Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 9/6/2006

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Sitzung ist eröffnet. Ich begrüße Sie alle herzlich, liebe Kolleginnen und Kollegen, und wünsche uns gute, intensive, gelegentlich auch fröhliche Beratungen. Ich erinnere daran, dass wir gestern für die heutige Aussprache insgesamt neuneinhalb Stunden beschlossen haben. ({0}) - Der Wunsch des Kollegen Kampeter, die Beratungszeit auszudehnen, ist vermutlich nicht mehrheitsfähig. Wir setzen die Haushaltsberatungen - Tagesord- nungspunkt 1 - fort: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2007 ({1}) - Drucksache 16/2300 - b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Finanzplan des Bundes 2006 bis 2010 - Drucksache 16/2301 Wir beginnen die heutigen Haushaltsberatungen mit dem Geschäftsbereich des Bundeskanzleramtes, Einzelplan 04. Ich erteile das Wort zunächst dem Kollegen Brüderle für die FDP-Fraktion. ({2})

Rainer Brüderle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003059, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Bundeskanzlerin, Sie regieren das Land mittlerweile nach dem Pippi-Langstrumpf-Prinzip: „Ich mache mir die Welt, wie sie mir gefällt!“ ({0}) Steuererhöhungen heißen bei Ihnen „Reformen“. ({1}) Stillstand verkaufen Sie uns als „Bewegung in die richtige Richtung“. Am Anfang haben Sie, Frau Bundeskanzlerin, in der Außenpolitik eine gute Figur gemacht. Die Außenpolitik lenkt vielleicht ein wenig von den Problemen ab, die unser Land hat. Nur, das funktioniert nicht auf Dauer. Als Bundeskanzlerin, Frau Merkel, sollten Sie die Richtung vorgeben. Doch Ihre Richtlinienkompetenz ist zu einer Schlangenlinienkompetenz geworden, mit der Sie die Politik betreiben. ({2}) Die Koalition hat nach eigenem Bekunden erheblichen Diskussionsbedarf - bei jedem Thema und über Monate hinweg. Doch irgendwann muss selbst diese große Koalition des kleinsten gemeinsamen Nenners Entscheidungen treffen, damit man weiß, was Sie denn überhaupt wollen. Nehmen wir einmal die Gesundheitsreform: Nach Monaten konnte sich die Bundesregierung zu „Eckpunkten“ durchringen; doch schon diese ließen erheblich zu wünschen übrig. Statt mehr Freiheit und Wahlfreiheit gibt es mehr Gängelung und mehr Bürokratie. Jetzt geht der Streit weiter über Details dieses Kassensozialismus, der da offenbar betrieben wird. ({3}) Mit der Rückendeckung der Kanzlerin arbeitet das Gesundheitsministerium an einer Art VEB Gesundheit. Nur über eines war sich die Koalition erstaunlich schnell klar und einig: Es wird teurer, die Krankenkassenbeiträge steigen. Beim Schröpfen der Bürger herrscht bei Rot und Schwarz schnell Einigkeit. Was sonst noch herausgekommen ist, sind bürokratische Monster, zum Beispiel der Gesundheitsfonds und der Morbiditätszuschlag. Die Morbidität der Bundesregierung schreitet unaufhaltsam voran. Es schreit an jeder Ecke und an jedem Ende nach Knatsch und es kracht in manchen Bereichen. Die Auflösungserscheinungen sind schon mit Händen greifbar. Möglicherweise gibt es die Regierung gar Redetext nicht mehr, wenn der neue Risikostrukturausgleich zwischen den Krankenkassen in Kraft tritt. In der Politik der Bundeskanzlerin sind weder Linie noch Kompetenz zu erkennen. Die Kanzlerin tritt jetzt als Duo mit dem Vizekanzler auf. Frau Merkel und Herr Müntefering sind am Ende der Sommerpause gemeinsam und in trauter Eintracht vor der Presse erschienen. Es war eine Art Hochamt des neuen politischen Traumpaares der Republik. ({4}) Frau Merkel, dabei haben Sie gesagt, die Richtung in Ihrer Regierungsarbeit stimme. Eine Richtung ist aber weit und breit nicht erkennbar. Wo wollen Sie denn wirklich hin? ({5}) Wer sich bei Rekordschulden, bei explodierenden Sozialbeiträgen und bei drastischen Steuererhöhungen auf dem richtigen Weg sieht, der lebt in einer anderen Welt. Die erste Kabinettsitzung nach der Sommerpause kam mir wie ein Treffen von Traumtänzern vor. ({6}) Vizekanzler Müntefering findet es unfair, an dem gemessen zu werden, was in den Wahlkämpfen gesagt wurde. Die Bundeskanzlerin sitzt neben ihm und nickt zustimmend. Das steht in der adenauerschen Tradition: Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern! Das entspricht aber nicht einem fairen Umgang mit den Bürgern. Deshalb dürfen wir uns über die Politikverdrossenheit nicht wundern. ({7}) Woran, wenn nicht an ihren Wahlkampfaussagen, soll die Regierung denn bitte schön gemessen werden? Dafür ist sie ja gewählt worden. Der wenig ambitionierte Koalitionsvertrag ist eben nicht die Messlatte, Herr Müntefering. Die Messlatte für die Bürger ist vielmehr, ob die Regierung eine gute Politik macht. Das ist offensichtlich nicht der Fall. Das ist keine gute Politik. ({8}) Es ist unfair, den Bürgern das Geld aus der Tasche zu ziehen. Der private Konsum ist nach wie vor der Hemmschuh für die Konjunkturentwicklung. Wenn man sich einmal die Strukturen unserer Volkswirtschaft ansieht, dann erkennt man, dass er über 60 Prozent der Nachfrage in diesem Land ausmacht. Sie nehmen den Bürgern das Geld weg. Selbst Herr Struck hat eingeräumt, dass man auf die Mehrwertsteuererhöhung hätte verzichten können. Er sagte: Es wären knallharte Einsparungen in jedem Ressort nötig gewesen, aber es wäre gegangen. Recht hat Herr Struck! Nur getan haben Sie es nicht. Dazu fehlte Ihnen der Mut. ({9}) Nicht nur die Sozialdemokraten üben sich im Geldausgeben, auch einige Ministerpräsidenten der Union machen sich auf die Suche nach neuen Ausgabenprogrammen, um zu sehen, wie man die Überschüsse der Bundesagentur für Arbeit verteilen kann. Machen Sie sich doch endlich ans Sparen! Was tut jeder Bürger, wenn er mehr ausgibt, als er einnimmt? Er streckt sich nach der Decke. Das Auto wird ein Jahr länger gefahren und die Anschaffungen werden ein Jahr hinausgeschoben. ({10}) Nur der Staat tut das Gegenteil dessen, weil er sich zwangsweise refinanzieren kann. Er langt bei den Bürgern zu und spart nicht. Sie müssen Vorbild sein. Die Treppe kehrt man von oben nach unten und nicht umgekehrt. Das gilt auch für die Politik. ({11}) Den Konzernen wollen Sie dadurch etwas Gutes tun, dass die Körperschaftsteuer kräftig reduziert wird. Eine solche Unternehmensteuerreform nützt den Personengesellschaften und den Einzelunternehmen nichts. Für die Mittelständler und die Arbeitnehmer wäre eine Einkommensteuerreform viel wichtiger. Ich frage mich: Wie wollen die Sozialdemokraten dies ihren Wählern erklären? Bei höheren Steuern, höheren Energiepreisen, höheren Sozialversicherungsbeiträgen und höheren Krankenversicherungsbeiträgen zu erwarten, dass eigenverantwortlich mehr Vorsorge für das Alter getroffen wird, ist wirklich irreal. Die Bürger aufzufordern, auf den Urlaub zu verzichten, um so Vorsorge treffen zu können, aber selber beim Haushalt nicht zu sparen, ist schon zynisch. So wird man die Probleme nicht lösen können, sondern dazu gehört mehr Mut. ({12}) Offensichtlich spielt die Ökonomie in der Regierung keine Rolle. Auf die Idee einer Besteuerung der Kosten von Unternehmen - eine unsinnige Debatte - muss man erst einmal kommen. Der Einfall, Kosten zu besteuern, muss schleunigst vom Tisch. Das ist absoluter Schwachsinn. ({13}) Die SPD entdeckt die Leistungsträger und die CDU ist jetzt die Partei der Lebenslüge. Zum 30. Geburtstag der Mitbestimmung haben Sie sich, Frau Bundeskanzlerin, von Reformüberlegungen verabschiedet. Aber die paritätische Mitbestimmung noch heute als große Errungenschaft und Standortvorteil zu feiern, ist eine Lebenslüge und eine völlig falsche Einschätzung, Frau Merkel. ({14}) Die Bundesregierung verkündet Fahrpläne zu allen möglichen Bereichen, wie etwa Gesundheit, Unternehmensteuerreform und Arbeitsmarkt. Aber das Ziel dürfen keine Fahrpläne sein, sondern das Ziel muss eine konsistente Politik für die Menschen in Deutschland sein. Sie sprachen auf Ihrer Pressekonferenz vom Gemeinwohl; das ist richtig. Aber das Gemeinwohl ist nicht das Wohl dieser Bundesregierung, sondern das Wohl der Bürger, der Steuerzahler; ({15}) sie müssen im Zentrum der Politik stehen. Die Steuererhöhung hilft vielleicht dem Finanzminister, aber sie hilft nicht dem Bürger im Land. Deshalb ist Ihre Politik grottenfalsch und führt in die falsche Richtung. ({16}) Es muss eine Kurskorrektur geben. Sie sind falsch programmiert. Ändern Sie Ihre Politik für die Bürger im Land! ({17})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel. ({0})

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt immer wieder Tage, die unsere Welt verändern. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sich jeder Einzelne von uns genau daran erinnern kann, was er an einem solchen Tag gemacht hat. Der 9. November 1989 war ein solcher Tag: Die Mauer fiel und der Kalte Krieg war zu Ende. Der 11. September 2001, dessen Jahrestag sich in der nächsten Woche zum fünften Mal jähren wird, war ebenfalls ein solcher Tag. Dieser Tag hat die Welt erschüttert und er hat sie auch verändert. Manche haben gesagt: Nach dem 11. September ist nichts mehr so, wie es einmal war. - Ich halte das für falsch. Richtig ist, dass wir mit dem 11. September eine völlig neue Art der Bedrohung kennen gelernt haben - eine asymmetrische Bedrohung, wie wir das nennen -, eine Bedrohung, bei der wir den Gegner nicht richtig fassen können, weil er bereit ist, sein eigenes Leben aufs Spiel zu setzen. Auch ist er als Staat nicht genau erkennbar, obwohl Staaten solche terroristischen Attacken unterstützen. Daraus hat sich ein neues Verständnis von Sicherheitspolitik ergeben, bei dem mehr als jemals zuvor innere und äußere Sicherheit nicht mehr voneinander zu trennen sind. Das hat uns vor die Aufgabe gestellt, neue Antworten zu finden. Die Bundesregierung hat solche Antworten gefunden. Wir alle in diesem Land sind uns inzwischen einig - das hat der großartige Aufklärungserfolg bezüglich der Kofferbomben gezeigt -, dass Videoüberwachung, zwar nicht flächendeckend, aber dort, wo viele Menschen zusammenkommen, notwendig ist. Ich bin froh, dass dieser Streit ausgestanden ist und dass wir wissen: Videoüberwachung braucht man, um Terroristen identifizieren zu können. Eine solche Maßnahme ist notwendig. ({0}) Ich möchte allen danken, zuvörderst dem Bundesinnenminister und auch der Bundesjustizministerin, die daran mitgearbeitet haben, dass wir uns jetzt auf eine Antiterrordatei einigen konnten. Das ist ein riesiger Erfolg, ein Erfolg der großen Koalition und ein Erfolg der Zusammenarbeit mit den Ländern. Es ist eine Antwort auf das, was die Bürgerinnen und Bürger von uns erwarten. Es ist eben so, dass uns im 21. Jahrhundert Kleinstaaterei alleine nicht mehr voranbringt. ({1}) - Das haben wir doch bei der Föderalismusreform gemeinsam besprochen. - Es ist ein riesiger Erfolg, dass die Antiterrordatei jetzt auf den Weg gebracht werden kann. Das erwarten die Menschen von uns. ({2}) Ich glaube, der Staat darf niemals den Eindruck erwecken, er könne 100 Prozent Sicherheit garantieren. Aber der Staat darf sich auch niemals dem Vorwurf aussetzen, er hätte nicht alles versucht, um die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger zu garantieren. Es geht nicht um Freiheit statt Sicherheit, es geht nicht um Freiheit oder Sicherheit, sondern es geht im 21. Jahrhundert um Freiheit und Sicherheit in unserem Land. Dafür müssen wir uns einsetzen. ({3}) Wenn ich sage, wir brauchen neue Antworten, weil wir vor neuen Bedrohungen stehen, warum halte ich dann den Satz „Nach dem 11. September ist nichts ist mehr so, wie es einmal war“ für falsch? Ich halte ihn deshalb für falsch, weil sich das Motiv, der Grund unseres außen- und sicherheitspolitischen Handelns nicht verändert hat, weder nach dem 9. November gegenüber vor dem 9. November noch nach dem 11. September gegenüber vor dem 11. September. Denn seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland ist klar: Wir haben eine Verantwortung vor der Geschichte - vor der deutschen Geschichte und der europäischen Geschichte -, einer Geschichte jahrhundertelanger Kämpfe, einer Geschichte von Erbstreitigkeiten, Kriegen, politischem Versagen und Nationalismus. Dass die deutsche und die europäische Geschichte seit 1945 anders gestaltet werden, das gehört zu den großen Leistungen der Vorgänger der jetzt politisch Aktiven. Der Impuls zur Gründung europäischer Institutionen, von unseren Vorfahren richtig in Gang gesetzt, war, dass man plötzlich zu der Erkenntnis kam - ich kann auch

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endlich zu der Erkenntnis kam -, dass man nicht am allerbesten dasteht, wenn man nur an sich denkt, sondern dass man selber besser dastehen kann, wenn man auch an die Interessen anderer denkt. Man hat endlich begonnen, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen. Man hat das, was man früher als Zumutung empfand - sich mit dem Denken anderer auseinander zu setzen, zum Beispiel unserer Nachbarn -, als eigene Bereicherung empfunden. Man hat erkannt: Was dem anderen dient, ist auch richtig und gut für mich. Das war das eigentlich Neue. Das sind die zwei Seiten der Medaille unserer Außen- und Sicherheitspolitik. Das hat die Europäische Union möglich gemacht. Diesem Motiv und diesem Grund fühlen wir uns weiterhin genauso verpflichtet. ({0}) Deshalb haben sich die Ereignisse, die Herausforderungen geändert. Der Kalte Krieg ist vorbei. Wir stehen heute vor völlig neuen Aufgaben. Aber diese Aufgaben sind genauso konkret, genauso fassbar und erfordern genau die gleiche Motivation, wie dies auch vor uns der Fall war. ({1}) - Es wird ganz konkret, Herr Kuhn. ({2}) Deshalb haben wir uns entschieden: im Kosovo genauso wie in Bosnien-Herzegowina. Es gab in diesem Hause lange Debatten darüber, dass wir nicht tatenlos zusehen können, sondern bei der Lösung dieser Konflikte mitmachen müssen, und zwar weil es besser ist für die Menschen vor Ort genauso wie für uns, die wir mit Flüchtlingen und vergewaltigten Frauen konfrontiert wurden und die wir gefragt wurden: Wie vereinbart ihr mit euren Werten, dass ihr tatenlos zuseht? So haben wir uns nach dem 11. September - auch in sehr schwierigen Debatten - entschieden, in Afghanistan mit dabei zu sein, Verantwortung zu übernehmen, damit sich ein Volk besser entwickeln kann und gleichzeitig unsere Sicherheit besser garantiert ist. Wir werden in diesem Herbst über Afghanistan zu sprechen haben. Wir wissen zwar, dass nicht alles so läuft, wie wir uns das wünschen. Aber die Alternative, ein Vakuum zu hinterlassen und Terroristen wieder freie Ausbildungsmöglichkeiten zu geben, ist für mich keine Alternative, weil es weder für die Menschen vor Ort richtig ist noch unseren Sicherheitsinteressen dienen wird. ({3}) Wir haben gemeinsam um eine Antwort auf die Frage gerungen, ob wir uns in Afrika engagieren sollen. Wir haben uns mehrheitlich im Bundestag - genauso wie die Bundesregierung - dafür entschieden, Verantwortung im Kongo zu übernehmen, und zwar über die politisch-humanitäre Verantwortung im Rahmen der Entwicklungshilfe hinaus mit einer militärischen Komponente. Auch das halte ich für richtig, weil Afrika der Nachbarkontinent Europas ist. Wer nach Spanien und insbesondere nach Teneriffa schaut, der weiß, dass dorthin jeden Tag Hunderte Flüchtlinge kommen. Wir müssen im Interesse der Afrikaner, aber auch im Interesse derjenigen, die in Europa davon betroffen sind, einen Beitrag zur Lösung des Problems leisten und Entwicklungsmöglichkeiten, Teilhabe, Frieden, Freiheit und Wohlstand ermöglichen. Es gibt Fragen, auf die wir noch keine abschließende Antwort haben. Damit müssen wir uns befassen. Die Bundesregierung hat gemeinsam mit anderen europäischen Staaten, den Vereinigten Staaten von Amerika, Russland und China dem Iran ein Angebot gemacht. Wir erhofften uns von diesem Angebot, aus dem Kreislauf von nuklearen Aktivitäten und zunehmenden Verhärtungen herauszukommen. Die Antworten des Iran sind aber nicht zufriedenstellend. Wir werden zwar die Tür zu Verhandlungen nicht zumachen. Aber wir werden als internationale Staatengemeinschaft nicht tatenlos zusehen können, wie der Iran Regeln der Internationalen Atomenergiebehörde verletzt. Es geht hierbei nicht darum, dem Iran nicht das zuzugestehen, was ihm zugestanden werden muss. Vielmehr geht es darum, dass der Iran immer wieder Regeln verletzt hat. An dieser Stelle ist für uns, die Bundesregierung, ganz wichtig, die Geschlossenheit der internationalen Staatengemeinschaft zu erhalten. Die militärische Option ist keine Option im Iran. Deshalb geht es um Entschlossenheit und Geschlossenheit. Aber ich sage auch: Nichtstun kann nicht die Antwort auf die Ablehnung des Iran sein. Das stellt uns vor große Herausforderungen. ({4}) Wir haben erlebt, auf welche Art und Weise die Fragen den Iran betreffend mit der Situation im Nahen Osten zusammenhängen. Wir haben im Sommer dieses Jahres eine Situation erlebt, in der plötzlich schreckliche, gewalttätige Auseinandersetzungen auftraten und in der die internationale Staatengemeinschaft vor der Frage stand, wie man eine Waffenruhe erreichen und Stabilität in dieser Region herstellen kann. Daraus ist die Resolution 1701 des UN-Sicherheitsrates entstanden. Die Bundesregierung ist - genauso wie wir alle - vor die Frage gestellt, was wir tun wollen und können, um bei der Umsetzung dieser Resolution mitzuhelfen. Wir haben sehr schnell gesagt: Insbesondere aus historischen Gründen steht für uns die Frage nach der Stationierung deutscher Kampftruppen an der libanesisch-israelischen Grenze nicht zur Debatte. ({5}) Es muss verhindert werden, dass deutsche Soldaten auf Israelis schießen, und sei es nur ungewollt. Wenn es aber zur Staatsräson Deutschlands gehört, das Existenzrecht Israels zu gewährleisten, dann können wir nicht einfach sagen: Wenn in dieser Region das Existenzrecht Israels gefährdet ist - und das ist es -, dann halten wir uns einfach heraus. Wenn wir uns an dem notwendigen humanitären und politischen Prozess beteiligen wollen, dann wird es sehr schwer sein, zu sagen: Die militärische Komponente sollen bitte schön andere übernehmen. Deshalb haben wir ein Angebot unterbreitet. Bei diesem Angebot kommt es für uns darauf an, dass wir ein robustes Mandat haben, mit dem wir das Ziel, den Waffenschmuggel zu beenden, erreichen können. Es kommt des Weiteren für uns darauf an - über diesen Punkt verhandeln wir nun bzw. verhandelt der Libanon mit der UN -, dass dieses Mandat gewollt ist. Das ist wieder Teil des politischen Prozesses. Es ist besser, zwei Tage zu warten und das Mandat im Einvernehmen mit allen Akteuren und sorgfältig vorzubereiten, als auf Schnelligkeit zu setzen. Wir werden unsere Soldaten nicht unnötigen Risiken aussetzen. Das macht keine Bundesregierung; das wird auch diese Bundesregierung nicht tun. Wir werden aber alles daransetzen, dass das Mandat in der Region gewollt ist. Dazu werden die entsprechenden Schritte im Augenblick eingeleitet. ({6}) Es wird in der Öffentlichkeit diskutiert, in welcher Reihenfolge die Maßnahmen zu treffen sind: Sollen erst das Embargo zur See und die Blockade des Flughafens Beirut aufgehoben und dann die UNIFIL-Truppen stationiert werden? Wir brauchen noch etwas Zeit. Wir sollten uns die Zeit nehmen. Die Gründlichkeit der Entscheidung geht vor Schnelligkeit. Ich bitte auch um Verständnis für die Urteilsfindung der Akteure in der Region. Wir können uns manchmal nur schwer in die Lage im Libanon und in Israel versetzen. So wie wir von anderen Respekt erwarten, wenn sie über uns urteilen, sollten wir anderen Respekt zukommen lassen. ({7}) Ich möchte mich an dieser Stelle ausdrücklich für die Gespräche mit den Vertretern der einzelnen Fraktionen bedanken. Wir informieren Sie und sind miteinander im Gespräch. Wir werden selbstverständlich intensiv diskutieren, wenn es um die parlamentarische Zustimmung geht. Es wird im Augenblick in Bezug auf den Nahen Osten zu wenig über den politischen Prozess und zu viel über die militärischen Aktionen gesprochen. ({8}) Deshalb ist die Parallelität der Aktionen von äußerster Wichtigkeit. Der Bundesaußenminister und ich und viele andere wie zum Beispiel die Bundesentwicklungshilfeministerin, wir alle werden Initiativen ergreifen und sind zum Teil in Vorgesprächen, um den politischen Prozess wieder in Gang zu bringen. Wir dürfen nicht wegschauen. Im Zusammenhang mit den Resolutionen 1559 und 1680, als es darum ging, ob die libanesische Armee die Gewalt über ihr gesamtes Territorium bekommt, haben wir uns nicht genug darum gekümmert. Wenn ich „wir“ sage, dann meine ich die gesamte internationale Staatengemeinschaft. Das Ergebnis haben wir gesehen. Deshalb darf man keinesfalls denken, mit der Stationierung von UNIFIL-Truppen sei das Problem gelöst. Wir müssen das Existenzrecht Israels sichern und wir müssen eine Zweistaatenlösung erreichen, die einen palästinensischen Staat einschließt. Wir müssen auch für ein gutes Verhältnis zwischen Israel und Libanon sorgen. Ich unterstütze ausdrücklich die Bemühungen des Bundesaußenministers, auch mit Syrien Kontakte zu pflegen, wenn auch nicht um jeden Preis. Er hat neulich eine vollkommen richtige Entscheidung getroffen. Es ist aber wichtig, alle Akteure in der Region zu berücksichtigen, damit wir sehen, was wir dazu beitragen können, um einen Friedensprozess in Gang zu bringen. ({9}) Auch wenn es noch so schwierig erscheint: Es gibt keine Alternative. Deshalb muss es versucht werden: mit Leidenschaft und aus Überzeugung. Nun fragen viele: Ist das nicht ein Fass ohne Boden? Wo sollen wir uns noch überall engagieren? Was sind die Kriterien, nach denen wir das tun? - Dazu will ich eine Bemerkung machen: Wir können so lange, wie wir wollen, nach Kriterien suchen, die Welt wird sich nicht danach richten, welche Art von Konflikten auftritt. Vor der Sommerpause hat keiner von uns gewusst, dass wir uns heute mit UNIFIL und mit der Resolution 1701 auseinander setzen. Trotzdem wäre es unverantwortlich, zu sagen, wir beschäftigen uns nicht damit, weil wir das nicht auf dem Plan hatten. Wir müssen uns der Realität stellen und gleichzeitig nach unseren Möglichkeiten schauen. Wir haben uns für ein Engagement im Kongo entschieden und wir leisten beispielsweise in Darfur Logistikhilfe. Ich sehe aber im Augenblick keine Möglichkeit, dass wir neben unserem Engagement im Kongo ein zusätzliches Engagement in Darfur übernehmen. ({10}) Wir müssen schauen, was die Welt tut. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit der europäischen Kooperation. Es zeigt sich: Wenn wir unseren Interessen dienen wollen, dann können wir alleine sie nicht bedienen; das schaffen wir nicht. Deshalb ist es gut und richtig, in Sicherheitspartnerschaften, in Gemeinschaften, in der Europäischen Union und in der NATO, gemeinsam Aktivitäten zu ergreifen, Verantwortung zu übernehmen und sich Verantwortung zu teilen. Anders werden wir unsere Interessen nicht mehr durchsetzen können. Auch das ist eine Lehre aus den Bedrohungen und Gefahren der heutigen Welt. ({11}) Daraus ergibt sich dann die Notwendigkeit einer handlungsfähigen, einer starken Europäischen Union. Deutschland wird im ersten Halbjahr 2007 die Präsidentschaft haben. Wir werden darüber diskutieren. Aber eines kann man schon voraussagen: Die außen- und sicherheitspolitischen Notwendigkeiten eines gemeinschaftlich agierenden Europas haben in den letzten Jahren zugenommen und nicht abgenommen. Wenn man eine Begründung für Europa jenseits des Binnenmarktes braucht, dann ist es das gemeinsame europäische Interesse an Frieden und Freiheit, an Stabilität und Wohlstand auf der Welt. ({12}) Dieses Europa kann und wird nur stark sein, wenn es nicht nur sicherheitspolitisch, sondern auch wirtschaftlich stark ist. Deshalb ist es gut, dass der haushaltspolitische Befund zu dieser Debatte uns ermöglicht, zu sagen: Deutschland macht seine Hausaufgaben. Wir können zum ersten Mal seit Jahren wieder die Maastrichtkriterien erfüllen. Der Bundesfinanzminister hat gestern darüber Bericht erstattet. Wir haben gute Wachstumsraten. Ich möchte die prognostizierten Kurven von hoch gelobten Wirtschaftsinstituten jetzt nicht aufzeigen. Man weiß nie, ob in acht Wochen alles nicht wieder ganz anders ist. Wir sollten darauf nicht zu viel vertrauen. Aber es ist so, dass wir sagen können: Es geht im Augenblick in die richtige Richtung. Es gibt keinen Abbau der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse mehr, es gibt weniger Insolvenzen und zum ersten Mal seit 1988 gibt es einen Überschuss bei der Bundesagentur für Arbeit. ({13}) Das zeigt nicht mehr und nicht weniger, als dass es aufwärts geht. Aber das zeigt natürlich auch, dass wir uns mit 4,3 Millionen Arbeitslosen, mit vielen jungen Menschen, die keinen Ausbildungsplatz haben, nicht zufrieden geben können. Wir dürfen auf gar keinen Fall die Hände in den Schoß legen; vielmehr müssen wir die richtigen Lehren auch aus den Fehlern vieler - ich betone: vieler - vergangener Jahre ziehen. Diese Lehre heißt für mich: Wir haben in den vielen letzten Jahren die Dimension der Zukunft zu sehr in den Hintergrund gedrängt. Wir haben uns immer wieder damit abgefunden oder wir haben es zumindest nicht thematisiert, dass wir von der Substanz leben. Deshalb ist diese Bundesregierung ganz bewusst angetreten, um das Leben von der Substanz schrittweise zu beenden. Das ist genau das, was man mit dem sperrigen Begriff der Nachhaltigkeit beschreibt. Deshalb sage ich es etwas anders, nicht ganz so sperrig: Es ist ganz einfach so, dass wir unsere Zukunft nicht verbrauchen dürfen. Das ist die Leitlinie, das ist der Maßstab, an dem wir unsere gesamte Politik ausrichten. ({14}) Wir dürfen unsere Zukunft nicht verbrauchen. Das leitet uns bei all unseren Entscheidungen. Deshalb sanieren wir den Haushalt. Ich möchte den Bundesfinanzminister ausdrücklich unterstützen. Kaum dass eine Steuermehreinnahme verkündet wird - unbeschadet der Frage, ob sie im Haushaltsansatz nicht schon längst eingepreist ist -, gibt es eine breite Debatte darüber, was man damit machen könnte. Lassen Sie uns erst einmal Geld haben! Wenn das der Fall ist, können wir über Schuldenabbau reden. Die Neuverschuldung in diesem Jahr ist sehr hoch. Lassen Sie uns dann diskutieren, ob wir noch Spielräume haben! Ich sehe das im Augenblick nicht. Wir wollen sanieren. Wir wollen dafür sorgen, dass wir die Zukunft nicht verbrauchen. Dem müssen wir uns verpflichtet fühlen. ({15}) Wir könnten über Zuschüsse der Bundesagentur für Arbeit nur reden, wenn sie auf Nachhaltigkeit ausgerichtet wären. ({16}) Dazu brauchen wir erst einmal eine Endabrechnung. Man muss sich anschauen, was im nächsten Jahr anfällt. Auch an diesem Punkt bin ich der Meinung: Man soll nicht über neue Programme diskutieren, sondern erst einmal verfolgen, was im Hinblick auf Nachhaltigkeit passiert. ({17}) Weil wir die Zukunft nicht verbrauchen wollen, reformieren wir. Wir reformieren im Sinne der Gesundheitsreform. Jeder, der sich einmal mit Gesundheitspolitik beschäftigt hat - hauptsächlich macht es die Bundesgesundheitsministerin; aber viele andere tun es auch - ({18}) - Sie versuchen hier, das der Lächerlichkeit preiszugeben. Aber die Frage, ob die überwiegende Mehrzahl der Menschen in Deutschland den Eindruck hat, dass sie an dem medizinischen Fortschritt teilhaben kann, wird zu der entscheidenden Frage werden. Es geht darum, ob die soziale Marktwirtschaft und das Gerechtigkeitsempfinden in einer hoch entwickelten Gesellschaft überhaupt noch einen Platz haben. Deshalb ist das aller Mühe wert. Ich sage das aus voller Überzeugung, weil das die schwierigste Aufgabe ist. In vielen anderen europäischen Ländern können Sie sehen, dass es auch dort eine schwierige Aufgabe ist. Weil das so ist, sollten wir diese Diskussion mit großer Ernsthaftigkeit führen, aber ohne die Interessen der einzelnen Besitzstandsgruppen im Auge zu haben; es gilt, im Interesse der Versicherten zu handeln. ({19}) Wir sind nämlich dem Gemeinwohl verpflichtet ({20}) und nicht den Krankenkassen oder den Ärzten allein. Wir sind natürlich jedem einzelnen Akteur mit seinen Interessen, aber zum Schluss eben dem Gemeinwohl verpflichtet. Genau daran wird sich die Bundesregierung orientieren. ({21}) Jeder von Ihnen, meine Damen und Herren, darf sich einmal fragen, ob die Selbstverwaltung der Krankenkassen immer so prima funktioniert hat und wie viel Besitzstandswahrung in dem ganzen System ist. Es geht darum, den Menschen das zu geben, was sie brauchen. Daran werden wir uns ausrichten. ({22}) Deshalb werden wir die Eckpunkte umsetzen. Darüber wird es natürlich Diskussionen geben. Wenn Neuland betreten wird, gibt es immer Diskussionen. Aber eine solche Reform ist notwendig - genauso wie im nächsten Jahr eine Reform der Pflegeversicherung, genauso wie eine Neuordnung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern mit einer Föderalismusreform II, nachdem die Föderalismusreform I jetzt in Kraft getreten ist. Wir führen Strukturreformen wiederum deshalb durch, weil wir die Zukunft nicht verbrauchen, sondern gestalten wollen. ({23}) Dazu gehört die Unternehmensteuerreform. Auch das ist ein Vorhaben für den Herbst. Es geht uns nicht darum, langfristig Unternehmen per se zu entlasten. Es geht uns darum, Unternehmen in Deutschland zu halten. Deshalb wird es am Anfang ein Entlastungsvolumen geben. Aber Ziel ist, die Unternehmen in Deutschland auf Dauer wieder zu Steuerzahlern zu machen. ({24}) Das muss auch so sein. Es hat keinen Sinn, zuzusehen, wie Unternehmen in einer globalen Welt woanders hingehen, weil sie dort besser dastehen. Wir müssen ein wettbewerbsfähiger Standort sein - mit dem Ziel, dass auch der Staat von den Gewinnen der Unternehmen profitiert. Dabei darf nicht die Substanz der Unternehmen, sondern muss der Gewinn der Unternehmen besteuert werden. Es darf nicht so sein, dass der woanders verrechnet wird. ({25}) Wir werden Bürokratie abbauen. Es gibt bereits ein Mittelstandsentlastungsgesetz. Es wird an einem zweiten gearbeitet. Wir werden im Bereich der Hartz-IV-Reformen zu überlegen haben, wie wir angesichts von 4,3 Millionen Arbeitslosen Anreize so setzen, dass unser Grundziel wieder erreicht wird: Wir wollen die Menschen in Arbeit bringen. Wir wissen, das gelingt nur, wenn wir sicherstellen, dass jemand dann, wenn er arbeitet, mehr hat, als wenn er nicht arbeitet. An diesem Grundsatz werden sich alle Entscheidungen orientieren müssen. Wir wollen, dass sich Arbeit lohnt, dass die, die in dieser Gesellschaft etwas leisten wollen, sehen: Die Leistungsanstrengung trägt auch ihre Früchte. Daran müssen sich alle Diskussionen - das geht von Kombilohn über Hartz IV und Organisation von Hartz IV bis hin zu Niedriglohn und Mindestlohn - orientieren. ({26}) So werden wir weitere Beschäftigungspotenziale freilegen können. Der Bundesarbeitsminister hat hierfür die notwendigen Arbeitsgruppen eingesetzt und die Arbeit begonnen. Wir werden natürlich alle Sachverständigengutachten und Weiteres mit Interesse zur Kenntnis nehmen und einbeziehen. Aber ganz zum Schluss wird die Politik ihre Entscheidung fällen müssen. Den Grundsatz und die Linie habe ich genannt. Um die Zukunft nicht zu verbrauchen, investieren wir. Wir investieren zum Beispiel mit der Hightechstrategie. In dem Rahmen stehen in dieser Legislaturperiode 6 Milliarden Euro zusätzlich zur Verfügung. Die Mittel werden aber nicht einfach an die verschiedenen Akteure verteilt, sondern mit einem Ziel vergeben: In Deutschland müssen aus Ideen wieder verstärkt Produkte werden. ({27}) Es hat keinen Sinn, wenn wir ein schönes Patent haben und anschließend das Geld mit dem Produkt irgendwo in der Welt verdient wird. Unser Anspruch lautet: von der Idee bis zum Produkt. Dafür sind die Weichen gestellt. ({28}) Wir werden deshalb vor allem die Forschungsaktivitäten mittelständischer Unternehmen stärken; denn der Mittelstand in Deutschland forscht zu wenig, insbesondere der in den neuen Bundesländern. Die entsprechenden Maßnahmen sind in dieser Hightechstrategie enthalten. Wir werden ein nationales Energiekonzept entwickeln. Das wird eine anstrengende Aufgabe sein. In einzelnen Fragen gibt es durchaus unterschiedliche Meinungen innerhalb der Koalition; aber die große Koalition würde versagen, wenn sie sich dem zentralen Thema Energie nicht widmen würde. Wir werden das auch in der EU-Präsidentschaft in ganz besonderer Weise mit Blick auf die europäische Dimension miteinander diskutieren. Wir haben uns dem Thema Integration gestellt, weil wir wissen, dass Deutschland nur eine Zukunft hat, wenn die, die dauerhaft bei uns leben, auch dauerhaft die gleichen Chancen haben. Wenn Menschen die deutsche Sprache nicht beherrschen oder Schüler nicht am Sportunterricht in der Schule teilnehmen, wenn wir keine Gemeinsamkeiten im Zusammenleben entwickeln, sondern Parallelgesellschaft zulassen, dann werden wir das Ziel der Chancengleichheit nicht erreichen. Deshalb ist das Thema Integration eines der zentralen Themen. Ich bin froh, dass wir hier über alte Gräben hinweggekommen sind. ({29}) Meine Damen und Herren, im Zusammenhang mit der Gestaltung der Zukunft ist auch das Elterngeld ein wichtiges Projekt. Es wird am 1. Januar 2007 in Kraft treten. Dieses Elterngeld ist die Konsequenz aus der Notwendigkeit einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Die Unterstützung der Entscheidung für Kinder durch die Gesellschaft soll stärker in den Mittelpunkt gestellt werden. Ich sage, weil darüber eine breite Debatte stattfindet, ausdrücklich: Wir schreiben den Menschen nicht vor, wie sie leben sollen. Für uns ist jeder Lebensentwurf richtig und wichtig. Die Menschen sollen das alleine entscheiden. Aber wenn wir der Wahlfreiheit nahe kommen wollen, dann müssen wir für diejenigen, die Beruf und Familie vereinbaren wollen, auch die entsprechenden Bedingungen schaffen. Darum geht es; es geht nicht um das Richten über Lebensentwürfe, sondern um das Ermöglichen von gewünschten Lebensentwürfen. ({30}) Wir haben uns damit auseinander zu setzen, wie wir in einer globalen Welt, die immer mehr zusammenwächst, in der einzelne Regionen gar nicht mehr unterschieden werden können, Menschen Vertrauen in einen vernünftigen Verbraucherschutz geben können. Ich spreche das angesichts der Fleischskandale an. Meine Damen und Herren, der Bundestag - insbesondere die Bundesregierung, die in die Verantwortung genommen werden wird, und in ganz besonderer Weise der Bundeslandwirtschaftsminister, ({31}) der für Verbraucherschutz zuständig ist - wird sich dazu äußern müssen, wie wir in einer vernetzten Gesellschaft, einem vernetzten Land vorgehen wollen. Wir brauchen, auch wenn die Länder zuständig sind, allgemeine, gleiche Standards für die gesamte Bundesrepublik Deutschland; an dieser Stelle kann man heute nicht mehr lokal agieren. ({32}) Das heißt nicht, dass die Bundesregierung die Kontrollen übernimmt. Aber es hieße schon, dass sich die Länder bereit erklären müssten, auf einer gemeinsamen Informationsplattform die vorhandenen Informationen auszutauschen. Es kann nicht sein, dass jeder sein Wissen für sich behält und sich anschließend wundert, wenn flächendeckend Verfehlungen auftreten. Ich plädiere ausdrücklich für eine solche Informationsplattform und unterstütze den Bundeslandwirtschaftsminister in dieser Forderung. ({33}) Meine Damen und Herren, ich fordere die Länder auch von dieser Stelle aus auf, das Verbraucherinformationsgesetz jetzt endlich zu verabschieden. ({34}) Es hat keinen Sinn, länger darauf zu warten. Wir haben dieses Gesetz im Kabinett verabschiedet und jetzt soll es im Bundesrat verabschiedet werden. Ich glaube, die aktuellen Diskussionen sind ein guter Grund, das zu fordern. Wenn in dieser Hinsicht Einvernehmen zwischen uns besteht und wir mit den Ländern reden, dann kann das Gesetz auch im Bundesrat verabschiedet werden. ({35}) Wir werden uns in diesem Herbst im Rahmen des Ausbildungspaktes noch einmal sehr intensiv damit auseinander setzen müssen, wie wir den jungen Menschen in diesem Lande eine Chance auf einen Ausbildungsplatz geben. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Ich halte nichts von dauernd neuen Ausbildungsprogrammen. Erst müssen wir - da hat die Bundesregierung vieles gemacht - die Rahmenbedingungen für den Mittelstand so gestalten, dass dort die notwendigen Entscheidungen für Lehrlinge und Auszubildende gefällt werden können. Wenn sich die Bedingungen dadurch verbessern, dass das Wachstum verstetigt wird, dass Bürokratie abgebaut wird, dass durch die Hightechstrategie Forschung und Entwicklung in den Betrieben ermöglicht werden, dann werden die Betriebe auch wieder stärker an ihre Zukunft glauben und Auszubildenden wieder eine Chance geben. ({36}) Ich glaube, die Bundesbildungsministerin, der Wirtschaftsminister und der Bundesarbeitsminister werden noch einmal - auch mit den Ländern - darüber reden müssen, ob die vielen kleinen Zwischenprogramme zielführend sind oder ob sie nicht letztlich zu praxisfern sind. Deshalb treten wir dafür ein, dass wir durchaus mit den Ländern reden, aber nicht sofort wieder neue Programme auflegen, sondern versuchen, die Mittel, die wir haben, effektiv im Sinne der jungen Leute einzusetzen; denn wir wollen jedem jungen Menschen eine Chance geben, auf dem Ausbildungsmarkt einen Platz zu bekommen. Das ist entscheidend für seine persönliche Zukunft. ({37}) Meine Damen und Herren, diese Bundesregierung hat eine Vielzahl von Entscheidungen gefällt. Die Folgen vieler dieser Entscheidungen sind für die Menschen nicht einfach. ({38}) Wir haben erlebt, dass Sparen - der Bundesfinanzminister hat darauf hingewiesen, dass 60 Prozent unserer Haushaltsveränderungen auf Sparen zurückzuführen sind - nicht einfach für die Menschen ist, sondern zum Teil sehr schmerzhaft. Dies können wir den Menschen nur zumuten, weil wir uns davon leiten lassen, dass wir glauben, alle sind zum Schluss davon überzeugt: Wir dürfen unsere Zukunft nicht verbrauchen. Wir werden diesen Konsolidierungskurs fortsetzen. Wir werden dabei Erfolge haben. Ich muss feststellen: Von der Opposition ist wenig bis gar nichts zu hören. ({39}) Realitätsverweigerung, Einfallslosigkeit, ein großes Stück Selbstgerechtigkeit und ein Hang, dieses Land negativ zu reden: Das halte ich nicht für verantwortbar. ({40}) - Frau Künast, wenn Sie, was unsere Oppositionstätigkeit betrifft, der Meinung sind, die Sie gerade geäußert haben - ich teile diese Meinung ausdrücklich nicht; denn wir haben im Bundesrat bei der Agenda 2010 viele, viele Entscheidungen mitgetragen und ihnen eine Handschrift gegeben, die wirklich in die richtige Richtung gewiesen hat -, ({41}) dann gibt es nun gar keinen Grund, in die gleichen Fehler zu verfallen, meine Dame. Das ist nämlich der Punkt: Zeigen Sie doch, dass Sie besser sind, als Sie denken, dass wir es waren. Diesem Anspruch werden Sie doch nicht gerecht. ({42}) Wir als Regierung sagen nicht, dass wir unsere Ziele schon erreicht haben; das wäre vollkommen falsch. Aber ich bin der festen Überzeugung: Wir haben die Grundlage für eine dauerhafte Entwicklung nach oben gelegt. Nach außen hat die Koalition das Ansehen Deutschlands in der Welt gemehrt. Deutschland ist wieder in der Mitte und Deutschland hat Gestaltungsspielräume, bei den großen Konflikten dieser Welt wieder mithelfen zu können. Nach Innen haben wir die Wende zum Besseren eingeleitet. ({43}) Wir nehmen uns bei allen Entscheidungen - auch das will ich sagen - die Zeit, die wir brauchen. ({44}) Wir lassen uns nicht treiben, sondern wir durchdenken die Konzepte vernünftig. Wir handeln mit Entschlossenheit für das, was wir für richtig und wichtig halten, für das, was den Menschen dient, für das, was endlich damit Schluss macht, dass wir die Zukunft verbrauchen. Wir haben das Ziel, dass Deutschland in den nächsten zehn Jahren wieder unter die ersten drei kommt bei Wachstum, bei Beschäftigung und bei Innovation. Das steckt in den Menschen dieses Landes. Das sind wir diesem Land schuldig. Auf diesem Weg werden wir uns nicht beirren lassen. Herzlichen Dank. ({45})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Oskar Lafontaine für die Fraktion Die Linke. ({0})

Oskar Lafontaine (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002715, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zwei Fragen beschäftigen derzeit die deutsche Öffentlichkeit: zum einen die Frage, ob die Außenpolitik der Bundesregierung geeignet ist, die Sicherheit in Deutschland zu erhöhen, und zum anderen die Frage, ob die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung geeignet ist, Wachstum und Beschäftigung zu unterstützen und zu fördern. Zu beiden Fragen möchte ich für die Fraktion Die Linke Stellung nehmen. Die Bundeskanzlerin hat versucht, die Außenpolitik ihrer Regierung zu rechtfertigen, und ist, was nicht überrascht, zu dem Ergebnis gekommen, dass die Außenpolitik sehr wohl geeignet ist, die Sicherheit in diesem Lande zu verbessern. Das Urteil der Öffentlichkeit fällt aber ganz anders und sehr differenziert aus. Auch aus den eigenen Reihen, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Regierungsbank, werden in der Öffentlichkeit Aussagen getroffen, die Sie, Frau Bundeskanzlerin, zumindest hätten ansprechen müssen, wenn Ihr harsches Urteil über die Opposition irgendeine Grundlage hätte haben sollen. ({0}) Ich will mit einer Aussage beginnen. Wenn der Innenminister Bayerns feststellt, dass unsere Beteiligung am Libanonkrieg die Terroranschlagsgefahr in Deutschland erhöht, dann ist es nicht zulässig, dass Sie einen solch gravierenden Vorwurf einfach übergehen und so tun, als sei alles in bester Ordnung und als müsse überhaupt nicht über die Außenpolitik diskutiert werden. ({1}) Hätte er nämlich mit dieser Feststellung Recht, wäre dies ein vernichtendes Urteil über Ihre Außenpolitik. Sie werden nicht überrascht sein, dass in den letzten Jahren auch aus den Sicherheitsdiensten immer wieder angemahnt worden ist, dass unser militärisches Engagement am Hindukusch und sonst wo nicht dazu geeignet ist, die Terroranschlagsgefahr in Deutschland zu mindern, sondern dass es vielmehr so ist, dass durch dieses militärische Engagement die Gefahr, dass terroristische Anschläge auch hier in Deutschland unternommen werden, immer weiter steigt. ({2}) Wir kommen also zu einem ganz anderen Ergebnis. Wir glauben, dass die Außenpolitik Deutschlands sich schon seit vielen Jahren auf einen Irrweg begeben hat. Schwerpunktmäßig auf militärische Einsätze zu setzen und die klassischen Traditionen der deutschen Außenpolitik, mit denen sie jahrzehntelang Erfolg hatte, zu vernachlässigen, ist ein Irrweg, der nicht zu mehr Sicherheit in Deutschland führt, sondern die Unsicherheit der Bevölkerung eher erhöht. Damit handeln Sie eklatant gegen Ihren Auftrag. ({3}) Ich hatte schon mehrfach die Frage aufgeworfen, ob es nicht notwendig sei, Frau Bundeskanzlerin, dass Sie, wenn Sie den Terrorismus bekämpfen wollen, einmal sagen, was Sie unter Terrorismus verstehen. Sie sind dazu nicht in der Lage; ich wiederhole diese Feststellung hier im Deutschen Bundestag. Eine Kanzlerin, die nicht in der Lage ist, zu definieren, was sie unter Terrorismus versteht, ist ihren Aufgaben nicht gewachsen, weil sie nicht fähig ist, eine Politik zu formulieren, mit der der Terrorismus bekämpft werden kann. ({4}) Dass dies schwierig ist, hat zuletzt die ehemalige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichtes dargelegt, als sie auf das Gesetz zur Antiterrordatei zu sprechen gekommen ist. Ich zitiere: Der Gesetzentwurf offenbart, wie schwer es ist, jene Personen hinreichend klar zu bestimmen, die sich in einem terroristischen Kontext bewegen: wenn zum Beispiel darin von Personen die Rede ist, „die rechtswidrig Gewalt als Mittel zur Durchsetzung international ausgerichteter politischer oder religiöser Belange anwenden oder solche Gewaltanwendung unterstützen, befürworten oder durch ihre Tätigkeiten vorsätzlich hervorrufen“. So lautet also im Gesetzentwurf die Definition des Terrorismus. Die ehemalige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichtes sagt hierzu weiter: Gewiss, es geht hier nicht um Sprachästhetik. Aber was kann man nicht alles unter „international ausgerichteten politischen oder religiösen Belangen“ begreifen? Lässt sich darunter nicht auch ein Krieg subsumieren, der die Absetzung eines Diktators zum Ziel hat? ({5}) Ich wiederhole: Es ist wirklich nicht möglich, eine in sich konsistente Außenpolitik zu formulieren, wenn man nicht in der Lage ist - Frau Bundeskanzlerin, Sie sind es nicht -, zu definieren, was Terrorismus eigentlich ist. Ich wiederhole: Terrorismus ist für viele, die sich auf internationaler Ebene an der Diskussion beteiligen, das Töten von Menschen zum Erreichen politischer Ziele. Etwa so lautet auch die Definition in dem angesprochenen Gesetzentwurf. Vor diesem Hintergrund sind nicht nur das Attentat auf das World Trade Center und Selbstmordattentate, an die Sie erinnert haben, Terrorismus, sondern auch die Kriegsführung im Nahen Osten, die Tausende unschuldiger Menschen ums Leben bringt. ({6}) Für die Linke erkläre ich hier: Man kann Terrorismus nicht durch Terrorismus bekämpfen. Das tun zu wollen, ist ein gravierender Irrtum der amerikanischen Politik ({7}) und es ist an der Zeit, dass Sie sich bereit finden, zu erklären, wie Sie Terrorismus definieren und wie Sie diesen Terrorismus bekämpfen wollen. Der Terrorismus kann nicht bekämpft werden, wenn man das Völkerrecht ignoriert. Sie tun das in ununterbrochener Folge. Dass Sie das tun, ist keine Erfindung der Linken. Es wäre gut gewesen, wenn Sie sich hier einmal zum Völkerrecht geäußert hätten. Eine deutsche Außenpolitik, die das Völkerrecht ignoriert, kann nicht erfolgreich sein. Dies galt nicht nur für den Jugoslawienkrieg, wo das unstreitig ist; das gilt nicht nur für den Afghanistankrieg, wo das mehr und mehr unstreitig ist; das gilt vielmehr auch für den Irakkrieg, der mit Lügen und dem Bruch des Völkerrechts begonnen wurde und der so immer weiter geführt wird. Ich erinnere daran, dass das Bundesverwaltungsgericht festgestellt hat, dass wir durch die Bereitstellung von Flughäfen, das Einräumen von Überflugrechten, durch Waffenlieferungen usw. mittelbar am Bruch des Völkerrechts beteiligt sind. Das ist keine Grundlage für eine erfolgreiche Außenpolitik und man kann darüber nicht hinweglächeln und hinwegreden. ({8}) Neben der Tatsache, dass Sie nicht in der Lage sind, zu sagen, was Terrorismus ist, und neben der Tatsache, dass Sie eine Politik fortsetzen wollen, die das Völkerrecht bricht, ist festzustellen, dass Sie bei Ihrem Handeln im Vorderen Orient nicht konsistent sind. Wir hören mit großem Interesse, dass wir ein robustes Mandat brauchen - so haben Sie das hier wieder formuliert - und dass dieses robuste Mandat angewendet werden soll, um Waffenlieferungen in den Libanon zu unterbinden. Bis dahin könnte man dieser Argumentation ja noch etwas abgewinnen. Wenn aber gleichzeitig die Bundesrepublik Deutschland Israel Waffen liefert - und zwar U-Boote, bei denen nicht ausgeschlossen werden kann, dass sie nuklear bewaffnet werden können -, dann ist das so widersprüchlich, dass eine solche Außenpolitik schlicht und ergreifend niemals Erfolg haben kann. ({9}) Grundlage für die Veränderung der letzten Jahre ist, dass sich die deutsche Außenpolitik mehr und mehr auf das Militärische verlegt hat. Dies ist mit der Aussage begründet worden: Wir können uns in der Welt nicht heraushalten; wir haben eine größere Verantwortung und diese größere Verantwortung müssen wir wahrnehmen. Diese Redensarten, die zu dieser Fehlentwicklung geführt haben, beinhalten eine Verkennung der Erfolge der deutschen Außenpolitik nach dem Kriege. Ich möchte hier sagen, dass für mich die Westintegration Adenauers sehr wohl ein wichtiger Beitrag zu einer Weltaußenpolitik war, der weit über die deutschen Belange an der Nahtstelle des Kalten Krieges hinausreichte. Ich möchte ferner natürlich sagen, dass die Ostpolitik Willy Brandts, die nicht darauf angewiesen war, Soldaten in alle Welt zu schicken, sehr wohl ein ganz wesentlicher Beitrag Deutschlands zum Frieden in der Welt war. Auch diese Politik war nicht auf deutsche Belange begrenzt. Ich möchte weiterhin erwähnen, dass die Politik Helmut Schmidts, Weltwirtschaftsgipfel zu initiieren, um auf diese Art und Weise zum Frieden in der Welt beizutragen, sehr wohl ein politischer Ansatz war, der durchaus in den Geschichtsbüchern erwähnt werden wird. Schließlich möchte ich sagen, dass Helmut Kohls europäische Integration ebenfalls ein politischer Ansatz war, der eine Bedeutung weit über die deutschen Belange hinaus hatte. Diese erfolgreichen Epochen der deutschen Außenpolitik heben sich wohltuend von einer Ära ab, in der immer mehr auf das Militär gesetzt worden ist und solche konzeptionellen Ansätze, wie ich sie eben erwähnt habe, nicht verfolgt wurden. ({10}) Ich habe etwas zum Völkerrecht gesagt. Dazu noch zwei weitere Bemerkungen. Es ist für uns wohltuend, wenn ein Mitglied der Bundesregierung, Frau Wieczorek-Zeul, etwas zum Einsatz von Streubomben im Libanon sagt. Es verstößt gegen das Völkerrecht, wenn Streubomben über Wohngebieten abgeworfen werden, und es ist gut, dass wenigstens ein Mitglied der Bundesregierung an diesen Bruch des Völkerrechtes erinnert. ({11}) Es wäre ebenfalls gut, wenn die Politik, die Sie gegenüber dem Iran verfolgen, einmal auf eine einigermaßen rational nachvollziehbare Grundlage gestellt würde. Wir haben es hier schon mehrfach erwähnt: Man kann keine Politik der Nichtverbreitung von Nuklearwaffen nach dem Motto betreiben: Wir brechen den Atomwaffensperrvertrag; er interessiert uns im Grunde genommen nicht. Aber Teile des Atomwaffensperrvertrages wenden wir an, um gegenüber dem Iran Politik zu betreiben. - Was meine ich damit? Der Atomwaffensperrvertrag hat nur eine Ratio; sie lautet: Wir wollen keine Nuklearwaffen in der Welt haben. ({12}) Das heißt, dass die Staaten, die keine haben, keine bauen sollen, aber das heißt auch - das wird weitgehend vergessen -, dass die Staaten, die Nuklearwaffen haben, verpflichtet sind, abzurüsten. Das haben sie unterschrieben. ({13}) Und wenn sie nicht abrüsten, dann brechen sie diesen Vertrag in Permanenz. Dieser Punkt ist eine Grundlage des Vertrages und muss berücksichtigt werden, andernfalls hätte dieser Vertrag überhaupt keinen Sinn. Man kann doch nicht sagen: Wir, die guten Nationen in der Welt, verfügen über Nuklearwaffen, aber die bösen Nationen dürfen keine haben. Auch in diesem Punkt ist die Anlehnung an die amerikanische Politik völlig widersprüchlich und überhaupt nicht akzeptabel. Wenn Amerika beispielsweise sagt, es möchte dazu beitragen, dass der Iran keine Atomwaffen produziert, dann ist doch zunächst einmal die Frage aufzuwerfen, warum die amerikanische Politik weiterhin neue Nuklearwaffen entwickeln lässt, die sogar schon einsatzfähig sein sollen. Es stellen sich beispielsweise auch die Fragen, warum die Aufrüstung Indiens mit Nuklearwaffen von Amerika unterstützt wird, warum man Pakistan erlaubt, Nuklearwaffen zu besitzen, und warum selbstverständlich auch Russland Nuklearwaffen für sich beansprucht. Wie kann man da sagen: „Einem Staat verwehren wir den Besitz von Nuklearwaffen“? So wird man eine nuklearwaffenfreie Welt niemals erreichen können und so wird man nicht zum Frieden beitragen. ({14}) Es tut mir Leid: Die gesamte Außenpolitik dieser Koalition hat keine rationale Grundlage. Im Vergleich zur Außenpolitik früherer Jahre kann man von einer Fehlentwicklung sprechen; denn in den letzten Jahren - auch schon zu Zeiten der rot-grünen Koalition - wurde immer mehr auf militärische Interventionen gesetzt, weil man glaubte, man könne damit etwas Gutes bewirken. Wie gefährlich militärische Interventionen sind, haben nicht zuletzt die drei Ehrenvorsitzenden der FDP kürzlich in einem Schreiben an Sie, Frau Bundeskanzlerin, zum Ausdruck gebracht. Darunter sind zwei ehemalige Außenminister, Herr Genscher und Herr Scheel, die an der deutschen Außenpolitik beteiligt waren, die ich vorhin erwähnt habe. Es ist ein Irrtum, deutsche Soldaten in alle Welt zu schicken. Deutschland wird nicht am Hindukusch verteidigt. Es ist ebenfalls ein gravierender Irrtum, Kampftruppen in den Libanon zu schicken. Dort haben wir nun wirklich nichts zu suchen. ({15}) Die Tatsache, dass die Soldaten nur auf See tätig werden, ist kein Argument. Sie werden in Auseinandersetzungen verwickelt werden. Diejenigen haben gute Argumente, die darauf hinweisen, dass die Libanonkrise im Zusammenhang mit Planungen zu sehen ist, ebenfalls den Iran anzugreifen. Es ist zwar gut, wenn Sie festgestellt haben, dass die Bundesregierung keine militärischen Optionen gegen den Iran unterstützt. Aber man kann in einen Krieg auch hineinschlittern. In den letzten Monaten konnte man beobachten, dass von den Mitgliedern der Regierung unter Einschluss der Bundeskanzlerin, die das Gespräch offensichtlich sehr liebt, immer wieder über Truppenentsendung schwadroniert wurde, sodass am Ende überhaupt keine Klarheit darüber herrschte, in welcher Stärke und in welchem Auftrag - wenn überhaupt - Truppen in dieses Gebiet entsandt werden sollen. Das ist so unprofessionell, dass es einfach nicht mehr nachvollziehbar ist. ({16}) Ich fasse zusammen. Es mag ja sein, dass Ihrer Außenpolitik gute Absichten zugrunde liegen. Wer würde das bestreiten und wer würde sich anmaßen, zu sagen, es gebe keine guten Absichten, die zu diesen Entscheidungen führen? Aber wenn man nicht in der Lage ist, Terrorismus zu definieren, wenn man nicht in der Lage ist, zu sagen, ob das Völkerrecht in Zukunft respektiert werden soll, wenn man den Atomwaffensperrvertrag einseitig interpretiert und wenn man die guten Traditionen der deutschen Außenpolitik zugunsten einer Außenpolitik verlässt, die immer mehr auf militärische Lösungen setzt, dann ist man auf dem falschen Weg und wird nicht zur Sicherheit Deutschlands beitragen. Insofern hat die schlichte Einsicht des Herrn Beckstein viel für sich: Wer sich überall einlässt - und zwar so einlässt wie Sie hinsichtlich des Libanon -, der erhöht die Gefahr für Terroranschläge in Deutschland und verletzt den Eid, den Sie hier geleistet haben, nämlich Schaden vom deutschen Volk abzuwenden. ({17}) Ich möchte mich nun der zweiten Fragestellung zuwenden, ob Ihre Wirtschaftspolitik geeignet ist, den beginnenden Aufschwung zu unterstützen. Natürlich werden die Regierenden für sich immer in Anspruch nehmen - das kennen wir ja und das ist wohl unvermeidlich -, der Aufschwung sei ihr Werk. Amüsiert haben wir den Streit verfolgt, ob der Aufschwung ein Aufschwung Schröders oder ein Aufschwung Merkels ist. Es wäre allerdings gut, einmal in die deutsche Presse zu schauen. Auch heute kann man darüber Kommentare lesen, in denen eine andere Meinung vertreten wird und in denen darauf hingewiesen wird, dass die Wirtschaftspolitik der jetzigen Regierung überhaupt nicht geeignet ist, den Aufschwung zu unterstützen. Das ist die Wahrheit. Ein einfacher Blick auf die Zahlen zeigt, dass Ihre Wirtschaftspolitik nichts mit dem Aufschwung zu tun hat. Im zweiten Quartal gibt es gegenüber dem ersten Quartal 2006 folgende Bilanz: Die Bauinvestitionen - überwiegend Wirtschaftsbauinvestitionen - wachsen um 4,6 Prozent. Die Ausrüstungsinvestitionen mit einem Wachstum von 2,5 Prozent machen den Löwenanteil des Aufschwungs aus. Die Exporte wachsen nur noch schwach. Unter Berücksichtigung des Vorquartals sind es 0,7 Prozent. Die Importe sind um 0,5 Prozent gestiegen. Aber dann kommt das Entscheidende: Die Staatsausgaben sinken um 0,2 Prozent und der private Konsum um 0,4 Prozent. Die beiden Schwachpunkte des Wirtschaftsaufschwungs sind also die Staatsausgaben und der private Konsum. Wer in einer solchen Situation die Mehrwertsteuer erhöht und soziale Leistungen kürzt, zeigt, dass er das Einmaleins der Wirtschaftspolitik nicht verstanden hat. ({18}) Es ist doch nun wirklich nicht zu viel verlangt, sich die Statistiken anzusehen. Dann stellt man nämlich fest, wo wir Schwächen haben. Und wir müssen genau dort etwas tun. Es ist aber völlig unverständlich, dass diese Regierung sich alle Mühe gibt, diese Schwächen weiter zu verschärfen. In größeren Industriestaaten ist - in kleineren kann das anders sein - in den letzten Jahren kein Aufschwung beobachtet worden, der nicht wesentlich vom privaten Konsum gestützt wurde. Sie hingegen geben sich große Mühe, den privaten Konsum abzuwürgen. Das ist der Strukturfehler Ihrer Wirtschafts- und Finanzpolitik. Bald werden Sie sich streiten können, wem der Abschwung zu verdanken ist: der Vorgängerregierung oder der jetzigen Regierung. Für die Betroffenen ist das aber irrelevant. Angesichts der hohen Zahl an Arbeitslosen und der vielen jungen Menschen, die keine Lehrstelle finden, handeln Sie schlicht und einfach falsch. ({19}) Die Behauptung, die Arbeitsmarkreform sei die Grundlage des Aufschwungs, wird durch die Statistiken widerlegt. Es gibt keinen Aufschwung, der nicht mit einer besseren Situation auf den Gütermärkten unterlegt ist. Der jetzige Aufschwung basiert auf einer besseren Situation auf den Gütermärkten. Das „Fummeln“ am Kündigungsschutz, am Arbeitslosengeld II oder an den Tarifverträgen führt überhaupt nicht zum Aufschwung. Es ist nun einmal so - das zeigen die aktuellen Zahlen -, dass der Aufschwung von den Gütermärkten und nicht vom Arbeitsmarkt induziert wird. Deshalb muss man alles tun, damit der Aufschwung auf den Gütermärkten erhalten bleibt. Das geht nur durch die Stärkung des privaten Verbrauchs. Die Bundesregierung hat das offensichtlich nicht verstanden. ({20}) Frau Bundeskanzlerin, Sie haben gesagt - ({21}) - Vielleicht sind Sie ja gerade dabei, die Ministerin zu unterstützen; dann will ich gerne innehalten. Das wäre sicherlich etwas Gutes. ({22}) Sie haben gesagt, dass in Deutschland derjenige, der arbeitet, mehr Geld zur Verfügung haben müsse als derjenige, der nicht arbeitet. Sie handeln aber eklatant gegen diesen Grundsatz. Ihre Regierung sagt, sie wolle keinen gesetzlichen Mindestlohn. Das zeigt, dass Sie nicht begriffen haben, was Sie hier vortragen. ({23}) In der Praxis liegt der Mindestlohn - zumindest in Ostdeutschland - bei 3 Euro. Sie sagen, dass derjenige, der arbeitet, so viel verdienen müsse, dass ihm mehr Geld zur Verfügung steht als demjenigen, der soziale Leistungen bezieht. Sie haben nicht verstanden, was das bedeutet. Wenn Sie das wollen, müssen Sie zumindest - ebenso wie andere europäische Staaten - einen angemessenen Mindestlohn einführen, damit sichergestellt ist, dass die fleißige Arbeit nicht schlechter entlohnt wird als der Bezug von sozialen Leistungen. Das ist eine Dimension des Mindestlohns, der Sie sich nähern sollten. Frau Bundeskanzlerin, Sie haben zwar sehr schöne Worte gefunden, Sie wurden aber nicht konkret. Ich habe den Eindruck, dass Sie nicht verstanden haben, was Sie hier eigentlich vorgetragen haben. ({24}) Sie haben gesagt: Wir müssen die Zukunft sichern. Was tun Sie aber für die Sicherung der Zukunft? Wer klatscht denn nicht Beifall, wenn jemand hier sagt: „Wir müssen die Zukunft gewinnen“? Es gibt zwei Zahlen, die Sie widerlegen: Die öffentliche Investitionsquote Deutschlands ist - das gilt auch für diesen Haushalt, Herr Bundesfinanzminister - nur halb so hoch wie die der europäischen Nachbarstaaten. Das ist schon seit vielen Jahren so. Wie soll dieser moderne Industriestaat denn die Zukunft gewinnen, wenn Sie nur halb so viel investieren wie die Konkurrenz? Wir brauchen mehr öffentliche Investitionen. Dieses Versäumnis ist ein gravierender Fehler Ihrer Wirtschafts- und Finanzpolitik. ({25}) Was nützt all das schöne Gerede über das Gewinnen der Zukunft, wenn wir bei den Bildungs- und Forschungsausgaben nach wie vor - das zeigt die OECDStatistik - weit zurückliegen? Sie offenbaren einen Widerspruch: Sie haben hier zwar hehre Absichten verkündet, aber keinen Ansatz vorgetragen, wie dieses Land, das eine französische Dichterin früher einmal „das Land der Dichter und Denker“ nannte, auf dem Gebiet der zukunftsentscheidenden Investitionen gewinnen kann. Früher hatten wir einmal hervorragende Forscher und ein Bildungssystem, das beispielhaft in der Welt war. Diese Situation können wir aber nicht wieder erreichen, wenn die öffentlichen Haushalte, insbesondere die der Länder, weiterhin unterfinanziert sind und wir keinen Weg aufzeigen, wie die Höhe der Bildungsausgaben an das internationale Niveau angeglichen werden kann. ({26}) Ich möchte einige kurze Ausführungen dazu machen, wie man den privaten Konsum unterstützen kann. Die Situation der Haushalte, die durch die seit vielen Jahren stagnierende Lohnentwicklung ohnehin schlecht ist, wurde durch die Entwicklung der Energiepreise weiter verschärft. Durch die Deregulierung der Energiemärkte haben Sie wesentlich dazu beigetragen. Mittlerweile müssen Haushalte bis zu mehrere Monatsmieten aufbringen, um die höheren Energiepreise bezahlen zu können. Deswegen wäre es eine erstrangige Leistung, zu erreichen, dass die Energiepreise in Deutschland nicht weiter so steigen können und dass auf Monopolmärkten nicht weiter so abgezockt werden kann, wie es derzeit geschieht. ({27}) Wir haben zwar gehört, Sie hätten irgendein Konzept im Kopf, mit dem Sie in diesem Bereich etwas verändern wollen. Aber wie sieht es denn aus, Frau Bundeskanzlerin? Haben Sie irgendeinen Ansatz, wie Sie die steigenden Energiepreise in den Griff bekommen wollen? Mittlerweile haben einige Länderregierungen den Vorwurf der Linken aufgegriffen, die schon mehrfach vorgetragen hat, dass es ein Fehler war, die staatliche Energiepreiskontrolle auslaufen zu lassen. Jawohl, bei monopolartigen Märkten hat das Gerede über Marktwirtschaft wenig Sinn. Dort muss es eine staatliche Energiepreiskontrolle geben. Ich begrüße es, dass drei CDU-geführte Länder das jetzt erkannt haben, entsprechende Initiativen machen wollen und unseren Ansatz insoweit aufgreifen. ({28}) Dasselbe gilt - damit bin ich wieder beim geschätzten Bundesfinanzminister - hinsichtlich der Entwicklung der Mietpreise. Sie beglücken die deutsche Öffentlichkeit immer wieder mit der Absicht, die REITs auch in Deutschland zuzulassen, also private Immobilienfonds, die hohe Renditen erwirtschaften. Verehrter Herr Bundesfinanzminister, glauben Sie mir, die hohe Renditen kommen nicht vom lieben Gott. Sie kommen woanders her, ({29}) und zwar von den Mieterinnen und Mietern. Anders ist das nicht zu machen. Irgendjemand muss für diese hohen Renditen zahlen. Das heißt, Ihre Kritiker in der eigenen Fraktion und die ehemalige Ministerin Anke Fuchs haben völlig Recht, wenn sie sagen, dass die Einführung solcher Fonds nur dazu geeignet ist, die Mietpreise ansteigen zu lassen, was insbesondere für sozial schwächere Schichten unakzeptabel ist. ({30}) Wenn man also diese Kombination sieht - auf der einen Seite stagnierende Löhne, auf der anderen Seite steigende Energiepreise und steigende Mietpreise; alles verursacht durch das Handeln dieser Regierung -, dann stellt sich tatsächlich die Frage, welche Vernunft der Arbeit dieser Regierung zugrunde liegt. Ein Letztes. Wenn ich jetzt wieder lese, dass zum 1. September gemeldet worden ist, dass die Zahl der jungen Menschen, die noch keine Lehrstelle haben, weiter im Anstieg ist, dann komme ich zu dem Schluss, dass das ein eklatantes Versagen Ihrer Regierung ist. ({31}) Es hat doch keinen Sinn, über Zukunft zu reden, wenn wir dieses Problem nicht in den Griff bekommen. Nun mögen die Ansätze für Lösungen, die hier vorgetragen werden, natürlich da oder dort auf Einwendungen stoßen. Die Lösung, eine Ausbildungsplatzabgabe einzuführen - sie wurde jahrzehntelang in der SPD mit großen Mehrheiten befürwortet -, funktioniert ja beispielsweise in der Bauwirtschaft und auch in den nordischen Staaten. Warum sind wir nicht in der Lage, auch in Deutschland eine solche Lösung zu finden? Ich plädiere im Namen meiner Fraktion nachhaltig für eine solche Lösung. ({32}) Ich begrüße es ausdrücklich, dass ein Ministerpräsident der CDU, Herr Koch aus Hessen, sagt: Wenn die Situation so eng ist, wie sie derzeit ist, dann braucht es ein öffentliches Programm zur Bereitstellung von Ausbildungsplätzen. Auch dieser Ansatz wird von unserer Fraktion nachhaltig unterstützt. ({33}) Ich fasse zusammen. Die zwei Fragen, die ich aufgeworfen hatte, lauteten: Trägt die Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesregierung dazu bei, die Sicherheit in unserem Lande zu erhöhen? Trägt die Wirtschaftspolitik dazu bei, das Wachstum zu fördern und die Arbeitslosigkeit abzubauen? Ich komme zu dem Ergebnis, dass beide Fragen verneint werden müssen. ({34}) - Ich an Ihrer Stelle wäre hier sehr vorsichtig. Die Außenpolitik erhöht in nicht verantwortbarer Weise die Gefahr terroristischer Anschläge in Deutschland. ({35}) Und die Wirtschafts- und Finanzpolitik verschärft die Ungleichheiten und ist nicht dazu geeignet, einen dauerhaften Aufschwung zu initiieren, den wir brauchen, um die Arbeitslosigkeit nachhaltig abzubauen. ({36})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Vorsitzende der SPD-Fraktion, Dr. Peter Struck. ({0})

Dr. Peter Struck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002278, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Lafontaine, Sie haben eine Rede gehalten, die ich für beschämend halte für das Hohe Haus. ({0}) Was die Außenpolitik angeht, will ich Ihnen klar sagen: Wer solche außenpolitischen Positionen vertritt wie die, die Sie gerade vorgetragen haben, darf niemals Verantwortung in der Bundesrepublik Deutschland erlangen. Niemals! ({1}) Das Entscheidende, Herr Lafontaine, ist doch nicht die Frage, ob die Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland nutzt. Das Entscheidende ist die Frage, ob die Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesregierung der Welt nutzt. Das tut sie zweifellos. Gehen Sie doch einmal nach Afghanistan! Sie halten hier Reden über Afghanistan, waren aber noch nie dort. Fragen Sie einmal die Mädchen in Afghanistan, die endlich zur Schule gehen und studieren dürfen, wem sie das zu verdanken haben! Das haben sie uns, der internationalen Staatengemeinschaft, zu verdanken, aber nicht solchen Sprüchemachern wie Ihnen. ({2}) Herr Lafontaine, wir kennen uns schon lange. Wir waren sogar einmal über unsere politische Zusammenarbeit hinaus befreundet; das ist bekannt. Aber ich halte es für unglaublich, was für eine politische Entwicklung Sie genommen haben. Dafür habe ich überhaupt kein Verständnis. ({3}) Meine Damen und Herren, die Attentate von London, Madrid und Ankara und natürlich auch der 11. September 2001 sind zu Synonymen für die Verletzbarkeit der westlichen Demokratien durch Angriffe von Terroristen geworden. Kein Land der Welt ist, was diesen verblendeten Terror verstockter Ideologen betrifft, eine Insel der Seligen. Das wird man auch nicht, indem man sich aus der Weltverantwortung völlig heraushält. Das zu denken, ist ein grundsätzlicher Irrtum. Glauben Sie denn, es bestünde in Deutschland keine Gefahr durch Terrorismus, wenn es auf der Welt keine Bundeswehr gäbe? Glauben Sie das ernsthaft? Das kann doch nicht wahr sein! Das ist absoluter Unsinn, Herr Lafontaine, und völlig bescheuert. ({4}) Schon damals, im Jahre 2001, haben Bund und Länder mit der Optimierung der Sicherheitsmaßnahmen begonnen. Diese Maßnahmen sind von den Innenministern immer wieder angepasst worden, zuletzt in dieser Woche, und zwar durch Einführung der Antiterrordatei, als Reaktion auf die Kofferbombenattentate und andere potenzielle Gefährdungen. Selbst wenn man alles tut, um ein möglichst hohes Maß an Sicherheit herzustellen, muss eines gesagt werden - darüber sollten wir uns alle im Klaren sein -: Eine hundertprozentige Sicherheit wird es in einer freiheitlichen Demokratie nie geben. Keine Antiterrordatei der Welt, keine Videokamera und keine Sammlung von Fingerabdrücken können hundertprozentigen Schutz gewährleisten. Das dürfen wir den Bürgerinnen und Bürgern auch nicht vorgaukeln. ({5}) Hundertprozentige Sicherheit vor zum Selbstmord entschlossenen Attentätern wäre nicht einmal zu gewährleisten, wenn man die Prinzipien einer liberalen Demokratie zugunsten derer eines Überwachungsstaates aufgeben würde. Wir dürfen die freiheitlichen Prinzipien unserer westlichen europäischen Demokratien im Kampf gegen diesen Terrorismus nicht opfern. Genau das ist nämlich das Kalkül der Terroristen. ({6}) Wir müssen uns gegen das Klima von Angst und Hass wehren, das sie schüren wollen. Die Weltgemeinschaft hat den Kampf gegen den Terror im Herbst des Jahres 2001 aufgenommen. Für uns, das Parlament, war es ein weit reichender und schwieriger Schritt, die Bundeswehr nach Afghanistan zu schicken. Ich erinnere mich - auch damals war ich Vorsitzender der SPD-Fraktion -, wie schwer wir uns in dieser Debatte getan haben, alle anderen Fraktionen selbstverständlich auch. ({7}) - Ja, alle. Fünf Jahre später hat sich diese Entscheidung als richtig erwiesen. Sie war notwendig, um die Kräfte zu stärken, die nicht länger mit ansehen wollten, dass Afghanistan weiterhin Brutstätte des internationalen Terrorismus bleibt. Diese Entscheidung war auch notwendig, um den Aufbau zivilgesellschaftlicher und demokratischer Strukturen in diesem Land zu sichern. Der Einsatz unserer Soldaten in Afghanistan ist gefährlich. Die Taliban sind auch nach fünf Jahren noch längst nicht zerschlagen und al-Quaida ist nach wie vor im Nachbarland Pakistan präsent. Eine Beendigung der Mission ist nicht abzusehen. Deswegen wird der Bundestag dieses Mandat in den nächsten Wochen um ein weiteres Jahr verlängern; dafür plädiere ich. Allerdings bin ich dafür, meine Damen und Herren, das Mandat unverändert zu verlängern. Eine Ausweitung des deutschen Einsatzgebietes auf den Süden des Landes lehne ich ab. ({8}) Die Bundeswehr, die im Rahmen von ISAF das größte Kontingent stellt, hat die Verantwortung für den gesamten Norden übernommen. Für den Westen, den Süden und den Osten sind jeweils andere NATO-Partner verantwortlich. Das war die Vereinbarung. Dabei sollte es auch bleiben. Ich halte es übrigens für unerträglich, dass die PDS behauptet - auch Herr Lafontaine hat das eben wieder getan -, durch unseren Einsatz in Afghanistan würden wir den Terror nach Deutschland holen. ({9}) Die Damen und Herren Populisten sollten sich einmal anschauen, welch verantwortungsvolle Arbeit unsere Soldatinnen und Soldaten dort leisten. ({10}) Sie sollten auch wissen: Das Recht auf Freiheit in unserer Demokratie verteidigt man nicht dadurch, dass man ungezügelte Angriffe auf die Grundfesten der Demokratie zulässt. ({11}) Ich habe übrigens genauso wenig Verständnis für die Haltung der FDP in der außenpolitischen Frage. Ich denke dabei an die Zeiten, in denen die FDP außenpolitisch große Verantwortung wahrgenommen hat, und halte es für einen schlechten Weg, den die FDP mit dem Nein zu den Auslandseinsätzen gegangen ist. Über den Libanon werden wir noch reden. Ich glaube, dass sie sich nicht auf dem richtigen Weg befindet. ({12}) Die Ablehnung der FDP beim Auslandseinsatz im Kongo, bei der Verlängerung des Mandats in Afghanistan und möglicherweise jetzt bei dem Mandat im Libanon ist falsch. ({13}) Eine Ablehnung würde uns im Kampf gegen den internationalen Terrorismus in der internationalen Gemeinschaft isolieren. Sagten wir Nein, wäre Deutschland isoliert und spielte keine verantwortungsvolle Rolle in Europa. Die Wahrnehmung einer verantwortungsvollen Rolle wird von Deutschland allerdings erwartet. ({14}) Wir sind außenpolitisch ein starkes Land in Europa. Wir werden in den nächsten Tagen und möglicherweise auch Wochen - niemand weiß es genau; die Frau Bundeskanzlerin hat soeben dargelegt, worüber im Libanon entschieden werden muss - um Hilfe gebeten werden. Die Vereinten Nationen bitten uns um Hilfe. Es war immer die Position der SPD, dass unter Obhut der Vereinten Nationen solche Mandate wahrgenommen werden. Darüber hinaus bitten uns der Libanon und Israel um Hilfe. Es wird in der Tat - das ist wahr - ein robustes Mandat, vermutlich wird es das robusteste werden, das es für unsere Soldatinnen und Soldaten gibt. Es soll ein Frieden stiftendes Mandat sein, das nach den Kämpfen der vergangenen Wochen eine belastbare Waffenruhe garantieren soll. Wir bieten Hilfe für diese Mission an, weil wir wissen, dass es von einem labilen Waffenstillstand bis zu einer wirklichen Befriedung ein sehr weiter Weg ist, der ohne die Unterstützung der Weltgemeinschaft nicht gelingen wird. Meine Partei und Fraktion haben ausführlich über unsere Hilfe debattiert. Dabei ist die humanitäre Hilfe in der Region vorrangig. Libanon wird wieder zu einem Partnerland unserer Entwicklungshilfe werden. Es kommt auf den Wiederaufbau von Wohnungen und die Eindämmung der Ölpest vor der libanesischen Küste an. Wir sind uns darüber im Klaren, dass ein militärischer Beitrag nur dann dauerhaft helfen kann, wenn ernsthaft nach politischen Lösungen in Nahost gesucht wird. Entscheidend wird die Lösung des israelisch-palästinensischen Konfliktes sein. Ohne sie wird es keine Beruhigung im Nahen Osten geben. ({15}) Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat sich in den letzten Wochen unermüdlich für Gespräche mit allen Seiten eingesetzt. Wir danken ihm ausdrücklich für seine Arbeit und unterstützen ihn nachhaltig. ({16}) Der Außenminister trägt mit seiner intensiven Diplomatie maßgeblich dazu bei, dass Deutschland als wichtiger und vertrauensvoller Partner von allen Konfliktparteien im Nahen Osten wahrgenommen wird. Einige Kollegen aus meiner Fraktion haben in den letzten Wochen Israel und Palästina, Libyen und Syrien besucht. Sie sind mit der Erkenntnis zurückgekommen, dass der Einsatz der Deutschen von allen Partnern gewollt wird. Sie sind aber auch mit der Erkenntnis zurückgekommen, dass die Nachbarn Israels Erwartungen haben, die für das Gelingen des Friedensprozesses unabdingbar sind. Entwicklungsministerin Heidi Wieczorek-Zeul hat eine UN-Untersuchung des Einsatzes israelischer Streumunition gefordert und ist dafür vom Zentralrat der Juden kritisiert worden. Im Namen meiner Fraktion weise ich diese Kritik zurück. ({17}) Eine Untersuchung kann für alle Seiten in der Krisenregion von Nutzen sein. Israels Ministerpräsident Ehud Olmert hat die große Freundschaft zwischen unseren beiden Ländern hervorgehoben und gesagt, es gebe zurzeit keine Nation, die sich freundschaftlicher gegenüber Israel verhalte. Das ist so und soll auch so bleiben, aber: Freunde müssen auch wahrheitsgemäß miteinander umgehen. ({18}) Die Lage im Nahen und Mittleren Osten ist beunruhigend. Sie bereitet den Menschen hier Sorgen, weil wir von ihren Auswirkungen unmittelbar betroffen sind. Die Krisenregion ist drei Flugstunden von uns entfernt. Der Irak kommt nicht zur Ruhe. Von Frieden ist dieses Land weit entfernt, es ist zu einer Zufluchtsstätte für Terroristen des al-Qaida-Netzwerks geworden. Fast täglich gibt es dort Tod und neue Attentate. Meine Damen und Herren, ich will an dieser Stelle noch einmal sagen: Die Entscheidung der damaligen rot-grünen Bundesregierung, diesen Krieg nicht zu befürworten, war und bleibt richtig, zu jeder Zeit. ({19}) Wir sind in der Iranfrage - Sie haben das angesprochen, Frau Kanzlerin - strickt für Diplomatie und Gespräch und schließen eine militärische Option aus; da stimme ich Ihnen ausdrücklich zu. Ich halte nichts davon, wenn immer öfter Begriffe wie „gut“ und „böse“ Eingang in die internationale Debatte finden. Eine solche Sicht ist fatal. Wenn ich im Gegenüber nur das Böse erkennen will, kann ich nicht ernsthaft Lösungen prüfen, kann ich keinen Ausgleich suchen. Lassen Sie es mich mit einem historischen Vergleich deutlich machen: Willy Brandt hat seine Entspannungspolitik nur entwickeln können, weil er die Kategorien von Gut und Böse der 50er- und 60er-Jahre beiseite gelegt und den zähen Dialog mit den Kommunisten gesucht hat. Es war ein mühsamer, umstrittener, aber erfolgreicher Weg. ({20}) - Mit Walter Scheel, selbstverständlich. - Seine Entspannungspolitik war gut für unser Land, für unsere Nachbarn und für Europa insgesamt. Nicht zuletzt Willy Brandts Verzicht/Walter Scheels Verzicht auf die damals zwischen den Blöcken weit festgeschriebenen Kategorien von Gut und Böse verdanken wir, dass heute Feinde von gestern Partner und Freunde geworden sind. ({21}) Für den Nahen und Mittleren Osten heißt das nicht, dass wir die Augen und Ohren vor unakzeptablen Handlungen und Äußerungen verschließen. Wenn beispielsweise das Existenzrecht Israels geleugnet wird, wenn der Antisemitismus darüber den deutschen Sumpf erreicht, sagen wir klipp und klar: Nein! ({22}) Unsere israelischen Freunde können sich auf uns verlassen; das will ich an dieser Stelle deutlich sagen, im Namen meiner Fraktion und auch der Koalition. ({23}) Lassen Sie mich nur einige kurze Bemerkungen zum Arbeitsmarkt und zur Gesundheitspolitik machen, weil Redner meiner Fraktion auf diese Themen ausführlicher eingehen werden. Zum Arbeitsmarkt. Der Knoten ist geplatzt, eindeutig. Deutschland ist im Aufschwung, die wirtschaftliche Dynamik gewinnt weiter an Fahrt. Nachdem die Wirtschaft gut in das laufende Jahr gestartet war, hat sich die Erholung im zweiten Quartal eindeutig fortgesetzt. Der Konjunkturfunke ist endlich vom Export auf die Binnenkonjunktur übergesprungen, vor allem in der Bauwirtschaft; das haben Sie, Herr Lafontaine, zu Recht vorgetragen, korrekt diesmal - ausnahmsweise. Verstärkte Investitionen tragen zum Aufschwung bei. Die Zahl der Arbeitslosen ist im August um 14 000 auf 4,3 Millionen gesunken. Seit Februar 2006 ist die Zahl der Arbeitslosen von 5,0 auf 4,37 Millionen gesunken. Im Vergleich zum Vorjahresmonat ist die Zahl der Arbeitslosen um mehr als 400 000 gesunken. Die Zahl der Erwerbstätigen ist gestiegen: Im Vergleich zum Vorjahreswert ergab sich im Juli eine Steigerung von 306 000 Erwerbstätigen. Das ist ermutigend, meine Damen und Herren, auch deshalb, weil sich die Entspannung auf dem Arbeitsmarkt aus dem Zusammenspiel von konjunktureller Entwicklung und dem Greifen arDr. Peter Struck beitsmarktpolitischer Instrumente der Bundesregierung ergibt. Ganz sicher ist, dass das in Genshagen beschlossene 25-Milliarden-Euro-Wachstumsprogramm seine Wirkung jetzt entfaltet, langsam, aber sicher. Vor allem das darin enthaltene CO2-Gebäudesanierungsprogramm ist schon jetzt ein Erfolg auf ganzer Linie. Es wird bis 2009 ein Investitionsvolumen von 28 Milliarden Euro entwickeln. Bereits im letzten Monat, also im August, waren die Mittel für dieses Jahr - für das ganze Jahr - bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau ausgeschöpft. Seit Frühjahr hat die Kreditanstalt für Wiederaufbau im Bereich der energetischen Gebäudesanierung ein Darlehensvolumen von 7 Milliarden Euro bewilligt. Das Programm hat einen erheblichen Anteil an dem spürbaren Aufschwung der Bauwirtschaft. Um diesen Erfolg nicht abzubremsen, werden wir für dieses Jahr 350 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung stellen. Das belegt, dass das Gebäudesanierungsprogramm ein großer Renner ist, ein großer Erfolg. ({24}) Dass sich der Arbeitsmarkt entspannt, liegt aber auch daran, dass die Vermittlung und die Betreuung des einzelnen Arbeitslosen maßgeblich intensiviert worden sind. In ihrer Breite greifen jetzt die Arbeitsmarktreformen, die von der Regierung unter Gerhard Schröder eingeleitet worden sind. Insofern profitiert die große Koalition von diesen mutigen Reformschritten ihrer Vorgängerregierung, an der wir auch beteiligt waren, wie man weiß. ({25}) - Dass der Beifall des Koalitionspartners dafür etwas verhalten ist, kann ich verstehen. Trotzdem ist es wahr. ({26}) Ich bin mir sicher, dass wir diesen Weg mit Arbeitsminister Franz Müntefering erfolgreich weitergehen werden. Im Herbst wird er mit seinen Vorschlägen Ordnung in den Niedriglohnsektor bringen und damit auch dem Arbeitsmarkt weitere Impulse geben. Wir sollten diesen Bereich in Ruhe und gemeinsam angehen. ({27}) Es ist jetzt wichtiger, die Chancen wahrzunehmen, als jetzt schon die Risiken zu beschreiben und das Vorhaben nicht weiter zu verfolgen. Ebenso wie die Kanzlerin möchte ich für meine Fraktion ein Wort zu den Überschüssen der Bundesagentur sagen. Wir haben in der Koalition vereinbart, den Arbeitslosenversicherungsbeitrag zum 1. Januar 2007 um zwei Punkte auf 4,5 Prozentpunkte zu senken. Ich unterstütze Franz Müntefering bei seiner Forderung, es dabei zu belassen, und warne davor, zum jetzigen Zeitpunkt eine weitere Absenkungsdebatte zu führen. ({28}) Jeder weiß doch, dass sich der erwartete Überschuss der Bundesagentur zu einem Drittel aus einem Einmaleffekt ergibt, dass dieser Effekt in den nächsten Jahren nicht wieder auftreten wird und dass wir für die Absenkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrags allein von der Agentur rund 7 Milliarden Euro erwarten. Das heißt, wir können nicht über weiteres Geld verfügen, weil es nicht vorhanden ist. Lassen Sie uns die Entwicklung in Ruhe abwarten. Legen wir das Thema auf Wiedervorlage für das nächste Frühjahr, bis wir einen Überblick darüber haben, wie sich die Finanzen der Bundesagentur gestalten. Auch hier sollten wir es halten, wie es in der Koalition eigentlich immer gelten sollte: Solidität vor Schnelligkeit. Zu zwei Punkten möchte ich noch etwas sagen, nämlich zur Gesundheitsreform und zur Unternehmensteuerreform. Es war ein schwieriges Unterfangen, die Eckpunkte für die Gesundheitsreform zu vereinbaren. Die Expertinnen und Experten und auch die so genannten Spitzenkreise haben lange darüber beraten. Es ist jetzt eine Vereinbarung über die Eckpunkte der Gesundheitsreform beschlossen worden. Die SPD-Bundestagsfraktion wird diese Eckpunkte einhalten. Ich erwarte das von der anderen Koalitionsfraktion natürlich auch. Es macht jetzt also keinen Sinn, die vereinbarten Eckpunkte an einzelnen Stellen jeweils von der einen oder anderen Seite infrage zu stellen. ({29}) Es ist auch klar, dass diese Eckpunkte auf heftigen Widerstand fast aller stoßen. Das war uns aber bereits vorher klar, als wir die Debatte begonnen haben. Wer unser Gesundheitssystem in Deutschland erhalten will - es ist das beste Gesundheitssystem der Welt, weil durch dieses System dafür gesorgt wird, dass jeder, ob Arm oder Reich, ob Alt oder Jung, die gesundheitliche Versorgung erhält, die er benötigt -, der muss das System reformieren. Es kann nicht sein, dass die Krankenversicherungsbeiträge immer weiter steigen und dass für viele Dinge immer mehr Geld ausgegeben wird, von dem wir aus strukturellen Gründen eine ganze Menge sparen könnten. Weil wir hier im Bundestag zum ersten Mal über die Eckpunkte reden, will ich für meine Fraktion sagen: Ich hätte mir bei manchen Punkten natürlich mehr Entgegenkommen vom Koalitionspartner gewünscht, zum Beispiel bei der Einbeziehung der privaten Krankenversicherung, den Strukturänderungen und vielen anderen Dingen. Ich weiß, dass es vergebliche Liebesmüh ist, das anzusprechen, ich denke aber nicht, dass wir in Deutschland 250 oder 260 Krankenkassen brauchen. Das muss nicht sein. ({30}) Es war aber nicht zu erreichen, dass an diesen Punkten etwas geändert wird. Ich stehe zu den Eckpunkten. Es geht jetzt um die Formulierung des Gesetzentwurfes. Ich gehe davon aus, dass wir damit Ende September/Anfang Oktober beginnen werden. Wir alle gemeinsam müssen damit rechnen - das ist so; den Experten muss ich das nicht erklären -, dass es nach wie vor Widerstand dagegen geben wird. Aber Politik kann nicht darin bestehen, dass man einer großen Zeitung mit großen Buchstaben folgt oder die Interessen irgendeiner Lobbyistengruppe bedient, sondern dass man das macht, was man für richtig hält. Das werden wir bei der Gesundheitsreform tun. ({31}) Die Kollegin Elke Ferner, die für uns verhandelt, wird dazu noch nähere Ausführungen machen. Ein letztes Wort zur Unternehmensteuerreform. Es ist wahr, dass unsere nominalen Sätze zu hoch sind. Die Kanzlerin und auch der Finanzminister haben Recht, wenn sie sagen, dass sie im europäischen Vergleich eindeutig einen Wettbewerbsnachteil darstellen. Diesen Wettbewerbsnachteil werden wir zu beseitigen versuchen. Aber für mich ist auch klar, dass wir als Staat mittelfristig nicht auf Milliarden von Steuereinnahmen verzichten können. Wir haben angesichts der Aufgaben, die anstehen, nichts zu verschenken. ({32}) Das heißt, eine Lösung muss mittelfristig aufkommensneutral sein. Mittelfristig aufkommensneutral heißt nach meiner Auffassung auch - ich richte mich „to whom it may concern“, nicht an meine Fraktion, aber vielleicht an eine andere -, dass wir die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage im Zusammenhang mit der Unternehmensteuer durchsetzen müssen. ({33}) Darüber haben wir geredet. Das werden schwierige Verhandlungen werden. Aber wozu ist dann Politik da? Wenn alles so einfach wäre, dann könnten es auch andere machen. Aber wir machen es besser. Wir machen unsere Arbeit weiter. Deutschland kann sich auf die SPD verlassen. ({34})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen spricht nun deren Vorsitzender Fritz Kuhn.

Fritz Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003577, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mit der Außenpolitik beginnen und für meine Fraktion klar sagen, dass wir in der Frage von Auslandseinsätzen der Bundeswehr weder in einer Position des pauschalen Jas noch in einer Position des pauschalen Neins sind und jemals sein werden. Es kommt auf die genaue Prüfung der einzelnen Umstände an. Deswegen habe ich, Herr Westerwelle, Ihren Weg und auch den von Herrn Lafontaine in den letzten Wochen nie nachvollziehen können. Herr Lafontaine, eines ist erstaunlich: Die deutsche Sicherheit wird doch nicht mehr wie in den 60er- und 70er-Jahren an der deutschen Grenze verteidigt. Ob im Nahen Osten eines Tages Frieden sein kann oder ob dort Krieg herrscht oder ob in einem „Failing State“ wie Kongo die Menschenrechte verletzt werden und der Terror gedeiht, ist eine Frage auch unserer Sicherheit. Ich finde, hier vertreten Sie einen sehr rückwärts gewandten, der heute globalisierten Realität nicht gerecht werdenden Begriff von Sicherheit. ({0}) Wir werden deswegen, Frau Merkel, genau hinschauen, was Sie aus der Anfrage der Libanesen in New York und der Bitte um Hilfe in Ihrem Kabinettsbeschluss machen. Die Aufteilung in eine Zone, in der auf See nur die Libanesen kontrollieren, und eine andere Zone, in der auch die Deutschen tätig werden sollen, macht es nicht einfacher, zuzustimmen. Da kommt es wirklich aufs Detail an; das will ich klar sagen. Aber alle, die Nein sagen, müssen wissen, dass wir allmählich in eine Situation geraten, bei der der deutsche Einsatz direkt mit der Frage verbunden ist, ob und wie schnell die Israelis die Seeblockade aufheben werden, was für den Wiederaufbau und die humanitäre Hilfe, die im Libanon so dringend notwendig sind, außerordentlich relevant ist. Diese Abwägung müssen wir alle zusammen vornehmen und wir werden uns nach bestem Wissen und Gewissen entscheiden. Frau Bundeskanzlerin, Sie haben richtigerweise gesagt: Diskutiert nicht nur über Militäreinsätze, sondern fragt nach dem politischen Rahmen, den ein Militäreinsatz notwendiger- und sinnvollerweise haben muss. Darin wollen wir Sie ausdrücklich unterstützen. Aber wir wollen in Zukunft konkretere Angaben, als dies in der Vergangenheit und auch heute in Ihrer Rede der Fall gewesen ist. Ich glaube, dass Sie noch immer Schwierigkeiten haben, die ganze Situation im Nahen Osten von der Vergangenheit her zu analysieren; denn Sie waren davon überzeugt, dass die Haltung der rot-grünen Regierung unter Schröder und Fischer, den Irakkrieg abzulehnen, völlig falsch war. An diesen Punkt müssen Sie zurückgehen, wenn Sie die heutige Situation beschreiben: Es gibt nicht mehr Sicherheit in der Region, sondern die Situation ist, wie von uns vorausgesagt, extrem instabil. Es herrscht Bürgerkrieg. Es ist sehr schwierig, in dieser Region zu einer friedlichen Lösung zu kommen. Jetzt kommt der für mich wichtige Punkt: Ich verlange von der deutschen Bundesregierung - und zwar nicht nur vom Außenminister, sondern auch von der Bundeskanzlerin - ein klares Konzept für die friedliche Entwicklung im Nahen Osten und vor allem für den möglichen deutschen und europäischen Beitrag dazu. ({1}) Ich habe nichts dagegen, wenn Sie gute Beziehungen zum amerikanischen Präsidenten haben. Aber Sie müssen - darauf kommt es an - diese jetzt auch in die richtige Richtung umsetzen. Das heißt beim Iran, dass man nur dann mit Sanktionen drohen kann, wenn man auch bereit ist, die Sanktionen zu verhängen, und wenn man die gestellten Ultimaten richtig begründet und es zeitlich richtig befristet hat. Das heißt, dass Sie das Wahrnehmungsmuster, das bei Bush und noch stärker bei seinem Verteidigungsminister vorherrscht - nämlich dass jedes Problem auf der Welt irgendwie mit der Jagd gegen alQaida-Terroristen in Verbindung steht -, brechen müssen. Sie werden der Realität in Palästina bzw. zwischen Palästinensern und Israelis nicht gerecht, wenn Sie sie nur in Bezug auf den internationalen Terrorismus sehen. ({2}) Sie werden auch dem Hisbollah-Konflikt im Libanon nicht gerecht, wenn Sie ihn nur im Zusammenhang mit dem Kampf gegen al-Qaida sehen. Eine politische Lösung heißt, dass Sie die Konflikte zwischen Syrien und Israel wie auch zwischen Syrien und dem Libanon Schritt für Schritt konstruktiv angehen müssen. Sie müssen darauf achten, dass es wirklich zur Zweistaatlichkeit kommt. Dabei kommt es sehr auf die Amerikaner an. Unsere Empfehlung ist, dass Sie diese Beziehungen nicht nur in Ihrem Wahlkreis in Mecklenburg-Vorpommern für Sommeraktivitäten nutzen, sondern wirklich darauf drängen, dass mehr getan und verstärkt Druck zugunsten von politischen Lösungen ausgeübt wird. Dass die Rolle der EU gestärkt wird, ist die entscheidende Aufgabe, die Ihnen beim Vorsitz der EU-Ratspräsidentschaft im nächsten Jahr zukommt. Dabei erwarten wir Konzeptionen statt wie bisher nur allgemeine Absichtserklärungen. ({3}) Ich möchte noch etwas zur aktuellen Situation anmerken. Das Auftreten und Agieren des Verteidigungsministers hat uns sehr gestört. In einer Situation - das war schon im Zusammenhang mit dem Kongo der Fall -, in der Ruhe, Klarheit, Besonnenheit und Reflexion statt Geschwätzigkeit gefragt waren, ist der Verteidigungsminister wie die größte Plaudertasche der Republik aufgetreten. Das hat immer wieder zu neuen Verunsicherungen geführt und auch unseren Soldaten geschadet, die sich eine klare Orientierung wünschen. ({4}) Der frühe Jung erinnert mich an den späten Scharping. Sie sollten aufpassen, dass es in der kritischen Situation, die wir heute haben, nicht so weitergeht wie in den vergangenen Wochen. ({5}) Ich möchte jetzt zur innenpolitischen Situation kommen, Frau Merkel. Übrigens ist Ihre Redestruktur nicht nachhaltig. ({6}) Ich will das einmal darstellen. In der Regierungserklärung war das große, strukturprägende Motto „Mehr Freiheit wagen“. Heute ist davon nicht mehr die Rede. Es ist noch nicht lange her, als Sie öffentlich vom „Sanierungsfall Deutschland“ gesprochen haben. Jetzt werfen Sie der Opposition vor, wir würden alles schlechtreden. Das ist ein starkes Stück. Nach dem, was Sie von der Union in den letzten sieben Jahren über Deutschland gesagt haben, sollten Sie besser nicht von Schlechtreden sprechen. ({7}) Ich will Ihnen erläutern, wie wir die Situation sehen. Die Konjunktur hat sich stark gebessert, aber - Lafontaine hat damit Recht - noch nicht wirklich in Bezug auf den Binnenmarkt. Wir haben große Sorge, dass mit der Mehrwertsteuererhöhung im nächsten Januar diese Verbesserungen wieder geschliffen und gefährdet werden. In der gegenwärtigen Situation, die positiv ist und in der sichtbar wird, dass die Agenda 2010 inzwischen an der einen oder anderen Stelle greift, gibt es eine Anforderung an die Regierung, nämlich klug und vernünftig weiter zu reformieren und den Menschen im Land zu erklären, was sie als Nächstes machen will. Unser Vorwurf an Sie ist, dass Sie genau das nicht tun. Lassen Sie mich dafür Beispiele anführen. Das sind zunächst einmal die Eckpunkte - das Wort Eckpunkte wird sicherlich auch noch mit einer neuen Bedeutung in den deutschen Sprachschatz eingehen -: Nach wochenlangen gemeinsamen Diskussionen beschließen Sie nach einer Nachtsitzung Eckpunkte, die Sie müde und lächelnd vor den Kameras verkünden. Die Eckpunkte sind aber solcher Art, dass sich schon ein Tag später niemand mehr in Ihrer großen Koalition daran hält oder sie für irgendwie relevant hält. ({8}) Das war bei der Gesundheitsreform der Fall und ist auch bei der Unternehmensteuerreform nicht anders. Frau Merkel, das, was Sie und die große Koalition machen, ist nicht kluges Reformieren, sondern organisierte Verunsicherung. Ich will es mit einem Bild sagen. Sie lassen nicht wie Klinsmann erfrischenden Angriffsfußball spielen, sondern spielen Querpässe und Rückpässe oder hauen den Ball ins Aus. Gelegentlich gibt es auch ein Eigentor wie beim Gesundheitsfonds, an den niemand mehr in der Regierung glaubt. Ich kenne niemanden, der sagt: Der Gesundheitsfonds ist toll. Ich habe noch keinen Kollegen getroffen, der dies zu Protokoll gegeben hat. Alle sagen vielmehr draußen in der Kantine: Das ist der größte Mist, den es jemals gegeben hat. Aber das müssen wir vielleicht machen, weil sonst alles noch viel schwieriger wird. - So können Sie den Aufschwung nicht voranbringen. ({9}) Ich möchte konstruktive Vorschläge machen, was zu tun ist; denn Herumjammern ist nicht Sache der Grünen. Als Erstes sollten Sie darüber nachdenken, ob Sie bei der Stabilisierung der Konjunktur den richtigen Weg gehen oder vielleicht etwas anders machen müssen. Aufgrund der politischen Zwänge können Sie die angekündigte 3-prozentige Anhebung der Mehrwertsteuer nicht mehr zurücknehmen. Übrigens sollten Sie Sturheit nicht mit Entschlossenheit verwechseln, Herr Steinbrück. Die Steuereinnahmen des Staates haben sich schließlich massiv verbessert. Aber warum, Frau Merkel, strecken Sie die geplante 3-prozentige Anhebung nicht auf drei Jahre? ({10}) Das Konjunkturrisiko würde dadurch deutlich gesenkt. Warum verwenden Sie die Einnahmen aus der Mehrwertsteuererhöhung nicht konsequent zur Senkung der Lohnnebenkosten? Sie wollen stattdessen die Senkung der Lohnnebenkosten mit dem Aufkommen aus nur einem Mehrwertsteuerpunkt finanzieren. Das Aufkommen aus zwei Mehrwertsteuerpunkten wollen Sie zum Stopfen von Haushaltslöchern verwenden. Diese Frage ist nicht sauber beantwortet. ({11}) Wenn Sie mit Vertretern von Firmen und insbesondere mit Vertretern von kleinen Handwerksbetrieben sprechen, dann sehen Sie doch, was los ist. Die Auftragsbücher sind jetzt voll. Aber alle Auftraggeber bestehen darauf, dass die Renovierungen noch 2006 abgewickelt werden und dass auch die Rechnungen im gleichen Jahr gestellt werden. Für 2007 haben die Firmen bislang keinen einzigen Auftrag. Ein Wirtschaftsminister, der seinen Namen verdient, muss darauf reagieren und etwas für die konjunkturelle Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland tun. Aber Wegtauchen, wie es bei Herrn Glos die Regel ist, hilft uns nicht mehr weiter. ({12}) Frau Merkel, eine Senkung der Lohnnebenkosten werden Sie nicht erreichen. Hier gehe ich jede Wette ein, egal was Sie einzusetzen bereit sind; denn der Rentenversicherungsbeitrag wird voraussichtlich um 0,4 Prozentpunkte steigen. Der Beitragssatz in der Krankenversicherung wird sich wahrscheinlich um mehr als 1 Prozentpunkt erhöhen. Auch in der Pflegeversicherung besteht das Risiko von Beitragssatzanhebungen. Sie können sich das Ziel abschminken, die Lohnnebenkosten auf unter 40 Prozent zu senken. Dafür ist Ihre Politik zu inkonsequent. Ich fordere noch einmal, das Aufkommen aus der 3-prozentigen Mehrwertsteuererhöhung konsequent zur Senkung der Lohnnebenkosten einzusetzen, vielleicht nach dem von uns vorgeschlagenen Progressivmodell, das eine stärkere Senkung der Lohnnebenkosten bei den unteren Einkommensgrößen vorsieht. Das brächte viel mehr Arbeit aus der Schwarzarbeit in den legalen Erwerbsarbeitssektor. Das ist die Hauptaufgabenstellung, vor der Sie stehen. ({13}) Was der Finanzminister Steinbrück vorgelegt hat, ist - darüber haben Sie in Ihrer Rede elegant hinweggesehen - kein Konsolidierungshaushalt. Wer 20 Milliarden Steuereinnahmen zusätzlich hat, die Nettokreditaufnahme aber nur um 16 Milliarden Euro senkt, der kann uns nicht weismachen, dass er gerade konsolidiert. Das tun Sie in der Tat nicht. ({14}) Schauen Sie sich einmal die Finanzplanung an! Daraus geht hervor, dass Sie in den Folgejahren die jährliche Nettokreditaufnahme um 500 Millionen Euro senken wollen. Weil heute „Nachhaltigkeit“ Ihr Lieblingswort ist: Mit der von Ihnen betriebenen nachhaltigen Politik werden wir im Jahre 2051 einen ausgeglichenen Haushalt haben. Großartig! Das soll nach Auffassung der großen Koalition nachhaltige Politik sein. Ausgerechnet 2051, wenn wir schon lange die größten demografischen Probleme haben werden, wollen Sie einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen. ({15}) Wir müssen stattdessen mehr einsparen. Wir unterstützen ausdrücklich den Vorschlag, dass zusätzliche Steuereinnahmen zur Einsparung verwendet werden. Wir müssen das Thema Subventionsabbau wieder in der Breite angehen. Wir müssen zudem eine antizyklische Haushaltspolitik systematisch betreiben. Das heißt, dass wir in Zeiten, in denen die Konjunktur gut läuft, mehr sparen als in Zeiten, in denen sie schlecht läuft; denn in den schlechten Zeiten müssen wir mehr investieren. Sagen Sie klipp und klar - bislang ging es hin und her -, dass die Unternehmensteuerreform aufkommensneutral sein muss. Wenn Sie es bei der Frage der Finanzneutralität, also der Gleichbehandlung von Fremdfinanzierung und Eigenkapitalfinanzierung, ablehnen, die Zinsen einzubeziehen, über die die großen Gewinne ins Ausland transferiert werden, dann müssen Sie sagen, was Sie stattdessen machen wollen. Gegenwärtig sind wir in folgendem Spiel: Einer schlägt etwas vor, die anderen lehnen es ab. Dann passiert gar nichts und das Problem ist nicht gelöst. Ich sage noch einmal: Es werden Milliardengewinne im Ausland erzielt, die hier nicht versteuert werden. Dieses Verfahren muss geändert werden. Das ist organisierter Betrug am deutschen Steuerzahler, der mit dem Bündnis 90/Die Grünen nicht zu machen ist. Darauf haben Sie, Frau Merkel, heute keine Antwort gegeben. Ich finde aber, Sie sollten das tun. ({16}) Ich will einen dritten Vorschlag machen, und zwar zum Arbeitsmarkt. Die Arbeitslosigkeit wird bei denen abgebaut, die nur kurz arbeitslos sind. Das ist gut, aber den Langzeitarbeitslosen ist noch nicht wirklich geholfen. Da nützt auch das ganze Gerede von den Leistungsbereiten nicht. Die Menschen wollen arbeiten, aber sie können es aufgrund der langen Arbeitslosigkeit bislang nicht tun. Wir sagen, dass wir für diese Menschen gezielte neue Programme und gezielter eingesetzte Fördermittel als in der Vergangenheit brauchen. Herr Müntefering will Arbeitslose ab 50 Jahren besser fördern. Ich sage, das muss für alle gelten. Das 50-PlusProgramm hat einen Grundfehler: Es wird so getan, als sei die Wirtschaft nicht mehr dafür verantwortlich, Menschen ab 50 einzustellen, und als müsse daher der Staat einspringen. Das ist eine völlig falsche Grundkonstruktion. Wir vom Deutschen Bundestag müssen verlangen, dass Beschäftigte aller Altersgruppen das Anrecht haben, auf dem normalen Erwerbsarbeitsmarkt eingestellt zu werden. ({17}) Ich sage Ihnen, Frau Merkel: Das Fördern kommt zu kurz. Der Fördertitel bei der Bundesagentur für Arbeit ist die Sparkasse und er wird nicht extensiv dazu verwendet, Menschen, die lange arbeitslos waren, eine neue Chance zu geben. Deswegen will ich mehr fördern. Nur dann ist das Fordern legitim. Das Paket der HartzGesetze umfasste ja die Kombination von beidem. Übrigens ist der Vorschlag von Herrn Koch, jetzt, da 50 000 Jugendliche noch keine Lehrstelle haben, aus den Überschüssen in Sonderprogrammen für diese etwas zu tun, nicht so schlecht. Wir halten den für richtig. Sie haben ihn weggebissen, weil er parteischematisch nicht in das passt, was Ihnen gerade konveniert, aber es ist doch richtig, den Jugendlichen jetzt eine Chance zu geben. Sie haben in Ihrer Rede keine Antwort auf die 50 000 Jugendlichen ohne Lehrstelle geliefert. Es gibt aber eine Antwort auf die Frage, was zu tun ist. Sie können den Streit einstellen. Es würde 600 Millionen Euro kosten. Sie brauchen nicht vier Monate lang zu diskutieren. Wir hätten vielmehr damit die Möglichkeit geschaffen, dass jeder Jugendliche eine Chance auf eine Lehrstelle oder eine weitere Qualifikation hat. Das wäre eine gute, konkrete Antwort einer Bundeskanzlerin gewesen und nicht nur eine allgemeine. ({18}) Ich will etwas zur Gesundheitspolitik sagen. Frau Merkel, ich kann Ihnen den Vorwurf nicht ersparen - da hilft auch das Getuschel mit der Justizministerin nichts -, dass Sie hier reinen Murks auf den Tisch gelegt haben. Kein vernünftiger Mensch käme auf die Idee, einen Gesundheitsfonds mit kleiner Kopfpauschale einzurichten, wenn er nicht das technokratische Problem hätte, er solle eine Bürgerversicherung und eine Kopfpauschale irgendwie zu einem schwankenden arithmetischen Kompromiss führen. ({19}) - Sie haben es begriffen. Lassen Sie es doch patentieren, wenn Sie es begriffen haben! ({20}) Es ist doch Unsinn, was Sie dazwischenrufen. ({21}) Sie bauen ein bürokratisches Monster auf, Sie lösen kein Problem, die Beiträge steigen, Sie schaffen nicht mehr Wettbewerb im Gesundheitssystem, Sie tun nichts für Prävention und dann sagen Sie, wir hätten es nicht begriffen. Zeigen Sie mir den, der in Ihrer Koalition für den Gesundheitsfonds ist! Zeigen Sie mir die Schnittmenge, die besteht! Ich kann nur sagen: Unser heutiges Gesundheitssystem ist schlecht, weil es den Wettbewerb nicht fördert und weil es nicht effektiv ist. Es hat ein Qualitätsproblem. Die letzten Milliarden, die wir hineinstecken, führen nicht zu einer Steigerung der gesundheitlichen Wohlfahrt. ({22}) Was Sie machen, ist nichts anderes als eine Verschlimmbesserung. Sie machen es noch schlechter. Deswegen sage ich Ihnen klipp und klar: Lassen Sie den Gesundheitsfonds! Das ist Murks. Verfolgen Sie das Projekt nicht weiter! Kümmern Sie sich um die Wettbewerbsseite und um die Prävention! Machen Sie das Gesundheitssystem qualitativ besser! Sie müssen eigentlich abwickeln. Alle merken, dass die große Koalition dieses Thema nicht verlupft. Sie machen Murks. Ich finde, dass nicht nur wir in diesem Hause, sondern in erster Linie die Bevölkerung dieses nicht verdient haben. Also stellen Sie das ein! ({23}) Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen. Frau Merkel, eigentlich fehlt Ihrer Politik ein vernünftiges Ziel. Eine große Frage - Sie waren einmal Umweltministerin - interessiert Sie gar nicht. Die ganze Welt diskutiert über die Klimaschäden, über die globale Erwärmung und über die Notwendigkeit, viel mehr zu tun, als in Kioto festgelegt wurde, Stichwort „Erreichung der Kioto-plus-Ziele“. In Ihren Grundsatzreden, auch auf Ihrem Strategiekongress spielte dieses Thema überhaupt keine Rolle. ({24}) Ich sage Ihnen: Die deutsche Politik, die Technologiepolitik, die Wirtschaftspolitik, die Ordnungspolitik, sollte sich diesem zentralen Thema widmen; sie sollte es zu einer Art Leitplanke machen. Ich fordere Sie eindringlich dazu auf. ({25}) Zu all dem gehört auch, dass wir mehr für den Wettbewerb tun. Dieser Regierung ist der ordnungspolitische Kompass in der Marktwirtschaft vollständig verloren gegangen. Es tut mir wirklich Leid, dass ich Ihnen das sagen muss; das kann ich Ihnen nicht ersparen. Ihre Vorschläge, im Bereich des Stromnetzes mehr Wettbewerb herbeizuführen, wurden bislang nicht gehört. Bei der Telekommunikation - Stichwort „Hochgeschwindigkeitsnetz“ - haben Sie versagt, weil Sie im Bundesrat wieder eine dreijährige Sonderregelung für die Telekom in Anspruch genommen haben. Was Sie vorhatten, hat nicht funktioniert. ({26}) - Da brauchen Sie nicht den Kopf zu schütteln. ({27}) Jetzt komme ich zu einem aktuellen Thema, nämlich zum Thema Bahn. Wir stehen vor einer entscheidenden Frage, nämlich dem Börsengang. Frau Merkel, Sie haben sich bisher nicht - auch in dieser Diskussion nicht dazu geäußert, was Sie wirklich wollen. Ich sage Ihnen: Mehr Verkehr auf der Schiene ist nur möglich, wenn es insgesamt mehr Wettbewerb im Bahnsektor gibt. ({28}) Deswegen ist ein integriertes Modell vollkommen falsch und vollkommen verkehrt. Übrigens, die sich abzeichnende Lösung „kleines Eigentumsmodell“ - der Bund überträgt der Bahn 30 Jahre lang vertraglich volle Nutzungsrechte bei der Bewirtschaftung des Netzes - ist natürlich nichts anderes. Da soll sich die SPD nichts vormachen. Wenn man die Bahn für 30 Jahre beauftragt, dieses Netz zu betreiben, dann wird sich beim Wettbewerb nichts ändern. Ich fordere Sie auf, hier zu einem echten Trennungsmodell zu kommen. Kollege Struck, ich verstehe übrigens überhaupt nicht, warum Sie sich von der Bahngewerkschaft und deren politischer Streikdrohung so beeindrucken lassen, dass Sie von dem, was Ihre Verkehrspolitiker formuliert haben, abrücken. Frau Merkel, im Klartext: Eine gute marktwirtschaftliche Ordnungspolitik sorgt auf allen Ebenen, also auch bei den Apotheken, für mehr Wettbewerb und sie versteckt sich nicht hinter den Lobbys, die für die Aufrechterhaltung des Bestehenden kämpfen. ({29}) Was den Immobilienstreit bei der Bahn angeht, will ich hier eine klare Ansage an den Verkehrsminister machen. ({30}) Sie haben in der Haushaltsausschusssondersitzung nicht richtig aufgeklärt. Immobilien, die eigentlich zum Bereich Bahnnetz gehören, sind falsch zugeordnet worden. Eine falsche Zuordnung hätte auch für den Bund gravierende Auswirkungen. Wenn Sie dies nicht bis nächste Woche aufklären, dann werden wir in der übernächsten Woche einen Untersuchungsausschuss beantragen; denn das Parlament darf sich durch Ihr organisiertes Vernebeln bei solchen Punkten nicht länger an der Nase herumführen lassen. Ich sage klipp und klar: Wenn sich das nicht ändert, dann wird es einen Untersuchungsausschuss geben. Es liegt an Ihnen, ob sich zeigt, dass er nötig ist oder nicht. ({31}) Frau Merkel, das, was Sie zum Verbraucherschutz gesagt haben, war nicht komplex genug. Wir finden die Politik, die die Bayern da gemacht haben, schlicht zum Kotzen; das darf man bei diesem Thema wohl so sagen. Jetzt kommt plötzlich der Herr Seehofer und sagt: Das Verbraucherinformationsgesetz muss jetzt her; das ist wunderbar und löst alle Probleme. Die Union und die FDP haben einen entsprechenden grünen Gesetzentwurf - er ging übrigens weiter als der, den Seehofer mittlerweile vorgelegt hat - im Bundesrat vier Jahre lang blockiert und kaputtgemacht. ({32}) Hätten sie dies nicht getan, wären wir jetzt schon weiter und das, was in Bayern insgesamt geschehen ist, wäre nicht möglich gewesen. Ich kann zu Seehofer nur sagen: Herr Seehofer, man hat Ihnen angemerkt, dass Sie der Verbraucherschutz gar nicht interessiert. Ich finde, dass wir keinen Verbraucherschutzminister brauchen, der Gesundheitsminister sein will; vielmehr muss er das, was seiner Aufgabenstellung entspricht, wirklich mit Herz und Verstand tun. ({33}) Für die Kinderpolitik, Frau Merkel, gilt: Die Betreuung muss verbessert werden. Das Elterngeld ist das eine; aber die Situation der Betreuung von Kindern unter drei hat sich dadurch nicht verbessert. Ich sage Ihnen: Schauen Sie sich unser Konzept der Kinderkarte und des Rechtsanspruchs auf einen Kindertagesstättenplatz für Kinder unter drei an! Nur wenn es eine bessere Betreuung für diese Kinder gibt, werden wir es schaffen, auf diesem Gebiet nicht mehr Entwicklungsland zu sein, sondern voranzuschreiten. ({34}) Unser letzter Vorschlag betrifft die Einwanderungspolitik. Wer sich die internationale Forschung darüber anschaut, wo auf der Welt wirtschaftlich erfolgreiche Standorte sind, wird feststellen: Überall da auf der Welt, wo Immigration von qualifizierten Menschen, aber auch von solchen Menschen, die in Not sind, gewollt ist, wo also bewusst gewünscht wird, dass fremde Menschen kommen und etwas Neues aufbauen, sind erfolgreiche Standorte. Ihr Einwanderungsgesetz müssen Sie in wichtigen Punkten dringend ändern, nämlich dort, wo Sie blockiert haben. Ich nenne die Punkteregelung und die Frage, wie viel Geld diejenigen mitbringen müssen, die hier einen Betrieb eröffnen wollen. Da haben Sie ein Modernisierungsdefizit. Wenn Sie das Gesetz nicht anpassen, dann werden Sie Deutschland eben nicht im Sinne unseres Mottos „Klug reformieren“ nach vorn bringen, sondern der Entwicklung insgesamt schaden. Damit komme ich zum Schluss. Liebe Frau Bundeskanzlerin, Sie waren erschreckend unkonkret. Sie haben hier sehr viel allgemeines Zeug erklärt, ({35}) aber nicht dargestellt, wie Sie Deutschland klug reformieren wollen. Das verlangen wir von Ihnen; denn wir müssen weiterkommen. Der zarte Aufschwung, den wir heute haben, reicht da nicht. Ich danke Ihnen. ({36})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Vorsitzende der CDU/CSUFraktion, Volker Kauder. ({0})

Volker Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001074, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Am 21. Juni, als wir den Haushalt 2006 beraten haben, habe ich hier gesagt: Wir legen mit dem Haushalt 2006 ein Konzept vor, wie wir unser Land voranbringen wollen. Bei den Beratungen zum Haushaltsplan 2007 gehen wir diesen Weg konsequent weiter. ({0}) In den Beratungen zum Haushaltsplan 2006 im Juni dieses Jahres und auch jetzt hat die Opposition herumgemeckert und herumgemäkelt, es sei alles nicht in Ordnung und man könne bei dem, was in diesem Lande geschehe, gar nicht erkennen, wohin es gehe. ({1}) Ich habe noch sehr gut in den Ohren, was Sie, Herr Brüderle, hier vorgetragen haben. Was Sie heute, etwa zehn Wochen später, gesagt haben, hat sich von dem, was Sie im Juni dargelegt haben, eigentlich überhaupt nicht unterschieden. ({2}) Aber jetzt liegen die Fakten auf dem Tisch. Die hätten Sie sich einmal anschauen sollen, bevor Sie an dieses Pult im Deutschen Bundestag getreten sind. ({3}) Es gibt 426 000 Arbeitslose weniger als noch vor einem Jahr. Zum ersten Mal seit vielen Jahren korrigieren die Sachverständigen die Wachstumsprognose, die sie im Januar und Februar gegeben haben, im Herbst nicht nach unten, sondern nach oben. Wann hat es das schon einmal gegeben? ({4}) Wir legen einen Haushalt 2007 vor, der die Stabilitätskriterien von Maastricht nicht nur einhält, sondern unterschreitet. Das hat uns niemand von Ihnen zu Beginn des Jahres zugetraut. Es ist aber die Wahrheit, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({5}) Zum ersten Mal seit vielen Jahren erleben wir in diesem Sommer, dass darüber gestritten wird, was wir mit Überschüssen und zusätzlichen Steuereinnahmen machen sollen. Alles das, was wir jetzt an positiver Entwicklung erleben, hat etwas mit dieser großen Koalition zu tun, hat etwas mit der Kanzlerschaft von Angela Merkel zu tun und hat etwas damit zu tun, dass die Union in diesem Land wieder regiert. ({6}) Lieber Kollege Struck, ich habe am Schluss Ihrer Rede aus Überzeugung geklatscht, als Sie nämlich gesagt haben, Deutschland könne zuversichtlich sein, denn auf die SPD-Fraktion sei Verlass. Dem stimme ich zu. Solange Sie mit uns in einem Regierungsboot sitzen, stimmt diese Aussage. ({7}) Aber als Sie mit den Grünen regiert haben, sahen die Dinge bei weitem anders aus. Herr Kuhn, zu Ihnen muss ich Folgendes sagen: Wenn Sie während Ihrer Regierungsbeteiligung solche Wirtschaftsdaten erreicht hätten, wie wir sie in diesem Sommer haben, dann hätten Sie sich mehrere Tage lang besoffen oder, wie ich Sie kenne, sich besoffen geredet, Herr Kuhn. ({8}) Wir bleiben aber ganz nüchtern, weil wir genau wissen, dass wir den Weg, den wir uns vorgenommen haben, noch eine ganze Zeit lang gehen müssen. Man muss der Frau Bundeskanzlerin und der ganzen Bundesregierung dafür danken, dass wir einen Teil der Ziele, die wir uns in der Koalitionsvereinbarung gesetzt haben, erreicht haben. Neun Monate sind noch nicht einmal ein Viertel der Zeit, die wir uns dafür gesetzt haben. Ich bin überzeugt, dass der Weg richtig ist. Wenn wir so weitermachen, gestaltet sich die Zukunft für Deutschland besser als in den vergangenen Jahren. ({9}) Wir stellen in diesen Tagen aber schmerzlich fest, dass die Zukunft unseres Landes nicht mehr ausschließlich davon abhängt, was wir hier in Deutschland tun, sondern ganz stark auch von den Krisenherden in der Welt beeinflusst wird. Wenige Tage vor dem traurigen Jahrestag des 11. September müssen wir uns wieder daran erinnern, was Ausgangspunkt für das Engagement der Bundeswehr in verschiedenen Teilen der Welt war. Wir müssen uns daran erinnern, dass es in Afghanistan kräftige Entwicklungen gegeben hat, die den internationalen Terrorismus gespeist haben. Natürlich, Herr Kuhn, übersehen wir nicht, dass es in der Welt auch andere Entwicklungen gibt. Darüber können wir gerne noch miteinander reden. Aber alles hat nun einmal seine Zeit. Im Augenblick werden wir in erster Linie vom internationalen Terrorismus bedroht. Darauf müssen wir eine Antwort geben und wir haben eine Antwort gegeben. Was über viele Jahre hinweg nicht gelungen ist, ist jetzt Wolfgang Schäuble gelungen und dafür sind wir ihm dankbar. Er hat hinsichtlich der Bekämpfung des Terrorismus eine gemeinsame Linie von Bundesregierung und allen 16 Bundesländern erreicht. Das ist eine großartige Leistung. Herzlichen Dank, Herr Innenminister! ({10}) Das ist natürlich auch ein Ergebnis der Föderalismusreform. Vorhin wurde darüber etwas gelächelt. Aber im Rahmen der Föderalismusreform haben wir - das hat vielleicht mancher überhaupt nicht so richtig wahrgenommen; da muss er einmal nachlesen; ein Blick ins Gesetzbuch erleichtert die Rechtsfindung und die Tatsachenfindung, Herr Kuhn - nicht nur Kompetenzen an die Länder gegeben, sondern auch für den Bund eine neue Kompetenz der Terrorismusbekämpfung geschaffen. Deswegen ist diese Föderalismusreform in beiderlei Hinsicht - Stärkung der Länder und Stärkung des Bundes dort, wo es notwendig ist - eine richtige Entscheidung gewesen. ({11}) Diese Föderalismusreform ist übrigens einer der ganz großen Erfolge in der kurzen bisherigen Regierungszeit der großen Koalition. Aber wenn wir uns ernsthaft an der Terrorismusbekämpfung beteiligen wollen, dann ist auch völlig klar, dass wir in diesem Herbst, wenn es um die Verlängerung des Mandates in Afghanistan geht, ganz genau prüfen müssen: Was haben wir in diesem Land erreicht? Was haben wir in Bezug auf die Sicherheitslage erreicht? Da hat Peter Struck doch völlig Recht: Natürlich sind wir nicht mit allen Entwicklungen in Afghanistan zufrieden. Aber was in diesem Land erreicht wurde, ist großartig, vor allem für die Menschen, die dort leben. Da kann ich nur sagen, Herr Lafontaine: Wer mit einem moralischen Anspruch antritt, aber glaubt, die Menschenrechte in der Welt seien teilbar, der hat keinen moralischen Anspruch. ({12}) Deutschland hat ein Interesse daran, dass aus Afghanistan nicht wieder terroristische Entwicklungen kommen. Deswegen werden wir, wenn die Verlängerung des Mandates ansteht, ganz genau prüfen, was wir tun. Aber von einem bin ich schon jetzt überzeugt, ohne meine Fraktion hier vorab binden zu wollen: Wir werden die Menschen in Afghanistan nicht sich selbst und Afghanistan nicht den Taliban überlassen dürfen, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({13}) Jetzt kommt der Einsatz im Nahen Osten, im Libanon, auf uns zu und es wird die Frage gestellt: Wo will sich Deutschland noch überall beteiligen? Darauf muss ich die Antwort geben: Wir suchen uns das ja nicht aus. Politik beginnt mit der Betrachtung der Realität. Die Realität ist manchmal grausamer, als sich das der eine oder andere vorstellen kann. Wir haben erlebt, was im Nahen Osten passiert ist. Jetzt kommt es darauf an, dass wir dort den Beitrag leisten, den wir leisten können. Frau Bundeskanzlerin, ich bin Ihnen außerordentlich dankbar für die Umsicht und Sensibilität, mit der Sie dieses Thema angegangen sind. ({14}) Ich beziehe in diesen Dank den Bundesaußenminister mit ein. Aber auch unser Verteidigungsminister macht in einer schwierigen Situation eine ausgezeichnete Arbeit. ({15}) - Meine Kolleginnen und Kollegen von der FDP, seien Sie ganz ruhig; ich komme gleich auf Sie zu sprechen. Ich zitiere noch einmal einen meiner Lieblingslehrsätze: Politik beginnt mit der Betrachtung der Realität. Die Realität ist doch, dass wir, was die Situation im Nahen Osten betrifft, vor außerordentlich schwierigen Entscheidungsvorgängen stehen. Diese Entscheidungsvorgänge spiegeln das Problem wider, das wir schon immer im Nahen Osten hatten: An einem Tag bekommt man die eine Antwort und am nächsten Tag eine andere Antwort. Die Regierung im Libanon hat es in der jetzigen Struktur auch nicht leicht. Deswegen muss der Bundesverteidigungsminister, muss die Bundesregierung ganz präsent sein. Sie muss wissen: Heute kann es so kommen, morgen anders. Bis jetzt sind wir noch gar nicht mit einer Entscheidung konfrontiert worden. Ich bin gestern Abend gefragt worden - die Medien fragen ja so viel und wollen immer eine Antwort, und zwar möglichst über Dinge, die noch gar nicht anstehen -: Was glauben Sie denn, welchen Antrag die Bundesregierung vorlegen wird, und wird die Bundesregierung ein robustes Mandat verlangen? Da kann ich nur sagen: So wie ich diese Bundesregierung im Umgang mit diesem Thema erlebt habe, bin ich der felsenfesten Überzeugung, dass sie uns einen Antrag vorlegen wird, der genau das ermöglicht, was in der konkreten Situation gefordert wird. Über diesen Antrag werden wir dann beraten. Heute, Frau Bundeskanzlerin, kann ich Ihnen eines schon sagen: Wir werden die Details natürlich ganz genau prüfen, aber das Angebot, das Sie und die Bundesregierung gemacht haben, kann unsere grundsätzliche Zustimmung finden. Wir wollen unseren Beitrag zur Lösung der Probleme im Nahen Osten leisten. ({16}) Meine Kolleginnen und Kollegen von der FDP, jeder ist natürlich für sein Verhalten selbst verantwortlich. ({17}) Ich habe eine Fraktion der Grünen in der rot-grünen Koalition erlebt, die, was außenpolitische Verantwortung anbelangt, in einem Maße gelernt hat, wie ich es nicht für möglich gehalten hätte, Herr Kuhn - von der Demonstration auf der Straße gegen „Kriegseinsätze“ bis hin zur ersten Entsendung der Bundeswehr in ein Krisengebiet. Bei der FDP erlebe ich im Augenblick etwas anderes. Sie macht zwar den Eindruck, verantwortungsbewusst zu handeln; ich habe aber die Sorge, dass das Gegenteil passiert. Das kann für die FDP und für die Klientel, die Sie vertreten, nicht gut sein, Herr Westerwelle. ({18}) Aber eines sage ich auch - in aller Ruhe, aber auch in allem Ernst -: Man kann nicht ständig - was richtig ist das Existenzrecht Israels im Munde führen, dann aber, wenn es ernst wird, zur Seite treten. Das kann nicht funktionieren. ({19}) Wir werden einen solchen Einsatz sehr gewissenhaft prüfen. Wir wissen natürlich sehr genau - auch Peter Struck hat dies formuliert -, dass wir die Soldatinnen und Soldaten mit jedem Auftrag, den wir der Bundeswehr übertragen, in eine Situation bringen, in der ihr Leben gefährdet sein kann. Deswegen prüfen wir ganz genau, was wir tun. Es wird aber kein Weg daran vorbeiführen, dass wir als großes Land in der Mitte Europas unseren Beitrag zur Sicherheit leisten müssen. Wolfgang Schäuble hat einmal formuliert, innere und äußere Sicherheit seien nicht mehr voneinander zu trennen. Da die Bundesregierung den Auftrag hat - das ist die vornehmste Pflicht eines Staates -, für die Sicherheit der Menschen in diesem Land zu sorgen, und da die Erkenntnis wächst, dass innere und äußere Sicherheit nicht mehr voneinander zu trennen sind, müssen wir schon im nationalen Interesse der Menschen in unserem Land, die innere Sicherheit zu erhalten, etwas für die äußere Sicherheit tun. Deswegen sind unsere Beiträge, so wie wir sie leisten, im deutschen Interesse. ({20}) Wir werden mit dem Haushalt 2007 den Weg, dieses Land voranzubringen, konsequent weitergehen. Wir haben gesehen, dass wir mit einem Teil der Maßnahmen, die wir umgesetzt haben, Erfolg haben. Peter Struck hat das CO2-Gebäudesanierungssprogramm angesprochen. In den neun Monaten, in denen dieses Programm nun aufgrund unseres gemeinsamen Beschlusses umgesetzt wird, ist mit einem Mitteleinsatz der KfW von rund 250 bis 300 Millionen Euro ein Auftragsvolumen von etwa 8 Milliarden Euro in diesem Land auf den Weg gebracht worden. Ein Auftragsvolumen von 1 Milliarde Euro sichert bzw. schafft 100 000 Arbeitsplätze, vor allem im gebeutelten Handwerk. Dort sind diese 8 Milliarden angekommen. Herr Lafontaine, einen größeren Quatsch als Ihre Behauptung, der Staat investiere nicht - eigentlich sollte man sich mit den Unwahrheiten, die Sie hier verbreitet haben, gar nicht auseinander setzen -, habe ich noch nicht gehört. ({21}) Wir werden die positive konjunkturelle Entwicklung in unserem Land durch entsprechende Maßnahmen konsequent weiter unterstützen, zum Beispiel durch die Unternehmensteuerreform. Wir wollen, dass die Unternehmen mit Steuersätzen antreten können, die zwar nicht mit denjenigen in Rumänien und Bulgarien, aber mit denjenigen in der Schweiz und Österreich wettbewerbsfähig sind, damit sie hier Arbeitsplätze schaffen. Wir wollen vor allem den Mittelstand unterstützen. Deswegen muss eine Erbschaftsteuerreform durchgeführt werden, die den Mittelstand stärkt und durch die die jeweilige Erbschaft bei Fortführung eines Unternehmens von der Erbschaftsteuer befreit wird. Dies sichert Arbeitsplätze und ist deswegen im Interesse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und der mittelständischen Unternehmen. ({22}) Wir wollen eine Unternehmensteuerreform, die einen neuen Anreiz schafft, in diesem Land zu investieren. Dabei ist für uns völlig klar: Wir wollen nicht - darüber müssen wir noch reden -, dass in die ertragsabhängige Körperschaftsteuer substanzbesteuernde Elemente aufgenommen werden. ({23}) Denn dies ist ein völlig falscher Weg. Dass wir natürlich dafür sorgen müssen - Peter Struck, Sie haben das angesprochen -, dass wir den Kommunen ausreichend Finanzmittel zur Verfügung stellen, ist völlig klar. Das werden wir tun. Ich habe mit großem Interesse vernommen, was der neue Parteivorsitzende Kurt Beck zur Situation der Politik in Deutschland gesagt hat: Leistung solle sich wieder lohnen und es solle für Hartz-IV-Empfänger eine Leistungsverpflichtung geben. Solche Sätze haben wir in unserem Programm schon vor langer Zeit formuliert. Die Äußerung von Kurt Beck macht mich im Übrigen zuversichtlich, dass wir in dieser großen Koalition noch mehr erreichen und tun können als bisher. ({24}) Es ist richtig, denjenigen, die Leistung erbringen, etwas zu geben. Wenn feststeht, dass bei der Bundesagentur für Arbeit Spielraum besteht, da ein Teil der Beiträge nicht für die Bezahlung von Leistungen benötigt wird, ({25}) dann sollte dieser Teil der Beiträge meiner Meinung nach - vergleichbar der Situation, dass die Beiträge, wenn die Anforderungen nicht reichen, erhöht werden den Beitragszahlern zurückgegeben werden. ({26}) Das sollten wir uns aber erst einmal anschauen. Im Grunde genommen sind wir uns darin einig. Auch Kurt Beck hat formuliert, dass wir das tun können. Es kommt jetzt auf die Entwicklung bei der Bundesagentur an. Sie muss nachhaltig sein; das ist völlig richtig. Zur Gesundheitsreform kann ich nur sagen: Wir sind jetzt dabei, die Eckpunkte umzusetzen. Das werden wir gewissenhaft machen. Wenn ich daran denke, dass Sie in der rot-grünen Koalition noch nicht einmal Eckpunkte hatten, sondern dass Sie aus einem Palaver heraus Gesetze gemacht haben, Herr Kuhn, dann kann ich nur sagen: furchtbar, furchtbar. Deswegen lassen Sie uns in aller Ruhe unsere Eckpunkte umsetzen. Wir werden den Gesetzentwurf einbringen und dann werden Sie sehen, dass das, was Sie jetzt sagen, Unsinn ist. Es wird mehr Wettbewerb geben. Das, was wir mit Fonds und Prämie machen, dient doch dem Wettbewerb. Es soll der Wettbewerb angekurbelt werden. Sie haben uns mit Ihren Konzepten, die Sie in Ihrer Regierungszeit umgesetzt haben, diese Situation hinterlassen. Da war von Wettbewerb überhaupt keine Rede. Sie hätten ja in den sieben Jahren etwas in puncto Wettbewerb machen können. ({27}) Ich sehe diese große Koalition auf einem guten Weg. Die große Koalition hat bereits jetzt mehr erreicht, als ihr viele zugetraut haben. Sie ist im Übrigen viel besser, als mancher in der Öffentlichkeit und in den Medien über sie redet. Wir sehen sehr wohl, welche Aufgaben noch vor uns liegen; wir sehen sehr wohl, dass da noch das eine oder andere gemacht werden muss. Wir haben aber noch nicht einmal die erste Halbzeit dieser Legislaturperiode hinter uns. Was wir in den ersten neun Monaten vorgelegt haben, liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und von Union, ({28}) rechtfertigt noch einmal, dass wir im Herbst vergangenen Jahres diese Regierungskoalition eingegangen sind. Sie bringt Deutschland voran. ({29})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Vorsitzende der FDP-Fraktion, Guido Westerwelle. ({0})

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Bundeskanzlerin, wenn Sie mir einen Augenblick lang Ihre Aufmerksamkeit schenken könnten? Es redet jetzt Ihr Wunschpartner. ({0}) Frau Bundeskanzlerin, ich stelle mir vor, wir hätten die Bundestagswahl zu dem ursprünglich geplanten Zeitpunkt durchgeführt, also in drei Wochen. Wir hätten hier eine Debatte. Sie würden zu diesem Zeitpunkt an diesem Platz sprechen, unmittelbar vorher hätte der Bundeskanzler gesprochen; heute hat ja zu diesem Zeitpunkt Herr Kauder gesprochen. Bundeskanzler Gerhard Schröder hätte der Opposition vorgeworfen - er hat das oft genug getan -: Sie reden das Land schlecht. Das haben ja auch Sie am Schluss Ihrer Rede an die Adresse der Opposition formuliert. Deswegen meine ich: Es ist ja ein richtiges Déjà-vu, wie sich die Dinge wiederholen. Ich habe noch das Fernsehduell im Kopf. Fast auf den Tag genau vor einem Jahr standen Sie gegeneinander im Fernsehduell. Schröder: Sie reden das Land schlecht; das ist falsch und gefährlich. Merkel: Das ist der blanke Hohn. Offensichtlich hat sich die Betrachtungsweise geändert. Sie sind keine absolutistische Herrscherin. Wenn wir Sie kritisieren, reden wir das Land nicht schlecht. Wir lieben unser Land, aber wir finden Ihre Regierung schlecht. Das haben wir mit der Mehrheit der Deutschen gemeinsam. ({1}) Es ist erstaunlich, mit welchen Reflexen Sie hier kommen. Sie reden mittlerweile wie Herr Schröder. Das Problem ist nur: Sie handeln auch so. Und das ist viel gefährlicher. ({2}) Ich habe gerade davon gesprochen, wie das vor einem Jahr gewesen ist. Wir waren fast auf den Tag vor einem Jahr - ein paar hundert Meter von hier - zu dritt und haben darüber gesprochen, dass Deutschland einen Politikwechsel braucht. Wir wollten einen Politikwechsel. So sind wir damals angetreten; wir haben für einen Politikwechsel geworben. Einen Regierungswechsel hat es gegeben. Auf den Politikwechsel wartet dieses Land immer noch, und zwar vergeblich. ({3}) Das Problem ist, dass Sie weitermachen wie unter Rot-Grün. ({4}) - Ehre, wem Ehre gebührt. Das Antidiskriminierungsgesetz ist doch von euch gemacht worden. Jetzt wird es eins zu eins umgesetzt. Seid doch stolz auf das, was ihr geleistet habt. Freut euch darüber, dass euer Geist immer noch über dieser Regierung schwebt. ({5}) Sie wechseln jetzt wiederholt die Überschrift Ihrer Agenda. Das hätte Schröder - er wechselte die Überschriften jedes Jahr - nicht besser gekonnt. Vor einem Jahr sprachen Sie nach der Bundestagswahl in Ihrer ersten Regierungserklärung von „mehr Freiheit wagen“. Etwas später hieß es dann: „Deutschland ist ein Sanierungsfall.“ Heute liefern Sie die dritte Überschrift: „Wir dürfen unsere Zukunft nicht verbrauchen.“ Reden wir doch einmal über die Fakten, die im Haushalt, den Sie heute in dieser Haushaltsdebatte eigentlich hätten verantworten müssen, enthalten sind. Frau Bundeskanzlerin, die Steinkohlesubventionen - das zu Ihrer Überschrift „Wir dürfen unsere Zukunft nicht verbrauchen.“ - steigen nach dem Haushaltsansatz Ihrer Regierung vom Jahr 2006 auf das Jahr 2007 um 400 Millionen Euro. Sie verlängern die Vergangenheit mit Subventionen und sprechen trotzdem davon, dass wir die Zukunft nicht verbrauchen dürfen. Die Zukunft wird dann verbraucht, wenn bei der Bildung gespart und wenn das Geld in den Schächten versenkt wird. ({6}) Reden wir nun über die mittelfristige Finanzplanung - darüber sollten wir eigentlich debattieren; viele von Ihnen und nicht nur die Vertreter der Oppositionsparteien, die natürlich nichts anderes im Kopf haben, als das Land schlecht zu reden, ({7}) sehen es genauso -: In der mittelfristigen Finanzplanung von 2007 bis 2010 - es handelt sich nur um eine Planung; die Sondereinnahmen sind darin noch nicht enthalten - wird von Steuermehreinnahmen in Höhe von 16,6 Milliarden Euro ausgegangen. Im selben Zeitraum sieht die mittelfristige Finanzplanung einen Abbau der Neuverschuldung um 1,6 Milliarden Euro vor. Das Verhältnis ist also wie folgt: Sie nehmen in den nächsten Jahren zehnmal mehr an Steuern ein, als Sie für die Rückführung der Neuverschuldung einsetzen möchten. Da kann von einem echten Schuldenabbau überhaupt nicht die Rede sein. Wer Schulden macht, verbraucht die Zukunft. Sie verbrauchen die Zukunft in unserem Land. ({8}) Das sind die Fakten, an denen Sie nicht vorbeikommen können. Wenn Sie es uns nicht glauben, hören Sie doch auf die Vertreter der entsprechenden Institutionen in Deutschland. Es ist doch keine oppositionelle Kritik, wenn Vertreter sämtlicher Wirtschaftsinstitute, auch die Sachverständigen der Bundesregierung und der Präsident der Deutschen Bundesbank davor warnen, dass die jetzige Chance auf einen Aufschwung - jeder freut sich darüber, dass sie da ist - durch die größte Steuererhöhung in der Geschichte der Republik zerstört wird. Sie wollen durch die Mehrwertsteuererhöhung etwa 19,5 Milliarden Euro mehr einnehmen. In diesem Jahr betragen allein die außerplanmäßigen Mehreinnahmen aufgrund der guten Konjunktur mehr als 20 Milliarden Euro. ({9}) Die Mehrwertsteuererhöhung ist nicht nur ökonomisch falsch, sondern sie ist auch unsozial. Sie ist außerdem für die Staatsfinanzen gar nicht nötig. Wenn Sie es mir nicht glauben, dann lesen Sie einmal in Ihren eigenen Wahlkampfreden nach, meine Damen und Herren von der SPD. ({10}) Aber das wollen Sie ja nicht; denn Sie wollen nicht mit dem konfrontiert werden, was Sie im Wahlkampf zur Bundestagswahl gesagt haben. Sie tun so, als ob sie im vorletzten Jahrhundert stattgefunden hätte. Herr Müntefering, der Vizekanzler dieser Regierung, vertritt allen Ernstes die Auffassung: „Wir werden als Koalition an dem gemessen, was in Wahlkämpfen gesagt worden ist. Das ist unfair.“ Kann sich noch irgendjemand in Deutschland über Politikverdrossenheit wundern, wenn der Vizekanzler dieser Republik der Meinung ist, dass das, was in Wahlkämpfen gesagt wird, durchaus gelogen sein kann und dass man die Bürgerinnen und Bürger betrügen kann? Es ist egal, was wir da gesagt haben! Wenn ihr uns jetzt daran messt, dann ist das unfair! - Unfair ist nicht, wenn die Bürger Sie an dem messen, was Sie im Wahlkampf gesagt haben; unfair ist, wenn Sie das Gegenteil von dem tun, was Sie im Wahlkampf gesagt haben. ({11}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sagen doch nichts anderes als das, was viele, zum Beispiel der Bundesbankpräsident - das wird heute von den Agenturen gemeldet -, sagen: Die Chance auf einen Aufschwung, die wir jetzt in der Tat haben, sollten wir nicht durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer, weiterer Steuern und Abgaben zum 1. Januar des nächsten Jahres zerstören. Wir müssten doch alle ein Interesse daran haben, dass sich aus der Chance auf den Aufschwung - mehr ist es noch nicht - im nächsten Jahr ein wirklich nachhaltiger Aufschwung entwickelt, der zu einer wirklichen Erleichterung auf dem Arbeitsmarkt führt, damit sich die Situation der Menschen, die einen Arbeitsplatz suchen oder um ihren Arbeitsplatz fürchten, verbessert. Das, was wir vorschlagen - das wissen Sie -, machen uns andere Länder vor. Muss ich Ihnen denn vorlesen, was Herr Clement in der letzten Woche gesagt hat? Herr Clement saß bis vor einem Jahr als Wirtschaftsminister auf der Regierungsbank. Sie haben ihm übrigens jedes Mal zugejubelt, wenn er hier gesprochen hat. Herr Clement sagt, dass Sie sich in die Zeit vor der Agenda 2010 zurückentwickeln. Der alte Wirtschaftsminister sagt Ihnen: Sie predigen zwar „Mehr Freiheit wagen!“; das Problem Ihrer Regierung ist aber, dass Sie das genaue Gegenteil tun. ({12}) Der alte Wirtschaftsminister Clement schreibt das auch den Sozialdemokraten ins Stammbuch. Deswegen sage ich: Das ist kein Teufelszeug! Andere Nachbarländer - auf die wird ausdrücklich hingewiesen machen es uns vor, wie durch niedrigere Steuern, durch ein einfacheres und gerechteres Steuersystem Arbeitsplätze geschaffen werden können. Die Rahmenbedingungen für Investitionen müssen verbessert und die Kaufkraft gesteigert werden. Das ist der zwingende Zusammenhang. Das ist das Problem, das wir in Deutschland gemeinsam angehen sollten. Hier im Hause haben wir einen bemerkenswerten Streit erlebt. Ich meine damit nicht die kleinen Petitessen am Rande. Es ist ein Aufschwung da, so heißt es zumindest. Ich bin der Meinung, das ist bisher nur die Chance auf einen Aufschwung. Ich hoffe, dass sich daraus ein Aufschwung entwickelt. Sofort geht es los: Herr Kauder sagt: Das ist der „Merkel-Aufschwung“. Herr Struck sagt: Das ist der „Schröder-Aufschwung“. ({13}) Sie haben noch gar nicht verstanden, dass der Aufschwung in Wirklichkeit von den Menschen gemacht wird. Ihre Regierung hat am allerwenigsten damit zu tun. ({14}) Wenn es ein Aufschwung ist, dann ist es mit Sicherheit kein „Merkel-Aufschwung“ und auch kein „SchröderAufschwung“. Wenn, dann wurde die Situation durch die Fußballweltmeisterschaft aufgehellt. Das ist die Wahrheit. Bei der echten Kaufkraft, bei der Binnenkonjunktur, bei dem, was unser Land nach vorne bringen könnte, passiert leider immer noch gar nichts. Es wird noch schlimmer, wenn Sie die Binnenkonjunktur jetzt noch weiter schwächen und bei den Leuten abkassieren. ({15}) - Herr Kollege Kampeter, bitte! Noch so ein Zuruf, und das Wort „Flaschengeist“ bekommt eine ganz neue Bedeutung. ({16}) Wir wollen noch einmal auf den Punkt aufmerksam machen, der in diesem Zusammenhang von Bedeutung ist. Wir haben keine Verbesserung der Binnenkonjunktur. Die Binnenkonjunktur wird im Gegenteil zur Jahreswende noch weiter beschädigt. Das muss man auf den Punkt bringen und übersetzen: Eine vierköpfige Familie mit einem durchschnittlichen Jahreseinkommen in Höhe von 40 000 Euro wird im nächsten Jahr allein durch die Steuererhöhungen dieser Regierung im Schnitt um etwa 2 000 Euro mehr belastet. Dieses Geld können die Leute nicht mehr ausgeben, weder für den privaten Konsum noch für die Altersvorsorge. Darauf antwortete der Finanzminister in diesem Sommer: Wenn die Leute mehr fürs Alter vorsorgen müssen, können sie halt nicht mehr in Urlaub fahren. - Es ist übrigens besonders unappetitlich, wenn Politiker, die keinen einzigen Euro in ihre eigene Altersversorgung einzahlen müssen, so etwas sagen. So viel zum Thema „Eigenverantwortung“. Das sei an dieser Stelle einmal gesagt. Das muss in den Ohren der Bevölkerung wie Hohn klingen. ({17}) Als Finanzminister sollten Sie, wenn Sie sich diese Gedanken schon machen, eine ganz andere Konsequenz ziehen. Die Konsequenz müsste lauten: Wenn man den Bürgern mehr Eigenverantwortung für das eigene Alter abverlangen muss, dann muss der Staat auch für steuerliche Entlastungen sorgen, ({18}) indem er sich bei den Ausgaben zurücknimmt, sonst haben die allermeisten Familien nämlich gar keine Chance, eigenverantwortlich fürs Alter vorzusorgen. ({19}) Das ist der zwingende Zusammenhang. Sie haben heute keinen Ton zu den Fragen, die eigentlich von Ihnen hätten angesprochen werden müssen, gesagt. Hinsichtlich der Unternehmensteuerreform bleibt alles sehr nebulös. Was wird denn jetzt aus der Unternehmensteuerreform? Kommt sie? Ich wäre sehr dafür. ({20}) Aber was wird dann mit dem Vorschlag aus dem Finanzministerium gemacht, der besagt, dass man für die Zinsen demnächst quasi Steuern zahlen muss, weil man sie als Betriebsausgabe nicht mehr berücksichtigen kann? ({21}) Wird das die Gegenfinanzierung oder nicht? ({22}) - Sie sagen Nein. Halten wir das einmal fürs Protokoll fest. ({23}) Dann können Sie meine zweite Frage, Herr Kollege Kauder, auch sofort beantworten. ({24}) - Ich stelle Ihnen, wenn Sie möchten, gerne lauter Fragen. Das gehört sich für eine bescheidene Opposition so. Die Frage bezieht sich auf die Erbschaftsteuer: Was passiert denn hinsichtlich der Erbschaftsteuer? Wir sind uns doch alle darüber einig, dass die Übergänge von Betrieben auf die nächste Generation erleichtert werden müssen; das ist sinnvoll. Aber was ist dann aus dem Vorschlag, der aus dem Finanzministerium und aus der SPD ohnehin gekommen ist, geworden, der lautet, man könne die Stundung der Erbschaftsteuer - jedes Jahr 10 Prozent weniger, wenn der Betrieb fortgeführt wird - durchaus machen, allerdings nur dann, wenn dieser Betrieb eine Arbeitsplatzgarantie für die nächsten zehn Jahre gibt? Ich kenne keinen Mittelständler in Deutschland, der in der Lage wäre, schon jetzt eine Garantie dafür zu geben, dass er dieselbe Anzahl an Arbeitsplätzen in zehn Jahren hat. ({25}) So macht man den Mittelstand pleite, statt ihn nach vorn zu bringen. ({26}) Sie hätten dazu eine Menge zu sagen. Sie haben von der Gesundheitspolitik gesprochen. Auch das ist ein Punkt, den man nur kurz streifen muss. Sie reden hier übrigens gegen die Meinung von 80 Prozent der Bevölkerung und auch gegen die Kritik, die in Ihren eigenen Kreisen ausgesprochen wird. Sie loben die Gesundheitsministerin. Das müssen Sie als Bundeskanzlerin wahrscheinlich tun. Ich glaube nicht, dass Sie dafür schon eine Mehrheit auf Ihrem eigenen Parteitag hätten. ({27}) Aber das ist Ihre Angelegenheit; das werden Sie mit sich selber ausmachen müssen. ({28}) Beim Gesundheitsfonds geht es um etwas ganz anderes. Nur dieser Bereich soll einmal erhellt werden. Der Gesundheitsfonds soll künftig zum Teil dafür zuständig sein, Beiträge einzusammeln, und ist damit eine zweite Bürokratie für Beitragszahlungen. Das heißt, die Kassen müssen eine Bürokratie unterhalten, um Beiträge einzunehmen, und der Gesundheitsfonds muss das künftig auch tun. Es wäre das erste Mal in der Geschichte der Menschheit, dass zwei Bürokratien preiswerter sind als eine. Das kann nicht funktionieren. ({29}) Sie haben das Thema innere Sicherheit zu Recht prominent angesprochen. Alles, was Sie über die Entwicklung der Welt in diesem Bereich und vor allen Dingen auch über die Bedrohungsszenarien gesagt haben, ist doch Konsens. Das alles sehen wir genauso. Ich möchte nur darauf aufmerksam machen, dass es nicht so ist, als käme die Videoüberwachung an neuralgischen Punkten oder die Antiterrordatei jetzt plötzlich gegen Widerstände in diesem Haus zustande. Wir wollen einmal auf Folgendes aufmerksam machen: Die Antiterrordatei kommt deshalb zustande, weil die unionsgeführten Länder auf ihre Maximalposition der Volltextdatei verzichtet haben, übrigens deshalb, weil ihnen die Praktiker gesagt haben, dass man mit Datenmüll die innere Sicherheit am Schluss überhaupt nicht mehr überwachen kann. ({30}) Sie haben das doch vor allen Dingen in Bayern ausgebremst. Wir wollen nun noch einmal über das Thema Außenpolitik sprechen und darüber diskutieren, was Sie dazu gesagt haben. Sie, Frau Bundeskanzlerin, und auch Herr Kollege Kauder haben sich hinsichtlich der Außenpolitik große Sorgen um die Zuverlässigkeit und Berechenbarkeit der Freien Demokraten gemacht. ({31}) Wissen Sie, mir persönlich können Sie gern alles unterstellen. Aber wenn Sie Persönlichkeiten wie HansDietrich Genscher, Walter Scheel und Otto Graf Lambsdorff die außenpolitische Erfahrung und den inneren Kompass absprechen, wird es meiner Meinung nach nur noch albern. ({32}) Ich möchte gern noch einmal die Gründe für unsere Haltung nennen. Wir haben in diesem Hohen Hause die allermeisten Auslandseinsätze der Bundeswehr unterstützt. Ich will Ihnen aber sagen: Angesichts der Tatsache, die gestern veröffentlicht wurde, dass 92 Prozent der Weltproduktion von Opium derzeit aus Afghanistan kommen, erlauben Sie mir bitte die Frage, ob wir nicht einmal in diesem Hohen Hause darüber reden müssten, was dort wirklich stattfindet und passiert. Diese Fragen werden wohl noch gestellt werden dürfen. ({33}) Wie es im Augenblick aussieht, schützen wir diese Produktion. Der zweite Punkt, den ich ansprechen möchte, ist der Kongoeinsatz, den wir bei der Abstimmung in der Tat abgelehnt haben. Den Afghanistaneinsatz hingegen haben wir unterstützt. Übrigens sind alle Bedenken, die die Fraktion der Freien Demokratischen Partei gegen den Kongoeinsatz vorgetragen hat, in den letzten Wochen bestätigt worden. Sie waren der Überzeugung, die bloße Anwesenheit von europäischen Soldaten, darunter auch deutschen, reiche aus, um demokratische Wahlen in einem stabilen Umfeld stattfinden lassen zu können. Wir haben Ihnen damals gesagt, was passieren wird, wenn es wirklich zu Gefährdungen oder sogar Kampfeinsätzen kommen sollte. Genau das ist nach den ersten Wahlen bzw. vor der Stichwahl geschehen. Unsere Befürchtungen sind eingetreten, und das - nebenbei bemerkt -, während der deutsche Botschafter bei einem Außentermin war, von dem er nur unter dem Schutz von Truppen in seine Residenz zurückgebracht werden konnte, und während der zuständige Kommandeur im Auslandsurlaub in Schweden war. Das ist ein Stück aus dem Tollhaus. Viel schlimmer aber ist, dass der Verteidigungsminister der Republik nichts davon wusste. Sie sind in Ihrem Amt noch nicht angekommen, Herr Verteidigungsminister. Das ist das Problem. ({34}) Nun will ich auf die Diskussion über den Nahen Osten zu sprechen kommen. Frau Bundeskanzlerin, Herr Kauder, Sie sprachen heute Vormittag von der Staatsräson. Es war richtig, dass Sie die Staatsräson angesprochen haben. Die Staatsräson ist für das gesamte Hohe Haus unverändert. Sie beinhaltet sowohl das Existenzrecht Israels und das Recht der Bürger Israels, in sicheren Grenzen zu leben, als auch das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser. Niemand in diesem Hause wird auch nur ansatzweise Zweifel daran haben, dass Selbstmordattentate und Raketenangriffe auf Israel ein Verbrechen sind und dass die Völkergemeinschaft sich hierzu klar und eindeutig äußern und handeln muss. Nur: Bis zum Sommer dieses Jahres gehörte zur Staatsräson der Bundesrepublik auch - das gilt für alle Bundestage, alle Regierungen und alle Parteien, die bisher in diesem Hause vertreten waren -, dass es keinen Einsatz bewaffneter deutscher Soldaten im Nahen Osten geben sollte. ({35}) Eines möchte ich festhalten: Nicht die Freien Demokraten stellen etwas infrage, sondern Sie. Sie ändern einen Kurs, der in diesem Lande jahrzehntelang unumstritten war. ({36}) Ich käme nie auf die Idee, Ihnen unlautere Motive zu unterstellen oder die Entscheidung von Kollegen, die diesem Einsatz zustimmen, im Menschlichen oder im Politischen zu attackieren. Ich habe davor Respekt, wenn Sie zu einem anderen Ergebnis kommen als ich. Aber ich erwarte denselben Respekt gegenüber denjenigen, die sagen, es sollte bei der Staatsräson bleiben, die bisher in Deutschland gegolten hat: keine bewaffneten deutschen Soldaten im Nahen Osten. ({37}) Daher, Herr Kollege Kauder, verbitte ich mir Hinweise auf irgendeine Art von Wankelmütigkeit oder Unzuverlässigkeit in der Außenpolitik der FDP. ({38}) Eines möchte ich im Hinblick auf die Bedenken, die wir geäußert haben, feststellen: Ich persönlich habe ganz grundsätzliche historische Bedenken gegen einen Einsatz deutscher Soldaten im Nahen Osten. Viele meiner Kolleginnen und Kollegen, die weniger aus historischer Perspektive argumentieren, kritisieren vor allen Dingen die Undeutlichkeit des Mandates. Das Mandat der Vereinten Nationen ist nicht eindeutig. Ich stelle nur folgende Fragen: Wer soll eigentlich die Hisbollah entwaffnen? ({39}) Wie soll die Entwaffnung durchgeführt werden? Was geschieht, wenn die Bundeswehr auf See zum Einsatz kommt und auf diesem Wege vielleicht das eine oder andere verhindern kann, wenn sich aber die Situation auf dem Lande nicht ändert? Ist nicht die Gefahr viel zu groß, dass wir selbst im Nahen Osten zu einer Art Kriegspartei werden könnten? Ist damit nicht auch die Gefahr viel zu groß, dass es tatsächlich zu militärischen Auseinandersetzungen zwischen deutschen und israelischen Soldaten kommen könnte? Wäre das nicht eine furchtbare Vorstellung? Es handelt sich auch dann um einen Kampfeinsatz, wenn er auf dem Wasser stattfindet. Deswegen benutzt der Verteidigungsminister den Begriff „Kampfeinsatz“. Ob es zu einem Kampfeinsatz auf dem Boden oder zu einem Kampfeinsatz auf der See kommt, das ist wahrlich nicht der entscheidende politische Unterschied, übrigens auch nicht für die Soldaten persönlich, die im Nahen Osten eingesetzt werden. Frau Bundeskanzlerin, angesichts dessen, was wir wissen, werden wir diesem Einsatz nicht zustimmen, und zwar aus voller außenpolitischer Überzeugung und Verantwortung. Wir sind der Auffassung, dass es, was den Einsatz deutscher Soldaten betrifft, bei der Staatsräson bleiben sollte, die in Deutschland bisher gegolten hat. Sie haben bestimmt zur Kenntnis genommen, wie sich die Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Fraktionen verhalten haben oder, besser gesagt, sich nicht verhalten haben, als es um den Verteidigungsminister ging. Von dieser Kritik, die nicht nur von der Opposition geäußert wird, kann man auch Sie nicht ausnehmen. Meine Damen und Herren, die Diskussion über bewaffnete deutsche Soldaten im Nahen Osten ist nicht vom Ausland an uns herangetragen worden, die haben wir selber angefangen. ({40}) Es muss einfach zur Kenntnis genommen werden, dass der Verteidigungsminister schon im Juli über den Einsatz bewaffneter deutscher Soldaten spekuliert hat. Er hat dabei offensichtlich nicht bedacht, dass seine Reden jetzt anders als in seinem vorherigen Amt im Hessischen Landtag internationale Konsequenzen haben. Sie, Frau Bundeskanzlerin, hätten diese Debatte im Sommer nicht laufen lassen dürfen, Sie hätten sie sofort beenden müssen. ({41}) Das sage ich nicht - das wissen Sie auch - aus irgendwelchen pazifistischen Grundüberlegungen. Ich bin ein Anhänger der wehrhaften Demokratie. Dennoch bleibt festzuhalten: Das ist nicht gut gelaufen. Jetzt hören wir immer mehr dazu, welche Briefe die libanesische Regierung jetzt schreiben will. Das, was in diesem Zusammenhang bekannt ist, bestärkt uns noch mehr in unserer Skepsis. Wie soll der Einsatz vonstatten gehen? Wie soll die Einhaltung einer Siebenmeilenschutzzone wirklich funktionieren? Wie sollen eigentlich heikle Situationen verhindert werden? In der Siebenmeilenschutzzone soll die libanesische Seite zur Entwaffnung der Hisbollah eingesetzt werden und Waffenschmuggeleien unterbinden. Wie sollen wir uns aber verhalten, wenn das nicht geschieht und dann beispielsweise die israelische Seite eingreift? Wollen wir es den Israelis wirklich übel nehmen, dass sie verhindern wollen, dass Waffen an die Hisbollah geschmuggelt werden? Wie wollen wir uns in solchen Situationen verhalten? Ich sage Ihnen: Wir müssen nicht bei jedem Einsatz der Vereinten Nationen dabei sein. ({42}) Bei diesem Einsatz der Vereinten Nationen sollten wir nicht dabei sein. Es ist kein guter Vorgang, dass Sie behaupten, Sie werden gerufen, obwohl Sie jetzt drei Mal in der Woche im Libanon anrufen müssen, um nachzufragen, wann denn endlich der Ruf an Deutschland kommt. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({43})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Elke Ferner das Wort. ({0})

Elke Ferner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000535, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst auf ein paar Äußerungen von Herrn Westerwelle eingehen, ({0}) weil ich denke, dass man sie so nicht stehen lassen kann. Richtig ist: Die Rahmenbedingungen sind besser geworden, wir haben im August dieses Jahres über 400 000 Arbeitslose weniger als im August des vergangenen Jahres verzeichnet. Es gibt wieder mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse und auch die Steuereinnahmen der öffentlichen Hände steigen. Wer aber so tut, als könne man jetzt sofort Steuersenkungsprogramme auflegen und die Verluste durch Ausgabenkürzungen kompensieren, greift nicht nur zu kurz, sondern belügt auch die Menschen. ({1}) Das, was Sie heute gesagt haben, ist der blanke Populismus, Herr Westerwelle. ({2}) - Zur Mehrwertsteuer komme ich auch noch, Herr Koppelin. Sie, Herr Westerwelle, haben gerade von Déjà-vu gesprochen. Wenn Sie in der Opposition sind, fordern Sie Steuersenkungen und Ausgabenkürzungen, sagen aber nicht, wo genau gekürzt werden soll, ob es die Renten sein sollen oder ob andere Leistungen gekürzt werden sollen. Sie führen immer wieder die Steinkohlebeihilfen an, obwohl Sie genau wissen, dass es rechtsverbindliche Zuwendungsbescheide gibt und man nicht einfach kürzen kann. Das, was Sie betreiben, ist blanker Populismus. Wenn Sie aber in der Regierung sind, Herr Westerwelle, dann tragen Sie Steuererhöhungen mit. Herr Steinbrück hat gestern vorgerechnet, dass es 20 Steuererhöhungen in Ihrer Regierungszeit gegeben hat. Ich habe noch einmal nachgeschlagen: Fünf von acht Mehrwertsteuererhöhungen sind mithilfe der FDP im Deutschen Bundestag beschlossen worden. ({3}) - Herr Koppelin, wir haben uns nie verweigert, wenn es darum ging, sicherzustellen, dass dem Staat Einnahmen zufließen. ({4}) Nur durch Einnahmen kann die öffentliche Daseinsvorsorge auf Dauer gesichert werden. Was Sie wollen, ist im Prinzip, dass es keine oder deutlich weniger öffentliche Daseinsvorsorge gibt. Das geht in den Bildungsbereich hinein, das geht in den Bereich der Infrastruktur, das geht in den Bereich der Forschung und, wenn es nach Ihnen geht, auch in den Bereich der sozialen Sicherungssysteme. Deshalb ist es gut, dass Sie nicht regieren. ({5}) - Herr Koppelin, hat irgendjemand in diesem Haus aus irgendeinem Land, in dem die FDP mitregiert, den Vorschlag gehört, dass man dort auf den Anteil aus der Mehrwertsteuererhöhung verzichten wolle? ({6}) Ich habe nichts dergleichen gehört. Wenn die drei Länder, in denen Sie noch mitregieren, auf ihren Anteil verzichteten, könnten wir vielleicht auf einen Teil der Mehrwertsteuererhöhung verzichten - tun Sie es doch! ({7}) - Herr Koppelin, ich gehe davon aus, dass Sie in dieser Haushaltsdebatte noch Gelegenheit bekommen, das Wort zu ergreifen; Sie brauchen sich im Protokoll nicht mit Zwischenrufen zu verewigen. Wir haben mit dem Investitionsprogramm den Grundstein dafür gelegt, dass das, was an Wachstumsdaten jetzt vorhanden ist, noch besser wird. Wir haben bewusst darauf verzichtet, in diesem Jahr drastische Einsparungen vorzunehmen, um mit dem Investitionsprogramm - die Union hat das etwas anders gesehen; aber ich bin froh, dass wir uns an dieser Stelle durchsetzen konnten ({8}) die Beschäftigung voranzubringen und zu sichern. Gerade das CO2-Gebäudesanierungsprogramm macht das sehr deutlich. Es ist nicht nur ein Beitrag zum Klimaschutz, es sichert - das darf man an dieser Stelle nicht vergessen - auch Beschäftigung: beim lokalen und regionalen Handwerk, weil es sich hier um private Investitionen handelt. Das, was wir an staatlichem Geld einsetzen, bewirkt ein Vielfaches an privaten Investitionen. ({9}) Ich glaube, man darf nicht so pessimistisch sein, was das Jahr 2007 anbelangt. Es ist nicht ohne Gefahr, das wissen wir auch, aber wir hoffen, dass der Aufschwung trägt und vor allen Dingen dass die Investitionen nicht nur beim Bund auf sehr hohem Niveau, sondern auch von den Ländern und Kommunen auf höherem Niveau getätigt werden; denn die Investitionseinbrüche, die wir haben, liegen nicht am Bund - der Bund hat wirklich ein sehr hohes Investitionsniveau -, sondern es sind die Länder und Kommunen, wo die Investitionen nicht in dem Umfang gemacht werden, wie es eigentlich notwendig ist. Wir haben nicht nur im Bundeshaushalt das Problem, dass die Einnahmen nicht so sind, wie wir sie eigentlich brauchen. Wir haben in den vergangenen zwei Wahlperioden einiges an Vorschlägen zum Abbau von Steuersubventionen gemacht. Diese Vorschläge sind im Bundesrat leider immer hängen geblieben. Wäre das nicht so gewesen, würden wir heute besser dastehen. Wir haben ein Einnahmeproblem auch bei den sozialen Sicherungssystemen, insbesondere bei der gesetzlichen Krankenversicherung. Ich habe mir die Zahlen einmal heraussuchen lassen bzw. das Gesundheitsministerium hatte sie der Koalitionsarbeitsgruppe zur Verfügung gestellt: Wenn die Pflichtbeitragseinnahmen der gesetzlichen Krankenversicherung sich von 1980 bis 2000 parallel zum Bruttoinlandsprodukt entwickelt hätten, hätte im Jahr 2000 ein durchschnittlicher Beitragssatz von 11,6 Prozent ausgereicht, um die Ausgaben zu decken. Das ist das eigentliche, strukturelle Problem der gesetzlichen Krankenversicherung. ({10}) Wir haben in den Verhandlungen über die Gesundheitsreform versucht, da ein Stück weit Abhilfe zu schaffen. Es ist leider nicht so gekommen, wie wir uns das als SPD gewünscht hatten. Wir hatten vorgeschlagen, mit bis zu 24 Milliarden Euro eine zusätzliche, steuerfinanzierte Säule des Gesundheitssystems aufzubauen nicht um dieses Geld sofort wieder auszugeben, sondern um ein Potenzial für Beitragssatzsenkungen zu bekommen. Das ist mit der Union leider nicht möglich gewesen. ({11}) Auch wenn das in dieser Wahlperiode wohl nicht umgesetzt werden kann, bleibt es für uns nach wie vor auf der politischen Tagesordnung. Wir haben zum Zweiten versucht, zu erreichen, dass die Solidarität im Gesundheitssystem nicht nur zwischen gesetzlich Versicherten organisiert wird, sondern dass die doch sehr unterschiedlichen Einkünfte der privat Versicherten mit in den Einkommensausgleich einbezogen werden und dass die unterschiedlichen Krankheitsrisiken - die in der PKV Versicherten haben bekanntlich viel günstigere Krankheitsrisiken - zwischen diesen beiden Systemen ausgeglichen werden. Auch das ist leider nicht möglich gewesen; aber auch das bleibt nach wie vor politisches Ziel der SPD. Wir haben uns natürlich auch mit der Ausgabenseite beschäftigt. Im Moment diskutiert ja die ganze Welt über den Fonds, den Beitragseinzug und alles Mögliche bezüglich der Finanzen. Niemand würdigt aber das, was die Koalition vereinbart hat, um Strukturreformen durchzuführen. Wir sind hier deutlich weiter gekommen, als wir selbst und viele andere das zu Beginn gedacht haben. Herr Kuhn, es stimmt nicht, dass kein Wettbewerb stattfindet. Mit der Gesundheitsreform werden wir es den Kassen ermöglichen, mehr Wettbewerb zu organisieren. Nach unserer Auffassung hätte dies noch mehr sein können. Im Vergleich zum Gesundheitsmodernisierungsgesetz sind wir aber ein gutes Stück weiter gekommen. Ich will Ihnen dazu ein Beispiel nennen: Die Kassen werden künftig die Möglichkeit haben, einzelne Arzneimittel und auch Wirkstoffe auszuschreiben und dafür günstigere Preise bei den Pharmaherstellern zu erzielen. Diese werden Eingang in die besonderen Versorgungsformen haben. Das bedeutet ein Stück mehr Wettbewerb, der zur Kostensenkung beiträgt, ohne dass es zu Einschränkungen bei den Patientinnen und Patienten kommt; denn wir haben mit dieser Reform sichergestellt, dass es nicht zu Erhöhungen der Zuzahlungen und zu Leistungsausgrenzungen kommen wird. Alle werden auch künftig am medizinischen Fortschritt teilhaben und die medizinische Versorgung beElke Ferner kommen können, die notwendig ist, egal, bei welcher Krankenkassen sie versichert sind und wie hoch ihr Einkommen ist. Das ist das oberste Ziel dieser Reform gewesen. ({12}) Im Gegenzug haben wir den Leistungskatalog sogar noch erweitert. Wir haben die Palliativversorgung, die geriatrische Reha, die Eltern-Kind-Kuren und die Impfungen, die die Ständige Impfkommission empfiehlt, in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung hineingenommen. Das ist das Gegenteil von dem, was bei vielen anderen Gesundheitsreformen gemacht worden ist: Leistungen, die notwendig sind und auch Geld kosten, sind aufgenommen worden. Trotz all dieser Maßnahmen haben wir es geschafft - auch durch die Organisation des Wettbewerbs -, ein Einsparpotenzial von 1,9 Milliarden Euro zu mobilisieren. Das hätte an einigen Stellen mehr sein können. An einigen Stellen wird es wahrscheinlich auch mehr sein, weil wir vorsichtig gewesen sind, nur das beziffert haben, was man seriöserweise beziffern konnte, und keine Luftbuchungen durchgeführt haben. Dennoch kommen wir im nächsten Jahr nicht um eine Beitragssatzanhebung herum. Das liegt einfach daran, dass es uns nicht gelungen ist, die Einnahmebasis zu verbreitern. Man muss aber auch bedenken, was passieren würde, wenn wir jetzt nichts täten. Wenn wir jetzt nichts täten, dann würden die Beitragssätze höher steigen. Niemand hat versprochen, dass die Beitragssätze durch die Verwirklichung der Eckpunkte nicht steigen werden. Kurt Beck und Frau Merkel haben nach der Runde, in der die Einigung erzielt worden ist, ja deutlich gesagt, dass es Beitragssatzanhebungen geben muss; denn eines ist klar: Die Einnahmen müssen die Ausgaben beim Fondsstart decken und die Kassen müssen entschuldet sein. Das haben wir in der Koalition vereinbart. Die Details werden derzeit von einer kleinen Arbeitsgruppe der Koalition besprochen. Für uns ist dabei wichtig, dass der Fonds erst dann starten kann, wenn der Risikostrukturausgleich bezüglich der Krankheitsrisiken, wie in den Eckpunkten vereinbart, so organisiert ist, dass er deutlich zielgenauer als das ist, was wir heute haben. ({13}) Das ist nämlich auch eines der Probleme, die wir haben: Seit die Versicherten von Kasse zu Kasse wechseln können, gibt es natürlich sehr unterschiedliche Situationen. Die einzelnen Kassen zahlen sehr unterschiedliche Prämien an die Kassenärztlichen Vereinigungen, unabhängig davon, wie groß oder wie klein sie sind. Früher ging das alles nach Größe. Daneben sind die Krankheitsrisiken sehr unterschiedlich verteilt. Es ist eben nicht egal, ob man junge oder alte Frauen oder Männer versichert, ob sie gesund oder krank sind und ob sie Leistungen von der Krankenkasse brauchen oder nicht. Deshalb bestehen wir darauf, dass der so genannte morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich, also der bessere und zielgenaue Ausgleich der Krankheitsrisiken, mit dem Fondsstart gewährleistet ist. Sonst kann der Fonds aus unserer Sicht nicht starten. ({14}) Ein zweiter Punkt - darüber wird im Moment sehr heftig diskutiert - ist die Frage des Beitragseinzuges. Eigentlich hatte ich an dieser Stelle in meinem Manuskript vermerkt, dass ich den Fonds nicht mehr erklären muss, weil sich alle damit beschäftigt haben. Aber offenbar gibt es auch hier im Haus einige, die Äpfel mit Birnen vergleichen. Der Beitragseinzug hat mit dem Fonds zunächst einmal überhaupt nichts zu tun. Der Fonds ist Bestandteil der neuen Finanzarchitektur für die gesetzlichen Krankenversicherungen. In Teilen gibt es diesen Fonds schon heute, nämlich in Form des Risikostrukturausgleichs, der über das Bundesversicherungsamt abgewickelt wird. Bezüglich des Beitragseinzugs haben wir vereinbart, dass dieser weiterhin dezentral erfolgen soll, damit die Arbeitgeber vor Ort einen Ansprechpartner haben. Es soll keine zentrale Mammutbehörde aufgebaut werden. Die Frage ist natürlich: Wie soll die Zielstruktur für den Beitragseinzug aussehen? Das wird derzeit zwischen dem Gesundheitsministerium und dem Arbeits- und Sozialministerium besprochen; denn es geht hier nicht nur um den Einzug der Krankenversicherungsbeiträge, sondern um den Einzug aller Sozialversicherungsbeiträge. Dafür bestehen mehrere Möglichkeiten. Eine Möglichkeit ist, die Kompetenz für den Einzug dort zu lassen, wo sie jetzt ist, und dann von dort aus die Gelder für den Fonds einzuziehen. Auch über diese Möglichkeit wird im Moment diskutiert. Eines aber ist klar: Das muss dezentral organisiert werden. Zu jeder Zeit, also auch zu jeder Sekunde, muss sichergestellt sein, dass der Beitragseinzug funktioniert und das Geld pünktlich auf den Konten der Sozialversicherungsträger landet. Ebenso muss sichergestellt werden, dass der vorhandene Sachverstand der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Beitragseinzugsstellen weiterhin genutzt wird. Das bezieht sich nicht nur auf den Beitragseinzug, sondern auf alle Aspekte, die mit den Arbeitgebern zu tun haben. Insofern werden wir sehr genau darauf achten, wie das ausgestaltet wird, damit es hier nicht zu Brüchen kommt, die niemand verantworten kann und die auch niemand will. ({15}) Natürlich gibt es auch Kritik. Wir haben Probleme mit dem Zusatzbeitrag. Es wäre falsch, das hier zu verschweigen. Aber eines ist klar: Wir haben dafür gesorgt, dass der Zusatzbeitrag niemanden überfordert; er darf - analog zu der Chronikerregelung - nicht mehr als 1 Prozent des Einkommens betragen. Auch haben wir dafür gesorgt, dass der Fonds ausreichend gefüllt sein wird, um den medizinischen Fortschritt weiterhin finanzieren zu können. Ebenso ist sichergestellt, dass dann, wenn die Beitragseinnahmen und die vorgesehenen Steuermittel nicht ausreichen, die Beiträge der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber in gleichem Maße angehoben werden. Es gibt keine Festschreibung der Beiträge auf Dauer. Für die Menschen ist wichtig, zu wissen: Sie werden auch in Zukunft mit den wachsenden Kosten als Folge der demografischen Entwicklung und des medizinischen Fortschritts nicht alleine gelassen. ({16}) Wir werden über die Gesundheitsreform in diesem Jahr mit Sicherheit noch öfter debattieren: bei der Einbringung des Haushalts, in den Ausschussberatungen, bei der Anhörung und in der Schlussberatung. Ich bin mir aber sicher, dass wir das Ziel erreichen können, die Reform zum 1. Januar 2007 in Kraft treten zu lassen. Wer bessere Vorschläge hat, möge sie auf den Tisch legen. Ich habe bisher noch keinen Vorschlag gehört, der eine vernünftige Regelung für bezahlbare Krankenversicherungsbeiträge enthält und gleichzeitig den medizinischen Fortschritt für alle - nicht nur für diejenigen, die über ein gut gefülltes Portemonnaie verfügen - bezahlbar macht. ({17})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Max Straubinger das Wort. ({0})

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich mit einer Vorbemerkung beginnen. Der Kollege Westerwelle hat zum Schluss seiner Rede, die ich aufmerksam verfolgt habe, den Eindruck zu vermitteln versucht, dass sich die Bundesregierung und die Fraktionen, die die Bundesregierung in ihrem Bemühen unterstützen, Friedenseinsätze aufgrund ihrer internationalen Verantwortung zu begleiten, aufdrängen würden. Ich möchte dies ausdrücklich zurückweisen. ({0}) Die Bundesregierung und die sie in dieser Frage unterstützenden Fraktionen im Haus handeln in Verantwortung der außenpolitischen Gegebenheiten, auch der entstandenen außenpolitischen Fragen und Herausforderungen, und vor allen Dingen in Verantwortung für Frieden und Freiheit in gefährdeten Regionen dieser Welt. Das ist meines Erachtens eine großartige Leistung der Bundeskanzlerin und des Außenministers, die sie in den vergangenen Wochen und Monaten zustande gebracht haben. Dies sollte nicht in ein schiefes Licht gerückt werden, Herr Kollege Westerwelle. ({1}) Ich gebe unserem Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder Recht: Man kann nicht große Reden darüber halten, dass das Existenzrecht Israels zu unterstützen ist, aber dann, wenn es möglicherweise gefährdet ist, keinen Beitrag leisten. Ich glaube, wir sind in der Verantwortung, die nötigen Beiträge zu leisten. Darüber, wie diese im Einzelnen aussehen sollen, kann man diskutieren. Ich bin davon überzeugt, dass die Bundesregierung bisher eine großartige Leistung vollbracht hat und auch für die zukünftigen Entscheidungen dem Parlament die richtigen Vorschläge unterbreiten wird, die wir dann sicherlich unterstützen werden. ({2}) Ich glaube, die bisherige Haushaltsdebatte zeigt sehr deutlich, dass die Menschen der Bundesregierung und den sie tragenden Fraktionen, der CDU/CSU und der SPD, Vertrauen entgegenbringen können. Die Wirtschaft wächst, die Arbeitslosigkeit sinkt, die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse nimmt zu und die Haushaltssanierung schreitet voran. Wer hätte sich das vor einem Jahr vorstellen können? Ich glaube, das konnten viele Bürgerinnen und Bürger in Deutschland nicht. ({3}) Das aber sind die wichtigen Botschaften und Signale, die die Politik der großen Koalition nach zehnmonatiger Regierungstätigkeit den Bürgerinnen und Bürgern in unserem Land zu vermitteln vermag. Für die Menschen in unserem Land wird sichtbar, dass wir den Koalitionsvertrag - und damit auch den Koalitionsauftrag - in die Tat umsetzen. Das Investieren, Sparen und Reformieren wird angegangen und punktgenau und zielorientiert umgesetzt. Auch der Haushalt 2007, der jetzt eingebracht worden ist, ist Ausdruck der Umsetzung des Koalitionsvertrages und er hat bereits großartige Erfolge vorzuweisen. Dass die Maastrichtkriterien bereits in diesem Jahr eingehalten werden - das wurde bereits erwähnt, aber man kann es nicht oft genug darlegen -, ist ebenfalls Ausdruck der Regierungspolitik. ({4}) Dass sie auch 2007 eingehalten werden, weil die Grundlage dafür heuer gelegt worden ist, ist wiederum ein großartiges positives Signal. Auch dass nach mehreren Jahren, in denen der Haushalt nicht verfassungskonform war, jetzt ein verfassungskonformer Haushalt eingebracht worden ist und die Nettoneuverschuldung geringer ist als die Investitionen, ist der neuen Bundesregierung, die seit Oktober im Amt ist, zu verdanken. ({5}) Dass die Mehreinnahmen nicht nur über Steuern, sondern vor allen Dingen auch durch erhebliche Einsparungen erzielt werden, ist auch Ausdruck des Haushaltes, den wir heute beraten. Für mich ist aber auch entscheidend, dass in diesem Haushalt zum Ausdruck gebracht wird, dass die soziale Sicherheit der Menschen in unserem Land nicht aus dem Blickfeld geraten ist. Im Gegenteil: Die soziale Sicherheit der Menschen wird weiter gestärkt. Auch das ist Ausdruck der Koalition von CDU/CSU und SPD. ({6}) Das alles sind Kennzeichen einer soliden Finanzpolitik, der die Regierung Vorrang eingeräumt hat. Vielleicht kann Bayern, das erstmals einen ausgeglichenen Haushalt verabschieden konnte, ({7}) als Vorbild für unsere Politik dienen, um das auch auf Bundesebene zu erreichen. ({8}) - In Mecklenburg-Vorpommern und in Berlin, wo Sie mitregieren, zeitigen sich ja die Ergebnisse. Wir wissen auch, was die CDU in Sachsen-Anhalt aufzuräumen hat. Das ist doch das Entscheidende. ({9}) Die Elemente des Dreiklangs „Investieren, Sparen, Reformieren“ bedingen einander. Ohne Investitionen gibt es kein Wachstum. Ohne Sparen gibt es keinen Spielraum für zukünftige Investitionen in unserem Land. Ohne die Reform der sozialen Sicherungssysteme gibt es keine Senkung der Lohnnebenkosten. Das zeigt sehr deutlich: Wachstum ist - früher gab es Parteistrategen, die von Nullwachstum oder einem qualifizierten Wachstum gesprochen haben; das meine ich aber nicht - die Grundlage für mehr Arbeitsplätze in unserem Land. Das nun vorhandene positive Wirtschaftswachstum von 1,8 Prozent - vielleicht gilt das sogar für das ganze Jahr; im Süden Deutschlands ist es noch intensiver und besser - ist also eine gute Voraussetzung für das Entstehen von Arbeitsplätzen. ({10}) Wir werden diese Entwicklung mit dem Bundeshaushalt unterstützen. Wir fördern beispielsweise mit dem 25-Milliarden-Euro-Programm Innovationen. Die Forschungsförderung hat ein Volumen von 6 Milliarden Euro bis zum Jahr 2009. Das dient der Innovationsförderung sowie der Stärkung des Wissenschaftsstandortes Deutschland und der Zukunftsfähigkeit unseres Landes. ({11}) Entscheidend ist ebenfalls, dass der Mittelstand weiterhin in die Lage versetzt wird, große Investitionen zu tätigen und dementsprechend die Zukunftsfähigkeit unseres Landes zu stärken. Die große Koalition hat bereits entscheidende Wegmarken gesetzt. Die verbesserten Abschreibungsbedingungen für bewegliche Wirtschaftsgüter sind ein entscheidender Faktor. Ich bin darüber hinaus der Meinung, dass die teilweise steuerliche Absetzbarkeit von Handwerkerrechnungen nichts anderes als ein Impulsprogramm ist und dafür sorgt, dass wir uns nun Gott sei Dank an einer besseren Auftragslage bei unseren Handwerksbetrieben erfreuen dürfen. ({12}) Ich bin zudem überzeugt, dass der Abbau von bürokratischen Hemmnissen ein Erfolg sein wird. Ich danke ausdrücklich unserem Bundeswirtschaftsminister Michael Glos für seinen Einsatz zugunsten der mittelständischen Wirtschaft und unseres Wirtschaftsstandorts insgesamt. ({13}) Der Herr Fraktionsvorsitzende und Parteivorsitzende der FDP hat vorhin das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz kritisiert. Wir geben unumwunden zu, dass wir mit diesem Gesetz nicht ganz glücklich sind. Aber ich möchte herausstellen, dass wir im Vergleich zum ursprünglichen Entwurf für entscheidende Änderungen gesorgt haben, damit der bürokratische Aufwand bei den Betrieben massiv minimiert wird bzw. erst gar keiner entsteht. Der Kollege Westerwelle hat des Weiteren kritisiert, dass die Kohlesubventionen nicht in ausreichendem Maße abgebaut werden. Das mag sein. Aber in den Bundesländern, in denen die FDP in der Regierung ist, zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen, tritt man zwar für den Abbau der Kohlesubventionen ein, um aber zugleich darauf hinzuweisen, dass ein Ausgleich aus dem Bundeshaushalt zu erfolgen hat. Wenn das eine ehrliche Politik im Sinne der Bürgerinnen und Bürger und wenn das Subventionsabbau sein soll, dann habe ich möglicherweise den Begriff „Subventionsabbau“ nicht verstanden. ({14}) Auf vielfältige Weise wurde heute schon die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt dargelegt. Wir freuen uns natürlich über den Abbau der Arbeitslosigkeit und die Steigerung der Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse um 130 000. Davon sind 40 000 in Bayern entstanden. Das zeigt sehr deutlich, woher die wirtschaftlichen Impulse kommen. ({15}) Ich freue mich insbesondere über den Abbau der Jugendarbeitslosigkeit. Die Zahl der arbeitslosen Jugendlichen ist um fast 100 000 zurückgegangen. Das zeigt sehr deutlich, dass die Bundesregierung Jugendlichen großartige Zukunftschancen eröffnet. ({16}) Wir haben vielfach über die Korrektur der HartzGesetze gestritten. Ich glaube, dass die Hartz-Gesetze mehr Dynamik in die Vermittlung der Arbeitslosen gebracht haben und dass der Umbau der Bundesagentur für Arbeit, der bisher durchaus positive Effekte mit sich gebracht hat, weiter voranschreiten muss. Es wurden in vielen Bereichen Korrekturen vorgenommen. Ich erinnere an die Ich-AG und andere Dinge. Eines ist für mich entscheidend: Wir sind ein sozialer Staat und wir treten für die ein, die der sozialen Unterstützung bedürfen. Es gilt aber auch, dem Missbrauch von sozialen Leistungen massiv entgegenzutreten. Am 30. August gab es in der Sendung „ZDF-Reporter“ einen Bericht über zwei Sozialdetektive,

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Straubinger, die Geschichte können Sie jetzt nicht mehr zu Ende erzählen. Ihr Fraktionsvorsitzender hat Ihnen schon Zeit überlassen.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

- die 150 Missbrauchsfälle mit einem Volumen von über 500 000 Euro in kürzester Zeit aufgedeckt haben. Das zeigt sehr deutlich, dass die Verwaltungen noch effektiver arbeiten müssen. In diesem Sinne lasst uns die Arbeit angehen. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Schwall-Düren für die SPD-Fraktion.

Dr. Angelica Schwall-Düren (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002795, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Seit mehr als 50 Jahren ist Deutschland in die Europäischen Gemeinschaften eingebunden. Das prägte die Politik der Bundesregierungen und das prägt die Politik auch dieser Regierung. Bundeskanzlerin Merkel hat das heute Morgen eindrucksvoll dargelegt. Die Mitgliedschaft in der Europäischen Union bedeutet Chancen, aber auch Herausforderungen. Die Chancen haben sich schon zu Beginn der Mitgliedschaft ergeben. Es ist uns allen bekannt, dass wir Frieden und Sicherheit, kulturelle Vielfalt und Reichtum dieser Mitgliedschaft zu verdanken haben, aber auch einen unglaublich gesteigerten Wohlstand. Ich darf nur die eine Zahl nennen, dass wir allein in den Jahren 1992 bis 2002 900 Milliarden Euro zusätzlichen Wohlstand in Deutschland erreicht haben. Das bedeutet 6 000 Euro pro Haushalt. Das ist sehr viel und das sollte von uns immer wieder betont werden. Das war der Bevölkerung in früheren Jahren bewusster. Aber in den letzten Jahren ist die Wahrnehmung der Chancen der Europäischen Union zunehmend schwächer geworden, und zwar einmal, weil die Errungenschaften selbstverständlicher sind, und zum anderen, weil es in Mode gekommen ist, Kritik an der EU zu üben. Brüssel wird schnell als Geldvernichtungsmaschine abqualifiziert, es wird Brüssel vorgeworfen, sich in nationale Angelegenheiten einzumischen oder ein Bürokratiemonster zu sein. Auch wir Politikerinnen und Politiker des Deutschen Bundestages sind nicht ganz unschuldig. Wenn Entscheidungen in Brüssel getroffen werden, an denen wir über den Rat mitgewirkt haben, dann schieben wir manchmal gern die Schuld auf Brüssel und behaupten, an der Entscheidung nichts ändern zu können, weil das die Entscheidung von Brüssel sei. Da ist es kein Wunder, dass die Bürgerinnen und Bürger verunsichert sind. Hinzu kommt, dass in den letzten Jahren immer stärker die soziale Dimension infrage gestellt wird. Die Bürger mussten den Eindruck gewinnen, dass die Kommission bei der Umsetzung des gemeinsamen Marktes immer stärker von so genannten neoliberalen Vorstellungen geleitet wurde. Ein uns allen bekanntes Beispiel ist die Dienstleistungsrichtlinie, die den positiven Effekt bringen soll, dass der Dienstleistungsmarkt in der Europäischen Union mehr Dynamik bekommt und damit Arbeitsplätze geschaffen werden, die aber gleichzeitig die Gefahr mit sich bringen könnte, dass Sozial- und Qualitätsdumping betrieben wird. Aber glücklicherweise haben wir Einfluss auf diese Dinge. Gemeinsam, mit dem Europäischen Parlament und der deutschen Regierung, ist es hier gelungen, im Rat ein gutes Stück voranzukommen. ({0}) Jetzt steht im Parlament die zweite Lesung an. Wir sind auf einem guten Weg, damit sich in Europa das Prinzip „gleicher Lohn und gleiche Standards für gleiche Arbeit am gleichen Ort“ wirklich durchsetzt. Wenn das nicht erreicht wird, dann sind die Bürger enttäuscht und verunsichert und dann haben wir in unseren jeweiligen Nationalstaaten die Konsequenzen zu tragen. Wir dürfen uns allerdings nicht der Illusion hingeben, dass diese Problematik allein mit einer veränderten Dienstleistungsrichtlinie gelöst wird. Wir müssen auch unsere Hausaufgaben machen. Damit spreche ich das Thema „Entsenderecht und Mindestlohn“ an. Wir sind gerade dabei, die Entsenderichtlinie für das Gebäudereinigerhandwerk in nationales Recht umzusetzen. Ich bin aber sicher: Das kann nicht das Ende sein. Wir müssen hier weiterkommen ({1}) und in diesem Herbst die Frage der Mindestlöhne nicht nur sehr ernsthaft diskutieren, sondern auch entscheidend beantworten. ({2}) 18 Mitgliedstaaten in der Europäischen Union haben Mindestlöhne. Ich will darauf aufmerksam machen, dass ein Land, das wir hier immer wieder wegen seiner wirtschaftlichen Dynamik positiv hervorheben, nämlich Großbritannien, in diesem Zusammenhang sehr gute Erfahrungen gemacht hat. ({3}) Leistungsträger, über die im Augenblick wieder sehr viel gesprochen wird - auch in meiner Partei -, sind auch diejenigen, die als Geringqualifizierte täglich ihrer Arbeit nachgehen. Auch diese Menschen müssen für ihre Arbeit einen anständigen, existenzsichernden Lohn bekommen. Deswegen kann ich auch dem Vorschlag des Sachverständigenrates, das Arbeitslosengeld II zu kürzen, um so für eine geringe Anzahl von Personen Arbeitsplätze zu schaffen, überhaupt nicht zustimmen. ({4}) Die Chancen, die die EU in der Vergangenheit mit sich gebracht hat, müssen natürlich auch in der Zukunft genutzt werden. Die EU ist für uns Impulsgeber und sie gibt uns eine Leitorientierung. Ich möchte hier noch einmal das Beispiel des Stabilitäts- und WachstumsDr. Angelica Schwall-Düren paktes anführen. Dieser Pakt wurde vor allen Dingen durch deutsche Politiker gestaltet. Zwischenzeitlich war er für uns zu einer Last geworden. Letztendlich aber hat er dazu beigetragen, dass der Druck, unseren Haushalt zu konsolidieren, aufrechterhalten wurde. Mit großer Wahrscheinlichkeit in diesem Jahr, aber auf alle Fälle im kommenden Jahr wird es gelingen, das 3-Prozent-Defizit-Kriterium zu erfüllen. ({5}) Damit sichern wir die Chancen der zukünftigen Generationen. Gleichzeitig haben wir durch die Reform des Stabilitätspaktes ermöglicht, dass in diesem Land wieder Investitionen getätigt werden können und wir das von der Koalition beschlossene 25-Milliarden-Euro-Programm umsetzen. Wir haben in diesem Herbst vor dem Hintergrund der Lissabonstrategie noch das nationale Reformprogramm zu verabschieden. Die Bundesregierung wird einen entsprechenden Bericht in Brüssel vorlegen. Wir haben nämlich erkannt - Frau Bundeskanzlerin hat das heute Morgen schon ausgeführt -, dass die Globalisierung kein Erfolg wird, wenn man nur die nationalen Interessen vertritt und wenn man sich bei Löhnen, Steuern und Standards gegenseitig unterbietet. Im Gegenteil. Was wir tun müssen, ist: Standards sichern, Qualität produzieren, Innovationen umsetzen. Das wird mit der Lissabonstrategie und in dem Rahmen mit dem nationalen Reformprogramm angepackt. Dabei ist natürlich auch die weitere Modernisierung unserer Sozialsysteme zu nennen. Das haben wir im Bereich der Alterssicherung und des Arbeitsmarktes schon angepackt und das müssen wir im Bereich der Gesundheitspolitik weiter vorantreiben. Ganz entscheidend ist neben dieser Reform aber die Investition in die Köpfe. Die Lissabonstrategie hat uns aufgegeben, 3 Prozent unserer Mittel in Bildung und Forschung zu investieren. Genau das tun wir. Trotz Haushaltskonsolidierung wird diese Regierung bis zum Jahr 2010 dafür sorgen, dass die 3 Prozent in dem Bereich erreicht werden. Ich möchte an dieser Stelle aber darauf hinweisen, dass wir bei der Weiterbildung noch mehr tun müssen, das stärker in den Blick nehmen müssen und diese Herausforderung ebenfalls annehmen müssen. Dazu brauchen wir aber auch die Unternehmen und dazu brauchen wir die Gewerkschaften, die ich ausdrücklich auffordere, sich dieser Aufgabe zu stellen. ({6}) In der ersten Hälfte des Jahres 2007 steht die deutsche Ratspräsidentschaft an. Wir wollen uns wie 1999 auch bei dieser Ratspräsidentschaft wieder als gute Europäer zeigen. Das ist eine große Herausforderung. Wie Sie alle wissen, ist der Verfassungsprozess ins Stocken geraten. Das ist ein Prozess, den wir aber unbedingt voranbringen müssen, nicht um eines abstrakten Textes willen, sondern weil wir diese Verfassung brauchen, damit in der Europäischen Union mehr Bürgernähe, mehr Transparenz und mehr Effektivität erreicht werden können. Um hierbei voranzukommen, ist sehr viel Verhandlungsgeschick notwendig. Aber ich bin ganz zuversichtlich, dass wir es in der deutschen Ratspräsidentschaft schaffen werden, einen Weg, wenn auch noch keine endgültige Lösung aufzuzeigen. Dieses Verhandlungsgeschick haben die Vertreter unserer Regierung schon eindrucksvoll bewiesen. Frau Merkel hat es seinerzeit geschafft, das ins Stocken geratene Verfahren zur finanziellen Vorausschau zu einem guten Abschluss zu bringen. Unser Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat inzwischen ein unerhört hohes Ansehen als guter Verhandlungspartner erreicht, was man auch an der positiven Rolle, die er im Nahostkonflikt spielt, ablesen kann. Er wird von allen Seiten respektiert. ({7}) Deutschland wird eine hohe Kompetenz zugeschrieben, etwas zur Friedenssicherung zu erreichen. Aber lassen Sie mich an dieser Stelle auch sagen: Diese hohe Kompetenz im Bereich der diplomatischen Verhandlungen ist nur dann weiter akzeptiert, wenn es auch die Bereitschaft Deutschlands gibt, sich aktiv, auch durch Zurverfügungstellung von Bundeswehrkräften, an der Friedenssicherung zu beteiligen. Der Kollege Peter Struck hat sehr deutlich gesagt, dass wir das natürlich nur unter ganz klaren Bedingungen tun werden. Hierbei ist das Zusammenspiel mit den europäischen Partnern ebenfalls sehr wichtig. Auch die UN-Friedensresolution 1701 trägt sehr deutlich die europäische Handschrift. Das ist ein großer Erfolg, den wir mit unseren europäischen Freunden erreicht haben. Lassen Sie mich noch einmal auf die Verfassung zurückkommen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir haben hier nicht nur eine schwierige Situation mit den beiden Ländern, in denen die Verfassung durch ein Referendum abgelehnt wurde - Frankreich und die Niederlande -, sondern wir haben auch Probleme mit anderen Partnern - da kann man Großbritannien nennen, aber auch Polen -, mit denen es im Augenblick sehr schwer ist, zu gemeinsamer Politik zu kommen. Bei allem Verständnis für die polnischen Freunde, die besonders kritisch auf die deutsche Politik schauen, ist dort auch eine gewisse Unfähigkeit bezüglich einer Kommunikationsund Kooperationsbereitschaft mit der deutschen Politik zu erkennen. Nichtsdestotrotz müssen wir immer wieder ein Dialogangebot machen; denn die Bevölkerung und auch die wirtschaftlichen Akteure sehen die Beziehungen in keiner Weise kritisch. Im Gegenteil, das Ansehen Deutschlands ist in Polen in den letzten Jahren immer weiter gestiegen. ({8}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, neben dem Verfassungsthema wird die deutsche EU-Ratspräsidentschaft auch von wichtigen wirtschaftspolitischen und außenpolitischen Themen geprägt sein. Es wird um Fragen der neuen Nachbarschaftspolitik gehen und darum, dass wir mit Russland unsere Kooperation optimal fortsetzen. Am 25. März 2007 blicken wir auf die europäische Erfolgsgeschichte zurück, die mit der Unterzeichnung der Römischen Verträge vor 50 Jahren ihren Anfang nahm. Frieden, Stabilität und Wohlstand wurden hart erarbeitet und erstritten. Der Jahrestag bietet die Möglichkeit einer europäischen Standort- und Zielbestimmung. Angesichts des historisch Erreichten sind wir in der Pflicht, uns im weltpolitischen Maßstab neu zu verorten, alte Denkmuster vielleicht zu erneuern und den Blick auf die politische Verantwortung Europas nach innen und außen zu schärfen. Die von Außenminister Steinmeier „Generation Europa“ genannten jüngeren Menschen erwarten zu Recht Klarheit über den zukünftigen politischen Rahmen des europäischen Gesellschaftsmodells.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Schwall-Düren, ich mache Sie nur darauf aufmerksam, dass Sie jetzt auf Kosten Ihrer Kollegen sprechen.

Dr. Angelica Schwall-Düren (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002795, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme zum Schluss. - Diese Klarheit können wir nur gemeinsam mit unseren Partnern erreichen. Deswegen gilt auch heute noch das Wort von Willy Brandt am Ende seiner Regierungserklärung am 28. Oktober 1969: Wir wollen ein Volk der guten Nachbarn … werden im Inneren und nach außen. Das werden wir mit dieser Regierung auch bleiben. ({0}) Vielen Dank. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Beauftragte für die Angelegenheiten der Kultur und Medien, Herr Staatsminister Bernd Neumann. ({0})

Not found (Gast)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung wird der besonderen Stellung der Kultur in unserer Gesellschaft und ihrer Verantwortung für die europäische Kulturnation auch mit dem diesjährigen Kulturetat gerecht. Für uns gilt: Kulturförderung ist keine Subvention, sondern Investition in die Zukunft. So haben wir es in den Koalitionsvertrag geschrieben und so handeln wir. Die Bundesregierung hat den Kulturhaushalt für das Jahr 2007 im Vergleich zu den im Vorjahr zur Verfügung stehenden Mitteln erneut erhöht. ({0}) Sie hat damit deutlich gemacht, wie ernst sie die Förderung von Kunst und Kultur in Deutschland auch angesichts der schwierigen Haushaltslage nimmt. Dies kann im Übrigen vielen Bundesländern und Kommunen, die ihre Haushalte kürzen, als Beispiel dienen. ({1}) Meine Damen und Herren, ich sehe es als meine besondere Aufgabe an, trotz der Notwendigkeit drastischer Sparmaßnahmen im Gesamthaushalt positive Rahmenbedingungen für Kultur und Medien zu sichern und sie dort, wo sie ungenügend sind, zu verbessern. Hier konnte die Bundesregierung in den vergangenen Monaten Beträchtliches erreichen. Ich erinnere an die Beibehaltung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes für Kulturgüter, an das Folgerecht für den Kunsthandel, an die Umsetzung der UNESCO-Konvention zum Schutz von Kulturgut, an die Beseitigung der unseligen Bagatellklausel im Urheberrecht, daran, dass wir die Deutsche Nationalbibliothek zukunftsfähig gemacht haben, an den Neubau des Literaturmuseums der Moderne in Marbach und nicht zuletzt an den Haushalt 2006, in dem wir für den Kulturbereich im Verhältnis zu 2005 ebenfalls eine Steigerung zu verzeichnen hatten. Mit diesem Haushaltsentwurf 2007 und dem Finanzplan 2010 setzt die Bundesregierung insgesamt - Herr Steinbrück hat das gestern ausgeführt - ihren Haushaltskonsolidierungskurs fort. Gleichwohl konnte ich den Umfang des Kulturhaushalts steigern. In einigen Bereichen konnten wichtige Erfolge erzielt werden. Nicht immer lassen sie sich so konkret beziffern wie bei der Förderung des deutschen Films, die das Kabinett vor der Sommerpause beschlossen hat. Wie im Koalitionsvertrag festgelegt, werden unter dem Titel „Anreiz zur Stärkung der Filmproduktionen in Deutschland“ ab 2007 für die Dauer der Legislaturperiode jährlich 60 Millionen Euro für ein neues Konzept zur Filmfinanzierung zur Verfügung gestellt. Das ist ein fantastischer Erfolg für den Erhalt der Filmkultur und für die Filmwirtschaft in Deutschland. ({2}) Hier bedanke ich mich ausdrücklich bei Finanzminister Peer Steinbrück, der mich nicht gehindert hat, dies zu erreichen, sondern der mich dabei unterstützt hat. Das ist ungewöhnlich. ({3}) Damit erfüllt die Bundesregierung den im Koalitionsvertrag formulierten Auftrag, international wettbewerbsfähige, mit anderen EU-Ländern vergleichbare Bedingungen für unsere Filmwirtschaft zu schaffen. Unsere Maßnahme ist ein Bekenntnis zum deutschen Film. Erfolg und Qualität deutscher Filme in der letzten Zeit rechtfertigen, so denke ich, dieses Bekenntnis. ({4}) Ein weiteres Bekenntnis der Bundesregierung gilt der Deutschen Welle. Für sie ist die Zeit der unverhältnismäßigen Sparauflagen vorbei. Der Auslandssender ist für die Bundesregierung nach wie vor Deutschlands wichtigster Kulturbotschafter in der Welt. ({5}) Der Sender kann sich jetzt, wie der Haushalt 2007 beweist, auf eine aufgabengerechte Finanzierung durch die Bundesregierung verlassen. ({6}) Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat eine weitere wichtige Haushaltsentscheidung für die Kultur getroffen, die ab 2008 und in den Folgejahren wirksam werden kann: Der Bund wird sich mit bis zu 50 Millionen Euro an der Sanierung der Staatsoper Unter den Linden in Berlin beteiligen. Diejenigen, die den Zustand des historisch wertvollen Gebäudes kennen, wissen, dass hier dringend gehandelt werden muss. Berlin sieht sich allein nicht in der Lage, diese Aufgabe zu bewältigen. ({7}) Der Bund kommt damit seiner Mitverantwortung für die kulturelle Ausstrahlung seiner Hauptstadt wie auch der Verpflichtung für die Kulturnation Deutschland vorbildlich nach. ({8}) Meine Damen und Herren, ich habe nur drei Beispiele wegen ihrer besonderen finanziellen Dimension herausgehoben. Unser Haushalt hat im Regierungsentwurf 2007 einen Gesamtumfang von rund 1,1 Milliarden Euro. Wir haben zwar als Beitrag zur Haushaltskonsolidierung eine globale Minderausgabe von rund 17 Millionen Euro zu erbringen, aber der Gesamtrahmen des Haushalts stellt sicher, dass wir auch in Zukunft unser finanzielles Engagement bei Einrichtungen und Projekten von gesamtstaatlicher Bedeutung fortsetzen können. Das gilt für die kulturellen Leuchttürme in den neuen Bundesländern ebenso wie für die bedeutenden Museen, die Gedenkstätten und die vielen innovativen Projekte in Literatur, Musik, darstellender und bildender Kunst. Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir abschließend ein Wort zu einem Vorgang, der mich auch persönlich sehr beschäftigt. Ich bedauere außerordentlich die durch eine deplacierte Rede meines Abteilungsleiters bei der Eröffnungsveranstaltung des Kunstfestes Weimar ausgelösten Irritationen und die Betroffenheit, insbesondere bei den Opfern des KZ Buchenwald. Es war unverzichtbar, bei einem solchen Anlass in jedem Falle der Opfer von Buchenwald würdig zu gedenken. Dies ist Herrn Professor Schäfer klar; sein Versäumnis war ein großer Fehler. Wer Herrn Professor Schäfer und seine Arbeit als Historiker und langjähriger erfolgreicher Direktor des Hauses der Geschichte kennt, kann allerdings keinen Zweifel an seiner politischen und moralischen Integrität haben. ({9}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, aus dieser Rede eine inhaltliche Veränderung der Gedenkstättenpolitik des Bundes im Hinblick auf die Bewertung und Aufarbeitung der NS-Diktatur abzuleiten, ist völlig abwegig. ({10}) Hier steht die Bundesregierung in der Kontinuität ihrer Vorgängerregierung. ({11}) Die NS-Diktatur und der durch sie verursachte Holocaust sind in ihrer menschenverachtenden, grausamen Dimension einzigartig und durch nichts zu relativieren. Die Erinnerung hieran wach zu halten, bleibt eine herausragende Aufgabe unserer Gedenkstättenpolitik. Hier gehe ich von Ihrer aller Unterstützung aus. Vielen Dank. ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Die Linke hat die Kollegin Jochimsen das Wort. ({0})

Dr. Lukrezia Jochimsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003777, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst herzlichen Dank, Herr Staatsminister, dass Sie die Gelegenheit hier genutzt haben, auf die Vorfälle und Vorgänge anlässlich des Kunstfestes in Weimar einzugehen. Allerdings muss ich sagen: In der Weise, wie Sie das getan haben, ist genauso wenig Klärung herbeigeführt worden wie durch Ihr Bedauern, das Sie nach den Äußerungen und der Entschuldigung von Herrn Professor Schäfer zum Ausdruck gebracht haben. Wieder mussten wir hören, dass vor allen Dingen bedauert wird, dass Überlebende des Holocaust durch Äußerungen, wie sie Herr Professor Schäfer gemacht hat, verletzt wurden. Sie haben kein Wort zum Grundsatzthema „Gedächtnis Buchenwald“ gesagt, ({0}) gegen das Herr Professor Schäfer in Weimar angeredet hat. Für das Verfehlen, nicht darauf eingegangen zu sein, hat er sich bisher nicht entschuldigt. ({1}) Ich möchte an dieser Stelle deutlich klarstellen: Auch wenn auf dieser skandalösen Veranstaltung in Weimar kein einziger Überlebender anwesend gewesen wäre, wäre die Rede von Professor Schäfer genauso provozierend und nicht hinnehmbar gewesen, wie sie es war. ({2}) In einigen Jahren werden wir die Situation haben, dass leider niemand mehr da ist, der zu den Überlebenden zählt. Deswegen ist es so wichtig, uns mit dem Thema „Gedächtnis Buchenwald“ auseinander zu setzen und uns auch dann zu entschuldigen, wenn wir gegen das Gedenken an Buchenwald verstoßen, und nicht nur dann, wenn wir Menschen, die betroffen sind, verletzen. Darum geht es. ({3}) Die Entschuldigung von Herrn Professor Schäfer, die Worte des Staatsministers bisher und eben zu diesem Thema waren dem nicht angemessen. ({4}) Jetzt möchte ich mich mit dem Kulturetat und den Kulturinvestitionen auseinander setzen. Kultur sei eine Investition in die Zukunft. Von diesem Grundsatz der Bundeskanzlerin, die leider nicht mehr da ist ({5}) - ach, da ist sie -, ausgehend, den der Staatsminister gerade wiederholt hat, möchte ich die Haushaltsdebatte nutzen, um Regierung und Parlament ({6}) einen Kulturinvestitionsvorschlag zu machen, der bitter notwendig ist. Gestern hat der Finanzminister von diesem Pult aus verkündet, alle zurückfließenden Milliarden müssten um unserer Kinder und deren Zukunft willen zum Abbau unserer staatlichen Schuldenlast verwandt werden. Das ist ein richtiger Satz. Trotzdem kann ich ihn nicht mehr hören, wenn ich bedenke, was den Kindern dadurch in zunehmendem Maße in unserem Land vorenthalten wird: ({7}) wahrhafte Teilhabe und Teilnahme an der großartigen, vielfältigen Kultur unseres Landes. Die kulturellen Defizite der Kinder und Jugendlichen sind beängstigend; alle Untersuchungen bestätigen dies. Dem muss endlich etwas entgegengesetzt werden. Deshalb mein Vorschlag: Nehmen Sie 1 Milliarde Euro aus den zurückfließenden Geldern ({8}) und setzen Sie ein Programm „Kultur für Kinder“ auf, ({9}) so wie die Vorgängerregierung dies für Ganztagsschulen getan hat. Geben Sie den Kindern, die zu Hause keine Bücher, keine Möglichkeiten zum Musizieren und Gestalten haben, die Chance, in ihrem unmittelbaren Umfeld Musikund Malschulen, Theater- und Tanzgruppen zu finden, ebenso wie Bibliotheken mit Lesezirkeln und -wettbewerben, Film-, Video- und Computerclubs unter kreativer Anleitung, Museen als ständige Erfahrungsorte und Kunsthandwerksstätten. ({10}) - „In Berlin haben wir das“; der Einwurf kommt sehr zu Recht. Kultur für Kinder überall und überall in gleichen Maßen - auf dem Land, in den Städten und in den Problemvierteln: Darum geht es. ({11}) Dort, wo es das gibt - wie in Berlin, Frau Kollegin -, muss es erhalten bleiben; wo es immer weniger wird - wie in Thüringen zum Beispiel -, muss es wiederhergestellt werden; wo es fehlt - das ist vielerorts in unserem Land der Fall -, muss es endlich eingerichtet werden. ({12}) Das wäre eine Investition in die Zukunft. Verweisen Sie jetzt bitte nicht auf die Kulturhoheit der Länder. ({13}) Die Landesregierung möchte ich nämlich sehen, die da Geld vom Bund ablehnt. ({14}) Die Eltern und die Kinder werden das nicht mitmachen; ({15}) die Wählerinnen und Wähler werden das nicht mitmachen. Sie werden es einfordern. ({16}) Denken Sie auch daran, dass Sie damit Arbeit schaffen würden, kostbare, kreative Arbeit. So viele junge qualifizierte Fachleute für Musik, Theater, bildende Kunst, Film, Kunsthandwerk warten auf Aufgaben und die Chance, mit ihrem Können auch ihren Lebensunterhalt zu finanzieren.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Frau Kollegin Jochimsen, die Debatte darüber müssen wir in die Ausschüsse verweisen. Sie müssen zum Schluss kommen.

Dr. Lukrezia Jochimsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003777, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ein Programm für Kinder, Jugendliche und junge kreative Frauen und Männer wäre ein nationales Signal, das unser Land als wahre moderne Kulturnation auszeichnen würde. Zum Schluss folgender Satz: Man kann mit Politik keine Kultur machen, aber vielleicht mit Kultur Politik. Erinnert sich noch jemand, wer das gesagt hat? - Es war Theodor Heuss, der erste Bundespräsident. Das wäre auch eine Verpflichtung für uns heute. Vielen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Monika Griefahn das Wort. ({0})

Dr. Monika Griefahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003136, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Der Haushaltstitel für Kultur und Medien ist mit einem Anteil von 0,4 Prozent am Gesamthaushalt sehr klein. ({0}) Deswegen müssen wir umso sensibler mit den einzelnen Posten umgehen, gerade wenn uns - das haben Sie, Herr Staatsminister, angekündigt - die globale Minderausgabe trifft. Denn die vielen kleinen Projekte wären vielleicht gar nicht mehr lebensfähig, wenn die Mittel gekürzt würden. Gerade diese vielen kleinen soziokulturellen Projekte, die Erziehungsprojekte, die musikalischen Projekte - Sie haben sie erwähnt, Frau Jochimsen - sind nämlich besonders wertvoll. ({1}) Das müssen wir uns noch anschauen. Wir werden uns im Bundestag und auch im Kulturausschuss sehr intensiv mit den politischen Schwerpunkten beschäftigen. Auch da müssen wir schauen, wie die Kürzungen umgesetzt werden. Herr Staatsminister Neumann hat aber auch auf positive Aspekte hingewiesen. Ich möchte an dieser Stelle meinen Dank sowohl an den Staatsminister als auch an den Finanzminister dafür richten, dass die zusätzlichen 60 Millionen Euro für die Filmförderung im Haushalt eingeplant worden sind. Das ist nicht nur eine Chance für das Kulturgut „deutscher Film“, sondern auch für das Wirtschaftsgut „deutscher Film“. Damit werden ja auch Arbeitsplätze gesichert. Ich finde es prima, dass wir hier diese Kombination hinbekommen haben. ({2}) Diese Chance bietet sich auch an anderen Bereichen. Ich denke da an die Computerspiele. Vor zwei Wochen ist die Computerspielmesse „Games Convention“, die einen riesigen Ansturm erlebt hat, zu Ende gegangen. Es kamen nicht nur mehr Menschen, als erwartet worden ist; es kamen im Durchschnitt auch ältere Besucher und mehr Mädchen und Frauen als in den letzten Jahren. Inzwischen kann keiner die gesellschaftliche und kulturelle Bedeutung von Computerspielen ignorieren. Auch die wirtschaftliche Bedeutung ist wesentlich. Der Umsatz der Computerspielindustrie beträgt 1,5 Milliarden Euro - das ist einer der größten Märkte in Europa und übersteigt sogar den Umsatz der Filmindustrie. Es werden aber weniger als 10 Prozent der Spiele von deutschen Herstellern entwickelt, obwohl gerade diese häufig qualitativ besonders gut sind. Das muss man auch einmal hervorheben. Deswegen sollten wir dies unterstützen. Das heißt, wir müssen von der Killerspieledebatte wegkommen. Es steht außer Frage, dass geltende Kinder- und Jugendschutzregeln eingehalten werden müssen. Dafür haben wir uns auch eingesetzt. Ich glaube, dass die USK, die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle, insgesamt sehr gut funktioniert. Von insgesamt 2 686 geprüften Spielen wurde nur 30 wegen Jugendgefährdung keine Altersfreigabe erteilt. Ich finde es auch gut, dass die Bundesregierung klargestellt hat, dass momentan kein gesetzgeberischer Handlungsbedarf im Strafgesetzbuch gesehen wird. ({3}) Das gibt uns die Möglichkeit zu schauen, wie wir diese Branche unterstützen und welche Marktanreize wir geben können. Ich denke zum Beispiel daran, dass ein Preis für die besten Computerspiele ausgelobt werden kann. Herr Neumann, Sie haben auch die Deutsche Welle angesprochen. Ich freue mich, dass Sie sich dafür eingesetzt haben, dass im Kernhaushalt des Senders keine weiteren Einsparungen erfolgen sollen. Ich glaube aber, dass die Verringerung der Investitionen um 3 Millionen Euro schmerzhaft sein wird. Denn Investitionen in modernste Technik sind in diesem Bereich sehr wichtig. Wenn wir über politische Schwerpunktsetzungen sprechen, muss auch die Frage der Integration, die in den letzten Wochen intensiver diskutiert wurde, behandelt werden. Da leisten Kultur und Medien einen besonders wichtigen Beitrag. Ich erwähne das Projekt an der RütliSchule - dieses Projekt gibt es auch an vielen anderen Schulen, aber es ist durch die Rütli-Schule bekannt geworden -, das durch den Einsatz von Musik, Tanz und Theater zu einer wesentlich besseren Stimmung in der Schule beigetragen hat. ({4}) Es gibt auch türkische Rapgruppen, die eine gute Vermittlerrolle spielen. Das sind Projekte zur Integration, die wir sehr stark fördern müssen. Zu einem funktionierenden Zusammenleben gehört das wechselseitige Verstehen kultureller Unterschiede. Eine gezielte Förderung von interkultureller Kulturarbeit und der Kulturarbeit von Migrantinnen und Migranten sowie - das ist das Wichtigste, was aber noch zum Teil fehlt - die Einbindung der Migrantinnen und Migranten in bestehende Strukturen ist eine wichtige bundespolitische Aufgabe. Da müssen wir noch stärker Kultur und Medien mit einbeziehen; wir dürfen nicht nur über andere Bereiche diskutieren, wie das häufig der Fall ist. ({5}) Ich möchte in diesem Zusammenhang auch auf die soziokulturellen Zentren hinweisen. Für diesen Bereich gibt es eine Bundesförderung. Wir sollten hier einmal anerkennen, dass mit wenigen Mitteln vor Ort viel geleistet wird. ({6}) Zu nennen ist auch die Kulturstiftung des Bundes, die eine wichtige Bedeutung für die Vermittlung zwischen den Kulturen hat. Aus Mitteln des Fonds Soziokultur, der Stiftung Kunstfonds und des Deutschen Literaturfonds werden viele Projekte gefördert, die einerseits innovativ und von gesamtstaatlicher Bedeutung sind, die andererseits im internationalen Kontext wesentlich zu einer weltoffenen Vermittlung von Kunst und Kultur beitragen. Auch die Finanzierung von Einzelprojekten ist wichtig - wie die Deutsche Akademie Villa Massimo in Rom, das Deutsche Studienzentrum in Venedig oder die Villa Aurora in Los Angeles und in Berlin -, weil diese dialogfördernd sind: Verschiedene Künstler aus verschiedenen Ländern kommen zusammen, tauschen sich aus und sind hinterher Multiplikatoren in ihren Ländern. Diese Zusammenarbeit zu verstärken und mit den anderen deutschen Institutionen, die wir im Ausland haben, zu vernetzen, ist eine wichtige Aufgabe und wird jetzt angegangen. Zwischen Goethe-Institut und der Villa Aurora wird beispielsweise eine ganz enge Kooperation angestrebt. Die Verständigung über Zukunft - das ist in den letzten Wochen deutlich geworden - ist abhängig von dem Wissen über Vergangenheit. Deswegen ist es sehr wichtig, dass wir uns immer wieder vergegenwärtigen, welche Einrichtungen wir haben, die uns die Vergangenheit deutlich machen, und welche pädagogische Arbeit dort geleistet wird. Vor diesem Hintergrund müssen wir Gedenkstätten, Gedenkorte, Museen, Institutionen und Projekte, die Geschichte veranschaulichen und die Erinnerung plastisch machen, ausreichend finanziell ausstatten. Ich glaube, wir haben mit unserem Gedenkstättenkonzept dafür eine sehr gute Grundlage geschaffen. Wir haben wichtige Einrichtungen für das Gedenken an die NS-Diktatur, die wir ausreichend finanzieren müssen. Ich danke in diesem Zusammenhang Staatsminister Neumann, der auch in diesem Hohen Hause klargestellt hat, dass das ein wichtiger Schwerpunkt unserer Arbeit ist. Hinzu kommen neue Projekte. Wir diskutieren über die Frage, wie man die SED-Diktatur am besten aufarbeiten kann. Diese Frage wird uns im nächsten Jahr sicherlich sehr intensiv beschäftigen. ({7}) Der Berliner Senat hat uns ein Konzept zum Gedenken an die Mauer vorgelegt, das auf eine Initiative von Abgeordneten aller Fraktionen des Deutschen Bundestages zurückgeht. Es entstand sozusagen im Auftrag des Bundestages. Deswegen müssen wir uns daran beteiligen und gemeinsam dafür sorgen, dass dieses Projekt professionell umgesetzt wird. Das Gedenken an die Mauer sollte nicht von irgendwelchen Initiativen wild realisiert werden. In den nächsten Jahren werden wir viel zu tun haben. Kunst und Kultur sollen im Bundestag einen festen Platz haben. Sie sind nicht nur „Lebensmittel“; sie haben auch eine wichtige Funktion für das Verstehen und Verständigen. Vor allem in viel ärmeren Ländern ist der Wunsch sehr groß, andere Kulturen kennen zu lernen und sich über kulturelle Fragen auszutauschen. Das Goethe-Institut hat diese Erfahrung in Afghanistan gemacht. In vielen Ländern, in denen die Not sehr groß ist, ist der Wunsch, sich über Kultur auszutauschen, sehr stark. Ich denke, der Bundestag sollte das aktiv unterstützen. Darüber sollten wir konstruktiv diskutieren. Danke schön. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen spricht nun die Kollegin Katrin Göring-Eckardt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Natürlich ist es gut, dass die kulturellen Projekte in einem ersten Schritt mehr Geld bekommen. Dazu kann man ihnen nur gratulieren. Auch die Erhöhung der Bundesfördermittel für den deutschen Film um 60 Millionen Euro ist sehr erfreulich. ({0}) Auf der anderen Seite muss man trotzdem sagen - das sollte nicht verschwiegen werden -, dass dem auch Kürzungen gegenüberstehen. Ich denke beispielsweise an die Leuchttürme Ost, das Bachhaus in Eisenach oder die Ernst-Barlach-Stiftung, denen am Ende ein Drittel weniger Geld zur Verfügung steht. ({1}) Neben den Aufwüchsen muss meines Erachtens ein anderer Aspekt, der im Koalitionsvertrag steht, ins Blickfeld geraten, nämlich das, was Sie den Künstlerinnen und Künstlern bezüglich ihrer Existenzgrundlage versprochen haben. Auf diesem Gebiet hat sich bisher nichts getan. Wir stehen kurz davor, wieder von „brotloser Kunst“ reden zu müssen. Es hilft nichts, wenn sich die Künstler in einzelnen Projekten wieder finden. Es geht um die Frage der sozialen Absicherung. ({2}) Man weiß, dass Künstlerinnen und Künstler, die vom Arbeitslosengeld II leben, nicht auf der Suche nach irgendeinem Arbeitsplatz sind, sondern üben, Kunst machen, sich selbst managen und versuchen, Aufträge zu bekommen. Sie passen nicht in das Konzept der Bundesagentur für Arbeit. Wir müssen dringend eine bessere Lösung finden. Sie haben das im Koalitionsvertrag versprochen. Das steht aber leider „nur“ im Kulturteil. Wenn man - wie ich es getan habe - beim Arbeitsministerium nachfragt, dann bekommt man von verschiedenen Seiten gesagt, man könne hier keinen Handlungsbedarf erkennen. Ich finde, darüber sollten Sie sich mit dem Arbeitsminister unterhalten. Hier muss sich tatsächlich etwas ändern. ({3}) Das Gleiche gilt für die Frage der Standortschließungen bei Künstlerdiensten und der Zentralen Bühnen-, Fernseh- und Filmvermittlung. Das fällt in den Zuständigkeitsbereich der Bundesagentur für Arbeit. Für was, wenn nicht für die Vermittlung von Jobs, ist sie eigentlich zuständig und mit welchem Recht sagt sie: Das streichen wir jetzt!? Herr Neumann, auch dazu hätte ich heute gerne etwas von Ihnen gehört. Denn dies ist ein Punkt, an dem Sie das, was Sie im Koalitionsvertrag versprochen haben, endlich in die Tat umsetzen müssen. Ich will an dieser Stelle auf die Ereignisse beim Kunstfest Weimar zu sprechen kommen, die mich in den letzten Wochen sehr beschäftigt haben. Dabei geht es mir nicht nur um die Rede von Herrn Schäfer, sondern vor allem um das, was danach passiert ist. Herr Neumann, das bezieht sich übrigens auch auf Ihre heutigen Einlassungen. Sich hier nur hinzustellen und zu sagen, man bedaure die Irritationen, ist mir zu wenig. Ich bedaure die Rede, die dort gehalten wurde. ({4}) Ich will genau wissen, welche Schlussfolgerungen Sie eigentlich daraus ziehen. Sich hier nur hinzustellen und zu sagen, dass Sie nichts anders machen, das reicht mir nicht. Frau Jochimsen hat darauf hingewiesen. Die Entschuldigungen wurden von Mal zu Mal immer schlimmer. Dem Ganzen die Spitze aufgesetzt hat, dass Herr Schäfer dann gesagt hat: Ja, wenn ich gewusst hätte, dass Überlebende anwesend sind, hätte ich eine andere Rede gehalten. ({5}) Wir werden bald in einer Zeit leben, in der es keine Überlebenden mehr gibt und niemanden, der aus seiner eigenen Erfahrung heraus über die Zeit des Holocaust berichten kann. Genau deswegen ist es so dringend und wichtig, dass wir uns um eine neue Erinnerungskultur und neue Schritte bemühen. Dazu haben Sie nichts gesagt. Das halte ich für einen riesigen Fehler, Herr Neumann. ({6}) Man muss sich auch ansehen, welche Reaktionen von anderer Seite diese Rede provoziert hat. Herr Neumann, Herr Schäfer hat in einer Pressemitteilung der NPD Unterstützung bekommen. ({7}) Die laufen in Mecklenburg-Vorpommern damit herum und wollen deutlich machen, dass sich in der Bundesrepublik zum Glück etwas ändern wird. Ich will, dass wir in diesem Haus alle sehr deutlich sagen: Nein, daran ändert sich nichts. Nein, wir haben unsere Verantwortung für die Zukunft in die Hand genommen, aus der machen wir etwas, und gehen weitere Schritte, gerade was die Jugendlichen und die Kinder betrifft. Die Fragen, die wir stellen müssen, lauten: Wie machen wir das, wenn niemand mehr da ist, der aus eigener Erfahrung berichten kann? ({8}) Wie machen wir das, wenn wir über angebliches Nichtwissen und Mitläufertum reden? Wie können wir damit umgehen, sodass Kinder und Jugendliche das heute für ihre eigene Zukunft erfahren? ({9}) Herr Neumann, ich möchte, dass wir unsere Geschichte mit all ihren Aspekten weiter ernst nehmen. Dazu gehören auch die Vertreibungen. Aber ohne eine Erinnerung in die Zukunft, ohne Klarheit, ohne Sensibilität und übrigens auch Wissen und Weitergabe von Wissen über die nationalsozialistischen Gräueltaten verlieren wir Zukunft. ({10}) Vor allem verlieren wir einen ganz wichtigen Teil unseres eigenen Selbstverständnisses und unserer eigenen Identität. ({11}) Das bedeutet weit mehr als fröhliche Fähnchen am Auto und vor allem ist es weit wichtiger. Vielen Dank. ({12})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Olaf Scholz, SPD-Fraktion. ({0})

Olaf Scholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003231, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine Damen und Herren! Ich möchte zum Schluss ein paar kurze Bemerkungen machen, damit wir gleich in die nächste Debatte einsteigen können. Ich will Bezug auf die Debatte, die wir bisher geführt haben, nehmen. Ich glaube, es war ein sehr berechtigter Vorwurf an die FDP, den Herr Kauder hier erhoben hat und der auch in anderen Reden vorkam. ({0}) Es wurde gesagt: Passen Sie auf, dass Sie die durchaus großen und wichtigen außenpolitischen Traditionen Ihrer Partei nicht verspielen! ({1}) - Ich meine Herrn Scheel, Herrn Genscher und Herrn Kinkel. Das waren Vertreter der Bundesrepublik Deutschland, die als Außenminister eine sehr verdienstvolle Politik gemacht haben, übrigens in mehreren Koalitionsregierungen, an denen Sie beteiligt waren. Es ist etwas schwierig. Man kann sich vorstellen, dass in ein paar Jahren Herr Scheel, Herr Genscher und Herr Kinkel als Außenpolitiker und Außenminister dieser Republik zwar noch in Erinnerung sein werden, dass man sie aber nicht mehr mit der FDP in Verbindung bringen wird. ({2}) Daher glaube ich, dass Sie da ein wenig aufpassen müssen. Ich denke nämlich, dass sich in den letzten Monaten bei den verschieden außenpolitischen Debatten, die wir geführt haben, immer wieder etwas abgespielt hat, das man, wenn man Zeitung gelesen und hier im Haus diskutiert hat, wie folgt wahrnehmen konnte: Die Fachpolitiker entwickelten eine durchaus konstruktive politische Haltung und dann kam Herr Westerwelle dazwischen. Damit muss man sich auseinandersetzen. Bei der Entscheidungsfindung hinsichtlich des Libanonmandates ist Ähnliches zu beobachten. Ich jedenfalls habe schon abgewogenere Gedanken gehört als diejenigen, die nun für die Freie Demokratische Partei gelten sollen. ({3}) Im Übrigen glaube ich, es ist, wenn man eine Rede mit der Erinnerung an gemeinsame Oppositionszeiten beginnt, ganz gut, sich die Frage zu stellen, ob man nicht vielleicht auch gemeinsam mit dem ehemaligen Oppositionspartner etwas lernen kann. Hier wende ich mich an Herrn Brüderle, der einen Spruch aus der gemeinsamen Oppositionszeit von FDP und Union wiederholt hat, von dem die Union heute weiß und sogar sagt, dass er nicht stimmte. ({4}) Ich rufe Sie dazu auf, sich dieser Erkenntnis anzuschließen. ({5}) Die Behauptung, die nicht stimmt, die aber in gewisser Wiederholung immer wieder auftaucht, lautet, dass die Einzelunternehmen bzw. die Personenunternehmen die Gebeutelten der Steuerreformen der Vergangenheit gewesen seien, dass sie nicht entlastet worden seien und dass nun zuallererst für diese Gruppe etwas getan werden müsse. Heute wissen wir alle: Durch die Einkommensteuersenkungen der letzten Jahre und die verbesserte Berücksichtigung der Gewerbesteuer haben vor allem die Einzelunternehmen bzw. die Personenunternehmen und der Mittelstand eine ganz deutliche Entlastung erfahren. Auf dieser Erfahrung und Gesetzgebung können wir heute aufbauen. ({6}) Deshalb bin ich fest davon überzeugt, dass es auch für Sie gut wäre, sich mit der neuen Wirklichkeit auseinander zu setzen, die Erfolge der rot-grünen Koalition zur Kenntnis zu nehmen und sich damit zu beschäftigen, wie wir die Steuerpolitik weiterentwickeln können, statt über etwas zu reden, was sich so, wie Sie es darstellen, gar nicht ereignet hat. ({7})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Brüderle?

Olaf Scholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003231, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja. ({0})

Rainer Brüderle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003059, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Lieber Kollege Scholz, wären Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass ich von der beabsichtigten Unternehmensteuerreform der Koalition und nicht von der Vergangenheit sprach?

Olaf Scholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003231, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sie haben die Vergangenheit nie zur Kenntnis genommen und eine falsche Bewertung der geplanten Unternehmensteuerreform vorgenommen. Denn Sie haben sowohl unberücksichtigt gelassen, dass wir auch für die Personenunternehmen noch etwas tun werden - das ist übrigens in allen Beschlüssen der Regierung bzw. der Koalition zu diesem Thema nachzulesen -, als auch außer Acht gelassen, dass die Steuersatzsenkungen der Vergangenheit insbesondere dem Mittelstand große Entlastungen gebracht haben. Der Spitzensteuersatz bei der Einkommensteuer ist von 52 Prozent auf 42 Prozent gesunken, ({0}) der Eingangssteuersatz ist ebenfalls gesunken und die Anrechnung der Gewerbesteuer wurde neu geregelt und verbessert. Darum glaube ich, dass es richtig ist - vor allem für eine Partei, die sich dem Mittelstand verpflichtet fühlt -, zu sagen: Der Mittelstand steht zu Recht im Mittelpunkt der Politik der Regierung. Das gilt für die Politik der vorigen Regierung wie auch für die Politik dieser Regierung. ({1}) Meine Damen und Herren, ich will nicht lange auf die Ausführungen von Herrn Lafontaine eingehen. ({2}) Aber ich will etwas zu der Idee sagen, dass vonseiten der Regierung etwas unternommen werden müsse, um den Konsum auf irgendeine Weise zu fördern. Das alles klingt nach groß angelegten Konjunkturprogrammen. Wenn man über solche Fragen diskutiert, macht es schon Sinn, sich zu überlegen, was man eigentlich will. Wir haben im Zusammenhang mit der Gebäudesanierung neue Möglichkeiten geschaffen, die sich massiv ausgewirkt haben, und die steuerliche Absetzbarkeit von Handwerkerrechnungen eingeführt. Dadurch wollten wir die Menschen dazu bringen, von der Schwarzarbeit zugunsten legaler Arbeit Abstand zu nehmen, ({3}) und darüber hinaus die wirtschaftliche Belebung unterstützen. ({4}) Das waren wirksame Programme, durch die der Mittelstand, die Wirtschaft, die Konjunktur und der Konsum in Deutschland gefördert wurden. ({5}) Im Zusammenhang mit der Körperschaft- und Unternehmensteuerreform diskutieren wir darüber, wie wir dafür sorgen können, dass die Gemeinden dabei ordentlich wegkommen. ({6}) Auch das ist für unsere Konjunktur sehr wichtig. Denn in den Gemeinden werden die für unser Land zentralen Investitionen getätigt. Die abstrakte Forderung nach einem Konjunkturprogramm kann man sich leicht ausreden. ({7}) Ich empfehle Ihnen, einmal den Hamburger oder den Bremer Hafen zu besuchen und sich die Planungen für den neuen Hafen in Wilhelmshaven anzuschauen. Im Wesentlichen sind es nämlich die großen Häfen in Deutschland, die von konsumfördernden Konjunkturprogrammen profitieren. Mit der Frage, ob wir Arbeitsplätze in Taiwan, Südkorea oder Vietnam schaffen sollten, muss sich Herr Lafontaine schon auseinander setzen, wenn er solche Forderungen in den Raum stellt. ({8}) Es wurde nicht dadurch klüger, dass die letzte Rednerin der PDS diese eigenwilligen Vorstellungen mit einer Milliarde, die sie sich heute Morgen beim Frühstück ausgedacht hat, gestalten will. Sie hat gefordert, diese eine Milliarde zusätzlich für Kulturleistungen auszugeben. Ich glaube, der geringe Ernst einer solchen Debatte ist offensichtlich und muss nicht weiter vertieft werden. ({9}) Es ist bereits viel geschafft worden. Ich nenne das Stichwort Föderalismusreform. Für manchen Kritiker unerwartet haben wir ein schwieriges Gesetz zustande gebracht. ({10}) Wir haben aber auch bereits viel im Zusammenhang mit dem Abbau von Steuersubventionen erreicht. ({11}) Sie lassen das in Ihren Reden immer außer Acht, weil Sie sich ausschließlich auf die Steinkohle beziehen. Haben Sie denn nur Steinkohle vor den Augen? Tatsächlich gibt es über die Kohlesubventionen hinaus seit Jahren eine ganze Reihe von Steuersubventionen, die nicht abgebaut wurden, weil es nicht möglich war, Mehrheiten dafür zu finden, die sowohl im Bundestag als auch im Bundesrat gehalten hätten. Ich bin daher froh, dass wir es bereits geschafft haben, zahlreiche Steuersubventionen, die fast jede Partei in diesem Hause hin und wieder einmal abschaffen wollte, abzubauen. Wir haben damit das getan, was die Bürgerinnen und Bürger von der großen Koalition erwarten. Sie erwarten von uns, dass wir die Dinge, über die wir uns einig sind, auch wirklich umsetzen. An dieser Stelle ist uns das gelungen. ({12}) Deshalb ist es schlecht, wenn Sie an der Idee vom Beginn dieses Jahres, zur Mehrwertsteuer reden zu wollen, festhalten, obwohl das diesbezügliche Gesetz bereits beschlossen worden ist. ({13}) Diese Idee ist nicht gut; denn die schwierigen Veränderungen, die wir gemeinsam vornehmen wollten, haben wir bereits eingeleitet. Man wird Ihnen nicht zuhören, wenn Sie weiterhin Ihre alten Reden halten. Schönen Dank. ({14})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen deshalb zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes, Einzelplan 05. Das Wort hat der Bundesaußenminister Dr. FrankWalter Steinmeier. ({0})

Dr. Frank Walter Steinmeier (Minister:in)

Politiker ID: 11004167

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Auf den fünften Jahrestag der schrecklichen Ereignisse von New York ist bereits hingewiesen worden. Deshalb möchte ich nicht darauf zurückkommen. Gleichwohl möchte ich daran erinnern, dass sich seit diesem Tag vieles verändert hat. Auch den letzten Zweiflern ist klar geworden, dass spätestens seit dem 11. September 2001 Außenpolitik mehr und mehr zur Weltinnenpolitik geworden ist. Klar ist auch: Frieden und Wohlstand in Deutschland hängen immer mehr davon ab, wie es der übrigen Welt ergeht. Terroranschläge irgendwo auf der Welt können die Weltwirtschaft insgesamt in Mitleidenschaft ziehen. Heute reden wir über den Bundeshaushalt. Deshalb möchte ich darauf hinweisen, dass auch die Zahlen eines Bundeshaushaltes durch Ereignisse, wie beispielsweise die Krise im Nahen Osten, schlagartig Makulatur werden können. Mit Blick auf die jüngsten Ereignisse in Deutschland sage ich, dass wir die Gefahren in Regionalzügen und S-Bahnen nicht vollständig ausschließen können. Ein weiteres Beispiel sind die Bürgerkriege in Afrika. Sie lösen Flüchtlingsströme aus, die Europa, auch uns, erreichen. Das macht deutlich: Es gibt keine entfernten Weltregionen mehr. Bei uns in Deutschland leben Menschen aus allen Regionen und Nationen. Damit sind wir von Ereignissen in den Heimatländern dieser Menschen direkt betroffen. Wir als Exportnation betreiben Handel mit fast jedem Land der Erde. Deshalb haben wir ein ganz besonderes Interesse an stabilen, friedlichen Verhältnissen überall auf der Welt. ({0}) Hinzu kommt: Die Deutschen machen Urlaub in fast jedem Winkel der Welt. Darum wird fast jedes Unwetter, zumindest jede größere Katastrophe, auch ein Fall für das Auswärtige Amt. Wir versuchen, uns mit unserer Außenpolitik auf diese veränderten Bedingungen einzustellen, wir Deutsche mitten in Europa, auf einer Insel von Frieden, Wohlstand und Stabilität in einer leider ziemlich unfriedlichen, ziemlich oft ungeordneten Welt ringsum. Welchen Schluss ziehen wir daraus? Ich glaube, nicht den von Oskar Lafontaine, den der Ohnemich-Haltung, ({1}) ganz im Gegenteil: Ich glaube, dass für uns aus unserer erfreulichen Situation hier in Mitteleuropa Verantwortung erwächst. Aus den Erwartungen, die viele Menschen aus allen Regionen an uns richten, erwächst aus meiner Sicht aber nicht nur Verantwortung, sondern auch Verpflichtung, nämlich die Verpflichtung, sich nach Kräften auch für Stabilität, Frieden und Demokratie in diesen Regionen einzusetzen, da, wo die eigenen Mittel zur Konfliktlösung ganz offenbar nicht ausreichen. Wir wissen seit vielen Jahren: Es gibt leider zu viele solcher Regionen. Ich sage das vorab, weil ich glaube, dass man nur so begründen kann, warum wir uns im Libanon und im Nahen Osten engagieren wollen, natürlich nicht allein, sondern Seite an Seite mit unseren europäischen Partnern. Wir sollten bei der Diskussion hier im Deutschen Bundestag auch nicht vergessen, dass der Waffenstillstand, der Gott sei Dank - wenn auch fragil - eingehalten wird, ganz wesentlich auch mit europäischer Hilfe zustande gekommen ist. ({2}) Bei aller Kritik an Europa und an europäischen Entscheidungsprozessen will ich hinzufügen: Wer war denn am Ende schneller bei der Zusammenstellung einer Friedenstruppe? Die Europäer sind doch die Ersten gewesen, die mit dem Angebot von 7 000 Soldaten die Voraussetzung dafür geschaffen haben, dass aus diesem fragilen Zustand eine möglichst dauerhafte Lösung wird; sonst würde im Nahen Osten noch heute gekämpft. Ich bin der Meinung, die Bundeswehr sollte gemeinsam mit Soldaten anderer Länder dafür sorgen, dass die Waffen in dieser Region auch in Zukunft schweigen. Konkreter haben wir wohl noch nie sowohl - aber nicht nur - das Existenzrecht Israels schützen als auch unserem Interesse an Stabilität in der gesamten Region des Nahen Ostens Nachdruck verleihen können. ({3}) Das sage ich auch, weil ich der Meinung bin, das hat nicht das Geringste mit einer Militarisierung der Außenpolitik zu tun. Ich finde, das Gegenteil ist richtig: ({4}) Europäische Soldaten, vielleicht auch deutsche, könnten ihren Beitrag dazu leisten, dass der Frieden im Nahen Osten wieder eine Chance erhält. Wir könnten die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Tür zu einer Fortsetzung des Nahostfriedensprozesses wieder geöffnet wird. Wir sind natürlich klug genug, um zu wissen, dass das nicht allein mit Soldaten erfolgen kann. Deshalb kommt es darauf an, einen möglichst klugen Mix aus militärischem Beitrag auf der einen Seite - natürlich - und - natürlich auch - humanitärer Hilfe und unseren Angeboten zum Wiederaufbau im Libanon auf der anderen Seite zu schaffen. ({5}) Ähnlich handeln wir auch in Afghanistan. Damit wir uns nicht missverstehen: Ich bin - das habe ich seit meiner Rückkehr aus Afghanistan gesagt - gegen jedes Schönreden der dortigen Situation. Die Situation, erst recht vor Ort betrachtet, gibt in der Tat immer noch Anlass zu Sorge, in manchen Regionen Afghanistans sogar Anlass zu wachsender Sorge. Ich sage dennoch: Nach 23 Jahren Krieg und Bürgerkrieg in diesem Land ist dort etwas in Gang gekommen: eine gewisse Stabilisierung politischer Institutionen. Die Flüchtlinge können Gott sei Dank wieder in ihr Land zurückkehren, auch wenn an manchen Stellen vielleicht mehr zurückkehren, als das Land vertragen kann: Kabul hat eine Infrastruktur für etwa 1 bis 1,5 Millionen Menschen; jetzt leben circa 4 bis 4,5 Millionen Menschen dort. Insofern kann es nicht erstaunen, dass die Versorgungssituation mehr als nur schwierig ist. Wir tun mehr, als nur unseren militärischen Beitrag zu leisten. Wir leisten Hilfe zur Wiederherstellung der Wasserversorgung und der Elektrizitätsversorgung. Wie Sie wissen, tun wir das gerade nicht nur mit Soldaten, sondern auch mit Regierungsberatern, Lehrern und Entwicklungshelfern. Ich war froh, bei meinem Besuch zu sehen, dass eine Schule mit insgesamt 7 000 Schülerinnen jetzt sogar um einen naturwissenschaftlichen Zweig erweitert wird. Ich finde, diese Ergebnisse dürfen wir nicht durch verantwortungslose Diskussionen in der Öffentlichkeit preisgeben. ({6}) Ich weiß sehr wohl, dass einer der umstrittensten Punkte hier im Bundestag unser Engagement im Kongo war und ist. Wir wollen nicht so tun, als sei das Engagement bereits zu Ende und ohne jedes Risiko. Ich finde aber, dass es sich bisher gelohnt hat. Nur durch die Anwesenheit der europäischen Truppenkontingente konnte nach dem beginnenden Aufruhr Schlimmeres verhindert werden. Wären die europäischen Truppen nicht dort gewesen, dann hätte die Unruhe nicht im Keim erstickt werden können. ({7}) Ich füge hinzu: Auch dort sind unser Militär und unser militärischer Beitrag nur der kleinere Teil. Auch dort engagieren wir uns jetzt seit mehr als drei Jahren mit Beratung, mit der Hilfe bei der Wasserversorgung und in vielen Gesundheitsprojekten. Ich finde, auch das sollten wir nicht kleinreden. Nachdem ich das vorab gesagt habe, verstehen Sie auch bitte meinen Satz richtig, dass ich es nicht ertragen kann, dass mit dem Argument der Militarisierung der Außenpolitik unsere Bemühungen um verantwortungsvolle Entscheidungen hier in Misskredit gebracht werden. ({8}) Zu meinem Bedauern muss ich sagen, dass ich das von der Linkspartei erwartet hatte. Ich hatte mir vorgenommen, nichts Weiteres dazu zu sagen. Ich finde nur, dass man das, was Oskar Lafontaine in seiner Rede gesagt hat, so nicht stehen lassen kann. ({9}) Es ist unerträglich, dass Oskar Lafontaine hier den Eindruck erweckt, als seien diejenigen, die helfend ins Ausland gehen, diejenigen, die für Terrorismus verantwortlich sind. Das kann man nicht sagen. ({10}) Ich finde es unredlich, dass gerade diejenigen, die jeden Tag das Völkerrecht und die Vereinten Nationen gegen eine schlechte Realität ins Feld führen, den Vereinten Nationen dann die Hilfe versagen, wenn sie der Hilfe bedürfen. Das geht nicht. Das ist inkonsequent. ({11})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dehm?

Dr. Frank Walter Steinmeier (Minister:in)

Politiker ID: 11004167

Ja.

Dr. Jörg Diether Dehm-Desoi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000365, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Damit Ihr Zitat von Oskar Lafontaine nicht falsch stehen bleibt, frage ich mit Bezug auf den Zwischenruf „Unerhört!“: Wie unerhört ist es denn, wenn der bayerische Innenminister sagt, dass mit dem militärischen Engagement im Ausland die Wahrscheinlichkeit von Anschlägen im Inland wächst?

Dr. Frank Walter Steinmeier (Minister:in)

Politiker ID: 11004167

Ich habe den Zusammenhang der Sätze von Oskar Lafontaine sehr genau gehört und ich hätte mich nicht mit einem Beitrag zu Wort gemeldet, wenn ich nicht der Meinung wäre, dass hier gegenüber der deutschen Bevölkerung der Eindruck erweckt werden sollte, dass der Terrorismus nicht die Ursachen hat, die wir landläufig öffentlich diskutieren, sondern dass diese eher in unseren Entscheidungen liegen. Das muss ich mit aller Schärfe zurückweisen. ({0}) Herr Dehm, einen allerletzten Satz zu diesem Punkt. Vielleicht gebe ich mir zu viel Mühe; aber lassen Sie mich noch sagen, dass ich es am Ende auch zynisch finde, dass Sie sagen, der internationale Beitrag zur Stabilisierung könne und dürfe nicht kommen - jedenfalls nicht mithilfe des Einsatzes deutscher Soldaten -, obwohl Sie wissen, dass der Waffenstillstand und das Ende der Kampfhandlungen nur durch eine Resolution erreichbar waren, mit der sich die internationale Staatengemeinschaft zur Hilfe verpflichtet hat. Sie wissen sehr genau: Wenn wir nicht so entschieden hätten, dann wäre das Kämpfen weitergegangen und weitere Menschen wären gestorben. Deshalb kann ich das so nicht ertragen. ({1}) Bei der FDP - das habe ich verstanden - ist das keine prinzipielle Haltung gegen Auslandseinsätze; ich glaube, so habe ich das richtig gezeichnet. Aber auch da habe ich den Hinweis auf Umfragewerte und öffentliche Akzeptanz zu kritisieren. Es ist nicht unsere Aufgabe, jedenfalls nicht die Aufgabe einer Regierung, auf Umfragewerte zu schauen und danach zu entscheiden, ob wir einen Auslandseinsatz billigen oder nicht. ({2}) Erst recht unverständlich finde ich das, was ich in den letzten Tagen in der Presse gelesen habe, nämlich dass uns angeblich das Gesamtkonzept fehlt. Das ist ein billiges Argument. Die Wahrheit ist konkret: Den Schutz brauchen die Menschen jetzt, nicht dann, wenn die FDP zu diesem Thema irgendwann ihre Weltformel gefunden hat. ({3}) Verzeihen Sie mir in diesem Punkt die Emotionen. Aber ich finde schon, dass wir hier miteinander Klartext reden müssen. Unsere Außenpolitik ist in sich konsistent. Niemals ist ein Kontingent deutscher Soldaten in eine Region mit dem Auftrag geschickt worden, dort Land zu zerstören oder den deutschen Machteinfluss zu vergrößern. Das war nie das Ziel deutscher Einsätze. Diese Regierung und auch die Vorgängerregierungen haben mit ihren Entscheidungen immer versucht, entweder Friedensverträge zu überwachen, für die Menschen Stabilität zu schaffen oder Vertreibung und Massenmord zu beenden. Das ist die Verantwortung deutscher Politik. Das ist vielleicht auch das, was Europa als Botschaft in die Welt aussenden kann: Wir in Europa haben gelernt, auch über tiefe Gräben, über Mauern und auch über Trümmerberge hinweg zusammenzufinden und zusammenzuwachsen. Wenn das die europäische und auch die deutsche Botschaft ist, dann will jedenfalls ich gerne dafür arbeiten. ({4}) Ganz in diesem Sinne verstehe ich unseren Beitrag, den wir in den letzten drei bis dreieinhalb Jahren im Konflikt um das iranische Atomprogramm geleistet haben. Sie wissen: Ich stehe für die Bemühungen und auch für die Fortsetzung der Bemühungen um eine diplomatische Lösung. Wir sind uns im Kreise der Sechs einig, dass es nicht hingenommen werden kann, dass sich mit dem Iran im Mittleren Osten ein Staat atomar bewaffnet, was zumindest in der ganzen Region ein atomares Aufrüsten zur Folge haben könnte. Deshalb freuen wir uns, dass vom Iran Verhandlungsbereitschaft signalisiert wird. Wir brauchen aber belastbare Signale. Belastbare Signale heißt, dass entsprechend der Bitte des Sicherheitsrates verhandelt wird. Das bedeutet aber auch: Wenn wir am Verhandlungstisch sitzen, können nicht täglich neue Fakten in Gestalt neuer Zentrifugen geschaffen werden. Diese Voraussetzungen müssen erfüllt werden. Dazu muss die iranische Regierung ein Wort sagen. Ich hoffe, dass dies in diesen Tagen im Gespräch des iranischen Verhandlungsführers mit Solana geschieht. ({5}) Ich möchte in aller Kürze noch zwei weitere Themen ansprechen. Wie Sie wissen, haben wir die Chance und die Verpflichtung zugleich, im nächsten Jahr sowohl die EU-Ratspräsidentschaft wie auch die G-8-Präsidentschaft auszuüben. Ich freue mich darüber, dass wir diese Chance haben. Wir sind noch nicht an dem Punkt angelangt, an dem wir in allen Details über die Agenda dieser beiden Präsidentschaften reden sollten. Das werden wir an anderer Stelle ausführlich tun. Es geht um Folgendes: Wir müssen während der EURatspräsidentschaft versuchen, das sicherlich deutlich gesunkene Vertrauen der Menschen in Europa zurückzugewinnen. Die Menschen wissen im Augenblick nicht mehr so richtig, ob und zu welchem Vorteil die Europäische Union für sie tätig ist. Viele empfinden Europa als zu bürokratisch. Manche sagen: Europäische Entscheidungen haben mit meinem Alltag nichts zu tun. - Das letzte Argument scheint insbesondere mit Blick auf die mangelnde soziale Sensibilität der entscheidende Grund dafür gewesen zu sein, weshalb die Abstimmungen in Frankreich und in den Niederlanden so ausgegangen sind, wie sie ausgegangen sind. Man kann das im Augenblick nicht durch Befehl verändern; das wissen Sie. Deshalb kann ich Ihnen natürlich jetzt nicht sagen, wann die Verfassung, die wir nach meiner Überzeugung so dringend wie nie zuvor brauchen, in Kraft treten wird. Aber ich glaube, dass wir von heute an die Zeit nutzen können, um auf der einen Seite die Sorgen und Ängste der Menschen, die sie im Umgang mit Europa haben, ernst zu nehmen und auf der anderen Seite mit ihnen zu diskutieren, um dann im ersten Halbjahr 2007 ein hoffentlich substanzreiches Gespräch mit den neuen Mitgliedstaaten, die dann noch nicht den Verfassungsvertrag ratifiziert haben, zu führen, um das, was nach meiner Auffassung notwendig ist - die politische Substanz des Verfassungsvertrags -, zu erhalten. Aber das wird nicht allein auf deutschen Schultern ruhen können. Das wird nur dann möglich sein, wenn alle in Europa mitmachen. ({6}) Abschließend möchte ich noch einen Punkt ansprechen. Ich weiß, dass die Generaldebatte in erster Linie dafür vorgesehen ist, einige Grundlinien der jeweiligen Politikbereiche zu zeichnen. Das habe ich zwar getan, aber etwas abweichend von den Usancen. Auch wenn ich weiß, dass das eigentliche Gerangel um Haushaltspositionen erst im Haushaltsausschuss stattfindet, möchte ich einige Bemerkungen vorwegschicken. Auch mit Blick auf das, was ich zu Beginn meiner Rede ausgeführt habe, auf die wachsende Zahl der Krisenherde und das damit einhergehende verstärkte Engagement des auswärtigen Dienstes, müssen wir, glaube ich, noch einmal neu darüber nachdenken, ob wir auf solche Situationen bestmöglich eingestellt sind. Wenn das, was ich am Anfang festgestellt habe, stimmt - dass Außenpolitik mehr und mehr Weltinnenpolitik geworden ist -, dann ist es ebenso logisch, dass wir jenseits von militärischen Beiträgen ein immer breiteres und umfassenderes Herangehen an solche Situationen brauchen und dass wir uns verständlicherweise nicht auf die jeweiligen Versuche werden beschränken können, nur aktuelle Krisen zu bewältigen. Deshalb - darin sind wir uns im Kabinett einig - werden wir uns mehr und mehr auch mit präventiver Diplomatie in die Regionen begeben müssen, um das Entstehen von Spannungen möglichst ganz außen vor zu lassen ({7}) bzw. soweit unter Kontrolle zu halten, dass sich keine Krisensituationen wie jetzt daraus entwickeln können. Sie wissen, dass über die Konfliktherde, die wir jetzt berührt haben, hinaus die Aufgaben des auswärtigen Dienstes immens gewachsen sind. Ich freue mich darüber, dass die Botschaften bzw. der auswärtige Dienst draußen in der Welt mehr und mehr als Türöffner für die Interessen der Wirtschaft genutzt werden. Ich freue mich auch darüber, dass der auswärtige Dienst zur Erarbeitung von Konzepten etwa zur langfristigen Rohstoff- und Energiesicherung in Europa herangezogen wird. Ich freue mich auch darüber, dass die Mobilität der Menschen in Deutschland immer mehr zunimmt. Aber das berührt uns, den auswärtigen Dienst, in doppelter Hinsicht. Je mehr Menschen unterwegs sind, umso stärker werden auch die Visa- und Konsularstellen genutzt, jedenfalls dann, wenn Notfälle auftreten. Sie haben gerade am Beginn dieses Jahres gesehen, dass die Mobilität verbunden mit den vielen Konfliktlagen letztendlich auch dazu führt, dass der Krisenstab häufiger - aus meiner Sicht in diesem Jahr dreimal zu oft - einberufen werden muss. Sie haben vielleicht auch gesehen, dass es in einer adhoc-Situation mit einer Kraftanstrengung möglich war, innerhalb von wenigen Tagen 6 000 Deutsche über Beirut, Damaskus und Zypern aus dem Libanon - insbesondere aus dem südlichen Libanon - herauszuholen. ({8}) Ich sage das deshalb, um es mit einem Dank an diejenigen zu verbinden, die dafür Sorge getragen haben. Ich möchte aber auch deutlich machen, dass sich auf Dauer solche Situationen nicht mit der gegenwärtig vorhandenen Ausstattung bewältigen lassen. Mit Hinweis darauf, dass wir seit 1990 circa 25 Auslandsvertretungen mehr und 10 Prozent Beschäftigte weniger haben, sollten wir - jedenfalls für die Zukunft; ich weiß, dass das nicht in einem Haushaltsverfahren erreicht werden kann - in ein mehrjähriges offenes und etwas fruchtbareres Gespräch über die Ausstattung des auswärtigen Dienstes eintreten. ({9}) Sie wissen, dass es keine Macke von mir ist, wenn ich am Ende meiner Rede auf die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik hinweise. ({10}) Dieses Thema ist in den Debatten vielleicht nicht in ausreichendem Maße vorgekommen. Ich jedenfalls halte die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik für eines der wertvollsten Instrumente, die wir haben. ({11}) Im Ausland erfolgt der erste Kontakt mit Deutschland über die deutsche Kultur, weil die Menschen entweder die deutsche Sprache erlernen wollen, in eine deutsche Schule gehen oder ein Stipendium vom DAAD oder der Alexander-von-Humboldt-Stiftung haben. 50 Prozent derjenigen, die im Ausland eine deutsche Schule besuchen, studieren später in Deutschland, gehen anschließend in ihre Heimatländer zurück und gehören dort nach einigen Jahren entweder zur wirtschaftlichen oder zur politischen Elite. Deshalb sage ich: Lasst uns das nicht kurzfristig betrachten! Hier lohnen sich Investitionen. Anders gesagt: Mittel für Straßen und Schienen sowie für Forschung und Bildung sind sicherlich Investitionen in die Zukunft Deutschlands. Aber eine gute und gut ausgestattete Außenpolitik ist ebenfalls eine Zukunftsinvestition. Vielen Dank. ({12})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Werner Hoyer, FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Werner Hoyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000967, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Außenpolitik hat einen solchen breiten Raum in der Debatte über den Kanzlerinetat eingenommen, dass man die vorbereiteten Manuskripte getrost vergessen kann und sich lieber auf ein paar andere wichtige Punkte konzentrieren sollte. ({0}) Der geplante Libanoneinsatz spielt in der heutigen Debatte eine große Rolle. Ich war in der letzten Woche von der Art und Weise beeindruckt, wie die Positionen dazu bei uns intern aufeinander getroffen sind. Es sind drei Argumentationslinien. Je mehr ich mich umhöre, desto mehr finde ich diese Linien zumindest in den klassischen Fraktionen wieder. Die Vertreter der ersten Argumentationslinie sagen, dass mit der deutschen Einheit, dem Erreichen dieses großen Ziels, eine sehr große Verantwortung verbunden ist. Angesichts dessen und vor dem Hintergrund unserer Geschichte tragen wir Verantwortung für die Stabilität im Nahen Osten und müssen die Lebensverhältnisse der dort lebenden Menschen verbessern und ihnen eine Perspektive geben. Des Weiteren haben wir eine große Verantwortung im Hinblick auf das Existenzrecht Israels als jüdischen Staat in sicheren Grenzen sowie das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser. Das ist sicherlich richtig. Die Vertreter der zweiten Argumentationslinie sagen: Gerade wegen unserer geschichtlichen Verstrickungen kommt ein solcher Einsatz gar nicht infrage; denn wenn der Konflikt eskaliert und es ernst wird, dann ergreifen wir selbstverständlich Partei und werden uns erst recht nicht an einer Mission beteiligen, die Neutralität erfordert. Ich finde, das ist eine respektable Position. Diese darf man nicht als Fundamentalverweigerung abtun, erst recht nicht bei denjenigen, die zuvor bei anderen Auslandseinsätzen deutlich gemacht haben, dass sie keine Hemmungen haben, zuzustimmen, wenn es denn klug erscheint. Die Vertreter der dritten Argumentationslinie, zu denen ich mich bekenne, sagen: Ich schließe spätestens nach der Argumentation, die uns eine aktive Beteiligung auf dem Balkan gebracht hat, eine aktive Mitwirkung an der Problemlösung im Nahen Osten gar nicht aus. Für mich ist es dann aber eine Frage der politischen Klugheit, mit welchen Instrumenten deutscher Außenpolitik man sich engagiert. ({1}) Ich komme dabei zu dem Ergebnis, dass Deutschland gut beraten ist - gerade weil sich die Bundeskanzlerin und der Bundesaußenminister heute dankenswerterweise wieder sehr stark dem politischen Prozess, um den es dort geht, zugewendet haben -, an die militärische Dimension als Allerletztes zu denken und im konkreten Fall eine militärische Beteiligung sein zu lassen. ({2}) Ich gehe jetzt gar nicht auf die Fragen ein, die verteidigungspolitischer Natur sind. Das kommt nachher. Die Auseinandersetzung um Briefe, die gegenwärtig irgendwo in der Welt kursieren, zeigt doch, dass sehr leicht Situationen denkbar sind, in denen zweierlei passieren kann: Entweder steht ein deutscher Soldat tatsächlich einmal einem israelischen Soldaten mit der Waffe in der Hand gegenüber bzw. es steht ein deutsches Schiff einem israelischen U-Boot gegenüber oder wir werden zur Ersatzzielscheibe für Heißsporne unter arabischen oder islamistischen Gewalttätern, die uns letztlich doch als Partei wahrnehmen. Ersatzzielscheibe zu sein, ist etwas, was ich den Soldaten der Bundeswehr nicht zumuten möchte. Lassen Sie uns also differenziert argumentieren. Ich stelle fest, dass diese Diskussion in allen Parteien stattfindet. Deswegen sollte man nicht die große Keule schwingen. ({3}) Die FDP hat im Übrigen eine Vergangenheit, was die Auslandseinsätze der Bundeswehr angeht. Den meisten haben wir zugestimmt. Wir haben bei einigen mit Nein gestimmt, insbesondere beim Kongoeinsatz. Da hat sich übrigens an unseren Bedenken nichts geändert. Es gab auch Einsätze, zum Beispiel die Entsendung der ISAF nach Kabul, denen wir zugestimmt haben, wo wir aber gleichzeitig argumentiert haben, warum wir die Ausweitung des Einsatzes nach Kunduz für sehr bedenklich halten, nämlich weil man nicht die Quadratur des Kreises zuwege bringen kann. Über Jahre hinweg sind die Warlords und Drogenbarone in eine außerordentlich günstige Position gebracht worden - es geht hier nicht in erster Linie um die Drogenanbauer, sondern um die Drogenhändler -, ({4}) sodass diese mittlerweile 85 Prozent des Sozialprodukts in Afghanistan erwirtschaften, sie ihr Geld international und national anlegen und entsprechend ihre Machtpositionen verfestigen. Man findet diese Damen und Herren - ich weiß, wie sehr Sie das in Ihren Gesprächen mit Ihren afghanischen Kollegen kritisieren - in den Kabinetten und den Verwaltungsstrukturen dieses Landes. Deswegen muss es legitim sein, die Frage zu stellen, ob das wirklich in die richtige Richtung läuft. Ich betone dabei: Keiner von uns unterschätzt oder verleugnet gar die riesige Leistung, die Bundeswehr, Entwicklungshelfer und viele andere in Afghanistan erbracht haben. ({5}) Irgendwann aber kommt einmal der Punkt, an dem eine Statusabfrage fällig ist: Wo stehen wir denn? Seien wir ehrlich, meine Damen und Herren: Auf internationaler Ebene - übrigens ganz besonders stark in den Vereinigten Staaten, die uns, zumindest was ihre Think Tanks und ihre Zeitungen angeht, in der kritischen Analyse der Lage manchmal weit voraus sind - gibt es längst eine Diskussion darüber, ob wir uns nicht möglicherweise auf einer schiefen Ebene befinden und ob wir in der Bekämpfung des internationalen Terrorismus nicht bisweilen mit den falschen Mitteln arbeiten. Möglicherweise verprellen wir geradezu diejenigen, die in den verschiedenen Ländern und Organisationen gutwillig sind oder wären und die wir dringend brauchen, um zum Beispiel einen Friedensprozess im Nahen Osten herbeizuführen, wenn wir so vorgehen, wie manche vorgehen. Es steht mir nicht an, ein Land, das um sein Überleben kämpft und gegenüber dem wir eine ganz besondere Verantwortung haben, hier billig zu kritisieren. Aber es macht mir ganz einfach Sorge, dass unsere israelischen Freunde kaum mehr jemanden in der Region haben, mit dem sie einen vertrauensvollen Dialog führen könnten. Das war vor kurzem noch anders. Deswegen begrüße ich es, dass wir den politischen Prozess in den Vordergrund rücken. Ich glaube, Deutschland wird dort eine sehr wesentliche Rolle spielen. Es gibt unter den größeren europäischen Partnern sehr wenige, die für sich in Anspruch nehmen können, in Israel über jeden Zweifel erhaben zu sein und zugleich ein großes Vertrauenskapital in der arabischen Welt zu besitzen. Das Kapital muss Deutschland nutzen. Ich glaube, die militärische Beteiligung kann da eher kontraproduktiv sein. ({6}) Wenn ich hier anreiße, ob beispielsweise in Afghanistan manches schief läuft, dann meine ich damit niemals - das läge meinem Denken völlig fern - unilaterale deutsche Entscheidungen bzw. die Entscheidung, die Bundeswehr zurückzuziehen. Darum kann es nicht gehen. Ich sage aber gerade als Internationalist: Es geht mir bisweilen auf den Keks - ich bin dankbar, dass Sie von Schönreden gesprochen haben -, dass wir uns bei den NATO-Treffen erst einmal versichern, wie toll und wichtig unser gemeinsames Engagement in Afghanistan ist. Ich habe manchmal den Eindruck, dass die NATO zu Beginn der Periode nach dem 11. September 2001, als der Bündnisfall festgestellt worden ist, unheimlich wichtig für Afghanistan war, obwohl sie hinterher als Institution nicht mehr genutzt worden ist. Heute scheint Afghanistan für die NATO unheimlich wichtig zu sein. Die Raison d’Être der NATO geht aber über das, was wir in Afghanistan tun, weit, weit hinaus. Ich bin daran interessiert, dass dieses Bündnis aufrechterhalten und ausgebaut wird. Das gilt erst recht, da in den Vereinigten Staaten ein Paradigmenwechsel stattzufinden scheint, selbst bei der Bush-Administration, die offenbar wieder mehr auf Institutionen als auf Coalitions of the Willing setzen will. Man muss sich angesichts dessen die Frage stellen: Geht in der Abrüstungspolitik nicht etwas granatenmäßig schief? Kann es wirklich sein, dass unsere amerikanischen Freunde die indischen Atomwaffen aus nachvollziehbaren wirtschaftlichen und globalstrategischen Erwägungen geradezu segnen? ({7}) Wenn das so ist, führt es dazu, dass der Stopp von Proliferation wirklich ein Ende hat und dass demnächst eine Vielzahl von weiteren Atommächten am Horizont erscheint. Deutschland hat auch hier eine besondere Rolle zu spielen. Wir haben frühzeitig und endgültig unseren Verzicht auf Atomwaffen erklärt und dabei bleibt es. Deswegen können wir anderen gegenüber argumentieren, dass es eine gute Zukunft ohne Atomwaffen geben kann. ({8}) Ich frage: Wo gibt es eine Initiative auf diesem Gebiet, damit die Abrüstungspolitik endlich wieder in Gang kommt? Ich mahne, bezüglich noch manch anderer Frage eine Bestandsaufnahme zu machen. Wir sollten uns kritisch fragen: Sind wir auf dem richtigen Wege oder sollten wir Kurskorrekturen vornehmen? Die Situation in Polen macht mir außerordentliche Sorge. Polen ist für uns ein ganz besonders wichtiger Partner. Die gegenwärtig herrschende Sprachlosigkeit muss überwunden werden. ({9}) Das ist teilweise eine Generationenfrage, aber teilweise geht es auch weit darüber hinaus. Die Bedeutung des Verhältnisses zu Russland wird von uns überhaupt nicht unterschätzt. Ich begrüße, dass Deutschland im Hinblick auf die Präsidentschaft dort einiges vorbereitet. Aber eine werteorientierte Außenpolitik muss ihre strategischen Partnerschaften natürlich auch über einen Gleichklang bei Werten definieren. Ich hoffe, dass es gelingt, auch das deutlich zu machen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege!

Dr. Werner Hoyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000967, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Demokratieexport durch Wahlen und Marktwirtschaftexport durch einen freien Markt ohne eine funktionierende Rechtsordnung können auf die Dauer nicht funktionieren. Deswegen ist es wichtig, dass man sich über grundlegende Werte verständigt. Danke schön. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Dr. Andreas Schockenhoff, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Andreas Schockenhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002053, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute Morgen über die positiven Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt und in der Wirtschaft nach neun Monaten großer Koalition gesprochen. Ich möchte mit einer kurzen Zwischenbilanz im Hinblick auf die Außenpolitik beginnen. Schon vor einigen Monaten hat die „FAZ“ dazu geschrieben - ich zitiere -: Die Bilanz positiv zu nennen wäre eine Untertreibung. Lassen Sie mich kurz an drei Beispielen zeigen, welch deutliche Veränderung in der Substanz es gegeben hat: Erstens. Deutschland ist wieder ein geachteter und gefragter Partner in der internationalen Politik. Das tiefe Misstrauen im Bündnis und in der EU ist überwunden. Wir können wieder der politischen und wirtschaftlichen Bedeutung unseres Landes entsprechend Einfluss nehmen und unsere Interessen voll wahren. ({0}) Dafür, dass dies wieder möglich ist, möchte ich der Bundeskanzlerin, aber auch Ihnen, Herr Außenminister, ganz besonders danken. ({1}) Zweitens. In den transatlantischen Beziehungen gibt es ein neues Vertrauensverhältnis. Weil das so ist, können wir im Dialog auch wieder unterschiedliche Auffassungen - selbst in sehr sensiblen Fragen - im Geiste der Freundschaft und Partnerschaft austragen, so wie es die Bundeskanzlerin zum Beispiel im Hinblick auf die Situation in Guantanamo öffentlich getan hat. Das war unter einem grünen Außenminister trotz aller Menschenrechtsbekenntnisse eben nicht möglich. So sehr war das Vertrauensverhältnis zerrüttet, dass jede - auch berechtigte - Kritik gleich als Antiamerikanismus verstanden worden wäre. ({2}) Weil dieses Vertrauensverhältnis wieder da ist, ist es der Bundesregierung gelungen, die USA in der Iranfrage wieder an den Verhandlungstisch zu bringen. Wie wertvoll es ist, die großen Sechs, anders als im Irakkrieg, zusammenzuhalten und eine Spaltung des Sicherheitsrats zu vermeiden, zeigt sich gerade in diesen Tagen, in denen es darum geht, dem Iran auch weiterhin geschlossen gegenüberzutreten. Drittens. Da wir heute über den Haushalt 2007 sprechen, möchte ich feststellen: Es ist gut, dass diese Bundesregierung endlich den dramatischen Personalabbau im Auswärtigen Amt stoppt und umkehrt. 683 Stellen sind in den letzten Jahren abgebaut worden mit der Folge - Herr Steinmeier, Sie haben zu Recht darauf hingewiesen -, dass die Lücke zwischen dynamisch wachsenden Aufgaben und personeller Leistungsfähigkeit immer größer wird. Das ist nicht nur für die Mitarbeiter des Außenministeriums unzumutbar; es schadet auch der Wahrung und Durchsetzung deutscher Interessen. Wir wissen, dass wir das angesichts der Haushaltslage nur sehr mühsam korrigieren können. Gleichwohl müssen wir uns daranmachen. Ich will Ihre Schlussbemerkung, Herr Außenminister, ausdrücklich wiederholen: Die finanzielle Ausstattung unserer Außen- und Sicherheitspolitik ist eine gute Investition für die Zukunft. ({3}) Es gibt in der deutschen Außenpolitik keine Showeffekte mehr. Das mag manchem Beobachter weniger unterhaltsam erscheinen, aber dafür ist die deutsche Außenpolitik wieder seriös, berechenbar, effizient und deshalb auch erfolgreich geworden. ({4}) Wenn wir in unserer Bevölkerung eine möglichst große Unterstützung für die Entscheidung finden wollen, deutsche Soldaten in den Nahen Osten zu entsenden, dann müssen wir deutlich machen, was dabei deutsche Interessen sind. Was also sind unsere Interessen? Erstens. Wir haben ein klares Sicherheitsinteresse, dass die Region befriedet und stabilisiert wird. Jeder Konflikt dort hat unmittelbare Auswirkungen auf uns. Wie nahe die Bedrohung sein kann - auch dazu hat der Außenminister schon Stellung genommen -, haben als jüngstes Beispiel die Verhaftungen im Zusammenhang mit den geplanten Kofferbombenattentaten gezeigt. Zweitens. Wir haben ein klares Interesse an der Sicherung des Existenzrechts Israels. Ich möchte in Erinnerung rufen, was wir im Bundestag am 12. Mai letzten Jahres mit großer Mehrheit beschlossen haben - ich zitiere -: Der Deutsche Bundestag bekräftigt erneut, dass das Recht der Bürger Israels, in sicheren Grenzen frei von Angst, Terror und Gewalt leben zu können, für uns einen elementaren Bestandteil der Solidarität und Freundschaft darstellt. Es war richtig und gut, finde ich, dass wir das damals fast einstimmig beschlossen haben. Jetzt geht es darum, zu zeigen, dass dies nicht nur Sonntagsreden sind, sondern dass wir auch einen konkreten Beitrag leisten. Mit besonderem Blick auf unsere historische Situation ist der militärische Beitrag zur Überwachung der libanesischen Küste angemessen, damit nicht wieder auf dem Seeweg Waffen, Raketen oder anderes militärische Gerät an die Hisbollah geliefert wird. Herr Westerwelle hat die ablehnende Haltung seiner Fraktion geradezu als Staatsräson bezeichnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, das Mandat zu ISAF haben Sie 2001 und 2002 mit beschlossen. Sie haben es 2003 und 2004 abgelehnt. 2005 haben Sie dann wieder zugestimmt. ({5}) Die Operation Enduring Freedom, verehrter Herr Kollege Hoyer, haben Sie 2001 abgelehnt. 2002 haben Sie zugestimmt. 2003 haben Sie erneut abgelehnt und 2004 wieder zugestimmt. So viel zur Berechenbarkeit der Liberalen in der Außen- und Sicherheitspolitik. ({6}) Im Übrigen: Herr Hoyer, Sie haben das wiederholt, was auch der Kollege Westerwelle heute Morgen gemacht hat. Wenn Sie Ihre ablehnende Haltung damit begründen, bei dem vorgesehenen deutschen Beitrag könne es zu einem Feuergefecht zwischen deutschen und israelischen Soldaten kommen, dann müssen Sie schon einmal ganz konkret erklären, wie Sie das meinen und wie Sie sich das vorstellen. Das haben Sie bisher nicht getan. Wenn Sie das nicht können, Herr Kollege Hoyer, dann sind abstrakte Spekulationen über eine militärische Auseinandersetzung zwischen Deutschland und Israel sicherlich kein Beitrag, in Israel das Vertrauen zu erzeugen, von dem Sie zu Recht gesprochen haben. ({7}) Drittens liegt es eindeutig nicht in unserem Interesse und auch nicht im Interesse der meisten Staaten der Region, dass der iranische Präsident in der arabischen Welt an Popularität gewinnt, weil er dort als ein Führer erscheint, der dem Westen die Stirn bietet. Es ist unser Interesse, dass durch bessere Regierungsführung und stabile Institutionen eine Grundlage geschaffen wird, auf der Pluralismus, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte und Wohlstand entstehen und wachsen können. Dies mit einem differenzierten und sensiblen Ansatz zu fördern, ist ein mühsamer Prozess, der langen Atem braucht. Aber er ist, wie die Erfahrung gezeigt hat, mit Sicherheit erfolgversprechender als lautstarke Rufe nach schnellen Wahlen oder der Versuch, unliebsame Regierungen zu destabilisieren und zu schwächen. Viertens haben wir ein vitales Interesse daran, staatliche Strukturen zu stärken. Denn wenn die Menschen die Erfahrung machen, dass der Staat ihnen Sicherheit, Wohlfahrt und Rechtsstaatlichkeit bietet, werden sie sich auch an staatlicher Politik und nicht an konfessionellen Organisationen wie Hisbollah, Hamas oder Muslimbrüdern orientieren. Zum anderen ist mit schwachen Staaten keine verlässliche wirtschaftliche oder politische Partnerschaft möglich; noch weniger lassen sich mit ihnen regionale Sicherheitsstrukturen aufbauen. Fünftens haben wir ein Sicherheitsinteresse an einer Regelung des Nahostkonfliktes. Die Wiederbelebung des Nahostfriedensprozesses steht in unmittelbarer Wechselwirkung mit der Befriedung im südlichen Libanon und damit auch mit der Unterbindung der Waffenlieferungen an die Hisbollah. Sechstens haben wir aufgrund des Engagements vieler deutscher Unternehmen ein berechtigtes wirtschaftliches Interesse an der Befriedung der Region. Was ist zu tun? Die Resolution 1701 nennt indirekt die Voraussetzungen für einen stabilen Frieden und damit die Ziele im Libanon: einen Libanon ohne die waffenstrotzende Hisbollah, einen Libanon außerhalb des Einflusses Syriens oder Irans, einen Libanon befreit aus den Fängen des Islamismus. Das zeigt die ganze Größe der Herausforderung. Oberstes Ziel über die Befriedung der Situation im südlichen Libanon hinaus muss es sein, den Einfluss der Hisbollah in der libanesischen Gesellschaft deutlich zu begrenzen. Ein weiterer Anstieg des Ansehens dieser vom Iran protegierten und gesteuerten Terrororganisation liegt nicht im Interesse des libanesischen Staates und erst recht nicht in unserem Interesse. Deshalb muss alles getan werden, um die staatliche Autorität der libanesischen Regierung zu stärken. Es geht dabei zum Ersten darum, über die jetzt angelaufene schnelle Hilfe zur Überwindung der Kriegszerstörungen hinaus die libanesische Regierung dabei zu unterstützen, eine nachhaltige Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen zu schaffen. Das betrifft beispielsweise den Ausbau und die Modernisierung des Gesundheits-, Schul- und Bildungswesens, der Infrastruktur oder die Bereitstellung von Wohnungen. Zum Zweiten geht es darum, die staatlichen Strukturen deutlich zu stärken, also dabei mitzuhelfen, Polizei und Militär durch Training und Ausrüstungshilfe möglichst schnell durchsetzungsfähig zu machen und die Rechtsstaatlichkeit zu verbessern. Zum Dritten geht es darum, diejenigen Kräfte im Libanon zu unterstützen und wieder zu stärken, die sich für Demokratie und Eigenständigkeit einsetzen, die aber durch den Krieg in eine schwierige Lage gekommen sind. Dies auch mit der langfristigen Unterstützung durch die EU zu erreichen, ist kein utopisches Ziel, sondern eine realisierbare Möglichkeit. Wenn es gelingt, die Autorität des libanesischen Staates deutlich zu stärken, dann besteht auch die Chance, die Hisbollah durch eine Intensivierung des nationalen Dialogs zu einem dauerhaften Gewaltverzicht zu bewegen und sie, zumindest teilweise, in die regulären Streitkräfte zu integrieren. Meine Damen und Herren, eine nachhaltige Stabilisierung des Libanon wird nur zu erreichen sein, wenn es parallel dazu zu einer Wiederbelebung des regionalen Friedensprozesses kommt. Wichtige Voraussetzungen dafür sind eine umgehende Freilassung des in Gaza entführten israelischen Soldaten und ein Ende des Raketenbeschusses von Israel. Unverzichtbar sind das Bekenntnis aller palästinensischen Gruppierung zum Gewaltverzicht, die Anerkennung des Existenzrechts Israels und die Unterstützung des Friedensprozesses. Die jetzt in Stockholm beschlossene Hilfe ist ein wichtiges Signal an die palästinensische Bevölkerung: Wir wollen sie nicht nur humanitär und wirtschaftlich, sondern auch beim Aufbau staatlicher Strukturen unterstützen. Es soll nicht bei dieser Stockholmer Aktion bleiben. Auch deshalb wäre die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit wichtig. Doch auch Israel muss sein Beitrag leisten, beispielsweise durch den Abzug seiner Militärkräfte aus dem Gazastreifen, durch die Freilassung der im Zuge der Krise inhaftierten Hamasparlamentarier, sofern gegen diese nichts vorliegt, ({8}) und durch die Umsetzung des Abkommens über Bewegung und Zugang, um in den palästinensischen Gebieten die Voraussetzung für wirtschaftliche Entwicklung und ein annähernd normales Leben zu schaffen. ({9}) Nicht nur um den Waffenschmuggel über die syrischlibanesische Grenze zu unterbinden, ist es notwendig, Syrien in die Stabilisierungsbemühungen mit einzubeziehen. ({10}) Im Gegensatz zum Iran ruft Syrien nicht zur Zerstörung Israels auf. Wiederholt haben sich die Syrer für eine Rückkehr an den Verhandlungstisch ausgesprochen. Es ist zu hoffen, dass die Syrer über die Unterbindung illegaler Waffenlieferungen hinaus einen überzeugenden Beitrag zur Stabilisierung der Region leisten. Wenn dies der Fall ist, sollte das Assoziierungsabkommen mit der EU, das ein wichtiger Anreiz zur ökonomischen Stabilisierung des Landes ist, in Kraft gesetzt werden. Zusammengefasst heißt das: Erstens. Für die Befriedung der Region gibt es die Libanonresolution 1701 und die Roadmap. Diese müssen in vollem Umfang angewendet werden. Nur dann wird auch Vertrauen zwischen den Konfliktparteien entstehen können. Zweitens. Für die Existenz Israels ist es wichtig, berechenbare Partner auf der anderen Seite zu haben. Deshalb liegt es im Interesse Israels, dass die Regierung Siniora stabil bleibt. Drittens. Solange es in der Region keine Akzeptanz Israels gibt, wird es auch keine Befriedung geben. Das Ziel bleibt die Existenz zweier souveräner, lebensfähiger und demokratischer Staaten Israel und Palästina, verbunden in gemeinsamer Sicherheit und garantiert durch die internationale Gemeinschaft. Hierzu müssen und wollen wir unseren Beitrag leisten. Das alles zeigt, liebe Kolleginnen und Kollegen: Die nächsten Jahre werden nicht die Zeit großer gestalterischer Visionen, sondern eine Periode harter Arbeit sein, die uns klare Zielvorstellungen, viel Geduld, ein sensibles Vorgehen und diplomatisches Geschick abverlangen wird. Das gilt auch für die Beziehungen zum Iran. Es ist besorgniserregend, mit welcher Arroganz der Iran sich gegen die internationale Gemeinschaft stellt und deren Besorgnisse ignoriert. Auch wenn der Iran zum wiederholten Male gesagt hat, er wolle die Atomenergie nur zu friedlichen Zwecken nutzen, haben wir überhaupt kein Vertrauen in solche Aussagen. Denn was will der Iran mit angereichertem Uran anfangen, außer er plant den Bau der Atombombe? Wer wie der iranische Präsident zur Auslöschung Israels aufruft und seine aggressiven Absichten bereits unter Beweis gestellt hat, indem er die Hisbollah losschickte, um Terror gegen Israel auszuüben, dem muss man auch unterstellen, dass er sich dafür die notwendigen Mittel, nämlich Atomwaffen, beschaffen will. Dazu aber darf es nicht kommen. ({11}) Unser Ziel muss bleiben, dass der Iran die Urananreicherung nachprüfbar stoppt. Deshalb ist es wichtig, dass die Sechs geschlossen bleiben, um mit diplomatischem Druck auf den Iran einzuwirken. Dafür sehe ich nach wie vor gute Chancen, sowohl mit Blick auf die USA wie auch mit Blick auf Russland. Auch die Russen wollen keine Mullahs mit Atomwaffen in ihrer Nachbarschaft - das ist das entscheidende gemeinsame Interesse -, und auch die Russen wollen sich in ihrer Autorität als ständiges Mitglied des Sicherheitsrates nicht als Papiertiger düpieren lassen. Das sollte der Iran nicht übersehen. Die Tür zu Verhandlungen steht noch offen, selbst wenn im Sicherheitsrat begonnen wird, über Sanktionen zu reden. Aber - auch hier will ich dem Außenminister nachdrücklich zustimmen - wir brauchen belastbare Signale des Entgegenkommens. Meine Damen und Herren, wie mein Vorredner will auch ich zum Abschluss ein Wort zu unserem Nachbarn Polen sagen. Es gab in der letzten Zeit an verantwortlicher Stelle in Polen Äußerungen zu Deutschland, die der tatsächlichen Situation in unserem Land nicht gerecht werden. Bei aller Sorge über solche Äußerungen war es dennoch klug, darauf nicht öffentlich zu reagieren; denn niemand hier hat ein Interesse an einer Eskalation und an einer Belastung des deutsch-polnischen Verhältnisses. Es gibt zu viele Herausforderungen, bei denen wir Europäer Geschlossenheit und gegenseitiges Vertrauen brauchen, als dass wir uns einen unnötigen Streit leisten könnten. Wenn aber dem Bundespräsidenten vorgeschrieben wird, wo er auftreten darf und wo nicht, dann ist das für uns inakzeptabel und bedarf der öffentlichen Kommentierung. ({12}) Der Bundespräsident hat am Tag der Heimat eine sehr ausgewogene Rede gehalten. Es wäre zu wünschen gewesen, dass der polnische Ministerpräsident dazu Stellung bezogen hätte. Denn der Bundespräsident hat dazu aufgerufen, die in Polen bestehenden Sorgen ernst zu nehmen, gerade weil wir sie für unbegründet halten. Keine ernst zu nehmende Kraft in Deutschland wolle die Geschichte umschreiben, wolle Ursache und Wirkung verdrehen. Wörtlich sagte der Bundespräsident, dass es „keinen Zweifel“ daran gebe, „dass das nationalsozialistische Unrechtsregime und der von Deutschland begonnene Zweite Weltkrieg auslösende Ursache von Flucht und Vertreibung“ gewesen seien. Ich bin mir sicher, dass der polnische Ministerpräsident an diesen Worten nichts auszusetzen hat. Umso unverständlicher ist es dann aber, dass er wortwörtlich sagt, es bestehe „in Deutschland eine große, vom Staat unterstützte Struktur, die ständig die Frage der polnischen Gebiete anspricht, die einst zum Deutschen Reich gehört haben“. Das ist falsch und kann nur zu einer Eskalation führen, die wir vermeiden sollten. Ich sage noch einmal: Deutschland und Polen haben so viele gemeinsame Anliegen, die sie in der Europäischen Union durchsetzen wollen, nicht zuletzt eine neue EU-Ostpolitik insbesondere gegenüber der Ukraine und Weißrussland. Hierauf sollten wir unsere Arbeit und unsere Emotionen konzentrieren. Meine Damen und Herren, die Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesregierung orientiert sich klug an deutschen Interessen. Sie kann sich dabei auf die Unterstützung der CDU/CSU-Fraktion verlassen. Vielen Dank. ({13})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Monika Knoche, Fraktion Die Linke. ({0})

Monika Knoche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002701, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Herr Steinmeier, ich darf mich an Sie wenden. Sie haben Recht, wenn Sie heute auf den 11. September 2001 verweisen. Aber sind nicht fünf Jahre nach dem Terroranschlag nahezu alle Beweise erbracht, dass der Kampf gegen den Terror nicht mit Krieg zu gewinnen ist? ({0}) Das sieht man deutlich in Afghanistan. Über die Situation dort ist zu sagen: Dies ist mit Waffen nicht zu schaffen. Schauen Sie sich den Irak an: Die innenpolitische Situation ist einfach grauselig. Ich will auf den Libanon zu sprechen kommen. Am 12. Juli entführte die Hisbollah zwei israelische Soldaten. Stunden später antwortete Israel mit Krieg. Israel schlug mit einer militärischen Härte zu, die erschüttert. Israels Ziel: die Hisbollah zu zerschlagen. Dieses Kriegsziel wurde verfehlt. Wir hegen keinerlei Sympathie mit der Hisbollah. Die Heimtücke der Anschläge durch Raketen der Hisbollah, aber auch das Ausmaß der Kriegsführung Israels veranlassten uns Linke sofort zu einer zentralen Aussage: Die Waffen müssen schweigen; eine Konferenz für Frieden ist einzuberufen. ({1}) Aber wollte die Regierung das? Ich denke, eher nein. Weder die Frau Bundeskanzlerin noch Sie, Herr Außenminister Steinmeier, haben Ihre Ämter dazu genutzt, sich vorbehaltlos für einen Waffenstillstand einzusetzen. Sie haben es weder in der EU noch auf der Ebene der Vereinten Nationen getan. ({2}) Vielmehr haben Sie sich im Schlepptau der USA und Israels so lange nicht hinter die Bemühungen des Generalsekretärs Kofi Annan gestellt, bis klar war, dass Israel seine Kriegsziele nicht wie erwartet erreichen konnte. Das ist nicht die außenpolitische Rolle, die Deutschland im Nahen Osten einnehmen muss. Gerade weil Deutschland eine besondere Verantwortung für die Sicherheit Israels und die Eigenstaatlichkeit der Palästinenser hat, darf es sich nicht zu einer einseitigen Parteinahme hinreißen lassen. ({3}) Ich sage ganz bewusst: Ohne die faschistischen Verbrechen, ohne den Holocaust gäbe es den Kernkonflikt Israel/Palästina nicht. Von Normalität sind wir entfernt. Sie kann uns nicht durch die Regierung Israels zugesprochen werden. Das liegt allein in unserer Verantwortung. In der grundlegenden Frage deutschen Selbstverständnisses hat die Kanzlerin geschwiegen. Ich habe erwartet, dass sie die Debatte an sich zieht. Sie ließ den Außenminister und den Verteidigungsminister sprechen und beide erzeugten mehr Unklarheiten als Orientierung, ({4}) ja mehr noch: Sie widersprachen sich ständig. Über seeseitige militärische Potenz wurde schwadroniert, als sei die Vor-Ort-Präsenz eine ausgemachte Sache. Das war sehr daneben. Heute ist es so: Libanon legt größten Wert darauf, dass die 7-Meilen-Distanz eingehalten wird. Es ist geradezu lächerlich, wenn sich auch noch Deutschland mit seiner maritimen Präsenz in dieser Zone drängeln würde. Also bitte kommen Sie etwas mehr in der Realität an! ({5}) Ein parlamentarischer Ausfall waren auch die Fraktionen der großen Koalition. Beide haben es verabsäumt, die parlamentarischen Gremien zu befassen. Wir, die Linke, haben eine Sondersitzung im Auswärtigen Ausschuss verlangt; damit kam der Prozess in Gang. Jetzt erkennen Sie die Qualität unseres Vorschlages für eine KSZ im Nahen Osten. Sie nehmen ihn in Ihre Rhetorik auf und das finden wir gut. Dem müssen Taten folgen. Der Krieg währte vier Wochen, bis die UN-Resolution zustande gekommen ist. Israel behält die Lufthoheit und die Seeblockade gegen Libanon bei. Allein die Waffenlieferungen an die Hisbollah unterbinden zu wollen, nicht aber zum Beispiel die deutschen U-Boot-Lieferungen an Israel, das kann nicht angehen; das ist gefährlich. ({6}) Immer mehr prominente Stimmen in Israel sprechen von einem zweiten Waffengang. Schon allein das müsste Deutschland veranlassen, sich bei der Absicht zurückzuhalten, mit Soldaten in diese Region zu gehen. CDU/ CSU, SPD und Grüne befleißigen sich aber, gerade das parlamentarisch herbeizuführen. Davor warnen wir. Was ist, wenn der Waffenstillstand nicht hält? Was ist, wenn die USA Kriegspläne gegen den Iran hegen? - Beantworten Sie doch diese Fragen! Sie behandeln sie aber gar nicht, auch heute nicht. Und was ist, wenn der Libanon eigene Vorstellungen zur UN-Militärpräsenz hat? Mit dieser Selbstverständlichkeit haben Sie erst gar nicht gerechnet. Aber der Libanon muss natürlich Sorge dafür tragen, dass er seine Souveränität erhält und seine Integrität wahrt. ({7}) Sonst hat er keine Autorität, um gegen die Hisbollah vorzugehen und sie auf friedliche Weise in die Gesellschaft zu integrieren. Wir haben also eine neue Lage. Die Eilfertigen in der Regierung, die sofort nach maritimer Präsenz gerufen und die gesamte Situation völlig unterkomplex behandelt haben, haben sich meines Erachtens kräftig blamiert. Lassen Sie also alle Pläne fallen, deutsche Schiffe dorthin zu schicken! Machen Sie Berlin zum Austragungsort für eine Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen Osten. Das ist meines Erachtens die anspruchsvollste Aufgabe, derer sich Deutschland angesichts seiner Geschichte in diesem Krisengebiet annehmen kann. Stellen Sie in das Zentrum dieses politisch-diplomatischen Bemühens die Kultur des Dialogs, die Sicherheitsinteressen Israels und das Recht der Palästinenser auf einen eigenständigen lebensfähigen Staat. Denn neben den Folgeproblemen des Libanonkrieges gleicht das Leben in Gaza dem in der Apartheid. Solange hier nicht Recht und Friede einkehren, gewinnt Israel keine Sicherheit. ({8})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Jürgen Trittin, Bündnis 90/Die Grünen.

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Frank Steinmeier, ich habe eben genau hingeschaut, als Ihr Koalitionspartner Herr Schockenhoff gesprochen hat. Sie haben dabei ungefähr so ausgesehen wie Frau Merkel heute Morgen, als Fritz Kuhn gesprochen hat: leidend, ({0}) leidend angesichts von Formulierungen, mit denen versucht werden sollte, Sie in einen Gegensatz zu Ihrem Amtsvorgänger zu bringen. ({1}) Deswegen will ich an dieser Stelle eines ganz deutlich sagen, lieber Herr Schockenhoff: Diejenigen, die die Außenpolitik des damaligen Bundeskanzlers Schröder und von Joschka Fischer als antiamerikanisch bezeichnet haben, waren nicht die USA, sondern das waren Sie. Sie haben die Weigerung der damaligen Regierung, den Irakkrieg zu unterstützen, als Antiamerikanismus denunziert. Sie sind heute diejenigen, die in der Ecke stehen und sagen: Leider hatten diese Antiamerikaner, wie wir sie genannt haben, Recht; denn es war falsch, diesen Krieg gegen den Irak zu beginnen. - Deswegen sollten Sie sich gerade mit Äußerungen hinsichtlich Kontinuität und Diskontinuität in der Außenpolitik zurückhalten. ({2}) Lieber Frank Steinmeier, ich hätte mir gewünscht, die heutige Debatte hätte den Raum dafür gelassen, die Vision zu entwickeln, die Sie angekündigt haben. Aber auch da stehen Sie im Widerspruch zu Herrn Schockenhoff, der gesagt hat, jetzt sei Durchwursteln, aber keine Visionen angesagt. Sie haben eine Vision für eine neue Ostpolitik angekündigt. Dieses Hohe Haus hätte gerne einmal gehört, was sich hinter dem Begriff einer neuen Politik gegenüber Russland verbirgt, was da anders werden und was beim Alten bleiben soll. Eine Antwort darauf sind Sie uns heute, wie gesagt, schuldig geblieben. Schuldig geblieben sind Sie uns auch die Vorstellungen der Bundesregierung - das ist viel ernster - mit Blick auf die EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr des nächsten Jahres. Da gibt es eine ganze Reihe von Fragen, die zu thematisieren wären. Ich erwähne nur ein Gesetzgebungsvorhaben: Wie wird sich die Bundesregierung in der Debatte um eine Energiestrategie und eine Energiesicherheitsstrategie dieses Europas positionieren? Oder wollen Sie auch in Europa das aufführen, was wir hier im Lande tagtäglich präsentiert bekommen, nämlich die Inszenierung von Zerrissenheit, die dadurch gekennzeichnet ist, dass der eine Minister nichts anderes im Kopf hat als die Verlängerung der Laufzeiten von Kernkraftwerken, während der andere Minister versucht, eine rationale, ressourceneffiziente und an Erneuerbarkeit orientierte Energiepolitik zu machen? Sie haben auch dazu geschwiegen. Sie haben auch zu Ihren Vorstellungen geschwiegen, wie man die institutionelle Blockade überwinden kann. Das ist keine Diskussion über einen abstrakten Begriff, die man im Seminar führen kann. Es ist eine Tatsache, dass es ohne eine Auflösung der institutionellen Blockade der Europäischen Union keine Perspektive, auch keine Friedensperspektive für den Balkan geben wird, weil schlicht und ergreifend weitere Beitritte ausgeschlossen wären. Auch dazu haben Sie geschwiegen. Das finde ich fatal. Ich will noch auf einen weiteren Punkt zu sprechen kommen. Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, welche wichtige Rolle Europa heute zukommt, wenn es um den Umgang mit Krisen und insbesondere mit Krisen vor unserer Haustür geht. Ich nenne beispielsweise den Konflikt zwischen Israel und Libanon. Da stellen wir fest: Die Europäische Union spielt zwar eine positive Rolle, sie ist aber in dieser Situation nicht so handlungsfähig, wie es notwendig wäre. Wir haben keinen euroJürgen Trittin päischen Außenminister; wir haben Javier Solana und Frau Ferrero-Waldner. Wir haben häufig eine sehr verzögerte Handlungsfähigkeit. Das sage nicht ich, sondern es war der amtierende finnische Ratspräsident, der beklagte, dass es nicht gelungen sei, Ende Juli und in den ersten Augusttagen eine gemeinsame Position des Rates für einen sofortigen Waffenstillstand zu verabschieden. Das zeigt, dass der Zustand innerhalb der EU nicht überwunden worden ist, der schon den G-8-Gipfel geprägt hat. Dort ist die Forderung der Vereinten Nationen, sofort in einen beidseitigen Waffenstillstand einzutreten und ihn durch eine internationale Schutztruppe abzusichern, am Widerstand der USA gescheitert. Es ist zwar schön, dass Sie am Ende eine Vereinbarung erreicht haben; da gibt es Verdienste gerade des deutschen Außenministers. Aber angesichts dieser Zögerlichkeit frage ich Sie: Was wäre eigentlich anders gewesen, wenn man bereits am 19. Juli dazu gekommen wäre, die Waffen zum Schweigen zu bringen und entsprechende Truppen zur Verfügung zu stellen; ohne diese Truppen geht es nämlich nicht? ({3}) - Danke, dass Sie dafür applaudieren. ({4}) - Ich glaube, dass viele von Ihnen wissen, dass ich diesbezüglich Recht habe. Was wäre der Unterschied gewesen? Der Krieg hätte weniger Menschen das Leben gekostet und es wäre weniger zerstört worden. Alles andere war zu diesem Zeitpunkt schon offensichtlich, vor allen Dingen die Tatsache, dass der Versuch, die Hisbollah militärisch zu schlagen, ein aussichtsloses Unterfangen ist, weil es sich nämlich nicht um ein rein militärisches Problem handelt. Leider hat die Weigerung der G-8-Staaten, frühzeitig zu handeln, diesen Krieg meines Erachtens unnötig verlängert. Dann ist es aber gelungen, ihn zu beenden. An dieser Stelle will ich anmerken, dass ich sehr deutlich sehe, dass sich Deutschland alle Mühe gibt, dieses Problem in einen politischen Prozess einzubinden. Die Agenturen haben heute gemeldet, Frau Merkel habe gesagt, man brauchte mehr Geld für die Bundeswehr. Dazu sage ich mit Verlaub: Strukturiert die Bundeswehr erst einmal um und modernisiert sie; haltet nicht länger am Alten fest und finanziert nicht das Neue mit zusätzlichem Geld. An einem solchen Tag muss doch die Frage erlaubt sein, ob die Zusage Deutschlands, von den 730 Millionen Euro Soforthilfe für den Libanon 22 Millionen Euro, also nicht einmal 3 Prozent, zu übernehmen, der politischen Rolle Deutschlands eigentlich angemessen ist. Ich finde, nicht. ({5}) Der Friedensprozess im Libanon wird meines Erachtens - das unterscheidet mich von den Mitgliedern der beiden anderen Oppositionsfraktionen - nur dann erfolgreich sein, wenn UNIFIL ein robustes Mandat erhält. Umgekehrt ist aber auch richtig, dass dieses robuste Mandat von UNIFIL nur dann Bedeutung haben wird, wenn UNIFIL in den Friedensprozess eingebettet wird. Das sind die beiden Kriterien, die unseres Erachtens zugrunde gelegt werden müssen. Man muss sich fragen: Ist diese internationale Truppe geeignet, die Sicherheit Israels und die territoriale Integrität des Libanons wieder herzustellen? Gibt es eine Perspektive für eine Zweistaatenlösung, für Israel und Palästina, für einen Ausgleich zwischen Syrien und Israel? Was das deutsche Engagement angeht, ist unter militärischen Gesichtspunkten eine Frage zentral: Ist ausgeschlossen, dass es zu Kampfhandlungen zwischen deutschen und israelischen Soldaten kommt? - Das sind die drei Kriterien, auf deren Grundlage meine Fraktion ihre Haltung zu diesem Mandat bestimmen wird. Jeder hat eine persönliche Entscheidung zu treffen. Lieber Herr Bundesverteidigungsminister, wir lassen uns bei dieser sachlichen Prüfung - das sage ich ganz ausdrücklich - durch Ihr, wie ich finde, an vielen Stellen fahrlässiges und vorschnelles Gerede nicht in eine leichtfertige Ablehnung treiben. ({6}) Ich will mit allem Nachdruck sagen: Unsere Soldaten erwarten von dem Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt, dass er Orientierung bietet. Er sollte sie nicht verwirren und den Eindruck erwecken, der Bendlerblock sei eine Neuausgabe des „Blauen Bocks“. ({7}) Zu den politischen Lösungen will ich ausdrücklich sagen: Lieber Frank Steinmeier, wir halten den Ansatz, Syrien einzubeziehen, nicht nur für dringend geboten, sondern loben ihn ausdrücklich. Dieser Ansatz basiert nicht auf der Vorstellung, dass man es mit einem Kampf der Guten gegen die Bösen zu tun hat. Wir müssen jetzt, fünf Jahre nach dem 11. September 2001, sagen: Diese Form der Bekämpfung des Terrorismus ist gescheitert. Im Irak ist sie leider sogar spektakulär gescheitert. Das führt mich zu einer anderen Fragestellung: Wir müssen einmal darüber nachdenken, wie sich die unterschiedlichen Vorgehensweisen bei der Bekämpfung des Terrorismus - die eine geht von einem umfassenden Sicherheitsbegriff aus, die andere, die unilaterale, setzt fast ausschließlich auf militärische Macht - miteinander vertragen. Stellen Sie sich einmal vor, was die Fantasien, die in einigen Kreisen der Neokonservativen in den USA diskutiert werden - Raketenangriffe und Luftangriffe auf den Iran -, für die Sicherheit der 10 000 europäischen Soldaten der UNIFIL heißen würden. Hier merkt man doch, dass solch ein unilaterales Vorgehen und ein multilateraler Friedenseinsatz Ansätze sind, die in einen schwersten Konflikt miteinander geraten können. In einem Bereich fürchten wir, dass genau dieser Konflikt schon eingetreten ist, nämlich in Afghanistan nicht dadurch, dass wir dort Drogen bekämpfen, und nicht dadurch, dass Aufständische militärisch von ihren Untaten abgehalten werden, sondern durch die Art und Weise, in der das in letzter Zeit geschehen ist. Man hat sich beispielsweise vor allen Dingen auf das Abbrennen von Mohnfeldern konzentriert und nicht darauf, den Mohnbauern wirtschaftliche Entwicklungsmöglichkeiten zu geben. Das hat im Ergebnis dazu geführt, dass der integrative Ansatz, den Deutschland im Norden Afghanistan umsetzt, heute in seiner Sicherheit gefährdet ist. Deswegen müssen wir in der Diskussion mit unseren Verbündeten klar sagen, dass sich ein multilateraler Ansatz einer politischen Friedensstiftung über Institutionenbildung nicht mit einem simplifizierten Modell des Kampfes gegen den Terrorismus ausschließlich mit militärischen Mitteln verträgt. Ich glaube, das wird die Herausforderung der nächsten Zeit sein. Vielen Dank. ({8})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Gert Weisskirchen, SPDFraktion.

Gert Weisskirchen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002465, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Lieber Kollege Trittin, am Anfang Ihrer Rede haben Sie den Außenminister ein wenig kritisiert. Ich möchte ganz deutlich sagen: Im ersten Moment, als der Krieg von Hisbollah auf Israel angefacht worden war, hat der Außenminister, als die Reaktion aus Israel kam, sofort gehandelt. Er hat die Region besucht. Er war in Israel und Jordanien. Er hat versucht, mit Syrien zu sprechen. Er war überall in der Region und hat versucht, Fäden anzuknüpfen, wodurch die UN-Resolution 1701 erst in Kraft gesetzt werden konnte. Wie kann er denn anders handeln, als zu versuchen, dagegen, dass alle anderen sich unilateral verhalten, das heißt, auf ihre eigene Kraft und Stärke setzen, ein multilaterales, internationales Konzept zu stellen? Das hat er gemacht. 1701 ist nicht zuletzt deswegen zustande gekommen, weil er so unermüdlich dafür gekämpft hat. Lieber Kollege Trittin, das ist nicht zu vergessen. ({0}) So etwas dauert nun einmal seine Zeit. Wir haben doch gesehen, wie es in New York gelaufen ist. Jeder von uns hat gesehen, wie die Schockstarre in Europa nur Schritt für Schritt überwunden werden konnte. Ich möchte ein Land nennen, das sich mit der Konferenz in Rom zur Libanonkrise wirklich an die Spitze gestellt hat. Italien hatte den Mut, sich als erstes Land deutlich zu positionieren und zu sagen: Wir schicken unsere Soldaten im Rahmen des UNIFIL-Mandats sogar in den Libanon selbst. Ich finde, dass gerade Europa mit diesem Moment zeigt, dass es bereit ist, gemeinsam zu handeln. Der Anfang wurde von Frank-Walter Steinmeier gemacht. Dafür danken wir. ({1}) Nun will ich nicht übertreiben, wenn ich sage, welche Chancen in diesem Prozess deutlich werden. Aber ich möchte gern Martin Indyk vom Saban Center zitieren, früher war er Botschafter der USA in Israel. Er hat gesagt: Jetzt ist der Moment für Europa gekommen. - Gern hoffe ich, dass das so ist oder so sein wird. Aber wenn ich mir beispielsweise die Tageszeitung „Ha‘aretz“ von heute anschaue, dann sehe ich, dass es drei Artikel gibt, die sich kritisch mit der Entwicklung des seit 33 Tagen dauernden Krieges auseinander setzen. Ich bitte Sie, diese drei Artikel ganz genau zu lesen. In ihnen wird versucht, deutlich zu machen, dass das unilaterale Handeln falsch gewesen ist und dass es jetzt eine gute und neue Chance gibt, ein wirkliches internationales Konzept zu entwickeln, um einen überschaubaren Prozess einzuleiten, der politisch dazu führt, dass das Schlüsselproblem Israels endlich angegangen werden kann: Die Bürger Israels müssen in garantierten, international gesicherten und anerkannten Grenzen leben können. Diese Chance ist jetzt gegeben, weil alle in der Region - so schrecklich die 33 Tage und Nächte des Krieges auch waren - in den Abgrund geblickt haben. Das Entsetzen darüber wird in den drei Artikeln - aber nicht nur in ihnen - deutlich gemacht. Mag sein, dass Nasrallah ein Zyniker ist. Mag sein, dass er sich in der einen oder anderen Situation sogar wie ein Terrorist verhält. ({2}) Aber, lieber Kollege Gehrcke, er sagt: Unser Problem im Libanon ist, dass wir einen schwachen Staat haben; wir lassen uns entwaffnen, wenn der libanesische Staat stark wird. Sind das nicht Anzeichen dafür, dass in der gesamten Region ein Nachdenken eingesetzt hat? So schlimm dieser Krieg, diese 33 Tage und Nächte, auch waren, jetzt besteht wirklich die Chance, einen neuen Prozess einzuleiten. Die UN-Resolution 1701 kann der Anfangspunkt dafür sein, dass dieser neue Prozess eine stabile Grundlage findet. ({3})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gehrcke?

Gert Weisskirchen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002465, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege Weisskirchen, Ihre Feststellung, die ich sehr vernünftig finde, kann ich nur unterstreichen. Ich frage Sie: Wenn sich selbst bei der Hisbollah der Ton ändert, die Beurteilungen kritischer werden und man keinen Siegesjubel anstimmt wie damals, als Israel aus dem Süden Libanons ausmarschiert ist bzw. als man Israel angeblich aus dem Süden Libanons vertrieben hat - Sie kennen diese Töne -, wäre es dann nicht vernünftig und angemessen, wenn auch wir unseren Ton gegenüber diesen politischen Kräften ändern und auf einen Dialog setWolfgang Gehrcke zen, um diese Entwicklung zu bestärken, statt, wie in der Vergangenheit, nicht mit den Verantwortlichen zu reden? ({0})

Gert Weisskirchen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002465, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Gehrcke, ich würde Ihnen gerne glauben. Wir müssen uns aber auch vor Augen führen, wie zerklüftet das Land Libanon ist. Dort gibt es quasi-staatliche Strukturen, die sich mit Terror identifizieren lassen und die vielleicht sogar die Ursache dafür sind, dass die Probleme, die Israel jetzt militärisch beantwortet hat, so sehr haben wachsen können. Wenn Nasrallah in der Tat beginnt, sich politisch zu verhalten, wenn er nicht versucht, auf die militärische Karte zu setzen, und wenn er beginnt, darüber nachzudenken, ob Israel nicht doch ein Existenzrecht in der Region hat, damit seine Bürger in gesicherten Grenzen leben können, statt ständig durch terroristische Angriffe bedroht zu werden, dann, so meine ich, könnte hier ein neuer Friedensprozess beginnen. Niemand wäre darüber glücklicher als wir. Ich finde es gut, dass Kurt Beck gesagt hat: Am Ende eines solchen Prozesses brauchen wir so etwas wie eine KSZE, ({0}) eine Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit, wie wir sie aus Europa kennen. Wir brauchen eine Nachbarschaft, bei der der eine Nachbar dem anderen Nachbarn ein guter Nachbar ist. Das haben wir in Europa gelernt. Warum sollte das nicht auch in dieser Region möglich sein? Dafür kämpfen wir und dafür ist die UNResolution 1701, wie ich finde, ein guter Anfangspunkt. Nun, Kollege Gehrcke, komme ich auf den praktischen Teil zu sprechen: Wenn es um das Mandat geht, das zur Sicherheit auch durch Militär geschützt werden muss, dann dürfen Sie sich nicht verweigern. Denn dadurch würde die Art und Weise, wie Sie sich jetzt verhalten, unglaubwürdig. Man kann nicht das eine wollen und zum anderen Nein sagen. Das geht nicht. Auch das gehört dazu. ({1}) Was die Frage betrifft, ob es einen Siegesrausch gebe, empfehle ich Ihnen, lieber Kollege Gehrcke: Schauen Sie sich die öffentliche Debatte bis in die Knesset und in die Regierung hinein in Israel genau an. Dort gibt es keinen Triumphalismus, vielleicht besteht dort sogar aus der Sicht Kadimas die Gefahr, dass die Partei zerbröckelt. In der „Ha’aretz“ von heute wird ein Artikel überschrieben: Bye-bye Kadima. - Auf Wiedersehen Kadima. Was war denn der neue Konsens, nachdem Netanjahu damals gesagt hat: Wir haben keinen Partner, deswegen müssen wir unilateral handeln? Der Konsens bestand darin, dass die Linke in Israel gesagt hat - Sie kennen die Debatte -: Wir gehen raus aus den besetzten Gebieten. Die Rechte hat gesagt: Wir können nur unilateral herausgehen. Dieser Paradigmenwechsel hat in Kadima seine politische Form gefunden. Das war der Grund dafür, warum Kadima so überragend gewählt worden ist. Dieser innere Konsens zerbricht jetzt. Das ist zu erkennen. Wir müssen allerdings kritisch nachfragen: Ist der innere Konsens, den beispielsweise Hisbollah bisher zusammengehalten hat, nämlich Israel von der Landkarte ausradieren zu wollen, inzwischen auch zerbrochen? Bis auf die selbstkritischen, vielleicht auch zynischen Bemerkungen von Nasrallah ist hiervon noch nichts zu erkennen. Ich will das nicht kleinreden, wir kommen jetzt in einen neuen Prozess. Katsav hat gestern erklärt, dass, wenn die Soldaten freigesetzt werden können und sollen, eine Verhandlung zwischen Hisbollah und Israel, möglicherweise mit Ägypten als Mediator, stattfinden muss. Das ist der Beginn eines Prozesses, auf den wir setzen, der aber nur dann möglich ist, wenn die jetzt durch die Resolution 1701 gegebene Chance auch wirklich realisiert werden kann. Darum geht es. Um es ganz deutlich zu sagen: Die jetzige Situation kann sich für uns Europäer als sehr schwierig erweisen. Die Resolution 1701 zu realisieren, wird in der Tat sehr schwierig werden; das können wir auch daran erkennen, dass zwei Hisbollahminister in Beirut versuchen, auf die Bremse zu treten. Wir Europäer werden jetzt lernen müssen: Der Nahe Osten ist nicht mehr von uns getrennt. Es ist nicht mehr der Nahe Osten, der irgendwo dahinten verschwindet, sondern er ist Mittelpunkt unserer Außenpolitik. Wir müssen uns in unserem Handeln auf die Roadmap stützen, wir müssen Israels Existenzrecht sichern und dafür sorgen, dass das Kernproblem gelöst wird und Palästina die Möglichkeit erhält, ein eigener, selbstbestimmter, unabhängiger Staat zu werden. Diese Aufgaben haben wir uns gemeinsam gestellt. Lieber Kollege Trittin, ich bin nach wie vor dankbar, dass die Blaupause für die Roadmap hier in Berlin erstellt worden ist. Joschka Fischer war für die frühere Bundesregierung daran beteiligt. Ich bin froh, dass die gegenwärtige Bundesregierung mit Frau Merkel und Herrn Steinmeier genau an dieser Roadmap mitarbeitet. Sie ist der Schlüssel zur Lösung des Problems, damit diese Region, die so nahe liegt, eine Region des Friedens werden kann. ({2})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Wolfgang Gerhardt, FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Wolfgang Gerhardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002659, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es besteht hier im Hause wirklich kein Streit, dass die Region des Nahen Ostens für uns bedeutsam ist, dass sie in unsere Sicherheitsinteressen hineinspielt: Dort wird das Wetter der Welt gemacht, diese Region bestimmt mit darüber, was in unseren Innenstädten geschehen kann oder nicht. Ich glaube nicht, dass uns die Geschichte am Ende einen überzeugenden Grund liefert, uns aus allem herauszuhalten. Verantwortung verpflichtet, wenn man es so sieht. Aber wahr ist auch, dass es eine Frage der politischen Klugheit ist, dass wir entscheiden, welcher Beitrag Deutschlands am sachgerechtesten und am konstruktivsten für diese Region ist. Wenn eine Fraktion erklärt, nach ihrer Überzeugung ist das nicht der militärische Beitrag, und sie es für besser hält, auf die Verhandlungen Einfluss zu nehmen, humanitäre und medizinische Hilfe zu leisten und Kontakte aufzubauen, dann ist das eine genauso legitime Hilfe, die unserer Verantwortung gerecht wird, wie ein militärischer Beitrag. ({0}) Viele der Kolleginnen und Kollegen, die sich heute für einen militärischen Beitrag aussprechen, drücken die große Hoffnung aus - sie benutzen das Wort „endlich“ -, dass es mithilfe dieses Beitrags gelingt, dass in der Region endlich die Fähigkeit entwickelt wird, miteinander zu kommunizieren; diese Fähigkeit ist ja reichlich unterrepräsentiert. Das ist eine schmale Hoffnung. Es war keine Schockstarre, die mich getroffen hat, als ich gesehen habe, was in der Region vor sich geht. Wir wissen seit Jahrzehnten, was dort gemacht werden muss. Das weiß auch die amerikanische Außenpolitik. Ich bin ein überzeugter Transatlantiker, aber ich muss sagen: Unsere amerikanischen Freunde können dort die Trümmer ihrer Außenpolitik - der fehlgeschlagenen Versuche, Bewegungen zu isolieren; so wie das jetzt im Grunde auch mit dem Iran ist - besichtigen. Sie können die Folgen einer grandiosen Fehleinschätzung besichtigen, was den Irak angeht. In „Foreign Policy“ ist diese Woche eine Kritik erschienen, wie sie kein Kollege hier ausdrücken würde: Die Rede war von Amerikas Unfähigkeit, im Irak etwas aufzubauen. Die Double-Standards des Westens, die viele im Nahen Osten kritisieren, machen auch mir zu schaffen. Amerika antwortet bis heute auf das Atomprogramm von Nordkorea mit vielen Verhandlungen und manchem Achselzucken, Indien hingegen, das den Atomwaffensperrvertrag nie unterschrieben hat, wird eine besondere Rolle gegönnt. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wo sind denn die Anstrengungen der Atomwaffen besitzenden Mächte - auch der mit uns verbündeten -, der Welt zu zeigen, dass sie ihre Arsenale wirklich abrüsten? ({1}) Das zu bedenken, gehört zu wirkungsvoller Politik, wenn neben der Stationierung von Soldaten am Ende etwas herauskommen soll. Jeder von uns weiß: Die Hamas ist eine Organisation, die zu terroristischen Mitteln gegriffen hat und auch gegenwärtig greift. Jeder weiß, dass sie eine zutiefst soziale Verankerung hat. Egal aus welchem Grund: Jeder von uns weiß, dass sich die Palästinenser in den besetzten Gebieten zutiefst verletzt gefühlt haben - auch die Israelis haben sich verletzt gefühlt - durch die terroristischen Angriffe. Aber wahr ist, dass in Gaza die soziale Lage der Palästinenser verbessert werden muss und dass Israel einen großen Beitrag dazu leisten muss. Sonst werden auch Tausende von Soldaten nicht helfen können, die Region zu stabilisieren. ({2}) Das muss man gegenüber dieser Region offen sagen dürfen. Wer von den großen Staatsmännern der Welt kann schon sagen, wie Russland und China am Ende reagieren, nicht nur hinsichtlich Irans, sondern auch, was die Finanzierung der Hisbollah durch Iran und Syrien angeht. Russland und China zeigen uns bisher nur, dass ohne sie international nichts zu erreichen ist. Wir erwarten aber, dass mit ihnen etwas gelingen kann. Beide haben erklärt, nach ihrer Überzeugung bräuchte man keine Sanktionen, sie seien in der Lage, das mit einem - wie man das neudeutsch nennt - Containment zu einem guten Ende zu bringen. Dann muss einmal ernsthaft mit ihnen gesprochen werden, dass sie uns das zeigen. Ich höre aber von keiner internationalen Konferenz, dass so etwas geschehen würde. Dass Verschwiegenheit und eine gewisse Konferenzsprache zu den Gepflogenheiten der internationalen Diplomatie gehören, ist jedem klar. Aber das darf nicht dazu führen, dass überhaupt kein Wort mehr an die Öffentlichkeit dringt, wie das Problem tatsächlich gelöst werden kann. Israel erweitert jetzt mit einigen Baumaßnahmen seine Siedlungen wieder. Der Regierungschef erklärt: Ob man bei der Westbank im Jahre 2010 reagieren könnte, sei noch höchst fraglich. Wir haben es zur Staatsräson gemacht, das Existenzrecht Israels zu schützen. Dabei bleibt es. Aber wir haben die eindringliche Bitte an unsere israelischen Freunde, es uns nicht so schwer zu machen, ihnen beizustehen! ({3}) Auch das gehört zu einer offenen Aussprache hierher. Die bisherigen Erfolge und Bewertungen, die mein Kollege Hoyer angesprochen hat, will ich mangels Zeit nicht mehr ausführen. Eine nüchterne Überprüfung der militärischen Entsendung zeigt uns, dass wir sie am Balkan und auch in Afghanistan und anderswo weiter brauchen. Sie zeigt uns aber eben auch - das ist mein Eindruck -, dass die politische Mühsal der entsprechenden Ebenen gewaltig nachlässt, wenn in den Hauptstädten dieser Welt die Entscheidung, Militär zu entsenden, getroffen worden ist. Unsere amerikanischen Freunde entsenden gerne Soldaten, aber ihre politische Anstrengung, in einer Region Rahmenbedingungen zu schaffen, durch die das Leben der Menschen verbessert wird, und dafür Verbündete zu finden, ist etwas geringer ausgeprägt. Wir sollten uns nicht daran gewöhnen, dass sich die einzige deutsche Antwort, die diskutiert wird - das war in diesem Fall bemerkenswert; jeden Tag wurde ja diskutiert, wie der Beitrag aussehen könnte -, darin erschöpft. In diese Gefahr sollten wir nicht kommen. Deshalb werbe ich für ein Bewusstsein bei uns allen dafür - das ist insbesondere denjenigen gegenüber vorDr. Wolfgang Gerhardt zutragen, die jetzt entsenden wollen -, dass nicht ein Entsendebeschluss gefällt wird und dann wieder Funkstille in Sachen Beitrag zur entscheidenden politischen Lösung in der Region herrscht. Wer entsendet, muss sich hinterher umso mehr um einen politischen Beitrag bemühen. Mein Eindruck heute ist leider, dass die Hauptstädte dieser Welt diesen Beitrag zur Lösung der Grundprobleme nicht leisten. Das Israel-Palästina-Problem ist fast ein symbolhaftes Beispiel, aber es kreiert nicht das Übel aller Welt. Alle anderen Beziehungen werden dadurch aber so schwierig. Das Problem muss im Kern gelöst werden. Dafür wäre jetzt der Zeitpunkt.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.

Dr. Wolfgang Gerhardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002659, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich höre sofort auf. - Ich glaube, ich bin verstanden worden. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Ingo Schmitt, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Ingo Schmitt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003842, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Es ist heute bereits viel über die Frage gesprochen worden, inwieweit es gerechtfertigt und geboten ist, UNFriedenstruppen in den Libanon zu entsenden. Deswegen will ich mich schwerpunktmäßig auf die Entwicklung der Europäischen Union und auf das, was dort in der nächsten Zeit wichtig ist, konzentrieren. ({0}) Lassen Sie mich vorneweg aber eine Anmerkung zum Thema Libanon machen. Ich war heute Morgen etwas überrascht, als von Kollegen aus der Opposition der Eindruck vermittelt worden ist, dass sich die Bundesregierung geradezu darum gerissen hat, ein entsprechendes Mandat zu erhalten. Ich glaube, wer das behauptet, der wird der Situation nicht gerecht. Alles andere ist nämlich richtig: Zutreffend ist, dass wir uns der dortigen Situation nicht entziehen können und dass wir auch und gerade im wiedervereinigten Deutschland bereit sein müssen, bestimmte Vorhaben in der Weltgemeinschaft mitzutragen. Ich verbinde das auch mit einer persönlichen Situation. Als ich dem Bundestag noch nicht angehört habe, habe ich immer relativ schnell für mich entschieden, dass es richtig und klug ist, dass der Bundestag entsprechend entscheiden wird. Beim Mandat für den Kongo hatte ich zum ersten Mal selbst darüber zu entscheiden und ich rede bewusst nicht von einer Verlängerung von Aufträgen. Ich habe mir sehr viele Gedanken gemacht und ich hatte sehr gemischte Gefühle, als ich mich dafür entschieden habe. Heute sage ich, dass diese Entscheidung richtig war, und ich bin der Meinung - deshalb werde ich das auch unterstützen -, dass sich die Bundeswehr auch an einem UN-Mandat im Libanon beteiligen sollte. Nun aber zu dem Thema, das ich eigentlich ansprechen wollte, nämlich zur Europäischen Union. Lassen Sie mich vorwegschicken, dass ich sehr froh darüber bin, dass der Stabilitätspakt zum ersten Mal seit Jahren endlich wieder eingehalten wird. Ich darf Ihnen aus meiner Erfahrung im Europäischen Parlament berichten. Es war nicht so, dass die Kollegen geradezu voller Häme durch die Reihen gingen und sich freuten, dass auch einmal der Musterknabe Deutschland die Hausaufgaben nicht erledigen konnte, sondern bei den Kollegen aus den anderen europäischen Staaten war eher die Sorge erkennbar, wieso nun gerade Deutschland über Jahre hinweg nicht in der Lage war, diesen Stabilitätspakt einzuhalten, und warum es Deutschland nicht gelang, Wirtschaftsdaten zu produzieren, durch die deutlich wird, dass hier eine Lokomotivfunktion der Deutschen gegeben ist. Ich sage trotz unserer Koalition mit allem Verlaub: Herr Kollege Eichel, ich glaube, Sie haben in diesem Bereich auf der EU-Ebene keine besonders glückliche Rolle gespielt. ({1}) Ich möchte aber an dieser Stelle dem Minister für Finanzen, Herrn Steinbrück, Dank sagen, der es geschafft hat, die Maastrichtkriterien einzuhalten. Aber ich sage auch: Wer lobt, kann auch einmal eine kritische Anmerkung machen. Ich halte es für nicht besonders klug und auch nicht für richtig, dass man die Europäische Zentralbank, die aus meiner Sicht in den vergangenen Jahren durch ihre große Weitsicht, Vorsicht und Umsicht gezeigt hat, dass sie einerseits dem Wirtschaftswachstum, andererseits aber auch der Stabilität gerecht wird, warnt: Die Europäische Zentralbank sollte eine nicht zu straffe Geldpolitik betreiben. Es ist angesprochen worden: Der Regierungsstil hat sich gerade in der Außen- und Europapolitik verändert. Deshalb glaube ich, dass wir gute Chancen haben, die Ratspräsidentschaft im nächsten Jahr positiv zu gestalten. Es gibt eine Vielzahl von Themen: von illegaler Zuwanderung über die Frage Energiesicherheit, Bekämpfung des internationalen Terrorismus bis hin zum Abbau von Bürokratie. Das bedeutet für mich weniger den Abbau von Personal, sondern den Abbau einer Vielzahl von Gesetzen, Verordnungen und Richtlinien, die ihre Funktion in dieser Form nicht erfüllen. Ein ganz zentrales Thema wird sein: Gelingt es der deutschen Ratspräsidentschaft, den Verfassungsvertrag wieder anzuschieben, ihn so zu beleben und zu bewegen, dass es endlich zu einer positiven Entscheidung aller Staaten zu diesem Verfassungsvertrag kommt? Ich weiß sehr wohl, dass einige Punkte in diesem Verfassungsvertrag als nicht so gut gelungen gelten können. Aber man muss sich immer wieder vergegenwärtigen: Dieser Verfassungsvertrag wurde nicht nur zwischen den Parteien Ingo Schmitt ({2}) mit ihren ganz unterschiedlichen Auffassungen ausgehandelt, sondern letztlich waren daran 28 Staaten beteiligt, die ganz unterschiedliche Ausgangspositionen, auch politisch unterschiedliche Traditionen und unterschiedliche Staatsaufbauten haben. Wenn man all das berücksichtigt, so kommt man zu dem Schluss, dass dies ein gelungener Vertrag ist. Schließlich werden dadurch wesentliche Ziele erreicht. Zunächst einmal wird der Vertrag von Nizza abgelöst, von dem wir alle wissen, dass er nicht gelungen war. Wir schaffen eine transparente und klare Kompetenzregelung. Der Menschenrechtskatalog wird in Kraft gesetzt werden. Wir würden damit auch ernsthaft - das ist gerade in der heutigen Debatte ein wichtiges Thema - in eine verbindliche gemeinsame Außenpolitik einsteigen. Es gibt natürlich auch Defizite, die wir in den nächsten Jahren angehen müssen. Ein Defizit dieser Verfassung war, dass man bestimmte Teile ausgeklammert hat. Wir sind längst weg von der Wirtschaftsgemeinschaft und haben uns - wie wir das alle wollten - zu einer Politischen Union entwickelt. Das ging mal schneller, mal langsamer und mal war es ein schleichender Prozess. Wir wissen aber bis heute nicht - darüber diskutiert keiner laut, es sei denn im wissenschaftlichen Bereich -, was das Ziel sein soll. Wir sitzen in einem Zug und wir fahren in eine Richtung, aber wir wissen nicht, welches der Endbahnhof sein soll. Auch wissen wir nicht, wer während der Fahrt unter welchen Voraussetzungen zusteigen darf. Ich frage also: Wie weit kann sich Europa erweitern? Wo sollten die natürlichen Grenzen sein? Die Frage, wohin die Fahrt mit wem geht, muss irgendwann einmal diskutiert und als Vision festgelegt werden. Was in 40 oder 50 Jahren sein wird, sei dahingestellt. ({3}) Für mich gehört dazu auch die Frage, Herr Minister: Wie gehe ich mit den Anrainern um? Sie haben da das entsprechende Signal gegeben. Beide Themenbereiche müssen miteinander kombiniert werden. Gleiches gilt für die Frage, wie die EU zukünftig mit Russland umgeht. Von daher gibt es in dem Jahr der Ratspräsidentschaft viele Chancen. Ich bin zuversichtlich, dass diese Bundesregierung diese Chancen auch aufgrund der vorgenommenen Klimaverbesserungen nutzen wird. Nichtsdestotrotz sollten wir neben dem halben Jahr, das vor uns liegt, die großen Themen, die für die Gestaltung dieses Kontinents von Bedeutung sind, nicht aus den Augen verlieren, sondern irgendwann den Dialog darüber beginnen. Herzlichen Dank. ({4})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Alexander Ulrich, Fraktion Die Linke. ({0})

Alexander Ulrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003858, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mein Vorredner hat dankenswerterweise die Außenpolitik in Richtung Europa gelenkt. Ich möchte das an dieser Stelle fortsetzen. Europa ist in der Krise. Das kann man überall lesen und hören. Wurde das zu Beginn nur von Journalisten öffentlich diskutiert, so geben mittlerweile alle Regierungen Europas zu, dass Europa tatsächlich in der Krise ist. Als bedürfte es noch eines weiteren Beweises, hat man auf dem letzten EU-Gipfel erklärt, dass der selbsternannte Sanierungsfall Deutschland nun zum Retter Europas werden soll. Ich glaube, daran zeigt sich, wie tief Europa tatsächlich in der Krise ist. Denn Deutschland ist mit Ihrer Politik nicht geeignet, Europa ein menschliches Antlitz zu verleihen. Es ist grandios, wie die an sich tolle Idee der Europäischen Union von Europas Regierungen in die Sackgasse geführt worden ist. Man muss sich die Frage stellen, Herr Bundesaußenminister, was Deutschland in dem einen Jahr der Reflexionsphase getan hat. Man hat oftmals den Eindruck gehabt, dass die Regierung tatenlos war und sich die Phase eines Denkverbots auferlegt hatte. Als man im Sommer wieder zusammengekommen ist, um zu beraten, wie der EU-Verfassungsvertrag zu retten ist, hat man unreflektiert die Reflexionsphase um ein weiteres Jahr verlängert. Ich glaube, wenn Deutschland Impulse für die EUVerfassung setzen will, dann muss man akzeptieren, dass mit dem Ratifizierungsprozess und dem Nein der Franzosen und der Niederländer die EU-Verfassung in der vorliegenden Form gescheitert ist. Ich glaube auch, dass es nicht möglich ist, den Ländern schmackhaft zu machen, möglicherweise aufs Neue darüber zu entscheiden. Man nimmt hier und da einige Änderungen an dem Entwurf vor und formuliert noch den einen oder anderen Anhang zum Verfassungsvertrag. So kann man aber die EU-Verfassung nicht retten. Wir brauchen einen Neustart in der Debatte um die EU. ({0}) Ich möchte noch einmal betonen, dass die Linke im Bundestag beglückwünscht, dass zwei Länder - Frankreich und die Niederlande - zu dieser EU-Verfassung Nein gesagt haben, weil uns das die Chance gibt, endlich über eine andere Verfassung nachzudenken, in der auch der soziale Charakter der Europäischen Union verankert werden kann. Deshalb meinen herzlichen Glückwunsch an die Länder Frankreich und die Niederlande für dieses klare Nein bei der Abstimmung! ({1}) Wir haben die Chance, dass die EU dadurch wieder demokratischer, friedlicher und sozialer werden kann. Herr Steinmeier, ich hätte mir von Ihnen konkretere Ausführungen darüber gewünscht, wie Sie die Ratspräsidentschaft im ersten halben Jahr zu nutzen gedenken, um neue Impulse zu setzen. Beschädigen Sie nicht die Demokratie und versuchen Sie nicht, während der deutAlexander Ulrich schen Ratspräsidentschaft mit neuen Tricks die gescheiterte Verfassung wieder aufzulegen! Wir - der EU-Ausschuss des Bundestags - waren im Frühjahr in Paris und haben uns mit dem EU-Ausschuss des französischen Parlaments getroffen. An die anderen Fraktionen gerichtet sage ich deutlich: Die Ignoranz, mit der Sie mit der Tatsache umgehen, dass die Franzosen klipp und klar und auch parteiübergreifend gesagt haben, diese Verfassung könnten sie in ihrem Land nicht mehr vorlegen, ist beschämend. Man kann nicht einfach feststellen, dass 15 Länder dem Verfassungsvertrag zugestimmt und dass ihn einige Länder abgelehnt haben. Wir müssen erkennen, dass wir für eine EU-Verfassung alle Länder brauchen. Deshalb war es sehr ignorant, wie Sie sich in Paris verhalten haben. Der Verfassungsvertrag ist gescheitert. Der vorliegende Verfassungsvertrag verfestigt Demokratiedefizite der EU, verstärkt die Dominanz der großen Mächte über die kleinen Mitgliedstaaten und legt die EU auf einen wirtschafts- und währungspolitischen Kurs des rigorosen Neoliberalismus fest, bei dem der Profit der Großkonzerne das oberste Gebot ist. ({2}) Er begünstigt den europaweiten Sozialabbau und erhebt die Militarisierung der EU in den Rang einer Verfassungspflicht. Wir wollen eine neue Debatte anschieben. Wir brauchen eine neue verfassungsgebende Versammlung, weil der Zivilgesellschaft mit der außerparlamentarischen Bewegung ein Neustart für die europäische Verfassung gelingen muss. Wir brauchen ein Europa, das demokratisch, friedvoll und sozial ist und eine ökologische und solidarische Gemeinschaft darstellt. Wir wollen keinen europäischen Superstaat, sondern einen Verbund europäischer Staaten und Völker auf der Basis des Gleichheitsgrundsatzes und des Selbstbestimmungsrechts. ({3}) Wir brauchen die europäischen Grundwerte Frieden und Wohlergehen der Völker. Diese müssen in der Verfassung verankert sein. Wir brauchen ein nachhaltiges Europa mit ausgewogenem Wirtschaftswachstum, Preisstabilität, Vollbeschäftigung und sozialem Fortschritt. Wir brauchen ein Europa, das tatsächlich die Armut bekämpft und ein hohes Maß an Umweltschutz garantiert, ein Europa, in dem Wirtschaft und Wissenschaft gefördert werden und andere Antworten auf energiepolitische Fragen gegeben werden als gegenwärtig in der Europäischen Union. ({4}) Die Zustimmung der Bürger zu Europa hängt aber nicht nur von einer Verfassung ab. Vielmehr muss die Politik auch bei aktuellen Entscheidungen die Ängste und Sorgen der Menschen um Arbeitsplatzverluste und Arbeitsplatzverlagerungen in die neuen EU-Länder ernst nehmen. Wir dürfen nicht akzeptieren, dass Beitrittsländer auf Unternehmensteuern verzichten, aber gleichzeitig in den Topf der EU-Subventionen greifen. Damit gewinnt man die deutsche Bevölkerung nicht für die Europäische Union. Die Lissabonstrategie ist gescheitert. Es wäre lohnenswert zu überprüfen, warum sie gescheitert ist, warum man die Ziele nicht erreicht hat. Ich kann dazu nur sagen: Wer glaubt, dass man diese Strategie unverändert weiterverfolgen kann, wird sehen, dass Europa noch weiter in die Sackgasse gerät. Die Linke im Bundestag wird gemeinsam mit der Zivilgesellschaft und der außerparlamentarischen Bewegung die deutsche Ratspräsidentschaft nutzen, um für eine demokratische, friedvolle und soziale Europäische Union zu kämpfen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Kerstin Müller vom Bündnis 90/Die Grünen.

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will zuerst auf die Debatte eingehen, die von einem möglichen Libanoneinsatz stark geprägt ist. Herr Gerhardt und Herr Hoyer, ich habe Ihnen sehr aufmerksam zugehört und gebe zu, dass ich Ihnen in Ihrer Analyse inhaltlich teilweise folgen kann. Dazu trägt auch Ihre Art und Weise - Herr Gerhardt, Sie ganz bedächtig, und Sie, Herr Hoyer, recht erfahren - bei. Aber die Konsequenzen, die Schlussfolgerungen, zu denen Sie kommen, sind ziemlich katastrophal. Man spürt förmlich, wie unwohl Sie sich fühlen, dass Ihr Vorsitzender Westerwelle dabei ist, die außenpolitische Tradition der Genscher-FDP zu zertrümmern. ({0}) Er tut das beispielsweise dann, wenn er konsequent jeden UNO-Einsatz mit der Begründung ablehnt, Deutschland könne nicht ständig dabei sein. Tatsächlich steht Deutschland an 32. Stelle, was solche Einsätze angeht. Zudem ist ISAF kein UNO-Einsatz. Wenn er etwas anderes behauptet, dann zeugt das von außenpolitischer Unkenntnis. Sie haben sicherlich zu Recht darauf hingewiesen, dass die internationale Truppe im Libanon ohne einen politischen Prozess keinen Erfolg haben kann. Aber Sie müssen doch wissen, dass es ohne eine solche Truppe und die entsprechende Resolution gar keinen Waffenstillstand in dieser Region gäbe. Dass man der PDS erklären muss, dass man einen Waffenstillstand braucht, bevor man politisch aktiv werden kann, wissen wir im Deutschen Bundestag. Aber, meine Damen und Herren von der FDP, Ihnen mit Ihrer Tradition sollte man das eigentlich nicht erklären müssen. Unabhängig vom deutschen Beitrag ist die internationale Truppe - dazu habe Kerstin Müller ({1}) ich von Ihnen nichts gehört - absolut erforderlich. Die Entscheidung der Europäer in diesem Fall ist richtig. ({2}) Es stimmt, dass der politische Prozess entscheidend ist. Wir brauchen eine Wiederbelebung des Quartetts der Außenminister. Und wir möchten Sie, Herr Außenminister, darin bestärken, auf dem Weg der Einbindung Syriens fortzuschreiten. Wir brauchen eine Fortsetzung des innerlibanesischen Dialogs; denn die Entwaffnung der Hisbollah ist überhaupt nur im Rahmen eines politischen Prozesses vorstellbar. Militärisch ist dazu niemand willens und in der Lage. Wenn das nicht passiert - das ist für uns auch eine ganz wichtige Bedingung -, dann wird man möglicherweise spätestens in einem halben Jahr vor der Situation stehen, dass der Konflikt wieder aufbricht. Auch ein neuer Bürgerkrieg im Libanon ist nicht ausgeschlossen. Es ist fast unvorstellbar, dass dann internationale Truppen, darunter möglicherweise deutsche, zwischen den Fronten stehen. Von uns geht ganz klar die Aufforderung an die Bundesregierung, alles dafür zu tun, dass wir in diesem politischen Prozess weiterkommen. Mich treibt aber noch etwas anderes um, nämlich dass angesichts der Libanonkrise die Krisen in Afrika wieder in Vergessenheit geraten. Die Wahlen im Kongo haben trotz der EU-Mission und der deutschen Beteiligung kaum noch interessiert. Selbst der deutsche Oberkommandierende weilte im Urlaub, während es vor Ort zu ersten Unruhen kam. In Darfur im Sudan geht der schleichende Völkermord vor den Augen der Weltöffentlichkeit weiter, aber es findet dazu weder eine Debatte in der deutschen Öffentlichkeit statt, noch bereitet die Bundesregierung dazu eine Diskussion vor. Wir haben doch bei der Kongodebatte gesehen, wie fahrlässig und kurzsichtig das ist. Ich habe hier damals ein politisches Gesamtkonzept für meine Fraktion und eine strategische Debatte darüber gefordert, ob und warum es im europäischen und deutschen Interesse ist, sich auch an friedenssichernden Einsätzen in Afrika zu beteiligen. Da ist leider Fehlanzeige. Stattdessen - das muss ich jetzt zitieren - kündigt der Staatssekretär des Herrn Jung, Herr Schmidt, vor der CSU-Landesgruppe an, man werde in jedem Fall nach vier Monaten aus dem Kongo abziehen. Begründung: die zusätzliche Belastung durch den Libanoneinsatz, nicht etwa die Sicherheitslage im Kongo. Jeder weiß, dass es nach den Stichwahlen im Oktober erst so richtig losgehen kann, wie man im August gesehen hat. Ich meine, das ist nun wirklich das Gegenteil von konzeptioneller Politik, ganz zu schweigen von einer kohärenten Afrikastrategie. Das bedeutet, dass Sie immer noch von Einsatz zu Einsatz stolpern, dilettantisch vorbereitet durch den Herrn Verteidigungsminister und seine Mannen, ohne darzulegen, was die außen- und sicherheitspolitischen Ziele sind, ohne eine Strategie für den Nachbarkontinent Afrika zu entwickeln und ohne sich zum Beispiel im Rahmen der Debatte über das Weißbuch Gedanken darüber zu machen, wie man denn die Bundeswehr auf diese neuen Herausforderungen vorbereitet. ({3}) Eine der schwersten Krisen weltweit findet zurzeit in Darfur statt. Es gibt schwerste Menschenrechtsverletzungen und mehr als 300 000 Tote und 2 Millionen Vertriebene. Ich glaube, es war überfällig, dass die UNO jetzt endlich eine robuste Blauhelmtruppe nach Darfur schicken will, die nicht die Fehler der AU-Mission wiederholt und zu schwach ist. Ich finde es angesichts der Dimension des Konfliktes gewagt, dass man, wie heute Morgen von der Kanzlerin geschehen, vorsorglich schon einmal ankündigt, man werde sich da vollständig heraushalten. Das ist ein Ausspruch der Kanzlerin, der an die eigenen Reihen gerichtet ist und der mit der Außenpolitik gar nichts zu tun hat. Ich erwarte aber zumindest, dass man sich, wenn man das nicht will, in diesem Konflikt politisch engagiert und dass man zum Beispiel alles dafür tut, dass die sudanesische Regierung der Blauhelmmission zustimmt. Das könnte man machen, indem der Außenminister und die Kanzlerin mit Putin oder in der nächsten Woche mit dem chinesischen Premier reden; denn China und Russland müssen endlich bei der sudanesischen Regierung auf eine Zustimmung zur UNO-Mission drängen. Das wäre ganz konkrete Politik, ohne dass es um Militär geht. ({4}) Darfur gehört ganz oben auf die politische Tagesordnung, auch während der deutschen Ratspräsidentschaft. Da wird es nicht nur um den europäischen Beitrag zu der Mission gehen, sondern auch um diplomatische Initiativen, um unter anderem das geschlossene Friedensabkommen zu retten. Wir müssen generell, was Afrika betrifft, endlich die vorhandene europäische Afrikastrategie vom Dezember mit Leben füllen. Ich erwarte Konzepte von der Bundesregierung. Ein letzter Satz: Der 11. September 2001, über den heute viel geredet wurde und über den nächste Woche noch einmal geredet wird, hat doch eines gezeigt, nämlich dass es im Kampf um den Terror um langfristig angelegte und nachhaltige politische Strategien gehen muss. Man muss rechtzeitig dafür sorgen, dass gescheiterte Staaten erst gar nicht entstehen. Damit sind wir wieder bei Afrika, wo wir das gerade wieder verpassen. Frieden und Sicherheit in Afrika entsprechen unseren unmittelbaren Sicherheitsinteressen. Tun wir endlich etwas dafür! Vielen Dank. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Hans Eichel das Wort.

Hans Eichel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003522, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich habe mich schon zu Wort gemeldet, als der Kollege Schmitt gesprochen hat. Das ist leider übersehen worden. Herr Kollege Schmitt, ich will auf Folgendes hinweisen: Erstens. Wenn der Abbau der Steuersubventionen, den Sie und die Mehrheit des Bundesrates unmittelbar nach Bildung der großen Koalition mit beschlossen haben, schon beschlossen worden wäre, als die rot-grüne Bundesregierung entsprechende Gesetzentwürfe eingebracht hat, dann hätten wir, wie die Zahlen des Statistischen Bundesamtes jetzt ausweisen, bereits 2005 die 3-Prozent-Grenze wieder unterschritten. ({0}) Zweitens. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt ist nach einem einstimmigen Beschluss der Staats- und Regierungschefs - die Finanzminister waren anwesend geändert worden. Die Lobreden auf diese Änderungen haben der österreichische Bundeskanzler Schüssel und der niederländische Ministerpräsident Balkenende, bekanntlich Vertreter christlich-demokratischer bzw. konservativer Parteien, gehalten. Drittens. Der bayerische Ministerpräsident Stoiber, Vorsitzender der CSU, war unmittelbar vor der Verabschiedung der Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts beim Treffen der Parteivorsitzenden der konservativen Parteien, um gegen diese Änderung zu protestieren. Ihm wurde dort von allen anderen Vertretern der konservativen Parteien nachdrücklich gesagt, dass diese Änderung in Ordnung sei, insbesondere von Herrn JeanClaude Juncker - Sie können ihn danach befragen - und von Herrn Schüssel. Letztens. Die von uns gemeinsam getragene Bundesregierung profitiert von der Reform des Stabilitäts- und Wachstumspaktes; denn erst mit dieser Reform war es möglich, ein weiteres Jahr bei schlechter Konjunktur zu gewinnen und nicht bereits in diesem Jahr eine Politik machen zu müssen - darauf hat Herr Steinbrück in seiner Rede hingewiesen -, durch die die 3-Prozent-Grenze zwingend unterschritten wird. Nur dadurch wurde es möglich, eine Politik zu betreiben, durch die erst die Wachstumskräfte stimuliert werden und dann die Konsolidierung vorangebracht wird. Ich weise Sie darauf hin, dass die Einhaltung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes - seine Kriterien sind nicht weich gemacht worden - für unsere Regierung noch härter werden wird, weil wir das strukturelle Defizit jedes Jahr um 0,5 Prozent abbauen müssen. Das ist in der mittelfristigen Finanzplanung noch nicht voll abgebildet. Das wird noch zu machen sein. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Schmitt, zur Erwiderung, bitte schön.

Ingo Schmitt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003842, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Eichel, Herr ehemaliger Finanzminister, ich glaube, man muss dabei zwei Dinge sehr sorgfältig auseinander halten. Das eine ist Tatsache - das will ich gar nicht vorwurfsvoll sagen -, dass Deutschland den Stabilitätspakt in den letzten Jahren nicht erfüllt hat. Man kann sicherlich Gründe dafür finden, warum das nicht der Fall war. Auf jeden Fall ist es eine Tatsache. Daraus hat sich dann die zweite Problematik entwickelt: Derjenige, der den Stabilitätspakt nicht erfüllt, fängt an, an diesem Pakt herumzumäkeln und ihn aufzuweichen. Dabei findet er sehr viele, die gerne mitmachen. Schließlich war die 3-Prozent-Hürde vielen ein Dorn im Auge. Dieser Punkt ist, Herr Eichel, in Brüssel und bei vielen Kollegen, auch im Europäischen Parlament, nicht sehr gut angekommen. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Niels Annen von der SPD-Fraktion. ({0})

Niels Annen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003732, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit Ihrer Erlaubnis werde ich mich wieder der Außenpolitik zuwenden. Ich will klar sagen: Die deutsche Außenpolitik, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linksfraktion, ist Friedenspolitik. Ich finde, das hat der Außenminister während der 32 Tage der Kampfhandlungen im Libanon eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Die Priorität galt - da kann es gar keinen Zweifel geben - den Bemühungen um die Beendigung der Feindseligkeiten. Spät, aber nicht zu spät konnte die Resolution 1701 verabschiedet werden. Auch ohne dass Deutschland Mitglied des UN-Sicherheitsrats ist, haben wir, vor allem der Außenminister, sehr viel zum Zustandekommen dieser Resolution beigetragen. ({0}) Das ist ein Grund für die Erwartungen, die heute an unser Land gerichtet werden. Ich weiß aus sehr vielen Gesprächen, dass es in der Bevölkerung durchaus eine Verunsicherung über die weltweiten Einsätze der Bundeswehr gibt. Deutsche Soldaten sind in der Tat am Horn von Afrika, auf dem Balkan und sogar in Afghanistan im Einsatz. Ich sage an dieser Stelle ausdrücklich: Es geht auch darum, über die politischen Kriterien für solche Einsätze zu diskutieren. Hier ist der Ort dafür, weil wir als Mitglieder des Bundestags letztlich auch darüber entscheiden müssen, wo deutsche Soldatinnen und Soldaten eingesetzt werden. Es geht also um unsere Verantwortung und es geht um die Frage: Was liegt im deutschen Interesse? Ich will anhand der aktuellen Krise darstellen, warum ich glaube, dass unser Engagement in der Region im Nahen Osten sinnvoll und richtig ist. Diese Region hat seit 1948 durchschnittlich alle sechseinhalb Jahre einen Krieg durchlitten - mit dramatischen Folgen für die betroffenen Menschen, die Infrastruktur, die wirtschaftliche Entwicklung und die Stabilität in einer Weltregion, die - bei ein wenig Rückenwind - nicht mehr als dreieinhalb Stunden Flugzeit von uns entfernt liegt. Es besteht kein Zweifel - das ist hier schon gesagt worden; ich stimme dem zu -: Auslöser der jüngsten Krise war die Entführung von zwei israelischen Soldaten durch die Hisbollah. Aber war die Entführung auch die Ursache für diesen Konflikt oder hat vielmehr der ehemalige amerikanische Sicherheitsberater Brent Scowcroft Recht, wenn er sagt - ich zitiere ihn -: Die Quelle des Problems ist nicht die Hisbollah. Das ist nur ein Ableger der Ursache, nämlich des tragischen Konflikts über Palästina, … ({1}) Wie dem auch sei: Es ist richtig, glaube ich, dass unsere Politik die Probleme des Libanon nicht isoliert betrachtet. Wir müssen die Probleme um den besetzten Golan und um die Scheba-Farmen einbeziehen und wir müssen letztlich auch die Debatte um die Eigenstaatlichkeit Palästinas berücksichtigen. ({2}) Für mich ist klar: Die Lösung der Palästinafrage steht im Mittelpunkt unserer Bemühungen. ({3}) Umgekehrt ist auch eindeutig: Die Lösung des palästinensischen Konflikts beinhaltet keine Zauberformel für die Lösung aller Konflikte in der Region. ({4}) Aber die Lösung des Konflikts würde - darauf kommt es mir an - all denjenigen die politische Legitimation entziehen, die heute ihre extremistische Politik mit dem Verweis auf den Befreiungskampf des palästinensischen Volkes betreiben und begründen; die meisten von ihnen im Übrigen, ohne sich jemals wirklich um das Schicksal der palästinensischen Menschen gekümmert zu haben. ({5}) Hier geht es auch und nicht zuletzt um die Hisbollah. Das bedeutet, es geht um eine historische Entscheidung dieser Miliz, Bewegung, Partei - wie immer Sie wollen -, ob sie sich zu einer zivilen politischen Kraft weiterentwickeln möchte - einiges deutet darauf hin; die Äußerungen von Herrn Nasrallah sind erwähnt worden oder ob sie den Weg in den Terrorismus weiter verfolgen möchte. Das führt zu der Frage: Was für einen Charakter hat eigentlich die aktuelle Auseinandersetzung an der Nordgrenze Israels? Die Israelis sehen sich mit einer dramatischen Situation konfrontiert. Nach dem Rückzug der Armee vor sechs Jahren aus dem besetzten Südlibanon sieht sich Israel weiterhin andauernden Angriffen auf sein Territorium und seine Bürgerinnen und Bürger ausgesetzt. Die aus meiner Sicht leider in weiten Teilen unverhältnismäßigen Militärschläge der letzten Wochen kann man - davon bin ich überzeugt - nur dann verstehen, wenn man sich klar macht, dass es aus Sicht Israels in diesem Krieg nicht nur um eine Auseinandersetzung in einem besetzten Territorium, sondern um die Existenz des Staates Israel geht. In Deutschland akademische Diskussionen darüber zu führen, wie man die Hetzreden des iranischen Präsidenten bewerten soll, ist eine Sache; angesichts von bis zu 250 Raketeneinschlägen pro Tag darüber zu diskutieren, ist eine andere Sache. ({6}) Da bekommen die antisemitischen Hetzreden von Herrn Ahmadinedschad im wahrsten Sinne des Wortes eine explosive Bedeutung. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass Teheran eine Mitverantwortung an der gegenwärtigen Krise zukommt. Deshalb habe ich persönlich großes Verständnis für diejenigen in Israel, die den Kampf gegen die Hisbollah auch als einen Kampf gegen einen bewaffneten Arm Teherans verstehen. Die Reden von Ahmadinedschad allein beantworten aber nicht die Frage, ob die Hisbollah nun eine libanesische oder eine Agenda der schiitischen Weltrevolution verfolgt. Wir müssen kurz vor dem fünften Jahrestag des 11. September leider feststellen, dass die US-Politik des Krieges gegen den Terrorismus eine ehrliche Analyse der Politikentwicklung in der Region behindert. ({7}) Sie unterscheidet bei der Beurteilung der Politik von Hamas und Hisbollah nicht zwischen regionalen und möglichen globalen Zielen, sondern subsumiert ganz unterschiedliche Parteien, Bewegungen und Beweggründe unter den Begriff des Terrorismus und kommt so leider zwangsläufig häufig zu falschen Schlüssen. Mein Eindruck ist zudem, dass die Auswirkungen des Bürgerkriegs im Irak auf die Region auch bei uns unterschätzt werden. Die Bilder von tödlichen Anschlägen im Irak werden in ihrer Dramatik von uns doch kaum noch zur Kenntnis genommen. Was bei uns in wenigen Sekunden im Nachrichtenüberblick zusammengefasst über den Bildschirm flimmert, wird jeden Tag in brutaler Detailtreue über al-Dschasira und andere Netzwerke in Millionen arabischer Haushalte übertragen. Welche Wirkung das auf die benachbarten Länder mit all ihren komplizierten politischen Gemengelagen und Minderheitensituationen hat, brauche ich, glaube ich, an dieser Stelle nicht weiter auszuführen. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten stellen heute ohne jede Genugtuung fest, dass die Politik von Bundeskanzler Gerhard Schröder, sich nicht am Krieg im Irak zu beteiligen, richtig gewesen ist. ({8}) Es gibt heute mehr Instabilität und mehr Terrorismus als vor dem Irakkrieg. Hinzu kommt - ich glaube, das ist wichtig - in den letzten Monaten ein mangelndes Engagement bezüglich der Lösung des Nahostkonfliktes. Das untergräbt die Legitimation der amerikanischen Politik. Wir brauchen die amerikanische Rolle. Aber gleichzeitig müssen wir die europäische Rolle in dieser Situation stärken. Ich meine - um das abschließend zusammenzufassen -, dass der Außenminister die unterschiedlichen Komponenten des Konfliktes in dieser Situation betont hat. ({9}) Es ist auch richtig, dass wir die Bereitschaft signalisiert haben, uns an einem UNIFIL-Mandat zu beteiligen. Die politischen Voraussetzungen muss jedoch die libanesische Regierung schaffen. Ich sage es auch mit Blick auf den Verteidigungsminister: Wir drängen uns nicht auf; aber wir beteiligen uns schon heute an der Lösung des Problems, und zwar mit ehrenamtlichen Helfern beispielsweise des THW, mit Entwicklungshelfern, durch technische und anderweitige Unterstützung. Meine sehr verehrten Damen und Herren, diesen Menschen, die schon dort in der Region unterwegs sind, sollte unser gemeinsamer Dank gelten. Herzlichen Dank. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Markus Löning von der FDP-Fraktion. ({0})

Markus Löning (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003583, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Müller, erlauben Sie mir eine kurze Bemerkung zu Ihren Anmerkungen zu unserer Tradition. Es ist immer Tradition der Liberalen gewesen - und so wird es auch weiterhin sein -, Dinge differenziert zu betrachten. ({0}) Wir haben diese Debatte sehr intensiv geführt und die Kollegen sind in der Bewertung zu unterschiedlichsten Ergebnissen gekommen. Aber wir lassen uns von Ihnen nicht eine undifferenzierte Haltung vorwerfen. Wir sind alle froh, dass die Tradition Joschka Fischer endlich beendet ist; es wurde Zeit, dass diese Tradition Ihrer Partei beendet wurde, auch an dieser Stelle. ({1}) Aber ich möchte daran erinnern, dass dieser Außenminister noch bei seinem Amtsantritt die NATO infrage gestellt hat. Ebenso möchte ich daran erinnern, dass Herr Trittin noch kurz vor seinem Amtsantritt die Bundeswehr auf Demonstrationen gegen Gelöbnisfeiern in Grund und Boden verdammt hat. Jetzt fordert er ihren Einsatz an jeder Stelle dieser Erde, wo es möglich ist. Das sind Brüche in Traditionslinien, die Sie sich vorhalten lassen müssen, Frau Müller, nicht wir. ({2}) Meine Damen und Herren, mein Thema ist aber die EU-Präsidentschaft. Wir brauchen eine erfolgreiche EU-Präsidentschaft. Herr Außenminister, Sie haben heute schon die erste Chance verspielt. Wir reden von Transparenz, wir wollen die Bürger mitnehmen, wir wollen einen offenen politischen Prozess. Warum sagen Sie dann hier, zu den Themen der Präsidentschaft könnten Sie jetzt leider noch nicht sehr viel sagen? Es wäre die Chance gewesen, hier im Bundestag darüber eine Debatte zu führen. Es wäre die Chance gewesen, die Bürger mitzunehmen und eine öffentliche Resonanz hinsichtlich Ihrer Ziele in der Europäischen Union zu erzeugen. Ich hätte mir gewünscht, dass Sie diese Chance heute hier ergriffen hätten. Wir sind - da sind wir uns, glaube ich, alle einig - der Meinung, dass wir die Bürger stärker mitnehmen müssen. Wir brauchen ein Europa der Erfolge; auch das haben wir hier schon öfter gesagt. Lieber Herr Schmitt, da möchte ich Ihnen ausdrücklich widersprechen: Ich glaube nicht, dass wir eine Debatte über Ziele und Grenzen brauchen. Wir können nicht nachfolgenden Generationen vorschreiben, wie sie mit der EU umzugehen haben. Auch wir nehmen für uns in Anspruch, die EU nach unseren Vorstellungen und anders als vor 20 Jahren zu gestalten. Eine Debatte, wie Sie sie einfordern, würde fehlgehen. Es wird an den zukünftigen Generationen liegen, zu entscheiden, ob etwa die Ukraine Mitglied der EU werden kann oder nicht. Es ist Unfug, das jetzt abschließend beschreiben zu wollen. Wir unterstützen die Bundesregierung, wenn sie den Verfassungsprozess neu in Gang setzen will, Herr Steinmeier. Wir brauchen in Europa mehr Transparenz und mehr Demokratie. Wir brauchen eine gemeinsame Außenpolitik. Aber - auch das ist wichtig - wir können das klare Votum der Franzosen und der Holländer nicht völlig ignorieren. Das muss man sehr klar sehen. (Beifall des Abg. Alexander Ulrich ({3}) Wir drücken der Bundesregierung die Daumen, dass es hier wirklich zu Ergebnissen kommt. Diese Debatte muss beendet werden; denn unsere Bürger fordern zu Recht von Europa mehr als eine für sie in vielen Bereichen theoretische Verfassungsdebatte. Sie fordern praktische Ergebnisse. Zu einem praktischen Ergebnis können auch wir als Bundestag beitragen. Wir haben mit der Bundesregierung eine Vereinbarung über die frühzeitige Beteiligung des Bundestages geschlossen. Wir als Opposition werden diese Beteiligung immer wieder einfordern. Aber es wird bei einer Koalition mit einer so erdrückenden Mehrheit in diesem Hause auch darauf ankommen - da appelliere ich an die Kollegen aus den Koalitionsfraktionen -, dass die Kollegen den Mut haben, auch ihrer eigenen Regierung zu sagen: Wir wollen beteiligt werden. Darüber muss im Ausschuss diskutiert und im Plenum debattiert werden. Es hängt von Ihnen ab, ob Sie diese Vereinbarung, die wir mit der Bundesregierung getroffen haben, auch wirklich mit Leben erfüllen. Wir werden darauf dringen und Sie mahnen, diese Forderung auch weiterhin zu unterstützen. ({4}) Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen, die Transparenzinitiative der Europäischen Kommission. Sie ist ein sehr gutes Beispiel dafür, wie wir Europa den Bürgern näher bringen können. Legen wir doch offen, wer welches Geld aus der europäischen Kasse bekommt! Was spricht denn dagegen, dass wir sagen: Es ist öffentliches Geld und wer öffentliches Geld bekommt, soll dies auch nach außen darstellen können. Ich wünschte mir - die FDP hat einen entsprechenden Antrag in den Bundestag eingebracht -, diese Bundesregierung würde aus vollem Herzen und mit voller Überzeugung die Europäische Kommission an dieser Stelle unterstützen. Wir können eine Offenlegung sehr gut vertragen. Dann wird sich nämlich auch im Agrarbereich herausstellen, dass die vielen Behauptungen, die Bauern bekämen so viel, gerade für die kleinen bäuerlichen Betriebe eben nicht zutreffen und dass dort oft und zu Unrecht Vorurteile gepflegt werden. ({5}) Der Lissabonprozess wurde bereits angesprochen. Wir haben schon oft darüber debattiert und ich will das Thema an dieser Stelle nicht vertiefen. Eines muss man allerdings dieser Bundesregierung immer wieder sagen und ins Stammbuch schreiben: Wir werden nicht zu einem Erfolg in der Europäischen Union kommen, wenn diese Bundesregierung im wirtschaftlichen Bereich ihre Hausaufgaben nicht macht. Ich werde wieder und wieder von europäischen Kollegen angesprochen: Meine Güte, was macht ihr denn bei euch zu Hause? Die Nachbarn machen es und sind erfolgreich. Warum kriegt ihr das in Deutschland nicht auf die Reihe? Die Rezepte liegen vor. Ich fordere Sie auf: Tun Sie das Notwendige! Nur so bekommen wir auf Dauer auch wieder unser politisches Gewicht in der Europäischen Union. Vielen Dank. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Thomas Silberhorn von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Thomas Silberhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003636, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Außenpolitik trägt das Momentum in sich, dass wir uns mit Aufgaben konfrontiert sehen, die wir uns nicht selbst ausgesucht haben. Dennoch müssen wir Antworten finden auf Fragen, die uns berühren, und deshalb in jedem Einzelfall klären, warum es uns angeht, was außerhalb unseres Landes geschieht. Bei europäischen Fragen fällt uns das nicht mehr schwer, bei Einsätzen der Bundeswehr im Ausland dagegen umso mehr. Ich meine, wir müssen definieren, welche Interessen wir verfolgen, wenn wir die Bundeswehr zu Auslandseinsätzen entsenden, und wir müssen uns darüber klar werden, welche Kapazitäten wir an Personal, an Material und an Finanzen dafür bereithalten wollen. Ich plädiere dafür, dass wir unabhängig von konkreten Einsätzen objektive Kriterien entwickeln, die uns als Orientierungsmaßstab dienen können. Das Weißbuch des Bundesverteidigungsministers zur Sicherheitspolitik bietet uns im Herbst dazu die Gelegenheit. Ich darf im Rahmen der Haushaltsdebatte anfügen: Ich bin der Überzeugung, dass sich jedes internationale Engagement auch in unsere Grundlinie der Konsolidierung des Bundeshaushaltes einfügen muss. Auch dieser Aspekt muss Berücksichtigung finden. Im Ergebnis meine ich, dass eine solche Konzeption, bei der versucht wird, objektive Maßstäbe zu konkretisieren, nicht nur ein Beitrag zur Berechenbarkeit und damit zur Glaubwürdigkeit unserer Außenpolitik ist, sondern auch zum Ausdruck bringt, dass wir gar nicht erst den Eindruck entstehen lassen wollen, Getriebener internationaler Entwicklungen zu sein. Vielmehr wollen wir einen Gestaltungsanspruch in der internationalen Gemeinschaft wahrnehmen. Durch den Nahostkonflikt wird unmittelbar einsichtig, dass es eine Illusion wäre, zu glauben, wir könnten wegsehen bei dem, was in unmittelbarer Nachbarschaft der Europäischen Union vor sich geht. Nicht zuletzt die in Deutschland versuchten Attentate, die schon vor dem Ausbruch des Libanonkonflikts geplant waren, bringen zum Ausdruck, dass es offenbar das Ziel von Fundamentalisten und Terroristen ist, die Schauplätze ihres Terrors in die westliche Welt zu verlagern. Deswegen können wir nicht wegsehen, sondern müssen hinsehen, wenn es etwa das erklärte Ziel des Iran als Mitglied der Vereinten Nationen ist, Israel als Mitglied der Vereinten Nationen von der Landkarte zu tilgen. Meine Damen und Herren, ich meine, dass es auch, aber nicht nur in der besonderen historischen Verantwortung Deutschlands gegenüber Israel liegt, diesen Konflikt als sehr ernsthaft wahrzunehmen. Die gesamte internationale Gemeinschaft muss ein Interesse daran haben, den Frieden im Nahen Osten wiederherzustellen und damit auch die Autorität des Systems der Vereinten Nationen sicherzustellen. Ich denke, dass die Bundesregierung einen bemerkenswerten Beitrag dazu geleistet hat - ich will das ausdrücklich anerkennen -, dass es tatsächlich zu der Waffenruhe, die wir seit einigen Wochen haben, gekommen ist. ({0}) Wenn wir uns vor Augen halten, dass dieser Konflikt ein ganz enormes Eskalationspotenzial beinhaltet, dann ist es eben keine Selbstverständlichkeit, dass es relativ züThomas Silberhorn gig zu dieser Waffenruhe gekommen ist und dass beispielsweise keine israelische Bodenoffensive mit 30 000 Soldaten mehr stattgefunden hat, weil der Druck und die Geschlossenheit der internationalen Gemeinschaft die Beteiligten dazu bewogen haben, der jetzt vorliegenden UN-Resolution zuzustimmen. Das Ziel, um das es jetzt geht, ist schlichtweg, diese Waffenruhe zu stabilisieren und in einen politischen Prozess überzugehen, der sicherstellt, dass die Sicherheit Israels und die Unabhängigkeit eines selbstständigen palästinensischen Staates gewährleistet werden können und die Stabilität in der gesamten Region weiter gefestigt wird. Mir scheint, dass ein militärischer Beitrag eine Komponente ist, um dieses Ziel zu erreichen. Wir sind uns sicher darin einig, dass das keine hinreichende Komponente ist. Aber es ist eine notwendige. Mit einigem Bedauern sehe ich, dass die Kolleginnen und Kollegen von der FDP sich in dieser Frage ausgerechnet mit der PDS ({1}) in einem Boot wiederfinden. ({2}) Vor dem Hintergrund der langen Tradition liberaler Außenpolitik von Theodor Heuss bis Otto Graf Lambsdorff, der sich bei der Entschädigung jüdischer Verfolgter Verdienste erworben hat, sollten Sie Ihre Position nochmals überdenken. ({3}) Immerhin nehme ich zur Kenntnis, Herr Hoyer und Herr Gerhardt, dass Sie sich deutlich vorsichtiger geäußert haben als manche Kolleginnen und Kollegen aus der zweiten Reihe, wie in den Medien immer wieder zu lesen und zu hören war. ({4}) - Sie weiten meine Kritik noch aus, Herr Hoyer. Ihren Zuruf lasse ich unkommentiert. Infrage steht, ob sich Deutschland an einer seeseitigen Sicherung der Grenze des Libanon beteiligt. Ich bin der Auffassung: Das kann ein angemessener Beitrag für Deutschland sein, um die UN-Resolution 1701 umzusetzen. Ich möchte aber auch deutlich machen, dass da kein Automatismus entstehen kann, sondern dies eine autonome Entscheidung des Bundestages bleibt. Dafür fehlen uns derzeit noch die Voraussetzungen. Die erste Voraussetzung ist ein klares Mandat, mit dem die Kontrolle des Waffenembargos effektiv umgesetzt werden kann, einschließlich der Einsatzregeln, die wir noch erwarten. Die zweite Voraussetzung ist - das möchte ich ausdrücklich erwähnen -, dass die libanesische Regierung eindeutig den politischen Willen zum Ausdruck bringt, den Waffenschmuggel in den Libanon auch selbst zu unterbinden. Das ist die Geschäftsgrundlage für eine Beteiligung der Bundeswehr. Das werden wir bereden können, wenn eine Anfrage der Vereinten Nationen an die Bundesregierung vorliegt und die Bundesregierung uns, dem Bundestag, ein entsprechendes Mandat zur Beratung überweist. Meine Damen und Herren, wir streben an, dass eine mögliche Beteiligung der Bundeswehr an dem Einsatz im Nahen Osten auf eine breite Zustimmung in diesem Hause stößt. Wir streben auch eine möglichst breite Unterstützung der deutschen Bevölkerung für die Soldaten an, die wir möglicherweise in einen solchen Einsatz entsenden. Ich möchte aber hinzufügen, dass ich erwarte, dass die Staaten der Region, die für die Situation, in der wir stecken, Mitverantwortung tragen, einen eigenen Beitrag leisten. Sie müssen sich in die politischen Bemühungen um Wiederbelebung des Friedensprozesses einbinden lassen und sie müssen, beispielsweise Syrien, ein Interesse daran haben, nicht isolationistische Tendenzen zu stärken, sondern auf Alternativen einzugehen, die die Europäische Union ihnen bieten kann. Ich möchte zum Schluss kommen. Die Europäische Union zieht ihre Autorität in diesem Konflikt aus meiner Sicht auch daraus, dass Europa Krieg und Nationalismus durch die Kooperation in der Europäischen Union überwunden hat. Europa hat nach dem Zweiten Weltkrieg die Stunde null erlebt und erfolgreich den Wiederaufbau gemeistert. Deswegen meine ich, die Europäische Union ist ein gelebtes Beispiel dafür, wie sich aus Vernichtung und Niederlage wieder eine gute Nachbarschaft entwickeln kann. Das ist die Ursache für die Autorität, die die Europäische Union hier einbringen kann. Die Europäische Union wird deshalb im Nahostkonflikt das besondere Vertrauenskapital, das sie genießt, das namentlich Deutschland und Frankreich genießen, einbringen müssen, um diesen Konflikt einzudämmen, ihn eingedämmt zu halten und in einen politischen Prozess zu überführen. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Norman Paech von der Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Norman Paech (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003822, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich erinnere mich noch an Ihre Rede auf dem Münchener Kongress für Sicherheitspolitik im Februar dieses Jahres, Herr Außenminister. Da stellten Sie Ihre Politik unter die Devise des Einsatzes für Freiheit und Demokratie. Das klang alles etwas amerikanisch, aber das ist noch keine Kritik. ({0}) Dass Sie damit Ihre gesamte Nahost- und Mittelostpolitik in das Fahrwasser der US-Administration lenkten, das allerdings verdient entschiedenen Widerspruch. ({1}) Denn Sie besiegelten dadurch einen gravierenden Wandel in der deutschen Außenpolitik. Militäreinsätze in der ganzen Welt - zur Sicherung welcher deutschen Interessen eigentlich? -, das hat weder mit dem Grundgesetz noch mit Verteidigung zu tun. Sie holen sich damit auch alle Schwierigkeiten ins Haus, mit denen die Amerikaner derzeit zu kämpfen haben, nämlich zunehmende Gewalt, bürgerkriegsähnliche Zustände und Chaos in ihren De-facto-Protektoraten Irak und Afghanistan sowie wachsende Terrorgefahr auch im eigenen Land. Ihre sonst so sympathische Devise „Reden statt schießen“ hat sich gefährlich gewendet. Nehmen wir nur Afghanistan, wo sich die Bundeswehr derzeit eingräbt, um offensichtlich die nächsten zehn Jahre dort für Demokratie und Freiheit zu sorgen. Nach fünf Jahren hat sich dort eine Situation entwickelt, vor der wir immer gewarnt haben. Sie war voraussehbar. Jetzt beklagt die Truppe in Afghanistan selbst die dramatisch sinkende Zustimmung der Bevölkerung zum Einsatz der Bundeswehr. Die Truppe fordert das, was wir immer schon gefordert haben, nämlich mehr zivile Entwicklungshilfe und Unterstützung für die zivilen Strukturen beim Aufbau des Landes. ({2}) Sie, Herr Außenminister, preisen die neuen demokratischen Institutionen der Regierung Karzai. Das mag für Kabul so zutreffen, aber überhaupt nicht für ganz Afghanistan. Dort blühen der Mohn und die Freiheit der Drogenhändler. Eine Steigerung der Ernte um fast 60 Prozent in diesem Jahr hat Afghanistan unter dem Schutz der ISAF und von „Enduring Freedom“ zum größten Opiumlieferanten der Welt gemacht. Der Preis dafür ist nicht etwa Stabilität, Sicherheit und Demokratie, sondern Angst vor irakischen Zuständen. Alle Erfahrung der vergangenen Jahre hat uns gelehrt, dass man dem eben nicht mit Militär begegnen kann. ({3}) Auch in der Auseinandersetzung mit dem Iran hat die viel beschworene Geschlossenheit mit den USA Sie letztlich in eine Sackgasse geführt. Denn es ist eine Illusion, immer noch zu glauben, dass Teheran von seinem Atomprogramm zu zivilen Zwecken abrücken wird. Vielleicht werden Sie ein Moratorium erreichen, nicht aber einen definitiven Verzicht. Es ist reine Symbolpolitik, wenn Sie Sanktionen fordern, Sanktionen, die in der Geschichte nachweisbar noch nie zu einem Erfolg geführt und nie einen Politikwechsel herbeigeführt haben. Sie schaden damit der Bevölkerung, ohne aber Ihr Ziel zu erreichen. Ein Ausweg zeigt sich derzeit unseres Erachtens nur, wenn zwei Punkte erfüllt werden: Anerkennung des Rechts auf Urananreichung zu zivilen Zwecken und unter der Kontrolle der IAEO sowie eine umfassende Sicherheitsgarantie durch die USA. Doch die USA haben sich offensichtlich noch nicht von ihren Plänen zu einem gewaltsamen Regimewechsel im Iran distanziert. Sie, Herr Steinmeier, werden wohl noch viel Arbeit zu leisten haben, um die USA von der Wirksamkeit des diplomatischen Weges zu überzeugen. Im äußersten Fall müssten Sie, wenn Sie und die Frau Bundeskanzlerin es wirklich ernst meinen, der Bush-Administration erneut die Gefolgschaft verweigern. Sie haben ja genug Erfahrung mit einer solchen Mission aus der Zeit der vorherigen Regierung. ({4}) Schließlich komme ich zu dem Punkt Israel, Palästina und Libanon. Man konnte schon den Eindruck gewinnen, dass Ihr voreiliges Vorpreschen mit der Entsendung von Marineeinheiten über Ihre Ratlosigkeit hinwegtäuschen sollte, ({5}) wie Sie die tief verfeindeten Gegner zwischen Gaza und Beirut zu einem Frieden bewegen können. Sie haben wieder einmal nur unsere Verantwortung gegenüber Israel, nicht aber die gegenüber den Palästinensern, die wir ja auch haben, berücksichtigt. Wir haben wiederholt betont: Deutsche Soldaten und Polizisten haben aufgrund unserer historischen Verantwortung nichts in dieser Region zu suchen. Sie sind, wie wir erfahren haben, auch gar nicht notwendig; denn es gibt genügend Angebote von anderen Staaten. Um auch hier nicht missverstanden zu werden: Wir wenden uns nicht gegen die Stationierung von UNOTruppen zwischen den verfeindeten Gegnern. Wirklich neutral können UNO-Truppen aber nur sein, wenn sie auf beiden Seiten der Grenzen stationiert werden, was aber nicht der Fall ist. ({6}) Die jetzige Parteilichkeit gegen den Libanon und für Israel verstärken Sie nur, indem Sie zwar auf der einen Seite Waffenlieferungen an die Hisbollah verhindern, was richtig ist, aber auf der anderen Seite neue Waffensysteme und U-Boote an Israel liefern, was falsch ist. ({7}) So verspielen Sie unseres Erachtens die Glaubwürdigkeit als ehrliche Makler. Dabei gibt es auch bei diesem letzten Punkt eine Alternative, auf die wir seit Beginn dieses Jahres nicht müde werden hinzuweisen. Herr Außenminister, vertrauen Sie da doch Ihrem neuen Parteichef, der unseren Vorschlag aufgenommen hat. ({8}) Reden Sie nicht nur von einem politischen Prozess, sondern konzentrieren Sie alle Ihre Kräfte und auch die Finanzen auf eine Nahostkonferenz nach dem Vorbild der KSZE. Nur dort werden auch die Wurzeln des Streits, des Konflikts und des Krieges Israels mit seinen Nachbarn zur Sprache gebracht. Alle Teilnehmer sind dort gleichberechtigt, ohne von Gewalt, Terror und Drohungen beeinflusst zu werden. Dann wird Ihre Devise „ReDr. Norman Paech den statt schießen“ wieder uneingeschränkt gelten. Auf dieser Konferenz wird dann die Existenz beider Staaten, nämlich Israels und Palästinas, gesichert werden. Danke schön. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Josip Juratovic von der SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Josip Juratovic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003782, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Als jemand, der den Balkankrieg unmittelbar erleben musste und der Hass und Gewalt nicht ausstehen kann, muss ich zugeben: Wir als größte Nation der Europäischen Gemeinschaft können uns nicht unserer gemeinsamen Verantwortung für eine Stabilisierung des Friedens im Nahen Osten entziehen. ({0}) Ich denke, es ist für keinen von uns einfach, Soldatinnen und Soldaten mit einem Auftrag zu versehen, ohne die Garantie bieten zu können, dass sie nach der Erfüllung des Auftrags wieder gesund nach Hause zurückkehren. Deshalb möchte ich mein ausdrückliches Lob an unseren Außenminister für seine diplomatischen Bemühungen, die Gefahren der uns bevorstehenden Mission möglichst gering zu halten, richten. Das gibt Mut und Hoffnung vor allem für diejenigen, die in diesen Einsatz gehen müssen. Viele Menschen stellen uns die berechtigte Frage: Wie viele Soldaten noch an wie viele Brennpunkte? Ich muss gestehen: Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, wo das nächste Mal ein Brand entsteht und wo wir Zerstörung, Verfolgung oder Mord verhindern müssen. Was ich weiß, ist, dass man präventiv handeln kann und muss. Es ist wichtig, der Weltgemeinschaft zu vermitteln, dass wir Europäer nicht nur eine Wirtschaftsgemeinschaft, sondern vor allem eine Wertegemeinschaft sind. ({1}) Die OSZE-Schlussakte, die Charta der Grundrechte der EU und viele andere europäische Beschlüsse sind eine wichtige Grundlage dafür. Sie sind eine Grundlage für unsere gemeinsamen Ideen, Überzeugungen und Hoffnungen. In unserem politischen Handeln müssen wir in der globalen Politik zu verstehen geben, dass für uns Freiheit, Frieden und Wohlstand für alle Menschen wichtig sind. Frieden braucht Vertrauen. Vertrauen schaffen wir nur, wenn wir die nationalen und kulturellen Unterschiede der Menschen respektieren und nach gemeinsamen Werten und Interessen suchen. An dieser Stelle möchte ich ausdrücklich dem diplomatischen Korps, den politischen und den anderen Stiftungen sowie den vielen zivilen Organisationen meinen Dank für ihren Einsatz und ihre Bemühungen beim Vermitteln der von mir zuvor erwähnten Ziele aussprechen. ({2}) Man kann ihre Leistung nicht hoch genug würdigen. Durch den Einsatz vieler Organisationen weltweit bleiben der Menschheit viele militärische Auseinandersetzungen und damit verbundene Opfer erspart. Dennoch muss ich zugeben, dass manch eine Organisation vor Ort für große Verwirrung sorgt, unter Umständen sogar kontraproduktiv arbeitet. Bei meiner langjährigen Friedensarbeit auf dem Balkan musste ich oft feststellen, dass Menschen, die in ihrer Not auf Hilfe von außen angewiesen waren, zu Opfern gesellschaftspolitischer Experimente wurden. Ein Beispiel: Es kann nicht sein, dass wir in Europa vom „Sozialmodell Europa“ reden, während Vertreter der Wirtschaftsverbände in den Krisengebieten von „Marktwirtschaft pur“ sprechen und uns die Ergebnisse als angebliche Erfolgsmodelle anbieten. ({3}) Meine Damen und Herren, Sie glauben nicht, wie viele Glücksritter ich während meiner Friedensarbeit vor Ort erleben musste. Es war beschämend, beobachten zu müssen, dass manch ein so genannter Entwicklungshelfer nicht begriffen hat, dass er es mit am Boden zerstörten Menschen zu tun hat. Deshalb möchte ich angesichts der kommenden deutschen EU-Ratspräsidentschaft die Schaffung einer EUKoordinationsstelle für zivile Einsätze in Krisengebieten empfehlen. Diese soll in den Krisengebieten gemeinsame europäische Werte und politische Ziele vermitteln, sich vor Ort am Aufbau der zivilen Gesellschaft beteiligen sowie die vor Ort aktiven Hilfsorganisationen beraten, unterstützen und ihre Einsätze sinnvoll koordinieren. Das Ziel Deutschlands und der EU muss es sein, die innere Stabilität zu sichern, ohne die globale Sicherheit zu vernachlässigen. Deshalb müssen wir zur EU-Erweiterung und zur europäischen Nachbarschaftspolitik in Zukunft klar Position beziehen. Gerade für den Westbalkan muss die Beitrittsperspektive unmissverständlich definiert werden. Es ist wichtig, den dortigen politischen Kräften deutlich zu machen, dass wir nicht tolerieren, dass die Menschenrechtsfragen nur auf dem Papier gelöst werden, sondern eine aktive Bekämpfung der Nationalismen vor Ort erwarten. ({4}) Wir müssen deshalb die demokratischen Kräfte unterstützen. Diesbezüglich liegt mir die Jugend besonders am Herzen. Es kann nicht sein, dass der Jugend in manchen Teilen Europas die Teilhabe an unseren Werten für immer verwehrt bleiben soll. Es ist wichtig, dass wir die EU-Nachbarschaftspolitik klar definieren und uns vor allem den jungen Menschen widmen. Sie müssen begreifen, dass sie für die Gestaltung der Demokratie in ihrem Land der wichtigste Hoffnungsträger sind. ({5}) Sie müssen begreifen, dass es in einer Demokratie nicht ausreicht, nur das private Leben zu organisieren, sondern dass sie sich auch an der Organisation der Gesellschaft beteiligen müssen. Dabei müssen wir ihnen helfen. Recht vielen Dank. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Joachim Hörster von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Joachim Hörster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000932, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte die verehrten Kolleginnen und Kollegen um Nachsicht, dass ich mich, obwohl ich Vorsitzender der DeutschArabischen Parlamentariergruppe bin, heute nicht zum Nahostkonflikt äußere. Dazu ist schon sehr viel gesagt worden. Außerdem denke ich, dass wir noch eine intensive Debatte darüber haben werden, wenn die Entscheidung aufgrund eines konkreten Antrages der Bundesregierung ansteht. Deswegen will ich unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit in der Politik zwei Themen ansprechen, die bereits bei der Verabschiedung des Bundeshaushaltes für das Jahr 2006, also für dieses Jahr, in der außenpolitischen Debatte eine Rolle gespielt haben. Einen Teil meiner Rede, die ich am 27. März gehalten habe, könnte ich jetzt wiederholen, weil der Herr Bundesaußenminister zum Schluss seiner Rede die auswärtige Kulturpolitik angesprochen hat, die so genannte dritte Säule der deutschen Außenpolitik. Ich will jetzt nicht fragen, was aufgrund der Erkenntnisse, die am 27. März dieses Jahres vorgelegen haben, bis heute geschehen ist. Denn es braucht einen gewissen Vorlauf, um feststellen zu können, wie alle an der auswärtigen Kulturpolitik Beteiligten - das ist nicht der Bundesaußenminister allein - sich bemühen, die auswärtige Kulturpolitik mehr in den Mittelpunkt unserer auswärtigen Tätigkeit zu stellen und vielleicht auch die frühere Philosophie über Bord zu werfen, dass dort, wo die deutsche Sprache auf kommerzielle Weise durch private Institute erlernt werden kann, unsere Präsenz durch das Goethe-Institut und ein entsprechendes Angebot nicht mehr notwendig seien. Man sollte vielmehr auf die richtige Erkenntnis, die der Herr Bundesaußenminister heute kundgetan hat, zurückgreifen, nämlich die, dass die Vermittlung von Führungskräften aus aller Welt nach Deutschland am ehesten dann zustande kommt, wenn sie zuerst die deutsche Sprache gelernt haben. Deswegen muss man ihnen das erleichtern. Genauso muss man es Ausländern, insbesondere aus Staaten der Dritten Welt, erleichtern, in Deutschland studieren zu können. Denn sie können später in Führungsfunktionen in ihren Ländern in der Wirtschaft oder in der Politik helfen, zu Good Governance beizutragen, was vor allem in diesen Ländern gebraucht wird. Wir werden das auf Wiedervorlage legen. Vielleicht gibt es dann eine Möglichkeit, plastische und griffige Erfolge und Verbesserungen vorzulegen. Ich will einen anderen Punkt ansprechen, der damals auch eine Rolle gespielt hat, nämlich die Parlamentarische Versammlung des Europarates. Die Parlamentarische Versammlung des Europarates führt ja bei uns im Deutschen Bundestag ein Schattendasein. Das wollen wir doch einmal ganz ehrlich sagen. Das ist eigentlich ungerechtfertigt, weil die Parlamentarische Versammlung des Europarates immerhin die Versammlung von nationalen Abgeordneten aus 46 Ländern in Europa bis hin zu Georgien und Aserbaidschan ist. Die Parlamentarische Versammlung des Europarates befasst sich damit, Länder, die nicht der Europäischen Union angehören, an gewisse Mindeststandards - ich sage es einmal vereinfachend - einer zivilisierten Gesellschaft, wie wir sie verstehen, heranzuführen. Es gibt die Europäische Menschenrechtskonvention, die der Europarat umzusetzen hat. Es gibt die Antifolterkonvention, die er beachtet. Es gibt zum Beispiel auch verschiedene Konventionen zur Harmonisierung der sozialen und rechtlichen Praktiken der Mitgliedstaaten, die das Bewusstsein für eine europäische Identität unterstreichen. Der Europarat hat ganz unzweifelhaft nach 1989 wesentlich mit dazu beigetragen, dass in den postkommunistischen Ländern der Gedanke des Herankommens ihrer politischen Kultur an die europäischen Mindeststandards nicht nur verkündet worden ist, sondern dass auch versucht worden ist, das umzusetzen. In diesem Zusammenhang und unter Berücksichtigung der Wünsche vieler Länder in Europa, möglicherweise Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu werden - das sehen wir allerdings mit großer Skepsis, weil man die Europäische Union nicht überdehnen darf -, könnte dem Europarat sehr wohl auch in der nationalen Politik eine viel beachtete Rolle zukommen. Er könnte als Bindeglied fungieren zwischen den europäischen Anrainerstaaten, hauptsächlich aus dem früheren Osteuropa bis zum Gebiet der früheren südlichen Sowjetunion, und der Europäischen Union. Auf diesem Wege könnte man versuchen, bestimmte Standards zu etablieren - auf sozialem und rechtlichem Gebiet, was die Einhaltung der Menschenrechte betrifft sowie im Hinblick auf die demokratische Entwicklung insgesamt -, ohne dass sofort die Frage der Mitgliedschaft in der Europäischen Union gestellt würde. Immerhin muss man folgende Unterscheidung treffen: Die Europäische Union ist ein Verbund von Staaten, die ihrerseits Souveränitätsrechte an die Union abtreten, sodass die Union der Entscheidungsträger ist, während der Europarat ein Verbund von Staaten ist, die sich in Verträgen, die sie miteinander geschlossen haben, verpflichtet haben, bestimmte Regeln einzuhalten, die der Europarat durch die Parlamentarische Versammlung dann durchzusetzen versucht. Das wichtigste Instrument ist in diesem Zusammenhang der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Wir haben schon bei früherer Gelegenheit über die Frage diskutiert, wie sich die Situation nach Gründung der Europäischen Menschenrechtsagentur darstellen wird. Mir ist, wie auch meinen Kolleginnen und Kollegen in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, bekannt, dass die Dinge bereits so weit gediehen sind, dass man sie nicht gänzlich rückgängig machen kann. Mit Zuversicht habe ich aber festgestellt, dass Sie, Herr Bundesaußenminister, das Petitum des Europaausschusses bzw. der Delegation der Parlamentarischen Versammlung des Europarates zur Kenntnis genommen haben und nun versuchen, die Richtung einzuschlagen, die wir von Ihnen erbeten haben, um dafür zu sorgen, dass keine Doppelstrukturen entstehen und dass sich die Europäische Union auf ihre ureigenen Aufgaben konzentrieren und die anderen Aufgaben wie die Überwachung der Einhaltung der Menschenrechte im Wesentlichen dem Europarat überlassen kann, der auf diesem Gebiet auch die größeren Kompetenzen und die besseren Erfolgsaussichten hat. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche der weiteren Debatte einen guten Verlauf. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Lothar Mark von der SPD-Fraktion.

Lothar Mark (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003190, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir haben bereits heute früh, als es um den Einzelplan des Bundeskanzleramtes ging, eine außenpolitische Debatte geführt. Jetzt führen wir erneut eine außenpolitische Debatte zum Einzelplan des Auswärtigen Amtes. Ich weise allerdings darauf hin, dass wir uns eigentlich in der ersten Lesung des Entwurfs des Bundeshaushalts für das Jahr 2007 befinden. ({0}) Ich bin dem Außenminister sehr dankbar, dass er, wie zwei weitere Kollegen, den Haushalt angesprochen hat. Ich denke, das dient der Würdigung der Arbeit derer, die hierfür die Verantwortung tragen. Der Haushalt des Auswärtigen Amtes steigt von 2006 auf 2007 um 6 Prozent an. Das macht insgesamt 140 Millionen Euro aus. Davon sind bereits 81 Millionen Euro für Erhöhungen im Rahmen von VN-Pflichtbeiträgen reserviert. 34 Millionen Euro mehr als im vorigen Haushalt hängen mit der EU- und der G-8-Präsidentschaft zusammen, wobei schon heute abzusehen ist, dass diese Mittel sehr wahrscheinlich nicht ausreichen werden. 7,5 Millionen Euro der genannten Summe werden für den Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds zur Verfügung gestellt. Darüber hinaus wurden einige kleinere Positionen erhöht oder sie sind hinzugekommen, zum Beispiel Mittel für die Biometrie. Der Anteil des Haushalts des Auswärtigen Amtes am gesamten Bundeshaushalt macht nur 0,95 Prozent aus, und dies trotz wachsender Aufgaben, einer zunehmenden Bedeutung der auswärtigen Politik und der internationalen Wertschätzung; der Außenminister hat auf diese Thematik bereits hingewiesen. Es muss das Ziel sein - darin sind sich zumindest die Haushälter, die für das Auswärtige Amt zuständig sind, einig -, dass wir die 1-Prozent-Marke erreichen und in nicht allzu ferner Zukunft geringfügig überschreiten. Die Kosten des Auswärtigen Amtes belaufen sich pro Kopf der Bevölkerung umgerechnet auf 28,99 Euro. Ich glaube, dass es nur ganz wenige Haushalte gibt, bei denen der Pro-Kopf-Betrag so niedrig angesiedelt ist. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe in allen Haushaltsberatungen immer wieder Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit angemahnt. Ich habe diesbezüglich auch heute drei Beispiele, die ich ansprechen möchte. Das erste Beispiel sind die Stabilitätspakte Afghanistan und Südosteuropa; der eine mit 30 Millionen Euro ausgestattet, der andere mit 15 Millionen Euro, wobei der Haushaltstitel für den Stabilitätspakt Südosteuropa im Vergleich zu 2006 um 15 Millionen Euro gekürzt wurde und damit zu niedrig angesetzt ist. Diese beiden Haushaltstitel sind im BMZ angesiedelt. Wir sind der Meinung, dass hier ein Transfer der bislang dem Auswärtigen Amt nur zur Bewirtschaftung zur Verfügung gestellten Ansätze in den Haushalt des Auswärtigen Amtes erfolgen müsste, weil auch der politische Zugriff beim Auswärtigen Amt liegt. Das gehört einfach zur Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit. ({2}) Das zweite Beispiel ist die Streulage einzelner Positionen für eine Maßnahme oder einen Empfänger in verschiedenen Einzelplänen, und da selbst nach derzeitiger Haushaltsstrukturvorgabe in verschiedenen Titelgruppen und Titeln. Ich denke, dass dies beim Lesen des Haushaltes sehr unübersichtlich ist, und rege an, dass man darüber nachdenkt, dies neu zu ordnen. Ich nenne nur als Stichwort die Budgetierung. ({3}) Ein dritter Hinweis ist, dass verschiedene Fußnoten und Anmerkungen in den jeweiligen Titeln enthalten sind, die nicht unbedingt zielführend sind. Ich möchte hier - man möge mir die Nennung der Zahl verzeihen auf den Haushaltstitel 687 17, die Pflege kultureller Beziehungen, hinweisen. Darin wird, wie auch in vielen anderen Titeln, zwei Mal auf das Goethe-Institut Bezug genommen. Das Goethe-Institut kommt aber auf der gesamten Seite nicht mehr vor, obwohl insgesamt 16 verschiedene Positionen aufgezählt sind. Kollege Juratovic hat vorhin das Thema Prävention angesprochen. Ich wollte zu diesem Thema einige Ausführungen machen. Da aber meine Redezeit etwas geschrumpft ist, will ich dies beiseite lassen und lediglich darauf hinweisen, dass wir insgesamt gesehen verstärkt über Fragestellungen der Prävention nachdenken müssen. Wir haben uns im Juni dieses Jahres auf die Umsetzung eines Aktionsplans „Zivile Krisenprävention“ verständigt, in dem aufgezeigt wird, wie wir mit der Krisenprävention umgehen sollen. Darin sind so viele Handlungshinweise enthalten, dass wir das Thema verstärkt in Angriff nehmen müssen. Wir müssen auch die vielen kritischen Anmerkungen, die hier immer wieder gemacht werden, sehr ernst nehmen. Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass die militärische Komponente an erster Stelle steht. Vielmehr sollten wir zeigen, dass integrativ gearbeitet wird, um die Probleme in der Welt zu lösen. ({4}) Wir haben bereits im Jahr 2006 und für die Folgejahre den Haushaltstitel für humanitäre Hilfsmaßnahmen auf 50 Millionen Euro verstetigt. Den Haushaltsansatz für Maßnahmen des humanitären Minenräumens haben wir auf 8,4 Millionen Euro festgezurrt. Wir wissen, dass dies nicht ausreichend ist. Andererseits muss der Haushalt natürlich auch in diesen Bereichen den Gegebenheiten angepasst werden. Ich bin sehr dankbar, dass der Kollege Hörster und auch der Außenminister in ihren Beiträgen auf die Kulturpolitik und auf die Bedeutung der Kultur hingewiesen haben. Ich möchte darauf hinweisen, dass für die Auslandskulturarbeit im Haushalt 2007 ein Zuwachs von 4,4 Millionen Euro vorgesehen ist. ({5}) Die institutionelle Förderung für die allgemeine Auslandskulturarbeit sinkt in 2007 auf die ursprüngliche Finanzplanung, da 2006 aus besonderen Gründen eine einmalige Verstärkung der institutionellen Förderung beim GI vorgenommen wurde. Ich will auch darauf hinweisen, dass wir eine Verstetigung der Mittel für Maßnahmen der politischen Stiftungen im Ausland durchgeführt haben. Ihre Arbeit muss immer wieder als segensreich für die Bundesrepublik angesehen werden. Wir sollten uns hierfür wieder verstärkt einsetzen. ({6}) Zum Goethe-Institut wäre viel zu sagen; in den letzten Wochen und Monaten ist in den Medien viel darüber geschrieben worden. Ich denke, die Kernaufgaben des Goethe-Instituts sind unbestritten. Die Zielformulierungen sind klar: Das Goethe-Institut muss zukunftssicher aufgestellt werden. Die Strukturen des Goethe-Instituts müssen modernisiert, Synergien in vielfältiger Weise erreicht werden. Auch eine Erweiterung seiner Finanzbasis muss erfolgen. Einige Bereiche des Goethe-Instituts sind Gott sei Dank inzwischen budgetiert. Wir hoffen, dass diese Prozesse weitergeführt werden ({7}) und dass ab 2008 eine Totalbudgetierung des Goethe-Instituts erfolgt. Meine Forderung war immer, alle Mittlerorganisationen zu budgetieren, ({8}) weil dadurch mehr Flexibilität entsteht. ({9}) Zur Arbeit der weltweit 144 Goethe-Institute insgesamt kann ich weiter nichts ausführen, weil meine Redezeit allmählich zu Ende geht. Ich möchte noch darauf hinweisen, dass wir über die konzeptionellen Umstrukturierungen hinaus eine Reform des Auslandsschulwesens ins Auge fassen müssen. Das Schulwesen insgesamt muss effizienter gestaltet werden. Mit den 117 Schulen und 364 geförderten Bildungseinrichtungen erreichen wir immerhin 230 000 Schülerinnen und Schüler. Hier wären der Deutsche Akademische Austauschdienst, die Alexander-vonHumboldt-Stiftung, das Deutsche Archäologische Institut und viele andere Einrichtungen zu erwähnen. Ich darf einen Satz zur ODA-Quote sagen, weil sie immer eine große Rolle spielt. Die Maßnahmen, die für die ODA-Quote angerechnet werden, sind nicht nur beim BMZ angesiedelt, sondern auch in verschiedenen anderen Ministerien. Auch das Auswärtige Amt trägt mit den Mitteln für humanitäre Einsätze seinen Teil dazu bei.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege, Sie haben die Zeit schon weit überzogen. Ich bitte Sie, jetzt zum Schluss zu kommen.

Lothar Mark (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003190, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich darf zum Schluss dem Außenminister danken für seine ausgezeichnete Arbeit, die das Ansehen Deutschlands weiter hebt. ({0}) Ich danke dem Haushaltsreferat des AA für die gute Zusammenarbeit. Ich danke auch allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Auswärtigen Amt für ihren engagierten Einsatz weltweit. Schließlich danke ich meinen Berichterstatterkollegen, insbesondere dem Kollegen Herbert Frankenhauser, für die faire Verständigungsbereitschaft. Vielen Dank. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Herbert Frankenhauser von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Herbert Frankenhauser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000572, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Ich übernehme gerne die Ausführungen meines geschätzten Vorredners Lothar Mark, inklusive aller Dankadressen; ({0}) das kann meine Redezeit etwas verkürzen. Ich habe dieser ebenso kurzen wie kurzweiligen Debatte über den Einzelplan 05 ({1}) aufmerksam zugehört und festgestellt, dass zumindest in zwei Fragen völlige Übereinstimmung im Hause herrscht - zumindest von halb links bis zu den Liberalen -, ({2}) nämlich dass die deutsche Außenpolitik von herausragender Bedeutung ist und die auswärtige Kulturpolitik einen ganz besonderen Stellenwert hat. ({3}) - Es freut mich, dass an dieser Stelle meiner Rede auch der Vertreter des Bundesfinanzministers den Saal wieder betritt. ({4}) Ihn betrifft das nämlich am meisten; denn er ist der Einzige, der sich dieser allgemeinen Erkenntnis des Hohen Hauses bislang widersetzt hat. ({5}) Wenn wir aber weiter so geschlossen voranmarschieren, dann könnte es uns durchaus gelingen, auch noch den Bundesfinanzminister in die Knie zu zwingen. Dazu fordere ich Sie alle sehr herzlich auf. ({6}) - Ich glaube, ich bin heute der einzige, der von der Opposition beklatscht worden ist. Vielleicht hält das ja an, sodass wir endlich sowohl dem Einzelplan 05 als auch der darin enthaltenen auswärtigen Kulturpolitik eine halbwegs angemessene Dotierung zukommen lassen können. Ich hoffe, dass sich die Kolleginnen und Kollegen, die sich immer in Feuilletons äußern, wenn über die Schließung eines Goethe-Instituts nachgedacht wird, bei der entsprechenden Abstimmung so verhalten werden, dass solche Schließungen gar nicht angedacht werden müssen. ({7}) Da ich Haushälter bin, muss ich natürlich auch etwas über die Kostensituation sagen. Herr Außenminister, ich habe in den zurückliegenden Jahren und auch heute wieder festgestellt, dass wir sehr viel über das Engagement im Ausland - ob direkt oder über die UNO - reden. Damit kein Missverständnis entsteht: Ich unterstütze die Überlegungen der Bundesregierung zur deutschen Beteiligung im Libanon nachhaltig. Wir reden auch sehr viel über diese Auslandsbeteiligungen, und zwar darüber, wie und ob wir hineingehen. Was ich aber vermisse, ist eine Diskussion darüber - wenn auch nur bescheidener Art -, ob und wann wir wieder hinausgehen. ({8}) Ich lese Ihnen einmal vor - jeder wird es wissen und mit einem Aha begleiten -, woran wir beteiligt sind: MINURSO, UNOMIG, UNFICYP, UNMIK, UNOCI, MINUSTAH. Das ist ein Beispiel von vielen; ich brauche die Abkürzungen nicht im Detail zu erklären, weil das allgemein bekannt ist. Wir sollten aber wieder einmal darüber reden, ob das noch sinnvoll ist. Wenn ich mich recht entsinne, gab es am 19. März 1978 die erste UNO-Resolution zum Libanon. Ich kenne mich in der großen Außenpolitik nicht aus - wie gesagt: Ich bin nur Haushälter - und weiß nicht, ob diese Resolutionen, nachdem sie verabschiedet wurden, von irgendjemandem noch einmal gelesen und möglicherweise auch kontrolliert werden. ({9}) - Dann sind Sie wahrscheinlich eine Ausnahme. In der UN-Resolution zur Gründung der UNIFIL - die Kosten dieser Mission, an denen wir auch beteiligt sind, betragen etwa 268 Millionen Dollar pro Jahr stand zwar, dass die Hisbollah entwaffnet werden soll. Allgemein ist aber feststellbar, dass es in der Zeit, seit die UNIFIL vor Ort tätig ist, zur größten Wiederbewaffnung und Aufrüstung der Hisbollah aller Zeiten gekommen ist. ({10}) Herr Außenminister, ich bitte darum, nicht nur auf die Laufzeiten solcher Mandate zu achten, sondern vielleicht auch etwas auf die Qualität. ({11}) Ich möchte noch etwas zur Europäischen Union bzw. zur Europäischen Gemeinschaft sagen. Sie haben beklagt, dass sich die Bürgerinnen und Bürger etwas davon entfernen. Das ist wohl wahr. Ich habe manchmal den Eindruck, die EU-Kommission sieht ihre Arbeit zielgerichtet darin, die EU bewusst von den Bürgern zu entfernen. Ich darf Ihnen ein Beispiel aus der Praxis nennen: Ich finde nur wenige Leute, die begeistert darüber sind, dass die Europäische Union dafür sorgt, dass die Biersteuer erhöht wird. Das verstehen die Leute einfach nicht; sie empfinden es auch nicht als besonders europaförderlich. Daher bitte ich Sie dringend, Herr Staatssekretär, sich dagegen auszusprechen. Auch die neue Kennzeichnungspflicht in Bezug auf Bier- und Weinflaschen freut die Leute nicht und fördert auch nicht ihre Nähe zu Europa. Ich weiß nicht, welchem Gehirn dies eingefallen ist; ich muss mich ja parlamentarisch ausdrücken. Diese Pflicht fördert die angesprochene Einstellung der Bürger, insbesondere solange die EU-Kommission bei gleichen oder noch stärkeren Gefährdungspotenzialen keine Warnhinweise gibt, zum Beispiel bei Eisenbahnlokomotiven, die bekanntermaßen auch gefährlich sind, wenn man gegen sie läuft, während sie in Fahrt sind, oder bei den durchaus beliebten Schwarzwälder Kirschtorten, ({12}) wobei ich als Nichtmediziner der festen Überzeugung bin, dass acht Schwarzwälder Kirschtorten gesundheitsschädlicher sind als acht Seidel Bier. ({13}) In diesem Sinne bitte ich Sie herzlich, daran mitzuwirken, dass die Europäische Union mehr auf ihre Bürger zielt. Herzlichen Dank. ({14})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Weitere Wortmeldungen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes liegen nicht vor. Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung, Einzelplan 14. Bevor ich das Wort erteile, bitte ich diejenigen Kollegen, die jetzt die Plätze wechseln wollen, dies zu tun, damit wir dem Verteidigungsminister anschließend unsere Aufmerksamkeit schenken können. - Ich erteile jetzt dem Bundesminister der Verteidigung, Dr. Franz Josef Jung, das Wort.

Dr. Franz Josef Jung (Minister:in)

Politiker ID: 11003781

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Verteidigungshaushalt ist insbesondere durch die aktuellen Diskussionen im Hinblick auf die Auslandseinsätze wieder etwas mehr in den Blickpunkt der Öffentlichkeit geraten. Ich halte es für richtig und gut, dass wir uns hier inhaltlich über die Fragen der Sicherheits- und Verteidigungspolitik auseinander setzen; denn ich bin durchaus der Auffassung, dass die Bundeswehr auch und gerade durch die Auslandseinsätze einen erheblichen Beitrag für unsere Sicherheit leistet. Aber von der Bundeswehr können nicht immer mehr dieser Einsätze verlangt werden, wenn die dafür erforderlichen finanziellen Grundlagen nicht vorhanden sind. Bevor diese Regierung ins Amt kam, musste innerhalb der letzten fünfzehn Jahre eine Reduzierung des Anteils des Verteidigungsetats am Gesamthaushalt um circa ein Drittel hingenommen werden. Angesichts dieser Tatsache bin ich froh und dankbar, dass wir im Haushalt 2006 eine Stabilisierung der Mittel erreichen konnten und dass wir im Haushaltsplanentwurf für das Jahr 2007, über den wir hier diskutieren, eine Steigerung feststellen können. Wir haben insgesamt - einschließlich der Versorgung, lieber Kollege Kampeter - einen Etat von 28,4 Milliarden Euro, ({0}) der um 525 Millionen Euro ansteigt - ohne Versorgung sind dies 480 Millionen Euro - und in der Perspektive bis 2009/2010 um 1 Milliarde Euro. Dies ist auch notwendig; denn wenn wir unsere Soldatinnen und Soldaten im Interesse unserer Sicherheit in gefährliche Einsätze schicken, haben sie es verdient, eine gute Ausbildung und eine gute Ausrüstung zu bekommen. Dafür brauchen wir die notwendige finanzielle Grundlage. ({1}) Teilweise wurde die Frage angesprochen, woran sich die Auslandseinsätze der Bundeswehr eigentlich orientieren sollten. Diesbezüglich sollten wir schon eine Übereinstimmung erzielen. Die Auslandseinsätze sind wertorientiert; sie dienen den nationalen Interessen und sie entsprechen unseren internationalen Verpflichtungen. Aktuell befinden sich 7 850 unserer Soldatinnen und Soldaten in Auslandseinsätzen. Wie Sie wissen, sind wir mit dem stärksten Kontingent in Bosnien-Herzegowina sowie im Kosovo vertreten. Ich kann nur hoffen, dass sich nach den im Oktober anstehenden Wahlen in Bosnien-Herzegowina und den hoffentlich positiven Ergebnissen der Statusverhandlungen hinsichtlich des Kosovo dort eine Entwicklung abzeichnen wird, aufgrund deren die Region ihre Sicherheit und Stabilität in einer europäischen Perspektive selbst mit gewährleisten kann. Wir sind in einer nicht einfachen Mission in Afghanistan. Es darf nicht vergessen werden, dass Afghanistan ein Ausbildungszentrum für den Terrorismus war. Dort sind jetzt erstmals seit mehr als 30 Jahren demokratische Parlaments- und Präsidentenwahlen durchgeführt worden. Die Strategie, die die Bundesrepublik Deutschland und unsere Soldatinnen und Soldaten jetzt dort verwirklichen, nämlich im Norden Afghanistans mit fünf Wiederaufbauteams Stabilität und Sicherheit zu gewährleisten, aber auch die zivile Komponente - das heißt den Aufbau von Sicherheitsstrukturen der Polizei sowie entwicklungspolitische und wirtschaftspolitische Initiativen - mit im Blick zu behalten, lässt die Menschen spüren, dass die Stabilisierung und der Wiederaufbau erfolgen und damit letztlich Sicherheit und eine positive Entwicklung gewährleistet werden. Ich glaube, das ist die richtige Strategie einer vernetzten Sicherheitspolitik, die wir in Afghanistan umsetzen. Ich hoffe und wünsche, dass sie auch Ihre Unterstützung findet, weil ich glaube, dass das der richtige Weg für einen Erfolg in Afghanistan ist. ({2}) Wir haben über 2 700 Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan. Herr Trittin ist nicht mehr da, ({3}) sonst hätte ich ihm sagen können, dass wir die Verantwortung für den Norden übernommen haben, die italienischen Freunde die Verantwortung für den Westen, die Briten die Verantwortung für den Süden und die Amerikaner die Verantwortung für den Osten. Insgesamt sind dort 37 Nationen engagiert. Ich habe das, was wir aus meiner Sicht dort beispielhaft umsetzen, gerade mit meinem italienischen Kollegen besprochen. Unsere Freunde - auch unsere britischen Kollegen - sehen das genauso. Inzwischen denken auch unsere amerikanischen Freunde so, sodass ich hoffe und wünsche, dass wir dort zu einer Stabilisierung der Lage und zu einer guten Entwicklung kommen. Man muss aber auch deutlich machen, dass sich die Zahl der Anschläge gegenüber dem Vorjahr verdoppelt hat und dass im Hinblick auf die Sicherheit eine Risikolage besteht. Deshalb habe ich angeordnet, dass wir dort nur noch mit geschützten Fahrzeugen fahren, und deshalb ist die Aufklärung zusätzlich verstärkt worden. Der Schutz unserer Soldatinnen und Soldaten muss uns ein besonderes Anliegen sein - auch und gerade in schwierigen Einsätzen wie in Afghanistan. ({4}) Über den Kongoeinsatz ist hier teilweise kritisch diskutiert worden. Aber ich glaube, man muss in aller Ruhe feststellen, dass dieser Einsatz dazu geführt hat, dass in der Zeit vom 21. bis 22. August der erneute Ausbruch eines Bürgerkriegs verhindert werden konnte. Die Situation war mehr als kritisch, als die Truppen Kabilas die Villa des Vizepräsidenten Bemba umstellt hatten und es dort zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kam. In der Villa waren auch Botschafter. Als sich die Frage der Evakuierung stellte, haben sowohl die spanischen als auch die polnischen Freunde mit unserer Unterstützung bei der Aufklärung dazu beigetragen, dass die Situation nicht in einen Bürgerkrieg umgeschlagen ist. Vielmehr können wir jetzt wieder davon ausgehen, dass sich die Situation stabilisiert hat. Ich hoffe und wünsche, dass wir diese Situation bis zu den Stichwahlen aufrechterhalten können, damit sie in einem friedlichen und stabilen Umfeld stattfinden können und die ersten demokratischen Wahlen nach über 45 Jahren in diesem Land ihren positiven Niederschlag finden. ({5}) Ich könnte noch alle anderen Einsätze, an denen die deutsche Bundeswehr beteiligt ist, darstellen. Wie Sie wissen, sind wir in beobachtender Mission im Sudan, in Darfur, und in Äthiopien und Eritrea. Wir sind im Rahmen von Enduring Freedom am Horn von Afrika in Dschibuti. Wir sind an der Operation Active Endeavour am Mittelmeer beteiligt, die als Folgewirkung des 11. September aufgrund des Bündnisfalls nach Art. 5 des NATO-Vertrags zustande kam. Wir sind beispielsweise auch in Georgien im Einsatz. Gegenwärtig diskutieren wir über eine weitere Unterstützung einer Friedenstiftenden Mission im Libanon. Erlauben Sie mir vorab eine Bemerkung. Wir leisten auch einen wichtigen Beitrag zu humanitären Hilfen. Wir haben bis zum heutigen Tag mit über 20 Flügen mehr als 135 Tonnen Hilfsgüter - von Babynahrung über Medizin und Zelte bis zu UNO-Fahrzeugen - sowie Hilfspersonen in die Region gebracht und damit einen wichtigen humanitären Beitrag geleistet. Nun geht es darum, dafür Sorge zu tragen, dass eine im Hinblick auf die Gewährleistung des Waffenstillstandes Frieden stiftende Mission erfolgreich ist. Ich halte es für richtig, dass wir uns in einer Situation nicht verweigern, in der es um das Existenzrecht des Staates Israel, die Souveränität des Libanon und das Verhältnis Palästinas zu Israel im Hinblick auf die Umsetzung der Roadmap geht. Die notwendige und vorrangige politische Lösung kann aber nur erzielt werden, wenn die Waffen weiter schweigen, wenn die Einhaltung des Waffenstillstandes unterstützt wird. ({6}) Wie Sie wissen, warten wir auf die Anforderung des Libanon. Wenn sie eingetroffen ist, werden die Vereinten Nationen gegebenenfalls unsere Unterstützung bei der Gewährleistung der Seesicherheit beschließen. Wenn das der Fall ist, werde ich bei Ihnen für ein entsprechendes Mandat werben. Das sind die Verpflichtungen der Bundeswehr in den Auslandseinsätzen. Aber wir sollten uns keine Illusionen machen. Es sind zwar Frieden stiftende Missionen. Aber sie sind mit Risiken und teilweise mit Gefahren für Leib und Leben unserer Soldatinnen und Soldaten verbunden. 64 Soldatinnen und Soldaten haben bereits ihr Leben in Auslandseinsätzen verloren. Deshalb muss man aus meiner Sicht, wenn es um einen neuen Einsatz geht, darauf hinweisen, dass es gefährliche Situationen geben kann, in denen unsere Soldaten kämpfen müssen. Das gilt ebenfalls im Hinblick auf eine eventuelle Evakuierung im Kongo. Wir haben das bereits beispielsweise in Afghanistan erlebt, wo unsere Soldaten angegriffen wurden. Das kann man bei neuen Einsätzen nicht ausschließen. Das sollte man auch in der Öffentlichkeit deutlich ansprechen. Ich erachte es für falsch, die wahre Situation nicht zu beschreiben, sondern Illusionen zu verbreiten, wenn es um gefährliche Auslandseinsätze geht. Unsere Soldatinnen und Soldaten leisten, wie ich finde, einen hervorragenden Dienst. Sie mehren das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland in den unterschiedlichen Kulturen. Wir sollten ihnen für den Einsatz dankbar sein, den sie für unsere Sicherheit leisten. ({7}) Zu den Aufgaben der Bundeswehr gehört natürlich auch der Schutz Deutschlands. Die Bundeswehr hilft bei jeglicher Art von Katastrophen. Ihr Einsatzspektrum reicht - ich kann es nur schlagwortartig skizzieren - von der Schneekatastrophe über die Vogelgrippe bis zum Hochwasserschutz. Die Bundeswehr soll sicherlich nicht originäre Polizeiaufgaben übernehmen. Da man aber heute nicht mehr ohne weiteres zwischen innerer und äußerer Sicherheit trennen kann, halte ich es für notwendig, dass die Bundeswehr dann, wenn die Fähigkeiten der Polizei nicht mehr ausreichen, wenn es beispielsweise um terroristische Anschläge aus der Luft oder von See oder um eine asymmetrische Bedrohung geht, ihre Fähigkeiten zur Gewährleistung der Sicherheit und zum Schutz unserer Bürgerinnen und Bürger einsetzt. Dies werden wir auch in Zukunft gewährleisten. ({8}) Wir zählen im Rahmen des Konzepts der zivil-militärischen Zusammenarbeit auf die Unterstützung der Reservisten. Wir brauchen weiterhin Reservisten. 1 800 finden jedes Jahr Verwendung in Auslandseinsätzen. Die Reservisten sind ein wichtiger Transmissionsriemen für die Bundeswehr in die Gesellschaft. Sie haben weiterhin unsere Unterstützung verdient. Deshalb möchte ich hier meinen Dank an die Reservisten für den Beitrag, den sie zur Gewährleistung unserer Sicherheit leisten, zum Ausdruck bringen. ({9}) Weil das angesprochen wurde, möchte ich es aufgreifen: Ich bin dankbar, dass wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben, an der Bundeswehr als eine Wehrpflichtarmee festzuhalten. Von der Richtigkeit dieses Beschlusses bin ich felsenfest überzeugt; denn die Wehrpflicht hat sich in mehr als 50 Jahren Bundeswehr bewährt. Sie stellt eine Verbindung der Bundeswehr mit unserer Gesellschaft dar. Zur Bundeswehr gehört nicht nur die innere Führung, sondern auch die Wehrpflicht. Die Bundeswehr hat sich als Wehrpflichtarmee über 50 Jahre hinweg positiv entwickelt. Ich bin der Auffassung, wir sollten auch in Zukunft an der Wehrpflichtarmee festhalten, weil die Verbindung mit der gesellschaftlichen Entwicklung für unsere Armee positiv ist. ({10}) Von 60 000 Wehrpflichtigen, die wir im Jahr einziehen, verpflichten sich 25 000 freiwillig weiter. Auch das ist ein Gesichtspunkt, den man nicht aus dem Auge verlieren darf, wenn es um Strukturentwicklungen der Bundeswehr geht. Ich möchte noch hinzufügen, dass wir auch im Hinblick auf die Investitionen einen erheblichen Beitrag leisten. Der Jahreswirtschaftsbericht beziffert sie mit 6 Milliarden Euro. Natürlich befindet sich die Bundeswehr in einem Transformationsprozess. Natürlich müssen wir uns auf aktuelle Einsatzlagen einstellen und tun dies auch. Die Bundeswehr steht vor einer enormen Herausforderung. Wenn ich aber in dem einen oder anderen Bericht lese - ich sehe Sie gerade, Herr Kollege Kahrs -, dass unsere Schiffe für den Einsatz in warmen Gewässern wie zum Beispiel dem Mittelmeer nicht vorgesehen sind, dann muss ich sagen: Unsere Schiffe fahren vor Dschibuti, wo die Gewässer noch ein Stück wärmer sind. Das heißt, unsere Bundeswehr ist schon ordentlich ausgerüstet und wir bieten ordentliche Fähigkeiten an. Deshalb sollte man konkret werden, wenn man über diese Dinge redet. Tatsache ist, dass unsere Soldatinnen und Soldaten gut ausgebildet, gut ausgerüstet und auch hoch motiviert sind. Deshalb haben sie unsere politische Unterstützung und im Rahmen der Haushaltsberatungen auch unsere finanzielle Unterstützung verdient. Ich bitte Sie um Zustimmung zu diesem Haushaltsentwurf, im Interesse der Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger und im Interesse der Sicherheit unseres Landes. Besten Dank. ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bevor ich der nächsten Rednerin das Wort erteile, begrüße ich in Ihrer aller Namen den indischen Verteidigungsminister Pranab Mukherjee mit seiner Delegation, die auf der Diplomatentribüne Platz genommen haben. ({0}) Herr Minister, wir freuen uns sehr über Ihren Besuch. Wir wünschen Ihnen einen erfolgreichen Aufenthalt in Berlin und fruchtbare Gespräche. - Vielen Dank. Das Wort hat jetzt die Kollegin Birgit Homburger von der FDP-Fraktion. ({1})

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die meisten Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr verrichten ihren Dienst im Moment in den Kasernen und auf den Übungsplätzen in Deutschland, aber doch sind nahezu 8 000 Soldatinnen und Soldaten heute schon im Einsatz in Afghanistan, in Usbekistan, in Bosnien-Herzegowina, im Kosovo, in Georgien, im Kongo und am Horn von Afrika. Ihnen allen gebührt unser Dank für ihre hohe Leistungsbereitschaft und ihre vorbildliche Pflichterfüllung, die sie oft genug unter widrigen Umständen beweisen müssen. ({0}) Diese widrigen Umstände sind einerseits im Zusammenhang mit den Einsatzländern zu sehen, andererseits, Herr Minister, beruhen sie auf mangelnder Führungsleistung Ihrerseits. ({1}) Eine mangelhafte Führungsleistung ist es zum Beispiel, wenn Aufträge und Mittel nicht im Einklang stehen. Wir haben im Jahr 2000 drei Auslandseinsätze der Bundeswehr bei einem Etat von 23,2 Milliarden Euro gehabt. Im Jahr 2006 gibt es acht Auslandseinsätze bei einem Etat von 23,88 Milliarden Euro. Der erste Eindruck: eine Steigerung von 3 Prozent, zumindest nominal. Wenn man allerdings die Inflationsrate herausrechnet, dann ergibt sich real eine Reduzierung um über 10 Prozent, und das vor dem Hintergrund mehrerer zusätzlicher gefährlicher Aufträge. ({2}) Das geht zulasten der Ausrüstung. Das ist für die Truppe unzumutbar und politisch nicht mehr hinnehmbar. ({3}) Sie, Herr Minister, sagen, Sie brauchten mehr Geld. Das haben wir im Übrigen vor dem Beschluss über den Kongoeinsatz auch schon von Ihnen gehört. Aber durchgesetzt haben Sie es nicht. Jetzt wird die Forderung wieder erhoben. Herr Minister, Forderungen allein nützen nichts. Sie dürfen sich vom Finanzminister eben nicht wieder über den Tisch ziehen lassen. Sie müssen sich endlich einmal durchsetzen - bisher weit gefehlt! Der Gesamthaushalt 2007 steigt nach dem vorliegenden Entwurf um 2,3 Prozent. Der Einzelplan 14 steigt um 2 Prozent, in Zahlen ausgedrückt: um 480 Millionen Euro. Herr Minister, 2007 wird die Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte erhöht. Das bedeutet für den Verteidigungshaushalt eine Zusatzbelastung von 300 Millionen Euro. Für die Bundeswehr heißt das unterm Strich, dass im nächsten Jahr trotz gestiegener Anforderungen real weniger Mittel zur Verfügung stehen als in diesem Jahr. Das, Herr Minister, ist nicht weiter zu verantworten. ({4}) Deshalb müssen Sie dafür sorgen, dass sich die Bundesregierung hier eindeutig erklärt. Am saubersten wäre eine Lösung, die vorsieht, dass zusätzliche Einsätze aus dem allgemeinen Haushalt bezahlt werden. Das Ganze liegt ohne Wenn und Aber in Ihrer Verantwortung. Ich sage Ihnen ganz deutlich: Sie schulden der Truppe Klarheit in der Forderung und auch Durchsetzungsfähigkeit. Beides vermissen wir, nicht nur beim Haushalt. Beispielhaft verweise ich auf all das, was beim Einsatz im Kongo schief gelaufen ist. Zuerst waren Sie eigentlich eher ablehnend und haben gesagt: nur Sanitäter oder nur Transport. Dann haben Sie gesagt: keine Führungsrolle. Heute haben wir eine Führungsrolle. Dann haben Sie gesagt: 500 Soldaten. Jetzt sind es 780. Dann haben Sie gesagt: Der Einsatz ist auf vier Monate begrenzt. Sie haben in der Vorbereitung des Kongoeinsatzes einen Hickhack abgeliefert. Wenn man sich heute anschaut, was in der Vorbereitung des von Ihnen geplanten Nahosteinsatzes geschieht, dann muss man schlicht feststellen: Sie haben daraus nichts gelernt. ({5}) Sämtliche von uns vorgetragenen Bedenken sind bestätigt worden. Ihre Prognose, dass deutsche Soldaten im Kongo höchstens vier Monate stationiert sind, ist nicht haltbar. Schauen Sie sich doch einmal die Situation nach dem ersten Wahlgang an! Sie haben sie gerade selbst geschildert. Heute wurde bekannt, dass das oberste Gericht des Kongo die Bekanntgabe der endgültigen Ergebnisse der Präsidentschaftswahl auf unbestimmte Zeit verschoben hat, weil dagegen geklagt wird. Wir hören auch, dass die Milizen im Kongo aufrüsten. Das alles gibt doch Anlass zur Sorge. Ihre einzige Reaktion lautet: Ich verspreche den Soldatinnen und Soldaten, dass sie in vier Monaten zu Hause sind. Für das Kontingent, das vor Ort ist, gilt das auf jeden Fall, Herr Minister. Aber ich prophezeie Ihnen: Wenn die Situation nach dem zweiten Wahlgang eskaliert und international Druck dahin gehend ausgeübt wird, dass deutsche Soldaten weiterhin im Kongo stationiert sind, dann werden Sie auch in diesem Punkt einknicken. Das wird passieren. Ich wiederhole: Schon jetzt ist absehbar, dass diese Aufgabe in vier Monaten nicht zu erledigen ist. ({6}) Was die Wahlen angeht, haben Sie sich nach wie vor nicht um ein politisches Konzept gekümmert. Ich finde es bemerkenswert, dass sich die Bundesregierung nach dem Beschluss im Deutschen Bundestag - ein wesentlicher Grund, warum wir, die FDP, ihm nicht zustimmen konnten, war, dass unserer Meinung nach ein politisches Konzept für die Stabilität des Landes nach den Wahlen fehlt - um das Thema Kongo schlicht und ergreifend nicht mehr gekümmert hat. Dieses ganze Thema ist erst wieder auf Ihrem Plan gewesen, als der deutsche Botschafter und andere in dieser gefährlichen Situation waren. ({7}) Vorher haben Sie sich darum nicht gekümmert. Das ist nicht hinnehmbar. Wer deutsche Truppen ins Ausland schickt, muss sich auch um eine politische Lösung kümmern. ({8}) Das gilt im Übrigen auch für die Vorbereitungen eines Einsatzes im Nahostkonflikt. Wir haben die Grundsatzdebatte dazu im Rahmen der Beratung des Etats des Auswärtigen Amtes geführt. Die Bundesregierung hat hier in den letzten Wochen aus unserer Sicht Vorschläge für eine politische Lösung und Hilfsangebote durch eine Militärangebotspolitik ersetzt. Herr Minister, Sie waren derjenige, der hier zuvorderst klar gesagt hat: „Wir können uns dem nicht entziehen!“ und damit die Bundesrepublik Deutschland in diese schwierige Situation gebracht hat. Sie haben dann nahezu täglich für weitere Irritationen gesorgt. In einem für den Auftrag und die Truppe entscheidenden Moment fehlen wieder Klarheit und Durchsetzungsfähigkeit. Ich wundere mich schon, dass Sie hier nichts zu der aktuellen Debatte über diese Sechs-MeilenZone sagen. Herr Minister, das hätte in diese Debatte gehört. ({9}) Wir stellen fest, der Libanon stellt Bedingungen. Ich hätte von Ihnen erwartet, dass Sie auch sagen: Diese Bedingung ist nicht akzeptabel, weil eine effektive Kontrolle und die Unterbindung von Waffenschmuggel es nicht zulassen, dass die libanesische Armee in einer Sechs-Meilen-Zone zuständig ist. Das sagen Ihnen alle Fachleute. ({10}) Beispielsweise hat Herr Gertz vom Bundeswehr-Verband deutlich gesagt, dass das nicht geht. Herr Minister, deswegen erwarte ich von Ihnen, dass Sie klar und deutlich sagen, dass das nicht infrage kommt. Solange die Einsatzregeln nicht klar sind und solange das Ziel eines Einsatzes, wie Sie es definieren, aufgrund der Rahmenbedingungen gar nicht erreichbar ist, ({11}) ist es unverantwortlich, deutsche Soldaten in Gefahr zu bringen. ({12}) Dazu erwarte ich eine klare Stellungnahme von Ihnen. ({13}) Ich möchte eine letzte Bemerkung zum Thema Afghanistan machen. Herr Minister, die Situation in Afghanistan - auch Sie haben das angesprochen - hat sich verschärft. Ich erwarte, dass wir im Deutschen Bundestag im Rahmen der Diskussion über die Verlängerung des ISAF-Mandats, das am 13. Oktober abläuft, endlich einmal darüber sprechen, ({14}) welche politischen Ziele und welche Ziele im Land eigentlich erreicht sein müssen, damit die Bundeswehr wieder abziehen kann. Das sind Fragen, die beantwortet werden müssen. Auch hierbei geht es um ein politisches Gesamtkonzept und eine Diskussion mit unseren Partnern. Das muss im Rahmen dieser Debatte im Deutschen Bundestag gewährleistet werden. Hierzu müssen wir alle Möglichkeiten nutzen, auch Gespräche beispielsweise in Afghanistan. Sie waren dort. Sie haben die Truppe besucht. Sie waren nicht in Kabul. Das ist einer der weiteren großen Fehler Ihrer Amtszeit. Herr Minister, in der heutigen Debatte geht es nicht nur um die Einbringung des Haushalts 2007, sondern auch um die Bilanz über ein Jahr Regierungstätigkeit. ({15}) Eine klare Linie ist nicht erkennbar. Sie stolpern von einem Einsatz in den nächsten. Die dringend nötige Grundsatzdebatte über Kriterien für einen Auslandseinsatz, die eigentlich anhand des Weißbuchs geführt werden müsste, haben Sie durch desaströses Management und unnötige Alleingänge an die Wand gefahren. Deshalb bitte ich die Bundeskanzlerin um eine Regierungserklärung zur Sicherheitspolitik. Die Bundeswehr und die Sicherheitspolitik sind zu wichtig, um sie weiter einem angeschlagenen Minister allein zu überlassen. Vielen Dank. ({16})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Rainer Arnold von der SPD-Fraktion. ({0})

Rainer Arnold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003029, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Für uns Verteidigungspolitiker ist es eine neue Erfahrung, dass in einer solchen Haushaltsdebatte eigentlich durchgängig von morgens bis abends über deutsche Sicherheits- und Verteidigungspolitik gesprochen wird. ({0}) Das begrüßen wir. Das spiegelt auch die Veränderung in der Welt, in der Staatengemeinschaft wider. Frau Homburger, die sicherheitspolitische Welt, die sich rasant verändert, verändert sich nicht nach den Vorgaben der FDP. Das können Sie nicht steuern. ({1}) Sie machen es sich hier in einer Art und Weise leicht mit der Kritik, dass ich das, was Sie an Pfeilen losgesendet haben, zurückgeben will. Sie erheben hier den Vorwurf, Deutschland isoliere sich durch sein internationales Engagement in der internationalen Staatengemeinschaft. Darüber müssen Sie in Ihrer Partei schon noch einmal nachdenken. ({2}) Würden wir Ihren Ratschlägen folgen, wäre Deutschland in der Staatengemeinschaft allein ({3}) und würde sich nicht mehr mit seinen Freunden und Partnern auf gemeinsame Vorgehensweisen gegen geRainer Arnold meinsam erkannte Risiken verständigen. Das wäre unverantwortlich. Wenn Sie genau nachdenken, werden Sie merken, dass Sie inzwischen manchmal doch nahe an der Argumentation der Kollegen der PDS bzw. der Linken sind. Da würde ich mich an Ihrer Stelle schon fragen, ob ich nicht etwas falsch mache. ({4}) Als ich heute Morgen den Sprecher aus dem Saarland gehört habe, ist mir eingefallen, dass Willy Brandt - vielleicht haben wir ihn mal gemeinsam geschätzt gesagt hat: links und frei. Er hat aber nicht gemeint: frei von Verantwortung. Diese Art der Politik „frei von Verantwortung“ betreiben diese beiden Oppositionsparteien, Linke und FDP, gerade miteinander. ({5}) So viel zum Einstieg. Wir alle merken, was sich auch für die Bundeswehr verändert hat. Wir haben in den Einsatzgebieten veränderte Bedingungen und neue Aufgaben. Das gilt in hohem Maße für die Sicherheitslage in Afghanistan. Bei allen Erfolgen, die der Außenminister heute hier zu Recht beschrieben hat, gibt es keinen Grund, um die eigentlichen Probleme herumzureden. Im Süden des Landes herrscht in diesen Tagen letztlich wieder Krieg. Auch wenn es noch keine Irakisierung des Landes gibt, die Methoden sind in Afghanistan die gleichen wie im Irak: Sprengstofffallen, Selbstmordattentäter und vieles andere mehr. Dass dies auch im Norden durchschlägt, macht die Arbeit für die Soldaten und für die Bundeswehr dort nicht einfacher. Deshalb ist es selbstverständlich, dass wir Politiker, aber auch die Truppe selbst, immer wieder darüber nachdenken, wo dieses Mandat ein Stück weit nachgebessert und neu justiert werden muss, wo neue Fähigkeiten benötigt werden, wo zusätzlicher Schutz für die Soldaten erforderlich ist. Aber am Ende bleibt doch die Erkenntnis, dass dieser Auftrag wirklich ohne Alternative ist. ({6}) Wenn wir diesen Auftrag nicht hinbekommen, fragen uns die Menschen eines Tages: Warum habt ihr zugelassen, dass sich Drogenkartelle, Terroristenausbildungscamps und schlimmste Menschenrechtsverletzungen unter euren Augen wieder ausgebreitet haben? - Das wäre die Frage, die uns die nachfolgenden Generationen stellen würden. Deshalb sage ich ausdrücklich: Wir müssen und werden alles tun, damit dieses Mandat zum Erfolg geführt wird. Ich weiß, dass das nicht primär eine militärische Aufgabe ist. Es ist wichtig, dass die Soldaten das bekommen, was sie brauchen. Sie haben dort 480 geschützte Fahrzeuge. Es ist also keinesfalls so, dass wir sie ohne Schutz und alleine lassen. Wir wissen, dass das Basislager verstärkt werden muss. Aber entscheidend bleibt: Wenn es uns nicht gelingt, die Lebensbedingungen der Menschen in Afghanistan wirklich zu verändern, wenn es uns nicht gelingt, zu erreichen, dass die Menschen in den Dörfern etwas anderes hören und erfahren als islamistische Propaganda, dann wird das Mandat am Ende nicht erfolgreich sein. Wir brauchen eine sehr viel stärker vernetzte Debatte über den politischen und ökonomischen Prozess in Afghanistan. ({7}) Wir werden in der nächsten Sitzungswoche ausführlich Gelegenheit haben, diese ein Stück weit zu verbreitern. Ich denke, das ist die richtige Antwort angesichts der Herausforderungen. Die zweite neue Herausforderung, die wir haben, ist das Mandat im Kongo. Bei allen Schwierigkeiten - aber wir sind ja dort, weil es schwierig ist - ist der Wahlprozess wie geplant verlaufen. Die Entsendung der europäischen Truppe war richtig. Eines hat sich doch gezeigt: Beim Aufkeimen von Unruhen hat sich die These der Staatengemeinschaft, dass eine stabile Gruppe benötigt wird, die möglicherweise von außen noch verstärkt werden kann, bestätigt und damit hat sich die Entsendung bewährt. Deshalb gibt es keinen Grund für Veränderungen. Noch weniger Grund gibt es, schon jetzt über eine Verlängerung des Mandats zu diskutieren. Ich glaube, dass die Verlässlichkeit bezüglich der Einhaltung des Mandats von vier Monaten für die Soldaten in der Truppe, aber auch für die deutsche Öffentlichkeit ein sehr hohes Gut ist. Wenn die Situation sich wirklich verändert, dann muss auch in New York neu nachgedacht werden, wie MONUC ausgestaltet wird. Wir würden gern zu den im Einsatzbeschluss vorgesehenen vier Monaten stehen. Dies ist für die Verteidigungspolitiker natürlich ein sehr wichtiger Punkt. Frau Homburger, wenn Sie hier immer die angeblich fehlenden politischen Konzepte anmahnen, ({8}) dann ist das keine Kritik am Verteidigungsminister und auch keine Kritik an der Bundesregierung. Es ist eine anmaßende Kritik der Weltmacht FDP an allen internationalen Organisationen und der internationalen Staatengemeinschaft insgesamt. Die Konzepte für den Kongo - dieses Mandat ist ja nur ein kleines Mosaiksteinchen; es gibt ein breites Konzept für den Kongo - und für Afghanistan müssen hinterfragt und auch verändert werden. Ihre Kritik richtet sich in einer überheblichen Art und Weise an all die Akteure, ({9}) die sich in der internationalen Politik um diese Prozesse bemühen. Ich halte die Kritik wirklich für absolut nicht in Ordnung. Es gibt eine dritte Veränderung - sie wurde schon angesprochen -, und zwar den möglichen Einsatz im Libanon. Wir wissen alle, dass das in erster Linie eine humanitäre Aufgabe ist, die schnell angegangen werden musste. Das Blutvergießen dort musste gestoppt werden. Der Maßstab, nach dem wir entscheiden, sollte nicht so sehr die historische Verantwortung sein. Die haben wir; ganz klar. Daraus kann man aber zwei unterschiedliche Erkenntnisse ziehen: Man kann sagen, wegen unserer Geschichte müssen wir uns dort heraushalten. Aber genauso ethisch ist es zu sagen, gerade wegen unserer Geschichte müssen wir uns dort engagieren. Deshalb ist mein Maßstab - und ich denke, auch der vieler Kollegen - die Frage: Können wir einen ernsthaften Beitrag zur Stabilisierung in dieser Region leisten? Können wir kurzfristig einen ernsthaften Beitrag zum Beenden des Blutvergießens leisten und langfristig einen Prozess mit unterstützen, der zu einer nachhaltigen Friedenslösung führt? Ich glaube, wenn wir gefragt werden und das Mandat so ausgestaltet wird, dass es wirksam ist, dann wird es keinen Dissens geben und dann werden alle dieses Mandat unterstützen, auch der Verteidigungsminister. ({10}) Dann werden wir am Ende gut daran tun, diese Aufgabe zu übernehmen. All diese Veränderungen werden sich natürlich auf die Bundeswehr auswirken. Ich glaube nicht, dass die Reform deshalb falsch ist. Aber wir haben ein objektives Problem: Die Reform zielte auf das Jahr 2010 ff. ab; die Welt hat sich aber schneller verändert. Deshalb glaube ich, dass wir sehr sorgsam miteinander über die Frage reden müssen: Welche Veränderungen sind kurzfristig erforderlich? Ich würde es für richtig halten, wenn wir sorgsam die Fragen untersuchen: Welchen zusätzlichen Schutz braucht die Truppe? Was kann die Truppe aus eigener Kraft noch zusätzlich erwirtschaften? Es gilt sicherlich das Prinzip, dass man das Geld nur einmal ausgeben kann, aber es lohnt sich schon, zweimal darauf zu gucken, wie man es ausgibt. Ich persönlich glaube allerdings, dass das Strecken von Investitionen, das Setzen von Prioritäten in den letzten Jahren sehr gut und schlüssig war und dass es daher nicht mehr viel Spielraum geben wird. Auch wenn wir über 600 Millionen Euro für Auslandseinsätze vorgesehen haben, gehe ich davon aus, dass dieses Geld am Ende für die neuen Aufgaben nicht reichen wird. Ich wäre auch nicht damit zufrieden, wenn die Bundeswehr gerade so mal eben alle diese Aufträge erledigen kann. Soll die Truppe auch in Zukunft ein Instrument der Außen- und Sicherheitspolitik sein, muss sie auch weitere Spielräume haben und darf in diesem Bereich nicht von vornherein Einschränkungen unterliegen. Ich glaube, wir sind gut beraten, wenn wir sehr konzentriert, projektbezogen quantifizierbar im Etat nachsteuern und die Dinge beschaffen, die notwendig sind. Das ist der richtige Prozess, der dann auch nicht die befürchteten Kaskaden bei den anderen Ressorts wecken wird mit der Folge, dass die Begehrlichkeiten überall steigen. Ich glaube, diesen Weg sollten wir miteinander gehen. Der Verteidigungsminister hat hierbei unsere volle Unterstützung. Nach wie vor gelten die folgenden vier Grundsätze: Erstens. Die Reform der Bundeswehr war richtig. Wir müssen sie jetzt aber auch durchhalten. Zweitens. Wir sehen allerdings, dass es schneller gehen muss. Nicht alles kann man der Politik an den Hut hängen; auch die Industrie ist manchmal langsamer, als wir uns wünschen - das muss man ganz deutlich sagen -, und enttäuscht uns gelegentlich auch. Es kann auch nicht alles mit der Bereitstellung von Mitteln geklärt werden. Hubschrauberpiloten und qualifizierte Ärzte kann man nicht einfach kaufen. Das braucht seine Zeit. Drittens. Die Koalition hat im Koalitionsvertrag vereinbart: Wir werden für die Auslandseinsätze die notwendigen Ressourcen bereitstellen. Dieser Koalitionsvertrag gilt. Viertens. Wir werden - ich sagte es schon - dafür sorgen, dass die Bundeswehr als Instrument für den Spielraum in der internationalen Politik erhalten bleibt. ({11}) Bei all diesen Diskussionen vergessen wir nicht die Menschen in der Truppe. Wir müssen die Attraktivität steigern. Wir müssen jetzt das Personal für morgen anwerben. Wir müssen uns jetzt Gedanken darüber machen, dass es bei einem veränderten Arbeitsmarkt für die Bundeswehr nicht einfacher wird, qualifiziertes Personal zu bekommen. Wir müssen jetzt auch darüber nachdenken, ob Zeitsoldaten nicht vielleicht ein bisschen länger dienen sollten. Ich halte das für richtig. Ich halte auch die Feststellung des Ministers für richtig, dass wir in der Frage der Wehrpflicht das Thema Dienstgerechtigkeit im Hinterkopf haben müssen. Das darf am Ende aber auf keinen Fall zulasten der Zahl der Zeit- und Berufssoldaten gehen. An diesen Stellschrauben entlang gilt es zu diskutieren. Eines wissen wir aber auch: Alle diese materiellen Fragen sind wichtig, aber wir brauchen in unserer Gesellschaft eine breite Debatte über die Legitimation von Auslandseinsätzen. Das Weißbuch kann dazu einen Beitrag leisten. Ich appelliere deshalb sehr dafür, den Fokus auf diese Frage und nicht so sehr auf eine Vermengung zwischen äußerer und innerer Sicherheit zu legen. Wir werden das tun müssen, was der Minister sagt, nämlich die Einsätze in der Luft und auf See verfassungsmäßig regeln. Dann ist es aus sozialdemokratischer Sicht aber auch gut. Wir müssen den Fokus auf die Frage der Legitimation legen. Ich glaube, es ist nicht so schwer, diese Debatte zu führen. Ich habe heute hier ein paar Mal die Forderung nach einem Kriterienkatalog gehört. Einen solchen Katalog mit Häkchen für einen Einsatz wird es nicht geben können. ({12}) Aber etwas muss geben. ({13}) - Das sage ich doch gerade, Frau Homburger. - Man muss sich die Maßstäbe, nach denen wir entscheiden, noch einmal klar machen. Diese Maßstäbe beruhen bei allen Einsätzen auf drei Säulen: Die erste Säule ist die ethische Verantwortung. Wir dürfen nicht wegsehen, wenn Menschen in der Welt in Bedrängnis sind, wenn Massenmord und Völkermord drohen. Das ist eine Legitimation für Auslandseinsätze. Die zweite Säule ist die Frage von Interessen. Dabei geht es nicht um partikulare nationale Interessen, sondern um gemeinsame europäische Interessen. Frieden im Libanon und im Kongo liegt im Interesse eines jeden vernünftigen Menschen auf der ganzen Welt. Bei der Gewichtung von Interessen müssen wir aber auch fragen: Wo hat Deutschland eine besondere Verantwortung in der Welt, vielleicht weil das Krisengebiet in der Nähe liegt oder aufgrund unserer besonderen Geschichte? Für andere Länder stellen sich diese Fragen im Zusammenhang mit ihrer Verantwortung gegenüber früheren Kolonien. So definiert würde die Debatte um Interessen eine richtige Debatte. Wir sollten den Fehler vermeiden, ökonomische Interessen missverständlich herüberzubringen. Den Zugriff auf Ressourcen mit militärischer Gewalt will niemand hier. Aber es geht um ökonomische Interessen in folgendem Sinne: Die Stabilität im Kongo - um dieses Beispiel zu nennen - ist eine Voraussetzung dafür, dass die deutsche Wirtschaft die Türen geöffnet bekommt und mit einem fairen Handel beginnen kann, der letztlich den Menschen im Kongo hilft und verhindert, dass mafiöse Strukturen dieses Land ausbeuten. Insofern geht es auch um ökonomische Interessen. ({14}) Die dritte Säule schließlich kommt in der Legitimation der deutschen Politik oftmals vielleicht zu kurz. Es gibt auch ein politisches Interesse für Einsätze. In der Vergangenheit haben wir die ethisch-moralische Frage manchmal ein bisschen überhöht. Vielleicht war dies aufgrund der deutschen Geschichte auch notwendig; es war nicht einfach, plötzlich in den Kongo zu ziehen. Dies hat es manchmal nicht leichter gemacht. Aber natürlich war der Einsatz in Osttimor in erster Linie politisch und nicht operativ begründet.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Arnold, denken Sie an Ihre Zeit.

Rainer Arnold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003029, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, ich komme zum Ende. - Ich halte es für richtig, dass wir uns zu diesem politischen Interesse bekennen. Denn dieses wirtschaftsstarke, wichtige Land in Mitteleuropa muss den Anspruch haben, bei internationalen Prozessen mit am Tisch zu sitzen, sie mitzugestalten und mitzudiskutieren. Wenn ich dies alles werte, muss ich feststellen: Die Linken haben Recht: Die Bundeswehr ist eine Interventionsarmee geworden. Sie interveniert für Frieden auf der Welt und nicht, um jemandem etwas wegzunehmen. Die Bundeswehr ist seit 50 Jahren die Armee für Frieden und Freiheit. Darauf bauen ihr Auftrag, ihre Struktur, ihre Aufgaben auf. In diesem Sinne begreifen auch die Soldaten ihren Dienst. Das gilt für diejenigen, die zu Hause in den Kasernen ihre Arbeit verrichten. Das gilt aber besonders für diejenigen, die an den schwierigen Auslandseinsätzen teilnehmen. Das ist eine Belastung, eine Gefahr für die Familien.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Arnold!

Rainer Arnold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003029, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich möchte mich am Ende

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nein, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.

Rainer Arnold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003029, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

- bei den Soldaten und allen Mitarbeitern der Truppe für dieses Engagement recht herzlich bedanken und bei Ihnen für die Geduld, mit der Sie mir zugehört haben. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Paul Schäfer von der Fraktion Die Linke. ({0})

Paul Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003833, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass der Bundesfinanzminister, wenn es um öffentliche Ausgaben geht, eher knausert, ist bekannt. Dass deshalb ein Fachminister, wenn sich das steinbrücksche Füllhorn über ihm öffnet, als Franz Josef im Glück vorkommen muss, kann ich nachvollziehen. Ob sich allerdings die Bürgerinnen und Bürger mit dem Minister über diese Entwicklung freuen können, steht auf einem ganz anderen Blatt. In den Verteidigungsetat werden 480 Millionen Euro mehr eingestellt. Das ist kein Pappenstiel. Warten wir erst einmal ab, aus welchen Töpfen der Libanoneinsatz bezahlt wird. Wir haben eben gehört, das Geld reiche nicht. In der Tat ist schon eingeplant, bis 2011 1 Milliarde Euro draufzupacken. Jeder Euro kann nur einmal ausgegeben werden. Die über 400 Millionen Euro, die Sie jetzt allein für die Munitionsbeschaffung vorsehen, fehlen natürlich für Infrastrukturinvestitionen, die Bildung oder die Gesundheitsreform. Der Kollege von Klaeden von der Union hat jetzt gefordert, uns der NATO-Maßgabe hinsichtlich des Anteils der Rüstungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt Paul Schäfer ({0}) anzunähern. Wir liegen gegenwärtig bei 1,21 Prozent. Die NATO-Vorgabe lautet: 2 Prozent. Da sollen wir also hin. Das ist nun wirklich kühn. Aber es ist folgerichtig, wenn in diesem Zusammenhang vorsichtig angedeutet wird, dass wir uns bestimmte Dinge wohl nicht mehr leisten können, weil wir viel mehr in die Sicherheit investieren müssen. Beispielsweise eine Rente, die den Lebensstandard sichert, ist dann einfach nicht mehr drin. Mehr als 60 Prozent der Deutschen sind der Meinung, dass wir, bevor wir die Bundeswehr überall hinschicken, erst einmal die hiesigen wirtschaftlichen und sozialen Probleme lösen müssen. Diese Meinung muss man nicht teilen. Aber es entspricht den Erfahrungen vieler Menschen, dass für die Anschaffung von neuen Panzerhaubitzen problemlos Geld bereitgestellt wird, während die Mittel für die öffentliche Förderung von Schulbussen - ich rede von den Regionalisierungsmitteln im ÖPNV zusammengestrichen werden. Friedensgruppen sammeln derzeit Unterschriften unter der Überschrift „Spart endlich an der Rüstung“ ({1}) und fordern Abrüstung statt Sozialabbau. Die Linke unterstützt diesen Aufruf. ({2}) Auch wenn der inflationäre Gebrauch des Wortes „Transformation der Bundeswehr“ suggeriert, es gebe ein langfristiges, stringentes und durchdachtes Konzept für die Modernisierung der Bundeswehr: Dieses Konzept gibt es nicht. Was Sie hier machen, ist Stückwerk auf hohem Niveau. Vorwiegend aus rüstungswirtschaftlichen Gründen werden Projekte durchgezogen, die nicht mehr in die heutige Zeit passen, die aber auf lange Jahre hinaus die Möglichkeiten des Gesetzgebers, das heißt unsere Möglichkeiten, zur Haushaltsgestaltung einschränken. Allein die Verpflichtungsermächtigungen für neues Kriegsgerät belaufen sich derzeit auf 25 Milliarden Euro. Es ist praktisch ein gesamter Verteidigungsetat, der dadurch festgelegt wird. Zu den Rüstungsantiquitäten gehören das Panzerabwehrrakentensystem PARS III, bestellt und entwickelt in den 80er-Jahren - ein Schuss Munition aus dieser Waffe kostet die Kleinigkeit von 1 Million Euro -, das Raketenabwehrsystem MEADS, der Schützenpanzer Puma, aber auch die 180 Eurofighter. Als Relikt des Kalten Krieges ist auch die Tornado-Bomberstaffel anzusehen, die bereit steht, um gegebenenfalls atomare Waffen der USA einzusetzen. Es ist ein gefährlicher Unsinn, wenn Sie, Herr Minister, nach dem Motto „So haben wir es gestern gemacht; so machen wir es auch heute und morgen“ in Ihrem Weißbuchentwurf an dieser Doktrin festhalten. Wir wollen keine nukleare Teilhabe und wir brauchen sie auch nicht, um in der Nato in atomaren Angelegenheiten mitreden zu können. Diese Flugstaffel kann aufgelöst werden. ({3}) Aus den Einsatzszenarien des Kalten Krieges stammen auch die Cluster- und Streubomben, deren verheerende Wirkung wir gerade im Libanon gesehen haben. Sie werden von der Bundeswehr noch vorgehalten. Dieses gesamte Arsenal sollte unverzüglich ausgemustert und vernichtet werden. ({4}) Um das zusammenzufassen: Ihre Losung scheint zu lauten: Wir wollen alles, die alten schweren Waffensysteme und Plattformen, zweites Los U-Boote, neue Fregatten, Korvetten. Sie wollen die beste Hightech-Ausrüstung und Sie wollen die maximalen Anforderungen der Nato für alle denkbaren Einsatzspektren bedienen. Eine wirkliche Konzeption der Streitkräfte sieht meiner Überzeugung nach ganz anders aus. Es wäre rational, dabei auch an tiefe Einschnitte in die vorhandenen Waffenarsenale zu denken. Die Wahrheit ist nämlich: Rüstungsbarock können wir uns nicht mehr leisten. Dass eine solche Konzeption mit Überlegungen über die Umwidmung militärischer Potenziale für zivile Zwecke verknüpft werden muss, das liegt auf der Hand. Wir müssten also auch einmal wieder über Konversion reden, Konversion bei Liegenschaften, Personal, Rüstungsproduktion. Wir werden jede Initiative unterstützen, die in dieser Richtung aktiv wird. Dies gilt nicht zuletzt für die Bürgerinitiative, die sich für eine alternative Nutzung des Bombodroms in der Wittstocker Heide einsetzt; das werden wir unterstützen. ({5}) Ferner werden wir beantragen, in diesem Einzelplan gut 2 Milliarden Euro einzusparen und die frei werdenden Mittel in Konversionsmaßnahmen, in den zivilen Friedensdienst, in die Friedensforschung und nicht zuletzt in die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit zu stecken. Da sind wir auch in guter Gesellschaft. Der ehemalige amerikanische Präsident Bill Clinton wird heute von den Nachrichtenagenturen mit den Worten zitiert, dass eine deutliche Aufstockung der Entwicklungshilfe doch entschieden billiger sei, als in den Krieg zu ziehen. Wo der Mann Recht hat, hat er Recht. ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme auf einen Punkt zurück, den ich eingangs erwähnt habe: Die Deutschen sind überwiegend skeptisch bis kritisch, wenn es um Bundeswehreinsätze wie im Kongo oder jetzt im Libanon geht. ({7}) Steigende Rüstungslasten sind gewiss nicht das, was sie wünschen. Ich muss leider feststellen, dass im Gegensatz dazu der Hauptstrom der Meinungsmacher bei der Losung „Mehr Geld für die Bundeswehr“ einen gewissen Paul Schäfer ({8}) Sexappeal entdeckt hat. Ich wundere mich nur, dass dieselben Autoren im gleichen Atemzug sagen: Es gibt Klärungsbedarf: Wo gehen wir mit der Bundeswehr hin? Warum? Was liegt in unserem Interesse, was nicht? Wenn wir nicht überall dabei sein können und wollen - andere tun das ja auch nicht -: Nach welchen Kriterien entscheiden wir über deutsche Beteiligung? Wo hat militärisches Krisenmanagement geholfen, wo versagt? ({9}) - Das sind Fragen, die sich alle stellen müssen; völlig klar. Ich denke nur: Man darf nicht den zweiten Schritt vor dem ersten tun, lieber Kollege Nachtwei. Wenn man für mehr Auslandseinsätze und auch für mehr Geld für die Rüstung ist und erst danach fragt: „Wozu?“, ist das etwas abstrus. Richtig ist: Deutschland ist wichtig in der Welt; das internationale Engagement der Deutschen ist wichtig. Aber richtig ist damit noch lange nicht, dass wir überall militärisch dabei sein müssen. Bewaffnete deutsche Soldaten im Nahen Osten - das ist heute auch schon ein paarmal gesagt worden -, das ist nicht nur hoch riskant. Vielmehr würden sie auch einen Problemfaktor darstellen. Wenn es daneben ginge, könnte das auch unsere besonderen Möglichkeiten zur Konfliktvermittlung gefährden. Deshalb sagen wir: Wir sollten uns auf unseren Beitrag zu diesem politischen Friedensprozess ({10}) und zu einer Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Nahost konzentrieren. Deshalb sagen wir: UNO-Mission ja, aber deutsche Beteiligung nein. Dass wir uns beschränken müssen, gilt erst recht für die Rüstungsexportpraxis. Wenn ich das richtig sehe, scheint diese Regierung aber mit dem Grundsatz, dass man keine Waffen in Spannungsgebiete liefern darf, endgültig brechen zu wollen. Der Waffenhandel mit Indien kommt in Schwung. Während man auf der einen Seite Waffenlieferungen an die Hisbollah unterbinden will, bekommt Israel zwei U-Boote zum Subventionspreis. Es tut mir leid: Das ist keine Friedenspolitik. ({11}) Wir müssen darüber diskutieren, ob die Voraussetzungen für die weitere Erhöhung der Ausgaben für Rüstung und Bundeswehr gegeben sind. Dazu gehört an erster Stelle eine genaue und schonungslose Bilanz der bisherigen Bundeswehreinsätze. Auch das ist schon oft hier gesagt worden; wir müssen es nun endlich tun. Man könnte jetzt damit beginnen, darüber zu diskutieren, welche Kriegsziele im Kosovo ausgegeben wurden und was unter dem Strich geblieben ist. Ich will mir das an dieser Stelle ersparen. Tatsache ist jedenfalls: Die Zahl der Militäreinsätze nimmt zu, die Bundeswehr bleibt überall länger als vorgesehen und eine nachhaltige Befriedung ist oft nicht in Sicht. Daher muss doch die Frage nach alternativen Krisenlösungskonzepten gestellt werden dürfen. Dazu gehört zum Beispiel die Frage, ob man mehr hätte erreichen können, wenn man einen Teil der Summe von circa 9 Milliarden Euro, die seit 1992 für Auslandseinsätze ausgegeben wurden - ich lasse einmal die sächliche Umrüstung außen vor -, in Mittel für zivile Projekte der Konfliktbearbeitung gesteckt hätte. Sie setzen stattdessen auf ein „Weiter so!“. Ich glaube, dass das keine Antwort auf die Herausforderung der Zukunft ist. Dass diese Rechnung nicht aufgehen wird, zeigt die Entwicklung in Afghanistan. Alle sagen, die Sicherheitslage dort werde immer prekärer. Dabei liegen 80 Prozent des afghanischen Haushalts in den Händen fremder Mächte, die die Lage dort beeinflussen könnten. Afghanistan ist ein Protektorat der USA und in zweiter Reihe der UNO. Aber an dieser Stelle beginnt möglicherweise genau das Problem. Es bleibt ein Widerspruch, dass man durch extreme Fremdbestimmung zur Selbstbestimmung kommen will. Es funktioniert offenbar nicht so, wie sich manche Leute das State Building vorstellen. ({12}) Dazu braucht man ein klares Konzept. Besonders schlimm ist auch, dass es zwischen den Hauptakteuren offenkundig unterschiedliche Vorstellungen gibt, was Afghanistan betrifft. Nehmen wir einmal das Beispiel Drogen. Einigen Akteuren, Regierungen und NGOs, ist völlig bewusst, dass die Entwicklung von alternativen Erwerbsquellen in der Landwirtschaft - darauf kommt es an - ein länger andauernder Prozess ist. Wenn sich aber die gegenwärtige Linie weiter durchsetzt, nämlich eine rabiate und schnelle Bekämpfung des Drogenanbaus voranzutreiben, dann werden wir unweigerlich mit neuen sozialen Verwerfungen zu rechnen haben. Eine weitere Eskalation der Gewalt ist unausweichlich. Kollege Arnold, Sie sagen, dass es in Afghanistan ein Drogenparadies geben würde, wenn wir von dort abziehen. Aber die Drogenkartelle haben sich unter ISAF ausgebreitet. In diese Zeit fiel die Rekordernte. Das ist die Entwicklung in den letzten Jahren. Ich glaube aber, am aller schwersten wiegt, dass der von George Bush ausgerufene globale Krieg gegen den Terrorismus, der vor allem im Süden Afghanistans exekutiert werden soll, seine langen Schatten auf die Stabilisierungsversuche andernorts wirft. Statt weniger haben wir mehr Gewalt. Afghanische Menschenrechtler sprechen von einer „Entwicklung zurück“. Ein Vertreter der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit beklagt, dass die Paschtunen im Süden pauschal als Talibananhänger bekämpft worden seien; sie seien „mehr mit Bomben bedeckt worden als mit Entwicklungshilfe“. Ich finde, es ist schlicht fatal, wenn in dieser Lage die internationale Stabilisierungsmission ISAF und der Antiterrorkrieg mehr und mehr verquickt werden. Wenn ISAF-Soldaten jetzt Opfer von NATO-Luftangriffen werden, dann ist der Tritt auf die Notbremse angesagt. ({13}) Ich sage Ihnen voraus, dass diese Mission, wenn sich ISAF weiter amerikanisiert, nicht zu einem guten Ende geführt werden kann. Ich halte es für aberwitzig, wenn Paul Schäfer ({14}) jetzt unter diesen Bedingungen laut über eine erhebliche Verstärkung der Militärkontingente nachgedacht wird. Das heißt, die Karre noch mehr in den Sumpf zu reiten. Ich finde, das Mandat des Bundestages, das nicht ausschließt, dass Bundeswehreinheiten temporär im Süden eingesetzt werden können, kann so nicht bestehen bleiben. Sie tun gut daran, wenn Sie dem Parlament stattdessen Ende des Monats eine Ausstiegsstrategie vorlegen ({15}) und Vorschläge präsentieren, wie man die zivilgesellschaftlichen Kräfte im Lande selber stärken kann. Vor dem eben erörterten Hintergrund ist die Vorlage eines Weißbuches zur deutschen Sicherheitspolitik wie auch eine offene und breite Debatte darüber überfällig. Wir werden einige wichtige Aspekte in diese Diskussion einbringen: Erstens. Vernünftige Sicherheitspolitik muss sich darauf konzentrieren, gewaltförmige Konflikte im Vorfeld zu verhindern. Präventive Diplomatie ist angesagt. Zweitens. Wer darauf setzt, mehr Sicherheit durch militärische Stärke und Überlegenheit erreichen zu können, der ist auf dem Holzweg. Es gibt kein besseres Beispiel dafür als die Geschichte des Staates Israel. Drittens. Selbstverteidigung darf nicht in eine militärisch gestützte Durchsetzung außenpolitischer Interessen des Landes umdefiniert werden. Wir werden uns strikt gegen eine solche Grundgesetzänderung wehren. Wir sind für eine Begrenzung des Militärischen und nicht für die Entgrenzung. Viertens. Sicherheit gibt es nur, wenn die Grundlagen des Völkerrechts strikt beachtet und umgesetzt werden. Zu dem, was darüber im Weißbuch des Ministers steht, haben wir kritische Fragen. Fünftens. Die sich zuspitzenden Konflikte um die Verteilung knapper werdender Ressourcen in der Welt sind nur durch entschieden mehr Gerechtigkeit und durch einen multilateralen Interessenausgleich zu lösen, nicht mit Gewalt. Auch in dieser Hinsicht befindet sich das Weißbuch auf der völlig falschen Spur. Im Zusammenhang mit Ressourcen und Energiequellen müssen wir über regenerative Energien, über das Energiesparen und über die Diversifizierung unserer Bezugsquellen reden. Vor allem müssen wir endlich darüber reden, wie wir in der WTO und den internationalen Finanzeinrichtungen zu einer Wirtschafts- und Handelsordnung kommen, die eine gerechtere Güterverteilung in der Welt mit sich bringt. ({16}) Die Vorstellung, dass man unsere Ressourcen und unseren way of life mit Militär verteidigen kann, ist schlicht abwegig. Das wird im 21. Jahrhundert nicht mehr funktionieren. Streichen Sie zumindest das aus dem Weißbuch. Über den Rest können wir dann hart streiten. Danke. ({17})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Alexander Bonde, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Alexander Bonde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003509, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Verteidigungsminister hat in seiner Rede zu Recht an unsere internationale Verantwortung erinnert. Er hat, ebenfalls zu Recht, geschildert, an welchen Stellen der Erde deutsche Soldaten dieser Verantwortung nachkommen. Daran hat meine Fraktion nichts zu kritisieren, weil wir Sie in dieser Verantwortung durch Mandatierung der Soldaten oftmals unterstützt haben, auch wenn Sie uns das in letzter Zeit nicht immer einfach gemacht haben. Nicht einverstanden bin ich damit, dass Sie Ihre Rede zum Verteidigungshaushalt, den Sie erstmals verantworten, nicht genutzt haben, um darauf einzugehen, wie die Streitkräfte strukturell auf die veränderte internationale Situation reagieren können und wie die Bundeswehr insgesamt strukturell auf die zusätzlichen Belastungen reagieren kann. Sie haben keinerlei Ideen formuliert, wie die Struktur der Bundeswehr in Zukunft aussehen sollte. Sie haben sich kaum dazu geäußert, inwiefern die Veränderungen in der Welt in den letzten Jahren auch zu Veränderungen bei unseren Streitkräften hätten führen müssen. Sie haben sich nicht zu dem veränderten Bedrohungsszenario geäußert. Man hatte nicht den Eindruck, dass hier ein Minister spricht, dessen Haushalt in diesem Jahr um knapp eine halbe Milliarde Euro aufgewachsen ist. Dieses Geld ist offensichtlich schon lange in den Apparaten des Ministeriums versickert. Sonst hätten Sie hier nicht eine solche Betteltour antreten müssen. ({0}) Wir müssen festhalten, dass die Bundeswehr zwar viele Probleme hat, die Höhe der Finanzmittel aber mit Sicherheit nicht das größte ist. Das ist höchstens ein Symptom für die doppelte Krise, in der sich die Bundeswehr befindet: Sie befindet sich in einer Strukturkrise und zunehmend in einer Führungskrise. Beides hängt miteinander zusammen. Sie können kaum jemandem vermitteln, warum eine Armee aus 250 000 Soldaten bereits völlig am Limit angekommen ist, wenn sich 8 000 Soldaten im Einsatz befinden. Wir alle wissen, welche Infrastruktur an jedem eingesetzten Soldaten notwendigerweise dranhängt. Dennoch ist dieses Missverhältnis eklatant. Man kann es erklären: Spezialisten fehlen und die Struktur stimmt nicht. Man kann aber nicht erklären, warum sich die Politik so schwer tut, darauf zu reagieren. Herr Minister, Sie beteiligen sich seit Ihrem Amtsantritt nur als Beobachter der Planungen Ihres Vorgängers Peter Struck und vor allem als Bremser ebendieser Planungen. Sie sind nie für das eingetreten, was Ihre Aufgabe gewesen wäre: Es ist Ihre Aufgabe, die Bundeswehr in der nächsten Stufe auf die veränderte Situation einzustellen. Die Erklärungen lauten, es mangele an Spezialisten, sei es im Bereich Sanität, bei den Fernmeldern, Feldjägern oder auch bei den Transporthubschraubern. Das ist das Problem der Struktur und der Strukturanpassungen, die wir vermissen. Die SWP, die renommierte Stiftung „Wissenschaft und Politik“, kommt in ihrer Studie zu Recht zu dem Ergebnis: Die Rüstungsplanungen sind nicht an die Anforderungen der heutigen sicherheitspolitischen Lage angepasst. Das ist richtig. Strukturproblem Nummer eins der Bundeswehr ist, dass sie Vorbereitungen für Kriege trifft, die es nicht mehr gibt. Unter Ihre Ägide, Herr Verteidigungsminister, fällt das Comeback der Landesverteidigung; zumindest lesen wir es in Ihrem ersten Entwurf des Weißbuches so und deuten wir Ihre bisherigen Entscheidungen in der Bundeswehr so. Die wirklichen Bedrohungsszenarien werden bei der Modernisierung der Ausrüstung kaum berücksichtigt und wenn, dann nur am Rande mit zusammengekratzten Mitteln. Umzingelt von Freunden und gleichzeitig in der Situation, in der internationale Missionen Lebensrealität sind, kaufen Sie immer noch teure Waffensysteme, die ausschließlich der Landesverteidigung dienen. Es geht hier nicht nur um Beschaffungskosten, sondern auch darum, dass diese Dinge strukturbildend wirken. Denn jeder Eurofighter, den wir nicht brauchen und trotzdem kaufen, bindet nicht nur Gelder für den Kauf, sondern auch über Jahrzehnte für Unterhaltung und Betrieb. Das gleiche gilt für PARS III und für eine ganze Reihe anderer Maßnahmen, die Sie fortschreiben. Sie finden nicht den Mut, nun endlich neue Prioritäten bei den Beschaffungen zu setzen. ({1}) Strukturproblem Nummer zwei: die Wehrpflicht. Die Bundeswehr hat dieses Jahr erneut mehr in die Wehrpflicht investiert, obwohl wir wissen, dass wir für unsere Einsätze eine Armee aus Profis brauchen und keine Armee bestehend aus schnell ausgebildeten Kurzzeitsoldaten. Strukturproblem Nummer drei liegt in der Beschaffung. Ich habe es bereits angesprochen. Was ist eigentlich die Gesamtkonzeption für die Rüstungsplanungen? Wir erkennen vieles für die Landesverteidigung und wenig für das, worauf es wirklich ankommt. Im Sommer konnten wir Sie wieder einmal im Fernsehen bewundern. Sie waren beim BWB und im Hintergrund surrten munter gepanzerte VW-Touaregs durch die Landschaft. Es ist vielleicht richtig, dass es bei der Bundeswehr einen Mangel an geschützten Fahrzeugen gibt. Aber gleichzeitig erkennen wir in den konkreten Beschaffungsplanungen der Bundeswehr keine entscheidende Erhöhung der Stückzahl, sondern eine Ausweitung der unterschiedlichen Typen geschützter Fahrzeuge. Wenn die Bundeswehr etwas nicht braucht, dann sind es viele verschiedene Fahrzeugtypen mit zusätzlicher Logistik und einer zusätzlichen Bindung an Infrastruktur. Das führt nicht dazu, dass die Truppe besser einsetzbar ist. Vielmehr haben Sie einen größeren Apparat und vor allem Auslastungen in der Rüstungsindustrie geschaffen. Sie haben dort wieder Exportargumente geschaffen, die aber unsere konkrete Einsatzsituation nicht verbessern. ({2}) Strukturproblem Nummer vier. Ihr Vorgänger hat die Transformation angeschoben; nicht immer so sehr, wie wir es uns gewünscht hätten. Aber unter Ihnen herrscht bei der Modernisierung, bei der Kooperation mit der Wirtschaft und bei der Frage, wie man effizient mit Geld umgehen kann - mit PPP, zum Teil auch mit Outsourcing und Privatisierung -, die Parole: Das Imperium schlägt zurück. Die GEBB ist in ihrer Kompetenz beschnitten. Die Modernisierungsstrategie wird an das Ministerium zurückverlagert, in dem die Leute sitzen, die am wenigsten Interesse an der Modernisierung haben. Bei den Truppenküchen haben wir es erfolgreich geschafft, einen Feldversuch gegen die Wand laufen zu lassen. Auch hinsichtlich des Facilitymanagements hat man nicht den Eindruck, dass Modernisierung in diesem Ministerium groß geschrieben wird. Damit sind wir bei Strukturproblem Nummer fünf: dem Minister, der diese Politik zu verantworten hat. Ich finde es richtig, festzustellen, dass die Bundeswehr in vielen Auslandseinsätzen Belastungen aushält. Wir müssen uns ehrlich fragen, wie viele Kriseneinsätze wir uns noch leisten können. Aber, ich finde, ein Krisengebiet können wir uns auf keinen Fall länger leisten, nämlich die Krise im Bendlerblock, also die Führungskrise an der Spitze des Ministeriums. Denn keines der strukturellen Probleme wird vom Minister wirklich angegangen. Es gibt keine stimmige Analyse und keine stimmige Idee der Transformation. Es ist Stückwerk; es sind Folgen und Bremsen von Plänen aus Peter Strucks Amtszeit. Da der Minister in den letzten Wochen zielsicher jeden Fettnapf angesteuert hat, wird man immer wieder gefragt: Muss so ein Minister nicht eigentlich zurücktreten? Ich finde es sehr schwierig, auf diese Frage zu antworten. Denn wie soll jemand zurücktreten, der mentale Schwierigkeiten hat, das Amt mental gar nicht angetreten hat? Was sind Ihre politischen Akzente? Sie wollen bei der Wehrpflicht wieder draufsatteln und haben auch hier wieder über den Heimatschutz und die Frage des Einsatzes der Bundeswehr im Innern gesprochen. Das Hin und Her bei den Einsätzen ist hinreichend benannt. Wenn etwas schief lief, haben Sie bisher die Strategie verfolgt, Ihre Informationspolitik restriktiv zu gestalten und uns, das Parlament, immer später zu informieren, wenn überhaupt. Ich glaube, das schadet der Zustimmungsfähigkeit zu einer gemeinsamen und verantwortbaren Außen- und Sicherheitspolitik und trägt nicht dazu bei, dass wir als Opposition Ihnen mit gutem Gewissen folgen können. ({3}) Inzwischen sind auch aus den Reihen der Koalition hinreichend viele Äußerungen zu vernehmen, die bestätigen, dass es sich hierbei nicht nur um ein Problem der Opposition handelt. ({4}) Ein schwacher Minister ist ein Problem für die Sicherheitspolitik. Aber ein genauso großes Problem ist eine Kanzlerin, die zu schwach ist, ({5}) daraus Konsequenzen zu ziehen und diesen Minister dementsprechend zu behandeln. ({6}) - Herr Kampeter, Sie und ich wissen doch, dass die Kanzlerin aus Rücksichtnahme auf Roland Koch überhaupt nicht daran denken darf, diesen Minister anzutasten. ({7}) Ich komme zum Schluss. Vielleicht können wir es uns in den Einsatzgebieten leisten, der Bundeswehr zuzumuten, mit Ministern umgehen zu müssen, die ihre Funktion der Loyalität zu lokalen Stammesfürsten und Warlords verdanken. Wenn es aber um die Spitze des eigenen Ministeriums geht, können wir das nicht tun. Herzlichen Dank. ({8})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollege Hans Raidel, CDU/CSUFraktion.

Hans Raidel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001768, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Minister, zuerst darf ich mich sehr herzlich bei Ihnen dafür bedanken, dass Sie die Probleme ganz klar, offen und deutlich ansprechen. Ich wünsche mir, dass Sie auch weiterhin allen Winden trotzen. Lassen Sie sich nicht beirren. Lieber Herr Kollege Bonde, es kann sich keiner mehr blamieren, als dass man ihn reden lässt. Das haben Sie in hervorragender Weise geschafft. ({0}) Frau Kollegin Homburger, wenn man Ihnen zuhört, sehnt man sich nach unserem ehemaligen und großartigen Kollegen Günther Nolting zurück. Das waren noch Zeiten in der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik. ({1}) Meine Damen und Herren, ich möchte mich heute der Transformation der Bundeswehr, die im Mittelpunkt steht, und den Strukturfragen zuwenden. Die Behauptung, wir wüssten nicht, wohin die Reise gehen soll, ist ganz einfach falsch. In unserer Arbeitsgruppe, aber auch gemeinsam mit den Kollegen von der SPD - das wurde in den Redebeiträgen deutlich - haben wir uns sehr wohl mit den Strukturfragen befasst, auch gemeinsam mit dem Ministerium. Wir wissen, wie der derzeitige Sachstand ist und welche neuen Perspektiven folgen müssen. Deshalb waren wir übereinstimmend der Meinung, dass jetzt der Zeitpunkt gekommen ist, erneut Bilanz zu ziehen. Herr Minister, Sie selbst haben neulich angeboten, jetzt alles auf den Prüfstand zu stellen, um entscheiden zu können, was gut ist und beibehalten werden kann und was neu justiert werden muss. Wir sind gerne bereit, diese Schritte nun gemeinsam zu gehen. Zur Transformation der Bundeswehr gibt es keine Alternative. Wir sind sogar der Auffassung, dass sie beschleunigt werden muss, um den internationalen Ansprüchen insgesamt gerecht werden zu können. Natürlich steht bzw. fällt das Ziel der Modernisierung mit der Finanzlinie; auch das ist unbestritten. Der Entwurf des Haushalts 2007 weist in die richtige Richtung. Aber man muss offen eingestehen: Im Lichte der Transformation hat er, genauso wie der Haushalt 2006, ein enges Korsett. Jetzt muss man ganz objektiv zur Kenntnis nehmen: Mit der Transformation wurde vor vier Jahren begonnen. Damals hat man in den Finanzlinien Perspektiven zugestanden, aber man hat sie nie eingehalten. Das sind die Fakten, das sind die Tatsachen. An diesen Dingen haben wir noch heute ein bisschen zu knabbern, wenn man von Versäumnissen spricht. Wie ist denn der Sachstand? Die Bundeswehr hat die nötigen Rahmenbedingungen bei Umfang, Struktur und Stationierung und bei der Aussonderung von Gerät geschaffen. Wir haben gemeinsam festgestellt, dass wir an dieser Grundstruktur festhalten wollen, weil die Richtung nun insgesamt stimmt. Sie haben dazu ein Stichwort herausgegriffen, nämlich die Stationierungsplanung. Wenn wir den Betrieb aber insgesamt sehen, dann müssen wir natürlich feststellen, dass bei den Streitkräften im Betrieb nicht mehr allzu viel zu holen ist; denn die Kosten für die Einsätze, die Erhöhung der Mehrwertsteuer, die Versorgungsausgaben, der nicht planmäßig verlaufende Abbau des Zivilpersonals - da haben wir ein Problem -, die höheren Kosten für den Betrieb des zulaufenden modernen Geräts und steigende Energiepreise sind natürlich neue Risiken für die Betriebskostenbetrachtung insgesamt. Da könnte möglicherweise ein Mehrbedarf entstehen. Hierbei kommt es darauf an, wie der Haushalt nun insgesamt gefahren wird. Ein Risiko sehe ich natürlich auch bei den Investitionen. Sie alle wissen, dass wir bei den Investitionen ein Problem auf der Zeitachse haben. Wir wollen das im Lichte der letzten Entwicklungen neu betrachten und werden als Verteidigungspolitiker natürlich einfordern, dass die Investitionslinie neu nach oben korrigiert wird. Ohne das Ansteigen dieser Linie ist es nicht möglich, den Erwartungen - auch bei den internationalen Einsätzen - gerecht zu werden. Sie wissen, dass wir einen VerdränHans Raidel gungswettbewerb an der einen oder anderen Stelle nicht ausschließen können. Zusammengefasst brauchen wir also mehr Mittel für den Betrieb und für die Modernisierung. Wir müssen aufpassen, dass sowohl die Modernisierung als auch der Betrieb ausreichend finanziert werden, damit keine Konkurrenzsituation zwischen Betrieb und Investitionen entstehen kann; denn einen solchen Spagat kann die Bundeswehr in ihrer Transformation nicht aushalten. Da muss man ein bisschen aufpassen. Wir müssen auch das unterstreichen, was Sie, Herr Minister, gesagt haben: Die Armee ist seit langem eine Armee im Einsatz. Der Libanoneinsatz wäre bereits die zwölfte Mission, mehr oder weniger parallel zu den anderen Missionen. Das heißt, die Transformation ist eine Reparatur am laufenden Motor. Ich sage bewusst: Wir müssen uns diese Einsätze finanziell leisten können; denn bei Ausbildung und Übung darf nicht gespart werden. Wir brauchen leistungsfähiges und leistungsbereites Personal. Vor allem müssen wir den Personalabbau stoppen. Das ist auch geschehen. Die Zahl der Soldaten soll erhöht werden. Den Weg der Personalreduzierung dürfen wir nicht gehen, vor allem deshalb, weil wir sonst hohle Strukturen schaffen würden. Dadurch könnte die Einsatzfähigkeit der Truppe gefährdet werden; zumindest aber würde die Truppe in ihrer Kraft geschmälert. Da, glaube ich, müssen wir aufpassen. Wir - und insbesondere der Generalinspekteur - haben hier ein Aufbauproblem und kein Abbauproblem. Die Bundeswehr muss attraktiv bleiben. Fundierte Ausbildung, gerechte Bezahlung und attraktiver Dienst sind hier die Schlüsselbegriffe. Wir können nicht mit Modernität werben und dieses Versprechen dann nicht einhalten; denn wir stehen in Konkurrenz - künftig noch mehr - mit der hoffentlich weiter gut verlaufenden Wirtschaft. Das kleiner werdende Potenzial an jungen Männern und Frauen bereitet uns in diesem Bereich künftig sicherlich Probleme. Ich sage es noch einmal, bei der finanziellen Ausstattung und Besserstellung der Bundeswehr muss Folgendes berücksichtigt werden: Wir können die einsatzbedingten Kosten, die Erhöhung der Mehrwertsteuer, die Versorgungslasten und die steigenden Energiepreise nicht allein dem Verteidigungshaushalt anlasten. Spätestens mit dem nächsten Haushalt muss hier der Einstieg in eine weiter verbesserte Finanzlinie erfolgen. Aber auch die Bundeswehr selbst muss natürlich ihre Aufgaben machen: Sie muss bekannte Synergiepotenziale nützen und neue erschließen. Dabei muss gesichert sein, dass finanzielle Synergien bei der Bundeswehr bleiben. Nach meiner Auffassung gibt es nicht ein Sparziel, sondern es gibt ein Reinvestitionsziel - das ist ein Unterschied! Wenn wir uns da einig sind, haben wir für die Bundeswehr schon eine ganze Menge an Verbesserungen erreicht. Neben der uniformierten Seite der Bundeswehr muss auch ihre zivile Seite ihren Beitrag leisten. Ich meine, hier gibt es noch erhebliche Redundanzen: Betriebsabläufe können gestrafft werden, die Bedarfsdeckung kann noch flexibler und effizienter werden. Mit der Wirtschaft müssen neue Kooperationen gesucht und gefunden werden. Neue Wege sind hier einzuschlagen. Insbesondere sollte das Augenmerk stärker auf die so genannten Lifecycle-Kosten gerichtet werden; denn das Material muss ja nicht nur in der Beschaffung bezahlbar sein, sondern auch im Betrieb bezahlbar bleiben. Herr Minister, ich würde gerne eine strategische Partnerschaft zwischen Bundeswehr und Industrie anregen. Auch die Industrie muss hieran ein besonderes Interesse haben. Ich glaube, dass es aus der Wirtschaft entsprechend positive Signale gibt. Zusammengefasst: Zur Transformation gibt es keine Alternative, sie muss fortgeführt werden. Die Bundeswehr braucht eine bessere finanzielle Ausstattung. Wir sind auf gutem Wege. Wenn das so fortgesetzt wird und die Bundeswehr ihre Synergiepotenziale ausschöpft, glaube ich nicht, dass die Kritik, die heute von vielen geäußert worden ist, in der Substanz berechtigt ist.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.

Hans Raidel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001768, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich kann alle nur einladen, gemeinsam mit uns diesen Weg der Modernisierung der Bundeswehr konsequent weiter zu beschreiten.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.

Hans Raidel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001768, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das heißt im Klartext: Ich bitte alle Kollegen, trotz aller Schwierigkeiten, auch im Haushaltsausschuss, dafür zu sorgen, dass wir den Etat weiter aufstocken können. Ich bedanke mich sehr für Ihre Aufmerksamkeit und Ihre Geduld, Herr Präsident. ({0}) Vielen Dank. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegin Elke Hoff, FDP-Fraktion. ({0})

Elke Hoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003771, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Minister Jung, Sie legen heute einen weiteren Verteidigungshaushalt vor, der leider längst Makulatur ist. Er ignoriert die Entwicklung der Materialerhaltungskosten, der Betriebsausgaben und der Kosten für die laufenden Auslandseinsätze. Der zu erwartende Einsatz der Bundeswehr im Libanon kann, wenn überhaupt, in diesem Haushaltsjahr nur überplanmäßig finanziert werden. Die in Ihrem Haus als dringend notwendig bezeichneten Maßnahmen zum Eigenschutz der Soldaten in Afghanistan sind überhaupt noch nicht dargestellt. Genauso schwer wiegt, dass Sie mit diesem Haushalt in keiner Weise dem Anspruch gerecht werden, die Vorgaben des Bundeswehrplanes 2007 umzusetzen. Damit setzen Sie das Gelingen des Transformationsprozesses aufs Spiel, der doch der Dreh- und Angelpunkt der Neuausrichtung der Bundeswehr ist. Wenn man konservativ rechnet, ergibt sich eine Unterdeckung des Verteidigungsetats bis 2010 von 3,34 Milliarden Euro. Die Fachpresse, in diesem Fall die August-Ausgabe der „Europäischen Sicherheit“, benennt sogar ein Defizit von 15 Milliarden Euro bis zum Jahre 2011. Die große Koalition schreitet von einer Steuererhöhung zur nächsten und entfernt sich trotzdem immer weiter von einer seriösen Finanzplanung für die Bundeswehr. Zwar entdeckt nun auch die Bundeskanzlerin - man möchte sagen: endlich - ihr Herz für unsere Soldatinnen und Soldaten, sie bleibt aber konkrete Verbesserungs- und Finanzierungsvorschläge schuldig. Es ist schon eine verkehrte Welt, wenn die amtierende und damit verantwortliche Regierungschefin den Zustand ihrer Bundeswehr kritisiert, als lebe sie auf einem anderen Stern. ({0}) Die Einbringung eines solchen Haushaltsentwurfs ist Ausdruck des mangelnden Rückhalts, den Sie, Herr Verteidigungsminister Jung, im Kabinett und in der großen Koalition genießen. Der Verteidigungsetat steigt in Relation zum Gesamthaushalt unterdurchschnittlich, obwohl die Anforderungen an die Bundeswehr in rasantem Tempo wachsen. Der investive Anteil steigt um magere 1,5 Prozent. Sie können eine Neujustierung bei den wichtigsten Beschaffungsvorhaben nicht durchsetzen, obwohl der Generalinspekteur deren Notwendigkeit deutlich anmahnt - wenn auch mit bedauernswerter Verspätung. Ohne eine Reduzierung der Stückzahl bei den Großprojekten Eurofighter und A400M werden Sie im Haushalt nicht die Spielräume erreichen, die notwendig sind, um kurzfristig das beschaffen zu können, was für die Einsätze der Bundeswehr am dringendsten benötigt wird. Eine klare Priorisierung zugunsten der Sicherheit unserer Soldatinnen und Soldaten im Einsatz ist notwendig. Sie sind mit dem besten und sichersten Material, welches zur Verfügung steht, auszurüsten. Die Entscheidung für Einsätze der Bundeswehr im Ausland ist nur dann zu verantworten, wenn für die Soldaten ein Optimum an Schutz und Wirkung gewährleistet wird. ({1}) Insofern sind der Mangel an gepanzerten Fahrzeugen, Hubschraubern und Transportkapazitäten sowie der mangelnde Feldlagerschutz unverantwortlich. Dem Vernehmen nach sollen in Ihrem Haus all diejenigen Beschaffungsvorhaben noch einmal auf den Prüfstand gestellt werden, die noch keiner vertraglichen Bindung unterliegen. Dies ist eine ständig wiederholte Forderung meiner Fraktion. ({2}) Sie sollten aber auch die Angst vor einer Konfrontation mit Ihren Auftragnehmern bei bestehenden Beschaffungsvorhaben überwinden. Verzögerungen und Qualitätsmängel bieten auch hier die Möglichkeit für Anpassungen und Nachverhandlungen. Diese mangelnde Flexibilität, die Ausrüstungsplanung der Bundeswehr bedarfsgerecht anzupassen, gefährdet zunehmend die Einsatzfähigkeit dieser Bundeswehr. So führt der zeitgleiche Zulauf neuer Fluggeräte bei Weiternutzung der bestehenden in den nächsten Jahren zu einer Explosion der Betriebskosten. Schon jetzt ist absehbar, dass sich die Bundeswehr nicht einmal die erforderlichen Flugstunden zur Schulung ihres Personals leisten kann. Es ist abenteuerlich, dass die Bundeswehr zwar teures Gerät beschafft, den Betrieb jedoch nicht bezahlen kann. Kein Mensch in Ihrem eigenen Hause glaubt, dass die finanziellen Belastungen durch die Auslandseinsätze im nächsten Jahr um beinahe 30 Millionen Euro sinken werden. Wie soll das funktionieren, wenn man in Bosnien-Herzegowina, im Kosovo, in Afghanistan, im Kongo, am Horn von Afrika, im Sudan, in Georgien und bald auch im Nahen Osten dabei ist? Ist nicht allmählich der Zeitpunkt erreicht, die umfassende Interventionsbereitschaft der 90er-Jahre zur wohlgemeinten Schaffung einer neuen Weltordnung zu überprüfen, wenn diese Vorstellung bei nüchterner Betrachtung längst auch an den enormen Kosten zu scheitern droht? Zu Beginn dieses Jahrhunderts steht eine schnell anwachsende Anzahl an Krisengebieten einer eng begrenzten Anzahl an interventionsfähigen Mächten gegenüber. Während die gewaltbereiten Akteure in den Krisengebieten von der Möglichkeit der Verbilligung der Kriegskosten durch den ungehemmten Zulauf von Kleinwaffen, den Einsatz von Kindersoldaten und das schier unerschöpfliche Reservoir religiös fanatisierter und ökonomisch enttäuschter junger Menschen profitieren, befinden sich die interventionsfähigen Staaten auf dem Weg in eine nicht mehr finanzierbare Verteuerung ihrer Militäreinsätze, ohne dass es letztlich gelingt, schnelle militärische Erfolge in einen dauerhaften politischen Gewinn umzusetzen. ({3}) Die nicht mehr zu verleugnende Verschlechterung der Sicherheitslage in Afghanistan scheint die Bundesregierung nunmehr zu Überlegungen über ein deutlich offensiveres Vorgehen vor Ort zu veranlassen. Anders sind Erwägungen hinsichtlich einer gepanzerten Reserve mit Schützenpanzern und eines Einsatz von RECCE-Tornados nicht zu erklären. Ein solches Vorgehen und Auftreten würde den ohnehin kaum noch vorhandenen Rückhalt in der Bevölkerung weiter verringern und die deutschen Soldaten noch mehr zum Ziel gefährlicher Anschläge machen. Außerdem ist es für mich in diesem Zusammenhang und vor allen Dingen auch vor dem Hintergrund der Debatte am heutigen Vormittag völlig unverständlich, dass die Bundesregierung den durch das Verteidigungsministerium formulierten Bedarf, die zivilen Aufbau- und Hilfeleistungen zu intensivieren, nicht mittragen will. Sich hier auf fehlende Finanzmittel zurückzuziehen, ist fahrlässig und lässt vor allem auch den bisherigen Einsatz von Steuergeldern fraglich erscheinen. ({4}) Die ganze Last des Engagements in Afghanistan kann und darf nicht allein der Bundeswehr aufgebürdet werden. Es gibt bisher keine nachhaltigen Erfolge bei der Drogenbekämpfung, bei der Eindämmung der organisierten Kriminalität, beim Aufbau der fehlenden Polizei- und Justizstrukturen und vor allem bei der Verbesserung der wirtschaftlichen Lebenssituation für die Menschen. Nicht nur wir, sondern auch das verantwortliche Führungspersonal der Bundeswehr vor Ort vermissen eine klare Exit-Strategie, damit der Einsatz der Bundeswehr in absehbarer Zeit auch wieder beendet werden kann. ({5}) Dieser Haushaltsentwurf ist das sichtbare Zeugnis des mangelhaften Stellenwerts, den die Bundeswehr bei der Bundesregierung hat; da hilft auch die plötzliche Umarmungsstrategie der Bundeskanzlerin nichts. Er gibt die Transformation de facto auf, führt zu einer Gefährdung der Einsatzfähigkeit und nimmt in Kauf, dass die Arbeit bei der Bundeswehr immer unattraktiver wird. Herr Minister Jung, nehmen Sie endlich die längst überfälligen umfassenden Korrekturen in Ihrer Finanzplanung vor, denn anderenfalls ist zu befürchten, dass die Bundeswehr an ihren vielfältigen Herausforderungen scheitert. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Johannes Kahrs, SPDFraktion. ({0})

Johannes Kahrs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003157, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Geschätzter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! ({0}) - Ja, so soll das sein. ({1}) - Ich freue mich über so viel Zuspruch, obwohl ich noch gar nichts Inhaltliches gesagt habe. Zu Beginn eine kurze Anmerkung zur Kollegin Hoff: Ich halte Ihre Ausführungen zur Unterfinanzierung der Bundeswehr für sehr interessant; allerdings passen Ihre Ausführungen ganz schlecht dazu, dass die FDP in Bezug auf den Haushalt 2006 vorgeschlagen hat, Hunderte von Millionen zu streichen. Das halte ich für kritisch, weil man letztendlich auch gegenüber der Truppe sein Gesicht wahren muss. Daher kann ich mich meinem Kollegen nur anschließen: Das wäre Herrn Nolting nicht passiert. Im Moment geht es um die Einbringung des Haushalts in das Parlament. Manchmal habe ich das Gefühl, in einer außenpolitischen Debatte zu sein; hier jedoch geht es um die Bundeswehr und ihre realen Probleme sowie darum, wie wir damit umgehen. Bei der Betrachtung des Haushalts zeigt sich ein Aufwuchs gegenüber dem letzten Jahr. Das entspricht der mittelfristigen Finanzplanung, die Peter Struck noch mit eingeleitet hat. Ich freue mich, dass wir sie in der großen Koalition gemeinschaftlich fortführen. Im Ergebnis bekommt die Bundeswehr mehr Geld, aber das sind die Mittel, die man im Rahmen des Inflationsausgleichs braucht. Bei genauer Betrachtung stellt man fest, dass wir immer noch 71 Prozent unseres Haushaltes für Betriebsausgaben ausgeben, insbesondere 48 Prozent für Personal. Das sollte eigentlich zu denken geben. 8,1 Prozent geben wir für Materialerhalt aus, 15,1 Prozent für Betriebsausgaben wie Betriebsstoffe, die Bewirtschaftung von Liegenschaften und Ähnliches. Betreiberverträge sind nur mit 2,6 Prozent beteiligt. Darin, dass wir in diesem Jahr für Forschung und Entwicklung weniger ausgeben als im letzten Jahr, zeigt sich eine Veränderung gegenüber den Haushalten der letzten Jahre. Wir haben immer darauf geachtet, mehr Geld für militärische Beschaffung sowie für Forschung und Entwicklung auszugeben. Beide Ausgabenansätze sind in diesem Jahr rückläufig. Hinzu kommen - das muss man der Genauigkeit halber sagen - allerdings Versorgungsausgaben in Höhe von ungefähr 4 Milliarden Euro. Hierzu ist festzustellen, dass der Verteidigungshaushalt anders strukturiert ist als die anderen Haushalte, weil die Bundeswehr andere Probleme hat: Zeitsoldaten und Berufssoldaten, die deutlich eher abgehen, sowie den Abbau von Zivilbeschäftigten. In Bezug darauf müssen wir aufpassen, dass uns die Extralasten, die in der Struktur der Bundeswehr begründet liegen, auch zukünftig vom Bundesfinanzminister ersetzt werden. Ansonsten wird der Übergang der Versorgungsausgaben in den Einzelplan 14 ein großes Problem für diesen Einzelplan. Ich bitte insbesondere meine Kollegen im Fachausschuss, diesem Hinweis entsprechend nachzugehen. An dieser Stelle bedanke ich mich ganz herzlich für die Zusammenarbeit in den jeweiligen Arbeitsgruppen mit den Kollegen von SPD und CDU, insbesondere der Kollegin Jaffke und dem geschätzten Kollegen von der CSU, der mich jetzt gerade anlächelt. ({2}) Alldieweil wir in diesem Fall zu dritt sind - zwei Christdemokraten und ein armer Sozialdemokrat -, muss man feststellen, dass es trotzdem gut zusammengeht. An dieser Stelle möchte ich mich auch dafür bedanken, dass das Engagement der Soldatinnen und Soldaten hervorgehoben wurde. Ich möchte mich insbesondere bei all denjenigen bedanken, die sich für die Ableistung der Wehrpflicht entscheiden. Das halte ich für wichtig. In diesem Zusammenhang möchte ich mich insbesondere für die vorzügliche Arbeit - insbesondere in den letzten Monaten im Zusammenhang mit dem Kongoeinsatz - des Wehrbeauftragten Reinhold Robbe bedanken, der heute auch zugegen ist. ({3}) Lassen Sie mich darauf eingehen, was heute ausgeführt wurde. Der Kollege Raidel hat die Transformation als eine Reparatur am laufenden Motor bezeichnet. Das ist zwar eine gängige, aber nicht die formale, offizielle Begründung. Darin heißt es, dass Transformation die Verbesserung der Einsatzfähigkeit und die Anpassung an die Lage ist. Ich glaube, das beschreibt es genauer. Die Bundeswehr wird nie fertig sein. Wir werden nie eine Armee haben, die wir nach einem Bauplan erstellen nach dem Motto „Wenn sie irgendwann fertig ist, stellen wir sie irgendwohin und sind stolz darauf“. Vielmehr werden wir die Bundeswehr ständig anpassen müssen. Deswegen wird es ständig zu Veränderungen kommen. Darüber zu streiten, wie sinnvoll diese Veränderungen sind, ist sehr ehrenvoll. Ich glaube jedoch nicht, dass man sich gegenseitig etwas vorwerfen muss. Für mich sind verschiedene Standpunkte durchaus möglich. Ein Blick in den Haushalt zeigt aber, dass die Risiken in diesem Haushalt größer geworden sind als die bestehenden Handlungsspielräume. Jetzt müssen wir uns damit auseinander setzen, wie man damit umgeht. In diesem Zusammenhang will ich aber auch darauf eingehen, dass wir neue Belastungen bewältigen müssen. Wir haben in der Vergangenheit mehr Geld für Forschung und Entwicklung und für militärische Beschaffung ausgegeben. Diese Mittel werden inzwischen insbesondere von Auslandseinsätzen aufgefressen, die die Bundeswehr durchführen muss. Dafür werden keine zusätzlichen Mittel zur Verfügung gestellt, sodass wir das Geld anderweitig aufbringen müssen. Deshalb muss man diese Ausgaben näher betrachten. Der Einsatz in Afghanistan - das wurde schon erwähnt - wird auf jeden Fall gefährlicher und teurer und wird stärkere Belastungen für die Soldatinnen und Soldaten mit sich bringen. Hinzu kommen neue Einsätze im Kongo und Libanon. Darüber und über die Sinnhaftigkeit dieser Einsätze ist schon viel gesagt worden. Des Weiteren wird über einen weiteren Auslandseinsatz in Darfur diskutiert. Ich glaube - so sinnstiftend der jeweilige Einsatz der Bundeswehr in all diesen Regionen auch immer sein mag -, man muss sich genau überlegen, was der Bundeswehr noch zugemutet werden kann und was wir finanzieren können. Deswegen glaube ich, dass die Feststellung Gerhard Schröders immer noch gilt: Wer irgendwann irgendwo hineingeht, muss auch wissen, wie er wieder herauskommt. - Das wird meiner Meinung nach nicht immer berücksichtigt. ({4}) - Das hat mit Philosophie nichts zu tun, Herr Kollege. Ich finde, das hat vielmehr etwas damit zu tun, wie man mit der Planbarkeit bei der Bundeswehr umgeht. Es ist wichtig, künftig stärker zu bedenken, wie man aus Auslandseinsätzen wieder herauskommt - ein Blick auf Bosnien zeigt, wie man Entwicklungen verändern kann und wie wir alle dazu beitragen können. Ich persönlich glaube, dass wir uns verstärkt darum kümmern müssen, die Einsätze der Bundeswehr enger mit den Maßnahmen der Entwicklungshilfe zu verknüpfen. Wenn zum Beispiel afghanische Bauern ihr Geld nicht mehr mit dem Drogenanbau verdienen können, dann müsste eigentlich sofort die GTZ einfliegen und sich um gemeinsame Maßnahmen bemühen. Die viel stärkere Verknüpfung der Entwicklungshilfe mit den Einsätzen der Bundeswehr kann auch das Nation-Building und den Wiederaufbau vor Ort erleichtern. Die Aufgabenkritik in der Entwicklungshilfe ist auch deshalb nötig, um zu erkennen, inwiefern beides zusammenpasst. Denn nur so kann man eine Perspektive schaffen, dass der Einsatz der Bundeswehr bei Abwesenheit von Krieg dazu führt, dass vor Ort etwas passiert, was uns alle weiterbringt. Diese Aufgabe werden wir in den nächsten Jahren verstärkt wahrnehmen müssen. Es ist zwar schon einiges passiert, aber ich glaube, dass noch sehr viel mehr notwendig ist. Ich möchte noch einige Punkte ansprechen, die ich für wichtig halte. Die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr selber muss verbessert werden. Ich glaube, dass man angesichts der Haushaltsrisiken darüber diskutieren kann, ob wir die durch die Mehrwertsteuererhöhung entstehenden Mehrausgaben ersetzt bekommen und ob wir die Einsätze der Bundeswehr refinanzieren lassen. Es geht aber nicht an, zu fordern, dass der bei der Bundeswehr entstehende Mehrbedarf extern ausgeglichen werden muss. Als Haushälter versichere ich Ihnen, dass das nicht funktioniert. In einem solchen Fall würden jedes Ressort und jeder Fachpolitiker folgen. Vielmehr sollte man in Zukunft nachweisen, dass die für die vom Parlament beschlossenen Einsätze benötigten Mittel auch zur Verfügung stehen. Das, was innerhalb der Bundeswehr erledigt werden kann, muss die Bundeswehr selber machen. Wir müssen uns aber die Möglichkeiten genau anschauen und darüber im Klaren sein, was wir wollen. Darüber, was wir wollen, sind wir uns einig: mehr Schutz vor Ort durch neue Fahrzeuge, egal ob sie Dingo, Boxer oder Puma heißen. Hier haben wir allerdings ein Problem. Wir bestellen zwar alles. Aber das militärische Gerät steht erst in zehn bis zwölf Jahren zur Verfügung. Das heißt, alles, was bestellt wurde, wird erst dann vorhanden sein, wenn die zurzeit bekannten Konflikte hoffentlich schon lange beendet sind. Das hilft der Truppe aber jetzt nicht. Was wir brauchen, sind größere Stückzahlen, die in kürzerer Zeit geliefert werden. Dabei muss man über die Finanzierung nachdenken. Zurzeit haben wir verschiedene Systeme, die parallel laufen. Wir haben beispielsweise den Eurofighter und den Tornado. Die Eurofighter werden sicherlich planmäßig ausgeliefert werden. Aber es wird noch über ein Jahrzehnt dauern, bis der letzte Tornado verwertet wird, also nicht mehr fliegt. In diesem Zeitraum muss man auf die Entwicklungskosten und die Materialerhaltungskosten genau achten. Das wird sich entsprechend summieren. Beim Heer ist die Situation ähnlich. Als ich 1984 zur Panzergrenadiertruppe gekommen bin, war der Marder noch in Ordnung. Inzwischen ist er kein modernes Gerät mehr. Aber er wird noch lange im Einsatz sein; denn bis der letzte Puma an die Truppe ausgeliefert ist, wird wieder eine Dekade vergehen. Es ist vielleicht nachdenkenswert, kurzfristig Fähigkeitslücken in Kauf zu nehmen. Beim Materialerhalt und bei den Betriebskosten haben wir jedenfalls ein echtes Problem. Dieses können wir nur lösen, wenn wir bestimmtes Gerät früher außer Dienst stellen. Eine Anmerkung sei mir zum Schluss noch gestattet. Der Staatssekretär Wichert ist gerade dabei, eine Zielstruktur für die 75 000 Zivilbeschäftigten aufzubauen; das ist richtig. Aber wir müssen genau schauen, ob das, was dann kommt, auch das ist, was wir wollen. Ich habe mir sagen lassen, dass daran gedacht wird, Dienstleistungszentren einzurichten. Das klingt nach Kundenorientierung und Kundennähe. Das scheint also eine wunderbare Sache zu sein. Aber in der Praxis bedeutet das, dass die Truppenverwaltung beispielsweise aus den Bataillonen vor die Tore der Kasernen verlagert und mit der Standortverwaltung zu einem Dienstleistungszentrum verschmolzen wird. Für den Standort Koblenz gibt es bereits ein solches Zentrum. Dorthin müssen die Soldaten nun fahren. Andere müssen von Appen nach Hamburg fahren. Für Hin- und Rückfahrt besorgt man sich im Fuhrpark ein Fahrzeug. So etwas darf meines Erachtens nicht unter dem Begriff „Dienstleistung“ laufen; denn Dienstleistung bedeutet Nähe zum Kunden. Ich bitte deshalb darum, das noch einmal zu überprüfen. Ich hoffe, dass wir die Transformation gemeinsam und vernünftig bewältigen - mit den Kollegen von der Union werden wir es schon schaffen - und dass wir in der Lage sein werden, den Soldaten all das zur Verfügung zu stellen, was sie für ihre Einsätze benötigen. Ich bitte Sie, ernsthaft darüber nachzudenken, ob wir uns weitere Auslandseinsätze leisten können, solange andere Auslandseinsätze noch nicht beendet sind; denn das eine passt nicht zum anderen. Das habe ich schon im Zusammenhang mit dem Kongoeinsatz gesagt. Hier sind wir im Wort. Die an diesem Einsatz beteiligten Soldaten müssen Weihnachten zu Hause sein. Ansonsten haben wir alle ein Problem. Ich möchte mich ganz herzlich bedanken, dass Sie mir ausnahmsweise ruhig zugehört haben. Glückauf! ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Winfried Nachtwei, Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

Winfried Nachtwei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002743, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den letzten Wochen gab es für die Bundesrepublik eine neuartige außenpolitische Konstellation. Wir haben es mit mindestens drei Großkrisen gleichzeitig zu tun, in denen wir jeweils stark engagiert sind - Afghanistan, Kongo und nun Libanon -, bei denen das Risiko hoch ist und es auf der Kippe steht bzw. eine Eskalation schon stattgefunden hat. Dabei entsteht eindeutig der Eindruck von Überforderung, und zwar zum einen aufseiten der Öffentlichkeit, die langsam nicht mehr nachvollziehen kann, wo überall wir uns engagieren, und zum anderen aufseiten der Politik. Damit meine ich nicht die politischen Fähigkeiten, sondern die politischen Kapazitäten. In dieser Situation müssen wir sehr aufpassen, dass wir bei aller Konzentration auf den Libanon auf keinen Fall die brenzligen Situationen in Afghanistan, im Kongo und möglicherweise im Kosovo übersehen und vernachlässigen. Sie gestatten, dass ich jetzt, auch wenn wir uns in der Haushaltsdebatte befinden - hier geht es darum, wofür und in welchem Kontext das Geld ausgegeben wird -, etwas zu dem Brennpunkt Afghanistan sage, weil es nämlich dort brennt und weil die, so finde ich, brenzlige Situation, die sich seit einiger Zeit anbahnte, während der Sommerpause kaum beachtet wurde. Seit 2001 wurde in Afghanistan - das sage ich ausdrücklich - sehr viel Positives und Erstaunliches geschaffen, wenn man das mit der Zeit davor vergleicht. Dazu haben deutsche Diplomaten, Soldaten, Entwicklungshelfer und Polizisten vorbildlich beigetragen. ({0}) Mir ist bewusst, dass die Entwicklung in Afghanistan meist selektiv wahrgenommen wird. Es werden vor allem die spektakulären Bad News wahrgenommen, aber nicht das, was sich langfristig und hinter den Kulissen tut. Wer nimmt zum Beispiel die 7 Millionen Schülerinnen und Schüler wahr, die es inzwischen gibt? Das ist enorm hoffnungsvoll, aber nicht so bilderträchtig. Trotzdem sind die Indikatoren inzwischen unübersehbar: Der Stabilisierungsprozess in Afghanistan steht auf der Kippe. Er droht innerhalb kurzer Zeit zu scheitern. Seit der ISAF-Ausweitung nach Süden befinden sich NATO-Truppen in Bodenkämpfen. Es ist überraschend, dass das heute noch nicht erwähnt - da möglicherweise nicht wahrgenommen - wurde. NATO-Truppen befinden sich zum ersten Mal in der NATOGeschichte in Bodenkämpfen. Zum Drogenanbau gibt es inzwischen die neuesten Zahlen. Die Drogenanbaufläche ist in diesem Jahr gegenüber dem Vorjahr um 59 Prozent gestiegen. Das ist ein Desaster in dem Schlüsselbereich der Stabilisierung in Afghanistan. Was sind die Mindestschritte? Erstens brauchen wir eine wirklich nüchterne, schonungslose Zwischenbilanz dessen, was in den letzten fünf Jahren geschaffen wurde, eine Bilanz der Leistungen, aber auch der Defizite. Wir brauchen an sich gar nicht so viele Konzepte. „Afghanistan Compact“ zum Beispiel gibt es, mit ehrgeizigen Zielen. Was notwendig ist, ist die Überprüfung der Strategie am Boden. Die Umsetzung ist das Entscheidende. Zweitens. Die Drogenbekämpfung ist mit ihrem Ansatz eindeutig gescheitert. Es kommt darauf an, jetzt die bisher prioritäre Feldervernichtung auszusetzen und alles für die Entwicklung und Förderung alternativer Erwerbsquellen zu tun. Man muss die Entwicklungshilfe entsprechend breiter unterstützen. Die GTZ hat da fantastische Erfahrungen. Drittens. Wenn man vor Ort gewesen ist, dann weiß man, was in der Entwicklungspolitik insgesamt schon Gutes geleistet worden ist. Vieles ist aber noch zu wenig sichtbar, zum Beispiel in den Paschtunengebieten. Da müssen die internationale Gemeinschaft und wir bereit sein, der Entwicklungszusammenarbeit mehr Mittel an die Hand zu geben, um breiter angelegt und sichtbarer für die Bevölkerung zu sein. ({1}) Viertens. Der Polizeiaufbau ist bekanntlich von strategischer Bedeutung. Die Bundesrepublik leistet in ihrer Führungsrolle sehr viel Gutes. Aber die quantitativen und qualitativen Herausforderungen sind hier so riesig, dass wir nicht mehr mit 40 Beamten auskommen. Hier müssen wir schlichtweg aufstocken. Es geht nicht um große Beträge, aber die wenigen Millionen Euro sind das Geld wert. Schließlich wird all das, was ich gerade genannt habe - die Aufzählung ist nicht vollzählig -, nur ein Kampf gegen Windmühlenflügel sein, wenn die direkte Terrorbekämpfung im Süden und Osten nicht überprüft und nicht korrigiert wird. Bisher - die Meldungen sind ziemlich eindeutig - scheint sie mehr zur Aufstandsförderung beigetragen zu haben. Das ist von deutscher Seite aus - das muss man nüchtern sagen - schwierig zu thematisieren, muss aber unter Verbündeten auf den Tisch. Sie wissen: Ich neige nicht zu Alarmismus, aber wenn in den kommenden Monaten nicht zentrale Korrekturen und neue Anstrengungen unternommen werden, dann kann es im nächsten Jahr zu spät sein, und das darf es nicht. Danke schön. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegin Susanne Jaffke, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Susanne Jaffke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001008, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir zu Beginn, sicherlich im Namen aller, den 7 700 Soldatinnen und Soldaten, welche sich im Auslandseinsatz befinden, für ihr Engagement, für ihre Einsatzbereitschaft und für ihre hervorragende Arbeit zu danken. ({0}) Unter zunehmend unruhigen und instabilen Bedingungen leisten sie für die Bundesrepublik Deutschland einen wichtigen und notwendigen Dienst und sie haben unsere Anerkennung und unseren Respekt verdient. Ich bedanke mich beim Kollegen Johannes Kahrs für seine charmante Einleitung und möchte in diesem Sinne fortfahren. Nachdem wir uns mit unseren Haushaltsberatungen jetzt in einem normalen Verfahren befinden und wir uns in der großen Koalition zusammengefunden haben, möchte ich hier darauf verweisen, dass der Etat des Finanzministers einen Aufwuchs erfährt. Dieser Aufwuchs erklärt sich zugegebenermaßen unter anderem dadurch, dass die Versorgungslasten aufgeteilt wurden. Dennoch erfährt er im investiven Bereich einen Aufwuchs von 1,9 Prozent. Das bedeutet, dass er trotz der Mehrwertsteuererhöhung real wächst. ({1}) Er wird auch nach der mittelfristigen Finanzplanung jährlich um 1,2 Prozent aufwachsen. Die Haushälter der großen Koalition stimmen mit der öffentlichen Positionierung der Bundeskanzlerin, Frau Dr. Merkel, überein, dass die Finanzausstattung der Bundeswehr, gemessen an den zunehmenden Aufgaben im Rahmen der internationalen Einsätze, verbesserungsbedürftig ist. Vergleiche mit europäischen Partnern wie England, Holland und Norwegen, die im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt prozentual weit höhere Ausgaben als Deutschland in ihren Verteidigungsetats haben, müssen deshalb gestattet sein. ({2}) Trotzdem: Innerhalb des Einzelplans 14 verzeichnen die verteidigungsinvestiven Ausgaben den stärksten Aufwuchs. Auch die sonstigen Betriebsausgaben und die Ausgaben für Materialerhaltung steigen, während die Personalausgaben durch Personaleinsparungen erfreulicherweise sinken. In diesem Zusammenhang möchte ich hier noch einmal hervorheben, dass die Weisung des Ministers an die Einsatzkontingente, ihre Verpflichtungen ausschließlich in geschütztem Transportraum vorzunehmen, von den Haushältern der Regierungskoalition uneingeschränkt unterstützt wird. Erst im Juni hat die große Koalition im Haushalt weiteren Beschaffungsvorhaben im Bereich geschützter Transportkapazität zugestimmt. Lassen Sie mich an dieser Stelle einen weiteren Schwerpunkt, das Thema Finanzierung internationaler Einsätze, ansprechen. Die Haushälter der großen Koalition sind sich dahin gehend einig - da befinde ich mich in Übereinstimmung vor allen Dingen mit dem Kollegen Kahrs; wir kämpfen darum in unseren Gruppen -, dass zunehmende internationale Verpflichtungen für humaniSusanne Jaffke täre und Friedenseinsätze, die durch die Bundeswehr geleistet werden, nicht mehr durch den aktuellen Etat des Einzelplans 14 zu erwirtschaften sind, wenn sie in einem laufenden Haushaltsjahr als zusätzliche Aufgabe parlamentarisch beschlossen werden. Es ist mit meinem parlamentarischen Verständnis nicht in Übereinstimmung zu bringen, zusätzliche Verantwortung zu übernehmen und dazu auch zu stehen, das Bundesministerium der Verteidigung bei der Finanzierung aber allein zu lassen. Wir erwarten als Parlamentarier, dass die Administrative darauf reagiert und Lösungsvorschläge unterbreitet, wie sie mit beschlossenen, in Kraft getretenen Etats in Zukunft verfahren will, um entsprechend Vorsorge für solche außerplanmäßigen Finanzierungen zu treffen. ({3}) Wir erwarten als Haushälter deshalb in Zukunft, dass in den entsprechenden Regierungsvorlagen zu zusätzlichen Auslandseinsätzen ein entsprechender haushalterischer Nachweis erbracht wird. ({4}) Gestatten Sie mir weiterhin einige Bemerkungen zum Thema Betreiberlösungen. Die CDU/CSU im Haushaltsausschuss wird den Prozess der Betreiberlösungen und der damit zusammenhängenden Finanzierung und Kooperation mit der Industrie weiter kritisch begleiten. Die Devise „Outsourcing gleich billiger“ ist nicht immer gültig. Die Beendigung des Modellversuchs „Truppenverpflegung“ zeigt, dass es nicht immer wirtschaftlicher ist, Aufgaben an Private zu geben. ({5}) Auch die Umstrukturierung des Bundeswehrfuhrparks und das Kooperationsmodell für das Bekleidungsmanagement werden weiterhin in der Überprüfung bleiben. Sie sind organisationsmäßig in der Abteilung M gut aufgehoben. Für mich ist allerdings wichtig, dass in Zukunft dem Controlling in diesen Bereichen mehr Aufmerksamkeit gewidmet wird. Ein weiterer Schwerpunkt bleibt für mich die Neustrukturierung der zivilen Verwaltung der Bundeswehr. Auch im Regierungsentwurf 2007 stehen den 210 000 Berufssoldaten, 55 000 Wehrpflichtigen und freiwillig länger dienenden Wehrdienstleistenden sowie 2 500 Reservisten 106 800 zivile Mitarbeiter zur Seite. Das bedeutet, dass auf circa 2,5 Soldaten immer noch eine Verwaltungskraft kommt. Das ist einfach zu viel. Nun steht eine neue Strukturgröße von 75 000 Zivilstellen im Raum. Bei der eben genannten Zahl von Militärbediensteten bedeutete das, dass auf 3,5 Soldaten eine Verwaltungskraft kommt. Ich halte auch das für zu viel. Zum Jahresende soll uns Haushältern - so der Auftrag - seitens des Verteidigungsministeriums eine Organisationsstruktur für die Zivilbeschäftigten vorgelegt werden. Ich gehe davon aus, dass man sich für den Bereich der zivilen Verwaltung des Bundesverteidigungsministeriums wie in allen anderen Ressorts bei der Erarbeitung einer Strukturkonzeption an die Vorgaben des Beauftragten für die Wirtschaftlichkeit in der Bundesverwaltung, Herrn Professor Dr. Engels, Präsident des Bundesrechnungshofs, hält. Die Zielstruktur von 75 000 Zivilbeschäftigten kann also kein Dogma sein. Wenn sich alle Ressorts an den Vorgaben „Entbürokratisierung“ und „schlanke Verwaltungsstrukturen“ orientieren müssen, so gilt das auch für das Verteidigungsministerium. Wichtig wird für uns Haushälter aber sein, dass die in diesem Zusammenhang frei werdenden Verwaltungsmittel im Etat verbleiben und dem investiven Bereich zugeordnet werden können. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit, habe die eine Minute hereingeholt; Bernd, sie steht dir wieder zur Verfügung. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Nun hat das Wort Kollege Andreas Weigel, SPDFraktion.

Andreas Weigel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003656, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Freitag vergangener Woche hat im Kosovo der deutsche Generalleutnant Kather das Oberkommando übernommen. Die Diskussion um die Tagesordnung des Verteidigungsausschusses der nächsten Wochen - Libanoneinsatz, Verlängerung des Afghanistanmandats, Situation im Kongo - zeigt, dass Deutschland seine Rolle gefunden hat, in der Staatengemeinschaft Zug um Zug mehr Verantwortung übernimmt und sicherheitspolitisch eine Mittelmacht geworden ist. Die Bundeswehr ist als Bündnisarmee konzipiert und die europäischen Streitkräfte wachsen zusammen. Das zeigen die Einsätze, die durchweg multinational organisiert sind. Aus diesen Einsatzstrukturen folgt zwangsläufig, dass es zu multinationalen Strukturen bei der Finanzierung, Ausrüstung, Durchführung, Verteilung und Abstimmung der Fähigkeiten kommt. Es geht darum, dass die Streitkräfte unserer Verbündeten und ihre jeweiligen Fähigkeiten mit denen der Bundeswehr bestmöglich aufeinander abgestimmt werden. Schwerpunkte sind hierbei die Festlegung auf Kernfähigkeiten, die Bereitschaft zur Integration auf europäischer Ebene und die Erhöhung der verteidigungsinvestiven Aufgaben. ({0}) Diese Gesichtspunkte werden in Zukunft ohne Frage wesentlich stärker ihren Niederschlag in unserer Haushaltsstruktur finden. Gemeinsam mit unseren Verbündeten denken wir über neue Formen der europäischen Finanzierung nach. Auch im Rahmen der NATO werden wir unsere Anstrengungen verstärken, durch Bündelung militärischer Fähigkeiten, gemeinsame Beschaffung von Gerät und gemeinsame Finanzierung von Rüstungsvorhaben gegen eine Zersplitterung zu arbeiten. Ein gutes Beispiel hierfür ist die NAMSA, die seit Frühjahr dieses Jahres auf dem Flughafen in Leipzig zwei geleaste Antonov-Maschinen bereithält, um die Bundeswehr und ihre NATO-Verbündeten für den Lufttransport zu verstärken und dann in die Einsatzgebiete, zum Beispiel nach Afghanistan, zu fliegen. Das sind Großraumflugzeuge aus Russland und der Ukraine. Das bedeutet, dass wir hier einen erheblichen Rationalisierungseffekt haben. Solche Projekte machen auch in Zukunft Sinn. Es ist zum Beispiel sinnvoll, für logistische Leistungen oder Beschaffungsvorhaben immer mehr europäische oder transatlantische Organisationen einzubinden. Das Gleiche gilt für die Aufgabenverteilung. Hier haben zum Beispiel die Niederländer bereits eine Lösung gefunden, die, wie ich meine, Modellcharakter hat. Statt sich eigene Flugzeuge für den Lufttransport zu beschaffen und sich Folgekosten wie deren Wartung einzuhandeln, haben sie ein Transportabkommen mit der Bundesrepublik Deutschland geschlossen. Für ungefähr 50 Millionen Euro nehmen sie entsprechende deutsche Transportleistungen in Anspruch. Dieses Transportabkommen hat aus meiner Sicht allein deswegen Modellcharakter, weil es erhebliches Einsparungspotenzial bietet. Natürlich führen Aufgabenverteilung und Spezialisierung zu gegenseitigen Abhängigkeiten im Handeln und Entscheiden. Dennoch liegen die Vorteile auf der Hand. Es gilt, nationale Barrieren zu überwinden und internationale Organisationen in die Finanzierung von Rüstungsprojekten stärker einzubinden. Vergaberechtliche Fragen dürften dabei kein Hindernis sein. Damit werden unsere Streitkräfte so aufgestellt und ausgerüstet, dass sie die von der Politik übertragenen Aufgaben und Aufträge erfüllen können. Im Vordergrund steht hier aber nicht mehr die Optimierung der Fähigkeiten der einzelnen Teilstreitkräfte, sondern die Zusammenarbeit der Streitkräfte. Das erfordert Interoperabilität in einer neuen Qualität. Dieses Anforderungsprofil hat weitreichenden Einfluss auf die notwendige Ausrüstung unserer Streitkräfte. Von zentraler Bedeutung sind hier die Bereiche Forschung, Entwicklung und Erprobung. In der Sicherheitsforschung werden wir neue Wege beschreiten. In Deutschland existieren hervorragende wehrtechnische Kapazitäten. Zur Sicherstellung dieser Fähigkeit gilt es, zwei Aspekte zu berücksichtigen, und zwar einerseits die Anerkennung der Wehrtechnik als Hightechfähigkeit im Rahmen nationaler Wirtschaftspolitik, also die Erhaltung industrieller Kernfähigkeiten, und andererseits die Koordination der Verteidigungsforschung mit der Sicherheitsforschung. Die Förderpolitik der Bundesregierung setzt hier neue Akzente. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Blick auf die Forschungslandschaft zeigt uns, dass wir noch einigen Diskussionsbedarf haben. Es ist zu fragen, ob Forschungsgelder noch effizienter aufgeteilt werden können und wie viel wir für Grundlagenforschung und wie viel für angewandte Forschung bereitstellen. Im Übrigen muss auch die Finanzierung der Forschungsinstitute überprüft werden. Ich glaube, hier gibt es erheblichen Rationalisierungsbedarf. Wichtig ist insbesondere, solche Forschungsprogramme voranzutreiben, die dem Schutz der Soldaten dienen. So sind die Robotik und die Entwicklung unbemannter Flugzeuge Bereiche, denen wir besondere Aufmerksamkeit zuteil werden lassen sollten. Auf europäischer Ebene wird dabei die Europäische Verteidigungsagentur in Brüssel eine besondere Rolle übernehmen müssen. Die Entwicklung einer eigenen europäischen Verteidigungs- und Rüstungsidentität sollten wir vor dem dargestellten Hintergrund auch für den Bereich Forschung und Entwicklung als Chance begreifen und nutzen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, im Einzelplan 14 haben wir Ausgaben in Höhe von 642 Millionen Euro für die internationalen Einsätze der Bundeswehr vorgesehen. Das sind Ausgaben, die zusätzlich für die Anforderungen des jeweiligen Einsatzes unmittelbar vor Ort entstehen. Der weitaus größte Teil der Aufwendungen für unsere internationalen Verpflichtungen ist aber im gesamten Verteidigungshaushalt verteilt. Der Haushalt garantiert, dass unsere Streitkräfte überhaupt in der Lage sind, die Aufträge optimal auszuführen. Genau hier gilt es, darauf zu achten, dass unsere fiskalischen Anstrengungen in allen Bereichen so ausgelegt sind, dass sie die größtmögliche Effizienz für die Bundeswehr als Armee im Einsatz haben. Die Steigerung von Effizienz ist auch das Ziel der Projektgruppe „Öffentliche und private Partnerschaft“. Auf dem Feld der öffentlichen und privaten Partnerschaft gibt es weitere Rationalisierungspotenziale, um die verteidigungsinvestiven Ausgaben zu verstärken. Ich glaube, da sind wir auf einem richtigen Weg, der allerdings, wie das Beispiel des Pilotprojektes „Verpflegung“ in München zeigt, nicht ohne Rückschläge verläuft. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Schluss. Nach meiner Auffassung liegt einer der entscheidenden Schlüssel für eine ausreichende Finanzierung der Bundeswehr in der Kooperation - in der Kooperation mit der Wirtschaft, in der Kooperation mit Bündnispartnern bei der Beschaffung und bei der Durchführung von Einsätzen sowie in einer intelligenten Aufgabenverteilung, insbesondere zwischen den europäischen Partnern. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Bernd Siebert, CDU/ CSU-Fraktion.

Bernd Siebert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte am Anfang ein paar Worte zu dem Redebeitrag von Kollegin Homburger sagen. Ich habe Ihre Aussagen, liebe Frau Homburger, für maßlos gehalten. Sie entsprechen nicht der Realität in unserem Land. ({0}) Sie eignen sich höchstens für die Stammtische bestimmter freidemokratischer Mitglieder. ({1}) Auch das, was Sie zum Kongo gesagt haben, halte ich für unverantwortlich, gerade weil wir in den letzten Wochen erlebt haben, welche hervorragende Leistung unsere Soldatinnen und Soldaten und ihre europäischen Kameraden im Kongo erbracht haben, sodass dort eine friedliche Situation erhalten werden konnte. ({2}) Mit Ihren Bemerkungen schaden Sie der Bundeswehr, den Soldaten und - ich gehe noch weiter - auch dem Ansehen Deutschlands in der Welt. ({3}) - Das ist ein Problem, das die FDP mit sich selbst auszumachen hat. Aber wir haben ja vorhin schon an einer Zwischenbemerkung erkannt, dass sie hier sicherlich nur für einen Teil ihrer Fraktion geredet hat. ({4}) Ich möchte am Anfang - auch der eine oder andere Kollege hat das getan; ich denke, es ist wichtig - auf die Soldatinnen und Soldaten insgesamt eingehen. Sie leisten überall dort, wo sie eingesetzt sind - inzwischen schon viele Jahre in den Einsatzgebieten in Afghanistan und im ehemaligen Jugoslawien, nun seit einigen Wochen im Kongo -, hervorragende Arbeit. Diese hervorragende Arbeit muss auch hier entsprechend gewürdigt werden. Das hat der Minister vorhin getan, das haben einige andere getan, und auch ich möchte das für die Fraktion der CDU/CSU und für meine Arbeitsgruppe in aller Deutlichkeit hier tun. ({5}) Sie haben mit ihren Leistungen das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland international gestärkt und gefestigt, und sie haben den politischen Auftrag umgesetzt, den wir ihnen hier im Deutschen Bundestag gegeben haben. Gerade unsere Soldatinnen und Soldaten im Einsatz haben es verdient, dass wir den Verteidigungshaushalt mit besonderer Sorgfalt prüfen und gestalten. Sie haben ein Anrecht darauf, dass die Politik sie mit dem bestmöglichen Material zu ihrem Schutz ausstattet. Diese Verpflichtung und besondere Verantwortung hat jeder Einzelne von uns übernommen, der den Einsätzen der Bundeswehr zugestimmt hat. Weil wir diesen Einsätzen zugestimmt haben, stellen wir uns dieser Verantwortung in aller Deutlichkeit und nehmen am Prozess der Veränderung der Bundeswehr und auch an der Veränderung der Haushaltsvolumina des Verteidigungshaushaltes teil. Mit dem Entwurf des Verteidigungshaushaltes 2007 stehen dem Bundesminister der Verteidigung insgesamt 28,4 Milliarden Euro zur Verfügung. Das sind zwar rund 4,4 Milliarden Euro mehr als 2006. Aber mit dem Wegfall des Einzelplans 33 werden als Ausgleich für die Pensionslasten über 4 Milliarden Euro mehr zur Verfügung gestellt. Es bleiben dem Bundesverteidigungsminister also netto rund 480 Millionen Euro mehr für 2007. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass es in den letzten Jahren in der mittelfristigen Finanzplanung auch andere Zahlen für 2007 gab. Die lagen bei etwa der doppelten Summe. Wenn man diese Zahlen vergleicht, dann bedeutet das, dass für die Bundeswehr auch im Jahre 2007 der Spielraum bei den Finanzen stark eingeschränkt bleiben wird - und dies angesichts einer Einsatzrealität für die Bundeswehr, die sich in den letzten Monaten grundlegend verändert hat. Da ist die spürbar verschlechterte Sicherheitslage in Afghanistan zu nennen, die mit dem Wiedererstarken der Taliban auch in dem von der Bundeswehr kontrollierten Norden des Landes einhergeht. Diese Risiken dürfen nicht unterschätzt werden. Bisher war es zu verantworten, dass die Wiederaufbauteams ihren Auftrag mit ungeschützten Geländewagen erfüllten. So hat uns die zugespitzte Lage allerdings dazu gezwungen - hier hat Verteidigungsminister Franz Josef Jung schnell und richtig gehandelt -, die Aufträge in Afghanistan nur noch unter besonderem Schutz, das heißt in geschützten Fahrzeugen, auszuführen. Hier wird deutlich, dass wir für mehr geschützte Fahrzeuge sorgen müssen, damit die Sicherheit unserer Soldaten auch in Zukunft gewährleistet werden kann. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass zum Beispiel die vom Deutschen Bundestag noch vor der parlamentarischen Sommerpause beschlossene Anschaffung von 149 Dingo 2 sich über einen Zeitraum von drei Jahren hinziehen wird. Dies dauert mir eindeutig zu lange. Das bedeutet: Über die zeitlichen Perspektiven und die notwendige Anzahl muss in den nächsten Wochen in den Beratungen der Ausschüsse und Fraktionen gesprochen werden. Ziel muss es sein, zwischen notwendigem, schnell zu beschaffendem Material und vorhandenem finanziellen Spielraum nicht zuungunsten der Soldaten im Einsatz zu entscheiden. Das heißt, wir brauchen den Schutz der Soldaten schneller als bis jetzt geplant. Man muss realisieren, dass die heutige Lage sich deutlich von der vor einem Jahr erwarteten unterscheidet. Das gilt für die zukünftige Risikoanalyse in Afghanistan, für die sichere Durchführung des neuen Einsatzes im Kongo und möglicherweise für den Einsatz vor der Küste des Libanon. Nach dieser nüchternen Analyse bleibt die Erkenntnis, dass die Bundeswehr aufgrund ihres Engagements in Afghanistan, auf dem Balkan, im Kongo und in anderen Teilen der Welt und aufgrund ihrer begrenzten Ausstattung vor allem mit geschützten Fahrzeugen und Hubschraubern nicht vollständig in der Lage sein wird, zusätzliche Einsätze ohne weiteres zu schultern. Das bedeutet auch - das ist vorhin mehrfach angeklungen -, dass die neuen Einsätze nicht aus dem Verteidigungsetat bezahlt werden können. Ich bin überzeugt, dass dies der richtige Weg ist. Es geht nicht um die Anschaffung von Prestigeobjekten, sondern um den Schutz unserer Soldaten und um die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr insgesamt. Es geht mir nicht um das Ausspielen einer Teilstreitkraft gegen die andere, sondern um eine ganzheitliche Betrachtung der Bundeswehr. Die Messlatte muss sein, dass die Bundeswehr das Spektrum möglicher Einsätze zu Lande, zu Wasser und in der Luft abdecken können muss, um die im Rahmen internationaler Verpflichtungen zugesagten Fähigkeiten für die NATO Response Force, die EU-BattleGroups und die Anforderungen der Vereinten Nationen bereitstellen zu können. Die Alternative des Schiebens und Streckens hätte zur Folge, dass sich die Bugwelle der Ausrüstungsdefizite in der Bundeswehr verstärken würde. Diese Art der Mangelverwaltung ist für mich keine ernsthafte politische Option. Ich komme zum Schluss. Aus meiner Sicht gibt es keine Alternative zu dem eben aufgezeigten Weg. Ziel muss ein Vollschutz für unsere Soldatinnen und Soldaten sein, der das Risiko für sie beherrschbar macht und mit dem wir unserer Verantwortung gegenüber den Angehörigen der Bundeswehr und ihren Familien gerecht werden. Herzlichen Dank. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Jörn Thießen, SPDFraktion.

Jörn Thießen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003855, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich zu Beginn meines Schlussbeitrages auf einen Satz des verehrten Kollegen Siebert und des Bundesministers eingehen. Ja, Herr Bundesminister, in Afghanistan setzen wir die Soldaten zu Recht nur noch in gepanzerten Fahrzeugen ein. Das ist richtig, weil so die Soldatinnen und Soldaten geschützt werden. Wir müssen aber auch wissen, dass das Konzept der PRTs im Wesentlichen ein Konzept der Kommunikation, der Offenheit ist, das ins Land hinein wirken soll. Deswegen ist die Frage, ob wir dieses Konzept auf Dauer verfolgen können, eine ernsthafte Debatte unter Fachleuten wert. Das heißt, wir müssen auf der einen Seite über den optimalen Schutz der Soldaten, auf der anderen Seite über Kommunikationskonzepte, die der Philosophie unseres Landes und Europas entsprechen, diskutieren. In diesem Zusammenhang eine Bemerkung an die Kolleginnen und Kollegen der FDP: Mit Abschiedsreden an die gemeinsame Verantwortung tragen Sie zu dieser ernsthaften Diskussion nicht bei. ({0}) Ich bitte Sie: Kehren Sie zu manchen guten Traditionen Ihrer eigenen Partei in der Außenpolitik - Sie können es nachlesen - zurück. Wir haben uns in diesem Hause vor wenigen Monaten über erhöhte Ansätze für Forschung und Technologie im Haushalt 2006 gefreut. Auch der Einzelplan 14 muss seinen Beitrag dazu leisten, die Forschungslandschaft in der Bundesrepublik und in Europa zu beleben. Der Koalitionsvertrag enthält dazu die richtigen Worte. Der Kern des Ansinnens ist, die drei Säulen der Forschung zu fördern. Im Einzelplan 14 fördern wir grundfinanzierte Institute. Wir erhalten - das ist besonders wichtig - die interne Beratungs- und Analysefähigkeit. Wir erproben technische Demonstratoren. Das Ziel der gesamten Forschung und Technologieentwicklung der Bundeswehr ist, die Wirksamkeit der Bundeswehr einerseits durch Technik und andererseits durch Analyse, Beratung und Strategie zu erhöhen. Entsprechend der Tradition unserer Streitkräfte suchen wir nämlich den Frieden nicht allein mit stets besseren Waffensystemen zu erhalten, sondern mit einer Verbindung von politischer und diplomatischer Strategie mit den technischen Möglichkeiten, deren Nutzung wir für geeignet halten. Deswegen hat die Bundeswehr, die sich wandelt und stets wandeln wird, immer neue Fragen zu beantworten. Wer über Forschung und technologischen Wandel redet, weiß: Diese Fragen werden am Ende nicht beantwortet sein. Die Kernfähigkeit der Bundeswehr, über sich und ihre Wirksamkeit in der Welt nachzudenken, müssen wir dringend erhalten. Wir dürfen nicht aufgeben, die Forderung zu stellen, dass dieser zentrale Teil des Etats der Bundeswehr nicht abgesenkt wird. Es gilt, die Forschungslandschaft des Verteidigungsministeriums einer genauen Analyse zu unterziehen. Bei den Ressortforschungseinrichtungen sind wir auf einem richtigen Wege. Wir warten ab, was der Wissenschaftsrat uns, dem Parlament, berichten wird. Eines aber sei schon heute gesagt: Die Kapazitäten der gesamten Ressortforschung der Bundesregierung können nicht auf dem freien Markt eingekauft werden. Wer glaubt, dass wir alles an den Universitäten erledigen können und keine interne Expertise brauchen, der irrt. Eigene Analyse, interne Beratung und eigenes Controlling gehören zu den Führungsfähigkeiten einer guten Regierung. Dies hat die große Koalition verstanden. Auch deswegen stellt sie eine gute Regierung. Die grundfinanzierte Forschung an einigen Instituten der Fraunhofer-Gesellschaft oder bei der FGAN muss sich folgenden Fragen stellen: Wie nahe an den Möglichkeiten des Marktes arbeiten die Institute? Wie kann die Vermarktung unserer Fähigkeiten noch besser werden? Diese Fragen stellen sich auch den Universitäten der Bundeswehr. Wer beide Universitäten zusammen betrachtet, kommt leicht zu dem Schluss, dass das Aufkommen an Drittmitteln mit Intelligenz und gutem Willen durchaus noch steigerbar ist. Diese Universitäten sind über alles gesehen wirklich gut ausgestattet und können im Einwerben dritter Mittel deutlich mehr leisten als bisher. Wir müssen über verstärkte Forschungs- und Entwicklungsaufträge die Löcher in der produktiven Auslastung mancher Firmen mildern. Dies ist auch mit weniJörn Thießen ger Finanzmitteln machbar; das sollten wir tun. Mit ausreichenden F-und-T-Mitteln können Firmen Ingenieurleistungen halten und damit auch das Abwandern von hoch qualifiziertem Personal verhindern. Frankreich und Großbritannien verfolgen das Ziel, ihre F-und-T-Haushalte noch weiter zu steigern. Wir wissen, dass diese beiden Länder noch andere Lasten tragen als andere Länder Europas. Der Ansatz der Bundesrepublik lässt sich noch so weiterentwickeln, dass wir Augenhöhe erreichen können. Dies ist wichtig, weil wir in der EDA und anderen Gremien als gleichberechtigte und ernst zu nehmende Partner wahrgenommen werden wollen. Ein wichtiger Schritt dahin ist, dass wir im Rahmen des 6-Milliarden-Euro-Programms der Bundesregierung und des Programms der Europäischen Union auch in der Sicherheitsforschung auf militärischer Seite endlich von den zivilen Beteiligten ernst genommen werden. ({1}) Am Ende steht auch im Bereich der Forschung und Technologie nicht die Technik im Vordergrund. Am Ende kommt es nämlich darauf an, zugunsten der Streitkräfte und ihrer Entwicklungsfähigkeit zu arbeiten. Das kommt vor allem den Menschen in den Streitkräften zugute. Die Bundeswehr wird viel mehr durch die Frauen und Männer konstituiert, die in ihr arbeiten, als durch alle fiskalischen und technischen Faktoren. Mit diesen Menschen sorgsam und zuverlässig umzugehen, ist unser hohes - und meist gemeinsames - politisches Ziel. Es gibt nicht neben anderen Aspekten auch eine soziale Dimension der Transformation. Sozialität ist der Kern der Transformation; denn wer nach außen den Frieden schaffen und erhalten will, der darf seine innere und soziale Dimension nicht vergessen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Weitere Wortmeldungen zu diesem Geschäftsbereich liegen nicht vor. Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Einzelplan 23. Ich erteile das Wort der Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul.

Heidemarie Wieczorek-Zeul (Minister:in)

Politiker ID: 11002503

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte von dieser Stelle aus herzliche Grüße und Genesungswünsche an den Vorsitzenden des Entwicklungsausschusses, unseren Kollegen Herrn Hoppe, richten, der heute wegen Krankheit nicht anwesend sein kann. Wir wünschen ihm von hier aus alles Gute und gute Genesung. ({0}) Wir alle haben in den Wochen der entsetzlichen militärischen Auseinandersetzungen mit den betroffenen Menschen in Israel, in Palästina und im Libanon gelitten. Wir haben auf einen Waffenstillstand gehofft und wir alle wünschen einen dauerhaften Frieden für den Nahen Osten. Uns ist klar: Es gibt keine Klärung durch Krieg, sondern nur durch politische Lösungen. ({1}) Teil einer politischen Lösung muss die Stärkung der staatlichen Autorität des Libanon für sein gesamtes Territorium sein. Ziel muss es sein, funktionierende Staatlichkeit herzustellen. Ich habe in Absprache mit Bundeskanzlerin Merkel im Vorfeld der Konferenz für den Libanon, zu der die schwedische Regierung und die UN eingeladen hatten, den Libanon besucht und mir einen eigenen Eindruck über die Notwendigkeit der Wiederaufbauhilfe verschafft. Ich möchte an dieser Stelle sagen: Präsident Siniora braucht internationale Unterstützung; er ist ein mutiger Mann, vor dessen schwieriger Aufgabe ich großen Respekt habe. ({2}) Wir müssen der Hisbollah, die kaltblütig zivile Opfer in Kauf genommen hat und sich nun als Helfer in der Not gibt, den Nährboden entziehen. Bei dieser Aufgabe ist das Land auf internationale Unterstützung, auch auf unsere Unterstützung angewiesen. Wir werden den Libanon deshalb wieder zum Partnerland unserer Entwicklungszusammenarbeit machen. Das möchte ich für die Bundesregierung an dieser Stelle ausdrücklich sagen. ({3}) Ich weiß, dass es Menschen gibt, die fragen: Müssen wir eigentlich wiederaufbauen? Diesen Menschen sage ich: Dort, wo Leid und Elend sind, ist es eine humanitäre Pflicht, den Menschen zu helfen. Der Frieden im Nahen Osten wird auch für unsere eigene Sicherheit von Bedeutung sein. Israel hat durch die Angriffe der Hisbollah in hohem Umfang Schäden erlitten, für die es keine internationale Hilfe anfragt. Israel will diese Schäden selber beseitigen. Aus all diesen Gründen sage ich: Es ist wichtig, dass wir auf dem Gebiet des Wiederaufbaus des Libanon gemeinsam tätig sind. Auf der Konferenz in Stockholm wurden für den Libanon Mittel in Höhe von insgesamt 940 Millionen USDollar zugesagt. Über die Hälfte davon kommt übrigens von arabischen Staaten. Das ist richtig und gut so. Auf dieser Konferenz habe ich für die Entwicklungszusammenarbeit in 2006 - Bereiche Wasserversorgung im Süden des Libanon und Förderung der beruflichen Bildung - 10 Millionen sowie weitere Mittel aus dem Haushalt des Finanzministers für die Kontrolle an den Landgrenzen zugesagt. Wir erbringen in diesem Jahr Unterstützungsleistungen in Höhe von mindestens 22 Millionen Euro. Wir leisten Unterstützung bei der Beseitigung der Ölverschmutzung. Weitere finanzielle Unterstützung werden andere Ressorts unserer Regierung beschließen, sodass die Mittel seitens der Regierung, auch meines Ministeriums, im nächsten Jahr aufgestockt werden. Im Moment gefährdet nicht explodierte Streumunition das Leben von zurückkehrenden Flüchtlingen im Süden des Libanon. Blindgänger töten unschuldige Menschen, spielende Kinder und gefährden UNIFIL-Truppen. Sie sind ein Problem für den Wiederaufbau. Lassen Sie uns an dieser Stelle gemeinsam sagen: Wir müssen alles dafür tun, dass Streubomben weltweit verboten werden! ({4}) Das muss eine unserer Schlussfolgerungen sein. Den Frieden in der Region werden wir aber nur erreichen - das ist heute immer wieder deutlich geworden -, wenn der Kernkonflikt zwischen Israel und Palästina eine Lösung findet. Israel hat ein selbstverständliches Recht, in Frieden und ohne Furcht vor entsetzlichen Angriffen zu leben. Das Existenzrecht des Staates Israel muss gesichert werden. Gleichzeitig geht es darum, einen eigenständigen palästinensischen Staat zu verwirklichen, der in Frieden mit seinen Nachbarn lebt und Israel anerkennt. ({5}) Auf der Konferenz in Stockholm wurden für die humanitäre Hilfe in Palästina - die Situation dort ist insbesondere für die Jugendlichen dramatisch - 450 Millionen US-Dollar bereitgestellt. Wir haben den so genannten Temporären Internationalen Finanzierungsmechanismus mitfinanziert, dessen Ziel es ist, trotz der bestehenden Hamas-Regierung dafür zu sorgen, dass zumindest die Bedürftigsten eine Unterstützung erhalten. Auf diese Art und Weise werden bis Ende September immerhin rund 600 000 Menschen in Palästina Hilfe erhalten. Das ist richtig und gut so. Die europäische Erfahrung zeigt doch, dass es möglich ist, Hass und Gewalt zu überwinden. Warum sollte das, was in Europa, in der KSZE gelungen ist - wenn auch unter völlig anderen Bedingungen -, nicht auch im Nahen Osten möglich sein, wo doch die große Mehrheit der Menschen Frieden will. In einer dauerhaften Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen Osten könnten Fragen der Sicherheitspolitik, der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und des menschlichen Zusammenlebens besprochen und geregelt werden. Engagieren wir uns gemeinsam für diesen Weg zum Frieden! ({6}) Nun zu einem Thema, das uns jeden Tag beschäftigt und immer aufs Neue beschäftigen muss. In dieser Welt sterben pro Tag 8 000 Menschen an Aids; so viele würden auch sterben, wenn jeden Tag zwanzig vollbesetzte Jumbojets abstürzen würden. Die Aidskonferenz in Toronto war wichtig, um die Aufmerksamkeit wieder auf diese dramatische Situation zu lenken. Was tun wir gegen Aids? Wir werden - das habe ich auf der Konferenz auch deutlich gesagt - unsere Maßnahmen gegen HIV und Aids verstärken, die Mittel für die Jahre 2007 und 2008 um rund 100 Millionen Euro auf jährlich 400 Millionen Euro aufstocken, unsere bilateralen Mittel und die Schuldenumwandlungen einsetzen und den Globalen Fonds zur Bekämpfung von HIV, Aids, Malaria und Tuberkulose entsprechend finanziell stärken. Warum? Das möchte ich an dieser Stelle noch einmal erläutern. Es handelt sich vor allen Dingen für junge Frauen und Mädchen um eine dramatische Situation. Während sie noch vor zehn Jahren 12 Prozent aller Infizierten ausgemacht haben, machen Frauen heute fast die Hälfte aller Infizierten aus. Das hängt damit zusammen, dass sie schwächer sind und sich in vielen Situationen nicht mit ihren eigenen Schutzmöglichkeiten durchsetzen können. Deshalb haben wir ausdrücklich die Mittel zugesagt, die für die Entwicklung von Mikrobiziden wichtig sind, die es den Frauen ermöglichen, sich selbst zu schützen und nicht auf den Schutz durch Männer angewiesen zu sein. Ich glaube, das ist ein ganz wichtiger Aspekt, um den Frauen in den Entwicklungsländern zu helfen. ({7}) Gleichzeitig geht es auch darum, dass wir die Programme stärker auf Frauen orientieren. Wir müssen uns unsere Programme sehr genau ansehen und vor allen Dingen mit dafür sorgen, dass in den Partnerländern die Gremien, die über die Verteilung dieser Mittel entscheiden, tatsächlich mit Frauen besetzt sind und sie damit ihre Stimme erheben können. Die deutliche zweite Steigerung des Haushalts nach dem Haushalt 2006 zeigt, dass wir unsere internationale Verantwortung und auch unseren Stufenplan zur Steigerung der Entwicklungszusammenarbeit ernst nehmen. Das sind keine Kosten, sondern Investitionen in die Zukunft unserer Kinder, Investitionen in Gerechtigkeit, in eine friedlichere Welt, in Armutsbekämpfung und die Bewahrung der Schöpfung. Es sind gut investierte Mittel. Es ist auch ein Signal in Richtung der EU-Ratspräsidentschaft und der Präsidentschaft der G 8 durch unsere Bundesregierung im nächsten Jahr. Ich bin überzeugt, dass wir im nächsten Jahr weitere entschlossene Schritte in diesem Sinne machen werden. Ich möchte mich bei der Koalition für die Unterstützung bedanken. Eine breite parlamentarische Mehrheit hat in diesen Fragen große Vorteile. Ich möchte mich aber auch bei der Opposition bedanken. Denn es ist immer gut, wenn es weiteren Druck und weitere Unterstützung gibt. Ich möchte zum Abschluss Kofi Annan zitieren. Er hat gesagt: „Ob es Afrika gelingt, dem Ziel der Halbierung der extremen Armut näher zu kommen, wird in hohem Maße von der Führungsrolle Deutschlands im nächsten Jahr abhängen.“ - Dazu sollen dieser Haushalt und unsere Verantwortung in EU und G 8 beitragen. Ich möchte an dieser Stelle Kofi Annan danken. Er wird Ende dieses Jahres aus seinem Amt ausscheiden. Er hat Großes für die Entwicklung und für den Frieden in dieser Welt geleistet. Wir erwarten von ihm jetzt in seinem Amt, aber auch danach Großes für das gemeinsame Ziel. Ich bedanke mich sehr herzlich. ({8})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Hellmut Königshaus, FDP-Fraktion.

Hellmut Königshaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003709, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich zunächst von ganzem Herzen den Genesungswünschen für den Kollegen Thilo Hoppe anschließen. Er soll bald wieder unter uns sein. Ich will Ihnen, Frau Ministerin - jedenfalls für unseren Teil der Opposition -, gern zusagen, dass wir weiterhin Druck machen werden, den Sie offenbar begrüßen. Frau Ministerin, Sie haben im Übrigen - wie häufig in der vergangenen Zeit - den Einsatz von Streubomben durch Israel kritisiert. Darüber kann man sicherlich diskutieren. Aber eines will ich Sie in diesem Zusammenhang fragen: Warum klagen Sie nur andere an? Vielleicht haben die Israelis ja lediglich das getan, was die Koalitionsfraktionen erst am 28. Juni dieses Jahres, allerdings für die Bundeswehr, gefordert haben: Streumunition einzusetzen, allerdings nur dann, „wenn geeignete alternative Munition nicht verfügbar ist“? Vielleicht hatten die Israelis auch nichts anderes, was geeignet war, zur Verfügung. So geht das jedenfalls nicht, meine Damen und Herren. Sie müssen schon Konsequenzen ziehen. ({0}) Sehen Sie sich Ihren Antrag an dieser Stelle noch einmal an und gehen Sie mit gutem Beispiel voran. Frau Ministerin, in den vergangenen Wochen konnte man häufig den Eindruck gewinnen - auch heute haben Sie ihn wieder erweckt -, als seien unsere Haushaltsberatungen im Grunde genommen entbehrlich. Man hat immer wieder gehört, was Sie alles versprochen haben - das haben Sie eben bestätigt -: 100 Millionen Euro mehr für die Aids-Bekämpfung, wohlgemerkt aus künftigen Haushalten, 22 Millionen Euro hier, andere Beträge dort usw. Sie haben Versprechungen gemacht - das ist okay -, aber dem Parlament haben Sie erst in allerletzter Minute die Erläuterungen und Projektlisten zur Beratung Ihres Haushalts übersandt. Dafür mag es Gründe geben. Aber eigentlich hätten wir schon eine Erklärung erwartet. Ich weiß nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen aus den Koalitionsfraktionen, wie Sie das sehen, aber so kann man eigentlich keinen Haushalt beraten. Vielleicht haben Sie sich damit abgefunden, dass die Regierung „durchregiert“ und Sie faktisch nur noch zum Abnicken bestellt werden. Ich jedenfalls finde das nicht normal und denke, wir sollten wieder zum normalen Verfahren zurückkehren: dass der Haushalt zunächst beschlossen und erst dann die Mittel verteilt werden. ({1}) Jedes der genannten Vorhaben mag sinnvoll sein. Aber in den Haushaltsberatungen sollten wir zumindest die Chance haben, uns mit ihnen zu befassen. Diese Oberflächlichkeit und dieser Mangel an Konkretheit sind auch in den Strukturen des Haushalts festzustellen. Nehmen Sie nur die Neustrukturierung der Durchführungsorganisation. Das ist natürlich ein wichtiges Thema. Denn nur eine wirksame Organisation kann politische Vorgaben tatsächlich kostengünstig und effizient umsetzen. Aber bisher liegt bloß eine Ausarbeitung - anders kann man das nicht nennen - eines Beratungsunternehmens vor, die handwerklich so dürftig ist - das muss ich so sagen -, dass man sich scheut, das Institut namentlich zu nennen. In dieser Ausarbeitung wurde überhaupt keine tragfähige Istanalyse vorgenommen. Noch schlimmer: Auch die Ausgangslage ist völlig falsch. Sie beginnt mit der Betrachtung an der Außengrenze der Ministerien. Das eigentliche Problem ist aber nicht die unzureichende Umsetzung, sondern zunächst einmal die mangelhafte politische Steuerung. Der Kollege Mark hat vorhin am Beispiel des Auswärtigen Amtes erläutert, dass es auch dort Entwicklungsaktivitäten gibt. Das ist nur ein Beispiel dafür, dass hier auch andere Ressorts mitmischen. Was wir brauchen, ist deshalb eine Reform, die die Steuerungsfähigkeit der Politik vergrößert und das unproduktive und aufreibende Nebeneinander sowie das eifersüchtige Miteinander-Rangeln der Ministerien beendet. Diesem Anspruch kommen Sie mit Ihrem Haushaltsansatz allerdings ganz gewiss nicht nach. Selbst wenn der Haushalt solide und nachvollziehbar wäre, müsste man also schon deshalb bezweifeln, dass Sie die Mittel überhaupt effizient einsetzen können. Aber auch inhaltlich schreibt dieser Haushaltsentwurf alte Übel fort. Da sind insbesondere die ausufernden Globalzuweisungen. Es handelt sich insgesamt um 28 Milliarden Euro - ich habe die Liste hier -, die aus dem Bundeshaushalt global zugewiesen werden; ein großer Teil davon sind Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit. Wofür diese Mittel eingesetzt werden sollen, das sollen wir uns im Rahmen der Haushaltsberatungen selbst heraussuchen. Meine Damen und Herren, das muss anders eingetaktet werden. Ich glaube, wir müssen in Zukunft auch im Hinblick auf die Struktur unserer Entwicklungspolitik anders arbeiten. Denn die Globalzuweisungen haben zur Folge, dass es letztlich nur darum geht, die ODA-Quote zu erfüllen. Hauptsache ist, das Geld fließt ab, egal wohin und egal wie: ob Weltbank, EU oder ADB. Kein Wunder, dass hier der Überblick verloren geht! Der krasseste Punkt ist der Europäische Entwicklungsfonds - dazu habe ich schon oft etwas gesagt -: 700 Millionen Euro wollen Sie im kommenden Jahr an diese Organisation überweisen. Das ist eine vollkommen undurchsichtige und parlamentarisch nicht kontrollierte Geschichte. Das kann im Grunde genommen so nicht weitergehen. Niemand weiß, was mit diesem Geld tatsächlich passiert. Wir wissen nur eines: 25 Prozent dieser Mittel, 175 Millionen Euro, fließen als Budgethilfen in die Haushalte einiger weniger AKP-Staaten. Ich habe kürzlich mit einem führenden Europapolitiker aus dem Kreise der Koalition gesprochen - ich sage jetzt nicht, wer es war -, dem ich gesagt habe: Es ist doch unglaublich, dass es so etwas gibt, was parlamentarisch nicht kontrolliert wird. Darauf sagte er, das sei interessant und ich solle ihm Informationen darüber zukommen lassen. Es kann doch wohl nicht richtig sein, dass wir solche Institutionen haben und niemand davon wirklich weiß. Aus diesem Fonds werden auch die überseeischen Gebiete und Länder unserer EU-Nachbarn mit finanziert - jedenfalls zum Teil -, beispielsweise Guadeloupe, Martinique und Französisch-Guayana. Ist es wirklich die Aufgabe unserer Entwicklungspolitik, dass wir den französischen, den niederländischen oder andere Staatshaushalte entlasten? Das ist doch verrückt. So etwas muss doch aufhören. Zahlen denn die Franzosen für uns Straßen in Mecklenburg-Vorpommern? ({2}) Das ist ziemlich abstrus, meine Damen und Herren. Obendrein zahlen wir in diesen Topf noch mehr als die Franzosen selbst. ({3}) - Nicht aus dem Entwicklungsfonds, sondern aus Strukturfonds. Diese Mittel kommen noch dazu, Frau Kollegin. Noch schlimmer sind im Übrigen die Haushaltsrisiken - über die ich hier schon mehrfach gesprochen habe -, die das BMZ beim EEF in den letzten Jahren heimlich, still und leise angehäuft hat. Sie, Frau Ministerin, haben per 1. Januar 2006 die offenen Forderungen des EEF auf über 4 Milliarden Euro beziffert - über 4 Milliarden Euro! Nur ein Bruchteil davon ist gedeckt, nämlich das, was wir dieses Jahr in die Haushalte einstellen, also 661 Millionen Euro. Der Rest ist ungedeckt. Selbst wenn es stimmt, was Sie nun behaupten, die absehbaren Abrufe des EEF seien im Haushalt des kommenden Jahres berücksichtigt - 2005 stimmte es bekanntlich nicht -, verschieben Sie doch damit die Probleme nur in die Zukunft und lösen sie nicht. Das soll uns hier dann als seriöse Haushaltsplanung verkauft werden? Das kann so nicht weitergehen. Deshalb ist es auch kein Wunder, dass Ihnen jetzt wieder nur einfällt, in Zukunft tiefer in die Taschen der Bürger zu greifen, diesmal mit der geplanten Ticketabgabe und anderen - wie Sie es dann nennen - innovativen Instrumenten. Wie wäre es stattdessen einmal mit Sparen? ({4}) Stampfen Sie beispielsweise das Ankerländerkonzept ein. - Frau Kollegin, helfen Sie dabei mit. Das kostet nur Geld und führt zu Zuständigkeitsstreitigkeiten mit dem Auswärtigen Amt, die Sie nicht gewinnen können. Hören Sie auf, immer mehr Geld in undurchschaubare Töpfe und Fässer zu schütten. Setzen Sie Prioritäten, die den Kernanliegen gerecht werden, die wir in der Entwicklungspolitik durch die MDG vorgegeben haben: keine U-Bahnen, Autobahnen und sonstigen Prestigeprojekte mehr, weniger Beton, mehr für die Bürger in den Nehmerländern, mehr Impfstoffe, Medikamente usw. Sichern Sie den Haushalt ab gegen die Risiken, die ich angesprochen habe. Wir sind gern bereit, Ihnen von der Opposition dabei zu helfen und gemeinsam nachzubessern, wenn Sie zur Kooperation bereit sind. In der jetzigen Form jedenfalls - das kann ich Ihnen vorhersagen - werden wir diesem Haushalt nicht zustimmen können. Ich bedanke mich. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun der Kollege Christian Ruck, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Christian Ruck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001893, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank. - Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt keinen Grund zur Aufregung. Ich bin Innenverteidiger der Bundestagsfußballmannschaft; ab und zu kracht es halt entsprechend. ({0}) - Aber jetzt zum Thema, Herr Kolbow. Mit dem Haushaltsentwurf für 2007 - das möchte ich jetzt nach den Ausführungen meines Vorredners voranstellen - unterstreicht die schwarz-rote Koalition unter Bundeskanzlerin Merkel erneut ihr klares Bekenntnis, den Spielraum der Entwicklungspolitik zu erhöhen. Durch das Engagement der Ministerin und ihres Hauses ist es erneut gelungen, den Etat für den Einzelplan 23 im Haushaltsentwurf signifikant zu erhöhen, und zwar weit über dem Wachstum des Gesamthaushalts. Damit hat Schwarz-Rot in zwei Jahren Haushaltsführung Steigerungen um fast 18 Prozent im Entwicklungsetat beschlossen, während der Entwicklungshaushalt unter Rot-Grün von 1998 bis 2005 um 1 Prozent gesunken ist. Das, glaube ich, ist schon ein starkes Stück unserer neuen schwarz-roten Koalition. ({1}) Damit können wir bisher insgesamt 600 Millionen Euro mehr einsetzen, um den gestiegenen entwicklungspolitischen Herausforderungen gerecht zu werden. Das ist eine Meldung, die man, glaube ich, gut vertreten kann und mit der wir uns auf dem richtigen Weg befinden. ({2}) Die Ereignisse in diesem Jahr unterstreichen, dass das strategische Gewicht der Entwicklungspolitik gewachsen ist. Die Entwicklungen im Kongo, in Afghanistan, im Nahen Osten, die Migrationsbewegungen in Afrika zeigen doch, wo die neuen, internationalen Herausforderungen für Deutschland liegen: Es gibt keine friedliche Welt ohne Entwicklung. Die Steigerung der ODA-Quote, die wir alle anstreben, für die wir alle kämpfen, dient deshalb nicht nur der Herstellung von Gerechtigkeit in der Welt, sondern ist auch ein signifikanter Beitrag für unsere eigene Sicherheit. Der Haushalt des BMZ ist darüber hinaus ein investiver Haushalt: Er sichert mindestens 200 000 Arbeitsplätze im Jahr in der Bundesrepublik Deutschland. Deswegen hat er massive ökonomische Auswirkungen im eigenen Land. Das sollten wir auch der Öffentlichkeit immer wieder sagen: Es geht nicht etwa um entwicklungspolitische Träumereien, es geht auch um Sicherheit und es geht auch um unsere eigenen Arbeitsplätze. Mit dem Haushalt 2007 werden diese neuen, strategischen Ansätze konsequent fortentwickelt. Wir stehen im Vorfeld des G-8-Gipfels und unserer Präsidentschaft im Europäischen Rat. Da müssen wir - und werden wir auch - sowohl konzeptionell als auch finanziell etwas auf den Tisch legen. Herr Königshaus, ich gebe Ihnen Recht - da habe ich Ihnen schon immer Recht gegeben und Sie mir auch, Gott sei Dank -, wenn Sie sagen: Geld ist natürlich nicht alles, es geht auch um Effizienz. Wir - auch die Koalition - sind ständig aufgefordert, die Effizienz gerade auch in diesem Politikbereich zu diskutieren. Da möchte ich etwas zu dem schon zitierten Gutachten sagen. Die Akteure der deutschen Entwicklungszusammenarbeit leisten Großartiges. Sie genießen großes Ansehen in der Welt; daran gibt es nichts zu rütteln. Aber die Strukturen auch der deutschen Entwicklungspolitik sind vielfach noch Strukturen, die vor 20, 30 Jahren begründet worden sind, zum Teil kann man sagen: Strukturen vor dem Hintergrund der Notwendigkeiten des Kalten Krieges. Die neuen Herausforderungen erfordern ein Umsteuern in der Zusammenarbeit - das haben wir ja auch alle beteuert -: weg von der Projektarbeit allein hin zur Strukturpolitik, zum Verändern und zum Überwinden gesellschaftlicher und politischer Strukturen. Aus diesem Grunde ist es natürlich wichtig, dass wir immer wieder auch an der Optimierung der Durchführungsstruktur arbeiten, sie durchdenken. Dafür stellt das vorliegende Gutachten meiner Ansicht nach eine gute Diskussionsgrundlage dar für weitere Schritte zur Gestaltung einer zukunftsfesten Aufstellung deutscher EZ. Wir wollen natürlich eine EZ aus einem Guss, wie sie auch von außen deutlich sichtbar werden muss. Was wir nicht wollen, sind Teillösungen oder eine Organisationsreform mit Siegern und Besiegten; darüber sind wir uns auch in der Koalition einig. Für Effizienzsteigerungen müssen wir Lösungen finden, die von allen als besser als der Status quo angesehen werden. Da, glaube ich, sollten wir sensibel vorgehen. Aus unserer Sicht muss neben der Betrachtung der einzelnen Instrumente - TZ, FZ, KfW, GTZ - auch nach der Einbettung dieser Instrumente in das Gesamtsystem gefragt werden. Zu klären ist auch, wie in einer modernen Aufstellung die Zuordnung von BMZ und den Durchführungsorganisationen aussehen soll und was mit den Teilen der EZ betreffend Aus- und Fortbildung und personelle Zusammenarbeit passieren soll. Vor allem müssen wir klären, wie die Außenstruktur aussehen soll; das ist für uns, SPD und CDU/CSU, ganz wichtig. Das sind Dinge, bei denen man nicht einfach aus der Hüfte schießen kann, da muss man zwar zügig und konsequent, aber doch auch mit der nötigen Vorsicht ans Werk gehen. Effizienzsteigerung bedeutet für mich aber auch - auch das ist schon angeklungen -, die regionale und die sektorale Konzentration voranzutreiben. Herr Königshaus, Sie haben die Anker- und die Schwellenländer angesprochen. Ich sage Ihnen eines: Etwas mehr Selbstbewusstsein im Umgang mit dem Auswärtigen Amt tut auch der FDP gut. ({3}) Mir ist um die Auseinandersetzung mit dem Auswärtigen Amt nicht bange, wenn die besseren Argumente auf unserer Seite sind. Da befinden wir uns auch untereinander in der Diskussion darüber, was die Kriterien für diese Auswahl sein sollen. Ich glaube, das darf nicht nur die Bedürftigkeit sein, sondern es müssen auch Kategorien wie das Gefahrenpotenzial und das Potenzial für strategische Partnerschaften eine Rolle spielen. Man kann sich mit wichtigen Schwellen- oder Ankerländern natürlich sehr wohl über die weitere Zusammenarbeit unterhalten. Bei den begrenzten Mittel müssen wir natürlich immer wieder auch die Frage stellen, was wirklich eine Entwicklung bewirkt und was die Armut wirklich bekämpft. Gerade im islamischen Bereich existiert allein schon durch die Vielzahl der arbeitslosen Jugendlichen, deren Anzahl jedes Jahr größer wird und die in die Welt und in diese Gesellschaften drängen, ein Pulverfass. Ich glaube, viele islamische Länder sind auf die Zusammenarbeit mit uns und darauf angewiesen, dass wir unsere Konzepte im gegenseitigen Interesse austauschen. Es ist doch vor allem für Entwicklungspolitiker völlig unbefriedigend, wenn man zuerst zum Aufbau eines Landes beiträgt und danach dann alles zusammengeschossen wird, sodass man wieder sagen kann: Gut, wir sind bereit, das wieder aufzubauen. Das kann ja nicht das Ende vom Lied sein. Vielmehr müssen wir eine vorausschauende Entwicklungspolitik betreiben und Strukturen verändern. Das ist unsere Aufgabe. ({4}) Dazu ist es natürlich auch erforderlich - das ist klar -, dass wir unsere Anstrengungen für ressortübergreifende Konzepte und Koordinationen fortsetzen. Komplexe Situationen wie im Kongo und im Nahen Osten erfordern natürlich, dass alle Ressorts parallel an den richtigen Stellschrauben drehen. Es reicht nicht allein aus, dass man Soldaten schickt oder die dortige Polizei ausbildet. Die Menschen in diesen Entwicklungsländern müssen auch spüren, dass sich der Einsatz für Demokratie, dass sich Wahlen und dass sich die Beachtung der Menschenrechte lohnen. Deswegen ist es auch eine ganz entscheidende Kernaufgabe der Entwicklungspolitik, in der Postkonfliktphase die Probleme schneller und besser zu lösen, als das bisher gelungen ist. ({5}) Herr Königshaus, noch ein Punkt, in dem wir uns alle einig sind: Zu dem Bereich der Effizienzsteigerung gehört auch eine bessere internationale Arbeitsteilung. Auch hier rennen Sie offene Türen bei uns ein. Das ist aber eine Knochenarbeit. Wir müssen ja nicht uns selber von der Notwendigkeit einer besseren Koordination in der EU überzeugen, sondern wir müssen vor allem die EU-Partner davon überzeugen. Das ist eine Knochenarbeit. Wir haben uns heuer aber vorgenommen, gerade diesen Punkt anzugehen. Lassen Sie uns doch erst einmal abwarten, wie weit die Ministerin und wir mit dieser Knochenarbeit kommen. Wir werden sie dabei jedenfalls tatkräftig unterstützen. ({6}) - Danke. Dasselbe gilt natürlich auch für die Versuche, das UN-System transparenter zu machen und zu straffen. Auch hier sind wir uns einig. Aber auch das ist eine Knochenarbeit. Das können wir nicht par ordre du mufti im Bundestag entscheiden, sonst hätten wir Koalitionäre das schon abgewickelt. Das dauert halt eine Weile. Hier muss uns Kofi Annan auch noch zur Seite stehen. Wir wollen die Präsidentschaften - sowohl hinsichtlich der G 8 als auch hinsichtlich der EU - nutzen, um auch unsere Themen vorwärts zu bringen. Das gilt vor allem für das Problem der Arbeitsteilung in der EU. Auch auf Afrika soll ein bestimmter Fokus gelegt werden. Wir treten aber auch dafür ein, dass die Diskussion tiefer gehen muss. Es darf nicht nur um Geldfragen gehen. Mit Geld allein sind die Probleme Afrikas eben nicht zu lösen. Ganz im Gegenteil: Wir müssen weiter denken und Konzepte anbieten und darüber diskutieren, wie ein mit Rohstoffen so reich gesegneter Kontinent wie Afrika viel mehr aus eigenen Kräften in der Lage sein kann, etwas daraus zu machen. Ich glaube, wir müssen einfach erkennen, dass eine schlechte Regierungsführung auch in Afrika ein Hauptübel ist. Der Run auf das Öl und andere Rohstoffe macht viele - auch unsere eigenen - Anstrengungen für eine gute Regierungsführung oft kaputt. Meine Damen und Herren, ich möchte natürlich auch die vielen nicht staatlichen Akteure, die für die Entwicklungszusammenarbeit so wichtig sind - Kirchen, Nichtregierungsorganisationen, Stiftungen und viele andere erwähnen. Sie sind für diesen Prozess des Strukturwandels, für den Aufbau von Zivilgesellschaften und für die Initiierung von gesellschaftlichen Prozessen, die für eine auf Entwicklung zielende Politik entscheidend sind, wichtig. Herr Königshaus, ich ziehe mir Ihren Schuh nicht an, dass wir in den zukünftigen Haushaltsberatungen alles abnicken. Das ist ein Schmarren. Wir werden über die eine oder andere Änderung in den weiteren Beratungen im Detail und sehr konstruktiv diskutieren. Wir sollten gerade diese Nichtregierungsorganisationen und Stiftungen, die im Koalitionsvertrag erwähnt sind, und andere dadurch stärken, dass wir hier Akzente setzen. Daneben müssen wir neue Akzente in dem Bemühen setzen, die Schöpfung zu bewahren. So ist der Regierungsentwurf für das Haushaltsjahr 2007 ein Entwurf, der neue Akzente setzt.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Ruck, sehen Sie bitte auf die Uhr.

Dr. Christian Ruck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001893, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Jawohl, Frau Präsidentin. - Selbstverständlich werden auch wir Akzente setzen. Darauf können Sie sich verlassen. Vielen Dank. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Kollegin Heike Hänsel, Fraktion Die Linke. ({0})

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Entwicklungsetat soll für 2007 erhöht werden. Das ist natürlich zu begrüßen. Wer könnte etwas dagegen sagen? Wir selbst fordern das auch. Allerdings ist völlig klar, dass allein mehr Geld überhaupt nichts über die Qualität von Entwicklungszusammenarbeit aussagt und keine Garantie für die friedliche Entwicklung und die Verbesserung von Lebensverhältnissen bietet. Entwicklungspolitik findet immer vor dem Hintergrund konkreter politischer Rahmenbedingungen statt, die vor allem durch wirtschafts- und außenpolitische Entscheidungen festgelegt werden. Wir haben heute viel über den Krieg im Libanon und die Situation im Nahen Osten gehört. Dort zeigt sich, dass wir im Grunde eine völlig andere Außenpolitik benötigen, wenn wir ernsthaft Entwicklung für die Menschen in der Region ermöglichen wollen. Herr Kauder hat in diesem Zusammenhang heute mehrmals einen Spruch verwandt, den er von Erwin Teufel abgekupfert hat: „Politik beginnt mit dem Erkennen der Realität.“ ({0}) Allerdings hat er dabei selbst Teile der Realität einfach ausgeblendet. Der Nahe Osten ist eine der am höchsten gerüsteten Regionen der Welt. Nur ganz wenige aber sprechen darüber, woher diese Waffen kommen. Zahlreiche deutsche Firmen liefern mit Genehmigung der Bundesregierung Waffen in diese Krisenregion, und zwar an alle Seiten. Bereits im Juli listete ein sehr guter Bericht des Magazins „Monitor“ zahlreiche dieser Waffenexporte auf, die unter anderem nach Ägypten, Jordanien, Kuwait und SaudiArabien gingen. Bilder zeigten palästinensische HamasKämpfer mit deutschen Maschinenpistolen und G-3Sturmgewehren. Es ist interessant, dass ausgerechnet Volker Kauder immer ein Lobbyist von Heckler & Koch war, dem Hersteller der G-3-Gewehre, ({1}) weil er sich stets für den Erhalt deutscher Arbeitsplätze in dieser Firma eingesetzt hat. Wer weiß, wo diese G-3-Gewehre sonst noch gelandet sind? Es gab nämlich auch offizielle Lizenzen für deren Produktion in Pakistan, Saudi-Arabien und Iran. Woher kommen die Waffen der Hisbollah? ({2}) Iran ist der Hauptwaffenlieferant der Hisbollah. Angesichts dessen stellt sich die Frage, wer die Verantwortung für die Aufrüstung in dieser Region übernimmt. Wir fordern einen sofortigen Stopp sämtlicher Waffenexporte in diese Region und in sämtliche andere Krisenregionen. Wer Waffen exportiert, ist immer mit dafür verantwortlich, dass sie eingesetzt und mit ihnen Menschen getötet werden. ({3}) Das betrifft natürlich auch die andere Seite, in diesem Fall Israel. Es gibt Lieferungen deutscher U-Boote an Israel und von deutscher Technik für israelische Kampfpanzer und Kampfjets. Diese Waffen wurden im Krieg gegen den Libanon und sie werden in den besetzten palästinensischen Gebieten eingesetzt, zum Beispiel im Gazastreifen. In zahlreichen Fällen wurde zivile Infrastruktur bombardiert; ebenso wird die Zivilbevölkerung bombardiert. Es ist ganz klar, dass auch wir Verantwortung dafür tragen. Herr Ruck hat es gesagt: In den betroffenen Regionen, so in den palästinensischen Gebieten und im Libanon, bauen wir mit EU-Geldern Entwicklungsprojekte auf - also auch mit deutschen Steuergeldern -, die anschließend bombardiert und zerstört werden. Das Absurde daran ist, dass dies zum Teil mit deutschen Waffen geschieht. Was ist das für eine Politik? Dies lehnen wir entschieden ab. Die Verantwortlichkeiten müssen hier noch einmal klar benannt werden. ({4}) Diese Politik hat sehr viele Menschen in der Region das Leben gekostet. Übrigens hat Herr Steinmeier geäußert, dass er unsere Kritik an der Entsendung deutscher Soldaten in den Libanon nicht ertragen könne. Als viel unerträglicher erachte ich das Schweigen der Bundesregierung in den letzten Wochen hinsichtlich der Forderung nach einem sofortigen Waffenstillstand sowie die Bilder von Angela Merkel und George Bush beim Grillfest in Stralsund just an dem Tag, an dem der Krieg gegen den Libanon begann. ({5}) In diesem Zusammenhang möchte auch ich - wie schon zahlreiche andere heute - Ihnen, Frau WieczorekZeul, unsere Unterstützung dafür zum Ausdruck bringen, dass Sie sich im Kabinett als Einzige für einen sofortigen Waffenstillstand eingesetzt haben ({6}) und dass Sie bei der UNO eine Untersuchung über den Einsatz von Streubomben gefordert haben. Wir haben heute viel über internationale Verantwortung gehört. Das ist eine Standardvokabel, die auch Herr Arnold vorhin benutzt hat. Vor allem die Kollegen aus dem Verteidigungsausschuss, aber auch die Außenpolitiker verwenden den Begriff „internationale Verantwortung“ gerne. Was aber bedeutet der Begriff, wenn es konkret wird? Es geht immer nur um Militäreinsätze, im Grunde für deutsche Interessen. Das Wort Verantwortung wird nicht mehr anders verstanden. Wir sind jedoch gewählt worden, um politische Verantwortung zu tragen und politische Lösungen für politische Probleme zu entwickeln, aber nicht, um unsere Verantwortung an das Militär abzugeben. Das ist kein Zeichen von Verantwortung; es ist vielmehr ein deutliches Zeichen von politischer Schwäche. ({7})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Beck?

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Nein, das gestatte ich nicht. Ich möchte jetzt fortfahren. ({0}) Wir sind jetzt fast am Ende der Debatte und ich habe heute selber schon sehr viel anhören müssen. Ich möchte noch von unserer Ausschussreise berichten. Wir waren mit dem Ausschuss in Israel und in den besetzten palästinensischen Gebieten. Ich denke, die Kolleginnen und Kollegen können es bestätigen: Mit gesundem Menschenverstand kann man erkennen, dass die Situation der Unterdrückung bei den Palästinensern und Palästinenserinnen ständig Hass und damit auch Gewaltbereitschaft erzeugt. Deshalb ist es überfällig - wir fordern das schon seit langem -, einen neuen umfassenden Friedensprozess in der Region einzuleiten, an dessen Ende zwei lebensfähige Staaten in sicheren Grenzen stehen müssen. Es war viel vom Existenzrecht Israels die Rede, das wir ganz klar unterstützen. Aber das Existenzrecht allein ist noch keine Garantie für die Sicherheit der israelischen Bevölkerung. Dafür brauchen wir eine umfassende Friedenspolitik. Denn die Sicherheit der israelischen Bevölkerung und die Sicherheit der Palästinenser und der Libanesen sind zwei Seiten einer Medaille. Wir müssen beide zusammen bedenken. Deshalb haben wir die Verantwortung, uns für eine Friedenspolitik in dieser Region einzusetzen. Für mich war auf unserer Reise interessant, dass wir sehr viele mutige Menschen getroffen haben - Israel ist auch eine multikulturelle Gesellschaft mit unterschiedlichen Vorstellungen; Zehntausende haben gegen den Krieg in Israel demonstriert; das wird viel zu wenig erwähnt -, die sich für einen Dialog auf palästinensischer wie auf israelischer Seite einsetzen. Diese Kräfte müssen wir unterstützen. Deshalb halte ich es für entscheidend, dass wir viel mehr Ressourcen in den Aufbau der Zivilgesellschaft auf allen Seiten investieren. Sparen wir uns die unsinnige Libanonmission, die überhaupt keinen Sinn hat! Wir sollten das eingesparte Geld stattdessen direkt in Friedensprojekte in der Region und den Aufbau des Libanon investieren. ({1}) Wir brauchen dringend eine Logik des Friedens gegen die Logik des Krieges. Das haben wir in den letzten Wochen erlebt. ({2}) Dazu kann die Entwicklungspolitik unserer Ansicht nach einen entscheidenden Beitrag leisten. Es kann nicht sein, dass Militärmissionen uns jetzt sogar als humanitärer Beitrag und als Entwicklungsbeitrag verkauft werden. Es ist entscheidend, dass wir konsequent eine zivile Politik entwickeln.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist überschritten.

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Viele Stimmen weltweit haben das längst erkannt. Sie wurden bereits zitiert. Auch wir stehen auf dieser Seite und halten es für unsinnig, wenn der Bundeswehretat noch erhöht werden sollte. Wir setzen uns für eine aktive Friedenspolitik ein. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort zu einer Kurzintervention gebe ich der Kollegin Beck.

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Kollegin, wer laut und aufgeregt argumentiert, hat nicht allein deswegen Recht. Wenn Sie vom Krieg gegen den Libanon sprechen, dann möchte ich das im Deutschen Bundestag so nicht stehen lassen. Jeder, der sich mit der Frage beschäftigt, muss wissen - auch Sie als Parlamentarierin sollten das wissen -, dass die Hisbollah über Jahre hinweg im Süden des Libanon, als dort nach dem Abzug der israelischen Truppen ein politisches Vakuum entstanden war, Raketen aufgebaut hat, mit denen ständig, und zwar über einen langen Zeitraum, Angriffe auf den Norden Israels geflogen worden sind. Es war dann die Entführung von zwei israelischen Soldaten auf israelischem Boden und die Tötung von acht Soldaten, die dazu geführt haben, dass Israel angefangen hat, sich zur Wehr zu setzen. Das will ich in diesem deutschen Parlament richtig stellen. Es ging nicht um einen Krieg gegen den Libanon. Wir wissen, dass die libanesische Regierung mit der schwierigen Situation leben musste, nicht mehr die Souveränität über das ganze Land zu haben. Das ist die Situation, in der nun die internationale Truppe ihre Funktion erfüllen soll. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin Hänsel, Sie dürfen erwidern.

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Beck, das sehe ich ganz anders. Die Menschen im Libanon, die fast vier Wochen bombardiert wurden, dürften das ebenfalls anders sehen. In meinen Augen war es ein Angriffskrieg gegen die gesamte Bevölkerung des Libanon. Hat dieser Krieg die Hisbollah in irgendeiner Form ausgeschaltet? Nein. Die Hisbollah existiert weiter. Es war ein gezielter Krieg gegen die zivile Infrastruktur - das sagt Amnesty International -, und zwar unter Inkaufnahme von über 1 000 toten Menschen in der Region. Das kann man nicht als einen Krieg gegen die Hisbollah bezeichnen. Egal welche internationale Stimme Sie nehmen, es war ein Krieg gegen die gesamte Bevölkerung des Libanon. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Kollegin Ute Koczy, Bündnis 90/ Die Grünen.

Ute Koczy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003788, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Zum Haushalt des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: 7,8 Prozent Steigerung der Barmittel, ich finde, dies ist ein Schritt in die richtige Richtung. Dass auch Mittel betreffend die Verpflichtungsermächtigungen für die bilaterale staatliche Entwicklungszusammenarbeit 2007 um 430 Millionen Euro angehoben werden, ist ebenfalls richtig. Ein Blick zurück, auf den Haushalt 2006, zeigt aber, in welchem Zustand sich die Finanzierung der Entwicklungszusammenarbeit der Bundesregierung befindet: in dem der Orientierungslosigkeit; denn noch in diesem Jahr haben Sie die Mittel betreffend die Verpflichtungsermächtigungen für die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit um 130 Millionen Euro gekürzt. Das nenne ich einen Zickzackkurs. Die Regierung müsste doch wissen: Um nach dem EU-Zeitplan das 0,7-Prozent-ODAZiel zu erreichen, kann sich Deutschland ein solches Hott und Hü gar nicht leisten. Uns läuft nämlich schon jetzt die Zeit davon. Unser gemeinsames Ziel ist die Umsetzung der Millennium Development Goals. Dabei ist es wichtig, die Verpflichtungsermächtigungen genau ins Visier zu nehmen; denn sie sind die Barausgaben von morgen und die Grundlage für neue Kooperationsangebote, die Sie heute den Entwicklungsländern in den Regierungsverhandlungen machen können. Tun Sie, was Sie sich selbst im Koalitionsvertrag vorgenommen haben! Sie wollen den EU-Stufenplan mit der Erhöhung der Haushaltsmittel, der Entschuldung der Entwicklungsländer und mittels der Einführung innovativer Finanzierungsinstrumente umsetzen. Wir unterstützen Sie dabei nach besten Kräften. Damit Sie aber in Bewegung kommen, haben wir Ihnen eine Brücke gebaut und einen Antrag auf Einführung einer Flugticketsteuer in den Bundestag eingebracht. Mit diesem Antrag tun wir nichts anderes, als Ihnen Ihre Koalitionsvereinbarung und die Erklärungen Ihrer Kanzlerin zur Entwicklungsfinanzierung ins Gedächtnis zu rufen. Aber was tun Sie? Sie verhindern mit der Koalitionsmehrheit die Befassung mit diesem Antrag in den Ausschüssen, auch im AwZAusschuss. Sie begehen damit einen großen Fehler. Sie machen sich international unglaubwürdig. Sie können nicht jahrelang mit unseren Partnern über innovative Finanzierungsinstrumente diskutieren und sich in der Pilotgruppe für die Einführung von Solidaritätsbeiträgen zugunsten von Entwicklung tummeln, um dann, wenn andere wie beispielsweise Frankreich, Brasilien und Südkorea Ernst machen, unterzutauchen. Mittlerweile sind es schon 18 Länder, die eine Ticketabgabe eingeführt oder diese verbindlich beschlossen haben. Dabei ist zum Beispiel Schweden gar nicht mitgezählt. Sie könnten in Deutschland durch eine Flugticketsteuer - wenn wir das Minimalmodell Frankreichs zugrunde legen - mindestens 300 Millionen Euro jährlich mobilisieren. Würden Sie es so machen wie die Schweden, käme sogar knapp 1 Milliarde Euro heraus. Die Briten haben bereits seit 1994 eine Flugticketabgabe und erwirtschaften damit heute jährlich 1,45 Milliarden Euro. Es sind nicht allein die zusätzlichen Mittel, die die Flugticketabgabe so bedeutend machen. Das Besondere daran ist - das wissen Sie -, dass es eine international verabredete gemeinsame Initiative von Industrie- und Entwicklungsländern ist und dass die Mittel sehr kontinuierlich und sehr verlässlich sprudeln. Weder in Großbritannien noch in Schweden hat die Abgabe zu Einbrüchen im Flugverkehr geführt. Das sage ich denen, die dagegen sind. Ganz im Gegenteil, der Flugverkehr ist sehr gewachsen und bedarf schon allein aufgrund der Gerechtigkeit gegenüber anderen Transportmitteln einer zusätzlichen Besteuerung. ({0}) Lassen Sie mich zum Haushaltsentwurf 2007 hinzufügen: Wir brauchen mehr Mittel für die ländliche Entwicklung, für Grundbildung, für die Bekämpfung von HIV/Aids, Malaria und Tuberkulose. Wir müssen Frauen stärken, dafür sorgen, dass Frauen Verantwortung in der Gesellschaft übernehmen können, und den Kampf gegen Gewalt und Vergewaltigung intensivieren. Wir brauchen Umsetzungsstrategien für die Einführung erneuerbarer Energien und den Ressourcenschutz in den Entwicklungsländern. Ich sehe in Richtung Christian Ruck und unterstreiche, dass wir mit der Ausrichtung der Vertragsstaatenkonferenz zum Schutz der biologischen Vielfalt 2008 in Deutschland eine große Verantwortung haben, unsere Kooperation aufzubauen. Wir müssen sowohl die staatliche Entwicklungszusammenarbeit als auch die wertvolle Arbeit von Nichtregierungsorganisationen entschieden stärken. Wenn ich mir den Haushaltsentwurf anschaue, dann stelle ich fest: Für diese Gruppen, für die Nichtregierungsorganisationen - nicht für die Kirchen und Stiftungen; die meine ich nicht -, für die nicht staatlichen zivilen gesellschaftlichen Gruppen haben wir nichts im Haushalt. Dem Titel für private Träger wurden weder 2006 noch 2007 zusätzliche Barmittel zur Verfügung gestellt. Hier besteht dringender Nachholbedarf. ({1}) - Alle anderen wurden erhöht, Herr Kollege, aber in diesem Bereich gibt es nur gute Worte und keine Taten. ({2}) Ich finde, das ist verkehrt. Das muss geändert werden. ({3}) Ebenso meine ich, dass die entwicklungsorientierte Notund Übergangshilfe besser ausgestattet werden muss. Hier muss endlich etwas passieren. Ich wiederhole es gerne: Der von Ihnen vorgelegte Entwurf für den Einzelplan 23 weist zwar in die richtige Richtung; trotzdem wird nicht erkennbar, wie Sie das 0,7-Prozent-Ziel erreichen wollen. Dafür ist ein jährlicher Mittelzuwachs von 1 Milliarde Euro für die gesamte öffentliche Entwicklungszusammenarbeit bis 2015 nötig. Mit Trippelschritten ist dies nicht zu machen. Die Kanzlerin hat hier im Bundestag ihr Bekenntnis zum EU-Stufenplan mit folgenden Worten bekräftigt: Ich weiß, was ich da sage. Das sind ganz anspruchsvolle Ziele. Aber wir müssen lernen: Die Probleme ereilen uns im Inland, wenn wir es nicht schaffen, die Probleme anderswo einer Lösung zuzuführen. Das ist ein Auftrag auch an die Entwicklungszusammenarbeit. Das ist ein Auftrag an uns. Wir haben eine ganze Menge zu tun. Den Sätzen ist nichts hinzuzufügen, außer dass wir nicht nur schöne Worte hören wollen, sondern couragierte Taten erwarten. Die stehen immer noch aus. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({4})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Kollegin Dr. Bärbel Kofler, SPDFraktion. ({0})

Dr. Bärbel Kofler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003710, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn man den Worten der Opposition gefolgt ist, dann könnte man meinen, zu dem Haushaltsentwurf, der jetzt eingebracht worden ist und über den wir heute in erster Lesung, Herr Königshaus, diskutieren, wäre nichts Positives anzumerken oder es wäre ein schlechter Entwurf. Ich muss sagen: Das Gegenteil davon ist der Fall. ({0}) Lassen Sie uns auf den Haushaltsentwurf zurückkommen. Wir haben im Haushalt 2007 einen Aufwuchs von 7,8 Prozent. Das sind 324 Millionen Euro, um es deutlich zu machen. Das ist neben dem Etat des Familienministeriums der zweitgrößte Aufwuchs aller Ministerien. Auch das ist wichtig und richtig. Wie die Ministerin zu Recht betont hat, ist es eine Zukunftsinvestition, ein investiver Haushalt, ein Haushalt, in dem sich die Auseinandersetzung mit den Problemen dieser globalisierten Welt widerspiegelt. Deshalb ist dieser Aufwuchs von ganz besonderer Bedeutung. ({1}) Dieser Haushalt ist auch ein Zeichen dafür, dass wir als Regierungskoalition das im Aktionsplan festgeschriebene Ziel, die ODA-Quote bis 2015 auf 0,7 Prozent zu erhöhen, ernst nehmen, Frau Koczy. Da können Sie uns etwas Vertrauen entgegenbringen. ({2}) Wir haben in diesem Haushalt einige wesentliche Punkte aufgegriffen, die die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit angehen. Ich verweise auf die Technische Zusammenarbeit. Die entsprechenden Verpflichtungsermächtigungen wurden ganz deutlich aufgestockt, nämlich um 430 Millionen Euro. Das war ebenfalls richtig und wichtig. Es ist lange gefordert worden. Auch das muss man der Ehrlichkeit halber sagen. Es war dringend nötig und verschafft den Durchführungsorganisationen die nötige Planungssicherheit für ihre zukünftigen Projekte. Auch daran wird die langfristige Planung sichtbar. ({3}) Frau Hänsel, Sie haben sicherlich Recht: Allein mehr Geld bringt es noch nicht. Ich möchte anhand einiger Punkte, die gerade unsere bilaterale Entwicklungszusammenarbeit betreffen, deutlich machen, dass wir beim Haushalt sehr wohl auf Qualität setzen. Der Barmittelansatz bei der bilateralen EZ steigt um 10 Prozent. Warum steigt er? Weil wir mit diesen Mitteln zu Recht die gute Arbeit unserer Durchführungsorganisationen fördern wollen und müssen. An dieser Stelle möchte ich vonseiten der SPD-Fraktion den Durchführungsorganisationen - seien es KfW, GTZ, INWENT, DED, CIM, Stiftungen, Kirchen oder viele andere Nichtregierungsorganisationen - noch einmal ein Lob für ihre wirklich hervorragende Arbeit aussprechen. Ich denke, auch in einer Haushaltsdebatte ist es angemessen, dies einmal zu sagen. ({4}) - Herr Königshaus, bei Ihnen bin ich mir nicht so sicher. Sie widersprechen bei allem. ({5}) Unser Ausschuss hat sich für seine Arbeit sehr wichtige Ziele gesetzt. Sehr wichtige Ziele enthält auch dieser Haushaltsentwurf: Bekämpfung der Armut, Millennium Development Goals. Wir waren auf unseren Reisen zum Beispiel in China und haben gesehen, wie sinnvolle Projekte durch die Arbeit der Durchführungsorganisationen, durch das, was wir für die bilaterale Zusammenarbeit finanziell zur Verfügung stellen, geschaffen werden, die gerade den ländlichen Raum unterstützen, die gerade dazu beitragen, nachhaltige Wirtschaftsentwicklungen zu fördern, Menschen in die Situation zu versetzen, sich selbst zu helfen, aber auch Demokratie und zivilgesellschaftliche Strukturen zu fördern. Das sind wichtige Punkte, die man nicht einfach mit dem Satz „Na ja, durch unsere EZ passiert ja nichts Wichtiges“ abtun kann. Wir tragen hier wirklich zu Strukturveränderungen in den Partnerländern, auch im Dialog mit diesen Ländern, bei. Auch damit leisten wir einen Beitrag zur Erreichung der Millennium Development Goals. Ich möchte anhand von zwei Haushaltstiteln noch darauf eingehen, dass wir sehr wohl Strukturveränderungen anstoßen und besondere Beiträge leisten. Frau Koczy, Sie haben angesprochen, dass Zuhörer den Eindruck haben könnten, dass keine Mittel für zivilgesellschaftliche Organisationen und private Träger in diesem Einzelplan vorgesehen sind. So mag es jemandem erscheinen, der diesen Haushalt nicht kennt. Ich darf daran erinnern, dass dafür ungefähr 480 Millionen Euro zur Verfügung stehen. Ein Titel betrifft die Förderung der Sozialstrukturen. Auch dieser Titel wird in diesem Haushaltsentwurf aufgestockt. Ich finde übrigens, es ist ein sehr wichtiger Titel, weil durch ihn Mittel gerade für Institutionen zur Verfügung gestellt werden - ich verweise in diesem Zusammenhang auf das Bildungswerk des DGB -, die sich mit den Fragen von Sozialstandards, von Kernarbeitsnormen auseinander setzen. Das sind Fragen, die wahrscheinlich sehr viele Menschen innerhalb und außerhalb dieses Saales bewegen. Dabei geht es darum, wie wir weltweit das Verbot von Kinderarbeit und Zwangsarbeit durchsetzen, wie wir entsprechende Arbeitnehmerrechte und Verbote der Diskriminierung am Arbeitsplatz organisieren. ({6}) Auch das ist ein Titel, der in diesem Haushaltsentwurf aufwächst. Ich finde das positiv. Das ist auch etwas, was von der SPD-Arbeitsgruppe sehr positiv aufgenommen wurde. „Ziviler Friedensdienst“ ist ein weiterer Titel, der deutlich aufwächst. In vielen Beiträgen, auch außenpolitischen Beiträgen, heute ist deutlich angeklungen, wie wichtig die Arbeit ziviler Friedensdienste in den verschiedensten Krisenregionen dieser Erde ist. Ich bin sehr froh darüber, dass dieser Titel aufwächst, bei den Barmitteln und noch deutlicher bei den Verpflichtungsermächtigungen. Damit wird eine Richtung für die nächste Zeit aufgezeigt und deutlich gemacht, dass wir Krisenprävention, Konfliktnachsorge bei traumatisierten Menschen und Ausgleich zwischen ehemaligen Konfliktparteien mit den Mitteln in unserem Haushalt besonders unterstützen wollen. Wenn man das alles in einer Zusammenschau sieht, dann stellt man fest: Der Entwurf des Haushalts 2007, den wir jetzt diskutieren, weist einen ordentlichen Mittelaufwuchs auf. Die Verpflichtungsermächtigungen sichern ordentliche Beiträge für die Zukunft. Mit dem Barmitteleinsatz für die bilaterale EZ werden deutliche Akzente gesetzt. Deshalb ist dieser Haushalt ein richtiger und wichtiger Schritt für unsere Entwicklungszusammenarbeit in der Zukunft. ({7}) Lassen Sie mich noch ein paar Bemerkungen zur multilateralen EZ und zur künftigen Finanzierung machen. Herr Königshaus, ich habe schon fast befürchtet, dass Sie wieder den EEF ansprechen. Es ist richtig und wichtig, dass man sich mit europäischen Themen und europäischen Fonds auseinander setzt. Der Kollege Ruck hat aber sehr richtig gesagt: Man muss dabei bereit sein, auch einmal Knochenarbeit zu leisten. Man darf Kritik nicht nur in der Form üben, dass man den Fonds in Bausch und Bogen verurteilt. Zur Erinnerung sollte man noch einmal sagen: 78 Länder, die AKP-Staaten - Afrika, Karibik, Pazifik -, sind die Hauptprofiteure des EEF. Es ist richtig und wichtig, dass wir uns mit diesen Ländern beschäftigen und ihnen Mittel zur Verfügung stellen. Wer, wenn nicht die Europäische Union, sollte das tun? Es betrifft schließlich unseren Nachbarkontinent Afrika. Wir werden mit den Problemen Afrikas konfrontiert und werden auch mit europäischer Entwicklungspolitik dort tätig werden müssen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Königshaus?

Dr. Bärbel Kofler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003710, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Natürlich. ({0}) - Eben.

Hellmut Königshaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003709, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wir hatten, glaube ich, gar keinen Dissens darüber, dass alle diese Länder im Fokus sein müssen und dass wir dort, wenn erforderlich, auch helfen müssen. Die Frage ist nur: Muss das außerhalb der öffentlichen Haushalte stattfinden? Muss das in einer Konstruktion geschehen, die parlamentarischer Kontrolle entzogen ist? Muss das in einer Form passieren wie hier, wo völlig undurchschaubar ist, wer entscheidet, wie entschieden wird und wann Mittel abgerufen werden? Darüber habe ich gesprochen. Ich habe doch gar nicht über die Ziele geredet.

Dr. Bärbel Kofler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003710, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das ist die alte Strategie: Zuerst stellt man pauschal etwas in den Raum und im Nachhinein, bei der ersten Replik, rudert man mit seinen Äußerungen ein bisschen zurück. Aber ich antworte gerne auf die Frage. Es geht natürlich darum: Wie können wir die Politik für die AKP-Staaten - Afrika, Karibik, Pazifik - in europäische Politik integrieren? Wenn es nicht sofort und einfach möglich ist, dies im EU-Haushalt zu tun - auch das bedarf der Abstimmung und der Koordination mit anderen Staaten -, dann ist es wichtig, weiter die finanziellen Mittel und die Möglichkeiten zu haben, die der EEF bietet. Was beim 10. EEF erreicht worden ist, was zum Beispiel die Frage der so genannten Sunset-Clause angeht, steht in der Antwort auf die Anfrage der FDP. ({0}) - Das ist meist der Punkt. Aber ich zitiere das gerne noch einmal. ({1}) - Dann auch dazu noch einmal. Gehen wir auf den 9. und 10. EEF ein. Nach dem Ende der Laufzeit sind keine Mittel mehr abrufbar. Deckungsfähigkeit besteht nur noch mit Titeln des VN-Etats, nicht mehr mit solchen der bilateralen EZ. Was die Evaluierung anbelangt: In der Antwort, die Sie von der Bundesregierung bekommen haben, steht deutlich, dass zum Beispiel Europe-Aid jährlich eine Evaluierung von Projekten vornimmt. Diese Evaluierung kann man sich auf der Internetseite von Europe-Aid ansehen. Auch das ist ein Beitrag zur Transparenz. Es besteht durchaus die Möglichkeit, einmal einen Blick darauf zu werfen, Herr Königshaus. ({2}) Auch zur Flugticketabgabe einige Ausführungen; denn es ist natürlich eine wichtige Frage, wie wir zukünftige Haushalte gestalten und wie wir den Mittelaufwuchs, den wir alle dringend wollen und brauchen, für unseren Etat bewerkstelligen können. Sie wissen alle, dass sich die Regierung im Februar/März dieses Jahres in Paris ganz aktiv an der Diskussion über innovative Finanzierungsinstrumente beteiligt hat. Sie wissen, dass wir an der Leading Group beteiligt sind und dort ganz entscheidend mitwirken, um diese innovativen Finanzierungsinstrumente umsetzen und aufgreifen zu können, möglichst auf breiter Basis; denn je mehr mitmachen, umso erfolgreicher ist das Ganze. ({3}) Sie haben ja selber gerade ein paar Beispiele dafür ausgeführt. Wer sich den Finanzplan der Bundesregierung ansieht, wird feststellen, dass die innovativen Finanzierungsinstrumente auch dort deutliche Erwähnung finden. Es ist vollkommen unstrittig, dass wir zur Erreichung des 0,7-Prozent-Kriteriums diese innovativen Finanzierungsinstrumente brauchen. Das haben wir als SPD-Arbeitsgruppe bei der letzten Haushaltsberatung gesagt und das sagen wir selbstverständlich auch bei dieser Haushaltsberatung. Ebenso stehen wir nach wie vor unverändert zur Flugtickettax. Ich möchte noch auf Ihren Antrag eingehen. Der Antrag, den Sie gestellt haben, ist nicht verhindert - er wird im Ausschuss debattiert -, sondern vertagt worden, weil es da um eine Entscheidung geht, die man nicht übers Knie brechen kann, die man nicht am Rande einer Sitzung kurz vor der Sommerpause in fünf Minuten abhandeln kann, sondern die gebührender Aufmerksamkeit in den Beratungen bedarf. Die wird sie in der nächsten Zeit in den Ausschussberatungen auch bekommen; da bin ich vollkommen sicher. ({4}) - Frau Koczy, es ist die erste Woche nach der Sommerpause; wir klären das. Zusammenfassend möchte ich

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin, Sie sehen aber schon, dass Sie Ihre Redezeit deutlich überschritten haben.

Dr. Bärbel Kofler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003710, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

- ich bin beim letzten Satz - deutlich darauf hinweisen, dass der Haushalt 2007 ein guter Haushalt ist. Ich denke, wir werden in den Beratungen noch einige Aspekte der Fachpolitiker positiv einbringen können. Ich freue mich auf die interessante Debatte zur Flugticketabgabe und zu anderen Punkten in den nächsten Wochen im Ausschuss. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und ein Dank geht an die Ministerin für ihr Engagement. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Hartwig Fischer, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Hartwig Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003526, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind am Ende eines Debattentages, an dem wir den Kanzlerhaushalt, den Haushalt des Außenministeriums, des Verteidigungsministeriums und jetzt der wirtschaftlichen Zusammenarbeit diskutieren. Wer die Debatte über den gesamten Tag verfolgt hat, hat festgestellt, dass diese Koalition ganz deutlich Politik aus einem Guss macht. Das begann bei der internationalen Diplomatie, die die Kanzlerin angesprochen hat, ging über die Präventionsdiplomatie, von der der Außenminister gesprochen hat, und das Einbinden der Friedensmission durch Verteidigungsminister Jung in diese Diplomatie bis hin zur Eröffnung dieser Debatte durch unsere Ministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Nach meiner persönlichen Überzeugung zeigt sich für uns ein großes Problem. Wir haben in den vergangenen Jahren Naturkatastrophen erlebt, bei denen unser Ministerium als Reparaturbetrieb herhalten musste. Es gibt eine Vielzahl von bewaffneten Konflikten; auch da wird dieses Ministerium zu Reparaturarbeiten herangezogen. Hartwig Fischer ({0}) Das heißt, wir machen humanitäre Entwicklungspolitik und Krisenreaktion. Leider werden dadurch die Mittel eingeschränkt, die man bräuchte, um stärker perspektivisch tätig zu werden. Wir müssen versuchen, auf dem Wege internationaler Diplomatie dahin zu kommen, dass wir mehr Mittel und Kapazitäten in den Bereich der Prävention einbringen können. Man muss sich einmal vor Augen führen, wie viele Konflikte wir derzeit auf dieser Erde haben. Insgesamt sind es 39 Konflikte; die meisten in Entwicklungsländern. 90 Prozent der Konflikte seit 1945 haben in der Dritten Welt stattgefunden. 15 kriegerische Konflikte gibt es derzeit in Asien und elf in Afrika. Meine Damen und Herren, das zeigt die besonderen Herausforderungen in der Folge der Konflikte für die Diplomatie, aber auch für uns alle. Das heißt: Wir müssen die Entwicklungszusammenarbeit in Teilbereichen zentralisieren und effektiver gestalten. Wir haben beschlossen, in Zukunft mit weniger Staaten zusammenzuarbeiten. Wir wollen die Zusammenarbeit auf 60 Staaten reduzieren. Das bedeutet eine stärkere Kooperation mit der EU und eine stärkere Kooperation mit anderen Ländern. Wir müssen eine internationale Arbeitsteilung vornehmen. Nicht jeder kann in jedem Land arbeiten; vielmehr sollten wir uns auf die Bereiche konzentrieren, in denen wir am besten Schwerpunkte setzen können, also insbesondere auf die Bereiche Infrastruktur, Grundversorgung bei Wasser und Nahrung sowie Bildung und Gesundheit. Es bedeutet insbesondere aber auch Capacity-Building bei der Unterstützung von Staaten, um in weiten Bereichen von schlechter Regierungsführung zu besserer Regierungsführung zu kommen. Wir müssen uns multilateral engagieren. Dazu gehört auch - das ist eine besondere Aufgabe, der wir uns stärker stellen müssen -, dass wir personell in den internationalen Institutionen mit eingebunden sind, damit wir frühzeitig auf diese Projekte einwirken können. ({1}) Wir sollten bei der Auseinandersetzung um die Entwicklungszusammenarbeit die deutschen Interessen mit in den Vordergrund stellen, damit die Partner wissen, dass wir Entwicklungspolitik auch im eigenen Interesse machen. Es gibt humanitäre Gründe, aber es gibt vor allen Dingen auch Gründe, die wir derzeit jeden Tag an unseren Grenzen oder im Augenblick auf den kanarischen Inseln erleben. Die Migration hat erschreckende Ausmaße angenommen. Migration ist ein Zeichen von Armut und von Hoffnungslosigkeit. Lassen Sie mich nur die Zahlen der letzten Tage noch einmal nennen: 399 Flüchtlinge am 4. September, 1 433 Flüchtlinge am vergangenen Wochenende, 5 880 Flüchtlinge derzeit auf den kanarischen Inseln. Weltweit gibt es zurzeit zwischen 20 Millionen - nach Angaben des UNHCR - und 40 Millionen - nach Angaben anderer Stellen - Flüchtlinge, davon über 10 Millionen Flüchtlinge in Lagern. Das sind Menschen, die keine Hoffnung haben, und am meisten leiden darunter die Kinder. Wir wissen, dass von den 15 Ländern mit der höchsten Kindersterblichkeit allein 14 Länder in Afrika sind. Wir wissen, dass jährlich 4 Millionen Kinder an Krankheiten sterben, die auf verschmutztes Trinkwasser und auf mangelnde Hygiene zurückzuführen sind. Was sind denn die Folgen der Mangelernährung? Jährlich sterben noch immer 1,5 Millionen Babys, weil sie nicht gestillt und daher nicht ausreichend versorgt werden. Rund 50 Millionen Kinder bleiben durch Jodmangel in ihrer geistigen Entwicklung zurück. Jährlich erblinden über 500 000 Kinder infolge von Vitamin-A-Mangel. Armut fördert Migration. Armut macht anfällig für Neid und Hass. Armut bereitet einen Nährboden für Fundamentalismus, wie wir das im Umfeld von Flüchtlingslagern erleben. Arme in der Dritten Welt erleben in Fernsehbildern virtuell unseren Wohlstand. In manchen Ländern sehen die Menschen aus den Townships, die nicht genügend zu essen haben, über Satellit das Werbefernsehen, wenn sie zufällig an einem Fernsehgeschäft vorbeikommen. Dass ihre Hoffnungslosigkeit sie dann dazu verleitet, unter Lebensgefahr in Booten ihre Länder zu verlassen, ist klar. Aber gleichzeitig können diese Menschen zu einem Risiko in unseren Ländern werden. ({2}) Deshalb müssen wir einen Schwerpunkt dabei setzen, Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten und diese Mittel konsequent einzusetzen. In diesem Zusammenhang will ich sagen, dass die deutschen Nichtregierungsorganisationen, die von der GTZ umgesetzten Projekte und die Finanzierungsprojekte ebenso wie die Unterstützung zum Beispiel durch deutsche Polizisten beim Aufbau von Sicherheitssystemen und durch deutsche Juristen beim Aufbau von Rechtssystemen in diesen Ländern ein hohes Ansehen genießen. Auch wenn das keine Sachprodukte, sondern menschliche Leistungen sind, wird das in diesen Ländern als „made in Germany“ angesehen und außerordentlich positiv besetzt. Deshalb erhoffe ich mir von der Konzentration der Entwicklungszusammenarbeit auf diese 60 Länder gleichzeitig eine Konditionierung des Verhaltens derjenigen Staaten, mit denen wir im Hinblick auf Good Governance zusammenarbeiten. ({3}) Lassen Sie mich noch auf Folgendes hinweisen: Wer wie einige von Ihnen nicht nur die Situation in den Kriegsgebieten in Asien - in Indien allein in fünf Provinzen -, sondern auch im Kongo persönlich erlebt hat, wer die Hoffnung darauf setzt, dass dort durch die Wahlen ein Friedensprozess in Gang gesetzt wird, der wird mit mir darin einig sein, dass wir jetzt eine Nachwahlstrategie zur Stabilisierung der dann gewählten Regierung vorbereiten müssen. Das wäre zum Beispiel ein Projekt, bei dem man sich gemeinsam mit anderen europäischen Staaten so Hartwig Fischer ({4}) engagieren kann, dass aus dieser Krisenregion mit über 4 Millionen Toten in den vergangenen Jahren eine Zukunftsregion wird. Wenn man dann begleitend eine Rohstoffökonomie betreibt, in deren Rahmen sich die Länder international verständigen sollten - ich will dies ausdrücklich sagen -, damit nicht ein Land wie China dort unkonditioniert Rohstoffe ausbeutet und andere Länder konditionierte Hilfen geben, wäre das nach meiner Überzeugung - ich sehe das Zeichen, dass ich aufhören muss - einer der Ansätze für eine konstruktive Entwicklungszusammenarbeit. Vielen Dank. ({5})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Donnerstag, den 7. September 2006, 9 Uhr, ein. Ich wünschen allen hier im Hohen Hause einen schönen Abend. Die Sitzung ist geschlossen.