Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich begrüße Sie alle herzlich, liebe Kolleginnen und
Kollegen, und wünsche uns gute, intensive, gelegentlich
auch fröhliche Beratungen. Ich erinnere daran, dass wir
gestern für die heutige Aussprache insgesamt neuneinhalb Stunden beschlossen haben.
({0})
- Der Wunsch des Kollegen Kampeter, die Beratungszeit
auszudehnen, ist vermutlich nicht mehrheitsfähig.
Wir setzen die Haushaltsberatungen - Tagesord-
nungspunkt 1 - fort:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2007
({1})
- Drucksache 16/2300 -
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 2006 bis 2010
- Drucksache 16/2301 Wir beginnen die heutigen Haushaltsberatungen mit
dem Geschäftsbereich des Bundeskanzleramtes, Einzelplan 04. Ich erteile das Wort zunächst dem Kollegen
Brüderle für die FDP-Fraktion.
({2})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Bundeskanzlerin, Sie regieren das Land mittlerweile nach
dem Pippi-Langstrumpf-Prinzip: „Ich mache mir die
Welt, wie sie mir gefällt!“
({0})
Steuererhöhungen heißen bei Ihnen „Reformen“.
({1})
Stillstand verkaufen Sie uns als „Bewegung in die richtige Richtung“.
Am Anfang haben Sie, Frau Bundeskanzlerin, in der
Außenpolitik eine gute Figur gemacht. Die Außenpolitik lenkt vielleicht ein wenig von den Problemen ab, die
unser Land hat. Nur, das funktioniert nicht auf Dauer.
Als Bundeskanzlerin, Frau Merkel, sollten Sie die Richtung vorgeben. Doch Ihre Richtlinienkompetenz ist zu
einer Schlangenlinienkompetenz geworden, mit der Sie
die Politik betreiben.
({2})
Die Koalition hat nach eigenem Bekunden erheblichen Diskussionsbedarf - bei jedem Thema und über
Monate hinweg. Doch irgendwann muss selbst diese
große Koalition des kleinsten gemeinsamen Nenners
Entscheidungen treffen, damit man weiß, was Sie denn
überhaupt wollen. Nehmen wir einmal die Gesundheitsreform: Nach Monaten konnte sich die Bundesregierung zu „Eckpunkten“ durchringen; doch schon diese
ließen erheblich zu wünschen übrig. Statt mehr Freiheit
und Wahlfreiheit gibt es mehr Gängelung und mehr Bürokratie. Jetzt geht der Streit weiter über Details dieses
Kassensozialismus, der da offenbar betrieben wird.
({3})
Mit der Rückendeckung der Kanzlerin arbeitet das Gesundheitsministerium an einer Art VEB Gesundheit.
Nur über eines war sich die Koalition erstaunlich
schnell klar und einig: Es wird teurer, die Krankenkassenbeiträge steigen. Beim Schröpfen der Bürger herrscht
bei Rot und Schwarz schnell Einigkeit. Was sonst noch
herausgekommen ist, sind bürokratische Monster, zum
Beispiel der Gesundheitsfonds und der Morbiditätszuschlag. Die Morbidität der Bundesregierung schreitet
unaufhaltsam voran. Es schreit an jeder Ecke und an jedem Ende nach Knatsch und es kracht in manchen Bereichen. Die Auflösungserscheinungen sind schon mit Händen greifbar. Möglicherweise gibt es die Regierung gar
Redetext
nicht mehr, wenn der neue Risikostrukturausgleich
zwischen den Krankenkassen in Kraft tritt.
In der Politik der Bundeskanzlerin sind weder Linie
noch Kompetenz zu erkennen. Die Kanzlerin tritt jetzt
als Duo mit dem Vizekanzler auf. Frau Merkel und Herr
Müntefering sind am Ende der Sommerpause gemeinsam und in trauter Eintracht vor der Presse erschienen.
Es war eine Art Hochamt des neuen politischen Traumpaares der Republik.
({4})
Frau Merkel, dabei haben Sie gesagt, die Richtung in Ihrer Regierungsarbeit stimme. Eine Richtung ist aber weit
und breit nicht erkennbar. Wo wollen Sie denn wirklich
hin?
({5})
Wer sich bei Rekordschulden, bei explodierenden
Sozialbeiträgen und bei drastischen Steuererhöhungen
auf dem richtigen Weg sieht, der lebt in einer anderen
Welt.
Die erste Kabinettsitzung nach der Sommerpause
kam mir wie ein Treffen von Traumtänzern vor.
({6})
Vizekanzler Müntefering findet es unfair, an dem gemessen zu werden, was in den Wahlkämpfen gesagt wurde.
Die Bundeskanzlerin sitzt neben ihm und nickt zustimmend. Das steht in der adenauerschen Tradition: Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern! Das entspricht aber nicht einem fairen Umgang mit den
Bürgern. Deshalb dürfen wir uns über die Politikverdrossenheit nicht wundern.
({7})
Woran, wenn nicht an ihren Wahlkampfaussagen, soll
die Regierung denn bitte schön gemessen werden? Dafür
ist sie ja gewählt worden. Der wenig ambitionierte
Koalitionsvertrag ist eben nicht die Messlatte, Herr
Müntefering. Die Messlatte für die Bürger ist vielmehr,
ob die Regierung eine gute Politik macht. Das ist offensichtlich nicht der Fall. Das ist keine gute Politik.
({8})
Es ist unfair, den Bürgern das Geld aus der Tasche zu
ziehen. Der private Konsum ist nach wie vor der
Hemmschuh für die Konjunkturentwicklung. Wenn man
sich einmal die Strukturen unserer Volkswirtschaft ansieht, dann erkennt man, dass er über 60 Prozent der
Nachfrage in diesem Land ausmacht. Sie nehmen den
Bürgern das Geld weg. Selbst Herr Struck hat eingeräumt, dass man auf die Mehrwertsteuererhöhung hätte
verzichten können. Er sagte:
Es wären knallharte Einsparungen in jedem Ressort
nötig gewesen, aber es wäre gegangen.
Recht hat Herr Struck! Nur getan haben Sie es nicht.
Dazu fehlte Ihnen der Mut.
({9})
Nicht nur die Sozialdemokraten üben sich im Geldausgeben, auch einige Ministerpräsidenten der Union
machen sich auf die Suche nach neuen Ausgabenprogrammen, um zu sehen, wie man die Überschüsse der
Bundesagentur für Arbeit verteilen kann. Machen Sie
sich doch endlich ans Sparen! Was tut jeder Bürger,
wenn er mehr ausgibt, als er einnimmt? Er streckt sich
nach der Decke. Das Auto wird ein Jahr länger gefahren
und die Anschaffungen werden ein Jahr hinausgeschoben.
({10})
Nur der Staat tut das Gegenteil dessen, weil er sich
zwangsweise refinanzieren kann. Er langt bei den Bürgern zu und spart nicht. Sie müssen Vorbild sein. Die
Treppe kehrt man von oben nach unten und nicht umgekehrt. Das gilt auch für die Politik.
({11})
Den Konzernen wollen Sie dadurch etwas Gutes tun,
dass die Körperschaftsteuer kräftig reduziert wird. Eine
solche Unternehmensteuerreform nützt den Personengesellschaften und den Einzelunternehmen nichts. Für
die Mittelständler und die Arbeitnehmer wäre eine Einkommensteuerreform viel wichtiger.
Ich frage mich: Wie wollen die Sozialdemokraten
dies ihren Wählern erklären? Bei höheren Steuern, höheren Energiepreisen, höheren Sozialversicherungsbeiträgen und höheren Krankenversicherungsbeiträgen zu erwarten, dass eigenverantwortlich mehr Vorsorge für das
Alter getroffen wird, ist wirklich irreal. Die Bürger aufzufordern, auf den Urlaub zu verzichten, um so Vorsorge
treffen zu können, aber selber beim Haushalt nicht zu
sparen, ist schon zynisch. So wird man die Probleme
nicht lösen können, sondern dazu gehört mehr Mut.
({12})
Offensichtlich spielt die Ökonomie in der Regierung
keine Rolle. Auf die Idee einer Besteuerung der Kosten
von Unternehmen - eine unsinnige Debatte - muss man
erst einmal kommen. Der Einfall, Kosten zu besteuern,
muss schleunigst vom Tisch. Das ist absoluter Schwachsinn.
({13})
Die SPD entdeckt die Leistungsträger und die CDU
ist jetzt die Partei der Lebenslüge. Zum 30. Geburtstag
der Mitbestimmung haben Sie sich, Frau Bundeskanzlerin, von Reformüberlegungen verabschiedet. Aber die
paritätische Mitbestimmung noch heute als große Errungenschaft und Standortvorteil zu feiern, ist eine Lebenslüge und eine völlig falsche Einschätzung, Frau
Merkel.
({14})
Die Bundesregierung verkündet Fahrpläne zu allen
möglichen Bereichen, wie etwa Gesundheit, Unternehmensteuerreform und Arbeitsmarkt. Aber das Ziel dürfen keine Fahrpläne sein, sondern das Ziel muss eine
konsistente Politik für die Menschen in Deutschland
sein. Sie sprachen auf Ihrer Pressekonferenz vom Gemeinwohl; das ist richtig. Aber das Gemeinwohl ist nicht
das Wohl dieser Bundesregierung, sondern das Wohl der
Bürger, der Steuerzahler;
({15})
sie müssen im Zentrum der Politik stehen.
Die Steuererhöhung hilft vielleicht dem Finanzminister, aber sie hilft nicht dem Bürger im Land. Deshalb ist
Ihre Politik grottenfalsch und führt in die falsche Richtung.
({16})
Es muss eine Kurskorrektur geben. Sie sind falsch programmiert. Ändern Sie Ihre Politik für die Bürger im
Land!
({17})
Das Wort hat nun die Bundeskanzlerin Dr. Angela
Merkel.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt
immer wieder Tage, die unsere Welt verändern. Sie
zeichnen sich dadurch aus, dass sich jeder Einzelne von
uns genau daran erinnern kann, was er an einem solchen
Tag gemacht hat. Der 9. November 1989 war ein solcher
Tag: Die Mauer fiel und der Kalte Krieg war zu Ende.
Der 11. September 2001, dessen Jahrestag sich in der
nächsten Woche zum fünften Mal jähren wird, war ebenfalls ein solcher Tag. Dieser Tag hat die Welt erschüttert
und er hat sie auch verändert. Manche haben gesagt:
Nach dem 11. September ist nichts mehr so, wie es einmal war. - Ich halte das für falsch. Richtig ist, dass wir
mit dem 11. September eine völlig neue Art der Bedrohung kennen gelernt haben - eine asymmetrische Bedrohung, wie wir das nennen -, eine Bedrohung, bei der wir
den Gegner nicht richtig fassen können, weil er bereit ist,
sein eigenes Leben aufs Spiel zu setzen. Auch ist er als
Staat nicht genau erkennbar, obwohl Staaten solche terroristischen Attacken unterstützen.
Daraus hat sich ein neues Verständnis von Sicherheitspolitik ergeben, bei dem mehr als jemals zuvor innere und äußere Sicherheit nicht mehr voneinander zu
trennen sind. Das hat uns vor die Aufgabe gestellt, neue
Antworten zu finden. Die Bundesregierung hat solche
Antworten gefunden. Wir alle in diesem Land sind uns
inzwischen einig - das hat der großartige Aufklärungserfolg bezüglich der Kofferbomben gezeigt -, dass Videoüberwachung, zwar nicht flächendeckend, aber dort, wo
viele Menschen zusammenkommen, notwendig ist. Ich
bin froh, dass dieser Streit ausgestanden ist und dass wir
wissen: Videoüberwachung braucht man, um Terroristen
identifizieren zu können. Eine solche Maßnahme ist notwendig.
({0})
Ich möchte allen danken, zuvörderst dem Bundesinnenminister und auch der Bundesjustizministerin, die
daran mitgearbeitet haben, dass wir uns jetzt auf eine
Antiterrordatei einigen konnten. Das ist ein riesiger Erfolg, ein Erfolg der großen Koalition und ein Erfolg der
Zusammenarbeit mit den Ländern. Es ist eine Antwort
auf das, was die Bürgerinnen und Bürger von uns erwarten.
Es ist eben so, dass uns im 21. Jahrhundert Kleinstaaterei alleine nicht mehr voranbringt.
({1})
- Das haben wir doch bei der Föderalismusreform gemeinsam besprochen. - Es ist ein riesiger Erfolg, dass
die Antiterrordatei jetzt auf den Weg gebracht werden
kann. Das erwarten die Menschen von uns.
({2})
Ich glaube, der Staat darf niemals den Eindruck erwecken, er könne 100 Prozent Sicherheit garantieren. Aber
der Staat darf sich auch niemals dem Vorwurf aussetzen,
er hätte nicht alles versucht, um die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger zu garantieren. Es geht nicht um
Freiheit statt Sicherheit, es geht nicht um Freiheit oder
Sicherheit, sondern es geht im 21. Jahrhundert um Freiheit und Sicherheit in unserem Land. Dafür müssen wir
uns einsetzen.
({3})
Wenn ich sage, wir brauchen neue Antworten, weil
wir vor neuen Bedrohungen stehen, warum halte ich
dann den Satz „Nach dem 11. September ist nichts ist
mehr so, wie es einmal war“ für falsch? Ich halte ihn
deshalb für falsch, weil sich das Motiv, der Grund unseres außen- und sicherheitspolitischen Handelns nicht
verändert hat, weder nach dem 9. November gegenüber
vor dem 9. November noch nach dem 11. September gegenüber vor dem 11. September. Denn seit Gründung der
Bundesrepublik Deutschland ist klar: Wir haben eine
Verantwortung vor der Geschichte - vor der deutschen Geschichte und der europäischen Geschichte -, einer Geschichte jahrhundertelanger Kämpfe, einer Geschichte von Erbstreitigkeiten, Kriegen, politischem
Versagen und Nationalismus. Dass die deutsche und die
europäische Geschichte seit 1945 anders gestaltet werden, das gehört zu den großen Leistungen der Vorgänger
der jetzt politisch Aktiven.
Der Impuls zur Gründung europäischer Institutionen,
von unseren Vorfahren richtig in Gang gesetzt, war, dass
man plötzlich zu der Erkenntnis kam - ich kann auch
endlich zu der Erkenntnis kam -, dass man nicht
am allerbesten dasteht, wenn man nur an sich denkt, sondern dass man selber besser dastehen kann, wenn man
auch an die Interessen anderer denkt. Man hat endlich
begonnen, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen. Man hat das, was man früher als Zumutung
empfand - sich mit dem Denken anderer auseinander zu
setzen, zum Beispiel unserer Nachbarn -, als eigene Bereicherung empfunden. Man hat erkannt: Was dem anderen dient, ist auch richtig und gut für mich. Das war das
eigentlich Neue. Das sind die zwei Seiten der Medaille
unserer Außen- und Sicherheitspolitik. Das hat die Europäische Union möglich gemacht. Diesem Motiv und diesem Grund fühlen wir uns weiterhin genauso verpflichtet.
({0})
Deshalb haben sich die Ereignisse, die Herausforderungen geändert. Der Kalte Krieg ist vorbei. Wir stehen
heute vor völlig neuen Aufgaben. Aber diese Aufgaben
sind genauso konkret, genauso fassbar und erfordern genau die gleiche Motivation, wie dies auch vor uns der
Fall war.
({1})
- Es wird ganz konkret, Herr Kuhn.
({2})
Deshalb haben wir uns entschieden: im Kosovo genauso wie in Bosnien-Herzegowina. Es gab in diesem
Hause lange Debatten darüber, dass wir nicht tatenlos
zusehen können, sondern bei der Lösung dieser Konflikte mitmachen müssen, und zwar weil es besser ist für
die Menschen vor Ort genauso wie für uns, die wir mit
Flüchtlingen und vergewaltigten Frauen konfrontiert
wurden und die wir gefragt wurden: Wie vereinbart ihr
mit euren Werten, dass ihr tatenlos zuseht?
So haben wir uns nach dem 11. September - auch in
sehr schwierigen Debatten - entschieden, in Afghanistan mit dabei zu sein, Verantwortung zu übernehmen,
damit sich ein Volk besser entwickeln kann und gleichzeitig unsere Sicherheit besser garantiert ist.
Wir werden in diesem Herbst über Afghanistan zu
sprechen haben. Wir wissen zwar, dass nicht alles so
läuft, wie wir uns das wünschen. Aber die Alternative,
ein Vakuum zu hinterlassen und Terroristen wieder freie
Ausbildungsmöglichkeiten zu geben, ist für mich keine
Alternative, weil es weder für die Menschen vor Ort
richtig ist noch unseren Sicherheitsinteressen dienen
wird.
({3})
Wir haben gemeinsam um eine Antwort auf die Frage
gerungen, ob wir uns in Afrika engagieren sollen. Wir
haben uns mehrheitlich im Bundestag - genauso wie die
Bundesregierung - dafür entschieden, Verantwortung im
Kongo zu übernehmen, und zwar über die politisch-humanitäre Verantwortung im Rahmen der Entwicklungshilfe hinaus mit einer militärischen Komponente. Auch
das halte ich für richtig, weil Afrika der Nachbarkontinent Europas ist. Wer nach Spanien und insbesondere
nach Teneriffa schaut, der weiß, dass dorthin jeden Tag
Hunderte Flüchtlinge kommen. Wir müssen im Interesse
der Afrikaner, aber auch im Interesse derjenigen, die in
Europa davon betroffen sind, einen Beitrag zur Lösung
des Problems leisten und Entwicklungsmöglichkeiten,
Teilhabe, Frieden, Freiheit und Wohlstand ermöglichen.
Es gibt Fragen, auf die wir noch keine abschließende
Antwort haben. Damit müssen wir uns befassen. Die
Bundesregierung hat gemeinsam mit anderen europäischen Staaten, den Vereinigten Staaten von Amerika,
Russland und China dem Iran ein Angebot gemacht.
Wir erhofften uns von diesem Angebot, aus dem Kreislauf von nuklearen Aktivitäten und zunehmenden Verhärtungen herauszukommen. Die Antworten des Iran
sind aber nicht zufriedenstellend. Wir werden zwar die
Tür zu Verhandlungen nicht zumachen. Aber wir werden
als internationale Staatengemeinschaft nicht tatenlos zusehen können, wie der Iran Regeln der Internationalen
Atomenergiebehörde verletzt. Es geht hierbei nicht darum, dem Iran nicht das zuzugestehen, was ihm zugestanden werden muss. Vielmehr geht es darum, dass der
Iran immer wieder Regeln verletzt hat. An dieser Stelle
ist für uns, die Bundesregierung, ganz wichtig, die Geschlossenheit der internationalen Staatengemeinschaft
zu erhalten. Die militärische Option ist keine Option im
Iran. Deshalb geht es um Entschlossenheit und Geschlossenheit. Aber ich sage auch: Nichtstun kann nicht
die Antwort auf die Ablehnung des Iran sein. Das stellt
uns vor große Herausforderungen.
({4})
Wir haben erlebt, auf welche Art und Weise die Fragen den Iran betreffend mit der Situation im Nahen
Osten zusammenhängen. Wir haben im Sommer dieses
Jahres eine Situation erlebt, in der plötzlich schreckliche,
gewalttätige Auseinandersetzungen auftraten und in der
die internationale Staatengemeinschaft vor der Frage
stand, wie man eine Waffenruhe erreichen und Stabilität
in dieser Region herstellen kann. Daraus ist die Resolution 1701 des UN-Sicherheitsrates entstanden. Die Bundesregierung ist - genauso wie wir alle - vor die Frage
gestellt, was wir tun wollen und können, um bei der Umsetzung dieser Resolution mitzuhelfen. Wir haben sehr
schnell gesagt: Insbesondere aus historischen Gründen
steht für uns die Frage nach der Stationierung deutscher
Kampftruppen an der libanesisch-israelischen Grenze
nicht zur Debatte.
({5})
Es muss verhindert werden, dass deutsche Soldaten
auf Israelis schießen, und sei es nur ungewollt. Wenn es
aber zur Staatsräson Deutschlands gehört, das Existenzrecht Israels zu gewährleisten, dann können wir nicht
einfach sagen: Wenn in dieser Region das Existenzrecht
Israels gefährdet ist - und das ist es -, dann halten wir
uns einfach heraus. Wenn wir uns an dem notwendigen
humanitären und politischen Prozess beteiligen wollen,
dann wird es sehr schwer sein, zu sagen: Die militärische
Komponente sollen bitte schön andere übernehmen.
Deshalb haben wir ein Angebot unterbreitet. Bei diesem Angebot kommt es für uns darauf an, dass wir ein
robustes Mandat haben, mit dem wir das Ziel, den Waffenschmuggel zu beenden, erreichen können. Es kommt
des Weiteren für uns darauf an - über diesen Punkt verhandeln wir nun bzw. verhandelt der Libanon mit der
UN -, dass dieses Mandat gewollt ist. Das ist wieder Teil
des politischen Prozesses.
Es ist besser, zwei Tage zu warten und das Mandat im
Einvernehmen mit allen Akteuren und sorgfältig vorzubereiten, als auf Schnelligkeit zu setzen. Wir werden unsere Soldaten nicht unnötigen Risiken aussetzen. Das
macht keine Bundesregierung; das wird auch diese Bundesregierung nicht tun. Wir werden aber alles daransetzen, dass das Mandat in der Region gewollt ist. Dazu
werden die entsprechenden Schritte im Augenblick eingeleitet.
({6})
Es wird in der Öffentlichkeit diskutiert, in welcher
Reihenfolge die Maßnahmen zu treffen sind: Sollen erst
das Embargo zur See und die Blockade des Flughafens
Beirut aufgehoben und dann die UNIFIL-Truppen stationiert werden? Wir brauchen noch etwas Zeit. Wir sollten
uns die Zeit nehmen. Die Gründlichkeit der Entscheidung geht vor Schnelligkeit. Ich bitte auch um Verständnis für die Urteilsfindung der Akteure in der Region. Wir
können uns manchmal nur schwer in die Lage im Libanon und in Israel versetzen. So wie wir von anderen
Respekt erwarten, wenn sie über uns urteilen, sollten wir
anderen Respekt zukommen lassen.
({7})
Ich möchte mich an dieser Stelle ausdrücklich für die
Gespräche mit den Vertretern der einzelnen Fraktionen
bedanken. Wir informieren Sie und sind miteinander im
Gespräch. Wir werden selbstverständlich intensiv diskutieren, wenn es um die parlamentarische Zustimmung
geht.
Es wird im Augenblick in Bezug auf den Nahen Osten zu wenig über den politischen Prozess und zu viel
über die militärischen Aktionen gesprochen.
({8})
Deshalb ist die Parallelität der Aktionen von äußerster
Wichtigkeit. Der Bundesaußenminister und ich und viele
andere wie zum Beispiel die Bundesentwicklungshilfeministerin, wir alle werden Initiativen ergreifen und sind
zum Teil in Vorgesprächen, um den politischen Prozess
wieder in Gang zu bringen. Wir dürfen nicht wegschauen. Im Zusammenhang mit den Resolutionen 1559
und 1680, als es darum ging, ob die libanesische Armee
die Gewalt über ihr gesamtes Territorium bekommt, haben wir uns nicht genug darum gekümmert. Wenn ich
„wir“ sage, dann meine ich die gesamte internationale
Staatengemeinschaft. Das Ergebnis haben wir gesehen.
Deshalb darf man keinesfalls denken, mit der Stationierung von UNIFIL-Truppen sei das Problem gelöst. Wir
müssen das Existenzrecht Israels sichern und wir müssen
eine Zweistaatenlösung erreichen, die einen palästinensischen Staat einschließt. Wir müssen auch für ein gutes
Verhältnis zwischen Israel und Libanon sorgen.
Ich unterstütze ausdrücklich die Bemühungen des
Bundesaußenministers, auch mit Syrien Kontakte zu
pflegen, wenn auch nicht um jeden Preis. Er hat neulich
eine vollkommen richtige Entscheidung getroffen. Es ist
aber wichtig, alle Akteure in der Region zu berücksichtigen, damit wir sehen, was wir dazu beitragen können,
um einen Friedensprozess in Gang zu bringen.
({9})
Auch wenn es noch so schwierig erscheint: Es gibt
keine Alternative. Deshalb muss es versucht werden: mit
Leidenschaft und aus Überzeugung.
Nun fragen viele: Ist das nicht ein Fass ohne Boden?
Wo sollen wir uns noch überall engagieren? Was sind die
Kriterien, nach denen wir das tun? - Dazu will ich eine
Bemerkung machen: Wir können so lange, wie wir wollen, nach Kriterien suchen, die Welt wird sich nicht danach richten, welche Art von Konflikten auftritt. Vor der
Sommerpause hat keiner von uns gewusst, dass wir uns
heute mit UNIFIL und mit der Resolution 1701 auseinander setzen. Trotzdem wäre es unverantwortlich, zu
sagen, wir beschäftigen uns nicht damit, weil wir das
nicht auf dem Plan hatten. Wir müssen uns der Realität
stellen und gleichzeitig nach unseren Möglichkeiten
schauen.
Wir haben uns für ein Engagement im Kongo entschieden und wir leisten beispielsweise in Darfur Logistikhilfe. Ich sehe aber im Augenblick keine Möglichkeit,
dass wir neben unserem Engagement im Kongo ein zusätzliches Engagement in Darfur übernehmen.
({10})
Wir müssen schauen, was die Welt tut. Daraus ergibt
sich die Notwendigkeit der europäischen Kooperation.
Es zeigt sich: Wenn wir unseren Interessen dienen wollen, dann können wir alleine sie nicht bedienen; das
schaffen wir nicht. Deshalb ist es gut und richtig, in Sicherheitspartnerschaften, in Gemeinschaften, in der
Europäischen Union und in der NATO, gemeinsam Aktivitäten zu ergreifen, Verantwortung zu übernehmen und
sich Verantwortung zu teilen. Anders werden wir unsere
Interessen nicht mehr durchsetzen können. Auch das ist
eine Lehre aus den Bedrohungen und Gefahren der heutigen Welt.
({11})
Daraus ergibt sich dann die Notwendigkeit einer
handlungsfähigen, einer starken Europäischen Union.
Deutschland wird im ersten Halbjahr 2007 die Präsidentschaft haben. Wir werden darüber diskutieren. Aber
eines kann man schon voraussagen: Die außen- und
sicherheitspolitischen Notwendigkeiten eines gemeinschaftlich agierenden Europas haben in den letzten Jahren zugenommen und nicht abgenommen. Wenn man
eine Begründung für Europa jenseits des Binnenmarktes
braucht, dann ist es das gemeinsame europäische
Interesse an Frieden und Freiheit, an Stabilität und
Wohlstand auf der Welt.
({12})
Dieses Europa kann und wird nur stark sein, wenn es
nicht nur sicherheitspolitisch, sondern auch wirtschaftlich stark ist. Deshalb ist es gut, dass der haushaltspolitische Befund zu dieser Debatte uns ermöglicht, zu sagen:
Deutschland macht seine Hausaufgaben. Wir können
zum ersten Mal seit Jahren wieder die Maastrichtkriterien erfüllen. Der Bundesfinanzminister hat gestern darüber Bericht erstattet. Wir haben gute Wachstumsraten.
Ich möchte die prognostizierten Kurven von hoch gelobten Wirtschaftsinstituten jetzt nicht aufzeigen. Man weiß
nie, ob in acht Wochen alles nicht wieder ganz anders ist.
Wir sollten darauf nicht zu viel vertrauen. Aber es ist so,
dass wir sagen können: Es geht im Augenblick in die
richtige Richtung. Es gibt keinen Abbau der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse mehr, es
gibt weniger Insolvenzen und zum ersten Mal seit 1988
gibt es einen Überschuss bei der Bundesagentur für Arbeit.
({13})
Das zeigt nicht mehr und nicht weniger, als dass es
aufwärts geht. Aber das zeigt natürlich auch, dass wir
uns mit 4,3 Millionen Arbeitslosen, mit vielen jungen
Menschen, die keinen Ausbildungsplatz haben, nicht zufrieden geben können. Wir dürfen auf gar keinen Fall die
Hände in den Schoß legen; vielmehr müssen wir die
richtigen Lehren auch aus den Fehlern vieler - ich betone: vieler - vergangener Jahre ziehen.
Diese Lehre heißt für mich: Wir haben in den vielen
letzten Jahren die Dimension der Zukunft zu sehr in den
Hintergrund gedrängt. Wir haben uns immer wieder damit abgefunden oder wir haben es zumindest nicht thematisiert, dass wir von der Substanz leben. Deshalb ist
diese Bundesregierung ganz bewusst angetreten, um das
Leben von der Substanz schrittweise zu beenden. Das ist
genau das, was man mit dem sperrigen Begriff der
Nachhaltigkeit beschreibt. Deshalb sage ich es etwas
anders, nicht ganz so sperrig: Es ist ganz einfach so, dass
wir unsere Zukunft nicht verbrauchen dürfen. Das ist die
Leitlinie, das ist der Maßstab, an dem wir unsere gesamte Politik ausrichten.
({14})
Wir dürfen unsere Zukunft nicht verbrauchen. Das leitet
uns bei all unseren Entscheidungen. Deshalb sanieren
wir den Haushalt.
Ich möchte den Bundesfinanzminister ausdrücklich
unterstützen. Kaum dass eine Steuermehreinnahme
verkündet wird - unbeschadet der Frage, ob sie im Haushaltsansatz nicht schon längst eingepreist ist -, gibt es
eine breite Debatte darüber, was man damit machen
könnte. Lassen Sie uns erst einmal Geld haben! Wenn
das der Fall ist, können wir über Schuldenabbau reden.
Die Neuverschuldung in diesem Jahr ist sehr hoch. Lassen Sie uns dann diskutieren, ob wir noch Spielräume
haben! Ich sehe das im Augenblick nicht. Wir wollen sanieren. Wir wollen dafür sorgen, dass wir die Zukunft
nicht verbrauchen. Dem müssen wir uns verpflichtet
fühlen.
({15})
Wir könnten über Zuschüsse der Bundesagentur für
Arbeit nur reden, wenn sie auf Nachhaltigkeit ausgerichtet wären.
({16})
Dazu brauchen wir erst einmal eine Endabrechnung.
Man muss sich anschauen, was im nächsten Jahr anfällt.
Auch an diesem Punkt bin ich der Meinung: Man soll
nicht über neue Programme diskutieren, sondern erst
einmal verfolgen, was im Hinblick auf Nachhaltigkeit
passiert.
({17})
Weil wir die Zukunft nicht verbrauchen wollen, reformieren wir. Wir reformieren im Sinne der Gesundheitsreform. Jeder, der sich einmal mit Gesundheitspolitik
beschäftigt hat - hauptsächlich macht es die Bundesgesundheitsministerin; aber viele andere tun es auch - ({18})
- Sie versuchen hier, das der Lächerlichkeit preiszugeben. Aber die Frage, ob die überwiegende Mehrzahl der
Menschen in Deutschland den Eindruck hat, dass sie an
dem medizinischen Fortschritt teilhaben kann, wird zu
der entscheidenden Frage werden. Es geht darum, ob die
soziale Marktwirtschaft und das Gerechtigkeitsempfinden in einer hoch entwickelten Gesellschaft überhaupt
noch einen Platz haben. Deshalb ist das aller Mühe wert.
Ich sage das aus voller Überzeugung, weil das die
schwierigste Aufgabe ist. In vielen anderen europäischen Ländern können Sie sehen, dass es auch dort eine
schwierige Aufgabe ist.
Weil das so ist, sollten wir diese Diskussion mit großer Ernsthaftigkeit führen, aber ohne die Interessen der
einzelnen Besitzstandsgruppen im Auge zu haben; es
gilt, im Interesse der Versicherten zu handeln.
({19})
Wir sind nämlich dem Gemeinwohl verpflichtet
({20})
und nicht den Krankenkassen oder den Ärzten allein.
Wir sind natürlich jedem einzelnen Akteur mit seinen Interessen, aber zum Schluss eben dem Gemeinwohl verpflichtet. Genau daran wird sich die Bundesregierung
orientieren.
({21})
Jeder von Ihnen, meine Damen und Herren, darf sich
einmal fragen, ob die Selbstverwaltung der Krankenkassen immer so prima funktioniert hat und wie viel Besitzstandswahrung in dem ganzen System ist. Es geht darum, den Menschen das zu geben, was sie brauchen.
Daran werden wir uns ausrichten.
({22})
Deshalb werden wir die Eckpunkte umsetzen. Darüber
wird es natürlich Diskussionen geben. Wenn Neuland betreten wird, gibt es immer Diskussionen. Aber eine solche Reform ist notwendig - genauso wie im nächsten
Jahr eine Reform der Pflegeversicherung, genauso wie
eine Neuordnung der Finanzbeziehungen zwischen Bund
und Ländern mit einer Föderalismusreform II, nachdem
die Föderalismusreform I jetzt in Kraft getreten ist.
Wir führen Strukturreformen wiederum deshalb
durch, weil wir die Zukunft nicht verbrauchen, sondern
gestalten wollen.
({23})
Dazu gehört die Unternehmensteuerreform. Auch das
ist ein Vorhaben für den Herbst. Es geht uns nicht darum,
langfristig Unternehmen per se zu entlasten. Es geht uns
darum, Unternehmen in Deutschland zu halten. Deshalb
wird es am Anfang ein Entlastungsvolumen geben. Aber
Ziel ist, die Unternehmen in Deutschland auf Dauer wieder zu Steuerzahlern zu machen.
({24})
Das muss auch so sein. Es hat keinen Sinn, zuzusehen,
wie Unternehmen in einer globalen Welt woanders hingehen, weil sie dort besser dastehen. Wir müssen ein
wettbewerbsfähiger Standort sein - mit dem Ziel, dass
auch der Staat von den Gewinnen der Unternehmen profitiert. Dabei darf nicht die Substanz der Unternehmen,
sondern muss der Gewinn der Unternehmen besteuert
werden. Es darf nicht so sein, dass der woanders verrechnet wird.
({25})
Wir werden Bürokratie abbauen. Es gibt bereits ein
Mittelstandsentlastungsgesetz. Es wird an einem zweiten
gearbeitet. Wir werden im Bereich der Hartz-IV-Reformen zu überlegen haben, wie wir angesichts von
4,3 Millionen Arbeitslosen Anreize so setzen, dass unser
Grundziel wieder erreicht wird: Wir wollen die Menschen in Arbeit bringen. Wir wissen, das gelingt nur,
wenn wir sicherstellen, dass jemand dann, wenn er arbeitet, mehr hat, als wenn er nicht arbeitet.
An diesem Grundsatz werden sich alle Entscheidungen orientieren müssen. Wir wollen, dass sich Arbeit
lohnt, dass die, die in dieser Gesellschaft etwas leisten
wollen, sehen: Die Leistungsanstrengung trägt auch ihre
Früchte. Daran müssen sich alle Diskussionen - das geht
von Kombilohn über Hartz IV und Organisation von
Hartz IV bis hin zu Niedriglohn und Mindestlohn - orientieren.
({26})
So werden wir weitere Beschäftigungspotenziale freilegen können. Der Bundesarbeitsminister hat hierfür die
notwendigen Arbeitsgruppen eingesetzt und die Arbeit
begonnen. Wir werden natürlich alle Sachverständigengutachten und Weiteres mit Interesse zur Kenntnis nehmen und einbeziehen. Aber ganz zum Schluss wird die
Politik ihre Entscheidung fällen müssen. Den Grundsatz
und die Linie habe ich genannt.
Um die Zukunft nicht zu verbrauchen, investieren
wir. Wir investieren zum Beispiel mit der Hightechstrategie. In dem Rahmen stehen in dieser Legislaturperiode
6 Milliarden Euro zusätzlich zur Verfügung. Die Mittel
werden aber nicht einfach an die verschiedenen Akteure
verteilt, sondern mit einem Ziel vergeben: In Deutschland müssen aus Ideen wieder verstärkt Produkte werden.
({27})
Es hat keinen Sinn, wenn wir ein schönes Patent haben
und anschließend das Geld mit dem Produkt irgendwo in
der Welt verdient wird. Unser Anspruch lautet: von der
Idee bis zum Produkt. Dafür sind die Weichen gestellt.
({28})
Wir werden deshalb vor allem die Forschungsaktivitäten mittelständischer Unternehmen stärken; denn der
Mittelstand in Deutschland forscht zu wenig, insbesondere der in den neuen Bundesländern. Die entsprechenden Maßnahmen sind in dieser Hightechstrategie enthalten.
Wir werden ein nationales Energiekonzept entwickeln. Das wird eine anstrengende Aufgabe sein. In einzelnen Fragen gibt es durchaus unterschiedliche Meinungen innerhalb der Koalition; aber die große Koalition
würde versagen, wenn sie sich dem zentralen Thema
Energie nicht widmen würde. Wir werden das auch in
der EU-Präsidentschaft in ganz besonderer Weise mit
Blick auf die europäische Dimension miteinander diskutieren.
Wir haben uns dem Thema Integration gestellt, weil
wir wissen, dass Deutschland nur eine Zukunft hat, wenn
die, die dauerhaft bei uns leben, auch dauerhaft die gleichen Chancen haben. Wenn Menschen die deutsche
Sprache nicht beherrschen oder Schüler nicht am Sportunterricht in der Schule teilnehmen, wenn wir keine Gemeinsamkeiten im Zusammenleben entwickeln, sondern
Parallelgesellschaft zulassen, dann werden wir das Ziel
der Chancengleichheit nicht erreichen. Deshalb ist das
Thema Integration eines der zentralen Themen. Ich bin
froh, dass wir hier über alte Gräben hinweggekommen
sind.
({29})
Meine Damen und Herren, im Zusammenhang mit
der Gestaltung der Zukunft ist auch das Elterngeld ein
wichtiges Projekt. Es wird am 1. Januar 2007 in Kraft
treten. Dieses Elterngeld ist die Konsequenz aus der
Notwendigkeit einer besseren Vereinbarkeit von Beruf
und Familie. Die Unterstützung der Entscheidung für
Kinder durch die Gesellschaft soll stärker in den Mittelpunkt gestellt werden.
Ich sage, weil darüber eine breite Debatte stattfindet,
ausdrücklich: Wir schreiben den Menschen nicht vor,
wie sie leben sollen. Für uns ist jeder Lebensentwurf
richtig und wichtig. Die Menschen sollen das alleine entscheiden. Aber wenn wir der Wahlfreiheit nahe kommen
wollen, dann müssen wir für diejenigen, die Beruf und
Familie vereinbaren wollen, auch die entsprechenden
Bedingungen schaffen. Darum geht es; es geht nicht um
das Richten über Lebensentwürfe, sondern um das Ermöglichen von gewünschten Lebensentwürfen.
({30})
Wir haben uns damit auseinander zu setzen, wie wir
in einer globalen Welt, die immer mehr zusammenwächst, in der einzelne Regionen gar nicht mehr unterschieden werden können, Menschen Vertrauen in einen
vernünftigen Verbraucherschutz geben können. Ich
spreche das angesichts der Fleischskandale an. Meine
Damen und Herren, der Bundestag - insbesondere die
Bundesregierung, die in die Verantwortung genommen
werden wird, und in ganz besonderer Weise der Bundeslandwirtschaftsminister,
({31})
der für Verbraucherschutz zuständig ist - wird sich dazu
äußern müssen, wie wir in einer vernetzten Gesellschaft,
einem vernetzten Land vorgehen wollen. Wir brauchen,
auch wenn die Länder zuständig sind, allgemeine, gleiche Standards für die gesamte Bundesrepublik Deutschland; an dieser Stelle kann man heute nicht mehr lokal
agieren.
({32})
Das heißt nicht, dass die Bundesregierung die Kontrollen übernimmt. Aber es hieße schon, dass sich die
Länder bereit erklären müssten, auf einer gemeinsamen
Informationsplattform die vorhandenen Informationen
auszutauschen. Es kann nicht sein, dass jeder sein Wissen für sich behält und sich anschließend wundert, wenn
flächendeckend Verfehlungen auftreten. Ich plädiere
ausdrücklich für eine solche Informationsplattform und
unterstütze den Bundeslandwirtschaftsminister in dieser
Forderung.
({33})
Meine Damen und Herren, ich fordere die Länder
auch von dieser Stelle aus auf, das Verbraucherinformationsgesetz jetzt endlich zu verabschieden.
({34})
Es hat keinen Sinn, länger darauf zu warten. Wir haben
dieses Gesetz im Kabinett verabschiedet und jetzt soll es
im Bundesrat verabschiedet werden. Ich glaube, die aktuellen Diskussionen sind ein guter Grund, das zu fordern. Wenn in dieser Hinsicht Einvernehmen zwischen
uns besteht und wir mit den Ländern reden, dann kann
das Gesetz auch im Bundesrat verabschiedet werden.
({35})
Wir werden uns in diesem Herbst im Rahmen des
Ausbildungspaktes noch einmal sehr intensiv damit
auseinander setzen müssen, wie wir den jungen Menschen in diesem Lande eine Chance auf einen Ausbildungsplatz geben. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Ich halte
nichts von dauernd neuen Ausbildungsprogrammen. Erst
müssen wir - da hat die Bundesregierung vieles
gemacht - die Rahmenbedingungen für den Mittelstand
so gestalten, dass dort die notwendigen Entscheidungen
für Lehrlinge und Auszubildende gefällt werden können.
Wenn sich die Bedingungen dadurch verbessern, dass
das Wachstum verstetigt wird, dass Bürokratie abgebaut
wird, dass durch die Hightechstrategie Forschung und
Entwicklung in den Betrieben ermöglicht werden, dann
werden die Betriebe auch wieder stärker an ihre Zukunft
glauben und Auszubildenden wieder eine Chance geben.
({36})
Ich glaube, die Bundesbildungsministerin, der Wirtschaftsminister und der Bundesarbeitsminister werden
noch einmal - auch mit den Ländern - darüber reden
müssen, ob die vielen kleinen Zwischenprogramme zielführend sind oder ob sie nicht letztlich zu praxisfern
sind. Deshalb treten wir dafür ein, dass wir durchaus mit
den Ländern reden, aber nicht sofort wieder neue Programme auflegen, sondern versuchen, die Mittel, die wir
haben, effektiv im Sinne der jungen Leute einzusetzen;
denn wir wollen jedem jungen Menschen eine Chance
geben, auf dem Ausbildungsmarkt einen Platz zu bekommen. Das ist entscheidend für seine persönliche Zukunft.
({37})
Meine Damen und Herren, diese Bundesregierung hat
eine Vielzahl von Entscheidungen gefällt. Die Folgen
vieler dieser Entscheidungen sind für die Menschen
nicht einfach.
({38})
Wir haben erlebt, dass Sparen - der Bundesfinanzminister hat darauf hingewiesen, dass 60 Prozent unserer
Haushaltsveränderungen auf Sparen zurückzuführen
sind - nicht einfach für die Menschen ist, sondern zum
Teil sehr schmerzhaft. Dies können wir den Menschen
nur zumuten, weil wir uns davon leiten lassen, dass wir
glauben, alle sind zum Schluss davon überzeugt: Wir
dürfen unsere Zukunft nicht verbrauchen. Wir werden
diesen Konsolidierungskurs fortsetzen. Wir werden dabei Erfolge haben.
Ich muss feststellen: Von der Opposition ist wenig bis
gar nichts zu hören.
({39})
Realitätsverweigerung, Einfallslosigkeit, ein großes
Stück Selbstgerechtigkeit und ein Hang, dieses Land negativ zu reden: Das halte ich nicht für verantwortbar.
({40})
- Frau Künast, wenn Sie, was unsere Oppositionstätigkeit betrifft, der Meinung sind, die Sie gerade geäußert
haben - ich teile diese Meinung ausdrücklich nicht; denn
wir haben im Bundesrat bei der Agenda 2010 viele, viele
Entscheidungen mitgetragen und ihnen eine Handschrift
gegeben, die wirklich in die richtige Richtung gewiesen
hat -,
({41})
dann gibt es nun gar keinen Grund, in die gleichen Fehler zu verfallen, meine Dame. Das ist nämlich der Punkt:
Zeigen Sie doch, dass Sie besser sind, als Sie denken,
dass wir es waren. Diesem Anspruch werden Sie doch
nicht gerecht.
({42})
Wir als Regierung sagen nicht, dass wir unsere Ziele
schon erreicht haben; das wäre vollkommen falsch. Aber
ich bin der festen Überzeugung: Wir haben die Grundlage für eine dauerhafte Entwicklung nach oben gelegt.
Nach außen hat die Koalition das Ansehen Deutschlands
in der Welt gemehrt. Deutschland ist wieder in der Mitte
und Deutschland hat Gestaltungsspielräume, bei den
großen Konflikten dieser Welt wieder mithelfen zu können.
Nach Innen haben wir die Wende zum Besseren eingeleitet.
({43})
Wir nehmen uns bei allen Entscheidungen - auch das
will ich sagen - die Zeit, die wir brauchen.
({44})
Wir lassen uns nicht treiben, sondern wir durchdenken
die Konzepte vernünftig. Wir handeln mit Entschlossenheit für das, was wir für richtig und wichtig halten, für
das, was den Menschen dient, für das, was endlich damit
Schluss macht, dass wir die Zukunft verbrauchen.
Wir haben das Ziel, dass Deutschland in den nächsten
zehn Jahren wieder unter die ersten drei kommt bei
Wachstum, bei Beschäftigung und bei Innovation. Das
steckt in den Menschen dieses Landes. Das sind wir diesem Land schuldig. Auf diesem Weg werden wir uns
nicht beirren lassen.
Herzlichen Dank.
({45})
Nächster Redner ist der Kollege Oskar Lafontaine für
die Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zwei Fragen beschäftigen derzeit die deutsche Öffentlichkeit: zum einen die Frage, ob die Außenpolitik
der Bundesregierung geeignet ist, die Sicherheit in
Deutschland zu erhöhen, und zum anderen die Frage, ob
die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung geeignet ist,
Wachstum und Beschäftigung zu unterstützen und zu
fördern. Zu beiden Fragen möchte ich für die Fraktion
Die Linke Stellung nehmen.
Die Bundeskanzlerin hat versucht, die Außenpolitik
ihrer Regierung zu rechtfertigen, und ist, was nicht überrascht, zu dem Ergebnis gekommen, dass die Außenpolitik sehr wohl geeignet ist, die Sicherheit in diesem
Lande zu verbessern. Das Urteil der Öffentlichkeit fällt
aber ganz anders und sehr differenziert aus. Auch aus
den eigenen Reihen, meine sehr verehrten Damen und
Herren von der Regierungsbank, werden in der Öffentlichkeit Aussagen getroffen, die Sie, Frau Bundeskanzlerin, zumindest hätten ansprechen müssen, wenn Ihr harsches Urteil über die Opposition irgendeine Grundlage
hätte haben sollen.
({0})
Ich will mit einer Aussage beginnen. Wenn der Innenminister Bayerns feststellt, dass unsere Beteiligung am
Libanonkrieg die Terroranschlagsgefahr in Deutschland
erhöht, dann ist es nicht zulässig, dass Sie einen solch
gravierenden Vorwurf einfach übergehen und so tun, als
sei alles in bester Ordnung und als müsse überhaupt
nicht über die Außenpolitik diskutiert werden.
({1})
Hätte er nämlich mit dieser Feststellung Recht, wäre dies
ein vernichtendes Urteil über Ihre Außenpolitik.
Sie werden nicht überrascht sein, dass in den letzten
Jahren auch aus den Sicherheitsdiensten immer wieder
angemahnt worden ist, dass unser militärisches Engagement am Hindukusch und sonst wo nicht dazu geeignet
ist, die Terroranschlagsgefahr in Deutschland zu mindern, sondern dass es vielmehr so ist, dass durch dieses
militärische Engagement die Gefahr, dass terroristische
Anschläge auch hier in Deutschland unternommen werden, immer weiter steigt.
({2})
Wir kommen also zu einem ganz anderen Ergebnis.
Wir glauben, dass die Außenpolitik Deutschlands sich
schon seit vielen Jahren auf einen Irrweg begeben hat.
Schwerpunktmäßig auf militärische Einsätze zu setzen
und die klassischen Traditionen der deutschen Außenpolitik, mit denen sie jahrzehntelang Erfolg hatte, zu vernachlässigen, ist ein Irrweg, der nicht zu mehr Sicherheit
in Deutschland führt, sondern die Unsicherheit der
Bevölkerung eher erhöht. Damit handeln Sie eklatant gegen Ihren Auftrag.
({3})
Ich hatte schon mehrfach die Frage aufgeworfen, ob
es nicht notwendig sei, Frau Bundeskanzlerin, dass Sie,
wenn Sie den Terrorismus bekämpfen wollen, einmal
sagen, was Sie unter Terrorismus verstehen. Sie sind
dazu nicht in der Lage; ich wiederhole diese Feststellung
hier im Deutschen Bundestag. Eine Kanzlerin, die nicht
in der Lage ist, zu definieren, was sie unter Terrorismus
versteht, ist ihren Aufgaben nicht gewachsen, weil sie
nicht fähig ist, eine Politik zu formulieren, mit der der
Terrorismus bekämpft werden kann.
({4})
Dass dies schwierig ist, hat zuletzt die ehemalige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichtes dargelegt, als
sie auf das Gesetz zur Antiterrordatei zu sprechen gekommen ist. Ich zitiere:
Der Gesetzentwurf offenbart, wie schwer es ist,
jene Personen hinreichend klar zu bestimmen, die
sich in einem terroristischen Kontext bewegen:
wenn zum Beispiel darin von Personen die Rede ist,
„die rechtswidrig Gewalt als Mittel zur Durchsetzung international ausgerichteter politischer oder
religiöser Belange anwenden oder solche Gewaltanwendung unterstützen, befürworten oder durch
ihre Tätigkeiten vorsätzlich hervorrufen“.
So lautet also im Gesetzentwurf die Definition des Terrorismus.
Die ehemalige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichtes sagt hierzu weiter:
Gewiss, es geht hier nicht um Sprachästhetik. Aber
was kann man nicht alles unter „international ausgerichteten politischen oder religiösen Belangen“
begreifen? Lässt sich darunter nicht auch ein Krieg
subsumieren, der die Absetzung eines Diktators
zum Ziel hat?
({5})
Ich wiederhole: Es ist wirklich nicht möglich, eine in
sich konsistente Außenpolitik zu formulieren, wenn man
nicht in der Lage ist - Frau Bundeskanzlerin, Sie sind es
nicht -, zu definieren, was Terrorismus eigentlich ist. Ich
wiederhole: Terrorismus ist für viele, die sich auf internationaler Ebene an der Diskussion beteiligen, das Töten
von Menschen zum Erreichen politischer Ziele. Etwa so
lautet auch die Definition in dem angesprochenen Gesetzentwurf.
Vor diesem Hintergrund sind nicht nur das Attentat
auf das World Trade Center und Selbstmordattentate, an
die Sie erinnert haben, Terrorismus, sondern auch die
Kriegsführung im Nahen Osten, die Tausende unschuldiger Menschen ums Leben bringt.
({6})
Für die Linke erkläre ich hier: Man kann Terrorismus
nicht durch Terrorismus bekämpfen. Das tun zu wollen,
ist ein gravierender Irrtum der amerikanischen Politik
({7})
und es ist an der Zeit, dass Sie sich bereit finden, zu erklären, wie Sie Terrorismus definieren und wie Sie diesen Terrorismus bekämpfen wollen.
Der Terrorismus kann nicht bekämpft werden, wenn
man das Völkerrecht ignoriert. Sie tun das in ununterbrochener Folge. Dass Sie das tun, ist keine Erfindung
der Linken. Es wäre gut gewesen, wenn Sie sich hier einmal zum Völkerrecht geäußert hätten. Eine deutsche Außenpolitik, die das Völkerrecht ignoriert, kann nicht
erfolgreich sein. Dies galt nicht nur für den Jugoslawienkrieg, wo das unstreitig ist; das gilt nicht nur für den Afghanistankrieg, wo das mehr und mehr unstreitig ist; das
gilt vielmehr auch für den Irakkrieg, der mit Lügen und
dem Bruch des Völkerrechts begonnen wurde und der so
immer weiter geführt wird. Ich erinnere daran, dass das
Bundesverwaltungsgericht festgestellt hat, dass wir
durch die Bereitstellung von Flughäfen, das Einräumen
von Überflugrechten, durch Waffenlieferungen usw. mittelbar am Bruch des Völkerrechts beteiligt sind. Das ist
keine Grundlage für eine erfolgreiche Außenpolitik und
man kann darüber nicht hinweglächeln und hinwegreden.
({8})
Neben der Tatsache, dass Sie nicht in der Lage sind,
zu sagen, was Terrorismus ist, und neben der Tatsache,
dass Sie eine Politik fortsetzen wollen, die das Völkerrecht bricht, ist festzustellen, dass Sie bei Ihrem Handeln
im Vorderen Orient nicht konsistent sind. Wir hören
mit großem Interesse, dass wir ein robustes Mandat
brauchen - so haben Sie das hier wieder formuliert - und
dass dieses robuste Mandat angewendet werden soll, um
Waffenlieferungen in den Libanon zu unterbinden. Bis
dahin könnte man dieser Argumentation ja noch etwas
abgewinnen. Wenn aber gleichzeitig die Bundesrepublik
Deutschland Israel Waffen liefert - und zwar U-Boote,
bei denen nicht ausgeschlossen werden kann, dass sie
nuklear bewaffnet werden können -, dann ist das so widersprüchlich, dass eine solche Außenpolitik schlicht
und ergreifend niemals Erfolg haben kann.
({9})
Grundlage für die Veränderung der letzten Jahre ist,
dass sich die deutsche Außenpolitik mehr und mehr auf
das Militärische verlegt hat. Dies ist mit der Aussage begründet worden: Wir können uns in der Welt nicht heraushalten; wir haben eine größere Verantwortung und
diese größere Verantwortung müssen wir wahrnehmen. Diese Redensarten, die zu dieser Fehlentwicklung geführt haben, beinhalten eine Verkennung der Erfolge der
deutschen Außenpolitik nach dem Kriege. Ich möchte
hier sagen, dass für mich die Westintegration Adenauers
sehr wohl ein wichtiger Beitrag zu einer Weltaußenpolitik war, der weit über die deutschen Belange an der
Nahtstelle des Kalten Krieges hinausreichte. Ich möchte
ferner natürlich sagen, dass die Ostpolitik Willy Brandts,
die nicht darauf angewiesen war, Soldaten in alle Welt
zu schicken, sehr wohl ein ganz wesentlicher Beitrag
Deutschlands zum Frieden in der Welt war. Auch diese
Politik war nicht auf deutsche Belange begrenzt. Ich
möchte weiterhin erwähnen, dass die Politik Helmut
Schmidts, Weltwirtschaftsgipfel zu initiieren, um auf
diese Art und Weise zum Frieden in der Welt beizutragen, sehr wohl ein politischer Ansatz war, der durchaus
in den Geschichtsbüchern erwähnt werden wird.
Schließlich möchte ich sagen, dass Helmut Kohls europäische Integration ebenfalls ein politischer Ansatz war,
der eine Bedeutung weit über die deutschen Belange
hinaus hatte.
Diese erfolgreichen Epochen der deutschen Außenpolitik heben sich wohltuend von einer Ära ab, in der
immer mehr auf das Militär gesetzt worden ist und solche konzeptionellen Ansätze, wie ich sie eben erwähnt
habe, nicht verfolgt wurden.
({10})
Ich habe etwas zum Völkerrecht gesagt. Dazu noch
zwei weitere Bemerkungen.
Es ist für uns wohltuend, wenn ein Mitglied der Bundesregierung, Frau Wieczorek-Zeul, etwas zum Einsatz
von Streubomben im Libanon sagt. Es verstößt gegen
das Völkerrecht, wenn Streubomben über Wohngebieten
abgeworfen werden, und es ist gut, dass wenigstens ein
Mitglied der Bundesregierung an diesen Bruch des Völkerrechtes erinnert.
({11})
Es wäre ebenfalls gut, wenn die Politik, die Sie gegenüber dem Iran verfolgen, einmal auf eine einigermaßen rational nachvollziehbare Grundlage gestellt würde.
Wir haben es hier schon mehrfach erwähnt: Man kann
keine Politik der Nichtverbreitung von Nuklearwaffen
nach dem Motto betreiben: Wir brechen den Atomwaffensperrvertrag; er interessiert uns im Grunde genommen nicht. Aber Teile des Atomwaffensperrvertrages
wenden wir an, um gegenüber dem Iran Politik zu betreiben. - Was meine ich damit? Der Atomwaffensperrvertrag hat nur eine Ratio; sie lautet: Wir wollen keine
Nuklearwaffen in der Welt haben.
({12})
Das heißt, dass die Staaten, die keine haben, keine bauen
sollen, aber das heißt auch - das wird weitgehend vergessen -, dass die Staaten, die Nuklearwaffen haben,
verpflichtet sind, abzurüsten. Das haben sie unterschrieben.
({13})
Und wenn sie nicht abrüsten, dann brechen sie diesen
Vertrag in Permanenz. Dieser Punkt ist eine Grundlage
des Vertrages und muss berücksichtigt werden, andernfalls hätte dieser Vertrag überhaupt keinen Sinn. Man
kann doch nicht sagen: Wir, die guten Nationen in der
Welt, verfügen über Nuklearwaffen, aber die bösen Nationen dürfen keine haben.
Auch in diesem Punkt ist die Anlehnung an die amerikanische Politik völlig widersprüchlich und überhaupt
nicht akzeptabel. Wenn Amerika beispielsweise sagt, es
möchte dazu beitragen, dass der Iran keine Atomwaffen
produziert, dann ist doch zunächst einmal die Frage aufzuwerfen, warum die amerikanische Politik weiterhin
neue Nuklearwaffen entwickeln lässt, die sogar schon
einsatzfähig sein sollen. Es stellen sich beispielsweise
auch die Fragen, warum die Aufrüstung Indiens mit
Nuklearwaffen von Amerika unterstützt wird, warum
man Pakistan erlaubt, Nuklearwaffen zu besitzen, und
warum selbstverständlich auch Russland Nuklearwaffen
für sich beansprucht. Wie kann man da sagen: „Einem
Staat verwehren wir den Besitz von Nuklearwaffen“? So
wird man eine nuklearwaffenfreie Welt niemals erreichen können und so wird man nicht zum Frieden beitragen.
({14})
Es tut mir Leid: Die gesamte Außenpolitik dieser
Koalition hat keine rationale Grundlage. Im Vergleich
zur Außenpolitik früherer Jahre kann man von einer
Fehlentwicklung sprechen; denn in den letzten Jahren
- auch schon zu Zeiten der rot-grünen Koalition - wurde
immer mehr auf militärische Interventionen gesetzt,
weil man glaubte, man könne damit etwas Gutes bewirken.
Wie gefährlich militärische Interventionen sind, haben nicht zuletzt die drei Ehrenvorsitzenden der FDP
kürzlich in einem Schreiben an Sie, Frau Bundeskanzlerin, zum Ausdruck gebracht. Darunter sind zwei ehemalige Außenminister, Herr Genscher und Herr Scheel, die
an der deutschen Außenpolitik beteiligt waren, die ich
vorhin erwähnt habe. Es ist ein Irrtum, deutsche Soldaten in alle Welt zu schicken. Deutschland wird nicht am
Hindukusch verteidigt. Es ist ebenfalls ein gravierender
Irrtum, Kampftruppen in den Libanon zu schicken. Dort
haben wir nun wirklich nichts zu suchen.
({15})
Die Tatsache, dass die Soldaten nur auf See tätig werden,
ist kein Argument. Sie werden in Auseinandersetzungen
verwickelt werden.
Diejenigen haben gute Argumente, die darauf hinweisen, dass die Libanonkrise im Zusammenhang mit Planungen zu sehen ist, ebenfalls den Iran anzugreifen. Es
ist zwar gut, wenn Sie festgestellt haben, dass die Bundesregierung keine militärischen Optionen gegen den
Iran unterstützt. Aber man kann in einen Krieg auch hineinschlittern. In den letzten Monaten konnte man beobachten, dass von den Mitgliedern der Regierung unter
Einschluss der Bundeskanzlerin, die das Gespräch offensichtlich sehr liebt, immer wieder über Truppenentsendung schwadroniert wurde, sodass am Ende überhaupt
keine Klarheit darüber herrschte, in welcher Stärke und
in welchem Auftrag - wenn überhaupt - Truppen in dieses Gebiet entsandt werden sollen. Das ist so unprofessionell, dass es einfach nicht mehr nachvollziehbar ist.
({16})
Ich fasse zusammen. Es mag ja sein, dass Ihrer Außenpolitik gute Absichten zugrunde liegen. Wer würde
das bestreiten und wer würde sich anmaßen, zu sagen, es
gebe keine guten Absichten, die zu diesen Entscheidungen führen? Aber wenn man nicht in der Lage ist, Terrorismus zu definieren, wenn man nicht in der Lage ist, zu
sagen, ob das Völkerrecht in Zukunft respektiert werden
soll, wenn man den Atomwaffensperrvertrag einseitig
interpretiert und wenn man die guten Traditionen der
deutschen Außenpolitik zugunsten einer Außenpolitik
verlässt, die immer mehr auf militärische Lösungen
setzt, dann ist man auf dem falschen Weg und wird nicht
zur Sicherheit Deutschlands beitragen. Insofern hat die
schlichte Einsicht des Herrn Beckstein viel für sich: Wer
sich überall einlässt - und zwar so einlässt wie Sie hinsichtlich des Libanon -, der erhöht die Gefahr für Terroranschläge in Deutschland und verletzt den Eid, den Sie
hier geleistet haben, nämlich Schaden vom deutschen
Volk abzuwenden.
({17})
Ich möchte mich nun der zweiten Fragestellung zuwenden, ob Ihre Wirtschaftspolitik geeignet ist, den beginnenden Aufschwung zu unterstützen. Natürlich werden die Regierenden für sich immer in Anspruch
nehmen - das kennen wir ja und das ist wohl unvermeidlich -, der Aufschwung sei ihr Werk. Amüsiert haben
wir den Streit verfolgt, ob der Aufschwung ein Aufschwung Schröders oder ein Aufschwung Merkels ist.
Es wäre allerdings gut, einmal in die deutsche Presse zu
schauen. Auch heute kann man darüber Kommentare lesen, in denen eine andere Meinung vertreten wird und in
denen darauf hingewiesen wird, dass die Wirtschaftspolitik der jetzigen Regierung überhaupt nicht geeignet
ist, den Aufschwung zu unterstützen. Das ist die Wahrheit.
Ein einfacher Blick auf die Zahlen zeigt, dass Ihre
Wirtschaftspolitik nichts mit dem Aufschwung zu tun
hat. Im zweiten Quartal gibt es gegenüber dem ersten
Quartal 2006 folgende Bilanz: Die Bauinvestitionen
- überwiegend Wirtschaftsbauinvestitionen - wachsen
um 4,6 Prozent. Die Ausrüstungsinvestitionen mit einem
Wachstum von 2,5 Prozent machen den Löwenanteil des
Aufschwungs aus. Die Exporte wachsen nur noch
schwach. Unter Berücksichtigung des Vorquartals sind
es 0,7 Prozent. Die Importe sind um 0,5 Prozent gestiegen. Aber dann kommt das Entscheidende: Die Staatsausgaben sinken um 0,2 Prozent und der private Konsum
um 0,4 Prozent. Die beiden Schwachpunkte des Wirtschaftsaufschwungs sind also die Staatsausgaben und
der private Konsum. Wer in einer solchen Situation die
Mehrwertsteuer erhöht und soziale Leistungen kürzt,
zeigt, dass er das Einmaleins der Wirtschaftspolitik nicht
verstanden hat.
({18})
Es ist doch nun wirklich nicht zu viel verlangt, sich die
Statistiken anzusehen. Dann stellt man nämlich fest, wo
wir Schwächen haben. Und wir müssen genau dort etwas
tun. Es ist aber völlig unverständlich, dass diese Regierung sich alle Mühe gibt, diese Schwächen weiter zu
verschärfen.
In größeren Industriestaaten ist - in kleineren kann
das anders sein - in den letzten Jahren kein Aufschwung
beobachtet worden, der nicht wesentlich vom privaten
Konsum gestützt wurde. Sie hingegen geben sich große
Mühe, den privaten Konsum abzuwürgen. Das ist der
Strukturfehler Ihrer Wirtschafts- und Finanzpolitik. Bald
werden Sie sich streiten können, wem der Abschwung
zu verdanken ist: der Vorgängerregierung oder der jetzigen Regierung. Für die Betroffenen ist das aber irrelevant. Angesichts der hohen Zahl an Arbeitslosen und der
vielen jungen Menschen, die keine Lehrstelle finden,
handeln Sie schlicht und einfach falsch.
({19})
Die Behauptung, die Arbeitsmarkreform sei die
Grundlage des Aufschwungs, wird durch die Statistiken
widerlegt. Es gibt keinen Aufschwung, der nicht mit einer besseren Situation auf den Gütermärkten unterlegt
ist. Der jetzige Aufschwung basiert auf einer besseren
Situation auf den Gütermärkten. Das „Fummeln“ am
Kündigungsschutz, am Arbeitslosengeld II oder an den
Tarifverträgen führt überhaupt nicht zum Aufschwung.
Es ist nun einmal so - das zeigen die aktuellen Zahlen -,
dass der Aufschwung von den Gütermärkten und nicht
vom Arbeitsmarkt induziert wird. Deshalb muss man alles tun, damit der Aufschwung auf den Gütermärkten
erhalten bleibt. Das geht nur durch die Stärkung des privaten Verbrauchs. Die Bundesregierung hat das offensichtlich nicht verstanden.
({20})
Frau Bundeskanzlerin, Sie haben gesagt - ({21})
- Vielleicht sind Sie ja gerade dabei, die Ministerin zu
unterstützen; dann will ich gerne innehalten. Das wäre
sicherlich etwas Gutes.
({22})
Sie haben gesagt, dass in Deutschland derjenige, der
arbeitet, mehr Geld zur Verfügung haben müsse als derjenige, der nicht arbeitet. Sie handeln aber eklatant gegen diesen Grundsatz. Ihre Regierung sagt, sie wolle keinen gesetzlichen Mindestlohn. Das zeigt, dass Sie nicht
begriffen haben, was Sie hier vortragen.
({23})
In der Praxis liegt der Mindestlohn - zumindest in Ostdeutschland - bei 3 Euro. Sie sagen, dass derjenige, der
arbeitet, so viel verdienen müsse, dass ihm mehr Geld
zur Verfügung steht als demjenigen, der soziale Leistungen bezieht. Sie haben nicht verstanden, was das bedeutet. Wenn Sie das wollen, müssen Sie zumindest
- ebenso wie andere europäische Staaten - einen angemessenen Mindestlohn einführen, damit sichergestellt
ist, dass die fleißige Arbeit nicht schlechter entlohnt
wird als der Bezug von sozialen Leistungen. Das ist eine
Dimension des Mindestlohns, der Sie sich nähern sollten.
Frau Bundeskanzlerin, Sie haben zwar sehr schöne
Worte gefunden, Sie wurden aber nicht konkret. Ich habe
den Eindruck, dass Sie nicht verstanden haben, was Sie
hier eigentlich vorgetragen haben.
({24})
Sie haben gesagt: Wir müssen die Zukunft sichern.
Was tun Sie aber für die Sicherung der Zukunft? Wer
klatscht denn nicht Beifall, wenn jemand hier sagt: „Wir
müssen die Zukunft gewinnen“? Es gibt zwei Zahlen,
die Sie widerlegen: Die öffentliche Investitionsquote
Deutschlands ist - das gilt auch für diesen Haushalt,
Herr Bundesfinanzminister - nur halb so hoch wie die
der europäischen Nachbarstaaten. Das ist schon seit vielen Jahren so. Wie soll dieser moderne Industriestaat
denn die Zukunft gewinnen, wenn Sie nur halb so viel
investieren wie die Konkurrenz? Wir brauchen mehr öffentliche Investitionen. Dieses Versäumnis ist ein gravierender Fehler Ihrer Wirtschafts- und Finanzpolitik.
({25})
Was nützt all das schöne Gerede über das Gewinnen
der Zukunft, wenn wir bei den Bildungs- und Forschungsausgaben nach wie vor - das zeigt die OECDStatistik - weit zurückliegen? Sie offenbaren einen Widerspruch: Sie haben hier zwar hehre Absichten verkündet, aber keinen Ansatz vorgetragen, wie dieses Land,
das eine französische Dichterin früher einmal „das Land
der Dichter und Denker“ nannte, auf dem Gebiet der zukunftsentscheidenden Investitionen gewinnen kann.
Früher hatten wir einmal hervorragende Forscher und
ein Bildungssystem, das beispielhaft in der Welt war.
Diese Situation können wir aber nicht wieder erreichen,
wenn die öffentlichen Haushalte, insbesondere die der
Länder, weiterhin unterfinanziert sind und wir keinen
Weg aufzeigen, wie die Höhe der Bildungsausgaben an
das internationale Niveau angeglichen werden kann.
({26})
Ich möchte einige kurze Ausführungen dazu machen,
wie man den privaten Konsum unterstützen kann. Die
Situation der Haushalte, die durch die seit vielen Jahren
stagnierende Lohnentwicklung ohnehin schlecht ist,
wurde durch die Entwicklung der Energiepreise weiter
verschärft. Durch die Deregulierung der Energiemärkte
haben Sie wesentlich dazu beigetragen.
Mittlerweile müssen Haushalte bis zu mehrere Monatsmieten aufbringen, um die höheren Energiepreise
bezahlen zu können. Deswegen wäre es eine erstrangige
Leistung, zu erreichen, dass die Energiepreise in
Deutschland nicht weiter so steigen können und dass auf
Monopolmärkten nicht weiter so abgezockt werden
kann, wie es derzeit geschieht.
({27})
Wir haben zwar gehört, Sie hätten irgendein Konzept
im Kopf, mit dem Sie in diesem Bereich etwas verändern wollen. Aber wie sieht es denn aus, Frau Bundeskanzlerin? Haben Sie irgendeinen Ansatz, wie Sie die
steigenden Energiepreise in den Griff bekommen wollen? Mittlerweile haben einige Länderregierungen den
Vorwurf der Linken aufgegriffen, die schon mehrfach
vorgetragen hat, dass es ein Fehler war, die staatliche
Energiepreiskontrolle auslaufen zu lassen. Jawohl, bei
monopolartigen Märkten hat das Gerede über Marktwirtschaft wenig Sinn. Dort muss es eine staatliche Energiepreiskontrolle geben. Ich begrüße es, dass drei CDU-geführte Länder das jetzt erkannt haben, entsprechende
Initiativen machen wollen und unseren Ansatz insoweit
aufgreifen.
({28})
Dasselbe gilt - damit bin ich wieder beim geschätzten
Bundesfinanzminister - hinsichtlich der Entwicklung
der Mietpreise. Sie beglücken die deutsche Öffentlichkeit immer wieder mit der Absicht, die REITs auch in
Deutschland zuzulassen, also private Immobilienfonds,
die hohe Renditen erwirtschaften. Verehrter Herr Bundesfinanzminister, glauben Sie mir, die hohe Renditen
kommen nicht vom lieben Gott. Sie kommen woanders
her,
({29})
und zwar von den Mieterinnen und Mietern. Anders ist
das nicht zu machen. Irgendjemand muss für diese hohen Renditen zahlen. Das heißt, Ihre Kritiker in der eigenen Fraktion und die ehemalige Ministerin Anke Fuchs
haben völlig Recht, wenn sie sagen, dass die Einführung
solcher Fonds nur dazu geeignet ist, die Mietpreise ansteigen zu lassen, was insbesondere für sozial schwächere Schichten unakzeptabel ist.
({30})
Wenn man also diese Kombination sieht - auf der einen Seite stagnierende Löhne, auf der anderen Seite steigende Energiepreise und steigende Mietpreise; alles verursacht durch das Handeln dieser Regierung -, dann
stellt sich tatsächlich die Frage, welche Vernunft der Arbeit dieser Regierung zugrunde liegt.
Ein Letztes. Wenn ich jetzt wieder lese, dass zum
1. September gemeldet worden ist, dass die Zahl der jungen Menschen, die noch keine Lehrstelle haben, weiter
im Anstieg ist, dann komme ich zu dem Schluss, dass
das ein eklatantes Versagen Ihrer Regierung ist.
({31})
Es hat doch keinen Sinn, über Zukunft zu reden, wenn
wir dieses Problem nicht in den Griff bekommen.
Nun mögen die Ansätze für Lösungen, die hier vorgetragen werden, natürlich da oder dort auf Einwendungen
stoßen. Die Lösung, eine Ausbildungsplatzabgabe einzuführen - sie wurde jahrzehntelang in der SPD mit großen Mehrheiten befürwortet -, funktioniert ja beispielsweise in der Bauwirtschaft und auch in den nordischen
Staaten. Warum sind wir nicht in der Lage, auch in
Deutschland eine solche Lösung zu finden? Ich plädiere
im Namen meiner Fraktion nachhaltig für eine solche
Lösung.
({32})
Ich begrüße es ausdrücklich, dass ein Ministerpräsident
der CDU, Herr Koch aus Hessen, sagt: Wenn die Situation so eng ist, wie sie derzeit ist, dann braucht es ein öffentliches Programm zur Bereitstellung von Ausbildungsplätzen. Auch dieser Ansatz wird von unserer
Fraktion nachhaltig unterstützt.
({33})
Ich fasse zusammen. Die zwei Fragen, die ich aufgeworfen hatte, lauteten: Trägt die Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesregierung dazu bei, die Sicherheit in
unserem Lande zu erhöhen? Trägt die Wirtschaftspolitik
dazu bei, das Wachstum zu fördern und die Arbeitslosigkeit abzubauen? Ich komme zu dem Ergebnis, dass beide
Fragen verneint werden müssen.
({34})
- Ich an Ihrer Stelle wäre hier sehr vorsichtig.
Die Außenpolitik erhöht in nicht verantwortbarer
Weise die Gefahr terroristischer Anschläge in Deutschland.
({35})
Und die Wirtschafts- und Finanzpolitik verschärft die
Ungleichheiten und ist nicht dazu geeignet, einen dauerhaften Aufschwung zu initiieren, den wir brauchen, um
die Arbeitslosigkeit nachhaltig abzubauen.
({36})
Nächster Redner ist der Vorsitzende der SPD-Fraktion, Dr. Peter Struck.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Herr Lafontaine, Sie haben eine
Rede gehalten, die ich für beschämend halte für das
Hohe Haus.
({0})
Was die Außenpolitik angeht, will ich Ihnen klar sagen:
Wer solche außenpolitischen Positionen vertritt wie die,
die Sie gerade vorgetragen haben, darf niemals Verantwortung in der Bundesrepublik Deutschland erlangen.
Niemals!
({1})
Das Entscheidende, Herr Lafontaine, ist doch nicht
die Frage, ob die Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland nutzt.
Das Entscheidende ist die Frage, ob die Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesregierung der Welt nutzt. Das
tut sie zweifellos. Gehen Sie doch einmal nach Afghanistan! Sie halten hier Reden über Afghanistan, waren
aber noch nie dort. Fragen Sie einmal die Mädchen in
Afghanistan, die endlich zur Schule gehen und studieren
dürfen, wem sie das zu verdanken haben! Das haben sie
uns, der internationalen Staatengemeinschaft, zu verdanken, aber nicht solchen Sprüchemachern wie Ihnen.
({2})
Herr Lafontaine, wir kennen uns schon lange. Wir
waren sogar einmal über unsere politische Zusammenarbeit hinaus befreundet; das ist bekannt. Aber ich halte es
für unglaublich, was für eine politische Entwicklung Sie
genommen haben. Dafür habe ich überhaupt kein Verständnis.
({3})
Meine Damen und Herren, die Attentate von London,
Madrid und Ankara und natürlich auch der 11. September 2001 sind zu Synonymen für die Verletzbarkeit der
westlichen Demokratien durch Angriffe von Terroristen geworden. Kein Land der Welt ist, was diesen verblendeten Terror verstockter Ideologen betrifft, eine Insel der Seligen. Das wird man auch nicht, indem man
sich aus der Weltverantwortung völlig heraushält. Das zu
denken, ist ein grundsätzlicher Irrtum. Glauben Sie
denn, es bestünde in Deutschland keine Gefahr durch
Terrorismus, wenn es auf der Welt keine Bundeswehr
gäbe? Glauben Sie das ernsthaft? Das kann doch nicht
wahr sein! Das ist absoluter Unsinn, Herr Lafontaine,
und völlig bescheuert.
({4})
Schon damals, im Jahre 2001, haben Bund und Länder mit der Optimierung der Sicherheitsmaßnahmen
begonnen. Diese Maßnahmen sind von den Innenministern immer wieder angepasst worden, zuletzt in dieser
Woche, und zwar durch Einführung der Antiterrordatei,
als Reaktion auf die Kofferbombenattentate und andere
potenzielle Gefährdungen.
Selbst wenn man alles tut, um ein möglichst hohes
Maß an Sicherheit herzustellen, muss eines gesagt werden - darüber sollten wir uns alle im Klaren sein -: Eine
hundertprozentige Sicherheit wird es in einer freiheitlichen Demokratie nie geben. Keine Antiterrordatei der
Welt, keine Videokamera und keine Sammlung von Fingerabdrücken können hundertprozentigen Schutz gewährleisten. Das dürfen wir den Bürgerinnen und Bürgern auch nicht vorgaukeln.
({5})
Hundertprozentige Sicherheit vor zum Selbstmord
entschlossenen Attentätern wäre nicht einmal zu gewährleisten, wenn man die Prinzipien einer liberalen Demokratie zugunsten derer eines Überwachungsstaates
aufgeben würde. Wir dürfen die freiheitlichen Prinzipien
unserer westlichen europäischen Demokratien im Kampf
gegen diesen Terrorismus nicht opfern. Genau das ist
nämlich das Kalkül der Terroristen.
({6})
Wir müssen uns gegen das Klima von Angst und Hass
wehren, das sie schüren wollen.
Die Weltgemeinschaft hat den Kampf gegen den Terror im Herbst des Jahres 2001 aufgenommen. Für uns,
das Parlament, war es ein weit reichender und schwieriger Schritt, die Bundeswehr nach Afghanistan zu schicken. Ich erinnere mich - auch damals war ich Vorsitzender der SPD-Fraktion -, wie schwer wir uns in dieser
Debatte getan haben, alle anderen Fraktionen selbstverständlich auch.
({7})
- Ja, alle.
Fünf Jahre später hat sich diese Entscheidung als
richtig erwiesen. Sie war notwendig, um die Kräfte zu
stärken, die nicht länger mit ansehen wollten, dass Afghanistan weiterhin Brutstätte des internationalen Terrorismus bleibt. Diese Entscheidung war auch notwendig,
um den Aufbau zivilgesellschaftlicher und demokratischer Strukturen in diesem Land zu sichern.
Der Einsatz unserer Soldaten in Afghanistan ist gefährlich. Die Taliban sind auch nach fünf Jahren noch
längst nicht zerschlagen und al-Quaida ist nach wie vor
im Nachbarland Pakistan präsent. Eine Beendigung der
Mission ist nicht abzusehen. Deswegen wird der Bundestag dieses Mandat in den nächsten Wochen um ein
weiteres Jahr verlängern; dafür plädiere ich. Allerdings
bin ich dafür, meine Damen und Herren, das Mandat unverändert zu verlängern. Eine Ausweitung des deutschen
Einsatzgebietes auf den Süden des Landes lehne ich ab.
({8})
Die Bundeswehr, die im Rahmen von ISAF das
größte Kontingent stellt, hat die Verantwortung für den
gesamten Norden übernommen. Für den Westen, den
Süden und den Osten sind jeweils andere NATO-Partner
verantwortlich. Das war die Vereinbarung. Dabei sollte
es auch bleiben.
Ich halte es übrigens für unerträglich, dass die PDS
behauptet - auch Herr Lafontaine hat das eben wieder
getan -, durch unseren Einsatz in Afghanistan würden
wir den Terror nach Deutschland holen.
({9})
Die Damen und Herren Populisten sollten sich einmal
anschauen, welch verantwortungsvolle Arbeit unsere
Soldatinnen und Soldaten dort leisten.
({10})
Sie sollten auch wissen: Das Recht auf Freiheit in unserer Demokratie verteidigt man nicht dadurch, dass man
ungezügelte Angriffe auf die Grundfesten der Demokratie zulässt.
({11})
Ich habe übrigens genauso wenig Verständnis für die
Haltung der FDP in der außenpolitischen Frage. Ich
denke dabei an die Zeiten, in denen die FDP außenpolitisch große Verantwortung wahrgenommen hat, und
halte es für einen schlechten Weg, den die FDP mit dem
Nein zu den Auslandseinsätzen gegangen ist. Über den
Libanon werden wir noch reden. Ich glaube, dass sie sich
nicht auf dem richtigen Weg befindet.
({12})
Die Ablehnung der FDP beim Auslandseinsatz im
Kongo, bei der Verlängerung des Mandats in Afghanistan und möglicherweise jetzt bei dem Mandat im Libanon ist falsch.
({13})
Eine Ablehnung würde uns im Kampf gegen den internationalen Terrorismus in der internationalen Gemeinschaft isolieren. Sagten wir Nein, wäre Deutschland
isoliert und spielte keine verantwortungsvolle Rolle in
Europa. Die Wahrnehmung einer verantwortungsvollen
Rolle wird von Deutschland allerdings erwartet.
({14})
Wir sind außenpolitisch ein starkes Land in Europa.
Wir werden in den nächsten Tagen und möglicherweise auch Wochen - niemand weiß es genau; die Frau
Bundeskanzlerin hat soeben dargelegt, worüber im
Libanon entschieden werden muss - um Hilfe gebeten
werden. Die Vereinten Nationen bitten uns um Hilfe. Es
war immer die Position der SPD, dass unter Obhut der
Vereinten Nationen solche Mandate wahrgenommen
werden. Darüber hinaus bitten uns der Libanon und Israel um Hilfe. Es wird in der Tat - das ist wahr - ein robustes Mandat, vermutlich wird es das robusteste werden, das es für unsere Soldatinnen und Soldaten gibt.
Es soll ein Frieden stiftendes Mandat sein, das nach
den Kämpfen der vergangenen Wochen eine belastbare
Waffenruhe garantieren soll. Wir bieten Hilfe für diese
Mission an, weil wir wissen, dass es von einem labilen
Waffenstillstand bis zu einer wirklichen Befriedung ein
sehr weiter Weg ist, der ohne die Unterstützung der
Weltgemeinschaft nicht gelingen wird.
Meine Partei und Fraktion haben ausführlich über unsere Hilfe debattiert. Dabei ist die humanitäre Hilfe in
der Region vorrangig. Libanon wird wieder zu einem
Partnerland unserer Entwicklungshilfe werden. Es
kommt auf den Wiederaufbau von Wohnungen und die
Eindämmung der Ölpest vor der libanesischen Küste an.
Wir sind uns darüber im Klaren, dass ein militärischer
Beitrag nur dann dauerhaft helfen kann, wenn ernsthaft
nach politischen Lösungen in Nahost gesucht wird. Entscheidend wird die Lösung des israelisch-palästinensischen Konfliktes sein. Ohne sie wird es keine Beruhigung im Nahen Osten geben.
({15})
Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat sich in
den letzten Wochen unermüdlich für Gespräche mit allen
Seiten eingesetzt. Wir danken ihm ausdrücklich für seine
Arbeit und unterstützen ihn nachhaltig.
({16})
Der Außenminister trägt mit seiner intensiven Diplomatie maßgeblich dazu bei, dass Deutschland als wichtiger
und vertrauensvoller Partner von allen Konfliktparteien
im Nahen Osten wahrgenommen wird.
Einige Kollegen aus meiner Fraktion haben in den
letzten Wochen Israel und Palästina, Libyen und Syrien
besucht. Sie sind mit der Erkenntnis zurückgekommen,
dass der Einsatz der Deutschen von allen Partnern gewollt wird. Sie sind aber auch mit der Erkenntnis zurückgekommen, dass die Nachbarn Israels Erwartungen
haben, die für das Gelingen des Friedensprozesses unabdingbar sind.
Entwicklungsministerin Heidi Wieczorek-Zeul hat
eine UN-Untersuchung des Einsatzes israelischer
Streumunition gefordert und ist dafür vom Zentralrat
der Juden kritisiert worden. Im Namen meiner Fraktion
weise ich diese Kritik zurück.
({17})
Eine Untersuchung kann für alle Seiten in der Krisenregion von Nutzen sein. Israels Ministerpräsident Ehud
Olmert hat die große Freundschaft zwischen unseren
beiden Ländern hervorgehoben und gesagt, es gebe zurzeit keine Nation, die sich freundschaftlicher gegenüber
Israel verhalte. Das ist so und soll auch so bleiben, aber:
Freunde müssen auch wahrheitsgemäß miteinander umgehen.
({18})
Die Lage im Nahen und Mittleren Osten ist beunruhigend. Sie bereitet den Menschen hier Sorgen, weil wir
von ihren Auswirkungen unmittelbar betroffen sind. Die
Krisenregion ist drei Flugstunden von uns entfernt. Der
Irak kommt nicht zur Ruhe. Von Frieden ist dieses Land
weit entfernt, es ist zu einer Zufluchtsstätte für Terroristen des al-Qaida-Netzwerks geworden. Fast täglich gibt
es dort Tod und neue Attentate. Meine Damen und Herren, ich will an dieser Stelle noch einmal sagen: Die Entscheidung der damaligen rot-grünen Bundesregierung,
diesen Krieg nicht zu befürworten, war und bleibt richtig, zu jeder Zeit.
({19})
Wir sind in der Iranfrage - Sie haben das angesprochen, Frau Kanzlerin - strickt für Diplomatie und Gespräch und schließen eine militärische Option aus; da
stimme ich Ihnen ausdrücklich zu.
Ich halte nichts davon, wenn immer öfter Begriffe wie
„gut“ und „böse“ Eingang in die internationale Debatte
finden. Eine solche Sicht ist fatal. Wenn ich im Gegenüber nur das Böse erkennen will, kann ich nicht ernsthaft
Lösungen prüfen, kann ich keinen Ausgleich suchen.
Lassen Sie es mich mit einem historischen Vergleich
deutlich machen: Willy Brandt hat seine Entspannungspolitik nur entwickeln können, weil er die Kategorien
von Gut und Böse der 50er- und 60er-Jahre beiseite gelegt und den zähen Dialog mit den Kommunisten gesucht hat. Es war ein mühsamer, umstrittener, aber erfolgreicher Weg.
({20})
- Mit Walter Scheel, selbstverständlich. - Seine Entspannungspolitik war gut für unser Land, für unsere
Nachbarn und für Europa insgesamt. Nicht zuletzt Willy
Brandts Verzicht/Walter Scheels Verzicht auf die damals
zwischen den Blöcken weit festgeschriebenen Kategorien von Gut und Böse verdanken wir, dass heute Feinde
von gestern Partner und Freunde geworden sind.
({21})
Für den Nahen und Mittleren Osten heißt das nicht,
dass wir die Augen und Ohren vor unakzeptablen Handlungen und Äußerungen verschließen. Wenn beispielsweise das Existenzrecht Israels geleugnet wird, wenn der
Antisemitismus darüber den deutschen Sumpf erreicht,
sagen wir klipp und klar: Nein!
({22})
Unsere israelischen Freunde können sich auf uns verlassen; das will ich an dieser Stelle deutlich sagen, im Namen meiner Fraktion und auch der Koalition.
({23})
Lassen Sie mich nur einige kurze Bemerkungen zum
Arbeitsmarkt und zur Gesundheitspolitik machen, weil
Redner meiner Fraktion auf diese Themen ausführlicher
eingehen werden.
Zum Arbeitsmarkt. Der Knoten ist geplatzt, eindeutig. Deutschland ist im Aufschwung, die wirtschaftliche
Dynamik gewinnt weiter an Fahrt. Nachdem die Wirtschaft gut in das laufende Jahr gestartet war, hat sich die
Erholung im zweiten Quartal eindeutig fortgesetzt. Der
Konjunkturfunke ist endlich vom Export auf die Binnenkonjunktur übergesprungen, vor allem in der Bauwirtschaft; das haben Sie, Herr Lafontaine, zu Recht vorgetragen, korrekt diesmal - ausnahmsweise. Verstärkte
Investitionen tragen zum Aufschwung bei.
Die Zahl der Arbeitslosen ist im August um
14 000 auf 4,3 Millionen gesunken. Seit Februar 2006
ist die Zahl der Arbeitslosen von 5,0 auf 4,37 Millionen
gesunken. Im Vergleich zum Vorjahresmonat ist die Zahl
der Arbeitslosen um mehr als 400 000 gesunken. Die
Zahl der Erwerbstätigen ist gestiegen: Im Vergleich zum
Vorjahreswert ergab sich im Juli eine Steigerung von
306 000 Erwerbstätigen. Das ist ermutigend, meine Damen und Herren, auch deshalb, weil sich die Entspannung auf dem Arbeitsmarkt aus dem Zusammenspiel
von konjunktureller Entwicklung und dem Greifen arDr. Peter Struck
beitsmarktpolitischer Instrumente der Bundesregierung
ergibt.
Ganz sicher ist, dass das in Genshagen beschlossene
25-Milliarden-Euro-Wachstumsprogramm seine Wirkung jetzt entfaltet, langsam, aber sicher. Vor allem das
darin enthaltene CO2-Gebäudesanierungsprogramm ist
schon jetzt ein Erfolg auf ganzer Linie. Es wird bis 2009
ein Investitionsvolumen von 28 Milliarden Euro entwickeln. Bereits im letzten Monat, also im August, waren
die Mittel für dieses Jahr - für das ganze Jahr - bei der
Kreditanstalt für Wiederaufbau ausgeschöpft. Seit Frühjahr hat die Kreditanstalt für Wiederaufbau im Bereich
der energetischen Gebäudesanierung ein Darlehensvolumen von 7 Milliarden Euro bewilligt. Das Programm hat
einen erheblichen Anteil an dem spürbaren Aufschwung
der Bauwirtschaft. Um diesen Erfolg nicht abzubremsen,
werden wir für dieses Jahr 350 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung stellen. Das belegt, dass das Gebäudesanierungsprogramm ein großer Renner ist, ein großer
Erfolg.
({24})
Dass sich der Arbeitsmarkt entspannt, liegt aber auch
daran, dass die Vermittlung und die Betreuung des einzelnen Arbeitslosen maßgeblich intensiviert worden
sind. In ihrer Breite greifen jetzt die Arbeitsmarktreformen, die von der Regierung unter Gerhard
Schröder eingeleitet worden sind. Insofern profitiert die
große Koalition von diesen mutigen Reformschritten ihrer Vorgängerregierung, an der wir auch beteiligt waren,
wie man weiß.
({25})
- Dass der Beifall des Koalitionspartners dafür etwas
verhalten ist, kann ich verstehen. Trotzdem ist es wahr.
({26})
Ich bin mir sicher, dass wir diesen Weg mit Arbeitsminister Franz Müntefering erfolgreich weitergehen
werden. Im Herbst wird er mit seinen Vorschlägen Ordnung in den Niedriglohnsektor bringen und damit auch
dem Arbeitsmarkt weitere Impulse geben. Wir sollten
diesen Bereich in Ruhe und gemeinsam angehen.
({27})
Es ist jetzt wichtiger, die Chancen wahrzunehmen, als
jetzt schon die Risiken zu beschreiben und das Vorhaben
nicht weiter zu verfolgen.
Ebenso wie die Kanzlerin möchte ich für meine Fraktion ein Wort zu den Überschüssen der Bundesagentur
sagen. Wir haben in der Koalition vereinbart, den Arbeitslosenversicherungsbeitrag zum 1. Januar 2007 um
zwei Punkte auf 4,5 Prozentpunkte zu senken. Ich unterstütze Franz Müntefering bei seiner Forderung, es dabei
zu belassen, und warne davor, zum jetzigen Zeitpunkt
eine weitere Absenkungsdebatte zu führen.
({28})
Jeder weiß doch, dass sich der erwartete Überschuss der
Bundesagentur zu einem Drittel aus einem Einmaleffekt
ergibt, dass dieser Effekt in den nächsten Jahren nicht
wieder auftreten wird und dass wir für die Absenkung
des Arbeitslosenversicherungsbeitrags allein von der
Agentur rund 7 Milliarden Euro erwarten. Das heißt, wir
können nicht über weiteres Geld verfügen, weil es nicht
vorhanden ist.
Lassen Sie uns die Entwicklung in Ruhe abwarten.
Legen wir das Thema auf Wiedervorlage für das nächste
Frühjahr, bis wir einen Überblick darüber haben, wie
sich die Finanzen der Bundesagentur gestalten. Auch
hier sollten wir es halten, wie es in der Koalition eigentlich immer gelten sollte: Solidität vor Schnelligkeit.
Zu zwei Punkten möchte ich noch etwas sagen, nämlich zur Gesundheitsreform und zur Unternehmensteuerreform. Es war ein schwieriges Unterfangen, die Eckpunkte für die Gesundheitsreform zu vereinbaren. Die
Expertinnen und Experten und auch die so genannten
Spitzenkreise haben lange darüber beraten. Es ist jetzt
eine Vereinbarung über die Eckpunkte der Gesundheitsreform beschlossen worden. Die SPD-Bundestagsfraktion wird diese Eckpunkte einhalten. Ich erwarte das von
der anderen Koalitionsfraktion natürlich auch. Es macht
jetzt also keinen Sinn, die vereinbarten Eckpunkte an
einzelnen Stellen jeweils von der einen oder anderen
Seite infrage zu stellen.
({29})
Es ist auch klar, dass diese Eckpunkte auf heftigen
Widerstand fast aller stoßen. Das war uns aber bereits
vorher klar, als wir die Debatte begonnen haben. Wer unser Gesundheitssystem in Deutschland erhalten will - es
ist das beste Gesundheitssystem der Welt, weil durch
dieses System dafür gesorgt wird, dass jeder, ob Arm
oder Reich, ob Alt oder Jung, die gesundheitliche Versorgung erhält, die er benötigt -, der muss das System
reformieren. Es kann nicht sein, dass die Krankenversicherungsbeiträge immer weiter steigen und dass für viele
Dinge immer mehr Geld ausgegeben wird, von dem wir
aus strukturellen Gründen eine ganze Menge sparen
könnten.
Weil wir hier im Bundestag zum ersten Mal über die
Eckpunkte reden, will ich für meine Fraktion sagen: Ich
hätte mir bei manchen Punkten natürlich mehr Entgegenkommen vom Koalitionspartner gewünscht, zum
Beispiel bei der Einbeziehung der privaten Krankenversicherung, den Strukturänderungen und vielen anderen
Dingen. Ich weiß, dass es vergebliche Liebesmüh ist, das
anzusprechen, ich denke aber nicht, dass wir in Deutschland 250 oder 260 Krankenkassen brauchen. Das muss
nicht sein.
({30})
Es war aber nicht zu erreichen, dass an diesen Punkten etwas geändert wird. Ich stehe zu den Eckpunkten.
Es geht jetzt um die Formulierung des Gesetzentwurfes.
Ich gehe davon aus, dass wir damit Ende September/Anfang Oktober beginnen werden. Wir alle gemeinsam
müssen damit rechnen - das ist so; den Experten muss
ich das nicht erklären -, dass es nach wie vor Widerstand
dagegen geben wird.
Aber Politik kann nicht darin bestehen, dass man einer
großen Zeitung mit großen Buchstaben folgt oder die Interessen irgendeiner Lobbyistengruppe bedient, sondern
dass man das macht, was man für richtig hält. Das werden wir bei der Gesundheitsreform tun.
({31})
Die Kollegin Elke Ferner, die für uns verhandelt, wird
dazu noch nähere Ausführungen machen.
Ein letztes Wort zur Unternehmensteuerreform. Es
ist wahr, dass unsere nominalen Sätze zu hoch sind. Die
Kanzlerin und auch der Finanzminister haben Recht,
wenn sie sagen, dass sie im europäischen Vergleich eindeutig einen Wettbewerbsnachteil darstellen. Diesen
Wettbewerbsnachteil werden wir zu beseitigen versuchen. Aber für mich ist auch klar, dass wir als Staat mittelfristig nicht auf Milliarden von Steuereinnahmen verzichten können. Wir haben angesichts der Aufgaben, die
anstehen, nichts zu verschenken.
({32})
Das heißt, eine Lösung muss mittelfristig aufkommensneutral sein. Mittelfristig aufkommensneutral heißt
nach meiner Auffassung auch - ich richte mich „to
whom it may concern“, nicht an meine Fraktion, aber
vielleicht an eine andere -, dass wir die Verbreiterung
der Bemessungsgrundlage im Zusammenhang mit der
Unternehmensteuer durchsetzen müssen.
({33})
Darüber haben wir geredet. Das werden schwierige
Verhandlungen werden. Aber wozu ist dann Politik da?
Wenn alles so einfach wäre, dann könnten es auch andere machen. Aber wir machen es besser. Wir machen
unsere Arbeit weiter. Deutschland kann sich auf die SPD
verlassen.
({34})
Für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen
spricht nun deren Vorsitzender Fritz Kuhn.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
möchte mit der Außenpolitik beginnen und für meine
Fraktion klar sagen, dass wir in der Frage von Auslandseinsätzen der Bundeswehr weder in einer Position des
pauschalen Jas noch in einer Position des pauschalen
Neins sind und jemals sein werden. Es kommt auf die
genaue Prüfung der einzelnen Umstände an. Deswegen
habe ich, Herr Westerwelle, Ihren Weg und auch den von
Herrn Lafontaine in den letzten Wochen nie nachvollziehen können.
Herr Lafontaine, eines ist erstaunlich: Die deutsche
Sicherheit wird doch nicht mehr wie in den 60er- und
70er-Jahren an der deutschen Grenze verteidigt. Ob im
Nahen Osten eines Tages Frieden sein kann oder ob dort
Krieg herrscht oder ob in einem „Failing State“ wie
Kongo die Menschenrechte verletzt werden und der Terror gedeiht, ist eine Frage auch unserer Sicherheit. Ich
finde, hier vertreten Sie einen sehr rückwärts gewandten,
der heute globalisierten Realität nicht gerecht werdenden
Begriff von Sicherheit.
({0})
Wir werden deswegen, Frau Merkel, genau hinschauen, was Sie aus der Anfrage der Libanesen in New
York und der Bitte um Hilfe in Ihrem Kabinettsbeschluss
machen. Die Aufteilung in eine Zone, in der auf See nur
die Libanesen kontrollieren, und eine andere Zone, in
der auch die Deutschen tätig werden sollen, macht es
nicht einfacher, zuzustimmen. Da kommt es wirklich
aufs Detail an; das will ich klar sagen. Aber alle, die
Nein sagen, müssen wissen, dass wir allmählich in eine
Situation geraten, bei der der deutsche Einsatz direkt mit
der Frage verbunden ist, ob und wie schnell die Israelis
die Seeblockade aufheben werden, was für den Wiederaufbau und die humanitäre Hilfe, die im Libanon so
dringend notwendig sind, außerordentlich relevant ist.
Diese Abwägung müssen wir alle zusammen vornehmen
und wir werden uns nach bestem Wissen und Gewissen
entscheiden.
Frau Bundeskanzlerin, Sie haben richtigerweise gesagt: Diskutiert nicht nur über Militäreinsätze, sondern
fragt nach dem politischen Rahmen, den ein Militäreinsatz notwendiger- und sinnvollerweise haben muss. Darin wollen wir Sie ausdrücklich unterstützen. Aber
wir wollen in Zukunft konkretere Angaben, als dies in
der Vergangenheit und auch heute in Ihrer Rede der Fall
gewesen ist.
Ich glaube, dass Sie noch immer Schwierigkeiten haben, die ganze Situation im Nahen Osten von der Vergangenheit her zu analysieren; denn Sie waren davon
überzeugt, dass die Haltung der rot-grünen Regierung
unter Schröder und Fischer, den Irakkrieg abzulehnen,
völlig falsch war. An diesen Punkt müssen Sie zurückgehen, wenn Sie die heutige Situation beschreiben: Es gibt
nicht mehr Sicherheit in der Region, sondern die Situation ist, wie von uns vorausgesagt, extrem instabil. Es
herrscht Bürgerkrieg. Es ist sehr schwierig, in dieser Region zu einer friedlichen Lösung zu kommen.
Jetzt kommt der für mich wichtige Punkt: Ich verlange von der deutschen Bundesregierung - und zwar
nicht nur vom Außenminister, sondern auch von der
Bundeskanzlerin - ein klares Konzept für die friedliche
Entwicklung im Nahen Osten und vor allem für den
möglichen deutschen und europäischen Beitrag dazu.
({1})
Ich habe nichts dagegen, wenn Sie gute Beziehungen
zum amerikanischen Präsidenten haben. Aber Sie müssen - darauf kommt es an - diese jetzt auch in die richtige Richtung umsetzen. Das heißt beim Iran, dass man
nur dann mit Sanktionen drohen kann, wenn man auch
bereit ist, die Sanktionen zu verhängen, und wenn man
die gestellten Ultimaten richtig begründet und es zeitlich
richtig befristet hat. Das heißt, dass Sie das Wahrnehmungsmuster, das bei Bush und noch stärker bei seinem
Verteidigungsminister vorherrscht - nämlich dass jedes
Problem auf der Welt irgendwie mit der Jagd gegen alQaida-Terroristen in Verbindung steht -, brechen müssen. Sie werden der Realität in Palästina bzw. zwischen
Palästinensern und Israelis nicht gerecht, wenn Sie sie
nur in Bezug auf den internationalen Terrorismus sehen.
({2})
Sie werden auch dem Hisbollah-Konflikt im Libanon nicht gerecht, wenn Sie ihn nur im Zusammenhang
mit dem Kampf gegen al-Qaida sehen. Eine politische
Lösung heißt, dass Sie die Konflikte zwischen Syrien
und Israel wie auch zwischen Syrien und dem Libanon
Schritt für Schritt konstruktiv angehen müssen. Sie müssen darauf achten, dass es wirklich zur Zweistaatlichkeit
kommt. Dabei kommt es sehr auf die Amerikaner an.
Unsere Empfehlung ist, dass Sie diese Beziehungen
nicht nur in Ihrem Wahlkreis in Mecklenburg-Vorpommern für Sommeraktivitäten nutzen, sondern wirklich
darauf drängen, dass mehr getan und verstärkt Druck zugunsten von politischen Lösungen ausgeübt wird.
Dass die Rolle der EU gestärkt wird, ist die entscheidende Aufgabe, die Ihnen beim Vorsitz der EU-Ratspräsidentschaft im nächsten Jahr zukommt. Dabei erwarten
wir Konzeptionen statt wie bisher nur allgemeine Absichtserklärungen.
({3})
Ich möchte noch etwas zur aktuellen Situation anmerken. Das Auftreten und Agieren des Verteidigungsministers hat uns sehr gestört. In einer Situation - das
war schon im Zusammenhang mit dem Kongo der Fall -,
in der Ruhe, Klarheit, Besonnenheit und Reflexion statt
Geschwätzigkeit gefragt waren, ist der Verteidigungsminister wie die größte Plaudertasche der Republik aufgetreten. Das hat immer wieder zu neuen Verunsicherungen geführt und auch unseren Soldaten geschadet, die
sich eine klare Orientierung wünschen.
({4})
Der frühe Jung erinnert mich an den späten
Scharping. Sie sollten aufpassen, dass es in der kritischen Situation, die wir heute haben, nicht so weitergeht
wie in den vergangenen Wochen.
({5})
Ich möchte jetzt zur innenpolitischen Situation kommen, Frau Merkel. Übrigens ist Ihre Redestruktur nicht
nachhaltig.
({6})
Ich will das einmal darstellen. In der Regierungserklärung war das große, strukturprägende Motto „Mehr Freiheit wagen“. Heute ist davon nicht mehr die Rede.
Es ist noch nicht lange her, als Sie öffentlich vom
„Sanierungsfall Deutschland“ gesprochen haben. Jetzt
werfen Sie der Opposition vor, wir würden alles
schlechtreden. Das ist ein starkes Stück. Nach dem, was
Sie von der Union in den letzten sieben Jahren über
Deutschland gesagt haben, sollten Sie besser nicht von
Schlechtreden sprechen.
({7})
Ich will Ihnen erläutern, wie wir die Situation sehen.
Die Konjunktur hat sich stark gebessert, aber
- Lafontaine hat damit Recht - noch nicht wirklich in
Bezug auf den Binnenmarkt. Wir haben große Sorge,
dass mit der Mehrwertsteuererhöhung im nächsten Januar diese Verbesserungen wieder geschliffen und gefährdet werden.
In der gegenwärtigen Situation, die positiv ist und in
der sichtbar wird, dass die Agenda 2010 inzwischen an
der einen oder anderen Stelle greift, gibt es eine Anforderung an die Regierung, nämlich klug und vernünftig
weiter zu reformieren und den Menschen im Land zu erklären, was sie als Nächstes machen will. Unser Vorwurf
an Sie ist, dass Sie genau das nicht tun.
Lassen Sie mich dafür Beispiele anführen. Das sind
zunächst einmal die Eckpunkte - das Wort Eckpunkte
wird sicherlich auch noch mit einer neuen Bedeutung in
den deutschen Sprachschatz eingehen -: Nach wochenlangen gemeinsamen Diskussionen beschließen Sie nach
einer Nachtsitzung Eckpunkte, die Sie müde und lächelnd vor den Kameras verkünden. Die Eckpunkte sind
aber solcher Art, dass sich schon ein Tag später niemand
mehr in Ihrer großen Koalition daran hält oder sie für irgendwie relevant hält.
({8})
Das war bei der Gesundheitsreform der Fall und ist auch
bei der Unternehmensteuerreform nicht anders. Frau
Merkel, das, was Sie und die große Koalition machen, ist
nicht kluges Reformieren, sondern organisierte Verunsicherung. Ich will es mit einem Bild sagen. Sie lassen
nicht wie Klinsmann erfrischenden Angriffsfußball spielen, sondern spielen Querpässe und Rückpässe oder
hauen den Ball ins Aus. Gelegentlich gibt es auch ein
Eigentor wie beim Gesundheitsfonds, an den niemand
mehr in der Regierung glaubt. Ich kenne niemanden, der
sagt: Der Gesundheitsfonds ist toll. Ich habe noch keinen
Kollegen getroffen, der dies zu Protokoll gegeben hat.
Alle sagen vielmehr draußen in der Kantine: Das ist der
größte Mist, den es jemals gegeben hat. Aber das müssen
wir vielleicht machen, weil sonst alles noch viel schwieriger wird. - So können Sie den Aufschwung nicht voranbringen.
({9})
Ich möchte konstruktive Vorschläge machen, was zu
tun ist; denn Herumjammern ist nicht Sache der Grünen. Als Erstes sollten Sie darüber nachdenken, ob Sie
bei der Stabilisierung der Konjunktur den richtigen Weg
gehen oder vielleicht etwas anders machen müssen.
Aufgrund der politischen Zwänge können Sie die angekündigte 3-prozentige Anhebung der Mehrwertsteuer
nicht mehr zurücknehmen. Übrigens sollten Sie Sturheit nicht mit Entschlossenheit verwechseln, Herr
Steinbrück. Die Steuereinnahmen des Staates haben sich
schließlich massiv verbessert. Aber warum, Frau
Merkel, strecken Sie die geplante 3-prozentige Anhebung nicht auf drei Jahre?
({10})
Das Konjunkturrisiko würde dadurch deutlich gesenkt.
Warum verwenden Sie die Einnahmen aus der Mehrwertsteuererhöhung nicht konsequent zur Senkung der
Lohnnebenkosten? Sie wollen stattdessen die Senkung
der Lohnnebenkosten mit dem Aufkommen aus nur einem Mehrwertsteuerpunkt finanzieren. Das Aufkommen
aus zwei Mehrwertsteuerpunkten wollen Sie zum Stopfen von Haushaltslöchern verwenden. Diese Frage ist
nicht sauber beantwortet.
({11})
Wenn Sie mit Vertretern von Firmen und insbesondere mit Vertretern von kleinen Handwerksbetrieben
sprechen, dann sehen Sie doch, was los ist. Die Auftragsbücher sind jetzt voll. Aber alle Auftraggeber bestehen darauf, dass die Renovierungen noch 2006 abgewickelt werden und dass auch die Rechnungen im gleichen
Jahr gestellt werden. Für 2007 haben die Firmen bislang
keinen einzigen Auftrag. Ein Wirtschaftsminister, der
seinen Namen verdient, muss darauf reagieren und etwas
für die konjunkturelle Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland tun. Aber Wegtauchen, wie es bei
Herrn Glos die Regel ist, hilft uns nicht mehr weiter.
({12})
Frau Merkel, eine Senkung der Lohnnebenkosten
werden Sie nicht erreichen. Hier gehe ich jede Wette ein,
egal was Sie einzusetzen bereit sind; denn der Rentenversicherungsbeitrag wird voraussichtlich um 0,4 Prozentpunkte steigen. Der Beitragssatz in der Krankenversicherung wird sich wahrscheinlich um mehr als
1 Prozentpunkt erhöhen. Auch in der Pflegeversicherung
besteht das Risiko von Beitragssatzanhebungen. Sie
können sich das Ziel abschminken, die Lohnnebenkosten auf unter 40 Prozent zu senken. Dafür ist Ihre Politik
zu inkonsequent. Ich fordere noch einmal, das Aufkommen aus der 3-prozentigen Mehrwertsteuererhöhung
konsequent zur Senkung der Lohnnebenkosten einzusetzen, vielleicht nach dem von uns vorgeschlagenen Progressivmodell, das eine stärkere Senkung der Lohnnebenkosten bei den unteren Einkommensgrößen vorsieht.
Das brächte viel mehr Arbeit aus der Schwarzarbeit in
den legalen Erwerbsarbeitssektor. Das ist die Hauptaufgabenstellung, vor der Sie stehen.
({13})
Was der Finanzminister Steinbrück vorgelegt hat, ist
- darüber haben Sie in Ihrer Rede elegant hinweggesehen - kein Konsolidierungshaushalt. Wer 20 Milliarden Steuereinnahmen zusätzlich hat, die Nettokreditaufnahme aber nur um 16 Milliarden Euro senkt, der kann
uns nicht weismachen, dass er gerade konsolidiert. Das
tun Sie in der Tat nicht.
({14})
Schauen Sie sich einmal die Finanzplanung an! Daraus
geht hervor, dass Sie in den Folgejahren die jährliche
Nettokreditaufnahme um 500 Millionen Euro senken
wollen. Weil heute „Nachhaltigkeit“ Ihr Lieblingswort
ist: Mit der von Ihnen betriebenen nachhaltigen Politik
werden wir im Jahre 2051 einen ausgeglichenen Haushalt haben. Großartig! Das soll nach Auffassung der großen Koalition nachhaltige Politik sein. Ausgerechnet
2051, wenn wir schon lange die größten demografischen
Probleme haben werden, wollen Sie einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen.
({15})
Wir müssen stattdessen mehr einsparen. Wir unterstützen ausdrücklich den Vorschlag, dass zusätzliche
Steuereinnahmen zur Einsparung verwendet werden.
Wir müssen das Thema Subventionsabbau wieder in der
Breite angehen. Wir müssen zudem eine antizyklische
Haushaltspolitik systematisch betreiben. Das heißt, dass
wir in Zeiten, in denen die Konjunktur gut läuft, mehr
sparen als in Zeiten, in denen sie schlecht läuft; denn in
den schlechten Zeiten müssen wir mehr investieren. Sagen Sie klipp und klar - bislang ging es hin und her -,
dass die Unternehmensteuerreform aufkommensneutral sein muss. Wenn Sie es bei der Frage der Finanzneutralität, also der Gleichbehandlung von Fremdfinanzierung und Eigenkapitalfinanzierung, ablehnen, die Zinsen
einzubeziehen, über die die großen Gewinne ins Ausland
transferiert werden, dann müssen Sie sagen, was Sie
stattdessen machen wollen. Gegenwärtig sind wir in folgendem Spiel: Einer schlägt etwas vor, die anderen lehnen es ab. Dann passiert gar nichts und das Problem ist
nicht gelöst. Ich sage noch einmal: Es werden Milliardengewinne im Ausland erzielt, die hier nicht versteuert
werden. Dieses Verfahren muss geändert werden. Das ist
organisierter Betrug am deutschen Steuerzahler, der mit
dem Bündnis 90/Die Grünen nicht zu machen ist. Darauf
haben Sie, Frau Merkel, heute keine Antwort gegeben.
Ich finde aber, Sie sollten das tun.
({16})
Ich will einen dritten Vorschlag machen, und zwar
zum Arbeitsmarkt. Die Arbeitslosigkeit wird bei denen
abgebaut, die nur kurz arbeitslos sind. Das ist gut, aber
den Langzeitarbeitslosen ist noch nicht wirklich geholfen. Da nützt auch das ganze Gerede von den Leistungsbereiten nicht. Die Menschen wollen arbeiten, aber sie
können es aufgrund der langen Arbeitslosigkeit bislang
nicht tun. Wir sagen, dass wir für diese Menschen gezielte neue Programme und gezielter eingesetzte Fördermittel als in der Vergangenheit brauchen. Herr
Müntefering will Arbeitslose ab 50 Jahren besser fördern. Ich sage, das muss für alle gelten. Das 50-PlusProgramm hat einen Grundfehler: Es wird so getan, als
sei die Wirtschaft nicht mehr dafür verantwortlich, Menschen ab 50 einzustellen, und als müsse daher der Staat
einspringen. Das ist eine völlig falsche Grundkonstruktion. Wir vom Deutschen Bundestag müssen verlangen,
dass Beschäftigte aller Altersgruppen das Anrecht haben, auf dem normalen Erwerbsarbeitsmarkt eingestellt
zu werden.
({17})
Ich sage Ihnen, Frau Merkel: Das Fördern kommt zu
kurz. Der Fördertitel bei der Bundesagentur für Arbeit
ist die Sparkasse und er wird nicht extensiv dazu verwendet, Menschen, die lange arbeitslos waren, eine neue
Chance zu geben. Deswegen will ich mehr fördern. Nur
dann ist das Fordern legitim. Das Paket der HartzGesetze umfasste ja die Kombination von beidem.
Übrigens ist der Vorschlag von Herrn Koch, jetzt, da
50 000 Jugendliche noch keine Lehrstelle haben, aus
den Überschüssen in Sonderprogrammen für diese etwas
zu tun, nicht so schlecht. Wir halten den für richtig. Sie
haben ihn weggebissen, weil er parteischematisch nicht
in das passt, was Ihnen gerade konveniert, aber es ist
doch richtig, den Jugendlichen jetzt eine Chance zu geben. Sie haben in Ihrer Rede keine Antwort auf die
50 000 Jugendlichen ohne Lehrstelle geliefert. Es gibt
aber eine Antwort auf die Frage, was zu tun ist. Sie können den Streit einstellen. Es würde 600 Millionen Euro
kosten. Sie brauchen nicht vier Monate lang zu diskutieren. Wir hätten vielmehr damit die Möglichkeit geschaffen, dass jeder Jugendliche eine Chance auf eine Lehrstelle oder eine weitere Qualifikation hat. Das wäre eine
gute, konkrete Antwort einer Bundeskanzlerin gewesen
und nicht nur eine allgemeine.
({18})
Ich will etwas zur Gesundheitspolitik sagen. Frau
Merkel, ich kann Ihnen den Vorwurf nicht ersparen - da
hilft auch das Getuschel mit der Justizministerin nichts -,
dass Sie hier reinen Murks auf den Tisch gelegt haben.
Kein vernünftiger Mensch käme auf die Idee, einen
Gesundheitsfonds mit kleiner Kopfpauschale einzurichten, wenn er nicht das technokratische Problem hätte, er
solle eine Bürgerversicherung und eine Kopfpauschale
irgendwie zu einem schwankenden arithmetischen Kompromiss führen.
({19})
- Sie haben es begriffen. Lassen Sie es doch patentieren,
wenn Sie es begriffen haben!
({20})
Es ist doch Unsinn, was Sie dazwischenrufen.
({21})
Sie bauen ein bürokratisches Monster auf, Sie lösen kein
Problem, die Beiträge steigen, Sie schaffen nicht mehr
Wettbewerb im Gesundheitssystem, Sie tun nichts für
Prävention und dann sagen Sie, wir hätten es nicht begriffen. Zeigen Sie mir den, der in Ihrer Koalition für
den Gesundheitsfonds ist! Zeigen Sie mir die Schnittmenge, die besteht!
Ich kann nur sagen: Unser heutiges Gesundheitssystem ist schlecht, weil es den Wettbewerb nicht fördert
und weil es nicht effektiv ist. Es hat ein Qualitätsproblem. Die letzten Milliarden, die wir hineinstecken, führen nicht zu einer Steigerung der gesundheitlichen Wohlfahrt.
({22})
Was Sie machen, ist nichts anderes als eine Verschlimmbesserung. Sie machen es noch schlechter. Deswegen
sage ich Ihnen klipp und klar: Lassen Sie den Gesundheitsfonds! Das ist Murks. Verfolgen Sie das Projekt
nicht weiter! Kümmern Sie sich um die Wettbewerbsseite und um die Prävention! Machen Sie das Gesundheitssystem qualitativ besser! Sie müssen eigentlich abwickeln. Alle merken, dass die große Koalition dieses
Thema nicht verlupft. Sie machen Murks. Ich finde, dass
nicht nur wir in diesem Hause, sondern in erster Linie
die Bevölkerung dieses nicht verdient haben. Also stellen Sie das ein!
({23})
Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen. Frau
Merkel, eigentlich fehlt Ihrer Politik ein vernünftiges
Ziel. Eine große Frage - Sie waren einmal Umweltministerin - interessiert Sie gar nicht. Die ganze Welt
diskutiert über die Klimaschäden, über die globale Erwärmung und über die Notwendigkeit, viel mehr zu tun,
als in Kioto festgelegt wurde, Stichwort „Erreichung der
Kioto-plus-Ziele“. In Ihren Grundsatzreden, auch auf Ihrem Strategiekongress spielte dieses Thema überhaupt
keine Rolle.
({24})
Ich sage Ihnen: Die deutsche Politik, die Technologiepolitik, die Wirtschaftspolitik, die Ordnungspolitik, sollte
sich diesem zentralen Thema widmen; sie sollte es zu einer Art Leitplanke machen. Ich fordere Sie eindringlich
dazu auf.
({25})
Zu all dem gehört auch, dass wir mehr für den Wettbewerb tun. Dieser Regierung ist der ordnungspolitische
Kompass in der Marktwirtschaft vollständig verloren gegangen. Es tut mir wirklich Leid, dass ich Ihnen das sagen muss; das kann ich Ihnen nicht ersparen. Ihre Vorschläge, im Bereich des Stromnetzes mehr Wettbewerb
herbeizuführen, wurden bislang nicht gehört. Bei der Telekommunikation - Stichwort „Hochgeschwindigkeitsnetz“ - haben Sie versagt, weil Sie im Bundesrat wieder
eine dreijährige Sonderregelung für die Telekom in
Anspruch genommen haben. Was Sie vorhatten, hat
nicht funktioniert.
({26})
- Da brauchen Sie nicht den Kopf zu schütteln.
({27})
Jetzt komme ich zu einem aktuellen Thema, nämlich
zum Thema Bahn. Wir stehen vor einer entscheidenden
Frage, nämlich dem Börsengang. Frau Merkel, Sie haben sich bisher nicht - auch in dieser Diskussion nicht dazu geäußert, was Sie wirklich wollen. Ich sage Ihnen:
Mehr Verkehr auf der Schiene ist nur möglich, wenn es
insgesamt mehr Wettbewerb im Bahnsektor gibt.
({28})
Deswegen ist ein integriertes Modell vollkommen falsch
und vollkommen verkehrt.
Übrigens, die sich abzeichnende Lösung „kleines
Eigentumsmodell“ - der Bund überträgt der Bahn
30 Jahre lang vertraglich volle Nutzungsrechte bei der
Bewirtschaftung des Netzes - ist natürlich nichts anderes. Da soll sich die SPD nichts vormachen. Wenn man
die Bahn für 30 Jahre beauftragt, dieses Netz zu betreiben, dann wird sich beim Wettbewerb nichts ändern. Ich
fordere Sie auf, hier zu einem echten Trennungsmodell
zu kommen. Kollege Struck, ich verstehe übrigens überhaupt nicht, warum Sie sich von der Bahngewerkschaft
und deren politischer Streikdrohung so beeindrucken
lassen, dass Sie von dem, was Ihre Verkehrspolitiker formuliert haben, abrücken.
Frau Merkel, im Klartext: Eine gute marktwirtschaftliche Ordnungspolitik sorgt auf allen Ebenen, also auch
bei den Apotheken, für mehr Wettbewerb und sie versteckt sich nicht hinter den Lobbys, die für die Aufrechterhaltung des Bestehenden kämpfen.
({29})
Was den Immobilienstreit bei der Bahn angeht, will
ich hier eine klare Ansage an den Verkehrsminister machen.
({30})
Sie haben in der Haushaltsausschusssondersitzung nicht
richtig aufgeklärt. Immobilien, die eigentlich zum Bereich Bahnnetz gehören, sind falsch zugeordnet worden.
Eine falsche Zuordnung hätte auch für den Bund gravierende Auswirkungen. Wenn Sie dies nicht bis nächste
Woche aufklären, dann werden wir in der übernächsten
Woche einen Untersuchungsausschuss beantragen; denn
das Parlament darf sich durch Ihr organisiertes Vernebeln bei solchen Punkten nicht länger an der Nase herumführen lassen. Ich sage klipp und klar: Wenn sich das
nicht ändert, dann wird es einen Untersuchungsausschuss geben. Es liegt an Ihnen, ob sich zeigt, dass er nötig ist oder nicht.
({31})
Frau Merkel, das, was Sie zum Verbraucherschutz
gesagt haben, war nicht komplex genug. Wir finden die
Politik, die die Bayern da gemacht haben, schlicht zum
Kotzen; das darf man bei diesem Thema wohl so sagen.
Jetzt kommt plötzlich der Herr Seehofer und sagt:
Das Verbraucherinformationsgesetz muss jetzt her; das
ist wunderbar und löst alle Probleme. Die Union und die
FDP haben einen entsprechenden grünen Gesetzentwurf
- er ging übrigens weiter als der, den Seehofer mittlerweile vorgelegt hat - im Bundesrat vier Jahre lang blockiert und kaputtgemacht.
({32})
Hätten sie dies nicht getan, wären wir jetzt schon weiter
und das, was in Bayern insgesamt geschehen ist, wäre
nicht möglich gewesen.
Ich kann zu Seehofer nur sagen: Herr Seehofer, man
hat Ihnen angemerkt, dass Sie der Verbraucherschutz gar
nicht interessiert. Ich finde, dass wir keinen Verbraucherschutzminister brauchen, der Gesundheitsminister
sein will; vielmehr muss er das, was seiner Aufgabenstellung entspricht, wirklich mit Herz und Verstand tun.
({33})
Für die Kinderpolitik, Frau Merkel, gilt: Die Betreuung muss verbessert werden. Das Elterngeld ist das eine;
aber die Situation der Betreuung von Kindern unter drei
hat sich dadurch nicht verbessert. Ich sage Ihnen:
Schauen Sie sich unser Konzept der Kinderkarte und des
Rechtsanspruchs auf einen Kindertagesstättenplatz für
Kinder unter drei an! Nur wenn es eine bessere Betreuung für diese Kinder gibt, werden wir es schaffen, auf
diesem Gebiet nicht mehr Entwicklungsland zu sein,
sondern voranzuschreiten.
({34})
Unser letzter Vorschlag betrifft die Einwanderungspolitik. Wer sich die internationale Forschung darüber
anschaut, wo auf der Welt wirtschaftlich erfolgreiche
Standorte sind, wird feststellen: Überall da auf der Welt,
wo Immigration von qualifizierten Menschen, aber auch
von solchen Menschen, die in Not sind, gewollt ist, wo
also bewusst gewünscht wird, dass fremde Menschen
kommen und etwas Neues aufbauen, sind erfolgreiche
Standorte. Ihr Einwanderungsgesetz müssen Sie in wichtigen Punkten dringend ändern, nämlich dort, wo Sie
blockiert haben. Ich nenne die Punkteregelung und die
Frage, wie viel Geld diejenigen mitbringen müssen, die
hier einen Betrieb eröffnen wollen. Da haben Sie ein
Modernisierungsdefizit. Wenn Sie das Gesetz nicht anpassen, dann werden Sie Deutschland eben nicht im
Sinne unseres Mottos „Klug reformieren“ nach vorn
bringen, sondern der Entwicklung insgesamt schaden.
Damit komme ich zum Schluss. Liebe Frau Bundeskanzlerin, Sie waren erschreckend unkonkret. Sie haben
hier sehr viel allgemeines Zeug erklärt,
({35})
aber nicht dargestellt, wie Sie Deutschland klug reformieren wollen. Das verlangen wir von Ihnen; denn wir
müssen weiterkommen. Der zarte Aufschwung, den wir
heute haben, reicht da nicht.
Ich danke Ihnen.
({36})
Nächster Redner ist der Vorsitzende der CDU/CSUFraktion, Volker Kauder.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Am 21. Juni, als wir den Haushalt 2006 beraten haben,
habe ich hier gesagt: Wir legen mit dem Haushalt 2006
ein Konzept vor, wie wir unser Land voranbringen wollen. Bei den Beratungen zum Haushaltsplan 2007 gehen
wir diesen Weg konsequent weiter.
({0})
In den Beratungen zum Haushaltsplan 2006 im Juni
dieses Jahres und auch jetzt hat die Opposition herumgemeckert und herumgemäkelt, es sei alles nicht in Ordnung und man könne bei dem, was in diesem Lande geschehe, gar nicht erkennen, wohin es gehe.
({1})
Ich habe noch sehr gut in den Ohren, was Sie, Herr
Brüderle, hier vorgetragen haben. Was Sie heute, etwa
zehn Wochen später, gesagt haben, hat sich von dem,
was Sie im Juni dargelegt haben, eigentlich überhaupt
nicht unterschieden.
({2})
Aber jetzt liegen die Fakten auf dem Tisch. Die hätten
Sie sich einmal anschauen sollen, bevor Sie an dieses
Pult im Deutschen Bundestag getreten sind.
({3})
Es gibt 426 000 Arbeitslose weniger als noch vor einem Jahr. Zum ersten Mal seit vielen Jahren korrigieren
die Sachverständigen die Wachstumsprognose, die sie
im Januar und Februar gegeben haben, im Herbst nicht
nach unten, sondern nach oben. Wann hat es das schon
einmal gegeben?
({4})
Wir legen einen Haushalt 2007 vor, der die Stabilitätskriterien von Maastricht nicht nur einhält, sondern
unterschreitet. Das hat uns niemand von Ihnen zu Beginn des Jahres zugetraut. Es ist aber die Wahrheit, liebe
Kolleginnen und Kollegen.
({5})
Zum ersten Mal seit vielen Jahren erleben wir in diesem Sommer, dass darüber gestritten wird, was wir mit
Überschüssen und zusätzlichen Steuereinnahmen machen sollen.
Alles das, was wir jetzt an positiver Entwicklung erleben, hat etwas mit dieser großen Koalition zu tun, hat etwas mit der Kanzlerschaft von Angela Merkel zu tun
und hat etwas damit zu tun, dass die Union in diesem
Land wieder regiert.
({6})
Lieber Kollege Struck, ich habe am Schluss Ihrer
Rede aus Überzeugung geklatscht, als Sie nämlich gesagt haben, Deutschland könne zuversichtlich sein, denn
auf die SPD-Fraktion sei Verlass. Dem stimme ich zu.
Solange Sie mit uns in einem Regierungsboot sitzen,
stimmt diese Aussage.
({7})
Aber als Sie mit den Grünen regiert haben, sahen die
Dinge bei weitem anders aus.
Herr Kuhn, zu Ihnen muss ich Folgendes sagen:
Wenn Sie während Ihrer Regierungsbeteiligung solche
Wirtschaftsdaten erreicht hätten, wie wir sie in diesem
Sommer haben, dann hätten Sie sich mehrere Tage lang
besoffen oder, wie ich Sie kenne, sich besoffen geredet,
Herr Kuhn.
({8})
Wir bleiben aber ganz nüchtern, weil wir genau wissen,
dass wir den Weg, den wir uns vorgenommen haben,
noch eine ganze Zeit lang gehen müssen.
Man muss der Frau Bundeskanzlerin und der ganzen
Bundesregierung dafür danken, dass wir einen Teil der
Ziele, die wir uns in der Koalitionsvereinbarung gesetzt
haben, erreicht haben. Neun Monate sind noch nicht einmal ein Viertel der Zeit, die wir uns dafür gesetzt haben.
Ich bin überzeugt, dass der Weg richtig ist. Wenn wir so
weitermachen, gestaltet sich die Zukunft für Deutschland besser als in den vergangenen Jahren.
({9})
Wir stellen in diesen Tagen aber schmerzlich fest,
dass die Zukunft unseres Landes nicht mehr ausschließlich davon abhängt, was wir hier in Deutschland tun,
sondern ganz stark auch von den Krisenherden in der
Welt beeinflusst wird. Wenige Tage vor dem traurigen
Jahrestag des 11. September müssen wir uns wieder daran erinnern, was Ausgangspunkt für das Engagement
der Bundeswehr in verschiedenen Teilen der Welt war.
Wir müssen uns daran erinnern, dass es in Afghanistan
kräftige Entwicklungen gegeben hat, die den internationalen Terrorismus gespeist haben.
Natürlich, Herr Kuhn, übersehen wir nicht, dass es in
der Welt auch andere Entwicklungen gibt. Darüber können wir gerne noch miteinander reden. Aber alles hat
nun einmal seine Zeit. Im Augenblick werden wir in erster Linie vom internationalen Terrorismus bedroht.
Darauf müssen wir eine Antwort geben und wir haben
eine Antwort gegeben. Was über viele Jahre hinweg
nicht gelungen ist, ist jetzt Wolfgang Schäuble gelungen
und dafür sind wir ihm dankbar. Er hat hinsichtlich der
Bekämpfung des Terrorismus eine gemeinsame Linie
von Bundesregierung und allen 16 Bundesländern erreicht. Das ist eine großartige Leistung. Herzlichen
Dank, Herr Innenminister!
({10})
Das ist natürlich auch ein Ergebnis der Föderalismusreform. Vorhin wurde darüber etwas gelächelt.
Aber im Rahmen der Föderalismusreform haben wir
- das hat vielleicht mancher überhaupt nicht so richtig
wahrgenommen; da muss er einmal nachlesen; ein Blick
ins Gesetzbuch erleichtert die Rechtsfindung und die
Tatsachenfindung, Herr Kuhn - nicht nur Kompetenzen
an die Länder gegeben, sondern auch für den Bund eine
neue Kompetenz der Terrorismusbekämpfung geschaffen. Deswegen ist diese Föderalismusreform in beiderlei
Hinsicht - Stärkung der Länder und Stärkung des Bundes dort, wo es notwendig ist - eine richtige Entscheidung gewesen.
({11})
Diese Föderalismusreform ist übrigens einer der ganz
großen Erfolge in der kurzen bisherigen Regierungszeit
der großen Koalition.
Aber wenn wir uns ernsthaft an der Terrorismusbekämpfung beteiligen wollen, dann ist auch völlig klar,
dass wir in diesem Herbst, wenn es um die Verlängerung
des Mandates in Afghanistan geht, ganz genau prüfen
müssen: Was haben wir in diesem Land erreicht? Was
haben wir in Bezug auf die Sicherheitslage erreicht? Da
hat Peter Struck doch völlig Recht: Natürlich sind wir
nicht mit allen Entwicklungen in Afghanistan zufrieden.
Aber was in diesem Land erreicht wurde, ist großartig,
vor allem für die Menschen, die dort leben. Da kann ich
nur sagen, Herr Lafontaine: Wer mit einem moralischen
Anspruch antritt, aber glaubt, die Menschenrechte in der
Welt seien teilbar, der hat keinen moralischen Anspruch.
({12})
Deutschland hat ein Interesse daran, dass aus Afghanistan nicht wieder terroristische Entwicklungen kommen. Deswegen werden wir, wenn die Verlängerung des
Mandates ansteht, ganz genau prüfen, was wir tun.
Aber von einem bin ich schon jetzt überzeugt, ohne
meine Fraktion hier vorab binden zu wollen: Wir werden
die Menschen in Afghanistan nicht sich selbst und Afghanistan nicht den Taliban überlassen dürfen, meine
sehr verehrten Damen und Herren.
({13})
Jetzt kommt der Einsatz im Nahen Osten, im Libanon, auf uns zu und es wird die Frage gestellt: Wo will
sich Deutschland noch überall beteiligen? Darauf muss
ich die Antwort geben: Wir suchen uns das ja nicht aus.
Politik beginnt mit der Betrachtung der Realität. Die
Realität ist manchmal grausamer, als sich das der eine
oder andere vorstellen kann. Wir haben erlebt, was im
Nahen Osten passiert ist. Jetzt kommt es darauf an, dass
wir dort den Beitrag leisten, den wir leisten können.
Frau Bundeskanzlerin, ich bin Ihnen außerordentlich
dankbar für die Umsicht und Sensibilität, mit der Sie
dieses Thema angegangen sind.
({14})
Ich beziehe in diesen Dank den Bundesaußenminister
mit ein. Aber auch unser Verteidigungsminister macht in
einer schwierigen Situation eine ausgezeichnete Arbeit.
({15})
- Meine Kolleginnen und Kollegen von der FDP, seien
Sie ganz ruhig; ich komme gleich auf Sie zu sprechen.
Ich zitiere noch einmal einen meiner Lieblingslehrsätze: Politik beginnt mit der Betrachtung der Realität.
Die Realität ist doch, dass wir, was die Situation im Nahen Osten betrifft, vor außerordentlich schwierigen Entscheidungsvorgängen stehen. Diese Entscheidungsvorgänge spiegeln das Problem wider, das wir schon immer
im Nahen Osten hatten: An einem Tag bekommt man die
eine Antwort und am nächsten Tag eine andere Antwort.
Die Regierung im Libanon hat es in der jetzigen Struktur
auch nicht leicht. Deswegen muss der Bundesverteidigungsminister, muss die Bundesregierung ganz präsent
sein. Sie muss wissen: Heute kann es so kommen, morgen anders.
Bis jetzt sind wir noch gar nicht mit einer Entscheidung konfrontiert worden. Ich bin gestern Abend gefragt
worden - die Medien fragen ja so viel und wollen immer
eine Antwort, und zwar möglichst über Dinge, die noch
gar nicht anstehen -: Was glauben Sie denn, welchen
Antrag die Bundesregierung vorlegen wird, und wird die
Bundesregierung ein robustes Mandat verlangen? Da
kann ich nur sagen: So wie ich diese Bundesregierung
im Umgang mit diesem Thema erlebt habe, bin ich der
felsenfesten Überzeugung, dass sie uns einen Antrag
vorlegen wird, der genau das ermöglicht, was in der konkreten Situation gefordert wird. Über diesen Antrag werden wir dann beraten.
Heute, Frau Bundeskanzlerin, kann ich Ihnen eines
schon sagen: Wir werden die Details natürlich ganz genau prüfen, aber das Angebot, das Sie und die Bundesregierung gemacht haben, kann unsere grundsätzliche
Zustimmung finden. Wir wollen unseren Beitrag zur Lösung der Probleme im Nahen Osten leisten.
({16})
Meine Kolleginnen und Kollegen von der FDP, jeder
ist natürlich für sein Verhalten selbst verantwortlich.
({17})
Ich habe eine Fraktion der Grünen in der rot-grünen
Koalition erlebt, die, was außenpolitische Verantwortung
anbelangt, in einem Maße gelernt hat, wie ich es nicht
für möglich gehalten hätte, Herr Kuhn - von der Demonstration auf der Straße gegen „Kriegseinsätze“ bis
hin zur ersten Entsendung der Bundeswehr in ein Krisengebiet. Bei der FDP erlebe ich im Augenblick etwas
anderes. Sie macht zwar den Eindruck, verantwortungsbewusst zu handeln; ich habe aber die Sorge, dass das
Gegenteil passiert. Das kann für die FDP und für die Klientel, die Sie vertreten, nicht gut sein, Herr Westerwelle.
({18})
Aber eines sage ich auch - in aller Ruhe, aber auch in allem Ernst -: Man kann nicht ständig - was richtig ist das Existenzrecht Israels im Munde führen, dann aber,
wenn es ernst wird, zur Seite treten. Das kann nicht
funktionieren.
({19})
Wir werden einen solchen Einsatz sehr gewissenhaft
prüfen. Wir wissen natürlich sehr genau - auch Peter
Struck hat dies formuliert -, dass wir die Soldatinnen
und Soldaten mit jedem Auftrag, den wir der Bundeswehr übertragen, in eine Situation bringen, in der ihr Leben gefährdet sein kann. Deswegen prüfen wir ganz genau, was wir tun. Es wird aber kein Weg daran
vorbeiführen, dass wir als großes Land in der Mitte
Europas unseren Beitrag zur Sicherheit leisten müssen.
Wolfgang Schäuble hat einmal formuliert, innere
und äußere Sicherheit seien nicht mehr voneinander zu
trennen. Da die Bundesregierung den Auftrag hat - das
ist die vornehmste Pflicht eines Staates -, für die Sicherheit der Menschen in diesem Land zu sorgen, und da die
Erkenntnis wächst, dass innere und äußere Sicherheit
nicht mehr voneinander zu trennen sind, müssen wir
schon im nationalen Interesse der Menschen in unserem
Land, die innere Sicherheit zu erhalten, etwas für die äußere Sicherheit tun. Deswegen sind unsere Beiträge, so
wie wir sie leisten, im deutschen Interesse.
({20})
Wir werden mit dem Haushalt 2007 den Weg, dieses
Land voranzubringen, konsequent weitergehen. Wir haben gesehen, dass wir mit einem Teil der Maßnahmen,
die wir umgesetzt haben, Erfolg haben. Peter Struck hat
das CO2-Gebäudesanierungssprogramm angesprochen. In den neun Monaten, in denen dieses Programm
nun aufgrund unseres gemeinsamen Beschlusses umgesetzt wird, ist mit einem Mitteleinsatz der KfW von rund
250 bis 300 Millionen Euro ein Auftragsvolumen von
etwa 8 Milliarden Euro in diesem Land auf den Weg gebracht worden. Ein Auftragsvolumen von 1 Milliarde
Euro sichert bzw. schafft 100 000 Arbeitsplätze, vor allem im gebeutelten Handwerk. Dort sind diese 8 Milliarden angekommen. Herr Lafontaine, einen größeren
Quatsch als Ihre Behauptung, der Staat investiere nicht
- eigentlich sollte man sich mit den Unwahrheiten, die
Sie hier verbreitet haben, gar nicht auseinander setzen -,
habe ich noch nicht gehört.
({21})
Wir werden die positive konjunkturelle Entwicklung
in unserem Land durch entsprechende Maßnahmen konsequent weiter unterstützen, zum Beispiel durch die
Unternehmensteuerreform. Wir wollen, dass die Unternehmen mit Steuersätzen antreten können, die zwar
nicht mit denjenigen in Rumänien und Bulgarien, aber
mit denjenigen in der Schweiz und Österreich wettbewerbsfähig sind, damit sie hier Arbeitsplätze schaffen.
Wir wollen vor allem den Mittelstand unterstützen.
Deswegen muss eine Erbschaftsteuerreform durchgeführt werden, die den Mittelstand stärkt und durch die
die jeweilige Erbschaft bei Fortführung eines Unternehmens von der Erbschaftsteuer befreit wird. Dies sichert
Arbeitsplätze und ist deswegen im Interesse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und der mittelständischen Unternehmen.
({22})
Wir wollen eine Unternehmensteuerreform, die einen
neuen Anreiz schafft, in diesem Land zu investieren. Dabei ist für uns völlig klar: Wir wollen nicht - darüber
müssen wir noch reden -, dass in die ertragsabhängige
Körperschaftsteuer substanzbesteuernde Elemente aufgenommen werden.
({23})
Denn dies ist ein völlig falscher Weg.
Dass wir natürlich dafür sorgen müssen - Peter
Struck, Sie haben das angesprochen -, dass wir den
Kommunen ausreichend Finanzmittel zur Verfügung
stellen, ist völlig klar. Das werden wir tun.
Ich habe mit großem Interesse vernommen, was der
neue Parteivorsitzende Kurt Beck zur Situation der Politik in Deutschland gesagt hat: Leistung solle sich wieder
lohnen und es solle für Hartz-IV-Empfänger eine Leistungsverpflichtung geben. Solche Sätze haben wir in unserem Programm schon vor langer Zeit formuliert. Die
Äußerung von Kurt Beck macht mich im Übrigen zuversichtlich, dass wir in dieser großen Koalition noch mehr
erreichen und tun können als bisher.
({24})
Es ist richtig, denjenigen, die Leistung erbringen, etwas
zu geben. Wenn feststeht, dass bei der Bundesagentur
für Arbeit Spielraum besteht, da ein Teil der Beiträge
nicht für die Bezahlung von Leistungen benötigt wird,
({25})
dann sollte dieser Teil der Beiträge meiner Meinung
nach - vergleichbar der Situation, dass die Beiträge,
wenn die Anforderungen nicht reichen, erhöht werden den Beitragszahlern zurückgegeben werden.
({26})
Das sollten wir uns aber erst einmal anschauen. Im
Grunde genommen sind wir uns darin einig. Auch Kurt
Beck hat formuliert, dass wir das tun können. Es kommt
jetzt auf die Entwicklung bei der Bundesagentur an. Sie
muss nachhaltig sein; das ist völlig richtig.
Zur Gesundheitsreform kann ich nur sagen: Wir sind
jetzt dabei, die Eckpunkte umzusetzen. Das werden wir
gewissenhaft machen. Wenn ich daran denke, dass Sie in
der rot-grünen Koalition noch nicht einmal Eckpunkte
hatten, sondern dass Sie aus einem Palaver heraus Gesetze gemacht haben, Herr Kuhn, dann kann ich nur sagen: furchtbar, furchtbar. Deswegen lassen Sie uns in aller Ruhe unsere Eckpunkte umsetzen. Wir werden den
Gesetzentwurf einbringen und dann werden Sie sehen,
dass das, was Sie jetzt sagen, Unsinn ist. Es wird mehr
Wettbewerb geben. Das, was wir mit Fonds und Prämie
machen, dient doch dem Wettbewerb. Es soll der Wettbewerb angekurbelt werden. Sie haben uns mit Ihren
Konzepten, die Sie in Ihrer Regierungszeit umgesetzt
haben, diese Situation hinterlassen. Da war von Wettbewerb überhaupt keine Rede. Sie hätten ja in den sieben
Jahren etwas in puncto Wettbewerb machen können.
({27})
Ich sehe diese große Koalition auf einem guten Weg.
Die große Koalition hat bereits jetzt mehr erreicht, als
ihr viele zugetraut haben. Sie ist im Übrigen viel besser,
als mancher in der Öffentlichkeit und in den Medien
über sie redet.
Wir sehen sehr wohl, welche Aufgaben noch vor uns
liegen; wir sehen sehr wohl, dass da noch das eine oder
andere gemacht werden muss. Wir haben aber noch nicht
einmal die erste Halbzeit dieser Legislaturperiode hinter
uns. Was wir in den ersten neun Monaten vorgelegt haben, liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und von
Union,
({28})
rechtfertigt noch einmal, dass wir im Herbst vergangenen Jahres diese Regierungskoalition eingegangen sind.
Sie bringt Deutschland voran.
({29})
Das Wort hat der Vorsitzende der FDP-Fraktion,
Guido Westerwelle.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Frau Bundeskanzlerin, wenn Sie mir einen Augenblick lang Ihre Aufmerksamkeit schenken könnten?
Es redet jetzt Ihr Wunschpartner.
({0})
Frau Bundeskanzlerin, ich stelle mir vor, wir hätten
die Bundestagswahl zu dem ursprünglich geplanten Zeitpunkt durchgeführt, also in drei Wochen. Wir hätten hier
eine Debatte. Sie würden zu diesem Zeitpunkt an diesem
Platz sprechen, unmittelbar vorher hätte der Bundeskanzler gesprochen; heute hat ja zu diesem Zeitpunkt
Herr Kauder gesprochen. Bundeskanzler Gerhard
Schröder hätte der Opposition vorgeworfen - er hat das
oft genug getan -: Sie reden das Land schlecht. Das haben ja auch Sie am Schluss Ihrer Rede an die Adresse
der Opposition formuliert. Deswegen meine ich: Es ist ja
ein richtiges Déjà-vu, wie sich die Dinge wiederholen.
Ich habe noch das Fernsehduell im Kopf. Fast auf den
Tag genau vor einem Jahr standen Sie gegeneinander im
Fernsehduell. Schröder: Sie reden das Land schlecht; das
ist falsch und gefährlich. Merkel: Das ist der blanke
Hohn.
Offensichtlich hat sich die Betrachtungsweise geändert. Sie sind keine absolutistische Herrscherin. Wenn
wir Sie kritisieren, reden wir das Land nicht schlecht.
Wir lieben unser Land, aber wir finden Ihre Regierung
schlecht. Das haben wir mit der Mehrheit der Deutschen
gemeinsam.
({1})
Es ist erstaunlich, mit welchen Reflexen Sie hier
kommen. Sie reden mittlerweile wie Herr Schröder. Das
Problem ist nur: Sie handeln auch so. Und das ist viel gefährlicher.
({2})
Ich habe gerade davon gesprochen, wie das vor einem
Jahr gewesen ist. Wir waren fast auf den Tag vor einem
Jahr - ein paar hundert Meter von hier - zu dritt und haben darüber gesprochen, dass Deutschland einen Politikwechsel braucht. Wir wollten einen Politikwechsel. So
sind wir damals angetreten; wir haben für einen Politikwechsel geworben. Einen Regierungswechsel hat es gegeben. Auf den Politikwechsel wartet dieses Land immer noch, und zwar vergeblich.
({3})
Das Problem ist, dass Sie weitermachen wie unter
Rot-Grün.
({4})
- Ehre, wem Ehre gebührt. Das Antidiskriminierungsgesetz ist doch von euch gemacht worden. Jetzt wird es
eins zu eins umgesetzt. Seid doch stolz auf das, was ihr
geleistet habt. Freut euch darüber, dass euer Geist immer
noch über dieser Regierung schwebt.
({5})
Sie wechseln jetzt wiederholt die Überschrift Ihrer
Agenda. Das hätte Schröder - er wechselte die Überschriften jedes Jahr - nicht besser gekonnt. Vor einem
Jahr sprachen Sie nach der Bundestagswahl in Ihrer ersten Regierungserklärung von „mehr Freiheit wagen“. Etwas später hieß es dann: „Deutschland ist ein Sanierungsfall.“ Heute liefern Sie die dritte Überschrift: „Wir
dürfen unsere Zukunft nicht verbrauchen.“
Reden wir doch einmal über die Fakten, die im Haushalt, den Sie heute in dieser Haushaltsdebatte eigentlich
hätten verantworten müssen, enthalten sind. Frau Bundeskanzlerin, die Steinkohlesubventionen - das zu Ihrer Überschrift „Wir dürfen unsere Zukunft nicht verbrauchen.“ - steigen nach dem Haushaltsansatz Ihrer
Regierung vom Jahr 2006 auf das Jahr 2007 um
400 Millionen Euro. Sie verlängern die Vergangenheit
mit Subventionen und sprechen trotzdem davon, dass
wir die Zukunft nicht verbrauchen dürfen. Die Zukunft
wird dann verbraucht, wenn bei der Bildung gespart und
wenn das Geld in den Schächten versenkt wird.
({6})
Reden wir nun über die mittelfristige Finanzplanung - darüber sollten wir eigentlich debattieren;
viele von Ihnen und nicht nur die Vertreter der Oppositionsparteien, die natürlich nichts anderes im Kopf haben, als das Land schlecht zu reden,
({7})
sehen es genauso -: In der mittelfristigen Finanzplanung
von 2007 bis 2010 - es handelt sich nur um eine Planung; die Sondereinnahmen sind darin noch nicht enthalten - wird von Steuermehreinnahmen in Höhe von
16,6 Milliarden Euro ausgegangen. Im selben Zeitraum
sieht die mittelfristige Finanzplanung einen Abbau der
Neuverschuldung um 1,6 Milliarden Euro vor. Das Verhältnis ist also wie folgt: Sie nehmen in den nächsten
Jahren zehnmal mehr an Steuern ein, als Sie für die
Rückführung der Neuverschuldung einsetzen möchten.
Da kann von einem echten Schuldenabbau überhaupt
nicht die Rede sein. Wer Schulden macht, verbraucht die
Zukunft. Sie verbrauchen die Zukunft in unserem Land.
({8})
Das sind die Fakten, an denen Sie nicht vorbeikommen können. Wenn Sie es uns nicht glauben, hören Sie
doch auf die Vertreter der entsprechenden Institutionen
in Deutschland. Es ist doch keine oppositionelle Kritik,
wenn Vertreter sämtlicher Wirtschaftsinstitute, auch die
Sachverständigen der Bundesregierung und der Präsident der Deutschen Bundesbank davor warnen, dass die
jetzige Chance auf einen Aufschwung - jeder freut sich
darüber, dass sie da ist - durch die größte Steuererhöhung in der Geschichte der Republik zerstört wird. Sie
wollen durch die Mehrwertsteuererhöhung etwa
19,5 Milliarden Euro mehr einnehmen. In diesem Jahr
betragen allein die außerplanmäßigen Mehreinnahmen
aufgrund der guten Konjunktur mehr als 20 Milliarden
Euro.
({9})
Die Mehrwertsteuererhöhung ist nicht nur ökonomisch
falsch, sondern sie ist auch unsozial. Sie ist außerdem für
die Staatsfinanzen gar nicht nötig.
Wenn Sie es mir nicht glauben, dann lesen Sie einmal
in Ihren eigenen Wahlkampfreden nach, meine Damen
und Herren von der SPD.
({10})
Aber das wollen Sie ja nicht; denn Sie wollen nicht
mit dem konfrontiert werden, was Sie im Wahlkampf zur
Bundestagswahl gesagt haben. Sie tun so, als ob sie im
vorletzten Jahrhundert stattgefunden hätte. Herr
Müntefering, der Vizekanzler dieser Regierung, vertritt
allen Ernstes die Auffassung: „Wir werden als Koalition
an dem gemessen, was in Wahlkämpfen gesagt worden
ist. Das ist unfair.“ Kann sich noch irgendjemand in
Deutschland über Politikverdrossenheit wundern, wenn
der Vizekanzler dieser Republik der Meinung ist, dass
das, was in Wahlkämpfen gesagt wird, durchaus gelogen
sein kann und dass man die Bürgerinnen und Bürger betrügen kann? Es ist egal, was wir da gesagt haben! Wenn
ihr uns jetzt daran messt, dann ist das unfair! - Unfair ist
nicht, wenn die Bürger Sie an dem messen, was Sie im
Wahlkampf gesagt haben; unfair ist, wenn Sie das Gegenteil von dem tun, was Sie im Wahlkampf gesagt haben.
({11})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sagen doch
nichts anderes als das, was viele, zum Beispiel der Bundesbankpräsident - das wird heute von den Agenturen
gemeldet -, sagen: Die Chance auf einen Aufschwung,
die wir jetzt in der Tat haben, sollten wir nicht durch die
Erhöhung der Mehrwertsteuer, weiterer Steuern und Abgaben zum 1. Januar des nächsten Jahres zerstören. Wir
müssten doch alle ein Interesse daran haben, dass sich
aus der Chance auf den Aufschwung - mehr ist es noch
nicht - im nächsten Jahr ein wirklich nachhaltiger Aufschwung entwickelt, der zu einer wirklichen Erleichterung auf dem Arbeitsmarkt führt, damit sich die
Situation der Menschen, die einen Arbeitsplatz suchen
oder um ihren Arbeitsplatz fürchten, verbessert.
Das, was wir vorschlagen - das wissen Sie -, machen
uns andere Länder vor. Muss ich Ihnen denn vorlesen,
was Herr Clement in der letzten Woche gesagt hat? Herr
Clement saß bis vor einem Jahr als Wirtschaftsminister
auf der Regierungsbank. Sie haben ihm übrigens jedes
Mal zugejubelt, wenn er hier gesprochen hat. Herr
Clement sagt, dass Sie sich in die Zeit vor der Agenda
2010 zurückentwickeln. Der alte Wirtschaftsminister
sagt Ihnen: Sie predigen zwar „Mehr Freiheit wagen!“;
das Problem Ihrer Regierung ist aber, dass Sie das genaue Gegenteil tun.
({12})
Der alte Wirtschaftsminister Clement schreibt das auch
den Sozialdemokraten ins Stammbuch.
Deswegen sage ich: Das ist kein Teufelszeug! Andere
Nachbarländer - auf die wird ausdrücklich hingewiesen machen es uns vor, wie durch niedrigere Steuern,
durch ein einfacheres und gerechteres Steuersystem
Arbeitsplätze geschaffen werden können. Die Rahmenbedingungen für Investitionen müssen verbessert und
die Kaufkraft gesteigert werden. Das ist der zwingende
Zusammenhang. Das ist das Problem, das wir in
Deutschland gemeinsam angehen sollten.
Hier im Hause haben wir einen bemerkenswerten
Streit erlebt. Ich meine damit nicht die kleinen Petitessen
am Rande. Es ist ein Aufschwung da, so heißt es zumindest. Ich bin der Meinung, das ist bisher nur die Chance
auf einen Aufschwung. Ich hoffe, dass sich daraus ein
Aufschwung entwickelt. Sofort geht es los: Herr Kauder
sagt: Das ist der „Merkel-Aufschwung“. Herr Struck
sagt: Das ist der „Schröder-Aufschwung“.
({13})
Sie haben noch gar nicht verstanden, dass der Aufschwung in Wirklichkeit von den Menschen gemacht
wird. Ihre Regierung hat am allerwenigsten damit zu tun.
({14})
Wenn es ein Aufschwung ist, dann ist es mit Sicherheit
kein „Merkel-Aufschwung“ und auch kein „SchröderAufschwung“. Wenn, dann wurde die Situation durch
die Fußballweltmeisterschaft aufgehellt. Das ist die
Wahrheit. Bei der echten Kaufkraft, bei der Binnenkonjunktur, bei dem, was unser Land nach vorne bringen
könnte, passiert leider immer noch gar nichts. Es wird
noch schlimmer, wenn Sie die Binnenkonjunktur jetzt
noch weiter schwächen und bei den Leuten abkassieren.
({15})
- Herr Kollege Kampeter, bitte! Noch so ein Zuruf, und
das Wort „Flaschengeist“ bekommt eine ganz neue Bedeutung.
({16})
Wir wollen noch einmal auf den Punkt aufmerksam
machen, der in diesem Zusammenhang von Bedeutung
ist. Wir haben keine Verbesserung der Binnenkonjunktur. Die Binnenkonjunktur wird im Gegenteil zur Jahreswende noch weiter beschädigt. Das muss man auf den
Punkt bringen und übersetzen: Eine vierköpfige Familie
mit einem durchschnittlichen Jahreseinkommen in Höhe
von 40 000 Euro wird im nächsten Jahr allein durch die
Steuererhöhungen dieser Regierung im Schnitt um
etwa 2 000 Euro mehr belastet. Dieses Geld können die
Leute nicht mehr ausgeben, weder für den privaten
Konsum noch für die Altersvorsorge. Darauf antwortete der Finanzminister in diesem Sommer: Wenn die
Leute mehr fürs Alter vorsorgen müssen, können sie halt
nicht mehr in Urlaub fahren. - Es ist übrigens besonders
unappetitlich, wenn Politiker, die keinen einzigen Euro
in ihre eigene Altersversorgung einzahlen müssen, so etwas sagen. So viel zum Thema „Eigenverantwortung“.
Das sei an dieser Stelle einmal gesagt. Das muss in den
Ohren der Bevölkerung wie Hohn klingen.
({17})
Als Finanzminister sollten Sie, wenn Sie sich diese
Gedanken schon machen, eine ganz andere Konsequenz
ziehen. Die Konsequenz müsste lauten: Wenn man den
Bürgern mehr Eigenverantwortung für das eigene Alter
abverlangen muss, dann muss der Staat auch für steuerliche Entlastungen sorgen,
({18})
indem er sich bei den Ausgaben zurücknimmt, sonst haben die allermeisten Familien nämlich gar keine Chance,
eigenverantwortlich fürs Alter vorzusorgen.
({19})
Das ist der zwingende Zusammenhang.
Sie haben heute keinen Ton zu den Fragen, die eigentlich von Ihnen hätten angesprochen werden müssen, gesagt. Hinsichtlich der Unternehmensteuerreform bleibt
alles sehr nebulös. Was wird denn jetzt aus der Unternehmensteuerreform? Kommt sie? Ich wäre sehr dafür.
({20})
Aber was wird dann mit dem Vorschlag aus dem Finanzministerium gemacht, der besagt, dass man für die Zinsen demnächst quasi Steuern zahlen muss, weil man sie
als Betriebsausgabe nicht mehr berücksichtigen kann?
({21})
Wird das die Gegenfinanzierung oder nicht?
({22})
- Sie sagen Nein. Halten wir das einmal fürs Protokoll
fest.
({23})
Dann können Sie meine zweite Frage, Herr Kollege
Kauder, auch sofort beantworten.
({24})
- Ich stelle Ihnen, wenn Sie möchten, gerne lauter Fragen. Das gehört sich für eine bescheidene Opposition so.
Die Frage bezieht sich auf die Erbschaftsteuer: Was
passiert denn hinsichtlich der Erbschaftsteuer? Wir sind
uns doch alle darüber einig, dass die Übergänge von Betrieben auf die nächste Generation erleichtert werden
müssen; das ist sinnvoll. Aber was ist dann aus dem Vorschlag, der aus dem Finanzministerium und aus der SPD
ohnehin gekommen ist, geworden, der lautet, man könne
die Stundung der Erbschaftsteuer - jedes Jahr 10 Prozent
weniger, wenn der Betrieb fortgeführt wird - durchaus
machen, allerdings nur dann, wenn dieser Betrieb eine
Arbeitsplatzgarantie für die nächsten zehn Jahre gibt?
Ich kenne keinen Mittelständler in Deutschland, der in
der Lage wäre, schon jetzt eine Garantie dafür zu geben,
dass er dieselbe Anzahl an Arbeitsplätzen in zehn Jahren
hat.
({25})
So macht man den Mittelstand pleite, statt ihn nach vorn
zu bringen.
({26})
Sie hätten dazu eine Menge zu sagen.
Sie haben von der Gesundheitspolitik gesprochen.
Auch das ist ein Punkt, den man nur kurz streifen muss.
Sie reden hier übrigens gegen die Meinung von
80 Prozent der Bevölkerung und auch gegen die Kritik,
die in Ihren eigenen Kreisen ausgesprochen wird. Sie loben die Gesundheitsministerin. Das müssen Sie als Bundeskanzlerin wahrscheinlich tun. Ich glaube nicht, dass
Sie dafür schon eine Mehrheit auf Ihrem eigenen Parteitag hätten.
({27})
Aber das ist Ihre Angelegenheit; das werden Sie mit sich
selber ausmachen müssen.
({28})
Beim Gesundheitsfonds geht es um etwas ganz anderes. Nur dieser Bereich soll einmal erhellt werden. Der
Gesundheitsfonds soll künftig zum Teil dafür zuständig
sein, Beiträge einzusammeln, und ist damit eine zweite
Bürokratie für Beitragszahlungen. Das heißt, die Kassen müssen eine Bürokratie unterhalten, um Beiträge
einzunehmen, und der Gesundheitsfonds muss das künftig auch tun. Es wäre das erste Mal in der Geschichte der
Menschheit, dass zwei Bürokratien preiswerter sind als
eine. Das kann nicht funktionieren.
({29})
Sie haben das Thema innere Sicherheit zu Recht
prominent angesprochen. Alles, was Sie über die Entwicklung der Welt in diesem Bereich und vor allen Dingen auch über die Bedrohungsszenarien gesagt haben, ist
doch Konsens. Das alles sehen wir genauso.
Ich möchte nur darauf aufmerksam machen, dass es
nicht so ist, als käme die Videoüberwachung an neuralgischen Punkten oder die Antiterrordatei jetzt plötzlich
gegen Widerstände in diesem Haus zustande. Wir wollen
einmal auf Folgendes aufmerksam machen: Die Antiterrordatei kommt deshalb zustande, weil die unionsgeführten Länder auf ihre Maximalposition der Volltextdatei verzichtet haben, übrigens deshalb, weil ihnen die
Praktiker gesagt haben, dass man mit Datenmüll die innere Sicherheit am Schluss überhaupt nicht mehr überwachen kann.
({30})
Sie haben das doch vor allen Dingen in Bayern ausgebremst.
Wir wollen nun noch einmal über das Thema Außenpolitik sprechen und darüber diskutieren, was Sie dazu
gesagt haben. Sie, Frau Bundeskanzlerin, und auch Herr
Kollege Kauder haben sich hinsichtlich der Außenpolitik
große Sorgen um die Zuverlässigkeit und Berechenbarkeit der Freien Demokraten gemacht.
({31})
Wissen Sie, mir persönlich können Sie gern alles unterstellen. Aber wenn Sie Persönlichkeiten wie HansDietrich Genscher, Walter Scheel und Otto Graf
Lambsdorff die außenpolitische Erfahrung und den inneren Kompass absprechen, wird es meiner Meinung nach
nur noch albern.
({32})
Ich möchte gern noch einmal die Gründe für unsere
Haltung nennen. Wir haben in diesem Hohen Hause die
allermeisten Auslandseinsätze der Bundeswehr unterstützt. Ich will Ihnen aber sagen: Angesichts der Tatsache, die gestern veröffentlicht wurde, dass 92 Prozent
der Weltproduktion von Opium derzeit aus Afghanistan
kommen, erlauben Sie mir bitte die Frage, ob wir nicht
einmal in diesem Hohen Hause darüber reden müssten,
was dort wirklich stattfindet und passiert. Diese Fragen
werden wohl noch gestellt werden dürfen.
({33})
Wie es im Augenblick aussieht, schützen wir diese Produktion.
Der zweite Punkt, den ich ansprechen möchte, ist der
Kongoeinsatz, den wir bei der Abstimmung in der Tat
abgelehnt haben. Den Afghanistaneinsatz hingegen haben wir unterstützt. Übrigens sind alle Bedenken, die die
Fraktion der Freien Demokratischen Partei gegen den
Kongoeinsatz vorgetragen hat, in den letzten Wochen
bestätigt worden. Sie waren der Überzeugung, die bloße
Anwesenheit von europäischen Soldaten, darunter auch
deutschen, reiche aus, um demokratische Wahlen in einem stabilen Umfeld stattfinden lassen zu können. Wir
haben Ihnen damals gesagt, was passieren wird, wenn es
wirklich zu Gefährdungen oder sogar Kampfeinsätzen
kommen sollte.
Genau das ist nach den ersten Wahlen bzw. vor der
Stichwahl geschehen. Unsere Befürchtungen sind eingetreten, und das - nebenbei bemerkt -, während der deutsche Botschafter bei einem Außentermin war, von dem
er nur unter dem Schutz von Truppen in seine Residenz
zurückgebracht werden konnte, und während der zuständige Kommandeur im Auslandsurlaub in Schweden war.
Das ist ein Stück aus dem Tollhaus. Viel schlimmer aber
ist, dass der Verteidigungsminister der Republik nichts
davon wusste. Sie sind in Ihrem Amt noch nicht angekommen, Herr Verteidigungsminister. Das ist das Problem.
({34})
Nun will ich auf die Diskussion über den Nahen
Osten zu sprechen kommen. Frau Bundeskanzlerin,
Herr Kauder, Sie sprachen heute Vormittag von der
Staatsräson. Es war richtig, dass Sie die Staatsräson angesprochen haben. Die Staatsräson ist für das gesamte
Hohe Haus unverändert. Sie beinhaltet sowohl das Existenzrecht Israels und das Recht der Bürger Israels, in
sicheren Grenzen zu leben, als auch das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser. Niemand in diesem
Hause wird auch nur ansatzweise Zweifel daran haben,
dass Selbstmordattentate und Raketenangriffe auf Israel
ein Verbrechen sind und dass die Völkergemeinschaft
sich hierzu klar und eindeutig äußern und handeln muss.
Nur: Bis zum Sommer dieses Jahres gehörte zur
Staatsräson der Bundesrepublik auch - das gilt für alle
Bundestage, alle Regierungen und alle Parteien, die bisher in diesem Hause vertreten waren -, dass es keinen
Einsatz bewaffneter deutscher Soldaten im Nahen Osten
geben sollte.
({35})
Eines möchte ich festhalten: Nicht die Freien Demokraten stellen etwas infrage, sondern Sie. Sie ändern einen
Kurs, der in diesem Lande jahrzehntelang unumstritten
war.
({36})
Ich käme nie auf die Idee, Ihnen unlautere Motive zu
unterstellen oder die Entscheidung von Kollegen, die
diesem Einsatz zustimmen, im Menschlichen oder im
Politischen zu attackieren. Ich habe davor Respekt, wenn
Sie zu einem anderen Ergebnis kommen als ich. Aber
ich erwarte denselben Respekt gegenüber denjenigen,
die sagen, es sollte bei der Staatsräson bleiben, die bisher
in Deutschland gegolten hat: keine bewaffneten deutschen Soldaten im Nahen Osten.
({37})
Daher, Herr Kollege Kauder, verbitte ich mir Hinweise
auf irgendeine Art von Wankelmütigkeit oder Unzuverlässigkeit in der Außenpolitik der FDP.
({38})
Eines möchte ich im Hinblick auf die Bedenken, die
wir geäußert haben, feststellen: Ich persönlich habe ganz
grundsätzliche historische Bedenken gegen einen Einsatz deutscher Soldaten im Nahen Osten. Viele meiner
Kolleginnen und Kollegen, die weniger aus historischer
Perspektive argumentieren, kritisieren vor allen Dingen
die Undeutlichkeit des Mandates. Das Mandat der Vereinten Nationen ist nicht eindeutig.
Ich stelle nur folgende Fragen: Wer soll eigentlich die
Hisbollah entwaffnen?
({39})
Wie soll die Entwaffnung durchgeführt werden? Was geschieht, wenn die Bundeswehr auf See zum Einsatz
kommt und auf diesem Wege vielleicht das eine oder andere verhindern kann, wenn sich aber die Situation auf
dem Lande nicht ändert? Ist nicht die Gefahr viel zu
groß, dass wir selbst im Nahen Osten zu einer Art
Kriegspartei werden könnten? Ist damit nicht auch die
Gefahr viel zu groß, dass es tatsächlich zu militärischen
Auseinandersetzungen zwischen deutschen und israelischen Soldaten kommen könnte? Wäre das nicht eine
furchtbare Vorstellung?
Es handelt sich auch dann um einen Kampfeinsatz,
wenn er auf dem Wasser stattfindet. Deswegen benutzt
der Verteidigungsminister den Begriff „Kampfeinsatz“.
Ob es zu einem Kampfeinsatz auf dem Boden oder zu einem Kampfeinsatz auf der See kommt, das ist wahrlich
nicht der entscheidende politische Unterschied, übrigens
auch nicht für die Soldaten persönlich, die im Nahen Osten eingesetzt werden.
Frau Bundeskanzlerin, angesichts dessen, was wir
wissen, werden wir diesem Einsatz nicht zustimmen,
und zwar aus voller außenpolitischer Überzeugung und
Verantwortung. Wir sind der Auffassung, dass es, was
den Einsatz deutscher Soldaten betrifft, bei der Staatsräson bleiben sollte, die in Deutschland bisher gegolten
hat.
Sie haben bestimmt zur Kenntnis genommen, wie
sich die Kolleginnen und Kollegen aus den anderen
Fraktionen verhalten haben oder, besser gesagt, sich
nicht verhalten haben, als es um den Verteidigungsminister ging. Von dieser Kritik, die nicht nur von der
Opposition geäußert wird, kann man auch Sie nicht ausnehmen.
Meine Damen und Herren, die Diskussion über bewaffnete deutsche Soldaten im Nahen Osten ist nicht
vom Ausland an uns herangetragen worden, die haben
wir selber angefangen.
({40})
Es muss einfach zur Kenntnis genommen werden, dass
der Verteidigungsminister schon im Juli über den Einsatz
bewaffneter deutscher Soldaten spekuliert hat. Er hat dabei offensichtlich nicht bedacht, dass seine Reden jetzt
anders als in seinem vorherigen Amt im Hessischen
Landtag internationale Konsequenzen haben. Sie, Frau
Bundeskanzlerin, hätten diese Debatte im Sommer nicht
laufen lassen dürfen, Sie hätten sie sofort beenden müssen.
({41})
Das sage ich nicht - das wissen Sie auch - aus irgendwelchen pazifistischen Grundüberlegungen. Ich bin ein
Anhänger der wehrhaften Demokratie. Dennoch bleibt
festzuhalten: Das ist nicht gut gelaufen.
Jetzt hören wir immer mehr dazu, welche Briefe die
libanesische Regierung jetzt schreiben will. Das, was in
diesem Zusammenhang bekannt ist, bestärkt uns noch
mehr in unserer Skepsis. Wie soll der Einsatz vonstatten
gehen? Wie soll die Einhaltung einer Siebenmeilenschutzzone wirklich funktionieren? Wie sollen eigentlich heikle Situationen verhindert werden? In der Siebenmeilenschutzzone soll die libanesische Seite zur
Entwaffnung der Hisbollah eingesetzt werden und Waffenschmuggeleien unterbinden. Wie sollen wir uns aber
verhalten, wenn das nicht geschieht und dann beispielsweise die israelische Seite eingreift? Wollen wir es den
Israelis wirklich übel nehmen, dass sie verhindern wollen, dass Waffen an die Hisbollah geschmuggelt werden?
Wie wollen wir uns in solchen Situationen verhalten?
Ich sage Ihnen: Wir müssen nicht bei jedem Einsatz
der Vereinten Nationen dabei sein.
({42})
Bei diesem Einsatz der Vereinten Nationen sollten wir
nicht dabei sein. Es ist kein guter Vorgang, dass Sie behaupten, Sie werden gerufen, obwohl Sie jetzt drei Mal
in der Woche im Libanon anrufen müssen, um nachzufragen, wann denn endlich der Ruf an Deutschland
kommt.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({43})
Für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Elke Ferner
das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte
zunächst auf ein paar Äußerungen von Herrn
Westerwelle eingehen,
({0})
weil ich denke, dass man sie so nicht stehen lassen kann.
Richtig ist: Die Rahmenbedingungen sind besser geworden, wir haben im August dieses Jahres über
400 000 Arbeitslose weniger als im August des vergangenen Jahres verzeichnet. Es gibt wieder mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse und
auch die Steuereinnahmen der öffentlichen Hände steigen. Wer aber so tut, als könne man jetzt sofort Steuersenkungsprogramme auflegen und die Verluste durch
Ausgabenkürzungen kompensieren, greift nicht nur zu
kurz, sondern belügt auch die Menschen.
({1})
Das, was Sie heute gesagt haben, ist der blanke Populismus, Herr Westerwelle.
({2})
- Zur Mehrwertsteuer komme ich auch noch, Herr
Koppelin.
Sie, Herr Westerwelle, haben gerade von Déjà-vu gesprochen. Wenn Sie in der Opposition sind, fordern Sie
Steuersenkungen und Ausgabenkürzungen, sagen aber
nicht, wo genau gekürzt werden soll, ob es die Renten
sein sollen oder ob andere Leistungen gekürzt werden
sollen. Sie führen immer wieder die Steinkohlebeihilfen
an, obwohl Sie genau wissen, dass es rechtsverbindliche
Zuwendungsbescheide gibt und man nicht einfach kürzen kann. Das, was Sie betreiben, ist blanker Populismus.
Wenn Sie aber in der Regierung sind, Herr
Westerwelle, dann tragen Sie Steuererhöhungen mit.
Herr Steinbrück hat gestern vorgerechnet, dass es
20 Steuererhöhungen in Ihrer Regierungszeit gegeben
hat. Ich habe noch einmal nachgeschlagen: Fünf von
acht Mehrwertsteuererhöhungen sind mithilfe der FDP
im Deutschen Bundestag beschlossen worden.
({3})
- Herr Koppelin, wir haben uns nie verweigert, wenn es
darum ging, sicherzustellen, dass dem Staat Einnahmen
zufließen.
({4})
Nur durch Einnahmen kann die öffentliche Daseinsvorsorge auf Dauer gesichert werden. Was Sie wollen, ist
im Prinzip, dass es keine oder deutlich weniger öffentliche Daseinsvorsorge gibt. Das geht in den Bildungsbereich hinein, das geht in den Bereich der Infrastruktur,
das geht in den Bereich der Forschung und, wenn es
nach Ihnen geht, auch in den Bereich der sozialen Sicherungssysteme. Deshalb ist es gut, dass Sie nicht regieren.
({5})
- Herr Koppelin, hat irgendjemand in diesem Haus aus
irgendeinem Land, in dem die FDP mitregiert, den Vorschlag gehört, dass man dort auf den Anteil aus der
Mehrwertsteuererhöhung verzichten wolle?
({6})
Ich habe nichts dergleichen gehört. Wenn die drei Länder, in denen Sie noch mitregieren, auf ihren Anteil verzichteten, könnten wir vielleicht auf einen Teil der
Mehrwertsteuererhöhung verzichten - tun Sie es doch!
({7})
- Herr Koppelin, ich gehe davon aus, dass Sie in dieser
Haushaltsdebatte noch Gelegenheit bekommen, das
Wort zu ergreifen; Sie brauchen sich im Protokoll nicht
mit Zwischenrufen zu verewigen.
Wir haben mit dem Investitionsprogramm den
Grundstein dafür gelegt, dass das, was an Wachstumsdaten jetzt vorhanden ist, noch besser wird. Wir haben
bewusst darauf verzichtet, in diesem Jahr drastische Einsparungen vorzunehmen, um mit dem Investitionsprogramm - die Union hat das etwas anders gesehen; aber
ich bin froh, dass wir uns an dieser Stelle durchsetzen
konnten ({8})
die Beschäftigung voranzubringen und zu sichern. Gerade das CO2-Gebäudesanierungsprogramm macht das
sehr deutlich. Es ist nicht nur ein Beitrag zum Klimaschutz, es sichert - das darf man an dieser Stelle nicht
vergessen - auch Beschäftigung: beim lokalen und regionalen Handwerk, weil es sich hier um private Investitionen handelt. Das, was wir an staatlichem Geld einsetzen, bewirkt ein Vielfaches an privaten Investitionen.
({9})
Ich glaube, man darf nicht so pessimistisch sein, was
das Jahr 2007 anbelangt. Es ist nicht ohne Gefahr, das
wissen wir auch, aber wir hoffen, dass der Aufschwung
trägt und vor allen Dingen dass die Investitionen nicht
nur beim Bund auf sehr hohem Niveau, sondern auch
von den Ländern und Kommunen auf höherem Niveau
getätigt werden; denn die Investitionseinbrüche, die wir
haben, liegen nicht am Bund - der Bund hat wirklich ein
sehr hohes Investitionsniveau -, sondern es sind die Länder und Kommunen, wo die Investitionen nicht in dem
Umfang gemacht werden, wie es eigentlich notwendig
ist.
Wir haben nicht nur im Bundeshaushalt das Problem,
dass die Einnahmen nicht so sind, wie wir sie eigentlich
brauchen. Wir haben in den vergangenen zwei Wahlperioden einiges an Vorschlägen zum Abbau von Steuersubventionen gemacht. Diese Vorschläge sind im Bundesrat leider immer hängen geblieben. Wäre das nicht so
gewesen, würden wir heute besser dastehen. Wir haben
ein Einnahmeproblem auch bei den sozialen Sicherungssystemen, insbesondere bei der gesetzlichen Krankenversicherung. Ich habe mir die Zahlen einmal heraussuchen lassen bzw. das Gesundheitsministerium hatte sie der
Koalitionsarbeitsgruppe zur Verfügung gestellt: Wenn
die Pflichtbeitragseinnahmen der gesetzlichen Krankenversicherung sich von 1980 bis 2000 parallel zum Bruttoinlandsprodukt entwickelt hätten, hätte im Jahr 2000
ein durchschnittlicher Beitragssatz von 11,6 Prozent ausgereicht, um die Ausgaben zu decken. Das ist das eigentliche, strukturelle Problem der gesetzlichen Krankenversicherung.
({10})
Wir haben in den Verhandlungen über die Gesundheitsreform versucht, da ein Stück weit Abhilfe zu
schaffen. Es ist leider nicht so gekommen, wie wir uns
das als SPD gewünscht hatten. Wir hatten vorgeschlagen, mit bis zu 24 Milliarden Euro eine zusätzliche, steuerfinanzierte Säule des Gesundheitssystems aufzubauen nicht um dieses Geld sofort wieder auszugeben, sondern
um ein Potenzial für Beitragssatzsenkungen zu bekommen. Das ist mit der Union leider nicht möglich gewesen.
({11})
Auch wenn das in dieser Wahlperiode wohl nicht umgesetzt werden kann, bleibt es für uns nach wie vor auf der
politischen Tagesordnung.
Wir haben zum Zweiten versucht, zu erreichen, dass
die Solidarität im Gesundheitssystem nicht nur zwischen
gesetzlich Versicherten organisiert wird, sondern dass
die doch sehr unterschiedlichen Einkünfte der privat
Versicherten mit in den Einkommensausgleich einbezogen werden und dass die unterschiedlichen Krankheitsrisiken - die in der PKV Versicherten haben bekanntlich
viel günstigere Krankheitsrisiken - zwischen diesen beiden Systemen ausgeglichen werden. Auch das ist leider
nicht möglich gewesen; aber auch das bleibt nach wie
vor politisches Ziel der SPD.
Wir haben uns natürlich auch mit der Ausgabenseite
beschäftigt. Im Moment diskutiert ja die ganze Welt über
den Fonds, den Beitragseinzug und alles Mögliche bezüglich der Finanzen. Niemand würdigt aber das, was
die Koalition vereinbart hat, um Strukturreformen
durchzuführen. Wir sind hier deutlich weiter gekommen,
als wir selbst und viele andere das zu Beginn gedacht haben. Herr Kuhn, es stimmt nicht, dass kein Wettbewerb
stattfindet. Mit der Gesundheitsreform werden wir es
den Kassen ermöglichen, mehr Wettbewerb zu organisieren. Nach unserer Auffassung hätte dies noch mehr
sein können. Im Vergleich zum Gesundheitsmodernisierungsgesetz sind wir aber ein gutes Stück weiter gekommen. Ich will Ihnen dazu ein Beispiel nennen:
Die Kassen werden künftig die Möglichkeit haben,
einzelne Arzneimittel und auch Wirkstoffe auszuschreiben und dafür günstigere Preise bei den Pharmaherstellern zu erzielen. Diese werden Eingang in die besonderen Versorgungsformen haben. Das bedeutet ein Stück
mehr Wettbewerb, der zur Kostensenkung beiträgt,
ohne dass es zu Einschränkungen bei den Patientinnen
und Patienten kommt; denn wir haben mit dieser Reform
sichergestellt, dass es nicht zu Erhöhungen der Zuzahlungen und zu Leistungsausgrenzungen kommen wird.
Alle werden auch künftig am medizinischen Fortschritt teilhaben und die medizinische Versorgung beElke Ferner
kommen können, die notwendig ist, egal, bei welcher
Krankenkassen sie versichert sind und wie hoch ihr Einkommen ist. Das ist das oberste Ziel dieser Reform gewesen.
({12})
Im Gegenzug haben wir den Leistungskatalog sogar
noch erweitert. Wir haben die Palliativversorgung, die
geriatrische Reha, die Eltern-Kind-Kuren und die Impfungen, die die Ständige Impfkommission empfiehlt, in
den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung hineingenommen. Das ist das Gegenteil von dem,
was bei vielen anderen Gesundheitsreformen gemacht
worden ist: Leistungen, die notwendig sind und auch
Geld kosten, sind aufgenommen worden.
Trotz all dieser Maßnahmen haben wir es geschafft
- auch durch die Organisation des Wettbewerbs -, ein
Einsparpotenzial von 1,9 Milliarden Euro zu mobilisieren. Das hätte an einigen Stellen mehr sein können. An
einigen Stellen wird es wahrscheinlich auch mehr sein,
weil wir vorsichtig gewesen sind, nur das beziffert haben, was man seriöserweise beziffern konnte, und keine
Luftbuchungen durchgeführt haben.
Dennoch kommen wir im nächsten Jahr nicht um eine
Beitragssatzanhebung herum. Das liegt einfach daran,
dass es uns nicht gelungen ist, die Einnahmebasis zu verbreitern. Man muss aber auch bedenken, was passieren
würde, wenn wir jetzt nichts täten. Wenn wir jetzt nichts
täten, dann würden die Beitragssätze höher steigen. Niemand hat versprochen, dass die Beitragssätze durch die
Verwirklichung der Eckpunkte nicht steigen werden.
Kurt Beck und Frau Merkel haben nach der Runde, in
der die Einigung erzielt worden ist, ja deutlich gesagt,
dass es Beitragssatzanhebungen geben muss; denn eines
ist klar: Die Einnahmen müssen die Ausgaben beim
Fondsstart decken und die Kassen müssen entschuldet
sein. Das haben wir in der Koalition vereinbart. Die Details werden derzeit von einer kleinen Arbeitsgruppe der
Koalition besprochen.
Für uns ist dabei wichtig, dass der Fonds erst dann
starten kann, wenn der Risikostrukturausgleich bezüglich der Krankheitsrisiken, wie in den Eckpunkten vereinbart, so organisiert ist, dass er deutlich zielgenauer als
das ist, was wir heute haben.
({13})
Das ist nämlich auch eines der Probleme, die wir haben:
Seit die Versicherten von Kasse zu Kasse wechseln können, gibt es natürlich sehr unterschiedliche Situationen.
Die einzelnen Kassen zahlen sehr unterschiedliche Prämien an die Kassenärztlichen Vereinigungen, unabhängig davon, wie groß oder wie klein sie sind. Früher ging
das alles nach Größe. Daneben sind die Krankheitsrisiken sehr unterschiedlich verteilt. Es ist eben nicht egal,
ob man junge oder alte Frauen oder Männer versichert,
ob sie gesund oder krank sind und ob sie Leistungen von
der Krankenkasse brauchen oder nicht. Deshalb bestehen wir darauf, dass der so genannte morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich, also der bessere und
zielgenaue Ausgleich der Krankheitsrisiken, mit dem
Fondsstart gewährleistet ist. Sonst kann der Fonds aus
unserer Sicht nicht starten.
({14})
Ein zweiter Punkt - darüber wird im Moment sehr
heftig diskutiert - ist die Frage des Beitragseinzuges.
Eigentlich hatte ich an dieser Stelle in meinem Manuskript vermerkt, dass ich den Fonds nicht mehr erklären
muss, weil sich alle damit beschäftigt haben. Aber offenbar gibt es auch hier im Haus einige, die Äpfel mit Birnen vergleichen. Der Beitragseinzug hat mit dem Fonds
zunächst einmal überhaupt nichts zu tun. Der Fonds ist
Bestandteil der neuen Finanzarchitektur für die gesetzlichen Krankenversicherungen. In Teilen gibt es diesen
Fonds schon heute, nämlich in Form des Risikostrukturausgleichs, der über das Bundesversicherungsamt abgewickelt wird.
Bezüglich des Beitragseinzugs haben wir vereinbart,
dass dieser weiterhin dezentral erfolgen soll, damit die
Arbeitgeber vor Ort einen Ansprechpartner haben. Es
soll keine zentrale Mammutbehörde aufgebaut werden.
Die Frage ist natürlich: Wie soll die Zielstruktur für den
Beitragseinzug aussehen? Das wird derzeit zwischen
dem Gesundheitsministerium und dem Arbeits- und Sozialministerium besprochen; denn es geht hier nicht nur
um den Einzug der Krankenversicherungsbeiträge, sondern um den Einzug aller Sozialversicherungsbeiträge.
Dafür bestehen mehrere Möglichkeiten. Eine Möglichkeit ist, die Kompetenz für den Einzug dort zu lassen, wo sie jetzt ist, und dann von dort aus die Gelder für
den Fonds einzuziehen. Auch über diese Möglichkeit
wird im Moment diskutiert. Eines aber ist klar: Das muss
dezentral organisiert werden. Zu jeder Zeit, also auch zu
jeder Sekunde, muss sichergestellt sein, dass der Beitragseinzug funktioniert und das Geld pünktlich auf den
Konten der Sozialversicherungsträger landet.
Ebenso muss sichergestellt werden, dass der vorhandene Sachverstand der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
in den Beitragseinzugsstellen weiterhin genutzt wird.
Das bezieht sich nicht nur auf den Beitragseinzug, sondern auf alle Aspekte, die mit den Arbeitgebern zu tun
haben. Insofern werden wir sehr genau darauf achten,
wie das ausgestaltet wird, damit es hier nicht zu Brüchen
kommt, die niemand verantworten kann und die auch
niemand will.
({15})
Natürlich gibt es auch Kritik. Wir haben Probleme
mit dem Zusatzbeitrag. Es wäre falsch, das hier zu verschweigen. Aber eines ist klar: Wir haben dafür gesorgt,
dass der Zusatzbeitrag niemanden überfordert; er darf
- analog zu der Chronikerregelung - nicht mehr als
1 Prozent des Einkommens betragen. Auch haben wir
dafür gesorgt, dass der Fonds ausreichend gefüllt sein
wird, um den medizinischen Fortschritt weiterhin finanzieren zu können. Ebenso ist sichergestellt, dass dann,
wenn die Beitragseinnahmen und die vorgesehenen
Steuermittel nicht ausreichen, die Beiträge der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber in gleichem Maße
angehoben werden. Es gibt keine Festschreibung der
Beiträge auf Dauer. Für die Menschen ist wichtig, zu
wissen: Sie werden auch in Zukunft mit den wachsenden
Kosten als Folge der demografischen Entwicklung und
des medizinischen Fortschritts nicht alleine gelassen.
({16})
Wir werden über die Gesundheitsreform in diesem
Jahr mit Sicherheit noch öfter debattieren: bei der Einbringung des Haushalts, in den Ausschussberatungen,
bei der Anhörung und in der Schlussberatung. Ich bin
mir aber sicher, dass wir das Ziel erreichen können, die
Reform zum 1. Januar 2007 in Kraft treten zu lassen.
Wer bessere Vorschläge hat, möge sie auf den Tisch legen. Ich habe bisher noch keinen Vorschlag gehört, der
eine vernünftige Regelung für bezahlbare Krankenversicherungsbeiträge enthält und gleichzeitig den medizinischen Fortschritt für alle - nicht nur für diejenigen, die
über ein gut gefülltes Portemonnaie verfügen - bezahlbar macht.
({17})
Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Max
Straubinger das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Lassen Sie mich mit einer Vorbemerkung beginnen. Der
Kollege Westerwelle hat zum Schluss seiner Rede, die
ich aufmerksam verfolgt habe, den Eindruck zu vermitteln versucht, dass sich die Bundesregierung und die
Fraktionen, die die Bundesregierung in ihrem Bemühen
unterstützen, Friedenseinsätze aufgrund ihrer internationalen Verantwortung zu begleiten, aufdrängen würden. Ich möchte dies ausdrücklich zurückweisen.
({0})
Die Bundesregierung und die sie in dieser Frage unterstützenden Fraktionen im Haus handeln in Verantwortung der außenpolitischen Gegebenheiten, auch der
entstandenen außenpolitischen Fragen und Herausforderungen, und vor allen Dingen in Verantwortung für Frieden und Freiheit in gefährdeten Regionen dieser Welt.
Das ist meines Erachtens eine großartige Leistung der
Bundeskanzlerin und des Außenministers, die sie in den
vergangenen Wochen und Monaten zustande gebracht
haben. Dies sollte nicht in ein schiefes Licht gerückt
werden, Herr Kollege Westerwelle.
({1})
Ich gebe unserem Fraktionsvorsitzenden Volker
Kauder Recht: Man kann nicht große Reden darüber halten, dass das Existenzrecht Israels zu unterstützen ist,
aber dann, wenn es möglicherweise gefährdet ist, keinen
Beitrag leisten. Ich glaube, wir sind in der Verantwortung, die nötigen Beiträge zu leisten. Darüber, wie diese
im Einzelnen aussehen sollen, kann man diskutieren. Ich
bin davon überzeugt, dass die Bundesregierung bisher
eine großartige Leistung vollbracht hat und auch für die
zukünftigen Entscheidungen dem Parlament die richtigen Vorschläge unterbreiten wird, die wir dann sicherlich unterstützen werden.
({2})
Ich glaube, die bisherige Haushaltsdebatte zeigt sehr
deutlich, dass die Menschen der Bundesregierung und
den sie tragenden Fraktionen, der CDU/CSU und der
SPD, Vertrauen entgegenbringen können. Die Wirtschaft
wächst, die Arbeitslosigkeit sinkt, die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse nimmt
zu und die Haushaltssanierung schreitet voran. Wer hätte
sich das vor einem Jahr vorstellen können? Ich glaube,
das konnten viele Bürgerinnen und Bürger in Deutschland nicht.
({3})
Das aber sind die wichtigen Botschaften und Signale, die
die Politik der großen Koalition nach zehnmonatiger Regierungstätigkeit den Bürgerinnen und Bürgern in unserem Land zu vermitteln vermag. Für die Menschen in
unserem Land wird sichtbar, dass wir den Koalitionsvertrag - und damit auch den Koalitionsauftrag - in die Tat
umsetzen. Das Investieren, Sparen und Reformieren
wird angegangen und punktgenau und zielorientiert umgesetzt.
Auch der Haushalt 2007, der jetzt eingebracht worden
ist, ist Ausdruck der Umsetzung des Koalitionsvertrages
und er hat bereits großartige Erfolge vorzuweisen. Dass
die Maastrichtkriterien bereits in diesem Jahr eingehalten werden - das wurde bereits erwähnt, aber man
kann es nicht oft genug darlegen -, ist ebenfalls Ausdruck der Regierungspolitik.
({4})
Dass sie auch 2007 eingehalten werden, weil die Grundlage dafür heuer gelegt worden ist, ist wiederum ein
großartiges positives Signal.
Auch dass nach mehreren Jahren, in denen der Haushalt nicht verfassungskonform war, jetzt ein verfassungskonformer Haushalt eingebracht worden ist und
die Nettoneuverschuldung geringer ist als die Investitionen, ist der neuen Bundesregierung, die seit Oktober im
Amt ist, zu verdanken.
({5})
Dass die Mehreinnahmen nicht nur über Steuern, sondern vor allen Dingen auch durch erhebliche Einsparungen erzielt werden, ist auch Ausdruck des Haushaltes,
den wir heute beraten.
Für mich ist aber auch entscheidend, dass in diesem
Haushalt zum Ausdruck gebracht wird, dass die soziale
Sicherheit der Menschen in unserem Land nicht aus
dem Blickfeld geraten ist. Im Gegenteil: Die soziale Sicherheit der Menschen wird weiter gestärkt. Auch das ist
Ausdruck der Koalition von CDU/CSU und SPD.
({6})
Das alles sind Kennzeichen einer soliden Finanzpolitik, der die Regierung Vorrang eingeräumt hat. Vielleicht
kann Bayern, das erstmals einen ausgeglichenen Haushalt verabschieden konnte,
({7})
als Vorbild für unsere Politik dienen, um das auch auf
Bundesebene zu erreichen.
({8})
- In Mecklenburg-Vorpommern und in Berlin, wo Sie
mitregieren, zeitigen sich ja die Ergebnisse. Wir wissen
auch, was die CDU in Sachsen-Anhalt aufzuräumen hat.
Das ist doch das Entscheidende.
({9})
Die Elemente des Dreiklangs „Investieren, Sparen,
Reformieren“ bedingen einander. Ohne Investitionen
gibt es kein Wachstum. Ohne Sparen gibt es keinen
Spielraum für zukünftige Investitionen in unserem Land.
Ohne die Reform der sozialen Sicherungssysteme gibt es
keine Senkung der Lohnnebenkosten. Das zeigt sehr
deutlich: Wachstum ist - früher gab es Parteistrategen,
die von Nullwachstum oder einem qualifizierten Wachstum gesprochen haben; das meine ich aber nicht - die
Grundlage für mehr Arbeitsplätze in unserem Land. Das
nun vorhandene positive Wirtschaftswachstum von
1,8 Prozent - vielleicht gilt das sogar für das ganze Jahr;
im Süden Deutschlands ist es noch intensiver und
besser - ist also eine gute Voraussetzung für das Entstehen von Arbeitsplätzen.
({10})
Wir werden diese Entwicklung mit dem Bundeshaushalt unterstützen. Wir fördern beispielsweise mit dem
25-Milliarden-Euro-Programm Innovationen. Die Forschungsförderung hat ein Volumen von 6 Milliarden
Euro bis zum Jahr 2009. Das dient der Innovationsförderung sowie der Stärkung des Wissenschaftsstandortes
Deutschland und der Zukunftsfähigkeit unseres Landes.
({11})
Entscheidend ist ebenfalls, dass der Mittelstand weiterhin in die Lage versetzt wird, große Investitionen zu
tätigen und dementsprechend die Zukunftsfähigkeit unseres Landes zu stärken. Die große Koalition hat bereits
entscheidende Wegmarken gesetzt. Die verbesserten Abschreibungsbedingungen für bewegliche Wirtschaftsgüter sind ein entscheidender Faktor. Ich bin darüber
hinaus der Meinung, dass die teilweise steuerliche Absetzbarkeit von Handwerkerrechnungen nichts anderes
als ein Impulsprogramm ist und dafür sorgt, dass wir uns
nun Gott sei Dank an einer besseren Auftragslage bei unseren Handwerksbetrieben erfreuen dürfen.
({12})
Ich bin zudem überzeugt, dass der Abbau von bürokratischen Hemmnissen ein Erfolg sein wird. Ich danke ausdrücklich unserem Bundeswirtschaftsminister Michael
Glos für seinen Einsatz zugunsten der mittelständischen
Wirtschaft und unseres Wirtschaftsstandorts insgesamt.
({13})
Der Herr Fraktionsvorsitzende und Parteivorsitzende
der FDP hat vorhin das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz kritisiert. Wir geben unumwunden zu, dass
wir mit diesem Gesetz nicht ganz glücklich sind. Aber
ich möchte herausstellen, dass wir im Vergleich zum ursprünglichen Entwurf für entscheidende Änderungen gesorgt haben, damit der bürokratische Aufwand bei den
Betrieben massiv minimiert wird bzw. erst gar keiner
entsteht.
Der Kollege Westerwelle hat des Weiteren kritisiert,
dass die Kohlesubventionen nicht in ausreichendem
Maße abgebaut werden. Das mag sein. Aber in den Bundesländern, in denen die FDP in der Regierung ist, zum
Beispiel in Nordrhein-Westfalen, tritt man zwar für den
Abbau der Kohlesubventionen ein, um aber zugleich
darauf hinzuweisen, dass ein Ausgleich aus dem Bundeshaushalt zu erfolgen hat. Wenn das eine ehrliche Politik im Sinne der Bürgerinnen und Bürger und wenn das
Subventionsabbau sein soll, dann habe ich möglicherweise den Begriff „Subventionsabbau“ nicht verstanden.
({14})
Auf vielfältige Weise wurde heute schon die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt dargelegt. Wir freuen uns natürlich über den Abbau der Arbeitslosigkeit und die Steigerung der Zahl der sozialversicherungspflichtigen
Beschäftigungsverhältnisse um 130 000. Davon sind
40 000 in Bayern entstanden. Das zeigt sehr deutlich,
woher die wirtschaftlichen Impulse kommen.
({15})
Ich freue mich insbesondere über den Abbau der
Jugendarbeitslosigkeit. Die Zahl der arbeitslosen Jugendlichen ist um fast 100 000 zurückgegangen. Das
zeigt sehr deutlich, dass die Bundesregierung Jugendlichen großartige Zukunftschancen eröffnet.
({16})
Wir haben vielfach über die Korrektur der HartzGesetze gestritten. Ich glaube, dass die Hartz-Gesetze
mehr Dynamik in die Vermittlung der Arbeitslosen gebracht haben und dass der Umbau der Bundesagentur für
Arbeit, der bisher durchaus positive Effekte mit sich gebracht hat, weiter voranschreiten muss. Es wurden in
vielen Bereichen Korrekturen vorgenommen. Ich erinnere an die Ich-AG und andere Dinge. Eines ist für mich
entscheidend: Wir sind ein sozialer Staat und wir treten
für die ein, die der sozialen Unterstützung bedürfen. Es
gilt aber auch, dem Missbrauch von sozialen Leistungen
massiv entgegenzutreten.
Am 30. August gab es in der Sendung „ZDF-Reporter“ einen Bericht über zwei Sozialdetektive,
Kollege Straubinger, die Geschichte können Sie jetzt
nicht mehr zu Ende erzählen. Ihr Fraktionsvorsitzender
hat Ihnen schon Zeit überlassen.
- die 150 Missbrauchsfälle mit einem Volumen von
über 500 000 Euro in kürzester Zeit aufgedeckt haben.
Das zeigt sehr deutlich, dass die Verwaltungen noch effektiver arbeiten müssen. In diesem Sinne lasst uns die
Arbeit angehen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Schwall-Düren für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Seit mehr als 50 Jahren ist Deutschland in die Europäischen Gemeinschaften eingebunden. Das prägte die
Politik der Bundesregierungen und das prägt die Politik
auch dieser Regierung. Bundeskanzlerin Merkel hat das
heute Morgen eindrucksvoll dargelegt.
Die Mitgliedschaft in der Europäischen Union bedeutet Chancen, aber auch Herausforderungen. Die
Chancen haben sich schon zu Beginn der Mitgliedschaft
ergeben. Es ist uns allen bekannt, dass wir Frieden und
Sicherheit, kulturelle Vielfalt und Reichtum dieser Mitgliedschaft zu verdanken haben, aber auch einen unglaublich gesteigerten Wohlstand. Ich darf nur die eine
Zahl nennen, dass wir allein in den Jahren 1992 bis 2002
900 Milliarden Euro zusätzlichen Wohlstand in Deutschland erreicht haben. Das bedeutet 6 000 Euro pro Haushalt. Das ist sehr viel und das sollte von uns immer wieder betont werden. Das war der Bevölkerung in früheren
Jahren bewusster. Aber in den letzten Jahren ist die
Wahrnehmung der Chancen der Europäischen Union zunehmend schwächer geworden, und zwar einmal, weil
die Errungenschaften selbstverständlicher sind, und zum
anderen, weil es in Mode gekommen ist, Kritik an der
EU zu üben.
Brüssel wird schnell als Geldvernichtungsmaschine
abqualifiziert, es wird Brüssel vorgeworfen, sich in nationale Angelegenheiten einzumischen oder ein Bürokratiemonster zu sein. Auch wir Politikerinnen und Politiker des Deutschen Bundestages sind nicht ganz
unschuldig. Wenn Entscheidungen in Brüssel getroffen
werden, an denen wir über den Rat mitgewirkt haben,
dann schieben wir manchmal gern die Schuld auf Brüssel und behaupten, an der Entscheidung nichts ändern zu
können, weil das die Entscheidung von Brüssel sei. Da
ist es kein Wunder, dass die Bürgerinnen und Bürger
verunsichert sind.
Hinzu kommt, dass in den letzten Jahren immer stärker die soziale Dimension infrage gestellt wird. Die Bürger mussten den Eindruck gewinnen, dass die Kommission bei der Umsetzung des gemeinsamen Marktes
immer stärker von so genannten neoliberalen Vorstellungen geleitet wurde. Ein uns allen bekanntes Beispiel ist
die Dienstleistungsrichtlinie, die den positiven Effekt
bringen soll, dass der Dienstleistungsmarkt in der Europäischen Union mehr Dynamik bekommt und damit Arbeitsplätze geschaffen werden, die aber gleichzeitig die
Gefahr mit sich bringen könnte, dass Sozial- und Qualitätsdumping betrieben wird. Aber glücklicherweise haben wir Einfluss auf diese Dinge. Gemeinsam, mit dem
Europäischen Parlament und der deutschen Regierung,
ist es hier gelungen, im Rat ein gutes Stück voranzukommen.
({0})
Jetzt steht im Parlament die zweite Lesung an. Wir sind
auf einem guten Weg, damit sich in Europa das Prinzip
„gleicher Lohn und gleiche Standards für gleiche Arbeit
am gleichen Ort“ wirklich durchsetzt. Wenn das nicht erreicht wird, dann sind die Bürger enttäuscht und verunsichert und dann haben wir in unseren jeweiligen Nationalstaaten die Konsequenzen zu tragen.
Wir dürfen uns allerdings nicht der Illusion hingeben,
dass diese Problematik allein mit einer veränderten
Dienstleistungsrichtlinie gelöst wird. Wir müssen auch
unsere Hausaufgaben machen. Damit spreche ich das
Thema „Entsenderecht und Mindestlohn“ an. Wir sind
gerade dabei, die Entsenderichtlinie für das Gebäudereinigerhandwerk in nationales Recht umzusetzen. Ich
bin aber sicher: Das kann nicht das Ende sein. Wir müssen hier weiterkommen
({1})
und in diesem Herbst die Frage der Mindestlöhne nicht
nur sehr ernsthaft diskutieren, sondern auch entscheidend beantworten.
({2})
18 Mitgliedstaaten in der Europäischen Union haben
Mindestlöhne. Ich will darauf aufmerksam machen, dass
ein Land, das wir hier immer wieder wegen seiner wirtschaftlichen Dynamik positiv hervorheben, nämlich
Großbritannien, in diesem Zusammenhang sehr gute Erfahrungen gemacht hat.
({3})
Leistungsträger, über die im Augenblick wieder sehr
viel gesprochen wird - auch in meiner Partei -, sind
auch diejenigen, die als Geringqualifizierte täglich ihrer
Arbeit nachgehen. Auch diese Menschen müssen für
ihre Arbeit einen anständigen, existenzsichernden Lohn
bekommen. Deswegen kann ich auch dem Vorschlag des
Sachverständigenrates, das Arbeitslosengeld II zu kürzen, um so für eine geringe Anzahl von Personen Arbeitsplätze zu schaffen, überhaupt nicht zustimmen.
({4})
Die Chancen, die die EU in der Vergangenheit mit
sich gebracht hat, müssen natürlich auch in der Zukunft
genutzt werden. Die EU ist für uns Impulsgeber und sie
gibt uns eine Leitorientierung. Ich möchte hier noch einmal das Beispiel des Stabilitäts- und WachstumsDr. Angelica Schwall-Düren
paktes anführen. Dieser Pakt wurde vor allen Dingen
durch deutsche Politiker gestaltet. Zwischenzeitlich war
er für uns zu einer Last geworden. Letztendlich aber hat
er dazu beigetragen, dass der Druck, unseren Haushalt
zu konsolidieren, aufrechterhalten wurde. Mit großer
Wahrscheinlichkeit in diesem Jahr, aber auf alle Fälle im
kommenden Jahr wird es gelingen, das 3-Prozent-Defizit-Kriterium zu erfüllen.
({5})
Damit sichern wir die Chancen der zukünftigen Generationen. Gleichzeitig haben wir durch die Reform des Stabilitätspaktes ermöglicht, dass in diesem Land wieder
Investitionen getätigt werden können und wir das von
der Koalition beschlossene 25-Milliarden-Euro-Programm umsetzen.
Wir haben in diesem Herbst vor dem Hintergrund der
Lissabonstrategie noch das nationale Reformprogramm
zu verabschieden. Die Bundesregierung wird einen entsprechenden Bericht in Brüssel vorlegen. Wir haben
nämlich erkannt - Frau Bundeskanzlerin hat das heute
Morgen schon ausgeführt -, dass die Globalisierung kein
Erfolg wird, wenn man nur die nationalen Interessen
vertritt und wenn man sich bei Löhnen, Steuern und
Standards gegenseitig unterbietet. Im Gegenteil. Was wir
tun müssen, ist: Standards sichern, Qualität produzieren,
Innovationen umsetzen. Das wird mit der Lissabonstrategie und in dem Rahmen mit dem nationalen Reformprogramm angepackt. Dabei ist natürlich auch die weitere Modernisierung unserer Sozialsysteme zu nennen.
Das haben wir im Bereich der Alterssicherung und des
Arbeitsmarktes schon angepackt und das müssen wir im
Bereich der Gesundheitspolitik weiter vorantreiben.
Ganz entscheidend ist neben dieser Reform aber die
Investition in die Köpfe. Die Lissabonstrategie hat uns
aufgegeben, 3 Prozent unserer Mittel in Bildung und
Forschung zu investieren. Genau das tun wir. Trotz
Haushaltskonsolidierung wird diese Regierung bis zum
Jahr 2010 dafür sorgen, dass die 3 Prozent in dem Bereich erreicht werden.
Ich möchte an dieser Stelle aber darauf hinweisen,
dass wir bei der Weiterbildung noch mehr tun müssen,
das stärker in den Blick nehmen müssen und diese Herausforderung ebenfalls annehmen müssen. Dazu brauchen wir aber auch die Unternehmen und dazu brauchen
wir die Gewerkschaften, die ich ausdrücklich auffordere,
sich dieser Aufgabe zu stellen.
({6})
In der ersten Hälfte des Jahres 2007 steht die deutsche
Ratspräsidentschaft an. Wir wollen uns wie 1999 auch
bei dieser Ratspräsidentschaft wieder als gute Europäer
zeigen. Das ist eine große Herausforderung. Wie Sie alle
wissen, ist der Verfassungsprozess ins Stocken geraten.
Das ist ein Prozess, den wir aber unbedingt voranbringen
müssen, nicht um eines abstrakten Textes willen, sondern weil wir diese Verfassung brauchen, damit in der
Europäischen Union mehr Bürgernähe, mehr Transparenz und mehr Effektivität erreicht werden können.
Um hierbei voranzukommen, ist sehr viel Verhandlungsgeschick notwendig. Aber ich bin ganz zuversichtlich, dass wir es in der deutschen Ratspräsidentschaft
schaffen werden, einen Weg, wenn auch noch keine endgültige Lösung aufzuzeigen. Dieses Verhandlungsgeschick haben die Vertreter unserer Regierung schon eindrucksvoll bewiesen. Frau Merkel hat es seinerzeit
geschafft, das ins Stocken geratene Verfahren zur finanziellen Vorausschau zu einem guten Abschluss zu bringen. Unser Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat
inzwischen ein unerhört hohes Ansehen als guter Verhandlungspartner erreicht, was man auch an der positiven Rolle, die er im Nahostkonflikt spielt, ablesen kann.
Er wird von allen Seiten respektiert.
({7})
Deutschland wird eine hohe Kompetenz zugeschrieben, etwas zur Friedenssicherung zu erreichen. Aber
lassen Sie mich an dieser Stelle auch sagen: Diese hohe
Kompetenz im Bereich der diplomatischen Verhandlungen ist nur dann weiter akzeptiert, wenn es auch die
Bereitschaft Deutschlands gibt, sich aktiv, auch durch
Zurverfügungstellung von Bundeswehrkräften, an der
Friedenssicherung zu beteiligen. Der Kollege Peter
Struck hat sehr deutlich gesagt, dass wir das natürlich
nur unter ganz klaren Bedingungen tun werden.
Hierbei ist das Zusammenspiel mit den europäischen
Partnern ebenfalls sehr wichtig. Auch die UN-Friedensresolution 1701 trägt sehr deutlich die europäische
Handschrift. Das ist ein großer Erfolg, den wir mit unseren europäischen Freunden erreicht haben.
Lassen Sie mich noch einmal auf die Verfassung zurückkommen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir haben hier nicht nur eine schwierige Situation mit den
beiden Ländern, in denen die Verfassung durch ein Referendum abgelehnt wurde - Frankreich und die Niederlande -, sondern wir haben auch Probleme mit anderen
Partnern - da kann man Großbritannien nennen, aber
auch Polen -, mit denen es im Augenblick sehr schwer
ist, zu gemeinsamer Politik zu kommen. Bei allem Verständnis für die polnischen Freunde, die besonders kritisch auf die deutsche Politik schauen, ist dort auch eine
gewisse Unfähigkeit bezüglich einer Kommunikationsund Kooperationsbereitschaft mit der deutschen Politik
zu erkennen. Nichtsdestotrotz müssen wir immer wieder
ein Dialogangebot machen; denn die Bevölkerung und
auch die wirtschaftlichen Akteure sehen die Beziehungen in keiner Weise kritisch. Im Gegenteil, das Ansehen
Deutschlands ist in Polen in den letzten Jahren immer
weiter gestiegen.
({8})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, neben dem Verfassungsthema wird die deutsche EU-Ratspräsidentschaft
auch von wichtigen wirtschaftspolitischen und außenpolitischen Themen geprägt sein. Es wird um Fragen der
neuen Nachbarschaftspolitik gehen und darum, dass wir
mit Russland unsere Kooperation optimal fortsetzen.
Am 25. März 2007 blicken wir auf die europäische
Erfolgsgeschichte zurück, die mit der Unterzeichnung
der Römischen Verträge vor 50 Jahren ihren Anfang
nahm. Frieden, Stabilität und Wohlstand wurden hart erarbeitet und erstritten. Der Jahrestag bietet die Möglichkeit einer europäischen Standort- und Zielbestimmung.
Angesichts des historisch Erreichten sind wir in der
Pflicht, uns im weltpolitischen Maßstab neu zu verorten,
alte Denkmuster vielleicht zu erneuern und den Blick auf
die politische Verantwortung Europas nach innen und
außen zu schärfen. Die von Außenminister Steinmeier
„Generation Europa“ genannten jüngeren Menschen erwarten zu Recht Klarheit über den zukünftigen politischen Rahmen des europäischen Gesellschaftsmodells.
Kollegin Schwall-Düren, ich mache Sie nur darauf
aufmerksam, dass Sie jetzt auf Kosten Ihrer Kollegen
sprechen.
Ich komme zum Schluss. - Diese Klarheit können wir
nur gemeinsam mit unseren Partnern erreichen. Deswegen gilt auch heute noch das Wort von Willy Brandt am
Ende seiner Regierungserklärung am 28. Oktober 1969:
Wir wollen ein Volk der guten Nachbarn … werden
im Inneren und nach außen.
Das werden wir mit dieser Regierung auch bleiben.
({0})
Vielen Dank.
({1})
Das Wort hat der Beauftragte für die Angelegenheiten
der Kultur und Medien, Herr Staatsminister Bernd
Neumann.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die
Bundesregierung wird der besonderen Stellung der Kultur in unserer Gesellschaft und ihrer Verantwortung für
die europäische Kulturnation auch mit dem diesjährigen
Kulturetat gerecht. Für uns gilt: Kulturförderung ist
keine Subvention, sondern Investition in die Zukunft. So
haben wir es in den Koalitionsvertrag geschrieben und
so handeln wir.
Die Bundesregierung hat den Kulturhaushalt für das
Jahr 2007 im Vergleich zu den im Vorjahr zur Verfügung
stehenden Mitteln erneut erhöht.
({0})
Sie hat damit deutlich gemacht, wie ernst sie die Förderung von Kunst und Kultur in Deutschland auch angesichts der schwierigen Haushaltslage nimmt. Dies kann
im Übrigen vielen Bundesländern und Kommunen, die
ihre Haushalte kürzen, als Beispiel dienen.
({1})
Meine Damen und Herren, ich sehe es als meine besondere Aufgabe an, trotz der Notwendigkeit drastischer
Sparmaßnahmen im Gesamthaushalt positive Rahmenbedingungen für Kultur und Medien zu sichern und sie
dort, wo sie ungenügend sind, zu verbessern. Hier
konnte die Bundesregierung in den vergangenen Monaten Beträchtliches erreichen. Ich erinnere an die Beibehaltung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes für Kulturgüter, an das Folgerecht für den Kunsthandel, an die
Umsetzung der UNESCO-Konvention zum Schutz von
Kulturgut, an die Beseitigung der unseligen Bagatellklausel im Urheberrecht, daran, dass wir die Deutsche
Nationalbibliothek zukunftsfähig gemacht haben, an den
Neubau des Literaturmuseums der Moderne in Marbach
und nicht zuletzt an den Haushalt 2006, in dem wir für
den Kulturbereich im Verhältnis zu 2005 ebenfalls eine
Steigerung zu verzeichnen hatten.
Mit diesem Haushaltsentwurf 2007 und dem Finanzplan 2010 setzt die Bundesregierung insgesamt - Herr
Steinbrück hat das gestern ausgeführt - ihren Haushaltskonsolidierungskurs fort. Gleichwohl konnte ich den
Umfang des Kulturhaushalts steigern.
In einigen Bereichen konnten wichtige Erfolge erzielt
werden. Nicht immer lassen sie sich so konkret beziffern
wie bei der Förderung des deutschen Films, die das
Kabinett vor der Sommerpause beschlossen hat. Wie im
Koalitionsvertrag festgelegt, werden unter dem Titel
„Anreiz zur Stärkung der Filmproduktionen in Deutschland“ ab 2007 für die Dauer der Legislaturperiode
jährlich 60 Millionen Euro für ein neues Konzept zur
Filmfinanzierung zur Verfügung gestellt. Das ist ein fantastischer Erfolg für den Erhalt der Filmkultur und für
die Filmwirtschaft in Deutschland.
({2})
Hier bedanke ich mich ausdrücklich bei Finanzminister
Peer Steinbrück, der mich nicht gehindert hat, dies zu erreichen, sondern der mich dabei unterstützt hat. Das ist
ungewöhnlich.
({3})
Damit erfüllt die Bundesregierung den im Koalitionsvertrag formulierten Auftrag, international wettbewerbsfähige, mit anderen EU-Ländern vergleichbare Bedingungen für unsere Filmwirtschaft zu schaffen. Unsere
Maßnahme ist ein Bekenntnis zum deutschen Film. Erfolg und Qualität deutscher Filme in der letzten Zeit
rechtfertigen, so denke ich, dieses Bekenntnis.
({4})
Ein weiteres Bekenntnis der Bundesregierung gilt der
Deutschen Welle. Für sie ist die Zeit der unverhältnismäßigen Sparauflagen vorbei. Der Auslandssender ist
für die Bundesregierung nach wie vor Deutschlands
wichtigster Kulturbotschafter in der Welt.
({5})
Der Sender kann sich jetzt, wie der Haushalt 2007 beweist, auf eine aufgabengerechte Finanzierung durch die
Bundesregierung verlassen.
({6})
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat
eine weitere wichtige Haushaltsentscheidung für die
Kultur getroffen, die ab 2008 und in den Folgejahren
wirksam werden kann: Der Bund wird sich mit bis zu
50 Millionen Euro an der Sanierung der Staatsoper
Unter den Linden in Berlin beteiligen. Diejenigen, die
den Zustand des historisch wertvollen Gebäudes kennen,
wissen, dass hier dringend gehandelt werden muss. Berlin sieht sich allein nicht in der Lage, diese Aufgabe zu
bewältigen.
({7})
Der Bund kommt damit seiner Mitverantwortung für die
kulturelle Ausstrahlung seiner Hauptstadt wie auch der
Verpflichtung für die Kulturnation Deutschland vorbildlich nach.
({8})
Meine Damen und Herren, ich habe nur drei Beispiele
wegen ihrer besonderen finanziellen Dimension herausgehoben. Unser Haushalt hat im Regierungsentwurf
2007 einen Gesamtumfang von rund 1,1 Milliarden
Euro. Wir haben zwar als Beitrag zur Haushaltskonsolidierung eine globale Minderausgabe von rund 17 Millionen Euro zu erbringen, aber der Gesamtrahmen des
Haushalts stellt sicher, dass wir auch in Zukunft unser finanzielles Engagement bei Einrichtungen und Projekten
von gesamtstaatlicher Bedeutung fortsetzen können. Das
gilt für die kulturellen Leuchttürme in den neuen Bundesländern ebenso wie für die bedeutenden Museen, die
Gedenkstätten und die vielen innovativen Projekte in Literatur, Musik, darstellender und bildender Kunst.
Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir abschließend ein Wort zu einem Vorgang, der mich auch persönlich sehr beschäftigt. Ich bedauere außerordentlich die
durch eine deplacierte Rede meines Abteilungsleiters bei
der Eröffnungsveranstaltung des Kunstfestes Weimar
ausgelösten Irritationen und die Betroffenheit, insbesondere bei den Opfern des KZ Buchenwald. Es war unverzichtbar, bei einem solchen Anlass in jedem Falle der
Opfer von Buchenwald würdig zu gedenken. Dies ist
Herrn Professor Schäfer klar; sein Versäumnis war ein
großer Fehler. Wer Herrn Professor Schäfer und seine
Arbeit als Historiker und langjähriger erfolgreicher Direktor des Hauses der Geschichte kennt, kann allerdings
keinen Zweifel an seiner politischen und moralischen Integrität haben.
({9})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, aus dieser
Rede eine inhaltliche Veränderung der Gedenkstättenpolitik des Bundes im Hinblick auf die Bewertung und
Aufarbeitung der NS-Diktatur abzuleiten, ist völlig abwegig.
({10})
Hier steht die Bundesregierung in der Kontinuität ihrer
Vorgängerregierung.
({11})
Die NS-Diktatur und der durch sie verursachte Holocaust sind in ihrer menschenverachtenden, grausamen
Dimension einzigartig und durch nichts zu relativieren.
Die Erinnerung hieran wach zu halten, bleibt eine herausragende Aufgabe unserer Gedenkstättenpolitik. Hier
gehe ich von Ihrer aller Unterstützung aus.
Vielen Dank.
({12})
Für die Fraktion Die Linke hat die Kollegin
Jochimsen das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zunächst herzlichen Dank, Herr Staatsminister, dass Sie
die Gelegenheit hier genutzt haben, auf die Vorfälle und
Vorgänge anlässlich des Kunstfestes in Weimar einzugehen. Allerdings muss ich sagen: In der Weise, wie Sie
das getan haben, ist genauso wenig Klärung herbeigeführt worden wie durch Ihr Bedauern, das Sie nach den
Äußerungen und der Entschuldigung von Herrn Professor Schäfer zum Ausdruck gebracht haben. Wieder
mussten wir hören, dass vor allen Dingen bedauert wird,
dass Überlebende des Holocaust durch Äußerungen, wie
sie Herr Professor Schäfer gemacht hat, verletzt wurden.
Sie haben kein Wort zum Grundsatzthema „Gedächtnis
Buchenwald“ gesagt,
({0})
gegen das Herr Professor Schäfer in Weimar angeredet
hat. Für das Verfehlen, nicht darauf eingegangen zu sein,
hat er sich bisher nicht entschuldigt.
({1})
Ich möchte an dieser Stelle deutlich klarstellen: Auch
wenn auf dieser skandalösen Veranstaltung in Weimar
kein einziger Überlebender anwesend gewesen wäre,
wäre die Rede von Professor Schäfer genauso provozierend und nicht hinnehmbar gewesen, wie sie es war.
({2})
In einigen Jahren werden wir die Situation haben, dass
leider niemand mehr da ist, der zu den Überlebenden
zählt. Deswegen ist es so wichtig, uns mit dem Thema
„Gedächtnis Buchenwald“ auseinander zu setzen und
uns auch dann zu entschuldigen, wenn wir gegen das
Gedenken an Buchenwald verstoßen, und nicht nur
dann, wenn wir Menschen, die betroffen sind, verletzen.
Darum geht es.
({3})
Die Entschuldigung von Herrn Professor Schäfer, die
Worte des Staatsministers bisher und eben zu diesem
Thema waren dem nicht angemessen.
({4})
Jetzt möchte ich mich mit dem Kulturetat und den
Kulturinvestitionen auseinander setzen. Kultur sei eine
Investition in die Zukunft. Von diesem Grundsatz der
Bundeskanzlerin, die leider nicht mehr da ist
({5})
- ach, da ist sie -, ausgehend, den der Staatsminister gerade wiederholt hat, möchte ich die Haushaltsdebatte
nutzen, um Regierung und Parlament
({6})
einen Kulturinvestitionsvorschlag zu machen, der bitter notwendig ist.
Gestern hat der Finanzminister von diesem Pult aus
verkündet, alle zurückfließenden Milliarden müssten um
unserer Kinder und deren Zukunft willen zum Abbau unserer staatlichen Schuldenlast verwandt werden. Das ist
ein richtiger Satz. Trotzdem kann ich ihn nicht mehr hören, wenn ich bedenke, was den Kindern dadurch in zunehmendem Maße in unserem Land vorenthalten wird:
({7})
wahrhafte Teilhabe und Teilnahme an der großartigen,
vielfältigen Kultur unseres Landes. Die kulturellen Defizite der Kinder und Jugendlichen sind beängstigend; alle
Untersuchungen bestätigen dies. Dem muss endlich etwas entgegengesetzt werden.
Deshalb mein Vorschlag: Nehmen Sie 1 Milliarde
Euro aus den zurückfließenden Geldern
({8})
und setzen Sie ein Programm „Kultur für Kinder“ auf,
({9})
so wie die Vorgängerregierung dies für Ganztagsschulen
getan hat.
Geben Sie den Kindern, die zu Hause keine Bücher,
keine Möglichkeiten zum Musizieren und Gestalten haben, die Chance, in ihrem unmittelbaren Umfeld Musikund Malschulen, Theater- und Tanzgruppen zu finden,
ebenso wie Bibliotheken mit Lesezirkeln und -wettbewerben, Film-, Video- und Computerclubs unter kreativer Anleitung, Museen als ständige Erfahrungsorte und
Kunsthandwerksstätten.
({10})
- „In Berlin haben wir das“; der Einwurf kommt sehr zu
Recht.
Kultur für Kinder überall und überall in gleichen Maßen - auf dem Land, in den Städten und in den Problemvierteln: Darum geht es.
({11})
Dort, wo es das gibt - wie in Berlin, Frau Kollegin -,
muss es erhalten bleiben; wo es immer weniger wird
- wie in Thüringen zum Beispiel -, muss es wiederhergestellt werden; wo es fehlt - das ist vielerorts in unserem Land der Fall -, muss es endlich eingerichtet werden.
({12})
Das wäre eine Investition in die Zukunft.
Verweisen Sie jetzt bitte nicht auf die Kulturhoheit
der Länder.
({13})
Die Landesregierung möchte ich nämlich sehen, die da
Geld vom Bund ablehnt.
({14})
Die Eltern und die Kinder werden das nicht mitmachen;
({15})
die Wählerinnen und Wähler werden das nicht mitmachen. Sie werden es einfordern.
({16})
Denken Sie auch daran, dass Sie damit Arbeit schaffen würden, kostbare, kreative Arbeit. So viele junge
qualifizierte Fachleute für Musik, Theater, bildende
Kunst, Film, Kunsthandwerk warten auf Aufgaben und
die Chance, mit ihrem Können auch ihren Lebensunterhalt zu finanzieren.
Frau Kollegin Jochimsen, die Debatte darüber müssen
wir in die Ausschüsse verweisen. Sie müssen zum
Schluss kommen.
Ein Programm für Kinder, Jugendliche und junge
kreative Frauen und Männer wäre ein nationales Signal,
das unser Land als wahre moderne Kulturnation auszeichnen würde.
Zum Schluss folgender Satz:
Man kann mit Politik keine Kultur machen, aber
vielleicht mit Kultur Politik.
Erinnert sich noch jemand, wer das gesagt hat? - Es war
Theodor Heuss, der erste Bundespräsident. Das wäre
auch eine Verpflichtung für uns heute.
Vielen Dank.
({0})
Für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Monika
Griefahn das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Der Haushaltstitel für Kultur und
Medien ist mit einem Anteil von 0,4 Prozent am Gesamthaushalt sehr klein.
({0})
Deswegen müssen wir umso sensibler mit den einzelnen
Posten umgehen, gerade wenn uns - das haben Sie, Herr
Staatsminister, angekündigt - die globale Minderausgabe trifft. Denn die vielen kleinen Projekte wären vielleicht gar nicht mehr lebensfähig, wenn die Mittel
gekürzt würden. Gerade diese vielen kleinen soziokulturellen Projekte, die Erziehungsprojekte, die musikalischen Projekte - Sie haben sie erwähnt, Frau
Jochimsen - sind nämlich besonders wertvoll.
({1})
Das müssen wir uns noch anschauen.
Wir werden uns im Bundestag und auch im Kulturausschuss sehr intensiv mit den politischen Schwerpunkten beschäftigen. Auch da müssen wir schauen, wie die
Kürzungen umgesetzt werden.
Herr Staatsminister Neumann hat aber auch auf positive Aspekte hingewiesen. Ich möchte an dieser Stelle
meinen Dank sowohl an den Staatsminister als auch an
den Finanzminister dafür richten, dass die zusätzlichen
60 Millionen Euro für die Filmförderung im Haushalt
eingeplant worden sind. Das ist nicht nur eine Chance
für das Kulturgut „deutscher Film“, sondern auch für das
Wirtschaftsgut „deutscher Film“. Damit werden ja auch
Arbeitsplätze gesichert. Ich finde es prima, dass wir hier
diese Kombination hinbekommen haben.
({2})
Diese Chance bietet sich auch an anderen Bereichen.
Ich denke da an die Computerspiele. Vor zwei Wochen
ist die Computerspielmesse „Games Convention“, die
einen riesigen Ansturm erlebt hat, zu Ende gegangen. Es
kamen nicht nur mehr Menschen, als erwartet worden
ist; es kamen im Durchschnitt auch ältere Besucher und
mehr Mädchen und Frauen als in den letzten Jahren.
Inzwischen kann keiner die gesellschaftliche und kulturelle Bedeutung von Computerspielen ignorieren.
Auch die wirtschaftliche Bedeutung ist wesentlich. Der
Umsatz der Computerspielindustrie beträgt 1,5 Milliarden Euro - das ist einer der größten Märkte in Europa und übersteigt sogar den Umsatz der Filmindustrie. Es
werden aber weniger als 10 Prozent der Spiele von deutschen Herstellern entwickelt, obwohl gerade diese häufig qualitativ besonders gut sind. Das muss man auch
einmal hervorheben. Deswegen sollten wir dies unterstützen. Das heißt, wir müssen von der Killerspieledebatte wegkommen. Es steht außer Frage, dass geltende
Kinder- und Jugendschutzregeln eingehalten werden
müssen. Dafür haben wir uns auch eingesetzt. Ich
glaube, dass die USK, die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle, insgesamt sehr gut funktioniert. Von insgesamt 2 686 geprüften Spielen wurde nur 30 wegen Jugendgefährdung keine Altersfreigabe erteilt. Ich finde es
auch gut, dass die Bundesregierung klargestellt hat, dass
momentan kein gesetzgeberischer Handlungsbedarf im
Strafgesetzbuch gesehen wird.
({3})
Das gibt uns die Möglichkeit zu schauen, wie wir diese
Branche unterstützen und welche Marktanreize wir geben können. Ich denke zum Beispiel daran, dass ein
Preis für die besten Computerspiele ausgelobt werden
kann.
Herr Neumann, Sie haben auch die Deutsche Welle
angesprochen. Ich freue mich, dass Sie sich dafür eingesetzt haben, dass im Kernhaushalt des Senders keine
weiteren Einsparungen erfolgen sollen. Ich glaube aber,
dass die Verringerung der Investitionen um 3 Millionen
Euro schmerzhaft sein wird. Denn Investitionen in modernste Technik sind in diesem Bereich sehr wichtig.
Wenn wir über politische Schwerpunktsetzungen
sprechen, muss auch die Frage der Integration, die in den
letzten Wochen intensiver diskutiert wurde, behandelt
werden. Da leisten Kultur und Medien einen besonders
wichtigen Beitrag. Ich erwähne das Projekt an der RütliSchule - dieses Projekt gibt es auch an vielen anderen
Schulen, aber es ist durch die Rütli-Schule bekannt geworden -, das durch den Einsatz von Musik, Tanz und
Theater zu einer wesentlich besseren Stimmung in der
Schule beigetragen hat.
({4})
Es gibt auch türkische Rapgruppen, die eine gute Vermittlerrolle spielen. Das sind Projekte zur Integration,
die wir sehr stark fördern müssen.
Zu einem funktionierenden Zusammenleben gehört
das wechselseitige Verstehen kultureller Unterschiede.
Eine gezielte Förderung von interkultureller Kulturarbeit und der Kulturarbeit von Migrantinnen und
Migranten sowie - das ist das Wichtigste, was aber noch
zum Teil fehlt - die Einbindung der Migrantinnen und
Migranten in bestehende Strukturen ist eine wichtige
bundespolitische Aufgabe. Da müssen wir noch stärker
Kultur und Medien mit einbeziehen; wir dürfen nicht nur
über andere Bereiche diskutieren, wie das häufig der Fall
ist.
({5})
Ich möchte in diesem Zusammenhang auch auf die soziokulturellen Zentren hinweisen. Für diesen Bereich
gibt es eine Bundesförderung. Wir sollten hier einmal
anerkennen, dass mit wenigen Mitteln vor Ort viel geleistet wird.
({6})
Zu nennen ist auch die Kulturstiftung des Bundes, die
eine wichtige Bedeutung für die Vermittlung zwischen
den Kulturen hat. Aus Mitteln des Fonds Soziokultur,
der Stiftung Kunstfonds und des Deutschen Literaturfonds werden viele Projekte gefördert, die einerseits innovativ und von gesamtstaatlicher Bedeutung sind, die
andererseits im internationalen Kontext wesentlich zu einer weltoffenen Vermittlung von Kunst und Kultur beitragen.
Auch die Finanzierung von Einzelprojekten ist wichtig - wie die Deutsche Akademie Villa Massimo in Rom,
das Deutsche Studienzentrum in Venedig oder die Villa
Aurora in Los Angeles und in Berlin -, weil diese dialogfördernd sind: Verschiedene Künstler aus verschiedenen Ländern kommen zusammen, tauschen sich aus und
sind hinterher Multiplikatoren in ihren Ländern. Diese
Zusammenarbeit zu verstärken und mit den anderen
deutschen Institutionen, die wir im Ausland haben, zu
vernetzen, ist eine wichtige Aufgabe und wird jetzt angegangen. Zwischen Goethe-Institut und der Villa Aurora wird beispielsweise eine ganz enge Kooperation angestrebt.
Die Verständigung über Zukunft - das ist in den letzten Wochen deutlich geworden - ist abhängig von dem
Wissen über Vergangenheit. Deswegen ist es sehr wichtig, dass wir uns immer wieder vergegenwärtigen, welche Einrichtungen wir haben, die uns die Vergangenheit
deutlich machen, und welche pädagogische Arbeit dort
geleistet wird. Vor diesem Hintergrund müssen wir Gedenkstätten, Gedenkorte, Museen, Institutionen und Projekte, die Geschichte veranschaulichen und die Erinnerung plastisch machen, ausreichend finanziell ausstatten.
Ich glaube, wir haben mit unserem Gedenkstättenkonzept dafür eine sehr gute Grundlage geschaffen. Wir
haben wichtige Einrichtungen für das Gedenken an die
NS-Diktatur, die wir ausreichend finanzieren müssen.
Ich danke in diesem Zusammenhang Staatsminister
Neumann, der auch in diesem Hohen Hause klargestellt
hat, dass das ein wichtiger Schwerpunkt unserer Arbeit
ist.
Hinzu kommen neue Projekte. Wir diskutieren über
die Frage, wie man die SED-Diktatur am besten aufarbeiten kann. Diese Frage wird uns im nächsten Jahr sicherlich sehr intensiv beschäftigen.
({7})
Der Berliner Senat hat uns ein Konzept zum Gedenken an die Mauer vorgelegt, das auf eine Initiative von
Abgeordneten aller Fraktionen des Deutschen Bundestages zurückgeht. Es entstand sozusagen im Auftrag des
Bundestages. Deswegen müssen wir uns daran beteiligen und gemeinsam dafür sorgen, dass dieses Projekt
professionell umgesetzt wird. Das Gedenken an die
Mauer sollte nicht von irgendwelchen Initiativen wild
realisiert werden.
In den nächsten Jahren werden wir viel zu tun haben.
Kunst und Kultur sollen im Bundestag einen festen Platz
haben. Sie sind nicht nur „Lebensmittel“; sie haben auch
eine wichtige Funktion für das Verstehen und Verständigen. Vor allem in viel ärmeren Ländern ist der Wunsch
sehr groß, andere Kulturen kennen zu lernen und sich
über kulturelle Fragen auszutauschen. Das Goethe-Institut hat diese Erfahrung in Afghanistan gemacht. In vielen Ländern, in denen die Not sehr groß ist, ist der
Wunsch, sich über Kultur auszutauschen, sehr stark. Ich
denke, der Bundestag sollte das aktiv unterstützen. Darüber sollten wir konstruktiv diskutieren.
Danke schön.
({8})
Für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen
spricht nun die Kollegin Katrin Göring-Eckardt.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Natürlich ist es gut, dass die kulturellen Projekte in
einem ersten Schritt mehr Geld bekommen. Dazu kann
man ihnen nur gratulieren. Auch die Erhöhung der Bundesfördermittel für den deutschen Film um 60 Millionen
Euro ist sehr erfreulich.
({0})
Auf der anderen Seite muss man trotzdem sagen - das
sollte nicht verschwiegen werden -, dass dem auch Kürzungen gegenüberstehen. Ich denke beispielsweise an
die Leuchttürme Ost, das Bachhaus in Eisenach oder die
Ernst-Barlach-Stiftung, denen am Ende ein Drittel weniger Geld zur Verfügung steht.
({1})
Neben den Aufwüchsen muss meines Erachtens ein
anderer Aspekt, der im Koalitionsvertrag steht, ins
Blickfeld geraten, nämlich das, was Sie den Künstlerinnen und Künstlern bezüglich ihrer Existenzgrundlage
versprochen haben. Auf diesem Gebiet hat sich bisher
nichts getan. Wir stehen kurz davor, wieder von „brotloser Kunst“ reden zu müssen. Es hilft nichts, wenn sich
die Künstler in einzelnen Projekten wieder finden. Es
geht um die Frage der sozialen Absicherung.
({2})
Man weiß, dass Künstlerinnen und Künstler, die vom
Arbeitslosengeld II leben, nicht auf der Suche nach irgendeinem Arbeitsplatz sind, sondern üben, Kunst machen, sich selbst managen und versuchen, Aufträge zu
bekommen. Sie passen nicht in das Konzept der Bundesagentur für Arbeit. Wir müssen dringend eine bessere
Lösung finden. Sie haben das im Koalitionsvertrag versprochen. Das steht aber leider „nur“ im Kulturteil.
Wenn man - wie ich es getan habe - beim Arbeitsministerium nachfragt, dann bekommt man von verschiedenen
Seiten gesagt, man könne hier keinen Handlungsbedarf
erkennen. Ich finde, darüber sollten Sie sich mit dem Arbeitsminister unterhalten. Hier muss sich tatsächlich etwas ändern.
({3})
Das Gleiche gilt für die Frage der Standortschließungen bei Künstlerdiensten und der Zentralen Bühnen-,
Fernseh- und Filmvermittlung. Das fällt in den Zuständigkeitsbereich der Bundesagentur für Arbeit. Für was,
wenn nicht für die Vermittlung von Jobs, ist sie eigentlich zuständig und mit welchem Recht sagt sie: Das
streichen wir jetzt!? Herr Neumann, auch dazu hätte ich
heute gerne etwas von Ihnen gehört. Denn dies ist ein
Punkt, an dem Sie das, was Sie im Koalitionsvertrag versprochen haben, endlich in die Tat umsetzen müssen.
Ich will an dieser Stelle auf die Ereignisse beim
Kunstfest Weimar zu sprechen kommen, die mich in
den letzten Wochen sehr beschäftigt haben. Dabei geht
es mir nicht nur um die Rede von Herrn Schäfer, sondern
vor allem um das, was danach passiert ist. Herr
Neumann, das bezieht sich übrigens auch auf Ihre heutigen Einlassungen. Sich hier nur hinzustellen und zu sagen, man bedaure die Irritationen, ist mir zu wenig. Ich
bedaure die Rede, die dort gehalten wurde.
({4})
Ich will genau wissen, welche Schlussfolgerungen Sie
eigentlich daraus ziehen. Sich hier nur hinzustellen und
zu sagen, dass Sie nichts anders machen, das reicht mir
nicht. Frau Jochimsen hat darauf hingewiesen. Die Entschuldigungen wurden von Mal zu Mal immer schlimmer. Dem Ganzen die Spitze aufgesetzt hat, dass Herr
Schäfer dann gesagt hat: Ja, wenn ich gewusst hätte, dass
Überlebende anwesend sind, hätte ich eine andere Rede
gehalten.
({5})
Wir werden bald in einer Zeit leben, in der es keine
Überlebenden mehr gibt und niemanden, der aus seiner
eigenen Erfahrung heraus über die Zeit des Holocaust
berichten kann. Genau deswegen ist es so dringend und
wichtig, dass wir uns um eine neue Erinnerungskultur
und neue Schritte bemühen. Dazu haben Sie nichts gesagt. Das halte ich für einen riesigen Fehler, Herr
Neumann.
({6})
Man muss sich auch ansehen, welche Reaktionen von
anderer Seite diese Rede provoziert hat. Herr Neumann,
Herr Schäfer hat in einer Pressemitteilung der NPD Unterstützung bekommen.
({7})
Die laufen in Mecklenburg-Vorpommern damit herum
und wollen deutlich machen, dass sich in der Bundesrepublik zum Glück etwas ändern wird. Ich will, dass wir
in diesem Haus alle sehr deutlich sagen: Nein, daran ändert sich nichts. Nein, wir haben unsere Verantwortung
für die Zukunft in die Hand genommen, aus der machen
wir etwas, und gehen weitere Schritte, gerade was die
Jugendlichen und die Kinder betrifft.
Die Fragen, die wir stellen müssen, lauten: Wie machen wir das, wenn niemand mehr da ist, der aus eigener
Erfahrung berichten kann?
({8})
Wie machen wir das, wenn wir über angebliches Nichtwissen und Mitläufertum reden? Wie können wir damit
umgehen, sodass Kinder und Jugendliche das heute für
ihre eigene Zukunft erfahren?
({9})
Herr Neumann, ich möchte, dass wir unsere Geschichte mit all ihren Aspekten weiter ernst nehmen.
Dazu gehören auch die Vertreibungen. Aber ohne eine
Erinnerung in die Zukunft, ohne Klarheit, ohne Sensibilität und übrigens auch Wissen und Weitergabe von Wissen über die nationalsozialistischen Gräueltaten verlieren wir Zukunft.
({10})
Vor allem verlieren wir einen ganz wichtigen Teil unseres eigenen Selbstverständnisses und unserer eigenen
Identität.
({11})
Das bedeutet weit mehr als fröhliche Fähnchen am Auto
und vor allem ist es weit wichtiger.
Vielen Dank.
({12})
Das Wort hat der Kollege Olaf Scholz, SPD-Fraktion.
({0})
Meine Damen und Herren! Ich möchte zum Schluss
ein paar kurze Bemerkungen machen, damit wir gleich
in die nächste Debatte einsteigen können. Ich will Bezug
auf die Debatte, die wir bisher geführt haben, nehmen.
Ich glaube, es war ein sehr berechtigter Vorwurf an
die FDP, den Herr Kauder hier erhoben hat und der auch
in anderen Reden vorkam.
({0})
Es wurde gesagt: Passen Sie auf, dass Sie die durchaus
großen und wichtigen außenpolitischen Traditionen Ihrer Partei nicht verspielen!
({1})
- Ich meine Herrn Scheel, Herrn Genscher und Herrn
Kinkel. Das waren Vertreter der Bundesrepublik
Deutschland, die als Außenminister eine sehr verdienstvolle Politik gemacht haben, übrigens in mehreren
Koalitionsregierungen, an denen Sie beteiligt waren.
Es ist etwas schwierig. Man kann sich vorstellen, dass
in ein paar Jahren Herr Scheel, Herr Genscher und Herr
Kinkel als Außenpolitiker und Außenminister dieser Republik zwar noch in Erinnerung sein werden, dass man
sie aber nicht mehr mit der FDP in Verbindung bringen
wird.
({2})
Daher glaube ich, dass Sie da ein wenig aufpassen müssen. Ich denke nämlich, dass sich in den letzten Monaten
bei den verschieden außenpolitischen Debatten, die wir
geführt haben, immer wieder etwas abgespielt hat, das
man, wenn man Zeitung gelesen und hier im Haus diskutiert hat, wie folgt wahrnehmen konnte: Die Fachpolitiker entwickelten eine durchaus konstruktive politische
Haltung und dann kam Herr Westerwelle dazwischen.
Damit muss man sich auseinandersetzen. Bei der Entscheidungsfindung hinsichtlich des Libanonmandates ist
Ähnliches zu beobachten. Ich jedenfalls habe schon abgewogenere Gedanken gehört als diejenigen, die nun für
die Freie Demokratische Partei gelten sollen.
({3})
Im Übrigen glaube ich, es ist, wenn man eine Rede
mit der Erinnerung an gemeinsame Oppositionszeiten
beginnt, ganz gut, sich die Frage zu stellen, ob man nicht
vielleicht auch gemeinsam mit dem ehemaligen Oppositionspartner etwas lernen kann. Hier wende ich mich an
Herrn Brüderle, der einen Spruch aus der gemeinsamen
Oppositionszeit von FDP und Union wiederholt hat, von
dem die Union heute weiß und sogar sagt, dass er nicht
stimmte.
({4})
Ich rufe Sie dazu auf, sich dieser Erkenntnis anzuschließen.
({5})
Die Behauptung, die nicht stimmt, die aber in gewisser Wiederholung immer wieder auftaucht, lautet, dass
die Einzelunternehmen bzw. die Personenunternehmen die Gebeutelten der Steuerreformen der Vergangenheit gewesen seien, dass sie nicht entlastet worden seien
und dass nun zuallererst für diese Gruppe etwas getan
werden müsse.
Heute wissen wir alle: Durch die Einkommensteuersenkungen der letzten Jahre und die verbesserte Berücksichtigung der Gewerbesteuer haben vor allem die Einzelunternehmen bzw. die Personenunternehmen und der
Mittelstand eine ganz deutliche Entlastung erfahren. Auf
dieser Erfahrung und Gesetzgebung können wir heute
aufbauen.
({6})
Deshalb bin ich fest davon überzeugt, dass es auch für
Sie gut wäre, sich mit der neuen Wirklichkeit auseinander zu setzen, die Erfolge der rot-grünen Koalition zur
Kenntnis zu nehmen und sich damit zu beschäftigen, wie
wir die Steuerpolitik weiterentwickeln können, statt über
etwas zu reden, was sich so, wie Sie es darstellen, gar
nicht ereignet hat.
({7})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Brüderle?
Ja.
({0})
Lieber Kollege Scholz, wären Sie bereit, zur Kenntnis
zu nehmen, dass ich von der beabsichtigten Unternehmensteuerreform der Koalition und nicht von der Vergangenheit sprach?
Sie haben die Vergangenheit nie zur Kenntnis genommen und eine falsche Bewertung der geplanten Unternehmensteuerreform vorgenommen. Denn Sie haben sowohl unberücksichtigt gelassen, dass wir auch für die
Personenunternehmen noch etwas tun werden - das ist
übrigens in allen Beschlüssen der Regierung bzw. der
Koalition zu diesem Thema nachzulesen -, als auch außer Acht gelassen, dass die Steuersatzsenkungen der
Vergangenheit insbesondere dem Mittelstand große Entlastungen gebracht haben.
Der Spitzensteuersatz bei der Einkommensteuer ist
von 52 Prozent auf 42 Prozent gesunken,
({0})
der Eingangssteuersatz ist ebenfalls gesunken und die
Anrechnung der Gewerbesteuer wurde neu geregelt und
verbessert. Darum glaube ich, dass es richtig ist - vor allem für eine Partei, die sich dem Mittelstand verpflichtet
fühlt -, zu sagen: Der Mittelstand steht zu Recht im Mittelpunkt der Politik der Regierung. Das gilt für die Politik der vorigen Regierung wie auch für die Politik dieser
Regierung.
({1})
Meine Damen und Herren, ich will nicht lange auf die
Ausführungen von Herrn Lafontaine eingehen.
({2})
Aber ich will etwas zu der Idee sagen, dass vonseiten der
Regierung etwas unternommen werden müsse, um den
Konsum auf irgendeine Weise zu fördern. Das alles
klingt nach groß angelegten Konjunkturprogrammen.
Wenn man über solche Fragen diskutiert, macht es
schon Sinn, sich zu überlegen, was man eigentlich will.
Wir haben im Zusammenhang mit der Gebäudesanierung neue Möglichkeiten geschaffen, die sich massiv
ausgewirkt haben, und die steuerliche Absetzbarkeit von
Handwerkerrechnungen eingeführt. Dadurch wollten wir
die Menschen dazu bringen, von der Schwarzarbeit zugunsten legaler Arbeit Abstand zu nehmen,
({3})
und darüber hinaus die wirtschaftliche Belebung unterstützen.
({4})
Das waren wirksame Programme, durch die der Mittelstand, die Wirtschaft, die Konjunktur und der Konsum in
Deutschland gefördert wurden.
({5})
Im Zusammenhang mit der Körperschaft- und Unternehmensteuerreform diskutieren wir darüber, wie wir
dafür sorgen können, dass die Gemeinden dabei ordentlich wegkommen.
({6})
Auch das ist für unsere Konjunktur sehr wichtig. Denn
in den Gemeinden werden die für unser Land zentralen
Investitionen getätigt.
Die abstrakte Forderung nach einem Konjunkturprogramm kann man sich leicht ausreden.
({7})
Ich empfehle Ihnen, einmal den Hamburger oder den
Bremer Hafen zu besuchen und sich die Planungen für
den neuen Hafen in Wilhelmshaven anzuschauen. Im
Wesentlichen sind es nämlich die großen Häfen in
Deutschland, die von konsumfördernden Konjunkturprogrammen profitieren. Mit der Frage, ob wir Arbeitsplätze in Taiwan, Südkorea oder Vietnam schaffen sollten, muss sich Herr Lafontaine schon auseinander
setzen, wenn er solche Forderungen in den Raum stellt.
({8})
Es wurde nicht dadurch klüger, dass die letzte Rednerin
der PDS diese eigenwilligen Vorstellungen mit einer
Milliarde, die sie sich heute Morgen beim Frühstück
ausgedacht hat, gestalten will. Sie hat gefordert, diese
eine Milliarde zusätzlich für Kulturleistungen auszugeben. Ich glaube, der geringe Ernst einer solchen Debatte
ist offensichtlich und muss nicht weiter vertieft werden.
({9})
Es ist bereits viel geschafft worden. Ich nenne das
Stichwort Föderalismusreform. Für manchen Kritiker
unerwartet haben wir ein schwieriges Gesetz zustande
gebracht.
({10})
Wir haben aber auch bereits viel im Zusammenhang mit
dem Abbau von Steuersubventionen erreicht.
({11})
Sie lassen das in Ihren Reden immer außer Acht, weil
Sie sich ausschließlich auf die Steinkohle beziehen. Haben Sie denn nur Steinkohle vor den Augen? Tatsächlich
gibt es über die Kohlesubventionen hinaus seit Jahren
eine ganze Reihe von Steuersubventionen, die nicht abgebaut wurden, weil es nicht möglich war, Mehrheiten
dafür zu finden, die sowohl im Bundestag als auch im
Bundesrat gehalten hätten.
Ich bin daher froh, dass wir es bereits geschafft haben, zahlreiche Steuersubventionen, die fast jede Partei
in diesem Hause hin und wieder einmal abschaffen
wollte, abzubauen. Wir haben damit das getan, was die
Bürgerinnen und Bürger von der großen Koalition erwarten. Sie erwarten von uns, dass wir die Dinge, über
die wir uns einig sind, auch wirklich umsetzen. An dieser Stelle ist uns das gelungen.
({12})
Deshalb ist es schlecht, wenn Sie an der Idee vom Beginn dieses Jahres, zur Mehrwertsteuer reden zu wollen, festhalten, obwohl das diesbezügliche Gesetz bereits
beschlossen worden ist.
({13})
Diese Idee ist nicht gut; denn die schwierigen Veränderungen, die wir gemeinsam vornehmen wollten, haben
wir bereits eingeleitet. Man wird Ihnen nicht zuhören,
wenn Sie weiterhin Ihre alten Reden halten.
Schönen Dank.
({14})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen deshalb zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes, Einzelplan 05.
Das Wort hat der Bundesaußenminister Dr. FrankWalter Steinmeier.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Auf den fünften Jahrestag der schrecklichen Ereignisse von New York ist bereits hingewiesen worden.
Deshalb möchte ich nicht darauf zurückkommen.
Gleichwohl möchte ich daran erinnern, dass sich seit
diesem Tag vieles verändert hat. Auch den letzten
Zweiflern ist klar geworden, dass spätestens seit dem
11. September 2001 Außenpolitik mehr und mehr zur
Weltinnenpolitik geworden ist. Klar ist auch: Frieden
und Wohlstand in Deutschland hängen immer mehr davon ab, wie es der übrigen Welt ergeht.
Terroranschläge irgendwo auf der Welt können die
Weltwirtschaft insgesamt in Mitleidenschaft ziehen.
Heute reden wir über den Bundeshaushalt. Deshalb
möchte ich darauf hinweisen, dass auch die Zahlen eines
Bundeshaushaltes durch Ereignisse, wie beispielsweise
die Krise im Nahen Osten, schlagartig Makulatur werden können. Mit Blick auf die jüngsten Ereignisse in
Deutschland sage ich, dass wir die Gefahren in Regionalzügen und S-Bahnen nicht vollständig ausschließen
können. Ein weiteres Beispiel sind die Bürgerkriege in
Afrika. Sie lösen Flüchtlingsströme aus, die Europa,
auch uns, erreichen. Das macht deutlich: Es gibt keine
entfernten Weltregionen mehr. Bei uns in Deutschland
leben Menschen aus allen Regionen und Nationen. Damit sind wir von Ereignissen in den Heimatländern dieser Menschen direkt betroffen.
Wir als Exportnation betreiben Handel mit fast jedem Land der Erde. Deshalb haben wir ein ganz besonderes Interesse an stabilen, friedlichen Verhältnissen
überall auf der Welt.
({0})
Hinzu kommt: Die Deutschen machen Urlaub in fast
jedem Winkel der Welt. Darum wird fast jedes Unwetter,
zumindest jede größere Katastrophe, auch ein Fall für
das Auswärtige Amt. Wir versuchen, uns mit unserer
Außenpolitik auf diese veränderten Bedingungen einzustellen, wir Deutsche mitten in Europa, auf einer Insel
von Frieden, Wohlstand und Stabilität in einer leider
ziemlich unfriedlichen, ziemlich oft ungeordneten Welt
ringsum. Welchen Schluss ziehen wir daraus? Ich
glaube, nicht den von Oskar Lafontaine, den der Ohnemich-Haltung,
({1})
ganz im Gegenteil: Ich glaube, dass für uns aus unserer
erfreulichen Situation hier in Mitteleuropa Verantwortung erwächst. Aus den Erwartungen, die viele Menschen aus allen Regionen an uns richten, erwächst aus
meiner Sicht aber nicht nur Verantwortung, sondern
auch Verpflichtung, nämlich die Verpflichtung, sich nach
Kräften auch für Stabilität, Frieden und Demokratie in
diesen Regionen einzusetzen, da, wo die eigenen Mittel
zur Konfliktlösung ganz offenbar nicht ausreichen. Wir
wissen seit vielen Jahren: Es gibt leider zu viele solcher
Regionen. Ich sage das vorab, weil ich glaube, dass man
nur so begründen kann, warum wir uns im Libanon und
im Nahen Osten engagieren wollen, natürlich nicht allein, sondern Seite an Seite mit unseren europäischen
Partnern. Wir sollten bei der Diskussion hier im Deutschen Bundestag auch nicht vergessen, dass der Waffenstillstand, der Gott sei Dank - wenn auch fragil - eingehalten wird, ganz wesentlich auch mit europäischer Hilfe
zustande gekommen ist.
({2})
Bei aller Kritik an Europa und an europäischen Entscheidungsprozessen will ich hinzufügen: Wer war denn
am Ende schneller bei der Zusammenstellung einer Friedenstruppe? Die Europäer sind doch die Ersten gewesen,
die mit dem Angebot von 7 000 Soldaten die Voraussetzung dafür geschaffen haben, dass aus diesem fragilen
Zustand eine möglichst dauerhafte Lösung wird; sonst
würde im Nahen Osten noch heute gekämpft.
Ich bin der Meinung, die Bundeswehr sollte gemeinsam mit Soldaten anderer Länder dafür sorgen, dass die
Waffen in dieser Region auch in Zukunft schweigen.
Konkreter haben wir wohl noch nie sowohl - aber nicht
nur - das Existenzrecht Israels schützen als auch unserem Interesse an Stabilität in der gesamten Region des
Nahen Ostens Nachdruck verleihen können.
({3})
Das sage ich auch, weil ich der Meinung bin, das hat
nicht das Geringste mit einer Militarisierung der Außenpolitik zu tun. Ich finde, das Gegenteil ist richtig:
({4})
Europäische Soldaten, vielleicht auch deutsche, könnten
ihren Beitrag dazu leisten, dass der Frieden im Nahen
Osten wieder eine Chance erhält. Wir könnten die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Tür zu einer Fortsetzung des Nahostfriedensprozesses wieder geöffnet
wird. Wir sind natürlich klug genug, um zu wissen, dass
das nicht allein mit Soldaten erfolgen kann. Deshalb
kommt es darauf an, einen möglichst klugen Mix aus militärischem Beitrag auf der einen Seite - natürlich - und
- natürlich auch - humanitärer Hilfe und unseren Angeboten zum Wiederaufbau im Libanon auf der anderen
Seite zu schaffen.
({5})
Ähnlich handeln wir auch in Afghanistan. Damit wir
uns nicht missverstehen: Ich bin - das habe ich seit meiner Rückkehr aus Afghanistan gesagt - gegen jedes
Schönreden der dortigen Situation. Die Situation, erst
recht vor Ort betrachtet, gibt in der Tat immer noch Anlass zu Sorge, in manchen Regionen Afghanistans sogar
Anlass zu wachsender Sorge. Ich sage dennoch: Nach
23 Jahren Krieg und Bürgerkrieg in diesem Land ist dort
etwas in Gang gekommen: eine gewisse Stabilisierung
politischer Institutionen. Die Flüchtlinge können Gott
sei Dank wieder in ihr Land zurückkehren, auch wenn an
manchen Stellen vielleicht mehr zurückkehren, als das
Land vertragen kann: Kabul hat eine Infrastruktur für
etwa 1 bis 1,5 Millionen Menschen; jetzt leben circa
4 bis 4,5 Millionen Menschen dort. Insofern kann es
nicht erstaunen, dass die Versorgungssituation mehr als
nur schwierig ist.
Wir tun mehr, als nur unseren militärischen Beitrag zu
leisten. Wir leisten Hilfe zur Wiederherstellung der Wasserversorgung und der Elektrizitätsversorgung. Wie Sie
wissen, tun wir das gerade nicht nur mit Soldaten, sondern auch mit Regierungsberatern, Lehrern und Entwicklungshelfern. Ich war froh, bei meinem Besuch zu
sehen, dass eine Schule mit insgesamt 7 000 Schülerinnen jetzt sogar um einen naturwissenschaftlichen Zweig
erweitert wird. Ich finde, diese Ergebnisse dürfen wir
nicht durch verantwortungslose Diskussionen in der Öffentlichkeit preisgeben.
({6})
Ich weiß sehr wohl, dass einer der umstrittensten
Punkte hier im Bundestag unser Engagement im Kongo
war und ist. Wir wollen nicht so tun, als sei das Engagement bereits zu Ende und ohne jedes Risiko. Ich finde
aber, dass es sich bisher gelohnt hat. Nur durch die Anwesenheit der europäischen Truppenkontingente konnte
nach dem beginnenden Aufruhr Schlimmeres verhindert
werden. Wären die europäischen Truppen nicht dort gewesen, dann hätte die Unruhe nicht im Keim erstickt
werden können.
({7})
Ich füge hinzu: Auch dort sind unser Militär und unser
militärischer Beitrag nur der kleinere Teil. Auch dort
engagieren wir uns jetzt seit mehr als drei Jahren mit Beratung, mit der Hilfe bei der Wasserversorgung und in
vielen Gesundheitsprojekten. Ich finde, auch das sollten
wir nicht kleinreden.
Nachdem ich das vorab gesagt habe, verstehen Sie
auch bitte meinen Satz richtig, dass ich es nicht ertragen
kann, dass mit dem Argument der Militarisierung der
Außenpolitik unsere Bemühungen um verantwortungsvolle Entscheidungen hier in Misskredit gebracht werden.
({8})
Zu meinem Bedauern muss ich sagen, dass ich das von
der Linkspartei erwartet hatte. Ich hatte mir vorgenommen, nichts Weiteres dazu zu sagen. Ich finde nur, dass
man das, was Oskar Lafontaine in seiner Rede gesagt
hat, so nicht stehen lassen kann.
({9})
Es ist unerträglich, dass Oskar Lafontaine hier den Eindruck erweckt, als seien diejenigen, die helfend ins Ausland gehen, diejenigen, die für Terrorismus verantwortlich sind. Das kann man nicht sagen.
({10})
Ich finde es unredlich, dass gerade diejenigen, die jeden Tag das Völkerrecht und die Vereinten Nationen
gegen eine schlechte Realität ins Feld führen, den Vereinten Nationen dann die Hilfe versagen, wenn sie der
Hilfe bedürfen. Das geht nicht. Das ist inkonsequent.
({11})
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Dehm?
Ja.
Damit Ihr Zitat von Oskar Lafontaine nicht falsch stehen bleibt, frage ich mit Bezug auf den Zwischenruf
„Unerhört!“: Wie unerhört ist es denn, wenn der bayerische Innenminister sagt, dass mit dem militärischen Engagement im Ausland die Wahrscheinlichkeit von Anschlägen im Inland wächst?
Ich habe den Zusammenhang der Sätze von Oskar
Lafontaine sehr genau gehört und ich hätte mich nicht
mit einem Beitrag zu Wort gemeldet, wenn ich nicht der
Meinung wäre, dass hier gegenüber der deutschen Bevölkerung der Eindruck erweckt werden sollte, dass der
Terrorismus nicht die Ursachen hat, die wir landläufig
öffentlich diskutieren, sondern dass diese eher in
unseren Entscheidungen liegen. Das muss ich mit aller
Schärfe zurückweisen.
({0})
Herr Dehm, einen allerletzten Satz zu diesem Punkt.
Vielleicht gebe ich mir zu viel Mühe; aber lassen Sie
mich noch sagen, dass ich es am Ende auch zynisch
finde, dass Sie sagen, der internationale Beitrag zur Stabilisierung könne und dürfe nicht kommen - jedenfalls
nicht mithilfe des Einsatzes deutscher Soldaten -, obwohl Sie wissen, dass der Waffenstillstand und das Ende
der Kampfhandlungen nur durch eine Resolution erreichbar waren, mit der sich die internationale Staatengemeinschaft zur Hilfe verpflichtet hat. Sie wissen sehr
genau: Wenn wir nicht so entschieden hätten, dann wäre
das Kämpfen weitergegangen und weitere Menschen
wären gestorben. Deshalb kann ich das so nicht ertragen.
({1})
Bei der FDP - das habe ich verstanden - ist das keine
prinzipielle Haltung gegen Auslandseinsätze; ich
glaube, so habe ich das richtig gezeichnet. Aber auch da
habe ich den Hinweis auf Umfragewerte und öffentliche
Akzeptanz zu kritisieren. Es ist nicht unsere Aufgabe, jedenfalls nicht die Aufgabe einer Regierung, auf Umfragewerte zu schauen und danach zu entscheiden, ob wir
einen Auslandseinsatz billigen oder nicht.
({2})
Erst recht unverständlich finde ich das, was ich in den
letzten Tagen in der Presse gelesen habe, nämlich dass
uns angeblich das Gesamtkonzept fehlt. Das ist ein billiges Argument. Die Wahrheit ist konkret: Den Schutz
brauchen die Menschen jetzt, nicht dann, wenn die FDP
zu diesem Thema irgendwann ihre Weltformel gefunden
hat.
({3})
Verzeihen Sie mir in diesem Punkt die Emotionen.
Aber ich finde schon, dass wir hier miteinander Klartext
reden müssen. Unsere Außenpolitik ist in sich konsistent. Niemals ist ein Kontingent deutscher Soldaten in
eine Region mit dem Auftrag geschickt worden, dort
Land zu zerstören oder den deutschen Machteinfluss zu
vergrößern. Das war nie das Ziel deutscher Einsätze.
Diese Regierung und auch die Vorgängerregierungen haben mit ihren Entscheidungen immer versucht, entweder
Friedensverträge zu überwachen, für die Menschen Stabilität zu schaffen oder Vertreibung und Massenmord zu
beenden. Das ist die Verantwortung deutscher Politik.
Das ist vielleicht auch das, was Europa als Botschaft
in die Welt aussenden kann: Wir in Europa haben gelernt, auch über tiefe Gräben, über Mauern und auch
über Trümmerberge hinweg zusammenzufinden und zusammenzuwachsen. Wenn das die europäische und auch
die deutsche Botschaft ist, dann will jedenfalls ich gerne
dafür arbeiten.
({4})
Ganz in diesem Sinne verstehe ich unseren Beitrag,
den wir in den letzten drei bis dreieinhalb Jahren im
Konflikt um das iranische Atomprogramm geleistet
haben. Sie wissen: Ich stehe für die Bemühungen und
auch für die Fortsetzung der Bemühungen um eine diplomatische Lösung. Wir sind uns im Kreise der Sechs
einig, dass es nicht hingenommen werden kann, dass
sich mit dem Iran im Mittleren Osten ein Staat atomar
bewaffnet, was zumindest in der ganzen Region ein atomares Aufrüsten zur Folge haben könnte. Deshalb
freuen wir uns, dass vom Iran Verhandlungsbereitschaft
signalisiert wird.
Wir brauchen aber belastbare Signale. Belastbare
Signale heißt, dass entsprechend der Bitte des Sicherheitsrates verhandelt wird. Das bedeutet aber auch:
Wenn wir am Verhandlungstisch sitzen, können nicht
täglich neue Fakten in Gestalt neuer Zentrifugen geschaffen werden. Diese Voraussetzungen müssen erfüllt
werden. Dazu muss die iranische Regierung ein Wort sagen. Ich hoffe, dass dies in diesen Tagen im Gespräch
des iranischen Verhandlungsführers mit Solana geschieht.
({5})
Ich möchte in aller Kürze noch zwei weitere Themen
ansprechen. Wie Sie wissen, haben wir die Chance und
die Verpflichtung zugleich, im nächsten Jahr sowohl die
EU-Ratspräsidentschaft wie auch die G-8-Präsidentschaft auszuüben. Ich freue mich darüber, dass wir diese
Chance haben. Wir sind noch nicht an dem Punkt angelangt, an dem wir in allen Details über die Agenda dieser
beiden Präsidentschaften reden sollten. Das werden wir
an anderer Stelle ausführlich tun.
Es geht um Folgendes: Wir müssen während der EURatspräsidentschaft versuchen, das sicherlich deutlich
gesunkene Vertrauen der Menschen in Europa zurückzugewinnen. Die Menschen wissen im Augenblick nicht
mehr so richtig, ob und zu welchem Vorteil die Europäische Union für sie tätig ist. Viele empfinden Europa als
zu bürokratisch. Manche sagen: Europäische Entscheidungen haben mit meinem Alltag nichts zu tun. - Das
letzte Argument scheint insbesondere mit Blick auf die
mangelnde soziale Sensibilität der entscheidende Grund
dafür gewesen zu sein, weshalb die Abstimmungen in
Frankreich und in den Niederlanden so ausgegangen
sind, wie sie ausgegangen sind.
Man kann das im Augenblick nicht durch Befehl verändern; das wissen Sie. Deshalb kann ich Ihnen natürlich
jetzt nicht sagen, wann die Verfassung, die wir nach meiner Überzeugung so dringend wie nie zuvor brauchen, in
Kraft treten wird.
Aber ich glaube, dass wir von heute an die Zeit nutzen
können, um auf der einen Seite die Sorgen und Ängste
der Menschen, die sie im Umgang mit Europa haben,
ernst zu nehmen und auf der anderen Seite mit ihnen zu
diskutieren, um dann im ersten Halbjahr 2007 ein hoffentlich substanzreiches Gespräch mit den neuen Mitgliedstaaten, die dann noch nicht den Verfassungsvertrag ratifiziert haben, zu führen, um das, was nach
meiner Auffassung notwendig ist - die politische Substanz des Verfassungsvertrags -, zu erhalten. Aber das
wird nicht allein auf deutschen Schultern ruhen können.
Das wird nur dann möglich sein, wenn alle in Europa
mitmachen.
({6})
Abschließend möchte ich noch einen Punkt ansprechen. Ich weiß, dass die Generaldebatte in erster Linie
dafür vorgesehen ist, einige Grundlinien der jeweiligen
Politikbereiche zu zeichnen. Das habe ich zwar getan,
aber etwas abweichend von den Usancen.
Auch wenn ich weiß, dass das eigentliche Gerangel
um Haushaltspositionen erst im Haushaltsausschuss
stattfindet, möchte ich einige Bemerkungen vorwegschicken. Auch mit Blick auf das, was ich zu Beginn meiner
Rede ausgeführt habe, auf die wachsende Zahl der Krisenherde und das damit einhergehende verstärkte Engagement des auswärtigen Dienstes, müssen wir, glaube
ich, noch einmal neu darüber nachdenken, ob wir auf
solche Situationen bestmöglich eingestellt sind.
Wenn das, was ich am Anfang festgestellt habe,
stimmt - dass Außenpolitik mehr und mehr Weltinnenpolitik geworden ist -, dann ist es ebenso logisch, dass
wir jenseits von militärischen Beiträgen ein immer breiteres und umfassenderes Herangehen an solche Situationen brauchen und dass wir uns verständlicherweise nicht
auf die jeweiligen Versuche werden beschränken können, nur aktuelle Krisen zu bewältigen. Deshalb - darin
sind wir uns im Kabinett einig - werden wir uns mehr
und mehr auch mit präventiver Diplomatie in die Regionen begeben müssen, um das Entstehen von Spannungen möglichst ganz außen vor zu lassen
({7})
bzw. soweit unter Kontrolle zu halten, dass sich keine
Krisensituationen wie jetzt daraus entwickeln können.
Sie wissen, dass über die Konfliktherde, die wir jetzt
berührt haben, hinaus die Aufgaben des auswärtigen
Dienstes immens gewachsen sind. Ich freue mich darüber, dass die Botschaften bzw. der auswärtige Dienst
draußen in der Welt mehr und mehr als Türöffner für die
Interessen der Wirtschaft genutzt werden. Ich freue mich
auch darüber, dass der auswärtige Dienst zur Erarbeitung
von Konzepten etwa zur langfristigen Rohstoff- und
Energiesicherung in Europa herangezogen wird. Ich
freue mich auch darüber, dass die Mobilität der Menschen in Deutschland immer mehr zunimmt. Aber das
berührt uns, den auswärtigen Dienst, in doppelter Hinsicht. Je mehr Menschen unterwegs sind, umso stärker
werden auch die Visa- und Konsularstellen genutzt, jedenfalls dann, wenn Notfälle auftreten. Sie haben gerade
am Beginn dieses Jahres gesehen, dass die Mobilität verbunden mit den vielen Konfliktlagen letztendlich auch
dazu führt, dass der Krisenstab häufiger - aus meiner
Sicht in diesem Jahr dreimal zu oft - einberufen werden
muss.
Sie haben vielleicht auch gesehen, dass es in einer adhoc-Situation mit einer Kraftanstrengung möglich war,
innerhalb von wenigen Tagen 6 000 Deutsche über Beirut, Damaskus und Zypern aus dem Libanon - insbesondere aus dem südlichen Libanon - herauszuholen.
({8})
Ich sage das deshalb, um es mit einem Dank an diejenigen zu verbinden, die dafür Sorge getragen haben. Ich
möchte aber auch deutlich machen, dass sich auf Dauer
solche Situationen nicht mit der gegenwärtig vorhandenen Ausstattung bewältigen lassen. Mit Hinweis darauf,
dass wir seit 1990 circa 25 Auslandsvertretungen mehr
und 10 Prozent Beschäftigte weniger haben, sollten wir
- jedenfalls für die Zukunft; ich weiß, dass das nicht in
einem Haushaltsverfahren erreicht werden kann - in ein
mehrjähriges offenes und etwas fruchtbareres Gespräch
über die Ausstattung des auswärtigen Dienstes eintreten.
({9})
Sie wissen, dass es keine Macke von mir ist, wenn ich
am Ende meiner Rede auf die auswärtige Kultur- und
Bildungspolitik hinweise.
({10})
Dieses Thema ist in den Debatten vielleicht nicht in ausreichendem Maße vorgekommen. Ich jedenfalls halte die
auswärtige Kultur- und Bildungspolitik für eines der
wertvollsten Instrumente, die wir haben.
({11})
Im Ausland erfolgt der erste Kontakt mit Deutschland
über die deutsche Kultur, weil die Menschen entweder
die deutsche Sprache erlernen wollen, in eine deutsche
Schule gehen oder ein Stipendium vom DAAD oder der
Alexander-von-Humboldt-Stiftung haben. 50 Prozent
derjenigen, die im Ausland eine deutsche Schule besuchen, studieren später in Deutschland, gehen anschließend in ihre Heimatländer zurück und gehören dort nach
einigen Jahren entweder zur wirtschaftlichen oder zur
politischen Elite. Deshalb sage ich: Lasst uns das nicht
kurzfristig betrachten! Hier lohnen sich Investitionen.
Anders gesagt: Mittel für Straßen und Schienen sowie
für Forschung und Bildung sind sicherlich Investitionen
in die Zukunft Deutschlands. Aber eine gute und gut
ausgestattete Außenpolitik ist ebenfalls eine Zukunftsinvestition.
Vielen Dank.
({12})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Werner Hoyer,
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Außenpolitik hat einen solchen breiten Raum in der
Debatte über den Kanzlerinetat eingenommen, dass man
die vorbereiteten Manuskripte getrost vergessen kann
und sich lieber auf ein paar andere wichtige Punkte konzentrieren sollte.
({0})
Der geplante Libanoneinsatz spielt in der heutigen
Debatte eine große Rolle. Ich war in der letzten Woche
von der Art und Weise beeindruckt, wie die Positionen
dazu bei uns intern aufeinander getroffen sind. Es sind
drei Argumentationslinien. Je mehr ich mich umhöre,
desto mehr finde ich diese Linien zumindest in den klassischen Fraktionen wieder. Die Vertreter der ersten Argumentationslinie sagen, dass mit der deutschen Einheit,
dem Erreichen dieses großen Ziels, eine sehr große Verantwortung verbunden ist. Angesichts dessen und vor
dem Hintergrund unserer Geschichte tragen wir Verantwortung für die Stabilität im Nahen Osten und müssen
die Lebensverhältnisse der dort lebenden Menschen verbessern und ihnen eine Perspektive geben. Des Weiteren
haben wir eine große Verantwortung im Hinblick auf das
Existenzrecht Israels als jüdischen Staat in sicheren
Grenzen sowie das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser. Das ist sicherlich richtig.
Die Vertreter der zweiten Argumentationslinie sagen:
Gerade wegen unserer geschichtlichen Verstrickungen
kommt ein solcher Einsatz gar nicht infrage; denn wenn
der Konflikt eskaliert und es ernst wird, dann ergreifen
wir selbstverständlich Partei und werden uns erst recht
nicht an einer Mission beteiligen, die Neutralität erfordert. Ich finde, das ist eine respektable Position. Diese
darf man nicht als Fundamentalverweigerung abtun, erst
recht nicht bei denjenigen, die zuvor bei anderen Auslandseinsätzen deutlich gemacht haben, dass sie keine
Hemmungen haben, zuzustimmen, wenn es denn klug
erscheint.
Die Vertreter der dritten Argumentationslinie, zu denen ich mich bekenne, sagen: Ich schließe spätestens
nach der Argumentation, die uns eine aktive Beteiligung
auf dem Balkan gebracht hat, eine aktive Mitwirkung an
der Problemlösung im Nahen Osten gar nicht aus. Für
mich ist es dann aber eine Frage der politischen Klugheit, mit welchen Instrumenten deutscher Außenpolitik
man sich engagiert.
({1})
Ich komme dabei zu dem Ergebnis, dass Deutschland
gut beraten ist - gerade weil sich die Bundeskanzlerin
und der Bundesaußenminister heute dankenswerterweise
wieder sehr stark dem politischen Prozess, um den es
dort geht, zugewendet haben -, an die militärische Dimension als Allerletztes zu denken und im konkreten
Fall eine militärische Beteiligung sein zu lassen.
({2})
Ich gehe jetzt gar nicht auf die Fragen ein, die verteidigungspolitischer Natur sind. Das kommt nachher.
Die Auseinandersetzung um Briefe, die gegenwärtig
irgendwo in der Welt kursieren, zeigt doch, dass sehr
leicht Situationen denkbar sind, in denen zweierlei passieren kann: Entweder steht ein deutscher Soldat tatsächlich einmal einem israelischen Soldaten mit der Waffe in
der Hand gegenüber bzw. es steht ein deutsches Schiff
einem israelischen U-Boot gegenüber oder wir werden
zur Ersatzzielscheibe für Heißsporne unter arabischen
oder islamistischen Gewalttätern, die uns letztlich doch
als Partei wahrnehmen. Ersatzzielscheibe zu sein, ist etwas, was ich den Soldaten der Bundeswehr nicht zumuten möchte. Lassen Sie uns also differenziert argumentieren. Ich stelle fest, dass diese Diskussion in allen
Parteien stattfindet. Deswegen sollte man nicht die große
Keule schwingen.
({3})
Die FDP hat im Übrigen eine Vergangenheit, was die
Auslandseinsätze der Bundeswehr angeht. Den meisten
haben wir zugestimmt. Wir haben bei einigen mit Nein
gestimmt, insbesondere beim Kongoeinsatz. Da hat sich
übrigens an unseren Bedenken nichts geändert. Es gab
auch Einsätze, zum Beispiel die Entsendung der ISAF
nach Kabul, denen wir zugestimmt haben, wo wir aber
gleichzeitig argumentiert haben, warum wir die Ausweitung des Einsatzes nach Kunduz für sehr bedenklich halten, nämlich weil man nicht die Quadratur des Kreises
zuwege bringen kann. Über Jahre hinweg sind die Warlords und Drogenbarone in eine außerordentlich günstige
Position gebracht worden - es geht hier nicht in erster
Linie um die Drogenanbauer, sondern um die Drogenhändler -,
({4})
sodass diese mittlerweile 85 Prozent des Sozialprodukts
in Afghanistan erwirtschaften, sie ihr Geld international
und national anlegen und entsprechend ihre Machtpositionen verfestigen. Man findet diese Damen und Herren
- ich weiß, wie sehr Sie das in Ihren Gesprächen mit Ihren afghanischen Kollegen kritisieren - in den Kabinetten und den Verwaltungsstrukturen dieses Landes. Deswegen muss es legitim sein, die Frage zu stellen, ob das
wirklich in die richtige Richtung läuft. Ich betone dabei:
Keiner von uns unterschätzt oder verleugnet gar die riesige Leistung, die Bundeswehr, Entwicklungshelfer und
viele andere in Afghanistan erbracht haben.
({5})
Irgendwann aber kommt einmal der Punkt, an dem
eine Statusabfrage fällig ist: Wo stehen wir denn? Seien
wir ehrlich, meine Damen und Herren: Auf internationaler Ebene - übrigens ganz besonders stark in den Vereinigten Staaten, die uns, zumindest was ihre Think Tanks
und ihre Zeitungen angeht, in der kritischen Analyse der
Lage manchmal weit voraus sind - gibt es längst eine
Diskussion darüber, ob wir uns nicht möglicherweise auf
einer schiefen Ebene befinden und ob wir in der Bekämpfung des internationalen Terrorismus nicht bisweilen mit den falschen Mitteln arbeiten. Möglicherweise
verprellen wir geradezu diejenigen, die in den verschiedenen Ländern und Organisationen gutwillig sind oder
wären und die wir dringend brauchen, um zum Beispiel
einen Friedensprozess im Nahen Osten herbeizuführen,
wenn wir so vorgehen, wie manche vorgehen. Es steht
mir nicht an, ein Land, das um sein Überleben kämpft
und gegenüber dem wir eine ganz besondere Verantwortung haben, hier billig zu kritisieren. Aber es macht mir
ganz einfach Sorge, dass unsere israelischen Freunde
kaum mehr jemanden in der Region haben, mit dem sie
einen vertrauensvollen Dialog führen könnten. Das war
vor kurzem noch anders.
Deswegen begrüße ich es, dass wir den politischen
Prozess in den Vordergrund rücken. Ich glaube, Deutschland wird dort eine sehr wesentliche Rolle spielen. Es
gibt unter den größeren europäischen Partnern sehr wenige, die für sich in Anspruch nehmen können, in Israel
über jeden Zweifel erhaben zu sein und zugleich ein großes Vertrauenskapital in der arabischen Welt zu besitzen.
Das Kapital muss Deutschland nutzen. Ich glaube, die
militärische Beteiligung kann da eher kontraproduktiv
sein.
({6})
Wenn ich hier anreiße, ob beispielsweise in Afghanistan manches schief läuft, dann meine ich damit niemals - das läge meinem Denken völlig fern - unilaterale
deutsche Entscheidungen bzw. die Entscheidung, die
Bundeswehr zurückzuziehen. Darum kann es nicht gehen. Ich sage aber gerade als Internationalist: Es geht
mir bisweilen auf den Keks - ich bin dankbar, dass Sie
von Schönreden gesprochen haben -, dass wir uns bei
den NATO-Treffen erst einmal versichern, wie toll und
wichtig unser gemeinsames Engagement in Afghanistan
ist. Ich habe manchmal den Eindruck, dass die NATO zu
Beginn der Periode nach dem 11. September 2001, als
der Bündnisfall festgestellt worden ist, unheimlich wichtig für Afghanistan war, obwohl sie hinterher als Institution nicht mehr genutzt worden ist. Heute scheint Afghanistan für die NATO unheimlich wichtig zu sein. Die
Raison d’Être der NATO geht aber über das, was wir in
Afghanistan tun, weit, weit hinaus. Ich bin daran interessiert, dass dieses Bündnis aufrechterhalten und ausgebaut wird. Das gilt erst recht, da in den Vereinigten Staaten ein Paradigmenwechsel stattzufinden scheint, selbst
bei der Bush-Administration, die offenbar wieder mehr
auf Institutionen als auf Coalitions of the Willing setzen
will.
Man muss sich angesichts dessen die Frage stellen:
Geht in der Abrüstungspolitik nicht etwas granatenmäßig schief? Kann es wirklich sein, dass unsere amerikanischen Freunde die indischen Atomwaffen aus nachvollziehbaren wirtschaftlichen und globalstrategischen
Erwägungen geradezu segnen?
({7})
Wenn das so ist, führt es dazu, dass der Stopp von Proliferation wirklich ein Ende hat und dass demnächst eine
Vielzahl von weiteren Atommächten am Horizont erscheint.
Deutschland hat auch hier eine besondere Rolle zu
spielen. Wir haben frühzeitig und endgültig unseren Verzicht auf Atomwaffen erklärt und dabei bleibt es. Deswegen können wir anderen gegenüber argumentieren,
dass es eine gute Zukunft ohne Atomwaffen geben kann.
({8})
Ich frage: Wo gibt es eine Initiative auf diesem Gebiet,
damit die Abrüstungspolitik endlich wieder in Gang
kommt?
Ich mahne, bezüglich noch manch anderer Frage eine
Bestandsaufnahme zu machen. Wir sollten uns kritisch
fragen: Sind wir auf dem richtigen Wege oder sollten wir
Kurskorrekturen vornehmen? Die Situation in Polen
macht mir außerordentliche Sorge. Polen ist für uns ein
ganz besonders wichtiger Partner. Die gegenwärtig herrschende Sprachlosigkeit muss überwunden werden.
({9})
Das ist teilweise eine Generationenfrage, aber teilweise
geht es auch weit darüber hinaus.
Die Bedeutung des Verhältnisses zu Russland wird
von uns überhaupt nicht unterschätzt. Ich begrüße, dass
Deutschland im Hinblick auf die Präsidentschaft dort einiges vorbereitet. Aber eine werteorientierte Außenpolitik muss ihre strategischen Partnerschaften natürlich
auch über einen Gleichklang bei Werten definieren. Ich
hoffe, dass es gelingt, auch das deutlich zu machen.
Herr Kollege!
Demokratieexport durch Wahlen und Marktwirtschaftexport durch einen freien Markt ohne eine funktionierende Rechtsordnung können auf die Dauer nicht
funktionieren. Deswegen ist es wichtig, dass man sich
über grundlegende Werte verständigt.
Danke schön.
({0})
Das Wort hat der Kollege Dr. Andreas Schockenhoff,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir haben heute Morgen über die positiven Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt und in der Wirtschaft nach
neun Monaten großer Koalition gesprochen. Ich möchte
mit einer kurzen Zwischenbilanz im Hinblick auf die
Außenpolitik beginnen. Schon vor einigen Monaten hat
die „FAZ“ dazu geschrieben - ich zitiere -:
Die Bilanz positiv zu nennen wäre eine Untertreibung.
Lassen Sie mich kurz an drei Beispielen zeigen,
welch deutliche Veränderung in der Substanz es gegeben
hat:
Erstens. Deutschland ist wieder ein geachteter und gefragter Partner in der internationalen Politik. Das
tiefe Misstrauen im Bündnis und in der EU ist überwunden. Wir können wieder der politischen und wirtschaftlichen Bedeutung unseres Landes entsprechend Einfluss
nehmen und unsere Interessen voll wahren.
({0})
Dafür, dass dies wieder möglich ist, möchte ich der Bundeskanzlerin, aber auch Ihnen, Herr Außenminister, ganz
besonders danken.
({1})
Zweitens. In den transatlantischen Beziehungen
gibt es ein neues Vertrauensverhältnis. Weil das so ist,
können wir im Dialog auch wieder unterschiedliche Auffassungen - selbst in sehr sensiblen Fragen - im Geiste
der Freundschaft und Partnerschaft austragen, so wie es
die Bundeskanzlerin zum Beispiel im Hinblick auf die
Situation in Guantanamo öffentlich getan hat. Das war
unter einem grünen Außenminister trotz aller Menschenrechtsbekenntnisse eben nicht möglich. So sehr war das
Vertrauensverhältnis zerrüttet, dass jede - auch berechtigte - Kritik gleich als Antiamerikanismus verstanden
worden wäre.
({2})
Weil dieses Vertrauensverhältnis wieder da ist, ist es
der Bundesregierung gelungen, die USA in der Iranfrage
wieder an den Verhandlungstisch zu bringen. Wie wertvoll es ist, die großen Sechs, anders als im Irakkrieg, zusammenzuhalten und eine Spaltung des Sicherheitsrats
zu vermeiden, zeigt sich gerade in diesen Tagen, in denen es darum geht, dem Iran auch weiterhin geschlossen
gegenüberzutreten.
Drittens. Da wir heute über den Haushalt 2007 sprechen, möchte ich feststellen: Es ist gut, dass diese Bundesregierung endlich den dramatischen Personalabbau
im Auswärtigen Amt stoppt und umkehrt. 683 Stellen
sind in den letzten Jahren abgebaut worden mit der Folge
- Herr Steinmeier, Sie haben zu Recht darauf hingewiesen -, dass die Lücke zwischen dynamisch wachsenden
Aufgaben und personeller Leistungsfähigkeit immer
größer wird. Das ist nicht nur für die Mitarbeiter des Außenministeriums unzumutbar; es schadet auch der Wahrung und Durchsetzung deutscher Interessen.
Wir wissen, dass wir das angesichts der Haushaltslage
nur sehr mühsam korrigieren können. Gleichwohl müssen wir uns daranmachen. Ich will Ihre Schlussbemerkung, Herr Außenminister, ausdrücklich wiederholen:
Die finanzielle Ausstattung unserer Außen- und Sicherheitspolitik ist eine gute Investition für die Zukunft.
({3})
Es gibt in der deutschen Außenpolitik keine Showeffekte mehr. Das mag manchem Beobachter weniger unterhaltsam erscheinen, aber dafür ist die deutsche Außenpolitik wieder seriös, berechenbar, effizient und
deshalb auch erfolgreich geworden.
({4})
Wenn wir in unserer Bevölkerung eine möglichst
große Unterstützung für die Entscheidung finden wollen,
deutsche Soldaten in den Nahen Osten zu entsenden,
dann müssen wir deutlich machen, was dabei deutsche
Interessen sind. Was also sind unsere Interessen?
Erstens. Wir haben ein klares Sicherheitsinteresse,
dass die Region befriedet und stabilisiert wird. Jeder
Konflikt dort hat unmittelbare Auswirkungen auf uns.
Wie nahe die Bedrohung sein kann - auch dazu hat der
Außenminister schon Stellung genommen -, haben als
jüngstes Beispiel die Verhaftungen im Zusammenhang
mit den geplanten Kofferbombenattentaten gezeigt.
Zweitens. Wir haben ein klares Interesse an der
Sicherung des Existenzrechts Israels. Ich möchte in Erinnerung rufen, was wir im Bundestag am 12. Mai letzten Jahres mit großer Mehrheit beschlossen haben - ich
zitiere -:
Der Deutsche Bundestag bekräftigt erneut, dass das
Recht der Bürger Israels, in sicheren Grenzen frei
von Angst, Terror und Gewalt leben zu können, für
uns einen elementaren Bestandteil der Solidarität
und Freundschaft darstellt.
Es war richtig und gut, finde ich, dass wir das damals
fast einstimmig beschlossen haben. Jetzt geht es darum,
zu zeigen, dass dies nicht nur Sonntagsreden sind, sondern dass wir auch einen konkreten Beitrag leisten. Mit
besonderem Blick auf unsere historische Situation ist der
militärische Beitrag zur Überwachung der libanesischen
Küste angemessen, damit nicht wieder auf dem Seeweg
Waffen, Raketen oder anderes militärische Gerät an die
Hisbollah geliefert wird.
Herr Westerwelle hat die ablehnende Haltung seiner
Fraktion geradezu als Staatsräson bezeichnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, das Mandat zu
ISAF haben Sie 2001 und 2002 mit beschlossen. Sie haben es 2003 und 2004 abgelehnt. 2005 haben Sie dann
wieder zugestimmt.
({5})
Die Operation Enduring Freedom, verehrter Herr Kollege Hoyer, haben Sie 2001 abgelehnt. 2002 haben Sie
zugestimmt. 2003 haben Sie erneut abgelehnt und 2004
wieder zugestimmt. So viel zur Berechenbarkeit der Liberalen in der Außen- und Sicherheitspolitik.
({6})
Im Übrigen: Herr Hoyer, Sie haben das wiederholt,
was auch der Kollege Westerwelle heute Morgen gemacht hat. Wenn Sie Ihre ablehnende Haltung damit begründen, bei dem vorgesehenen deutschen Beitrag könne
es zu einem Feuergefecht zwischen deutschen und israelischen Soldaten kommen, dann müssen Sie schon einmal ganz konkret erklären, wie Sie das meinen und wie
Sie sich das vorstellen. Das haben Sie bisher nicht getan.
Wenn Sie das nicht können, Herr Kollege Hoyer, dann
sind abstrakte Spekulationen über eine militärische Auseinandersetzung zwischen Deutschland und Israel sicherlich kein Beitrag, in Israel das Vertrauen zu erzeugen, von dem Sie zu Recht gesprochen haben.
({7})
Drittens liegt es eindeutig nicht in unserem Interesse
und auch nicht im Interesse der meisten Staaten der Region, dass der iranische Präsident in der arabischen
Welt an Popularität gewinnt, weil er dort als ein Führer
erscheint, der dem Westen die Stirn bietet. Es ist unser
Interesse, dass durch bessere Regierungsführung und
stabile Institutionen eine Grundlage geschaffen wird, auf
der Pluralismus, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte und Wohlstand entstehen und wachsen können. Dies mit einem differenzierten und sensiblen Ansatz zu fördern, ist ein mühsamer Prozess, der langen
Atem braucht. Aber er ist, wie die Erfahrung gezeigt hat,
mit Sicherheit erfolgversprechender als lautstarke Rufe
nach schnellen Wahlen oder der Versuch, unliebsame
Regierungen zu destabilisieren und zu schwächen.
Viertens haben wir ein vitales Interesse daran, staatliche Strukturen zu stärken. Denn wenn die Menschen
die Erfahrung machen, dass der Staat ihnen Sicherheit,
Wohlfahrt und Rechtsstaatlichkeit bietet, werden sie sich
auch an staatlicher Politik und nicht an konfessionellen
Organisationen wie Hisbollah, Hamas oder Muslimbrüdern orientieren. Zum anderen ist mit schwachen Staaten
keine verlässliche wirtschaftliche oder politische Partnerschaft möglich; noch weniger lassen sich mit ihnen
regionale Sicherheitsstrukturen aufbauen.
Fünftens haben wir ein Sicherheitsinteresse an einer
Regelung des Nahostkonfliktes. Die Wiederbelebung
des Nahostfriedensprozesses steht in unmittelbarer
Wechselwirkung mit der Befriedung im südlichen Libanon und damit auch mit der Unterbindung der Waffenlieferungen an die Hisbollah.
Sechstens haben wir aufgrund des Engagements vieler deutscher Unternehmen ein berechtigtes wirtschaftliches Interesse an der Befriedung der Region.
Was ist zu tun? Die Resolution 1701 nennt indirekt
die Voraussetzungen für einen stabilen Frieden und damit die Ziele im Libanon: einen Libanon ohne die waffenstrotzende Hisbollah, einen Libanon außerhalb des
Einflusses Syriens oder Irans, einen Libanon befreit aus
den Fängen des Islamismus. Das zeigt die ganze Größe
der Herausforderung.
Oberstes Ziel über die Befriedung der Situation im
südlichen Libanon hinaus muss es sein, den Einfluss der
Hisbollah in der libanesischen Gesellschaft deutlich zu
begrenzen. Ein weiterer Anstieg des Ansehens dieser
vom Iran protegierten und gesteuerten Terrororganisation liegt nicht im Interesse des libanesischen Staates
und erst recht nicht in unserem Interesse.
Deshalb muss alles getan werden, um die staatliche
Autorität der libanesischen Regierung zu stärken. Es
geht dabei zum Ersten darum, über die jetzt angelaufene
schnelle Hilfe zur Überwindung der Kriegszerstörungen
hinaus die libanesische Regierung dabei zu unterstützen,
eine nachhaltige Verbesserung der Lebensbedingungen
der Menschen zu schaffen. Das betrifft beispielsweise
den Ausbau und die Modernisierung des Gesundheits-,
Schul- und Bildungswesens, der Infrastruktur oder die
Bereitstellung von Wohnungen.
Zum Zweiten geht es darum, die staatlichen Strukturen deutlich zu stärken, also dabei mitzuhelfen, Polizei
und Militär durch Training und Ausrüstungshilfe möglichst schnell durchsetzungsfähig zu machen und die
Rechtsstaatlichkeit zu verbessern.
Zum Dritten geht es darum, diejenigen Kräfte im Libanon zu unterstützen und wieder zu stärken, die sich für
Demokratie und Eigenständigkeit einsetzen, die aber
durch den Krieg in eine schwierige Lage gekommen
sind.
Dies auch mit der langfristigen Unterstützung durch
die EU zu erreichen, ist kein utopisches Ziel, sondern
eine realisierbare Möglichkeit. Wenn es gelingt, die Autorität des libanesischen Staates deutlich zu stärken,
dann besteht auch die Chance, die Hisbollah durch eine
Intensivierung des nationalen Dialogs zu einem dauerhaften Gewaltverzicht zu bewegen und sie, zumindest
teilweise, in die regulären Streitkräfte zu integrieren.
Meine Damen und Herren, eine nachhaltige Stabilisierung des Libanon wird nur zu erreichen sein, wenn es
parallel dazu zu einer Wiederbelebung des regionalen
Friedensprozesses kommt. Wichtige Voraussetzungen
dafür sind eine umgehende Freilassung des in Gaza
entführten israelischen Soldaten und ein Ende des Raketenbeschusses von Israel. Unverzichtbar sind das Bekenntnis aller palästinensischen Gruppierung zum Gewaltverzicht, die Anerkennung des Existenzrechts
Israels und die Unterstützung des Friedensprozesses.
Die jetzt in Stockholm beschlossene Hilfe ist ein
wichtiges Signal an die palästinensische Bevölkerung:
Wir wollen sie nicht nur humanitär und wirtschaftlich,
sondern auch beim Aufbau staatlicher Strukturen unterstützen. Es soll nicht bei dieser Stockholmer Aktion bleiben. Auch deshalb wäre die Bildung einer Regierung der
nationalen Einheit wichtig.
Doch auch Israel muss sein Beitrag leisten, beispielsweise durch den Abzug seiner Militärkräfte aus dem Gazastreifen, durch die Freilassung der im Zuge der Krise
inhaftierten Hamasparlamentarier, sofern gegen diese
nichts vorliegt,
({8})
und durch die Umsetzung des Abkommens über Bewegung und Zugang, um in den palästinensischen Gebieten
die Voraussetzung für wirtschaftliche Entwicklung und
ein annähernd normales Leben zu schaffen.
({9})
Nicht nur um den Waffenschmuggel über die syrischlibanesische Grenze zu unterbinden, ist es notwendig,
Syrien in die Stabilisierungsbemühungen mit einzubeziehen.
({10})
Im Gegensatz zum Iran ruft Syrien nicht zur Zerstörung
Israels auf. Wiederholt haben sich die Syrer für eine
Rückkehr an den Verhandlungstisch ausgesprochen. Es
ist zu hoffen, dass die Syrer über die Unterbindung illegaler Waffenlieferungen hinaus einen überzeugenden
Beitrag zur Stabilisierung der Region leisten. Wenn dies
der Fall ist, sollte das Assoziierungsabkommen mit der
EU, das ein wichtiger Anreiz zur ökonomischen Stabilisierung des Landes ist, in Kraft gesetzt werden.
Zusammengefasst heißt das:
Erstens. Für die Befriedung der Region gibt es die Libanonresolution 1701 und die Roadmap. Diese müssen
in vollem Umfang angewendet werden. Nur dann wird
auch Vertrauen zwischen den Konfliktparteien entstehen
können.
Zweitens. Für die Existenz Israels ist es wichtig, berechenbare Partner auf der anderen Seite zu haben. Deshalb liegt es im Interesse Israels, dass die Regierung
Siniora stabil bleibt.
Drittens. Solange es in der Region keine Akzeptanz
Israels gibt, wird es auch keine Befriedung geben. Das
Ziel bleibt die Existenz zweier souveräner, lebensfähiger
und demokratischer Staaten Israel und Palästina, verbunden in gemeinsamer Sicherheit und garantiert durch die
internationale Gemeinschaft.
Hierzu müssen und wollen wir unseren Beitrag leisten.
Das alles zeigt, liebe Kolleginnen und Kollegen: Die
nächsten Jahre werden nicht die Zeit großer gestalterischer Visionen, sondern eine Periode harter Arbeit sein,
die uns klare Zielvorstellungen, viel Geduld, ein sensibles Vorgehen und diplomatisches Geschick abverlangen wird.
Das gilt auch für die Beziehungen zum Iran.
Es ist besorgniserregend, mit welcher Arroganz der
Iran sich gegen die internationale Gemeinschaft stellt
und deren Besorgnisse ignoriert. Auch wenn der Iran
zum wiederholten Male gesagt hat, er wolle die Atomenergie nur zu friedlichen Zwecken nutzen, haben wir
überhaupt kein Vertrauen in solche Aussagen. Denn was
will der Iran mit angereichertem Uran anfangen, außer er
plant den Bau der Atombombe? Wer wie der iranische
Präsident zur Auslöschung Israels aufruft und seine
aggressiven Absichten bereits unter Beweis gestellt hat,
indem er die Hisbollah losschickte, um Terror gegen
Israel auszuüben, dem muss man auch unterstellen, dass
er sich dafür die notwendigen Mittel, nämlich Atomwaffen, beschaffen will. Dazu aber darf es nicht kommen.
({11})
Unser Ziel muss bleiben, dass der Iran die Urananreicherung nachprüfbar stoppt.
Deshalb ist es wichtig, dass die Sechs geschlossen
bleiben, um mit diplomatischem Druck auf den Iran einzuwirken. Dafür sehe ich nach wie vor gute Chancen, sowohl mit Blick auf die USA wie auch mit Blick auf
Russland. Auch die Russen wollen keine Mullahs mit
Atomwaffen in ihrer Nachbarschaft - das ist das entscheidende gemeinsame Interesse -, und auch die Russen wollen sich in ihrer Autorität als ständiges Mitglied
des Sicherheitsrates nicht als Papiertiger düpieren lassen. Das sollte der Iran nicht übersehen.
Die Tür zu Verhandlungen steht noch offen, selbst
wenn im Sicherheitsrat begonnen wird, über Sanktionen
zu reden. Aber - auch hier will ich dem Außenminister
nachdrücklich zustimmen - wir brauchen belastbare
Signale des Entgegenkommens.
Meine Damen und Herren, wie mein Vorredner will
auch ich zum Abschluss ein Wort zu unserem Nachbarn
Polen sagen. Es gab in der letzten Zeit an verantwortlicher Stelle in Polen Äußerungen zu Deutschland, die der
tatsächlichen Situation in unserem Land nicht gerecht
werden. Bei aller Sorge über solche Äußerungen war es
dennoch klug, darauf nicht öffentlich zu reagieren; denn
niemand hier hat ein Interesse an einer Eskalation und an
einer Belastung des deutsch-polnischen Verhältnisses.
Es gibt zu viele Herausforderungen, bei denen wir Europäer Geschlossenheit und gegenseitiges Vertrauen brauchen, als dass wir uns einen unnötigen Streit leisten
könnten. Wenn aber dem Bundespräsidenten vorgeschrieben wird, wo er auftreten darf und wo nicht, dann
ist das für uns inakzeptabel und bedarf der öffentlichen
Kommentierung.
({12})
Der Bundespräsident hat am Tag der Heimat eine sehr
ausgewogene Rede gehalten. Es wäre zu wünschen gewesen, dass der polnische Ministerpräsident dazu Stellung bezogen hätte. Denn der Bundespräsident hat dazu
aufgerufen, die in Polen bestehenden Sorgen ernst zu
nehmen, gerade weil wir sie für unbegründet halten.
Keine ernst zu nehmende Kraft in Deutschland wolle die
Geschichte umschreiben, wolle Ursache und Wirkung
verdrehen. Wörtlich sagte der Bundespräsident, dass es
„keinen Zweifel“ daran gebe, „dass das nationalsozialistische Unrechtsregime und der von Deutschland begonnene Zweite Weltkrieg auslösende Ursache von Flucht
und Vertreibung“ gewesen seien.
Ich bin mir sicher, dass der polnische Ministerpräsident an diesen Worten nichts auszusetzen hat. Umso unverständlicher ist es dann aber, dass er wortwörtlich sagt,
es bestehe „in Deutschland eine große, vom Staat unterstützte Struktur, die ständig die Frage der polnischen Gebiete anspricht, die einst zum Deutschen Reich gehört
haben“. Das ist falsch und kann nur zu einer Eskalation
führen, die wir vermeiden sollten.
Ich sage noch einmal: Deutschland und Polen haben
so viele gemeinsame Anliegen, die sie in der Europäischen Union durchsetzen wollen, nicht zuletzt eine neue
EU-Ostpolitik insbesondere gegenüber der Ukraine und
Weißrussland. Hierauf sollten wir unsere Arbeit und unsere Emotionen konzentrieren.
Meine Damen und Herren, die Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesregierung orientiert sich klug an
deutschen Interessen. Sie kann sich dabei auf die Unterstützung der CDU/CSU-Fraktion verlassen.
Vielen Dank.
({13})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Monika Knoche,
Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Herren und Damen! Herr Steinmeier, ich darf mich an
Sie wenden. Sie haben Recht, wenn Sie heute auf den
11. September 2001 verweisen. Aber sind nicht fünf
Jahre nach dem Terroranschlag nahezu alle Beweise erbracht, dass der Kampf gegen den Terror nicht mit Krieg
zu gewinnen ist?
({0})
Das sieht man deutlich in Afghanistan. Über die Situation dort ist zu sagen: Dies ist mit Waffen nicht zu schaffen. Schauen Sie sich den Irak an: Die innenpolitische
Situation ist einfach grauselig.
Ich will auf den Libanon zu sprechen kommen. Am
12. Juli entführte die Hisbollah zwei israelische Soldaten. Stunden später antwortete Israel mit Krieg. Israel
schlug mit einer militärischen Härte zu, die erschüttert.
Israels Ziel: die Hisbollah zu zerschlagen. Dieses
Kriegsziel wurde verfehlt.
Wir hegen keinerlei Sympathie mit der Hisbollah. Die
Heimtücke der Anschläge durch Raketen der Hisbollah,
aber auch das Ausmaß der Kriegsführung Israels veranlassten uns Linke sofort zu einer zentralen Aussage: Die
Waffen müssen schweigen; eine Konferenz für Frieden
ist einzuberufen.
({1})
Aber wollte die Regierung das? Ich denke, eher nein.
Weder die Frau Bundeskanzlerin noch Sie, Herr Außenminister Steinmeier, haben Ihre Ämter dazu genutzt, sich
vorbehaltlos für einen Waffenstillstand einzusetzen. Sie
haben es weder in der EU noch auf der Ebene der Vereinten Nationen getan.
({2})
Vielmehr haben Sie sich im Schlepptau der USA und Israels so lange nicht hinter die Bemühungen des Generalsekretärs Kofi Annan gestellt, bis klar war, dass Israel
seine Kriegsziele nicht wie erwartet erreichen konnte.
Das ist nicht die außenpolitische Rolle, die Deutschland im Nahen Osten einnehmen muss. Gerade weil
Deutschland eine besondere Verantwortung für die Sicherheit Israels und die Eigenstaatlichkeit der Palästinenser hat, darf es sich nicht zu einer einseitigen Parteinahme hinreißen lassen.
({3})
Ich sage ganz bewusst: Ohne die faschistischen Verbrechen, ohne den Holocaust gäbe es den Kernkonflikt Israel/Palästina nicht. Von Normalität sind wir entfernt.
Sie kann uns nicht durch die Regierung Israels zugesprochen werden. Das liegt allein in unserer Verantwortung.
In der grundlegenden Frage deutschen Selbstverständnisses hat die Kanzlerin geschwiegen. Ich habe erwartet, dass sie die Debatte an sich zieht. Sie ließ den
Außenminister und den Verteidigungsminister sprechen
und beide erzeugten mehr Unklarheiten als Orientierung,
({4})
ja mehr noch: Sie widersprachen sich ständig. Über seeseitige militärische Potenz wurde schwadroniert, als sei
die Vor-Ort-Präsenz eine ausgemachte Sache. Das war
sehr daneben. Heute ist es so: Libanon legt größten Wert
darauf, dass die 7-Meilen-Distanz eingehalten wird. Es
ist geradezu lächerlich, wenn sich auch noch Deutschland mit seiner maritimen Präsenz in dieser Zone drängeln würde. Also bitte kommen Sie etwas mehr in der
Realität an!
({5})
Ein parlamentarischer Ausfall waren auch die Fraktionen der großen Koalition. Beide haben es verabsäumt,
die parlamentarischen Gremien zu befassen. Wir, die
Linke, haben eine Sondersitzung im Auswärtigen Ausschuss verlangt; damit kam der Prozess in Gang. Jetzt
erkennen Sie die Qualität unseres Vorschlages für eine
KSZ im Nahen Osten. Sie nehmen ihn in Ihre Rhetorik
auf und das finden wir gut. Dem müssen Taten folgen.
Der Krieg währte vier Wochen, bis die UN-Resolution zustande gekommen ist. Israel behält die Lufthoheit
und die Seeblockade gegen Libanon bei. Allein die Waffenlieferungen an die Hisbollah unterbinden zu wollen,
nicht aber zum Beispiel die deutschen U-Boot-Lieferungen an Israel, das kann nicht angehen; das ist gefährlich.
({6})
Immer mehr prominente Stimmen in Israel sprechen
von einem zweiten Waffengang. Schon allein das müsste
Deutschland veranlassen, sich bei der Absicht zurückzuhalten, mit Soldaten in diese Region zu gehen. CDU/
CSU, SPD und Grüne befleißigen sich aber, gerade das
parlamentarisch herbeizuführen. Davor warnen wir. Was
ist, wenn der Waffenstillstand nicht hält? Was ist, wenn
die USA Kriegspläne gegen den Iran hegen? - Beantworten Sie doch diese Fragen! Sie behandeln sie aber gar
nicht, auch heute nicht.
Und was ist, wenn der Libanon eigene Vorstellungen
zur UN-Militärpräsenz hat? Mit dieser Selbstverständlichkeit haben Sie erst gar nicht gerechnet. Aber der Libanon muss natürlich Sorge dafür tragen, dass er seine
Souveränität erhält und seine Integrität wahrt.
({7})
Sonst hat er keine Autorität, um gegen die Hisbollah
vorzugehen und sie auf friedliche Weise in die Gesellschaft zu integrieren.
Wir haben also eine neue Lage. Die Eilfertigen in der
Regierung, die sofort nach maritimer Präsenz gerufen
und die gesamte Situation völlig unterkomplex behandelt haben, haben sich meines Erachtens kräftig blamiert. Lassen Sie also alle Pläne fallen, deutsche Schiffe
dorthin zu schicken! Machen Sie Berlin zum Austragungsort für eine Konferenz für Sicherheit und
Zusammenarbeit im Nahen Osten. Das ist meines
Erachtens die anspruchsvollste Aufgabe, derer sich
Deutschland angesichts seiner Geschichte in diesem Krisengebiet annehmen kann. Stellen Sie in das Zentrum
dieses politisch-diplomatischen Bemühens die Kultur
des Dialogs, die Sicherheitsinteressen Israels und das
Recht der Palästinenser auf einen eigenständigen lebensfähigen Staat. Denn neben den Folgeproblemen des Libanonkrieges gleicht das Leben in Gaza dem in der
Apartheid. Solange hier nicht Recht und Friede einkehren, gewinnt Israel keine Sicherheit.
({8})
Nächster Redner ist der Kollege Jürgen Trittin, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber
Frank Steinmeier, ich habe eben genau hingeschaut, als
Ihr Koalitionspartner Herr Schockenhoff gesprochen hat.
Sie haben dabei ungefähr so ausgesehen wie Frau
Merkel heute Morgen, als Fritz Kuhn gesprochen hat:
leidend,
({0})
leidend angesichts von Formulierungen, mit denen versucht werden sollte, Sie in einen Gegensatz zu Ihrem
Amtsvorgänger zu bringen.
({1})
Deswegen will ich an dieser Stelle eines ganz deutlich
sagen, lieber Herr Schockenhoff: Diejenigen, die die Außenpolitik des damaligen Bundeskanzlers Schröder und
von Joschka Fischer als antiamerikanisch bezeichnet haben, waren nicht die USA, sondern das waren Sie. Sie
haben die Weigerung der damaligen Regierung, den
Irakkrieg zu unterstützen, als Antiamerikanismus denunziert. Sie sind heute diejenigen, die in der Ecke stehen und sagen: Leider hatten diese Antiamerikaner, wie
wir sie genannt haben, Recht; denn es war falsch, diesen
Krieg gegen den Irak zu beginnen. - Deswegen sollten
Sie sich gerade mit Äußerungen hinsichtlich Kontinuität
und Diskontinuität in der Außenpolitik zurückhalten.
({2})
Lieber Frank Steinmeier, ich hätte mir gewünscht, die
heutige Debatte hätte den Raum dafür gelassen, die Vision zu entwickeln, die Sie angekündigt haben. Aber
auch da stehen Sie im Widerspruch zu Herrn
Schockenhoff, der gesagt hat, jetzt sei Durchwursteln,
aber keine Visionen angesagt. Sie haben eine Vision für
eine neue Ostpolitik angekündigt. Dieses Hohe Haus
hätte gerne einmal gehört, was sich hinter dem Begriff
einer neuen Politik gegenüber Russland verbirgt, was da
anders werden und was beim Alten bleiben soll. Eine
Antwort darauf sind Sie uns heute, wie gesagt, schuldig
geblieben.
Schuldig geblieben sind Sie uns auch die Vorstellungen der Bundesregierung - das ist viel ernster - mit
Blick auf die EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr
des nächsten Jahres. Da gibt es eine ganze Reihe von
Fragen, die zu thematisieren wären. Ich erwähne nur ein
Gesetzgebungsvorhaben: Wie wird sich die Bundesregierung in der Debatte um eine Energiestrategie und
eine Energiesicherheitsstrategie dieses Europas positionieren? Oder wollen Sie auch in Europa das aufführen, was wir hier im Lande tagtäglich präsentiert bekommen, nämlich die Inszenierung von Zerrissenheit, die
dadurch gekennzeichnet ist, dass der eine Minister nichts
anderes im Kopf hat als die Verlängerung der Laufzeiten
von Kernkraftwerken, während der andere Minister versucht, eine rationale, ressourceneffiziente und an Erneuerbarkeit orientierte Energiepolitik zu machen? Sie haben auch dazu geschwiegen.
Sie haben auch zu Ihren Vorstellungen geschwiegen,
wie man die institutionelle Blockade überwinden kann.
Das ist keine Diskussion über einen abstrakten Begriff,
die man im Seminar führen kann. Es ist eine Tatsache,
dass es ohne eine Auflösung der institutionellen Blockade der Europäischen Union keine Perspektive, auch
keine Friedensperspektive für den Balkan geben wird,
weil schlicht und ergreifend weitere Beitritte ausgeschlossen wären. Auch dazu haben Sie geschwiegen.
Das finde ich fatal.
Ich will noch auf einen weiteren Punkt zu sprechen
kommen. Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, welche wichtige Rolle Europa heute zukommt, wenn es um
den Umgang mit Krisen und insbesondere mit Krisen
vor unserer Haustür geht. Ich nenne beispielsweise den
Konflikt zwischen Israel und Libanon. Da stellen wir
fest: Die Europäische Union spielt zwar eine positive
Rolle, sie ist aber in dieser Situation nicht so handlungsfähig, wie es notwendig wäre. Wir haben keinen euroJürgen Trittin
päischen Außenminister; wir haben Javier Solana und
Frau Ferrero-Waldner.
Wir haben häufig eine sehr verzögerte Handlungsfähigkeit. Das sage nicht ich, sondern es war der amtierende finnische Ratspräsident, der beklagte, dass es nicht
gelungen sei, Ende Juli und in den ersten Augusttagen
eine gemeinsame Position des Rates für einen sofortigen
Waffenstillstand zu verabschieden. Das zeigt, dass der
Zustand innerhalb der EU nicht überwunden worden ist,
der schon den G-8-Gipfel geprägt hat. Dort ist die Forderung der Vereinten Nationen, sofort in einen beidseitigen
Waffenstillstand einzutreten und ihn durch eine internationale Schutztruppe abzusichern, am Widerstand der
USA gescheitert.
Es ist zwar schön, dass Sie am Ende eine Vereinbarung erreicht haben; da gibt es Verdienste gerade des
deutschen Außenministers. Aber angesichts dieser Zögerlichkeit frage ich Sie: Was wäre eigentlich anders gewesen, wenn man bereits am 19. Juli dazu gekommen
wäre, die Waffen zum Schweigen zu bringen und entsprechende Truppen zur Verfügung zu stellen; ohne
diese Truppen geht es nämlich nicht?
({3})
- Danke, dass Sie dafür applaudieren.
({4})
- Ich glaube, dass viele von Ihnen wissen, dass ich diesbezüglich Recht habe.
Was wäre der Unterschied gewesen? Der Krieg hätte
weniger Menschen das Leben gekostet und es wäre weniger zerstört worden. Alles andere war zu diesem Zeitpunkt schon offensichtlich, vor allen Dingen die Tatsache, dass der Versuch, die Hisbollah militärisch zu
schlagen, ein aussichtsloses Unterfangen ist, weil es sich
nämlich nicht um ein rein militärisches Problem handelt.
Leider hat die Weigerung der G-8-Staaten, frühzeitig
zu handeln, diesen Krieg meines Erachtens unnötig verlängert. Dann ist es aber gelungen, ihn zu beenden. An
dieser Stelle will ich anmerken, dass ich sehr deutlich
sehe, dass sich Deutschland alle Mühe gibt, dieses Problem in einen politischen Prozess einzubinden.
Die Agenturen haben heute gemeldet, Frau Merkel
habe gesagt, man brauchte mehr Geld für die Bundeswehr. Dazu sage ich mit Verlaub: Strukturiert die Bundeswehr erst einmal um und modernisiert sie; haltet
nicht länger am Alten fest und finanziert nicht das Neue
mit zusätzlichem Geld. An einem solchen Tag muss
doch die Frage erlaubt sein, ob die Zusage Deutschlands,
von den 730 Millionen Euro Soforthilfe für den Libanon
22 Millionen Euro, also nicht einmal 3 Prozent, zu übernehmen, der politischen Rolle Deutschlands eigentlich
angemessen ist. Ich finde, nicht.
({5})
Der Friedensprozess im Libanon wird meines Erachtens - das unterscheidet mich von den Mitgliedern der
beiden anderen Oppositionsfraktionen - nur dann erfolgreich sein, wenn UNIFIL ein robustes Mandat erhält.
Umgekehrt ist aber auch richtig, dass dieses robuste
Mandat von UNIFIL nur dann Bedeutung haben wird,
wenn UNIFIL in den Friedensprozess eingebettet wird.
Das sind die beiden Kriterien, die unseres Erachtens zugrunde gelegt werden müssen.
Man muss sich fragen: Ist diese internationale Truppe
geeignet, die Sicherheit Israels und die territoriale Integrität des Libanons wieder herzustellen? Gibt es eine
Perspektive für eine Zweistaatenlösung, für Israel und
Palästina, für einen Ausgleich zwischen Syrien und Israel? Was das deutsche Engagement angeht, ist unter militärischen Gesichtspunkten eine Frage zentral: Ist ausgeschlossen, dass es zu Kampfhandlungen zwischen
deutschen und israelischen Soldaten kommt? - Das sind
die drei Kriterien, auf deren Grundlage meine Fraktion
ihre Haltung zu diesem Mandat bestimmen wird. Jeder
hat eine persönliche Entscheidung zu treffen.
Lieber Herr Bundesverteidigungsminister, wir lassen
uns bei dieser sachlichen Prüfung - das sage ich ganz
ausdrücklich - durch Ihr, wie ich finde, an vielen Stellen
fahrlässiges und vorschnelles Gerede nicht in eine leichtfertige Ablehnung treiben.
({6})
Ich will mit allem Nachdruck sagen: Unsere Soldaten erwarten von dem Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt, dass er Orientierung bietet. Er sollte sie nicht
verwirren und den Eindruck erwecken, der Bendlerblock
sei eine Neuausgabe des „Blauen Bocks“.
({7})
Zu den politischen Lösungen will ich ausdrücklich sagen: Lieber Frank Steinmeier, wir halten den Ansatz,
Syrien einzubeziehen, nicht nur für dringend geboten,
sondern loben ihn ausdrücklich. Dieser Ansatz basiert
nicht auf der Vorstellung, dass man es mit einem Kampf
der Guten gegen die Bösen zu tun hat. Wir müssen jetzt,
fünf Jahre nach dem 11. September 2001, sagen: Diese
Form der Bekämpfung des Terrorismus ist gescheitert.
Im Irak ist sie leider sogar spektakulär gescheitert.
Das führt mich zu einer anderen Fragestellung: Wir
müssen einmal darüber nachdenken, wie sich die unterschiedlichen Vorgehensweisen bei der Bekämpfung des
Terrorismus - die eine geht von einem umfassenden Sicherheitsbegriff aus, die andere, die unilaterale, setzt fast
ausschließlich auf militärische Macht - miteinander vertragen. Stellen Sie sich einmal vor, was die Fantasien,
die in einigen Kreisen der Neokonservativen in den USA
diskutiert werden - Raketenangriffe und Luftangriffe auf
den Iran -, für die Sicherheit der 10 000 europäischen
Soldaten der UNIFIL heißen würden. Hier merkt man
doch, dass solch ein unilaterales Vorgehen und ein multilateraler Friedenseinsatz Ansätze sind, die in einen
schwersten Konflikt miteinander geraten können.
In einem Bereich fürchten wir, dass genau dieser
Konflikt schon eingetreten ist, nämlich in Afghanistan nicht dadurch, dass wir dort Drogen bekämpfen, und
nicht dadurch, dass Aufständische militärisch von ihren
Untaten abgehalten werden, sondern durch die Art und
Weise, in der das in letzter Zeit geschehen ist. Man hat
sich beispielsweise vor allen Dingen auf das Abbrennen
von Mohnfeldern konzentriert und nicht darauf, den
Mohnbauern wirtschaftliche Entwicklungsmöglichkeiten zu geben. Das hat im Ergebnis dazu geführt, dass der
integrative Ansatz, den Deutschland im Norden Afghanistan umsetzt, heute in seiner Sicherheit gefährdet ist.
Deswegen müssen wir in der Diskussion mit unseren
Verbündeten klar sagen, dass sich ein multilateraler Ansatz einer politischen Friedensstiftung über Institutionenbildung nicht mit einem simplifizierten Modell des
Kampfes gegen den Terrorismus ausschließlich mit militärischen Mitteln verträgt. Ich glaube, das wird die Herausforderung der nächsten Zeit sein.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort hat der Kollege Gert Weisskirchen, SPDFraktion.
Frau Präsidentin! Lieber Kollege Trittin, am Anfang
Ihrer Rede haben Sie den Außenminister ein wenig kritisiert. Ich möchte ganz deutlich sagen: Im ersten Moment, als der Krieg von Hisbollah auf Israel angefacht
worden war, hat der Außenminister, als die Reaktion aus
Israel kam, sofort gehandelt. Er hat die Region besucht.
Er war in Israel und Jordanien. Er hat versucht, mit
Syrien zu sprechen. Er war überall in der Region und hat
versucht, Fäden anzuknüpfen, wodurch die UN-Resolution 1701 erst in Kraft gesetzt werden konnte. Wie kann
er denn anders handeln, als zu versuchen, dagegen, dass
alle anderen sich unilateral verhalten, das heißt, auf ihre
eigene Kraft und Stärke setzen, ein multilaterales,
internationales Konzept zu stellen? Das hat er gemacht. 1701 ist nicht zuletzt deswegen zustande gekommen, weil er so unermüdlich dafür gekämpft hat. Lieber
Kollege Trittin, das ist nicht zu vergessen.
({0})
So etwas dauert nun einmal seine Zeit. Wir haben
doch gesehen, wie es in New York gelaufen ist. Jeder
von uns hat gesehen, wie die Schockstarre in Europa nur
Schritt für Schritt überwunden werden konnte. Ich
möchte ein Land nennen, das sich mit der Konferenz in
Rom zur Libanonkrise wirklich an die Spitze gestellt hat.
Italien hatte den Mut, sich als erstes Land deutlich zu
positionieren und zu sagen: Wir schicken unsere Soldaten im Rahmen des UNIFIL-Mandats sogar in den Libanon selbst. Ich finde, dass gerade Europa mit diesem
Moment zeigt, dass es bereit ist, gemeinsam zu handeln.
Der Anfang wurde von Frank-Walter Steinmeier gemacht. Dafür danken wir.
({1})
Nun will ich nicht übertreiben, wenn ich sage, welche
Chancen in diesem Prozess deutlich werden. Aber ich
möchte gern Martin Indyk vom Saban Center zitieren,
früher war er Botschafter der USA in Israel. Er hat gesagt: Jetzt ist der Moment für Europa gekommen. - Gern
hoffe ich, dass das so ist oder so sein wird. Aber wenn
ich mir beispielsweise die Tageszeitung „Ha‘aretz“ von
heute anschaue, dann sehe ich, dass es drei Artikel gibt,
die sich kritisch mit der Entwicklung des seit 33 Tagen
dauernden Krieges auseinander setzen. Ich bitte Sie,
diese drei Artikel ganz genau zu lesen. In ihnen wird
versucht, deutlich zu machen, dass das unilaterale Handeln falsch gewesen ist und dass es jetzt eine gute und
neue Chance gibt, ein wirkliches internationales Konzept zu entwickeln, um einen überschaubaren Prozess
einzuleiten, der politisch dazu führt, dass das Schlüsselproblem Israels endlich angegangen werden kann: Die
Bürger Israels müssen in garantierten, international gesicherten und anerkannten Grenzen leben können.
Diese Chance ist jetzt gegeben, weil alle in der Region - so schrecklich die 33 Tage und Nächte des Krieges auch waren - in den Abgrund geblickt haben. Das
Entsetzen darüber wird in den drei Artikeln - aber nicht
nur in ihnen - deutlich gemacht.
Mag sein, dass Nasrallah ein Zyniker ist. Mag sein,
dass er sich in der einen oder anderen Situation sogar
wie ein Terrorist verhält.
({2})
Aber, lieber Kollege Gehrcke, er sagt: Unser Problem im
Libanon ist, dass wir einen schwachen Staat haben; wir
lassen uns entwaffnen, wenn der libanesische Staat stark
wird. Sind das nicht Anzeichen dafür, dass in der gesamten Region ein Nachdenken eingesetzt hat? So schlimm
dieser Krieg, diese 33 Tage und Nächte, auch waren,
jetzt besteht wirklich die Chance, einen neuen Prozess
einzuleiten. Die UN-Resolution 1701 kann der Anfangspunkt dafür sein, dass dieser neue Prozess eine stabile
Grundlage findet.
({3})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Gehrcke?
Bitte.
Herr Kollege Weisskirchen, Ihre Feststellung, die ich
sehr vernünftig finde, kann ich nur unterstreichen. Ich
frage Sie: Wenn sich selbst bei der Hisbollah der Ton ändert, die Beurteilungen kritischer werden und man keinen Siegesjubel anstimmt wie damals, als Israel aus dem
Süden Libanons ausmarschiert ist bzw. als man Israel
angeblich aus dem Süden Libanons vertrieben hat - Sie
kennen diese Töne -, wäre es dann nicht vernünftig und
angemessen, wenn auch wir unseren Ton gegenüber diesen politischen Kräften ändern und auf einen Dialog setWolfgang Gehrcke
zen, um diese Entwicklung zu bestärken, statt, wie in der
Vergangenheit, nicht mit den Verantwortlichen zu reden?
({0})
Herr Kollege Gehrcke, ich würde Ihnen gerne glauben. Wir müssen uns aber auch vor Augen führen, wie
zerklüftet das Land Libanon ist. Dort gibt es quasi-staatliche Strukturen, die sich mit Terror identifizieren lassen
und die vielleicht sogar die Ursache dafür sind, dass die
Probleme, die Israel jetzt militärisch beantwortet hat, so
sehr haben wachsen können.
Wenn Nasrallah in der Tat beginnt, sich politisch zu
verhalten, wenn er nicht versucht, auf die militärische
Karte zu setzen, und wenn er beginnt, darüber nachzudenken, ob Israel nicht doch ein Existenzrecht in der Region hat, damit seine Bürger in gesicherten Grenzen leben können, statt ständig durch terroristische Angriffe
bedroht zu werden, dann, so meine ich, könnte hier ein
neuer Friedensprozess beginnen. Niemand wäre darüber
glücklicher als wir.
Ich finde es gut, dass Kurt Beck gesagt hat: Am Ende
eines solchen Prozesses brauchen wir so etwas wie eine
KSZE,
({0})
eine Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit, wie
wir sie aus Europa kennen. Wir brauchen eine Nachbarschaft, bei der der eine Nachbar dem anderen Nachbarn
ein guter Nachbar ist. Das haben wir in Europa gelernt.
Warum sollte das nicht auch in dieser Region möglich
sein? Dafür kämpfen wir und dafür ist die UNResolution 1701, wie ich finde, ein guter Anfangspunkt.
Nun, Kollege Gehrcke, komme ich auf den praktischen Teil zu sprechen: Wenn es um das Mandat geht,
das zur Sicherheit auch durch Militär geschützt werden
muss, dann dürfen Sie sich nicht verweigern. Denn dadurch würde die Art und Weise, wie Sie sich jetzt verhalten, unglaubwürdig. Man kann nicht das eine wollen und
zum anderen Nein sagen. Das geht nicht. Auch das gehört dazu.
({1})
Was die Frage betrifft, ob es einen Siegesrausch gebe,
empfehle ich Ihnen, lieber Kollege Gehrcke: Schauen
Sie sich die öffentliche Debatte bis in die Knesset und in
die Regierung hinein in Israel genau an. Dort gibt es keinen Triumphalismus, vielleicht besteht dort sogar aus
der Sicht Kadimas die Gefahr, dass die Partei zerbröckelt. In der „Ha’aretz“ von heute wird ein Artikel überschrieben: Bye-bye Kadima. - Auf Wiedersehen
Kadima.
Was war denn der neue Konsens, nachdem Netanjahu
damals gesagt hat: Wir haben keinen Partner, deswegen
müssen wir unilateral handeln? Der Konsens bestand darin, dass die Linke in Israel gesagt hat - Sie kennen die
Debatte -: Wir gehen raus aus den besetzten Gebieten.
Die Rechte hat gesagt: Wir können nur unilateral herausgehen. Dieser Paradigmenwechsel hat in Kadima seine
politische Form gefunden. Das war der Grund dafür, warum Kadima so überragend gewählt worden ist. Dieser
innere Konsens zerbricht jetzt. Das ist zu erkennen.
Wir müssen allerdings kritisch nachfragen: Ist der innere Konsens, den beispielsweise Hisbollah bisher zusammengehalten hat, nämlich Israel von der Landkarte
ausradieren zu wollen, inzwischen auch zerbrochen? Bis
auf die selbstkritischen, vielleicht auch zynischen Bemerkungen von Nasrallah ist hiervon noch nichts zu erkennen. Ich will das nicht kleinreden, wir kommen jetzt
in einen neuen Prozess.
Katsav hat gestern erklärt, dass, wenn die Soldaten
freigesetzt werden können und sollen, eine Verhandlung
zwischen Hisbollah und Israel, möglicherweise mit
Ägypten als Mediator, stattfinden muss. Das ist der Beginn eines Prozesses, auf den wir setzen, der aber nur
dann möglich ist, wenn die jetzt durch die Resolution
1701 gegebene Chance auch wirklich realisiert werden
kann. Darum geht es. Um es ganz deutlich zu sagen: Die
jetzige Situation kann sich für uns Europäer als sehr
schwierig erweisen. Die Resolution 1701 zu realisieren,
wird in der Tat sehr schwierig werden; das können wir
auch daran erkennen, dass zwei Hisbollahminister in
Beirut versuchen, auf die Bremse zu treten. Wir Europäer werden jetzt lernen müssen: Der Nahe Osten ist
nicht mehr von uns getrennt. Es ist nicht mehr der Nahe
Osten, der irgendwo dahinten verschwindet, sondern er
ist Mittelpunkt unserer Außenpolitik. Wir müssen uns in
unserem Handeln auf die Roadmap stützen, wir müssen
Israels Existenzrecht sichern und dafür sorgen, dass das
Kernproblem gelöst wird und Palästina die Möglichkeit
erhält, ein eigener, selbstbestimmter, unabhängiger Staat
zu werden. Diese Aufgaben haben wir uns gemeinsam
gestellt.
Lieber Kollege Trittin, ich bin nach wie vor dankbar,
dass die Blaupause für die Roadmap hier in Berlin erstellt worden ist. Joschka Fischer war für die frühere
Bundesregierung daran beteiligt. Ich bin froh, dass die
gegenwärtige Bundesregierung mit Frau Merkel und
Herrn Steinmeier genau an dieser Roadmap mitarbeitet.
Sie ist der Schlüssel zur Lösung des Problems, damit
diese Region, die so nahe liegt, eine Region des Friedens
werden kann.
({2})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Wolfgang
Gerhardt, FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es besteht hier im Hause wirklich kein Streit, dass die Region
des Nahen Ostens für uns bedeutsam ist, dass sie in unsere Sicherheitsinteressen hineinspielt: Dort wird das
Wetter der Welt gemacht, diese Region bestimmt mit
darüber, was in unseren Innenstädten geschehen kann
oder nicht.
Ich glaube nicht, dass uns die Geschichte am Ende einen überzeugenden Grund liefert, uns aus allem herauszuhalten. Verantwortung verpflichtet, wenn man es so
sieht. Aber wahr ist auch, dass es eine Frage der politischen Klugheit ist, dass wir entscheiden, welcher Beitrag
Deutschlands am sachgerechtesten und am konstruktivsten für diese Region ist. Wenn eine Fraktion erklärt, nach
ihrer Überzeugung ist das nicht der militärische Beitrag,
und sie es für besser hält, auf die Verhandlungen Einfluss zu nehmen, humanitäre und medizinische Hilfe zu
leisten und Kontakte aufzubauen, dann ist das eine genauso legitime Hilfe, die unserer Verantwortung gerecht
wird, wie ein militärischer Beitrag.
({0})
Viele der Kolleginnen und Kollegen, die sich heute
für einen militärischen Beitrag aussprechen, drücken die
große Hoffnung aus - sie benutzen das Wort „endlich“ -,
dass es mithilfe dieses Beitrags gelingt, dass in der Region endlich die Fähigkeit entwickelt wird, miteinander
zu kommunizieren; diese Fähigkeit ist ja reichlich unterrepräsentiert. Das ist eine schmale Hoffnung. Es war
keine Schockstarre, die mich getroffen hat, als ich gesehen habe, was in der Region vor sich geht. Wir wissen
seit Jahrzehnten, was dort gemacht werden muss. Das
weiß auch die amerikanische Außenpolitik. Ich bin ein
überzeugter Transatlantiker, aber ich muss sagen: Unsere
amerikanischen Freunde können dort die Trümmer ihrer
Außenpolitik - der fehlgeschlagenen Versuche, Bewegungen zu isolieren; so wie das jetzt im Grunde auch mit
dem Iran ist - besichtigen. Sie können die Folgen einer
grandiosen Fehleinschätzung besichtigen, was den Irak
angeht. In „Foreign Policy“ ist diese Woche eine Kritik
erschienen, wie sie kein Kollege hier ausdrücken würde:
Die Rede war von Amerikas Unfähigkeit, im Irak etwas
aufzubauen. Die Double-Standards des Westens, die viele
im Nahen Osten kritisieren, machen auch mir zu schaffen.
Amerika antwortet bis heute auf das Atomprogramm
von Nordkorea mit vielen Verhandlungen und manchem
Achselzucken, Indien hingegen, das den Atomwaffensperrvertrag nie unterschrieben hat, wird eine besondere
Rolle gegönnt. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wo
sind denn die Anstrengungen der Atomwaffen besitzenden Mächte - auch der mit uns verbündeten -, der Welt
zu zeigen, dass sie ihre Arsenale wirklich abrüsten?
({1})
Das zu bedenken, gehört zu wirkungsvoller Politik,
wenn neben der Stationierung von Soldaten am Ende etwas herauskommen soll. Jeder von uns weiß: Die
Hamas ist eine Organisation, die zu terroristischen Mitteln gegriffen hat und auch gegenwärtig greift. Jeder
weiß, dass sie eine zutiefst soziale Verankerung hat. Egal
aus welchem Grund: Jeder von uns weiß, dass sich die
Palästinenser in den besetzten Gebieten zutiefst verletzt
gefühlt haben - auch die Israelis haben sich verletzt gefühlt - durch die terroristischen Angriffe. Aber wahr ist,
dass in Gaza die soziale Lage der Palästinenser verbessert werden muss und dass Israel einen großen Beitrag
dazu leisten muss. Sonst werden auch Tausende von Soldaten nicht helfen können, die Region zu stabilisieren.
({2})
Das muss man gegenüber dieser Region offen sagen dürfen.
Wer von den großen Staatsmännern der Welt kann
schon sagen, wie Russland und China am Ende reagieren, nicht nur hinsichtlich Irans, sondern auch, was die
Finanzierung der Hisbollah durch Iran und Syrien angeht. Russland und China zeigen uns bisher nur, dass
ohne sie international nichts zu erreichen ist. Wir erwarten aber, dass mit ihnen etwas gelingen kann. Beide haben erklärt, nach ihrer Überzeugung bräuchte man keine
Sanktionen, sie seien in der Lage, das mit einem - wie
man das neudeutsch nennt - Containment zu einem guten Ende zu bringen. Dann muss einmal ernsthaft mit ihnen gesprochen werden, dass sie uns das zeigen. Ich höre
aber von keiner internationalen Konferenz, dass so etwas
geschehen würde. Dass Verschwiegenheit und eine gewisse Konferenzsprache zu den Gepflogenheiten der internationalen Diplomatie gehören, ist jedem klar. Aber
das darf nicht dazu führen, dass überhaupt kein Wort
mehr an die Öffentlichkeit dringt, wie das Problem tatsächlich gelöst werden kann. Israel erweitert jetzt mit einigen Baumaßnahmen seine Siedlungen wieder. Der Regierungschef erklärt: Ob man bei der Westbank im
Jahre 2010 reagieren könnte, sei noch höchst fraglich.
Wir haben es zur Staatsräson gemacht, das Existenzrecht Israels zu schützen. Dabei bleibt es. Aber wir haben die eindringliche Bitte an unsere israelischen
Freunde, es uns nicht so schwer zu machen, ihnen beizustehen!
({3})
Auch das gehört zu einer offenen Aussprache hierher.
Die bisherigen Erfolge und Bewertungen, die mein
Kollege Hoyer angesprochen hat, will ich mangels Zeit
nicht mehr ausführen.
Eine nüchterne Überprüfung der militärischen Entsendung zeigt uns, dass wir sie am Balkan und auch in
Afghanistan und anderswo weiter brauchen. Sie zeigt
uns aber eben auch - das ist mein Eindruck -, dass die
politische Mühsal der entsprechenden Ebenen gewaltig
nachlässt, wenn in den Hauptstädten dieser Welt die Entscheidung, Militär zu entsenden, getroffen worden ist.
Unsere amerikanischen Freunde entsenden gerne Soldaten, aber ihre politische Anstrengung, in einer Region
Rahmenbedingungen zu schaffen, durch die das Leben
der Menschen verbessert wird, und dafür Verbündete zu
finden, ist etwas geringer ausgeprägt. Wir sollten uns
nicht daran gewöhnen, dass sich die einzige deutsche
Antwort, die diskutiert wird - das war in diesem Fall bemerkenswert; jeden Tag wurde ja diskutiert, wie der Beitrag aussehen könnte -, darin erschöpft. In diese Gefahr
sollten wir nicht kommen.
Deshalb werbe ich für ein Bewusstsein bei uns allen
dafür - das ist insbesondere denjenigen gegenüber vorDr. Wolfgang Gerhardt
zutragen, die jetzt entsenden wollen -, dass nicht ein
Entsendebeschluss gefällt wird und dann wieder Funkstille in Sachen Beitrag zur entscheidenden politischen
Lösung in der Region herrscht. Wer entsendet, muss sich
hinterher umso mehr um einen politischen Beitrag bemühen. Mein Eindruck heute ist leider, dass die Hauptstädte dieser Welt diesen Beitrag zur Lösung der Grundprobleme nicht leisten. Das Israel-Palästina-Problem ist
fast ein symbolhaftes Beispiel, aber es kreiert nicht das
Übel aller Welt. Alle anderen Beziehungen werden dadurch aber so schwierig. Das Problem muss im Kern gelöst werden. Dafür wäre jetzt der Zeitpunkt.
Herr Kollege, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Ich höre sofort auf. - Ich glaube, ich bin verstanden
worden.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Ingo Schmitt, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Es ist heute bereits viel über die Frage gesprochen
worden, inwieweit es gerechtfertigt und geboten ist, UNFriedenstruppen in den Libanon zu entsenden. Deswegen will ich mich schwerpunktmäßig auf die Entwicklung der Europäischen Union und auf das, was dort in
der nächsten Zeit wichtig ist, konzentrieren.
({0})
Lassen Sie mich vorneweg aber eine Anmerkung zum
Thema Libanon machen. Ich war heute Morgen etwas
überrascht, als von Kollegen aus der Opposition der Eindruck vermittelt worden ist, dass sich die Bundesregierung geradezu darum gerissen hat, ein entsprechendes
Mandat zu erhalten. Ich glaube, wer das behauptet, der
wird der Situation nicht gerecht. Alles andere ist nämlich
richtig: Zutreffend ist, dass wir uns der dortigen Situation nicht entziehen können und dass wir auch und gerade im wiedervereinigten Deutschland bereit sein müssen, bestimmte Vorhaben in der Weltgemeinschaft
mitzutragen.
Ich verbinde das auch mit einer persönlichen Situation. Als ich dem Bundestag noch nicht angehört habe,
habe ich immer relativ schnell für mich entschieden,
dass es richtig und klug ist, dass der Bundestag entsprechend entscheiden wird. Beim Mandat für den Kongo
hatte ich zum ersten Mal selbst darüber zu entscheiden
und ich rede bewusst nicht von einer Verlängerung von
Aufträgen. Ich habe mir sehr viele Gedanken gemacht
und ich hatte sehr gemischte Gefühle, als ich mich dafür
entschieden habe. Heute sage ich, dass diese Entscheidung richtig war, und ich bin der Meinung - deshalb
werde ich das auch unterstützen -, dass sich die Bundeswehr auch an einem UN-Mandat im Libanon beteiligen
sollte.
Nun aber zu dem Thema, das ich eigentlich ansprechen wollte, nämlich zur Europäischen Union. Lassen
Sie mich vorwegschicken, dass ich sehr froh darüber bin,
dass der Stabilitätspakt zum ersten Mal seit Jahren endlich wieder eingehalten wird. Ich darf Ihnen aus meiner
Erfahrung im Europäischen Parlament berichten. Es war
nicht so, dass die Kollegen geradezu voller Häme durch
die Reihen gingen und sich freuten, dass auch einmal der
Musterknabe Deutschland die Hausaufgaben nicht erledigen konnte, sondern bei den Kollegen aus den anderen
europäischen Staaten war eher die Sorge erkennbar,
wieso nun gerade Deutschland über Jahre hinweg nicht
in der Lage war, diesen Stabilitätspakt einzuhalten, und
warum es Deutschland nicht gelang, Wirtschaftsdaten zu
produzieren, durch die deutlich wird, dass hier eine
Lokomotivfunktion der Deutschen gegeben ist. Ich sage
trotz unserer Koalition mit allem Verlaub: Herr Kollege
Eichel, ich glaube, Sie haben in diesem Bereich auf der
EU-Ebene keine besonders glückliche Rolle gespielt.
({1})
Ich möchte aber an dieser Stelle dem Minister für Finanzen, Herrn Steinbrück, Dank sagen, der es geschafft
hat, die Maastrichtkriterien einzuhalten. Aber ich sage
auch: Wer lobt, kann auch einmal eine kritische Anmerkung machen. Ich halte es für nicht besonders klug und
auch nicht für richtig, dass man die Europäische Zentralbank, die aus meiner Sicht in den vergangenen Jahren durch ihre große Weitsicht, Vorsicht und Umsicht gezeigt hat, dass sie einerseits dem Wirtschaftswachstum,
andererseits aber auch der Stabilität gerecht wird, warnt:
Die Europäische Zentralbank sollte eine nicht zu straffe
Geldpolitik betreiben.
Es ist angesprochen worden: Der Regierungsstil hat
sich gerade in der Außen- und Europapolitik verändert.
Deshalb glaube ich, dass wir gute Chancen haben, die
Ratspräsidentschaft im nächsten Jahr positiv zu gestalten. Es gibt eine Vielzahl von Themen: von illegaler Zuwanderung über die Frage Energiesicherheit, Bekämpfung des internationalen Terrorismus bis hin zum Abbau
von Bürokratie. Das bedeutet für mich weniger den Abbau von Personal, sondern den Abbau einer Vielzahl von
Gesetzen, Verordnungen und Richtlinien, die ihre Funktion in dieser Form nicht erfüllen.
Ein ganz zentrales Thema wird sein: Gelingt es der
deutschen Ratspräsidentschaft, den Verfassungsvertrag
wieder anzuschieben, ihn so zu beleben und zu bewegen,
dass es endlich zu einer positiven Entscheidung aller
Staaten zu diesem Verfassungsvertrag kommt? Ich weiß
sehr wohl, dass einige Punkte in diesem Verfassungsvertrag als nicht so gut gelungen gelten können. Aber man
muss sich immer wieder vergegenwärtigen: Dieser Verfassungsvertrag wurde nicht nur zwischen den Parteien
Ingo Schmitt ({2})
mit ihren ganz unterschiedlichen Auffassungen ausgehandelt, sondern letztlich waren daran 28 Staaten beteiligt, die ganz unterschiedliche Ausgangspositionen, auch
politisch unterschiedliche Traditionen und unterschiedliche Staatsaufbauten haben.
Wenn man all das berücksichtigt, so kommt man zu
dem Schluss, dass dies ein gelungener Vertrag ist.
Schließlich werden dadurch wesentliche Ziele erreicht.
Zunächst einmal wird der Vertrag von Nizza abgelöst,
von dem wir alle wissen, dass er nicht gelungen war. Wir
schaffen eine transparente und klare Kompetenzregelung. Der Menschenrechtskatalog wird in Kraft gesetzt
werden. Wir würden damit auch ernsthaft - das ist gerade in der heutigen Debatte ein wichtiges Thema - in
eine verbindliche gemeinsame Außenpolitik einsteigen.
Es gibt natürlich auch Defizite, die wir in den nächsten Jahren angehen müssen. Ein Defizit dieser Verfassung war, dass man bestimmte Teile ausgeklammert hat.
Wir sind längst weg von der Wirtschaftsgemeinschaft
und haben uns - wie wir das alle wollten - zu einer Politischen Union entwickelt. Das ging mal schneller, mal
langsamer und mal war es ein schleichender Prozess.
Wir wissen aber bis heute nicht - darüber diskutiert keiner laut, es sei denn im wissenschaftlichen Bereich -,
was das Ziel sein soll.
Wir sitzen in einem Zug und wir fahren in eine Richtung, aber wir wissen nicht, welches der Endbahnhof
sein soll. Auch wissen wir nicht, wer während der Fahrt
unter welchen Voraussetzungen zusteigen darf. Ich frage
also: Wie weit kann sich Europa erweitern? Wo sollten
die natürlichen Grenzen sein? Die Frage, wohin die
Fahrt mit wem geht, muss irgendwann einmal diskutiert
und als Vision festgelegt werden. Was in 40 oder
50 Jahren sein wird, sei dahingestellt.
({3})
Für mich gehört dazu auch die Frage, Herr Minister:
Wie gehe ich mit den Anrainern um? Sie haben da das
entsprechende Signal gegeben. Beide Themenbereiche
müssen miteinander kombiniert werden. Gleiches gilt
für die Frage, wie die EU zukünftig mit Russland umgeht. Von daher gibt es in dem Jahr der Ratspräsidentschaft viele Chancen. Ich bin zuversichtlich, dass diese
Bundesregierung diese Chancen auch aufgrund der vorgenommenen Klimaverbesserungen nutzen wird.
Nichtsdestotrotz sollten wir neben dem halben Jahr, das
vor uns liegt, die großen Themen, die für die Gestaltung
dieses Kontinents von Bedeutung sind, nicht aus den
Augen verlieren, sondern irgendwann den Dialog darüber beginnen.
Herzlichen Dank.
({4})
Das Wort hat der Kollege Alexander Ulrich, Fraktion
Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Mein Vorredner hat dankenswerterweise die Außenpolitik in Richtung Europa gelenkt. Ich möchte das an dieser
Stelle fortsetzen.
Europa ist in der Krise. Das kann man überall lesen
und hören. Wurde das zu Beginn nur von Journalisten
öffentlich diskutiert, so geben mittlerweile alle Regierungen Europas zu, dass Europa tatsächlich in der Krise
ist. Als bedürfte es noch eines weiteren Beweises, hat
man auf dem letzten EU-Gipfel erklärt, dass der selbsternannte Sanierungsfall Deutschland nun zum Retter Europas werden soll. Ich glaube, daran zeigt sich, wie tief
Europa tatsächlich in der Krise ist. Denn Deutschland ist
mit Ihrer Politik nicht geeignet, Europa ein menschliches
Antlitz zu verleihen.
Es ist grandios, wie die an sich tolle Idee der Europäischen Union von Europas Regierungen in die Sackgasse
geführt worden ist. Man muss sich die Frage stellen,
Herr Bundesaußenminister, was Deutschland in dem einen Jahr der Reflexionsphase getan hat. Man hat oftmals
den Eindruck gehabt, dass die Regierung tatenlos war
und sich die Phase eines Denkverbots auferlegt hatte.
Als man im Sommer wieder zusammengekommen ist,
um zu beraten, wie der EU-Verfassungsvertrag zu retten
ist, hat man unreflektiert die Reflexionsphase um ein
weiteres Jahr verlängert.
Ich glaube, wenn Deutschland Impulse für die EUVerfassung setzen will, dann muss man akzeptieren,
dass mit dem Ratifizierungsprozess und dem Nein der
Franzosen und der Niederländer die EU-Verfassung in
der vorliegenden Form gescheitert ist. Ich glaube auch,
dass es nicht möglich ist, den Ländern schmackhaft zu
machen, möglicherweise aufs Neue darüber zu entscheiden. Man nimmt hier und da einige Änderungen an dem
Entwurf vor und formuliert noch den einen oder anderen
Anhang zum Verfassungsvertrag. So kann man aber die
EU-Verfassung nicht retten. Wir brauchen einen Neustart in der Debatte um die EU.
({0})
Ich möchte noch einmal betonen, dass die Linke im
Bundestag beglückwünscht, dass zwei Länder - Frankreich und die Niederlande - zu dieser EU-Verfassung
Nein gesagt haben, weil uns das die Chance gibt, endlich
über eine andere Verfassung nachzudenken, in der auch
der soziale Charakter der Europäischen Union verankert
werden kann. Deshalb meinen herzlichen Glückwunsch
an die Länder Frankreich und die Niederlande für dieses
klare Nein bei der Abstimmung!
({1})
Wir haben die Chance, dass die EU dadurch wieder demokratischer, friedlicher und sozialer werden kann.
Herr Steinmeier, ich hätte mir von Ihnen konkretere
Ausführungen darüber gewünscht, wie Sie die Ratspräsidentschaft im ersten halben Jahr zu nutzen gedenken,
um neue Impulse zu setzen. Beschädigen Sie nicht die
Demokratie und versuchen Sie nicht, während der deutAlexander Ulrich
schen Ratspräsidentschaft mit neuen Tricks die gescheiterte Verfassung wieder aufzulegen!
Wir - der EU-Ausschuss des Bundestags - waren im
Frühjahr in Paris und haben uns mit dem EU-Ausschuss
des französischen Parlaments getroffen. An die anderen
Fraktionen gerichtet sage ich deutlich: Die Ignoranz, mit
der Sie mit der Tatsache umgehen, dass die Franzosen
klipp und klar und auch parteiübergreifend gesagt haben,
diese Verfassung könnten sie in ihrem Land nicht mehr
vorlegen, ist beschämend. Man kann nicht einfach feststellen, dass 15 Länder dem Verfassungsvertrag zugestimmt und dass ihn einige Länder abgelehnt haben. Wir
müssen erkennen, dass wir für eine EU-Verfassung alle
Länder brauchen. Deshalb war es sehr ignorant, wie Sie
sich in Paris verhalten haben.
Der Verfassungsvertrag ist gescheitert. Der vorliegende Verfassungsvertrag verfestigt Demokratiedefizite
der EU, verstärkt die Dominanz der großen Mächte über
die kleinen Mitgliedstaaten und legt die EU auf einen
wirtschafts- und währungspolitischen Kurs des rigorosen
Neoliberalismus fest, bei dem der Profit der Großkonzerne das oberste Gebot ist.
({2})
Er begünstigt den europaweiten Sozialabbau und erhebt
die Militarisierung der EU in den Rang einer Verfassungspflicht.
Wir wollen eine neue Debatte anschieben. Wir brauchen eine neue verfassungsgebende Versammlung,
weil der Zivilgesellschaft mit der außerparlamentarischen Bewegung ein Neustart für die europäische Verfassung gelingen muss. Wir brauchen ein Europa, das
demokratisch, friedvoll und sozial ist und eine ökologische und solidarische Gemeinschaft darstellt. Wir wollen
keinen europäischen Superstaat, sondern einen Verbund
europäischer Staaten und Völker auf der Basis des
Gleichheitsgrundsatzes und des Selbstbestimmungsrechts.
({3})
Wir brauchen die europäischen Grundwerte Frieden
und Wohlergehen der Völker. Diese müssen in der Verfassung verankert sein. Wir brauchen ein nachhaltiges
Europa mit ausgewogenem Wirtschaftswachstum, Preisstabilität, Vollbeschäftigung und sozialem Fortschritt.
Wir brauchen ein Europa, das tatsächlich die Armut bekämpft und ein hohes Maß an Umweltschutz garantiert,
ein Europa, in dem Wirtschaft und Wissenschaft gefördert werden und andere Antworten auf energiepolitische
Fragen gegeben werden als gegenwärtig in der Europäischen Union.
({4})
Die Zustimmung der Bürger zu Europa hängt aber
nicht nur von einer Verfassung ab. Vielmehr muss die
Politik auch bei aktuellen Entscheidungen die Ängste
und Sorgen der Menschen um Arbeitsplatzverluste und
Arbeitsplatzverlagerungen in die neuen EU-Länder ernst
nehmen. Wir dürfen nicht akzeptieren, dass Beitrittsländer auf Unternehmensteuern verzichten, aber gleichzeitig in den Topf der EU-Subventionen greifen. Damit gewinnt man die deutsche Bevölkerung nicht für die
Europäische Union.
Die Lissabonstrategie ist gescheitert. Es wäre lohnenswert zu überprüfen, warum sie gescheitert ist, warum man die Ziele nicht erreicht hat. Ich kann dazu nur
sagen: Wer glaubt, dass man diese Strategie unverändert
weiterverfolgen kann, wird sehen, dass Europa noch
weiter in die Sackgasse gerät.
Die Linke im Bundestag wird gemeinsam mit der Zivilgesellschaft und der außerparlamentarischen Bewegung die deutsche Ratspräsidentschaft nutzen, um für
eine demokratische, friedvolle und soziale Europäische
Union zu kämpfen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Kerstin Müller vom
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will
zuerst auf die Debatte eingehen, die von einem möglichen Libanoneinsatz stark geprägt ist. Herr Gerhardt und
Herr Hoyer, ich habe Ihnen sehr aufmerksam zugehört
und gebe zu, dass ich Ihnen in Ihrer Analyse inhaltlich
teilweise folgen kann. Dazu trägt auch Ihre Art und
Weise - Herr Gerhardt, Sie ganz bedächtig, und Sie,
Herr Hoyer, recht erfahren - bei. Aber die Konsequenzen, die Schlussfolgerungen, zu denen Sie kommen, sind
ziemlich katastrophal. Man spürt förmlich, wie unwohl
Sie sich fühlen, dass Ihr Vorsitzender Westerwelle dabei
ist, die außenpolitische Tradition der Genscher-FDP zu
zertrümmern.
({0})
Er tut das beispielsweise dann, wenn er konsequent jeden UNO-Einsatz mit der Begründung ablehnt, Deutschland könne nicht ständig dabei sein. Tatsächlich steht
Deutschland an 32. Stelle, was solche Einsätze angeht.
Zudem ist ISAF kein UNO-Einsatz. Wenn er etwas anderes behauptet, dann zeugt das von außenpolitischer
Unkenntnis.
Sie haben sicherlich zu Recht darauf hingewiesen,
dass die internationale Truppe im Libanon ohne einen
politischen Prozess keinen Erfolg haben kann. Aber Sie
müssen doch wissen, dass es ohne eine solche Truppe
und die entsprechende Resolution gar keinen Waffenstillstand in dieser Region gäbe. Dass man der PDS erklären muss, dass man einen Waffenstillstand braucht,
bevor man politisch aktiv werden kann, wissen wir im
Deutschen Bundestag. Aber, meine Damen und Herren
von der FDP, Ihnen mit Ihrer Tradition sollte man das eigentlich nicht erklären müssen. Unabhängig vom deutschen Beitrag ist die internationale Truppe - dazu habe
Kerstin Müller ({1})
ich von Ihnen nichts gehört - absolut erforderlich. Die
Entscheidung der Europäer in diesem Fall ist richtig.
({2})
Es stimmt, dass der politische Prozess entscheidend
ist. Wir brauchen eine Wiederbelebung des Quartetts der
Außenminister. Und wir möchten Sie, Herr Außenminister, darin bestärken, auf dem Weg der Einbindung Syriens fortzuschreiten. Wir brauchen eine Fortsetzung des
innerlibanesischen Dialogs; denn die Entwaffnung der
Hisbollah ist überhaupt nur im Rahmen eines politischen
Prozesses vorstellbar. Militärisch ist dazu niemand willens und in der Lage.
Wenn das nicht passiert - das ist für uns auch eine
ganz wichtige Bedingung -, dann wird man möglicherweise spätestens in einem halben Jahr vor der Situation
stehen, dass der Konflikt wieder aufbricht. Auch ein
neuer Bürgerkrieg im Libanon ist nicht ausgeschlossen.
Es ist fast unvorstellbar, dass dann internationale Truppen, darunter möglicherweise deutsche, zwischen den
Fronten stehen. Von uns geht ganz klar die Aufforderung
an die Bundesregierung, alles dafür zu tun, dass wir in
diesem politischen Prozess weiterkommen.
Mich treibt aber noch etwas anderes um, nämlich dass
angesichts der Libanonkrise die Krisen in Afrika wieder
in Vergessenheit geraten. Die Wahlen im Kongo haben
trotz der EU-Mission und der deutschen Beteiligung
kaum noch interessiert. Selbst der deutsche Oberkommandierende weilte im Urlaub, während es vor Ort zu
ersten Unruhen kam. In Darfur im Sudan geht der schleichende Völkermord vor den Augen der Weltöffentlichkeit weiter, aber es findet dazu weder eine Debatte in der
deutschen Öffentlichkeit statt, noch bereitet die Bundesregierung dazu eine Diskussion vor. Wir haben doch bei
der Kongodebatte gesehen, wie fahrlässig und kurzsichtig das ist.
Ich habe hier damals ein politisches Gesamtkonzept
für meine Fraktion und eine strategische Debatte darüber
gefordert, ob und warum es im europäischen und deutschen Interesse ist, sich auch an friedenssichernden Einsätzen in Afrika zu beteiligen. Da ist leider Fehlanzeige.
Stattdessen - das muss ich jetzt zitieren - kündigt der
Staatssekretär des Herrn Jung, Herr Schmidt, vor der
CSU-Landesgruppe an, man werde in jedem Fall nach
vier Monaten aus dem Kongo abziehen. Begründung:
die zusätzliche Belastung durch den Libanoneinsatz,
nicht etwa die Sicherheitslage im Kongo. Jeder weiß,
dass es nach den Stichwahlen im Oktober erst so richtig
losgehen kann, wie man im August gesehen hat.
Ich meine, das ist nun wirklich das Gegenteil von
konzeptioneller Politik, ganz zu schweigen von einer kohärenten Afrikastrategie. Das bedeutet, dass Sie immer
noch von Einsatz zu Einsatz stolpern, dilettantisch vorbereitet durch den Herrn Verteidigungsminister und
seine Mannen, ohne darzulegen, was die außen- und sicherheitspolitischen Ziele sind, ohne eine Strategie für
den Nachbarkontinent Afrika zu entwickeln und ohne
sich zum Beispiel im Rahmen der Debatte über das
Weißbuch Gedanken darüber zu machen, wie man denn
die Bundeswehr auf diese neuen Herausforderungen vorbereitet.
({3})
Eine der schwersten Krisen weltweit findet zurzeit in
Darfur statt. Es gibt schwerste Menschenrechtsverletzungen und mehr als 300 000 Tote und 2 Millionen Vertriebene. Ich glaube, es war überfällig, dass die UNO
jetzt endlich eine robuste Blauhelmtruppe nach Darfur
schicken will, die nicht die Fehler der AU-Mission wiederholt und zu schwach ist.
Ich finde es angesichts der Dimension des Konfliktes
gewagt, dass man, wie heute Morgen von der Kanzlerin
geschehen, vorsorglich schon einmal ankündigt, man
werde sich da vollständig heraushalten. Das ist ein Ausspruch der Kanzlerin, der an die eigenen Reihen gerichtet ist und der mit der Außenpolitik gar nichts zu tun hat.
Ich erwarte aber zumindest, dass man sich, wenn man
das nicht will, in diesem Konflikt politisch engagiert und
dass man zum Beispiel alles dafür tut, dass die sudanesische Regierung der Blauhelmmission zustimmt. Das
könnte man machen, indem der Außenminister und die
Kanzlerin mit Putin oder in der nächsten Woche mit dem
chinesischen Premier reden; denn China und Russland
müssen endlich bei der sudanesischen Regierung auf
eine Zustimmung zur UNO-Mission drängen. Das wäre
ganz konkrete Politik, ohne dass es um Militär geht.
({4})
Darfur gehört ganz oben auf die politische Tagesordnung, auch während der deutschen Ratspräsidentschaft.
Da wird es nicht nur um den europäischen Beitrag zu der
Mission gehen, sondern auch um diplomatische Initiativen, um unter anderem das geschlossene Friedensabkommen zu retten. Wir müssen generell, was Afrika betrifft, endlich die vorhandene europäische Afrikastrategie
vom Dezember mit Leben füllen. Ich erwarte Konzepte
von der Bundesregierung.
Ein letzter Satz: Der 11. September 2001, über den
heute viel geredet wurde und über den nächste Woche
noch einmal geredet wird, hat doch eines gezeigt, nämlich dass es im Kampf um den Terror um langfristig angelegte und nachhaltige politische Strategien gehen
muss. Man muss rechtzeitig dafür sorgen, dass gescheiterte Staaten erst gar nicht entstehen. Damit sind wir
wieder bei Afrika, wo wir das gerade wieder verpassen.
Frieden und Sicherheit in Afrika entsprechen unseren
unmittelbaren Sicherheitsinteressen. Tun wir endlich etwas dafür!
Vielen Dank.
({5})
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen
Hans Eichel das Wort.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich habe mich schon
zu Wort gemeldet, als der Kollege Schmitt gesprochen
hat. Das ist leider übersehen worden.
Herr Kollege Schmitt, ich will auf Folgendes hinweisen:
Erstens. Wenn der Abbau der Steuersubventionen,
den Sie und die Mehrheit des Bundesrates unmittelbar
nach Bildung der großen Koalition mit beschlossen haben, schon beschlossen worden wäre, als die rot-grüne
Bundesregierung entsprechende Gesetzentwürfe eingebracht hat, dann hätten wir, wie die Zahlen des Statistischen Bundesamtes jetzt ausweisen, bereits 2005 die
3-Prozent-Grenze wieder unterschritten.
({0})
Zweitens. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt ist
nach einem einstimmigen Beschluss der Staats- und Regierungschefs - die Finanzminister waren anwesend geändert worden. Die Lobreden auf diese Änderungen
haben der österreichische Bundeskanzler Schüssel und
der niederländische Ministerpräsident Balkenende, bekanntlich Vertreter christlich-demokratischer bzw. konservativer Parteien, gehalten.
Drittens. Der bayerische Ministerpräsident Stoiber,
Vorsitzender der CSU, war unmittelbar vor der Verabschiedung der Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts beim Treffen der Parteivorsitzenden der konservativen Parteien, um gegen diese Änderung zu protestieren.
Ihm wurde dort von allen anderen Vertretern der konservativen Parteien nachdrücklich gesagt, dass diese Änderung in Ordnung sei, insbesondere von Herrn JeanClaude Juncker - Sie können ihn danach befragen - und
von Herrn Schüssel.
Letztens. Die von uns gemeinsam getragene Bundesregierung profitiert von der Reform des Stabilitäts- und
Wachstumspaktes; denn erst mit dieser Reform war es
möglich, ein weiteres Jahr bei schlechter Konjunktur zu
gewinnen und nicht bereits in diesem Jahr eine Politik
machen zu müssen - darauf hat Herr Steinbrück in seiner
Rede hingewiesen -, durch die die 3-Prozent-Grenze
zwingend unterschritten wird. Nur dadurch wurde es
möglich, eine Politik zu betreiben, durch die erst die
Wachstumskräfte stimuliert werden und dann die Konsolidierung vorangebracht wird.
Ich weise Sie darauf hin, dass die Einhaltung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes - seine Kriterien sind
nicht weich gemacht worden - für unsere Regierung
noch härter werden wird, weil wir das strukturelle Defizit jedes Jahr um 0,5 Prozent abbauen müssen. Das ist in
der mittelfristigen Finanzplanung noch nicht voll abgebildet. Das wird noch zu machen sein.
({1})
Herr Kollege Schmitt, zur Erwiderung, bitte schön.
Herr Kollege Eichel, Herr ehemaliger Finanzminister,
ich glaube, man muss dabei zwei Dinge sehr sorgfältig
auseinander halten.
Das eine ist Tatsache - das will ich gar nicht vorwurfsvoll sagen -, dass Deutschland den Stabilitätspakt
in den letzten Jahren nicht erfüllt hat. Man kann sicherlich Gründe dafür finden, warum das nicht der Fall war.
Auf jeden Fall ist es eine Tatsache.
Daraus hat sich dann die zweite Problematik entwickelt: Derjenige, der den Stabilitätspakt nicht erfüllt,
fängt an, an diesem Pakt herumzumäkeln und ihn aufzuweichen. Dabei findet er sehr viele, die gerne mitmachen. Schließlich war die 3-Prozent-Hürde vielen ein
Dorn im Auge. Dieser Punkt ist, Herr Eichel, in Brüssel
und bei vielen Kollegen, auch im Europäischen Parlament, nicht sehr gut angekommen.
({0})
Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Niels
Annen von der SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Mit Ihrer Erlaubnis werde ich mich wieder der
Außenpolitik zuwenden. Ich will klar sagen: Die deutsche Außenpolitik, liebe Kolleginnen und Kollegen von
der Linksfraktion, ist Friedenspolitik. Ich finde, das hat
der Außenminister während der 32 Tage der Kampfhandlungen im Libanon eindrucksvoll unter Beweis gestellt.
Die Priorität galt - da kann es gar keinen Zweifel geben - den Bemühungen um die Beendigung der Feindseligkeiten. Spät, aber nicht zu spät konnte die Resolution 1701 verabschiedet werden. Auch ohne dass
Deutschland Mitglied des UN-Sicherheitsrats ist, haben
wir, vor allem der Außenminister, sehr viel zum Zustandekommen dieser Resolution beigetragen.
({0})
Das ist ein Grund für die Erwartungen, die heute an unser Land gerichtet werden.
Ich weiß aus sehr vielen Gesprächen, dass es in der
Bevölkerung durchaus eine Verunsicherung über die
weltweiten Einsätze der Bundeswehr gibt. Deutsche Soldaten sind in der Tat am Horn von Afrika, auf dem Balkan und sogar in Afghanistan im Einsatz. Ich sage an
dieser Stelle ausdrücklich: Es geht auch darum, über die
politischen Kriterien für solche Einsätze zu diskutieren.
Hier ist der Ort dafür, weil wir als Mitglieder des Bundestags letztlich auch darüber entscheiden müssen, wo
deutsche Soldatinnen und Soldaten eingesetzt werden.
Es geht also um unsere Verantwortung und es geht um
die Frage: Was liegt im deutschen Interesse? Ich will anhand der aktuellen Krise darstellen, warum ich glaube,
dass unser Engagement in der Region im Nahen Osten
sinnvoll und richtig ist.
Diese Region hat seit 1948 durchschnittlich alle
sechseinhalb Jahre einen Krieg durchlitten - mit
dramatischen Folgen für die betroffenen Menschen, die
Infrastruktur, die wirtschaftliche Entwicklung und die
Stabilität in einer Weltregion, die - bei ein wenig
Rückenwind - nicht mehr als dreieinhalb Stunden Flugzeit von uns entfernt liegt.
Es besteht kein Zweifel - das ist hier schon gesagt
worden; ich stimme dem zu -: Auslöser der jüngsten
Krise war die Entführung von zwei israelischen Soldaten
durch die Hisbollah. Aber war die Entführung auch die
Ursache für diesen Konflikt oder hat vielmehr der ehemalige amerikanische Sicherheitsberater Brent Scowcroft
Recht, wenn er sagt - ich zitiere ihn -:
Die Quelle des Problems ist nicht die Hisbollah.
Das ist nur ein Ableger der Ursache, nämlich des
tragischen Konflikts über Palästina, …
({1})
Wie dem auch sei: Es ist richtig, glaube ich, dass unsere Politik die Probleme des Libanon nicht isoliert betrachtet. Wir müssen die Probleme um den besetzten Golan und um die Scheba-Farmen einbeziehen und wir
müssen letztlich auch die Debatte um die Eigenstaatlichkeit Palästinas berücksichtigen.
({2})
Für mich ist klar: Die Lösung der Palästinafrage
steht im Mittelpunkt unserer Bemühungen.
({3})
Umgekehrt ist auch eindeutig: Die Lösung des palästinensischen Konflikts beinhaltet keine Zauberformel für
die Lösung aller Konflikte in der Region.
({4})
Aber die Lösung des Konflikts würde - darauf kommt
es mir an - all denjenigen die politische Legitimation
entziehen, die heute ihre extremistische Politik mit dem
Verweis auf den Befreiungskampf des palästinensischen
Volkes betreiben und begründen; die meisten von ihnen
im Übrigen, ohne sich jemals wirklich um das Schicksal
der palästinensischen Menschen gekümmert zu haben.
({5})
Hier geht es auch und nicht zuletzt um die Hisbollah.
Das bedeutet, es geht um eine historische Entscheidung
dieser Miliz, Bewegung, Partei - wie immer Sie
wollen -, ob sie sich zu einer zivilen politischen Kraft
weiterentwickeln möchte - einiges deutet darauf hin; die
Äußerungen von Herrn Nasrallah sind erwähnt worden oder ob sie den Weg in den Terrorismus weiter verfolgen
möchte.
Das führt zu der Frage: Was für einen Charakter hat
eigentlich die aktuelle Auseinandersetzung an der Nordgrenze Israels? Die Israelis sehen sich mit einer dramatischen Situation konfrontiert. Nach dem Rückzug der Armee vor sechs Jahren aus dem besetzten Südlibanon
sieht sich Israel weiterhin andauernden Angriffen auf
sein Territorium und seine Bürgerinnen und Bürger ausgesetzt. Die aus meiner Sicht leider in weiten Teilen unverhältnismäßigen Militärschläge der letzten Wochen
kann man - davon bin ich überzeugt - nur dann verstehen, wenn man sich klar macht, dass es aus Sicht Israels
in diesem Krieg nicht nur um eine Auseinandersetzung
in einem besetzten Territorium, sondern um die Existenz
des Staates Israel geht.
In Deutschland akademische Diskussionen darüber zu
führen, wie man die Hetzreden des iranischen Präsidenten bewerten soll, ist eine Sache; angesichts von bis zu
250 Raketeneinschlägen pro Tag darüber zu diskutieren,
ist eine andere Sache.
({6})
Da bekommen die antisemitischen Hetzreden von Herrn
Ahmadinedschad im wahrsten Sinne des Wortes eine explosive Bedeutung.
Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass Teheran
eine Mitverantwortung an der gegenwärtigen Krise zukommt. Deshalb habe ich persönlich großes Verständnis
für diejenigen in Israel, die den Kampf gegen die Hisbollah auch als einen Kampf gegen einen bewaffneten Arm
Teherans verstehen. Die Reden von Ahmadinedschad allein beantworten aber nicht die Frage, ob die Hisbollah
nun eine libanesische oder eine Agenda der schiitischen
Weltrevolution verfolgt.
Wir müssen kurz vor dem fünften Jahrestag des
11. September leider feststellen, dass die US-Politik des
Krieges gegen den Terrorismus eine ehrliche Analyse
der Politikentwicklung in der Region behindert.
({7})
Sie unterscheidet bei der Beurteilung der Politik von
Hamas und Hisbollah nicht zwischen regionalen und
möglichen globalen Zielen, sondern subsumiert ganz unterschiedliche Parteien, Bewegungen und Beweggründe
unter den Begriff des Terrorismus und kommt so leider
zwangsläufig häufig zu falschen Schlüssen.
Mein Eindruck ist zudem, dass die Auswirkungen des
Bürgerkriegs im Irak auf die Region auch bei uns unterschätzt werden. Die Bilder von tödlichen Anschlägen im
Irak werden in ihrer Dramatik von uns doch kaum noch
zur Kenntnis genommen. Was bei uns in wenigen Sekunden im Nachrichtenüberblick zusammengefasst über den
Bildschirm flimmert, wird jeden Tag in brutaler Detailtreue über al-Dschasira und andere Netzwerke in Millionen arabischer Haushalte übertragen. Welche Wirkung das auf die benachbarten Länder mit all ihren
komplizierten politischen Gemengelagen und Minderheitensituationen hat, brauche ich, glaube ich, an dieser
Stelle nicht weiter auszuführen.
Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten stellen heute ohne jede Genugtuung fest, dass die Politik
von Bundeskanzler Gerhard Schröder, sich nicht am
Krieg im Irak zu beteiligen, richtig gewesen ist.
({8})
Es gibt heute mehr Instabilität und mehr Terrorismus als
vor dem Irakkrieg. Hinzu kommt - ich glaube, das ist
wichtig - in den letzten Monaten ein mangelndes Engagement bezüglich der Lösung des Nahostkonfliktes. Das
untergräbt die Legitimation der amerikanischen Politik.
Wir brauchen die amerikanische Rolle. Aber gleichzeitig
müssen wir die europäische Rolle in dieser Situation
stärken.
Ich meine - um das abschließend zusammenzufassen -, dass der Außenminister die unterschiedlichen
Komponenten des Konfliktes in dieser Situation betont
hat.
({9})
Es ist auch richtig, dass wir die Bereitschaft signalisiert
haben, uns an einem UNIFIL-Mandat zu beteiligen. Die
politischen Voraussetzungen muss jedoch die libanesische Regierung schaffen. Ich sage es auch mit Blick auf
den Verteidigungsminister: Wir drängen uns nicht auf;
aber wir beteiligen uns schon heute an der Lösung des
Problems, und zwar mit ehrenamtlichen Helfern beispielsweise des THW, mit Entwicklungshelfern, durch
technische und anderweitige Unterstützung. Meine sehr
verehrten Damen und Herren, diesen Menschen, die
schon dort in der Region unterwegs sind, sollte unser gemeinsamer Dank gelten.
Herzlichen Dank.
({10})
Das Wort hat der Kollege Markus Löning von der
FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Frau Müller, erlauben Sie mir eine kurze Bemerkung zu
Ihren Anmerkungen zu unserer Tradition. Es ist immer
Tradition der Liberalen gewesen - und so wird es auch
weiterhin sein -, Dinge differenziert zu betrachten.
({0})
Wir haben diese Debatte sehr intensiv geführt und die
Kollegen sind in der Bewertung zu unterschiedlichsten
Ergebnissen gekommen. Aber wir lassen uns von Ihnen
nicht eine undifferenzierte Haltung vorwerfen.
Wir sind alle froh, dass die Tradition Joschka Fischer
endlich beendet ist; es wurde Zeit, dass diese Tradition
Ihrer Partei beendet wurde, auch an dieser Stelle.
({1})
Aber ich möchte daran erinnern, dass dieser Außenminister noch bei seinem Amtsantritt die NATO infrage
gestellt hat. Ebenso möchte ich daran erinnern, dass Herr
Trittin noch kurz vor seinem Amtsantritt die Bundeswehr auf Demonstrationen gegen Gelöbnisfeiern in
Grund und Boden verdammt hat. Jetzt fordert er ihren
Einsatz an jeder Stelle dieser Erde, wo es möglich ist.
Das sind Brüche in Traditionslinien, die Sie sich vorhalten lassen müssen, Frau Müller, nicht wir.
({2})
Meine Damen und Herren, mein Thema ist aber die
EU-Präsidentschaft. Wir brauchen eine erfolgreiche
EU-Präsidentschaft. Herr Außenminister, Sie haben
heute schon die erste Chance verspielt. Wir reden von
Transparenz, wir wollen die Bürger mitnehmen, wir wollen einen offenen politischen Prozess. Warum sagen Sie
dann hier, zu den Themen der Präsidentschaft könnten
Sie jetzt leider noch nicht sehr viel sagen? Es wäre die
Chance gewesen, hier im Bundestag darüber eine Debatte zu führen. Es wäre die Chance gewesen, die Bürger
mitzunehmen und eine öffentliche Resonanz hinsichtlich
Ihrer Ziele in der Europäischen Union zu erzeugen. Ich
hätte mir gewünscht, dass Sie diese Chance heute hier
ergriffen hätten.
Wir sind - da sind wir uns, glaube ich, alle einig - der
Meinung, dass wir die Bürger stärker mitnehmen müssen. Wir brauchen ein Europa der Erfolge; auch das haben wir hier schon öfter gesagt. Lieber Herr Schmitt, da
möchte ich Ihnen ausdrücklich widersprechen: Ich
glaube nicht, dass wir eine Debatte über Ziele und Grenzen brauchen. Wir können nicht nachfolgenden Generationen vorschreiben, wie sie mit der EU umzugehen haben. Auch wir nehmen für uns in Anspruch, die EU nach
unseren Vorstellungen und anders als vor 20 Jahren zu
gestalten. Eine Debatte, wie Sie sie einfordern, würde
fehlgehen. Es wird an den zukünftigen Generationen liegen, zu entscheiden, ob etwa die Ukraine Mitglied der
EU werden kann oder nicht. Es ist Unfug, das jetzt abschließend beschreiben zu wollen.
Wir unterstützen die Bundesregierung, wenn sie den
Verfassungsprozess neu in Gang setzen will, Herr
Steinmeier. Wir brauchen in Europa mehr Transparenz
und mehr Demokratie. Wir brauchen eine gemeinsame
Außenpolitik. Aber - auch das ist wichtig - wir können
das klare Votum der Franzosen und der Holländer nicht
völlig ignorieren. Das muss man sehr klar sehen.
(Beifall des Abg. Alexander Ulrich ({3})
Wir drücken der Bundesregierung die Daumen, dass es
hier wirklich zu Ergebnissen kommt. Diese Debatte
muss beendet werden; denn unsere Bürger fordern zu
Recht von Europa mehr als eine für sie in vielen Bereichen theoretische Verfassungsdebatte. Sie fordern praktische Ergebnisse.
Zu einem praktischen Ergebnis können auch wir als
Bundestag beitragen. Wir haben mit der Bundesregierung eine Vereinbarung über die frühzeitige Beteiligung
des Bundestages geschlossen. Wir als Opposition werden
diese Beteiligung immer wieder einfordern. Aber es wird
bei einer Koalition mit einer so erdrückenden Mehrheit in
diesem Hause auch darauf ankommen - da appelliere ich
an die Kollegen aus den Koalitionsfraktionen -, dass die
Kollegen den Mut haben, auch ihrer eigenen Regierung
zu sagen: Wir wollen beteiligt werden. Darüber muss im
Ausschuss diskutiert und im Plenum debattiert werden.
Es hängt von Ihnen ab, ob Sie diese Vereinbarung, die
wir mit der Bundesregierung getroffen haben, auch
wirklich mit Leben erfüllen. Wir werden darauf dringen
und Sie mahnen, diese Forderung auch weiterhin zu unterstützen.
({4})
Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen, die
Transparenzinitiative der Europäischen Kommission. Sie ist ein sehr gutes Beispiel dafür, wie wir
Europa den Bürgern näher bringen können. Legen wir
doch offen, wer welches Geld aus der europäischen
Kasse bekommt! Was spricht denn dagegen, dass wir sagen: Es ist öffentliches Geld und wer öffentliches Geld
bekommt, soll dies auch nach außen darstellen können.
Ich wünschte mir - die FDP hat einen entsprechenden
Antrag in den Bundestag eingebracht -, diese Bundesregierung würde aus vollem Herzen und mit voller Überzeugung die Europäische Kommission an dieser Stelle
unterstützen. Wir können eine Offenlegung sehr gut vertragen. Dann wird sich nämlich auch im Agrarbereich
herausstellen, dass die vielen Behauptungen, die Bauern
bekämen so viel, gerade für die kleinen bäuerlichen Betriebe eben nicht zutreffen und dass dort oft und zu Unrecht Vorurteile gepflegt werden.
({5})
Der Lissabonprozess wurde bereits angesprochen.
Wir haben schon oft darüber debattiert und ich will das
Thema an dieser Stelle nicht vertiefen. Eines muss man
allerdings dieser Bundesregierung immer wieder sagen
und ins Stammbuch schreiben: Wir werden nicht zu einem Erfolg in der Europäischen Union kommen, wenn
diese Bundesregierung im wirtschaftlichen Bereich ihre
Hausaufgaben nicht macht. Ich werde wieder und wieder
von europäischen Kollegen angesprochen: Meine Güte,
was macht ihr denn bei euch zu Hause? Die Nachbarn
machen es und sind erfolgreich. Warum kriegt ihr das in
Deutschland nicht auf die Reihe?
Die Rezepte liegen vor. Ich fordere Sie auf: Tun Sie
das Notwendige! Nur so bekommen wir auf Dauer auch
wieder unser politisches Gewicht in der Europäischen
Union.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat der Kollege Thomas Silberhorn von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Außenpolitik trägt das Momentum in sich,
dass wir uns mit Aufgaben konfrontiert sehen, die wir
uns nicht selbst ausgesucht haben. Dennoch müssen wir
Antworten finden auf Fragen, die uns berühren, und deshalb in jedem Einzelfall klären, warum es uns angeht,
was außerhalb unseres Landes geschieht. Bei europäischen Fragen fällt uns das nicht mehr schwer, bei Einsätzen der Bundeswehr im Ausland dagegen umso mehr.
Ich meine, wir müssen definieren, welche Interessen
wir verfolgen, wenn wir die Bundeswehr zu Auslandseinsätzen entsenden, und wir müssen uns darüber klar
werden, welche Kapazitäten wir an Personal, an Material
und an Finanzen dafür bereithalten wollen. Ich plädiere
dafür, dass wir unabhängig von konkreten Einsätzen objektive Kriterien entwickeln, die uns als Orientierungsmaßstab dienen können. Das Weißbuch des Bundesverteidigungsministers zur Sicherheitspolitik bietet uns im
Herbst dazu die Gelegenheit.
Ich darf im Rahmen der Haushaltsdebatte anfügen:
Ich bin der Überzeugung, dass sich jedes internationale
Engagement auch in unsere Grundlinie der Konsolidierung des Bundeshaushaltes einfügen muss. Auch dieser
Aspekt muss Berücksichtigung finden. Im Ergebnis
meine ich, dass eine solche Konzeption, bei der versucht
wird, objektive Maßstäbe zu konkretisieren, nicht nur
ein Beitrag zur Berechenbarkeit und damit zur Glaubwürdigkeit unserer Außenpolitik ist, sondern auch zum
Ausdruck bringt, dass wir gar nicht erst den Eindruck
entstehen lassen wollen, Getriebener internationaler Entwicklungen zu sein. Vielmehr wollen wir einen Gestaltungsanspruch in der internationalen Gemeinschaft
wahrnehmen.
Durch den Nahostkonflikt wird unmittelbar einsichtig, dass es eine Illusion wäre, zu glauben, wir könnten
wegsehen bei dem, was in unmittelbarer Nachbarschaft
der Europäischen Union vor sich geht. Nicht zuletzt die
in Deutschland versuchten Attentate, die schon vor dem
Ausbruch des Libanonkonflikts geplant waren, bringen
zum Ausdruck, dass es offenbar das Ziel von Fundamentalisten und Terroristen ist, die Schauplätze ihres Terrors
in die westliche Welt zu verlagern. Deswegen können
wir nicht wegsehen, sondern müssen hinsehen, wenn es
etwa das erklärte Ziel des Iran als Mitglied der Vereinten
Nationen ist, Israel als Mitglied der Vereinten Nationen
von der Landkarte zu tilgen.
Meine Damen und Herren, ich meine, dass es auch,
aber nicht nur in der besonderen historischen Verantwortung Deutschlands gegenüber Israel liegt, diesen Konflikt als sehr ernsthaft wahrzunehmen. Die gesamte internationale Gemeinschaft muss ein Interesse daran
haben, den Frieden im Nahen Osten wiederherzustellen und damit auch die Autorität des Systems der Vereinten Nationen sicherzustellen.
Ich denke, dass die Bundesregierung einen bemerkenswerten Beitrag dazu geleistet hat - ich will das ausdrücklich anerkennen -, dass es tatsächlich zu der Waffenruhe, die wir seit einigen Wochen haben, gekommen
ist.
({0})
Wenn wir uns vor Augen halten, dass dieser Konflikt ein
ganz enormes Eskalationspotenzial beinhaltet, dann ist
es eben keine Selbstverständlichkeit, dass es relativ züThomas Silberhorn
gig zu dieser Waffenruhe gekommen ist und dass beispielsweise keine israelische Bodenoffensive mit
30 000 Soldaten mehr stattgefunden hat, weil der Druck
und die Geschlossenheit der internationalen Gemeinschaft die Beteiligten dazu bewogen haben, der jetzt vorliegenden UN-Resolution zuzustimmen.
Das Ziel, um das es jetzt geht, ist schlichtweg, diese
Waffenruhe zu stabilisieren und in einen politischen
Prozess überzugehen, der sicherstellt, dass die Sicherheit Israels und die Unabhängigkeit eines selbstständigen palästinensischen Staates gewährleistet werden können und die Stabilität in der gesamten Region weiter
gefestigt wird. Mir scheint, dass ein militärischer Beitrag
eine Komponente ist, um dieses Ziel zu erreichen. Wir
sind uns sicher darin einig, dass das keine hinreichende
Komponente ist. Aber es ist eine notwendige.
Mit einigem Bedauern sehe ich, dass die Kolleginnen
und Kollegen von der FDP sich in dieser Frage ausgerechnet mit der PDS
({1})
in einem Boot wiederfinden.
({2})
Vor dem Hintergrund der langen Tradition liberaler
Außenpolitik von Theodor Heuss bis Otto Graf
Lambsdorff, der sich bei der Entschädigung jüdischer
Verfolgter Verdienste erworben hat, sollten Sie Ihre
Position nochmals überdenken.
({3})
Immerhin nehme ich zur Kenntnis, Herr Hoyer und Herr
Gerhardt, dass Sie sich deutlich vorsichtiger geäußert
haben als manche Kolleginnen und Kollegen aus der
zweiten Reihe, wie in den Medien immer wieder zu lesen und zu hören war.
({4})
- Sie weiten meine Kritik noch aus, Herr Hoyer. Ihren
Zuruf lasse ich unkommentiert.
Infrage steht, ob sich Deutschland an einer seeseitigen Sicherung der Grenze des Libanon beteiligt. Ich
bin der Auffassung: Das kann ein angemessener Beitrag
für Deutschland sein, um die UN-Resolution 1701 umzusetzen. Ich möchte aber auch deutlich machen, dass da
kein Automatismus entstehen kann, sondern dies eine
autonome Entscheidung des Bundestages bleibt.
Dafür fehlen uns derzeit noch die Voraussetzungen.
Die erste Voraussetzung ist ein klares Mandat, mit dem
die Kontrolle des Waffenembargos effektiv umgesetzt
werden kann, einschließlich der Einsatzregeln, die wir
noch erwarten. Die zweite Voraussetzung ist - das
möchte ich ausdrücklich erwähnen -, dass die libanesische Regierung eindeutig den politischen Willen zum
Ausdruck bringt, den Waffenschmuggel in den Libanon
auch selbst zu unterbinden.
Das ist die Geschäftsgrundlage für eine Beteiligung
der Bundeswehr. Das werden wir bereden können, wenn
eine Anfrage der Vereinten Nationen an die Bundesregierung vorliegt und die Bundesregierung uns, dem Bundestag, ein entsprechendes Mandat zur Beratung überweist.
Meine Damen und Herren, wir streben an, dass eine
mögliche Beteiligung der Bundeswehr an dem Einsatz
im Nahen Osten auf eine breite Zustimmung in diesem
Hause stößt. Wir streben auch eine möglichst breite Unterstützung der deutschen Bevölkerung für die Soldaten
an, die wir möglicherweise in einen solchen Einsatz entsenden. Ich möchte aber hinzufügen, dass ich erwarte,
dass die Staaten der Region, die für die Situation, in der
wir stecken, Mitverantwortung tragen, einen eigenen
Beitrag leisten. Sie müssen sich in die politischen Bemühungen um Wiederbelebung des Friedensprozesses einbinden lassen und sie müssen, beispielsweise Syrien, ein
Interesse daran haben, nicht isolationistische Tendenzen
zu stärken, sondern auf Alternativen einzugehen, die die
Europäische Union ihnen bieten kann.
Ich möchte zum Schluss kommen. Die Europäische
Union zieht ihre Autorität in diesem Konflikt aus meiner
Sicht auch daraus, dass Europa Krieg und Nationalismus
durch die Kooperation in der Europäischen Union überwunden hat. Europa hat nach dem Zweiten Weltkrieg die
Stunde null erlebt und erfolgreich den Wiederaufbau gemeistert. Deswegen meine ich, die Europäische Union
ist ein gelebtes Beispiel dafür, wie sich aus Vernichtung
und Niederlage wieder eine gute Nachbarschaft entwickeln kann. Das ist die Ursache für die Autorität, die die
Europäische Union hier einbringen kann. Die Europäische Union wird deshalb im Nahostkonflikt das besondere Vertrauenskapital, das sie genießt, das namentlich
Deutschland und Frankreich genießen, einbringen müssen, um diesen Konflikt einzudämmen, ihn eingedämmt
zu halten und in einen politischen Prozess zu überführen.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({5})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Norman Paech von
der Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Ich erinnere mich noch an Ihre Rede auf dem Münchener
Kongress für Sicherheitspolitik im Februar dieses Jahres, Herr Außenminister. Da stellten Sie Ihre Politik unter die Devise des Einsatzes für Freiheit und Demokratie. Das klang alles etwas amerikanisch, aber das ist
noch keine Kritik.
({0})
Dass Sie damit Ihre gesamte Nahost- und Mittelostpolitik in das Fahrwasser der US-Administration lenkten, das allerdings verdient entschiedenen Widerspruch.
({1})
Denn Sie besiegelten dadurch einen gravierenden Wandel in der deutschen Außenpolitik. Militäreinsätze in
der ganzen Welt - zur Sicherung welcher deutschen Interessen eigentlich? -, das hat weder mit dem Grundgesetz
noch mit Verteidigung zu tun. Sie holen sich damit auch
alle Schwierigkeiten ins Haus, mit denen die Amerikaner derzeit zu kämpfen haben, nämlich zunehmende Gewalt, bürgerkriegsähnliche Zustände und Chaos in ihren
De-facto-Protektoraten Irak und Afghanistan sowie
wachsende Terrorgefahr auch im eigenen Land.
Ihre sonst so sympathische Devise „Reden statt schießen“ hat sich gefährlich gewendet. Nehmen wir nur
Afghanistan, wo sich die Bundeswehr derzeit eingräbt,
um offensichtlich die nächsten zehn Jahre dort für Demokratie und Freiheit zu sorgen. Nach fünf Jahren hat
sich dort eine Situation entwickelt, vor der wir immer
gewarnt haben. Sie war voraussehbar. Jetzt beklagt die
Truppe in Afghanistan selbst die dramatisch sinkende
Zustimmung der Bevölkerung zum Einsatz der Bundeswehr. Die Truppe fordert das, was wir immer schon gefordert haben, nämlich mehr zivile Entwicklungshilfe
und Unterstützung für die zivilen Strukturen beim Aufbau des Landes.
({2})
Sie, Herr Außenminister, preisen die neuen demokratischen Institutionen der Regierung Karzai. Das mag für
Kabul so zutreffen, aber überhaupt nicht für ganz Afghanistan. Dort blühen der Mohn und die Freiheit der Drogenhändler. Eine Steigerung der Ernte um fast 60 Prozent in diesem Jahr hat Afghanistan unter dem Schutz
der ISAF und von „Enduring Freedom“ zum größten
Opiumlieferanten der Welt gemacht. Der Preis dafür ist
nicht etwa Stabilität, Sicherheit und Demokratie, sondern Angst vor irakischen Zuständen. Alle Erfahrung der
vergangenen Jahre hat uns gelehrt, dass man dem eben
nicht mit Militär begegnen kann.
({3})
Auch in der Auseinandersetzung mit dem Iran hat die
viel beschworene Geschlossenheit mit den USA Sie
letztlich in eine Sackgasse geführt. Denn es ist eine Illusion, immer noch zu glauben, dass Teheran von seinem
Atomprogramm zu zivilen Zwecken abrücken wird.
Vielleicht werden Sie ein Moratorium erreichen, nicht
aber einen definitiven Verzicht. Es ist reine Symbolpolitik, wenn Sie Sanktionen fordern, Sanktionen, die in der
Geschichte nachweisbar noch nie zu einem Erfolg geführt und nie einen Politikwechsel herbeigeführt haben.
Sie schaden damit der Bevölkerung, ohne aber Ihr Ziel
zu erreichen.
Ein Ausweg zeigt sich derzeit unseres Erachtens nur,
wenn zwei Punkte erfüllt werden: Anerkennung des
Rechts auf Urananreichung zu zivilen Zwecken und unter der Kontrolle der IAEO sowie eine umfassende Sicherheitsgarantie durch die USA. Doch die USA haben
sich offensichtlich noch nicht von ihren Plänen zu einem
gewaltsamen Regimewechsel im Iran distanziert. Sie,
Herr Steinmeier, werden wohl noch viel Arbeit zu leisten
haben, um die USA von der Wirksamkeit des diplomatischen Weges zu überzeugen. Im äußersten Fall müssten
Sie, wenn Sie und die Frau Bundeskanzlerin es wirklich
ernst meinen, der Bush-Administration erneut die Gefolgschaft verweigern. Sie haben ja genug Erfahrung mit
einer solchen Mission aus der Zeit der vorherigen Regierung.
({4})
Schließlich komme ich zu dem Punkt Israel, Palästina und Libanon. Man konnte schon den Eindruck
gewinnen, dass Ihr voreiliges Vorpreschen mit der Entsendung von Marineeinheiten über Ihre Ratlosigkeit hinwegtäuschen sollte,
({5})
wie Sie die tief verfeindeten Gegner zwischen Gaza und
Beirut zu einem Frieden bewegen können. Sie haben
wieder einmal nur unsere Verantwortung gegenüber Israel, nicht aber die gegenüber den Palästinensern, die wir
ja auch haben, berücksichtigt. Wir haben wiederholt betont: Deutsche Soldaten und Polizisten haben aufgrund
unserer historischen Verantwortung nichts in dieser Region zu suchen. Sie sind, wie wir erfahren haben, auch
gar nicht notwendig; denn es gibt genügend Angebote
von anderen Staaten.
Um auch hier nicht missverstanden zu werden: Wir
wenden uns nicht gegen die Stationierung von UNOTruppen zwischen den verfeindeten Gegnern. Wirklich
neutral können UNO-Truppen aber nur sein, wenn sie
auf beiden Seiten der Grenzen stationiert werden, was
aber nicht der Fall ist.
({6})
Die jetzige Parteilichkeit gegen den Libanon und für Israel verstärken Sie nur, indem Sie zwar auf der einen
Seite Waffenlieferungen an die Hisbollah verhindern,
was richtig ist, aber auf der anderen Seite neue Waffensysteme und U-Boote an Israel liefern, was falsch ist.
({7})
So verspielen Sie unseres Erachtens die Glaubwürdigkeit als ehrliche Makler.
Dabei gibt es auch bei diesem letzten Punkt eine Alternative, auf die wir seit Beginn dieses Jahres nicht
müde werden hinzuweisen. Herr Außenminister, vertrauen Sie da doch Ihrem neuen Parteichef, der unseren
Vorschlag aufgenommen hat.
({8})
Reden Sie nicht nur von einem politischen Prozess, sondern konzentrieren Sie alle Ihre Kräfte und auch die Finanzen auf eine Nahostkonferenz nach dem Vorbild der
KSZE. Nur dort werden auch die Wurzeln des Streits,
des Konflikts und des Krieges Israels mit seinen Nachbarn zur Sprache gebracht. Alle Teilnehmer sind dort
gleichberechtigt, ohne von Gewalt, Terror und Drohungen beeinflusst zu werden. Dann wird Ihre Devise „ReDr. Norman Paech
den statt schießen“ wieder uneingeschränkt gelten. Auf
dieser Konferenz wird dann die Existenz beider Staaten,
nämlich Israels und Palästinas, gesichert werden.
Danke schön.
({9})
Als nächster Redner hat der Kollege Josip Juratovic
von der SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Als jemand, der den Balkankrieg unmittelbar erleben
musste und der Hass und Gewalt nicht ausstehen kann,
muss ich zugeben: Wir als größte Nation der Europäischen Gemeinschaft können uns nicht unserer gemeinsamen Verantwortung für eine Stabilisierung des
Friedens im Nahen Osten entziehen.
({0})
Ich denke, es ist für keinen von uns einfach, Soldatinnen und Soldaten mit einem Auftrag zu versehen, ohne
die Garantie bieten zu können, dass sie nach der Erfüllung des Auftrags wieder gesund nach Hause zurückkehren. Deshalb möchte ich mein ausdrückliches Lob an
unseren Außenminister für seine diplomatischen
Bemühungen, die Gefahren der uns bevorstehenden
Mission möglichst gering zu halten, richten. Das gibt
Mut und Hoffnung vor allem für diejenigen, die in diesen Einsatz gehen müssen.
Viele Menschen stellen uns die berechtigte Frage:
Wie viele Soldaten noch an wie viele Brennpunkte? Ich
muss gestehen: Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, wo das
nächste Mal ein Brand entsteht und wo wir Zerstörung,
Verfolgung oder Mord verhindern müssen. Was ich
weiß, ist, dass man präventiv handeln kann und muss. Es
ist wichtig, der Weltgemeinschaft zu vermitteln, dass wir
Europäer nicht nur eine Wirtschaftsgemeinschaft, sondern vor allem eine Wertegemeinschaft sind.
({1})
Die OSZE-Schlussakte, die Charta der Grundrechte der
EU und viele andere europäische Beschlüsse sind eine
wichtige Grundlage dafür. Sie sind eine Grundlage für
unsere gemeinsamen Ideen, Überzeugungen und Hoffnungen. In unserem politischen Handeln müssen wir in
der globalen Politik zu verstehen geben, dass für uns
Freiheit, Frieden und Wohlstand für alle Menschen
wichtig sind.
Frieden braucht Vertrauen. Vertrauen schaffen wir
nur, wenn wir die nationalen und kulturellen Unterschiede der Menschen respektieren und nach gemeinsamen Werten und Interessen suchen. An dieser Stelle
möchte ich ausdrücklich dem diplomatischen Korps, den
politischen und den anderen Stiftungen sowie den vielen
zivilen Organisationen meinen Dank für ihren Einsatz
und ihre Bemühungen beim Vermitteln der von mir zuvor erwähnten Ziele aussprechen.
({2})
Man kann ihre Leistung nicht hoch genug würdigen.
Durch den Einsatz vieler Organisationen weltweit bleiben der Menschheit viele militärische Auseinandersetzungen und damit verbundene Opfer erspart.
Dennoch muss ich zugeben, dass manch eine Organisation vor Ort für große Verwirrung sorgt, unter Umständen sogar kontraproduktiv arbeitet. Bei meiner langjährigen Friedensarbeit auf dem Balkan musste ich oft
feststellen, dass Menschen, die in ihrer Not auf Hilfe von
außen angewiesen waren, zu Opfern gesellschaftspolitischer Experimente wurden. Ein Beispiel: Es kann nicht
sein, dass wir in Europa vom „Sozialmodell Europa“ reden, während Vertreter der Wirtschaftsverbände in den
Krisengebieten von „Marktwirtschaft pur“ sprechen und
uns die Ergebnisse als angebliche Erfolgsmodelle anbieten.
({3})
Meine Damen und Herren, Sie glauben nicht, wie
viele Glücksritter ich während meiner Friedensarbeit vor
Ort erleben musste. Es war beschämend, beobachten zu
müssen, dass manch ein so genannter Entwicklungshelfer nicht begriffen hat, dass er es mit am Boden zerstörten Menschen zu tun hat.
Deshalb möchte ich angesichts der kommenden deutschen EU-Ratspräsidentschaft die Schaffung einer EUKoordinationsstelle für zivile Einsätze in Krisengebieten empfehlen. Diese soll in den Krisengebieten
gemeinsame europäische Werte und politische Ziele vermitteln, sich vor Ort am Aufbau der zivilen Gesellschaft
beteiligen sowie die vor Ort aktiven Hilfsorganisationen
beraten, unterstützen und ihre Einsätze sinnvoll koordinieren.
Das Ziel Deutschlands und der EU muss es sein, die
innere Stabilität zu sichern, ohne die globale Sicherheit
zu vernachlässigen. Deshalb müssen wir zur EU-Erweiterung und zur europäischen Nachbarschaftspolitik in
Zukunft klar Position beziehen. Gerade für den Westbalkan muss die Beitrittsperspektive unmissverständlich
definiert werden. Es ist wichtig, den dortigen politischen
Kräften deutlich zu machen, dass wir nicht tolerieren,
dass die Menschenrechtsfragen nur auf dem Papier gelöst werden, sondern eine aktive Bekämpfung der Nationalismen vor Ort erwarten.
({4})
Wir müssen deshalb die demokratischen Kräfte unterstützen. Diesbezüglich liegt mir die Jugend besonders
am Herzen. Es kann nicht sein, dass der Jugend in manchen Teilen Europas die Teilhabe an unseren Werten für
immer verwehrt bleiben soll. Es ist wichtig, dass wir die
EU-Nachbarschaftspolitik klar definieren und uns vor
allem den jungen Menschen widmen. Sie müssen
begreifen, dass sie für die Gestaltung der Demokratie in
ihrem Land der wichtigste Hoffnungsträger sind.
({5})
Sie müssen begreifen, dass es in einer Demokratie nicht
ausreicht, nur das private Leben zu organisieren, sondern
dass sie sich auch an der Organisation der Gesellschaft
beteiligen müssen. Dabei müssen wir ihnen helfen.
Recht vielen Dank.
({6})
Als nächster Redner hat das Wort der Kollege
Joachim Hörster von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte
die verehrten Kolleginnen und Kollegen um Nachsicht,
dass ich mich, obwohl ich Vorsitzender der DeutschArabischen Parlamentariergruppe bin, heute nicht zum
Nahostkonflikt äußere. Dazu ist schon sehr viel gesagt
worden. Außerdem denke ich, dass wir noch eine intensive Debatte darüber haben werden, wenn die Entscheidung aufgrund eines konkreten Antrages der Bundesregierung ansteht.
Deswegen will ich unter dem Gesichtspunkt der
Nachhaltigkeit in der Politik zwei Themen ansprechen,
die bereits bei der Verabschiedung des Bundeshaushaltes
für das Jahr 2006, also für dieses Jahr, in der außenpolitischen Debatte eine Rolle gespielt haben. Einen Teil meiner Rede, die ich am 27. März gehalten habe, könnte ich
jetzt wiederholen, weil der Herr Bundesaußenminister
zum Schluss seiner Rede die auswärtige Kulturpolitik
angesprochen hat, die so genannte dritte Säule der deutschen Außenpolitik.
Ich will jetzt nicht fragen, was aufgrund der Erkenntnisse, die am 27. März dieses Jahres vorgelegen haben,
bis heute geschehen ist. Denn es braucht einen gewissen
Vorlauf, um feststellen zu können, wie alle an der auswärtigen Kulturpolitik Beteiligten - das ist nicht der
Bundesaußenminister allein - sich bemühen, die auswärtige Kulturpolitik mehr in den Mittelpunkt unserer auswärtigen Tätigkeit zu stellen und vielleicht auch die frühere Philosophie über Bord zu werfen, dass dort, wo die
deutsche Sprache auf kommerzielle Weise durch private Institute erlernt werden kann, unsere Präsenz durch
das Goethe-Institut und ein entsprechendes Angebot
nicht mehr notwendig seien. Man sollte vielmehr auf die
richtige Erkenntnis, die der Herr Bundesaußenminister
heute kundgetan hat, zurückgreifen, nämlich die, dass
die Vermittlung von Führungskräften aus aller Welt nach
Deutschland am ehesten dann zustande kommt, wenn sie
zuerst die deutsche Sprache gelernt haben. Deswegen
muss man ihnen das erleichtern. Genauso muss man es
Ausländern, insbesondere aus Staaten der Dritten Welt,
erleichtern, in Deutschland studieren zu können. Denn
sie können später in Führungsfunktionen in ihren Ländern in der Wirtschaft oder in der Politik helfen, zu Good
Governance beizutragen, was vor allem in diesen Ländern gebraucht wird. Wir werden das auf Wiedervorlage
legen. Vielleicht gibt es dann eine Möglichkeit, plastische und griffige Erfolge und Verbesserungen vorzulegen.
Ich will einen anderen Punkt ansprechen, der damals
auch eine Rolle gespielt hat, nämlich die Parlamentarische Versammlung des Europarates. Die Parlamentarische Versammlung des Europarates führt ja bei uns im
Deutschen Bundestag ein Schattendasein. Das wollen
wir doch einmal ganz ehrlich sagen. Das ist eigentlich
ungerechtfertigt, weil die Parlamentarische Versammlung des Europarates immerhin die Versammlung von
nationalen Abgeordneten aus 46 Ländern in Europa bis
hin zu Georgien und Aserbaidschan ist. Die Parlamentarische Versammlung des Europarates befasst sich damit,
Länder, die nicht der Europäischen Union angehören, an
gewisse Mindeststandards - ich sage es einmal vereinfachend - einer zivilisierten Gesellschaft, wie wir sie verstehen, heranzuführen.
Es gibt die Europäische Menschenrechtskonvention,
die der Europarat umzusetzen hat. Es gibt die Antifolterkonvention, die er beachtet. Es gibt zum Beispiel auch
verschiedene Konventionen zur Harmonisierung der sozialen und rechtlichen Praktiken der Mitgliedstaaten, die
das Bewusstsein für eine europäische Identität unterstreichen.
Der Europarat hat ganz unzweifelhaft nach 1989
wesentlich mit dazu beigetragen, dass in den postkommunistischen Ländern der Gedanke des Herankommens
ihrer politischen Kultur an die europäischen Mindeststandards nicht nur verkündet worden ist, sondern dass
auch versucht worden ist, das umzusetzen.
In diesem Zusammenhang und unter Berücksichtigung der Wünsche vieler Länder in Europa, möglicherweise Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu werden - das sehen wir allerdings mit großer Skepsis, weil
man die Europäische Union nicht überdehnen darf -,
könnte dem Europarat sehr wohl auch in der nationalen
Politik eine viel beachtete Rolle zukommen. Er könnte
als Bindeglied fungieren zwischen den europäischen
Anrainerstaaten, hauptsächlich aus dem früheren Osteuropa bis zum Gebiet der früheren südlichen Sowjetunion, und der Europäischen Union. Auf diesem Wege
könnte man versuchen, bestimmte Standards zu etablieren - auf sozialem und rechtlichem Gebiet, was die Einhaltung der Menschenrechte betrifft sowie im Hinblick
auf die demokratische Entwicklung insgesamt -, ohne
dass sofort die Frage der Mitgliedschaft in der Europäischen Union gestellt würde.
Immerhin muss man folgende Unterscheidung treffen: Die Europäische Union ist ein Verbund von Staaten,
die ihrerseits Souveränitätsrechte an die Union abtreten,
sodass die Union der Entscheidungsträger ist, während
der Europarat ein Verbund von Staaten ist, die sich in
Verträgen, die sie miteinander geschlossen haben, verpflichtet haben, bestimmte Regeln einzuhalten, die der
Europarat durch die Parlamentarische Versammlung
dann durchzusetzen versucht.
Das wichtigste Instrument ist in diesem Zusammenhang der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Wir haben schon bei früherer Gelegenheit über
die Frage diskutiert, wie sich die Situation nach Gründung der Europäischen Menschenrechtsagentur darstellen wird. Mir ist, wie auch meinen Kolleginnen und
Kollegen in der Parlamentarischen Versammlung des
Europarates, bekannt, dass die Dinge bereits so weit gediehen sind, dass man sie nicht gänzlich rückgängig machen kann. Mit Zuversicht habe ich aber festgestellt,
dass Sie, Herr Bundesaußenminister, das Petitum des
Europaausschusses bzw. der Delegation der Parlamentarischen Versammlung des Europarates zur Kenntnis genommen haben und nun versuchen, die Richtung einzuschlagen, die wir von Ihnen erbeten haben, um dafür zu
sorgen, dass keine Doppelstrukturen entstehen und dass
sich die Europäische Union auf ihre ureigenen Aufgaben
konzentrieren und die anderen Aufgaben wie die Überwachung der Einhaltung der Menschenrechte im Wesentlichen dem Europarat überlassen kann, der auf diesem Gebiet auch die größeren Kompetenzen und die
besseren Erfolgsaussichten hat.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche der weiteren Debatte einen guten Verlauf.
({0})
Das Wort hat jetzt der Kollege Lothar Mark von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Wir haben bereits heute früh, als es um den Einzelplan
des Bundeskanzleramtes ging, eine außenpolitische Debatte geführt. Jetzt führen wir erneut eine außenpolitische Debatte zum Einzelplan des Auswärtigen Amtes.
Ich weise allerdings darauf hin, dass wir uns eigentlich
in der ersten Lesung des Entwurfs des Bundeshaushalts
für das Jahr 2007 befinden.
({0})
Ich bin dem Außenminister sehr dankbar, dass er, wie
zwei weitere Kollegen, den Haushalt angesprochen hat.
Ich denke, das dient der Würdigung der Arbeit derer, die
hierfür die Verantwortung tragen.
Der Haushalt des Auswärtigen Amtes steigt von
2006 auf 2007 um 6 Prozent an. Das macht insgesamt
140 Millionen Euro aus. Davon sind bereits 81 Millionen
Euro für Erhöhungen im Rahmen von VN-Pflichtbeiträgen reserviert. 34 Millionen Euro mehr als im vorigen
Haushalt hängen mit der EU- und der G-8-Präsidentschaft zusammen, wobei schon heute abzusehen ist, dass
diese Mittel sehr wahrscheinlich nicht ausreichen werden.
7,5 Millionen Euro der genannten Summe werden für
den Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds zur Verfügung gestellt. Darüber hinaus wurden einige kleinere
Positionen erhöht oder sie sind hinzugekommen, zum
Beispiel Mittel für die Biometrie.
Der Anteil des Haushalts des Auswärtigen Amtes
am gesamten Bundeshaushalt macht nur 0,95 Prozent
aus, und dies trotz wachsender Aufgaben, einer zunehmenden Bedeutung der auswärtigen Politik und der internationalen Wertschätzung; der Außenminister hat auf
diese Thematik bereits hingewiesen. Es muss das Ziel
sein - darin sind sich zumindest die Haushälter, die für
das Auswärtige Amt zuständig sind, einig -, dass wir die
1-Prozent-Marke erreichen und in nicht allzu ferner Zukunft geringfügig überschreiten. Die Kosten des Auswärtigen Amtes belaufen sich pro Kopf der Bevölkerung
umgerechnet auf 28,99 Euro. Ich glaube, dass es nur
ganz wenige Haushalte gibt, bei denen der Pro-Kopf-Betrag so niedrig angesiedelt ist.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe in allen
Haushaltsberatungen immer wieder Haushaltsklarheit
und Haushaltswahrheit angemahnt. Ich habe diesbezüglich auch heute drei Beispiele, die ich ansprechen
möchte.
Das erste Beispiel sind die Stabilitätspakte Afghanistan und Südosteuropa; der eine mit 30 Millionen Euro
ausgestattet, der andere mit 15 Millionen Euro, wobei
der Haushaltstitel für den Stabilitätspakt Südosteuropa
im Vergleich zu 2006 um 15 Millionen Euro gekürzt
wurde und damit zu niedrig angesetzt ist. Diese beiden
Haushaltstitel sind im BMZ angesiedelt. Wir sind der
Meinung, dass hier ein Transfer der bislang dem Auswärtigen Amt nur zur Bewirtschaftung zur Verfügung
gestellten Ansätze in den Haushalt des Auswärtigen Amtes erfolgen müsste, weil auch der politische Zugriff
beim Auswärtigen Amt liegt. Das gehört einfach zur
Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit.
({2})
Das zweite Beispiel ist die Streulage einzelner Positionen für eine Maßnahme oder einen Empfänger in verschiedenen Einzelplänen, und da selbst nach derzeitiger
Haushaltsstrukturvorgabe in verschiedenen Titelgruppen
und Titeln. Ich denke, dass dies beim Lesen des Haushaltes sehr unübersichtlich ist, und rege an, dass man
darüber nachdenkt, dies neu zu ordnen. Ich nenne nur als
Stichwort die Budgetierung.
({3})
Ein dritter Hinweis ist, dass verschiedene Fußnoten
und Anmerkungen in den jeweiligen Titeln enthalten
sind, die nicht unbedingt zielführend sind. Ich möchte
hier - man möge mir die Nennung der Zahl verzeihen auf den Haushaltstitel 687 17, die Pflege kultureller Beziehungen, hinweisen. Darin wird, wie auch in vielen anderen Titeln, zwei Mal auf das Goethe-Institut Bezug genommen. Das Goethe-Institut kommt aber auf der
gesamten Seite nicht mehr vor, obwohl insgesamt
16 verschiedene Positionen aufgezählt sind.
Kollege Juratovic hat vorhin das Thema Prävention
angesprochen. Ich wollte zu diesem Thema einige Ausführungen machen. Da aber meine Redezeit etwas geschrumpft ist, will ich dies beiseite lassen und lediglich
darauf hinweisen, dass wir insgesamt gesehen verstärkt
über Fragestellungen der Prävention nachdenken müssen.
Wir haben uns im Juni dieses Jahres auf die Umsetzung eines Aktionsplans „Zivile Krisenprävention“ verständigt, in dem aufgezeigt wird, wie wir mit der Krisenprävention umgehen sollen. Darin sind so viele
Handlungshinweise enthalten, dass wir das Thema verstärkt in Angriff nehmen müssen. Wir müssen auch die
vielen kritischen Anmerkungen, die hier immer wieder
gemacht werden, sehr ernst nehmen. Es darf nicht der
Eindruck entstehen, dass die militärische Komponente
an erster Stelle steht. Vielmehr sollten wir zeigen, dass
integrativ gearbeitet wird, um die Probleme in der Welt
zu lösen.
({4})
Wir haben bereits im Jahr 2006 und für die Folgejahre
den Haushaltstitel für humanitäre Hilfsmaßnahmen
auf 50 Millionen Euro verstetigt. Den Haushaltsansatz
für Maßnahmen des humanitären Minenräumens haben
wir auf 8,4 Millionen Euro festgezurrt. Wir wissen, dass
dies nicht ausreichend ist. Andererseits muss der Haushalt natürlich auch in diesen Bereichen den Gegebenheiten angepasst werden.
Ich bin sehr dankbar, dass der Kollege Hörster und
auch der Außenminister in ihren Beiträgen auf die Kulturpolitik und auf die Bedeutung der Kultur hingewiesen haben. Ich möchte darauf hinweisen, dass für die
Auslandskulturarbeit im Haushalt 2007 ein Zuwachs von
4,4 Millionen Euro vorgesehen ist.
({5})
Die institutionelle Förderung für die allgemeine Auslandskulturarbeit sinkt in 2007 auf die ursprüngliche Finanzplanung, da 2006 aus besonderen Gründen eine einmalige Verstärkung der institutionellen Förderung beim
GI vorgenommen wurde.
Ich will auch darauf hinweisen, dass wir eine Verstetigung der Mittel für Maßnahmen der politischen Stiftungen im Ausland durchgeführt haben. Ihre Arbeit muss
immer wieder als segensreich für die Bundesrepublik angesehen werden. Wir sollten uns hierfür wieder verstärkt
einsetzen.
({6})
Zum Goethe-Institut wäre viel zu sagen; in den letzten Wochen und Monaten ist in den Medien viel darüber
geschrieben worden. Ich denke, die Kernaufgaben des
Goethe-Instituts sind unbestritten. Die Zielformulierungen sind klar: Das Goethe-Institut muss zukunftssicher
aufgestellt werden. Die Strukturen des Goethe-Instituts
müssen modernisiert, Synergien in vielfältiger Weise erreicht werden. Auch eine Erweiterung seiner Finanzbasis muss erfolgen. Einige Bereiche des Goethe-Instituts
sind Gott sei Dank inzwischen budgetiert. Wir hoffen,
dass diese Prozesse weitergeführt werden
({7})
und dass ab 2008 eine Totalbudgetierung des Goethe-Instituts erfolgt. Meine Forderung war immer, alle Mittlerorganisationen zu budgetieren,
({8})
weil dadurch mehr Flexibilität entsteht.
({9})
Zur Arbeit der weltweit 144 Goethe-Institute insgesamt
kann ich weiter nichts ausführen, weil meine Redezeit
allmählich zu Ende geht.
Ich möchte noch darauf hinweisen, dass wir über die
konzeptionellen Umstrukturierungen hinaus eine
Reform des Auslandsschulwesens ins Auge fassen
müssen. Das Schulwesen insgesamt muss effizienter
gestaltet werden. Mit den 117 Schulen und 364 geförderten Bildungseinrichtungen erreichen wir immerhin
230 000 Schülerinnen und Schüler. Hier wären der Deutsche Akademische Austauschdienst, die Alexander-vonHumboldt-Stiftung, das Deutsche Archäologische Institut und viele andere Einrichtungen zu erwähnen.
Ich darf einen Satz zur ODA-Quote sagen, weil sie
immer eine große Rolle spielt. Die Maßnahmen, die für
die ODA-Quote angerechnet werden, sind nicht nur
beim BMZ angesiedelt, sondern auch in verschiedenen
anderen Ministerien. Auch das Auswärtige Amt trägt mit
den Mitteln für humanitäre Einsätze seinen Teil dazu
bei.
Herr Kollege, Sie haben die Zeit schon weit überzogen. Ich bitte Sie, jetzt zum Schluss zu kommen.
Ich darf zum Schluss dem Außenminister danken für
seine ausgezeichnete Arbeit, die das Ansehen Deutschlands weiter hebt.
({0})
Ich danke dem Haushaltsreferat des AA für die gute Zusammenarbeit. Ich danke auch allen Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern im Auswärtigen Amt für ihren engagierten Einsatz weltweit. Schließlich danke ich meinen
Berichterstatterkollegen, insbesondere dem Kollegen
Herbert Frankenhauser, für die faire Verständigungsbereitschaft.
Vielen Dank.
({1})
Das Wort hat jetzt der Kollege Herbert Frankenhauser
von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Ich übernehme gerne die Ausführungen meines geschätzten Vorredners Lothar Mark, inklusive aller Dankadressen;
({0})
das kann meine Redezeit etwas verkürzen.
Ich habe dieser ebenso kurzen wie kurzweiligen Debatte über den Einzelplan 05
({1})
aufmerksam zugehört und festgestellt, dass zumindest in
zwei Fragen völlige Übereinstimmung im Hause herrscht
- zumindest von halb links bis zu den Liberalen -,
({2})
nämlich dass die deutsche Außenpolitik von herausragender Bedeutung ist und die auswärtige Kulturpolitik
einen ganz besonderen Stellenwert hat.
({3})
- Es freut mich, dass an dieser Stelle meiner Rede auch
der Vertreter des Bundesfinanzministers den Saal wieder
betritt.
({4})
Ihn betrifft das nämlich am meisten; denn er ist der Einzige, der sich dieser allgemeinen Erkenntnis des Hohen
Hauses bislang widersetzt hat.
({5})
Wenn wir aber weiter so geschlossen voranmarschieren,
dann könnte es uns durchaus gelingen, auch noch den
Bundesfinanzminister in die Knie zu zwingen. Dazu fordere ich Sie alle sehr herzlich auf.
({6})
- Ich glaube, ich bin heute der einzige, der von der Opposition beklatscht worden ist. Vielleicht hält das ja an,
sodass wir endlich sowohl dem Einzelplan 05 als auch
der darin enthaltenen auswärtigen Kulturpolitik eine
halbwegs angemessene Dotierung zukommen lassen
können. Ich hoffe, dass sich die Kolleginnen und Kollegen, die sich immer in Feuilletons äußern, wenn über die
Schließung eines Goethe-Instituts nachgedacht wird, bei
der entsprechenden Abstimmung so verhalten werden,
dass solche Schließungen gar nicht angedacht werden
müssen.
({7})
Da ich Haushälter bin, muss ich natürlich auch etwas
über die Kostensituation sagen. Herr Außenminister, ich
habe in den zurückliegenden Jahren und auch heute wieder festgestellt, dass wir sehr viel über das Engagement
im Ausland - ob direkt oder über die UNO - reden. Damit kein Missverständnis entsteht: Ich unterstütze die
Überlegungen der Bundesregierung zur deutschen Beteiligung im Libanon nachhaltig. Wir reden auch sehr viel
über diese Auslandsbeteiligungen, und zwar darüber,
wie und ob wir hineingehen. Was ich aber vermisse, ist
eine Diskussion darüber - wenn auch nur bescheidener
Art -, ob und wann wir wieder hinausgehen.
({8})
Ich lese Ihnen einmal vor - jeder wird es wissen und mit
einem Aha begleiten -, woran wir beteiligt sind: MINURSO,
UNOMIG, UNFICYP, UNMIK, UNOCI, MINUSTAH. Das
ist ein Beispiel von vielen; ich brauche die Abkürzungen
nicht im Detail zu erklären, weil das allgemein bekannt
ist. Wir sollten aber wieder einmal darüber reden, ob das
noch sinnvoll ist. Wenn ich mich recht entsinne, gab es
am 19. März 1978 die erste UNO-Resolution zum Libanon. Ich kenne mich in der großen Außenpolitik nicht
aus - wie gesagt: Ich bin nur Haushälter - und weiß
nicht, ob diese Resolutionen, nachdem sie verabschiedet
wurden, von irgendjemandem noch einmal gelesen und
möglicherweise auch kontrolliert werden.
({9})
- Dann sind Sie wahrscheinlich eine Ausnahme.
In der UN-Resolution zur Gründung der UNIFIL
- die Kosten dieser Mission, an denen wir auch beteiligt
sind, betragen etwa 268 Millionen Dollar pro Jahr stand zwar, dass die Hisbollah entwaffnet werden soll.
Allgemein ist aber feststellbar, dass es in der Zeit, seit
die UNIFIL vor Ort tätig ist, zur größten Wiederbewaffnung und Aufrüstung der Hisbollah aller Zeiten gekommen ist.
({10})
Herr Außenminister, ich bitte darum, nicht nur auf die
Laufzeiten solcher Mandate zu achten, sondern vielleicht auch etwas auf die Qualität.
({11})
Ich möchte noch etwas zur Europäischen Union
bzw. zur Europäischen Gemeinschaft sagen. Sie haben
beklagt, dass sich die Bürgerinnen und Bürger etwas davon entfernen. Das ist wohl wahr. Ich habe manchmal
den Eindruck, die EU-Kommission sieht ihre Arbeit
zielgerichtet darin, die EU bewusst von den Bürgern zu
entfernen. Ich darf Ihnen ein Beispiel aus der Praxis nennen: Ich finde nur wenige Leute, die begeistert darüber
sind, dass die Europäische Union dafür sorgt, dass die
Biersteuer erhöht wird. Das verstehen die Leute einfach
nicht; sie empfinden es auch nicht als besonders europaförderlich. Daher bitte ich Sie dringend, Herr Staatssekretär, sich dagegen auszusprechen.
Auch die neue Kennzeichnungspflicht in Bezug auf
Bier- und Weinflaschen freut die Leute nicht und fördert
auch nicht ihre Nähe zu Europa. Ich weiß nicht, welchem Gehirn dies eingefallen ist; ich muss mich ja parlamentarisch ausdrücken. Diese Pflicht fördert die angesprochene Einstellung der Bürger, insbesondere solange
die EU-Kommission bei gleichen oder noch stärkeren
Gefährdungspotenzialen keine Warnhinweise gibt, zum
Beispiel bei Eisenbahnlokomotiven, die bekanntermaßen auch gefährlich sind, wenn man gegen sie läuft,
während sie in Fahrt sind, oder bei den durchaus beliebten Schwarzwälder Kirschtorten,
({12})
wobei ich als Nichtmediziner der festen Überzeugung
bin, dass acht Schwarzwälder Kirschtorten gesundheitsschädlicher sind als acht Seidel Bier.
({13})
In diesem Sinne bitte ich Sie herzlich, daran mitzuwirken, dass die Europäische Union mehr auf ihre Bürger
zielt.
Herzlichen Dank.
({14})
Weitere Wortmeldungen zum Geschäftsbereich des
Auswärtigen Amtes liegen nicht vor.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung, Einzelplan 14.
Bevor ich das Wort erteile, bitte ich diejenigen Kollegen, die jetzt die Plätze wechseln wollen, dies zu tun, damit wir dem Verteidigungsminister anschließend unsere
Aufmerksamkeit schenken können. - Ich erteile jetzt
dem Bundesminister der Verteidigung, Dr. Franz Josef
Jung, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Der Verteidigungshaushalt ist insbesondere
durch die aktuellen Diskussionen im Hinblick auf die
Auslandseinsätze wieder etwas mehr in den Blickpunkt
der Öffentlichkeit geraten. Ich halte es für richtig und
gut, dass wir uns hier inhaltlich über die Fragen der
Sicherheits- und Verteidigungspolitik auseinander setzen; denn ich bin durchaus der Auffassung, dass die
Bundeswehr auch und gerade durch die Auslandseinsätze einen erheblichen Beitrag für unsere Sicherheit
leistet. Aber von der Bundeswehr können nicht immer
mehr dieser Einsätze verlangt werden, wenn die dafür
erforderlichen finanziellen Grundlagen nicht vorhanden
sind.
Bevor diese Regierung ins Amt kam, musste innerhalb der letzten fünfzehn Jahre eine Reduzierung des
Anteils des Verteidigungsetats am Gesamthaushalt um
circa ein Drittel hingenommen werden. Angesichts dieser Tatsache bin ich froh und dankbar, dass wir im Haushalt 2006 eine Stabilisierung der Mittel erreichen konnten und dass wir im Haushaltsplanentwurf für das Jahr
2007, über den wir hier diskutieren, eine Steigerung feststellen können.
Wir haben insgesamt - einschließlich der Versorgung,
lieber Kollege Kampeter - einen Etat von 28,4 Milliarden Euro,
({0})
der um 525 Millionen Euro ansteigt - ohne Versorgung
sind dies 480 Millionen Euro - und in der Perspektive
bis 2009/2010 um 1 Milliarde Euro. Dies ist auch notwendig; denn wenn wir unsere Soldatinnen und Soldaten
im Interesse unserer Sicherheit in gefährliche Einsätze
schicken, haben sie es verdient, eine gute Ausbildung
und eine gute Ausrüstung zu bekommen. Dafür brauchen wir die notwendige finanzielle Grundlage.
({1})
Teilweise wurde die Frage angesprochen, woran sich
die Auslandseinsätze der Bundeswehr eigentlich orientieren sollten. Diesbezüglich sollten wir schon eine
Übereinstimmung erzielen. Die Auslandseinsätze sind
wertorientiert; sie dienen den nationalen Interessen und
sie entsprechen unseren internationalen Verpflichtungen.
Aktuell befinden sich 7 850 unserer Soldatinnen und
Soldaten in Auslandseinsätzen. Wie Sie wissen, sind wir
mit dem stärksten Kontingent in Bosnien-Herzegowina
sowie im Kosovo vertreten. Ich kann nur hoffen, dass
sich nach den im Oktober anstehenden Wahlen in Bosnien-Herzegowina und den hoffentlich positiven Ergebnissen der Statusverhandlungen hinsichtlich des Kosovo
dort eine Entwicklung abzeichnen wird, aufgrund deren
die Region ihre Sicherheit und Stabilität in einer europäischen Perspektive selbst mit gewährleisten kann.
Wir sind in einer nicht einfachen Mission in Afghanistan. Es darf nicht vergessen werden, dass Afghanistan ein Ausbildungszentrum für den Terrorismus war.
Dort sind jetzt erstmals seit mehr als 30 Jahren demokratische Parlaments- und Präsidentenwahlen durchgeführt
worden. Die Strategie, die die Bundesrepublik Deutschland und unsere Soldatinnen und Soldaten jetzt dort verwirklichen, nämlich im Norden Afghanistans mit fünf
Wiederaufbauteams Stabilität und Sicherheit zu gewährleisten, aber auch die zivile Komponente - das heißt den
Aufbau von Sicherheitsstrukturen der Polizei sowie
entwicklungspolitische und wirtschaftspolitische Initiativen - mit im Blick zu behalten, lässt die Menschen
spüren, dass die Stabilisierung und der Wiederaufbau erfolgen und damit letztlich Sicherheit und eine positive
Entwicklung gewährleistet werden. Ich glaube, das ist
die richtige Strategie einer vernetzten Sicherheitspolitik,
die wir in Afghanistan umsetzen. Ich hoffe und wünsche,
dass sie auch Ihre Unterstützung findet, weil ich glaube,
dass das der richtige Weg für einen Erfolg in Afghanistan ist.
({2})
Wir haben über 2 700 Soldatinnen und Soldaten in
Afghanistan. Herr Trittin ist nicht mehr da,
({3})
sonst hätte ich ihm sagen können, dass wir die Verantwortung für den Norden übernommen haben, die italienischen Freunde die Verantwortung für den Westen, die
Briten die Verantwortung für den Süden und die Amerikaner die Verantwortung für den Osten. Insgesamt sind
dort 37 Nationen engagiert.
Ich habe das, was wir aus meiner Sicht dort beispielhaft umsetzen, gerade mit meinem italienischen Kollegen besprochen. Unsere Freunde - auch unsere britischen Kollegen - sehen das genauso. Inzwischen denken
auch unsere amerikanischen Freunde so, sodass ich
hoffe und wünsche, dass wir dort zu einer Stabilisierung
der Lage und zu einer guten Entwicklung kommen. Man
muss aber auch deutlich machen, dass sich die Zahl der
Anschläge gegenüber dem Vorjahr verdoppelt hat und
dass im Hinblick auf die Sicherheit eine Risikolage besteht. Deshalb habe ich angeordnet, dass wir dort nur
noch mit geschützten Fahrzeugen fahren, und deshalb ist
die Aufklärung zusätzlich verstärkt worden. Der Schutz
unserer Soldatinnen und Soldaten muss uns ein besonderes Anliegen sein - auch und gerade in schwierigen Einsätzen wie in Afghanistan.
({4})
Über den Kongoeinsatz ist hier teilweise kritisch diskutiert worden. Aber ich glaube, man muss in aller Ruhe
feststellen, dass dieser Einsatz dazu geführt hat, dass in
der Zeit vom 21. bis 22. August der erneute Ausbruch eines Bürgerkriegs verhindert werden konnte. Die Situation war mehr als kritisch, als die Truppen Kabilas die
Villa des Vizepräsidenten Bemba umstellt hatten und es
dort zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kam. In der
Villa waren auch Botschafter. Als sich die Frage der
Evakuierung stellte, haben sowohl die spanischen als
auch die polnischen Freunde mit unserer Unterstützung
bei der Aufklärung dazu beigetragen, dass die Situation
nicht in einen Bürgerkrieg umgeschlagen ist. Vielmehr
können wir jetzt wieder davon ausgehen, dass sich die
Situation stabilisiert hat. Ich hoffe und wünsche, dass
wir diese Situation bis zu den Stichwahlen aufrechterhalten können, damit sie in einem friedlichen und stabilen
Umfeld stattfinden können und die ersten demokratischen Wahlen nach über 45 Jahren in diesem Land ihren
positiven Niederschlag finden.
({5})
Ich könnte noch alle anderen Einsätze, an denen die
deutsche Bundeswehr beteiligt ist, darstellen. Wie Sie
wissen, sind wir in beobachtender Mission im Sudan, in
Darfur, und in Äthiopien und Eritrea. Wir sind im Rahmen von Enduring Freedom am Horn von Afrika in
Dschibuti. Wir sind an der Operation Active Endeavour
am Mittelmeer beteiligt, die als Folgewirkung des
11. September aufgrund des Bündnisfalls nach Art. 5 des
NATO-Vertrags zustande kam. Wir sind beispielsweise
auch in Georgien im Einsatz.
Gegenwärtig diskutieren wir über eine weitere Unterstützung einer Friedenstiftenden Mission im Libanon.
Erlauben Sie mir vorab eine Bemerkung. Wir leisten
auch einen wichtigen Beitrag zu humanitären Hilfen.
Wir haben bis zum heutigen Tag mit über 20 Flügen
mehr als 135 Tonnen Hilfsgüter - von Babynahrung
über Medizin und Zelte bis zu UNO-Fahrzeugen - sowie
Hilfspersonen in die Region gebracht und damit einen
wichtigen humanitären Beitrag geleistet.
Nun geht es darum, dafür Sorge zu tragen, dass eine
im Hinblick auf die Gewährleistung des Waffenstillstandes Frieden stiftende Mission erfolgreich ist. Ich halte es
für richtig, dass wir uns in einer Situation nicht verweigern, in der es um das Existenzrecht des Staates Israel,
die Souveränität des Libanon und das Verhältnis Palästinas zu Israel im Hinblick auf die Umsetzung der
Roadmap geht. Die notwendige und vorrangige politische Lösung kann aber nur erzielt werden, wenn die
Waffen weiter schweigen, wenn die Einhaltung des Waffenstillstandes unterstützt wird.
({6})
Wie Sie wissen, warten wir auf die Anforderung des
Libanon. Wenn sie eingetroffen ist, werden die Vereinten
Nationen gegebenenfalls unsere Unterstützung bei der
Gewährleistung der Seesicherheit beschließen. Wenn das
der Fall ist, werde ich bei Ihnen für ein entsprechendes
Mandat werben.
Das sind die Verpflichtungen der Bundeswehr in den
Auslandseinsätzen. Aber wir sollten uns keine Illusionen
machen. Es sind zwar Frieden stiftende Missionen. Aber
sie sind mit Risiken und teilweise mit Gefahren für Leib
und Leben unserer Soldatinnen und Soldaten verbunden.
64 Soldatinnen und Soldaten haben bereits ihr Leben in
Auslandseinsätzen verloren. Deshalb muss man aus meiner Sicht, wenn es um einen neuen Einsatz geht, darauf
hinweisen, dass es gefährliche Situationen geben kann,
in denen unsere Soldaten kämpfen müssen. Das gilt
ebenfalls im Hinblick auf eine eventuelle Evakuierung
im Kongo. Wir haben das bereits beispielsweise in Afghanistan erlebt, wo unsere Soldaten angegriffen wurden. Das kann man bei neuen Einsätzen nicht ausschließen. Das sollte man auch in der Öffentlichkeit deutlich
ansprechen. Ich erachte es für falsch, die wahre Situation
nicht zu beschreiben, sondern Illusionen zu verbreiten,
wenn es um gefährliche Auslandseinsätze geht. Unsere
Soldatinnen und Soldaten leisten, wie ich finde, einen
hervorragenden Dienst. Sie mehren das Ansehen der
Bundesrepublik Deutschland in den unterschiedlichen
Kulturen. Wir sollten ihnen für den Einsatz dankbar sein,
den sie für unsere Sicherheit leisten.
({7})
Zu den Aufgaben der Bundeswehr gehört natürlich
auch der Schutz Deutschlands. Die Bundeswehr hilft bei
jeglicher Art von Katastrophen. Ihr Einsatzspektrum
reicht - ich kann es nur schlagwortartig skizzieren - von
der Schneekatastrophe über die Vogelgrippe bis zum
Hochwasserschutz. Die Bundeswehr soll sicherlich nicht
originäre Polizeiaufgaben übernehmen. Da man aber
heute nicht mehr ohne weiteres zwischen innerer und äußerer Sicherheit trennen kann, halte ich es für notwendig, dass die Bundeswehr dann, wenn die Fähigkeiten
der Polizei nicht mehr ausreichen, wenn es beispielsweise um terroristische Anschläge aus der Luft oder von
See oder um eine asymmetrische Bedrohung geht, ihre
Fähigkeiten zur Gewährleistung der Sicherheit und zum
Schutz unserer Bürgerinnen und Bürger einsetzt. Dies
werden wir auch in Zukunft gewährleisten.
({8})
Wir zählen im Rahmen des Konzepts der zivil-militärischen Zusammenarbeit auf die Unterstützung der
Reservisten. Wir brauchen weiterhin Reservisten.
1 800 finden jedes Jahr Verwendung in Auslandseinsätzen. Die Reservisten sind ein wichtiger Transmissionsriemen für die Bundeswehr in die Gesellschaft. Sie haben weiterhin unsere Unterstützung verdient. Deshalb
möchte ich hier meinen Dank an die Reservisten für den
Beitrag, den sie zur Gewährleistung unserer Sicherheit
leisten, zum Ausdruck bringen.
({9})
Weil das angesprochen wurde, möchte ich es aufgreifen: Ich bin dankbar, dass wir im Koalitionsvertrag
vereinbart haben, an der Bundeswehr als eine Wehrpflichtarmee festzuhalten. Von der Richtigkeit dieses
Beschlusses bin ich felsenfest überzeugt; denn die Wehrpflicht hat sich in mehr als 50 Jahren Bundeswehr bewährt. Sie stellt eine Verbindung der Bundeswehr mit
unserer Gesellschaft dar.
Zur Bundeswehr gehört nicht nur die innere Führung,
sondern auch die Wehrpflicht. Die Bundeswehr hat sich
als Wehrpflichtarmee über 50 Jahre hinweg positiv entwickelt. Ich bin der Auffassung, wir sollten auch in Zukunft an der Wehrpflichtarmee festhalten, weil die Verbindung mit der gesellschaftlichen Entwicklung für
unsere Armee positiv ist.
({10})
Von 60 000 Wehrpflichtigen, die wir im Jahr einziehen, verpflichten sich 25 000 freiwillig weiter. Auch das
ist ein Gesichtspunkt, den man nicht aus dem Auge verlieren darf, wenn es um Strukturentwicklungen der Bundeswehr geht. Ich möchte noch hinzufügen, dass wir
auch im Hinblick auf die Investitionen einen erheblichen
Beitrag leisten. Der Jahreswirtschaftsbericht beziffert sie
mit 6 Milliarden Euro.
Natürlich befindet sich die Bundeswehr in einem
Transformationsprozess. Natürlich müssen wir uns auf
aktuelle Einsatzlagen einstellen und tun dies auch. Die
Bundeswehr steht vor einer enormen Herausforderung.
Wenn ich aber in dem einen oder anderen Bericht lese
- ich sehe Sie gerade, Herr Kollege Kahrs -, dass unsere
Schiffe für den Einsatz in warmen Gewässern wie zum
Beispiel dem Mittelmeer nicht vorgesehen sind, dann
muss ich sagen: Unsere Schiffe fahren vor Dschibuti, wo
die Gewässer noch ein Stück wärmer sind. Das heißt, unsere Bundeswehr ist schon ordentlich ausgerüstet und
wir bieten ordentliche Fähigkeiten an. Deshalb sollte
man konkret werden, wenn man über diese Dinge redet.
Tatsache ist, dass unsere Soldatinnen und Soldaten
gut ausgebildet, gut ausgerüstet und auch hoch motiviert
sind. Deshalb haben sie unsere politische Unterstützung
und im Rahmen der Haushaltsberatungen auch unsere finanzielle Unterstützung verdient. Ich bitte Sie um Zustimmung zu diesem Haushaltsentwurf, im Interesse der
Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger und im Interesse der Sicherheit unseres Landes.
Besten Dank.
({11})
Bevor ich der nächsten Rednerin das Wort erteile, begrüße ich in Ihrer aller Namen den indischen Verteidigungsminister Pranab Mukherjee mit seiner Delegation,
die auf der Diplomatentribüne Platz genommen haben.
({0})
Herr Minister, wir freuen uns sehr über Ihren Besuch.
Wir wünschen Ihnen einen erfolgreichen Aufenthalt in
Berlin und fruchtbare Gespräche. - Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Birgit Homburger von
der FDP-Fraktion.
({1})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
meisten Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr verrichten ihren Dienst im Moment in den Kasernen und auf
den Übungsplätzen in Deutschland, aber doch sind nahezu 8 000 Soldatinnen und Soldaten heute schon im
Einsatz in Afghanistan, in Usbekistan, in Bosnien-Herzegowina, im Kosovo, in Georgien, im Kongo und am
Horn von Afrika. Ihnen allen gebührt unser Dank für
ihre hohe Leistungsbereitschaft und ihre vorbildliche
Pflichterfüllung, die sie oft genug unter widrigen Umständen beweisen müssen.
({0})
Diese widrigen Umstände sind einerseits im Zusammenhang mit den Einsatzländern zu sehen, andererseits,
Herr Minister, beruhen sie auf mangelnder Führungsleistung Ihrerseits.
({1})
Eine mangelhafte Führungsleistung ist es zum Beispiel,
wenn Aufträge und Mittel nicht im Einklang stehen. Wir
haben im Jahr 2000 drei Auslandseinsätze der Bundeswehr bei einem Etat von 23,2 Milliarden Euro gehabt.
Im Jahr 2006 gibt es acht Auslandseinsätze bei einem
Etat von 23,88 Milliarden Euro. Der erste Eindruck: eine
Steigerung von 3 Prozent, zumindest nominal. Wenn
man allerdings die Inflationsrate herausrechnet, dann ergibt sich real eine Reduzierung um über 10 Prozent, und
das vor dem Hintergrund mehrerer zusätzlicher gefährlicher Aufträge.
({2})
Das geht zulasten der Ausrüstung. Das ist für die Truppe
unzumutbar und politisch nicht mehr hinnehmbar.
({3})
Sie, Herr Minister, sagen, Sie brauchten mehr Geld.
Das haben wir im Übrigen vor dem Beschluss über den
Kongoeinsatz auch schon von Ihnen gehört. Aber durchgesetzt haben Sie es nicht. Jetzt wird die Forderung wieder erhoben. Herr Minister, Forderungen allein nützen
nichts. Sie dürfen sich vom Finanzminister eben nicht
wieder über den Tisch ziehen lassen. Sie müssen sich
endlich einmal durchsetzen - bisher weit gefehlt!
Der Gesamthaushalt 2007 steigt nach dem vorliegenden Entwurf um 2,3 Prozent. Der Einzelplan 14 steigt
um 2 Prozent, in Zahlen ausgedrückt: um 480 Millionen
Euro. Herr Minister, 2007 wird die Mehrwertsteuer um
3 Prozentpunkte erhöht. Das bedeutet für den Verteidigungshaushalt eine Zusatzbelastung von 300 Millionen
Euro. Für die Bundeswehr heißt das unterm Strich, dass
im nächsten Jahr trotz gestiegener Anforderungen real
weniger Mittel zur Verfügung stehen als in diesem Jahr.
Das, Herr Minister, ist nicht weiter zu verantworten.
({4})
Deshalb müssen Sie dafür sorgen, dass sich die Bundesregierung hier eindeutig erklärt. Am saubersten wäre
eine Lösung, die vorsieht, dass zusätzliche Einsätze aus
dem allgemeinen Haushalt bezahlt werden. Das Ganze
liegt ohne Wenn und Aber in Ihrer Verantwortung. Ich
sage Ihnen ganz deutlich: Sie schulden der Truppe Klarheit in der Forderung und auch Durchsetzungsfähigkeit.
Beides vermissen wir, nicht nur beim Haushalt.
Beispielhaft verweise ich auf all das, was beim Einsatz im Kongo schief gelaufen ist. Zuerst waren Sie eigentlich eher ablehnend und haben gesagt: nur Sanitäter
oder nur Transport. Dann haben Sie gesagt: keine Führungsrolle. Heute haben wir eine Führungsrolle. Dann
haben Sie gesagt: 500 Soldaten. Jetzt sind es 780. Dann
haben Sie gesagt: Der Einsatz ist auf vier Monate begrenzt. Sie haben in der Vorbereitung des Kongoeinsatzes einen Hickhack abgeliefert. Wenn man sich heute anschaut, was in der Vorbereitung des von Ihnen geplanten
Nahosteinsatzes geschieht, dann muss man schlicht feststellen: Sie haben daraus nichts gelernt.
({5})
Sämtliche von uns vorgetragenen Bedenken sind bestätigt worden. Ihre Prognose, dass deutsche Soldaten im
Kongo höchstens vier Monate stationiert sind, ist nicht
haltbar. Schauen Sie sich doch einmal die Situation nach
dem ersten Wahlgang an! Sie haben sie gerade selbst geschildert. Heute wurde bekannt, dass das oberste Gericht
des Kongo die Bekanntgabe der endgültigen Ergebnisse
der Präsidentschaftswahl auf unbestimmte Zeit verschoben hat, weil dagegen geklagt wird. Wir hören auch, dass
die Milizen im Kongo aufrüsten.
Das alles gibt doch Anlass zur Sorge. Ihre einzige Reaktion lautet: Ich verspreche den Soldatinnen und Soldaten, dass sie in vier Monaten zu Hause sind. Für das
Kontingent, das vor Ort ist, gilt das auf jeden Fall, Herr
Minister. Aber ich prophezeie Ihnen: Wenn die Situation
nach dem zweiten Wahlgang eskaliert und international
Druck dahin gehend ausgeübt wird, dass deutsche Soldaten weiterhin im Kongo stationiert sind, dann werden Sie
auch in diesem Punkt einknicken. Das wird passieren.
Ich wiederhole: Schon jetzt ist absehbar, dass diese Aufgabe in vier Monaten nicht zu erledigen ist.
({6})
Was die Wahlen angeht, haben Sie sich nach wie vor
nicht um ein politisches Konzept gekümmert. Ich finde
es bemerkenswert, dass sich die Bundesregierung nach
dem Beschluss im Deutschen Bundestag - ein wesentlicher Grund, warum wir, die FDP, ihm nicht zustimmen
konnten, war, dass unserer Meinung nach ein politisches
Konzept für die Stabilität des Landes nach den Wahlen
fehlt - um das Thema Kongo schlicht und ergreifend
nicht mehr gekümmert hat. Dieses ganze Thema ist erst
wieder auf Ihrem Plan gewesen, als der deutsche Botschafter und andere in dieser gefährlichen Situation waren.
({7})
Vorher haben Sie sich darum nicht gekümmert. Das ist
nicht hinnehmbar. Wer deutsche Truppen ins Ausland
schickt, muss sich auch um eine politische Lösung kümmern.
({8})
Das gilt im Übrigen auch für die Vorbereitungen eines
Einsatzes im Nahostkonflikt. Wir haben die Grundsatzdebatte dazu im Rahmen der Beratung des Etats des
Auswärtigen Amtes geführt. Die Bundesregierung hat
hier in den letzten Wochen aus unserer Sicht Vorschläge
für eine politische Lösung und Hilfsangebote durch eine
Militärangebotspolitik ersetzt. Herr Minister, Sie waren
derjenige, der hier zuvorderst klar gesagt hat: „Wir können uns dem nicht entziehen!“ und damit die Bundesrepublik Deutschland in diese schwierige Situation gebracht hat.
Sie haben dann nahezu täglich für weitere Irritationen
gesorgt. In einem für den Auftrag und die Truppe entscheidenden Moment fehlen wieder Klarheit und Durchsetzungsfähigkeit. Ich wundere mich schon, dass Sie hier
nichts zu der aktuellen Debatte über diese Sechs-MeilenZone sagen. Herr Minister, das hätte in diese Debatte gehört.
({9})
Wir stellen fest, der Libanon stellt Bedingungen. Ich
hätte von Ihnen erwartet, dass Sie auch sagen: Diese Bedingung ist nicht akzeptabel, weil eine effektive Kontrolle und die Unterbindung von Waffenschmuggel es
nicht zulassen, dass die libanesische Armee in einer
Sechs-Meilen-Zone zuständig ist. Das sagen Ihnen alle
Fachleute.
({10})
Beispielsweise hat Herr Gertz vom Bundeswehr-Verband deutlich gesagt, dass das nicht geht. Herr Minister,
deswegen erwarte ich von Ihnen, dass Sie klar und deutlich sagen, dass das nicht infrage kommt. Solange die
Einsatzregeln nicht klar sind und solange das Ziel eines
Einsatzes, wie Sie es definieren, aufgrund der Rahmenbedingungen gar nicht erreichbar ist,
({11})
ist es unverantwortlich, deutsche Soldaten in Gefahr zu
bringen.
({12})
Dazu erwarte ich eine klare Stellungnahme von Ihnen.
({13})
Ich möchte eine letzte Bemerkung zum Thema
Afghanistan machen. Herr Minister, die Situation in Afghanistan - auch Sie haben das angesprochen - hat sich
verschärft. Ich erwarte, dass wir im Deutschen Bundestag im Rahmen der Diskussion über die Verlängerung
des ISAF-Mandats, das am 13. Oktober abläuft, endlich
einmal darüber sprechen,
({14})
welche politischen Ziele und welche Ziele im Land eigentlich erreicht sein müssen, damit die Bundeswehr
wieder abziehen kann. Das sind Fragen, die beantwortet
werden müssen. Auch hierbei geht es um ein politisches
Gesamtkonzept und eine Diskussion mit unseren Partnern. Das muss im Rahmen dieser Debatte im Deutschen
Bundestag gewährleistet werden.
Hierzu müssen wir alle Möglichkeiten nutzen, auch
Gespräche beispielsweise in Afghanistan. Sie waren
dort. Sie haben die Truppe besucht. Sie waren nicht in
Kabul. Das ist einer der weiteren großen Fehler Ihrer
Amtszeit.
Herr Minister, in der heutigen Debatte geht es nicht
nur um die Einbringung des Haushalts 2007, sondern
auch um die Bilanz über ein Jahr Regierungstätigkeit.
({15})
Eine klare Linie ist nicht erkennbar. Sie stolpern von einem Einsatz in den nächsten. Die dringend nötige
Grundsatzdebatte über Kriterien für einen Auslandseinsatz, die eigentlich anhand des Weißbuchs geführt werden müsste, haben Sie durch desaströses Management
und unnötige Alleingänge an die Wand gefahren. Deshalb bitte ich die Bundeskanzlerin um eine Regierungserklärung zur Sicherheitspolitik. Die Bundeswehr und
die Sicherheitspolitik sind zu wichtig, um sie weiter einem angeschlagenen Minister allein zu überlassen.
Vielen Dank.
({16})
Das Wort hat der Kollege Rainer Arnold von der
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Für
uns Verteidigungspolitiker ist es eine neue Erfahrung,
dass in einer solchen Haushaltsdebatte eigentlich durchgängig von morgens bis abends über deutsche Sicherheits- und Verteidigungspolitik gesprochen wird.
({0})
Das begrüßen wir. Das spiegelt auch die Veränderung in
der Welt, in der Staatengemeinschaft wider.
Frau Homburger, die sicherheitspolitische Welt, die
sich rasant verändert, verändert sich nicht nach den Vorgaben der FDP. Das können Sie nicht steuern.
({1})
Sie machen es sich hier in einer Art und Weise leicht mit
der Kritik, dass ich das, was Sie an Pfeilen losgesendet
haben, zurückgeben will.
Sie erheben hier den Vorwurf, Deutschland isoliere
sich durch sein internationales Engagement in der internationalen Staatengemeinschaft. Darüber müssen Sie in
Ihrer Partei schon noch einmal nachdenken.
({2})
Würden wir Ihren Ratschlägen folgen, wäre Deutschland
in der Staatengemeinschaft allein
({3})
und würde sich nicht mehr mit seinen Freunden und
Partnern auf gemeinsame Vorgehensweisen gegen geRainer Arnold
meinsam erkannte Risiken verständigen. Das wäre unverantwortlich.
Wenn Sie genau nachdenken, werden Sie merken,
dass Sie inzwischen manchmal doch nahe an der Argumentation der Kollegen der PDS bzw. der Linken sind.
Da würde ich mich an Ihrer Stelle schon fragen, ob ich
nicht etwas falsch mache.
({4})
Als ich heute Morgen den Sprecher aus dem Saarland
gehört habe, ist mir eingefallen, dass Willy Brandt
- vielleicht haben wir ihn mal gemeinsam geschätzt gesagt hat: links und frei. Er hat aber nicht gemeint: frei
von Verantwortung. Diese Art der Politik „frei von Verantwortung“ betreiben diese beiden Oppositionsparteien,
Linke und FDP, gerade miteinander.
({5})
So viel zum Einstieg.
Wir alle merken, was sich auch für die Bundeswehr
verändert hat. Wir haben in den Einsatzgebieten veränderte Bedingungen und neue Aufgaben. Das gilt in hohem Maße für die Sicherheitslage in Afghanistan. Bei
allen Erfolgen, die der Außenminister heute hier zu
Recht beschrieben hat, gibt es keinen Grund, um die eigentlichen Probleme herumzureden. Im Süden des Landes herrscht in diesen Tagen letztlich wieder Krieg.
Auch wenn es noch keine Irakisierung des Landes gibt,
die Methoden sind in Afghanistan die gleichen wie im
Irak: Sprengstofffallen, Selbstmordattentäter und vieles
andere mehr. Dass dies auch im Norden durchschlägt,
macht die Arbeit für die Soldaten und für die Bundeswehr dort nicht einfacher. Deshalb ist es selbstverständlich, dass wir Politiker, aber auch die Truppe selbst, immer wieder darüber nachdenken, wo dieses Mandat ein
Stück weit nachgebessert und neu justiert werden muss,
wo neue Fähigkeiten benötigt werden, wo zusätzlicher
Schutz für die Soldaten erforderlich ist.
Aber am Ende bleibt doch die Erkenntnis, dass dieser
Auftrag wirklich ohne Alternative ist.
({6})
Wenn wir diesen Auftrag nicht hinbekommen, fragen
uns die Menschen eines Tages: Warum habt ihr zugelassen, dass sich Drogenkartelle, Terroristenausbildungscamps und schlimmste Menschenrechtsverletzungen unter euren Augen wieder ausgebreitet haben? - Das wäre
die Frage, die uns die nachfolgenden Generationen stellen würden. Deshalb sage ich ausdrücklich: Wir müssen
und werden alles tun, damit dieses Mandat zum Erfolg
geführt wird.
Ich weiß, dass das nicht primär eine militärische Aufgabe ist. Es ist wichtig, dass die Soldaten das bekommen, was sie brauchen. Sie haben dort 480 geschützte
Fahrzeuge. Es ist also keinesfalls so, dass wir sie ohne
Schutz und alleine lassen. Wir wissen, dass das Basislager verstärkt werden muss. Aber entscheidend bleibt:
Wenn es uns nicht gelingt, die Lebensbedingungen der
Menschen in Afghanistan wirklich zu verändern, wenn
es uns nicht gelingt, zu erreichen, dass die Menschen in
den Dörfern etwas anderes hören und erfahren als islamistische Propaganda, dann wird das Mandat am Ende
nicht erfolgreich sein. Wir brauchen eine sehr viel stärker vernetzte Debatte über den politischen und ökonomischen Prozess in Afghanistan.
({7})
Wir werden in der nächsten Sitzungswoche ausführlich
Gelegenheit haben, diese ein Stück weit zu verbreitern.
Ich denke, das ist die richtige Antwort angesichts der
Herausforderungen.
Die zweite neue Herausforderung, die wir haben, ist
das Mandat im Kongo. Bei allen Schwierigkeiten
- aber wir sind ja dort, weil es schwierig ist - ist der
Wahlprozess wie geplant verlaufen. Die Entsendung der
europäischen Truppe war richtig. Eines hat sich doch gezeigt: Beim Aufkeimen von Unruhen hat sich die These
der Staatengemeinschaft, dass eine stabile Gruppe benötigt wird, die möglicherweise von außen noch verstärkt
werden kann, bestätigt und damit hat sich die Entsendung bewährt. Deshalb gibt es keinen Grund für Veränderungen.
Noch weniger Grund gibt es, schon jetzt über eine
Verlängerung des Mandats zu diskutieren. Ich glaube,
dass die Verlässlichkeit bezüglich der Einhaltung des
Mandats von vier Monaten für die Soldaten in der
Truppe, aber auch für die deutsche Öffentlichkeit ein
sehr hohes Gut ist. Wenn die Situation sich wirklich verändert, dann muss auch in New York neu nachgedacht
werden, wie MONUC ausgestaltet wird. Wir würden
gern zu den im Einsatzbeschluss vorgesehenen vier Monaten stehen. Dies ist für die Verteidigungspolitiker natürlich ein sehr wichtiger Punkt.
Frau Homburger, wenn Sie hier immer die angeblich
fehlenden politischen Konzepte anmahnen,
({8})
dann ist das keine Kritik am Verteidigungsminister und
auch keine Kritik an der Bundesregierung. Es ist eine anmaßende Kritik der Weltmacht FDP an allen internationalen Organisationen und der internationalen Staatengemeinschaft insgesamt. Die Konzepte für den Kongo
- dieses Mandat ist ja nur ein kleines Mosaiksteinchen;
es gibt ein breites Konzept für den Kongo - und für Afghanistan müssen hinterfragt und auch verändert werden. Ihre Kritik richtet sich in einer überheblichen Art
und Weise an all die Akteure,
({9})
die sich in der internationalen Politik um diese Prozesse
bemühen. Ich halte die Kritik wirklich für absolut nicht
in Ordnung.
Es gibt eine dritte Veränderung - sie wurde schon angesprochen -, und zwar den möglichen Einsatz im
Libanon. Wir wissen alle, dass das in erster Linie eine
humanitäre Aufgabe ist, die schnell angegangen werden
musste. Das Blutvergießen dort musste gestoppt werden.
Der Maßstab, nach dem wir entscheiden, sollte nicht so
sehr die historische Verantwortung sein. Die haben wir;
ganz klar. Daraus kann man aber zwei unterschiedliche
Erkenntnisse ziehen: Man kann sagen, wegen unserer
Geschichte müssen wir uns dort heraushalten. Aber genauso ethisch ist es zu sagen, gerade wegen unserer Geschichte müssen wir uns dort engagieren.
Deshalb ist mein Maßstab - und ich denke, auch der
vieler Kollegen - die Frage: Können wir einen ernsthaften Beitrag zur Stabilisierung in dieser Region leisten?
Können wir kurzfristig einen ernsthaften Beitrag zum
Beenden des Blutvergießens leisten und langfristig einen
Prozess mit unterstützen, der zu einer nachhaltigen Friedenslösung führt? Ich glaube, wenn wir gefragt werden
und das Mandat so ausgestaltet wird, dass es wirksam
ist, dann wird es keinen Dissens geben und dann werden
alle dieses Mandat unterstützen, auch der Verteidigungsminister.
({10})
Dann werden wir am Ende gut daran tun, diese Aufgabe
zu übernehmen.
All diese Veränderungen werden sich natürlich auf
die Bundeswehr auswirken. Ich glaube nicht, dass die
Reform deshalb falsch ist. Aber wir haben ein objektives
Problem: Die Reform zielte auf das Jahr 2010 ff. ab; die
Welt hat sich aber schneller verändert. Deshalb glaube
ich, dass wir sehr sorgsam miteinander über die Frage
reden müssen: Welche Veränderungen sind kurzfristig
erforderlich? Ich würde es für richtig halten, wenn wir
sorgsam die Fragen untersuchen: Welchen zusätzlichen
Schutz braucht die Truppe? Was kann die Truppe aus eigener Kraft noch zusätzlich erwirtschaften? Es gilt sicherlich das Prinzip, dass man das Geld nur einmal ausgeben kann, aber es lohnt sich schon, zweimal darauf zu
gucken, wie man es ausgibt. Ich persönlich glaube allerdings, dass das Strecken von Investitionen, das Setzen
von Prioritäten in den letzten Jahren sehr gut und schlüssig war und dass es daher nicht mehr viel Spielraum geben wird.
Auch wenn wir über 600 Millionen Euro für Auslandseinsätze vorgesehen haben, gehe ich davon aus,
dass dieses Geld am Ende für die neuen Aufgaben nicht
reichen wird. Ich wäre auch nicht damit zufrieden, wenn
die Bundeswehr gerade so mal eben alle diese Aufträge
erledigen kann. Soll die Truppe auch in Zukunft ein Instrument der Außen- und Sicherheitspolitik sein, muss
sie auch weitere Spielräume haben und darf in diesem
Bereich nicht von vornherein Einschränkungen unterliegen. Ich glaube, wir sind gut beraten, wenn wir sehr konzentriert, projektbezogen quantifizierbar im Etat nachsteuern und die Dinge beschaffen, die notwendig sind.
Das ist der richtige Prozess, der dann auch nicht die befürchteten Kaskaden bei den anderen Ressorts wecken
wird mit der Folge, dass die Begehrlichkeiten überall
steigen. Ich glaube, diesen Weg sollten wir miteinander
gehen. Der Verteidigungsminister hat hierbei unsere
volle Unterstützung.
Nach wie vor gelten die folgenden vier Grundsätze:
Erstens. Die Reform der Bundeswehr war richtig. Wir
müssen sie jetzt aber auch durchhalten.
Zweitens. Wir sehen allerdings, dass es schneller gehen muss. Nicht alles kann man der Politik an den Hut
hängen; auch die Industrie ist manchmal langsamer, als
wir uns wünschen - das muss man ganz deutlich
sagen -, und enttäuscht uns gelegentlich auch. Es kann
auch nicht alles mit der Bereitstellung von Mitteln geklärt werden. Hubschrauberpiloten und qualifizierte
Ärzte kann man nicht einfach kaufen. Das braucht seine
Zeit.
Drittens. Die Koalition hat im Koalitionsvertrag vereinbart: Wir werden für die Auslandseinsätze die notwendigen Ressourcen bereitstellen. Dieser Koalitionsvertrag gilt.
Viertens. Wir werden - ich sagte es schon - dafür sorgen, dass die Bundeswehr als Instrument für den Spielraum in der internationalen Politik erhalten bleibt.
({11})
Bei all diesen Diskussionen vergessen wir nicht die
Menschen in der Truppe. Wir müssen die Attraktivität
steigern. Wir müssen jetzt das Personal für morgen anwerben. Wir müssen uns jetzt Gedanken darüber machen, dass es bei einem veränderten Arbeitsmarkt für die
Bundeswehr nicht einfacher wird, qualifiziertes Personal
zu bekommen. Wir müssen jetzt auch darüber nachdenken, ob Zeitsoldaten nicht vielleicht ein bisschen länger
dienen sollten. Ich halte das für richtig. Ich halte auch
die Feststellung des Ministers für richtig, dass wir in der
Frage der Wehrpflicht das Thema Dienstgerechtigkeit im
Hinterkopf haben müssen. Das darf am Ende aber auf
keinen Fall zulasten der Zahl der Zeit- und Berufssoldaten gehen. An diesen Stellschrauben entlang gilt es zu
diskutieren.
Eines wissen wir aber auch: Alle diese materiellen
Fragen sind wichtig, aber wir brauchen in unserer Gesellschaft eine breite Debatte über die Legitimation von
Auslandseinsätzen. Das Weißbuch kann dazu einen
Beitrag leisten. Ich appelliere deshalb sehr dafür, den
Fokus auf diese Frage und nicht so sehr auf eine Vermengung zwischen äußerer und innerer Sicherheit zu legen. Wir werden das tun müssen, was der Minister sagt,
nämlich die Einsätze in der Luft und auf See verfassungsmäßig regeln. Dann ist es aus sozialdemokratischer
Sicht aber auch gut.
Wir müssen den Fokus auf die Frage der Legitimation
legen. Ich glaube, es ist nicht so schwer, diese Debatte zu
führen. Ich habe heute hier ein paar Mal die Forderung
nach einem Kriterienkatalog gehört. Einen solchen Katalog mit Häkchen für einen Einsatz wird es nicht geben
können.
({12})
Aber etwas muss geben.
({13})
- Das sage ich doch gerade, Frau Homburger. - Man
muss sich die Maßstäbe, nach denen wir entscheiden,
noch einmal klar machen. Diese Maßstäbe beruhen bei
allen Einsätzen auf drei Säulen:
Die erste Säule ist die ethische Verantwortung. Wir
dürfen nicht wegsehen, wenn Menschen in der Welt in
Bedrängnis sind, wenn Massenmord und Völkermord
drohen. Das ist eine Legitimation für Auslandseinsätze.
Die zweite Säule ist die Frage von Interessen. Dabei
geht es nicht um partikulare nationale Interessen, sondern um gemeinsame europäische Interessen. Frieden im
Libanon und im Kongo liegt im Interesse eines jeden
vernünftigen Menschen auf der ganzen Welt. Bei der Gewichtung von Interessen müssen wir aber auch fragen:
Wo hat Deutschland eine besondere Verantwortung in
der Welt, vielleicht weil das Krisengebiet in der Nähe
liegt oder aufgrund unserer besonderen Geschichte? Für
andere Länder stellen sich diese Fragen im Zusammenhang mit ihrer Verantwortung gegenüber früheren Kolonien. So definiert würde die Debatte um Interessen eine
richtige Debatte.
Wir sollten den Fehler vermeiden, ökonomische Interessen missverständlich herüberzubringen. Den Zugriff
auf Ressourcen mit militärischer Gewalt will niemand
hier. Aber es geht um ökonomische Interessen in folgendem Sinne: Die Stabilität im Kongo - um dieses Beispiel
zu nennen - ist eine Voraussetzung dafür, dass die deutsche Wirtschaft die Türen geöffnet bekommt und mit einem fairen Handel beginnen kann, der letztlich den
Menschen im Kongo hilft und verhindert, dass mafiöse
Strukturen dieses Land ausbeuten. Insofern geht es auch
um ökonomische Interessen.
({14})
Die dritte Säule schließlich kommt in der Legitimation der deutschen Politik oftmals vielleicht zu kurz. Es
gibt auch ein politisches Interesse für Einsätze. In der
Vergangenheit haben wir die ethisch-moralische Frage
manchmal ein bisschen überhöht. Vielleicht war dies
aufgrund der deutschen Geschichte auch notwendig; es
war nicht einfach, plötzlich in den Kongo zu ziehen.
Dies hat es manchmal nicht leichter gemacht. Aber natürlich war der Einsatz in Osttimor in erster Linie politisch und nicht operativ begründet.
Herr Kollege Arnold, denken Sie an Ihre Zeit.
Ja, ich komme zum Ende. - Ich halte es für richtig,
dass wir uns zu diesem politischen Interesse bekennen.
Denn dieses wirtschaftsstarke, wichtige Land in Mitteleuropa muss den Anspruch haben, bei internationalen
Prozessen mit am Tisch zu sitzen, sie mitzugestalten und
mitzudiskutieren.
Wenn ich dies alles werte, muss ich feststellen: Die
Linken haben Recht: Die Bundeswehr ist eine Interventionsarmee geworden. Sie interveniert für Frieden auf
der Welt und nicht, um jemandem etwas wegzunehmen.
Die Bundeswehr ist seit 50 Jahren die Armee für Frieden
und Freiheit. Darauf bauen ihr Auftrag, ihre Struktur,
ihre Aufgaben auf. In diesem Sinne begreifen auch die
Soldaten ihren Dienst. Das gilt für diejenigen, die zu
Hause in den Kasernen ihre Arbeit verrichten. Das gilt
aber besonders für diejenigen, die an den schwierigen
Auslandseinsätzen teilnehmen. Das ist eine Belastung,
eine Gefahr für die Familien.
Herr Kollege Arnold!
Ich möchte mich am Ende
Nein, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
- bei den Soldaten und allen Mitarbeitern der Truppe
für dieses Engagement recht herzlich bedanken und bei
Ihnen für die Geduld, mit der Sie mir zugehört haben.
({0})
Das Wort hat der Kollege Paul Schäfer von der Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Dass der Bundesfinanzminister, wenn es um öffentliche Ausgaben geht, eher
knausert, ist bekannt. Dass deshalb ein Fachminister,
wenn sich das steinbrücksche Füllhorn über ihm öffnet,
als Franz Josef im Glück vorkommen muss, kann ich
nachvollziehen. Ob sich allerdings die Bürgerinnen und
Bürger mit dem Minister über diese Entwicklung freuen
können, steht auf einem ganz anderen Blatt.
In den Verteidigungsetat werden 480 Millionen Euro
mehr eingestellt. Das ist kein Pappenstiel. Warten wir
erst einmal ab, aus welchen Töpfen der Libanoneinsatz
bezahlt wird. Wir haben eben gehört, das Geld reiche
nicht. In der Tat ist schon eingeplant, bis 2011
1 Milliarde Euro draufzupacken. Jeder Euro kann nur
einmal ausgegeben werden. Die über 400 Millionen
Euro, die Sie jetzt allein für die Munitionsbeschaffung
vorsehen, fehlen natürlich für Infrastrukturinvestitionen,
die Bildung oder die Gesundheitsreform.
Der Kollege von Klaeden von der Union hat jetzt
gefordert, uns der NATO-Maßgabe hinsichtlich des
Anteils der Rüstungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt
Paul Schäfer ({0})
anzunähern. Wir liegen gegenwärtig bei 1,21 Prozent.
Die NATO-Vorgabe lautet: 2 Prozent. Da sollen wir also
hin. Das ist nun wirklich kühn.
Aber es ist folgerichtig, wenn in diesem Zusammenhang vorsichtig angedeutet wird, dass wir uns bestimmte
Dinge wohl nicht mehr leisten können, weil wir viel
mehr in die Sicherheit investieren müssen. Beispielsweise eine Rente, die den Lebensstandard sichert, ist
dann einfach nicht mehr drin.
Mehr als 60 Prozent der Deutschen sind der Meinung,
dass wir, bevor wir die Bundeswehr überall hinschicken,
erst einmal die hiesigen wirtschaftlichen und sozialen
Probleme lösen müssen. Diese Meinung muss man nicht
teilen. Aber es entspricht den Erfahrungen vieler Menschen, dass für die Anschaffung von neuen Panzerhaubitzen problemlos Geld bereitgestellt wird, während die
Mittel für die öffentliche Förderung von Schulbussen
- ich rede von den Regionalisierungsmitteln im ÖPNV zusammengestrichen werden. Friedensgruppen sammeln
derzeit Unterschriften unter der Überschrift „Spart endlich an der Rüstung“
({1})
und fordern Abrüstung statt Sozialabbau. Die Linke unterstützt diesen Aufruf.
({2})
Auch wenn der inflationäre Gebrauch des Wortes
„Transformation der Bundeswehr“ suggeriert, es gebe
ein langfristiges, stringentes und durchdachtes Konzept
für die Modernisierung der Bundeswehr: Dieses Konzept gibt es nicht. Was Sie hier machen, ist Stückwerk
auf hohem Niveau.
Vorwiegend aus rüstungswirtschaftlichen Gründen
werden Projekte durchgezogen, die nicht mehr in die
heutige Zeit passen, die aber auf lange Jahre hinaus die
Möglichkeiten des Gesetzgebers, das heißt unsere Möglichkeiten, zur Haushaltsgestaltung einschränken. Allein
die Verpflichtungsermächtigungen für neues Kriegsgerät
belaufen sich derzeit auf 25 Milliarden Euro. Es ist praktisch ein gesamter Verteidigungsetat, der dadurch festgelegt wird.
Zu den Rüstungsantiquitäten gehören das Panzerabwehrrakentensystem PARS III, bestellt und entwickelt
in den 80er-Jahren - ein Schuss Munition aus dieser
Waffe kostet die Kleinigkeit von 1 Million Euro -, das
Raketenabwehrsystem MEADS, der Schützenpanzer
Puma, aber auch die 180 Eurofighter. Als Relikt des Kalten Krieges ist auch die Tornado-Bomberstaffel anzusehen, die bereit steht, um gegebenenfalls atomare Waffen
der USA einzusetzen. Es ist ein gefährlicher Unsinn,
wenn Sie, Herr Minister, nach dem Motto „So haben wir
es gestern gemacht; so machen wir es auch heute und
morgen“ in Ihrem Weißbuchentwurf an dieser Doktrin
festhalten. Wir wollen keine nukleare Teilhabe und wir
brauchen sie auch nicht, um in der Nato in atomaren Angelegenheiten mitreden zu können. Diese Flugstaffel
kann aufgelöst werden.
({3})
Aus den Einsatzszenarien des Kalten Krieges stammen auch die Cluster- und Streubomben, deren verheerende Wirkung wir gerade im Libanon gesehen haben.
Sie werden von der Bundeswehr noch vorgehalten. Dieses gesamte Arsenal sollte unverzüglich ausgemustert
und vernichtet werden.
({4})
Um das zusammenzufassen: Ihre Losung scheint zu
lauten: Wir wollen alles, die alten schweren Waffensysteme und Plattformen, zweites Los U-Boote, neue Fregatten, Korvetten. Sie wollen die beste Hightech-Ausrüstung und Sie wollen die maximalen Anforderungen
der Nato für alle denkbaren Einsatzspektren bedienen.
Eine wirkliche Konzeption der Streitkräfte sieht meiner Überzeugung nach ganz anders aus. Es wäre rational,
dabei auch an tiefe Einschnitte in die vorhandenen Waffenarsenale zu denken. Die Wahrheit ist nämlich: Rüstungsbarock können wir uns nicht mehr leisten. Dass
eine solche Konzeption mit Überlegungen über die Umwidmung militärischer Potenziale für zivile Zwecke verknüpft werden muss, das liegt auf der Hand. Wir müssten also auch einmal wieder über Konversion reden,
Konversion bei Liegenschaften, Personal, Rüstungsproduktion. Wir werden jede Initiative unterstützen, die in
dieser Richtung aktiv wird. Dies gilt nicht zuletzt für die
Bürgerinitiative, die sich für eine alternative Nutzung
des Bombodroms in der Wittstocker Heide einsetzt; das
werden wir unterstützen.
({5})
Ferner werden wir beantragen, in diesem Einzelplan
gut 2 Milliarden Euro einzusparen und die frei werdenden Mittel in Konversionsmaßnahmen, in den zivilen
Friedensdienst, in die Friedensforschung und nicht zuletzt in die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit zu
stecken. Da sind wir auch in guter Gesellschaft. Der ehemalige amerikanische Präsident Bill Clinton wird heute
von den Nachrichtenagenturen mit den Worten zitiert,
dass eine deutliche Aufstockung der Entwicklungshilfe
doch entschieden billiger sei, als in den Krieg zu ziehen.
Wo der Mann Recht hat, hat er Recht.
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme auf einen Punkt zurück, den ich eingangs erwähnt habe: Die
Deutschen sind überwiegend skeptisch bis kritisch,
wenn es um Bundeswehreinsätze wie im Kongo oder
jetzt im Libanon geht.
({7})
Steigende Rüstungslasten sind gewiss nicht das, was sie
wünschen. Ich muss leider feststellen, dass im Gegensatz
dazu der Hauptstrom der Meinungsmacher bei der Losung „Mehr Geld für die Bundeswehr“ einen gewissen
Paul Schäfer ({8})
Sexappeal entdeckt hat. Ich wundere mich nur, dass dieselben Autoren im gleichen Atemzug sagen: Es gibt
Klärungsbedarf: Wo gehen wir mit der Bundeswehr
hin? Warum? Was liegt in unserem Interesse, was nicht?
Wenn wir nicht überall dabei sein können und wollen
- andere tun das ja auch nicht -: Nach welchen Kriterien
entscheiden wir über deutsche Beteiligung? Wo hat militärisches Krisenmanagement geholfen, wo versagt?
({9})
- Das sind Fragen, die sich alle stellen müssen; völlig
klar. Ich denke nur: Man darf nicht den zweiten Schritt
vor dem ersten tun, lieber Kollege Nachtwei. Wenn man
für mehr Auslandseinsätze und auch für mehr Geld für
die Rüstung ist und erst danach fragt: „Wozu?“, ist das
etwas abstrus.
Richtig ist: Deutschland ist wichtig in der Welt; das
internationale Engagement der Deutschen ist wichtig.
Aber richtig ist damit noch lange nicht, dass wir überall
militärisch dabei sein müssen. Bewaffnete deutsche Soldaten im Nahen Osten - das ist heute auch schon ein
paarmal gesagt worden -, das ist nicht nur hoch riskant.
Vielmehr würden sie auch einen Problemfaktor darstellen. Wenn es daneben ginge, könnte das auch unsere besonderen Möglichkeiten zur Konfliktvermittlung gefährden. Deshalb sagen wir: Wir sollten uns auf unseren
Beitrag zu diesem politischen Friedensprozess
({10})
und zu einer Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Nahost konzentrieren. Deshalb sagen wir:
UNO-Mission ja, aber deutsche Beteiligung nein.
Dass wir uns beschränken müssen, gilt erst recht für
die Rüstungsexportpraxis. Wenn ich das richtig sehe,
scheint diese Regierung aber mit dem Grundsatz, dass
man keine Waffen in Spannungsgebiete liefern darf, endgültig brechen zu wollen. Der Waffenhandel mit Indien
kommt in Schwung. Während man auf der einen Seite
Waffenlieferungen an die Hisbollah unterbinden will,
bekommt Israel zwei U-Boote zum Subventionspreis. Es
tut mir leid: Das ist keine Friedenspolitik.
({11})
Wir müssen darüber diskutieren, ob die Voraussetzungen für die weitere Erhöhung der Ausgaben für Rüstung
und Bundeswehr gegeben sind. Dazu gehört an erster
Stelle eine genaue und schonungslose Bilanz der bisherigen Bundeswehreinsätze. Auch das ist schon oft hier gesagt worden; wir müssen es nun endlich tun.
Man könnte jetzt damit beginnen, darüber zu diskutieren, welche Kriegsziele im Kosovo ausgegeben wurden
und was unter dem Strich geblieben ist. Ich will mir das
an dieser Stelle ersparen. Tatsache ist jedenfalls: Die
Zahl der Militäreinsätze nimmt zu, die Bundeswehr
bleibt überall länger als vorgesehen und eine nachhaltige
Befriedung ist oft nicht in Sicht. Daher muss doch die
Frage nach alternativen Krisenlösungskonzepten gestellt
werden dürfen. Dazu gehört zum Beispiel die Frage, ob
man mehr hätte erreichen können, wenn man einen Teil
der Summe von circa 9 Milliarden Euro, die seit 1992
für Auslandseinsätze ausgegeben wurden - ich lasse einmal die sächliche Umrüstung außen vor -, in Mittel für
zivile Projekte der Konfliktbearbeitung gesteckt hätte.
Sie setzen stattdessen auf ein „Weiter so!“. Ich glaube,
dass das keine Antwort auf die Herausforderung der Zukunft ist.
Dass diese Rechnung nicht aufgehen wird, zeigt die
Entwicklung in Afghanistan. Alle sagen, die Sicherheitslage dort werde immer prekärer. Dabei liegen
80 Prozent des afghanischen Haushalts in den Händen
fremder Mächte, die die Lage dort beeinflussen könnten.
Afghanistan ist ein Protektorat der USA und in zweiter
Reihe der UNO. Aber an dieser Stelle beginnt möglicherweise genau das Problem. Es bleibt ein Widerspruch, dass man durch extreme Fremdbestimmung zur
Selbstbestimmung kommen will. Es funktioniert offenbar nicht so, wie sich manche Leute das State Building
vorstellen.
({12})
Dazu braucht man ein klares Konzept.
Besonders schlimm ist auch, dass es zwischen den
Hauptakteuren offenkundig unterschiedliche Vorstellungen gibt, was Afghanistan betrifft. Nehmen wir einmal
das Beispiel Drogen. Einigen Akteuren, Regierungen
und NGOs, ist völlig bewusst, dass die Entwicklung von
alternativen Erwerbsquellen in der Landwirtschaft - darauf kommt es an - ein länger andauernder Prozess ist.
Wenn sich aber die gegenwärtige Linie weiter durchsetzt, nämlich eine rabiate und schnelle Bekämpfung des
Drogenanbaus voranzutreiben, dann werden wir unweigerlich mit neuen sozialen Verwerfungen zu rechnen haben. Eine weitere Eskalation der Gewalt ist unausweichlich.
Kollege Arnold, Sie sagen, dass es in Afghanistan ein
Drogenparadies geben würde, wenn wir von dort abziehen. Aber die Drogenkartelle haben sich unter ISAF ausgebreitet. In diese Zeit fiel die Rekordernte. Das ist die
Entwicklung in den letzten Jahren.
Ich glaube aber, am aller schwersten wiegt, dass der
von George Bush ausgerufene globale Krieg gegen den
Terrorismus, der vor allem im Süden Afghanistans exekutiert werden soll, seine langen Schatten auf die Stabilisierungsversuche andernorts wirft. Statt weniger haben
wir mehr Gewalt. Afghanische Menschenrechtler sprechen von einer „Entwicklung zurück“. Ein Vertreter der
Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit
beklagt, dass die Paschtunen im Süden pauschal als Talibananhänger bekämpft worden seien; sie seien „mehr
mit Bomben bedeckt worden als mit Entwicklungshilfe“.
Ich finde, es ist schlicht fatal, wenn in dieser Lage die internationale Stabilisierungsmission ISAF und der Antiterrorkrieg mehr und mehr verquickt werden. Wenn
ISAF-Soldaten jetzt Opfer von NATO-Luftangriffen
werden, dann ist der Tritt auf die Notbremse angesagt.
({13})
Ich sage Ihnen voraus, dass diese Mission, wenn sich
ISAF weiter amerikanisiert, nicht zu einem guten Ende
geführt werden kann. Ich halte es für aberwitzig, wenn
Paul Schäfer ({14})
jetzt unter diesen Bedingungen laut über eine erhebliche
Verstärkung der Militärkontingente nachgedacht wird.
Das heißt, die Karre noch mehr in den Sumpf zu reiten.
Ich finde, das Mandat des Bundestages, das nicht ausschließt, dass Bundeswehreinheiten temporär im Süden
eingesetzt werden können, kann so nicht bestehen bleiben. Sie tun gut daran, wenn Sie dem Parlament stattdessen Ende des Monats eine Ausstiegsstrategie vorlegen
({15})
und Vorschläge präsentieren, wie man die zivilgesellschaftlichen Kräfte im Lande selber stärken kann.
Vor dem eben erörterten Hintergrund ist die Vorlage
eines Weißbuches zur deutschen Sicherheitspolitik
wie auch eine offene und breite Debatte darüber überfällig. Wir werden einige wichtige Aspekte in diese Diskussion einbringen:
Erstens. Vernünftige Sicherheitspolitik muss sich darauf konzentrieren, gewaltförmige Konflikte im Vorfeld
zu verhindern. Präventive Diplomatie ist angesagt.
Zweitens. Wer darauf setzt, mehr Sicherheit durch militärische Stärke und Überlegenheit erreichen zu können,
der ist auf dem Holzweg. Es gibt kein besseres Beispiel
dafür als die Geschichte des Staates Israel.
Drittens. Selbstverteidigung darf nicht in eine militärisch gestützte Durchsetzung außenpolitischer Interessen
des Landes umdefiniert werden. Wir werden uns strikt
gegen eine solche Grundgesetzänderung wehren. Wir
sind für eine Begrenzung des Militärischen und nicht für
die Entgrenzung.
Viertens. Sicherheit gibt es nur, wenn die Grundlagen
des Völkerrechts strikt beachtet und umgesetzt werden.
Zu dem, was darüber im Weißbuch des Ministers steht,
haben wir kritische Fragen.
Fünftens. Die sich zuspitzenden Konflikte um die
Verteilung knapper werdender Ressourcen in der Welt
sind nur durch entschieden mehr Gerechtigkeit und
durch einen multilateralen Interessenausgleich zu lösen,
nicht mit Gewalt. Auch in dieser Hinsicht befindet sich
das Weißbuch auf der völlig falschen Spur. Im Zusammenhang mit Ressourcen und Energiequellen müssen
wir über regenerative Energien, über das Energiesparen
und über die Diversifizierung unserer Bezugsquellen reden. Vor allem müssen wir endlich darüber reden, wie
wir in der WTO und den internationalen Finanzeinrichtungen zu einer Wirtschafts- und Handelsordnung kommen, die eine gerechtere Güterverteilung in der Welt mit
sich bringt.
({16})
Die Vorstellung, dass man unsere Ressourcen und unseren way of life mit Militär verteidigen kann, ist
schlicht abwegig. Das wird im 21. Jahrhundert nicht
mehr funktionieren. Streichen Sie zumindest das aus
dem Weißbuch. Über den Rest können wir dann hart
streiten.
Danke.
({17})
Ich erteile das Wort Kollegen Alexander Bonde, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Verteidigungsminister hat in seiner Rede zu Recht an unsere internationale Verantwortung erinnert. Er hat, ebenfalls zu Recht, geschildert, an welchen Stellen der Erde
deutsche Soldaten dieser Verantwortung nachkommen.
Daran hat meine Fraktion nichts zu kritisieren, weil wir
Sie in dieser Verantwortung durch Mandatierung der
Soldaten oftmals unterstützt haben, auch wenn Sie uns
das in letzter Zeit nicht immer einfach gemacht haben.
Nicht einverstanden bin ich damit, dass Sie Ihre Rede
zum Verteidigungshaushalt, den Sie erstmals verantworten, nicht genutzt haben, um darauf einzugehen, wie die
Streitkräfte strukturell auf die veränderte internationale
Situation reagieren können und wie die Bundeswehr insgesamt strukturell auf die zusätzlichen Belastungen reagieren kann. Sie haben keinerlei Ideen formuliert, wie
die Struktur der Bundeswehr in Zukunft aussehen
sollte. Sie haben sich kaum dazu geäußert, inwiefern die
Veränderungen in der Welt in den letzten Jahren auch zu
Veränderungen bei unseren Streitkräften hätten führen
müssen. Sie haben sich nicht zu dem veränderten Bedrohungsszenario geäußert. Man hatte nicht den Eindruck,
dass hier ein Minister spricht, dessen Haushalt in diesem
Jahr um knapp eine halbe Milliarde Euro aufgewachsen
ist. Dieses Geld ist offensichtlich schon lange in den Apparaten des Ministeriums versickert. Sonst hätten Sie
hier nicht eine solche Betteltour antreten müssen.
({0})
Wir müssen festhalten, dass die Bundeswehr zwar
viele Probleme hat, die Höhe der Finanzmittel aber mit
Sicherheit nicht das größte ist. Das ist höchstens ein
Symptom für die doppelte Krise, in der sich die Bundeswehr befindet: Sie befindet sich in einer Strukturkrise
und zunehmend in einer Führungskrise. Beides hängt
miteinander zusammen.
Sie können kaum jemandem vermitteln, warum eine
Armee aus 250 000 Soldaten bereits völlig am Limit angekommen ist, wenn sich 8 000 Soldaten im Einsatz befinden. Wir alle wissen, welche Infrastruktur an jedem
eingesetzten Soldaten notwendigerweise dranhängt.
Dennoch ist dieses Missverhältnis eklatant. Man kann es
erklären: Spezialisten fehlen und die Struktur stimmt
nicht. Man kann aber nicht erklären, warum sich die
Politik so schwer tut, darauf zu reagieren.
Herr Minister, Sie beteiligen sich seit Ihrem Amtsantritt nur als Beobachter der Planungen Ihres Vorgängers Peter Struck und vor allem als Bremser ebendieser
Planungen. Sie sind nie für das eingetreten, was Ihre
Aufgabe gewesen wäre: Es ist Ihre Aufgabe, die Bundeswehr in der nächsten Stufe auf die veränderte Situation einzustellen.
Die Erklärungen lauten, es mangele an Spezialisten,
sei es im Bereich Sanität, bei den Fernmeldern, Feldjägern oder auch bei den Transporthubschraubern. Das ist
das Problem der Struktur und der Strukturanpassungen,
die wir vermissen. Die SWP, die renommierte Stiftung
„Wissenschaft und Politik“, kommt in ihrer Studie zu
Recht zu dem Ergebnis: Die Rüstungsplanungen sind
nicht an die Anforderungen der heutigen sicherheitspolitischen Lage angepasst. Das ist richtig.
Strukturproblem Nummer eins der Bundeswehr ist,
dass sie Vorbereitungen für Kriege trifft, die es nicht
mehr gibt. Unter Ihre Ägide, Herr Verteidigungsminister,
fällt das Comeback der Landesverteidigung; zumindest lesen wir es in Ihrem ersten Entwurf des Weißbuches so und deuten wir Ihre bisherigen Entscheidungen
in der Bundeswehr so. Die wirklichen Bedrohungsszenarien werden bei der Modernisierung der Ausrüstung
kaum berücksichtigt und wenn, dann nur am Rande mit
zusammengekratzten Mitteln.
Umzingelt von Freunden und gleichzeitig in der
Situation, in der internationale Missionen Lebensrealität
sind, kaufen Sie immer noch teure Waffensysteme, die
ausschließlich der Landesverteidigung dienen. Es geht
hier nicht nur um Beschaffungskosten, sondern auch darum, dass diese Dinge strukturbildend wirken. Denn jeder Eurofighter, den wir nicht brauchen und trotzdem
kaufen, bindet nicht nur Gelder für den Kauf, sondern
auch über Jahrzehnte für Unterhaltung und Betrieb. Das
gleiche gilt für PARS III und für eine ganze Reihe anderer Maßnahmen, die Sie fortschreiben. Sie finden nicht
den Mut, nun endlich neue Prioritäten bei den Beschaffungen zu setzen.
({1})
Strukturproblem Nummer zwei: die Wehrpflicht. Die
Bundeswehr hat dieses Jahr erneut mehr in die Wehrpflicht investiert, obwohl wir wissen, dass wir für unsere
Einsätze eine Armee aus Profis brauchen und keine Armee bestehend aus schnell ausgebildeten Kurzzeitsoldaten.
Strukturproblem Nummer drei liegt in der Beschaffung. Ich habe es bereits angesprochen. Was ist eigentlich
die Gesamtkonzeption für die Rüstungsplanungen? Wir
erkennen vieles für die Landesverteidigung und wenig
für das, worauf es wirklich ankommt. Im Sommer konnten wir Sie wieder einmal im Fernsehen bewundern. Sie
waren beim BWB und im Hintergrund surrten munter
gepanzerte VW-Touaregs durch die Landschaft. Es ist
vielleicht richtig, dass es bei der Bundeswehr einen
Mangel an geschützten Fahrzeugen gibt. Aber gleichzeitig erkennen wir in den konkreten Beschaffungsplanungen der Bundeswehr keine entscheidende Erhöhung der
Stückzahl, sondern eine Ausweitung der unterschiedlichen Typen geschützter Fahrzeuge. Wenn die Bundeswehr etwas nicht braucht, dann sind es viele verschiedene Fahrzeugtypen mit zusätzlicher Logistik und einer
zusätzlichen Bindung an Infrastruktur. Das führt nicht
dazu, dass die Truppe besser einsetzbar ist. Vielmehr haben Sie einen größeren Apparat und vor allem Auslastungen in der Rüstungsindustrie geschaffen. Sie haben
dort wieder Exportargumente geschaffen, die aber unsere konkrete Einsatzsituation nicht verbessern.
({2})
Strukturproblem Nummer vier. Ihr Vorgänger hat die
Transformation angeschoben; nicht immer so sehr, wie
wir es uns gewünscht hätten. Aber unter Ihnen herrscht
bei der Modernisierung, bei der Kooperation mit der
Wirtschaft und bei der Frage, wie man effizient mit Geld
umgehen kann - mit PPP, zum Teil auch mit
Outsourcing und Privatisierung -, die Parole: Das Imperium schlägt zurück. Die GEBB ist in ihrer Kompetenz
beschnitten. Die Modernisierungsstrategie wird an das
Ministerium zurückverlagert, in dem die Leute sitzen,
die am wenigsten Interesse an der Modernisierung haben. Bei den Truppenküchen haben wir es erfolgreich
geschafft, einen Feldversuch gegen die Wand laufen zu
lassen. Auch hinsichtlich des Facilitymanagements hat
man nicht den Eindruck, dass Modernisierung in diesem
Ministerium groß geschrieben wird.
Damit sind wir bei Strukturproblem Nummer fünf:
dem Minister, der diese Politik zu verantworten hat. Ich
finde es richtig, festzustellen, dass die Bundeswehr in
vielen Auslandseinsätzen Belastungen aushält. Wir müssen uns ehrlich fragen, wie viele Kriseneinsätze wir uns
noch leisten können. Aber, ich finde, ein Krisengebiet
können wir uns auf keinen Fall länger leisten, nämlich
die Krise im Bendlerblock, also die Führungskrise an
der Spitze des Ministeriums. Denn keines der strukturellen Probleme wird vom Minister wirklich angegangen.
Es gibt keine stimmige Analyse und keine stimmige Idee
der Transformation. Es ist Stückwerk; es sind Folgen
und Bremsen von Plänen aus Peter Strucks Amtszeit.
Da der Minister in den letzten Wochen zielsicher jeden Fettnapf angesteuert hat, wird man immer wieder
gefragt: Muss so ein Minister nicht eigentlich zurücktreten? Ich finde es sehr schwierig, auf diese Frage zu antworten. Denn wie soll jemand zurücktreten, der mentale
Schwierigkeiten hat, das Amt mental gar nicht angetreten hat?
Was sind Ihre politischen Akzente? Sie wollen bei der
Wehrpflicht wieder draufsatteln und haben auch hier
wieder über den Heimatschutz und die Frage des Einsatzes der Bundeswehr im Innern gesprochen. Das Hin und
Her bei den Einsätzen ist hinreichend benannt.
Wenn etwas schief lief, haben Sie bisher die Strategie
verfolgt, Ihre Informationspolitik restriktiv zu gestalten
und uns, das Parlament, immer später zu informieren,
wenn überhaupt. Ich glaube, das schadet der Zustimmungsfähigkeit zu einer gemeinsamen und verantwortbaren Außen- und Sicherheitspolitik und trägt nicht dazu
bei, dass wir als Opposition Ihnen mit gutem Gewissen
folgen können.
({3})
Inzwischen sind auch aus den Reihen der Koalition
hinreichend viele Äußerungen zu vernehmen, die bestätigen, dass es sich hierbei nicht nur um ein Problem der
Opposition handelt.
({4})
Ein schwacher Minister ist ein Problem für die Sicherheitspolitik. Aber ein genauso großes Problem ist eine
Kanzlerin, die zu schwach ist,
({5})
daraus Konsequenzen zu ziehen und diesen Minister
dementsprechend zu behandeln.
({6})
- Herr Kampeter, Sie und ich wissen doch, dass die
Kanzlerin aus Rücksichtnahme auf Roland Koch überhaupt nicht daran denken darf, diesen Minister anzutasten.
({7})
Ich komme zum Schluss. Vielleicht können wir es uns
in den Einsatzgebieten leisten, der Bundeswehr zuzumuten, mit Ministern umgehen zu müssen, die ihre Funktion der Loyalität zu lokalen Stammesfürsten und Warlords verdanken. Wenn es aber um die Spitze des
eigenen Ministeriums geht, können wir das nicht tun.
Herzlichen Dank.
({8})
Das Wort hat nun Kollege Hans Raidel, CDU/CSUFraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Minister, zuerst darf ich mich sehr herzlich
bei Ihnen dafür bedanken, dass Sie die Probleme ganz
klar, offen und deutlich ansprechen. Ich wünsche mir,
dass Sie auch weiterhin allen Winden trotzen. Lassen Sie
sich nicht beirren.
Lieber Herr Kollege Bonde, es kann sich keiner mehr
blamieren, als dass man ihn reden lässt. Das haben Sie in
hervorragender Weise geschafft.
({0})
Frau Kollegin Homburger, wenn man Ihnen zuhört,
sehnt man sich nach unserem ehemaligen und großartigen Kollegen Günther Nolting zurück. Das waren noch
Zeiten in der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik.
({1})
Meine Damen und Herren, ich möchte mich heute der
Transformation der Bundeswehr, die im Mittelpunkt
steht, und den Strukturfragen zuwenden. Die Behauptung, wir wüssten nicht, wohin die Reise gehen soll, ist
ganz einfach falsch. In unserer Arbeitsgruppe, aber auch
gemeinsam mit den Kollegen von der SPD - das wurde
in den Redebeiträgen deutlich - haben wir uns sehr wohl
mit den Strukturfragen befasst, auch gemeinsam mit
dem Ministerium.
Wir wissen, wie der derzeitige Sachstand ist und welche neuen Perspektiven folgen müssen. Deshalb waren
wir übereinstimmend der Meinung, dass jetzt der Zeitpunkt gekommen ist, erneut Bilanz zu ziehen. Herr Minister, Sie selbst haben neulich angeboten, jetzt alles auf
den Prüfstand zu stellen, um entscheiden zu können, was
gut ist und beibehalten werden kann und was neu justiert
werden muss. Wir sind gerne bereit, diese Schritte nun
gemeinsam zu gehen.
Zur Transformation der Bundeswehr gibt es keine Alternative. Wir sind sogar der Auffassung, dass sie beschleunigt werden muss, um den internationalen Ansprüchen insgesamt gerecht werden zu können.
Natürlich steht bzw. fällt das Ziel der Modernisierung
mit der Finanzlinie; auch das ist unbestritten.
Der Entwurf des Haushalts 2007 weist in die richtige
Richtung. Aber man muss offen eingestehen: Im Lichte
der Transformation hat er, genauso wie der Haushalt
2006, ein enges Korsett. Jetzt muss man ganz objektiv
zur Kenntnis nehmen: Mit der Transformation wurde vor
vier Jahren begonnen. Damals hat man in den Finanzlinien Perspektiven zugestanden, aber man hat sie nie
eingehalten. Das sind die Fakten, das sind die Tatsachen.
An diesen Dingen haben wir noch heute ein bisschen zu
knabbern, wenn man von Versäumnissen spricht.
Wie ist denn der Sachstand? Die Bundeswehr hat die
nötigen Rahmenbedingungen bei Umfang, Struktur und
Stationierung und bei der Aussonderung von Gerät geschaffen. Wir haben gemeinsam festgestellt, dass wir an
dieser Grundstruktur festhalten wollen, weil die Richtung nun insgesamt stimmt. Sie haben dazu ein Stichwort herausgegriffen, nämlich die Stationierungsplanung. Wenn wir den Betrieb aber insgesamt sehen, dann
müssen wir natürlich feststellen, dass bei den Streitkräften im Betrieb nicht mehr allzu viel zu holen ist; denn
die Kosten für die Einsätze, die Erhöhung der Mehrwertsteuer, die Versorgungsausgaben, der nicht planmäßig
verlaufende Abbau des Zivilpersonals - da haben wir ein
Problem -, die höheren Kosten für den Betrieb des zulaufenden modernen Geräts und steigende Energiepreise
sind natürlich neue Risiken für die Betriebskostenbetrachtung insgesamt. Da könnte möglicherweise ein
Mehrbedarf entstehen. Hierbei kommt es darauf an, wie
der Haushalt nun insgesamt gefahren wird.
Ein Risiko sehe ich natürlich auch bei den Investitionen.
Sie alle wissen, dass wir bei den Investitionen ein Problem auf der Zeitachse haben. Wir wollen das im Lichte
der letzten Entwicklungen neu betrachten und werden
als Verteidigungspolitiker natürlich einfordern, dass die
Investitionslinie neu nach oben korrigiert wird. Ohne das
Ansteigen dieser Linie ist es nicht möglich, den Erwartungen - auch bei den internationalen Einsätzen - gerecht zu werden. Sie wissen, dass wir einen VerdränHans Raidel
gungswettbewerb an der einen oder anderen Stelle nicht
ausschließen können.
Zusammengefasst brauchen wir also mehr Mittel für
den Betrieb und für die Modernisierung. Wir müssen
aufpassen, dass sowohl die Modernisierung als auch der
Betrieb ausreichend finanziert werden, damit keine Konkurrenzsituation zwischen Betrieb und Investitionen entstehen kann; denn einen solchen Spagat kann die Bundeswehr in ihrer Transformation nicht aushalten. Da
muss man ein bisschen aufpassen.
Wir müssen auch das unterstreichen, was Sie, Herr
Minister, gesagt haben: Die Armee ist seit langem eine
Armee im Einsatz. Der Libanoneinsatz wäre bereits die
zwölfte Mission, mehr oder weniger parallel zu den anderen Missionen. Das heißt, die Transformation ist eine
Reparatur am laufenden Motor. Ich sage bewusst: Wir
müssen uns diese Einsätze finanziell leisten können;
denn bei Ausbildung und Übung darf nicht gespart werden.
Wir brauchen leistungsfähiges und leistungsbereites
Personal. Vor allem müssen wir den Personalabbau stoppen. Das ist auch geschehen. Die Zahl der Soldaten soll
erhöht werden. Den Weg der Personalreduzierung dürfen
wir nicht gehen, vor allem deshalb, weil wir sonst hohle
Strukturen schaffen würden. Dadurch könnte die Einsatzfähigkeit der Truppe gefährdet werden; zumindest
aber würde die Truppe in ihrer Kraft geschmälert. Da,
glaube ich, müssen wir aufpassen. Wir - und insbesondere der Generalinspekteur - haben hier ein Aufbauproblem und kein Abbauproblem.
Die Bundeswehr muss attraktiv bleiben. Fundierte
Ausbildung, gerechte Bezahlung und attraktiver Dienst
sind hier die Schlüsselbegriffe. Wir können nicht mit
Modernität werben und dieses Versprechen dann nicht
einhalten; denn wir stehen in Konkurrenz - künftig noch
mehr - mit der hoffentlich weiter gut verlaufenden Wirtschaft. Das kleiner werdende Potenzial an jungen Männern und Frauen bereitet uns in diesem Bereich künftig
sicherlich Probleme.
Ich sage es noch einmal, bei der finanziellen Ausstattung und Besserstellung der Bundeswehr muss Folgendes berücksichtigt werden: Wir können die einsatzbedingten Kosten, die Erhöhung der Mehrwertsteuer, die
Versorgungslasten und die steigenden Energiepreise
nicht allein dem Verteidigungshaushalt anlasten. Spätestens mit dem nächsten Haushalt muss hier der Einstieg
in eine weiter verbesserte Finanzlinie erfolgen.
Aber auch die Bundeswehr selbst muss natürlich ihre
Aufgaben machen: Sie muss bekannte Synergiepotenziale nützen und neue erschließen. Dabei muss gesichert
sein, dass finanzielle Synergien bei der Bundeswehr
bleiben. Nach meiner Auffassung gibt es nicht ein Sparziel, sondern es gibt ein Reinvestitionsziel - das ist ein
Unterschied! Wenn wir uns da einig sind, haben wir für
die Bundeswehr schon eine ganze Menge an Verbesserungen erreicht.
Neben der uniformierten Seite der Bundeswehr muss
auch ihre zivile Seite ihren Beitrag leisten. Ich meine,
hier gibt es noch erhebliche Redundanzen: Betriebsabläufe können gestrafft werden, die Bedarfsdeckung
kann noch flexibler und effizienter werden. Mit der
Wirtschaft müssen neue Kooperationen gesucht und gefunden werden. Neue Wege sind hier einzuschlagen. Insbesondere sollte das Augenmerk stärker auf die so genannten Lifecycle-Kosten gerichtet werden; denn das
Material muss ja nicht nur in der Beschaffung bezahlbar
sein, sondern auch im Betrieb bezahlbar bleiben. Herr
Minister, ich würde gerne eine strategische Partnerschaft
zwischen Bundeswehr und Industrie anregen. Auch die
Industrie muss hieran ein besonderes Interesse haben.
Ich glaube, dass es aus der Wirtschaft entsprechend positive Signale gibt.
Zusammengefasst: Zur Transformation gibt es keine
Alternative, sie muss fortgeführt werden. Die Bundeswehr braucht eine bessere finanzielle Ausstattung. Wir
sind auf gutem Wege. Wenn das so fortgesetzt wird und
die Bundeswehr ihre Synergiepotenziale ausschöpft,
glaube ich nicht, dass die Kritik, die heute von vielen geäußert worden ist, in der Substanz berechtigt ist.
Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.
Ich kann alle nur einladen, gemeinsam mit uns diesen
Weg der Modernisierung der Bundeswehr konsequent
weiter zu beschreiten.
Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.
Das heißt im Klartext: Ich bitte alle Kollegen, trotz aller Schwierigkeiten, auch im Haushaltsausschuss, dafür
zu sorgen, dass wir den Etat weiter aufstocken können.
Ich bedanke mich sehr für Ihre Aufmerksamkeit und
Ihre Geduld, Herr Präsident.
({0})
Vielen Dank.
({1})
Ich erteile das Wort Kollegin Elke Hoff, FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Minister Jung,
Sie legen heute einen weiteren Verteidigungshaushalt
vor, der leider längst Makulatur ist. Er ignoriert die Entwicklung der Materialerhaltungskosten, der Betriebsausgaben und der Kosten für die laufenden Auslandseinsätze. Der zu erwartende Einsatz der Bundeswehr im
Libanon kann, wenn überhaupt, in diesem Haushaltsjahr
nur überplanmäßig finanziert werden. Die in Ihrem Haus
als dringend notwendig bezeichneten Maßnahmen zum
Eigenschutz der Soldaten in Afghanistan sind überhaupt
noch nicht dargestellt.
Genauso schwer wiegt, dass Sie mit diesem Haushalt
in keiner Weise dem Anspruch gerecht werden, die Vorgaben des Bundeswehrplanes 2007 umzusetzen. Damit
setzen Sie das Gelingen des Transformationsprozesses
aufs Spiel, der doch der Dreh- und Angelpunkt der Neuausrichtung der Bundeswehr ist. Wenn man konservativ
rechnet, ergibt sich eine Unterdeckung des Verteidigungsetats bis 2010 von 3,34 Milliarden Euro. Die Fachpresse, in diesem Fall die August-Ausgabe der „Europäischen Sicherheit“, benennt sogar ein Defizit von
15 Milliarden Euro bis zum Jahre 2011.
Die große Koalition schreitet von einer Steuererhöhung zur nächsten und entfernt sich trotzdem immer
weiter von einer seriösen Finanzplanung für die Bundeswehr. Zwar entdeckt nun auch die Bundeskanzlerin
- man möchte sagen: endlich - ihr Herz für unsere Soldatinnen und Soldaten, sie bleibt aber konkrete Verbesserungs- und Finanzierungsvorschläge schuldig. Es ist
schon eine verkehrte Welt, wenn die amtierende und damit verantwortliche Regierungschefin den Zustand ihrer
Bundeswehr kritisiert, als lebe sie auf einem anderen
Stern.
({0})
Die Einbringung eines solchen Haushaltsentwurfs ist
Ausdruck des mangelnden Rückhalts, den Sie, Herr Verteidigungsminister Jung, im Kabinett und in der großen
Koalition genießen. Der Verteidigungsetat steigt in Relation zum Gesamthaushalt unterdurchschnittlich, obwohl
die Anforderungen an die Bundeswehr in rasantem
Tempo wachsen. Der investive Anteil steigt um magere
1,5 Prozent. Sie können eine Neujustierung bei den
wichtigsten Beschaffungsvorhaben nicht durchsetzen,
obwohl der Generalinspekteur deren Notwendigkeit
deutlich anmahnt - wenn auch mit bedauernswerter Verspätung.
Ohne eine Reduzierung der Stückzahl bei den Großprojekten Eurofighter und A400M werden Sie im Haushalt nicht die Spielräume erreichen, die notwendig sind,
um kurzfristig das beschaffen zu können, was für die
Einsätze der Bundeswehr am dringendsten benötigt
wird. Eine klare Priorisierung zugunsten der Sicherheit
unserer Soldatinnen und Soldaten im Einsatz ist notwendig. Sie sind mit dem besten und sichersten Material,
welches zur Verfügung steht, auszurüsten. Die Entscheidung für Einsätze der Bundeswehr im Ausland ist nur
dann zu verantworten, wenn für die Soldaten ein Optimum an Schutz und Wirkung gewährleistet wird.
({1})
Insofern sind der Mangel an gepanzerten Fahrzeugen,
Hubschraubern und Transportkapazitäten sowie der
mangelnde Feldlagerschutz unverantwortlich.
Dem Vernehmen nach sollen in Ihrem Haus all diejenigen Beschaffungsvorhaben noch einmal auf den Prüfstand gestellt werden, die noch keiner vertraglichen Bindung unterliegen. Dies ist eine ständig wiederholte
Forderung meiner Fraktion.
({2})
Sie sollten aber auch die Angst vor einer Konfrontation
mit Ihren Auftragnehmern bei bestehenden Beschaffungsvorhaben überwinden. Verzögerungen und Qualitätsmängel bieten auch hier die Möglichkeit für Anpassungen und Nachverhandlungen.
Diese mangelnde Flexibilität, die Ausrüstungsplanung der Bundeswehr bedarfsgerecht anzupassen, gefährdet zunehmend die Einsatzfähigkeit dieser Bundeswehr. So führt der zeitgleiche Zulauf neuer Fluggeräte
bei Weiternutzung der bestehenden in den nächsten Jahren zu einer Explosion der Betriebskosten. Schon jetzt
ist absehbar, dass sich die Bundeswehr nicht einmal die
erforderlichen Flugstunden zur Schulung ihres Personals
leisten kann. Es ist abenteuerlich, dass die Bundeswehr
zwar teures Gerät beschafft, den Betrieb jedoch nicht bezahlen kann.
Kein Mensch in Ihrem eigenen Hause glaubt, dass die
finanziellen Belastungen durch die Auslandseinsätze im
nächsten Jahr um beinahe 30 Millionen Euro sinken
werden. Wie soll das funktionieren, wenn man in Bosnien-Herzegowina, im Kosovo, in Afghanistan, im
Kongo, am Horn von Afrika, im Sudan, in Georgien und
bald auch im Nahen Osten dabei ist? Ist nicht allmählich
der Zeitpunkt erreicht, die umfassende Interventionsbereitschaft der 90er-Jahre zur wohlgemeinten Schaffung
einer neuen Weltordnung zu überprüfen, wenn diese
Vorstellung bei nüchterner Betrachtung längst auch an
den enormen Kosten zu scheitern droht?
Zu Beginn dieses Jahrhunderts steht eine schnell anwachsende Anzahl an Krisengebieten einer eng begrenzten Anzahl an interventionsfähigen Mächten gegenüber.
Während die gewaltbereiten Akteure in den Krisengebieten von der Möglichkeit der Verbilligung der Kriegskosten durch den ungehemmten Zulauf von Kleinwaffen, den Einsatz von Kindersoldaten und das schier
unerschöpfliche Reservoir religiös fanatisierter und ökonomisch enttäuschter junger Menschen profitieren, befinden sich die interventionsfähigen Staaten auf dem
Weg in eine nicht mehr finanzierbare Verteuerung ihrer
Militäreinsätze, ohne dass es letztlich gelingt, schnelle
militärische Erfolge in einen dauerhaften politischen Gewinn umzusetzen.
({3})
Die nicht mehr zu verleugnende Verschlechterung der
Sicherheitslage in Afghanistan scheint die Bundesregierung nunmehr zu Überlegungen über ein deutlich offensiveres Vorgehen vor Ort zu veranlassen. Anders sind
Erwägungen hinsichtlich einer gepanzerten Reserve mit
Schützenpanzern und eines Einsatz von RECCE-Tornados nicht zu erklären. Ein solches Vorgehen und Auftreten würde den ohnehin kaum noch vorhandenen Rückhalt in der Bevölkerung weiter verringern und die
deutschen Soldaten noch mehr zum Ziel gefährlicher
Anschläge machen.
Außerdem ist es für mich in diesem Zusammenhang
und vor allen Dingen auch vor dem Hintergrund der Debatte am heutigen Vormittag völlig unverständlich, dass
die Bundesregierung den durch das Verteidigungsministerium formulierten Bedarf, die zivilen Aufbau- und Hilfeleistungen zu intensivieren, nicht mittragen will. Sich
hier auf fehlende Finanzmittel zurückzuziehen, ist fahrlässig und lässt vor allem auch den bisherigen Einsatz
von Steuergeldern fraglich erscheinen.
({4})
Die ganze Last des Engagements in Afghanistan kann
und darf nicht allein der Bundeswehr aufgebürdet werden.
Es gibt bisher keine nachhaltigen Erfolge bei der Drogenbekämpfung, bei der Eindämmung der organisierten
Kriminalität, beim Aufbau der fehlenden Polizei- und
Justizstrukturen und vor allem bei der Verbesserung der
wirtschaftlichen Lebenssituation für die Menschen.
Nicht nur wir, sondern auch das verantwortliche Führungspersonal der Bundeswehr vor Ort vermissen eine
klare Exit-Strategie, damit der Einsatz der Bundeswehr
in absehbarer Zeit auch wieder beendet werden kann.
({5})
Dieser Haushaltsentwurf ist das sichtbare Zeugnis des
mangelhaften Stellenwerts, den die Bundeswehr bei der
Bundesregierung hat; da hilft auch die plötzliche Umarmungsstrategie der Bundeskanzlerin nichts. Er gibt die
Transformation de facto auf, führt zu einer Gefährdung
der Einsatzfähigkeit und nimmt in Kauf, dass die Arbeit
bei der Bundeswehr immer unattraktiver wird.
Herr Minister Jung, nehmen Sie endlich die längst
überfälligen umfassenden Korrekturen in Ihrer Finanzplanung vor, denn anderenfalls ist zu befürchten, dass
die Bundeswehr an ihren vielfältigen Herausforderungen
scheitert.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({6})
Ich erteile das Wort Kollegen Johannes Kahrs, SPDFraktion.
({0})
Geschätzter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und
Kollegen!
({0})
- Ja, so soll das sein.
({1})
- Ich freue mich über so viel Zuspruch, obwohl ich noch
gar nichts Inhaltliches gesagt habe.
Zu Beginn eine kurze Anmerkung zur Kollegin Hoff:
Ich halte Ihre Ausführungen zur Unterfinanzierung der
Bundeswehr für sehr interessant; allerdings passen Ihre
Ausführungen ganz schlecht dazu, dass die FDP in Bezug auf den Haushalt 2006 vorgeschlagen hat, Hunderte
von Millionen zu streichen. Das halte ich für kritisch,
weil man letztendlich auch gegenüber der Truppe sein
Gesicht wahren muss. Daher kann ich mich meinem
Kollegen nur anschließen: Das wäre Herrn Nolting nicht
passiert.
Im Moment geht es um die Einbringung des Haushalts in das Parlament. Manchmal habe ich das Gefühl,
in einer außenpolitischen Debatte zu sein; hier jedoch
geht es um die Bundeswehr und ihre realen Probleme sowie darum, wie wir damit umgehen.
Bei der Betrachtung des Haushalts zeigt sich ein Aufwuchs gegenüber dem letzten Jahr. Das entspricht der
mittelfristigen Finanzplanung, die Peter Struck noch
mit eingeleitet hat. Ich freue mich, dass wir sie in der
großen Koalition gemeinschaftlich fortführen. Im Ergebnis bekommt die Bundeswehr mehr Geld, aber das sind
die Mittel, die man im Rahmen des Inflationsausgleichs
braucht. Bei genauer Betrachtung stellt man fest, dass
wir immer noch 71 Prozent unseres Haushaltes für Betriebsausgaben ausgeben, insbesondere 48 Prozent für
Personal. Das sollte eigentlich zu denken geben. 8,1 Prozent geben wir für Materialerhalt aus, 15,1 Prozent für
Betriebsausgaben wie Betriebsstoffe, die Bewirtschaftung von Liegenschaften und Ähnliches. Betreiberverträge sind nur mit 2,6 Prozent beteiligt.
Darin, dass wir in diesem Jahr für Forschung und
Entwicklung weniger ausgeben als im letzten Jahr, zeigt
sich eine Veränderung gegenüber den Haushalten der
letzten Jahre. Wir haben immer darauf geachtet, mehr
Geld für militärische Beschaffung sowie für Forschung
und Entwicklung auszugeben. Beide Ausgabenansätze
sind in diesem Jahr rückläufig. Hinzu kommen - das
muss man der Genauigkeit halber sagen - allerdings
Versorgungsausgaben in Höhe von ungefähr 4 Milliarden Euro. Hierzu ist festzustellen, dass der Verteidigungshaushalt anders strukturiert ist als die anderen
Haushalte, weil die Bundeswehr andere Probleme hat:
Zeitsoldaten und Berufssoldaten, die deutlich eher abgehen, sowie den Abbau von Zivilbeschäftigten.
In Bezug darauf müssen wir aufpassen, dass uns die
Extralasten, die in der Struktur der Bundeswehr begründet liegen, auch zukünftig vom Bundesfinanzminister ersetzt werden. Ansonsten wird der Übergang der Versorgungsausgaben in den Einzelplan 14 ein großes Problem
für diesen Einzelplan. Ich bitte insbesondere meine Kollegen im Fachausschuss, diesem Hinweis entsprechend
nachzugehen.
An dieser Stelle bedanke ich mich ganz herzlich für
die Zusammenarbeit in den jeweiligen Arbeitsgruppen
mit den Kollegen von SPD und CDU, insbesondere der
Kollegin Jaffke und dem geschätzten Kollegen von der
CSU, der mich jetzt gerade anlächelt.
({2})
Alldieweil wir in diesem Fall zu dritt sind - zwei Christdemokraten und ein armer Sozialdemokrat -, muss man
feststellen, dass es trotzdem gut zusammengeht.
An dieser Stelle möchte ich mich auch dafür bedanken, dass das Engagement der Soldatinnen und Soldaten
hervorgehoben wurde. Ich möchte mich insbesondere
bei all denjenigen bedanken, die sich für die Ableistung
der Wehrpflicht entscheiden. Das halte ich für wichtig.
In diesem Zusammenhang möchte ich mich insbesondere für die vorzügliche Arbeit - insbesondere in den
letzten Monaten im Zusammenhang mit dem Kongoeinsatz - des Wehrbeauftragten Reinhold Robbe bedanken,
der heute auch zugegen ist.
({3})
Lassen Sie mich darauf eingehen, was heute ausgeführt
wurde. Der Kollege Raidel hat die Transformation als
eine Reparatur am laufenden Motor bezeichnet. Das ist
zwar eine gängige, aber nicht die formale, offizielle Begründung. Darin heißt es, dass Transformation die Verbesserung der Einsatzfähigkeit und die Anpassung an die
Lage ist. Ich glaube, das beschreibt es genauer. Die Bundeswehr wird nie fertig sein. Wir werden nie eine Armee
haben, die wir nach einem Bauplan erstellen nach dem
Motto „Wenn sie irgendwann fertig ist, stellen wir sie irgendwohin und sind stolz darauf“. Vielmehr werden wir
die Bundeswehr ständig anpassen müssen. Deswegen
wird es ständig zu Veränderungen kommen. Darüber zu
streiten, wie sinnvoll diese Veränderungen sind, ist sehr
ehrenvoll. Ich glaube jedoch nicht, dass man sich gegenseitig etwas vorwerfen muss. Für mich sind verschiedene Standpunkte durchaus möglich.
Ein Blick in den Haushalt zeigt aber, dass die Risiken
in diesem Haushalt größer geworden sind als die bestehenden Handlungsspielräume. Jetzt müssen wir uns damit auseinander setzen, wie man damit umgeht.
In diesem Zusammenhang will ich aber auch darauf
eingehen, dass wir neue Belastungen bewältigen müssen. Wir haben in der Vergangenheit mehr Geld für Forschung und Entwicklung und für militärische Beschaffung ausgegeben. Diese Mittel werden inzwischen
insbesondere von Auslandseinsätzen aufgefressen, die
die Bundeswehr durchführen muss. Dafür werden keine
zusätzlichen Mittel zur Verfügung gestellt, sodass wir
das Geld anderweitig aufbringen müssen. Deshalb muss
man diese Ausgaben näher betrachten.
Der Einsatz in Afghanistan - das wurde schon erwähnt - wird auf jeden Fall gefährlicher und teurer und
wird stärkere Belastungen für die Soldatinnen und Soldaten mit sich bringen. Hinzu kommen neue Einsätze im
Kongo und Libanon. Darüber und über die Sinnhaftigkeit dieser Einsätze ist schon viel gesagt worden. Des
Weiteren wird über einen weiteren Auslandseinsatz in
Darfur diskutiert.
Ich glaube - so sinnstiftend der jeweilige Einsatz der
Bundeswehr in all diesen Regionen auch immer sein
mag -, man muss sich genau überlegen, was der Bundeswehr noch zugemutet werden kann und was wir finanzieren können. Deswegen glaube ich, dass die Feststellung Gerhard Schröders immer noch gilt: Wer
irgendwann irgendwo hineingeht, muss auch wissen, wie
er wieder herauskommt. - Das wird meiner Meinung
nach nicht immer berücksichtigt.
({4})
- Das hat mit Philosophie nichts zu tun, Herr Kollege.
Ich finde, das hat vielmehr etwas damit zu tun, wie man
mit der Planbarkeit bei der Bundeswehr umgeht. Es ist
wichtig, künftig stärker zu bedenken, wie man aus Auslandseinsätzen wieder herauskommt - ein Blick auf Bosnien zeigt, wie man Entwicklungen verändern kann und wie wir alle dazu beitragen können. Ich persönlich
glaube, dass wir uns verstärkt darum kümmern müssen,
die Einsätze der Bundeswehr enger mit den Maßnahmen
der Entwicklungshilfe zu verknüpfen. Wenn zum Beispiel afghanische Bauern ihr Geld nicht mehr mit dem
Drogenanbau verdienen können, dann müsste eigentlich
sofort die GTZ einfliegen und sich um gemeinsame
Maßnahmen bemühen.
Die viel stärkere Verknüpfung der Entwicklungshilfe
mit den Einsätzen der Bundeswehr kann auch das Nation-Building und den Wiederaufbau vor Ort erleichtern.
Die Aufgabenkritik in der Entwicklungshilfe ist auch
deshalb nötig, um zu erkennen, inwiefern beides zusammenpasst. Denn nur so kann man eine Perspektive schaffen, dass der Einsatz der Bundeswehr bei Abwesenheit
von Krieg dazu führt, dass vor Ort etwas passiert, was
uns alle weiterbringt. Diese Aufgabe werden wir in den
nächsten Jahren verstärkt wahrnehmen müssen. Es ist
zwar schon einiges passiert, aber ich glaube, dass noch
sehr viel mehr notwendig ist.
Ich möchte noch einige Punkte ansprechen, die ich für
wichtig halte. Die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr
selber muss verbessert werden. Ich glaube, dass man angesichts der Haushaltsrisiken darüber diskutieren kann,
ob wir die durch die Mehrwertsteuererhöhung entstehenden Mehrausgaben ersetzt bekommen und ob wir die
Einsätze der Bundeswehr refinanzieren lassen. Es geht
aber nicht an, zu fordern, dass der bei der Bundeswehr
entstehende Mehrbedarf extern ausgeglichen werden
muss. Als Haushälter versichere ich Ihnen, dass das
nicht funktioniert. In einem solchen Fall würden jedes
Ressort und jeder Fachpolitiker folgen. Vielmehr sollte
man in Zukunft nachweisen, dass die für die vom Parlament beschlossenen Einsätze benötigten Mittel auch zur
Verfügung stehen.
Das, was innerhalb der Bundeswehr erledigt werden
kann, muss die Bundeswehr selber machen. Wir müssen
uns aber die Möglichkeiten genau anschauen und darüber im Klaren sein, was wir wollen. Darüber, was wir
wollen, sind wir uns einig: mehr Schutz vor Ort durch
neue Fahrzeuge, egal ob sie Dingo, Boxer oder Puma
heißen. Hier haben wir allerdings ein Problem. Wir bestellen zwar alles. Aber das militärische Gerät steht erst
in zehn bis zwölf Jahren zur Verfügung. Das heißt, alles,
was bestellt wurde, wird erst dann vorhanden sein, wenn
die zurzeit bekannten Konflikte hoffentlich schon lange
beendet sind. Das hilft der Truppe aber jetzt nicht. Was
wir brauchen, sind größere Stückzahlen, die in kürzerer
Zeit geliefert werden. Dabei muss man über die Finanzierung nachdenken.
Zurzeit haben wir verschiedene Systeme, die parallel
laufen. Wir haben beispielsweise den Eurofighter und
den Tornado. Die Eurofighter werden sicherlich planmäßig ausgeliefert werden. Aber es wird noch über ein
Jahrzehnt dauern, bis der letzte Tornado verwertet wird,
also nicht mehr fliegt. In diesem Zeitraum muss man auf
die Entwicklungskosten und die Materialerhaltungskosten genau achten. Das wird sich entsprechend summieren. Beim Heer ist die Situation ähnlich. Als ich 1984
zur Panzergrenadiertruppe gekommen bin, war der Marder noch in Ordnung. Inzwischen ist er kein modernes
Gerät mehr. Aber er wird noch lange im Einsatz sein;
denn bis der letzte Puma an die Truppe ausgeliefert ist,
wird wieder eine Dekade vergehen. Es ist vielleicht
nachdenkenswert, kurzfristig Fähigkeitslücken in Kauf
zu nehmen. Beim Materialerhalt und bei den Betriebskosten haben wir jedenfalls ein echtes Problem. Dieses
können wir nur lösen, wenn wir bestimmtes Gerät früher
außer Dienst stellen.
Eine Anmerkung sei mir zum Schluss noch gestattet.
Der Staatssekretär Wichert ist gerade dabei, eine Zielstruktur für die 75 000 Zivilbeschäftigten aufzubauen;
das ist richtig. Aber wir müssen genau schauen, ob das,
was dann kommt, auch das ist, was wir wollen. Ich habe
mir sagen lassen, dass daran gedacht wird, Dienstleistungszentren einzurichten. Das klingt nach Kundenorientierung und Kundennähe. Das scheint also eine wunderbare Sache zu sein. Aber in der Praxis bedeutet das,
dass die Truppenverwaltung beispielsweise aus den Bataillonen vor die Tore der Kasernen verlagert und mit der
Standortverwaltung zu einem Dienstleistungszentrum
verschmolzen wird. Für den Standort Koblenz gibt es
bereits ein solches Zentrum. Dorthin müssen die Soldaten nun fahren. Andere müssen von Appen nach Hamburg fahren. Für Hin- und Rückfahrt besorgt man sich im
Fuhrpark ein Fahrzeug. So etwas darf meines Erachtens
nicht unter dem Begriff „Dienstleistung“ laufen; denn
Dienstleistung bedeutet Nähe zum Kunden. Ich bitte
deshalb darum, das noch einmal zu überprüfen.
Ich hoffe, dass wir die Transformation gemeinsam
und vernünftig bewältigen - mit den Kollegen von der
Union werden wir es schon schaffen - und dass wir in
der Lage sein werden, den Soldaten all das zur Verfügung zu stellen, was sie für ihre Einsätze benötigen. Ich
bitte Sie, ernsthaft darüber nachzudenken, ob wir uns
weitere Auslandseinsätze leisten können, solange andere
Auslandseinsätze noch nicht beendet sind; denn das eine
passt nicht zum anderen. Das habe ich schon im Zusammenhang mit dem Kongoeinsatz gesagt. Hier sind wir im
Wort. Die an diesem Einsatz beteiligten Soldaten müssen
Weihnachten zu Hause sein. Ansonsten haben wir alle
ein Problem.
Ich möchte mich ganz herzlich bedanken, dass Sie
mir ausnahmsweise ruhig zugehört haben. Glückauf!
({5})
Ich erteile das Wort Kollegen Winfried Nachtwei,
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In
den letzten Wochen gab es für die Bundesrepublik eine
neuartige außenpolitische Konstellation. Wir haben es
mit mindestens drei Großkrisen gleichzeitig zu tun, in
denen wir jeweils stark engagiert sind - Afghanistan,
Kongo und nun Libanon -, bei denen das Risiko hoch ist
und es auf der Kippe steht bzw. eine Eskalation schon
stattgefunden hat. Dabei entsteht eindeutig der Eindruck
von Überforderung, und zwar zum einen aufseiten der
Öffentlichkeit, die langsam nicht mehr nachvollziehen
kann, wo überall wir uns engagieren, und zum anderen
aufseiten der Politik. Damit meine ich nicht die politischen Fähigkeiten, sondern die politischen Kapazitäten.
In dieser Situation müssen wir sehr aufpassen, dass wir
bei aller Konzentration auf den Libanon auf keinen Fall
die brenzligen Situationen in Afghanistan, im Kongo
und möglicherweise im Kosovo übersehen und vernachlässigen.
Sie gestatten, dass ich jetzt, auch wenn wir uns in der
Haushaltsdebatte befinden - hier geht es darum, wofür
und in welchem Kontext das Geld ausgegeben wird -,
etwas zu dem Brennpunkt Afghanistan sage, weil es
nämlich dort brennt und weil die, so finde ich, brenzlige
Situation, die sich seit einiger Zeit anbahnte, während
der Sommerpause kaum beachtet wurde. Seit 2001
wurde in Afghanistan - das sage ich ausdrücklich - sehr
viel Positives und Erstaunliches geschaffen, wenn man
das mit der Zeit davor vergleicht. Dazu haben deutsche
Diplomaten, Soldaten, Entwicklungshelfer und Polizisten vorbildlich beigetragen.
({0})
Mir ist bewusst, dass die Entwicklung in Afghanistan
meist selektiv wahrgenommen wird. Es werden vor allem die spektakulären Bad News wahrgenommen, aber
nicht das, was sich langfristig und hinter den Kulissen
tut. Wer nimmt zum Beispiel die 7 Millionen Schülerinnen und Schüler wahr, die es inzwischen gibt? Das ist
enorm hoffnungsvoll, aber nicht so bilderträchtig.
Trotzdem sind die Indikatoren inzwischen unübersehbar: Der Stabilisierungsprozess in Afghanistan steht auf
der Kippe. Er droht innerhalb kurzer Zeit zu scheitern.
Seit der ISAF-Ausweitung nach Süden befinden sich
NATO-Truppen in Bodenkämpfen. Es ist überraschend, dass das heute noch nicht erwähnt - da möglicherweise nicht wahrgenommen - wurde. NATO-Truppen befinden sich zum ersten Mal in der NATOGeschichte in Bodenkämpfen. Zum Drogenanbau gibt es
inzwischen die neuesten Zahlen. Die Drogenanbaufläche
ist in diesem Jahr gegenüber dem Vorjahr um 59 Prozent
gestiegen. Das ist ein Desaster in dem Schlüsselbereich
der Stabilisierung in Afghanistan.
Was sind die Mindestschritte? Erstens brauchen wir
eine wirklich nüchterne, schonungslose Zwischenbilanz
dessen, was in den letzten fünf Jahren geschaffen wurde,
eine Bilanz der Leistungen, aber auch der Defizite. Wir
brauchen an sich gar nicht so viele Konzepte. „Afghanistan Compact“ zum Beispiel gibt es, mit ehrgeizigen
Zielen. Was notwendig ist, ist die Überprüfung der Strategie am Boden. Die Umsetzung ist das Entscheidende.
Zweitens. Die Drogenbekämpfung ist mit ihrem Ansatz eindeutig gescheitert. Es kommt darauf an, jetzt die
bisher prioritäre Feldervernichtung auszusetzen und alles für die Entwicklung und Förderung alternativer Erwerbsquellen zu tun. Man muss die Entwicklungshilfe
entsprechend breiter unterstützen. Die GTZ hat da fantastische Erfahrungen.
Drittens. Wenn man vor Ort gewesen ist, dann weiß
man, was in der Entwicklungspolitik insgesamt schon
Gutes geleistet worden ist. Vieles ist aber noch zu wenig
sichtbar, zum Beispiel in den Paschtunengebieten. Da
müssen die internationale Gemeinschaft und wir bereit
sein, der Entwicklungszusammenarbeit mehr Mittel an
die Hand zu geben, um breiter angelegt und sichtbarer
für die Bevölkerung zu sein.
({1})
Viertens. Der Polizeiaufbau ist bekanntlich von strategischer Bedeutung. Die Bundesrepublik leistet in ihrer
Führungsrolle sehr viel Gutes. Aber die quantitativen
und qualitativen Herausforderungen sind hier so riesig,
dass wir nicht mehr mit 40 Beamten auskommen. Hier
müssen wir schlichtweg aufstocken. Es geht nicht um
große Beträge, aber die wenigen Millionen Euro sind das
Geld wert.
Schließlich wird all das, was ich gerade genannt habe
- die Aufzählung ist nicht vollzählig -, nur ein Kampf
gegen Windmühlenflügel sein, wenn die direkte Terrorbekämpfung im Süden und Osten nicht überprüft und
nicht korrigiert wird. Bisher - die Meldungen sind ziemlich eindeutig - scheint sie mehr zur Aufstandsförderung
beigetragen zu haben. Das ist von deutscher Seite aus
- das muss man nüchtern sagen - schwierig zu thematisieren, muss aber unter Verbündeten auf den Tisch. Sie
wissen: Ich neige nicht zu Alarmismus, aber wenn in den
kommenden Monaten nicht zentrale Korrekturen und
neue Anstrengungen unternommen werden, dann kann
es im nächsten Jahr zu spät sein, und das darf es nicht.
Danke schön.
({2})
Ich erteile das Wort Kollegin Susanne Jaffke, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir zu Beginn, sicherlich im Namen aller, den
7 700 Soldatinnen und Soldaten, welche sich im Auslandseinsatz befinden, für ihr Engagement, für ihre Einsatzbereitschaft und für ihre hervorragende Arbeit zu
danken.
({0})
Unter zunehmend unruhigen und instabilen Bedingungen leisten sie für die Bundesrepublik Deutschland einen
wichtigen und notwendigen Dienst und sie haben unsere
Anerkennung und unseren Respekt verdient.
Ich bedanke mich beim Kollegen Johannes Kahrs für
seine charmante Einleitung und möchte in diesem Sinne
fortfahren.
Nachdem wir uns mit unseren Haushaltsberatungen
jetzt in einem normalen Verfahren befinden und wir uns
in der großen Koalition zusammengefunden haben,
möchte ich hier darauf verweisen, dass der Etat des Finanzministers einen Aufwuchs erfährt. Dieser Aufwuchs
erklärt sich zugegebenermaßen unter anderem dadurch,
dass die Versorgungslasten aufgeteilt wurden. Dennoch
erfährt er im investiven Bereich einen Aufwuchs von
1,9 Prozent. Das bedeutet, dass er trotz der Mehrwertsteuererhöhung real wächst.
({1})
Er wird auch nach der mittelfristigen Finanzplanung
jährlich um 1,2 Prozent aufwachsen.
Die Haushälter der großen Koalition stimmen mit der
öffentlichen Positionierung der Bundeskanzlerin, Frau
Dr. Merkel, überein, dass die Finanzausstattung der Bundeswehr, gemessen an den zunehmenden Aufgaben im
Rahmen der internationalen Einsätze, verbesserungsbedürftig ist. Vergleiche mit europäischen Partnern wie
England, Holland und Norwegen, die im Verhältnis zum
Bruttoinlandsprodukt prozentual weit höhere Ausgaben
als Deutschland in ihren Verteidigungsetats haben, müssen deshalb gestattet sein.
({2})
Trotzdem: Innerhalb des Einzelplans 14 verzeichnen
die verteidigungsinvestiven Ausgaben den stärksten
Aufwuchs. Auch die sonstigen Betriebsausgaben und die
Ausgaben für Materialerhaltung steigen, während die
Personalausgaben durch Personaleinsparungen erfreulicherweise sinken.
In diesem Zusammenhang möchte ich hier noch einmal hervorheben, dass die Weisung des Ministers an die
Einsatzkontingente, ihre Verpflichtungen ausschließlich
in geschütztem Transportraum vorzunehmen, von den
Haushältern der Regierungskoalition uneingeschränkt
unterstützt wird. Erst im Juni hat die große Koalition im
Haushalt weiteren Beschaffungsvorhaben im Bereich
geschützter Transportkapazität zugestimmt.
Lassen Sie mich an dieser Stelle einen weiteren
Schwerpunkt, das Thema Finanzierung internationaler
Einsätze, ansprechen. Die Haushälter der großen Koalition sind sich dahin gehend einig - da befinde ich mich in
Übereinstimmung vor allen Dingen mit dem Kollegen
Kahrs; wir kämpfen darum in unseren Gruppen -, dass
zunehmende internationale Verpflichtungen für humaniSusanne Jaffke
täre und Friedenseinsätze, die durch die Bundeswehr geleistet werden, nicht mehr durch den aktuellen Etat des
Einzelplans 14 zu erwirtschaften sind, wenn sie in einem
laufenden Haushaltsjahr als zusätzliche Aufgabe parlamentarisch beschlossen werden. Es ist mit meinem parlamentarischen Verständnis nicht in Übereinstimmung zu
bringen, zusätzliche Verantwortung zu übernehmen und
dazu auch zu stehen, das Bundesministerium der Verteidigung bei der Finanzierung aber allein zu lassen.
Wir erwarten als Parlamentarier, dass die Administrative darauf reagiert und Lösungsvorschläge unterbreitet,
wie sie mit beschlossenen, in Kraft getretenen Etats in
Zukunft verfahren will, um entsprechend Vorsorge für
solche außerplanmäßigen Finanzierungen zu treffen.
({3})
Wir erwarten als Haushälter deshalb in Zukunft, dass in
den entsprechenden Regierungsvorlagen zu zusätzlichen
Auslandseinsätzen ein entsprechender haushalterischer
Nachweis erbracht wird.
({4})
Gestatten Sie mir weiterhin einige Bemerkungen zum
Thema Betreiberlösungen. Die CDU/CSU im Haushaltsausschuss wird den Prozess der Betreiberlösungen
und der damit zusammenhängenden Finanzierung und
Kooperation mit der Industrie weiter kritisch begleiten.
Die Devise „Outsourcing gleich billiger“ ist nicht immer
gültig. Die Beendigung des Modellversuchs „Truppenverpflegung“ zeigt, dass es nicht immer wirtschaftlicher
ist, Aufgaben an Private zu geben.
({5})
Auch die Umstrukturierung des Bundeswehrfuhrparks und das Kooperationsmodell für das Bekleidungsmanagement werden weiterhin in der Überprüfung bleiben. Sie sind organisationsmäßig in der Abteilung M gut
aufgehoben. Für mich ist allerdings wichtig, dass in Zukunft dem Controlling in diesen Bereichen mehr Aufmerksamkeit gewidmet wird.
Ein weiterer Schwerpunkt bleibt für mich die
Neustrukturierung der zivilen Verwaltung der Bundeswehr. Auch im Regierungsentwurf 2007 stehen den
210 000 Berufssoldaten, 55 000 Wehrpflichtigen und
freiwillig länger dienenden Wehrdienstleistenden sowie
2 500 Reservisten 106 800 zivile Mitarbeiter zur Seite.
Das bedeutet, dass auf circa 2,5 Soldaten immer noch
eine Verwaltungskraft kommt. Das ist einfach zu viel.
Nun steht eine neue Strukturgröße von 75 000 Zivilstellen im Raum. Bei der eben genannten Zahl von Militärbediensteten bedeutete das, dass auf 3,5 Soldaten eine
Verwaltungskraft kommt. Ich halte auch das für zu viel.
Zum Jahresende soll uns Haushältern - so der Auftrag - seitens des Verteidigungsministeriums eine Organisationsstruktur für die Zivilbeschäftigten vorgelegt
werden. Ich gehe davon aus, dass man sich für den Bereich der zivilen Verwaltung des Bundesverteidigungsministeriums wie in allen anderen Ressorts bei der Erarbeitung einer Strukturkonzeption an die Vorgaben des
Beauftragten für die Wirtschaftlichkeit in der Bundesverwaltung, Herrn Professor Dr. Engels, Präsident des
Bundesrechnungshofs, hält. Die Zielstruktur von
75 000 Zivilbeschäftigten kann also kein Dogma sein.
Wenn sich alle Ressorts an den Vorgaben „Entbürokratisierung“ und „schlanke Verwaltungsstrukturen“
orientieren müssen, so gilt das auch für das Verteidigungsministerium. Wichtig wird für uns Haushälter aber
sein, dass die in diesem Zusammenhang frei werdenden
Verwaltungsmittel im Etat verbleiben und dem investiven Bereich zugeordnet werden können.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit, habe die
eine Minute hereingeholt; Bernd, sie steht dir wieder zur
Verfügung.
({6})
Nun hat das Wort Kollege Andreas Weigel, SPDFraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Freitag vergangener Woche hat im Kosovo der
deutsche Generalleutnant Kather das Oberkommando
übernommen. Die Diskussion um die Tagesordnung des
Verteidigungsausschusses der nächsten Wochen - Libanoneinsatz, Verlängerung des Afghanistanmandats,
Situation im Kongo - zeigt, dass Deutschland seine Rolle
gefunden hat, in der Staatengemeinschaft Zug um Zug
mehr Verantwortung übernimmt und sicherheitspolitisch
eine Mittelmacht geworden ist.
Die Bundeswehr ist als Bündnisarmee konzipiert und
die europäischen Streitkräfte wachsen zusammen. Das
zeigen die Einsätze, die durchweg multinational organisiert sind. Aus diesen Einsatzstrukturen folgt zwangsläufig, dass es zu multinationalen Strukturen bei der Finanzierung, Ausrüstung, Durchführung, Verteilung und
Abstimmung der Fähigkeiten kommt. Es geht darum,
dass die Streitkräfte unserer Verbündeten und ihre jeweiligen Fähigkeiten mit denen der Bundeswehr bestmöglich aufeinander abgestimmt werden. Schwerpunkte sind
hierbei die Festlegung auf Kernfähigkeiten, die Bereitschaft zur Integration auf europäischer Ebene und die
Erhöhung der verteidigungsinvestiven Aufgaben.
({0})
Diese Gesichtspunkte werden in Zukunft ohne Frage wesentlich stärker ihren Niederschlag in unserer Haushaltsstruktur finden.
Gemeinsam mit unseren Verbündeten denken wir
über neue Formen der europäischen Finanzierung nach.
Auch im Rahmen der NATO werden wir unsere Anstrengungen verstärken, durch Bündelung militärischer Fähigkeiten, gemeinsame Beschaffung von Gerät und gemeinsame Finanzierung von Rüstungsvorhaben gegen
eine Zersplitterung zu arbeiten.
Ein gutes Beispiel hierfür ist die NAMSA, die seit
Frühjahr dieses Jahres auf dem Flughafen in Leipzig
zwei geleaste Antonov-Maschinen bereithält, um die
Bundeswehr und ihre NATO-Verbündeten für den Lufttransport zu verstärken und dann in die Einsatzgebiete,
zum Beispiel nach Afghanistan, zu fliegen. Das sind
Großraumflugzeuge aus Russland und der Ukraine. Das
bedeutet, dass wir hier einen erheblichen Rationalisierungseffekt haben. Solche Projekte machen auch in Zukunft Sinn. Es ist zum Beispiel sinnvoll, für logistische
Leistungen oder Beschaffungsvorhaben immer mehr
europäische oder transatlantische Organisationen einzubinden.
Das Gleiche gilt für die Aufgabenverteilung. Hier haben zum Beispiel die Niederländer bereits eine Lösung
gefunden, die, wie ich meine, Modellcharakter hat. Statt
sich eigene Flugzeuge für den Lufttransport zu beschaffen und sich Folgekosten wie deren Wartung einzuhandeln, haben sie ein Transportabkommen mit der Bundesrepublik Deutschland geschlossen. Für ungefähr
50 Millionen Euro nehmen sie entsprechende deutsche
Transportleistungen in Anspruch. Dieses Transportabkommen hat aus meiner Sicht allein deswegen Modellcharakter, weil es erhebliches Einsparungspotenzial
bietet. Natürlich führen Aufgabenverteilung und Spezialisierung zu gegenseitigen Abhängigkeiten im Handeln
und Entscheiden. Dennoch liegen die Vorteile auf der
Hand.
Es gilt, nationale Barrieren zu überwinden und internationale Organisationen in die Finanzierung von Rüstungsprojekten stärker einzubinden. Vergaberechtliche
Fragen dürften dabei kein Hindernis sein. Damit werden
unsere Streitkräfte so aufgestellt und ausgerüstet, dass sie
die von der Politik übertragenen Aufgaben und Aufträge
erfüllen können. Im Vordergrund steht hier aber nicht
mehr die Optimierung der Fähigkeiten der einzelnen
Teilstreitkräfte, sondern die Zusammenarbeit der Streitkräfte. Das erfordert Interoperabilität in einer neuen Qualität.
Dieses Anforderungsprofil hat weitreichenden Einfluss auf die notwendige Ausrüstung unserer Streitkräfte.
Von zentraler Bedeutung sind hier die Bereiche Forschung, Entwicklung und Erprobung. In der Sicherheitsforschung werden wir neue Wege beschreiten. In
Deutschland existieren hervorragende wehrtechnische
Kapazitäten. Zur Sicherstellung dieser Fähigkeit gilt es,
zwei Aspekte zu berücksichtigen, und zwar einerseits
die Anerkennung der Wehrtechnik als Hightechfähigkeit
im Rahmen nationaler Wirtschaftspolitik, also die Erhaltung industrieller Kernfähigkeiten, und andererseits die
Koordination der Verteidigungsforschung mit der Sicherheitsforschung. Die Förderpolitik der Bundesregierung setzt hier neue Akzente.
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Blick auf
die Forschungslandschaft zeigt uns, dass wir noch einigen Diskussionsbedarf haben. Es ist zu fragen, ob Forschungsgelder noch effizienter aufgeteilt werden können
und wie viel wir für Grundlagenforschung und wie viel
für angewandte Forschung bereitstellen. Im Übrigen
muss auch die Finanzierung der Forschungsinstitute
überprüft werden. Ich glaube, hier gibt es erheblichen
Rationalisierungsbedarf.
Wichtig ist insbesondere, solche Forschungsprogramme
voranzutreiben, die dem Schutz der Soldaten dienen. So
sind die Robotik und die Entwicklung unbemannter
Flugzeuge Bereiche, denen wir besondere Aufmerksamkeit zuteil werden lassen sollten. Auf europäischer
Ebene wird dabei die Europäische Verteidigungsagentur
in Brüssel eine besondere Rolle übernehmen müssen.
Die Entwicklung einer eigenen europäischen Verteidigungs- und Rüstungsidentität sollten wir vor dem dargestellten Hintergrund auch für den Bereich Forschung und
Entwicklung als Chance begreifen und nutzen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, im Einzelplan 14 haben wir Ausgaben in Höhe von 642 Millionen Euro für die internationalen Einsätze der Bundeswehr vorgesehen. Das sind Ausgaben, die zusätzlich für
die Anforderungen des jeweiligen Einsatzes unmittelbar
vor Ort entstehen. Der weitaus größte Teil der Aufwendungen für unsere internationalen Verpflichtungen ist
aber im gesamten Verteidigungshaushalt verteilt. Der
Haushalt garantiert, dass unsere Streitkräfte überhaupt in
der Lage sind, die Aufträge optimal auszuführen. Genau
hier gilt es, darauf zu achten, dass unsere fiskalischen
Anstrengungen in allen Bereichen so ausgelegt sind,
dass sie die größtmögliche Effizienz für die Bundeswehr
als Armee im Einsatz haben.
Die Steigerung von Effizienz ist auch das Ziel der
Projektgruppe „Öffentliche und private Partnerschaft“.
Auf dem Feld der öffentlichen und privaten Partnerschaft gibt es weitere Rationalisierungspotenziale, um
die verteidigungsinvestiven Ausgaben zu verstärken. Ich
glaube, da sind wir auf einem richtigen Weg, der allerdings, wie das Beispiel des Pilotprojektes „Verpflegung“
in München zeigt, nicht ohne Rückschläge verläuft.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum
Schluss. Nach meiner Auffassung liegt einer der entscheidenden Schlüssel für eine ausreichende Finanzierung der Bundeswehr in der Kooperation - in der
Kooperation mit der Wirtschaft, in der Kooperation mit
Bündnispartnern bei der Beschaffung und bei der Durchführung von Einsätzen sowie in einer intelligenten Aufgabenverteilung, insbesondere zwischen den europäischen Partnern.
({1})
Ich erteile das Wort Kollegen Bernd Siebert, CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
möchte am Anfang ein paar Worte zu dem Redebeitrag
von Kollegin Homburger sagen. Ich habe Ihre Aussagen,
liebe Frau Homburger, für maßlos gehalten. Sie entsprechen nicht der Realität in unserem Land.
({0})
Sie eignen sich höchstens für die Stammtische bestimmter freidemokratischer Mitglieder.
({1})
Auch das, was Sie zum Kongo gesagt haben, halte ich
für unverantwortlich, gerade weil wir in den letzten Wochen erlebt haben, welche hervorragende Leistung unsere Soldatinnen und Soldaten und ihre europäischen
Kameraden im Kongo erbracht haben, sodass dort eine
friedliche Situation erhalten werden konnte.
({2})
Mit Ihren Bemerkungen schaden Sie der Bundeswehr,
den Soldaten und - ich gehe noch weiter - auch dem Ansehen Deutschlands in der Welt.
({3})
- Das ist ein Problem, das die FDP mit sich selbst auszumachen hat. Aber wir haben ja vorhin schon an einer
Zwischenbemerkung erkannt, dass sie hier sicherlich nur
für einen Teil ihrer Fraktion geredet hat.
({4})
Ich möchte am Anfang - auch der eine oder andere
Kollege hat das getan; ich denke, es ist wichtig - auf die
Soldatinnen und Soldaten insgesamt eingehen. Sie
leisten überall dort, wo sie eingesetzt sind - inzwischen
schon viele Jahre in den Einsatzgebieten in Afghanistan
und im ehemaligen Jugoslawien, nun seit einigen Wochen im Kongo -, hervorragende Arbeit. Diese hervorragende Arbeit muss auch hier entsprechend gewürdigt
werden. Das hat der Minister vorhin getan, das haben einige andere getan, und auch ich möchte das für die Fraktion der CDU/CSU und für meine Arbeitsgruppe in aller
Deutlichkeit hier tun.
({5})
Sie haben mit ihren Leistungen das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland international gestärkt und gefestigt, und sie haben den politischen Auftrag umgesetzt,
den wir ihnen hier im Deutschen Bundestag gegeben haben.
Gerade unsere Soldatinnen und Soldaten im Einsatz
haben es verdient, dass wir den Verteidigungshaushalt
mit besonderer Sorgfalt prüfen und gestalten. Sie haben
ein Anrecht darauf, dass die Politik sie mit dem bestmöglichen Material zu ihrem Schutz ausstattet. Diese
Verpflichtung und besondere Verantwortung hat jeder
Einzelne von uns übernommen, der den Einsätzen der
Bundeswehr zugestimmt hat. Weil wir diesen Einsätzen
zugestimmt haben, stellen wir uns dieser Verantwortung
in aller Deutlichkeit und nehmen am Prozess der Veränderung der Bundeswehr und auch an der Veränderung
der Haushaltsvolumina des Verteidigungshaushaltes teil.
Mit dem Entwurf des Verteidigungshaushaltes 2007
stehen dem Bundesminister der Verteidigung insgesamt
28,4 Milliarden Euro zur Verfügung. Das sind zwar rund
4,4 Milliarden Euro mehr als 2006. Aber mit dem Wegfall des Einzelplans 33 werden als Ausgleich für die
Pensionslasten über 4 Milliarden Euro mehr zur Verfügung gestellt. Es bleiben dem Bundesverteidigungsminister also netto rund 480 Millionen Euro mehr für
2007.
Ich möchte aber darauf hinweisen, dass es in den letzten Jahren in der mittelfristigen Finanzplanung auch andere Zahlen für 2007 gab. Die lagen bei etwa der doppelten Summe. Wenn man diese Zahlen vergleicht, dann
bedeutet das, dass für die Bundeswehr auch im Jahre
2007 der Spielraum bei den Finanzen stark eingeschränkt bleiben wird - und dies angesichts einer Einsatzrealität für die Bundeswehr, die sich in den letzten
Monaten grundlegend verändert hat.
Da ist die spürbar verschlechterte Sicherheitslage in
Afghanistan zu nennen, die mit dem Wiedererstarken
der Taliban auch in dem von der Bundeswehr kontrollierten Norden des Landes einhergeht. Diese Risiken
dürfen nicht unterschätzt werden. Bisher war es zu verantworten, dass die Wiederaufbauteams ihren Auftrag
mit ungeschützten Geländewagen erfüllten. So hat uns
die zugespitzte Lage allerdings dazu gezwungen - hier
hat Verteidigungsminister Franz Josef Jung schnell und
richtig gehandelt -, die Aufträge in Afghanistan nur
noch unter besonderem Schutz, das heißt in geschützten
Fahrzeugen, auszuführen. Hier wird deutlich, dass wir
für mehr geschützte Fahrzeuge sorgen müssen, damit die
Sicherheit unserer Soldaten auch in Zukunft gewährleistet werden kann.
Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass zum Beispiel
die vom Deutschen Bundestag noch vor der parlamentarischen Sommerpause beschlossene Anschaffung von
149 Dingo 2 sich über einen Zeitraum von drei Jahren
hinziehen wird. Dies dauert mir eindeutig zu lange.
Das bedeutet: Über die zeitlichen Perspektiven und
die notwendige Anzahl muss in den nächsten Wochen in
den Beratungen der Ausschüsse und Fraktionen gesprochen werden. Ziel muss es sein, zwischen notwendigem,
schnell zu beschaffendem Material und vorhandenem
finanziellen Spielraum nicht zuungunsten der Soldaten
im Einsatz zu entscheiden. Das heißt, wir brauchen den
Schutz der Soldaten schneller als bis jetzt geplant. Man
muss realisieren, dass die heutige Lage sich deutlich von
der vor einem Jahr erwarteten unterscheidet. Das gilt für
die zukünftige Risikoanalyse in Afghanistan, für die sichere Durchführung des neuen Einsatzes im Kongo und
möglicherweise für den Einsatz vor der Küste des Libanon.
Nach dieser nüchternen Analyse bleibt die Erkenntnis, dass die Bundeswehr aufgrund ihres Engagements in
Afghanistan, auf dem Balkan, im Kongo und in anderen
Teilen der Welt und aufgrund ihrer begrenzten Ausstattung vor allem mit geschützten Fahrzeugen und Hubschraubern nicht vollständig in der Lage sein wird, zusätzliche Einsätze ohne weiteres zu schultern. Das
bedeutet auch - das ist vorhin mehrfach angeklungen -,
dass die neuen Einsätze nicht aus dem Verteidigungsetat
bezahlt werden können.
Ich bin überzeugt, dass dies der richtige Weg ist. Es
geht nicht um die Anschaffung von Prestigeobjekten,
sondern um den Schutz unserer Soldaten und um die
Einsatzfähigkeit der Bundeswehr insgesamt. Es geht mir
nicht um das Ausspielen einer Teilstreitkraft gegen die
andere, sondern um eine ganzheitliche Betrachtung der
Bundeswehr.
Die Messlatte muss sein, dass die Bundeswehr das
Spektrum möglicher Einsätze zu Lande, zu Wasser und
in der Luft abdecken können muss, um die im Rahmen
internationaler Verpflichtungen zugesagten Fähigkeiten für die NATO Response Force, die EU-BattleGroups und die Anforderungen der Vereinten Nationen
bereitstellen zu können. Die Alternative des Schiebens
und Streckens hätte zur Folge, dass sich die Bugwelle
der Ausrüstungsdefizite in der Bundeswehr verstärken
würde. Diese Art der Mangelverwaltung ist für mich
keine ernsthafte politische Option.
Ich komme zum Schluss. Aus meiner Sicht gibt es
keine Alternative zu dem eben aufgezeigten Weg. Ziel
muss ein Vollschutz für unsere Soldatinnen und Soldaten
sein, der das Risiko für sie beherrschbar macht und mit
dem wir unserer Verantwortung gegenüber den Angehörigen der Bundeswehr und ihren Familien gerecht werden.
Herzlichen Dank.
({6})
Ich erteile das Wort Kollegen Jörn Thießen, SPDFraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lassen Sie mich zu Beginn meines Schlussbeitrages auf
einen Satz des verehrten Kollegen Siebert und des Bundesministers eingehen. Ja, Herr Bundesminister, in
Afghanistan setzen wir die Soldaten zu Recht nur noch
in gepanzerten Fahrzeugen ein. Das ist richtig, weil so
die Soldatinnen und Soldaten geschützt werden. Wir
müssen aber auch wissen, dass das Konzept der PRTs im
Wesentlichen ein Konzept der Kommunikation, der Offenheit ist, das ins Land hinein wirken soll. Deswegen ist
die Frage, ob wir dieses Konzept auf Dauer verfolgen
können, eine ernsthafte Debatte unter Fachleuten wert.
Das heißt, wir müssen auf der einen Seite über den optimalen Schutz der Soldaten, auf der anderen Seite über
Kommunikationskonzepte, die der Philosophie unseres
Landes und Europas entsprechen, diskutieren.
In diesem Zusammenhang eine Bemerkung an die
Kolleginnen und Kollegen der FDP: Mit Abschiedsreden
an die gemeinsame Verantwortung tragen Sie zu dieser
ernsthaften Diskussion nicht bei.
({0})
Ich bitte Sie: Kehren Sie zu manchen guten Traditionen
Ihrer eigenen Partei in der Außenpolitik - Sie können es
nachlesen - zurück.
Wir haben uns in diesem Hause vor wenigen Monaten
über erhöhte Ansätze für Forschung und Technologie
im Haushalt 2006 gefreut. Auch der Einzelplan 14 muss
seinen Beitrag dazu leisten, die Forschungslandschaft in
der Bundesrepublik und in Europa zu beleben. Der Koalitionsvertrag enthält dazu die richtigen Worte. Der
Kern des Ansinnens ist, die drei Säulen der Forschung
zu fördern. Im Einzelplan 14 fördern wir grundfinanzierte Institute. Wir erhalten - das ist besonders wichtig
- die interne Beratungs- und Analysefähigkeit. Wir erproben technische Demonstratoren.
Das Ziel der gesamten Forschung und Technologieentwicklung der Bundeswehr ist, die Wirksamkeit der
Bundeswehr einerseits durch Technik und andererseits
durch Analyse, Beratung und Strategie zu erhöhen. Entsprechend der Tradition unserer Streitkräfte suchen wir
nämlich den Frieden nicht allein mit stets besseren Waffensystemen zu erhalten, sondern mit einer Verbindung
von politischer und diplomatischer Strategie mit den
technischen Möglichkeiten, deren Nutzung wir für geeignet halten.
Deswegen hat die Bundeswehr, die sich wandelt und
stets wandeln wird, immer neue Fragen zu beantworten.
Wer über Forschung und technologischen Wandel redet,
weiß: Diese Fragen werden am Ende nicht beantwortet
sein. Die Kernfähigkeit der Bundeswehr, über sich und
ihre Wirksamkeit in der Welt nachzudenken, müssen wir
dringend erhalten. Wir dürfen nicht aufgeben, die Forderung zu stellen, dass dieser zentrale Teil des Etats der
Bundeswehr nicht abgesenkt wird.
Es gilt, die Forschungslandschaft des Verteidigungsministeriums einer genauen Analyse zu unterziehen. Bei
den Ressortforschungseinrichtungen sind wir auf einem richtigen Wege. Wir warten ab, was der Wissenschaftsrat uns, dem Parlament, berichten wird. Eines
aber sei schon heute gesagt: Die Kapazitäten der gesamten Ressortforschung der Bundesregierung können nicht
auf dem freien Markt eingekauft werden. Wer glaubt,
dass wir alles an den Universitäten erledigen können und
keine interne Expertise brauchen, der irrt. Eigene Analyse, interne Beratung und eigenes Controlling gehören
zu den Führungsfähigkeiten einer guten Regierung. Dies
hat die große Koalition verstanden. Auch deswegen
stellt sie eine gute Regierung.
Die grundfinanzierte Forschung an einigen Instituten
der Fraunhofer-Gesellschaft oder bei der FGAN muss
sich folgenden Fragen stellen: Wie nahe an den Möglichkeiten des Marktes arbeiten die Institute? Wie kann
die Vermarktung unserer Fähigkeiten noch besser werden? Diese Fragen stellen sich auch den Universitäten
der Bundeswehr. Wer beide Universitäten zusammen betrachtet, kommt leicht zu dem Schluss, dass das Aufkommen an Drittmitteln mit Intelligenz und gutem Willen durchaus noch steigerbar ist. Diese Universitäten
sind über alles gesehen wirklich gut ausgestattet und
können im Einwerben dritter Mittel deutlich mehr leisten
als bisher.
Wir müssen über verstärkte Forschungs- und Entwicklungsaufträge die Löcher in der produktiven Auslastung mancher Firmen mildern. Dies ist auch mit weniJörn Thießen
ger Finanzmitteln machbar; das sollten wir tun. Mit
ausreichenden F-und-T-Mitteln können Firmen Ingenieurleistungen halten und damit auch das Abwandern
von hoch qualifiziertem Personal verhindern.
Frankreich und Großbritannien verfolgen das Ziel,
ihre F-und-T-Haushalte noch weiter zu steigern. Wir
wissen, dass diese beiden Länder noch andere Lasten
tragen als andere Länder Europas. Der Ansatz der Bundesrepublik lässt sich noch so weiterentwickeln, dass wir
Augenhöhe erreichen können. Dies ist wichtig, weil wir
in der EDA und anderen Gremien als gleichberechtigte
und ernst zu nehmende Partner wahrgenommen werden
wollen. Ein wichtiger Schritt dahin ist, dass wir im Rahmen des 6-Milliarden-Euro-Programms der Bundesregierung und des Programms der Europäischen Union
auch in der Sicherheitsforschung auf militärischer Seite
endlich von den zivilen Beteiligten ernst genommen
werden.
({1})
Am Ende steht auch im Bereich der Forschung und
Technologie nicht die Technik im Vordergrund. Am
Ende kommt es nämlich darauf an, zugunsten der Streitkräfte und ihrer Entwicklungsfähigkeit zu arbeiten. Das
kommt vor allem den Menschen in den Streitkräften zugute. Die Bundeswehr wird viel mehr durch die Frauen
und Männer konstituiert, die in ihr arbeiten, als durch
alle fiskalischen und technischen Faktoren. Mit diesen
Menschen sorgsam und zuverlässig umzugehen, ist unser hohes - und meist gemeinsames - politisches Ziel.
Es gibt nicht neben anderen Aspekten auch eine soziale
Dimension der Transformation. Sozialität ist der Kern
der Transformation; denn wer nach außen den Frieden
schaffen und erhalten will, der darf seine innere und soziale Dimension nicht vergessen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({2})
Weitere Wortmeldungen zu diesem Geschäftsbereich
liegen nicht vor.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung. Einzelplan 23.
Ich erteile das Wort der Bundesministerin Heidemarie
Wieczorek-Zeul.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
möchte von dieser Stelle aus herzliche Grüße und Genesungswünsche an den Vorsitzenden des Entwicklungsausschusses, unseren Kollegen Herrn Hoppe, richten,
der heute wegen Krankheit nicht anwesend sein kann.
Wir wünschen ihm von hier aus alles Gute und gute Genesung.
({0})
Wir alle haben in den Wochen der entsetzlichen militärischen Auseinandersetzungen mit den betroffenen
Menschen in Israel, in Palästina und im Libanon gelitten.
Wir haben auf einen Waffenstillstand gehofft und wir
alle wünschen einen dauerhaften Frieden für den Nahen
Osten. Uns ist klar: Es gibt keine Klärung durch Krieg,
sondern nur durch politische Lösungen.
({1})
Teil einer politischen Lösung muss die Stärkung der
staatlichen Autorität des Libanon für sein gesamtes Territorium sein. Ziel muss es sein, funktionierende Staatlichkeit herzustellen.
Ich habe in Absprache mit Bundeskanzlerin Merkel
im Vorfeld der Konferenz für den Libanon, zu der die
schwedische Regierung und die UN eingeladen hatten,
den Libanon besucht und mir einen eigenen Eindruck
über die Notwendigkeit der Wiederaufbauhilfe verschafft. Ich möchte an dieser Stelle sagen: Präsident
Siniora braucht internationale Unterstützung; er ist ein
mutiger Mann, vor dessen schwieriger Aufgabe ich großen Respekt habe.
({2})
Wir müssen der Hisbollah, die kaltblütig zivile Opfer
in Kauf genommen hat und sich nun als Helfer in der
Not gibt, den Nährboden entziehen. Bei dieser Aufgabe
ist das Land auf internationale Unterstützung, auch auf
unsere Unterstützung angewiesen. Wir werden den Libanon deshalb wieder zum Partnerland unserer Entwicklungszusammenarbeit machen. Das möchte ich für die
Bundesregierung an dieser Stelle ausdrücklich sagen.
({3})
Ich weiß, dass es Menschen gibt, die fragen: Müssen
wir eigentlich wiederaufbauen? Diesen Menschen sage
ich: Dort, wo Leid und Elend sind, ist es eine humanitäre
Pflicht, den Menschen zu helfen. Der Frieden im Nahen
Osten wird auch für unsere eigene Sicherheit von Bedeutung sein. Israel hat durch die Angriffe der Hisbollah in
hohem Umfang Schäden erlitten, für die es keine internationale Hilfe anfragt. Israel will diese Schäden selber
beseitigen. Aus all diesen Gründen sage ich: Es ist wichtig, dass wir auf dem Gebiet des Wiederaufbaus des Libanon gemeinsam tätig sind.
Auf der Konferenz in Stockholm wurden für den Libanon Mittel in Höhe von insgesamt 940 Millionen USDollar zugesagt. Über die Hälfte davon kommt übrigens
von arabischen Staaten. Das ist richtig und gut so. Auf
dieser Konferenz habe ich für die Entwicklungszusammenarbeit in 2006 - Bereiche Wasserversorgung im Süden des Libanon und Förderung der beruflichen Bildung - 10 Millionen sowie weitere Mittel aus dem Haushalt des Finanzministers für die Kontrolle an den Landgrenzen zugesagt.
Wir erbringen in diesem Jahr Unterstützungsleistungen in Höhe von mindestens 22 Millionen Euro. Wir
leisten Unterstützung bei der Beseitigung der Ölverschmutzung. Weitere finanzielle Unterstützung werden
andere Ressorts unserer Regierung beschließen, sodass
die Mittel seitens der Regierung, auch meines Ministeriums, im nächsten Jahr aufgestockt werden.
Im Moment gefährdet nicht explodierte Streumunition
das Leben von zurückkehrenden Flüchtlingen im Süden
des Libanon. Blindgänger töten unschuldige Menschen,
spielende Kinder und gefährden UNIFIL-Truppen. Sie
sind ein Problem für den Wiederaufbau. Lassen Sie uns
an dieser Stelle gemeinsam sagen: Wir müssen alles dafür tun, dass Streubomben weltweit verboten werden!
({4})
Das muss eine unserer Schlussfolgerungen sein.
Den Frieden in der Region werden wir aber nur erreichen - das ist heute immer wieder deutlich geworden -,
wenn der Kernkonflikt zwischen Israel und Palästina
eine Lösung findet. Israel hat ein selbstverständliches
Recht, in Frieden und ohne Furcht vor entsetzlichen Angriffen zu leben. Das Existenzrecht des Staates Israel
muss gesichert werden. Gleichzeitig geht es darum, einen eigenständigen palästinensischen Staat zu verwirklichen, der in Frieden mit seinen Nachbarn lebt und Israel
anerkennt.
({5})
Auf der Konferenz in Stockholm wurden für die
humanitäre Hilfe in Palästina - die Situation dort ist
insbesondere für die Jugendlichen dramatisch - 450 Millionen US-Dollar bereitgestellt. Wir haben den so genannten Temporären Internationalen Finanzierungsmechanismus mitfinanziert, dessen Ziel es ist, trotz der
bestehenden Hamas-Regierung dafür zu sorgen, dass zumindest die Bedürftigsten eine Unterstützung erhalten.
Auf diese Art und Weise werden bis Ende September
immerhin rund 600 000 Menschen in Palästina Hilfe erhalten. Das ist richtig und gut so.
Die europäische Erfahrung zeigt doch, dass es möglich ist, Hass und Gewalt zu überwinden. Warum sollte
das, was in Europa, in der KSZE gelungen ist - wenn
auch unter völlig anderen Bedingungen -, nicht auch im
Nahen Osten möglich sein, wo doch die große Mehrheit
der Menschen Frieden will. In einer dauerhaften Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen
Osten könnten Fragen der Sicherheitspolitik, der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und des menschlichen Zusammenlebens besprochen und geregelt werden. Engagieren wir uns gemeinsam für diesen Weg zum Frieden!
({6})
Nun zu einem Thema, das uns jeden Tag beschäftigt
und immer aufs Neue beschäftigen muss. In dieser Welt
sterben pro Tag 8 000 Menschen an Aids; so viele würden auch sterben, wenn jeden Tag zwanzig vollbesetzte
Jumbojets abstürzen würden. Die Aidskonferenz in Toronto war wichtig, um die Aufmerksamkeit wieder auf
diese dramatische Situation zu lenken. Was tun wir gegen Aids? Wir werden - das habe ich auf der Konferenz
auch deutlich gesagt - unsere Maßnahmen gegen HIV
und Aids verstärken, die Mittel für die Jahre 2007 und
2008 um rund 100 Millionen Euro auf jährlich
400 Millionen Euro aufstocken, unsere bilateralen Mittel
und die Schuldenumwandlungen einsetzen und den Globalen Fonds zur Bekämpfung von HIV, Aids, Malaria
und Tuberkulose entsprechend finanziell stärken.
Warum? Das möchte ich an dieser Stelle noch einmal
erläutern. Es handelt sich vor allen Dingen für junge
Frauen und Mädchen um eine dramatische Situation.
Während sie noch vor zehn Jahren 12 Prozent aller Infizierten ausgemacht haben, machen Frauen heute fast die
Hälfte aller Infizierten aus. Das hängt damit zusammen,
dass sie schwächer sind und sich in vielen Situationen
nicht mit ihren eigenen Schutzmöglichkeiten durchsetzen können. Deshalb haben wir ausdrücklich die Mittel
zugesagt, die für die Entwicklung von Mikrobiziden
wichtig sind, die es den Frauen ermöglichen, sich selbst
zu schützen und nicht auf den Schutz durch Männer angewiesen zu sein. Ich glaube, das ist ein ganz wichtiger
Aspekt, um den Frauen in den Entwicklungsländern zu
helfen.
({7})
Gleichzeitig geht es auch darum, dass wir die Programme stärker auf Frauen orientieren. Wir müssen uns
unsere Programme sehr genau ansehen und vor allen
Dingen mit dafür sorgen, dass in den Partnerländern die
Gremien, die über die Verteilung dieser Mittel entscheiden, tatsächlich mit Frauen besetzt sind und sie damit
ihre Stimme erheben können.
Die deutliche zweite Steigerung des Haushalts nach
dem Haushalt 2006 zeigt, dass wir unsere internationale
Verantwortung und auch unseren Stufenplan zur Steigerung der Entwicklungszusammenarbeit ernst nehmen.
Das sind keine Kosten, sondern Investitionen in die Zukunft unserer Kinder, Investitionen in Gerechtigkeit, in
eine friedlichere Welt, in Armutsbekämpfung und die
Bewahrung der Schöpfung. Es sind gut investierte Mittel. Es ist auch ein Signal in Richtung der EU-Ratspräsidentschaft und der Präsidentschaft der G 8 durch unsere
Bundesregierung im nächsten Jahr. Ich bin überzeugt,
dass wir im nächsten Jahr weitere entschlossene Schritte
in diesem Sinne machen werden.
Ich möchte mich bei der Koalition für die Unterstützung bedanken. Eine breite parlamentarische Mehrheit
hat in diesen Fragen große Vorteile. Ich möchte mich
aber auch bei der Opposition bedanken. Denn es ist immer gut, wenn es weiteren Druck und weitere Unterstützung gibt.
Ich möchte zum Abschluss Kofi Annan zitieren. Er
hat gesagt: „Ob es Afrika gelingt, dem Ziel der Halbierung der extremen Armut näher zu kommen, wird in hohem Maße von der Führungsrolle Deutschlands im
nächsten Jahr abhängen.“ - Dazu sollen dieser Haushalt
und unsere Verantwortung in EU und G 8 beitragen. Ich
möchte an dieser Stelle Kofi Annan danken. Er wird
Ende dieses Jahres aus seinem Amt ausscheiden. Er hat
Großes für die Entwicklung und für den Frieden in dieser Welt geleistet. Wir erwarten von ihm jetzt in seinem
Amt, aber auch danach Großes für das gemeinsame Ziel.
Ich bedanke mich sehr herzlich.
({8})
Ich erteile das Wort Kollegen Hellmut Königshaus,
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich
möchte mich zunächst von ganzem Herzen den Genesungswünschen für den Kollegen Thilo Hoppe anschließen. Er soll bald wieder unter uns sein. Ich will Ihnen,
Frau Ministerin - jedenfalls für unseren Teil der Opposition -, gern zusagen, dass wir weiterhin Druck machen
werden, den Sie offenbar begrüßen.
Frau Ministerin, Sie haben im Übrigen - wie häufig in
der vergangenen Zeit - den Einsatz von Streubomben
durch Israel kritisiert. Darüber kann man sicherlich diskutieren.
Aber eines will ich Sie in diesem Zusammenhang fragen: Warum klagen Sie nur andere an? Vielleicht haben
die Israelis ja lediglich das getan, was die Koalitionsfraktionen erst am 28. Juni dieses Jahres, allerdings für
die Bundeswehr, gefordert haben: Streumunition einzusetzen, allerdings nur dann, „wenn geeignete alternative
Munition nicht verfügbar ist“? Vielleicht hatten die
Israelis auch nichts anderes, was geeignet war, zur Verfügung. So geht das jedenfalls nicht, meine Damen und
Herren. Sie müssen schon Konsequenzen ziehen.
({0})
Sehen Sie sich Ihren Antrag an dieser Stelle noch einmal
an und gehen Sie mit gutem Beispiel voran.
Frau Ministerin, in den vergangenen Wochen konnte
man häufig den Eindruck gewinnen - auch heute haben
Sie ihn wieder erweckt -, als seien unsere Haushaltsberatungen im Grunde genommen entbehrlich. Man hat
immer wieder gehört, was Sie alles versprochen haben
- das haben Sie eben bestätigt -: 100 Millionen Euro
mehr für die Aids-Bekämpfung, wohlgemerkt aus künftigen Haushalten, 22 Millionen Euro hier, andere Beträge dort usw. Sie haben Versprechungen gemacht - das
ist okay -, aber dem Parlament haben Sie erst in allerletzter Minute die Erläuterungen und Projektlisten zur
Beratung Ihres Haushalts übersandt. Dafür mag es
Gründe geben. Aber eigentlich hätten wir schon eine Erklärung erwartet.
Ich weiß nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen aus
den Koalitionsfraktionen, wie Sie das sehen, aber so
kann man eigentlich keinen Haushalt beraten. Vielleicht
haben Sie sich damit abgefunden, dass die Regierung
„durchregiert“ und Sie faktisch nur noch zum Abnicken
bestellt werden. Ich jedenfalls finde das nicht normal
und denke, wir sollten wieder zum normalen Verfahren
zurückkehren: dass der Haushalt zunächst beschlossen
und erst dann die Mittel verteilt werden.
({1})
Jedes der genannten Vorhaben mag sinnvoll sein. Aber
in den Haushaltsberatungen sollten wir zumindest die
Chance haben, uns mit ihnen zu befassen.
Diese Oberflächlichkeit und dieser Mangel an Konkretheit sind auch in den Strukturen des Haushalts festzustellen. Nehmen Sie nur die Neustrukturierung der
Durchführungsorganisation. Das ist natürlich ein
wichtiges Thema. Denn nur eine wirksame Organisation
kann politische Vorgaben tatsächlich kostengünstig und
effizient umsetzen. Aber bisher liegt bloß eine Ausarbeitung - anders kann man das nicht nennen - eines Beratungsunternehmens vor, die handwerklich so dürftig ist
- das muss ich so sagen -, dass man sich scheut, das
Institut namentlich zu nennen.
In dieser Ausarbeitung wurde überhaupt keine tragfähige Istanalyse vorgenommen. Noch schlimmer: Auch
die Ausgangslage ist völlig falsch. Sie beginnt mit der
Betrachtung an der Außengrenze der Ministerien. Das
eigentliche Problem ist aber nicht die unzureichende
Umsetzung, sondern zunächst einmal die mangelhafte
politische Steuerung.
Der Kollege Mark hat vorhin am Beispiel des Auswärtigen Amtes erläutert, dass es auch dort Entwicklungsaktivitäten gibt. Das ist nur ein Beispiel dafür, dass
hier auch andere Ressorts mitmischen. Was wir brauchen, ist deshalb eine Reform, die die Steuerungsfähigkeit der Politik vergrößert und das unproduktive und
aufreibende Nebeneinander sowie das eifersüchtige Miteinander-Rangeln der Ministerien beendet. Diesem Anspruch kommen Sie mit Ihrem Haushaltsansatz allerdings ganz gewiss nicht nach. Selbst wenn der Haushalt
solide und nachvollziehbar wäre, müsste man also schon
deshalb bezweifeln, dass Sie die Mittel überhaupt effizient einsetzen können.
Aber auch inhaltlich schreibt dieser Haushaltsentwurf
alte Übel fort. Da sind insbesondere die ausufernden
Globalzuweisungen. Es handelt sich insgesamt um
28 Milliarden Euro - ich habe die Liste hier -, die aus
dem Bundeshaushalt global zugewiesen werden; ein großer Teil davon sind Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit. Wofür diese Mittel eingesetzt werden sollen,
das sollen wir uns im Rahmen der Haushaltsberatungen
selbst heraussuchen. Meine Damen und Herren, das
muss anders eingetaktet werden.
Ich glaube, wir müssen in Zukunft auch im Hinblick
auf die Struktur unserer Entwicklungspolitik anders arbeiten. Denn die Globalzuweisungen haben zur Folge,
dass es letztlich nur darum geht, die ODA-Quote zu erfüllen. Hauptsache ist, das Geld fließt ab, egal wohin
und egal wie: ob Weltbank, EU oder ADB. Kein Wunder, dass hier der Überblick verloren geht!
Der krasseste Punkt ist der Europäische Entwicklungsfonds - dazu habe ich schon oft etwas gesagt -:
700 Millionen Euro wollen Sie im kommenden Jahr an
diese Organisation überweisen. Das ist eine vollkommen
undurchsichtige und parlamentarisch nicht kontrollierte
Geschichte. Das kann im Grunde genommen so nicht
weitergehen. Niemand weiß, was mit diesem Geld tatsächlich passiert. Wir wissen nur eines: 25 Prozent dieser Mittel, 175 Millionen Euro, fließen als Budgethilfen
in die Haushalte einiger weniger AKP-Staaten.
Ich habe kürzlich mit einem führenden Europapolitiker aus dem Kreise der Koalition gesprochen - ich sage
jetzt nicht, wer es war -, dem ich gesagt habe: Es ist
doch unglaublich, dass es so etwas gibt, was parlamentarisch nicht kontrolliert wird. Darauf sagte er, das sei interessant und ich solle ihm Informationen darüber zukommen lassen.
Es kann doch wohl nicht richtig sein, dass wir solche
Institutionen haben und niemand davon wirklich weiß.
Aus diesem Fonds werden auch die überseeischen
Gebiete und Länder unserer EU-Nachbarn mit finanziert
- jedenfalls zum Teil -, beispielsweise Guadeloupe,
Martinique und Französisch-Guayana. Ist es wirklich die
Aufgabe unserer Entwicklungspolitik, dass wir den französischen, den niederländischen oder andere Staatshaushalte entlasten? Das ist doch verrückt. So etwas muss
doch aufhören. Zahlen denn die Franzosen für uns Straßen in Mecklenburg-Vorpommern?
({2})
Das ist ziemlich abstrus, meine Damen und Herren.
Obendrein zahlen wir in diesen Topf noch mehr als die
Franzosen selbst.
({3})
- Nicht aus dem Entwicklungsfonds, sondern aus Strukturfonds. Diese Mittel kommen noch dazu, Frau Kollegin.
Noch schlimmer sind im Übrigen die Haushaltsrisiken - über die ich hier schon mehrfach gesprochen
habe -, die das BMZ beim EEF in den letzten Jahren
heimlich, still und leise angehäuft hat. Sie, Frau Ministerin, haben per 1. Januar 2006 die offenen Forderungen
des EEF auf über 4 Milliarden Euro beziffert - über
4 Milliarden Euro! Nur ein Bruchteil davon ist gedeckt,
nämlich das, was wir dieses Jahr in die Haushalte einstellen, also 661 Millionen Euro. Der Rest ist ungedeckt.
Selbst wenn es stimmt, was Sie nun behaupten, die absehbaren Abrufe des EEF seien im Haushalt des kommenden Jahres berücksichtigt - 2005 stimmte es bekanntlich nicht -, verschieben Sie doch damit die
Probleme nur in die Zukunft und lösen sie nicht. Das soll
uns hier dann als seriöse Haushaltsplanung verkauft werden? Das kann so nicht weitergehen.
Deshalb ist es auch kein Wunder, dass Ihnen jetzt
wieder nur einfällt, in Zukunft tiefer in die Taschen der
Bürger zu greifen, diesmal mit der geplanten Ticketabgabe und anderen - wie Sie es dann nennen - innovativen Instrumenten. Wie wäre es stattdessen einmal mit
Sparen?
({4})
Stampfen Sie beispielsweise das Ankerländerkonzept
ein. - Frau Kollegin, helfen Sie dabei mit. Das kostet nur
Geld und führt zu Zuständigkeitsstreitigkeiten mit dem
Auswärtigen Amt, die Sie nicht gewinnen können. Hören Sie auf, immer mehr Geld in undurchschaubare
Töpfe und Fässer zu schütten. Setzen Sie Prioritäten, die
den Kernanliegen gerecht werden, die wir in der Entwicklungspolitik durch die MDG vorgegeben haben:
keine U-Bahnen, Autobahnen und sonstigen Prestigeprojekte mehr, weniger Beton, mehr für die Bürger in
den Nehmerländern, mehr Impfstoffe, Medikamente
usw.
Sichern Sie den Haushalt ab gegen die Risiken, die
ich angesprochen habe. Wir sind gern bereit, Ihnen von
der Opposition dabei zu helfen und gemeinsam nachzubessern, wenn Sie zur Kooperation bereit sind. In der jetzigen Form jedenfalls - das kann ich Ihnen vorhersagen - werden wir diesem Haushalt nicht zustimmen
können.
Ich bedanke mich.
({5})
Das Wort hat nun der Kollege Christian Ruck, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Vielen Dank. - Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Es gibt keinen Grund zur
Aufregung. Ich bin Innenverteidiger der Bundestagsfußballmannschaft; ab und zu kracht es halt entsprechend.
({0})
- Aber jetzt zum Thema, Herr Kolbow.
Mit dem Haushaltsentwurf für 2007 - das möchte ich
jetzt nach den Ausführungen meines Vorredners voranstellen - unterstreicht die schwarz-rote Koalition unter
Bundeskanzlerin Merkel erneut ihr klares Bekenntnis,
den Spielraum der Entwicklungspolitik zu erhöhen.
Durch das Engagement der Ministerin und ihres Hauses
ist es erneut gelungen, den Etat für den Einzelplan 23 im
Haushaltsentwurf signifikant zu erhöhen, und zwar weit
über dem Wachstum des Gesamthaushalts.
Damit hat Schwarz-Rot in zwei Jahren Haushaltsführung Steigerungen um fast 18 Prozent im Entwicklungsetat beschlossen, während der Entwicklungshaushalt unter Rot-Grün von 1998 bis 2005 um 1 Prozent
gesunken ist. Das, glaube ich, ist schon ein starkes Stück
unserer neuen schwarz-roten Koalition.
({1})
Damit können wir bisher insgesamt 600 Millionen Euro
mehr einsetzen, um den gestiegenen entwicklungspolitischen Herausforderungen gerecht zu werden. Das ist
eine Meldung, die man, glaube ich, gut vertreten kann
und mit der wir uns auf dem richtigen Weg befinden.
({2})
Die Ereignisse in diesem Jahr unterstreichen, dass das
strategische Gewicht der Entwicklungspolitik gewachsen ist. Die Entwicklungen im Kongo, in Afghanistan,
im Nahen Osten, die Migrationsbewegungen in Afrika
zeigen doch, wo die neuen, internationalen Herausforderungen für Deutschland liegen: Es gibt keine friedliche
Welt ohne Entwicklung.
Die Steigerung der ODA-Quote, die wir alle anstreben, für die wir alle kämpfen, dient deshalb nicht nur der
Herstellung von Gerechtigkeit in der Welt, sondern ist
auch ein signifikanter Beitrag für unsere eigene Sicherheit. Der Haushalt des BMZ ist darüber hinaus ein investiver Haushalt: Er sichert mindestens 200 000 Arbeitsplätze im Jahr in der Bundesrepublik Deutschland.
Deswegen hat er massive ökonomische Auswirkungen
im eigenen Land. Das sollten wir auch der Öffentlichkeit
immer wieder sagen: Es geht nicht etwa um entwicklungspolitische Träumereien, es geht auch um Sicherheit
und es geht auch um unsere eigenen Arbeitsplätze.
Mit dem Haushalt 2007 werden diese neuen, strategischen Ansätze konsequent fortentwickelt. Wir stehen im
Vorfeld des G-8-Gipfels und unserer Präsidentschaft im
Europäischen Rat. Da müssen wir - und werden wir
auch - sowohl konzeptionell als auch finanziell etwas
auf den Tisch legen. Herr Königshaus, ich gebe Ihnen
Recht - da habe ich Ihnen schon immer Recht gegeben
und Sie mir auch, Gott sei Dank -, wenn Sie sagen: Geld
ist natürlich nicht alles, es geht auch um Effizienz. Wir
- auch die Koalition - sind ständig aufgefordert, die Effizienz gerade auch in diesem Politikbereich zu diskutieren.
Da möchte ich etwas zu dem schon zitierten Gutachten sagen. Die Akteure der deutschen Entwicklungszusammenarbeit leisten Großartiges. Sie genießen großes
Ansehen in der Welt; daran gibt es nichts zu rütteln.
Aber die Strukturen auch der deutschen Entwicklungspolitik sind vielfach noch Strukturen, die vor 20,
30 Jahren begründet worden sind, zum Teil kann man sagen: Strukturen vor dem Hintergrund der Notwendigkeiten des Kalten Krieges. Die neuen Herausforderungen
erfordern ein Umsteuern in der Zusammenarbeit - das
haben wir ja auch alle beteuert -: weg von der Projektarbeit allein hin zur Strukturpolitik, zum Verändern und
zum Überwinden gesellschaftlicher und politischer
Strukturen. Aus diesem Grunde ist es natürlich wichtig,
dass wir immer wieder auch an der Optimierung der
Durchführungsstruktur arbeiten, sie durchdenken. Dafür
stellt das vorliegende Gutachten meiner Ansicht nach
eine gute Diskussionsgrundlage dar für weitere Schritte
zur Gestaltung einer zukunftsfesten Aufstellung deutscher EZ.
Wir wollen natürlich eine EZ aus einem Guss, wie sie
auch von außen deutlich sichtbar werden muss. Was wir
nicht wollen, sind Teillösungen oder eine Organisationsreform mit Siegern und Besiegten; darüber sind wir uns
auch in der Koalition einig. Für Effizienzsteigerungen
müssen wir Lösungen finden, die von allen als besser als
der Status quo angesehen werden. Da, glaube ich, sollten
wir sensibel vorgehen. Aus unserer Sicht muss neben der
Betrachtung der einzelnen Instrumente - TZ, FZ, KfW,
GTZ - auch nach der Einbettung dieser Instrumente in
das Gesamtsystem gefragt werden. Zu klären ist auch,
wie in einer modernen Aufstellung die Zuordnung von
BMZ und den Durchführungsorganisationen aussehen
soll und was mit den Teilen der EZ betreffend Aus- und
Fortbildung und personelle Zusammenarbeit passieren
soll. Vor allem müssen wir klären, wie die Außenstruktur
aussehen soll; das ist für uns, SPD und CDU/CSU, ganz
wichtig. Das sind Dinge, bei denen man nicht einfach
aus der Hüfte schießen kann, da muss man zwar zügig
und konsequent, aber doch auch mit der nötigen Vorsicht
ans Werk gehen. Effizienzsteigerung bedeutet für mich
aber auch - auch das ist schon angeklungen -, die regionale und die sektorale Konzentration voranzutreiben.
Herr Königshaus, Sie haben die Anker- und die Schwellenländer angesprochen. Ich sage Ihnen eines: Etwas
mehr Selbstbewusstsein im Umgang mit dem Auswärtigen Amt tut auch der FDP gut.
({3})
Mir ist um die Auseinandersetzung mit dem Auswärtigen Amt nicht bange, wenn die besseren Argumente auf
unserer Seite sind. Da befinden wir uns auch untereinander in der Diskussion darüber, was die Kriterien für diese
Auswahl sein sollen. Ich glaube, das darf nicht nur die
Bedürftigkeit sein, sondern es müssen auch Kategorien
wie das Gefahrenpotenzial und das Potenzial für strategische Partnerschaften eine Rolle spielen. Man kann sich
mit wichtigen Schwellen- oder Ankerländern natürlich
sehr wohl über die weitere Zusammenarbeit unterhalten.
Bei den begrenzten Mittel müssen wir natürlich immer wieder auch die Frage stellen, was wirklich eine
Entwicklung bewirkt und was die Armut wirklich bekämpft. Gerade im islamischen Bereich existiert allein
schon durch die Vielzahl der arbeitslosen Jugendlichen,
deren Anzahl jedes Jahr größer wird und die in die Welt
und in diese Gesellschaften drängen, ein Pulverfass. Ich
glaube, viele islamische Länder sind auf die Zusammenarbeit mit uns und darauf angewiesen, dass wir unsere
Konzepte im gegenseitigen Interesse austauschen. Es ist
doch vor allem für Entwicklungspolitiker völlig unbefriedigend, wenn man zuerst zum Aufbau eines Landes
beiträgt und danach dann alles zusammengeschossen
wird, sodass man wieder sagen kann: Gut, wir sind bereit, das wieder aufzubauen. Das kann ja nicht das Ende
vom Lied sein. Vielmehr müssen wir eine vorausschauende Entwicklungspolitik betreiben und Strukturen verändern. Das ist unsere Aufgabe.
({4})
Dazu ist es natürlich auch erforderlich - das ist klar -,
dass wir unsere Anstrengungen für ressortübergreifende
Konzepte und Koordinationen fortsetzen. Komplexe Situationen wie im Kongo und im Nahen Osten erfordern
natürlich, dass alle Ressorts parallel an den richtigen
Stellschrauben drehen. Es reicht nicht allein aus, dass
man Soldaten schickt oder die dortige Polizei ausbildet.
Die Menschen in diesen Entwicklungsländern müssen
auch spüren, dass sich der Einsatz für Demokratie, dass
sich Wahlen und dass sich die Beachtung der Menschenrechte lohnen. Deswegen ist es auch eine ganz entscheidende Kernaufgabe der Entwicklungspolitik, in der Postkonfliktphase die Probleme schneller und besser zu
lösen, als das bisher gelungen ist.
({5})
Herr Königshaus, noch ein Punkt, in dem wir uns alle
einig sind: Zu dem Bereich der Effizienzsteigerung gehört auch eine bessere internationale Arbeitsteilung.
Auch hier rennen Sie offene Türen bei uns ein. Das ist
aber eine Knochenarbeit. Wir müssen ja nicht uns selber
von der Notwendigkeit einer besseren Koordination in
der EU überzeugen, sondern wir müssen vor allem die
EU-Partner davon überzeugen. Das ist eine Knochenarbeit. Wir haben uns heuer aber vorgenommen, gerade
diesen Punkt anzugehen. Lassen Sie uns doch erst einmal abwarten, wie weit die Ministerin und wir mit dieser
Knochenarbeit kommen. Wir werden sie dabei jedenfalls
tatkräftig unterstützen.
({6})
- Danke.
Dasselbe gilt natürlich auch für die Versuche, das
UN-System transparenter zu machen und zu straffen.
Auch hier sind wir uns einig. Aber auch das ist eine
Knochenarbeit. Das können wir nicht par ordre du mufti
im Bundestag entscheiden, sonst hätten wir Koalitionäre
das schon abgewickelt. Das dauert halt eine Weile. Hier
muss uns Kofi Annan auch noch zur Seite stehen.
Wir wollen die Präsidentschaften - sowohl hinsichtlich der G 8 als auch hinsichtlich der EU - nutzen, um
auch unsere Themen vorwärts zu bringen. Das gilt vor
allem für das Problem der Arbeitsteilung in der EU.
Auch auf Afrika soll ein bestimmter Fokus gelegt werden. Wir treten aber auch dafür ein, dass die Diskussion
tiefer gehen muss. Es darf nicht nur um Geldfragen gehen. Mit Geld allein sind die Probleme Afrikas eben
nicht zu lösen. Ganz im Gegenteil: Wir müssen weiter
denken und Konzepte anbieten und darüber diskutieren,
wie ein mit Rohstoffen so reich gesegneter Kontinent
wie Afrika viel mehr aus eigenen Kräften in der Lage
sein kann, etwas daraus zu machen. Ich glaube, wir müssen einfach erkennen, dass eine schlechte Regierungsführung auch in Afrika ein Hauptübel ist. Der Run auf
das Öl und andere Rohstoffe macht viele - auch unsere
eigenen - Anstrengungen für eine gute Regierungsführung oft kaputt.
Meine Damen und Herren, ich möchte natürlich auch
die vielen nicht staatlichen Akteure, die für die Entwicklungszusammenarbeit so wichtig sind - Kirchen, Nichtregierungsorganisationen, Stiftungen und viele andere erwähnen. Sie sind für diesen Prozess des Strukturwandels, für den Aufbau von Zivilgesellschaften und für die
Initiierung von gesellschaftlichen Prozessen, die für eine
auf Entwicklung zielende Politik entscheidend sind,
wichtig.
Herr Königshaus, ich ziehe mir Ihren Schuh nicht an,
dass wir in den zukünftigen Haushaltsberatungen alles
abnicken. Das ist ein Schmarren. Wir werden über die
eine oder andere Änderung in den weiteren Beratungen
im Detail und sehr konstruktiv diskutieren. Wir sollten
gerade diese Nichtregierungsorganisationen und Stiftungen, die im Koalitionsvertrag erwähnt sind, und andere
dadurch stärken, dass wir hier Akzente setzen. Daneben
müssen wir neue Akzente in dem Bemühen setzen, die
Schöpfung zu bewahren.
So ist der Regierungsentwurf für das Haushaltsjahr
2007 ein Entwurf, der neue Akzente setzt.
Herr Kollege Ruck, sehen Sie bitte auf die Uhr.
Jawohl, Frau Präsidentin. - Selbstverständlich werden auch wir Akzente setzen. Darauf können Sie sich
verlassen.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Heike Hänsel, Fraktion Die
Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Entwicklungsetat soll für 2007 erhöht werden. Das
ist natürlich zu begrüßen. Wer könnte etwas dagegen sagen? Wir selbst fordern das auch. Allerdings ist völlig
klar, dass allein mehr Geld überhaupt nichts über die
Qualität von Entwicklungszusammenarbeit aussagt und
keine Garantie für die friedliche Entwicklung und die
Verbesserung von Lebensverhältnissen bietet. Entwicklungspolitik findet immer vor dem Hintergrund konkreter politischer Rahmenbedingungen statt, die vor allem
durch wirtschafts- und außenpolitische Entscheidungen
festgelegt werden.
Wir haben heute viel über den Krieg im Libanon und
die Situation im Nahen Osten gehört. Dort zeigt sich,
dass wir im Grunde eine völlig andere Außenpolitik benötigen, wenn wir ernsthaft Entwicklung für die Menschen in der Region ermöglichen wollen. Herr Kauder
hat in diesem Zusammenhang heute mehrmals einen
Spruch verwandt, den er von Erwin Teufel abgekupfert
hat: „Politik beginnt mit dem Erkennen der Realität.“
({0})
Allerdings hat er dabei selbst Teile der Realität einfach
ausgeblendet.
Der Nahe Osten ist eine der am höchsten gerüsteten
Regionen der Welt. Nur ganz wenige aber sprechen darüber, woher diese Waffen kommen. Zahlreiche deutsche
Firmen liefern mit Genehmigung der Bundesregierung
Waffen in diese Krisenregion, und zwar an alle Seiten.
Bereits im Juli listete ein sehr guter Bericht des Magazins
„Monitor“ zahlreiche dieser Waffenexporte auf, die unter anderem nach Ägypten, Jordanien, Kuwait und SaudiArabien gingen. Bilder zeigten palästinensische HamasKämpfer mit deutschen Maschinenpistolen und G-3Sturmgewehren. Es ist interessant, dass ausgerechnet
Volker Kauder immer ein Lobbyist von Heckler & Koch
war, dem Hersteller der G-3-Gewehre,
({1})
weil er sich stets für den Erhalt deutscher Arbeitsplätze
in dieser Firma eingesetzt hat.
Wer weiß, wo diese G-3-Gewehre sonst noch gelandet sind? Es gab nämlich auch offizielle Lizenzen für deren Produktion in Pakistan, Saudi-Arabien und Iran. Woher kommen die Waffen der Hisbollah?
({2})
Iran ist der Hauptwaffenlieferant der Hisbollah. Angesichts dessen stellt sich die Frage, wer die Verantwortung für die Aufrüstung in dieser Region übernimmt.
Wir fordern einen sofortigen Stopp sämtlicher Waffenexporte in diese Region und in sämtliche andere Krisenregionen. Wer Waffen exportiert, ist immer mit dafür
verantwortlich, dass sie eingesetzt und mit ihnen Menschen getötet werden.
({3})
Das betrifft natürlich auch die andere Seite, in diesem
Fall Israel. Es gibt Lieferungen deutscher U-Boote an Israel und von deutscher Technik für israelische Kampfpanzer und Kampfjets. Diese Waffen wurden im Krieg
gegen den Libanon und sie werden in den besetzten palästinensischen Gebieten eingesetzt, zum Beispiel im
Gazastreifen. In zahlreichen Fällen wurde zivile Infrastruktur bombardiert; ebenso wird die Zivilbevölkerung
bombardiert. Es ist ganz klar, dass auch wir Verantwortung dafür tragen.
Herr Ruck hat es gesagt: In den betroffenen Regionen, so in den palästinensischen Gebieten und im Libanon, bauen wir mit EU-Geldern Entwicklungsprojekte
auf - also auch mit deutschen Steuergeldern -, die anschließend bombardiert und zerstört werden. Das Absurde daran ist, dass dies zum Teil mit deutschen Waffen
geschieht. Was ist das für eine Politik? Dies lehnen wir
entschieden ab. Die Verantwortlichkeiten müssen hier
noch einmal klar benannt werden.
({4})
Diese Politik hat sehr viele Menschen in der Region das
Leben gekostet.
Übrigens hat Herr Steinmeier geäußert, dass er unsere
Kritik an der Entsendung deutscher Soldaten in den Libanon nicht ertragen könne. Als viel unerträglicher erachte ich das Schweigen der Bundesregierung in den
letzten Wochen hinsichtlich der Forderung nach einem
sofortigen Waffenstillstand sowie die Bilder von Angela
Merkel und George Bush beim Grillfest in Stralsund just
an dem Tag, an dem der Krieg gegen den Libanon begann.
({5})
In diesem Zusammenhang möchte auch ich - wie
schon zahlreiche andere heute - Ihnen, Frau WieczorekZeul, unsere Unterstützung dafür zum Ausdruck bringen, dass Sie sich im Kabinett als Einzige für einen sofortigen Waffenstillstand eingesetzt haben
({6})
und dass Sie bei der UNO eine Untersuchung über den
Einsatz von Streubomben gefordert haben.
Wir haben heute viel über internationale Verantwortung gehört. Das ist eine Standardvokabel, die auch
Herr Arnold vorhin benutzt hat. Vor allem die Kollegen
aus dem Verteidigungsausschuss, aber auch die Außenpolitiker verwenden den Begriff „internationale Verantwortung“ gerne. Was aber bedeutet der Begriff, wenn es
konkret wird? Es geht immer nur um Militäreinsätze, im
Grunde für deutsche Interessen. Das Wort Verantwortung wird nicht mehr anders verstanden.
Wir sind jedoch gewählt worden, um politische Verantwortung zu tragen und politische Lösungen für politische Probleme zu entwickeln, aber nicht, um unsere Verantwortung an das Militär abzugeben. Das ist kein
Zeichen von Verantwortung; es ist vielmehr ein deutliches Zeichen von politischer Schwäche.
({7})
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Beck?
Nein, das gestatte ich nicht. Ich möchte jetzt fortfahren.
({0})
Wir sind jetzt fast am Ende der Debatte und ich habe
heute selber schon sehr viel anhören müssen.
Ich möchte noch von unserer Ausschussreise berichten. Wir waren mit dem Ausschuss in Israel und in den
besetzten palästinensischen Gebieten. Ich denke, die
Kolleginnen und Kollegen können es bestätigen: Mit gesundem Menschenverstand kann man erkennen, dass die
Situation der Unterdrückung bei den Palästinensern und
Palästinenserinnen ständig Hass und damit auch Gewaltbereitschaft erzeugt. Deshalb ist es überfällig - wir
fordern das schon seit langem -, einen neuen umfassenden Friedensprozess in der Region einzuleiten, an dessen Ende zwei lebensfähige Staaten in sicheren Grenzen
stehen müssen.
Es war viel vom Existenzrecht Israels die Rede, das
wir ganz klar unterstützen. Aber das Existenzrecht allein
ist noch keine Garantie für die Sicherheit der israelischen Bevölkerung. Dafür brauchen wir eine umfassende Friedenspolitik. Denn die Sicherheit der israelischen Bevölkerung und die Sicherheit der Palästinenser
und der Libanesen sind zwei Seiten einer Medaille. Wir
müssen beide zusammen bedenken. Deshalb haben wir
die Verantwortung, uns für eine Friedenspolitik in dieser
Region einzusetzen.
Für mich war auf unserer Reise interessant, dass wir
sehr viele mutige Menschen getroffen haben - Israel ist
auch eine multikulturelle Gesellschaft mit unterschiedlichen Vorstellungen; Zehntausende haben gegen den
Krieg in Israel demonstriert; das wird viel zu wenig erwähnt -, die sich für einen Dialog auf palästinensischer
wie auf israelischer Seite einsetzen. Diese Kräfte müssen
wir unterstützen. Deshalb halte ich es für entscheidend,
dass wir viel mehr Ressourcen in den Aufbau der Zivilgesellschaft auf allen Seiten investieren.
Sparen wir uns die unsinnige Libanonmission, die
überhaupt keinen Sinn hat! Wir sollten das eingesparte
Geld stattdessen direkt in Friedensprojekte in der Region
und den Aufbau des Libanon investieren.
({1})
Wir brauchen dringend eine Logik des Friedens gegen
die Logik des Krieges. Das haben wir in den letzten Wochen erlebt.
({2})
Dazu kann die Entwicklungspolitik unserer Ansicht nach
einen entscheidenden Beitrag leisten. Es kann nicht sein,
dass Militärmissionen uns jetzt sogar als humanitärer
Beitrag und als Entwicklungsbeitrag verkauft werden.
Es ist entscheidend, dass wir konsequent eine zivile
Politik entwickeln.
Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist überschritten.
Viele Stimmen weltweit haben das längst erkannt. Sie
wurden bereits zitiert. Auch wir stehen auf dieser Seite
und halten es für unsinnig, wenn der Bundeswehretat
noch erhöht werden sollte. Wir setzen uns für eine aktive
Friedenspolitik ein.
({0})
Das Wort zu einer Kurzintervention gebe ich der Kollegin Beck.
Frau Kollegin, wer laut und aufgeregt argumentiert,
hat nicht allein deswegen Recht. Wenn Sie vom Krieg
gegen den Libanon sprechen, dann möchte ich das im
Deutschen Bundestag so nicht stehen lassen.
Jeder, der sich mit der Frage beschäftigt, muss wissen
- auch Sie als Parlamentarierin sollten das wissen -, dass
die Hisbollah über Jahre hinweg im Süden des Libanon,
als dort nach dem Abzug der israelischen Truppen ein
politisches Vakuum entstanden war, Raketen aufgebaut
hat, mit denen ständig, und zwar über einen langen Zeitraum, Angriffe auf den Norden Israels geflogen worden
sind.
Es war dann die Entführung von zwei israelischen
Soldaten auf israelischem Boden und die Tötung von
acht Soldaten, die dazu geführt haben, dass Israel angefangen hat, sich zur Wehr zu setzen. Das will ich in diesem deutschen Parlament richtig stellen. Es ging nicht
um einen Krieg gegen den Libanon. Wir wissen, dass die
libanesische Regierung mit der schwierigen Situation leben musste, nicht mehr die Souveränität über das ganze
Land zu haben. Das ist die Situation, in der nun die internationale Truppe ihre Funktion erfüllen soll.
({0})
Frau Kollegin Hänsel, Sie dürfen erwidern.
Frau Beck, das sehe ich ganz anders. Die Menschen
im Libanon, die fast vier Wochen bombardiert wurden,
dürften das ebenfalls anders sehen. In meinen Augen
war es ein Angriffskrieg gegen die gesamte Bevölkerung
des Libanon. Hat dieser Krieg die Hisbollah in irgendeiner Form ausgeschaltet? Nein. Die Hisbollah existiert
weiter. Es war ein gezielter Krieg gegen die zivile Infrastruktur - das sagt Amnesty International -, und zwar
unter Inkaufnahme von über 1 000 toten Menschen in
der Region. Das kann man nicht als einen Krieg gegen
die Hisbollah bezeichnen. Egal welche internationale
Stimme Sie nehmen, es war ein Krieg gegen die gesamte
Bevölkerung des Libanon.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Ute Koczy, Bündnis 90/
Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Damen und
Herren! Zum Haushalt des Bundesministeriums für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung:
7,8 Prozent Steigerung der Barmittel, ich finde, dies ist
ein Schritt in die richtige Richtung. Dass auch Mittel betreffend die Verpflichtungsermächtigungen für die bilaterale staatliche Entwicklungszusammenarbeit 2007 um
430 Millionen Euro angehoben werden, ist ebenfalls
richtig.
Ein Blick zurück, auf den Haushalt 2006, zeigt aber,
in welchem Zustand sich die Finanzierung der Entwicklungszusammenarbeit der Bundesregierung befindet: in
dem der Orientierungslosigkeit; denn noch in diesem
Jahr haben Sie die Mittel betreffend die Verpflichtungsermächtigungen für die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit um 130 Millionen Euro gekürzt. Das nenne
ich einen Zickzackkurs. Die Regierung müsste doch wissen: Um nach dem EU-Zeitplan das 0,7-Prozent-ODAZiel zu erreichen, kann sich Deutschland ein solches
Hott und Hü gar nicht leisten. Uns läuft nämlich schon
jetzt die Zeit davon. Unser gemeinsames Ziel ist die Umsetzung der Millennium Development Goals. Dabei ist
es wichtig, die Verpflichtungsermächtigungen genau ins
Visier zu nehmen; denn sie sind die Barausgaben von
morgen und die Grundlage für neue Kooperationsangebote, die Sie heute den Entwicklungsländern in den Regierungsverhandlungen machen können.
Tun Sie, was Sie sich selbst im Koalitionsvertrag vorgenommen haben! Sie wollen den EU-Stufenplan mit der
Erhöhung der Haushaltsmittel, der Entschuldung der Entwicklungsländer und mittels der Einführung innovativer
Finanzierungsinstrumente umsetzen. Wir unterstützen
Sie dabei nach besten Kräften. Damit Sie aber in Bewegung kommen, haben wir Ihnen eine Brücke gebaut und
einen Antrag auf Einführung einer Flugticketsteuer in
den Bundestag eingebracht. Mit diesem Antrag tun wir
nichts anderes, als Ihnen Ihre Koalitionsvereinbarung
und die Erklärungen Ihrer Kanzlerin zur Entwicklungsfinanzierung ins Gedächtnis zu rufen. Aber was tun Sie?
Sie verhindern mit der Koalitionsmehrheit die Befassung
mit diesem Antrag in den Ausschüssen, auch im AwZAusschuss.
Sie begehen damit einen großen Fehler. Sie machen
sich international unglaubwürdig. Sie können nicht jahrelang mit unseren Partnern über innovative Finanzierungsinstrumente diskutieren und sich in der Pilotgruppe
für die Einführung von Solidaritätsbeiträgen zugunsten
von Entwicklung tummeln, um dann, wenn andere wie
beispielsweise Frankreich, Brasilien und Südkorea Ernst
machen, unterzutauchen. Mittlerweile sind es schon
18 Länder, die eine Ticketabgabe eingeführt oder diese
verbindlich beschlossen haben. Dabei ist zum Beispiel
Schweden gar nicht mitgezählt. Sie könnten in Deutschland durch eine Flugticketsteuer - wenn wir das Minimalmodell Frankreichs zugrunde legen - mindestens
300 Millionen Euro jährlich mobilisieren.
Würden Sie es so machen wie die Schweden, käme
sogar knapp 1 Milliarde Euro heraus. Die Briten haben
bereits seit 1994 eine Flugticketabgabe und erwirtschaften damit heute jährlich 1,45 Milliarden Euro.
Es sind nicht allein die zusätzlichen Mittel, die die
Flugticketabgabe so bedeutend machen. Das Besondere
daran ist - das wissen Sie -, dass es eine international
verabredete gemeinsame Initiative von Industrie- und
Entwicklungsländern ist und dass die Mittel sehr kontinuierlich und sehr verlässlich sprudeln. Weder in Großbritannien noch in Schweden hat die Abgabe zu Einbrüchen im Flugverkehr geführt. Das sage ich denen, die
dagegen sind. Ganz im Gegenteil, der Flugverkehr ist
sehr gewachsen und bedarf schon allein aufgrund der
Gerechtigkeit gegenüber anderen Transportmitteln einer
zusätzlichen Besteuerung.
({0})
Lassen Sie mich zum Haushaltsentwurf 2007 hinzufügen: Wir brauchen mehr Mittel für die ländliche Entwicklung, für Grundbildung, für die Bekämpfung von
HIV/Aids, Malaria und Tuberkulose. Wir müssen Frauen
stärken, dafür sorgen, dass Frauen Verantwortung in der
Gesellschaft übernehmen können, und den Kampf gegen
Gewalt und Vergewaltigung intensivieren. Wir brauchen
Umsetzungsstrategien für die Einführung erneuerbarer
Energien und den Ressourcenschutz in den Entwicklungsländern. Ich sehe in Richtung Christian Ruck und
unterstreiche, dass wir mit der Ausrichtung der Vertragsstaatenkonferenz zum Schutz der biologischen Vielfalt
2008 in Deutschland eine große Verantwortung haben,
unsere Kooperation aufzubauen.
Wir müssen sowohl die staatliche Entwicklungszusammenarbeit als auch die wertvolle Arbeit von Nichtregierungsorganisationen entschieden stärken. Wenn ich mir den
Haushaltsentwurf anschaue, dann stelle ich fest: Für diese
Gruppen, für die Nichtregierungsorganisationen - nicht
für die Kirchen und Stiftungen; die meine ich nicht -, für
die nicht staatlichen zivilen gesellschaftlichen Gruppen
haben wir nichts im Haushalt. Dem Titel für private Träger wurden weder 2006 noch 2007 zusätzliche Barmittel
zur Verfügung gestellt. Hier besteht dringender Nachholbedarf.
({1})
- Alle anderen wurden erhöht, Herr Kollege, aber in diesem Bereich gibt es nur gute Worte und keine Taten.
({2})
Ich finde, das ist verkehrt. Das muss geändert werden.
({3})
Ebenso meine ich, dass die entwicklungsorientierte Notund Übergangshilfe besser ausgestattet werden muss.
Hier muss endlich etwas passieren.
Ich wiederhole es gerne: Der von Ihnen vorgelegte
Entwurf für den Einzelplan 23 weist zwar in die richtige
Richtung; trotzdem wird nicht erkennbar, wie Sie das
0,7-Prozent-Ziel erreichen wollen. Dafür ist ein jährlicher Mittelzuwachs von 1 Milliarde Euro für die gesamte öffentliche Entwicklungszusammenarbeit bis
2015 nötig. Mit Trippelschritten ist dies nicht zu machen.
Die Kanzlerin hat hier im Bundestag ihr Bekenntnis
zum EU-Stufenplan mit folgenden Worten bekräftigt:
Ich weiß, was ich da sage. Das sind ganz anspruchsvolle Ziele. Aber wir müssen lernen: Die Probleme
ereilen uns im Inland, wenn wir es nicht schaffen,
die Probleme anderswo einer Lösung zuzuführen.
Das ist ein Auftrag auch an die Entwicklungszusammenarbeit. Das ist ein Auftrag an uns. Wir haben eine
ganze Menge zu tun. Den Sätzen ist nichts hinzuzufügen, außer dass wir nicht nur schöne Worte hören wollen, sondern couragierte Taten erwarten. Die stehen immer noch aus.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({4})
Das Wort hat die Kollegin Dr. Bärbel Kofler, SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn man den Worten der Opposition gefolgt ist,
dann könnte man meinen, zu dem Haushaltsentwurf, der
jetzt eingebracht worden ist und über den wir heute in
erster Lesung, Herr Königshaus, diskutieren, wäre nichts
Positives anzumerken oder es wäre ein schlechter Entwurf. Ich muss sagen: Das Gegenteil davon ist der Fall.
({0})
Lassen Sie uns auf den Haushaltsentwurf zurückkommen. Wir haben im Haushalt 2007 einen Aufwuchs von
7,8 Prozent. Das sind 324 Millionen Euro, um es deutlich zu machen. Das ist neben dem Etat des Familienministeriums der zweitgrößte Aufwuchs aller Ministerien.
Auch das ist wichtig und richtig. Wie die Ministerin zu
Recht betont hat, ist es eine Zukunftsinvestition, ein investiver Haushalt, ein Haushalt, in dem sich die Auseinandersetzung mit den Problemen dieser globalisierten
Welt widerspiegelt. Deshalb ist dieser Aufwuchs von
ganz besonderer Bedeutung.
({1})
Dieser Haushalt ist auch ein Zeichen dafür, dass wir
als Regierungskoalition das im Aktionsplan festgeschriebene Ziel, die ODA-Quote bis 2015 auf
0,7 Prozent zu erhöhen, ernst nehmen, Frau Koczy. Da
können Sie uns etwas Vertrauen entgegenbringen.
({2})
Wir haben in diesem Haushalt einige wesentliche
Punkte aufgegriffen, die die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit angehen. Ich verweise auf die Technische
Zusammenarbeit. Die entsprechenden Verpflichtungsermächtigungen wurden ganz deutlich aufgestockt, nämlich um 430 Millionen Euro. Das war ebenfalls richtig
und wichtig. Es ist lange gefordert worden. Auch das
muss man der Ehrlichkeit halber sagen. Es war dringend
nötig und verschafft den Durchführungsorganisationen
die nötige Planungssicherheit für ihre zukünftigen Projekte. Auch daran wird die langfristige Planung sichtbar.
({3})
Frau Hänsel, Sie haben sicherlich Recht: Allein mehr
Geld bringt es noch nicht. Ich möchte anhand einiger
Punkte, die gerade unsere bilaterale Entwicklungszusammenarbeit betreffen, deutlich machen, dass wir beim
Haushalt sehr wohl auf Qualität setzen. Der Barmittelansatz bei der bilateralen EZ steigt um 10 Prozent. Warum steigt er? Weil wir mit diesen Mitteln zu Recht die
gute Arbeit unserer Durchführungsorganisationen fördern wollen und müssen.
An dieser Stelle möchte ich vonseiten der SPD-Fraktion den Durchführungsorganisationen - seien es KfW,
GTZ, INWENT, DED, CIM, Stiftungen, Kirchen oder
viele andere Nichtregierungsorganisationen - noch einmal ein Lob für ihre wirklich hervorragende Arbeit aussprechen. Ich denke, auch in einer Haushaltsdebatte ist
es angemessen, dies einmal zu sagen.
({4})
- Herr Königshaus, bei Ihnen bin ich mir nicht so sicher.
Sie widersprechen bei allem.
({5})
Unser Ausschuss hat sich für seine Arbeit sehr wichtige Ziele gesetzt. Sehr wichtige Ziele enthält auch dieser Haushaltsentwurf: Bekämpfung der Armut,
Millennium Development Goals. Wir waren auf unseren Reisen zum Beispiel in China und haben gesehen,
wie sinnvolle Projekte durch die Arbeit der Durchführungsorganisationen, durch das, was wir für die bilaterale Zusammenarbeit finanziell zur Verfügung stellen,
geschaffen werden, die gerade den ländlichen Raum unterstützen, die gerade dazu beitragen, nachhaltige Wirtschaftsentwicklungen zu fördern, Menschen in die Situation zu versetzen, sich selbst zu helfen, aber auch
Demokratie und zivilgesellschaftliche Strukturen zu fördern. Das sind wichtige Punkte, die man nicht einfach
mit dem Satz „Na ja, durch unsere EZ passiert ja nichts
Wichtiges“ abtun kann. Wir tragen hier wirklich zu
Strukturveränderungen in den Partnerländern, auch im
Dialog mit diesen Ländern, bei. Auch damit leisten wir
einen Beitrag zur Erreichung der Millennium Development Goals.
Ich möchte anhand von zwei Haushaltstiteln noch
darauf eingehen, dass wir sehr wohl Strukturveränderungen anstoßen und besondere Beiträge leisten. Frau
Koczy, Sie haben angesprochen, dass Zuhörer den Eindruck haben könnten, dass keine Mittel für zivilgesellschaftliche Organisationen und private Träger in diesem
Einzelplan vorgesehen sind. So mag es jemandem erscheinen, der diesen Haushalt nicht kennt. Ich darf daran
erinnern, dass dafür ungefähr 480 Millionen Euro zur
Verfügung stehen.
Ein Titel betrifft die Förderung der Sozialstrukturen.
Auch dieser Titel wird in diesem Haushaltsentwurf aufgestockt. Ich finde übrigens, es ist ein sehr wichtiger Titel, weil durch ihn Mittel gerade für Institutionen zur
Verfügung gestellt werden - ich verweise in diesem Zusammenhang auf das Bildungswerk des DGB -, die sich
mit den Fragen von Sozialstandards, von Kernarbeitsnormen auseinander setzen. Das sind Fragen, die wahrscheinlich sehr viele Menschen innerhalb und außerhalb
dieses Saales bewegen. Dabei geht es darum, wie wir
weltweit das Verbot von Kinderarbeit und Zwangsarbeit
durchsetzen, wie wir entsprechende Arbeitnehmerrechte
und Verbote der Diskriminierung am Arbeitsplatz organisieren.
({6})
Auch das ist ein Titel, der in diesem Haushaltsentwurf
aufwächst. Ich finde das positiv. Das ist auch etwas, was
von der SPD-Arbeitsgruppe sehr positiv aufgenommen
wurde.
„Ziviler Friedensdienst“ ist ein weiterer Titel, der
deutlich aufwächst. In vielen Beiträgen, auch außenpolitischen Beiträgen, heute ist deutlich angeklungen, wie
wichtig die Arbeit ziviler Friedensdienste in den verschiedensten Krisenregionen dieser Erde ist. Ich bin sehr
froh darüber, dass dieser Titel aufwächst, bei den Barmitteln und noch deutlicher bei den Verpflichtungsermächtigungen. Damit wird eine Richtung für die nächste
Zeit aufgezeigt und deutlich gemacht, dass wir Krisenprävention, Konfliktnachsorge bei traumatisierten Menschen und Ausgleich zwischen ehemaligen Konfliktparteien mit den Mitteln in unserem Haushalt besonders
unterstützen wollen.
Wenn man das alles in einer Zusammenschau sieht,
dann stellt man fest: Der Entwurf des Haushalts 2007,
den wir jetzt diskutieren, weist einen ordentlichen Mittelaufwuchs auf. Die Verpflichtungsermächtigungen sichern ordentliche Beiträge für die Zukunft. Mit dem
Barmitteleinsatz für die bilaterale EZ werden deutliche
Akzente gesetzt. Deshalb ist dieser Haushalt ein richtiger und wichtiger Schritt für unsere Entwicklungszusammenarbeit in der Zukunft.
({7})
Lassen Sie mich noch ein paar Bemerkungen zur multilateralen EZ und zur künftigen Finanzierung machen.
Herr Königshaus, ich habe schon fast befürchtet, dass
Sie wieder den EEF ansprechen. Es ist richtig und wichtig, dass man sich mit europäischen Themen und europäischen Fonds auseinander setzt. Der Kollege Ruck hat
aber sehr richtig gesagt: Man muss dabei bereit sein,
auch einmal Knochenarbeit zu leisten. Man darf Kritik
nicht nur in der Form üben, dass man den Fonds in
Bausch und Bogen verurteilt.
Zur Erinnerung sollte man noch einmal sagen:
78 Länder, die AKP-Staaten - Afrika, Karibik, Pazifik -,
sind die Hauptprofiteure des EEF. Es ist richtig und
wichtig, dass wir uns mit diesen Ländern beschäftigen
und ihnen Mittel zur Verfügung stellen. Wer, wenn nicht
die Europäische Union, sollte das tun? Es betrifft
schließlich unseren Nachbarkontinent Afrika. Wir werden mit den Problemen Afrikas konfrontiert und werden
auch mit europäischer Entwicklungspolitik dort tätig
werden müssen.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Königshaus?
Natürlich.
({0})
- Eben.
Wir hatten, glaube ich, gar keinen Dissens darüber,
dass alle diese Länder im Fokus sein müssen und dass
wir dort, wenn erforderlich, auch helfen müssen. Die
Frage ist nur: Muss das außerhalb der öffentlichen Haushalte stattfinden? Muss das in einer Konstruktion geschehen, die parlamentarischer Kontrolle entzogen ist?
Muss das in einer Form passieren wie hier, wo völlig undurchschaubar ist, wer entscheidet, wie entschieden wird
und wann Mittel abgerufen werden? Darüber habe ich
gesprochen. Ich habe doch gar nicht über die Ziele geredet.
Das ist die alte Strategie: Zuerst stellt man pauschal
etwas in den Raum und im Nachhinein, bei der ersten
Replik, rudert man mit seinen Äußerungen ein bisschen
zurück. Aber ich antworte gerne auf die Frage.
Es geht natürlich darum: Wie können wir die Politik
für die AKP-Staaten - Afrika, Karibik, Pazifik - in europäische Politik integrieren? Wenn es nicht sofort und
einfach möglich ist, dies im EU-Haushalt zu tun - auch
das bedarf der Abstimmung und der Koordination mit
anderen Staaten -, dann ist es wichtig, weiter die finanziellen Mittel und die Möglichkeiten zu haben, die der
EEF bietet.
Was beim 10. EEF erreicht worden ist, was zum Beispiel die Frage der so genannten Sunset-Clause angeht,
steht in der Antwort auf die Anfrage der FDP.
({0})
- Das ist meist der Punkt. Aber ich zitiere das gerne
noch einmal.
({1})
- Dann auch dazu noch einmal. Gehen wir auf den
9. und 10. EEF ein. Nach dem Ende der Laufzeit sind
keine Mittel mehr abrufbar. Deckungsfähigkeit besteht
nur noch mit Titeln des VN-Etats, nicht mehr mit solchen der bilateralen EZ.
Was die Evaluierung anbelangt: In der Antwort, die
Sie von der Bundesregierung bekommen haben, steht
deutlich, dass zum Beispiel Europe-Aid jährlich eine
Evaluierung von Projekten vornimmt. Diese Evaluierung kann man sich auf der Internetseite von Europe-Aid
ansehen. Auch das ist ein Beitrag zur Transparenz. Es
besteht durchaus die Möglichkeit, einmal einen Blick
darauf zu werfen, Herr Königshaus.
({2})
Auch zur Flugticketabgabe einige Ausführungen;
denn es ist natürlich eine wichtige Frage, wie wir zukünftige Haushalte gestalten und wie wir den Mittelaufwuchs, den wir alle dringend wollen und brauchen, für
unseren Etat bewerkstelligen können. Sie wissen alle,
dass sich die Regierung im Februar/März dieses Jahres
in Paris ganz aktiv an der Diskussion über innovative
Finanzierungsinstrumente beteiligt hat. Sie wissen, dass
wir an der Leading Group beteiligt sind und dort ganz
entscheidend mitwirken, um diese innovativen Finanzierungsinstrumente umsetzen und aufgreifen zu können,
möglichst auf breiter Basis; denn je mehr mitmachen,
umso erfolgreicher ist das Ganze.
({3})
Sie haben ja selber gerade ein paar Beispiele dafür ausgeführt.
Wer sich den Finanzplan der Bundesregierung ansieht, wird feststellen, dass die innovativen Finanzierungsinstrumente auch dort deutliche Erwähnung finden.
Es ist vollkommen unstrittig, dass wir zur Erreichung
des 0,7-Prozent-Kriteriums diese innovativen Finanzierungsinstrumente brauchen. Das haben wir als SPD-Arbeitsgruppe bei der letzten Haushaltsberatung gesagt und
das sagen wir selbstverständlich auch bei dieser Haushaltsberatung. Ebenso stehen wir nach wie vor unverändert zur Flugtickettax.
Ich möchte noch auf Ihren Antrag eingehen. Der Antrag, den Sie gestellt haben, ist nicht verhindert - er wird
im Ausschuss debattiert -, sondern vertagt worden, weil
es da um eine Entscheidung geht, die man nicht übers
Knie brechen kann, die man nicht am Rande einer Sitzung kurz vor der Sommerpause in fünf Minuten abhandeln kann, sondern die gebührender Aufmerksamkeit in
den Beratungen bedarf. Die wird sie in der nächsten Zeit
in den Ausschussberatungen auch bekommen; da bin ich
vollkommen sicher.
({4})
- Frau Koczy, es ist die erste Woche nach der Sommerpause; wir klären das.
Zusammenfassend möchte ich
Frau Kollegin, Sie sehen aber schon, dass Sie Ihre Redezeit deutlich überschritten haben.
- ich bin beim letzten Satz - deutlich darauf hinweisen, dass der Haushalt 2007 ein guter Haushalt ist. Ich
denke, wir werden in den Beratungen noch einige Aspekte der Fachpolitiker positiv einbringen können. Ich
freue mich auf die interessante Debatte zur Flugticketabgabe und zu anderen Punkten in den nächsten Wochen
im Ausschuss.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und ein
Dank geht an die Ministerin für ihr Engagement.
({0})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Hartwig Fischer, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir sind am Ende eines Debattentages, an dem wir den
Kanzlerhaushalt, den Haushalt des Außenministeriums,
des Verteidigungsministeriums und jetzt der wirtschaftlichen Zusammenarbeit diskutieren. Wer die Debatte über
den gesamten Tag verfolgt hat, hat festgestellt, dass
diese Koalition ganz deutlich Politik aus einem Guss
macht. Das begann bei der internationalen Diplomatie,
die die Kanzlerin angesprochen hat, ging über die Präventionsdiplomatie, von der der Außenminister gesprochen hat, und das Einbinden der Friedensmission durch
Verteidigungsminister Jung in diese Diplomatie bis hin
zur Eröffnung dieser Debatte durch unsere Ministerin für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
Nach meiner persönlichen Überzeugung zeigt sich für
uns ein großes Problem. Wir haben in den vergangenen
Jahren Naturkatastrophen erlebt, bei denen unser Ministerium als Reparaturbetrieb herhalten musste. Es gibt
eine Vielzahl von bewaffneten Konflikten; auch da wird
dieses Ministerium zu Reparaturarbeiten herangezogen.
Hartwig Fischer ({0})
Das heißt, wir machen humanitäre Entwicklungspolitik
und Krisenreaktion. Leider werden dadurch die Mittel
eingeschränkt, die man bräuchte, um stärker perspektivisch tätig zu werden. Wir müssen versuchen, auf dem
Wege internationaler Diplomatie dahin zu kommen, dass
wir mehr Mittel und Kapazitäten in den Bereich der Prävention einbringen können.
Man muss sich einmal vor Augen führen, wie viele
Konflikte wir derzeit auf dieser Erde haben. Insgesamt
sind es 39 Konflikte; die meisten in Entwicklungsländern. 90 Prozent der Konflikte seit 1945 haben in der
Dritten Welt stattgefunden. 15 kriegerische Konflikte
gibt es derzeit in Asien und elf in Afrika.
Meine Damen und Herren, das zeigt die besonderen
Herausforderungen in der Folge der Konflikte für die Diplomatie, aber auch für uns alle. Das heißt: Wir müssen
die Entwicklungszusammenarbeit in Teilbereichen zentralisieren und effektiver gestalten.
Wir haben beschlossen, in Zukunft mit weniger Staaten zusammenzuarbeiten. Wir wollen die Zusammenarbeit auf 60 Staaten reduzieren. Das bedeutet eine stärkere Kooperation mit der EU und eine stärkere
Kooperation mit anderen Ländern. Wir müssen eine internationale Arbeitsteilung vornehmen. Nicht jeder kann
in jedem Land arbeiten; vielmehr sollten wir uns auf die
Bereiche konzentrieren, in denen wir am besten Schwerpunkte setzen können, also insbesondere auf die Bereiche Infrastruktur, Grundversorgung bei Wasser und Nahrung sowie Bildung und Gesundheit. Es bedeutet
insbesondere aber auch Capacity-Building bei der Unterstützung von Staaten, um in weiten Bereichen von
schlechter Regierungsführung zu besserer Regierungsführung zu kommen.
Wir müssen uns multilateral engagieren. Dazu gehört
auch - das ist eine besondere Aufgabe, der wir uns stärker stellen müssen -, dass wir personell in den internationalen Institutionen mit eingebunden sind, damit wir
frühzeitig auf diese Projekte einwirken können.
({1})
Wir sollten bei der Auseinandersetzung um die Entwicklungszusammenarbeit die deutschen Interessen mit
in den Vordergrund stellen, damit die Partner wissen,
dass wir Entwicklungspolitik auch im eigenen Interesse
machen. Es gibt humanitäre Gründe, aber es gibt vor allen Dingen auch Gründe, die wir derzeit jeden Tag an
unseren Grenzen oder im Augenblick auf den kanarischen Inseln erleben.
Die Migration hat erschreckende Ausmaße angenommen. Migration ist ein Zeichen von Armut und von
Hoffnungslosigkeit. Lassen Sie mich nur die Zahlen der
letzten Tage noch einmal nennen: 399 Flüchtlinge am
4. September, 1 433 Flüchtlinge am vergangenen Wochenende, 5 880 Flüchtlinge derzeit auf den kanarischen
Inseln. Weltweit gibt es zurzeit zwischen 20 Millionen
- nach Angaben des UNHCR - und 40 Millionen - nach
Angaben anderer Stellen - Flüchtlinge, davon über
10 Millionen Flüchtlinge in Lagern. Das sind Menschen,
die keine Hoffnung haben, und am meisten leiden darunter die Kinder.
Wir wissen, dass von den 15 Ländern mit der höchsten Kindersterblichkeit allein 14 Länder in Afrika sind.
Wir wissen, dass jährlich 4 Millionen Kinder an Krankheiten sterben, die auf verschmutztes Trinkwasser und
auf mangelnde Hygiene zurückzuführen sind. Was sind
denn die Folgen der Mangelernährung? Jährlich sterben
noch immer 1,5 Millionen Babys, weil sie nicht gestillt
und daher nicht ausreichend versorgt werden. Rund
50 Millionen Kinder bleiben durch Jodmangel in ihrer
geistigen Entwicklung zurück. Jährlich erblinden über
500 000 Kinder infolge von Vitamin-A-Mangel.
Armut fördert Migration. Armut macht anfällig für
Neid und Hass. Armut bereitet einen Nährboden für
Fundamentalismus, wie wir das im Umfeld von Flüchtlingslagern erleben. Arme in der Dritten Welt erleben in
Fernsehbildern virtuell unseren Wohlstand. In manchen
Ländern sehen die Menschen aus den Townships, die
nicht genügend zu essen haben, über Satellit das Werbefernsehen, wenn sie zufällig an einem Fernsehgeschäft
vorbeikommen. Dass ihre Hoffnungslosigkeit sie dann
dazu verleitet, unter Lebensgefahr in Booten ihre Länder
zu verlassen, ist klar. Aber gleichzeitig können diese
Menschen zu einem Risiko in unseren Ländern werden.
({2})
Deshalb müssen wir einen Schwerpunkt dabei setzen,
Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten und diese Mittel konsequent einzusetzen.
In diesem Zusammenhang will ich sagen, dass die
deutschen Nichtregierungsorganisationen, die von der
GTZ umgesetzten Projekte und die Finanzierungsprojekte ebenso wie die Unterstützung zum Beispiel durch
deutsche Polizisten beim Aufbau von Sicherheitssystemen und durch deutsche Juristen beim Aufbau von
Rechtssystemen in diesen Ländern ein hohes Ansehen
genießen. Auch wenn das keine Sachprodukte, sondern
menschliche Leistungen sind, wird das in diesen Ländern als „made in Germany“ angesehen und außerordentlich positiv besetzt. Deshalb erhoffe ich mir von
der Konzentration der Entwicklungszusammenarbeit auf
diese 60 Länder gleichzeitig eine Konditionierung des
Verhaltens derjenigen Staaten, mit denen wir im Hinblick auf Good Governance zusammenarbeiten.
({3})
Lassen Sie mich noch auf Folgendes hinweisen: Wer
wie einige von Ihnen nicht nur die Situation in den
Kriegsgebieten in Asien - in Indien allein in fünf Provinzen -, sondern auch im Kongo persönlich erlebt hat, wer
die Hoffnung darauf setzt, dass dort durch die Wahlen
ein Friedensprozess in Gang gesetzt wird, der wird mit
mir darin einig sein, dass wir jetzt eine Nachwahlstrategie zur Stabilisierung der dann gewählten Regierung
vorbereiten müssen.
Das wäre zum Beispiel ein Projekt, bei dem man sich
gemeinsam mit anderen europäischen Staaten so
Hartwig Fischer ({4})
engagieren kann, dass aus dieser Krisenregion mit über
4 Millionen Toten in den vergangenen Jahren eine Zukunftsregion wird. Wenn man dann begleitend eine Rohstoffökonomie betreibt, in deren Rahmen sich die Länder international verständigen sollten - ich will dies
ausdrücklich sagen -, damit nicht ein Land wie China
dort unkonditioniert Rohstoffe ausbeutet und andere
Länder konditionierte Hilfen geben, wäre das nach meiner Überzeugung - ich sehe das Zeichen, dass ich aufhören muss - einer der Ansätze für eine konstruktive Entwicklungszusammenarbeit.
Vielen Dank.
({5})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Donnerstag, den 7. September 2006, 9 Uhr,
ein.
Ich wünschen allen hier im Hohen Hause einen schönen Abend.
Die Sitzung ist geschlossen.