien kurz genannt: Der Programmhaushalt des BMU umfasst rund
456 Millionen Euro. 62,9 Prozent des Gesamtvolumens
gehen allein in den Bereich der erneuerbaren Energien.
Das macht 287,2 Millionen Euro aus. Auf die anderen
Bereiche will ich gar nicht eingehen.
Ein weiterer Schwerpunkt ist der Bereich Reaktorsicherheit und Strahlenschutz. Hier liegt uns das Gutachten des Wissenschaftsrates zur Prüfung vor. Ich sage
all denen, die zu einem voreiligen Ergebnis kommen:
Wir handeln hier im Rahmen von Gesetzen. Daher
müssen Vorhaben überprüft werden. Angesichts der
Petra Hinz ({7})
Tatsache, dass der Wissenschaftsrat in einer solchen Art
und Weise an die Öffentlichkeit tritt, muss man einfach
zur Kenntnis nehmen, dass die Behörde entsprechend
den gesetzlichen Rahmenbedingungen, die wir geschaffen haben, arbeitet. Wenn wir eine Veränderung wollen,
müssen die gesetzlichen Rahmenbedingungen geändert
werden.
({8})
Zu den Standorten des Ministeriums und der nachgelagerten Behörden: Hier werden in der nächsten Zeit
zwei große Bauvorhaben vorgenommen. Bis Mai 2008
sollen der künftige Sitz des BMU in Berlin fertig gestellt
werden
({9})
- also der zweite Dienstsitz - und in Bonn die Sanierung
des BMU, des alten Abgeordnetenhauses, für
8 Millionen Euro realisiert werden. Ich sage ganz klar:
Unser föderaler Staat muss sich auch in den Standorten
der Ministerien und der nachgelagerten Behörden widerspiegeln. Trotzdem gilt auch hier der Leitsatz: Effizienz,
Effektivität und Zielorientierung sind Maßstab der Haushaltsberatungen, sowohl fachlich als auch fiskalisch.
({10})
Auf die Beratungen, Frau Reiche, freue ich mich schon
sehr.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({11})
Das Wort hat Ulrike Flach für die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sie müssen mir zugestehen, dass ich etwas irritiert bin,
hier mitten in die Beratungen des Koalitionsausschusses
hineingeraten zu sein.
({0})
- Ja, so ist das offensichtlich.
Ich hätte mir natürlich gewünscht, dass der Haushalt
ein bisschen die Diskussionen widerspiegelt, die hier gerade stattgefunden haben.
Frau Reiche, das, was ich als Haushälter beim Etat
von Herrn Gabriel erkenne, lässt nicht darauf schließen,
dass Sie, die CDU/CSU, bisher Ihre Positionen in irgendeiner Weise haben durchsetzen können.
({1})
Das, was hier vorliegt, ist mit Ausnahme der besonderen
Betonung der Energieeffizienz - das gebe ich zu; das ist
ein neues Hobby des derzeitigen Umweltministers - im
Prinzip ein Abklatsch der alten trittinschen Überlegungen.
({2})
Insofern denke ich, dass es ein guter Schritt ist, dass
die CDU/CSU nach fast einem Jahr offensichtlich aufgewacht und bereit und willens ist, Positionen zu vertreten,
die nicht mehr die alten rot-grünen sind. Unsere Unterstützung haben Sie an dieser Stelle sicherlich.
({3})
Haushalterisch - Frau Hinz hat schon einiges zu den
verschiedenen Zahlen gesagt - möchte ich sagen: Aus
Sicht eines Haushälters ist dies ein positiver Haushalt.
Denn er gehört zu den wenigen Etats, die eine - wenn
auch nur äußerst geringfügige - Steigerungsrate aufweisen, er steigt nämlich um ganze 0,1 Prozent auf
790 Millionen Euro.
Eine Frage müssen Sie, Herr Gabriel, uns noch beantworten, nämlich die, warum Sie im letzten Jahr für 2007
ein um 23 Millionen Euro geringeres Haushaltsvolumen
prognostiziert haben. Das haben Sie schon jetzt übertroffen. Wenn Sie so weitermachen, werden Sie wahrscheinlich den Etat mit den proportional größten Steigerungen
haben.
Herr Gabriel, Sie scheinen ja - ich habe es gerade
schon gesagt - die grünen Hobbys gern zu übernehmen.
Sie schreiben ganz ausdrücklich, dass Sie auch in Zukunft Projekte planen wie die Wiedereinbürgerung des
Wisents im Rothaargebirge,
({4})
die Rotationsbeweidung in Rheinland-Pfalz und - das ist
eines meiner Lieblingsprojekte - die Himmelsteiche in
Thüringen.
({5})
Herr Gabriel, genau wie Herr Trittin verzetteln Sie
sich damit in Projekten, die man im Rahmen der Föderalismusreform längst unserer lieben Ex-Landwirtschaftsministerin Frau Höhn an die Hand gegeben hat. Das sollen doch die Länder selber machen.
({6})
Warum müssen wir, der Bund, uns mit diesen Themen
besonders belasten, während Sie gleichzeitig zum Beispiel für Forschungsprogramme im Bereich der Biodiversität überhaupt nichts
({7})
oder - sagen wir es einmal so - ausgesprochen wenig
tun? Hier gibt es große Konkurrenz; die Grünen werden
mir zustimmen. Die Amerikaner beispielsweise haben
vor wenigen Wochen ein millionenschweres Forschungsprogramm aufgelegt. Einerseits finden wir in IhUlrike Flach
rem Haushaltsentwurf schöne kleine Projektchen, die
sich noch an der alten Klientelpolitik anlehnen, andererseits versäumen wir den Anschluss an internationale
Forschungsprojekte.
({8})
Bemerkenswert ist übrigens, dass Sie sowohl beim
Personalabbau als auch bei der Erbringung der globalen
Minderausgabe ganz offensichtlich einen Sonderweg gehen. Anstatt, wie beschlossen, 1,5 Prozent der Stellen
abzubauen, kommt es zu einem Ausbau der Planstellen
um 1,8 Prozent.
({9})
Dazu muss ich als Haushälter sagen - man liest ja gerne,
was in den Medien geschrieben wird -: Mich hat es
schon beunruhigt, als ich vor wenigen Tagen las, dass
Sie in Ihrer Umweltabteilung eine neue Unterabteilung
und vier neue Referate schaffen wollen. Wenn das nicht
nur dazu dienen soll, gewissermaßen eine Gegenposition
aufzubauen, um wieder einmal Herrn Glos zu ärgern
({10})
- es handelt sich schließlich um die Klimaschutzabteilung -, dann weiß ich nicht, wozu das in Zeiten, in denen
wir eigentlich in genau diesem Personalbereich sparen
sollten, gut sein soll.
({11})
Diese Erblast Ihres Vorgängers, Herr Gabriel, die uns
immer wieder erfreuende, ständige und kontroverse
Auseinandersetzung mit dem eigentlichen Energieminister des Landes, dem Wirtschaftsminister, setzen Sie ganz
offensichtlich mit großer Lust fort.
({12})
Wir Liberalen beobachten das nun schon seit etlichen
Jahren.
Aber in einem Punkt stimme ich Frau Reiche ausdrücklich zu: Es ist geradezu verantwortungslos, wie Sie
mit dem Thema „atomare Endlager“ umgehen.
({13})
Ich sage ganz bewusst „verantwortungslos“; denn es ist
weder unter umwelt- noch unter finanzpolitischen Gesichtspunkten hinnehmbar, dass der Steuerzahler die Offenhaltungskosten ungenutzter Endlager finanzieren
soll. Frau Reiche hat die Position der CDU/CSU zu diesem Punkt sehr deutlich dargestellt. Sie können sicher
sein, dass wir Ihnen an dieser Stelle zustimmen werden.
Als Oppositionspolitikerin wäre ich allerdings glücklich,
wenn ich endlich erfahren würde, was die Regierung
wirklich denkt.
Als Haushälter sage ich Ihnen: Sie haben im Haushalt
nicht vorgesorgt. Dort ist zwar von wunderschönen
1,5 Millionen Euro die Rede, die angeblich für die Erkundung weiterer Standorte vorgesehen sind. Aber dahinter verbergen sich - wenn man sich das genau ansieht, stellt man das fest - stinknormale abfallspezifische
Maßnahmen. Für die Durchführung eines Auswahlverfahrens sind null Euro veranschlagt. Angesichts dessen
muss man sich vor Augen halten, was wir in der „Welt
am Sonntag“ und in den anderen Zeitungen lesen, in denen Sie sich ausbreiten, und wie die harte Realität in Ihrem Haushalt aussieht.
Frau Hinz, darüber werden wir im Haushaltsausschuss reden müssen. Dann werden wir vielleicht erfahren, welchen Punkten die CDU/CSU zustimmen wird,
damit die für die Erkundung weiterer Standorte zusätzlich erforderlichen Millionen tatsächlich in den Haushalt
eingestellt werden können.
({14})
Das wird spannend. Sie können sich sicher sein: Unsere
Unterstützung haben Sie dafür nicht.
({15})
Das Wort hat Josef Göppel für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Einbringung des Haushalts möchte ich eine Stellungnahme
zugrunde legen, die die Vorsitzende unserer „Arbeitsgruppe Umwelt“, Frau Dött, abgegeben hat, und zwar
zur neuesten Allensbach-Umfrage, wonach der Umweltschutz eine immer geringere Rolle spielt. Sie hat gesagt:
Die vielen Erfolge, die wir im Umweltschutz erreicht haben, dürfen uns nicht blind machen gegenüber den Herausforderungen, die noch bestehen.
({0})
Genau das ist in der Tat der Spagat, den wir Politiker
machen müssen.
Wir erleben, dass der Klimawandel auch unser Land
immer stärker ergreift. In großen Teilen Süddeutschlands
ist eine Borkenkäferkalamität zu verzeichnen, wie wir
sie in den letzten 50 Jahren nicht erlebt haben. Im August dieses Jahres habe ich Waldbauern an Kahlflächen
mit Tränen in den Augen gesehen, weil das, was 70 oder
80 Jahre lang gewachsen war, nun auf einen Schlag vom
Harvester beseitigt wurde. Wir hatten die große Hitze im
Juli und wir haben den August erlebt.
({1})
- Richtig, es ist sogar ein Tornado über Nürnberg gefegt;
nicht wie über Berlin nur im Film, sondern tatsächlich.
Es wird also langsam auch für die Großstädter ungemütlich.
Da stellt sich natürlich die Frage: Wie stellen wir es
an, dass die Leute mitgehen, wie können wir sie in der
Umweltpolitik mitnehmen? Den Leuten zu sagen „Tut
dies, lasst das!“, das hatten wir schon - mit begrenztem
Erfolg. Wir müssen zusammen überlegen, wie wir den
Leuten Wege aufzeigen können, wie sie dem enormen
Druck durch immer weiter steigende Kosten für Gas, Öl
und Benzin entkommen können. Für viele Familien bedeutet das finanziell immer mehr Einschnürungen. Hier
müssen wir Wege aufzeigen. Dafür braucht man Gemeinsamkeit, aber man braucht auch einen langen Atem.
Ich denke schon, dass diese Regierung diesen langen
Atem hat und klar erkennbar in die richtige Richtung
geht.
Es gibt die aktuelle Diskussion über die Rolle des
Staates. Die Unionsparteien arbeiten an neuen Grundsatzprogrammen. Das wäre übrigens auch für die anderen nicht schlecht.
({2})
- Kommt darauf an, wann!
({3})
- Die CSU ist mitten dabei, wir machen es ganz gründlich. - Die Rolle des Staates in der inneren Sicherheit ist
unverzichtbar, in den Augen aller. Auch im Verbraucherschutz ist die Rolle des Staates unverzichtbar. Ich bin der
Meinung, wir brauchen die Rolle des Staates auch in der
Umweltpolitik.
({4})
Ich darf eine kurze Anleihe beim Fußball machen: Man
kann nicht 22 Mann ohne einen Schiedsrichter aufs
Spielfeld schicken.
({5})
- Das ist unsere Position. - Ein guter Schiedsrichter
kann das Spiel über viele Züge laufen lassen; aber wenn
es darauf ankommt, muss er eben da sein.
Ich möchte exemplarisch die Verknüpfung zwischen
Agrarpolitik und Naturschutz ansprechen. Aufgrund
der Beschlüsse zum Haushalt der Europäischen Union
kommt auf einzelne Länder eine Kürzung von bis zu
35 Prozent der Mittel der so genannten Säule II der
Agrarpolitik zu. Wir müssen aus diesen Säule-II-Mitteln
aber auch die Natura-2000-Gebiete finanzieren, Herr
Minister Gabriel. Wir alle haben viel Ärger gehabt mit
den FFH-Gebieten. Nun sind sie aber gemeldet und es ist
wichtig, dass das Vertrauen vieler Landwirte in den Naturschutz nicht enttäuscht wird, indem wir androhen,
jetzt hoheitlich festzulegen, was sie zu tun haben.
({6})
So können wir die Vertragsnaturschutzprogramme nicht
fortführen. Deswegen müssen wir gemeinsam eine Lösung finden.
({7})
Ich möchte dies auch im Hinblick auf das Marktanreizprogramm und auf das Gebäudesanierungsprogramm sagen, mit denen wir ähnliche Zwecke verfolgen.
Unsere Haushälter haben für das Gebäudesanierungsprogramm eine Verpflichtungsermächtigung über zusätzliche 350 Millionen Euro ausgesprochen. Ich denke,
es ist unsere Aufgabe, jetzt in den Haushaltsberatungen
zu überlegen, was wir beim Marktanreizprogramm im
Haushalt des Umweltministeriums tun können. Stop and
go ist keine gute Sache, so etwas wirkt sich sehr negativ
aus. Deshalb müssen wir versuchen, Stetigkeit in die
Dinge zu bringen. Herr Minister Gabriel, da möchte ich
Sie ausdrücklich unterstützen. Wir können dafür nicht
neue Umlagen von den Leuten erheben. Aber wir müssen versuchen, Wege zu finden, um eine Stetigkeit in die
Förderung zu bekommen. Sie macht jetzt im Schnitt
noch 10 Prozent aus. Ich meine, wir sollten nicht unter
10 Prozent gehen, sonst wird es nur noch symbolisch.
({8})
Der Deutsche ist eben so: Er will eine Anerkennung
seitens des Staates, die ihm sagt, dass der Staat das, was
er tut, für richtig hält. Genau das erfolgt mit dieser Förderung, deswegen ist sie auch so erfolgreich. Das gehört
zu den größten Erfolgen dieser Koalition. Wenn dieser
Erfolg konsequent weitergeführt werden kann, ist das für
unser Land und für viele Menschen ein hoffnungsvoller
Ausweg aus der Kostenfalle.
({9})
Wie ich bereits am Anfang sagte: Wir brauchen Perspektiven für die Menschen, wie sie einerseits Kosten einsparen und andererseits etwas Gutes für die Umwelt tun
können.
Ich möchte noch ein Wort zu den Biokraftstoffen sagen; denn jetzt steht ja auch das Quotengesetz an. Wir
von der Unionsfraktion sind nicht der Meinung, dass die
reinen Biokraftstoffe eine technologische Sackgasse
sind, wie es manche sagen. Die reinen Biokraftstoffe haben die höchste Wertschöpfung in den ländlichen Räumen. Das müssen wir auch bedenken. So lange synthetische Biokraftstoffe nur in Labormengen zur Verfügung
stehen, kann man nicht sagen, dass die anderen eine
technologische Sackgasse sind.
Man sollte die Förderpolitik so ansetzen, dass die verschiedenen technischen Optionen offen bleiben. Ich
denke, das ist wichtig. Gerade bei den Biokraftstoffen
und der Biomasse im Rahmen der Wärmeerzeugung gibt
es sehr große positive Effekte für die ländlichen Räume.
Damit wird ökologischer Nutzen - CO2-Einsparung mit sozialem und ökonomischem Nutzen verbunden;
denn eine gleichmäßige Siedlungsverteilung im ganzen
Land und lebendige und pulsierende ländliche Räume
sind wichtige Werte an sich.
({10})
Zusammenfassend möchte ich sagen: Herr Minister
Gabriel, Sie haben mit der Unionsfraktion wohlwollende, aber aufmerksame Begleiter für Ihre Politik; denn
wir möchten diese wertgebundene Umweltpolitik auch
durch Ihr Haus verwirklicht sehen. So möchten wir an
die Umweltpolitik herangehen.
({11})
Das Wort hat der Kollege Lutz Heilmann, Linksfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Minister! Herr Kollege Göppel, ich danke Ihnen für
Ihre Rede. Vieles von dem, was Sie eben erwähnt und
ausgeführt haben, kann ich ganz einfach nur unterstützen. Leider sieht die praktische Politik Ihrer Fraktion
und der großen Koalition aber ein bisschen anders aus.
Ein Wort zu der Reaktion auf die Vorhaltung meiner
Kollegin zu den Parteispenden der Energiekonzerne. Mir
fällt eigentlich nur ein Sprichwort ein: Getroffene Hunde
bellen.
Nun aber zum Thema. In der gestrigen Rede der
Kanzlerin hörten wir wieder von der Nachhaltigkeit.
Dazu gehört nach allgemeinem Verständnis auch der
Naturschutz. Mit 23 Millionen Euro ist der Haushaltsansatz für den angewandten Naturschutz im Vergleich zu
2006 annähernd gleich geblieben. Ist also alles in Butter? Ich denke, nein. Seit 1999 wurde der Haushalt für
den angewandten Naturschutz nahezu halbiert. Das wirft
die Frage auf, wie viel Ihnen der Naturschutz eigentlich
wert ist.
Ein Beispiel: Für die Vertiefung von Außen- und Unterweser sowie von Außen- und Unterelbe sind allein im
Jahre 2007 21 Millionen Euro eingeplant. Insgesamt
kostet allein die unsinnige Elbvertiefung den Bund
250 Millionen Euro.
({0})
Die Beeinträchtigung der Flora-Fauna-Habitat-Gebiete
entlang der Flussmündungen ist Ihnen offensichtlich
egal, ganz zu schweigen von den noch nicht abzuschätzenden Auswirkungen auf den Hochwasserschutz. Der
Hochwasserschutz interessiert Sie aber ohnehin meist
nur vor Wahlen. Wir brauchen aber keine Wahlkämpfer
in Gummistiefeln, wir brauchen einen nachhaltigen und
effektiven Hochwasserschutz.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, vor einer Woche
trat die Föderalismusreform in Kraft. Wir denken, dass
das kein guter Tag für die Bundesrepublik Deutschland
und erst recht nicht für den Naturschutz war.
({2})
Einerseits kann dieses Hohe Haus jetzt anspruchsvolle
Vorgaben im Naturschutz machen, andererseits können
die Länder davon abweichen, wenn sie ihnen nicht passen. Der aktuelle Entwurf der hessischen Landesregierung für ein neues Naturschutzgesetz wird beispielsweise als brutalstmöglicher Angriff auf den Naturschutz
bezeichnet. Der Entwurf der schleswig-holsteinischen
Landesregierung wird als „eine Kriegserklärung gegen
den Naturschutz“ bezeichnet. Das zeigt deutlich, wohin
die Reise geht.
Herr Minister, eigentlich müsste man Sie bedauern.
Sollten Sie hier effektive Gesetze vorschlagen, zeigen
Ihnen die Länder am Ende den berühmten Mittelfinger.
Nein, erwarten Sie aber kein Bedauern von uns, denn die
Verantwortung dafür liegt auch bei Ihnen. Sorgen machen mir vielmehr die schützenswerten Arten und Gebiete, die beim Wettlauf um die so genannten besten
Wettbewerbsbedingungen auf der Strecke bleiben werden. Noch gibt es allerdings die EU-Naturschutzrichtlinien, die wesentlich strengere Schutzvorschriften als das
Bundesnaturschutzgesetz enthalten. Noch verhindern
diese, dass schützenswerte Gebiete in Deutschland als
Umgehungsstraßen, Gewerbegebiete oder Flughäfen enden.
Ich sage Ihnen: Ihr Vorgehen, das Rollback des Naturschutzes, hat Methode. Nachdem Sie mit der Föderalismusreform den Naturschutz auf nationaler Ebene aufs
Abstellgleis geschoben haben, machen Sie sich jetzt an
den europäischen Naturschutz heran. So soll der
schleswig-holsteinische Ministerpräsident Peter Harry
Carstensen als „00-Harry“ im Auftrage seiner Majestät,
der Kanzlerin, dafür sorgen, dass die hinderlichen EUNaturschutzrichtlinien abgeschwächt werden. Ich frage
mich allerdings, was Sie, Herr Minister, dazu sagen und
welche Rolle Sie dabei spielen. Offensichtlich treffen die
Presseberichte zu - der überwiegende Teil Ihrer heutigen
Rede hat das deutlich gemacht -, nach denen Sie bald
Energieminister werden wollen.
Alles in allem: Beim Naturschutz ist nichts in Butter.
Ständige Haushaltskürzungen und ständige Änderungen
in der Naturschutzgesetzgebung haben nichts mit nachhaltiger Politik zu tun.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Herr Kollege, gerne hätten wir Ihnen zum 40. Geburtstag eine Minute geschenkt. Sie haben Ihre Rede
aber pünktlich beendet. Deshalb „nur“ eine Gratulation
von unserer Seite!
({0})
Das Wort hat die Kollegin Bärbel Höhn, Bündnis 90/
Die Grünen.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
({1})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Heilmann, es wäre schön, wenn ich Ihre Minute bekommen könnte. Die Kollegen sind da offensichtlich anderer
Meinung. Ich habe heute auch nicht Geburtstag; das
gebe ich gerne zu.
Haushaltsberatungen sind immer die wichtigsten Beratungen im Parlament, weil dabei auch über die kommende Politik entschieden wird, und zwar mit der Mehrheit des Parlamentes. Deswegen ist es wichtig, dass man
Grundsatzdebatten führt, und zwar - Herr Göppel hat
das deutlich gemacht - auch über die Fraktionsgrenzen
hinweg. Herr Minister Gabriel, deshalb ist es auch sinnvoll, nach einem Dreivierteljahr im Amt Bilanz zu ziehen: Was haben Sie gut hinbekommen? Was nicht?
Wenn ich es mir vor Augen führe, kann ich sagen:
Minister Gabriel ist durchaus gut gestartet. Er gab sich
freundlich und wortreich und machte ordentlich inszenierte Auseinandersetzungen mit dem Kollegen Glos.
({0})
- Ich weiß nicht, ob Sie jetzt noch weiter klatschen. Sie haben das gut gemacht. Es ist gut, ein bisschen zu
sticheln. Sie haben gute, grüne Inhalte rübergebracht.
Das ist nicht schlecht.
Die entscheidende Frage nach einem Dreivierteljahr
ist aber: Was ist von dem, was Sie gesagt haben, am
Ende in die Tat umgesetzt worden?
({1})
Dazu muss ich sagen: Sie laufen Gefahr, ein Ökorhetoriker zu werden; denn das, was Sie sagen, entspricht nicht
dem, was Sie tun. Diesen Vorwurf müssen Sie sich gefallen lassen.
({2})
Ich möchte das an mehreren Beispielen deutlich machen. Nehmen wir die erneuerbaren Energien als Beispiel. Es ist toll, was Sie dazu - auch zur Energieeffizienz - auch heute gesagt haben. Man kann jeden Satz
nur unterschreiben. Wir brauchen - da haben Sie Recht mehr Energieeffizienz. Es ist sinnvoll, dass die Tonne
Öl, nicht der Mensch arbeitslos wird.
Aber was haben Sie getan? Herr Göppel hat zu Recht
darauf hingewiesen, dass die Gelder aus dem Marktanreizprogramm gut abfließen, insbesondere weil die
Öl- und Gaspreise steigen und die Leute investieren. Anstatt aber die Mittel dafür zu erhöhen und den Leuten damit mehr Gelder zur Verfügung zu stellen, damit sie weiterhin die Anreizprogramme nutzen, kürzen Sie bei
diesem Programm. Das ist nicht gut; es ist das Gegenteil
von dem, was Sie vorhin gesagt haben. Sie sorgen nämlich nicht für mehr Energieeffizienz.
({3})
Wie könnten Sie für mehr Energieeffizienz sorgen?
Im Koalitionsvertrag steht, Sie wollten ein regeneratives Wärmenutzungsgesetz schaffen. Das wäre fantastisch. Es ist nämlich notwendig, um gerade bei den Bauten Wärme und damit auch Gas und Öl einzusparen. Was
haben Sie gemacht? Es liegt nicht einmal ein Referentenentwurf vor. Große Worte, wenige Taten, Herr Minister Gabriel: Das ist das Problem mit Ihnen.
Sie haben gesagt, Biokraftstoffe müssten aus ihrer
Nische heraus. Das ist richtig. Aber Herr Göppel hat sehr
eindrücklich geschildert, was wirklich passiert ist: Gerade beim ländlichen Raum, wo Arbeitsplätze entstehen
und wo wir es schaffen, vom Öl wegzukommen, haben
Sie sich von Ihrem Parteikollegen Steinbrück über den
Tisch ziehen lassen. Er hat für einen kurzfristigen Anstieg der Steuereinnahmen - wobei sie viel höher ausfallen würden, wenn er auf die Investitionstätigkeit in diesem Bereich und auf die Arbeitsplätze gebaut hätte wichtige Investitionen im ländlichen Bereich gestoppt
und Sie haben nichts dagegen unternommen, Herr Gabriel. Das ist ein schwerer Fehler.
({4})
Deshalb ist es wichtig, dass Sie in diesem Punkt auf
Herrn Göppel hören. Er vertritt nämlich eine gute Position.
({5})
Man muss versuchen, wirklich voranzukommen. Was
jetzt geschieht, beschränkt sich nämlich auf die Unterstützung der Großen. Den Kleinen und dem Mittelstand
wäre es zugute gekommen, wenn Sie die Steuerbefreiung beibehalten hätten. Aber nein: Mit Ihrem Ansatz
- auch mit der Pflichtbeimischung - fördern Sie nur die
Großen, aber nicht die Kleinen. Das ist falsch.
({6})
Für die Großen haben Sie ein großes Herz. Auch dabei sind Sie verbal wieder radikal. Sie wettern nämlich
gegen die Marktmacht der großen Energiekonzerne. Das
ist auch richtig. Damit haben Sie Recht. Ich kann viele
Zitate anführen, die richtig sind. Was aber tun Sie? Sie
verabschieden einen Nationalen Allokationsplan, mit
dem Sie letzten Endes ein Förderprogramm für den Neubau von Kohlekraftwerken auflegen. Davon profitieren
die Großen.
Sie nutzen auch nicht die Möglichkeit der Versteigerung von Emissionszertifikaten. Damit hätten Sie
700 Millionen Euro in den Haushaltsplan einbringen
können. Stattdessen schenken Sie diese 700 Millionen
Euro den großen Konzernen. Das ist nicht in Ordnung,
vor allem, wenn Sie beim Mittelstand kürzen. Das geht
nicht.
({7})
Sie können nicht hier als Retter der Verbraucher auftreten und gleichzeitig allein im Bereich der Emissionszertifikate anders handeln. Als ich das gehört habe, habe
ich gedacht: Eine solche Unverschämtheit darf man doch
nicht dulden. Dass Energieunternehmen Emissionszertifikate geschenkt bekommen und diese Geschenke sozusagen, als ob sie Kosten verursacht hätten, mit 5 Milliarden Euro in die Bilanz aufnehmen und das den
Verbrauchern bei den Preisen berechnen, muss endlich
aufhören.
({8})
5 Milliarden Euro für die großen Energieunternehmen
können wir uns auch im Hinblick auf die Energiepreise
für die Wirtschaft und die Verbraucher nicht leisten.
Ich komme zum nächsten Punkt, zur Atomkraft. Ich
habe mir aufgeschrieben, was Sie heute dazu gesagt haben: Wir werden bei der Sicherheit keinen Rabatt
geben. - Sie machen aber das Gegenteil. Sie haben gesagt, Sie hätten Vattenfall aufgefordert, bis Montag den
Sicherheitsnachweis zu liefern. Damit war der 28. August gemeint. Er ist lange vorbei. Was hat es eigentlich
für Konsequenzen, dass der Sicherheitsnachweis nicht
geliefert wurde? Null! Das ist der Rabatt, den Sie geben.
Sie haben zwar gerade gesagt, Sie würden keinen Rabatt
gewähren, aber tatsächlich geben Sie den Unternehmen
Rabatt.
Als nächster Termin ist der 20. September festgelegt
worden. Auch bis dahin wird das Unternehmen den Sicherheitsnachweis nicht erbringen. Weil es das nicht
kann, kündigt es an, nachzurüsten und Änderungen vorzunehmen. Die Tatsache, dass ein Unternehmen Änderungen ankündigt, bedeutet doch, dass es ein Problem
gibt. Was machen die Schweden im Falle eines Problems? Sie schalten vorübergehend die Anlagen ab. Haben wir hier ein niedrigeres Sicherheitsniveau als in
Schweden? Das möchte ich gerne wissen; denn das darf
nicht sein.
({9})
Ich komme zum Schluss. Herr Kelber hat es gestern
in der „Financial Times Deutschland“ gut auf den Punkt
gebracht:
Vattenfall braucht offenbar Wochen, um sein eigenes Kraftwerk zu verstehen. Das ist Besorgnis erregend.
Ich zitiere weiter:
Die Frage ist, ob Vattenfall überhaupt in der Lage
ist, eine Risikotechnologie wie ein Kernkraftwerk
zuverlässig zu betreiben.
Herr Gabriel, Sie hätten die Verpflichtung gehabt, zu
überprüfen, ob dieser Anlagenbetreiber noch zuverlässig
ist. Sie hätten bei Herrn Kelber nachfragen können. Es
geht nicht nur um Rhetorik, sondern auch um das, was
Sie tun.
({10})
Deshalb ist es auf Dauer entscheidend, dass Sie verlässlich sind, auch in Ihren Positionen. Das bedeutet: Sie
müssen genauso handeln, wie Sie reden. Das erwarten
wir und daran werden wir Sie messen.
({11})
Ich erteile das Wort Kollegen Ulrich Kelber, SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Debatten leben davon, dass man aufeinander eingeht und nicht nur das vorliest, was man vorbereitet hat.
Deswegen möchte ich auf meine Vorredner eingehen.
Frau Kotting-Uhl und Frau Höhn, seien Sie mir nicht
böse, aber Frau Reiche hat die bessere Oppositionsrede
gehalten.
({0})
Es ist, glaube ich, kein Zufall, dass die Grünen heute
zwei Rednerinnen aufgeboten haben, die erst mit der
letzten Wahl in das Parlament eingezogen sind. Sie haben wahrscheinlich gedacht, dass wir dann nicht in der
Lage sind, Ihre Aussagen mit Ihrer Politik abzugleichen.
Aber für Politikerinnen und Politiker gilt nicht die
Gnade der späten Wahl. Meine Damen von den Grünen,
Sie sitzen hier nicht als Einzelpersonen, sondern sind für
die Politik der Partei verantwortlich, die Sie vertreten.
({1})
Ich möchte auf ein paar Punkte eingehen. Die Mittel
für das Marktanreizprogramm seien im Vergleich zum
letzten Jahr gekürzt worden. Auch durch Wiederholungen werden falsche Behauptungen nicht richtig. Man
muss sich den Haushaltsplan nur genau anschauen. Ich
kann mich noch sehr gut daran erinnern, wie es 2005 um
das Marktanreizprogramm - damals unter Verantwortung eines grünen Umweltministers - bestellt war und
welche heftige Kritik es intern gegeben hat. Damals
wurden die Ausgaben für die Forschung - diese waren
nicht einmal halb so hoch wie in diesem Jahr - und für
das Marktanreizprogramm deckungsfähig gemacht. Damit man Aufträge an verschiedene Institute vergeben
konnte, zu denen man mehr oder weniger gute Beziehungen unterhielt,
({2})
wurde das Marktanreizprogramm geplündert. Mitte des
Jahres war auf einmal gar kein Geld mehr da. Die Branche war hochgefährdet. In den Handwerksbetrieben gab
es Entlassungen. Das Ganze wurde damals ohne Beteiligung des Parlaments gemacht. Das beenden wir, indem
wir diese Deckungsfähigkeit aufheben und mehr Geld in
das System stecken.
({3})
Ein weiteres Beispiel. Ich bedauere, dass die gestrige
Sondersitzung nicht öffentlich war.
({4})
- Sie wissen ja, wie es in einer Koalition zugeht. Es gab
einmal eine andere Sondersitzung eines Ausschusses.
Damals hat unser grüner Koalitionspartner darauf bestanden, dass wir dem Antrag der Opposition, diese Sitzung öffentlich zu machen, nicht zustimmen. Leider ist
es in einer Koalition so, dass man, wenn man sich nicht
einig ist, nicht zustimmt; das wissen Sie. Damals haben
Sie uns dazu gezwungen. Nun hat uns unser heutiger
Koalitionspartner dazu gezwungen. Es wäre sicherlich
besser gewesen, wenn die Sitzung öffentlich gewesen
wäre.
In der gestrigen Sondersitzung haben Sie gesagt, man
müsse bei den Atomkraftwerken endlich durchgreifen;
denn schon 1999 und 2002 sei es in Biblis, Philippsburg
und Brunsbüttel zu ähnlichen Störfällen gekommen. Wie
hieß denn damals der Umweltminister?
({5})
Welche Partei hat ihn gestellt und wie hat er reagiert? Er
hat nach Recht und Gesetz gehandelt und geprüft, ob der
Störfall ausreicht, das betreffende Kernkraftwerk abzuschalten und dem Betreiber Vorschriften zu machen. Er
ist damals zu dem gleichen Ergebnis gekommen wie der
jetzige Umweltminister.
Sie haben mich richtig zitiert. Ich stehe zu meiner
Meinung. Das ist einer der Gründe, warum ich nach wie
vor den Atomausstieg für dringend notwendig halte.
Aber man muss sich auch um die Details kümmern. Ansonsten muss man Steuergelder als Entschädigung für
ungerechtfertigte Stilllegungen ausgeben.
Sie kennen sicherlich den Unterschied zwischen deutschen Atomkraftwerken und dem Atomkraftwerk in
Forsmark. Aber für die Öffentlichkeit erkläre ich ihn
noch einmal. In Forsmark war hinter den Generatoren,
den Wechselrichtern, kein Back-up-System mehr. In
Brunsbüttel beispielsweise gibt es noch weitere Gasturbinen und Systeme. Das ist der Unterschied zwischen
den beiden Reaktoren und der Grund, warum wir anders
als die schwedischen Aufsichtsbehörden reagieren müssen. Frau Höhn, es wäre gut gewesen, wenn Sie als ehemalige zuständige Ministerin dies der Öffentlichkeit erklärt hätten.
({6})
Des Weiteren wird behauptet, das Budget sinke angesichts der Pensionsänderungen und vor allem im Naturschutz laufe gar nichts. Sie orientieren sich offenbar nur
an den Zahlen, nicht aber an den Inhalten. Einer solchen
Haushaltsgläubigkeit bin ich noch nicht begegnet. Wir
überantworten in diesem Jahr 1,25 Milliarden Quadratmeter dem Naturschutz. Der Wert dieser Fläche geht vermutlich in die Hunderte Millionen Euro. Das steht nicht
im Haushalt. Aber Sie sagen, er sei von 23 auf 22,9 gesunken. Das darf doch nicht wahr sein! Wie können Sie
einen solchen Schritt - 1,25 Milliarden Quadratmeter als
nationales Naturschutzerbe in Deutschland - so bewerten? Ich finde, es ist sehr schade, dass Sie sich nur noch
an Zahlen und nicht mehr an den Inhalten orientieren.
({7})
Sie haben Pech, dass ich Verhandlungspartner von
Jürgen Trittin und Rainer Baake war, als es um den
NAP I ging. Natürlich finde ich es nicht gut, dass jemand, der ein altes Kraftwerk betreibt und dann ein
neues baut, besser gestellt ist als jemand, der nun ein
neues baut. Aber diese Regelung war kein Kompromiss
zwischen Grünen und SPD. Damit ist Jürgen Trittin vielmehr direkt zu uns gekommen. Das war der Entwurf der
Grünen. Die Vier-plus-zehn-Regelung ist originär grün.
Wir haben diese Regelung nicht herausbekommen, weil
wir Zusagen gemacht haben. Sie ist jedenfalls originär
grün; das muss festgehalten werden.
({8})
- Ich mache Ihnen ein Angebot: Ich gehe in mein Archiv
und liefere Ihnen meinen Brief an Jürgen Trittin sowie
seine Antwort auf die Frage, die wir vor der Verabschiedung des NAP I dem federführenden Ministerium gestellt haben: Was ist die Gefahr der Einpreisung? Die
Antwort des grünen Umweltministers war: Es gibt keine
Gefahr der Einpreisung.
({9})
- Man muss solche Sachen einfach einmal dazusagen.
Der zweite Punkt sind die 5 Milliarden Euro Windfall-Profits.
Frau Flach, Sie haben bezüglich der Umorganisation
der Energieabteilung im Ministerium gesagt, Sie würden als Haushälterin erwarten, dass endlich einmal Personal gespart wird und keine zusätzlichen Ausgaben entstehen. Dazu darf ich sagen: Ich erwarte, dass eine
Haushälterin den Haushaltsentwurf liest. Dann wüssten
Sie, dass das eine Umorganisation ist und keine einzige
zusätzliche Stelle dafür im Haushalt steht.
({10})
Bitte lesen Sie den Haushaltsentwurf einmal durch.
Wenn das, was ich sage, nicht stimmt, dann machen Sie
es öffentlich und sagen Sie: Kelber hat die Unwahrheit
gesagt. - Gehen Sie den Haushaltsentwurf durch; als
Haushälterin sollten Sie das tun. So eine billige Rhetorik
haben Sie doch gar nicht nötig.
({11})
Die beste Oppositionsrede war die Rede von Frau
Reiche. Ich weiß - das sage ich als Vater von kleinen
Kindern -, dass sie wegen ihres Kindes - der Stoffhase
war ja auch für das Kind und nicht für Frau Reiche jetzt nicht hier sein kann. Man muss trotzdem einmal etwas zu Ihrer Rede sagen. Diesen Sommer hatte ich
manchmal das Gefühl, wenn der Minister einatmet,
kommt gleich die Pressemitteilung: „Reiche gegen Einatmen“.
Wenn die SPD und der Minister in der Atomaufsicht
eine Politik machen, die zwischen den Extremaussagen
beider Seiten liegt - die einen sagen: „Sie müssten längst
stilllegen, Sie tun nichts“, die anderen sagen: „Sie nutzen
das aus, um gegen die Atomenergie zu stänkern“ -, dann
macht man das, glaube ich, richtig.
Mir machen einige Dinge allerdings Sorgen; darauf
kann vielleicht der Koalitionspartner noch eingehen.
Wenn nach dem, was in Schweden passiert ist, die Erstreaktion eines Betreibers lautet, es gebe gar keine Auswirkungen, dann die Atomaufsichten gebeten werden,
Stellung zur Sicherheit der Anlagen zu beziehen, und
manche Atomaufsichten - wie die in Niedersachsen praktisch nur Kopien von dem weitergeben, was die Betreiber ihnen vorlegen, also keine eigenen Erkenntnisse
haben, dann der Betreiber plötzlich sagt, es gebe zwar
Ähnlichkeiten, es sei aber alles okay, und noch etwas
später sagt, man müsse umbauen, dann muss man doch
zumindest Zweifel haben, ob die Betreiber mit dieser Risikotechnologie auf Dauer richtig umgehen und ob es
nicht der bessere Weg wäre, aus dieser Risikotechnologie auszusteigen.
({12})
Aber die Positionen in der Koalition unterscheiden
sich in der Tat, und zwar auch in der Frage des Endlagers. Es gibt da zwei Unterschiede.
Erstens. Die Zwischenlager haben entsprechende Genehmigungen. Wer sich ein bisschen in der Atomenergie
auskennt weiß, dass viele Brennstäbe gar nicht sofort in
ein Endlager transportiert werden dürfen, sondern erst
einmal vor Ort bleiben müssen. Von daher könnte man
die Zwischenlager gar nicht auflösen.
Der zweite Unterschied ist ebenfalls ganz deutlich.
Dieser Unterschied hängt an wenigen Buchstaben: Die
Union will ein geeignetes Endlager haben; wir wollen
das geeignetste Endlager in Deutschland haben.
({13})
Das ist der Unterschied zwischen unseren Ansätzen: Wir
wollen alles an jeder Stelle überprüfen. Wer das ebenfalls möchte, darf davor keine Angst haben. Das ist
meine feste Überzeugung.
({14})
Letzter Punkt. In einer Haushaltsdebatte, in der man
über die Themen Umweltschutz, Geld und Volkswirtschaft redet, kommt man natürlich am Thema Energie
nicht vorbei. Mich stört die Debatte der letzten Tage ein
bisschen. Da wurde über die Netzregulierung gesprochen; im Augenblick wird in der Tat ganz gut daran gearbeitet. Dabei stellte sich die Frage, ob wir die Preise
für die Endkunden in den Ländern weiter regulieren sollten. Ich halte das für ziemlich blödsinnig.
({15})
Ich nenne als Beispiel einmal Stadtwerke, die 80 Prozent
ihres Stroms vom Versorger RWE beziehen müssen.
Welche Endkundenpreise sollen die denn nehmen, wenn
RWE den Strompreis erhöht?
Das Problem sind also nicht die Netzkosten oder die
Endkundenpreise, sondern ist das Oligopol bei der
Stromerzeugung.
({16})
Die größten Vier haben 80 bis 90 Prozent des Markts.
Deswegen muss man sich überlegen, wie man mit diesem Oligopol umgeht. Die Begründung, die staatlichen
Abgaben seien gestiegen, ist falsch. Die Abgaben sind
seit 2003 nicht mehr gestiegen. Genau in der Zeit seit
2003 ist die größte Abzocke bei den Strompreisen passiert. Eine andere Begründung sind die Weltmarktpreise.
Ich habe heute noch einmal eine Karte gesehen, auf der
eingezeichnet ist, wo die höchsten Endkundenpreise
sind: in Baden-Württemberg - höchster Atomenergieanteil, kein Weltmarktpreis - und Ostdeutschland - höchster Braunkohleanteil, auch kein Weltmarktpreis. Genau
da, wo die Weltmarktpreise nicht dominieren, aber wo
die Oligopole dominieren, sind auch die Endkundenpreise am höchsten.
Es muss daher unser Ziel sein, alle Gesetze dahingehend zu prüfen, ob sie das Oligopol oder die Oligopolisten, die es bilden, fördern oder ob sie den Wettbewerb fördern. Wir brauchen einen Monopol-TÜV für
unsere Energiewirtschaftsgesetze. Das hat sich in den
letzten Tagen noch einmal deutlich gezeigt.
({17})
Als Bonner Abgeordneter weise ich darauf hin, dass
ein Bonner Unternehmen, die Telekom, ein Leidtragender von Regulierung ist. Man kann aber von der Situation bei der Telekommunikation lernen. Wir sollten uns
ein einfaches Ziel setzen: Die drei oder vier größten Unternehmen in der Stromerzeugung sollten keinen größeren Marktanteil als 50 Prozent haben, das größte Unternehmen nicht mehr als 25 Prozent. Bis dieses Ziel erfüllt
ist, ist es unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass es mehr
Wettbewerber und mehr Kapazitäten gibt. Dann klappt
es auch wieder mit den Strompreisen.
Vielen Dank.
({18})
Zu einer Kurzintervention erteile ich Kollegin Ulrike
Flach das Wort.
Die Intervention soll kurz sein, Herr Kelber. Sie haben gesagt, Haushälter sollten zumindest den Haushalt
lesen. Dass ich eben dieses getan habe, wollte ich Ihnen
beweisen. Ich habe in meiner Rede darauf hingewiesen,
dass wir in diesem Ministerium anders als in anderen
Ministerien einen Aufwuchs an Personal haben und dass
dies nicht im Sinne von uns Haushältern insgesamt ist.
Wir haben eine absolute Zahl - über das ganze Ministerium verteilt - von 47,9 Stellen und wir haben im Ministerium selbst 12 Stellen plus. Ich habe dann angefügt:
Vor diesem Hintergrund finde ich es verwunderlich, dass
ein eigenes Referat gebildet wird. Wir werden den Minister in den Beratungen über den Haushalt befragen,
was da passiert ist. - Das ist das, was ich gesagt habe.
Ich denke, daran ist nichts Unseriöses.
({0})
Kollege Kelber.
Ich finde es erst einmal gut, dass Sie richtiggestellt
haben, dass es da keinen Zusammenhang gibt. Das war
vorhin in Ihrer Rede nicht der Fall. Sie haben erst über
diese Abteilung gesprochen und dann gesagt, Sie
wünschten sich eigentlich, dass nicht zusätzliche Stellen
eingerichtet werden. Sie haben versucht, das in einen
Zusammenhang zu bringen. Jetzt ist das richtiggestellt.
Eines müssen Sie doch zugestehen: Wer neue Aufgaben definiert, muss auch beantworten, wie diese erfüllt
werden. Die neuen Stellen sind zum Beispiel im Bereich
des Emissionshandels angesiedelt. Hat Ihre Partei nicht
immer gesagt, wir seien zu spät mit dem Emissionshandel gestartet? Muss sich eine nationale Aufsichtsbehörde
nicht um das nationale Naturschutzerbe kümmern, bei
1,25 Milliarden Quadratmetern? Sie müssen das mit
Aufgabenkritik begleiten
({0})
und dürfen nicht rhetorisch zwei Dinge, die nicht zusammengehören, in einen Zusammenhang bringen. Das ist
unfair und das ist auch unredlich.
({1})
Ich erteile das Wort Kollegen Hans-Kurt Hill, Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das EEG ist der Schlüssel für die zukunftsfähige
Energiewirtschaft. Wind, Wasser, Sonne, Biomasse und
Erdwärme garantieren einerseits Klimaschutz und machen uns andererseits unabhängiger von Öl und Gas.
Diese sorgen für sinkende Energiepreise und Hunderttausende neuer Arbeitsplätze, wie wir es auch eben gehört haben. Aber hat unser Wirtschaftsminister Glos in
der Sache etwas nicht verstanden? Darauf angesprochen,
dass die Politik die hohen Strompreise mitverursacht,
sagte er - ich zitiere das „Handelsblatt“ von gestern -:
Wir haben aber bald Gelegenheit dazu, daran etwas
zu ändern. Im Koalitionsvertrag ist vorgesehen, im
nächsten Jahr die Vergütungssätze des ErneuerbareEnergien-Gesetzes zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen.
Ich kann nur sagen: Wenn er die Anhebung der Vergütung damit meint, dann ist das okay; denn mehr erneuerbare Energien bedeuten sinkende Strompreise. Sonne,
Wind und Co. machen gerade einmal 5 Prozent der
Stromrechnung aus. Ich sage an die Adresse der Koalition gerichtet: Wenn Sie wirklich etwas für die gebeutelten Stromkunden in diesem Jahr tun wollen, dann nehmen Sie endlich die Mehrwertsteuererhöhung zurück.
Damit können Sie den Menschen in Deutschland wirklich einen Gefallen tun.
({0})
Herr Minister, Sie sind in der Sache etwas konkreter.
Nach unserer Ansicht wird die Strom fressende Industrie
völlig unnötig von der EEG-Umlage befreit. Erstens
zahlen die Zeche die Verbraucher und zweitens schadet
das den erneuerbaren Energien. Im Ergebnis entsteht so
der Eindruck, erneuerbare Energien seien teurer, obwohl
das Gegenteil der Fall ist.
Im Umwelthaushalt 2007 wird die Solarförderung
um 5 Millionen Euro gekürzt. Wieso? Die Fördermittel
haben, wie wir wissen, noch nicht einmal in diesem Jahr
ausgereicht. Endlich wollen die Menschen Solaranlagen
auf die Dächer schrauben und Sie, Herr Gabriel - ich
verstehe es nicht -, kürzen die Mittel. Das entspricht
nicht dem Zitat aus dem Jahresbericht des Umweltbundesamtes, das Sie vorgetragen haben.
Im Entwurf zur Änderung des EEG wird auf der anderen Seite endlich ein Anlagenregister eingeführt und das ist gut so. Dass die Bundesnetzagentur die Sache
in die Hand nimmt, ist auch gut. Es darf aber nicht sein,
dass ausgerechnet die Netzbetreiber die Daten führen,
Herr Kelber. Das wäre absolut schlecht. Ihnen gehören
die Netze; sie machen ungeniert Kasse bei den Stromkunden; sie behindern den Zugang der erneuerbaren
Energien in ihre Netze. Es kann doch nicht wahr sein,
dass Sie hier Erzeugung und Netze zusammenführen, wo
Entflechtung das Gebot der Stunde ist. Datenmeldung
muss Sache der Anlagenbetreiber sein.
({1})
Zum guten Schluss soll offenbar das Gesetz im Rückenwind der heutigen Haushaltsdebatte durchgewunken werden. Ich sage Ihnen: Nicht mit uns. Wir werden
im Ausschuss darüber noch zu reden haben.
Danke schön.
({2})
Das Wort hat nun Kollege Bernhard Schulte-Drüggelte, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Kelber, ich möchte zu Beginn Ihre Einschätzung der Rede von Katherina Reiche etwas korrigieren.
({0})
Ich möchte darauf hinweisen: Wir sind in einer Koalition
- es ist schon einige Zeit her, dass sie gebildet worden
ist -; vielleicht sollte man Sie daran erinnern. Ich meine,
es war eine sehr gute Rede.
({1})
Sie hat klar dargestellt, wie die CDU/CSU denkt. Vielleicht ist es richtig, auch das einmal zur Kenntnis zu nehmen.
Weil wir in einer Koalition sind, möchte ich zunächst
unsere Gemeinsamkeiten darstellen. Wir haben gemeinsam unsere Hausaufgaben gemacht. Vorhin wurde beklagt, dass das nicht geschehen sei. Unsere Kanzlerin hat
das aber klar zum Ausdruck gebracht. Ich möchte zum
Haushalt sagen: Die Maastrichtkriterien werden zum
ersten Mal wieder eingehalten. Die Wachstumsraten sind
gut. Es gibt wieder mehr sozialversicherungspflichtige
Beschäftigte und weniger Insolvenzen.
({2})
Bei der Bundesagentur für Arbeit gibt es erstmals seit
1988 wieder einen Überschuss. Das sind Leistungen der
Koalition, die unsere neuen Freunde einmal anerkennen
sollten.
({3})
Kurzum, SPD und Union haben ihre ehrgeizigen
Konsolidierungsziele umgesetzt. Durch den vorliegenden Einzelplan 16 wird der eingeschlagene Weg fortgesetzt. Wir leisten da einen guten Beitrag.
({4})
- Das war eine gute Bemerkung, Steffen. ({5})
Während der Gesamthaushalt um 2,3 Prozent steigt,
steigt der Haushalt des Umweltministeriums nur um
0,1 Prozent. Das macht deutlich, dass die Konsolidierungsziele, die wir uns gesetzt haben, konsequent umgesetzt werden: sparsame Haushaltsführung; alle Aufgaben
stehen auf dem Prüfstand; der Staat nimmt sich zurück.
Der Anteil der Forschungsmittel am Programmhaushalt wird jedoch erhöht: von 30,7 Prozent in diesem Jahr
auf 32 Prozent 2007. Das ist eine langfristige Entwicklung - das wurde schon vorhin gesagt -: Die Ausgaben
2006 betragen circa 140 Millionen Euro und sie sollen
im Jahr 2010 156 Millionen Euro erreichen.
Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass der BMUHaushalt nur leicht ansteigt. Ein Teil des Mehrbedarfs
ergibt sich daraus, dass Deutschland im nächsten Jahr
die EU-Ratspräsidentschaft und den G-8-Vorsitz innehat, mit all den Verpflichtungen, die daran geknüpft sind.
Ich meine, beides sind Ereignisse, auf die wir uns freuen
und die wir nutzen können und sollten.
Ich möchte jetzt auf Punkte zu sprechen kommen, bei
denen wir vielleicht nicht immer einer Meinung sind.
Anfangen möchte ich jedoch mit einem Punkt, bei dem
wir wahrscheinlich übereinstimmen: Ich meine den
Campus der Vereinten Nationen in Ihrer Heimatstadt,
Herr Kelber, der im Juli von UNO-Generalsekretär Kofi
Annan und unserer Bundeskanzlerin Angela Merkel eingeweiht wurde. Zurzeit arbeiten gut 600 Experten aus aller Welt in Bonn für die Vereinten Nationen. Ich halte
einen weiteren Ausbau für richtig und auch für erforderlich. Aber im Haushalt 2007 sind keine Ausgaben für
den VN-Campus vorgesehen.
Ich möchte auf einen Bericht des Bundesrechnungshofs hinweisen, nach dem langfristig erhebliche Mittel
für die Bewirtschaftung notwendig sind. Die Regierung
muss eine Lösung in der Frage finden, wer das mittelund langfristig schultern soll. Es müssen entsprechende
Kapazitäten vorgehalten werden.
({6})
Der nächste Punkt ist der Emissionshandel; wir haben darüber gesprochen. In der Sache bin ich wieder einverstanden. Aber bei 100 Stellen und einem Volumen
von 11 Millionen Euro stellt sich schon die Frage, ob das
nicht im Haushalt dargestellt werden sollte, wenn man
Haushaltsklarheit und -wahrheit als Ziel hat.
Ich möchte zu einem Punkt kommen, bei dem die
Übereinstimmung nicht so groß ist. Petra Hinz hat
gerade über die Qualität von Kernkraftwerken gesprochen und Tschernobyl erwähnt. Sie erinnern sich vielleicht an manche Bilder von früher, wenn Kernkraftwerke besetzt wurden. Da wurden vorzugsweise
Kernkraftwerke in Deutschland besetzt. Das hatte unter
anderem den Grund, dass die Besetzer den Eindruck hatten, das seien sicherere Anlagen; sonst hätten sie sich
nicht draufgesetzt. Ich will nur deutlich machen: Es gibt
Qualitätsunterschiede.
({7})
- Das ist so!
({8})
- Ich mache das jetzt so wie Ihr Kollege und sage: Wenn
Sie etwas wissen wollen, dann stellen Sie eine Zwischenfrage!
Die Frage der Endlagerung von radioaktiven Stoffen
möchte ich auch kurz ansprechen. Im Koalitionsvertrag
ist vereinbart, dass wir eine Lösung finden wollen. Ich
möchte Herrn Minister Gabriel zitieren. Er hat im „Handelsblatt“ gesagt: Wenn sich an dem jetzigen Urteil
nichts ändere, habe man fünf Monate Zeit, um den Beginn des Ausbaus anzuordnen. - Das bezog sich auf die
Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zum
Schacht Konrad.
Wir werden also in diesem Jahr Rechtsklarheit zum
Schacht Konrad bekommen. Wir werden wissen, ob das
Verwaltungsgericht grünes Licht gibt. Wenn ja, dann
stellt sich natürlich die Frage - das hat Frau Flach gerade
gesagt -, ob die entsprechenden Mittel im Bundeshaushalt bereitstehen.
Katherina Reiche hat die Vorgeschichte zu Gorleben
angesprochen. Wir müssen klar feststellen, dass es dazu
selbstverständlich verschiedene Meinungen gibt. Alle
bisherigen Untersuchungsergebnisse haben aber ganz
eindeutig gezeigt, dass der Salzstock geeignet ist.
({9})
Deshalb sage ich aus der Sicht eines Haushälters: Ich bin
gegen eine weitere Suche und für die Aufhebung des
Moratoriums. Damit ist noch einmal klargestellt, dass
wir da unterschiedlicher Auffassung sind.
({10})
Ich möchte jetzt einem Ihrer Parteifreunde ausdrücklich zustimmen, nämlich dem Finanzminister Steinbrück. Er hat sich einmal als Treuhänder der Steuerbürger bezeichnet. Das ist, finde ich, eine sehr gute
Bezeichnung. Man sollte treuhänderisch mit Steuergeldern umgehen. Das gilt auch hier, selbst wenn im Bereich der Endlagerung ein Großteil der Kosten refinanziert wird. Ich möchte hinzufügen, dass wir das Problem
nicht wie eine heiße Kartoffel von Generation zu Generation weitergeben sollten.
({11})
Petra Hinz hat gerade noch einmal das Bundesamt
für Strahlenschutz angesprochen. Ich möchte erneut,
wie bei der letzten Haushaltsrede, deutlich auf das kritische Urteil hinweisen, das der Wissenschaftsrat über das
Bundesamt getroffen hat, besonders im Hinblick auf die
Fachbereiche „Sicherheit in der Kerntechnik“ und „Sicherheit nuklearer Entsorgung“. Es gibt da auch Bereiche, die als sehr gut beurteilt worden sind, aber diejenigen, die uns hier besonders interessieren, sind als sehr
schlecht beurteilt worden, gerade was die wissenschaftliche Kompetenz angeht.
({12})
- Ich habe es durchgelesen.
Der Wissenschaftsrat empfiehlt eine grundlegende
Neuausrichtung. Es ist eine Expertengruppe eingesetzt
worden.
({13})
Ich begrüße das und freue mich darüber, dass Konsequenzen gezogen worden sind. Ich hoffe jedenfalls - um
das einmal ganz freundlich zu formulieren -, dass die
Experten unabhängig und in der Lage sind, objektiv Bericht zu erstatten.
({14})
Deshalb möchte ich es bei diesen Punkten belassen.
Ich freue mich auf die weiteren Beratungen.
({15})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 16/2455 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Druck-
sache 16/2510 mit dem Titel „Die weltweit letzten
100 westpazifischen Grauwale schützen“. Dazu liegen
mir persönliche Erklärungen von neun Kolleginnen und
Kollegen der Grünen vor.1) Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Antrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD bei
Enthaltung von FDP, Bündnis 90/Die Grünen und einem
etwas unklaren Erscheinungsbild links, zwischen Zustimmung und Enthaltung changierend
({0})
- dann habe ich das richtig beobachtet -, angenommen.
Wir kommen nunmehr zum Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Einzelplan 12. Ich erteile das Wort dem Bundesminister Wolfgang Tiefensee.
({1})
- Liebe Kolleginnen und Kollegen, könnten Sie den
Wechsel etwas geräuschärmer vollziehen, damit der
Bundesminister eine Chance hat, gehört zu werden. - Ich
glaube, jetzt geht es.
Sehr verehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren Abgeordnete! Liebe Gäste! Wir
kommen zum Einzelplan 12, einem der schwergewichtigsten auch im Haushalt des Jahres 2007. Ein starkes,
selbstbewusstes Land investiert auch im Jahr 2007 stark
und vorausschauend und sorgt damit für eine nachhaltige
Wirkung in Bezug auf die Belebung der Wirtschaft, die
Schaffung neuer Arbeitsplätze und den regionalen und
sozialen Zusammenhalt in unserer Republik.
({0})
Das ist nicht selbstverständlich. Die Bundesregierung
hat, wie die Mittelfristplanung zeigt, die zu diesem
Zweck herangezogen werden kann, durch ihre Koali-
tionsvereinbarung vom November 2005 dafür Sorge ge-
tragen, dass die Gelder nicht zuletzt im Einzelplan 12
und hier im investiven Bereich verstetigt, ja zum Teil
1) Anlage 3
aufgestockt werden, damit Planungssicherheit entsteht
und die Bauvorhaben zügig vorangetrieben werden. Wir
investieren in die Straße, in die Schiene, in die Binnenwasserstraßen und gemeinsam mit den Ländern in die
Flughäfen. Wir investieren in die Seehäfen. Wir setzen
Akzente bei der Städtebauförderung mit dem Programm
„Soziale Stadt“. Wir sorgen dafür, dass neue Technologien zum Durchbruch kommen und innovative Produkte
gestärkt werden und ihren Markt finden. Mit all dem
verfolgen wir eine Strategie; die Maßnahmen finden sich
in den Einzelpositionen unseres Etats wieder.
Bevor ich das in der knapp bemessenen Zeit im Einzelnen erläutere, möchte ich einen herzlichen Dank an
die richten, die im Vorfeld der Haushaltsplanerstellung
dazu beigetragen haben, dass wir dieses Ergebnis in weiten Teilen im Konsens vorlegen können. Mit Blick auf
die schwierigen Gespräche über den Investitionsrahmenplan 2006 bis 2010 darf ich der Hoffnung Ausdruck verleihen, dass wir die dort vorgesehenen Maßnahmen in
gleichem Einvernehmen sehr zügig in Gang setzen, damit sie ihre Wirkung entfalten.
({1})
Die Strategie im Verkehrsbereich bis zum 31. Dezember 2007 wird im Investitionsplan niedergelegt, den wir
mit dem Masterplan „Güterverkehr und Logistik“
untersetzen wollen. Wir folgen damit dem Ansatz, jedem
Verkehrsträger eine optimale Unterstützung zu geben,
damit er seine Wirkung entfaltet, und zwar jeweils einzeln und in der Vernetzung. Wir wollen das Rückgrat der
Wirtschaft, die Mobilität, und den Aufwärtstrend der Logistikbranche unterstützen und somit im Einzelnen unseren Beitrag dazu leisten, dass Arbeitsplätze entstehen.
({2})
Der Verkehrsbereich hat auf dem Finanzniveau von
8,8 Milliarden Euro eine Verstetigung erfahren. Rechnet
man die Gelder von rund 1,7 Milliarden Euro im Rahmen des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes hinzu
und berücksichtigt weitere Positionen im Technologiebereich, dann ergibt sich ein Volumen von 10,7 Milliarden Euro allein bei den Investitionen in die Verkehrsträger innerhalb und außerhalb der Stadt.
Wir wollen im Jahr 2007 den Binnenwasserstraßen
ein leichtes Prä einräumen, weil wir glauben, dass deren
Ausbau nachhaltig unterstützt werden muss, da sie im
Modal Split mit immerhin einem Anteil von 12 Prozent
am Güterverkehr einen nachhaltigen Beitrag zur Mobilität leisten.
({3})
Wir wollen dabei - das sage ich auch in Richtung
Bündnis 90/Die Grünen - die Umweltverträglichkeit in
Korrelation zu den Verkehrserfordernissen bringen. Ich
denke, dass wir sowohl beim Ausbau der Binnenwasserstraßen als auch beim Ausbau der seewärtigen Anbindung unserer Häfen sehr klug, sehr besonnen und sehr
bedacht vorgehen.
Wir werden im Bereich der Straße Projekte mit neuen
Finanzierungsinstrumenten fördern. Es besteht im Haushalt die Möglichkeit - ich nenne das Beispiel der A 8,
der Strecke von München nach Augsburg -, gemeinsam
mit der Wirtschaft eine höhere Effizienz zu erreichen. Es
ist erklärtes Ziel der Bundesregierung, auch privates Kapital zu akquirieren.
Wir wollen durch eine Aufstockung der Mittel Verkehrsprojekte auf der Schiene vorantreiben, beispielsweise die Strecke Karlsruhe-Basel oder die Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ 8.1 und 8.2,
({4})
die die Anbindung insbesondere der ostdeutschen Länder verbessern sollen.
Wir werden nicht nur im investiven Bereich etwas für
die Schiene tun. Auch mit unseren strategischen Entscheidungen zur DB AG und deren Teilprivatisierung
werden wir nicht zuletzt mit Blick auf den Haushalt in
den Jahren 2006 und 2007 die Weichen stellen. Dies ist
heute nicht das Thema und meine Redezeit reicht nicht:
Aber wir werden die Koalitionsvereinbarung auch in
diesem Punkt zügig umsetzen und unseren Beitrag dazu
leisten, dass Mobilität auch in Zukunft möglich ist und
die Deutsche Bahn AG im Wettbewerb zwischen Straße
und Schiene und auf der Schiene sowie im nationalen
und europäischen Wettbewerb gestärkt wird und auch in
Zukunft als Wettbewerbspartner zieht.
({5})
Im Bereich der Binnenwasserstraßen setzen wir auf
die Erweiterung der Schleusen, auf umweltverträgliche
Flussbaumaßnahmen beispielsweise der Elbe, um den
Zustand vor dem Hochwasser herzustellen. So erhoffen
wir uns Impulse für die Wirtschaft.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass wir die Mittel
für den Stadtumbau Ost und Stadtumbau West, den
Denkmalschutz, die Grundprogramme der Städtebauförderung, aber auch für das Programm „Soziale Stadt“
nicht nur verstetigen, sondern aufstocken. Sie haben es
im Haushalt gelesen: In den Jahren 2006, 2007, 2008
und 2009 wird für diesen Bereich mehr Geld zur Verfügung stehen.
Ein entscheidendes Programm, das seine Wirkung bereits entfaltet, ist das CO2-Gebäudesanierungsprogramm.
({6})
Es ist ein optimales Programm in der Verbindung von
Mittelstandsförderung, Verbesserung der Umwelt und
Entlastung des Mieters bei den Nebenkosten. Im Zeitraum von 2005 bis 2006 wurde noch ein Finanzvolumen
in Höhe von 200 Millionen Euro gefeiert. Angesichts
der Tatsache, dass mittlerweile 1,4 Milliarden Euro pro
anno zur Verfügung stehen, wird deutlich, dass diese Regierung hinsichtlich Mittelstandsförderung, Umweltschutz und Mieterinteressen nachdrücklich Akzente
setzt.
Die Wohneigentümer rennen der Kreditanstalt für
Wiederaufbau - bildlich gesprochen - die Bude ein und
fragen dieses Programm nach. Daher haben wir uns entschlossen, die Mittel bereits im Jahre 2006 um
350 Millionen Euro aufzustocken, indem wir die Verpflichtungsermächtigung zeitlich nach vorne ziehen. Damit erreichen wir, dass die Anträge, die jetzt quasi auf
Halde liegen, noch im vierten Quartal beschieden werden können. Die erhöhte Nachfrage ist vermutlich teilweise auch eine Reaktion auf die geplante Erhöhung der
Mehrwertsteuer, die gegebenenfalls zu einer Delle führen könnte. Mit dieser Maßnahme haben wir angemessen darauf reagiert. Das CO2-Gebäudesanierungsprogramm ist eine der Erfolgsstorys neben dem Aufwuchs
der Investitionsmittel insgesamt.
({7})
Für den Stadtumbau Ost und für den Stadtumbau
West legen wir zusätzlich 36 Millionen Euro auf. Beim
Programm „Soziale Stadt“ sind es 40 Millionen Euro pro
anno, verstetigt über die nächsten Jahre, wie man an der
Mittelfristplanung erkennen kann. Das zeigt, welche Akzente wir mit unseren Investitionen setzen wollen.
Lassen Sie mich an dieser Stelle etwas zum Aufbau
Ost und zur Unterstützung der ostdeutschen Länder sagen. Neben der Verbesserung der Infrastruktur setzen
wir konsequent die Gelder aus dem Solidarpakt II ein.
Wir fördern die Städte und die Wohnquartiere nachhaltig, damit sich der zarte Aufschwung Ost, der im verarbeitenden Gewerbe erkennbar ist, verstetigt. Die Investitionszulage, die im Haushalt des Bundesfinanzministers
etatisiert ist, soll an dieser Stelle noch einmal erwähnt
werden. Pro anno werden den mittelständischen Unternehmen des Ostens 600 Millionen Euro zur Verfügung
gestellt, damit sie Arbeitsplätze schaffen und zum Wirtschaftswachstum im Osten beitragen können. Dieser Aspekt wird nach wie vor im Mittelpunkt der Politik der
Bundesregierung stehen.
({8})
Um das Wachstum, das in ganz Deutschland, aber besonders in den neuen Bundesländern zu beobachten ist,
weiter zu fördern, kümmern wir uns um neue Technologien. Deutschland ist auf vielen Feldern Technologieführer. Ich nenne beispielsweise die Wasserstoff- und
Brennstoffzellentechnologie. Auch wenn es darum geht,
neue Antriebssysteme oder neue Kraftstoffe zu entwickeln, sind wir führend. Ich nenne als Stichwort BTL,
die synthetischen Biokraftstoffe. All das wollen wir fördern, indem wir die Forschungsmittel in diesem Bereich
aufstocken. Beispielsweise sollen in dieser Legislaturperiode rund 200 Millionen Euro, 50 Millionen Euro pro
anno, für das Wasserstoff- und Brennstoffzellenprogramm eingesetzt werden.
Wir investieren in Galileo, um dieses europäische
Projekt voranzutreiben, mit dessen Hilfe speziell in den
neuen Bundesländern mit der Entwicklung von neuen
Produkten neue Arbeitsplätze geschaffen wurden. Ich
bin davon überzeugt, dass es unser Haus erreichen kann,
dass wir bei den Antriebssystemen, bei den neuen Kraftstoffen, beim Satellitennavigationssystem, aber auch in
der Bauforschung, bei der Entwicklung neuer Baustoffe,
neuer Wohnformen sowie neuer Bautechnologien Technologieführer bleiben. Damit können wir in diesem Bereich weiterhin Akzente setzen.
Dieser Haushalt stellt eine Verstetigung des Haushaltes 2006 dar und findet seine Fortführung in den Jahren
2008 und 2009. Damit wollen wir erreichen, dass der
Mittelstand, der das Rückgrat unserer Gesellschaft ist,
gefördert wird. Wir wollen damit ferner erreichen, dass
zusätzliche Arbeitsplätze entstehen. Außerdem wollen
wir die Technologieführerschaft unseres Landes ausbauen.
Es gibt aber auch Beiträge, die die Verwaltung selbst
leistet, indem sie sich zurücknimmt und den Gürtel enger schnallt. Das sind zwei Seiten einer Medaille: mehr
investieren - die Bundesregierung hat ein entsprechendes Programm mit einem Volumen von 25 Milliarden
Euro aufgelegt - und im eigenen Haus sparen. Die Bundesverwaltung spart hier 1 Milliarde Euro pro Jahr ein.
Dieses Sparen gilt selbstverständlich auch für ein Haus,
das in besonderem Maße Personal zur Verfügung stellt.
Denken Sie insbesondere an die Schifffahrtsverwaltung!
Das bedeutet für ein solches Haus, einen großen Beitrag
zu leisten: mehr Arbeitszeit, Halbierung des Weihnachtsgeldes, Sonderbelastungen für die Beamten und Angestellten.
Ich möchte das hier noch einmal deutlich unterstreichen. Auch wenn wir den Bürgern manches abverlangen
müssen, auch wenn wir den Unternehmen zumuten, dass
sie zum Teil mehr Abgaben, mehr Steuerlast zu tragen
haben, findet das seine Entsprechung, insbesondere auch
in unserem Hause, indem wir den Gürtel enger schnallen.
Das wird weithin in der Bevölkerung nicht gesehen
und soll an dieser Stelle besonders für ein personalintensives Haus wie das meinige noch einmal deutlich unterstrichen werden - mit Dank an die Mitarbeiterschaft, die
trotz immer umfangreicher werdenden Aufgaben diese
zu leisten im Stande ist.
({9})
Ich denke, dass wir in den Beratungen im Detail dieses oder jenes vielleicht noch verändern, aber im Grundsatz diesem Entwurf folgen. Ich bedanke mich für die
konstruktive Zusammenarbeit bis hierher und wünsche
den weiteren Beratungen nicht nur zum Haushalt, sondern auch zur Strategie - Güterverkehr, Logistik,
Deutsche Bahn AG, Strategien bei Kraftstoffen, Antriebssystemen und dergleichen mehr - einen möglichst
breiten Konsens. Ich werde meinen Beitrag dazu leisten.
Vielen Dank.
({10})
Ich erteile das Wort Kollegen Jan Mücke für die FDPFraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Investitionen sind das Rückgrat für Wachstum und
Beschäftigung. Mit diesem an sich zutreffenden Satz eröffneten Sie, sehr geehrter Herr Minister, Ihre Rede zur
Haushaltsdebatte 2006, was zeitlich noch nicht so weit
entfernt liegt.
Wenn man sich die Zahlen für den Haushalt 2007 genau ansieht, wird deutlich, dass der Anspruch, den Sie
hier kundgetan haben, und die in Wirklichkeit auseinander klaffen.
({0})
Der Haushaltsentwurf sieht Investitionen für Bundesfernstraßen in Höhe von 4,5 Milliarden Euro vor.
Meine Damen und Herren, anders als man nach der recht
optimistisch gehaltenen Rede des Ministers denken
könnte, haben wir jedoch keinen Zuwachs im Vergleich
zum Haushaltsjahr 2006 zu verbuchen. Im Gegenteil:
Sie stellen über 329 Millionen Euro weniger für den
Bundesfernstraßenbau zur Verfügung, im Vergleich zum
Jahre 2005 sind es sogar 724 Millionen Euro weniger.
Sie verabschieden sich - anders kann man das nicht
deuten - damit heimlich, still und leise von Ihren vollmundigen Plänen und Absichten, die vor allen Dingen in
den Koalitionsvereinbarungen vom letzten Jahr nachzulesen sind.
Der Bundesverkehrswegeplan 2003 sah jährliche Investitionen von 5,2 Milliarden Euro für Bundesfernstraßen vor. Ihre Koalitionsvereinbarung aus dem Jahre
2005 - sie ist noch nicht ganz ein Jahr alt - sprach von
einer deutlichen Erhöhung und Verstetigung der Investitionen im Laufe der aktuellen Legislaturperiode. Das
Gegenteil ist der Fall. Der Verfall der deutschen Autobahnen wird bedauerlicherweise weitergehen.
({1})
Sehr geehrter Herr Minister, das gleiche Schicksal ereilt Ihren bereits jetzt angekündigten Masterplan „Logistik“, bevor dieser richtig fertig ist. Sie kommen zu
dem zutreffenden Ergebnis - ich zitiere Ihr Haus in der
„Deutschen Verkehrszeitung“ vom 24. August -, dass
sich die Priorisierung beim Erhalt und Ausbau der Infrastruktur stärker als bisher an den Anforderungen der verladenden Wirtschaft orientieren muss.
Schauen wir uns die Zahlen an. Die Straße schultert
etwa 70 Prozent des Güterverkehrs und sogar 80 Prozent
des Personenverkehrs. Von den 8,75 Milliarden Euro
Gesamtinvestitionen in die Infrastruktur des Bundes entfallen jedoch nur 4,5 Milliarden Euro auf die Fernstraßen. Das sind gut 51 Prozent. 2006 waren es noch
4,8 Milliarden Euro, sprich 54 Prozent. Sie erkennen
also einen Trend, der die Förderung der Bundesfernstraßen eher abnehmen lässt.
Diese Art von stärkerer Priorisierung und Verstetigung ist für mich kaum noch nachvollziehbar, offensichtlich für Sie selber auch nicht. Nach § 5 Abs. 1 Fernstraßenausbaugesetz sind Sie verpflichtet, einen
Fünfjahresplan zum Ausbau der Fernstraßen vorzulegen,
um Investitionen langfristig planbar zu machen. Dieser
Plan soll von 2006 bis 2010 gelten. Das Jahr 2006 ist
zwar zu drei Viertel vorbei, dieser Fünfjahresplan liegt
aber immer noch nicht vor. Ich kann ja verstehen, dass
Sie, wie vielleicht alle ostdeutschen Abgeordneten, gegenüber Fünfjahresplänen eine gewisse Skepsis entwickelt haben.
({2})
Es wäre aber gut, wenn Sie, sehr geehrter Herr Minister,
Ihrer gesetzlichen Pflicht nachkommen und einen solchen Fünfjahresplan endlich vorlegen würden.
({3})
Besonders unverständlich ist die Entwicklung bei den
Bundesfernstraßen, wenn man sich vor Augen hält, dass
die Investitionssumme inzwischen zu einem großen Teil
durch Mauteinnahmen finanziert wird. Fast jeder vierte
Euro - das entspricht über 1 Milliarde Euro - für Investitionen im Bereich Bundesfernstraßen stammt nicht aus
Haushaltsmitteln, sondern wird bereits jetzt nutzerfinanziert.
({4})
- Natürlich. - Heute ist aber keine Rede mehr davon,
dass die Mauteinnahmen eigentlich auch dazu dienen
sollten, zusätzliche Projekte zu ermöglichen. Von zusätzlichen Projekten ist heute nicht mehr die Rede.
({5})
Vielmehr dümpeln die Investitionen weiter vor sich
hin und das Investitionsdefizit wird von Jahr zu Jahr größer. Lieber Herr Tiefensee, wenn Sie weiterhin der Bundesspatenstichminister bleiben wollen, wenn Ihr Spaten
nicht einrosten soll, dann müssen Sie in dem Bereich
Bundesfernstraßen erheblich mehr Geld investieren,
sonst wird Ihnen dieser Titel wahrscheinlich aberkannt
werden.
({6})
- Sie können gleich gerne sprechen.
({7})
In Ihrem Masterplan Logistik präferieren Sie den
Rückzug des Staates aus dem Dienstleistungsbereich. Es
ist schon interessant, mit welchen Argumenten Sie andererseits beim Thema Bahn das Integrationsmodell hochhalten. Sie manifestieren damit endgültig, dass der Bund
Mehrheitseigentümer eines Logistikunternehmens wird.
Warum soll es aber Aufgabe des Bundes sein, Hafenterminals und Logistikkonzerne zu betreiben?
({8})
Es kann doch nicht im Sinne eines effektiven Wettbewerbs im Verkehrsbereich sein, dauerhaft einen Staatskonzern zu verankern, der auf Kosten des Steuerzahlers
konkursfest ist und Vorzugskonditionen bei der Finanzierung genießt.
({9})
Was Sie mit dieser Politik beabsichtigen, zumindest bewirken oder billigend in Kauf nehmen, ist eine klare Verzerrung des Wettbewerbs zulasten privater Unternehmen. Das sieht man gerade in der Logistikbranche
deutlich.
Sie haben sich wahrscheinlich die Vision von Herrn
Mehdorn zu Eigen gemacht, mit dem Konzern Deutsche
Bahn einen Globalplayer aufzustellen. Gerade uns Ostdeutschen - ich komme noch einmal auf unsere gemeinsame Herkunft zu sprechen - müsste eigentlich bekannt
sein, dass die Größe allein relativ wenig über die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens aussagt.
({10})
Große Unternehmensverbünde hatten wir zu DDR-Zeiten auch. Entscheidend sind effiziente Strukturen und ein
erstklassiges Produkt. Das erwarten wir von der
Bahn AG.
Damit komme ich zu dem, was heute über die Ticker
gelaufen ist. Sie haben die Opposition freundlicherweise
zu einem klärenden Gespräch über den Börsengang der
Bahn, insbesondere über die Bahnimmobilien, eingeladen. Die Zuordnung dieser Immobilien ist in der letzten
Zeit häufig Thema in den Medien gewesen. Ich möchte
an dieser Stelle noch einmal erklären, dass der Brief von
Herrn Mehdorn unseres Erachtens keineswegs alle Fragen beantwortet hat. Die Grundstückszuordnung ist nach
wie vor eine offene Frage. Wir erwarten, dass die Immobilien der Deutschen Bahn AG entsprechend § 25 des
Deutsche Bahn Gründungsgesetzes zugeordnet werden.
({11})
Solange diese Fragen nicht endgültig beantwortet
sind und Ihr Haus nicht endgültig Position bezogen hat,
wie die Grundstücke zugeordnet werden sollen, steht für
uns der Untersuchungsausschuss weiter im Raum.
({12})
Für uns ist entscheidend, wie die Bundesregierung
den Investitionshaushalt im Bereich Verkehr in Zukunft
gestalten wird. Das ist unseres Erachtens eine Zukunftsbranche. Wir werden Sie gern unterstützen, wenn Sie
vernünftige Investitionsentscheidungen treffen. Wenn
Sie allerdings wie beispielsweise in diesem Jahr ganz
massiv zulasten der Straße einsparen, werden Sie keine
Unterstützung für Ihren Haushaltsentwurf finden.
({13})
Ich erteile das Wort Kollegen Hans-Peter Friedrich,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Diese Koalition hat über ihre Arbeit von vier Jahren folgenden Dreiklang gestellt: Sanieren, Reformieren, Investieren. Wir haben das große Glück, dass wir mit diesem Einzelplan in erster Linie für das Investieren
zuständig sind. Ich denke, dass der Einzelplan 12 im
Haushalt 2007 einen starken Beitrag dazu leistet, dass
Art. 115 des Grundgesetzes eingehalten werden kann, in
dem steht: Die Investitionen müssen höher sein als die
Kreditaufnahme. Das schaffen wir nicht zuletzt damit,
dass über die Hälfte des Haushaltes des Ministers für
Verkehr, Bau und Stadtentwicklung in Investitionen geht
und dass über die Hälfte der investiven Ausgaben des
Bundes im Verkehr- und Baubereich stattfinden.
Wir wissen, dass es sich dort nicht nur um wichtige
Aufgaben des Wirtschaftsstandortes Deutschland handelt, sondern auch um die Zukunft des Lebensqualitätsstandortes Deutschland. Es ist nicht unwichtig, wie wir
- der Minister hat es gesagt - den regionalen und sozialen Zusammenhalt unserer Städte und Gemeinden gestalten. Es ist nicht unwichtig, wie die Mobilität der Bürgerinnen und Bürger im Alltag gesichert wird. Aber es
geht bei diesen Investitionen nicht nur darum, Lebensqualität für die Zukunft zu sichern, sondern sie haben
auch einen sehr guten Nebeneffekt: Wir sichern dadurch
Arbeitsplätze in der Gegenwart.
({0})
Zum ersten Mal seit sieben Jahren werden in diesem
Jahr die Umsätze in der Bauwirtschaft steigen. Die Bauwirtschaft rechnet auch im kommenden Jahr mit einer
positiven Entwicklung. Natürlich gibt es - das werden
Sie sofort entgegenhalten - eine Sonderkonjunktur aufgrund des Wegfalls der Eigenheimzulage und der Erhöhung der Mehrwertsteuer.
Wir haben mit dem KfW-CO2-Gebäudesanierungsprogramm einen starken Stabilisator eingezogen, der
insbesondere für das Bauhandwerk ein warmer Regen
ist. Dieses Programm ist - der Minister hat es gesagt ein außerordentlicher Erfolg. Wir hatten uns als Ziel vorgenommen, ein Investitionsvolumen in Höhe von etwa
7 Milliarden Euro anzuregen. Dies ist gleich im ersten
Anlauf deutlich überschritten worden. 1 Milliarde Euro
Investitionen bedeuten die Sicherung von 25 000 Arbeitsplätzen in diesem Land. Ich denke, das kann sich sehen lassen.
({1})
Gleichzeitig entlasten wir durch die CO2-Einsparungen unsere Umwelt. Wir sparen Energiekosten und verbessern den Substanzwert des Gebäudebestandes in dieDr. Hans-Peter Friedrich ({2})
sem Land, wobei sich drei Viertel aller Anträge auf Einund Zweifamilienhäuser beziehen.
Das zeigt, dass das der richtige Weg ist und dass wir
keine teueren staatlichen Konjunkturprogramme brauchen, sondern nur Anreize, damit die Menschen ihr privates Kapital mobilisieren und investieren. Ich denke,
angesichts der momentan nicht gerade überwältigenden
Anzahl attraktiver Anlagemöglichkeiten in Deutschland
sind viele bereit, zu sagen: Jawohl, ich investiere in mein
eigenes Häuschen oder in meine eigene Wohnung.
Deswegen sollten wir alle dafür sorgen, dass auch der
Wohnungsbau als Altersvorsorge möglichst bald riesterfähig gemacht wird.
({3})
Ich glaube, das ist ein ganz wichtiges Anliegen, das wir
gemeinsam verfolgen sollten. Denn die Erarbeitung einer Eigentumswohnung oder eines kleinen Häuschens
sind Altersvorsorge und Eigentumsbildung in Eigenverantwortung der Menschen. Das sollte der Staat entsprechend unterstützen und würdigen.
Wir erreichen CO2-Einsparungen; wir erreichen Energieeinsparungen. Dies schaffen wir auch mithilfe eines
weiteren Instruments, das uns die Europäische Union
vorschreibt, nämlich des so genannten Energieausweises. Der Energieausweis ist sinnvoll. Denn er soll dokumentieren, wie hoch der Energieverbrauch und die Energiekosten sind, die der potenzielle Käufer oder Mieter
einer Wohnung oder eines Hauses zu erwarten hat.
Es macht Sinn, ihn in einer Phase, in der die Energiekosten besonders hoch und gewissermaßen zu einer Art
zweiten Miete geworden sind, als Marktkriterium einzuführen. Ich warne aber sehr davor, in diesem Zusammenhang unnötige Kosten zu produzieren, die die Eigentümer von Häusern und Wohnungen belasten.
({4})
Ich bin deswegen sehr froh, dass sich der Bundesminister für Verkehr und der Bundesminister für Wirtschaft auf die Wahlfreiheit zwischen zwei Varianten des
Energieausweises verständigt haben: zwischen dem Bedarfsausweis, der relativ teuer ist, weil er kompliziert
und aufwendig herzustellen ist, und dem Verbrauchsausweis, der relativ günstig ist und diesen Zweck für eine
Übergangszeit, bis sich das Ganze am Markt etabliert
hat, genauso gut erfüllen kann.
({5})
Das entspricht im Übrigen auch unserem Ziel, EU-Vorschriften eins zu eins umzusetzen und nicht draufzusatteln.
Was die Verkehrsinfrastruktur angeht, stimme ich den
Kollegen, die vor mir gesprochen haben, uneingeschränkt zu, auch denen der Opposition. Wenn man investieren möchte, kann man nie genug Geld haben; es ist
eigentlich immer zu wenig. Aber ich denke, dass wir es
geschafft haben.
Lieber Herr Minister, ich sage Ihnen: Herzlichen
Glückwunsch zu Ihren erfolgreichen Verhandlungen mit
dem Bundesfinanzminister! Sie haben es trotz leerer
Kassen bzw. knapper Finanzmittel geschafft, eine dauerhafte Erhöhung der Investitionsmittel im Verkehrsbereich durchzusetzen.
Wir haben einen verlässlichen Rahmen für die
geplanten Projekte im Bundesverkehrswegeplan geschaffen. Wir arbeiten mit Hochdruck an einem Planungsbeschleunigungsgesetz. Zudem bemühen sich die
Koalitionsfraktionen - der Minister hat das angedeutet um eine weitere Aktivierung privaten Anlagekapitals im
Verkehrsbereich. Hier müssen wir die eine oder andere
Hürde beiseite räumen. Heute Nachmittag hat sich zu
diesem Thema eine Expertenrunde getroffen und interessante Vorschläge gemacht.
Natürlich, Herr Kollege Mücke, erwarten auch wir,
dass die Fünfjahrespläne zügig vorgelegt werden. Aber
Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit;
({6})
auch das ist ein wichtiges Prinzip. Gerade in Zeiten
knapper Kassen muss man sich genau überlegen, wo
man investiert. Deswegen ist es richtig, dass wir die
Fünfjahrespläne sehr sorgfältig vorbereiten.
Trotzdem sollten wir aufhören, den Erfolg der Verkehrspolitik einzig und allein daran zu messen, wie viele
neue Spatenstiche gemacht werden. Das ist eine etwas
verengte Perspektive.
({7})
Das eigentlich Entscheidende ist, den Bestand an Straßen, der von Jahr zu Jahr zunimmt, zu sichern und zu erhalten. Deswegen fließen noch in diesem Jahr
1,7 Milliarden Euro aus dem Haushalt für das Jahr 2007
in die Erhaltung des bestehenden Straßennetzes. Zusammen mit den Erhaltungsmaßnahmen im Rahmen von
Erweiterungsarbeiten sind es 2 Milliarden Euro.
Wir müssen der Bevölkerung deutlich machen, wie
wichtig es ist, den ständig zunehmenden Bestand zu erhalten, und klar sagen, dass das Mehraufwendungen zur
Folge hat, was dazu führt, dass die Investitionen knapper
ausfallen. Ich denke, die Bevölkerung, die ein Interesse
daran hat, dass die Straßen in gutem Zustand und verkehrssicher sind, versteht das.
({8})
Sollten sich in den nächsten Wochen unerwarteterweise Haushaltsspielräume auftun, verspreche ich Ihnen,
({9})
dass wir wie ein Mann hinter dem Bundesverkehrsminister stehen
Dr. Hans-Peter Friedrich ({10})
({11})
und fordern werden, dass die anstehenden Investitionen
in den Verkehrshaushalt fließen.
Die Unionsfraktion wird die Bundesregierung bzw.
den Verkehrsminister bei den Zukunftsvorhaben im Zusammenhang mit der Umsetzung des Koalitionsvertrages nachhaltig unterstützen. Dazu zählt die Sicherung
des Luftverkehrsstandortes Deutschland. Dazu gehört
auch, dass wir die Qualität und die Kapazität der deutschen Flughafeninfrastruktur sichern und ausbauen sowie die Vermarktung des Logistikstandortes Deutschland voranbringen. Und dazu gehört, dass wir die
wirtschaftliche Basis für die Fuhrunternehmer in unserem Lande sichern. Man darf die Unternehmen nicht immer nur mit neuen Kosten belasten - wie es etwa bei der
Maut der Fall war -, sondern man muss ihnen auch Entlastungen zukommen lassen, und zwar dann, wenn es
möglich ist, und dort, wo man sie ihnen zugesagt hat.
Auch daran müssen wir mit Hochdruck arbeiten.
Es gilt, alle Verkehrsträger, also auch die Binnenschifffahrt, zu stärken. Ich habe vorhin die Umweltdebatte verfolgt. Ich werde nie begreifen, warum ausgerechnet die Grünen dagegen sind, die Möglichkeiten, die
Binnenschifffahrt zu nutzen, zu verbessern. Die Binnenschifffahrt ist ein ökologisch höchst verträglicher Verkehrsträger, den wir mit halber Ladung über den RheinMain-Donau-Kanal fahren lassen,
({12})
weil überall versucht wird, den Donauausbau zu blockieren. Wie kann es ökologisch sein, den Verkehrsträger
Binnenschifffahrt zu behindern?
({13})
Ich glaube, die selbst ernannten Oberökologen sollten in
dieser Frage umdenken.
({14})
Schließlich geht es darum, die Struktur des Verkehrsträgers Schiene zu sichern. Dafür erwarten wir, wie es
guter Brauch ist, die Unterstützung des ganzen Hauses.
Wir wollen eine gemeinsame Linie suchen.
Wir nehmen die Stadtentwicklung, den Bau, Verkehr,
Logistik als Zukunftsaufgaben fest in den Blick.
Bis zur endgültigen Verabschiedung des Haushaltes
gibt es immer Änderungen im Detail. Aber ich glaube,
man kann sagen: Die Richtung stimmt.
({15})
Vielleicht können Sie sich als Opposition dazu durchringen, diesen Haushalt entgegen den Ritualen auch einmal
zu loben.
Vielen Dank.
({16})
Ich erteile das Wort Kollegin Dorothée Menzner,
Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Minister! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Fraktion Die Linke fragt
sich, ob es sinnvoll ist, in althergebrachter Weise ganze
Lafetten von Anträgen zur Änderung des Haushaltes einzubringen. CDU/CSU und SPD haben hier eine robuste
Mehrheit. Daher lassen wir doch das Spiel mit den sinnlosen Anträgen und konzentrieren wir uns hier und heute
auf das Wesentliche!
Zurzeit wird in München der Transrapid gepuscht.
Mit viel Trara wird dort dem Transrapid die Bresche geschlagen. Die 100 Millionen Euro, die die Regierung im
nächsten Jahr dafür einplant, würden wir besser sparen.
({0})
Zweierlei am geplanten Transrapid ist nämlich grundverkehrt: Erstens. Sollte er tatsächlich Wirklichkeit werden, muss der Steuerzahler auch zukünftig weitere Hunderte Millionen Euro in ihn stecken. Zweitens. Jede
Bahn, die in einer Sackgasse endet, wird nur wenig Verkehr an sich ziehen.
({1})
Wer nun einwendet, der Transrapid sei ein Touristenmagnet, möge - so ist unsere Überzeugung - den Transrapid aus Kulturmitteln bezahlen! Verkehrswirtschaftlich
ist für uns klar: Fluggäste mit viel Gepäck, Begleitende,
Zuschauer oder Dienstpersonal ziehen es allemal vor,
das Auto zu nutzen und nicht Fahrpreise zu zahlen, die
unter Umständen weit teurer sind als ihr Flugticket, erst
recht wenn sie mit ihrem ganzen Gepäck und Geraffel
auch noch mühsam umsteigen müssen, weil es keinen
Anschluss gibt. Flughafenbahnen kommen nur infrage,
um einen Flughafen von mehreren Seiten ans Verkehrsnetz anzubinden.
({2})
Dieses Problem ist übrigens auch beim künftigen Flughafen Schönefeld BBI bislang nicht gelöst.
Kommen wir nun zu dem verkehrspolitischen Thema,
das uns zurzeit am meisten beschäftigt, das am meisten
diskutiert wird und auch von der Öffentlichkeit deutlich
wahrgenommen wird: der Zukunft der Bahn. Die Menschen, die Wirtschaft, alle brauchen vernünftige Lösungen. Doch was tun wir hier? Wir haben uns mit dem
PRIMON-Gutachten befasst, haben Anhörungen durchgeführt. In allen Fraktionen gibt es nach wie vor mannigfache Bedenken. Drei möchte ich hier herausgreifen.
Erstens: magere Erlöse, egal nach welchem Modell wir
die Bahn verkaufen. Zweitens: kaum Hinweise, wie wir
dann die Ziele der Bahnreform erreichen wollen. Drittens die Erkenntnis, dass vage Planungsdaten der
DB AG die Grundlage für den 500-seitigen Zahlensalat
sind, der mehr Fragen aufwirft, als Antworten gibt, Fragen, die da lauten: geminderte Bilanzwerte, versteckte
Werte, bleibende Schulden.
Auch dazu an dieser Stelle drei Zahlen: Seit 1994 investierten die Steuerzahler über 70 Milliarden Euro in
die Bahn. Trotzdem liegt die Bilanzsumme nur bei
50 Milliarden Euro. Wieso? Beide Zahlen stehen in krassem Gegensatz zum aktuellen Wiederbeschaffungswert,
der mit 200 Milliarden Euro zu veranschlagen ist. Kein
Kaufmann und keine Kauffrau würden so rechnen.
Wir meinen, dass nach diesem ganzen Zahlensalat die
Notbremse zu ziehen ist und dass wir endlich gemeinsam aufräumen, Transparenz schaffen und klären müssen, was eigentlich die Grundlage ist.
({3})
Wir wurschteln dagegen weiter, während die Bahn verhackstückt werden soll. Die Diskussion darüber geht in
Richtung eines Integrations- oder eines Eigentumsmodells. Aber eigentlich werden die Entscheidungen schon
ganz woanders vorbereitet. Das nennt sich dann Lenkungsausschuss und läuft - man merke - ohne Beteiligung der Opposition.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, jeder, der den Haushalt liest oder der tagtäglich auf die Straßen schaut,
weiß, dass eines der größten Probleme der Güterverkehr ist. Wenn wir schon zuschauen, wie die Produktion
aus Deutschland abwandert, dann müssen wir auch den
Konsequenzen ins Auge schauen. Ich meine Seeschiffe
mit 6 000, 8 000 und zukünftig 10 000 Containern, die
tagtäglich in den Nordseehäfen anlegen. Soll das heißen,
dass jeder weitere Container einen weiteren Laster auf
deutschen Straßen bedeutet? Wollen wir da nicht lieber
gemeinsam die Weichen in Richtung einer vernünftigen
Verkehrspolitik und in Richtung einer vernünftigen Bahn
stellen?
({4})
Statt dieser Flickschusterei wäre das eine Aufgabe und
wäre das ein gemeinsames Konzept wert.
({5})
Ich appelliere an Sie, hier gegenzusteuern und Nachhaltigkeit zu entwickeln. Behalten wir die Bahn im Bundeseigentum, stellen wir ihren wirklichen Wert fest und
finden wir die milliardenschweren Logistikfirmen, die
sofort zu Geld gemacht werden können, das wir dann in
den Streckenausbau stecken können.
Herr Minister, liebe Kolleginnen und Kollegen, gestatten Sie mir zum Schluss noch eine kurze Bemerkung
zum Einzelplan 60. Auch hier hat die Regierung nicht
korrekt gearbeitet. Die Regierung wollte die Gelder für
Bahn und Bus kürzen. Doch was finde ich jetzt in dem
Entwurf für den Haushalt 2007? Da steht immer noch
der ungekürzte Betrag von 7,266 Milliarden Euro. Dazu
stelle ich fest: Wir beschließen hier gegen die Stimmen
der Linksfraktion eine Kürzung, aber die ungekürzte
Zahl findet sich im neuen Haushalt 2007. Für uns geht
diese Schlamperei in Ordnung. Wir waren von Anfang
an dagegen und freuen uns, dass auch Sie offensichtlich
eingesehen haben, dass die Kürzung der Regionalisierungsmittel nicht nötig ist.
({6})
Ich erteile das Wort Kollegen Winfried Hermann,
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wie viele andere, habe auch ich der Bundeskanzlerin gestern aufmerksam zugehört. Mir ist aufgefallen, dass sie einen Satz gleich mehrfach gesagt hat. Er
lautet: „Wir dürfen unsere Zukunft nicht verbrauchen.“
({0})
Sie hat viel gesagt und nicht allem können wir zustimmen. Diesem Satz stimmen wir aber ausdrücklich zu.
({1})
Es ist das Bekenntnis zu Nachhaltigkeit und zur nachhaltigen Entwicklung. Ich nehme diesen Anspruch ernst.
Ich will dies einmal am Beispiel dieses Ministeriums kritisch durcharbeiten; denn ich glaube schon, dass der
Leitspruch der Kanzlerin natürlich auch der Leitspruch
des Ministers in einem Ministerium sein muss, in dem es
in der Tat um die Zukunft geht. Zweifellos ist das Ministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung das Zukunftsministerium par excellence. Es stellt sich natürlich
die Frage, ob alles, was dort getan und entschieden wird,
zukunftsfähig ist. Sind die Investitionen, von denen Sie
alle hier so stolz gesprochen haben, wirklich Zukunftsinvestitionen?
Herr Minister, Sie haben viel von Arbeitsplätzen,
Wirtschaftlichkeit und Verkehrspolitik gesprochen. Aus
unserer Sicht haben Sie aber zu wenig davon gesprochen, dass zur Nachhaltigkeit auch ökologische Aspekte
und der Klimaschutz gehören. Das ist deutlich zu kurz
gekommen. Trotzdem will ich ganz unumwunden sagen,
dass es in Ihrem Etat einen Bereich gibt, den wir aus
Sicht der Grünen nur loben können. Das Gebäudesanierungsprogramm, das jetzt auf 1,4 Milliarden Euro aufgestockt wurde, ist absolut positiv. Das ist zukunftsgerichtete Investitionspolitik.
({2})
Ich kann mir allerdings eine spitze Bemerkung gegenüber den Genossinnen und Genossen nicht ersparen: Es
freut uns, dass es Ihnen gelungen ist, sich selbst zu mehr
durchzuringen. - Nicht alle verstehen das.
({3})
Ich muss erläutern: Die Grünen haben jahrelang genau
diese Aufstockung gefordert; die Sozialdemokraten haben immer gesagt, das gehe nicht. Jetzt haben Sie sich
im Ringen mit sich selbst für eine Aufstockung entschieden. Herzlichen Glückwunsch! Wir sind jetzt jedenfalls
ein Stück weiter.
({4})
Das Lob, das man zum Gebäudesanierungsprogramm
äußern muss, kann man nicht auf den Bereich Verkehrspolitik übertragen. Herr Minister, Sie haben einige Projekte, die es schon seit Jahren gibt und die unter RotGrün angeleiert wurden, fortgeführt. Es geht dabei um
die Frage, wie man den Bereich Verkehr nachhaltiger gestaltet, etwa mit neuen Antriebssystemen und neuen
Treibstoffen. Damit beschäftigen wir uns schon seit Jahren. Es fehlt aber wirklich ein großer strategischer Wurf,
der erkennbar zeigt, wie wir im Bereich Mobilität, der zu
90 Prozent vom Öl abhängig ist, entsprechend der Strategie der Bundesregierung vom Öl wegkommen. Hier
muss es noch deutliche Nachbesserungen geben; hier ist
noch viel zu tun. Sie haben in diesem Bereich kein zukunftsfähiges Programm.
Nächster Bereich: Infrastruktur. Alle haben angesprochen, wie wichtig die Infrastruktur für die Zukunft der
Gesellschaft ist. Nehmen wir das zuletzt angesprochene
Beispiel: der Bereich Gütertransport. Ist es unter dem
Gesichtspunkt, dass wir Schienenverkehr zur Anbindung
an die Seehäfen brauchen, weil der Verkehr dort massiv
wächst, nicht dringend notwendig, in diesen Bereich zu
investieren? Ich weise auf die Verbindung durch das
Rheintal in die Schweiz hin. Ist es nicht einsichtig, dass
wir genau dort schwerpunktmäßig investieren müssen?
Das geschieht leider nicht. Man setzt weiter auf Projekte
wie die Strecke Nürnberg-Erfurt, die genau das nicht
leisten, aber das Geld abziehen, das wir dringend für
eine nachhaltige Logistikpolitik brauchen.
Herr Kollege Fischer, Sie verstehen nicht, warum die
Grünen gegen den Flussausbau sind. Wir sind dagegen,
weil wir keine eindimensionalen Ökologen sind. Bei der
Ökologie geht es nämlich nicht nur um Emissionen und
Energieverbrauch. Vielmehr gehören auch Natur- und
Gewässerschutz sowie Gewässerökologie dazu. Sie können nicht an der Donau und an Teilen der Elbe einen natur- und landschaftsverträglichen Flussausbau, der einen
vernünftigen Schiffverkehr zulässt und sich auch noch
ökonomisch rechnet, betreiben. Die entsprechenden
Transporte kann man - das ist unsere Überzeugung - mit
der Bahn bei weitem preiswerter und ökologischer bewerkstelligen.
({5})
Sie setzen im Bereich Infrastruktur unserer Meinung
nach immer noch zu sehr auf neue, große Projekte.
Wenn Sie, Herr Friedrich, sagen, man müsse auch an
den Erhalt denken, sagen wir: Richtig. Es freut uns,
dass Sie hier umdenken. Spitz nachgetragen: Wenn ich
an die vollmundigen Forderungen der CDU/CSU in Oppositionszeiten denke - Sie wollten viel mehr Straßenund Schienenbau betreiben - und dann die bescheidenen
Investitionsansätze sehe, die alle hinter dem, was es unter Rot-Grün gab, zurückbleiben, erkenne ich: Sie haben
endlich dazugelernt. Sie wissen nun, dass man nicht nur
eins draufsetzen muss, sondern auch gestalten muss. Aus
unserer Sicht steht aber zu wenig Geld für die Sanierung
bereit. Auch das ist eine Investition in die Zukunft. Wir
müssen mehr für den Erhalt unserer umfangreichen Infrastruktur tun und nicht immer noch eins draufsetzen,
weil die Sanierung später vielleicht nicht mehr finanziert
werden kann.
({6})
Ich komme zum letzten Punkt, zu einer großen, wichtigen Zukunftsentscheidung: die Privatisierung der
Deutschen Bahn. Wir sind uns mit der FDP und mit der
Linkspartei völlig einig: Es kann keinen Börsengang
ohne eine vollständige, lückenlose Aufklärung der Affäre um Immobiliengeschäfte der Deutschen Bahn - es
gab Fehlzuweisungen - geben. Alles, was damit zusammenhängt, muss hieb- und stichfest aufgeklärt werden.
Sonst kann es keinen Börsengang geben.
({7})
Wir haben jetzt die ersten Antworten - mehr als bisher -, aber es ist noch längst nicht alles aufgeklärt. Viele
Fragen sind noch auf dem Tisch. Solange sie auf dem
Tisch sind und keine Antworten folgen, sind wir der
Meinung, dass die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses nötig ist. Das ist völlig klar. Im Moment liegen
uns einige Antworten vor, aber das ist zu wenig, um
wirklich einschätzen zu können, was da passiert ist. Man
muss den Eindruck haben, dass über Jahre hinweg das
Recht verletzt wurde und dass es noch keine Korrekturen
gab. Es ist auch noch nicht erkennbar, welche Korrekturen Sie vornehmen wollen und wie Sie die ökonomischen Nachteile für den Bund ausgleichen wollen.
Da Sie nun in der Koalition heftig über die Art und
Weise der Privatisierung streiten, möchte ich Ihnen ein
paar Zukunftsfragen mitgeben, die in der Debatte bisher
überhaupt nicht berücksichtigt werden.
Bei all Ihren Modellen, die Sie durchspielen, stellt
sich die Frage, durch welche Entscheidungen die Zukunft verbaut wird. Wenn man ein beträchtliches Volksvermögen wie das Schienennetz zu Niedrigstpreisen abgibt, weil es an der Börse nichts wert ist, dann ist das
Erbe verschleudert und die Zukunft verbaut. Wenn man
beispielsweise langfristige Verträge macht, über die Sie
bei den verschiedenen Modellen diskutieren - es ist immer von einem langfristigen Nießbrauchrecht über
30 Jahre die Rede -, dann bedeutet das den Ausschluss
zukünftiger Politikgenerationen von der politischen Entscheidung, wie der Schienenverkehr in Deutschland gestaltet wird.
Ein langfristiger Vertrag mit einer Laufzeit von
30 Jahren behindert die Politik und den Wettbewerb und
schadet letztendlich dem Schienenverkehr, weil sich auf
der Schiene kein Wettbewerb und kein Wachstum entwiWinfried Hermann
ckeln können. Das alles sind nur Schutzkonzepte zum
Erhalt der Deutschen Bahn AG.
({8})
Eine vernünftige ökologische und nachhaltige Zukunftsinvestitionspolitik, Infrastrukturpolitik und Verkehrspolitik müssen sich aber über Einzelinteressen hinwegsetzen und den Schienenverkehr im Geiste einer
nachhaltigen Mobilitätspolitik und des Klimaschutzes
betreiben. Das wäre zukunftsfähig. Insofern müssen Sie
in der Debatte noch einiges nachlegen.
Vielen Dank.
({9})
Ich erteile das Wort Kollegen Uwe Beckmeyer, SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich denke, dass wir mit dem Haushalt des
Einzelplans 12 einen wesentlichen Schlüssel für die ökonomische Entwicklung dieses Landes in der Hand haben. Dieser Haushalt ist in seiner Wirkung sicherlich einer der einflussreichsten Faktoren für die Stärkung des
Wirtschaftsstandortes Deutschland. Insofern ist er insbesondere im Hinblick auf die Entfaltung dieser Wirkung
zu betrachten.
Was heißt das? Die Infrastruktur ist im Grunde genommen das Rückgrat unserer Ökonomie bzw. unseres
gesamten Wirtschaftssystems. Mit den Investitionen in
dieses Wirtschaftssystem und in die Verkehrsinfrastruktur unseres Landes geben wir meines Erachtens starke
- wenn nicht sogar die stärksten - Impulse für die Verbesserung unserer Wirtschaftskraft und damit auch für
die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Das erreichen wir
nicht nur durch die Investitionen selbst, sondern auch
durch die Wirkungen, die diese Investitionen in Deutschland entfalten.
Unser gemeinsames politisches Ziel ist es doch wohl,
alle Kräfte zu stärken, die diese positiven wirtschaftlichen Effekte entfalten. Wenn wir Verkehrsinfrastruktur
ausbauen, instand halten und optimieren, sorgen wir dafür, dass dieser wirtschaftliche Aufschwung nachhaltig
wird. Wir ermöglichen, stabilisieren und verstärken ihn.
Das ist umso wichtiger, als der Haushalt mit einem Ausgabeplafond von 24 Milliarden Euro ausgestattet ist. Das
entspricht einer Steigerung um 307 Millionen Euro in
absoluten Zahlen bzw. einem Plus von 1,3 Prozent. Auch
das sollte an dieser Stelle erwähnt werden.
Der Einzelplan 12 ist mit Abstand der größte Investitionshaushalt des Bundes. Rund 53,2 Prozent der investiven Ausgaben des Bundes sind Investitionen in den
Verkehrs- und Baubereich. Die Investitionen in diesem
Einzelplan betragen rund 12,5 Milliarden Euro.
Zu den Ausgabeschwerpunkten ist festzustellen - das
ist nach der Diskussion in den zurückliegenden Jahren
sicherlich erfreulich -, dass wir in den Bereichen
Schiene, Wasserstraße, Fernstraße und bei den Mitteln
im Rahmen des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes gute Werte zu verzeichnen haben. Das wird in der
Öffentlichkeit gelegentlich anders gesehen. Mein Freund
und Kollege Fischer hat sich gestern in einer Pressemitteilung von Pro Mobilität entsprechend geäußert. Er hat
aber nur bedingt Recht; denn wir müssen berücksichtigen, von welchen Ausgangs- und Plandaten sich der
Haushalt in den letzten Jahren entwickelt hat. Ich kann
mich noch gut daran erinnern, dass der Planungszeitraum in den Diskussionen in diesem Hause Unzufriedenheit hervorgerufen hat. Ich glaube, der Koalition ist es
nun gelungen, die Quelle der Unzufriedenheit bei den
Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur zu beseitigen.
Die Investitionsansätze betreffend die Verkehrsinfrastruktur nehmen in den kommenden Jahren deutlich zu.
Das ist ein sichtbarer Erfolg. Sie können das alles nachlesen.
({0})
Mit dem wirtschaftlichen Wachstum nimmt bislang
der Transportbedarf zu. Dieser Umstand darf nach
meiner Meinung verkehrspolitisch nicht einfach hingenommen werden. Meine feste Überzeugung ist, dass
diese Wachstumsprozesse mittelfristig entkoppelt werden müssen; denn eine innovative Verkehrspolitik verlangt - genauso wie die europäische Verkehrspolitik nach einer vernünftigen Antwort. Eine innovative und
nachhaltige Verkehrspolitik sichert einerseits einen hohen Grad an Mobilität und sorgt andererseits dafür, dass
die Belastungen für Menschen und Umwelt möglichst
gering sind.
({1})
Wir Sozialdemokraten setzen gemeinsam mit unserem Koalitionspartner auf eine vorausschauende, integrierte Verkehrspolitik des Bundes, basierend auf einer
vernünftigen Kombination unterschiedlicher Verkehrsträger. Was wir brauchen, ist ein ökonomisch effizientes,
sozial angemessenes und ökologisch verträgliches Mobilitätsangebot. Das ist im Koalitionsvertrag ausdrücklich
unterstrichen und damit die Richtschnur für den Verkehrshaushalt - insbesondere für die Ausgaben -, über
den wir heute in erster Lesung beraten.
Es gibt aber auch den grundgesetzlichen Allgemeinwohlauftrag der Bahn. Diesen Infrastrukturauftrag, der
auch volkswirtschaftliche Implikationen hat, nehmen
wir sehr ernst. Eine integrierte Verkehrspolitik basiert
auf einem intakten, zukunftsfähigen Wasserstraßensystem, einem adäquaten Fernstraßensystem sowie einem
am Allgemeinwohl und insbesondere an den Verkehrsbedürfnissen orientierten Schienensystem der Eisenbahnen. Diese Netze wollen wir gut unterhalten, wo nötig,
ausbauen und dem Bedarf entsprechend unserer zentralen Lage in Mitteleuropa anpassen.
Das Bruttoanlagevermögen unserer Bundesfernstraßen inklusive der Brücken hat nach der Statistik des
Verkehrsministeriums - Stand 2004 - einen Wert von
mindestens 478 Milliarden Euro. Der Wert des Schienennetzes beträgt laut dieser Statistik 130 Milliarden
Euro und der unserer Wasserstraßen rund 40 Milliarden
Euro. Würde man eine reine Ertragswertberechnung
der Wertermittlung zugrunde legen, hätte das Autobahnnetz vor der Einführung der LKW-Maut den Wert null
gehabt und wäre selbst nach der Einführung der Maut
nur gut 3 Milliarden Euro wert. Sie werden sich sicherlich fragen, ob es sein kann, dass der Bruttoanlagewert
478 Milliarden Euro und der Ertragswert nur 3 Milliarden Euro beträgt. Sicher, das kann sein. Es kommt immer darauf an, wen Sie fragen: den Bauunternehmer, der
ein Bauwerk erstellen soll, oder den Kapitalverwerter,
der private Kapitalgeber interessieren will. Ich will hier
gerne - wir kennen das aus dem Ausschuss - die rhetorische Frage nach dem Wert des Kölner Doms oder der
Dresdner Frauenkirche wiederholen. Nach der Ertragswertmethode wären sie jeweils nur ihre Klingelbeutelkollekte wert.
Ich sprach vorhin von der großen Bedeutung der Verkehrsinfrastruktur für den wirtschaftlichen Aufschwung
in Deutschland. Sie ist natürlich in erster Linie in ihrer
volkswirtschaftlichen Bedeutung für unser Land zu suchen. So wird es auch in Zukunft bleiben. Deshalb wird
aus Sicht des Bundes eine pure Fixierung auf den Ertragswert der Bewertung unserer Infrastrukturnetze nicht
gerecht. Ich sage dies gerade mit Blick auf eine mögliche Kapitalprivatisierung der Deutschen Bahn AG.
({2})
Wir wollen auch in Zukunft den freien Verkehrsmarkt
im Rahmen des EU-Binnenmarktes fördern. Wettbewerb
innerhalb und zwischen den Verkehrsträgern bleibt unser
gemeinsames Ziel. Kabotage gab es überall. Regulierung
gab es auf allen Feldern der Transportlogistik; ich
glaube, wir haben sie nach und nach auf allen Feldern
abgeschafft. Das Spannungsverhältnis zwischen Regulierung und Wettbewerb auszutarieren, ist eine Herausforderung, die der modernen Verkehrspolitik künftig
teilweise noch bevorsteht.
Ich will noch etwas zu den Risiken, aber auch zu den
Chancen sagen. Ich meine hierbei Risiken nicht im
Sinne von Haushaltsrisiken. Verkehrspolitik hat natürlich darüber hinaus vieles zu berücksichtigen - die unsichere weltpolitische Lage, drastisch steigende Ölpreise -, was uns immer wieder bedroht, ob international
oder europäisch. Insofern ist es wichtig - gerade wenn
man an die Rohstoffpreise denkt -, dass man innovative
Forschungsprojekte für alternative Antriebsformen und
Antriebsstoffe weiter unterstützt und fördert. Ich denke,
das versteht sich von selbst.
({3})
Zu den Chancen. Der Minister hat vorhin mit Recht
auf den Masterplan „Güterverkehr und Logistik“
hingewiesen. Es ist eine riesengroße Chance für
Deutschland, dieses Feld national so zu besetzen, dass
hier alle - die gesamte Branche, aber auch die nationale
Volkswirtschaft - etwas davon haben. Ich glaube, wir
haben eine gute Ausgangslage, um uns in dieser Frage
wirklich nach vorne zu arbeiten und unsere Potenziale so
zu bündeln und auszutarieren, dass wir daraus den bestmöglichen Effekt erzielen.
Zum Thema Forschung und Innovation gibt es vieles
zu sagen. Ich will nur einen ganz kleinen Teil ansprechen, und zwar die Erforschung von umweltfreundlicheren Motoren für die Binnenschifffahrt. Wir Sozialdemokraten sind entschlossen, es nicht nur bei der Forschung
zu belassen, sondern auch zur Implementierung solcher
Motoren zu kommen.
({4})
Der letzte Punkt, auf den ich eingehen möchte - ich
möchte meinen nachfolgenden Kollegen nicht die Zeit
stehlen -, bezieht sich auf die Akzeptanz der Verkehrspolitik. Wir haben im letzten Haushalt - ich denke, wir
sollten das fortsetzen - zusätzliche Mittel für die Lärmbekämpfung eingestellt. Wir haben hierfür richtig Geld
in die Hand genommen und haben die Ansätze verdoppelt. Ich glaube, das ist der richtige Weg.
({5})
Wir müssen den Lärm an der Quelle und auch den Lärm
an den Bundesverkehrswegen bekämpfen. Ansonsten
bekommen wir in Deutschland für Verkehrswege keine
Akzeptanz des Bürgers - und wir brauchen diese Akzeptanz. Ich glaube, es ist wichtig, an dieser Frage zu arbeiten und etwas Zusätzliches zu tun. Wir sollten vielleicht
auch noch einmal über die Rahmenbedingungen - wie
wird Lärm eigentlich empfunden, wie wird er bewertet,
wie wird er gemessen? - nachdenken. Es kann nicht
sein, dass die Leute sagen: „Ich höre das“, aber dann
wird am Ende der Lärm nicht nach dem Gehör oder nach
der gemessenen Lautstärke bewertet, sondern er wird berechnet. Auch das zeigt, wie schwierig es sein kann, Akzeptanz herzustellen.
Ich habe noch 26 Sekunden, in denen ich etwas zum
Infrastrukturbeschleunigungsgesetz sagen will. Wir wollen ganz entschieden dieses Thema so behandelt wissen,
dass dieses Gesetz zum 1. Januar 2007 seine volle Wirkung entfaltet.
({6})
Ich glaube, das ist ein sehr wichtiger Punkt. Damit will
ich schließen.
Herzlichen Dank, meine sehr geehrten Damen und
Herren. - Herr Präsident, ich habe zwei Minuten meiner
Kollegin überlassen.
({7})
Ich wollte mich schon wundern, dass Sie uns zwei
Minuten schenken, aber Sie haben sie gleich weiter verteilt.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Ich erteile das Wort dem Kollegen Joachim Günther,
FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
diskutieren heute den Haushaltsplan 2007. Ich möchte
mich vorrangig mit dem Bereich Wohnungswesen und
Städtebau auseinander setzen. Hier enthält der Haushaltsplan - das sage ich klar vorweg - einen positiven
Ansatz. Die im Vergleich zum Vorjahr um 260 Millionen
Euro erhöhten Investitionen - so muss man das ja
sehen - lassen zumindest die Überzeugung aufkommen,
dass die Bundesregierung das Vorhaben ernst nimmt,
den politischen Stellenwert des Bauwesens wieder ansteigen zu lassen.
Sie als Koalitionsparteien hatten der Bauwirtschaft
das Versprechen gegeben, dass Sie die Rahmenbedingungen so gestalten würden, dass die Bauwirtschaft wieder schwarze Zahlen schreiben kann und dass man es auf
dem Arbeitsmarkt merkt. Herr Minister, Ihre Rede war
absolut positiv; sie hatte noch etwas von der Euphorie
der Weltmeisterschaft.
Das ist ja nicht schlecht, aber als Opposition müssen
wir auf den einen oder anderen Punkt hinweisen, mit
dem man vorsichtig umgehen sollte. So hat zum Beispiel
der Kollege Friedrich gesagt, die Zahl der Bauauftragseingänge sei im Vergleich zum Vorjahr höher gewesen.
Das stimmt, und zwar um 0,2 Prozent. Aber zu dieser
Wahrheit gehört noch etwas anderes. Im gleichen Zeitraum sank im Vergleich zum Vorjahr die Zahl der Beschäftigten im Bauhauptgewerbe um 28 000.
({0})
Das bedeutet, dass diese 28 000 Beschäftigten im Bauhauptgewerbe arbeitslos geworden sind. Ich hoffe, dass
es nur eine Episode in der Sommerpause war, als Sie
sagten, man könne diese Arbeitslosen als Hilfssheriffs
einstellen. Ich gehe davon aus, dass es mittelfristig gelingen wird, diese wieder in Arbeit zu bringen. Diese Zahlen machen deutlich, dass die grundlegenden Rahmenbedingungen noch nicht geändert worden sind.
({1})
Stattdessen steht uns die Mehrwertsteuererhöhung um
3 Prozentpunkte bevor. Herr Minister, Sie selbst haben
schon angekündigt, dass eine konjunkturelle Delle zu erwarten ist. Hoffen wir, dass es wirklich nur eine Delle
wird und kein Rückgang der Konjunktur.
In diesem Zusammenhang sind viele Maßnahmen zu
erwähnen, die die Bauwirtschaft schon in der Vergangenheit beeinträchtigt haben. Die muss man nennen,
wenn man über neue Steuererhöhungen spricht. Ich
denke an die Abschaffung der Eigenheimzulage, die
ohne Kompensation - darum geht es mir - erfolgt ist.
Wir haben vorgeschlagen, das Wohneigentum in die geförderte Altersvorsorge einzubeziehen. Da gibt es Ansätze, aber nach wie vor kein Ergebnis. Es gibt einen
umstrittenen Referentenentwurf. Wann kommt die Vorlage, die zugesagt wurde?
Ich erinnere an den Wegfall der degressiven AfA im
Mietwohnungsbau und an die Verschlechterung bei den
Abschreibungen für sanierungsbedürftige und denkmalgeschützte Gebäude durch das Haushaltsbegleitgesetz
2004. All das hat die Bauwirtschaft in den vergangenen
Jahren belastet. Auch wir haben diesen Maßnahmen zum
größten Teil zugestimmt, aber nur deshalb, weil wir im
Gegenzug eine umfassende Steuerreform gefordert haben, die im Ergebnis die Senkung der Steuer- und Abgabenlast für den Bürger bewirkt. Dann kann man so etwas
aufheben. Hier aber wurde nur abgeschöpft und das ist
nicht in unserem Sinne.
({2})
Es gibt ein weiteres Thema, das Herr Steinbrück im
Sommer in die Diskussion geworfen hat. Ich meine die
Abschaffung der Wohnungsbauprämie. Ich hoffe, dass
das genauso wie die Forderung nach dem Verzicht auf
Urlaub gemeint war, dass er es also nicht ernst genommen hat. Wir als FDP werden in der jetzigen Situation
auf keinen Fall der Abschaffung der Wohnungsbauprämie zustimmen; denn wir können nicht die Haushaltssanierung auf dem Rücken der Bürger betreiben, die privates Wohneigentum erwerben wollen.
({3})
Dass sich die Bundesregierung verstärkt dem Thema
„zukunftsorientierte Stadtentwicklung“ zuwenden will,
finde ich sehr positiv. Sie haben das als zentrales Thema
der deutschen EU-Präsidentschaft angekündigt. Das Ziel
einer nachhaltigen Stadtentwicklung muss weiter verfolgt werden. Das war das Ziel von vielen Akteuren, die
auf diesem Gebiet tätig waren. Ich hoffe, dass die Aktivitäten sich nicht auf die Umbenennung des Ministeriums beschränken, das jetzt auch das Wort „Stadtentwicklung“ in seiner Bezeichnung trägt, sondern dass
wirkliche Schritte erfolgen. Die Stärkung der Innenstädte ist ein wichtiges Kernthema. Hier bedarf es eines
Umsteuerungsprozesses und noch vieler Anstrengungen.
Die Erhöhung der Fördermittel für diesen Prozess in
Ost- und Westdeutschland begrüßen wir. Wir müssen
aber auch darauf achten, dass sie zielgerichtet und effektiv eingesetzt werden. So werden zum jetzigen Zeitpunkt
über 60 Prozent der Mittel für den Rückbau - sprich:
Abriss - eingesetzt. Ich sage bewusst: Sie müssen dafür
zum jetzigen Zeitpunkt eingesetzt werden. Wenn man
eine positive Entwicklung auf diesem Feld einleiten will,
dann muss man langsam umsteuern und von dem Abrissprogramm zu einem Umbauprogramm, an dem alle Immobilienbesitzer beteiligt sind, kommen. Auch das ist in
den Städten von großer Bedeutung.
({4})
- Wollen Sie mir sagen, dass dieser Herr uns gefragt hat,
als er das umgebogen hat? Es geht doch darum, dass wir
auch die privaten Immobilienbesitzer einbeziehen wollen. Ich glaube, dass wir in dieser Beziehung im Ausschuss des Bundestages weiter sind als die Kollegen in
manchen Ländern.
Joachim Günther ({5})
Die Städte müssen für Menschen jedes Alters attraktiv gestaltet werden. Das erfordert eine Umgestaltung
sowohl der sozialen Struktur als auch der Verkehrsinfrastruktur in den Städten.
Die älteren Menschen müssen integriert werden. Ein
stetiges Anliegen von uns, der FDP, im Zusammenhang
mit dem Thema Stadtumbau war es, die Interessen der
- das möchte ich bewusst betonen - privaten Hauseigentümer in dieses Programm zu integrieren. Herr Tiefensee,
ich möchte Sie daran erinnern, dass Sie dies auch persönlich auf dem Zentralverbandstag von Haus & Grund
zugesagt haben. Wir warten jetzt darauf, wie sich das in
Verordnungen und Erlassen niederschlägt.
Erfreulich ist auch die erhöhte Zuweisung für den
Denkmalschutz Ost. Wir alle wissen: 90 Millionen
Euro reichen auch hier nicht aus. Aber sie sind ein Signal dafür, dass der Denkmalschutz im politischen
Blickfeld bleibt. Die Innenstädte haben dadurch zwei
Chancen: zum einen, ihre Attraktivität zu erhöhen, und
zum anderen, sichere Arbeitsplätze in Handwerksbetrieben zu schaffen. Das ist wichtig. Das muss verfestigt
werden. Aber vergessen Sie bitte nicht: Auch hier haben
wir erst vor kurzem abgebaut, ehe wir jetzt wieder etwas
aufbauen. Man sollte also immer erst die Ausgangsbasis
betrachten. Das ist das Entscheidende.
({6})
Mit dem Haushaltsbegleitgesetz 2004 wurden die Abschreibungsmöglichkeiten verschlechtert. Jetzt hat man
schon wieder ein wenig den Eindruck, dass über dem
Ganzen ein Damoklesschwert schwebt. Ich verweise nur
auf § 15 b des Einkommensteuergesetzes: Soll er wirklich auch den Bereich des Denkmalschutzes erfassen?
Darüber sollten wir noch einmal ausführlich diskutieren.
In diesem Zusammenhang muss auch die geplante Änderung von § 23 Einkommensteuergesetz - die Besteuerung privater Veräußerungsgeschäfte - genannt werden.
Sowohl die allgemeine Besteuerung als auch die geplante Bemessungsgrundlage können in diesem Zusammenhang aus unserer Sicht einfach nicht akzeptiert werden. Weil aufgrund der Abschreibungsmöglichkeiten für
denkmalgeschützte Gebäude nach zwölf Jahren nur noch
ein minimaler Buchwert besteht, würde die Differenz
zwischen Veräußerungspreis und Buchwert zu einer sehr
hohen Steuerbelastung führen. Glauben Sie im Ernst,
dass in diesem Bereich dann noch große Investitionen
stattfinden?
({7})
Lassen Sie uns über den Bereich „denkmalgeschützte
Wohnungsgebäude“ bitte noch einmal im Ausschuss diskutieren! Es ist ein wichtiger Punkt. Zu den bereits vorhandenen finanziellen Engpässen in diesem Bereich
würden weitere hinzukommen. Das wäre eine weitere
schwere Belastung. Dem würden zumindest wir sehr kritisch gegenüberstehen.
({8})
Zur Energieeinsparverordnung und zu den Energiepässen könnte noch einiges gesagt werden. Kollege
Friedrich von der CSU, Ihr Wort in Gottes Ohr. Ich
hoffe, dass es eine Einigung zwischen den Ministern gegeben hat. Ich glaube es nicht. Es liegt noch nichts vor.
Wir werden auf jeden Fall aufpassen, dass eine Pflicht zu
Bedarfsausweisen keine Kostenlawine in der Immobilienwirtschaft auslöst. Wir wissen, was alles auf die Immobilienwirtschaft zukommen kann. Dem wollen wir
entgegensteuern, und das mit allen Möglichkeiten, die
wir hier zur Verfügung haben.
Leider ist meine Redezeit schon abgelaufen; Sie kennen das. Somit kann ich nur noch sagen: Ich freue mich
auf die konstruktiven Gespräche im Ausschuss.
Herzlichen Dank.
({9})
Nun hat Kollege Dirk Fischer, CDU/CSU-Fraktion,
das Wort.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Die Mobilität der Gesellschaft ist eine wichtige Voraussetzung für Fortschritt, Wohlstand, Wachstum und Beschäftigung. Allein die Mobilitätswirtschaft hat 7 Millionen Arbeitsplätze. Die Logistikbranche boomt und es
werden weitere Arbeitsplätze entstehen. Die Automobilindustrie und ihre Zulieferer sichern fast jeden siebten
Arbeitsplatz in unserem Land.
Grundlage dieser Entwicklung ist unsere gute Infrastruktur, die wir erhalten und stärken müssen. Dafür ist
notwendig, solide finanzielle Rahmenbedingungen zu
schaffen. Natürlich sind Zielsetzungen in der Sache gegeben, die sich aus dem ergeben, was wir uns unter einer
soliden und das Stabilitätskriterium einhaltenden Finanzpolitik vorstellen. Wir kennen unsere Pflichten, die
in einer soliden Haushaltsführung begründet sind.
Dem trägt die große Koalition Rechnung und sie wird
deshalb bis 2009 - im Vergleich zur letzten mittelfristigen Finanzplanung der rot-grünen Bundesregierung zusätzlich 4,3 Milliarden Euro für Infrastrukturmaßnahmen bereitstellen.
({0})
Der Bau der Verkehrswege sichert Beschäftigung in der
Bauwirtschaft, sodass zusätzlich große Beschäftigungsimpulse gegeben sind.
Im Einzelnen stellen wir 2007 Investitionsmittel zur
Verfügung von 4,5 Milliarden Euro für den Straßenbau,
3,5 Milliarden Euro für die Schiene - zusätzlich zu den
Trassenerlösen, der Schienenmaut, von fast 4 Milliarden
Euro - und 740 Millionen Euro für die Wasserstraßen.
Insgesamt stehen 2007 aus dem Bundeshaushalt also
rund 8,8 Milliarden Euro für Verkehrsinvestitionen zur
Verfügung.
Dirk Fischer ({1})
Auch in den Folgejahren 2008 bis 2010 wird dieses
Niveau für die Investitionen bereitgestellt. Zudem müssen natürlich die Mittel für weitere Verkehrsprojekte wie
Transrapid, Galileo und Flughafen BBI sowie die Mittel
des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes gesehen
werden. Wenn man sie hinzuzählt, steht in den Jahren
2007 bis 2010 ein stetiges Volumen von rund 10,7 Milliarden Euro pro Jahr bereit. Wir haben vereinbart, diese
Mittel flexibel, ohne ideologische Scheuklappen den
drei Verkehrsträgern - Straße, Schiene und Wasserstraßen - zugute kommen zu lassen.
Mit dieser konstanten Investitionslinie wird Kontinuität für die Planung und die Baudisposition geschaffen.
({2})
Die Aufteilung der Mittel erfolgt nach der Priorität,
kurzfristig große Beschäftigungsimpulse zu geben. In
diesem Jahr konnte dies aufgrund der Anzahl vieler
kleinteiliger Projekte am schnellsten im Straßenbau erreicht werden. Deswegen wurden die zusätzlichen Mittel
2006 überdurchschnittlich stark auf diesen Bereich konzentriert. Ab dem Jahr 2007 und den Folgejahren liegt
der Investitionsschwerpunkt stärker beim Schienennetz
und den Wasserstraßen. Die Gesamtinvestitionen im Bereich der Wasserstraßen steigen 2008 auf 800 Millionen
Euro und erreichen im Jahr 2009 über 850 Millionen
Euro. Damit sind auch die dringenden Ersatzinvestitionen zur Erhaltung des vorhandenen Wasserstraßennetzes
abgesichert.
({3})
Gleichzeitig können begonnene Ausbaumaßnahmen
fortgeführt werden.
Ich sage es deutlich: Auch im Bereich der Schiene
kommt der Bund seiner Infrastrukturverantwortung
nach. Der Bundestag soll im Herbst dieses Jahres entscheiden, ob die Kapitalprivatisierung der Deutschen
Bahn Aktiengesellschaft mit oder ohne Netz vorgenommen wird.
({4})
Verschiedene Varianten wurden in einem Gutachten von
Booz Allen Hamilton untersucht und im Fachausschuss
in diversen Anhörverfahren eingehend diskutiert und
hinterfragt.
Während der Vorstand der DB AG eine Kapitalprivatisierung mit Netz favorisiert, hat sich meine Fraktion
für das so genannte Eigentumsmodell als Kompromissmodell positioniert und wird in Gesprächen mit dem
Koalitionspartner versuchen, zu einer vernünftigen Lösung zu kommen. Bei diesem Modell bleibt das steuerfinanzierte Netz im Eigentum des Bundes und kann dann
der Bahn auf vertraglicher Basis zur Nutzung überlassen
werden.
In diesem Zusammenhang müssen wir uns darüber
klar werden, welche Vor- und Nachteile für den Bundeshaushalt mit dieser Entscheidung verbunden sind. Der
Bruttowiederbeschaffungswert des Netzes beläuft sich
auf rund 220 Milliarden Euro, das Nettoanlagevermögen
auf circa 130 Milliarden Euro. Laut Gutachten würde
eine Privatisierung von 49,9 Prozent einen Erlös erbringen, der lediglich zwischen 5 und 8,7 Milliarden Euro
liegt und nach der Mehrjahresplanung der DB AG im
Unternehmen bleiben soll.
Darüber hinaus basiert die Mehrjahresplanung der
DB AG darauf, dass der Bund wie bisher für seinen Anteil vollständig auf Dividendenausschüttung verzichtet.
Das heißt, die DB AG hat für sich entschieden, dass der
Bundeshaushalt überhaupt nichts bekommt.
Würde man diese Parameter verändern, würde die
Planung der DB AG für den Weg zur Kapitalprivatisierung entscheidend verändert werden müssen. Dies kann
nach meiner Einschätzung auch nicht ohne Wirkung auf
den gedachten Zeitablauf bleiben.
({5})
Würde man eine materielle Privatisierung mit Netz
vornehmen, würden die einmaligen Privatisierungserlöse in einem krassen Missverhältnis zu dem Nettoanlagevermögen des Netzes stehen.
({6})
Ich muss Ihnen, für mich ganz individuell gesprochen,
sagen: Ich habe als Parlamentarier schlicht und ergreifend keine Lust, mir die Verscherbelung eines so gewaltigen Staatsvermögens unserer Steuerzahler vorwerfen
zu lassen.
({7})
Außerdem soll der Bund sich gegenüber der DB AG
ja verpflichten, in den nächsten zehn Jahren 25 Milliarden Euro für das Bestandsnetz zur Verfügung zu stellen.
Darüber hinaus sind in diesem Zeitraum weitere
15 Milliarden Euro für Neu- und Ausbau fällig. Diese
hohen Summen, die der Bund gegenwärtig und auch zukünftig für die Schiene bereitstellen muss, um seiner Infrastrukturverantwortung gerecht zu werden, zeigen es
deutlich: Der Bund würde bei einem Börsengang der
Bahn mit Netz nicht nur die Hälfte seines Eigentums an
der Eisenbahninfrastruktur unwiderruflich aus der Hand
geben; letztlich würde der Bund das Netz an private Investoren faktisch verschenken, ohne dabei den Bundeshaushalt zu entlasten.
({8})
Was bliebe, verehrte Kolleginnen und Kollegen, von
dem Verkaufserlös, wenn wir viel höhere Milliardenbeträge wieder zurück in das Unternehmen pumpen müssten? Zudem bekämen private Miteigentümer dieser fast
vollständig aus Steuermitteln finanzierten Infrastruktur
einen Einfluss auf die Infrastrukturentwicklung, der zu
Dirk Fischer ({9})
ihrem relativ geringen finanziellen Engagement in keinem Verhältnis stünde.
Gleichzeitig würden wir eine Grundlage für außerordentlich hohe Haushaltsrisiken schaffen. Was passiert,
wenn der Bund das Netz wieder zurückkaufen muss,
weil es, wie in England geschehen, verrottet ist? Wie
hoch sind dann die Belastungen für den Bundeshaushalt?
Mit Sicherheit wird der Preis ein Vielfaches des heutigen
Verkaufserlöses betragen.
Das steuerfinanzierte Netz muss daher auch in Zukunft bei seinem Geldgeber Bund bleiben und darf nicht
zum Spekulationsobjekt für Renditeerwartungen der
Shareholder werden.
({10})
Das Eigentumsmodell ist dafür unseres Erachtens
der richtige Weg. Wir vermeiden Sollbruchstellen bei
der Bewirtschaftung des Netzes, da der integrierte tägliche Ablauf erhalten bleibt. Dafür wird jeder heute bestehende Arbeitsplatz auch in der Zukunft benötigt werden.
Die angeblichen Synergieeffekte eines integrierten Konzerns würden weitestgehend erhalten bleiben, jedenfalls
dann, wenn man nicht wie Investmentbanker die Verhinderung von Wettbewerb als Synergieeffekt betrachtet.
({11})
Der Bund kann weiterhin aktiv seine Infrastrukturverantwortung wahrnehmen, unabhängig von Interessen privater Eigentümer. Unkalkulierbare Haushaltsrisiken werden vermieden, wenn der Konzern in eine finanzielle
Schieflage oder in den Zugzwang von Kapitalerhöhungen gerät. Denn wegen Art. 87 e Grundgesetz müsste der
Bund bei einem integrierten Konzern dauerhaft Mehrheitsaktionär eines globalisierten, immer stärker diversifizierten Logistikkonzerns bleiben, der schon heute Umsatz und Ertrag mehrheitlich nicht im Schienenverkehr
erzielt.
Mit dem Eigentumsmodell stellen wir auch zukünftig
sicher, dass die Haushaltsmittel für die Schiene wie bei
den anderen Verkehrsträgern im Interesse der Volkswirtschaft, im Sinne der Verkehrsbedürfnisse unserer Bevölkerung und damit zum Wohle der Allgemeinheit eingesetzt werden können.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
({12})
Ich erteile das Wort Kollegin Heidrun Bluhm, Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister! Das zukünftige Bild der Bevölkerungsentwicklung ist, in Adjektiven ausgedrückt: weniger, bunter, grauer,
vereinzelter. Gemeint ist damit der demografische Wandel, der sich in den nächsten Jahren auch in der Bundesrepublik Deutschland vollziehen wird. Der Einwohnerrückgang wird bis zum Jahr 2020 0,5 Prozent betragen,
bis zum Jahr 2050 sogar 5 Prozent. Dieser Prozess ist
sehr differenziert zu betrachten. Im Westen beträgt der
Einwohnerrückgang bis 2020 im Durchschnitt 3,5 Prozent, im Osten allerdings 16,5 Prozent. Der Anteil der
über 60-Jährigen wird von 2005 bis 2020 von 24,7 Prozent auf 29,1 Prozent wachsen, so die Prognosen.
Diese Zahlen zeigen, dass die Probleme in Ostdeutschland verstärkt auftreten werden. Das bedeutet
für die Fraktion Die Linke erstens: Der Stadtumbau Ost
kann und muss die Vorreiterrolle für Gesamtdeutschland
einnehmen.
({0})
Der Haushaltsansatz 2007 im Bereich der Städtebauförderung beträgt für Ostdeutschland 131 Millionen Euro.
Das bedeutet eine Verschiebung von circa 10 Millionen
Euro zugunsten des Stadtumbaus West - das begrüßen
wir durchaus -, bedeutet aber für den Osten einen im
Vergleich zu 2006 verminderten Ansatz um 19 Millionen
Euro.
In den nächsten Jahren wird und muss in den westlichen Bundesländern ebenfalls eine höhere Förderung
eingeplant werden. Wir alle wissen, dass in den Regionen, in denen Industrieanlagen zurückgebaut werden,
städtebauliche Missstände bestehen, die beseitigt werden
müssen. Wir brauchen auch hier eine entsprechende Förderung. Ich gehe davon aus, dass das Ministerium das
ähnlich sieht.
Unser Vorschlag wäre, im Haushaltsplan nur noch
eine Position mit zwei deckungsfähigen Untertiteln zu
bilden, so wie es bereits in der Bauministerkonferenz
diskutiert worden ist. Das hätte folgende Vorteile: Wir
hätten erstens ein Ende der Ost-West-Diskussion, wenn
wir mit einem neuen Haushaltstitel „Allgemeine Städtebauförderung“ und dann nur mit den Untertiteln „Ost“
und „West“ arbeiten würden. Zweitens stünden uns nicht
abgerufene Mittel einzelner Länder zur Verfügung und
könnten unkompliziert in andere transferiert werden.
Drittens hätten wir weniger Haushaltsreste. Wir könnten
viertens den Verwaltungsaufwand reduzieren und fünftens gäbe es auch auf der Basis der Föderalismusreform
einen schnelleren Austausch von Lösungen zwischen
den Ländern.
Zweitens muss unserer Meinung nach die Kompatibilität der Förderprogramme verbessert werden. Trotz
der Erfolgsstory „Städtebauförderung Ost“ hat sich in
den vergangenen Jahren gezeigt, dass es hier Probleme
gibt. Auch diese müssen angegangen werden; auf einige
wenige will ich eingehen.
Trotz der zusammengeführten Förderprogramme
beim Rückbau, bei der Wohnungsmodernisierung, der
Wohnumfeldverbesserung und der CO2-Gebäudesanierung gibt es keine Förderung für den Rückbau der technischen Infrastruktur. Das heißt, die Einbeziehung der
Versorgungsträger ist hier mangelhaft oder sie fehlt zum
Teil.
Die Idee, Herr Tiefensee, die Sie auf dem GdW-Kongress angedeutet haben, nämlich eine Aufsplittung der
Rückbauförderung in Höhe von jetzt 60 Euro je Quadratmeter Wohnfläche in 40 Euro für den Wohnungsrückbau und 20 Euro für den Rückbau der technischen
Infrastruktur, hat in der Fachlobby nicht nur zu positiven
Reaktionen geführt. Auch wir sind der Auffassung: Das
wird nicht funktionieren. Denn damit wird der allgemeine Wohnungsrückbau für viele Bauunternehmen
nicht mehr finanzierbar. Letztlich werden auch weniger
Fördermittel abgerufen werden. Das Fördererfordernis
wird nicht zu dem gewünschten Erfolg, den wir damit
realisieren wollten, führen.
Wir brauchen auch die Kompatibilität der GA-Förderung und der Städtebauförderung. Unser Vorschlag: Öffnen Sie die allgemeine Städtebauförderung auch für den
Rückbau der technischen Infrastruktur. Der Vorteil wäre:
Es gäbe mehr Planungssicherheit für die den Prozess
steuernden und beteiligten Kommunen und es käme zur
Auflösung der starren Rolle der Versorger.
Des Weiteren können Förderprogramme wie EFRE
und die allgemeine Städtebauförderung nicht in einem
Programmgebiet Anwendung finden. Die Umsetzung
der integrierten Stadtentwicklungskonzepte wird damit
zum Flickenteppich. Unser Vorschlag: Aufhebung der
starren Förderkriterien innerhalb der einzelnen Förderprogramme zur Herstellung der Kompatibilität.
({1})
Wir fordern drittens, eine ressortübergreifende Förderung zu organisieren. Die ISEKs, die integrierten
Stadtentwicklungskonzepte, sind mehr als eine Förderung in Beton. Sie erfordern ein abgestimmtes Vorgehen
im Straßenbau, im ÖPNV sowie bei der sozialen und
kulturellen Infrastruktur. Deshalb unser Vorschlag:
Schluss mit der Einzelförderung, wie es im Zusammenhang mit dem GVFG, den Regionalisierungsmitteln, der
Schulbauförderung oder sozialen Programmen der Fall
ist. Lassen Sie uns alle einzelnen Förderprogramme zahlenmäßig zusammenfassen. Lassen Sie uns die starren
Förderkriterien aufheben. Packen wir alles in einen Topf
und nennen wir das Kind: kommunale Investitionsförderung.
({2})
Der Vorteil: Damit stärken wir die kommunale Selbstverwaltung und reduzieren den Verwaltungsaufwand bei
Bund und Ländern. Damit schaffen wir moderne und zukunftsfähige Städte, die ihre Investitionen nachhaltig in
Innovation sowie in die Bedürfnisse der Bürgerinnen
und Bürger flexibel einsetzen und die nicht nur in Beton
investieren.
Lassen Sie mich noch eine Bemerkung zu den Kosten
der Unterkunft - das ist Einzelplan 11 - machen. Die
Rückwirkungen auf die Stadtquartiere durch Zwangsumzüge und Entmischung werden letztlich auch die integrierten Stadtentwicklungskonzepte nicht greifen lassen.
Wenn die Kommunen keine Unterstützung durch den
Bund bekommen, dann brauchen sie letztlich noch mehr
Fördermittel im Bereich Städtebauförderung, um damit
die jetzt schon bestehenden integrierten Stadtentwicklungskonzepte nachschreiben zu können. Damit und
durch Reduzierungen in anderen Bereichen können die
negativen sozialen Folgen von Hartz IV gemildert werden.
Die Zahl der Bedarfsgemeinschaften ist 2006 im Vergleich zu 2005 um 220 000 gestiegen. Die Berechnungen des Deutschen Städte- und Gemeindebundes zeigen,
dass der Bundesanteil 5,7 Milliarden Euro und nicht, wie
im Haushaltsansatz geplant, 2,0 Milliarden Euro betragen muss. Hier ist zu erkennen, wo das Defizit liegt und
wohin es führt.
Letztlich werden die Lasten zu Ungunsten der Kommunen und der kommunalen Haushalte verschoben. Damit werden die Kommunen überlastet. Auch hier ist eine
ressortübergreifende Betrachtung erforderlich. Die fiskalische Ressortbetrachtung muss durch eine ganzheitliche
Betrachtung ersetzt werden. Diesem Anspruch muss sich
auch die Bundesregierung stellen.
({3})
Lassen Sie mich zum Schluss deutlich machen: Es
kommt für uns darauf an, ressortübergreifend dahin gehend tätig zu werden, dass endlich die restlichen Altschulden im Bereich der Wohnungsförderung gestrichen
werden
({4})
und dass wir die Fristverlängerung für die Grunderwerbsteuerbefreiung für Wohnungsunternehmen und für Einzelpersonen über den 31. Dezember 2006 hinaus ermöglichen.
Danke schön.
({5})
Ich erteile das Wort Kollegin Anna Lührmann, Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Entscheidung über die Art des Börsenganges der Bahn ist ohne Zweifel die wichtigste verkehrspolitische Entscheidung der letzten Jahrzehnte. Für
uns Grüne sind die Ziele dabei ganz klar: Wir wollen
mehr Verkehr auf der Schiene und die staatlichen Mittel
für den Schienenverkehr sollen so effizient wie möglich
eingesetzt werden.
Als Haushälterin ist es meine Aufgabe - dieser
widme ich mich auch in den Beratungen zu diesem Einzelplan -, zu überprüfen, ob die Zahlen hinsichtlich der
Varianten des Börsenganges, die wir Parlamentarier als
Entscheidungsgrundlage bekommen, stimmen oder ob
es da Ungereimtheiten gibt. Momentan muss ich feststellen - darüber ist öffentlich schon mehrfach diskutiert
worden -, dass die Zahlen, die uns von der Regierung
zur Verfügung gestellt werden, nicht stimmig sind. Es
gibt noch eine Reihe von Fragen, die vor der Entscheidung über die Art des Börsengangs unbedingt geklärt
werden müssen.
({0})
Ich will in der verbleibenden Redezeit zwei Beispiele
nennen. Da ist zunächst einmal die schon oft erwähnte
Immobilienzuordnung. Wir haben einen recht umfangreichen Bericht des Ministeriums dazu bekommen. Aber
nach meinem ersten Studium dieses Berichts in den letzten 24 Stunden ergeben sich für mich eine ganze Reihe
von Fragen, weil viele entscheidende Komplexe gar
nicht erst angesprochen werden.
Ich will einen Fragenkomplex, der nicht behandelt
wurde, anschneiden, damit sich die Parlamentarierinnen
und Parlamentarier, die sich in diese Materie noch nicht
eingearbeitet haben, eine Vorstellung davon machen
können, um welche Summen es hier geht. Im Jahre 2001
wurden verschiedene Immobilien und Grundstücke
- darüber ist ebenfalls schon oft berichtet worden - in einer Immobilienverwertungsgesellschaft mit Namen
Aurelis zusammengefasst. Das ist mit Blick auf eine
Aufgabenteilung eigentlich eine sinnvolle Sache. Diese
Gesellschaft hat einen beachtlichen Verkehrswert in
Höhe von 2,3 Milliarden Euro.
Aber es ist nicht klar, aus welchen Konzernsparten
diese Immobilien stammen. Kamen sie vom Netz? Kamen sie von der Holding? Kamen sie von verschiedenen
Betriebsbereichen? Auf all das haben wir bisher keine
Antworten bekommen. Es ist eine sehr entscheidende
Frage, weil diese Gesellschaft momentan Gewinne
macht, die in die Bilanz des Konzerns eingestellt werden, und weil es auch um die spannende Frage geht
- wenn es, so wie Sie von der CDU-Fraktion gerade gesagt haben, zu einem Eigentumsmodell kommt -, was
mit dieser Gesellschaft hinterher passiert. Diese Frage ist
auch deshalb so spannend, weil dieser Gesellschaft ein
Entwicklungswert von 8 bis 12 Milliarden Euro zugeschrieben wird. Sie hat einen Verkehrswert von
2,3 Milliarden Euro und einen Entwicklungswert von
8 bis 12 Milliarden Euro. Es geht also um gewaltige
Summen.
Und Sie vom Verkehrsministerium sagen uns im
Haushaltsausschuss, es würde keine Rolle spielen, wo
die Gewinne der Gesellschaft, wo die Gewinne generell
von Immobilienverkäufen eingestellt werden. Meine Damen und Herren, das spielt aber sehr wohl eine Rolle.
Wir müssen das aufklären und feststellen, bevor wir über
einen Börsengang entscheiden,
({1})
damit wir wissen, was passiert und wie wir auch für den
Steuerzahler die beste Möglichkeit finden können. Das
spielt auch eine Rolle - da kann man die Argumente von
Herrn Mehdorn und Herrn Wiesheu anführen -, wenn es
darum geht, Vorteile für den DB-Konzern zu bekommen.
Dann wird sehr wohl damit argumentiert, dass es unterschiedliche Buchungsmöglichkeiten zwischen den verschiedenen Sparten gibt. Es wird argumentiert, es würden so viele Schulden auf dem Netz liegen.
Herr Wiesheu hat öffentlich gesagt, dass 15 Milliarden Euro Schulden auf dem Netz liegen würden, die der
Bund zu übernehmen hätte. Nach Ansicht der Bahn
macht es einen Unterschied, wo die Schulden verbucht
werden. Es wird bei der Bahn aber kein Unterschied gemacht, wo die Erlöse verbucht werden. Das kann doch
nicht stimmen.
({2})
Deshalb müssen wir das möglichst bald nachprüfen.
Ein dritter Punkt kommt hinzu, der mich als Haushälterin besonders stark interessiert, nämlich die Frage, wie
viel staatliche Zuschüsse für die Instandhaltung und
Erneuerung des Netzes ausgegeben werden. In den
letzten Jahren ist etwas Erstaunliches passiert, was der
Rechnungshof aufgedeckt hat, und das, obwohl der
Rechnungshof - das muss man dazu sagen - momentan
nicht befugt ist, die Unterlagen der Bahn zu prüfen.
Das ist vielleicht eine Sache, bei der wir darüber
nachdenken sollten, das zukünftig zu ändern, damit wir
als Parlamentarier auch unabhängige Zahlen und Daten
bekommen. Der Rechnungshof hat uns also darauf gebracht - das hat das Ministerium auch bestätigt -, dass
der Eigenanteil der DB Netz AG bei der Finanzierung
des Schienennetzes in den letzten Jahren konstant gesunken ist. Das wird immer mit dem Argument verbunden,
die Eigenmittelsituation und das Betriebsergebnis von
DB Netz seien so schlecht. Das heißt, es macht doch einen Unterschied, wie in den verschiedenen Sparten Gewinne und Verluste verbucht werden - das als kleiner
Merkposten zwischendurch.
Aber gut, der Eigenanteil ist gesunken. Ich habe als
Haushälterin bisher keine Antwort darauf bekommen,
wie groß der Eigenanteil in letzter Zeit wirklich ist. Ein
Stichwort zur Informationspolitik des Ministeriums:
Sie haben uns einen Bericht vorgelegt, in dem steht - ich
erlaube mir, diesen einen Sachverhalt vorzutragen -,
dass 153 Millionen Euro für Bestandsinvestitionen in einer Vereinbarung mit der Bahn zugesagt worden sind.
Der naive Leser denkt sich: Zugesagt, das heißt auch bezahlt.
Wenn man das nachprüft, stellt man fest, dass an der
gleichen Stelle für die Jahre zuvor noch steht, dass die
Gelder auch ausgezahlt worden sind.
Meine Damen und Herren, eine transparente Informationspolitik, mit der wir als Haushälter etwas anfangen
können, sieht anders aus.
({3})
Da wird uns klar gesagt, wann welche Zahlungen geflossen sind, wer wann etwas aufgrund welcher rechtlichen
Grundlage zugesagt hat. Ich kann momentan nicht beurteilen, wie viel DB Netz wirklich in das Netz investiert.
Ich würde das aber gerne wissen, bevor ich mitentscheide, wer was mit dem Netz in nächster Zeit anstellen
soll.
Für mich ist es ganz klar: Die Regierung hat das an
der Stelle in der Hand. Wir brauchen die notwendigen
Informationen, um Entscheidungen verantwortungsvoll
treffen und auch um verantwortungsvoll staatliche Zuschüsse ins Netz zu geben zu können. Dafür brauchen
wir bessere und transparentere Informationen. Entweder
wir erhalten diese Informationen im Haushaltsausschuss
bzw. im Verkehrsausschuss auf dem normalen parlamentarischen Weg oder wir müssen - wenn uns nichts anderes übrig bleibt, weil die Regierung verschleiert - zu
dem Mittel des Untersuchungsausschusses greifen.
({4})
Jetzt hat das Wort Kollege Klaas Hübner, SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Einmal mehr ist der Verkehrshaushalt der größte Investitionshaushalt des Bundes. Das haben viele Redner
vor mir bereits gesagt. Fast zwölfeinhalb Milliarden
Euro sind für Investitionen im Verkehrs- und Baubereich
gebunden.
Eine Maßnahme, die schon viele vor mir genannt haben,
will auch ich herausstreichen, aber in einen anderen Zusammenhang stellen: das CO2-Gebäudesanierungsprogramm. Die FDP hat in der Generaldebatte am Mittwoch
unterstellt, die Koalition würde keine Mittelstandspolitik
betreiben. - Das CO2-Gebäudesanierungsprogramm ist ein
exzellenter Beitrag zur Mittelstandspolitik.
({0})
Die KfW hat heute berichtet, dass sie im Zeitraum von
Januar bis August dieses Jahres insgesamt rund
182 000 Kredite gewährt hat und damit ein Investitionsvolumen in Höhe von rund 9,6 Milliarden Euro ausgelöst hat.
Die FDP hat Anfang des Jahres gesagt, dass wir mit
diesem Programm nur ein Wachstumsstrohfeuer entzünden würden. Angesichts dieser Zahlen müssen auch Sie
einsehen: Wir haben ein Leuchtfeuer entzündet. Es ist
gut, dass wir dieses Programm fortführen und die Mittel
dafür aufstocken.
({1})
Das Programm ist darüber hinaus ein gutes Beispiel
für eine ganzheitliche, konsistente Politik. Selten gab es
ein Programm, das ressortübergreifend so viele Freunde
gefunden hat: Der Bundesumweltminister freut sich über
den wachsenden Beitrag der Gebäudeeigentümer zum
Klimaschutz; der Arbeitsminister und der Wirtschaftsminister freuen sich über die Sicherung von Arbeit und
Beschäftigung im Baugewerbe; der Bauminister kann
mit Recht stolz darauf sein, gemeinsam mit der KfW
eine hervorragende Initiative angestoßen zu haben.
Eine weitere - zukünftige - Erfolgsgeschichte ist in
diesen Tagen in der Presse besprochen worden: der
Flughafen Berlin Brandenburg International. Am
vergangenen Dienstag wurde der erste Spatenstich für
dieses ambitionierte Projekt gesetzt. Die Hauptstadtregierung kann sich damit aus dem Mittelfeld der Bundesliga in die Champions League europäischer Großflughafen spielen. Dieses wichtige Infrastrukturprojekt bietet
eine Perspektive für mehr Arbeitsplätze, für die Wirtschaft und den Tourismus in Ostdeutschland.
({2})
Damit sobald wie möglich das erste Flugzeug vom
dann drittgrößten Flughafen Deutschlands abheben
kann, sorgt der Bund für Planungssicherheit. Wir haben
27 Millionen Euro Gesellschaftsbeiträge in den Verkehrshaushalt eingestellt. Der auf den Bund entfallende
Gesamtanteil in Höhe von 112 Millionen Euro ist damit
sichergestellt.
Wir haben aber mehr getan. Wir stellen zur Realisierung der Schienen- und Straßenanbindung Investitionsmittel in Höhe von insgesamt 650 Millionen Euro bereit.
Zeitgleich zur Eröffnung des neuen Flughafens sollen
die ersten Züge vom Berliner Hauptbahnhof direkt unter
das Flughafengebäude fahren, und das in einer Fahrzeit
von nur 20 Minuten.
({3})
Wenn wir über die Schiene reden, müssen wir aber
auch über die Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG
reden. Ich denke, wir müssen aufpassen, dass wir uns
nicht in Bahnbefürworter und Bahngegner aufspalten.
Ich unterstelle allen in diesem Hause, dass sie Bahnbefürworter sind. Wir alle wollen eine starke Bahn haben.
({4})
Insofern müssen wir uns verantwortungsvoll mit den
einzelnen Fragen auseinander setzen. In der Koalition
haben wir Folgendes vereinbart: Wir wollen sicherstellen, dass die Bahn insofern weiterhin ein integrierter
Konzern bleibt, als sie die Bewirtschaftung des Netzes in
jedem Fall vornimmt. Was wir noch zu prüfen haben, ist
die Eigentumsfrage. Wer wird bzw. bleibt Eigentümer
des Netzes?
Drei Modelle sind momentan in der Diskussion: Zwei
Modelle gehen davon aus, dass der Bund Eigentümer
wird. Das ist das so genannte Nießbrauchmodell. Wenn
ich den Kollegen Fischer vorhin richtig verstanden habe,
favorisieren Sie das Eigentumsmodell. Das dritte Modell
beinhaltet eine so genannte Call Option, das heißt, die
Bahn bleibt Eigentümer des Netzes, der Bund erhält aber
eine Call Option, kann sich das Netz zu einem bestimmten Zeitpunkt zu einer fest definierten Summe aneignen.
Das sind die drei Varianten, die momentan zur Diskussion stehen. Ich denke, wir werden in den nächsten
zwei Wochen darüber zu diskutieren haben. Wir werden
eine gute Variante finden. Ich mache keinen Hehl daraus,
dass unsere Meinungsbildung noch nicht abgeschlossen
ist und dass die Haushaltspolitiker der SPD-Fraktion
nach dem momentanen Kenntnisstand eher einer Variante zuneigen, durch die das Eigentum an den Bund
übergeht.
({5})
Aber die Entscheidung ist am Ende des Monats zu fällen.
Herr Minister, Sie haben uns, glaube ich, einen sehr
guten Etat zur Beratung vorgelegt. Wir werden verantwortungsvoll damit umgehen. Ich bin mir sicher, dass
wir dann auch mit einem guten Etat in die zweite und
dritte Lesung gehen können.
Herzlichen Dank.
({6})
Ich erteile das Wort Kollegen Ingo Schmitt, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir uns heute mit dem wichtigen Thema
„Aufbau Ost“ beschäftigen, so erwarten viele zunächst
eine Rückschau auf die Leistungen und Ergebnisse der
Angleichung der Lebens- und Wirtschaftsverhältnisse
zwischen den alten und den neuen Bundesländern. Dies
ist natürlich ein wichtiges Kernstück der Bestandsaufnahme, lässt aber, nur für sich betrachtet, wichtige und
wertvolle Aspekte außer Acht. Denn der Aufbau ist aus
heutiger Sicht nicht nur eine eindirektionale Förderung
mit dem Bestreben einer gezielten und gewollten Veränderung, sondern auch die Rückwirkung des sich verändernden Gebietes auf andere Regionen.
Zunächst blicken wir auf die konkreten Fakten in den
neuen Ländern als Ergebnis einer konsequenten Förderpolitik. Im Koalitionsvertrag haben wir vereinbart, den
Aufbau Ost weiter voranzubringen. Dies ist nach wie vor
eine große Herausforderung. Ich bin stolz, heute sagen
zu können, dass wir einen Teil unseres Versprechens bereits in den ersten Monaten der großen Koalition einlösen konnten. Mit dem Investitionszulagengesetz 2007
haben wir den Weg für eine verlässliche und dauerhafte
Förderung in Ostdeutschland freigemacht.
({0})
Mit einem jährlichen Volumen von rund 600 Millionen Euro werden bis zum Jahre 2009 bei einer Förderquote von circa 20 Prozent Investitionen in Höhe von
10 Milliarden Euro angestoßen. Daneben trägt auch die
Förderpolitik des Bundesforschungsministeriums maßgeblich zum Aufbau Ost bei. Mit der Innovationsinitiative „Unternehmen Region“ wurden im letzten Jahr
Projekte mit insgesamt 90 Millionen Euro gezielt unterstützt. Es wäre wünschenswert, wenn dieses Programm
auch in Zukunft im bisherigen Umfang fortgeführt werden kann.
({1})
Denn neben dem Mut ist vor allem die Möglichkeit zu
Innovation und Ideenverwirklichung notwendige Voraussetzung für eine positive Wirtschaftsentwicklung. In
diesem Zusammenhang möchte ich mich auch nachdrücklich für den weiteren Ausbau des Wissenschaftsstandorts Ost aussprechen. Das zu 95 Prozent staatlich
getragene Max-Planck-Institut hat bis zum Jahr 2000
sein selbst gesetztes Ziel, in den neuen Ländern mit
ebensoviel Instituten vertreten zu sein wie im alten Bundesgebiet, erfüllt.
Durch diese neue Ansiedlung von renommierten Forschungseinrichtungen zieht es mittlerweile viele junge
Wissenschaftler aus Gebieten weit über die Grenzen
Deutschlands hinaus unter anderem nach Halle, Leipzig
und Jena. Dort, wo viel investiert wird und gute Hochschulen oder Institute entstehen, siedeln sich häufig auch
Unternehmen an. Mehr denn je ist eine gute Ausbildung
Multiplikator für Wachstum.
Wachstum einer Volkswirtschaft kann aber nur dort
entstehen, wo auch Volk ist. Genau das ist ein ostdeutsches Sorgenkind. Die demografische Entwicklung in
den neuen Ländern - sie wurde hier bereits angesprochen - ist besorgniserregend. Während der Bevölkerungsrückgang zwischen 1990 und 2004 7,5 Prozent betrug, wird bis zum Jahr 2020 ein weiterer Verlust von 10
bis 15 Prozent der Bevölkerung erwartet. Dass insbesondere junge und gut ausgebildete Menschen diese Regionen verlassen, verschärft das Problem und fordert pragmatische und schnell greifende Konzepte von Bund und
Länder gleichermaßen.
Im Zusammenhang mit dieser Forderung müssen wir
aber zugleich nach den Ursachen für diese dramatische
Abwanderungsdynamik fragen. Eine Rolle spielt die
hohe Arbeitslosigkeit, deren Reduzierung nach wie vor
unser zentrales Ziel sein muss. Im August dieses Jahres
betrug sie in Ostdeutschland 16,7 Prozent. Damit ist sie
knapp doppelt so hoch wie in den alten Ländern.
Dass der Arbeitsmarkt Ost viele Potenziale in sich
birgt und durchaus wettbewerbsfähig ist, zeigt die
jüngste Mitteilung des Statistischen Bundesamtes: Während eine Arbeitsstunde in Sachsen-Anhalt nur
20,84 Euro kostet, kostet sie in Hamburg, Herr Kollege
Fischer, satte 31,80 Euro.
({2})
Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass die
Einführung eines Mindestlohns gerade in den neuen
Ländern kein geeignetes Mittel zur Schaffung von mehr
Arbeitsplätzen darstellt.
({3})
Ingo Schmitt ({4})
Denn gerade in Ostdeutschland würde dieses Instrument insbesondere die Existenz mittelständischer Unternehmen gefährden. Man bedenke, dass 80 Prozent der
ostdeutschen Unternehmen weniger als 20 Beschäftigte
haben. Hier bestünde eindeutig die Gefahr der Abwanderung der Arbeit in Richtung Osteuropa. Denn warum
sollte sich ein Unternehmer in den neuen Ländern ansiedeln, wenn ein paar Kilometer weiter östlich kein
Mindestlohn gezahlt werden muss? Hier könnte ein Kombilohnmodell zum Einsatz kommen. Deshalb ist es dringend an der Zeit, dass insbesondere im Interesse der Problemgruppen auf dem Arbeitsmarkt, der unter 25-Jährigen
und der über 50-Jährigen, zielorientiert über ein solches
Modell diskutiert wird.
Ein zusätzlicher Wachstumsfaktor ist eine gut funktionierende Infrastruktur. Ostdeutschland muss hier doppelte Lasten tragen, da zum einen die teilungsbedingten
Defizite und zum anderen die durch die EU-Erweiterung
anfallenden Verkehrsströme bewältigt werden müssen.
Darum sind die Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ zügig abzuschließen
({5})
und darum ist das Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz, wie im Koalitionsvertrag versprochen, in
Kraft zu setzen.
({6})
Bei allem Fortschritt und aller Erneuerung dürfen wir
auch Vergangenes nicht übersehen. Es wird Zeit, dass
die Opfer der SED-Diktatur endlich eine angemessene
Entschädigung erhalten.
({7})
In knapp einem Monat, am 3. Oktober, feiern wir den
16. Jahrestag der deutschen Einheit. In diesem Zusammenhang werden wir zum 16. Mal der Opfer des DDRRegimes gedenken: der während der kommunistischen
Diktatur Inhaftierten, deren Leid nicht in Worte zu fassen und nicht mit Geld aufzuwiegen ist. Diesen Menschen müssen wir eine Würdigung ihres Einsatzes zukommen lassen: für ihren Mut, sich für mehr
Demokratie und Freiheit und für die Menschenrechte
einzusetzen.
Die Rentennachzahlungen an die ehemals dem SEDStaat nahe stehenden Personen kosten den Steuerzahler
jährlich rund 3 Milliarden Euro. Für die Pensionen der
Opfer müssen lediglich 71 Millionen Euro aufgewandt
werden. Deswegen richte ich an unseren Koalitionspartner, aber auch an Sie, Herr Minister, die herzliche Bitte,
diesen Weg mitzugehen und Ihre Unterstützung zu signalisieren.
({8})
Nachdem wir Ostdeutschland in vielen Bereichen isoliert betrachtet haben, müssen wir nun aber auch danach
fragen, welchen Einfluss der Standort Ost auf Gesamtdeutschland bzw. auf ganz Europa hat. Denn dort, wo etwas Neues entsteht bzw. wo Altes neu entsteht, entfalten
sich Wirkungen auf die umliegenden Regionen. Deshalb
ist die Frage nach dem Projekt „neue Länder“ immer
auch eine Frage nach dem Projekt „Gesamtdeutschland“.
Denn ein durch Arbeitslosigkeit und Wirtschaftsflaute
gebeutelter Osten behindert auch das Wachstum in ganz
Deutschland.
In europäischer Hinsicht eröffneten uns die neuen
Länder das Tor zum Osten und ließen Deutschland ins
Zentrum der EU rücken. Das ist eine Schlüsselfunktion,
die für uns ein Sprungbrett zu den Zukunftsmärkten Mittel- und Osteuropas darstellt. Für mögliche Investoren ist
das ein klarer Standortvorteil. Nun gilt es, diese Chancen
durch eine verlässliche Politik, die sowohl Gesamtdeutschland als auch unsere Position in der EU weiter
stärkt, zu nutzen.
Lassen Sie mich abschließend einen Punkt erwähnen,
der schon von vielen Kollegen angesprochen wurde
- ich habe in den Beiträgen aller Kollegen, die sich zu
diesem Thema geäußert haben, nur Positives gehört -:
das Gebäudesanierungsprogramm. In diesem Zusammenhang sollte berücksichtigt werden, dass bestimmte
Baumaßnahmen insbesondere in den neuen Bundesländern bis zum Jahre 1990 gar nicht möglich waren. Deswegen sollten wir gemeinsam einen Vorstoß unternehmen, die heutige Baujahrsgrenze von 1983 zukünftig auf
die Zeit nach 1990 zu verlegen. Das ist die Bitte an Sie,
Herr Minister; vielleicht können wir diesen Weg gemeinsam gehen.
Herzlichen Dank.
({9})
Das Wort hat nun Kollegin Petra Weis, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
hoffe, dass ich fast zum Schluss dieser Debatte niemanden über Gebühr langweile, wenn meine Anmerkungen
zum Einzelplan 12 für das Jahr 2007 sich nicht wesentlich von dem unterscheiden, was ich noch vor kurzer
Zeit an dieser Stelle über den Vorgängerhaushalt gesagt
habe. Das hat aus meiner Sicht zum einen damit zu tun,
dass wir in der Stadtentwicklungspolitik in einer überzeugenden Kontinuität stehen, zum anderen damit, dass
das, was wir mit der Verabschiedung des diesjährigen
Haushalts vor wenigen Wochen begonnen haben, sich
schon jetzt auszuwirken beginnt. Das sind - das ist
schon angesprochen worden - die erfolgreichen Städtebauförderungsprogramme, von der „Sozialen Stadt“ über
den „Stadtumbau Ost“ und den „Stadtumbau West“ bis
hin zum „Städtebaulichen Denkmalschutz“. Dass wir im
Lichte des demografischen Wandels die Weichen für
eine nachhaltige Stadt- und Regionalplanung stellen und
dabei vor allem vier Schwerpunkte unterstützen, ist nur
folgerichtig. Ich meine den Umbau der sozialen Infrastruktur, die Schaffung von alten- und familiengerechten
Stadtquartieren, die Gestaltung urbaner Freiräume und
nicht zuletzt - auch das ist schon angesprochen worden die dringend notwendige Vernetzung der verschiedenen
Politikfelder und Fachressorts im Zuge einer wahrhaft
integrierten Stadtentwicklungspolitik.
({0})
Dass wir das auch 2007 mit einem erweiterten Finanzrahmen untermauern können, ist ebenso erfreulich
wie politisch vernünftig. Die Umsetzung des Programms
„Stadtumbau West“ zeigt darüber hinaus, dass wir den
Städten hier ein unverzichtbares Instrument in die Hand
gegeben haben, auf den wirtschaftlichen Strukturwandel
in Verbindung mit einem signifikanten Bevölkerungsrückgang angemessen zu antworten. Von besonderem
Wert ist dabei - das ist jedenfalls meine Erfahrung -,
dass die Städte zur Entwicklung von städtebaulichen
Konzepten ermutigt werden, die sie mittelfristig und
nachhaltig in die Lage versetzen, auf Veränderungsprozesse nicht mehr allein zu reagieren, sondern sie mithilfe
zukunftsträchtiger Konzepte zu antizipieren.
({1})
Minister Tiefensee hat in einem anderen Zusammenhang kürzlich davon gesprochen, dass Realitätssinn
und strategisches Denken unerlässliche Anforderungen
an eine Stadtentwicklungspolitik sind, die eine zeitgemäße Antwort auf den demografischen Wandel sein will.
Sosehr ich dieses Begriffspaar für geeignet halte, die Herausforderungen zu beschreiben, würde ich gerne ein
zweites hinzufügen: Kreativität und Mut. Damit meine
ich Kreativität zu gelegentlich sicherlich auch unkonventionellen Lösungen und Mut zur Zukunftsgestaltung.
({2})
Demografischer Wandel ist nämlich keine gesellschaftliche Katastrophe, sondern letztendlich eine
Chance für intelligente Gesellschaftspolitik, zu der die
Stadtentwicklung, wie ich meine, einen unverzichtbaren
Beitrag leistet. Das gilt auch und vor allem vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Entwicklungen in Ostund Westdeutschland; darauf hat Kollege Schmitt ja gerade hinwiesen.
Auch ich komme nicht um ein paar wenige Worte
zum CO2-Gebäudesanierungsprogramm herum, dessen Erfolgsgeschichte mir fast unheimlich ist. Der hohe
Zuspruch, den das Programm bundesweit gefunden hat,
macht deutlich, dass man mit intelligenten Anreizen
- Kollege Friedrich hat sich ähnlich geäußert - den Zielen des Energiesparens und des Klimaschutzes ebenso
gerecht werden kann wie der Steigerung der Wohnqualität, des Immobilienwertes und nicht zuletzt der Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen im Handwerk
und im Baubereich. Die energetische Gebäudesanierung
ist inzwischen eine der tragenden Säulen für Arbeit und
Beschäftigung, von der neben den Beschäftigten selbst
auch kleine und mittlere Betriebe profitieren. Kollege
Hübner hat darauf hingewiesen, er hat von einem Leuchtfeuer gesprochen - nicht von einem Strohfeuer! -; diesen
Vergleich kann ich nur nachdrücklich unterstützen. Kollege Friedrich hat darauf hingewiesen, dass man das
CO2-Gebäudesanierungsprogramm immer im Zusammenhang mit der Einführung des Gebäudeenergieausweises sehen muss. Kollege Günther hat seine Skepsis
daran formuliert, dass wir mit diesem Projekt langsam
zu einem erfolgreichen Ende kommen. Ich bin mir absolut sicher, dass das so ist. Ich bin mir noch viel sicherer,
dass wir die Menschen davon überzeugen können, dass
es ein gutes Konzept ist, wenn wir relativ ideologiefrei
an die Sache herangehen und zunächst eine Wahlmöglichkeit anbieten; wir werden à la longue sehen, welches
Modell sich durchsetzt.
Auch auf die Förderung von Innovation und Qualität beim Bauen ist schon hingewiesen worden. Die Forschungsinitiative „Zukunft Bau“ im Rahmen des 6-Milliarden-Euro-Sonderprogramms für Forschung und
Entwicklung und der runde Tisch „Bauforschung“ sind
dafür gute Beispiele. Das Gleiche gilt für die erneute
Mittelbereitstellung für den allgemeinen Forschungsschwerpunkt Bau.
Gestatten Sie mir eine Anmerkung, die jetzt nicht so
sehr persönlich gemeint ist, aber ich möchte sie machen,
weil ich Berichterstatterin bin. Liebe Kollegin Blank, ich
glaube, zur Qualität und zur Wettbewerbsfähigkeit des
deutschen Bauwesens gehört auch, dass wir jetzt die
Bundesstiftung Baukultur auf den Weg bringen.
({3})
Ich empfinde eine gewisse Form der Vorfreude, dass wir
hier in wenigen Wochen hoffentlich noch einmal darüber
diskutieren werden. Ich wünsche mir, dass wir das dann
zu einer etwas prominenteren Tageszeit als heute zu dieser späten Stunde tun können.
Natürlich würde es mich auch im Anschluss an das,
was der Kollege Schmitt gesagt hat, reizen, noch etwas
zum Thema Aufbau Ost zu sagen. Das verbietet mir
aber die Redezeit. Ich denke, wir können dieses Querschnittsthema der Bundespolitik auch im Rahmen der
Debatte über den Bericht der Bundesregierung zum
Stand der Deutschen Einheit in Zukunft nachholen.
Ich will aber noch auf einen kleinen feinen Titel im
Zusammenhang mit Ostdeutschland hinweisen, nämlich
auf die Initiative „Wirtschaft trifft Wissenschaft“. Wenn
wir zunächst in Ostdeutschland dazu beitragen, dass der
Transfer von wissenschaftlichen Forschungsergebnissen
zur wirtschaftlichen Anwendung gelingt, dann glaube
ich, dass wir den regionalen Akteuren damit ein sehr gutes Angebot machen. Ich darf mir hierzu noch folgende
Bemerkung erlauben: Sollte sich das Programm als erfolgreich herausstellen, dann kann ich mir auch vorstellen, dass wir in Zukunft einmal darüber reden, ob sich
das nicht auch auf vergleichbare Regionen in Westdeutschland übertragen lässt.
({4})
Ich will noch ganz kurz einwerfen, dass dieser Haushaltsentwurf erstmals auch die Ergebnisse der Föderalismusreform widerspiegelt. Ich kann nur hoffen und
wünschen, dass die Bundesländer die jährlichen Kompensationszahlungen in Höhe von rund 518 Millionen
Euro im Rahmen der sozialen Wohnraumförderung tatsächlich für die Gestaltung und Umsetzung von kreativen und nachhaltigen Programmen nutzen. Ich hoffe
sehr, dass das sozusagen ein Grundstein für einen weiterführenden Dialog zwischen dem Bund, den Ländern und
letztendlich auch den Gemeinden ist; denn wir alle wissen ja, dass man das Thema „Stadtentwicklung und
Wohnungspolitik“ als eine staatliche Gemeinschaftsaufgabe aller Ebenen begreifen muss.
Ich denke, dass mit diesem Haushaltsentwurf eine
gute Grundlage für eine moderne, den ökonomischen,
sozialen und demografischen Gegebenheiten angepasste
Wohnungs- und Stadtentwicklungspolitik gelegt ist.
Dass ich jetzt nicht alle Themenbereiche angesprochen
habe, die Ihnen und vielleicht auch mir wichtig sind,
liegt in dem begrenzten Zeitbudget begründet. Manche
Themen werden wir in Zukunft hier in diesem Hause
noch einmal aufrufen. Dazu zählen die Novellierung des
Baugesetzbuches und das Thema, welches vorhin schon
angesprochen worden ist, nämlich die Einbeziehung des
Wohneigentums in die staatlich geförderte private Altersvorsorge.
({5})
Ich hoffe wie immer, dass wir diese Diskussionen offen, konstruktiv und kritisch führen und dass wir dabei
immer im Kopf haben, dass es Sinn macht, die Stadtentwicklungspolitik als etwas zu begreifen, das wir möglichst im Konsens angehen sollten. Das Thema eignet
sich wirklich dazu, Bestandteil einer modernen Gesellschaftspolitik zu sein. In diesem Sinne freue ich mich
auf die Debatten der nächsten Wochen.
Herzlichen Dank.
({6})
Als letztem Redner des heutigen Abends erteile ich
dem Kollegen Bartholomäus Kalb, CDU/CSU-Fraktion,
das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Der Einzelplan 12, der jetzt im Entwurf vorliegt,
macht deutlich, dass es der Koalition in besonderer
Weise darum geht, die Investitionen wieder zu verstärken. Herr Minister, Sie haben das vorhin sehr zutreffend
dargestellt. Es geht nicht nur darum, dass wir wieder in
der Lage sind, Art. 115 des Grundgesetzes einzuhalten,
sondern es geht auch darum - darüber haben wir vor ein
oder zwei Jahren schon diskutiert -, den Substanzverzehr, der eingesetzt hat, aufzuhalten und Substanzsicherung und Substanzmehrung zu betreiben. Ich glaube,
hier ist ein ganz wesentlicher Schritt in Richtung einer
guten und positiven Entwicklung gelungen. Das ist auch
dem Prinzip der Nachhaltigkeit geschuldet.
({0})
Die Infrastruktur- und die Verkehrsnetze sind die Lebensadern eines Landes, sind auch die Lebensadern der
Volkswirtschaft. Gegenüber den zugegebenermaßen sehr
deprimierenden Zahlen der mittelfristigen Finanzplanung des Jahres 2004 ist es der großen Koalition hier gelungen, die Mittel in einem großen Maß zu erhöhen und
zu verstetigen. Ich gebe zu, Herr Kollege Mücke: Wir
können uns durchaus vorstellen, hier oder dort, insbesondere im Straßenbau, für mehr Investitionen einzutreten. Wir müssen schauen, ob sich in den Beratungen
noch Möglichkeiten eröffnen, die Mittel zu erhöhen. Ich
muss jedoch sagen: Die Spielräume, auch die Umschichtungsmöglichkeiten, werden gering sein.
Ich sage das auch vor dem Hintergrund, dass unsere
Straßeninfrastruktur durch die heißen Sommerwochen
in diesem Jahr in besonderer Weise in Mitleidenschaft
gezogen wurde. Hier steigt, wie vorhin dargestellt
wurde, der Unterhaltsaufwand in besonderem Maße, sodass die Gefahr besteht, dass wir mit neuen Maßnahmen,
auch mit Lückenschlüssen, die lange auf eine Realisierung warten, nicht vorankommen. Gleichzeitig stellt sich
die Situation so dar, dass der Verkehrsträger Straße sehr
viel zur Staatsfinanzierung beiträgt. Ich verweise hierbei
auf die Maut und die Steuern aus diesem Bereich.
Wir sollten unter dem Eindruck der gestiegenen Unterhaltungskosten einen Blick auf die Diskussionen werfen, die in Europa über die Erhöhung des zulässigen Gesamtgewichtes bei LKW geführt werden. Befürworter
mögen sagen: Wir erhöhen einfach die Zahl der Achsen.
Ich glaube, diese Rechnung geht nicht auf. Es geht nämlich nicht nur um statische, sondern auch um dynamische Lasten. Es geht um die enge Abfolge und damit um
die Knet- und Walkwirkung, die zu berücksichtigen ist.
({1})
- Wer in den letzten Wochen und Monaten die Autobahnauf- und -abfahrten und die dort entstandenen Schäden besichtigt hat, der kann sich das ungefähr vorstellen,
ohne Physiker zu sein.
Ich brauche zum Thema CO2-Minderungsprogramm nicht mehr viel zu sagen. Es wurde von allen
Rednern angesprochen; gestern schon wurde es von unserem Fraktionsvorsitzenden hoch gelobt. Das belegt:
Wenn man die richtigen Anreize setzt, werden sie von
den Menschen genutzt und die Wirtschaft springt an. Davon gehen positive Impulse aus, und zwar im Hinblick
auf die CO2-Minderung, auf Energieeinsparung und insbesondere auf den Arbeitsmarkt. Das sollte in besonderer Weise gewürdigt werden. Es findet auch entsprechende Würdigung; viele sind mittlerweile ganz stolz.
Kollege Hübner hat es erwähnt: Wir haben in dieser Woche im Haushaltsausschuss die Weichen dafür gestellt,
dass kein Strömungsriss entsteht und zügig weitergemacht werden kann - dafür sollen Mittel in Höhe von
350 Millionen Euro vorgezogen werden -, weil es sich
wirklich um ein sehr nützliches Programm handelt.
({2})
Die Bundeskanzlerin hat gestern ausgeführt - ich
habe es, soweit ich das in der Eile konnte, sinngemäß
mitgeschrieben -: Aus Ideen müssen wieder Produkte
werden. Es hat keinen Sinn, wenn aufgrund unserer
Ideen in anderen Ländern Produkte entstehen. Das muss
wieder bei uns geschehen. - Diese Sätze sind ausdrücklich zu unterstreichen.
({3})
Ich greife nur einen Aspekt heraus: Was die Kanzlerin
gesagt hat, gilt auch für die bei uns entwickelte Idee des
Transrapids, der Magnetschwebebahntechnologie.
({4})
Wir sollten hier versuchen, bald Nägel mit Köpfen zu
machen. Ich würde es sehr begrüßen, wenn die Verhandlungen zwischen dem Bundesministerium und der Bayerischen Staatsregierung bald erfolgreich zum Abschluss
gebracht würden, sodass dieses Projekt in die Tat umgesetzt werden kann. Wir sollten beweisen, dass wir aus
Ideen, aus Entwicklungen nutzbringende Anwendungen
im Lande schaffen können, wodurch wir uns international Marktchancen eröffnen.
In dieser Debatte ist heute schon viel über den anstehenden Börsengang der DB AG gesprochen worden. Ich
mache keinen Hehl daraus, dass ich eine differenzierte
Meinung dazu habe. Es hätte keinen Sinn, den Meinungsbildungsprozess, der in der Fraktion und innerhalb
der Koalition stattfindet, weiter auszutragen. Mir geht es
nur darum, darauf zu achten, dass wir durch den anstehenden Prozess keine Effizienz- und Wettbewerbsverluste der Schiene und unseres Unternehmens erleiden,
und die Interessen der Beschäftigten zu berücksichtigen.
Es muss auch deutlich gemacht werden - das will ich als
Haushälter tun -, dass ich nicht die Erwartung einiger
meiner Kollegen an einige Modelle, zum Beispiel an das
Eigentumsmodell, teile, dass der Bundeshaushalt dadurch entlastet wird. Der Bund wird vielmehr auch in
Zukunft erhebliche finanzielle Verantwortung haben. Ich
sehe keine Möglichkeiten, die finanziellen Risiken des
Bundes zu mindern.
({5})
- Ich will diese Diskussion hier nicht führen. Ich will nur
darauf hinweisen, dass man keinen falschen Hoffnungen
anhängen sollte.
({6})
Ich erinnere nur daran, dass der Schienenmarkt in Europa ab Januar liberalisiert wird. Wir müssen darauf achten, dass wir dann nicht noch mit der Diskussion über
die Gestaltung der Umstrukturierung und einen möglichen Börsengang beschäftigt sind.
({7})
- Nein. - Ich möchte nicht erleben, dass wir noch über
die Frage der Aufteilung diskutieren, während andere
bereits die Märkte in Europa unter sich aufteilen. Das ist
sicherlich vernünftig und richtig.
({8})
Das widerspricht auch nicht der Linie, auf die wir uns
gemeinsam geeinigt haben.
Ich möchte abschließend noch ein Thema aufgreifen,
Herr Minister.
Herr Kollege, gerade Sie als letzter Redner sollten
Ihre Redezeit nicht unbedingt überziehen.
({0})
Herr Präsident, erlauben Sie mir eine abschließende
Bemerkung. Der Bundesminister ist kritisiert worden,
weil er vorgeschlagen hat, unter Umständen Hartz-IVEmpfänger als Begleiter in öffentlichen Verkehrsmitteln einzusetzen. Ich glaube, es ist durchaus zumutbar
und richtig, dass jemand, der gesund ist und Transferleistungen bekommt, für gemeindienliche Tätigkeiten
eingesetzt werden kann. Arbeit ist nach meiner Überzeugung nicht nur eine Bürde, sie gehört auch zu einem erfüllten Leben.
({0})
- Wenn ich noch auf den Zuruf eingehen darf -
Nein, Herr Kollege, Sie sollten zum Schluss kommen.
Viele im ländlichen Raum wären froh und dankbar,
wenn in den Schulbussen Begleiter wären, die sich ein
bisschen kümmern würden. Das hat nichts mit Terrorismusbekämpfung zu tun.
Ich bedanke mich.
({0})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Freitag, den 8. September 2006, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche einen heiteren Abend und eine gute Nacht.