Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 9/5/2006

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Sitzung ist eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich Sie bitten, sich von Ihren Plätzen zu erheben. ({0}) Seit unserer letzten Plenarsitzung vor der Sommerpause hat uns die Nachricht vom Tod einiger früherer Kollegen erreicht, von denen ich drei langjährige Parlamentarier mit einigen Hinweisen würdigen möchte. Am 26. August dieses Jahres verstarb nach schwerer Krankheit Bundestagspräsident a. D. Dr. Rainer Barzel im Alter von 82 Jahren. Heute Mittag wird er in Bonn zu Grabe getragen. Rainer Barzel hat die Politik in der Bundesrepublik Deutschland in herausragenden Positionen über mehrere Jahrzehnte entscheidend mitgestaltet. Er war Bundestagspräsident, Bundesminister sowie Partei- und Fraktionsvorsitzender. Rainer Barzel gehörte zu jener Aufbaugeneration von Politikern, die mit ihrem politischen Engagement unser Land und seine Demokratie nachhaltig geprägt haben. Rainer Barzel wurde am 20. Juni 1924 im ostpreußischen Braunsberg als fünftes von sieben Kindern geboren. Nach dem Abitur nahm er als Fliegerleutnant am Zweiten Weltkrieg teil. 1949 promovierte er nach dem Studium der Rechtswissenschaften und der Volkswirtschaft an der Uni Köln zum Doktor der Rechtswissenschaften. Seine ersten beruflichen Stationen absolvierte er in der Verwaltung des noch jungen Bundeslandes Nordrhein-Westfalen, unter anderem als Vertreter des Ministers für Bundesangelegenheiten. In seinem politischen Grundverständnis stark von der katholischen Soziallehre beeinflusst, schloss sich Barzel im Jahre 1954 der CDU an. Schon 1956 wurde er geschäftsführendes Mitglied des CDU-Landespräsidiums in Nordrhein-Westfalen, 1960 Mitglied im CDUBundesvorstand und 1966 erster stellvertretender CDUVorsitzender. Von 1971 bis 1973 war Rainer Barzel Bundesvorsitzender der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands. Bei den Bundestagswahlen im November 1972 trat er als Kanzlerkandidat der Unionsparteien an. Seine parlamentarische Tätigkeit begann Rainer Barzel im Jahr 1957 mit seinem Einzug in den Deutschen Bundestag als Direktkandidat für den Wahlkreis Paderborn-Wiedenbrück. Barzel gehörte unserem Haus ohne Unterbrechung 30 Jahre lang, bis zum Jahre 1987, an. Von 1964 bis 1973 bekleidete er den Fraktionsvorsitz von CDU/CSU. Von Januar 1977 bis Februar 1979 war er Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses, von Dezember 1980 bis Oktober 1982 Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages. Am 29. März 1983 wurde Rainer Barzel zum Präsidenten des 10. Deutschen Bundestages gewählt. Dieses Amt hatte er bis zum 25. Oktober 1984 inne. In seiner Amtszeit war ihm die Fortentwicklung der Parlamentsarbeit im Rahmen einer Parlamentsreform ein besonderes Anliegen. Auf Anregung von Rainer Barzel fand am 20. September 1983 zum ersten Mal seit 1949 im Plenum eine Debatte über das Selbstverständnis des Deutschen Bundestages statt. Er selber hat sich als Bundestagspräsident in dieser Selbstverständnisdebatte mit kritischen und selbstkritischen Bemerkungen zu Wort gemeldet. Von Dezember 1962 bis Oktober 1963 war Rainer Barzel in der letzten Regierung von Konrad Adenauer Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen. Das Offenhalten der deutschen Frage und die Wiedererlangung der staatlichen Einheit in Frieden und Freiheit waren für ihn immer ein Ziel, das es in stetigen Schritten zu verwirklichen galt. Von Oktober 1982 bis März 1983 war Rainer Barzel im ersten Kabinett von Bundeskanzler Helmut Kohl Bundesminister für Innerdeutsche Beziehungen. Im Jahr 1980 sowie von 1986 bis 1990 war der Verstorbene Koordinator der Bundesregierung für die deutsch-französische Zusammenarbeit. Rainer Barzel hat die Entwicklung der Bundesrepublik an vorderster Stelle entscheidend mitgestaltet. Er Redetext Präsident Dr. Norbert Lammert genoss über alle Partei- und Fraktionsgrenzen hinweg großes Ansehen. Der Herr Bundespräsident hat zu seinen Ehren einen Staatsakt angeordnet, der am 22. September im Plenarsaal des Bundestages stattfinden und Gelegenheit zu einer ausführlichen Würdigung geben wird. Der Deutsche Bundestag trauert um sein ehemaliges Mitglied Holger Börner, der am 2. August 2006 in seiner Heimatstadt Kassel im Alter von 75 Jahren verstarb. Holger Börner wirkte als Bundesratspräsident, Ministerpräsident, Parlamentarischer Staatssekretär, Bundesgeschäftsführer, Ausschussvorsitzender und Mitglied des Bundestages über mehrere Jahrzehnte für das Wohl der Bundesrepublik Deutschland. Holger Börner wurde am 7. Februar 1931 in KasselWolfsanger als erstes von insgesamt drei Geschwistern einer traditionsbewussten Arbeiterfamilie geboren, die sowohl im Kaiserreich als auch unter den Nationalsozialisten politisch verfolgt wurde. Sein Vater wie seine Mutter waren für die SPD aktiv. Nach dem Besuch der Mittelschule schloss Holger Börner 1950 seine Lehre zum Betonfacharbeiter erfolgreich ab; anschließend wurde er Hilfspolier, später Betriebsratvorsitzender in einem Kasseler Bauunternehmen. Seinen eigentlichen Berufswunsch, Journalist zu werden, musste er fallen lassen, weil er in den ersten Nachkriegsjahren zum Lebensunterhalt seiner Familie beitragen musste; sein Vater war im Krieg gefallen. Das politische Engagement Holger Börners begann im Jahr 1946, als er in die Vorläufergeneration der Falken eintrat. Mit 17 Jahren trat Holger Börner der SPD bei. 1956 wurde er zum zweiten Vorsitzenden der SPD Kassel gewählt. Fünf Jahre danach folgte der Sprung Börners auf die bundespolitische Ebene, als er von 1961 bis 1963 als Bundesvorsitzender der Jungsozialisten amtierte. Von 1972 bis 1976 bekleidete Holger Börner das Amt des SPD-Bundesgeschäftsführers. Vorstand und Präsidium der Bundes-SPD gehörte er von 1970 bis 1988 an; zudem war er von 1977 an zehn Jahre lang Landesvorsitzender der hessischen SPD. Seine parlamentarische Tätigkeit begann Holger Börner im Jahr 1956 auf kommunaler Ebene, als er in die Stadtverordnetenversammlung von Kassel gewählt wurde. Ihr gehörte er bis zum Jahr 1972 an, davon viele Jahre als Fraktionsvorsitzender. Bei den Bundestagswahlen zog Holger Börner erstmals als direkt gewählter Abgeordneter für den Wahlkreis Kassel in den Deutschen Bundestag ein, dem er ohne Unterbrechung bis zum Jahr 1976 angehörte. Im Hohen Haus war Holger Börner zunächst Mitglied des Petitionsausschusses und des Ausschusses für Sozialpolitik. Später war er Vorsitzender des Verkehrsausschusses des Deutschen Bundestages. Von April 1967 bis Februar 1972 gehörte Holger Börner der Bundesregierung als Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr bzw. für Verkehr, Post- und Fernmeldewesen an. Holger Börner schied 1976 aus dem Deutschen Bundestag aus, um als Nachfolger von Albert Oswald hessischer Ministerpräsident zu werden. Dieses Amt, das er nach seinen eigenen Worten als die Krönung seines Lebens ansah, hatte er bis zum Jahr 1987 inne. In der zweiten Hälfte seiner Regierungszeit kam es unter seiner Führung zur ersten Regierungsbeteiligung der Partei Die Grünen auf Länderebene mit der unvergesslichen Vereidigung des ersten turnschuhbewehrten grünen Ministers auf dem damals langen Marsch aus der außerparlamentarischen Opposition in Regierungsämter. Von 1986 bis 1987 war Holger Börner Präsident des Bundesrates. Nach seinem Rückzug aus der aktiven Politik engagierte sich Holger Börner noch über 16 Jahre als Vorsitzender der Friedrich-Ebert-Stiftung, deren Ehrenvorsitzender er im Jahr 2003 wurde. Aus einfachen sozialen Verhältnissen stammend, hat er seine eigenen Wurzeln nie vergessen. Sie prägten sein Engagement. Er setzte sich zeitlebens insbesondere für den Auf- und Ausbau des Sozialstaates und für gleiche Bildungschancen für alle Kinder in unserer Gesellschaft ein. Durch sein Handeln hat er sich für Deutschland große Verdienste erworben. Wir gedenken heute auch unseres ehemaligen Kollegen Dr. Herbert Hupka, der am 24. August dieses Jahres, kurz nach seinem 91. Geburtstag, verstorben ist. Während des Ersten Weltkrieges, am 15. August 1915, als Sohn eines Physikprofessors in einem britischen Internierungslager auf Ceylon geboren, wurde der weitere Lebensweg dieses streitbaren Journalisten und Politikers maßgeblich von den leidvollen Erfahrungen des Krieges und der sich daran anschließenden Vertreibung von Deutschen aus deutschen Ostgebieten sowie von der deutschen Teilung geprägt. Nach dem Ersten Weltkrieg wuchs er im oberschlesischen Ratibor auf. Nach Abitur, Studium und Promotion wurde er zur Wehrmacht eingezogen. Wegen seiner jüdischen Abstammung 1943 zu einem Jahr Wehrmachtsgefängnis verurteilt, wurde Herbert Hupka 1944 aus der Wehrmacht entlassen und kriegsdienstverpflichtet. Seine Mutter überlebte als rassisch Verfolgte bis zur Befreiung durch die Rote Armee im Jahr 1945 eine 18-monatige Internierung im Konzentrationslager Theresienstadt. Nach der im Oktober 1945 erfolgten Vertreibung aus Schlesien ging Herbert Hupka zunächst nach München, wo er als Redakteur beim Bayerischen Rundfunk tätig war. Von 1957 bis 1958 wirkte er als Programmdirektor bei Radio Bremen. Von 1958 bis 1964 war er Pressereferent des Kuratoriums „Unteilbares Deutschland“ in Bonn. Danach arbeitete er als freier Journalist und Autor. Das alles überragende Leitmotiv Herbert Hupkas war, die Erinnerung an Flucht und Vertreibung am Ende des Zweiten Weltkrieges wachzuhalten und den Heimatvertriebenen gesellschaftliche und politische Anerkennung zu verschaffen. Präsident Dr. Norbert Lammert Um diese Ziele zu erreichen, gründete er 1948 zusammen mit anderen Schicksalsgenossen die Landsmannschaft Schlesien, der er lange Jahre in verschiedenen Funktionen, seit 1968 als Bundesvorsitzender, diente. Später übernahm er auch die Vizepräsidentschaft des Bundes der Vertriebenen. Auch Hupkas parlamentarische Tätigkeit war ganz von diesen seinen Erfahrungen als Vertriebener geprägt. Unermüdlich beharrte er darauf, dass sich die deutsche Politik mit Teilung, Vertreibung und Gebietsabtretung nicht abfinden dürfe und die deutsche Frage offenzuhalten sei. Aus dieser Haltung heraus lehnte Hupka, der seit 1955 der SPD angehörte und 1969 in den Deutschen Bundestag einzog, die von der sozialliberalen Koalition abgeschlossenen Ostverträge strikt ab. Sein Wechsel zur CDU im Februar 1972 trug maßgeblich zur Gefährdung der parlamentarischen Mehrheit der Regierung Brandt/ Scheel bei und war einer der Auslöser für das von der CDU/CSU-Fraktion im April desselben Jahres eingebrachte, schließlich erfolglose Misstrauensvotum gegen Bundeskanzler Willy Brandt, mit dem Rainer Barzels Kandidatur scheiterte. In seiner bis 1986 währenden Abgeordnetenzeit war Herbert Hupka engagiertes Mitglied vor allem des Auswärtigen Ausschusses und des Ausschusses für Innerdeutsche Beziehungen. Herbert Hupka hat mit seiner Arbeit wesentlich dazu beigetragen, das leidvolle Schicksal der Heimatvertriebenen im kollektiven Bewusstsein der Deutschen zu verankern. Er war vielen, auch mir gelegentlich, lästig - Leuten, die diese schmerzliche Erfahrung in ihrer Biografie nicht machen mussten. Auch für Herbert Hupka gilt, dass seine Herkunft und seine Lebensgeschichte sein berufliches und politisches Wirken geprägt haben. Sein Engagement verdient Respekt, auch wenn es oft umstritten und Gegenstand heftiger politischer Auseinandersetzungen war. Aber er war ein aufrechter Demokrat. Wir gedenken der verstorbenen Parlamentarier in Dankbarkeit und Anerkennung. Ihren Familien spreche ich im Namen des ganzen Hauses unsere Anteilnahme aus. Sie haben sich zu Ehren der Verstorbenen von Ihren Plätzen erhoben; ich danke Ihnen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, während der parlamentarischen Sommerpause gab es auch eine Reihe von runden Geburtstagen von Kolleginnen und Kollegen im Hause: Ihren 65. Geburtstag feierten die Kolleginnen und Kollegen Hans Raidel, Renate Blank, Uta Zapf und Dr. Lothar Bisky, ihren 60. Geburtstag feierten die Kollegen Hans-Michael Goldmann, Gerhard Wächter und Franz Obermeier. Im Namen des ganzen Hauses gratuliere ich nachträglich auch auf diesem Wege noch einmal herzlich und wünsche alles Gute! ({1}) Schließlich begrüße ich als Nachfolger für den ausgeschiedenen Kollegen Joseph Fischer herzlich den Kollegen Omid Nouripour, der am 1. September die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben hat. ({2}) Alles Gute und gute Zusammenarbeit! Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 1 a und 1 b auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2007 ({3}) - Drucksache 16/2300 - Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Finanzplan des Bundes 2006 bis 2010 - Drucksache 16/2301 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die heutige Aussprache im Anschluss an die einstündige Einbringung des Haushaltes siebeneinhalb Stunden, für Mittwoch neun Stunden, für Donnerstag elf und für Freitag vier Stunden vorgesehen. Darf ich dazu Ihr Einvernehmen feststellen? - Das ist offenkundig der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich erteile das Wort zur Einbringung des Haushaltes dem Bundesminister der Finanzen, Peer Steinbrück. ({4})

Peer Steinbrück (Minister:in)

Politiker ID: 11004165

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor gut einem halben Jahr habe ich Ihnen mit dem Bundeshaushalt 2006 den ersten Haushalt der großen Koalition vorgestellt. Damals herrschte ein offener und öffentlicher Konkurrenzkampf zwischen notorischen Pessimisten und auch den unterschiedlichsten Experten darüber, wer am schwächsten sei: die deutsche Fußballnationalmannschaft oder die deutsche Wirtschaft. ({0}) Meine persönliche Schätzung lautet: So ähnlich, wie rund drei Viertel aller Journalisten damals, Wochen, ja Monate bevor Deutschland bei der Fußballweltmeisterschaft den dritten Platz erreichen sollte, unser Team ziemlich heruntergeschrieben haben, haben das viele auch mit den Aussichten der deutschen Konjunktur und den Aussichten der deutschen Wirtschaft getan. Es gibt viele Experten, für die die Konjunktur schon wieder zu Ende war, bevor sie eigentlich begonnen hatte. Es ist anders gekommen, und darüber freue ich mich. ({1}) Die deutsche Wirtschaft wächst so stark wie seit fünf Jahren nicht mehr. Gleichzeitig hat der konjunkturelle Aufschwung an Breite und vor allen Dingen auch an Robustheit gewonnen. Während die Wachstumsimpulse der letzten Jahre bis zum Frühjahr vor allem aus dem Ausland kamen, erleben wir jetzt einen, wie wir glauben, eher klassischen Konjunkturaufschwung, bei dem sich die positiven außenwirtschaftlichen Impulse endlich auch durch eine gute Entwicklung der Baukonjunktur, durch eine gute Entwicklung der Ausrüstungsinvestitionen und durch ein langsames - langsames! - Anziehen auch der Binnenkonjunktur, der Binnennachfrage ergänzen. In diesen Wochen bewahrheitet sich deshalb wieder einmal ein sehr kluger Satz von Winston Spencer Churchill, nämlich dass ein Experte ein Mann ist, der hinterher genau sagen kann, warum seine Prognose nicht gestimmt hat. Ich will genauso deutlich sagen, dass umgekehrt kein Anlass für Euphorie, Entwarnungen und geradezu verklärte Augen aufgrund von Begehrlichkeiten besteht. Das Wachstum des Bruttosozialprodukts wird in diesem Jahr wahrscheinlich eine Zwei vor dem Komma haben. Dass wir über die Klippe des 1. Januar 2007 hinwegkommen müssen und dass wir noch nicht genau wissen, wie nachhaltig dieses Wachstum ist, steht aber ebenso auf dem Blatt. Der Arbeitsmarkt hat sich erfreulich entwickelt. Wir wissen aber, dass wir in Bezug auf die großen Problemgruppen in diesem Arbeitsmarkt - Langzeitarbeitslose, jugendliche Arbeitslose, ältere Arbeitslose - nach wie vor erhebliche Schwierigkeiten haben. Auch bei den Steuereinnahmen ist Nüchternheit angesagt. Lassen Sie sich - das gilt auch für die Öffentlichkeit - nicht davon verwirren, dass von 16 bis 18 Milliarden Euro Mehreinnahmen gesprochen wird. Man muss bedenken, dass mindestens 14 bis 15 Milliarden Euro davon bereits Gegenstand der Finanzplanungen des Bundes, der Länder und der Kommunen sind. Um Ihnen keine Antwort schuldig zu bleiben: Ich vermute, dass der Bund am Ende dieses Jahres gegenüber unseren bisherigen Veranschlagungen 3 bis 3,5 Milliarden Euro mehr haben wird. Mein Vorschlag wird sein, dass der Löwenanteil davon in die Absenkung der Nettokreditaufnahme gesteckt und nicht an anderer Stelle ausgegeben wird. ({2}) Wir haben es in der Bundesrepublik Deutschland - ich sage das auch vor dem Hintergrund der erfreulichen Entwicklung bei den Steuereinnahmen - nach wie vor mit Schulden in Höhe von 1 500 Milliarden Euro zu tun. Unbenommen der vielleicht möglichen Absenkung der Nettokreditaufnahme werden wir in diesem Jahr - zumindest im Soll - immer noch von 38 Milliarden Euro neuen Schulden reden. Im Vergleich dazu investieren wir nur 22 Milliarden Euro. Das alles sind Hinweise dafür, dass man nicht plötzlich in eine Euphorie verfallen und sich durch eine erfreuliche Entwicklung, welche durch die Zahlen deutlich wird, die öffentlich gehandelt werden, nicht plötzlich den Blick verstellen lassen soll. Ich sage deshalb: Faszinierend und erschreckend zugleich ist die oft unausgewogene und gelegentlich auch schrille Tonlage, die bei uns in Deutschland in Bruchteilen von Sekunden einsetzt, wenn wir über die Gegenwart und auch über die Zukunft Deutschlands sprechen. Da geht es sehr schnell ins Extreme. ({3}) Einerseits wird uns bei jeder Eintrübung zum Beispiel des Geschäftsklimaindex im Promillebereich suggeriert, dass die ökonomische Apokalypse kurz vor der Haustür steht. Wöchentliche Wasserstandsmeldungen führen bei uns zu Atemlosigkeit. Nicht minder atemberaubend ist andererseits die Geschwindigkeit, mit der bis vor kurzem gültige Standpunkte und auch Erkenntnisse aufgegeben werden. Beliebigkeit statt Festigkeit beim Standpunkt ist für die Haushalts- und Finanzpolitik aber tödlich und sie führt dazu, dass die Signale, die wir geben wollen, die Empfänger nicht erreichen oder für sie verwirrend sind. War nicht noch bis vor kurzem mit Blick auf den ungeheuren Schuldenberg, den wir haben, die Rede von der Generationengerechtigkeit? War nicht die Rede davon, dass die heute Jungen eines Tages den Kapitaldienst zu übernehmen haben? Sprachen wir nicht über die Zinsen in Höhe von 40 Milliarden Euro, die diesen Haushalt nach wie vor mit verkarsten? Sind wir nicht nach wie vor in einer Phase, in der es nur darum geht, das Tempo der Neuverschuldung zu reduzieren? Sind wir nicht weit entfernt von einer Entschuldung? Haben wir es nicht nach wie vor mit dem Problem zu tun, dass auf der Ausgabenseite zu viel konsumtiv und zu wenig investiv in Richtung der Zukunftsbereiche ist? Hat uns die Bundesbank nicht gerade in einer zutreffenden Analyse bestätigt, dass wir auf der Einnahmeseite ein strukturelles Defizit haben? Ist das alles vergessen? Sind dies deshalb Hoch-Zeiten für Karikaturisten, bei deren Karikaturen der Bundesfinanzminister als Einsammler von Sterntalern dargestellt wird, bei denen er unter dem Regenbogen Töpfe mit Gold findet oder bei denen er der taktisch aufgestellte Miesepeter ist, der sich und andere arm rechnet, um Begehrlichkeiten abzuwehren oder um an der Mehrwertsteuererhöhung festzuhalten? Meine Damen und Herren, ich glaube, dieses politische Karussell sich drehender Bestandsaufnahmen und sich verändernder Signale ist der Grund dafür, dass die Bürgerinnen und Bürger Vertrauen verlieren und sogar misstrauisch werden. Mehr als das werden sie vielleicht auch ihr Vertrauen in die Zukunft verlieren. Wenn Politik verlässlich und damit glaubwürdig sein will, dann darf sie sich nicht von jeder ungünstigen Prognose, von jeder momentanen Aufhellung der Stimmungslage, von populistischen Einwürfen und von Kampagnen irritieren lassen. ({4}) Die Politik darf sich ihre Themen übrigens auch nicht von medialer Seite mit entfachten Empörungswellen vorschreiben lassen. Gerade die Haushalts- und Finanzpolitik muss stetig und verlässlich sein. Sie darf die Lage oder die Verhältnisse nicht verzeichnen. Sie darf sie also weder rosarot noch tiefschwarz malen. Die Finanzpolitik muss von realistischen, eher vorsichtigen Annahmen ausgehen, wie wir das im Koalitionsvertrag festgelegt und als große Koalition bisher getan haben. Ich will sagen: Diese Bundesregierung hat den Anspruch, eine verlässliche, nachvollziehbare und berechenbare Haushalts- und Finanzpolitik zu betreiben, eingelöst. Sie hat lupenrein das umgesetzt, was sie im Koalitionsvertrag verabredet und angekündigt hat: von einem Haushaltsbegleitgesetz 2006 über sieben bis acht Steuergesetze bis hin zu diesem Entwurf des Bundeshaushalts 2007. Sie wird diesen Kurs bei den noch offenen Vorhaben genauso verlässlich und berechenbar fortsetzen. Wir sagen den Menschen, wohin die Reise geht. Wir sagen ihnen allerdings auch, dass wir ihnen Schmerzhaftes zumuten. Ja, es gibt Zumutungen. Wir versuchen, ihnen zu erklären - vielleicht nicht immer erfolgreich -, warum es nicht anders geht, um Zukunft zu gewinnen. Diese Bundesregierung knickt nicht ein. Es mag viele Menschen geben, die mit uns nicht in allen Punkten übereinstimmen und die Teile unserer Politik für falsch halten. Aber diese Menschen sollen sagen können: Wir wissen ziemlich genau, woran wir mit dieser Bundesregierung sind; diese Bundesregierung lässt uns über ihr Handeln nicht im Unklaren. ({5}) Ich sage Ihnen: Viele Menschen stimmen sogar dort zu, wo es um Zumutungen geht, weil sie wissen, dass es uns ohne Anstrengungen und ohne Veränderungen nicht besser gehen wird, und weil sie wissen, dass die Addition von individuellen und auch Gruppeninteressen nicht mit dem Allgemeininteresse dieser Republik gleichzusetzen ist. Die gegenwärtige robuste wirtschaftliche Erholung zeigt uns einen weiteren Punkt: Unsere soziale Marktwirtschaft - man kann auch sagen: das deutsche und das kontinentaleuropäische Wirtschafts- und Sozialmodell gehört mitnichten auf den Scheiterhaufen der Geschichte. Diese soziale Marktwirtschaft vermag dynamisch zweierlei zu leisten, nämlich auf der einen Seite wirtschaftlich-technologischen Wandel zu bewältigen - wenn Sie so wollen: auf der Höhe der Zeit zu sein und die dafür notwendigen Veränderungen vorzunehmen und dabei auf der anderen Seite den gesellschaftlichen Zusammenhalt im Blick zu behalten, Fliehkräften entgegenzuwirken, Chancengerechtigkeit herzustellen, all das, was marktradikale Lösungen nicht zu leisten vermögen. ({6}) Mir ist sehr bewusst, dass das Wort „Aufschwung“ mit äußerster Vorsicht zu gebrauchen ist. Gäbe es eine entsprechende Statistik, würde die sehr hohe Inflationsrate des Wortes „Aufschwung“ deutlich. Aber es gibt eine sehr gute Entwicklung, nicht nur an den Börsen und in den Bilanzen, sondern endlich auch auf dem Arbeitsmarkt. Das ist die beste Nachricht seit langer Zeit, vor allem für die betroffenen Menschen, aber auch mit Blick auf die Finanzierungsgrundlagen unserer sozialen Sicherungssysteme und damit auch auf die öffentlichen Haushalte. Nicht nur, dass im Vergleich zum Vorjahr über 420 000 Menschen weniger ohne Arbeit sind. Besonders wichtig ist: Die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse ist wieder gestiegen. ({7}) Wir wissen - das wollen wir nicht verschweigen und wir wollen auch nichts verharmlosen -, dass diese Entwicklung vornehmlich noch jenen zugute kommt, die erst sehr kurze Zeit erwerbslos und relativ gut qualifiziert sind, und erheblich weniger jenen zugute kommt, die über lange Zeit erwerbslos sind. Aber es ist ein Aufschwung. Wir werden in diesem günstigeren Klima weiter daran arbeiten müssen, dass die Arbeitslosigkeit in ihrer gesamten Breite abgebaut wird. Ich weiß, es wäre sehr vermessen, das Verdienst für die deutlich besseren ökonomischen und beschäftigungspolitischen Aussichten vornehmlich für die Politik zu reklamieren oder namentlich für diese Bundesregierung in Anspruch zu nehmen. Aber die Politik sollte in falscher Bescheidenheit nicht so tun, als hätte sie in der vergangenen und in dieser Legislaturperiode nichts getan, um wirtschaftliches Wachstum und eine Erholung auf dem Arbeitsmarkt möglich zu machen. Zweifellos hat die vorige Bundesregierung unter Gerhard Schröder mit der Agenda 2010 großen Anteil an dieser positiven Entwicklung. ({8}) Sie hat mit Reformen auf dem Arbeitsmarkt und in den sozialen Sicherungssystemen, mit Steuerreformschritten erheblichen Ausmaßes und mit Reformen auf dem Finanzmarkt die Grundlagen für diese Entwicklung geschaffen. Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Situation der Unternehmensteuerreform sollten wir auch nicht vergessen, dass die Steuerreform von 2000 und den Folgejahren, für die mein Vorgänger, Hans Eichel, maßgeblich verantwortlich war, die Bürger wie auch die Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland um sage und schreibe 60 Milliarden Euro pro Jahr entlastet hat. Das war die größte Steuersenkung, die es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland je gegeben hat. ({9}) Wir sollten über den Nachrichten, in denen es um die zugemuteten Belastungen geht, nicht vergessen, dass wir heute, am Ende dieser Steuerreform, insbesondere im Einkommensteuerbereich die Situation haben, dass ein Alleinverdiener - verheiratet, zwei Kinder - unter Anrechnung des Kindergeldes auf ein Einkommen in Höhe von bis zu 37 000 Euro keinen Cent Steuern bezahlen muss. Auch und gerade die mittelständischen Unternehmen haben konsequent auf die Herausforderungen der globalisierten Wirtschaft reagiert, zum Beispiel in Form von Innovationen, Qualitätssteigerung, Kostensenkungen und einer ausgeklügelten Logistik. Auch dies trägt zur wirtschaftlichen Entwicklung bei. Richtig ist, dass große Unternehmen nach dem Platzen der NewEconomy-Blase ihre Bilanzen weitgehend in Ordnung gebracht und damit den Spielraum für neue Investitionen geschaffen haben, die jetzt mehr und mehr auch in Deutschland zur wirtschaftlichen Erholung beitragen. Nicht zuletzt haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und die Gewerkschaften durch sehr moderate Tarifabschlüsse und auch durch Verzicht auf Lohnbestandteile, durch unbezahlte Mehrarbeit und flexible Arbeitszeitmodelle einen erheblichen Anteil an der international gewachsenen Wettbewerbsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland. ({10}) Schließlich hat sich die alte Deutschland AG verändert. Beteiligungskapital spielt eine sehr viel größere Rolle als die klassische Kreditfinanzierung. Post, Telekommunikation, Transportmärkte und andere Bereiche wie die öffentlichen Personennahverkehre sind Märkten zugeführt worden. Das alles sind Erscheinungen, die es in den 90er-Jahren noch nicht in der Form gegeben hat. ({11}) All das macht deutlich: Wir sind weitaus mutiger und besser, als wir es uns selber zugetraut und andere uns eingeredet haben. - Die aktuelle wirtschaftliche Entwicklung zeigt auch, dass die große Koalition mit ihrer Doppelstrategie für den Haushalt 2006 und 2007 richtig lag und liegt. ({12}) Wir wollten 2006 einen konjunkturstützenden Haushalt fahren und 2007 sehr viel stärkere Akzente auf die Konsolidierung setzen. Dies war und ist richtig, so umstritten es auch in manchen Debatten gewesen ist. Wir haben im Haushalt 2006 auf der Einnahmen- und Ausgabenseite alles unterlassen, was die Konjunktur hätte eintrüben können. Das war im Hinblick darauf richtig, dass sich der Konjunkturhimmel aufhellen sollte, was er auch getan hat. ({13}) In einer sehr schwierigen wirtschaftlichen Ausgangslage haben wir mit dem Bundeshaushalt 2006 das ökonomisch Richtige getan. Wir haben klare Prioritäten für die Wachstumsförderung gesetzt. Hierzu stellen wir bis 2009 25 Milliarden Euro zur Verfügung, die insbesondere dem Bereich der Zukunftsinvestitionen zugute kommen werden. Wie Sie wissen, werden im nächsten Jahr rund 6 Milliarden Euro fällig. Bekannt ist auch, dass die Länder weitere 12 Milliarden Euro hinzufügen werden, und vor allen Dingen, dass private Investitionen auf breiter Ebene ausgelöst worden sind. Denken Sie an das CO2-Gebäudesanierungsprogramm, bei dem wir dafür Sorge tragen werden, dass auch im vierten Quartal keine Anträge liegen bleiben, sondern durch eine entsprechende haushaltstechnische Vorsorge bedient werden können, damit dieses Programm auch im letzten Quartal mit Blick auf seine impulsgebende Funktion für die Konjunktur aufrechterhalten werden kann. ({14}) Mit der Einführung des Elterngeldes ab 2007 stärken wir gezielt die Familienförderung, nachdem wir im Bundeshaushalt 2006 mit zusätzlichen Impulsen in den Bereichen Haushalt als Arbeitgeber, Forschung und Innovation, Belebung der Wirtschaft und Verkehrsinvestitionen damit begonnen haben, die Doppelstrategie von Konsolidierung einerseits und Impulsen andererseits zu implementieren. Die stärkere Förderung von Zukunftsbereichen wird mittel- und langfristig positiv auf den Haushalt zurückwirken. Deshalb ist auch der Pfad, auf dem wir die Nettokreditaufnahme des Bundes bis 2010 von 38,2 Milliarden Euro auf 20 Milliarden Euro zurückfahren, volkswirtschaftlich absolut richtig. Ich hätte sogar ein offenes Ohr für diejenigen, die fragen, ob dies nicht noch weiter gehen sollte. Wir haben beim Haushalt 2006 nur sehr behutsam mit der Konsolidierung begonnen, wie ich dargelegt habe, um die positive Wirtschaftsentwicklung nicht zu gefährden; das war Vorsatz. Aber ab 2007 muss die Konsolidierung akzentuiert werden. Vor allem die bereits eingeleiteten Maßnahmen der Finanzpolitik tragen dazu bei. Ich nenne als Beispiele die in dieser Legislaturperiode vorgenommenen Kürzungen im Bundeshaushalt in Höhe von rund 32 Milliarden Euro - von manchen nicht so richtig zur Kenntnis genommen -, den Abbau von Subventionen in Höhe von rund 19 Milliarden Euro - abstrakt von vielen begrüßt, aber wehe, es wird konkret und betrifft die eigene Klientel - und Steuererhöhungen in Höhe von rund 28 Milliarden Euro. All diese Maßnahmen werden erst ab 2007 - nicht schon im Jahre 2006! ihre volle Wirksamkeit entfalten können, das aber vor dem Hintergrund eines sehr viel robusteren wirtschaftlichen Umfelds und Wachstums. Erste wichtige Fortschritte sind geschafft; das können wir schwarz auf weiß belegen. Erstens. Wir werden nach dem Übergangsjahr 2006 die Regelgrenze des Art. 115 unseres Grundgesetzes wieder dauerhaft einhalten. Zweitens. Wir werden aller Voraussicht nach bereits in diesem Jahr wieder die 3-Prozent-Maastrichtdefizitgrenze einhalten, das heißt unterschreiten. ({15}) Der kürzlich vom Statistischen Bundesamt veröffentlichte Maastrichtdefizitwert für das erste Halbjahr 2006 untermauert diese Annahme. Es sind 2,5 Prozent ausgewiesen. Das darf man zwar nicht - darauf möchte ich Sie aufmerksam machen - auf das Haushaltsergebnis des gesamten Jahres hochrechnen. Aber realistisch ist ein Defizit in der Größenordnung von 2,8 Prozent des BruttoBundesminister Peer Steinbrück inlandsprodukts für das Gesamtjahr 2006. Diesen Wert werden wir im Herbst der EU-Kommission melden. Politisch weitaus wichtiger als diese formale Meldung ist: Mit unserer soliden Haushaltspolitik dokumentieren wir unser klares Bekenntnis zu Europa und einem stabilen Euro. Unsere stabilitätsorientierte und vorausschauende Finanzpolitik entlastet nicht zuletzt die Europäische Zentralbank bei ihrer geldpolitischen Steuerung und eröffnet ihr so zusätzliche Entscheidungsspielräume. Kurzum: Wir signalisieren Verlässlichkeit und Berechenbarkeit. Das wird im Übrigen auch von unseren europäischen Partnern und der EU-Kommission so gesehen und bewertet. Es geht nicht nur um unsere nationale Zukunft. Deutschland trägt in Europa vielmehr eine große ökonomische Mitverantwortung. Deutschland ist einer der Architekten des Stabilitäts- und Wachstumspaktes und hätte deshalb in meinen Augen um keinen Preis diesen Pakt in seiner Bedeutung relativieren dürfen. ({16}) Wir tragen mit unserer wirtschaftlichen Leistungskraft eine besondere Verantwortung für den Erfolg dieses Paktes. Dieser Pakt ist eine wichtige Grundlage für den wirtschaftlichen Wohlstand in Europa und für die Stabilität des Euro, der sich - fast unbemerkt und nur selten gewürdigt - zur zweitwichtigsten Reservewährung der Welt entwickelt hat. Das ist eine Erfolgsgeschichte, wie sie in den letzten zehn Jahren in kaum einem anderen Bereich unserer europäischen Politik vorgekommen ist. ({17}) Das soll so bleiben. Umso wichtiger ist daher, dass Deutschland die Glaubwürdigkeit des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes stärkt, und zwar auf Dauer, und somit als Vorbild für andere fungiert, die - sehr vorsichtig formuliert - noch nicht so weit sind. Zu den stereotypen Vorwürfen an die Adresse des Bundesfinanzministers gehört die Behauptung, ich sei in Sachen Maastrichtdefizitentwicklung ein notorischer Tiefstapler, der ausschließlich Begehrlichkeiten abwehren wolle. Ich werde aber - genauso wie Sie - am Ende einer Entwicklung lieber von positiven als von negativen Nachrichten überrascht. Im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit der Politik ist es mir daher generell wichtig, mit Prognosen eher vorsichtig zu sein. Ich sage nur all denjenigen, die dies vielleicht zum Gegenstand der Haushaltsdebatte machen - schon drei-, viermal bin ich damit konfrontiert worden -: Wenn wir zu Beginn dieses Jahres im Zusammenhang mit unserem Haushaltsentwurf 2006 ein Maastrichtdefizitkriterium von weniger als 3 Prozent angemeldet hätten, dann hätte dies auch mit entsprechenden Maßnahmen auf der Einnahme- und Ausgabenseite korrespondieren müssen. Allein mit vollmundigen Ankündigungen in Richtung Brüssel wäre es nicht getan gewesen; das hätte nicht gereicht. Dann allerdings hätten wir den Vorsatz verletzt, Frau Hajduk, auf der Einnahmeseite und auf der Ausgabenseite nichts tun zu wollen, was diese Entwicklung 2006 trübt. Das ist zwingende Logik. Ich glaube, dass es absolut richtig gewesen ist, dass die Bundesregierung dieser Logik gefolgt ist. ({18}) Genauso hartnäckig hält sich auf einer anderen Seite dieses Hohen Hauses die Unterstellung, wir würden zur Haushaltskonsolidierung vorwiegend Steuern erhöhen, statt Ausgaben und staatliche Sonderregelungen zu kürzen. Das Gegenteil ist der Fall. ({19}) - Schauen Sie sich den Haushalt an! Sie haben offenbar den Eindruck, hier stehe die Abteilung „Agitation und Propaganda“. ({20}) Schauen Sie auf den Haushalt! Wenn ich Agitation und Propaganda betreibe, dann hört sich das ganz anders an. Dieses Pult diszipliniert. Insofern bin ich vorsichtig. ({21}) - Die Propaganda, die Sie in Kiel betrieben haben, hat man bis hierhin hören können. Rund 13 Milliarden Euro bzw. 60 Prozent des Konsolidierungsvolumens im Haushaltsplanentwurf 2007 werden durch Kürzungen auf der Ausgabenseite oder durch die Kürzung von Steuersubventionen bzw. direkten Finanzsubventionen erbracht. Wir tragen mit 40 Prozent über Steuererhöhungen zur Konsolidierung bei. Das gilt nicht nur für 2007. Wir konsolidieren stärker durch Ausgabenkürzungen und durch die Streichung von Steuersubventionen - von vielen beklagt, von vielen aber vorher gefordert - über diese Legislaturperiode, und zwar in dem von mir genannten Verhältnis von 60 : 40. Das heißt, die Bundesausgaben werden in den kommenden Jahren kaum steigen. Bereinigt um die haushaltsneutrale Zuweisung der Einnahmen von einem Prozentpunkt aus der Mehrwertsteuererhöhung an die Bundesagentur für Arbeit soll der Bundeshaushalt 2007 gegenüber 2006 sogar um 500 Millionen Euro sinken. Wir werden in diesem Jahr weniger als im nächsten Jahr ausgeben, bereinigt um die Einnahme eines Prozentpunktes aus der Mehrwertsteuererhöhung, der an die Bundesagentur geht. Über den gesamten Finanzplanungszeitraum 2006 bis 2010 wird es eine jahresdurchschnittliche nominale Steigerung von bloß 0,7 Prozent geben. Wenn Sie die Inflationsrate mit einrechnen, dann wird der Bundeshaushalt über diesen Finanzplanungszeitraum real sinken. Das hat es in dieser Republik in diesem Ausmaß noch nicht gegeben. Damit bestärken wir eine Entwicklung, die in den letzten Jahren eingeleitet wurde. Die Staatsquote sinkt weiter. Das dürfte auch von der FDP zur Kenntnis genommen werden. Schon im Jahre 2005 haben wir mit 46,8 Prozent den niedrigsten Stand der Staatsquote seit 1991 gehabt. Wenn ich mich richtig erinnere, war die FDP 1991 und in den Folgejahren Teil der Bundesregierung. Bald werden wir die Staatsquote von 46 Prozent unterschreiten. Vor zehn Jahren lag die Staatsquote bei 49,3 Prozent. Ich wäre dankbar, wenn dies in einem Ihrer Beiträge ganz vorsichtig gewürdigt werden könnte. ({22}) Ohne dass ich jetzt Zahlensalat vortragen und in das typische Ritual verfallen will - es bleibt unter dem Strich, dass die Opposition keine tragfähigen Beiträge zur weiteren Begrenzung der Bundesausgaben unterbreitet hat. Wer wie die FDP bei den Eingliederungsleistungen für Langzeitarbeitslose 3 Milliarden Euro und bei den Verwaltungs- und Betreuungskosten 1 Milliarde Euro sparen will, der unterschätzt schlicht und einfach den sozialpolitischen Sprengstoff, der damit verbunden ist. ({23}) Wer Vorschläge über abrupte Kürzungen in Milliardenhöhe bei der Steinkohlesubvention macht, der suggeriert, man könne sich über rechtskräftige Verträge hinwegsetzen. ({24}) - Selbstverständlich tun Sie das, wenn Sie so tun, als ob man während der Laufzeit gültiger Bewilligungsbescheide Milliardenbeträge einsparen könne. Darüber habe ich mir schon einige Male den Mund fusselig geredet, aber ich werde bei Ihnen leider keinen Erkenntnisfortschritt auslösen können. Ich verzweifle an dieser Stelle. ({25}) Das ist genauso realitätsfern und illusorisch wie die Vorschläge der Linken und der Grünen, ungeachtet unserer internationalen Verpflichtungen massiv bei den Verteidigungsausgaben einzusparen. Ich sage an dieser Stelle, ohne mich in dem Fahrwasser weiter bewegen zu wollen: Selbstverständlich gibt es Risiken für den Haushalt. ({26}) - Ich weiß doch, dass das im Mittelpunkt Ihrer Ausführungen stehen wird. - Die Beschreibung von Risiken sagt aber noch nichts über die Eintrittswahrscheinlichkeit dieser Risiken aus. ({27}) Der Bundeshaushalt ist wie in all den vergangenen Jahren selbstverständlich von Risiken umzingelt. Das gilt übrigens auch für den Haushalt 2006. Der Punkt ist, dass diese Risiken in dem von Ihnen beschriebenen Ausmaß nicht eingetreten sind. ({28}) Im Übrigen gilt für den Bundesgesetzgeber, also für Sie genauso wie für die Bundesregierung, was Otmar Issing gesagt hat: Der Zwang, zu entscheiden, läuft der besseren Einsicht in sich verändernde Zusammenhänge zwangsläufig immer voraus. ({29}) Das heißt, die Bundesregierung muss einen Bundeshaushalt aufstellen in Kenntnis von Unsicherheiten. Politik ist nichts anderes als das verantwortliche Handeln unter Unsicherheiten. Das gilt selbstverständlich auch für die Aufstellung eines Bundeshaushalts. Sie können mich also gerne darauf hinweisen, dass die Verhandlungen in Sachen Kosten der Unterkunft noch ausstehen. Sie können mich gerne darauf hinweisen, dass wir nicht so genau wissen, wie die Zinspolitik der Europäischen Zentralbank ist. Auch können wir im Augenblick einige Währungen, insbesondere die Entwicklung des Verhältnisses von Euro und Dollar zum Yen, nicht richtig einschätzen. Selbstverständlich gibt es Risiken auf dem Arbeitsmarkt. Das alles ist mir sehr bewusst. Wir müssen allerdings in Kenntnis und in Abwägung dieser Unsicherheit handeln. So wichtig sie auch ist: Konsolidierung ist kein Selbstzweck. Wir müssen konsolidieren, um in den Haushalten wieder klare Prioritäten für Zukunftsaufgaben und Zukunftsinvestitionen zu setzen. Nur so bringen wir unsere Volkswirtschaft auf einen dauerhaft festeren Wachstumspfad, nur so können wir die Arbeitslosigkeit dauerhaft reduzieren und nur so können wir Politik machen, die auch über den Tag hinaus trägt und die auch im Interesse unserer Kinder und unserer Enkelkinder liegt. Wir schulden unseren Kindern und Enkeln jede Anstrengung für tragfähige, solide und verlässliche öffentliche Finanzen. Wir wissen, was auf unsere Kinder und Enkelkinder zukommt. Auch in dieser Hinsicht wäre es im Augenblick falsch, die Tatsache zu ignorieren, dass wir 1 500 Milliarden Euro Schulden mit uns herumschleppen. Wie sollten wir unseren Kindern in zehn oder 20 Jahren erklären, dass wir dies alles im Jahre 2006 zwar wussten, dass es uns aber egal war und dass wir noch nicht einmal unter den günstigeren Bedingungen eines Aufschwungs die Kraft hatten, die Wünsche der gegenwärtig in der Verantwortung stehenden Generation gegen die berechtigten Zukunftsinteressen unserer Kinder und Enkelkinder gegebenenfalls zurückzuweisen? ({30}) Deshalb frage ich an dieser Stelle sehr bewusst ganz generell: Wann, wenn nicht jetzt, ist der Zeitpunkt, auf mehr Vorsorge für die Zukunft zu drängen, auch unter Berücksichtigung unseres augenblicklichen Gegenwartkonsums? Dies ist und bleibt die Kernfrage. Genau jetzt, in einem Klima des wirtschaftlichen Aufschwungs, ist der richtige Zeitpunkt, die Haushaltskonsolidierung entschlossen anzugehen und das im Zusammenspiel mit gezielten Wachstumsimpulsen zu tun. Ich habe hier, an gleicher Stelle, im März bei der Einbringungsrede für den Haushalt 2006 etwas gesagt, wovon ich glaube, dass ich damit ziemlich richtig lag - ich zitiere mit Billigung der Präsidentin -: Ich kann keinerlei Hoffnung … machen … Wir haben die Anhebung der Umsatz- und der Versicherungsteuer zum 1. Januar 2007 beschlossen. Dabei bleibt es, - Einschub: ja, dabei bleibt es auch wenn ich genau weiß, wie die Debatte in diesem Jahr verlaufen wird, und zwar aus zwei unterschiedlichen Richtungen mit demselben Ergebnis. Ich habe im März gesagt, dass die eine Debatte in etwa so verlaufen wird: Das Wirtschaftswachstum ist besser, als Sie, die Bundesregierung, prognostiziert haben, und deshalb können Sie die Mehrwertsteuer senken. - Die andere Debatte könnte so verlaufen: Oh, die Konjunktur läuft schlechter, als Sie, die Bundesregierung, gedacht haben, und deshalb müssen Sie die Mehrwertsteuer senken. ({31}) Das erste Szenario ist eingetreten. Die für Deutschland günstigere Variante ist jetzt da; die Fakten sind allerdings geblieben. Es ist unverändert: Es sind dieselben Fakten, mit denen wir es bei den Beratungen im März zu tun gehabt haben. ({32}) Das ändert nichts daran, dass es nicht nur der Bundeshaushalt, sondern auch die Länderhaushalte und die kommunalen Haushalte mit strukturellen Einnahmedefiziten zu tun haben. Man kann unterschiedlicher Auffassung über die Höhe sein - ich streite nicht um Zahlen -; aber uns liegt auch die Bestätigung vor, dass die konjunkturunabhängige Finanzlücke in Höhe von wahrscheinlich 15 bis 20 Prozent sich nicht durch konjunkturabhängige, temporäre Mehreinnahmen schließen lässt. Davon auszugehen, das ist der Fehler, den Sie machen. ({33}) Dass manche inzwischen so tun, als schwimme die Bundesregierung in Geld und müsse sich nur überlegen, wie sie den neuen Reichtum ausgeben könnte, das ist mir sehr bewusst. Aber das ist gerade so, als würden Sie einer Familie sagen: In den letzten Jahren haben Sie ja mehr Schulden gemacht als geplant und in diesem Jahr machen Sie weniger Schulden als geplant. Was machen Sie denn jetzt mit dem Geld? - So ähnlich ist das, was Sie uns abverlangen. Mir ist sehr klar, dass eine Partei, die in 13 von 16 Ländern keine Regierungsverantwortung trägt, leichter - vielleicht sollte ich sagen: leichtfertiger - einen Verzicht auf die Mehrwertsteuererhöhung fordern kann als solche Parteien, die in diesen Ländern politische Verantwortung tragen. ({34}) Das ist zweifellos populär. Aber besonders verantwortungsbewusst ist es nicht. ({35}) Im Übrigen halte ich an einem Verdacht fest: Wenn die FDP in die Verlegenheit gekommen wäre, Partner einer Koalition im Bund zu sein, dann hätte sie angesichts der Lage diese Mehrwertsteuererhöhung natürlich mit beschlossen. ({36}) - Aber selbstverständlich! Doch! Soll ich Ihnen etwas erzählen? Die FDP hat zwischen 1983 und 1998 zwanzig Steuererhöhungen mit einer Gesamtbelastung für die Bevölkerung von 143 Milliarden DM, gut 70 Milliarden Euro also, mit beschlossen. ({37}) Der Verdacht ist schon deshalb begründet, weil Sie von der FDP in der Zeit drei Mehrwertsteuererhöhungen mit beschlossen haben. ({38}) Herr Solms - bei aller gebotenen Vorsicht und Höflichkeit: Sie waren an diesen drei Mehrwertsteuererhöhungen beteiligt -, vielleicht erklären Sie nachher, was Ihre Motive damals gewesen sind oder inwieweit sich Ihre Begründungen von unseren Begründungen heute unterscheiden. ({39}) In der Opposition sind Sie gegen Steuererhöhungen. Wo Sie in der Regierung waren, haben Sie alle Erhöhungen mitgetragen. Das ist eine klare Linie, aber keine sehr mutige. ({40}) Damit ich nicht nur in eine Richtung rede, will ich mit Blick auf eine andere positive Entwicklung, nämlich die Überschüsse bei der Bundesagentur für Arbeit, meiner Skepsis Ausdruck verleihen; das gehört nun mal zur Rolle eines Bundesfinanzministers. Ja, wir wollen den Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung von 6,5 auf 4,5 Prozent senken. Aber wir alle wissen, dass ein erheblicher Teil der Überschüsse, wahrscheinlich ein Drittel, Folge eines einmaligen Effektes ist; die Arbeitgeber zahlen ihre Beiträge zur Sozialversicherung in diesem Jahr einmal öfter als üblich. In diesem Jahr fließen 13 Monatsbeiträge in die Kassen der Sozialversicherung, aber eben nur in diesem Jahr. Selbst mit Unterstützung des Deutschen Bundestages werden wir im kommenden Jahr nicht von zwölf auf 13 Monate gehen können. Es wäre in meinen Augen sträflich, wegen eines Einmaleffekts zu einem dauerhaften Einnahmeverlust zu kommen. Zieht man diesen Einmaleffekt vom Überschuss der Bundesagentur für 2006 ab, bleiben - dann auch als Puffer für die kommenden Jahre - bestenfalls 6, vielleicht 7 Milliarden Euro übrig. ({41}) - Ja. Es sieht aber ganz danach aus, als wenn die Bundesagentur diesen Puffer in den nächsten Jahren auch brauchen könnte. Ich möchte nicht erleben, dass dann plötzlich wieder ein Griff in die Bundeskasse notwendig wird. ({42}) Ihre Hinweise darauf - das geht quer durch das ganze Haus -, es handele sich um Arbeitslosenversicherungsbeiträge, die nicht in die Bundeskasse gehörten, ist richtig. Ich würde Ihren rechtlichen Sachverstand infrage stellen, wenn ich das nicht anerkennen würde. Aber was ist denn mit den ungefähr 40 Milliarden Euro, die in den letzten zehn Jahren als Zuschuss an die Bundesagentur bzw. an die Bundesanstalt geflossen sind? ({43}) Bekommen wir die jetzt zurück? ({44}) Wenn die Bundesagentur wieder klamm wird, wollen wir nicht mehr die Debatte haben, wie sie in den letzten Jahren durchgängig geführt worden ist. Da hieß es nämlich immer: Nun gebt uns mal einen Zuschuss von 4 Milliarden Euro - vielleicht ein bisschen weniger -; nun gebt uns mal einen Kredit! - Das ist der Grund dafür, dass der Bundesfinanzminister ein großes Interesse daran hat, sich gerade in dieser guten Zeit wie ein Hamster etwas zurückzulegen, also einen Puffer zu bilden. Man soll Hilfe nicht mehr vom Bundeshaushalt erwarten. ({45}) Ich glaube, dass es eine Rückkehr zu den alten Zeiten, wo mit Zuschüssen aus dem Bundeshaushalt im Zweifelsfall verhindert worden ist, dass der Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung erhöht werden musste, nicht geben sollte. ({46}) - Jetzt gibt es keinen mehr; richtig. Kurzum: Bevor wir die Sektkorken knallen lassen, sollten wir schauen, ob überhaupt etwas in der Flasche ist. Lassen Sie mich zu dem wichtigen Thema Unternehmensteuerreform Stellung nehmen, das auch unter Haushaltsgesichtspunkten diskutiert wird, wenn auch noch nicht mit Relevanz für den Haushaltsplanentwurf 2007, aber mit Blick auf die mittelfristige Finanzplanung. Wie ist die Ausgangslage? Deutschland liegt, auch dank der Steuerreform in den Jahren 2000 folgende, bei der steuerlichen Belastung von Personengesellschaften seit Jahren in einem sehr guten europäischen Mittelfeld und wird dort noch lange bleiben. Auch das darf gelegentlich anerkennende Worte finden. ({47}) Die Steuerbelastung der Personengesellschaften war unter der Regierung mit der FDP extrem hoch. Sie haben damals 53 Prozent Spitzensteuersatz gezahlt; jetzt haben sie einen Spitzensteuersatz von 42 Prozent. Der Eingangsteuersatz betrug damals 25,9 Prozent; jetzt haben sie einen von 15 Prozent. Auch die Regelung bezüglich der Anrechenbarkeit der Gewerbesteuer auf die Einkommensteuer ist nun sehr viel günstiger. Das haben Sie alles nicht gemacht, sondern daran hat jemand mitgewirkt, der dort hinten sitzt, und viele andere auch. Das heißt, inzwischen haben ungefähr 90 Prozent der deutschen Personengesellschaften eine effektive Besteuerung von unter 20 Prozent. Das ist eine gute Nachricht. Ich weiß, dass 10 Prozent darüber liegen, einige sogar in der Größenordnung der Besteuerung von Kapitalgesellschaften. Ich weiß, dass große Familienunternehmen dadurch erhebliche Probleme haben. Aber zunächst einmal haben 90 Prozent der deutschen Personengesellschaften in den letzten Jahren eine ausgesprochen positive Steuerpolitik erlebt, ({48}) die sich übrigens inzwischen auch auf die Gewerbesteuereinnahmen der Kommunen ausgewirkt hat, wo wir zum dritten Mal in Folge ein Rekordjahr erleben. Das ist die zweite gute Nachricht. Nun ein Wort zu den Kapitalgesellschaften. Das soll nicht heißen, dass ich nachher nicht auf die Fragestellung zurückkommen will, was wir weiterhin für den Mittelstand tun müssen. Ich will aber nicht als Generalkritik vorgehalten bekommen, wir täten nichts für den Mittelstand; selbstverständlich tun wir etwas für den Mittelstand. Vor allen Dingen haben wir für den Mittelstand schon etwas getan und fangen nicht erst heute damit an. ({49}) Wir haben ein Problem bei den Kapitalgesellschaften; da sieht es nämlich anders aus. Die Kapitalgesellschaften haben einen Definitivsteuersatz von 38,65 Prozent. Mit dieser Steuerbelastung liegen wir in Europa an der Spitze. Das heißt, die Kapitalgesellschaften sind nicht wettbewerbsfähig. Die Folgen sind sichtbar: Potenzielle Investoren werden eher abgeschreckt; deutsche Unternehmen werden von niedrigeren Steuersätzen, vor allem in direkt angrenzenden Nachbarländern, magisch angezogen und verlagern Betriebe und Arbeitsplätze ins Ausland. Gleichzeitig führt diese Situation zu Steuerausfällen. Vor allem international operierende Unternehmen sorgen durch legale - ich betone: legale - steuerliche Gestaltung dafür, dass ein erheblicher Teil der in Deutschland erwirtschafteten Gewinne nicht in Deutschland besteuert wird. Das will diese Regierung ändern. ({50}) Über die aus diesen Verschiebebahnhöfen resultierende Summe kann man streiten; das weiß ich. Aber sie macht einen höheren zweistelligen Milliardenbetrag aus. Konsequenz ist eine immer größere Entkoppelung der in Deutschland versteuerten Gewinne von der in Deutschland erarbeiteten Wertschöpfung. Deshalb müssen wir, nicht zuletzt auch im Sinne eines handlungsfähigen Staates, jetzt handeln, um die Steuerbasis in Deutschland zu sichern. ({51}) Die Steuerreform verfolgt fünf zentrale Ziele: Erstens sollen die Steuereinnahmen langfristig gesichert werden. Zweitens soll die internationale steuerliche Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und der interessierten Investoren in Deutschland verbessert werden. Drittens sollen Unternehmen, die ihre Gewinne in Deutschland versteuern, entlastet werden und Unternehmen, die Gewinne ins Ausland verschieben, sollen mehr bezahlen. Viertens soll bei der steuerlichen Belastung von Kapitalgesellschaften und Personengesellschaften eine größtmögliche Gleichbehandlung erfolgen. Wir wollen im Ergebnis, technokratisch gesprochen, Rechtsformneutralität. Fünftens wollen wir die Investitionskraft der Kommunen sichern, die immerhin 60 Prozent aller öffentlichen Investitionen in der Bundesrepublik Deutschland vornehmen. Dies alles wollen wir über die Absenkung der nominalen Steuersätze erreichen, und zwar - das ist die Konditionierung - bei einer gleichzeitigen Verbreiterung der Bemessungsgrundlage. Mit dieser Strategie folgen wir den Steuerreformansätzen unserer europäischen Nachbarn; die machen es nicht anders. Im Übrigen hat der Sachverständigenrat ebenso wie sehr viele andere Wissenschaftler die Bundesregierung früher und bis heute immer wieder aufgefordert, Steuersatzsenkungen vorzunehmen und diese mit einer Erweiterung der Beitragsbemessungsgrundlage zu verbinden. Diese Strategie ist nicht falsch. Naturgemäß entzündet sich die Debatte mit den Wirtschaftsverbänden an einer Verbreiterung der Bemessungsgrundlage. Wie sieht eine solche Verbreiterung genau aus? Wir haben in der von Herrn Koch und mir geleiteten politischen Arbeitsgruppe eine intensive Debatte über die im Raume stehenden Maßnahmen geführt. Wenn Sie die Eckpunktebeschlüsse des Koalitionsausschusses und der Bundesregierung lesen, sehen Sie, dass wir uns dabei in Korridoren bewegen, dass da nichts in Stein gemeißelt ist. Wir reden über die Beschränkung des Finanzierungskostenabzuges, über eine Zinsschrankenregelung, über eine Grundsteuer C, über verschiedene Varianten, die, auch mit Blick auf ihre Auswirkungen, konkret berechnet werden müssen. Diese Vorschläge sind, wie aus dem Eckpunktepapier hervorgeht, nicht in Beton gegossen. Sie stehen allerdings auch nicht beliebig zur Disposition. Das sage ich genauso freimütig; denn ich bekomme zunehmend von Wirtschaftsverbänden und auch von einigen einzelnen Vorständen den Eindruck vermittelt, wir würden nur auf dem Bein der Steuerentlastung, der Senkung der nominalen Steuersätze hüpfen. Nein, wir laufen auf zwei Beinen: Wir reden auch über die Erweiterung der Bemessungsgrundlage. ({52}) Welcher Unfug dabei teilweise betrieben wird und zu welchen Missverständnissen es kommt, will ich an einem Beispiel, an dem mir gelegen ist, einmal deutlich machen. Alle haben plötzlich den Eindruck, wir wollten Pachten, Leasingraten, Lizenzen in die Bemessungsgrundlage hineinnehmen - große Aufregung! Die konkrete Formulierung in dem Eckpunktepapier ist, dass die Finanzierungsanteile in Rede stehen, hinzugerechnet zu werden. Da sieht die Lage schon ganz anders aus und die Empörung und Aufregung ist etwas anders zu bewerten. Nehmen wir einmal an, der pauschale Finanzierungsanteil beim Leasing läge bei 25 Prozent und es gäbe eine Verminderung des Steuerabzuges darauf in einer Größenordnung von 25 Prozent. Rechnen wir 25 Prozent von 25, dann kommen wir auf 6,25. Bei einem Steuersatz von 30 Prozent - ich runde ab - reden wir dann über eine Mehrbelastung von 2,08 Prozent, aber nicht über den Untergang des Abendlandes und auch nicht über den 9. November 1918. Wir sind mit den Ländern, mit den Kommunen und auch mit Wirtschaftsverbänden im Gespräch über eine Unternehmensteuerreform. Ich bitte um Verständnis, wenn ich jetzt nicht unseren gemeinsamen Beratungen vorauseile. Viele sind daran beteiligt: Herr Poß, Herr Meister, Herr Bernhardt, Herr Spiller - ohne jetzt andere zurücksetzen zu wollen. Ich vermute einmal, dass wir bis Mitte Oktober in der Lage sind, uns spezifisch festzulegen, und dass dann die Parteien, die Fraktionen und das Parlament Gelegenheit haben sich vorzubereiten. Ich kündige einen Referentenentwurf für die Monatswende Dezember/Januar an - bitte, ohne dass Sie mich auf den Vorlagetermin 24. Dezember festnageln. Ich vermute, dass die Bundesregierung einen Regierungsentwurf bis zum Februar verhandeln wird, sodass die hiesigen parlamentarischen Beratungen bis Anfang Juli abgeschlossen werden können und die deutsche Wirtschaft dann ein halbes Jahr Zeit hat - andere Interessierte auch -, sich auf diese Unternehmensteuerreform einzulassen. Wir streben - lassen Sie mich das abschließend dazu sagen - einen nachhaltigen europäischen Mittelfeldplatz bei der Steuerbelastung an. Wir haben gute Chancen, einen solchen Platz mit unserer Reform auch dauerhaft zu erreichen. Es gibt übrigens deutliche Hinweise, dass der internationale Steuersenkungswettbewerb in Europa an ein Ende kommt. Dafür sorgt nicht zuletzt auch der Stabilitäts- und Wachstumspakt, der disziplinierend wirkt. Ich weise auch darauf hin, dass einige unserer neuen osteuropäischen Partner inzwischen erhebliche - teilweise zweistellige, also weit über das Maastrichtkriterium hinausgehende - Haushaltsdefizite aufweisen, was dort zunehmend zu einer Debatte führt, die auf eine Erhöhung von Körperschaftsteuern in der Größenordnung von 20 Prozent - teilweise auch mehr - hinausläuft. All dies findet statt. Man kann daran sehen: Auch unsere östlichen Nachbarn können ohne stabile Einnahmen des Staates ihre öffentlichen Aufgaben nicht finanzieren. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluss kommen. Wir werden unseren Weg in der Steuer- und Finanzpolitik fortsetzen. Er lautet, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu verbessern, das Vertrauen in die Finanzpolitik durch solide Haushaltspolitik zu stärken und so den uns nachfolgenden Generationen finanzielle Luft zum Atmen zu verschaffen, die sie zum Beispiel im globalen Wettbewerb auch um die klügsten Köpfe dringend brauchen. Ich stehe für diese und ich stehe zu dieser gestaltenden Finanzpolitik, die die Perspektive auf die langfristigen Bedürfnisse einer immer stärker von Globalisierung und Demografie bestimmten Gesellschaft erweitern soll. Wir wissen, dass es das Erfolgsrezept, den Urknall, die große Lösung nicht gibt; aber wir jagen auch nicht irgendwelchen Rezepten hinterher. Lassen Sie es mich mit dem amerikanischen Schauspieler Jack Lemmon sagen: Ein Erfolgsrezept gibt es nicht, wohl aber ein Misserfolgsrezept: Versuche, allen zu gefallen. Mit Blick auf dieses Zitat von Jack Lemmon war diese Bundesregierung bisher ziemlich erfolgreich. Herzlichen Dank. ({53})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Jürgen Koppelin, FDPFraktion. ({0})

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Soeben hat der Bundesfinanzminister den Haushalt 2007 eingebracht. Das ist der zweite Haushalt, den er uns in diesem Jahr vorlegt. Man kann an diesem Haushalt 2007 - Herr Bundesfinanzminister, das muss ich Ihnen deutlich sagen - weder den Kurs der Bundesregierung für die kommende Zeit noch Ihre Handschrift erkennen. Das Einzige, was man erkennen kann, ist: Sie haben sich als Buchhalter, aber nicht als Bundesfinanzminister betätigt; darauf werde ich gleich eingehen. ({0}) Im Rahmen des Bundeshaushaltes 2007 will der Bundesfinanzminister noch einmal Schulden in Höhe von 22 Milliarden Euro aufnehmen. Das heißt, Peer Steinbrück hat in diesem Jahr eine Neuverschuldung des Bundes in Höhe von mehr als 60 Milliarden Euro zu verantworten. Vor allem darauf hätte er in seiner Rede eingehen sollen und nicht auf die Politik der FDP in den Jahren 1991 und 1992. ({1}) Das wäre viel interessanter gewesen. Herr Bundesfinanzminister, da Sie so gerne auf andere zeigen: Sie sind einige Jahre lang Mitglied im Bundesrat gewesen. Ich erinnere mich, dass Sie dort jeweils den Bundeshaushalten zugestimmt haben. Das waren Haushaltspläne, von denen heute die Bundeskanzlerin sagt, sie hätten dazu geführt, dass die Finanzen des Bundes ein Sanierungsfall seien. Sie haben all dem zugestimmt; das will ich Ihnen einmal ins Stammbuch schreiben. ({2}) Der vorgelegte Bundeshaushalt 2007 ist ein Haushalt der Ideenlosigkeit. Es gibt keine Ideen dazu, wo man zum Beispiel bei den Ausgaben kürzen kann. Das wäre doch das Entscheidende. Der Bundesfinanzminister ist zusammen mit der Koalition nur im Hinblick auf steigende Steuereinnahmen tätig geworden, indem er bei den Bürgern massiv abkassiert, zum Beispiel ab 2007 in Form einer Mehrwertsteuererhöhung um 3 Prozentpunkte. Sie ziehen den Bürgern das Geld aus der Tasche, wo immer Sie können. ({3}) Auf der Ausgabenseite sind Sie völlig ideenlos und planlos. Herr Bundesfinanzminister, es ist keine erfolgreiche und solide Haushaltspolitik - das sage ich auch der Koalition -, heute für 2007 einen Haushalt mit einer Neuverschuldung von 22 Milliarden Euro vorzulegen, wenn man bedenkt, dass Hans Eichel in den Jahren 2000 und 2001 eine ähnlich hohe Neuverschuldung vorgenommen hat. Heute landen Sie da, wo Hans Eichel schon in den Jahren 2000 und 2001 war. Das kann keine erfolgreiche Politik sein. ({4}) Der Union will ich übrigens ersparen, das zu zitieren, was sie seinerzeit zu den Haushalten von Hans Eichel und der damaligen Neuverschuldung gesagt hat. Heute sind Sie da ebenfalls gelandet. Ich finde, ein Bundesfinanzminister hätte die Kraft haben müssen - selbstverständlich unterstützt von der Bundeskanzlerin -, Einsparungen auf der Ausgabenseite vorzunehmen. So, Herr Bundesfinanzminister, hätten Sie vielleicht wieder ein Stück mehr Glaubwürdigkeit gewinnen können. Durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer haben Sie ja erheblich an Glaubwürdigkeit verloren. Denn gerade die Sozialdemokraten und Sie haben den Bürgern im Wahlkampf etwas anderes gesagt. Damit haben Sie Stimmen gewonnen. Bei der SPD säßen mindestens 50 Abgeordnete weniger, wenn Sie im Wahlkampf nicht so gelogen hätten. ({5}) Sparen, wie wir es fordern, ist für den Bundesfinanzminister eigentlich kein Fremdwort. Anstatt aber selbst zu sparen, empfiehlt er den Bürgern, zu sparen und im Zweifel auf eine Urlaubsreise zu verzichten. ({6}) Der Bundesfinanzminister hat noch gar nicht begriffen, dass sich mancher in unserem Lande aufgrund der Politik der Bundesregierung, zum Beispiel der Mehrwertsteuererhöhung, bald gar keine Urlaubsreise mehr leisten kann. Wo soll denn da der Bürger überhaupt noch sparen? ({7}) Es ist schon ein Witz - das sage ich Ihnen allerdings auch -, die Bürger zum Sparen aufzufordern und gleichzeitig ab 2007 den Sparerfreibetrag fast zu halbieren. Es ist ein Witz - Herr Bundesfinanzminister, lassen Sie mich das so süffisant sagen -, die Bürger zum Sparen aufzufordern und dazu, auf eine Urlaubsreise zu verzichten, und gleichzeitig hält die Bundeskanzlerin in Mecklenburg-Vorpommern das teuerste Grillfest der Nation mit Kosten von mehr als 15 Millionen Euro ab. Das ist allerdings eine starke Nummer. ({8}) Herr Bundesfinanzminister, Sie haben den Freien Demokraten ein bestimmtes Verhalten in den Regierungskoalitionen der Vergangenheit vorgehalten; darauf will ich zurückkommen. Ich finde, es ist schon ein starkes Stück - das kann man natürlich machen; wir stehen zu unserer Verantwortung; wir waren in der Regierungsverantwortung -, dass Sozialdemokraten wie Sie und andere der FDP Vorwürfe machen und Sie selber vor der Bundestagswahl versprochen hatten, keine Mehrwertsteuererhöhung vorzunehmen. Das ist ein starkes Stück; das muss noch einmal deutlich gesagt werden. Ich sage dies auch deswegen, weil das Allerstärkste ist - deswegen erwähne ich das überhaupt -, dass jemand wie der Vizekanzler Müntefering in einer Pressekonferenz dann noch sagt: Es ist unfair, uns an unsere Wahlversprechen zu erinnern. - Das ist doch inzwischen Ihre Linie. ({9}) Nun kommen wir - das haben Sie angesprochen - zu den Überschüssen bei der Bundesagentur. Der Kollege Kauder, der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, erklärt, diese Überschüsse seien ein Erfolg der Bundeskanzlerin. Das kann ich nun überhaupt nicht erkennen. Diese Überschüsse verdanken sich den Beitragszahlern und beruhen unter anderem - daran darf man wohl noch erinnern - auf der zwangsweise erhobenen zusätzlichen, dreizehnten, Zahlung der Versicherungsbeiträge. Es handelt sich um Beiträge, die die Beitragszahler aufbringen. Ich finde, wenn in der Kasse zu viel Geld ist, dann gehört dieses Geld zurück in die Hand der Beitragszahler. ({10}) Kommen Sie mir in diesem Zusammenhang nicht mit dem Zuschuss des Bundes für die Bundesagentur! Wissen Sie eigentlich gar nicht, was wir beschlossen haben? Es soll ja keinen Bundeszuschuss für die Bundesagentur mehr geben. Sie könnten sich jetzt nur hinstellen und sagen: Jetzt machen wir doch etwas anderes. - Den Bundeszuschuss gibt es gar nicht mehr. Also reden Sie auch nicht mehr davon! Im Übrigen kommen diese Bundeszuschüsse, die einmal gezahlt worden sind, von den gleichen Leuten. Diejenigen, die Beiträge nach Nürnberg zahlen, und diejenigen, die Steuern für die Bundeskasse zahlen, sind die gleichen Leute. Es handelt sich also um das Geld der Bürger. Daran sollten Sie denken! Aber leider denken Sie ja viel zu wenig daran. ({11}) Herr Bundesfinanzminister, man kann hinsichtlich der Ausgabenseite nicht die Hände in den Schoß legen. Auch darauf muss ich jetzt noch zurückkommen. Sie haben uns ja, was die Ausgaben angeht, etwas vorgegaukelt. Die Ausgaben steigen in 2007 um 2,3 Prozent. ({12}) An dieser Erkenntnis führt kein Weg vorbei. Schauen Sie einmal in Ihren Haushalt hinein! Es ist doch nicht wahr, was Sie uns hier erzählt haben. Wir freuen uns ja alle darüber, dass die Konjunktur jetzt anläuft. Das bringt ja auch etwas; das sehen wir nicht nur bei den Einnahmen der Bundesagentur, sondern auch an den erheblich zugenommenen Steuereinnahmen. Wenn wir uns dieses zarte Pflänzchen anschauen und sehen, wie dieses Pflänzchen Konjunktur endlich ein bisschen blüht, müssen wir uns fragen, wieso Sie dann mit einer Mehrwertsteuererhöhung kommen. Das fördert ja doch nicht die Konjunktur; das torpediert die Konjunktur. Dafür tragen Sie die Verantwortung. ({13}) Sie haben von den Risiken gesprochen. Es ist wahr: Es gibt Risiken im Haushalt. Wir sind uns darüber einig, Herr Bundesfinanzminister, wo die Risiken liegen. Nur finde ich: Dann muss man bei den Ausgaben noch einmal kürzen und streichen und alles auf den Prüfstand stellen, damit man mit Blick auf die Risiken einen Spielraum hat. Diese Prüfung haben Sie unterlassen. Nun haben Sie in Ihrer Rede der FDP mehrfach Vorhaltungen gemacht und haben gerade auf den Bereich der Einsparungen hingewiesen. Herr Finanzminister, Sie haben ja das Talent, unglaublich viele der uns zur Verfügung stehenden Informationen zu unterdrücken oder hier nicht vorzutragen. Ich nenne Ihnen eine Information. Wenn Sie die hören - ich denke aber, Sie kennen sie bereits -, dann werden Sie feststellen, dass sich die Freien Demokraten mit ihrer Politik in bester Gesellschaft befinden. Der Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten, Peter Struck, der selbst einmal Mitglied im Haushaltsausschuss war, erklärte nach der Verabschiedung des Bundeshaushalts 2006 in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ - Herr Bundesfinanzminister, hören Sie zu! -, man hätte auch auf die Mehrwertsteuererhöhung verzichten und den Haushalt über knallharte Einsparungen in jedem Ressort sanieren können. So Peter Struck Ende Juni! ({14}) Ja, Recht hat der Mann. Dazu haben Sie nichts gesagt. Da wir Peter Struck seit vielen Jahren gerade als einen Mann kennen, der sehr peinlich darauf achtet, was er sagt und warum er es sagt, denke ich, dass das auch eine herbe Kritik am Bundesfinanzminister und seiner Politik gewesen ist. Wir teilen die Auffassung von Peter Struck. Das heißt, auf die Mehrwertsteuererhöhung kann man verzichten, wenn man knallharte Einsparungen bei den Ausgaben vornimmt. ({15}) Herr Bundesfinanzminister, Sie haben am Anfang gesagt - da war ich schon etwas erstaunt -: Wir als Bundesregierung sind nicht besonders beliebt; wir wollen aber die Bürger darüber nicht im Unklaren lassen, was die Politik der Bundesregierung ist. Dazu von mir eine kleine Kostprobe, Herr Bundesfinanzminister. Vielleicht haben Sie bei all den Aktivitäten im Bundesfinanzministerium kaum Zeit gehabt, die Meldungen der letzten Tage zu lesen. Da haben wir erstens den Bundeswirtschaftsminister, von dem nicht allzu viel kommt, außer dass er jetzt vielleicht die Rüstungsexporte nach Indien erhöhen will. Das hält er wahrscheinlich für eine Riesenidee. Zweitens. Der baden-württembergische Ministerpräsident Oettinger und der CSU-Landesgruppenchef Ramsauer bezeichnen die Gesundheitsministerin Schmidt als Belastung für die Koalition. Wichtige CDUPolitiker fordern den Rücktritt der Ministerin. Drittens. Bundesverkehrsminister Tiefensee, der bisher auch nicht durch Aktivitäten aufgefallen ist, plädiert - das ist das Tollste; vielleicht haben Sie die Meldung nicht gelesen - dafür, Hartz-IV-Empfänger als unbewaffnete Patrouillen im öffentlichen Nahverkehr einzusetzen. Ich sage dazu: Das ist populistischer Quatsch. Viertens. Die SPD wirft dem Verteidigungsminister Jung Alleingänge zulasten der Koalition vor; für das Klima der Koalition sei das alles nicht gut, was der Mann mache. Der gleiche Verteidigungsminister fordert übrigens für die nächsten Jahre 6 Milliarden Euro mehr für seinen Etat, die er für Rüstungsprojekte ausgeben will. Fünftens. Peer Steinbrück - das habe ich schon erwähnt - fordert, auf Urlaub zu verzichten. Daneben schlägt Herr Riester vor, die Leute sollten auf das Auto verzichten. Und das, was der Sprecher des Seeheimer Kreises der SPD über die Kanzlerin gesagt hat, hätte ich nicht einmal als Oppositionspolitiker über sie zu sagen gewagt. Das ist das Spiegelbild der Koalition. Dieses Drunter und Drüber innerhalb der Koalition erleben die Bürger, es gibt keinen klaren Kurs. Die Bundesregierung ist völlig konzeptlos, folglich führungslos und das erkennen die Bürger, was die Umfragewerte deutlich unterstreichen. ({16}) Herr Bundesfinanzminister, die Forderungen der Freien Demokraten lauten: Verzichten Sie auf die Mehrwertsteuererhöhung! Sparen Sie, sparen Sie auch bei den Ausgaben! Das ist machbar. Wir haben anlässlich des letzten Haushalts ein Sparpaket mit einem Volumen von 8 Milliarden Euro vorgelegt. Solche Einsparungen sind machbar. Wir haben Ihnen unser Sparpaket übergeben und Sie haben unsere Vorschläge überprüfen können. Wenn Sie unsere Forderungen erfüllen würden, würden Sie einen wichtigen Beitrag für unsere Konjunktur leisten. So kämen wir zu weiteren Einnahmen für den Bundesfinanzminister. Mir wäre es mit Blick auf den Haushalt lieber gewesen, die Bundeskanzlerin, der Bundeswirtschaftsminister und der Bundesfinanzminister hätten sich zusammengesetzt und gemeinsam überlegt, welche Reformen auf dem Arbeitsmarkt nötig sind. Wir brauchen schließlich Reformen auf dem Arbeitsmarkt, sie würden zu weiteren Einnahmen für den Bundesfinanzminister führen. ({17}) Der Bundeshaushalt 2007, Herr Bundesfinanzminister, den Sie uns vorgelegt haben, ist nicht der Haushalt eines Bundesfinanzministers, der politisch agiert und Ziele verfolgt. Es ist der Haushalt eines Finanzbuchhalters, der die Bilanz durch viel Haushaltskosmetik schönrechnet. Ihre Haushaltstricksereien, Herr Bundesfinanzminister, machen den Haushalt 2007 nicht solider. Der Haushalt ist auf keinen Fall solide. Ich hoffe - ich appelliere in diesem Sinne an die Koalitionsfraktionen -, dass wir es in den Beratungen im Haushaltsausschuss schaffen werden, einen soliden Haushalt aufzustellen. Dieser Haushalt wird sicher nicht so aussehen wie derjenige, den uns der Bundesfinanzminister heute vorgelegt hat. Herzlichen Dank. ({18})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Michael Meister, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Michael Meister (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002733, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zum Auftakt der Haushaltsberatungen für das Jahr 2007 als Erstes folgende Bemerkung machen: Mit diesem Haushaltsentwurf kehrt die Haushaltspolitik in Deutschland in die Regelkreise zurück, die von Recht und Gesetz vorgegeben sind. Lieber Herr Koppelin, die große Koalition ist in der Haushaltspolitik mit der Zielsetzung angetreten, die Neuverschuldung zurückzuführen, den Bundeshaushalt nachhaltig zu sanieren und die Staatsfinanzen wieder dauerhaft auf ein tragfähiges Fundament zu stellen. Der heute eingebrachte Entwurf des Haushalts 2007 und der Finanzplan bis 2010 zeigen das klare Konzept und die Handschrift dieser Koalition, um diese Zielsetzung im vorgegebenen Zeitraum erreichen zu können. Ich will auf etwas hinweisen, was in den vergangenen fünf Jahren als Unmöglichkeit erschien, sich heute jedoch als Selbstverständlichkeit im Entwurf darstellt. Wir werden mit diesem Haushalt zum ersten Mal wieder den Regelkreis des Art. 115 des Grundgesetzes, der vorsieht, dass das Investitionsvolumen größer sein muss als die Nettoneuverschuldung, erreichen. ({0}) Das ist eine Selbstverständlichkeit, die leider in den letzten Jahren in unserem Land keine Selbstverständlichkeit war. Darüber hinaus werden wir dank der guten konjunkturellen Entwicklung bereits in diesem Jahr das 3-Prozent-Defizitkriterium des Maastrichtvertrags einhalten. Die deutsche Finanzpolitik gewinnt damit auch international wieder an Glaubwürdigkeit. Denken wir beispielsweise an die EU-Staaten Mittelosteuropas, die kurz vor der Einführung des Euros in ihrem Land stehen: Auch ihnen verlangen wir die Einhaltung dieser Kriterien ab. Deshalb müssen wir mit gutem Beispiel vorangehen und diese Koalition tut das. ({1}) Wir tun damit aber auch langfristig etwas für die Stabilität unserer Währung. Erinnern wir uns an die Bedingungen zur Einführung des Euros. Das waren einerseits der Vertrag von Maastricht, andererseits die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank. Ich möchte seitens meiner Fraktion erklären, dass wir bereit sind und die Anstrengungen unternehmen wollen, unseren Beitrag dazu zu leisten, den europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt im Jahr 2007 und in den Folgejahren dauerhaft einzuhalten. ({2}) Wir sollten aber auch hinsichtlich der Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank den notwendigen Respekt ({3}) wahren und nicht in die Aufgaben einer unabhängigen Notenbank eingreifen. ({4}) Dieser Haushalt zeigt, dass die große Koalition hält, was sie verspricht. Das ist das Kennzeichen einer neuen Politik. Ich möchte Herrn Steinbrück, unserem Bundesfinanzminister, ausdrücklich dafür danken, dass er sich diesen Konsolidierungsauftrag zu Eigen gemacht hat. Herr Steinbrück, ich darf Ihnen versprechen, dass meine Fraktion und auch ich persönlich Sie bei der Umsetzung dieser schwierigen Aufgabe nach besten Kräften unterstützen werden. Das gilt auch für die Haushaltsverhandlungen, die mit dem heutigen Tage beginnen. ({5}) - Lieber Herr Koppelin, da Sie sich hier mit Zwischenrufen hervortun, möchte ich Ihnen Folgendes sagen: Es ist mit Sicherheit berechtigt, als Opposition Kritik am Haushaltsentwurf der Regierungskoalition zu üben. Kritik ist angesichts der Probleme, vor denen wir in der Wirtschafts-, Finanz- und Haushaltspolitik stehen, aber zu wenig. ({6}) Sie müssten nicht nur sagen, was Sie an unseren Vorschlägen kritisieren, sondern auch, wie Sie das strukturelle Defizit des Bundeshaushalts mit einem Volumen von über 60 Milliarden Euro schließen wollen. Ihre bisherigen Vorschläge zielen auf nicht einmal 10 Prozent dieser Summe und greifen deshalb wesentlich zu kurz. Ich hätte erwartet, dass Sie heute früh einen konkreten Vorschlag dazu auf den Tisch legen, über den wir uns in den nächsten Wochen unterhalten können. Herr Koppelin, das haben Sie leider nicht geleistet. ({7}) Populismus ist eine angenehme Sache, da man unheimlich viel Beifall erntet. Er ersetzt aber keine seriöse und solide Finanzpolitik für eine der größten Volkswirtschaften dieser Welt. Wir stehen in der Verantwortung und wir nehmen sie auch wahr. ({8}) Am Anfang dieses Jahres haben wir - Herr Steinbrück hat darauf hingewiesen - das Wachstumsimpulsprogramm beschlossen. Damals gab es viele Schwarzseher, die gesagt haben, dass das Programm in die falsche Richtung zielt. Jetzt liegt uns der Haushaltsentwurf vor und wieder wird darüber geredet, welche negativen Wirtschaftsentwicklungen mit diesem Haushaltsentwurf und den begleitenden Gesetzen eingeleitet werden könnten. Ich will an dieser Stelle darauf hinweisen, dass die negativen Botschaften, die am Jahresanfang verkündet wurden, nicht eingetreten sind. ({9}) Es ist hervorragend, dass sie nicht eingetreten sind. All die Schwarzmaler haben nicht Recht gehabt. ({10}) Es wäre ein schönes Zeichen gewesen, wenn Sie heute gesagt hätten: Gott sei Dank, unsere Befürchtungen sind nicht eingetreten. Wir haben uns geirrt. ({11}) Deshalb sage ich ermunternd: Der Stillstand in Deutschland ist durch diese Koalition überwunden worden. Die Ampeln wurden auf Grün geschaltet. ({12}) In Deutschland geht es aufwärts. Wir haben vorsichtig geschätzt und werden auch zukünftig Vorsicht walten lassen. Herr Kuhn, wenn Sie sich Ihre Leistungsbilanz anschauen - fünfmal Maastricht gerissen, fünfmal Art. 115 gerissen, Stagnation in Deutschland herbeigeführt, Nullwachstum -, dann ist klar, dass Sie überhaupt kein Recht haben, solche Zwischenrufe zu machen. Sie sollten sagen: Respekt vor dieser neuen Bundesregierung! Zum Glück sitzen wir Grünen endlich in der Opposition! ({13}) Im Frühjahr dieses Jahres haben wir prognostiziert, dass die Wirtschaft - vorsichtig gerechnet - um etwa 1,6 Prozent wachsen wird. Diese Prognose wird vom Ergebnis übertroffen werden. Das soll auch so bleiben: Wir wollen erstens weiterhin vorsichtige Prognosen erstellen und zweitens weiter daran arbeiten, dass wir unsere Prognosen auch in den Folgejahren übertreffen. Das ist die Philosophie dieser Regierung. ({14}) Die Arbeitslosenzahl sinkt auf breiter Front. Auch das ist ein positives Signal für die Menschen in diesem Land. Die Arbeitslosigkeit belastet die Menschen in Deutschland nämlich am stärksten; sie ist das Hauptproblem. Wir haben es geschafft, dass wir in diesem Land knapp 500 000 Arbeitsplätze mehr haben als vor einem Jahr. Wenn wir das vor der letzten Bundestagswahl angekündigt hätten, dann wäre das als rosa Wolke bezeichnet worden, aber nicht als realistische Perspektive. Mittlerweile sind wir auf diesem Feld gewaltig vorangekommen. Durch nachhaltige Strukturreformen müssen wir jetzt dafür sorgen, dass diese Entwicklung anhält und nicht wieder abbricht. ({15}) - Frau Hajduk, Kassandrarufe sind bei Ihnen immer dabei. Sie haben doch in der Arbeitsmarktpolitik versagt, weil Sie den Konjunkturaufschwung in den Jahren 2000/ 2001 nicht genutzt haben, um strukturelle Reformen umzusetzen. Sie haben die Chance, die Sie damals hatten, vertan. Wir wollen unsere Chance im Sinne der Menschen in Deutschland nutzen. ({16}) Meine Damen und Herren, ich will noch einmal betonen: Wir sind erst am Beginn der Haushaltssanierung. Unsere Konsolidierungsbemühungen beruhen - Herr Steinbrück hat es erwähnt - zu 60 Prozent auf der Ausgabenseite, dem Abbau von Steuervergünstigungen, steuerlichen Sonderregelungen und Finanzhilfen, und zu etwa 40 Prozent auf dem Anheben von Steuersätzen. Das ist natürlich keine angenehme Botschaft. Aber wer sich zu den finanzpolitischen Zielsetzungen bekennt und eine nachhaltige, den zukünftigen Generationen verpflichtete Finanzpolitik machen möchte, der kam um diese Entscheidung leider Gottes nicht herum. Deshalb möchte ich ausdrücklich noch einmal unterstreichen, dass sie notwendig war und in dieser Lage leider auch richtig. Daraus muss erwachsen, dass sich die Haushaltssanierung in den kommenden Jahren - beginnend mit den Haushaltsberatungen, vor denen wir stehen - noch stärker auf die Ausgabenseite fokussieren muss. Wir müssen uns anstrengen, damit wir in den folgenden Jahren verstärkt auf der Ausgabenseite zur Konsolidierung beitragen können. ({17}) Jetzt könnte man sagen: Wenn die 3-Prozent-Grenze erreicht ist, dann bedarf es gar keiner weiteren Anstrengungen. Ich möchte darauf hinweisen, dass im Vertrag von Maastricht nicht steht, dass man jedes Jahr mindestens 3 Prozent neue Schulden machen muss. Im Vertrag steht, dass man über den Konjunkturzyklus hinweg einen ausgeglichenen Haushalt haben muss. Deshalb werden wir auch nach Erreichen der 3-Prozent-Grenze jedes Jahr einen Konsolidierungsbeitrag in Höhe von 0,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts leisten müssen. Allein für den Bund sind das etwa 7 Milliarden Euro pro Jahr. Deshalb stehen wir mit diesem Haushalt nicht am Ende der Konsolidierung, sondern am Anfang. ({18}) Wir werden weiter ernsthaft alle Möglichkeiten nutzen müssen, den Haushalt zu konsolidieren, bis wir bei einem ausgeglichenen Bundeshaushalt angelangt sind. ({19}) Mit Beginn dieser Haushaltsberatungen stellt sich die Situation so dar, dass die Steuereinnahmen etwa 3 Milliarden Euro über der Summe liegen, die im Haushaltsplan 2006 veranschlagt wurde. Diesen Spielraum sollten wir - insofern unterstütze ich Herrn Steinbrück ausdrücklich - für eine weitere Absenkung der Nettoneuverschuldung nutzen, anstatt an dieser Stelle neue Verteilungsdebatten zu beginnen. ({20}) Wir stehen nicht am Ende der Konsolidierung, sondern am Anfang. Deshalb gibt es nichts zu verteilen. ({21}) Ich greife ernsthaft den Hinweis auf die Risiken, die Herr Koppelin genannt hat, auf. Es ist richtig, dass wir Risiken haben. Ich glaube, die Koalition und auch der Finanzminister sind sich der Risiken, die existieren, bewusst. Aber man muss doch überlegen, welche Konsequenzen man aus diesen Risiken zieht. Die Konsequenz kann doch nicht die sein, die in der Rede aufgezeigt wurde: Weil Risiken existieren, nehme ich Teile der Konsolidierungsanstrengungen weg. ({22}) Damit stellen Sie ja die Mehrwertsteuererhöhung infrage. Viel eher müsste man doch sagen: Weil Risiken bestehen, müssen die Konsolidierungsanstrengungen verstärkt werden. ({23}) Deshalb ist Ihr Hinweis auf die Risiken richtig, aber Ihre Schlussfolgerung geht leider an der Sache vorbei. ({24}) Ich möchte auch das Thema „Mehreinnahmen bei der Bundesagentur für Arbeit“ aufgreifen. Aus Sicht meiner Fraktion sollten Beitragsmehreinnahmen bei der Bundesagentur für Arbeit zur Sanierung des Bundeshaushaltes nicht zur Verfügung stehen. Wir sind sehr froh und dankbar darüber, dass wir jetzt und in den Folgejahren hoffentlich keine Überweisungen aus dem Bundeshaushalt an die Bundesagentur leisten müssen, sondern die Bundesagentur in der Lage ist, sich selbst zu finanzieren. Wenn es bei der Bundesagentur für Arbeit Spielräume gibt, die über die bereits beschlossene Senkung der Beiträgssätze hinausgehen und dauerhaft vorhanden sind, sodass eine nachhaltige weitere Beitragssenkung möglich ist, dann sollten wir diese Spielräume in diesem Sinne nutzen und keine anderen Verwendungen ins Auge fassen. ({25}) Denn natürlich hängt die Haushaltssanierung auch von der nachhaltigen Verbesserung des Arbeitsmarktes und der wirtschaftspolitischen Lage in unserem Lande ab: Die Arbeitskosten, insbesondere die Lohnnebenkosten sind wichtig für den Beschäftigungsstand und damit für die Ausgabenseite unseres Bundeshaushaltes. Wenn die Zahl der Beschäftigten ansteigt, haben wir weniger Ausgaben und gleichzeitig mehr Einnahmen, ohne Steuern oder Beiträge erhöhen zu müssen. ({26}) Insofern ist es natürlich sehr positiv, dass die Lage auf dem Arbeitsmarkt - und damit die Lage bei Steuern und Beiträgen - besser ist als vor einem Jahr. Wir müssen dafür sorgen, dass die gegenwärtige wirtschaftliche Entwicklung über den 1. Januar nächsten Jahres hinaus anhält. Die Situation auf dem Arbeitsmarkt hat sich nämlich verbessert. Die Menschen erwirtschaften mehr Geld und mehr Menschen sind in Beschäftigung. Ich bin zuversichtlich, dass diese seit vielen Jahren erstmals wieder positive Entwicklung der Binnenkonjunktur trotz der von uns beschlossenen Maßnahmen über den 1. Januar nächsten Jahres hinaus anhalten wird. Das wäre ungeheuer wichtig. Das Fundament für diese Hoffnung wurde gelegt. Ein weiterer Punkt. Ich glaube, wir müssen dringend über das Impulsprogramm hinaus investieren und im Rahmen der Haushaltssanierung Strukturreformen durchführen. Herr Bundesfinanzminister, Sie haben zu Recht das Thema Unternehmensteuer angesprochen. Ich denke, die Unternehmensteuer ist ein Mosaikstein des gesamten Pakets von Strukturreformen, die wir brauchen, um nicht nur für konjunkturelles Wachstum, sondern auch für eine strukturelle Verbesserung der Wachstumskräfte in unserem Land zu sorgen. ({27}) Zwar kann man sehr viel darüber diskutieren, was frühere Steuerreformen gebracht haben bzw. was sie nicht gebracht haben. Aber wir sollten schlicht und ergreifend die Situation, wie sie sich zum jetzigen Zeitpunkt darstellt, zur Kenntnis nehmen. ({28}) Betrachtet man den Umfang der Steuerbelastung von Kapitalgesellschaften in Deutschland und in vergleichbaren Ländern, stellt man fest, dass Deutschland bei diesem Vergleich leider am oberen Ende liegt. In dieser Hinsicht sind wir gegenwärtig nicht hinreichend attraktiv. Deshalb müssen wir an dieser Stellschraube arbeiten. Herr Kollege Poß, Herr Steinbrück, Kolleginnen und Kollegen aus meiner Fraktion, ich bin sehr froh, dass wir uns bei diesem Thema auf einen Lösungskorridor hin zubewegen und die Steuerbelastung für Unternehmen in Deutschland zum 1. Januar 2008 gemeinsam auf unter 30 Prozent senken wollen. ({29}) Das ist, was die zeitliche Planbarkeit und Verlässlichkeit betrifft, ein richtiges Signal. Wichtig ist auch die klare Ansage, in welcher Höhe Unternehmensgewinne in Deutschland in Zukunft belastet werden. Ich will ausdrücklich sagen: Für uns ist ungeheuer wichtig, dass wir in diesem Zusammenhang nicht nur über die etwa 20 Prozent Kapitalgesellschaften, sondern auch über die 80 Prozent Personengesellschaften in diesem Land sprechen. Wir müssen einen Mechanismus entwickeln, der die Personenunternehmen bei dieser Entlastung in gleicher Weise berücksichtigt und sie nicht allein lässt. Ich glaube, auch an dieser Stelle sind wir auf einem vernünftigen Weg. Ich bin allerdings nicht davon überzeugt, dass wir diese Veränderungen im Hinblick auf Steuersatz und -strukturen werden durchführen können, wenn wir sagen, dass diese Reform haushaltsneutral erfolgen muss. Denn dies würde letztlich Mehrbelastungen für die Unternehmen bedeuten. Dadurch würden wir Investitionen verhindern und weitere Arbeitsplätze aus dem Lande treiben. Das wäre eine Politik gegen und nicht für die Menschen in Deutschland. ({30}) Außerdem warne ich davor, sich ständig in solchen staatlichen Betrachtungen zu ergehen. Wir wollen keine staatliche Wirtschaftspolitik, sondern wir wollen die Rahmenbedingungen so setzen, dass die Akteure ihr Verhalten ändern, dass Unternehmensgewinne, die hier erwirtschaftet werden, in Zukunft auch hier versteuert werden, ({31}) dass mehr investiert und mehr gearbeitet wird, dass mehr Wachstum entsteht und der Fiskus dadurch auch mehr Steuereinnahmen hat. ({32}) Die staatliche Betrachtung, die in dieser Diskussion angestellt wird, wird der Dynamik, die wir anstreben, nicht gerecht. Deshalb geht diese Debatte an der Sache vorbei. ({33}) Wir sollten zum eigentlichen Kern, dem Ziel der Schaffung von mehr Wachstum und Beschäftigung, zurückkehren. ({34}) Die Frage, wie wir es schaffen, dass die Unternehmensgewinne, die hierzulande anfallen, auch am Standort Deutschland versteuert werden, betrifft eine hoch komplexe Materie. Wir müssen ungeheuer aufpassen, dass wir dieses Problem sachgerecht lösen, ohne eine weitere Substanzbesteuerung der Unternehmen am Standort Deutschland in die Wege zu leiten. ({35}) Meine Fraktion steht für Vorschläge, die bei der Körperschaftsteuer oder auf anderen Gebieten, wie etwa bei den Ertragsteuern, weitere Substanzbelastungen mit sich bringen würden, nicht zur Verfügung. ({36}) Ich will klar und deutlich festhalten: Solchen Vorschlägen werden wir nicht zustimmen. ({37}) - Das liegt daran, Herr Koppelin, dass wir die gegenwärtige wirtschaftliche Dynamik anregen und sie nicht zerstören wollen. Dem, was der Herr Bundesfinanzminister formuliert hat, stehen wir allerdings sehr offen gegenüber. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir für die Unternehmen eine Motivation schaffen können, ihre Gewinne in unserem Lande zu versteuern, und wie wir den Abzug von Fremdfinanzierungsaufwendungen begrenzen können. Wir sind gerne bereit, zu überlegen, ob wir über diesen Weg eine Lösung dieses Problems finden können, ohne wirtschaftspolitisch kontraproduktiv zu handeln. Ich hoffe, dass wir rechtzeitig im Jahre 2006 auch ein wichtiges Signal an die Familienunternehmen auf den Weg bringen, um ihnen deutlich zu machen, dass sich die Lage verändert. Wir diskutieren ungeheuer viel über Existenzgründungen, wir diskutieren ungeheuer viel darüber, wie wir zu mehr Beschäftigung kommen können. Pro Jahr stehen knapp 50 000 Unternehmen vor einem Generationenübergang. Immer wieder stellt sich die Frage, ob bei dem Generationenübergang die Arbeitsplätze im Unternehmen erhalten bleiben. Wir haben uns schon beim Jobgipfel und auch im Koalitionsvertrag darauf verständigt, dass wir eine Lösung für die Erbschaftsteuer und für die Schenkungsteuer finden müssen, die es den Unternehmen erlaubt, bei Weiterführung und Erhalt der Arbeitsplätze die Erbschaftsteuerschuld nach und nach zu begleichen. Wir stehen als Koalition in der Pflicht, dieses Problem zeitgerecht und sachgerecht zu lösen, auch um die Verlässlichkeit dieser Koalition wieder deutlich zu machen. ({38}) Ich will zum Abschluss auf zwei weitere Strukturpunkte eingehen. Ich glaube, der Bürokratieabbau ist mit dem ersten Mittelstandsentlastungsgesetz und der Errichtung des Normenkontrollrats auf ein vollkommen neues Gleis gesetzt worden: ohne dass das den Staat etwas kostet, können Bürger und Unternehmen, aber auch der Staat Geld sparen. So können wir neue Handlungsspielräume gewinnen. Es ist notwendig, dass der Normenkontrollrat jetzt seine Arbeit in dem von uns gewünschten Sinne aufnimmt und dass wir gleichzeitig zeitnah und gemeinsam mit dem Bundeswirtschaftsminister ein zweites Mittelstandsentlastungsgesetz auf den Weg bringen, um den Bürokratieabbau fortzusetzen. Dabei müssen wir natürlich ein Stück weit an die Menschen in diesem Lande appellieren. Wir müssen ihnen deutlich machen, dass wir Vertrauen zu ihnen haben, dass wir ihnen etwas zutrauen. Deswegen sind wir bereit, ihnen mehr Freiheit zu übertragen. Ich glaube, das ist ein wichtiger Baustein, um zu mehr wirtschaftlicher Dynamik in diesem Lande zu kommen. Lieber Herr Koppelin, ich will zum Abschluss einen Punkt von Ihnen aufgreifen: Ich teile Ihre Einschätzung, dass wir uns dringend der Regulierungsdichte des Arbeitsmarktes in Deutschland zuwenden müssen. Wir haben mit der bestehenden Gesetzeslage dazu beigetragen, dass rund 5 Millionen Menschen in die Arbeitslosigkeit geraten sind. Diese Zahl darf in Zukunft nicht noch weiter steigen. Vielmehr müssen wir mit Blick auf die Regulierungsdichte überlegen, wie wir es schaffen, dass diese Zahl reduziert wird. Wir müssen uns in der Koalition über all die Vorschläge, die im Koalitionsvertrag stehen, in den nächsten Wochen und Monaten unterhalten und auch hier zu sachgerechten und hilfreichen Lösungen kommen. Ich habe vorhin schon erwähnt, dass dies zwar nicht direkt mit dem Haushalt zu tun hat, sich aber maßgeblich auf die Haushaltslage unseres Landes auswirkt. Deshalb ist es wichtig, dieses Thema in den Haushaltsberatungen mit anzusprechen und aufzugreifen. ({39}) Der vorgelegte Bundeshaushalt 2007 ist ein wichtiger Schritt zur Gesundung der Staatsfinanzen in unserem Land. Ich habe erwähnt, dass wir bei diesem Thema am Anfang stehen, nicht am Ende. Ich möchte mit meinen Kollegen aus der Unionsfraktion meinen Beitrag dazu leisten, dass wir diesen Weg erfolgreich weitergehen Dr. Michael Meister damit die Menschen in diesem Land ihren Wohlstand erhalten und mehren können. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({40})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch, Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Finanzminister hat sich von den SPD- und den CDU/CSU-Abgeordneten 320 000 Euro für einen persönlichen Imageberater genehmigen lassen. ({0}) Im Sommerloch präsentierten Sie nun Ihr neues Image: Sie forderten von den Bürgern den Verzicht auf eine Urlaubsreise zur Finanzierung der Rente. Sie waren übrigens gerade selber aus dem Urlaub gekommen. Vielleicht war Ihr Urlaub nicht so schön, aber das muss ja nicht für andere gelten. ({1}) Augenscheinlich haben Sie bei Ihrem Vorschlag übersehen, dass zum Beispiel in einem Land wie MecklenburgVorpommern der Tourismus der wichtigste Wirtschaftsfaktor ist. Ich frage mich: Braucht man wirklich eine Imageberatung für 320 000 Euro, um so arrogant und anmaßend zu sein? ({2}) Das Image des Finanzministers könnte uns eigentlich egal sein, wenn die Folgen nicht so katastrophal wären! Es ist nicht gut für unser Land, dass die Koalition es sich zur Aufgabe gemacht hat, permanent Angst zu verbreiten. Die Bürger werden von der Bundesregierung ständig in Unsicherheit und Ungewissheit gehalten. Jeden Tag wird von einem Minister der Untergang der Sozialsysteme und des Abendlandes verkündet. Ich frage mich wirklich, wie es die Bundesregierung so schnell geschafft hat, die gute Stimmung, die während der Fußballweltmeisterschaft in unserem Land herrschte, wieder gründlich zu vertreiben. Einen muss ich allerdings ausnehmen: Der Innenminister hat schon während der Fußballweltmeisterschaft versucht, eine schlechte Stimmung zu verbreiten, indem er immer wieder den Einsatz der Bundeswehr forderte. Ich habe den Eindruck, dass es Herrn Schäuble völlig egal ist, was gerade passiert. Ob in China ein Reissack umfällt oder die Gletscher schmelzen: Er fordert immer den Einsatz der Bundeswehr. ({3}) Der Haushaltsentwurf der Bundesregierung für das nächste Jahr ist eine Kampfansage an alle Kinder, Jugendlichen, Studierenden, Familien und Rentner. Die steuerliche Entlastung der Spitzenverdiener und der Unternehmen unter Rot-Grün - mit Unterstützung der CDU/CSU - hat große Löcher in die Haushalte des Bundes, der Länder und der Gemeinden gerissen. Jährlich gehen durch die rot-grün-schwarze Steuerreform Einnahmen in Höhe von über 60 Milliarden Euro verloren, die dringend gebraucht werden. Allein meine Heimatstadt Berlin hat durch diese Steuerreform Ausfälle in Höhe von 800 Millionen Euro pro Jahr. Das wissen übrigens auch der Herr Pflüger und die Kandidaten der Grünen, die den Berlinerinnen und Berlinern im Wahlkampf Versprechungen machen, obwohl sie wissen, dass sie an der dramatischen Haushaltsnotlage des Landes mitschuldig sind. Die Berliner Wähler sollen wissen, dass hier schwarz-grüne Populisten unterwegs sind, denen wir das nicht durchgehen lassen. ({4}) SPD, CDU/CSU und Grüne haben großzügig Steuergeschenke an Unternehmen und Besserverdienende verteilt und jetzt will die Koalition Haushaltslöcher stopfen, indem sie den Leuten in die Tasche greift, die am wenigsten haben. Das ist wirklich dreist. ({5}) Die Kanzlerin erklärt, dass die Mehrwertsteuererhöhung zur Entlastung der Arbeitskosten und zur Schließung von Haushaltslöchern genutzt werden soll. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Die Bürger sollen auch deshalb mehr Steuern zahlen, damit die Bundesregierung die Unternehmen auch in den nächsten Jahren weiter steuerlich entlasten kann. ({6}) Übrigens: Zur Eröffnung der Internationalen Funkausstellung hier in Berlin hat die Kanzlerin den Finanzminister etwas - ich würde einmal sagen - demontiert. Sie hat angekündigt, gerade die Teile der Unternehmensteuerreform zu streichen, die zur Gegenfinanzierung gedacht waren. ({7}) Die Unternehmensteuerreform wird die Kosten für den Steuerzahler also noch erhöhen. Meine Damen und Herren, lediglich Herr Rüttgers von der CDU hat inzwischen endlich verstanden, was wir als Linkspartei seit Jahren sagen. ({8}) - Vorher als PDS natürlich. Wenn Sie das gerne hören wollen, dann korrigiere ich das, Herr Kollege. - Es ist eine Lebenslüge, zu glauben, dass die permanente Senkung der Unternehmensteuer zu mehr Arbeitsplätzen führt. ({9}) Leider ist das nicht die einzige Lebenslüge der CDU, von der sie sich nicht trennen will. Die Bundesregierung glaubt wirklich daran, dass die Privatisierung von öffentlichen Unternehmen der Königsweg ist. Es ist eine Lebenslüge, zu glauben, dass kommerzielle Unternehmen von vornherein besser als öffentliche Unternehmen sind. Das beste Beispiel ist die Bahn. Wenn man an all die Bahnunfälle der letzten Jahre in Großbritannien denkt, dann weiß man, dass eine privatisierte Bahn unpünktlich, teuer und sogar lebensgefährlich sein kann. ({10}) Diese Regierung lässt sich durch die Realitäten aber nicht schrecken. Die Deutsche Bahn soll auf Biegen und Brechen verkauft werden und der Steuerzahler soll die Zeche bzw. die Dividende zahlen. Das ist das zweitgrößte Enteignungsprogramm seit dem Zweiten Weltkrieg. ({11}) Die Bundesregierung hat einen Haushaltsentwurf vorgelegt, der in sich so widersprüchlich wie die große Koalition selbst ist. Es wird ein bisschen saniert, ein bisschen reformiert und ein bisschen investiert. Ich finde, das ist mehr als ein bisschen konzeptionslos. Es gibt für unser Land eigentlich nur zwei denkbare Modelle, nämlich das US-amerikanische und das skandinavische. CDU/CSU, SPD und leider auch Teile der Grünen versuchen seit über zehn Jahren, unserem Land das für uns untaugliche amerikanische Modell überzustülpen. Dieses Modell besteht aus Steuergeschenken für Unternehmen, der Privatisierung öffentlicher Aufgaben, dem Abbau der Sozialsysteme, der Kommerzialisierung des Gesundheitswesens, Lohndumping, rücksichtslosem Wettbewerb, dem Abbau von Bürgerrechten und einer aggressiven Außenpolitik. Ich bin davon überzeugt - das wissen wir aus vielen Umfragen und Gesprächen -: Die Menschen in unserem Land sagen Ja zu Reformen und Ja zu einer solidarischen Gesellschaft. Aber sie sagen Nein zu einer Ellbogengesellschaft. ({12}) Daran kann zum Glück auch die große Koalition nichts ändern. Selbst die konservative „Wirtschaftswoche“ muss zugeben, dass das skandinavische Modell sehr erfolgreich ist: Im Vergleich der gesamtwirtschaftlichen Wachstumspotenziale stehen Finnland auf Platz eins, Schweden und Dänemark auf den Plätzen drei und vier, Deutschland aber auf Platz 15. Die Arbeitslosigkeit ist in den skandinavischen Ländern niedriger als bei uns. Die Schere zwischen Arm und Reich geht nicht so dramatisch auseinander, wie wir das hier in Deutschland unter der CDU/CSU- und SPD-Regierung erleben. ({13}) Die Bundesregierung kann sich offensichtlich nicht von ihren Lebenslügen trennen und setzt ihre erfolglose Politik fort. In den gemeinsamen Leitlinien der Haushälter der Koalition steht an erster Stelle nicht der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit, wie Sie es den Wählerinnen und Wählern versprochen haben, sondern die Einhaltung der Maastrichter Kriterien. ({14}) Nun soll man sie nicht ignorieren. Aber ich weiß nicht, ob das jeder Arbeitslose verstehen wird. Interessant ist aber auch, was nicht in den Leitlinien steht, zum Beispiel dass CDU/CSU und SPD einen Haushalt aufgestellt haben, in dem die Ausgaben für den Verteidigungshaushalt am zweithöchsten sind. ({15}) Was vielleicht auch einmal hervorgehoben werden sollte: Die Bundesregierung will mehr für die Verteidigung - rund 28 Milliarden Euro - als für zivile Investitionen ausgeben. Gerade an Investitionen fehlt es jedoch in unserem Land. ({16}) Ich komme noch einmal zum Verteidigungshaushalt zurück. Schaut man sich die Ausgaben an, können einem - sofern vorhanden - die Haare zu Berge stehen. ({17}) Die Bundesregierung versucht, die hohen Ausgaben mit der Terrorgefahr zu begründen. Aber die großen Beschaffungsprojekte stammen noch aus der Zeit des Kalten Krieges. Kann mir jemand in diesem Hause erklären, warum wir ein neues Mittelstreckenraketensystem brauchen? Wollen Sie damit auf deutschen Bahnhöfen Bombenleger jagen? Oder wie stellen Sie sich das vor? ({18}) In einer Frage möchte ich die Kollegen Haushälter, die sich dazu öffentlich geäußert haben, unterstützen. Auch ich bin dafür, dass die kostenintensive Teilung der Bundesregierung auf die Standorte Bonn und Berlin in absehbarer Zeit ein Ende findet. ({19}) Es kann doch wirklich nicht sein, dass die Bundesregierung von allen Bürgern Mobilität und Flexibilität verlangt, aber selber nicht in der Lage ist, ihre Ministerialbeamten von Bonn nach Berlin zu holen. Diesen Luxus an ministerialem Beharrungsvermögen können wir uns wirklich nicht leisten. ({20}) Wir als Linksfraktion haben den Antrag eingebracht, die Erhöhung der Mehrwertsteuer zurückzunehmen. Diese Erhöhung ist unsozial und Gift für die Konjunktur. Wir wollen steuerlich da ansetzen, wo Menschen ohne eigenes Zutun Extragewinne in die eigene Tasche stecken. Wir fordern unter anderem eine Steuer auf Sondergewinne der Stromversorger aus dem Emissionshandel. Es ist nicht einzusehen, dass die Stromriesen Extragewinne einfach einstreichen, ohne dafür einen Finger krumm gemacht zu haben. Wir werden in den Haushaltsberatungen alle Vorschläge im Einzelnen durchgehen. Unsere Vorschläge lassen sich auf einen Nenner bringen: In einer solidarischen und gerechteren Gesellschaft lassen sich die Probleme unseres Landes lösen, sei es die Arbeitslosigkeit, die die Verarmung ganzer Regionen bedeutet, sei es die Umgestaltung unserer Sozialsysteme. Lassen Sie uns die vor uns liegenden Haushaltsberatungen nutzen, um den Haushalt vom Kopf auf die Füße zu stellen. Vielen Dank. ({21})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Joachim Poß, SPD-Fraktion.

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Peer Steinbrück hat die wirtschaftliche Lage und Entwicklung zutreffend beschrieben. Nach meinem Eindruck ist die Opposition durch die wirtschaftliche Entwicklung regelrecht entwaffnet worden. ({0}) - Lesen Sie bitte Ihre Reden vom Frühjahr dieses Jahres! Dann werden Sie feststellen, inwiefern Sie durch die wirtschaftliche Entwicklung entwaffnet wurden. Zu Ihren Ausführungen, Frau Lötzsch: Ich glaube, dass wir mit Schwarz-Weiß-Rezepten ({1}) - meinetwegen auch Schwarz-Rot - nach dem Motto „Kupfern wir doch etwas von Finnland ab!“ nicht weiterkommen. Wir haben in Deutschland unsere eigene Lage, die insbesondere von der Überwindung der deutschen Teilung geprägt ist. Dieser Lage müssen wir uns stellen. Wir gehen nicht den amerikanischen Weg. Wir gehen auch nicht den skandinavischen Weg. Wir müssen vielmehr unseren Weg finden und wir sind auf einem guten Weg, wenn man das an den Ergebnissen misst. ({2}) Betrachten Sie einmal die skandinavische Arbeitsmarktpolitik, ob in Dänemark oder in Finnland! Dann werden Sie sehen, was den Menschen dort abverlangt wird. Wenn Sie auf Skandinavien verweisen, dann dürfen Sie sich nicht nur auf die Seite beschränken, die Ihnen gefällt; Sie müssen vielmehr das Ganze in den Blick nehmen. Ob man Deutschland mit einem Land wie Finnland mit 5 Millionen Einwohnern vergleichen kann, wage ich ebenfalls zu bezweifeln. Wenn Sie das Ausmaß der Jugendarbeitslosigkeit vergleichen, dann kommen Sie zu dem Ergebnis, dass die Jugendarbeitslosigkeit im hoch gelobten Finnland weit höher ist als in Deutschland. So gemischt ist das Bild. Man sollte zwar über den Grenzzaun schauen, aber es gibt nirgendwo Vorbilder, die man einfach abkupfern kann. Wir stehen im deutschen Parlament in der Verantwortung, unseren Weg zu finden und zu formulieren, und wir sind auf einem guten Weg. ({3}) Wir haben eine bemerkenswerte wirtschaftliche Entwicklung zu verzeichnen, die uns Recht gibt. Die wirtschafts- und finanzpolitische Strategie der Regierungskoalition geht voll auf. Wenn wir ehrlich sind, dann müssen wir zugeben, dass auf dem Arbeitsmarkt mehr Bewegung entstanden ist, als wir alle es uns eigentlich haben vorstellen können. Auch das ist die Wirklichkeit. Wir haben nicht mit einer so schnellen Bewegung gerechnet. Das geht zwar in der Tat auf das Wachstum, aber auch auf die Weichenstellung im Zusammenhang mit den heftig kritisierten Hartz-Reformen und anderen Reformen der Regierung Schröder zurück. Beides gehört zur Wirklichkeit. ({4}) Was Ihren Vorwurf betreffend die Buchhalterei angeht, Herr Koppelin: Ein Buchhalter hätte in der Tat nur konsolidiert und verkündet, wir müssten sparen, sparen, sparen. ({5}) Diese Sparforderungen und -vorschläge kamen von verschiedenen - auch prominenten - Seiten. Wir sind diesen, Ihren Vorschlägen aber zu Recht nicht gefolgt. ({6}) Der Verzicht auf zusätzliche Konsolidierungsmaßnahmen im laufenden Jahr über das hinaus, was wir bereits tun, hat sich als zielführende konjunkturpolitische Maßnahme im Interesse der Binnenkonjunktur erwiesen. ({7}) Die Binnennachfrage belebt sich deutlich. Es war also richtig, diesen Forderungen nach einem forcierten Sparkurs schon im Jahr 2006, die auch aus dem wirtschaftswissenschaftlichen Umfeld erhoben wurden, nicht zu folgen. Die Koalition hat gegen alle Experten, die anders geraten haben, richtig gehandelt. ({8}) Zur Konjunkturbelebung trägt auch das 25-Milliarden-Euro-Investitionsprogramm bei, das alles zusammengenommen sogar ein Volumen von 37 Milliarden Euro erreichen wird. Wenn Sie sich nicht nur in Berlin umhören, sondern auch mit den Handwerkern vor Ort in Ihren Wahlkreisen reden, dann wird Ihnen das tagtäglich bestätigt. Noch wichtiger als die derzeitige Lage ist, dass auch die ökonomische Perspektive so positiv ist wie seit langem nicht mehr. Die Voraussetzungen für einen auch länger andauernden Aufschwung sind gegeben. Es ist bereits erwähnt worden, dass Gerhard Schröder und die Regierungskoalition aus SPD und dem Bündnis 90/Die Grünen mit ihrer Politik die richtigen Weichen gestellt haben. Frau Merkel hat kürzlich darauf hingewiesen. Die Wirkungen werden sichtbar. Ich erwähne das bewusst, weil im Sommer an manchen Orten - nicht nur in der politischen Opposition schon wieder Miesmacher und Schwarzmaler unterwegs waren, deren Verlautbarungen einem einfachen Erklärungsmuster folgen. Ein wirtschaftlicher Aufschwung ist offensichtlich etwas, was es in Deutschland nicht geben darf, jedenfalls nicht, solange die Sozialdemokratie an der Regierung beteiligt ist. Das ist das Muster mancher Verlautbarungen. ({9}) Natürlich gibt es Risiken für die wirtschaftliche Entwicklung. Peer Steinbrück hat auf diese Risiken hingewiesen. Die gibt es aber in jedem Jahr. Sie sind einmal groß und ein anderes Mal klein. Ihre Eintrittswahrscheinlichkeit ist sehr unterschiedlich. Risiken können auf eine robuste oder auf eine weniger robuste Ökonomie treffen. Es bedarf deshalb einer differenzierten und differenzierenden Analyse und Argumentation, um abzuschätzen, was im nächsten Jahr auf die Wirtschaft in Deutschland zukommt. Es muss auf jeden Fall etwas mehr sein als die erschreckende Oberflächlichkeit der FDP und interessegeleitete Äußerungen von Verbänden. ({10}) Ein relevantes Risiko ist sicherlich die weitere Entwicklung im Nahen und Mittleren Osten. Aber es ist noch nicht ausgemacht, dass der Ölpreis im Zuge des Konflikts in Israel und dem Libanon oder im Zuge des Atomstreits mit dem Iran noch einmal stark steigen wird, wenn es auch nicht unwahrscheinlich ist. Allerdings kann es - unter anderem spekulationsbedingt - auf dem Öl- und Benzinmarkt zeitweise zu hohen Ausschlägen kommen. Das ist ein Risiko, das wir sehen müssen. Weil ich gerade die Robustheit einer Ökonomie angesprochen habe: Wir müssen uns klar machen, dass der vorhandene Aufschwung auf der Grundlage eines bereits heute enorm hohen Ölpreises stattfindet. Vor fünf oder zehn Jahren hätte niemand vorhergesagt, dass auf der Grundlage eines so hohen Ölpreises ein solcher Aufschwung möglich ist. Offensichtlich besitzt unsere Ökonomie das Vermögen, sehr hohe Energie- und Ölpreise zu verkraften. Aber natürlich gibt es Grenzen der Verträglichkeit von weltwirtschaftlichen Verwerfungen. Ein weiteres Risiko für den wirtschaftlichen Aufschwung ist die zukünftige Zinspolitik der Europäischen Zentralbank. Die kundigen Thebaner erwarten, dass den bereits seit dem letzten Jahr erfolgten Leitzinsanhebungen in den nächsten Monaten weitere folgen werden. Ich sage dazu nur - möglicherweise in der Akzentsetzung etwas anders als mein Kollege Meister und bei allem Respekt vor der Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank -: Die Europäische Zentralbank sollte sich noch einmal genau überlegen, ob das die richtige Strategie ist. ({11}) Sie sollte mit ihrer Zinspolitik nicht die Verantwortung dafür übernehmen, dass die wirtschaftliche Aufwärtsbewegung in Europa und insbesondere in Deutschland wieder niedergedrückt wird. ({12}) Auch hier muss die Zeit der Dogmatiker und Ideologen vorbei sein. ({13}) Die Europäische Zentralbank hat noch jede Chance, zukünftig eine vernünftige und angemessene Politik zu betreiben. Ich hoffe, dass sie diese Chance nutzt. Wenn die politische Opposition von Risiken für die wirtschaftliche Entwicklung spricht, dann geht es ständig nur um die Mehrwertsteuererhöhung zum 1. Januar nächsten Jahres. Aber das viel relevantere Risiko einer falschen EZB-Leitzinspolitik haben meines Wissens weder Herr Westerwelle noch Herr Koppelin noch Herr Brüderle in ihren vielen Statements zum Thema gemacht. ({14}) So wie sich die Dinge entwickeln - das gehört zur Wahrheit; das kann man jeden Tag von verschiedenen Seiten deutlich vernehmen, ob vom Internationalen Währungsfonds oder von anderen kompetenten Stellen -, ist festzustellen, dass die Mehrwertsteuererhöhung nicht das Risiko für die Konjunktur sein wird, wie es von vielen vorhergesagt wurde ({15}) - richtig -, wie es auch von uns gesehen wurde. Es entwickelt sich Gott sei Dank in eine andere Richtung. Wir werden sehr wahrscheinlich im nächsten Jahr einen geringeren Dämpfer erleiden, als wir vielfach erwartet haben. Für die Menschen im Land und insbesondere für die Arbeitslosen ist das auch gut so. Daran sollten Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, egal ob von rechts oder von links, nicht rühren. ({16}) Das „Handelsblatt“ und andere Publikationen weisen zu Recht darauf hin, dass die Mehrwertsteuererhöhung besser verkraftet wird als angenommen und dass die Konjunktur dieser Erhöhung trotzen wird. Umfragen unter Führungskräften machen deutlich, dass im nächsten Jahr nicht weniger, sondern mehr investiert wird und dass die Belegschaften aufgestockt werden sollen. Das sind gute Botschaften für das Land. Als Fazit bleibt damit festzuhalten: Es gibt Risiken für die Wirtschaftsentwicklung. Aber die geplante Mehrwertsteuererhöhung spielt dabei keine dominierende Rolle. Deswegen, mit Blick auf die Westerwelle-FDP: Wenn man die eigene Politik-Agenda auf den einen Satz reduziert, dass, wenn es immer weniger Steuern, immer weniger Abgaben, immer weniger Arbeitnehmerrechte und immer weniger Gewerkschaften gibt, Wachstum und Wohlstand explodieren, dann kann ich nur sagen, dass Ihnen, meine Damen und Herren von der FDP, die gegenwärtige Entwicklung nicht Recht gibt. Ihre Einschätzung hat mit der Realität nichts zu tun. ({17}) Andere sprechen in diesem Zusammenhang von „Lebenslügen“ und treffen mit ihren kritischen Aussagen schon eher die Tatsachen. Mich betrübt im Übrigen, dass sich das Bündnis 90/ Die Grünen, mit dem wir in gemeinsamer Regierungsverantwortung gute Politik für Deutschland gemacht haben ({18}) - ja, so ist das, meine Damen und Herren -, schon jetzt, nach weniger als einem Jahr, bemüht, in der Wirtschaftsund Finanzpolitik den Debattenstil der Westerwelle-FDP zu kopieren. ({19}) Ich halte die Mehrwertsteuererhöhung für nicht so konjunkturgefährdend, wie ich es noch vor einigen Monaten gedacht habe. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Mehrwertsteuererhöhung zur nachhaltigen Stabilisierung nicht nur des Bundeshaushaltes, sondern auch der Länderhaushalte zwingend erforderlich ist. Es geht um einen Wirtschafts- und Finanzpakt für ganz Deutschland. Das dürfen wir bei unseren Debatten nicht vergessen. ({20}) Peer Steinbrück hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die sonstigen zusätzlichen Steuereinnahmen, die sich für 2007 ankündigen, nicht ausreichen, um die Wundertüte aufzumachen. Deswegen kann eine verantwortungsbewusste und vorsichtige Finanzpolitik ihm in dieser Frage nur folgen. So wie der Bundeshaushalt 2006 im Zeichen der Stabilisierung und Vertiefung des wirtschaftlichen Aufschwungs steht, so steht im Zentrum des Bundeshaushalts 2007 die unabdingbare Zurückführung der Nettokreditaufnahme des Bundes. Kollege Meister und andere haben darauf hingewiesen. Auch das erreichen wir entgegen allen Unkenrufen. Wir müssen aber denjenigen, die nicht jeden Tag mit solchen Dingen zu tun haben, sagen, dass es auch da Risiken gibt und wir noch nicht ganz auf der sicheren Seite sind. Weil wir das Niveau der Investitionen nicht absenken wollen, weil sich nach den Zumutungen und Veränderungen der letzten Jahre weitere umfangreiche Eingriffe in Sozialleistungen verbieten - auch das sage ich für meine Fraktion ganz eindeutig, nämlich dass wir keine weiteren Eingriffe in Sozialleistungen wollen -, kann die Rückführung der Nettokreditaufnahme des Bundes nur mithilfe der Einnahmen aus dem einen Prozentpunkt der Mehrwertsteuererhöhung, der dem Bund zusteht, gelingen. Wir werden außerdem natürlich keine Abstriche an dem 25-Milliarden-Euro-Impulsprogramm machen. Durch die Verklammerung der Haushalte von 2006 und 2007 wird unsere Doppelstrategie aufgehen. ({21}) Wenn man selbstkritisch ist, muss man sagen, dass sie noch nicht ausreichend kommuniziert ist, ({22}) auch weil das Thema relativ kompliziert ist. Außerdem wird diese Doppelstrategie systematisch von den Kritikern in der Darstellung verfälscht. Ich sage: Die Strategie für 2007 wird ebenso aufgehen, wie die für 2006 in diesem Jahr aufgegangen ist. ({23}) Wir schaffen eine stabile, positive Wirtschaftsentwicklung in Deutschland und konsolidieren ohne Konjunktureinbrüche. Das werden Sie sehen, wenn wir uns im November treffen und über diese Fragen sprechen. Dann kann man das noch besser absehen als heute. Kollege Meister und Peer Steinbrück haben etwas zur Reform der Unternehmensbesteuerung gesagt. Es ist selbstverständlich, dass wir gemeinsam verpflichtet sind, so wie es im Koalitionsvertrag und in den Eckpunkten der Bundesregierung vereinbart ist, zu einer guten Lösung zu kommen. Es geht hier nicht um „Steuergeschenke“ oder Steuerentlastungen für Unternehmen in Milliardenhöhe, wie öfter zu lesen ist, es geht vielmehr um die Verbesserung einer völlig unzulänglichen Besteuerung in Deutschland und Europa. Es gibt einen Handlungszwang, auch im Interesse derjenigen, die treu und brav jeden Monat ihre Steuern abliefern. Diese Reform ist notwendig, weil der internationale steuerliche Wettbewerb Maßnahmen zur nachhaltigen Sicherung der deutschen Steuerbasis erfordert. Denn wir wissen, dass international operierende Unternehmen ihre Steuerstrategie zunehmend optimiert haben. Es gibt Berichte in seriösen Zeitungen über Seminare zur Optimierung der Steuerstrategie, die von sehr bekannten Adressen angeboten werden. Das können wir nicht länger hinnehmen. Deshalb müssen wir handeln und die Unternehmensbesteuerung entsprechend modifizieren. ({24}) Das heißt, durch die Senkung der nominalen Steuerbelastung und durch eine Beschränkung des Abzugs von Finanzierungsaufwendungen sollen die durch bestimmte Finanzierungskonstruktionen ins Ausland verlagerten Gewinne wieder für die Besteuerung in Deutschland zurückgewonnen werden. Das ist die Aufgabe. ({25}) Die Unternehmen, die ihre Gewinne schon jetzt in Deutschland versteuern, werden durch die Reform entlastet. Der Steuer- und Investitionsstandort Deutschland wird attraktiver. Wir wissen: Wir müssen die hohen nominalen Steuersätze für Kapitalgesellschaften senken, weil ansonsten bei uns Risiken der weiteren Verlagerung ins Ausland bestehen. Diese Verlagerungsrisiken wollen wir beseitigen, da sie auch negative Effekte für den öffentlichen Haushalt haben. Nach den Berechnungen des Bundesfinanzministeriums, die von Professor Wiegard vom Sachverständigenrat als plausibel bestätigt wurden, werden in Deutschland erwirtschaftete Gewinne bereits heute in einer Größenordnung von rund 60 Milliarden Euro der inländischen Besteuerung entzogen. Deswegen sage ich: Das ist noch ein hartes Stück Arbeit. Ich verweise in diesem Zusammenhang auch auf das, was Herr Meister hier ausgeführt hat. Wir haben die Eckpunkte vereinbart; aber wir können sie nur umsetzen, wenn man offen ist für die Vorschläge des Bundesfinanzministeriums oder auch für Vorschläge aus den Ländern, die auf die Sicherung der Steuerbasis zielen. Es kann nicht angehen, dass wir unter dem anwachsenden Druck der Lobby denen sozusagen noch nach dem Mund reden. ({26}) Diese Lobby, Wirtschaftswissenschaftler und Wirtschaftsjournalisten haben über Jahre gefordert: Runter mit den nominalen Steuersätzen. Immer haben sie hinzugefügt: Die Steuerbasis muss natürlich verbreitert werden. Mittlerweile haben wir ein solches Konzept entwickelt, das übrigens kommunalfreundlich ist und die kommunale Finanzierungsbasis im Interesse der Investitionen in den Kommunen stärkt. Wir haben also alle Elemente miteinander verbunden. Dennoch kommt die gleiche Lobby - warum denn wohl? - und sagt: Das geht so nicht an. - Herr Börner vom Bundesverband des Deutschen Groß- und Außenhandels sagte gestern: Lieber keine Reform als diese Reform. Was stimmt denn nun bei der Unternehmensbesteuerung? Wir werden kritisiert. Auch in der SPD gibt es eine kritische Diskussion über Steuergeschenke. Bei der Linkspartei und bei den Gewerkschaften findet eine solche Diskussion sowieso statt. Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite melden sich die betroffenen Wirtschaftsverbände und die Unternehmen protestieren lautstark, dass wir durch dieses Konzept die Wertschöpfungsgrundlagen in der Bundesrepublik Deutschland erschüttern. Was stimmt denn nun? Es kann ja nur eines stimmen; beides geht nicht zusammen. Deswegen fordere ich beide Seiten auf, ihre Vorwürfe und ihre Feststellungen zu überprüfen. Ich glaube, wir haben dank des vorgelegten Konzepts, das Peer Steinbrück und sein Haus entwickelt haben, alle Möglichkeiten, beide Ziele zu erreichen: die nominalen Steuersätze zu senken und die Besteuerungsgrundlagen für die Bundesrepublik Deutschland im Interesse der Steuerzahler zu sichern. Wir haben diese Chance. Wir sollten sie unter dem Druck der Lobby in den nächsten Tagen und Wochen nicht verspielen. ({27}) Deswegen bitte ich unseren Koalitionspartner ausdrücklich, auch im Interesse des Erfolges dieser Koalition, zu versuchen, die Widerstände, von denen man jeden Tag lesen kann, zu überwinden. Wenn das geschieht, dann können wir, glaube ich, so gut und so optimistisch weitermachen, wie das bisher der Fall war. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({28})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Kollegin Anja Hajduk, Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

Anja Hajduk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003547, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Poß, es hat schon fast Tradition, dass ich eingangs auf Sie eingehe, wenn Sie vor mir geredet haben. Wenn Sie auf den wirtschaftlichen Aufschwung verweisen - wir stellen ihn nicht infrage - und behaupten, damit seien der Opposition schon die Zähne gezogen, dann kann ich Ihnen nur sagen: So billig kommt die Regierung nicht davon. ({0}) Das wollen wir einmal festhalten. Ein wirtschaftlicher Aufschwung und die jetzt in Deutschland existierende Situation verpflichten zu wirklichen und konsequenten Reformen bei der Konsolidierung und zu Reformen bei der sozialen Sicherung. Da ist das, was Sie nach zehn Monaten hingelegt haben, viel zu wenig. Sie hätten etwas ganz anderes leisten müssen. ({1}) Ich komme darauf noch zurück. Ich möchte noch eine andere Vorbemerkung machen, und zwar zum Finanzminister Steinbrück. Ich finde, dass die Tonlage, die Sie bei Ihrer Rede gewählt haben, Herr Steinbrück - sie hatte für mich den Anschein von Arroganz -, ({2}) wirklich in einem seltsamen Gegensatz - ich könnte es auch scharf sagen: in einem lächerlichen Gegensatz zur Widersprüchlichkeit Ihrer Politik steht; auch darauf komme ich noch zurück. ({3}) Angesichts dessen, was Sie schon an Niederlagen haben einstecken müssen, etwa bei der Steuerfinanzierung im Gesundheitsbereich, was Sie für ein chaotisches Verhältnis zur Beitrags- oder Steuerfinanzierung bei den Lohnnebenkosten anrichten, könnten Sie ein bisschen bescheidener auftreten oder dem parlamentarischen Streit auch ein bisschen demütiger folgen. ({4}) Sie brauchen nicht meiner Meinung zu sein, aber kommen Sie vom Sockel herunter! Das steht Ihnen nicht gut zu Gesicht. Ihren Humor finde ich in Ordnung, aber nicht diese Überheblichkeit. ({5}) Ich komme zum Haushalt 2007. Ich möchte in meiner Rede auf fünf Punkte eingehen. Beginnen wir mit dem Haushalt 2007 selbst. Auf den ersten Blick hat er zumindest eine bessere Kennzahl als der Haushalt 2006; denn man will mit einer Neuverschuldung von 22 statt 38 Milliarden Euro auskommen. Auf den zweiten Blick stellt man fest: Das zeugt noch nicht davon, dass jetzt wirklich eine ausreichende Konsolidierung begonnen wird. Einer Absenkung um 16 Milliarden Euro bei der Nettokreditaufnahme stehen 20 Milliarden Euro an Steuermehreinnahmen gegenüber. Das ist nun wirklich kein Konsolidierungskunststück. Was Sie machen, ist einnahmefixiert. Herr Poß, gerade in Zeiten guter wirtschaftlicher Rahmenbedingungen muss man mehr für den Haushalt tun; da darf man nicht nur einnahmeseitig konsolidieren. ({6}) Jetzt ist die Gelegenheit, wirklich weitere Reformmaßnahmen zu ergreifen. Ich sage das vor dem Hintergrund, dass wir beide doch wissen, wovon wir reden. Rot-Grün - das hat Herr Meister zu Recht gesagt - hat im Jahr 2000 in einem Zeitfenster mit günstiger wirtschaftlicher Entwicklung in der Tat nicht mit den notwendigen arbeitsmarktpolitischen Reformen begonnen. ({7}) Rot-Grün hat erst später mit den notwendigen arbeitsmarktpolitischen Reformen begonnen, aus denen jetzt eine gewisse Reformdividende zu verzeichnen ist. ({8}) Die Blockade in der großen Koalition nun ist aber wirklich ein Problem für das Land. Sie tun weitaus zu wenig. ({9}) Ich möchte das am Haushalt 2007 belegen. Da gibt es zum einen eine Neuverschuldung von 22 Milliarden Euro. Da gibt es zum anderen Risiken von 8 Milliarden Euro im Arbeitsmarktbereich. Da werden nämlich die Kosten für das Arbeitslosengeld II mal hoppla hopp um 5 Milliarden Euro niedriger angesetzt. Da wird unterstellt, dass die Kommunen nur 2 Milliarden Euro als Ausgleich für die Übernahme der Unterkunftskosten erhalten. In dieser Sache hat Herr Müntefering schon im letzten Jahr sehr schnell klein beigeben müssen und das Doppelte bezahlt. Eine weitere Milliarde Euro kalkulieren Sie als eine höhere Strafzahlung der Bundesagentur für Arbeit ein, obwohl diese im Moment im ersten Arbeitsmarkt nachweislich enorme Vermittlungserfolge hat. Das sind zusammen Risiken von 8 Milliarden Euro. ({10}) Die passen nicht zu der vom Finanzminister eigentlich proklamierten neuen Ehrlichkeit und Seriosität in der Haushaltsplanung. ({11}) Neben der Nettokreditaufnahme von 22 Milliarden Euro gibt es also Risiken von 8 Milliarden Euro und - von Ihnen selbst zugestanden - Einmaleffekte von 16 Milliarden Euro. Addieren Sie das doch einmal! Trotz einer massiven Steuererhöhung von über 20 Milliarden Euro haben Sie weiterhin ein strukturelles Defizit von ungefähr 46 Milliarden Euro. Das zeugt wirklich nicht von einer soliden Haushaltspolitik und einem Aufbruch hin zur Konsolidierung. Das ist haushaltspolitischer Stillstand bei - zugegeben - günstigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. ({12}) Ich möchte in einem zweiten Punkt auf die Finanzplanung eingehen. Die Finanzplanung vermittelt vielleicht auch einen ehrlicheren Eindruck von der Qualität der Haushaltspolitik. Zugegebenermaßen kann man Haushalte nicht jährlich brutal umsteuern. Da muss man ganz nüchtern Folgendes sehen: Es gibt, wie gesagt, erhebliche Steuermehreinnahmen. Nach der Finanzplanung bis zum Jahr 2010 steigen die Zahlen bei der Alterssicherung von 96 auf 103 Milliarden Euro und die Zinsen von 37,6 auf 44,8 Milliarden Euro. Wenn man auf die andere Seite blickt, einmal nicht auf die alten Verpflichtungen, sondern in die Zukunft schaut, stellt man fest: Die Investitionen stagnieren bei 23,3 Milliarden Euro. Bei Bildung und Forschung gibt es von 2006 auf 2007 einen Schub, aber ab 2007 stagnieren die Ausgaben dafür bei 13,1 Milliarden Euro. Daran kann man sehen: Die notwendige Umsteuerung zu einer stärkeren Ausrichtung auf Zukunftsfähigkeit, auf Zukunftsinvestitionen ist der großen Koalition bislang nicht gelungen; eine solche Umsteuerung ist aus diesem Finanztableau schlicht und ergreifend nicht abzulesen. ({13}) Herr Poß, Sie haben darauf hingewiesen, dass die Nettokreditaufnahme stark abgesenkt werde. Haben Sie auch einmal in die Finanzplanung gesehen? Die Nettokreditaufnahme bleibt fast stetig auf dem Niveau - ich will das gerne noch einmal nachschauen und vorlesen von 20 Milliarden Euro. ({14}) Als Rot-Grün regiert hat, haben wir Finanzplanungen aufgelegt, in denen die Nettokreditaufnahme gesenkt wurde. Damals haben wir versucht, in den 10-Milliarden-Euro-Korridor zu kommen. ({15}) In unserer Situation, in der in ungefähr zehn, zwölf, 13 Jahren die demografische Spitzenbelastung in den öffentlichen Finanzen erreicht wird, sollte eine seriöse, langfristige Politik einen Haushaltsausgleich suchen; von mir aus ruhig über eine Strecke von sechs Jahren. Bei Ihnen sieht man keine Bewegung in diese Richtung. - Jetzt muss Herr Schneider richtig die Zähne aufeinander beißen, weil er mir an dieser Stelle am liebsten Applaus geben würde. ({16}) Ich möchte neben der Finanzplanung aber noch auf einen weiteren Punkt zu sprechen kommen, der die Haushaltssituation, in der wir uns befinden, in Zukunft sehr negativ belasten wird: Das ist schlicht und ergreifend die große Koalition selbst. ({17}) Sie sind bei den großen Reformthemen zutiefst gespalten. Ole von Beust, ({18}) der Bürgermeister meiner Heimatstadt, hat unlängst in einem Interview gesagt, Unternehmensteuer, Arbeitsmarktpolitik und Gesundheit, das seien die Reformthemen, die jetzt anstünden. ({19}) Man musste nur die heutige Debatte zur Unternehmensteuer verfolgen, um zu sehen, was hier eigentlich los ist. Herr Poß, zu wem haben Sie eigentlich gesprochen, als Sie dafür geworben haben, die Bemessungsgrundlage zu erweitern? Ich hatte den Eindruck, Sie haben zur Union gesprochen. ({20}) Denn Herr Meister hat, wie man feststellen konnte, wenn man gut zugehört hat, deutlich gemacht, dass die CDU/ CSU im Grunde weiterhin ihr Ziel verfolgt, die Gewerbesteuer auszuhöhlen. Er hat hier deutlich gesagt, dass die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage nicht machbar sei, nicht etwa nur mit Blick auf die Körperschaftsteuer, ({21}) sondern auch darüber hinaus von der CDU/CSU als Ziel nicht verfolgt werde. ({22}) - Sie sagen „sehr gut“; da haben wir den Beweis. - Das steht diametral dem entgegen, was Herr Steinbrück gesagt hat, nämlich dass er sich eine deutliche Tarifsenkung bei der Unternehmensteuer zutraue. Das wollen wir Grünen erst einmal gar nicht infrage stellen. ({23}) Wir wollen aber dann den Nachweis haben, dass die Verschiebung von Gewinnen und damit auch von Arbeitsplätzen ins Ausland nicht weiter subventioniert wird, weil wir nicht die Kraft haben, die Privilegierung der Kreditfinanzierung in Deutschland wirklich einzugrenzen. Da sind Sie zutiefst gespalten. ({24}) Das hat Folgen für die Haushaltsplanung ab 2008. Wenn Sie nämlich erneut einen faulen Kompromiss machen, werden wir in der Finanzplanung wieder Haushaltslöcher haben, die diese wirklich nicht mehr verträgt. Ich komme zu einem weiteren Thema: Arbeitsmarktpolitik. Tiefer gespalten ging es am Ende der Haushaltsberatungen auch bei diesem Thema kaum. Die CDU/CSU hat eine Haushaltssperre bei den Fördermitteln für den schwierigen Bereich der Langzeitarbeitslosen, beim Arbeitslosengeld II, erzwungen. Diese Sperre hat die CDU/CSU durchgesetzt. ({25}) Heute Morgen wurden dann 200 Millionen Euro wieder entsperrt. Das ist zu wenig, aber schon einmal ein Schritt in die richtige Richtung. Die SPD hat, obwohl sie eine andere Arbeitsmarktpolitik gewollt hätte, bei der das Fördern, gerade bei den Langzeitarbeitslosen, von vornherein nicht infrage gestellt wird, die Pille einer Haushaltssperre schlucken müssen, damit die CDU/CSU ihr Gesicht wahren kann. Das, was ich hier schildere, ist nicht irgendein haushaltstechnisches Problem. Diese Haushaltssperre seit Ende Juni hat in den Arbeitsgemeinschaften, zum Beispiel in Mecklenburg-Vorpommern jenseits von Rostock, zu einem totalen Einstellen der Vermittlungstätigkeit geführt. ({26}) Das ist ein absoluter Widerspruch zu dem Konzept vom Fördern und Fordern. Das war nicht nur eine haushaltstechnische Sperre, die der Gesichtswahrung der Union diente, sondern ein Tritt gegenüber den Leuten, die in den Arbeitsgemeinschaften Vermittlungserfolge erzielen wollen, und gegenüber den Arbeitslosen, die davon betroffen sind. Da sieht man: Diese Spaltung der Koalition ist nicht gut fürs Land. ({27}) Jetzt komme ich zu dem ganz schweren Thema der großen Koalition: ({28}) Das ist die Gesundheitsreform. ({29}) Sie bildet sich in einem sagenhaften Widerspruch in diesem Haushalt ab. Da hat der Herr Steinbrück mich noch kritisiert, ich solle doch nicht so positiv über die zukünftige Steuerfinanzierung in der Gesundheit reden; sie würde - das steht auch in den Unterlagen, die wir zu den Haushaltsberatungen bekommen haben - ab 2008 endgültig abgeschafft und in 2007 gäbe es nur noch 1,5 Milliarden Euro. Und was ist dann? Nachdem Sie diese Kritik geübt haben, ist eine knappe Woche später von der großen Koalition beschlossen worden: Ab 2008 gibt es wieder Steuergeld in Höhe von 1,5 Milliarden Euro ({30}) und ab 2009 in Höhe von 3 Milliarden Euro - nur mit dem Unterschied, dass das in der Finanzplanung nicht berücksichtigt ist und dass Herr Steinbrück immer noch mit den alten Einsparzielen, die Ausgaben in der Gesundheit zurückzuführen, herumläuft. Das ist ein kompletter Widerspruch. Was soll denn die Öffentlichkeit davon halten, dass Sie innerhalb einer Woche bei so einem grundlegenden Reformthema - mehr oder weniger Steuerfinanzierung in den sozialen Sicherungssystemen völlig richtungslos auseinander laufen? Man sieht es also auch bei der Gesundheitsreform: Die große Koalition ist tief zerstritten. Es ist bis heute noch nicht absehbar, was am 1. Januar 2007 gelten soll. ({31}) Auf den 1. Januar 2007 muss ich als Nächstes kommen. Ich habe das vielleicht nicht ganz richtig ausgedrückt: Was ab dem 1. Januar 2007 gelten wird, das ist ziemlich klar und entfaltet schon jetzt seine fatale wirtschaftspolitische Wirkung. Ab dem 1. Januar 2007 werden wir eine Mehrwertsteuererhöhung um 3 Prozentpunkte haben. Dazu kommt für die Menschen eine Beitragssatzsteigerung um 0,4 Prozentpunkte bei der Rente. Dann kommt bei den Krankenkassenbeiträgen eine Steigerung um nicht nur 0,5 Prozentpunkte, wie ich im Frühjahr noch bescheiden gedacht habe. Nein, keiner stellt mehr in Abrede, dass im Januar 2007 die Krankenkassenbeiträge um mehr als 1 Prozentpunkt steigen müssen. Außerdem besteht auch das Risiko - das habe ich noch gar nicht erwähnt - einer Beitragssatzsteigerung in der Pflegeversicherung. Ich kann Ihnen nur sagen: Auf die Menschen kommt am 1. Januar 2007 eine ganze Menge zu. ({32}) Das Bild, das Sie hier abgeben, dass die große Koalition wegen des wirtschaftlichen Aufschwungs vielleicht noch nicht die Sektkorken knallen lassen möchte, sich aber schon in diesem Erfolg sonnt, steht in einem krassen Missverhältnis zu der Belastung, die am 1. Januar die Arbeitnehmer und die Arbeitgeber treffen wird. ({33}) Mit den Steigerungen, die ich genannt habe, kommt man auf einen Rentenversicherungsbeitrag von 19,9 Prozent und auf einen Krankenversicherungsbeitrag von über 14 Prozent - sagen wir einmal 14,5 Prozent; das ist noch konservativ geschätzt. Wenn man diese Zahlen einmal ganz einfach zusammenrechnet und sieht, dass Sie die Arbeitslosenversicherung zwar auf 4,5 Prozent absenken, aber die Pflegeversicherung bei 1,7 Prozent plus x steht, dann wird jedem Menschen, der der Addition fähig ist, klar: Das Ziel, die Lohnnebenkosten unter 40 Prozent zu drücken, ist komplett aufgegeben. ({34}) Ich frage mich: Wo ist eigentlich der Wirtschaftsminister? ({35}) Das Ziel von unter 40 Prozent Lohnnebenkosten ist aufgegeben. Das kann man, wie gesagt, leicht nachweisen. Dazu ist in dieser Debatte von Ihnen gar nichts gesagt worden. ({36}) Das spricht nicht für Selbstkritik und Ehrlichkeit, die Sie gebrauchen könnten. Ich komme zu grünen Alternativen und Vorschlägen. Ich will hier nur einen Punkt nennen; alles andere wird noch im Prozess der Haushaltsberatung dazukommen. Der Vorschlag, den wir machen - das sage ich ganz deutlich an die Vorredner aus der SPD gerichtet -, ist folgender: Wenn man auf die Mehrwertsteuererhöhung nicht verzichten will, dann sollte man zumindest darauf verzichten - das halten wir für unablässig -, sie mit einem abrupten Schlag um 3 Prozentpunkte zu erhöhen. Das ist keine stetige Politik, das ist eine abrupte Politik, die zu Verwerfungen führt. Wenn man es anders machte, etwa indem man die Erhöhung über drei Jahre streckt somit die Mehrwertsteuer jahresweise um 1 Prozentpunkt anhebt und diese Erhöhung verlässlich und nachweisbar komplett in die Senkung der Lohnnebenkosten steckt, dann hielte ich das langfristig für eine viel erfolgreichere und bessere Strategie - nicht nur für den Arbeitsmarkt, sondern auch für den Haushalt. Da geben uns viele Wirtschaftsinstitute und Experten Recht. ({37}) Wir schlagen ganz konkret eine Priorität für mehr Beschäftigung, Herr Poß, und nicht für die Sanierung der Haushaltslöcher bei Bund und Ländern vor. So ist es richtig. ({38}) Wir wollen die Einnahmen aus dem ersten Mehrwertsteuerpunkt zusammen mit den strukturellen Überschüssen der BA konsequent für die Absenkung der Lohnnebenkosten im Niedriglohnbereich vorsehen. Wir haben ein Progressivmodell entwickelt, mit dem die Lohnnebenkosten im Niedriglohnbereich bis 1 800 Euro stark gesenkt werden können. Dieses Geld fließt also an die Arbeitnehmer und die Arbeitgeber zurück. Das wäre eine intelligente Politik. Wir bemühen uns, Ihnen diese Alternative schmackhaft zu machen. Sie können uns nicht unterstellen, dass wir rigoros und stur gegen Ihre Politik sind. Ich erwarte von Ihnen, dass Sie sich mit solchen Vorschlägen konstruktiv auseinander setzen. Sie selber haben ja schon ein bisschen Sorge, was am 1. Januar 2007 sonst passieren wird. ({39}) Ich komme zum Schluss. Es wurde hier viel davon gesprochen, dass das Vertrauen der Bevölkerung nötig ist, dieses Vertrauen gerechtfertigt werden muss und Sie als große Koalition dieses Vertrauen angeblich schaffen könnten. Ich muss Ihnen sagen: Ihr selbst gesetzter Anspruch der Stetigkeit in Ihrer Politik ist mit Blick auf die abrupte Mehrwertsteuererhöhung nicht zu rechtfertigen. Die versprochene Verlässlichkeit und Berechenbarkeit Ihrer Politik ist mit dem Chaos bei der Gesundheitsreform überhaupt nicht in Einklang zu bringen. Auch finden sich im Haushalt keine realistischen und vorsichtigen Annahmen im Hinblick auf die Kosten beim Arbeitsmarkt wieder. Nach zehn Monaten haben die Menschen deswegen das Vertrauen in die große Koalition verloren.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin!

Anja Hajduk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003547, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme gleich zum Schluss, Frau Präsidentin. Der Sommer hat gezeigt: Die Politik ist zwar von der Profilsuche der Partner der großen Koalition geprägt, aber nicht von der Suche nach Lösungen für Reformen. Das hat das Land wahrlich nicht verdient. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Steffen Kampeter, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Steffen Kampeter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001062, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin durch die Rede meiner Vorrednerin etwas irritiert. ({0}) Noch vor weniger als einem Jahr waren die Grünen als Regierungspartei für all das, was in diesem Haus beschlossen worden ist, mitverantwortlich. Innerhalb weniger Wochen halten Sie Reden, bei denen man den Eindruck haben kann, dass Sie an keinen Entscheidungen, die nach dem Zweiten Weltkrieg im Bundestag oder in den Landtagen getroffen worden sind, in irgendeiner Form beteiligt waren. Ich muss ganz ehrlich sagen: Einen so hemmungslosen Populismus, eine so verantwortungslose Art und Weise der politischen Auseinandersetzung verschlägt selbst mir die Sprache. ({1}) Frau Hajduk, wo waren Sie eigentlich, als vor einem Jahr beispielsweise der Etatentwurf der damaligen Regierung nicht mehr beschlossen, sondern im damaligen Kabinett lediglich zur Kenntnis genommen worden ist? Sie fordern hier, der Bundesfinanzminister möge uns keine oberlehrerhaften Ratschläge geben. ({2}) Aber Sie waren vor einem Jahr in der Regierung. Heute tun Sie so, als ob Sie alles besser wissen. Wo waren Sie eigentlich vor einem Jahr? ({3}) Und da blasen Sie sich hier so kräftig auf! ({4}) Ich gewinne langsam den Eindruck, dass die Verbesserung der Situation in Deutschland im Wesentlichen damit zusammenhängt, dass die Grünen keine Regierungsverantwortung mehr tragen. Das scheint mir im Vergleich zur Situation vor einem Jahr eine qualitativ wirklich positive Veränderung zu sein. ({5}) Die Herangehensweise unseres Koalitionspartners, der Sozialdemokraten, die gemeinsam mit uns einen Kassensturz gemacht, in schonungsloser Offenheit gesagt haben, was notwendig ist, und unangenehme Entscheidungen getroffen haben, ist der ehrlichere Weg als der opportunistische der Grünen. Die Erfolge dieses Richtungswechsels in der Haushaltspolitik lassen sich bereits am laufenden Etat ablesen. Während in der Zeit, als die Grünen Verantwortung getragen haben, alle Prognosen nach unten gewiesen haben, werden wir aller Voraussicht nach im Etat des laufenden Jahres bei den Einnahmen nicht nur im Vergleich zur Steuerschätzung, sondern auch im Vergleich zu den Ansätzen im Etat um 3 bis 4 Milliarden Euro besser abSteffen Kampeter schneiden. Wir haben erste Konsolidierungsmaßnahmen eingeleitet und ein Haushaltsbegleitgesetz der „doppelten Tonlage“ verabschiedet und schon stellen sich gute Nachrichten ein. Das zeigt doch, dass sich diese Haushaltspolitik wesentlich von der Haushaltspolitik unterscheidet, für die Sie, Frau Hajduk, mit die Verantwortung übernommen haben. ({6}) Diese verbesserte finanzpolitische Lage des Jahres 2006 ist auch Ursache dafür, dass wir heute Morgen bei der Arbeitsmarktpolitik in einer Größenordnung von 230 Millionen Euro nachsteuern konnten. Wir haben erst fleißig konsolidiert, damit wir das Geld, über das wir verfügen, dafür verwenden, was nötig ist. Deswegen glaube ich, dass nicht nur der Haushalt 2006, sondern auch der Haushaltsentwurf für 2007 - das ist der erste Haushalt, den die Koalition vollständig zu verantworten hat - uns auf dem Weg der Konsolidierung voranbringen. Erstens. Erstmals wird die in der Verfassung vorgesehene Regelgrenze bei der Neuverschuldung im Entwurf eingehalten; die Nettokreditaufnahme geht um 16 Milliarden auf 22 Milliarden Euro zurück und liegt damit um 1,5 Milliarden Euro unter dem Investitionsvolumen. Zweitens. Erstmals seit vier Jahren wird das Maastrichtkriterium wieder sicher erreicht werden. Das wird aller Voraussicht nach schon in diesem Jahr der Fall sein. ({7}) Das stellt einen Unterschied zu den vergangenen Jahren dar. Es mag vielleicht auch eine kleine Bürde sein, weil wir in den nächsten Schritten - der Kollege Meister hat es deutlich gesagt - in Richtung ausgeglichener Etat marschieren. Dies ist das Ziel der großen Koalition. Schließlich drittens. Die Staatsquote sinkt; die Inanspruchnahme des Bürgers durch den Staat wird erheblich weiter zurückgeführt. Wir werden am Ende dieser Legislaturperiode eine Staatsquote haben, die wir zuletzt vor der Wiedervereinigung hatten. ({8}) Bei diesem Konsolidierungskurs helfen uns - es ist wichtig, das festzustellen - gute wirtschaftliche Rahmenbedingungen. Die konjunkturelle Aufwärtsbewegung der deutschen Wirtschaft hat im laufenden Jahr deutlich an Kraft gewonnen; der konjunkturelle Knoten ist geplatzt. Wir verzeichnen das stärkste Wachstum seit fünf Jahren. Michael Glos hat geradezu prophetisch schon Anfang des Jahres die Werte bei etwa 2 Prozent gesehen; jetzt sprechen alle wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute von einem Wachstum von mehr als 2 Prozent. Damit gibt es zum ersten Mal seit vielen Jahren ein Wachstum auch der deutschen Wirtschaft. 426 000 Arbeitslose weniger und 129 000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte mehr sprechen eine sehr konkrete Sprache. Dies sind die Anzeichen einer soliden wirtschaftlichen Entwicklung in diesem Land. ({9}) Die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland hat sich verbessert. Ich will ausdrücklich festhalten, dass die Tarifvertragsparteien durch moderate Abschlüsse einen wesentlichen Anteil daran haben. Es ist erfreulich, dass wir erstmals seit langem einen Aufschwung haben, der auch von der Binnennachfrage, das heißt von der Zuversicht der Menschen in diesem Land - nicht nur in den Unternehmen, sondern auch in den Privathaushalten -, getragen wird. Diesen Schwung wollen wir in das Jahr 2007 mitnehmen. Alle diejenigen, die noch vor wenigen Monaten in Pessimismus gemacht haben, was die Steuerpolitik angeht, und einen Konjunktureinbruch für das Jahr 2007 prognostiziert haben, schweigen jetzt. Nationale wie auch internationale Experten sagen, dass sich dieser Aufschwung im nächsten Jahr fortsetzen wird. Wir haben ein solides wirtschaftliches Wachstum. Wir verschweigen den konjunkturdämpfenden Effekt der Mehrwertsteuererhöhung nicht. Sie bleibt aber notwendig und ist ohne Alternative. Sie ist mit dem Aufschwung kompatibel. Das halte ich für eine gute Botschaft. ({10}) Ich habe gesagt: Der Kurs stimmt. Die Aufgabe ist aber noch nicht erledigt. Deswegen gehört zu dem Bild, das wir heute, am Beginn der Haushaltsdebatte, zeichnen müssen, auch, dass der Bundeshaushalt selbstverständlich ein Sanierungsfall bleibt. Wenn ein Unternehmen jedes Jahr einen Verlust in Höhe von ungefähr einem Viertel seines Umsatzes macht, wird jeder dort Beschäftigte, auch ein Mitglied der Geschäftsführung oder des Betriebsrates, sagen: Unser Unternehmen befindet sich in einer schwierigen Lage, es ist ein Sanierungsfall. Seit Mitte der 90er-Jahre, mit wechselnden politischen Mehrheiten, weist der Bundeshaushalt ein strukturelles Defizit auf, weil große Teile unserer Ausgaben nicht durch dauerhafte Einnahmen gedeckt sind. Wir in der Union sind der Auffassung, dass wir mit dem Haushalt, solange er nicht ausgeglichen ist, nicht zufrieden sein können. Die Sanierungsaufgabe bleibt also bestehen. ({11}) Der Bundeshaushalt ist eine Sanierungsaufgabe für uns alle. ({12}) Dieser Aufgabe werden wir uns in dieser Legislaturperiode engagiert stellen. Für Entwarnung gibt es - weiß Gott! - keinen Grund. Wir müssen den Sparkurs fortführen. ({13}) Ziel der Union ist in diesem Zusammenhang, die Kreditaufnahme des Bundes im Laufe der Legislaturperiode unter die 20-Milliarden-Euro-Grenze zu senken. Dazu bedarf es zusätzlicher Anstrengungen, insbesondere auf der Ausgabenseite. Wir wollen eines zurückgewinnen: das Vertrauen der Menschen in die Finanz- und Haushaltspolitik dieses Landes. Die ersten Signale gibt es schon: steigendes Verbrauchervertrauen und steigendes Investorenvertrauen. Es muss jedoch deutlich werden: Das sind keine Eintagsfliegen, vielmehr muss die Konsolidierung nachhaltig und generationengerecht sein. Deswegen werden wir auf diesem Kurs gemeinsam mit unserem Koalitionspartner weiter voranschreiten. ({14}) Wir wollen keine Wunschlisten anlegen und keine voreiligen Schlüsse ziehen. Eine Schwalbe macht noch keinen Frühling. ({15}) Die Konsequenz und Beharrlichkeit bei den beschlossenen Maßnahmen zeigen die entsprechende nachhaltige Stärkung der Auftriebskräfte. Ich begrüße ausdrücklich, Herr Finanzminister, dass Sie festgestellt haben, dass der Löwenanteil an den Mehreinnahmen 2006 zur Senkung der Nettokreditaufnahme verwendet wird. Die Union ist der Auffassung, dass der Löwe ebenso wie der Löwenanteil ziemlich groß sein muss. Die Formulierung lässt ein kleines Hintertürchen. Die Löwen der Union, insbesondere die bayerischen, sind ausgesprochen groß. Das sollten Sie zur Kenntnis nehmen. ({16}) Ich will noch ein Wort zur Situation der Bundesagentur für Arbeit sagen. Wir haben in der Debatte deutlich herausgearbeitet, dass der Überschuss nachhaltig und solide ist. Das war die Voraussetzung dafür, dass man über Beitragsabsenkungen nachdenken kann. Wir von der Union sind der Auffassung: Der nachhaltige Anteil des Überschusses sollte frühestmöglich zur weiteren Absenkung der Sozialversicherungsbeiträge verwandt werden. Hier sehen wir noch Spielräume. Ich denke, wir befinden uns darüber seit einigen Tagen in einem guten Gespräch. Ich hoffe, dass wir relativ rasch zum Abschluss der Gespräche kommen werden. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund wichtig, dass wir in niedrigen Sozialversicherungsbeiträgen, mehr Wachstum und mehr Haushaltseinnahmen einen sinnvollen Beitrag zur Konsolidierung sehen. Die Union ist für weitere Gespräche ausgesprochen offen. ({17}) Folge des Klimawechsels in diesem Hause ist, dass auch über Haushaltsrisiken nicht nur von der Opposition, sondern sogar noch intensiver von der Regierungskoalition gesprochen wird. Für Entwarnung ist aber noch nicht die richtige Zeit, das will ich deutlich machen. Natürlich sehen wir uns Haushaltsrisiken gegenüber. Ich bin der Auffassung, dass man eine Regierung auch dadurch unterstützen kann, dass man die Haushaltsrisiken offen anspricht, um die Begehrlichkeiten bezüglich des Etats gering zu halten. Die Vorgaben des Art. 115 des Grundgesetzes halten wir ein - um anderthalb Milliarden Euro -; das habe ich bereits ausgeführt. Das ist nicht die Welt und zeigt, dass wir hier noch nachbessern und Vorsorge treffen können. Es ist offen angesprochen worden, dass es erhebliche Meinungsunterschiede im Haus hinsichtlich der Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt gibt. Wir teilen nicht die pessimistische Sicht der Dinge, aber wir sind der Meinung, dass wir uns in den Haushaltsberatungen sehr intensiv mit allen Titeln der Arbeitsmarktpolitik - sowohl auf der Einnahme- als auch auf der Ausgabenseite - auseinander setzen müssen. Zweifelsohne ist das falsch, was Bündnis 90/Die Grünen hier vorgetragen haben. Sie sprachen davon, dass es um 8 Milliarden Euro Mehrbedarf geht. Zweifelsohne richtig bleibt aber, dass wir uns diese Titel sehr genau anschauen müssen. Das ist insbesondere vor dem Hintergrund nötig, dass die Unionsfraktion gemeinsam mit der SPD beabsichtigt, noch in diesem Jahr Vorschläge dazu zu machen, wie wir die Gerechtigkeitslücke in der Arbeitsmarktpolitik weiter schließen können. Die Gerechtigkeitslücke in der Arbeitsmarktpolitik entsteht, wenn wir Geld nicht für das ausgeben, wofür die Steuerzahler es einsetzen wollen. Es ist aber gleichermaßen ungerecht, arbeitsmarktpolitische Mittel mit der Gießkanne zu verteilen. Arbeitsmarktpolitische Mittel müssen diejenigen erreichen, die tatsächlich bedürftig sind, die die Hilfe des Staates in Anspruch nehmen müssen. Nach unserer Auffassung besteht auf diesem Gebiet eine erhebliche Gerechtigkeitslücke. ({18}) Diese Gerechtigkeitslücke wollen wir beispielsweise durch die Effektivierung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente schließen. Im steuer-, wie im beitragsfinanzierten Bereich gibt es 70 bis 80 arbeitsmarktpolitische Instrumente. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Arbeitsmarktpolitik gerecht sein kann, wenn sie mit einer solchen Vielzahl bürokratischer und wenig effektiver Instrumente vollzogen wird. ({19}) Ich glaube, wir sollten insbesondere auf diesem Gebiet Einsparpotenziale suchen, und zwar ohne die Betroffenen - Herr Poß, Sie haben das angesprochen - mit Leistungskürzungen zu konfrontieren. Die Notwendigkeit von Leistungskürzungen kann man leicht in Abrede stellen. Ich glaube, die Effektivierung arbeitsmarktpolitischer Instrumente kann in diesem Zusammenhang einiges bringen. Ein weiteres Haushaltsrisiko besteht im Bereich der Zinsen. Wir haben in den vergangenen Jahren - darüber will ich offen reden - von der Niedrigzinspolitik profitiert und sie stillschweigend zur Kenntnis genommen. Jetzt gibt es eine muntere Debatte über Zinserhöhungen. Die Unabhängigkeit der Notenbanken stellen wir nicht infrage. Im Koalitionsvertrag kann ich keine Stelle entdecken, aus der das abgeleitet werden könnte. ({20}) Ich will all denjenigen, die sich zu der Fragestellung, wie sich die Zinsen zukünftig entwickeln, äußern, raten: Dieses Thema kann man in das Nachtgebet einbeziehen; bei öffentlichen Verlautbarungen wäre ich zurückhaltend. ({21}) Dafür gibt es zwei Gründe: Erstens. Wir stehen zur Aufgabenteilung zwischen der Politik, die die strukturellen Anpassungen vornehmen soll, und der Notenbank, die für die Geldpolitik zuständig ist. ({22}) Zweitens habe ich nicht den Eindruck, dass Mäßigungsappelle an die Zentralbank produktiv sind. Um es konkret zu sagen: Ich vermute, dass öffentliche Appelle eher kontraproduktiv sind. ({23}) Das heißt: Wenn man niedrige Zinsen haben möchte, dann sollte man zu diesem Thema besser schweigen. Wir haben klare Ziele für die Haushaltsberatungen im Jahre 2007. Die Union steht gemeinsam mit ihrem Partner für seriöse Finanzen. Nachdem in den vergangenen vier Jahren gegen die Maastrichtkriterien verstoßen wurde, wollen wir sie nicht nur 2006, sondern auch in den Folgejahren - bis wir einen ausgeglichenen Haushalt haben und darüber hinaus - einhalten. Wir wollen einen verfassungskonformen Bundeshaushalt. Das heißt, die Höhe der Investitionen muss deutlich über der Höhe der Nettokreditaufnahme liegen. Mehr Forderungen an den Etat können vor diesem Hintergrund nicht realisiert werden. ({24}) Am Ende dieser Legislaturperiode - so die Forderung der Union - sollte die Neuverschuldung wieder deutlich unter 20 Milliarden Euro liegen. Wir dürfen aufgrund unserer Verantwortung gegenüber den nachfolgenden Generationen bei der Nettokreditaufnahme nicht aasen, sondern müssen sparsam sein. Die Grenze muss deutlich unterschritten werden. ({25}) Wir wollen die Staatsquote auf das Niveau von 1989 absenken, nämlich auf unter 44 Prozent. Wir glauben, dass die Entscheidung, wofür Geld ausgegeben wird, eher beim Bürger als beim Staat liegen sollte. Wir glauben, dass dieser Grundsatz vor allem für die Ausgabenseite gelten sollte. Wenn ich mir die mittelfristige Finanzplanung anschaue, dann stelle ich fest, dass wir kein Einnahmeproblem haben. Wir werden an allen konstruktiven Beiträgen zur Ausgabensenkung, die von der Opposition und innerhalb der Koalition vorgelegt werden, gerne mitarbeiten. Wir wollen die Risiken - ich habe einen Teil davon benannt; Kollege Poß sprach die auswärtige Politik an -, beherrschen. Wir wollen einen soliden Etat beraten. Ende November wollen wir mit gutem Gewissen sagen können: Das ist das, was möglich ist. Das ist solide. Das ist unser Beitrag für eine gute Zukunft dieses Landes. ({26})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr. Hermann Otto Solms für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002190, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will eines vorausschicken: Die FDP freut sich genauso wie die Bundesregierung über die leichte konjunkturelle Erholung, die wir gegenwärtig erleben können. ({0}) Das ist eine Freude für uns alle. Es ist aber nicht so, dass das auf das Handeln dieser Bundesregierung zurückzuführen wäre. Das wäre ein gewaltiger Trugschluss. ({1}) Man kann geradezu sagen: Die konjunkturelle Erholung findet trotz dieser Bundesregierung statt. ({2}) Denn sie ist auf eine Politik der Verbesserung der Angebotsbedingungen in den letzten Jahren zurückzuführen. Die wesentlichen Punkte dabei waren: die zurückhaltende Politik der Tarifvertragsparteien, ({3}) die maßvolle Zinspolitik der Europäischen Zentralbank,

Steffen Kampeter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001062, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Auch ange- sprochen!) aber auch die Politik der Steuersenkung der Vorgängerregierung insbesondere bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer. ({0}) In diesem Zusammenhang, Herr Finanzminister Steinbrück, möchte ich in Erinnerung rufen: Als die alte bürgerliche Koalition eine grundsätzliche Steuerreform auf den Weg gebracht hat - Stichwort: Petersberger Beschlüsse -, hat die SPD-Opposition unter dem damaligen Parteivorsitzenden Lafontaine ihre Blockademöglichkeiten im Bundesrat genutzt. Die Steuerreform ist nicht zustande gekommen, obwohl sie im Bundestag eine Mehrheit gefunden hatte. Damit ist viel Zeit verschwendet worden. Denn wir hätten schon einige Jahre früher eine angebotsorientierte Politik betreiben können. ({1}) Als die rot-grüne Regierung diese Steuerreform auf den Weg gebracht hat, hätten wir sie im Bundesrat blockieren können. Wir haben es aber nicht getan. Durch das Mitwirken von Rainer Brüderle und Kurt Beck, Ihrem neuen Parteivorsitzenden, in Rheinland-Pfalz haben wir durchgesetzt, dass die Steuerreform tatsächlich ins Gesetzbuch gekommen ist ({2}) und dass der Spitzensteuersatz von 45 auf 42 Prozent gesenkt worden ist. ({3}) Deswegen fühle ich mich - mit der FDP - mitverantwortlich für die positiven Entwicklungen, die wir gegenwärtig erleben. ({4}) Diese Politik der Entlastung und der Verbesserung der Angebotsbedingungen müsste jetzt fortgesetzt werden. Diese Bundesregierung tut aber genau das Gegenteil. ({5}) Sie erhöht die Kosten, sie erhöht die Steuern, sie erhöht die Beiträge und baut die immense Bürokratie nicht ab. Ich möchte einige Beispiel in Erinnerung rufen: Das wichtigste ist natürlich die Erhöhung der Mehrwertsteuer. Das ist ökonomisch gesehen ein grundsätzlicher Fehler. ({6}) Weitere Beispiele sind die Erhöhung der Versicherungssteuer, die Erhöhung der Einkommenssteuer unter dem Stichwort Reichensteuer - man findet immer schöne Begründungen für Steuererhöhungen -, ({7}) die Verschlechterung bei der Pendlerpauschale, keine Abzugsfähigkeit der Kosten für das Arbeitszimmer, Streichung der Abzugsfähigkeit der Steuerberatungskosten und die Halbierung des Sparerfreibetrags. Das wird jetzt in das Jahressteuergesetz gemogelt, damit es möglichst nicht auffällt. Allein diese Steuererhöhungen werden die Bürger und Unternehmen im nächsten Jahr um 27 Milliarden Euro zusätzlich belasten. Wie soll das die Konjunktur fördern? ({8}) Wie soll das den Menschen die Möglichkeit geben, mehr zu konsumieren, mehr zu investieren oder mehr Eigenvorsorge für das Alter und für die Risiken des Lebens vorzunehmen? Sie fordern das immer, aber Sie nehmen ihnen die finanziellen Möglichkeiten, dies zu tun. ({9}) Dazu kommen die Erhöhungen der Beiträge zur Rentenversicherung, zur Krankenversicherung und vermutlich auch zur Pflegeversicherung, sodass die Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung gleich wieder kompensiert wird. Eine Entlastung bei den Sozialkosten findet nicht statt. Das ist die falsche Politik; von Entlastung keine Spur. Die Ausgaben für soziale Sicherung machen unverändert die Hälfte des Budgets aus. An einer Flexibilisierung der Kernbereiche des Arbeitsmarktes traut sich die Regierung nicht heran. Betriebliche Bündnisse für Arbeit sind vergessen. Die Liberalisierung des Kündigungsschutzes ist passé. Eine langfristige Absenkung der Lohnzusatzkosten ist Schnee von gestern. Gibt es eine tragfähige Gesundheitsreform? Fehlanzeige. Ganz im Gegenteil: Die gesundheitspolitische Diskussion ist das reinste Chaos und der Bürger wendet sich mit Schrecken ab. Die Bürger werden zur Kasse gebeten. Das ist die Quintessenz dieser Politik; die ist schlicht falsch. ({10}) Die Koalition wird damit scheitern. Deshalb fordern wir, die FDP, die Angebotsbedingungen für Investitionen und Konsum konsequent zu verbessern. Nur so können wieder Arbeitsplätze entstehen. Ganz konkret - wir haben gestern einen Antrag dazu eingebracht -: Nehmen Sie die Erhöhung der Mehrwertsteuer zurück. Die Erhöhung ist falsch und nicht notwendig. Denn die Steuereinnahmen, die aufgrund der konjunkturellen Entwicklungen in diesem Jahr stärker sprudeln, kompensieren das erwartete Mehraufkommen bereits. ({11}) Zweitens. Legen Sie ein durchdachtes Konzept für eine Unternehmensteuerreform vor, in dem die Unternehmen, egal in welcher Rechtsform sie agieren, gleich behandelt und gleich belastet werden, ({12}) bei dem das Besteuerungsniveau auf das durchschnittliche europäische Niveau gesenkt wird und das nicht durch die Einbeziehung von Kostentatbeständen in die Besteuerung gegenfinanziert wird. Wie Sie das technisch machen, ist völlig egal. Aber das ist ein grundsätzlicher Fehler. Das ruiniert den deutschen Mittelstand, ({13}) der ja in aller Regel mit nur 10 bis 20 Prozent Eigenkapital leben und sich zu 80, 90 Prozent fremdfinanzieren muss. Hier geht es um die Existenz des Mittelstandes. ({14}) Drittens. Beginnen Sie endlich mit der Vereinfachung des Steuersystems. Das haben alle Parteien in ihren Wahlkampfparolen gefordert. Nichts ist bis jetzt geschehen. Viertens. Überprüfen Sie Ihr Jahressteuergesetz 2007, in dem auf 127 Seiten herumgeregelt wird. Fünftens. Führen Sie die Abgeltungsteuer auf Kapitalerträge ein. Schaffen Sie endlich eine Bundesfinanzverwaltung, die auch Sie, Herr Bundesfinanzminister, immer gefordert haben; dabei unterstützen wir Sie. Sechstens. Senken Sie die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung um mindestens 2,5 Prozentpunkte. ({15}) Siebtens. Stoppen Sie die Diskussion über die Gesundheitsreform. Achtens. Beginnen Sie endlich zu sparen, und zwar beim Staat und nicht beim Bürger. ({16}) Die ökonomische Wirkungskette gilt auch heute noch: Nur weniger Steuern und Abgaben bringen mehr Arbeitsplätze. Nur mit mehr Beschäftigten hat der Staat mehr Steuer- und Beitragseinnahmen. Nur so erreichen Sie eine nachhaltige Konsolidierung des Bundeshaushaltes und der anderen Haushalte. Entweder fehlt Ihnen der Mut zu dieser Politik oder die Einsicht. Beides ist verhängnisvoll. Wir brauchen im Interesse der Bürgerinnen und Bürger Fortschritt in Deutschland. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({17})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Carsten Schneider für die SPD-Fraktion. ({0})

Carsten Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003218, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe während der heutigen Debatte, die ich aufmerksam verfolgt habe, neue und alte Freunde kennen gelernt bzw. wiedergefunden. Ich hatte den Eindruck, Frau Hajduk, dass nach Ansicht der alten Freunde von den Grünen alles, was in der rot-grünen Regierungszeit geschehen ist, super war. Dieser Auffassung bin auch ich. Bei den neuen Freunden von der Union hatte ich den Eindruck, dass sie alles, was in dieser Zeit auf den Weg gebracht wurde, schlecht fanden, dass aber, seitdem die Union mitregiert, alles super ist. Ich glaube, die Wahrheit liegt irgendwo in der Mitte: Es liegt an der Kontinuität der Regierungsbeteiligung der SPD. ({0}) - Glauben Sie mir: Ich kann das von beiden Seiten ganz gut beurteilen, insbesondere weil das Bundesfinanzministerium seit nunmehr acht Jahren in sozialdemokratischer Hand ist. Kolleginnen und Kollegen, die Haushaltsdebatte 2007 und die Finanzplanung bis 2010, die bereits Gegenstand der heutigen Debatte war, sind von einem Gesetzentwurf gekennzeichnet, der mutig ist und in den die Erfahrungen aus der Vergangenheit eingeflossen sind. Im Hinblick auf die konjunkturellen Rahmendaten und die Höhe der Steuereinnahmen wurden vorsichtige, konservative Schätzungen zugrunde gelegt. Dieser Gesetzentwurf verdeutlicht die Entschlossenheit der Koalition, die Ziele, die sie sich in der Haushalts- und Finanzpolitik gesetzt und im Koalitionsvertrag festgehalten hat, umzusetzen. Mit dem Haushaltsbegleitgesetz 2007 haben wir sowohl auf der Einnahme- als auch auf der Ausgabenseite strukturelle Veränderungen vorgenommen. Ich persönlich bin der Auffassung - das mag eine kleine Reminiszenz an die vergangenen Jahre sein -, dass das schon früher hätte geschehen können, hätte der Bundesrat, insbesondere was die Einnahmeseite betrifft, an der einen oder anderen Stelle Einsicht gezeigt. ({1}) Dass er das nicht getan hat, hat uns in den vergangenen Jahren immer wieder, gerade beim Steuervergünstigungsabbau, geschadet und zu geringeren Steuereinnahmen geführt. Das haben wir jetzt korrigiert. Auch an dieser Stelle sei auf den maßgeblichen Einfluss der SPD auf die Kollegen von der Union hingewiesen. Auf der Ausgabenseite haben wir deutliche Einsparungen vorgenommen. Nicht, wie die FDP das fordert - um Gottes willen; wir wollen keinen Staat, den sich nur Reiche leisten können -, aber so, dass sich die normalen Bürgerinnen und Bürger sicher sein können, dass der Deutsche Bundestag solide mit dem ihm anvertrauten Geld umgeht. Die Ausgabensteigerung liegt für 2007 bei 0,2 Prozent, im gesamten Finanzplanungszeitraum bis 2010 bei gerade einmal 0,7 Prozent. Bei einer unterstellten Inflationsrate von über 1 Prozent - was wahrscheinlich ist; hoffentlich liegt sie unter 2 Prozent - entspricht dies einer Ausgabensenkung, und dies trotz der Mehrausgaben, die wir in den vergangenen Jahren im Bereich des Arbeitsmarktes und der sozialen Sicherungssysteme hatten. Der eingeschlagene Kurs, nämlich 2006 den Anschub zu geben, die Konjunktur auf Fahrt zu bringen, war innerhalb der SPD - das muss ich auch für mich persönlich sagen - nicht unumstritten. Nun stimulieren wir die Wirtschaft mit einem 25-Milliarden-Euro-Wachstumspaket, wir erhöhen damit die Mittel für Forschung um 6 Prozent und setzen Akzente bei den Infrastrukturinvestitionen. Ich glaube, das ist richtig, insbesondere weil sich die Bevölkerung und die Wirtschaftsakteure darauf verlassen können, dass die Maßnahmen, die wir angekündigt haben, auch umgesetzt werden. ({2}) Carsten Schneider ({3}) Dieses Vertrauen in eine stetige Finanzpolitik ist für den sich jetzt deutlich abzeichnenden Konjunkturaufschwung entscheidend, entscheidender als kurzfristiges Hoch und Runter von Steuersätzen oder auch - um die aktuelle Debatte aufzugreifen - des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung. Wichtiger ist langfristige Stabilität, dass sich die Bürgerinnen und Bürger darauf verlassen können, dass diese Bundesregierung und dieses Parlament langfristig im Blick haben, einen Haushalt vorzulegen, der nicht nur dem Art. 115 des Grundgesetzes entspricht, sondern auch - in der nächsten Legislaturperiode - ausgeglichen ist. Die Konjunkturdaten für die Bundesrepublik Deutschland, insbesondere die Wachstumsraten im ersten und zweiten Quartal, zeigen, dass das Wachstum robust ist. Im zweiten Quartal hatten wir real ein Wachstum von 0,9 Prozent; das ist mehr, als die Vereinigten Staaten in diesem Quartal hatten. Viel wird jetzt davon abhängen, wie sich die Rohstoffpreise, insbesondere der Ölpreis, entwickeln. Es kommt aber auch darauf an, wie sich die konjunkturelle Situation in den USA entwickelt, die ja immer Wachstumsmotor für uns waren und die ein sehr stark exportgetriebenes Wachstum hatten. Ich sehe da mehr Licht als Schatten am Horizont. Dementsprechend bin ich, was die Steuereinnahmen betrifft, auch eher zuversichtlich. Ich will aber auch klar unterstreichen, was der Bundesfinanzminister ausgeführt hat: Wenn wir in Zeiten guter Konjunktur zusätzliche Steuereinnahmen erzielen sollten, müssen wir diese zur Senkung der Neuverschuldung verwenden. ({4}) In den vergangenen Jahren haben wir eine antizyklische Politik betrieben. Ich halte es für richtig, dass man in einem Abschwung nicht hinterherspart; das funktioniert nicht. Da sollte sich der eine oder andere Ökonom einmal an die eigene Nase fassen und bei seinen Modellen nicht so tun, als gäbe es den Faktor Staat nicht. Jetzt ist jedoch der entscheidende Zeitpunkt, um für die zukünftige Finanzentwicklung noch Maßstäbe zu setzen und die Neuverschuldung oder die Privatisierungserlöse zurückzufahren. Werfen wir noch einen Blick auf die konjunkturelle Situation: Auffällig ist nicht nur der deutliche Anstieg der Ausrüstungsinvestitionen, sondern auch dass die Baukonjunktur, die in den letzten Jahren geschwächelt hat, Zuwächse zu verzeichnen hat - 2,5 Prozent - und erstmals auch der private Konsum, mit 0,5 Prozent. Wir sind insgesamt auf einem guten Weg. Von daher muss die Finanzpolitik jetzt die unterstützenden Maßnahmen, die angekündigt und auch beschlossen worden sind, durchsetzen. Durchsetzen heißt letztendlich auch Verlässlichkeit und kein ständiges Hin und Her. Alle Anträge der FDP zur Aushebelung der Mehrwertsteuererhöhung und zu allen anderen Punkten, die ich so sicher erwartet habe wie die Tatsache, dass es im Winter schneit, sind meines Erachtens ziemlich kurzsichtig. Wenn Sie sagen, dass Sie die Erhöhung nicht wollen, dann müssen Sie an dieser Stelle auch sagen, wo Sie die Mehreinnahmen durch die Mehrwertsteuererhöhung, die wir im Bundeshaushalt mit 7 Milliarden Euro verbuchen - dieser Anteil ist allein für den Bund vorgesehen -, stattdessen erzielen wollen. Wenn Sie den Bundeshaushalt zur Grundlage nehmen und berücksichtigen, dass wir im Bereich der öffentlichen Sicherheit nicht sparen wollen, dann wissen Sie, dass Sie die Mittel letztendlich nur noch im Sozialbereich kürzen können. Wir als SPD wollen dies nicht. ({5}) Schauen Sie sich den Sozialhaushalt an! Der Gesamthaushalt hat ein Volumen von 267 Milliarden Euro. Der Sozialetat macht 120 Milliarden Euro aus. Danach folgt die Zinsbelastung mit 38 Milliarden Euro. Der Verteidigungshaushalt hat einen Umfang von 22 bis 24 Milliarden Euro, je nachdem worauf wir uns während der Beratungen einigen. Danach kommt der Verkehrshaushalt. In diesen Bereichen wollen Sie auch nicht sparen. Wenn Sie die Steuermehreinnahmen wirklich nicht wollen, sondern den Staat zurückschneiden wollen, wie Sie das ankündigen, dann müssen Sie auch sagen, dass Sie bei den Renten nicht nur keine Steigerungen, sondern tatsächlich Kürzungen wollen. Um das klar und deutlich zu sagen: Dies findet nicht unsere Zustimmung. ({6}) Es trifft auch nicht auf unsere Zustimmung, wenn Sie das bei den Empfängern von Arbeitslosengeld II versuchen. Um das klar zu sagen: Wir haben dort ein haushalterisches Risiko. Für das Jahr 2007 haben wir 21,4 Milliarden Euro veranschlagt. Ich hoffe, dass dies realistisch ist. Wir werden das im Laufe der Beratungen noch sehen. Ich denke, das ist insbesondere dann realistisch, wenn sich der abzeichnete Konjunkturaufschwung nicht nur für die Empfänger von Arbeitslosengeld I, sondern auch für die Empfänger von Arbeitslosengeld II auswirkt. Dafür ist aber notwendig, dass wir, wie es bei den Hartz-Reformen angedacht war, nicht nur das Fordern, sondern auch das Fördern betonen. Aus diesem Grund haben wir als Koalition heute Morgen die Sperre beim Eingliederungstitel in Höhe von 230 Millionen Euro aufgehoben, damit die Arbeitsagenturen vor Ort Planungssicherheit bis zum Ende des Jahres haben, um entsprechende Maßnahmen zu bezahlen und Menschen wieder in Beschäftigung zu bringen. ({7}) Das geht nur mit beiden Seiten. Ihre Forderung, um 3,5 Milliarden Euro zu kürzen - das wäre eine Halbierung dieses Betrages -, würde dazu führen, dass die Leute überhaupt keine Chancen mehr hätten. Von daher findet das absolut nicht unsere Zustimmung, sondern das stößt auf unsere entschiedene Ablehnung. ({8}) Ich komme zu einem weiteren Punkt, der sich in den Beratungen zu diesem Haushaltsplan niederschlagen Carsten Schneider ({9}) wird. Wir müssen uns die Steuerentwicklung natürlich sehr genau anschauen. Ich möchte aber klar sagen, dass ich für zusätzliche Ausgabewünsche keinerlei Spielraum sehe. ({10}) Ich sage das ganz gezielt auch an die Kabinettskollegen von Finanzminister Steinbrück. Es kann nicht sein, dass der eine oder andere immer fordert, er müsse mehr sparen, mehr tun und dieses oder jenes finanzieren, während er den Finanzminister auf der anderen Seite durch die Hintertür mit Forderungen konfrontiert, was dazu führt, dass es immer mehr Wünsche nach Mehrausgaben gibt. Wir kennen das als Haushälter natürlich. Ich weise dies entschieden zurück. ({11}) Bevor tatsächlich Mehrausgaben gefordert werden, muss klar sein, dass diese sachgerecht sind und sich in den tatsächlichen Begebenheiten widerspiegeln. Ich glaube nicht, dass man die Situation nutzen sollte, die einem die derzeitige politische Diskussion eröffnet. Es geht nicht, die Zahlen immer gleich zu lassen und nur die Begründung ab und zu zu ändern. Ich denke, den Eingeweihten ist bekannt, worum es geht. ({12}) Ich möchte noch zu einem weiteren Punkt kommen, nämlich dem Bund-Länder-Verhältnis. Wir haben nicht nur die Föderalismusreform durch den Bundestag gebracht, sondern wir haben in den nächsten Monaten auch die Föderalismusreform II vor uns. Ich lege Hoffnung in dieses Projekt, auch wenn ich weiß, dass es viele Widerstände geben wird, wenn es hart auf hart kommen und vor allem ums Geld gehen wird. Ich glaube aber, dass es bezüglich der Gesamtrahmenbedingungen, unter denen wir haushaltswirtschaftlich arbeiten - insbesondere bezogen auf die Verschuldungsgrenzen und die Abstimmung im Finanzplanungsrat -, Optimierungsmöglichkeiten gibt. So wie ich die eine oder andere Debatte auch auf der Länderseite sehe, hoffe ich, dass es dort zu einer Einigung kommt. Diese Einigung darf nicht daran scheitern, dass wir uns über solche Sachfragen zerstreiten. Wir müssen insbesondere zu einer stärkeren Koordinierung in der Ausgabenpolitik zwischen dem Bund und den Ländern kommen. Darüber hinaus brauchen wir eine Umsetzung des europäischen Stabilitätspaktes in nationales Recht, wie wir das in einem ersten Schritt bei der Aufteilung der Sanktionszahlungen zwischen Bund und Ländern im Rahmen der Föderalismusreform I bereits getan haben. Ich bin aber ausdrücklich dagegen, dies mit Fragen der Finanz- und Steuerverteilung zu verknüpfen. Eine sachfremde Debatte nach dem Motto „Was bleibt mir am Ende übrig?“ halte ich an dieser Stelle für schädlich, weil sie zu einem Wettbewerbsföderalismus führen würde. ({13}) Ich möchte noch kurz auf die bereits vom Kollegen Poß und vom Kollegen Meister angesprochene Unternehmensteuerreform eingehen. Ich unterstütze die Bundeskanzlerin ausdrücklich und nachhaltig in ihrer Position. Der Auffassung, dass die vorgesehene Reform die internationale Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen erhält und die Steuersätze angepasst werden müssen, habe ich nichts hinzuzufügen. Der Maximalbetrag von 5 Milliarden Euro Entlastung, den sie genannt hat, sollte aber nur ein Mittelwert sein. Ich unterstütze dies nachdrücklich, weil ich der Meinung bin, dass wir es uns nicht leisten können, auf der einen Seite die Vorgaben des Grundgesetzes und des Maastrichtvertrages einzuhalten und die Ausgaben zu deckeln - das unterstütze ich -, aber dann auf der anderen Seite die Einnahmen zu vernachlässigen. Ich finde, es ist eine Verpflichtung der Unternehmen, dass sie hier ihre Steuern zahlen. Jeder Art und Weise - Sie haben die Zinsgeschäfte angesprochen -, die dazu führt, dass hier erwirtschaftetes Geld nicht hier versteuert wird, muss Einhalt geboten werden. ({14}) Ich möchte, an die FDP gerichtet, mit einem Zitat von Bertolt Brecht ({15}) aus der gerade hier in Berlin aufgeführten „Dreigroschenoper“ enden, die ziemlich kritisiert wurde. Ich finde die Inszenierung gut; aber darüber lässt sich streiten. Ich beziehe mich auf die erste Verfilmung der „Dreigroschenoper“ von 1930, in der es heißt: Denn die einen sind im Dunklen und die anderen sind im Licht. Und man siehet die im Lichte, die im Dunklen sieht man nicht. Was meine ich wohl damit? ({16}) Ich meine damit Folgendes: Machen Sie wirklich klar, was Ihre Vorschläge zu den Kürzungen im Sozialbereich bedeuten. Es kann nicht sein, dass Sie sich hier hinstellen und immer wieder den Steuer- und Abgabenstaat geißeln. Auf der anderen Seite tun Sie so, als würden Sie die Menschen mit sozialen Wohltaten beglücken. Das Gegenteil ist der Fall. Sie sind diejenigen, die zur Erosion der Gesellschaft beitragen. Das würde letztendlich dem Wirtschaftsstandort Deutschland schaden. ({17}) Danke sehr. ({18})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Die Linke hat das Wort der Kollege Dr. Dietmar Bartsch. ({0})

Dr. Dietmar Bartsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003034, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Rede des Finanzministers und diese Debatte haben ebenso wie die Worte von Herrn Schneider eindeutig gezeigt, dass der Haushalt 2007 die Agenda 2010 plus Angela Merkel ist. Sie als große Koalition haben einige Monate von der Hoffnung gelebt, dass jenseits machtpolitischer Blockaden die Lösung der großen Probleme des Landes angegangen werden kann. Im Haushalt ist davon nichts, aber auch gar nichts zu spüren. Die Blockaden sind deutlich sichtbar. ({0}) In der Regierungserklärung hat die Bundeskanzlerin erklärt: Wir müssen uns in jeder Generation neu besinnen, was gerecht und was ungerecht ist. Das haben Sie völlig richtig gesagt. Ich will ausnahmsweise noch einmal die Kanzlerin zitieren: Gerecht ist, wenn den Schwachen geholfen wird. Ungerecht ist, wenn sich Starke als Schwache verkleiden und damit die Gemeinschaft ausnutzen. Da haben Sie etwas völlig Richtiges gesagt. Aber Sie handeln ganz anders. Ihre Maßnahmen gehen zulasten der sozial Schwächeren und der wenig Vermögenden. Gerechtigkeit sieht anders aus. Wen treffen Sie denn mit der Kürzung des Sparerfreibetrages? Sie treffen eben diejenigen, denen das Sparen wirklich schwer fällt. Sie nehmen den 15 Millionen Pendlern durch die Kürzung der Pauschale richtig Geld weg. Das ist insbesondere für Ostdeutschland eine katastrophale Entscheidung. Sie nehmen 450 000 jungen Erwachsenen durch die Beschränkung des Kindergeldes bis zum 25. Lebensjahr die finanziellen Mittel für ihren Lebensunterhalt. Im Kern finanzieren Sie Ihre Steuermehreinnahmen aus Einnahmen der einfachen Bürgerinnen und Bürger. Sie nehmen den sozial Schwächeren. Wenn man dazu noch die Erhöhung der Beiträge bei den Krankenkassen und zur Rentenversicherung rechnet, kann man nur sagen: Das sind katastrophale Entscheidungen. In besonderer Weise trifft das aber auf die fatalste Entscheidung zu, die Sie getroffen haben: die Erhöhung der Mehrwertsteuer. Sie weigern sich vor allen Dingen, Herr Steinbrück, neue Erkenntnisse, die nach dieser Entscheidung sichtbar geworden sind, zur Kenntnis zu nehmen. Ich will Sie alle daran erinnern, dass es noch kein Jahr her ist - es war im Wahlkampf im vorigen Jahr -, als Sie, Herr Steinbrück, und die Kolleginnen und Kollegen der SPD die Mehrwertsteuererhöhung gegeißelt haben. „Merkelsteuer, das wird teuer!“ lautete Ihr Slogan. Er war völlig richtig. ({1}) Ich frage mich, ob Ihre heutigen Reden ähnlich glaubwürdig sind. Ist das so oder haben wir jetzt eine andere Situation? ({2}) Sie begründen die Mehrwertsteuererhöhung immer wieder mit den EU-Stabilitätskriterien und dem Haushaltsdefizit. Wir alle wissen aber - Herr Meister hat es vorhin festgestellt -, dass die EU-Stabilitätskriterien in diesem Jahr eingehalten werden. Das hat - das ist völlig richtig - mit dem wirtschaftlichen Aufschwung zu tun. Den bringt aber niemand ernsthaft mit Ihrer Politik in Verbindung. Das ist die Realität. ({3}) Von Ihrer Regierung geht vielmehr Gefahr für den Aufschwung in Deutschland aus. Sie haben die Mehrwertsteuererhöhung damit begründet, dass ein Prozentpunkt davon der Absenkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zugute kommen soll. Sie weigern sich aber, zur Kenntnis zu nehmen, dass der Überschuss der Bundesagentur für Arbeit in diesem Jahr 9 Milliarden Euro beträgt. Ich stimme mit Ihnen überein, dass die Einnahme aus dem 13. Monatsbeitrag nicht angetastet werden sollte. Wie finden Sie aber die Idee, das Vorhaben aus dem erzielten Überschuss statt aus den Einnahmen der Mehrwertsteuererhöhung um einen Prozentpunkt zu finanzieren? Es ist vielleicht nicht völlig abwegig, darüber zu diskutieren. Beweisen Sie Ihre Lernfähigkeit! Tragen Sie der veränderten Realität Rechnung! Sie wissen doch, dass durch die Mehrwertsteuererhöhung die Binnenkaufkraft abgeschöpft und der wirtschaftliche Aufschwung gefährdet wird. Sie haben feststellen müssen, dass die Politik nach dem Motto „Steuersenkung bei Unternehmen schafft Arbeitsplätze“ gescheitert ist, und zwar seit Jahren. Kehren Sie um! Steigern Sie die Binnenkaufkraft und verzichten Sie auf die Erhöhung der Mehrwertsteuer! Verfahren Sie nicht nach dem untauglichen Motto „Wir setzen den einmal als richtig erkannten Weg bis zum Ende fort“! ({4}) Hinzu kommt, dass Sie zur gleichen Zeit über eine Unternehmensteuerreform diskutieren, mit der auf Steuereinnahmen von bis zu 22 Milliarden Euro verzichtet werden soll. Natürlich handelt es sich dabei um Steuergeschenke, Herr Poß. Um was denn sonst? Die Idee stammt von einem SPD-Minister. Da würde sich mancher Sozialdemokrat im Grabe umdrehen. ({5}) Den Unternehmen, den Vermögenden, den Banken und Konzernen geben Sie Steuergeschenke und den Menschen, die ihre Euros mit schwerer Arbeit verdienen müssen, greifen Sie in die Tasche. ({6}) Sie wissen doch, dass Rot-Grün mit der Steuerreform Mindereinnahmen von über 60 Milliarden Euro verursacht hat. Das hat sich für die Konzerne und ihre Shareholder gelohnt. Nicht gelohnt hat es sich für die Menschen; denn gleichzeitig sind viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer entlassen worden. Das kann nicht der Weg sein. Es geht auch anders. Richten Sie den Blick auf andere Länder, ({7}) in denen das Wirtschaftswachstum höher ist und die öffentlichen Haushalte besser dastehen! Warum unternehmen Sie keinen ernsthaften Versuch, die Erbschaftsteuer grundlegend zu reformieren? In den nächsten Jahren werden Billionen vererbt. Warum brauchen wir in Deutschland neue Dynastien, die nichts mit Leistung zu tun haben? Warum sollen die sozialen Unterschiede in unserem Land weiter vererbt werden? Das ist ein großer Fehler. ({8}) Sie haben von Kindern und Enkeln gesprochen, Herr Steinbrück. Auch das gehört dazu. Warum werden einige so privilegiert? Sie verweisen darauf, dass zunächst die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts abzuwarten ist. Es gibt immer Begründungen, abzuwarten. Sie hätten aber schon lange einen Gesetzentwurf vorlegen können, der auch für alle Haushalte 2007 haushaltsrelevant geworden wäre. Warum weigern Sie sich, wieder eine Vermögensteuer einzuführen oder wenigstens darüber zu diskutieren? Es gibt Ministerpräsidenten, die das auch weiterhin für vernünftig halten. Sie haben nicht im Entferntesten den Ansatz beherzigt, dass starke Schultern mehr tragen müssen. Über viele Jahre hinweg gab es eine Umverteilung von unten nach oben. Was wir nun brauchen, ist eine Umverteilung von oben nach unten. ({9}) Wir brauchen eine andere Politik. Denn Sie betreiben eine falsche Politik. Lassen Sie mich - weil Sie immer wieder von Haushaltsrisiken und Ähnlichem sprechen - einen Bereich erwähnen, auf den schon eingegangen worden ist, und zwar den Einzelplan 14, Verteidigung. In diesem Etat spiegeln sich sehr deutlich die Veränderungen in der Außenpolitik wider. Frau Merkel hat gleich nach ihrem Amtsantritt deutlich gemacht, dass sie anders als ihr Vorgänger eine unkritische Verbündete von Präsident Bush sein will. Es gibt keine Distanz zu den Vereinigten Staaten, auch nicht dann, wenn diese auf imperiale Gesten und militärische Abenteuer setzen. Für eine soziale und gerechte Politik ist angeblich nie Geld vorhanden. Aber Ihre Vorgängerregierungen haben in den Jahren 1992 bis 2005 für Zusatzaufgaben aufgrund internationaler Einsätze insgesamt 8,8 Milliarden Euro ausgegeben. Wenn es, wie heute früh, um Auslandseinsätze wie im Kongo geht, dann wird sofort „Hier!“ gerufen. Das sind reale Haushaltsrisiken. Wir alle wissen, dass uns jeder Auslandseinsatz enorm viel Geld kostet. Die Bundesregierung hat sich inzwischen angewöhnt, schon „Hier!“ zu rufen, wenn noch niemand gefragt hat. Das ist eine ganz neue Qualität in Deutschland. ({10}) Der Mut verlässt sie aber immer dann, wenn es um die Hinterfragung bestimmter vertraglicher Regelungen geht. Nehmen wir als Beispiel das Raketensystem zur Panzerabwehr, das über 17 Jahre zu einem Preis von einer halben Milliarde Euro entwickelt wurde. Obwohl sich der Preis pro Rakete um das 15fache erhöht hat, erfüllt das System, von dem die Bundeswehr nach Kritik des Bundesrechnungshofes nicht mehr 30 000, sondern nur noch 1 000 bestellt hat, längst nicht mehr die Anforderungen. Aber den Steuerzahler kostet nun jeder einzelne Schuss 1 Million Euro. Bei 1 000 Schuss sind das 1 Milliarde Euro. Das ist absurd. Ich rate Ihnen, mehr für Konversion auszugeben. Das ist eine richtige Entscheidung. Hier müssen wir mehr tun, gerade dort, wo Standorte geschlossen werden. Das trifft sowohl auf den Osten als auch auf den Westen Deutschlands zu. Entsprechende strukturpolitische Maßnahmen sind notwendig. Deswegen werden wir in den Etatberatungen vorschlagen, im Rahmen des Einzelplans 14 2 Milliarden Euro zu kürzen, aber 600 Millionen Euro für die Konversion einzusetzen. Davon soll auch einiges für zivilen Friedensdienst und Minenräumung aufgewendet werden. ({11}) Wir werden als Linke im Zuge der Haushaltsberatungen konkrete Einsparungen vorschlagen sowie Vorschläge machen, die einen Richtungswechsel in der Politik beinhalten. Nehmen Sie unsere Vorschläge ernst! Meine Damen und Herren von der SPD, lassen Sie insbesondere nicht nur die Vorschläge, die auf weniger Ausgaben abzielen, an sich heran, sondern auch diejenigen, die zu Mehreinnahmen führen! Mehr soziale Gerechtigkeit ist möglich. Der vorliegende Haushaltsentwurf zeigt, dass Deutschland seine Möglichkeiten nicht ausschöpft. Einer Regierung, die große Unternehmen, Banken und Konzerne entlastet und es dafür bei den kleinen Leuten nimmt, fehlt der Mut, für die Mehrzahl der Menschen in diesem Lande zu entscheiden, ({12}) genauso wie die Menschlichkeit, zugunsten der Schwächeren in diesem Land bessere Lösungen zu finden. Wir haben über viele Jahre Erfahrungen mit großen Koalitionen und ihrer Haushaltspolitik gemacht. Schauen Sie nach Berlin! Ich nenne nur den Bankenskandal als Beispiel. Heute muss eine rot-rote Regierung das beiseite räumen, was dort angerichtet wurde. In Mecklenburg-Vorpommern hat die große Koalition, die bis 1998 regierte, das Land in eine völlig inakzeptable Verschuldung gebracht. Auch dort muss nun eine rotrote Regierung aufräumen. Sorgen Sie dafür, dass das auf Bundesebene nicht passiert! Danke schön. ({13})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Anna Lührmann für die Fraktion der Grünen.

Dr. Anna Lührmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003585, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kollege Kampeter - schade, er ist gar nicht da; dann müssen Sie ihm ausrichten, was ich ihm zu sagen habe - und lieber Herr Steinbrück, ich fand, die Diskussion und die offensichtlichen Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Koalition über die Frage, was man nun mit den wegen der besseren Konjunktur sprudelnden Steuereinnahmen machen soll, waren sehr interessant zu beobachten. Sie sprachen verniedlichend von einem zu verwendenden Löwenanteil. Ich möchte Sie noch einmal an den Ernst der Lage erinnern. Herr Steinbrück, im Haushaltsjahr 2006 haben Sie eine Nettokreditaufnahme in Höhe von 38,5 Milliarden Euro vorgesehen und dies mit einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts begründet. Deshalb sollte es selbstverständlich sein, dass jetzt, wo die Konjunktur einigermaßen gut läuft und das Wachstum in diesem Jahr sehr wahrscheinlich bei 2 Prozent liegt, die Steuermehreinnahmen komplett zur Reduzierung der Nettokreditaufnahme verwendet werden. Alles andere wäre unverantwortlich. ({0}) Wir reden nicht über einen einigermaßen ausgeglichenen Haushalt und sprudelnde Quellen oder Manna, das vom Himmel fällt, sondern über einen Haushalt, der unter dem Vorzeichen einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts aufgestellt wurde. Herr Steinbrück, bei einem Wirtschaftswachstum in Höhe von 2 Prozent können Sie nicht mehr von einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts sprechen. Ich finde, Ihre Verantwortung gegenüber künftigen Generationen besteht darin, nun dafür zu sorgen, dass die Steuermehreinnahmen komplett für die Sanierung des Haushalts und die Senkung der Nettokreditaufnahme verwendet werden. ({1}) Ich möchte Sie fragen: Wann ist es denn an der Zeit, wenn nicht jetzt in diesem konjunkturellen Umfeld, zu sparen und mit der Konsolidierung zu beginnen? Ich kann mich gut an die Debatten der letzten Jahre erinnern, als immer wieder gesagt worden ist, die wirtschaftliche Lage sei so schlecht und deshalb könne nicht gespart werden. Jetzt aber ist der Zeitpunkt gekommen, wo man auf die Konjunktur hoffen kann und wo man mit Blick auf 2007 mehr Einsparanstrengungen unternehmen sollte, als Sie tatsächlich machen. Wenn man sich den Haushalt 2007 anschaut, dann sieht er auf dem Papier auf den ersten Blick schön aus. Wenn man ihn aber genau anschaut, dann stellt man fest, dass Sie eine Senkung der Nettokreditaufnahme von 16 Milliarden Euro für 2007 vorschlagen. ({2}) Dem stehen über 20 Milliarden Euro Steuermehreinnahmen gegenüber. Hinzu kommen Privatisierungserlöse von 2,64 Milliarden Euro. Das heißt, dass Sie die Einnahmeseite in viel stärkerem Maße verbessern, als Sie die Nettokreditaufnahme senken. ({3}) Das heißt unter dem Strich, dass Sie keine Konsolidierungsanstrengungen unternehmen und keine Ausgaben kürzen, obwohl wir uns in einer wirtschaftlichen Lage befinden, angesichts der selbst Keynes gesagt hätte, dass man jetzt den Schuldenberg abbauen muss. Das fordere ich von Ihnen im Rahmen der Haushaltsberatungen ein. Wir Grüne werden dazu konkrete Anträge stellen. Wir sind gespannt, ob Sie am Ende der Haushaltsberatungen immer noch sagen, Sie hätten für all diejenigen offene Ohren, die Konsolidierungsanstrengungen unternehmen. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Georg Fahrenschon für die Unionsfraktion. ({0})

Georg Fahrenschon (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003524, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eines steht fest: Mit diesem Haushalt, der angesichts der Übergabeprobleme des Jahres 2005/2006 quasi der erste Haushalt ist, den die unionsgeführte Bundesregierung in eigener Verantwortung auflegt, erreichen wir etwas, was Rot-Grün in den gesamten letzten Jahren nicht geschafft hat. ({0}) Wir erreichen die Umkehr von stetig steigenden Schulden hin zu einer verantwortungsvollen europa- und verfassungskonformen Haushaltspolitik. Bei allen unterschiedlichen Einschätzungen ist doch eines unstrittig: Die zwei wesentlichen Eckpfeiler der Finanzpolitik, die Regelgrenze des Art. 115 des Grundgesetzes und das Maastrichtkriterium, werden erstmals seit dem Jahr 2001 mit diesem Haushalt eingehalten. Daran können Sie nichts ändern. ({1}) Das ist nicht nur ein wichtiges Signal an Brüssel für die europäische Stabilitätskultur, es ist auch ein wichtiges Signal an die Bürgerinnen und Bürger im Land; ({2}) denn binnen Jahresfrist nach Amtsantritt einer unionsgeführten Bundesregierung erfüllen wir wieder das, was Rot-Grün in mehreren Jahren nicht gelungen ist. Es gilt also: Wenn die Union in der Verantwortung steht, werden die Regeln nicht gebrochen, sondern sie werden wieder eingehalten. ({3}) Dass diese Erfolge keine Eintagsfliegen sind, sondern im Verlauf der Legislaturperiode konsequent fortgesetzt werden, zeigt auch der Finanzplan auf. In den Folgejahren ist ein stetiger Abbau des Staatsdefizits in Schritten von einem halben Prozent vorgesehen. Damit rückt die CDU/CSU wieder das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts in den Mittelpunkt. Wir werden daran weiter arbeiten. An der Erreichung dieses Ziels lassen wir uns nach Abschluss dieser Legislaturperiode messen. ({4}) Vor allem im Hinblick auf die wichtige Frage der Generationengerechtigkeit werden wir sparen, reformieren und investieren; denn mittelfristig eröffnet nur ein ausgeglichener Haushalt ohne neue Schulden den kommenden Generationen die Möglichkeiten, in ihrer Zeit Politik zu gestalten und nicht nur Zins und Tilgung der Vorgängerregierung abzuzahlen. ({5}) Doch diese positive Entwicklung darf den Blick nicht dafür verstellen, dass wir beim aktuellen Bundeshaushalt nach wie vor vor schwierigen Herausforderungen stehen. Auch wenn das Konsolidierungspaket der großen Koalition im Bundeshaushalt 2007 bereits seine ersten Wirkungen zeigt, ist und bleibt der Bundeshaushalt ein Sanierungsfall, ({6}) in dem für politische Gestaltung weiterhin zu wenig finanzieller Spielraum besteht. Wir dürfen nicht vergessen: Allein mit den vier Ausgabepositionen Rentenzuschuss, Zins und Tilgung, Personal und Arbeitsmarktpolitik sind bereits knapp drei Viertel des gesamten Volumens des Bundeshaushalts fest gebunden. Vor diesem Hintergrund muss einem klar werden: Die Sanierung der Staatsfinanzen ist nach wie vor Topthema auf der Agenda der Finanz- und Haushaltspolitik. ({7}) An dieser Stelle muss man ausdrücklich auch all denen widersprechen, die in diversen Interviews und Reden immer wieder betonen, der Bund habe zu wenig Einnahmen. Das ist unserer Auffassung nach nicht der Fall. ({8}) Bei einer Einnahmesteigerung bis zum Jahr 2009 von satten 15 Prozent haben wir kein Einnahmeproblem. Wir haben ein Ausgabeproblem und daran müssen wir uns messen lassen. An dieser Stelle müssen wir etwas ändern. ({9}) Deshalb werden wir im Zuge der Haushaltsberatungen alle Ausgabenpositionen kritisch prüfen. ({10}) Insbesondere im Bereich der Personalausgaben werden wir weiterhin genau hinschauen ({11}) und vor allem nach Effizienzsteigerungen suchen. Ich nenne beispielhaft: Bei 52 nachgeordneten Bundesoberbehörden und 24 Bundesanstalten muss etwas zu finden sein, sodass wir die Situation des Bundeshaushalts auch auf der Ausgabeposition noch einmal verbessern. ({12}) Die große Koalition setzt in der laufenden Sanierung allerdings auch weiterhin erkennbar politische Akzente. Die doppelte Tonlage von Konsolidierung einerseits und Wachstum andererseits wird uns auch im Hinblick auf den Bundeshaushalt 2007 beschäftigen und leiten; denn Konsolidierung und Wachstum bedingen einander. Zu sagen, wir würden dem Wachstum durch Einsparungen entgegenwirken, ist eine Mär. Wir legen mit soliden Staatsfinanzen die Grundlage für Wachstum und Zukunft. ({13}) Wir sollten uns auch davor hüten, die Grenzen zwischen der Haushaltspolitik und der Finanzpolitik einerseits und der Kompetenz für die Geldpolitik andererseits überspringen zu wollen. Wir sollten unsere Aufgabe lösen. Wir sollten die Notenbanker sowohl in der Bundesbank als auch in der Europäischen Zentralbank ihren Aufgaben nachgehen lassen. ({14}) Neben dem Sparen ist es allerdings auch wichtig, dass wir politische Impulse geben. ({15}) Deshalb müssen wir die positive wirtschaftliche Entwicklung auch über konkrete Maßnahmen mit den richtigen Impulsen unterstützen. Ich möchte zwei Impulsprojekte nennen. Erstens. Für den deutschen Mittelstand brauchen wir eine rasche Neuregelung der betrieblichen Erbschaftsteuer. Allein in Bayern stehen in den nächsten fünf Jahren mehr als 60 000 Unternehmen zur Übergabe an. Deshalb ist es dringend notwendig, dass das Stundungsmodell, auf das wir uns im Koalitionsvertrag geeinigt haben, auch wirklich zum 1. Januar 2007 in Kraft tritt. Nur das schafft Sicherheit für Investitionen und für Arbeitsplätze. Nur dieses Datum zeigt auch, dass die Sicherheit bezogen auf Grundgesetzkonformität und den Europäischen Stabilitätspakt in konkreter Politik fortbesteht. ({16}) Die Menschen müssen darauf vertrauen können, dass wir zu unserem Wort und zu unserer Programmatik stehen. Zweitens. Ein ganz anderer, aber für den Finanzmarkt Deutschland ebenso wichtiger Bereich ist die Einführung von REITs. Das ist ein zentraler Punkt, den wir abarbeiten müssen. ({17}) Weltweit gibt es mittlerweile in rund 20 Staaten solche Konstruktionen, darunter in den Beneluxstaaten und in Frankreich. Die Einführung britischer REITs wird noch in diesem Jahr erfolgen. Damit müssen wir zur Kenntnis nehmen: Dieses Finanzmarktinstrument hat sich zu einem internationalen Standardprodukt für die indirekte Immobilienanlage entwickelt. Der Finanzplatz Deutschland kann es sich einfach nicht leisten, auf dieses Instrument zu verzichten. ({18}) Lieber Herr Finanzminister, es kann daher nicht sein, dass der Gesetzentwurf quasi fertig in den Schubladen des Finanzministeriums liegt und Staub ansetzt, nur weil wir weiterhin auf eine kleine Gruppe ständiger Bedenkenträger Rücksicht nehmen. ({19}) Ich will schon die Gelegenheit nutzen, Folgendes zu sagen: Ich glaube, dass die Einführung von REITs die Nagelprobe für die Finanzmarktpolitik der großen Koalition ist. Ich fordere Sie auf: Bringen Sie diesen Gesetzentwurf ein! Lassen Sie uns die parlamentarische Diskussion über dieses Instrument starten und verzögern Sie die Debatte nicht! ({20}) Bezogen auf den Haushalt treibt die Union eine politische Überzeugung und, wenn Sie so wollen, auch eine moralische Verantwortung an. ({21}) Insbesondere unter Berücksichtigung des Gebots der Nachhaltigkeit darf die heutige Generation nicht dauerhaft mehr verbrauchen, als sie leistet. Gegenwartskonsum oder Zukunftsinvestitionen, das ist die entscheidende Frage. Für uns, für die CDU/CSU, ist die Antwort klar: Wir wollen die Gegenwartsinteressen nicht länger höher bewerten als die Zukunftsinteressen. Wir haben im ersten Jahr der Regierungsverantwortung die Aufgabe angepackt und einen beachtlichen Teil erreicht. Die Nettokreditaufnahme wird dauerhaft unter die Regelgrenze der Verfassung gedrückt. Das Maastrichtkriterium wird deutlich und im Zeitablauf zunehmend unterschritten. Die gute Nachricht lautet deshalb: Mit dem Haushalt 2007 schaffen wir die Abkehr von einer Politik der überbordenden Verschuldung. Die Spielräume bleiben jedoch weiterhin äußerst eng, sodass der Konsolidierungsdruck hoch bleibt. Für die CDU/CSU ist allerdings auch klar: Für einen echten Schuldenabbau müssen neue Schulden ganz vermieden werden. ({22}) Das heißt, wir brauchen ausgeglichene Haushalte bzw. wir müssen in den Haushalten Überschüsse erzielen, um die Staatsverschuldung abzubauen. ({23}) Dieser Schritt ist weitaus schwieriger. Doch die CDU/ CSU wird ihn gehen. Wir lassen uns an dieser Herausforderung messen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({24})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion hat die Kollegin Ulrike Flach das Wort. ({0})

Ulrike Flach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003119, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer dem Finanzminister oder auch dem Kollegen Kampeter zugehört hat, hat den Eindruck gewonnen: Wir haben es hier mit einem Haushalt zu tun, mit dem man auf dem richtigen Weg ist, der solide und konzis durchorganisiert ist. ({0}) Es wird Sie nicht weiter erstaunen, dass die FDP genau an dieser Stelle diametral anderer Meinung ist als Sie. ({1}) Uns liegt hiermit eine Kopie früherer verfassungswidriger Haushalt von Rot-Grün vor; der einzige Unterschied ist, dass Sie an der Stelle, wo Sie sagen, der Haushalt sei jetzt plötzlich verfassungsgemäß, schonungslos beim Bürger abkassieren, und zwar in einem Maße, wie wir es in der Vergangenheit noch nie erlebt haben. ({2}) Herr Poß, für jemanden, der die Diskussionen vor ein paar Jahren miterlebt hat, ist es schon ein bisschen merkwürdig, festzustellen, mit welcher Leidenschaft Sie sonst eigentlich immer das Gegenteil von dem erzählt haben, was Sie gerade gesagt haben. ({3}) Offensichtlich - um an das anzuknüpfen, was wir eben schon hatten - prägt das Sein das Dasein. Herr Poß, Sie haben heute genau das Gegenteil von dem geäußert, was Sie vor einem Jahr gesagt haben. Damals haben Sie entschieden dagegen gesprochen, einen Haushalt über die Einnahmeseite zu sanieren. Heute sind Sie auf der Seite der CDU/CSU. Das erstaunt uns. Ich denke nicht, dass die Bürger Ihnen das positiv quittieren. ({4}) Dieser Haushalt atmet die Mutlosigkeit einer großen Koalition. Sie konsolidieren über die Einnahmeseite. Herr Steinbrück, schon zum zweiten Mal - Sie sind nun zum zweiten Mal dabei - machen Sie den Fehler, die Ausgabenseite bei der Konsolidierung zum größten Teil außen vor zu lassen. Meine Damen und Herren, Sie haben obendrein Risiken im Haushalt. Ich bin froh darüber, dass Herr Fahrenschon das eben so deutlich gesagt hat. Diese Risiken betreffen nicht nur den Zinsbereich, den Sie, Herr Poß, eben angeführt haben, sondern natürlich vor allem den Arbeitsmarktbereich. Das bleibt trotz der Belebung so. Im letzten Jahr musste der Bund 3,6 Milliarden Euro für Unterkunft und Heizung von Hartz-IV-Empfängern an die Kommunen zahlen. Für 2007 setzen Sie nur 2 Milliarden Euro an, Herr Steinbrück. Die Kommunen selbst rechnen mit 5,5 Milliarden Euro. Da frage ich mich wirklich, inwiefern hier eine solide Haushaltsführung erfolgt, wie Sie sie uns eigentlich in jedem Satz vorzumachen versuchen. ({5}) Sie selbst haben gesagt: Konsolidierung kann man nur in Zeiten betreiben, in denen sich die Konjunktur verbessert, nicht in der Krise. Konsolidierung - das ist die Meinung der FDP - darf aber nicht nur auf der Einnahmeseite, sondern muss auch auf der Ausgabenseite stattfinden. Ich sage noch einmal das, was Kollege Koppelin eben dargelegt hat. Die Ausgaben in Ihrem Haushalt steigen von 261,6 auf 267,6 Milliarden Euro. Das ist ein Plus von 2,3 Prozent. ({6}) Das ist genau das Gegenteil von dem, was Sie in Ihrer Rede darzulegen versucht haben. In der mittelfristigen Finanzplanung setzt sich diese finanzielle Fehlentwicklung noch fort. Es besteht ein eklatantes Missverhältnis zwischen Schuldenrückgang und Steuereinnahmen. Frau Kollegin Hajduk hat eben zu Recht darauf hingewiesen. Im Zeitraum von 2007 bis 2010 soll die Neuverschuldung nur um 1,5 Milliarden Euro sinken, nämlich von 22 auf 20,5 Milliarden Euro, aber nicht darunter, wie Sie, Herr Kampeter, uns das eben weiszumachen versucht haben. ({7}) Die Steuereinnahmen steigen aber um 16,6 Milliarden Euro. Das ist doch ein Ungleichgewicht! ({8}) Das Ziel eines ausgeglichenen Haushaltes hat die Bundesregierung vollends aus den Augen verloren. Die Schuldenlast, die unsere Kinder und Enkel zu tragen haben, steigt weiter an. Der Investitionsverfall findet in der mittelfristigen Finanzplanung seine Fortsetzung. Die Investitionsquote sinkt, Herr Steinbrück, und zwar von 8,8 Prozent auf 8,4 Prozent im Jahre 2010. Sie haben eben nicht die Chance genutzt, drastische Einsparungen vorzunehmen, wie Herr Kampeter sie eigentlich jeden Tag über die Medien von Ihnen fordert. Ich bin erstaunt, Herr Kampeter, wie wenig Sie sich in den Klausurtagungen der letzten Tage durchgesetzt haben. Er hat doch eben erklärt, er sei offen für positive Vorschläge. Aber Sie fordern gestern wiederum Einsparungen von rund 7 Milliarden Euro. ({9}) Sie können sicher sein: Die Haushälter der FDP werden Sie in den nächsten Wochen jeden Tag daran erinnern. ({10}) Herr Schneider hält die Rückführung der Nettokreditaufnahme für nicht ambitioniert genug. Jetzt ist er gerade nicht mehr da; deswegen können wir ihn nicht noch einmal fragen. ({11}) Er hat uns aber gesagt, wenn die Wirtschaft wächst und die Steuereinnahmen steigen, dann muss der Staat bei seinen Ausgaben sparen und weniger Kredite aufnehmen. Der Präsident des Bundes der Steuerzahler hat Ihnen vorgerechnet, ({12}) dass es bei der von Ihnen geplanten Rückführung der Nettokreditaufnahme von 500 Millionen Euro per annum erst im Jahre 2050 einen Bundeshaushalt ohne Neuverschuldung gäbe. Liebe Damen und Herren, selbst Frau Lührmann wird dann nicht mehr in diesem Bundestag sitzen. Ich denke, das ist weder konzis noch solide, Herr Steinbrück. Wir fordern von Ihnen, dass Sie an dieser Stelle nachsteuern, wie Sie es uns noch vor Jahren mit Herrn Koch vorgemacht haben. Wo ist denn das wirklich ambitionierte Subventionssparprogramm, das Sie uns damals vorgelegt haben? Das erkennen wir weder im Haushalt 2006 noch im Haushalt 2007. ({13}) Die Höhe der Subventionen beträgt laut Bericht des Kieler Institutes 145 Milliarden Euro und genau um die geht es. Genau um die werden wir in den nächsten Tagen kämpfen. ({14}) - Wir sind die Schutzengel derjenigen, die diese Subventionen nicht wollen, Herr Poß. ({15}) Sie werden es jeden Tag erleben: Wir werden Ihnen, angefangen bei Kollegen Glos bis hin zu Kollegen Gabriel, vorrechnen, an welcher Stelle diese Subventionen zu kürzen sind, und damit sicherlich auch die Frage beantworten, wo die Milliarden herkommen, die die FDP zur Sanierung des Haushaltes braucht. Herzlichen Dank. ({16})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Bernhard Brinkmann für die SPD-Fraktion.

Bernhard Brinkmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003057, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man nach der Einbringung des Bundeshaushalts 2007 ziemlich zum Schluss der Debatte an die Reihe kommt, dann hat man es einerseits etwas leichter, andererseits aber auch etwas schwerer, weil die Zeit vielleicht nicht ausreicht, um das richtigzustellen, was an der einen oder anderen Ecke ganz einfach falsch oder auch etwas nebulös dargestellt worden ist. Meine Damen und Herren, der Dreiklang Konsolidierung, strukturelle Reformen und ({0}) Investitionen wird unverändert fortgeführt, Herr Kollege Koppelin. Wir setzen damit auch unsere Bemühungen fort, den Staatshaushalt zu konsolidieren. Ich will etwas zu den Anmerkungen und Hinweisen zum Schuldenmachen sagen. Da sollten wir uns alle ein wenig zurücknehmen. Wir waren alle dabei, als es darum ging, Ausgaben, die nicht durch Einnahmen gedeckt werden konnten, durch entsprechende Nettokreditaufnahmen auszugleichen. Die Freien Demokraten waren, glaube ich, am längsten dabei, wenn es darum ging, auf diese Weise zum Ausgleich des Haushaltes beizutragen. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Rahmenbedingungen sind in den letzten Monaten besser geworden. Das scheint dem einen oder anderen nicht zu gefallen. Wer sich an die Ausführungen bei der Verabschiedung des Haushaltes 2006 erinnert, weiß, dass damals an der einen oder anderen Stelle von der Opposition etwas geäußert worden ist, was Gott sei Dank nicht eingetreten ist. Ich will aber auch nicht verhehlen, dass trotz dieser verbesserten Rahmenbedingungen die Haushaltslage nach wie vor sehr ernst ist. Wir können gegenüber dem Jahr 2006 zwar eine Reduzierung der Nettokreditaufnahme vorweisen; sie beträgt aber immer noch 22 Milliarden Euro. Mit dieser Nettokreditaufnahme werden allerdings die Ziele erreicht, die sich der Finanzminister schon im Haushalt 2006 vorgenommen hat. Wir werden also bei den Investitionen erstmals wieder oberhalb der Nettokreditaufnahme liegen und werden auch die Maastrichtkriterien einhalten. Wenn die FDP immer davon spricht - manchmal vielleicht auch wider besseres Wissen -, auf der Ausgabenseite alles auf den Prüfstand zu stellen, dann, glaube ich, weiß sie auch, dass es dort nur sehr eingegrenzte Möglichkeiten gibt. Selbst wenn Ihre Sparvorschläge in der Größenordnung von 8 Milliarden Euro, für die ja dann auch in bestehende Verträge und rechtskräftige Bescheide eingegriffen werden müsste, im Haushalt 2007 berücksichtigt werden könnten, läge das Defizit immer noch in einer Größenordnung, die uns letztendlich dazu veranlassen würde, weitere Schritte zu unternehmen, die sich auf der Einnahmeseite in 2006 und 2007 positiv auswirken. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, es sollte eine gemeinsame Aufgabe dieses Hauses sein, in den nächsten Jahren darauf hinzuwirken, dass die Nettokreditaufnahme sinkt und dass wir zu einem ausgeglichenen Haushalt kommen. Das ist natürlich nicht von uns allein zu schaffen. Vielmehr ist das auch von vielen Einwirkungen, die von außen auf uns zukommen können, abhängig. Ich will an die Steigerung bei den Energiepreisen und auch an die unsichere Lage im Nahen Osten, die letztendlich Auswirkungen auf die Weltwirtschaft haben könnte, erinnern. Das schlägt dann auch auf uns zurück. Ich möchte einen Vorschlag machen, dessen wir uns in den nächsten Wochen und Monaten im Rechnungsprüfungsausschuss durchaus ohne Vorurteile annehmen Bernhard Brinkmann ({2}) sollten. Es gibt in der Schweiz ein Modell, das über eine Regelung, die mit dem Art. 115 in unserer Verfassung vergleichbar ist, die Neuverschuldung und die weitere Aufnahme von Krediten eingrenzt. Man kann das natürlich nicht eins zu eins umsetzen, weil wir ja nicht die Schweiz sind und weil von der Schweiz bestimmte Sonderlasten - etwa wenn es um die Kosten der deutschen Einheit geht - nicht zu tragen sind. Am Donnerstag soll ohne Debatte die Entlastung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 2004 beschlossen werden. Der Rechnungsprüfungsausschuss hat in acht Sitzungen ausführlich über den Haushaltsvollzug 2004 und die dazu ergangenen Bemerkungen 2005 des Bundesrechnungshofes beraten. Wie die Berichte in den Vorjahren zeigen auch die Bemerkungen 2005, dass betriebswirtschaftliches Denken und Handeln immer noch nicht flächendeckend das exekutive Handeln bestimmt. Nach den Berechnungen des Bundesrechnungshofes belaufen sich die einmaligen Ausgabeminderungen und Einnahmesteigerungen, die in den 87 Bemerkungen beschrieben werden, auf mehrere Milliarden Euro. Wegen der nur ausschnittsweisen Prüfung des Haushaltes müssen wir davon ausgehen, dass die tatsächlichen Spar- und Einnahmemöglichkeiten im Bund und sicherlich auch in den Ländern noch um einiges höher sein dürften. Ein fachlicher Schwerpunkt des Bundesrechnungshofes in den Bemerkungen 2005 war mit Blick auf die Verhandlungen in der gemeinsamen Kommission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung die Aufgaben- und Finanzverteilung zwischen Bund und Ländern. Der Hof kritisierte die Vielzahl von Verantwortlichkeiten, die unklaren Aufgabenverteilungen, die komplizierten Entscheidungen und den Ressourcenverbrauch. Mit der von Bundestag und Bundesrat beschlossenen, letzte Woche in Kraft getretenen Föderalismusreform ist die dringend notwendige Entflechtung der Bund-Länder-Beziehungen in Angriff genommen worden. Es muss jetzt auch die zweite Stufe, die Reform der Finanzbeziehungen, zügig folgen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Prüfungen des Bundesrechnungshofes zeigen, dass es zu Fehlern quer durch alle Ministerien gekommen ist, es aber keine Konzentration von Defiziten, Nachlässigkeiten und fehlender Personalaufsicht und -führung in einzelnen Häusern gibt. Wichtig ist mir auch, festzuhalten, dass die Fehlerbeschreibungen des Hofes nicht verallgemeinert und auf die gesamte Verwaltung übertragen werden dürfen. Die Bundesverwaltung arbeitet insgesamt, im internationalen Vergleich und nach Einschätzung des Bundesrechnungshofes, durchaus gut. Wie in der Vergangenheit konnten über weite Bereiche einvernehmliche Beschlüsse gefasst werden - dafür bin ich sehr dankbar -, denen immer ausgiebige und durchaus sehr kritische Beratungen der jeweiligen Berichterstatter mit den Ministerien und dem Bundesrechnungshof vorausgingen. Ich bin davon überzeugt, dass wir mit Ihnen sachgerechte Antworten gefunden haben. Ich würde mich daher sehr freuen, wenn die Entlastung am Donnerstag hier in diesem Hause einstimmig erfolgte. Lassen Sie mich zum Schluss zum Bundeshaushalt 2007 Folgendes sagen: Wie bei der Beratung des Bundeshaushaltes 2006 erwarten wir natürlich in den kommenden Wochen und Monaten Vorschläge, die sich auf den Bundeshaushalt 2007 auswirken, allerdings keine Vorschläge, die dann vielleicht wieder in einem dicken Buch der Freien Demokraten als nicht darstellbare Einsparvorschläge landen werden. In diesem Sinne herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Wir beraten den Haushalt in den nächsten Wochen und Monaten, wie ich es hier dargestellt habe. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Unionsfraktion hat der Kollege Fromme das Wort.

Jochen Konrad Fromme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003126, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten über einen Haushalt, der auch anders aussehen könnte; das würden wir uns wünschen. Aber er ist den Realitäten angepasst. Lieber Kollege Koppelin, wenn Sie keine Linie erkennen können, dann sollten Sie sich einmal eine neue Brille zulegen. Dann werden Sie vielleicht eher erkennen, was wir wollen. ({0}) Sie trommeln immer wieder auf der Mehrwertsteuerfrage herum. ({1}) Wahr ist doch, dass Sie vor der Wahl, als Sie noch glaubten, mit uns eine Regierung bilden zu können, gesagt haben, an der Mehrwertsteuererhöhung, die wir angekündigt hatten, würde eine Koalition nicht scheitern. ({2}) - Sie sollten die Wahrheit zur Kenntnis nehmen. Die Wirkung der Mehrwertsteuererhöhung ist in der Wissenschaft sehr unterschiedlich beurteilt worden. Wir sehen doch heute, wie die Realitäten sind. Es geht um die Stimmung. Wirtschaft, wirtschaftliche Entwicklung hat etwas mit Stimmung zu tun. Der private Konsum - das ist das, woran es in unserer Volkswirtschaft jahrelang gemangelt hat - steigt. ({3}) Entgegen allen Unkenrufen steigt er. Wir haben es geschafft - das ist doch klar -, die Abwärtsspirale umzudrehen. Der Trend zu immer weniger Arbeitsplätzen, immer weniger sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, immer mehr Arbeitslosen, immer weniger Einnahmen aus Steuern und Sozialabgaben und immer höheren Ausgaben für die Sozialsysteme ist umgedreht worden. Es geht aufwärts. Wir wissen: Nichts ist so gut, dass es nicht besser sein kann. Aber man muss doch erst einmal über das reden, was man erreicht hat. Wir haben fünf Jahre lang wie das Kaninchen auf die Schlange gestarrt, wenn die Arbeitsmarktdaten veröffentlicht wurden. Jetzt sind sie positiv - plus 130 000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, fast 500 000 weniger Arbeitslose - und kein Mensch redet darüber. Wenn wir über das Gute nicht auch reden, dann brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn sich die Stimmung nicht verbessert. Das ist doch das Geheimnis. ({4}) Deswegen müssen wir hier vorwärts gehen. Frau Kollegin Hajduk, Sie haben sich in Polemik gegen den Finanzminister erschöpft. Das heißt, Sie haben keine Vorschläge; sonst hätten Sie etwas Inhaltliches gesagt, statt nur über Personen zu reden. Sie sollten einmal anerkennen, dass es bei der Bundesagentur Erfolge gibt. Natürlich ist ein Drittel der Überschüsse auf die 13. Zahlung der Sozialbeiträge zurückzuführen. Aber ein Drittel der Ersparnisse beruhen darauf, dass uns Effizienzsteigerungen gelungen sind. ({5}) Ein Drittel beruht darauf, dass wir den Maßnahmenkatalog verändert haben. Ich sage Ihnen: Wenn es eine dauerhafte Entlastung gibt, dann werden wir dafür sorgen, dass diese dauerhafte Entlastung zu Beitragssenkungen führt. Das ist das Geld der Beitragszahler. Deswegen muss es in einem geschlossenen Kreislauf bleiben. All das, was da möglich ist, werden wir tun. Wir müssen uns natürlich nur anschauen, ob die Entlastung auch wirklich dauerhaft ist. ({6}) Wenn es nach dem gegangen wäre, was Sie während Ihrer Regierungsverantwortung geplant haben, wären wir schon längst bei einer Nettoneuverschuldung von null. Nur, solche Ansagen auf Papier nützen uns nichts. Wir betrachten die Dinge realistisch und versuchen, in kleinen Schritten zumindest das zu erreichen, dem Sie immer hinterhergerannt sind. Dass die PDS unsere Leitlinien nicht versteht, dass sie überhaupt nicht begriffen hat, dass all das, was wir machen, dazu dient, das Hauptproblem zu lösen, nämlich für mehr Arbeitsplätze zu sorgen, ist klar. ({7}) Es tut mir Leid: Sie haben offensichtlich aus den Erfahrungen mit der Staatswirtschaft überhaupt nichts gelernt. Da Sie sich gegen alles wenden und sagen: „Nichts darf privatisiert, nichts darf verändert werden“, frage ich mich schon, welche Erfahrungen uns nach dem Krieg die ersten 40 Jahre im östlichen Teil unseres Vaterlandes beschert haben. Das wollen wir einmal wirklich deutlich machen. Wir haben einen Paradigmenwechsel in der Haushaltspolitik herbeigeführt. Ich nenne nur ein einziges Beispiel, den Primärsaldo. Kein Mensch nimmt davon Kenntnis, dass wir erstmals seit Jahren weniger ausgeben, als wir einnehmen. Das ist nicht das Ziel, das wir erreichen möchten, aber es ist ein wichtiger Zwischenschritt. ({8}) - Das liegt daran, dass wir das Klima für das Wirtschaften verbessert haben. ({9}) - Ich komme auf das Sparen gleich noch zurück; keine Angst. Primärsaldo heißt ja, dass man unter Absehen von der Vergangenheit schaut: Gebe ich in diesem Jahr mehr aus oder gebe ich weniger aus? Auch für den Staat gilt der alte Grundsatz: Niemand kann auf Dauer mehr ausgeben, als er einnimmt. Also muss man dieses Ziel erreichen. In diesem Jahr haben wir erstmals seit Jahren, wie gesagt, einen positiven Primärsaldo. Diesen Saldo haben wir in diesem Haushalt im Vergleich zum letzten um 15 Milliarden Euro verbessert. Im zweiten Schritt muss man dazu kommen, dass man den Primärüberschuss so weit erhöht, dass man die aus der Vergangenheit stammenden Zinslasten tragen kann, und im dritten Schritt muss man den Primärüberschuss so weit entwickeln, dass man die Schulden zurückzahlen kann. Auf diesem Weg haben wir die Wende geschafft und einen ersten Schritt getan. Darauf kommt es an. Ferner kommt es darauf an, dass wir zwei Dinge gleichzeitig tun: den Haushalt sanieren, weil nur geordnete öffentliche Finanzen den Hintergrund für eine vernünftige wirtschaftliche Entwicklung abgeben, und die Konsumkraft fördern. Wenn die „Financial Times“ von „Merkels Aufschwung“ spricht, dann zeigt das ganz eindeutig: Es ist auch eine Frage der Politik und der Stimmung. Wir lassen uns von unserer Ansicht nicht abbringen, dass in dieser Hinsicht etwas geschehen ist. ({10}) Natürlich dürfen wir in unseren Anstrengungen überhaupt nicht nachlassen. Dies sage ich insbesondere auch an die Adresse der Fachkollegen, denen ja immer viel einfällt, wenn die Haushaltslage etwas besser wird. Wir müssen weiter sparen. In dieser Frage haben wir - das will ich gar nicht verhehlen - in der Koalition unterschiedliche Grundauffassungen. Der Finanzminister redet ständig davon, dass wir ein Einnahmeproblem haben; ich dagegen sage: Wir haben ein Ausgabeproblem. ({11}) Da müssen wir ansetzen und da wollen wir auch ansetzen. Im Zeitraum der Finanzplanung werden die Steuereinnahmen um 19 Prozent steigen; deswegen kann man überhaupt nicht davon reden, dass wir nur ein Einnahmeproblem hätten. Nichts darf außen vor bleiben. Als Erstes müssen wir da sparen, wo es dem Bürger am wenigsten weh tut, bei den Verwaltungskosten. Ich bekenne mich dazu, dass ich in der Arbeitsgruppe vorgetragen habe, dass wir das Thema Bonn/Berlin noch einmal auf den Prüfstand stellen. ({12}) Wenn uns das Finanzministerium in einer sehr vorsichtigen Schätzung mitteilt, dass sich im letzten Haushaltsjahr Mehrkosten in Höhe von 350 000 Euro aufgrund der Teilung des Regierungssitzes zwischen Bonn und Berlin ergeben haben, müssen wir hinschauen. Wir werden uns die Entwicklung für jedes Haus angucken. Es ist doch ein Unding, dass der Pendelverkehr 16 000 Flüge im Jahr ausmacht. Deshalb werden wir uns dieses anschauen. ({13}) Ich weiß natürlich, dass es ein Bonn/Berlin-Gesetz gibt. Aber wir ändern jeden Tag Gesetze, um sie der Entwicklung anzupassen. Der Stadt Bonn ist es ja - wie die Oberbürgermeisterin selber erklärt hat - nach dem Regierungsumzug nicht schlecht ergangen. Die Prognosen, die man seinerzeit hören konnte, sind nicht eingetreten. Weil das so ist, können wir das überprüfen. Ich bin dafür, dass wir dies auch tun. Wir werden ebenfalls in der Frage des Personalabbaus hart bleiben. Wir streiten uns innerhalb der Koalition ja nicht darüber, dass wir Verwaltung abbauen wollen; es geht nur um den richtigen Weg. Ich sage: Da, wo Personal ist, finden sich auch Aufgaben. Deswegen muss man den Umkehrschluss ziehen und Personal abbauen. Dann muss gegebenenfalls auch ein Vorschlag gemacht werden, welche Aufgaben nicht mehr erledigt werden können. Natürlich wird die Bürokratie alles für wichtig halten. ({14}) Wir von der Politik müssen eine Rangfolge der Aufgaben aufstellen. Solange ein Ministerium eine neue Abteilung für Fragen einrichten kann, für die es gar nicht zuständig ist, ({15}) so lange gibt es noch zu viel Personal, und deswegen werden wir in dieser Beziehung nicht nachlassen. Die Arbeitszeitverlängerung haben wir relativ schnell umgesetzt, aber nicht alle strukturpolitischen Aufgaben kann man in einem Jahr lösen. Das heißt aber nicht, dass wir diesbezüglich nachlassen; vielmehr müssen wir solche Fragen über einen längeren Zeitraum angehen, aber auf jeden Fall werden sie gelöst. Ich bin auf die Haushaltsberatungen 2007 sehr gespannt; denn bei dieser Debatte hat sich eines gezeigt: Es ist wie beim Streit über den Haushalt 2006, jeder findet alles falsch, aber wenn es um konstruktive Vorschläge geht, kommt nichts. Auch die Sparbücher der FDP waren keine wirklichen Sparbücher, weil sie nichts auf die hohe Kante gelegt hat. Etwas auf die hohe Kante legen, das verstehe ich unter Sparen. Sie haben dicke Papiere vorgelegt, aber leider konnten wir damit nichts anfangen. ({16}) Ich freue mich auf eine muntere Beratung und hoffe, dass uns viele gute Vorschläge gemacht werden, die wir vielleicht übernehmen können. ({17})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Als letzter Redner in dieser Debatte hat der Kollege Jörg-Otto Spiller für die SPD-Fraktion das Wort.

Jörg Otto Spiller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002804, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir führen diese Haushaltsdebatte vor dem Hintergrund sehr erfreulicher ökonomischer Rahmenbedingungen. Die Bundesbank schreibt in ihrem jüngsten Monatsbericht: Die konjunkturelle Aufwärtsbewegung der deutschen Wirtschaft hat im bisherigen Jahresverlauf erheblich an Kraft gewonnen. Auf Jahresrate hochgerechnet beträgt das reale Wachstum des Sozialprodukts im ersten Halbjahr rund zweieinhalb Prozent. Die meisten wirtschaftswissenschaftlichen Institute kommen zu einer ähnlichen Einschätzung. Es ist eine deutliche Belebung der Wirtschaftstätigkeit in Deutschland zustande gekommen. Wir haben nicht ausschließlich Wachstumsimpulse durch die Auslandsnachfrage erhalten, sondern auch eine sehr kräftige Belebung der Investitionstätigkeit, insbesondere bei Ausrüstungsinvestitionen, und eine Zunahme der Bautätigkeit erfahren. Erfreulich ist, dass es bei den Ausrüstungsinvestitionen nicht nur um Ersatzinvestitionen geht, sondern angesichts guter Kapazitätsauslastungen in wachsendem Maße auch um Erweiterungsinvestitionen in den Unternehmen. Die günstige gesamtwirtschaftliche Entwicklung hat inzwischen auch den Arbeitsmarkt erreicht. Es gibt eine deutliche Minderung der Arbeitslosigkeit und einen - wenn auch noch bescheidenen - Zuwachs bei der Beschäftigtenzahl. Darüber hinaus gibt es einen erfreulichen Zuwachs der Steuereinnahmen bei Bund, Ländern und Gemeinden. Wenn ich mir die Situation von vor einigen Monaten vor Augen führe, so haben wir damals ganz andere Debatten geführt. Natürlich stellt sich die Frage: Worauf lässt sich diese positive Entwicklung zurückführen? Die Antwort, die beispielsweise Herr Professor Rürup, der Vorsitzende des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, gibt, lautet, dass mehreres zusammenkommt. Es waren die strukturellen Reformen der Regierung Schröder, es hat aber auch die Umstrukturierung im Unternehmensbereich zu einer erhöhten Wettbewerbsfähigkeit beigetragen. Beide Faktoren zusammen führen zu dieser Entwicklung. Ich glaube aber, wir können selbstbewusst sagen, dass die Finanz- und Haushaltspolitik der großen Koalition ebenfalls einen Beitrag dazu geleistet hat; ({0}) denn wir haben mit dem Haushalt 2006, dessen Kernaussagen schon im Frühjahr feststanden, den Mut gehabt, einen aufkeimenden Aufschwung trotz der Konsolidierungsnotwendigkeiten nicht mit einer restriktiven Haushaltspolitik zu bremsen. Im Gegenteil: Wir haben durch Anreize für private Investitionstätigkeiten - beispielsweise für Aufträge an Handwerksbetriebe durch private Haushalte - und durch ein Programm zur energetischen Gebäudesanierung kräftige Impulse für die Konjunkturbelebung gegeben. Ich komme, auch wenn es altmodisch klingt, zu dem Ergebnis: Die gute alte Makroökonomie hat noch immer Bedeutung für den Haushalt und umgekehrt hat der Haushalt Bedeutung für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung. ({1}) Wir haben einen guten Weg beschritten und das Ziel erreicht. Es gibt keinen anderen Bereich, bei dem der Zusammenhang zwischen Haushalt, Steuern und wirtschaftlicher Entwicklung so deutlich ist wie bei der Unternehmensbesteuerung. Dieses Thema hat in der heutigen Debatte schon mehrfach eine Rolle gespielt. Ich will in Erinnerung rufen - der Bundesfinanzminister hat es selbst erwähnt -, dass wir nicht bei null anfangen. In der vorvergangenen Wahlperiode, in der Regierung Schröder, haben wir zum einen eine deutliche Entlastung der Personenunternehmen durchgesetzt. Zum anderen haben wir eine moderne und wirksame Körperschaftsteuerreform durchgeführt. Gleichwohl muss man zugestehen, dass es im Bereich der Unternehmensbesteuerung Handlungsbedarf gibt. Die große Koalition hat verabredet - das haben mehrere Kollegen gesagt -, das Gesetzgebungsverfahren rechtzeitig zur Sommerpause 2007 abzuschließen, damit die veränderten Bedingungen nach einer Vorbereitungszeit zum 1. Januar 2008 in Kraft gesetzt werden können. Lassen Sie mich ein paar Bemerkungen dazu machen, warum es aus meiner Sicht überhaupt notwendig ist, die Unternehmensbesteuerung zu reformieren. Fast alle großen deutschen Unternehmen sind inzwischen multinational. Das bedeutet nicht nur, dass der Standortwettbewerb zwischen Deutschland und den anderen Ländern Europas bzw. den außereuropäischen Ländern eine steuerliche Seite hat, sondern das heißt auch, dass es innerhalb einer Unternehmensgruppe Gestaltungsspielräume hinsichtlich der Frage gibt, wo man Kosten anfallen lässt und wo man Erträge anfallen lässt. Dafür gibt es Spielräume. Es ist nicht selbstverständlich, dass der Mutterkonzern und das Tochter- oder Schwesterunternehmen über ein Patent verfügen, das durch Lizenzgebühren bedient werden muss. Es gibt Entscheidungsspielräume, wie man größere Investitionen finanziert. Wenn beispielsweise ein großes deutsches Unternehmen eine Finanzierungstochter in Dublin hat, dann ist es sehr wohl möglich, dass ein größeres Investitionsvorhaben, beispielsweise in Höhe von 100 Millionen Euro, durch einen Kredit finanziert wird - die Konditionen müssen nicht unbedingt günstig sein -, den die Tochter in Dublin der Mutter in Stuttgart oder wo auch immer gewährt. ({2}) Die Zinsen werden bei dem deutschen Mutterkonzern als Betriebskosten und die Zinsspanne wird beim Tochterunternehmen in Dublin - es wird günstiger refinanzieren - als Gewinn verbucht. Der Gewinn wird in Dublin minimal besteuert und kann dann zu 95 Prozent steuerfrei an den deutschen Mutterkonzern ausgeschüttet werden. Herr Kollege Solms, ich finde nicht, dass das der marktwirtschaftlichen Ordnung entspricht. ({3}) Nach der marktwirtschaftlichen Ordnung soll es im Belieben des einzelnen Unternehmens liegen, wie es eine Investition finanziert. In diesem Zusammenhang können zwar viele Gesichtspunkte eine Rolle spielen, steuerliche Gesichtspunkte sollen aber keine Rolle spielen; denn der Staat soll die Unternehmen, unabhängig davon, wie sie sich aufgestellt haben, für welche Finanzierungsform sie sich entschieden haben, fair und gleich behandeln. Deswegen entspricht es einer strengen marktwirtschaftlichen Ordnung, dass man die Gestaltungsmöglichkeiten, die entstanden sind, einschränkt. ({4}) Ich finde es sehr angenehm, dass in der politischen Arbeitsgruppe der Koalition, die sich mit solchen Fragen befasst, ein sehr konstruktives und sachliches Klima herrscht. Es geht ja nicht darum - in der öffentlichen Diskussion wird immer mit dem Holzhammer gearbeitet -, dem Mittelständler, der vielleicht schwach auf der Brust ist, den Weg zum Leasing oder zur Kreditfinanzierung einer Maschine, die 1 Million Euro kostet, zu versperren. Natürlich wird es Freibeträge geben. ({5}) Aber das kann doch nicht heißen, dass wir aufgrund der Situation des Mittelständlers auch dem großen internationalen Konzern gestatten, durch diese Form der Finanzierung seine Steuerschuld in Deutschland so weit zu reduzieren, dass ein weltweit operierendes, ertragsstarkes Unternehmen in Deutschland weniger Steuern zahlt als der mittelständische Familienbetrieb, der vielleicht in der vierten Generation als Maschinenbaubetrieb im deutschen Südwesten erfolgreich arbeitet, treu und brav seine Steuern zahlt und dessen Familie die Tradition des Unternehmensgründers wach hält: Der Gewinn gehört zunächst einmal der Firma und wird nicht voll entnommen. ({6}) Die Benachteiligung von Eigenkapital kann kein Ziel unserer Wirtschaftspolitik sein. Ich glaube, wir werden hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung der Regelung zu einem sehr ordentlichen Kompromiss kommen. Mittelständler werden eine Benachteiligung von Eigenkapital nicht zu befürchten haben. Im Gegenteil: Sie müssen sich eigentlich freuen, dass eine zu ihren Lasten unfaire Steuerregelung eingeschränkt und nach Möglichkeit unterbunden wird. ({7}) Ich sage auch: Das Ziel ist nicht, dass wir die Unternehmen insgesamt mehr belasten. Ich möchte nur, dass das Steueraufkommen in Deutschland steigt. Es mag ja sein, dass wir durch eine Steuersatzsenkung erreichen, dass für eine große Zahl von Unternehmen, die in Deutschland und anderswo tätig sind, die Steuerlast sinkt. Aber die sozialdemokratische Fraktion im Deutschen Bundestag möchte erreichen, dass das Steueraufkommen in Deutschland steigt. ({8}) Das wird möglich sein. Lassen Sie uns gemeinsam an diesem Ziel arbeiten. Es wird noch ein paar Debatten dazu geben; da bin ich mir ganz sicher. Es kann ja nicht schaden, wenn noch die eine oder andere intelligente Lösung eingebracht wird. Aber fairer Wettbewerb verlangt, dass wir die Steuerbasis in Deutschland sichern und dass wir durchsetzen, dass sich Unternehmen wie Bürger an der Finanzierung der öffentlichen Aufgaben beteiligen. Denn sonst können wir die Qualität des Wirtschaftsstandortes Deutschland nicht sichern. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Weitere Wortmeldungen zur allgemeinen Finanzdebatte liegen mir nicht vor. Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Einzelplan 10. Das Wort hat der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Horst Seehofer. ({0})

Horst Seehofer (Minister:in)

Politiker ID: 11002140

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sie werden Verständnis dafür haben, dass ich angesichts der aktuellen Probleme im Zusammenhang mit dem Verbraucherschutz heute nur sehr kurz auf Schwerpunkte meines Haushaltes eingehe. Das werden dann die Kollegen der beiden Fraktionen übernehmen. Angesichts des Interesses der Öffentlichkeit an den Vorgängen im Bereich der Lebensmittelsicherheit in der Bundesrepublik Deutschland möchte ich vor allem die Haltung der Regierung dazu zum Ausdruck bringen. Ich beginne mit einer Meldung von heute, die besagt, dass EU-Kommissar Marcos Kyprianou moniert hat, dass die Europäische Kommission erst am Freitagabend und damit mehr als 24 Stunden nach den Funden von vergammeltem Fleisch darüber informiert worden sei. Ein Sprecher der EU-Kommission hat daran erinnert, dass die EU-Mitgliedsstaaten verpflichtet sind, Verstöße gegen die Lebensmittelsicherheit unverzüglich zu melden. Das ist deshalb wichtig, weil nur dadurch gewährleistet werden kann, dass in den anderen Mitgliedsländern Maßnahmen zum Verbraucherschutz ergriffen werden können. Die EU-Kommission weist auch darauf hin, dass dies im Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland nicht zum ersten Mal der Fall gewesen sei. Ich beginne mit der Einlassung der EU-Kommission, um deutlich zu machen, dass es in diesem Fall nicht um Taktiken, um Parteipolitik oder um persönliche Eitelkeiten geht, sondern dass es einzig und allein um die nationale und internationale Gewährleistung des Verbraucherschutzes im Interesse der Bürgerinnen und Bürger in der Bundesrepublik Deutschland geht. Durch diese Meldung der EU-Kommission wird sehr deutlich, dass wir Verpflichtungen haben und die Dinge so gestalten müssen, dass wir unsere Verpflichtungen auf nationaler und internationaler Ebene - nicht um die Behörden zu beschäftigen, sondern um den Gesundheitsschutz der Bevölkerung zu gewährleisten - erfüllen können. ({0}) Als es beim letzten Mal um eine Herausforderung auf diesem Gebiet ging, habe ich hier vor dem Plenum ein Zehnpunkteprogramm vorgestellt, das sehr weitgehend realisiert worden ist. Auf drei Punkte kommt es mir in diesen Tagen besonders an: Der erste Punkt. Wir waren uns im Parlament vor einigen Monaten ganz überwiegend einig, dass eine der wichtigsten Präventionsmaßnahmen die Transparenz, die Veröffentlichung der Namen der Firmen, die gegen die Lebensmittelvorschriften verstoßen, ist. ({1}) Heute wiederhole ich, dass dies im Hinblick auf die wirtschaftlichen Konsequenzen für einen solchen Betrieb aus meiner Sicht die wichtigste Präventionsmaßnahme ist. Wir haben unsere Aufgabe erfüllt. Der Deutsche Bundestag hat das Verbraucherinformationsgesetz, das zwar noch einige andere Bestandteile enthält, das aber in diesen Fällen vor allem eine sichere Rechtsgrundlage für die Veröffentlichung der Namen der Firmen schafft, verabschiedet. Der Bundesrat hat am 22. September dieses Jahres die Gelegenheit, dieses vom Deutschen Bundestag bereits verabschiedete Gesetz zu billigen. Ich möchte an den Bundesrat appellieren, diese Gelegenheit insbesondere vor dem Hintergrund der Entwicklungen der letzten Tage und Wochen, in Anbetracht einer mehr als fünfjährigen Diskussion über das Verbraucherinformationsgesetz und angesichts seines mehrmaligen Scheiterns im Bundesrat jetzt beim Schopfe zu ergreifen und das Verbraucherinformationsgesetz endlich in Kraft zu setzen. ({2}) Der zweite wichtige Punkt ist die Lebensmittelkontrolle in der Bundesrepublik Deutschland. ({3}) Das sage ich nicht als Vorwurf gegen irgendjemanden, sondern als objektive Beschreibung der Situation in der Bundesrepublik Deutschland. ({4}) Sie bezieht sich nicht nur auf ein Bundesland. Die „Süddeutsche Zeitung“ schrieb gestern, dass die Ermittler - in diesem Fall die Polizei - öffentlich erklärten, dass die Täuschungsversuche, die manipulierten Etiketten, bei genauerem Hinsehen hätten erkannt werden können. ({5}) Der ermittlungsführende Polizeibeamte teilte mit, die Originaletiketten seien grob ausgeschnitten oder geschwärzt und dann überklebt worden; sie hätten, so die Polizei, allenfalls flüchtigen Überprüfungen standgehalten. Daran wird deutlich: Auf der einen Seite sagen die Ermittlungsbehörden bzw. sagt die Polizei, dass die Manipulationen so offenkundig waren, dass man sie eigentlich hätte erkennen müssen; auf der anderen Seite ist dieser Betrieb von Lebensmittelkontrolleuren und Veterinären mehrfach kontrolliert worden und es wurde nichts beanstandet. Deshalb bleibt dieser Aspekt unseres Zehnpunkteprogramms relevant und aktuell. Die Effizienz und Wirksamkeit der Lebensmittelkontrolle, die auch nach der Föderalismusreform richtigerweise dezentral bei den Ländern angesiedelt ist, muss in Deutschland reformiert werden. Denn es kann nicht sein, dass Ermittlungsbehörden solche Täuschungsversuche bereits nach sehr kurzer Zeit feststellen, während trotz mehrfacher Kontrollen dieser Betriebe durch die dafür zuständigen staatlichen Lebensmittelkontrolleure nichts beanstandet wurde. Ich wiederhole mein Angebot bzw. meine Forderung an die Bundesländer, dass Bund und Länder gemeinsam Qualitätssicherungsmaßnahmen und Qualitätsstandards für die Lebensmittelkontrolle in der Bundesrepublik Deutschland entwickeln müssen. Bei Achtung der Verfassungslage, die eine primäre Länderzuständigkeit vorsieht, ergibt sich die Legitimation des Bundes für eine Koordinierung, also für eine zwischen Bund und Ländern abgestimmte Qualitätssicherung bei der Lebensmittelkontrolle, schon deshalb, weil die Bundesregierung bzw. wir alle gemeinsam im Rahmen der internationalen Warenbeziehungen verpflichtet sind, darauf hinzuwirken - ich habe meine Rede mit einer Äußerung von EU-Kommissar Kyprianou begonnen -, dass die bei den Ländern angesiedelte Lebensmittelkontrolle in erstklassiger Qualität, mit hoher Effizienz und nach modernen Gesichtspunkten gestaltet wird. ({6}) Die Legitimation des Bundes ergibt sich trotz dieser Verfassungslage daraus, dass die Folgen von Lebensmittelkontrollen international, aber auch für die übrigen Bundesländer relevant werden können. Das heißt, wir können uns nicht auf den Standpunkt zurückziehen, die Zuständigkeit für Lebensmittelkontrollen liege allein bei den Ländern, die Folgen müssten jedoch auch andere Länder in Kauf nehmen. Deshalb appelliere ich heute noch einmal und ich werde das am Donnerstag mit allem Nachdruck in der Verbraucherschutzministerkonferenz tun, dass wir, Bund und Länder, gemeinsam Qualitätsstandards und Qualitätssicherungsmaßnahmen entwickeln. Ich werde zu keiner Entscheidung meine Hand reichen, die nur ein Placebo oder nur eine Scheinlösung ist. Ich möchte, da wir es bei den entsprechenden wirtschaftlichen Akteuren offensichtlich mit Leuten zu tun haben, die ein hohes Maß an Energie ({7}) und an Raffinesse einsetzen, dass wir eine intelligente, eine wirksame, eine effiziente Lebensmittelkontrolle in der Bundesrepublik Deutschland bekommen, die auf gleicher Augenhöhe mit denen agieren kann, die gegen Recht und Gesetz gewissenlos verstoßen. ({8}) Das soll kein Vorwurf sein. Die Lebensmittelkontrolle hat sich über viele Jahrzehnte so entwickelt; sie ist allerdings nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Wir verfolgen das seit vielen Monaten. Das sage ich nicht erst, seit der neue Fall aufgetreten ist. Wir haben Verbraucherschutzministerkonferenzen abgehalten und die Fachleute der Veterinäre versammelt. Leider hatten wir bei unseren Koordinierungsbemühungen bisher keinen Erfolg. Ich hoffe, dass die neue Situation dazu beiträgt, dass wir versuchen, die Probleme gemeinsam zu lösen. Ich glaube, wir werden niemanden überzeugen und schon gar nicht das Vertrauen der Öffentlichkeit herstellen, wenn jeder sich auf seine Zuständigkeit zurückzieht. Nein, das wird uns nur gelingen, wenn wir gemeinsam zu einem Ergebnis kommen. ({9}) Mein dritter Punkt betrifft die Diskussion, die in den letzten Tagen eingesetzt hat, das wahre Problem bestehe nicht in der Kontrolle, sondern in der Höhe der Strafbewehrung. Man muss hier deutlich auf die geltende Rechtslage hinweisen. Ich beziehe mich jetzt gar nicht auf das allgemeine Strafrecht, nach dem bei schweren Betrugsfällen eine Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren verhängt werden kann - solche schweren Fälle mit Erschleichung eines großen Vermögensvorteils könnte man durchaus auch einmal unter diesem Gesichtspunkt prüfen -, sondern ich beschränke mich auf unseren Fachbereich: das Lebensmittelrecht. Im Lebensmittelrecht gibt es eine eindeutige Regel: Bei vorsätzlichem In-VerkehrBringen oder Herstellen von gesundheitsschädlichen Lebensmitteln droht eine Freiheitsstrafe oder Geldstrafe von bis zu fünf Jahren, bei Fahrlässigkeit von bis zu drei Jahren. Nach dem Lebensmittelrecht reicht die Gesundheitsschädlichkeit; eine Gesundheitsbeeinträchtigung muss für diese Strafbewehrung gar nicht eingetreten sein. Wir haben es hier eigentlich noch schärfer als im allgemeinen Strafrecht bei der gefährlichen oder fahrlässigen Körperverletzung formuliert: Das Lebensmittel muss gar nicht verzehrt worden sein; es reicht bereits, wenn man es hergestellt oder in Verkehr gebracht hat. Unterhalb der Schwelle der Gesundheitsschädlichkeit haben wir bei bedenklichen Lebensmitteln, die für Genuss oder Verzehr nicht geeignet sind, wenngleich nicht gesundheitsschädlich sind, die Androhung einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr und einer Geldbuße von bis zu 20 000 Euro. Die Behauptung, die Geldstrafe könne maximal 20 000 Euro betragen, auch dann, wenn der Gewinn, den jemand durch ein rechtswidriges Verhalten erzielt hat, höher ist, entspricht so nicht der Rechtslage. Im Gesetz steht eindeutig: Wenn der wirtschaftliche Erfolg infolge eines Rechtsverstoßes höher ist als die zu verhängende Geldbuße von 20 000 Euro, kann die Geldbuße entsprechend erhöht werden. Wenn Sie sich anschauen, wie das Strafmaß bei den Freiheitsstrafen, den Geldstrafen und den Geldbußen in der Bundesrepublik Deutschland bisher ausgefallen ist - diese werden nicht durch den Bundesverbraucherschutzminister verhängt -, dann sehen Sie, dass man bei der Festsetzung im Durchschnitt immer am unteren Rand geblieben ist. Auch diesen Punkt haben wir in den letzten Monaten in voller Absprache mit der Bundesjustizministerin mit den Bundesländern dahin gehend besprochen, dass sie mit der Justiz Gespräche führen und dort ein Bewusstsein dafür schaffen sollen, dass Verstöße gegen das Lebensmittelrecht keine Bagatelldelikte sind, sondern mit aller Härte und mit allem Nachdruck - das gilt auch für die Höhe des Strafmaßes - verfolgt werden müssen. ({10}) Auch hier gilt die Feststellung: Wir alle zusammen sollten helfen, dass das, was heute nach dem Gesetz als Strafandrohung möglich ist - sowohl an Geldstrafe als auch an Freiheitsstrafe -, konsequent ausgeschöpft und angewandt wird. ({11}) Ich sehe wenig Sinn darin, über die Erhöhung der Geldbuße und des Strafrahmens zu reden, wenn der vorhandene Strafrahmen und die vorhandenen Möglichkeiten zur Verhängung einer Geldbuße nur zu einem Bruchteil in Anspruch genommen werden. Ich setze noch ein Letztes hinzu: Wir haben ein Gewerberecht, das auf die persönliche Zuverlässigkeit des Betreibers abstellt. Bei gewissenlosen Geschäftemachern, die aus reiner Raffgier und ohne Rücksicht auf die Gesundheit und den Verbraucherschutz Gewinne machen wollen, sollte und muss man auch in Erwägung ziehen, deren Betriebe zu schließen. Auch diese Möglichkeit gibt das Gewerberecht her. Sie wird aber leider viel zu selten angewandt. Deshalb darf ich Ihnen sagen, dass ich mich bei allen Diskussionen, die dazu stattfinden - zum Teil auch mit einem parteipolitischen Anstrich -, alleine von unserem Auftrag leiten lasse, Schaden von der Bevölkerung abzuwenden und alles Menschenmögliche zu tun, damit es solchen gewissenlosen Rechtsbrechern in der Bundesrepublik Deutschland möglichst schwer gemacht wird. Das ist der einzige Auftrag, den wir haben. Ich werde ihm auch weiterhin mit allem Nachdruck nachkommen, auch wenn die Diskussionen dazu immer wieder in die Aussagen abgleiten, dass das persönliche Profilierungen und parteitaktische Spielchen seien. Die einzige Messlatte ist, wie wir in der Bundesrepublik Deutschland den Verbraucherschutz für die Bevölkerung sicherstellen. Ich hoffe, ich habe dazu die Unterstützung der Mehrheit des Parlaments. Als mich die Vorsitzende der Verbraucherschutzministerkonferenz, die wir übrigens auch infolge der zehn Punkte neu eingerichtet haben - bisher gab es sie nicht -, gebeten hat, am Donnerstag an einer Sitzung der Verbraucherschutzministerkonferenz teilzunehmen, war ich sehr erfreut und habe sofort zugestimmt, weil ich glaube, dass diese lange Diskussion keine weitere Verlängerung mehr verträgt, sondern dass die dafür zuständigen Minister von Bund und Ländern möglichst am Donnerstag zu den von mir beschriebenen Vereinbarungen kommen sollten. Wir sollten dann versuchen, diese Qualitätsstandards für die Bundesrepublik Deutschland in sehr kurzer Zeit zu erreichen. Daneben sollten wir den Rechtsrahmen bezüglich der Geldbußen und Freiheitsstrafen in den jetzt aktuellen Fällen voll ausschöpfen. Ich bitte Sie für diesen Weg um Ihre Unterstützung. Danke. ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion hat der Kollege Michael Goldmann das Wort.

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte, liebe Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Natürlich ist eine Haushaltsdebatte unter den aktuellen Ereignissen so zu gewichten, wie Sie, Herr Minister, das getan haben. Wir müssen uns heute in besonderer Weise erneut mit den Auswirkungen eines dramatischen Fleischskandals auf die Verbraucher befassen. Diese Auseinandersetzung muss heute natürlich im Zentrum stehen. Ich will vorher aber trotzdem noch einmal sagen, dass die deutsche Ernährungswirtschaft - die große Mehrheit der Menschen, die dort arbeiten, und die Produkte, die dort erstellt werden - einen absoluten Weltstandard hat und eine Qualität aufweist, um die uns andere Länder beneiden. Es gibt allerdings - ich glaube, dieses Wort darf man auch im Parlament benutzen - einige Drecksäcke und kriminelle Elemente, die - darüber müssen wir genau nachdenken - manchmal wohl auch in Verbindung mit Strukturen vor Ort, manchmal vielleicht sogar durch parteipolitischen Filz einen Nährboden finden, der die Grundlage dafür bildet, dass solche Skandale immer wieder auftreten. Ich finde es gut, Herr Minister Seehofer, dass Sie der Verbraucherministerkonferenz zur Verfügung stehen. Dann sollten Sie allerdings auch morgen dem Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu diesem Thema Rede und Antwort stehen. ({0}) Ich sage auch: Herr Minister, Sie haben in dieser Frage einiges gutzumachen. Ich freue mich nicht, dass die „Bild“-Zeitung hinsichtlich des Gammelfleischskandals fragt: Warum reden Sie nur? Warum tun Sie nichts, Herr Seehofer? Ich möchte gerne, dass sich das Ministerium, Sie persönlich, aber auch der ganze Bereich Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz so darstellen können, dass die Verbraucher Vertrauen in unsere Produktionswege haben und dass sie eine sach- und fachgerechte Entscheidung treffen können. Sehr geehrter Herr Minister Seehofer, da hapert es bei Ihnen. Das will ich hier an Beispielen deutlich aufzeigen. Im „Focus“ vom 12. Dezember 2005 sagen Sie: „Wir haben schnell gehandelt …“ Seit Monaten kündigen Sie ein Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb an. Sie haben ein 10-Punkte-Sofortprogramm - den Namen muss man auf der Zunge zergehen lassen - aufgelegt. In der Drucksache 16/1615 - Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der FDP-Fraktion - mit der Überschrift „Stand der Umsetzung des 10-Punkte-Sofortprogramms als Konsequenz aus dem Fleischskandal“ erklären Sie schon in der Einführung: Das 10-Punkte-Sofortprogramm stellt die Maßnahmen dar, deren alsbaldige Umsetzung im Einvernehmen mit den Ländern beschlossen wurde … Mit der Umsetzung … ist sofort begonnen worden. In der Antwort auf Frage 3 „Welche der Maßnahmen des 10-Punkte-Sofortprogramms sind bereits in Kraft getreten?“ heißt es im zweiten Punkt „Flächendeckende Kühlhausüberprüfung ({1})“: Die Überprüfung aller 317 EU-zugelassenen Kühlhäuser ist abgeschlossen. ({2}) Bei dem Kühlhaus in Bayern handelt es sich um ein EUzugelassenes Kühlhaus, wie uns heute der Verband Deutscher Kühlhäuser und Kühllogistikunternehmen nachdrücklich bestätigt. ({3}) Sehr geehrter Herr Minister, warum übermitteln Sie den Verbrauchern eine solche Botschaft, wohl wissend, dass in diesem Bereich trotz dem, was Sie hier eben gesagt haben, noch jede Menge Aufarbeitungsbedarf besteht? Warum suggerieren Sie, es sei alles in Ordnung, wenn Sie genau wissen, dass dies nicht der Fall ist? ({4}) Sie wissen ganz genau, dass Sie unmittelbar nach dem In-Kraft-Treten Ihres so genannten 10-Punkte-Sofortprogramms eine solche Aussage überhaupt nicht treffen können. Diese Kühlhäuser haben zum Teil die Dimension eines Plenarsaals. Wenn Sie zu Recht feststellen - das nehme ich mit Interesse zur Kenntnis -, dass die Lebensmittelkontrolle nicht auf der Höhe der Zeit ist, dann frage ich Sie, wie Sie in einer Antwort auf die Anfrage einer Fraktion hier im Deutschen Bundestag dazu kommen, eine so Frieden stiftende Aussage zu tätigen? Ich will das weiterführen. Sie haben in meinen Augen nicht nur in dieser Frage die Dinge nicht richtig dargestellt. In der schon genannten Kleinen Anfrage wird nach der Verbesserung des Informationsflusses gefragt. Antwort: In der Bund-Länder-Besprechung am 29. November 2005 hat das BVL - das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit die praktische Anwendung des Fachinformationssystems … erläutert. Das Fazit der Antwort lautet: Das System bietet die Möglichkeit, zeitnah aktuelle Erkenntnisse bei derartigen Ereignissen allen Ländern und dem Bund zur Verfügung zu stellen. Herr Seehofer, Sie und das System haben versagt. Am 25. August dieses Jahres, so sagte es Gert Lindemann, Ihr Staatssekretär, haben wir die Informationen über die Medien bekommen. Dann aber haben Sie sich eben nicht mit aller Härte und mit allem Nachdruck an die Verfolgung gemacht, wie Sie eben ausgeführt haben. Man kann es vielleicht etwas locker formulieren: Bis zum 1. September haben Sie überhaupt nichts geHans-Michael Goldmann macht. Warum haben Sie zwischen dem 25. August und dem 1. September nichts gemacht? Warum waren Sie, der sonst immer sehr präsent ist, abgetaucht? Hing das möglicherweise damit zusammen, dass der Skandal aus Bayern kam und der Minister für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz in Bayern und die ganze Regierung der CSU angehören? Ich denke, dass wir ganz klar sagen müssen, Herr Minister, dass es nicht wirklich um ein Zehn-PunkteSofortprogramm und das Erreichen konkreter Ziele zum Schutz der Verbraucher geht. Sie reden zwar viel, aber wenn es konkret wird, dann ist Ihr Handeln nicht von fachlicher Substanz geprägt. Das sage ich Ihnen schon, seit Sie im Amt sind, und ich fühle mich in meiner Einschätzung immer wieder bestätigt. ({5}) Es geht weiter, Herr Minister: Was denn nun? Heute Morgen bin ich extra früh aufgestanden, weil das Frühstücksfernsehen schon um 6.30 Uhr beginnt und ich dachte, ich wäre dabei, aber das war ein Irrtum. ({6}) - Ja, das ist tragisch. Aber ich habe es überlebt, wie Sie sehen. - Es kam ein Polizeivertreter, der feststellte, dass die Polizei eingeschaltet werden soll. Ich bitte Sie! Dann kam Herr Lindemann, den ich sehr gerne mag. Er kommt ja auch aus Niedersachsen und hat sehr viel Ahnung. Herr Lindemann hat gesagt, dass die Lebensmittelkontrolle nicht durch eine Bundesbehörde durchgeführt werden soll, sondern dass die Zuständigkeit bei den Ländern und Kommunen bleiben muss. Das habe ich auch immer wieder gefordert; denn sie sind vor Ort und kennen sich aus. Berlin hat doch keine Ahnung davon, wie die Lebensmittelkontrolle in Bayern, Hessen oder möglicherweise in Cloppenburg stattzufinden hat. ({7}) Eben haben Sie wiederum ausgeführt, dass Sie die Bundeskompetenz für die Lebensmittelkontrolle für notwendig halten. Was denn nun? ({8}) Gestern haben Sie festgestellt, eine einjährige Freiheitsstrafe sei genug. Eben haben Sie von drei bis fünf Jahren gesprochen. Was denn nun? Bei Ihnen ist doch alles wirr und inkonsequent. ({9}) Warum verweisen Sie hinsichtlich der Lebensmittelkontrolle nicht auch auf Kräfte, die in der Wirtschaft vorhanden sind? Warum schließen Sie sich nicht strikt mit dem QS-System zusammen? Des Weiteren haben Sie die Namensnennung angesprochen. Was soll das, Herr Minister? Ihr VIG ist zwar in Ordnung und bringt hinsichtlich der Namensnennung einige Verbesserungen, aber es hat mit dem Fall, um den es hier geht, nichts zu tun. In diesem Fall ist der Name nach jeder Regelung zu nennen, weil gesundheitliche Gefahr im Verzug ist. Das kritisiere ich an Ihnen: Sie setzen Sprechblasen ab. Das sind Botschaften an den Verbraucher, denen die inhaltliche Substanz fehlt. ({10}) Wenn wir Ihnen in diesem Fall helfen sollen, die Kühe vom Eis zu kriegen, dann sage ich Ihnen ganz klar: Drecksäcke und kriminelle Machenschaften gehören an den Pranger gestellt. Ich habe - ich habe früher selber als Tierarzt gearbeitet - hier auch sehr schnell ein Berufsverbot bei der Hand. Wer Menschen mit Lebensmitteln versorgt, mit denen gesundheitliche Gefahren verbunden sind, der gehört aus dem Verkehr gezogen. Dabei bin ich hundertprozentig an Ihrer Seite. Das können wir gemeinsam machen. ({11}) Wir würden aber schon gerne wissen, welche Lösung Sie über die allgemeine Botschaft hinaus vorsehen. Dabei sind Sie morgen, im Ausschuss, oder auch am Freitag gefordert. Wir von der FDP-Fraktion sind zu jeder Zeit bereit, Ihnen in dieser Frage zu helfen und Rede und Antwort zu stehen. Herzlichen Dank. ({12})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Ernst Bahr von der SPDFraktion.

Ernst Bahr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002620, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Goldmann, Sie haben gesagt, Namensnennung sollte nicht sein, aber die Betreffenden sollten an den Pranger gestellt werden. Ich kann den Unterschied nicht richtig erkennen; er ist nicht sehr groß. Dies ist ein Beispiel für Ihre Widersprüchlichkeit, die sich durch Ihre ganze Rede zieht. ({0}) Wenn Sie Minister Seehofer zugehört haben, dann werden Sie festgestellt haben, dass er nicht nur agiert hat - und zwar zielgenau, sachlich, kompetent, richtig und der Rechtslage entsprechend -, sondern auch deutlich gemacht hat, dass die Rechtslage hier wie in anderen Fällen viel besser ist, als die öffentliche Meinung suggeriert. Das sollten wir zur Kenntnis nehmen. Das gilt übrigens auch für die Haushaltslage und die Haushaltsdiskussion insgesamt. Die Rechtslage - das heißt, unsere politische Arbeit - ist viel besser als die öffentliche Meinung darüber. Wenn man so polemisch vorgeht wie Sie und so widersprüchlich argumentiert, dann müssen wir uns nicht Ernst Bahr ({1}) wundern, wenn die Leute nur noch über uns lachen und uns nicht ernst nehmen. Sie haben zu Beginn Ihrer Rede festgestellt, dass es eine bestimmte Personengruppe sei, die ausfällig ist; ansonsten sei die Lebensmittelsituation in Deutschland hervorragend. Letzterem stimme ich zu. Die Qualität der Lebensmittel in Deutschland ist wirklich vorzeigbar. Wir können uns darauf verlassen und wir müssen unseren Landwirten, der Nahrungsmittelindustrie und den Händlern dafür danken. ({2}) Ich richte an dieser Stelle auch einen Appell an den so oft geschmähten öffentlichen Dienst. Ich stehe für den öffentlichen Dienst; ich war selbst einmal als Landrat tätig. Aber eines steht fest: Der öffentliche Dienst hat die Verpflichtung, seine Arbeit so zu gestalten, dass die Kritik unberechtigt ist. Offenbar hat der öffentliche Dienst, der für die Kontrolle zuständig war, an einer Stelle versagt. Wir brauchen den öffentlichen Dienst in seiner derzeitigen Form - so hoch organisiert, kompetent und fortschrittlich - für eine so hoch organisierte Gesellschaft. ({3}) Umso mehr müssen wir aber dafür sorgen, dass die Aufgaben im öffentlichen Dienst auch verantwortungsbewusst wahrgenommen werden und dass man sich im öffentlichen Dienst etwas konkreter mit Vergehen, Oberflächlichkeiten und Ähnlichem auseinander setzt, die uns in solche Schwierigkeiten bringen, dass europaweit eine Diskussion geführt wird, die der Lage nicht angemessen ist. Das sage ich ausdrücklich. Ich möchte nun zu dem kommen, worüber wir eigentlich diskutieren wollen. Ich freue mich, dass ich ein paar Anmerkungen zum Haushaltsplanentwurf machen darf, weil der Minister aus bestimmten Gründen nichts dazu sagen konnte. Mit dem Haushaltsplanentwurf 2007 sind wir wieder im Zeitplan. Wir haben mit unserer politischen Arbeit solide Grundlagen gelegt, und zwar nicht erst seit gestern. Wir arbeiten kontinuierlich. Wir haben von 2006 bis 2009 für Bund, Länder und Gemeinden eine Entlastung in Höhe von etwa 120 Milliarden Euro vorgesehen. Das lässt sich sehen. Ich denke, das ist ein wichtiger Konsolidierungsbeitrag in der Haushaltspolitik. Wir halten damit die Vorgaben des Art. 115 des Grundgesetzes und das Defizitkriterium des europäischen Stabilitätspaktes - das sind die Eckpfeiler - wieder ein. Damit hat die große Koalition einen guten Kurs eingeschlagen. Wir müssen bei der Gestaltung des Einzelplans 10 dafür sorgen, dass die Landwirtschaft eine verlässliche Basis erhält. Dass wir das tun, belegen die vorliegenden Zahlen. Wir stärken zudem den Verbraucherschutz. Es ist deutlich geworden, dass das notwendig ist. Die Menschen auf dem Lande können sich auf unsere politischen Maßnahmen verlassen. Das ist ein wichtiger Beitrag zur Entwicklung der ländlichen Regionen. Der Haushalt des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz hat ein Volumen von etwa 5,17 Milliarden Euro. Im Vergleich zum vergangenen Jahr bedeutet das einen leichten Zuwachs in Höhe von 82 Millionen Euro bzw. 1,6 Prozent. Gleichzeitig haben wir einen Konsolidierungsbeitrag in Höhe von 200 Millionen Euro jährlich zu erbringen. Nach dem Entwurf werden wir das einhalten. Einen wesentlichen Teil stellen wie in jedem Jahr die landwirtschaftlichen Sozialausgaben dar. Hier gibt es nach wie vor einen Zuwachs aufgrund der gesamtgesellschaftlichen Situation und der guten sozialen Bedingungen. Wir müssen diese Bedingungen erhalten, aber auch dafür sorgen, dass sie finanzierbar bleiben. Das legt nicht nur den Schluss nahe, sondern erfordert geradezu, dass wir im Zuge der Gesundheitsreform auch über die von uns mehrfach angesprochene Reform der Agrarsozialsysteme sprechen; das ist überfällig. Wir werden das in den bevorstehenden Beratungen angehen. Für die landwirtschaftliche Unfallversicherung haben wir zunächst 100 Millionen Euro für 2007 eingestellt. Der Betrag wird um weitere Mittel aus Erlösen durch den Verkauf von Forderungen des Bundes aus Siedlungsdarlehen auf die notwendige Höhe aufgestockt werden. Die Ausgaben für die Alterssicherung der Landwirte und die landwirtschaftliche Krankenversicherung nehmen leicht zu, während die Zahlungen für die Produktionsaufgabenrente und die Landabgabenrente wie vorgesehen zurückgehen. Sie werden in den nächsten Jahren gen null tendieren. Insgesamt betragen die landwirtschaftlichen Sozialausgaben 3,7 Milliarden Euro. Das entspricht einem Anteil von 72 Prozent des Gesamtbudgets des Einzelplans 10. Wenn man die Abgrenzungen konkretisiert, dann kommt man vielleicht sogar auf 74 bis 76 Prozent. Das ist ein Signal, dass wir über eine Reform dringend nachdenken müssen. Um die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der landwirtschaftlichen Arbeit bzw. der Arbeit im landwirtschaftsnahen Bereich zu verbessern, haben wir die Mittel für Forschung und Entwicklung in allen Bereichen aufgestockt. Einen Schwerpunkt dabei bildet die Förderung innovativer Produkte und Verfahren, insbesondere der nachwachsenden Rohstoffe. Hierfür sind 50 Millionen Euro eingestellt. Diese Mittel werden dazu beitragen, dass sich die Landwirte andere Einkommensquellen erschließen können. Zur Verbraucherpolitik: Wir wollen die Verbraucherberatung und Verbraucherinformation weiterhin stärken und das bisher erreichte Niveau stabilisieren. Das, was wir gerade besprochen haben, ist ja nichts anderes als ein Teil von Verbraucheraufklärung und Verbraucherbewusstsein. Wir haben hier eine wesentliche Aufgabe zu erfüllen. Deswegen haben wir die Ausgaben für diesen Bereich stabil gehalten. Das ist bei der Gesamtkonzeption von Kürzungen eine erwähnenswerte Maßnahme. Es wurde uns oft vorgehalten, dass wir bei der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der AgrarErnst Bahr ({4}) struktur und des Küstenschutzes“ viel kürzen würden. Das haben uns viele vorgeworfen, die selbst über Jahre in diesem Bereich Kürzungen beschlossen haben. Wir haben in diesem Haushaltsplanentwurf vorgesehen, den Betrag mit 615 Millionen Euro stabil zu halten. Der Betrag, der im laufenden Haushaltsjahr zur Verfügung steht, wird somit auch für das neue Jahr vorgesehen. Dass damit eine Stabilisierung erfolgt, finde ich bemerkenswert. Die Forderungen der Opposition, angesichts möglicher Kürzungen der EU mehr und andere Dinge zu machen, sind sicherlich sehr löblich und werden in manchen Ohren gut klingen. Man muss aber wissen, woher man das Geld nimmt. Ich denke, es ist abzusehen, dass wir keine neuen Wege gehen können. Wenn wir die Ausgaben stabilisieren können, um im Bereich der ländlichen Strukturentwicklung etwas zu tun, müssten wir eigentlich schon zufrieden sein. Wir haben mit unserem Haushaltsplanentwurf für 2007 keine wesentlichen Änderungen vorgenommen, aber dennoch einen Beitrag zu dem geleistet, was wir Konsolidierungs- und Stabilisierungspolitik nennen. Es wurde darüber hinaus ein Beitrag zur ländlichen Entwicklung und dem Strukturwandel auf dem Land geleistet. Ich wünschte mir, dass es uns gelingt, die Agrarsozialpolitik im Sinne der Betroffenen, aber auch im Sinne der Entwicklung des Bundeshaushaltes so zu gestalten, dass sie zukunftsträchtig ist. In diesem Sinne wünsche ich uns gute Beratungen. Herzlichen Dank. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Kirsten Tackmann von der Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Kirsten Tackmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003853, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Haushaltsdebatten erinnern immer etwas an die Zeugnisausgabe. Zunächst muss man Geleistetes bewerten, bevor man ein neues Schul- oder Haushaltsjahr startet. Mein Fazit ist: Das erste Jahr der Regentschaft von Horst Seehofer war von Skandalen und ungelösten Problemen geprägt, für die er zwar nicht immer verantwortlich, aber doch zuständig war. Bei einer so kritischen Bilanz ist ein ehrlicher Blick auf die reale Problemlage zu Beginn einer Haushaltsdebatte wirklich wichtig; denn die Problemlage ist das Ergebnis der bisherigen Haushaltspolitik. Das erste Regierungsjahr begann mit Gammelfleisch - wir haben es heute schon gehört - und ich denke, es wird auch so enden. Die am 30. November 2005 eilig präsentierten 10 Punkte Seehofers haben das Problem offensichtlich nicht gelöst. Statt einer ehrlichen Schwachstellenanalyse wurden schwarze Schafe gezählt. Ich frage mich - das fragen sich auch andere -: Wie kann man eigentlich 40 bis 50 Tonnen Gammelfleisch übersehen? ({0}) Ich zitiere Punkt 4 von Seehofers Aktionsplan - Herr Goldmann hat schon darauf hingewiesen -, in dem es hieß: Die Überprüfung aller EU-zugelassenen Kühlhäuser in Deutschland wird kurzfristig abgeschlossen sein. Das ist jetzt neun Monate her und das Problem besteht weiter. Abgelaufen - darauf muss man auch hinweisen war das Haltbarkeitsdatum des Gammelfleischpostens allerdings auch schon zu rot-grünen Zeiten. ({1}) Die Rufe nach Pranger, Haft und Kompetenzneuverteilung lenken davon ab, dass es erst wenige Wochen her ist, dass die Chance auf ein wirksames Verbraucherinformationsgesetz vertan wurde. Bei Zustimmung zu den Änderungsvorschlägen meiner Fraktion hätten skrupellose Profiteure deutlich weniger Chancen, ihr Gammelfleisch über Verbrauchermägen zu entsorgen. Stattdessen wird gemauert und werden Stellen in Kontrollund Untersuchungsstellen massiv abgebaut - in Bayern 20 Prozent - und Vertrauen wird weiter verspielt. ({2}) Ob die geplante Aufstockung des Etats für das Bundesinstitut für Risikobewertung und das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit sinnvoll oder nur leere Symbolik ist, wird zu besprechen sein. Doch weiter in der seehoferschen Problembilanz. Im Februar kam überraschend die Geflügelpest. Das heißt, überraschend waren eigentlich nur Ort und Zeit des Auftretens. Dass H5N1 Asia die Bundesrepublik erreichen würde, war spätestens ab Spätsommer 2005 wahrscheinlich. Trotz bundesministerieller Beteuerungen, es brauchten nur die Notfallpläne in Kraft gesetzt zu werden, war niemand auf diesen Fall einer langfristigen Infektionsgefahr für Nutzgeflügel aus Wildvogelbeständen wirklich vorbereitet. Über das Aufstallungsgebot wird unterdessen anhand regionaler Risikobewertung entschieden. Nur, das wirkliche Risiko kennt niemand. Wir spielen also seit Wochen und Monaten russisches Roulette. Auf der anderen Seite werden die Halterinnen und Halter von Kleinst-, Hobby- und Wassergeflügelbeständen in den Risikogebieten, die ihre Tiere nicht längere Zeit und schon gar nicht auf Dauer einstallen können, mit dieser Situation allein gelassen. Das eigentliche Problem aber ist nach meiner Wahrnehmung: Wir werden das nächste Mal - vielleicht schon in wenigen Wochen - nicht besser vorbereitet sein; denn die wirklichen Probleme sind nicht aufgearbeitet. Vom eilig aufgelegten 60-Millionen-Euro-Forschungsprogramm geht nur wenig Geld in die dringend notwendige Qualifizierung der Risikobewertung und des Krisenmanagements, und das, obwohl auch die Schweinepestausbrüche in diesem Jahr und die erstmals in Deutschland aufgetretene Blauzungenkrankheit beweisen, dass gerade auf dem Gebiet der Risikobewertung und des Risikomanagements von Infektionskrankheiten bei Tieren schwerwiegende Wissenslücken bestehen, von denen große volkswirtschaftliche Gefahren ausgehen. ({3}) Ich kann Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrter Herr Minister, die Wiederholung meiner Forderung nach einem epidemiologischen Zentrum mit angemessenen Personalkapazitäten und einem geeigneten Standort nicht ersparen. ({4}) Eine ernsthafte Prüfung dieses Vorschlags ist längst überfällig; denn wir brauchen dringend effektive und bezahlbare Tierseuchenbekämpfungsstrategien. Apropos bezahlbar: Der Landkreis Rügen ist nach meinen Informationen auf 750 000 Euro Geflügelpestbekämpfungskosten sitzen geblieben. Das ist eine Summe, die nicht zu schultern ist. Ich möchte daran erinnern: Der Einsatz der Bundeswehr wurde höchstministeriell erzwungen. Ich kann die Empörung über dieses nicht selbst verschuldete Haushaltsloch vor Ort gut verstehen. Ich fordere hier nochmals unbürokratische Hilfe. Der Fall Rügen ist gleichzeitig ein Hinweis auf ein grundsätzliches Problem: Die zunehmend klammen Kommunalhaushalte sind bei Katastrophenfällen überfordert. Zudem geraten Feuerwehr, THW, DRK und andere Organisationen zunehmend in Nachwuchsprobleme aufgrund des Wegzugs junger und motivierter Menschen aus den ländlichen Regionen. ({5}) Wir dürfen die Kommunen mit diesen Problemen nicht allein lassen. ({6}) Doch zurück zur Agrarforschung. Ich bin eigentlich ganz gespannt auf das schon mehrfach angekündigte Konzept für eine zukunftsfähige Agrarressortforschung. Wer jedoch bei der Erarbeitung dieses Konzepts nur „bürokratische Abläufe straffen und die Strukturen effizienter gestalten“ will, wie Staatssekretär Paziorek vor wenigen Tagen erklärte, macht die gleichen Fehler, die schon das letzte Rahmenkonzept von 1996 scheitern ließen. Richtig wäre, erst den wissenschaftlichen Beratungsbedarf der Bundesregierung zu definieren und dann die vorhandenen wissenschaftlichen Ressourcen zu prüfen. Die Beschäftigten in den Einrichtungen haben schließlich ein Recht auf eine belastbare und sinnvolle Entscheidungsgrundlage über die Zukunft ihrer Arbeitsplätze. Die aktuelle Haushaltsdiskussion findet aber auch vor einem neuen Diskussionshintergrund statt. Die Transparenzinitiative der EU und die Wortmeldung von 30 Nichtregierungsorganisationen zum Thema Agrarbeihilfen haben die Frage nach Sinn und Zweck von Subventionen neu aufgeworfen. Die Position meiner Fraktion ist eindeutig. Es ist ein legitimer Anspruch der Gesellschaft auf Informationen, was mit öffentlichen Geldern geschieht. Das gilt übrigens in allen Bereichen der Wirtschaftsförderung, nicht nur bei der Landwirtschaft. ({7}) Fehlende Transparenz schafft dagegen auch Freiräume für sachfremdmotivierte Denunzierungen. Gerade deshalb sage ich im Namen meiner Fraktion: Wir werden uns jedem Versuch widersetzen, diese dringend notwendige Diskussion dafür zu missbrauchen, verschiedene Akteure gegeneinander auszuspielen oder die ostdeutschen Landwirtschaftsbetriebe zu benachteiligen. ({8}) Die Landwirtschaft ist wichtig: In den strukturschwachen ländlichen Regionen bietet sie oft die allerletzten Arbeitsplätze. Fakt ist aber auch eines: Wir brauchen dringend eine Überprüfung der Effekte der öffentlichen Förderungen. Mit Fördermitteln eine flächendeckende, multifunktionale Landnutzung zu sichern, ist zum Beispiel sinnvoll, weil im gesamtgesellschaftlichen Interesse. In der Landwirtschaft werden nicht nur Produkte für den Lebensmittelmarkt erzeugt; vielmehr werden dort auch weitere gesellschaftlich erwünschte Leistungen erbracht, die nicht direkt „verkauft“ werden können. Dazu zählen: Offenhaltung der Kulturlandschaft, Schutz von Wasser, Boden und einer vielfältigen Pflanzenwelt usw. usf. Für all diese Zusatzleistungen gibt es am Markt derzeit kaum Gegenleistungen. Fördergelder müssen daher den notwendigen Ausgleich schaffen, nicht mehr und nicht weniger. Schließlich müssen auch Landwirte von ihrer Arbeit leben können. „Von Arbeit leben können“ ist mein nächstes Stichwort. Dass man von der Arbeit leben kann, ist unterdessen nicht mehr selbstverständlich. Die „Lausitzer Rundschau“ meldete vor wenigen Tagen: Wo es wenig Arbeit gibt, greifen Menschen zu jedem Strohhalm. So nehmen sie Jobs an, deren Bezahlung oft nicht ausreicht, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Damit sind sie auf Zusatzleistungen von Hartz IV angewiesen. Das deckt sich leider mit Erfahrungen aus der Prignitz, meinem Wahlkreis. Durch die dramatische Ausweitung des Niedriglohnsektors gibt es Armut nicht mehr nur durch ALG II; Armut gibt es unterdessen immer häufiger auch trotz Arbeit. Im ländlichen Raum spitzt sich diese dramatische Situation zusätzlich zu. Zum Beispiel registrieren wir eine zunehmende Verschiebung regulärer in Saisonarbeitsplätze, die dann oft für den regionalen Arbeitsmarkt vollständig verloren gehen. Wenn die saisonal anfallende Arbeit für die Ausübenden wieder verstetigt werden könnte, wie es zum Beispiel französischen Arbeitgeberzusammenschlüssen gelingt, würde das viele aufgeregte Diskussionen des Sommers zum Thema Saisonarbeit sinnvoll beenden. Mit Schwierigkeiten verbunden ist zudem die Tendenz, dass in kleinen bäuerlichen Wirtschaften, insbesondere in Südwestdeutschland, das Einkommen offensichtlich nicht mehr ausreicht, um die Pflichtbeiträge zur Kranken- und Altersversicherung sowie zur Berufsgenossenschaft zahlen zu können. ({9}) In dem Willen, ihren Hof zu halten, verarmen Bäuerinnen und Bauern trotz schwerer Arbeit und Selbstausbeutung. Aber es geht nicht nur um den sozialen Brennpunkt der ländlichen Räume. Menschen werden auf den Dörfern in weiteren Bereichen zunehmend ihrer Selbstbestimmung beraubt. Zum Beispiel gibt es Regionen, in denen außer dem Schülertransport kein öffentlicher Personennahverkehr mehr stattfindet. Aufgrund der Kürzung der Regionalisierungsmittel sollen jetzt weitere Strecken abgestellt werden, zum Beispiel in Brandenburg, obwohl von Arbeitskräften Mobilität erwartet wird. Auch für Verbraucherinnen und Verbraucher wird es auf den Dörfern immer schwieriger. Einzelhandel und Bibliothek kommen, wenn überhaupt, nur noch mobil. Ärzte, Schulen, Geldautomaten und Poststellen sind immer öfter nur schwer erreichbar. Auch vom Zugang zu Verbraucherberatungen und -informationen sind viele Menschen abgeschnitten; Herr Bahr ist schon darauf eingegangen. Darüber müssen wir uns Gedanken machen. Dieser schwierigen Situation im ländlichen Raum müssen wir uns stellen. Die Linken jedenfalls werden sich nicht vom Leitbild gleichwertiger Lebensverhältnisse in diesem Land verabschieden. ({10}) Wir alle, liebe Kolleginnen und Kollegen, tragen politische Verantwortung auch für die Menschen, die auf dem platten Land leben. Recht herzlichen Dank. ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Bärbel Höhn vom Bündnis 90/Die Grünen.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Meine Damen und Herren! Herr Präsident! Es ist gerade mal zehn Monate her, dass wir über einen Gammelfleischskandal diskutiert haben, und schon diskutieren wir wieder über einen solchen Skandal. Deshalb ist es richtig, dass wir die Haushaltsdebatte heute insbesondere diesem Thema widmen. Es ist auch richtig, dass die Opposition das zum Hauptpunkt macht. Nur, was die Politik auf Bundes- und Landesebene jetzt macht, Herr Seehofer, ({0}) ist Folgendes: Die Länder schieben dem Bund die Verantwortung zu und der Bund schiebt den Ländern die Verantwortung zu. Man hat den Eindruck, dass niemand etwas tut. Das wollen die Leute nicht hören. Vielmehr muss jeder seine Hausaufgaben machen. Es trifft zu, dass auch in Bayern einiges schief gelaufen ist. Ich finde es erschreckend, muss ich sagen, dass auch dieser Skandal wieder durch einen anonymen Hinweis aufgedeckt wurde. ({1}) Übrigens - das ist auch interessant - ging der Hinweis nicht an die Veterinärbehörden, sondern an die Polizei. Die Veterinärbehörden sind in Bayern den Landräten untergeordnet. ({2}) Wir müssen exakt diskutieren, ob das in Ordnung ist; ich habe es immer angekreidet. ({3}) Die Landräte oder die Bürgermeister sind natürlich dicht an der Gewerbesteuer dran. Sie sind auch dicht dran in der Frage, was zum Beispiel mit den Arbeitsplätzen ist. Das führt leicht zu einer Verquickung. Das führt dazu, dass es zu große Nähe gibt. In Bayern war es so, dass die Behörde bei der Firma Berger Wild über den Skandal Bescheid wusste, aber nicht agiert hat. Es ist also wichtig, die Struktur zu ändern. Die Kontrolle darf nicht zu dicht an der Kommune dran sein, weil das zu Verwerfungen führt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Höhn, eine Sekunde. Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schirmbeck?

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das wird doch nicht angerechnet. Dann stoppen Sie die Zeit bitte. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nein, das wird nicht angerechnet.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Die Zeit läuft hier aber und läuft.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön.

Georg Schirmbeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003626, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrte Frau Kollegin, jeder von uns hat ja ein Vorleben.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja.

Georg Schirmbeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003626, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich kann mich daran erinnern, dass Sie in einem Bundesland, in Nordrhein-Westfalen nämlich, das meinen schönen Wahlkreis umgrenzt, große Verantwortung getragen haben.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Richtig.

Georg Schirmbeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003626, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie haben gerade gesagt, wer alles unfähig ist, Landräte usw. Haben Sie den Namen Coppenrath & Wiese schon einmal gehört?

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja.

Georg Schirmbeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003626, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Durch ein Fernsehinterview von Ihnen wurde dieser Firma etwas angedichtet, das der Kollege Bartels aus Niedersachsen dann heilen musste. Das hätte eine hochmoderne, hocheffiziente, alle Gesetze einhaltende Firma fast den Kopf gekostet. Wenn Sie hier jetzt alle Behörden, alle Institutionen so kritisieren, wie Sie das gerade im Schnelldurchgang wieder gemacht haben, dann sollten Sie sich einmal den Spiegel Ihrer eigenen Vergangenheit vorhalten.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das mache ich gern. - Bei der Firma Coppenrath & Wiese war es so, dass die CDU in Hessen uns damals gesagt hat: Wir haben ein Problem. - Dieses Problem habe ich aufgegriffen. Ich habe das noch nicht einmal so dramatisch gemacht wie die Hessen. Richten Sie diesen Vorwurf also an die CDU in Hessen und gucken Sie sich den Fall noch einmal an! ({0}) Aber lenken Sie nicht ab; denn es geht hier um Herrn Seehofer ({1}) und Herr Seehofer hat seine Hausaufgaben in diesem Fall nicht gemacht. Ich kann mich sehr genau erinnern, dass Herr Seehofer Anfang dieses Jahres gesagt hat: Wir werden die schwarzen Schafe benennen. - Das war sein Hauptpunkt: das Verbraucherinformationsgesetz. Heute sagt er, die Anbieter müssten öffentlich benannt werden. ({2}) Was ist denn in der Zwischenzeit geschehen? Dieses Verbraucherinformationsgesetz würde nicht dazu führen, dass die schwarzen Schafe benannt werden, meine Damen und Herren. Das ist das Problem. ({3}) Deshalb sage ich Ihnen im Auge des Hurrikans: Ergreifen Sie endlich Maßnahmen und setzen Sie sie um! Ein halbes Jahr später ist aus diesem groß angekündigten Verbraucherinformationsgesetz eine lahme Ente geworden. Ändern Sie dieses Verbraucherinformationsgesetz jetzt! Jetzt haben Sie den Schwung und auch Rückenwind von der Bevölkerung; jetzt können Sie es ändern. Tun Sie es, nachdem Sie schon ein halbes Jahr nicht in der Lage waren, etwas zu unternehmen! ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Höhn, erlauben Sie eine weitere Zwischenfrage, und zwar der Kollegin Heinen?

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja. Bitte stoppen Sie die Zeit.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön.

Ursula Heinen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003143, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Höhn, ist Ihnen entgangen, dass der Deutsche Bundestag noch vor der Sommerpause eine Änderung des § 40 Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch verabschiedet hat, nach der es in Zukunft ausdrücklich erlaubt ist und die Behörden angewiesen sind, die Firmen zu nennen, deren Produkte nicht in Ordnung sind, auch wenn sie vom Markt verschwunden bzw. nicht auf dem Markt sind? Das heißt, im September wird es, wenn der Bundesrat, der seine Zustimmung schon signalisiert hat, zustimmt, zu einer entsprechenden Änderung kommen. Haben Sie an dieser Abstimmung nicht teilgenommen? Außerdem frage ich: Wie haben Sie denn vor der Sommerpause im Bundestag über § 40 Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch abgestimmt?

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich sage Ihnen sehr deutlich: Dieses Verbraucherinformationsgesetz habe ich abgelehnt, ({0}) und zwar weil es schlecht ist. Es ist in der Tat ein löchriger Käse. ({1}) Das, was Sie erreichen wollen, nämlich dass die in diesem Fall Betroffenen genannt werden, wird nicht eintreten. ({2}) Heute sagen Ihnen die Experten, dass die Betroffenen nach diesem Verbraucherinformationsgesetz nicht genannt werden müssten. Dass die gewünschte Wirkung des Verbraucherinformationsgesetzes nicht eingetreten ist, sehen Sie ja. Es gibt doch offensichtlich niemanden auf diesem Markt, der vor diesem Verbraucherinformationsgesetz Angst hat. Die abschreckende Wirkung, die Sie sich erhofft haben, ist eben nicht eingetreten. Deshalb ist es falsch, einfach auf dieses Verbraucherinformationsgesetz zu setzen. Wir müssen es ändern. Vor allen Dingen müssen wir eines machen: Wenn Herr Seehofer heute von den Anbietern spricht, dann ist das wieder nur eine radikale Forderung, hinter der nichts steckt. Es soll nur wieder der kleine Fleischmakler benannt werden. Aber wer hat denn von diesem kleinen Fleischmakler das Fleisch gekauft? Das waren große Fleischkonzerne; sie haben es gemacht, weil sie dadurch eine Menge Geld gespart haben. Genau die müssen auch benannt werden; denn sie wissen, was sie tun. ({3}) Nur über diese Selbstheilungskräfte der Branche werden wir es schaffen, diesen Gammelfleischmarkt endlich in den Griff zu bekommen. Das ist der richtige Weg; der richtige Weg sind nicht irgendwelche billigen und auch rigorosen Ankündigungen, wie sie heute wieder von Herrn Seehofer kommen. ({4}) An einem Punkt gebe ich Herrn Seehofer Recht, und zwar bezüglich der Strafen. Es gibt schon heute ein ausreichendes Maß an Strafen; das stimmt. ({5}) Aber die Gerichte haben in den vergangenen Jahren trotzdem ein relativ niedriges Strafmaß angewendet; auch das müssen wir sehen. ({6}) Der letzte Punkt. Herr Seehofer spricht von Qualitätsstandards. Ebenso spricht er davon, dass Bund und Länder sich besser abstimmen müssen. Ich kann mich sehr genau erinnern, dass er gesagt hat, die Abstimmung zwischen Bund und Ländern werde er in den Griff bekommen, anders als Frau Künast, die Symbolpolitik betrieben habe. Er hat sie aber nicht in den Griff bekommen; Bayern hat eben nicht gemeldet. Jetzt spricht er von Qualitätsstandards. Das finde ich richtig. Aber warum hat er diesen Punkt nicht bei der Föderalismusreform eingebracht? Er hatte monatelang die Möglichkeit, eine Änderung der verschiedenen Strukturen herbeizuführen. Diese Möglichkeit hat er verstreichen lassen, stellt aber heute erneut die gleiche Forderung. Bei der Qualität und den Qualitätsstandards holt ihn seine eigene Politik ein. Herr Seehofer war, als er Minister wurde, der Erste, der hier gesagt hat, er kaufe besonders preiswert ein; alles sei so wie früher, alles sei gut. Wenn alle Lebensmittel gleich gut sind, meine Damen und Herren, dann zählt für die Verbraucher nur noch eines, nämlich der Preis. Wir sind heute - das sagen Veterinäre in Deutschland - ein Markt für Gammelfleisch. ({7}) All das, was andere Länder hier in Europa nicht loswerden, bringen sie in Deutschland auf den Markt. ({8}) Wenn Sie von der CDU dieses Problem nicht einsehen, dann werden wir den Gammelfleischskandal überhaupt nicht in den Griff bekommen. ({9}) Setzen wir wieder da an, wo wir gute Politik gemacht haben: Setzen wir bei der Qualität an, meine Damen und Herren! Nur bei einem vernünftigen Preis-LeistungsVerhältnis - wenn die Leute nach Qualität einkaufen werden wir die Diskussion um Gammelfleisch endlich wegbekommen in diesem Land.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme zum Schluss. Es ist Zeit, dass sich was dreht, meine Damen und Herren. Machen Sie eine andere Politik!

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Höhn, bevor Sie zum Schluss kommen, möchte der Kollege Goldmann gern eine Zwischenfrage stellen.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, bitte. ({0})

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Künast, jetzt, wo Sie da sind, sollten Sie einen Moment zuhören. Frau Höhn hatte fünf Minuten Redezeit - schauen Sie einmal, wie liebenswürdig der Präsident zu Frau Höhn war.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sie sind jetzt ja auch dran!

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Höhn, ich finde das ja alles ganz spaßig, was Sie sagen. Sind Sie bereit, am Freitag in der Ausschusssitzung - nicht öffentlich - zu sagen, welche Veterinäre Ihnen gesagt haben, dass Deutschland sozusagen ein Land des Gammelfleisches ist?

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, ich bin bereit.

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Werden Sie am Freitag verifizieren, um welche Größenordnungen es dabei geht? Ich finde das, was Sie hier sagen, zutiefst skandalös. Wenn Sie, die Sie Fachministerin eines Landes waren, in dem die Fleischwirtschaft eine sehr zentrale Rolle spielt - ich denke zum Beispiel an das Münsterland oder an Wiedenbrück -, so etwas sagen, dann bezeichne ich das als einen klassischen Arbeitsplatzvernichter ersten Ranges, der durch nichts, durch überhaupt nichts zu rechtfertigen ist. ({0}) Sie haben eben gesagt - wenn ich das ein bisschen verkürzt wiederholen darf -: Deutsche Fleischkonzerne handeln mit Gammelfleisch. - Sind Sie sich über die Aussage, die Sie gerade getätigt haben, im Klaren? Glauben Sie, dass Sie wirklich einen deutschen Fleischkonzern nennen können, der mit Gammelfleisch handelt? Oder sind es nicht vielleicht eher die Kleinen, die Schwachen in diesem System, die diese Situation missbrauchen? Ich bitte Sie wirklich, in dieser Frage etwas rücksichtsvoller gegenüber einer leistungsfähigen Branche und gegenüber den Arbeitsplätzen in diesem Bereich zu sein, die viele, viele Haushalte finanzieren. ({1})

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Goldmann, Sie tun der Fleischwirtschaft keinen Gefallen, wenn Sie dieses Problem negieren. ({0}) Wir alle wissen von vielen Bereichen - von der Fleischwirtschaft, aber auch von anderen Bereichen -, dass der deutsche Markt mittlerweile ein Markt ist, der nicht mehr von Qualitätsprodukten gekennzeichnet ist. ({1}) Wir zwei waren gemeinsam in den Niederlanden. Was haben uns da die Gemüsehändler erzählt? Sie haben gesagt: Die Gemüse mit der hohen Qualität gehen nach Großbritannien, die Gemüse mit der niedrigen Qualität nach Deutschland. Das liegt auch an dem harten Wettbewerb der Händler hier in Deutschland. Wenn wir dieses Problem negieren - für mich ist Großbritannien kein Gourmetland, das muss ich ganz ehrlich sagen - und der harte Preiswettbewerb bei uns am Ende dazu führt, dass andere ihre schlechten Produkte hierher bringen, dann werden wir dieses Problem nicht in den Griff bekommen. ({2}) Am Ende werden die Arbeitsplätze, die Sie jetzt schützen wollen, eher verloren gehen, als wenn wir das Problem rechtzeitig angehen und die Lösungen dazu nach vorne bringen. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Peter Bleser. Bitte schön. ({0})

Peter Bleser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000198, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Leider ist diese Generaldebatte um den Haushalt durch ein Thema bestimmt, nämlich die Aufarbeitung des Gammelfleischskandals. Deswegen möchte und muss auch ich dazu einige Äußerungen machen, gerade in Bezug auf die hier gerade vorgetragenen Reden von Herrn Goldmann und von Frau Höhn. Herr Kollege Goldmann, ich glaube, Sie waren nicht sehr redlich, als Sie dem Minister unterstellt haben, dass er hier behauptet habe, es gebe bei der Lebensmittelkontrolle keine Probleme, es sei alles okay. ({0}) Gerade Herr Seehofer hat unabhängig von der politischen Farbe einer Landesregierung sehr deutlich gemacht, welche Fehler zu beheben sind und was bisher nicht richtig gelaufen ist. Ich glaube, es ehrt einen Bundesminister insbesondere, wenn er in dieser Klarheit und ohne parteipolitische Zuordnung vorgeht. Das ist zu rechtfertigen. ({1}) Das Nächste, was Sie hier unterstellt haben, hat eine besondere Qualität. Sie meinen, das Verbraucherinformationsgesetz - wenn es denn in Kraft getreten ist; das wird noch einige Wochen dauern; das wissen die Menschen draußen nicht - schaffe keine verbesserte Lage. ({2}) Herr Goldmann, ich erinnere daran, dass die FDP und insbesondere Sie es waren, die in den Verhandlungen des Vermittlungsausschusses in den letzten Legislaturperioden ({3}) darauf bestanden haben, dass nur dann Namen genannt werden dürfen, wenn Verwaltungsverfahren rechtskräftig abgeschlossen sind. ({4}) Das würde bedeuten, dass es unter Umständen Jahre dauert, bis ein Gerichtsurteil verkündet ist, infolgedessen man die entsprechende Person oder das entsprechende Unternehmen nennen darf. Das ist kein Verbraucherschutz, so wie wir ihn wollen. ({5}) Nach dem bald in Kraft tretenden Verbraucherinformationsgesetz ist nicht nur die Nennung des Namens desjenigen Unternehmens, welches gegen Gesetze verstoßen hat, möglich, sondern auch die Nennung derjenigen, die das Produkt nicht mehr auf dem Markt haben, und derjenigen, die das Produkt bezogen haben. Das ist eine neue Qualität, die ihre Auswirkung auf den Markt mit Sicherheit nicht verfehlen wird. ({6}) Ich hoffe, dass die abnehmenden Unternehmen, aber insbesondere auch die Verbraucher die öffentlich genannten Unternehmen durch Kaufverweigerung entsprechend sanktionieren. Wenn es nicht anders geht, kann dies zum Schließen eines Unternehmens führen; denn nur so bekommen wir eine veränderte Situation, die zu Qualität zwingt. Das ist unser Antritt. Den haben wir sehr klar mit unseren Festlegungen im Verbraucherinformationsgesetz verfolgt. ({7}) Sie, Frau Höhn - wenn Sie mir Ihre geneigte Aufmerksamkeit zuwenden würden! -, ({8}) haben den Landräten unterstellt, dass die Kommunen die Produzenten bzw. Vertreiber von Gammelfleisch decken würden. Das ist eine Ungeheuerlichkeit. Das sollten Sie belegen; ansonsten würde ich so etwas hier in diesem Haus nicht sagen. ({9}) Ich sage auch Ihnen: Sie erwecken den Eindruck, dass durch das Verbraucherinformationsgesetz nichts verändert werde. Das ist eine Fehleinschätzung, deren Ursache eine gewisse Realitätsferne ist.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Bleser, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Höhn?

Peter Bleser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000198, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön, Frau Höhn.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Bleser, Sie haben gerade gesagt, ich hätte etwas unterstellt, was ich begründen müsse, nämlich dass in den Landkreisen eine zu große Nähe zwischen den Kontrolleuren und den dortigen Wirtschaftsvertretern bestehe. Herr Bleser, was sagen Sie dann zu dem Wildfleischskandal in Bayern, bei dem erwiesen ist, dass die Behörden nicht eingegriffen haben, obwohl sie wussten, dass der Wildfleischlieferant Berger Fleisch, dessen Haltbarkeit abgelaufen war, weiterverkauft hat? Was für ein Verhalten ist das Ihrer Meinung nach? Belegt das nicht eine zu große Nähe zwischen Behörden und dem Unternehmen? Fällt das nicht genau unter den Punkt, den ich genannt habe, nämlich dass Behörden nicht tätig werden, obwohl ihnen bekannt ist, dass vor Ort ein nicht gesetzmäßiges Verhalten stattfindet?

Peter Bleser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000198, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Höhn, das ist ganz banal: Sie können nicht einen Einzelfall - den ich natürlich beanstande und kritisiere verallgemeinern und damit eine ganze politische Kultur infrage stellen. ({0}) Ganz im Gegenteil: Die räumliche Nähe führt dazu, dass insbesondere die Kommunen ihre Pappenheimer - so will ich sie einmal bezeichnen - eher kennen, als es der Fall ist, wenn nicht vor Ort ansässige oder ferngesteuerte Kontrolleure auftreten. ({1}) Die Nähe kann hilfreich sein. Aber in dem einen Fall hat sie sicher nicht zu besonderer Objektivität geführt. Meine Damen und Herren, wir beraten heute den Agrarhaushalt. Erlauben Sie mir, dass ich neben dem jetzt angesprochenen Thema auch auf dieses Spektrum eingehe. Ich denke, wir können schon voller Stolz sagen, dass die Politik der ersten gut neun Monate dieser Bundesregierung gerade in der Agrarwirtschaft enorme Erfolge zu verzeichnen hat. Es gibt einen Stimmungswandel, Frau Künast, allein schon durch die Tatsache, dass Sie nicht mehr hier vorne sitzen. ({2}) - Man soll sich hier halt nicht mit Zwischenrufen profilieren. Dieser Stimmungswechsel drückt sich ganz konkret in der Tatsache aus, dass sich das Agrarkonjunkturbarometer von 50 Punkten im März 2004 auf 113 Punkte im Juni dieses Jahres mehr als verdoppelt hat. Die Landwirte investieren wieder. Sie haben Vertrauen in die Zukunft. Ihre Einkommen sind gestiegen. Diesen hoffnungsvollen Weg setzen wir konsequent fort und deswegen sind wir schon ein Stück stolz darauf, dass es auch im Haushalt 2007 gelungen ist, eine Kürzung der Bundesmittel bei der landwirtschaftlichen Unfallversicherung ({3}) und Beitragssatzerhöhungen, die Sie immer wieder verursacht haben, zu vermeiden. Wir haben im Übrigen auch die Mittel für den Verbraucherschutz in diesem Haushaltsentwurf um 13,2 Millionen Euro angehoben. Ich bin sicher: Auch das wird zu einer entsprechenden Veränderung des Bewusstseins draußen führen. ({4}) Ich will aber jetzt noch etwas zu der landwirtschaftlichen Unfallversicherung sagen, weil die von den Betroffenen in der Öffentlichkeit geäußerte Kritik in den letzten Wochen zugenommen hat. Ich bin nicht sicher, wie lange es noch gelingt, ({5}) diese Bundesmittel für die landwirtschaftliche Unfallversicherung zur Verfügung zu stellen. Deswegen ist eine grundsätzliche Reform der landwirtschaftlichen Unfallversicherung, auch nach dem Bericht des Bundesrechnungshofes, unvermeidlich. ({6}) Dabei sind uns die Beitragszahler, die Bauern und ihre Mitarbeiter, am wichtigsten. Ich hoffe, dass die Angestellten der Unfallversicherungen das nötige Verständnis aufbringen und sie die notwendigen Veränderungen mittragen. ({7}) Darüber hinaus stehen wir in den nächsten Monaten auch vor der Frage, ob wir bei der Bewertung der ersten und der zweiten Säule eine Umschichtung durch eine höhere Modulation vornehmen sollen oder nicht. In diesem Zusammenhang und auch im Zusammenhang mit der EU-Transparenzrichtlinie wird eine heftige Debatte geführt. Nicht wenige hier in diesem Haus wollen ja, dass alle Zahlungen an die Landwirte veröffentlicht werden. Ich wundere mich insbesondere darüber, dass der Landwirtschaftsminister von Mecklenburg-Vorpommern das begrüßt. Er muss doch wissen, dass in der Öffentlichkeit nur sehr schwer ein Verständnis dafür herzustellen ist, dass Mittel an Großstrukturen übertragen werden. Ich meine, die Menschen haben einen Anspruch auf Verlässlichkeit. Sie müssen sich darauf verlassen können, dass die GAP-Reform, die bis 2013 abgeschlossen sein wird, auch so umgesetzt wird, wie sie beschlossen worden ist. ({8}) Die Maßnahmen müssen so ausfallen, wie es die Landwirte kalkuliert haben. Wir haben nämlich - das muss man der Öffentlichkeit sagen - eine Kürzung in der ersten Säule um circa 15 Prozent zu erwarten, wenn Bulgarien und Rumänien der Europäischen Union beitreten. Bei der zweiten Säule sind es - jedenfalls nach der jetzt vorliegenden Berechnung - nur 12 Prozent. Es wäre angebracht, dass hier eine Gleichbehandlung erfolgt. Es besteht die Gefahr, dass, wenn wir die Transparenzrichtlinie so umsetzen, wie sie die Europäische Union vorschlägt, Neid und Missgunst in die Dörfer getragen werden. ({9}) Ich glaube, die Landwirte haben einen Anspruch darauf, dass ihre Privatsphäre geschützt wird ({10}) und dass sie nicht als einzige Berufsgruppe, die staatliche Hilfen erhält, ihr Einkommen, das zu einem wesentlichen Teil aus diesen staatlichen Hilfen besteht, offen legen müssen. ({11}) Hier gehen wir an die Ehre der Bauern und das ist mit uns nicht zu machen. ({12})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Bleser, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Künast?

Peter Bleser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000198, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, bitte.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Bleser, die von Ihnen aufgeworfene Frage der Ehre beschäftigt mich an der Stelle. Zunächst einmal habe ich Zweifel daran, dass sich die Einkommen der Bauern „im Wesentlichen“, wie Sie es gerade gesagt haben, aus den Zahlungen aus Brüssel ergeben. Was mich aber besonders wundert, ist, dass Sie hier eine Sonderstellung der Bauern behaupten. Können Sie mir erklären, warum für Landwirte die Veröffentlichung der erhaltenen Subventionen irgendwie ungerecht wäre - das ist Ihre Formulierung -, während Ihr Gehalt als Mitglied des Deutschen Bundestages, mein Gehalt oder das des Ministers per Gesetz veröffentlicht wird? ({0}) Sie müssten doch gleichermaßen eine Kampagne dafür führen, dass Minister- und Abgeordnetenbezüge in Zukunft nicht mehr öffentlich gemacht werden, frei nach dem Motto, das diskriminiere sie und sei der Gesellschaft nicht zu vermitteln. Durch das Verbraucherinformationsgesetz soll mehr Transparenz geschaffen werden. Meinen Sie nicht, dass die Steuerzahler das gute Recht haben zu erfahren, wohin das Geld fließt? Wohlgemerkt, es geht um die Höhe der erhaltenen Subventionen, nicht um den Umsatz eines jeden Betriebes. Wie kommen Sie dazu zu behaupten, das sei ungerecht, da Ihr eigenes Gehalt öffentlich ist?

Peter Bleser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000198, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Künast, wir könnten das für alle Berufsgruppen und diejenigen, die staatliche Transferleistungen erhalten - das fängt beim Hartz-IV-Empfänger an und geht über die Kohlesubvention bis hin zu den Gehaltszahlungen der Beamten und Angestellten des öffentlichen Dienstes -, öffentlich machen. Das würde zu einem gewaltigen Bürokratieaufwand führen und unter Umständen sogar Arbeitsplätze schaffen. ({0}) - Herr Kelber, sicher ist das elektronisch zu vereinfachen. Aber was sagen Sie, Frau Künast, als Repräsentantin der Grünen in diesem Zusammenhang zum Datenschutz? Was hat das mit dem Schutz der Privatsphäre zu tun? ({1}) - Das, Frau Künast, war die größte Unverschämtheit, die ich mir bisher von Ihnen anhören musste. Sie haben eine Agrarpolitik betrieben, in deren Folge landwirtschaftliche Betriebe bis zum Jahr 2013 vor gravierende Veränderungen gestellt wurden, die sie ohne diese Hilfen überhaupt nicht überstehen können. In dieser Situation wollen Sie die Menschen an die Öffentlichkeit zerren und durch eine Neiddiskussion um diese Hilfen bringen. Das ist der wahre Grund, der hinter Ihrem Handeln steht. ({2}) Ich fasse zusammen: Wir müssen beim Verbraucherschutz natürlich weitergehen und dürfen uns nicht nur auf den Lebensmittelsektor beschränken. Wir haben durch unsere Initiativen bei den Roamingentgelten schon zu einer Veränderung beigetragen, wir werden auch bei den Fahrgastrechten bei der Bahn weitere Verbesserungen zugunsten des Verbraucherschutzes erreichen. Wir werden in den nächsten Jahren ganz sicher dazu beitragen, dass die Verbraucher mehr zu Qualitätsprodukten greifen. Da bei Markenprodukten eine direkte Beziehung zwischen Kunde und Hersteller besteht, ist es mir ein besonderes Anliegen, dass Markenprodukte größere Marktanteile erreichen und weniger zu No-Name-Produkten gegriffen wird. Wir haben erreicht, dass Verbraucher und Landwirtschaft wieder Vertrauen zueinander finden. Beim Lebensmittelhandel müssen wir noch zu mehr Vertrauen kommen, aber auch daran werden wir arbeiten. An diesen Aussagen können Sie uns messen. Herzlichen Dank. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Edmund Geisen von der FDP-Fraktion.

Dr. Edmund Peter Geisen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003757, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich bin in vielerlei Hinsicht anderer Meinung als mein Vorredner. Ich denke, dass von der jetzigen Regierung bisher noch kein Problem im Bereich Landwirtschaft, Ernährung und Verbraucherschutz gelöst wurde ({0}) und keine wirksamen Reformen in Gang gesetzt wurden. ({1}) Das Schlimmste, was man dem zuständigen Minister vorzuwerfen hat, ist der andauernde Zick-Zack-Kurs seiner Politik. Herr Minister Seehofer, wir von der FDP haben sorgfältig notiert, dass Sie innerhalb eines halben Jahres mindestens 13 unterschiedliche Bewertungen zum System der landwirtschaftlichen Unfallversicherung öffentlich abgegeben haben. Das heißt: Durchschnittlich alle 14 Tage plädierten Sie für eine neue Reformvariante. Bei den Beratungen zum Koalitionsvertrag vom November 2005 setzen Sie sich für ein modernisiertes landwirtschaftliches Sozialversicherungssystem ein. Am 12. Dezember 2005 kritisieren Sie Frau Künast im „Focus“ wegen der 50-Millionen-Euro-Kürzung der LUV-Bundesmittel mit der Begründung, dies werde über Beitragserhöhungen zum Knock-out des Berufsstandes führen. Übrigens: Genau dasselbe machen Sie nun im aktuellen Haushaltsentwurf. ({2}) 19. Dezember 2006, „top agrar“: Sie sprechen von der Verzahnung der Systeme. 16. Januar 2006, „Agra-Europe“: Kürzungen werden vermieden. 8. April 2006, „Badische Bauern Zeitung“: Der Minister spricht vom Systemwechsel in Richtung Kapitaldeckungsverfahren. 29. Mai 2006 „top agrar Online“: Kein Systemwechsel. Während er am 19. Juni in „Agra-Europe“ die Privatisierung fordert, lehnen seine Staatssekretäre diese am 26. Juni in „top agrar Online“ ab. Am 4. Juli, „dlz agrarmagazin Online“, kommt das Kapitaldeckungsverfahren wieder auf den Tisch. Am 17. Juli, „Bayerisches Landwirtschaftliches Wochenblatt“, heißt es: Die Privatisierung ist nicht möglich. Und nun der Haushaltsentwurf 2007: Die Kürzungsvorschläge ähneln denen von 2005. Es handelt sich um eine Kürzung: Sie nehmen zunächst eine Verlagerung der Mittel vor, die später in eine direkte Beitragskürzung einmünden wird. Verehrter Herr Seehofer, Ihr Vorgehen - rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln - ist für den betroffenen Berufsstand unerträglich und bedeutet einen enormen Verlust des Vertrauens in die Politik. Dieses Verhalten führt zu einer großen Verunsicherung. Wir von der FDP fragen Sie deshalb: Erstens. Welchen Weg schlagen Sie als ausgewiesener Sozialpolitiker tatsächlich vor? Zweitens. Was halten Sie von dem FDP-Vorschlag einer kapitalgedeckten landwirtschaftlichen Unfallversicherung? ({3}) Drittens. Warum verunsichern Sie permanent die zum Teil am Existenzminimum Berührten durch drohende Beitragserhöhungen, anstatt eine Altlastenbefreiung vorzunehmen und einen Reformvorschlag auf den Tisch zu legen? Übrigens: Unsere Einsparvorschläge geben die Absicherung im sozialen Bereich her. ({4}) Wir stehen nun vor der Obst- und Weinernte. Die vor wenigen Monaten beschlossene Eckpunkteregelung für die Saisonarbeitskräfte war ein Flop. ({5}) Sie hilft weder den Arbeitslosen noch den Saisonarbeitskräften noch den Bauern. Nein, sie verdirbt die Ernte. Die FDP hat dazu übrigens einen Antrag eingebracht. Geben Sie den Erntehelfern eine Chance, indem Sie für Freiheit sorgen und bilaterale Vereinbarungen ermöglichen. ({6}) Wir brauchen eine Zukunftspolitik für die deutsche Landwirtschaft und das Vertrauen der Verbraucher in die angebotenen Produkte. Die Agrarpolitik der großen Koalition gleicht einem Spiel, bei dem sich alle lustig austoben, aber kein Tor fällt. ({7}) Für die betroffenen Landwirte ist dieses ewige Hin und Her indes weniger lustig. Die FDP fordert klare Zielsetzungen, Verlässlichkeit und nachhaltige Entscheidungen. Von Ihrer Agrarpolitik geht aber weder das eine noch das andere Signal aus. Passen Sie auf, dass Sie die Bauern auf dieser Spielwiese nicht ins Abseits manövrieren. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Manfred Zöllmer von der SPD-Fraktion.

Manfred Zöllmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003663, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Goldmann, Frau Tackmann, Frau Höhn, wer das Verbraucherinformationsgesetz, das mehr Transparenz schafft und die Namensnennung von Unternehmen ermöglicht, hier im Parlament abgelehnt hat, ist als Kritiker der Bundesregierung völlig unglaubwürdig. ({0}) Verbraucherpolitische Themen stehen - die Debatte hat das deutlich gemacht - wieder einmal an der Spitze der Nachrichtenagenda. Wir haben bereits über den Gammelfleischskandal in Bayern gesprochen. Ich werde dieses Thema auch noch einmal aufgreifen. Die Stromanbieter verkünden höhere Preise. Zu den auf der Internationalen Funkausstellung vorgestellten technischen Innovationen zählt insbesondere die Verbindung von Fernsehen, Internet und Sprachkommunikation. Allein diese drei Felder belegen sehr deutlich, welche Bandbreite eine aktive und gestaltende Verbraucherpolitik bekommen hat. In dieser Debatte ist eines sehr deutlich geworden: Wir können und werden es nicht mehr zulassen, dass sich skrupellose Unternehmer auf Kosten der Gesundheit vieler bereichern. Es ist wirklich bitter, dass auch nach dem letzten Skandal, der nur wenige Monate her ist, viele Bundesländer ihre Hausaufgaben offenbar nicht gemacht haben. Wieder einmal ist der Fall nur durch anonyme Hinweise und nicht aufgrund staatlicher Kontrollen aufgedeckt worden. Es kann und darf nicht sein, dass viele Bundesländer die Kontrollen im Lebensmittelbereich zum Sparziel bei schwieriger Haushaltslage machen. Die Gesundheit der Menschen muss Vorrang vor den Sparnotwendigkeiten der Landeshaushalte haben. Im Radio wurde berichtet, dass in München die Zahl der Lebensmittelkontrollen in den letzten Jahren halbiert worden ist. Das deutet darauf hin, dass man sich hier auf einem wirklich schlechten Weg befindet und Herr Minister Seehofer mit seiner Kritik an den Ländern und an ihrem Gebaren in diesem Zusammenhang Recht hat. Herr Goldmann, Sie haben Unrecht, weil Sie die Verantwortlichkeiten nicht zur Kenntnis nehmen wollen. Ich kann das Gleiche in Richtung von Frau Höhn sagen. Wenn die Länder im real existierenden Föderalismus nicht bereit sind, die notwendige Verantwortung zu übernehmen, dann muss der Bund reagieren. ({1}) Wir haben bei der Diskussion über die Föderalismusreform erlebt, wie sehr die Länder ihre Besitzstände in diesem Bereich verteidigt haben. Das kann auf Dauer so nicht mehr gehen. ({2}) Wichtig ist - das hat der Minister deutlich gemacht -, dass bundeseinheitliche Qualitätsstandards bei der Lebensmittelüberwachung eingeführt werden. ({3}) - Auf sehr hohem Niveau. ({4}) Darüber hinaus müssen wir dafür sorgen, dass die Rückverfolgbarkeit der Waren verbessert wird. ({5}) Das ist ganz wichtig, damit klar ist, wer an wen was geliefert hat. Der Einsatz moderner Technologien, zum Beispiel der RFID-Tags, kann helfen, eine lückenlose Rückverfolgbarkeit möglich zu machen. ({6}) - Genau. Das Strafrecht muss in viel stärkerem Maße angewandt werden. Es muss sehr sorgfältig geprüft werden, ob eine Strafverschärfung sinnvoll ist. Unternehmer, die in diesem Sinne tätig geworden sind, müssen wissen, dass sie ihre Gewerbeerlaubnis verspielt haben. Hier muss vor Ort gehandelt werden. In der Vergangenheit ist das zu wenig geschehen. Es muss sichergestellt sein, dass illegale Gewinne abgeschöpft werden. Die Verbraucherinnen und Verbraucher haben ein Recht darauf, dass Ross und Reiter genannt werden. Wir können nicht versprechen, alle kriminellen Machenschaften zukünftig zu verhindern. Aber wir können versprechen, es diesen Wirtschaftskriminellen so schwer wie möglich zu machen. Wir unterstützen nachdrücklich alle Bemühungen von Herrn Minister Seehofer, dieses Ziel zu erreichen. ({7}) Erneut haben die Stromversorger Preiserhöhungen zum Beginn des kommenden Jahres angekündigt. Die Schmerzgrenze für viele Verbraucherinnen und Verbraucher ist längst überschritten. ({8}) Es ist nicht akzeptabel, dass einige wenige Stromkonzerne ihre Gewinne auf Kosten der Allgemeinheit und der deutschen Wirtschaft vervielfachen. ({9}) Ein weiteres Drehen an der Preisspirale ist nicht mehr hinnehmbar. Wenn man sich die Entwicklung ansieht, dann stellt man fest, dass in diesem Bereich in den letzten Jahren Preissteigerungen von teilweise bis zu 50 Prozent zu verzeichnen sind. Deshalb müssen die Landesregierungen etwas tun. Hier sind die Länder verantwortlich, die noch bis zum 1. Juli 2007 die Anträge auf Strompreiserhöhungen zu genehmigen haben. Sie müssen diese Anträge sorgfältig prüfen und die Verbraucherinteressen dabei besonders berücksichtigen. Wenn die Anträge ungerechtfertigt sind, sollten sie sie auf jeden Fall ablehnen. Den entsprechenden Ankündigungen vieler Länderminister müssen Taten folgen. ({10}) Ich sage auch: In diesem Bereich ist kein Platz für Populismus. Der Vorschlag der nordrhein-westfälischen Wirtschaftsministerin, die Länderaufsicht über den 1. Juli 2007 hinaus zu verlängern, stellt keine Lösung dar. Denn bei diesen Genehmigungen geht es nur um ein Drittel der Kosten: um die Netznutzungsgebühren für die privaten Haushalte. Auf diesem Markt brauchen wir wirklichen Wettbewerb, keine staatlichen Placebos. Durch die Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes stehen die Bundesnetzagentur und zukünftig die Kartellbehörden in der Verantwortung, für Preisklarheit, Missbrauchsaufsicht und mehr Wettbewerb zu sorgen. Das ist der richtige Weg. Ich fordere die großen Energieunternehmen nachdrücklich auf, die niedrigeren Netzentgelte, die von der Bundesnetzagentur durchgesetzt worden sind, in Preissenkungen am Markt umzusetzen. ({11}) Wenn dies nicht geschieht, muss sich der Gesetzgeber über weitere Maßnahmen Gedanken machen. Die Entwicklungen auf dem Telekommunikationsmarkt haben deutlich gezeigt, dass es möglich ist, erfolgreich vom Monopol zum Wettbewerb überzugehen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Haushalt des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz unterstreicht die Bedeutung, die die Verbraucherpolitik für die Bundesregierung hat. Trotz aller Konsolidierungsnotwendigkeiten konnte das bisherige Niveau insgesamt gehalten werden. Das ist ein großer Erfolg. ({12}) Eine aktive Verbraucherpolitik braucht handlungsfähige Institutionen. Neben dem Bundesministerium sind dies nachgeordnete Behörden wie das Bundesinstitut für Risikobewertung und das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit. In Anbetracht der Bedeutung ihrer Aufgaben ist es gut, dass sich ihre Etats nachhaltig erhöhen. Wenn ich über Institutionen rede, dann geht es mir nicht nur um die staatlichen Institutionen und Organisationen, sondern auch um die unabhängigen Verbände und Stiftungen. Der Zuschuss für die Stiftung Warentest wird in Höhe von 6,5 Millionen Euro gehalten und das ist auch gut so. ({13}) Darüber hinaus halte ich es für richtig, dass die Stiftung Warentest seit dem Jahr 2004 bei ausgewählten Tests Aspekte der sozialen Unternehmensverantwortung mit berücksichtigt. Mehr und mehr Verbraucherinnen und Verbraucher sind an diesen Hintergrundinformationen interessiert und richten ihre Kaufentscheidungen zu Recht an ihnen aus. Wirtschaft sowie Verbraucherinnen und Verbraucher tragen Verantwortung auch für soziale und Umweltstandards. Die institutionelle Förderung der Verbraucherzentrale Bundesverband bleibt nahezu unverändert. ({14}) Wenn sich der Bund zu seiner Verantwortung bekennt und die Arbeit der vzbv als wichtige ordnungspolitische Aufgabe betrachtet und entsprechend fördert, müssten auch die Länder die Förderung der Verbraucherzentralen als ihre Pflicht ansehen. Leider werden in immer mehr Bundesländern die Mittel gekürzt. Viele Beratungsstellen und -angebote bluten regelrecht aus. Viele Länder lassen die Verbraucherinnen und Verbraucher im Regen stehen. Die Arbeit der Verbraucherzentralen vor Ort ist von unschätzbarem Wert. Es ist eine wichtige Aufgabe der Landespolitik, dafür zu sorgen, dass niedrigschwellige Beratungsangebote in Deutschland flächendeckend vorhanden sind. Liebe Kolleginnen und Kollegen, da meine Redezeit abgelaufen ist, komme ich zum Schluss. Dieser Haushalt macht deutlich, wie eine aktive Verbraucherpolitik, die die Wirtschaft als Bündnispartner betrachtet und die Verbraucherinnen und Verbraucher nicht bevormunden will, in Zahlen ihren Ausdruck finden kann. Wir müssen uns den Herausforderungen neuer Märkte, neuer Geschäftsmodelle und der digitalen Welt stellen und sie aktiv mitgestalten. Dafür sorgen wir. Herzlichen Dank. ({15})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Cornelia Behm vom Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Cornelia Behm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003500, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gar nicht so einfach, vom Gammelfleisch zurück zum Haushalt zu kommen; aber da wir die erste Lesung haben, sollten wir das jetzt tun. Auch wenn die Zahlen es auf den ersten Blick nicht erkennen lassen - der Haushaltsentwurf 2007 ist ein Haushalt gegen den ländlichen Raum. Die von der deutschen Regierung zu verantwortenden Kürzungen der EU-Mittel für die zweite Säule werden mit keinem Cent kompensiert. Im Gegenteil, die Titel zur Sicherung einer zukunftsfähigen Agrar- und Verbraucherpolitik werden planmäßig abgewickelt. Zum Beispiel werden die Mittel für Forschungs- und Entwicklungsvorhaben für Umweltschutz im Agrarbereich, das sind 1,6 Millionen Euro, komplett gestrichen. Sie kürzen den Etat für das Bundesprogramm „Tiergerechte Haltungsverfahren“ um 83 Prozent; das sind 2,5 Millionen Euro weniger. ({0}) Den Etat für das Bundesprogramm „Ökologischer Landbau“ wollen Sie um 20 Prozent kürzen; das bedeutet 4 Millionen Euro weniger. Und das, obwohl die Branche Zukunft hat: zweistellige Zuwachsraten in den letzten Jahren, 150 000 Arbeitsplätze in der Naturkostbranche. Die Förderung von Modell- und Demonstrationsvorhaben wollen Sie um 18 Prozent, also 1,8 Millionen Euro, kürzen. Sie schrecken selbst vor Kürzungen bei der Verbraucheraufklärung und den nachwachsenden Rohstoffen nicht zurück. ({1}) Summa summarum streichen Sie, Herr Minister, 13,7 Millionen Euro bei Zukunftsaufgaben - und das, obwohl der Agrarhaushalt im Vergleich zum laufenden Haushaltsjahr um 82,5 Millionen Euro aufgestockt wird. Sie kommen also nicht etwa schmerzlichen Kürzungsvorgaben nach, sondern Sie streichen Künast-Titel, um ein Zeichen zu setzen. Das ist ideologisch, also genau das, was Sie uns - zu Unrecht - immer vorwerfen. Gleichzeitig wollen Sie die Mittel für die Förderung von Innovationen um 16,6 Millionen Euro erhöhen. Grundsätzlich begrüße ich das, allerdings kommt es darauf an, was Sie mit dem Geld machen. Sie wollen damit zum Beispiel die Forschung im Bereich der Agrogentechnik forcieren.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Behm, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Bahr von der SPD-Fraktion?

Cornelia Behm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003500, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, gerne.

Ernst Bahr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002620, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Behm, ist Ihnen bekannt, dass die entsprechenden Mittel in den vergangenen Jahren unter Frau Künast gar nicht vollständig abgerufen worden sind und dass jetzt um weniger gekürzt werden soll, als gar nicht abgerufen wurde?

Cornelia Behm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003500, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Darüber wird zu reden sein. Auf jeden Fall brauchen wir Titel - insbesondere das Programm, auf das Sie anCornelia Behm spielen -, die sich mit artgerechter Tierhaltung befassen. Es kommt sehr darauf an, wie wir diese Titel in Zukunft ausgestalten. ({0}) - Wir müssen doch jetzt nicht über die Hühnerstallgeschichte diskutieren! ({1}) Wie gesagt, die Frage ist, was man mit den Mitteln für Innovationsförderung macht. Ich meine, sie in die Agrogentechnikforschung zu stecken, ist der falsche Weg; mit diesem Geld könnte man wahrlich Besseres machen. ({2}) Denn Sie wissen alle, meine Damen und Herren: Die Akzeptanz für Agrogentechnik ist in Deutschland einfach nicht vorhanden. Daher wird diese Forschung nicht wirklich Innovationen hervorbringen, die den Markt erreichen. Sie werden mit Ihrer Innovationsstrategie eine Bauchlandung machen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Behm, erlauben Sie auch eine Zwischenfrage der Kollegin Klöckner von der CDU/CSUFraktion?

Cornelia Behm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003500, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, gerne.

Julia Klöckner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003566, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Liebe Kollegin Behm, Sie sagten, Sie lehnen es ab, in die Agrogentechnik Geld zu stecken. Aber ist es nicht gerade Ihre Fraktion, die Fraktion der Grünen, die die Anwendung der Grünen Gentechnik ablehnt mit dem Hinweis, dass es nicht genug Forschung auf diesem Gebiet gebe?

Cornelia Behm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003500, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wir lehnen die Agrogentechnik nicht aus diesem Grund ab, sondern wir lehnen sie ab, weil wir die Hoheit über unsere Teller und über unsere Äcker nicht großen Monopolen überlassen wollen. ({0}) Wir meinen, dass diese Innovationsmittel eher in anwendungsrelevante Anbau- und Züchtungsforschung gesteckt werden müssen, und zwar nicht nur im Bereich nachwachsender Rohstoffe; denn damit kann man etwas für die Zukunft der Landwirtschaft tun. Dies ist angesichts des Klimawandels dringend notwendig. Lassen Sie mich zur Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ kommen. Dass Sie die Mittel für die GAK nach der Absenkung um 50 Millionen Euro in diesem Jahr nicht weiter zusammenstreichen, ist kein Trost für den ländlichen Raum; denn ab Januar 2007 wird die drastische Kürzung der EU-Mittel erstmals massiv zu Buche schlagen. Die fehlenden Mittel aus der zweiten Säule werden den Bauern richtig wehtun, und zwar besonders im Süden dieser Republik. ({1}) Hier hätte eine nationale Kompensation erfolgen müssen. ({2}) Sie wäre auch möglich gewesen; denn infolge des ausgehandelten Kompromisses müssen ja viel weniger nationale Mittel nach Brüssel überwiesen werden. Sehr geehrter Herr Minister, bei den Mitteln aus der zweiten Säule und der GAK handelt es sich nicht um irgendwelche Subventionen, mit denen man mal mehr und mal weniger Klientelpolitik betreiben kann. Im Gegenteil: Die Förderung des ländlichen Raums ist entscheidend für die Wettbewerbschancen unserer Landwirtschaft in den nächsten 20 Jahren. Nicht umsonst spricht Frau Fischer Boel von der zweiten Säule als der Lebensversicherung der Landwirtschaft. Ihre Haushaltspolitik zeugt jedoch nicht davon, dass Sie das wirklich verstanden haben. Darüber hinaus frage ich mich, was Ihre Haushaltspolitik mit Planungssicherheit für die Landwirte zu tun haben soll. Wo ist denn die Planungssicherheit für die Bauern, die an Programmen der zweiten Säule teilnehmen? Wo bleibt Ihre viel beschworene Verlässlichkeit? Im Koalitionsvertrag schreiben Sie: Die Finanzierung der Zweiten Säule muss ausreichend abgesichert und die gleichgewichtige Entwicklung beider Säulen gewährleistet bleiben. Gleichzeitig streichen Sie als eine der ersten Amtshandlungen aber die Mittel für den ländlichen Raum radikal zusammen. In diesem Zusammenhang bin ich schon sehr gespannt auf den Kongress Ihres Hauses am 5. Oktober 2006. Was wollen Sie den Leuten denn da erzählen? Wollen Sie sagen, dass der ländliche Raum und die Landwirtschaft zukünftig auch ohne Fördermittel auskommen? Unsere Alternative ist ganz klar: Als Ausgleich für die drastischen Kürzungen bei ELER fordern wir eine entsprechende Aufstockung der GAK-Mittel. ({3}) Darüber hinaus brauchen wir ein neues Förderprogramm, durch das der überwältigende Erfolg des Pilotprojekts „Regionen Aktiv - Land gestaltet Zukunft“ fortgesetzt wird. Ich habe im Sommer zehn der 18 Modellregionen besucht und mit vielen Akteuren vor Ort gesprochen. Alle waren sich in dem einen Punkt einig, dass dieses Förderprogramm das Beste war, was es für den ländlichen Raum bisher gegeben hat. Es wurde mehr regionale Wertschöpfung generiert und es wurden mehr Arbeitsplätze geschaffen als bei jedem anderen Programm mit vergleichbaren Mitteln. Ich fordere Sie deshalb dringend auf, eine entsprechende Anschlussförderung bzw. ein analoges Programm aufzulegen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Behm, kommen Sie bitte zum Schluss.

Cornelia Behm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003500, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme gleich zum Schluss. - Mit der Markteinführung regionaler Qualitätsprodukte kann man im Übrigen durchaus etwas gegen Gammelfleischskandale tun. Sehr geehrter Herr Minister, liebe Kolleginnen und Kollegen, noch ist es nicht zu spät. Gehen Sie in sich und prüfen Sie den Agrarhaushalt auf seine Zukunftsfähigkeit. Denken Sie daran, dass wir hier nicht nur Politik für die Städter machen, sondern dass etwa die Hälfte der deutschen Bevölkerung im ländlichen Raum lebt. Diesen Menschen können wir den Stuhl nicht vor die Tür setzen. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Georg Schirmbeck von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Georg Schirmbeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003626, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zwischenzeitlich hat es ja einige Aufgeregtheiten gegeben. Allerdings muss man sich fragen, worüber wir hier eigentlich reden. ({0}) Wenn ich durch die Gegenden in Deutschland fahre, in denen die Landwirtschaft und die Ernährungswirtschaft eine große Rolle spielen, dann sehe ich, dass dort neue Schweineställe, Hühnerställe und Kuhställe gebaut werden und Wurstfabriken, Salatfabriken, Gewürzwerke, Biogasanlagen, Sägewerke und Gärtnereien entstehen. Ich stelle fest, dass die Investoren im ländlichen Raum Vertrauen in die Zukunft haben. ({1}) Das ist das Ergebnis der Arbeit eines souveränen Ministers und einer überzeugenden großen Koalition, also dessen, was wir in den letzten neun Monaten auf den Weg gebracht haben. Das wollten wir so und darauf sind wir stolz. ({2}) - Michael, du bist in einer schwierigen Situation. Wir beide sind uns in den allermeisten Fragen ja durchaus einig. ({3}) Du kannst nicht alles, was im Emsland - bei dir zu Hause im Wahlkreis - geschieht, zur Kenntnis nehmen. Wenn du mit den Betriebsinhabern sprichst, dann wirst du feststellen: Die Bauern - auch wenn es anders dargestellt wird - wollen gar keine Zuschüsse oder Subventionen. Sie wollen, dass man sie in Ruhe lässt und dass sie nach guter handwerklicher Art arbeiten können. ({4}) Die eine oder andere Gängelei durch die rot-grünen Gesetze aus der Vergangenheit muss natürlich durch staatliche Mittel ausgeglichen werden. ({5}) Das kann dann zwischenzeitlich in einen kleinkarierten Parteienstreit ausarten. Wir sollten zur Kenntnis nehmen, dass in Deutschland Tausende von Veterinären und Gesundheitsaufsehern arbeiten, Zehntausende Betriebsinhaber leben und Hunderttausende von Menschen in den verschiedenen Fabriken und Anlagen einen guten Job machen. Für die Arbeit, die sie leisten, sollten wir ihnen danken. ({6}) Manchmal habe ich den Eindruck: Wir verdrängen, dass wir das Glück haben, in der Hälfte der Welt zu leben, in der man sich satt essen kann, während wir es negieren, dass die halbe Menschheit schmachtet, um es ganz deutlich und krass zu sagen. Wenn man so manche Diskussion in Ruhe verfolgt, gewinnt man den Eindruck, dass wir irgendwann so weit sind, vor einem vollen Kühlschrank mit den allerbesten Lebensmitteln dieser Welt zu stehen, aber so hysterisch geworden zu sein, dass wir Angst haben, von diesen Lebensmitteln zu essen, und stattdessen lieber verhungern. Manche Diskussionen führt man nur, wenn man einen solch vollen Magen hat, wie wir ihn haben. Auch das muss man einmal an dieser Stelle sagen. ({7}) Jetzt können Sie natürlich für den einen oder anderen Haushaltstitel mehr Geld fordern. Über Geld diskutiere ich auch immer zu Hause mit meiner Frau. Das Ergebnis ist: Es ist immer zu wenig Geld da. ({8}) Darüber kann man lange reden. Fakt ist: Aus diesem Haushalt werden nicht wesentlich mehr Mittel herauszuquetschen sein. Wir werden für diesen Einzelplan nicht mehr Geld bereitstellen können. Deshalb ist es unsere Aufgabe - das ist natürlich schwierig und das muss man intelligent anstellen -, auf Dauer mit weniger Geld mehr zu bewegen. Das gilt für jeden einzelnen Haushaltsansatz. Darüber muss man diskutieren. Manchmal ist das auch heilsam. Schließlich wissen wir, dass manche Programme und Ansätze rein gar nichts gebracht haben. Diese müssen ganz einfach gestrichen werden. ({9}) Wir haben eine Verstetigung der Politik. Aus der mittelfristigen Finanzplanung kann man ganz einfach ersehen, dass im ländlichen Bereich mit den 615 Millionen Euro aus der GAK gerechnet werden kann. Das heißt, alle Bundesländer können kalkulieren, was zukünftig auf sie zukommt. ({10}) Manche sagen uns auch: Wir brauchen gar nicht mehr Geld. Wir müssen bloß wissen, was mittelfristig auf uns zukommt. Wenn das berechenbar ist, können wir mit der einen oder anderen Einschränkung leben. Aber bei der GAK - das habe ich schon bei den letzten Haushaltsberatungen gesagt - stellt sich mir an der einen oder anderen Stelle die Frage, ob das nicht eine ganz und gar undemokratische Einrichtung ist. ({11}) An der wirklichen Mittelverteilung sind weder der Bundestag noch die Länderparlamente beteiligt. Daher muss man sich schon fragen, ob da nicht Beamte bürokratische Verteilungsorganismen aufbauen, sodass diese 615 Millionen Euro gar nicht in dem vorgesehenen Umfang dort ankommen, wo sie ankommen sollen. Es ist unsere Aufgabe, das gezielt zu überprüfen. Es bringt nichts, nur zu sagen: Mein Gott, hier sind die Mittel gekürzt worden und wir brauchen mehr Geld. - Vielmehr müssen wir ganz konkret auf die Effizienz achten, Herr Kollege Goldmann. Das ist gleichzeitig die Antwort auf die Frage, die Sie eben als Zwischenruf gestellt haben. ({12}) Angesichts all der Aufregung um die angeblichen großen Kürzungen stelle ich mir die Frage, ob Sie die Vorlage vielleicht gar nicht gelesen haben. Der Kollege Bahr hat es richtigerweise angesprochen: Nebelhaushaltsansätze helfen nichts, wenn die Mittel gar nicht abfließen. Auch in der Vergangenheit hat es offensichtlich für das eine oder andere Programm gar keine Notwendigkeit gegeben. ({13}) Diese Programme werden an das angepasst, was sachgerecht ist. Da die Mittel dann auch berechenbar sind, können die Programme im Bereich des Verbraucherschutzes und in allen anderen Bereichen, die hier schon diskutiert worden sind, sehr gut laufen. Wir müssen natürlich auch noch über andere Dinge diskutieren. Ein Beispiel: Die Unterstützung für Programme für Hilfsmaßnahmen in Osteuropa wird den Einzelplan nicht zu Fall bringen. Aber wenn wir sehen, dass es mittlerweile in Osteuropa Staaten gibt, die im Geld umkommen und bei uns sogar vorzeitig ihre Schulden ablösen, dann stellt sich die Frage, ob beispielsweise für das Elend in Kaliningrad - die deutsche Geschichte ist hier natürlich emotional hoch belastet - nicht eher Putin als Frau Dr. Merkel zuständig ist und ob wir dafür Geld bereitstellen müssen oder nicht einmal den Finger in die Wunde legen müssten. Das schließt nicht aus, dass man an der einen oder anderen Stelle trotz allem etwas tut. Aber es ist sicherlich auch wichtig, zu hinterfragen, ob sich die Verhältnisse geändert haben. Wir haben im Wesentlichen nicht den Haushaltsplan beraten, sondern über den Verbraucherschutz gesprochen. Das war aufgrund der aktuellen Situation vielleicht auch nachvollziehbar. Aber dann sollte man wenigstens noch das Argument in die Haushaltsplanberatungen einbringen, dass wir für unsere Forschungsanstalten Investitionen in einem bisher nicht da gewesenen Umfang tätigen. Das heißt, wir machen unsere Einrichtungen, deren Sachverstand wir brauchen und in Anspruch nehmen wollen, fit für die Zukunft. Ich glaube, auch das gehört zu den Wahrheiten und Fakten, die hier vorgetragen werden müssen. Schließlich und endlich wissen wir, dass der Agrarhaushalt zu etwa 80 Prozent - das schwankt vielleicht um ein paar Zehntel - eigentlich ein Sozialhaushalt ist. Wir müssen dabei zur Kenntnis nehmen, dass beispielsweise beim landwirtschaftlichen Altersgeld in den nächsten Jahren steigende Ausgaben zu verzeichnen sein werden; es sei denn, es gäbe jemanden, der eine Gesetzesinitiative anstoßen würde, um an dieser Stelle zu kürzen. Das sehe ich aber nicht. Die Reden, in denen zum Sparen aufgefordert wird, und das tatsächliche Tun sind eben zweierlei Dinge. Ich schließe mich aber ausdrücklich dem an, was der Kollege Bahr festgestellt hat. Bei der landwirtschaftlichen Krankenkasse und der Unfallversicherung müssen wir zu neuen Ufern kommen. Die anderen Redner bekommen sicherlich ähnliche E-Mails wie ich. Es ist wünschenswert, die landwirtschaftliche Unfallversicherung für die Zukunft auf Kapitaldeckung umzustellen. ({14}) Dann müssen wir uns aber auch damit auseinander setzen, wo das Kapital herkommen soll. Es ist zwar einfach, dafür 1 Milliarde Euro aus dem Bundeshaushalt zu fordern. Eine solche Politik haben wir in der Vergangenheit gemacht. So können wir in Zukunft nicht vorgehen, weil uns das Geld dafür fehlt. ({15}) Was ich damit sagen will, ist: Wenn es für die große Koalition in einem Politikbereich eine Erfolgsgeschichte gibt, dann ist das in dem Bereich der Fall, über den wir hier diskutiert haben. Das zeigt sich daran, dass der Minister alle Säle füllt und die Leute, die die Veranstaltung besucht haben, zufrieden nach Hause gehen. In dem Sinne sollten wir gemeinsam weitermachen. Ich glaube, wir beide schaffen es, das auf den Weg zu bringen, Ernst Bahr. Herzlichen Dank. ({16})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt hat das Wort die Kollegin Waltraud Wolff von der SPDFraktion.

Waltraud Wolff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003270, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin meinen beiden Haushältern Herrn Bahr und Herrn Schirmbeck sehr dankbar - ich glaube, ich spreche auch im Namen beider Arbeitsgruppen -; denn der vorgelegte Haushaltsentwurf zeigt, dass die schwarz-rote Bundesregierung von Kontinuität geprägt ist: Dieser Haushaltsplan entspricht dem vorigen. Was von der Opposition in allen Teilen geäußert wurde, bringt mich dazu, festzustellen: Wenn Sie schon Reden halten, dann sollten Sie wenigstens den Ausführungen Ihrer Vorredner bzw. des Herrn Ministers Seehofer folgen. Dann hätten Sie manche Äußerung nicht getan. ({0}) Die großen Posten wie die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ oder die agrarsoziale Sicherung werden auf dem diesjährigen Niveau gehalten. Darauf werde ich später noch eingehen. Ich möchte mit einem eher selten diskutierten Posten des Haushalts beginnen, nämlich dem Titel für Tagungen, Messen und Ausstellungen. Das hat heute noch niemand angesprochen, weil das Thema Gammelfleisch im Vordergrund stand. Die Mittel für öffentliche Auftritte werden von 4,9 Millionen auf 6,6 Millionen Euro aufgestockt. Das halte ich für ausgesprochen wichtig. Ich denke dabei nur an die Werbung für deutsche Qualitätsprodukte aus der Landwirtschaft. Aber auch die bevorstehende EU-Ratspräsidentschaft wird hierbei sicherlich eine Verpflichtung sein. Finnland, das zurzeit die EU-Präsidentschaft innehat, geht beherzt schwierige Themen wie die Transparenzinitiative und den Bürokratieabbau an. Österreich hat sich in seiner Amtszeit im ersten Halbjahr 2006 verstärkt der Entwicklung der ländlichen Räume und der Biomasse gewidmet. Nach allen Erfahrungen der letzten Monate und Jahre wäre eine Fokussierung auf den Verbraucherschutz bzw. auf die Verbraucherpolitik für die EU-Präsidentschaft unter deutschem Vorsitz ein hervorragendes Thema, weil sich auch die deutsche Bevölkerung damit identifizieren würde. Ich glaube, das wäre ein sehr geeignetes Thema. ({1}) Trotz des sehr engen Spielraums des Haushalts werden die GAK-Mittel nicht weiter gesenkt. Aber in Zukunft gilt in wesentlich stärkerem Maße, dass wir haushaltstechnisch die Mittel zur Verfügung stellen, die am wenigsten marktpolitisch verzerrende Wirkungen zeigen. Die Agrarreform, die wir unter der Vorgängerregierung auch im Hinblick auf die WTO gemacht haben, wird sicherlich nicht der letzte Schritt sein, den wir in der Politik gehen, um die landwirtschaftliche Produktion und die Wertschöpfung in den ländlichen Räumen zu sichern. Uns allen ist klar, dass im Zuge der finanziellen Ausgestaltung der EU die Mittel für die Entwicklung der ländlichen Räume nicht mehr, sondern weniger werden. Trotzdem werden wir Wege finden müssen, um die ländlichen Räume weiterzuentwickeln. Dabei kann die nationale Kofinanzierung nicht das Allheilmittel sein. Weil dieses Thema von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung ist, von der Telekommunikation über den Personennahverkehr bis hin zur Wertschöpfung der ländlichen Betriebe, kann man nur im Einklang mit allen Akteuren Lösungen finden. Wir, die SPD-Fraktion, widmen uns diesem Thema auf einer Tagung am 12. September. Ich glaube, dass wir dort zu sehr guten Lösungen kommen werden. ({2}) Im Bereich der nachwachsenden Rohstoffe kann die Bundesregierung gute Erfolge verzeichnen. So förderte das Bundesministerium mit insgesamt 50 Millionen Euro verschiedene Projekte. Ich nenne als Beispiele nur den Einsatz biogener Schmierstoffe, Demonstrationsvorhaben der energetischen Nutzung nachwachsender Rohstoffe und den Einsatz der Biomasse. Ich weise zu Recht darauf hin; denn der deutsche Energiebedarf wird schon - das sollte man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen - zu etwa 4 Prozent über die Biomasse gedeckt. Dieser Prozentsatz steigt und ist noch steigerbar. Der große Posten der landwirtschaftlichen Sozialpolitik macht - Sie sehen mir sicherlich nach, dass auch ich zu diesem Thema Aussagen mache - den Löwenanteil des Einzelplans 10 aus. Wir haben im Koalitionsvertrag die Reform der agrarsozialen Sicherung vereinbart. Sie ist notwendig. Vor allem drängt die Zeit. Natürlich ist es wichtig, dass diese Reform mit der allgemeinen Reform des Gesundheitswesens einhergeht. Wir können hier nicht vorangehen, sondern müssen warten und gemeinsam den Weg gehen. Aber wir haben keine Zeit mehr zu verlieren. Herr Geisen, Ihrer Forderung nach Einführung eines kapitalgedeckten Verfahrens in der landwirtschaftlichen Unfallversicherung muss ich eine eindeutige Absage erteilen. Versicherungen haben sich bereits damit befasst und Gutachten erstellt. Demnach kann der Bund die alten Lasten nicht übernehmen; denn so etwas schüttelt man nicht einfach aus dem Ärmel. Darauf weisen wir bereits seit Jahren hin. Zudem ist für die Versicherten kein erkennbarer Nutzen durch die Umstellung auf ein kapitalgedecktes Verfahren zu erwarten. Wenn wir eine Reform machen, sollten wir aber die Versicherten im Blick haben und nicht nur sehen, wie wir das Problem vom Tisch bekommen. ({3}) In allen Bereichen des landwirtschaftlichen Sozialversicherungssystems brauchen wir Beitragsgerechtigkeit, eine größere Transparenz und mehr Effizienz. Wir brauchen ein Konzept, bei dem die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Träger im Blick behalten werden und das gleichzeitig gewährleistet, dass die Bundesländer mit im Boot sind. Aber noch einmal: Waltraud Wolff ({4}) Wir haben keine Zeit zu verlieren. Herr Minister, die SPD steht in dieser Frage an Ihrer Seite. ({5}) Der Bundeshaushalt sieht vor, dass die Forschungsmittel aufgestockt werden. Da Frau Behm vorhin von Kürzungen geredet hat, bin ich froh, dass Herr Schirmbeck das klargestellt hat. Ich finde, es ist ein gutes Zeichen, wenn wir die Einrichtungen und die Labors so ausstatten, dass gute Arbeit geleistet werden kann. Fortschritt bei der Forschung bedeutet ein Plus für Unternehmen. Daran besteht ein öffentliches Interesse. Nehmen wir als Beispiel die Impfung von Geflügel. Wir alle warten auf wirksame Impfstoffe, die Entwarnung in Bezug auf die Vogelgrippe geben könnten. Das würde zum einen die Geflügelhalter aufatmen lassen, weil diese nicht in der Lage sind, die finanzielle Last zu tragen, wenn der ganze Geflügelbestand getötet werden muss. Die finanziellen Auswirkungen sind enorm und könnten vermieden werden, wenn man die Infektionskrankheit in den Griff bekommt. Zum anderen ist es mindestens genauso wichtig, Schaden von der Bevölkerung abzuwenden und die gesundheitliche Sicherheit der Bevölkerung zu gewährleisten. Deshalb müssen wir in hohem Maße in die verbraucherorientierte Forschung investieren. ({6}) Forschung soll effizient sein. Mittel können an Dritte vergeben werden. So kann man bundesseitig sparen. Die nachgeordneten Einrichtungen des Bundes haben in den vergangenen zehn Jahren ungefähr 20 Prozent - sprich: 800 Stellen - eingespart. Warum sage ich das? Den Behörden geht es um Inhalte und nicht darum, ob sie möglicherweise bei der nächsten Ausschreibung wieder den Zuschlag erhalten oder nicht. Die Neutralität ist für das Bundesministerium ganz sicher von großem Nutzen. Passen wir also auf, dass wir nicht an dem Ast sägen, auf dem wir sitzen. Absolut wichtig ist außerdem, die Verbraucheraufklärung zu stärken. Auch hier haben wir die Mittel aufgestockt. Wir haben im Laufe der Debatte gehört, wie wichtig es ist, für die Verbraucher zu sorgen und harte Strafen für eine gewisse Art von Wirtschaftskriminalität zu verhängen. Ich glaube, dass Herr Minister Seehofer mit dem Zehnpunkteprogramm die richtigen Stellschrauben gefunden hat. Ich glaube, man muss dieses Programm umsetzen. Das ist in der heutigen Debatte deutlich geworden. Die Länder haben den wichtigsten Part bei der Umsetzung: die Kontrollen. An dieser Stelle darf nicht gespart werden. Wir brauchen eine hohe Kontrolldichte sowie unangemeldete und konsequente Kontrollen. Zusätzlich sind länderübergreifende Qualitätskontrollen notwendig. Wir haben mit dem Verbraucherinformationsgesetz die richtigen Schritte unternommen. Wenn der Bundesrat im September hier noch etwas draufsattelt, dann freuen wir als SPD uns ganz besonders. ({7}) Ich hoffe, dass der Bundesrat zu solchen Konsequenzen kommt und wir im September den Bürgerinnen und Bürgern verkünden können, welche Firmen unlauter arbeiten, wer sich krimineller Machenschaften bedient und wer vom Markt verschwinden muss. Unser Einzelplan 10 - ich habe das deutlich gemacht - hat eine solide Grundlage. Ich hoffe auf gute Beratungen, natürlich auch auf Zustimmung von der Opposition. Vielen Dank. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Weitere Wortmeldungen zu dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz liegen nicht vor. Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz, Einzelplan 07. Als erste Rednerin hat die Bundesministerin Brigitte Zypries das Wort. Frau Ministerin, bitte schön.

Brigitte Zypries (Minister:in)

Politiker ID: 11003870

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Es ist jetzt über neun Wochen her, dass das Haushaltsgesetz 2006 verabschiedet wurde. Heute befassen wir uns erneut mit den Finanzen. Wenn man den Etat des Justizministeriums mit denen der übrigen Ressorts vergleicht, dann stellt man fest: Nicht nur für den letzten Haushalt, sondern auch für den jetzt vorgelegten gilt, dass wir zwar am wenigsten ausgeben, aber am meisten einnehmen. Es sind 0,17 Prozent des Bundeshaushalts. Damit ist unser Einzelplan der kleinste des Bundeshaushalts. Wir haben mit 72,5 Prozent aber nunmehr die mit Abstand höchste Kostendeckungsquote der Ressorts. ({0}) Wer in den letzten Jahren aufmerksam zugehört hat, der wird sich fragen, warum unsere Kostendeckungsquote eigentlich so gesunken ist. Das liegt nicht daran, dass das Deutsche Patent- und Markenamt weniger Einnahmen hat, sondern daran, dass die Pensionskosten in diesem Jahr zum ersten Mal auf die Einzelhaushalte umgelegt sind. Das heißt für ein Ministerium wie das Justizministerium, das einen sehr hohen Personalkostenanteil hat, natürlich, dass die entsprechenden Pensionslasten sehr zu Buche schlagen. Ich möchte deshalb gleich an dieser Stelle den freundlichen Hinweis geben, dass das Ausweisen der Pensionslasten das eine ist; das andere ist die Frage, inwieweit die Pensionslasten aus dem eigenen Haushalt gedeckt werden müssen. ({1}) Ich bitte herzlich, nicht in die Versuchung zu geraten, in ein oder zwei Jahren zu sagen: Wenn man es schon einmal ausgewiesen hat, dann kommen Sie doch bitte selber für Ihre Pensionslasten auf. Das könnte der Einzelplan des Justizministeriums nicht leisten. Dann müssten wir, das Justizministerium, die Arbeit einstellen. Das wäre schade. Ich meine nämlich, dass die Justiz in diesem Lande eine große Bedeutung hat und eine sehr gute Arbeit macht. ({2}) Das ist an dieser Stelle und bei solchen Gelegenheiten schon oft gewürdigt worden. Die Arbeit, die wir machen, bezieht sich oft auch darauf, dass wir uns bemühen, die Verwirklichung des sozialen Rechtsstaats durch Gesetze sicherzustellen, auch und gerade im Bereich des Verbraucherschutzes. Ich will jetzt nicht über verdorbenes Fleisch und die Frage des Verbraucherschutzes reden, sondern über andere Aspekte des Verbraucherschutzes, nämlich über den Ausgleich des freien Spiels der Kräfte. Wir haben als Ideal des Wirtschaftslebens Vertragsfreiheit und Privatautonomie. Aber dieses freie Spiel der Kräfte muss staatlich oft genug reguliert werden, um zu einem gerechten Ausgleich zu kommen. Die Verbraucher sind vielfach in einer schwächeren Position, wirtschaftlich, strukturell und auch hinsichtlich der Informationen. Tatsächlich ist es doch so: Wer einen Job oder eine Wohnung dringend sucht, ist ein schlechter Verhandlungspartner. Er kann nämlich nicht mit den Muskeln spielen, schließlich ist er auf den Job oder die Wohnung angewiesen. Ein Verbraucher, der sich mit einem Großkonzern anlegen will, hat allein keine Chance. Wer vor einem Vertragsschluss nicht über alle Risiken und Details aufgeklärt wurde, der kann nicht frei entscheiden. Wir wollen aber Entscheidungsfreiheit und Selbstbestimmung der Verbraucherinnen und Verbrauchern stärken. Wir wollen den mündigen Verbraucher bzw. die mündige Verbraucherin. Daher sorgen wir zunächst dafür, dass jedermann einen freien Zugang zum Markt bekommt. Diskriminierung soll und darf es in diesem Bereich nicht geben. ({3}) Wenn Sie das hören, dann denken Sie alle natürlich gleich an das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, mit dem wir einen ersten wichtigen Schritt getan haben. Das will ich aber gar nicht ausführen. Ich will sagen, dass es noch zahlreiche andere Bereiche gibt, wo wir einen Bedarf an Lösungen sehen. Ich möchte als ein Beispiel das Thema Girokonto nennen. Ein solches Konto ermöglicht jedermann, am Wirtschaftsverkehr teilzunehmen; denn, wie Sie alle wissen, ohne ein Girokonto ist die Teilnahme am Wirtschaftsleben heute so gut wie nicht möglich. Jemand, der einen Job sucht und nicht angeben kann, auf welches Konto das Geld überwiesen werden soll, hat auch nicht annähernd eine Chance, diesen Job zu bekommen. Die Zeiten der Lohntüte sind lange vorbei. ({4}) - Genau. Wir befinden uns deshalb mit den Banken und den Sparkassen in Gesprächen darüber. Wir haben in unserem letzten Bericht an den Deutschen Bundestag angemahnt, dass es nunmehr nach der allgemeinen Selbstverpflichtung endlich auch eine rechtlich verbindliche Selbstverpflichtung geben muss, ({5}) dass Banken und Sparkassen die Zusage eines Girokontos für jedermann einlösen. Anderenfalls müssen wir tatsächlich darüber nachdenken, ob es gesetzlicher Regelungen bedarf. ({6}) Das gilt übrigens auch für das so genannte Scoring. Richtig ist natürlich: Wer einen Kredit haben will, muss sich gefallen lassen, dass er auf seine Kreditwürdigkeit überprüft wird. Aber er sollte schon wissen, anhand welcher Kriterien seine Bonität beurteilt wird; denn nur dann kann er dafür sorgen, dass aus allgemeinen Daten nicht Schlüsse gezogen werden, die für ihn selbst gar nicht zutreffen. Das heißt konkret: Wenn eine Bank aufgrund einer bestimmten Postleitzahl oder aufgrund bestimmter Straßennamen davon ausgeht, dass die Menschen, die dort leben, nicht kreditwürdig sind, weil sie kein so hohes Einkommen haben, dann ist das eine Form von Vorurteil, die wir nicht wollen. Wir sagen vielmehr: Es muss im Einzelfall geprüft werden. Solche generellen Beurteilungen darf es nicht geben. ({7}) Das ist die Frage der Beteiligung oder des Zugangs. Eine andere Frage ist die: Wie können Verbraucher mündig entscheiden? Mündig entscheiden können sie nur, wenn sie hinreichende Informationen haben und damit auch wissen, worüber sie entscheiden. Das ist eine Frage der Transparenz - ein Stichwort, das an dieser Stelle schon oft gefallen ist. Sie wissen, dass wir dem Bundeskabinett in Kürze den Entwurf eines neuen Versicherungsvertragsgesetzes vorlegen werden. Dabei ist Ziel, dass die Versicherungen ihre Kunden künftig vor Abschluss eines Vertrages besser beraten und informieren. Das Kleingedruckte soll man auch nicht erst mit dem Versicherungsschein, sondern bereits vorher bekommen. Wenn Anlass besteht, dann muss in Zukunft auch während eines laufenden Vertrages über Rechte aus dem Versicherungsvertrag informiert werden. Wenn jemand zur Versicherung kommt und sagt: „Ich kann aufgrund von Arbeitslosigkeit die Beiträge im Moment nicht weiter bezahlen und muss den Vertrag kündigen“, dann muss er beraten werden, dass ihm gesagt wird: Man kann den Vertrag auch ruhen lassen; man muss ihn nicht gleich kündigen. Für mehr Transparenz wollen wir nicht zuletzt bei den Kosten sorgen. Beim Abschluss von Lebensversicherungen ist die Verrechnung von Prämien und Provisionen oft nicht erkennbar. Vor allem wird sie auf einen zu kurzen Zeitraum beschränkt. Das wollen wir offen legen. Wir wollen den Verbraucherinnen und Verbrauchern damit deutlich machen, welche Kosten von ihnen zu tragen sind. Verbraucherrechte spielen beim Abschluss von Verträgen eine große Rolle. Sie sollen auch im Laufe des Vertrages beachtet werden und notfalls erstritten werden können. Dafür müssen wir - auch dafür ist das Rechtswesen zuständig - im Zweifel den Einzelnen stärken, wenn es darum geht, seine Rechte durchzusetzen; denn einer gewissen Waffengleichheit bedarf es schon. Wir machen das, indem wir Verbraucherverbände einbinden. Das haben wir bei dem neuen AGG ebenfalls getan, wenn auch, zugegebenermaßen, sehr behutsam. Antidiskriminierungsverbände können jetzt als Beistände vor Gericht auftreten und Benachteiligte in Verfahren unterstützen. Wir stellen noch weitere neue Instrumente zur Verfügung, damit auch diejenigen, die beispielsweise nur wenige Aktienanteile haben, die Möglichkeit haben, sich zur Wehr zu setzen. Seit knapp einem Jahr zum Beispiel sind Musterverfahren möglich, mit denen Anleger ihre Schadensersatzansprüche einfacher geltend machen können. Damit tragen wir der Tatsache Rechnung, dass es immer mehr Menschen gibt, die Aktien als eine Form der Altersvorsorge halten. Wir haben beim elektronischen Bundesanzeiger ein Klageregister und ein Aktionärsforum geschaffen, womit wir Kleinaktionären die Möglichkeit geben, sich zu organisieren und abzusprechen. Maßnahmen des Verbraucherschutzes brauchen wir, um Verbraucher zum Teil auf Augenhöhe mit Großunternehmen zu bekommen. Ein Großunternehmen, über das im Moment geredet wird, ist die Bahn. Sie wissen, dass es dort in vielen Bereichen noch eine Monopolstellung gibt und die Souveränität des Verbrauchers damit nicht sonderlich ausgeprägt ist; ein Wahlrecht gibt es nicht. Eine Debatte, die in diesem Zusammenhang im Moment geführt wird, ist die über die Stärkung der Fahrgastrechte im Bahnverkehr. Wir führen diese Debatte sowohl auf nationaler Ebene als auch auf europäischer Ebene. Innerhalb Deutschlands gab es gerade Vorschläge für ein sehr ausdifferenziertes System der Schadenersatzzahlung bei Verspätung. Auf europäischer Ebene ist dieses System nicht so ausdifferenziert. Ausnahmsweise ist es einmal so, dass auf europäischer Ebene weniger Bürokratie vorgesehen ist, was ja durchaus nicht immer der Fall ist. Ich meine, dass wir Regelungen mit Augenmaß brauchen, insbesondere in dem sehr stark subventionierten Nahverkehrsbereich. Wir müssen, wenn wir die Regelung nicht auf gravierende Fälle beschränken, überlegen, wem wir die Ersatzleistungen aufbürden. Denn wenn die Bahn Verspätung hat, weil sie, um die Sicherheit ihrer Reisenden zu garantieren, herrenlos herumstehende Koffer kontrolliert und Bahnhöfe räumt, auch wenn sich das hinterher als nicht erforderlich herausstellt, oder weil sich Menschen - leider, muss man sagen - in großer Anzahl in Selbstmordabsicht vor die Züge werfen, wird sie als Unternehmen Ersatzleistungen nicht allein zu tragen haben. Dann wird eine Debatte darüber eröffnet werden müssen, wer dafür aufkommt und ob nicht der Staat im Zweifel zahlen muss. Ich meine, wir müssen mit dieser Thematik sorgsam und vorsichtig umgehen und sorgfältig darüber diskutieren. Vor allen Dingen müssen wir sehen, dass wir nicht allzu bürokratisch abgestufte Verfahrensregelungen schaffen, die mehrere Möglichkeiten des Ersatzes vorsehen. Das Ideal des mündigen Verbrauchers oder der mündigen Verbraucherin, der bzw. die frei und selbstbestimmt entscheiden kann, wird also von zwei Seiten bedroht: einerseits durch die Überlegenheit des Geschäftspartners und andererseits durch ein Übermaß an gesetzlicher Regelung, wodurch der Verbraucher übermäßig bevormundet wird. Regelmäßig wird hinterfragt, ob wir eine solche Regelungsdichte brauchen. Manche neigen dazu, nur eine Seite zu sehen. Aufgabe dieses Hauses ist es auch, einen Mittelweg zu finden, einen Ausgleich zwischen diesen unterschiedlichen Anschauungen. Mit der Neufassung des Rechtsberatungsgesetzes haben wir einen entsprechenden Vorschlag gemacht. Wir haben den Entwurf für ein neues Rechtsdienstleistungsgesetz vorgelegt. Darin haben wir die Möglichkeit geschaffen, dass Rechtsrat in geringer Form auch von Menschen erteilt werden kann, die nicht dafür ausgebildet sind. Warum, fragt man sich, soll nicht eine KfzWerkstatt, die mit der gegnerischen Versicherung die Reparaturkosten abrechnet, auch die Schadenspauschale geltend machen können? Warum soll nicht ein Architekt etwas zum Baurecht sagen oder ein Volljurist einen Bekannten kostenlos beraten dürfen? In all diesen Randbereichen können wir, wie wir meinen, das generell vorhandene Monopol der Anwaltschaft auflösen und damit auch ein Stück weit dem Bedürfnis nach weniger Regelung in diesem Bereich nachkommen. Ich glaube, dass Verbraucherinnen und Verbraucher sehr gut wissen, wann sie dem Rat der Kfz-Werkstatt oder des Architekten besser nicht vertrauen und stattdessen zu einer Rechtsanwältin oder einem Rechtsanwalt gehen sollten. Denn das, meine Damen und Herren, sieht der Gesetzentwurf natürlich auch vor: Es bleibt dabei, dass der Rechtsanwalt derjenige ist, der für die qualifizierte Rechtsberatung berufen und dem die gerichtliche Vertretung vorbehalten ist. Mehr Transparenz, Klarheit und Verständlichkeit, das gilt nicht nur im Wirtschaftsleben, sondern das muss auch bei den Regelungen gelten, die diese Verfahren vorschreiben; ich meine ganz konkret bei den Gesetzen. Es bleibt deshalb dabei, dass wir im Hause nach wie vor Anstrengungen unternehmen, Gesetze so zu formulieren, dass sie möglichst verständlich und klar sind. Wir werden jetzt aber zusätzlich mit der Gesellschaft für deutsche Sprache ein neues Projekt starten, das auch in diesem Haushalt ausgewiesen ist; deswegen erwähne ich es in diesem Zusammenhang. Wir wollen gemeinsam untersuchen, wie Gesetze und Verordnungen von unverständlichem Amtsdeutsch befreit und lesbarer werden können. ({8}) Das geht auf eine Anregung von zwei Berichterstattern für den Justizhaushalt zurück. Ich danke den Kollegen Binding und Schröder für ihre Initiative. Ebenso möchte ich aber auch all denen danken, die den Haushalt des Justizministeriums mit befördert haben und denen die Rechtspolitik am Herzen liegt. Meine Damen und Herren, auch in den nächsten Wochen kommen auf die Rechtspolitikerinnen und Rechtspolitiker eine Menge Vorhaben zu. Es gibt zahlreiche Anhörungen und Beratungen; der Rechtsausschuss ist gut ausgelastet. Lassen Sie uns gemeinsam bei all diesen Beratungen daran denken, dass wir nicht nur richtige und gute Gesetze machen wollen, sondern auch verständliche. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Sabine LeutheusserSchnarrenberger für die FDP-Fraktion. ({0})

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001336, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Justizhaushalt, Frau Ministerin, gibt wirklich, was das rein Finanzielle angeht, nicht allzu viel her. Gut, dass Sie das Deutsche Patent- und Markenamt haben; denn es ist doch immer wieder sehr schön, das in Haushaltsdebatten zu nennen. Deshalb ist es wichtig, dass von Ihrer Seite aus immer ein sehr wohlwollendes Auge - am besten zwei - auf diese „Goldkuh“ geworfen wird. In den knapp zehn Monaten der Legislaturperiode ist noch nicht allzu viel passiert in der Rechtspolitik. Das steht uns jetzt im Herbst bevor, wenn wir einen Anhörungsmarathon zu vielen wichtigen Vorhaben im Rechtsausschuss durchführen werden. Geprägt war die Arbeit - die Föderalismusreform nehme ich jetzt ausdrücklich aus als ein natürlich wichtiges Werk, mit dem sich aber das ganze Parlament unter Federführung des Rechtsausschusses befasst hat - in erster Linie dadurch, dass Urteile des Bundesverfassungsgerichtes aufgearbeitet werden mussten. Ich nenne hier nur den Europäischen Haftbefehl; dass das Zollfahndungsdienstgesetz noch darauf wartet, verfassungskonform zu werden, sei nur am Rande erwähnt. Ich sage das hier an dieser Stelle, weil ich sehr besorgt bin, wenn ich sehe, wie gerade auch in Kreisen der Politik mit den Urteilen des Bundesverfassungsgerichtes umgegangen wird. ({0}) Es kann einen nur sehr beunruhigen, wenn man hört, dass es Urteile gäbe - Rasterfahndung, Lauschangriff, Luftsicherheitsgesetz -, die dringend wieder der Korrektur bedürften, weil sie zwar sehr wohl Grundrechtsrechtsprechung beinhalten, aber Teilen der Praxis so nicht passen. Meine Damen und Herren, das Bundesverfassungsgericht ist die anerkannte, glaubwürdige Institution, die das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger genießt. Sie hat in den letzten Jahren genug Anlass gehabt, immer wieder der Politik sagen zu müssen, was sie zu beachten hat. Ich darf hier in diesem Zusammenhang die frühere Präsidentin des Bundesverfassungsgerichtes zitieren, Frau Jutta Limbach, die vor zwei Wochen sagte: Es sollte der Ehrgeiz der Politik sein, der verfassungsgerichtlichen Nachhilfe zuvorzukommen. Recht hat sie; ({1}) denn nur das schafft Vertrauen in die Politik. Dann sind es nicht nur verständliche Gesetze, sondern auch verfassungsrechtlich standfeste Gesetze. Es ist gerade für den Verbraucher und für jeden Bürger bzw. jede Bürgerin wichtig, wenn sie sehen, was der Gesetzgeber produziert. Deshalb muss alles getan werden, damit das Ansehen des Bundesverfassungsgerichtes nicht beschädigt wird. Frau Ministerin, ich nehme gern auf, dass Sie sagen, Gesetze müssten lesbar, verständlich und - das ist wirklich das Entscheidende - handwerklich gut sein. Da darf ich nur an das „handwerklich gut gemachte“ Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz erinnern, ({2}) bei dem jetzt mit einer Nachbesserung endlich der Wille des Parlaments in Gesetzesform gegossen werden muss. Ich kann nur sagen: Das ist wirklich hochnotpeinlich; da versteht der Bürger Politik nicht mehr. Ich hoffe, dass das wirklich der einzige Ausreißer in dieser Dimension gewesen ist. So etwas hat es in der Gesetzgebung in den letzten Jahren nicht gegeben. ({3}) Das darf es natürlich nicht geben bei den wichtigen Vorhaben, die bevorstehen. Das Projekt der Urheberrechtsreform ist jetzt mit dem Gesetzentwurf des Justizministeriums in die Debatte im Bundestag eingebracht worden. Ich sage klar für die FDP-Fraktion: Wir halten gerade die Weiterentwicklung des Urheberrechtes mit der Stärkung der Stellung des Urhebers in einer für ihn immer schwieriger werdenden digitalen Informationsgesellschaft für ganz wichtig. Deshalb ist es dringend notwendig, dass wir mit Sachverständigen diesen Entwurf in einigen Punkten wirklich offen, konstruktiv und - das sage ich für die FDP - kritisch erörtern. Wenn es in bestimmten Bereichen Änderungsvorschläge gibt, werden wir die Letzten sein, die nicht versuchen, gemeinsam mit den anderen Fraktionen hier im Hause zu einem Ergebnis zu kommen. Aber in der jetzigen Form darf der Gesetzentwurf nicht bleiben; das sage ich an dieser Stelle ganz deutlich. ({4}) Ein weiteres wichtiges gesellschaftspolitisches Vorhaben ist die Reform des Unterhaltsrechts. Es geht dabei darum, Kindern eine gesicherte, prioritäre Position im Unterhaltsrecht zu geben. Frau Ministerin, wir teilen zwar die Ansätze Ihres Entwurfs, den Sie vorgelegt haben. Wir werden aber über Details reden müssen. Hier wird ein Stück weit ein Paradigmenwechsel vorgenommen. Die gesellschaftlichen Realitäten und Veränderungen im Hinblick auf die Ehe mit und ohne Kinder, auf Familie und Erziehung werden aufgegriffen. Dies wird zu gewissen Einschränkungen bei Unterhaltsansprüchen derjenigen Ehepartner führen, die keine Kinder betreuen; das müssen wir offen sagen. Ich denke, es geht nicht anders, weil in den allermeisten Fällen nur Mangelverwaltung möglich ist. Ich hoffe, dass dann auch der Streit in der CDU/CSU über das moderne Familienbild, über Familie und Ehe im 21. Jahrhundert beendet sein wird. Wenn wir den Betreuungsunterhalt für allein erziehende und verheiratete Mütter regeln werden, wird sich erweisen, wie modern die CDU/CSU tatsächlich ist. ({5}) Wir werden uns konstruktiv in diese notwendigen gesellschaftspolitischen Reformen einbringen. Lassen Sie mich zum Schluss kurz einen weiteren Bereich ansprechen; leider habe ich keine Zeit mehr, näher darauf einzugehen. Natürlich sind für die rechtsberatenden freien Berufe in Deutschland entsprechende Rahmenbedingungen sehr wichtig. Wir verschließen uns Änderungen, die jetzt unter anderem im Rahmen eines Rechtsdienstleistungsgesetzes angedacht werden, nicht. Dies sollte aber in ein Gesamtkonzept eingebettet werden. Wir müssen sehen: Es gibt viele andere Bereiche, die die rechtsberatenden freien Berufe genauso betreffen, zum Beispiel die EU-Geldwäscherichtlinie oder der Schutz der Vertrauensbeziehung zwischen Anwalt und Mandant. Da hat sich eine Lücke aufgetan, wie wir in der Rechtsprechung sehen. Auch die Stärkung des Schwächeren durch den Anwalt muss eine Rolle spielen. Man muss sehen, durch welche Änderungen des Gesetzentwurfes im Hinblick auf die Scheidung light dieser Aspekt eingebracht werden kann. ({6}) Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und bin froh, dass das nächste Jahr dieser Legislaturperiode der Zeitpunkt für Entscheidungen zu wichtigen rechtspolitischen Vorhaben sein wird. Vielen Dank. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Jürgen Gehb von der CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Jürgen Gehb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003129, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich mich der Agenda unserer Themen für die kommenden Monate zuwende, will ich uns alle ganz kurz daran erinnern, dass seit Freitag der vergangenen Woche die Verfassungsänderungen in Kraft getreten sind, die wir vor der Sommerpause verabschiedet haben. Diese Grundgesetzänderungen - es wurde in diesem Zusammenhang eine siebentägige Anhörung durchgeführt; das war einmalig in der Geschichte der Bundesrepublik - waren ein großer Kraftakt. Daran sollte man in einer Rechtsdebatte ruhig einmal erinnern. ({0}) In der Vergangenheit mögen zwar viele Koalitionen darüber geredet haben. Aber wir als große Koalition haben gehandelt und können stolz auf diese Verfassungsänderungen sein. Nun haben wir die Finanzverfassung einstweilen ausgeklammert. Auch etwas anderes haben wir ausgeklammert, nämlich die Aufnahme weiterer Staatsziele in unser Grundgesetz. Ich will heute nur wenige Worte dazu sagen: Erstens. Wir stehen zu der Zusage, dass wir hierüber bald diskutieren werden und hierzu eine Anhörung im Rechtsausschuss durchführen werden. Zweitens. Ich halte viele der Anliegen, die als potenzielle Staatsziele in der Diskussion sind, für mehr als ehrenwert. Drittens. Erlauben Sie mir aber, in diesem Zusammenhang eine Sorge auszusprechen, die mich wirklich umtreibt, und zwar die Sorge, dass sich in der Öffentlichkeit, aber auch unter den Kollegen mehr und mehr der Eindruck festsetzt, dass ein politisches Ziel oder Recht nur noch dann als angemessen verortet gilt, wenn es seinen Platz im Grundgesetz gefunden hat. Alles andere wird anscheinend nur noch als zweit- oder drittrangig wahrgenommen. Für mich ist dies eine Fehlentwicklung. Beschreiten wir diesen Weg weiter, dann habe ich ernsthaft die Befürchtung, dass wir das Ansehen einfachgesetzlicher Regelungen schädigen und damit letztlich unser aller Arbeit entwerten. ({1}) Gerade bei den einfachgesetzlichen Regelungen haben wir im ersten Halbjahr vieles erreicht und angestoßen, was unter Rot-Grün nicht möglich war. Wir Christdemokraten freuen uns, dass wir mit unserem Partner beispielsweise Scheinvaterschaften - Stichwort: Imbissväter - endlich bekämpfen, das Stalking unter Strafe stellen oder Lücken bei der Sicherungsverwahrung schließen können - viele Gesetzeswerke, die noch in Bundestagsdrucksachen aus der letzten und vorletzten Legislaturperiode standen und die jetzt im Bundesgesetzblatt stehen. ({2}) Für die zweite Hälfte des Jahres stehen ebenso wichtige Themen auf der Agenda der Rechtspolitik. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben, will ich nur sagen: Wir werden uns auch und ganz sicher der Stärkung der Verbraucherrechte annehmen - und dies nicht nur im Zusammenhang mit dem Stichwort Gammelfleisch. ({3}) Bei der Neuregelung des Rechtsdienstleistungsgesetzes wird es für uns Christdemokraten oberste Maxime sein, die hohe Qualität der Rechtsberatung in unserem Land für den rechtsuchenden Bürger zu erhalten. ({4}) Daher darf auch zukünftig der qualifizierte und umfassende Rechtsrat nur von Rechtsanwälten und Rechtsanwältinnen erbracht werden. ({5}) Es nützt auch nichts - da bin ich nicht so ganz konform mit meiner Justizministerin -: Rechtsanwälte oder Leute, die vielleicht rechtskundig, aber keine zugelassenen Anwälte sind, sollten auch nicht kostenlos irgendjemandem Rechtsrat erteilen können. Wer haftet denn hinterher? Es gibt weder eine Haftpflichtversicherung noch gibt es ein Aussageverweigerungsrecht. Diese Personen unterliegen nicht der Verschwiegenheitspflicht. Niemand käme auf die Idee, selbst einen guten Piloten bei einem Segelflugzeug einen Jumbojet fliegen zu lassen. ({6}) Diesen Schutz sind wir allen Verbrauchern schuldig. Dies schließt gewisse Öffnungen des anwaltlichen Beratungsmonopols nicht aus; das ist ganz klar. Es gibt eine europäische Richtlinie - aber alles mit Augenmaß. Das werden wir in der gewohnten Gemeinsamkeit hinbekommen. Gegenüber den Bürgern stehen wir im Wort, alles zu tun, damit schwere und schwerste Verbrechen aufgeklärt werden können. Ich bin froh, dass wir bei der Nutzung der DNA-Analyse - das ist ein naturwissenschaftlicher Quantensprung - weitergekommen sind, und spreche mich mit Blick auf die FDP ausdrücklich dafür aus, zukünftig auch Mautdaten zur Aufklärung schwerer und schwerster Verbrechen nutzbar zu machen. ({7}) Auch hier gilt: Diese Daten sollen nicht zur Aufklärung von Ladendiebstählen oder von Schwarzarbeit genutzt werden. Entsprechende Presseerklärungen, Frau Kollegin Dyckmans, liebe Mechthild, oder Herr Friedrich, muten schon zynisch an. Ich finde, man könnte den Mut aufbringen, den Eltern der getöteten Kinder zu sagen, dass man hier Mörder mit Schwarzarbeitern oder Ladendieben gleichsetzen will. Das ist nicht unser Ziel. Deswegen bitte ich darum, dass wir es endlich wahr machen, dass Datenschutz nicht Täterschutz sein kann und dass Opferschutz vor Datenschutz geht. ({8}) Die große Koalition hat es sich zum Ziel gesetzt, unser Land an vielen Stellen wieder fit für die Zukunft zu machen. Das ist nicht nur Aufgabe der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Auch wir in der Rechtspolitik können - als große Koalition werden wir das tun - unseren ganz spezifischen Beitrag hierzu beisteuern. Ich nenne nur neben der Novelle des Urheberrechts zum Schutz des geistigen Eigentums - das ist eben schon angesprochen worden - unter der Rubrik „Unser Land wieder fit machen“ die notwendige Reform weiter Teile unseres Gesellschaftsrechts. Wir können zu Recht stolz auf unsere GmbH sein, die sich seit ihrer Geburtsstunde im Jahr 1892 zu einem regelrechten Erfolgsmodell speziell für den Mittelstand entwickelt hat. Doch Erfolgsmodelle bleiben nur dann erfolgreich, wenn sie von Zeit zu Zeit den veränderten Umständen und Bedürfnissen der Kunden angepasst werden. Und vergessen wir auch nicht: Die Angebote der Konkurrenz spielen ebenfalls eine Rolle. So hat die Justizministerkonferenz bereits im Jahr 2002 das Bundesjustizministerium mit der Prüfung beauftragt, welche Vorschriften im Recht der GmbH reformbedürftig seien. Nach zwei vergeblichen Anläufen unter Rot-Grün ({9}) gibt es nun einen weiteren hausinternen Diskussionsentwurf des Bundesjustizministeriums zur GmbH-Reform, der kurz vor der Sommerpause das Licht der Welt erblickt hat. ({10}) Dieser Entwurf greift viele regelungsbedürftige Fragen auf, ist solide und gut, was aber nicht heißt, dass man aus einem guten Entwurf nicht auch noch einen besseren machen kann. Nun stehen wir am Beginn der Diskussion und da wir Parlamentarier nicht die Erfüllungsgehilfen der Ministerialbürokratie sind - so jedenfalls mein ganz bescheidenes Selbstverständnis; das teile ich vielleicht mit der Mehrheit des Hauses -, ({11}) sollten wir uns auch ganz selbstbewusst an dieser Diskussion beteiligen. Dies sollten wir auch deswegen tun, weil die Reform unseres deutschen Gesellschaftsrechts keine Kleinigkeit ist. Lange lebten wir in Deutschland mit unserem Gesellschaftsrecht abgeschottet in einer Art Paradies. Da gab es neben der GmbH als Golf-Klasse die ebenfalls wohlangesehene Aktiengesellschaft quasi als S-Klasse. Aber attraktive Kleinwagen waren nicht im Angebot und entsprechenden Modellen aus dem Ausland war der Zutritt zum deutschen Markt nicht gestattet. All dies ist Vergangenheit. Nach mehreren Urteilen des Europäischen Gerichtshofs sind diese schützenden Mauern weg. Jedem Firmengründer in unserem Land stehen alle in der EU angebotenen Gesellschaftsformen zur Verfügung. Es wird in unserem Land bei ausländischen Modellen auch rege zugegriffen. Wenn sich in unserem Land Monat für Monat über 1 000 Unternehmer entscheiden, eine britische Limited als Gesellschaftsform zu wählen, dann müssen wir uns als deutscher Gesetzgeber die Frage gefallen lassen, warum und wieso sie dies tun. Wir müssen uns auch die Frage stellen, ob wir hierauf eine geeignete Antwort geben wollen, indem wir beispielsweise unsere Angebotspalette heimischer Rechtsformen erweitern. Wir stehen also in Europa in einem rauen, harten und echten Wettbewerb nicht nur der Güterproduktionen und der Dienstleistungen, sondern auch der Rechtsformen. Vor diesem Hintergrund ist die notwendige Reform unseres Gesellschaftsrechts wichtig, richtig und viel bedeutungsvoller, als manche dies im ersten Augenblick meinen. Daher sind zumindest die Rechtspolitiker der Union der Überzeugung, dass die aus der Feder eines Ministerialbeamten stammenden Vorschläge zur GmbH-Reform an vielen Stellen nützlich und auch interessant sind, aber beispielsweise keine überzeugende Lösung hinsichtlich des Problems der britischen Limited darstellen. Wir sind der festen Überzeugung, dass es dazu neben der wohl etablierten GmbH einer zusätzlichen, einer neuen, einer extrem einfach geregelten sowie einer preiswerten Gesellschaftsform bedarf. ({12}) Diese neue Gesellschaft soll ganz bewusst ein Aliud zur bestehenden GmbH sein: klein, preiswert, selbstbewusst und anspruchsvoll. Nennen wir sie einmal Unternehmergesellschaft. Wir wollen die notwendige Reform unseres Gesellschaftsrechts sozusagen in der Form eines Zweisäulenmodells. Erlauben Sie mir - es soll keine Exegese werden -, Ihnen wichtige Eckpunkte unserer Überlegungen zu dieser neuen Gesellschaftsform kurz mitzuteilen: kurze Gründungszeit, Eintragung im Handelsregister innerhalb von 24 Stunden, ({13}) kein Mindestkapital und Gründungskosten in Höhe von maximal 100 Euro. Es soll noch eine Reihe anderer Erleichterungen in der Gründungsphase geben. All das muss natürlich mit den Regeln des Gläubigerschutzes korrespondieren. Es ist etwa an erweiterte Pflichtangaben - ich nenne die Stichworte Geschäftsbriefe und Internet - gedacht. Ausschüttungen sollen nur aus Gewinnen erfolgen, eventuell unter der zusätzlichen Voraussetzung eines Solvenztests. Außerdem ist an eine Gesellschafterhaftung wie bei der GmbH und zusätzlich beim Vorliegen einer evidenten Unterkapitalisierung gedacht. Die Insolvenz ist ein kritischer Fall. Dabei geht es im Durchschnitt um Beträge in Höhe von 800 000 Euro. Die Vermutung der Zahlungsunfähigkeit soll gegeben sein, wenn die Gesellschaft mit der Erfüllung einer Forderung in Höhe von mindestens 600 Euro länger als vier Wochen in Verzug ist und trotz erneuter Fristsetzung keine Leistung innerhalb von zwei weiteren Wochen erfolgt. Damit nach der Vorstellung dieser Unternehmergesellschaft auch nicht der Hauch eines Missverständnisses im Raum stehen bleibt, sage ich ganz klar: Die legitimen Gläubigerinteressen - lassen Sie mich in diesem Zusammenhang nur das Stichwort Bestattungsfälle nennen verlangen nach einer umfassenden Modernisierung des GmbH-Rechts. Der vorliegende Entwurf aus dem Bundesjustizministerium stellt in diesem Bereich einen wertvollen Diskussionsansatz dar. ({14}) Allerdings bietet der MoMiG-Entwurf für Existenzgründer keine neue Perspektive. Umso wichtiger ist unsere Ergänzung durch die Unternehmergesellschaft. Lassen Sie uns also zum Wohl der Gläubiger als auch zum Wohl der Unternehmer die Reform unseres Gesellschaftsrechts zügig anpacken und die jeweils spezifische Antwort geben. All dies sind wichtige Aufgaben für die kommenden Monate. Ich kann Ihnen versichern, dass die große Koalition unter Leitung unserer Kanzlerin Angela Merkel und in bewährter Zusammenarbeit - mit kleinen Nuancen ist die Zusammenarbeit immer gut - mit unserer Justizministerin Brigitte Zypries zukunftstaugliche Lösungen anbieten wird. ({15}) Das ist das Ende meines Redebeitrags. Ich danke Ihnen für Ihre wohlwollende Aufmerksamkeit und den großen Beifall vom ganzen Hause. ({16})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Wolfgang Nešković, Fraktion Die Linke. ({0})

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ein unstrittiges Prinzip der Gerechtigkeit besteht darin, dass die Folgen eines Übels grundsätzlich nur den treffen dürfen, der dieses Übel durch sein Handeln zu verantworten hat. Die Suche nach dem richtigen Recht ist deswegen immer identisch mit der Suche nach Gerechtigkeit. Ich frage mich, ob sich dieses Haus bei der Gesetzgebung noch diesem, wie ich finde, sehr einfachen und klaren Grundsatz verpflichtet fühlt. Ich erinnere mich gut an die öffentlichen Kommentierungen der Beratungen und Beschlussfassungen der Hartz-IV-Gesetze seitens der Politik. Die Kürzungen am Sozialstaat wurden mit einer Art befremdlichem Stolz auf die eigene Härte verkündet. Man sollte den Eindruck erhalten, es habe sich endlich jemand aufgerafft und den Mut gefunden, das Schwere, das Unbeliebte zu tun, weil es die Zeit und ihre Umstände erforderten. Die Zeit und ihre Umstände sind von einer anhaltenden Massenarbeitslosigkeit gekennzeichnet. Die Automatisierung von Arbeitsabläufen durch Computer und Roboter macht, unter den Bedingungen des von Ihnen präferierten Wirtschaftssystems, menschliche Arbeit zunehmend entbehrlich. Die Globalisierung des Arbeitsmarktes führt zu einer Verschiebung von Arbeitsplätzen aus den klassischen Industrieländern in die Schwellenländer der Welt. ({0}) Ganz überwiegend aufgrund dieser Entwicklungen stehen die Töchter und Söhne der einst händeringend gesuchten Industriearbeiter heute ohne Erwerbsarbeit da. Noch im Jahre 1999 stellte die sozialdemokratische Justizministerin, Frau Dr. Herta Däubler-Gmelin, im „Vorwärts“ fest, es komme nun darauf an, die Schwachen zu schützen. Für Erinnerungsschwache eine Seh- und Erinnerungshilfe aus dem „Vorwärts“. ({1}) Wörtlich heißt es: Deshalb stehen der Schutz der Schwachen durch das Recht und die Grundwerte des Sozial- und Rechtstaates im Vordergrund meiner Politik. Das finde ich gut. Das findet unsere Unterstützung. ({2}) Die rot-grüne Koalition hingegen reagierte auf die geschilderte Entwicklung ganz anders. Sie antwortete auf die Fragen der Zeit mit einer hilflosen Doppelstrategie: Einerseits versuchte sie vergeblich, den Verbleib von Unternehmen im Inland durch Anreize zu befördern, zum Beispiel indem sie die Steuern für Unternehmen und Bezieher hoher Einkommen senkte. Sie verzichtete damit „erfolgreich“ auf staatliche Einnahmen in Milliardenhöhe, die heute nicht zuletzt bei der Finanzierung der Sozialsysteme fehlen. Zweitens verringerte und verringert die alte und neue politische Mehrheit die individuell gewährten sozialen Leistungen des Staates. Sie setzt dem breiten Bedarf an staatlicher Unterstützung möglichst schmale Ausgaben entgegen. Vielleicht möchten Sie nun einwenden, die deutsche Politik könne schließlich nichts für die veränderten Umgebungsvariablen ihrer Entscheidungen. ({3}) Automatisierung und Globalisierung hätten doch nicht die deutsche Politik zu verantworten und es sei schließlich aussichtslos, diese Prozesse zu blockieren. ({4}) Vielleicht ist das ein Teil der Wahrheit. Es ist aber höchstens ein Teil und nicht ihr Kern. Niemand könnte weniger Einfluss auf die sich ändernde Ökonomie haben als die Erwerbslosen dieses Landes, ihre Familien und ihre Kinder. Sie sind ohne Einfluss und ohne Schuld, werden aber dennoch bestraft; denn sie treffen die Folgen der geschilderten Entwicklung zwei Mal mit aller Kraft. Der erste Schlag ist die Arbeitslosigkeit und die Abhängigkeit von staatlicher Hilfe. ({5}) Der zweite Schlag ist die Kürzung der staatlichen Hilfe in dieser Situation. Diesen zweiten Schlag führen Sie. Er ist politisch gewollt. Politische Entscheidungen haben sich auch vor den Grundsätzen der Gerechtigkeit zu verantworten. ({6}) Es ist ein unbezweifelbares Prinzip der Gerechtigkeit, dass die Folgen eines Übels niemals den treffen dürfen, der zu diesem Übel keine Ursache gesetzt hat. Hartz IV verletzt dieses Prinzip. Auch die neuerliche Verschärfung von Hartz IV verletzt dieses Prinzip. Dieses Prinzip droht nun erneut verletzt zu werden. Vermutlich noch im Herbst werden wir über zwei Entwürfe des Bundesrates zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und zur Begrenzung der Prozesskostenhilfe zu entscheiden haben. ({7}) Diese Entwürfe sind ebenfalls in jenem Geist des Stolzes auf die eigene Härte geschrieben. Auch Sie schmücken sich eitel damit, den Mut für das längst Überfällige aufzubringen. Das PKH-Begrenzungsgesetz bezweckt, die Prüfung von Prozesskostenhilfe auch für große Teile der ärmeren Bevölkerungsschichten von einer Bearbeitungsgebühr von 50 Euro abhängig zu machen. Hier wird die unrühmliche Idee der Praxisgebühr im Gesundheitswesen in gesteigerter Form auf den Zugang zu den Gerichten übertragen. Diese und die weiteren beabsichtigten Veränderungen laufen letztlich darauf hinaus - der VdK stellte das in einer Presseerklärung am 17. Juli 2006 fest -, das vor 26 Jahren abgeschaffte Armenrecht wieder einzuführen. Die Entwurfsersteller wollen mit längst überwundenen Konzepten aus der Vergangenheit dieses Land fit für die Zukunft machen. Das muss scheitern. Anachronismus gestaltet keine Zukunft. ({8}) Das Sozialgerichtsänderungsgesetz sieht darüber hinaus vor, eine allgemeine Gebühr für klagende Bürger einzuführen. Grundsätzlich soll diese Gebühr im Fall des Unterliegens 75 Euro betragen. Während also Hartz IV und seine Verschärfung die Erwerbslosen auf das absolute Minimum der Lebensführung zurückdrängen, bezwecken diese Entwürfe, den Leistungsempfänger dazu zu bewegen, darauf zu verzichten, um die Rechtmäßigkeit seines Leistungsbescheides zu prozessieren. Wolfgang NeškoviæWolfgang Nešković ({9}) Wer am Existenzminimum lebt, führt kein Sparbuch für mögliche Rechtsstreitigkeiten. Wer wenig im Leben hat, braucht viel im Recht. Er ist ohne staatliche Hilfe praktisch völlig rechtlos, wenn es zum Streit kommt. ({10}) Ich sehe keinen Anlass zu dem geschilderten Stolz auf die eigene Härte. Ich kann bei denjenigen, die diese Gesetzgebung zu verantworten haben, und bei denjenigen, die die geschilderten Entwürfe auf den Weg gebracht haben, keinen Mut ausmachen. Die Kürzung der sozialen Leistungen und nun auch der Rechtsweggarantie trifft die Schwachen und Schwächsten der Gesellschaft. ({11}) Welcher Mut gehört dazu, von denen zu nehmen, die sich kaum wehren können? Welchen Mut bringt man auf, wenn man ihnen auch noch die gerichtliche Gegenwehr nimmt? Was ist das für ein Mut, der sich darin gefällt, das Ungerechte zu tun? Mut hätte es erfordert, eine Gesetzgebung auf die Beine zu stellen, aus der heraus die Menschen dieses Landes die Folgen des von mir eingangs beschriebenen ökonomischen Wandels gemeinsam tragen. Mut hätte es erfordert, zur Abfederung der Belastungen des sozialen Systems die Bezieher hoher und höchster Einkommen heranzuziehen. Es wäre gerecht gewesen, so zu verfahren. Diesen Einkommensgruppen bescheren die Effektivierung der Produktion und die Erschließung globaler Märkte jährlich beachtliche Gewinne. Diese Strategie hätte den Willen der Gesellschaft zur Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit an der richtigen Stelle auf die Probe gestellt. Diese Strategie hätte echten Anlass zu Stolz gegeben. ({12}) Nur so hätten Sie Ihre Mutfähigkeit im sozialen und im christlichen Sinne und den sich daraus ergebenden notwendigen Willen zur sozialen Gerechtigkeit unter Beweis stellen können. Ich habe am 1. Juli 2006 einen Brief von einem Göttinger Bürger erhalten, aus dem ich zum Abschluss zitieren möchte: ({13}) Ich habe, während ich aufwuchs, gelernt, was soziale Verantwortung meint und bedeutet. ({14}) - Haben Sie doch wenigstens so viel Respekt, einem Bürger, der mir geschrieben hat, zuzuhören. ({15}) Der Geist des Grundgesetzes, so wie ich es verstanden habe, gab mir bei diesem Gefühl stets Recht. Da ging es um Fairness und wer kann schon gegen Fairness sein? Ich wähnte mich auf einem Eiland, wo Verstand, Recht und Gerechtigkeit Hand in Hand gehen, an einem Platz, wo das Parlament oder sogar die Regierung … moralisch gewachsen war. Aber offenkundig gehen solche Erkenntnisse und Errungenschaften verloren. ({16}) - Es wäre gut, wenn Sie sich solche Gedanken zu Herzen nehmen würden. Das wäre etwas für Ihr Kopfkissen bzw. für morgens nach dem Aufwachen. ({17}) Sie erodieren, wenn sie nicht fortwährend … verteidigt werden. Tatsächlich nehme ich heute wahr, dass fundamentale Grundprinzipien des Zusammenlebens in diesem Land offen von der regierenden Politik torpediert werden. ({18}) Abschließend möchte ich feststellen: Mir ist nicht entgangen, dass die Bundesregierung zu den hier kritisierten Gesetzentwürfen zur PKH-Begrenzung und zur Sozialgerichtsgebühr ihrerseits kritische bis ablehnende Stellungnahmen abgegeben hat. ({19}) Frau Zypries, ich kann Ihnen nur die Kraft wünschen, ({20}) bei dieser Notbremsung zu bleiben, damit der schon erwähnte sozialdemokratische Grundsatz, die Schwachen zu schützen, nicht endgültig im Museum sozialdemokratischer Grundwerte verschwindet. Vielen Dank. ({21})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Jerzy Montag, Bündnis 90/ Die Grünen.

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Ich werde jetzt versuchen, im Rahmen der Haushaltsdebatte zur Rechtspolitik zurückzukehren. ({0}) Seitdem ich im Bundestag bin, haben sich die Zahlen im Haushalt des Bundesjustizministeriums und auch die in Einzelplan 19 - Bundesverfassungsgericht - nicht Wolfgang NeškoviæWolfgang Nešković wesentlich geändert. Sie sind so solide wie seit vielen Jahren. Vielleicht sollte ich an die Adresse der Union sagen: Selbst die Union hat die ideologisch verbrämten Angriffe auf einzelne Posten im Haushalt des Bundesjustizministeriums, die wir noch aus der rot-grünen Regierungszeit kennen, inzwischen aufgegeben. ({1}) Es scheint bezüglich des Haushalts des BMJ mittlerweile große Einigkeit zu herrschen. Es ist immer noch so, dass sich die Finanzen des Bundesjustizministeriums im Vergleich zum Gesamthaushalt im Promillebereich bewegen. Es ist immer noch so, dass jeder Bürger dieses Staates auf Bundesebene einige Cent im Jahr für die Justiz ausgibt und auf Landesebene weniger als für einen Kinobesuch pro Jahr. In diesem Zusammenhang möchte ich den Kollegen Dr. Röttgen, den früheren rechtspolitischen Sprecher der Union, zitieren, der hier im Bundestag gesagt hat: Der Stellenwert der Rechtspolitik wird nicht in Geld bemessen. Er drückt sich … darin aus, welche Bedeutung die Politik … dem Recht … als gestaltende Antwort auf gesellschaftliche Entwicklungen beimisst. ({2}) Meine Damen und Herren, der zweite, wortgewaltige Satz versperrt die Sicht darauf, dass der erste falsch ist. Zur Rechtsstaatlichkeit in einer Gesellschaft gehört eine Justiz. Deshalb ist Rechtspolitik dann gut, wenn sie die Justiz, konkret die Staatsanwaltschaften und die Gerichte, bei der Bewältigung ihrer Aufgaben nicht alleine lässt. So gesehen lässt sich Rechtspolitik selbstverständlich nicht ohne Geld machen und denken. Im März dieses Jahres habe ich in der Debatte über den Haushalt 2006 das Bundesverfassungsgericht zitiert. Diese Passage will ich an dieser Stelle, da sich nichts geändert hat, ausdrücklich wiederholen. Das Bundesverfassungsgericht hat in einigen Fällen mutmaßliche Straftäter aus der Haft entlassen und dazu gesagt: Die Überlastung eines Gerichts fällt in den Verantwortungsbereich der staatlich verfassten Gemeinschaft … Hilft der Staat der Überlastung der Gerichte nicht ab, so muss er … seinen … Bürgern erklären, dass mutmaßliche Straftäter … sich der Strafverfolgung … entziehen und erneut Straftaten … begehen. Ich sage: Es hat sich nichts geändert. Im Dezember letzten Jahres hat der Fünfte Strafsenat des Bundesgerichtshofs unter seiner Vorsitzenden Frau Harms, die jetzt Generalbundesanwältin geworden ist, in dem Revisionsverfahren zum Kölner Müllskandal Folgendes gesagt: In vielen großen Wirtschaftsstrafverfahren kann eine adäquate Aufklärung und Bestrafung nicht erfolgen, weil hierfür die ausreichenden justiziellen Ressourcen nicht zur Verfügung stehen. Alleine bessere finanzielle Ausstattung und nicht weitere Strafverschärfungen könnten hier Abhilfe schaffen. ({3}) Nun kann man natürlich sagen: Die geforderte Ausstattung ist Ländersache. ({4}) Das ist richtig. Aber es ist eine nationale Aufgabe der Rechtspolitik, hier Druck auszuüben, konkrete Forderungen zu stellen, ein Engagement der Länder einzufordern. Gute Rechtspolitik wäre es, hier aktiv zu werden. Aber dies geschieht nicht. ({5}) Rechtspolitik hat in diesem Hause leider keinen Stellenwert mehr. ({6}) Sie kommt im Koalitionsvertrag als eigener Abschnitt überhaupt nicht vor. ({7}) Diese Bundesregierung hat inzwischen die Rechtspolitik als eine rechtsstaatliche, grundrechtsorientierte, die Bürgerrechte schützende Kraft abgeschrieben. Ich zitiere, was Bundesjustizministerin Zypries am 14. November 2005 zur Koalitionsvereinbarung gesagt hat: Rechtsstaatlichkeit und Grundrechtsschutz sind der Maßstab, an dem sich die große Koalition messen lassen muss. Diese Worte sind einsam in der Debatte der großen Koalition um die großen, notwendigen Aufgaben, die in diesem Hause zu bewältigen wären. ({8}) Ich sage an dieser Stelle: Messen wir die große Koalition doch daran, was sie in den ersten elf Monaten in der Rechtspolitik angerichtet hat! Ich komme zum ersten Punkt, zur Föderalismusreform. Ihre übergroße Mehrheit wurde genutzt, um das Grundgesetz - Sie haben darauf hingewiesen, Herr Gehb - umfänglich und fast zu hundert Prozent gegen den ausdrücklichen Vorschlag aller geladenen Sachverständigen zu verändern. ({9}) Dazu hat Ihre Mehrheit genützt. Aber die Kraft, dabei die Einheit des Rechts auf nationaler Ebene zu wahren und es rechtsstaatlich auszubauen, hatte diese große Koalition nicht. ({10}) Ich will dafür nur ein einziges Beispiel anführen: ({11}) Das Bundesjustizministerium hat mit seinen Gesetzentwürfen zu Untersuchungshaft und Jugendstrafvollzug nicht nur eine jahrzehntelang versäumte Aufgabe erfüllt, sondern durchaus auch ein Zeichen gesetzt. ({12}) Doch es hat keine Kraft in Ihrer übergroßen Koalition gegeben, diese nationale Aufgabe einer einheitlichen Regelung des Vollzugs der Untersuchungshaft und des Jugendstrafvollzugs beim Bund zu belassen. Sie haben diese Rechtsmaterie billig verscherbelt und damit der Rechtspolitik und auch den betroffenen Menschen geschadet. ({13}) Die Kritiker dieser Entwicklung haben einen „Wettlauf der Schäbigkeit“ angekündigt. ({14}) Dieser „Wettlauf der Schäbigkeit“ hat bereits begonnen. ({15}) Die ersten Entwürfe, aus Bayern und aus BadenWürttemberg, zur Regelung dieser Materie auf Landesebene zeigen, wohin die Reise geht: Es wird in Deutschland nur noch Strafvollzug nach Kassenlage geben. ({16}) Frau Bundesjustizministerin Zypries, Sie haben auf diesem Gebiet - und dies ist nur ein Beispiel - Rechtsstaatlichkeit und Grundrechtsschutz eben nicht wahren können. Ich will ein zweites Beispiel aus den ersten elf Monaten nennen: das Antidiskriminierungsgesetz, das Sie in „Allgemeines Gleichstellungsgesetz“ umbenannt haben. Man muss ja froh sein, dass sich die Rechtspolitik der Union in diesem Gesetzentwurf nur marginal verwirklicht hat. Bis zur letzten Nacht, der entscheidenden Rechtsausschusssitzung, bestand der Beitrag von Ihnen von der Union in der Namensänderung. ({17}) Dann ist das Chaos der großen Koalition über dieses Gesetz gekommen. Sie haben die seit vielen Jahren bewährte Regel der Beweislastverteilung im bisherigen § 611 a Abs. 1 Satz 3 BGB, die wir wortwörtlich in das ursprüngliche ADG übertragen haben, so verhunzt, dass der rechtspolitische Sprecher der Union erklärte, er könne sich jetzt auf keiner juristischen Fachtagung mehr sehen lassen, ohne zum Gespött zu werden. ({18}) Dadurch erklärt sich vielleicht auch, wer für diese Verschlimmbesserung in der Koalition wahrscheinlich die Verantwortung trägt. Dafür hat die Union aber heldenhaft und erfolgreich gekämpft, die Weltanschauung in letzter Sekunde aus dem Gesetz zu streichen. Das Bundesjustizministerium war aber nicht in der Lage, diesen Auftrag durchzuführen, weswegen es bald zu einem Bereinigungsgesetz kommen wird. ({19}) Ich sage Ihnen: Wenn es nicht zum Weinen wäre, dann würden wir als Opposition uns nicht nur klammheimlich, sondern offen über Ihren Murks freuen können. ({20}) Europäischer Haftbefehl: Es wäre wirklich den Schweiß der Edlen wert gewesen, sich darüber Gedanken zu machen, wie man die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in ein vernünftiges Gesetz gießt. Stattdessen haben Sie ganze Absätze der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wortwörtlich ins Gesetz geschrieben ({21}) und damit nicht zur Klärung des Sachverhalts beigetragen. Über alle vernünftigen Vorschläge, im zweiten Anlauf ein besseres Gesetz zu machen, haben Sie im Rechtsausschuss nicht einmal diskutiert, sondern Sie haben sie mit Ihrer übergroßen Mehrheit stillschweigend abgelehnt. Ich könnte etwas zur Vorratsdatenspeicherung sagen. ({22}) Ich könnte auch etwas zum elektronischen Handelsregister sagen. Das ist ein ganz interessantes Gesetz, welches die deutsche Wirtschaft dringend braucht. Wir waren eigentlich schon so gut wie fertig damit, bis das Chaos der großen Koalition wiederum zugeschlagen hat und Sie den Gesetzentwurf, der mit uns allen bereits abgestimmt war, in letzter Sekunde wieder zurückgezogen haben. Kein Mensch weiß, wo er geblieben ist. Er ist nicht wieder aufgetaucht. Ich könnte über das Stalking reden. Es ist eine Verhohnepipelung des Bundestages, dass Sie eine Anhörung über ein Gesetz des Bundesrates, das dem Inhalt nach zurückgezogen worden ist, und über ein Gesetz der Bundesregierung, das ebenfalls zurückgezogen worden ist, durchführen wollen, während Sie das Gesetz, das Sie eigentlich verabschieden wollen, noch niemandem vorgestellt haben. Über so etwas sollen wir im September im Rechtsausschuss beraten! ({23}) Meine Damen und Herren, alles, was wir bisher von der Rechtspolitik der großen Koalition gehört haben und was angekündigt wird - von der Kronzeugenregelung bis zur nachträglichen Sicherungsverwahrung -, lässt nichts Gutes vermuten. Deswegen sage ich Ihnen: Rechtspolitik ist in Ihren Händen nicht mehr gut aufgehoben. ({24})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Lothar Binding, SPD-Fraktion.

Lothar Binding (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Ich möchte nichts zur Rechtspolitik, sondern etwas zu einzelnen Bereichen und dem Zahlenwerk dieses kleinen Haushalts sagen. Bevor ich dazu komme, möchte ich aber Herrn Nešković gern eine Quizaufgabe stellen, nachdem er in diesem Hause wiederholt davon gesprochen hat, in welcher Art die Reichen besteuert und entlastet werden. Nehmen Sie einen Millionär, der im Jahre 1998 ziemlich genau null D-Mark an Steuern gezahlt hat. Nehmen Sie eine steuerpolitische Maßnahme, zum Beispiel die Senkung des Spitzensteuersatzes! Nennen Sie weitere Maßnahmen! Es ist jetzt Ihre Aufgabe, diese zu finden. Betrachten Sie jetzt den gleichen Millionär im Jahre 2004, der plötzlich sehr viel mehr Steuern zahlt - in einer Größenordnung von 20 Prozent und manchmal mehr -, obwohl wir den Spitzensteuersatz gesenkt haben. Ich gebe Ihnen diese Aufgabe zum Lösen, damit Sie erkennen, wie die Steuerpolitik wirken kann, wenn man nicht nur den Steuersatz, sondern gleichzeitig auch noch die Bemessungsgrundlage berücksichtigt. ({0}) Ich denke, die Lösung dieser Aufgabe dient auch dazu, den Bürgern die Wahrheit nicht zu verschweigen. ({1}) Im Zweifelsfall hilft Ihnen auch der Kollege in der PDS, der Millionär ist, um Ihnen zu erklären, wie so etwas funktioniert. ({2}) Gemessen an den großen Aufgaben des BMJ und des Bundesverfassungsgerichts ist der Haushalt - wir haben das schon gehört - extrem klein. Ich will kurz ansprechen, was in diesem Haushalt subsumiert ist und haushalterisch veranlagt wird: der Bundesgerichtshof, der Generalbundesanwalt, das Bundesverwaltungsgericht, der Bundesfinanzhof, das Bundespatentgericht sowie das Deutsche Patent- und Markenamt. Man sieht, es ist ein sehr großes Arbeitsfeld. Damit lässt sich leicht erklären, dass mehr als 80 Prozent der Mittel in diesem Haushalt Personalkosten sind. Daraus folgt umgekehrt - das ist ein Nachteil im Hinblick auf die Flexibilität und die Freiheitsgrade im Haus -, dass fast keine Projektmittel zur Verfügung stehen und deshalb die weiteren Gestaltungsmöglichkeiten relativ stark beschränkt sind. Eine Besonderheit - sie wurde bereits erwähnt -: Es gibt keinen Haushalt, der so viel Geld in seinem eigenen Bereich erwirtschaftet. Diesen Umstand verdanken wir dem Deutschen Patent- und Markenamt. In diesem Jahr weist dieses Zahlenwerk eine weitere Besonderheit auf, die aufgrund seiner Strukturmerkmale insbesondere den Haushalt des Verfassungsgerichts, aber auch den des BMJ betrifft: die Überführung der einzelnen Positionen des Einzelplans 33 in die Einzelhaushalte. ({3}) Der 33er, der ehemalige Haushalt für Versorgung, der die Pensionen für Richter, Soldaten usw. umfasste, ist in die Einzelhaushalte überführt worden. Das führt dort zu Verwerfungen, die man besser abfedern könnte, wenn man mehr Freiheitsgrade hätte. Sie existieren aber, wie eben beschrieben, in diesem Haushalt nicht. Dies hat etwa für das Verfassungsgericht sehr gravierende Folgen. Dort muss ein Pensionsfonds gebildet werden, und zwar auch für Richter, die nur ganz kurz - höchstens zwölf, manchmal aber nur zehn, acht oder weniger Jahre - hoch dotiert in diesem Bereich tätig sind. Wenn man einen solchen Pensionsfonds bilden muss, bringt das natürlich einen Haushalt schnell unter Druck. Ich wollte das nur erwähnen; denn wir müssen uns überlegen, ob wir für solche vom Haus selbst nicht abzufedernden Strukturverwerfungen später einstehen müssen. ({4}) Trotz extrem sparsamer Bewirtschaftung gibt es im Einzelplan für 2007 - ich möchte dem Ministerium dafür Bewunderung zum Ausdruck bringen - eine Reihe von besonderen Aufgaben, die, wie ich finde, in exzellenter Weise im Haushalt untergebracht wurden. Zum einen muss Sorge dafür getragen werden, dass die EU-Ratspräsidentschaft ordentlich vorbereitet und begleitet wird. Daraus ergibt sich eine ganze Reihe von zusätzlichen Aufgaben und von zusätzlichen Personalkosten, zum Beispiel für informelle Räte, für den JI-Rat und für Sonderveranstaltungen jeglicher Art. Es gibt auch zusätzliche Aufgaben inhaltlicher Art im Zusammenhang mit dem EU-Vertragsrecht, der internationalen Standardisierung des Strafrechts, dem elektronischen Rechtsverkehr, insbesondere bei der Vernetzung der Register usw. All das sind letztendlich kosteninduzierende Aufgaben, die wir im Blick haben müssen. Wir wollen dafür sorgen, dass dies mit den, wie ich meine, spärlichen Mitteln im Haushalt gemeistert werden kann. Es gibt eine weitere Aufgabe, an die wir denken müssen: die G-8-Präsidentschaft. Sie induziert ähnliche Aufgaben und Folgekosten. Über ein weiteres Vorhaben wird gegenwärtig diskutiert. Sie wollen es - das möchte ich voranstellen - finanzneutral umsetzen. Es geht um die Errichtung des BfJ, des Bundesamtes für Justiz. Nachdem die erste Lothar Binding ({5}) Lesung des Errichtungsgesetzes stattgefunden hat, können jetzt die Mittel für das Bundesamt für Justiz in den Haushalt eingestellt werden. Das soll erreicht werden - das ist für uns als Haushälter wichtig -, indem Mittel aus vielen Titeln, die bisher existieren, so zusammengefasst werden, dass sie für das Bundesamt für Justiz zur Verfügung stehen. Deshalb erwarten wir eine Größenordnung von 100 bis 200 Anträgen, die eingebracht werden müssen, um, wenn das Errichtungsgesetz es erlaubt, diesen haushalterischen Übergang ins Jahr 2007 vorzubereiten. Die bisherigen Aufgaben des Bundeszentralregisters, des Generalbundesanwalts, der Normendokumentation und der Redaktion des Bundesgesetzblatts sowie des Bundesanzeigers sollen hierbei zusammengefasst werden. Das ist ein Vorhaben, über das im Rechtsausschuss und im Haushaltsausschuss sicherlich noch zu diskutieren sein wird. Mittelfristig muss auch über die Frage nachgedacht werden, ob nicht klugerweise der Standort, der sich aufgrund der räumlichen Möglichkeiten im ehemaligen Auswärtigen Amt in Bonn befindet, langfristig nach Berlin überführt werden sollte. Ich glaube, dass obliegt der späteren Diskussion.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, schauen Sie bitte auf die Uhr. Sonst reden Sie zulasten Ihres Kollegen.

Lothar Binding (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Dann muss ich leider die Personalentwicklung im DPMA weglassen. Ich möchte mich nur noch dafür bedanken, dass Sie 160 000 Euro eingestellt haben, um das Projekt zur verbesserten Formulierung der Gesetzgebung hinsichtlich der Prozessbetrachtung eines Gesetzgebungsverfahrens und der Umformulierung eines bestehenden Gesetzes aufzulegen. Das hat uns sehr gefreut. Ich glaube, dass Sie diese Aufgabe mit Bravour gelöst haben. Dafür möchten wir uns bedanken. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Otto Fricke, FDPFraktion. ({0})

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon viel zu den finanziellen Fragen des Einzelplans 07 gesagt worden. Ich will auch dieses Mal die Juristen nicht zu sehr mit Anmerkungen zum Haushalt nerven. Wiewohl wir Juristen rechnen können, wir tun es nur nicht, um zu Rechtsergebnissen zu kommen. Der Hinweis sei mir immer wieder erlaubt. Ich will aber eines ansprechen: Warum ist für Haushälter der Justizhaushalt wichtig? Da die beiden Sprecher der Koalitionsfraktionen anwesend sind, will ich darauf hinweisen, warum ich hier etwas anders argumentiere als an anderer Stelle, wenn es um viel größere Ausgabenposten geht. Der Rechtsstandort Deutschland ist von enormer Wichtigkeit für unser Gemeinwesen, unsere Wirtschaft, unser Miteinander und unseren sozialen Frieden. Das heißt, wir müssen als Haushälter auf Bundesebene dafür Sorge tragen, dass der Rechtsstandort funktioniert. Das bedeutet, wir haben drei Orientierungspunkte. Wir haben die Personen, die Gesetze und die Institutionen. Um alle drei Orientierungspunkte müssen wir uns gut kümmern. Ich komme zu den Personen und damit zum Rechtsdienstleistungsgesetz. Zunächst einmal bekenne ich meine absolute Befangenheit bei diesem Gesetz. Ich bin das, was man einen Feld-, Wald- und Wiesenanwalt nennt. ({0}): Sie sind befangen!) - Nein. Das ist der Unterschied, Herr Stünker. Jeder hat seine Befangenheiten. Man sollte sie aufzeigen und darüber reden. Dann muss man sich seine Meinung bilden. Ich sage Ihnen als Feld-, Wald- und Wiesenanwalt: ({1}) Sie müssen genau darauf achten, welches Verbraucherbild Sie bei diesem Gesetz haben, Frau Ministerin. Das gilt übrigens auch für die Scheidung light. Glauben Sie wirklich, dass ein Bürger, der zur Bank geht, im Allgemeinen meint, die Bank sei sein Gegner, die sein Geld wolle? Oder glauben Sie, dass die Mehrheit der Menschen davon ausgeht, dass die Bank ihnen hilft? Ich erlebe es im Zusammenhang mit Rechtschutzversicherungen immer wieder: Die Leute erzählen mir, ihre Rechtschutzversicherung habe ihnen gesagt, das gehe auch so; das sei gar nicht anders möglich. Dass diese Auskunft der Rechtschutzversicherungen nie nachzuweisen ist - sie werden das sofort bestreiten; wahrscheinlich bekomme ich gleich entsprechende Faxe ins Büro -, ist klar. Sie würden nie offiziell eine solche Auskunft geben. Aber sie haben ihre eigenen Interessen. Wenn sie aber in rechtsgeschäftlichen Fragen bzw. in der Rechtsberatung eigene Interessen haben, dann wird im Ergebnis immer ein Makel festzustellen sein. Das stört mich als Anwalt eigentlich nicht. Ich habe auch keine Angst, dass wir als Feld-, Wald- und Wiesenanwälte weniger Mandate bekommen. ({2}) Im Gegenteil: All das, was im Rechtsdienstleistungsgesetz steht, wird dazu führen, dass ich mehr Regressprozesse führen kann. Wenn ich Glück habe, habe ich - falls es sich um eine Bank oder eine Rechtschutzversicherung handelt - auch noch einen solventen und potenten Zahler, an den ich mich wenden kann. In solchen Fällen kann ich den Mandanten sagen, sie könnten froh sein, dass der etwas falsch gemacht hat. ({3}) - Lieber Herr Kollege, die Frage des Regresses gerade gegenüber Großen ist eine der wesentlichen Aufgaben, die ein Anwalt bei kleinen Bürgern - wie man so schön sagt - wahrnehmen sollte und die er mit viel größerer Freude wahrnimmt, als sich beim Nachbarschaftsstreit damit auseinander zu setzen, wer denn nun Recht hat und wo und wie der Baum beschnitten werden muss. ({4}) Was die Argumentation im Zusammenhang mit der Nebenleistung angeht, Frau Ministerin, halte ich dieses Kriterium - ich kenne die Diskussion; sie ist sehr umfangreich - für höchst gefährlich. ({5}) Die Nebenleistung gaukelt nämlich vor, dass es auch dann, wenn es einmal zu einem Fehler kommt, nur kleine Nebenprobleme gibt. Häufig ist es so, dass es bei einem Fehler aufgrund einer eigentlichen Nebenleistung für die Betroffenen zu erheblichen Schäden, Fristversäumnissen und vielen Folgen kommt, die den Bürger viel teurer - und zwar nicht im monetären Sinne, sondern nach dem persönlichen Gerechtigkeitsempfinden zu stehen kommen. Das EU-Parlament hat zu den rechtsberatenden Berufen einige - wie ich finde, sehr schöne - Erläuterungen formuliert. ({6}) Ich halte es auch für notwendig, Folgendes klarzustellen: Die EU verlangt von uns nicht, dass wir komplett so viel Gleichmacherei betreiben wie möglich. ({7}) Im Gegenteil: Sie will den Schutz der Verbraucher erreichen. ({8}) Darum muss es in erster Linie gehen. Deswegen halte ich es auch für richtig, dass die Verbraucherschutzverbände in dem Gesetz an bestimmter Stelle noch deutlicher dargestellt werden. Denn sie sind unabhängig und nehmen an vielen Stellen Aufgaben wahr, bei denen sich die Anwaltschaft fragen muss, ob sie das in der richtigen Art und Weise getan hat oder ob sie sie vielleicht manchmal vernachlässigt hat, weil sie es für Kleinkram gehalten hat. Ich will auf einen weiteren Punkt hinweisen, nämlich auf die Frage, wie mit Anwälten als Vertretern von Rechteinhabern umgegangen wird. Dazu hat der Justizminister des Landes Schleswig-Holstein, Herr Döring - ein Sozialdemokrat, wenn ich das richtig sehe -, Folgendes gesagt: „Prozesskostenhilfe soll keinerlei staatlicher Kombilohn für Rechtsanwälte sein.“ Dass die Prozesskostenhilfe in erster Linie für den Mandanten gedacht ist, damit er sein Recht bekommt - Herr Nešković, Sie haben es eben angesprochen -, und dass eine Vorkontrolle der möglichen Aussichten besteht, wird völlig außer Acht gelassen. Aber genau darum geht es. Damit sind wir bei den Gesetzen. Die Bundesländer legen ständig neue Entwürfe eines Justizmodernisierungsgesetzes vor und weisen unter anderem darauf hin, dass das Recht zu viel koste und dass die Rechtsanwälte zu viel verdienten. Ich bin gespannt, ob die Mehrheit im Bundestag weiterhin in der Lage ist, sich dagegen zu verteidigen. Ich sehe das gegenwärtig noch nicht. ({9}) - Herr Stünker, wenn Sie ganz sicher sind, bin ich beruhigt. Man muss es allerdings deutlich sagen. Herr Kollege Montag, Sie haben gesagt, dass das beim Strafvollzug gefährlich werden könne. Ich gebe Ihnen Recht: Es kann zu einem Abbau kommen. Dennoch bin ich optimistisch. Erstens. Ich vertraue darauf, dass das Bundesverfassungsgericht dem Abbau Einhalt gebieten wird. ({10}) Zweitens. Schauen Sie sich einmal genau an, was Herr Goll dazu gesagt hat. Drittens. Sie haben uns Vorwürfe gemacht. Aber wo sind denn das rot-grüne Untersuchungshaftvollzugsgesetz und das rot-grüne Jugendstrafvollzugsgesetz? Obwohl Sie sieben Jahre Zeit hatten, gibt es diese Gesetze bislang nicht. Sie wissen ganz genau, dass Sie damals ähnliche Probleme hatten. Ich komme zum Schluss meiner Rede. Es geht um den Umgang mit den Institutionen. Ich bin sehr froh, dass der Kollege Binding auf die zukünftigen Aufgaben des Bundesverfassungsgerichts hingewiesen hat. Um es deutlich zu sagen: Das Bundesverfassungsgericht wird die Aufgabe haben, innerhalb der nächsten Jahre in seinem Haushalt eine sechsstellige Summe für Rückstellungen für die Altersversorgung von Richtern, wissenschaftlichen Mitarbeitern und anderen aufzubringen. Aber das kann aus diesem Haushalt nicht erwirtschaftet werden. Ich bitte Sie daher um Unterstützung. Herr Kollege Binding, meine haben Sie auf jeden Fall; denn wenn wir mit den Institutionen und den Menschen, die mit dem Recht arbeiten, nicht gut umgehen und wenn wir mit den Gesetzen so schlecht umgehen, wie das beim Antidiskriminierungsgesetz der Fall ist, dann wird der Rechtsstaat leider vor die Hunde gehen. Liebe Haushaltskollegen, das wäre für den Standort Deutschland und im Hinblick auf die Steuereinnahmen des Staates sehr schlecht. Herzlichen Dank. ({11})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Daniela Raab, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Daniela Raab (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003613, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon mehrfach erwähnt worden, wenn auch mit unterschiedlichem Zungenschlag: Am 1. September dieses Jahres ist die Föderalismusreform in Kraft getreten. Verehrter Herr Kollege Montag, ich kann Ihre sehr pessimistische Einschätzung dieser Reform nicht teilen. Ich weiß nicht, ob wir in unterschiedlichen Anhörungen waren. ({0}) - Herr Ströbele, ich habe es durchgelesen, keine Sorge. Ich bin jedenfalls der Meinung, dass dies ein erfolgreiches Projekt ist. Das wird sich in der Praxis sicherlich noch zeigen. Ich denke, dass uns die Neuverteilung der Rechte und Pflichten in Zukunft einige Entzerrungen im Gesetzgebungsverfahren und sehr viel mehr Transparenz bringen wird. Es war gut, was wir gemacht haben. Die Art der Zusammenarbeit zwischen Bundestag und Bundesrat, die Verwirklichung von Parlamentarismus pur, war für uns alle eine Freude. ({1}) Wir haben uns im Rechtsausschuss neben diesem sehr umfangreichen Prozess, der uns lange beschäftigt hat, mit anderen bedeutenden Themen auseinander zu setzen. Eine Auswahl daraus möchte ich kurz ansprechen. Mit Bestürzung müssen wir feststellen, dass schwere und schwerste Kriminalität ein zunehmend jüngeres Gesicht bekommt. Natürlich geschehen viele Straftaten aus jugendlichem Übermut und jugendlicher Unreife, auf die man maßvoll reagieren muss. Unser Jugendstrafrecht bietet dazu gute und ausreichende Möglichkeiten. Aber es gibt auch Jugendliche und insbesondere Heranwachsende, die schwere und schwerste Straftaten begehen. Gerade was die Bestrafung der Heranwachsenden, also derjenigen im Alter von 18 bis 21, angeht, gibt es Lücken, die unserer Ansicht nach dringend geschlossen werden müssen. Nehmen wir nur den abstrakten Fall als Beispiel - damit es für die Zuschauer nicht zu realitätsfern ist -, dass ein 20-Jähriger zu sechs Jahren Haft nach Jugendstrafrecht verurteilt wird. Nach Verbüßung seiner Strafe gehen Sachverständige weiterhin von einer erheblichen Gefährlichkeit dieses jungen Mannes aus. Nach geltendem Recht ist es aber nicht möglich, ihn nachträglich in Sicherungsverwahrung zu nehmen, da eine Verurteilung nach Jugendstrafrecht dem entgegensteht. Mir ist bewusst, dass solche Fälle nicht in Massen auftreten. Das wäre schlimm und das möchte ich auch nicht behaupten. Aber wir wissen, es gibt sie. Natürlich handelt es sich bei der nachträglichen Sicherungsverwahrung um einen erheblichen Eingriff in die Rechte des Betroffenen. Jedoch sind diese Rechte immer klar gegen das Recht der Bevölkerung auf Sicherheit und gegen den Schutz potenzieller Opfer abzuwägen. Deshalb muss gelten: Die nachträgliche Sicherungsverwahrung gerade für Heranwachsende - das betone ich nochmals - darf kein Tabu sein. Wir müssen uns über das Strafmaß der Anlasstat unterhalten und über die strengen Anforderungen an die nachträgliche Anordnung; denn beides gehört untrennbar zusammen und eines geht nicht ohne das andere. Hier ist mit Bedacht vorzugehen. Jedoch sollte - das sage ich auch ganz deutlich - kein zahnloser Papiertiger entstehen und ein Gesetz verabschiedet werden, das wegen unangemessen hoher Hürden in der Praxis nie zur Anwendung kommt. ({2}) Rechtspolitik ist nicht nur Strafrecht. In den nächsten Wochen werden wir den schon häufig erwähnten Entwurf eines Rechtsdienstleistungsgesetzes zu beraten haben. Wir als Unionsfraktion begrüßen diesen Entwurf grundsätzlich und begrüßen auch die notwendige Neuregelung. Ziel dieser Neuregelung muss aber immer sein, die ausgesprochen hohe Qualität der Rechtsberatung in Deutschland zu bewahren. Hier geht es zum einen um den Schutz des Rechtsuchenden vor unqualifizierter Beratung; zum anderen ist gerade unsere Justiz und alles, was mit ihr zusammenhängt, ein klassischer deutscher Standortvorteil. Das alte Rechtsberatungsgesetz sah ein strenges Monopol für sämtliche Rechtsdienstleistungen zugunsten der Anwaltschaft vor. Die Justizministerin hat dies bereits ausgeführt. Dies entspricht sicherlich nicht mehr den Entwicklungen im heutigen Wirtschaftsleben, wo kaum eine geschäftliche Tätigkeit ohne rechtliche Beratung bleibt. Deshalb werden - so sieht es der Entwurf vor - Rechtsdienstleistungen, die nur eine so genannte Nebenleistung darstellen, für alle unternehmerisch tätigen Personen erlaubt. Zum Beispiel könnte ein Architekt in Zukunft auch über Fragen des Baurechts oder der Baumängelhaftung informieren. Umfassender Rechtsrat muss aber auch in Zukunft den Anwälten vorbehalten bleiben. Das neue Rechtsdienstleistungsgesetz stellt deshalb nach meiner Einschätzung eine zunächst angemessene Kombination von notwendiger Liberalisierung des Rechtsberatungsmarktes und einem nach wie vor unerlässlichen Verbraucherschutz dar. Jedoch gibt es Punkte, die im Gesetzgebungsverfahren durchaus noch kritisch hinterfragt werden müssen. Der vorher schon erwähnte Begriff der Nebenleistung ist nach meiner Ansicht nicht hinreichend im Entwurf definiert. Gerade zum Schutz des Verbrauchers müssen wir hier zu einer ausgesprochen engen Auslegung kommen. Der Regierungsentwurf wird meiner Ansicht nach dieser Anforderung noch nicht gerecht. Nach jetzigem Stand könnten die viel zitierten KfzWerkstätten beispielsweise eine umfassende Rechtsberatung vornehmen. Bei einer Schmerzensgeldklage nach einem Verkehrsunfall - um ein weiteres Beispiel zu nennen - kann sich aber eine mangelnde oder eine mangelhafte Beratung für den Betroffenen negativ auswirken; denn hier fehlt jegliche fachliche Kontrolle und die Haftung, wenn etwas schief läuft. ({3}) Deshalb ist für uns klar: Verbraucherschutz muss vor Vereinfachung gehen. Wenn wir schon beim Thema Verbraucherschutz sind, müssen wir auch über das vereinfachte Scheidungsverfahren vor einem Notar sprechen, despektierlich auch Scheidung light genannt. Natürlich muss es unser aller Anliegen sein, die Gerichte zu entlasten. Gerade Familiensachen sind zeit- und arbeitsaufwendig. Nun muss aber die Frage erlaubt sein, ob das vereinfachte Scheidungsverfahren tatsächlich schneller und unkomplizierter ist und zu einer Entlastung der Justiz führt. Bereits nach jetziger Rechtslage verursacht eine einvernehmliche Scheidung vor dem Familiengericht nur geringen Arbeitsaufwand. Fällt nun aber die anwaltliche Vertretung weg, wie es das Bundesjustizministerium derzeit vorsieht, fehlen dem Richter oft die kompetenten Ansprechpartner, sollten doch noch Fragen offen sein. ({4}) Außerdem soll ja der meist aufwendige Versorgungsausgleich nach wie vor beim Gericht anhängig bleiben. Der Verzicht auf anwaltliche Beratung kann aber noch weitere Nachteile bringen. Die Gefahr besteht, dass einer der Beteiligten, vermutlich der wirtschaftlich Schwächere, übervorteilt oder - sagen wir es grob - über den Tisch gezogen wird, weil er vorher nicht individuell beraten wurde. ({5}) Selbstverständlich müssen auch Notare, die eine einvernehmliche Scheidungsvereinbarung durchführen, auf etwaige nachteilige Regelungen hinweisen. Sie dürfen aber dem intellektuell oder auch wirtschaftlich unterlegenen Partner nicht vom Vertragsschluss abraten. Wo der Anwalt parteiisch sein darf, muss der Notar neutral bleiben. Der nächste Streit ist hier sozusagen schon vorprogrammiert und der ohnehin zweifelhafte Einspareffekt dürfte damit ebenfalls dahin sein. Das geplante vereinfachte Scheidungsverfahren verschiebt Konflikte nur auf einen späteren Zeitpunkt. Das ist jedenfalls meine Meinung. ({6}) All diese Punkte müssen im Gesetzgebungsverfahren noch sehr kritisch hinterfragt werden. Bekanntlich sind wir, das Parlament, der Gesetzgeber. Ich denke, wir werden uns noch entscheidende Mitspracherechte herausnehmen. Das ist auch unser gutes Recht. Diese Themenauswahl zeigt schon, liebe Zuschauer auf der Tribüne und liebe Zuhörer, wie sehr die oft als trocken und abstrakt empfundene Rechtspolitik den Alltag der Menschen auf das Nächste berührt. Wir sind viel praxisnäher, als manche glauben. Auch wenn die Jalousien dort drüben uns heute einen etwas düsteren Eindruck vermitteln: Um die Rechtspolitik in diesem Lande mit dieser Koalition ist mir dennoch nicht bange. Ich danke Ihnen. ({7})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Joachim Stünker, SPDFraktion.

Joachim Stünker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003244, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Kritik heute Nachmittag an einem Jahr schwarz-roter Rechtspolitik war, wie ich sagen muss, moderat. Daher brauche ich nicht viel Gewicht auf das Replizieren zu legen. Ich möchte zunächst nur drei Dinge ansprechen. Erstens. Frau Leutheusser-Schnarrenberger, Sie können ganz sicher sein: Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts werden von dieser Koalition auch zukünftig respektiert und akzeptiert. ({0}) Zweitens. Herr Kollege Nešković, Sie können ganz sicher sein, dass das, was Sie über das berichtet haben, was über den Bundesrat auf uns zukommt, in diesem Haus in absehbarer Zeit keine Mehrheit finden wird. Sie haben zum Schluss dankenswerterweise gesagt, dass auch die Stellungnahme der Bundesregierung negativ gewesen ist. Drittens. Lieber Kollege Montag, nehmen Sie mir nicht übel, dass ich auf Folgendes hinweise. Wie ich in den Sommerferien gelesen habe, sind Sie derjenige Kollege, der die zweitmeisten Reden im ersten Jahr dieser Legislaturperiode gehalten hat. Ich will jetzt nicht bösartig werden und sagen: Ich warte darauf, dass Quantität in Qualität umschlägt, Herr Montag. ({1}) - Das weiß ich ja. Das will ich auch nicht sagen. Es wäre auch mir zu billig gewesen. ({2}) Ich meine wirklich, Sie könnten manchmal ein bisschen freundlicher mit uns umgehen, Herr Kollege Montag. Das ist eigentlich das Einzige, was ich jetzt dazu sagen will. ({3}) In den mir verbleibenden sechseinhalb Minuten möchte ich kurz auf drei Themenbereiche eingehen, die uns in diesem Herbst, wie ich meine, ganz unmittelbar beschäftigen werden und die bisher noch nicht angesprochen worden sind. Das eine ist eine sehr anspruchsvolle Aufgabe, die wir als Parlament vor uns haben. Unter der Überschrift Korruptionsbekämpfung müssen wir uns alle gemeinsam mit den Fragen der Abgeordnetenbestechung auf allen parlamentarischen Ebenen beschäftigen. Das wird in diesem Herbst im Rechtsausschuss unsere Aufgabe sein. ({4}) Der geltende Straftatbestand des Stimmenkaufs, geregelt in § 108 e StGB, genügt den von Deutschland eingegangenen internationalen Verpflichtungen nicht mehr, wie einige vielleicht wissen. Ich möchte hier insbesondere auf das von uns unterzeichnete UN-Übereinkommen gegen Korruption vom 30. Oktober 2003 hinweisen, das am 14. Dezember 2005 in Kraft getreten ist. ({5}) Im Dezember dieses Jahres wird die erste Vertragsstaatenkonferenz zu diesem Übereinkommen stattfinden. Ich meine, es ist deshalb angezeigt, dass wir noch vor Beginn dieser Konferenz deutlich machen, dass Deutschland auf dem Weg der Ratifizierung und der Umsetzung in deutsches Recht ist. ({6}) Eine zweite Notwendigkeit ergibt sich aus zwei Urteilen der Strafsenate des Bundesgerichtshofs aus jüngster Zeit. Ein Urteil des 5. Strafsenats vom 9. Mai 2006 betraf den so genannten Wuppertaler Korruptionsskandal. Ein zweites Urteil des 2. Strafsenats vom 12. Juli 2006 betraf den so genannten Kölner Müllskandal. In beiden Urteilen haben die Senate klargestellt, dass kommunale Mandatsträger keine Amtsträger im Sinne von § 11 StGB sind - dieser Meinung war ich schon immer; die überwiegende Anzahl der OLGs war anderer Meinung -, sodass §§ 331 ff. StGB - Amtshaftungsdelikte, wie wir früher gesagt haben - keine Anwendung finden können. Frau Harms, die jetzt Generalbundesanwältin ist, hat im Urteil des 5. Strafsenats ausdrücklich darauf hingewiesen, dass wir hier mittlerweile eine Regelungslücke haben. Es gehört zur Glaubwürdigkeit der Politik, dass wir uns jetzt der Aufgabe stellen, diese Regelungslücke in der Tat zu schließen. ({7}) Deshalb wollte ich heute in dieser Debatte mit Nachdruck auf die genannten Problemkreise hinweisen. Da es sich hierbei letztlich um Parlamentsrecht handelt, sollten wir nicht gemeinsam auf einen Regierungsentwurf warten; darauf dürfen wir auch nicht warten. Wir müssen die Kraft haben, genau dies aus dem Parlament heraus zu regeln. Das gehört zu den ureigenen demokratischen Aufgaben, die wir zu lösen haben. Ich fordere uns auf, diese Aufgabe in diesem Herbst gemeinsam zu lösen. ({8}) Hierzu gibt es Überlegungen und Eckpunkte, sodass wir zu einer auch in der Öffentlichkeit glaubwürdigen Lösung kommen können. Zweiter Punkt - mir läuft die Zeit weg -: Verabschiedung einer Antiterrordatei. Ich will es kurz machen. Etwas Schriftliches liegt uns bisher nicht vor. Der Rechtsausschuss wird in dieser Sache nicht federführend, sondern nur mitberatend sein. Auch wir im Rechtsausschuss haben aber die Verantwortung, uns das, was sicherlich notwendig ist, sehr gründlich anzusehen. Wir müssen uns unserer Verantwortung bewusst werden, bei der entschlossenen Bekämpfung von Terrorismus und bei allem Einsatz für die innere Sicherheit auch die Grenzen des rechtsstaatlich Verantwortbaren ganz genau zu sehen. ({9}) Gerade wir in der Rechtspolitik müssen sehr genau darauf Obacht geben, dass wir hier gemeinsam das Richtige wollen und auch schaffen. ({10}) Lassen Sie mich einen letzten Punkt nennen. Man könnte fast bösartig sagen: So wie Cato immer forderte: „Aber auf jeden Fall muss Karthago zerstört werden“, kommt der Stünker zum Schluss jeder Haushaltsrede zum selben Thema. - Ja, ich komme wieder zum Thema der großen Justizreform. Quo vadis? Wohin geht der Weg bei der großen Justizreform? Ich sage das aus gegebenem Anlass. Wir werden in einigen Wochen darüber zu reden haben. Ich bin der festen Überzeugung - das gilt, denke ich, für meine Fraktion und meine Arbeitsgruppe genauso -: Der Deutsche Bundestag wird es nicht hinnehmen können, wenn als Ergebnis der größten Justizreform seit 1889, wie die größte deutsche Tageszeitung schon vor zwei Jahren getitelt hat, nur bleiben sollte: erstens die Privatisierung des Gerichtsvollzieherwesens und zweitens die Übertragung der Zuständigkeit für die Nachlasssachen vom Amtsgericht auf die Notare. Das kann es nicht sein. Das wird der Weg nicht sein, der mit uns zu gehen ist. ({11}) Aber nach den letzten Beschlüssen der JuMiKo scheint es dort in diese Richtung zu laufen. Das ist nicht unser Weg. Wenn man das Gerichtsvollzieherwesen ändern will, muss man sogar Art. 34 Grundgesetz ändern. Dafür braucht man eine Zweidrittelmehrheit in diesem Haus. Wir werden diesen Weg nicht mitgehen. Das ist der falsche Weg. Ich kann von daher nur dazu auffordern und dafür werben, dass wir uns in der Tat über Strukturreformen unterhalten. Wenn man eine Reform der Justiz will, dann ist auch das der falsche Weg, was jetzt wieder von einigen Länderjustizministern vorgeschlagen wurde. Man meint, die Entlastung der Strafgerichte über eine Ausweitung des beschleunigten Verfahrens erreichen zu können, wie in diesen Tagen in der Presse zu lesen war. Das sind die Gedanken der 90er-Jahre, die uns schon damals nicht weitergebracht haben. Wer das beschleunigte Verfahren kennt, der weiß, was das heißt: einfacher Sachverhalt, klare Beweislage. Wer meint, dass dies die Verfahren sind, die die Strafgerichte wirklich belasten, der kennt sich in der Strafjustiz nicht aus, der kennt sich im Ergebnis im eigenen Haus nicht aus. ({12}) Das kann also nicht der Weg sein. Deshalb werbe ich dafür, dass wir in diesem Herbst in wirklich fundierte Gespräche mit den Länderjustizministern einsteigen, wenn es darum geht, über die Reform der Justiz zu reden, über die Bereitstellung der notwendigen Ressourcen für die Justiz im Sinne des Rechtsstaats. Darüber sind wir uns hier alle einig. Wir reden zukünftig über Strafbarkeit von Doping, über erhöhte Strafandrohung bei Fleischskandalen oder auch über ein Rauchverbot in öffentlichen Einrichtungen. Wenn Politik so etwas auf den Weg bringt, brauchen wir überall irgendwann die Justiz. Dafür brauchen wir in der Justiz die sachlichen und personellen Ressourcen. Die werden wir nicht über mehr Geld bekommen können, liebe Kolleginnen und Kollegen; das weiß ich auch. Dafür brauchen wir auch nicht mehr Geld. Dafür brauchen wir auch nicht mehr Personal in den Ländern. Was wir brauchen, sind wirkliche Strukturreformen. Man muss den Mut haben, die durchzuführen. Ich nenne noch drei Punkte und dann bin ich mit meiner Rede auch fertig, Frau Präsidentin: erstens Dreistufigkeit in der ordentlichen Gerichtsbarkeit, zweitens neue Strukturen der sachlichen Zuständigkeiten in Strafverfahren und drittens eine einheitliche öffentliche Gerichtsbarkeit. Lassen Sie uns darüber reden und nicht über die alten Kamellen aus den 90er-Jahren; denn damit werden wir die Justiz im neuen Jahrhundert nicht weiterbringen. Schönen Dank. ({13})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Dr. Ole Schröder, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Ole Schröder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003628, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die beiden Einzelpläne, über die wir heute beraten - Einzelplan 07 für das Bundesministerium der Justiz und Einzelplan 19 für das Bundesverfassungsgericht -, sind weniger wegen des Volumens der veranschlagten Haushaltsmittel von Bedeutung. Von Bedeutung sind sie aber aufgrund der Institutionen, die in unserem Rechtsstaat eine große Rolle spielen. Für die Einzelpläne gilt, dass sich gegenüber dem Jahr 2006 nur geringfügige Veränderungen zeigen. Das ist bedingt durch die Strukturen, in denen die Personalausgaben die übrigen Ausgaben deutlich dominieren. Das bedeutet einerseits, dass in diesen Einzelplänen nicht kurzfristig wirkliche Einsparungen erzielt werden können. Andererseits bedeutet das aber auch, dass wir uns als Mitglieder des Haushaltsausschusses insbesondere die Stellenpläne genau anschauen müssen. Das Justizministerium wird in den kommenden Beratungen daher noch erläutern, warum zwei zusätzliche Stellen notwendig sind. Diese Tendenz zum Stellenaufbau zeigt sich übrigens auch in anderen Ministerien. Offenbar vollzieht sich der Stellenabbau in den nachgelagerten Behörden wesentlich erfolgreicher als in den Ministerien selbst. Jedenfalls weisen im Einzelplan 07 lediglich das Justizministerium selbst und das Deutsche Patent- und Markenamt eine Aufstockung der Haushaltsansätze auf. Beim Justizministerium sind es knapp 5 Millionen Euro, natürlich auch bedingt durch die kommende EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands. Beim Deutschen Patent- und Markenamt sind das gut 4,5 Millionen Euro. Diese werden durch das Projekt „Elektronische Schutzrechtsakte“ verursacht, ein IT-Projekt, das die führende Rolle des Deutschen Patent- und Markenamtes sichern soll; denn in keinem anderen Patentamt Europas werden so viele Anträge eingereicht wie in Deutschland. ({0}) Damit das so bleibt, müssen wir investieren, um die Prozesse zu optimieren und elektronisch unterstützen zu können. ({1}) Meine Damen und Herren, das Bundesministerium der Justiz erfüllt zwei Aufgaben: einerseits die Gesetzgebung und Gesetzesanwendung im Bereich der Justiz, andererseits die Koordinierung der gesetzgeberischen Aktivitäten auf nationaler und auf internationaler Ebene. Diese Querschnittsfunktion ist in den vergangenen Jahren immer komplexer geworden. Neben der reinen Quantität der Vorschriften auf nationaler, europäischer und supranationaler Ebene ist auch die Komplexität der Gesetzgebung massiv angestiegen. Auf europäischer Ebene bietet sich dem BMJ im kommenden Jahr eine ganz besondere Möglichkeit, Einfluss zu nehmen. Es ist die schon erwähnte EU-Ratspräsidentschaft. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle kennen die zum Teil absurden bürokratischen Gesetze aus Brüssel. Ich möchte jetzt keine Beispiele nennen; wir kennen solche skurrilen Richtlinien alle aus der Presse. Von der deutschen Ratspräsidentschaft verspreche ich mir nicht nur, dass unnötige bürokratische Richtlinien und Verordnungen ausbleiben; vielmehr fordere ich unsere Bundesjustizministerin auf, sich auf ihre originäre Aufgabe zu besinnen, nämlich das Abschaffen von unnötigen Richtlinien und Verordnungen. ({2}) Dies muss auf europäischer Ebene und auf nationaler Ebene forciert werden. Klar ist, dass diese Aufgaben Geld kosten werden. Aus diesem Grund sieht der Kabinettsentwurf die Aufstockung einiger Haushaltstitel des Ministeriums vor; in der Summe sind das etwa 5 Millionen Euro. Wichtig ist, dass wir das Geld nicht nur ausgeben, sondern es in Bürokratieabbau investieren. Das wird uns mittel- und langfristig nutzen. Ebenfalls im Haushalt vorgesehen sind erste Mittel für die Umsetzung eines Modellprojekts zur Überprüfung von Gesetzen auf Verständlichkeit. Jeder kennt die Beispiele aus der eigenen Praxis. Wir können viel Geld einsparen, wenn die Gesetzesanwendung durch bessere Verständlichkeit günstiger wird. Wichtig ist aber auch, dass wir uns als Parlamentarier um dieses Projekt kümmern. Das ist nicht nur Aufgabe des Bundesministeriums der Justiz, sondern auch Aufgabe von uns Parlamentariern. Viele Gesetze werden auch durch unsere Ideen und durch unsere Anregungen komplizierter. Wir können viele zu kompliziert formulierte Gesetzesvorschläge auch im parlamentarischen Verfahren heilen. Daran sollten wir uns erinnern. Noch nicht explizit ausgewiesen im Haushaltsentwurf ist das neu zu schaffende Bundesamt für Justiz. Ich befürworte die angestrebte Trennung von den eigentlich ministeriellen Aufgaben im engeren Sinne und den Aufgaben der nichtministeriellen Bereiche. Ich meine, dass wir dadurch Gelder einsparen können und dass das ein hervorragendes Vorbild dafür ist, wie wir die Rollenverteilung zwischen Berlin und Bonn vernünftig und effizient gestalten können. Das ist ein Modell, das vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussionen sicherlich auch für andere Ministerien als Vorbild dienen kann. Das BMJ ist natürlich auch für die Rechtsdurchsetzung zuständig. Im Bereich des Sozialleistungsmissbrauchs, der auch haushaltspolitisch von großer Bedeutung ist - 33 Milliarden Euro des gesamten Haushaltes 2007 geben wir für Sozialleistungen aus -, sehe ich großen Handlungsbedarf. Sozialleistungsmissbrauch schadet allen in unserer Gesellschaft - sowohl den Leistungsträgern, die zu hohe Abgaben auf ihre Einkünfte zahlen müssen, als auch denjenigen, die wirklich hilfebedürftig sind. Das Problem ist: In unserer Gesellschaft wird der Sozialleistungsmissbrauch nicht ausreichend geächtet und verfolgt. Unsere formellen Normen, die Gesetze, werden nicht ausreichend umgesetzt. Auch die informellen Regeln, die Sozialnormen, funktionieren nicht richtig. Im Gegenteil, häufig erleben wir, dass Sozialleistungsmissbrauch nicht nur toleriert wird, sondern auch von Dritten explizit Anerkennung findet. Nur wenn wir den Sozialleistungsmissbrauch mit aller Härte verfolgen und bestrafen, dürfen wir auf eine gesellschaftliche Ächtung dieses asozialen Verhaltens hoffen. Ich meine, das ist ein wichtiges rechtspolitisches Projekt. Ich bin auf die Beratungen gespannt, die wir zu diesen beiden Einzelplänen erleben werden. Wir werden sicherlich die einzelnen Haushaltsansätze intensiv diskutieren. Ich hoffe, dass wir ebenso erfolgreich sein werden wie im letzten Haushaltsjahr. ({3})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen schließlich zu dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern, Einzelplan 06. Das Wort hat der Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir leben in einer Zeit angespannter Sicherheit und wir sind Teil eines weltweiten Gefahrenraums. Wir haben durch die jüngsten Vorfälle - die beiden Kofferbomben, die glücklicherweise nicht zur Explosion gekommen sind, aber auch die Planungen von Anschlägen gegen die zivile Luftfahrt in Großbritannien sowie die Besorgnisse der Sicherheitsbehörden im Zusammenhang mit einem großen Popkonzert in Gelsenkirchen Ende des vergangenen Monats - Grund, den Kampf gegen die Gefahren, die aus dem internationalen Terrorismus drohen, mit aller Entschiedenheit ernst zu nehmen. Ich bin jemand, der immer sagt: Es gibt keine hundertprozentige Sicherheit. Das muss man auch in solchen Zeiten sagen. Die gibt es nicht und die kann es nicht geben. Kein Staat kann diese Sicherheit garantieren, auch nicht der freiheitliche Rechtsstaat. Aber das heißt natürlich nicht, dass wir nicht die Verpflichtung haben, das Menschenmögliche zu tun, um so viel Sicherheit wie irgend möglich zu gewährleisten und auch zu versuchen, aus Erfahrungen, die wir sammeln, die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Deswegen bin ich froh, dass sich gestern die 16 Innenminister und -senatoren der Bundesländer vor dem Hintergrund der Vorlage der Bundesregierung, die wir gemeinsam innerhalb der Regierung erarbeitet haben, auf ein Konzept für eine gemeinsame Antiterrordatei geeinigt haben. Das ist eine gute Bewährungsprobe für den Föderalismus. Ich bin ein überzeugter Anhänger des Föderalismus: Wir brauchen gerade auf dem Feld der inneren Sicherheit das Zusammenwirken von Bund und Ländern. Aber wir müssen uns auch im Hinblick darauf bewähren, handlungs- und einigungsfähig zu sein. Es hat lange genug gedauert. Jetzt haben wir es auf den Weg gebracht. Wir werden einen entsprechenden Gesetzentwurf zügig erarbeiten, die Formulierungen abstimmen und schnell in Gesetzesberatungen eintreten. Dann müssen wir natürlich über die Einzelheiten reden. Ich glaube aber, wir haben insgesamt eine richtige Linie zwischen den Begrenzungen unserer Verfassung und dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung im Rahmen des Datenschutzes einerseits und den Notwendigkeiten einer funktionsfähigen Informationsvernetzung andererseits gefunden. Um es klar zu sagen: Es handelt sich nicht um eine Fahndungsdatei, sondern um ein System, das alle für die Terrorismusbekämpfung zuständigen Institutionen der Länder und des Bundes miteinander vernetzt. Das sind zweimal 16 Institutionen, also die jeweiligen Landespolizeien und die Landesämter für Verfassungsschutz, plus die drei Nachrichtendienste, der Zoll, das Bundeskriminalamt und die Bundespolizei, also 38 Institutionen, die miteinander vernetzt sind. Wie gesagt, es handelt sich nicht um eine Fahndungsdatei. Es ist völlig klar: Erkenntnisse müssen dann umgesetzt werden. Es ist ein System gefunden worden, das zum einen sicherstellt, dass den verfassungsrechtlichen Bedingungen und Begrenzungen Rechnung getragen wird, und das zum anderen funktionieren kann und wird. Ich werbe dafür, dass wir die Gesetzesberatung zügig voranbringen, damit wir das System der Informationsvernetzung schnell beim Bundeskriminalamt einrichten und zum Funktionieren bringen können. ({0}) Wir müssen in der Auswertung dessen, was uns alle - auch die Öffentlichkeit - in den letzten Wochen beschäftigt hat, ein paar Konsequenzen ziehen. Wir haben unmittelbar am 10. August - die Verhaftungsaktion der britischen Behörden war, um daran zu erinnern, in der Nacht vom 9. zum 10. August - die Kontrollmaßnahmen an den Flughäfen, was das Handgepäck anbetrifft, verschärft und alle Mitarbeiter der Bundespolizei auf neue Bedrohungen sensibilisiert, die wir so vor den britischen Erkenntnissen bei den normalen Flugkontrollen vermutlich nicht detektiert hätten; das muss man klar sagen. Deswegen werden wir uns beim zivilen Flugverkehr dauerhaft auf ein höheres Kontrollniveau einrichten müssen. Ich habe unmittelbar angestrebt, diesen Bereich auf europäischer Ebene zu harmonisieren; denn es hat keinen Sinn, in den einzelnen europäischen Ländern ein unterschiedliches Kontrollniveau zu haben. Ich strebe auch an, dass wir die Schutz- und Kontrollmaßnahmen nicht je nach Konjunktur und öffentlicher Erregung heraufund herunterfahren, sondern hier Stetigkeit haben. Überhaupt bin ich der Überzeugung: Je besser es uns gelingt, entschiedenes Handeln mit der notwendigen Gelassenheit zu verbinden, umso eher haben wir die Chance, unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger davon zu überzeugen, dass wir das Menschenmögliche tun. Aber eine hundertprozentige Sicherheit kann es nicht geben. Wir müssen - das haben wir in den Haushaltsentwurf, der zur Beratung vorliegt, noch nicht einstellen können; da bitte ich um Ihre Mitwirkung - aus dem, was wir in unserem Land erkannt haben, ein Stück weit Konsequenzen ziehen. Wir brauchen insbesondere im Bereich der Bundespolizei stärkere Möglichkeiten, den Bahnverkehr zu kontrollieren. Wir können bei mehr als 4 Millionen Bahnreisenden und mehr als 30 000 Zügen jeden Tag beim Bahnverkehr nicht das Maß an Kontrollen anlegen, wie wir es beim Flugverkehr haben; das weiß jeder. Trotzdem muss es etwa in großen Bahnhöfen eine stärkere Bestreifung mit Spürhunden, die Sprengstoff detektieren können, und eine stärkere Überwachung der Schienengleise auf mögliche Anschläge an Schienengleisen geben. Dazu brauchen wir bestimmte technische Einrichtungen an den Hubschraubern der Bundespolizei. Dies ist eine notwendige Maßnahme. Vor allen Dingen bin ich der Überzeugung - ich nutze die Gelegenheit der Einbringung des Haushalts, dafür um Unterstützung zu werben -: Wir müssen die Möglichkeiten insbesondere der Verfassungsschutzbehörden verstärken, im Vorfeld Informationen zu sammeln, die uns in die Lage versetzen, Anschläge wenn irgend möglich zu verhindern. Dem dient die Antiterrordatei. Aber dem muss auch eine verbesserte Kontrolle des Internets dienen; dazu brauchen wir entsprechende sachliche und personelle Mittel. Dazu müssen wir auch weitere Möglichkeiten im Bereich des Bundesamtes für Verfassungsschutz und - in einem begrenzten Maße - auch des Bundeskriminalamts nutzen können. Ich bitte um Unterstützung, wenn wir in den kommenden Wochen an den Haushaltsausschuss und das Parlament mit entsprechenden Bitten herantreten werden. Ich bin darüber auch mit dem Bundesfinanzminister im Gespräch. Den Haushaltsentwurf haben wir ja schon Anfang Juli im Kabinett beraten. Ich füge gleich hinzu: Das Bundesministerium des Innern fühlt sich, wie alle anderen Ressorts auch, der Haushaltspolitik dieser Regierung und der Koalition verpflichtet. Deswegen müssen wir mit geringen Haushaltszuwächsen auskommen oder uns auf Einsparungen einstellen. Das haben wir in den vergangenen Jahren bereits getan; das werden wir auch in engem Einvernehmen und in vertrauensvollem Zusammenwirken in den kommenden Jahren tun. Das halte ich für notwendig und richtig. Aber es ist natürlich wahr: Wenn wir Erkenntnisse hätten, die besagen, dass wir in einem bestimmten Bereich mehr für die innere Sicherheit tun könnten, dann würden wir fahrlässig handeln, wenn wir nicht versuchen würden, durch Umschichtungen, aber möglicherweise auch an der einen oder anderen Stelle durch Mittelaufstockung zusätzliche Möglichkeiten zu erhalten. Dafür bitte ich um Unterstützung. Innere Sicherheit ist nicht nur eine Frage von Gesetzen, sondern auch eine Frage der zur Verfügung stehenden Sach- und Personalmittel. Das hängt miteinander zusammen. ({1}) Ich will in diesem Zusammenhang wenigstens ein Wort zum Technischen Hilfswerk sagen, weil ich finde, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Technischen Hilfswerks den Dank und die Anerkennung des ganzen Hauses verdient haben. Sie sind fast als Erste beispielsweise jetzt im Libanon vor Ort - sie machen nicht nur Pläne oder stimmen sich darüber ab, was man machen könnte - und sorgen dafür, dass die Wasserversorgung wieder klappt. Sie verrichten einen gefährlichen Dienst und bei fast jeder Katastrophe auf der Welt sind sie dabei. Das, was das Technische Hilfswerk internatioBundesminister Dr. Wolfgang Schäuble nal heute leistet, ist zu einem Gütezeichen unseres Landes geworden. ({2}) Deswegen haben wir im Haushaltsentwurf - ich werbe ja dafür, dass der Entwurf Ihre Zustimmung findet - die Mittel für das Technische Hilfswerk gegenüber dem Soll 2006 um 4,8 Millionen Euro auf 135,1 Millionen Euro aufgestockt, was einer Steigerung um 3,7 Prozent entspricht. Ich glaube, dass das angesichts der Bedeutung sowohl für den Schutz der Bevölkerung in unserem eigenen Land als auch für die internationalen Einsätze des Technischen Hilfswerks notwendig, vertretbar und richtig ist. Ich will in aller Kürze einen Punkt ansprechen, der uns schon bei den Haushaltsberatungen im letzten Jahr beschäftigt hat und der uns in diesem Jahr wieder beschäftigt. Ich meine die Mittel für die Integrationskurse. Neben der Gewährleistung der inneren Sicherheit ist die Arbeit für ein weiter verbessertes Zusammenleben aller Menschen in diesem Lande eine der wichtigsten Aufgaben der Innenpolitik. ({3}) Ich habe übrigens meine Bemerkungen über das Technische Hilfswerk bewusst dazwischen geschoben, um das Missverständnis zu vermeiden, dass das eine mit dem anderen unmittelbar etwas zu tun hätte. Natürlich gibt es da Beziehungen. Diese Aufgabe, die Integration zu verbessern - die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Frau Kollegin Böhmer, die im Kanzleramt angesiedelt ist, hat diese Arbeit mit dem Integrationsgipfel auf einen guten Weg gebracht -, ist eine der zentralen Aufgaben. Wir im Innenministerium konzentrieren uns auf die Aufgabe, die ganz spezifisch unsere Sache ist, nämlich auf die Beziehungen zu den Religionsgemeinschaften. So wie wir zu der katholischen und der evangelischen Kirche Beziehungen haben, müssen wir in Deutschland versuchen - es ist schwierig, das zu leisten -, ein Verhältnis zwischen Staat und muslimischen Gläubigen zu entwickeln. Das ist allein schon aufgrund der inneren Organisation der Muslime sehr schwierig. Manche sagen mir gelegentlich: Mach es wie in Österreich! Aber in Österreich ist der Islam seit 1912 als Staatsreligion anerkannt und es sind alle Muslime in einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft zusammengefasst. Davon sind wir weit entfernt. Aber mit der Islamkonferenz will ich den Weg gehen, mit den Muslimen und allen anderen darüber zu reden, wie wir für das Ziel eines besseren Zusammenlebens, Zusammenwirkens und einer gemeinsamen Verantwortung für die Grundwerte unserer Verfassung, für Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Sicherheit und Toleranz, das Menschenmögliche tun können. ({4}) Über die Mittel für die Integrationskurse, die das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, das sich auf allen Seiten des Hauses eines hohen Ansehens und einer großen Autorität erfreut, anbietet, haben wir im vergangenen Jahr und auch in diesem Jahr diskutiert. Es gibt zwei Punkte, die in diesem Zusammenhang kritisch zu hinterfragen sind. Der eine Punkt betrifft die Zahl der Teilnehmer an den Kursen und der andere die Dauer und Ausstattung der Kurse. Ich möchte erklären, warum wir, was die Dauer und Ausstattung der Kurse betrifft - damit hängt natürlich auch die Frage zusammen, wie viel Mittel pro Kurs ausgegeben werden -, nichts verändert haben. Die Evaluation dieser Kurse, die im Auftrag des Bundesamtes durch eine Beratungsfirma durchgeführt wird, dauert noch an. Wir haben zwar einen Zwischenbericht, aber noch keinen Abschlussbericht. In der vergangenen Woche hat mir der Präsident des Bundesamtes, Schmid, gesagt, es sei noch zu früh, irgendwelche Erkenntnisse zu ziehen; das Ergebnis der Evaluation müsse abgewartet werden. Alles andere wäre ja auch kein verantwortbarer Umgang mit Steuergeldern. Zu der Frage der Teilnehmer ist zu sagen, dass in diesem Jahr - entgegen manchen Befürchtungen während der Haushaltsberatungen 2006 - die veranschlagten Mittel in Höhe von 140,8 Millionen Euro nach allem, was wir Anfang September prognostizieren können, ausreichen. Es gibt einen Haushaltsvermerk, der auch in den Entwurf für den Haushalt 2007 eingestellt wird. Wenn die Mittel aufgrund der Zahl der Teilnehmer nicht ausreichen sollten, werden sie entsprechend erhöht. Da wir aber bisher keinen Anhaltspunkt für höhere Teilnehmerzahlen haben, sind wir in diesem Entwurf von den Zahlen des Vorjahres ausgegangen. Ich bitte, dies nicht als eine Geringschätzung der Bedeutung dieser Integrationskurse oder als eine Vorwegnahme der Konsequenzen aus dem Evaluationsprozess zu interpretieren. Wir sollten über Konsequenzen erst dann reden, wenn die entsprechenden Ergebnisse der Evaluation vorliegen. Lassen Sie mich in aller Kürze eine letzte Bemerkung machen. In der Öffentlichkeit hat es gelegentlich Spekulationen gegeben, die Mittel für die Sportförderung beim Bundesminister des Innern würden im Haushaltsentwurf 2007 zurückgefahren. Ich nutze die Gelegenheit gerne, darauf hinzuweisen, dass dies nicht der Fall ist. Vielmehr ist das Gegenteil richtig. ({5}) Im Haushaltsentwurf 2007 haben wir für die Förderung des Spitzensports eine Summe von 108 Millionen Euro vorgesehen. Das sind zwar nominell 16,6 Millionen Euro weniger als im Jahr 2006. Aber im Haushalt 2006 haben wir für das Kunst- und Kulturprogramm der Fußballweltmeisterschaft in diesem Titel 10 Millionen Euro und für die Sicherheit noch einmal 8,4 Millionen Euro bereitgestellt. Trotz der Verringerung um 16,6 Millionen Euro kann man also von einer Steigerung der Mittel sprechen, da die gerade genannten Ausgaben in Höhe von 18,4 Millionen Euro nur in diesem Jahr anfielen. Denn die Fußballweltmeisterschaft - sie war ein schönes Ereignis - ist, so traurig das auch ist, vorüber. ({6}) - Sie kann wiederkommen. Aber im Haushalt für das Jahr 2007 haben wir für eine Wiederholung keine Vorsorge getroffen, Herr Kollege. Deswegen kann man davon sprechen, dass die Mittel für die Förderung des Spitzensportes steigen. Diese maßvolle Steigerung ist auch notwendig. ({7}) Ich werbe auch sehr um Unterstützung in diesem Bereich. Denn der Wettbewerb für unsere Athleten wird härter. ({8}) - Herr Kollege Benneter, die nächsten Olympischen Sommerspiele finden in Peking statt. ({9}) Ich sage voraus, dass für alle Athleten der Wettbewerb von einer ungeheuer großen Intensität sein wird. Daher ist es wichtig, dass unsere Athleten faire Wettbewerbschancen haben. Dafür müssen wir im Rahmen des Möglichen die notwendige Hilfe leisten. Das sind wir der Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit unserer freiheitlichen Gesellschaftsordnung schuldig. ({10}) Wir haben gezeigt, dass wir gute Gastgeber bei internationalen Sportveranstaltungen sind. Wir hatten gerade wunderbare Weltreiterspiele in Aachen. Morgen beginnen die Weltmeisterschaften im Hockey in Mönchengladbach. ({11}) Unsere Sportler leisten das ganze Jahr über - ich denke dabei auch an die Olympischen Winterspiele in Turin Großartiges. Sie machen uns Freude und sind gute Vorbilder. Auch deswegen verdienen sie unsere Unterstützung. ({12}) Meine Damen und Herren, der Haushalt des Bundesministers des Innern ist in einem hohen Maße durch Personalkosten geprägt. Zwei Drittel des Haushaltes sind für die innere Sicherheit, für Bundespolizei, für Bundeskriminalamt und für das Bundesamt für Verfassungsschutz vorgesehen. Wir haben ein enges Finanzkorsett. Trotz aller notwendigen kritischen Betrachtungen bitte ich, diesen Aspekt nie aus den Augen zu verlieren. Ich freue mich auf eine intensive Beratung während der Haushaltsverhandlungen. Vielen Dank. ({13})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Kollegin Gisela Piltz, FDP-Fraktion. ({0})

Gisela Piltz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003667, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kurz vor dem fünften Jahrestag des Anschlags auf das World Trade Center am 11. September - es ist ein trauriges Jubiläum - bewegt uns wieder einmal die Frage - heute mehr denn je -, wie wir so viel Sicherheit wie möglich garantieren können, ohne unsere Freiheit und die Bürgerrechte aufzugeben. Liberale werden all das mittragen, was tatsächlich Sicherheit bietet. Drei Schritte sind hierbei unseres Erachtens sehr wesentlich: zum einen die Gelassenheit im Umgang mit der Problematik, zum anderen die Wachsamkeit bei der Überprüfung weiterer Maßnahmen und zum Dritten die Entschlossenheit, das, was man einmal als richtig erkannt hat, umzusetzen. ({0}) Was heißt für mich Gelassenheit? Nach den - Gott sei Dank! - vereitelten Anschlägen fühlte sich jeder berufen, einen Vorschlag zu machen. Sie reichten von der Zugangskontrolle an allen Bahnhöfen über Rail-Marshalls bis hin zu Hartz-IV-Empfängern, die für Sicherheit in den Bahnen sorgen sollten. Diese Liste könnten wir beliebig verlängern. Das ist Aufgeregtheit und hat mit Sicherheit überhaupt nichts zu tun. ({1}) Wachsamkeit heißt für uns, dass wir die Maßnahmen, die wir verabschiedet haben, immer wieder überprüfen und nicht einfach draufsatteln, frei nach dem Motto „Das bringt schon was!“. Wachsamkeit beinhaltet für mich auch, dass sich dieses Parlament ausführlich mit der Evaluierung der „Otto“-Kataloge beschäftigt. Doch das tun wir nicht ausführlich genug. ({2}) Die Frage, die wir uns immer wieder stellen müssen, lautet: Hilft uns diese Maßnahme wirklich weiter? Auch bei dem, worüber wir jetzt diskutieren, müssen wir die folgende Frage stellen: Hätten wir damit einen einzigen Schläfer entdeckt? - Nein, hätten wir nicht, weil ein Schläfer keinen Mucks von sich gibt, es sei denn er schnarcht. Mich bewegen im Moment insbesondere die folgenden Fragen: Was geht in diesen Attentätern vor? Wann legen sie den Hebel um und sagen „Jetzt reicht es mir!“? Sind Karikaturen der Grund oder was sonst? Ich glaube, dass wir uns mit diesem Phänomen viel intensiver beschäftigen müssen, als wir das bisher getan haben. Von daher begrüße ich ausdrücklich Ihre Ankündigung, auf diesem Gebiet mehr Geld zu investieren. Allerdings frage ich mich, warum das erst jetzt geschieht; denn dass das ein Problem ist, wussten wir schon immer. ({3}) Ich begrüße auch den Beschluss der Innenministerkonferenz, in diesem Zusammenhang auf das Ausländerrecht zu schauen. Das halte ich für eine sinnvolle Maßnahme. Bitte tun Sie uns von der FDP einen Gefallen: Kommen Sie nicht wieder mit der Einladerdatei; das ist nämlich ein alter Hut. Das ist nicht das Problem. Es gibt andere Dinge, die wir angehen müssen. Dritter Punkt: Entschlossenheit. Die Antiterrordatei ist ein gutes Beispiel. Fünf Jahre lang haben wir daran gearbeitet. Das kann man eigentlich keinem vernünftigen Menschen erklären. ({4}) - Herr Binninger, wir haben nicht daran gearbeitet, wir waren aber auch nicht dagegen. Das ist der Unterschied zu einigen Kollegen aus Ihren Reihen, die nämlich verhinderten, dass wir schon längst eine funktionierende Indexdatei haben. Wir hätten sie nämlich schon lange haben können, wenn nicht Kollegen wie der Kollege Beckstein gesagt hätten: Ich möchte eine Volltextdatei. Das war Politik nach dem Motto „Ich möchte meine Interessen durchsetzen!“. Das hat nichts mit Sicherheit zu tun. Diesbezüglich müssen Sie mit Ihren Kollegen ins Gericht gehen. ({5}) Wir begrüßen diese Einigung, auch wenn sie für eine große Koalition typisch ist. Ein FDP-Innenminister war dabei. Wir machen jetzt von beidem etwas; das ist aber besser als nichts. Endlich haben wir eine Einigung. Trotzdem müssen wir aufpassen, dass diese Indexdatei nicht zum Selbstbedienungsladen wird. Wir werden darauf achten, dass kontrolliert wird, wer über diese Daten verfügt. Die Kontrolle muss ordentlich durchgeführt werden. Das gilt insbesondere für die Kontrolle des so genannten Freitextfeldes, das unseres Erachtens die Möglichkeit bietet, die Volltextdatei durch die Hintertür einzuführen. Das halten wir für bedenklich. Wir werden das sorgsam beobachten. Auch in diesem Zusammenhang begrüßen wir die Protokollnotiz des Innenministers aus Nordrhein-Westfalen, dass nach zwei Jahren eine Evaluierung dieser Maßnahme stattfinden muss. Das ist richtig. Diese Forderung teilen wir. ({6}) Wir teilen die Forderung des GdP-Vorsitzenden, Konrad Freiberg, der heute gesagt hat: Ohne mehr Polizisten bringt diese Datei so gut wie gar nichts. Meine einzige Anmerkung zur Videoüberwachung ist heute, dass das Gleiche für die Videoüberwachung gilt: Ohne mehr Polizisten bringt sie nur Scheinsicherheit. Uns fehlt bei dem ganzen Thema eine einheitliche Sicherheitsarchitektur. Viele Bauherren und viele Architekten wuseln auf dem Bauplatz Sicherheitspolitik herum, aber ein Gesamtkonzept können wir noch nicht erkennen. Wie soll denn in Zukunft die Zusammenarbeit dieser 38 Behörden stattfinden? Die Indexdatei beschreibt doch nur das Ergebnis. Wichtig ist jedoch, wie wir vorher zusammenarbeiten. Das ist eine Herausforderung - das haben Sie richtig gesagt, Herr Minister -, die sich dem Föderalismus stellt. Hier ist er gefragt, er muss zeigen, ob er funktioniert oder nicht. Von daher ist das für uns ein wesentlicher Punkt. Ein weiterer wesentlicher Punkt bei der Sicherheitsarchitektur ist, dass wir über alles nachdenken. Ehrlich gesagt habe ich mir im Zusammenhang mit den aufgeregten Vorschlägen, die ich vorhin zitiert habe, so manches Mal überlegt: Wer kümmert sich eigentlich um den ÖPNV? Millionen von deutschen Bundesbürgern sind jeden Tag damit unterwegs. Dazu habe ich keinen Vorschlag gehört. Wo sind denn die Anschläge in London und Madrid passiert? Ich habe hier alles über Züge und Personenzüge gehört. Hat eigentlich einer von uns überhaupt schon mal darüber nachgedacht, was es bedeutet, wenn jeden Tag Millionen von Paketen mit dem Zug durch Deutschland transportiert werden? Auch diese können zum richtigen Zeitpunkt gezündet werden. Dazu habe ich von Ihnen keinen einzigen Vorschlag gehört. ({7}) Auch das gehört für mich zu einer Sicherheitsarchitektur. Das wäre wirkliche Sicherheit und nicht nur ein Presseerfolg. Noch zum Haushalt: Den Aufwuchs, den man bisher feststellen kann, findet man nur bei zwei Positionen: zum einen handelt es sich um hauptstadtbedingte Sicherheitsmaßnahmen - das ist so ein schreckliches Wort, dass ich es ablesen muss -, mit rund 38 Millionen Euro und zum anderen um den Digitalfunk mit rund 60 Millionen Euro. Wir sind sehr gespannt, wie sich die weiteren Veränderungen auswirken werden. Interessant wird auch sein, welche Mittel für die Antiterrordatei eingestellt werden. Denn das, was wir da wollen, ist mit Sicherheit nicht für lau zu haben. Noch kurz zum Digitalfunk: Der Zuschlag ist jetzt erfolgt. Hoffentlich wird bei EADS nur der Airbus teurer und nicht auch noch dieses Verfahren. Wir hoffen, dass es einmal ein Großprojekt gibt, das stressfrei im Rahmen der öffentlich-privaten Partnerschaften abgewickelt werden kann; anders als zum Beispiel bei den biometrischen Ausweispapieren über die Bundesdruckerei. Dieser Pauschalvertrag ist immer noch sehr im Dunkeln. Ich erinnere mich noch gut an den Drang des letzten Bundesinnenministers, Otto Schily, der die Umsetzung des E-Passes forciert hat. Kein Wunder, dass die Firma das ganz toll fand und er jetzt dort im Aufsichtsrat sitzt. Das scheint eine neue, nicht gute Tradition unter SPD-Kollegen zu werden. ({8}) Herr Minister, ich weiß, dass Sie nicht in der SPD sind. ({9}) Ihnen traue ich zu, dass Sie die Instinktlosigkeit dieser Kollegen nicht haben, und hoffe darauf, dass Sie nicht im EADS-Aufsichtsrat landen werden, wenn das Ganze vorbei ist. ({10}) Zum Thema Integration muss ich zugeben, dass Sie mir quasi den Wind aus den Segeln genommen haben. Auch mir ist natürlich aufgefallen, dass die Mittel sich nicht verändert haben. Alle Fraktionen haben das beim letzten Haushalt kritisiert. Ich denke: Es wird ohne eine Mittelerhöhung nicht gehen können. Denn eines ist uns klar - wir haben hier schon über viele Details gesprochen -: Egal, was wir tun, es wird teurer werden, weil mehr Qualität Geld kostet. ({11}) Mein letzter Punkt betrifft den Bundesdatenschutzbeauftragten. Auch da kann man sehen, dass sich der Ansatz nicht verändert hat. Wenn wir immer mehr Eingriffe in die Bürgerrechte vornehmen - das tun wir und insbesondere Sie in konsequenter Fortsetzung der rotgrünen Koalition -, dann muss man den Bundesdatenschutzbeauftragten als unabhängige Aufsicht stärken. Das tun wir nicht. Von daher appelliere ich an alle, noch einmal zu überlegen, ob das nicht möglich wäre. Denn Antiterrordatei, Vorratsdatenspeicherung und vieles andere bedeuten ein Mehr an Aufgaben für den Bundesdatenschutzbeauftragten. ({12}) Zum Schluss noch zwei Bemerkungen: Erstens. Weil heute die erste Sitzungswoche nach der Sommerpause ist, kann man auch einmal nett sein: Herr Edathy, herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag! Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag. ({13}) Zweitens. Wenn es um wirkliche Sicherheit und nicht nur um Scheinsicherheit geht, sind wir, was den Haushalt des Bundesministers des Innern angeht, gerne an Ihrer Seite. Vielen Dank. ({14})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Fritz Rudolf Körper, SPDFraktion.

Fritz Rudolf Körper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001162, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Piltz, angesichts dessen, was Sie zum Thema Aufsichtsratsmandate gesagt haben, ist mir in Bezug auf Sie und die FDP nur eine Bemerkung eingefallen: Wer im Glashaus sitzt, sollte möglichst nicht mit Steinen werfen. ({0}) - Ich will Ihnen nur sagen: Darüber sollten Sie einmal nachdenken. ({1}) Meine Damen und Herren, wenn man den Haushalt des Bundesinnenministeriums betrachtet und sich anschaut, wie sich insbesondere die Personalentwicklung seit dem Jahr 1998 darstellt, so denke ich, ist das ein Beweis dafür, wie man Personalpolitik aufgaben- und sachgerecht gestaltet. Daran wird nämlich sehr deutlich, dass der Stellenbestand - den Sicherheitsbereich ausgenommen - wesentlich reduziert wurde, insgesamt um 12,5 Prozent. Herr Minister, auf Ihr Ministerium bezogen fiel diese Reduzierung mit 4,9 Prozent etwas geringer aus. Demgegenüber hat der Sicherheitsbereich seit dem Jahr 1998 bis zum Jahr 2007 einen Aufwuchs in Höhe von 6,3 Prozent erfahren. Wir sind der Auffassung: Das ist fach- und sachgerecht. Das liegt daran, dass sich die Sicherheitslage dementsprechend entwickelt hat. Die Ereignisse der letzten Jahre haben in der heutigen Diskussion bereits eine Rolle gespielt. Es ist auch darauf hingewiesen worden, dass wir in Deutschland Glück hatten, dass es hierzulande zu keinen schlimmeren Vorfällen gekommen ist. Wir dürfen nicht in Angst und Panik verfallen. Aber wir müssen unsere Aufmerksamkeit schärfen und unser Möglichstes tun, wohl wissend, dass es keine hundertprozentige Sicherheit gibt. Es kommt nicht in erster Linie auf den Ruf nach neuen Gesetzen an, sondern vor allen Dingen auf einen guten Gesetzesvollzug im Sicherheitsbereich. Dieser muss gewährleistet werden. Weil innere Sicherheit ein gemeinsames Produkt von Bund und Ländern ist, war und ist es richtig, dass im Jahre 2004 ein „Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum“ in Berlin eingerichtet wurde. Lieber Herr Ströbele, es ist zwar so, dass der Erfolg viele Väter hat. Aber wir wissen, was für Ressentiments gegenüber dieser Einrichtung vonseiten mancher Bundesländer geäußert worden sind. Heute können wir nur froh sein, dass sich alle 16 Bundesländer daran beteiligen; denn das ist notwendig. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber was ist mit den Alternativen? Was die Personalentwicklung im Sicherheitsbereich anbelangt, könnten wir froh sein, wenn in allen Bundesländern die gleiche Entwicklung wie auf Bundesebene zu verzeichnen wäre. Auch das muss, wenn man sich zum Föderalismus bekennt, wie wir es tun, einmal deutlich gesagt werden. Frau Piltz, insbesondere im Zusammenhang mit der Gründung des Terrorismusabwehrzentrums ist der Gedanke entstanden, eine so genannte Antiterrordatei einzurichten. Diese Diskussion wird nicht etwa seit fünf Jahren geführt. Vielmehr ist das Terrorismusabwehrzentrum im Dezember des Jahres 2004 initiiert worden. Zu diesem Zeitpunkt hat es auch seine Arbeit aufgenommen. Es ist richtig, über ein solch schwieriges Thema eine sorgfältige Debatte zu führen. Ich finde, dass die Ergebnisse, die wir im Hinblick auf die Antiterrordatei erzielt haben, gut, richtig, effektiv und effizient sind. Dabei wurden die verfassungs- und datenschutzrechtlichen Prinzipien, insbesondere das Gebot der Verhältnismäßigkeit, berücksichtigt. Deswegen bin ich froh, dass es zu einem guten Diskussionsprozess auch mit der Bundesjustizministerin geFritz Rudolf Körper kommen ist, die bei der Konzeption dieser Antiterrordatei sehr hilfreich gewesen ist. Das Ergebnis hat die Zustimmung der Länderinnenminister gefunden, wenn auch der Innenminister von Nordrhein-Westfalen sich der Stimme enthalten hat; auf die Gründe dafür ist Frau Piltz eingegangen, damit will ich mich nicht näher beschäftigen. Was ist darüber hinaus zu tun? Ich finde, wir müssen einlösen, was im Zusammenhang mit der Föderalismusdebatte beschlossen worden ist: Das Bundeskriminalamt soll für den Kampf gegen den internationalen Terrorismus mit Präventionsbefugnissen ausgestattet werden. Wir müssen jetzt ein Gesetz so ausgestalten, dass das Bundeskriminalamt die dafür notwendigen Kompetenzen bekommt; das ist wichtig. ({2}) Im Übrigen müssen sich die Koalitionsfraktionen, was das Terrorismusbekämpfungsgesetz angeht, überhaupt keinen Vorwurf gefallen lassen. Frau Piltz, wer sich mit den Ergebnissen beschäftigt, wird feststellen, dass sie beachtlich sind. ({3}) Es war richtig, große Teile des Terrorismusbekämpfungsgesetzes zu befristen: um den Zwang zu erzeugen, nach einer gewissen Zeit zu prüfen, ob sich in der Praxis bewährt hat, was wir da zu Papier gebracht haben. Das ist auch hier so entschieden und gesehen worden. Jetzt wird das Terrorismusbekämpfungsgesetz sachbezogen, sachgerecht und maßvoll ein Stück weiterentwickelt. Damit zeigt die Koalition deutlich ihre Handlungsfähigkeit. ({4}) Ich will nun ein ganz anderes Thema ansprechen, das auch zu diesem Haushaltstitel gehört: den Bereich des Sports. Rückblickend auf die Fußballweltmeisterschaft kann man nur sagen: Das war ein großartiges und fröhliches Ereignis, auf das unser Land in der Tat stolz sein kann. Aber, meine Damen und Herren, die Fußballweltmeisterschaft war kaum vorbei, da hat sich im Bereich des Radsports etwas abgespielt, was uns sehr nachdenklich stimmen muss: die Dopingskandale bei der Tour de France, die der gesamten Sportszene immensen Schaden gebracht haben. Wir müssen alles tun, dass der Sport wieder sauber wird und insbesondere seine Vorbildfunktion für junge Leute erfüllen kann. ({5}) Das ist eine Aufgabe, der wir uns stellen. ({6}) Ich teile nicht die Meinung einiger Sportfunktionäre, ({7}) vielmehr bin ich der Auffassung: Wir brauchen ein Antidopinggesetz. ({8}) Wir sollten uns zusammensetzen und ein solches konzipieren. Wenn wir dopingfreien Sport wollen, haben wir keine Alternative. ({9}) Im Kampf gegen Doping spielt die Nationale AntiDoping-Agentur eine ganz wichtige Rolle. Ein besseres finanzielles Fundament täte dieser Agentur gut. Vielleicht gibt es im Haushalt eine Möglichkeit, die Nationale Anti-Doping-Agentur finanziell zu stärken. ({10}) Wir haben erkannt, dass dies für die Zukunft des Sports notwendig ist. Ich möchte in diesem Zusammenhang auf die Leistungen des Sports für die so genannte Integration hinweisen. Meine Damen und Herren, ich finde es gut, dass es zu einem Integrationsgipfel gekommen ist, der noch einmal sehr deutlich gemacht hat, wie wichtig diese Aufgabe für die Zukunft unserer Gesellschaft ist. Ich bin auch sehr froh darüber, dass diese Fragen jetzt glücklicherweise weitgehend aus dem parteipolitischen Streit herausgehalten worden sind. Ich finde, wir sollten die Ergebnisse des Integrationsgipfels gemeinsam nutzen, um die Integrationspolitik voranzutreiben. Zwei Dinge will ich kurz bemerken. Die Antwort auf die Frage, wer bei der Integrationspolitik für was zuständig ist, ist sehr vielfältig; denn wir wissen, dass das eine gemeinsame Aufgabe von Bund, Ländern und Gemeinden ist. Der Bund hat nur in wenigen Bereichen die alleinige Zuständigkeit. Im Bereich der Sprach- und Integrationskurse haben wir sie aber. Wir alle wissen, dass sie ein ganz wichtiges Instrument für eine gelingende Integration sind. Ich will es kurz machen - das wird auch die Erkenntnis bei der Evaluierung sein -: Wir brauchen schlichtweg mehr Differenzierung, um mehr auf den einzelnen Kursteilnehmer und seine mitgebrachten Sprachfähigkeiten einzugehen. Ich glaube, das ist ein ganz wichtiger Aspekt, und wir brauchen diese wichtige Erfahrung in diesem Bereich. ({11}) Noch eine Bemerkung zum Thema Integration. Schaffen wir es, eine Bleiberechtsregelung für langjährig hier Geduldete zu erreichen? Insbesondere für Kinder, Jugendliche und Familien gibt es heute zum Teil unerträgliche humanitäre Situationen. Deswegen appelliere ich an uns alle, dafür zu sorgen, im Zuge der nächsten Innenministerkonferenz eine entsprechende Bleiberechtsregelung für langjährig hier Geduldete zu finden, und zwar insbesondere unter Berücksichtigung des Schicksals von Kindern, Jugendlichen und Familien. ({12}) - Lieber Herr Ströbele, Ihnen fehlt der Glaube. Ich bin der Auffassung, dass wir als Gesetzgeber uns überlegen müssen, was wir in dieser Frage tun können, wenn das auf der Innenministerkonferenz nicht funktionieren sollte. Viele stimmen uns zu, dass hier Handlungsbedarf besteht. Wir können auch die Unterstützung vieler gebrauchen. Ich meine, dass wir hier etwas Gutes für die Betroffenen tun können. In diesem Sinne bedanke ich mich für die Aufmerksamkeit. ({13})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Jan Korte, Fraktion Die Linke. ({0})

Jan Korte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003790, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Beim Vorschlag zur Bleiberechtsregelung machen wir natürlich mit. Wir haben dazu bereits einen Vorschlag eingebracht. Dem können Sie sich gerne anschließen. Ich möchte nun zu einigen Dingen etwas sagen: Der Terrorismus ist in dieser Debatte das beherrschende Thema. Auch wir sind natürlich der Meinung - hier herrscht Einigkeit -, dass er keine Chance haben darf: weder durch Anschläge noch durch die Einschränkung von Grund- und Freiheitsrechten, ({0}) zu denen es aus einem Gefühl der Angst heraus kommt. Diese Angst wurde in den letzten Wochen zum Teil kräftig geschürt. ({1}) Allein in den letzten zwölf Jahren sind mehr als 160 Gesetze geändert worden, mit denen entweder - je nach Großwetterlage - die organisierte Kriminalität, oder, wie aktuell, der Terrorismus bekämpft werden sollten. Eine Evaluation ist bis heute ausgeblieben. Die Eingriffe in die Grundrechte sind aber geblieben. Ich nenne ein paar Beispiele: die Rasterfahndung, also die Aufhebung der Unschuldsvermutung - man muss sich einmal vorstellen, was dahinter eigentlich steht -, die Schleierfahndung - x-beliebige Menschen geraten dadurch in die Fänge der Polizei, dass sie beispielsweise verdächtig aussehen -, der Lauschangriff - Deutschland ist mittlerweile Abhörweltmeister - und die jetzt aktuelle Vorratsdatenspeicherung - der wissenschaftliche Dienst hat alles dazu gesagt; dieses Vorhaben ist klar rechtswidrig. Hinzu kommt dann wie eine Phobie die ständige Debatte über die Bundeswehr im Innern. Das ist wirklich schon völlig irre, weil nicht einmal konkret gesagt wird, wie das durchgeführt werden soll. Wollen Sie irgendwelche Spürpanzer neben die Gepäckabfertigung stellen oder wie soll das Ganze aussehen? - Nein, hier wird mit der Angst gespielt. Das ist zur Bekämpfung des Terrorismus denkbar ungeeignet. Das aktuellste Beispiel ist die Antiterrordatei, in der ganz offen die Trennung zwischen Polizei und Geheimdiensten aufgehoben werden soll. Dazu möchte ich eines anmerken - offensichtlich ist dieses Haus zunehmend geschichtslos geworden -: Die Trennung von Geheimdiensten und Polizei ist eine Lehre aus der Nazivergangenheit. Die Väter des Grundgesetzes haben sich das sehr wohl überlegt. Wir sollten uns beizeiten vor Augen führen, warum es diese Trennung gibt. Die Datei ist gefährlich, weil die Grenzen, die das Gesetz der Polizei gebietet, verwischt werden. Mir graut es vor einer Polizei, die nicht mehr Straftaten, sondern Gesinnungen ahndet. Das dürfen wir nicht zulassen. ({2}) Der größte Klopfer ist, dass die Geheimdienste als zweite Nutzer der Datei wieder kräftig mitmischen sollen, und das in einer Zeit, in der die Geheimdienste - wir haben es in den letzten Monaten festgestellt - völlig aus den Fugen, völlig außer Rand und Band geraten sind. Der BND bespitzelt Journalisten, gewinnt Erkenntnisse in syrischen Folterknästen. Man muss sich das einmal vorstellen! All das ist erst ein paar Monate her. Der Verfassungsschutz hat offensichtlich nichts anderes zu tun, als wirklich integere Bundestagsabgeordnete der Linksfraktion und im Übrigen antifaschistische Jugendliche, die tagtäglich gegen Rassismus und Antisemitismus kämpfen, zu bespitzeln. Das kann nicht wahr sein. ({3}) Die Spitze des Eisbergs ist - jetzt wird es wirklich absurd -, dass der Militärische Abschirmdienst nichts anderes zu tun hat, als auf Parteitagen der Linkspartei zu sitzen - es ist natürlich erhellend, daran teilzunehmen und Buch über Bundestagsabgeordnete im Hause zu führen. Mit den Namen Kurnaz, el-Masri und Zamar sind drei Schicksale verbunden, die für das Versagen der Bundesrepublik und der Dienste, deren Kompetenz jetzt erweitert werden soll, stehen. Deswegen lehnt die Linke eine Erweiterung der Kompetenzen ab. Nach all diesen Vorgängen ist nämlich davon auszugehen, dass die Geheimdienste kein Garant für Bürgerrechte, sondern eine reale Gefahr für einen liberalen, demokratischen und freiheitlichen Staat sind. Sie wollen deren Befugnisse schon wieder erweitern. Das darf nicht wahr sein! Zwei konkrete Beispiele: Stellen Sie sich vor, Sie fahren mit den falschen Leuten, also mit Terrorverdächtigen, in einem Zugabteil, oder Sie leihen im Studentenwohnheim dem Nachbarn Ihr Telefon; schon sind Sie mindestens als Kontaktperson in dieser Datei erfasst. Bekanntermaßen kommt man aus solch einer Datei in der Regel nicht wieder heraus. Das sind Folgen, die für Sie offensichtlich gar keine Rolle spielen. Ein klassischer Vorschlag, der immer wieder gemacht wird: Die Videoüberwachung soll ausgeweitet werden. Ich dachte, dass zumindest die Bundeskanzlerin hier an meiner Seite streitet. Sie hat sich nämlich kräftig darüber aufgeregt, dass vom Pergamonmuseum aus in ihre Küche hinein gefilmt worden ist. ({4}) Leider ist aber offensichtlich nicht zu Ihnen durchgestellt worden, dass das nichts bringt und in die Privatund Intimsphäre von anderen Menschen eingreift. Sie spielen mit der Angst, um weiterhin autoritäre Maßnahmen zu erlassen. Wahre Populisten sind die Sicherheitspopulisten, nicht wir: Im Gegensatz zu Ihnen machen wir vielleicht populäre, nicht aber populistische Vorschläge. ({5}) Sie geben vor, mehr Sicherheit schaffen zu wollen. Das ist erst einmal in Ordnung. Es stellt sich nur die Frage, wie das vonstatten gehen soll. In den letzten Jahren sind Tausende Stellen bei den Polizeibehörden in den Ländern abgebaut worden. In Ihrem Privatisierungswahn, der sich nicht nur in Fragen der sozialen Gerechtigkeit, sondern auch in Fragen der Sicherheit zeigt, übertragen Sie Sicherheitsaufgaben an private Unternehmen, die für ein paar Euro am Flughafen Gepäckkontrollen durchzuführen haben. Das sorgt nicht für mehr, sondern für weniger Sicherheit. Damit gefährden Sie auch in diesem Bereich durch willkürliche Privatisierung die Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland. Suchen Sie also nach Alternativen. Wir sollten der Gefahr des Terrors bürgerschaftliches, zivilgesellschaftliches Engagement entgegensetzen und deutlich machen, dass wir für bestimmte Werte der Demokratie und der Weltoffenheit stehen. Es muss eine friedliche Außenpolitik betrieben werden. Es muss eine Integration ermöglicht werden, die gleiche Rechte und gleiche Teilhabe in diesem Land gewährleistet. Es muss auch darum gehen, im In- und Ausland die fortschrittlichen, progressiven Menschen, beispielsweise die Studenten im Iran, zu unterstützen und ihnen Anerkennung zukommen zu lassen, um letztendlich Dogmatismus und Ideologie zu überwinden. Das ist eine andere Herangehensweise, die zwar Zeit braucht, aber auf Dauer erfolgversprechend ist. Ich möchte noch einen letzten Punkt ansprechen. Wenn man möchte, dass die Menschen in diesem Land an demokratischen Entscheidungen teilhaben, für sie streiten und einstehen, dann hat das auch etwas mit sozialer Gerechtigkeit zu tun. Denn nur diejenigen, die materiell gut versorgt sind und nicht jeden Tag über das Essen und die Finanzierung der nächsten Woche nachdenken müssen, sind in der Lage, am gesellschaftlichen Leben und an demokratischen Prozessen teilzuhaben. Ich glaube, dass im Haushaltsplanentwurf in diesem Sinne nichts Progressives enthalten ist. Stattdessen wird Sie, wie Jutta Limbach zu Recht sagt, das Verfassungsgericht wie in den letzten Jahren auch regelmäßig in Ihre Schranken verweisen. Zum Ende der Sommerpause auch von mir noch ein gütiges Wort: Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Genosse Edathy! Danke. ({6})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Kollegin Silke Stokar, Bündnis 90/ Die Grünen.

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, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte nicht damit schließen, sondern damit beginnen: Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Sebastian! Der Herr Bundesinnenminister Schäuble hat festgestellt - ich glaube, es war in den „Tagesthemen“ oder in der „Tagesschau“ -, dass wir Glück gehabt haben. Wir haben Glück gehabt, dass es in Koblenz und in Dortmund bei Anschlagsversuchen geblieben ist. Es war aber eben nicht die Arbeit der Sicherheitsbehörden, die geplanten Anschläge im Vorfeld zu verhindern. Nach der aufgeregten Debatte während der Sommerpause habe ich eine sachliche Analyse vermisst. Ich habe vermisst, dass die Frage gestellt wurde, warum die Sicherheitsbehörden die Tatverdächtigen nicht rechtzeitig erkennen konnten. Stattdessen beglückte uns die große Koalition - Frau Piltz hat bereits Beispiele genannt; ich muss sie nicht wiederholen - Tag für Tag mit Aktionismus. Von Gelassenheit war nichts zu spüren. Es war auch nicht viel Orientierung von Ihrer Seite zu bemerken, Herr Schäuble. Sie haben es laufen lassen. Sie haben zugelassen, dass in den Reihen der Hinterbänkler nach einer solchen Beunruhigung der Bevölkerung jeden Tag abstrusere Vorschläge produziert worden sind. Das hat mit Sicherheit nicht dazu geführt, dass das Sicherheitsgefühl in Deutschland und das Vertrauen in die Sicherheitsbehörden gestärkt worden sind. ({0}) Keiner der gemachten Vorschläge - weder die Videoüberwachung noch der Einsatz der Bundeswehr im Innern, der bei jeder Gelegenheit von Ihnen gefordert wird - hätte dazu geführt, dass die Bombenleger rechtzeitig erkannt worden wären. Auch das muss einmal gesagt werden. Auch in der Antiterrordatei hätten Sie diese jungen Tatverdächtigen kaum gefunden. Dieses Phänomen gab es bereits in England. Überhaupt haben erst bei zwei Tatverdächtigen der jüngsten Anschlagserien in Europa vorher Erkenntnisse vorgelegen. Ich will nicht sagen, dass dies gegen die Antiterrordatei spricht. Im Gegenteil: Wir brauchen sie. Ich denke - das ist auch nachzulesen -, dass ich mich in all meinen Reden in den vergangenen Jahren als Mitglied der grünen Bundestagsfraktion ausdrücklich für die Einrichtung einer Antiterrordatei ausgesprochen habe. Lieber Herr Kollege Körper, ich möchte in diesem Zusammenhang an den Verlauf unserer Diskussion erinnern. Wir haben damals unter Rot-Grün das Antiterrorzentrum mit der inhaltlichen Maßgabe eingerichtet, die ich heute noch für richtig halte, dass wir mehr Kooperation und Kommunikation zwischen den Sicherheitsbehörden brauchen. Ein Mausklick reicht nicht, damit die Erkenntnisse bundesweit vernetzt werden können. Aufgrund dieser Debatte sind wir gemeinsam zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Indexdatei nicht nur ausreichend ist; sie ist auch der sinnvollere Weg für die Sicherheitsbehörden. Denn wir wollen, dass sie miteinander in Kontakt treten und ihre Erkenntnisse, die schließlich Verdachtsmomente aus allen Bereichen darstellen, qualifiziert gemeinsam bewerten. ({1}) Der Gesetzentwurf liegt zwar noch nicht vor. Aber ich kann schon jetzt sagen, dass die geplante Antiterrordatei für uns Grüne nicht tragbar ist; denn die Speicherung der Religionszugehörigkeit - das sage ich in aller Deutlichkeit - lehnen wir ab. Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft darf kein Verdachtsmoment in einer Antiterrordatei sein. ({2}) Das ist in unseren Augen verfassungswidrig. Es ist zudem kontraproduktiv. Welche Botschaft wollen Sie denn mit dem Islamgipfel, der ein Angebot sein soll, aussenden? Sie haben gesagt - das ist eine richtige Erkenntnis -, dass wir auch die Unterstützung und die Mitarbeit der muslimischen Gemeinden als Hinweisgeber brauchen. Dies geht aber nur auf der Grundlage gegenseitigen Respekts und Vertrauens. Die Botschaft, die Sie nun senden, ist nichts anderes als eine Stigmatisierung, ein Generalverdacht gegen Muslime. Wir alle wissen aber, dass 99,9 Prozent der Muslime in Deutschland integriert sind und eine liberale Einstellung haben. Gespeichert werden muss jedoch -

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin, da Sie nicht Luft holen, muss ich Sie unterbrechen für die Frage, ob Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wiefelspütz zulassen.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich lasse sie zu, sobald ich Luft geholt und den begonnenen Satz beendet habe. - Gespeichert werden muss stattdessen der konkrete Bezug zu einer radikalen Organisation oder zu einem radikalen Verein. Lieber Kollege Wiefelspütz, jetzt dürfen Sie mir selbstverständlich eine Frage stellen.

Dr. Dieter Wiefelspütz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002506, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Geschätzte Frau Kollegin Stokar, ich teile ausdrücklich Ihre Einschätzung der Muslime in Deutschland als in überwältigender Mehrheit gesetzestreue und friedliche Menschen. Wer mit Verstand wollte das bestreiten? Können Sie mir aber folgen, wenn ich sage, dass im Fall eines Terrorismusverdächtigen die Religionszugehörigkeit bzw. die Zugehörigkeit zu einer bestimmten, religiöse Werte missbrauchenden Vereinigung - das kommt zum Glück nicht massenhaft vor, sondern nur in Einzelfällen und keineswegs nur im Islam; das kann auch in den christlichen Religionen und anderen Weltreligionen passieren - signifikant und vielleicht sogar entscheidend ist und dass dieses Kriterium daher selbstverständlich in der geplanten Antiterrordatei gespeichert werden muss? Wir richten doch keine Kirchensteuerdatei ein, sondern eine Antiterrordatei. Dort müssen diejenigen Daten gespeichert werden, die für den Individualfall signifikant sind. Ich bitte Sie, hierzu einmal Ihre Meinung zum Ausdruck zu bringen. ({0})

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Kollege Wiefelspütz, signifikant für einen Terrorverdacht ist nicht, ob eine Person Moslem ist, sondern die Mitgliedschaft in einer radikal-islamistischen Organisation bzw. die Nähe zu einer solchen Organisation. Ich glaube, darüber waren wir uns früher einmal einig. Laut BKA gibt es ungefähr 500 gewaltbereite Personen - das ist etwa 1 Prozent - in Deutschland. Ich hoffe, dass Sie nicht planen, alle muslimischen Gemeinden in der Antiterrordatei zu erfassen. Wir waren es doch, die es ermöglicht haben, dass bestimmte religiöse Vereine in Deutschland vom Verfassungsschutz beobachtet und verboten werden. Daten über die Mitgliedschaft in solchen Vereinen bzw. die Nähe dazu zu speichern ist in Ordnung. Aber Sie wollen auch die Daten von Kontaktund Begleitpersonen speichern. Wir sind uns sicherlich einig, dass die Antiterrordatei einen aktuellen Bezug zum islamistischen Terrorismus in Deutschland haben sollte. Wollen Sie etwa, dass hinter jedem gespeicherten Namen „Moslem“ steht? Das ist doch völlig sinnentleert, nicht zielführend und stigmatisierend. Das ist das falsche Signal. Das hat mit Integration nichts zu tun. ({0}) Kollege Wiefelspütz, Sie dürfen sich setzen. Ich weiß, dass Sie meiner Meinung sind, weil Sie Jurist sind; aber Sie stehen hier unter dem Druck der Einigung in einer großen Koalition. Unter ähnlichen Zwängen stand auch ich einmal. ({1}) Trotzdem ist es richtig, das Richtige zu sagen. ({2}) Wir werden uns im Innenausschuss über diesen Gesetzentwurf unterhalten können. Ich will noch ein Wort zur Videoüberwachung sagen, weil das das zweite Sommerthema war. Herr Innenminister Schäuble, ich habe Erkundigungen an den Bahnhöfen eingezogen. Es gab mir zu denken, dass die DB, die für die Anschaffung der Kameras zuständig ist, mittlerweile mehr Kameras hat, die unangeschlossen in Bahnhöfen herumhängen, ({3}) als Kameras, die angeschlossen sind, weil das Bundesinnenministerium seinen Anteil - Sie sind für die Leitungskosten und die Software verantwortlich - nicht trägt, weil es an Investitionsprogrammen und Geldern mangelt. Das, was Sie hier gemacht haben, war das Werfen von Nebelkerzen. ({4}) Ich möchte zu den Sonderprogrammen für das Bundesamt für Verfassungsschutz kommen. Ich wünsche mir eine ehrliche Debatte mit den Verantwortlichen in Schleswig-Holstein. Es wäre die Aufgabe des Landesamtes für Verfassungsschutz von Schleswig-Holstein gewesen, die radikalen Tendenzen in der Kieler Moschee zu erkennen. Ich sehe überhaupt nicht ein, dass wir das Bundesamt für Verfassungsschutz mit Sonderprogrammen ausstatten, während die Länder gleichzeitig ihre Personalausstattung und ihre Kapazitäten zurückfahren. Wir haben in der Föderalismuskommission noch nicht einmal ansatzweise gesagt, dass die Länder überhaupt nicht in der Lage sind, diese Aufgaben wahrzunehmen, und dass das Bundesamt eine Zentralstellenfunktion einnehmen muss. Ich vermisse Strukturreformen. Hier werden zusätzlich Gelder ausgegeben, ohne dass man die Aufgabenkritik und den Aufgabenabbau zum Beispiel im Bereich der Spionageabwehr in Angriff nimmt. Auf dieser Ebene wird es mit uns keine Zusatzprogramme geben. Wir wollen die Gelder für andere Zwecke ausgeben. Sie haben das THW angesprochen. Es ist jetzt ein Jahr her, dass sich die Unwetter in New Orleans ereignet haben. Die Bundesregierung macht offensichtlich die gleichen Fehler wie die Regierung der USA. In New Orleans kam es zu über 1 000 Todesopfern, weil alle Sicherheitsbehörden auf die Bekämpfung des Terrorismus ausgerichtet sind und der Bevölkerungsschutz vernachlässigt wurde. Extreme Wetterlagen und großflächige Stromausfälle sind Risiken, die auch unsere Zivilbevölkerung bedrohen. Ich halte es für eine ganz gefährliche Fehlentwicklung, dass Sie erneut die Mittel für das Bundesamt für Bevölkerungsschutz reduzieren. Es mangelt an Einsatzfahrzeugen und an Aus- und Fortbildung. Wir sind in der Fläche noch nicht einmal hinreichend mit Feuerwehrautos ausgestattet. Auch das ist ein konkretes Sicherheitsrisiko. Lassen Sie mich ein Wort zur Biometrie sagen. Im Haushaltsplan sind 5 Millionen Euro für Sachverständigenkosten ausgewiesen. Ich frage mich, für wen bzw. für was. Das müssen Sie schon näher erläutern. Überhaupt nicht verstehe ich, dass das Projekt zur Iriserkennung am Frankfurter Flughafen weitergeführt wird. Die EU hat sich bekanntlich darauf verständigt, Fingerabdrücke und Gesichtserkennung als Merkmale aufzunehmen. Es steht für mich der Verdacht im Raum, dass ein Lieblingsprojekt des ehemaligen Bundesinnenministers Schily von einer Firma weitergeführt wird, in deren Aufsichtsrat Otto Schily jetzt sitzt. Ich habe keine Lust, für die Lieblingsprojekte von Otto Schily weiter Steuergelder zu verschwenden. Das ist eine sinnlose Investition. ({5}) Mir bleibt nur noch eine Minute, um etwas zur Integration zu sagen. Die Bleiberechtsregelung scheitert derzeit an der schwarz-gelben Koalition in Niedersachsen. Die FDP ist maßgeblich daran schuld, dass es dazu keine Regelung gibt. Wir Grüne haben schon lange erwartet, dass es hier zu einer bundesgesetzlichen Regelung kommt und sich die große Koalition nicht permanent von Schünemann und Beckstein auf der Nase herumtanzen lässt. Aufgrund der Zahlen über nicht bestandene Kurse wissen wir, dass wir eine Qualitätsverbesserung, eine Erhöhung der Stundenzahl und eine Erhöhung der Stundenvergütung brauchen. Insofern können Sie nicht mit der gleichen Argumentation wie im letzten Jahr hier zu geringe Mittel einsetzen. Wir erwarten hier eine Aufstockung. Wir müssen keine Evaluierung abwarten. ({6}) Meine letzte Bemerkung. Auch nicht hinnehmbar ist, dass die große Koalition die Mittel für den Kampf gegen den Rechtsextremismus auslaufen lässt. In einer Zeit, in der wir in Deutschland zunehmend rechtsextreme Gewalt haben - es gab einen Zuwachs dieser Gewalttaten von 23,5 Prozent -, sorgt die große Koalition dafür, dass es flächendeckend zu einem Kahlschlag bei den von Rot-Grün initiierten Projekten kommt.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin!

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das ist nicht hinnehmbar. Das ist eine sträfliche Vernachlässigung eines wichtigen Themas der inneren Sicherheit. Wir erwarten, dass diese Projekte weitergeführt und ausgebaut werden. Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. Ich möchte etwas zur Fußball-WM und zu den dafür eingesetzten Beamten sagen. Herr Bundesinnenminister, die Einlösung eines Versprechens steht noch aus, nämlich der Sonderzahlung im Bereich des öffentlichen Dienstes. Es reicht nicht aus, den Beamten zu sagen: Danke für die Fußball-WM, danke für die Überstunden.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin!

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sie erwarten auch, dass die für 2005 und 2006 zugesagten Sonderzahlungen jetzt endlich ausgezahlt werden. Danke schön. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Helmut Brandt, CDU/CSUFraktion. ({0})

Helmut Brandt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003727, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Nach der Rückkehr aus den Ferien hat sich durch die zwischenzeitlichen Ereignisse die Sicherheitslage unseres Landes augenscheinlich verändert. Jedenfalls wird jetzt von der breiten Öffentlichkeit die Gefährdung unseres Landes völlig anders eingeschätzt. Unseren Bürgern ist bewusster geworden, dass die Einschätzung unserer Sicherheitspolitiker bezüglich des Gefährdungsgrades in punkto innerer Sicherheit leider zutreffend war und ist. Der positive Schwung der grandios verlaufenden Fußballweltmeisterschaft hatte viele in dem Glauben bestärkt, in Deutschland sicher zu sein und Anschläge nicht befürchten zu müssen. Erlauben Sie auch mir an dieser Stelle, kurz den Dank an all jene zum Ausdruck zu bringen, die - ob ehrenamtlich oder hauptamtlich - ihren Beitrag zur vorzüglichen Organisation und Durchführung dieser Weltmeisterschaft geleistet haben. ({0}) Dies gilt im Übrigen in gleicher Weise für die am Sonntag zu Ende gegangene Weltmeisterschaft der Reiter in Aachen. Ich komme aus der Nähe. ({1}) Daher ist mir dies ein Anliegen. Sie alle, aber auch unsere Bürger insgesamt, haben der Welt vermittelt: Deutschland ist ein weltoffenes und gastfreundliches, aber auch ein sicheres Land. Dieser nicht bezahlbare Imagegewinn für unser Land wird auch wirtschaftlich gesehen positive Folgen haben, insbesondere im Bereich der Tourismuswirtschaft. All dies werden wir sicherlich spätestens im nächsten Jahr positiv registrieren können. ({2}) Andererseits wissen wir heute: Es hätte auch anders kommen können. Inzwischen wurde bekannt, dass die beiden festgenommenen Attentäter ihre Anschläge auf die Regionalzüge bereits während der Weltmeisterschaft umsetzen wollten. Den Entschluss dazu hatten sie jedenfalls bereits gefasst. Man wagt es nicht, sich vorzustellen, wie diese Fußballweltmeisterschaft dann verlaufen wäre und welcher Eindruck dann in der Welt entstanden wäre. Sofort wird man an die Ereignisse bei der Olympiade in München erinnert. Allzu schnell ist man aber auch bereit, diese Gedanken nach den gescheiterten Versuchen und der Festnahme der Attentäter zu verdrängen. Es wäre nicht nur töricht und es stellte nicht nur politisch ein völlig falsches Signal dar, sondern es wäre auch sicherheitspolitisch grob fahrlässig, wenn man dies täte. Dennoch gilt: Panikmache ist in dieser Situation nicht angebracht. Aber eine nüchterne Analyse der Situation ist ebenso notwendig wie die Umsetzung sich hieraus ergebender Schlussfolgerungen. Die innere Sicherheit ist ein hohes und notwendiges Gut. Zu Recht erwarten die Bürgerinnen und Bürger unseres Staates, dass er ihnen Sicherheit gewährleistet. Der Einzelplan 06 des Haushaltsentwurfs hat in seinen Eckpunkten die sicherheitspolitischen Weichen richtig gestellt und stellt sicher, dass die Bundesrepublik Deutschland auch in Zukunft als sicheres Land gelten wird. Auch in Zukunft soll es den Bürgern in Deutschland und unseren Gästen möglich sein, sich frei und sorglos zu bewegen. Freiheit, Freizügigkeit und grenzenloses Reisen innerhalb der EU sowie darüber hinaus wollen wir nicht aufgeben. Die vorgesehenen Aufwendungen für die innere Sicherheit werden deshalb gegenüber dem Haushaltsjahr 2006 um 1,8 Prozent steigen. Insgesamt sind 4,439 Milliarden Euro für den Haushaltsbereich Inneres vorgesehen; denn es gilt, die Freiheit und die Freizügigkeit für einen jeden zu gewährleisten. Die persönliche Freiheit des Einzelnen und die Sicherheit im Ganzen bedingen sich dabei gegenseitig und stellen keinen Widerspruch dar, wie es oft fälschlich darzustellen versucht wird. Freiheit und Freizügigkeit nutzen allerdings auch die Feinde unseres demokratischen Rechtsstaats. Hier muss die Sicherheitspolitik ansetzen und mit geeigneten Maßnahmen reagieren. Hierzu gehören nach meiner festen Überzeugung auch bessere Videoüberwachungen auf Bahnhöfen, Flug- und Seehäfen sowie gefährdeten öffentlichen Plätzen. Der rechtschaffene Bürger hat gegen diese - im Übrigen auch weltweit erfolgreich praktizierten - Überwachungsmaßnahmen nichts einzuwenden; im Gegenteil: Er fordert sie sogar, und zwar zu Recht. ({3}) Die derzeitige Situation - Herr Kollege, darin werden Sie mir folgen - macht diese Maßnahmen meiner Meinung nach unbedingt notwendig. ({4}) - Wenn Sie mir nicht folgen, haben Sie etwas zu verbergen. ({5}) Das Ergebnis der gestrigen Innenministerkonferenz ist insoweit ein für unsere Fraktion ermutigendes Signal. Die Antiterrordatei stellt ein wesentliches Element dar, wenn es darum geht, die Zusammenarbeit von Polizei, Verfassungsschutz und Nachrichtendiensten zu verbessern. Man muss sich vor Augen führen, dass aufgrund unserer föderalen Strukturen die Landeskriminalämter, die Landesämter für Verfassungsschutz und die Bundesbehörden, also mindestens 38 verschiedene Behörden, künftig Zugriff auf diese Datei haben werden. Dann werden bestehende Lücken in der Ermittlungsarbeit geHelmut Brandt schlossen und wird verhindert, dass solche Lücken von Extremisten und Terroristen zum Nachteil unserer Bevölkerung genutzt werden können. Erinnern möchte ich in diesem Zusammenhang auch an die schon einmal geführte Diskussion über die Verwendung von Daten aus der Mauterfassung bei LKW. Wir sind der Auffassung, dass diese Daten für polizeiliche Ermittlungen herangezogen werden müssen, wenn sich dies aufgrund der Verdachtslage und der besonderen Umstände im Einzelfall aufdrängt und für die Ermittlungstätigkeit der Polizei unabdingbar ist. Ich erinnere nur an den kürzlich aufgeklärten Fall des so genannten Autobahnmörders. Man wird auch prüfen müssen, in welchem Umfang das Ausländerrecht stärker zur Gefahrenabwehr genutzt bzw. dahin gehend verbessert werden kann. Dabei sind die Ergebnisse und Schlussfolgerungen aus dem Visa-Untersuchungsausschuss der letzten Wahlperiode besonders zu berücksichtigen. Aber nicht nur restriktive und Gefahren abwehrende Maßnahmen sind erforderlich und insoweit im Haushaltsplan vorgesehen. Wichtig sind auch die weiteren Maßnahmen zur Vermeidung oder Verringerung von Gefährdungspotenzial. Im Bereich des Inneren zielen diese insbesondere auf die Integration. Ich danke hier der Kanzlerin ausdrücklich dafür, dass sie den Dialog mit dem Islam und den Religionsgemeinschaften insgesamt initiiert hat. Ein in Deutschland voll integrierter, unser Staatswesen bejahender Ausländer wird nicht mehr für Hasstiraden und Aufrufe zum Terror oder zur Unterstützung des Terrors empfänglich sein. Jeder ausgegrenzte oder in einer Nebengesellschaft Lebende wird demgegenüber hierfür anfällig sein und bleiben.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege, Sie denken bitte an die Zeit.

Helmut Brandt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003727, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, ich danke für den Hinweis. Der Bundesinnenminister, den ich sehr schätze, hat mir etwas meiner Zeit gestohlen. ({0}) Aber das macht nichts; denn er hat in vortrefflicher Weise all das vorgetragen, was ich jetzt noch vortragen wollte. Insofern nehme ich es ihm natürlich nicht übel.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege, ich empfehle eine leichte Glättung für das Protokoll: Minister stehlen prinzipiell nicht und Innenminister schon gar nicht. ({0})

Helmut Brandt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003727, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich gehe davon aus, dass dies weder rechtswidrig noch schuldhaft war. Bei aller Ausgabendisziplin und vorbehaltlich sich noch als notwendig erweisender Korrekturen - auch darauf hat der Minister schon hingewiesen - während der Debatten in den nächsten Wochen kann man zusammenfassend sagen, dass der Haushaltsentwurf im Bereich des Inneren solide aufgestellt ist und der Herausforderung zur Wahrung der inneren Sicherheit in vollem Umfang gerecht wird. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun der Kollege Dr. Max Stadler für die FDP-Fraktion.

Dr. Max Stadler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002805, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der geschätzte Kollege Hartmann hat am Ende der letzten Haushaltsdebatte die Gemeinsamkeit aller Fraktionen bei der inneren Sicherheit beschworen. Wir von der FDP können dem zustimmen, aber nur teilweise. Wie Kollegin Gisela Piltz vorhin richtig ausgeführt hat, tragen wir Maßnahmen, die die innere Sicherheit wirklich erhöhen, mit, wenn sie verfassungsgemäß sind. ({0}) Das war in der Vergangenheit nicht immer der Fall. Wer entscheidet das? Das Bundesverfassungsgericht. Es musste leider des Öfteren die Entscheidung treffen, dass Gesetze, die hier mit Mehrheit verabschiedet worden sind, nicht dem Grundgesetz entsprechen. Wir meinen, die richtige Reaktion darauf ist nicht, die Karlsruher Richter in die Ecke der Weltfremden zu stellen. Die richtige Reaktion ist vielmehr, sich künftig an die Vorgaben der Verfassung zu halten. ({1}) Verehrter Herr Kollege Brandt, wer sich gegen überzogene Überwachung ausspricht, hat doch nicht selber etwas zu verbergen. ({2}) Das ist ein typischer Kurzschluss, der hier zwar ein wenig Heiterkeit hervorgerufen hat. In Wahrheit ist das ein Argument, dem man in der Sicherheitsdebatte oft begegnet. Es ist ein Argument, mit dem das Bemühen um die Einhaltung der Verhältnismäßigkeit der Mittel diskreditiert wird. Deswegen kann dieses Argument hier nicht gelten. ({3}) Sicherheitspolitik ist nicht etwa nur Polizeirecht. Deswegen unterstützen wir Sie, Herr Minister Schäuble, wenn Sie mit dem Islamgipfel einen Dialog beginnen und wenn Sie das Versprechen einhalten, das Sie in einem Interview gegeben haben, nämlich bei der Einladung die Gesprächspartner ohne Tabu auszuwählen. Aber Sicherheitspolitik ist im Wesentlichen natürlich polizeiliches Handeln. Wir haben bei Ihren Ausführungen heute in der Debatte wieder gehört, dass man angesichts der Bedrohung immer mehr in den präventiven Bereich hineingehen müsse; es komme darauf an, Straftaten schon im Vorfeld zu erkennen und zu verhindern. Wer möchte dem widersprechen? Aber wir müssen uns ebenso bewusst sein, dass darin auch eine Gefahr liegt. Erinnern wir uns an die klaren Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts, etwa wann polizeiliches Abhören von Telefonaten oder eine Rasterfahndung vorbeugend zulässig sein darf. Man merkt, dass bei der von Ihnen vorhin favorisierten Tätigkeit der Geheimdienste die Kriterien für die Eingriffe nicht so klar sind. Geheimdienste dürfen definitionsgemäß viel mehr. Dadurch geraten viel mehr Unverdächtige in ihr Visier. Das ist der eigentliche Kern des Streits darüber, warum es nicht richtig sein konnte, Dateien der Geheimdienste allen Sicherheitsbehörden eins zu eins zur Verfügung zu stellen. ({4}) Auch dafür muss es genaue Kriterien geben. Lassen Sie mich zum Schluss noch etwas erwähnen, worin ich Sie unterstütze, Herr Minister Schäuble. Sie sagten, wenn wir - die Koalition will das ja demnächst in die Gesetzgebung einbringen - den Geheimdiensten mehr Befugnisse gäben, wäre auch mehr Kontrolle erforderlich. Das ist genau das richtige Gegengewicht. Wir von der FDP verstehen nicht, warum Sie als Koalition dann nicht unserem Entwurf eines Gesetzes zur besseren parlamentarischen Kontrolle der Nachrichtendienste näher treten. Ich möchte mit der Bitte an Sie schließen, doch auch die personellen Ressourcen bei den Diensten sinnvoll einzusetzen. Ich habe heute zufällig den bayerischen Verfassungsschutzbericht in die Hände bekommen; beim Bund ist es nicht besser. Ich lese Ihnen vor, was im bayerischen Verfassungsschutzbericht auf Seite -

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Stadler, das wird nur schwer gehen.

Dr. Max Stadler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002805, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident, dieses Zitat wird auch Sie erfreuen ({0}) und Ihre Kenntnisse über die Arbeit der Geheimdienste erweitern.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich lasse mich einmal auf dieses Geschäft ein, Herr Stadler.

Dr. Max Stadler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002805, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Gestatten Sie, dass ich Ihnen aber doch noch mitteile, was dort auf Seite 169 zu lesen ist. Über einen PDS-Parteitag heißt es: Gregor Gysi betonte, dass der Staatssozialismus zu Recht gescheitert sei. Meine Damen und Herren, das habe ich auch auf Phoenix gesehen. Bitte setzen Sie das Personal sinnvoll ein, dann wird die FDP auch einer Aufstockung der Haushaltsmittel hierfür zustimmen. Vielen Dank, Herr Präsident. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Stadler, es wäre in der Tat ein Jammer gewesen, wenn ich dieses Zitat nicht gehört hätte. ({0}) Nun hat das Wort der Kollege Sebastian Edathy für die SPD-Fraktion. Den zahlreichen bereits vorgetragenen Glückwünschen zu seinem heutigen Geburtstag schließt sich das Präsidium vollinhaltlich an. ({1})

Sebastian Edathy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003111, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. - Guten Abend, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist ganz schön, einmal eine Rede mit Beifall aus allen Fraktionen beginnen zu können. Wenn wir das so beibehalten könnten, würde ich das durchaus begrüßen. ({0}) Wir haben in dieser Debatte heute Nachmittag und heute Abend sehr intensiv über innere Sicherheit gesprochen. Ich freue mich, dass es doch einen sehr breiten Konsens gegeben hat, nämlich sowohl in der Hinsicht, dass es nicht redlich wäre, den Bürgerinnen und Bürgern den Eindruck zu vermitteln, man könne hundertprozentige Sicherheit garantieren, als auch in der Hinsicht, dass es nicht redlich wäre, so zu tun, als beschäftigten wir uns mit dem Thema „Umgang mit den Herausforderungen durch den internationalen Terrorismus“ erst seit vorgestern oder seit drei Wochen. Da ist auch in der Verantwortung der Vorgängerregierung unter Bundesinnenminister a. D. Otto Schily viel auf den Weg gebracht worden, wobei es immer noch Verbesserungsmöglichkeiten, Optimierungsmöglichkeiten gibt. ({1}) Dazu gehört das, was jetzt im Herbst in Form der Evaluierung der Antiterrorismusgesetze ansteht. Dazu gehört aber sicherlich auch, das umzusetzen, was nach meinem Dafürhalten inhaltlich auch Konsens ist: nämlich die Antiterrordatei. So sehr ich es begrüße, dass sich die Innenminister der Bundesländer damit sehr intensiv beschäftigt haben und auch viele Gemeinsamkeiten entdeckt haben, denke ich, dass wir hier im Parlament deutlich sagen sollten: Wir freuen uns über gute Anregungen, die von den Länderinnenministern kommen, aber Gesetzgeber sind wir als Parlamentarier schon selber; dafür haben wir die Legitimation. ({2}) Wir haben auch den Anspruch, diesen Entwurf genau anzuschauen, bevor wir ihn hier mit Mehrheit verabschieden, auch wenn mir das, was da entwickelt worden ist, durchaus plausibel und vernünftig zu sein scheint. Es ist mir aber schon im Mai etwas sauer aufgestoßen, dass die Innenministerkonferenz den Eindruck erweckt hat, sie sei es, die zuständig ist für das Staatsangehörigkeitsrecht oder für das Ausländerrecht insgesamt. Da haben wir doch klare grundgesetzliche Regelungen, an die wir uns in einer Demokratie auch halten sollten. Die Sicherheitsarchitektur in Deutschland - das sollte man bei der ganzen Debatte berücksichtigen - hat sich im Großen und Ganzen bewährt, einschließlich der grundsätzlichen Trennung zwischen polizeilichen und militärischen Aufgaben. Auch wenn man den Eindruck hat, dass die Forderung nach einem bewaffneten Einsatz der Bundeswehr im Innern eine Art ceterum censeo von Teilen der deutschen Innenpolitik des frühen 21. Jahrhunderts zu sein scheint, will ich hier doch deutlich sagen: Die Forderung nach bewaffneten Bundeswehreinsätzen im Innern wird nicht dadurch besser, dass man sie wiederholt; sie bleibt falsch. ({3}) Wir sind der Auffassung, dass die für Bundeswehreinsätze in Deutschland geltenden grundgesetzlichen Vorgaben im Kern absolut ausreichend sind. In dem Zusammenhang möchte ich auf zwei Dinge hinweisen. Zum einen hat nicht zuletzt - bei aller Skepsis, die es im Vorfeld teilweise gegeben hat - die Fußballweltmeisterschaft in Deutschland sehr eindrücklich unter Beweis gestellt, dass unsere Polizei sehr wohl und in hervorragender Weise dazu in der Lage ist, auch mit schwierigen Situationen umzugehen. Zum anderen gehört es auch zur Redlichkeit in der Debatte, sehr deutlich zu sagen, dass es beim Thema „Umgang mit den Herausforderungen durch den internationalen Terrorismus“ nicht so sehr auf die Muskeln in den Armen als auf die Muskeln zwischen den Ohren ankommt. Die entscheidende Waffe ist möglichst gute Informationserhebung und möglichst gute Informationsvernetzung. Das heißt, neben der Polizei muss es nachrichtendienstliche Arbeit geben, die natürlich demokratischer Kontrolle und Legitimation unterliegt. Es kommt aber nicht so sehr auf das an - das ist der entscheidende Punkt -, was dann in Form von Manpower zum Beispiel im direkten Sicherheitsbereich zu leisten wäre. Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Zuge der Haushaltsberatungen in den nächsten Wochen wird sehr genau darauf zu achten sein, dass von den Vorschlägen zur personellen und zur sächlichen Verbesserung der Ausstattung unserer Sicherheitsbehörden diejenigen, die nötig sind, umgesetzt werden, und dass wir vor allen Dingen den Bereich der Prävention, den Bereich der Vorbeugung stärken. Lassen Sie mich mit Blick auf die Sicherheitsdebatte sagen, dass ich sehr froh darüber bin, dass ganz bewusst und zu Recht parteiübergreifend davon Abstand genommen wurde, Bürger muslimischen Glaubens mit einem Generalverdacht zu überziehen. Ich bin zugleich froh darüber, dass die Notwendigkeit, im Bereich der Integrationspolitik substanziell etwas zu verbessern, ebenfalls unstrittig ist. Aber auch im Bereich der Integration gilt: Wir fangen nicht bei null an; wir müssen das Rad nicht neu erfinden. Ich will in diesem Zusammenhang ein Beispiel nennen, auf das ich heute aufmerksam wurde und das ich sehr gut finde. Die Nachrichtenagenturen veröffentlichten heute Mittag folgende Meldung: „40 Berliner Moscheen erinnern an Terror-Opfer des 11. September“. Ich darf daraus auszugsweise zitieren: Rund 10.000 Berliner Muslime werden am Freitag zu Gebeten für die Opfer der Terroranschläge vom 11. September 2001 erwartet. Rund 40 Moscheen wollen das Gedenken zum Thema ihrer Freitagspredigten machen, wie der Senatsbeauftragte für Integration … am Dienstag in Berlin ankündigte. Der Beauftragte betonte, die Initiative zum „Gebet für Frieden und gemeinsame Verantwortung“ komme von den muslimischen Gemeinden. Er - also der Integrationsbeauftragte des Landes Berlin wertete sie als Meilenstein, der das gewachsene gesellschaftspolitische Engagement der islamischen Gemeinden zeige. Ich sehe das genauso wie der Integrationsbeauftragte. ({4}) Ich hoffe, der Kollege Pflüger, der heute nicht anwesend ist und der meint, das Thema Moscheebau zum Wahlkampfthema machen zu müssen, wird das ähnlich sehen. Wir können sehr stolz darauf sein, dass wir in diesem Land Religionsfreiheit, basierend auf einem gemeinsamen Wertefundament, haben. Ob ein Bürger dieses Landes am Freitag in die Moschee, am Samstag in die Synagoge oder am Sonntag in die Kirche geht oder nichts von alledem macht, weil er Atheist ist, kann uns als Demokraten relativ gleichgültig sein. Das unterliegt der persönlichen Freiheit. Wenn ein gemeinsamer Wertekanon vorhanden ist - das gilt für die ganz überwiegende Mehrheit der Muslime in Deutschland wie für die Christen in Deutschland -, dann gibt es keine Probleme. Ich glaube, dass die Entwicklung, die mit dem Integrationsgipfel angeregt worden ist, auf etwas aufbauen kann, was deutlich besser ist, als es gelegentlich in den öffentlichen Diskussionen im Lande dargestellt wird. Der größte Ausgabenposten für den Bereich der Integrationsmaßnahmen im Entwurf des Haushaltes des Bundesinnenministeriums sind die Sprach- und Integrationskurse. Für das Jahr 2007 ist ebenso wie für das Jahr 2006 eine Summe von 141 Millionen Euro vorgesehen. Der Minister hat darauf hingewiesen, dass es richtig gewesen sei, die gleiche Summe anzusetzen, weil wir im Parlament oder in den sonstigen zuständigen Gremien noch nicht darüber entschieden hätten, wie die Integrationskurse, was ihre Qualität und Ausgestaltung betrifft, weiterentwickelt würden. Das stimmt. Aber wir haben unter anderem im Innenausschuss sehr lange, sehr intensiv und von einem breiten Konsens getragen über dieses Thema geredet. Ich habe jetzt gehört, es solle aus dem Integrationsgipfel heraus eine Arbeitsgruppe geben, die sich auch mit diesem Thema beschäftigt. Eines muss doch klar sein: Auf die lange Bank wird man die notwendigen Veränderungen im Bereich der Integrationskurse nicht schieben können. Wenn der Haushaltsentwurf so bleibt, wie er jetzt eingebracht worden ist, und im Haushaltsverfahren nicht nachgebessert wird, hieße das logischerweise, es würde sich erst 2008 etwas ändern. Das wäre meiner Fraktion und mir deutlich zu spät. Wir gehen davon aus, dass die notwendigen Veränderungen, zum Beispiel längere Kurse für bestimmte Zielgruppen, eine bessere Ausdifferenzierung, eine Ausweitung der Betreuung von Kindern muslimischer Frauen, die an Kursen teilnehmen, eine Intensivierung der Arbeit mit Analphabeten und die Klärung der Vergütung der Lehrenden, so zeitig geklärt werden, dass sie bereits für 2007 haushaltsrelevant werden. Ich bitte darum, im Haushaltsausschuss darüber zu reden, ob man nicht vorsorglich für 2007 ein bisschen mehr Geld für diesen Bereich einstellen sollte als gegenwärtig veranschlagt. ({5}) Teurer wird es auf jeden Fall. Ich will noch etwas zum Ausdruck bringen, was ich sehr löblich finde, weil es deutlich macht: Auch Bundesregierungen sind lernende Systeme. Wir hatten im Zuge der Beratungen über den Bundeshaushalt 2006 sehr lange darüber diskutiert, ob der Mittelansatz für die Arbeit der Bundeszentrale für politische Bildung, der damals vorgesehen war, ausreichend ist. Ich bin froh darüber, dass, nachdem wir im Zuge der Beratungen des Haushalts 2006 diesen Ansatz angehoben haben, genau dieser erhöhte Ansatz auch zur Grundlage für das Jahr 2007 gemacht worden ist. Demokratie lebt davon, vermittelt zu werden. Das muss sich neben allen anderen Aspekten der inneren Sicherheit - ich glaube, dass die entscheidende Voraussetzung für innere Sicherheit in Deutschland eine stabile Demokratie ist - auch im Haushalt des Innenministeriums widerspiegeln. Lassen Sie mich abschließend sagen: Der große Vorteil - wahrscheinlich der einzige - daran, dass die SPD nicht mehr den Innenminister stellt, ist, dass man als SPD-Redner nicht Angst haben muss, dass für einen am Ende keine Redezeit mehr übrig ist. Aber ich habe meine Redezeit ohnehin ausnahmsweise diesmal einhalten können. ({6}) Ich wünsche uns eine gute Beratung. ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Auch diesem Wunsch schließt sich das Präsidium an. - Nächste Rednerin ist die Kollegin Petra Pau, Fraktion Die Linke. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir hier über Leitlinien der Innenpolitik reden, dann dürfen wir einen wichtigen Pfad nicht aussparen: den Kampf gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus. ({0}) Wir erleben gerade aktuell in den Wahlkämpfen in Berlin und in Mecklenburg-Vorpommern, wie rechtsextremistische Kameraden zunehmend aggressiv und gewalttätig agieren. Aber es geht hier nicht nur um Wahlkampf; es geht um den Alltag in Ost und West. Sie wissen: Wir fragen seit Jahren Monat für Monat nach den Straf- und Gewalttaten mit rechtsextremistischem Hintergrund. Allein der offizielle Befund ist alarmierend: Im Bundesdurchschnitt werden inzwischen stündlich drei rechtsextrem motivierte Straftaten registriert und täglich drei Gewalttaten. Deshalb muss das ein Thema bleiben. Ich wünsche mir, dass wir dazu, auch im Plenum des Bundestages, eine konstruktive und ressortübergreifende Debatte zu Strategien und nachhaltigem Widerstand gegen diese Entwicklung führen. ({1}) Nun wurde in diesen Tagen wieder vorgeschlagen, die NPD verbieten zu lassen. Ich halte das im Moment für eine untaugliche Ersatzdebatte. Denn erstens wurde gerade ein Verbotsverfahren blamabel in den Sand gesetzt und zweitens reduzieren sich Rechtsextremismus und Rassismus keineswegs nur auf Mitglieder dieser Partei oder den rechten Rand. Ich will das an einem aktuellen Beispiel aus dem Berliner Alltag illustrieren. In Pankow-Heinersdorf tobt derzeit ein Streit, ob eine seit 1924 hier in Berlin ansässige muslimische Gemeinde dort eine Moschee bauen darf. Viele Bürgerinnen und Bürger sind verängstigt. Sie erhalten - gewollt oder ungewollt - Flankenschutz von der NPD und von rechtsextremen Kameradschaften. Und sie erfahren großzügiges Verständnis von Teilen der Berliner CDU. Ich finde das verantwortungslos. Natürlich muss man die Sorgen von Bürgerinnen und Bürgern ernst nehmen. Aber man darf sie nicht noch schüren und schon gar nicht darf man Bestrebungen unterstützen, nach denen Pankow-Heinersdorf eine Enklave sei, wo das Grundgesetz, das Toleranzgebot und die Religionsfreiheit nicht gelten. Das ist keine alleinige Angelegenheit von Teilen der Berliner CDU oder der Berliner Politik, sondern der Bundespolitik. Schauen Sie nur einmal, welches Bild von Muslimen und anderen Bevölkerungsgruppen alltäglich gezeichnet wird. Sie erscheinen viel zu oft synonym für Gewalt und Terror. Damit werden Millionen Mitbürgerinnen und Mitbürger in eine gefährliche Sippenhaft genommen, für die es keinerlei Grund gibt. Auch die gestern auf der Innenministerkonferenz beschlossene Antiterrordatei droht ein weiterer Baustein dafür zu werden. ({2}) Ich will jetzt nicht über die Datei an sich reden; dazu werden wir noch viel Zeit haben. Aber durch die Aufnahme solcher Daten wie Religionszugehörigkeit wird eine große Bevölkerungsgruppe unter Generalverdacht genommen. Ich finde, das schafft ein Klima, das für eine weltoffene und tolerante Gesellschaft Gift ist. Deshalb ist die Linke prinzipiell dagegen. Nun noch ein abschließender Gedanke zum Geld; denn wir führen ja hier eine Haushaltsdebatte. Ich kann namens der Linken im Bund und in den Ländern nur inständig appellieren: Kürzen Sie nicht die Mittel, die für die Initiativen vor Ort nötig sind, die sich für Demokratie und Toleranz engagieren! Schaffen wir gemeinsam eine Lösung zur Förderung der Strukturprojekte gegen Rechtsextremismus. ({3}) Denn wir brauchen sie wie das tägliche Brot. Gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus hilft letztendlich nur eines: eine couragierte Zivilgesellschaft, die ihre Demokratie, ihre Bürgerrechte und damit ihr Grundgesetz verteidigt. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun der Kollege Dr. Michael Luther für die CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Michael Luther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001398, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Traditionsgemäß gab es anlässlich der Einbringung des Haushalts eine sehr interessante Debatte der Fachpolitiker über die Ziele der Innenpolitik in Deutschland. Ich bin Haushälter und erlaube mir daher an dieser Stelle, ein paar Punkte aus dieser Sicht beizutragen. Der Gesamtetat des Einzelplans 06 umfasst 4,4 Milliarden Euro. Das sind 80 Millionen Euro mehr als im Jahr 2006 und entspricht einer Steigerung von 1,8 Prozent. Davon profitieren zum Beispiel das Statistische Bundesamt, das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe sowie das THW. Ich finde, das ist gut so. Wir müssen aber auch sehen, dass es zum Beispiel einen Aufwuchs um 14,7 Millionen Euro bei den Versorgungsaufwendungen gibt, die jetzt in den Einzelplänen etatisiert sind. Nächstes Jahr stehen außerdem die EURatspräsidentschaft und die G-8-Präsidentschaft an. Auch diese kosten Geld, nämlich 12,4 Millionen Euro. Trotz der geringfügigen Steigerung kann man festhalten, dass der Haushalt des Einzelplans 06 von dem Dreiklang gekennzeichnet ist, der das Handeln der großen Koalition prägt, nämlich: Sanieren, Investieren und Reformieren. Es bleibt in diesem Zusammenhang festzuhalten, dass der Haushalt nach wie vor ein Sanierungsfall ist. Das ist die Realität. Wir kommen daher nicht um das Thema Haushaltskonsolidierung herum. Diesem Thema werden wir uns auch in den Beratungen zum Einzelplan 06 stellen müssen. Denn eines bleibt richtig: Wir müssen es schaffen, irgendwann einmal ohne Neuverschuldung auszukommen. Ansonsten kann der Staat nicht handlungsfähig sein. Nach diesen einleitenden Bemerkungen möchte ich festhalten, dass in dem Haushalt des Einzelplans 06 ein paar wichtige Aufgaben enthalten sind, die wir mit dem nötigen Ernst zu betrachten haben. Über das Thema innere Sicherheit ist heute schon sehr intensiv beraten worden. Nach den gescheiterten Anschlagsversuchen auf Regionalzüge der Deutschen Bahn in Koblenz und Dortmund ist vielen bewusst geworden, dass auch wir im Fadenkreuz des Terrorismus und der islamischen Fundamentalisten stehen. Die momentanen Sicherheitsanforderungen, die es nicht nur in Deutschland, sondern überall in Europa gibt, machen deutlich, dass es seit der Zeit des RAF-Terrorismus in den 70er-Jahren eine solch große Gefahr nicht mehr gegeben hat. Wir müssen daher dieser besonderen Situation Rechnung tragen. Noch ist in Deutschland nichts Dramatisches passiert. Aber die Anschläge in Madrid und London zeigen, dass unsere Sicherheitsorgane auf alle Bedrohungen vorbereitet sein müssen. An dieser Stelle möchte ich Dank sagen. Unsere Sicherheitsbehörden haben bislang Großartiges geleistet. Das Beispiel Fußball-WM ist heute schon erwähnt worden. Es ist nichts passiert; es lief alles glatt. Das geschah aber nicht im Selbstlauf, sondern ist der guten Arbeit insbesondere der Bundespolizei, des Bundeskriminalamtes, des Verfassungsschutzes und aller anderen, die damit befasst waren, zu verdanken. Ihnen allen noch einmal recht herzlichen Dank. ({0}) Wir Haushälter haben die Aufgabe, unseren Sicherheitsbehörden die Mittel zur Verfügung zu stellen, die sie für ihre Arbeit brauchen. Grundsätzlich gilt aber das Prinzip Haushaltsdisziplin. Wir werden also mit dem Geld auskommen müssen, das uns zur Verfügung steht. Ich sage aber an dieser Stelle zu, dass wir prüfen werden, inwieweit den Anforderungen, die von den Sicherheitsbehörden an uns herangetragen werden, durch Umschichtungen im Bundeshaushalt entsprochen werden kann. Noch eine Bemerkung zur Arbeit der Bundespolizei, des BKA, des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik, des Bundesnachrichtendienstes und ganz besonders des Verfassungsschutzes. Koblenz und Dortmund haben gezeigt, wie sehr wir auf unsere Sicherheitsbehörden angewiesen sind. Ich habe manchmal den Eindruck, dass der eine oder andere in diesem Hohen Haus die besondere Arbeit der Geheimdienste auf diesem Gebiet infrage stellt. Ich sage ganz klar: Gehen wir mit diesen Behörden pfleglich um! ({1}) Mir liegt ein anderes wichtiges Thema am Herzen, nämlich der BOS-Digitalfunk. Wir sind uns einig, dass der Aufbau dieses digitalen Sprechfunks, den wir im Gegensatz zu vielen anderen europäischen Staaten noch nicht haben, notwendig ist. Es ist ein Erfolg - Dank sei der großen Koalition -, dass zwischen dem Bund und den Ländern in diesem Jahr ein Vertrag über die Errichtung der Bundesanstalt für Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben abgeschlossen werden konnte. Damit ist die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern gesichert. Mittlerweile wurde zudem mit der EADS ein Vertrag über die Systemtechnik abgeschlossen. Auch das ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Ingangsetzung des BOS-Digitalfunks. Leider steht der dritte notwendige Teil noch infrage. Aus sicherheitspolitischen Gründen gibt es die Überlegung, die Bahninfrastruktur zu nutzen. Verhandlungspartner wäre demzufolge die DB AG. Ich habe aber den Eindruck, dass sich die DB Telematik in einer Monopolstellung sieht und daher versucht, Preise durchzusetzen, die wir nicht akzeptieren können. ({2}) Momentan liegen unsere Vorstellungen - die kalkulierten Zahlen stehen im Haushaltsentwurf - und das Angebot der DB Telematik weit auseinander. Als Haushälter will ich an dieser Stelle ganz klar sagen: So geht das nicht. Was bedeutet das in der Konsequenz? - Wenn es zu keiner vernünftigen Lösung kommt, dann müssen wir nach Alternativen suchen. ({3}) Ich bin aber zuversichtlich, dass wir mit der Bahn eine einvernehmliche Lösung finden werden; zumindest hoffe ich es. ({4}) Lassen Sie mich noch ein Wort zum Thema Integration sagen. Integration ist ein wichtiges Anliegen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Das Erlernen der Sprache ist eine Voraussetzung für Integration. Für Integrationskurse im Jahr 2007 sind wieder rund 140 Millionen Euro vorgesehen. Das Jahr 2006 zeigt, dass diese Summe ausreichen kann. Ich weiß, dass der Integrationsgipfel dieses Thema aufgegriffen hat und bisher zu keiner abschließenden Bewertung gekommen ist. Wir wissen noch nicht, welche Implikationen aus diesem Gipfel resultieren werden. In den Haushaltsberatungen werden wir uns mit diesem Thema befassen müssen. Das als Bemerkung dazu. ({5}) Wir werden - das will ich an dieser Stelle mit aller Ernsthaftigkeit sagen - das Thema Haushaltskonsolidierung in den Beratungen ernst nehmen. Wir müssen die Behördenstrukturen überprüfen. Wir müssen überlegen, ob Effizienzgewinne erzielt werden können. Wir müssen überprüfen, ob alle vorgesehenen Baumaßnahmen, Anschaffungen usw. notwendig sind. Ich will damit signalisieren, dass wir Haushälter unsere Arbeit in den nächsten Wochen sehr ernst nehmen werden. In diesem Sinne hoffe ich auf eine gute Zusammenarbeit, auch mit dem Ministerium. Ich hoffe, dass wir zu einem guten Ergebnis kommen. Lassen Sie uns in diesem Sinne froh ans Werk gehen! Danke schön. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Maik Reichel für die SPD-Fraktion.

Maik Reichel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003828, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In wohl jedem Beitrag des heutigen Abends wurde das Ereignis vom 31. Juli dieses Jahres, die beiden Kofferbomben in deutschen Regionalbahnen, angesprochen. Wir haben sehr vielfältig über die neu zu bewertende Sicherheitslage diskutiert. Auch in der Sommerpause hat man dazu sehr viel hören, lesen und sehen können. Wenn wir die Chronologie der Ereignisse seitdem betrachten, ziehe ich einen anderen Schluss als Sie, liebe Frau Kollegin Stokar: Es hat nicht zu lange gedauert, bis wir die Verdächtigen hatten. Einen Verdächtigen konnten wir nach knapp drei Wochen fassen und den zweiten wenige Tage später. Ich denke, das ist das Ergebnis einer guten, ja hervorragenden Arbeit des Bundeskriminalamtes. Dieser Fahndungserfolg zeigt natürlich auch, dass wir für die weitere Arbeit gut aufgestellt sind. ({0}) Sicherlich sind wir nicht in allen Bereichen so gut aufgestellt. Trotzdem sage ich: Recht herzlichen Dank für die gute Arbeit! ({1}) Die längst noch nicht abgeschlossene Auswertung der gewonnenen Erkenntnisse wird hoffentlich Aufschluss über die genauen Hintergründe und Motive bringen. Die Spekulationen, die seitdem auftauchen, bleiben solche, solange wir nicht Tiefgründigeres darüber wissen. Wir wollen die Ereignisse - das haben einige festgestellt weder verharmlosen noch dramatisieren. Beides wäre siMaik Reichel cher nicht angebracht. Viele haben von Glück gesprochen. Wir hatten Glück. Aber dies allein reicht nicht aus. Der Haushalt, über den wir heute in erster Lesung sprechen, hat sich der veränderten Sicherheitslage angepasst. Es liegt nun an uns, ihn weiter mit- und auszugestalten. Ich sage dies vor allen Dingen auch im Hinblick - darüber haben wir heute mehrfach gesprochen - auf die geplante Antiterrordatei und die Intensivierung der im Falle der Kofferbomben doch aufschlussreichen Videoüberwachung. Wenn wir uns einmal die Niederschrift der gestrigen Innenministerkonferenz anschauen, dann sehen wir, dass sie sich auf die Einführung einer gemeinsamen Datei des Bundes und der Länder geeinigt hat - ich zitiere -, „in der Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden zu relevanten Personen und Objekten gespeichert werden.“ Schauen wir uns noch einmal genau an, was dort alles drinsteht - ein Punkt, die Religionszugehörigkeit, ist bereits angesprochen worden -: Erfasst werden Grunddaten zur Person, die Zugehörigkeit zu terroristischen Vereinigungen, Waffenbesitz, Telekommunikations- und Internetdaten, Bankverbindungen und Schließfächer, die Schul- und Berufsausbildung, Arbeitsstellen, sogar der Familienstand, der Verlust von Ausweispapieren, Reisebewegungen und bekannte Aufenthalte an Orten mit terroristischem Hintergrund, zum Beispiel Ausbildungslager. Darüber werden wir in diesem Hause sprechen, im Innenausschuss, im Plenum und auch an anderer Stelle. In der Debatte zum Ressort Justiz wurde dies bereits angedeutet. Ich denke, dass wir uns strikt auf grundgesetzlicher Basis bewegen werden; keiner von uns hier wird dies bestreiten wollen. Die Auswirkungen der gestrigen Innenministerkonferenz werden auch in weiteren Beratungen im Haushalt 2007 und darüber hinaus Beachtung finden. Ich kann nicht feststellen, dass die Nachrichtendienste komplett aus den Fugen geraten sind. Wenn es so wäre, hätten wir in dem einen oder anderen Fall doch nicht solche Erfolge erzielt. Wir wünschen uns mehr. Aber dazu gehört neben finanziell und personell verbesserter Ausstattung natürlich auch, dass wir dies hier nicht nur beraten, sondern auch in den Haushalt einstellen. Der Haushalt trägt dem bereits Rechnung. Mein Kollege Fritz Rudolf Körper hat es vorhin genannt. Allein die Stellen im Sicherheitsbereich zeigen das. Ich mache es nicht in Prozenten fest, sondern in absoluten Zahlen: Die Zahl der Stellen im Bereich des Bundeskriminalamtes und der Bundespolizei stieg von 42 889 im Jahr 1998 über 44 722 im Jahr 2002 auf nunmehr 45 588 im kommenden Jahr. Die Kosten sind im Haushalt entsprechend eingestellt. Bei allem, was wir tun, wissen wir natürlich - auch das ist angesprochen worden -, dass es keine allumfassende, keine hundertprozentige Sicherheit gibt. Eine Totalüberwachung, liebe Kollegin Piltz, stelle ich mir schwierig vor. Im Flugzeug bzw. auf dem Flughafen ist das etwas anderes als auf dem Bahnhof. Wenn es Vorschläge Ihrerseits gibt, was wir mit den Paketen machen können, die mit der Bahn transportiert werden, dann sind wir dafür alle sehr dankbar. ({2}) Ich glaube, es gibt gewisse Grenzen. Darüber werden wir sprechen müssen. Wir sind für jeden Vorschlag dankbar. Lassen Sie mich noch einige Worte zur Fußball-WM sagen. Vor einem Jahr - so lange gehöre ich dem Bundestag an - haben wir begonnen, sehr intensiv darüber zu diskutieren. Wir haben im Plenum, im Innenausschuss und außerparlamentarisch über die Sicherheitsvorkehrungen, auch unter Einbeziehung der Bundeswehr, diskutiert. Wir haben dann vier Wochen lang erlebt - hier in Berlin, an anderen Spielorten und auch ich in meinem Wahlkreis, benachbart unserer Sportstadt Leipzig -, was dort alles passiert oder eben nicht passiert ist. ({3}) In den Gesprächen mit der Polizei vor Ort, speziell vor den WM-Spielen in Leipzig, konnte ich die gute Vorbereitung erfahren, die sich dann auch während der Weltmeisterschaft bewährt hat. Ich denke, viele von Ihnen teilen meine Erfahrung. „Die Welt zu Gast bei Freunden“ war eben nicht nur der auf Plakate gebannte Slogan der WM, sondern gelebte und erlebte sportliche und kulturelle Freude. Die zuständigen Sicherheitsbehörden haben hervorragende Arbeit geleistet, allen voran die Polizei, der mancher im Vorfeld der WM eine solche Leistung nicht zugetraut hat. Aber sie hat ihre Fähigkeiten bewiesen. ({4}) Auch wenn die WM weitgehend ohne große Komplikationen verlief, legen wir die Hände sicherheitspolitisch jetzt natürlich nicht in den Schoß. Aber auch einer übertriebenen Hektik sollten wir nicht verfallen. Herr Kollege Wieland - jetzt kommt es; Sie wollten es hören -, das sage ich vor allen Dingen im Hinblick auf eventuell wieder aufkommende Diskussionen über mögliche Änderungen des Grundgesetzes, was Einsätze der Bundeswehr im Innern betrifft. Ich denke, Art. 35 und Art. 87 a des Grundgesetzes reichen aus: Die Bundeswehr kann im Rahmen von Maßnahmen zur Hilfeleistung und im Katastrophenfall zum Einsatz kommen. ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sollten gemeinsam konstruktiv über die innere Sicherheit in Deutschland diskutieren. Dazu ist in den Haushaltsberatungen und danach noch sehr viel Zeit. Deshalb schenke ich Ihnen bzw. uns die letzte Minute meiner Redezeit. Wir sollten unsere Kraft für die Sicherheit in Deutschland einsetzen. Herr Kollege Wieland, vielen Dank. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Präsidium bedankt sich insbesondere für die großzügig geschenkte letzte Minute. Das ist ein seltener Vorgang, der Ihnen für künftige Auftritte besondere Sympathien sichert. ({0}) Wir sind damit am Ende der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 6. September 2006, 9 Uhr, ein. Um Missverständnisse auszuschließen: Das ist morgen früh. Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend. Die Sitzung ist geschlossen.