Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor wir in die
Tagesordnung eintreten, möchte ich Sie bitten, sich von
Ihren Plätzen zu erheben.
({0})
Seit unserer letzten Plenarsitzung vor der Sommerpause hat uns die Nachricht vom Tod einiger früherer
Kollegen erreicht, von denen ich drei langjährige Parlamentarier mit einigen Hinweisen würdigen möchte.
Am 26. August dieses Jahres verstarb nach schwerer
Krankheit Bundestagspräsident a. D. Dr. Rainer Barzel
im Alter von 82 Jahren. Heute Mittag wird er in Bonn zu
Grabe getragen.
Rainer Barzel hat die Politik in der Bundesrepublik
Deutschland in herausragenden Positionen über mehrere
Jahrzehnte entscheidend mitgestaltet. Er war Bundestagspräsident, Bundesminister sowie Partei- und Fraktionsvorsitzender. Rainer Barzel gehörte zu jener Aufbaugeneration von Politikern, die mit ihrem politischen
Engagement unser Land und seine Demokratie nachhaltig geprägt haben.
Rainer Barzel wurde am 20. Juni 1924 im ostpreußischen Braunsberg als fünftes von sieben Kindern geboren. Nach dem Abitur nahm er als Fliegerleutnant am
Zweiten Weltkrieg teil. 1949 promovierte er nach dem
Studium der Rechtswissenschaften und der Volkswirtschaft an der Uni Köln zum Doktor der Rechtswissenschaften. Seine ersten beruflichen Stationen absolvierte
er in der Verwaltung des noch jungen Bundeslandes
Nordrhein-Westfalen, unter anderem als Vertreter des
Ministers für Bundesangelegenheiten.
In seinem politischen Grundverständnis stark von der
katholischen Soziallehre beeinflusst, schloss sich Barzel
im Jahre 1954 der CDU an. Schon 1956 wurde er geschäftsführendes Mitglied des CDU-Landespräsidiums
in Nordrhein-Westfalen, 1960 Mitglied im CDUBundesvorstand und 1966 erster stellvertretender CDUVorsitzender. Von 1971 bis 1973 war Rainer Barzel Bundesvorsitzender der Christlich-Demokratischen Union
Deutschlands. Bei den Bundestagswahlen im November
1972 trat er als Kanzlerkandidat der Unionsparteien an.
Seine parlamentarische Tätigkeit begann Rainer
Barzel im Jahr 1957 mit seinem Einzug in den Deutschen Bundestag als Direktkandidat für den Wahlkreis
Paderborn-Wiedenbrück. Barzel gehörte unserem Haus
ohne Unterbrechung 30 Jahre lang, bis zum Jahre 1987,
an. Von 1964 bis 1973 bekleidete er den Fraktionsvorsitz
von CDU/CSU.
Von Januar 1977 bis Februar 1979 war er Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses, von Dezember 1980 bis
Oktober 1982 Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages.
Am 29. März 1983 wurde Rainer Barzel zum Präsidenten des 10. Deutschen Bundestages gewählt. Dieses
Amt hatte er bis zum 25. Oktober 1984 inne. In seiner
Amtszeit war ihm die Fortentwicklung der Parlamentsarbeit im Rahmen einer Parlamentsreform ein besonderes Anliegen. Auf Anregung von Rainer Barzel fand am
20. September 1983 zum ersten Mal seit 1949 im
Plenum eine Debatte über das Selbstverständnis des
Deutschen Bundestages statt. Er selber hat sich als Bundestagspräsident in dieser Selbstverständnisdebatte mit
kritischen und selbstkritischen Bemerkungen zu Wort
gemeldet.
Von Dezember 1962 bis Oktober 1963 war Rainer
Barzel in der letzten Regierung von Konrad Adenauer
Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen.
Das Offenhalten der deutschen Frage und die Wiedererlangung der staatlichen Einheit in Frieden und Freiheit
waren für ihn immer ein Ziel, das es in stetigen Schritten
zu verwirklichen galt.
Von Oktober 1982 bis März 1983 war Rainer Barzel
im ersten Kabinett von Bundeskanzler Helmut Kohl
Bundesminister für Innerdeutsche Beziehungen. Im Jahr
1980 sowie von 1986 bis 1990 war der Verstorbene
Koordinator der Bundesregierung für die deutsch-französische Zusammenarbeit.
Rainer Barzel hat die Entwicklung der Bundesrepublik an vorderster Stelle entscheidend mitgestaltet. Er
Redetext
Präsident Dr. Norbert Lammert
genoss über alle Partei- und Fraktionsgrenzen hinweg
großes Ansehen.
Der Herr Bundespräsident hat zu seinen Ehren einen
Staatsakt angeordnet, der am 22. September im Plenarsaal des Bundestages stattfinden und Gelegenheit zu einer ausführlichen Würdigung geben wird.
Der Deutsche Bundestag trauert um sein ehemaliges
Mitglied Holger Börner, der am 2. August 2006 in seiner Heimatstadt Kassel im Alter von 75 Jahren verstarb.
Holger Börner wirkte als Bundesratspräsident, Ministerpräsident, Parlamentarischer Staatssekretär, Bundesgeschäftsführer, Ausschussvorsitzender und Mitglied
des Bundestages über mehrere Jahrzehnte für das Wohl
der Bundesrepublik Deutschland.
Holger Börner wurde am 7. Februar 1931 in KasselWolfsanger als erstes von insgesamt drei Geschwistern
einer traditionsbewussten Arbeiterfamilie geboren, die
sowohl im Kaiserreich als auch unter den Nationalsozialisten politisch verfolgt wurde. Sein Vater wie seine
Mutter waren für die SPD aktiv.
Nach dem Besuch der Mittelschule schloss Holger
Börner 1950 seine Lehre zum Betonfacharbeiter erfolgreich ab; anschließend wurde er Hilfspolier, später Betriebsratvorsitzender in einem Kasseler Bauunternehmen. Seinen eigentlichen Berufswunsch, Journalist zu
werden, musste er fallen lassen, weil er in den ersten
Nachkriegsjahren zum Lebensunterhalt seiner Familie
beitragen musste; sein Vater war im Krieg gefallen.
Das politische Engagement Holger Börners begann
im Jahr 1946, als er in die Vorläufergeneration der Falken eintrat. Mit 17 Jahren trat Holger Börner der SPD
bei. 1956 wurde er zum zweiten Vorsitzenden der SPD
Kassel gewählt. Fünf Jahre danach folgte der Sprung
Börners auf die bundespolitische Ebene, als er von 1961
bis 1963 als Bundesvorsitzender der Jungsozialisten amtierte. Von 1972 bis 1976 bekleidete Holger Börner das
Amt des SPD-Bundesgeschäftsführers. Vorstand und
Präsidium der Bundes-SPD gehörte er von 1970 bis
1988 an; zudem war er von 1977 an zehn Jahre lang
Landesvorsitzender der hessischen SPD.
Seine parlamentarische Tätigkeit begann Holger
Börner im Jahr 1956 auf kommunaler Ebene, als er in
die Stadtverordnetenversammlung von Kassel gewählt
wurde. Ihr gehörte er bis zum Jahr 1972 an, davon viele
Jahre als Fraktionsvorsitzender.
Bei den Bundestagswahlen zog Holger Börner erstmals als direkt gewählter Abgeordneter für den Wahlkreis Kassel in den Deutschen Bundestag ein, dem er
ohne Unterbrechung bis zum Jahr 1976 angehörte. Im
Hohen Haus war Holger Börner zunächst Mitglied des
Petitionsausschusses und des Ausschusses für Sozialpolitik. Später war er Vorsitzender des Verkehrsausschusses des Deutschen Bundestages. Von April 1967
bis Februar 1972 gehörte Holger Börner der Bundesregierung als Parlamentarischer Staatssekretär beim
Bundesminister für Verkehr bzw. für Verkehr, Post- und
Fernmeldewesen an.
Holger Börner schied 1976 aus dem Deutschen Bundestag aus, um als Nachfolger von Albert Oswald hessischer Ministerpräsident zu werden. Dieses Amt, das er
nach seinen eigenen Worten als die Krönung seines Lebens ansah, hatte er bis zum Jahr 1987 inne.
In der zweiten Hälfte seiner Regierungszeit kam es
unter seiner Führung zur ersten Regierungsbeteiligung
der Partei Die Grünen auf Länderebene mit der unvergesslichen Vereidigung des ersten turnschuhbewehrten
grünen Ministers auf dem damals langen Marsch aus der
außerparlamentarischen Opposition in Regierungsämter.
Von 1986 bis 1987 war Holger Börner Präsident des
Bundesrates. Nach seinem Rückzug aus der aktiven
Politik engagierte sich Holger Börner noch über 16 Jahre
als Vorsitzender der Friedrich-Ebert-Stiftung, deren Ehrenvorsitzender er im Jahr 2003 wurde.
Aus einfachen sozialen Verhältnissen stammend, hat
er seine eigenen Wurzeln nie vergessen. Sie prägten sein
Engagement. Er setzte sich zeitlebens insbesondere für
den Auf- und Ausbau des Sozialstaates und für gleiche
Bildungschancen für alle Kinder in unserer Gesellschaft
ein. Durch sein Handeln hat er sich für Deutschland
große Verdienste erworben.
Wir gedenken heute auch unseres ehemaligen Kollegen Dr. Herbert Hupka, der am 24. August dieses Jahres, kurz nach seinem 91. Geburtstag, verstorben ist.
Während des Ersten Weltkrieges, am 15. August
1915, als Sohn eines Physikprofessors in einem britischen Internierungslager auf Ceylon geboren, wurde der
weitere Lebensweg dieses streitbaren Journalisten und
Politikers maßgeblich von den leidvollen Erfahrungen
des Krieges und der sich daran anschließenden Vertreibung von Deutschen aus deutschen Ostgebieten sowie
von der deutschen Teilung geprägt.
Nach dem Ersten Weltkrieg wuchs er im oberschlesischen Ratibor auf. Nach Abitur, Studium und Promotion
wurde er zur Wehrmacht eingezogen. Wegen seiner jüdischen Abstammung 1943 zu einem Jahr Wehrmachtsgefängnis verurteilt, wurde Herbert Hupka 1944 aus der
Wehrmacht entlassen und kriegsdienstverpflichtet.
Seine Mutter überlebte als rassisch Verfolgte bis
zur Befreiung durch die Rote Armee im Jahr 1945
eine 18-monatige Internierung im Konzentrationslager
Theresienstadt.
Nach der im Oktober 1945 erfolgten Vertreibung aus
Schlesien ging Herbert Hupka zunächst nach München,
wo er als Redakteur beim Bayerischen Rundfunk tätig
war. Von 1957 bis 1958 wirkte er als Programmdirektor
bei Radio Bremen. Von 1958 bis 1964 war er Pressereferent des Kuratoriums „Unteilbares Deutschland“ in
Bonn. Danach arbeitete er als freier Journalist und Autor.
Das alles überragende Leitmotiv Herbert Hupkas war,
die Erinnerung an Flucht und Vertreibung am Ende des
Zweiten Weltkrieges wachzuhalten und den Heimatvertriebenen gesellschaftliche und politische Anerkennung
zu verschaffen.
Präsident Dr. Norbert Lammert
Um diese Ziele zu erreichen, gründete er 1948 zusammen mit anderen Schicksalsgenossen die Landsmannschaft Schlesien, der er lange Jahre in verschiedenen
Funktionen, seit 1968 als Bundesvorsitzender, diente.
Später übernahm er auch die Vizepräsidentschaft des
Bundes der Vertriebenen.
Auch Hupkas parlamentarische Tätigkeit war ganz
von diesen seinen Erfahrungen als Vertriebener geprägt.
Unermüdlich beharrte er darauf, dass sich die deutsche
Politik mit Teilung, Vertreibung und Gebietsabtretung
nicht abfinden dürfe und die deutsche Frage offenzuhalten sei.
Aus dieser Haltung heraus lehnte Hupka, der seit
1955 der SPD angehörte und 1969 in den Deutschen
Bundestag einzog, die von der sozialliberalen Koalition
abgeschlossenen Ostverträge strikt ab. Sein Wechsel zur
CDU im Februar 1972 trug maßgeblich zur Gefährdung
der parlamentarischen Mehrheit der Regierung Brandt/
Scheel bei und war einer der Auslöser für das von der
CDU/CSU-Fraktion im April desselben Jahres eingebrachte, schließlich erfolglose Misstrauensvotum gegen
Bundeskanzler Willy Brandt, mit dem Rainer Barzels
Kandidatur scheiterte.
In seiner bis 1986 währenden Abgeordnetenzeit war
Herbert Hupka engagiertes Mitglied vor allem des Auswärtigen Ausschusses und des Ausschusses für Innerdeutsche Beziehungen. Herbert Hupka hat mit seiner Arbeit wesentlich dazu beigetragen, das leidvolle Schicksal
der Heimatvertriebenen im kollektiven Bewusstsein der
Deutschen zu verankern.
Er war vielen, auch mir gelegentlich, lästig - Leuten,
die diese schmerzliche Erfahrung in ihrer Biografie nicht
machen mussten. Auch für Herbert Hupka gilt, dass
seine Herkunft und seine Lebensgeschichte sein berufliches und politisches Wirken geprägt haben. Sein
Engagement verdient Respekt, auch wenn es oft umstritten und Gegenstand heftiger politischer Auseinandersetzungen war. Aber er war ein aufrechter Demokrat.
Wir gedenken der verstorbenen Parlamentarier in
Dankbarkeit und Anerkennung. Ihren Familien spreche
ich im Namen des ganzen Hauses unsere Anteilnahme
aus.
Sie haben sich zu Ehren der Verstorbenen von Ihren
Plätzen erhoben; ich danke Ihnen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, während der parlamentarischen Sommerpause gab es auch eine Reihe von
runden Geburtstagen von Kolleginnen und Kollegen im
Hause: Ihren 65. Geburtstag feierten die Kolleginnen
und Kollegen Hans Raidel, Renate Blank, Uta Zapf
und Dr. Lothar Bisky, ihren 60. Geburtstag feierten die
Kollegen Hans-Michael Goldmann, Gerhard
Wächter und Franz Obermeier. Im Namen des ganzen
Hauses gratuliere ich nachträglich auch auf diesem
Wege noch einmal herzlich und wünsche alles Gute!
({1})
Schließlich begrüße ich als Nachfolger für den ausgeschiedenen Kollegen Joseph Fischer herzlich den Kollegen Omid Nouripour, der am 1. September die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben hat.
({2})
Alles Gute und gute Zusammenarbeit!
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 1 a und 1 b
auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2007
({3})
- Drucksache 16/2300 -
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 2006 bis 2010
- Drucksache 16/2301 Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die heutige Aussprache im Anschluss an die einstündige
Einbringung des Haushaltes siebeneinhalb Stunden, für
Mittwoch neun Stunden, für Donnerstag elf und für
Freitag vier Stunden vorgesehen. Darf ich dazu Ihr Einvernehmen feststellen? - Das ist offenkundig der Fall.
Dann ist das so beschlossen.
Ich erteile das Wort zur Einbringung des Haushaltes
dem Bundesminister der Finanzen, Peer Steinbrück.
({4})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Vor gut einem halben Jahr habe ich
Ihnen mit dem Bundeshaushalt 2006 den ersten Haushalt
der großen Koalition vorgestellt. Damals herrschte ein
offener und öffentlicher Konkurrenzkampf zwischen notorischen Pessimisten und auch den unterschiedlichsten
Experten darüber, wer am schwächsten sei: die deutsche
Fußballnationalmannschaft oder die deutsche Wirtschaft.
({0})
Meine persönliche Schätzung lautet: So ähnlich, wie
rund drei Viertel aller Journalisten damals, Wochen, ja
Monate bevor Deutschland bei der Fußballweltmeisterschaft den dritten Platz erreichen sollte, unser Team
ziemlich heruntergeschrieben haben, haben das viele
auch mit den Aussichten der deutschen Konjunktur und
den Aussichten der deutschen Wirtschaft getan. Es gibt
viele Experten, für die die Konjunktur schon wieder zu
Ende war, bevor sie eigentlich begonnen hatte.
Es ist anders gekommen, und darüber freue ich mich.
({1})
Die deutsche Wirtschaft wächst so stark wie seit fünf
Jahren nicht mehr. Gleichzeitig hat der konjunkturelle
Aufschwung an Breite und vor allen Dingen auch an Robustheit gewonnen. Während die Wachstumsimpulse der
letzten Jahre bis zum Frühjahr vor allem aus dem Ausland kamen, erleben wir jetzt einen, wie wir glauben,
eher klassischen Konjunkturaufschwung, bei dem
sich die positiven außenwirtschaftlichen Impulse endlich
auch durch eine gute Entwicklung der Baukonjunktur,
durch eine gute Entwicklung der Ausrüstungsinvestitionen und durch ein langsames - langsames! - Anziehen
auch der Binnenkonjunktur, der Binnennachfrage ergänzen. In diesen Wochen bewahrheitet sich deshalb wieder
einmal ein sehr kluger Satz von Winston Spencer
Churchill, nämlich dass ein Experte ein Mann ist, der
hinterher genau sagen kann, warum seine Prognose nicht
gestimmt hat.
Ich will genauso deutlich sagen, dass umgekehrt kein
Anlass für Euphorie, Entwarnungen und geradezu verklärte Augen aufgrund von Begehrlichkeiten besteht.
Das Wachstum des Bruttosozialprodukts wird in diesem
Jahr wahrscheinlich eine Zwei vor dem Komma haben.
Dass wir über die Klippe des 1. Januar 2007 hinwegkommen müssen und dass wir noch nicht genau wissen,
wie nachhaltig dieses Wachstum ist, steht aber ebenso
auf dem Blatt.
Der Arbeitsmarkt hat sich erfreulich entwickelt. Wir
wissen aber, dass wir in Bezug auf die großen Problemgruppen in diesem Arbeitsmarkt - Langzeitarbeitslose,
jugendliche Arbeitslose, ältere Arbeitslose - nach wie
vor erhebliche Schwierigkeiten haben.
Auch bei den Steuereinnahmen ist Nüchternheit angesagt. Lassen Sie sich - das gilt auch für die Öffentlichkeit - nicht davon verwirren, dass von 16 bis 18 Milliarden Euro Mehreinnahmen gesprochen wird. Man muss
bedenken, dass mindestens 14 bis 15 Milliarden Euro
davon bereits Gegenstand der Finanzplanungen des Bundes, der Länder und der Kommunen sind. Um Ihnen
keine Antwort schuldig zu bleiben: Ich vermute, dass der
Bund am Ende dieses Jahres gegenüber unseren bisherigen Veranschlagungen 3 bis 3,5 Milliarden Euro mehr
haben wird. Mein Vorschlag wird sein, dass der Löwenanteil davon in die Absenkung der Nettokreditaufnahme
gesteckt und nicht an anderer Stelle ausgegeben wird.
({2})
Wir haben es in der Bundesrepublik Deutschland
- ich sage das auch vor dem Hintergrund der erfreulichen Entwicklung bei den Steuereinnahmen - nach wie
vor mit Schulden in Höhe von 1 500 Milliarden Euro zu
tun. Unbenommen der vielleicht möglichen Absenkung
der Nettokreditaufnahme werden wir in diesem Jahr
- zumindest im Soll - immer noch von 38 Milliarden
Euro neuen Schulden reden. Im Vergleich dazu investieren wir nur 22 Milliarden Euro. Das alles sind Hinweise
dafür, dass man nicht plötzlich in eine Euphorie verfallen und sich durch eine erfreuliche Entwicklung, welche
durch die Zahlen deutlich wird, die öffentlich gehandelt
werden, nicht plötzlich den Blick verstellen lassen soll.
Ich sage deshalb: Faszinierend und erschreckend zugleich ist die oft unausgewogene und gelegentlich auch
schrille Tonlage, die bei uns in Deutschland in Bruchteilen von Sekunden einsetzt, wenn wir über die Gegenwart
und auch über die Zukunft Deutschlands sprechen. Da
geht es sehr schnell ins Extreme.
({3})
Einerseits wird uns bei jeder Eintrübung zum Beispiel
des Geschäftsklimaindex im Promillebereich suggeriert,
dass die ökonomische Apokalypse kurz vor der Haustür
steht. Wöchentliche Wasserstandsmeldungen führen bei
uns zu Atemlosigkeit. Nicht minder atemberaubend ist
andererseits die Geschwindigkeit, mit der bis vor kurzem gültige Standpunkte und auch Erkenntnisse aufgegeben werden. Beliebigkeit statt Festigkeit beim Standpunkt ist für die Haushalts- und Finanzpolitik aber
tödlich und sie führt dazu, dass die Signale, die wir geben wollen, die Empfänger nicht erreichen oder für sie
verwirrend sind.
War nicht noch bis vor kurzem mit Blick auf den ungeheuren Schuldenberg, den wir haben, die Rede von der
Generationengerechtigkeit? War nicht die Rede davon,
dass die heute Jungen eines Tages den Kapitaldienst zu
übernehmen haben? Sprachen wir nicht über die Zinsen
in Höhe von 40 Milliarden Euro, die diesen Haushalt
nach wie vor mit verkarsten? Sind wir nicht nach wie
vor in einer Phase, in der es nur darum geht, das Tempo
der Neuverschuldung zu reduzieren? Sind wir nicht weit
entfernt von einer Entschuldung? Haben wir es nicht
nach wie vor mit dem Problem zu tun, dass auf der Ausgabenseite zu viel konsumtiv und zu wenig investiv in
Richtung der Zukunftsbereiche ist? Hat uns die Bundesbank nicht gerade in einer zutreffenden Analyse bestätigt, dass wir auf der Einnahmeseite ein strukturelles Defizit haben? Ist das alles vergessen? Sind dies deshalb
Hoch-Zeiten für Karikaturisten, bei deren Karikaturen
der Bundesfinanzminister als Einsammler von Sterntalern dargestellt wird, bei denen er unter dem Regenbogen Töpfe mit Gold findet oder bei denen er der taktisch
aufgestellte Miesepeter ist, der sich und andere arm
rechnet, um Begehrlichkeiten abzuwehren oder um an
der Mehrwertsteuererhöhung festzuhalten?
Meine Damen und Herren, ich glaube, dieses politische Karussell sich drehender Bestandsaufnahmen und
sich verändernder Signale ist der Grund dafür, dass die
Bürgerinnen und Bürger Vertrauen verlieren und sogar
misstrauisch werden. Mehr als das werden sie vielleicht
auch ihr Vertrauen in die Zukunft verlieren. Wenn Politik
verlässlich und damit glaubwürdig sein will, dann darf
sie sich nicht von jeder ungünstigen Prognose, von jeder
momentanen Aufhellung der Stimmungslage, von populistischen Einwürfen und von Kampagnen irritieren lassen.
({4})
Die Politik darf sich ihre Themen übrigens auch nicht
von medialer Seite mit entfachten Empörungswellen
vorschreiben lassen. Gerade die Haushalts- und Finanzpolitik muss stetig und verlässlich sein. Sie darf die Lage
oder die Verhältnisse nicht verzeichnen. Sie darf sie also
weder rosarot noch tiefschwarz malen. Die Finanzpolitik
muss von realistischen, eher vorsichtigen Annahmen
ausgehen, wie wir das im Koalitionsvertrag festgelegt
und als große Koalition bisher getan haben.
Ich will sagen: Diese Bundesregierung hat den Anspruch, eine verlässliche, nachvollziehbare und berechenbare Haushalts- und Finanzpolitik zu betreiben, eingelöst. Sie hat lupenrein das umgesetzt, was sie im
Koalitionsvertrag verabredet und angekündigt hat: von
einem Haushaltsbegleitgesetz 2006 über sieben bis acht
Steuergesetze bis hin zu diesem Entwurf des Bundeshaushalts 2007. Sie wird diesen Kurs bei den noch offenen Vorhaben genauso verlässlich und berechenbar fortsetzen.
Wir sagen den Menschen, wohin die Reise geht. Wir
sagen ihnen allerdings auch, dass wir ihnen Schmerzhaftes zumuten. Ja, es gibt Zumutungen. Wir versuchen, ihnen zu erklären - vielleicht nicht immer erfolgreich -,
warum es nicht anders geht, um Zukunft zu gewinnen.
Diese Bundesregierung knickt nicht ein. Es mag viele
Menschen geben, die mit uns nicht in allen Punkten
übereinstimmen und die Teile unserer Politik für falsch
halten. Aber diese Menschen sollen sagen können: Wir
wissen ziemlich genau, woran wir mit dieser Bundesregierung sind; diese Bundesregierung lässt uns über ihr
Handeln nicht im Unklaren.
({5})
Ich sage Ihnen: Viele Menschen stimmen sogar dort zu,
wo es um Zumutungen geht, weil sie wissen, dass es uns
ohne Anstrengungen und ohne Veränderungen nicht besser gehen wird, und weil sie wissen, dass die Addition
von individuellen und auch Gruppeninteressen nicht mit
dem Allgemeininteresse dieser Republik gleichzusetzen
ist.
Die gegenwärtige robuste wirtschaftliche Erholung
zeigt uns einen weiteren Punkt: Unsere soziale Marktwirtschaft - man kann auch sagen: das deutsche und das
kontinentaleuropäische Wirtschafts- und Sozialmodell gehört mitnichten auf den Scheiterhaufen der Geschichte. Diese soziale Marktwirtschaft vermag dynamisch zweierlei zu leisten, nämlich auf der einen Seite
wirtschaftlich-technologischen Wandel zu bewältigen
- wenn Sie so wollen: auf der Höhe der Zeit zu sein und
die dafür notwendigen Veränderungen vorzunehmen und dabei auf der anderen Seite den gesellschaftlichen
Zusammenhalt im Blick zu behalten, Fliehkräften entgegenzuwirken, Chancengerechtigkeit herzustellen, all
das, was marktradikale Lösungen nicht zu leisten vermögen.
({6})
Mir ist sehr bewusst, dass das Wort „Aufschwung“
mit äußerster Vorsicht zu gebrauchen ist. Gäbe es eine
entsprechende Statistik, würde die sehr hohe Inflationsrate des Wortes „Aufschwung“ deutlich. Aber es gibt
eine sehr gute Entwicklung, nicht nur an den Börsen und
in den Bilanzen, sondern endlich auch auf dem Arbeitsmarkt. Das ist die beste Nachricht seit langer Zeit, vor
allem für die betroffenen Menschen, aber auch mit Blick
auf die Finanzierungsgrundlagen unserer sozialen Sicherungssysteme und damit auch auf die öffentlichen Haushalte. Nicht nur, dass im Vergleich zum Vorjahr über
420 000 Menschen weniger ohne Arbeit sind. Besonders
wichtig ist: Die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse ist wieder gestiegen.
({7})
Wir wissen - das wollen wir nicht verschweigen und
wir wollen auch nichts verharmlosen -, dass diese Entwicklung vornehmlich noch jenen zugute kommt, die
erst sehr kurze Zeit erwerbslos und relativ gut qualifiziert sind, und erheblich weniger jenen zugute kommt,
die über lange Zeit erwerbslos sind. Aber es ist ein Aufschwung. Wir werden in diesem günstigeren Klima weiter daran arbeiten müssen, dass die Arbeitslosigkeit in
ihrer gesamten Breite abgebaut wird.
Ich weiß, es wäre sehr vermessen, das Verdienst für
die deutlich besseren ökonomischen und beschäftigungspolitischen Aussichten vornehmlich für die Politik zu reklamieren oder namentlich für diese Bundesregierung in
Anspruch zu nehmen. Aber die Politik sollte in falscher
Bescheidenheit nicht so tun, als hätte sie in der vergangenen und in dieser Legislaturperiode nichts getan, um
wirtschaftliches Wachstum und eine Erholung auf dem
Arbeitsmarkt möglich zu machen.
Zweifellos hat die vorige Bundesregierung unter
Gerhard Schröder mit der Agenda 2010 großen Anteil
an dieser positiven Entwicklung.
({8})
Sie hat mit Reformen auf dem Arbeitsmarkt und in den
sozialen Sicherungssystemen, mit Steuerreformschritten
erheblichen Ausmaßes und mit Reformen auf dem
Finanzmarkt die Grundlagen für diese Entwicklung geschaffen.
Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Situation
der Unternehmensteuerreform sollten wir auch nicht vergessen, dass die Steuerreform von 2000 und den Folgejahren, für die mein Vorgänger, Hans Eichel, maßgeblich
verantwortlich war, die Bürger wie auch die Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland um sage und
schreibe 60 Milliarden Euro pro Jahr entlastet hat. Das
war die größte Steuersenkung, die es in der Geschichte
der Bundesrepublik Deutschland je gegeben hat.
({9})
Wir sollten über den Nachrichten, in denen es um die zugemuteten Belastungen geht, nicht vergessen, dass wir
heute, am Ende dieser Steuerreform, insbesondere im
Einkommensteuerbereich die Situation haben, dass ein
Alleinverdiener - verheiratet, zwei Kinder - unter Anrechnung des Kindergeldes auf ein Einkommen in Höhe
von bis zu 37 000 Euro keinen Cent Steuern bezahlen
muss.
Auch und gerade die mittelständischen Unternehmen
haben konsequent auf die Herausforderungen der
globalisierten Wirtschaft reagiert, zum Beispiel in Form
von Innovationen, Qualitätssteigerung, Kostensenkungen und einer ausgeklügelten Logistik. Auch dies trägt
zur wirtschaftlichen Entwicklung bei. Richtig ist, dass
große Unternehmen nach dem Platzen der NewEconomy-Blase ihre Bilanzen weitgehend in Ordnung
gebracht und damit den Spielraum für neue Investitionen
geschaffen haben, die jetzt mehr und mehr auch in
Deutschland zur wirtschaftlichen Erholung beitragen.
Nicht zuletzt haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und die Gewerkschaften durch sehr moderate Tarifabschlüsse und auch durch Verzicht auf Lohnbestandteile, durch unbezahlte Mehrarbeit und flexible
Arbeitszeitmodelle einen erheblichen Anteil an der international gewachsenen Wettbewerbsfähigkeit der
Bundesrepublik Deutschland.
({10})
Schließlich hat sich die alte Deutschland AG verändert. Beteiligungskapital spielt eine sehr viel größere
Rolle als die klassische Kreditfinanzierung. Post, Telekommunikation, Transportmärkte und andere Bereiche
wie die öffentlichen Personennahverkehre sind Märkten
zugeführt worden. Das alles sind Erscheinungen, die es
in den 90er-Jahren noch nicht in der Form gegeben hat.
({11})
All das macht deutlich: Wir sind weitaus mutiger und
besser, als wir es uns selber zugetraut und andere uns
eingeredet haben. - Die aktuelle wirtschaftliche Entwicklung zeigt auch, dass die große Koalition mit ihrer
Doppelstrategie für den Haushalt 2006 und 2007 richtig
lag und liegt.
({12})
Wir wollten 2006 einen konjunkturstützenden Haushalt
fahren und 2007 sehr viel stärkere Akzente auf die Konsolidierung setzen. Dies war und ist richtig, so umstritten
es auch in manchen Debatten gewesen ist.
Wir haben im Haushalt 2006 auf der Einnahmen- und
Ausgabenseite alles unterlassen, was die Konjunktur
hätte eintrüben können. Das war im Hinblick darauf
richtig, dass sich der Konjunkturhimmel aufhellen sollte,
was er auch getan hat.
({13})
In einer sehr schwierigen wirtschaftlichen Ausgangslage haben wir mit dem Bundeshaushalt 2006 das ökonomisch Richtige getan. Wir haben klare Prioritäten für
die Wachstumsförderung gesetzt. Hierzu stellen wir
bis 2009 25 Milliarden Euro zur Verfügung, die insbesondere dem Bereich der Zukunftsinvestitionen zugute
kommen werden. Wie Sie wissen, werden im nächsten
Jahr rund 6 Milliarden Euro fällig. Bekannt ist auch,
dass die Länder weitere 12 Milliarden Euro hinzufügen
werden, und vor allen Dingen, dass private Investitionen
auf breiter Ebene ausgelöst worden sind. Denken Sie an
das CO2-Gebäudesanierungsprogramm, bei dem wir dafür Sorge tragen werden, dass auch im vierten Quartal
keine Anträge liegen bleiben, sondern durch eine entsprechende haushaltstechnische Vorsorge bedient werden können, damit dieses Programm auch im letzten
Quartal mit Blick auf seine impulsgebende Funktion für
die Konjunktur aufrechterhalten werden kann.
({14})
Mit der Einführung des Elterngeldes ab 2007 stärken
wir gezielt die Familienförderung, nachdem wir im
Bundeshaushalt 2006 mit zusätzlichen Impulsen in den
Bereichen Haushalt als Arbeitgeber, Forschung und Innovation, Belebung der Wirtschaft und Verkehrsinvestitionen damit begonnen haben, die Doppelstrategie von
Konsolidierung einerseits und Impulsen andererseits zu
implementieren.
Die stärkere Förderung von Zukunftsbereichen wird
mittel- und langfristig positiv auf den Haushalt zurückwirken. Deshalb ist auch der Pfad, auf dem wir die
Nettokreditaufnahme des Bundes bis 2010 von 38,2 Milliarden Euro auf 20 Milliarden Euro zurückfahren,
volkswirtschaftlich absolut richtig. Ich hätte sogar ein
offenes Ohr für diejenigen, die fragen, ob dies nicht noch
weiter gehen sollte.
Wir haben beim Haushalt 2006 nur sehr behutsam mit
der Konsolidierung begonnen, wie ich dargelegt habe,
um die positive Wirtschaftsentwicklung nicht zu gefährden; das war Vorsatz. Aber ab 2007 muss die Konsolidierung akzentuiert werden. Vor allem die bereits eingeleiteten Maßnahmen der Finanzpolitik tragen dazu bei.
Ich nenne als Beispiele die in dieser Legislaturperiode
vorgenommenen Kürzungen im Bundeshaushalt in Höhe
von rund 32 Milliarden Euro - von manchen nicht so
richtig zur Kenntnis genommen -, den Abbau von Subventionen in Höhe von rund 19 Milliarden Euro - abstrakt von vielen begrüßt, aber wehe, es wird konkret
und betrifft die eigene Klientel - und Steuererhöhungen
in Höhe von rund 28 Milliarden Euro. All diese Maßnahmen werden erst ab 2007 - nicht schon im Jahre 2006! ihre volle Wirksamkeit entfalten können, das aber vor
dem Hintergrund eines sehr viel robusteren wirtschaftlichen Umfelds und Wachstums.
Erste wichtige Fortschritte sind geschafft; das können
wir schwarz auf weiß belegen. Erstens. Wir werden nach
dem Übergangsjahr 2006 die Regelgrenze des Art. 115
unseres Grundgesetzes wieder dauerhaft einhalten.
Zweitens. Wir werden aller Voraussicht nach bereits in
diesem Jahr wieder die 3-Prozent-Maastrichtdefizitgrenze einhalten, das heißt unterschreiten.
({15})
Der kürzlich vom Statistischen Bundesamt veröffentlichte Maastrichtdefizitwert für das erste Halbjahr 2006
untermauert diese Annahme. Es sind 2,5 Prozent ausgewiesen. Das darf man zwar nicht - darauf möchte ich Sie
aufmerksam machen - auf das Haushaltsergebnis des gesamten Jahres hochrechnen. Aber realistisch ist ein Defizit in der Größenordnung von 2,8 Prozent des BruttoBundesminister Peer Steinbrück
inlandsprodukts für das Gesamtjahr 2006. Diesen Wert
werden wir im Herbst der EU-Kommission melden.
Politisch weitaus wichtiger als diese formale Meldung ist: Mit unserer soliden Haushaltspolitik dokumentieren wir unser klares Bekenntnis zu Europa und
einem stabilen Euro. Unsere stabilitätsorientierte und
vorausschauende Finanzpolitik entlastet nicht zuletzt die
Europäische Zentralbank bei ihrer geldpolitischen Steuerung und eröffnet ihr so zusätzliche Entscheidungsspielräume. Kurzum: Wir signalisieren Verlässlichkeit und
Berechenbarkeit. Das wird im Übrigen auch von unseren
europäischen Partnern und der EU-Kommission so gesehen und bewertet. Es geht nicht nur um unsere nationale
Zukunft. Deutschland trägt in Europa vielmehr eine
große ökonomische Mitverantwortung. Deutschland ist
einer der Architekten des Stabilitäts- und Wachstumspaktes und hätte deshalb in meinen Augen um keinen
Preis diesen Pakt in seiner Bedeutung relativieren dürfen.
({16})
Wir tragen mit unserer wirtschaftlichen Leistungskraft
eine besondere Verantwortung für den Erfolg dieses Paktes. Dieser Pakt ist eine wichtige Grundlage für den wirtschaftlichen Wohlstand in Europa und für die Stabilität
des Euro, der sich - fast unbemerkt und nur selten gewürdigt - zur zweitwichtigsten Reservewährung der
Welt entwickelt hat. Das ist eine Erfolgsgeschichte, wie
sie in den letzten zehn Jahren in kaum einem anderen
Bereich unserer europäischen Politik vorgekommen ist.
({17})
Das soll so bleiben. Umso wichtiger ist daher, dass
Deutschland die Glaubwürdigkeit des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes stärkt, und zwar auf
Dauer, und somit als Vorbild für andere fungiert, die
- sehr vorsichtig formuliert - noch nicht so weit sind.
Zu den stereotypen Vorwürfen an die Adresse des
Bundesfinanzministers gehört die Behauptung, ich sei in
Sachen Maastrichtdefizitentwicklung ein notorischer
Tiefstapler, der ausschließlich Begehrlichkeiten abwehren wolle. Ich werde aber - genauso wie Sie - am Ende
einer Entwicklung lieber von positiven als von negativen
Nachrichten überrascht. Im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit der Politik ist es mir daher generell wichtig, mit
Prognosen eher vorsichtig zu sein. Ich sage nur all denjenigen, die dies vielleicht zum Gegenstand der Haushaltsdebatte machen - schon drei-, viermal bin ich damit konfrontiert worden -: Wenn wir zu Beginn dieses Jahres im
Zusammenhang mit unserem Haushaltsentwurf 2006 ein
Maastrichtdefizitkriterium von weniger als 3 Prozent
angemeldet hätten, dann hätte dies auch mit entsprechenden Maßnahmen auf der Einnahme- und Ausgabenseite korrespondieren müssen. Allein mit vollmundigen
Ankündigungen in Richtung Brüssel wäre es nicht getan
gewesen; das hätte nicht gereicht.
Dann allerdings hätten wir den Vorsatz verletzt, Frau
Hajduk, auf der Einnahmeseite und auf der Ausgabenseite nichts tun zu wollen, was diese Entwicklung 2006
trübt. Das ist zwingende Logik. Ich glaube, dass es absolut richtig gewesen ist, dass die Bundesregierung dieser
Logik gefolgt ist.
({18})
Genauso hartnäckig hält sich auf einer anderen Seite
dieses Hohen Hauses die Unterstellung, wir würden zur
Haushaltskonsolidierung vorwiegend Steuern erhöhen,
statt Ausgaben und staatliche Sonderregelungen zu kürzen. Das Gegenteil ist der Fall.
({19})
- Schauen Sie sich den Haushalt an! Sie haben offenbar
den Eindruck, hier stehe die Abteilung „Agitation und
Propaganda“.
({20})
Schauen Sie auf den Haushalt! Wenn ich Agitation und
Propaganda betreibe, dann hört sich das ganz anders an.
Dieses Pult diszipliniert. Insofern bin ich vorsichtig.
({21})
- Die Propaganda, die Sie in Kiel betrieben haben, hat
man bis hierhin hören können.
Rund 13 Milliarden Euro bzw. 60 Prozent des Konsolidierungsvolumens im Haushaltsplanentwurf 2007 werden durch Kürzungen auf der Ausgabenseite oder durch
die Kürzung von Steuersubventionen bzw. direkten Finanzsubventionen erbracht. Wir tragen mit 40 Prozent
über Steuererhöhungen zur Konsolidierung bei. Das gilt
nicht nur für 2007. Wir konsolidieren stärker durch Ausgabenkürzungen und durch die Streichung von Steuersubventionen - von vielen beklagt, von vielen aber
vorher gefordert - über diese Legislaturperiode, und
zwar in dem von mir genannten Verhältnis von 60 : 40.
Das heißt, die Bundesausgaben werden in den kommenden Jahren kaum steigen. Bereinigt um die haushaltsneutrale Zuweisung der Einnahmen von einem Prozentpunkt
aus der Mehrwertsteuererhöhung an die Bundesagentur
für Arbeit soll der Bundeshaushalt 2007 gegenüber 2006
sogar um 500 Millionen Euro sinken. Wir werden in diesem Jahr weniger als im nächsten Jahr ausgeben, bereinigt um die Einnahme eines Prozentpunktes aus der
Mehrwertsteuererhöhung, der an die Bundesagentur
geht. Über den gesamten Finanzplanungszeitraum 2006
bis 2010 wird es eine jahresdurchschnittliche nominale
Steigerung von bloß 0,7 Prozent geben. Wenn Sie die Inflationsrate mit einrechnen, dann wird der Bundeshaushalt über diesen Finanzplanungszeitraum real sinken.
Das hat es in dieser Republik in diesem Ausmaß noch
nicht gegeben.
Damit bestärken wir eine Entwicklung, die in den
letzten Jahren eingeleitet wurde. Die Staatsquote sinkt
weiter. Das dürfte auch von der FDP zur Kenntnis genommen werden. Schon im Jahre 2005 haben wir mit
46,8 Prozent den niedrigsten Stand der Staatsquote seit
1991 gehabt. Wenn ich mich richtig erinnere, war die
FDP 1991 und in den Folgejahren Teil der Bundesregierung. Bald werden wir die Staatsquote von 46 Prozent
unterschreiten. Vor zehn Jahren lag die Staatsquote bei
49,3 Prozent. Ich wäre dankbar, wenn dies in einem Ihrer Beiträge ganz vorsichtig gewürdigt werden könnte.
({22})
Ohne dass ich jetzt Zahlensalat vortragen und in das
typische Ritual verfallen will - es bleibt unter dem
Strich, dass die Opposition keine tragfähigen Beiträge
zur weiteren Begrenzung der Bundesausgaben unterbreitet hat. Wer wie die FDP bei den Eingliederungsleistungen für Langzeitarbeitslose 3 Milliarden Euro und bei
den Verwaltungs- und Betreuungskosten 1 Milliarde
Euro sparen will, der unterschätzt schlicht und einfach
den sozialpolitischen Sprengstoff, der damit verbunden
ist.
({23})
Wer Vorschläge über abrupte Kürzungen in Milliardenhöhe bei der Steinkohlesubvention macht, der suggeriert,
man könne sich über rechtskräftige Verträge hinwegsetzen.
({24})
- Selbstverständlich tun Sie das, wenn Sie so tun, als ob
man während der Laufzeit gültiger Bewilligungsbescheide Milliardenbeträge einsparen könne. Darüber
habe ich mir schon einige Male den Mund fusselig geredet, aber ich werde bei Ihnen leider keinen Erkenntnisfortschritt auslösen können. Ich verzweifle an dieser
Stelle.
({25})
Das ist genauso realitätsfern und illusorisch wie die Vorschläge der Linken und der Grünen, ungeachtet unserer
internationalen Verpflichtungen massiv bei den Verteidigungsausgaben einzusparen.
Ich sage an dieser Stelle, ohne mich in dem Fahrwasser weiter bewegen zu wollen: Selbstverständlich gibt es
Risiken für den Haushalt.
({26})
- Ich weiß doch, dass das im Mittelpunkt Ihrer Ausführungen stehen wird. - Die Beschreibung von Risiken
sagt aber noch nichts über die Eintrittswahrscheinlichkeit dieser Risiken aus.
({27})
Der Bundeshaushalt ist wie in all den vergangenen Jahren selbstverständlich von Risiken umzingelt. Das gilt
übrigens auch für den Haushalt 2006. Der Punkt ist, dass
diese Risiken in dem von Ihnen beschriebenen Ausmaß
nicht eingetreten sind.
({28})
Im Übrigen gilt für den Bundesgesetzgeber, also für
Sie genauso wie für die Bundesregierung, was Otmar
Issing gesagt hat: Der Zwang, zu entscheiden, läuft der
besseren Einsicht in sich verändernde Zusammenhänge
zwangsläufig immer voraus.
({29})
Das heißt, die Bundesregierung muss einen Bundeshaushalt aufstellen in Kenntnis von Unsicherheiten. Politik
ist nichts anderes als das verantwortliche Handeln unter
Unsicherheiten. Das gilt selbstverständlich auch für die
Aufstellung eines Bundeshaushalts. Sie können mich
also gerne darauf hinweisen, dass die Verhandlungen in
Sachen Kosten der Unterkunft noch ausstehen. Sie können mich gerne darauf hinweisen, dass wir nicht so genau wissen, wie die Zinspolitik der Europäischen Zentralbank ist. Auch können wir im Augenblick einige
Währungen, insbesondere die Entwicklung des Verhältnisses von Euro und Dollar zum Yen, nicht richtig einschätzen. Selbstverständlich gibt es Risiken auf dem Arbeitsmarkt. Das alles ist mir sehr bewusst. Wir müssen
allerdings in Kenntnis und in Abwägung dieser Unsicherheit handeln.
So wichtig sie auch ist: Konsolidierung ist kein
Selbstzweck. Wir müssen konsolidieren, um in den
Haushalten wieder klare Prioritäten für Zukunftsaufgaben und Zukunftsinvestitionen zu setzen. Nur so bringen
wir unsere Volkswirtschaft auf einen dauerhaft festeren
Wachstumspfad, nur so können wir die Arbeitslosigkeit
dauerhaft reduzieren und nur so können wir Politik machen, die auch über den Tag hinaus trägt und die auch im
Interesse unserer Kinder und unserer Enkelkinder liegt.
Wir schulden unseren Kindern und Enkeln jede Anstrengung für tragfähige, solide und verlässliche öffentliche Finanzen. Wir wissen, was auf unsere Kinder und
Enkelkinder zukommt. Auch in dieser Hinsicht wäre es
im Augenblick falsch, die Tatsache zu ignorieren, dass
wir 1 500 Milliarden Euro Schulden mit uns herumschleppen. Wie sollten wir unseren Kindern in zehn oder
20 Jahren erklären, dass wir dies alles im Jahre 2006
zwar wussten, dass es uns aber egal war und dass wir
noch nicht einmal unter den günstigeren Bedingungen
eines Aufschwungs die Kraft hatten, die Wünsche der
gegenwärtig in der Verantwortung stehenden Generation
gegen die berechtigten Zukunftsinteressen unserer
Kinder und Enkelkinder gegebenenfalls zurückzuweisen?
({30})
Deshalb frage ich an dieser Stelle sehr bewusst ganz generell: Wann, wenn nicht jetzt, ist der Zeitpunkt, auf
mehr Vorsorge für die Zukunft zu drängen, auch unter
Berücksichtigung unseres augenblicklichen Gegenwartkonsums? Dies ist und bleibt die Kernfrage.
Genau jetzt, in einem Klima des wirtschaftlichen Aufschwungs, ist der richtige Zeitpunkt, die Haushaltskonsolidierung entschlossen anzugehen und das im Zusammenspiel mit gezielten Wachstumsimpulsen zu tun. Ich
habe hier, an gleicher Stelle, im März bei der Einbringungsrede für den Haushalt 2006 etwas gesagt, wovon
ich glaube, dass ich damit ziemlich richtig lag - ich zitiere mit Billigung der Präsidentin -:
Ich kann keinerlei Hoffnung … machen … Wir haben die Anhebung der Umsatz- und der Versicherungsteuer zum 1. Januar 2007 beschlossen. Dabei
bleibt es,
- Einschub: ja, dabei bleibt es auch wenn ich genau weiß, wie die Debatte in diesem Jahr verlaufen wird, und zwar aus zwei unterschiedlichen Richtungen mit demselben Ergebnis.
Ich habe im März gesagt, dass die eine Debatte in etwa
so verlaufen wird: Das Wirtschaftswachstum ist besser,
als Sie, die Bundesregierung, prognostiziert haben, und
deshalb können Sie die Mehrwertsteuer senken. - Die
andere Debatte könnte so verlaufen: Oh, die Konjunktur
läuft schlechter, als Sie, die Bundesregierung, gedacht
haben, und deshalb müssen Sie die Mehrwertsteuer senken.
({31})
Das erste Szenario ist eingetreten. Die für Deutschland
günstigere Variante ist jetzt da; die Fakten sind allerdings geblieben. Es ist unverändert: Es sind dieselben
Fakten, mit denen wir es bei den Beratungen im März zu
tun gehabt haben.
({32})
Das ändert nichts daran, dass es nicht nur der Bundeshaushalt, sondern auch die Länderhaushalte und die
kommunalen Haushalte mit strukturellen Einnahmedefiziten zu tun haben. Man kann unterschiedlicher Auffassung über die Höhe sein - ich streite nicht um Zahlen -;
aber uns liegt auch die Bestätigung vor, dass die konjunkturunabhängige Finanzlücke in Höhe von wahrscheinlich 15 bis 20 Prozent sich nicht durch konjunkturabhängige, temporäre Mehreinnahmen schließen lässt.
Davon auszugehen, das ist der Fehler, den Sie machen.
({33})
Dass manche inzwischen so tun, als schwimme die
Bundesregierung in Geld und müsse sich nur überlegen,
wie sie den neuen Reichtum ausgeben könnte, das ist mir
sehr bewusst. Aber das ist gerade so, als würden Sie einer Familie sagen: In den letzten Jahren haben Sie ja
mehr Schulden gemacht als geplant und in diesem Jahr
machen Sie weniger Schulden als geplant. Was machen
Sie denn jetzt mit dem Geld? - So ähnlich ist das, was
Sie uns abverlangen.
Mir ist sehr klar, dass eine Partei, die in 13 von
16 Ländern keine Regierungsverantwortung trägt, leichter - vielleicht sollte ich sagen: leichtfertiger - einen
Verzicht auf die Mehrwertsteuererhöhung fordern kann
als solche Parteien, die in diesen Ländern politische Verantwortung tragen.
({34})
Das ist zweifellos populär. Aber besonders verantwortungsbewusst ist es nicht.
({35})
Im Übrigen halte ich an einem Verdacht fest: Wenn
die FDP in die Verlegenheit gekommen wäre, Partner einer Koalition im Bund zu sein, dann hätte sie angesichts
der Lage diese Mehrwertsteuererhöhung natürlich mit
beschlossen.
({36})
- Aber selbstverständlich! Doch! Soll ich Ihnen etwas
erzählen? Die FDP hat zwischen 1983 und 1998 zwanzig
Steuererhöhungen mit einer Gesamtbelastung für die Bevölkerung von 143 Milliarden DM, gut 70 Milliarden
Euro also, mit beschlossen.
({37})
Der Verdacht ist schon deshalb begründet, weil Sie von
der FDP in der Zeit drei Mehrwertsteuererhöhungen mit
beschlossen haben.
({38})
Herr Solms - bei aller gebotenen Vorsicht und Höflichkeit: Sie waren an diesen drei Mehrwertsteuererhöhungen beteiligt -, vielleicht erklären Sie nachher, was Ihre
Motive damals gewesen sind oder inwieweit sich Ihre
Begründungen von unseren Begründungen heute unterscheiden.
({39})
In der Opposition sind Sie gegen Steuererhöhungen. Wo
Sie in der Regierung waren, haben Sie alle Erhöhungen
mitgetragen. Das ist eine klare Linie, aber keine sehr
mutige.
({40})
Damit ich nicht nur in eine Richtung rede, will ich mit
Blick auf eine andere positive Entwicklung, nämlich die
Überschüsse bei der Bundesagentur für Arbeit, meiner
Skepsis Ausdruck verleihen; das gehört nun mal zur
Rolle eines Bundesfinanzministers. Ja, wir wollen den
Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung von 6,5 auf
4,5 Prozent senken. Aber wir alle wissen, dass ein erheblicher Teil der Überschüsse, wahrscheinlich ein Drittel,
Folge eines einmaligen Effektes ist; die Arbeitgeber zahlen ihre Beiträge zur Sozialversicherung in diesem Jahr
einmal öfter als üblich. In diesem Jahr fließen 13 Monatsbeiträge in die Kassen der Sozialversicherung, aber
eben nur in diesem Jahr. Selbst mit Unterstützung des
Deutschen Bundestages werden wir im kommenden Jahr
nicht von zwölf auf 13 Monate gehen können.
Es wäre in meinen Augen sträflich, wegen eines Einmaleffekts zu einem dauerhaften Einnahmeverlust zu
kommen. Zieht man diesen Einmaleffekt vom Überschuss der Bundesagentur für 2006 ab, bleiben - dann
auch als Puffer für die kommenden Jahre - bestenfalls 6,
vielleicht 7 Milliarden Euro übrig.
({41})
- Ja. Es sieht aber ganz danach aus, als wenn die Bundesagentur diesen Puffer in den nächsten Jahren auch
brauchen könnte. Ich möchte nicht erleben, dass dann
plötzlich wieder ein Griff in die Bundeskasse notwendig
wird.
({42})
Ihre Hinweise darauf - das geht quer durch das ganze
Haus -, es handele sich um Arbeitslosenversicherungsbeiträge, die nicht in die Bundeskasse gehörten, ist richtig. Ich würde Ihren rechtlichen Sachverstand infrage
stellen, wenn ich das nicht anerkennen würde. Aber was
ist denn mit den ungefähr 40 Milliarden Euro, die in den
letzten zehn Jahren als Zuschuss an die Bundesagentur
bzw. an die Bundesanstalt geflossen sind?
({43})
Bekommen wir die jetzt zurück?
({44})
Wenn die Bundesagentur wieder klamm wird, wollen
wir nicht mehr die Debatte haben, wie sie in den letzten
Jahren durchgängig geführt worden ist. Da hieß es nämlich immer: Nun gebt uns mal einen Zuschuss von
4 Milliarden Euro - vielleicht ein bisschen weniger -;
nun gebt uns mal einen Kredit! - Das ist der Grund dafür, dass der Bundesfinanzminister ein großes Interesse
daran hat, sich gerade in dieser guten Zeit wie ein Hamster etwas zurückzulegen, also einen Puffer zu bilden.
Man soll Hilfe nicht mehr vom Bundeshaushalt erwarten.
({45})
Ich glaube, dass es eine Rückkehr zu den alten Zeiten,
wo mit Zuschüssen aus dem Bundeshaushalt im Zweifelsfall verhindert worden ist, dass der Beitragssatz zur
Arbeitslosenversicherung erhöht werden musste, nicht
geben sollte.
({46})
- Jetzt gibt es keinen mehr; richtig.
Kurzum: Bevor wir die Sektkorken knallen lassen,
sollten wir schauen, ob überhaupt etwas in der Flasche
ist.
Lassen Sie mich zu dem wichtigen Thema Unternehmensteuerreform Stellung nehmen, das auch unter
Haushaltsgesichtspunkten diskutiert wird, wenn auch
noch nicht mit Relevanz für den Haushaltsplanentwurf
2007, aber mit Blick auf die mittelfristige Finanzplanung.
Wie ist die Ausgangslage? Deutschland liegt, auch
dank der Steuerreform in den Jahren 2000 folgende, bei
der steuerlichen Belastung von Personengesellschaften
seit Jahren in einem sehr guten europäischen Mittelfeld
und wird dort noch lange bleiben. Auch das darf gelegentlich anerkennende Worte finden.
({47})
Die Steuerbelastung der Personengesellschaften war unter der Regierung mit der FDP extrem hoch. Sie haben
damals 53 Prozent Spitzensteuersatz gezahlt; jetzt haben
sie einen Spitzensteuersatz von 42 Prozent. Der Eingangsteuersatz betrug damals 25,9 Prozent; jetzt haben
sie einen von 15 Prozent. Auch die Regelung bezüglich
der Anrechenbarkeit der Gewerbesteuer auf die Einkommensteuer ist nun sehr viel günstiger. Das haben Sie alles nicht gemacht, sondern daran hat jemand mitgewirkt,
der dort hinten sitzt, und viele andere auch.
Das heißt, inzwischen haben ungefähr 90 Prozent der
deutschen Personengesellschaften eine effektive Besteuerung von unter 20 Prozent. Das ist eine gute Nachricht.
Ich weiß, dass 10 Prozent darüber liegen, einige sogar in
der Größenordnung der Besteuerung von Kapitalgesellschaften. Ich weiß, dass große Familienunternehmen dadurch erhebliche Probleme haben. Aber zunächst einmal
haben 90 Prozent der deutschen Personengesellschaften
in den letzten Jahren eine ausgesprochen positive Steuerpolitik erlebt,
({48})
die sich übrigens inzwischen auch auf die Gewerbesteuereinnahmen der Kommunen ausgewirkt hat, wo wir
zum dritten Mal in Folge ein Rekordjahr erleben. Das ist
die zweite gute Nachricht.
Nun ein Wort zu den Kapitalgesellschaften. Das soll
nicht heißen, dass ich nachher nicht auf die Fragestellung zurückkommen will, was wir weiterhin für den Mittelstand tun müssen. Ich will aber nicht als Generalkritik
vorgehalten bekommen, wir täten nichts für den Mittelstand; selbstverständlich tun wir etwas für den Mittelstand. Vor allen Dingen haben wir für den Mittelstand
schon etwas getan und fangen nicht erst heute damit an.
({49})
Wir haben ein Problem bei den Kapitalgesellschaften; da sieht es nämlich anders aus. Die Kapitalgesellschaften haben einen Definitivsteuersatz von 38,65 Prozent. Mit dieser Steuerbelastung liegen wir in Europa an
der Spitze. Das heißt, die Kapitalgesellschaften sind
nicht wettbewerbsfähig. Die Folgen sind sichtbar: Potenzielle Investoren werden eher abgeschreckt; deutsche
Unternehmen werden von niedrigeren Steuersätzen, vor
allem in direkt angrenzenden Nachbarländern, magisch
angezogen und verlagern Betriebe und Arbeitsplätze ins
Ausland. Gleichzeitig führt diese Situation zu Steuerausfällen. Vor allem international operierende Unternehmen
sorgen durch legale - ich betone: legale - steuerliche
Gestaltung dafür, dass ein erheblicher Teil der in
Deutschland erwirtschafteten Gewinne nicht in Deutschland besteuert wird. Das will diese Regierung ändern.
({50})
Über die aus diesen Verschiebebahnhöfen resultierende Summe kann man streiten; das weiß ich. Aber sie
macht einen höheren zweistelligen Milliardenbetrag aus.
Konsequenz ist eine immer größere Entkoppelung der in
Deutschland versteuerten Gewinne von der in Deutschland erarbeiteten Wertschöpfung. Deshalb müssen wir,
nicht zuletzt auch im Sinne eines handlungsfähigen Staates, jetzt handeln, um die Steuerbasis in Deutschland zu
sichern.
({51})
Die Steuerreform verfolgt fünf zentrale Ziele:
Erstens sollen die Steuereinnahmen langfristig gesichert werden.
Zweitens soll die internationale steuerliche Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und der interessierten
Investoren in Deutschland verbessert werden.
Drittens sollen Unternehmen, die ihre Gewinne in
Deutschland versteuern, entlastet werden und Unternehmen, die Gewinne ins Ausland verschieben, sollen mehr
bezahlen.
Viertens soll bei der steuerlichen Belastung von Kapitalgesellschaften und Personengesellschaften eine größtmögliche Gleichbehandlung erfolgen. Wir wollen im
Ergebnis, technokratisch gesprochen, Rechtsformneutralität.
Fünftens wollen wir die Investitionskraft der Kommunen sichern, die immerhin 60 Prozent aller öffentlichen Investitionen in der Bundesrepublik Deutschland
vornehmen.
Dies alles wollen wir über die Absenkung der nominalen Steuersätze erreichen, und zwar - das ist die Konditionierung - bei einer gleichzeitigen Verbreiterung der
Bemessungsgrundlage. Mit dieser Strategie folgen wir
den Steuerreformansätzen unserer europäischen Nachbarn; die machen es nicht anders. Im Übrigen hat der
Sachverständigenrat ebenso wie sehr viele andere Wissenschaftler die Bundesregierung früher und bis heute
immer wieder aufgefordert, Steuersatzsenkungen vorzunehmen und diese mit einer Erweiterung der Beitragsbemessungsgrundlage zu verbinden. Diese Strategie ist
nicht falsch.
Naturgemäß entzündet sich die Debatte mit den Wirtschaftsverbänden an einer Verbreiterung der Bemessungsgrundlage. Wie sieht eine solche Verbreiterung
genau aus? Wir haben in der von Herrn Koch und mir
geleiteten politischen Arbeitsgruppe eine intensive Debatte über die im Raume stehenden Maßnahmen geführt.
Wenn Sie die Eckpunktebeschlüsse des Koalitionsausschusses und der Bundesregierung lesen, sehen Sie, dass
wir uns dabei in Korridoren bewegen, dass da nichts in
Stein gemeißelt ist. Wir reden über die Beschränkung
des Finanzierungskostenabzuges, über eine Zinsschrankenregelung, über eine Grundsteuer C, über verschiedene Varianten, die, auch mit Blick auf ihre Auswirkungen, konkret berechnet werden müssen.
Diese Vorschläge sind, wie aus dem Eckpunktepapier
hervorgeht, nicht in Beton gegossen. Sie stehen allerdings auch nicht beliebig zur Disposition. Das sage ich
genauso freimütig; denn ich bekomme zunehmend von
Wirtschaftsverbänden und auch von einigen einzelnen
Vorständen den Eindruck vermittelt, wir würden nur auf
dem Bein der Steuerentlastung, der Senkung der nominalen Steuersätze hüpfen. Nein, wir laufen auf zwei Beinen: Wir reden auch über die Erweiterung der Bemessungsgrundlage.
({52})
Welcher Unfug dabei teilweise betrieben wird und zu
welchen Missverständnissen es kommt, will ich an einem Beispiel, an dem mir gelegen ist, einmal deutlich
machen. Alle haben plötzlich den Eindruck, wir wollten
Pachten, Leasingraten, Lizenzen in die Bemessungsgrundlage hineinnehmen - große Aufregung! Die konkrete Formulierung in dem Eckpunktepapier ist, dass die
Finanzierungsanteile in Rede stehen, hinzugerechnet zu
werden. Da sieht die Lage schon ganz anders aus und die
Empörung und Aufregung ist etwas anders zu bewerten.
Nehmen wir einmal an, der pauschale Finanzierungsanteil beim Leasing läge bei 25 Prozent und es gäbe eine
Verminderung des Steuerabzuges darauf in einer Größenordnung von 25 Prozent. Rechnen wir 25 Prozent
von 25, dann kommen wir auf 6,25. Bei einem Steuersatz von 30 Prozent - ich runde ab - reden wir dann über
eine Mehrbelastung von 2,08 Prozent, aber nicht über
den Untergang des Abendlandes und auch nicht über den
9. November 1918.
Wir sind mit den Ländern, mit den Kommunen und
auch mit Wirtschaftsverbänden im Gespräch über eine
Unternehmensteuerreform. Ich bitte um Verständnis,
wenn ich jetzt nicht unseren gemeinsamen Beratungen
vorauseile. Viele sind daran beteiligt: Herr Poß, Herr
Meister, Herr Bernhardt, Herr Spiller - ohne jetzt andere
zurücksetzen zu wollen. Ich vermute einmal, dass wir bis
Mitte Oktober in der Lage sind, uns spezifisch festzulegen, und dass dann die Parteien, die Fraktionen und das
Parlament Gelegenheit haben sich vorzubereiten. Ich
kündige einen Referentenentwurf für die Monatswende
Dezember/Januar an - bitte, ohne dass Sie mich auf den
Vorlagetermin 24. Dezember festnageln. Ich vermute,
dass die Bundesregierung einen Regierungsentwurf bis
zum Februar verhandeln wird, sodass die hiesigen parlamentarischen Beratungen bis Anfang Juli abgeschlossen
werden können und die deutsche Wirtschaft dann ein
halbes Jahr Zeit hat - andere Interessierte auch -, sich
auf diese Unternehmensteuerreform einzulassen.
Wir streben - lassen Sie mich das abschließend dazu
sagen - einen nachhaltigen europäischen Mittelfeldplatz
bei der Steuerbelastung an. Wir haben gute Chancen, einen solchen Platz mit unserer Reform auch dauerhaft zu
erreichen. Es gibt übrigens deutliche Hinweise, dass der
internationale Steuersenkungswettbewerb in Europa an
ein Ende kommt. Dafür sorgt nicht zuletzt auch der Stabilitäts- und Wachstumspakt, der disziplinierend wirkt.
Ich weise auch darauf hin, dass einige unserer neuen osteuropäischen Partner inzwischen erhebliche - teilweise
zweistellige, also weit über das Maastrichtkriterium hinausgehende - Haushaltsdefizite aufweisen, was dort
zunehmend zu einer Debatte führt, die auf eine Erhöhung von Körperschaftsteuern in der Größenordnung
von 20 Prozent - teilweise auch mehr - hinausläuft. All
dies findet statt. Man kann daran sehen: Auch unsere
östlichen Nachbarn können ohne stabile Einnahmen des
Staates ihre öffentlichen Aufgaben nicht finanzieren.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum
Schluss kommen. Wir werden unseren Weg in der
Steuer- und Finanzpolitik fortsetzen. Er lautet, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu verbessern, das
Vertrauen in die Finanzpolitik durch solide Haushaltspolitik zu stärken und so den uns nachfolgenden Generationen finanzielle Luft zum Atmen zu verschaffen, die
sie zum Beispiel im globalen Wettbewerb auch um die
klügsten Köpfe dringend brauchen. Ich stehe für diese
und ich stehe zu dieser gestaltenden Finanzpolitik, die
die Perspektive auf die langfristigen Bedürfnisse einer
immer stärker von Globalisierung und Demografie bestimmten Gesellschaft erweitern soll. Wir wissen, dass
es das Erfolgsrezept, den Urknall, die große Lösung
nicht gibt; aber wir jagen auch nicht irgendwelchen Rezepten hinterher.
Lassen Sie es mich mit dem amerikanischen Schauspieler Jack Lemmon sagen:
Ein Erfolgsrezept gibt es nicht, wohl aber ein Misserfolgsrezept: Versuche, allen zu gefallen.
Mit Blick auf dieses Zitat von Jack Lemmon war diese
Bundesregierung bisher ziemlich erfolgreich.
Herzlichen Dank.
({53})
Das Wort hat der Kollege Jürgen Koppelin, FDPFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Soeben hat der Bundesfinanzminister den Haushalt 2007
eingebracht. Das ist der zweite Haushalt, den er uns in
diesem Jahr vorlegt. Man kann an diesem Haushalt 2007
- Herr Bundesfinanzminister, das muss ich Ihnen deutlich sagen - weder den Kurs der Bundesregierung für die
kommende Zeit noch Ihre Handschrift erkennen. Das
Einzige, was man erkennen kann, ist: Sie haben sich als
Buchhalter, aber nicht als Bundesfinanzminister betätigt;
darauf werde ich gleich eingehen.
({0})
Im Rahmen des Bundeshaushaltes 2007 will der Bundesfinanzminister noch einmal Schulden in Höhe von
22 Milliarden Euro aufnehmen. Das heißt, Peer
Steinbrück hat in diesem Jahr eine Neuverschuldung
des Bundes in Höhe von mehr als 60 Milliarden Euro zu
verantworten. Vor allem darauf hätte er in seiner Rede
eingehen sollen und nicht auf die Politik der FDP in den
Jahren 1991 und 1992.
({1})
Das wäre viel interessanter gewesen.
Herr Bundesfinanzminister, da Sie so gerne auf andere zeigen: Sie sind einige Jahre lang Mitglied im Bundesrat gewesen. Ich erinnere mich, dass Sie dort jeweils
den Bundeshaushalten zugestimmt haben. Das waren
Haushaltspläne, von denen heute die Bundeskanzlerin
sagt, sie hätten dazu geführt, dass die Finanzen des Bundes ein Sanierungsfall seien. Sie haben all dem zugestimmt; das will ich Ihnen einmal ins Stammbuch schreiben.
({2})
Der vorgelegte Bundeshaushalt 2007 ist ein Haushalt
der Ideenlosigkeit. Es gibt keine Ideen dazu, wo man
zum Beispiel bei den Ausgaben kürzen kann. Das wäre
doch das Entscheidende. Der Bundesfinanzminister ist
zusammen mit der Koalition nur im Hinblick auf steigende Steuereinnahmen tätig geworden, indem er bei
den Bürgern massiv abkassiert, zum Beispiel ab 2007 in
Form einer Mehrwertsteuererhöhung um 3 Prozentpunkte. Sie ziehen den Bürgern das Geld aus der Tasche,
wo immer Sie können.
({3})
Auf der Ausgabenseite sind Sie völlig ideenlos und planlos.
Herr Bundesfinanzminister, es ist keine erfolgreiche
und solide Haushaltspolitik - das sage ich auch der
Koalition -, heute für 2007 einen Haushalt mit einer
Neuverschuldung von 22 Milliarden Euro vorzulegen,
wenn man bedenkt, dass Hans Eichel in den Jahren 2000
und 2001 eine ähnlich hohe Neuverschuldung vorgenommen hat. Heute landen Sie da, wo Hans Eichel schon
in den Jahren 2000 und 2001 war. Das kann keine erfolgreiche Politik sein.
({4})
Der Union will ich übrigens ersparen, das zu zitieren,
was sie seinerzeit zu den Haushalten von Hans Eichel
und der damaligen Neuverschuldung gesagt hat. Heute
sind Sie da ebenfalls gelandet.
Ich finde, ein Bundesfinanzminister hätte die Kraft
haben müssen - selbstverständlich unterstützt von der
Bundeskanzlerin -, Einsparungen auf der Ausgabenseite vorzunehmen. So, Herr Bundesfinanzminister, hätten Sie vielleicht wieder ein Stück mehr Glaubwürdigkeit gewinnen können. Durch die Erhöhung der
Mehrwertsteuer haben Sie ja erheblich an Glaubwürdigkeit verloren. Denn gerade die Sozialdemokraten und
Sie haben den Bürgern im Wahlkampf etwas anderes gesagt. Damit haben Sie Stimmen gewonnen. Bei der SPD
säßen mindestens 50 Abgeordnete weniger, wenn Sie im
Wahlkampf nicht so gelogen hätten.
({5})
Sparen, wie wir es fordern, ist für den Bundesfinanzminister eigentlich kein Fremdwort. Anstatt aber selbst
zu sparen, empfiehlt er den Bürgern, zu sparen und im
Zweifel auf eine Urlaubsreise zu verzichten.
({6})
Der Bundesfinanzminister hat noch gar nicht begriffen,
dass sich mancher in unserem Lande aufgrund der Politik der Bundesregierung, zum Beispiel der Mehrwertsteuererhöhung, bald gar keine Urlaubsreise mehr leisten
kann. Wo soll denn da der Bürger überhaupt noch sparen?
({7})
Es ist schon ein Witz - das sage ich Ihnen allerdings
auch -, die Bürger zum Sparen aufzufordern und gleichzeitig ab 2007 den Sparerfreibetrag fast zu halbieren. Es
ist ein Witz - Herr Bundesfinanzminister, lassen Sie
mich das so süffisant sagen -, die Bürger zum Sparen
aufzufordern und dazu, auf eine Urlaubsreise zu verzichten, und gleichzeitig hält die Bundeskanzlerin in Mecklenburg-Vorpommern das teuerste Grillfest der Nation
mit Kosten von mehr als 15 Millionen Euro ab. Das ist
allerdings eine starke Nummer.
({8})
Herr Bundesfinanzminister, Sie haben den Freien Demokraten ein bestimmtes Verhalten in den Regierungskoalitionen der Vergangenheit vorgehalten; darauf will
ich zurückkommen. Ich finde, es ist schon ein starkes
Stück - das kann man natürlich machen; wir stehen zu
unserer Verantwortung; wir waren in der Regierungsverantwortung -, dass Sozialdemokraten wie Sie und andere der FDP Vorwürfe machen und Sie selber vor der
Bundestagswahl versprochen hatten, keine Mehrwertsteuererhöhung vorzunehmen. Das ist ein starkes Stück;
das muss noch einmal deutlich gesagt werden. Ich sage
dies auch deswegen, weil das Allerstärkste ist - deswegen erwähne ich das überhaupt -, dass jemand wie der
Vizekanzler Müntefering in einer Pressekonferenz dann
noch sagt: Es ist unfair, uns an unsere Wahlversprechen
zu erinnern. - Das ist doch inzwischen Ihre Linie.
({9})
Nun kommen wir - das haben Sie angesprochen - zu
den Überschüssen bei der Bundesagentur. Der Kollege Kauder, der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU,
erklärt, diese Überschüsse seien ein Erfolg der Bundeskanzlerin. Das kann ich nun überhaupt nicht erkennen.
Diese Überschüsse verdanken sich den Beitragszahlern
und beruhen unter anderem - daran darf man wohl noch
erinnern - auf der zwangsweise erhobenen zusätzlichen,
dreizehnten, Zahlung der Versicherungsbeiträge. Es handelt sich um Beiträge, die die Beitragszahler aufbringen.
Ich finde, wenn in der Kasse zu viel Geld ist, dann gehört dieses Geld zurück in die Hand der Beitragszahler.
({10})
Kommen Sie mir in diesem Zusammenhang nicht mit
dem Zuschuss des Bundes für die Bundesagentur! Wissen Sie eigentlich gar nicht, was wir beschlossen haben?
Es soll ja keinen Bundeszuschuss für die Bundesagentur
mehr geben. Sie könnten sich jetzt nur hinstellen und sagen: Jetzt machen wir doch etwas anderes. - Den Bundeszuschuss gibt es gar nicht mehr. Also reden Sie auch
nicht mehr davon! Im Übrigen kommen diese Bundeszuschüsse, die einmal gezahlt worden sind, von den gleichen Leuten. Diejenigen, die Beiträge nach Nürnberg
zahlen, und diejenigen, die Steuern für die Bundeskasse
zahlen, sind die gleichen Leute. Es handelt sich also um
das Geld der Bürger. Daran sollten Sie denken! Aber leider denken Sie ja viel zu wenig daran.
({11})
Herr Bundesfinanzminister, man kann hinsichtlich der
Ausgabenseite nicht die Hände in den Schoß legen.
Auch darauf muss ich jetzt noch zurückkommen. Sie haben uns ja, was die Ausgaben angeht, etwas vorgegaukelt. Die Ausgaben steigen in 2007 um 2,3 Prozent.
({12})
An dieser Erkenntnis führt kein Weg vorbei. Schauen Sie
einmal in Ihren Haushalt hinein! Es ist doch nicht wahr,
was Sie uns hier erzählt haben.
Wir freuen uns ja alle darüber, dass die Konjunktur
jetzt anläuft. Das bringt ja auch etwas; das sehen wir
nicht nur bei den Einnahmen der Bundesagentur, sondern auch an den erheblich zugenommenen Steuereinnahmen. Wenn wir uns dieses zarte Pflänzchen anschauen und sehen, wie dieses Pflänzchen Konjunktur
endlich ein bisschen blüht, müssen wir uns fragen, wieso
Sie dann mit einer Mehrwertsteuererhöhung kommen.
Das fördert ja doch nicht die Konjunktur; das torpediert
die Konjunktur. Dafür tragen Sie die Verantwortung.
({13})
Sie haben von den Risiken gesprochen. Es ist wahr:
Es gibt Risiken im Haushalt. Wir sind uns darüber einig, Herr Bundesfinanzminister, wo die Risiken liegen.
Nur finde ich: Dann muss man bei den Ausgaben noch
einmal kürzen und streichen und alles auf den Prüfstand
stellen, damit man mit Blick auf die Risiken einen Spielraum hat. Diese Prüfung haben Sie unterlassen.
Nun haben Sie in Ihrer Rede der FDP mehrfach Vorhaltungen gemacht und haben gerade auf den Bereich
der Einsparungen hingewiesen. Herr Finanzminister, Sie
haben ja das Talent, unglaublich viele der uns zur Verfügung stehenden Informationen zu unterdrücken oder hier
nicht vorzutragen. Ich nenne Ihnen eine Information.
Wenn Sie die hören - ich denke aber, Sie kennen sie bereits -, dann werden Sie feststellen, dass sich die Freien
Demokraten mit ihrer Politik in bester Gesellschaft befinden. Der Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten,
Peter Struck, der selbst einmal Mitglied im Haushaltsausschuss war, erklärte nach der Verabschiedung des
Bundeshaushalts 2006 in der „Frankfurter Allgemeinen
Sonntagszeitung“ - Herr Bundesfinanzminister, hören
Sie zu! -, man hätte auch auf die Mehrwertsteuererhöhung verzichten und den Haushalt über knallharte Einsparungen in jedem Ressort sanieren können. So Peter
Struck Ende Juni!
({14})
Ja, Recht hat der Mann. Dazu haben Sie nichts gesagt.
Da wir Peter Struck seit vielen Jahren gerade als einen
Mann kennen, der sehr peinlich darauf achtet, was er
sagt und warum er es sagt, denke ich, dass das auch eine
herbe Kritik am Bundesfinanzminister und seiner Politik
gewesen ist. Wir teilen die Auffassung von Peter Struck.
Das heißt, auf die Mehrwertsteuererhöhung kann man
verzichten, wenn man knallharte Einsparungen bei den
Ausgaben vornimmt.
({15})
Herr Bundesfinanzminister, Sie haben am Anfang gesagt - da war ich schon etwas erstaunt -: Wir als Bundesregierung sind nicht besonders beliebt; wir wollen
aber die Bürger darüber nicht im Unklaren lassen, was
die Politik der Bundesregierung ist. Dazu von mir eine
kleine Kostprobe, Herr Bundesfinanzminister. Vielleicht
haben Sie bei all den Aktivitäten im Bundesfinanzministerium kaum Zeit gehabt, die Meldungen der letzten
Tage zu lesen.
Da haben wir erstens den Bundeswirtschaftsminister,
von dem nicht allzu viel kommt, außer dass er jetzt vielleicht die Rüstungsexporte nach Indien erhöhen will.
Das hält er wahrscheinlich für eine Riesenidee.
Zweitens. Der baden-württembergische Ministerpräsident Oettinger und der CSU-Landesgruppenchef
Ramsauer bezeichnen die Gesundheitsministerin
Schmidt als Belastung für die Koalition. Wichtige CDUPolitiker fordern den Rücktritt der Ministerin.
Drittens. Bundesverkehrsminister Tiefensee, der bisher auch nicht durch Aktivitäten aufgefallen ist, plädiert
- das ist das Tollste; vielleicht haben Sie die Meldung
nicht gelesen - dafür, Hartz-IV-Empfänger als unbewaffnete Patrouillen im öffentlichen Nahverkehr einzusetzen.
Ich sage dazu: Das ist populistischer Quatsch.
Viertens. Die SPD wirft dem Verteidigungsminister
Jung Alleingänge zulasten der Koalition vor; für das
Klima der Koalition sei das alles nicht gut, was der
Mann mache. Der gleiche Verteidigungsminister fordert
übrigens für die nächsten Jahre 6 Milliarden Euro mehr
für seinen Etat, die er für Rüstungsprojekte ausgeben
will.
Fünftens. Peer Steinbrück - das habe ich schon erwähnt - fordert, auf Urlaub zu verzichten.
Daneben schlägt Herr Riester vor, die Leute sollten
auf das Auto verzichten. Und das, was der Sprecher des
Seeheimer Kreises der SPD über die Kanzlerin gesagt
hat, hätte ich nicht einmal als Oppositionspolitiker über
sie zu sagen gewagt.
Das ist das Spiegelbild der Koalition. Dieses Drunter
und Drüber innerhalb der Koalition erleben die Bürger,
es gibt keinen klaren Kurs. Die Bundesregierung ist völlig konzeptlos, folglich führungslos und das erkennen
die Bürger, was die Umfragewerte deutlich unterstreichen.
({16})
Herr Bundesfinanzminister, die Forderungen der
Freien Demokraten lauten: Verzichten Sie auf die Mehrwertsteuererhöhung! Sparen Sie, sparen Sie auch bei den
Ausgaben! Das ist machbar. Wir haben anlässlich des
letzten Haushalts ein Sparpaket mit einem Volumen von
8 Milliarden Euro vorgelegt. Solche Einsparungen sind
machbar. Wir haben Ihnen unser Sparpaket übergeben
und Sie haben unsere Vorschläge überprüfen können.
Wenn Sie unsere Forderungen erfüllen würden, würden
Sie einen wichtigen Beitrag für unsere Konjunktur leisten. So kämen wir zu weiteren Einnahmen für den Bundesfinanzminister.
Mir wäre es mit Blick auf den Haushalt lieber gewesen, die Bundeskanzlerin, der Bundeswirtschaftsminister
und der Bundesfinanzminister hätten sich zusammengesetzt und gemeinsam überlegt, welche Reformen auf
dem Arbeitsmarkt nötig sind. Wir brauchen schließlich
Reformen auf dem Arbeitsmarkt, sie würden zu weiteren
Einnahmen für den Bundesfinanzminister führen.
({17})
Der Bundeshaushalt 2007, Herr Bundesfinanzminister, den Sie uns vorgelegt haben, ist nicht der Haushalt
eines Bundesfinanzministers, der politisch agiert und
Ziele verfolgt. Es ist der Haushalt eines Finanzbuchhalters, der die Bilanz durch viel Haushaltskosmetik schönrechnet. Ihre Haushaltstricksereien, Herr Bundesfinanzminister, machen den Haushalt 2007 nicht solider. Der
Haushalt ist auf keinen Fall solide.
Ich hoffe - ich appelliere in diesem Sinne an die
Koalitionsfraktionen -, dass wir es in den Beratungen im
Haushaltsausschuss schaffen werden, einen soliden
Haushalt aufzustellen. Dieser Haushalt wird sicher nicht
so aussehen wie derjenige, den uns der Bundesfinanzminister heute vorgelegt hat.
Herzlichen Dank.
({18})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Michael Meister,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich möchte zum Auftakt der Haushaltsberatungen für das Jahr 2007 als Erstes folgende Bemerkung
machen: Mit diesem Haushaltsentwurf kehrt die Haushaltspolitik in Deutschland in die Regelkreise zurück,
die von Recht und Gesetz vorgegeben sind.
Lieber Herr Koppelin, die große Koalition ist in der
Haushaltspolitik mit der Zielsetzung angetreten, die
Neuverschuldung zurückzuführen, den Bundeshaushalt
nachhaltig zu sanieren und die Staatsfinanzen wieder
dauerhaft auf ein tragfähiges Fundament zu stellen. Der
heute eingebrachte Entwurf des Haushalts 2007 und der
Finanzplan bis 2010 zeigen das klare Konzept und die
Handschrift dieser Koalition, um diese Zielsetzung im
vorgegebenen Zeitraum erreichen zu können.
Ich will auf etwas hinweisen, was in den vergangenen
fünf Jahren als Unmöglichkeit erschien, sich heute jedoch als Selbstverständlichkeit im Entwurf darstellt. Wir
werden mit diesem Haushalt zum ersten Mal wieder den
Regelkreis des Art. 115 des Grundgesetzes, der vorsieht, dass das Investitionsvolumen größer sein muss als
die Nettoneuverschuldung, erreichen.
({0})
Das ist eine Selbstverständlichkeit, die leider in den letzten Jahren in unserem Land keine Selbstverständlichkeit
war.
Darüber hinaus werden wir dank der guten konjunkturellen Entwicklung bereits in diesem Jahr das 3-Prozent-Defizitkriterium des Maastrichtvertrags einhalten. Die deutsche Finanzpolitik gewinnt damit auch
international wieder an Glaubwürdigkeit. Denken wir
beispielsweise an die EU-Staaten Mittelosteuropas, die
kurz vor der Einführung des Euros in ihrem Land stehen:
Auch ihnen verlangen wir die Einhaltung dieser Kriterien ab. Deshalb müssen wir mit gutem Beispiel vorangehen und diese Koalition tut das.
({1})
Wir tun damit aber auch langfristig etwas für die Stabilität unserer Währung. Erinnern wir uns an die Bedingungen zur Einführung des Euros. Das waren einerseits
der Vertrag von Maastricht, andererseits die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank. Ich möchte seitens meiner Fraktion erklären, dass wir bereit sind und
die Anstrengungen unternehmen wollen, unseren Beitrag dazu zu leisten, den europäischen Stabilitäts- und
Wachstumspakt im Jahr 2007 und in den Folgejahren
dauerhaft einzuhalten.
({2})
Wir sollten aber auch hinsichtlich der Unabhängigkeit
der Europäischen Zentralbank den notwendigen Respekt
({3})
wahren und nicht in die Aufgaben einer unabhängigen
Notenbank eingreifen.
({4})
Dieser Haushalt zeigt, dass die große Koalition hält,
was sie verspricht. Das ist das Kennzeichen einer neuen
Politik. Ich möchte Herrn Steinbrück, unserem Bundesfinanzminister, ausdrücklich dafür danken, dass er sich
diesen Konsolidierungsauftrag zu Eigen gemacht hat.
Herr Steinbrück, ich darf Ihnen versprechen, dass meine
Fraktion und auch ich persönlich Sie bei der Umsetzung
dieser schwierigen Aufgabe nach besten Kräften unterstützen werden. Das gilt auch für die Haushaltsverhandlungen, die mit dem heutigen Tage beginnen.
({5})
- Lieber Herr Koppelin, da Sie sich hier mit Zwischenrufen hervortun, möchte ich Ihnen Folgendes sagen: Es
ist mit Sicherheit berechtigt, als Opposition Kritik am
Haushaltsentwurf der Regierungskoalition zu üben. Kritik ist angesichts der Probleme, vor denen wir in der
Wirtschafts-, Finanz- und Haushaltspolitik stehen, aber
zu wenig.
({6})
Sie müssten nicht nur sagen, was Sie an unseren Vorschlägen kritisieren, sondern auch, wie Sie das strukturelle Defizit des Bundeshaushalts mit einem Volumen
von über 60 Milliarden Euro schließen wollen. Ihre bisherigen Vorschläge zielen auf nicht einmal 10 Prozent
dieser Summe und greifen deshalb wesentlich zu kurz.
Ich hätte erwartet, dass Sie heute früh einen konkreten
Vorschlag dazu auf den Tisch legen, über den wir uns in
den nächsten Wochen unterhalten können. Herr
Koppelin, das haben Sie leider nicht geleistet.
({7})
Populismus ist eine angenehme Sache, da man unheimlich viel Beifall erntet. Er ersetzt aber keine seriöse und
solide Finanzpolitik für eine der größten Volkswirtschaften dieser Welt. Wir stehen in der Verantwortung und wir
nehmen sie auch wahr.
({8})
Am Anfang dieses Jahres haben wir - Herr
Steinbrück hat darauf hingewiesen - das Wachstumsimpulsprogramm beschlossen. Damals gab es viele
Schwarzseher, die gesagt haben, dass das Programm in
die falsche Richtung zielt. Jetzt liegt uns der Haushaltsentwurf vor und wieder wird darüber geredet, welche negativen Wirtschaftsentwicklungen mit diesem Haushaltsentwurf und den begleitenden Gesetzen eingeleitet
werden könnten. Ich will an dieser Stelle darauf hinweisen, dass die negativen Botschaften, die am Jahresanfang
verkündet wurden, nicht eingetreten sind.
({9})
Es ist hervorragend, dass sie nicht eingetreten sind. All
die Schwarzmaler haben nicht Recht gehabt.
({10})
Es wäre ein schönes Zeichen gewesen, wenn Sie heute
gesagt hätten: Gott sei Dank, unsere Befürchtungen sind
nicht eingetreten. Wir haben uns geirrt.
({11})
Deshalb sage ich ermunternd: Der Stillstand in
Deutschland ist durch diese Koalition überwunden worden. Die Ampeln wurden auf Grün geschaltet.
({12})
In Deutschland geht es aufwärts. Wir haben vorsichtig
geschätzt und werden auch zukünftig Vorsicht walten
lassen.
Herr Kuhn, wenn Sie sich Ihre Leistungsbilanz anschauen - fünfmal Maastricht gerissen, fünfmal Art. 115
gerissen, Stagnation in Deutschland herbeigeführt, Nullwachstum -, dann ist klar, dass Sie überhaupt kein Recht
haben, solche Zwischenrufe zu machen. Sie sollten sagen: Respekt vor dieser neuen Bundesregierung! Zum
Glück sitzen wir Grünen endlich in der Opposition!
({13})
Im Frühjahr dieses Jahres haben wir prognostiziert,
dass die Wirtschaft - vorsichtig gerechnet - um etwa
1,6 Prozent wachsen wird. Diese Prognose wird vom Ergebnis übertroffen werden. Das soll auch so bleiben: Wir
wollen erstens weiterhin vorsichtige Prognosen erstellen
und zweitens weiter daran arbeiten, dass wir unsere Prognosen auch in den Folgejahren übertreffen. Das ist die
Philosophie dieser Regierung.
({14})
Die Arbeitslosenzahl sinkt auf breiter Front. Auch das
ist ein positives Signal für die Menschen in diesem
Land. Die Arbeitslosigkeit belastet die Menschen in
Deutschland nämlich am stärksten; sie ist das Hauptproblem. Wir haben es geschafft, dass wir in diesem Land
knapp 500 000 Arbeitsplätze mehr haben als vor einem
Jahr. Wenn wir das vor der letzten Bundestagswahl angekündigt hätten, dann wäre das als rosa Wolke bezeichnet
worden, aber nicht als realistische Perspektive. Mittlerweile sind wir auf diesem Feld gewaltig vorangekommen. Durch nachhaltige Strukturreformen müssen wir
jetzt dafür sorgen, dass diese Entwicklung anhält und
nicht wieder abbricht.
({15})
- Frau Hajduk, Kassandrarufe sind bei Ihnen immer dabei. Sie haben doch in der Arbeitsmarktpolitik versagt,
weil Sie den Konjunkturaufschwung in den Jahren 2000/
2001 nicht genutzt haben, um strukturelle Reformen umzusetzen. Sie haben die Chance, die Sie damals hatten,
vertan. Wir wollen unsere Chance im Sinne der Menschen in Deutschland nutzen.
({16})
Meine Damen und Herren, ich will noch einmal betonen: Wir sind erst am Beginn der Haushaltssanierung.
Unsere Konsolidierungsbemühungen beruhen - Herr
Steinbrück hat es erwähnt - zu 60 Prozent auf der Ausgabenseite, dem Abbau von Steuervergünstigungen,
steuerlichen Sonderregelungen und Finanzhilfen, und zu
etwa 40 Prozent auf dem Anheben von Steuersätzen.
Das ist natürlich keine angenehme Botschaft. Aber wer
sich zu den finanzpolitischen Zielsetzungen bekennt und
eine nachhaltige, den zukünftigen Generationen verpflichtete Finanzpolitik machen möchte, der kam um
diese Entscheidung leider Gottes nicht herum. Deshalb
möchte ich ausdrücklich noch einmal unterstreichen,
dass sie notwendig war und in dieser Lage leider auch
richtig.
Daraus muss erwachsen, dass sich die Haushaltssanierung in den kommenden Jahren - beginnend mit den
Haushaltsberatungen, vor denen wir stehen - noch stärker auf die Ausgabenseite fokussieren muss. Wir müssen
uns anstrengen, damit wir in den folgenden Jahren verstärkt auf der Ausgabenseite zur Konsolidierung beitragen können.
({17})
Jetzt könnte man sagen: Wenn die 3-Prozent-Grenze
erreicht ist, dann bedarf es gar keiner weiteren Anstrengungen. Ich möchte darauf hinweisen, dass im Vertrag
von Maastricht nicht steht, dass man jedes Jahr mindestens 3 Prozent neue Schulden machen muss. Im Vertrag
steht, dass man über den Konjunkturzyklus hinweg einen ausgeglichenen Haushalt haben muss. Deshalb werden wir auch nach Erreichen der 3-Prozent-Grenze jedes
Jahr einen Konsolidierungsbeitrag in Höhe von
0,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts leisten müssen.
Allein für den Bund sind das etwa 7 Milliarden Euro pro
Jahr. Deshalb stehen wir mit diesem Haushalt nicht am
Ende der Konsolidierung, sondern am Anfang.
({18})
Wir werden weiter ernsthaft alle Möglichkeiten nutzen
müssen, den Haushalt zu konsolidieren, bis wir bei einem ausgeglichenen Bundeshaushalt angelangt sind.
({19})
Mit Beginn dieser Haushaltsberatungen stellt sich die
Situation so dar, dass die Steuereinnahmen etwa
3 Milliarden Euro über der Summe liegen, die im Haushaltsplan 2006 veranschlagt wurde. Diesen Spielraum
sollten wir - insofern unterstütze ich Herrn Steinbrück
ausdrücklich - für eine weitere Absenkung der Nettoneuverschuldung nutzen, anstatt an dieser Stelle neue
Verteilungsdebatten zu beginnen.
({20})
Wir stehen nicht am Ende der Konsolidierung, sondern
am Anfang. Deshalb gibt es nichts zu verteilen.
({21})
Ich greife ernsthaft den Hinweis auf die Risiken, die
Herr Koppelin genannt hat, auf. Es ist richtig, dass wir
Risiken haben. Ich glaube, die Koalition und auch der
Finanzminister sind sich der Risiken, die existieren, bewusst. Aber man muss doch überlegen, welche Konsequenzen man aus diesen Risiken zieht. Die Konsequenz
kann doch nicht die sein, die in der Rede aufgezeigt
wurde: Weil Risiken existieren, nehme ich Teile der
Konsolidierungsanstrengungen weg.
({22})
Damit stellen Sie ja die Mehrwertsteuererhöhung infrage. Viel eher müsste man doch sagen: Weil Risiken
bestehen, müssen die Konsolidierungsanstrengungen
verstärkt werden.
({23})
Deshalb ist Ihr Hinweis auf die Risiken richtig, aber Ihre
Schlussfolgerung geht leider an der Sache vorbei.
({24})
Ich möchte auch das Thema „Mehreinnahmen bei der
Bundesagentur für Arbeit“ aufgreifen. Aus Sicht meiner
Fraktion sollten Beitragsmehreinnahmen bei der Bundesagentur für Arbeit zur Sanierung des Bundeshaushaltes nicht zur Verfügung stehen. Wir sind sehr froh und
dankbar darüber, dass wir jetzt und in den Folgejahren
hoffentlich keine Überweisungen aus dem Bundeshaushalt an die Bundesagentur leisten müssen, sondern die
Bundesagentur in der Lage ist, sich selbst zu finanzieren.
Wenn es bei der Bundesagentur für Arbeit Spielräume
gibt, die über die bereits beschlossene Senkung der Beiträgssätze hinausgehen und dauerhaft vorhanden sind,
sodass eine nachhaltige weitere Beitragssenkung möglich ist, dann sollten wir diese Spielräume in diesem
Sinne nutzen und keine anderen Verwendungen ins Auge
fassen.
({25})
Denn natürlich hängt die Haushaltssanierung auch von
der nachhaltigen Verbesserung des Arbeitsmarktes und
der wirtschaftspolitischen Lage in unserem Lande ab:
Die Arbeitskosten, insbesondere die Lohnnebenkosten
sind wichtig für den Beschäftigungsstand und damit für
die Ausgabenseite unseres Bundeshaushaltes. Wenn die
Zahl der Beschäftigten ansteigt, haben wir weniger Ausgaben und gleichzeitig mehr Einnahmen, ohne Steuern
oder Beiträge erhöhen zu müssen.
({26})
Insofern ist es natürlich sehr positiv, dass die Lage auf
dem Arbeitsmarkt - und damit die Lage bei Steuern und
Beiträgen - besser ist als vor einem Jahr. Wir müssen dafür sorgen, dass die gegenwärtige wirtschaftliche Entwicklung über den 1. Januar nächsten Jahres hinaus anhält. Die Situation auf dem Arbeitsmarkt hat sich
nämlich verbessert. Die Menschen erwirtschaften mehr
Geld und mehr Menschen sind in Beschäftigung. Ich bin
zuversichtlich, dass diese seit vielen Jahren erstmals
wieder positive Entwicklung der Binnenkonjunktur trotz
der von uns beschlossenen Maßnahmen über den
1. Januar nächsten Jahres hinaus anhalten wird. Das
wäre ungeheuer wichtig. Das Fundament für diese Hoffnung wurde gelegt.
Ein weiterer Punkt. Ich glaube, wir müssen dringend
über das Impulsprogramm hinaus investieren und im
Rahmen der Haushaltssanierung Strukturreformen
durchführen. Herr Bundesfinanzminister, Sie haben zu
Recht das Thema Unternehmensteuer angesprochen.
Ich denke, die Unternehmensteuer ist ein Mosaikstein
des gesamten Pakets von Strukturreformen, die wir brauchen, um nicht nur für konjunkturelles Wachstum, sondern auch für eine strukturelle Verbesserung der Wachstumskräfte in unserem Land zu sorgen.
({27})
Zwar kann man sehr viel darüber diskutieren, was frühere Steuerreformen gebracht haben bzw. was sie nicht
gebracht haben. Aber wir sollten schlicht und ergreifend
die Situation, wie sie sich zum jetzigen Zeitpunkt darstellt, zur Kenntnis nehmen.
({28})
Betrachtet man den Umfang der Steuerbelastung von
Kapitalgesellschaften in Deutschland und in vergleichbaren Ländern, stellt man fest, dass Deutschland bei diesem Vergleich leider am oberen Ende liegt. In dieser
Hinsicht sind wir gegenwärtig nicht hinreichend attraktiv. Deshalb müssen wir an dieser Stellschraube arbeiten.
Herr Kollege Poß, Herr Steinbrück, Kolleginnen und
Kollegen aus meiner Fraktion, ich bin sehr froh, dass wir
uns bei diesem Thema auf einen Lösungskorridor hin zubewegen und die Steuerbelastung für Unternehmen in
Deutschland zum 1. Januar 2008 gemeinsam auf unter
30 Prozent senken wollen.
({29})
Das ist, was die zeitliche Planbarkeit und Verlässlichkeit
betrifft, ein richtiges Signal. Wichtig ist auch die klare
Ansage, in welcher Höhe Unternehmensgewinne in
Deutschland in Zukunft belastet werden.
Ich will ausdrücklich sagen: Für uns ist ungeheuer
wichtig, dass wir in diesem Zusammenhang nicht nur
über die etwa 20 Prozent Kapitalgesellschaften, sondern
auch über die 80 Prozent Personengesellschaften in
diesem Land sprechen. Wir müssen einen Mechanismus
entwickeln, der die Personenunternehmen bei dieser
Entlastung in gleicher Weise berücksichtigt und sie nicht
allein lässt. Ich glaube, auch an dieser Stelle sind wir auf
einem vernünftigen Weg.
Ich bin allerdings nicht davon überzeugt, dass wir diese
Veränderungen im Hinblick auf Steuersatz und -strukturen
werden durchführen können, wenn wir sagen, dass diese
Reform haushaltsneutral erfolgen muss. Denn dies
würde letztlich Mehrbelastungen für die Unternehmen
bedeuten. Dadurch würden wir Investitionen verhindern
und weitere Arbeitsplätze aus dem Lande treiben. Das
wäre eine Politik gegen und nicht für die Menschen in
Deutschland.
({30})
Außerdem warne ich davor, sich ständig in solchen
staatlichen Betrachtungen zu ergehen. Wir wollen keine
staatliche Wirtschaftspolitik, sondern wir wollen die
Rahmenbedingungen so setzen, dass die Akteure ihr
Verhalten ändern, dass Unternehmensgewinne, die hier
erwirtschaftet werden, in Zukunft auch hier versteuert
werden,
({31})
dass mehr investiert und mehr gearbeitet wird, dass mehr
Wachstum entsteht und der Fiskus dadurch auch mehr
Steuereinnahmen hat.
({32})
Die staatliche Betrachtung, die in dieser Diskussion angestellt wird, wird der Dynamik, die wir anstreben, nicht
gerecht. Deshalb geht diese Debatte an der Sache vorbei.
({33})
Wir sollten zum eigentlichen Kern, dem Ziel der Schaffung von mehr Wachstum und Beschäftigung, zurückkehren.
({34})
Die Frage, wie wir es schaffen, dass die Unternehmensgewinne, die hierzulande anfallen, auch am Standort Deutschland versteuert werden, betrifft eine hoch
komplexe Materie. Wir müssen ungeheuer aufpassen,
dass wir dieses Problem sachgerecht lösen, ohne eine
weitere Substanzbesteuerung der Unternehmen am
Standort Deutschland in die Wege zu leiten.
({35})
Meine Fraktion steht für Vorschläge, die bei der Körperschaftsteuer oder auf anderen Gebieten, wie etwa bei den
Ertragsteuern, weitere Substanzbelastungen mit sich
bringen würden, nicht zur Verfügung.
({36})
Ich will klar und deutlich festhalten: Solchen Vorschlägen werden wir nicht zustimmen.
({37})
- Das liegt daran, Herr Koppelin, dass wir die gegenwärtige wirtschaftliche Dynamik anregen und sie nicht zerstören wollen.
Dem, was der Herr Bundesfinanzminister formuliert
hat, stehen wir allerdings sehr offen gegenüber. Wir
müssen darüber nachdenken, wie wir für die Unternehmen eine Motivation schaffen können, ihre Gewinne in
unserem Lande zu versteuern, und wie wir den Abzug
von Fremdfinanzierungsaufwendungen begrenzen können. Wir sind gerne bereit, zu überlegen, ob wir über diesen Weg eine Lösung dieses Problems finden können,
ohne wirtschaftspolitisch kontraproduktiv zu handeln.
Ich hoffe, dass wir rechtzeitig im Jahre 2006 auch ein
wichtiges Signal an die Familienunternehmen auf den
Weg bringen, um ihnen deutlich zu machen, dass sich
die Lage verändert. Wir diskutieren ungeheuer viel über
Existenzgründungen, wir diskutieren ungeheuer viel darüber, wie wir zu mehr Beschäftigung kommen können.
Pro Jahr stehen knapp 50 000 Unternehmen vor einem
Generationenübergang. Immer wieder stellt sich die
Frage, ob bei dem Generationenübergang die Arbeitsplätze im Unternehmen erhalten bleiben. Wir haben uns
schon beim Jobgipfel und auch im Koalitionsvertrag darauf verständigt, dass wir eine Lösung für die Erbschaftsteuer und für die Schenkungsteuer finden müssen, die
es den Unternehmen erlaubt, bei Weiterführung und Erhalt der Arbeitsplätze die Erbschaftsteuerschuld nach
und nach zu begleichen. Wir stehen als Koalition in der
Pflicht, dieses Problem zeitgerecht und sachgerecht zu
lösen, auch um die Verlässlichkeit dieser Koalition wieder deutlich zu machen.
({38})
Ich will zum Abschluss auf zwei weitere Strukturpunkte eingehen. Ich glaube, der Bürokratieabbau ist
mit dem ersten Mittelstandsentlastungsgesetz und der
Errichtung des Normenkontrollrats auf ein vollkommen
neues Gleis gesetzt worden: ohne dass das den Staat etwas kostet, können Bürger und Unternehmen, aber auch
der Staat Geld sparen. So können wir neue Handlungsspielräume gewinnen. Es ist notwendig, dass der Normenkontrollrat jetzt seine Arbeit in dem von uns gewünschten Sinne aufnimmt und dass wir gleichzeitig
zeitnah und gemeinsam mit dem Bundeswirtschaftsminister ein zweites Mittelstandsentlastungsgesetz auf
den Weg bringen, um den Bürokratieabbau fortzusetzen.
Dabei müssen wir natürlich ein Stück weit an die Menschen in diesem Lande appellieren. Wir müssen ihnen
deutlich machen, dass wir Vertrauen zu ihnen haben,
dass wir ihnen etwas zutrauen. Deswegen sind wir bereit, ihnen mehr Freiheit zu übertragen. Ich glaube, das
ist ein wichtiger Baustein, um zu mehr wirtschaftlicher
Dynamik in diesem Lande zu kommen.
Lieber Herr Koppelin, ich will zum Abschluss einen
Punkt von Ihnen aufgreifen: Ich teile Ihre Einschätzung,
dass wir uns dringend der Regulierungsdichte des
Arbeitsmarktes in Deutschland zuwenden müssen. Wir
haben mit der bestehenden Gesetzeslage dazu beigetragen, dass rund 5 Millionen Menschen in die Arbeitslosigkeit geraten sind. Diese Zahl darf in Zukunft nicht
noch weiter steigen. Vielmehr müssen wir mit Blick auf
die Regulierungsdichte überlegen, wie wir es schaffen,
dass diese Zahl reduziert wird. Wir müssen uns in der
Koalition über all die Vorschläge, die im Koalitionsvertrag stehen, in den nächsten Wochen und Monaten unterhalten und auch hier zu sachgerechten und hilfreichen
Lösungen kommen. Ich habe vorhin schon erwähnt, dass
dies zwar nicht direkt mit dem Haushalt zu tun hat, sich
aber maßgeblich auf die Haushaltslage unseres Landes
auswirkt. Deshalb ist es wichtig, dieses Thema in den
Haushaltsberatungen mit anzusprechen und aufzugreifen.
({39})
Der vorgelegte Bundeshaushalt 2007 ist ein wichtiger
Schritt zur Gesundung der Staatsfinanzen in unserem
Land. Ich habe erwähnt, dass wir bei diesem Thema am
Anfang stehen, nicht am Ende. Ich möchte mit meinen
Kollegen aus der Unionsfraktion meinen Beitrag dazu
leisten, dass wir diesen Weg erfolgreich weitergehen Dr. Michael Meister
damit die Menschen in diesem Land ihren Wohlstand erhalten und mehren können.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({40})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Gesine
Lötzsch, Fraktion Die Linke.
({0})
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Der Finanzminister hat sich von den
SPD- und den CDU/CSU-Abgeordneten 320 000 Euro
für einen persönlichen Imageberater genehmigen lassen.
({0})
Im Sommerloch präsentierten Sie nun Ihr neues Image:
Sie forderten von den Bürgern den Verzicht auf eine
Urlaubsreise zur Finanzierung der Rente. Sie waren übrigens gerade selber aus dem Urlaub gekommen. Vielleicht war Ihr Urlaub nicht so schön, aber das muss ja
nicht für andere gelten.
({1})
Augenscheinlich haben Sie bei Ihrem Vorschlag übersehen, dass zum Beispiel in einem Land wie MecklenburgVorpommern der Tourismus der wichtigste Wirtschaftsfaktor ist. Ich frage mich: Braucht man wirklich eine
Imageberatung für 320 000 Euro, um so arrogant und
anmaßend zu sein?
({2})
Das Image des Finanzministers könnte uns eigentlich
egal sein, wenn die Folgen nicht so katastrophal wären!
Es ist nicht gut für unser Land, dass die Koalition es sich
zur Aufgabe gemacht hat, permanent Angst zu verbreiten. Die Bürger werden von der Bundesregierung ständig in Unsicherheit und Ungewissheit gehalten. Jeden
Tag wird von einem Minister der Untergang der Sozialsysteme und des Abendlandes verkündet. Ich frage mich
wirklich, wie es die Bundesregierung so schnell geschafft hat, die gute Stimmung, die während der Fußballweltmeisterschaft in unserem Land herrschte, wieder
gründlich zu vertreiben.
Einen muss ich allerdings ausnehmen: Der Innenminister hat schon während der Fußballweltmeisterschaft versucht, eine schlechte Stimmung zu verbreiten,
indem er immer wieder den Einsatz der Bundeswehr forderte. Ich habe den Eindruck, dass es Herrn Schäuble
völlig egal ist, was gerade passiert. Ob in China ein
Reissack umfällt oder die Gletscher schmelzen: Er fordert immer den Einsatz der Bundeswehr.
({3})
Der Haushaltsentwurf der Bundesregierung für das
nächste Jahr ist eine Kampfansage an alle Kinder, Jugendlichen, Studierenden, Familien und Rentner. Die
steuerliche Entlastung der Spitzenverdiener und der Unternehmen unter Rot-Grün - mit Unterstützung der
CDU/CSU - hat große Löcher in die Haushalte des Bundes, der Länder und der Gemeinden gerissen. Jährlich
gehen durch die rot-grün-schwarze Steuerreform Einnahmen in Höhe von über 60 Milliarden Euro verloren,
die dringend gebraucht werden. Allein meine Heimatstadt Berlin hat durch diese Steuerreform Ausfälle in
Höhe von 800 Millionen Euro pro Jahr.
Das wissen übrigens auch der Herr Pflüger und die
Kandidaten der Grünen, die den Berlinerinnen und Berlinern im Wahlkampf Versprechungen machen, obwohl
sie wissen, dass sie an der dramatischen Haushaltsnotlage des Landes mitschuldig sind. Die Berliner Wähler
sollen wissen, dass hier schwarz-grüne Populisten unterwegs sind, denen wir das nicht durchgehen lassen.
({4})
SPD, CDU/CSU und Grüne haben großzügig Steuergeschenke an Unternehmen und Besserverdienende verteilt und jetzt will die Koalition Haushaltslöcher stopfen,
indem sie den Leuten in die Tasche greift, die am wenigsten haben. Das ist wirklich dreist.
({5})
Die Kanzlerin erklärt, dass die Mehrwertsteuererhöhung zur Entlastung der Arbeitskosten und zur Schließung von Haushaltslöchern genutzt werden soll. Das ist
aber nur die halbe Wahrheit. Die Bürger sollen auch deshalb mehr Steuern zahlen, damit die Bundesregierung
die Unternehmen auch in den nächsten Jahren weiter
steuerlich entlasten kann.
({6})
Übrigens: Zur Eröffnung der Internationalen Funkausstellung hier in Berlin hat die Kanzlerin den Finanzminister etwas - ich würde einmal sagen - demontiert.
Sie hat angekündigt, gerade die Teile der Unternehmensteuerreform zu streichen, die zur Gegenfinanzierung
gedacht waren.
({7})
Die Unternehmensteuerreform wird die Kosten für den
Steuerzahler also noch erhöhen.
Meine Damen und Herren, lediglich Herr Rüttgers
von der CDU hat inzwischen endlich verstanden, was
wir als Linkspartei seit Jahren sagen.
({8})
- Vorher als PDS natürlich. Wenn Sie das gerne hören
wollen, dann korrigiere ich das, Herr Kollege. - Es ist
eine Lebenslüge, zu glauben, dass die permanente Senkung der Unternehmensteuer zu mehr Arbeitsplätzen
führt.
({9})
Leider ist das nicht die einzige Lebenslüge der CDU,
von der sie sich nicht trennen will.
Die Bundesregierung glaubt wirklich daran, dass die
Privatisierung von öffentlichen Unternehmen der Königsweg ist. Es ist eine Lebenslüge, zu glauben, dass
kommerzielle Unternehmen von vornherein besser als
öffentliche Unternehmen sind. Das beste Beispiel ist die
Bahn. Wenn man an all die Bahnunfälle der letzten Jahre
in Großbritannien denkt, dann weiß man, dass eine privatisierte Bahn unpünktlich, teuer und sogar lebensgefährlich sein kann.
({10})
Diese Regierung lässt sich durch die Realitäten aber
nicht schrecken. Die Deutsche Bahn soll auf Biegen und
Brechen verkauft werden und der Steuerzahler soll die
Zeche bzw. die Dividende zahlen. Das ist das zweitgrößte Enteignungsprogramm seit dem Zweiten Weltkrieg.
({11})
Die Bundesregierung hat einen Haushaltsentwurf vorgelegt, der in sich so widersprüchlich wie die große
Koalition selbst ist. Es wird ein bisschen saniert, ein bisschen reformiert und ein bisschen investiert. Ich finde,
das ist mehr als ein bisschen konzeptionslos.
Es gibt für unser Land eigentlich nur zwei denkbare
Modelle, nämlich das US-amerikanische und das skandinavische. CDU/CSU, SPD und leider auch Teile der
Grünen versuchen seit über zehn Jahren, unserem Land
das für uns untaugliche amerikanische Modell überzustülpen. Dieses Modell besteht aus Steuergeschenken für
Unternehmen, der Privatisierung öffentlicher Aufgaben,
dem Abbau der Sozialsysteme, der Kommerzialisierung
des Gesundheitswesens, Lohndumping, rücksichtslosem
Wettbewerb, dem Abbau von Bürgerrechten und einer
aggressiven Außenpolitik. Ich bin davon überzeugt - das
wissen wir aus vielen Umfragen und Gesprächen -: Die
Menschen in unserem Land sagen Ja zu Reformen und
Ja zu einer solidarischen Gesellschaft. Aber sie sagen
Nein zu einer Ellbogengesellschaft.
({12})
Daran kann zum Glück auch die große Koalition
nichts ändern. Selbst die konservative „Wirtschaftswoche“ muss zugeben, dass das skandinavische Modell
sehr erfolgreich ist: Im Vergleich der gesamtwirtschaftlichen Wachstumspotenziale stehen Finnland auf Platz
eins, Schweden und Dänemark auf den Plätzen drei und
vier, Deutschland aber auf Platz 15. Die Arbeitslosigkeit
ist in den skandinavischen Ländern niedriger als bei uns.
Die Schere zwischen Arm und Reich geht nicht so dramatisch auseinander, wie wir das hier in Deutschland unter der CDU/CSU- und SPD-Regierung erleben.
({13})
Die Bundesregierung kann sich offensichtlich nicht von
ihren Lebenslügen trennen und setzt ihre erfolglose Politik fort.
In den gemeinsamen Leitlinien der Haushälter der
Koalition steht an erster Stelle nicht der Kampf gegen
die Arbeitslosigkeit, wie Sie es den Wählerinnen und
Wählern versprochen haben, sondern die Einhaltung der
Maastrichter Kriterien.
({14})
Nun soll man sie nicht ignorieren. Aber ich weiß nicht,
ob das jeder Arbeitslose verstehen wird.
Interessant ist aber auch, was nicht in den Leitlinien
steht, zum Beispiel dass CDU/CSU und SPD einen
Haushalt aufgestellt haben, in dem die Ausgaben für den
Verteidigungshaushalt am zweithöchsten sind.
({15})
Was vielleicht auch einmal hervorgehoben werden
sollte: Die Bundesregierung will mehr für die Verteidigung - rund 28 Milliarden Euro - als für zivile Investitionen ausgeben. Gerade an Investitionen fehlt es jedoch
in unserem Land.
({16})
Ich komme noch einmal zum Verteidigungshaushalt
zurück. Schaut man sich die Ausgaben an, können einem
- sofern vorhanden - die Haare zu Berge stehen.
({17})
Die Bundesregierung versucht, die hohen Ausgaben mit
der Terrorgefahr zu begründen. Aber die großen Beschaffungsprojekte stammen noch aus der Zeit des Kalten Krieges. Kann mir jemand in diesem Hause erklären,
warum wir ein neues Mittelstreckenraketensystem brauchen? Wollen Sie damit auf deutschen Bahnhöfen Bombenleger jagen? Oder wie stellen Sie sich das vor?
({18})
In einer Frage möchte ich die Kollegen Haushälter,
die sich dazu öffentlich geäußert haben, unterstützen.
Auch ich bin dafür, dass die kostenintensive Teilung der
Bundesregierung auf die Standorte Bonn und Berlin in
absehbarer Zeit ein Ende findet.
({19})
Es kann doch wirklich nicht sein, dass die Bundesregierung von allen Bürgern Mobilität und Flexibilität verlangt, aber selber nicht in der Lage ist, ihre Ministerialbeamten von Bonn nach Berlin zu holen. Diesen Luxus
an ministerialem Beharrungsvermögen können wir uns
wirklich nicht leisten.
({20})
Wir als Linksfraktion haben den Antrag eingebracht,
die Erhöhung der Mehrwertsteuer zurückzunehmen.
Diese Erhöhung ist unsozial und Gift für die Konjunktur.
Wir wollen steuerlich da ansetzen, wo Menschen ohne
eigenes Zutun Extragewinne in die eigene Tasche stecken. Wir fordern unter anderem eine Steuer auf Sondergewinne der Stromversorger aus dem Emissionshandel.
Es ist nicht einzusehen, dass die Stromriesen Extragewinne einfach einstreichen, ohne dafür einen Finger
krumm gemacht zu haben.
Wir werden in den Haushaltsberatungen alle Vorschläge im Einzelnen durchgehen. Unsere Vorschläge
lassen sich auf einen Nenner bringen: In einer solidarischen und gerechteren Gesellschaft lassen sich die Probleme unseres Landes lösen, sei es die Arbeitslosigkeit,
die die Verarmung ganzer Regionen bedeutet, sei es die
Umgestaltung unserer Sozialsysteme. Lassen Sie uns die
vor uns liegenden Haushaltsberatungen nutzen, um den
Haushalt vom Kopf auf die Füße zu stellen.
Vielen Dank.
({21})
Das Wort hat der Kollege Joachim Poß, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Peer
Steinbrück hat die wirtschaftliche Lage und Entwicklung
zutreffend beschrieben. Nach meinem Eindruck ist die
Opposition durch die wirtschaftliche Entwicklung regelrecht entwaffnet worden.
({0})
- Lesen Sie bitte Ihre Reden vom Frühjahr dieses Jahres!
Dann werden Sie feststellen, inwiefern Sie durch die
wirtschaftliche Entwicklung entwaffnet wurden.
Zu Ihren Ausführungen, Frau Lötzsch: Ich glaube,
dass wir mit Schwarz-Weiß-Rezepten
({1})
- meinetwegen auch Schwarz-Rot - nach dem Motto
„Kupfern wir doch etwas von Finnland ab!“ nicht weiterkommen. Wir haben in Deutschland unsere eigene
Lage, die insbesondere von der Überwindung der deutschen Teilung geprägt ist. Dieser Lage müssen wir uns
stellen. Wir gehen nicht den amerikanischen Weg. Wir
gehen auch nicht den skandinavischen Weg. Wir müssen
vielmehr unseren Weg finden und wir sind auf einem guten Weg, wenn man das an den Ergebnissen misst.
({2})
Betrachten Sie einmal die skandinavische Arbeitsmarktpolitik, ob in Dänemark oder in Finnland! Dann
werden Sie sehen, was den Menschen dort abverlangt
wird. Wenn Sie auf Skandinavien verweisen, dann dürfen Sie sich nicht nur auf die Seite beschränken, die Ihnen gefällt; Sie müssen vielmehr das Ganze in den Blick
nehmen. Ob man Deutschland mit einem Land wie Finnland mit 5 Millionen Einwohnern vergleichen kann,
wage ich ebenfalls zu bezweifeln.
Wenn Sie das Ausmaß der Jugendarbeitslosigkeit vergleichen, dann kommen Sie zu dem Ergebnis, dass die
Jugendarbeitslosigkeit im hoch gelobten Finnland weit
höher ist als in Deutschland. So gemischt ist das Bild.
Man sollte zwar über den Grenzzaun schauen, aber es
gibt nirgendwo Vorbilder, die man einfach abkupfern
kann. Wir stehen im deutschen Parlament in der Verantwortung, unseren Weg zu finden und zu formulieren,
und wir sind auf einem guten Weg.
({3})
Wir haben eine bemerkenswerte wirtschaftliche Entwicklung zu verzeichnen, die uns Recht gibt. Die wirtschafts- und finanzpolitische Strategie der Regierungskoalition geht voll auf. Wenn wir ehrlich sind, dann
müssen wir zugeben, dass auf dem Arbeitsmarkt mehr
Bewegung entstanden ist, als wir alle es uns eigentlich
haben vorstellen können. Auch das ist die Wirklichkeit.
Wir haben nicht mit einer so schnellen Bewegung gerechnet. Das geht zwar in der Tat auf das Wachstum,
aber auch auf die Weichenstellung im Zusammenhang
mit den heftig kritisierten Hartz-Reformen und anderen
Reformen der Regierung Schröder zurück. Beides gehört
zur Wirklichkeit.
({4})
Was Ihren Vorwurf betreffend die Buchhalterei angeht, Herr Koppelin: Ein Buchhalter hätte in der Tat nur
konsolidiert und verkündet, wir müssten sparen, sparen,
sparen.
({5})
Diese Sparforderungen und -vorschläge kamen von verschiedenen - auch prominenten - Seiten. Wir sind diesen, Ihren Vorschlägen aber zu Recht nicht gefolgt.
({6})
Der Verzicht auf zusätzliche Konsolidierungsmaßnahmen im laufenden Jahr über das hinaus, was wir bereits
tun, hat sich als zielführende konjunkturpolitische Maßnahme im Interesse der Binnenkonjunktur erwiesen.
({7})
Die Binnennachfrage belebt sich deutlich. Es war also
richtig, diesen Forderungen nach einem forcierten Sparkurs schon im Jahr 2006, die auch aus dem wirtschaftswissenschaftlichen Umfeld erhoben wurden, nicht zu
folgen. Die Koalition hat gegen alle Experten, die anders
geraten haben, richtig gehandelt.
({8})
Zur Konjunkturbelebung trägt auch das 25-Milliarden-Euro-Investitionsprogramm bei, das alles zusammengenommen sogar ein Volumen von 37 Milliarden
Euro erreichen wird. Wenn Sie sich nicht nur in Berlin
umhören, sondern auch mit den Handwerkern vor Ort in
Ihren Wahlkreisen reden, dann wird Ihnen das tagtäglich
bestätigt.
Noch wichtiger als die derzeitige Lage ist, dass auch
die ökonomische Perspektive so positiv ist wie seit langem nicht mehr. Die Voraussetzungen für einen auch
länger andauernden Aufschwung sind gegeben. Es ist
bereits erwähnt worden, dass Gerhard Schröder und die
Regierungskoalition aus SPD und dem Bündnis 90/Die
Grünen mit ihrer Politik die richtigen Weichen gestellt
haben. Frau Merkel hat kürzlich darauf hingewiesen. Die
Wirkungen werden sichtbar.
Ich erwähne das bewusst, weil im Sommer an manchen Orten - nicht nur in der politischen Opposition schon wieder Miesmacher und Schwarzmaler unterwegs
waren, deren Verlautbarungen einem einfachen Erklärungsmuster folgen. Ein wirtschaftlicher Aufschwung
ist offensichtlich etwas, was es in Deutschland nicht geben darf, jedenfalls nicht, solange die Sozialdemokratie
an der Regierung beteiligt ist. Das ist das Muster mancher Verlautbarungen.
({9})
Natürlich gibt es Risiken für die wirtschaftliche Entwicklung. Peer Steinbrück hat auf diese Risiken hingewiesen. Die gibt es aber in jedem Jahr. Sie sind einmal
groß und ein anderes Mal klein. Ihre Eintrittswahrscheinlichkeit ist sehr unterschiedlich. Risiken können
auf eine robuste oder auf eine weniger robuste Ökonomie treffen. Es bedarf deshalb einer differenzierten und
differenzierenden Analyse und Argumentation, um abzuschätzen, was im nächsten Jahr auf die Wirtschaft in
Deutschland zukommt. Es muss auf jeden Fall etwas
mehr sein als die erschreckende Oberflächlichkeit der
FDP und interessegeleitete Äußerungen von Verbänden.
({10})
Ein relevantes Risiko ist sicherlich die weitere Entwicklung im Nahen und Mittleren Osten. Aber es ist
noch nicht ausgemacht, dass der Ölpreis im Zuge des
Konflikts in Israel und dem Libanon oder im Zuge des
Atomstreits mit dem Iran noch einmal stark steigen wird,
wenn es auch nicht unwahrscheinlich ist. Allerdings
kann es - unter anderem spekulationsbedingt - auf dem
Öl- und Benzinmarkt zeitweise zu hohen Ausschlägen
kommen. Das ist ein Risiko, das wir sehen müssen. Weil
ich gerade die Robustheit einer Ökonomie angesprochen
habe: Wir müssen uns klar machen, dass der vorhandene
Aufschwung auf der Grundlage eines bereits heute
enorm hohen Ölpreises stattfindet. Vor fünf oder zehn
Jahren hätte niemand vorhergesagt, dass auf der Grundlage eines so hohen Ölpreises ein solcher Aufschwung
möglich ist. Offensichtlich besitzt unsere Ökonomie das
Vermögen, sehr hohe Energie- und Ölpreise zu verkraften. Aber natürlich gibt es Grenzen der Verträglichkeit
von weltwirtschaftlichen Verwerfungen.
Ein weiteres Risiko für den wirtschaftlichen Aufschwung ist die zukünftige Zinspolitik der Europäischen Zentralbank. Die kundigen Thebaner erwarten,
dass den bereits seit dem letzten Jahr erfolgten Leitzinsanhebungen in den nächsten Monaten weitere folgen
werden. Ich sage dazu nur - möglicherweise in der Akzentsetzung etwas anders als mein Kollege Meister und
bei allem Respekt vor der Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank -: Die Europäische Zentralbank sollte
sich noch einmal genau überlegen, ob das die richtige
Strategie ist.
({11})
Sie sollte mit ihrer Zinspolitik nicht die Verantwortung
dafür übernehmen, dass die wirtschaftliche Aufwärtsbewegung in Europa und insbesondere in Deutschland wieder niedergedrückt wird.
({12})
Auch hier muss die Zeit der Dogmatiker und Ideologen
vorbei sein.
({13})
Die Europäische Zentralbank hat noch jede Chance, zukünftig eine vernünftige und angemessene Politik zu betreiben. Ich hoffe, dass sie diese Chance nutzt.
Wenn die politische Opposition von Risiken für die
wirtschaftliche Entwicklung spricht, dann geht es ständig nur um die Mehrwertsteuererhöhung zum
1. Januar nächsten Jahres. Aber das viel relevantere Risiko einer falschen EZB-Leitzinspolitik haben meines
Wissens weder Herr Westerwelle noch Herr Koppelin
noch Herr Brüderle in ihren vielen Statements zum
Thema gemacht.
({14})
So wie sich die Dinge entwickeln - das gehört zur Wahrheit; das kann man jeden Tag von verschiedenen Seiten
deutlich vernehmen, ob vom Internationalen Währungsfonds oder von anderen kompetenten Stellen -, ist festzustellen, dass die Mehrwertsteuererhöhung nicht das
Risiko für die Konjunktur sein wird, wie es von vielen
vorhergesagt wurde
({15})
- richtig -, wie es auch von uns gesehen wurde. Es entwickelt sich Gott sei Dank in eine andere Richtung. Wir
werden sehr wahrscheinlich im nächsten Jahr einen geringeren Dämpfer erleiden, als wir vielfach erwartet haben. Für die Menschen im Land und insbesondere für die
Arbeitslosen ist das auch gut so. Daran sollten Sie,
meine Damen und Herren von der Opposition, egal ob
von rechts oder von links, nicht rühren.
({16})
Das „Handelsblatt“ und andere Publikationen weisen
zu Recht darauf hin, dass die Mehrwertsteuererhöhung
besser verkraftet wird als angenommen und dass die
Konjunktur dieser Erhöhung trotzen wird. Umfragen unter Führungskräften machen deutlich, dass im nächsten
Jahr nicht weniger, sondern mehr investiert wird und
dass die Belegschaften aufgestockt werden sollen. Das
sind gute Botschaften für das Land.
Als Fazit bleibt damit festzuhalten: Es gibt Risiken
für die Wirtschaftsentwicklung. Aber die geplante Mehrwertsteuererhöhung spielt dabei keine dominierende
Rolle.
Deswegen, mit Blick auf die Westerwelle-FDP: Wenn
man die eigene Politik-Agenda auf den einen Satz reduziert, dass, wenn es immer weniger Steuern, immer weniger Abgaben, immer weniger Arbeitnehmerrechte und
immer weniger Gewerkschaften gibt, Wachstum und
Wohlstand explodieren, dann kann ich nur sagen, dass
Ihnen, meine Damen und Herren von der FDP, die gegenwärtige Entwicklung nicht Recht gibt. Ihre Einschätzung hat mit der Realität nichts zu tun.
({17})
Andere sprechen in diesem Zusammenhang von „Lebenslügen“ und treffen mit ihren kritischen Aussagen
schon eher die Tatsachen.
Mich betrübt im Übrigen, dass sich das Bündnis 90/
Die Grünen, mit dem wir in gemeinsamer Regierungsverantwortung gute Politik für Deutschland gemacht haben
({18})
- ja, so ist das, meine Damen und Herren -, schon jetzt,
nach weniger als einem Jahr, bemüht, in der Wirtschaftsund Finanzpolitik den Debattenstil der Westerwelle-FDP
zu kopieren.
({19})
Ich halte die Mehrwertsteuererhöhung für nicht so
konjunkturgefährdend, wie ich es noch vor einigen Monaten gedacht habe. Ich bin fest davon überzeugt, dass
die Mehrwertsteuererhöhung zur nachhaltigen Stabilisierung nicht nur des Bundeshaushaltes, sondern auch der
Länderhaushalte zwingend erforderlich ist. Es geht um
einen Wirtschafts- und Finanzpakt für ganz Deutschland.
Das dürfen wir bei unseren Debatten nicht vergessen.
({20})
Peer Steinbrück hat zu Recht darauf hingewiesen,
dass die sonstigen zusätzlichen Steuereinnahmen, die
sich für 2007 ankündigen, nicht ausreichen, um die
Wundertüte aufzumachen. Deswegen kann eine verantwortungsbewusste und vorsichtige Finanzpolitik ihm in
dieser Frage nur folgen.
So wie der Bundeshaushalt 2006 im Zeichen der Stabilisierung und Vertiefung des wirtschaftlichen Aufschwungs steht, so steht im Zentrum des Bundeshaushalts 2007 die unabdingbare Zurückführung der
Nettokreditaufnahme des Bundes. Kollege Meister und
andere haben darauf hingewiesen. Auch das erreichen
wir entgegen allen Unkenrufen. Wir müssen aber denjenigen, die nicht jeden Tag mit solchen Dingen zu tun haben, sagen, dass es auch da Risiken gibt und wir noch
nicht ganz auf der sicheren Seite sind.
Weil wir das Niveau der Investitionen nicht absenken
wollen, weil sich nach den Zumutungen und Veränderungen der letzten Jahre weitere umfangreiche Eingriffe
in Sozialleistungen verbieten - auch das sage ich für
meine Fraktion ganz eindeutig, nämlich dass wir keine
weiteren Eingriffe in Sozialleistungen wollen -, kann die
Rückführung der Nettokreditaufnahme des Bundes nur
mithilfe der Einnahmen aus dem einen Prozentpunkt der
Mehrwertsteuererhöhung, der dem Bund zusteht, gelingen. Wir werden außerdem natürlich keine Abstriche an
dem 25-Milliarden-Euro-Impulsprogramm machen.
Durch die Verklammerung der Haushalte von 2006 und
2007 wird unsere Doppelstrategie aufgehen.
({21})
Wenn man selbstkritisch ist, muss man sagen, dass sie
noch nicht ausreichend kommuniziert ist,
({22})
auch weil das Thema relativ kompliziert ist. Außerdem
wird diese Doppelstrategie systematisch von den Kritikern in der Darstellung verfälscht. Ich sage: Die Strategie für 2007 wird ebenso aufgehen, wie die für 2006 in
diesem Jahr aufgegangen ist.
({23})
Wir schaffen eine stabile, positive Wirtschaftsentwicklung in Deutschland und konsolidieren ohne Konjunktureinbrüche. Das werden Sie sehen, wenn wir uns im
November treffen und über diese Fragen sprechen. Dann
kann man das noch besser absehen als heute.
Kollege Meister und Peer Steinbrück haben etwas zur
Reform der Unternehmensbesteuerung gesagt. Es ist
selbstverständlich, dass wir gemeinsam verpflichtet sind,
so wie es im Koalitionsvertrag und in den Eckpunkten
der Bundesregierung vereinbart ist, zu einer guten Lösung zu kommen. Es geht hier nicht um „Steuergeschenke“ oder Steuerentlastungen für Unternehmen in
Milliardenhöhe, wie öfter zu lesen ist, es geht vielmehr
um die Verbesserung einer völlig unzulänglichen Besteuerung in Deutschland und Europa. Es gibt einen
Handlungszwang, auch im Interesse derjenigen, die treu
und brav jeden Monat ihre Steuern abliefern. Diese Reform ist notwendig, weil der internationale steuerliche
Wettbewerb Maßnahmen zur nachhaltigen Sicherung der
deutschen Steuerbasis erfordert. Denn wir wissen, dass
international operierende Unternehmen ihre Steuerstrategie zunehmend optimiert haben. Es gibt Berichte in seriösen Zeitungen über Seminare zur Optimierung der
Steuerstrategie, die von sehr bekannten Adressen angeboten werden. Das können wir nicht länger hinnehmen.
Deshalb müssen wir handeln und die Unternehmensbesteuerung entsprechend modifizieren.
({24})
Das heißt, durch die Senkung der nominalen Steuerbelastung und durch eine Beschränkung des Abzugs von
Finanzierungsaufwendungen sollen die durch bestimmte
Finanzierungskonstruktionen ins Ausland verlagerten
Gewinne wieder für die Besteuerung in Deutschland zurückgewonnen werden. Das ist die Aufgabe.
({25})
Die Unternehmen, die ihre Gewinne schon jetzt in
Deutschland versteuern, werden durch die Reform entlastet. Der Steuer- und Investitionsstandort Deutschland
wird attraktiver. Wir wissen: Wir müssen die hohen nominalen Steuersätze für Kapitalgesellschaften senken,
weil ansonsten bei uns Risiken der weiteren Verlagerung
ins Ausland bestehen. Diese Verlagerungsrisiken wollen
wir beseitigen, da sie auch negative Effekte für den öffentlichen Haushalt haben.
Nach den Berechnungen des Bundesfinanzministeriums, die von Professor Wiegard vom Sachverständigenrat als plausibel bestätigt wurden, werden in
Deutschland erwirtschaftete Gewinne bereits heute in einer Größenordnung von rund 60 Milliarden Euro der inländischen Besteuerung entzogen. Deswegen sage ich:
Das ist noch ein hartes Stück Arbeit. Ich verweise in diesem Zusammenhang auch auf das, was Herr Meister hier
ausgeführt hat. Wir haben die Eckpunkte vereinbart;
aber wir können sie nur umsetzen, wenn man offen ist
für die Vorschläge des Bundesfinanzministeriums oder
auch für Vorschläge aus den Ländern, die auf die Sicherung der Steuerbasis zielen.
Es kann nicht angehen, dass wir unter dem anwachsenden Druck der Lobby denen sozusagen noch nach
dem Mund reden.
({26})
Diese Lobby, Wirtschaftswissenschaftler und Wirtschaftsjournalisten haben über Jahre gefordert: Runter
mit den nominalen Steuersätzen. Immer haben sie hinzugefügt: Die Steuerbasis muss natürlich verbreitert werden. Mittlerweile haben wir ein solches Konzept entwickelt, das übrigens kommunalfreundlich ist und die
kommunale Finanzierungsbasis im Interesse der Investitionen in den Kommunen stärkt. Wir haben also alle Elemente miteinander verbunden. Dennoch kommt die gleiche Lobby - warum denn wohl? - und sagt: Das geht so
nicht an. - Herr Börner vom Bundesverband des Deutschen Groß- und Außenhandels sagte gestern: Lieber
keine Reform als diese Reform. Was stimmt denn nun
bei der Unternehmensbesteuerung?
Wir werden kritisiert. Auch in der SPD gibt es eine
kritische Diskussion über Steuergeschenke. Bei der
Linkspartei und bei den Gewerkschaften findet eine solche Diskussion sowieso statt. Das ist die eine Seite. Auf
der anderen Seite melden sich die betroffenen Wirtschaftsverbände und die Unternehmen protestieren lautstark, dass wir durch dieses Konzept die Wertschöpfungsgrundlagen in der Bundesrepublik Deutschland
erschüttern. Was stimmt denn nun? Es kann ja nur eines
stimmen; beides geht nicht zusammen. Deswegen fordere ich beide Seiten auf, ihre Vorwürfe und ihre Feststellungen zu überprüfen.
Ich glaube, wir haben dank des vorgelegten Konzepts,
das Peer Steinbrück und sein Haus entwickelt haben, alle
Möglichkeiten, beide Ziele zu erreichen: die nominalen
Steuersätze zu senken und die Besteuerungsgrundlagen
für die Bundesrepublik Deutschland im Interesse der
Steuerzahler zu sichern. Wir haben diese Chance. Wir
sollten sie unter dem Druck der Lobby in den nächsten
Tagen und Wochen nicht verspielen.
({27})
Deswegen bitte ich unseren Koalitionspartner ausdrücklich, auch im Interesse des Erfolges dieser Koalition, zu versuchen, die Widerstände, von denen man jeden Tag lesen kann, zu überwinden. Wenn das geschieht,
dann können wir, glaube ich, so gut und so optimistisch
weitermachen, wie das bisher der Fall war.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({28})
Das Wort hat die Kollegin Anja Hajduk, Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Lieber Kollege Poß, es hat schon fast Tradition,
dass ich eingangs auf Sie eingehe, wenn Sie vor mir geredet haben. Wenn Sie auf den wirtschaftlichen Aufschwung verweisen - wir stellen ihn nicht infrage - und
behaupten, damit seien der Opposition schon die Zähne
gezogen, dann kann ich Ihnen nur sagen: So billig
kommt die Regierung nicht davon.
({0})
Das wollen wir einmal festhalten. Ein wirtschaftlicher
Aufschwung und die jetzt in Deutschland existierende
Situation verpflichten zu wirklichen und konsequenten
Reformen bei der Konsolidierung und zu Reformen bei
der sozialen Sicherung. Da ist das, was Sie nach zehn
Monaten hingelegt haben, viel zu wenig. Sie hätten etwas ganz anderes leisten müssen.
({1})
Ich komme darauf noch zurück.
Ich möchte noch eine andere Vorbemerkung machen,
und zwar zum Finanzminister Steinbrück. Ich finde, dass
die Tonlage, die Sie bei Ihrer Rede gewählt haben, Herr
Steinbrück - sie hatte für mich den Anschein von
Arroganz -,
({2})
wirklich in einem seltsamen Gegensatz - ich könnte es
auch scharf sagen: in einem lächerlichen Gegensatz zur Widersprüchlichkeit Ihrer Politik steht; auch darauf
komme ich noch zurück.
({3})
Angesichts dessen, was Sie schon an Niederlagen haben
einstecken müssen, etwa bei der Steuerfinanzierung im
Gesundheitsbereich, was Sie für ein chaotisches Verhältnis zur Beitrags- oder Steuerfinanzierung bei den Lohnnebenkosten anrichten, könnten Sie ein bisschen bescheidener auftreten oder dem parlamentarischen Streit
auch ein bisschen demütiger folgen.
({4})
Sie brauchen nicht meiner Meinung zu sein, aber kommen Sie vom Sockel herunter! Das steht Ihnen nicht gut
zu Gesicht. Ihren Humor finde ich in Ordnung, aber
nicht diese Überheblichkeit.
({5})
Ich komme zum Haushalt 2007. Ich möchte in meiner
Rede auf fünf Punkte eingehen. Beginnen wir mit dem
Haushalt 2007 selbst. Auf den ersten Blick hat er zumindest eine bessere Kennzahl als der Haushalt 2006; denn
man will mit einer Neuverschuldung von 22 statt
38 Milliarden Euro auskommen. Auf den zweiten Blick
stellt man fest: Das zeugt noch nicht davon, dass jetzt
wirklich eine ausreichende Konsolidierung begonnen
wird. Einer Absenkung um 16 Milliarden Euro bei der
Nettokreditaufnahme stehen 20 Milliarden Euro an Steuermehreinnahmen gegenüber. Das ist nun wirklich kein
Konsolidierungskunststück.
Was Sie machen, ist einnahmefixiert. Herr Poß, gerade in Zeiten guter wirtschaftlicher Rahmenbedingungen muss man mehr für den Haushalt tun; da darf man
nicht nur einnahmeseitig konsolidieren.
({6})
Jetzt ist die Gelegenheit, wirklich weitere Reformmaßnahmen zu ergreifen.
Ich sage das vor dem Hintergrund, dass wir beide
doch wissen, wovon wir reden. Rot-Grün - das hat Herr
Meister zu Recht gesagt - hat im Jahr 2000 in einem
Zeitfenster mit günstiger wirtschaftlicher Entwicklung in
der Tat nicht mit den notwendigen arbeitsmarktpolitischen Reformen begonnen.
({7})
Rot-Grün hat erst später mit den notwendigen arbeitsmarktpolitischen Reformen begonnen, aus denen jetzt
eine gewisse Reformdividende zu verzeichnen ist.
({8})
Die Blockade in der großen Koalition nun ist aber wirklich ein Problem für das Land. Sie tun weitaus zu wenig.
({9})
Ich möchte das am Haushalt 2007 belegen. Da gibt es
zum einen eine Neuverschuldung von 22 Milliarden
Euro. Da gibt es zum anderen Risiken von 8 Milliarden
Euro im Arbeitsmarktbereich. Da werden nämlich die
Kosten für das Arbeitslosengeld II mal hoppla hopp um
5 Milliarden Euro niedriger angesetzt. Da wird unterstellt, dass die Kommunen nur 2 Milliarden Euro als
Ausgleich für die Übernahme der Unterkunftskosten erhalten. In dieser Sache hat Herr Müntefering schon im
letzten Jahr sehr schnell klein beigeben müssen und das
Doppelte bezahlt. Eine weitere Milliarde Euro kalkulieren Sie als eine höhere Strafzahlung der Bundesagentur
für Arbeit ein, obwohl diese im Moment im ersten Arbeitsmarkt nachweislich enorme Vermittlungserfolge
hat. Das sind zusammen Risiken von 8 Milliarden Euro.
({10})
Die passen nicht zu der vom Finanzminister eigentlich
proklamierten neuen Ehrlichkeit und Seriosität in der
Haushaltsplanung.
({11})
Neben der Nettokreditaufnahme von 22 Milliarden
Euro gibt es also Risiken von 8 Milliarden Euro und
- von Ihnen selbst zugestanden - Einmaleffekte von
16 Milliarden Euro. Addieren Sie das doch einmal!
Trotz einer massiven Steuererhöhung von über 20 Milliarden Euro haben Sie weiterhin ein strukturelles Defizit
von ungefähr 46 Milliarden Euro. Das zeugt wirklich
nicht von einer soliden Haushaltspolitik und einem Aufbruch hin zur Konsolidierung. Das ist haushaltspolitischer Stillstand bei - zugegeben - günstigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen.
({12})
Ich möchte in einem zweiten Punkt auf die Finanzplanung eingehen. Die Finanzplanung vermittelt vielleicht auch einen ehrlicheren Eindruck von der Qualität
der Haushaltspolitik. Zugegebenermaßen kann man
Haushalte nicht jährlich brutal umsteuern.
Da muss man ganz nüchtern Folgendes sehen: Es
gibt, wie gesagt, erhebliche Steuermehreinnahmen. Nach
der Finanzplanung bis zum Jahr 2010 steigen die Zahlen
bei der Alterssicherung von 96 auf 103 Milliarden Euro
und die Zinsen von 37,6 auf 44,8 Milliarden Euro. Wenn
man auf die andere Seite blickt, einmal nicht auf die alten Verpflichtungen, sondern in die Zukunft schaut, stellt
man fest: Die Investitionen stagnieren bei 23,3 Milliarden Euro. Bei Bildung und Forschung gibt es von 2006
auf 2007 einen Schub, aber ab 2007 stagnieren die Ausgaben dafür bei 13,1 Milliarden Euro. Daran kann man
sehen: Die notwendige Umsteuerung zu einer stärkeren
Ausrichtung auf Zukunftsfähigkeit, auf Zukunftsinvestitionen ist der großen Koalition bislang nicht gelungen;
eine solche Umsteuerung ist aus diesem Finanztableau
schlicht und ergreifend nicht abzulesen.
({13})
Herr Poß, Sie haben darauf hingewiesen, dass die
Nettokreditaufnahme stark abgesenkt werde. Haben Sie
auch einmal in die Finanzplanung gesehen? Die Nettokreditaufnahme bleibt fast stetig auf dem Niveau - ich
will das gerne noch einmal nachschauen und vorlesen von 20 Milliarden Euro.
({14})
Als Rot-Grün regiert hat, haben wir Finanzplanungen
aufgelegt, in denen die Nettokreditaufnahme gesenkt
wurde. Damals haben wir versucht, in den 10-Milliarden-Euro-Korridor zu kommen.
({15})
In unserer Situation, in der in ungefähr zehn, zwölf,
13 Jahren die demografische Spitzenbelastung in den öffentlichen Finanzen erreicht wird, sollte eine seriöse,
langfristige Politik einen Haushaltsausgleich suchen;
von mir aus ruhig über eine Strecke von sechs Jahren.
Bei Ihnen sieht man keine Bewegung in diese Richtung. - Jetzt muss Herr Schneider richtig die Zähne aufeinander beißen, weil er mir an dieser Stelle am liebsten
Applaus geben würde.
({16})
Ich möchte neben der Finanzplanung aber noch auf
einen weiteren Punkt zu sprechen kommen, der die
Haushaltssituation, in der wir uns befinden, in Zukunft
sehr negativ belasten wird: Das ist schlicht und ergreifend die große Koalition selbst.
({17})
Sie sind bei den großen Reformthemen zutiefst gespalten. Ole von Beust,
({18})
der Bürgermeister meiner Heimatstadt, hat unlängst in
einem Interview gesagt, Unternehmensteuer, Arbeitsmarktpolitik und Gesundheit, das seien die Reformthemen, die jetzt anstünden.
({19})
Man musste nur die heutige Debatte zur Unternehmensteuer verfolgen, um zu sehen, was hier eigentlich los
ist. Herr Poß, zu wem haben Sie eigentlich gesprochen,
als Sie dafür geworben haben, die Bemessungsgrundlage
zu erweitern? Ich hatte den Eindruck, Sie haben zur
Union gesprochen.
({20})
Denn Herr Meister hat, wie man feststellen konnte, wenn
man gut zugehört hat, deutlich gemacht, dass die CDU/
CSU im Grunde weiterhin ihr Ziel verfolgt, die Gewerbesteuer auszuhöhlen. Er hat hier deutlich gesagt, dass
die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage nicht machbar sei, nicht etwa nur mit Blick auf die Körperschaftsteuer,
({21})
sondern auch darüber hinaus von der CDU/CSU als Ziel
nicht verfolgt werde.
({22})
- Sie sagen „sehr gut“; da haben wir den Beweis. - Das
steht diametral dem entgegen, was Herr Steinbrück gesagt hat, nämlich dass er sich eine deutliche Tarifsenkung bei der Unternehmensteuer zutraue.
Das wollen wir Grünen erst einmal gar nicht infrage
stellen.
({23})
Wir wollen aber dann den Nachweis haben, dass die Verschiebung von Gewinnen und damit auch von Arbeitsplätzen ins Ausland nicht weiter subventioniert wird,
weil wir nicht die Kraft haben, die Privilegierung der
Kreditfinanzierung in Deutschland wirklich einzugrenzen. Da sind Sie zutiefst gespalten.
({24})
Das hat Folgen für die Haushaltsplanung ab 2008. Wenn
Sie nämlich erneut einen faulen Kompromiss machen,
werden wir in der Finanzplanung wieder Haushaltslöcher haben, die diese wirklich nicht mehr verträgt.
Ich komme zu einem weiteren Thema: Arbeitsmarktpolitik. Tiefer gespalten ging es am Ende der
Haushaltsberatungen auch bei diesem Thema kaum. Die
CDU/CSU hat eine Haushaltssperre bei den Fördermitteln für den schwierigen Bereich der Langzeitarbeitslosen, beim Arbeitslosengeld II, erzwungen. Diese
Sperre hat die CDU/CSU durchgesetzt.
({25})
Heute Morgen wurden dann 200 Millionen Euro wieder
entsperrt. Das ist zu wenig, aber schon einmal ein Schritt
in die richtige Richtung. Die SPD hat, obwohl sie eine
andere Arbeitsmarktpolitik gewollt hätte, bei der das
Fördern, gerade bei den Langzeitarbeitslosen, von vornherein nicht infrage gestellt wird, die Pille einer Haushaltssperre schlucken müssen, damit die CDU/CSU ihr
Gesicht wahren kann.
Das, was ich hier schildere, ist nicht irgendein haushaltstechnisches Problem. Diese Haushaltssperre seit
Ende Juni hat in den Arbeitsgemeinschaften, zum Beispiel in Mecklenburg-Vorpommern jenseits von
Rostock, zu einem totalen Einstellen der Vermittlungstätigkeit geführt.
({26})
Das ist ein absoluter Widerspruch zu dem Konzept vom
Fördern und Fordern. Das war nicht nur eine haushaltstechnische Sperre, die der Gesichtswahrung der Union
diente, sondern ein Tritt gegenüber den Leuten, die in
den Arbeitsgemeinschaften Vermittlungserfolge erzielen wollen, und gegenüber den Arbeitslosen, die davon
betroffen sind. Da sieht man: Diese Spaltung der Koalition ist nicht gut fürs Land.
({27})
Jetzt komme ich zu dem ganz schweren Thema der
großen Koalition:
({28})
Das ist die Gesundheitsreform.
({29})
Sie bildet sich in einem sagenhaften Widerspruch in diesem Haushalt ab. Da hat der Herr Steinbrück mich noch
kritisiert, ich solle doch nicht so positiv über die zukünftige Steuerfinanzierung in der Gesundheit reden; sie
würde - das steht auch in den Unterlagen, die wir zu den
Haushaltsberatungen bekommen haben - ab 2008 endgültig abgeschafft und in 2007 gäbe es nur noch
1,5 Milliarden Euro. Und was ist dann? Nachdem Sie
diese Kritik geübt haben, ist eine knappe Woche später
von der großen Koalition beschlossen worden: Ab 2008
gibt es wieder Steuergeld in Höhe von 1,5 Milliarden
Euro
({30})
und ab 2009 in Höhe von 3 Milliarden Euro - nur mit
dem Unterschied, dass das in der Finanzplanung nicht
berücksichtigt ist und dass Herr Steinbrück immer noch
mit den alten Einsparzielen, die Ausgaben in der Gesundheit zurückzuführen, herumläuft. Das ist ein kompletter Widerspruch. Was soll denn die Öffentlichkeit davon halten, dass Sie innerhalb einer Woche bei so einem
grundlegenden Reformthema - mehr oder weniger Steuerfinanzierung in den sozialen Sicherungssystemen völlig richtungslos auseinander laufen? Man sieht es also
auch bei der Gesundheitsreform: Die große Koalition ist
tief zerstritten. Es ist bis heute noch nicht absehbar, was
am 1. Januar 2007 gelten soll.
({31})
Auf den 1. Januar 2007 muss ich als Nächstes kommen. Ich habe das vielleicht nicht ganz richtig ausgedrückt: Was ab dem 1. Januar 2007 gelten wird, das ist
ziemlich klar und entfaltet schon jetzt seine fatale wirtschaftspolitische Wirkung. Ab dem 1. Januar 2007 werden wir eine Mehrwertsteuererhöhung um 3 Prozentpunkte haben. Dazu kommt für die Menschen eine
Beitragssatzsteigerung um 0,4 Prozentpunkte bei der
Rente. Dann kommt bei den Krankenkassenbeiträgen
eine Steigerung um nicht nur 0,5 Prozentpunkte, wie ich
im Frühjahr noch bescheiden gedacht habe. Nein, keiner
stellt mehr in Abrede, dass im Januar 2007 die Krankenkassenbeiträge um mehr als 1 Prozentpunkt steigen müssen. Außerdem besteht auch das Risiko - das habe ich
noch gar nicht erwähnt - einer Beitragssatzsteigerung in
der Pflegeversicherung.
Ich kann Ihnen nur sagen: Auf die Menschen kommt
am 1. Januar 2007 eine ganze Menge zu.
({32})
Das Bild, das Sie hier abgeben, dass die große Koalition
wegen des wirtschaftlichen Aufschwungs vielleicht noch
nicht die Sektkorken knallen lassen möchte, sich aber
schon in diesem Erfolg sonnt, steht in einem krassen
Missverhältnis zu der Belastung, die am 1. Januar die
Arbeitnehmer und die Arbeitgeber treffen wird.
({33})
Mit den Steigerungen, die ich genannt habe, kommt
man auf einen Rentenversicherungsbeitrag von 19,9 Prozent und auf einen Krankenversicherungsbeitrag von
über 14 Prozent - sagen wir einmal 14,5 Prozent; das ist
noch konservativ geschätzt. Wenn man diese Zahlen einmal ganz einfach zusammenrechnet und sieht, dass Sie
die Arbeitslosenversicherung zwar auf 4,5 Prozent absenken, aber die Pflegeversicherung bei 1,7 Prozent plus
x steht, dann wird jedem Menschen, der der Addition fähig ist, klar: Das Ziel, die Lohnnebenkosten unter
40 Prozent zu drücken, ist komplett aufgegeben.
({34})
Ich frage mich: Wo ist eigentlich der Wirtschaftsminister?
({35})
Das Ziel von unter 40 Prozent Lohnnebenkosten ist aufgegeben. Das kann man, wie gesagt, leicht nachweisen.
Dazu ist in dieser Debatte von Ihnen gar nichts gesagt
worden.
({36})
Das spricht nicht für Selbstkritik und Ehrlichkeit, die Sie
gebrauchen könnten.
Ich komme zu grünen Alternativen und Vorschlägen. Ich will hier nur einen Punkt nennen; alles andere
wird noch im Prozess der Haushaltsberatung dazukommen. Der Vorschlag, den wir machen - das sage ich ganz
deutlich an die Vorredner aus der SPD gerichtet -, ist
folgender: Wenn man auf die Mehrwertsteuererhöhung nicht verzichten will, dann sollte man zumindest
darauf verzichten - das halten wir für unablässig -, sie
mit einem abrupten Schlag um 3 Prozentpunkte zu erhöhen. Das ist keine stetige Politik, das ist eine abrupte
Politik, die zu Verwerfungen führt. Wenn man es anders
machte, etwa indem man die Erhöhung über drei Jahre
streckt somit die Mehrwertsteuer jahresweise um
1 Prozentpunkt anhebt und diese Erhöhung verlässlich
und nachweisbar komplett in die Senkung der Lohnnebenkosten steckt, dann hielte ich das langfristig für eine
viel erfolgreichere und bessere Strategie - nicht nur für
den Arbeitsmarkt, sondern auch für den Haushalt. Da geben uns viele Wirtschaftsinstitute und Experten Recht.
({37})
Wir schlagen ganz konkret eine Priorität für mehr Beschäftigung, Herr Poß, und nicht für die Sanierung der
Haushaltslöcher bei Bund und Ländern vor. So ist es
richtig.
({38})
Wir wollen die Einnahmen aus dem ersten Mehrwertsteuerpunkt zusammen mit den strukturellen Überschüssen der BA konsequent für die Absenkung der Lohnnebenkosten im Niedriglohnbereich vorsehen. Wir
haben ein Progressivmodell entwickelt, mit dem die
Lohnnebenkosten im Niedriglohnbereich bis 1 800 Euro
stark gesenkt werden können. Dieses Geld fließt also an
die Arbeitnehmer und die Arbeitgeber zurück. Das wäre
eine intelligente Politik.
Wir bemühen uns, Ihnen diese Alternative schmackhaft zu machen. Sie können uns nicht unterstellen, dass
wir rigoros und stur gegen Ihre Politik sind. Ich erwarte
von Ihnen, dass Sie sich mit solchen Vorschlägen konstruktiv auseinander setzen. Sie selber haben ja schon
ein bisschen Sorge, was am 1. Januar 2007 sonst passieren wird.
({39})
Ich komme zum Schluss. Es wurde hier viel davon
gesprochen, dass das Vertrauen der Bevölkerung nötig
ist, dieses Vertrauen gerechtfertigt werden muss und Sie
als große Koalition dieses Vertrauen angeblich schaffen
könnten. Ich muss Ihnen sagen: Ihr selbst gesetzter Anspruch der Stetigkeit in Ihrer Politik ist mit Blick auf die
abrupte Mehrwertsteuererhöhung nicht zu rechtfertigen.
Die versprochene Verlässlichkeit und Berechenbarkeit
Ihrer Politik ist mit dem Chaos bei der Gesundheitsreform überhaupt nicht in Einklang zu bringen. Auch finden sich im Haushalt keine realistischen und vorsichtigen Annahmen im Hinblick auf die Kosten beim
Arbeitsmarkt wieder. Nach zehn Monaten haben die
Menschen deswegen das Vertrauen in die große Koalition verloren.
Frau Kollegin!
Ich komme gleich zum Schluss, Frau Präsidentin. Der Sommer hat gezeigt: Die Politik ist zwar von der
Profilsuche der Partner der großen Koalition geprägt,
aber nicht von der Suche nach Lösungen für Reformen.
Das hat das Land wahrlich nicht verdient.
({0})
Das Wort hat der Kollege Steffen Kampeter, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich bin durch die Rede meiner Vorrednerin etwas irritiert.
({0})
Noch vor weniger als einem Jahr waren die Grünen als
Regierungspartei für all das, was in diesem Haus beschlossen worden ist, mitverantwortlich. Innerhalb weniger Wochen halten Sie Reden, bei denen man den Eindruck haben kann, dass Sie an keinen Entscheidungen,
die nach dem Zweiten Weltkrieg im Bundestag oder in
den Landtagen getroffen worden sind, in irgendeiner
Form beteiligt waren. Ich muss ganz ehrlich sagen:
Einen so hemmungslosen Populismus, eine so verantwortungslose Art und Weise der politischen Auseinandersetzung verschlägt selbst mir die Sprache.
({1})
Frau Hajduk, wo waren Sie eigentlich, als vor einem
Jahr beispielsweise der Etatentwurf der damaligen Regierung nicht mehr beschlossen, sondern im damaligen
Kabinett lediglich zur Kenntnis genommen worden ist?
Sie fordern hier, der Bundesfinanzminister möge uns
keine oberlehrerhaften Ratschläge geben.
({2})
Aber Sie waren vor einem Jahr in der Regierung. Heute
tun Sie so, als ob Sie alles besser wissen. Wo waren Sie
eigentlich vor einem Jahr?
({3})
Und da blasen Sie sich hier so kräftig auf!
({4})
Ich gewinne langsam den Eindruck, dass die Verbesserung der Situation in Deutschland im Wesentlichen
damit zusammenhängt, dass die Grünen keine Regierungsverantwortung mehr tragen. Das scheint mir im
Vergleich zur Situation vor einem Jahr eine qualitativ
wirklich positive Veränderung zu sein.
({5})
Die Herangehensweise unseres Koalitionspartners,
der Sozialdemokraten, die gemeinsam mit uns einen
Kassensturz gemacht, in schonungsloser Offenheit gesagt haben, was notwendig ist, und unangenehme Entscheidungen getroffen haben, ist der ehrlichere Weg als
der opportunistische der Grünen. Die Erfolge dieses
Richtungswechsels in der Haushaltspolitik lassen sich
bereits am laufenden Etat ablesen.
Während in der Zeit, als die Grünen Verantwortung
getragen haben, alle Prognosen nach unten gewiesen haben, werden wir aller Voraussicht nach im Etat des laufenden Jahres bei den Einnahmen nicht nur im Vergleich
zur Steuerschätzung, sondern auch im Vergleich zu den
Ansätzen im Etat um 3 bis 4 Milliarden Euro besser abSteffen Kampeter
schneiden. Wir haben erste Konsolidierungsmaßnahmen
eingeleitet und ein Haushaltsbegleitgesetz der „doppelten Tonlage“ verabschiedet und schon stellen sich gute
Nachrichten ein. Das zeigt doch, dass sich diese Haushaltspolitik wesentlich von der Haushaltspolitik unterscheidet, für die Sie, Frau Hajduk, mit die Verantwortung übernommen haben.
({6})
Diese verbesserte finanzpolitische Lage des
Jahres 2006 ist auch Ursache dafür, dass wir heute Morgen bei der Arbeitsmarktpolitik in einer Größenordnung von 230 Millionen Euro nachsteuern konnten. Wir
haben erst fleißig konsolidiert, damit wir das Geld, über
das wir verfügen, dafür verwenden, was nötig ist. Deswegen glaube ich, dass nicht nur der Haushalt 2006, sondern auch der Haushaltsentwurf für 2007 - das ist der
erste Haushalt, den die Koalition vollständig zu verantworten hat - uns auf dem Weg der Konsolidierung voranbringen.
Erstens. Erstmals wird die in der Verfassung vorgesehene Regelgrenze bei der Neuverschuldung im Entwurf
eingehalten; die Nettokreditaufnahme geht um 16 Milliarden auf 22 Milliarden Euro zurück und liegt damit
um 1,5 Milliarden Euro unter dem Investitionsvolumen.
Zweitens. Erstmals seit vier Jahren wird das
Maastrichtkriterium wieder sicher erreicht werden.
Das wird aller Voraussicht nach schon in diesem Jahr der
Fall sein.
({7})
Das stellt einen Unterschied zu den vergangenen Jahren
dar. Es mag vielleicht auch eine kleine Bürde sein, weil
wir in den nächsten Schritten - der Kollege Meister hat
es deutlich gesagt - in Richtung ausgeglichener Etat
marschieren. Dies ist das Ziel der großen Koalition.
Schließlich drittens. Die Staatsquote sinkt; die Inanspruchnahme des Bürgers durch den Staat wird erheblich
weiter zurückgeführt. Wir werden am Ende dieser Legislaturperiode eine Staatsquote haben, die wir zuletzt vor
der Wiedervereinigung hatten.
({8})
Bei diesem Konsolidierungskurs helfen uns - es ist
wichtig, das festzustellen - gute wirtschaftliche Rahmenbedingungen. Die konjunkturelle Aufwärtsbewegung der deutschen Wirtschaft hat im laufenden Jahr
deutlich an Kraft gewonnen; der konjunkturelle Knoten
ist geplatzt. Wir verzeichnen das stärkste Wachstum seit
fünf Jahren. Michael Glos hat geradezu prophetisch
schon Anfang des Jahres die Werte bei etwa 2 Prozent
gesehen; jetzt sprechen alle wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute von einem Wachstum von
mehr als 2 Prozent. Damit gibt es zum ersten Mal seit
vielen Jahren ein Wachstum auch der deutschen Wirtschaft. 426 000 Arbeitslose weniger und 129 000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte mehr sprechen eine
sehr konkrete Sprache. Dies sind die Anzeichen einer soliden wirtschaftlichen Entwicklung in diesem Land.
({9})
Die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland hat sich verbessert. Ich will ausdrücklich festhalten, dass die Tarifvertragsparteien durch
moderate Abschlüsse einen wesentlichen Anteil daran
haben. Es ist erfreulich, dass wir erstmals seit langem einen Aufschwung haben, der auch von der Binnennachfrage, das heißt von der Zuversicht der Menschen in diesem Land - nicht nur in den Unternehmen, sondern auch
in den Privathaushalten -, getragen wird. Diesen
Schwung wollen wir in das Jahr 2007 mitnehmen. Alle
diejenigen, die noch vor wenigen Monaten in Pessimismus gemacht haben, was die Steuerpolitik angeht, und
einen Konjunktureinbruch für das Jahr 2007 prognostiziert haben, schweigen jetzt. Nationale wie auch internationale Experten sagen, dass sich dieser Aufschwung im
nächsten Jahr fortsetzen wird. Wir haben ein solides
wirtschaftliches Wachstum.
Wir verschweigen den konjunkturdämpfenden Effekt
der Mehrwertsteuererhöhung nicht. Sie bleibt aber
notwendig und ist ohne Alternative. Sie ist mit dem Aufschwung kompatibel. Das halte ich für eine gute Botschaft.
({10})
Ich habe gesagt: Der Kurs stimmt. Die Aufgabe ist
aber noch nicht erledigt. Deswegen gehört zu dem Bild,
das wir heute, am Beginn der Haushaltsdebatte, zeichnen
müssen, auch, dass der Bundeshaushalt selbstverständlich ein Sanierungsfall bleibt.
Wenn ein Unternehmen jedes Jahr einen Verlust in
Höhe von ungefähr einem Viertel seines Umsatzes
macht, wird jeder dort Beschäftigte, auch ein Mitglied
der Geschäftsführung oder des Betriebsrates, sagen: Unser Unternehmen befindet sich in einer schwierigen
Lage, es ist ein Sanierungsfall. Seit Mitte der 90er-Jahre,
mit wechselnden politischen Mehrheiten, weist der Bundeshaushalt ein strukturelles Defizit auf, weil große
Teile unserer Ausgaben nicht durch dauerhafte Einnahmen gedeckt sind.
Wir in der Union sind der Auffassung, dass wir mit
dem Haushalt, solange er nicht ausgeglichen ist, nicht
zufrieden sein können. Die Sanierungsaufgabe bleibt
also bestehen.
({11})
Der Bundeshaushalt ist eine Sanierungsaufgabe für uns
alle.
({12})
Dieser Aufgabe werden wir uns in dieser Legislaturperiode engagiert stellen. Für Entwarnung gibt es - weiß
Gott! - keinen Grund. Wir müssen den Sparkurs fortführen.
({13})
Ziel der Union ist in diesem Zusammenhang, die
Kreditaufnahme des Bundes im Laufe der Legislaturperiode unter die 20-Milliarden-Euro-Grenze zu senken.
Dazu bedarf es zusätzlicher Anstrengungen, insbesondere auf der Ausgabenseite. Wir wollen eines zurückgewinnen: das Vertrauen der Menschen in die Finanz- und
Haushaltspolitik dieses Landes. Die ersten Signale gibt
es schon: steigendes Verbrauchervertrauen und steigendes Investorenvertrauen. Es muss jedoch deutlich werden: Das sind keine Eintagsfliegen, vielmehr muss die
Konsolidierung nachhaltig und generationengerecht
sein. Deswegen werden wir auf diesem Kurs gemeinsam
mit unserem Koalitionspartner weiter voranschreiten.
({14})
Wir wollen keine Wunschlisten anlegen und keine
voreiligen Schlüsse ziehen. Eine Schwalbe macht noch
keinen Frühling.
({15})
Die Konsequenz und Beharrlichkeit bei den beschlossenen Maßnahmen zeigen die entsprechende nachhaltige
Stärkung der Auftriebskräfte.
Ich begrüße ausdrücklich, Herr Finanzminister, dass
Sie festgestellt haben, dass der Löwenanteil an den
Mehreinnahmen 2006 zur Senkung der Nettokreditaufnahme verwendet wird. Die Union ist der Auffassung,
dass der Löwe ebenso wie der Löwenanteil ziemlich
groß sein muss. Die Formulierung lässt ein kleines Hintertürchen. Die Löwen der Union, insbesondere die
bayerischen, sind ausgesprochen groß. Das sollten Sie
zur Kenntnis nehmen.
({16})
Ich will noch ein Wort zur Situation der Bundesagentur für Arbeit sagen. Wir haben in der Debatte deutlich
herausgearbeitet, dass der Überschuss nachhaltig und solide ist. Das war die Voraussetzung dafür, dass man über
Beitragsabsenkungen nachdenken kann. Wir von der
Union sind der Auffassung: Der nachhaltige Anteil des
Überschusses sollte frühestmöglich zur weiteren Absenkung der Sozialversicherungsbeiträge verwandt werden.
Hier sehen wir noch Spielräume. Ich denke, wir befinden
uns darüber seit einigen Tagen in einem guten Gespräch.
Ich hoffe, dass wir relativ rasch zum Abschluss der Gespräche kommen werden. Dies ist insbesondere vor dem
Hintergrund wichtig, dass wir in niedrigen Sozialversicherungsbeiträgen, mehr Wachstum und mehr Haushaltseinnahmen einen sinnvollen Beitrag zur Konsolidierung sehen. Die Union ist für weitere Gespräche
ausgesprochen offen.
({17})
Folge des Klimawechsels in diesem Hause ist, dass
auch über Haushaltsrisiken nicht nur von der Opposition, sondern sogar noch intensiver von der Regierungskoalition gesprochen wird. Für Entwarnung ist aber noch
nicht die richtige Zeit, das will ich deutlich machen. Natürlich sehen wir uns Haushaltsrisiken gegenüber. Ich
bin der Auffassung, dass man eine Regierung auch dadurch unterstützen kann, dass man die Haushaltsrisiken
offen anspricht, um die Begehrlichkeiten bezüglich des
Etats gering zu halten.
Die Vorgaben des Art. 115 des Grundgesetzes halten
wir ein - um anderthalb Milliarden Euro -; das habe ich
bereits ausgeführt. Das ist nicht die Welt und zeigt, dass
wir hier noch nachbessern und Vorsorge treffen können.
Es ist offen angesprochen worden, dass es erhebliche
Meinungsunterschiede im Haus hinsichtlich der Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt gibt. Wir teilen nicht
die pessimistische Sicht der Dinge, aber wir sind der
Meinung, dass wir uns in den Haushaltsberatungen sehr
intensiv mit allen Titeln der Arbeitsmarktpolitik - sowohl auf der Einnahme- als auch auf der Ausgabenseite - auseinander setzen müssen.
Zweifelsohne ist das falsch, was Bündnis 90/Die Grünen hier vorgetragen haben. Sie sprachen davon, dass es
um 8 Milliarden Euro Mehrbedarf geht. Zweifelsohne
richtig bleibt aber, dass wir uns diese Titel sehr genau
anschauen müssen. Das ist insbesondere vor dem Hintergrund nötig, dass die Unionsfraktion gemeinsam mit der
SPD beabsichtigt, noch in diesem Jahr Vorschläge dazu
zu machen, wie wir die Gerechtigkeitslücke in der Arbeitsmarktpolitik weiter schließen können. Die Gerechtigkeitslücke in der Arbeitsmarktpolitik entsteht, wenn
wir Geld nicht für das ausgeben, wofür die Steuerzahler
es einsetzen wollen. Es ist aber gleichermaßen ungerecht, arbeitsmarktpolitische Mittel mit der Gießkanne
zu verteilen. Arbeitsmarktpolitische Mittel müssen diejenigen erreichen, die tatsächlich bedürftig sind, die die
Hilfe des Staates in Anspruch nehmen müssen. Nach unserer Auffassung besteht auf diesem Gebiet eine erhebliche Gerechtigkeitslücke.
({18})
Diese Gerechtigkeitslücke wollen wir beispielsweise
durch die Effektivierung der arbeitsmarktpolitischen
Instrumente schließen. Im steuer-, wie im beitragsfinanzierten Bereich gibt es 70 bis 80 arbeitsmarktpolitische
Instrumente. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Arbeitsmarktpolitik gerecht sein kann, wenn sie mit einer
solchen Vielzahl bürokratischer und wenig effektiver
Instrumente vollzogen wird.
({19})
Ich glaube, wir sollten insbesondere auf diesem Gebiet
Einsparpotenziale suchen, und zwar ohne die Betroffenen - Herr Poß, Sie haben das angesprochen - mit Leistungskürzungen zu konfrontieren. Die Notwendigkeit
von Leistungskürzungen kann man leicht in Abrede stellen. Ich glaube, die Effektivierung arbeitsmarktpolitischer Instrumente kann in diesem Zusammenhang einiges bringen.
Ein weiteres Haushaltsrisiko besteht im Bereich der
Zinsen. Wir haben in den vergangenen Jahren - darüber
will ich offen reden - von der Niedrigzinspolitik profitiert und sie stillschweigend zur Kenntnis genommen.
Jetzt gibt es eine muntere Debatte über Zinserhöhungen.
Die Unabhängigkeit der Notenbanken stellen wir nicht
infrage. Im Koalitionsvertrag kann ich keine Stelle entdecken, aus der das abgeleitet werden könnte.
({20})
Ich will all denjenigen, die sich zu der Fragestellung, wie
sich die Zinsen zukünftig entwickeln, äußern, raten: Dieses Thema kann man in das Nachtgebet einbeziehen; bei
öffentlichen Verlautbarungen wäre ich zurückhaltend.
({21})
Dafür gibt es zwei Gründe: Erstens. Wir stehen zur
Aufgabenteilung zwischen der Politik, die die strukturellen Anpassungen vornehmen soll, und der Notenbank,
die für die Geldpolitik zuständig ist.
({22})
Zweitens habe ich nicht den Eindruck, dass Mäßigungsappelle an die Zentralbank produktiv sind. Um es konkret zu sagen: Ich vermute, dass öffentliche Appelle eher
kontraproduktiv sind.
({23})
Das heißt: Wenn man niedrige Zinsen haben möchte,
dann sollte man zu diesem Thema besser schweigen.
Wir haben klare Ziele für die Haushaltsberatungen im
Jahre 2007. Die Union steht gemeinsam mit ihrem Partner für seriöse Finanzen. Nachdem in den vergangenen
vier Jahren gegen die Maastrichtkriterien verstoßen
wurde, wollen wir sie nicht nur 2006, sondern auch in
den Folgejahren - bis wir einen ausgeglichenen Haushalt
haben und darüber hinaus - einhalten. Wir wollen einen
verfassungskonformen Bundeshaushalt. Das heißt,
die Höhe der Investitionen muss deutlich über der Höhe
der Nettokreditaufnahme liegen. Mehr Forderungen an
den Etat können vor diesem Hintergrund nicht realisiert
werden.
({24})
Am Ende dieser Legislaturperiode - so die Forderung
der Union - sollte die Neuverschuldung wieder deutlich
unter 20 Milliarden Euro liegen. Wir dürfen aufgrund
unserer Verantwortung gegenüber den nachfolgenden
Generationen bei der Nettokreditaufnahme nicht aasen,
sondern müssen sparsam sein. Die Grenze muss deutlich
unterschritten werden.
({25})
Wir wollen die Staatsquote auf das Niveau von 1989
absenken, nämlich auf unter 44 Prozent. Wir glauben,
dass die Entscheidung, wofür Geld ausgegeben wird,
eher beim Bürger als beim Staat liegen sollte. Wir glauben, dass dieser Grundsatz vor allem für die Ausgabenseite gelten sollte. Wenn ich mir die mittelfristige
Finanzplanung anschaue, dann stelle ich fest, dass wir
kein Einnahmeproblem haben.
Wir werden an allen konstruktiven Beiträgen zur Ausgabensenkung, die von der Opposition und innerhalb der
Koalition vorgelegt werden, gerne mitarbeiten. Wir wollen die Risiken - ich habe einen Teil davon benannt;
Kollege Poß sprach die auswärtige Politik an -, beherrschen. Wir wollen einen soliden Etat beraten. Ende November wollen wir mit gutem Gewissen sagen können:
Das ist das, was möglich ist. Das ist solide. Das ist unser
Beitrag für eine gute Zukunft dieses Landes.
({26})
Das Wort hat der Kollege Dr. Hermann Otto Solms
für die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich will eines vorausschicken: Die FDP freut
sich genauso wie die Bundesregierung über die leichte
konjunkturelle Erholung, die wir gegenwärtig erleben
können.
({0})
Das ist eine Freude für uns alle. Es ist aber nicht so, dass
das auf das Handeln dieser Bundesregierung zurückzuführen wäre. Das wäre ein gewaltiger Trugschluss.
({1})
Man kann geradezu sagen: Die konjunkturelle Erholung
findet trotz dieser Bundesregierung statt.
({2})
Denn sie ist auf eine Politik der Verbesserung der Angebotsbedingungen in den letzten Jahren zurückzuführen.
Die wesentlichen Punkte dabei waren: die zurückhaltende Politik der Tarifvertragsparteien,
({3})
die maßvolle Zinspolitik der Europäischen Zentralbank,
Auch ange-
sprochen!)
aber auch die Politik der Steuersenkung der Vorgängerregierung insbesondere bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer.
({0})
In diesem Zusammenhang, Herr Finanzminister
Steinbrück, möchte ich in Erinnerung rufen: Als die alte
bürgerliche Koalition eine grundsätzliche Steuerreform
auf den Weg gebracht hat - Stichwort: Petersberger
Beschlüsse -, hat die SPD-Opposition unter dem damaligen Parteivorsitzenden Lafontaine ihre Blockademöglichkeiten im Bundesrat genutzt. Die Steuerreform ist
nicht zustande gekommen, obwohl sie im Bundestag
eine Mehrheit gefunden hatte. Damit ist viel Zeit
verschwendet worden. Denn wir hätten schon einige
Jahre früher eine angebotsorientierte Politik betreiben
können.
({1})
Als die rot-grüne Regierung diese Steuerreform auf
den Weg gebracht hat, hätten wir sie im Bundesrat blockieren können. Wir haben es aber nicht getan. Durch
das Mitwirken von Rainer Brüderle und Kurt Beck, Ihrem neuen Parteivorsitzenden, in Rheinland-Pfalz haben
wir durchgesetzt, dass die Steuerreform tatsächlich ins
Gesetzbuch gekommen ist
({2})
und dass der Spitzensteuersatz von 45 auf 42 Prozent gesenkt worden ist.
({3})
Deswegen fühle ich mich - mit der FDP - mitverantwortlich für die positiven Entwicklungen, die wir gegenwärtig erleben.
({4})
Diese Politik der Entlastung und der Verbesserung der
Angebotsbedingungen müsste jetzt fortgesetzt werden.
Diese Bundesregierung tut aber genau das Gegenteil.
({5})
Sie erhöht die Kosten, sie erhöht die Steuern, sie erhöht
die Beiträge und baut die immense Bürokratie nicht ab.
Ich möchte einige Beispiel in Erinnerung rufen: Das
wichtigste ist natürlich die Erhöhung der Mehrwertsteuer. Das ist ökonomisch gesehen ein grundsätzlicher
Fehler.
({6})
Weitere Beispiele sind die Erhöhung der Versicherungssteuer, die Erhöhung der Einkommenssteuer unter dem
Stichwort Reichensteuer - man findet immer schöne Begründungen für Steuererhöhungen -,
({7})
die Verschlechterung bei der Pendlerpauschale, keine
Abzugsfähigkeit der Kosten für das Arbeitszimmer,
Streichung der Abzugsfähigkeit der Steuerberatungskosten und die Halbierung des Sparerfreibetrags. Das wird
jetzt in das Jahressteuergesetz gemogelt, damit es möglichst nicht auffällt. Allein diese Steuererhöhungen
werden die Bürger und Unternehmen im nächsten Jahr
um 27 Milliarden Euro zusätzlich belasten. Wie soll das
die Konjunktur fördern?
({8})
Wie soll das den Menschen die Möglichkeit geben, mehr
zu konsumieren, mehr zu investieren oder mehr Eigenvorsorge für das Alter und für die Risiken des Lebens
vorzunehmen? Sie fordern das immer, aber Sie nehmen
ihnen die finanziellen Möglichkeiten, dies zu tun.
({9})
Dazu kommen die Erhöhungen der Beiträge zur Rentenversicherung, zur Krankenversicherung und vermutlich auch zur Pflegeversicherung, sodass die Senkung
der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung gleich wieder
kompensiert wird. Eine Entlastung bei den Sozialkosten
findet nicht statt. Das ist die falsche Politik; von Entlastung keine Spur. Die Ausgaben für soziale Sicherung
machen unverändert die Hälfte des Budgets aus. An einer Flexibilisierung der Kernbereiche des Arbeitsmarktes traut sich die Regierung nicht heran. Betriebliche
Bündnisse für Arbeit sind vergessen. Die Liberalisierung
des Kündigungsschutzes ist passé. Eine langfristige Absenkung der Lohnzusatzkosten ist Schnee von gestern.
Gibt es eine tragfähige Gesundheitsreform? Fehlanzeige.
Ganz im Gegenteil: Die gesundheitspolitische Diskussion ist das reinste Chaos und der Bürger wendet sich
mit Schrecken ab. Die Bürger werden zur Kasse gebeten.
Das ist die Quintessenz dieser Politik; die ist schlicht
falsch.
({10})
Die Koalition wird damit scheitern. Deshalb fordern
wir, die FDP, die Angebotsbedingungen für Investitionen und Konsum konsequent zu verbessern. Nur so können wieder Arbeitsplätze entstehen. Ganz konkret - wir
haben gestern einen Antrag dazu eingebracht -: Nehmen
Sie die Erhöhung der Mehrwertsteuer zurück. Die Erhöhung ist falsch und nicht notwendig. Denn die Steuereinnahmen, die aufgrund der konjunkturellen Entwicklungen in diesem Jahr stärker sprudeln, kompensieren
das erwartete Mehraufkommen bereits.
({11})
Zweitens. Legen Sie ein durchdachtes Konzept für
eine Unternehmensteuerreform vor, in dem die Unternehmen, egal in welcher Rechtsform sie agieren, gleich
behandelt und gleich belastet werden,
({12})
bei dem das Besteuerungsniveau auf das durchschnittliche europäische Niveau gesenkt wird und das nicht
durch die Einbeziehung von Kostentatbeständen in die
Besteuerung gegenfinanziert wird. Wie Sie das technisch
machen, ist völlig egal. Aber das ist ein grundsätzlicher
Fehler. Das ruiniert den deutschen Mittelstand,
({13})
der ja in aller Regel mit nur 10 bis 20 Prozent Eigenkapital leben und sich zu 80, 90 Prozent fremdfinanzieren
muss. Hier geht es um die Existenz des Mittelstandes.
({14})
Drittens. Beginnen Sie endlich mit der Vereinfachung
des Steuersystems. Das haben alle Parteien in ihren
Wahlkampfparolen gefordert. Nichts ist bis jetzt geschehen.
Viertens. Überprüfen Sie Ihr Jahressteuergesetz 2007,
in dem auf 127 Seiten herumgeregelt wird.
Fünftens. Führen Sie die Abgeltungsteuer auf Kapitalerträge ein. Schaffen Sie endlich eine Bundesfinanzverwaltung, die auch Sie, Herr Bundesfinanzminister,
immer gefordert haben; dabei unterstützen wir Sie.
Sechstens. Senken Sie die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung um mindestens 2,5 Prozentpunkte.
({15})
Siebtens. Stoppen Sie die Diskussion über die Gesundheitsreform.
Achtens. Beginnen Sie endlich zu sparen, und zwar
beim Staat und nicht beim Bürger.
({16})
Die ökonomische Wirkungskette gilt auch heute
noch: Nur weniger Steuern und Abgaben bringen mehr
Arbeitsplätze. Nur mit mehr Beschäftigten hat der Staat
mehr Steuer- und Beitragseinnahmen. Nur so erreichen
Sie eine nachhaltige Konsolidierung des Bundeshaushaltes und der anderen Haushalte.
Entweder fehlt Ihnen der Mut zu dieser Politik oder
die Einsicht. Beides ist verhängnisvoll. Wir brauchen im
Interesse der Bürgerinnen und Bürger Fortschritt in
Deutschland.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({17})
Das Wort hat der Kollege Carsten Schneider für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich habe während der heutigen Debatte, die ich aufmerksam verfolgt habe, neue und alte Freunde kennen gelernt
bzw. wiedergefunden. Ich hatte den Eindruck, Frau
Hajduk, dass nach Ansicht der alten Freunde von den
Grünen alles, was in der rot-grünen Regierungszeit geschehen ist, super war. Dieser Auffassung bin auch ich.
Bei den neuen Freunden von der Union hatte ich den
Eindruck, dass sie alles, was in dieser Zeit auf den Weg
gebracht wurde, schlecht fanden, dass aber, seitdem die
Union mitregiert, alles super ist. Ich glaube, die Wahrheit liegt irgendwo in der Mitte: Es liegt an der Kontinuität der Regierungsbeteiligung der SPD.
({0})
- Glauben Sie mir: Ich kann das von beiden Seiten ganz
gut beurteilen, insbesondere weil das Bundesfinanzministerium seit nunmehr acht Jahren in sozialdemokratischer Hand ist.
Kolleginnen und Kollegen, die Haushaltsdebatte 2007
und die Finanzplanung bis 2010, die bereits Gegenstand
der heutigen Debatte war, sind von einem Gesetzentwurf
gekennzeichnet, der mutig ist und in den die Erfahrungen aus der Vergangenheit eingeflossen sind. Im Hinblick auf die konjunkturellen Rahmendaten und die
Höhe der Steuereinnahmen wurden vorsichtige, konservative Schätzungen zugrunde gelegt. Dieser Gesetzentwurf verdeutlicht die Entschlossenheit der Koalition, die
Ziele, die sie sich in der Haushalts- und Finanzpolitik
gesetzt und im Koalitionsvertrag festgehalten hat, umzusetzen.
Mit dem Haushaltsbegleitgesetz 2007 haben wir sowohl auf der Einnahme- als auch auf der Ausgabenseite
strukturelle Veränderungen vorgenommen. Ich persönlich bin der Auffassung - das mag eine kleine Reminiszenz an die vergangenen Jahre sein -, dass das schon
früher hätte geschehen können, hätte der Bundesrat, insbesondere was die Einnahmeseite betrifft, an der einen
oder anderen Stelle Einsicht gezeigt.
({1})
Dass er das nicht getan hat, hat uns in den vergangenen
Jahren immer wieder, gerade beim Steuervergünstigungsabbau, geschadet und zu geringeren Steuereinnahmen geführt. Das haben wir jetzt korrigiert. Auch an dieser Stelle sei auf den maßgeblichen Einfluss der SPD auf
die Kollegen von der Union hingewiesen.
Auf der Ausgabenseite haben wir deutliche Einsparungen vorgenommen. Nicht, wie die FDP das fordert
- um Gottes willen; wir wollen keinen Staat, den sich
nur Reiche leisten können -, aber so, dass sich die normalen Bürgerinnen und Bürger sicher sein können, dass
der Deutsche Bundestag solide mit dem ihm anvertrauten Geld umgeht. Die Ausgabensteigerung liegt für 2007
bei 0,2 Prozent, im gesamten Finanzplanungszeitraum
bis 2010 bei gerade einmal 0,7 Prozent. Bei einer unterstellten Inflationsrate von über 1 Prozent - was wahrscheinlich ist; hoffentlich liegt sie unter 2 Prozent - entspricht dies einer Ausgabensenkung, und dies trotz der
Mehrausgaben, die wir in den vergangenen Jahren im
Bereich des Arbeitsmarktes und der sozialen Sicherungssysteme hatten.
Der eingeschlagene Kurs, nämlich 2006 den Anschub
zu geben, die Konjunktur auf Fahrt zu bringen, war innerhalb der SPD - das muss ich auch für mich persönlich sagen - nicht unumstritten. Nun stimulieren wir die
Wirtschaft mit einem 25-Milliarden-Euro-Wachstumspaket, wir erhöhen damit die Mittel für Forschung um
6 Prozent und setzen Akzente bei den Infrastrukturinvestitionen. Ich glaube, das ist richtig, insbesondere weil
sich die Bevölkerung und die Wirtschaftsakteure darauf
verlassen können, dass die Maßnahmen, die wir angekündigt haben, auch umgesetzt werden.
({2})
Carsten Schneider ({3})
Dieses Vertrauen in eine stetige Finanzpolitik ist für den
sich jetzt deutlich abzeichnenden Konjunkturaufschwung entscheidend, entscheidender als kurzfristiges
Hoch und Runter von Steuersätzen oder auch - um die
aktuelle Debatte aufzugreifen - des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung. Wichtiger ist langfristige Stabilität,
dass sich die Bürgerinnen und Bürger darauf verlassen
können, dass diese Bundesregierung und dieses Parlament langfristig im Blick haben, einen Haushalt vorzulegen, der nicht nur dem Art. 115 des Grundgesetzes
entspricht, sondern auch - in der nächsten Legislaturperiode - ausgeglichen ist.
Die Konjunkturdaten für die Bundesrepublik
Deutschland, insbesondere die Wachstumsraten im ersten und zweiten Quartal, zeigen, dass das Wachstum robust ist. Im zweiten Quartal hatten wir real ein Wachstum von 0,9 Prozent; das ist mehr, als die Vereinigten
Staaten in diesem Quartal hatten. Viel wird jetzt davon
abhängen, wie sich die Rohstoffpreise, insbesondere der
Ölpreis, entwickeln. Es kommt aber auch darauf an, wie
sich die konjunkturelle Situation in den USA entwickelt,
die ja immer Wachstumsmotor für uns waren und die ein
sehr stark exportgetriebenes Wachstum hatten. Ich sehe
da mehr Licht als Schatten am Horizont. Dementsprechend bin ich, was die Steuereinnahmen betrifft, auch
eher zuversichtlich.
Ich will aber auch klar unterstreichen, was der Bundesfinanzminister ausgeführt hat: Wenn wir in Zeiten
guter Konjunktur zusätzliche Steuereinnahmen erzielen
sollten, müssen wir diese zur Senkung der Neuverschuldung verwenden.
({4})
In den vergangenen Jahren haben wir eine antizyklische
Politik betrieben. Ich halte es für richtig, dass man in einem Abschwung nicht hinterherspart; das funktioniert
nicht. Da sollte sich der eine oder andere Ökonom einmal an die eigene Nase fassen und bei seinen Modellen
nicht so tun, als gäbe es den Faktor Staat nicht. Jetzt ist
jedoch der entscheidende Zeitpunkt, um für die zukünftige Finanzentwicklung noch Maßstäbe zu setzen und
die Neuverschuldung oder die Privatisierungserlöse zurückzufahren.
Werfen wir noch einen Blick auf die konjunkturelle
Situation: Auffällig ist nicht nur der deutliche Anstieg
der Ausrüstungsinvestitionen, sondern auch dass die
Baukonjunktur, die in den letzten Jahren geschwächelt
hat, Zuwächse zu verzeichnen hat - 2,5 Prozent - und
erstmals auch der private Konsum, mit 0,5 Prozent. Wir
sind insgesamt auf einem guten Weg. Von daher muss
die Finanzpolitik jetzt die unterstützenden Maßnahmen,
die angekündigt und auch beschlossen worden sind,
durchsetzen.
Durchsetzen heißt letztendlich auch Verlässlichkeit
und kein ständiges Hin und Her.
Alle Anträge der FDP zur Aushebelung der Mehrwertsteuererhöhung und zu allen anderen Punkten, die
ich so sicher erwartet habe wie die Tatsache, dass es im
Winter schneit, sind meines Erachtens ziemlich kurzsichtig. Wenn Sie sagen, dass Sie die Erhöhung nicht
wollen, dann müssen Sie an dieser Stelle auch sagen, wo
Sie die Mehreinnahmen durch die Mehrwertsteuererhöhung, die wir im Bundeshaushalt mit 7 Milliarden Euro
verbuchen - dieser Anteil ist allein für den Bund vorgesehen -, stattdessen erzielen wollen. Wenn Sie den Bundeshaushalt zur Grundlage nehmen und berücksichtigen,
dass wir im Bereich der öffentlichen Sicherheit nicht
sparen wollen, dann wissen Sie, dass Sie die Mittel letztendlich nur noch im Sozialbereich kürzen können. Wir
als SPD wollen dies nicht.
({5})
Schauen Sie sich den Sozialhaushalt an! Der Gesamthaushalt hat ein Volumen von 267 Milliarden Euro. Der
Sozialetat macht 120 Milliarden Euro aus. Danach folgt
die Zinsbelastung mit 38 Milliarden Euro. Der Verteidigungshaushalt hat einen Umfang von 22 bis 24 Milliarden Euro, je nachdem worauf wir uns während der Beratungen einigen. Danach kommt der Verkehrshaushalt. In
diesen Bereichen wollen Sie auch nicht sparen. Wenn
Sie die Steuermehreinnahmen wirklich nicht wollen,
sondern den Staat zurückschneiden wollen, wie Sie das
ankündigen, dann müssen Sie auch sagen, dass Sie bei
den Renten nicht nur keine Steigerungen, sondern tatsächlich Kürzungen wollen. Um das klar und deutlich zu
sagen: Dies findet nicht unsere Zustimmung.
({6})
Es trifft auch nicht auf unsere Zustimmung, wenn Sie
das bei den Empfängern von Arbeitslosengeld II versuchen. Um das klar zu sagen: Wir haben dort ein haushalterisches Risiko. Für das Jahr 2007 haben wir
21,4 Milliarden Euro veranschlagt. Ich hoffe, dass dies
realistisch ist. Wir werden das im Laufe der Beratungen
noch sehen. Ich denke, das ist insbesondere dann realistisch, wenn sich der abzeichnete Konjunkturaufschwung
nicht nur für die Empfänger von Arbeitslosengeld I, sondern auch für die Empfänger von Arbeitslosengeld II
auswirkt. Dafür ist aber notwendig, dass wir, wie es bei
den Hartz-Reformen angedacht war, nicht nur das Fordern, sondern auch das Fördern betonen.
Aus diesem Grund haben wir als Koalition heute
Morgen die Sperre beim Eingliederungstitel in Höhe von
230 Millionen Euro aufgehoben, damit die Arbeitsagenturen vor Ort Planungssicherheit bis zum Ende des Jahres haben, um entsprechende Maßnahmen zu bezahlen
und Menschen wieder in Beschäftigung zu bringen.
({7})
Das geht nur mit beiden Seiten. Ihre Forderung, um
3,5 Milliarden Euro zu kürzen - das wäre eine Halbierung dieses Betrages -, würde dazu führen, dass die
Leute überhaupt keine Chancen mehr hätten. Von daher
findet das absolut nicht unsere Zustimmung, sondern das
stößt auf unsere entschiedene Ablehnung.
({8})
Ich komme zu einem weiteren Punkt, der sich in den
Beratungen zu diesem Haushaltsplan niederschlagen
Carsten Schneider ({9})
wird. Wir müssen uns die Steuerentwicklung natürlich
sehr genau anschauen. Ich möchte aber klar sagen, dass
ich für zusätzliche Ausgabewünsche keinerlei Spielraum sehe.
({10})
Ich sage das ganz gezielt auch an die Kabinettskollegen
von Finanzminister Steinbrück. Es kann nicht sein, dass
der eine oder andere immer fordert, er müsse mehr sparen, mehr tun und dieses oder jenes finanzieren, während
er den Finanzminister auf der anderen Seite durch die
Hintertür mit Forderungen konfrontiert, was dazu führt,
dass es immer mehr Wünsche nach Mehrausgaben gibt.
Wir kennen das als Haushälter natürlich. Ich weise dies
entschieden zurück.
({11})
Bevor tatsächlich Mehrausgaben gefordert werden,
muss klar sein, dass diese sachgerecht sind und sich in
den tatsächlichen Begebenheiten widerspiegeln. Ich
glaube nicht, dass man die Situation nutzen sollte, die einem die derzeitige politische Diskussion eröffnet. Es
geht nicht, die Zahlen immer gleich zu lassen und nur
die Begründung ab und zu zu ändern. Ich denke, den
Eingeweihten ist bekannt, worum es geht.
({12})
Ich möchte noch zu einem weiteren Punkt kommen,
nämlich dem Bund-Länder-Verhältnis. Wir haben nicht
nur die Föderalismusreform durch den Bundestag gebracht, sondern wir haben in den nächsten Monaten auch
die Föderalismusreform II vor uns. Ich lege Hoffnung in
dieses Projekt, auch wenn ich weiß, dass es viele Widerstände geben wird, wenn es hart auf hart kommen und
vor allem ums Geld gehen wird. Ich glaube aber, dass es
bezüglich der Gesamtrahmenbedingungen, unter denen
wir haushaltswirtschaftlich arbeiten - insbesondere bezogen auf die Verschuldungsgrenzen und die Abstimmung im Finanzplanungsrat -, Optimierungsmöglichkeiten gibt. So wie ich die eine oder andere Debatte auch
auf der Länderseite sehe, hoffe ich, dass es dort zu einer
Einigung kommt.
Diese Einigung darf nicht daran scheitern, dass wir
uns über solche Sachfragen zerstreiten. Wir müssen insbesondere zu einer stärkeren Koordinierung in der Ausgabenpolitik zwischen dem Bund und den Ländern kommen. Darüber hinaus brauchen wir eine Umsetzung des
europäischen Stabilitätspaktes in nationales Recht, wie
wir das in einem ersten Schritt bei der Aufteilung der
Sanktionszahlungen zwischen Bund und Ländern im
Rahmen der Föderalismusreform I bereits getan haben.
Ich bin aber ausdrücklich dagegen, dies mit Fragen der
Finanz- und Steuerverteilung zu verknüpfen. Eine sachfremde Debatte nach dem Motto „Was bleibt mir am
Ende übrig?“ halte ich an dieser Stelle für schädlich,
weil sie zu einem Wettbewerbsföderalismus führen
würde.
({13})
Ich möchte noch kurz auf die bereits vom Kollegen
Poß und vom Kollegen Meister angesprochene Unternehmensteuerreform eingehen. Ich unterstütze die Bundeskanzlerin ausdrücklich und nachhaltig in ihrer Position. Der Auffassung, dass die vorgesehene Reform die
internationale Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen erhält und die Steuersätze angepasst werden müssen, habe ich nichts hinzuzufügen.
Der Maximalbetrag von 5 Milliarden Euro Entlastung, den sie genannt hat, sollte aber nur ein Mittelwert
sein. Ich unterstütze dies nachdrücklich, weil ich der
Meinung bin, dass wir es uns nicht leisten können, auf
der einen Seite die Vorgaben des Grundgesetzes und des
Maastrichtvertrages einzuhalten und die Ausgaben zu
deckeln - das unterstütze ich -, aber dann auf der anderen Seite die Einnahmen zu vernachlässigen. Ich finde,
es ist eine Verpflichtung der Unternehmen, dass sie hier
ihre Steuern zahlen. Jeder Art und Weise - Sie haben die
Zinsgeschäfte angesprochen -, die dazu führt, dass hier
erwirtschaftetes Geld nicht hier versteuert wird, muss
Einhalt geboten werden.
({14})
Ich möchte, an die FDP gerichtet, mit einem Zitat von
Bertolt Brecht
({15})
aus der gerade hier in Berlin aufgeführten „Dreigroschenoper“ enden, die ziemlich kritisiert wurde. Ich
finde die Inszenierung gut; aber darüber lässt sich streiten. Ich beziehe mich auf die erste Verfilmung der „Dreigroschenoper“ von 1930, in der es heißt:
Denn die einen sind im Dunklen
und die anderen sind im Licht.
Und man siehet die im Lichte,
die im Dunklen sieht man nicht.
Was meine ich wohl damit?
({16})
Ich meine damit Folgendes: Machen Sie wirklich klar,
was Ihre Vorschläge zu den Kürzungen im Sozialbereich
bedeuten. Es kann nicht sein, dass Sie sich hier hinstellen und immer wieder den Steuer- und Abgabenstaat geißeln. Auf der anderen Seite tun Sie so, als würden Sie
die Menschen mit sozialen Wohltaten beglücken. Das
Gegenteil ist der Fall. Sie sind diejenigen, die zur Erosion der Gesellschaft beitragen. Das würde letztendlich
dem Wirtschaftsstandort Deutschland schaden.
({17})
Danke sehr.
({18})
Für die Fraktion Die Linke hat das Wort der Kollege
Dr. Dietmar Bartsch.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die
Rede des Finanzministers und diese Debatte haben
ebenso wie die Worte von Herrn Schneider eindeutig gezeigt, dass der Haushalt 2007 die Agenda 2010 plus
Angela Merkel ist. Sie als große Koalition haben einige
Monate von der Hoffnung gelebt, dass jenseits machtpolitischer Blockaden die Lösung der großen Probleme
des Landes angegangen werden kann. Im Haushalt ist
davon nichts, aber auch gar nichts zu spüren. Die Blockaden sind deutlich sichtbar.
({0})
In der Regierungserklärung hat die Bundeskanzlerin
erklärt:
Wir müssen uns in jeder Generation neu besinnen,
was gerecht und was ungerecht ist.
Das haben Sie völlig richtig gesagt. Ich will ausnahmsweise noch einmal die Kanzlerin zitieren:
Gerecht ist, wenn den Schwachen geholfen wird.
Ungerecht ist, wenn sich Starke als Schwache verkleiden und damit die Gemeinschaft ausnutzen.
Da haben Sie etwas völlig Richtiges gesagt. Aber Sie
handeln ganz anders.
Ihre Maßnahmen gehen zulasten der sozial Schwächeren und der wenig Vermögenden. Gerechtigkeit
sieht anders aus. Wen treffen Sie denn mit der Kürzung
des Sparerfreibetrages? Sie treffen eben diejenigen, denen das Sparen wirklich schwer fällt. Sie nehmen den
15 Millionen Pendlern durch die Kürzung der Pauschale
richtig Geld weg. Das ist insbesondere für Ostdeutschland eine katastrophale Entscheidung.
Sie nehmen 450 000 jungen Erwachsenen durch die
Beschränkung des Kindergeldes bis zum 25. Lebensjahr
die finanziellen Mittel für ihren Lebensunterhalt. Im
Kern finanzieren Sie Ihre Steuermehreinnahmen aus
Einnahmen der einfachen Bürgerinnen und Bürger. Sie
nehmen den sozial Schwächeren. Wenn man dazu noch
die Erhöhung der Beiträge bei den Krankenkassen und
zur Rentenversicherung rechnet, kann man nur sagen:
Das sind katastrophale Entscheidungen.
In besonderer Weise trifft das aber auf die fatalste
Entscheidung zu, die Sie getroffen haben: die Erhöhung
der Mehrwertsteuer. Sie weigern sich vor allen Dingen, Herr Steinbrück, neue Erkenntnisse, die nach dieser
Entscheidung sichtbar geworden sind, zur Kenntnis zu
nehmen. Ich will Sie alle daran erinnern, dass es noch
kein Jahr her ist - es war im Wahlkampf im vorigen
Jahr -, als Sie, Herr Steinbrück, und die Kolleginnen und
Kollegen der SPD die Mehrwertsteuererhöhung gegeißelt haben. „Merkelsteuer, das wird teuer!“ lautete Ihr
Slogan. Er war völlig richtig.
({1})
Ich frage mich, ob Ihre heutigen Reden ähnlich glaubwürdig sind. Ist das so oder haben wir jetzt eine andere
Situation?
({2})
Sie begründen die Mehrwertsteuererhöhung immer
wieder mit den EU-Stabilitätskriterien und dem Haushaltsdefizit. Wir alle wissen aber - Herr Meister hat es
vorhin festgestellt -, dass die EU-Stabilitätskriterien in
diesem Jahr eingehalten werden. Das hat - das ist völlig
richtig - mit dem wirtschaftlichen Aufschwung zu tun.
Den bringt aber niemand ernsthaft mit Ihrer Politik in
Verbindung. Das ist die Realität.
({3})
Von Ihrer Regierung geht vielmehr Gefahr für den Aufschwung in Deutschland aus.
Sie haben die Mehrwertsteuererhöhung damit begründet, dass ein Prozentpunkt davon der Absenkung der
Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zugute kommen soll. Sie weigern sich aber, zur Kenntnis zu nehmen, dass der Überschuss der Bundesagentur für Arbeit
in diesem Jahr 9 Milliarden Euro beträgt. Ich stimme mit
Ihnen überein, dass die Einnahme aus dem 13. Monatsbeitrag nicht angetastet werden sollte. Wie finden Sie
aber die Idee, das Vorhaben aus dem erzielten Überschuss statt aus den Einnahmen der Mehrwertsteuererhöhung um einen Prozentpunkt zu finanzieren? Es ist vielleicht nicht völlig abwegig, darüber zu diskutieren.
Beweisen Sie Ihre Lernfähigkeit! Tragen Sie der veränderten Realität Rechnung! Sie wissen doch, dass
durch die Mehrwertsteuererhöhung die Binnenkaufkraft
abgeschöpft und der wirtschaftliche Aufschwung gefährdet wird. Sie haben feststellen müssen, dass die Politik
nach dem Motto „Steuersenkung bei Unternehmen
schafft Arbeitsplätze“ gescheitert ist, und zwar seit Jahren.
Kehren Sie um! Steigern Sie die Binnenkaufkraft und
verzichten Sie auf die Erhöhung der Mehrwertsteuer!
Verfahren Sie nicht nach dem untauglichen Motto „Wir
setzen den einmal als richtig erkannten Weg bis zum
Ende fort“!
({4})
Hinzu kommt, dass Sie zur gleichen Zeit über eine
Unternehmensteuerreform diskutieren, mit der auf
Steuereinnahmen von bis zu 22 Milliarden Euro verzichtet werden soll. Natürlich handelt es sich dabei um Steuergeschenke, Herr Poß. Um was denn sonst? Die Idee
stammt von einem SPD-Minister. Da würde sich mancher Sozialdemokrat im Grabe umdrehen.
({5})
Den Unternehmen, den Vermögenden, den Banken und
Konzernen geben Sie Steuergeschenke und den Menschen, die ihre Euros mit schwerer Arbeit verdienen
müssen, greifen Sie in die Tasche.
({6})
Sie wissen doch, dass Rot-Grün mit der Steuerreform
Mindereinnahmen von über 60 Milliarden Euro verursacht hat. Das hat sich für die Konzerne und ihre Shareholder gelohnt. Nicht gelohnt hat es sich für die Menschen; denn gleichzeitig sind viele Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer entlassen worden. Das kann nicht der
Weg sein. Es geht auch anders. Richten Sie den Blick auf
andere Länder,
({7})
in denen das Wirtschaftswachstum höher ist und die öffentlichen Haushalte besser dastehen!
Warum unternehmen Sie keinen ernsthaften Versuch,
die Erbschaftsteuer grundlegend zu reformieren? In
den nächsten Jahren werden Billionen vererbt. Warum
brauchen wir in Deutschland neue Dynastien, die nichts
mit Leistung zu tun haben? Warum sollen die sozialen
Unterschiede in unserem Land weiter vererbt werden?
Das ist ein großer Fehler.
({8})
Sie haben von Kindern und Enkeln gesprochen, Herr
Steinbrück. Auch das gehört dazu. Warum werden einige
so privilegiert? Sie verweisen darauf, dass zunächst die
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts abzuwarten ist. Es gibt immer Begründungen, abzuwarten. Sie
hätten aber schon lange einen Gesetzentwurf vorlegen
können, der auch für alle Haushalte 2007 haushaltsrelevant geworden wäre.
Warum weigern Sie sich, wieder eine Vermögensteuer einzuführen oder wenigstens darüber zu diskutieren? Es gibt Ministerpräsidenten, die das auch weiterhin
für vernünftig halten. Sie haben nicht im Entferntesten
den Ansatz beherzigt, dass starke Schultern mehr tragen
müssen.
Über viele Jahre hinweg gab es eine Umverteilung
von unten nach oben. Was wir nun brauchen, ist eine
Umverteilung von oben nach unten.
({9})
Wir brauchen eine andere Politik. Denn Sie betreiben
eine falsche Politik.
Lassen Sie mich - weil Sie immer wieder von Haushaltsrisiken und Ähnlichem sprechen - einen Bereich erwähnen, auf den schon eingegangen worden ist, und
zwar den Einzelplan 14, Verteidigung. In diesem Etat
spiegeln sich sehr deutlich die Veränderungen in der Außenpolitik wider. Frau Merkel hat gleich nach ihrem
Amtsantritt deutlich gemacht, dass sie anders als ihr Vorgänger eine unkritische Verbündete von Präsident Bush
sein will. Es gibt keine Distanz zu den Vereinigten Staaten, auch nicht dann, wenn diese auf imperiale Gesten
und militärische Abenteuer setzen.
Für eine soziale und gerechte Politik ist angeblich nie
Geld vorhanden. Aber Ihre Vorgängerregierungen haben
in den Jahren 1992 bis 2005 für Zusatzaufgaben aufgrund internationaler Einsätze insgesamt 8,8 Milliarden
Euro ausgegeben. Wenn es, wie heute früh, um Auslandseinsätze wie im Kongo geht, dann wird sofort
„Hier!“ gerufen. Das sind reale Haushaltsrisiken. Wir
alle wissen, dass uns jeder Auslandseinsatz enorm viel
Geld kostet. Die Bundesregierung hat sich inzwischen
angewöhnt, schon „Hier!“ zu rufen, wenn noch niemand
gefragt hat. Das ist eine ganz neue Qualität in Deutschland.
({10})
Der Mut verlässt sie aber immer dann, wenn es um
die Hinterfragung bestimmter vertraglicher Regelungen
geht. Nehmen wir als Beispiel das Raketensystem zur
Panzerabwehr, das über 17 Jahre zu einem Preis von einer halben Milliarde Euro entwickelt wurde. Obwohl
sich der Preis pro Rakete um das 15fache erhöht hat, erfüllt das System, von dem die Bundeswehr nach Kritik
des Bundesrechnungshofes nicht mehr 30 000, sondern
nur noch 1 000 bestellt hat, längst nicht mehr die Anforderungen. Aber den Steuerzahler kostet nun jeder einzelne Schuss 1 Million Euro. Bei 1 000 Schuss sind das
1 Milliarde Euro. Das ist absurd.
Ich rate Ihnen, mehr für Konversion auszugeben. Das
ist eine richtige Entscheidung. Hier müssen wir mehr
tun, gerade dort, wo Standorte geschlossen werden. Das
trifft sowohl auf den Osten als auch auf den Westen
Deutschlands zu. Entsprechende strukturpolitische Maßnahmen sind notwendig. Deswegen werden wir in den
Etatberatungen vorschlagen, im Rahmen des Einzelplans 14 2 Milliarden Euro zu kürzen, aber 600 Millionen Euro für die Konversion einzusetzen. Davon soll
auch einiges für zivilen Friedensdienst und Minenräumung aufgewendet werden.
({11})
Wir werden als Linke im Zuge der Haushaltsberatungen konkrete Einsparungen vorschlagen sowie Vorschläge machen, die einen Richtungswechsel in der Politik beinhalten. Nehmen Sie unsere Vorschläge ernst!
Meine Damen und Herren von der SPD, lassen Sie insbesondere nicht nur die Vorschläge, die auf weniger
Ausgaben abzielen, an sich heran, sondern auch diejenigen, die zu Mehreinnahmen führen! Mehr soziale Gerechtigkeit ist möglich. Der vorliegende Haushaltsentwurf zeigt, dass Deutschland seine Möglichkeiten nicht
ausschöpft. Einer Regierung, die große Unternehmen,
Banken und Konzerne entlastet und es dafür bei den
kleinen Leuten nimmt, fehlt der Mut, für die Mehrzahl
der Menschen in diesem Lande zu entscheiden,
({12})
genauso wie die Menschlichkeit, zugunsten der Schwächeren in diesem Land bessere Lösungen zu finden.
Wir haben über viele Jahre Erfahrungen mit großen
Koalitionen und ihrer Haushaltspolitik gemacht.
Schauen Sie nach Berlin! Ich nenne nur den Bankenskandal als Beispiel. Heute muss eine rot-rote Regierung das beiseite räumen, was dort angerichtet wurde. In
Mecklenburg-Vorpommern hat die große Koalition, die
bis 1998 regierte, das Land in eine völlig inakzeptable
Verschuldung gebracht. Auch dort muss nun eine rotrote Regierung aufräumen. Sorgen Sie dafür, dass das
auf Bundesebene nicht passiert!
Danke schön.
({13})
Das Wort hat die Kollegin Anna Lührmann für die
Fraktion der Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Lieber Herr Kollege Kampeter - schade, er ist
gar nicht da; dann müssen Sie ihm ausrichten, was ich
ihm zu sagen habe - und lieber Herr Steinbrück, ich
fand, die Diskussion und die offensichtlichen Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Koalition über die
Frage, was man nun mit den wegen der besseren Konjunktur sprudelnden Steuereinnahmen machen soll, waren sehr interessant zu beobachten. Sie sprachen verniedlichend von einem zu verwendenden Löwenanteil.
Ich möchte Sie noch einmal an den Ernst der Lage erinnern. Herr Steinbrück, im Haushaltsjahr 2006 haben Sie
eine Nettokreditaufnahme in Höhe von 38,5 Milliarden
Euro vorgesehen und dies mit einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts begründet. Deshalb
sollte es selbstverständlich sein, dass jetzt, wo die Konjunktur einigermaßen gut läuft und das Wachstum in diesem Jahr sehr wahrscheinlich bei 2 Prozent liegt, die
Steuermehreinnahmen komplett zur Reduzierung der
Nettokreditaufnahme verwendet werden. Alles andere
wäre unverantwortlich.
({0})
Wir reden nicht über einen einigermaßen ausgeglichenen Haushalt und sprudelnde Quellen oder Manna, das
vom Himmel fällt, sondern über einen Haushalt, der unter dem Vorzeichen einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts aufgestellt wurde. Herr
Steinbrück, bei einem Wirtschaftswachstum in Höhe von
2 Prozent können Sie nicht mehr von einer Störung des
gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts sprechen. Ich
finde, Ihre Verantwortung gegenüber künftigen Generationen besteht darin, nun dafür zu sorgen, dass die Steuermehreinnahmen komplett für die Sanierung des Haushalts und die Senkung der Nettokreditaufnahme
verwendet werden.
({1})
Ich möchte Sie fragen: Wann ist es denn an der Zeit,
wenn nicht jetzt in diesem konjunkturellen Umfeld, zu
sparen und mit der Konsolidierung zu beginnen? Ich
kann mich gut an die Debatten der letzten Jahre erinnern,
als immer wieder gesagt worden ist, die wirtschaftliche
Lage sei so schlecht und deshalb könne nicht gespart
werden. Jetzt aber ist der Zeitpunkt gekommen, wo man
auf die Konjunktur hoffen kann und wo man mit Blick
auf 2007 mehr Einsparanstrengungen unternehmen
sollte, als Sie tatsächlich machen.
Wenn man sich den Haushalt 2007 anschaut, dann
sieht er auf dem Papier auf den ersten Blick schön aus.
Wenn man ihn aber genau anschaut, dann stellt man fest,
dass Sie eine Senkung der Nettokreditaufnahme von
16 Milliarden Euro für 2007 vorschlagen.
({2})
Dem stehen über 20 Milliarden Euro Steuermehreinnahmen gegenüber. Hinzu kommen Privatisierungserlöse
von 2,64 Milliarden Euro. Das heißt, dass Sie die Einnahmeseite in viel stärkerem Maße verbessern, als Sie
die Nettokreditaufnahme senken.
({3})
Das heißt unter dem Strich, dass Sie keine Konsolidierungsanstrengungen unternehmen und keine Ausgaben kürzen, obwohl wir uns in einer wirtschaftlichen
Lage befinden, angesichts der selbst Keynes gesagt
hätte, dass man jetzt den Schuldenberg abbauen muss.
Das fordere ich von Ihnen im Rahmen der Haushaltsberatungen ein. Wir Grüne werden dazu konkrete Anträge
stellen. Wir sind gespannt, ob Sie am Ende der Haushaltsberatungen immer noch sagen, Sie hätten für all diejenigen offene Ohren, die Konsolidierungsanstrengungen unternehmen.
({4})
Das Wort hat der Kollege Georg Fahrenschon für die
Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Eines steht fest: Mit diesem Haushalt, der angesichts der Übergabeprobleme des Jahres 2005/2006
quasi der erste Haushalt ist, den die unionsgeführte Bundesregierung in eigener Verantwortung auflegt, erreichen wir etwas, was Rot-Grün in den gesamten letzten
Jahren nicht geschafft hat.
({0})
Wir erreichen die Umkehr von stetig steigenden Schulden hin zu einer verantwortungsvollen europa- und verfassungskonformen Haushaltspolitik.
Bei allen unterschiedlichen Einschätzungen ist doch
eines unstrittig: Die zwei wesentlichen Eckpfeiler der
Finanzpolitik, die Regelgrenze des Art. 115 des Grundgesetzes und das Maastrichtkriterium, werden erstmals
seit dem Jahr 2001 mit diesem Haushalt eingehalten. Daran können Sie nichts ändern.
({1})
Das ist nicht nur ein wichtiges Signal an Brüssel für die
europäische Stabilitätskultur, es ist auch ein wichtiges
Signal an die Bürgerinnen und Bürger im Land;
({2})
denn binnen Jahresfrist nach Amtsantritt einer unionsgeführten Bundesregierung erfüllen wir wieder das, was
Rot-Grün in mehreren Jahren nicht gelungen ist. Es gilt
also: Wenn die Union in der Verantwortung steht, werden die Regeln nicht gebrochen, sondern sie werden
wieder eingehalten.
({3})
Dass diese Erfolge keine Eintagsfliegen sind, sondern
im Verlauf der Legislaturperiode konsequent fortgesetzt
werden, zeigt auch der Finanzplan auf. In den Folgejahren ist ein stetiger Abbau des Staatsdefizits in Schritten
von einem halben Prozent vorgesehen. Damit rückt die
CDU/CSU wieder das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts in den Mittelpunkt. Wir werden daran weiter arbeiten. An der Erreichung dieses Ziels lassen wir uns nach
Abschluss dieser Legislaturperiode messen.
({4})
Vor allem im Hinblick auf die wichtige Frage der Generationengerechtigkeit werden wir sparen, reformieren
und investieren; denn mittelfristig eröffnet nur ein ausgeglichener Haushalt ohne neue Schulden den kommenden Generationen die Möglichkeiten, in ihrer Zeit Politik
zu gestalten und nicht nur Zins und Tilgung der Vorgängerregierung abzuzahlen.
({5})
Doch diese positive Entwicklung darf den Blick nicht
dafür verstellen, dass wir beim aktuellen Bundeshaushalt
nach wie vor vor schwierigen Herausforderungen stehen. Auch wenn das Konsolidierungspaket der großen
Koalition im Bundeshaushalt 2007 bereits seine ersten
Wirkungen zeigt, ist und bleibt der Bundeshaushalt ein
Sanierungsfall,
({6})
in dem für politische Gestaltung weiterhin zu wenig
finanzieller Spielraum besteht. Wir dürfen nicht vergessen: Allein mit den vier Ausgabepositionen Rentenzuschuss, Zins und Tilgung, Personal und Arbeitsmarktpolitik sind bereits knapp drei Viertel des gesamten
Volumens des Bundeshaushalts fest gebunden. Vor diesem Hintergrund muss einem klar werden: Die Sanierung der Staatsfinanzen ist nach wie vor Topthema auf
der Agenda der Finanz- und Haushaltspolitik.
({7})
An dieser Stelle muss man ausdrücklich auch all denen widersprechen, die in diversen Interviews und Reden immer wieder betonen, der Bund habe zu wenig Einnahmen. Das ist unserer Auffassung nach nicht der Fall.
({8})
Bei einer Einnahmesteigerung bis zum Jahr 2009 von
satten 15 Prozent haben wir kein Einnahmeproblem. Wir
haben ein Ausgabeproblem und daran müssen wir uns
messen lassen. An dieser Stelle müssen wir etwas ändern.
({9})
Deshalb werden wir im Zuge der Haushaltsberatungen alle Ausgabenpositionen kritisch prüfen.
({10})
Insbesondere im Bereich der Personalausgaben werden
wir weiterhin genau hinschauen
({11})
und vor allem nach Effizienzsteigerungen suchen. Ich
nenne beispielhaft: Bei 52 nachgeordneten Bundesoberbehörden und 24 Bundesanstalten muss etwas zu finden
sein, sodass wir die Situation des Bundeshaushalts auch
auf der Ausgabeposition noch einmal verbessern.
({12})
Die große Koalition setzt in der laufenden Sanierung
allerdings auch weiterhin erkennbar politische Akzente.
Die doppelte Tonlage von Konsolidierung einerseits und
Wachstum andererseits wird uns auch im Hinblick auf
den Bundeshaushalt 2007 beschäftigen und leiten; denn
Konsolidierung und Wachstum bedingen einander. Zu
sagen, wir würden dem Wachstum durch Einsparungen
entgegenwirken, ist eine Mär. Wir legen mit soliden
Staatsfinanzen die Grundlage für Wachstum und Zukunft.
({13})
Wir sollten uns auch davor hüten, die Grenzen zwischen der Haushaltspolitik und der Finanzpolitik einerseits und der Kompetenz für die Geldpolitik andererseits
überspringen zu wollen. Wir sollten unsere Aufgabe lösen. Wir sollten die Notenbanker sowohl in der Bundesbank als auch in der Europäischen Zentralbank ihren
Aufgaben nachgehen lassen.
({14})
Neben dem Sparen ist es allerdings auch wichtig, dass
wir politische Impulse geben.
({15})
Deshalb müssen wir die positive wirtschaftliche Entwicklung auch über konkrete Maßnahmen mit den richtigen Impulsen unterstützen. Ich möchte zwei Impulsprojekte nennen.
Erstens. Für den deutschen Mittelstand brauchen wir
eine rasche Neuregelung der betrieblichen Erbschaftsteuer. Allein in Bayern stehen in den nächsten fünf
Jahren mehr als 60 000 Unternehmen zur Übergabe an.
Deshalb ist es dringend notwendig, dass das Stundungsmodell, auf das wir uns im Koalitionsvertrag geeinigt
haben, auch wirklich zum 1. Januar 2007 in Kraft tritt.
Nur das schafft Sicherheit für Investitionen und für Arbeitsplätze. Nur dieses Datum zeigt auch, dass die Sicherheit bezogen auf Grundgesetzkonformität und den
Europäischen Stabilitätspakt in konkreter Politik fortbesteht.
({16})
Die Menschen müssen darauf vertrauen können, dass
wir zu unserem Wort und zu unserer Programmatik stehen.
Zweitens. Ein ganz anderer, aber für den Finanzmarkt
Deutschland ebenso wichtiger Bereich ist die Einführung von REITs. Das ist ein zentraler Punkt, den wir abarbeiten müssen.
({17})
Weltweit gibt es mittlerweile in rund 20 Staaten solche
Konstruktionen, darunter in den Beneluxstaaten und in
Frankreich. Die Einführung britischer REITs wird noch
in diesem Jahr erfolgen. Damit müssen wir zur Kenntnis
nehmen: Dieses Finanzmarktinstrument hat sich zu einem internationalen Standardprodukt für die indirekte
Immobilienanlage entwickelt. Der Finanzplatz Deutschland kann es sich einfach nicht leisten, auf dieses Instrument zu verzichten.
({18})
Lieber Herr Finanzminister, es kann daher nicht sein,
dass der Gesetzentwurf quasi fertig in den Schubladen
des Finanzministeriums liegt und Staub ansetzt, nur weil
wir weiterhin auf eine kleine Gruppe ständiger Bedenkenträger Rücksicht nehmen.
({19})
Ich will schon die Gelegenheit nutzen, Folgendes zu
sagen: Ich glaube, dass die Einführung von REITs die
Nagelprobe für die Finanzmarktpolitik der großen Koalition ist. Ich fordere Sie auf: Bringen Sie diesen Gesetzentwurf ein! Lassen Sie uns die parlamentarische Diskussion über dieses Instrument starten und verzögern Sie
die Debatte nicht!
({20})
Bezogen auf den Haushalt treibt die Union eine politische Überzeugung und, wenn Sie so wollen, auch eine
moralische Verantwortung an.
({21})
Insbesondere unter Berücksichtigung des Gebots der
Nachhaltigkeit darf die heutige Generation nicht dauerhaft mehr verbrauchen, als sie leistet. Gegenwartskonsum oder Zukunftsinvestitionen, das ist die entscheidende Frage. Für uns, für die CDU/CSU, ist die Antwort
klar: Wir wollen die Gegenwartsinteressen nicht länger
höher bewerten als die Zukunftsinteressen.
Wir haben im ersten Jahr der Regierungsverantwortung die Aufgabe angepackt und einen beachtlichen Teil
erreicht. Die Nettokreditaufnahme wird dauerhaft unter
die Regelgrenze der Verfassung gedrückt. Das
Maastrichtkriterium wird deutlich und im Zeitablauf zunehmend unterschritten.
Die gute Nachricht lautet deshalb: Mit dem Haushalt 2007 schaffen wir die Abkehr von einer Politik der
überbordenden Verschuldung. Die Spielräume bleiben
jedoch weiterhin äußerst eng, sodass der Konsolidierungsdruck hoch bleibt. Für die CDU/CSU ist allerdings auch klar: Für einen echten Schuldenabbau müssen neue Schulden ganz vermieden werden.
({22})
Das heißt, wir brauchen ausgeglichene Haushalte bzw.
wir müssen in den Haushalten Überschüsse erzielen, um
die Staatsverschuldung abzubauen.
({23})
Dieser Schritt ist weitaus schwieriger. Doch die CDU/
CSU wird ihn gehen. Wir lassen uns an dieser Herausforderung messen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({24})
Für die FDP-Fraktion hat die Kollegin Ulrike Flach
das Wort.
({0})
Ja. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer dem Finanzminister oder auch dem Kollegen
Kampeter zugehört hat, hat den Eindruck gewonnen:
Wir haben es hier mit einem Haushalt zu tun, mit dem
man auf dem richtigen Weg ist, der solide und konzis
durchorganisiert ist.
({0})
Es wird Sie nicht weiter erstaunen, dass die FDP genau
an dieser Stelle diametral anderer Meinung ist als Sie.
({1})
Uns liegt hiermit eine Kopie früherer verfassungswidriger Haushalt von Rot-Grün vor; der einzige Unterschied ist, dass Sie an der Stelle, wo Sie sagen, der Haushalt sei jetzt plötzlich verfassungsgemäß, schonungslos
beim Bürger abkassieren, und zwar in einem Maße, wie
wir es in der Vergangenheit noch nie erlebt haben.
({2})
Herr Poß, für jemanden, der die Diskussionen vor ein
paar Jahren miterlebt hat, ist es schon ein bisschen merkwürdig, festzustellen, mit welcher Leidenschaft Sie sonst
eigentlich immer das Gegenteil von dem erzählt haben,
was Sie gerade gesagt haben.
({3})
Offensichtlich - um an das anzuknüpfen, was wir eben
schon hatten - prägt das Sein das Dasein.
Herr Poß, Sie haben heute genau das Gegenteil von
dem geäußert, was Sie vor einem Jahr gesagt haben. Damals haben Sie entschieden dagegen gesprochen, einen
Haushalt über die Einnahmeseite zu sanieren. Heute
sind Sie auf der Seite der CDU/CSU. Das erstaunt uns.
Ich denke nicht, dass die Bürger Ihnen das positiv quittieren.
({4})
Dieser Haushalt atmet die Mutlosigkeit einer großen
Koalition. Sie konsolidieren über die Einnahmeseite.
Herr Steinbrück, schon zum zweiten Mal - Sie sind nun
zum zweiten Mal dabei - machen Sie den Fehler, die
Ausgabenseite bei der Konsolidierung zum größten
Teil außen vor zu lassen.
Meine Damen und Herren, Sie haben obendrein Risiken im Haushalt. Ich bin froh darüber, dass Herr
Fahrenschon das eben so deutlich gesagt hat. Diese Risiken betreffen nicht nur den Zinsbereich, den Sie, Herr
Poß, eben angeführt haben, sondern natürlich vor allem
den Arbeitsmarktbereich. Das bleibt trotz der Belebung so.
Im letzten Jahr musste der Bund 3,6 Milliarden Euro
für Unterkunft und Heizung von Hartz-IV-Empfängern
an die Kommunen zahlen. Für 2007 setzen Sie nur
2 Milliarden Euro an, Herr Steinbrück. Die Kommunen
selbst rechnen mit 5,5 Milliarden Euro. Da frage ich
mich wirklich, inwiefern hier eine solide Haushaltsführung erfolgt, wie Sie sie uns eigentlich in jedem Satz
vorzumachen versuchen.
({5})
Sie selbst haben gesagt: Konsolidierung kann man
nur in Zeiten betreiben, in denen sich die Konjunktur
verbessert, nicht in der Krise. Konsolidierung - das ist
die Meinung der FDP - darf aber nicht nur auf der Einnahmeseite, sondern muss auch auf der Ausgabenseite
stattfinden.
Ich sage noch einmal das, was Kollege Koppelin eben
dargelegt hat. Die Ausgaben in Ihrem Haushalt steigen
von 261,6 auf 267,6 Milliarden Euro. Das ist ein Plus
von 2,3 Prozent.
({6})
Das ist genau das Gegenteil von dem, was Sie in Ihrer
Rede darzulegen versucht haben.
In der mittelfristigen Finanzplanung setzt sich diese
finanzielle Fehlentwicklung noch fort. Es besteht ein
eklatantes Missverhältnis zwischen Schuldenrückgang
und Steuereinnahmen. Frau Kollegin Hajduk hat eben zu
Recht darauf hingewiesen. Im Zeitraum von 2007 bis
2010 soll die Neuverschuldung nur um 1,5 Milliarden
Euro sinken, nämlich von 22 auf 20,5 Milliarden Euro,
aber nicht darunter, wie Sie, Herr Kampeter, uns das
eben weiszumachen versucht haben.
({7})
Die Steuereinnahmen steigen aber um 16,6 Milliarden
Euro. Das ist doch ein Ungleichgewicht!
({8})
Das Ziel eines ausgeglichenen Haushaltes hat die
Bundesregierung vollends aus den Augen verloren. Die
Schuldenlast, die unsere Kinder und Enkel zu tragen haben, steigt weiter an.
Der Investitionsverfall findet in der mittelfristigen
Finanzplanung seine Fortsetzung. Die Investitionsquote
sinkt, Herr Steinbrück, und zwar von 8,8 Prozent auf
8,4 Prozent im Jahre 2010. Sie haben eben nicht die
Chance genutzt, drastische Einsparungen vorzunehmen,
wie Herr Kampeter sie eigentlich jeden Tag über die Medien von Ihnen fordert. Ich bin erstaunt, Herr Kampeter,
wie wenig Sie sich in den Klausurtagungen der letzten
Tage durchgesetzt haben. Er hat doch eben erklärt, er sei
offen für positive Vorschläge. Aber Sie fordern gestern
wiederum Einsparungen von rund 7 Milliarden Euro.
({9})
Sie können sicher sein: Die Haushälter der FDP werden
Sie in den nächsten Wochen jeden Tag daran erinnern.
({10})
Herr Schneider hält die Rückführung der Nettokreditaufnahme für nicht ambitioniert genug. Jetzt ist
er gerade nicht mehr da; deswegen können wir ihn nicht
noch einmal fragen.
({11})
Er hat uns aber gesagt, wenn die Wirtschaft wächst und
die Steuereinnahmen steigen, dann muss der Staat bei
seinen Ausgaben sparen und weniger Kredite aufnehmen. Der Präsident des Bundes der Steuerzahler hat Ihnen vorgerechnet,
({12})
dass es bei der von Ihnen geplanten Rückführung der
Nettokreditaufnahme von 500 Millionen Euro per annum erst im Jahre 2050 einen Bundeshaushalt ohne Neuverschuldung gäbe. Liebe Damen und Herren, selbst
Frau Lührmann wird dann nicht mehr in diesem Bundestag sitzen.
Ich denke, das ist weder konzis noch solide, Herr
Steinbrück. Wir fordern von Ihnen, dass Sie an dieser
Stelle nachsteuern, wie Sie es uns noch vor Jahren mit
Herrn Koch vorgemacht haben. Wo ist denn das wirklich
ambitionierte Subventionssparprogramm, das Sie uns
damals vorgelegt haben? Das erkennen wir weder im
Haushalt 2006 noch im Haushalt 2007.
({13})
Die Höhe der Subventionen beträgt laut Bericht des
Kieler Institutes 145 Milliarden Euro und genau um die
geht es. Genau um die werden wir in den nächsten Tagen
kämpfen.
({14})
- Wir sind die Schutzengel derjenigen, die diese Subventionen nicht wollen, Herr Poß.
({15})
Sie werden es jeden Tag erleben: Wir werden Ihnen, angefangen bei Kollegen Glos bis hin zu Kollegen Gabriel,
vorrechnen, an welcher Stelle diese Subventionen zu
kürzen sind, und damit sicherlich auch die Frage beantworten, wo die Milliarden herkommen, die die FDP zur
Sanierung des Haushaltes braucht.
Herzlichen Dank.
({16})
Das Wort hat der Kollege Bernhard Brinkmann für
die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn man nach der Einbringung des Bundeshaushalts
2007 ziemlich zum Schluss der Debatte an die Reihe
kommt, dann hat man es einerseits etwas leichter, andererseits aber auch etwas schwerer, weil die Zeit vielleicht
nicht ausreicht, um das richtigzustellen, was an der einen
oder anderen Ecke ganz einfach falsch oder auch etwas
nebulös dargestellt worden ist.
Meine Damen und Herren, der Dreiklang Konsolidierung, strukturelle Reformen und
({0})
Investitionen wird unverändert fortgeführt, Herr Kollege
Koppelin. Wir setzen damit auch unsere Bemühungen
fort, den Staatshaushalt zu konsolidieren.
Ich will etwas zu den Anmerkungen und Hinweisen
zum Schuldenmachen sagen. Da sollten wir uns alle ein
wenig zurücknehmen. Wir waren alle dabei, als es darum ging, Ausgaben, die nicht durch Einnahmen gedeckt
werden konnten, durch entsprechende Nettokreditaufnahmen auszugleichen. Die Freien Demokraten waren,
glaube ich, am längsten dabei, wenn es darum ging, auf
diese Weise zum Ausgleich des Haushaltes beizutragen.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Rahmenbedingungen sind in den letzten Monaten besser geworden.
Das scheint dem einen oder anderen nicht zu gefallen.
Wer sich an die Ausführungen bei der Verabschiedung
des Haushaltes 2006 erinnert, weiß, dass damals an der
einen oder anderen Stelle von der Opposition etwas geäußert worden ist, was Gott sei Dank nicht eingetreten
ist.
Ich will aber auch nicht verhehlen, dass trotz dieser
verbesserten Rahmenbedingungen die Haushaltslage
nach wie vor sehr ernst ist. Wir können gegenüber dem
Jahr 2006 zwar eine Reduzierung der Nettokreditaufnahme vorweisen; sie beträgt aber immer noch 22 Milliarden Euro. Mit dieser Nettokreditaufnahme werden allerdings die Ziele erreicht, die sich der Finanzminister
schon im Haushalt 2006 vorgenommen hat. Wir werden
also bei den Investitionen erstmals wieder oberhalb der
Nettokreditaufnahme liegen und werden auch die
Maastrichtkriterien einhalten.
Wenn die FDP immer davon spricht - manchmal vielleicht auch wider besseres Wissen -, auf der Ausgabenseite alles auf den Prüfstand zu stellen, dann, glaube ich,
weiß sie auch, dass es dort nur sehr eingegrenzte Möglichkeiten gibt. Selbst wenn Ihre Sparvorschläge in der
Größenordnung von 8 Milliarden Euro, für die ja dann
auch in bestehende Verträge und rechtskräftige Bescheide eingegriffen werden müsste, im Haushalt 2007
berücksichtigt werden könnten, läge das Defizit immer
noch in einer Größenordnung, die uns letztendlich dazu
veranlassen würde, weitere Schritte zu unternehmen, die
sich auf der Einnahmeseite in 2006 und 2007 positiv
auswirken.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, es sollte
eine gemeinsame Aufgabe dieses Hauses sein, in den
nächsten Jahren darauf hinzuwirken, dass die Nettokreditaufnahme sinkt und dass wir zu einem ausgeglichenen Haushalt kommen. Das ist natürlich nicht von uns
allein zu schaffen. Vielmehr ist das auch von vielen Einwirkungen, die von außen auf uns zukommen können,
abhängig. Ich will an die Steigerung bei den Energiepreisen und auch an die unsichere Lage im Nahen Osten, die
letztendlich Auswirkungen auf die Weltwirtschaft haben
könnte, erinnern. Das schlägt dann auch auf uns zurück.
Ich möchte einen Vorschlag machen, dessen wir uns
in den nächsten Wochen und Monaten im Rechnungsprüfungsausschuss durchaus ohne Vorurteile annehmen
Bernhard Brinkmann ({2})
sollten. Es gibt in der Schweiz ein Modell, das über eine
Regelung, die mit dem Art. 115 in unserer Verfassung
vergleichbar ist, die Neuverschuldung und die weitere
Aufnahme von Krediten eingrenzt. Man kann das natürlich nicht eins zu eins umsetzen, weil wir ja nicht die
Schweiz sind und weil von der Schweiz bestimmte Sonderlasten - etwa wenn es um die Kosten der deutschen
Einheit geht - nicht zu tragen sind.
Am Donnerstag soll ohne Debatte die Entlastung der
Bundesregierung für das Haushaltsjahr 2004 beschlossen werden. Der Rechnungsprüfungsausschuss hat
in acht Sitzungen ausführlich über den Haushaltsvollzug 2004 und die dazu ergangenen Bemerkungen 2005
des Bundesrechnungshofes beraten. Wie die Berichte in
den Vorjahren zeigen auch die Bemerkungen 2005, dass
betriebswirtschaftliches Denken und Handeln immer
noch nicht flächendeckend das exekutive Handeln bestimmt. Nach den Berechnungen des Bundesrechnungshofes belaufen sich die einmaligen Ausgabeminderungen und Einnahmesteigerungen, die in den
87 Bemerkungen beschrieben werden, auf mehrere Milliarden Euro. Wegen der nur ausschnittsweisen Prüfung
des Haushaltes müssen wir davon ausgehen, dass die tatsächlichen Spar- und Einnahmemöglichkeiten im Bund
und sicherlich auch in den Ländern noch um einiges höher sein dürften.
Ein fachlicher Schwerpunkt des Bundesrechnungshofes in den Bemerkungen 2005 war mit Blick auf die Verhandlungen in der gemeinsamen Kommission zur
Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung die Aufgaben- und Finanzverteilung zwischen Bund und
Ländern. Der Hof kritisierte die Vielzahl von Verantwortlichkeiten, die unklaren Aufgabenverteilungen, die
komplizierten Entscheidungen und den Ressourcenverbrauch. Mit der von Bundestag und Bundesrat beschlossenen, letzte Woche in Kraft getretenen Föderalismusreform ist die dringend notwendige Entflechtung der
Bund-Länder-Beziehungen in Angriff genommen worden. Es muss jetzt auch die zweite Stufe, die Reform
der Finanzbeziehungen, zügig folgen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Prüfungen des
Bundesrechnungshofes zeigen, dass es zu Fehlern quer
durch alle Ministerien gekommen ist, es aber keine Konzentration von Defiziten, Nachlässigkeiten und fehlender Personalaufsicht und -führung in einzelnen Häusern
gibt. Wichtig ist mir auch, festzuhalten, dass die Fehlerbeschreibungen des Hofes nicht verallgemeinert und auf
die gesamte Verwaltung übertragen werden dürfen. Die
Bundesverwaltung arbeitet insgesamt, im internationalen Vergleich und nach Einschätzung des Bundesrechnungshofes, durchaus gut.
Wie in der Vergangenheit konnten über weite Bereiche einvernehmliche Beschlüsse gefasst werden - dafür
bin ich sehr dankbar -, denen immer ausgiebige und
durchaus sehr kritische Beratungen der jeweiligen Berichterstatter mit den Ministerien und dem Bundesrechnungshof vorausgingen. Ich bin davon überzeugt, dass
wir mit Ihnen sachgerechte Antworten gefunden haben.
Ich würde mich daher sehr freuen, wenn die Entlastung
am Donnerstag hier in diesem Hause einstimmig erfolgte.
Lassen Sie mich zum Schluss zum Bundeshaushalt
2007 Folgendes sagen: Wie bei der Beratung des Bundeshaushaltes 2006 erwarten wir natürlich in den kommenden Wochen und Monaten Vorschläge, die sich auf
den Bundeshaushalt 2007 auswirken, allerdings keine
Vorschläge, die dann vielleicht wieder in einem dicken
Buch der Freien Demokraten als nicht darstellbare Einsparvorschläge landen werden.
In diesem Sinne herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Wir beraten den Haushalt in den nächsten Wochen und Monaten, wie ich es hier dargestellt habe.
({3})
Für die Unionsfraktion hat der Kollege Fromme das
Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir beraten über einen Haushalt, der auch anders aussehen könnte; das würden wir uns wünschen. Aber er ist
den Realitäten angepasst.
Lieber Kollege Koppelin, wenn Sie keine Linie erkennen können, dann sollten Sie sich einmal eine neue
Brille zulegen. Dann werden Sie vielleicht eher erkennen, was wir wollen.
({0})
Sie trommeln immer wieder auf der Mehrwertsteuerfrage herum.
({1})
Wahr ist doch, dass Sie vor der Wahl, als Sie noch glaubten, mit uns eine Regierung bilden zu können, gesagt haben, an der Mehrwertsteuererhöhung, die wir angekündigt hatten, würde eine Koalition nicht scheitern.
({2})
- Sie sollten die Wahrheit zur Kenntnis nehmen.
Die Wirkung der Mehrwertsteuererhöhung ist in der
Wissenschaft sehr unterschiedlich beurteilt worden. Wir
sehen doch heute, wie die Realitäten sind. Es geht um
die Stimmung. Wirtschaft, wirtschaftliche Entwicklung
hat etwas mit Stimmung zu tun. Der private Konsum
- das ist das, woran es in unserer Volkswirtschaft jahrelang gemangelt hat - steigt.
({3})
Entgegen allen Unkenrufen steigt er. Wir haben es geschafft - das ist doch klar -, die Abwärtsspirale umzudrehen. Der Trend zu immer weniger Arbeitsplätzen, immer weniger sozialversicherungspflichtig Beschäftigten,
immer mehr Arbeitslosen, immer weniger Einnahmen
aus Steuern und Sozialabgaben und immer höheren
Ausgaben für die Sozialsysteme ist umgedreht worden.
Es geht aufwärts.
Wir wissen: Nichts ist so gut, dass es nicht besser sein
kann. Aber man muss doch erst einmal über das reden,
was man erreicht hat. Wir haben fünf Jahre lang wie das
Kaninchen auf die Schlange gestarrt, wenn die Arbeitsmarktdaten veröffentlicht wurden. Jetzt sind sie positiv
- plus 130 000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, fast 500 000 weniger Arbeitslose - und kein
Mensch redet darüber. Wenn wir über das Gute nicht
auch reden, dann brauchen wir uns nicht zu wundern,
wenn sich die Stimmung nicht verbessert. Das ist doch
das Geheimnis.
({4})
Deswegen müssen wir hier vorwärts gehen.
Frau Kollegin Hajduk, Sie haben sich in Polemik gegen den Finanzminister erschöpft. Das heißt, Sie haben
keine Vorschläge; sonst hätten Sie etwas Inhaltliches gesagt, statt nur über Personen zu reden. Sie sollten einmal
anerkennen, dass es bei der Bundesagentur Erfolge gibt.
Natürlich ist ein Drittel der Überschüsse auf die
13. Zahlung der Sozialbeiträge zurückzuführen. Aber
ein Drittel der Ersparnisse beruhen darauf, dass uns Effizienzsteigerungen gelungen sind.
({5})
Ein Drittel beruht darauf, dass wir den Maßnahmenkatalog verändert haben.
Ich sage Ihnen: Wenn es eine dauerhafte Entlastung
gibt, dann werden wir dafür sorgen, dass diese dauerhafte Entlastung zu Beitragssenkungen führt. Das ist
das Geld der Beitragszahler. Deswegen muss es in einem
geschlossenen Kreislauf bleiben. All das, was da möglich ist, werden wir tun. Wir müssen uns natürlich nur
anschauen, ob die Entlastung auch wirklich dauerhaft ist.
({6})
Wenn es nach dem gegangen wäre, was Sie während
Ihrer Regierungsverantwortung geplant haben, wären
wir schon längst bei einer Nettoneuverschuldung von
null. Nur, solche Ansagen auf Papier nützen uns nichts.
Wir betrachten die Dinge realistisch und versuchen, in
kleinen Schritten zumindest das zu erreichen, dem Sie
immer hinterhergerannt sind.
Dass die PDS unsere Leitlinien nicht versteht, dass sie
überhaupt nicht begriffen hat, dass all das, was wir machen, dazu dient, das Hauptproblem zu lösen, nämlich
für mehr Arbeitsplätze zu sorgen, ist klar.
({7})
Es tut mir Leid: Sie haben offensichtlich aus den Erfahrungen mit der Staatswirtschaft überhaupt nichts gelernt.
Da Sie sich gegen alles wenden und sagen: „Nichts darf
privatisiert, nichts darf verändert werden“, frage ich
mich schon, welche Erfahrungen uns nach dem Krieg
die ersten 40 Jahre im östlichen Teil unseres Vaterlandes
beschert haben. Das wollen wir einmal wirklich deutlich
machen.
Wir haben einen Paradigmenwechsel in der Haushaltspolitik herbeigeführt. Ich nenne nur ein einziges
Beispiel, den Primärsaldo. Kein Mensch nimmt davon
Kenntnis, dass wir erstmals seit Jahren weniger ausgeben, als wir einnehmen. Das ist nicht das Ziel, das wir
erreichen möchten, aber es ist ein wichtiger Zwischenschritt.
({8})
- Das liegt daran, dass wir das Klima für das Wirtschaften verbessert haben.
({9})
- Ich komme auf das Sparen gleich noch zurück; keine
Angst.
Primärsaldo heißt ja, dass man unter Absehen von der
Vergangenheit schaut: Gebe ich in diesem Jahr mehr aus
oder gebe ich weniger aus? Auch für den Staat gilt der
alte Grundsatz: Niemand kann auf Dauer mehr ausgeben, als er einnimmt. Also muss man dieses Ziel erreichen. In diesem Jahr haben wir erstmals seit Jahren, wie
gesagt, einen positiven Primärsaldo. Diesen Saldo haben
wir in diesem Haushalt im Vergleich zum letzten um
15 Milliarden Euro verbessert.
Im zweiten Schritt muss man dazu kommen, dass man
den Primärüberschuss so weit erhöht, dass man die aus
der Vergangenheit stammenden Zinslasten tragen kann,
und im dritten Schritt muss man den Primärüberschuss
so weit entwickeln, dass man die Schulden zurückzahlen
kann. Auf diesem Weg haben wir die Wende geschafft
und einen ersten Schritt getan. Darauf kommt es an.
Ferner kommt es darauf an, dass wir zwei Dinge
gleichzeitig tun: den Haushalt sanieren, weil nur geordnete öffentliche Finanzen den Hintergrund für eine vernünftige wirtschaftliche Entwicklung abgeben, und die
Konsumkraft fördern. Wenn die „Financial Times“ von
„Merkels Aufschwung“ spricht, dann zeigt das ganz eindeutig: Es ist auch eine Frage der Politik und der Stimmung. Wir lassen uns von unserer Ansicht nicht abbringen, dass in dieser Hinsicht etwas geschehen ist.
({10})
Natürlich dürfen wir in unseren Anstrengungen überhaupt nicht nachlassen. Dies sage ich insbesondere auch
an die Adresse der Fachkollegen, denen ja immer viel
einfällt, wenn die Haushaltslage etwas besser wird. Wir
müssen weiter sparen. In dieser Frage haben wir - das
will ich gar nicht verhehlen - in der Koalition unterschiedliche Grundauffassungen. Der Finanzminister redet ständig davon, dass wir ein Einnahmeproblem haben; ich dagegen sage: Wir haben ein Ausgabeproblem.
({11})
Da müssen wir ansetzen und da wollen wir auch ansetzen. Im Zeitraum der Finanzplanung werden die Steuereinnahmen um 19 Prozent steigen; deswegen kann man
überhaupt nicht davon reden, dass wir nur ein Einnahmeproblem hätten.
Nichts darf außen vor bleiben. Als Erstes müssen wir
da sparen, wo es dem Bürger am wenigsten weh tut, bei
den Verwaltungskosten. Ich bekenne mich dazu, dass
ich in der Arbeitsgruppe vorgetragen habe, dass wir das
Thema Bonn/Berlin noch einmal auf den Prüfstand
stellen.
({12})
Wenn uns das Finanzministerium in einer sehr vorsichtigen Schätzung mitteilt, dass sich im letzten Haushaltsjahr Mehrkosten in Höhe von 350 000 Euro aufgrund der
Teilung des Regierungssitzes zwischen Bonn und Berlin
ergeben haben, müssen wir hinschauen. Wir werden uns
die Entwicklung für jedes Haus angucken. Es ist doch
ein Unding, dass der Pendelverkehr 16 000 Flüge im
Jahr ausmacht. Deshalb werden wir uns dieses anschauen.
({13})
Ich weiß natürlich, dass es ein Bonn/Berlin-Gesetz gibt.
Aber wir ändern jeden Tag Gesetze, um sie der Entwicklung anzupassen. Der Stadt Bonn ist es ja - wie die
Oberbürgermeisterin selber erklärt hat - nach dem Regierungsumzug nicht schlecht ergangen. Die Prognosen,
die man seinerzeit hören konnte, sind nicht eingetreten.
Weil das so ist, können wir das überprüfen. Ich bin dafür,
dass wir dies auch tun.
Wir werden ebenfalls in der Frage des Personalabbaus hart bleiben. Wir streiten uns innerhalb der
Koalition ja nicht darüber, dass wir Verwaltung abbauen
wollen; es geht nur um den richtigen Weg. Ich sage: Da,
wo Personal ist, finden sich auch Aufgaben. Deswegen
muss man den Umkehrschluss ziehen und Personal abbauen. Dann muss gegebenenfalls auch ein Vorschlag
gemacht werden, welche Aufgaben nicht mehr erledigt
werden können. Natürlich wird die Bürokratie alles für
wichtig halten.
({14})
Wir von der Politik müssen eine Rangfolge der Aufgaben aufstellen. Solange ein Ministerium eine neue Abteilung für Fragen einrichten kann, für die es gar nicht zuständig ist,
({15})
so lange gibt es noch zu viel Personal, und deswegen
werden wir in dieser Beziehung nicht nachlassen.
Die Arbeitszeitverlängerung haben wir relativ schnell
umgesetzt, aber nicht alle strukturpolitischen Aufgaben
kann man in einem Jahr lösen. Das heißt aber nicht, dass
wir diesbezüglich nachlassen; vielmehr müssen wir solche Fragen über einen längeren Zeitraum angehen, aber
auf jeden Fall werden sie gelöst.
Ich bin auf die Haushaltsberatungen 2007 sehr gespannt; denn bei dieser Debatte hat sich eines gezeigt: Es
ist wie beim Streit über den Haushalt 2006, jeder findet
alles falsch, aber wenn es um konstruktive Vorschläge
geht, kommt nichts. Auch die Sparbücher der FDP waren keine wirklichen Sparbücher, weil sie nichts auf die
hohe Kante gelegt hat. Etwas auf die hohe Kante legen,
das verstehe ich unter Sparen. Sie haben dicke Papiere
vorgelegt, aber leider konnten wir damit nichts anfangen.
({16})
Ich freue mich auf eine muntere Beratung und hoffe,
dass uns viele gute Vorschläge gemacht werden, die wir
vielleicht übernehmen können.
({17})
Als letzter Redner in dieser Debatte hat der Kollege
Jörg-Otto Spiller für die SPD-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir führen diese Haushaltsdebatte vor dem Hintergrund sehr erfreulicher ökonomischer Rahmenbedingungen. Die Bundesbank schreibt in ihrem jüngsten Monatsbericht:
Die konjunkturelle Aufwärtsbewegung der deutschen Wirtschaft hat im bisherigen Jahresverlauf erheblich an Kraft gewonnen.
Auf Jahresrate hochgerechnet beträgt das reale Wachstum des Sozialprodukts im ersten Halbjahr rund zweieinhalb Prozent. Die meisten wirtschaftswissenschaftlichen Institute kommen zu einer ähnlichen Einschätzung.
Es ist eine deutliche Belebung der Wirtschaftstätigkeit
in Deutschland zustande gekommen.
Wir haben nicht ausschließlich Wachstumsimpulse
durch die Auslandsnachfrage erhalten, sondern auch
eine sehr kräftige Belebung der Investitionstätigkeit, insbesondere bei Ausrüstungsinvestitionen, und eine Zunahme der Bautätigkeit erfahren. Erfreulich ist, dass es
bei den Ausrüstungsinvestitionen nicht nur um Ersatzinvestitionen geht, sondern angesichts guter Kapazitätsauslastungen in wachsendem Maße auch um Erweiterungsinvestitionen in den Unternehmen.
Die günstige gesamtwirtschaftliche Entwicklung hat
inzwischen auch den Arbeitsmarkt erreicht. Es gibt
eine deutliche Minderung der Arbeitslosigkeit und einen
- wenn auch noch bescheidenen - Zuwachs bei der
Beschäftigtenzahl. Darüber hinaus gibt es einen
erfreulichen Zuwachs der Steuereinnahmen bei Bund,
Ländern und Gemeinden.
Wenn ich mir die Situation von vor einigen Monaten
vor Augen führe, so haben wir damals ganz andere Debatten geführt. Natürlich stellt sich die Frage: Worauf
lässt sich diese positive Entwicklung zurückführen? Die
Antwort, die beispielsweise Herr Professor Rürup, der
Vorsitzende des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, gibt, lautet, dass mehreres zusammenkommt. Es waren die
strukturellen Reformen der Regierung Schröder, es
hat aber auch die Umstrukturierung im Unternehmensbereich zu einer erhöhten Wettbewerbsfähigkeit beigetragen. Beide Faktoren zusammen führen zu dieser Entwicklung.
Ich glaube aber, wir können selbstbewusst sagen, dass
die Finanz- und Haushaltspolitik der großen Koalition ebenfalls einen Beitrag dazu geleistet hat;
({0})
denn wir haben mit dem Haushalt 2006, dessen Kernaussagen schon im Frühjahr feststanden, den Mut gehabt,
einen aufkeimenden Aufschwung trotz der Konsolidierungsnotwendigkeiten nicht mit einer restriktiven Haushaltspolitik zu bremsen. Im Gegenteil: Wir haben durch
Anreize für private Investitionstätigkeiten - beispielsweise für Aufträge an Handwerksbetriebe durch private
Haushalte - und durch ein Programm zur energetischen
Gebäudesanierung kräftige Impulse für die Konjunkturbelebung gegeben. Ich komme, auch wenn es altmodisch
klingt, zu dem Ergebnis: Die gute alte Makroökonomie
hat noch immer Bedeutung für den Haushalt und umgekehrt hat der Haushalt Bedeutung für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung.
({1})
Wir haben einen guten Weg beschritten und das Ziel erreicht.
Es gibt keinen anderen Bereich, bei dem der Zusammenhang zwischen Haushalt, Steuern und wirtschaftlicher Entwicklung so deutlich ist wie bei der Unternehmensbesteuerung. Dieses Thema hat in der heutigen
Debatte schon mehrfach eine Rolle gespielt. Ich will in
Erinnerung rufen - der Bundesfinanzminister hat es
selbst erwähnt -, dass wir nicht bei null anfangen. In der
vorvergangenen Wahlperiode, in der Regierung
Schröder, haben wir zum einen eine deutliche Entlastung
der Personenunternehmen durchgesetzt. Zum anderen
haben wir eine moderne und wirksame Körperschaftsteuerreform durchgeführt.
Gleichwohl muss man zugestehen, dass es im Bereich
der Unternehmensbesteuerung Handlungsbedarf gibt.
Die große Koalition hat verabredet - das haben mehrere
Kollegen gesagt -, das Gesetzgebungsverfahren rechtzeitig zur Sommerpause 2007 abzuschließen, damit die
veränderten Bedingungen nach einer Vorbereitungszeit
zum 1. Januar 2008 in Kraft gesetzt werden können.
Lassen Sie mich ein paar Bemerkungen dazu machen,
warum es aus meiner Sicht überhaupt notwendig ist, die
Unternehmensbesteuerung zu reformieren. Fast alle großen deutschen Unternehmen sind inzwischen multinational. Das bedeutet nicht nur, dass der Standortwettbewerb zwischen Deutschland und den anderen Ländern
Europas bzw. den außereuropäischen Ländern eine steuerliche Seite hat, sondern das heißt auch, dass es innerhalb einer Unternehmensgruppe Gestaltungsspielräume
hinsichtlich der Frage gibt, wo man Kosten anfallen lässt
und wo man Erträge anfallen lässt. Dafür gibt es Spielräume.
Es ist nicht selbstverständlich, dass der Mutterkonzern und das Tochter- oder Schwesterunternehmen über
ein Patent verfügen, das durch Lizenzgebühren bedient
werden muss. Es gibt Entscheidungsspielräume, wie
man größere Investitionen finanziert. Wenn beispielsweise ein großes deutsches Unternehmen eine Finanzierungstochter in Dublin hat, dann ist es sehr wohl
möglich, dass ein größeres Investitionsvorhaben, beispielsweise in Höhe von 100 Millionen Euro, durch
einen Kredit finanziert wird - die Konditionen müssen
nicht unbedingt günstig sein -, den die Tochter in Dublin
der Mutter in Stuttgart oder wo auch immer gewährt.
({2})
Die Zinsen werden bei dem deutschen Mutterkonzern als
Betriebskosten und die Zinsspanne wird beim Tochterunternehmen in Dublin - es wird günstiger refinanzieren - als Gewinn verbucht. Der Gewinn wird in Dublin
minimal besteuert und kann dann zu 95 Prozent steuerfrei an den deutschen Mutterkonzern ausgeschüttet werden.
Herr Kollege Solms, ich finde nicht, dass das der
marktwirtschaftlichen Ordnung entspricht.
({3})
Nach der marktwirtschaftlichen Ordnung soll es im Belieben des einzelnen Unternehmens liegen, wie es eine
Investition finanziert. In diesem Zusammenhang können
zwar viele Gesichtspunkte eine Rolle spielen, steuerliche
Gesichtspunkte sollen aber keine Rolle spielen; denn der
Staat soll die Unternehmen, unabhängig davon, wie sie
sich aufgestellt haben, für welche Finanzierungsform sie
sich entschieden haben, fair und gleich behandeln. Deswegen entspricht es einer strengen marktwirtschaftlichen
Ordnung, dass man die Gestaltungsmöglichkeiten, die
entstanden sind, einschränkt.
({4})
Ich finde es sehr angenehm, dass in der politischen
Arbeitsgruppe der Koalition, die sich mit solchen Fragen
befasst, ein sehr konstruktives und sachliches Klima
herrscht.
Es geht ja nicht darum - in der öffentlichen Diskussion wird immer mit dem Holzhammer gearbeitet -, dem
Mittelständler, der vielleicht schwach auf der Brust ist,
den Weg zum Leasing oder zur Kreditfinanzierung einer
Maschine, die 1 Million Euro kostet, zu versperren. Natürlich wird es Freibeträge geben.
({5})
Aber das kann doch nicht heißen, dass wir aufgrund der
Situation des Mittelständlers auch dem großen internationalen Konzern gestatten, durch diese Form der Finanzierung seine Steuerschuld in Deutschland so weit zu reduzieren, dass ein weltweit operierendes, ertragsstarkes
Unternehmen in Deutschland weniger Steuern zahlt als
der mittelständische Familienbetrieb, der vielleicht in
der vierten Generation als Maschinenbaubetrieb im deutschen Südwesten erfolgreich arbeitet, treu und brav
seine Steuern zahlt und dessen Familie die Tradition des
Unternehmensgründers wach hält: Der Gewinn gehört
zunächst einmal der Firma und wird nicht voll entnommen.
({6})
Die Benachteiligung von Eigenkapital kann kein
Ziel unserer Wirtschaftspolitik sein. Ich glaube, wir werden hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung der Regelung zu einem sehr ordentlichen Kompromiss kommen.
Mittelständler werden eine Benachteiligung von Eigenkapital nicht zu befürchten haben. Im Gegenteil: Sie
müssen sich eigentlich freuen, dass eine zu ihren Lasten
unfaire Steuerregelung eingeschränkt und nach Möglichkeit unterbunden wird.
({7})
Ich sage auch: Das Ziel ist nicht, dass wir die Unternehmen insgesamt mehr belasten. Ich möchte nur, dass
das Steueraufkommen in Deutschland steigt. Es mag ja
sein, dass wir durch eine Steuersatzsenkung erreichen,
dass für eine große Zahl von Unternehmen, die in
Deutschland und anderswo tätig sind, die Steuerlast
sinkt. Aber die sozialdemokratische Fraktion im Deutschen Bundestag möchte erreichen, dass das Steueraufkommen in Deutschland steigt.
({8})
Das wird möglich sein. Lassen Sie uns gemeinsam an
diesem Ziel arbeiten. Es wird noch ein paar Debatten
dazu geben; da bin ich mir ganz sicher. Es kann ja nicht
schaden, wenn noch die eine oder andere intelligente Lösung eingebracht wird. Aber fairer Wettbewerb verlangt,
dass wir die Steuerbasis in Deutschland sichern und dass
wir durchsetzen, dass sich Unternehmen wie Bürger an
der Finanzierung der öffentlichen Aufgaben beteiligen.
Denn sonst können wir die Qualität des Wirtschaftsstandortes Deutschland nicht sichern.
({9})
Weitere Wortmeldungen zur allgemeinen Finanzdebatte liegen mir nicht vor.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz, Einzelplan 10.
Das Wort hat der Bundesminister für Ernährung,
Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Horst Seehofer.
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sie werden Verständnis dafür haben, dass ich angesichts der aktuellen Probleme im Zusammenhang mit
dem Verbraucherschutz heute nur sehr kurz auf Schwerpunkte meines Haushaltes eingehe. Das werden dann die
Kollegen der beiden Fraktionen übernehmen. Angesichts des Interesses der Öffentlichkeit an den Vorgängen
im Bereich der Lebensmittelsicherheit in der Bundesrepublik Deutschland möchte ich vor allem die Haltung
der Regierung dazu zum Ausdruck bringen.
Ich beginne mit einer Meldung von heute, die besagt,
dass EU-Kommissar Marcos Kyprianou moniert hat,
dass die Europäische Kommission erst am Freitagabend
und damit mehr als 24 Stunden nach den Funden von
vergammeltem Fleisch darüber informiert worden sei.
Ein Sprecher der EU-Kommission hat daran erinnert,
dass die EU-Mitgliedsstaaten verpflichtet sind, Verstöße
gegen die Lebensmittelsicherheit unverzüglich zu melden. Das ist deshalb wichtig, weil nur dadurch gewährleistet werden kann, dass in den anderen Mitgliedsländern Maßnahmen zum Verbraucherschutz ergriffen
werden können. Die EU-Kommission weist auch darauf
hin, dass dies im Verhältnis zur Bundesrepublik
Deutschland nicht zum ersten Mal der Fall gewesen sei.
Ich beginne mit der Einlassung der EU-Kommission,
um deutlich zu machen, dass es in diesem Fall nicht um
Taktiken, um Parteipolitik oder um persönliche Eitelkeiten geht, sondern dass es einzig und allein um die nationale und internationale Gewährleistung des Verbraucherschutzes im Interesse der Bürgerinnen und Bürger in der
Bundesrepublik Deutschland geht.
Durch diese Meldung der EU-Kommission wird sehr
deutlich, dass wir Verpflichtungen haben und die Dinge
so gestalten müssen, dass wir unsere Verpflichtungen auf
nationaler und internationaler Ebene - nicht um die Behörden zu beschäftigen, sondern um den Gesundheitsschutz der Bevölkerung zu gewährleisten - erfüllen können.
({0})
Als es beim letzten Mal um eine Herausforderung auf
diesem Gebiet ging, habe ich hier vor dem Plenum ein
Zehnpunkteprogramm vorgestellt, das sehr weitgehend realisiert worden ist. Auf drei Punkte kommt es mir
in diesen Tagen besonders an:
Der erste Punkt. Wir waren uns im Parlament vor einigen Monaten ganz überwiegend einig, dass eine der
wichtigsten Präventionsmaßnahmen die Transparenz,
die Veröffentlichung der Namen der Firmen, die gegen
die Lebensmittelvorschriften verstoßen, ist.
({1})
Heute wiederhole ich, dass dies im Hinblick auf die wirtschaftlichen Konsequenzen für einen solchen Betrieb
aus meiner Sicht die wichtigste Präventionsmaßnahme
ist.
Wir haben unsere Aufgabe erfüllt. Der Deutsche Bundestag hat das Verbraucherinformationsgesetz, das
zwar noch einige andere Bestandteile enthält, das aber in
diesen Fällen vor allem eine sichere Rechtsgrundlage für
die Veröffentlichung der Namen der Firmen schafft, verabschiedet. Der Bundesrat hat am 22. September dieses
Jahres die Gelegenheit, dieses vom Deutschen Bundestag bereits verabschiedete Gesetz zu billigen.
Ich möchte an den Bundesrat appellieren, diese Gelegenheit insbesondere vor dem Hintergrund der Entwicklungen der letzten Tage und Wochen, in Anbetracht einer
mehr als fünfjährigen Diskussion über das Verbraucherinformationsgesetz und angesichts seines mehrmaligen
Scheiterns im Bundesrat jetzt beim Schopfe zu ergreifen
und das Verbraucherinformationsgesetz endlich in Kraft
zu setzen.
({2})
Der zweite wichtige Punkt ist die Lebensmittelkontrolle in der Bundesrepublik Deutschland.
({3})
Das sage ich nicht als Vorwurf gegen irgendjemanden,
sondern als objektive Beschreibung der Situation in der
Bundesrepublik Deutschland.
({4})
Sie bezieht sich nicht nur auf ein Bundesland. Die „Süddeutsche Zeitung“ schrieb gestern, dass die Ermittler
- in diesem Fall die Polizei - öffentlich erklärten, dass
die Täuschungsversuche, die manipulierten Etiketten,
bei genauerem Hinsehen hätten erkannt werden können.
({5})
Der ermittlungsführende Polizeibeamte teilte mit, die
Originaletiketten seien grob ausgeschnitten oder geschwärzt und dann überklebt worden; sie hätten, so die
Polizei, allenfalls flüchtigen Überprüfungen standgehalten.
Daran wird deutlich: Auf der einen Seite sagen die
Ermittlungsbehörden bzw. sagt die Polizei, dass die
Manipulationen so offenkundig waren, dass man sie eigentlich hätte erkennen müssen; auf der anderen Seite ist
dieser Betrieb von Lebensmittelkontrolleuren und Veterinären mehrfach kontrolliert worden und es wurde
nichts beanstandet.
Deshalb bleibt dieser Aspekt unseres Zehnpunkteprogramms relevant und aktuell. Die Effizienz und Wirksamkeit der Lebensmittelkontrolle, die auch nach der
Föderalismusreform richtigerweise dezentral bei den
Ländern angesiedelt ist, muss in Deutschland reformiert
werden. Denn es kann nicht sein, dass Ermittlungsbehörden solche Täuschungsversuche bereits nach sehr kurzer
Zeit feststellen, während trotz mehrfacher Kontrollen
dieser Betriebe durch die dafür zuständigen staatlichen
Lebensmittelkontrolleure nichts beanstandet wurde.
Ich wiederhole mein Angebot bzw. meine Forderung
an die Bundesländer, dass Bund und Länder gemeinsam
Qualitätssicherungsmaßnahmen und Qualitätsstandards
für die Lebensmittelkontrolle in der Bundesrepublik
Deutschland entwickeln müssen.
Bei Achtung der Verfassungslage, die eine primäre
Länderzuständigkeit vorsieht, ergibt sich die Legitimation des Bundes für eine Koordinierung, also für eine
zwischen Bund und Ländern abgestimmte Qualitätssicherung bei der Lebensmittelkontrolle, schon deshalb,
weil die Bundesregierung bzw. wir alle gemeinsam im
Rahmen der internationalen Warenbeziehungen verpflichtet sind, darauf hinzuwirken - ich habe meine Rede
mit einer Äußerung von EU-Kommissar Kyprianou begonnen -, dass die bei den Ländern angesiedelte Lebensmittelkontrolle in erstklassiger Qualität, mit hoher Effizienz und nach modernen Gesichtspunkten gestaltet
wird.
({6})
Die Legitimation des Bundes ergibt sich trotz dieser
Verfassungslage daraus, dass die Folgen von Lebensmittelkontrollen international, aber auch für die übrigen
Bundesländer relevant werden können. Das heißt, wir
können uns nicht auf den Standpunkt zurückziehen, die
Zuständigkeit für Lebensmittelkontrollen liege allein bei
den Ländern, die Folgen müssten jedoch auch andere
Länder in Kauf nehmen. Deshalb appelliere ich heute
noch einmal und ich werde das am Donnerstag mit allem
Nachdruck in der Verbraucherschutzministerkonferenz
tun, dass wir, Bund und Länder, gemeinsam Qualitätsstandards und Qualitätssicherungsmaßnahmen entwickeln. Ich werde zu keiner Entscheidung meine Hand
reichen, die nur ein Placebo oder nur eine Scheinlösung
ist. Ich möchte, da wir es bei den entsprechenden wirtschaftlichen Akteuren offensichtlich mit Leuten zu tun
haben, die ein hohes Maß an Energie
({7})
und an Raffinesse einsetzen, dass wir eine intelligente,
eine wirksame, eine effiziente Lebensmittelkontrolle in
der Bundesrepublik Deutschland bekommen, die auf
gleicher Augenhöhe mit denen agieren kann, die gegen
Recht und Gesetz gewissenlos verstoßen.
({8})
Das soll kein Vorwurf sein. Die Lebensmittelkontrolle
hat sich über viele Jahrzehnte so entwickelt; sie ist allerdings nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Wir verfolgen
das seit vielen Monaten. Das sage ich nicht erst, seit der
neue Fall aufgetreten ist. Wir haben Verbraucherschutzministerkonferenzen abgehalten und die Fachleute der
Veterinäre versammelt. Leider hatten wir bei unseren
Koordinierungsbemühungen bisher keinen Erfolg. Ich
hoffe, dass die neue Situation dazu beiträgt, dass wir versuchen, die Probleme gemeinsam zu lösen. Ich glaube,
wir werden niemanden überzeugen und schon gar nicht
das Vertrauen der Öffentlichkeit herstellen, wenn jeder
sich auf seine Zuständigkeit zurückzieht. Nein, das wird
uns nur gelingen, wenn wir gemeinsam zu einem Ergebnis kommen.
({9})
Mein dritter Punkt betrifft die Diskussion, die in den
letzten Tagen eingesetzt hat, das wahre Problem bestehe
nicht in der Kontrolle, sondern in der Höhe der Strafbewehrung. Man muss hier deutlich auf die geltende
Rechtslage hinweisen. Ich beziehe mich jetzt gar nicht
auf das allgemeine Strafrecht, nach dem bei schweren
Betrugsfällen eine Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren
verhängt werden kann - solche schweren Fälle mit Erschleichung eines großen Vermögensvorteils könnte man
durchaus auch einmal unter diesem Gesichtspunkt prüfen -, sondern ich beschränke mich auf unseren Fachbereich: das Lebensmittelrecht. Im Lebensmittelrecht gibt
es eine eindeutige Regel: Bei vorsätzlichem In-VerkehrBringen oder Herstellen von gesundheitsschädlichen Lebensmitteln droht eine Freiheitsstrafe oder Geldstrafe
von bis zu fünf Jahren, bei Fahrlässigkeit von bis zu drei
Jahren. Nach dem Lebensmittelrecht reicht die Gesundheitsschädlichkeit; eine Gesundheitsbeeinträchtigung
muss für diese Strafbewehrung gar nicht eingetreten
sein. Wir haben es hier eigentlich noch schärfer als im
allgemeinen Strafrecht bei der gefährlichen oder fahrlässigen Körperverletzung formuliert: Das Lebensmittel
muss gar nicht verzehrt worden sein; es reicht bereits,
wenn man es hergestellt oder in Verkehr gebracht hat.
Unterhalb der Schwelle der Gesundheitsschädlichkeit
haben wir bei bedenklichen Lebensmitteln, die für Genuss oder Verzehr nicht geeignet sind, wenngleich nicht
gesundheitsschädlich sind, die Androhung einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr und einer Geldbuße
von bis zu 20 000 Euro. Die Behauptung, die Geldstrafe
könne maximal 20 000 Euro betragen, auch dann, wenn
der Gewinn, den jemand durch ein rechtswidriges Verhalten erzielt hat, höher ist, entspricht so nicht der
Rechtslage. Im Gesetz steht eindeutig: Wenn der wirtschaftliche Erfolg infolge eines Rechtsverstoßes höher
ist als die zu verhängende Geldbuße von 20 000 Euro,
kann die Geldbuße entsprechend erhöht werden.
Wenn Sie sich anschauen, wie das Strafmaß bei den
Freiheitsstrafen, den Geldstrafen und den Geldbußen in
der Bundesrepublik Deutschland bisher ausgefallen ist
- diese werden nicht durch den Bundesverbraucherschutzminister verhängt -, dann sehen Sie, dass man bei
der Festsetzung im Durchschnitt immer am unteren
Rand geblieben ist. Auch diesen Punkt haben wir in den
letzten Monaten in voller Absprache mit der Bundesjustizministerin mit den Bundesländern dahin gehend besprochen, dass sie mit der Justiz Gespräche führen und
dort ein Bewusstsein dafür schaffen sollen, dass Verstöße gegen das Lebensmittelrecht keine Bagatelldelikte
sind, sondern mit aller Härte und mit allem Nachdruck
- das gilt auch für die Höhe des Strafmaßes - verfolgt
werden müssen.
({10})
Auch hier gilt die Feststellung: Wir alle zusammen
sollten helfen, dass das, was heute nach dem Gesetz als
Strafandrohung möglich ist - sowohl an Geldstrafe als
auch an Freiheitsstrafe -, konsequent ausgeschöpft und
angewandt wird.
({11})
Ich sehe wenig Sinn darin, über die Erhöhung der Geldbuße und des Strafrahmens zu reden, wenn der vorhandene Strafrahmen und die vorhandenen Möglichkeiten
zur Verhängung einer Geldbuße nur zu einem Bruchteil
in Anspruch genommen werden.
Ich setze noch ein Letztes hinzu: Wir haben ein Gewerberecht, das auf die persönliche Zuverlässigkeit
des Betreibers abstellt. Bei gewissenlosen Geschäftemachern, die aus reiner Raffgier und ohne Rücksicht auf
die Gesundheit und den Verbraucherschutz Gewinne machen wollen, sollte und muss man auch in Erwägung ziehen, deren Betriebe zu schließen. Auch diese Möglichkeit gibt das Gewerberecht her. Sie wird aber leider viel
zu selten angewandt.
Deshalb darf ich Ihnen sagen, dass ich mich bei allen
Diskussionen, die dazu stattfinden - zum Teil auch mit
einem parteipolitischen Anstrich -, alleine von unserem
Auftrag leiten lasse, Schaden von der Bevölkerung abzuwenden und alles Menschenmögliche zu tun, damit es
solchen gewissenlosen Rechtsbrechern in der Bundesrepublik Deutschland möglichst schwer gemacht wird.
Das ist der einzige Auftrag, den wir haben. Ich werde
ihm auch weiterhin mit allem Nachdruck nachkommen,
auch wenn die Diskussionen dazu immer wieder in die
Aussagen abgleiten, dass das persönliche Profilierungen
und parteitaktische Spielchen seien. Die einzige Messlatte ist, wie wir in der Bundesrepublik Deutschland den
Verbraucherschutz für die Bevölkerung sicherstellen. Ich
hoffe, ich habe dazu die Unterstützung der Mehrheit des
Parlaments.
Als mich die Vorsitzende der Verbraucherschutzministerkonferenz, die wir übrigens auch infolge der
zehn Punkte neu eingerichtet haben - bisher gab es sie
nicht -, gebeten hat, am Donnerstag an einer Sitzung der
Verbraucherschutzministerkonferenz teilzunehmen, war
ich sehr erfreut und habe sofort zugestimmt, weil ich
glaube, dass diese lange Diskussion keine weitere Verlängerung mehr verträgt, sondern dass die dafür zuständigen Minister von Bund und Ländern möglichst am
Donnerstag zu den von mir beschriebenen Vereinbarungen kommen sollten. Wir sollten dann versuchen, diese
Qualitätsstandards für die Bundesrepublik Deutschland in sehr kurzer Zeit zu erreichen. Daneben sollten
wir den Rechtsrahmen bezüglich der Geldbußen und
Freiheitsstrafen in den jetzt aktuellen Fällen voll ausschöpfen. Ich bitte Sie für diesen Weg um Ihre Unterstützung.
Danke.
({12})
Für die FDP-Fraktion hat der Kollege Michael
Goldmann das Wort.
Sehr geehrte, liebe Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Natürlich ist eine Haushaltsdebatte unter den aktuellen Ereignissen so zu gewichten,
wie Sie, Herr Minister, das getan haben. Wir müssen uns
heute in besonderer Weise erneut mit den Auswirkungen
eines dramatischen Fleischskandals auf die Verbraucher
befassen. Diese Auseinandersetzung muss heute natürlich im Zentrum stehen.
Ich will vorher aber trotzdem noch einmal sagen, dass
die deutsche Ernährungswirtschaft - die große Mehrheit
der Menschen, die dort arbeiten, und die Produkte, die
dort erstellt werden - einen absoluten Weltstandard hat
und eine Qualität aufweist, um die uns andere Länder
beneiden.
Es gibt allerdings - ich glaube, dieses Wort darf man
auch im Parlament benutzen - einige Drecksäcke und
kriminelle Elemente, die - darüber müssen wir genau
nachdenken - manchmal wohl auch in Verbindung mit
Strukturen vor Ort, manchmal vielleicht sogar durch parteipolitischen Filz einen Nährboden finden, der die
Grundlage dafür bildet, dass solche Skandale immer
wieder auftreten.
Ich finde es gut, Herr Minister Seehofer, dass Sie der
Verbraucherministerkonferenz zur Verfügung stehen.
Dann sollten Sie allerdings auch morgen dem Ausschuss
für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu diesem Thema Rede und Antwort stehen.
({0})
Ich sage auch: Herr Minister, Sie haben in dieser Frage
einiges gutzumachen. Ich freue mich nicht, dass die
„Bild“-Zeitung hinsichtlich des Gammelfleischskandals
fragt: Warum reden Sie nur? Warum tun Sie nichts, Herr
Seehofer?
Ich möchte gerne, dass sich das Ministerium, Sie persönlich, aber auch der ganze Bereich Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz so darstellen können,
dass die Verbraucher Vertrauen in unsere Produktionswege haben und dass sie eine sach- und fachgerechte
Entscheidung treffen können. Sehr geehrter Herr Minister Seehofer, da hapert es bei Ihnen. Das will ich hier an
Beispielen deutlich aufzeigen.
Im „Focus“ vom 12. Dezember 2005 sagen Sie: „Wir
haben schnell gehandelt …“ Seit Monaten kündigen Sie
ein Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb an. Sie haben ein 10-Punkte-Sofortprogramm - den Namen muss
man auf der Zunge zergehen lassen - aufgelegt. In der
Drucksache 16/1615 - Antwort der Bundesregierung auf
die Kleine Anfrage der FDP-Fraktion - mit der Überschrift „Stand der Umsetzung des 10-Punkte-Sofortprogramms als Konsequenz aus dem Fleischskandal“ erklären Sie schon in der Einführung:
Das 10-Punkte-Sofortprogramm stellt die Maßnahmen dar, deren alsbaldige Umsetzung im Einvernehmen mit den Ländern beschlossen wurde … Mit
der Umsetzung … ist sofort begonnen worden.
In der Antwort auf Frage 3 „Welche der Maßnahmen
des 10-Punkte-Sofortprogramms sind bereits in Kraft getreten?“ heißt es im zweiten Punkt „Flächendeckende
Kühlhausüberprüfung ({1})“:
Die Überprüfung aller 317 EU-zugelassenen Kühlhäuser ist abgeschlossen.
({2})
Bei dem Kühlhaus in Bayern handelt es sich um ein EUzugelassenes Kühlhaus, wie uns heute der Verband
Deutscher Kühlhäuser und Kühllogistikunternehmen
nachdrücklich bestätigt.
({3})
Sehr geehrter Herr Minister, warum übermitteln Sie
den Verbrauchern eine solche Botschaft, wohl wissend,
dass in diesem Bereich trotz dem, was Sie hier eben gesagt haben, noch jede Menge Aufarbeitungsbedarf besteht? Warum suggerieren Sie, es sei alles in Ordnung,
wenn Sie genau wissen, dass dies nicht der Fall ist?
({4})
Sie wissen ganz genau, dass Sie unmittelbar nach dem
In-Kraft-Treten Ihres so genannten 10-Punkte-Sofortprogramms eine solche Aussage überhaupt nicht treffen
können. Diese Kühlhäuser haben zum Teil die Dimension eines Plenarsaals. Wenn Sie zu Recht feststellen
- das nehme ich mit Interesse zur Kenntnis -, dass die
Lebensmittelkontrolle nicht auf der Höhe der Zeit ist,
dann frage ich Sie, wie Sie in einer Antwort auf die Anfrage einer Fraktion hier im Deutschen Bundestag dazu
kommen, eine so Frieden stiftende Aussage zu tätigen?
Ich will das weiterführen. Sie haben in meinen Augen
nicht nur in dieser Frage die Dinge nicht richtig dargestellt. In der schon genannten Kleinen Anfrage wird
nach der Verbesserung des Informationsflusses gefragt. Antwort:
In der Bund-Länder-Besprechung am 29. November 2005 hat das BVL
- das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit die praktische Anwendung des Fachinformationssystems … erläutert.
Das Fazit der Antwort lautet:
Das System bietet die Möglichkeit, zeitnah aktuelle
Erkenntnisse bei derartigen Ereignissen allen Ländern und dem Bund zur Verfügung zu stellen.
Herr Seehofer, Sie und das System haben versagt.
Am 25. August dieses Jahres, so sagte es Gert
Lindemann, Ihr Staatssekretär, haben wir die Informationen über die Medien bekommen. Dann aber haben Sie
sich eben nicht mit aller Härte und mit allem Nachdruck
an die Verfolgung gemacht, wie Sie eben ausgeführt haben. Man kann es vielleicht etwas locker formulieren:
Bis zum 1. September haben Sie überhaupt nichts geHans-Michael Goldmann
macht. Warum haben Sie zwischen dem 25. August und
dem 1. September nichts gemacht? Warum waren Sie,
der sonst immer sehr präsent ist, abgetaucht? Hing das
möglicherweise damit zusammen, dass der Skandal aus
Bayern kam und der Minister für Umwelt, Gesundheit
und Verbraucherschutz in Bayern und die ganze Regierung der CSU angehören?
Ich denke, dass wir ganz klar sagen müssen, Herr
Minister, dass es nicht wirklich um ein Zehn-PunkteSofortprogramm und das Erreichen konkreter Ziele zum
Schutz der Verbraucher geht. Sie reden zwar viel, aber
wenn es konkret wird, dann ist Ihr Handeln nicht von
fachlicher Substanz geprägt. Das sage ich Ihnen schon,
seit Sie im Amt sind, und ich fühle mich in meiner Einschätzung immer wieder bestätigt.
({5})
Es geht weiter, Herr Minister: Was denn nun? Heute
Morgen bin ich extra früh aufgestanden, weil das Frühstücksfernsehen schon um 6.30 Uhr beginnt und ich
dachte, ich wäre dabei, aber das war ein Irrtum.
({6})
- Ja, das ist tragisch. Aber ich habe es überlebt, wie Sie
sehen. - Es kam ein Polizeivertreter, der feststellte, dass
die Polizei eingeschaltet werden soll. Ich bitte Sie! Dann
kam Herr Lindemann, den ich sehr gerne mag. Er kommt
ja auch aus Niedersachsen und hat sehr viel Ahnung.
Herr Lindemann hat gesagt, dass die Lebensmittelkontrolle nicht durch eine Bundesbehörde durchgeführt
werden soll, sondern dass die Zuständigkeit bei den Ländern und Kommunen bleiben muss. Das habe ich auch
immer wieder gefordert; denn sie sind vor Ort und kennen sich aus. Berlin hat doch keine Ahnung davon, wie
die Lebensmittelkontrolle in Bayern, Hessen oder möglicherweise in Cloppenburg stattzufinden hat.
({7})
Eben haben Sie wiederum ausgeführt, dass Sie die Bundeskompetenz für die Lebensmittelkontrolle für notwendig halten. Was denn nun?
({8})
Gestern haben Sie festgestellt, eine einjährige Freiheitsstrafe sei genug. Eben haben Sie von drei bis fünf
Jahren gesprochen. Was denn nun? Bei Ihnen ist doch alles wirr und inkonsequent.
({9})
Warum verweisen Sie hinsichtlich der Lebensmittelkontrolle nicht auch auf Kräfte, die in der Wirtschaft
vorhanden sind? Warum schließen Sie sich nicht strikt
mit dem QS-System zusammen?
Des Weiteren haben Sie die Namensnennung angesprochen. Was soll das, Herr Minister? Ihr VIG ist zwar
in Ordnung und bringt hinsichtlich der Namensnennung
einige Verbesserungen, aber es hat mit dem Fall, um den
es hier geht, nichts zu tun. In diesem Fall ist der Name
nach jeder Regelung zu nennen, weil gesundheitliche
Gefahr im Verzug ist.
Das kritisiere ich an Ihnen: Sie setzen Sprechblasen
ab. Das sind Botschaften an den Verbraucher, denen die
inhaltliche Substanz fehlt.
({10})
Wenn wir Ihnen in diesem Fall helfen sollen, die
Kühe vom Eis zu kriegen, dann sage ich Ihnen ganz klar:
Drecksäcke und kriminelle Machenschaften gehören an
den Pranger gestellt. Ich habe - ich habe früher selber als
Tierarzt gearbeitet - hier auch sehr schnell ein Berufsverbot bei der Hand. Wer Menschen mit Lebensmitteln
versorgt, mit denen gesundheitliche Gefahren verbunden
sind, der gehört aus dem Verkehr gezogen. Dabei bin ich
hundertprozentig an Ihrer Seite. Das können wir gemeinsam machen.
({11})
Wir würden aber schon gerne wissen, welche Lösung Sie
über die allgemeine Botschaft hinaus vorsehen. Dabei
sind Sie morgen, im Ausschuss, oder auch am Freitag
gefordert. Wir von der FDP-Fraktion sind zu jeder Zeit
bereit, Ihnen in dieser Frage zu helfen und Rede und
Antwort zu stehen.
Herzlichen Dank.
({12})
Das Wort hat der Kollege Ernst Bahr von der SPDFraktion.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Goldmann, Sie haben gesagt, Namensnennung
sollte nicht sein, aber die Betreffenden sollten an den
Pranger gestellt werden. Ich kann den Unterschied nicht
richtig erkennen; er ist nicht sehr groß. Dies ist ein Beispiel für Ihre Widersprüchlichkeit, die sich durch Ihre
ganze Rede zieht.
({0})
Wenn Sie Minister Seehofer zugehört haben, dann
werden Sie festgestellt haben, dass er nicht nur agiert hat
- und zwar zielgenau, sachlich, kompetent, richtig und
der Rechtslage entsprechend -, sondern auch deutlich
gemacht hat, dass die Rechtslage hier wie in anderen
Fällen viel besser ist, als die öffentliche Meinung suggeriert. Das sollten wir zur Kenntnis nehmen. Das gilt übrigens auch für die Haushaltslage und die Haushaltsdiskussion insgesamt. Die Rechtslage - das heißt, unsere
politische Arbeit - ist viel besser als die öffentliche Meinung darüber.
Wenn man so polemisch vorgeht wie Sie und so widersprüchlich argumentiert, dann müssen wir uns nicht
Ernst Bahr ({1})
wundern, wenn die Leute nur noch über uns lachen und
uns nicht ernst nehmen. Sie haben zu Beginn Ihrer Rede
festgestellt, dass es eine bestimmte Personengruppe sei,
die ausfällig ist; ansonsten sei die Lebensmittelsituation
in Deutschland hervorragend. Letzterem stimme ich zu.
Die Qualität der Lebensmittel in Deutschland ist wirklich vorzeigbar. Wir können uns darauf verlassen und
wir müssen unseren Landwirten, der Nahrungsmittelindustrie und den Händlern dafür danken.
({2})
Ich richte an dieser Stelle auch einen Appell an den so
oft geschmähten öffentlichen Dienst. Ich stehe für den
öffentlichen Dienst; ich war selbst einmal als Landrat tätig. Aber eines steht fest: Der öffentliche Dienst hat die
Verpflichtung, seine Arbeit so zu gestalten, dass die Kritik unberechtigt ist. Offenbar hat der öffentliche Dienst,
der für die Kontrolle zuständig war, an einer Stelle versagt.
Wir brauchen den öffentlichen Dienst in seiner derzeitigen Form - so hoch organisiert, kompetent und fortschrittlich - für eine so hoch organisierte Gesellschaft.
({3})
Umso mehr müssen wir aber dafür sorgen, dass die Aufgaben im öffentlichen Dienst auch verantwortungsbewusst wahrgenommen werden und dass man sich im
öffentlichen Dienst etwas konkreter mit Vergehen, Oberflächlichkeiten und Ähnlichem auseinander setzt, die
uns in solche Schwierigkeiten bringen, dass europaweit
eine Diskussion geführt wird, die der Lage nicht angemessen ist. Das sage ich ausdrücklich.
Ich möchte nun zu dem kommen, worüber wir eigentlich diskutieren wollen. Ich freue mich, dass ich ein paar
Anmerkungen zum Haushaltsplanentwurf machen darf,
weil der Minister aus bestimmten Gründen nichts dazu
sagen konnte. Mit dem Haushaltsplanentwurf 2007 sind
wir wieder im Zeitplan. Wir haben mit unserer politischen Arbeit solide Grundlagen gelegt, und zwar nicht
erst seit gestern. Wir arbeiten kontinuierlich. Wir haben
von 2006 bis 2009 für Bund, Länder und Gemeinden
eine Entlastung in Höhe von etwa 120 Milliarden Euro
vorgesehen. Das lässt sich sehen. Ich denke, das ist ein
wichtiger Konsolidierungsbeitrag in der Haushaltspolitik. Wir halten damit die Vorgaben des Art. 115 des
Grundgesetzes und das Defizitkriterium des europäischen Stabilitätspaktes - das sind die Eckpfeiler - wieder ein. Damit hat die große Koalition einen guten Kurs
eingeschlagen.
Wir müssen bei der Gestaltung des Einzelplans 10 dafür sorgen, dass die Landwirtschaft eine verlässliche Basis erhält. Dass wir das tun, belegen die vorliegenden
Zahlen. Wir stärken zudem den Verbraucherschutz. Es
ist deutlich geworden, dass das notwendig ist. Die Menschen auf dem Lande können sich auf unsere politischen
Maßnahmen verlassen. Das ist ein wichtiger Beitrag zur
Entwicklung der ländlichen Regionen.
Der Haushalt des Bundesministeriums für Ernährung,
Landwirtschaft und Verbraucherschutz hat ein Volumen
von etwa 5,17 Milliarden Euro. Im Vergleich zum vergangenen Jahr bedeutet das einen leichten Zuwachs in
Höhe von 82 Millionen Euro bzw. 1,6 Prozent. Gleichzeitig haben wir einen Konsolidierungsbeitrag in Höhe
von 200 Millionen Euro jährlich zu erbringen. Nach dem
Entwurf werden wir das einhalten.
Einen wesentlichen Teil stellen wie in jedem Jahr die
landwirtschaftlichen Sozialausgaben dar. Hier gibt es
nach wie vor einen Zuwachs aufgrund der gesamtgesellschaftlichen Situation und der guten sozialen Bedingungen. Wir müssen diese Bedingungen erhalten, aber auch
dafür sorgen, dass sie finanzierbar bleiben. Das legt
nicht nur den Schluss nahe, sondern erfordert geradezu,
dass wir im Zuge der Gesundheitsreform auch über die
von uns mehrfach angesprochene Reform der Agrarsozialsysteme sprechen; das ist überfällig. Wir werden
das in den bevorstehenden Beratungen angehen.
Für die landwirtschaftliche Unfallversicherung haben
wir zunächst 100 Millionen Euro für 2007 eingestellt.
Der Betrag wird um weitere Mittel aus Erlösen durch
den Verkauf von Forderungen des Bundes aus Siedlungsdarlehen auf die notwendige Höhe aufgestockt
werden. Die Ausgaben für die Alterssicherung der Landwirte und die landwirtschaftliche Krankenversicherung
nehmen leicht zu, während die Zahlungen für die Produktionsaufgabenrente und die Landabgabenrente wie
vorgesehen zurückgehen. Sie werden in den nächsten
Jahren gen null tendieren.
Insgesamt betragen die landwirtschaftlichen Sozialausgaben 3,7 Milliarden Euro. Das entspricht einem Anteil von 72 Prozent des Gesamtbudgets des Einzelplans 10. Wenn man die Abgrenzungen konkretisiert,
dann kommt man vielleicht sogar auf 74 bis 76 Prozent.
Das ist ein Signal, dass wir über eine Reform dringend
nachdenken müssen.
Um die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der
landwirtschaftlichen Arbeit bzw. der Arbeit im landwirtschaftsnahen Bereich zu verbessern, haben wir die Mittel für Forschung und Entwicklung in allen Bereichen
aufgestockt. Einen Schwerpunkt dabei bildet die Förderung innovativer Produkte und Verfahren, insbesondere
der nachwachsenden Rohstoffe. Hierfür sind 50 Millionen Euro eingestellt. Diese Mittel werden dazu beitragen, dass sich die Landwirte andere Einkommensquellen
erschließen können.
Zur Verbraucherpolitik: Wir wollen die Verbraucherberatung und Verbraucherinformation weiterhin stärken und das bisher erreichte Niveau stabilisieren.
Das, was wir gerade besprochen haben, ist ja nichts anderes als ein Teil von Verbraucheraufklärung und Verbraucherbewusstsein. Wir haben hier eine wesentliche
Aufgabe zu erfüllen. Deswegen haben wir die Ausgaben
für diesen Bereich stabil gehalten. Das ist bei der Gesamtkonzeption von Kürzungen eine erwähnenswerte
Maßnahme.
Es wurde uns oft vorgehalten, dass wir bei der
Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der AgrarErnst Bahr ({4})
struktur und des Küstenschutzes“ viel kürzen würden.
Das haben uns viele vorgeworfen, die selbst über Jahre
in diesem Bereich Kürzungen beschlossen haben. Wir
haben in diesem Haushaltsplanentwurf vorgesehen, den
Betrag mit 615 Millionen Euro stabil zu halten. Der Betrag, der im laufenden Haushaltsjahr zur Verfügung
steht, wird somit auch für das neue Jahr vorgesehen.
Dass damit eine Stabilisierung erfolgt, finde ich bemerkenswert.
Die Forderungen der Opposition, angesichts möglicher Kürzungen der EU mehr und andere Dinge zu machen, sind sicherlich sehr löblich und werden in manchen Ohren gut klingen. Man muss aber wissen, woher
man das Geld nimmt. Ich denke, es ist abzusehen, dass
wir keine neuen Wege gehen können. Wenn wir die Ausgaben stabilisieren können, um im Bereich der ländlichen Strukturentwicklung etwas zu tun, müssten wir eigentlich schon zufrieden sein.
Wir haben mit unserem Haushaltsplanentwurf für
2007 keine wesentlichen Änderungen vorgenommen,
aber dennoch einen Beitrag zu dem geleistet, was wir
Konsolidierungs- und Stabilisierungspolitik nennen. Es
wurde darüber hinaus ein Beitrag zur ländlichen Entwicklung und dem Strukturwandel auf dem Land geleistet. Ich wünschte mir, dass es uns gelingt, die Agrarsozialpolitik im Sinne der Betroffenen, aber auch im
Sinne der Entwicklung des Bundeshaushaltes so zu gestalten, dass sie zukunftsträchtig ist. In diesem Sinne
wünsche ich uns gute Beratungen.
Herzlichen Dank.
({5})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Kirsten Tackmann
von der Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Gäste! Haushaltsdebatten erinnern immer etwas an die Zeugnisausgabe. Zunächst muss man
Geleistetes bewerten, bevor man ein neues Schul- oder
Haushaltsjahr startet. Mein Fazit ist: Das erste Jahr der
Regentschaft von Horst Seehofer war von Skandalen
und ungelösten Problemen geprägt, für die er zwar nicht
immer verantwortlich, aber doch zuständig war. Bei
einer so kritischen Bilanz ist ein ehrlicher Blick auf die
reale Problemlage zu Beginn einer Haushaltsdebatte
wirklich wichtig; denn die Problemlage ist das Ergebnis
der bisherigen Haushaltspolitik.
Das erste Regierungsjahr begann mit Gammelfleisch
- wir haben es heute schon gehört - und ich denke, es
wird auch so enden. Die am 30. November 2005 eilig
präsentierten 10 Punkte Seehofers haben das Problem
offensichtlich nicht gelöst. Statt einer ehrlichen
Schwachstellenanalyse wurden schwarze Schafe gezählt. Ich frage mich - das fragen sich auch andere -:
Wie kann man eigentlich 40 bis 50 Tonnen Gammelfleisch übersehen?
({0})
Ich zitiere Punkt 4 von Seehofers Aktionsplan - Herr
Goldmann hat schon darauf hingewiesen -, in dem es
hieß:
Die Überprüfung aller EU-zugelassenen Kühlhäuser in Deutschland wird kurzfristig abgeschlossen
sein.
Das ist jetzt neun Monate her und das Problem besteht
weiter. Abgelaufen - darauf muss man auch hinweisen war das Haltbarkeitsdatum des Gammelfleischpostens
allerdings auch schon zu rot-grünen Zeiten.
({1})
Die Rufe nach Pranger, Haft und Kompetenzneuverteilung lenken davon ab, dass es erst wenige Wochen her
ist, dass die Chance auf ein wirksames Verbraucherinformationsgesetz vertan wurde. Bei Zustimmung zu
den Änderungsvorschlägen meiner Fraktion hätten skrupellose Profiteure deutlich weniger Chancen, ihr Gammelfleisch über Verbrauchermägen zu entsorgen. Stattdessen wird gemauert und werden Stellen in Kontrollund Untersuchungsstellen massiv abgebaut - in Bayern
20 Prozent - und Vertrauen wird weiter verspielt.
({2})
Ob die geplante Aufstockung des Etats für das Bundesinstitut für Risikobewertung und das Bundesamt für
Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit sinnvoll
oder nur leere Symbolik ist, wird zu besprechen sein.
Doch weiter in der seehoferschen Problembilanz. Im
Februar kam überraschend die Geflügelpest. Das heißt,
überraschend waren eigentlich nur Ort und Zeit des Auftretens. Dass H5N1 Asia die Bundesrepublik erreichen
würde, war spätestens ab Spätsommer 2005 wahrscheinlich. Trotz bundesministerieller Beteuerungen, es
brauchten nur die Notfallpläne in Kraft gesetzt zu werden, war niemand auf diesen Fall einer langfristigen Infektionsgefahr für Nutzgeflügel aus Wildvogelbeständen
wirklich vorbereitet.
Über das Aufstallungsgebot wird unterdessen anhand
regionaler Risikobewertung entschieden. Nur, das wirkliche Risiko kennt niemand. Wir spielen also seit Wochen und Monaten russisches Roulette. Auf der anderen
Seite werden die Halterinnen und Halter von Kleinst-,
Hobby- und Wassergeflügelbeständen in den Risikogebieten, die ihre Tiere nicht längere Zeit und schon gar
nicht auf Dauer einstallen können, mit dieser Situation
allein gelassen.
Das eigentliche Problem aber ist nach meiner Wahrnehmung: Wir werden das nächste Mal - vielleicht
schon in wenigen Wochen - nicht besser vorbereitet
sein; denn die wirklichen Probleme sind nicht aufgearbeitet. Vom eilig aufgelegten 60-Millionen-Euro-Forschungsprogramm geht nur wenig Geld in die dringend
notwendige Qualifizierung der Risikobewertung und des
Krisenmanagements, und das, obwohl auch die Schweinepestausbrüche in diesem Jahr und die erstmals in
Deutschland aufgetretene Blauzungenkrankheit beweisen, dass gerade auf dem Gebiet der Risikobewertung
und des Risikomanagements von Infektionskrankheiten
bei Tieren schwerwiegende Wissenslücken bestehen,
von denen große volkswirtschaftliche Gefahren ausgehen.
({3})
Ich kann Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr
geehrter Herr Minister, die Wiederholung meiner Forderung nach einem epidemiologischen Zentrum mit angemessenen Personalkapazitäten und einem geeigneten
Standort nicht ersparen.
({4})
Eine ernsthafte Prüfung dieses Vorschlags ist längst
überfällig; denn wir brauchen dringend effektive und bezahlbare Tierseuchenbekämpfungsstrategien.
Apropos bezahlbar: Der Landkreis Rügen ist nach
meinen Informationen auf 750 000 Euro Geflügelpestbekämpfungskosten sitzen geblieben. Das ist eine Summe,
die nicht zu schultern ist. Ich möchte daran erinnern: Der
Einsatz der Bundeswehr wurde höchstministeriell erzwungen. Ich kann die Empörung über dieses nicht
selbst verschuldete Haushaltsloch vor Ort gut verstehen.
Ich fordere hier nochmals unbürokratische Hilfe.
Der Fall Rügen ist gleichzeitig ein Hinweis auf ein
grundsätzliches Problem: Die zunehmend klammen
Kommunalhaushalte sind bei Katastrophenfällen überfordert. Zudem geraten Feuerwehr, THW, DRK und andere Organisationen zunehmend in Nachwuchsprobleme
aufgrund des Wegzugs junger und motivierter Menschen
aus den ländlichen Regionen.
({5})
Wir dürfen die Kommunen mit diesen Problemen nicht
allein lassen.
({6})
Doch zurück zur Agrarforschung. Ich bin eigentlich
ganz gespannt auf das schon mehrfach angekündigte
Konzept für eine zukunftsfähige Agrarressortforschung. Wer jedoch bei der Erarbeitung dieses Konzepts
nur „bürokratische Abläufe straffen und die Strukturen
effizienter gestalten“ will, wie Staatssekretär Paziorek
vor wenigen Tagen erklärte, macht die gleichen Fehler,
die schon das letzte Rahmenkonzept von 1996 scheitern
ließen. Richtig wäre, erst den wissenschaftlichen Beratungsbedarf der Bundesregierung zu definieren und dann
die vorhandenen wissenschaftlichen Ressourcen zu prüfen. Die Beschäftigten in den Einrichtungen haben
schließlich ein Recht auf eine belastbare und sinnvolle
Entscheidungsgrundlage über die Zukunft ihrer Arbeitsplätze.
Die aktuelle Haushaltsdiskussion findet aber auch vor
einem neuen Diskussionshintergrund statt. Die Transparenzinitiative der EU und die Wortmeldung von
30 Nichtregierungsorganisationen zum Thema Agrarbeihilfen haben die Frage nach Sinn und Zweck von
Subventionen neu aufgeworfen. Die Position meiner
Fraktion ist eindeutig. Es ist ein legitimer Anspruch der
Gesellschaft auf Informationen, was mit öffentlichen
Geldern geschieht. Das gilt übrigens in allen Bereichen
der Wirtschaftsförderung, nicht nur bei der Landwirtschaft.
({7})
Fehlende Transparenz schafft dagegen auch Freiräume
für sachfremdmotivierte Denunzierungen. Gerade deshalb sage ich im Namen meiner Fraktion: Wir werden
uns jedem Versuch widersetzen, diese dringend notwendige Diskussion dafür zu missbrauchen, verschiedene
Akteure gegeneinander auszuspielen oder die ostdeutschen Landwirtschaftsbetriebe zu benachteiligen.
({8})
Die Landwirtschaft ist wichtig: In den strukturschwachen ländlichen Regionen bietet sie oft die allerletzten
Arbeitsplätze.
Fakt ist aber auch eines: Wir brauchen dringend eine
Überprüfung der Effekte der öffentlichen Förderungen.
Mit Fördermitteln eine flächendeckende, multifunktionale Landnutzung zu sichern, ist zum Beispiel sinnvoll,
weil im gesamtgesellschaftlichen Interesse. In der Landwirtschaft werden nicht nur Produkte für den Lebensmittelmarkt erzeugt; vielmehr werden dort auch weitere gesellschaftlich erwünschte Leistungen erbracht, die nicht
direkt „verkauft“ werden können. Dazu zählen: Offenhaltung der Kulturlandschaft, Schutz von Wasser, Boden
und einer vielfältigen Pflanzenwelt usw. usf. Für all
diese Zusatzleistungen gibt es am Markt derzeit kaum
Gegenleistungen. Fördergelder müssen daher den notwendigen Ausgleich schaffen, nicht mehr und nicht weniger. Schließlich müssen auch Landwirte von ihrer Arbeit leben können.
„Von Arbeit leben können“ ist mein nächstes Stichwort. Dass man von der Arbeit leben kann, ist unterdessen nicht mehr selbstverständlich. Die „Lausitzer Rundschau“ meldete vor wenigen Tagen:
Wo es wenig Arbeit gibt, greifen Menschen zu jedem Strohhalm. So nehmen sie Jobs an, deren
Bezahlung oft nicht ausreicht, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Damit sind sie auf Zusatzleistungen von Hartz IV angewiesen.
Das deckt sich leider mit Erfahrungen aus der Prignitz,
meinem Wahlkreis. Durch die dramatische Ausweitung
des Niedriglohnsektors gibt es Armut nicht mehr nur
durch ALG II; Armut gibt es unterdessen immer häufiger auch trotz Arbeit.
Im ländlichen Raum spitzt sich diese dramatische Situation zusätzlich zu. Zum Beispiel registrieren wir eine
zunehmende Verschiebung regulärer in Saisonarbeitsplätze, die dann oft für den regionalen Arbeitsmarkt
vollständig verloren gehen. Wenn die saisonal anfallende
Arbeit für die Ausübenden wieder verstetigt werden
könnte, wie es zum Beispiel französischen Arbeitgeberzusammenschlüssen gelingt, würde das viele aufgeregte
Diskussionen des Sommers zum Thema Saisonarbeit
sinnvoll beenden.
Mit Schwierigkeiten verbunden ist zudem die Tendenz, dass in kleinen bäuerlichen Wirtschaften, insbesondere in Südwestdeutschland, das Einkommen offensichtlich nicht mehr ausreicht, um die Pflichtbeiträge zur
Kranken- und Altersversicherung sowie zur Berufsgenossenschaft zahlen zu können.
({9})
In dem Willen, ihren Hof zu halten, verarmen Bäuerinnen und Bauern trotz schwerer Arbeit und Selbstausbeutung.
Aber es geht nicht nur um den sozialen Brennpunkt
der ländlichen Räume. Menschen werden auf den Dörfern in weiteren Bereichen zunehmend ihrer Selbstbestimmung beraubt. Zum Beispiel gibt es Regionen, in
denen außer dem Schülertransport kein öffentlicher Personennahverkehr mehr stattfindet. Aufgrund der Kürzung der Regionalisierungsmittel sollen jetzt weitere
Strecken abgestellt werden, zum Beispiel in Brandenburg, obwohl von Arbeitskräften Mobilität erwartet
wird.
Auch für Verbraucherinnen und Verbraucher wird es
auf den Dörfern immer schwieriger. Einzelhandel und
Bibliothek kommen, wenn überhaupt, nur noch mobil.
Ärzte, Schulen, Geldautomaten und Poststellen sind immer öfter nur schwer erreichbar. Auch vom Zugang zu
Verbraucherberatungen und -informationen sind viele
Menschen abgeschnitten; Herr Bahr ist schon darauf eingegangen. Darüber müssen wir uns Gedanken machen.
Dieser schwierigen Situation im ländlichen Raum
müssen wir uns stellen. Die Linken jedenfalls werden
sich nicht vom Leitbild gleichwertiger Lebensverhältnisse in diesem Land verabschieden.
({10})
Wir alle, liebe Kolleginnen und Kollegen, tragen politische Verantwortung auch für die Menschen, die auf dem
platten Land leben.
Recht herzlichen Dank.
({11})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Bärbel Höhn vom
Bündnis 90/Die Grünen.
Meine Damen und Herren! Herr Präsident! Es ist gerade mal zehn Monate her, dass wir über einen Gammelfleischskandal diskutiert haben, und schon diskutieren
wir wieder über einen solchen Skandal. Deshalb ist es
richtig, dass wir die Haushaltsdebatte heute insbesondere diesem Thema widmen. Es ist auch richtig, dass die
Opposition das zum Hauptpunkt macht.
Nur, was die Politik auf Bundes- und Landesebene
jetzt macht, Herr Seehofer,
({0})
ist Folgendes: Die Länder schieben dem Bund die Verantwortung zu und der Bund schiebt den Ländern die
Verantwortung zu. Man hat den Eindruck, dass niemand
etwas tut. Das wollen die Leute nicht hören. Vielmehr
muss jeder seine Hausaufgaben machen.
Es trifft zu, dass auch in Bayern einiges schief gelaufen ist. Ich finde es erschreckend, muss ich sagen, dass
auch dieser Skandal wieder durch einen anonymen Hinweis aufgedeckt wurde.
({1})
Übrigens - das ist auch interessant - ging der Hinweis
nicht an die Veterinärbehörden, sondern an die Polizei.
Die Veterinärbehörden sind in Bayern den Landräten
untergeordnet.
({2})
Wir müssen exakt diskutieren, ob das in Ordnung ist; ich
habe es immer angekreidet.
({3})
Die Landräte oder die Bürgermeister sind natürlich dicht
an der Gewerbesteuer dran. Sie sind auch dicht dran in
der Frage, was zum Beispiel mit den Arbeitsplätzen ist.
Das führt leicht zu einer Verquickung. Das führt dazu,
dass es zu große Nähe gibt.
In Bayern war es so, dass die Behörde bei der Firma
Berger Wild über den Skandal Bescheid wusste, aber
nicht agiert hat. Es ist also wichtig, die Struktur zu ändern. Die Kontrolle darf nicht zu dicht an der Kommune
dran sein, weil das zu Verwerfungen führt.
Frau Kollegin Höhn, eine Sekunde. Erlauben Sie eine
Zwischenfrage des Kollegen Schirmbeck?
Das wird doch nicht angerechnet. Dann stoppen Sie
die Zeit bitte.
({0})
Nein, das wird nicht angerechnet.
Die Zeit läuft hier aber und läuft.
Bitte schön.
Verehrte Frau Kollegin, jeder von uns hat ja ein Vorleben.
Ja.
Ich kann mich daran erinnern, dass Sie in einem Bundesland, in Nordrhein-Westfalen nämlich, das meinen
schönen Wahlkreis umgrenzt, große Verantwortung getragen haben.
Richtig.
Sie haben gerade gesagt, wer alles unfähig ist, Landräte usw. Haben Sie den Namen Coppenrath & Wiese
schon einmal gehört?
Ja.
Durch ein Fernsehinterview von Ihnen wurde dieser
Firma etwas angedichtet, das der Kollege Bartels aus
Niedersachsen dann heilen musste. Das hätte eine hochmoderne, hocheffiziente, alle Gesetze einhaltende Firma
fast den Kopf gekostet.
Wenn Sie hier jetzt alle Behörden, alle Institutionen
so kritisieren, wie Sie das gerade im Schnelldurchgang
wieder gemacht haben, dann sollten Sie sich einmal den
Spiegel Ihrer eigenen Vergangenheit vorhalten.
Das mache ich gern. - Bei der Firma Coppenrath &
Wiese war es so, dass die CDU in Hessen uns damals gesagt hat: Wir haben ein Problem. - Dieses Problem habe
ich aufgegriffen. Ich habe das noch nicht einmal so dramatisch gemacht wie die Hessen. Richten Sie diesen
Vorwurf also an die CDU in Hessen und gucken Sie sich
den Fall noch einmal an!
({0})
Aber lenken Sie nicht ab; denn es geht hier um Herrn
Seehofer
({1})
und Herr Seehofer hat seine Hausaufgaben in diesem
Fall nicht gemacht.
Ich kann mich sehr genau erinnern, dass Herr
Seehofer Anfang dieses Jahres gesagt hat: Wir werden
die schwarzen Schafe benennen. - Das war sein Hauptpunkt: das Verbraucherinformationsgesetz. Heute sagt
er, die Anbieter müssten öffentlich benannt werden.
({2})
Was ist denn in der Zwischenzeit geschehen? Dieses
Verbraucherinformationsgesetz würde nicht dazu führen,
dass die schwarzen Schafe benannt werden, meine Damen und Herren. Das ist das Problem.
({3})
Deshalb sage ich Ihnen im Auge des Hurrikans: Ergreifen Sie endlich Maßnahmen und setzen Sie sie um!
Ein halbes Jahr später ist aus diesem groß angekündigten
Verbraucherinformationsgesetz eine lahme Ente geworden. Ändern Sie dieses Verbraucherinformationsgesetz
jetzt! Jetzt haben Sie den Schwung und auch Rückenwind von der Bevölkerung; jetzt können Sie es ändern.
Tun Sie es, nachdem Sie schon ein halbes Jahr nicht in
der Lage waren, etwas zu unternehmen!
({4})
Frau Kollegin Höhn, erlauben Sie eine weitere Zwischenfrage, und zwar der Kollegin Heinen?
Ja. Bitte stoppen Sie die Zeit.
Bitte schön.
Frau Höhn, ist Ihnen entgangen, dass der Deutsche
Bundestag noch vor der Sommerpause eine Änderung
des § 40 Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch verabschiedet hat, nach der es in Zukunft ausdrücklich erlaubt ist und die Behörden angewiesen sind, die Firmen
zu nennen, deren Produkte nicht in Ordnung sind, auch
wenn sie vom Markt verschwunden bzw. nicht auf dem
Markt sind? Das heißt, im September wird es, wenn der
Bundesrat, der seine Zustimmung schon signalisiert hat,
zustimmt, zu einer entsprechenden Änderung kommen.
Haben Sie an dieser Abstimmung nicht teilgenommen?
Außerdem frage ich: Wie haben Sie denn vor der Sommerpause im Bundestag über § 40 Lebensmittel- und
Futtermittelgesetzbuch abgestimmt?
Ich sage Ihnen sehr deutlich: Dieses Verbraucherinformationsgesetz habe ich abgelehnt,
({0})
und zwar weil es schlecht ist. Es ist in der Tat ein löchriger Käse.
({1})
Das, was Sie erreichen wollen, nämlich dass die in diesem Fall Betroffenen genannt werden, wird nicht eintreten.
({2})
Heute sagen Ihnen die Experten, dass die Betroffenen
nach diesem Verbraucherinformationsgesetz nicht genannt werden müssten. Dass die gewünschte Wirkung
des Verbraucherinformationsgesetzes nicht eingetreten
ist, sehen Sie ja. Es gibt doch offensichtlich niemanden
auf diesem Markt, der vor diesem Verbraucherinformationsgesetz Angst hat. Die abschreckende Wirkung, die
Sie sich erhofft haben, ist eben nicht eingetreten. Deshalb ist es falsch, einfach auf dieses Verbraucherinformationsgesetz zu setzen. Wir müssen es ändern.
Vor allen Dingen müssen wir eines machen: Wenn
Herr Seehofer heute von den Anbietern spricht, dann ist
das wieder nur eine radikale Forderung, hinter der nichts
steckt. Es soll nur wieder der kleine Fleischmakler benannt werden. Aber wer hat denn von diesem kleinen
Fleischmakler das Fleisch gekauft? Das waren große
Fleischkonzerne; sie haben es gemacht, weil sie dadurch
eine Menge Geld gespart haben. Genau die müssen auch
benannt werden; denn sie wissen, was sie tun.
({3})
Nur über diese Selbstheilungskräfte der Branche
werden wir es schaffen, diesen Gammelfleischmarkt
endlich in den Griff zu bekommen. Das ist der richtige
Weg; der richtige Weg sind nicht irgendwelche billigen
und auch rigorosen Ankündigungen, wie sie heute wieder von Herrn Seehofer kommen.
({4})
An einem Punkt gebe ich Herrn Seehofer Recht, und
zwar bezüglich der Strafen. Es gibt schon heute ein ausreichendes Maß an Strafen; das stimmt.
({5})
Aber die Gerichte haben in den vergangenen Jahren
trotzdem ein relativ niedriges Strafmaß angewendet;
auch das müssen wir sehen.
({6})
Der letzte Punkt. Herr Seehofer spricht von Qualitätsstandards. Ebenso spricht er davon, dass Bund und
Länder sich besser abstimmen müssen. Ich kann mich
sehr genau erinnern, dass er gesagt hat, die Abstimmung
zwischen Bund und Ländern werde er in den Griff bekommen, anders als Frau Künast, die Symbolpolitik betrieben habe. Er hat sie aber nicht in den Griff bekommen; Bayern hat eben nicht gemeldet. Jetzt spricht er
von Qualitätsstandards. Das finde ich richtig. Aber warum hat er diesen Punkt nicht bei der Föderalismusreform eingebracht? Er hatte monatelang die Möglichkeit,
eine Änderung der verschiedenen Strukturen herbeizuführen. Diese Möglichkeit hat er verstreichen lassen,
stellt aber heute erneut die gleiche Forderung.
Bei der Qualität und den Qualitätsstandards holt ihn
seine eigene Politik ein. Herr Seehofer war, als er Minister wurde, der Erste, der hier gesagt hat, er kaufe besonders preiswert ein; alles sei so wie früher, alles sei gut.
Wenn alle Lebensmittel gleich gut sind, meine Damen
und Herren, dann zählt für die Verbraucher nur noch eines, nämlich der Preis. Wir sind heute - das sagen Veterinäre in Deutschland - ein Markt für Gammelfleisch.
({7})
All das, was andere Länder hier in Europa nicht loswerden, bringen sie in Deutschland auf den Markt.
({8})
Wenn Sie von der CDU dieses Problem nicht einsehen,
dann werden wir den Gammelfleischskandal überhaupt
nicht in den Griff bekommen.
({9})
Setzen wir wieder da an, wo wir gute Politik gemacht
haben: Setzen wir bei der Qualität an, meine Damen und
Herren! Nur bei einem vernünftigen Preis-LeistungsVerhältnis - wenn die Leute nach Qualität einkaufen werden wir die Diskussion um Gammelfleisch endlich
wegbekommen in diesem Land.
Ich komme zum Schluss.
Es ist Zeit, dass sich was dreht, meine Damen und
Herren. Machen Sie eine andere Politik!
Frau Höhn, bevor Sie zum Schluss kommen, möchte
der Kollege Goldmann gern eine Zwischenfrage stellen.
Ja, bitte.
({0})
Frau Künast, jetzt, wo Sie da sind, sollten Sie einen
Moment zuhören. Frau Höhn hatte fünf Minuten Redezeit - schauen Sie einmal, wie liebenswürdig der Präsident zu Frau Höhn war.
Sie sind jetzt ja auch dran!
Frau Höhn, ich finde das ja alles ganz spaßig, was Sie
sagen. Sind Sie bereit, am Freitag in der Ausschusssitzung - nicht öffentlich - zu sagen, welche Veterinäre Ihnen gesagt haben, dass Deutschland sozusagen ein Land
des Gammelfleisches ist?
Ja, ich bin bereit.
Werden Sie am Freitag verifizieren, um welche Größenordnungen es dabei geht? Ich finde das, was Sie hier
sagen, zutiefst skandalös. Wenn Sie, die Sie Fachministerin eines Landes waren, in dem die Fleischwirtschaft
eine sehr zentrale Rolle spielt - ich denke zum Beispiel
an das Münsterland oder an Wiedenbrück -, so etwas sagen, dann bezeichne ich das als einen klassischen Arbeitsplatzvernichter ersten Ranges, der durch nichts,
durch überhaupt nichts zu rechtfertigen ist.
({0})
Sie haben eben gesagt - wenn ich das ein bisschen
verkürzt wiederholen darf -: Deutsche Fleischkonzerne
handeln mit Gammelfleisch. - Sind Sie sich über die
Aussage, die Sie gerade getätigt haben, im Klaren?
Glauben Sie, dass Sie wirklich einen deutschen Fleischkonzern nennen können, der mit Gammelfleisch handelt? Oder sind es nicht vielleicht eher die Kleinen, die
Schwachen in diesem System, die diese Situation missbrauchen? Ich bitte Sie wirklich, in dieser Frage etwas
rücksichtsvoller gegenüber einer leistungsfähigen Branche und gegenüber den Arbeitsplätzen in diesem Bereich
zu sein, die viele, viele Haushalte finanzieren.
({1})
Herr Goldmann, Sie tun der Fleischwirtschaft keinen
Gefallen, wenn Sie dieses Problem negieren.
({0})
Wir alle wissen von vielen Bereichen - von der Fleischwirtschaft, aber auch von anderen Bereichen -, dass der
deutsche Markt mittlerweile ein Markt ist, der nicht
mehr von Qualitätsprodukten gekennzeichnet ist.
({1})
Wir zwei waren gemeinsam in den Niederlanden. Was
haben uns da die Gemüsehändler erzählt? Sie haben gesagt: Die Gemüse mit der hohen Qualität gehen nach
Großbritannien, die Gemüse mit der niedrigen Qualität
nach Deutschland. Das liegt auch an dem harten Wettbewerb der Händler hier in Deutschland. Wenn wir dieses
Problem negieren - für mich ist Großbritannien kein
Gourmetland, das muss ich ganz ehrlich sagen - und der
harte Preiswettbewerb bei uns am Ende dazu führt, dass
andere ihre schlechten Produkte hierher bringen, dann
werden wir dieses Problem nicht in den Griff bekommen.
({2})
Am Ende werden die Arbeitsplätze, die Sie jetzt schützen wollen, eher verloren gehen, als wenn wir das Problem rechtzeitig angehen und die Lösungen dazu nach
vorne bringen.
({3})
Das Wort hat jetzt der Kollege Peter Bleser. Bitte
schön.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Leider ist
diese Generaldebatte um den Haushalt durch ein Thema
bestimmt, nämlich die Aufarbeitung des Gammelfleischskandals. Deswegen möchte und muss auch ich
dazu einige Äußerungen machen, gerade in Bezug auf
die hier gerade vorgetragenen Reden von Herrn
Goldmann und von Frau Höhn.
Herr Kollege Goldmann, ich glaube, Sie waren nicht
sehr redlich, als Sie dem Minister unterstellt haben, dass
er hier behauptet habe, es gebe bei der Lebensmittelkontrolle keine Probleme, es sei alles okay.
({0})
Gerade Herr Seehofer hat unabhängig von der politischen Farbe einer Landesregierung sehr deutlich gemacht, welche Fehler zu beheben sind und was bisher
nicht richtig gelaufen ist. Ich glaube, es ehrt einen Bundesminister insbesondere, wenn er in dieser Klarheit und
ohne parteipolitische Zuordnung vorgeht. Das ist zu
rechtfertigen.
({1})
Das Nächste, was Sie hier unterstellt haben, hat eine
besondere Qualität. Sie meinen, das Verbraucherinformationsgesetz - wenn es denn in Kraft getreten ist; das
wird noch einige Wochen dauern; das wissen die Menschen draußen nicht - schaffe keine verbesserte Lage.
({2})
Herr Goldmann, ich erinnere daran, dass die FDP und
insbesondere Sie es waren, die in den Verhandlungen des
Vermittlungsausschusses in den letzten Legislaturperioden
({3})
darauf bestanden haben, dass nur dann Namen genannt
werden dürfen, wenn Verwaltungsverfahren rechtskräftig abgeschlossen sind.
({4})
Das würde bedeuten, dass es unter Umständen Jahre
dauert, bis ein Gerichtsurteil verkündet ist, infolgedessen
man die entsprechende Person oder das entsprechende
Unternehmen nennen darf. Das ist kein Verbraucherschutz, so wie wir ihn wollen.
({5})
Nach dem bald in Kraft tretenden Verbraucherinformationsgesetz ist nicht nur die Nennung des Namens
desjenigen Unternehmens, welches gegen Gesetze verstoßen hat, möglich, sondern auch die Nennung derjenigen, die das Produkt nicht mehr auf dem Markt haben,
und derjenigen, die das Produkt bezogen haben. Das ist
eine neue Qualität, die ihre Auswirkung auf den Markt
mit Sicherheit nicht verfehlen wird.
({6})
Ich hoffe, dass die abnehmenden Unternehmen, aber
insbesondere auch die Verbraucher die öffentlich genannten Unternehmen durch Kaufverweigerung entsprechend sanktionieren. Wenn es nicht anders geht, kann
dies zum Schließen eines Unternehmens führen; denn
nur so bekommen wir eine veränderte Situation, die zu
Qualität zwingt. Das ist unser Antritt. Den haben wir
sehr klar mit unseren Festlegungen im Verbraucherinformationsgesetz verfolgt.
({7})
Sie, Frau Höhn - wenn Sie mir Ihre geneigte Aufmerksamkeit zuwenden würden! -,
({8})
haben den Landräten unterstellt, dass die Kommunen die
Produzenten bzw. Vertreiber von Gammelfleisch decken
würden. Das ist eine Ungeheuerlichkeit. Das sollten Sie
belegen; ansonsten würde ich so etwas hier in diesem
Haus nicht sagen.
({9})
Ich sage auch Ihnen: Sie erwecken den Eindruck, dass
durch das Verbraucherinformationsgesetz nichts verändert werde. Das ist eine Fehleinschätzung, deren Ursache eine gewisse Realitätsferne ist.
Herr Bleser, erlauben Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Höhn?
Bitte schön.
Bitte schön, Frau Höhn.
Herr Bleser, Sie haben gerade gesagt, ich hätte etwas
unterstellt, was ich begründen müsse, nämlich dass in
den Landkreisen eine zu große Nähe zwischen den Kontrolleuren und den dortigen Wirtschaftsvertretern bestehe. Herr Bleser, was sagen Sie dann zu dem Wildfleischskandal in Bayern, bei dem erwiesen ist, dass die
Behörden nicht eingegriffen haben, obwohl sie wussten,
dass der Wildfleischlieferant Berger Fleisch, dessen
Haltbarkeit abgelaufen war, weiterverkauft hat? Was für
ein Verhalten ist das Ihrer Meinung nach? Belegt das
nicht eine zu große Nähe zwischen Behörden und dem
Unternehmen? Fällt das nicht genau unter den Punkt,
den ich genannt habe, nämlich dass Behörden nicht tätig
werden, obwohl ihnen bekannt ist, dass vor Ort ein nicht
gesetzmäßiges Verhalten stattfindet?
Frau Höhn, das ist ganz banal: Sie können nicht einen
Einzelfall - den ich natürlich beanstande und kritisiere verallgemeinern und damit eine ganze politische Kultur
infrage stellen.
({0})
Ganz im Gegenteil: Die räumliche Nähe führt dazu, dass
insbesondere die Kommunen ihre Pappenheimer - so
will ich sie einmal bezeichnen - eher kennen, als es der
Fall ist, wenn nicht vor Ort ansässige oder ferngesteuerte
Kontrolleure auftreten.
({1})
Die Nähe kann hilfreich sein. Aber in dem einen Fall hat
sie sicher nicht zu besonderer Objektivität geführt.
Meine Damen und Herren, wir beraten heute den
Agrarhaushalt. Erlauben Sie mir, dass ich neben dem
jetzt angesprochenen Thema auch auf dieses Spektrum
eingehe.
Ich denke, wir können schon voller Stolz sagen, dass
die Politik der ersten gut neun Monate dieser Bundesregierung gerade in der Agrarwirtschaft enorme Erfolge zu
verzeichnen hat. Es gibt einen Stimmungswandel, Frau
Künast, allein schon durch die Tatsache, dass Sie nicht
mehr hier vorne sitzen.
({2})
- Man soll sich hier halt nicht mit Zwischenrufen profilieren.
Dieser Stimmungswechsel drückt sich ganz konkret
in der Tatsache aus, dass sich das Agrarkonjunkturbarometer von 50 Punkten im März 2004 auf 113 Punkte im
Juni dieses Jahres mehr als verdoppelt hat. Die Landwirte investieren wieder. Sie haben Vertrauen in die Zukunft. Ihre Einkommen sind gestiegen. Diesen hoffnungsvollen Weg setzen wir konsequent fort und
deswegen sind wir schon ein Stück stolz darauf, dass es
auch im Haushalt 2007 gelungen ist, eine Kürzung der
Bundesmittel bei der landwirtschaftlichen Unfallversicherung
({3})
und Beitragssatzerhöhungen, die Sie immer wieder verursacht haben, zu vermeiden.
Wir haben im Übrigen auch die Mittel für den Verbraucherschutz in diesem Haushaltsentwurf um 13,2 Millionen
Euro angehoben. Ich bin sicher: Auch das wird zu einer entsprechenden Veränderung des Bewusstseins draußen führen.
({4})
Ich will aber jetzt noch etwas zu der landwirtschaftlichen Unfallversicherung sagen, weil die von den Betroffenen in der Öffentlichkeit geäußerte Kritik in den
letzten Wochen zugenommen hat. Ich bin nicht sicher,
wie lange es noch gelingt,
({5})
diese Bundesmittel für die landwirtschaftliche Unfallversicherung zur Verfügung zu stellen. Deswegen ist
eine grundsätzliche Reform der landwirtschaftlichen Unfallversicherung, auch nach dem Bericht des Bundesrechnungshofes, unvermeidlich.
({6})
Dabei sind uns die Beitragszahler, die Bauern und ihre
Mitarbeiter, am wichtigsten. Ich hoffe, dass die Angestellten der Unfallversicherungen das nötige Verständnis
aufbringen und sie die notwendigen Veränderungen mittragen.
({7})
Darüber hinaus stehen wir in den nächsten Monaten
auch vor der Frage, ob wir bei der Bewertung der ersten
und der zweiten Säule eine Umschichtung durch eine höhere Modulation vornehmen sollen oder nicht. In diesem
Zusammenhang und auch im Zusammenhang mit der
EU-Transparenzrichtlinie wird eine heftige Debatte
geführt. Nicht wenige hier in diesem Haus wollen ja,
dass alle Zahlungen an die Landwirte veröffentlicht werden. Ich wundere mich insbesondere darüber, dass der
Landwirtschaftsminister von Mecklenburg-Vorpommern das begrüßt. Er muss doch wissen, dass in der Öffentlichkeit nur sehr schwer ein Verständnis dafür herzustellen ist, dass Mittel an Großstrukturen übertragen
werden. Ich meine, die Menschen haben einen Anspruch
auf Verlässlichkeit. Sie müssen sich darauf verlassen
können, dass die GAP-Reform, die bis 2013 abgeschlossen sein wird, auch so umgesetzt wird, wie sie beschlossen worden ist.
({8})
Die Maßnahmen müssen so ausfallen, wie es die Landwirte kalkuliert haben.
Wir haben nämlich - das muss man der Öffentlichkeit
sagen - eine Kürzung in der ersten Säule um circa
15 Prozent zu erwarten, wenn Bulgarien und Rumänien
der Europäischen Union beitreten. Bei der zweiten Säule
sind es - jedenfalls nach der jetzt vorliegenden Berechnung - nur 12 Prozent. Es wäre angebracht, dass hier
eine Gleichbehandlung erfolgt.
Es besteht die Gefahr, dass, wenn wir die Transparenzrichtlinie so umsetzen, wie sie die Europäische
Union vorschlägt, Neid und Missgunst in die Dörfer getragen werden.
({9})
Ich glaube, die Landwirte haben einen Anspruch darauf,
dass ihre Privatsphäre geschützt wird
({10})
und dass sie nicht als einzige Berufsgruppe, die staatliche Hilfen erhält, ihr Einkommen, das zu einem wesentlichen Teil aus diesen staatlichen Hilfen besteht, offen
legen müssen.
({11})
Hier gehen wir an die Ehre der Bauern und das ist mit
uns nicht zu machen.
({12})
Herr Kollege Bleser, erlauben Sie eine Zwischenfrage
der Kollegin Künast?
Ja, bitte.
Herr Bleser, die von Ihnen aufgeworfene Frage der
Ehre beschäftigt mich an der Stelle. Zunächst einmal
habe ich Zweifel daran, dass sich die Einkommen der
Bauern „im Wesentlichen“, wie Sie es gerade gesagt haben, aus den Zahlungen aus Brüssel ergeben. Was mich
aber besonders wundert, ist, dass Sie hier eine Sonderstellung der Bauern behaupten. Können Sie mir erklären,
warum für Landwirte die Veröffentlichung der erhaltenen Subventionen irgendwie ungerecht wäre - das ist
Ihre Formulierung -, während Ihr Gehalt als Mitglied
des Deutschen Bundestages, mein Gehalt oder das des
Ministers per Gesetz veröffentlicht wird?
({0})
Sie müssten doch gleichermaßen eine Kampagne dafür
führen, dass Minister- und Abgeordnetenbezüge in Zukunft nicht mehr öffentlich gemacht werden, frei nach
dem Motto, das diskriminiere sie und sei der Gesellschaft nicht zu vermitteln.
Durch das Verbraucherinformationsgesetz soll mehr
Transparenz geschaffen werden. Meinen Sie nicht, dass
die Steuerzahler das gute Recht haben zu erfahren, wohin das Geld fließt? Wohlgemerkt, es geht um die Höhe
der erhaltenen Subventionen, nicht um den Umsatz eines
jeden Betriebes. Wie kommen Sie dazu zu behaupten,
das sei ungerecht, da Ihr eigenes Gehalt öffentlich ist?
Frau Künast, wir könnten das für alle Berufsgruppen
und diejenigen, die staatliche Transferleistungen erhalten - das fängt beim Hartz-IV-Empfänger an und geht
über die Kohlesubvention bis hin zu den Gehaltszahlungen der Beamten und Angestellten des öffentlichen
Dienstes -, öffentlich machen. Das würde zu einem gewaltigen Bürokratieaufwand führen und unter Umständen sogar Arbeitsplätze schaffen.
({0})
- Herr Kelber, sicher ist das elektronisch zu vereinfachen.
Aber was sagen Sie, Frau Künast, als Repräsentantin
der Grünen in diesem Zusammenhang zum Datenschutz? Was hat das mit dem Schutz der Privatsphäre zu
tun?
({1})
- Das, Frau Künast, war die größte Unverschämtheit, die
ich mir bisher von Ihnen anhören musste.
Sie haben eine Agrarpolitik betrieben, in deren Folge
landwirtschaftliche Betriebe bis zum Jahr 2013 vor gravierende Veränderungen gestellt wurden, die sie ohne
diese Hilfen überhaupt nicht überstehen können. In dieser Situation wollen Sie die Menschen an die Öffentlichkeit zerren und durch eine Neiddiskussion um diese Hilfen bringen. Das ist der wahre Grund, der hinter Ihrem
Handeln steht.
({2})
Ich fasse zusammen: Wir müssen beim Verbraucherschutz natürlich weitergehen und dürfen uns nicht nur
auf den Lebensmittelsektor beschränken. Wir haben
durch unsere Initiativen bei den Roamingentgelten schon
zu einer Veränderung beigetragen, wir werden auch bei
den Fahrgastrechten bei der Bahn weitere Verbesserungen zugunsten des Verbraucherschutzes erreichen. Wir
werden in den nächsten Jahren ganz sicher dazu beitragen, dass die Verbraucher mehr zu Qualitätsprodukten
greifen. Da bei Markenprodukten eine direkte Beziehung zwischen Kunde und Hersteller besteht, ist es mir
ein besonderes Anliegen, dass Markenprodukte größere
Marktanteile erreichen und weniger zu No-Name-Produkten gegriffen wird.
Wir haben erreicht, dass Verbraucher und Landwirtschaft wieder Vertrauen zueinander finden. Beim Lebensmittelhandel müssen wir noch zu mehr Vertrauen
kommen, aber auch daran werden wir arbeiten. An diesen Aussagen können Sie uns messen.
Herzlichen Dank.
({3})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Edmund Geisen
von der FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine
Herren! Ich bin in vielerlei Hinsicht anderer Meinung als
mein Vorredner. Ich denke, dass von der jetzigen Regierung bisher noch kein Problem im Bereich Landwirtschaft, Ernährung und Verbraucherschutz gelöst wurde
({0})
und keine wirksamen Reformen in Gang gesetzt wurden.
({1})
Das Schlimmste, was man dem zuständigen Minister
vorzuwerfen hat, ist der andauernde Zick-Zack-Kurs seiner Politik.
Herr Minister Seehofer, wir von der FDP haben sorgfältig notiert, dass Sie innerhalb eines halben Jahres mindestens 13 unterschiedliche Bewertungen zum System
der landwirtschaftlichen Unfallversicherung öffentlich abgegeben haben. Das heißt: Durchschnittlich alle
14 Tage plädierten Sie für eine neue Reformvariante.
Bei den Beratungen zum Koalitionsvertrag vom November 2005 setzen Sie sich für ein modernisiertes landwirtschaftliches Sozialversicherungssystem ein. Am
12. Dezember 2005 kritisieren Sie Frau Künast im
„Focus“ wegen der 50-Millionen-Euro-Kürzung der
LUV-Bundesmittel mit der Begründung, dies werde über
Beitragserhöhungen zum Knock-out des Berufsstandes
führen. Übrigens: Genau dasselbe machen Sie nun im
aktuellen Haushaltsentwurf.
({2})
19. Dezember 2006, „top agrar“: Sie sprechen von der Verzahnung der Systeme. 16. Januar 2006, „Agra-Europe“:
Kürzungen werden vermieden. 8. April 2006, „Badische
Bauern Zeitung“: Der Minister spricht vom Systemwechsel in Richtung Kapitaldeckungsverfahren. 29. Mai
2006 „top agrar Online“: Kein Systemwechsel. Während
er am 19. Juni in „Agra-Europe“ die Privatisierung fordert, lehnen seine Staatssekretäre diese am 26. Juni in
„top agrar Online“ ab. Am 4. Juli, „dlz agrarmagazin
Online“, kommt das Kapitaldeckungsverfahren wieder
auf den Tisch. Am 17. Juli, „Bayerisches Landwirtschaftliches Wochenblatt“, heißt es: Die Privatisierung
ist nicht möglich. Und nun der Haushaltsentwurf 2007:
Die Kürzungsvorschläge ähneln denen von 2005. Es
handelt sich um eine Kürzung: Sie nehmen zunächst eine
Verlagerung der Mittel vor, die später in eine direkte
Beitragskürzung einmünden wird.
Verehrter Herr Seehofer, Ihr Vorgehen - rein in die
Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln - ist für den betroffenen Berufsstand unerträglich und bedeutet einen enormen Verlust des Vertrauens in die Politik. Dieses Verhalten führt zu einer großen Verunsicherung. Wir von der
FDP fragen Sie deshalb: Erstens. Welchen Weg schlagen
Sie als ausgewiesener Sozialpolitiker tatsächlich vor?
Zweitens. Was halten Sie von dem FDP-Vorschlag einer
kapitalgedeckten landwirtschaftlichen Unfallversicherung?
({3})
Drittens. Warum verunsichern Sie permanent die zum
Teil am Existenzminimum Berührten durch drohende
Beitragserhöhungen, anstatt eine Altlastenbefreiung vorzunehmen und einen Reformvorschlag auf den Tisch zu
legen? Übrigens: Unsere Einsparvorschläge geben die
Absicherung im sozialen Bereich her.
({4})
Wir stehen nun vor der Obst- und Weinernte. Die vor
wenigen Monaten beschlossene Eckpunkteregelung für
die Saisonarbeitskräfte war ein Flop.
({5})
Sie hilft weder den Arbeitslosen noch den Saisonarbeitskräften noch den Bauern. Nein, sie verdirbt die Ernte.
Die FDP hat dazu übrigens einen Antrag eingebracht.
Geben Sie den Erntehelfern eine Chance, indem Sie für
Freiheit sorgen und bilaterale Vereinbarungen ermöglichen.
({6})
Wir brauchen eine Zukunftspolitik für die deutsche
Landwirtschaft und das Vertrauen der Verbraucher in die
angebotenen Produkte. Die Agrarpolitik der großen Koalition gleicht einem Spiel, bei dem sich alle lustig austoben, aber kein Tor fällt.
({7})
Für die betroffenen Landwirte ist dieses ewige Hin und
Her indes weniger lustig. Die FDP fordert klare Zielsetzungen, Verlässlichkeit und nachhaltige Entscheidungen.
Von Ihrer Agrarpolitik geht aber weder das eine noch das
andere Signal aus. Passen Sie auf, dass Sie die Bauern
auf dieser Spielwiese nicht ins Abseits manövrieren.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({8})
Das Wort hat der Kollege Manfred Zöllmer von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Goldmann, Frau Tackmann, Frau Höhn, wer das
Verbraucherinformationsgesetz, das mehr Transparenz
schafft und die Namensnennung von Unternehmen ermöglicht, hier im Parlament abgelehnt hat, ist als Kritiker der Bundesregierung völlig unglaubwürdig.
({0})
Verbraucherpolitische Themen stehen - die Debatte
hat das deutlich gemacht - wieder einmal an der Spitze
der Nachrichtenagenda. Wir haben bereits über den
Gammelfleischskandal in Bayern gesprochen. Ich werde
dieses Thema auch noch einmal aufgreifen. Die Stromanbieter verkünden höhere Preise. Zu den auf der Internationalen Funkausstellung vorgestellten technischen Innovationen zählt insbesondere die Verbindung von
Fernsehen, Internet und Sprachkommunikation. Allein
diese drei Felder belegen sehr deutlich, welche Bandbreite eine aktive und gestaltende Verbraucherpolitik bekommen hat.
In dieser Debatte ist eines sehr deutlich geworden:
Wir können und werden es nicht mehr zulassen, dass
sich skrupellose Unternehmer auf Kosten der Gesundheit vieler bereichern. Es ist wirklich bitter, dass auch
nach dem letzten Skandal, der nur wenige Monate her
ist, viele Bundesländer ihre Hausaufgaben offenbar nicht
gemacht haben. Wieder einmal ist der Fall nur durch
anonyme Hinweise und nicht aufgrund staatlicher Kontrollen aufgedeckt worden. Es kann und darf nicht sein,
dass viele Bundesländer die Kontrollen im Lebensmittelbereich zum Sparziel bei schwieriger Haushaltslage
machen. Die Gesundheit der Menschen muss Vorrang
vor den Sparnotwendigkeiten der Landeshaushalte haben.
Im Radio wurde berichtet, dass in München die Zahl
der Lebensmittelkontrollen in den letzten Jahren halbiert
worden ist. Das deutet darauf hin, dass man sich hier auf
einem wirklich schlechten Weg befindet und Herr Minister Seehofer mit seiner Kritik an den Ländern und an ihrem Gebaren in diesem Zusammenhang Recht hat.
Herr Goldmann, Sie haben Unrecht, weil Sie die Verantwortlichkeiten nicht zur Kenntnis nehmen wollen. Ich
kann das Gleiche in Richtung von Frau Höhn sagen.
Wenn die Länder im real existierenden Föderalismus
nicht bereit sind, die notwendige Verantwortung zu übernehmen, dann muss der Bund reagieren.
({1})
Wir haben bei der Diskussion über die Föderalismusreform erlebt, wie sehr die Länder ihre Besitzstände in
diesem Bereich verteidigt haben. Das kann auf Dauer so
nicht mehr gehen.
({2})
Wichtig ist - das hat der Minister deutlich gemacht -,
dass bundeseinheitliche Qualitätsstandards bei der Lebensmittelüberwachung eingeführt werden.
({3})
- Auf sehr hohem Niveau.
({4})
Darüber hinaus müssen wir dafür sorgen, dass die
Rückverfolgbarkeit der Waren verbessert wird.
({5})
Das ist ganz wichtig, damit klar ist, wer an wen was geliefert hat. Der Einsatz moderner Technologien, zum
Beispiel der RFID-Tags, kann helfen, eine lückenlose
Rückverfolgbarkeit möglich zu machen.
({6})
- Genau.
Das Strafrecht muss in viel stärkerem Maße angewandt werden. Es muss sehr sorgfältig geprüft werden,
ob eine Strafverschärfung sinnvoll ist. Unternehmer, die
in diesem Sinne tätig geworden sind, müssen wissen,
dass sie ihre Gewerbeerlaubnis verspielt haben. Hier
muss vor Ort gehandelt werden. In der Vergangenheit ist
das zu wenig geschehen. Es muss sichergestellt sein,
dass illegale Gewinne abgeschöpft werden. Die Verbraucherinnen und Verbraucher haben ein Recht darauf, dass
Ross und Reiter genannt werden.
Wir können nicht versprechen, alle kriminellen Machenschaften zukünftig zu verhindern. Aber wir können
versprechen, es diesen Wirtschaftskriminellen so schwer
wie möglich zu machen. Wir unterstützen nachdrücklich
alle Bemühungen von Herrn Minister Seehofer, dieses
Ziel zu erreichen.
({7})
Erneut haben die Stromversorger Preiserhöhungen
zum Beginn des kommenden Jahres angekündigt. Die
Schmerzgrenze für viele Verbraucherinnen und Verbraucher ist längst überschritten.
({8})
Es ist nicht akzeptabel, dass einige wenige Stromkonzerne ihre Gewinne auf Kosten der Allgemeinheit und
der deutschen Wirtschaft vervielfachen.
({9})
Ein weiteres Drehen an der Preisspirale ist nicht mehr
hinnehmbar. Wenn man sich die Entwicklung ansieht,
dann stellt man fest, dass in diesem Bereich in den letzten Jahren Preissteigerungen von teilweise bis zu
50 Prozent zu verzeichnen sind.
Deshalb müssen die Landesregierungen etwas tun.
Hier sind die Länder verantwortlich, die noch bis zum
1. Juli 2007 die Anträge auf Strompreiserhöhungen zu
genehmigen haben. Sie müssen diese Anträge sorgfältig
prüfen und die Verbraucherinteressen dabei besonders
berücksichtigen. Wenn die Anträge ungerechtfertigt
sind, sollten sie sie auf jeden Fall ablehnen. Den entsprechenden Ankündigungen vieler Länderminister müssen
Taten folgen.
({10})
Ich sage auch: In diesem Bereich ist kein Platz für Populismus. Der Vorschlag der nordrhein-westfälischen
Wirtschaftsministerin, die Länderaufsicht über den
1. Juli 2007 hinaus zu verlängern, stellt keine Lösung
dar. Denn bei diesen Genehmigungen geht es nur um ein
Drittel der Kosten: um die Netznutzungsgebühren für die
privaten Haushalte. Auf diesem Markt brauchen wir
wirklichen Wettbewerb, keine staatlichen Placebos.
Durch die Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes stehen die Bundesnetzagentur und zukünftig
die Kartellbehörden in der Verantwortung, für Preisklarheit, Missbrauchsaufsicht und mehr Wettbewerb zu sorgen. Das ist der richtige Weg. Ich fordere die großen
Energieunternehmen nachdrücklich auf, die niedrigeren
Netzentgelte, die von der Bundesnetzagentur durchgesetzt worden sind, in Preissenkungen am Markt umzusetzen.
({11})
Wenn dies nicht geschieht, muss sich der Gesetzgeber
über weitere Maßnahmen Gedanken machen. Die Entwicklungen auf dem Telekommunikationsmarkt haben
deutlich gezeigt, dass es möglich ist, erfolgreich vom
Monopol zum Wettbewerb überzugehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Haushalt des
Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz unterstreicht die Bedeutung, die die
Verbraucherpolitik für die Bundesregierung hat. Trotz
aller Konsolidierungsnotwendigkeiten konnte das bisherige Niveau insgesamt gehalten werden. Das ist ein großer Erfolg.
({12})
Eine aktive Verbraucherpolitik braucht handlungsfähige Institutionen. Neben dem Bundesministerium sind
dies nachgeordnete Behörden wie das Bundesinstitut für
Risikobewertung und das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit. In Anbetracht der
Bedeutung ihrer Aufgaben ist es gut, dass sich ihre Etats
nachhaltig erhöhen.
Wenn ich über Institutionen rede, dann geht es mir
nicht nur um die staatlichen Institutionen und Organisationen, sondern auch um die unabhängigen Verbände
und Stiftungen. Der Zuschuss für die Stiftung Warentest
wird in Höhe von 6,5 Millionen Euro gehalten und das
ist auch gut so.
({13})
Darüber hinaus halte ich es für richtig, dass die Stiftung
Warentest seit dem Jahr 2004 bei ausgewählten Tests Aspekte der sozialen Unternehmensverantwortung mit
berücksichtigt. Mehr und mehr Verbraucherinnen und
Verbraucher sind an diesen Hintergrundinformationen
interessiert und richten ihre Kaufentscheidungen zu
Recht an ihnen aus. Wirtschaft sowie Verbraucherinnen
und Verbraucher tragen Verantwortung auch für soziale
und Umweltstandards.
Die institutionelle Förderung der Verbraucherzentrale Bundesverband bleibt nahezu unverändert.
({14})
Wenn sich der Bund zu seiner Verantwortung bekennt
und die Arbeit der vzbv als wichtige ordnungspolitische
Aufgabe betrachtet und entsprechend fördert, müssten
auch die Länder die Förderung der Verbraucherzentralen als ihre Pflicht ansehen. Leider werden in immer mehr Bundesländern die Mittel gekürzt. Viele Beratungsstellen und -angebote bluten regelrecht aus. Viele
Länder lassen die Verbraucherinnen und Verbraucher im
Regen stehen. Die Arbeit der Verbraucherzentralen vor
Ort ist von unschätzbarem Wert. Es ist eine wichtige
Aufgabe der Landespolitik, dafür zu sorgen, dass
niedrigschwellige Beratungsangebote in Deutschland
flächendeckend vorhanden sind.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, da meine Redezeit
abgelaufen ist, komme ich zum Schluss. Dieser Haushalt
macht deutlich, wie eine aktive Verbraucherpolitik, die
die Wirtschaft als Bündnispartner betrachtet und die Verbraucherinnen und Verbraucher nicht bevormunden will,
in Zahlen ihren Ausdruck finden kann. Wir müssen uns
den Herausforderungen neuer Märkte, neuer Geschäftsmodelle und der digitalen Welt stellen und sie aktiv mitgestalten. Dafür sorgen wir.
Herzlichen Dank.
({15})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Cornelia Behm vom
Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr
Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gar
nicht so einfach, vom Gammelfleisch zurück zum Haushalt zu kommen; aber da wir die erste Lesung haben,
sollten wir das jetzt tun.
Auch wenn die Zahlen es auf den ersten Blick nicht
erkennen lassen - der Haushaltsentwurf 2007 ist ein
Haushalt gegen den ländlichen Raum. Die von der
deutschen Regierung zu verantwortenden Kürzungen der
EU-Mittel für die zweite Säule werden mit keinem Cent
kompensiert. Im Gegenteil, die Titel zur Sicherung einer
zukunftsfähigen Agrar- und Verbraucherpolitik werden
planmäßig abgewickelt. Zum Beispiel werden die Mittel
für Forschungs- und Entwicklungsvorhaben für Umweltschutz im Agrarbereich, das sind 1,6 Millionen Euro,
komplett gestrichen. Sie kürzen den Etat für das Bundesprogramm „Tiergerechte Haltungsverfahren“ um 83 Prozent; das sind 2,5 Millionen Euro weniger.
({0})
Den Etat für das Bundesprogramm „Ökologischer Landbau“ wollen Sie um 20 Prozent kürzen; das bedeutet
4 Millionen Euro weniger. Und das, obwohl die Branche
Zukunft hat: zweistellige Zuwachsraten in den letzten
Jahren, 150 000 Arbeitsplätze in der Naturkostbranche.
Die Förderung von Modell- und Demonstrationsvorhaben wollen Sie um 18 Prozent, also 1,8 Millionen Euro,
kürzen. Sie schrecken selbst vor Kürzungen bei der Verbraucheraufklärung und den nachwachsenden Rohstoffen nicht zurück.
({1})
Summa summarum streichen Sie, Herr Minister,
13,7 Millionen Euro bei Zukunftsaufgaben - und das,
obwohl der Agrarhaushalt im Vergleich zum laufenden
Haushaltsjahr um 82,5 Millionen Euro aufgestockt wird.
Sie kommen also nicht etwa schmerzlichen Kürzungsvorgaben nach, sondern Sie streichen Künast-Titel, um
ein Zeichen zu setzen. Das ist ideologisch, also genau
das, was Sie uns - zu Unrecht - immer vorwerfen.
Gleichzeitig wollen Sie die Mittel für die Förderung
von Innovationen um 16,6 Millionen Euro erhöhen.
Grundsätzlich begrüße ich das, allerdings kommt es darauf an, was Sie mit dem Geld machen. Sie wollen damit
zum Beispiel die Forschung im Bereich der Agrogentechnik forcieren.
Frau Kollegin Behm, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Bahr von der SPD-Fraktion?
Ja, gerne.
Frau Behm, ist Ihnen bekannt, dass die entsprechenden Mittel in den vergangenen Jahren unter Frau Künast
gar nicht vollständig abgerufen worden sind und dass
jetzt um weniger gekürzt werden soll, als gar nicht abgerufen wurde?
Darüber wird zu reden sein. Auf jeden Fall brauchen
wir Titel - insbesondere das Programm, auf das Sie anCornelia Behm
spielen -, die sich mit artgerechter Tierhaltung befassen.
Es kommt sehr darauf an, wie wir diese Titel in Zukunft
ausgestalten.
({0})
- Wir müssen doch jetzt nicht über die Hühnerstallgeschichte diskutieren!
({1})
Wie gesagt, die Frage ist, was man mit den Mitteln für
Innovationsförderung macht. Ich meine, sie in die Agrogentechnikforschung zu stecken, ist der falsche Weg; mit
diesem Geld könnte man wahrlich Besseres machen.
({2})
Denn Sie wissen alle, meine Damen und Herren: Die
Akzeptanz für Agrogentechnik ist in Deutschland einfach nicht vorhanden. Daher wird diese Forschung nicht
wirklich Innovationen hervorbringen, die den Markt erreichen. Sie werden mit Ihrer Innovationsstrategie eine
Bauchlandung machen.
Frau Kollegin Behm, erlauben Sie auch eine Zwischenfrage der Kollegin Klöckner von der CDU/CSUFraktion?
Ja, gerne.
Liebe Kollegin Behm, Sie sagten, Sie lehnen es ab, in
die Agrogentechnik Geld zu stecken. Aber ist es nicht
gerade Ihre Fraktion, die Fraktion der Grünen, die die
Anwendung der Grünen Gentechnik ablehnt mit dem
Hinweis, dass es nicht genug Forschung auf diesem Gebiet gebe?
Wir lehnen die Agrogentechnik nicht aus diesem
Grund ab, sondern wir lehnen sie ab, weil wir die Hoheit
über unsere Teller und über unsere Äcker nicht großen
Monopolen überlassen wollen.
({0})
Wir meinen, dass diese Innovationsmittel eher in anwendungsrelevante Anbau- und Züchtungsforschung gesteckt werden müssen, und zwar nicht nur im Bereich
nachwachsender Rohstoffe; denn damit kann man etwas
für die Zukunft der Landwirtschaft tun. Dies ist angesichts des Klimawandels dringend notwendig.
Lassen Sie mich zur Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ kommen. Dass Sie die Mittel für die GAK nach der
Absenkung um 50 Millionen Euro in diesem Jahr nicht
weiter zusammenstreichen, ist kein Trost für den ländlichen Raum; denn ab Januar 2007 wird die drastische
Kürzung der EU-Mittel erstmals massiv zu Buche schlagen. Die fehlenden Mittel aus der zweiten Säule werden
den Bauern richtig wehtun, und zwar besonders im Süden dieser Republik.
({1})
Hier hätte eine nationale Kompensation erfolgen müssen.
({2})
Sie wäre auch möglich gewesen; denn infolge des ausgehandelten Kompromisses müssen ja viel weniger nationale Mittel nach Brüssel überwiesen werden.
Sehr geehrter Herr Minister, bei den Mitteln aus der
zweiten Säule und der GAK handelt es sich nicht um irgendwelche Subventionen, mit denen man mal mehr und
mal weniger Klientelpolitik betreiben kann. Im Gegenteil: Die Förderung des ländlichen Raums ist entscheidend für die Wettbewerbschancen unserer Landwirtschaft in den nächsten 20 Jahren. Nicht umsonst spricht
Frau Fischer Boel von der zweiten Säule als der Lebensversicherung der Landwirtschaft. Ihre Haushaltspolitik
zeugt jedoch nicht davon, dass Sie das wirklich verstanden haben.
Darüber hinaus frage ich mich, was Ihre Haushaltspolitik mit Planungssicherheit für die Landwirte zu tun
haben soll. Wo ist denn die Planungssicherheit für die
Bauern, die an Programmen der zweiten Säule teilnehmen? Wo bleibt Ihre viel beschworene Verlässlichkeit?
Im Koalitionsvertrag schreiben Sie:
Die Finanzierung der Zweiten Säule muss ausreichend abgesichert und die gleichgewichtige Entwicklung beider Säulen gewährleistet bleiben.
Gleichzeitig streichen Sie als eine der ersten Amtshandlungen aber die Mittel für den ländlichen Raum radikal
zusammen.
In diesem Zusammenhang bin ich schon sehr gespannt auf den Kongress Ihres Hauses am 5. Oktober
2006. Was wollen Sie den Leuten denn da erzählen?
Wollen Sie sagen, dass der ländliche Raum und die
Landwirtschaft zukünftig auch ohne Fördermittel auskommen? Unsere Alternative ist ganz klar: Als Ausgleich für die drastischen Kürzungen bei ELER fordern
wir eine entsprechende Aufstockung der GAK-Mittel.
({3})
Darüber hinaus brauchen wir ein neues Förderprogramm, durch das der überwältigende Erfolg des Pilotprojekts „Regionen Aktiv - Land gestaltet Zukunft“
fortgesetzt wird. Ich habe im Sommer zehn der 18 Modellregionen besucht und mit vielen Akteuren vor Ort
gesprochen. Alle waren sich in dem einen Punkt einig,
dass dieses Förderprogramm das Beste war, was es für
den ländlichen Raum bisher gegeben hat. Es wurde mehr
regionale Wertschöpfung generiert und es wurden mehr
Arbeitsplätze geschaffen als bei jedem anderen Programm mit vergleichbaren Mitteln. Ich fordere Sie deshalb dringend auf, eine entsprechende Anschlussförderung bzw. ein analoges Programm aufzulegen.
Frau Behm, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme gleich zum Schluss. - Mit der Markteinführung regionaler Qualitätsprodukte kann man im
Übrigen durchaus etwas gegen Gammelfleischskandale
tun.
Sehr geehrter Herr Minister, liebe Kolleginnen und
Kollegen, noch ist es nicht zu spät. Gehen Sie in sich
und prüfen Sie den Agrarhaushalt auf seine Zukunftsfähigkeit. Denken Sie daran, dass wir hier nicht nur Politik
für die Städter machen, sondern dass etwa die Hälfte der
deutschen Bevölkerung im ländlichen Raum lebt. Diesen
Menschen können wir den Stuhl nicht vor die Tür setzen.
({0})
Das Wort hat jetzt der Kollege Georg Schirmbeck von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zwischenzeitlich hat es ja einige Aufgeregtheiten
gegeben. Allerdings muss man sich fragen, worüber wir
hier eigentlich reden.
({0})
Wenn ich durch die Gegenden in Deutschland fahre,
in denen die Landwirtschaft und die Ernährungswirtschaft eine große Rolle spielen, dann sehe ich, dass dort
neue Schweineställe, Hühnerställe und Kuhställe gebaut
werden und Wurstfabriken, Salatfabriken, Gewürzwerke, Biogasanlagen, Sägewerke und Gärtnereien entstehen. Ich stelle fest, dass die Investoren im ländlichen Raum Vertrauen in die Zukunft haben.
({1})
Das ist das Ergebnis der Arbeit eines souveränen Ministers und einer überzeugenden großen Koalition, also dessen, was wir in den letzten neun Monaten auf den Weg
gebracht haben. Das wollten wir so und darauf sind wir
stolz.
({2})
- Michael, du bist in einer schwierigen Situation. Wir
beide sind uns in den allermeisten Fragen ja durchaus einig.
({3})
Du kannst nicht alles, was im Emsland - bei dir zu
Hause im Wahlkreis - geschieht, zur Kenntnis nehmen.
Wenn du mit den Betriebsinhabern sprichst, dann wirst
du feststellen: Die Bauern - auch wenn es anders dargestellt wird - wollen gar keine Zuschüsse oder Subventionen. Sie wollen, dass man sie in Ruhe lässt und dass sie
nach guter handwerklicher Art arbeiten können.
({4})
Die eine oder andere Gängelei durch die rot-grünen Gesetze aus der Vergangenheit muss natürlich durch staatliche Mittel ausgeglichen werden.
({5})
Das kann dann zwischenzeitlich in einen kleinkarierten
Parteienstreit ausarten.
Wir sollten zur Kenntnis nehmen, dass in Deutschland Tausende von Veterinären und Gesundheitsaufsehern arbeiten, Zehntausende Betriebsinhaber leben und
Hunderttausende von Menschen in den verschiedenen
Fabriken und Anlagen einen guten Job machen. Für die
Arbeit, die sie leisten, sollten wir ihnen danken.
({6})
Manchmal habe ich den Eindruck: Wir verdrängen,
dass wir das Glück haben, in der Hälfte der Welt zu leben, in der man sich satt essen kann, während wir es negieren, dass die halbe Menschheit schmachtet, um es
ganz deutlich und krass zu sagen. Wenn man so manche
Diskussion in Ruhe verfolgt, gewinnt man den Eindruck,
dass wir irgendwann so weit sind, vor einem vollen
Kühlschrank mit den allerbesten Lebensmitteln dieser
Welt zu stehen, aber so hysterisch geworden zu sein,
dass wir Angst haben, von diesen Lebensmitteln zu essen, und stattdessen lieber verhungern. Manche Diskussionen führt man nur, wenn man einen solch vollen Magen hat, wie wir ihn haben. Auch das muss man einmal
an dieser Stelle sagen.
({7})
Jetzt können Sie natürlich für den einen oder anderen
Haushaltstitel mehr Geld fordern. Über Geld diskutiere
ich auch immer zu Hause mit meiner Frau. Das Ergebnis
ist: Es ist immer zu wenig Geld da.
({8})
Darüber kann man lange reden. Fakt ist: Aus diesem
Haushalt werden nicht wesentlich mehr Mittel herauszuquetschen sein. Wir werden für diesen Einzelplan nicht
mehr Geld bereitstellen können. Deshalb ist es unsere
Aufgabe - das ist natürlich schwierig und das muss man
intelligent anstellen -, auf Dauer mit weniger Geld mehr
zu bewegen. Das gilt für jeden einzelnen Haushaltsansatz. Darüber muss man diskutieren. Manchmal ist das
auch heilsam. Schließlich wissen wir, dass manche Programme und Ansätze rein gar nichts gebracht haben.
Diese müssen ganz einfach gestrichen werden.
({9})
Wir haben eine Verstetigung der Politik. Aus der mittelfristigen Finanzplanung kann man ganz einfach ersehen, dass im ländlichen Bereich mit den 615 Millionen
Euro aus der GAK gerechnet werden kann. Das heißt,
alle Bundesländer können kalkulieren, was zukünftig auf
sie zukommt.
({10})
Manche sagen uns auch: Wir brauchen gar nicht mehr
Geld. Wir müssen bloß wissen, was mittelfristig auf uns
zukommt. Wenn das berechenbar ist, können wir mit der
einen oder anderen Einschränkung leben.
Aber bei der GAK - das habe ich schon bei den letzten Haushaltsberatungen gesagt - stellt sich mir an der
einen oder anderen Stelle die Frage, ob das nicht eine
ganz und gar undemokratische Einrichtung ist.
({11})
An der wirklichen Mittelverteilung sind weder der Bundestag noch die Länderparlamente beteiligt. Daher muss
man sich schon fragen, ob da nicht Beamte bürokratische Verteilungsorganismen aufbauen, sodass diese
615 Millionen Euro gar nicht in dem vorgesehenen Umfang dort ankommen, wo sie ankommen sollen. Es ist
unsere Aufgabe, das gezielt zu überprüfen. Es bringt
nichts, nur zu sagen: Mein Gott, hier sind die Mittel gekürzt worden und wir brauchen mehr Geld. - Vielmehr
müssen wir ganz konkret auf die Effizienz achten, Herr
Kollege Goldmann. Das ist gleichzeitig die Antwort auf
die Frage, die Sie eben als Zwischenruf gestellt haben.
({12})
Angesichts all der Aufregung um die angeblichen
großen Kürzungen stelle ich mir die Frage, ob Sie die
Vorlage vielleicht gar nicht gelesen haben. Der Kollege
Bahr hat es richtigerweise angesprochen: Nebelhaushaltsansätze helfen nichts, wenn die Mittel gar nicht abfließen. Auch in der Vergangenheit hat es offensichtlich
für das eine oder andere Programm gar keine Notwendigkeit gegeben.
({13})
Diese Programme werden an das angepasst, was sachgerecht ist. Da die Mittel dann auch berechenbar sind, können die Programme im Bereich des Verbraucherschutzes
und in allen anderen Bereichen, die hier schon diskutiert
worden sind, sehr gut laufen.
Wir müssen natürlich auch noch über andere Dinge
diskutieren. Ein Beispiel: Die Unterstützung für Programme für Hilfsmaßnahmen in Osteuropa wird den
Einzelplan nicht zu Fall bringen. Aber wenn wir sehen,
dass es mittlerweile in Osteuropa Staaten gibt, die im
Geld umkommen und bei uns sogar vorzeitig ihre Schulden ablösen, dann stellt sich die Frage, ob beispielsweise
für das Elend in Kaliningrad - die deutsche Geschichte
ist hier natürlich emotional hoch belastet - nicht eher
Putin als Frau Dr. Merkel zuständig ist und ob wir dafür
Geld bereitstellen müssen oder nicht einmal den Finger
in die Wunde legen müssten. Das schließt nicht aus, dass
man an der einen oder anderen Stelle trotz allem etwas
tut. Aber es ist sicherlich auch wichtig, zu hinterfragen,
ob sich die Verhältnisse geändert haben.
Wir haben im Wesentlichen nicht den Haushaltsplan
beraten, sondern über den Verbraucherschutz gesprochen. Das war aufgrund der aktuellen Situation vielleicht
auch nachvollziehbar. Aber dann sollte man wenigstens
noch das Argument in die Haushaltsplanberatungen einbringen, dass wir für unsere Forschungsanstalten Investitionen in einem bisher nicht da gewesenen Umfang
tätigen. Das heißt, wir machen unsere Einrichtungen, deren Sachverstand wir brauchen und in Anspruch nehmen
wollen, fit für die Zukunft. Ich glaube, auch das gehört
zu den Wahrheiten und Fakten, die hier vorgetragen werden müssen.
Schließlich und endlich wissen wir, dass der Agrarhaushalt zu etwa 80 Prozent - das schwankt vielleicht
um ein paar Zehntel - eigentlich ein Sozialhaushalt ist.
Wir müssen dabei zur Kenntnis nehmen, dass beispielsweise beim landwirtschaftlichen Altersgeld in den
nächsten Jahren steigende Ausgaben zu verzeichnen sein
werden; es sei denn, es gäbe jemanden, der eine Gesetzesinitiative anstoßen würde, um an dieser Stelle zu kürzen. Das sehe ich aber nicht. Die Reden, in denen zum
Sparen aufgefordert wird, und das tatsächliche Tun sind
eben zweierlei Dinge.
Ich schließe mich aber ausdrücklich dem an, was der
Kollege Bahr festgestellt hat. Bei der landwirtschaftlichen Krankenkasse und der Unfallversicherung müssen wir zu neuen Ufern kommen. Die anderen Redner
bekommen sicherlich ähnliche E-Mails wie ich. Es ist
wünschenswert, die landwirtschaftliche Unfallversicherung für die Zukunft auf Kapitaldeckung umzustellen.
({14})
Dann müssen wir uns aber auch damit auseinander setzen, wo das Kapital herkommen soll. Es ist zwar einfach, dafür 1 Milliarde Euro aus dem Bundeshaushalt zu
fordern. Eine solche Politik haben wir in der Vergangenheit gemacht. So können wir in Zukunft nicht vorgehen,
weil uns das Geld dafür fehlt.
({15})
Was ich damit sagen will, ist: Wenn es für die große
Koalition in einem Politikbereich eine Erfolgsgeschichte
gibt, dann ist das in dem Bereich der Fall, über den wir
hier diskutiert haben. Das zeigt sich daran, dass der
Minister alle Säle füllt und die Leute, die die Veranstaltung besucht haben, zufrieden nach Hause gehen. In dem
Sinne sollten wir gemeinsam weitermachen. Ich glaube,
wir beide schaffen es, das auf den Weg zu bringen, Ernst
Bahr.
Herzlichen Dank.
({16})
Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt
hat das Wort die Kollegin Waltraud Wolff von der SPDFraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich bin meinen beiden Haushältern Herrn
Bahr und Herrn Schirmbeck sehr dankbar - ich glaube,
ich spreche auch im Namen beider Arbeitsgruppen -;
denn der vorgelegte Haushaltsentwurf zeigt, dass die
schwarz-rote Bundesregierung von Kontinuität geprägt
ist: Dieser Haushaltsplan entspricht dem vorigen. Was
von der Opposition in allen Teilen geäußert wurde,
bringt mich dazu, festzustellen: Wenn Sie schon Reden
halten, dann sollten Sie wenigstens den Ausführungen
Ihrer Vorredner bzw. des Herrn Ministers Seehofer folgen. Dann hätten Sie manche Äußerung nicht getan.
({0})
Die großen Posten wie die Gemeinschaftsaufgabe
„Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ oder die agrarsoziale Sicherung werden auf dem
diesjährigen Niveau gehalten. Darauf werde ich später
noch eingehen.
Ich möchte mit einem eher selten diskutierten Posten
des Haushalts beginnen, nämlich dem Titel für Tagungen, Messen und Ausstellungen. Das hat heute noch
niemand angesprochen, weil das Thema Gammelfleisch
im Vordergrund stand. Die Mittel für öffentliche Auftritte werden von 4,9 Millionen auf 6,6 Millionen Euro
aufgestockt. Das halte ich für ausgesprochen wichtig.
Ich denke dabei nur an die Werbung für deutsche Qualitätsprodukte aus der Landwirtschaft. Aber auch die bevorstehende EU-Ratspräsidentschaft wird hierbei sicherlich eine Verpflichtung sein.
Finnland, das zurzeit die EU-Präsidentschaft innehat,
geht beherzt schwierige Themen wie die Transparenzinitiative und den Bürokratieabbau an. Österreich hat sich
in seiner Amtszeit im ersten Halbjahr 2006 verstärkt der
Entwicklung der ländlichen Räume und der Biomasse
gewidmet.
Nach allen Erfahrungen der letzten Monate und Jahre
wäre eine Fokussierung auf den Verbraucherschutz bzw.
auf die Verbraucherpolitik für die EU-Präsidentschaft
unter deutschem Vorsitz ein hervorragendes Thema, weil
sich auch die deutsche Bevölkerung damit identifizieren
würde. Ich glaube, das wäre ein sehr geeignetes Thema.
({1})
Trotz des sehr engen Spielraums des Haushalts werden die GAK-Mittel nicht weiter gesenkt. Aber in Zukunft gilt in wesentlich stärkerem Maße, dass wir haushaltstechnisch die Mittel zur Verfügung stellen, die am
wenigsten marktpolitisch verzerrende Wirkungen zeigen. Die Agrarreform, die wir unter der Vorgängerregierung auch im Hinblick auf die WTO gemacht haben,
wird sicherlich nicht der letzte Schritt sein, den wir in
der Politik gehen, um die landwirtschaftliche Produktion
und die Wertschöpfung in den ländlichen Räumen zu sichern. Uns allen ist klar, dass im Zuge der finanziellen
Ausgestaltung der EU die Mittel für die Entwicklung der
ländlichen Räume nicht mehr, sondern weniger werden. Trotzdem werden wir Wege finden müssen, um die
ländlichen Räume weiterzuentwickeln. Dabei kann die
nationale Kofinanzierung nicht das Allheilmittel sein.
Weil dieses Thema von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung ist, von der Telekommunikation über den Personennahverkehr bis hin zur Wertschöpfung der ländlichen
Betriebe, kann man nur im Einklang mit allen Akteuren
Lösungen finden. Wir, die SPD-Fraktion, widmen uns
diesem Thema auf einer Tagung am 12. September. Ich
glaube, dass wir dort zu sehr guten Lösungen kommen
werden.
({2})
Im Bereich der nachwachsenden Rohstoffe kann die
Bundesregierung gute Erfolge verzeichnen. So förderte
das Bundesministerium mit insgesamt 50 Millionen
Euro verschiedene Projekte. Ich nenne als Beispiele nur
den Einsatz biogener Schmierstoffe, Demonstrationsvorhaben der energetischen Nutzung nachwachsender Rohstoffe und den Einsatz der Biomasse. Ich weise zu Recht
darauf hin; denn der deutsche Energiebedarf wird schon
- das sollte man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen - zu etwa 4 Prozent über die Biomasse gedeckt. Dieser Prozentsatz steigt und ist noch steigerbar.
Der große Posten der landwirtschaftlichen Sozialpolitik macht - Sie sehen mir sicherlich nach, dass auch
ich zu diesem Thema Aussagen mache - den Löwenanteil des Einzelplans 10 aus. Wir haben im Koalitionsvertrag die Reform der agrarsozialen Sicherung vereinbart.
Sie ist notwendig. Vor allem drängt die Zeit. Natürlich
ist es wichtig, dass diese Reform mit der allgemeinen
Reform des Gesundheitswesens einhergeht. Wir können
hier nicht vorangehen, sondern müssen warten und gemeinsam den Weg gehen. Aber wir haben keine Zeit
mehr zu verlieren. Herr Geisen, Ihrer Forderung nach
Einführung eines kapitalgedeckten Verfahrens in der
landwirtschaftlichen Unfallversicherung muss ich eine
eindeutige Absage erteilen. Versicherungen haben sich
bereits damit befasst und Gutachten erstellt. Demnach
kann der Bund die alten Lasten nicht übernehmen; denn
so etwas schüttelt man nicht einfach aus dem Ärmel.
Darauf weisen wir bereits seit Jahren hin. Zudem ist für
die Versicherten kein erkennbarer Nutzen durch die Umstellung auf ein kapitalgedecktes Verfahren zu erwarten.
Wenn wir eine Reform machen, sollten wir aber die Versicherten im Blick haben und nicht nur sehen, wie wir
das Problem vom Tisch bekommen.
({3})
In allen Bereichen des landwirtschaftlichen Sozialversicherungssystems brauchen wir Beitragsgerechtigkeit, eine größere Transparenz und mehr Effizienz. Wir
brauchen ein Konzept, bei dem die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Träger im Blick
behalten werden und das gleichzeitig gewährleistet, dass
die Bundesländer mit im Boot sind. Aber noch einmal:
Waltraud Wolff ({4})
Wir haben keine Zeit zu verlieren. Herr Minister, die
SPD steht in dieser Frage an Ihrer Seite.
({5})
Der Bundeshaushalt sieht vor, dass die Forschungsmittel aufgestockt werden. Da Frau Behm vorhin von
Kürzungen geredet hat, bin ich froh, dass Herr
Schirmbeck das klargestellt hat. Ich finde, es ist ein gutes Zeichen, wenn wir die Einrichtungen und die Labors
so ausstatten, dass gute Arbeit geleistet werden kann.
Fortschritt bei der Forschung bedeutet ein Plus für
Unternehmen. Daran besteht ein öffentliches Interesse.
Nehmen wir als Beispiel die Impfung von Geflügel. Wir
alle warten auf wirksame Impfstoffe, die Entwarnung in
Bezug auf die Vogelgrippe geben könnten. Das würde
zum einen die Geflügelhalter aufatmen lassen, weil diese
nicht in der Lage sind, die finanzielle Last zu tragen,
wenn der ganze Geflügelbestand getötet werden muss.
Die finanziellen Auswirkungen sind enorm und könnten
vermieden werden, wenn man die Infektionskrankheit in
den Griff bekommt. Zum anderen ist es mindestens genauso wichtig, Schaden von der Bevölkerung abzuwenden und die gesundheitliche Sicherheit der Bevölkerung
zu gewährleisten. Deshalb müssen wir in hohem Maße
in die verbraucherorientierte Forschung investieren.
({6})
Forschung soll effizient sein. Mittel können an Dritte
vergeben werden. So kann man bundesseitig sparen. Die
nachgeordneten Einrichtungen des Bundes haben in den
vergangenen zehn Jahren ungefähr 20 Prozent - sprich:
800 Stellen - eingespart. Warum sage ich das? Den Behörden geht es um Inhalte und nicht darum, ob sie möglicherweise bei der nächsten Ausschreibung wieder den
Zuschlag erhalten oder nicht. Die Neutralität ist für das
Bundesministerium ganz sicher von großem Nutzen.
Passen wir also auf, dass wir nicht an dem Ast sägen, auf
dem wir sitzen.
Absolut wichtig ist außerdem, die Verbraucheraufklärung zu stärken. Auch hier haben wir die Mittel aufgestockt. Wir haben im Laufe der Debatte gehört, wie
wichtig es ist, für die Verbraucher zu sorgen und harte
Strafen für eine gewisse Art von Wirtschaftskriminalität
zu verhängen. Ich glaube, dass Herr Minister Seehofer
mit dem Zehnpunkteprogramm die richtigen Stellschrauben gefunden hat. Ich glaube, man muss dieses Programm
umsetzen. Das ist in der heutigen Debatte deutlich geworden. Die Länder haben den wichtigsten Part bei der Umsetzung: die Kontrollen. An dieser Stelle darf nicht gespart werden. Wir brauchen eine hohe Kontrolldichte
sowie unangemeldete und konsequente Kontrollen. Zusätzlich sind länderübergreifende Qualitätskontrollen notwendig. Wir haben mit dem Verbraucherinformationsgesetz die richtigen Schritte unternommen. Wenn der
Bundesrat im September hier noch etwas draufsattelt,
dann freuen wir als SPD uns ganz besonders.
({7})
Ich hoffe, dass der Bundesrat zu solchen Konsequenzen
kommt und wir im September den Bürgerinnen und Bürgern verkünden können, welche Firmen unlauter arbeiten, wer sich krimineller Machenschaften bedient und
wer vom Markt verschwinden muss. Unser Einzelplan 10 - ich habe das deutlich gemacht - hat eine solide
Grundlage. Ich hoffe auf gute Beratungen, natürlich
auch auf Zustimmung von der Opposition.
Vielen Dank.
({8})
Weitere Wortmeldungen zu dem Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz liegen nicht vor.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz, Einzelplan 07. Als erste Rednerin hat die Bundesministerin Brigitte Zypries das
Wort. Frau Ministerin, bitte schön.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Es ist jetzt über neun Wochen her, dass das Haushaltsgesetz 2006 verabschiedet wurde. Heute befassen wir uns
erneut mit den Finanzen.
Wenn man den Etat des Justizministeriums mit denen
der übrigen Ressorts vergleicht, dann stellt man fest:
Nicht nur für den letzten Haushalt, sondern auch für den
jetzt vorgelegten gilt, dass wir zwar am wenigsten ausgeben, aber am meisten einnehmen. Es sind 0,17 Prozent
des Bundeshaushalts. Damit ist unser Einzelplan der
kleinste des Bundeshaushalts. Wir haben mit
72,5 Prozent aber nunmehr die mit Abstand höchste
Kostendeckungsquote der Ressorts.
({0})
Wer in den letzten Jahren aufmerksam zugehört hat,
der wird sich fragen, warum unsere Kostendeckungsquote eigentlich so gesunken ist. Das liegt nicht daran,
dass das Deutsche Patent- und Markenamt weniger Einnahmen hat, sondern daran, dass die Pensionskosten in
diesem Jahr zum ersten Mal auf die Einzelhaushalte umgelegt sind. Das heißt für ein Ministerium wie das Justizministerium, das einen sehr hohen Personalkostenanteil
hat, natürlich, dass die entsprechenden Pensionslasten
sehr zu Buche schlagen.
Ich möchte deshalb gleich an dieser Stelle den freundlichen Hinweis geben, dass das Ausweisen der Pensionslasten das eine ist; das andere ist die Frage, inwieweit die
Pensionslasten aus dem eigenen Haushalt gedeckt werden müssen.
({1})
Ich bitte herzlich, nicht in die Versuchung zu geraten, in
ein oder zwei Jahren zu sagen: Wenn man es schon einmal ausgewiesen hat, dann kommen Sie doch bitte selber
für Ihre Pensionslasten auf. Das könnte der Einzelplan
des Justizministeriums nicht leisten. Dann müssten wir,
das Justizministerium, die Arbeit einstellen.
Das wäre schade. Ich meine nämlich, dass die Justiz
in diesem Lande eine große Bedeutung hat und eine sehr
gute Arbeit macht.
({2})
Das ist an dieser Stelle und bei solchen Gelegenheiten
schon oft gewürdigt worden. Die Arbeit, die wir machen, bezieht sich oft auch darauf, dass wir uns bemühen, die Verwirklichung des sozialen Rechtsstaats durch
Gesetze sicherzustellen, auch und gerade im Bereich des
Verbraucherschutzes. Ich will jetzt nicht über verdorbenes Fleisch und die Frage des Verbraucherschutzes reden, sondern über andere Aspekte des Verbraucherschutzes, nämlich über den Ausgleich des freien Spiels
der Kräfte.
Wir haben als Ideal des Wirtschaftslebens Vertragsfreiheit und Privatautonomie. Aber dieses freie Spiel der
Kräfte muss staatlich oft genug reguliert werden, um zu
einem gerechten Ausgleich zu kommen. Die Verbraucher sind vielfach in einer schwächeren Position, wirtschaftlich, strukturell und auch hinsichtlich der Informationen. Tatsächlich ist es doch so: Wer einen Job oder
eine Wohnung dringend sucht, ist ein schlechter Verhandlungspartner. Er kann nämlich nicht mit den Muskeln spielen, schließlich ist er auf den Job oder die Wohnung angewiesen. Ein Verbraucher, der sich mit einem
Großkonzern anlegen will, hat allein keine Chance. Wer
vor einem Vertragsschluss nicht über alle Risiken und
Details aufgeklärt wurde, der kann nicht frei entscheiden.
Wir wollen aber Entscheidungsfreiheit und Selbstbestimmung der Verbraucherinnen und Verbrauchern stärken. Wir wollen den mündigen Verbraucher bzw. die
mündige Verbraucherin. Daher sorgen wir zunächst dafür, dass jedermann einen freien Zugang zum Markt bekommt. Diskriminierung soll und darf es in diesem Bereich nicht geben.
({3})
Wenn Sie das hören, dann denken Sie alle natürlich
gleich an das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, mit
dem wir einen ersten wichtigen Schritt getan haben. Das
will ich aber gar nicht ausführen. Ich will sagen, dass es
noch zahlreiche andere Bereiche gibt, wo wir einen Bedarf an Lösungen sehen. Ich möchte als ein Beispiel das
Thema Girokonto nennen. Ein solches Konto ermöglicht jedermann, am Wirtschaftsverkehr teilzunehmen;
denn, wie Sie alle wissen, ohne ein Girokonto ist die
Teilnahme am Wirtschaftsleben heute so gut wie nicht
möglich. Jemand, der einen Job sucht und nicht angeben
kann, auf welches Konto das Geld überwiesen werden
soll, hat auch nicht annähernd eine Chance, diesen Job
zu bekommen. Die Zeiten der Lohntüte sind lange vorbei.
({4})
- Genau.
Wir befinden uns deshalb mit den Banken und den
Sparkassen in Gesprächen darüber. Wir haben in unserem letzten Bericht an den Deutschen Bundestag angemahnt, dass es nunmehr nach der allgemeinen Selbstverpflichtung endlich auch eine rechtlich verbindliche
Selbstverpflichtung geben muss,
({5})
dass Banken und Sparkassen die Zusage eines Girokontos für jedermann einlösen. Anderenfalls müssen wir tatsächlich darüber nachdenken, ob es gesetzlicher Regelungen bedarf.
({6})
Das gilt übrigens auch für das so genannte Scoring.
Richtig ist natürlich: Wer einen Kredit haben will, muss
sich gefallen lassen, dass er auf seine Kreditwürdigkeit
überprüft wird. Aber er sollte schon wissen, anhand welcher Kriterien seine Bonität beurteilt wird; denn nur
dann kann er dafür sorgen, dass aus allgemeinen Daten
nicht Schlüsse gezogen werden, die für ihn selbst gar
nicht zutreffen. Das heißt konkret: Wenn eine Bank aufgrund einer bestimmten Postleitzahl oder aufgrund bestimmter Straßennamen davon ausgeht, dass die Menschen, die dort leben, nicht kreditwürdig sind, weil sie
kein so hohes Einkommen haben, dann ist das eine Form
von Vorurteil, die wir nicht wollen. Wir sagen vielmehr:
Es muss im Einzelfall geprüft werden. Solche generellen
Beurteilungen darf es nicht geben.
({7})
Das ist die Frage der Beteiligung oder des Zugangs.
Eine andere Frage ist die: Wie können Verbraucher
mündig entscheiden? Mündig entscheiden können sie
nur, wenn sie hinreichende Informationen haben und damit auch wissen, worüber sie entscheiden. Das ist eine
Frage der Transparenz - ein Stichwort, das an dieser
Stelle schon oft gefallen ist.
Sie wissen, dass wir dem Bundeskabinett in Kürze
den Entwurf eines neuen Versicherungsvertragsgesetzes vorlegen werden. Dabei ist Ziel, dass die Versicherungen ihre Kunden künftig vor Abschluss eines Vertrages besser beraten und informieren. Das Kleingedruckte
soll man auch nicht erst mit dem Versicherungsschein,
sondern bereits vorher bekommen. Wenn Anlass besteht,
dann muss in Zukunft auch während eines laufenden
Vertrages über Rechte aus dem Versicherungsvertrag informiert werden. Wenn jemand zur Versicherung kommt
und sagt: „Ich kann aufgrund von Arbeitslosigkeit die
Beiträge im Moment nicht weiter bezahlen und muss den
Vertrag kündigen“, dann muss er beraten werden, dass
ihm gesagt wird: Man kann den Vertrag auch ruhen lassen; man muss ihn nicht gleich kündigen.
Für mehr Transparenz wollen wir nicht zuletzt bei den
Kosten sorgen. Beim Abschluss von Lebensversicherungen ist die Verrechnung von Prämien und Provisionen
oft nicht erkennbar. Vor allem wird sie auf einen zu kurzen Zeitraum beschränkt. Das wollen wir offen legen.
Wir wollen den Verbraucherinnen und Verbrauchern damit deutlich machen, welche Kosten von ihnen zu tragen
sind.
Verbraucherrechte spielen beim Abschluss von Verträgen eine große Rolle. Sie sollen auch im Laufe des
Vertrages beachtet werden und notfalls erstritten werden
können. Dafür müssen wir - auch dafür ist das Rechtswesen zuständig - im Zweifel den Einzelnen stärken,
wenn es darum geht, seine Rechte durchzusetzen; denn
einer gewissen Waffengleichheit bedarf es schon. Wir
machen das, indem wir Verbraucherverbände einbinden. Das haben wir bei dem neuen AGG ebenfalls getan,
wenn auch, zugegebenermaßen, sehr behutsam. Antidiskriminierungsverbände können jetzt als Beistände vor
Gericht auftreten und Benachteiligte in Verfahren unterstützen.
Wir stellen noch weitere neue Instrumente zur Verfügung, damit auch diejenigen, die beispielsweise nur wenige Aktienanteile haben, die Möglichkeit haben, sich
zur Wehr zu setzen. Seit knapp einem Jahr zum Beispiel
sind Musterverfahren möglich, mit denen Anleger ihre
Schadensersatzansprüche einfacher geltend machen können. Damit tragen wir der Tatsache Rechnung, dass es
immer mehr Menschen gibt, die Aktien als eine Form
der Altersvorsorge halten. Wir haben beim elektronischen Bundesanzeiger ein Klageregister und ein Aktionärsforum geschaffen, womit wir Kleinaktionären die
Möglichkeit geben, sich zu organisieren und abzusprechen.
Maßnahmen des Verbraucherschutzes brauchen wir,
um Verbraucher zum Teil auf Augenhöhe mit Großunternehmen zu bekommen. Ein Großunternehmen, über das
im Moment geredet wird, ist die Bahn. Sie wissen, dass
es dort in vielen Bereichen noch eine Monopolstellung
gibt und die Souveränität des Verbrauchers damit nicht
sonderlich ausgeprägt ist; ein Wahlrecht gibt es nicht.
Eine Debatte, die in diesem Zusammenhang im Moment geführt wird, ist die über die Stärkung der Fahrgastrechte im Bahnverkehr. Wir führen diese Debatte
sowohl auf nationaler Ebene als auch auf europäischer
Ebene. Innerhalb Deutschlands gab es gerade Vorschläge
für ein sehr ausdifferenziertes System der Schadenersatzzahlung bei Verspätung. Auf europäischer Ebene
ist dieses System nicht so ausdifferenziert. Ausnahmsweise ist es einmal so, dass auf europäischer Ebene weniger Bürokratie vorgesehen ist, was ja durchaus nicht
immer der Fall ist.
Ich meine, dass wir Regelungen mit Augenmaß brauchen, insbesondere in dem sehr stark subventionierten
Nahverkehrsbereich. Wir müssen, wenn wir die Regelung nicht auf gravierende Fälle beschränken, überlegen,
wem wir die Ersatzleistungen aufbürden. Denn wenn die
Bahn Verspätung hat, weil sie, um die Sicherheit ihrer
Reisenden zu garantieren, herrenlos herumstehende Koffer kontrolliert und Bahnhöfe räumt, auch wenn sich das
hinterher als nicht erforderlich herausstellt, oder weil
sich Menschen - leider, muss man sagen - in großer Anzahl in Selbstmordabsicht vor die Züge werfen, wird sie
als Unternehmen Ersatzleistungen nicht allein zu tragen
haben. Dann wird eine Debatte darüber eröffnet werden
müssen, wer dafür aufkommt und ob nicht der Staat im
Zweifel zahlen muss. Ich meine, wir müssen mit dieser
Thematik sorgsam und vorsichtig umgehen und sorgfältig darüber diskutieren. Vor allen Dingen müssen wir sehen, dass wir nicht allzu bürokratisch abgestufte Verfahrensregelungen schaffen, die mehrere Möglichkeiten des
Ersatzes vorsehen.
Das Ideal des mündigen Verbrauchers oder der mündigen Verbraucherin, der bzw. die frei und selbstbestimmt entscheiden kann, wird also von zwei Seiten
bedroht: einerseits durch die Überlegenheit des Geschäftspartners und andererseits durch ein Übermaß an
gesetzlicher Regelung, wodurch der Verbraucher übermäßig bevormundet wird. Regelmäßig wird hinterfragt,
ob wir eine solche Regelungsdichte brauchen. Manche
neigen dazu, nur eine Seite zu sehen. Aufgabe dieses
Hauses ist es auch, einen Mittelweg zu finden, einen
Ausgleich zwischen diesen unterschiedlichen Anschauungen.
Mit der Neufassung des Rechtsberatungsgesetzes haben wir einen entsprechenden Vorschlag gemacht. Wir
haben den Entwurf für ein neues Rechtsdienstleistungsgesetz vorgelegt. Darin haben wir die Möglichkeit geschaffen, dass Rechtsrat in geringer Form auch von
Menschen erteilt werden kann, die nicht dafür ausgebildet sind. Warum, fragt man sich, soll nicht eine KfzWerkstatt, die mit der gegnerischen Versicherung die Reparaturkosten abrechnet, auch die Schadenspauschale
geltend machen können? Warum soll nicht ein Architekt
etwas zum Baurecht sagen oder ein Volljurist einen Bekannten kostenlos beraten dürfen?
In all diesen Randbereichen können wir, wie wir meinen, das generell vorhandene Monopol der Anwaltschaft
auflösen und damit auch ein Stück weit dem Bedürfnis
nach weniger Regelung in diesem Bereich nachkommen.
Ich glaube, dass Verbraucherinnen und Verbraucher sehr
gut wissen, wann sie dem Rat der Kfz-Werkstatt oder
des Architekten besser nicht vertrauen und stattdessen zu
einer Rechtsanwältin oder einem Rechtsanwalt gehen
sollten. Denn das, meine Damen und Herren, sieht der
Gesetzentwurf natürlich auch vor: Es bleibt dabei, dass
der Rechtsanwalt derjenige ist, der für die qualifizierte
Rechtsberatung berufen und dem die gerichtliche Vertretung vorbehalten ist.
Mehr Transparenz, Klarheit und Verständlichkeit, das
gilt nicht nur im Wirtschaftsleben, sondern das muss
auch bei den Regelungen gelten, die diese Verfahren
vorschreiben; ich meine ganz konkret bei den Gesetzen.
Es bleibt deshalb dabei, dass wir im Hause nach wie vor
Anstrengungen unternehmen, Gesetze so zu formulieren,
dass sie möglichst verständlich und klar sind. Wir werden jetzt aber zusätzlich mit der Gesellschaft für deutsche Sprache ein neues Projekt starten, das auch in diesem Haushalt ausgewiesen ist; deswegen erwähne ich es
in diesem Zusammenhang. Wir wollen gemeinsam untersuchen, wie Gesetze und Verordnungen von unverständlichem Amtsdeutsch befreit und lesbarer werden
können.
({8})
Das geht auf eine Anregung von zwei Berichterstattern
für den Justizhaushalt zurück. Ich danke den Kollegen
Binding und Schröder für ihre Initiative. Ebenso möchte
ich aber auch all denen danken, die den Haushalt des
Justizministeriums mit befördert haben und denen die
Rechtspolitik am Herzen liegt.
Meine Damen und Herren, auch in den nächsten Wochen kommen auf die Rechtspolitikerinnen und Rechtspolitiker eine Menge Vorhaben zu. Es gibt zahlreiche
Anhörungen und Beratungen; der Rechtsausschuss ist
gut ausgelastet. Lassen Sie uns gemeinsam bei all diesen
Beratungen daran denken, dass wir nicht nur richtige
und gute Gesetze machen wollen, sondern auch verständliche.
({9})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Sabine LeutheusserSchnarrenberger für die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Justizhaushalt, Frau Ministerin, gibt wirklich,
was das rein Finanzielle angeht, nicht allzu viel her. Gut,
dass Sie das Deutsche Patent- und Markenamt haben;
denn es ist doch immer wieder sehr schön, das in Haushaltsdebatten zu nennen. Deshalb ist es wichtig, dass von
Ihrer Seite aus immer ein sehr wohlwollendes Auge
- am besten zwei - auf diese „Goldkuh“ geworfen wird.
In den knapp zehn Monaten der Legislaturperiode ist
noch nicht allzu viel passiert in der Rechtspolitik. Das
steht uns jetzt im Herbst bevor, wenn wir einen Anhörungsmarathon zu vielen wichtigen Vorhaben im Rechtsausschuss durchführen werden.
Geprägt war die Arbeit - die Föderalismusreform
nehme ich jetzt ausdrücklich aus als ein natürlich wichtiges Werk, mit dem sich aber das ganze Parlament unter
Federführung des Rechtsausschusses befasst hat - in erster Linie dadurch, dass Urteile des Bundesverfassungsgerichtes aufgearbeitet werden mussten. Ich nenne hier
nur den Europäischen Haftbefehl; dass das Zollfahndungsdienstgesetz noch darauf wartet, verfassungskonform zu werden, sei nur am Rande erwähnt. Ich sage das
hier an dieser Stelle, weil ich sehr besorgt bin, wenn ich
sehe, wie gerade auch in Kreisen der Politik mit den Urteilen des Bundesverfassungsgerichtes umgegangen
wird.
({0})
Es kann einen nur sehr beunruhigen, wenn man hört,
dass es Urteile gäbe - Rasterfahndung, Lauschangriff,
Luftsicherheitsgesetz -, die dringend wieder der Korrektur bedürften, weil sie zwar sehr wohl Grundrechtsrechtsprechung beinhalten, aber Teilen der Praxis so nicht
passen.
Meine Damen und Herren, das Bundesverfassungsgericht ist die anerkannte, glaubwürdige Institution, die das
Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger genießt. Sie hat in
den letzten Jahren genug Anlass gehabt, immer wieder
der Politik sagen zu müssen, was sie zu beachten hat. Ich
darf hier in diesem Zusammenhang die frühere Präsidentin des Bundesverfassungsgerichtes zitieren, Frau Jutta
Limbach, die vor zwei Wochen sagte:
Es sollte der Ehrgeiz der Politik sein, der verfassungsgerichtlichen Nachhilfe zuvorzukommen.
Recht hat sie;
({1})
denn nur das schafft Vertrauen in die Politik. Dann sind
es nicht nur verständliche Gesetze, sondern auch verfassungsrechtlich standfeste Gesetze. Es ist gerade für den
Verbraucher und für jeden Bürger bzw. jede Bürgerin
wichtig, wenn sie sehen, was der Gesetzgeber produziert. Deshalb muss alles getan werden, damit das Ansehen des Bundesverfassungsgerichtes nicht beschädigt
wird.
Frau Ministerin, ich nehme gern auf, dass Sie sagen,
Gesetze müssten lesbar, verständlich und - das ist wirklich das Entscheidende - handwerklich gut sein. Da darf
ich nur an das „handwerklich gut gemachte“ Allgemeine
Gleichbehandlungsgesetz erinnern,
({2})
bei dem jetzt mit einer Nachbesserung endlich der Wille
des Parlaments in Gesetzesform gegossen werden muss.
Ich kann nur sagen: Das ist wirklich hochnotpeinlich; da
versteht der Bürger Politik nicht mehr. Ich hoffe, dass
das wirklich der einzige Ausreißer in dieser Dimension
gewesen ist. So etwas hat es in der Gesetzgebung in den
letzten Jahren nicht gegeben.
({3})
Das darf es natürlich nicht geben bei den wichtigen
Vorhaben, die bevorstehen. Das Projekt der Urheberrechtsreform ist jetzt mit dem Gesetzentwurf des Justizministeriums in die Debatte im Bundestag eingebracht
worden. Ich sage klar für die FDP-Fraktion: Wir halten
gerade die Weiterentwicklung des Urheberrechtes mit
der Stärkung der Stellung des Urhebers in einer für ihn
immer schwieriger werdenden digitalen Informationsgesellschaft für ganz wichtig. Deshalb ist es dringend notwendig, dass wir mit Sachverständigen diesen Entwurf
in einigen Punkten wirklich offen, konstruktiv und - das
sage ich für die FDP - kritisch erörtern. Wenn es in bestimmten Bereichen Änderungsvorschläge gibt, werden
wir die Letzten sein, die nicht versuchen, gemeinsam mit
den anderen Fraktionen hier im Hause zu einem Ergebnis zu kommen. Aber in der jetzigen Form darf der Gesetzentwurf nicht bleiben; das sage ich an dieser Stelle
ganz deutlich.
({4})
Ein weiteres wichtiges gesellschaftspolitisches Vorhaben ist die Reform des Unterhaltsrechts. Es geht dabei
darum, Kindern eine gesicherte, prioritäre Position im
Unterhaltsrecht zu geben. Frau Ministerin, wir teilen
zwar die Ansätze Ihres Entwurfs, den Sie vorgelegt haben. Wir werden aber über Details reden müssen.
Hier wird ein Stück weit ein Paradigmenwechsel vorgenommen. Die gesellschaftlichen Realitäten und Veränderungen im Hinblick auf die Ehe mit und ohne Kinder,
auf Familie und Erziehung werden aufgegriffen. Dies
wird zu gewissen Einschränkungen bei Unterhaltsansprüchen derjenigen Ehepartner führen, die keine Kinder
betreuen; das müssen wir offen sagen. Ich denke, es geht
nicht anders, weil in den allermeisten Fällen nur Mangelverwaltung möglich ist.
Ich hoffe, dass dann auch der Streit in der CDU/CSU
über das moderne Familienbild, über Familie und Ehe
im 21. Jahrhundert beendet sein wird. Wenn wir den Betreuungsunterhalt für allein erziehende und verheiratete
Mütter regeln werden, wird sich erweisen, wie modern
die CDU/CSU tatsächlich ist.
({5})
Wir werden uns konstruktiv in diese notwendigen gesellschaftspolitischen Reformen einbringen.
Lassen Sie mich zum Schluss kurz einen weiteren Bereich ansprechen; leider habe ich keine Zeit mehr, näher
darauf einzugehen. Natürlich sind für die rechtsberatenden freien Berufe in Deutschland entsprechende Rahmenbedingungen sehr wichtig. Wir verschließen uns Änderungen, die jetzt unter anderem im Rahmen eines
Rechtsdienstleistungsgesetzes angedacht werden,
nicht.
Dies sollte aber in ein Gesamtkonzept eingebettet
werden. Wir müssen sehen: Es gibt viele andere Bereiche, die die rechtsberatenden freien Berufe genauso betreffen, zum Beispiel die EU-Geldwäscherichtlinie oder
der Schutz der Vertrauensbeziehung zwischen Anwalt
und Mandant. Da hat sich eine Lücke aufgetan, wie wir
in der Rechtsprechung sehen. Auch die Stärkung des
Schwächeren durch den Anwalt muss eine Rolle spielen.
Man muss sehen, durch welche Änderungen des Gesetzentwurfes im Hinblick auf die Scheidung light dieser Aspekt eingebracht werden kann.
({6})
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und bin
froh, dass das nächste Jahr dieser Legislaturperiode der
Zeitpunkt für Entscheidungen zu wichtigen rechtspolitischen Vorhaben sein wird.
Vielen Dank.
({7})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Jürgen Gehb von
der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich
mich der Agenda unserer Themen für die kommenden
Monate zuwende, will ich uns alle ganz kurz daran erinnern, dass seit Freitag der vergangenen Woche die Verfassungsänderungen in Kraft getreten sind, die wir vor
der Sommerpause verabschiedet haben. Diese Grundgesetzänderungen - es wurde in diesem Zusammenhang
eine siebentägige Anhörung durchgeführt; das war einmalig in der Geschichte der Bundesrepublik - waren ein
großer Kraftakt. Daran sollte man in einer Rechtsdebatte
ruhig einmal erinnern.
({0})
In der Vergangenheit mögen zwar viele Koalitionen darüber geredet haben. Aber wir als große Koalition haben
gehandelt und können stolz auf diese Verfassungsänderungen sein.
Nun haben wir die Finanzverfassung einstweilen ausgeklammert. Auch etwas anderes haben wir ausgeklammert, nämlich die Aufnahme weiterer Staatsziele in unser Grundgesetz. Ich will heute nur wenige Worte dazu
sagen:
Erstens. Wir stehen zu der Zusage, dass wir hierüber
bald diskutieren werden und hierzu eine Anhörung im
Rechtsausschuss durchführen werden.
Zweitens. Ich halte viele der Anliegen, die als potenzielle Staatsziele in der Diskussion sind, für mehr als ehrenwert.
Drittens. Erlauben Sie mir aber, in diesem Zusammenhang eine Sorge auszusprechen, die mich wirklich
umtreibt, und zwar die Sorge, dass sich in der Öffentlichkeit, aber auch unter den Kollegen mehr und mehr
der Eindruck festsetzt, dass ein politisches Ziel oder
Recht nur noch dann als angemessen verortet gilt, wenn
es seinen Platz im Grundgesetz gefunden hat. Alles andere wird anscheinend nur noch als zweit- oder drittrangig wahrgenommen.
Für mich ist dies eine Fehlentwicklung. Beschreiten
wir diesen Weg weiter, dann habe ich ernsthaft die Befürchtung, dass wir das Ansehen einfachgesetzlicher Regelungen schädigen und damit letztlich unser aller Arbeit entwerten.
({1})
Gerade bei den einfachgesetzlichen Regelungen haben
wir im ersten Halbjahr vieles erreicht und angestoßen,
was unter Rot-Grün nicht möglich war. Wir Christdemokraten freuen uns, dass wir mit unserem Partner beispielsweise Scheinvaterschaften - Stichwort: Imbissväter - endlich bekämpfen, das Stalking unter Strafe stellen
oder Lücken bei der Sicherungsverwahrung schließen
können - viele Gesetzeswerke, die noch in Bundestagsdrucksachen aus der letzten und vorletzten Legislaturperiode standen und die jetzt im Bundesgesetzblatt stehen.
({2})
Für die zweite Hälfte des Jahres stehen ebenso wichtige Themen auf der Agenda der Rechtspolitik. Ohne
Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben, will ich nur sagen: Wir werden uns auch und ganz sicher der Stärkung
der Verbraucherrechte annehmen - und dies nicht nur
im Zusammenhang mit dem Stichwort Gammelfleisch.
({3})
Bei der Neuregelung des Rechtsdienstleistungsgesetzes wird es für uns Christdemokraten oberste Maxime
sein, die hohe Qualität der Rechtsberatung in unserem
Land für den rechtsuchenden Bürger zu erhalten.
({4})
Daher darf auch zukünftig der qualifizierte und umfassende Rechtsrat nur von Rechtsanwälten und Rechtsanwältinnen erbracht werden.
({5})
Es nützt auch nichts - da bin ich nicht so ganz konform
mit meiner Justizministerin -: Rechtsanwälte oder
Leute, die vielleicht rechtskundig, aber keine zugelassenen Anwälte sind, sollten auch nicht kostenlos irgendjemandem Rechtsrat erteilen können. Wer haftet denn hinterher? Es gibt weder eine Haftpflichtversicherung noch
gibt es ein Aussageverweigerungsrecht. Diese Personen
unterliegen nicht der Verschwiegenheitspflicht. Niemand käme auf die Idee, selbst einen guten Piloten bei
einem Segelflugzeug einen Jumbojet fliegen zu lassen.
({6})
Diesen Schutz sind wir allen Verbrauchern schuldig.
Dies schließt gewisse Öffnungen des anwaltlichen Beratungsmonopols nicht aus; das ist ganz klar. Es gibt eine
europäische Richtlinie - aber alles mit Augenmaß. Das
werden wir in der gewohnten Gemeinsamkeit hinbekommen.
Gegenüber den Bürgern stehen wir im Wort, alles zu
tun, damit schwere und schwerste Verbrechen aufgeklärt
werden können. Ich bin froh, dass wir bei der Nutzung
der DNA-Analyse - das ist ein naturwissenschaftlicher
Quantensprung - weitergekommen sind, und spreche
mich mit Blick auf die FDP ausdrücklich dafür aus, zukünftig auch Mautdaten zur Aufklärung schwerer und
schwerster Verbrechen nutzbar zu machen.
({7})
Auch hier gilt: Diese Daten sollen nicht zur Aufklärung von Ladendiebstählen oder von Schwarzarbeit genutzt werden. Entsprechende Presseerklärungen, Frau
Kollegin Dyckmans, liebe Mechthild, oder Herr
Friedrich, muten schon zynisch an. Ich finde, man
könnte den Mut aufbringen, den Eltern der getöteten
Kinder zu sagen, dass man hier Mörder mit Schwarzarbeitern oder Ladendieben gleichsetzen will. Das ist
nicht unser Ziel. Deswegen bitte ich darum, dass wir es
endlich wahr machen, dass Datenschutz nicht Täterschutz sein kann und dass Opferschutz vor Datenschutz
geht.
({8})
Die große Koalition hat es sich zum Ziel gesetzt, unser Land an vielen Stellen wieder fit für die Zukunft zu
machen. Das ist nicht nur Aufgabe der Wirtschafts- und
Finanzpolitik. Auch wir in der Rechtspolitik können
- als große Koalition werden wir das tun - unseren ganz
spezifischen Beitrag hierzu beisteuern. Ich nenne nur neben der Novelle des Urheberrechts zum Schutz des geistigen Eigentums - das ist eben schon angesprochen worden - unter der Rubrik „Unser Land wieder fit machen“
die notwendige Reform weiter Teile unseres Gesellschaftsrechts.
Wir können zu Recht stolz auf unsere GmbH sein,
die sich seit ihrer Geburtsstunde im Jahr 1892 zu einem
regelrechten Erfolgsmodell speziell für den Mittelstand
entwickelt hat. Doch Erfolgsmodelle bleiben nur dann
erfolgreich, wenn sie von Zeit zu Zeit den veränderten
Umständen und Bedürfnissen der Kunden angepasst
werden. Und vergessen wir auch nicht: Die Angebote
der Konkurrenz spielen ebenfalls eine Rolle.
So hat die Justizministerkonferenz bereits im
Jahr 2002 das Bundesjustizministerium mit der Prüfung
beauftragt, welche Vorschriften im Recht der GmbH reformbedürftig seien. Nach zwei vergeblichen Anläufen
unter Rot-Grün
({9})
gibt es nun einen weiteren hausinternen Diskussionsentwurf des Bundesjustizministeriums zur GmbH-Reform,
der kurz vor der Sommerpause das Licht der Welt erblickt hat.
({10})
Dieser Entwurf greift viele regelungsbedürftige Fragen
auf, ist solide und gut, was aber nicht heißt, dass man aus
einem guten Entwurf nicht auch noch einen besseren
machen kann.
Nun stehen wir am Beginn der Diskussion und da wir
Parlamentarier nicht die Erfüllungsgehilfen der Ministerialbürokratie sind - so jedenfalls mein ganz bescheidenes Selbstverständnis; das teile ich vielleicht mit der
Mehrheit des Hauses -,
({11})
sollten wir uns auch ganz selbstbewusst an dieser Diskussion beteiligen. Dies sollten wir auch deswegen tun,
weil die Reform unseres deutschen Gesellschaftsrechts
keine Kleinigkeit ist. Lange lebten wir in Deutschland
mit unserem Gesellschaftsrecht abgeschottet in einer Art
Paradies. Da gab es neben der GmbH als Golf-Klasse die
ebenfalls wohlangesehene Aktiengesellschaft quasi als
S-Klasse. Aber attraktive Kleinwagen waren nicht im
Angebot und entsprechenden Modellen aus dem Ausland war der Zutritt zum deutschen Markt nicht gestattet.
All dies ist Vergangenheit. Nach mehreren Urteilen
des Europäischen Gerichtshofs sind diese schützenden
Mauern weg. Jedem Firmengründer in unserem Land
stehen alle in der EU angebotenen Gesellschaftsformen
zur Verfügung. Es wird in unserem Land bei ausländischen Modellen auch rege zugegriffen. Wenn sich in unserem Land Monat für Monat über 1 000 Unternehmer
entscheiden, eine britische Limited als Gesellschaftsform zu wählen, dann müssen wir uns als deutscher Gesetzgeber die Frage gefallen lassen, warum und wieso
sie dies tun. Wir müssen uns auch die Frage stellen, ob
wir hierauf eine geeignete Antwort geben wollen, indem
wir beispielsweise unsere Angebotspalette heimischer
Rechtsformen erweitern.
Wir stehen also in Europa in einem rauen, harten und
echten Wettbewerb nicht nur der Güterproduktionen und
der Dienstleistungen, sondern auch der Rechtsformen.
Vor diesem Hintergrund ist die notwendige Reform unseres Gesellschaftsrechts wichtig, richtig und viel bedeutungsvoller, als manche dies im ersten Augenblick meinen. Daher sind zumindest die Rechtspolitiker der Union
der Überzeugung, dass die aus der Feder eines Ministerialbeamten stammenden Vorschläge zur GmbH-Reform an vielen Stellen nützlich und auch interessant
sind, aber beispielsweise keine überzeugende Lösung
hinsichtlich des Problems der britischen Limited darstellen. Wir sind der festen Überzeugung, dass es dazu neben der wohl etablierten GmbH einer zusätzlichen, einer
neuen, einer extrem einfach geregelten sowie einer
preiswerten Gesellschaftsform bedarf.
({12})
Diese neue Gesellschaft soll ganz bewusst ein Aliud
zur bestehenden GmbH sein: klein, preiswert, selbstbewusst und anspruchsvoll. Nennen wir sie einmal Unternehmergesellschaft. Wir wollen die notwendige Reform unseres Gesellschaftsrechts sozusagen in der Form
eines Zweisäulenmodells.
Erlauben Sie mir - es soll keine Exegese werden -,
Ihnen wichtige Eckpunkte unserer Überlegungen zu dieser neuen Gesellschaftsform kurz mitzuteilen: kurze
Gründungszeit, Eintragung im Handelsregister innerhalb
von 24 Stunden,
({13})
kein Mindestkapital und Gründungskosten in Höhe von
maximal 100 Euro. Es soll noch eine Reihe anderer Erleichterungen in der Gründungsphase geben.
All das muss natürlich mit den Regeln des Gläubigerschutzes korrespondieren. Es ist etwa an erweiterte
Pflichtangaben - ich nenne die Stichworte Geschäftsbriefe und Internet - gedacht. Ausschüttungen sollen nur
aus Gewinnen erfolgen, eventuell unter der zusätzlichen
Voraussetzung eines Solvenztests. Außerdem ist an eine
Gesellschafterhaftung wie bei der GmbH und zusätzlich
beim Vorliegen einer evidenten Unterkapitalisierung gedacht.
Die Insolvenz ist ein kritischer Fall. Dabei geht es im
Durchschnitt um Beträge in Höhe von 800 000 Euro.
Die Vermutung der Zahlungsunfähigkeit soll gegeben
sein, wenn die Gesellschaft mit der Erfüllung einer Forderung in Höhe von mindestens 600 Euro länger als vier
Wochen in Verzug ist und trotz erneuter Fristsetzung
keine Leistung innerhalb von zwei weiteren Wochen erfolgt.
Damit nach der Vorstellung dieser Unternehmergesellschaft auch nicht der Hauch eines Missverständnisses
im Raum stehen bleibt, sage ich ganz klar: Die legitimen
Gläubigerinteressen - lassen Sie mich in diesem Zusammenhang nur das Stichwort Bestattungsfälle nennen verlangen nach einer umfassenden Modernisierung des
GmbH-Rechts. Der vorliegende Entwurf aus dem Bundesjustizministerium stellt in diesem Bereich einen wertvollen Diskussionsansatz dar.
({14})
Allerdings bietet der MoMiG-Entwurf für Existenzgründer keine neue Perspektive. Umso wichtiger ist unsere Ergänzung durch die Unternehmergesellschaft. Lassen Sie uns also zum Wohl der Gläubiger als auch zum
Wohl der Unternehmer die Reform unseres Gesellschaftsrechts zügig anpacken und die jeweils spezifische
Antwort geben.
All dies sind wichtige Aufgaben für die kommenden
Monate. Ich kann Ihnen versichern, dass die große
Koalition unter Leitung unserer Kanzlerin Angela
Merkel und in bewährter Zusammenarbeit - mit kleinen
Nuancen ist die Zusammenarbeit immer gut - mit unserer Justizministerin Brigitte Zypries zukunftstaugliche
Lösungen anbieten wird.
({15})
Das ist das Ende meines Redebeitrags. Ich danke Ihnen für Ihre wohlwollende Aufmerksamkeit und den
großen Beifall vom ganzen Hause.
({16})
Nächster Redner ist der Kollege Wolfgang Nešković,
Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Ein unstrittiges Prinzip der Gerechtigkeit besteht darin, dass die Folgen eines Übels grundsätzlich nur den treffen dürfen, der dieses Übel durch
sein Handeln zu verantworten hat. Die Suche nach dem
richtigen Recht ist deswegen immer identisch mit der
Suche nach Gerechtigkeit.
Ich frage mich, ob sich dieses Haus bei der Gesetzgebung noch diesem, wie ich finde, sehr einfachen und klaren Grundsatz verpflichtet fühlt. Ich erinnere mich gut
an die öffentlichen Kommentierungen der Beratungen
und Beschlussfassungen der Hartz-IV-Gesetze seitens
der Politik. Die Kürzungen am Sozialstaat wurden mit
einer Art befremdlichem Stolz auf die eigene Härte verkündet. Man sollte den Eindruck erhalten, es habe sich
endlich jemand aufgerafft und den Mut gefunden, das
Schwere, das Unbeliebte zu tun, weil es die Zeit und ihre
Umstände erforderten.
Die Zeit und ihre Umstände sind von einer anhaltenden Massenarbeitslosigkeit gekennzeichnet. Die Automatisierung von Arbeitsabläufen durch Computer und
Roboter macht, unter den Bedingungen des von Ihnen
präferierten Wirtschaftssystems, menschliche Arbeit zunehmend entbehrlich. Die Globalisierung des Arbeitsmarktes führt zu einer Verschiebung von Arbeitsplätzen
aus den klassischen Industrieländern in die Schwellenländer der Welt.
({0})
Ganz überwiegend aufgrund dieser Entwicklungen
stehen die Töchter und Söhne der einst händeringend gesuchten Industriearbeiter heute ohne Erwerbsarbeit da.
Noch im Jahre 1999 stellte die sozialdemokratische Justizministerin, Frau Dr. Herta Däubler-Gmelin, im „Vorwärts“ fest, es komme nun darauf an, die Schwachen zu
schützen. Für Erinnerungsschwache eine Seh- und Erinnerungshilfe aus dem „Vorwärts“.
({1})
Wörtlich heißt es:
Deshalb stehen der Schutz der Schwachen durch
das Recht und die Grundwerte des Sozial- und
Rechtstaates im Vordergrund meiner Politik.
Das finde ich gut. Das findet unsere Unterstützung.
({2})
Die rot-grüne Koalition hingegen reagierte auf die geschilderte Entwicklung ganz anders. Sie antwortete auf
die Fragen der Zeit mit einer hilflosen Doppelstrategie:
Einerseits versuchte sie vergeblich, den Verbleib von
Unternehmen im Inland durch Anreize zu befördern,
zum Beispiel indem sie die Steuern für Unternehmen
und Bezieher hoher Einkommen senkte. Sie verzichtete
damit „erfolgreich“ auf staatliche Einnahmen in Milliardenhöhe, die heute nicht zuletzt bei der Finanzierung der
Sozialsysteme fehlen.
Zweitens verringerte und verringert die alte und neue
politische Mehrheit die individuell gewährten sozialen
Leistungen des Staates. Sie setzt dem breiten Bedarf an
staatlicher Unterstützung möglichst schmale Ausgaben
entgegen. Vielleicht möchten Sie nun einwenden, die
deutsche Politik könne schließlich nichts für die veränderten Umgebungsvariablen ihrer Entscheidungen.
({3})
Automatisierung und Globalisierung hätten doch nicht
die deutsche Politik zu verantworten und es sei schließlich aussichtslos, diese Prozesse zu blockieren.
({4})
Vielleicht ist das ein Teil der Wahrheit. Es ist aber höchstens ein Teil und nicht ihr Kern. Niemand könnte weniger Einfluss auf die sich ändernde Ökonomie haben als
die Erwerbslosen dieses Landes, ihre Familien und ihre
Kinder. Sie sind ohne Einfluss und ohne Schuld, werden
aber dennoch bestraft; denn sie treffen die Folgen der geschilderten Entwicklung zwei Mal mit aller Kraft. Der
erste Schlag ist die Arbeitslosigkeit und die Abhängigkeit von staatlicher Hilfe.
({5})
Der zweite Schlag ist die Kürzung der staatlichen Hilfe
in dieser Situation. Diesen zweiten Schlag führen Sie. Er
ist politisch gewollt. Politische Entscheidungen haben
sich auch vor den Grundsätzen der Gerechtigkeit zu verantworten.
({6})
Es ist ein unbezweifelbares Prinzip der Gerechtigkeit,
dass die Folgen eines Übels niemals den treffen dürfen,
der zu diesem Übel keine Ursache gesetzt hat. Hartz IV
verletzt dieses Prinzip. Auch die neuerliche Verschärfung von Hartz IV verletzt dieses Prinzip. Dieses Prinzip
droht nun erneut verletzt zu werden. Vermutlich noch im
Herbst werden wir über zwei Entwürfe des Bundesrates
zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und zur Begrenzung der Prozesskostenhilfe zu entscheiden haben.
({7})
Diese Entwürfe sind ebenfalls in jenem Geist des Stolzes
auf die eigene Härte geschrieben. Auch Sie schmücken
sich eitel damit, den Mut für das längst Überfällige aufzubringen.
Das PKH-Begrenzungsgesetz bezweckt, die Prüfung
von Prozesskostenhilfe auch für große Teile der ärmeren
Bevölkerungsschichten von einer Bearbeitungsgebühr
von 50 Euro abhängig zu machen. Hier wird die unrühmliche Idee der Praxisgebühr im Gesundheitswesen
in gesteigerter Form auf den Zugang zu den Gerichten
übertragen. Diese und die weiteren beabsichtigten Veränderungen laufen letztlich darauf hinaus - der VdK
stellte das in einer Presseerklärung am 17. Juli 2006
fest -, das vor 26 Jahren abgeschaffte Armenrecht wieder einzuführen. Die Entwurfsersteller wollen mit längst
überwundenen Konzepten aus der Vergangenheit dieses
Land fit für die Zukunft machen. Das muss scheitern.
Anachronismus gestaltet keine Zukunft.
({8})
Das Sozialgerichtsänderungsgesetz sieht darüber hinaus vor, eine allgemeine Gebühr für klagende Bürger
einzuführen. Grundsätzlich soll diese Gebühr im Fall des
Unterliegens 75 Euro betragen. Während also Hartz IV
und seine Verschärfung die Erwerbslosen auf das absolute Minimum der Lebensführung zurückdrängen, bezwecken diese Entwürfe, den Leistungsempfänger dazu
zu bewegen, darauf zu verzichten, um die Rechtmäßigkeit seines Leistungsbescheides zu prozessieren.
Wolfgang NeškoviæWolfgang Nešković
({9})
Wer am Existenzminimum lebt, führt kein Sparbuch für
mögliche Rechtsstreitigkeiten. Wer wenig im Leben hat,
braucht viel im Recht. Er ist ohne staatliche Hilfe praktisch völlig rechtlos, wenn es zum Streit kommt.
({10})
Ich sehe keinen Anlass zu dem geschilderten Stolz auf
die eigene Härte. Ich kann bei denjenigen, die diese Gesetzgebung zu verantworten haben, und bei denjenigen,
die die geschilderten Entwürfe auf den Weg gebracht haben, keinen Mut ausmachen. Die Kürzung der sozialen
Leistungen und nun auch der Rechtsweggarantie trifft
die Schwachen und Schwächsten der Gesellschaft.
({11})
Welcher Mut gehört dazu, von denen zu nehmen, die
sich kaum wehren können? Welchen Mut bringt man
auf, wenn man ihnen auch noch die gerichtliche Gegenwehr nimmt? Was ist das für ein Mut, der sich darin gefällt, das Ungerechte zu tun? Mut hätte es erfordert, eine
Gesetzgebung auf die Beine zu stellen, aus der heraus
die Menschen dieses Landes die Folgen des von mir eingangs beschriebenen ökonomischen Wandels gemeinsam tragen. Mut hätte es erfordert, zur Abfederung der
Belastungen des sozialen Systems die Bezieher hoher
und höchster Einkommen heranzuziehen. Es wäre gerecht gewesen, so zu verfahren. Diesen Einkommensgruppen bescheren die Effektivierung der Produktion
und die Erschließung globaler Märkte jährlich beachtliche Gewinne. Diese Strategie hätte den Willen der Gesellschaft zur Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit an
der richtigen Stelle auf die Probe gestellt. Diese Strategie
hätte echten Anlass zu Stolz gegeben.
({12})
Nur so hätten Sie Ihre Mutfähigkeit im sozialen und im
christlichen Sinne und den sich daraus ergebenden notwendigen Willen zur sozialen Gerechtigkeit unter Beweis stellen können.
Ich habe am 1. Juli 2006 einen Brief von einem
Göttinger Bürger erhalten, aus dem ich zum Abschluss
zitieren möchte:
({13})
Ich habe, während ich aufwuchs, gelernt, was
soziale Verantwortung meint und bedeutet.
({14})
- Haben Sie doch wenigstens so viel Respekt, einem
Bürger, der mir geschrieben hat, zuzuhören.
({15})
Der Geist des Grundgesetzes, so wie ich es verstanden habe, gab mir bei diesem Gefühl stets Recht.
Da ging es um Fairness und wer kann schon gegen
Fairness sein? Ich wähnte mich auf einem Eiland,
wo Verstand, Recht und Gerechtigkeit Hand in
Hand gehen, an einem Platz, wo das Parlament oder
sogar die Regierung … moralisch gewachsen war.
Aber offenkundig gehen solche Erkenntnisse und
Errungenschaften verloren.
({16})
- Es wäre gut, wenn Sie sich solche Gedanken zu Herzen nehmen würden. Das wäre etwas für Ihr Kopfkissen
bzw. für morgens nach dem Aufwachen.
({17})
Sie erodieren, wenn sie nicht fortwährend … verteidigt werden. Tatsächlich nehme ich heute wahr,
dass fundamentale Grundprinzipien des Zusammenlebens in diesem Land offen von der regierenden Politik torpediert werden.
({18})
Abschließend möchte ich feststellen: Mir ist nicht
entgangen, dass die Bundesregierung zu den hier kritisierten Gesetzentwürfen zur PKH-Begrenzung und zur
Sozialgerichtsgebühr ihrerseits kritische bis ablehnende
Stellungnahmen abgegeben hat.
({19})
Frau Zypries, ich kann Ihnen nur die Kraft wünschen,
({20})
bei dieser Notbremsung zu bleiben, damit der schon erwähnte sozialdemokratische Grundsatz, die Schwachen
zu schützen, nicht endgültig im Museum sozialdemokratischer Grundwerte verschwindet.
Vielen Dank.
({21})
Das Wort hat der Kollege Jerzy Montag, Bündnis 90/
Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Ich werde jetzt versuchen, im Rahmen der Haushaltsdebatte zur Rechtspolitik zurückzukehren.
({0})
Seitdem ich im Bundestag bin, haben sich die Zahlen
im Haushalt des Bundesjustizministeriums und auch die
in Einzelplan 19 - Bundesverfassungsgericht - nicht
Wolfgang NeškoviæWolfgang Nešković
wesentlich geändert. Sie sind so solide wie seit vielen
Jahren.
Vielleicht sollte ich an die Adresse der Union sagen:
Selbst die Union hat die ideologisch verbrämten Angriffe auf einzelne Posten im Haushalt des Bundesjustizministeriums, die wir noch aus der rot-grünen Regierungszeit kennen, inzwischen aufgegeben.
({1})
Es scheint bezüglich des Haushalts des BMJ mittlerweile große Einigkeit zu herrschen. Es ist immer noch
so, dass sich die Finanzen des Bundesjustizministeriums im Vergleich zum Gesamthaushalt im Promillebereich bewegen. Es ist immer noch so, dass jeder Bürger
dieses Staates auf Bundesebene einige Cent im Jahr für
die Justiz ausgibt und auf Landesebene weniger als für
einen Kinobesuch pro Jahr.
In diesem Zusammenhang möchte ich den Kollegen
Dr. Röttgen, den früheren rechtspolitischen Sprecher der
Union, zitieren, der hier im Bundestag gesagt hat:
Der Stellenwert der Rechtspolitik wird nicht in
Geld bemessen. Er drückt sich … darin aus, welche
Bedeutung die Politik … dem Recht … als gestaltende Antwort auf gesellschaftliche Entwicklungen
beimisst.
({2})
Meine Damen und Herren, der zweite, wortgewaltige
Satz versperrt die Sicht darauf, dass der erste falsch ist.
Zur Rechtsstaatlichkeit in einer Gesellschaft gehört eine
Justiz. Deshalb ist Rechtspolitik dann gut, wenn sie die
Justiz, konkret die Staatsanwaltschaften und die Gerichte, bei der Bewältigung ihrer Aufgaben nicht alleine
lässt. So gesehen lässt sich Rechtspolitik selbstverständlich nicht ohne Geld machen und denken.
Im März dieses Jahres habe ich in der Debatte über
den Haushalt 2006 das Bundesverfassungsgericht zitiert. Diese Passage will ich an dieser Stelle, da sich
nichts geändert hat, ausdrücklich wiederholen. Das Bundesverfassungsgericht hat in einigen Fällen mutmaßliche
Straftäter aus der Haft entlassen und dazu gesagt:
Die Überlastung eines Gerichts fällt in den Verantwortungsbereich der staatlich verfassten Gemeinschaft … Hilft der Staat der Überlastung der Gerichte nicht ab, so muss er … seinen … Bürgern
erklären, dass mutmaßliche Straftäter … sich der
Strafverfolgung … entziehen und erneut Straftaten … begehen.
Ich sage: Es hat sich nichts geändert. Im Dezember
letzten Jahres hat der Fünfte Strafsenat des Bundesgerichtshofs unter seiner Vorsitzenden Frau Harms, die
jetzt Generalbundesanwältin geworden ist, in dem Revisionsverfahren zum Kölner Müllskandal Folgendes gesagt: In vielen großen Wirtschaftsstrafverfahren kann
eine adäquate Aufklärung und Bestrafung nicht erfolgen,
weil hierfür die ausreichenden justiziellen Ressourcen
nicht zur Verfügung stehen. Alleine bessere finanzielle
Ausstattung und nicht weitere Strafverschärfungen
könnten hier Abhilfe schaffen.
({3})
Nun kann man natürlich sagen: Die geforderte Ausstattung ist Ländersache.
({4})
Das ist richtig. Aber es ist eine nationale Aufgabe der
Rechtspolitik, hier Druck auszuüben, konkrete Forderungen zu stellen, ein Engagement der Länder einzufordern. Gute Rechtspolitik wäre es, hier aktiv zu werden.
Aber dies geschieht nicht.
({5})
Rechtspolitik hat in diesem Hause leider keinen Stellenwert mehr.
({6})
Sie kommt im Koalitionsvertrag als eigener Abschnitt
überhaupt nicht vor.
({7})
Diese Bundesregierung hat inzwischen die Rechtspolitik
als eine rechtsstaatliche, grundrechtsorientierte, die Bürgerrechte schützende Kraft abgeschrieben. Ich zitiere,
was Bundesjustizministerin Zypries am 14. November
2005 zur Koalitionsvereinbarung gesagt hat: Rechtsstaatlichkeit und Grundrechtsschutz sind der Maßstab,
an dem sich die große Koalition messen lassen muss. Diese Worte sind einsam in der Debatte der großen
Koalition um die großen, notwendigen Aufgaben, die in
diesem Hause zu bewältigen wären.
({8})
Ich sage an dieser Stelle: Messen wir die große Koalition doch daran, was sie in den ersten elf Monaten in der
Rechtspolitik angerichtet hat! Ich komme zum ersten
Punkt, zur Föderalismusreform. Ihre übergroße Mehrheit wurde genutzt, um das Grundgesetz - Sie haben darauf hingewiesen, Herr Gehb - umfänglich und fast zu
hundert Prozent gegen den ausdrücklichen Vorschlag aller geladenen Sachverständigen zu verändern.
({9})
Dazu hat Ihre Mehrheit genützt. Aber die Kraft, dabei
die Einheit des Rechts auf nationaler Ebene zu wahren
und es rechtsstaatlich auszubauen, hatte diese große Koalition nicht.
({10})
Ich will dafür nur ein einziges Beispiel anführen:
({11})
Das Bundesjustizministerium hat mit seinen Gesetzentwürfen zu Untersuchungshaft und Jugendstrafvollzug
nicht nur eine jahrzehntelang versäumte Aufgabe erfüllt,
sondern durchaus auch ein Zeichen gesetzt.
({12})
Doch es hat keine Kraft in Ihrer übergroßen Koalition
gegeben, diese nationale Aufgabe einer einheitlichen
Regelung des Vollzugs der Untersuchungshaft und des
Jugendstrafvollzugs beim Bund zu belassen. Sie haben
diese Rechtsmaterie billig verscherbelt und damit der
Rechtspolitik und auch den betroffenen Menschen geschadet.
({13})
Die Kritiker dieser Entwicklung haben einen „Wettlauf
der Schäbigkeit“ angekündigt.
({14})
Dieser „Wettlauf der Schäbigkeit“ hat bereits begonnen.
({15})
Die ersten Entwürfe, aus Bayern und aus BadenWürttemberg, zur Regelung dieser Materie auf Landesebene zeigen, wohin die Reise geht: Es wird in Deutschland nur noch Strafvollzug nach Kassenlage geben.
({16})
Frau Bundesjustizministerin Zypries, Sie haben auf diesem Gebiet - und dies ist nur ein Beispiel - Rechtsstaatlichkeit und Grundrechtsschutz eben nicht wahren können.
Ich will ein zweites Beispiel aus den ersten elf Monaten nennen: das Antidiskriminierungsgesetz, das Sie in
„Allgemeines Gleichstellungsgesetz“ umbenannt haben.
Man muss ja froh sein, dass sich die Rechtspolitik der
Union in diesem Gesetzentwurf nur marginal verwirklicht hat. Bis zur letzten Nacht, der entscheidenden
Rechtsausschusssitzung, bestand der Beitrag von Ihnen
von der Union in der Namensänderung.
({17})
Dann ist das Chaos der großen Koalition über dieses Gesetz gekommen. Sie haben die seit vielen Jahren bewährte Regel der Beweislastverteilung im bisherigen
§ 611 a Abs. 1 Satz 3 BGB, die wir wortwörtlich in das
ursprüngliche ADG übertragen haben, so verhunzt, dass
der rechtspolitische Sprecher der Union erklärte, er
könne sich jetzt auf keiner juristischen Fachtagung mehr
sehen lassen, ohne zum Gespött zu werden.
({18})
Dadurch erklärt sich vielleicht auch, wer für diese Verschlimmbesserung in der Koalition wahrscheinlich die
Verantwortung trägt.
Dafür hat die Union aber heldenhaft und erfolgreich
gekämpft, die Weltanschauung in letzter Sekunde aus
dem Gesetz zu streichen. Das Bundesjustizministerium
war aber nicht in der Lage, diesen Auftrag durchzuführen, weswegen es bald zu einem Bereinigungsgesetz
kommen wird.
({19})
Ich sage Ihnen: Wenn es nicht zum Weinen wäre, dann
würden wir als Opposition uns nicht nur klammheimlich, sondern offen über Ihren Murks freuen können.
({20})
Europäischer Haftbefehl: Es wäre wirklich den
Schweiß der Edlen wert gewesen, sich darüber Gedanken zu machen, wie man die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in ein vernünftiges Gesetz gießt.
Stattdessen haben Sie ganze Absätze der Entscheidung
des Bundesverfassungsgerichts wortwörtlich ins Gesetz
geschrieben
({21})
und damit nicht zur Klärung des Sachverhalts beigetragen. Über alle vernünftigen Vorschläge, im zweiten Anlauf ein besseres Gesetz zu machen, haben Sie im
Rechtsausschuss nicht einmal diskutiert, sondern Sie haben sie mit Ihrer übergroßen Mehrheit stillschweigend
abgelehnt.
Ich könnte etwas zur Vorratsdatenspeicherung sagen.
({22})
Ich könnte auch etwas zum elektronischen Handelsregister sagen. Das ist ein ganz interessantes Gesetz, welches die deutsche Wirtschaft dringend braucht. Wir waren eigentlich schon so gut wie fertig damit, bis das
Chaos der großen Koalition wiederum zugeschlagen hat
und Sie den Gesetzentwurf, der mit uns allen bereits abgestimmt war, in letzter Sekunde wieder zurückgezogen
haben. Kein Mensch weiß, wo er geblieben ist. Er ist
nicht wieder aufgetaucht.
Ich könnte über das Stalking reden. Es ist eine Verhohnepipelung des Bundestages, dass Sie eine Anhörung
über ein Gesetz des Bundesrates, das dem Inhalt nach
zurückgezogen worden ist, und über ein Gesetz der Bundesregierung, das ebenfalls zurückgezogen worden ist,
durchführen wollen, während Sie das Gesetz, das Sie eigentlich verabschieden wollen, noch niemandem vorgestellt haben. Über so etwas sollen wir im September im
Rechtsausschuss beraten!
({23})
Meine Damen und Herren, alles, was wir bisher von
der Rechtspolitik der großen Koalition gehört haben und
was angekündigt wird - von der Kronzeugenregelung
bis zur nachträglichen Sicherungsverwahrung -, lässt
nichts Gutes vermuten. Deswegen sage ich Ihnen:
Rechtspolitik ist in Ihren Händen nicht mehr gut aufgehoben.
({24})
Das Wort hat der Kollege Lothar Binding, SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Gäste! Ich möchte nichts zur Rechtspolitik, sondern etwas zu einzelnen Bereichen und dem
Zahlenwerk dieses kleinen Haushalts sagen. Bevor ich
dazu komme, möchte ich aber Herrn Nešković gern eine
Quizaufgabe stellen, nachdem er in diesem Hause wiederholt davon gesprochen hat, in welcher Art die Reichen besteuert und entlastet werden.
Nehmen Sie einen Millionär, der im Jahre 1998 ziemlich genau null D-Mark an Steuern gezahlt hat. Nehmen
Sie eine steuerpolitische Maßnahme, zum Beispiel die
Senkung des Spitzensteuersatzes! Nennen Sie weitere
Maßnahmen! Es ist jetzt Ihre Aufgabe, diese zu finden.
Betrachten Sie jetzt den gleichen Millionär im
Jahre 2004, der plötzlich sehr viel mehr Steuern zahlt
- in einer Größenordnung von 20 Prozent und manchmal
mehr -, obwohl wir den Spitzensteuersatz gesenkt haben. Ich gebe Ihnen diese Aufgabe zum Lösen, damit Sie
erkennen, wie die Steuerpolitik wirken kann, wenn man
nicht nur den Steuersatz, sondern gleichzeitig auch noch
die Bemessungsgrundlage berücksichtigt.
({0})
Ich denke, die Lösung dieser Aufgabe dient auch dazu,
den Bürgern die Wahrheit nicht zu verschweigen.
({1})
Im Zweifelsfall hilft Ihnen auch der Kollege in der PDS,
der Millionär ist, um Ihnen zu erklären, wie so etwas
funktioniert.
({2})
Gemessen an den großen Aufgaben des BMJ und des
Bundesverfassungsgerichts ist der Haushalt - wir haben
das schon gehört - extrem klein. Ich will kurz ansprechen, was in diesem Haushalt subsumiert ist und haushalterisch veranlagt wird: der Bundesgerichtshof, der
Generalbundesanwalt, das Bundesverwaltungsgericht,
der Bundesfinanzhof, das Bundespatentgericht sowie
das Deutsche Patent- und Markenamt. Man sieht, es ist
ein sehr großes Arbeitsfeld. Damit lässt sich leicht erklären, dass mehr als 80 Prozent der Mittel in diesem Haushalt Personalkosten sind. Daraus folgt umgekehrt - das
ist ein Nachteil im Hinblick auf die Flexibilität und die
Freiheitsgrade im Haus -, dass fast keine Projektmittel
zur Verfügung stehen und deshalb die weiteren Gestaltungsmöglichkeiten relativ stark beschränkt sind.
Eine Besonderheit - sie wurde bereits erwähnt -: Es
gibt keinen Haushalt, der so viel Geld in seinem eigenen
Bereich erwirtschaftet. Diesen Umstand verdanken wir
dem Deutschen Patent- und Markenamt.
In diesem Jahr weist dieses Zahlenwerk eine weitere
Besonderheit auf, die aufgrund seiner Strukturmerkmale
insbesondere den Haushalt des Verfassungsgerichts, aber
auch den des BMJ betrifft: die Überführung der einzelnen Positionen des Einzelplans 33 in die Einzelhaushalte.
({3})
Der 33er, der ehemalige Haushalt für Versorgung, der
die Pensionen für Richter, Soldaten usw. umfasste, ist in
die Einzelhaushalte überführt worden. Das führt dort zu
Verwerfungen, die man besser abfedern könnte, wenn
man mehr Freiheitsgrade hätte. Sie existieren aber, wie
eben beschrieben, in diesem Haushalt nicht.
Dies hat etwa für das Verfassungsgericht sehr gravierende Folgen. Dort muss ein Pensionsfonds gebildet
werden, und zwar auch für Richter, die nur ganz kurz
- höchstens zwölf, manchmal aber nur zehn, acht oder
weniger Jahre - hoch dotiert in diesem Bereich tätig
sind. Wenn man einen solchen Pensionsfonds bilden
muss, bringt das natürlich einen Haushalt schnell unter
Druck. Ich wollte das nur erwähnen; denn wir müssen
uns überlegen, ob wir für solche vom Haus selbst nicht
abzufedernden Strukturverwerfungen später einstehen
müssen.
({4})
Trotz extrem sparsamer Bewirtschaftung gibt es im
Einzelplan für 2007 - ich möchte dem Ministerium dafür
Bewunderung zum Ausdruck bringen - eine Reihe von
besonderen Aufgaben, die, wie ich finde, in exzellenter
Weise im Haushalt untergebracht wurden. Zum einen
muss Sorge dafür getragen werden, dass die EU-Ratspräsidentschaft ordentlich vorbereitet und begleitet
wird. Daraus ergibt sich eine ganze Reihe von zusätzlichen Aufgaben und von zusätzlichen Personalkosten,
zum Beispiel für informelle Räte, für den JI-Rat und für
Sonderveranstaltungen jeglicher Art. Es gibt auch zusätzliche Aufgaben inhaltlicher Art im Zusammenhang
mit dem EU-Vertragsrecht, der internationalen Standardisierung des Strafrechts, dem elektronischen Rechtsverkehr, insbesondere bei der Vernetzung der Register usw.
All das sind letztendlich kosteninduzierende Aufgaben,
die wir im Blick haben müssen. Wir wollen dafür sorgen,
dass dies mit den, wie ich meine, spärlichen Mitteln im
Haushalt gemeistert werden kann. Es gibt eine weitere
Aufgabe, an die wir denken müssen: die G-8-Präsidentschaft. Sie induziert ähnliche Aufgaben und Folgekosten.
Über ein weiteres Vorhaben wird gegenwärtig diskutiert. Sie wollen es - das möchte ich voranstellen - finanzneutral umsetzen. Es geht um die Errichtung des
BfJ, des Bundesamtes für Justiz. Nachdem die erste
Lothar Binding ({5})
Lesung des Errichtungsgesetzes stattgefunden hat, können jetzt die Mittel für das Bundesamt für Justiz in den
Haushalt eingestellt werden. Das soll erreicht werden
- das ist für uns als Haushälter wichtig -, indem Mittel
aus vielen Titeln, die bisher existieren, so zusammengefasst werden, dass sie für das Bundesamt für Justiz zur
Verfügung stehen. Deshalb erwarten wir eine Größenordnung von 100 bis 200 Anträgen, die eingebracht werden müssen, um, wenn das Errichtungsgesetz es erlaubt,
diesen haushalterischen Übergang ins Jahr 2007 vorzubereiten. Die bisherigen Aufgaben des Bundeszentralregisters, des Generalbundesanwalts, der Normendokumentation und der Redaktion des Bundesgesetzblatts
sowie des Bundesanzeigers sollen hierbei zusammengefasst werden. Das ist ein Vorhaben, über das im Rechtsausschuss und im Haushaltsausschuss sicherlich noch zu
diskutieren sein wird.
Mittelfristig muss auch über die Frage nachgedacht
werden, ob nicht klugerweise der Standort, der sich aufgrund der räumlichen Möglichkeiten im ehemaligen
Auswärtigen Amt in Bonn befindet, langfristig nach
Berlin überführt werden sollte. Ich glaube, dass obliegt
der späteren Diskussion.
Herr Kollege, schauen Sie bitte auf die Uhr. Sonst reden Sie zulasten Ihres Kollegen.
Dann muss ich leider die Personalentwicklung im
DPMA weglassen.
Ich möchte mich nur noch dafür bedanken, dass Sie
160 000 Euro eingestellt haben, um das Projekt zur verbesserten Formulierung der Gesetzgebung hinsichtlich
der Prozessbetrachtung eines Gesetzgebungsverfahrens
und der Umformulierung eines bestehenden Gesetzes
aufzulegen. Das hat uns sehr gefreut. Ich glaube, dass
Sie diese Aufgabe mit Bravour gelöst haben. Dafür
möchten wir uns bedanken.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Otto Fricke, FDPFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon viel zu den finanziellen Fragen des
Einzelplans 07 gesagt worden. Ich will auch dieses Mal
die Juristen nicht zu sehr mit Anmerkungen zum Haushalt nerven. Wiewohl wir Juristen rechnen können, wir
tun es nur nicht, um zu Rechtsergebnissen zu kommen.
Der Hinweis sei mir immer wieder erlaubt.
Ich will aber eines ansprechen: Warum ist für Haushälter der Justizhaushalt wichtig? Da die beiden Sprecher der Koalitionsfraktionen anwesend sind, will ich
darauf hinweisen, warum ich hier etwas anders argumentiere als an anderer Stelle, wenn es um viel größere Ausgabenposten geht.
Der Rechtsstandort Deutschland ist von enormer
Wichtigkeit für unser Gemeinwesen, unsere Wirtschaft,
unser Miteinander und unseren sozialen Frieden. Das
heißt, wir müssen als Haushälter auf Bundesebene dafür
Sorge tragen, dass der Rechtsstandort funktioniert. Das
bedeutet, wir haben drei Orientierungspunkte. Wir haben
die Personen, die Gesetze und die Institutionen. Um alle
drei Orientierungspunkte müssen wir uns gut kümmern.
Ich komme zu den Personen und damit zum Rechtsdienstleistungsgesetz. Zunächst einmal bekenne ich
meine absolute Befangenheit bei diesem Gesetz. Ich bin
das, was man einen Feld-, Wald- und Wiesenanwalt
nennt.
({0}): Sie sind befangen!)
- Nein. Das ist der Unterschied, Herr Stünker. Jeder hat
seine Befangenheiten. Man sollte sie aufzeigen und darüber reden. Dann muss man sich seine Meinung bilden.
Ich sage Ihnen als Feld-, Wald- und Wiesenanwalt:
({1})
Sie müssen genau darauf achten, welches Verbraucherbild Sie bei diesem Gesetz haben, Frau Ministerin. Das
gilt übrigens auch für die Scheidung light. Glauben Sie
wirklich, dass ein Bürger, der zur Bank geht, im Allgemeinen meint, die Bank sei sein Gegner, die sein Geld
wolle? Oder glauben Sie, dass die Mehrheit der Menschen davon ausgeht, dass die Bank ihnen hilft? Ich erlebe es im Zusammenhang mit Rechtschutzversicherungen immer wieder: Die Leute erzählen mir, ihre
Rechtschutzversicherung habe ihnen gesagt, das gehe
auch so; das sei gar nicht anders möglich. Dass diese
Auskunft der Rechtschutzversicherungen nie nachzuweisen ist - sie werden das sofort bestreiten; wahrscheinlich bekomme ich gleich entsprechende Faxe ins
Büro -, ist klar. Sie würden nie offiziell eine solche Auskunft geben. Aber sie haben ihre eigenen Interessen.
Wenn sie aber in rechtsgeschäftlichen Fragen bzw. in der
Rechtsberatung eigene Interessen haben, dann wird im
Ergebnis immer ein Makel festzustellen sein.
Das stört mich als Anwalt eigentlich nicht. Ich habe
auch keine Angst, dass wir als Feld-, Wald- und Wiesenanwälte weniger Mandate bekommen.
({2})
Im Gegenteil: All das, was im Rechtsdienstleistungsgesetz steht, wird dazu führen, dass ich mehr Regressprozesse führen kann. Wenn ich Glück habe, habe ich - falls
es sich um eine Bank oder eine Rechtschutzversicherung
handelt - auch noch einen solventen und potenten Zahler, an den ich mich wenden kann. In solchen Fällen
kann ich den Mandanten sagen, sie könnten froh sein,
dass der etwas falsch gemacht hat.
({3})
- Lieber Herr Kollege, die Frage des Regresses gerade
gegenüber Großen ist eine der wesentlichen Aufgaben,
die ein Anwalt bei kleinen Bürgern - wie man so schön
sagt - wahrnehmen sollte und die er mit viel größerer
Freude wahrnimmt, als sich beim Nachbarschaftsstreit
damit auseinander zu setzen, wer denn nun Recht hat
und wo und wie der Baum beschnitten werden muss.
({4})
Was die Argumentation im Zusammenhang mit der
Nebenleistung angeht, Frau Ministerin, halte ich dieses
Kriterium - ich kenne die Diskussion; sie ist sehr umfangreich - für höchst gefährlich.
({5})
Die Nebenleistung gaukelt nämlich vor, dass es auch
dann, wenn es einmal zu einem Fehler kommt, nur
kleine Nebenprobleme gibt. Häufig ist es so, dass es bei
einem Fehler aufgrund einer eigentlichen Nebenleistung
für die Betroffenen zu erheblichen Schäden, Fristversäumnissen und vielen Folgen kommt, die den Bürger
viel teurer - und zwar nicht im monetären Sinne, sondern nach dem persönlichen Gerechtigkeitsempfinden zu stehen kommen.
Das EU-Parlament hat zu den rechtsberatenden Berufen einige - wie ich finde, sehr schöne - Erläuterungen
formuliert.
({6})
Ich halte es auch für notwendig, Folgendes klarzustellen:
Die EU verlangt von uns nicht, dass wir komplett so viel
Gleichmacherei betreiben wie möglich.
({7})
Im Gegenteil: Sie will den Schutz der Verbraucher erreichen.
({8})
Darum muss es in erster Linie gehen. Deswegen halte
ich es auch für richtig, dass die Verbraucherschutzverbände in dem Gesetz an bestimmter Stelle noch deutlicher dargestellt werden. Denn sie sind unabhängig und
nehmen an vielen Stellen Aufgaben wahr, bei denen sich
die Anwaltschaft fragen muss, ob sie das in der richtigen
Art und Weise getan hat oder ob sie sie vielleicht manchmal vernachlässigt hat, weil sie es für Kleinkram gehalten hat.
Ich will auf einen weiteren Punkt hinweisen, nämlich
auf die Frage, wie mit Anwälten als Vertretern von
Rechteinhabern umgegangen wird. Dazu hat der Justizminister des Landes Schleswig-Holstein, Herr Döring
- ein Sozialdemokrat, wenn ich das richtig sehe -, Folgendes gesagt: „Prozesskostenhilfe soll keinerlei staatlicher Kombilohn für Rechtsanwälte sein.“ Dass die Prozesskostenhilfe in erster Linie für den Mandanten
gedacht ist, damit er sein Recht bekommt - Herr
Nešković, Sie haben es eben angesprochen -, und dass
eine Vorkontrolle der möglichen Aussichten besteht,
wird völlig außer Acht gelassen. Aber genau darum geht
es.
Damit sind wir bei den Gesetzen. Die Bundesländer
legen ständig neue Entwürfe eines Justizmodernisierungsgesetzes vor und weisen unter anderem darauf hin,
dass das Recht zu viel koste und dass die Rechtsanwälte
zu viel verdienten. Ich bin gespannt, ob die Mehrheit im
Bundestag weiterhin in der Lage ist, sich dagegen zu
verteidigen. Ich sehe das gegenwärtig noch nicht.
({9})
- Herr Stünker, wenn Sie ganz sicher sind, bin ich beruhigt. Man muss es allerdings deutlich sagen.
Herr Kollege Montag, Sie haben gesagt, dass das
beim Strafvollzug gefährlich werden könne. Ich gebe
Ihnen Recht: Es kann zu einem Abbau kommen. Dennoch bin ich optimistisch. Erstens. Ich vertraue darauf,
dass das Bundesverfassungsgericht dem Abbau Einhalt
gebieten wird.
({10})
Zweitens. Schauen Sie sich einmal genau an, was Herr
Goll dazu gesagt hat. Drittens. Sie haben uns Vorwürfe
gemacht. Aber wo sind denn das rot-grüne Untersuchungshaftvollzugsgesetz und das rot-grüne Jugendstrafvollzugsgesetz? Obwohl Sie sieben Jahre Zeit hatten,
gibt es diese Gesetze bislang nicht. Sie wissen ganz genau, dass Sie damals ähnliche Probleme hatten.
Ich komme zum Schluss meiner Rede. Es geht um
den Umgang mit den Institutionen. Ich bin sehr froh,
dass der Kollege Binding auf die zukünftigen Aufgaben
des Bundesverfassungsgerichts hingewiesen hat. Um es
deutlich zu sagen: Das Bundesverfassungsgericht wird
die Aufgabe haben, innerhalb der nächsten Jahre in seinem Haushalt eine sechsstellige Summe für Rückstellungen für die Altersversorgung von Richtern, wissenschaftlichen Mitarbeitern und anderen aufzubringen.
Aber das kann aus diesem Haushalt nicht erwirtschaftet
werden. Ich bitte Sie daher um Unterstützung. Herr Kollege Binding, meine haben Sie auf jeden Fall; denn wenn
wir mit den Institutionen und den Menschen, die mit
dem Recht arbeiten, nicht gut umgehen und wenn wir
mit den Gesetzen so schlecht umgehen, wie das beim
Antidiskriminierungsgesetz der Fall ist, dann wird der
Rechtsstaat leider vor die Hunde gehen. Liebe Haushaltskollegen, das wäre für den Standort Deutschland
und im Hinblick auf die Steuereinnahmen des Staates
sehr schlecht.
Herzlichen Dank.
({11})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Daniela Raab,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es ist schon mehrfach erwähnt worden, wenn auch mit
unterschiedlichem Zungenschlag: Am 1. September dieses Jahres ist die Föderalismusreform in Kraft getreten.
Verehrter Herr Kollege Montag, ich kann Ihre sehr pessimistische Einschätzung dieser Reform nicht teilen. Ich
weiß nicht, ob wir in unterschiedlichen Anhörungen waren.
({0})
- Herr Ströbele, ich habe es durchgelesen, keine Sorge. Ich bin jedenfalls der Meinung, dass dies ein erfolgreiches Projekt ist. Das wird sich in der Praxis sicherlich
noch zeigen. Ich denke, dass uns die Neuverteilung der
Rechte und Pflichten in Zukunft einige Entzerrungen im
Gesetzgebungsverfahren und sehr viel mehr Transparenz
bringen wird. Es war gut, was wir gemacht haben. Die
Art der Zusammenarbeit zwischen Bundestag und Bundesrat, die Verwirklichung von Parlamentarismus pur,
war für uns alle eine Freude.
({1})
Wir haben uns im Rechtsausschuss neben diesem sehr
umfangreichen Prozess, der uns lange beschäftigt hat,
mit anderen bedeutenden Themen auseinander zu setzen.
Eine Auswahl daraus möchte ich kurz ansprechen.
Mit Bestürzung müssen wir feststellen, dass schwere
und schwerste Kriminalität ein zunehmend jüngeres Gesicht bekommt. Natürlich geschehen viele Straftaten aus
jugendlichem Übermut und jugendlicher Unreife, auf die
man maßvoll reagieren muss. Unser Jugendstrafrecht
bietet dazu gute und ausreichende Möglichkeiten. Aber
es gibt auch Jugendliche und insbesondere Heranwachsende, die schwere und schwerste Straftaten begehen.
Gerade was die Bestrafung der Heranwachsenden, also
derjenigen im Alter von 18 bis 21, angeht, gibt es Lücken, die unserer Ansicht nach dringend geschlossen
werden müssen.
Nehmen wir nur den abstrakten Fall als Beispiel - damit es für die Zuschauer nicht zu realitätsfern ist -, dass
ein 20-Jähriger zu sechs Jahren Haft nach Jugendstrafrecht verurteilt wird. Nach Verbüßung seiner Strafe gehen Sachverständige weiterhin von einer erheblichen
Gefährlichkeit dieses jungen Mannes aus. Nach geltendem Recht ist es aber nicht möglich, ihn nachträglich in
Sicherungsverwahrung zu nehmen, da eine Verurteilung
nach Jugendstrafrecht dem entgegensteht. Mir ist bewusst, dass solche Fälle nicht in Massen auftreten. Das
wäre schlimm und das möchte ich auch nicht behaupten.
Aber wir wissen, es gibt sie.
Natürlich handelt es sich bei der nachträglichen Sicherungsverwahrung um einen erheblichen Eingriff in
die Rechte des Betroffenen. Jedoch sind diese Rechte
immer klar gegen das Recht der Bevölkerung auf Sicherheit und gegen den Schutz potenzieller Opfer abzuwägen. Deshalb muss gelten: Die nachträgliche Sicherungsverwahrung gerade für Heranwachsende - das
betone ich nochmals - darf kein Tabu sein. Wir müssen
uns über das Strafmaß der Anlasstat unterhalten und
über die strengen Anforderungen an die nachträgliche
Anordnung; denn beides gehört untrennbar zusammen
und eines geht nicht ohne das andere. Hier ist mit Bedacht vorzugehen. Jedoch sollte - das sage ich auch ganz
deutlich - kein zahnloser Papiertiger entstehen und ein
Gesetz verabschiedet werden, das wegen unangemessen
hoher Hürden in der Praxis nie zur Anwendung kommt.
({2})
Rechtspolitik ist nicht nur Strafrecht. In den nächsten
Wochen werden wir den schon häufig erwähnten Entwurf eines Rechtsdienstleistungsgesetzes zu beraten
haben. Wir als Unionsfraktion begrüßen diesen Entwurf
grundsätzlich und begrüßen auch die notwendige Neuregelung. Ziel dieser Neuregelung muss aber immer sein,
die ausgesprochen hohe Qualität der Rechtsberatung in
Deutschland zu bewahren. Hier geht es zum einen um
den Schutz des Rechtsuchenden vor unqualifizierter Beratung; zum anderen ist gerade unsere Justiz und alles,
was mit ihr zusammenhängt, ein klassischer deutscher
Standortvorteil.
Das alte Rechtsberatungsgesetz sah ein strenges Monopol für sämtliche Rechtsdienstleistungen zugunsten
der Anwaltschaft vor. Die Justizministerin hat dies bereits ausgeführt. Dies entspricht sicherlich nicht mehr
den Entwicklungen im heutigen Wirtschaftsleben, wo
kaum eine geschäftliche Tätigkeit ohne rechtliche Beratung bleibt. Deshalb werden - so sieht es der Entwurf
vor - Rechtsdienstleistungen, die nur eine so genannte
Nebenleistung darstellen, für alle unternehmerisch tätigen Personen erlaubt. Zum Beispiel könnte ein Architekt
in Zukunft auch über Fragen des Baurechts oder der
Baumängelhaftung informieren.
Umfassender Rechtsrat muss aber auch in Zukunft
den Anwälten vorbehalten bleiben. Das neue Rechtsdienstleistungsgesetz stellt deshalb nach meiner Einschätzung eine zunächst angemessene Kombination von
notwendiger Liberalisierung des Rechtsberatungsmarktes und einem nach wie vor unerlässlichen Verbraucherschutz dar. Jedoch gibt es Punkte, die im Gesetzgebungsverfahren durchaus noch kritisch hinterfragt werden
müssen. Der vorher schon erwähnte Begriff der Nebenleistung ist nach meiner Ansicht nicht hinreichend im
Entwurf definiert. Gerade zum Schutz des Verbrauchers
müssen wir hier zu einer ausgesprochen engen Auslegung kommen. Der Regierungsentwurf wird meiner Ansicht nach dieser Anforderung noch nicht gerecht.
Nach jetzigem Stand könnten die viel zitierten KfzWerkstätten beispielsweise eine umfassende Rechtsberatung vornehmen. Bei einer Schmerzensgeldklage nach
einem Verkehrsunfall - um ein weiteres Beispiel zu
nennen - kann sich aber eine mangelnde oder eine
mangelhafte Beratung für den Betroffenen negativ auswirken; denn hier fehlt jegliche fachliche Kontrolle und
die Haftung, wenn etwas schief läuft.
({3})
Deshalb ist für uns klar: Verbraucherschutz muss vor
Vereinfachung gehen.
Wenn wir schon beim Thema Verbraucherschutz sind,
müssen wir auch über das vereinfachte Scheidungsverfahren vor einem Notar sprechen, despektierlich auch
Scheidung light genannt. Natürlich muss es unser aller
Anliegen sein, die Gerichte zu entlasten. Gerade Familiensachen sind zeit- und arbeitsaufwendig. Nun muss
aber die Frage erlaubt sein, ob das vereinfachte Scheidungsverfahren tatsächlich schneller und unkomplizierter ist und zu einer Entlastung der Justiz führt. Bereits
nach jetziger Rechtslage verursacht eine einvernehmliche Scheidung vor dem Familiengericht nur geringen
Arbeitsaufwand. Fällt nun aber die anwaltliche Vertretung weg, wie es das Bundesjustizministerium derzeit
vorsieht, fehlen dem Richter oft die kompetenten Ansprechpartner, sollten doch noch Fragen offen sein.
({4})
Außerdem soll ja der meist aufwendige Versorgungsausgleich nach wie vor beim Gericht anhängig bleiben.
Der Verzicht auf anwaltliche Beratung kann aber
noch weitere Nachteile bringen. Die Gefahr besteht, dass
einer der Beteiligten, vermutlich der wirtschaftlich
Schwächere, übervorteilt oder - sagen wir es grob - über
den Tisch gezogen wird, weil er vorher nicht individuell
beraten wurde.
({5})
Selbstverständlich müssen auch Notare, die eine einvernehmliche Scheidungsvereinbarung durchführen, auf etwaige nachteilige Regelungen hinweisen. Sie dürfen
aber dem intellektuell oder auch wirtschaftlich unterlegenen Partner nicht vom Vertragsschluss abraten.
Wo der Anwalt parteiisch sein darf, muss der Notar
neutral bleiben. Der nächste Streit ist hier sozusagen
schon vorprogrammiert und der ohnehin zweifelhafte
Einspareffekt dürfte damit ebenfalls dahin sein. Das geplante vereinfachte Scheidungsverfahren verschiebt
Konflikte nur auf einen späteren Zeitpunkt. Das ist jedenfalls meine Meinung.
({6})
All diese Punkte müssen im Gesetzgebungsverfahren
noch sehr kritisch hinterfragt werden. Bekanntlich sind
wir, das Parlament, der Gesetzgeber. Ich denke, wir werden uns noch entscheidende Mitspracherechte herausnehmen. Das ist auch unser gutes Recht.
Diese Themenauswahl zeigt schon, liebe Zuschauer
auf der Tribüne und liebe Zuhörer, wie sehr die oft als
trocken und abstrakt empfundene Rechtspolitik den Alltag der Menschen auf das Nächste berührt. Wir sind viel
praxisnäher, als manche glauben. Auch wenn die Jalousien dort drüben uns heute einen etwas düsteren Eindruck vermitteln: Um die Rechtspolitik in diesem Lande
mit dieser Koalition ist mir dennoch nicht bange.
Ich danke Ihnen.
({7})
Das Wort hat der Kollege Joachim Stünker, SPDFraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Kritik heute Nachmittag an einem Jahr schwarz-roter Rechtspolitik war, wie ich sagen muss, moderat. Daher brauche ich nicht viel Gewicht auf das Replizieren
zu legen. Ich möchte zunächst nur drei Dinge ansprechen.
Erstens. Frau Leutheusser-Schnarrenberger, Sie können ganz sicher sein: Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts werden von dieser Koalition auch zukünftig respektiert und akzeptiert.
({0})
Zweitens. Herr Kollege Nešković, Sie können ganz
sicher sein, dass das, was Sie über das berichtet haben,
was über den Bundesrat auf uns zukommt, in diesem
Haus in absehbarer Zeit keine Mehrheit finden wird. Sie
haben zum Schluss dankenswerterweise gesagt, dass
auch die Stellungnahme der Bundesregierung negativ
gewesen ist.
Drittens. Lieber Kollege Montag, nehmen Sie mir
nicht übel, dass ich auf Folgendes hinweise. Wie ich in
den Sommerferien gelesen habe, sind Sie derjenige Kollege, der die zweitmeisten Reden im ersten Jahr dieser
Legislaturperiode gehalten hat. Ich will jetzt nicht bösartig werden und sagen: Ich warte darauf, dass Quantität in
Qualität umschlägt, Herr Montag.
({1})
- Das weiß ich ja. Das will ich auch nicht sagen. Es wäre
auch mir zu billig gewesen. ({2})
Ich meine wirklich, Sie könnten manchmal ein bisschen freundlicher mit uns umgehen, Herr Kollege
Montag. Das ist eigentlich das Einzige, was ich jetzt
dazu sagen will.
({3})
In den mir verbleibenden sechseinhalb Minuten
möchte ich kurz auf drei Themenbereiche eingehen, die
uns in diesem Herbst, wie ich meine, ganz unmittelbar
beschäftigen werden und die bisher noch nicht angesprochen worden sind. Das eine ist eine sehr anspruchsvolle
Aufgabe, die wir als Parlament vor uns haben. Unter der
Überschrift Korruptionsbekämpfung müssen wir uns alle
gemeinsam mit den Fragen der Abgeordnetenbestechung auf allen parlamentarischen Ebenen beschäftigen.
Das wird in diesem Herbst im Rechtsausschuss unsere
Aufgabe sein.
({4})
Der geltende Straftatbestand des Stimmenkaufs, geregelt
in § 108 e StGB, genügt den von Deutschland eingegangenen internationalen Verpflichtungen nicht mehr, wie
einige vielleicht wissen. Ich möchte hier insbesondere
auf das von uns unterzeichnete UN-Übereinkommen gegen Korruption vom 30. Oktober 2003 hinweisen, das
am 14. Dezember 2005 in Kraft getreten ist.
({5})
Im Dezember dieses Jahres wird die erste Vertragsstaatenkonferenz zu diesem Übereinkommen stattfinden. Ich
meine, es ist deshalb angezeigt, dass wir noch vor Beginn dieser Konferenz deutlich machen, dass Deutschland auf dem Weg der Ratifizierung und der Umsetzung
in deutsches Recht ist.
({6})
Eine zweite Notwendigkeit ergibt sich aus zwei Urteilen der Strafsenate des Bundesgerichtshofs aus jüngster
Zeit. Ein Urteil des 5. Strafsenats vom 9. Mai 2006 betraf den so genannten Wuppertaler Korruptionsskandal.
Ein zweites Urteil des 2. Strafsenats vom 12. Juli 2006
betraf den so genannten Kölner Müllskandal. In beiden
Urteilen haben die Senate klargestellt, dass kommunale
Mandatsträger keine Amtsträger im Sinne von
§ 11 StGB sind - dieser Meinung war ich schon immer;
die überwiegende Anzahl der OLGs war anderer Meinung -, sodass §§ 331 ff. StGB - Amtshaftungsdelikte,
wie wir früher gesagt haben - keine Anwendung finden
können. Frau Harms, die jetzt Generalbundesanwältin
ist, hat im Urteil des 5. Strafsenats ausdrücklich darauf
hingewiesen, dass wir hier mittlerweile eine Regelungslücke haben. Es gehört zur Glaubwürdigkeit der Politik,
dass wir uns jetzt der Aufgabe stellen, diese Regelungslücke in der Tat zu schließen.
({7})
Deshalb wollte ich heute in dieser Debatte mit Nachdruck auf die genannten Problemkreise hinweisen. Da es
sich hierbei letztlich um Parlamentsrecht handelt, sollten
wir nicht gemeinsam auf einen Regierungsentwurf warten; darauf dürfen wir auch nicht warten. Wir müssen die
Kraft haben, genau dies aus dem Parlament heraus zu regeln. Das gehört zu den ureigenen demokratischen Aufgaben, die wir zu lösen haben. Ich fordere uns auf, diese
Aufgabe in diesem Herbst gemeinsam zu lösen.
({8})
Hierzu gibt es Überlegungen und Eckpunkte, sodass wir
zu einer auch in der Öffentlichkeit glaubwürdigen Lösung kommen können.
Zweiter Punkt - mir läuft die Zeit weg -: Verabschiedung einer Antiterrordatei. Ich will es kurz machen. Etwas Schriftliches liegt uns bisher nicht vor. Der Rechtsausschuss wird in dieser Sache nicht federführend,
sondern nur mitberatend sein. Auch wir im Rechtsausschuss haben aber die Verantwortung, uns das, was sicherlich notwendig ist, sehr gründlich anzusehen. Wir
müssen uns unserer Verantwortung bewusst werden, bei
der entschlossenen Bekämpfung von Terrorismus und
bei allem Einsatz für die innere Sicherheit auch die
Grenzen des rechtsstaatlich Verantwortbaren ganz genau
zu sehen.
({9})
Gerade wir in der Rechtspolitik müssen sehr genau darauf Obacht geben, dass wir hier gemeinsam das Richtige wollen und auch schaffen.
({10})
Lassen Sie mich einen letzten Punkt nennen. Man
könnte fast bösartig sagen: So wie Cato immer forderte:
„Aber auf jeden Fall muss Karthago zerstört werden“,
kommt der Stünker zum Schluss jeder Haushaltsrede
zum selben Thema. - Ja, ich komme wieder zum Thema
der großen Justizreform. Quo vadis? Wohin geht der
Weg bei der großen Justizreform? Ich sage das aus gegebenem Anlass. Wir werden in einigen Wochen darüber
zu reden haben.
Ich bin der festen Überzeugung - das gilt, denke ich,
für meine Fraktion und meine Arbeitsgruppe genauso -:
Der Deutsche Bundestag wird es nicht hinnehmen können, wenn als Ergebnis der größten Justizreform seit
1889, wie die größte deutsche Tageszeitung schon vor
zwei Jahren getitelt hat, nur bleiben sollte: erstens die
Privatisierung des Gerichtsvollzieherwesens und zweitens die Übertragung der Zuständigkeit für die Nachlasssachen vom Amtsgericht auf die Notare. Das kann es
nicht sein. Das wird der Weg nicht sein, der mit uns zu
gehen ist.
({11})
Aber nach den letzten Beschlüssen der JuMiKo scheint
es dort in diese Richtung zu laufen. Das ist nicht unser
Weg.
Wenn man das Gerichtsvollzieherwesen ändern will,
muss man sogar Art. 34 Grundgesetz ändern. Dafür
braucht man eine Zweidrittelmehrheit in diesem Haus.
Wir werden diesen Weg nicht mitgehen. Das ist der falsche Weg. Ich kann von daher nur dazu auffordern und
dafür werben, dass wir uns in der Tat über Strukturreformen unterhalten.
Wenn man eine Reform der Justiz will, dann ist auch
das der falsche Weg, was jetzt wieder von einigen Länderjustizministern vorgeschlagen wurde. Man meint, die
Entlastung der Strafgerichte über eine Ausweitung des
beschleunigten Verfahrens erreichen zu können, wie in
diesen Tagen in der Presse zu lesen war. Das sind die
Gedanken der 90er-Jahre, die uns schon damals nicht
weitergebracht haben. Wer das beschleunigte Verfahren
kennt, der weiß, was das heißt: einfacher Sachverhalt,
klare Beweislage. Wer meint, dass dies die Verfahren
sind, die die Strafgerichte wirklich belasten, der kennt
sich in der Strafjustiz nicht aus, der kennt sich im Ergebnis im eigenen Haus nicht aus.
({12})
Das kann also nicht der Weg sein.
Deshalb werbe ich dafür, dass wir in diesem Herbst in
wirklich fundierte Gespräche mit den Länderjustizministern einsteigen, wenn es darum geht, über die Reform
der Justiz zu reden, über die Bereitstellung der notwendigen Ressourcen für die Justiz im Sinne des Rechtsstaats. Darüber sind wir uns hier alle einig. Wir reden zukünftig über Strafbarkeit von Doping, über erhöhte
Strafandrohung bei Fleischskandalen oder auch über ein
Rauchverbot in öffentlichen Einrichtungen. Wenn Politik so etwas auf den Weg bringt, brauchen wir überall irgendwann die Justiz. Dafür brauchen wir in der Justiz
die sachlichen und personellen Ressourcen. Die werden
wir nicht über mehr Geld bekommen können, liebe Kolleginnen und Kollegen; das weiß ich auch. Dafür brauchen wir auch nicht mehr Geld. Dafür brauchen wir auch
nicht mehr Personal in den Ländern. Was wir brauchen,
sind wirkliche Strukturreformen. Man muss den Mut haben, die durchzuführen.
Ich nenne noch drei Punkte und dann bin ich mit meiner Rede auch fertig, Frau Präsidentin: erstens Dreistufigkeit in der ordentlichen Gerichtsbarkeit, zweitens
neue Strukturen der sachlichen Zuständigkeiten in Strafverfahren und drittens eine einheitliche öffentliche Gerichtsbarkeit. Lassen Sie uns darüber reden und nicht
über die alten Kamellen aus den 90er-Jahren; denn damit
werden wir die Justiz im neuen Jahrhundert nicht weiterbringen.
Schönen Dank.
({13})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Dr. Ole Schröder, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Die beiden Einzelpläne, über die wir heute
beraten - Einzelplan 07 für das Bundesministerium der
Justiz und Einzelplan 19 für das Bundesverfassungsgericht -, sind weniger wegen des Volumens der veranschlagten Haushaltsmittel von Bedeutung. Von Bedeutung sind sie aber aufgrund der Institutionen, die in
unserem Rechtsstaat eine große Rolle spielen.
Für die Einzelpläne gilt, dass sich gegenüber dem
Jahr 2006 nur geringfügige Veränderungen zeigen. Das
ist bedingt durch die Strukturen, in denen die Personalausgaben die übrigen Ausgaben deutlich dominieren.
Das bedeutet einerseits, dass in diesen Einzelplänen
nicht kurzfristig wirkliche Einsparungen erzielt werden
können. Andererseits bedeutet das aber auch, dass wir
uns als Mitglieder des Haushaltsausschusses insbesondere die Stellenpläne genau anschauen müssen.
Das Justizministerium wird in den kommenden Beratungen daher noch erläutern, warum zwei zusätzliche
Stellen notwendig sind. Diese Tendenz zum Stellenaufbau zeigt sich übrigens auch in anderen Ministerien. Offenbar vollzieht sich der Stellenabbau in den nachgelagerten Behörden wesentlich erfolgreicher als in den
Ministerien selbst. Jedenfalls weisen im Einzelplan 07
lediglich das Justizministerium selbst und das Deutsche
Patent- und Markenamt eine Aufstockung der Haushaltsansätze auf. Beim Justizministerium sind es knapp
5 Millionen Euro, natürlich auch bedingt durch die kommende EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands. Beim
Deutschen Patent- und Markenamt sind das gut
4,5 Millionen Euro. Diese werden durch das Projekt
„Elektronische Schutzrechtsakte“ verursacht, ein IT-Projekt, das die führende Rolle des Deutschen Patent- und
Markenamtes sichern soll; denn in keinem anderen Patentamt Europas werden so viele Anträge eingereicht
wie in Deutschland.
({0})
Damit das so bleibt, müssen wir investieren, um die Prozesse zu optimieren und elektronisch unterstützen zu
können.
({1})
Meine Damen und Herren, das Bundesministerium
der Justiz erfüllt zwei Aufgaben: einerseits die Gesetzgebung und Gesetzesanwendung im Bereich der Justiz, andererseits die Koordinierung der gesetzgeberischen Aktivitäten auf nationaler und auf internationaler Ebene.
Diese Querschnittsfunktion ist in den vergangenen Jahren immer komplexer geworden. Neben der reinen
Quantität der Vorschriften auf nationaler, europäischer
und supranationaler Ebene ist auch die Komplexität der
Gesetzgebung massiv angestiegen.
Auf europäischer Ebene bietet sich dem BMJ im
kommenden Jahr eine ganz besondere Möglichkeit, Einfluss zu nehmen. Es ist die schon erwähnte EU-Ratspräsidentschaft. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir
alle kennen die zum Teil absurden bürokratischen Gesetze aus Brüssel. Ich möchte jetzt keine Beispiele nennen; wir kennen solche skurrilen Richtlinien alle aus der
Presse. Von der deutschen Ratspräsidentschaft verspreche ich mir nicht nur, dass unnötige bürokratische Richtlinien und Verordnungen ausbleiben; vielmehr fordere
ich unsere Bundesjustizministerin auf, sich auf ihre originäre Aufgabe zu besinnen, nämlich das Abschaffen
von unnötigen Richtlinien und Verordnungen.
({2})
Dies muss auf europäischer Ebene und auf nationaler
Ebene forciert werden.
Klar ist, dass diese Aufgaben Geld kosten werden.
Aus diesem Grund sieht der Kabinettsentwurf die Aufstockung einiger Haushaltstitel des Ministeriums vor; in
der Summe sind das etwa 5 Millionen Euro. Wichtig ist,
dass wir das Geld nicht nur ausgeben, sondern es in
Bürokratieabbau investieren. Das wird uns mittel- und
langfristig nutzen.
Ebenfalls im Haushalt vorgesehen sind erste Mittel
für die Umsetzung eines Modellprojekts zur Überprüfung von Gesetzen auf Verständlichkeit. Jeder kennt
die Beispiele aus der eigenen Praxis. Wir können viel
Geld einsparen, wenn die Gesetzesanwendung durch
bessere Verständlichkeit günstiger wird.
Wichtig ist aber auch, dass wir uns als Parlamentarier
um dieses Projekt kümmern. Das ist nicht nur Aufgabe
des Bundesministeriums der Justiz, sondern auch Aufgabe von uns Parlamentariern. Viele Gesetze werden
auch durch unsere Ideen und durch unsere Anregungen
komplizierter. Wir können viele zu kompliziert formulierte Gesetzesvorschläge auch im parlamentarischen
Verfahren heilen. Daran sollten wir uns erinnern.
Noch nicht explizit ausgewiesen im Haushaltsentwurf
ist das neu zu schaffende Bundesamt für Justiz. Ich befürworte die angestrebte Trennung von den eigentlich
ministeriellen Aufgaben im engeren Sinne und den Aufgaben der nichtministeriellen Bereiche. Ich meine, dass
wir dadurch Gelder einsparen können und dass das ein
hervorragendes Vorbild dafür ist, wie wir die Rollenverteilung zwischen Berlin und Bonn vernünftig und effizient gestalten können. Das ist ein Modell, das vor dem
Hintergrund der aktuellen Diskussionen sicherlich auch
für andere Ministerien als Vorbild dienen kann.
Das BMJ ist natürlich auch für die Rechtsdurchsetzung zuständig. Im Bereich des Sozialleistungsmissbrauchs, der auch haushaltspolitisch von großer Bedeutung ist - 33 Milliarden Euro des gesamten Haushaltes
2007 geben wir für Sozialleistungen aus -, sehe ich großen Handlungsbedarf. Sozialleistungsmissbrauch schadet allen in unserer Gesellschaft - sowohl den Leistungsträgern, die zu hohe Abgaben auf ihre Einkünfte zahlen
müssen, als auch denjenigen, die wirklich hilfebedürftig
sind. Das Problem ist: In unserer Gesellschaft wird der
Sozialleistungsmissbrauch nicht ausreichend geächtet
und verfolgt. Unsere formellen Normen, die Gesetze,
werden nicht ausreichend umgesetzt. Auch die informellen Regeln, die Sozialnormen, funktionieren nicht richtig. Im Gegenteil, häufig erleben wir, dass Sozialleistungsmissbrauch nicht nur toleriert wird, sondern auch
von Dritten explizit Anerkennung findet. Nur wenn wir
den Sozialleistungsmissbrauch mit aller Härte verfolgen
und bestrafen, dürfen wir auf eine gesellschaftliche Ächtung dieses asozialen Verhaltens hoffen. Ich meine, das
ist ein wichtiges rechtspolitisches Projekt.
Ich bin auf die Beratungen gespannt, die wir zu diesen
beiden Einzelplänen erleben werden. Wir werden sicherlich die einzelnen Haushaltsansätze intensiv diskutieren.
Ich hoffe, dass wir ebenso erfolgreich sein werden wie
im letzten Haushaltsjahr.
({3})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen schließlich zu dem Geschäftsbereich
des Bundesministeriums des Innern, Einzelplan 06.
Das Wort hat der Bundesinnenminister Dr. Wolfgang
Schäuble.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Wir leben in einer Zeit angespannter Sicherheit
und wir sind Teil eines weltweiten Gefahrenraums. Wir
haben durch die jüngsten Vorfälle - die beiden Kofferbomben, die glücklicherweise nicht zur Explosion gekommen sind, aber auch die Planungen von Anschlägen
gegen die zivile Luftfahrt in Großbritannien sowie die
Besorgnisse der Sicherheitsbehörden im Zusammenhang
mit einem großen Popkonzert in Gelsenkirchen Ende des
vergangenen Monats - Grund, den Kampf gegen die Gefahren, die aus dem internationalen Terrorismus drohen, mit aller Entschiedenheit ernst zu nehmen.
Ich bin jemand, der immer sagt: Es gibt keine hundertprozentige Sicherheit. Das muss man auch in solchen Zeiten sagen. Die gibt es nicht und die kann es
nicht geben. Kein Staat kann diese Sicherheit garantieren, auch nicht der freiheitliche Rechtsstaat. Aber das
heißt natürlich nicht, dass wir nicht die Verpflichtung haben, das Menschenmögliche zu tun, um so viel Sicherheit wie irgend möglich zu gewährleisten und auch zu
versuchen, aus Erfahrungen, die wir sammeln, die richtigen Konsequenzen zu ziehen.
Deswegen bin ich froh, dass sich gestern die
16 Innenminister und -senatoren der Bundesländer vor
dem Hintergrund der Vorlage der Bundesregierung, die
wir gemeinsam innerhalb der Regierung erarbeitet haben, auf ein Konzept für eine gemeinsame Antiterrordatei geeinigt haben. Das ist eine gute Bewährungsprobe für den Föderalismus. Ich bin ein überzeugter
Anhänger des Föderalismus: Wir brauchen gerade auf
dem Feld der inneren Sicherheit das Zusammenwirken
von Bund und Ländern. Aber wir müssen uns auch im
Hinblick darauf bewähren, handlungs- und einigungsfähig zu sein. Es hat lange genug gedauert. Jetzt haben wir
es auf den Weg gebracht.
Wir werden einen entsprechenden Gesetzentwurf zügig erarbeiten, die Formulierungen abstimmen und
schnell in Gesetzesberatungen eintreten. Dann müssen
wir natürlich über die Einzelheiten reden. Ich glaube
aber, wir haben insgesamt eine richtige Linie zwischen
den Begrenzungen unserer Verfassung und dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung im Rahmen
des Datenschutzes einerseits und den Notwendigkeiten
einer funktionsfähigen Informationsvernetzung andererseits gefunden.
Um es klar zu sagen: Es handelt sich nicht um eine
Fahndungsdatei, sondern um ein System, das alle für die
Terrorismusbekämpfung zuständigen Institutionen der
Länder und des Bundes miteinander vernetzt. Das sind
zweimal 16 Institutionen, also die jeweiligen Landespolizeien und die Landesämter für Verfassungsschutz, plus
die drei Nachrichtendienste, der Zoll, das Bundeskriminalamt und die Bundespolizei, also 38 Institutionen, die
miteinander vernetzt sind. Wie gesagt, es handelt sich
nicht um eine Fahndungsdatei. Es ist völlig klar: Erkenntnisse müssen dann umgesetzt werden. Es ist ein
System gefunden worden, das zum einen sicherstellt,
dass den verfassungsrechtlichen Bedingungen und Begrenzungen Rechnung getragen wird, und das zum anderen funktionieren kann und wird.
Ich werbe dafür, dass wir die Gesetzesberatung zügig
voranbringen, damit wir das System der Informationsvernetzung schnell beim Bundeskriminalamt einrichten
und zum Funktionieren bringen können.
({0})
Wir müssen in der Auswertung dessen, was uns alle
- auch die Öffentlichkeit - in den letzten Wochen beschäftigt hat, ein paar Konsequenzen ziehen. Wir haben
unmittelbar am 10. August - die Verhaftungsaktion der
britischen Behörden war, um daran zu erinnern, in der
Nacht vom 9. zum 10. August - die Kontrollmaßnahmen an den Flughäfen, was das Handgepäck anbetrifft,
verschärft und alle Mitarbeiter der Bundespolizei auf
neue Bedrohungen sensibilisiert, die wir so vor den britischen Erkenntnissen bei den normalen Flugkontrollen
vermutlich nicht detektiert hätten; das muss man klar sagen. Deswegen werden wir uns beim zivilen Flugverkehr dauerhaft auf ein höheres Kontrollniveau einrichten
müssen.
Ich habe unmittelbar angestrebt, diesen Bereich auf
europäischer Ebene zu harmonisieren; denn es hat keinen Sinn, in den einzelnen europäischen Ländern ein unterschiedliches Kontrollniveau zu haben. Ich strebe auch
an, dass wir die Schutz- und Kontrollmaßnahmen nicht
je nach Konjunktur und öffentlicher Erregung heraufund herunterfahren, sondern hier Stetigkeit haben. Überhaupt bin ich der Überzeugung: Je besser es uns gelingt,
entschiedenes Handeln mit der notwendigen Gelassenheit zu verbinden, umso eher haben wir die Chance, unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger davon zu überzeugen, dass wir das Menschenmögliche tun. Aber eine
hundertprozentige Sicherheit kann es nicht geben.
Wir müssen - das haben wir in den Haushaltsentwurf,
der zur Beratung vorliegt, noch nicht einstellen können;
da bitte ich um Ihre Mitwirkung - aus dem, was wir in
unserem Land erkannt haben, ein Stück weit Konsequenzen ziehen. Wir brauchen insbesondere im Bereich
der Bundespolizei stärkere Möglichkeiten, den Bahnverkehr zu kontrollieren. Wir können bei mehr als
4 Millionen Bahnreisenden und mehr als 30 000 Zügen
jeden Tag beim Bahnverkehr nicht das Maß an Kontrollen anlegen, wie wir es beim Flugverkehr haben; das
weiß jeder. Trotzdem muss es etwa in großen Bahnhöfen
eine stärkere Bestreifung mit Spürhunden, die Sprengstoff detektieren können, und eine stärkere Überwachung der Schienengleise auf mögliche Anschläge an
Schienengleisen geben. Dazu brauchen wir bestimmte
technische Einrichtungen an den Hubschraubern der
Bundespolizei. Dies ist eine notwendige Maßnahme.
Vor allen Dingen bin ich der Überzeugung - ich nutze
die Gelegenheit der Einbringung des Haushalts, dafür
um Unterstützung zu werben -: Wir müssen die Möglichkeiten insbesondere der Verfassungsschutzbehörden verstärken, im Vorfeld Informationen zu sammeln,
die uns in die Lage versetzen, Anschläge wenn irgend
möglich zu verhindern. Dem dient die Antiterrordatei.
Aber dem muss auch eine verbesserte Kontrolle des
Internets dienen; dazu brauchen wir entsprechende sachliche und personelle Mittel. Dazu müssen wir auch weitere Möglichkeiten im Bereich des Bundesamtes für Verfassungsschutz und - in einem begrenzten Maße - auch
des Bundeskriminalamts nutzen können. Ich bitte um
Unterstützung, wenn wir in den kommenden Wochen an
den Haushaltsausschuss und das Parlament mit entsprechenden Bitten herantreten werden. Ich bin darüber auch
mit dem Bundesfinanzminister im Gespräch. Den Haushaltsentwurf haben wir ja schon Anfang Juli im Kabinett
beraten.
Ich füge gleich hinzu: Das Bundesministerium des Innern fühlt sich, wie alle anderen Ressorts auch, der
Haushaltspolitik dieser Regierung und der Koalition verpflichtet. Deswegen müssen wir mit geringen Haushaltszuwächsen auskommen oder uns auf Einsparungen einstellen. Das haben wir in den vergangenen Jahren bereits
getan; das werden wir auch in engem Einvernehmen und
in vertrauensvollem Zusammenwirken in den kommenden Jahren tun. Das halte ich für notwendig und richtig.
Aber es ist natürlich wahr: Wenn wir Erkenntnisse
hätten, die besagen, dass wir in einem bestimmten Bereich mehr für die innere Sicherheit tun könnten, dann
würden wir fahrlässig handeln, wenn wir nicht versuchen würden, durch Umschichtungen, aber möglicherweise auch an der einen oder anderen Stelle durch Mittelaufstockung zusätzliche Möglichkeiten zu erhalten.
Dafür bitte ich um Unterstützung. Innere Sicherheit ist
nicht nur eine Frage von Gesetzen, sondern auch eine
Frage der zur Verfügung stehenden Sach- und Personalmittel. Das hängt miteinander zusammen.
({1})
Ich will in diesem Zusammenhang wenigstens ein
Wort zum Technischen Hilfswerk sagen, weil ich finde,
dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Technischen Hilfswerks den Dank und die Anerkennung des
ganzen Hauses verdient haben. Sie sind fast als Erste
beispielsweise jetzt im Libanon vor Ort - sie machen
nicht nur Pläne oder stimmen sich darüber ab, was man
machen könnte - und sorgen dafür, dass die Wasserversorgung wieder klappt. Sie verrichten einen gefährlichen
Dienst und bei fast jeder Katastrophe auf der Welt sind
sie dabei. Das, was das Technische Hilfswerk internatioBundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
nal heute leistet, ist zu einem Gütezeichen unseres Landes geworden.
({2})
Deswegen haben wir im Haushaltsentwurf - ich werbe ja
dafür, dass der Entwurf Ihre Zustimmung findet - die
Mittel für das Technische Hilfswerk gegenüber dem
Soll 2006 um 4,8 Millionen Euro auf 135,1 Millionen
Euro aufgestockt, was einer Steigerung um 3,7 Prozent
entspricht. Ich glaube, dass das angesichts der Bedeutung sowohl für den Schutz der Bevölkerung in unserem
eigenen Land als auch für die internationalen Einsätze
des Technischen Hilfswerks notwendig, vertretbar und
richtig ist.
Ich will in aller Kürze einen Punkt ansprechen, der
uns schon bei den Haushaltsberatungen im letzten Jahr
beschäftigt hat und der uns in diesem Jahr wieder beschäftigt. Ich meine die Mittel für die Integrationskurse. Neben der Gewährleistung der inneren Sicherheit
ist die Arbeit für ein weiter verbessertes Zusammenleben
aller Menschen in diesem Lande eine der wichtigsten
Aufgaben der Innenpolitik.
({3})
Ich habe übrigens meine Bemerkungen über das
Technische Hilfswerk bewusst dazwischen geschoben,
um das Missverständnis zu vermeiden, dass das eine mit
dem anderen unmittelbar etwas zu tun hätte. Natürlich
gibt es da Beziehungen. Diese Aufgabe, die Integration
zu verbessern - die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Frau Kollegin Böhmer, die im Kanzleramt angesiedelt ist, hat diese Arbeit mit dem Integrationsgipfel
auf einen guten Weg gebracht -, ist eine der zentralen
Aufgaben.
Wir im Innenministerium konzentrieren uns auf die
Aufgabe, die ganz spezifisch unsere Sache ist, nämlich
auf die Beziehungen zu den Religionsgemeinschaften.
So wie wir zu der katholischen und der evangelischen
Kirche Beziehungen haben, müssen wir in Deutschland
versuchen - es ist schwierig, das zu leisten -, ein Verhältnis zwischen Staat und muslimischen Gläubigen zu
entwickeln. Das ist allein schon aufgrund der inneren
Organisation der Muslime sehr schwierig. Manche sagen
mir gelegentlich: Mach es wie in Österreich! Aber in Österreich ist der Islam seit 1912 als Staatsreligion anerkannt und es sind alle Muslime in einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft zusammengefasst. Davon sind wir
weit entfernt. Aber mit der Islamkonferenz will ich den
Weg gehen, mit den Muslimen und allen anderen darüber zu reden, wie wir für das Ziel eines besseren Zusammenlebens, Zusammenwirkens und einer gemeinsamen
Verantwortung für die Grundwerte unserer Verfassung,
für Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Sicherheit und Toleranz, das Menschenmögliche tun können.
({4})
Über die Mittel für die Integrationskurse, die das
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, das sich auf
allen Seiten des Hauses eines hohen Ansehens und einer
großen Autorität erfreut, anbietet, haben wir im vergangenen Jahr und auch in diesem Jahr diskutiert. Es gibt
zwei Punkte, die in diesem Zusammenhang kritisch zu
hinterfragen sind. Der eine Punkt betrifft die Zahl der
Teilnehmer an den Kursen und der andere die Dauer und
Ausstattung der Kurse.
Ich möchte erklären, warum wir, was die Dauer und
Ausstattung der Kurse betrifft - damit hängt natürlich
auch die Frage zusammen, wie viel Mittel pro Kurs ausgegeben werden -, nichts verändert haben. Die Evaluation dieser Kurse, die im Auftrag des Bundesamtes
durch eine Beratungsfirma durchgeführt wird, dauert
noch an. Wir haben zwar einen Zwischenbericht, aber
noch keinen Abschlussbericht. In der vergangenen Woche hat mir der Präsident des Bundesamtes, Schmid, gesagt, es sei noch zu früh, irgendwelche Erkenntnisse zu
ziehen; das Ergebnis der Evaluation müsse abgewartet
werden. Alles andere wäre ja auch kein verantwortbarer
Umgang mit Steuergeldern.
Zu der Frage der Teilnehmer ist zu sagen, dass in diesem Jahr - entgegen manchen Befürchtungen während
der Haushaltsberatungen 2006 - die veranschlagten Mittel in Höhe von 140,8 Millionen Euro nach allem, was
wir Anfang September prognostizieren können, ausreichen. Es gibt einen Haushaltsvermerk, der auch in den
Entwurf für den Haushalt 2007 eingestellt wird. Wenn
die Mittel aufgrund der Zahl der Teilnehmer nicht ausreichen sollten, werden sie entsprechend erhöht. Da wir
aber bisher keinen Anhaltspunkt für höhere Teilnehmerzahlen haben, sind wir in diesem Entwurf von den Zahlen des Vorjahres ausgegangen. Ich bitte, dies nicht als
eine Geringschätzung der Bedeutung dieser Integrationskurse oder als eine Vorwegnahme der Konsequenzen aus
dem Evaluationsprozess zu interpretieren. Wir sollten
über Konsequenzen erst dann reden, wenn die entsprechenden Ergebnisse der Evaluation vorliegen.
Lassen Sie mich in aller Kürze eine letzte Bemerkung
machen. In der Öffentlichkeit hat es gelegentlich Spekulationen gegeben, die Mittel für die Sportförderung
beim Bundesminister des Innern würden im Haushaltsentwurf 2007 zurückgefahren. Ich nutze die Gelegenheit
gerne, darauf hinzuweisen, dass dies nicht der Fall ist.
Vielmehr ist das Gegenteil richtig.
({5})
Im Haushaltsentwurf 2007 haben wir für die Förderung des Spitzensports eine Summe von 108 Millionen
Euro vorgesehen. Das sind zwar nominell 16,6 Millionen Euro weniger als im Jahr 2006. Aber im Haushalt
2006 haben wir für das Kunst- und Kulturprogramm der
Fußballweltmeisterschaft in diesem Titel 10 Millionen
Euro und für die Sicherheit noch einmal 8,4 Millionen
Euro bereitgestellt. Trotz der Verringerung um 16,6 Millionen Euro kann man also von einer Steigerung der Mittel sprechen, da die gerade genannten Ausgaben in Höhe
von 18,4 Millionen Euro nur in diesem Jahr anfielen.
Denn die Fußballweltmeisterschaft - sie war ein schönes
Ereignis - ist, so traurig das auch ist, vorüber.
({6})
- Sie kann wiederkommen. Aber im Haushalt für das
Jahr 2007 haben wir für eine Wiederholung keine Vorsorge getroffen, Herr Kollege. Deswegen kann man davon sprechen, dass die Mittel für die Förderung des Spitzensportes steigen.
Diese maßvolle Steigerung ist auch notwendig.
({7})
Ich werbe auch sehr um Unterstützung in diesem Bereich. Denn der Wettbewerb für unsere Athleten wird
härter.
({8})
- Herr Kollege Benneter, die nächsten Olympischen
Sommerspiele finden in Peking statt.
({9})
Ich sage voraus, dass für alle Athleten der Wettbewerb von einer ungeheuer großen Intensität sein wird.
Daher ist es wichtig, dass unsere Athleten faire Wettbewerbschancen haben. Dafür müssen wir im Rahmen des
Möglichen die notwendige Hilfe leisten. Das sind wir
der Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit unserer
freiheitlichen Gesellschaftsordnung schuldig.
({10})
Wir haben gezeigt, dass wir gute Gastgeber bei internationalen Sportveranstaltungen sind. Wir hatten gerade
wunderbare Weltreiterspiele in Aachen. Morgen beginnen die Weltmeisterschaften im Hockey in Mönchengladbach.
({11})
Unsere Sportler leisten das ganze Jahr über - ich denke
dabei auch an die Olympischen Winterspiele in Turin Großartiges. Sie machen uns Freude und sind gute Vorbilder. Auch deswegen verdienen sie unsere Unterstützung.
({12})
Meine Damen und Herren, der Haushalt des Bundesministers des Innern ist in einem hohen Maße durch Personalkosten geprägt. Zwei Drittel des Haushaltes sind
für die innere Sicherheit, für Bundespolizei, für Bundeskriminalamt und für das Bundesamt für Verfassungsschutz vorgesehen. Wir haben ein enges Finanzkorsett.
Trotz aller notwendigen kritischen Betrachtungen bitte
ich, diesen Aspekt nie aus den Augen zu verlieren.
Ich freue mich auf eine intensive Beratung während
der Haushaltsverhandlungen.
Vielen Dank.
({13})
Das Wort hat die Kollegin Gisela Piltz, FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Kurz vor dem fünften Jahrestag des Anschlags auf das
World Trade Center am 11. September - es ist ein trauriges Jubiläum - bewegt uns wieder einmal die Frage
- heute mehr denn je -, wie wir so viel Sicherheit wie
möglich garantieren können, ohne unsere Freiheit und
die Bürgerrechte aufzugeben. Liberale werden all das
mittragen, was tatsächlich Sicherheit bietet. Drei Schritte
sind hierbei unseres Erachtens sehr wesentlich: zum einen die Gelassenheit im Umgang mit der Problematik,
zum anderen die Wachsamkeit bei der Überprüfung weiterer Maßnahmen und zum Dritten die Entschlossenheit,
das, was man einmal als richtig erkannt hat, umzusetzen.
({0})
Was heißt für mich Gelassenheit? Nach den - Gott
sei Dank! - vereitelten Anschlägen fühlte sich jeder berufen, einen Vorschlag zu machen. Sie reichten von der
Zugangskontrolle an allen Bahnhöfen über Rail-Marshalls bis hin zu Hartz-IV-Empfängern, die für Sicherheit in den Bahnen sorgen sollten. Diese Liste könnten
wir beliebig verlängern. Das ist Aufgeregtheit und hat
mit Sicherheit überhaupt nichts zu tun.
({1})
Wachsamkeit heißt für uns, dass wir die Maßnahmen, die wir verabschiedet haben, immer wieder überprüfen und nicht einfach draufsatteln, frei nach dem
Motto „Das bringt schon was!“. Wachsamkeit beinhaltet
für mich auch, dass sich dieses Parlament ausführlich
mit der Evaluierung der „Otto“-Kataloge beschäftigt.
Doch das tun wir nicht ausführlich genug.
({2})
Die Frage, die wir uns immer wieder stellen müssen, lautet: Hilft uns diese Maßnahme wirklich weiter? Auch bei
dem, worüber wir jetzt diskutieren, müssen wir die folgende Frage stellen: Hätten wir damit einen einzigen
Schläfer entdeckt? - Nein, hätten wir nicht, weil ein
Schläfer keinen Mucks von sich gibt, es sei denn er
schnarcht.
Mich bewegen im Moment insbesondere die folgenden Fragen: Was geht in diesen Attentätern vor? Wann
legen sie den Hebel um und sagen „Jetzt reicht es mir!“?
Sind Karikaturen der Grund oder was sonst? Ich glaube,
dass wir uns mit diesem Phänomen viel intensiver beschäftigen müssen, als wir das bisher getan haben. Von
daher begrüße ich ausdrücklich Ihre Ankündigung, auf
diesem Gebiet mehr Geld zu investieren. Allerdings
frage ich mich, warum das erst jetzt geschieht; denn dass
das ein Problem ist, wussten wir schon immer.
({3})
Ich begrüße auch den Beschluss der Innenministerkonferenz, in diesem Zusammenhang auf das Ausländerrecht zu schauen. Das halte ich für eine sinnvolle Maßnahme. Bitte tun Sie uns von der FDP einen Gefallen:
Kommen Sie nicht wieder mit der Einladerdatei; das ist
nämlich ein alter Hut. Das ist nicht das Problem. Es gibt
andere Dinge, die wir angehen müssen.
Dritter Punkt: Entschlossenheit. Die Antiterrordatei
ist ein gutes Beispiel. Fünf Jahre lang haben wir daran
gearbeitet. Das kann man eigentlich keinem vernünftigen Menschen erklären.
({4})
- Herr Binninger, wir haben nicht daran gearbeitet, wir
waren aber auch nicht dagegen. Das ist der Unterschied
zu einigen Kollegen aus Ihren Reihen, die nämlich verhinderten, dass wir schon längst eine funktionierende Indexdatei haben. Wir hätten sie nämlich schon lange haben können, wenn nicht Kollegen wie der Kollege
Beckstein gesagt hätten: Ich möchte eine Volltextdatei.
Das war Politik nach dem Motto „Ich möchte meine Interessen durchsetzen!“. Das hat nichts mit Sicherheit zu
tun. Diesbezüglich müssen Sie mit Ihren Kollegen ins
Gericht gehen.
({5})
Wir begrüßen diese Einigung, auch wenn sie für eine
große Koalition typisch ist. Ein FDP-Innenminister war
dabei. Wir machen jetzt von beidem etwas; das ist aber
besser als nichts. Endlich haben wir eine Einigung.
Trotzdem müssen wir aufpassen, dass diese Indexdatei
nicht zum Selbstbedienungsladen wird. Wir werden darauf achten, dass kontrolliert wird, wer über diese Daten
verfügt. Die Kontrolle muss ordentlich durchgeführt
werden. Das gilt insbesondere für die Kontrolle des so
genannten Freitextfeldes, das unseres Erachtens die
Möglichkeit bietet, die Volltextdatei durch die Hintertür
einzuführen. Das halten wir für bedenklich. Wir werden
das sorgsam beobachten.
Auch in diesem Zusammenhang begrüßen wir die
Protokollnotiz des Innenministers aus Nordrhein-Westfalen, dass nach zwei Jahren eine Evaluierung dieser
Maßnahme stattfinden muss. Das ist richtig. Diese Forderung teilen wir.
({6})
Wir teilen die Forderung des GdP-Vorsitzenden,
Konrad Freiberg, der heute gesagt hat: Ohne mehr Polizisten bringt diese Datei so gut wie gar nichts. Meine
einzige Anmerkung zur Videoüberwachung ist heute,
dass das Gleiche für die Videoüberwachung gilt: Ohne
mehr Polizisten bringt sie nur Scheinsicherheit.
Uns fehlt bei dem ganzen Thema eine einheitliche Sicherheitsarchitektur. Viele Bauherren und viele Architekten wuseln auf dem Bauplatz Sicherheitspolitik herum, aber ein Gesamtkonzept können wir noch nicht
erkennen. Wie soll denn in Zukunft die Zusammenarbeit
dieser 38 Behörden stattfinden? Die Indexdatei beschreibt doch nur das Ergebnis. Wichtig ist jedoch, wie
wir vorher zusammenarbeiten. Das ist eine Herausforderung - das haben Sie richtig gesagt, Herr Minister -, die
sich dem Föderalismus stellt. Hier ist er gefragt, er muss
zeigen, ob er funktioniert oder nicht. Von daher ist das
für uns ein wesentlicher Punkt.
Ein weiterer wesentlicher Punkt bei der Sicherheitsarchitektur ist, dass wir über alles nachdenken. Ehrlich gesagt habe ich mir im Zusammenhang mit den aufgeregten Vorschlägen, die ich vorhin zitiert habe, so manches
Mal überlegt: Wer kümmert sich eigentlich um den
ÖPNV? Millionen von deutschen Bundesbürgern sind
jeden Tag damit unterwegs. Dazu habe ich keinen Vorschlag gehört. Wo sind denn die Anschläge in London
und Madrid passiert? Ich habe hier alles über Züge und
Personenzüge gehört. Hat eigentlich einer von uns überhaupt schon mal darüber nachgedacht, was es bedeutet,
wenn jeden Tag Millionen von Paketen mit dem Zug
durch Deutschland transportiert werden? Auch diese
können zum richtigen Zeitpunkt gezündet werden. Dazu
habe ich von Ihnen keinen einzigen Vorschlag gehört.
({7})
Auch das gehört für mich zu einer Sicherheitsarchitektur. Das wäre wirkliche Sicherheit und nicht nur ein
Presseerfolg.
Noch zum Haushalt: Den Aufwuchs, den man bisher
feststellen kann, findet man nur bei zwei Positionen:
zum einen handelt es sich um hauptstadtbedingte Sicherheitsmaßnahmen - das ist so ein schreckliches Wort,
dass ich es ablesen muss -, mit rund 38 Millionen Euro
und zum anderen um den Digitalfunk mit rund
60 Millionen Euro. Wir sind sehr gespannt, wie sich die
weiteren Veränderungen auswirken werden. Interessant
wird auch sein, welche Mittel für die Antiterrordatei eingestellt werden. Denn das, was wir da wollen, ist mit Sicherheit nicht für lau zu haben.
Noch kurz zum Digitalfunk: Der Zuschlag ist jetzt
erfolgt. Hoffentlich wird bei EADS nur der Airbus teurer
und nicht auch noch dieses Verfahren. Wir hoffen, dass
es einmal ein Großprojekt gibt, das stressfrei im Rahmen
der öffentlich-privaten Partnerschaften abgewickelt werden kann; anders als zum Beispiel bei den biometrischen
Ausweispapieren über die Bundesdruckerei. Dieser
Pauschalvertrag ist immer noch sehr im Dunkeln. Ich erinnere mich noch gut an den Drang des letzten Bundesinnenministers, Otto Schily, der die Umsetzung des
E-Passes forciert hat. Kein Wunder, dass die Firma das
ganz toll fand und er jetzt dort im Aufsichtsrat sitzt. Das
scheint eine neue, nicht gute Tradition unter SPD-Kollegen zu werden.
({8})
Herr Minister, ich weiß, dass Sie nicht in der SPD sind.
({9})
Ihnen traue ich zu, dass Sie die Instinktlosigkeit dieser
Kollegen nicht haben, und hoffe darauf, dass Sie nicht
im EADS-Aufsichtsrat landen werden, wenn das Ganze
vorbei ist.
({10})
Zum Thema Integration muss ich zugeben, dass Sie
mir quasi den Wind aus den Segeln genommen haben.
Auch mir ist natürlich aufgefallen, dass die Mittel sich
nicht verändert haben. Alle Fraktionen haben das beim
letzten Haushalt kritisiert. Ich denke: Es wird ohne eine
Mittelerhöhung nicht gehen können. Denn eines ist uns
klar - wir haben hier schon über viele Details gesprochen -: Egal, was wir tun, es wird teurer werden, weil
mehr Qualität Geld kostet.
({11})
Mein letzter Punkt betrifft den Bundesdatenschutzbeauftragten. Auch da kann man sehen, dass sich der
Ansatz nicht verändert hat. Wenn wir immer mehr Eingriffe in die Bürgerrechte vornehmen - das tun wir und
insbesondere Sie in konsequenter Fortsetzung der rotgrünen Koalition -, dann muss man den Bundesdatenschutzbeauftragten als unabhängige Aufsicht stärken.
Das tun wir nicht. Von daher appelliere ich an alle, noch
einmal zu überlegen, ob das nicht möglich wäre. Denn
Antiterrordatei, Vorratsdatenspeicherung und vieles andere bedeuten ein Mehr an Aufgaben für den Bundesdatenschutzbeauftragten.
({12})
Zum Schluss noch zwei Bemerkungen:
Erstens. Weil heute die erste Sitzungswoche nach der
Sommerpause ist, kann man auch einmal nett sein: Herr
Edathy, herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag! Ich
wünsche Ihnen noch einen schönen Tag.
({13})
Zweitens. Wenn es um wirkliche Sicherheit und nicht
nur um Scheinsicherheit geht, sind wir, was den Haushalt des Bundesministers des Innern angeht, gerne an Ihrer Seite.
Vielen Dank.
({14})
Das Wort hat der Kollege Fritz Rudolf Körper, SPDFraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Frau Piltz, angesichts dessen, was Sie zum Thema Aufsichtsratsmandate gesagt haben, ist mir in Bezug auf Sie
und die FDP nur eine Bemerkung eingefallen: Wer im
Glashaus sitzt, sollte möglichst nicht mit Steinen werfen.
({0})
- Ich will Ihnen nur sagen: Darüber sollten Sie einmal
nachdenken.
({1})
Meine Damen und Herren, wenn man den Haushalt
des Bundesinnenministeriums betrachtet und sich anschaut, wie sich insbesondere die Personalentwicklung
seit dem Jahr 1998 darstellt, so denke ich, ist das ein Beweis dafür, wie man Personalpolitik aufgaben- und sachgerecht gestaltet. Daran wird nämlich sehr deutlich, dass
der Stellenbestand - den Sicherheitsbereich ausgenommen - wesentlich reduziert wurde, insgesamt um
12,5 Prozent. Herr Minister, auf Ihr Ministerium bezogen fiel diese Reduzierung mit 4,9 Prozent etwas geringer aus. Demgegenüber hat der Sicherheitsbereich seit
dem Jahr 1998 bis zum Jahr 2007 einen Aufwuchs in
Höhe von 6,3 Prozent erfahren. Wir sind der Auffassung: Das ist fach- und sachgerecht.
Das liegt daran, dass sich die Sicherheitslage dementsprechend entwickelt hat. Die Ereignisse der letzten
Jahre haben in der heutigen Diskussion bereits eine
Rolle gespielt. Es ist auch darauf hingewiesen worden,
dass wir in Deutschland Glück hatten, dass es hierzulande zu keinen schlimmeren Vorfällen gekommen ist.
Wir dürfen nicht in Angst und Panik verfallen. Aber wir
müssen unsere Aufmerksamkeit schärfen und unser
Möglichstes tun, wohl wissend, dass es keine hundertprozentige Sicherheit gibt. Es kommt nicht in erster Linie auf den Ruf nach neuen Gesetzen an, sondern vor allen Dingen auf einen guten Gesetzesvollzug im
Sicherheitsbereich. Dieser muss gewährleistet werden.
Weil innere Sicherheit ein gemeinsames Produkt von
Bund und Ländern ist, war und ist es richtig, dass im
Jahre 2004 ein „Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum“ in Berlin eingerichtet wurde. Lieber Herr
Ströbele, es ist zwar so, dass der Erfolg viele Väter hat.
Aber wir wissen, was für Ressentiments gegenüber dieser Einrichtung vonseiten mancher Bundesländer geäußert worden sind. Heute können wir nur froh sein, dass
sich alle 16 Bundesländer daran beteiligen; denn das ist
notwendig.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Aber was ist mit den Alternativen?
Was die Personalentwicklung im Sicherheitsbereich
anbelangt, könnten wir froh sein, wenn in allen Bundesländern die gleiche Entwicklung wie auf Bundesebene
zu verzeichnen wäre. Auch das muss, wenn man sich
zum Föderalismus bekennt, wie wir es tun, einmal deutlich gesagt werden.
Frau Piltz, insbesondere im Zusammenhang mit der
Gründung des Terrorismusabwehrzentrums ist der Gedanke entstanden, eine so genannte Antiterrordatei einzurichten. Diese Diskussion wird nicht etwa seit fünf
Jahren geführt. Vielmehr ist das Terrorismusabwehrzentrum im Dezember des Jahres 2004 initiiert worden. Zu
diesem Zeitpunkt hat es auch seine Arbeit aufgenommen.
Es ist richtig, über ein solch schwieriges Thema eine
sorgfältige Debatte zu führen. Ich finde, dass die Ergebnisse, die wir im Hinblick auf die Antiterrordatei erzielt
haben, gut, richtig, effektiv und effizient sind. Dabei
wurden die verfassungs- und datenschutzrechtlichen
Prinzipien, insbesondere das Gebot der Verhältnismäßigkeit, berücksichtigt.
Deswegen bin ich froh, dass es zu einem guten Diskussionsprozess auch mit der Bundesjustizministerin geFritz Rudolf Körper
kommen ist, die bei der Konzeption dieser Antiterrordatei sehr hilfreich gewesen ist. Das Ergebnis hat die
Zustimmung der Länderinnenminister gefunden, wenn
auch der Innenminister von Nordrhein-Westfalen sich
der Stimme enthalten hat; auf die Gründe dafür ist Frau
Piltz eingegangen, damit will ich mich nicht näher beschäftigen.
Was ist darüber hinaus zu tun? Ich finde, wir müssen
einlösen, was im Zusammenhang mit der Föderalismusdebatte beschlossen worden ist: Das Bundeskriminalamt soll für den Kampf gegen den internationalen Terrorismus mit Präventionsbefugnissen ausgestattet werden.
Wir müssen jetzt ein Gesetz so ausgestalten, dass das
Bundeskriminalamt die dafür notwendigen Kompetenzen bekommt; das ist wichtig.
({2})
Im Übrigen müssen sich die Koalitionsfraktionen,
was das Terrorismusbekämpfungsgesetz angeht, überhaupt keinen Vorwurf gefallen lassen. Frau Piltz, wer
sich mit den Ergebnissen beschäftigt, wird feststellen,
dass sie beachtlich sind.
({3})
Es war richtig, große Teile des Terrorismusbekämpfungsgesetzes zu befristen: um den Zwang zu erzeugen,
nach einer gewissen Zeit zu prüfen, ob sich in der Praxis
bewährt hat, was wir da zu Papier gebracht haben. Das
ist auch hier so entschieden und gesehen worden. Jetzt
wird das Terrorismusbekämpfungsgesetz sachbezogen,
sachgerecht und maßvoll ein Stück weiterentwickelt.
Damit zeigt die Koalition deutlich ihre Handlungsfähigkeit.
({4})
Ich will nun ein ganz anderes Thema ansprechen, das
auch zu diesem Haushaltstitel gehört: den Bereich des
Sports. Rückblickend auf die Fußballweltmeisterschaft
kann man nur sagen: Das war ein großartiges und fröhliches Ereignis, auf das unser Land in der Tat stolz sein
kann. Aber, meine Damen und Herren, die Fußballweltmeisterschaft war kaum vorbei, da hat sich im Bereich
des Radsports etwas abgespielt, was uns sehr nachdenklich stimmen muss: die Dopingskandale bei der Tour de
France, die der gesamten Sportszene immensen Schaden
gebracht haben. Wir müssen alles tun, dass der Sport
wieder sauber wird und insbesondere seine Vorbildfunktion für junge Leute erfüllen kann.
({5})
Das ist eine Aufgabe, der wir uns stellen.
({6})
Ich teile nicht die Meinung einiger Sportfunktionäre,
({7})
vielmehr bin ich der Auffassung: Wir brauchen ein Antidopinggesetz.
({8})
Wir sollten uns zusammensetzen und ein solches konzipieren. Wenn wir dopingfreien Sport wollen, haben wir
keine Alternative.
({9})
Im Kampf gegen Doping spielt die Nationale AntiDoping-Agentur eine ganz wichtige Rolle. Ein besseres
finanzielles Fundament täte dieser Agentur gut. Vielleicht gibt es im Haushalt eine Möglichkeit, die Nationale Anti-Doping-Agentur finanziell zu stärken.
({10})
Wir haben erkannt, dass dies für die Zukunft des Sports
notwendig ist.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auf die Leistungen des Sports für die so genannte Integration hinweisen.
Meine Damen und Herren, ich finde es gut, dass es zu
einem Integrationsgipfel gekommen ist, der noch einmal sehr deutlich gemacht hat, wie wichtig diese Aufgabe für die Zukunft unserer Gesellschaft ist. Ich bin
auch sehr froh darüber, dass diese Fragen jetzt glücklicherweise weitgehend aus dem parteipolitischen Streit
herausgehalten worden sind. Ich finde, wir sollten die
Ergebnisse des Integrationsgipfels gemeinsam nutzen,
um die Integrationspolitik voranzutreiben.
Zwei Dinge will ich kurz bemerken. Die Antwort auf
die Frage, wer bei der Integrationspolitik für was zuständig ist, ist sehr vielfältig; denn wir wissen, dass das eine
gemeinsame Aufgabe von Bund, Ländern und Gemeinden ist. Der Bund hat nur in wenigen Bereichen die alleinige Zuständigkeit. Im Bereich der Sprach- und Integrationskurse haben wir sie aber. Wir alle wissen, dass sie
ein ganz wichtiges Instrument für eine gelingende Integration sind. Ich will es kurz machen - das wird auch die
Erkenntnis bei der Evaluierung sein -: Wir brauchen
schlichtweg mehr Differenzierung, um mehr auf den einzelnen Kursteilnehmer und seine mitgebrachten Sprachfähigkeiten einzugehen. Ich glaube, das ist ein ganz
wichtiger Aspekt, und wir brauchen diese wichtige Erfahrung in diesem Bereich.
({11})
Noch eine Bemerkung zum Thema Integration.
Schaffen wir es, eine Bleiberechtsregelung für langjährig hier Geduldete zu erreichen? Insbesondere für
Kinder, Jugendliche und Familien gibt es heute zum Teil
unerträgliche humanitäre Situationen. Deswegen appelliere ich an uns alle, dafür zu sorgen, im Zuge der nächsten Innenministerkonferenz eine entsprechende Bleiberechtsregelung für langjährig hier Geduldete zu finden,
und zwar insbesondere unter Berücksichtigung des
Schicksals von Kindern, Jugendlichen und Familien.
({12})
- Lieber Herr Ströbele, Ihnen fehlt der Glaube. Ich bin
der Auffassung, dass wir als Gesetzgeber uns überlegen
müssen, was wir in dieser Frage tun können, wenn das
auf der Innenministerkonferenz nicht funktionieren
sollte. Viele stimmen uns zu, dass hier Handlungsbedarf
besteht. Wir können auch die Unterstützung vieler gebrauchen. Ich meine, dass wir hier etwas Gutes für die
Betroffenen tun können.
In diesem Sinne bedanke ich mich für die Aufmerksamkeit.
({13})
Das Wort hat der Kollege Jan Korte, Fraktion Die
Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Beim Vorschlag zur Bleiberechtsregelung machen wir
natürlich mit. Wir haben dazu bereits einen Vorschlag
eingebracht. Dem können Sie sich gerne anschließen.
Ich möchte nun zu einigen Dingen etwas sagen:
Der Terrorismus ist in dieser Debatte das beherrschende Thema. Auch wir sind natürlich der Meinung
- hier herrscht Einigkeit -, dass er keine Chance haben
darf: weder durch Anschläge noch durch die Einschränkung von Grund- und Freiheitsrechten,
({0})
zu denen es aus einem Gefühl der Angst heraus kommt.
Diese Angst wurde in den letzten Wochen zum Teil kräftig geschürt.
({1})
Allein in den letzten zwölf Jahren sind mehr als
160 Gesetze geändert worden, mit denen entweder - je
nach Großwetterlage - die organisierte Kriminalität,
oder, wie aktuell, der Terrorismus bekämpft werden sollten. Eine Evaluation ist bis heute ausgeblieben. Die Eingriffe in die Grundrechte sind aber geblieben. Ich
nenne ein paar Beispiele: die Rasterfahndung, also die
Aufhebung der Unschuldsvermutung - man muss sich
einmal vorstellen, was dahinter eigentlich steht -, die
Schleierfahndung - x-beliebige Menschen geraten dadurch in die Fänge der Polizei, dass sie beispielsweise
verdächtig aussehen -, der Lauschangriff - Deutschland
ist mittlerweile Abhörweltmeister - und die jetzt aktuelle
Vorratsdatenspeicherung - der wissenschaftliche Dienst
hat alles dazu gesagt; dieses Vorhaben ist klar rechtswidrig.
Hinzu kommt dann wie eine Phobie die ständige Debatte über die Bundeswehr im Innern. Das ist wirklich
schon völlig irre, weil nicht einmal konkret gesagt wird,
wie das durchgeführt werden soll. Wollen Sie irgendwelche Spürpanzer neben die Gepäckabfertigung stellen
oder wie soll das Ganze aussehen? - Nein, hier wird mit
der Angst gespielt. Das ist zur Bekämpfung des Terrorismus denkbar ungeeignet.
Das aktuellste Beispiel ist die Antiterrordatei, in der
ganz offen die Trennung zwischen Polizei und
Geheimdiensten aufgehoben werden soll. Dazu möchte
ich eines anmerken - offensichtlich ist dieses Haus zunehmend geschichtslos geworden -: Die Trennung von
Geheimdiensten und Polizei ist eine Lehre aus der Nazivergangenheit. Die Väter des Grundgesetzes haben sich
das sehr wohl überlegt. Wir sollten uns beizeiten vor Augen führen, warum es diese Trennung gibt. Die Datei ist
gefährlich, weil die Grenzen, die das Gesetz der Polizei
gebietet, verwischt werden. Mir graut es vor einer Polizei, die nicht mehr Straftaten, sondern Gesinnungen ahndet. Das dürfen wir nicht zulassen.
({2})
Der größte Klopfer ist, dass die Geheimdienste als
zweite Nutzer der Datei wieder kräftig mitmischen sollen, und das in einer Zeit, in der die Geheimdienste - wir
haben es in den letzten Monaten festgestellt - völlig aus
den Fugen, völlig außer Rand und Band geraten sind.
Der BND bespitzelt Journalisten, gewinnt Erkenntnisse
in syrischen Folterknästen. Man muss sich das einmal
vorstellen! All das ist erst ein paar Monate her.
Der Verfassungsschutz hat offensichtlich nichts anderes zu tun, als wirklich integere Bundestagsabgeordnete
der Linksfraktion und im Übrigen antifaschistische Jugendliche, die tagtäglich gegen Rassismus und Antisemitismus kämpfen, zu bespitzeln. Das kann nicht wahr
sein.
({3})
Die Spitze des Eisbergs ist - jetzt wird es wirklich absurd -, dass der Militärische Abschirmdienst nichts anderes zu tun hat, als auf Parteitagen der Linkspartei zu
sitzen - es ist natürlich erhellend, daran teilzunehmen und Buch über Bundestagsabgeordnete im Hause zu führen.
Mit den Namen Kurnaz, el-Masri und Zamar sind drei
Schicksale verbunden, die für das Versagen der Bundesrepublik und der Dienste, deren Kompetenz jetzt erweitert werden soll, stehen. Deswegen lehnt die Linke eine
Erweiterung der Kompetenzen ab. Nach all diesen Vorgängen ist nämlich davon auszugehen, dass die Geheimdienste kein Garant für Bürgerrechte, sondern eine reale
Gefahr für einen liberalen, demokratischen und freiheitlichen Staat sind. Sie wollen deren Befugnisse schon
wieder erweitern. Das darf nicht wahr sein!
Zwei konkrete Beispiele: Stellen Sie sich vor, Sie fahren mit den falschen Leuten, also mit Terrorverdächtigen, in einem Zugabteil, oder Sie leihen im Studentenwohnheim dem Nachbarn Ihr Telefon; schon sind Sie
mindestens als Kontaktperson in dieser Datei erfasst.
Bekanntermaßen kommt man aus solch einer Datei in
der Regel nicht wieder heraus. Das sind Folgen, die für
Sie offensichtlich gar keine Rolle spielen.
Ein klassischer Vorschlag, der immer wieder gemacht
wird: Die Videoüberwachung soll ausgeweitet werden.
Ich dachte, dass zumindest die Bundeskanzlerin hier an
meiner Seite streitet. Sie hat sich nämlich kräftig darüber
aufgeregt, dass vom Pergamonmuseum aus in ihre Küche hinein gefilmt worden ist.
({4})
Leider ist aber offensichtlich nicht zu Ihnen durchgestellt worden, dass das nichts bringt und in die Privatund Intimsphäre von anderen Menschen eingreift.
Sie spielen mit der Angst, um weiterhin autoritäre
Maßnahmen zu erlassen. Wahre Populisten sind die Sicherheitspopulisten, nicht wir: Im Gegensatz zu Ihnen
machen wir vielleicht populäre, nicht aber populistische
Vorschläge.
({5})
Sie geben vor, mehr Sicherheit schaffen zu wollen.
Das ist erst einmal in Ordnung. Es stellt sich nur die
Frage, wie das vonstatten gehen soll. In den letzten Jahren sind Tausende Stellen bei den Polizeibehörden in den
Ländern abgebaut worden. In Ihrem Privatisierungswahn, der sich nicht nur in Fragen der sozialen Gerechtigkeit, sondern auch in Fragen der Sicherheit zeigt,
übertragen Sie Sicherheitsaufgaben an private Unternehmen, die für ein paar Euro am Flughafen Gepäckkontrollen durchzuführen haben. Das sorgt nicht für mehr, sondern für weniger Sicherheit. Damit gefährden Sie auch
in diesem Bereich durch willkürliche Privatisierung die
Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland.
Suchen Sie also nach Alternativen. Wir sollten der
Gefahr des Terrors bürgerschaftliches, zivilgesellschaftliches Engagement entgegensetzen und deutlich machen,
dass wir für bestimmte Werte der Demokratie und der
Weltoffenheit stehen. Es muss eine friedliche Außenpolitik betrieben werden. Es muss eine Integration ermöglicht werden, die gleiche Rechte und gleiche Teilhabe in
diesem Land gewährleistet. Es muss auch darum gehen,
im In- und Ausland die fortschrittlichen, progressiven
Menschen, beispielsweise die Studenten im Iran, zu unterstützen und ihnen Anerkennung zukommen zu lassen,
um letztendlich Dogmatismus und Ideologie zu überwinden. Das ist eine andere Herangehensweise, die zwar
Zeit braucht, aber auf Dauer erfolgversprechend ist.
Ich möchte noch einen letzten Punkt ansprechen.
Wenn man möchte, dass die Menschen in diesem Land
an demokratischen Entscheidungen teilhaben, für sie
streiten und einstehen, dann hat das auch etwas mit
sozialer Gerechtigkeit zu tun. Denn nur diejenigen, die
materiell gut versorgt sind und nicht jeden Tag über das
Essen und die Finanzierung der nächsten Woche nachdenken müssen, sind in der Lage, am gesellschaftlichen
Leben und an demokratischen Prozessen teilzuhaben.
Ich glaube, dass im Haushaltsplanentwurf in diesem
Sinne nichts Progressives enthalten ist. Stattdessen wird
Sie, wie Jutta Limbach zu Recht sagt, das Verfassungsgericht wie in den letzten Jahren auch regelmäßig in Ihre
Schranken verweisen.
Zum Ende der Sommerpause auch von mir noch ein
gütiges Wort: Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag,
Genosse Edathy!
Danke.
({6})
Das Wort hat die Kollegin Silke Stokar, Bündnis 90/
Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
möchte nicht damit schließen, sondern damit beginnen:
Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Sebastian!
Der Herr Bundesinnenminister Schäuble hat festgestellt - ich glaube, es war in den „Tagesthemen“ oder in
der „Tagesschau“ -, dass wir Glück gehabt haben. Wir
haben Glück gehabt, dass es in Koblenz und in Dortmund bei Anschlagsversuchen geblieben ist. Es war aber
eben nicht die Arbeit der Sicherheitsbehörden, die geplanten Anschläge im Vorfeld zu verhindern. Nach der
aufgeregten Debatte während der Sommerpause habe ich
eine sachliche Analyse vermisst. Ich habe vermisst, dass
die Frage gestellt wurde, warum die Sicherheitsbehörden
die Tatverdächtigen nicht rechtzeitig erkennen konnten.
Stattdessen beglückte uns die große Koalition - Frau
Piltz hat bereits Beispiele genannt; ich muss sie nicht
wiederholen - Tag für Tag mit Aktionismus. Von Gelassenheit war nichts zu spüren. Es war auch nicht viel
Orientierung von Ihrer Seite zu bemerken, Herr
Schäuble. Sie haben es laufen lassen. Sie haben zugelassen, dass in den Reihen der Hinterbänkler nach einer solchen Beunruhigung der Bevölkerung jeden Tag abstrusere Vorschläge produziert worden sind. Das hat mit
Sicherheit nicht dazu geführt, dass das Sicherheitsgefühl
in Deutschland und das Vertrauen in die Sicherheitsbehörden gestärkt worden sind.
({0})
Keiner der gemachten Vorschläge - weder die Videoüberwachung noch der Einsatz der Bundeswehr im Innern, der bei jeder Gelegenheit von Ihnen gefordert wird
- hätte dazu geführt, dass die Bombenleger rechtzeitig
erkannt worden wären. Auch das muss einmal gesagt
werden.
Auch in der Antiterrordatei hätten Sie diese jungen
Tatverdächtigen kaum gefunden. Dieses Phänomen gab
es bereits in England. Überhaupt haben erst bei zwei Tatverdächtigen der jüngsten Anschlagserien in Europa vorher Erkenntnisse vorgelegen. Ich will nicht sagen, dass
dies gegen die Antiterrordatei spricht. Im Gegenteil:
Wir brauchen sie. Ich denke - das ist auch nachzulesen -, dass ich mich in all meinen Reden in den vergangenen Jahren als Mitglied der grünen Bundestagsfraktion ausdrücklich für die Einrichtung einer Antiterrordatei ausgesprochen habe.
Lieber Herr Kollege Körper, ich möchte in diesem
Zusammenhang an den Verlauf unserer Diskussion
erinnern. Wir haben damals unter Rot-Grün das Antiterrorzentrum mit der inhaltlichen Maßgabe eingerichtet,
die ich heute noch für richtig halte, dass wir mehr
Kooperation und Kommunikation zwischen den Sicherheitsbehörden brauchen. Ein Mausklick reicht nicht, damit die Erkenntnisse bundesweit vernetzt werden können. Aufgrund dieser Debatte sind wir gemeinsam zu
dem Ergebnis gekommen, dass eine Indexdatei nicht nur
ausreichend ist; sie ist auch der sinnvollere Weg für die
Sicherheitsbehörden. Denn wir wollen, dass sie miteinander in Kontakt treten und ihre Erkenntnisse, die
schließlich Verdachtsmomente aus allen Bereichen darstellen, qualifiziert gemeinsam bewerten.
({1})
Der Gesetzentwurf liegt zwar noch nicht vor. Aber ich
kann schon jetzt sagen, dass die geplante Antiterrordatei
für uns Grüne nicht tragbar ist; denn die Speicherung
der Religionszugehörigkeit - das sage ich in aller Deutlichkeit - lehnen wir ab. Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft darf kein Verdachtsmoment in einer Antiterrordatei sein.
({2})
Das ist in unseren Augen verfassungswidrig. Es ist zudem kontraproduktiv. Welche Botschaft wollen Sie denn
mit dem Islamgipfel, der ein Angebot sein soll, aussenden? Sie haben gesagt - das ist eine richtige Erkenntnis -, dass wir auch die Unterstützung und die Mitarbeit
der muslimischen Gemeinden als Hinweisgeber brauchen. Dies geht aber nur auf der Grundlage gegenseitigen Respekts und Vertrauens. Die Botschaft, die Sie nun
senden, ist nichts anderes als eine Stigmatisierung, ein
Generalverdacht gegen Muslime. Wir alle wissen aber,
dass 99,9 Prozent der Muslime in Deutschland integriert
sind und eine liberale Einstellung haben. Gespeichert
werden muss jedoch -
Frau Kollegin, da Sie nicht Luft holen, muss ich Sie
unterbrechen für die Frage, ob Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Wiefelspütz zulassen.
Ich lasse sie zu, sobald ich Luft geholt und den begonnenen Satz beendet habe. - Gespeichert werden muss
stattdessen der konkrete Bezug zu einer radikalen Organisation oder zu einem radikalen Verein.
Lieber Kollege Wiefelspütz, jetzt dürfen Sie mir
selbstverständlich eine Frage stellen.
Geschätzte Frau Kollegin Stokar, ich teile ausdrücklich Ihre Einschätzung der Muslime in Deutschland als
in überwältigender Mehrheit gesetzestreue und friedliche Menschen. Wer mit Verstand wollte das bestreiten?
Können Sie mir aber folgen, wenn ich sage, dass im Fall
eines Terrorismusverdächtigen die Religionszugehörigkeit bzw. die Zugehörigkeit zu einer bestimmten, religiöse Werte missbrauchenden Vereinigung - das kommt
zum Glück nicht massenhaft vor, sondern nur in Einzelfällen und keineswegs nur im Islam; das kann auch in
den christlichen Religionen und anderen Weltreligionen
passieren - signifikant und vielleicht sogar entscheidend
ist und dass dieses Kriterium daher selbstverständlich in
der geplanten Antiterrordatei gespeichert werden muss?
Wir richten doch keine Kirchensteuerdatei ein, sondern
eine Antiterrordatei. Dort müssen diejenigen Daten gespeichert werden, die für den Individualfall signifikant
sind. Ich bitte Sie, hierzu einmal Ihre Meinung zum Ausdruck zu bringen.
({0})
Kollege Wiefelspütz, signifikant für einen Terrorverdacht ist nicht, ob eine Person Moslem ist, sondern die
Mitgliedschaft in einer radikal-islamistischen Organisation bzw. die Nähe zu einer solchen Organisation. Ich
glaube, darüber waren wir uns früher einmal einig. Laut
BKA gibt es ungefähr 500 gewaltbereite Personen - das
ist etwa 1 Prozent - in Deutschland. Ich hoffe, dass Sie
nicht planen, alle muslimischen Gemeinden in der Antiterrordatei zu erfassen. Wir waren es doch, die es ermöglicht haben, dass bestimmte religiöse Vereine in
Deutschland vom Verfassungsschutz beobachtet und
verboten werden. Daten über die Mitgliedschaft in solchen Vereinen bzw. die Nähe dazu zu speichern ist in
Ordnung. Aber Sie wollen auch die Daten von Kontaktund Begleitpersonen speichern. Wir sind uns sicherlich
einig, dass die Antiterrordatei einen aktuellen Bezug
zum islamistischen Terrorismus in Deutschland haben
sollte. Wollen Sie etwa, dass hinter jedem gespeicherten
Namen „Moslem“ steht? Das ist doch völlig sinnentleert,
nicht zielführend und stigmatisierend. Das ist das falsche
Signal. Das hat mit Integration nichts zu tun.
({0})
Kollege Wiefelspütz, Sie dürfen sich setzen. Ich weiß,
dass Sie meiner Meinung sind, weil Sie Jurist sind; aber
Sie stehen hier unter dem Druck der Einigung in einer
großen Koalition. Unter ähnlichen Zwängen stand auch
ich einmal.
({1})
Trotzdem ist es richtig, das Richtige zu sagen.
({2})
Wir werden uns im Innenausschuss über diesen Gesetzentwurf unterhalten können.
Ich will noch ein Wort zur Videoüberwachung sagen, weil das das zweite Sommerthema war. Herr Innenminister Schäuble, ich habe Erkundigungen an den
Bahnhöfen eingezogen. Es gab mir zu denken, dass die
DB, die für die Anschaffung der Kameras zuständig ist,
mittlerweile mehr Kameras hat, die unangeschlossen in
Bahnhöfen herumhängen,
({3})
als Kameras, die angeschlossen sind, weil das Bundesinnenministerium seinen Anteil - Sie sind für die Leitungskosten und die Software verantwortlich - nicht
trägt, weil es an Investitionsprogrammen und Geldern
mangelt. Das, was Sie hier gemacht haben, war das Werfen von Nebelkerzen.
({4})
Ich möchte zu den Sonderprogrammen für das Bundesamt für Verfassungsschutz kommen. Ich wünsche
mir eine ehrliche Debatte mit den Verantwortlichen in
Schleswig-Holstein. Es wäre die Aufgabe des Landesamtes für Verfassungsschutz von Schleswig-Holstein gewesen, die radikalen Tendenzen in der Kieler Moschee
zu erkennen. Ich sehe überhaupt nicht ein, dass wir das
Bundesamt für Verfassungsschutz mit Sonderprogrammen ausstatten, während die Länder gleichzeitig ihre
Personalausstattung und ihre Kapazitäten zurückfahren.
Wir haben in der Föderalismuskommission noch nicht
einmal ansatzweise gesagt, dass die Länder überhaupt
nicht in der Lage sind, diese Aufgaben wahrzunehmen,
und dass das Bundesamt eine Zentralstellenfunktion einnehmen muss. Ich vermisse Strukturreformen. Hier werden zusätzlich Gelder ausgegeben, ohne dass man die
Aufgabenkritik und den Aufgabenabbau zum Beispiel
im Bereich der Spionageabwehr in Angriff nimmt. Auf
dieser Ebene wird es mit uns keine Zusatzprogramme
geben. Wir wollen die Gelder für andere Zwecke ausgeben.
Sie haben das THW angesprochen. Es ist jetzt ein
Jahr her, dass sich die Unwetter in New Orleans ereignet
haben. Die Bundesregierung macht offensichtlich die
gleichen Fehler wie die Regierung der USA. In New
Orleans kam es zu über 1 000 Todesopfern, weil alle Sicherheitsbehörden auf die Bekämpfung des Terrorismus
ausgerichtet sind und der Bevölkerungsschutz vernachlässigt wurde. Extreme Wetterlagen und großflächige
Stromausfälle sind Risiken, die auch unsere Zivilbevölkerung bedrohen. Ich halte es für eine ganz gefährliche
Fehlentwicklung, dass Sie erneut die Mittel für das Bundesamt für Bevölkerungsschutz reduzieren. Es mangelt
an Einsatzfahrzeugen und an Aus- und Fortbildung. Wir
sind in der Fläche noch nicht einmal hinreichend mit
Feuerwehrautos ausgestattet. Auch das ist ein konkretes
Sicherheitsrisiko.
Lassen Sie mich ein Wort zur Biometrie sagen. Im
Haushaltsplan sind 5 Millionen Euro für Sachverständigenkosten ausgewiesen. Ich frage mich, für wen bzw. für
was. Das müssen Sie schon näher erläutern. Überhaupt
nicht verstehe ich, dass das Projekt zur Iriserkennung am
Frankfurter Flughafen weitergeführt wird. Die EU hat
sich bekanntlich darauf verständigt, Fingerabdrücke und
Gesichtserkennung als Merkmale aufzunehmen. Es steht
für mich der Verdacht im Raum, dass ein Lieblingsprojekt des ehemaligen Bundesinnenministers Schily von
einer Firma weitergeführt wird, in deren Aufsichtsrat
Otto Schily jetzt sitzt. Ich habe keine Lust, für die Lieblingsprojekte von Otto Schily weiter Steuergelder zu
verschwenden. Das ist eine sinnlose Investition.
({5})
Mir bleibt nur noch eine Minute, um etwas zur Integration zu sagen. Die Bleiberechtsregelung scheitert
derzeit an der schwarz-gelben Koalition in Niedersachsen. Die FDP ist maßgeblich daran schuld, dass es dazu
keine Regelung gibt. Wir Grüne haben schon lange erwartet, dass es hier zu einer bundesgesetzlichen Regelung kommt und sich die große Koalition nicht permanent von Schünemann und Beckstein auf der Nase
herumtanzen lässt. Aufgrund der Zahlen über nicht bestandene Kurse wissen wir, dass wir eine Qualitätsverbesserung, eine Erhöhung der Stundenzahl und eine
Erhöhung der Stundenvergütung brauchen. Insofern
können Sie nicht mit der gleichen Argumentation wie im
letzten Jahr hier zu geringe Mittel einsetzen. Wir erwarten hier eine Aufstockung. Wir müssen keine Evaluierung abwarten.
({6})
Meine letzte Bemerkung. Auch nicht hinnehmbar ist,
dass die große Koalition die Mittel für den Kampf gegen den Rechtsextremismus auslaufen lässt. In einer
Zeit, in der wir in Deutschland zunehmend rechtsextreme Gewalt haben - es gab einen Zuwachs dieser
Gewalttaten von 23,5 Prozent -, sorgt die große Koalition dafür, dass es flächendeckend zu einem Kahlschlag
bei den von Rot-Grün initiierten Projekten kommt.
Frau Kollegin!
Das ist nicht hinnehmbar. Das ist eine sträfliche Vernachlässigung eines wichtigen Themas der inneren Sicherheit. Wir erwarten, dass diese Projekte weitergeführt
und ausgebaut werden.
Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. Ich
möchte etwas zur Fußball-WM und zu den dafür eingesetzten Beamten sagen. Herr Bundesinnenminister, die
Einlösung eines Versprechens steht noch aus, nämlich
der Sonderzahlung im Bereich des öffentlichen Dienstes.
Es reicht nicht aus, den Beamten zu sagen: Danke für die
Fußball-WM, danke für die Überstunden.
Frau Kollegin!
Sie erwarten auch, dass die für 2005 und 2006 zugesagten Sonderzahlungen jetzt endlich ausgezahlt werden.
Danke schön.
({0})
Das Wort hat der Kollege Helmut Brandt, CDU/CSUFraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Nach der Rückkehr aus den Ferien
hat sich durch die zwischenzeitlichen Ereignisse die Sicherheitslage unseres Landes augenscheinlich verändert.
Jedenfalls wird jetzt von der breiten Öffentlichkeit die
Gefährdung unseres Landes völlig anders eingeschätzt.
Unseren Bürgern ist bewusster geworden, dass die Einschätzung unserer Sicherheitspolitiker bezüglich des Gefährdungsgrades in punkto innerer Sicherheit leider zutreffend war und ist. Der positive Schwung der grandios
verlaufenden Fußballweltmeisterschaft hatte viele in
dem Glauben bestärkt, in Deutschland sicher zu sein und
Anschläge nicht befürchten zu müssen.
Erlauben Sie auch mir an dieser Stelle, kurz den Dank
an all jene zum Ausdruck zu bringen, die - ob ehrenamtlich oder hauptamtlich - ihren Beitrag zur vorzüglichen
Organisation und Durchführung dieser Weltmeisterschaft geleistet haben.
({0})
Dies gilt im Übrigen in gleicher Weise für die am Sonntag zu Ende gegangene Weltmeisterschaft der Reiter in
Aachen. Ich komme aus der Nähe.
({1})
Daher ist mir dies ein Anliegen. Sie alle, aber auch unsere Bürger insgesamt, haben der Welt vermittelt:
Deutschland ist ein weltoffenes und gastfreundliches,
aber auch ein sicheres Land.
Dieser nicht bezahlbare Imagegewinn für unser Land
wird auch wirtschaftlich gesehen positive Folgen haben,
insbesondere im Bereich der Tourismuswirtschaft. All
dies werden wir sicherlich spätestens im nächsten Jahr
positiv registrieren können.
({2})
Andererseits wissen wir heute: Es hätte auch anders
kommen können. Inzwischen wurde bekannt, dass die
beiden festgenommenen Attentäter ihre Anschläge auf
die Regionalzüge bereits während der Weltmeisterschaft
umsetzen wollten. Den Entschluss dazu hatten sie jedenfalls bereits gefasst. Man wagt es nicht, sich vorzustellen, wie diese Fußballweltmeisterschaft dann verlaufen
wäre und welcher Eindruck dann in der Welt entstanden
wäre. Sofort wird man an die Ereignisse bei der Olympiade in München erinnert.
Allzu schnell ist man aber auch bereit, diese Gedanken nach den gescheiterten Versuchen und der Festnahme der Attentäter zu verdrängen. Es wäre nicht nur
töricht und es stellte nicht nur politisch ein völlig falsches Signal dar, sondern es wäre auch sicherheitspolitisch grob fahrlässig, wenn man dies täte.
Dennoch gilt: Panikmache ist in dieser Situation nicht
angebracht. Aber eine nüchterne Analyse der Situation
ist ebenso notwendig wie die Umsetzung sich hieraus ergebender Schlussfolgerungen. Die innere Sicherheit ist
ein hohes und notwendiges Gut. Zu Recht erwarten die
Bürgerinnen und Bürger unseres Staates, dass er ihnen
Sicherheit gewährleistet.
Der Einzelplan 06 des Haushaltsentwurfs hat in seinen Eckpunkten die sicherheitspolitischen Weichen richtig gestellt und stellt sicher, dass die Bundesrepublik
Deutschland auch in Zukunft als sicheres Land gelten
wird. Auch in Zukunft soll es den Bürgern in Deutschland und unseren Gästen möglich sein, sich frei und
sorglos zu bewegen. Freiheit, Freizügigkeit und grenzenloses Reisen innerhalb der EU sowie darüber hinaus
wollen wir nicht aufgeben.
Die vorgesehenen Aufwendungen für die innere
Sicherheit werden deshalb gegenüber dem Haushaltsjahr 2006 um 1,8 Prozent steigen. Insgesamt sind
4,439 Milliarden Euro für den Haushaltsbereich Inneres
vorgesehen; denn es gilt, die Freiheit und die Freizügigkeit für einen jeden zu gewährleisten. Die persönliche
Freiheit des Einzelnen und die Sicherheit im Ganzen bedingen sich dabei gegenseitig und stellen keinen Widerspruch dar, wie es oft fälschlich darzustellen versucht
wird.
Freiheit und Freizügigkeit nutzen allerdings auch die
Feinde unseres demokratischen Rechtsstaats. Hier muss
die Sicherheitspolitik ansetzen und mit geeigneten Maßnahmen reagieren. Hierzu gehören nach meiner festen
Überzeugung auch bessere Videoüberwachungen auf
Bahnhöfen, Flug- und Seehäfen sowie gefährdeten öffentlichen Plätzen. Der rechtschaffene Bürger hat gegen
diese - im Übrigen auch weltweit erfolgreich praktizierten - Überwachungsmaßnahmen nichts einzuwenden;
im Gegenteil: Er fordert sie sogar, und zwar zu Recht.
({3})
Die derzeitige Situation - Herr Kollege, darin werden
Sie mir folgen - macht diese Maßnahmen meiner Meinung nach unbedingt notwendig.
({4})
- Wenn Sie mir nicht folgen, haben Sie etwas zu verbergen.
({5})
Das Ergebnis der gestrigen Innenministerkonferenz
ist insoweit ein für unsere Fraktion ermutigendes Signal.
Die Antiterrordatei stellt ein wesentliches Element dar,
wenn es darum geht, die Zusammenarbeit von Polizei,
Verfassungsschutz und Nachrichtendiensten zu verbessern. Man muss sich vor Augen führen, dass aufgrund
unserer föderalen Strukturen die Landeskriminalämter,
die Landesämter für Verfassungsschutz und die Bundesbehörden, also mindestens 38 verschiedene Behörden,
künftig Zugriff auf diese Datei haben werden. Dann werden bestehende Lücken in der Ermittlungsarbeit geHelmut Brandt
schlossen und wird verhindert, dass solche Lücken von
Extremisten und Terroristen zum Nachteil unserer Bevölkerung genutzt werden können.
Erinnern möchte ich in diesem Zusammenhang auch
an die schon einmal geführte Diskussion über die Verwendung von Daten aus der Mauterfassung bei LKW.
Wir sind der Auffassung, dass diese Daten für polizeiliche Ermittlungen herangezogen werden müssen, wenn
sich dies aufgrund der Verdachtslage und der besonderen
Umstände im Einzelfall aufdrängt und für die Ermittlungstätigkeit der Polizei unabdingbar ist. Ich erinnere
nur an den kürzlich aufgeklärten Fall des so genannten
Autobahnmörders.
Man wird auch prüfen müssen, in welchem Umfang
das Ausländerrecht stärker zur Gefahrenabwehr genutzt bzw. dahin gehend verbessert werden kann. Dabei
sind die Ergebnisse und Schlussfolgerungen aus dem
Visa-Untersuchungsausschuss der letzten Wahlperiode
besonders zu berücksichtigen.
Aber nicht nur restriktive und Gefahren abwehrende
Maßnahmen sind erforderlich und insoweit im Haushaltsplan vorgesehen. Wichtig sind auch die weiteren
Maßnahmen zur Vermeidung oder Verringerung von Gefährdungspotenzial. Im Bereich des Inneren zielen diese
insbesondere auf die Integration. Ich danke hier der
Kanzlerin ausdrücklich dafür, dass sie den Dialog mit
dem Islam und den Religionsgemeinschaften insgesamt
initiiert hat.
Ein in Deutschland voll integrierter, unser Staatswesen bejahender Ausländer wird nicht mehr für Hasstiraden und Aufrufe zum Terror oder zur Unterstützung des
Terrors empfänglich sein. Jeder ausgegrenzte oder in einer Nebengesellschaft Lebende wird demgegenüber
hierfür anfällig sein und bleiben.
Herr Kollege, Sie denken bitte an die Zeit.
Herr Präsident, ich danke für den Hinweis. Der Bundesinnenminister, den ich sehr schätze, hat mir etwas
meiner Zeit gestohlen.
({0})
Aber das macht nichts; denn er hat in vortrefflicher
Weise all das vorgetragen, was ich jetzt noch vortragen
wollte. Insofern nehme ich es ihm natürlich nicht übel.
Herr Kollege, ich empfehle eine leichte Glättung für
das Protokoll: Minister stehlen prinzipiell nicht und Innenminister schon gar nicht.
({0})
Ich gehe davon aus, dass dies weder rechtswidrig
noch schuldhaft war.
Bei aller Ausgabendisziplin und vorbehaltlich sich
noch als notwendig erweisender Korrekturen - auch darauf hat der Minister schon hingewiesen - während der
Debatten in den nächsten Wochen kann man zusammenfassend sagen, dass der Haushaltsentwurf im Bereich des
Inneren solide aufgestellt ist und der Herausforderung
zur Wahrung der inneren Sicherheit in vollem Umfang
gerecht wird.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Max Stadler für die
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der geschätzte Kollege Hartmann hat am Ende der
letzten Haushaltsdebatte die Gemeinsamkeit aller Fraktionen bei der inneren Sicherheit beschworen. Wir von
der FDP können dem zustimmen, aber nur teilweise.
Wie Kollegin Gisela Piltz vorhin richtig ausgeführt hat,
tragen wir Maßnahmen, die die innere Sicherheit wirklich erhöhen, mit, wenn sie verfassungsgemäß sind.
({0})
Das war in der Vergangenheit nicht immer der Fall. Wer
entscheidet das? Das Bundesverfassungsgericht. Es
musste leider des Öfteren die Entscheidung treffen, dass
Gesetze, die hier mit Mehrheit verabschiedet worden
sind, nicht dem Grundgesetz entsprechen.
Wir meinen, die richtige Reaktion darauf ist nicht, die
Karlsruher Richter in die Ecke der Weltfremden zu stellen. Die richtige Reaktion ist vielmehr, sich künftig an
die Vorgaben der Verfassung zu halten.
({1})
Verehrter Herr Kollege Brandt, wer sich gegen überzogene Überwachung ausspricht, hat doch nicht selber
etwas zu verbergen.
({2})
Das ist ein typischer Kurzschluss, der hier zwar ein wenig Heiterkeit hervorgerufen hat. In Wahrheit ist das ein
Argument, dem man in der Sicherheitsdebatte oft begegnet. Es ist ein Argument, mit dem das Bemühen um die
Einhaltung der Verhältnismäßigkeit der Mittel diskreditiert wird. Deswegen kann dieses Argument hier nicht
gelten.
({3})
Sicherheitspolitik ist nicht etwa nur Polizeirecht. Deswegen unterstützen wir Sie, Herr Minister Schäuble,
wenn Sie mit dem Islamgipfel einen Dialog beginnen
und wenn Sie das Versprechen einhalten, das Sie in einem Interview gegeben haben, nämlich bei der Einladung die Gesprächspartner ohne Tabu auszuwählen.
Aber Sicherheitspolitik ist im Wesentlichen natürlich
polizeiliches Handeln. Wir haben bei Ihren Ausführungen heute in der Debatte wieder gehört, dass man angesichts der Bedrohung immer mehr in den präventiven
Bereich hineingehen müsse; es komme darauf an, Straftaten schon im Vorfeld zu erkennen und zu verhindern.
Wer möchte dem widersprechen? Aber wir müssen uns
ebenso bewusst sein, dass darin auch eine Gefahr liegt.
Erinnern wir uns an die klaren Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts, etwa wann polizeiliches Abhören von
Telefonaten oder eine Rasterfahndung vorbeugend zulässig sein darf. Man merkt, dass bei der von Ihnen vorhin favorisierten Tätigkeit der Geheimdienste die Kriterien für die Eingriffe nicht so klar sind. Geheimdienste
dürfen definitionsgemäß viel mehr. Dadurch geraten viel
mehr Unverdächtige in ihr Visier. Das ist der eigentliche
Kern des Streits darüber, warum es nicht richtig sein
konnte, Dateien der Geheimdienste allen Sicherheitsbehörden eins zu eins zur Verfügung zu stellen.
({4})
Auch dafür muss es genaue Kriterien geben.
Lassen Sie mich zum Schluss noch etwas erwähnen,
worin ich Sie unterstütze, Herr Minister Schäuble. Sie
sagten, wenn wir - die Koalition will das ja demnächst
in die Gesetzgebung einbringen - den Geheimdiensten
mehr Befugnisse gäben, wäre auch mehr Kontrolle erforderlich. Das ist genau das richtige Gegengewicht. Wir
von der FDP verstehen nicht, warum Sie als Koalition
dann nicht unserem Entwurf eines Gesetzes zur besseren
parlamentarischen Kontrolle der Nachrichtendienste näher treten.
Ich möchte mit der Bitte an Sie schließen, doch auch
die personellen Ressourcen bei den Diensten sinnvoll
einzusetzen. Ich habe heute zufällig den bayerischen
Verfassungsschutzbericht in die Hände bekommen;
beim Bund ist es nicht besser. Ich lese Ihnen vor, was im
bayerischen Verfassungsschutzbericht auf Seite -
Herr Stadler, das wird nur schwer gehen.
Herr Präsident, dieses Zitat wird auch Sie erfreuen
({0})
und Ihre Kenntnisse über die Arbeit der Geheimdienste
erweitern.
Ich lasse mich einmal auf dieses Geschäft ein, Herr
Stadler.
Gestatten Sie, dass ich Ihnen aber doch noch mitteile,
was dort auf Seite 169 zu lesen ist. Über einen PDS-Parteitag heißt es:
Gregor Gysi betonte, dass der Staatssozialismus zu
Recht gescheitert sei.
Meine Damen und Herren, das habe ich auch auf
Phoenix gesehen. Bitte setzen Sie das Personal sinnvoll
ein, dann wird die FDP auch einer Aufstockung der
Haushaltsmittel hierfür zustimmen.
Vielen Dank, Herr Präsident.
({0})
Herr Stadler, es wäre in der Tat ein Jammer gewesen,
wenn ich dieses Zitat nicht gehört hätte.
({0})
Nun hat das Wort der Kollege Sebastian Edathy für
die SPD-Fraktion. Den zahlreichen bereits vorgetragenen Glückwünschen zu seinem heutigen Geburtstag
schließt sich das Präsidium vollinhaltlich an.
({1})
Vielen Dank. - Guten Abend, Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Es ist ganz schön, einmal
eine Rede mit Beifall aus allen Fraktionen beginnen zu
können. Wenn wir das so beibehalten könnten, würde ich
das durchaus begrüßen.
({0})
Wir haben in dieser Debatte heute Nachmittag und
heute Abend sehr intensiv über innere Sicherheit gesprochen. Ich freue mich, dass es doch einen sehr breiten
Konsens gegeben hat, nämlich sowohl in der Hinsicht,
dass es nicht redlich wäre, den Bürgerinnen und Bürgern
den Eindruck zu vermitteln, man könne hundertprozentige Sicherheit garantieren, als auch in der Hinsicht, dass
es nicht redlich wäre, so zu tun, als beschäftigten wir uns
mit dem Thema „Umgang mit den Herausforderungen
durch den internationalen Terrorismus“ erst seit vorgestern oder seit drei Wochen. Da ist auch in der Verantwortung der Vorgängerregierung unter Bundesinnenminister a. D. Otto Schily viel auf den Weg gebracht worden,
wobei es immer noch Verbesserungsmöglichkeiten, Optimierungsmöglichkeiten gibt.
({1})
Dazu gehört das, was jetzt im Herbst in Form der
Evaluierung der Antiterrorismusgesetze ansteht. Dazu
gehört aber sicherlich auch, das umzusetzen, was nach
meinem Dafürhalten inhaltlich auch Konsens ist: nämlich die Antiterrordatei. So sehr ich es begrüße, dass
sich die Innenminister der Bundesländer damit sehr intensiv beschäftigt haben und auch viele Gemeinsamkeiten entdeckt haben, denke ich, dass wir hier im Parlament deutlich sagen sollten: Wir freuen uns über gute
Anregungen, die von den Länderinnenministern kommen, aber Gesetzgeber sind wir als Parlamentarier schon
selber; dafür haben wir die Legitimation.
({2})
Wir haben auch den Anspruch, diesen Entwurf genau anzuschauen, bevor wir ihn hier mit Mehrheit verabschieden, auch wenn mir das, was da entwickelt worden ist,
durchaus plausibel und vernünftig zu sein scheint. Es ist
mir aber schon im Mai etwas sauer aufgestoßen, dass die
Innenministerkonferenz den Eindruck erweckt hat, sie
sei es, die zuständig ist für das Staatsangehörigkeitsrecht
oder für das Ausländerrecht insgesamt. Da haben wir
doch klare grundgesetzliche Regelungen, an die wir uns
in einer Demokratie auch halten sollten.
Die Sicherheitsarchitektur in Deutschland - das sollte
man bei der ganzen Debatte berücksichtigen - hat sich
im Großen und Ganzen bewährt, einschließlich der
grundsätzlichen Trennung zwischen polizeilichen und
militärischen Aufgaben. Auch wenn man den Eindruck
hat, dass die Forderung nach einem bewaffneten Einsatz
der Bundeswehr im Innern eine Art ceterum censeo
von Teilen der deutschen Innenpolitik des frühen
21. Jahrhunderts zu sein scheint, will ich hier doch deutlich sagen: Die Forderung nach bewaffneten Bundeswehreinsätzen im Innern wird nicht dadurch besser, dass
man sie wiederholt; sie bleibt falsch.
({3})
Wir sind der Auffassung, dass die für Bundeswehreinsätze in Deutschland geltenden grundgesetzlichen Vorgaben im Kern absolut ausreichend sind. In dem Zusammenhang möchte ich auf zwei Dinge hinweisen. Zum
einen hat nicht zuletzt - bei aller Skepsis, die es im Vorfeld teilweise gegeben hat - die Fußballweltmeisterschaft in Deutschland sehr eindrücklich unter Beweis
gestellt, dass unsere Polizei sehr wohl und in hervorragender Weise dazu in der Lage ist, auch mit schwierigen
Situationen umzugehen. Zum anderen gehört es auch zur
Redlichkeit in der Debatte, sehr deutlich zu sagen, dass
es beim Thema „Umgang mit den Herausforderungen
durch den internationalen Terrorismus“ nicht so sehr auf
die Muskeln in den Armen als auf die Muskeln zwischen
den Ohren ankommt. Die entscheidende Waffe ist möglichst gute Informationserhebung und möglichst gute Informationsvernetzung. Das heißt, neben der Polizei muss
es nachrichtendienstliche Arbeit geben, die natürlich demokratischer Kontrolle und Legitimation unterliegt. Es
kommt aber nicht so sehr auf das an - das ist der entscheidende Punkt -, was dann in Form von Manpower
zum Beispiel im direkten Sicherheitsbereich zu leisten
wäre.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Zuge der Haushaltsberatungen in den nächsten Wochen wird sehr genau darauf zu achten sein, dass von den Vorschlägen zur
personellen und zur sächlichen Verbesserung der Ausstattung unserer Sicherheitsbehörden diejenigen, die nötig sind, umgesetzt werden, und dass wir vor allen Dingen den Bereich der Prävention, den Bereich der
Vorbeugung stärken.
Lassen Sie mich mit Blick auf die Sicherheitsdebatte
sagen, dass ich sehr froh darüber bin, dass ganz bewusst
und zu Recht parteiübergreifend davon Abstand genommen wurde, Bürger muslimischen Glaubens mit einem
Generalverdacht zu überziehen. Ich bin zugleich froh
darüber, dass die Notwendigkeit, im Bereich der Integrationspolitik substanziell etwas zu verbessern, ebenfalls unstrittig ist. Aber auch im Bereich der Integration
gilt: Wir fangen nicht bei null an; wir müssen das Rad
nicht neu erfinden.
Ich will in diesem Zusammenhang ein Beispiel nennen, auf das ich heute aufmerksam wurde und das ich
sehr gut finde. Die Nachrichtenagenturen veröffentlichten heute Mittag folgende Meldung: „40 Berliner Moscheen erinnern an Terror-Opfer des 11. September“. Ich
darf daraus auszugsweise zitieren:
Rund 10.000 Berliner Muslime werden am Freitag
zu Gebeten für die Opfer der Terroranschläge vom
11. September 2001 erwartet. Rund 40 Moscheen
wollen das Gedenken zum Thema ihrer Freitagspredigten machen, wie der Senatsbeauftragte für Integration … am Dienstag in Berlin ankündigte.
Der Beauftragte
betonte, die Initiative zum „Gebet für Frieden und
gemeinsame Verantwortung“ komme von den muslimischen Gemeinden. Er
- also der Integrationsbeauftragte des Landes Berlin wertete sie als Meilenstein, der das gewachsene gesellschaftspolitische Engagement der islamischen
Gemeinden zeige.
Ich sehe das genauso wie der Integrationsbeauftragte.
({4})
Ich hoffe, der Kollege Pflüger, der heute nicht anwesend
ist und der meint, das Thema Moscheebau zum Wahlkampfthema machen zu müssen, wird das ähnlich sehen.
Wir können sehr stolz darauf sein, dass wir in diesem
Land Religionsfreiheit, basierend auf einem gemeinsamen Wertefundament, haben. Ob ein Bürger dieses Landes am Freitag in die Moschee, am Samstag in die Synagoge oder am Sonntag in die Kirche geht oder nichts von
alledem macht, weil er Atheist ist, kann uns als Demokraten relativ gleichgültig sein. Das unterliegt der persönlichen Freiheit. Wenn ein gemeinsamer Wertekanon
vorhanden ist - das gilt für die ganz überwiegende
Mehrheit der Muslime in Deutschland wie für die Christen in Deutschland -, dann gibt es keine Probleme. Ich
glaube, dass die Entwicklung, die mit dem Integrationsgipfel angeregt worden ist, auf etwas aufbauen kann,
was deutlich besser ist, als es gelegentlich in den öffentlichen Diskussionen im Lande dargestellt wird.
Der größte Ausgabenposten für den Bereich der Integrationsmaßnahmen im Entwurf des Haushaltes des
Bundesinnenministeriums sind die Sprach- und Integrationskurse. Für das Jahr 2007 ist ebenso wie für das
Jahr 2006 eine Summe von 141 Millionen Euro vorgesehen. Der Minister hat darauf hingewiesen, dass es richtig
gewesen sei, die gleiche Summe anzusetzen, weil wir im
Parlament oder in den sonstigen zuständigen Gremien
noch nicht darüber entschieden hätten, wie die Integrationskurse, was ihre Qualität und Ausgestaltung betrifft,
weiterentwickelt würden. Das stimmt. Aber wir haben
unter anderem im Innenausschuss sehr lange, sehr intensiv und von einem breiten Konsens getragen über dieses
Thema geredet. Ich habe jetzt gehört, es solle aus dem
Integrationsgipfel heraus eine Arbeitsgruppe geben, die
sich auch mit diesem Thema beschäftigt.
Eines muss doch klar sein: Auf die lange Bank wird
man die notwendigen Veränderungen im Bereich der Integrationskurse nicht schieben können. Wenn der Haushaltsentwurf so bleibt, wie er jetzt eingebracht worden
ist, und im Haushaltsverfahren nicht nachgebessert wird,
hieße das logischerweise, es würde sich erst 2008 etwas
ändern. Das wäre meiner Fraktion und mir deutlich zu
spät. Wir gehen davon aus, dass die notwendigen Veränderungen, zum Beispiel längere Kurse für bestimmte
Zielgruppen, eine bessere Ausdifferenzierung, eine Ausweitung der Betreuung von Kindern muslimischer
Frauen, die an Kursen teilnehmen, eine Intensivierung
der Arbeit mit Analphabeten und die Klärung der Vergütung der Lehrenden, so zeitig geklärt werden, dass sie
bereits für 2007 haushaltsrelevant werden. Ich bitte darum, im Haushaltsausschuss darüber zu reden, ob man
nicht vorsorglich für 2007 ein bisschen mehr Geld für
diesen Bereich einstellen sollte als gegenwärtig veranschlagt.
({5})
Teurer wird es auf jeden Fall.
Ich will noch etwas zum Ausdruck bringen, was ich
sehr löblich finde, weil es deutlich macht: Auch Bundesregierungen sind lernende Systeme. Wir hatten im Zuge
der Beratungen über den Bundeshaushalt 2006 sehr
lange darüber diskutiert, ob der Mittelansatz für die Arbeit der Bundeszentrale für politische Bildung, der damals vorgesehen war, ausreichend ist. Ich bin froh darüber, dass, nachdem wir im Zuge der Beratungen des
Haushalts 2006 diesen Ansatz angehoben haben, genau
dieser erhöhte Ansatz auch zur Grundlage für das Jahr
2007 gemacht worden ist.
Demokratie lebt davon, vermittelt zu werden. Das
muss sich neben allen anderen Aspekten der inneren Sicherheit - ich glaube, dass die entscheidende Voraussetzung für innere Sicherheit in Deutschland eine stabile
Demokratie ist - auch im Haushalt des Innenministeriums widerspiegeln.
Lassen Sie mich abschließend sagen: Der große Vorteil - wahrscheinlich der einzige - daran, dass die SPD
nicht mehr den Innenminister stellt, ist, dass man als
SPD-Redner nicht Angst haben muss, dass für einen am
Ende keine Redezeit mehr übrig ist. Aber ich habe meine
Redezeit ohnehin ausnahmsweise diesmal einhalten können.
({6})
Ich wünsche uns eine gute Beratung.
({7})
Auch diesem Wunsch schließt sich das Präsidium
an. - Nächste Rednerin ist die Kollegin Petra Pau, Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn wir hier über Leitlinien der Innenpolitik reden,
dann dürfen wir einen wichtigen Pfad nicht aussparen:
den Kampf gegen Rechtsextremismus, Rassismus und
Antisemitismus.
({0})
Wir erleben gerade aktuell in den Wahlkämpfen in
Berlin und in Mecklenburg-Vorpommern, wie rechtsextremistische Kameraden zunehmend aggressiv und gewalttätig agieren. Aber es geht hier nicht nur um Wahlkampf; es geht um den Alltag in Ost und West. Sie wissen: Wir fragen seit Jahren Monat für Monat nach den
Straf- und Gewalttaten mit rechtsextremistischem Hintergrund. Allein der offizielle Befund ist alarmierend: Im
Bundesdurchschnitt werden inzwischen stündlich drei
rechtsextrem motivierte Straftaten registriert und täglich
drei Gewalttaten.
Deshalb muss das ein Thema bleiben. Ich wünsche
mir, dass wir dazu, auch im Plenum des Bundestages,
eine konstruktive und ressortübergreifende Debatte zu
Strategien und nachhaltigem Widerstand gegen diese
Entwicklung führen.
({1})
Nun wurde in diesen Tagen wieder vorgeschlagen, die
NPD verbieten zu lassen. Ich halte das im Moment für
eine untaugliche Ersatzdebatte. Denn erstens wurde gerade ein Verbotsverfahren blamabel in den Sand gesetzt
und zweitens reduzieren sich Rechtsextremismus und
Rassismus keineswegs nur auf Mitglieder dieser Partei
oder den rechten Rand.
Ich will das an einem aktuellen Beispiel aus dem Berliner Alltag illustrieren. In Pankow-Heinersdorf tobt derzeit ein Streit, ob eine seit 1924 hier in Berlin ansässige
muslimische Gemeinde dort eine Moschee bauen darf.
Viele Bürgerinnen und Bürger sind verängstigt. Sie erhalten - gewollt oder ungewollt - Flankenschutz von der
NPD und von rechtsextremen Kameradschaften. Und sie
erfahren großzügiges Verständnis von Teilen der Berliner CDU. Ich finde das verantwortungslos. Natürlich
muss man die Sorgen von Bürgerinnen und Bürgern
ernst nehmen. Aber man darf sie nicht noch schüren und
schon gar nicht darf man Bestrebungen unterstützen,
nach denen Pankow-Heinersdorf eine Enklave sei, wo
das Grundgesetz, das Toleranzgebot und die Religionsfreiheit nicht gelten.
Das ist keine alleinige Angelegenheit von Teilen der
Berliner CDU oder der Berliner Politik, sondern der
Bundespolitik. Schauen Sie nur einmal, welches Bild
von Muslimen und anderen Bevölkerungsgruppen alltäglich gezeichnet wird. Sie erscheinen viel zu oft synonym für Gewalt und Terror. Damit werden Millionen
Mitbürgerinnen und Mitbürger in eine gefährliche Sippenhaft genommen, für die es keinerlei Grund gibt.
Auch die gestern auf der Innenministerkonferenz beschlossene Antiterrordatei droht ein weiterer Baustein
dafür zu werden.
({2})
Ich will jetzt nicht über die Datei an sich reden; dazu
werden wir noch viel Zeit haben. Aber durch die Aufnahme solcher Daten wie Religionszugehörigkeit wird
eine große Bevölkerungsgruppe unter Generalverdacht
genommen. Ich finde, das schafft ein Klima, das für eine
weltoffene und tolerante Gesellschaft Gift ist. Deshalb
ist die Linke prinzipiell dagegen.
Nun noch ein abschließender Gedanke zum Geld;
denn wir führen ja hier eine Haushaltsdebatte. Ich kann
namens der Linken im Bund und in den Ländern nur inständig appellieren: Kürzen Sie nicht die Mittel, die für
die Initiativen vor Ort nötig sind, die sich für Demokratie und Toleranz engagieren! Schaffen wir gemeinsam
eine Lösung zur Förderung der Strukturprojekte gegen
Rechtsextremismus.
({3})
Denn wir brauchen sie wie das tägliche Brot. Gegen
Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus hilft
letztendlich nur eines: eine couragierte Zivilgesellschaft,
die ihre Demokratie, ihre Bürgerrechte und damit ihr
Grundgesetz verteidigt.
({4})
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Michael Luther für
die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Traditionsgemäß gab es anlässlich der Einbringung des
Haushalts eine sehr interessante Debatte der Fachpolitiker über die Ziele der Innenpolitik in Deutschland. Ich
bin Haushälter und erlaube mir daher an dieser Stelle,
ein paar Punkte aus dieser Sicht beizutragen.
Der Gesamtetat des Einzelplans 06 umfasst
4,4 Milliarden Euro. Das sind 80 Millionen Euro mehr
als im Jahr 2006 und entspricht einer Steigerung von
1,8 Prozent. Davon profitieren zum Beispiel das Statistische Bundesamt, das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe sowie das THW. Ich finde,
das ist gut so.
Wir müssen aber auch sehen, dass es zum Beispiel einen Aufwuchs um 14,7 Millionen Euro bei den Versorgungsaufwendungen gibt, die jetzt in den Einzelplänen
etatisiert sind. Nächstes Jahr stehen außerdem die EURatspräsidentschaft und die G-8-Präsidentschaft an.
Auch diese kosten Geld, nämlich 12,4 Millionen Euro.
Trotz der geringfügigen Steigerung kann man festhalten, dass der Haushalt des Einzelplans 06 von dem Dreiklang gekennzeichnet ist, der das Handeln der großen
Koalition prägt, nämlich: Sanieren, Investieren und Reformieren. Es bleibt in diesem Zusammenhang festzuhalten, dass der Haushalt nach wie vor ein Sanierungsfall ist. Das ist die Realität.
Wir kommen daher nicht um das Thema Haushaltskonsolidierung herum. Diesem Thema werden wir uns
auch in den Beratungen zum Einzelplan 06 stellen müssen. Denn eines bleibt richtig: Wir müssen es schaffen,
irgendwann einmal ohne Neuverschuldung auszukommen. Ansonsten kann der Staat nicht handlungsfähig
sein.
Nach diesen einleitenden Bemerkungen möchte ich
festhalten, dass in dem Haushalt des Einzelplans 06 ein
paar wichtige Aufgaben enthalten sind, die wir mit dem
nötigen Ernst zu betrachten haben. Über das Thema innere Sicherheit ist heute schon sehr intensiv beraten
worden. Nach den gescheiterten Anschlagsversuchen
auf Regionalzüge der Deutschen Bahn in Koblenz und
Dortmund ist vielen bewusst geworden, dass auch wir
im Fadenkreuz des Terrorismus und der islamischen
Fundamentalisten stehen.
Die momentanen Sicherheitsanforderungen, die es
nicht nur in Deutschland, sondern überall in Europa gibt,
machen deutlich, dass es seit der Zeit des RAF-Terrorismus in den 70er-Jahren eine solch große Gefahr nicht
mehr gegeben hat. Wir müssen daher dieser besonderen
Situation Rechnung tragen. Noch ist in Deutschland
nichts Dramatisches passiert. Aber die Anschläge in
Madrid und London zeigen, dass unsere Sicherheitsorgane auf alle Bedrohungen vorbereitet sein müssen.
An dieser Stelle möchte ich Dank sagen. Unsere Sicherheitsbehörden haben bislang Großartiges geleistet.
Das Beispiel Fußball-WM ist heute schon erwähnt worden. Es ist nichts passiert; es lief alles glatt. Das geschah
aber nicht im Selbstlauf, sondern ist der guten Arbeit
insbesondere der Bundespolizei, des Bundeskriminalamtes, des Verfassungsschutzes und aller anderen, die damit
befasst waren, zu verdanken. Ihnen allen noch einmal
recht herzlichen Dank.
({0})
Wir Haushälter haben die Aufgabe, unseren Sicherheitsbehörden die Mittel zur Verfügung zu stellen, die
sie für ihre Arbeit brauchen. Grundsätzlich gilt aber das
Prinzip Haushaltsdisziplin. Wir werden also mit dem
Geld auskommen müssen, das uns zur Verfügung steht.
Ich sage aber an dieser Stelle zu, dass wir prüfen werden,
inwieweit den Anforderungen, die von den Sicherheitsbehörden an uns herangetragen werden, durch Umschichtungen im Bundeshaushalt entsprochen werden
kann.
Noch eine Bemerkung zur Arbeit der Bundespolizei,
des BKA, des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik, des Bundesnachrichtendienstes und
ganz besonders des Verfassungsschutzes. Koblenz und
Dortmund haben gezeigt, wie sehr wir auf unsere Sicherheitsbehörden angewiesen sind. Ich habe manchmal den Eindruck, dass der eine oder andere in diesem
Hohen Haus die besondere Arbeit der Geheimdienste auf
diesem Gebiet infrage stellt. Ich sage ganz klar: Gehen
wir mit diesen Behörden pfleglich um!
({1})
Mir liegt ein anderes wichtiges Thema am Herzen,
nämlich der BOS-Digitalfunk. Wir sind uns einig, dass
der Aufbau dieses digitalen Sprechfunks, den wir im Gegensatz zu vielen anderen europäischen Staaten noch
nicht haben, notwendig ist.
Es ist ein Erfolg - Dank sei der großen Koalition -,
dass zwischen dem Bund und den Ländern in diesem
Jahr ein Vertrag über die Errichtung der Bundesanstalt
für Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben abgeschlossen werden konnte. Damit
ist die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern gesichert. Mittlerweile wurde zudem mit der EADS ein
Vertrag über die Systemtechnik abgeschlossen. Auch das
ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Ingangsetzung
des BOS-Digitalfunks.
Leider steht der dritte notwendige Teil noch infrage.
Aus sicherheitspolitischen Gründen gibt es die Überlegung, die Bahninfrastruktur zu nutzen. Verhandlungspartner wäre demzufolge die DB AG. Ich habe aber den
Eindruck, dass sich die DB Telematik in einer Monopolstellung sieht und daher versucht, Preise durchzusetzen,
die wir nicht akzeptieren können.
({2})
Momentan liegen unsere Vorstellungen - die kalkulierten Zahlen stehen im Haushaltsentwurf - und das Angebot der DB Telematik weit auseinander. Als Haushälter
will ich an dieser Stelle ganz klar sagen: So geht das
nicht. Was bedeutet das in der Konsequenz? - Wenn es
zu keiner vernünftigen Lösung kommt, dann müssen wir
nach Alternativen suchen.
({3})
Ich bin aber zuversichtlich, dass wir mit der Bahn eine
einvernehmliche Lösung finden werden; zumindest
hoffe ich es.
({4})
Lassen Sie mich noch ein Wort zum Thema Integration sagen. Integration ist ein wichtiges Anliegen der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Das Erlernen der Sprache ist eine Voraussetzung für Integration. Für Integrationskurse im Jahr 2007 sind wieder rund 140 Millionen
Euro vorgesehen. Das Jahr 2006 zeigt, dass diese
Summe ausreichen kann. Ich weiß, dass der Integrationsgipfel dieses Thema aufgegriffen hat und bisher zu keiner abschließenden Bewertung gekommen ist. Wir wissen noch nicht, welche Implikationen aus diesem Gipfel
resultieren werden. In den Haushaltsberatungen werden
wir uns mit diesem Thema befassen müssen. Das als Bemerkung dazu.
({5})
Wir werden - das will ich an dieser Stelle mit aller
Ernsthaftigkeit sagen - das Thema Haushaltskonsolidierung in den Beratungen ernst nehmen. Wir müssen die
Behördenstrukturen überprüfen. Wir müssen überlegen,
ob Effizienzgewinne erzielt werden können. Wir müssen
überprüfen, ob alle vorgesehenen Baumaßnahmen, Anschaffungen usw. notwendig sind. Ich will damit signalisieren, dass wir Haushälter unsere Arbeit in den nächsten Wochen sehr ernst nehmen werden. In diesem Sinne
hoffe ich auf eine gute Zusammenarbeit, auch mit dem
Ministerium. Ich hoffe, dass wir zu einem guten Ergebnis kommen. Lassen Sie uns in diesem Sinne froh ans
Werk gehen!
Danke schön.
({6})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Maik
Reichel für die SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! In wohl jedem Beitrag des heutigen Abends
wurde das Ereignis vom 31. Juli dieses Jahres, die beiden Kofferbomben in deutschen Regionalbahnen, angesprochen. Wir haben sehr vielfältig über die neu zu bewertende Sicherheitslage diskutiert. Auch in der
Sommerpause hat man dazu sehr viel hören, lesen und
sehen können.
Wenn wir die Chronologie der Ereignisse seitdem betrachten, ziehe ich einen anderen Schluss als Sie, liebe
Frau Kollegin Stokar: Es hat nicht zu lange gedauert, bis
wir die Verdächtigen hatten. Einen Verdächtigen konnten wir nach knapp drei Wochen fassen und den zweiten
wenige Tage später. Ich denke, das ist das Ergebnis einer
guten, ja hervorragenden Arbeit des Bundeskriminalamtes. Dieser Fahndungserfolg zeigt natürlich auch, dass
wir für die weitere Arbeit gut aufgestellt sind.
({0})
Sicherlich sind wir nicht in allen Bereichen so gut aufgestellt. Trotzdem sage ich: Recht herzlichen Dank für die
gute Arbeit!
({1})
Die längst noch nicht abgeschlossene Auswertung der
gewonnenen Erkenntnisse wird hoffentlich Aufschluss
über die genauen Hintergründe und Motive bringen. Die
Spekulationen, die seitdem auftauchen, bleiben solche,
solange wir nicht Tiefgründigeres darüber wissen. Wir
wollen die Ereignisse - das haben einige festgestellt weder verharmlosen noch dramatisieren. Beides wäre siMaik Reichel
cher nicht angebracht. Viele haben von Glück gesprochen. Wir hatten Glück. Aber dies allein reicht nicht aus.
Der Haushalt, über den wir heute in erster Lesung
sprechen, hat sich der veränderten Sicherheitslage angepasst. Es liegt nun an uns, ihn weiter mit- und auszugestalten. Ich sage dies vor allen Dingen auch im Hinblick
- darüber haben wir heute mehrfach gesprochen - auf
die geplante Antiterrordatei und die Intensivierung der
im Falle der Kofferbomben doch aufschlussreichen Videoüberwachung.
Wenn wir uns einmal die Niederschrift der gestrigen
Innenministerkonferenz anschauen, dann sehen wir,
dass sie sich auf die Einführung einer gemeinsamen Datei
des Bundes und der Länder geeinigt hat - ich zitiere -, „in
der Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden zu relevanten
Personen und Objekten gespeichert werden.“ Schauen
wir uns noch einmal genau an, was dort alles drinsteht
- ein Punkt, die Religionszugehörigkeit, ist bereits angesprochen worden -: Erfasst werden Grunddaten zur Person, die Zugehörigkeit zu terroristischen Vereinigungen,
Waffenbesitz, Telekommunikations- und Internetdaten,
Bankverbindungen und Schließfächer, die Schul- und
Berufsausbildung, Arbeitsstellen, sogar der Familienstand, der Verlust von Ausweispapieren, Reisebewegungen und bekannte Aufenthalte an Orten mit terroristischem Hintergrund, zum Beispiel Ausbildungslager.
Darüber werden wir in diesem Hause sprechen, im Innenausschuss, im Plenum und auch an anderer Stelle. In
der Debatte zum Ressort Justiz wurde dies bereits angedeutet. Ich denke, dass wir uns strikt auf grundgesetzlicher Basis bewegen werden; keiner von uns hier wird
dies bestreiten wollen.
Die Auswirkungen der gestrigen Innenministerkonferenz werden auch in weiteren Beratungen im Haushalt
2007 und darüber hinaus Beachtung finden.
Ich kann nicht feststellen, dass die Nachrichtendienste
komplett aus den Fugen geraten sind. Wenn es so wäre,
hätten wir in dem einen oder anderen Fall doch nicht solche Erfolge erzielt. Wir wünschen uns mehr. Aber dazu
gehört neben finanziell und personell verbesserter Ausstattung natürlich auch, dass wir dies hier nicht nur beraten, sondern auch in den Haushalt einstellen. Der Haushalt trägt dem bereits Rechnung. Mein Kollege Fritz
Rudolf Körper hat es vorhin genannt. Allein die Stellen
im Sicherheitsbereich zeigen das. Ich mache es nicht in
Prozenten fest, sondern in absoluten Zahlen: Die Zahl
der Stellen im Bereich des Bundeskriminalamtes und der
Bundespolizei stieg von 42 889 im Jahr 1998 über
44 722 im Jahr 2002 auf nunmehr 45 588 im kommenden Jahr. Die Kosten sind im Haushalt entsprechend eingestellt.
Bei allem, was wir tun, wissen wir natürlich - auch
das ist angesprochen worden -, dass es keine allumfassende, keine hundertprozentige Sicherheit gibt. Eine Totalüberwachung, liebe Kollegin Piltz, stelle ich mir
schwierig vor. Im Flugzeug bzw. auf dem Flughafen ist
das etwas anderes als auf dem Bahnhof. Wenn es Vorschläge Ihrerseits gibt, was wir mit den Paketen machen
können, die mit der Bahn transportiert werden, dann sind
wir dafür alle sehr dankbar.
({2})
Ich glaube, es gibt gewisse Grenzen. Darüber werden
wir sprechen müssen. Wir sind für jeden Vorschlag
dankbar.
Lassen Sie mich noch einige Worte zur Fußball-WM
sagen. Vor einem Jahr - so lange gehöre ich dem Bundestag an - haben wir begonnen, sehr intensiv darüber
zu diskutieren. Wir haben im Plenum, im Innenausschuss und außerparlamentarisch über die Sicherheitsvorkehrungen, auch unter Einbeziehung der Bundeswehr, diskutiert. Wir haben dann vier Wochen lang
erlebt - hier in Berlin, an anderen Spielorten und auch
ich in meinem Wahlkreis, benachbart unserer Sportstadt
Leipzig -, was dort alles passiert oder eben nicht passiert
ist.
({3})
In den Gesprächen mit der Polizei vor Ort, speziell
vor den WM-Spielen in Leipzig, konnte ich die gute
Vorbereitung erfahren, die sich dann auch während der
Weltmeisterschaft bewährt hat. Ich denke, viele von Ihnen teilen meine Erfahrung. „Die Welt zu Gast bei
Freunden“ war eben nicht nur der auf Plakate gebannte
Slogan der WM, sondern gelebte und erlebte sportliche
und kulturelle Freude. Die zuständigen Sicherheitsbehörden haben hervorragende Arbeit geleistet, allen voran
die Polizei, der mancher im Vorfeld der WM eine solche
Leistung nicht zugetraut hat. Aber sie hat ihre Fähigkeiten bewiesen.
({4})
Auch wenn die WM weitgehend ohne große Komplikationen verlief, legen wir die Hände sicherheitspolitisch jetzt natürlich nicht in den Schoß. Aber auch einer
übertriebenen Hektik sollten wir nicht verfallen.
Herr Kollege Wieland - jetzt kommt es; Sie wollten
es hören -, das sage ich vor allen Dingen im Hinblick
auf eventuell wieder aufkommende Diskussionen über
mögliche Änderungen des Grundgesetzes, was Einsätze
der Bundeswehr im Innern betrifft. Ich denke, Art. 35
und Art. 87 a des Grundgesetzes reichen aus: Die Bundeswehr kann im Rahmen von Maßnahmen zur Hilfeleistung und im Katastrophenfall zum Einsatz kommen.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sollten gemeinsam konstruktiv über die innere Sicherheit in Deutschland diskutieren. Dazu ist in den Haushaltsberatungen
und danach noch sehr viel Zeit. Deshalb schenke ich Ihnen bzw. uns die letzte Minute meiner Redezeit. Wir
sollten unsere Kraft für die Sicherheit in Deutschland
einsetzen.
Herr Kollege Wieland, vielen Dank.
({6})
Das Präsidium bedankt sich insbesondere für die
großzügig geschenkte letzte Minute. Das ist ein seltener
Vorgang, der Ihnen für künftige Auftritte besondere
Sympathien sichert.
({0})
Wir sind damit am Ende der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 6. September 2006, 9 Uhr,
ein. Um Missverständnisse auszuschließen: Das ist morgen früh.
Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend.
Die Sitzung ist geschlossen.