Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 6/29/2006

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Die Sitzung ist eröffnet. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie sehr herzlich zu unseren heutigen sehr umfangreichen Beratungen. Bevor wir in die Tagesordnung einsteigen, darf ich Sie um Aufmerksamkeit für einige amtliche Mitteilungen bitten. Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die in der vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN zu den Antworten der Bundesregierung auf die dringlichen Fragen Nr. 5 und 6 auf Drucksache 16/1959 ({0}) ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Daniel Bahr ({1}), Heinz Lanfermann, Dr. Konrad Schily, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Für Nachhaltigkeit, Transparenz, Eigenverantwortung und Wettbewerb im Gesundheitswesen - Drucksache 16/1997 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit ({2}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ZP 3 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren ({3}) a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Marieluise Beck ({4}), Volker Beck ({5}), Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Menschenrechte in Usbekistan einfordern - Drucksache 16/1975 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ({6}) Auswärtiger Ausschuss Verteidigungsausschuss b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ute Koczy, Thilo Hoppe, Dr. Uschi Eid, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Eine Weltbank-Energiepolitik der Zukunft - Ja zu mehr Effizienz und erneuerbaren Energien, Nein zur Atomkraft - Drucksache 16/1978 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({7}) Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-Christian Ströbele, Volker Beck ({8}), Monika Lazar und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Befragung von Gefolterten und Nutzung von Foltererkenntnissen ausschließen - Drucksache 16/836 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({9}) Auswärtiger Ausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Thilo Hoppe, HansChristian Ströbele und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN Indigene Völker - Ratifizierung des Übereinkommens der Internationalen Arbeitsorganisation ({10}) Nr. 169 über Indigene und in Stämmen lebende Völker in unabhängigen Staaten - Drucksache 16/1971 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({11}) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Burkhardt Müller- Sönksen, Florian Toncar, Dr. Karl Addicks, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der FDP 7 Bericht der Bundesregierung über ihre Menschenrechtspolitik in den auswärtigen Beziehungen und in anderen Politikberei- chen - Drucksache 16/1999 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Florian Toncar, Bur- khardt Müller-Sönksen, Dr. Werner Hoyer, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der FDP Für die weltweite Sicherstellung der Religionsfreiheit - Drucksache 16/1998 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Redetext Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heike Hänsel, Ulla Lötzer, Hans-Kurt Hill, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Keine Weltbankkredite für Atomtechnologie - Drucksache 16/1961 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({12}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hüseyin-Kenan Aydin, Monika Knoche, Dr. Diether Dehm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Agrarbeihilfeempfänger offen legen - Drucksache 16/1962 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({13}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ZP 4 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache ({14}) a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Ökologischen Landbau in Deutschland und Europa wei- terentwickeln - Drucksache 16/1972 - b) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({15}) Sammelübersicht 70 zu Petitionen - Drucksache 16/1980 - c) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({16}) Sammelübersicht 71 zu Petitionen - Drucksache 16/1981 - d) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({17}) Sammelübersicht 72 zu Petitionen - Drucksache 16/1982 - e) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({18}) Sammelübersicht 73 zu Petitionen - Drucksache 16/1983 - f) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({19}) Sammelübersicht 74 zu Petitionen - Drucksache 16/1984 - g) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({20}) Sammelübersicht 75 zu Petitionen - Drucksache 16/1985 - h) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({21}) Sammelübersicht 76 zu Petitionen - Drucksache 16/1986 - i) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({22}) Sammelübersicht 77 zu Petitionen - Drucksache 16/1987 - j) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({23}) Sammelübersicht 78 zu Petitionen - Drucksache 16/1988 - k) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({24}) Sammelübersicht 79 zu Petitionen - Drucksache 16/1989 ZP 5 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD: Lage am Ausbildungsmarkt - Ausbildungspakt als Chance für Unternehmen, junge Menschen und den Arbeitsmarkt ZP 6 Beratung des Antrags der Fraktionen der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Demokratiebewegung in Belarus unterstützen - Drucksache 16/1977 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried Nachtwei, Alexander Bonde, Jürgen Trittin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Waffen unter Kontrolle - Für eine umfassende Begrenzung und Kontrolle des Handels mit Kleinwaffen und Munition - Drucksache 16/1967 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ({25}) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Verteidigungsausschuss Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Beck ({26}), Marieluise Beck ({27}), Alexander Bonde, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Den neuen Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen intensiv unterstützen - Drucksache 16/1968 ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Hüseyin-Kenan Aydin, Monika Knoche, Dr. Diether Dehm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Für ein Ende der Gewalt in Norduganda - Drucksache 16/1976 ZP 10 Erste Beratung des von den Abgeordneten Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Dr. Max Stadler, Jörg van Essen, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Passgesetzes - Drucksache 16/2016 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss Die Tagesordnungspunkte 16, 17, 34 und 38 i sollen abgesetzt werden. Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden. Außerdem ist beabsichtigt, die Tagesordnungspunkte 11 und 36, 19 und 20, 21 und 22 sowie 23 und 24 zu tauschen. Zu den bisher ohne Debatte vorgesehenen Tagesordnungspunkten 37 a - das ist die erste Lesung des Personenstandsrechtsreformgesetzes - und 38 j - dabei handelt es sich um eine Beschlussempfehlung zu Anträgen zum Notschleppkonzept für die Nord- und Ostsee wird eine Aussprache gewünscht. Der Tagesordnungspunkt 38 j soll nach dem Tagesordnungspunkt 23 und Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt der Tagesordnungspunkt 37 a als letzter Punkt der heutigen Sitzung aufgerufen werden. Schließlich mache ich auf zwei nachträgliche Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam: Der in der 40. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({28}) zur Mitberatung überwiesen werden. Antrag der Abgeordneten Monika Lazar, Irmingard ScheweGerigk, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Rechtsextremismus ernst nehmen - Bundesprogramme Civitas und entimon erhalten, Initiativen und Maßnahmen gegen Fremdenfeindlichkeit langfristig absichern - Drucksache 16/1498 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({29}) Innenausschuss Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss Der in der 40. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({30}) zur Mitberatung überwiesen werden. Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Diana Golze, Petra Pau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Fortführung und Verstetigung der Programme gegen Rechtsextremismus - Drucksache 16/1542 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({31}) Innenausschuss Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe dann die Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b auf. ({32}) - Davon weiß ich nichts. Soeben erfahre ich, dass ein Antrag zur Geschäftsordnung der Fraktion Die Linke vorliegt. Das Wort hat Frau Dr. Enkelmann.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Fraktion Die Linke widerspricht der Tagesordnung. Wir widersprechen insbesondere der Aufsetzung des Tagesordnungspunktes „Beschlussempfehlung zum Steueränderungsgesetz“. Abgesehen davon, dass man dieser deutlichen Mehrbelastung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht zustimmen kann, geht es hier um das Verfahren. Wir haben im kollegialen Miteinander in der vergangenen Woche Fristverzicht erklärt. Am gestrigen Tag fand eine Sitzung des Finanzausschusses statt. Es gab eine Beschlussempfehlung mit den Unterschriften der Berichterstatter aller Fraktionen. Weil einer Landesregierung offenkundig ein Änderungsantrag nicht passte, wurde gestern zu etwas sehr später Stunde ({0}) erneut eine Sitzung des Finanzausschusses für heute früh um 7 Uhr einberufen und diese Änderung kraft Mehrheit durchgesetzt. Die Berichterstatter der Oppositionsfraktionen haben dem widersprochen. Wir protestieren gegen dieses Verfahren. Ihr Parlamentsverständnis, meine Damen und Herren von der Koalition, hat mit Demokratie nichts mehr zu tun. ({1}) Das, was hier passiert, ist Arroganz der Macht einer großen Koalition. Aber die Opposition lässt sich nicht zum Hampelmann machen. ({2}) Wir beantragen deswegen die Absetzung der Beschlussempfehlung zum Steueränderungsgesetz von der Tagesordnung. Ich danke Ihnen. ({3})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort in der Geschäftsordnungsdebatte hat nun der Kollege Dr. Röttgen.

Dr. Norbert Röttgen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002765, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Durch nichts wurde Ihre Alternativlosigkeit und Fantasielosigkeit in der Sache ({0}) bislang so deutlich wie heute Morgen. Sie wollen der Sachdebatte offensichtlich ausweichen, indem Sie lächerliche Verfahrenskritik üben. ({1}) Wir müssen den Bürgern zeigen, dass wir über die Sachprobleme reden und nicht darüber, dass morgens um 7 Uhr ein Ausschuss tagt. ({2}) Es gibt Bürgerinnen und Bürger in diesem Land, die morgens um 7 Uhr arbeiten müssen. ({3}) Das ist, glaube ich, gelegentlich auch Parlamentariern zuzumuten. ({4}) Regierungsfähigkeit fängt damit an, dass man morgens früh aufstehen kann. ({5}) Die Bürger haben doch Erwartungen in der Sache an uns. ({6}) Bei diesem Gesetz geht es darum, dass Bund und Länder wieder auf eine solide finanzielle Grundlage gestellt werden, dass wir die Verschuldungspolitik beenden und dass unser Staat, unser Gemeinwesen, unser Land handlungs- und gestaltungsfähig wird, damit wir wieder Politik machen können. Dafür sind Maßnahmen notwendig, die es erfordern, dass die Menschen einen Beitrag leisten. Wir können nicht die moralisch, politisch und ökonomisch nicht mehr vertretbare Verschuldung beenden wollen ({7}) und gleichzeitig alle bestehenden Steuerbegünstigungstatbestände erhalten. Darum geht es heute Morgen. Ich bitte Sie bzw. fordere Sie auf, der Sachdebatte nicht auszuweichen. Legen Sie Alternativen vor! Darüber kann geredet werden. Aber üben Sie keine lächerliche Verfahrenskritik. ({8}) In der Sache geht es ja nicht darum, dass einem Gesetz ein Punkt hinzugefügt worden ist. Dann könnten Sie sagen: Damit konnten wir uns noch nicht beschäftigen. Es fehlte die Zeit, sich damit auseinander zu setzen. Wenn dem so wäre, wäre Ihre Kritik berechtigt. Nein, es geht lediglich darum, dass aus einem Gesetz eine isolierte Regelung zur Behördenzuständigkeit herausgenommen wurde, wodurch sich an der Sache nichts ändert. ({9}) Damit kann eigentlich kein Kollege oder keine Kollegin intellektuell überfordert sein. Darum ist es richtig, heute darüber zu debattieren und eine Entscheidung zu treffen. ({10})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun der Kollege Carl-Ludwig Thiele für die FDP-Fraktion.

Carl Ludwig Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002315, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Heute soll in erster Lesung das Steueränderungsgesetz 2007 beraten werden. Dazu möchte ich etwas erklären, weil das nicht jeder wissen kann: Es handelt sich hierbei um ein Artikelgesetz. Wenn es um ein solches Artikelgesetz geht, können im Laufe des Verfahrens Teile des Gesetzes herausgenommen oder Teile hinzugefügt werden. In diesem Fall ist seitens der Mehrheit dieses Hauses bzw. des Finanzausschusses ein Passus über die Steuerstatistik in das Gesetz aufgenommen worden. Das ist der Punkt, der die technischen Probleme, auf die ich zu sprechen kommen werde, auslöst. Über dieses Gesetz wurde gestern im Finanzausschuss abschließend abgestimmt; es ist eine Berichterstattung erfolgt. Aufgrund der Vorteile, die Handys bieten, erhielt ich um 23 Uhr in der letzten Nacht die Nachricht, dass heute Morgen um 7 Uhr eine Sitzung des Finanzausschusses stattfinden soll. Herr Kollege Röttgen, die Opposition war anwesend. ({0}) Wir haben an der Beratung teilgenommen, weil wir uns selbst einem unüblichen Verfahren nicht automatisch entziehen. ({1}) Wir haben in der Sache beraten. Bei diesem Gesetz gibt es aber nicht nur ein Miteinander, sondern es ist auch ein förmliches Gesetzgebungsverfahren zu beachten. Der Deutsche Bundestag hat sich selbst eine Geschäftsordnung gegeben. In dieser Geschäftsordnung sind gewisse Regeln enthalten. Eine dieser Regeln lautet, dass jeder Abgeordnete - auch wenn er Mitglied eines nicht mit dem Gesetzgebungsverfahren befassten Ausschusses ist - die Möglichkeit haben muss, den Inhalt eines Gesetzes vor der Abstimmung zur Kenntnis zu nehmen. ({2}) Deshalb sieht diese Regel vor - das ist in der Geschäftsordnung verankert -, dass die entsprechenden Unterlagen jedem Abgeordneten 24 Stunden vor der Debatte zur Verfügung gestellt werden müssen. Wir als Opposition haben erklärt, dass wir angesichts des Zeitdrucks aufgrund der morgigen Abstimmung über die Föderalismusreform auf Fristeinrede verzichten. Aber das kann nicht dazu führen, dass gesagt wird, dass für das, was heute im Finanzausschuss behandelt wurde, keine Berichterstatter der Opposition gebraucht würden, sie würden nur stören. Denn es gab Berichterstatter und der alte Beschluss des Finanzausschusses musste aufgehoben werden, um hier eine neue Beschlussgrundlage zu bekommen. Nach meinen Informationen hat die Steuerstatistik ein Bundesland gestört. Die übrigen 15 Bundesländer haben gesagt, sie störe sie auch. Da bin ich schon etwas überrascht, dass in einem geordneten Gesetzgebungsverfahren die Koalition wie in einem Studentenparlament agiert ({3}) und sagt, sie habe gar keine andere Möglichkeit, sie müsse das jetzt durchziehen und wenn die Opposition störe, müsse sie raus. So kann es nicht laufen; denn auch die Opposition ist gewählt. ({4}) Die Opposition trägt dazu bei, auch mit Kritik und Anmerkungen - die Mehrheit ist ja gesichert -, dass das Verfahren vernünftig stattfindet. Dieses heute praktizierte Verfahren ist abenteuerlich. Ich habe so etwas in meiner Parlamentszeit, die immerhin seit 1990 währt, noch nicht erlebt. Es gäbe zwei andere Möglichkeiten: Die Koalition hat zum Beispiel die Möglichkeit, heute in zweiter Lesung einen entsprechenden Änderungsantrag zu stellen; dann wäre das Formelle überhaupt kein Problem. Ich verstehe nicht, warum die Koalition diese Möglichkeit nicht nutzt. Ich habe im Finanzausschuss ein weiteres Verfahren vorgeschlagen: Das Gesetz könnte so verabschiedet werden, wie es gestern vom Finanzausschuss beschlossen wurde. Ich möchte dann doch mal sehen, ob die Herren Ministerpräsidenten es wagen, dieses Gesetz, welches Mehreinnahmen für die öffentliche Hand bringen soll, indem die Bürger bei der Entfernungspauschale schlechter gestellt werden und der Sparerfreibetrag gekürzt wird, im Bundesrat wegen einer technischen Frage zu stoppen. Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Ich glaube das nicht. Andernfalls: Wenn sie es stoppen, ginge es in den Vermittlungsausschuss. Über dessen Ergebnis könnte dann wieder abgestimmt werden. So könnte dieses Gesetz in einem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren verabschiedet werden. Wir als Opposition haben somit mögliche Wege aufgezeigt. Wir haben auch an den Beratungen im Finanzausschuss teilgenommen. An der Abstimmung haben wir aber bewusst nicht teilgenommen, weil wir sie nach wie vor für unzulässig halten. Ich habe eine Bitte an die große Koalition: Herr Kollege Kauder, Sie können die Sitzung auch unterbrechen. Denn diese Verfahrensfrage entzieht sich aus meiner Sicht in wesentlichen Teilen einer Mehrheitsentscheidung des Bundestages. ({5}) Damit wäre das Gesetz als solches „infiziert“. Angesichts der verfassungsrechtlichen Probleme dieses Gesetzes - um es einmal sehr vorsichtig auszudrücken; inhaltlich werden wir noch darüber debattieren - steht es durchaus zu erwarten, dass der eine oder andere Bürger gegen dieses Gesetz vor Gericht ziehen wird.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.

Carl Ludwig Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002315, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich komme zum Ende, Frau Präsidentin. Weil es zu einem ordnungsgemäßen Gesetzgebungsverfahren gehört, bestimmte Regeln einzuhalten, bitte ich Sie, Ihr Vorgehen zu überprüfen. Ansonsten laufen Sie Gefahr, auch unter rechtsförmlichen Gesichtspunkten, ein Gesetz zu beschließen, welches richterlich keine Anerkennung finden wird. ({0}) Deshalb stimmen wir als FDP dem Antrag der Linkspartei zu. ({1})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege Olaf Scholz.

Olaf Scholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003231, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will es ganz kurz machen: Die Aufregung, die wir hier vermittelt bekommen, hat mit dem Inhalt, um den es geht, nichts zu tun. ({0}) Ich glaube, das ist eine bemerkenswerte Erkenntnis. Es geht um eine Veränderung von Steuerstatistiken; das kann man machen, man kann es auch lassen. Ich glaube wie der Kollege Röttgen, dass man sich schnell überlegen kann, wie man sich in der Abstimmung dazu verhalten will. Ich glaube, große Reden zu halten über Demokratie, Parlamentarismus und Bruch von Rechten, ({1}) ist im Verhältnis dazu, worum es eigentlich geht, völlig unangemessen. ({2}) Es kann sein, dass Bürgerinnen und Bürger diese Debatte verfolgen ({3}) und, gerade weil hier große Reden gehalten werden, überlegen: Was ist denn das wichtige Thema? Sie müssen dann ganz enttäuscht feststellen, dass hier völlig unangemessene Reden gehalten werden. Was man hier aber noch einmal mitteilen muss: Alles ist ordnungsgemäß. Deshalb hat auch niemand etwas anderes vorgetragen. Das waren alles nur Erwägungen zum Thema. Selbstverständlich kann im Finanzausschuss etwas Neues beschlossen werden. Das ist heute Morgen um 7 Uhr in der Sitzung geschehen. Es kann eine Änderung vorgenommen werden, bevor die Vorlagen endgültig an die Abgeordneten verteilt werden. Etwas anderes ist nicht erfolgt. Insofern entspricht das Verfahren, das wir hier miteinander gewählt haben, der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages und all unseren Regeln vollständig. Darum muss man auch nicht die Sorge haben, dass es deswegen Prozesse geben wird; jedenfalls werden sie nicht erfolgreich sein. Weil wir das Gesetz wirksam werden lassen wollen und deshalb auch nur angemessen kurze Reden zu dem halten, worum es hier eigentlich geht, beende ich hiermit meinen Beitrag. Wir lehnen diesen Antrag jedenfalls ab. ({4})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen hat nun der Kollege Volker Beck das Wort.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der großen Koalition! Auch die lieben Kolleginnen und Kollegen der anderen Fraktionen seien gegrüßt! Das, was Sie vonseiten der Koalition hier vorgeführt haben, geht so nicht. Das ist nur noch Arroganz der Macht. ({0}) Sie sagen für alle, dass parlamentarische Beratungsverfahren nicht mehr respektiert werden müssen. Sie können sich nicht damit herausreden, dass es sich hier um keine wichtige Sache handele. Wenn es nicht um eine wichtige Sache gehen würde, würden wir Ihrem Verfahren in der Sache nicht widersprechen. In § 81 Abs. 1 der Geschäftsordnung ist vorgesehen, dass von der Verteilung der Vorlagen bis zur Beratung normalerweise zwei Tage vergehen müssen. Das hat einen guten Grund, nämlich den, dass sich alle Kolleginnen und Kollegen hier im Hause eine Meinung bilden können müssen, weil sie als Abgeordnete - und nicht als Fraktionsmitglieder - verpflichtet sind, ihr Abstimmungsverhalten vor dem Volk, vor dem Wähler zu verantworten. Diese Verantwortung treten Sie mit Ihrem Verfahren mit Füßen. ({1}) Wir als Opposition haben gesagt - das ist guter Brauch unter den Geschäftsführern -: Wenn die Vorlage am Vortag, am Mittwoch, im Ausschuss fertig ist und abends verteilt wird, dann hat jeder am Abend noch die Möglichkeit, nachzulesen und Fragen, die sein Abstimmungsverhalten berühren, bis zum nächsten Morgen zu klären. Als ich vorhin um 8.30 Uhr ins Haus kam, lagen die Vorlagen beim Dienst noch nicht vor. Wie soll man aber wissen, was man hier tut, wenn man die Vorlagen nicht hat, über die man reden und entscheiden soll? ({2}) Mit Ihrer Vorgehensweise stellen Sie auch den Kolleginnen und Kollegen der großen Koalition, die überwiegend gar nichts für ein solches Verfahren können, ein superschlechtes Zeugnis aus. Sie sagen nämlich: Egal, was in der Vorlage steht, unsere Leute stimmen dem ungelesen auf jeden Fall zu. ({3}) Ich finde, als Mitglieder dieses Hauses sollten wir ein solches Verhalten der Fraktionsführungen der großen Koalition gemeinsam zurückweisen. Die Bürgerinnen und Bürger draußen im Lande glauben doch nicht mehr, dass wir hier ernsthaft um Lösungen ringen und dass wir wissen und verantworten, was wir hier tun, wenn wir noch nicht einmal lesen können, was wir hier beschließen und worüber wir abstimmen. ({4}) Wir widersprechen nach § 20 Abs. 2 der Geschäftsordnung der Aufsetzung dieses Tagesordnungspunktes, da die Voraussetzungen nicht gegeben sind, und wir erklären, dass der Fristverzicht, den wir für eine andere Vorlage erklärt haben, zurückgezogen ist. ({5}) Ich komme nun noch zu dem, was Sie im Ausschuss getan haben. Mit Ihrer Zweidrittelmehrheit können Sie hier ja alles tun. Sie können uns auch gleich nach Hause schicken. ({6}) Dann treffen wir uns einmal im Jahr und führen die Gesetzgebung durch, wobei Sie die Opposition aber nicht mehr mitreden lassen. - Sie haben die Berichterstatter der Opposition im Finanzausschuss, weil sie Ihnen nicht passten, nach Abschluss der Beratungen ihrer Ämter enthoben, sie vor die Tür gesetzt und ihnen gesagt, dass sie keine Berichterstatterrechte mehr haben, dass nur noch Volker Beck ({7}) die Herren und Damen von der großen Koalition das Sagen haben. Das ist eine Ungeheuerlichkeit. ({8}) Das ist unkollegial und unparlamentarisch. Deshalb ist das eine Schande für die große Koalition und für dieses Haus. ({9})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben nun folgenden Sachverhalt: Die Fraktion Die Linke hat einen Geschäftsordnungsantrag auf Absetzung der Punkte 3 a und b von der Tagesordnung gestellt. Herr Beck von den Grünen hat soeben Fristeinrede geltend gemacht. - Ich bitte die Geschäftsführer, zu mir zu kommen, um kurz über das weitere Abstimmungsverfahren zu beraten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Sachverhalt konnte nicht endgültig geklärt werden. Die FDP-Fraktion hat soeben den Antrag gestellt, die Beratungen darüber im Ältestenrat fortzusetzen. Darüber hinaus wurde mir mitgeteilt, dass die FDP eine Fraktionssitzung durchführt. Ich unterbreche die Sitzung. Sie werden über die Fortsetzung der Plenarsitzung informiert. Im Moment kann ich nicht sagen, wie lange es dauern wird. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. ({0}) - Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, Platz zu nehmen und die Gespräche einzustellen. Der Ältestenrat hat sich darauf verständigt, dass nun über den Geschäftsordnungsantrag der Fraktion Die Linke auf Absetzung dieses Tagesordnungspunkts abge- stimmt wird. Ich bitte um Handzeichen von denjenigen, die dem Antrag zustimmen wollen. - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist der Antrag abgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der FDP-Fraktion, der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke. Damit rufe ich die Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b auf: a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio- nen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Steueränderungsgesetzes 2007 - Drucksache 16/1545 - - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Steuerän- derungsgesetzes 2007 - Drucksachen 16/1859, 16/1969 - aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({1}) - Drucksachen 16/2012, 16/2028 - Berichterstattung: Abgeordnete Olav Gutting Kerstin Andreae bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({2}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 16/2013 Berichterstattung: Abgeordnete Otto Fricke Dr. Gesine Lötzsch Anja Hajduk Jochen-Konrad Fromme Carsten Schneider ({3}) b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({4}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Christine Scheel, Kerstin Andreae, Dr. Gerhard Schick, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Steueränderungsgesetz 2007 zurückziehen - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Volker Wissing, Dr. Hermann Otto Solms, Carl-Ludwig Thiele, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Keine weiteren Steuererhöhungen - Drucksachen 16/1501, 16/1654, 16/2012, 16/2028 Berichterstattung: Abgeordnete Olav Gutting Kerstin Andreae Zum Entwurf des Steueränderungsgesetzes liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. ({5}) Ich eröffne die Aussprache und bitte Sie um Aufmerksamkeit für den ersten Redner in dieser Debatte, den Bundesminister der Finanzen, Peer Steinbrück. ({6})

Peer Steinbrück (Minister:in)

Politiker ID: 11004165

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist knapp eine Woche her, dass dieses Hohe Haus den Bundeshaushalt 2006 angenommen hat. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Minister, einen Moment bitte. - Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, wenn Sie der Debatte folgen wollen, Platz zu nehmen und sich darauf zu konzentrieren, und diejenigen, die etwas anderes zu tun haben, den Saal zu verlassen. - So, Herr Minister, Sie haben das Wort.

Peer Steinbrück (Minister:in)

Politiker ID: 11004165

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich habe meine Rede mit dem Hinweis begonnen, dass es knapp eine Woche her, dass - ({0}) - Können Sie mich nicht verstehen? Soll ich das Mikrofon in die Hand nehmen? ({1}) - Die Bürgerinnen und Bürger verstehen mich eher als Ihre Fraktion! Können Sie mich jetzt verstehen? ({2}) Was mache ich mit der Technik?

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Es wird schon geregelt, Herr Minister; wir sind dabei.

Peer Steinbrück (Minister:in)

Politiker ID: 11004165

Meine Damen und Herren! Es ist eine knappe Woche her, dass dieses Hohe Haus den Bundeshaushalt 2006 angenommen hat. Denjenigen, die die Gelegenheit hatten, meinen Ausführungen zu folgen, ist in Erinnerung, dass ich den Hinweis gegeben habe, dass dieser Bundeshaushalt 2006 lediglich der Beginn eines langen, durchaus steinigen Weges ist. Er leitet einen Weg ein, der uns wieder zu dauerhaft tragfähigen öffentlichen Finanzen führen soll, einen Weg, der die finanziellen Spielräume des Bundes, aber auch der anderen Gebietskörperschaften wieder erweitern soll und uns Spielräume geben soll, mehr Zukunftsfinanzierung zu betreiben als bisher. Es ist deshalb Ausdruck der Zielstrebigkeit der großen Koalition, wenn wir jetzt, eine Woche später, das Steueränderungsgesetz 2007 einbringen. Das ist eine weitere, wichtige Etappe auf diesem Weg. Vor allem ist es der Beleg dafür, dass diese große Koalition konsequent und entschlossen die finanzpolitische Agenda abarbeitet, die wir uns vorgenommen haben. Wir haben Transparenz gezeigt und das, was im Koalitionsvertrag steht, mit den späteren Beschlüssen - insbesondere denen von Genshagen - bestätigt. Das halte ich für wichtig und das halte ich auch für gut so; denn damit wissen die Bürgerinnen und Bürger genau, dass die steuerpolitischen Entscheidungen der Bundesregierung berechenbar und verlässlich sind, ({0}) selbst dort, wo wir unpopuläre Maßnahmen zu treffen haben, um die sich zumindest ein Teil der Mitglieder der Oppositionsfraktionen drückt. ({1}) Mit dem vorliegenden Entwurf des Steueränderungsgesetzes 2007 setzt die Bundesregierung die auf allen staatlichen Ebenen notwendige Konsolidierung der öffentlichen Haushalte fort. Dies bedeutet eben, auch eine Reihe von Maßnahmen zu verabschieden, die keine LaOla-Wellen bei den Bürgerinnen und Bürgern auslösen. Dabei war und bleibt es unrealistisch, anzunehmen, dass wir unseren ehrgeizigen, aber notwendigen Konsolidierungskurs ohne Einschnitte in sicher geglaubte Besitzstände vollziehen können. Zu dem von der Bundesregierung eingeschlagenen strikten Sparkurs sehe ich deshalb keine überzeugende Alternative. Die Bundesregierung verkennt nicht, dass diese notwendige Haushaltskonsolidierung in Einzelfällen auch mit spürbaren Einschnitten, mit Härten und mit Zumutungen verbunden ist. Umso mehr sind wir darum bemüht, belastende Maßnahmen auch unter dem Gesichtspunkt der individuellen Leistungsfähigkeit und im Ergebnis zumutbar auszugestalten. Dies gilt auch und gerade für den vorliegenden Gesetzentwurf. Ich möchte dies zum Beispiel an der Pendlerpauschale noch einmal deutlich machen. Ohne Einsparungen auch bei der Pendlerpauschale und bei anderen Maßnahmen werden wir nicht zu soliden Finanzen zurückkommen. Auch im Trommelfeuer mancher Kritik ist gänzlich untergegangen, dass wir uns auch bei den Regelungen zur Pendlerpauschale von einer, wie wir glauben, möglichst fairen Verteilung der Belastung leiten lassen. Fernpendler, also genau die Berufstätigen mit dem höchsten Aufwand, das heißt, mit dem weitesten Weg zur Arbeit, werden im Rahmen der vorgesehenen Härtefallregelung in Zukunft immer noch einen erheblichen Teil ihrer Fahrtkosten in Ansatz bringen können. Derselbe Gesichtspunkt gilt auch mit Blick auf den Balkon derjenigen, die sich in den oberen Einkommensetagen bewegen, also für die Reichensteuer. Auch hier geht es nicht um Symbolpolitik, wie es uns viele unterstellen, sondern es geht darum, dass dem Grundsatz einer fairen Lastenverteilung Rechnung getragen wird; denn der Einkommensteuerzuschlag für Spitzenverdiener ist auch ein Beitrag zur verteilungspolitischen Balance, unabhängig davon, welche Beträge dahinter stehen. ({2}) - An dieser Stelle habe ich mich offenbar verständlich ausgedrückt. ({3}) Ich bin überzeugt: Wenn sich die Schwaden der Nebelkerzen, die jetzt gelegentlich geworfen werden, verzogen haben, dann werden auch die Bürgerinnen und Bürger die Vorzüge einer Steuer- und Finanzpolitik erkennen, die versucht, für nachfolgende Generationen finanzielle Spielräume zu erhalten, anstatt ihren Kindern und Enkelkindern einfach nur einen Schuldenberg vor die Füße zu kippen, und die Anstrengungen der Bundesregierung, einen solchen Pfad einzuschlagen, vielleicht etwas fairer würdigen, als dies in manchen begleitenden Kommentaren bisher der Fall ist. ({4}) Ich glaube, dass viele Bürgerinnen und Bürger bereit sind, einen solchen Kurs der Bundesregierung zu unterstützen. Er wird als das akzeptiert, was er ist, nämlich ein notwendiger Beitrag, um langfristig zu tragfähigen öffentlichen Finanzen und damit auch wieder zum Vertrauen in die Verlässlichkeit der Haushalts- und Finanzpolitik zu kommen. Jeder Einzelne weiß doch, dass es ein privater Haushalt auf Dauer nicht aushält, wenn seine Ausgaben nur zu 80 Prozent durch Einnahmen gedeckt sind. ({5}) Das werden sie, die privaten Haushalte, sich nicht leisten können und die öffentlichen Haushalte können dies auf Dauer ebenfalls nicht aushalten. Der heute vorliegende Gesetzentwurf darf nicht isoliert betrachtet werden. Er ist ein weiterer wichtiger Bestandteil des ausgewogenen steuerpolitischen Maßnahmenbündels der großen Koalition, mit dem wir auch steuerliche Ausnahmetatbestände und Subventionen konsequent abbauen. Das haben wir bereits in einem erheblichen Umfang getan. Ich möchte daran erinnern, dass die Bundesregierung mit dem Gesetz zur Beschränkung der Verlustverrechnung im Zusammenhang mit Steuerstundungsmodellen, mit dem Gesetz zum Einstieg in ein steuerliches Sofortprogramm, mit dem Gesetz zur Abschaffung der Eigenheimzulage und mit dem Gesetz zur Eindämmung missbräuchlicher Steuergestaltungen bereits ein ganzes Stück Weg zurückgelegt hat, um Steuersubventionen abzubauen. Anknüpfend an diese Ausführungen möchte ich deshalb darauf hinweisen und an all diejenigen, die, wie ich glaube, wenig schlüssige Vorschläge vorlegen, appellieren, dass dieser Weg des Abbaus von Steuersubventionen nicht diskreditiert werden sollte. Es darf nicht passieren, dass zahlreiche Experten und fast alle Parteien - auch die, die in diesem Hohen Hause vertreten sind den Abbau von Steuersubventionen verlangen, aber in helle Aufregung verfallen und mir nichts, dir nichts aus dem Abbau einer Steuersubvention eine Steuererhöhung machen, um mit diesem Begriff auch im Publikum Reflexe auszulösen, wenn wir sehr konkret an diese Arbeit herangehen. Dies ist nicht sehr konsequent und schlüssig. Eine solche Politik ist eher Klientelpolitik und das krasse Gegenteil von dem, was die Bundesregierung anstrebt. ({6}) - Herr Westerwelle, ich bin mir ziemlich sicher, dass mehr zustimmen. Im Grunde stimmen Sie doch auch zu. ({7}) - Sie stimmen doch dem notwendigen Abbau von Steuersubventionen zu oder nicht? ({8}) - Wozu denn dann? ({9}) - Das ist doch völlig unmöglich. Dieser Dreizack funktioniert nicht. Die FDP verspricht Ihnen, meine Damen und Herren, die Nettokreditaufnahme zu senken, Investitionen zu erhöhen und gleichzeitig die Steuern zu senken. Das ist völlig irreal. ({10}) Das, was Sie in Ihrem Antrag fordern, nämlich die Steuersätze weiter zu senken, also eine weitere Steuerentlastung, ist irreal. Man sollte Ihnen nicht von hier bis zum nächsten Briefkasten glauben, weil Sie genau wissen, dass Sie in einer Regierungsverantwortung diesen Kurs nicht realisieren könnten. Ich halte daran fest: Wir brauchen einen Abbau von Steuersubventionen. Die Vorstellung, man könne darauf verzichten, ist das Gegenteil von dem, was die Bundesregierung anstrebt. Wir wollen zur Haushaltskonsolidierung beitragen und diese vorantreiben. Wir wissen, dass die damit verbundenen Einschnitte alles andere als populär sind, aber sie sind im Ergebnis zumutbar. Wir brauchen sie, wenn wir langfristig wieder auf einen soliden Haushaltskurs zurückfinden wollen, was insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Generationengerechtigkeit von erheblicher Bedeutung ist, wenn wir unseren Kindern und Enkelkindern nicht eine immense Steuerlast buchstäblich aufbürden und einen Haushalt hinterlassen wollen, den sie eines Tages nur noch auf dem Weg von Steuererhöhungen oder erheblichen Leistungskürzungen tragen können. Ich bitte deshalb um Unterstützung für diesen Entwurf des Steueränderungsgesetzes 2007. Vielen Dank. ({11})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Dr. Volker Wissing das Wort. ({0})

Dr. Volker Wissing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003702, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Angela Merkel zufolge hat Gerhard Schröder Deutschland zu einem Sanierungsfall gemacht. Dafür hält der Fraktionschef der SPD ihn aber trotzdem für den besseren Kanzler, weil Schröder mehr gehandelt und weniger ausgelotet habe als Sie, Frau Bundeskanzlerin. Ich kann nur sagen: Herzlich willkommen im Tollhaus der großen Koalition! ({0}) Den Menschen in unserem Land wird erzählt, dass die Erhöhung der Mehrwertsteuer für die bevorstehenden Reformen unabdingbar sei. Kurze Zeit später teilt uns der Vorsitzende der SPD-Fraktion in einem Interview mit, dass man auf die größte Steuererhöhung in der Geschichte unseres Landes auch hätte verzichten können, wenn man bereit gewesen wäre, zu sparen. ({1}) Meine Damen und Herren, dass die große Koalition von Sparen nichts versteht und dass diese Bundesregierung vom Schuldenmachen viel versteht, haben Sie mit der Vorlage des Bundeshaushaltes wahrlich bewiesen, ({2}) so nach dem Motto: Warum sollen wir sparen? Schulden machen ist viel einfacher und Steuererhöhungen sind noch leichter. - Die Politik der Steuererhöhungen ist inzwischen das Markenzeichen dieser großen Koalition. ({3}) Frau Bundeskanzlerin, Sie sind die Kanzlerin der kleinen Schritte, aber bei den Steuererhöhungen geben Sie Vollgas. ({4}) Egal, was CDU/CSU und SPD anpacken, ohne Steuererhöhungen geht nichts: Haushaltskonsolidierung - via Steuererhöhungen; Auflage eines Wachstums- und Beschäftigungsprogramms, was nur Mitnahmeeffekte mit sich bringt - finanziert über Steuererhöhungen; Senkung von Lohnnebenkosten - selbstverständlich über Steuererhöhungen; Reform des Gesundheitswesens - ebenfalls über Steuererhöhungen finanziert. Die große Koalition steht für große Steuererhöhungen in unserem Land und - hier können Sie, Frau Merkel, sogar einen Superlativ vorweisen - die größte Steuererhöhung in der Geschichte der Republik. ({5}) Sie erhöhen Steuern ohne Rücksicht auf die Menschen in unserem Land, ohne Rücksicht auf die Unternehmen und ohne Rücksicht auf die Verfassung. Die Reichensteuer, die Sie heute zum Beschluss vorlegen, ist ebenso verfassungswidrig wie die willkürliche Kürzung der Pendlerpauschale. Es ist ungeheuerlich, wie CDU/ CSU und SPD mit dem Grundgesetz umgehen. ({6}) Für Sie ist der Bruch der Verfassung die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Wir haben heute Morgen in der Geschäftsordnungsdebatte erlebt, mit welcher Arroganz der Macht Sie der Opposition begegnen. Ich kann Ihnen nur zurufen: Das wird Sie noch einholen. ({7}) Mit der Reichensteuer beschränken Sie die Steuerbelastungen ausschließlich auf Erwerbseinkommen. Das ist mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Trotzdem wollen Sie den Gesetzentwurf heute beschließen. Die Kürzung der Pendlerpauschale ist willkürlich von Ihnen festgesetzt worden. Alle Experten haben Ihnen das in der Anhörung des Finanzausschusses unisono bescheinigt. Wie ich mir aber von meinen Kolleginnen und Kollegen im Finanzausschuss habe erklären lassen müssen, sei das ein bisschen weniger verfassungswidrig als eine andere Lösung. „Ein bisschen verfassungswidrig“ gibt es aber ebenso wenig wie „ein bisschen schwanger“. Wo leben wir denn, dass solche Abwägungen getroffen werden? Ich bin eigentlich davon ausgegangen, dass die Erkenntnis „verfassungswidrig ist verfassungswidrig“ bei Ihnen angekommen ist. Dieser hemdsärmelige Umgang mit dem Grundgesetz ist unverantwortlich und im Grunde genommen nichts anderes als ein Beleg für Ihre hilflose Finanzpolitik, Herr Steinbrück. Sie haben kein finanzpolitisches Konzept und picken wie ein blindes Huhn in unserem Steuersystem herum. Das ist keine nachhaltige Finanzpolitik. So kommen wir in Deutschland nicht weiter. ({8}) Man kann ja über den Abbau von Steuervergünstigungen reden, Herr Steinbrück, aber dann muss man die Menschen in Deutschland auch durch Tarifsenkungen entlasten. Sie, meine Damen und Herren von der Union, haben das unisono im Wahlkampf gefordert und bleiben den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland die Entlastungen schuldig. ({9}) Sie reden von Reformen und meinen Steuererhöhungen. Sie reden von Haushaltskonsolidierung und meinen Steuererhöhungen. Sie reden von Wachstum und Beschäftigung, Frau Kanzlerin, und meinen immer nur Steuererhöhungen. Glauben Sie denn im Ernst, die Menschen in Deutschland hätten nicht langsam gemerkt, dass Sie sie hinter die Fichte führen? Ihre Politik ist doch eine Beleidigung für jeden denkenden Menschen in Deutschland. ({10}) Sie wollen nicht sparen, erwarten aber genau das von den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland. Die Menschen in Deutschland müssen Ihre Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners künftig bei jedem Einkauf mit einem Zuschlag in Höhe der 3 Prozentpunkte finanzieren. Sie sollten übrigens bei dem Begriff „Merkel-Steuer“ bleiben. Das erspart der SPD das Umdenken und ist überaus zutreffend. ({11}) Wissen Sie eigentlich, was Sie mit dieser Politik anrichten? Wir haben eine desolate Binnennachfrage. Sie aber entziehen den Menschen unentwegt Kaufkraft in Milliardenhöhe und gefährden Arbeitsplätze in diesem Land. Das ist in hohem Maße unsozial, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der SPD. ({12}) Sie beschließen mit der Mehrwertsteuererhöhung die höchste Steuererhöhung in der Geschichte unseres Landes. Sie legen uns heute einen Gesetzentwurf vor, der zu weiteren Belastungen der Bürgerinnen und Bürger in Milliardenhöhe führt, und planen bei der Gesundheitsreform - ja, was denn wohl? - weitere Steuererhöhungen. Kürzlich habe ich Sie gefragt, Herr Steinbrück, ob Sie ausschließen können, dass es bei der Gesundheitsreform zu weiteren Steuererhöhungen kommt. Die Antwort lautete: Ich werde den Teufel tun. - Wie vom Teufel geritten kommt dann die SPD mit der Forderung nach zusätzlichen Steuerbelastungen in Höhe von 40 Milliarden Euro für die Bürgerinnen und Bürger daher. Das kann in Deutschland nicht so weitergehen. ({13}) Große Steuererhöhungen, kleine Reförmchen, bei den Steuererhöhungen klotzen, beim Sparen kleckern und beim Schuldenmachen kräftig zugreifen: Das ist Ihre Finanzpolitik. Dabei sind die Einnahmen gar nicht das Problem, Herr Steinbrück. Das wissen Sie auch. Wir erzielen Steuereinnahmen in Rekordhöhe. Sie sprudeln geradezu. Die Äußerung Ihres Fraktionsvorsitzenden - er ist gerade nicht anwesend; er entzieht sich offenbar dieser Debatte -, ({14}) die Mehrwertsteuererhöhung sei überflüssig gewesen, kann man anhand der hohen Steuereinnahmen in Deutschland sehr gut begründen. Aber Sie tun nicht das, was nötig ist. Sie erkennen die Realität nicht an. Deswegen kommen Sie mit einer solchen Politik nicht weiter. Unsere Haushaltspolitiker haben es Ihnen vorgemacht. Mit dem liberalen Sparbuch haben sie Ihnen konkrete Einsparvorschläge vorgelegt, die Sie alle abgelehnt haben. Damit haben Sie unter Beweis gestellt, dass Sie nicht zu Einsparungen bereit sind. So leicht kann man es sich machen: dem Bürger in die Tasche greifen und vom Sparen sprechen, aber selbst keinen einzigen Beitrag dazu leisten. ({15}) Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der Union, was Sie im Wahlkampf bekämpft haben, setzen Sie jetzt, da Sie in der Regierungsverantwortung sind, um. Das gilt für die Reichensteuer genauso wie für das Antidiskriminierungsgesetz, das Sie jetzt nicht mehr als rot-grünes, sondern als schwarz-rotes Gesetz mit einem neuen Etikett verabschieden. Man könnte die Aufzählung beliebig fortsetzen. Die versprochenen Entlastungen sind alle ausgeblieben. Nur die Belastungen stehen bei Ihnen schnell im Gesetz. Sie küssen die rote Kröte bis zum Gehtnichtmehr ({16}) und wundern sich, dass am Ende kein edler Prinz vor Ihnen steht. Ich kann Ihnen nur sagen: Alles Lieben und Herzen wird Ihnen nicht weiterhelfen. Aus dieser roten Kröte wird kein Prinz. ({17})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun der Kollege Otto Bernhardt für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Otto Bernhardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003037, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die große Koalition hat die Ziele ihrer Finanzpolitik ganz klar im Koalitionsvertrag formuliert. Wir wollen und müssen gleichzeitig zwei Ziele verfolgen: nachhaltige Sanierung der öffentlichen Finanzen und Stärkung der Beschäftigung. Alle Maßnahmen, die wir bisher in den Bundestag eingebracht haben und die auch heute zur Diskussion stehen, dienen diesen beiden Zielen. Ich will das Problem aufzeigen, weil die Rede meines Vorredners von der FDP den Eindruck erweckt hat, hier gebe es keine Probleme. In diesem Jahr - wir haben den Haushalt verabschiedet - werden wir neue Schulden in Höhe von 38 Milliarden Euro machen. Diesen Schulden stehen Neuinvestitionen in der Größenordnung von 23 Milliarden Euro gegenüber. Es ist unser Ziel, im nächsten Jahr nicht nur einen Haushalt vorzulegen, der den Maastrichtkriterien entspricht - das ist eine nicht ganz so schwierige Aufgabe -, sondern wir sind entschlossen und haben das im Koalitionsvertrag niedergelegt, im nächsten Jahr einen Haushalt vorzulegen, der dem Art. 115 des Grundgesetzes gerecht wird. Das heißt, dass die Neuverschuldung etwa 15 Milliarden Euro weniger betragen muss. Das ist unser Ziel. Die hier wieder zitierte Erhöhung der Mehrwertsteuer macht bezogen auf dieses Ziel 7 Milliarden Euro aus. Sie wissen, dass von den 3 Prozentpunkten der Mehrwertsteuererhöhung 1 Prozentpunkt für den Abbau der Lohnnebenkosten verwendet wird, 1 Prozentpunkt für die Sanierung der Länderfinanzen und 1 Prozentpunkt für die Sanierung der Bundesfinanzen. Das bedeutet, dass wir außer dieser Summe noch Einsparungen in Höhe von 8 Milliarden Euro oder höhere Einnahmen brauchen. Wir konzentrieren uns auf Einsparungen. ({0}) Das Gesetz, um das es heute geht, umfasst neun Maßnahmen. Diese Maßnahmen werden bereits im nächsten Jahr ein Volumen von gut 2 Milliarden Euro ausmachen - davon je etwa die Hälfte für den Bund und für die Länder - und in den folgenden Jahren etwa 4 Milliarden Euro. Wir diskutieren also heute über einen Abbau der Neuverschuldung, Herr Kollege von der FDP, der in dieser Legislaturperiode eine Größenordnung von etwa 10 Milliarden Euro hat. Es spricht für den Mut der großen Koalition, dass wir zum Teil sehr unpopuläre Maßnahmen - ich werde gleich zwei Punkte besonders erwähnen - ergreifen; denn wir meinen es wirklich ernst mit der nachhaltigen Sanierung der öffentlichen Finanzen. Ich stimme dem Minister zu: Zu dieser Politik gibt es keine Alternative. ({1}) Ich will die beiden Punkte herausgreifen, die auch mein Vorredner angesprochen hat. Der eine ist der Zuschlag von 3 Prozent auf das Einkommen so genannter Besserverdienender. Bei Alleinveranlagung greift diese Maßnahme ab einem Einkommen von 250 000 Euro, bei gemeinsamer Veranlagung ab einem Einkommen von 500 000 Euro. Wenn jemand 300 000 Euro verdient und allein veranlagt wird, dann zahlt er für die Differenz zu 250 000 Euro, also 50 000 Euro, eine in der Presse so genannte Reichensteuer in Höhe von 1 500 Euro. Bezogen auf sein gesamtes Einkommen ist das 0,5 Prozent. Das kann natürlich jeder leisten, der ein solches Einkommen hat. Die Frage ist nur - darüber haben wir uns intensiv unterhalten -: Ist das das richtige Signal? Teile der Koalition sagen: Das ist das richtige Signal; denn der Normalbürger muss manches ertragen und unter dem Gesichtspunkt der Solidarität sollten die, die besonders viel verdienen, einen besonderen Beitrag leisten. Das ist die eine Argumentation. Die andere Argumentation lautet: Dies könnte dazu führen, dass noch mehr gut Verdienende in Deutschland gar keine Steuern mehr zahlen. Dann wäre es sicher ein falsches Signal. Ich sage an dieser Stelle sehr deutlich: Große Koalition heißt, dass man aufeinander zugehen und Kompromisse schließen muss. Diese Maßnahme haben wir im Koalitionsvertrag nun einmal vereinbart. Für einige Sozialdemokraten handelt es sich hierbei um Kaviar. Für mich handelt es sich eher um eine Kröte. Ich stelle aber klar: Wir stehen zu diesem Punkt und wir tragen ihn mit. ({2}) Die Änderung der Pendlerpauschale - der zweite Punkt, den ich ansprechen will - hat natürlich erhebliche Auswirkungen auf Millionen von Arbeitnehmern. Damit die Größenordnung klar ist - unser Ziel ist die Haushaltssanierung -: Es geht um 2,5 Milliarden Euro im Jahr. Natürlich haben wir unterschiedliche Modelle diskutiert. Einige haben 15 Cent für jeden Kilometer empfohlen. Andere haben empfohlen, die Arbeitnehmerpauschale anzutasten. Das hätte allerdings indirekte Steuererhöhungen für jeden und höheren Bürokratieaufwand bedeutet. Wir haben uns in der großen Koalition letztlich zu folgender Haltung durchgerungen: Die höchsten Belastungen haben diejenigen zu tragen, die von ihrem Arbeitsplatz besonders weit entfernt wohnen. Deshalb sollen die knappen Mittel den Fernpendlern zugute kommen; sie erhalten weiterhin 30 Cent pro Kilometer. Ich glaube, dies ist eine vernünftige Lösung. Wir haben im Ausschuss über die Verfassungsrechtlichkeit lange diskutiert. Wie Sie wissen, hat die Regierung klar gesagt: Verfassungsrechtlich ist das in Ordnung. Hier wird der Eindruck erweckt, die große Koalition sei sozusagen ein Bündnis für mehr Steuern. ({3}) Diese Aussage ist so nicht richtig. Sie müssen alle Mosaiksteine sehen; Sie dürfen sich nicht einen heraussuchen. Um die Beschäftigung zu stärken, werden wir an zwei ganz wichtigen Punkten umfangreiche Steuersenkungen vornehmen. Die große Koalition wird sicherstellen, dass ab dem 1. Januar kommenden Jahres beim Übergang einer Firma an die nächste Generation unter bestimmten Voraussetzungen überhaupt keine Steuern anfallen. Das ist ein wichtiger Beitrag zur Sicherung von Arbeitsplätzen, insbesondere in der mittelständischen Wirtschaft. ({4}) Wir befinden uns zudem mitten in der Diskussion um eine Neuordnung der Unternehmensbesteuerung. Wir haben hier Diskussionsbedarf. Das kann bei einem solchen Thema nicht überraschen. Aber an einem Punkt sind wir uns - das können Sie allen Äußerungen entnehmen - im Grundsatz einig: Wir müssen die steuerliche Belastung deutscher Firmen deutlich reduzieren, damit wir im internationalen Wettbewerb, insbesondere innerhalb der EU, konkurrieren können. Sie alle wissen, dass wir mit knapp 39 Prozent Gesamtbelastung - Körperschaftsteuer, Solidaritätszuschlag und Gewerbesteuer die Spitzenposition in Europa haben, und zwar nicht, weil wir die Steuern erhöht haben, sondern weil die anderen sie schneller gesenkt haben. Hinzu kommt, dass die EU Länder mit sehr niedrigen Steuersätzen aufgenommen hat. Jetzt diskutieren wir darüber, dass diese Steuerbelastung von bisher circa 39 Prozent in Richtung 29 Prozent gesenkt werden soll. Das, was selbst einige Journalisten als eine Senkung um 10 Prozent bezeichnen, ({5}) ist in Wirklichkeit eine Senkung um rund 25 Prozent. Das heißt, diese Koalition hat die Absicht - die FDP sollte einmal sehr aufmerksam zuhören -, die größte Steuersenkung für Betriebe vorzunehmen, die es nach dem Kriege gegeben hat. ({6}) Hier geht es uns um die Sicherung von Arbeitsplätzen. Vor diesem Hintergrund zeigt auch dieses Gesetz, das wir heute verabschieden werden, dass die große Koalition den Mut hat, unpopuläre Maßnahmen zu ergreifen, dass sie ein ausgewogenes Konzept hat: Steuersenkung dort, wo dringend erforderlich, Abbau von Subventionen, auch wenn unpopulär. Mit diesem Konzept werden wir das erreichen, was wir uns vorgenommen haben, nämlich endlich wieder einen Haushalt vorzulegen, der sowohl den EU-Kriterien als auch dem Grundgesetz entspricht. ({7}) An diesem Problem arbeiten wir. Das ist gut und wichtig. ({8})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, gestatten Sie - Sie hätten noch Zeit eine Zwischenfrage des Kollegen Koppelin?

Otto Bernhardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003037, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Immer.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Kollege Bernhardt, da man bei Ihrer Rede merkte, wie schwer Sie sich bei dem tun, was wir heute diskutieren, folgende Frage: Gibt es nicht Alternativen? Sie kommen aus Schleswig-Holstein und waren Mitglied des Schleswig-Holsteinischen Landtags. Ich will Ihnen ein Zitat vortragen. Es stammt vom früheren schleswigholsteinischen Wirtschaftsminister Peer Steinbrück. Er erklärte damals: Die Steuer- und Abgabenquote ist eindeutig zu hoch. ({0}) Sie ist aus der Perspektive der Arbeitgeber zu hoch … Sie ist zu hoch aus Sicht der Arbeitnehmer … Ich füge hinzu - ganz deutlich! -: Die Staatsquote ist auch zu hoch. Sie ist zu hoch. ({1}) Vor diesem Hintergrund ein konsensorientiertes Ergebnis hinzukriegen, wie man Jahr für Jahr, nicht bruchartig, sondern schrittweise, davon wieder runterkommt, halte ich des Schweißes der Edlen wert. Wäre das nicht der richtige Weg?

Otto Bernhardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003037, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Koppelin, Sie wissen, dass die Staatsquote in Deutschland Gott sei Dank rückläufig ist. Sie kennen die Zahlen des Statistischen Bundesamts. Sie wissen, dass wir durch die Senkung der Lohnnebenkosten oder Lohnzusatzkosten - was immer der bessere Begriff ist - erstmalig die Chance haben, da unter 40 Prozent zu kommen. Das zeigt: Die große Koalition ist auch auf diesem Gebiet auf dem richtigen Weg. Dort werden wir weiterarbeiten. Ich sage noch einmal: Die Sanierung der Staatsfinanzen ist ein grundlegendes Ziel. Es gibt keine gesunde Volkswirtschaft in Europa, die diesem Ziel nicht eine große Bedeutung gegeben hat. Das werden wir tun. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat der Kollege Dr. Gregor Gysi für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sie wollen heute leider wieder ein Steuergesetz beschließen, das mit sozialer Gerechtigkeit und mit wirtschaftlichem Aufschwung nichts zu tun haben wird; ganz im Gegenteil. Ich werde versuchen, das zu begründen. Ich habe mir dazu vier Punkte herausgesucht. Sie wollen die steuerliche Absetzbarkeit der Aufwendungen für Arbeitszimmer stark reduzieren. Sie versprechen sich dadurch Mehreinnahmen von 300 Millionen Euro. Das trifft in erster Linie Lehrerinnen und Lehrer, aber auch andere Berufsgruppen. Das bedeutet für sie natürlich eine Nettolohnkürzung und nichts anderes. Sie haben kein einziges Argument genannt, das die Nettolohnkürzung rechtfertigen würde, zumal die Betroffenen seit Jahren kaum Lohnsteigerungen erlebt haben. Sie haben außerdem vor, beim Kindergeld und Kinderfreibetrag zu sparen, und zwar dergestalt, dass man das nur noch bis zum 25. Lebensjahr und nicht mehr bis zum 27. Lebensjahr erhält. Es ist interessant, das mit einer anderen Zahl zu vergleichen. Das durchschnittliche Alter der Studierenden zu dem Zeitpunkt, zu dem sie ihren Abschluss machen, liegt bei 28 Jahren. Das heißt, drei Jahre lang stellen Sie die Leute ohne Einnahme. ({0}) Was heißt das konkret? Das heißt, dass Sie die Ausbildungszeit nicht verkürzen, sondern verlängern, ({1}) weil die Betroffenen nebenbei arbeiten müssen, um ihr Studium überhaupt noch absolvieren zu können. ({2}) Jetzt sollen noch Studiengebühren der Universitäten dazukommen. Jeder kann sich ausrechnen, wohin das führt. Das wird eine ganz elitäre Geschichte. ({3}) Die Kinder von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern haben kaum noch Chancen, zu studieren. Das ist damit verbunden! Davon versprechen Sie sich Mehreinnahmen von 534 Millionen Euro - schon eine ganze Menge. Dann reduzieren Sie den Sparerfreibetrag. Jemand, der allein stehend ist, hat bisher einen Sparerfreibetrag von 1 370 Euro, Verheiratete haben einen solchen von 2 740 Euro. Das reduzieren Sie auf 750 Euro bzw. 1 500 Euro. Das machen Sie in einer Zeit, in der Sie selbst beschließen, dass man die gesetzliche Rente später erst mit 67 Jahren bekommt, in der Sie selbst sagen, dass die Rente verringert werden wird. In dieser Situation reduzieren Sie den Sparerfreibetrag. In einer Zeit, in der Sie den Leuten jeden Tag erklären, sie müssten privat vorsorgen, greifen Sie gleichzeitig mit der Steuer zu. Sie haben nicht einmal die Fähigkeit zu einer gewissen Logik. Man kann nicht beides miteinander verbinden. ({4}) Nehmen wir es konkret: Bei einer Verzinsung von 5 Prozent bedeutet das, dass jemand schon bei einem Sparguthaben von 16 020 Euro Steuern bezahlen muss; bisher waren es 32 040 Euro. ({5}) - Es kommen auch wieder bessere Zeiten. Sie wollen sie doch schaffen. Also glauben Sie doch wenigstens an eine Verzinsung von 5 Prozent, auch wenn wir im Augenblick davon weit entfernt sind. ({6}) Das heißt, schon bei der Hälfte des bisherigen Betrages, der auch schon ein lächerliches Sparguthaben für eine Altersvorsorge darstellte, müssten Steuern gezahlt werden. Dann kommt der dickste Brocken: die Entfernungspauschale. Da erhoffen Sie sich Mehreinnahmen von 2,5 Milliarden Euro. Das heißt, dieses Geld nehmen Sie den Leuten weg, sonst könnten Sie nicht mit solchen Mehreinnahmen rechnen. ({7}) 15 Millionen Steuerpflichtige machen derzeit die Entfernungspauschale geltend. Die Hälfte davon erhält sie nach Ihrer Neuregelung nicht mehr, weil sie Entfernungen von bis zu 20 km bisher geltend gemacht hat, die dann nicht mehr geltend gemacht werden dürfen. Aber auch die andere Hälfte bekommt deutlich weniger: Jemand, dessen Entfernung zur Arbeitsstätte 50 Kilometer beträgt, erhält nicht mehr einen Ersatz für diese 50 Kilometer, sondern nur noch für 30 Kilometer. Das kostet die Steuerzahler richtig Geld; wir haben das ausgerechnet. Nehmen wir einmal ein Ehepaar mit einem Kind, das heute täglich 20 Kilometer hin und zurück zur Arbeitsstätte fährt: Bei einem Jahreseinkommen von 48 000 Euro hieße das, dass es zusätzlich 516 Euro aufwenden muss, bei einem Jahreseinkommen von 60 000 Euro wären es sogar 565 Euro. ({8}) Das ist die Wahrheit. Das müssen die Leute hergeben bzw. es fällt weg, weil sie es nicht mehr geltend machen können. Auf diese Weise erzielen Sie Ihre Mehreinnahme in Höhe von 2,5 Milliarden Euro. Übrigens betrifft das auch diejenigen, die den öffentlichen Nahverkehr benutzen. Auch diese dürfen Entfernungen bis zu 20 Kilometer nicht mehr geltend machen. So müssen sie auch die Preissteigerungen im öffentlichen Nahverkehr, die es in fast jeder Kommune gibt, künftig alleine tragen. All das wollen Sie hier beschließen. Selbst die Union will sich so entscheiden, obwohl sie doch sonst immer vom flexiblen Arbeitsmarkt redet und sagt, man kann sich nicht mehr aussuchen, in welcher Stadt man arbeitet, sondern muss auch größere Entfernungen in Kauf nehmen. Zugleich sagen Sie aber, bei Entfernungen von bis zu 20 Kilometern erstatten wir nichts mehr. Ich halte das auch für grundgesetzwidrig, und zwar unter anderem deshalb, weil wir das Nettolohnprinzip haben und weil das Bundesverfassungsgericht schon entschieden hat, dass die Aufwendungen, die man hat, um ein Arbeitsentgelt zu erzielen, abzugsfähig sein müssen. Sie sagen aber, sie sollen nicht mehr abzugsfähig sein. Ich denke, dazu werden wir eines Tages eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erleben, die Ihnen möglicherweise nicht gefällt. ({9}) Wenn ich das Ganze zusammennehme, komme ich auf eine Kaufkraftreduzierung um über 4 Milliarden Euro nächstes Jahr. Das müssen die Lehrerinnen und Lehrer, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und die Kleinsparer aufbringen. Das würde auch wirtschaftliche Folgen haben: Das Ergebnis wird sein, dass kleine und mittlere Unternehmen Insolvenz anmelden müssen, weil sie weniger Waren bzw. Dienstleistungen verkaufen. Dann werden wir mehr Arbeitslose haben. Ich sehe schon, wie dann von Ihnen Anträge kommen, auf welche Weise man Arbeitslose stärker drangsalieren und ihnen Mittel kürzen kann. Das wird die Folge sein. ({10}) Zum Schluss gibt es dann noch ein Tröpfchen, die Reichensteuer. Sie haben Recht, Herr Bundesminister Steinbrück, mit symbolischer Handlung hat das nichts zu tun. Das ist weniger als ein Witz. ({11}) Ich muss das wirklich einmal erklären: Unter Helmut Kohl gab es einen Einkommensteuerspitzensatz von 53 Prozent. Union und FDP haben sich tapfer bemüht, diesen zu senken, aber damals standen die SPD und auch andere dagegen; ({12}) deshalb fiel es Ihnen schwer. Bis zu Kohls Abgang wurde ein Steuersatz von 53 Prozent auf Einkommen über 60 000 Euro bei Alleinstehenden bzw. über 120 000 Euro bei Verheirateten erhoben. Dann kam Gerhard Schröder; die Welt änderte sich. Der Spitzensteuersatz bei der Einkommensteuer wurde um 11 Prozent auf 42 Prozent für all diejenigen gesenkt, die mehr als 60 000 Euro bzw. 120 000 Euro verdienten. ({13}) - Okay. - Das haben Sie ja wahnsinnig gefeiert. Was haben die Haushalte dadurch an Geld verloren - diese Zahl ist ja auch einmal interessant -: 7,2 Milliarden Euro weniger Einnahmen aufgrund der Senkung des Spitzensteuersatzes der Einkommensteuer! Jetzt stellen Sie sich hin und verlangen von Lehrerinnen und Lehrern, von Kleinsparern und von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern über 4 Milliarden Euro zurück, weil Sie damals den Besser- und Bestverdienenden reichlich darüber hinaus, nämlich über 7 Milliarden Euro, gegeben haben. Diesen Zusammenhang muss man einmal herstellen. ({14}) Nun sagen Sie zwar, jetzt müssen auch diese irgendwie zur Kasse gebeten werden. Da fällt Ihnen aber nur eine Zusatzsteuer in Höhe von 3 Prozent ein, und zwar für Leute, die als Alleinstehende mehr als 250 000 Euro bzw. als Verheiratete mehr als 500 000 Euro verdienen. Sie dürfen das aber nicht aus Gewinnen erwirtschaften, also nicht als Unternehmerin oder Unternehmer, auch nicht aus der Forst- und Landwirtschaft, auch nicht aus einem Gewerbebetrieb: Es bleiben praktisch nur die Festangestellten übrig. Deshalb ist Ihr Argument, dass sie alle weggehen könnten, ziemlicher Blödsinn. Selbst wenn sie weggingen, würden andere eingestellt. Diese würden das Geld dann verdienen. Das Argument zieht hier also gar nicht. ({15}) Die Zusatzsteuer dieser kleinen Gruppe liegt bei 3 Prozent. Jetzt muss ich einmal erklären, was das heißt. Es geht ja um das steuerpflichtige Einkommen. Das bedeutet, ein Ehepaar muss viel mehr als 500 000 Euro verdienen, damit es auf ein steuerpflichtiges Einkommen von 500 000 Euro kommt - da gibt es ja Freibeträge und alles Mögliche. Wenn dann alles abgezogen ist, dann haben sie zum Beispiel noch 505 000 Euro. Dann sagen Sie im Ernst, Herr Steinbrück: Als wichtiges Signal müssen sie für die letzten 5 000 Euro 3 Prozent mehr Steuern zahlen. Das ist weniger als ein Witz; sie werden darüber lachen. Ich weiß nicht, ob sich überhaupt jemand bereitfindet, deswegen zum Bundesverfassungsgericht zu gehen. ({16}) Hier hat die FDP leider nicht Unrecht; denn es gibt ein verfassungsrechtliches Argument. Es hat einen Zug von Willkür, wenn man sagt: ab 500 000 Euro. Wieso nicht vorher? Wieso verlassen Sie plötzlich die Geradlinigkeit in der Steuergesetzgebung und machen einen Riesensprung, der überhaupt nicht nachvollziehbar ist? Was versprechen Sie sich für eine Mehreinnahme? 250 Millionen Euro. Ich möchte das einer anderen Zahl gegenüberstellen. Sie sagen, die Reichen - zumindest ein ganz kleiner Teil der Reichen - sollen 250 Millionen Euro und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Kleinsparer, Lehrerinnen und Lehrer 4,084 Milliarden Euro zahlen. Das ist Ihre Art von Gerechtigkeit, die Sie organisiert haben, nachdem Sie den Best- und Besserverdienenden, wie ich es vorhin begründet habe, über 7 Milliarden Euro durch die Senkung des Spitzensteuersatzes bei der Einkommensteuer geschenkt haben. ({17}) Wenn man das Ganze dann noch in Verbindung mit der Mehrwertsteuererhöhung in Höhe von 3 Prozentpunkten im nächsten Jahr setzt - sie trifft doch auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und alle anderen - und wenn man dann noch hört, dass Sie jetzt am Wochenende beschließen, dass die Gesundheitsreform aus Steuermitteln bezahlt werden muss, dann bekommt man wieder den Eindruck, dass 250 Millionen Euro an Belastungen für die Reichen kommen und viele, viele Milliarden Euro für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und die anderen. Dadurch machen Sie diese Gesellschaft nicht nur grob sozial ungerechter, sondern das wird auch verheerende wirtschaftliche Folgen haben. Der Kaufrausch, von dem jetzt in den Zeitungen zu lesen ist, wenn man ihn überhaupt so bezeichnen kann - er hat übrigens nichts mit der Fußballweltmeisterschaft zu tun; das ist Blödsinn! -, hat damit zu tun, dass die Leute Angst vor den Steuererhöhungen im nächsten Jahr haben. 3 Prozentpunkte Mehrwertsteuererhöhung ist natürlich eine Menge. Da entscheiden sich viele, lieber jetzt zu kaufen. Im nächsten Jahr wird es dann den Reinfall und wieder eine höhere Arbeitslosenzahl geben. Dann stehen Sie wieder hier und machen Gesetzentwürfe - leider nicht gegen die Arbeitslosigkeit, sondern gegen Arbeitslose. Das Ganze ist nicht hinnehmbar. Es ist auch nicht vertretbar. Ich sage Ihnen noch einmal: Wir haben keine Illusionen und sind nicht einfach nur dagegen. Wir machen Ihnen auch Vorschläge. Wir haben gesagt: Wir brauchen eine gerechte Körperschaftsteuer. Wir haben über eine internationale Börsensteuer geredet. Wir haben darüber geredet, wie eine gerechte Einkommensteuer aussehen kann. Aber zu all diesen Wegen sind Sie nicht bereit. Die Deutsche Bank macht ihre Pressekonferenz und berichtet von wunderbaren, tollen Gewinnen. Danke schön, Gerhard Schröder! Wir entlassen gleich einmal wieder 8 000 Leute. Der nächste Konzern macht seine Pressekonferenz, bedankt sich auch für den größten Gewinn seiner Geschichte und entlässt 10 000 Leute. Allianz macht jetzt eine Pressekonferenz, hatte den größten Gewinn im letzten Jahr und sagt: 7 500 Leute werden wir jetzt entlassen. - Das Versprechen, dass die Steuergeschenke an Konzerne zu mehr Arbeitsplätzen führen, ist widerlegt. Das gilt ebenso für die Geschenke an die Reichen und die Bestverdienenden. ({18}) Sie müssten den Mut haben, auch einmal von den Konzernen, Reichen und Bestverdienenden mehr Steuern zu fordern. Sie wollen das nicht. Ihnen fehlt der Mut. Das ist das Problem der Koalition. Deshalb geht Ihr Herumeiern immer zulasten derselben Gruppen: der Rentnerinnen und Rentner, der Arbeitslosen und der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. ({19})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Zur unmittelbaren Erwiderung auf diese Rede erteile ich das Wort dem Bundesminister Peer Steinbrück.

Peer Steinbrück (Minister:in)

Politiker ID: 11004165

Ich mache es kurz, meine sehr geehrten Damen und Herren. Aber man darf die Demagogie und auch manche Aussage auf Klippschulenniveau so nicht stehen lassen; ({0}) denn sonst könnte sich, auch bei denjenigen, die uns zuhören, der Eindruck verfestigen, wir hätten plötzlich eine verkehrte Welt. Herr Gysi, Sie wären noch beeindruckender, wenn Sie, insbesondere im Zusammenhang mit den Einkommensteuerreformen in der Vergangenheit, berücksichtigen würden, dass nicht nur der Spitzensteuersatz abgesenkt worden ist, sondern vor allen Dingen der Eingangsteuersatz, nämlich von 26 Prozent auf 15 Prozent. ({1}) Die Freibeträge für die Geringst- und Geringverdiener sind deutlich erhöht worden, mit dem Effekt, dass jemand, der verheiratet ist und zwei Kinder hat, unter Anrechnung des Kindergeldes bis zu einem Verdienst von 37 000 Euro in Deutschland keine Steuern zahlt. ({2}) Das heißt, was Sie mit Blick auf die Effekte der Steuerreformschritte der letzten Jahre dargestellt haben, korrespondiert überhaupt nicht mit den Fakten. Es ist reine Demagogie, die Sie da verbreiten. ({3}) Dasselbe gilt, wenn Sie sich populär geben - mein Sohn würde sagen: sich ranwanzen - und zum Beispiel beim Thema Arbeitszimmer auf die Lehrer abheben. Das maßgebliche Steuerkriterium bezieht sich auf den Ort der hauptberuflichen Tätigkeit. Ich habe den Eindruck, der Ort, wo die Lehrer tätig sein sollten, ist nicht ihr häusliches Arbeitszimmer, sondern die Schule. ({4}) Das ist ein Abgrenzungskriterium. Um das ganz deutlich zu machen: Die Steuergelder der Bürgerinnen und Bürger sollen nicht dazu dienen, jedwede Entscheidung bezüglich einer teilweise beruflichen Tätigkeit zu Hause zu subventionieren. Dieses Abgrenzungskriterium ist von uns eingeführt worden. Dasselbe gilt mit Blick auf die Pendlerpauschale. In allen anderen europäischen Steuersystemen ist der Weg vom Wohnort zum Arbeitsort nicht Bestandteil der Arbeitswelt. Warum soll es in Deutschland anders sein? Warum ist es in Deutschland unter den obwaltenden schwierigen haushaltspolitischen Bedingungen nicht möglich, eine Regelung zu finden, nach der wir Fernpendler weiter unterstützen ({5}) - ja, ich komme mit dem Fahrrad, wenn es sein muss -, aber die, die im Nahbereich tätig sind, an den notwendigen Konsolidierungsschritten, die wir unternehmen müssen, teilhaben lassen? Fazit - um die Intervention nicht zu sehr in die Länge zu ziehen -: Ihre Reden zeichnen sich immer dadurch aus, dass Sie sich punktuell etwas herausgreifen, was aber mit der Bandbreite der Wirklichkeit in unserer Gesellschaft und unserer Wirtschaft nichts zu tun hat. Ich finde, das muss gelegentlich korrigiert werden. ({6})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Dr. Gregor Gysi.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Bundesminister, lassen Sie mich als Erstes einen Satz zu den Lehrern sagen. Natürlich unterrichten Lehrerinnen und Lehrer an der Schule; aber die ganze Vorbereitung, die Korrektur von Klassenarbeiten etc. müssen sie zu Hause erledigen, da sie in der Schule alle kein Büro haben. Deshalb ist das häusliche Arbeitszimmer immer anerkannt worden. ({0}) Zweitens. Der Weg von der Wohnung zur Arbeit und von der Arbeit zur Wohnung gehörte in Deutschland, im Unterschied zu anderen Ländern, immer zur Arbeitswelt. Das hat eine jahrzehntelange Tradition und ist vom Bundesverfassungsgericht das letzte Mal 2002 ausdrücklich dahin gehend bestätigt worden, dass der Aufwand, um ein Einkommen erzielen zu können, in Bezug auf die Steuer absetzungsfähig sein muss. Wenn Sie das heute anders regeln, dann kürzen Sie damit nichts anderes als die Nettolöhne, reduzieren die Kaufkraft, schaffen soziale Ungerechtigkeit und schädigen die Wirtschaft. ({1}) Drittens zur Einkommensteuer; das war ja Ihr wichtigster Einwand. Es stimmt, auch die Eingangsteuersätze sind gesenkt worden. Aber die Steuerausfälle sind ganz überwiegend durch die Senkung des Spitzensteuersatzes um 11 Prozentpunkte entstanden. Das hat zu dieser wahnsinnigen Einbuße geführt. Dazu noch ein Hinweis. Wir können das gerechter machen. Ich kenne die Beispiele. Jemand von der CDU/ CSU hat wieder gesagt, dann würden die Leute das Land verlassen. Wie gesagt, bei Festangestellten ist das gar kein Argument, aber bei anderen. Machen wir das doch nach amerikanischem Recht! Wissen Sie, wie das dort geregelt ist? Übertragen auf Deutschland hieße das, dass ein deutscher Staatsangehöriger, wenn er in einem anderen Land lebt und dort Steuern zahlt, seine Steuererklärung und seinen Steuerbescheid ebenfalls in Deutschland einreichen muss. Wenn dann festgestellt wird, dass er in Deutschland mehr Steuern hätte zahlen müssen, muss er die Differenz zahlen. Denn solange er die deutsche Staatsangehörigkeit hat, sind wir für ihn verantwortlich. ({2}) Wenn er irgendwo entführt wird, geben wir Geld aus, um ihn zu retten. Das ist in Ordnung; aber dann müssen deutsche Staatsangehörige auch Pflichten gegenüber Deutschland haben. Dann könnte Schumi in der Schweiz vereinbaren, was er will; er müsste seine Steuererklärung nach Deutschland schicken und im Falle einer Differenz diese bezahlen. Dann hätten Sie gar keine Schwierigkeiten, bei der Einkommensteuer einen gerechten Spitzensteuersatz einzuführen. ({3})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Minister, wollen Sie erwidern?

Peer Steinbrück (Minister:in)

Politiker ID: 11004165

Nein.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Dann erteile ich dem Kollegen Fritz Kuhn von der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen das Wort. ({0})

Fritz Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003577, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Steinbrück, wenn ich mir anschaue, wie Sie agieren, dann kann ich nur sagen, dass die kühle Souveränität, mit der Sie gestartet sind, allmählich einer gewissen Dünnhäutigkeit gewichen ist. Das zeigt sich auch heute daran, wie Sie auf die Einwände im Rahmen der Debatte reagieren. ({0}) Sie und Frau Merkel haben in den Debatten der letzten Wochen versucht, folgendes Bild zu zeichnen: Die Opposition übt sich im Einbringen von unbedeutenden Anträgen - mal hier eine Einsparung, mal dort eine Einsparung -, aber das stimmige, verlässliche und berechenbare Gesamtkonzept kommt von der großen Koalition, wie Sie auch eben wieder sagten. Wenn ich mir die chaotische Diskussion der letzten Tage anschaue und mir vor Augen führe, was jetzt gemacht wird und was noch alles kommt, dann kann ich nur feststellen, dass Sie den nie vorhandenen Überblick jetzt endgültig verloren haben. Ich will Ihnen aufzeigen, an welchen Punkten dies deutlich wird. Man sagt, dass wir zur Haushaltskonsolidierung dringend 24 Milliarden Euro aus der Erhöhung der Mehrwertsteuer brauchen. Sie beschließen diese Erhöhung mit Ihrer Mehrheit im Parlament. Aber dann sagt der Fraktionsvorsitzende der SPD, also eines Koalitionspartners, dass dies eigentlich nicht notwendig gewesen wäre. Mit einer vernünftigen Einsparpolitik hätte man es auch schaffen können. Bingo! Wie muss das bei der Bevölkerung draußen im Lande ankommen? ({1}) Sie sagen außerdem, dass wir eine Unternehmensteuerreform brauchen. Das ist zwar unstrittig. Aber Sie wollen eine Entlastung in Höhe von 8 Milliarden Euro. Das heißt im Klartext: 1 Prozentpunkt der Mehrwertsteuererhöhung geht für die Entlastung der Unternehmen im Zuge der von Ihnen geplanten Reform drauf. Herr Finanzminister, Sie sagen übrigens nie klar, worauf sich die 8 Milliarden Euro beziehen. Ist diese Summe dem Time Lag geschuldet, weil die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage nicht sofort greift, oder meinen Sie tatsächlich, dass es eine Entlastung in Höhe von 8 Milliarden Euro gibt? Darüber haben Sie uns bisher völlig im Unklaren gelassen, weil Sie mit einer Doppelstrategie arbeiten: Diejenigen, die gerne eine Entlastung haben wollen, sollen 8 Milliarden Euro hören und diejenigen, die dies nicht so gerne wollen, sollen hören, dass dies nur vorübergehend sei. So können Sie die Öffentlichkeit nicht täuschen. ({2}) Außerdem wollen Sie die Krankenversicherungsbeiträge und damit die Lohnnebenkosten senken. Sie sprechen davon, dass Sie allein für die Finanzierung der kinderbezogenen Leistungen mindestens 16 Milliarden bis 24 Milliarden Euro aus Steuermitteln brauchen. Sie sagen bislang in der Diskussion aber nicht, welche Steuern um wie viel erhöht werden sollen. Vorläufig haben Sie im Gesundheitswesen ein noch ganz anderes Problem. Denn die 4,2 Milliarden Euro aus der Tabaksteuer werden nicht mehr als Zuschuss für die gesetzliche Krankenversicherung verwendet, sondern in den Haushalt eingestellt. Dadurch werden die Krankenversicherungsbeiträge um 4,2 Milliarden Euro steigen. Was Sie da machen, ist organisiertes Chaos. ({3}) Erst gehen die Beiträge hoch, dann sagen Sie, dass die Beiträge durch Steuererhöhungen wieder sinken sollen. Da können Sie doch nicht davon sprechen, dass Sie einen Plan haben, wie es insgesamt in Deutschland weitergehen soll. ({4}) Zu dem Thema Sanierungsfall, den Frau Merkel ausgerufen hat: Sie haben keine klare Konzeption, wie die Sanierung Deutschlands aussehen soll. Sie reden nur davon, dass Sie ein stimmiges Konzept haben. Aber wenn ich mir die Verteilungswirkungen anschaue, dann kann ich nur sagen: Es sind die kleinen Leute, die im Großen und Ganzen die von Ihnen geplante Sanierung bezahlen müssen. Denn tatsächlich werden durch die Mehrwertsteuererhöhung oder Maßnahmen, die im Steuerveränderungsgesetz 2007, über das wir heute diskutieren, enthalten sind, vor allen Dingen Menschen mit geringen Einkommen getroffen. An dieser Tatsache kommen Sie nicht vorbei. Ihre Politik kann ich nur als Murks bezeichnen. Die Merkel-Regierung ist eine Murksregierung, weil sie keinen Gesamtüberblick hat. Herr Steinbrück, wenn Sie das bestreiten - Sie schreien ja gerade auf, als würde es Ihnen wehtun -, dann sagen Sie einmal, wie die Belastungswirkungen auf welche Einkommensgruppen in Deutschland am Ende, also nach der Gesundheitsreform, aussehen. Haben Sie je eine Belastungsrechnung in diesem Haus vorgelegt? Haben Sie gesagt, diese Einkommensgruppe trifft es so und jene so? Haben Sie ein Gesamtkonzept für die Sanierung der Bundesrepublik Deutschland vorgelegt? Nein, Sie haben es nicht. Sie machen es einmal so und einmal so, einmal rauf mit den Beiträgen und einmal runter mit den Beiträgen. So etwas bezeichne ich als gezielte Desinformation der Öffentlichkeit ({5}) und nicht als berechenbaren, nachvollziehbaren und jederzeit verlässlichen Plan. Sie haben heute in Ihrer Rede wieder einen Selbstbeweihräucherungsakt unternommen. Wir sagen: Das ist Murkspolitik. Die Merkel-Regierung macht organisierten Murks, übrigens auch deshalb, weil sie sich um die wirtschaftlichen Folgen dessen, was sie da macht, nicht kümmert. ({6}) Die Wirkungen der einzelnen Maßnahmen auf die Konjunktur scheinen sie nicht zu interessieren und der Wirtschaftsminister kommt in diesen Debatten gar nicht vor. ({7}) Es gibt in diesem Kabinett keine Stimme, die danach fragt, welche Auswirkungen die Maßnahmen, die Sie in der Haushaltspolitik und in der Finanzpolitik veranstalten, auf die Wirtschaft und die Konjunktur haben. Dabei wissen wir doch, dass wir, wenn wir in Deutschland einen wirklich nachhaltigen Aufschwung wollen, nicht nur den Umfang des Exports, so wie er sich zurzeit darstellt, erhalten müssen, sondern auch die Binnenkonjunktur zu einem stabilen Element des Wirtschaftswachstums in Deutschland machen müssen. Die Maßnahmen, die Sie hier präsentieren, sind das exakte Gegenteil. ({8}) Deswegen betone ich: Mit der Schröpf-die-Bürger-Politik, die Sie hier betreiben, machen Sie eine Antiwachstumspolitik, die spätestens im nächsten Jahr positive Effekte wieder reduzieren wird. Zu drei Punkten, die heute zur Abstimmung stehen, will ich kurz etwas sagen. Der erste Punkt ist die Reichensteuer. Kollege Gysi hat, was den Begriff und die tatsächlichen Verteilungswirkungen angeht, schon das Nötige und - das betone ich - Richtige gesagt. Und so etwas nennt ihr - das sage ich vor allem an die Genossinnen und Genossen von der SPD gerichtet - Reichensteuer! ({9}) - Aber ihr verkauft es so. Herr Poß, wenn Sie in Ihrem Kreisverband in Nöten sind und Ihnen gar nichts mehr einfällt, dann kommt die ominöse Reichensteuer, mit der Sie den Kopf aus der Schlinge ziehen wollen, was Ihnen aber nicht gelingt. ({10}) Sie wissen genau, dass diese Steuer in der vorliegenden Form nicht verfassungskonform ist. Sie argumentieren: Wenn das Ganze ein Jahr lang nicht verfassungskonform ist, dann ist das nicht so schlimm. Dann machen wir es anders. ({11}) - Jetzt beruhigen Sie sich, Herr Poß. Bei Ihnen gibt es ein ganz sicheres Gesetz: Wenn Poß laut wird, dann tut es weh, weil irgendein Unsinn, den er mitbeschlossen hat, von diesem Rednerpult aus aufgedeckt wird. ({12}) So werden wir das auch weiter handhaben. Die Verfassungskonformität interessiert Sie also nicht. Die Verteilungswirkung hat Herr Gysi richtig beschrieben: Das Aufkommen wird am Anfang, wenn Sie Glück haben, maximal 124 Millionen Euro betragen. Aber dies ist doch kein Ausgleich für die soziale Schieflage, die die Einsparpolitik, die Sie betreiben, bewirkt! Ich muss die SPD nach Ihrer Zustimmung zu dieser Bonsai-Reichensteuer wirklich fragen: Können Sie Ihr schlechtes Gewissen, das Sie wegen der Mehrwertsteuererhöhung haben, mit solch einer Nummer einfach beruhigen und fröhlich aus diesem Haus gehen und in die Ferien fahren? Sind Sie mit einer solchen Minimalsteuer so billig zu kaufen? ({13}) Es ist doch absurd. Herr Finanzminister, wenn Sie von der SPD einigermaßen seriös wären, dann würden Sie sagen: Wir führen zuerst eine Unternehmensteuerreform durch, die es möglich macht, über die Frage zu reden, was diejenigen, die mehr verdienen - egal ob sie Angestellte oder Gewerbetreibende sind -, zu zahlen haben. Nach einer Belastungsanalyse beschließen wir dann ein konsistentes System. Ich betone noch einmal: Über Belastungsfragen reden Sie gar nicht. Die versteckt der Finanzminister hinter allgemeinen Sätzen, die lauten: Wir müssen einsparen. Fritz Kuhn Auch wir wissen, dass wir einsparen müssen; deswegen legen wir auch Alternativen vor. Aber wir müssen beim Einsparen darauf Acht geben, dass es gerecht erfolgt und die Konjunktur nicht ganz kaputtgeht, weil wir sonst die Spirale nach unten weiterdrehen und keine Effekte erreichen. Der zweite Punkt ist die Entfernungspauschale. Wir als Grüne teilen die Auffassung, dass man hier Subventionen abbauen muss. Wir haben aber einen anderen Vorschlag gemacht; dieser ist verfassungskonform. Bei Ihrem Vorschlag mahnt der Bundesrat schon an, ob er denn verfassungskonform sei. Wir würden die Entfernungspauschale um die Hälfte kürzen; sie aber für alle Entfernungen gelten lassen. Denn eines muss man sagen: Der Schritt, die Entfernungspauschale bis zum 20. Kilometer zu streichen, ist die reine Willkür. Erklären Sie einmal jemanden, der in einer Entfernung von 19 Kilometer zu seinem Arbeitsplatz gebaut hat, was Sie da veranstalten! Oder betrachten Sie die Zukunftswirkung! Die Wirkung solcher Gesetze wird sein, dass die Leute sagen: Dann ziehe ich gleich weiter weg; denn die Baupreise sind dort sowieso niedriger und ich bekomme dann noch etwas vom Finanzminister. - Das heißt, Sie werden den Prozess der Zersiedelung und des Weit-weg-Wohnens vom Arbeitsplatz mit solchen idiotischen Maßnahmen fördern. ({14}) Ich frage Sie: Wollen Sie das? Dann sagen Sie, dass Sie das wollen. Dann übernehmen Sie aber auch die Verantwortung für die Zersiedelung, die damit einhergeht. ({15}) Zum Sparerfreibetrag ist das Notwendige gesagt worden. Das ist eine sowohl konjunkturpolitisch als auch mit Blick auf die Alterssicherung ganz fragwürdige Maßnahme. Diese Regelung betrifft besonders die Menschen, die zum Zwecke der Alterssicherung eine Wohnung im Wert von 200 000 Euro oder 300 000 Euro kaufen wollen; denn diese müssen dann darauf Steuern zahlen. Ich frage Sie: Wollen Sie das wirklich, und zwar besonders vor dem Hintergrund der sozialen und konjunkturellen Auswirkungen? Ich kann dazu nur sagen: Sie haben nicht genügend hingeschaut und eine sozial und wirtschaftlich falsche Maßnahme beschlossen. Noch einmal: An dieser Stelle braucht dieses Kabinett endlich einen Wirtschaftsminister, der den Finger auf die wirtschaftlichen Fragen legt, und keinen, der sich in den entscheidenden Momenten drückt. ({16}) Sie haben aber schon begriffen, dass Sie dort eine signifikante Schwachstelle haben. Wir von den Grünen haben viele Vorschläge zum Subventionsabbau gemacht. Herr Steinbrück, ich bitte Sie, einfach zu sagen, dass Sie die nicht wollen. Sie sagen immer, es gehe nicht und es gebe keine Alternative zu Ihrer Politik. Es gibt aber Alternativen. Wie schnell im Übrigen die große Koalition Subventionen aufbaut - ich betone: aufbaut und nicht abbaut -, kann man an folgendem Beispiel sehen: Nach der Finanzausschusssitzung am 9. Mai hat es noch einen parlamentarischen Abend gegeben. Im Zuge dessen haben Sie großzügig eine Steuerbegünstigung für Gabelstaplerfahrer an den Güterumschlagplätzen der Seehäfen in Höhe von 25 Millionen Euro beschlossen. Die Dankesschreiben sind schon bei der Koalition eingetroffen. Also von wegen Subventionsabbau: Sie reden davon, bauen jedoch systematisch neue auf, wo es Ihnen gerade recht ist. ({17}) Deswegen, Herr Finanzminister, machen Sie keine berechenbare, verlässliche, auf das große Ziel der Konsolidierung ausgerichtete Politik, sondern Sie veranstalten Steuermurks. ({18})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bevor die Kollegin Gabriele Frechen für die SPDFraktion als Nächste das Wort erhält, möchte ich darauf hinweisen, dass wir nach einer vorhin in der Ältestenratssitzung getroffenen Vereinbarung über den Verfahrensablauf bei den Abstimmungen am Schluss dieses Tagesordnungspunktes eine namentliche Abstimmung haben werden und eine Zweidrittelmehrheit erforderlich sein wird. ({0}) Ich mache jetzt schon darauf aufmerksam, damit die Dispositionen für die Verfügbarkeit im Plenum rechtzeitig getroffen werden können. Nun hat Frau Kollegin Frechen das Wort.

Gabriele Frechen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003529, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Dr. Wissing, Sie haben eben gesagt: Aus einer roten Kröte wird kein Prinz. Ich will gar kein Prinz werden und solange Sie mir nicht versprechen können, dass man auch eine Prinzessin werden kann, bleibe ich doch lieber eine rote Kröte. ({0}) Sie erzählen uns immer, was Sie alles richtig und besser machen, und zwar vor allem im Bereich der Steuern. Ich genieße es immer - auch wenn der Herr Westerwelle das gar nicht gerne hört -, ({1}) Ihnen die Aussagen der Gutachter zu Ihrem Steuermodell vorzutragen. Alle Gutachter, alle Länderfinanzminister, waren sich einig, dass Ihr Modell zu einer erheblichen sozialen Schieflage führt. Wenn Sie hier von „sozial“ sprechen, muss man Ihnen immer wieder vorhalten, dass Sie mit Ihrer Steuerreform eine Verschiebung von unten nach oben vorgesehen haben, und das noch mit Steuereinnahmeverlusten in Höhe von 20 Milliarden Euro. ({2}) Erzählen Sie uns also nicht, wie es geht, und auch nicht, wie es besser gehen sollte. ({3}) Eine zentrale Aufgabe der großen Koalition ist die Konsolidierung der Staatsfinanzen. Wir werden in 2007 die Regelgrenze des Art. 115 des Grundgesetzes und die Maastrichtkriterien einhalten. Dazu bedarf es trotz erheblich gestiegener Steuereinnahmen und trotz der guten Prognosen erheblicher Anstrengungen auf allen staatlichen Ebenen. Wir müssen weiter Subventionen abbauen, Ausgaben kürzen und die Einnahmen verbessern. Das alles geht nicht ohne Einschnitte. Ich bin mir aber ganz sicher, dass die Menschen erkennen, dass Einschnitte zur Haushaltskonsolidierung notwendig sind, und dass sie auch bereit sind, ihren Beitrag dazu zu leisten, wenn sie einsehen, dass die Forderungen nicht nur gerechtfertigt, sondern auch gerecht sind. Wenn Sie aber immer wieder behaupten, Subventions- und Ausgabenabbau wären reine Steuererhöhungen, dann springen Sie zu kurz. Das ist, gelinde gesagt, unredlich. ({4}) Die Menschen bekommen eine Leistung vom Staat. Sie fordern diese Leistung zu Recht ein. Wir müssen uns natürlich fragen - Herr Dr. Wissing, das gilt auch für Sie -, was der Staat heute noch leisten kann, was er in Zukunft leisten muss und was er dann noch leisten kann. ({5}) - Leider Gottes haben wir aber auch Rekordschulden. ({6}) - Sie würden es sich ganz einfach machen: Sie würden die Zuschüsse zur Rentenversicherung um ein paar Milliärdchen kürzen. Dass das für Rentnerinnen und Rentner Konsumverzicht und geringere Lebensqualität bedeuten würde, wäre Ihnen doch völlig schnuppe, diese Leute gehen Sie doch gar nichts an. ({7}) Wir brauchen einen leistungs- und handlungsfähigen Staat. Wir müssen überlegen, wie wir das in dieser Zeit hinbekommen. Ich bekenne mich dazu, dass ich einen aktiven und aktivierenden Staat will, der in den Bereichen Forschung und Bildung, Familie, soziale Leistungen, innere Sicherheit, Infrastruktur und vielen mehr für die Menschen Aufgaben erfüllen kann. ({8}) Doch dafür braucht man nun einmal so etwas Triviales wie Geld. Ich will keinen fetten Staat, aber auch keinen ausgehungerten. ({9}) Das Steueränderungsgesetz ist ein weiterer Schritt auf dem Weg, die im Koalitionsvertrag vereinbarten Konsolidierungsziele zu erreichen. ({10}) Als Nordrheinwestfälin, die fest zum Braun- und Steinkohleabbau steht, muss und werde ich hier heute die Abschaffung der Bergmannsprämie vertreten. Diese Prämie, die vor 50 Jahren als reine Subvention eingeführt wurde, um Männern den Beruf des Bergmanns schmackhaft zu machen, wird mit diesem Gesetz ab 2008 gestrichen. Hiermit gehen wir - das muss ich trotzdem sagen - ein ganz erhebliches Stück über die im Koalitionsvertrag getroffene Vereinbarung hinaus, die nur die Abschaffung der Steuerfreiheit vorsieht. Ich hätte mich in diesem Punkt gerne an den Koalitionsvertrag gehalten. Wir werden die Altersgrenze für den Bezug von Kindergeld in zwei Schritten auf 25 Jahre absenken. Außer in Luxemburg wird nirgendwo in Europa so lange Kindergeld gezahlt wie in Deutschland. In den meisten Ländern wird es nur bis zum 18. Lebensjahr gezahlt. Wer den Bezug von Kindergeld im 26. und 27. Lebensjahr für den Mittelpunkt aller familienpolitischen Aktivitäten hält, der verkennt die Realität vollkommen. ({11}) Wir haben uns Bildungs- und Forschungspolitik auf die Fahne geschrieben. Bildungs- und Forschungspolitik fängt aber nicht auf der Universität und nicht mit dem 25. Lebensjahr an. Wir fördern Familien auf allen staatlichen Ebenen - Elterngeld, Kindertageseinrichtungen, Abzugsfähigkeit von Betreuungskosten, offene Ganztagsschulen und dritthöchstes Kindergeld in Europa für die Dauer von 25 Jahren - mit insgesamt rund 100 Milliarden Euro pro Jahr. Das Kindergeld für 26- und 27-jährige Kinder macht 0,5 Prozent davon aus. In der Anhörung wurden kaum grundsätzliche Bedenken gegen die Absenkung der Bezugsdauer geäußert. Problematisiert wurde vielmehr die Möglichkeit, bis zum 25. Lebensjahr in Deutschland ein Studium zu beenden. ({12}) Umso wichtiger war das Ergebnis der Nachverhandlungen zur Föderalismusreform unseres Fraktionsvorsitzenden Peter Struck. Mit dem neu aufgenommenen Begriff Wissenschaft, der neben Forschung auch Studium und Lehre umfasst, können Vorhaben in diesem Bereich mitfinanziert werden. ({13}) Dadurch können Gelder des Bundes eingesetzt werden, um im Rahmen des Hochschulpakts gemeinsam mit den Ländern dringend benötigte Studienplätze zu schaffen, um Warteschleifen für Studierende zu vermeiden. ({14}) Folgewirkungen aus der Absenkung der Bezugsdauer des Kindergeldes haben wir, wo es uns sinnvoll, notwendig und machbar erschien, ausgeschlossen: Die Absenkung wird nicht auf das Waisengeld oder auf die Waisenrente übertragen. ({15}) Hier bleibt es beim 27. Lebensjahr. Auch bei bestehenden Verträgen zur Altersversorgung wird es keine Veränderung geben. Für Studierende, die einer Beihilferegelung unterliegen, haben wir Übergangsregelungen für die Krankenversicherung geschaffen. Sie haben ihre Entscheidung für die Beihilfe und gegen die gesetzliche Studentenversicherung auf der Grundlage des geltenden Rechts getroffen und genießen deshalb Vertrauensschutz, weil diese Entscheidung nicht rückgängig gemacht werden kann. Ein Wechsel in die studentische Krankenversicherung ist nicht möglich. Die Studierenden, die ihr Studium im nächsten Jahr aufnehmen, treffen ihre Entscheidung auf der Grundlage des neuen Rechts. Die in diesem Gesetz vorgesehene Beschränkung der Entfernungspauschale auf Fahrten von mehr als 20 Kilometer zur Arbeit hat die größten finanziellen Auswirkungen. Wir haben auch andere Varianten beraten - nicht nur hinter verschlossener Tür -, aber letztlich war unter den gegebenen Umständen keine Veränderung in diesem Punkt möglich. Der Sparerfreibetrag ist eine lieb gewonnene Ausnahme vom Prinzip der Besteuerung nach Leistungsfähigkeit. Unter rein steuersystematischen Gesichtspunkten - ich betone das - hätten wir diese Ausnahme streichen müssen. Aus Rücksicht auf Kleinsparer - bei einem Sparguthaben von rund 50 000 Euro bei Ehepaaren - haben wir diesen Betrag nicht gestrichen, aber wir werden ihn auf 750 Euro für Ledige und 1 500 Euro für Verheiratete kürzen. Ich möchte Kollegen Gysi - er ist leider nicht mehr anwesend - einmal bitten, dass er, wenn er das nächste Mal in seinem Ortsverein, Stadtverband oder wie auch immer das bei der PDS genannt wird ({16}) mit den Menschen redet, sie einmal fragt, ob 32 000 Euro oder 50 000 Euro wirklich ein lächerliches Sparguthaben sind. ({17}) Für mich sind 50 000 Euro mit Sicherheit nicht lächerlich. Ich glaube, auch für viele Menschen, von denen Sie behaupten, dass Sie sie hier vertreten, sind 50 000 oder auch 32 000 Euro nicht lächerlich. ({18}) - Ich habe ihn schon richtig verstanden. Ich habe ihm zugehört. Kosten für ein häusliches Arbeitszimmer werden in Zukunft nur noch dann steuerlich absetzbar sein, wenn dieses Arbeitszimmer den Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit darstellt. Moderne Arbeitsformen wie Heimoder Telearbeitsplätze bleiben natürlich von der Veränderung unberührt. Im deutschen Steuerrecht gilt der Grundsatz: Gemischte Kosten, also Kosten, die sowohl privat als auch beruflich veranlasst sein können, werden grundsätzlich der privaten Sphäre zugeordnet. Außerdem schließen wir eine weitere Besteuerungslücke. Wir haben uns in der letzten Legislaturperiode und in Fortsetzung in der großen Koalition auf die Fahne geschrieben, dass wir Lücken schließen, wo immer wir sie antreffen. Diese Lücke betrifft nun die Steuerpflicht von Mitarbeitern des Bordpersonals von inländischen Fluggesellschaften im internationalen Luftverkehr, die ihren Wohnsitz im Ausland haben oder ins Ausland verlegt haben. Nach dem OECD-Musterabkommen und den entsprechenden Doppelbesteuerungsabkommen steht Deutschland hier das Besteuerungsrecht zu. Dieses werden wir auch wahrnehmen. Schließlich - das ist heute schon öfter angeklungen werden wir den Steuersatz von 42 auf 45 Prozent bei Einkommen über 250 000 Euro bzw. 500 000 Euro anheben. Wir rechnen mit Steuereinnahmen in Höhe von 250 Millionen Euro. Wir rechnen in der Folge in den nächsten Jahren mit Steuereinnahmen in Höhe von 1 Milliarde Euro. Da redet Herr Gysi davon, dass das noch nicht einmal ein Witz sei. Er sollte einmal sein Verhältnis zu Geld überdenken. ({19}) Diese Erhöhung um 3 Prozentpunkte ist ein Beitrag zur sozialen Balance und zur Ausgewogenheit. ({20}) - Moment, eine Sekunde Geduld, Herr Kollege.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Also im Augenblick hat hauptsächlich die Kollegin Frechen das Wort und die Fraktionen kommen gleich mit ihren Beiträgen zur Geltung.

Gabriele Frechen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003529, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Zumindest habe ich noch das Mikrofon. Aber es ist nicht der einzige Beitrag des Gesetzes. Alle Kürzungsmaßnahmen treffen selbstverständlich auf alle gleichermaßen zu: auf Arbeitnehmer, die einen Dienstwagen haben, genauso wie auf Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die mit ihrem privaten PKW zur Arbeit fahren, und genauso auf die Unternehmer, die mit ihrem betrieblichen PKW zur Arbeit fahren. Dasselbe gilt für den Sparerfreibetrag und das Arbeitszimmer. Jede Streichung wirkt sich aufgrund der Progression gleich aus: auf die höheren Einkommen mehr, auf die niedrigeren Einkommen weniger. Hier gilt: Starke Schultern tragen mehr.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin Frechen, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ernst?

Gabriele Frechen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003529, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, selbstverständlich. ({0})

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Kollegin, Sie haben gerade angesprochen, dass diese Maßnahmen alle treffen sollen. Vom Herrn Finanzminister haben wir gehört, Lehrer bräuchten kein Arbeitszimmer, weil ihr Arbeitsplatz eigentlich die Schule ist. Der Arbeitsplatz des Abgeordneten ist ja das Parlament. Heißt das - Ihre Maßnahmen sollen ja für alle gelten -, dass auch unsere Büros abgeschafft werden? Denn wenn das so ist, brauchen auch wir sie nicht mehr.

Gabriele Frechen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003529, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, wenn Sie Ihr häusliches Arbeitszimmer für Ihre Abgeordnetentätigkeit absetzen, dann begehen Sie schlicht und ergreifend Steuerhinterziehung. Wir dürfen das nämlich nicht. ({0}) Ich komme zum Schluss. Es muss unser gemeinsames Anliegen sein, den Staatshaushalt in Ordnung zu bringen und die Staatsverschuldung zu verringern. Vieles hätten wir früher haben können. Aber das ist vergossene Milch. Wir brauchen Spielraum für Zukunftsinvestitionen und wir dürfen den folgenden Generationen nicht die Möglichkeit nehmen, ihre Entscheidung auf der Höhe ihrer Zeit zu treffen. Deshalb müssen wir das Notwendige tun. „Das Einzige, was man ohne Geld machen kann, sind Schulden.“ So lautet das Zitat eines unbekannten Verfassers. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, wollen wir unseren Kindern doch wohl nicht antun. Ich danke Ihnen. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Carl-Ludwig Thiele für die FDP-Fraktion. ({0})

Carl Ludwig Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002315, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Mit diesem Gesetz, welches „Steueränderungsgesetz 2007“ heißt, wird die Steuererhöhungspolitik von Schwarz-Rot fortgesetzt. Das ist das, was die Bürger wissen sollen. ({0}) Das ist das, was hier passiert. Genau das soll heute beschlossen werden. Dabei ist man nicht etwa stringent an das Steuerrecht herangegangen, sondern punktuell sind einzelne Regelungen herausgenommen worden. Durch das Streichen bestimmter Regelungen bei Gleichbleiben der Steuersätze kommt es zu einer Mehrbelastung der Bürger. Genau dies soll heute beschlossen werden. ({1}) Die Bundeskanzlerin hat selbst gesagt: „Deutschland ist ein Sanierungsfall.“ Herr Finanzminister Steinbrück, Sie haben zu Beginn Ihres Debattenbeitrags gefragt: Was macht man, wenn man einen Haushalt hat, dessen Ausgaben nur zu 80 Prozent durch Steuereinnahmen gedeckt sind? Das waren Ihre Worte. Dann haben Sie erklärt - das hat mich überrascht; ich halte das nämlich für den falschen Weg -, warum der Staat den einzigen Ausweg darin sieht, sich die Einnahmen selbst zu holen, und zwar zulasten der Bürger, zulasten der Wirtschaft und damit letztlich zulasten der Beschäftigung in unserem Lande. Das verstehe ich nach wie vor nicht. Das ist aus meiner Sicht der Grundfehler Ihrer Politik. Um noch einmal das Beispiel des Haushalts aufzugreifen: Ein privater Haushalt - das war das Bild, das Sie benutzt haben -, der 20 Prozent seiner Ausgaben nicht gedeckt hat, kann sich nicht so verhalten. Man kann nicht zu seinem Arbeitgeber sagen: Erhöhe mir meinen Tarif um 20 Prozent. Man kann nicht zu seinen Kunden sagen: Zahlt mir 20 Prozent mehr. Ein privater Haushalt muss das machen, was wir Freie Demokraten vom Staat verlangen: die Ausgaben und Aufgaben auf den Prüfstand stellen. Das ist der einzige Weg, wie das Gemeinwohl im Interesse der öffentlichen Hand, aber auch im Interesse der Bürger unseres Landes gefördert werden kann. Wir dürfen nicht die Einnahmen des Staates zulasten der Bürger erhöhen, sondern wir müssen die Ausgaben des Staates zugunsten der Bürger reduzieren, damit den Bürgern von dem, was sie selbst erarbeitet haben, das verbleibt, was sie brauchen, um ihre eigenen Ausgaben und ihr eigenes Leben finanzieren zu können. ({2}) Hier unterscheiden wir uns schon im Grundansatz. Im Wahlkampf - die Situation der öffentlichen Haushalte war bekannt - wurde von der Union wie auch vonseiten der FDP ein Steuerrecht gefordert, das niedriger, einfacher und gerechter sein sollte. Aber jetzt wird das Steuerrecht an dieser Stelle komplizierter. Wenn man den Tarif nicht senkt, aber Ausnahmen streicht, wie bei der Pendlerpauschale und beim Sparerfreibetrag geschehen, dann führt das zu massiven Steuererhöhungen für die Bürger. Herr Finanzminister Steinbrück erklärt, er könne nicht sparen, weil das die Konsumfreude der Bürger reduziert. Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Diese Steuererhöhung geht genauso zulasten des Konsums der Bürger; denn das, was den Bürgern vom Staat zusätzlich abgenommen wird, steht den Bürgern für ihren Konsum, für sich selbst, eben nicht mehr zur Verfügung. ({3}) Einige grundsätzliche Anmerkungen. Nicht jeder hat die große Koalition gewollt. Einige bezeichnen sie nach wie vor auch als „Koalition von Union und SPD“; denn eine große Koalition wäre zu einem großen Wurf in der Lage. Was die große Koalition momentan betreibt, ist eine Politik der Desillusionierung. Dabei hatten die Leute nach der Wahl gehofft: Jetzt werden die Probleme unseres Landes angegangen, jetzt werden grundsätzliche Reformen beschlossen. Stattdessen: Stückwerk. Es geht der Koalition ausschließlich um die Erhöhung der Einnahmen des Staates. Die Zustimmung zur großen Koalition sinkt, weil die Bürger sich mehr von ihr versprochen haben. Nun merken sie, diese Versprechungen werden von Ihnen nicht eingelöst. Wir erleben momentan eine Koalition des kleinsten gemeinsamen Nenners, ohne zentrale Linie, ohne Perspektive für die Bürger unseres Landes. Ich sage ganz persönlich, obwohl ich zur Opposition gehöre: Ich wünsche mir sogar, dass die große Koalition Erfolg hat: weil Deutschland Erfolg benötigt. Mit Ihrer Politik der Belastung der Bürger vergeben Sie diese Chance. Mehr Wachstum und mehr Beschäftigung in unserem Land wird es mit diesem Kurs der Koalition nicht geben. So sinkt die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze weiter. Wir brauchen für Deutschland eine Vision. Wir brauchen einen neuen Anlauf. Die große Koalition ist dazu leider nicht geeignet. Herzlichen Dank. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort dem Kollegen Olav Gutting, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Olav Gutting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003544, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich stehe hier wie im letzten halben Jahr zum wiederholten Male, um über einen kleinen Schritt in die richtige Richtung zu sprechen. Zwischenzeitlich summieren sich diese kleinen Schritte zu einer ganz erheblichen Strecke. Mit dem Entwurf des Steueränderungsgesetzes 2007 kommen wir dem Ziel einer Begrenzung der staatlichen Ausgaben und eines ausgeglichenen Haushaltes wieder ein Stückchen näher. Wie immer, wenn ein solcher Katalog vorgelegt wird, kommt es zu Streitigkeiten, vor allem über Einzelmaßnahmen. In der Tat gibt es Einzelmaßnahmen, über die gestritten werden kann. Aber das ändert doch nichts daran, dass der eingeschlagene Weg der richtige ist. ({0}) Seit Jahren treibt die expansiv betriebene Ausgabenpolitik die Neuverschuldung nach oben. Obwohl Finanzexperten immer wieder vor der Gefahr der Schuldenfalle warnen, hat keine der bisherigen Bundesregierungen diese Warnungen wirklich ernst genommen und entsprechend reagiert. ({1}) Alle Fraktionen hier im Deutschen Bundestag waren an dieser Politik beteiligt. Dabei will ich auch frühere Unionsregierungen nicht ausnehmen: Auch wir als Union haben unseren Beitrag zu dieser immensen Staatsverschuldung geleistet. Umso mehr sehe ich mich als Mitglied der Unionsfraktion heute in der Verantwortung, diese Verschuldung zu stoppen. ({2}) - Frau Höll, Sie waren nicht dabei: Sie haben als SED die DDR ruiniert - dafür zahlen wir heute noch. ({3}) Die große Koalition ist seit langem die erste Bundesregierung, die nicht bereit ist, diesen Weg in den Schuldenstaat fortzusetzen. ({4}) Die Erkenntnis, die wir heute haben, dass sich die Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden und vor allem die sozialen Sicherungssysteme in einer äußerst ernsten Lage befinden, ja sogar ein Sanierungsfall sind, ist weder neu noch originell, aber sie ist leider wahr. ({5}) Meines Erachtens hinken wir mit der Informierung der Öffentlichkeit über die Notwendigkeit von Sparmaßnahmen seitens der öffentlichen Hand leider immer noch hinterher.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Darf die Kollegin Höll Ihnen eine Zwischenfrage stellen?

Olav Gutting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003544, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, hier nicht. - Die Politik hat es bisher versäumt, in aller Deutlichkeit über die Notwendigkeit der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte aufzuklären. Dazu gehört auch, dass man sich die astronomischen Schuldenstände dieses Staates vor Augen führt. Der Bund der Steuerzahler hat errechnet, dass der aktuelle Schuldenstand von Bund, Ländern und Gemeinden bei 1,5 Billionen Euro liegt. ({0}) Das heißt, dass auf jeden einzelnen Bürger in Deutschland 18 200 Euro an öffentlichen Schulden entfallen. Besonders plastisch wird die drohende Schuldenfalle, wenn man bedenkt, wie schnell dieser gigantische Schuldenberg wächst, nämlich um 2 113 Euro pro Sekunde. Schon allein während meiner Redezeit hier an diesem Pult wird sich die Staatsverschuldung um weitere 1,2 Millionen Euro erhöhen. ({1}) - Nicht deswegen. Der Bund muss bereits jeden fünften Euro, den er durch Steuern einnimmt, nur für Schuldzinsen ausgeben. Würde man ab sofort keine Schulden mehr aufnehmen und würde die öffentliche Hand gesetzlich verpflichtet, jeden Monat 1 Milliarde Euro an Schulden zurückzuzahlen, also zu tilgen, so würde der Prozess zum Abbau des gesamten Schuldenberges über 110 Jahre dauern. ({2}) - Warten Sie es ab. Die laufenden Ausgaben liegen zum Teil dramatisch über den regelmäßig fließenden Einnahmen. Wir haben das vorhin schon vom Bundesfinanzminister gehört. Allein beim Bundeshaushalt gibt es eine strukturelle Deckungslücke in einer Größenordnung von rund 60 Milliarden Euro. Durch den demografischen Wandel wird der Druck auf die öffentlichen Haushalte unweigerlich noch weiter erhöht. In der Vergangenheit hat jeder Finanzminister, der das schwere Erbe seines Vorgängers angetreten hat, den Vorsatz gehabt, die Verschuldung der öffentlichen Haushalte zurückzufahren. Es gab Finanzminister und Regierungen, die anfänglich Erfolge hatten, zum Beispiel unter der Union Anfang und Mitte der 80er-Jahre. Letztendlich gab es am Ende aber immer wieder die gleichartige bedrohliche Bilanz: Der Schuldenstand des Bundes erhöhte sich. Von einer Rekordverschuldung ging es zur nächsten. ({3}) Steigende Staatsverschuldung heißt zunächst, dass ein immer größer werdender Anteil des Etats für Zinsen aufgebracht werden muss. Dadurch wird die politische Handlungsfähigkeit des Staates natürlich aufgezehrt. ({4}) Deshalb muss in der derzeitigen prekären Haushaltssituation auch das Junktim unserer Fraktion ausgesetzt werden, dass mit der Streichung von steuerlichen Vergünstigungen und mit dem Subventionsabbau immer auch eine Senkung der Steuersätze einhergehen muss. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Liberalen, natürlich wäre es wünschenswert, wenn wir die Mehreinnahmen, die durch die Beseitigung der einzelnen Vergünstigungen hereinkommen, in Form einer allgemeinen Steuersatzsenkung an die Menschen zurückgeben könnten. ({5}) Dies ist aber nicht möglich, weil diese Rückflüsse bereits durch das jahrzehntelange Leben über unsere Verhältnisse aufgezehrt sind. Mehreinnahmen müssen daher zur Eindämmung und, wenn möglich, zur Verringerung der bestehenden Staatsverschuldung eingesetzt werden; ({6}) denn wir wollen ja auch nachfolgenden Generationen einen finanziell handlungsfähigen Staat hinterlassen. ({7}) Wie eng die Handlungsfähigkeit bereits heute ist, sehen wir jetzt bei der Unternehmensteuerreform. ({8}) Wir haben kaum die Möglichkeit, eine vernünftige Unternehmensteuerreform vorzufinanzieren. Schon heute sind wir also eingeengt und es wird immerzu schlimmer werden, wenn wir nichts ändern. Die große Koalition hat sich deshalb in ihrer Koalitionsvereinbarung zu Recht darauf verständigt, die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte zur zentralen Aufgabe für die nächsten Jahre zu machen. ({9}) Dem haben sich alle anderen politischen Wünsche unterzuordnen. Ein kleiner Mosaikstein in diesem gesamten Konzept ist das Steueränderungsgesetz 2007, das im Zusammenspiel mit anderen Maßnahmen zu sehen ist. Der Bundesfinanzminister hat zum Beispiel schon das Gesetz zur Eindämmung missbräuchlicher Steuergestaltungen genannt. Die Änderungsanträge, die die Opposition hier vorbringt, werden den finanzpolitischen Herausforderungen in diesem Lande einfach nicht gerecht. Unsere haushaltspolitischen Probleme lassen sich eben nicht einseitig durch Ausgabenkürzungen lösen. ({10}) Wir dürfen die mittlerweile doch erfreuliche wirtschaftliche Entwicklung nicht aufs Spiel setzen, sondern wir müssen sorgfältig darauf achten, dass wir mit dem Bündel der von uns getroffenen Maßnahmen nicht über das Ziel hinausschießen und dem konjunkturellen Aufschwung letzten Endes nicht entgegenwirken. Dieses Bemühen kommt auch in den getroffenen Einzelmaßnahmen dieses Gesetzentwurfs zum Ausdruck. Nehmen wir zum Beispiel die Kürzung der Pendlerpauschale. Die Umstellung auf das Werktorprinzip bei der Pendlerpauschale ist richtig. Der Weg zur Arbeit ist Privatsache und muss nicht von der Allgemeinheit mitfinanziert werden. ({11}) Wo man wohnt, ist schließlich die private Entscheidung jedes Einzelnen. Ich habe an dieser Stelle bereits gesagt, dass man normalerweise konsequenterweise die Ausnahme für Fernpendler ab dem 21. Kilometer hätte streichen sollen. Die große Koalition hat sich jedoch entschlossen, diese möglichen Härten bei Fernpendlern abzufedern. Damit beweisen wir das Augenmaß, mit dem die Koalitionsparteien die Ausarbeitung der Einzelmaßnahmen vorgenommen haben. Ähnliches gilt für die Absenkung der Altersgrenze für den Kindergeldbezug. Die Kollegin Frechen hat es bereits erklärt. Wir haben uns entschieden, die jungen Erwachsenen, die sich 2006, 2007 in der Ausbildung befinden, von dem Gesetzesvollzug auszunehmen und es bei ihnen bei der alten Regelung zu belassen. Allein an diesen beiden Beispielen kann man erkennen, dass es sich die Koalition, was die Größenordnung der Belastung und damit die Zumutbarkeit der getroffenen Maßnahmen angeht, in der Tat nicht leicht gemacht hat. Wir wissen, dass unsere Haushalts-, Steuer- und Finanzpolitik unseren Bürgerinnen und Bürgern einiges an Zumutungen abverlangt. ({12}) Aber wir müssen die Haushaltssanierung konsequent fortsetzen. Das ist unsere Verantwortung und das, was wir zukünftigen Generationen schlicht schuldig sind. Nur wenn wir eine Gesundung der Staatsfinanzen erreichen, haben wir die Chance auf eine dauerhafte Konjunkturbelebung. Damit verbunden sind der Abbau der Arbeitslosigkeit und das Ziel einer nachhaltigen staatlichen Investitionspolitik gerade in den Bereichen Bildung und Forschung, um damit die Zukunftsfähigkeit unseres Staates und unserer gesamten Gesellschaft zu sichern. ({13})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege, denken Sie bitte an die Redezeit.

Olav Gutting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003544, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Zeigen Sie deshalb Verantwortungsbewusstsein! Seien Sie verantwortungsbewusst und stimmen Sie dem Gesetzentwurf zu! ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zu einer Kurzintervention erhält das Wort die Kollegin Dr. Höll, Fraktion Die Linke.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege, könnte es sein, dass, wenn Sie hier an die Information der Öffentlichkeit appellieren, das ehrlicherweise mit einschließen sollte, auch aufzuzeigen, woher die Staatsverschuldung kommt, unter anderem eben durch die Steuergeschenke, die Sie in den letzten Jahren zu verantworten hatten? Würde sich daraus nicht ableiten, dass das eigene Wissen als Voraussetzung für weitere politische Entscheidungen doch begründet sein sollte? Vor diesem Hintergrund hätte ich Sie gerne gefragt, wie Sie Ihr gestriges Verhalten erklären, was ja auch zu der Verzögerung heute Morgen geführt hat. Wir haben im Ausschuss mit Mehrheit beschlossen, dass die Informationspflichten in der Bundesrepublik verstärkt werden müssen, weil, wie Sie selber sagen, Informationen eine wichtige Grundlage sind, um die Unternehmensteuerreform und die Erhebung der Erbschaftsteuer neu gestalten zu können. Herr Minister Steinbrück hat ja vorhin ausgeführt, dass diese Regelung ansteht. Jetzt haben Sie in einer Nacht-und-Nebel-Aktion gesagt, dass Sie diese Informationen nicht mehr brauchen. Ist das für die Öffentlichkeit so zu verstehen, dass Sie sehenden Auges eine Politik betreiben, für die Ihnen die Datengrundlage fehlt, von der Sie nicht wissen, wie die Auswirkungen sein werden, und bei der Sie trotzdem den Unternehmen heute schon eine weitere Entlastung in Höhe von 8 Milliarden Euro in Aussicht stellen? ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zur Erwiderung hat der Kollege Gutting das Wort.

Olav Gutting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003544, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Werte Kollegin, zunächst der Hinweis, dass ich Mitglied der Unionsfraktion bin. Wir waren in den letzten Jahren nicht an der Regierung beteiligt. Zum Vorgehen hat bereits heute Morgen unser parlamentarischer Geschäftsführer alles gesagt. Was die Datenerhebung anbelangt, ist in dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht geregelt, dass wir keine Daten erheben; es wurden lediglich Änderungen vorgenommen. Die Daten werden selbstverständlich erhoben und wir benötigen sie auch für die Vorbereitung der entsprechenden Gesetzentwürfe und Reformen. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun der Kollege Florian Pronold für die SPD-Fraktion.

Florian Pronold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003612, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für die steuerpolitische Debatte gilt: Sachkenntnis schadet dem Populismus. ({0}) Wenn ich berücksichtige, wie zum Beispiel von Herrn Gysi die Regelung zur steuerlichen Absetzbarkeit eines Arbeitszimmers dargestellt wird, dann muss ich wie meine Vorrednerin darauf hinweisen, dass es sich dabei nicht um eine Regelung nur für Lehrerinnen und Lehrer handelt, sondern für alle. Es geht darum, dass dabei gemischte Aufwendungen entstehen. Das bedeutet, dass das Arbeitszimmer sowohl privat als auch beruflich genutzt wird. Das gilt nicht nur für Lehrerinnen und Lehrer, sondern auch für Selbstständige, Rechtsanwälte und andere. Wer kein anderes Arbeitszimmer hat, kann sein häusliches Arbeitszimmer steuerlich absetzen. Die gemischten Aufwendungen sind mit einem großen Kontroll- und Bürokratieaufwand und vielen Steuergestaltungsmöglichkeiten verbunden. In diesem Punkt treffen wir nun eine klarere Regelung. Wenn Sie einwenden, dass die Lehrer dann kein Arbeitszimmer mehr zur Verfügung haben, dann muss ich darauf hinweisen, dass es nicht die Aufgabe des Bundes ist, entsprechende Steuervergünstigungen zu bieten; vielmehr müssen die Länder, die die Lehrer beschäftigen, entweder einen Zuschuss zum häuslichen Arbeitszimmer gewähren oder in den Schulen Räumlichkeiten zur Verfügung stellen. Es ist aber nicht die Aufgabe der Allgemeinheit, aus Steuermitteln eine entsprechende Regelung zu finanzieren. ({1}) - Sofort. Ich führe noch einen Gedanken aus. Was die Senkung der Steuersätze für die unteren und mittleren Einkommensgruppen in den letzten Stufen der Steuerreform angeht, sollten Sie ehrlicherweise feststellen, dass wir in den letzten Jahren für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer höhere Reallohnzuwächse durch Steuerentlastungen als durch tarifliche Lohnerhöhungen erzielt haben. Das kann man doch nicht einfach leugnen. Man muss auch die Fakten zur Kenntnis nehmen. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schneider?

Florian Pronold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003612, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr gerne.

Volker Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003843, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege, würden Sie mir erstens zustimmen, dass Lehrer in ihren Arbeitszimmern zu Hause zu einem erheblichen Teil Arbeiten erledigen, die für den Schulunterricht dringend geboten sind, wie Unterrichtsvorbereitung und die Korrektur von Klassenarbeiten? Zweitens. Würden Sie mir des Weiteren zustimmen, dass es normalerweise Sache des Arbeitgebers ist, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass einem Arbeitnehmer die Arbeitsbedingungen zur Verfügung stehen, die er zur Erledigung seiner Arbeit und zur Erfüllung - ({0}) - Lassen Sie mich doch zu Ende reden! Ich weiß, warum Sie so herumpöbeln. Es ist mir klar, welch schlechtes Gewissen Sie in diesem Punkt haben. Würden Sie mir des Weiteren zustimmen, dass es Sache des Arbeitgebers ist, die Voraussetzungen zu schaffen, dass ein Arbeitnehmer seinen Arbeitsvertrag erfüllen kann? Drittens. Sind Sie vor diesem Hintergrund nicht der Auffassung, dass es fast schon eine Unverschämtheit ist, zu behaupten, es würden private Arbeitszimmer subventioniert? Sorgen durch diese Regelung nicht eher umgekehrt Lehrer dafür, dass staatliche Mittel nicht in den Bau von Lehrerbüros in den Schulen fließen müssen?

Florian Pronold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003612, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich weiß nicht, welche Schulgebäude Sie kennen. Diejenigen, die ich kenne, bieten nachmittags meistens relativ viel Platz. Ich glaube nicht, dass man zusätzliche Büroräume anbauen müsste, damit Lehrerinnen und Lehrer dort arbeiten können. Wenn Sie mir zugehört hätten, dann wüssten Sie, dass ich genau das gesagt habe: Der Arbeitgeber ist dafür verantwortlich - das bezieht sich auf Ihre zweite Frage -, die entsprechenden Arbeitsbedingungen bereitzustellen. Wenn dies nicht der Fall ist - wie einige vorbringen -, dann muss man darüber reden, inwiefern der Arbeitgeber Abhilfe schaffen kann, aber doch nicht der Steuerzahler. Es geht auch nicht um die Lehrerinnen und Lehrer; es geht vielmehr um die Frage, ob für ein Arbeitszimmer eine gemischte Nutzung besteht. Dazu müsste vonseiten der Finanzverwaltung kontrolliert werden, ob in einem Arbeitszimmer zum Beispiel ein Bett steht ({0}) bzw. ob es als Gästezimmer genutzt wird. Es geht darum, eine klare Abgrenzung zu schaffen. Wie ich sehe, haben Sie sich bereits gesetzt. Ich habe Ihre Fragen jetzt beantwortet. Sie waren ein bisschen voreilig - nicht nur bei der Fragestellung, sondern auch beim Hinsetzen. ({1}) Ich bin Herrn Gutting für seinen Redebeitrag dankbar, weil er deutlich gemacht hat, dass die Union die PendFlorian Pronold lerpauschale eigentlich komplett streichen wollte. Auch Herr Bernhardt hat schon dargestellt, dass es unterschiedliche Ansichten in der Koalition gibt. Wir als SPD sind auch im Wahlkampf dafür eingetreten, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihre Belastungen weiterhin absetzen können. Es ist schön, dass Sie uns zugestehen, dass wir wenigstens dies für die Fernpendler erkämpft haben. Ich bin aber schon überrascht - das gehört zur Wahrhaftigkeit -, dass Herr Kalb vor wenigen Tagen in der Zeitung erklärt hat, es seien Änderungen möglich. Er ist Haushaltsexperte der CSU und, so glaube ich, auch für Erbschaftsangelegenheiten zuständig. Herr Hofbauer von der CSU hat gestern im Verkehrsausschuss Tränen geweint, weil bei der Pendlerpauschale keine Änderungen mehr möglich seien. Die Wahrheit ist, dass die CSUStaatsregierung von Bayern im Bundesrat Bedenken wegen einer möglichen Verfassungswidrigkeit geäußert hat. Wenn die Staatsregierung hustet, dann wird doch die Landesgruppe im Bundestag schwer krank. Sie macht, was die Staatsregierung will. Warum diesmal nicht? Wir von der SPD haben ein Modell angeboten, das gerechter wäre, das verfassungsfester wäre - ich erinnere an all die Bedenken, die in der Anhörung vorgebracht wurden - und das trotzdem die Einsparungen in Höhe von 2,5 Milliarden Euro erbracht hätte. Sie haben Ihre Zustimmung verweigert. ({2}) Auch das gehört zur Ehrlichkeit. Es geht nicht an, dass wir immer die Kohlen aus dem Feuer holen und Sie sich hinstellen und behaupten, Sie hätten mit den unangenehmen Dingen nichts zu tun.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Pronold, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kalb?

Florian Pronold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003612, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Selbstverständlich.

Bartholomäus Kalb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Pronold, weil Sie gerade auf mich abgezielt haben: Darf ich Sie fragen, ob Sie bereit sind, zur Kenntnis zu nehmen, dass mich das Verhalten der Ministerpräsidenten, insbesondere Ihres Parteivorsitzenden Beck, im Bundesrat zur Frage der Regionalisierungsmittel und das Entgegenkommen des Bundesfinanzministers gegenüber den Ländern, das ich persönlich für eine gravierende Abweichung vom Koalitionsvertrag halte, zu meiner Reaktion veranlasst haben? Ich bin der Meinung, dass den Pendlern in den ländlichen Gebieten in gleicher Weise hätte entgegengekommen werden müssen.

Florian Pronold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003612, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bin bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass Sie, Herr Kalb, versucht haben, das in diesem Kontext zu sagen. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass wir einen Vorschlag eingebracht haben, der keine weiteren Verluste für den Bundeshaushalt bedeutet, sondern Einnahmen von 2,5 Milliarden Euro gebracht hätte und trotzdem besser und gerechter für die Pendlerinnen und Pendler wäre, und dass Sie es waren, die diesen Vorschlag nicht umsetzen wollten? ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, unter Berücksichtigung der von uns selbst vereinbarten Debattenzeit möchte ich vorschlagen, dass der Kollege Pronold seine Rede zu Ende führt. Danach haben wir einen weiteren Redner und dann kommen wir zu den Abstimmungen. ({0})

Florian Pronold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003612, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wir machen uns mit diesem Gesetz handlungsfähiger. Es ist eine schwierige Aufgabe, die wir zu bewältigen haben. Aber den Populismus der FDP, der darin besteht, dass sie einerseits die Steuern senken will, andererseits aber mehr Geld ausgeben und mehr investieren will, gleichzeitig aber nie sagt, wie das gehen soll, können wir uns nicht zu Eigen machen. Wir haben die Verantwortung dafür, dass wir den Haushalt konsolidieren und investieren. Mit diesem Gesetz gehen wir diesen Weg. Es mag schön sein, für diesen Populismus Beifall zu kriegen, aber die Lösung der wirklichen Probleme wird man mit Sonntagsreden nicht erreichen. Vielmehr bedarf es konkreten Handelns. Das tun wir mit diesem Gesetz. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Letzter Redner ist der Kollege Hans Michelbach für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Zum Abschluss der Debatte über das Steueränderungsgesetz stelle ich für die CDU/ CSU fest: Die große Koalition kommt heute einen weiteren Schritt auf dem Weg zur Sanierung unseres Landes voran. Die große Koalition ist damit eine Koalition der neuen Chancen für mehr Wachstum und Beschäftigung. ({0}) Natürlich ist der Abbau von Steuersubventionen immer ein unpopulärer und für die Betroffenen schwerwiegender Schritt. Für solch einen Schritt braucht man Mut und keinen Populismus. Ich muss schon sagen, Herr Pronold: Ihre Flucht aus der Verantwortung kann ich nicht akzeptieren. ({1}) Ohne Schärfe in diese Debatte bringen zu wollen: Es ist die Vorlage Ihres eigenen Bundesfinanzministers; die CDU/CSU hat sich bei der Pendlerpauschale in keiner Weise verweigert. Ich kann Ihnen sagen: Sie stehen heute nach den Berichterstattungen, nach den Briefen, die Sie in Bayern geschrieben haben, nackt da. Sie müssen einmal anerkennen, dass es so ist. ({2}) Wir verfolgen - ich hoffe, gemeinsam - ein zielführendes Konzept für mehr Wachstum und Beschäftigung. Unter dem Motto „Sanieren, investieren, reformieren“ verfolgt diese große Koalition ein finanz- und steuerpolitisches Gesamtkonzept, das darauf abzielt, den europäischen Stabilitätspakt und die Verschuldungsgrenze nach Art. 115 des Grundgesetzes im nächsten Jahr einzuhalten und die Weichen für eine dauerhafte, tragfähige Finanzpolitik zu stellen. ({3}) Sparen, reformieren und investieren, das ist das Gebot. Der Kurs dieser großen Koalition ist auf eine Verbesserung der Konjunktur, auf mehr Wachstum und mehr Beschäftigung ausgerichtet. Das ist der richtige Kurs. Wir werden ihn einhalten. Ich hoffe, dass wir ihn auch in der Zukunft gemeinsam verfolgen. ({4}) Es ist so: Wegen eines falschen Politikansatzes wurde in der Vergangenheit zu oft verkündet, die Ausgaben des Staates seien nicht durch seine Einnahmen, sondern durch die wachsenden Aufgaben zu bestimmen. Diese Denke war verhängnisvoll. Seitdem man ihr folgt, ist unser Staat überfordert, leben wir zulasten der Zukunft und ist die Leistungskultur in Deutschland auf der schiefen Ebene. Das müssen wir so sehen. Mittlerweile leben 7 Millionen Menschen von Hartz IV. Gleichzeitig ist die Zahl der Beschäftigten auf unter 26 Millionen gesunken. Diejenigen, die von ihrer Arbeit leben, sind bereits in der Minderheit. So hat unsere Gesellschaft keine Zukunft. Unsere Reformen sind notwendig. Wir beschließen sie heute als Teilkonzept. ({5}) Wir müssen natürlich deutlich machen: In dem Jahr, in dem diese Regierung ins Amt kam und die große Koalition ihre Arbeit aufnahm, lag das strukturelle Defizit zwischen den laufenden Einnahmen und den Ausgaben bei rund 60 Milliarden Euro. Mit anderen Worten: Jeder fünfte Euro, den der Bund ausgibt, ist nicht von entsprechenden Einnahmen gedeckt. Man muss selbstverständlich deutlich machen: Das kann so nicht weitergehen. Das Defizit muss in den nächsten Jahren entschlossen zurückgeführt werden, um künftigen Generationen keine größeren Lasten aufzubürden. Die Bundesregierung spart bis zum Jahr 2007 einschließlich 35 Milliarden Euro. Wer sagt, es würden nur Erhöhungen vorgenommen, erzählt Märchen. Im Haushalt werden ebenfalls wesentliche Ausgabenkürzungen vorgenommen. Das tun wir auch heute. Dieses Vorgehen dient langfristig den Menschen in unserem Land; denn ein klarer Sparkurs ist das Beste. Wir weisen jeden Vorwurf, wir reduzierten Ausgaben nicht, von uns. ({6}) Die Menschen sehen, dass wir im nächsten Jahr den europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt einhalten wollen. Diesen Pakt hat im Übrigen die Union mit Theo Waigel hart erkämpft. Ich glaube, es ist der Erfolg einer neuen und zuverlässigen Politik, dass man klare Ziele formuliert und alle denkbaren Wege beschreitet, um diese Ziele zu erreichen. Es ist auch eine Tatsache, dass dadurch die Stimmung in Deutschland besser geworden ist. Dabei sagen wir natürlich ehrlich: Nur mit Anstrengung und Leistung schaffen wir neue Chancen für die Menschen. Zur Ehrlichkeit in diesem Bereich gehört, zu erklären: Dieser Weg wird allen Opfer abverlangen. Der Rückgriff auf die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage und die Steuererhöhung sind dabei unausweichlich. Entscheidend ist, dass wir mit einem Drittel der zusätzlichen Einnahmen sofort die Senkung der Lohnnebenkosten finanzieren. Auch das ist die Wahrheit: dass wir Arbeit verbilligen und dass sich Arbeit wieder mehr lohnt. Deswegen haben wir hier den richtigen Ansatz. Sozusagen eine Umfinanzierung zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit bei den Arbeitskosten schafft mehr Beschäftigung in Deutschland. ({7}) Solide Staatsfinanzen sind eine wesentliche Voraussetzung für die Steigerung von Wachstum und Beschäftigung. Umgekehrt können ohne erhöhtes Wirtschaftswachstum der Abbau der Arbeitslosigkeit, die Stabilisierung der sozialen Sicherungssysteme und die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte natürlich nicht gelingen. Die große Koalition verbindet die notwendige Haushaltssanierung deshalb mit kurzfristig wirkenden Wachstumsimpulsen in Höhe von 25 Milliarden Euro für den Zeitraum bis 2009: deutlich steigende Investitionen in Forschung und Entwicklung, gezielte Verbesserungen für den Mittelstand, Ausweitung der Verkehrsinvestitionen, Verbesserung der Familienleistungen. Das ist der Ansatz: sparen, reformieren, investieren. Ein Gesamtkonzept, das die Menschen voranbringt und ihnen dient, ist die Grundlage. Demagogie, wie sie bei dieser Debatte heute von Herrn Gysi, von Herrn Kuhn und anderen an den Tag gelegt worden ist, hilft uns nicht weiter. Das mit der Gerechtigkeit in Deutschland ist nämlich ganz anders, als sie verkünden. Die 10 Prozent, die die höchsten Steuern zahlen, erbringen in unserem Land über 50 Prozent des Steueraufkommens. Für die gewerblichen Gewinne wurde die Bemessungsgrundlage in den letzten Jahren immer wieder erhöht, nicht gesenkt. Dagegen wurden die unteren Einkommen über den niedrigen Eingangssteuersatz, wie auch Herr Steinbrück verdeutlicht hat, erheblich begünstigt. So tragen heute die unteren 50 Prozent der Steuerzahler unter 10 Prozent der Steuerbelastung. Das ist die Wahrheit über die Steuergerechtigkeit in Deutschland. Der Neidfaktor, den Sie immer wieder in die Debatte einführen, schadet unserem Land, weil er die Menschen in die falsche Richtung führt. Das ist die Situation. ({8}) Zur Neiddemagogie von Herrn Gysi, weiteren Linken und anderen, die hier dazu gesprochen haben, kann ich nur ein altes Sprichwort anführen: Neid ist genauso alt wie Unfähigkeit. Wir müssen in Deutschland wieder die Fähigkeit gewinnen, Wachstum und Beschäftigung zu erreichen, damit wir aus der Talsohle herauskommen und wieder mehr Steuereinnahmen generieren - aus der Gerechtigkeit heraus, dass alle ihren Beitrag für dieses Land leisten sollen. Deshalb müssen wir mit dem Gesamtkonzept, das heute mit einer Teillösung umgesetzt wird, den Weg der Reformen weitergehen. Wenn wir das tun, dann werden wir vorankommen und die Ernte einfahren, die darin besteht, dass es den Menschen in Deutschland wieder besser geht. Herzlichen Dank. ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nun erhält die Kollegin Scheel das Wort zu einer Kurzintervention und danach, so hoffe ich, können wir abstimmen. ({0}) - Ich schlage im Übrigen vor, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass Sie dafür Platz nehmen - die Prozedur wird ein bisschen Zeit in Anspruch nehmen -; das macht die Veranstaltung dann wenigstens eine Idee gemütlicher. Bitte schön, Frau Kollegin Scheel.

Christine Scheel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002771, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke schön, Herr Präsident, für den Hinweis auf die Gemütlichkeit. Ich habe von Herrn Pronold die Begründung für die Änderung bei der Entfernungspauschale gehört. Die Öffentlichkeit sollte wissen, finde ich, dass die SPDFinanzexperten, namentlich auch Florian Pronold, in verschiedenen Medien gesagt haben, dieser Vorschlag sei verfassungswidrig. Mein Vorredner Hans Michelbach hat darauf hingewiesen, dass sich Florian Pronold nicht aus der Verantwortung stehlen könne. Ich kann die Abwesenheit von Herrn Pronold bei der Abstimmung im federführenden Finanzausschuss über diese Frage nur so beurteilen, dass er deswegen der Abstimmung fern geblieben ist, weil ihm klar war, dass das ein verfassungswidriger Vorgang ist. Ich sehe aber, dass auch aus der Union in dieser Frage ähnliche Äußerungen getätigt wurden, es also auch von dieser Seite zum Thema Ausgestaltung der Entfernungspauschale Kritik an der Regierungsvorlage gegeben hat. Damit haben sowohl Abgeordnete der SPD als auch der Union mit ihrer großen Mehrheit etwas beschlossen, was sie in ihren jeweiligen Wahlkreisen völlig anders darstellen. Deswegen meine ich schon, dass die Öffentlichkeit insgesamt wissen sollte, dass einzelne Kolleginnen und Kollegen, vor allen Dingen aus dem Finanzbereich, in den jeweiligen Ländern, an Stammtischen oder bei Veranstaltungen, wie sie die CSU und andere durchführen, eine ziemlich große Klappe riskieren, aber jedes Mal dann, wenn es darum geht, sich dementsprechend zu entscheiden, einknicken und hier sogar etwas tun, von dem sie wissen, dass es nicht verfassungskonform ist. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen nun zu den Abstimmungen. Ich bitte einen Augenblick um Aufmerksamkeit, weil wir, wie jedermann heute Morgen ja feststellen konnte, eine etwas kompliziertere Verhandlungslage haben als gewöhnlich. ({0}) Wir haben uns vorhin im Ältestenrat unbeschadet der natürlich unterschiedlichen politischen Bewertung der Gesetzentwürfe und auch der damit verbundenen Ver- fahrensabläufe auf einen Ablauf verständigt, den ich nun - verbunden mit dem ausdrücklichen Dank an alle Betei- ligten, sich trotz der unterschiedlichen politischen Be- wertungen darauf geeinigt zu haben - erläutern möchte. Wir werden zunächst in zweiter Lesung über die Be- schlussempfehlung des Finanzausschusses zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Steu- eränderungsgesetzes 2007 abstimmen. Im Übrigen lie- gen hierzu - darauf will ich bei der Gelegenheit schon hinweisen - eine ganze Reihe von persönlichen Erklä- rungen zur Abstimmung vor, die wir dem Protokoll in der üblichen Weise beifügen.1) ({1}) Wir werden dann nach der vorhin im Ältestenrat ge- troffenen interfraktionellen Vereinbarung über den so- fortigen Eintritt in die dritte Beratung mit dem Erforder- nis einer Zweidrittelmehrheit abstimmen und dazu eine namentliche Abstimmung durchführen. Das hängt - um das nur in wenigen Sätzen zu erläutern - damit zusam- men, dass wir eine bestimmte, seit Jahren praktizierte Handhabung über Fristverzicht haben, für die es aber 1) Anlagen 2 bis 7 Präsident Dr. Norbert Lammert eine präzise Festlegung in der Geschäftsordnung nicht gibt. So haben wir uns vorhin wiederum einvernehmlich darauf verständigt, den Geschäftsordnungsausschuss um eine Klärung dieses Sachverhaltes zu bitten und eine mögliche Regelung für die Geschäftsordnung zu erarbeiten, wie in solchen Fällen künftig verfahren werden soll. Wir haben uns vorhin darauf verständigt, dass wir heute so verfahren, wie unsere Geschäftsordnung es für den Fall vorsieht, dass es in zweiter Lesung Änderungen gibt. Über diese kann nämlich nur dann sofort in dritter Lesung abgestimmt werden, wenn der Bundestag dies mit Zweidrittelmehrheit der anwesenden Mitglieder des Bundestages beschließt. Wir können deswegen alle möglichen Zweifelsfragen dadurch ausräumen, dass eine solche Verfahrensentscheidung mit einer Mehrheit von zwei Dritteln getroffen wird. Danach findet die einfache Abstimmung in dritter Lesung statt. Darauf folgen eine Reihe von Abstimmungen zu Entschließungsanträgen. Ich bitte Sie darum, sozusagen die ganze Schönheit dieses Verfahrens in vollen Zügen mitzuverfolgen, nachdem nun hoffentlich jeder weiß, dass und warum so verfahren wird, wie gerade erläutert. Ich rufe zunächst die Beschlussempfehlung des Finanzausschusses auf, Drucksache 16/2012. Er empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung, die genannten Gesetzentwürfe zusammenzuführen und in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. ({2}) - Wenn das so ist, dann machen wir das nicht per Zuruf, sondern nehmen ausdrücklich zu Protokoll, dass es einzelne Gegenstimmen auch aus den Reihen der SPDFraktion gegeben hat. ({3}) - Das ist doch kein Grund zur Aufregung. Niemand bezweifelt die Mehrheitsentscheidung, die ich gerade festgestellt habe. Nun entscheiden wir über den sofortigen Eintritt in die dritte Beratung unter der vorhin erläuterten Voraussetzung, dass zwei Drittel der anwesenden Mitglieder des Bundestages das beschließen. Dazu ist interfraktionell eine namentliche Abstimmung vereinbart. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen, damit wir diese namentliche Abstimmung durchführen können. - Sind alle Plätze besetzt? - Das scheint der Fall zu sein. Dann eröffne ich die Abstimmung. Ist noch jemand im Saal, der seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, das Ergebnis auszuzählen. Bis zur Bekanntgabe des Ergebnisses - danach finden die weiteren Abstimmungen statt - unterbreche ich die Sitzung. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den sofortigen Eintritt in die dritte Beratung bekannt: Abgegebene Stimmen 585. Mit Ja haben gestimmt 425, mit Nein haben gestimmt 159, Enthaltungen eine. Damit ist der sofortige Eintritt in die dritte Beratung mit der erforderlichen Mehrheit beschlossen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 585; davon ja: 425 nein: 159 enthalten: 1 Ja CDU/CSU Ilse Aigner Peter Albach Peter Altmaier Thomas Bareiß Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({0}) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Clemens Binninger Carl-Eduard von Bismarck Renate Blank Peter Bleser Antje Blumenthal Jochen Borchert Wolfgang Börnsen ({1}) Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Michael Brand Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Monika Brüning Georg Brunnhuber Gitta Connemann Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Anke Eymer ({2}) Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Enak Ferlemann Hartwig Fischer ({3}) Dirk Fischer ({4}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich ({5}) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Dr. Peter Gauweiler Norbert Geis Eberhard Gienger Ralf Göbel Dr. Reinhard Göhner Josef Göppel Peter Götz Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg Präsident Dr. Norbert Lammert Holger Haibach Ursula Heinen Uda Carmen Freia Heller Michael Hennrich Jürgen Herrmann Bernd Heynemann Peter Hintze Robert Hochbaum Klaus Hofbauer Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Susanne Jaffke Dr. Peter Jahr Dr. Hans-Heinrich Jordan Andreas Jung ({6}) Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({7}) Volker Kauder Eckart von Klaeden Jürgen Klimke Jens Koeppen Kristina Köhler ({8}) Manfred Kolbe Norbert Königshofen Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Martina Krogmann Johann-Henrich Krummacher Dr. Hermann Kues Dr. Karl A. Lamers ({9}) Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Ingbert Liebing Dr. Klaus W. Lippold Patricia Lips Dr. Michael Luther Stephan Mayer ({10}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Laurenz Meyer ({11}) Maria Michalk Philipp Mißfelder Dr. Eva Möllring Marlene Mortler Carsten Müller ({12}) Stefan Müller ({13}) Bernward Müller ({14}) Dr. Gerd Müller Hildegard Müller Bernd Neumann ({15}) Henry Nitzsche Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Rita Pawelski Dr. Peter Paziorek Ulrich Petzold Sibylle Pfeiffer Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp Ronald Pofalla Daniela Raab Thomas Rachel Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Peter Rauen Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({16}) Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Johannes Röring Kurt J. Rossmanith Dr. Christian Ruck Albert Rupprecht ({17}) Peter Rzepka Anita Schäfer ({18}) Hermann-Josef Scharf Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Georg Schirmbeck Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({19}) Andreas Schmidt ({20}) Ingo Schmitt ({21}) Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer Kurt Segner Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Gero Storjohann Andreas Storm Max Straubinger Thomas Strobl ({22}) Michael Stübgen Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Uwe Vogel Andrea Astrid Voßhoff Gerhard Wächter Marco Wanderwitz Marcus Weinberg Peter Weiß ({23}) Gerald Weiß ({24}) Karl-Georg Wellmann Anette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Willy Wimmer ({25}) Elisabeth WinkelmeierBecker Matthias Wissmann Dagmar Wöhrl Willi Zylajew SPD Dr. Lale Akgün Gregor Amann Gerd Andres Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Ernst Bahr ({26}) Dr. Hans- Peter Bartels Sören Bartol Sabine Bätzing Dirk Becker Uwe Beckmeyer Klaus Uwe Benneter Dr. Axel Berg Ute Berg Petra Bierwirth Lothar Binding ({27}) Volker Blumentritt Kurt Bodewig Gerd Bollmann Dr. Gerhard Botz Klaus Brandner Bernhard Brinkmann ({28}) Edelgard Bulmahn Marco Bülow Ulla Burchardt Martin Burkert Dr. Michael Bürsch Christian Carstensen Dr. Peter Danckert Dr. Herta Däubler-Gmelin Karl Diller Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Garrelt Duin Detlef Dzembritzki Siegmund Ehrmann Hans Eichel Gernot Erler Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Annette Faße Gabriele Fograscher Rainer Fornahl Dagmar Freitag Peter Friedrich Sigmar Gabriel Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Renate Gradistanac Angelika Graf ({29}) Dieter Grasedieck Monika Griefahn Kerstin Griese Gabriele Groneberg Achim Großmann Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann ({30}) Nina Hauer Hubertus Heil Reinhold Hemker Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Petra Heß Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz ({31}) Gerd Höfer Iris Hoffmann ({32}) Frank Hofmann ({33}) Eike Hovermann Klaas Hübner Christel Humme Lothar Ibrügger Brunhilde Irber Johannes Jung ({34}) Josip Juratovic Johannes Kahrs Ulrich Kasparick Dr. h.c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Hans-Ulrich Klose Dr. Bärbel Kofler Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Rolf Kramer Ernst Kranz Volker Kröning Angelika Krüger-Leißner Dr. Hans-Ulrich Krüger Jürgen Kucharczyk Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Dr. Uwe Küster Christian Lange ({35}) Dr. Karl Lauterbach Waltraud Lehn Gabriele Lösekrug-Möller Lothar Mark Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Markus Meckel Petra Merkel ({36}) Präsident Dr. Norbert Lammert Ulrike Merten Dr. Matthias Miersch Ursula Mogg Marko Mühlstein Detlef Müller ({37}) Michael Müller ({38}) Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Thomas Oppermann Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Christoph Pries Dr. Wilhelm Priesmeier Dr. Sascha Raabe Steffen Reiche ({39}) Maik Reichel Gerold Reichenbach Christel RiemannHanewinckel Walter Riester Sönke Rix Rene Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({40}) Michael Roth ({41}) Ortwin Runde Anton Schaaf Axel Schäfer ({42}) Bernd Scheelen Marianne Schieder Otto Schily Ulla Schmidt ({43}) Silvia Schmidt ({44}) Renate Schmidt ({45}) Dr. Frank Schmidt Heinz Schmitt ({46}) Carsten Schneider ({47}) Ottmar Schreiner ({48}) Swen Schulz ({49}) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Rita Schwarzelühr-Sutter Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Andreas Steppuhn Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Dr. Peter Struck Joachim Stünker Dr. Rainer Tabillion Jörg Tauss Jella Teuchner Dr. h.c. Wolfgang Thierse Jörn Thießen Franz Thönnes Hans-Jürgen Uhl Rüdiger Veit Simone Violka Jörg Vogelsänger Dr. Marlies Volkmer Hedi Wegener Andreas Weigel Petra Weis Gunter Weißgerber Gert Weisskirchen ({50}) Dr. Rainer Wend Lydia Westrich Dr. Margrit Wetzel Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Engelbert Wistuba Dr. Wolfgang Wodarg Waltraud Wollf ({51}) Heidi Wright Uta Zapf Manfred Zöllmer Nein SPD FDP Jens Ackermann Dr. Karl Addicks Christian Ahrendt Daniel Bahr ({52}) Uwe Barth Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Patrick Döring Mechthild Dyckmans Jörg van Essen Otto Fricke Paul K. Friedhoff Horst Friedrich ({53}) Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Miriam Gruß Joachim Günther ({54}) Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Elke Hoff Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Dr. Heinrich L. Kolb Hellmut Königshaus Gudrun Kopp Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Ina Lenke Sabine LeutheusserSchnarrenberger Markus Löning Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Jan Mücke Burkhardt Müller-Sönksen Hans-Joachim Otto ({55}) Cornelia Pieper Gisela Piltz Jörg Rohde Dr. Konrad Schily Dr. Hermann Otto Solms Dr. Max Stadler Dr. Rainer Stinner Florian Toncar Christoph Waitz Dr. Claudia Winterstein Hartfrid Wolff ({56}) DIE LINKE Karin Binder Dr. Lothar Bisky Heidrun Bluhm Eva Bulling-Schröter Roland Claus Dr. Diether Dehm Werner Dreibus Klaus Ernst Diana Golze Heike Hänsel Lutz Heilmann Cornelia Hirsch Inge Höger-Neuling Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Dr. Hakki Keskin Katja Kipping Monika Knoche Jan Korte Oskar Lafontaine Michael Leutert Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Ulrich Maurer Dorothee Menzner Kornelia Möller Kersten Naumann Wolfgang Neskovic Dr. Norman Paech Bodo Ramelow Elke Reinke Paul Schäfer ({57}) ({58}) Dr. Herbert Schui Dr. Petra Sitte Dr. Kirsten Tackmann Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Jörn Wunderlich BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck ({59}) Volker Beck ({60}) Cornelia Behm Matthias Berninger Grietje Bettin Alexander Bonde Ekin Deligöz Dr. Thea Dückert Dr. Ursula Eid Hans Josef Fell Kai Gehring Anja Hajduk Britta Haßelmann Priska Hinz ({61}) Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Ute Koczy Sylvia Kotting-Uhl Renate Künast Undine Kurth ({62}) Markus Kurth Monika Lazar Anna Lührmann Kerstin Müller ({63}) Winfried Nachtwei Krista Sager Elisabeth Scharfenberg Irmingard Schewe-Gerigk Rainder Steenblock Silke Stokar von Neuforn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Jürgen Trittin Wolfgang Wieland Margareta Wolf ({64}) fraktionslos Gert Winkelmeier Enthalten CDU/CSU Friedrich Merz Präsident Dr. Norbert Lammert ({65}) Wir kommen nun zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. - Herr Lafontaine, es würde zur Komplettierung des Protokolls beitragen, wenn Sie in den Reihen Platz nähmen, die der Entscheidung der Wähler entsprechen. ({66}) Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der vorhin festgestellten Fassung zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt gegen den Gesetzentwurf? - Wer möchte sich der Stimme enthalten? - Damit ist der Ge- setzentwurf mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen bei eini- gen Gegenstimmen aus den Reihen der SPD-Fraktion und einer Enthaltung aus der SPD-Fraktion mit der not- wendigen Mehrheit angenommen. Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent- schließungsantrag der Fraktion Die Linke auf der Drucksache 16/2014. Wer stimmt für diesen Entschlie- ßungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Der Entschließungsantrag ist mit Mehr- heit abgelehnt. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 3 b. Hier geht es um Abstimmungen über die Beschlussempfehlung des Finanzausschusses auf der Drucksache 16/2012. Der Aus- schuss empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlussemp- fehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/1501 mit dem Titel „Steueränderungsgesetz 2007 zurückziehen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Unter Buchstabe d seiner Beschlussempfehlung emp- fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der FDP-Fraktion auf Drucksache 16/1654 mit dem Titel „Keine weiteren Steuererhöhungen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Auch diese Beschlussempfehlung ist mit Mehrheit angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 c sowie den Zusatzpunkt 2 auf: 4 a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit ({67}) zu dem Antrag der Abgeordneten Birgitt Bender, Elisabeth Scharfenberg, Dr. Harald Terpe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Dem Solidarsystem eine stabile Grundlage geben - für eine nachhaltige Finanzierungs- reform der Krankenversicherung - Drucksachen 16/950, 16/2002 - Berichterstattung: Abgeordnete Hilde Mattheis b) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der LINKEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch - Drucksache 16/451 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit ({68}) - Drucksache 16/1753 - Berichterstattung: Abgeodneter Dr. Rolf Koschorrek c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgitt Bender, Matthias Berninger, Dr. Thea Dückert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Stärkung der Solidarität und Ausbau des Wettbewerbs - Für eine leistungsfähige Krankenversicherung - Drucksache 16/1928 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Daniel Bahr ({69}), Heinz Lanfermann, Dr. Konrad Schily, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Für Nachhaltigkeit, Transparenz, Eigenverantwortung und Wettbewerb im Gesundheitswesen - Drucksache 16/1997 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit ({70}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Über den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke werden wir zu einem späteren Zeitpunkt namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst der Parlamentarischen Staatssekretärin Marion Caspers-Merk.

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Thema Gesundheit bewegt die Menschen. Gesunde Menschen haben natürlich viele Wünsche. Kranke Menschen haben eigentlich nur einen Wunsch, nämlich den, gesund zu werden. Deswegen ist klar, dass die Gesundheitspolitik ein Politikfeld ist, das die Menschen wie kein zweites beschäftigt. Insofern ist es eine gute Gelegenheit, heute zu den Leitlinien der Gesundheitspolitik Stellung zu nehmen und die Anträge der Oppositionsparteien im Deutschen Bundestag zu würdigen. Es ist Ihr gutes Recht - das sage ich zu den Kolleginnen und Kollegen von den Grünen -, etwas einzufordern. Was Sie einfordern, wird aber eigentlich schon getan. Sie fordern uns nämlich auf, einen Gesetzentwurf zum Thema „Strukturreformen in der Gesundheitspolitik“ vorzulegen. Vielleicht ist den Kolleginnen und Kollegen ja entgangen, dass genau dies im Moment erarbeitet wird. ({0}) Dieser Aufforderung hätte es also gar nicht bedurft. Denn es ist seit langem Beschlusslage, dass die große Koalition einen Entwurf zur Reform des Gesundheitswesens vorlegen wird. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Einen Augenblick bitte, Frau Kollegin. - Ich darf diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die dringend andere Geschäfte zu erledigen haben, bitten, dies möglichst außerhalb des Plenarsaals zu tun, um die Konzentration für diese Debatte sicherzustellen.

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Vielen Dank, Herr Präsident. - Die Aufgeregtheiten, die aus Baden-Württemberg kamen und zu einer Verzögerung der Abarbeitung der Tagesordnung beigetragen haben, habe ich als Badenerin nicht verursacht und nicht zu verantworten. ({0}) Insofern ist klar, dass es etwas unruhig war. ({1}) - Die Stuttgarter wehren sich. Es ist so, dass Union und SPD vor der Bundestagswahl sehr unterschiedliche Konzepte in der Gesundheitspolitik angekündigt hatten. Deswegen ist jetzt ein schwieriger, aber notwendiger Reformprozess zu bewältigen. Diese Reform muss tragfähig sein und von beiden Parteien und den Fraktionen, die die Regierung stellen, verantwortet werden können. Ich denke, dass sowohl der Zeitrahmen als auch die Fragestellungen, um die es geht, klar waren. Das, was Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, in Ihren Anträgen fordern, wird längst gemacht. Es wird auf der einen Seite die Finanzierungskonzeption auf eine neue, tragfähige Basis gestellt. Auf der anderen Seite wird klargezogen, dass eine nachhaltige Entwicklung in der Gesundheitspolitik erforderlich ist. Sie fordern ein, dass diese Reform sicherstellt, dass künftig alle Bürgerinnen und Bürger versichert sind. Genau das ist unser Ziel. Wir haben die Ziele der Reformpolitik auch deutlich gemacht.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Staatssekretärin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Wolf?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Selbstverständlich.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte, Frau Wolf.

Margareta Wolf-Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002831, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Staatssekretärin, die Bundesregierung hat die Gesundheitsstrukturreform zu dem Reformprojekt erklärt. Ich stelle die Frage, warum uns die Ministerin heute nicht selber Rede und Antwort steht, zumal sie doch im Plenum anwesend ist. ({0})

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Frau Kollegin, Ihre Fachpolitikerinnen und Fachpolitiker wissen, dass die Ministerin wegen der Verzögerung der Debatte und der Gesundheitsministerkonferenz in Dessau nicht während der gesamten Debatte anwesend sein kann. ({0}) Der Respekt vor dem Parlament gebietet es, dass man dann, wenn man nicht während der gesamten Debatte anwesend ist, auch nicht das Wort ergreift. Das hätten Sie dann nämlich auch kritisiert. ({1}) Daran, dass sie trotzdem anwesend ist, sehen Sie, wie wichtig uns dieses Thema ist. Sie kann jedoch nicht die ganze Zeit bleiben und das ist Ihren Fachpolitikerinnen und -politikern auch mitgeteilt worden. ({2}) So viel Fairness sollte man im Umgang miteinander haben. Ich möchte noch einmal zu Ihren Anträgen kommen. Sie haben erstens gefordert, dass in Zukunft jeder versichert sein soll. Dieses Erfordernis wird derzeit diskutiert und die beiden Fraktionen sind sich auch einig geworden, dass ein Versicherungsschutz in Zukunft für alle in Deutschland gelten soll. Sie fordern zweitens, dass der Zugang zu medizinischer Versorgung künftig für alle gewährleistet sein muss. Auch das ist erklärtes Ziel unserer Politik. Was also soll Ihr Antrag zum jetzigen Zeitpunkt? Sie wissen, dass ein Reformkonzept vorgelegt wird. Sie kennen die Zeitpläne. Sie hatten auch sehr wohl im Fachausschuss die Gelegenheit, sowohl die Finanzsituation als auch die einzelnen Bearbeitungsschritte, die vorgetragen wurden, zu diskutieren. Insofern bedarf es der Aufforderung in Form Ihres Antrags nicht. Dennoch gibt uns Ihr Antrag die Gelegenheit, über die notwendigen Strukturreformen in der Gesundheitspolitik zu reden. Das tun wir sehr gerne, weil auch die Öffentlichkeit ein Interesse daran hat, zu erfahren, welche Fragestellungen eigentlich erörtert werden. Ich erinnere insbesondere die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, die damals an der Regierung beteiligt war, daran, dass wir das GMG aufgrund der Probleme damals gemeinsam mit einer hohen Einsparquote verabredet haben. ({3}) Wir haben die Ausgabenseite angepackt und auch Strukturen verändert. Jeder weiß aber, dass Strukturveränderungen ein auf Dauer angelegter Prozess sind. Jeder weiß auch, dass die nachhaltige Finanzierung zwischen den Parteien strittig war. Deswegen ist es richtig, dass in einer gemeinsamen Runde ein tragfähiger dritter Weg, ein Modell entwickelt wird, das auch für die große Koalition tragfähig ist. Welches sind die Elemente dieser tragfähigen Politik? Zunächst einmal brauchen wir eine nachhaltige Finanzierungsstruktur. Das bedeutet, dass wir Beitragsstabilität brauchen. Wir brauchen aber auch zusätzliche Einnahmen im System. Es hat sich auch bis zur Opposition herumgesprochen, dass derzeit über ein Fondsmodell diskutiert wird. Die vorgetragenen Kritikpunkte sind nicht sehr substanziell. Ein Fonds ist weder gut noch schlecht. Er bietet aber die Chance, unterschiedliche Finanzquellen zusammenzuführen und die Belastungen gerechter zu verteilen. Darum geht es im Moment. Sie werden sich gedulden müssen, bis die Eckpunkte der Reform vorgelegt werden. ({4}) Die Termine standen fest und das wussten Sie auch, Frau Kollegin Künast. Wir wollen das Gesundheitswesen konkurrenzfähiger und wettbewerbsorientierter machen. Wir glauben, dass mehr Transparenz und Wettbewerb dringend überfällig sind. Wir wollen darüber hinaus, dass die Strukturen in den Institutionen klarer werden. Das ist überfällig. Derzeit haben wir im Bereich der Selbstverwaltung nämlich eine intransparente Struktur. Das Aufbrechen der Verkrustungen ist dringend notwendig, um voranzukommen. Wir brauchen natürlich eine modernere Selbstverwaltung, die den Herausforderungen gerecht wird. Darüber hinaus brauchen wir spürbare strukturelle Reformen. Wir wollen - das ist klar - den Patientinnen und Patienten mehr Wahl- und Wechselmöglichkeiten eröffnen. Auch das haben wir Ihnen in den Grundzügen erläutert. ({5}) An den Konzepten der Opposition ist eines interessant: Im Fachausschuss konnte sich die Opposition gestern nicht auf ein gemeinsames Vorgehen einigen. Sie waren sich, glaube ich, nur bei einem Tagesordnungspunkt einig, nämlich als es um das Verbot der Einfuhr von Wildvögeln ging. Darüber hat die Opposition einheitlich abgestimmt. In der Gesundheitspolitik liegen Ihre Auffassungen hingegen weit auseinander. ({6}) Von der einen Seite wird immer wieder das Thema Kostenerstattung aufgerufen und von der Seite der Linken hört man außer einer allgemeinen Forderung nach der Bürgerversicherung - Sie sagen noch nicht einmal, wie Sie sie eigentlich ausgestalten wollen - sehr wenig. ({7}) Insofern können wir unsere Reformen sehr gelassen vorantreiben und vorstellen. Wir haben Ihnen den Zeitplan mitgeteilt. Sie kennen ihn. Sie wissen auch, was die Grundüberlegungen dieser Reformpolitik sind. ({8}) Wir haben Ihnen die Möglichkeit gegeben, sich zu beteiligen. Sie werden sich aber noch ein bisschen gedulden müssen. Es ist das gute Recht der Opposition, hier Fragen zu stellen und Anträge vorzulegen. Es ist aber auch das gute Recht der Regierung, ihren Zeitplan in aller Ruhe und Gelassenheit zu fahren; ({9}) denn die Bürgerinnen und Bürger haben es verdient, dass sie eine Gesundheitspolitik aus einem Guss vorfinden. Schönen Dank. ({10})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für die FDP-Fraktion erhält nun das Wort der Kollege Daniel Bahr. ({0})

Daniel Bahr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003495, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Staatssekretärin Caspers-Merk, es ist schon ein starkes Stück, ({0}) dass Sie erwarten, dass Ihnen die Opposition jetzt, wo sich die große Koalition nicht in der Lage sieht, sich zu einigen, diese Aufgabe abnimmt. Die Opposition legt hier eigene Konzepte vor, und zwar jede Fraktion für sich, weil sie unterschiedliche Ansätze haben. Die schwarz-rote Koalition hat aber den Wählerauftrag, für Daniel Bahr ({1}) Veränderungen zu sorgen und endlich eine Reform vorzulegen. Und was machen Sie? Klammheimlich, während der Fußball-WM, beraten Sie die Eckpunkte zur Gesundheitsreform. ({2}) Das Endspiel der Gesundheitsreform findet am Sonntag statt. Das Parlament hat dann überhaupt keine Gelegenheit mehr, vor der Sommerpause über die Eckpunkte dieser Reform zu diskutieren. Die nächste Möglichkeit dafür würde sich erst im Herbst bieten. Daher ist es das gute Recht der Opposition, hier und heute eine Debatte über die Gesundheitspolitik zu führen. ({3}) Frau Caspers-Merk, Sie haben mir eine Steilvorlage geliefert: Es ist ja richtig, dass die letzte große Gesundheitsreform von einer großen Koalition durchgeführt wurde, nämlich von der CDU/CSU, den Grünen und der SPD. Was hat aber das Gesetz zur Modernisierung des Gesundheitssystems gebracht? Die letzte große Gesundheitsreform ist gerade einmal zweieinhalb Jahre her. Sie sollte eine massive Beitragssatzsenkung bringen. Damals lag der Beitragssatz im Schnitt bei 14,4 Prozent. Versprochen wurde uns eine Senkung auf 13,0 Prozent inklusive Sonderbeitrag. Die Realität sieht heute aber anders aus: Der Beitragssatz liegt bei durchschnittlich 14,2 Prozent. Die Reform brachte eine Senkung um 0,2 Prozent - das nenne ich eine große Jahrhundertreform! Zum 1. Januar und zum 1. Juli dieses Jahres wurden von zahlreichen Krankenkassen Beitragssatzerhöhungen vorgenommen. ({4}) 81 Krankenkassen haben immer noch Schulden in Höhe von insgesamt knapp 4 Milliarden Euro. Für 2007 erwarten wir ein Defizit von 8 Milliarden Euro. Das ist das Ergebnis der letzten Reform einer großen Koalition in der Gesundheitspolitik. Das ist ein zutiefst blamables Ergebnis. Sie haben es nicht geschafft, an die Strukturprobleme der Gesundheitspolitik heranzugehen. ({5}) Schwarz-Rot hat das Defizit, das im nächsten Jahr eintreten wird, selbst zu verantworten. Die Mehrwertsteuererhöhung belastet die gesetzlichen Krankenversicherungen. Etwa 1,3 Milliarden Euro werden, zum Teil für Arzneimittel, zum Teil für Krankenhauskosten, mehr ausgegeben. Außerdem hat die schwarz-rote Koalition beschlossen, den Bundeszuschuss in Höhe von 4,2 Milliarden Euro, finanziert aus der Tabaksteuererhöhung, bis 2008 wieder auf null zu senken. Dabei wird die Tabaksteuererhöhung übrigens überhaupt nicht infrage gestellt. - Ein Steuerzuschuss für die gesetzliche Krankenversicherung ist also gar nicht so neu. Jetzt plant die Koalition den nächsten, höheren Steuerzuschuss; er liegt mittlerweile bei 16 bis 24 Milliarden Euro. Hier stehen wir in der Tat vor einer Richtungsentscheidung: Wollen wir ein steuerfinanziertes staatliches Gesundheitswesen oder wollen wir ein Gesundheitswesen, das auf Freiheit, auf Wettbewerb und auf Eigenverantwortung der Versicherten baut? Wir von der FDP möchten kein steuerfinanziertes staatliches Gesundheitswesen. All die Erfahrungen mit dem bisherigen Bundeszuschuss zeigen doch, wie unsicher ein pauschaler Steuerzuschuss ist. Dann entscheidet der Finanzminister und die Verlässlichkeit geht verloren. Eine weit gehende Steuerfinanzierung kann angesichts der Haushaltslage zur Gesundheit nach Kassenlage führen. Ich möchte das nicht. ({6}) Dann machen Sie Versprechungen, mit Steuergeldern die Beiträge zu senken. Das alles haben wir schon vor Jahren erlebt. Oder ist Ihnen die Debatte über die Ökosteuer von 1998 nicht mehr in Erinnerung? ({7}) Damals wurde uns beigebracht, dass der Rentenbeitrag bei mittlerweile 18,5 Prozent liegen müsste. Zusammengenommen sind seit dem Jahr 2000 85 Milliarden Euro aus der Ökosteuer in die Rentenkasse geflossen. Trotzdem muss der Rentenversicherungsbeitrag im nächsten Jahr auf 19,9 Prozent, also fast 20 Prozent, steigen. ({8}) Die Versprechung, dass durch Steuererhöhungen Lohnzusatzkosten und Rentenbeiträge gesenkt werden, ist doch Makulatur, wenn Sie sich die Erfahrung der Politik der letzten Jahre vergegenwärtigen. Das ist nicht der richtige Weg, um die Lohnzusatzkosten zu senken. ({9}) Steuerzuschüsse ersetzen eben keine Strukturreform. Sie haben weder den Mut noch die Kraft für eine grundlegende Reform. Die Bundeskanzlerin hat in ihrer Regierungserklärung gesagt: Wir werden es grundlegend anders machen, damit es grundlegend besser wird. Die Bürger stellen aber hinsichtlich der Gesundheitspolitik immer mehr fest, dass es teurer wird, ohne besser zu werden. Die schwarz-rote Koalition kauft sich einen Kompromiss mit dem Geld der Steuer- und Beitragszahler. ({10}) Frau Caspers-Merk hat eben gesagt, es sei das Ziel der Koalition, zu einer nachhaltigen Finanzierung zu kommen. Ich kann nur feststellen, dass in den Debatten über eine Gesundheitsreform das Thema „alternde Bevölkerung“ - wie bekommen wir mehr Nachhaltigkeit in die Finanzierung des Gesundheitswesens? - bisher überhaupt gar keine Rolle spielt. ({11}) Daniel Bahr ({12}) Sie nennen als Beispiel den Gesundheitsfonds. Das hört sich toll an. Gemeinhin denkt man, dass dort Geld angespart wird für Zeiten, in denen man dieses Geld braucht. Aber der Gesundheitsfonds, wie Sie ihn planen, ist nichts anderes als eine gigantische Geldsammelstelle, bei der es nur darum geht, die Bürgerinnen und Bürger zu täuschen. Sie überlegen doch nur, aus welcher Tasche man ihnen noch Geld nehmen kann und wie man es möglichst großzügig auf die Krankenkassen umverteilt. Das ist keine Nachhaltigkeit, sondern die Fortsetzung einer wenig nachhaltigen Finanzierung des Krankenversicherungssystems. So schieben Sie die Lasten weiterhin auf die kommenden Generationen. ({13}) Sie wollen - das ist mein Eindruck - den Weg in ein zentralistisch gesteuertes, staatliches Gesundheitswesen gehen. Ein Gesundheitsfonds kombiniert mit einem Bundeskrankenkassenverband, in dem die Krankenversicherungen nur noch Befehlsempfänger dieser Dachorganisation sind, und vorgeschriebene Mindestgrößen für Krankenkassen, wodurch gerade die kleinen, innovativen Krankenkassen, die geringe Verwaltungskosten haben, zerstört werden sollen, bedeuten weniger Wettbewerb, weniger Autonomie und weniger Selbstverwaltung. Das wird mehr Kosten und Bürokratie verursachen. Das ist der Weg in die Planwirtschaft im Gesundheitswesen. Wir wollen diesen Weg nicht mitgehen. ({14}) Wir haben in unserem Antrag dargestellt, wie wir mehr Freiheit im Gesundheitswesen wagen wollen, und zwar mit privaten Krankenversicherungen, die im Wettbewerb zueinander stehen, mit Wahlmöglichkeiten für die Versicherten, sodass sie selbst auswählen können, wie sie ihren Versicherungstarif gestalten, und mit Altersrückstellungen, wodurch Vorsorge für die alternde Bevölkerung betrieben wird. Das Gesundheitswesen ist der größte Arbeitgeber in Deutschland. Wenn es auch zukünftig ein Wachstumsmarkt sein soll, dann darf hier nicht weiter staatlich reglementiert werden, sondern dann muss es wie ein Gesundheitsmarkt verstanden werden, mit Freiheit, Wettbewerb, Transparenz und Eigenverantwortung. ({15}) Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({16})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Wolfgang Zöller von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Wolfgang Zöller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002603, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eines muss sich die Opposition schon vorhalten lassen: Sie müssen sich langsam entscheiden, wie Sie argumentieren. Man kann doch nicht ans Rednerpult gehen und sagen, die Regierung habe kein Konzept, und dann die einzelnen Punkte des angeblich nicht vorhandenen Konzeptes kritisieren. Das passt nicht zusammen. ({0}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Grünen beginnen ihren Antrag mit den Worten: Auch acht Wochen nach Verhandlungsbeginn hat die große Koalition der Fraktionen der CDU/CSU und SPD noch kein gemeinsames Konzept für die Reform der gesetzlichen Krankenversicherung … ({1}) Ich kann Sie wirklich beruhigen. Wir halten uns an unseren Terminplan. Wie vorgesehen werden die Eckpunkte am kommenden Sonntag festgelegt. Ich kann mich, was die Grünen betrifft, nicht des Eindrucks erwehren, als wollten Sie vor der Sommerpause unbedingt noch eine Show. Herr Fischer ist Ihnen abhanden gekommen. Jetzt brauchen Sie eine andere Showebene. ({2}) Aber dafür ist dieses Thema viel zu ernst. Das deutsche Gesundheitswesen ist in den letzten Jahren wie selten zuvor in den Mittelpunkt sozialpolitischer Diskussionen gerückt. Der stete Wechsel gesundheitspolitischer Rahmenbedingungen fand in immer kürzeren Zeitintervallen statt. Deshalb habe ich größtes Verständnis dafür, dass die Akteure im Gesundheitswesen nach den vielen Reformen der letzten 15 Jahre nun endlich Planungssicherheit erwarten. Dies wird man aber nur dann erreichen, wenn man die Hauptursache der Reformen der letzten Jahre, die Bindung der Finanzierung an die Löhne, und damit die zusätzliche Belastung der Lohnkosten angeht. ({3}) Hier brauchen wir endlich eine nachhaltige Lösung. Nicht der Kostendruck, sondern der Wettbewerb und eine bessere Versorgung der Menschen müssen künftig die Leitgedanken von Reformen sein. Man muss allerdings auch zur Kenntnis nehmen, dass in keinem anderen Bereich so viele Gefühle angesprochen bzw. so viele Ängste ausgelöst werden und kaum ein politisches Feld so komplex und vielschichtig ist wie unser Gesundheitswesen. Deshalb habe ich überhaupt kein Verständnis dafür, wenn man die Leute tagtäglich mit falschen Behauptungen und nicht zutreffenden Vermutungen verunsichert. ({4}) Wie sieht die Einnahmeseite der gesetzlichen Krankenversicherung tatsächlich aus? Die Diskussion der letzten Jahre verdeutlicht doch, dass wir im System keine Versorgungskrise, sondern eine Finanzierungskrise haben. ({5}) Uns ist die Einnahmeseite weggebrochen. Ich bin davon überzeugt, dass die Krankenversicherung künftig nicht mehr allein über die Arbeitslöhne finanziert werden kann. Unser Gesundheitswesen wird schon aufgrund des medizinisch-technischen Fortschritts und aufgrund der steigenden Lebenserwartung mit zunehmenden Ausgaben belastet. Lassen Sie mich hierzu ein paar Zahlen nennen: Die Einnahmeseite ist uns auch deshalb weggebrochen, weil wir in den letzten Jahren 1,5 Millionen sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze verloren haben. Das bedeutet einen Einnahmeverlust in Höhe von 6,5 Milliarden Euro. Auch ein anderer Aspekt ist viel zu wenig beachtet worden: In den letzten Jahren haben ungefähr 1 Million bestausgebildete junge deutsche Menschen Deutschland verlassen. Man muss fragen: Warum? Immer wieder wird das Argument angeführt, die Bürokratie in Deutschland sei zu hoch. Wenn das grüne Antidiskriminierungsgesetz tatsächlich Realität geworden wäre, wären noch mehr Menschen ausgewandert. Wir müssen endlich die Ursachen dieser Entwicklung angehen. ({6}) - Wenn Sie keine Redezeit haben, können Sie mir gerne eine Frage stellen. ({7}) Mit unseren Vorschlägen werden wir erstmals das Problem der Verschiebebahnhöfe in Angriff nehmen und verhindern, dass sich ständig andere Sozialsysteme zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung sanieren. ({8}) Die dadurch entstehenden Kosten belaufen sich inzwischen auf einen Betrag von jährlich 5 Milliarden Euro. Ein Aspekt muss in diesem Zusammenhang ebenfalls erwähnt werden: Unser Gesundheitssystem ist wesentlich besser, als es momentan in der Öffentlichkeit dargestellt wird. ({9}) Allerdings müssen wir ehrlich sagen, dass wir in diesem Bereich nach wie vor für mehr Eigenverantwortung sorgen müssen, nicht nur für mehr Eigenverantwortung der Versicherten, sondern auch für mehr Eigenverantwortung der am System Beteiligten. ({10}) Die gesetzliche Krankenversicherung lebt von der Solidarität der Beitragszahler. ({11}) Solidarität heißt zu Recht: Verantwortung für das Ganze. Solidarität darf aber nicht heißen: Verantwortung für alles. Im Gegenteil: Solidarität verstanden als Daseinsvorsorge für die großen Risiken setzt auch voraus, dass kleinere Risiken eigenverantwortlich geschultert werden können. ({12}) Die gemeinschaftliche Vorsorge für die großen Risiken ermöglicht es dem Einzelnen ja erst, kleinere Risiken eigenverantwortlich zu übernehmen. Wer Freiheit und Wohlstand will, muss auch bereit sein, sich von Überbetreuung und falscher Geborgenheit zu verabschieden. ({13}) In einer Gesellschaft, in der die Freiheit zur Selbstentfaltung und Selbstverwirklichung immer größer geworden ist, sollte es eigentlich nicht unmöglich sein, das Pendant zu dieser Freiheit zu neuem Leben zu erwecken, nämlich die individuelle Selbstverantwortung. ({14}) In diesem Zusammenhang möchte ich etwas zitieren: Das Grundgesetz geht von dem freiheitlichen, selbstverantwortlichen Individuum aus; in der Realität aber versperrt der Gesetzgeber durch dauernd steigende soziale Belastungen dem einzelnen Beschäftigten nicht nur die Möglichkeit, sondern auch den Antrieb zur individuellen Vorsorge. Diese Aussage stammt aus einem „Spiegel“-Interview von 1967, von dem ersten Sozialminister einer großen Koalition, Hans Katzer. Wir sehen, dass das Thema Eigenverantwortung nicht neu ist. Ich will einen Punkt aus Ihrem Programm ansprechen, meine sehr verehrten Damen und Herren von den Grünen: Wir brauchen auch weiterhin den Wettbewerb zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung; dazu stehen wir. ({15}) Die zusätzlichen Honorarzahlungen der privaten Versicherungen bieten den Leistungserbringern, ob niedergelassenen Ärzten oder Ärzten im Krankenhaus, höhere Planungssicherheit. Wie viele Neuverfahren wurden zunächst in der PKV erstattet und kamen dann allen Versicherten zugute! Wer Ärzten für ihre schwierige und verantwortungsvolle Arbeit die angemessene Honorierung verweigert, schadet letztendlich der medizinischen Versorgung der Patienten. ({16}) Die Grünen behaupten in ihrem Antrag, die einkommensstärksten 10 Prozent der Bevölkerung beteiligten sich nicht an der Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung. ({17}) Diese Annahme ist schlichtweg falsch. ({18}) Aus einer falschen Grundannahme kann man aber keine richtigen Schlüsse ziehen. Ich will Ihnen dazu nur einige Zahlen nennen: 55 Prozent der privat Versicherten haben ein Einkommen von unter 2 500 Euro im Monat. Ich habe langsam den Eindruck, wenn die Grünen „privat Versicherte“ hören, glänzen ihnen die Augen und sie denken an Ackermann. Aber in der Privatversicherung sind auch kleine Beamte, Beihilfeempfänger, und das in der überwiegenden Zahl. ({19}) Wenn Sie von den Grünen in diesem Punkt ehrlich sind, müssen Sie zugeben: Es geht Ihnen hier nicht um die Sache. Sie schüren puren Sozialneid. Ich kann Ihnen sagen: Wer die PKV kaputtmacht, löst damit kein einziges Problem der gesetzlichen Krankenversicherung. ({20}) Lassen Sie mich an zwei Beispielen ein Problem ansprechen, das wir gemeinsam viel stärker beachten sollten: Erstes Beispiel. Wir haben in den Krankenhäusern eine, wie wir meinen, leistungsgerechte Vergütung eingeführt. So gibt es zum Beispiel für eine normale Geburt einen festen Betrag; für etwas kompliziertere Fälle mit Kaiserschnitt gibt es einen wesentlich höheren Betrag. Plötzlich müssen wir feststellen, dass in etlichen Krankenhäusern normale Geburten so gut wie nicht mehr stattfinden und fast alles über Kaiserschnitte läuft. Das ist nicht in Ordnung. ({21}) Das zweite Beispiel - auch ein tatsächlicher Fall -: Ein 25-Jähriger kommt zum Arzt und möchte eine neue Hüfte. Der Arzt stellt fest, dass der Patient 140 Kilogramm wiegt, und sagt: Wenn ich Ihnen eine neue Hüfte gebe, nützt das nichts. Sie müssten eigentlich erst abnehmen. - Er bekommt zur Antwort: Ich bezahle meinen Beitrag und deshalb haben Sie das gefälligst zu machen. Ich habe diese beiden Beispiele gebracht, weil ich fest davon überzeugt bin: Ohne Moral fahren wir alle Sozialsysteme an die Wand. Vielen Dank. ({22})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Dr. Martina Bunge von der Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Martina Bunge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003743, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Mit den vorliegenden Oppositionsanträgen diskutieren wir zum wiederholten Mal in dieser Legislaturperiode über die Zukunft der gesetzlichen Krankenversicherung. Eine nachhaltige Finanzreform ist uns von den Koalitionären angekündigt worden. Auf dem Tisch liegen aber nur Spekulationen, nicht mehr. ({0}) Lassen Sie mich an Ihren Terminplan anknüpfen. Er ist nämlich etliche Male geändert worden. ({1}) Die seriös erscheinende Arbeitsphase bis Ostern ist in eine seit Wochen anhaltende Phase übergegangen, in der wortwörtlich jeden Tag ein neuer Vorschlag - sei er noch so skurril - durch die Medien gejagt wird. Die Machtverhältnisse lassen dies leider zu. Durch dieses Verfahren werden die Parlamentarierinnen und Parlamentarier langsam genervt ({2}) und die Versicherten und Patientinnen und Patienten zunehmend verunsichert. Aber auch die Akteure im Gesundheitssystem sind erbost, weil sie außen vor bleiben. Gesundheit geht alle an, aber einige wenige meinen derzeit, alleine darüber befinden zu können. ({3}) Dabei sind gegenwärtig sehr viele reformbereit und reformwillig angesichts der Herausforderungen, vor denen das Gesundheitssystem durch die Alterung der Gesellschaft und durch den medizinischen Fortschritt steht. Allein Ihre vermeintliche Verständigung auf einen Gesundheitsfonds hat enorme Energien freigesetzt. Die Aussicht, dass einzig den Arbeitgebern stabile, abgesenkte Beiträge von 6,5 Prozent versprochen werden, die Versicherten aber 7,5 Prozent aufgebrummt bekommen und das gesamte Risiko für die Ausgabensteigerungen über eine kleine Kopfpauschale tragen sollen, ist sozial ungerecht und findet nicht unsere Zustimmung. ({4}) Das Bekenntnis zur gesetzlichen, beitragsfinanzierten Krankenversicherung und deren Grundprinzipien wie Solidarausgleich und Parität wächst. Herr Bahr, es gibt eben nicht nur die Alternative zwischen der staatlichen Versorgung und der Freiheit für mehr Wettbewerb, ({5}) sondern es geht um Solidarität, und zwar um Solidarität pur. ({6}) Die gesetzliche Krankenversicherung ist nicht pleite. Sie wird schlechtgeredet, damit die Transformation in ein neues System eingeleitet werden kann. Wir meinen, die finanziellen Grundlagen der GKV müssen verteidigt, aber auch weiterentwickelt werden. Wie geht es mit dieser wichtigen Reform weiter? Es ist angekündigt worden, dass die Verhandlerinnen und Verhandler in der nächsten Woche die Eckpunkte der Gesundheitsreform verkünden werden. Dann wird nicht nur im Parlament die Sommerpause eingeläutet. Medial wird die Debatte weitergehen, aber nicht hier und nicht mit den Akteuren im und um das Gesundheitssystem. Der Gesetzentwurf wird in der Sommerpause im Ministerium zusammengezimmert und ab September drückt die Zeit, sodass es keine solide parlamentarische Behandlung mehr geben kann; denn das nächste Finanzloch der GKV für 2007 ist durch die Gesetzgebung der letzten Woche bereits vorprogrammiert. Durch das neue Finanzloch wird im Herbst zur Eile gedrängt. Durchpeitschen führt aber zu Fehlern. Denken Sie an Hartz IV! ({7}) Wir fordern Sie auf: Machen Sie ein Vorschaltgesetz ({8}) - warten wir das ab -, um die Kassenlage für 2007 zu stabilisieren, und stellen Sie dann die eigentliche Reform vom Kopf auf die Füße! ({9}) Lassen Sie uns gemeinsam zuerst über die künftigen Aufgaben und Strukturen reden - ich habe nicht viel von Strukturen gehört, sondern immer nur etwas von nachhaltiger Finanzierung ({10}) und erst danach über das Geld! Lassen Sie uns vorurteilsfrei darüber reden, wie man mit Gesundheitsförderung und Prävention von Kindesbeinen an Krankheiten vermeiden, Wohlbefinden fördern, aber auch Gesundheitskosten sparen kann; das muss man doch einkalkulieren. Lassen Sie uns darüber reden, wie wir der so genannten Volkskrankheiten Herr werden und dabei seltene Krankheiten nicht vergessen; das kostet natürlich Geld. Lassen Sie uns die Ergebnisse neuer Versorgungsformen analysieren und in die Breite gehen; das bringt Effizienz. Lassen Sie uns gemeinsam beraten, welche Anforderungen zunehmende Demenz stellt, wie die Schmerztherapie ausgestaltet werden muss und wie bedarfsgerechte geriatrische Versorgung Lebensqualität auch im hohen Alter sichert. Lassen Sie uns endlich auch aus dem Medikamentenwirrwarr eine Positivliste kreieren. ({11}) Erst dann wäre es an der Zeit, über das Geld zu reden. Es besteht ein breiter gesellschaftlicher Konsens für eine Bürgerversicherung, durch die die Versichertenbasis und die Beitragsbasis verbreitert werden, faktisch eine Versicherung von allen für alle. ({12}) Der Konsens ist groß, den Faktor Arbeit zu entlasten. Die Frage ist nur, wie. Unser Vorschlag, mittels einer Wertschöpfungsabgabe arbeitsintensive, zumeist kleine Unternehmen wie den Bäcker oder die Änderungsschneiderei um die Ecke zu entlasten und die kapitalintensiven, von Automatengreifarmen und Computersteuerung nur so strotzenden gewinnträchtigen Unternehmen wie Siemens und Daimler-Benz stärker zu belasten, wäre zu diskutieren. ({13}) Hören Sie auf, abhängig Beschäftigten, Rentnerinnen und Rentnern sowie Arbeitslosen immer stärker in die Tasche zu greifen! Holen Sie das Geld dort, wo es ist! Danke. ({14})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Renate Künast vom Bündnis 90/Die Grünen.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Caspers-Merk, dass Sie hier geredet haben und nicht die Ministerin, habe ich verstanden. Aber das kann ja nicht daran gelegen haben, dass die Ministerin zur Gesundheitsministerkonferenz nach Dessau muss; denn sie sitzt ja noch hier. Ich vermute, es hat daran gelegen, dass die Ministerin nichts sagen konnte und auch nichts sagen wollte. Sie haben in Ihrem Beitrag ja auch nur gesagt, dass wir das Recht haben, zu fragen. Das war, ehrlich gesagt, ein Armutszeugnis. ({0}) Sie beschäftigen sich seit Monaten mit diesem Thema, aber herausgekommen ist nichts, außer, dass Sie netterweise sagen, die Opposition dürfe hier einen Antrag stellen. Herr Zöller, Sie haben gesagt, die Koalition wäre am Sonntag fertig. Olaf Scholz hat aber gesagt, man könne wahrscheinlich am Sonntag zu groben Eckpunkten kommen, ({1}) von denen er hofft, dass sie den Sommer überdauern. Fazit: Sie haben eigentlich nichts außer monatelangen Debatten. Sie können es einfach nicht, Herr Zöller. Diese Koalition kann offensichtlich keine Gesundheitsreform rechnen, die bezahlbar ist, zu Wettbewerb führt und den Patientinnen und Patienten etwas bringt. ({2}) Es ist immer noch nicht klar, was mit der kleinen Kopfpauschale ist, von der wir alle wissen, dass sie am Ende die AOK-Mitglieder treffen wird und nicht die Mitglieder in den privaten Krankenkassen. ({3}) Was ist mit dem Arbeitgeberbeitrag, den Sie - das hört man ja - einseitig einfrieren wollen? ({4}) Damit machen Sie eine Gesundheitsreform zulasten der Arbeitnehmer, die einzahlen. Das, Herr Zöller, ist nicht gerecht. ({5}) - Wenn Sie noch Redezeit haben, dann gehen Sie doch ans Rednerpult. Dann hören wir uns Ihre epischen Ausführungen noch einmal an. Was ist mit den privaten Krankenkassen? Herr Zöller, das C in CDU steht ja bekanntlich für „christlich“. ({6}) - Und CSU. - Ich glaube, eines Tages werden Sie das C an Ihrer Parteizentrale einfach fallen lassen; denn die Art und Weise, wie Sie den privaten Krankenkassen in dieser Republik eine systematische Rosinenpickerei erlauben, rechtfertigt das C in Ihrem Namen überhaupt nicht. ({7}) Sie haben gesagt: „Wer die PKV kaputtmacht, …“ Es geht nicht um das Kaputtmachen. Es geht darum, dass sie endlich Konkurrenz und einen echten Wettbewerb bekommen und dass es nicht eine Art Otto-GrafLambsdorff-Schutzgesetz gibt. ({8}) Das kann ich den Kolleginnen und Kollegen von der FDP nicht ersparen. Es fällt schon auf, wenn man immer wieder große Werbeanzeigen sieht, in denen Otto Graf Lambsdorff dafür wirbt, dass die PKV weiter bestehen bleibt. Mich interessiert daran nur, wie viel Geld der Mann dafür bekommt. Die PKV scheint offensichtlich zu viel Geld zu haben. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Daniel Bahr? - Bitte schön, Herr Bahr.

Daniel Bahr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003495, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass sich unter den ehemaligen Politikern, die sich in diesen Anzeigen für ein privates Krankenversicherungssystem einsetzen, weil es mehr Nachhaltigkeit bietet - diese Zielsetzung verfolgen eigentlich auch die Grünen, indem sie für Altersrückstellungen und Vorsorge für die alternde Bevölkerung eintreten -, auch der ehemalige grüne Politiker und Bundestagsabgeordnete Oswald Metzger befindet. Deshalb frage ich Sie: Glauben Sie nicht, dass es angesichts der alternden Bevölkerung und der Lasten, die noch auf uns zukommen, sinnvoll ist, endlich Vorsorge zu betreiben, indem wir verstärkt Altersrückstellungen bilden, statt kurzfristig die bereits bestehenden Altersrückstellungen sinnlos zu verbraten? ({0})

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Bahr, eine Krankenkasse, die sich aussuchen darf, wen sie aufnimmt, wird die Besserverdienenden, die Selbstständigen und die Beamten auswählen, nämlich all diejenigen, die - das zeigt ein Blick in die Sterbestatistik - durchweg gesünder sind und weniger Kosten verursachen. Auch wenn Otto Graf Lambsdorff und Oswald Metzger Werbung für die PKV machen: Fakt ist, dass die privaten Krankenversicherungen nicht wirklich am Wettbewerb beteiligt sind und keinen Solidarausgleich betreiben, um die Risiken aller Mitversicherten solidarisch mitzutragen. Das ist zu kritisieren. ({0}) Die Reform ist uns immer wieder als große Gesundheitsreform angekündigt worden. Ich stelle in diesem Zusammenhang fest, dass wir Grüne in die peinliche Situation kommen, uns in einigen Punkten auf der Seite von Markus Söder und Roland Koch wiederzufinden. Das ist wirklich unangenehm. Söder hat in Bezug auf die Mitversicherung der Kinder festgestellt, dass irgendwann die Schmerzgrenze erreicht sei, wenn die 16 Milliarden Euro aus Steuermitteln finanziert würden. Ich bin schon dankbar, dass bei Ihrer ewigen Steuererhöherei überhaupt irgendjemand eine Schmerzgrenze hat. ({1}) Noch lieber ist mir wundersamerweise an dieser Stelle Roland Koch, der heute klar gesagt hat, die 16 Milliarden Euro für die Mitversicherung der Kinder stufenweise über Steuerfinanzierung aufzubringen, widerspreche dem CDU-Programm und sei konjunkturschädlich. Statt in anderen Punkten sollten Sie sich ausnahmsweise dieses Mal nach Roland Koch richten. ({2}) Sie entscheiden sich wieder einmal für den kleinsten gemeinsamen Nenner. Der heißt bei Ihnen immer Murks. ({3}) Sie fassen den Menschen in die Taschen und in die Portemonnaies. Sie legen letzten Endes ein Konzept vor, bei dem Sie so tun, als hätten Sie etwas Gutes für die Kinder bewirkt. Aber in Wahrheit greifen Sie wieder den Eltern ins Portemonnaie, indem Sie es letztlich doch wieder über Steuererhöhungen finanzieren. Sie wissen offensichtlich nicht mehr, wie hoch die Belastungen der Menschen - von der Kürzung der Pendlerpauschale bis zur Mehrwertsteuererhöhung - in dieser Republik sind. Sie machen einen großen Fehler, weil Sie zu feige sind, an der Stelle die Ausgabenseite anzugehen. Die muss man aber zuerst anpacken, bevor man über Steuererhöhungen nachdenken kann. ({4}) Notwendig ist etwas anderes. Wir brauchen einen echten Kassenwettbewerb und die Beteiligung der Privatversicherten. An der Stelle ist ein Paradigmenwechsel notwendig. Darin liegt Ihr Kardinalfehler. Alles, was wir in diesem Zusammenhang bisher von Ihnen gehört haben, sind - um das Unwort des Jahres 1994 zu verwenden - Peanuts. Gehen Sie endlich den Weg weg vom Reparaturbetrieb und hin zu ernsthaften Reformen, bei denen es um Wettbewerb und Effizienzpotenziale geht und nicht um die einseitige Belastung der Versicherten! Wir müssen die Kartelle bei den Ärzten und Kassen aufheben. Wir müssen endlich Wettbewerb unter den Pharmaunternehmen einführen. Wir müssen die zunftähnlichen Strukturen im Arzneimittelhandel auflösen und wir brauchen Marktwirtschaft beim Apothekenmehrbesitz. Diese Punkte müssen wir radikal anpacken, bevor man schon wieder dem kleinen Mann in die Tasche fasst und seinen letzten Cent herausholt. ({5}) Herr Zöller, Sie haben vorhin das schöne Beispiel des 140-Kilo-Manns gebracht. ({6}) - Oder auch die Frau; das ist mir egal. Es war Ihr Beispiel. Es kommt nicht auf das Geschlecht an. Sie haben Recht, wenn Sie sagen, dass man mehr für Prävention tun muss. Es war aber die CDU/CSU, die im letzten Jahr das Präventionsgesetz torpediert hat. Haben Sie doch endlich den Mut, bei den Kassen für Wettbewerb und dafür zu sorgen, dass sie Prävention anbieten! ({7}) Sagen Sie, dass wir ein Präventionsgesetz brauchen, das solche Dinge regelt! ({8}) Dann haben Sie eine ordentliche Reform. Bei Ihnen sehe ich aber nur Merkel-Murks. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Carola Reimann von der SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Carola Reimann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003434, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zur Frage der Finanzierung haben wir in diesem Hause nicht nur bei diesem Tagesordnungspunkt eine ganze Menge gehört, noch mehr haben wir in den letzten Tagen und Wochen dazu gelesen. Die Frage, wer wie viel bezahlt, wer sich an der Solidarität beteiligt, ob der Beitrag ausschließlich nach Leistungsfähigkeit oder auch nach dem Gesundheitszustand bemessen werden soll, beschäftigt in den letzten Tagen nicht nur uns alle, sondern auch die Medien und die Öffentlichkeit in mannigfaltiger Hinsicht. Das bietet Stoff für Spekulationen zuhauf. Die Schar derer, die auf äußerst spekulativer Grundlage, dafür aber umso lautstärker Kritik üben, ist erwartungsgemäß groß. Um eine sachgerechte Darstellung geht es in den seltensten Fällen. Häufig arbeitet man sich nur an Reizwörtern und Begriffen ab. Sachkundige Kritiker oder diejenigen, die sich als solche ausgeben möchten, heben sich dabei ganz gern von der Masse ab, indem sie darauf verweisen, dass es mit einer Finanzreform alleine nicht getan sei und man die eigentlichen Probleme nicht lösen könne, indem man mehr Geld in das System pumpe. Mit der Forderung, man müsse zuerst einmal Löcher stopfen, bevor man neues Geld nachschütte, gibt man sich gern als vermeintlicher Kenner der Szene zu erkennen. Sie alle haben in einem Punkt Recht: Es bringt nichts, nur neues Geld in das Gesundheitssystem fließen zu lassen und die Versorgungsstrukturen außer Acht zu lassen. ({0}) Wer die Forderung jedoch in einer Art und Weise erhebt, dass man den Eindruck bekommen könnte, hier würde nichts getan, entpuppt sich ganz schnell als ein weniger guter Kenner der Gesundheitspolitik der letzten Jahre. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, Sie fordern in den vorliegenden Anträgen Strukturreformen, die für mehr Qualität und Wirtschaftlichkeit sorgen können. An dieser Forderung ist grundsätzlich nichts auszusetzen. Vor drei Jahren - zu Zeiten der rot-grünen Koalition - haben wir gemeinsam, auch unter der Beteiligung unserer heutigen Koalitionspartner, mit dem GKV-Modernisierungsgesetz den Weg in Richtung mehr Wettbewerb, Qualität und Wirtschaftlichkeit eingeschlagen. ({2}) Zu dieser Richtungsentscheidung stehen wir. Sie war damals richtig und gut und ist es auch heute noch. ({3}) Die Staatssekretärin hat es gesagt: Reformen sind ein Prozess. Deshalb werden wir diesen Weg fortsetzen. Die Struktur der Versorgung zählte deshalb auch zu den ersten Themen der zurzeit noch laufenden Gesundheitsgespräche. Wir wollen klarere Strukturen. Wir wollen Instrumente und Elemente für mehr Effizienz und mehr Wettbewerb. Deshalb werden wir konsequent mehr Vertragsmöglichkeiten zwischen den Leistungsanbietern schaffen. Insofern rennen Sie mit Ihren Forderungen bei uns offene Türen ein. ({4}) Die Agenturmeldung dieser Woche - das muss ich allerdings auch sagen -, in der Ihre Kollegin, Frau Roth, mit der Äußerung zu vernehmen war, das Herangehen der Koalition an die Ausgabenseite sei völlig unambitioniert, kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. ({5}) Die große Koalition ist seit etwas mehr als einem halben Jahr im Amt und steht kurz vor dem Abschluss der Verhandlungen über eine unzweifelhaft weit reichende Gesundheitsreform. Ich würde das nicht als unambitioniert bezeichnen wollen. Schauen wir uns doch lieber die Fakten an. Wenn wir über Fakten reden, will ich zu allererst sagen, dass wir aufhören sollten, das System der gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland schlechter zu reden, als es ist. ({6}) Bei aller Reformnotwendigkeit erscheint es mir dringend notwendig, sich gelegentlich ins Gedächtnis zu rufen, dass es hier darum geht, die Funktionsfähigkeit eines der besten Gesundheitssysteme der Welt zu erhalten, und um nichts anderes. ({7}) Laut einer Studie des Fritz-Beske-Instituts - es steht bestimmt nicht im Verdacht, zu den Mietmäulern der GKV zu gehören - hat Deutschland im internationalen Vergleich ein überaus effizientes Gesundheitssystem. In diesen Tagen hat das schwedische Unternehmen Health Consumer Powerhouse - es ist komplett unabhängig eine Studie vorgelegt, die ebenfalls zu dem Ergebnis kommt, dass das deutsche Gesundheitssystem aus Sicht der Patientinnen und Patienten im Hinblick auf Transparenz, Service und Qualität zu den Spitzenreitern in Europa gehört. ({8}) Dieses hohe Versorgungsniveau im Interesse der Patientinnen und Patienten zu erhalten und auszubauen, das ist unsere Aufgabe und nicht die Sanierung eines maroden Haufens, auch wenn die eine oder der andere diesen Eindruck hier gern einmal erwecken möchte. ({9}) Mit dem Arzneimittelversorgungs-Wirtschaftlichkeitsgesetz, das am 1. Mai in Kraft getreten ist, haben wir auch in dieser Legislaturperiode einen weiteren Schritt getan. Wie wir bereits heute sehen, war es ein wirksamer Schritt. Mit diesem Gesetz ist die Absenkung der Festbeträge, aber auch die Möglichkeit der Zuzahlungsbefreiung bei besonders preisgünstigen Arzneimitteln vorgesehen. Als Reaktion auf die Möglichkeit einer solchen Zuzahlungsbefreiung haben zahlreiche Arzneimittelhersteller ihre Preise bereits stark gesenkt; weitere Preissenkungen sind angekündigt. Damit werden wir bei gleicher Qualität Einsparungen für Patientinnen und Patienten, aber auch für Kassen realisieren. Die Liste ist ab 1. Juli, also ab diesem Wochenende, auf der Homepage des Ministeriums, aber auch bei den Spitzenverbänden der gesetzlichen Krankenversicherung einsehbar. ({10}) Ich will an dieser Stelle alle Ärztinnen und Ärzte und alle Patientinnen und Patienten aufrufen, von dieser neuen Möglichkeit Gebrauch zu machen. ({11}) Diesen Weg werden wir weitergehen. Sie, meine verehrten Kollegen von der Opposition, müssen sich nun, auch wenn es schwer fällt, noch einige wenige Tage gedulden, bis die Vorschläge vorliegen und wir sie dann auch diskutieren können. ({12}) Es ist natürlich Ihr gutes Recht, eine Debatte über Konzepte einzufordern. Ich möchte dann allerdings, dass Sie Konzepte vorlegen. ({13}) Sie haben hier beantragt, die Praxisgebühr abzuschaffen. Um die Kollegen von der FDP nicht ganz leer ausgehen zu lassen: ({14}) In der Überschrift Ihres Antrags ist die übliche Worthülse „Eigenverantwortung“ enthalten. Damit meinen Sie die finanzielle Alleinverantwortung und die totale Privatisierung aller Lebensrisiken. ({15}) Das wollen Sie mit dem Etikett „Freiheit und Wettbewerb“ verkaufen. ({16}) Ein Konzept ist das nicht. ({17}) - Ja, das habe ich getan. In Ihrem Antrag steht nichts. Kollege Lanfermann, Sie haben gleich Gelegenheit, das zu erläutern. Wir werden in Kürze die Reformeckpunkte vorlegen, um unser bewährtes solidarisches Gesundheitssystem weiter zu stärken. Dazu werden wir nicht nur Effizienzreserven heben, sondern auch in puncto Strukturen und Wettbewerb die notwendigen Rahmenbedingungen verbessern, damit unser Gesundheitssystem den veränderten und ohne Zweifel steigenden Ansprüchen gerecht wird. Ich danke. ({18})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Heinz Lanfermann von der FDP-Fraktion. ({0})

Heinz Lanfermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002717, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zuerst mit Staunen, aber jetzt doch mehr mit Entsetzen schauen die Bürger auf die verzweifelten Versuche der Koalition, sich irgendwie zu einigen. Kein Vorschlag ist töricht genug, um nicht in die Öffentlichkeit lanciert zu werden. Aber offensichtlich ist, dass keines der strukturellen Probleme durch eine neue Umverteilungsbürokratie oder gar neue Steuern gelöst wird. ({0}) Was bleibt, ist der starre Blick auf die Einnahmeseite. Sie wollen noch mehr Geld in das Fass ohne Boden schütten, das jetzt mit „Fonds“ bezeichnet wird. Dabei richten sich die begehrlichen Blicke bei der SPD, aber auch bei den Grünen und bei den Linken vor allem auf die private Krankenversicherung. Zum einen schielt man auf die Rücklagen von mittlerweile fast 100 Milliarden Euro; zum anderen hält man die Privatversicherten für geeignete Melkkühe. Es wird das Zerrbild von den egoistischen, unsolidarischen Besserverdienenden gezeichnet, denen man nur in die dicke Brieftasche greifen muss, um endlich die soziale Gerechtigkeit auf Erden herzustellen. ({1}) Das geht so weit, dass der Kollege Lauterbach verkündet hat, die Privaten seien die Parasiten der gesetzlichen Kassen. Das ist eine abstoßende Sprache, mit der auch nicht irgendwelche anonymen Institutionen getroffen werden; davon werden vielmehr 8,5 Millionen Menschen getroffen. Es sind Bürger, die ganz normal Versicherungsverträge abschließen, Beiträge - durchaus auch hohe Beiträge - zahlen, die Leistungen von Ärzten und Krankenhäusern gut bezahlen und am Ende von ihrer Versicherung die Kosten erstattet bekommen. Anschließend werden sie von Frau Künast hier noch beschimpft. ({2}) Diesen Bürgern den Vorwurf zu machen, sie verhielten sich damit parasitär, ist schlichtweg eine Unverschämtheit und in der Sache auch falsch. ({3}) Das vom Kollegen Lauterbach als Begründung vorgebrachte Argument, die Praxiseinrichtung der Ärzte und die Ausstattung der Kliniken würden weitgehend über die Einnahmen aus den gesetzlichen Kassen finanziert, geht völlig daneben. Wenn 90 Prozent der Patienten gesetzlich versichert sind, kommt der numerisch größere Teil der Einnahmen natürlich von den Krankenkassen. Weil aber jeder der 10 Prozent privat versicherten Patienten höhere Honorare und Rechnungen zahlt, ist ihr proportionaler Anteil an den Einnahmen von Ärzten und Krankenhäusern höher als bei den gesetzlich Versicherten. ({4}) - Das müssen Sie pro Kopf rechnen, Frau Ferner, nicht in der Summe! Diese 10 Prozent tragen schon jetzt bis zu 40 Prozent der Kosten in den Praxen. Viele Praxen wären ohne Privatpatienten überhaupt nicht lebensfähig. ({5}) Manches teure Gerät im Krankenhaus steht nur deswegen dort und damit allen Patienten zur Verfügung, weil seine Finanzierung über die Einnahmen von den Privatpatienten gesichert wird. Die Zahlen sind bekannt: Es sind in jedem Jahr 9,5 Milliarden Euro, die die privat Versicherten mehr zahlen, als es ihrem Anteil entspricht. Auch die Behauptung, bei den 8,5 Millionen privat Versicherten handele es sich nur um Besserverdiener, ist eine Luftblase. Natürlich gehört ein kleinerer Teil der privat Versicherten auch zu den höher Verdienenden. Das liegt schon daran, dass Sie den meisten Menschen verbieten, eine private Versicherung abzuschließen. ({6}) Lassen Sie mich zwei Zahlen nennen: Erste Zahl. Nach der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe des Statistischen Bundesamts für 2003 hatte der durchschnittliche PKV-Versicherte in diesem Jahr etwas über 28 800 Euro zur Verfügung. Das sind im Monat 2 404 Euro. Zweite Zahl. In diesem Jahr lag die Beitragsbemessungsgrenze bei 41 400 Euro. Von den privat Versicherten haben aber 78 Prozent weniger als 40 000 Euro verdient. Das verwundert auch nicht. Die Hälfte der privat Versicherten sind Beamte, davon die allermeisten gering oder mittelmäßig besoldet. Bei den Selbstständigen gibt es inzwischen eine immer höhere Zahl von Geringverdienern. Es geht nicht nur um Zerrbilder, die zur Stimmungsmache eingesetzt werden; es geht auch um Vertrauensschutz, um geschützte Rechtsgüter, um mit eigenen Mitteln erworbene Ansprüche und Anwartschaften. Man kann nicht erst über Jahrzehnte für viele Millionen Menschen zwei voneinander unabhängige, unterschiedliche, in der Risikofrage und im rechnerischen Aufbau verschiedene Systeme schaffen und dann, wenn das eine gut und das andere schlecht funktioniert, einfach über den Zaun greifen und sich bedienen. Sie können es drehen und wenden, wie Sie wollen: Man heilt einen Kranken nicht dadurch, dass man einen Gesunden krank macht. ({7}) Wenn Sie überlegen, wie eine Versicherung aussehen soll, dann schauen Sie bitte in den Antrag auf Drucksache 16/1997, der die wesentlichen Elemente des FDP-Modells vorstellt, und werfen Sie dann bitte einen Blick auf die Fragen, die wirklich wichtig sind: Wollen wir mehr Transparenz, soll also zum Beispiel jeder Patient bei allen Behandlungen wissen, was es kostet? Soll jeder Bürger die Wahl zwischen verschiedenen Tarifen haben, ({8}) bei denen er eine mehr oder weniger hohe Eigenbeteiligung an den Kosten trägt? Sollen die Beiträge konjunkturunabhängig und damit beständiger sein? Sollen die Beiträge vom Arbeitslohn unabhängig sein, um die Lohnkosten zu senken? Soll es auch möglich sein, medizinischen Fortschritt und Innovationen zu nutzen? Vor allem, auch mit Blick auf Frau Künast: Soll sich das Versicherungssystem möglichst selbst tragen und auch zukunftsfest sein? Soll es die Problematik höherer Krankheitskosten im Alter und der demografischen Entwicklung - schrumpfende Bevölkerung mit immer weiter steigendem Altenanteil - gewachsen sein? Auf alle diese Fragen kann man verantwortungsbewusst doch nur mit Ja antworten. ({9}) Dann stellt sich die Frage, welche Versicherung dies alles leistet. Die Antwort ist klar: Die privaten Versicherungen erfüllen diese Bedingungen, die gesetzlichen kaum etwas davon. Das sollte uns zu denken geben. Deswegen sind wir der Meinung, dass es ein System, das funktioniert, leistungsstark und zukunftssicher ist, nicht verdient, hier angegriffen zu werden; eher muss man es zur Grundlage der Überlegungen dazu machen, wie wir insgesamt ein besseres Gesundheitssystem bekommen können. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Annette WidmannMauz von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Annette Widmann-Mauz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die Berichterstattung und die heutige Debatte hier im Parlament verwirren die Menschen mehr, als dass sie aufklären. ({0}) Frau Künast, wenn sich draußen jemand heute von Ihnen Aufklärung im Sinne von Verbraucherinformation erhofft hat, dann wurde er nur noch einmal mehr enttäuscht. Das, was Sie hier abgeliefert haben, war widersprüchlich. Ich nenne es Desinformation, was Sie heute Morgen betrieben haben. ({1}) Die Union will die Strukturen des Gesundheitswesens wettbewerbsfähiger, transparenter und effizienter gestalten. Unser Ziel ist es, die Versorgung über den Wettbewerb effizienter zu gestalten und daneben auch die Wachstumspotenziale, die im Gesundheitssektor vorhanden sind, zu erschließen, ohne die Lohnnebenkosten ständig weiter ansteigen zu lassen. Wir wollen, dass das System transparenter wird, um den Versicherten mehr Einflussmöglichkeiten auf ihre gesundheitliche Versorgung zu geben. ({2}) Heute weiß doch der Patient überhaupt nicht, ob seine Kasse zu dem festgesetzten Beitragssatz eine kostengünstige Versicherung anbietet oder nicht. Er kann doch heute nicht ermessen, welche Leistungen sein Arzt mit seiner Krankenkasse verrechnet oder, um es anders auszudrücken, was der Arzt für die einzelne Behandlung überhaupt erhält. Unser Ziel ist es deshalb, die Strukturen aus der Sicht der Versicherten neu zu ordnen. Wir wollen anstelle des bevormundeten oder zwangsbeglückten Patienten den aufgeklärten, mündigen Patienten stellen. Diese Mündigkeit geht eben einher mit einem Kostenbewusstsein für die Inanspruchnahme medizinischer Leistungen. ({3}) Deshalb wollen wir bei der ambulanten und bei der zahnärztlichen Versorgung auch das Sachleistungsprinzip durch das Prinzip der Kostenerstattung ersetzen. ({4}) Auf der Grundlage einer neuen, verlässlichen und leistungsgerechten ärztlichen Vergütung in der gesetzlichen Krankenversicherung sollte es doch dem Arzt möglich sein, dem Patienten Auskunft über die erbrachten medizinischen Leistungen und die damit verbundenen Kosten zu geben. Wir von der Union sind zuversichtlich, dass eine Kostenerstattung in Verbindung mit Selbstbehalttarifen eine positive Steuerungswirkung entfalten würde. ({5}) Wir wissen auch, was uns immer entgegengehalten wird: Härtefälle, die durch hohe Rechnungen oder bei einkommensschwachen Menschen auftreten. Dafür können unbürokratische Ausnahmeregelungen vorgesehen werden. Der mündige Versicherte soll darüber hinaus auch in der Lage sein, das Angebot der einzelnen Kasse sowohl nach der Leistung als auch nach dem Preis beurteilen zu können. Das ist doch wichtig. Er muss schließlich wissen, bei welcher Krankenkasse er sich am besten versorgt fühlt. Ein Gesundheitsfonds wäre doch ein Instrument, um diese Ziele zu erreichen: Die Beiträge von Arbeitgebern und Arbeitnehmern könnten von einer Stelle erhoben werden, Steuergelder könnten hinzukommen und diese Einnahmen auf die Zahl der Versicherten umgelegt werden. Auf dieser Basis erhält die jeweilige Kasse einen Betrag pro Versicherten zur Verfügung gestellt. Damit sichert die einzelne Krankenkasse den gesetzlichen Leistungskatalog. Bei der Fondslösung kann ein Versicherter daran, ob seine Kasse einen Aufschlag verlangt oder - dieser umgekehrte Fall ist genauso denkbar - auch einmal Geld an die Versicherten zurückgegeben werden kann, sehen, ob sie mit dem für ihn bereitgestellten Beitrag auskommt. ({6}) Ich sage Ihnen: Jeder Versicherte kann dann prüfen, ob er mit dem Angebot, das die Kasse ihm macht, zufrieden ist. Wenn er Preissensibilität spürt, wird er zum ersten Mal auch wirklich ein Interesse haben, günstigere Tarife, die die Kassen anbieten, auch anzunehmen. ({7}) Solche Überlegungen setzen natürlich zweierlei Dinge voraus: Zum einen, dass unterschiedliche Risiken wie zum Beispiel Alter und Geschlecht auch weiter vor der Ausschüttung des Pauschalbeitrages an die Kassen berücksichtigt werden und zwischen den Kassen ausgeglichen werden, und zum Zweiten, dass für Kassen und Leistungserbringer mehr Vertragsmöglichkeiten bestehen, damit Wahltarife und damit ein Angebot für die Versicherten überhaupt entwickelt werden kann. Man liest ja immer wieder und auch heute in der Debatte bringen Sie es immer wieder ein, die Koalition stemme sich gegen Änderungen an den Strukturen und es finde zu wenig Wettbewerb statt. Dies ist schlicht und ergreifend falsch. Schauen Sie doch einmal im Gesetz nach - ein solcher Blick ist manchmal hilfreich -, welche vertraglichen Möglichkeiten es seit 2004 gibt. Krankenkassen und Leistungserbringer könnten sie konsequent wahrnehmen, aber sie tun es nicht, denn im bestehenden System hat niemand wirklich Interesse daran. Denken Sie an das AVWG, das wir erst vor einigen Monaten hier verabschiedet haben. Darin haben wir zu Beginn des Jahres Rabattverträge zwischen Kassen und Arzneimittelherstellern vorgesehen. Bereits durch die Absenkung der Festbeträge und die Möglichkeit der Zuzahlungsbefreiung bei besonders preiswerten Generika ist es zu einer erheblichen Dynamik im Markt gekommen. Bereits zum 1. Juli werden Tausende von Präparaten wie einige Betablocker zum Beispiel zuzahlungsfrei gestellt. Schauen Sie heute in die Zeitung! Weitere Preissenkungen wurden angekündigt, zum Teil um 40 Prozent. Wir wollen weitere Vertragsmöglichkeiten bei Preisverhandlungen zwischen Arzneimittelherstellern und Krankenkassen, damit mehr Wettbewerb in Schwung kommt, mehr Markt möglich wird und die Versicherten zu einem günstigeren Preis Arzneimittel erhalten können. ({8}) Um eine angemessene Grundlage für Preisverhandlungen und damit für Wettbewerb zu erhalten, brauchen wir auch stärkere Bewertungen und Beurteilungen von Arzneimitteln und von anderen Therapieformen. Ein weiterer Punkt, an dem gerne die Frage, ob wettbewerbliche Strukturen vorhanden sind oder nicht, festgemacht wird, ist die Frage nach dem Erhalt der Kassenärztlichen Vereinigungen. Auch heute wurde sie wieder aufgebracht. Für die Grünen sind es die „Atomkraftwerke“ in der Gesundheitspolitik, die abgeschaltet werden müssen. So wie in der Energiepolitik niemand ernsthaft glaubt, den Strombedarf der Bundesrepublik ganz ohne Atomkraftwerke decken zu können, gibt es auch in der gesundheitspolitischen Fachwelt niemanden, der wirklich glaubt, gänzlich auf Kassenärztliche Vereinigungen verzichten zu können, ({9}) höchstens Lobbygruppen, Herr Kuhn, die sich erhebliche Vorteile von ihrer Monopolstellung im System versprechen. Die würden sicherlich mächtig davon profitieren. ({10}) Selbst Krankenkassen halten dies nicht für wünschenswert. Wer sollte denn ansonsten die Qualitätssicherung bis in die einzelne Arztpraxis hinein vornehAnnette Widmann-Mauz men? Wer sollte denn sonst die Versorgung in der Uckermark oder im Bayerischen Wald sicherstellen? Wer sollte denn sonst dafür geradestehen, dass Leistungen nicht uferlos erbracht werden? Oder wer sollte dem Arzt, der in Managementfragen keine Ausbildung erfahren hat, weil er eben Medizin und nicht Betriebswirtschaftslehre studiert hat, die entsprechende Beratung geben? All diese Fragen bleiben bei Ihnen unbeantwortet. Umgekehrt wagen sich dieselben Leute, die hier große ideologische Schlachten schlagen, nicht an die Kostenerstattung heran, obwohl damit die Kassenärztlichen Vereinigungen mit ihren Aufgaben wesentlich verschlankt werden könnten. Die große Koalition wird die Kassenärztlichen Vereinigungen nicht abschaffen. Das haben wir im Koalitionsvertrag festgelegt. Sinnvoll wäre es aber sehr wohl, die Vertragsmöglichkeiten für die Kassen zu erweitern. Das heißt, es muss nicht alles kollektiv, gemeinsam und einheitlich erfolgen, vielmehr müssen mehr Möglichkeiten zum Abschluss von Einzelverträgen geschaffen werden. Dabei können auf Kassenseite einzelne Kassen handeln oder sich in Gruppen zusammenschließen. Auf der Ärzteseite können neben einzelnen oder Gruppen von Ärzten auch Kassenärztliche Vereinigungen Vertragspartner sein. Das wäre eine zukunftsweisende Strukturreform. ({11}) Wir werden noch mehr auf den Weg bringen, als Sie sich heute vorstellen können. Lassen Sie mich einmal das Thema Bürokratieabbau ansprechen. Wenn es um die DMPs geht, haben wir enorme Möglichkeiten, Bürokratieabbau bei den Kassen und in den Praxen zu beschleunigen. Auch darum geht es bei dieser Reform. ({12}) Schauen wir uns den Fonds an! Die Befürchtung, ein Fonds sei ein bürokratisches Monster, entbehrt jeder Grundlage. Der Beitragseinzug kann unbürokratisch gestaltet werden. Das wissen offenbar mittlerweile auch die Kassen und ziehen gegen den Fonds oder das, von dem sie meinen, dass es ein Fonds sein könnte, dramatisch zu Felde. Warum denn? Von den 160 000 Beschäftigten bei den Krankenkassen sind allein 30 000 mit dem Beitragseinzug beschäftigt. Wenn wir dies in Zukunft etwas einfacher und mit geringerem bürokratischem Aufwand machen könnten, ({13}) dann wäre das im Interesse der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler und muss nicht von vornherein als tabu erklärt werden. Für die Arbeitgeber könnte ein solches Verfahren auch erhebliche Erleichterungen mit sich bringen. Heute muss ein Unternehmer mit seiner Personalabteilung alle Beiträge der 250 Kassen im Kopf haben, um die Beiträge auch korrekt abführen zu können. ({14}) Mit einem Fonds muss er nur noch einen Beitrag und eine Kontonummer im Kopf haben. Das ist doch eine deutliche Verschlankung. Zum Thema Risikostrukturausgleich gäbe es noch viel zu sagen. Es gibt wohl keinen Bereich, meine Damen und Herren, in dem in den letzten Jahren so viel Geld eingespart worden ist wie im Gesundheitssektor. Mit dem Reformgesetz von 2004 konnte die angestrebte Beitragssatzsenkung wegen der höheren Verschuldung der Kassen als angenommen nicht vollständig erreicht werden; aber die Beiträge blieben in den meisten Fällen stabil. Außerdem wurden die Kassen entschuldet. Insgesamt hat dieses Gesetz 8 Milliarden Euro Schulden bei den Kassen abgebaut und Ausgabensteigerungen in Höhe von 6 bis 8 Milliarden Euro abgefangen. Es soll mir einmal jemand hier ein anderes Sozialversicherungssystem nennen, das eine Einsparung in dieser Dimension aus sich selbst heraus erbracht hat. ({15}) All diejenigen, die ständig fordern, wir müssten mehr tun, sollten zuerst die Hausaufgaben in ihren Systemen machen. ({16}) Dann wären wir schon deutliche Schritte weiter.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Annette Widmann-Mauz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine Damen, meine Herren, die Anträge der Opposition, die heute zur Beratung vorliegen, tragen nicht wirklich zur Problemlösung bei. Sie sind gut gemeint, bleiben aber weit hinter dem zurück, was getan werden muss, um den Wettbewerb in der gesetzlichen Krankenversicherung zu forcieren, die Transparenz zu erhöhen und die Wahlmöglichkeiten der Versicherten auszuweiten. Wir werden nach der Sommerpause genügend Gelegenheit haben, einen guten Gesetzentwurf für eine grundlegende Reform des deutschen Gesundheitswesens zu beraten. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Frank Spieth von der Fraktion Die Linke. ({0})

Frank Spieth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003849, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ob der Entwurf, der uns vorgelegt werden wird, gut ist, werden wir sehen. Hoffentlich wird den Menschen in diesem Land dabei nicht schlecht. Die Gefahr ist nach dem, was ich vorhin von Herrn Zöller gehört habe, sehr groß. Er hat gesagt: Solidarität für die großen Risiken, Eigenverantwortung für die kleinen Risiken. - Damit meinte er: Privatisierung der Lebensrisiken. Wir haben deshalb - leider ist bisher dazu wenig gesagt worden - einen Antrag eingebracht, mit dem wir eine weitere Privatisierung dieser Lebensrisiken, dieser Gesundheitsrisiken beenden wollen, und zwar durch die Abschaffung der Eintrittsgebühr. ({0}) Wir wollen eben keinen Gesundheitsfonds für Gesunde; wir brauchen eine gesetzliche Krankenversicherung, die die Leistungen bereitstellt, die Menschen benötigen, wenn sie krank werden. ({1}) Genau dazu sind die Vorschläge zum Gesundheitsfonds, die bisher öffentlich geworden sind, nicht eindeutig. ({2}) Die Eintrittsgebühr für die Inanspruchnahme eines Arztes, Zahnarztes oder Psychotherapeuten, auch Praxisgebühr genannt, hat das eigentliche Ziel der damaligen übergroßen Koalition nicht erreicht. Sie wollte auch durch die Eintrittsgebühr erreichen, dass die Lohnnebenkosten gesenkt und damit Arbeitsplätze geschaffen werden. Aber millionenfach können wir jetzt nachvollziehen: Dies ist nicht realisiert. Millionen Arbeitslose können eine andere Erfahrung schildern. ({3}) Im aktuellen „Gesundheitsmonitor“ der BertelsmannStiftung wird festgestellt - das ist die letzte Erhebung vom April 2006 -, dass die Anzahl der Arztkontakte nach einem deutlichen Rückgang im Jahre 2004 und im Frühjahr 2005 seit dem Herbst 2005 wieder angezogen hat, allerdings mit deutlichen Differenzen in den unterschiedlichen Einkommensgruppen. Man kann bilanzierend feststellen, dass die Eintrittsgebühr und die Zuzahlungsregelungen eine nach unserer Auffassung sozialstaatlich nicht vertretbare Fehlentwicklung bewirken, sodass Menschen mit geringem Einkommen und hohen Gesundheitsrisiken Arztkontakte vermeiden oder aufschieben. Dies gilt vor allem für die Einkommensgruppen bis 500 und bis 1 000 Euro im Monat. Eine Arbeitslosengeld-II-Empfängerin in Weimar schilderte mir auf bedrückende Art und Weise, dass sie schon mehrfach vor der Entscheidung gestanden habe, für sich und ihre Tochter Lebensmittel zu kaufen oder die Eintrittsgebühr beim Arzt zu bezahlen. Nach den Beratungen im Gesundheitsausschuss befürchte ich, dass Sie den Antrag der Linksfraktion zur Abschaffung der Praxisgebühr heute gemeinsam niederstimmen. Dies wird bei den Betroffenen mit Sicherheit eine große Enttäuschung auslösen; denn es bestand die Hoffnung, dass der Sachverstand möglicherweise doch größer als die politische Engstirnigkeit ist. ({4}) Nach den vorhin gemachten Ausführungen befürchte ich, dass Sie, meine Damen und Herren von der großen Koalition, mit dem Gesundheitsfonds einen weiteren großen Schritt in Richtung Zuzahlungen und Privatisierung der Gesundheitskosten gehen werden. Direktzahlungen der Patientinnen und Patienten zählen seit 25 Jahren zum neoliberalen Standardrepertoire und zur politischen Begleitmusik von Gesundheitsreformen in Deutschland. ({5}) Damit - das hat die FDP vorhin wieder gezeigt - feiert die Idee von der so genannten Eigenverantwortlichkeit und dem Rückzug des solidarischen und sozialen Ausgleichs fröhliche Urständ. Neben zusätzlichen Einnahmen sollen Zuzahlungen - das war immer die Aussage - eine Steuerung des Verhaltens der so genannten Verbraucherinnen und Verbraucher auf dem Gesundheitsmarkt bewirken, indem mit ihnen die vermeintlich überzogene Inanspruchnahme kostenfreier Leistungen eingedämmt werden soll. Damit sollen die Versicherten zu einer rationaleren Nutzung des medizinischen Angebots bewegt und eine nicht näher bestimmte Effizienz des Gesundheitswesens gesteigert werden. Doch bei näherem Hinsehen entpuppt sich dieses gängige Credo als grober Unsinn. Das einseitige Menschenbild vom Homo oeconomicus erklärt allenfalls einen kleinen Teil des Verhaltens der so genannten Verbraucher am Gesundheitsmarkt. Die Erhebung von Selbstbeteiligungen und vor allen Dingen die Einführung von Befreiungsregelungen erzeugen auf der anderen Seite zusätzlichen Verwaltungsaufwand und Kosten. Die postulierte Unterscheidung zwischen sinnvoller und überflüssiger Inanspruchnahme ist nach meiner Auffassung unsinnig und realitätsfremd und ist nirgendwo auf der Welt wirksam geworden. ({6}) Eigenbeteiligungen setzen beim Verbraucherverhalten an. Die wichtigsten kostentreibenden Faktoren neben dem medizinisch-technischen Fortschritt sind allerdings - das sagt jeder Experte - das Anbieterverhalten und die Honorierung der Anbieter. Patientenzuzahlungen wirken vor allem auf den Erstkontakt mit dem Gesundheitswesen und auf einfachere, preisgünstige Leistungen. Weitergehende Untersuchungen und vor allem teure Diagnostik und Therapie erfolgen danach. Eigenbeteiligungen führen nicht zum erwünschten Verzicht auf ärztliche Behandlung oder medikamentöse Therapie.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Frank Spieth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003849, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich komme zum Ende. Zuzahlungsbefreiungen sind aufwendig. Sie verschlingen einen Teil der Mehreinnahmen und können die erzeugten Ungerechtigkeiten nur teilweise und allenfalls nachholend ausgleichen. Optimale Zuzahlungen - das kann man mit Blick auf die in der Fondslösung angedeuteten Maßnahmen sagen - sind Elfenbeintürme. Sie sind extrem aufwendig und beruhen zudem auf falschen Prämissen. Ich wünsche mir, dass Sie unserem Antrag zustimmen. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf der Ehrentribüne hat soeben der Parlamentspräsident der Republik Indien, Herr Chatterjee, mit seiner Delegation Platz genommen. ({0}) Im Namen aller Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages begrüße ich Sie sehr herzlich. Herr Präsident, es ist uns eine große Freude, Sie und Ihre Begleitung zu einem offiziellen Besuch zu Gast zu haben. Der Deutsche Bundestag misst der Zusammenarbeit unserer Parlamente große Bedeutung bei. Für Ihren Aufenthalt und für Ihr weiteres parlamentarisches Wirken begleiten Sie unsere besten Wünsche. ({1}) Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Kollegin Birgitt Bender vom Bündnis 90/Die Grünen.

Birgitt Bender (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003502, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In einer großen Koalition soll angeblich richtig zugepackt werden. ({0}) Was erleben wir? Seit neun Wochen wird verhandelt und jeden Tag wird eine neue Sau durch die Presselandschaft getrieben. ({1}) Das heißt, es gibt nach wie vor keine Einigung. Da mag man fast die alten Zeiten loben. Damals hat Rot-Grün sich mit der Union zusammengesetzt. Wir haben drei Wochen lang verhandelt und dann hatten wir ein Ergebnis. Nehmen Sie sich mal ein Beispiel an unserer damaligen Arbeitsmoral! ({2}) Was ist bisher zustande gekommen? Ich höre gewisse Worte, die mir gefallen, etwa: Wettbewerb. Mehr Wettbewerb solle es geben. In der Tat, darum geht es uns. Aber was hören wir gleichzeitig, Herr Zöller? Sie verteidigen den Schutzzaun um die private Krankenversicherung. ({3}) Dort gibt es doch gerade keinen Wettbewerb. Nicht alle können sich aussuchen, in welche Versicherung sie gehen. ({4}) Es gibt einen Schutzzaun um die PKV. Die sucht sich die Leute danach aus, ob sie auch gesund genug sind ({5}) und keine Risiken mitbringen. ({6}) Schaffen Sie doch endlich Wettbewerb und entsprechende Rahmenbedingungen, damit die Versicherten von einer Versicherung zur anderen, so wie sie es wollen, wandern können. Stattdessen verteidigen Sie, fröhlich sekundiert von der FDP, die derzeitige Arbeitsweise der PKV. Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Wozu führt denn die Tatsache, dass die private Krankenversicherung bessere Arzthonorare zahlt? Das führt dazu, dass es sehr viele Ärzte am Starnberger See gibt. ({7}) Aber versuchen Sie einmal, in Berlin-Neukölln einen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten zu finden! Das heißt, die private Krankenversicherung bietet eine Medizin für die Reichen und Schönen. Da gibt es Überversorgung. Die anderen bekommen den Rest. Das ist doch keine akzeptable Steuerungswirkung in einem sozialen Sicherungssystem! ({8}) Wettbewerb wäre in der Tat gut. Es geht um den richtigen Suchmechanismus für Innovationen in der Gesundheitsversorgung. Was höre ich stattdessen schon wieder von der Union? Die Ärztekartelle seien gut. ({9}) Frau Widmann-Mauz, wenn Sie das gleich mit einem Bekenntnis zur Atomkraft verbinden, kann man dazu nur sagen: Sie haben eine Vorliebe für Dinosaurier, zeigen aber keine Reformbereitschaft. ({10}) Ich höre von Frau Merkel immer „Mehr Freiheit wagen!“ und das Bekenntnis zur Marktwirtschaft. Dann fangen Sie doch einmal an! Setzen Sie die Fachärzte doch der Marktwirtschaft aus und schaffen Sie in den Apothekenzünften endlich einmal Marktwirtschaft! So können Sie die Worte von Frau Merkel realisieren und brauchen nicht nur große Worte zu schwingen. Aber ich sehe nicht, dass das passiert. ({11}) Statt den frischen Wind des Wettbewerbs in das Gesundheitswesen zu bringen, diskutieren Sie über mehr Staat. Jetzt wird - wir haben es gehört - ein Fonds geschaffen. ({12}) Da wird erst einmal der Beitragseinzug verstaatlicht, übrigens mit der Folge, dass dies doppelt so viel kostet, und die Beitragshöhe staatlich festgesetzt, was früher die Kassen gemacht haben. Dann soll noch eine Mindestzahl von Versicherten festgelegt werden, die eine Kasse haben muss. ({13}) Stellen Sie sich einmal vor, das würden wir mit den Bäckern machen! Nennt man so etwas etwa Marktwirtschaft? Schließlich wollen Sie noch einen Einheitsdachverband der Krankenkassen schaffen, damit sie auch wirklich als Einheitsfront sprechen. Nennt man so etwas etwa Marktwirtschaft und Wettbewerb? ({14}) Das ist doch Etatismus pur, was Sie da vorhaben. ({15}) Was bewirkt denn Ihr Gesundheitsfonds, der nach Aussagen der Frau Staatssekretärin angeblich zu einer nachhaltigen Finanzierung beitragen soll? Er schafft mehr Bürokratie. ({16}) Dann wird zusätzlich eine so genannte kleine Kopfpauschale eingeführt. Das heißt, es gibt mehr Verwaltungsaufwand und eine größere soziale Belastung der Versicherten. So etwas hat den Namen „Reform“ nicht verdient. ({17}) Schließlich wird jeden Tag darüber diskutiert, welche Steuer man jetzt wieder erhöhen könnte: erst die Mehrwertsteuer - das haben Sie schon beschlossen -, dann die Einkommensteuer. Das weiß man natürlich nicht so genau; denn hier hat Rot-Grün gerade erste Reformen durchgeführt und eigentlich wollte die Union die Tarife weiter senken. Dann kam man auf einen Gesundheitssoli. Jetzt haben wir schon den Soli für den Osten; ein Soli für die Hüfte wäre vielleicht verfassungsrechtlich schwierig. Jetzt lese ich: Wir stricken uns eine neue Steuer. Diese neue Steuer muss allein dem Bund und darf nicht den Ländern zustehen. Sie darf die Betriebe nicht belasten und nicht mit Absetzmöglichkeiten verbunden sein. Was machen Sie da eigentlich? Sie sind ein Kränzchen, in dem man sagt: Wir häkeln uns einen Geldsack. Soll man so etwas etwa eine Reform nennen? ({18}) Ich sagen Ihnen noch etwas: Auch wenn Sie jetzt beschließen, der Krankenversicherung Steuermittel in größerem Umfang - Sie haben der Krankenversicherung gerade erst 5 Milliarden Euro genommen - wieder zukommen zu lassen, werden die dafür notwendigen Steuererhöhungen nicht zum nächsten Ersten greifen. Zum nächsten Ersten haben Sie jedoch ein Finanzloch in der Krankenversicherung in der Größenordnung von voraussichtlich 7 Milliarden Euro. Ich möchte einmal wissen, wie Sie das stopfen wollen. Ich höre immer Herrn Ramsauer und andere, die plötzlich darüber philosophieren, welche Leistungen man aus dem Angebot der Krankenversicherungen rausnehmen könnte, die die Versicherten dann privat absichern können, so zum Beispiel Risikosportarten. Ich sage Ihnen dazu eines: Die am weitesten verbreitete Risikosportart in unserer Gesellschaft ist was? - Der Fußball. Wir reden hier nicht über die Wade von Michael Ballack, sondern über die Vereine, in denen junge Männer und zunehmend auch junge Frauen - zum Beispiel als Kinder von Migranten - in diese Gesellschaft aufgenommen werden und einen Platz finden. Sie wollen womöglich das Signal setzen, das sei ein Luxus, der Solidarität nicht verdient habe. Dazu sage ich nur: Pfui, das ist keine Reform. ({19})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Christian Kleiminger von der SPD-Fraktion. ({0})

Christian Kleiminger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003787, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir heute darüber reden, wie das solidarische Gesundheitssystem auch in Zukunft nachhaltig finanziert und gesichert werden soll, dann muss man natürlich auch über eine effiziente Nutzung der vorhandenen Finanzmittel sprechen. Dabei geht es nicht allein um die Kosten, sondern darum, wie man den Betroffenen am besten helfen kann. ({0}) Unsere Idee, die starren Grenzen zwischen stationärer und ambulanter medizinischer Versorgung aufzuweichen, zieht sich dabei wie ein roter Faden durch alle gesundheitspolitischen Überlegungen. Ein variableres Versorgungsangebot wird die Qualität erheblich verbessern. Mir ist es wichtig, in diesem Zusammenhang ein Thema anzusprechen, mit dem wir uns leider in der Gesellschaft, aber auch hier im Parlament, noch zu wenig auseinander setzen. Es geht mir um die Hospizarbeit und die Palliativmedizin. Die Koalition hat dieses wichtige Thema erkannt und deshalb auch bereits im Koalitionsvertrag Verbesserungen vereinbart, um Menschen ein Sterben in Würde zu ermöglichen. Wenn alle Betroffenen wissen, dass Sterben ohne Schmerzen durch bestmögliche Versorgung Lebensqualität bis zum Schluss wahren kann, werden auch die Diskussionen um die aktive Sterbehilfe verstummen. ({1}) Bei meinen Besuchen in den ambulanten und stationären Hospizen - auch in meinem Wahlkreis Rostock wurde mir vermittelt, dass Anspruch und Wirklichkeit hier leider noch immer zu weit auseinander klaffen. Das müssen wir ändern und konkrete Rahmenbedingungen für diesen Bereich schaffen. Bestmögliche palliative Versorgung darf in Zukunft nicht weiter vom Wohlwollen der jeweiligen Krankenkassen und deren Medizinischer Dienste abhängen. ({2}) Deshalb muss ein Ziel des großen Pakets, das wir schnüren, sein, einen flächendeckenden Zugang zu palliativmedizinischer und pflegerischer Versorgung und einen individuellen Leistungsanspruch hierauf für alle Menschen zu schaffen. Dieser Zugang muss auch ambulant möglich sein, sodass schwer kranke und sterbende Menschen länger und besser in ihrer häuslichen Umgebung versorgt werden können. Das ist der Wunsch vieler Menschen. ({3}) Die bereits in Modellregionen - wie in Mecklenburg erprobten Palliative-Care-Teams, die sich aus speziell ausgebildeten Ärzten und Pflegern zusammensetzen, konnten in der Vergangenheit bereits gute Erfahrungen sammeln. Dabei geht es um ein Nebeneinander von ambulant und stationär, von höchstem medizinischem und pflegerischem Standard und ehrenamtlichem Engagement. ({4}) Lassen Sie mich an dieser Stelle gerade Letzteres, das bürgerschaftliche Engagement der vielen Ehrenamtlichen, würdigen. Ohne sie wäre unsere Gesellschaft um einiges ärmer. ({5}) Die Zahl der sterbenden und schwer kranken Menschen wird in den nächsten Jahren weiter zunehmen. Deswegen ist es wichtig, dass auch dieser Aspekt schon heute in die Diskussion einfließt. An dieser Stelle sollten wir uns fragen: Was sind uns Leben und Sterben in Würde wert? Ich bin der Auffassung, dass es uns viel wert sein muss. Vielen Dank. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Kleiminger, ich gratuliere Ihnen zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag. ({0}) Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Rolf Koschorrek von der CDU/CSU-Fraktion. ({1})

Dr. Rolf Koschorrek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003791, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute trifft uns unvermittelt die geballte Kraft der Opposition zu Themen, die noch gar nicht auf dem Tisch liegen. Das ist schon sehr interessant. Uns liegen vier Anträge zu fast allem, was in der Gesundheitspolitik in den letzten Jahren passiert ist, vor: viel Papier, aber nichts Erhellendes. Die Fraktion der Linken beantragt die Abschaffung der Praxisgebühr. Die Grünen sind dafür, die Praxisgebühr beizubehalten. Sie beantragen die Einführung der Bürgerversicherung. Das ist ein altes Lieblingsprojekt der Grünen, das sie aber in den sieben Jahren, in denen sie das hätten machen können, nicht umgesetzt haben. In einem zweiten Antrag geben sie vermeintlich gute, aber durchaus verzichtbare Ratschläge für die aktuellen Verhandlungen über die Reform der gesetzlichen Krankenversicherung und kritisieren vorab, was sie nur vom Hörensagen kennen. Die Fraktion der FDP schließlich beantragt heute, dass das Gesundheitssystem zu reformieren sei, und sagt, nach welchen Kriterien dies nach ihrer Auffassung erfolgen sollte. ({0}) - Dazu komme ich gleich. Im Gesundheitsausschuss besteht zwischen CDU/ CSU, SPD, Grünen - das gilt weitgehend auch für die FDP - ein breiter Konsens darüber, dass sich die Praxisgebühr seit ihrer Einführung vor zwei Jahren durchaus bewährt hat. Sie hat nicht nur eine finanzielle Entlastung der Kassen um jährlich rund 2 Milliarden Euro erbracht, sondern auch die beabsichtigte Steuerungswirkung entfaltet. Die Versicherten suchen vermehrt den Hausarzt als zentrale Anlaufstelle auf und die Zahl der Arztkontakte wurde zugunsten einer zeitintensiveren und qualitativ besseren ärztlichen Beratung verringert. Die Praxisgebühr führte offensichtlich dazu, dass die Versicherten die ärztlichen Leistungen bewusster in Anspruch nehmen. Studien des Wissenschaftlichen Instituts der AOK belegen dies eindeutig. Die Eigenverantwortung der Versicherten wurde gestärkt. Durch die Härtefallregelung ist gleichzeitig sichergestellt, dass in Deutschland niemand wegen der Praxisgebühr auf qualifizierte medizinische Hilfe verzichten muss. ({1}) Die Realität ist: In Deutschland muss niemand auf den Arztbesuch verzichten, weil er die Praxisgebühr nicht aufbringen kann. ({2}) Vorsorgeuntersuchungen sind ebenso wie die Untersuchung und Behandlung von Kindern von dieser Gebühr gänzlich ausgenommen. Die Belastungsgrenze für die Praxisgebühr und die Zuzahlungen liegt bei 2 Prozent des jährlichen Bruttohaushaltseinkommens. Im Jahr 2004 waren 6 643 362 erwachsene Personen von der Praxisgebühr und den Zuzahlungen, die über die gesetzlich festgelegte Belastungsgrenze hinausgehen, befreit. Darunter waren zu 90 Prozent chronisch Kranke, für die die Belastungsgrenze von 1 Prozent ihres Haushaltseinkommens gilt. Hinzu kommen über 12 Millionen Kinder, die von den Gebühren und Zuzahlungen gänzlich befreit sind. Wir können zweieinhalb Jahre nach Einführung der Gebühr sagen: Sie hat sich nicht nur als finanzielle Entlastung der Kassen bewährt, sondern sie hat sich auch als sinnvolles Instrument zur Stärkung der Eigenverantwortung der Versicherten erwiesen. Nach meiner Überzeugung wird die Eigenverantwortung im Gesundheitsbereich künftig, im Vergleich zu den vergangenen Jahren, eine zunehmend wichtige Rolle spielen. So ist es auch im Koalitionsvertrag unter der Überschrift „Soziale Sicherheit verlässlich und gerecht gestalten“ vereinbart. Dort heißt es: Eigenverantwortung und Eigeninitiative müssen gestärkt werden und Solidarität ist nicht nur innerhalb der einzelnen Generationen, sondern auch zwischen den Generationen gefordert. ({3}) Vielfach wird suggeriert, Eigenverantwortung und Solidarität seien Gegensätze. Darum möchte ich hier ganz deutlich bewusst machen: Eigenverantwortung und Solidarität stehen nicht im Gegensatz zueinander. Vielmehr müssen sie sich im gesellschaftlichen Leben ergänzen. Eigenverantwortung und Solidarität, ebenso wie Freiheit, sind gleichwertige Grundsätze unserer Gesellschaft. Deswegen können die Fragen, die sich stellen, nur lauten: Wie weit geht die Eigenverantwortung des Einzelnen? Wann kommen die Verpflichtung zur Solidarität und das Anrecht des Einzelnen auf Solidarität zum Tragen? Eine der fundamentalen Grundüberzeugungen der Politik der Union lautet: Die individuelle Verantwortung hat Vorrang gegenüber dem staatlichen Handeln. Der Einzelne trägt nach seinen jeweiligen Fähigkeiten und Möglichkeiten, nach seiner individuellen Leistungsfähigkeit Verantwortung für sich und für die Gesellschaft. ({4}) Er ist zunächst für sich selbst verantwortlich. Darüber hinaus hat er einen Anspruch auf Solidarität und ist zugleich - so weit es in seinen Kräften steht - zur Solidarität mit anderen verpflichtet. ({5}) Dieses Grundprinzip hat ganz wesentlich mit dem C in unserem Parteinamen zu tun. Unsere Basis ist das christliche Menschenbild und die Überzeugung, dass das staatliche Zusammenleben nach dem Subsidiaritätsprinzip zu organisieren ist. Das werden wir uns auch von Ihnen, Frau Künast, mit Sicherheit nicht absprechen lassen. ({6}) Die Ehrlichkeit gebietet es, zu sagen, dass das Gesundheitswesen durch unsere Bevölkerungsentwicklung und den Fortschritt in allen Bereichen der Medizin in Zukunft trotz aller Sparbemühungen nicht auf dem heutigen Ausgabenniveau zu halten sein wird. Es wird teurer werden. Die Bundeskanzlerin sagte dies auch in der vergangenen Woche in der Haushaltsdebatte, dass wir zur Finanzierung des Systems die solidarische Grundlage verbreitern müssen. Zugleich müssen wir allerdings auch nach Einsparmöglichkeiten suchen. Ob eine Senkung der Kosten in großem Umfang wirklich möglich sein wird, möchte ich jetzt dahingestellt sein lassen. Ich bin aber überzeugt, dass eine Begrenzung der künftigen Kosten, zum Beispiel durch eine obligatorische Selbstbeteiligung der Versicherten, durch Rückerstattungen, durch mehr Transparenz und durch Kostenerstattungen im System nicht nur möglich, sondern durchaus anzustreben ist. ({7}) Die Versicherten sind mündige und verantwortungsbewusste Bürger. Es muss ihnen die Möglichkeit gegeben werden, sich als solche zu verhalten. Es besteht in meinen Augen kein Anlass, sie zum Beispiel in Unkenntnis darüber zu lassen, wie hoch die Kosten für die medizinische Versorgung, die sie in Anspruch nehmen, sind. Wir müssen die Versicherten zu einem bewussten und verantwortungsvollen Umgang mit ihrer Gesundheit, zu einem gesundheitsbewussten Leben, zur Prophylaxe und zu einem bewussten Umgang mit der Inanspruchnahme medizinischer Leistungen motivieren. Wenige Tage vor Bekanntgabe des neuen Konzepts der Bundesregierung für die Reform unseres Gesundheitssystems hat die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen wieder den alten Hut der Bürgerversicherung hervorgeholt, die sie - ich muss mich leider wiederholen in den sieben Jahren, in denen sie selbst Verantwortung trug, nicht realisiert hat. ({8}) Warum haben Sie das damals nicht getan? Sie hatten es in der Hand. Was soll dieses Verhalten jetzt? Sie hängen offensichtlich immer noch Ihrem alten Modell von gestern und vorgestern nach. ({9}) Zugleich treten Sie hier als voreilige Bedenkenträger gegen das neue Konzept der großen Koalition auf, über dessen Details erst in den nächsten Tagen entschieden wird. Einer Ihrer Hauptkritikpunkte ist, dass die Einrichtung eines Gesundheitsfonds, wie er seit einigen Wochen öffentlich im Gespräch ist, mit hohem Verwaltungsaufwand verbunden wäre. Es ist doch eine Binsenweisheit, dass alles Neue zunächst einmal mit organisatorischem Aufwand, mit Arbeit und Unbequemlichkeit verbunden ist. ({10}) Das darf doch aber kein Grund dafür sein, sinnvolles Neues abzulehnen und alles beim Alten zu lassen. ({11}) Die große Koalition hat den Auftrag und die Verpflichtung, das Gesundheitssystem gründlich zu reformieren und zukunftsfähig zu gestalten. Wir nehmen diesen Auftrag ernst und sind bereit, uns von alten Zöpfen zu trennen und etwas Neues in Angriff zu nehmen. Wir schauen nach vorn und sind sicher, dass die Bürger zusammen mit den Beschäftigten im Gesundheitswesen, mit den Leistungserbringern und mit den Krankenkassen flexibel genug sind, etwas Neues, Effektives auf den Weg zu bringen und die Akzeptanz dafür zu wecken. Kurz vor Toresschluss hat die FDP-Fraktion noch schnell und offensichtlich sehr eilig einen Antrag formuliert, um ihn hier und heute auf die Tagesordnung setzen zu lassen. ({12}) Ihr Antrag beinhaltet eine plakative Aufzählung von gängigen Schlagworten wie „Effizienz“, „Transparenz“ und „Nachhaltigkeit“. Aber die wichtigen Finanzierungsfragen im Hinblick auf die Einnahmeseite der GKV lässt die FDP völlig außen vor. ({13}) Dieser Antrag der FDP sieht schwer nach einer Verlegenheitslösung aus. Er demonstriert eigentlich nur Ihren Willen, auf plakative Weise eine Daseinsberechtigung vorzutragen. ({14}) Die CDU/CSU lehnt die vorliegenden Anträge der Opposition ab. Diese Anträge wenige Tage vor Bekanntgabe unseres Konzepts vorzulegen, ist allzu durchsichtig. Es liegt auf der Hand, dass die Oppositionsfraktionen hier und heute schnell noch einmal Verunsicherung streuen und vorab die Position der Koalitionsfraktionen und der Bundesregierung austesten wollen. Die Koalition ist sich über die Ziele der Gesundheitsreform einig. Über den Weg, wie wir diese Ziele erreichen, verhandeln wir. Die Ergebnisse dieser Verhandlungen werden wir in wenigen Tagen bekannt geben. Danke schön. ({15})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzter Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt gebe ich das Wort der Kollegin Elke Ferner von der SPD-Fraktion. ({0})

Elke Ferner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000535, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Es ist eigentlich wie immer: Je näher eine Entscheidung rückt, umso größer werden die Spekulationen, nicht nur in der Presse, sondern auch im Deutschen Bundestag. ({0}) Es liegen einige Anträge vor, in denen es unter anderem um die Finanzsituation der GKVen geht. Ich muss sagen - das ist manchmal schon etwas merkwürdig -: Alle reden im Moment darüber, an welchen Stellen Ausgaben gekürzt werden müssen. Herr Bahr hat eben darauf hingewiesen, dass die versprochenen Beitragssatzsenkungen nicht durchgeführt worden sind. Das ist richtig. Sie haben dabei aber verschwiegen, dass sich die Einnahmebasis der gesetzlichen Krankenversicherung anders entwickelt hat, als man es, als es damals um das GMG ging, angenommen hatte. ({1}) Das, sehr geehrter Herr Kollege, hat natürlich auch etwas mit der Entwicklung der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse und mit den Tarifabschlüssen zu tun. All das muss man mitberücksichtigen. ({2}) - Ich glaube nicht, dass das unsere Arbeitsmarktpolitik war. ({3}) Das hängt auch damit zusammen, dass die Wirtschaft die Angebote, die ihr gemacht wurden, nicht genutzt hat. ({4}) Trotz Steuersenkungen und trotz der Senkung der Lohnnebenkosten sind keine zusätzlichen Arbeitsplätze geschaffen worden und keine zusätzlichen Beschäftigungsverhältnisse entstanden. ({5}) Hinzu kommt, dass, während die Beitragsleistungen aus sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung sinken, die Einkünfte wie Mieten, Pachten, Zinsen, Dividenden und Unternehmensgewinne steigen. Diese Einnahmen werden zur Mitfinanzierung des Gesundheitswesens gegenwärtig noch nicht herangezogen. Wenn aber alle in dieser Republik Gesundheitsschutz haben sollen, wenn alle dann, wenn sie krank sind, die notwendige medizinische Behandlung erhalten sollen und wenn alle am medizinischen Fortschritt teilhaben sollen, dann darf man die Finanzierung dessen nicht auf immer weniger und immer schmalere Schultern verteilen. Sie wollen das offensichtlich tun. ({6}) Wir wollen eine gerechte und solidarische Finanzierung unseres Gesundheitswesens. Jeder soll an dieser Finanzierung nach seiner individuellen Leistungsfähigkeit beteiligt werden. ({7}) Deshalb wollen wir als SPD den Einstieg in eine neue Säule der Finanzierung. Wir wollen, dass das über eine Steuer finanziert wird. ({8}) Da Frau Künast eben gesagt hat, Steuererhöhungen seien konjunkturschädlich, muss ich eine Gegenfrage stellen. Was ist konjunkturschädlicher: die Steuern zu erhöhen und mit diesen Steuermehreinnahmen für alle die Beitragssätze zu senken, ({9}) oder die gegenwärtige Höhe der Steuern und Beitragssätze beizubehalten, allerdings unter der Maßgabe, dass das Beitragsaufkommen von sehr viel weniger Menschen erbracht werden muss? Ich glaube, die Lösung, die Frau Künast eben vorgestellt hat, ist nicht gerecht und nicht solidarisch. ({10}) Nun komme ich zum zweiten Punkt, den ich ansprechen möchte. Da viel über das Fondsmodell diskutiert wird, sage ich noch einmal: Für uns ist nicht entscheidend, was oben drauf steht, sondern was innen drin ist. Hier gibt es zwischen uns und der Union noch Differenzen. Es wäre falsch, das zu leugnen. Frau WidmannMauz hat sich eben für eine feste Prämie ausgesprochen. Wir sind der Auffassung, man kann durchaus ein Finanzstrommodell innerhalb eines solchen Fonds entwickeln, ohne dass man am Ende eine feste Prämie braucht. Da gibt es noch Diskussionspunkte; das braucht man nicht unter den Tisch zu kehren. ({11}) - Wofür wir den Fonds brauchen? Wenn Sie ein bisschen nachdenken, dann kommen Sie darauf, lieber Herr Kollege: Wir haben heute zwischen den gesetzlichen Krankenversicherungen einen Ausgleich von lediglich 92 Prozent. Über einen solchen Fonds könnte man einen Ausgleich zu 100 Prozent und einen risikoadjustierten, krankheitsbedingten RSA einführen. ({12}) - Stellen Sie mir doch eine Zwischenfrage, statt so herumzuschreien. ({13}) - Gut, dann halten Sie sich etwas zurück mit Ihren Zwischenrufen. Ich möchte noch ein Wort zur privaten Krankenversicherung sagen, weil da in den letzten Wochen einiges an Fehl- und Desinformationen aufgetaucht ist. Wir haben gehört, das PKV-System stütze das GKV-System finanziell und deshalb sei eine Einbeziehung der PKV in ein solches Fondsmodell nicht möglich; überdies dürfe ein Steuerzuschuss nicht ausschließlich der GKV zufließen, auch die PKV müsse davon etwas haben. Diese Behauptungen sind schlicht und ergreifend falsch. Denn zunächst einmal ist es doch so: Die private Krankenversicherung versichert die Einkommensstärkeren. Wenn man sich einmal anschaut, wie die Durchschnittseinkommen der PKV-Versicherten und die der GKV-Versicherten aussehen, muss man feststellen, dass erstere im Verhältnis über 63 Prozent höher liegen. Dann versichert die PKV auch noch die Gesünderen - die Risikoselektion ist ja eben schon angesprochen worden und in der PKV sind wesentlich weniger Ältere versichert, wodurch die PKV weniger Belastungen zu tragen hat, was ihre Ausgabenstruktur anbelangt. Hinzu kommt: Ohne die gesetzliche Krankenversicherung gäbe es in vielen Regionen dieser Republik für die privat Versicherten keinen Arzt, keine Ärztin, kein Krankenhaus, wo sie sich behandeln lassen können. ({14}) Wir haben eben über Steuern und Selbstverantwortung gesprochen und darüber, was die PKV-Versicherten alles selber bezahlen würden. Ich habe mir die Zahlen herausgesucht - manchmal genügt ja einfach ein Blick auf die Zahlen -: Nach eigenen Angaben geben die privaten Krankenversicherungen für Leistungen für ihre Versicherten 16,5 Milliarden Euro aus. Wenn man sich einmal anschaut, was die öffentliche Hand für Beihilfe ausgibt, stellt man fest, dass das im letzten Jahr 8,5 Milliarden Euro gewesen sind. Und woher kommt die Beihilfe? Sie wird aus Steuern finanziert. ({15}) Wenn man das einmal ins Verhältnis setzt, dann heißt das, dass zu dem, was die PKVs für Gesundheitsleistungen ausgeben, über die Hälfte aus Steuern zugeschossen wird. Deshalb kann ich die Frage, welches System hier welches stützt, nur so beantworten: Die gesetzlich Versicherten stützen das Gesundheitssystem insgesamt, von dem die PKV-Versicherten profitieren, und die Steuerzahler stützen das PKV-System zusätzlich. ({16}) Deshalb sind wir der Auffassung, dass bei einer neuen Finanzierung das PKV-System einen Solidarbeitrag für das gesamte Gesundheitssystem leisten muss. Ich möchte einen letzten Punkt ansprechen. Es werden ja immer gerne große Einsparvorschläge gemacht von denen, die sich auskennen, eher aber noch von denen, die sich nicht so gut auskennen. Wir haben - das hat Frau Widmann-Mauz eben schon angesprochen - in den letzten Jahren Erhebliches geleistet: Im Saldo sind die Kassen schuldenfrei. Vieles mussten die Versicherten bzw. die Patienten alleine tragen. Insgesamt sind beim GMG und bei anderen Maßnahmen 13,2 Milliarden Euro mobilisiert worden. Wer sagt, das Einsparvolumen aus Strukturveränderungen - die bekanntermaßen immer erst nach einer gewissen Zeit greifen - sei immer noch zu klein, verkennt, dass wir nicht bei null anfangen. Es ist, wie gesagt, schon einiges getan worden in den letzten Jahren; sonst wäre das alles viel weiter aus dem Ruder gelaufen. Wenn ich jetzt höre, private Unfälle sollten aus dem Leistungskatalog ausgegliedert werden - das habe ich diese Woche von Herrn Ramsauer gelesen; ich habe gelesen, die Unionsministerpräsidenten wollten das -, muss ich sagen: Das ist wirklich grober Unfug! ({17}) Man muss sich das einmal praktisch vorstellen: Bekommt man einen Herzinfarkt im Bett, zahlt die Krankenkasse. Bekommt man einen Herzinfarkt nach einem Unfall, dann soll die Unfallversicherung bezahlen. Erleidet man einen Unfall, weil man einen Herzinfarkt hat, dann werden Heerscharen von Rechtsanwälten beauftragt. Wer so etwas vorschlägt, der versucht nicht, Kosten zu sparen, sondern lediglich zu verschieben. Insofern kann ich die Union nur bitten, von diesem Vorschlag abzurücken. ({18}) Ein Letztes zum Antrag der Linken. Sie wollen die Praxisgebühr abschaffen. Was heißt das denn? Diejenigen, die heute ein niedriges Einkommen haben und die Belastungsobergrenze sehr schnell erreichen - die berühmten Empfänger von ALG II -, werden davon überhaupt nicht profitieren; es dauert lediglich etwas länger, bis die Belastungsobergrenze erreicht wird. Profitieren würden aber diejenigen, die die Belastungsobergrenze nicht erreichen, was bekanntermaßen nicht diejenigen sind, die wenig verdienen, sondern diejenigen, die eher viel verdienen. So viel zu Ihrem Thema Gerechtigkeit. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({19})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus- schusses für Gesundheit auf Drucksache 16/2002 zu dem Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel „Dem Solidarsystem eine stabile Grund- lage geben - für eine nachhaltige Finanzierungsreform der Krankenversicherung“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/950 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfeh- lung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion der FDP gegen die Stimmen des Bündnis- ses 90/Die Grünen und bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke zur Änderung des Fünften Buches Sozialge- setzbuch auf Drucksache 16/451. Der Ausschuss für Ge- sundheit empfiehlt auf Drucksache 16/1753, den Gesetz- entwurf abzulehnen. Die Fraktion Die Linke verlangt namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerin- nen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzu- nehmen. - Sind jetzt alle Urnen mit Schriftführerinnen und Schriftführern besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung. Ist noch ein Abgeordneter anwesend, der seine Stimme nicht abgegeben hat? - Ich schließe die Abstim- mung und bitte, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt ge- geben. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/1928 und 16/1997 an die in der Ta- gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Es gibt keinen Wider- spruch. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir kommen jetzt zu Überweisungen im verein- fachten Verfahren. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 37 b bis 37 g sowie die Zusatzpunkte 3 a bis 3 h auf: 37 b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Betriebsrentengesetzes - Drucksache 16/1936 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({0}) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes sowie zur Änderung des Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetzes und anderer Vorschriften - Drucksache 16/1937 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({1}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Verbesserung der personellen Struktur beim Bundeseisenbahnvermögen und in den Unternehmen der Deutschen Bundespost - Drucksache 16/1938 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({2}) Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms e) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ver- trag vom 13. April 2005 zwischen der Bundes- republik Deutschland und dem Königreich der Niederlande über den Zusammenschluss der deutschen Bundesstraße B 56n und der nieder- ländischen Regionalstraße N 297n an der ge- meinsamen Staatsgrenze durch Errichtung ei- ner Grenzbrücke - Drucksache 16/1939 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des vorläufigen Tabakgesetzes - Drucksache 16/1940 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({3}) Finanzausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Jelpke, Sevim Dagdelen, Dr. Hakki Keskin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Die Welt zu Gast bei Freunden - Für eine offenere Migrations- und Flüchtlingspolitik in Deutschland und in der Europäischen Union - Drucksache 16/1199 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({4}) Auswärtiger Ausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ZP 3a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Marieluise Beck ({5}), Volker Beck ({6}), Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Menschenrechte in Usbekistan einfordern - Drucksache 16/1975 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ({7}) Auswärtiger Ausschuss Verteidigungsausschuss b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ute Koczy, Thilo Hoppe, Dr. Uschi Eid, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Eine Weltbank-Energiepolitik der Zukunft Ja zu mehr Effizienz und erneuerbaren Energien, Nein zur Atomkraft - Drucksache 16/1978 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({8}) Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit c) Beratung des Antrags der Abgeordneten HansChristian Ströbele, Volker Beck ({9}), Monika Lazar und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN Befragung von Gefolterten und Nutzung von Foltererkenntnissen ausschließen - Drucksache 16/836 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({10}) Auswärtiger Ausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Thilo Hoppe, Hans-Christian Ströbele und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Indigene Völker - Ratifizierung des Übereinkommens der Internationalen Arbeitsorganisation ({11}) Nr. 169 über Indigene und in Stämmen lebende Völker in unabhängigen Staaten - Drucksache 16/1971 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({12}) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Burk- hardt Müller-Sönksen, Florian Toncar, Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP 7. Bericht der Bundesregierung über ihre Menschenrechtspolitik in den auswärtigen Be- ziehungen und in anderen Politikbereichen - Drucksache 16/1999 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Florian Toncar, Burkhardt Müller-Sönksen, Dr. Werner Hoyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Für die weltweite Sicherstellung der Religions- freiheit - Drucksache 16/1998 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heike Hänsel, Ulla Lötzer, Hans-Kurt Hill, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Keine Weltbankkredite für Atomtechnologie - Drucksache 16/1961 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({13}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hüseyin-Kenan Aydin, Monika Knoche, Dr. Diether Dehm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Agrarbeihilfeempfänger offen legen - Drucksache 16/1962 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({14}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 38 a bis 38 i, 38 k und 38 m bis 38 u sowie die Zusatzpunkte 4 a bis 4 k auf. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt 38 a: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 8. Juni 2005 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und dem Schweizerischen Bundesrat, handelnd im Namen des Kantons Schaffhausen, über die Erhaltung einer Straßenbrücke über die Wutach zwischen Stühlingen ({15}) und Oberwiesen ({16}) - Drucksache 16/1611 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({17}) - Drucksache 16/1964 Berichterstattung: Abgeordnete Dorothee Menzner Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt auf Drucksache 16/1964, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von ihrem Platz zu erheben. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 38 b: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 8. Juni 2005 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und dem Schweizerischen Bundesrat, handelnd im Namen des Kantons Aargau, über Bau und Erhaltung einer Rheinbrücke zwischen Laufenburg ({18}) und Laufenburg ({19}) - Drucksache 16/1612 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({20}) - Drucksache 16/1965 Berichterstattung: Abgeordneter Winfried Hermann Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt auf Drucksache 16/1965, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem zustimmen wollen, sich von ihrem Platz zu erheben. Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Auch dieser Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 38 c: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 28. Juni 2004 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Singapur zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen - Drucksache 16/1619 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({21}) - Drucksache 16/1974 Berichterstattung: Abgeordneter Georg Fahrenschon Der Finanzausschuss empfiehlt auf Drucksache 16/1974, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem zustimmen wollen, sich von ihrem Platz zu erheben. Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Auch dieser Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 38 d: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes über die Bereinigung von Bundesrecht im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums des Innern - Drucksache 16/1620 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({22}) - Drucksache 16/1979 Berichterstattung: Abgeordnete Hans-Werner Kammer Maik Reichel Gisela Piltz Ulla Jelpke Silke Stokar von Neuforn Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/1979, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen aller Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Fraktionen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit gleichem Stimmenverhältnis in dritter Beratung angenommen. Tagesordnungspunkt 38 e: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes - Drucksachen 16/1107, 16/1173 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({23}) - Drucksache 16/2019 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Günter Krings Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Wolfgang Nešković Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/2019, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 38 f: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({24}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Luftqualität und saubere Luft für Europa KOM ({25}) 447 endg.; Ratsdok. 14335/05 - Drucksachen 16/288 Nr. 2.20, 16/1814 Berichterstattung: Abgeordnete Andreas Jung ({26}) Detlef Müller ({27}) Angelika Brunkhorst Lutz Heilmann Sylvia Kotting-Uhl Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung der FDP-Fraktion angenommen. Tagesordnungspunkt 38 g: Beratung der Zweiten Beschlussempfehlung des Wahlprüfungsausschusses zu 62 gegen die Gültigkeit der Wahl zum 16. Deutschen Bundestag eingegangenen Wahleinsprüchen - Drucksache 16/1800 Berichterstattung: Abgeordnete Thomas Strobl ({28}) Klaus Uwe Benneter Jörg van Essen Dr. Wolfgang Götzer Bernhard Kaster Ulrich Maurer Petra Merkel ({29}) Silke Stokar von Neuforn Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 38 h: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({30}) zu dem Antrag der Abgeordneten Undine Kurth ({31}), Bärbel Höhn, Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN EU-Kommission muss nationale Tierschutzbemühungen respektieren - Drucksachen 16/549, 16/2008 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Peter Jahr Dr. Wilhelm Priesmeier Dr. Kirsten Tackmann Undine Kurth ({32}) Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/549 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Oppositionsfraktionen. Tagesordnungspunkt 38 i: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({33}) zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-Michael Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Goldmann, Dr. Christel Happach-Kasan, Dr. Edmund Peter Geisen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP BSE-Testpflichtaltersgrenze anheben - Drucksachen 16/1170, 16/2001 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Hans-Heinrich Jordan Dr. Wilhelm Priesmeier Dr. Kirsten Tackmann Bärbel Höhn Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/1170 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? ({34}) Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen bei Gegenstimmen der FDPFraktion und der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 38 k: Beratung der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses ({35}) Übersicht 3 über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht - Drucksache 16/1956 Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses. Tagesordnungspunkt 38 m: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({36}) Sammelübersicht 61 zu Petitionen - Drucksache 16/1911 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 61 ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 38 n: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({37}) Sammelübersicht 62 zu Petitionen - Drucksache 16/1912 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 62 ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 38 o: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({38}) Sammelübersicht 63 zu Petitionen - Drucksache 16/1913 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 63 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und den Stimmen der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 38 p: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({39}) Sammelübersicht 64 zu Petitionen - Drucksache 16/1914 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 64 ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 38 q: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({40}) Sammelübersicht 65 zu Petitionen - Drucksache 16/1915 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 65 ist mit den Stimmen aller Fraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 38 r: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({41}) Sammelübersicht 66 zu Petitionen - Drucksache 16/1916 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 66 ist mit den Stimmen aller Fraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 38 s: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({42}) Sammelübersicht 67 zu Petitionen - Drucksache 16/1917 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 67 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion der FDP bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Tagesordnungspunkt 38 t: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({43}) Sammelübersicht 68 zu Petitionen - Drucksache 16/1918 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 68 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion des Bündnisses 90/ Die Grünen bei Gegenstimmen der FDP und der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 38 u: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({44}) Sammelübersicht 69 zu Petitionen - Drucksache 16/1919 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 69 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Zusatzpunkt 4 a: Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Ökologischen Landbau in Deutschland und Europa weiterentwickeln - Drucksache 16/1972 Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag ist einstimmig angenommen. Wir kommen zu weiteren Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses. Zusatzpunkt 4 b: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({45}) Sammelübersicht 70 zu Petitionen - Drucksache 16/1980 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 70 ist einstimmig angenommen. Zusatzpunkt 4 c: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({46}) Sammelübersicht 71 zu Petitionen - Drucksache 16/1981 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 71 ist ebenfalls einstimmig angenommen. Zusatzpunkt 4 d: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({47}) Sammelübersicht 72 zu Petitionen - Drucksache 16/1982 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 72 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen. Zusatzpunkt 4 e: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({48}) Sammelübersicht 73 zu Petitionen - Drucksache 16/1983 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 73 ist einstimmig angenommen. Zusatzpunkt 4 f: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({49}) Sammelübersicht 74 zu Petitionen - Drucksache 16/1984 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 74 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Zusatzpunkt 4 g: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({50}) Sammelübersicht 75 zu Petitionen - Drucksache 16/1985 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 75 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen. Zusatzpunkt 4 h: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({51}) Sammelübersicht 76 zu Petitionen - Drucksache 16/1986 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 76 ist mit den Stimmen aller Fraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Zusatzpunkt 4 i: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({52}) Sammelübersicht 77 zu Petitionen - Drucksache 16/1987 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 77 ist mit den Stimmen aller Fraktionen bei Enthaltung der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen. Zusatzpunkt 4 j: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({53}) Sammelübersicht 78 zu Petitionen - Drucksache 16/1988 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 78 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen. Zusatzpunkt 4 k: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({54}) Sammelübersicht 79 zu Petitionen - Drucksache 16/1989 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 79 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke, bei Enthaltung der FDP-Fraktion und der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen. Ich darf Ihnen zwischendurch das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch“, der Fraktion Die Linke, Drucksachen 16/451 und 16/1753, bekannt geben: Abgegebene Stimmen 571. Mit Ja haben gestimmt 53, mit Nein haben gestimmt 518, keine Enthaltungen. Der Gesetzentwurf ist abgelehnt. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 571; davon ja: 53 nein: 518 Ja DIE LINKE Karin Binder Heidrun Bluhm Eva Bulling-Schröter Roland Claus Dr. Diether Dehm Werner Dreibus Klaus Ernst Diana Golze Heike Hänsel Lutz Heilmann Cornelia Hirsch Inge Höger-Neuling Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Dr. Hakki Keskin Katja Kipping Monika Knoche Jan Korte Oskar Lafontaine Michael Leutert Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Ulrich Maurer Dorothee Menzner Kornelia Möller Kersten Naumann Wolfgang Neskovic Dr. Norman Paech Bodo Ramelow Elke Reinke Paul Schäfer ({55}) ({56}) Dr. Herbert Schui Dr. Petra Sitte Dr. Kirsten Tackmann Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Jörn Wunderlich BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Dr. Harald Terpe fraktionslos Gert Winkelmeier Nein CDU/CSU Ilse Aigner Peter Albach Peter Altmaier Thomas Bareiß Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({57}) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Clemens Binninger Carl-Eduard von Bismarck Peter Bleser Antje Blumenthal Jochen Borchert Wolfgang Börnsen ({58}) Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Michael Brand Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Monika Brüning Georg Brunnhuber Gitta Connemann Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Anke Eymer ({59}) Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Enak Ferlemann Hartwig Fischer ({60}) Dirk Fischer ({61}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich ({62}) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Dr. Peter Gauweiler Norbert Geis Eberhard Gienger Ralf Göbel Dr. Reinhard Göhner Josef Göppel Peter Götz Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg Holger Haibach Ursula Heinen Uda Carmen Freia Heller Michael Hennrich Jürgen Herrmann Bernd Heynemann Peter Hintze Robert Hochbaum Klaus Hofbauer Franz-Josef Holzenkamp Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Susanne Jaffke Dr. Peter Jahr Dr. Hans-Heinrich Jordan Andreas Jung ({63}) Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({64}) Volker Kauder Eckart von Klaeden Jürgen Klimke Jens Koeppen Kristina Köhler ({65}) Manfred Kolbe Norbert Königshofen Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Martina Krogmann Johann-Henrich Krummacher Dr. Hermann Kues Dr. Karl A. Lamers ({66}) Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Ingbert Liebing Dr. Klaus W. Lippold Patricia Lips Dr. Michael Luther Stephan Mayer ({67}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz Laurenz Meyer ({68}) Maria Michalk Philipp Mißfelder Dr. Eva Möllring Marlene Mortler Carsten Müller ({69}) Stefan Müller ({70}) Bernward Müller ({71}) Dr. Gerd Müller Hildegard Müller Bernd Neumann ({72}) Henry Nitzsche Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Rita Pawelski Dr. Peter Paziorek Ulrich Petzold Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Daniela Raab Thomas Rachel Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Peter Rauen Eckhardt Rehberg Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Johannes Röring Kurt J. Rossmanith Dr. Christian Ruck Albert Rupprecht ({73}) Peter Rzepka Anita Schäfer ({74}) Hermann-Josef Scharf Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Georg Schirmbeck Bernd Schmidbauer Andreas Schmidt ({75}) Ingo Schmitt ({76}) Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Horst Seehofer Kurt Segner Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Gero Storjohann Andreas Storm Max Straubinger Thomas Strobl ({77}) Michael Stübgen Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Uwe Vogel Andrea Astrid Voßhoff Gerhard Wächter Marco Wanderwitz Marcus Weinberg Peter Weiß ({78}) Gerald Weiß ({79}) Karl-Georg Wellmann Anette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Willy Wimmer ({80}) Elisabeth WinkelmeierBecker Matthias Wissmann Dagmar Wöhrl Willi Zylajew SPD Dr. Lale Akgün Gregor Amann Gerd Andres Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Ernst Bahr ({81}) Dr. Hans- Peter Bartels Sören Bartol Sabine Bätzing Dirk Becker Uwe Beckmeyer Klaus Uwe Benneter Dr. Axel Berg Ute Berg Petra Bierwirth Lothar Binding ({82}) Volker Blumentritt Gerd Bollmann Dr. Gerhard Botz Klaus Brandner Bernhard Brinkmann ({83}) Edelgard Bulmahn Marco Bülow Ulla Burchardt Martin Burkert Dr. Michael Bürsch Christian Carstensen Dr. Peter Danckert Dr. Herta Däubler-Gmelin Karl Diller Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Garrelt Duin Detlef Dzembritzki Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Hans Eichel Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Annette Faße Gabriele Fograscher Rainer Fornahl Dagmar Freitag Peter Friedrich Sigmar Gabriel Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Renate Gradistanac Angelika Graf ({84}) Dieter Grasedieck Monika Griefahn Kerstin Griese Gabriele Groneberg Achim Großmann Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann ({85}) Nina Hauer Hubertus Heil Reinhold Hemker Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Petra Heß Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz ({86}) Gerd Höfer Iris Hoffmann ({87}) Frank Hofmann ({88}) Eike Hovermann Klaas Hübner Christel Humme Brunhilde Irber Johannes Jung ({89}) Josip Juratovic Johannes Kahrs Ulrich Kasparick Dr. h.c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Hans-Ulrich Klose Dr. Bärbel Kofler Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Rolf Kramer Ernst Kranz Volker Kröning Angelika Krüger-Leißner Dr. Hans-Ulrich Krüger Jürgen Kucharczyk Ute Kumpf Dr. Uwe Küster Christian Lange ({90}) Dr. Karl Lauterbach Waltraud Lehn Gabriele Lösekrug-Möller Lothar Mark Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Markus Meckel Petra Merkel ({91}) Ulrike Merten Dr. Matthias Miersch Ursula Mogg Marko Mühlstein Detlef Müller ({92}) Michael Müller ({93}) Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Thomas Oppermann Holger Ortel Heinz Paula Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Johannes Pflug Joachim Poß Christoph Pries Dr. Wilhelm Priesmeier Dr. Sascha Raabe Steffen Reiche ({94}) Maik Reichel Gerold Reichenbach Christel RiemannHanewinckel Walter Riester Sönke Rix Rene Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({95}) Michael Roth ({96}) Ortwin Runde Anton Schaaf Axel Schäfer ({97}) Bernd Scheelen Marianne Schieder Otto Schily Silvia Schmidt ({98}) Renate Schmidt ({99}) Dr. Frank Schmidt Heinz Schmitt ({100}) Carsten Schneider ({101}) Ottmar Schreiner ({102}) Swen Schulz ({103}) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Rita Schwarzelühr-Sutter Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Andreas Steppuhn Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Dr. Peter Struck Joachim Stünker Dr. Rainer Tabillion Jörg Tauss Jella Teuchner Dr. h.c. Wolfgang Thierse Jörn Thießen Franz Thönnes Hans-Jürgen Uhl Rüdiger Veit Simone Violka Jörg Vogelsänger Dr. Marlies Volkmer Hedi Wegener Andreas Weigel Petra Weis Gunter Weißgerber Gert Weisskirchen ({104}) Dr. Rainer Wend Lydia Westrich Dr. Margrit Wetzel Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Engelbert Wistuba Dr. Wolfgang Wodarg Waltraud Wollf ({105}) Heidi Wright Uta Zapf Manfred Zöllmer FDP Jens Ackermann Dr. Karl Addicks Christian Ahrendt Daniel Bahr ({106}) Uwe Barth Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Mechthild Dyckmans Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Paul K. Friedhoff Horst Friedrich ({107}) Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Miriam Gruß Joachim Günther ({108}) Heinz-Peter Haustein Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Dr. Heinrich L. Kolb Hellmut Königshaus Gudrun Kopp Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Ina Lenke Sabine LeutheusserSchnarrenberger Markus Löning Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Jan Mücke Burkhardt Müller-Sönksen Hans-Joachim Otto ({109}) Cornelia Pieper Gisela Piltz Jörg Rohde Dr. Konrad Schily Dr. Hermann Otto Solms Dr. Max Stadler Florian Toncar Christoph Waitz Dr. Claudia Winterstein Hartfrid Wolff ({110}) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Volker Beck ({111}) Cornelia Behm Matthias Berninger Alexander Bonde Ekin Deligöz Dr. Thea Dückert Dr. Ursula Eid Hans Josef Fell Kai Gehring Anja Hajduk Britta Haßelmann Peter Hettlich Priska Hinz ({112}) Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Ute Koczy Sylvia Kotting-Uhl Renate Künast Undine Kurth ({113}) Markus Kurth Monika Lazar Anna Lührmann Kerstin Müller ({114}) Winfried Nachtwei Claudia Roth ({115}) Krista Sager Elisabeth Scharfenberg Irmingard Schewe-Gerigk Rainder Steenblock Silke Stokar von Neuforn Hans-Christian Ströbele Jürgen Trittin Wolfgang Wieland Josef Philip Winkler Margareta Wolf ({116}) Jetzt rufe ich die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b auf: a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung europäischer Richtlinien zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung - Drucksachen 16/1780, 16/1852 - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Volker Beck ({117}) und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung europäischer Antidis- kriminierungsrichtlinien - Drucksache 16/297 - aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({118}) - Drucksache 16/2022 - Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Jürgen Gehb Mechthild Dyckmans Jerzy Montag Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({119}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 16/2024 Berichterstattung: Abgeordnete Lothar Binding ({120}) Dr. Ole Schröder Dr. Claudia Winterstein Roland Claus Anna Lührmann b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({121}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Ilja Seifert, Karin Binder, Sevim Dagdelen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN EU-Antidiskriminierungsrichtlinien durch einheitliches Antidiskriminierungsgesetz wirksam und umfassend umsetzen - zu dem Antrag der Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Volker Beck ({122}), Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Keine Ausgrenzung beim Antidiskriminierungsgesetz - zu dem Antrag der Abgeordneten Mechthild Dyckmans, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Jörg van Essen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Bürokratie schützt nicht vor Diskriminierung - Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz ist der falsche Weg - Drucksachen 16/370, 16/957, 16/1861, 16/2022 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Jürgen Gehb Mechthild Dyckmans Jerzy Montag Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke und der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen vor. Über den Gesetzentwurf der Bundesregierung werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Bundesministerin Brigitte Zypries das Wort.

Brigitte Zypries (Minister:in)

Politiker ID: 11003870

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich bin froh, dass wir dieses Projekt heute zum Abschluss bringen können. ({0}) Alle die, die am Gesetzgebungsverfahren beteiligt waren, haben erkannt, dass es eine besondere Eilbedürftigkeit gibt. Wenn wir diesen Gesetzentwurf heute verabschieden, dann besteht die begründete Hoffnung, dass er noch vor der Sommerpause im Bundesrat beraten wird. Mit anderen Worten: Der europarechtliche Umsetzungsdruck, unter dem wir gestanden haben, wird sich auflösen. Dafür möchte ich denjenigen, die sich an den Verhandlungen mit Nachdruck beteiligt und dafür gesorgt haben, dass wir in der Koalition eine Einigung finden konnten, danken. Ich gebe zu: Es war schwierig, mit dem Druck, der sich hinsichtlich der Umsetzung aufgebaut hatte, umzugehen. Es war insbesondere schwierig, so etwas wie eine rationale Debatte zu führen. Viele Kritiker haben unseren Gesetzentwurf leider offenbar nicht richtig zur Kenntnis genommen. Ich muss gestehen, dass mich die ideologische Schärfe, mit der die Debatte um diesen Gesetzentwurf geführt wurde, schon oft verblüfft hat. ({1}) Es ist schade, dass es mit vielen Vertretern von NGOs, von Verbänden und Vereinen in unserem Lande offensichtlich keine politische Streitkultur in dem Sinne gibt, dass man anerkennt - auch nachdem ein Thema wie dieses Gegenstand von Wahlkämpfen war -, dass man aus Rechtsgründen handeln muss. Diese Erkenntnis hat sich mittlerweile langsam, aber sicher durchgesetzt. Anscheinend konnte man diesen Gesetzentwurf nicht früher zur Kenntnis nehmen und sagen: Hier muss jetzt gehandelt werden; das, was darin steht, ist so schlimm nicht. Der Kollege Bosbach hat gesagt - seine Worte sind mir noch im Ohr -: Jedem Zweiten, der mich anrief und sich beschwert hat, konnte ich sagen: Schau doch einmal ins Gesetz; dann wirst du sehen, dass da etwas ganz anderes steht. ({2}) Es ist in der Tat schwierig gewesen, hier zu einem Konsens zu kommen. Die Änderungen, die wir jetzt noch vorgenommen haben, sind im Großen und Ganzen auf ebendiese Tatsache zurückzuführen. Sie lassen den Gesetzentwurf im Kern unberührt, führen jedoch an vielen Stellen zu durchaus erwünschten Klarstellungen. ({3}) Lassen Sie mich die wichtigen Punkte nennen: Entgegen manchen Berichten wird das Klagerecht des Betriebsrats und der im Betrieb vertretenen Gewerkschaften keineswegs gestrichen. Wir stellen ausdrücklich klar, was sich aus dem Verweis auf das Betriebsverfassungsgesetz im Wesentlichen ohnehin schon ergab, dass dieses Klagerecht nur bei Betrieben mit mindestens fünf Beschäftigten und auch nur bei groben Verstößen des Arbeitgebers greift. Das ist auch im Betriebsverfassungsgesetz so der Fall. ({4}) Wir stellen außerdem ausdrücklich klar, dass weder Betriebsrat noch Gewerkschaften Ansprüche eines Benachteiligten im Wege der Prozessstandschaft geltend maBundesministerin Brigitte Zypries chen können. Diese Einschränkung ist sinnvoll und richtig, aber sie war bei vernünftiger Auslegung der Bestimmung auch schon im Entwurf enthalten. ({5}) Es wird darüber hinaus klargestellt, dass bei privaten Vermietungen von Wohnraum die freie Mieterauswahl durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz grundsätzlich nur insoweit eingeschränkt werden wird, wie dies die Richtlinien verlangen. Auch das war nach dem Regierungsentwurf so; denn im Regierungsentwurf war immer nur von Massengeschäften die Rede. Massengeschäfte - das habe ich schon bei der ersten Lesung hier erklärt - sind Geschäfte, bei denen jemand eine Vielzahl von Angeboten an eine unbestimmte Vielzahl von Menschen macht und gerade kein Interesse daran hat, mit wem er den Vertrag abschließt - Hauptsache, die Person zahlt. Das alles haben wir schon durchdekliniert. Wenn man das zugrunde legt, muss man sagen: Vermietungen sind in dem Moment, wo man ein Interesse daran hat, wer der Mieter ist, ohnehin keine Massengeschäfte. Jetzt haben wir für die übrigen Merkmale, also Geschlecht, Religion, Behinderung, Alter und sexuelle Identität, klargestellt: Eine dauerhafte Vermietung einer Wohnung ist in der Regel kein Massengeschäft, wenn der Vermieter nicht mehr als 50 Wohnungen in seinem Bestand hat. ({6}) Ob diese Klarstellung wirklich so nötig gewesen wäre, sei dahingestellt. Ein anderer Punkt, der für Unruhe sorgt, ist die Änderung des § 2 Abs. 4 in Art. 1. Im Entwurf der Bundesregierung heißt es da: Für Kündigungen gelten vorrangig die Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetzes. Nun soll es heißen: Für Kündigungen gelten ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz. ({7}) - Genau. Jetzt wissen alle ausgebildeten Juristen wie der Kollege Beck zum Beispiel, ({8}) dass das Diskriminierungsverbot des europäischen Rechts natürlich sowieso gilt, also auch hier. Selbstverständlich gelten das Kündigungsschutzgesetz sowie die besonderen Kündigungsschutzregeln des Mutterschutzes, des Arbeitsplatzschutzgesetzes, des Neunten Buches Sozialgesetzbuch, des Bundespersonalvertretungsgesetzes oder des Bundesdatenschutzgesetzes. Selbstverständlich gelten sie alle. Selbstverständlich sind sie, wie auch ansonsten in der Rechtsanwendung, europarechtskonform auszulegen. ({9}) Es geht hier also nicht darum, dass wir irgendwelche Garantien abschaffen wollen, sondern es geht in jedem Fall um die Frage: Was können wir möglichst klar auslegen mit dem Ziel, diese ideologisch überwölbte Debatte - darauf muss ich jetzt leider noch einmal eingehen - auf den Boden der Tatsachen zu holen? Dem dienen die Änderungen, die noch ausgehandelt worden sind. Das gilt auch für die Neuregelung, die wir noch ausführlich erläutern werden, nämlich die Regelung zur Beweislast. Wir von der Bundesregierung hatten gesagt: Es ist sinnvoll, an einen bestehenden Gesetzestext, nämlich § 611 a BGB, anzuknüpfen; dazu gibt es jahrzehntelange Rechtsprechung. Jetzt haben wir einen neuen Begriff eingeführt, den der Indizien. Wir werden durch Erläuterungen klar machen, dass es im Grunde um dasselbe geht. Ich bin mir sicher, dass die Rechtsprechung in der Lage sein wird, diese Auslegung auch hinzubekommen. Ich will am Ende vor lauter Details nicht das Grundanliegen des Gesetzes außer Acht lassen. Wir haben in Deutschland eine freiheitliche und tolerante Gesellschaft. Wann, wenn nicht jetzt, wäre das besonders zu spüren? Wir haben eine Gesellschaft, in der möglichst jeder nach seiner Fasson selig werden sollte. Aber - das habe ich auch schon bei der ersten Lesung hier gesagt es gibt noch Diskriminierung in Deutschland. Insofern ist es richtig, wenn wir uns darauf verständigen, dass der Staat Toleranz zwar nicht verordnen, aber sehr wohl durch seine Rechtsordnung deutlich machen kann, dass er Intoleranz missbilligt und für die Betroffenen Möglichkeiten schafft, sich dagegen zu wehren. Das tun wir mit dem Gesetzentwurf; das tun wir effektiv und unbürokratisch. Zur unbürokratischen Umsetzung dient auch die Vorschrift, mit der über die Richtlinie hinausgegangen wird, um das auch ganz klar zu sagen, und mit der nur eine Anlaufstelle vorgesehen wird, von der aus die Beschwerden dann verteilt werden. Sie sehen, es kann durchaus auch sachgerechte Regelungen geben, die über eine Eins-zu-eins-Umsetzung hinausgehen. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({10})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Dr. Guido Westerwelle, FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir Freien Demokraten werden diesen Gesetzentwurf ablehnen. ({0}) Wir sind der Überzeugung: Dieses von Ihnen umgetaufte Gesetz wird den Minderheiten nicht helfen, sondern schadet ihnen. Es wird mehr Bürokratie bringen und damit Arbeitsplätze kosten. Es ist auch ein glatter Wortbruch zu dem, was Sie vor der Wahl Ihren Wählern versprochen haben. ({1}) Wir werden deutlich machen, dass das Gesetz weit über das hinausgeht, was uns seitens des EU-Rechts in der Tat umzusetzen aufgegeben war. Deswegen war die gemeinsame Haltung übrigens nicht nur von Union und FDP, sondern auch von führenden Sozialdemokraten ablehnend. Das ging von Herrn Clement über Herrn Schily bis zum Oberbürgermeister von München, Herrn Ude, der, als der Gesetzentwurf in der letzten Wahlperiode schon einmal vorgelegt wurde, sagte, da haben sich Gutmenschen ausgetobt. ({2}) Es wäre ohne weiteres möglich - die Länder haben dazu im Bundesrat einen entsprechenden Beschluss gefasst; die Gesetzentwürfe liegen vor -, das von der Europäischen Union vorgegebene Recht eins zu eins umzusetzen. Dieses Ziel steht auch in Ihrer Koalitionsvereinbarung. Umso absurder ist es, dass Sie selbst den Koalitionsvertrag brechen und Deutschland mehr Bürokratie verordnen. Das ist ein klassischer Fehler aus Sicht der Fraktion der Freien Demokraten. ({3}) Es ist ein Irrtum, zu glauben, dass man Minderheiten mit dem Gesetz helfen würde. Das einzige Ergebnis wird sein, dass diejenigen, die es betrifft, gar nicht mehr zu Vorstellungsgesprächen eingeladen werden, weil man Angst davor hat, eine Klagewelle abwehren zu müssen und dafür einer Dokumentationspflicht zu unterliegen. Wenn Sie es mir nicht glauben, glauben Sie es Angela Merkel. Genau das hat sie in der letzten Legislaturperiode vor ihrer Metamorphose immer und immer wieder vertreten. ({4}) Jetzt gehen wir noch einmal auf das ein, was Sie konkret sagen. Meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen von der Union, die Begeisterung über diesen Gesetzentwurf ist in Ihren Gesichtern abzulesen. Wir erleben hier jetzt einen bemerkenswerten Kuhhandel, den wir so vorher noch nicht kannten: Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Union, müssen heute diesem Unsinn zustimmen, damit es morgen bei der Abstimmung über die Föderalismusreform nicht zu viele Abweichler bei den Sozialdemokraten gibt. Es geht Ihnen gar nicht mehr um die Sache. Es geht Ihnen nur noch darum, dass die Koalition diese Woche einigermaßen übersteht. ({5})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Beck?

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, selbstverständlich, Herr Beck, bitte gerne. Es ist mir immer wieder eine Freude.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Westerwelle, vielen Dank für die Großzügigkeit. Bezüglich des Kuhhandels stimme ich Ihnen zu. ({0}) Das ist sicherlich die Verlaufsform dieser Gesetzesgenese. Bezüglich des Arguments, das Sie gerade gegen das Gesetz angeführt haben, habe ich eine Verständnisfrage.

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bitte, gerne.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es geht darum, ob in Zukunft im Zusammenhang mit dem Arbeitsrecht eine Klagewelle droht und Dokumentationspflichten zu erfüllen sind. Im Gesetz steht ja nichts anderes, als dass zukünftig für die Kriterien Rasse, ethnische Herkunft, Alter, Behinderung, sexuelle Identität und Religion nichts anderes gilt als das, was seit 25 Jahren gemäß § 611 a BGB für das Kriterium Geschlecht gilt. Die dortige Beweislastregel war im Gesetzentwurf der früheren rot-grünen Bundesregierung eins zu eins vorgesehen. Alle Arbeitgeber haben in der Vergangenheit entweder Männer oder Frauen eingestellt. Da werden Sie mir zustimmen. Tertium non datur, sagt man da. ({0}) - Überwiegend? Entweder - oder. Wenn das so war, dann hat man entweder Frauen oder Männer nicht eingestellt. Deshalb konnten entweder Frauen oder Männer klagen, weil sie nicht eingestellt wurden. Das Problem mit der Dokumentationspflicht ändert sich nicht dadurch, dass der Gesetzentwurf jetzt auch Heterosexuelle oder Homosexuelle, Alte oder Junge, Behinderte oder Nichtbehinderte betrifft.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, Sie sollen jetzt keine Rede halten, sondern Ihre Frage beenden. ({0})

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Da das immer wieder vorgebracht wird, muss man es meiner Meinung nach illustrieren, auch damit man die Frage versteht. Erklären Sie mir bitte, warum ein Kriterium seit 25 Jahren zu keinen Problemen geführt hat und die Tatsache, dass weitere Kriterien dazukommen und die gleiVolker Beck ({0}) che Regel angewandt wird, einen Wust an Dokumentationspflichten hervorruft.

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich möchte zunächst einmal die Frage, die Sie mir unter vielen gestellt haben, nämlich die Frage, ob ich Ihnen zustimme, dass man entweder in der Vergangenheit Männer oder Frauen eingestellt hat, uneingeschränkt bejahen, Herr Kollege. Ich finde, das musste auch von Ihnen in dieser Diskussion erfragt werden. ({0}) Das war zwingend, Herr Kollege, absolut zwingend. Das ist schon bemerkenswert. Ich kann Ihnen sagen, warum ich das Klagerecht und die Dokumentationspflicht angreife und warum ich das für falsch halte. Das Klagerecht der Gewerkschaften wurde nicht abgeschafft ({1}) - Sie rufen: Gott sei Dank! Ich hoffe, Sie von der CDU/ CSU haben gehört, was Ihr Koalitionspartner gesagt hat: Gott sei Dank! Das Klagerecht für die Gewerkschaften ist eben nicht abgeschafft worden. Es kann weiterhin wegen grober Verstöße geklagt werden. Das, was dann in der Diskussion bewertet wird, ist der unbestimmte Rechtsbegriff „grob“: Ist es ein solcher Verstoß, der angenommen und behauptet wird, oder nicht? Eine solche Klagewelle wird dem Mittelstand schaden, den Betroffenen nicht helfen und Arbeitsplätze kosten. ({2}) Darauf müssen Sie sich einstellen. Herr Kollege Beck, nun kann ich auch verstehen, dass Sie mit diesem Gesetz besonders zufrieden sind und freudig dieses hier verteidigen. Es stammt doch aus Ihrer Feder. Ehre, wem Ehre gebührt! ({3}) Was ich nicht für möglich gehalten habe und was wir heute im Gesetzgebungsverfahren erleben, ist gewissermaßen eine Art Wiederkehr der grünen Untoten. ({4}) Nicht dass Sie meinen, das sei alles oppositionelle Polemik. Bitte machen Sie mir die Freude, verehrte Abgeordnete der Union, und nehmen Sie einfach den von der Bundesregierung uns hier vorgelegten Gesetzentwurf zur Hand, über den wir heute entscheiden wollen, und lesen Sie in der Begründung auf Seite 25, in Abschnitt 2, § 18. Ich darf verkürzt zitieren: Der Gesetzentwurf … erfüllt das in der Koalitionsvereinbarung vom 16. Oktober 2002 verabredete Ziel … ({5}) Herzlichen Glückwunsch an Schwarz-Rot, dass Sie jetzt sogar die rot-grüne Koalitionsvereinbarung heute zur Grundlage Ihrer politischen Arbeit machen! ({6}) Herzlichen Glückwunsch, meine Damen und Herren Abgeordneten! Da wählt Deutschland die Grünen ab, und ihr bleibt immer noch im Geiste auf der Regierungsbank. Es ist ein Drama! ({7}) Nun kommen wir, weil Frau Zypries unseren spät berufenen Juristen zitiert hat, zu zwei bemerkenswerten Akten der Rechtsgeschichte. Heute werden im Justizministerium die Fenster verhangen. Davon kann man ausgehen. Da sitzen lauter Prädikatsjuristen, die fangen bei dem, was Sie heute vorgelegt haben, an zu weinen. Da ich das selber in der Tat einmal studiert habe - nicht Soziologie, was ein großartiges Studium ist -, ({8}) möchte ich noch einmal auf einen Punkt eingehen, den Sie uns erklären müssen, Frau Justizministerin. Jetzt heißt es in Art. 1 § 22 - das ist das Neue, deswegen stimmen Sie dem zu -: „Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist …“. Es ist ein wirklich großartiger, in der Rechtsgeschichte einmaliger Kunstgriff, den Indizienbeweis einzuführen. Jetzt führen wir den Indizienbeweis im Zivilrecht ein. Herzlichen Glückwunsch, Frau Justizministerin! Sie sind zu intelligent für so einen Schwachsinn, Frau Kollegin! ({9}) - Nein, jetzt ist Schluss. Ich will jetzt nicht mehr. Ich komme zu einem weiteren Punkt, der an dieser Stelle erwähnt werden muss: Auch ein neuer Schwellenwert ist Ihnen eingefallen - 50 Wohnungen! Wo gab es bisher so etwas im Bürgerlichen Gesetzbuch? Das ist bemerkenswert; das ist wirklich großartig. 50 Wohnungen was heißt das im Klartext? Verehrte Zuschauerinnen und Zuschauer, unter 50 Wohnungen darf man in Deutschland diskriminieren, danach nicht mehr. Was für ein Fortschritt; Rechtsgeschichte schreiben Sie hier! ({10}) Ich will schließen, weil ich auch in der ersten Lesung dazu schon gesprochen habe. Sie werden keinem Behinderten, keiner Lesbe, keinem Schwulen, keiner diskriminierten Minderheit helfen. Sie werden ihnen schaden und Sie schaffen mehr Bürokratie. Jetzt haben Sie nachgebessert, und zwar vorgestern und dann gestern im Rechtsausschuss. Sie meinen, Sie seien jetzt durch. Aber wenn aus einem saudummen Gesetzentwurf ein dummer Gesetzentwurf wird, ist das kein Fortschritt; das Ganze bleibt immer noch dämlich, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({11})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort zu einer Kurzintervention gebe ich dem Kollegen Jerzy Montag.

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Frau Präsidentin. - Herr Kollege Westerwelle, nachdem Sie meine Zwischenfrage nicht gestattet haben, erlaube ich mir folgende Klarstellung: Ich habe mich sehr darüber gefreut, wie Sie - das ist auch völlig richtig - dargestellt haben, dass das Gesetz, das wir heute beschließen, in wesentlichen Zügen dem Antidiskriminierungsgesetz der letzten Regierungsperiode gleicht, das aus rot-grüner Feder stammte. Aber ich bitte Sie doch, zur Kenntnis zu nehmen, dass der von Ihnen hier vorgetragene neue Art. 1 § 22, in dem es nunmehr tatsächlich heißt, dass Indizien bewiesen werden sollen, die dann eine Vermutung begründen, eine Änderung darstellt, zu der die Grünen nie fähig gewesen wären. ({0}) Das stammt nicht aus unserer Feder; dafür übernehmen wir keinerlei Verantwortung. ({1})

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Montag, hätte ich gewusst, dass Sie diese Zwischenfrage stellen wollten, wäre es mir eine Freude gewesen, sie zuzulassen. Ansonsten möchte ich Ihnen feierlich versichern: Ich nehme es dankbar zur Kenntnis. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Jürgen Gehb, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Jürgen Gehb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003129, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich lebe gern in diesem Land und ich bin stolz auf dieses Land, und dies nicht nur vor dem Hintergrund der Lebensfreude der Menschen und der Gastfreundschaft, die wir alle während dieser Tage der Fußballweltmeisterschaft erleben. Ich bin stolz wegen unserer Rechtsordnung und auf unsere Rechtsordnung, die einen ausdifferenzierten Schutz auch und gerade für die Schwachen und Benachteiligten unserer Gesellschaft schon heute de lege lata vorhält. ({0}) Bei aller Freude weiß ich aber auch, dass wir in unserem Land nicht in einem Paradies auf Erden leben und dass es Ressentiments und Vorurteile gibt. Vielleicht war es deshalb ein Anliegen Europas - ungeachtet bereits bestehender nationaler Schutzgesetze -, mit dem Erlass von vier Richtlinien ein Zeichen gegen nahezu jede Form von Ungleichbehandlung zu setzen. Selbstverständlich sind wir als Gesetzgeber gehalten, entsprechende völkerrechtliche Übereinkommen, die von unserem Land ratifiziert wurden, oder entsprechende Richtlinien der EU in nationales Recht umzusetzen, ob einem das gefällt oder nicht. Ich glaube, es gibt kaum einen in diesem Haus, der so dagegen, insbesondere gegen die Richtlinien, gewettert hat wie ich. Dennoch müssen wir sie umsetzen. ({1}) Nun gibt es Regeln zum Schutz der Menschen, die überhaupt nicht streitig sind. Dazu gehören die geradezu klassischen Schutz- und Abwehrrechte des Bürgers gegenüber dem Staat. Aber auch viele einschlägige Regeln im Arbeitsrecht sind uns wohl vertraut. Frau Ministerin Zypries hat soeben eine Reihe von Beispielen genannt: Kündigungsschutzgesetz, Betriebsverfassungsgesetz und Mutterschutzgesetz. Eigentlich ist Deutschland der völlig falsche Adressat für eine solche Richtlinie. ({2}) Manches ist bei der Umsetzung der vier EU-Richtlinien zur Gleichbehandlung völlig unstreitig und deckt sich auch mit dem, was wir schon jetzt haben. Manch anderes allerdings ist weitaus weniger unstreitig, sondern - im Gegenteil - höchst umstritten. Allerdings muss man das Parlament nicht zum Panoptikum machen und mit sicherem Auftreten bei zum Teil völliger Ahnungslosigkeit, Herr Westerwelle, sozusagen den Zampano spielen. ({3}) Nicht zufällig entzündete sich die öffentliche Debatte gerade an den Stellen und auf den Rechtsgebieten, die in unserem Land bisher aus guten Gründen weitgehend regelungsfrei waren. Unsere Rechtsordnung geht von der grundsätzlichen Trennung und Unterscheidung von Staat und Gesellschaft aus. Lassen Sie es mich anders sagen: Nicht alles, was dem Staat in seiner Beziehung zu den Bürgern untersagt ist, ist auch den Bürgern untereinander untersagt und verboten. Um es ganz deutlich zu sagen: Privatautonomie und Vertragsfreiheit beinhalten nachgerade das Recht auf Subjektivität und Rechtfertigungsfreiheit und auch auf Willkür, nämlich dann, wenn ich einem anderen etwas nicht verkaufen will. ({4}) Das war bisher Bestandteil unserer kontinentaleuropäischen Rechtsordnung. Wir alle, die wir Jura studiert hatten, haben das so gelernt. Diese Rechtsordnung droht jetzt durch die europäischen Richtlinien zu kippen. Aber nicht nur durch sie: Denn auch durch das Implantieren von immer mehr angloamerikanischen Rechtsformen bei uns steigt das Risiko, dass unser historisch gewachsenes, aus dem römischen Recht - ich liebe es so - kommendes Recht auf den Kopf gestellt wird. Dem müssen wir schon in statu nascendi entgegenwirken. ({5}) An dieser Stelle, an der ich die Privatautonomie beleuchtet habe, geht es nicht um irgendwelche juristischen Petitessen, sondern um sehr grundsätzliche Fragen und Auffassungen - ja, es geht klar um weltanschauliche Fragen. Mit den Richtlinien soll unserer Gesellschaft Mores gelehrt werden. Genau darum geht es. Viele Menschen waren beispielsweise empört - ich verstehe diese Empörung -, weil sie sich schon durch die Antidiskriminierungsrichtlinien und erst recht durch deren bisher geplante Umsetzung in ihren ureigenen Freiheitsrechten beschnitten fühlten. Lassen Sie mich das an einem heute schon wiederholt angesprochenen Beispiel klar machen. Jemand, der vier oder fünf Wohnungen besitzt, versteht es einfach nicht - er empfindet es geradezu als diskriminierend -, dass ihm die Freiheit bei der Auswahl seiner Mieter genommen wird. ({6}) Nur in dem Haus, in dem er selbst wohnt, sollte er völlig autonom in der Auswahl seiner Mieter sein. Wenn es nach dem Antrag der Linken heute geht, soll ihm selbst das noch genommen werden. Das ist quasi der Eingriff total in die Privatsphäre. Als Christdemokraten sagen wir zu einem solchen Weltbild des Übervaters Staat schlicht und einfach Nein, Nein und nochmals Nein. Wir wollen nicht den totalen Staat, der bis in die letzten Ecken alles regelt. ({7}) Um noch einmal das Beispiel von der Wohnungsvermietung aufzugreifen: Ich bin zwar nicht gerade froh, aber fast zufrieden, dass wir heute den Tausenden von Privatvermietern insoweit Entwarnung geben können - jetzt bitte gut zuhören -, als mit Ausnahme der zwingenden Umsetzung von europäischen Vorgaben - das gilt unabhängig von den Mehrheiten in diesem Hause, auch wenn die CDU/CSU, was manche befürchten, was aber im Moment nicht zu befürchten ist, mit einer dicken Mehrheit regieren würde ({8}) die Vertragsfreiheit in der jetzigen Fassung des Gesetzes weitgehendst gewahrt bleibt. Wir haben nämlich durch eine gesetzliche Auslegungshilfe, die Sie eben sehr flapsig persifliert haben, Herr Westerwelle, und durch die Definition des Massengeschäftes im Bereich des Mietrechts, nach der der Anwendungsbereich dieses Gesetzes - wie gesagt: mit einer einzigen Ausnahme, nämlich für das Merkmal Rasse/Ethnie; das ist durchgehend im Arbeits- und Zivilrecht umzusetzen; da kann man sich noch so stark echauffieren, das wäre auch mit Ihnen nicht anders gegangen - erst bei Vermietung von mehr als 50 Wohnungen eröffnet wird, die Erstreckung des Gesetzes auf private Vermieter in aller Regel ausgeschlossen. Was ist daran eigentlich so schlimm? Wir haben auch bei der Entfernungspauschale eine Grenze von 20 Kilometern. ({9}) - Moment einmal! Einige werden am Samstag vor einer Wahl 18 Jahre alt und andere wiederum werden erst am Montag nach der Wahl 18 Jahre alt. Jegliche Zahlen, alle Begrenzungen haben immer immanent etwas Willkürliches, wie beispielsweise auch das Spielfeld auf dem Fußballfeld. Warum gibt es einen 16-Meter-Raum und keinen 18-Meter-Raum? Irgendeine Zahl muss der Gesetzgeber nehmen. ({10}) Aus guten Gründen haben wir auch für die großen Wohnungsbaugesellschaften vereinbart, dass diese zur Einhaltung und Schaffung sozial stabiler Bewohnerstrukturen einen Freiraum behalten sollen. Um es deutlich zu sagen: Ihr Bemühen, Gettos zu verhindern oder aufzubrechen, soll nicht durch ein Gesetz konterkariert werden. Diese Entschärfungen und Korrekturen sind gut und sinnvoll. Es wäre mir ein Leichtes, Ihnen detailliert weitere Änderungen aufzuzählen, mit denen nun in der vorliegenden Fassung des Gesetzes überflüssige - wenn auch nicht alle - Belastungen für die Wirtschaft und das Rechtsleben verhindert werden. Dies ist mir mit Blick auf meine Redezeit von dieser Stelle aus versagt. Ich verweise insofern auf die ausführliche Berichterstattung der letzten Tage und Wochen, die allerdings nicht selten von besonderem Mangel an Sachkunde geprägt war. Wir merken immer wieder: Je höher der Mangel an Sachkunde ist, desto leichter lässt es sich polemisch-politisch diskutieren. ({11}) Insofern sollten Sie das Gesetz auch einmal lesen. Jedenfalls bin ich dankbar dafür, dass wir in einem langen Prozess des gegenseitigen Annäherns und Verstehens in der Koalition nun zu einem nicht geliebten, aber tragfähigen Kompromiss gefunden haben. Es liegt nun einmal in der Natur der Sache, dass jeder Kompromiss nach der eigenen Auffassung immer nur die zweitbeste Lösung ist. Da es im Regelfall aber keine Alleinregierung gibt, lebt jede Koalition - und dies in jeder Zusammensetzung - davon, Kompromisse zu schließen. Dies ist eigentlich ein einfacher Zusammenhang. Trotzdem meine ich, dass man ihn ab und zu in Erinnerung rufen muss. In der Haushaltsdebatte der vergangenen Woche habe ich den Wunsch ausgesprochen, dass ein vernünftiger Umgang zwischen Bundesrat und Bundestag dazu führen sollte, dass sich dieses Haus die konkreten Bedenken der Länderkammer ansehen, sie ernst nehmen und sich mit ihnen beschäftigen sollte. Das hat es auch getan. Nun muss man sagen, dass aus diesem Gesetz wahrlich kein gutes, ({12}) aber ein immerhin tragfähiges Gesetz geworden ist. Wenn wir bei der Verabschiedung von Gesetzen nur nach der Güte gehen würden, müsste man auch so manches andere Gesetz unterlassen. Deswegen werden wir zustimmen, einige natürlich mit geballter Faust in der Tasche. Jetzt will ich, wohl wissend, dass ich nicht wie Cato mit dem Ausspruch „Ceterum censeo cartaginem esse delendam“ im Senat in die Geschichtsbücher eingehen werde, enden und sagen, wie ich das immer tue: Wir sollten in Ansehung des Beispiels AGG in Zukunft bereits bei der Entstehung von Richtlinien, die uns hinterher häufig dazu zwingen, solche Debatten zu führen, aufpassen und uns davor hüten, am Ende in der Ratifizierungsfalle zu sitzen und bloß noch die Vollstreckungsgehilfen der europäischen Beamten zu sein. Herzlichen Dank, meine Damen und Herren. ({13})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Sevim Dagdelen, Fraktion Die Linke. ({0})

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Herr Westerwelle! ({0}) Sehr geehrte Damen und Herren! Heute soll das Gesetz zur Umsetzung der Antidiskriminierungsrichtlinien der EU beschlossen werden. Leider ist dies tatsächlich kein guter Tag für die von Diskriminierung betroffenen Menschen. Wenn ich eines ganz kurz anmerken darf, Herr Westerwelle: Auch meine Fraktion wird das Gesetz ablehnen, aber nicht, weil aus einem saudummen Gesetz ein dummes Gesetz geworden ist, sondern deswegen, weil aus einem alltagsuntauglichen Gesetz ein schlechtes Gesetz geworden ist. Mit den in den letzten Tagen durchgepeitschten Änderungen hat man nämlich eines klargestellt: Der großen Koalition liegt wenig daran, den Betroffenen ein alltagstaugliches Instrument gegen Diskriminierung an die Hand zu geben. Sie hat lediglich eines geschafft: die Rechte der Einzelnen den Interessen der Wirtschaftsverbände und der Unternehmen zu opfern. Das Gesetz leidet im Wesentlichen darunter, dass das zunächst aufgestellte Benachteiligungsverbot durch Einschränkungen sogleich wieder abgeschwächt worden ist. Lassen Sie mich das an einem Beispiel darstellen: Sie haben den größten Teil des Wohnungsmarktes - über 50 Prozent - aus dem Diskriminierungsverbot für Wohnungsvermieter herausgenommen. ({1}) Mit diesem Gesetzentwurf geben Sie den Betroffenen nur ein schwaches Instrument an die Hand, ihr Recht auf Nichtdiskriminierung auch gerichtlich durchzusetzen. Klagebefugnisse von Gewerkschaften und Betriebsräten werden zusammengestrichen. Für kleinere Betriebe haben Sie das Klagerecht komplett abgeschafft. ({2}) Sie lassen damit die Mehrzahl der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Regen stehen. Das Gleiche gilt für die Beweiserleichterung. An die Adresse der Wirtschaft wird signalisiert: Es wird sich nichts ändern! Wie Sie bereits feststellten, Frau Ministerin Zypries, die im Gesetzentwurf vorgesehene Beweiserleichterung lehnt sich an die jetzt schon bestehende Regelung des § 611 a BGB an. Sie haben jedoch vergessen, zu sagen, dass diese Regelung in 25 Jahren zu lediglich 112 Gerichtsprozessen geführt hat. Daher ist es unseres Erachtens zwangsläufig geboten, den Betroffenen nicht die Last aufzubürden, etwas beweisen zu müssen, was ihrer Wahrnehmung schlichtweg entzogen ist. Das ist kein schlüssiges Konzept, das sich an den Problemen der Menschen orientiert, sondern ein Konzept nach den Vorgaben der Wirtschaft. ({3}) Die Fraktion Die Linke fordert deswegen in ihrem Antrag unter anderem eine Beweislastumkehr und die Einführung eines umfassenden Verbandsklagerechts. ({4}) Das Deutsche Institut für Menschenrechte hat dieses Argument in einer Stellungnahme einmal mehr festgehalten: Eine interne Auswertung der deutschen Rechtsprechung habe gezeigt, dass die verschiedenen Betroffenengruppen bei der gerichtlichen Geltendmachung höchst unterschiedlich repräsentiert sind. Obwohl gerade Migrantinnen und Migranten, schwarze Deutsche wie schwarze Nichtdeutsche massiv von Diskriminierungen auf dem Arbeitsmarkt, in der Bildung oder im Bereich des Wohnungsmarktes betroffen sind, haben gerade diese Gruppen bei der gerichtlichen Durchsetzung die wenigsten Chancen. Ein Verbandsklagerecht würde dieses Ungleichgewicht ausgleichen. ({5}) Ferner haben Sie, meine Damen und Herren vor allen Dingen der Union, erreicht, dass bei Kündigungen der Diskriminierungsschutz des Gesetzes nicht mehr gilt. Damit streichen Sie für die Betroffenen die Möglichkeit, gegen auf Diskriminierung angelegte Kündigungen nach dem AGG zu klagen und die entsprechenden Rechtsfolgen wie Schadenersatz einzufordern. Was aber meines Erachtens noch viel schlimmer ist: Die ausschließliche Geltung des Kündigungsschutzgesetzes im Arbeitsrecht wie auch die Zweimonatsfrist zur Geltendmachung von Ansprüchen sind europarechtlich bedenklich. Sie widersprechen der Zielsetzung der Richtlinie und werden deswegen vor dem Europäischen Gerichtshof keinen Bestand haben. Damit überlassen Sie es einmal mehr den Einzelnen, durch Klagen vor dem Europäischen Gerichtshof für einen Schutz vor Diskriminierungen zu sorgen. Ich halte das für ein Armutszeugnis dieser großen Koalition. ({6}) Sie könnten auch gleich konforme Regelungen schaffen und nicht darauf warten, dass die Menschen in fünf bis sechs Jahren vor dem Europäischen Gerichtshof Recht zugesprochen bekommen. Jean-Jacques Rousseau sagte einmal: Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit. Das hätte ich mir von dieser großen Koalition gewünscht. ({7}) Die große Koalition hat es heute versäumt, mit mutigen Entscheidungen auch in Deutschland endlich eine Antidiskriminierungskultur zu initiieren. Sie haben es versäumt, Mindeststandards festzulegen, die in anderen europäischen Ländern längst gang und gäbe sind, so zum Beispiel in den Niederlanden. Die Gegner eines Antidiskriminierungsgesetzes haben in dieser Debatte jedenfalls eines erreicht: die unzureichenden Wirkungen dieses Gesetzes zu kaschieren. In der Praxis wird damit nur wenig mehr übrig bleiben als ein symbolisches Bekenntnis zur Gleichbehandlung. Dabei wird es bleiben. Danke sehr. ({8})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Volker Beck, Bündnis 90/ Die Grünen.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin heute durchaus nicht unzufrieden. ({0}) Ich denke, uns liegt ein Gesetzentwurf vor, der im Kern gut ist. Deshalb wird unsere Fraktion diesem abgewandelten rot-grünen Entwurf zustimmen. ({1}) Das ganze letzte Jahr lief die Union herum, forderte eine Eins-zu-eins-Umsetzung der EU-Richtlinien und mobilisierte gegen den rot-grünen Entwurf eines Antidiskriminierungsgesetzes. Nun aber beschließen Sie ein Gesetz, das im Wesentlichen dem von uns vorgelegten Entwurf entspricht. Der einzige Unterschied zwischen dem, was wir vorgelegt haben, und einer Eins-zu-einsUmsetzung besteht darin, dass wir die Menschen im Rahmen des Zivilrechts nicht nur vor Diskriminierung aufgrund von Rasse, ethnischer Herkunft und Geschlecht schützen, sondern auch vor Diskriminierung aufgrund von Religion, Alter, Behinderung und sexueller Identität. Das ist der Unterschied zwischen der Einszu-Eins-Umsetzung nach Herrn Westerwelle und dem Entwurf von Rot-Grün und Schwarz. Deshalb war das Ganze ein Popanz. Herr Westerwelle hat heute noch einmal einen solchen Popanz aufgeführt: Das war eins zu eins Ihre Rede aus dem letzten Jahr, meine Kollegen von der Union. ({2}) Regieren bildet. Jetzt haben Sie gemerkt, dass Sie EU-Recht umsetzen müssen. Wir sind zufrieden, weil sich Rot-Grün gegen Schwarz in der großen Koalition durchgesetzt hat. Man merkt natürlich, dass die Union bei diesem Gesetz erhebliche Schluckbeschwerden hat. Deshalb hat die Koalition, freundlich wie man zueinander ist, Placebos bereitgehalten, Beruhigungsmittel verteilt und Schmerztabletten ausgegeben. Das Problem ist aber, dass Placebos wirkungslos sind. Bei den Verschlechterungen - über die Sie, Frau Kollegin Dagdelen, sich gerade aufgeregt haben - werden diese Beruhigungs- und Schmerztabletten langfristig nicht wirken, weil sie EU-rechtswidrig und zum Teil auch verfassungswidrig, weil willkürlich sind. ({3}) Deshalb sind wir ganz getrost, dass der Unsinn, der durch die Änderungsanträge in das Gesetz hineingebracht wurde, in der Rechtspraxis herausgenommen wird. Die Justizministerin gesteht das frank und frei zu. Da, wo das EU-Recht nicht umgesetzt ist, sagt man den Richtern - nachzulesen heute in der „Frankfurter Allgemeinen“ -: Im Zweifel müssen die Richter die Bestimmungen eben europarechtskonform auslegen. Man weiß genau, dass bestimmte Dinge eben nicht EUrechtskonform sind. ({4}) Was ist das aber für eine Gesetzgebung, wenn man sagt, die Richter sollen es richtig machen, obwohl es der Gesetzgeber falsch gewollt hat? Das ist doch absurd und wird die Menschen draußen nicht überzeugen. Herr Westerwelle und Herr Montag haben die wunderbare Formulierung zum Indiz bei der Beweislastregel vorgetragen: Indizien, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 genannten Grundes vermuten lassen. Das klingt wunderschön. Noch schöner finde ich allerdings die Begründung. Man sagt, man habe das gemacht, weil der Begriff der Glaubhaftmachung - das ist eine Volker Beck ({5}) Regelung, die seit 25 Jahren gilt, die ausjudiziert ist, von der jeder weiß, was er darunter zu verstehen hat - von Journalisten oftmals falsch verstanden wird. ({6}) Die Rechtsprechung hat mit dem Begriff überhaupt keine Probleme. Machen wir die Gesetzgebung jetzt aufgrund von TED-Abstimmungen? Stimmen wir darüber ab, was die Leute richtig oder falsch verstehen? Gesetze müssen funktionieren und klar sein. ({7}) Damit die Richter aber nicht irre werden, bietet die Begründung weitere Hinweise: Das, was im Gesetz steht, ist gar nicht gemeint. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes „kehrt sich die Beweislast um, wenn derjenige, der dem ersten Anschein nach diskriminiert ist, sonst kein wirksames Mittel hätte, um die Einhaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes durchzusetzen“. Da hat Sie Ihr Koalitionspartner gründlich hinter die Fichte geführt. Herr Gehb hat im Rechtsausschuss, wie ich mir berichten ließ, gejammert und gesagt, er könne sich mit dieser Vorschrift vor keinem Fachpublikum mehr sehen lassen. Ich habe großes Verständnis dafür. Es ist ein allzu billiger Sieg der anderen Seite, wenn man darauf verweist. ({8}) Die Kündigungen wollen Sie jetzt nicht mehr nach dem AGG, sondern nach dem allgemeinen Kündigungsschutzgesetz behandeln. Dazu sagt nicht nur der DGB, sondern auch laut „FAZ“ der Arbeitsrechtler Martin Kock, der unverdächtig ist, das sei Augenwischerei. Auch beim Kündigungsschutzrecht gelte selbstverständlich die europäische Wertung. Wie sollte es auch anders sein? Das steht in der Richtlinie. Auch da hat man Ihnen Steine statt Brot gegeben. Bei dem Mietrecht freuen Sie sich meines Erachtens ebenfalls zu früh. Herr Gehb hat zu Recht darauf hingewiesen, dass es ein Unterschied ist, ob ein Vermieter selber auf dem Grundstück, das er vermietet, wohnt oder ob er das Mietobjekt nur als Kapitalanlage nutzt. Diesen Unterschied hatten wir im rot-grünen Gesetzentwurf gemacht. Sie ziehen jetzt eine willkürliche Grenze bei 50 Wohnungen. Das macht überhaupt keinen Sinn. Ich glaube, es wird Ihnen nicht durchgehen, dass ein Vermieter, der nur 49 Wohnungen hat, in seine Wohnungsanzeige schreiben kann: „Juden und Homosexuelle zwecklos“. Der Zivilrichter wird Ihnen nicht durchgehen lassen, sich mit der Grenze bei 50 Wohnungen herauszureden.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Beck, Ihre Redezeit ist überschritten.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Lassen Sie mich zum Schluss sagen - es gibt noch jede Menge weitere lustige Beispiele, die man aus den Änderungsanträgen aufführen könnte -: Sie schrammen an einigen Punkten die Richtlinie. Deshalb haben wir einen Entschließungsantrag eingebracht, den wir heute überweisen. Lassen Sie uns über diesen Entschließungsantrag und die Frage, wo der Gesetzgeber die Richtlinie nicht vollständig umsetzt, im Herbst in einer Anhörung diskutieren ({0}) und dann die Nachbearbeitung und Verbesserung dieses Gesetzes vorbereiten. Vielen Dank. ({1})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Kollegin Christine Lambrecht, SPDFraktion. ({0})

Christine Lambrecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003167, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei allem Verständnis dafür, in so eine Debatte ein bisschen Schwung bringen und sich vor den Zuschauern profilieren zu wollen, möchte ich doch darum bitten, dass wir uns abseits von all dem kleinkarierten Auseinanderpflücken von Kommas, Bindestrichen und vergessenen Daten in irgendwelchen Begründungen wieder mit dem Gegenstand, mit dem, was mit diesem Gesetz für die Menschen in unserem Land bewirkt werden soll, beschäftigen. ({0}) Ich muss sagen: Ich kann die Gefühle, die Herr Beck darüber zum Ausdruck gebracht hat, dass wir dieses Gesetz heute in zweiter und dritter Lesung beschließen, noch toppen. Mich freut es, ich finde es richtig klasse, dass wir nach vielen, vielen Jahren endlich dazu kommen, ein Gesetz zu beschließen, das Menschen etwas in die Hand gibt, um sich gegen Diskriminierung zu wehren. Dann müssen sie nicht immer nur hören: Wir alle wollen das nicht, Diskriminierung ist schlecht. Wir müssen sagen: Es reicht uns, wir haben lange genug zugesehen, in bestimmten Bereichen unserer Gesellschaft gibt es nun einmal diese Tendenzen. Deshalb sagen wir als Staat, als Gesetzgeber: Mit uns wird das nicht zu machen sein. Wir geben den Menschen Instrumente in die Hand, um sich zu wehren. Genau darum geht es mit diesem Gesetz und um sonst nichts. ({1}) Ich bin immer wieder darüber überrascht, wie einiges verquickt wird. Herr Westerwelle redet von unnötiger Bürokratie. Meistens kam in diesen Debatten auch noch der Grundsatz der Vertragsfreiheit, der angeblich verletzt wird, zur Sprache. Mein Verständnis von Vertragsfreiheit ist - ich glaube, da gehe ich d’accord mit fast alChristine Lambrecht len Kolleginnen und Kollegen - beim besten Willen nicht das rücksichtslose Vorgehen, das Diskriminieren von Menschen bei Massengeschäften und Leistungen, die ohne Ansehen ihrer Person zu gewähren sind. Das verstehe ich darunter nicht. ({2}) Ich habe in Ihrer Rede, Herr Westerwelle - er ist jetzt abgelenkt und muss telefonieren; er hat Wichtigeres zu tun -, Ihre Kritik an der Grenze von 50 Wohnungen nicht ganz verstanden. Ging es darum, dass Sie Angst davor haben, dass Menschen an einen Vermieter geraten, der weniger Wohnungen hat, und dann keinen Diskriminierungsschutz bekommen? Geht Ihnen das Gesetz nicht weit genug? Das wurde nicht ganz deutlich. In dieser Diskussion besteht ein Spannungsverhältnis. Den einen geht das Gesetz viel zu weit, den anderen geht es nicht weit genug. Aber es freut mich, dass wir es zumindest geschafft haben - das war in diesem Prozess zu lernen -, uns mit einer mittlerweile ganz breiten Mehrheit darauf zu konzentrieren, was wir machen können, was sinnvoll und nicht überzogen ist, um Menschen zu helfen. Frau Dagdelen, ich finde es ganz interessant, dass Sie hier heute eine Fülle von Kritik ausgeschüttet haben. Ich hätte mich darüber gefreut, wenn Sie das gestern im Rechtsausschuss, also in dem Gremium, in dem wir ganz sachlich über dieses Thema gesprochen haben - Juristen sind bekannt für ihren Stil; der ist bei weitem nicht so lustig, wie wir es hier heute erlebt haben -, getan hätten. Wir saßen gestern stundenlang zusammen und von Ihnen war in der viereinhalbstündigen Rechtsausschusssitzung kein einziges Wort zu hören, auch nicht zu diesem Thema. ({3}) Ihre Kritik hätten Sie vielleicht früher anbringen können als nur hier vor dem versammelten Publikum. Ich will noch zwei, drei Punkte ansprechen. Jawohl, das Klagerecht von Gewerkschaften und Betriebsräten bleibt erhalten. Das ist richtig so, weil nur dieses gewährleistet, dass, wenn in Betrieben diskriminiert wird, entsprechend vorgegangen wird, weil die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zum Teil diese Möglichkeit selbst nicht wahrnehmen, nicht wahrnehmen wollen oder nicht wahrnehmen können. ({4}) Es geht darum, ihnen hier etwas an die Hand zu geben. Ich glaube, mit diesem Gesetzentwurf haben wir alles getan, was sinnvoll und vernünftig ist, damit dieser Schutz wirklich gewährleistet werden kann. Die Veränderungen in Bezug auf den Kündigungsschutz sind bereits angesprochen worden. Man kann darüber diskutieren, ob die frühere Formulierung, dass vorrangig der Kündigungsschutz Anwendung findet, mit der EU-Richtlinie konform geht. Ich weiß, dass es im Hinblick auf das Spannungsfeld zwischen der jetzigen Formulierung und den EU-Richtlinien große Bedenken gibt; das wurde von verschiedenen Kolleginnen und Kollegen an mich herangetragen. Aber ich gehe selbstverständlich davon aus, dass unsere Arbeitsgerichte dieses Gesetz richtlinienkonform auslegen werden und es dementsprechend angewandt wird. Dann wird sich zeigen, wie die Rechtsprechung dazu aussieht. Aber zweifellos besteht hier ein Spannungsverhältnis. Das ist überhaupt nicht wegzudiskutieren. Zum Thema Wohnraum habe ich schon etwas gesagt. In den letzten Tagen wurde im Zusammenhang mit der Höhe des Schadenersatzes darüber diskutiert, ob exorbitante Ansprüche geltend gemacht werden können, die Unternehmen womöglich in den Ruin treiben werden. Ich kann ganz deutlich sagen: In Deutschland wird es nie Schadenersatzforderungen in Höhe von mehreren hundert Millionen geben, wie sie beispielsweise in den USA üblich sind. Das wird es bei uns nicht geben. Die EU verlangt zwar ein abschreckend hohes Schmerzensgeld. Aber im Arbeitsrecht beträgt es, auch nach Ansicht anderer europäischer Staaten, maximal ein Jahresgehalt und mindestens 30 000 Euro. Wir haben in unserem Gesetzentwurf, wie ich finde, eine vernünftige Lösung gefunden, die sicherstellt, dass genau das, was befürchtet wurde, nicht eintreten wird, nämlich eine Überforderung der Unternehmen. Aber ich sage auch ganz klar: Wer gegen dieses Gesetz verstößt und Menschen diskriminiert, der muss das spüren. Das muss dann Konsequenzen haben. Sonst wäre dieses Gesetz ein stumpfes Schwert. ({5}) Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, dieser Gesetzentwurf ist ein großer Schritt. Ich weiß, dass sich heute ganz viele Verbände darüber freuen, dass wir diesen Schritt endlich machen, zum Beispiel die Behindertenverbände und die Schwulen- und Lesbenverbände. Denn damit zeigen wir: Wir reden nicht nur, sondern wir handeln auch. Lassen Sie uns diesen Gesetzentwurf heute verabschieden und ihn nicht kleinreden. Vielen Dank. ({6})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Dr. Wolfgang Götzer, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Wolfgang Götzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000707, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich will aus meiner Meinung zu diesem Gesetzentwurf gar keinen Hehl machen: Was lange währt, wird nicht automatisch endlich gut. ({0}) Die Union hat immer ganz klar gesagt, dass wir Regelungen, wie sie die EU-Richtlinien vorgeben, dem Grunde nach für überflüssig halten, im Übrigen teilweise für ausgesprochen schlecht. ({1}) Für einen vernünftigen und ideologiefreien Schutz vor Diskriminierung hätte unser geltendes nationales Recht ausgereicht. ({2}) Jetzt aber hält die Ideologie Einzug in unser Zivilrecht und greift massiv in seinen Kernbereich ein, nämlich in die Vertragsfreiheit. Das gilt auch für den heute vorliegenden Gesetzentwurf, ist aber in den Richtlinien der EU begründet. ({3}) Dass wir dem AGG heute trotzdem zustimmen, hat zwei Gründe. Erstens war die Umsetzung der EU-Gleichbehandlungsrichtlinien in deutsches Recht europarechtlich geboten. Jeder weitere Verzug - darauf ist schon hingewiesen worden - hätte für unser Land Strafzahlungen in Höhe von bis zu 900 000 Euro pro Tag zur Folge gehabt. Zweitens konnten gegenüber dem ursprünglichen Entwurf, der unverkennbar die Handschrift der Grünen getragen hat, erhebliche Verbesserungen erzielt werden. ({4}) Bereits im Rahmen der Vorbereitung des Regierungsentwurfs sind am Entwurf aus der letzten Wahlperiode einige wichtige Änderungen vorgenommen worden. Ich nenne nur den Wegfall des Kontrahierungszwangs im Zivilrecht. Vor allem aber konnten in den koalitionsinternen Verhandlungen der letzten Tage noch zentrale Punkte geändert werden. ({5}) Ich weise nur stichwortartig darauf hin: Jetzt ist praktisch weitgehend ausgeschlossen, dass die AGG-Regelungen auch private Vermieter betreffen. Die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen bleibt somit weitestgehend gewahrt. Es ist sichergestellt, dass eine unterschiedliche Behandlung bei der Wohnraumvermietung aus übergeordneten Gründen möglich ist. Das Kriterium der Weltanschauung fällt nicht mehr unter den zivilrechtlichen Diskriminierungsschutz. Der Begriff „Weltanschauung“ ist schwer zu definieren. ({6}) Hier wäre möglicherweise ein Einfallstor für Sekten oder extremistische Organisationen geschaffen worden. ({7}) Das gilt übrigens nicht nur für Rechtsradikale, wie es in der Begründung heißt, sondern natürlich auch für Linksradikale und andere, vergleichbare Organisationen. Die Beweislastregelung ist präzisiert worden, deutlich zulasten desjenigen, der behauptet, diskriminiert worden zu sein. Ich mache keine Hehl daraus: Natürlich wäre es uns am liebsten gewesen, wir hätten die klassische Beweislastregelung des Zivilrechts. ({8}) Nur, Herr Kollege Westerwelle, das lässt die EU-Richtlinie nicht zu; auch das müssen wir sehen. Für Kündigungen gelten ausschließlich die Bestimmungen des allgemeinen und besonderen Kündigungsschutzes; auch darauf ist hingewiesen worden. Ein erweitertes Klagerecht des Betriebsrates wird es nicht geben. Der Betriebsrat oder die im Betrieb vertretene Gewerkschaft kann nur eigene Rechte geltend machen, nicht aber stellvertretend die Rechte eines Arbeitnehmers oder dies gar gegen dessen Willen. Antidiskriminierungsverbände können nicht als Prozessbevollmächtigte für Betroffene auftreten. Schließlich haben wir die Ausschlussfrist für die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen von drei Monaten auf zwei Monate reduziert. ({9}) Das alles sind Punkte, die in den letzten Tagen noch erreicht werden konnten. ({10}) Ich sage aber auch hier ganz klar: Diese Verbesserungen machen aus einer schlechten Richtlinie kein gutes Gesetz. ({11}) Aber sie führen dazu, dass wir, weil mehr nicht machbar war und weil wir, wie gesagt, um eine Umsetzung der EU-Richtlinien nicht herumkommen, dem vorliegenden Entwurf, wenn auch mit Bauchschmerzen, zustimmen. Lassen Sie mich abschließend eine grundsätzliche Bemerkung machen. Die Beschäftigung mit diesen EURichtlinien muss für uns Anlass sein, dafür zu sorgen, dass sich der Deutsche Bundestag künftig nicht erst dann mit EU-Richtlinien beschäftigt, wenn diese bereits verbindlich geworden, also umzusetzen sind, ({12}) sondern schon dann, wenn sie in Brüssel ausgebrütet werden: damit sie notfalls auf europäischer Ebene gestoppt werden können. Vielen Dank. ({13})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor wir zur Ab- stimmung kommen, gebe ich bekannt, dass mir etliche schriftliche Erklärungen zur Abstimmung nach § 31 un- serer Geschäftsordnung vorliegen.1) Der Kollege Ilja Seifert wünscht eine mündliche Erklärung abzugeben. Ich bitte, liebe Kolleginnen und Kollegen, den Lärmpegel während dieser Zeit etwas herunterzufahren. Kollege Seifert, Sie haben das Wort.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich kann und will nicht gegen ein Gesetz stimmen, das Diskriminierungen ächtet und verbietet. Ich kann und will aber auch nicht einem Gesetz zustimmen, das in seiner Substanz diesem Anspruch nicht gerecht wird. Was heute hier beschlossen wird, könnte eigentlich der krönende Abschluss einer langen Wegstrecke sein, auf der auch ich, gemeinsam mit vielen anderen, seit Jahren wandle. Gerne würde ich mit denen feiern, die wie ich große Hoffnungen in ein umfassendes und wirkungsvolles Diskriminierungsverbot setzen. Eine Mogelpackung - als solche kommt das Gesetz heute daher lasse ich mir aber nicht als Krone verkaufen. Seit Jahren, insbesondere in den letzten Tagen und Wochen, gab es jede Menge Gespräche mit Betroffenen über den heute zur Abstimmung stehenden Gesetzentwurf. Die Entscheidung, zu der ich nunmehr komme, fällt mir wirklich nicht leicht. Sie nennen das Gesetz jetzt sehr verschämt „Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz“. Einerseits setzen Sie nun mit mehrjähriger Verspätung Antidiskriminierungsrichtlinien der EU um worauf viele Menschen seit Jahren gewartet haben. Andererseits sind nur sehr geringe Verbesserungen mit wenig Substanz in diesem Gesetzentwurf. Aber immerhin: Es wären Verbesserungen; das könnte für eine Zustimmung sprechen. Vor zwei Tagen jedoch legte die Koalition in einem ziemlich fiesen Kuhhandel, der auch mit der Föderalismusreform zusammenhängt, noch einmal Hand an ihren eigenen Gesetzentwurf. Damit schwächten Sie ihr eigenes Gesetz noch weiter. Mit einigen Änderungen bleiben Sie sogar hinter den Mindestanforderungen der EU zurück. Das wäre ein Grund, das Gesetz in Gänze abzulehnen. ({0}) - Ich rede die ganze Zeit zur Abstimmung und erkläre mein Abstimmungsverhalten. Erstens werde ich diesem Gesetzentwurf also nicht zustimmen, weil er irreführend bezeichnet ist. Wer Dis- kriminierung wirklich verhindern will, muss ungleich behandeln, nämlich die Schwächen der benachteiligten Personen und Gruppen ausgleichen. Es geht also nicht um Gleichbehandlung, sondern um Diskriminierungs- verbot. 1) Anlagen 10 und 11 Zweitens werde ich dem Gesetzentwurf nicht zustimmen, weil eine große Gruppe nicht einbezogen ist, nämlich diejenigen, die wegen ihrer sozialen Herkunft oder ihres soziokulturellen Status diskriminiert werden. Drittens kann ich diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen, weil die Verkürzung der Frist für die Geltendmachung von Ansprüchen auf nunmehr zwei Monate, während sie allgemein drei Jahre beträgt, unverhältnismäßig ist. Viertens werde ich dem Gesetzentwurf nicht zustimmen, weil es für die Benachteiligungen von Menschengruppen bei der Vermietung von Wohnungen keinen akzeptablen Grund gibt. Die Unterstellungen der Wohnungswirtschaft, dass eine überdurchschnittliche Anzahl von Menschen mit Behinderung, einer bestimmten Religion oder einer bestimmten sexuellen Identität eine Gefährdung stabiler Bevölkerungs- und Siedlungsstrukturen darstellt, sind absurd. Ich werde dem Gesetzentwurf - fünftens - nicht zustimmen, weil zulässige unterschiedliche Behandlungen, also erlaubte Diskriminierungen, nicht auf ein Mindestmaß reduziert wurden. Einzig die Gefahr für Leib und Leben hielte ich als Ausnahme für akzeptabel. Sechstens werde ich nicht zustimmen, weil der Begriff Rasse in keinen Gesetzentwurf gehört. Das sollte auch hier der Fall sein. Siebtens werde ich nicht zustimmen, weil das Verbandsklagerecht ebenso wie wirkungsvolle Strafen und Sanktionen fehlen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich werde mich in diesem Falle also sehr bewusst und sehr ausdrücklich der Stimme enthalten. Das ist keine feige Zurückhaltung, sondern eine sehr bewusste Entscheidung. Ich befürchte allerdings, dass es nicht lange dauern wird, bis ich auf der Seite derjenigen stehen werde, die dieses allgemeine Antidiskriminierungsgesetz gegen diejenigen verteidigen müssen, die es immer noch angreifen. ({1})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Seifert, Sie haben in Ihrer mündlichen Erklärung davon gesprochen, dass es sich um einen „ziemlich fiesen Kuhhandel“ handeln würde. Dies ist unparlamentarisch und ich bitte Sie herzlich, dies zukünftig bei einer mündlichen Erklärung zu unterlassen. ({0}) Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung europäischer Richtlinien zur Verwirk- lichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung, Druck- sachen 16/1780 und 16/1852. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a sei- ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/2022, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus- schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzent- wurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner SPD, Bündnis 90/Die Grünen und CDU/CSU bei Ge- genstimmen der Fraktionen der FDP und der Linken so- wie aus den Reihen der CDU/CSU und einigen Enthal- tungen der Linken angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Die Fraktion der FDP verlangt namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerin- nen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzu- nehmen. - Sind alle Plätze an den Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerin- nen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben. Wir setzen nun die Abstimmungen fort. Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/2034: Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Der Entschließungs- antrag ist mit der Mehrheit der Stimmen des Hauses bei Stimmenthaltung der Grünen abgelehnt. Der Entschließungsantrag der Fraktion des Bündnis- ses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/2033 soll zur fe- derführenden Beratung an den Rechtsausschuss und zur Mitberatung an den Ausschuss für Wirtschaft und Tech- nologie, den Ausschuss für Arbeit und Soziales sowie den Ausschuss für Familien, Senioren, Frauen und Jugend überwiesen werden. Sind Sie damit einverstan- den? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so be- schlossen. Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen zur Umsetzung europäi- scher Antidiskriminierungsrichtlinien, Drucksache 16/297: Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/2022, den Ge- setzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzent- wurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Mehrheit des Hauses bei Enthaltung der Fraktion Die Linke abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäfts- ordnung die weitere Beratung. Der Rechtsausschusses empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/2022 die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/370 mit dem Titel „EU-Antidiskriminie- rungsrichtlinien durch einheitliches Antidiskriminie- rungsgesetz wirksam und umfassend umsetzen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit der Mehrheit der Stimmen des Hauses bei Enthaltung der Grünen angenommen. Unter Buchstabe d seiner Beschlussempfehlung emp- fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Druck- sache 16/957 mit dem Titel „Keine Ausgrenzung beim Antidiskriminierungsgesetz“. Wer stimmt für diese Be- schlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit der Mehrheit der Stim- men des Hauses bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Schließlich empfiehlt der Rechtsausschuss unter Buchstabe e seiner Beschlussempfehlung auf Druck- sache 16/2022 die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/1861 mit dem Titel „Büro- kratie schützt nicht vor Diskriminierung - Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz ist der falsche Weg“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den überwiegenden Stimmen des Hauses ange- nommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b auf: a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Verbraucherinformation - Drucksache 16/1408 - Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Verbraucherinformationsgesetzes ({1}) - Drucksache 16/199 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({2}) - Drucksache 16/2011 - Berichterstattung: Abgeordnete Ursula Heinen Dr. Kirsten Tackmann b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({3}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Peter Bleser, Ursula Heinen, Gitta Connemann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Waltraud Wolff ({4}), Ulrich Kelber, Volker Blumentritt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Lebensmittelskandalen effektiv entgegenwirken - Verbraucher umfassend informieren - zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrike Höfken, Bärbel Höhn, Cornelia Behm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN Konsequenzen aus den Fleischskandalen: Umfassende Verbraucherinformation und bessere Kontrollen Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner - zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-Michael Goldmann, Dr. Christel Happach-Kasan, Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Verbraucherschutz in der Marktwirtschaft durch mündige und aufgeklärte Verbraucher sicherstellen - Drucksachen 16/195, 16/111, 16/825, 16/2009 Berichterstattung: Abgeordnete Ursula Heinen Hans-Michael Goldmann Ulrike Höfken Zum Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD liegen mehrere Entschließungsanträge vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Ursula Heinen, CDU/CSU-Fraktion. ({5})

Ursula Heinen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003143, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach fast fünf Jahren Diskussion wird der Deutsche Bundestag mit seiner Zustimmung das Verbraucherinformationsgesetz endlich zu einem guten Abschluss bringen. Wir, Union und SPD, haben damit ein neues Kapitel der Verbraucherpolitik aufgeschlagen und ein Gesetz gestaltet, das den Verbrauchern neue Perspektiven eröffnet. Erstmals erhalten die Verbraucher in unserem Land ein bundeseinheitliches Recht auf Zugang zu bei Behörden vorhandenen Informationen über Lebensmittel und Bedarfsgegenstände. Dafür müssen wir uns bei unserem CSU-Minister, Horst Seehofer, bedanken, der das Projekt relativ zügig nach seinem Amtsantritt in Angriff genommen ({0}) - natürlich gemeinsam mit den Koalitionsfraktionen und das Gesetz über die Ziellinie gebracht hat. Das war bekanntlich ein schwieriger Prozess. Lassen Sie mich an dieser Stelle noch einmal betonen, dass sich der Anwendungsbereich des hier debattierten Gesetzes eben nicht nur auf Lebensmittel beschränkt - wie es in den öffentlichen Diskussionen oftmals dargestellt wird -, sondern dass es auch für Kosmetika, Bekleidung, Spielwaren, Schnuller, Bettwäsche, Putz- und Waschmittel sowie alles, was mit der Haut oder den Schleimhäuten in Berührung kommen kann, gilt. Der Gesetzentwurf umfasst damit die für die Verbraucher wichtigsten Gegenstände des alltäglichen Bedarfs. ({1}) Das ist ein Riesenfortschritt. ({2}) Künftig können Informationen beispielsweise über Verstöße gegen das Lebensmittel- und Futtermittelgesetz - das ist angesichts der Gammelfleischdiskussion vor einigen Monaten von entscheidender Bedeutung -, über Daten, die Auskunft über Gefahren oder Risiken für die Gesundheit geben, sowie über Überwachungsmaßnahmen der Behörden abgerufen werden. Für die Verbraucherinnen und Verbraucher sind insbesondere Angaben zu festgestellten Werten von Bedeutung. Erinnern Sie sich zum Beispiel an die immer wieder aufkommende Acrylamiddiskussion! Der Zugang zu Informationen ist für unser Leitbild des mündigen Verbrauchers eine entscheidende Voraussetzung, ({3}) das wir in unserem Koalitionsvertrag festgehalten haben. Um diese Voraussetzung zu schaffen, haben wir nach der Expertenanhörung im Ausschuss auch hinsichtlich der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse den Willen des Gesetzgebers deutlicher und klarer formuliert. So fallen künftig Informationen über Rechtsverstöße nicht unter den Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen. ({4}) Wir haben immer wieder darüber diskutiert, ob sich Unternehmen eventuell auf das Geschäftsgeheimnis berufen können, wenn Rechtsverstöße festgestellt worden sind. Das haben wir jetzt im Gesetz klargestellt. Das gibt es nicht. In einem solchen Fall werden die Namen genannt. Auch das ist eine ganz wichtige Botschaft an die Verbraucherinnen und Verbraucher. ({5}) Auf der anderen Seite gilt aber: Wir müssen die Eigentumsrechte der Unternehmen wahren. Deshalb befinden wir uns mit diesem Gesetz auf einer Gratwanderung. Natürlich wäre es schön, über jedes Detail eines Produktes genau Bescheid zu wissen. Dann kann es aber vorkommen, dass wir beispielsweise Rezepturen oder ähnliche Dinge erfahren wollen, die ganz klar Betriebsgeheimnisse eines Unternehmens sind. Deswegen benötigen wir einen bestimmten Schutz der Unternehmen. Nachweisliche Betriebsgeheimnisse müssen daher geschützt werden. Daran führt kein Weg vorbei. ({6}) Allerdings gilt auch: Je mehr Verbraucherinformationen die Unternehmen von sich aus bieten, desto besser stehen sie im Wettbewerb da; ({7}) denn heute wollen Verbraucher wissen, was sie kaufen und welche Inhaltsstoffe die Produkte haben, die sie kaufen. Deshalb können wir den Unternehmen nur raten, eine offensive Informationspolitik zu betreiben und die Verbraucher von sich aus und nicht nur über den „Umweg“ über die Behörden über ihre Produkte rechtzeitig, klar und eindeutig zu informieren. ({8}) Ich habe eingangs schon gesagt, dass wir mit dem Verbraucherinformationsgesetz einen ganz neuen Weg in der Verbraucherpolitik beschreiten. Weil wir prüfen müssen, wie das Gesetz angenommen wird, haben wir als Koalitionsfraktionen in einem Entschließungsantrag, den wir heute auch verabschieden, festgehalten, dass wir innerhalb der nächsten zwei Jahre das Gesetz evaluieren wollen. Wir werden uns sehr genau anschauen, wie die Verbraucherinnen und Verbraucher die Möglichkeiten des Gesetzes nutzen, ob es eventuell bei den Antworten der Behörden Schwierigkeiten gibt, ob die Unternehmen mitmachen oder ob sie Informationen nicht preisgeben, alles unter Verschluss halten und die Verbraucher nicht informieren. Letzteres hieße für uns, dass wir schärfere Regelungen treffen müssten, soweit wir das können, ohne Eigentumsrechte der Unternehmen etc. zu verletzen. ({9}) Neben dem Verbraucherinformationsgesetz haben wir noch eine wichtige Änderung im Lebensmittel- und Futtermittelgesetz vorgenommen. Es geht darum, dass die Behörden aktiv die Verbraucher informieren, wenn Rechtsverstöße vorliegen bzw. wenn von bestimmten Produkten ganz klar Gesundheitsgefahren ausgehen. Bisher war im Lebensmittel- und Futtermittelgesetz nur geregelt, dass die Behörden informieren können. Wir haben das schärfer gefasst und deshalb eine Sollbestimmung eingeführt. Die Behörden sollen jetzt die Öffentlichkeit informieren, sobald Gesundheitsgefahren, Risiken etc. vorliegen. ({10}) In Zukunft können auch dann Namen von Produkten genannt werden, wenn die Produkte nicht mehr auf dem Markt sind, nachträglich aber festgestellt wurde, dass von ihnen Gesundheitsgefahren ausgegangen sind. Auch das ist ein großer Schritt hin zu mehr Verbraucherinformation. Die Koalition hat bei einem wichtigen Versprechen, nämlich in dieser Legislaturperiode ein Verbraucherinformationsgesetz vorzulegen, Wort gehalten. ({11}) Ich danke allen Kolleginnen und Kollegen, die auf diesem Weg mitgegangen sind. ({12})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich komme zu Tagesordnungspunkt 5 a zurück und gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Umsetzung europäischer Richtlinien zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung - Drucksachen 16/1780, 16/1852, 16/2022 - bekannt. Abgegebene Stimmen 571. Mit Ja haben 443 gestimmt, mit Nein haben 111 gestimmt, Enthaltungen 17. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 571; davon ja: 443 nein: 111 enthalten: 17 Ja CDU/CSU Ilse Aigner Peter Albach Peter Altmaier Thomas Bareiß Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Dr. Christoph Bergner Clemens Binninger Renate Blank Peter Bleser Antje Blumenthal Jochen Borchert Wolfgang Börnsen ({0}) Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Michael Brand Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Monika Brüning Georg Brunnhuber Gitta Connemann Alexander Dobrindt Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Anke Eymer ({1}) Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Enak Ferlemann Hartwig Fischer ({2}) Dirk Fischer ({3}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Dr. Hans-Peter Friedrich ({4}) Jochen-Konrad Fromme Dr. Michael Fuchs Michael Glos Ralf Göbel Josef Göppel Peter Götz Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg Holger Haibach Ursula Heinen Uda Carmen Freia Heller Michael Hennrich Jürgen Herrmann Bernd Heynemann Peter Hintze Robert Hochbaum Klaus Hofbauer Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Susanne Jaffke Dr. Peter Jahr Dr. Hans-Heinrich Jordan Andreas Jung ({5}) Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({6}) Volker Kauder Eckart von Klaeden Jürgen Klimke Jens Koeppen Kristina Köhler ({7}) Norbert Königshofen Hartmut Koschyk Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Martina Krogmann Johann-Henrich Krummacher Dr. Hermann Kues Dr. Karl A. Lamers ({8}) Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Ingbert Liebing Patricia Lips Dr. Michael Luther Stephan Mayer ({9}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Laurenz Meyer ({10}) Maria Michalk Philipp Mißfelder Dr. Eva Möllring Marlene Mortler Carsten Müller ({11}) Stefan Müller ({12}) Bernward Müller ({13}) Dr. Gerd Müller Hildegard Müller Bernd Neumann ({14}) Michaela Noll Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Rita Pawelski Dr. Peter Paziorek Ulrich Petzold Sibylle Pfeiffer Ronald Pofalla Daniela Raab Thomas Rachel Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Johannes Röring Dr. Christian Ruck Albert Rupprecht ({15}) Peter Rzepka Anita Schäfer ({16}) Hermann-Josef Scharf Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Georg Schirmbeck Bernd Schmidbauer Andreas Schmidt ({17}) Ingo Schmitt ({18}) Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Horst Seehofer Kurt Segner Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Erika Steinbach Gero Storjohann Andreas Storm Max Straubinger Thomas Strobl ({19}) Michael Stübgen Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Uwe Vogel Andrea Astrid Voßhoff Gerhard Wächter Marco Wanderwitz Marcus Weinberg Peter Weiß ({20}) Gerald Weiß ({21}) Anette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Matthias Wissmann Dagmar Wöhrl SPD Dr. Lale Akgün Gregor Amann Gerd Andres Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Ernst Bahr ({22}) Dr. Hans- Peter Bartels Sören Bartol Sabine Bätzing Dirk Becker Uwe Beckmeyer Klaus Uwe Benneter Dr. Axel Berg Ute Berg Petra Bierwirth Lothar Binding ({23}) Volker Blumentritt Gerd Bollmann Dr. Gerhard Botz Klaus Brandner Bernhard Brinkmann ({24}) Edelgard Bulmahn Marco Bülow Ulla Burchardt Martin Burkert Dr. Michael Bürsch Christian Carstensen Dr. Peter Danckert Dr. Herta Däubler-Gmelin Karl Diller Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Garrelt Duin Detlef Dzembritzki Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Hans Eichel Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Annette Faße Gabriele Fograscher Rainer Fornahl Dagmar Freitag Peter Friedrich Sigmar Gabriel Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Renate Gradistanac Angelika Graf ({25}) Dieter Grasedieck Monika Griefahn Kerstin Griese Gabriele Groneberg Achim Großmann Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann ({26}) Nina Hauer Hubertus Heil Reinhold Hemker Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Petra Heß Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz ({27}) Gerd Höfer Iris Hoffmann ({28}) Frank Hofmann ({29}) Eike Hovermann Klaas Hübner Christel Humme Brunhilde Irber Johannes Jung ({30}) Josip Juratovic Johannes Kahrs Ulrich Kasparick Dr. h.c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Hans-Ulrich Klose Dr. Bärbel Kofler Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Rolf Kramer Ernst Kranz Volker Kröning Angelika Krüger-Leißner Dr. Hans-Ulrich Krüger Jürgen Kucharczyk Ute Kumpf Dr. Uwe Küster Christian Lange ({31}) Dr. Karl Lauterbach Waltraud Lehn Gabriele Lösekrug-Möller Lothar Mark Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Markus Meckel Petra Merkel ({32}) Ulrike Merten Dr. Matthias Miersch Ursula Mogg Marko Mühlstein Detlef Müller ({33}) Michael Müller ({34}) Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Thomas Oppermann Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Christoph Pries Dr. Wilhelm Priesmeier Dr. Sascha Raabe Steffen Reiche ({35}) Maik Reichel Gerold Reichenbach Christel RiemannHanewinckel Walter Riester Sönke Rix Rene Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({36}) Michael Roth ({37}) Ortwin Runde Anton Schaaf Axel Schäfer ({38}) Bernd Scheelen Marianne Schieder Otto Schily Silvia Schmidt ({39}) Renate Schmidt ({40}) Dr. Frank Schmidt Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Heinz Schmitt ({41}) Carsten Schneider ({42}) Ottmar Schreiner ({43}) Swen Schulz ({44}) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Rita Schwarzelühr-Sutter Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Andreas Steppuhn Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Dr. Peter Struck Joachim Stünker Dr. Rainer Tabillion Jörg Tauss Jella Teuchner Dr. h.c. Wolfgang Thierse Jörn Thießen Franz Thönnes Hans-Jürgen Uhl Rüdiger Veit Simone Violka Jörg Vogelsänger Dr. Marlies Volkmer Hedi Wegener Andreas Weigel Petra Weis Gunter Weißgerber Gert Weisskirchen ({45}) Dr. Rainer Wend Lydia Westrich Dr. Margrit Wetzel Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Engelbert Wistuba Dr. Wolfgang Wodarg Waltraud Wollf ({46}) Heidi Wright Uta Zapf Manfred Zöllmer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Volker Beck ({47}) Cornelia Behm Matthias Berninger Grietje Bettin Alexander Bonde Ekin Deligöz Dr. Thea Dückert Hans Josef Fell Kai Gehring Anja Hajduk Britta Haßelmann Peter Hettlich Priska Hinz ({48}) Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Ute Koczy Sylvia Kotting-Uhl Renate Künast Undine Kurth ({49}) Markus Kurth Monika Lazar Anna Lührmann Kerstin Müller ({50}) Winfried Nachtwei Claudia Roth ({51}) Krista Sager Elisabeth Scharfenberg Irmingard Schewe-Gerigk Rainder Steenblock Silke Stokar von Neuforn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Jürgen Trittin Wolfgang Wieland Josef Philip Winkler Margareta Wolf ({52}) Nein CDU/CSU Veronika Bellmann Carl-Eduard von Bismarck Thomas Dörflinger Erich G. Fritz Hans-Joachim Fuchtel Dr. Peter Gauweiler Norbert Geis Dr. Reinhard Göhner Manfred Kolbe Dr. Klaus W. Lippold Friedrich Merz Henry Nitzsche Dr. Georg Nüßlein Beatrix Philipp Peter Rauen Kurt J. Rossmanith Christian Freiherr von Stetten Willi Zylajew FDP Jens Ackermann Dr. Karl Addicks Christian Ahrendt Daniel Bahr ({53}) Uwe Barth Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Patrick Döring Mechthild Dyckmans Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Paul K. Friedhoff Horst Friedrich ({54}) Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Miriam Gruß Joachim Günther ({55}) Heinz-Peter Haustein Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Dr. Heinrich L. Kolb Hellmut Königshaus Gudrun Kopp Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Ina Lenke Sabine LeutheusserSchnarrenberger Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Burkhardt Müller-Sönksen Hans-Joachim Otto ({56}) Cornelia Pieper Gisela Piltz Jörg Rohde Dr. Konrad Schily Dr. Hermann Otto Solms Dr. Max Stadler Florian Toncar Christoph Waitz Dr. Claudia Winterstein Hartfrid Wolff ({57}) DIE LINKE Karin Binder Dr. Lothar Bisky Heidrun Bluhm Eva Bulling-Schröter Sevim Dagdelen Dr. Diether Dehm Klaus Ernst Diana Golze Heike Hänsel Lutz Heilmann Inge Höger-Neuling Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Dr. Hakki Keskin Monika Knoche Jan Korte Oskar Lafontaine Michael Leutert Ulla Lötzer Ulrich Maurer Kornelia Möller Wolfgang Neskovic Dr. Norman Paech Bodo Ramelow Paul Schäfer ({58}) ({59}) Dr. Herbert Schui Dr. Axel Troost Alexander Ulrich fraktionslos Gert Winkelmeier Enthalten CDU/CSU Ernst-Reinhard Beck ({60}) Eberhard Gienger Karl-Georg Wellmann DIE LINKE Roland Claus Werner Dreibus Dr. Barbara Höll Katja Kipping Dr. Gesine Lötzsch Dorothee Menzner Kersten Naumann Elke Reinke Dr. Petra Sitte Jörn Wunderlich Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Der Gesetzentwurf ist damit angenommen. Nächster Redner in dieser Debatte ist der Kollege Hans-Michael Goldmann, FDP-Fraktion. ({61})

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch für die FDP ist das Thema „Verbraucherbildung, Verbraucherinformation und Verbraucherschutz“ äußerst wichtig. Wir versuchen mit aller Konsequenz und mit aller Deutlichkeit, die Balance zwischen den Rechten der Verbraucher und den Rechten der Unternehmen - wir nennen sie Betriebsgeheimnisse oder Geschäftsgeheimnisse - herzustellen. Wir müssen diese Sache also ausgewogen gestalten. Das ist unser Kernziel, wenn wir uns um Verbraucherschutz kümmern. In dieser Frage - das ist die erste Kritik - ist dieses Gesetz unklar. Dieses Gesetz schützt nicht systematisch genug die Betriebs- und die Geschäftsgeheimnisse von Unternehmen, vor allem nicht von kleinen Unternehmen. ({0}) Das ist Ihnen auch klar; schließlich haben Sie in diesem Gesetz eine ganze Litanei von Ausnahmetatbeständen aufgeführt. Um ein bisschen mehr Klarheit in diese Angelegenheit zu bringen, müssen Sie einen Entschließungsantrag zu Ihrem eigenen Gesetzentwurf einbringen, der auf der ersten Seite zwar relativ breit, aber unklar darlegt, wie Sie dieses Gesetz ausgestaltet wissen wollen. Damit verbunden ist das Hauptproblem dieses Gesetzes. Dieses Gesetz verlagert die besondere Informationsverpflichtung gegenüber dem Verbraucher zu Recht in die Behörden. Behörden sind die Bindeglieder zwischen den Unternehmen und den Verbrauchern. Sie sind bestückt mit Fachfrauen und Fachmännern. Sie sammeln diese Informationen; dafür haben sie einen staatlichen Auftrag. Das machen Lebensmittelkontrolleure in den Betrieben. Sie gehen in die Betriebe und informieren sich darüber, ob sie sich an die Standards halten, die sozusagen Grundlage ihres wirtschaftlichen Tuns sind. ({1}) - Genauso ist es, Herr Kelber. - Sie sammeln diese Informationen und sie stellen sie den Verbrauchern zur Verfügung. Wenn Sie mir das nicht glauben, dann können wir uns darüber nachher einmal unterhalten. Ich habe das jahrelang gemacht. Ich weiß in etwa, wovon ich spreche. ({2}) Wie wenig Vertrauen Sie im Grunde genommen in diese behördliche Struktur - sie ist gleichzeitig das Kernelement Ihres Verbraucherinformationsgesetzes setzen, das kann man auch daran sehen, dass diese Behörden keine Verpflichtung zur Haftung für die Auskunft, die sie geben, haben. Das ist ein dolles Ding: Da wendet sich ein Verbraucher an die Behörde, die Behörde gibt ihm eine Information, diese Information ist möglicherweise falsch und gefährdet das Unternehmen bis zur Existenzzerstörung. Dazu sagen Sie: Daran sind wir aber nicht schuld. Sie bringen hier ein eigenartiges Gesetz auf den Weg. ({3}) Was die Qualität angeht, weist es aus meiner Sicht wirklich dramatische Mängel auf. Wie wenig Vertrauen Sie im Grunde genommen zu Ihrem eigenen Gesetz haben, wird wiederum in Ihrem Entschließungsantrag deutlich. Dort schreiben Sie - das ist der letzte Punkt -, dass Sie den ersten Erfahrungsbericht zwei Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes vorlegen und alle gesetzlichen Informationsrechte miteinander abstimmen und systematisieren wollen. ({4}) Das ist ja wohl ein Witz. Das heißt, das jetzt vorliegende Gesetz ist unsystematisch ({5}) und mit vorhandenen gesetzlichen Bestimmungen, zum Beispiel dem Informationsfreiheitsgesetz, nicht in Einklang zu bringen. Das ist eine schallende Ohrfeige für Sie, die Sie diesen Gesetzentwurf heute verabschieden wollen. Ich halte das wirklich für dramatisch. ({6}) Ihr Gesetz ist insgesamt halbherzig angelegt. Liebe Kollegin Heinen, Sie haben schön gesagt, welche Zuständigkeiten mit diesem Gesetz verbunden sind. Aber wenn dieses Gesetz so toll ist, warum regelt es dann eigentlich nicht die Auskunft über Lebensversicherungen? Warum regelt es nicht die Auskunftspflicht bei Kapitalgeschäften? Warum beschränken Sie sich im Kern auf Futtermittel, Lebensmittel und die dazugehörigen Bedarfsgegenstände? Wir wollen das mit dem Spielzeug nicht übertreiben. Schauen Sie doch einmal ins alte Lebensmittelgesetz! Da ist der Begriff des Bedarfsgegenstandes sehr klar definiert. Mit dem, was Sie hier tun, sind Sie von dem, was dort für den Verbraucher abgedeckt wird, ein ganzes Stück weit entfernt. Ihr Gesetz bleibt in Bezug auf unsere zentralen Verbraucherrechte, zum Beispiel Fahrgastrechte und Schutz junger Menschen, die sich durch die Benutzung von Handys überschulden, weit hinter den Erwartungen der Verbraucher zurück. Deswegen wird Ihr Gesetz von den Verbraucherverbänden auch scharf kritisiert. ({7}) - Ja, natürlich! Entschuldigen Sie, liebe Frau Klöckner, die FDP ist eine Bürgerrechtspartei. Deswegen ist sie natürlich Anwalt der Verbraucher. Sie ist die Partei, die ganz klar die Interessenlagen von Betrieben vertritt, gerade von kleinen Betrieben - die nicht immer alles so gut erfüllen können wie die großen -, damit diese Betriebe und ihre Arbeitsplätze geschützt werden. ({8}) Lassen Sie mich noch etwas zu dem Gesetz von Bündnis 90/Die Grünen sagen, über das wir auch diskutieren. Sie wollen einen Informationsanspruch gegenüber Unternehmen begründen. Das lehnen wir entschieden ab. Es kann nicht den Anspruch eines Bürgers an ein Unternehmen geben, zum Beispiel zu wissen, wie ein Malermeister - Kollege Zöllmer hat es gestern im Ausschuss eindrucksvoll belegt - seine Preise kalkuliert. Das ist schlicht und ergreifend eine Wettbewerbsverzerrung. Der Kunde muss sich auf Folgendes verlassen: Wenn er ein Angebot von einem Betrieb oder Unternehmen bekommt, dann ist die Erarbeitung dieses Angebots sachgerecht. Dafür gibt es Fachleute in den Unternehmen. Die andere Funktion haben zu Recht die Behörden zu übernehmen. Wir sind strikt gegen zu viele Staatseingriffe. Wir lehnen das grüne Gesetz entschieden ab. Es widerspricht allen Grundsätzen von Eigenverantwortung und Eigenständigkeit in Verbraucherfragen. Dieses Gesetz, das Sie vorgelegt haben, geht wirklich an der Sache vorbei. ({9}) Das vorliegende Gesetz der Koalition ist nach Auffassung der FDP ein Namensblender. Es ist kein Gesetz, das in entscheidendem Maße Verbraucherinformationen transportiert. Es ist nach unserer Auffassung eine Mogelpackung. Wenn Sie sich die Mühe machen würden, sich den Entschließungsantrag der FDP zu Gemüte zu führen und die Inhalte in die einzelnen Bausteine des Gesetzes zu integrieren, könnten wir längerfristig zu einem guten Gesetz kommen. Das von Ihnen heute vorliegende Gesetz findet unsere Zustimmung nicht. Wir müssen es ablehnen. ({10})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Elvira DrobinskiWeiß, SPD-Fraktion.

Elvira Drobinski-Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003705, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Dieses neue Verbraucherinformationsgesetz, das den Verbraucherinnen und Verbrauchern zum ersten Mal einen Anspruch auf Informationen in einem eigenständigen Gesetz gibt, wird von einigen völlig unterschätzt. Deshalb bitte ich Sie, dem, was von meinem Vorredner gerade ausgeführt worden ist, nicht zu folgen. Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, um einige Missverständnisse aufzuklären. Wenn es jetzt im Blick auf das, was Frau Kollegin Heinen schon gesagt hat, Doppelungen gibt, ({0}) braucht Sie das nicht zu wundern; denn wir haben das als Koalition miteinander unter starken Geburtswehen auf den Weg gebracht. Das Gesetz sieht deutliche Verbesserungen für die Verbraucherinnen und Verbraucher vor und verleiht ihren Interessen mehr Gewicht. Die Behörden werden verpflichtet, die Öffentlichkeit bei Verstößen gegen das geltende Lebensmittelrecht zu informieren. ({1}) Das wurde auf Druck der SPD - das möchte ich ausdrücklich betonen - mit einer Verschärfung der im Lebens- und Futtermittelgesetzbuch ursprünglich vorgesehenen Kannregelung erreicht; hier gilt jetzt eine Sollregelung. Dabei muss zwar eine Abwägung ({2}) zwischen den Belangen der Verbraucher und der betroffenen Unternehmen stattfinden; es ist aber in der Regel davon auszugehen, dass das Interesse der Öffentlichkeit überwiegt. Nur in begründeten Ausnahmefällen kann von der Information der Öffentlichkeit abgesehen werden. ({3}) Ich will verdeutlichen, welche Vorteile die neue Regelung bringt. Die Behörden sollen die Öffentlichkeit zum Beispiel informieren, wenn hinreichende Anhaltspunkte für eine gesundheitliche Gefährdung vorliegen, die aus bestimmten Gründen nicht behoben werden kann. Das gilt zum Beispiel für Acrylamid. Der Entstehung von Acrylamid beim Braten, Backen und Frittieren von Kartoffeln und Getreideprodukten kann nicht verhindert werden. Aber durch niedrigere Temperaturen und kurze Garzeiten kann die Acrylamidbelastung reduziert werden. Deshalb enthalten die auf dem Markt vorhandenen Produkte ganz unterschiedliche Anteile. Darüber müssen die Verbraucherinnen und Verbraucher informiert werden, ({4}) zumal gerade Chips und Kekse, die vor allem belastet sind, insbesondere von Kindern verzehrt werden. Mit dem Gesetz haben wir jetzt ein wirksames Instrument in der Hand. Die Behörden können Produkte und Hersteller benennen und die Verbraucher können sich gegen hoch belastete Produkte entscheiden. Ich bin sicher, die Hersteller werden reagieren und die Belastung reduzieren. ({5}) Ein weiteres Beispiel ist Gammelfleisch: Die Behörden sollen über Ekel erregende Lebensmittel informieren, das heißt, auch hier werden Produkt und Anbieter benannt. Das Gesetz sieht übrigens ausdrücklich vor, dass solche Informationen auch über Internet erfolgen können. Von besonderer Bedeutung ist, dass sich die Verbraucherinnen und Verbraucher nun selbst an die Behörden wenden können, um weitere Informationen zu bekommen. ({6}) Auch das möchte ich an einem Beispiel erläutern, nämlich der Druckchemikalie ITX, die bei Verpackungen eingesetzt wird und Anfang des Jahres mehrfach in Obst- und Gemüsesäften aus Kartonverpackungen gefunden wurde. Bei einigen herrschen offensichtlich Zweifel darüber, ob Verpackungen vom Verbraucherinformationsgesetz erfasst sind. Der Geltungsbereich umfasst nicht nur Lebens- und Futtermittel, sondern auch kosmetische Mittel und Bedarfsgegenstände; diese hat Frau Heinen ja bereits vorhin aufgezählt. Alles, was mit Lebensmitteln oder kosmetischen Mitteln in Berührung kommt, so zum Beispiel Verpackungen, Behältnisse und sonstige Umhüllungen, fällt darunter. Verbraucherinnen und Verbraucher haben also das Recht, sich bei den Behörden über die Beschaffenheit bzw. die Behandlung der Verpackung zu informieren, und würden dort dann erfahren, ob bei der Verpackung eines bestimmten Obstsafts ITX verwendet wurde oder nicht. Druckchemikalien gehören allerdings überhaupt nicht in Lebensmittel. Deshalb vertreten wir die Auffassung ({7}) - das sind wir -, dass die Behörden auch in solchen Fällen in Zukunft von sich aus die Öffentlichkeit informieren sollten. ({8}) Als Konsequenz aus der öffentlichen Anhörung zum Verbraucherinformationsgesetz vor einigen Wochen bringen wir heute auch einen Änderungsantrag zum Gesetz ein, der eine Verkürzung der Bearbeitungsfrist für Informationsanliegen von acht Wochen auf vier Wochen vorsieht. ({9}) Außerdem wird klargestellt, dass bei Rechtsverstößen Informationen nicht unter Berufung auf den Schutz von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen verweigert werden dürfen. ({10}) Da nun auch aus CDU/FDP-regierten Ländern, beispielsweise aus Nordrhein-Westfalen und BadenWürttemberg, Forderungen nach weiter gehenden Regelungen laut geworden sind, ({11}) kann ich für die SPD sagen: Wir sind mit dabei. Für uns ist dieses Gesetz ein wichtiger, erster Schritt auf dem Weg zum transparenten Markt. Wir werden dafür sorgen, dass weitere Schritte folgen. ({12}) Wir wollen, dass auch die Wirtschaft ihre Verantwortung gegenüber den Verbraucherinnen und Verbrauchern wahrnimmt und sie informiert. ({13}) - Eben nicht. - Bei den Unternehmen liegen schließlich alle Daten vor, die eine bewusste Auswahl ermöglichen und eine eigenverantwortliche Marktteilnahme gewährleisten. ({14}) Wir wollen auf Basis erster Erfahrungen mit dem Verbraucherinformationsgesetz die Aufnahme weiterer Produkte und Dienstleistungen in den Geltungsbereich erreichen. ({15}) Haben Sie zugehört, Herr Goldmann? ({16}) Wie bei allen neuen Gesetzen können wir bisher nicht abschließend beurteilen, wie sich die Regelungen in der Praxis bewähren werden und ob alle gewünschten Ziele erreicht werden. Deshalb bringen wir heute auch einen Entschließungsantrag ein, mit dem die Bundesregierung aufgefordert wird, die Erfahrungen mit dem Gesetz zu dokumentieren und auszuwerten. Damit werden wir zum Beispiel beobachten können, ({17}) ob und welche Ausschlussgründe zu nicht nachvollziehbarer Informationsverweigerung führen, wie sich die Kosten entwickeln und wie lange die Bearbeitung der Auskunftsanliegen dauert. Diese Auswertung gibt uns dann die Möglichkeit, bei eventuellen Fehlentwicklungen mit gesetzlichen Maßnahmen gegenzusteuern. Das ist keineswegs eine schallende Ohrfeige. Vielmehr ist es das Normalste von der Welt, dass man die Erfahrungen mit einem Gesetz evaluiert. ({18}) Mit dem Antrag werden auch die Unternehmen aufgefordert, eigene Initiativen zu ergreifen und Zugang zu den bei ihnen vorhandenen Informationen zu gewähren. Sollte sich die Wirtschaft hier nicht bewegen, werden wir auf gesetzliche Maßnahmen dringen. ({19}) Ich denke, wir sind mit dem Gesetz auf einem guten Weg. Den werden wir weitergehen, denn - ich schließe mit Johann Wolfgang von Goethe -: Alles Gute, was geschieht, setzt das Nächste in Bewegung. Vielen Dank. ({20})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Kollegin Dr. Kirsten Tackmann, Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Kirsten Tackmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003853, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Gäste! Dieser Entwurf eines Verbraucherinformationsgesetzes ist vor allem eins: ein Dokument der politischen Mut- und Kraftlosigkeit. ({0}) Man kann es auch stärker formulieren: Es fehlt bei einigen Akteuren, nicht bei allen, der politische Wille zur Sicherung der Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher, auch gegenüber Interessen, die von Unternehmensverbänden geltend gemacht wurden. Ob damit wirklich Unternehmensinteressen vertreten wurden, ist eine spannende Diskussion. Dass in der Protokollerklärung und im Ausschuss und im Entschließungsantrag wichtige Defizite des Entwurfs von den Einreichern selbst benannt werden, zeigt, dass sie wissen, dass erstens die dringend benötigte Tür zwar einen kleinen Spalt weit geöffnet wird, dahinter aber nur eine Wand ist, und dass zweitens eine Chance vertan wurde, tief erschüttertes Verbrauchervertrauen zurückzugewinnen. Es mag ja sein, dass wir heute, objektiv gesehen, die sichersten Lebensmittel aller Zeiten haben. Nur, die Menschen bewerten das angesichts der Skandale der vergangenen Jahre subjektiv anders. Sie sind misstrauisch geworden. Was haben Gammel- und Wildfleischskandale, Druckerfarben in Getränken, Pestizide in Obst und Gemüse gemeinsam? ({1}) Die Informationen darüber gelangten viel zu spät, zu zögerlich und unvollständig an die Öffentlichkeit. Erst damit wurden sie zum Skandal! ({2}) Die Gegenstrategie wäre ebenso logisch wie einfach: ein Verbraucherinformationsgesetz, das drei wesentliche Kriterien erfüllt. Der Zugang zu Informationen bei Behörden und Unternehmen muss erstens möglichst vollständig, zweitens möglichst schnell und drittens erschwinglich sein. ({3}) Nur so können sich Verbraucherinnen und Verbraucher auf gleicher Augenhöhe mit den Unternehmen am Markt bewegen und mündige Kaufentscheidungen fällen. Was aber bedeutet der vorliegende Gesetzentwurf für Otto Normalverbraucher? Erstes Beispiel: Zunächst erfährt er erst einmal gar nichts, denn eine aktive Informationspflicht der Behörden gibt es nicht. Otto Normalverbraucher wird also gar nicht nachfragen, ob sein Lieblingsgetränk die Druckerchemikalie ITX enthält, denn er ahnt ja gar nicht, dass es die überhaupt gibt. Er bleibt im Zustand der glückseligen Ahnungslosigkeit. Mit der entsprechenden Information hätte er solche Verpackungen meiden können. Egal übrigens, ob ITX gesundheitsschädlich ist oder nicht: Vorbeugen ist besser als Heilen! ({4}) Zweites Beispiel: Otto Normalverbraucher hat gelesen, dass Obst Pestizide enthalten kann. Also fragt er beim Händler nach. Er könnte wieder Pech haben, denn ein Auskunftsanspruch gegenüber Unternehmen besteht nicht. Drittes Beispiel: Otto Normalverbraucher hat als eines von 300 000 Opfern eines Immobilienbetrugs durch Strukturvertriebe viel Geld verloren. Er hätte rechtzeitig vor dieser Gefahr gewarnt werden können. Aber Dienstleistungen gehören nicht zum Geltungsbereich des Verbraucherinformationsgesetzes. Viertes Beispiel: Otto Normalverbraucher möchte erfahren, was an den Gerüchten dran ist, dass Honig nicht gentechnikfrei ist. Aber er ist ALG-II-Empfänger. Die Auskunft, dass kostendeckende Gebühren anfallen, lässt ihn unverrichteter Dinge wieder gehen. Der Zugang zu Informationen ist ein demokratisches Grundrecht und sollte uns als Gesetzgeber ein hohes Gut sein. ({5}) Diesem Anspruch wird der Koalitionsentwurf nicht gerecht. Es geht darüber hinaus darum, dass die Rechtsordnung Markttransparenz - sie ist heute wichtiger denn je - herstellen muss, wie das Bundesverfassungsgericht 2002 im Zusammenhang mit dem Glykolskandal urteilte. Die immer kürzeren Abstände zwischen den Skandalen sind ja kein Zufall. ({6}) Die Bedingungen des globalisierten Marktes sind sehr hart. Sie fördern Strukturen skrupelloser Profiteure, deren Leiharbeiter und Billigstlöhner sich kaum noch trauen, Verstöße und Schlamperei öffentlich zu machen. Was könnte also mehr im Unternehmerinteresse liegen als ein Gesetz, das sicherstellt, dass informierte Verbraucherinnen und Verbraucher dafür sorgen, dass Abzocker keine Chance haben? ({7}) Im Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen heißt es: „Verbraucherpolitik ist Wirtschaftspolitik von der Nachfrageseite.“ Richtig! Aber die Branche hat die Chance verpasst, ein Gesetz mit zu gestalten, das ihren Willen zu Transparenz, Offenheit und Partnerschaft mit den Verbraucherinnen und Verbrauchern dokumentiert. Ich bedauere sehr, dass die vielen kritischen Hinweise in der Expertenanhörung von Verbraucherverbänden und aus dem Parlament nicht zu einer Qualifikation der Vorlage geführt haben. Dieser Gesetzentwurf darf nicht das letzte Wort sein! In unserem Entschließungsantrag ist nachzulesen, was zu ändern ist. Danke. ({8})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulrike Höfken von der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen. ({0})

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ihr wisst schon, warum ihr so ein schlechtes Gewissen habt, nehme ich an. ({0}) Der Unmut in der Bevölkerung über die große Koalition wächst deutlich. Die Mehrwertsteuererhöhung geht zulasten der kleinen Leute. Der wirtschaftliche Verbraucherschutz ist fast überhaupt nicht mehr zu spüren. Das Verbraucherinformationsgesetz bleibt weit hinter den Zielen zurück, die sich Herr Seehofer selber gesetzt hat, ({1}) und stellt die schwarzen Schafe geradezu unter Artenschutz. Die Definition von „Betriebsgeheimnis“ wird so gedehnt, dass ein Großteil der Verbraucherinformationen zum Geheimnisverrat wird, und zwar unter dem Begriff „sonstige wettbewerbsrelevante Informationen“. Die Proteste sind dementsprechend zahlreich. Ich habe das, obwohl ich schon viele Jahre im Parlament bin, lange nicht so erlebt. Alle Verbraucherverbände, Umweltverbände und Journalistenverbände protestieren. ({2}) Tausende von E-Mails werden geschrieben, von denen auch ich viele beantwortet habe. Ich habe nicht die gleiche Erfahrung gemacht wie Sie, Frau Heinen; das müssen wir noch einmal klären. Ebenso zeigen die Postkartenaktionen, von denen Sie sich im Ausschuss ein Bild machen konnten, dass es hier ein Problem gibt. Auch die Datenschutz- und Informationsfreiheitsbeauftragten von Bund und Ländern haben Kritik angemeldet. Sie fordern, ebenso wie wir, den Anwendungsbereich zu erweitern - Frau Tackmann hat schon eine ganze Reihe von Beispielen genannt -, nicht nur auf das LFBG bezogen, sondern weit darüber hinaus. ({3}) Aber selbst im Bereich des Lebensmittelrechts gibt es erhebliche Probleme; ich möchte das hier vertiefen. Die Mehrfachbelastung mit Pestiziden ist schon erwähnt worden. Gentechnisch veränderte tierische Lebensmittel kein Informationsanspruch. ({4}) - In Bezug auf die Ergebnisse der Lebensmittelüberwachungsbehörden zu gentechnisch veränderten tierischen Lebensmittelprodukten besteht kein Informationsanspruch, da es bislang keine lebensmittelrechtliche Kennzeichnungsregelung gibt. ({5}) Namentliche Nennung eines Betriebes, der salmonellenkontaminiertes Putenfleisch nach Dänemark exportiert hatte - nach Auskunft des BVL kein Informationsanspruch. ({6}) Ich habe eine Liste von etwa zehn Seiten mit solchen Beispielen, alles Ausnahmebereiche. Dazu gehört der gesamte Bereich, der über das Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelrecht hinausgeht. Der Name ist, wie Herr Goldmann schon richtig gesagt hat, ein Etikettenschwindel. ({7}) - Das tue ich aber nur sehr selten. ({8}) - So ist das immer. ({9}) Die Datenschutz- und Informationsfreiheitsbeauftragten von Bund und Ländern haben auch kritisiert, dass es keinen Rechtsanspruch auf Informationszugang gegenüber Unternehmen gibt, ({10}) ebenso die Ausnahmeregelungen. Sie haben es mit diesen Ausnahmeregelungen fertig gebracht, aus der Sollbestimmung, die Sie in den Gesetzentwurf hineingebracht haben, letztendlich eine Kannbestimmung zu machen. Die Fristen haben Sie zwar verkürzt; aber auch da gibt es so viele Freiräume für Unternehmen in Bezug auf Einsprüche, dass sich die Beantwortung über Monate und Jahre verzögern kann. Die Regelung bei den Gebühren halte ich für einen wirklichen Eklat. Dieser Entwurf sieht vor, kostendeckende Gebühren und Auslagen zu erheben. Bei aller Liebe: Welcher Verbraucher oder auch Journalist soll sich daran wagen, wenn in Bezug auf das, was auf ihn an Forderungen zukommt, eine solche Intransparenz herrscht, und wer kann das überhaupt leisten? Das ist meines Erachtens wirklich nicht zu machen. ({11}) Unsere Proteste hatten Erfolg. Ich weiß auch, dass die Abgeordneten im Verbraucherausschuss sich fast alle sehr bemüht haben, hier Verbesserungen zu erwirken; das erkenne ich an. Aber klar ist auch: Was Sie in den Entschließungsantrag geschrieben haben, das hätten Sie ins Gesetz schreiben sollen. Ich möchte unseren Gesetzentwurf dem Bundesrat ans Herz legen. ({12}) - Auf diesen interessanten Zuruf von Julia Klöckner mit der Kritik an Rot-Grün kann ich nur sagen: Es ist toll, wenn diejenigen, die mit ihrer Mehrheit jeden Fortschritt blockiert haben, eine solche Kritik äußern. ({13}) Ich verweise auf unseren Gesetzentwurf. Alle Verbraucherinnen und Verbraucher sollen Zugang zu Informationen bei Behörden und Unternehmen über alle Produkte und Dienstleistungen bekommen. Die Behörden sollen das Recht erhalten, von sich aus die Verbraucher aktiv über verbraucherrelevante Sachverhalte zu informieren. Es sollen Datenbanken eingerichtet werden und ein Bundesbeauftragter soll Streitfälle schlichten. ({14}) Punkte wie Ausschlussverfahren, Antragsgründe und Schutz von privaten und öffentlichen Interessen sollen verbraucherfreundlich geregelt werden. Dazu gehören insbesondere auch Regelungen hinsichtlich der Gebühren. Wir werden dieses Thema weiterhin auf die Tagesordnung setzen. Vielen Dank. ({15})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Julia Klöckner, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Julia Klöckner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003566, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Lieber Herr Minister Seehofer! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir hätten es uns auch einfach machen können. ({0}) Wir hätten es uns so einfach machen können wie die ehemalige Verbraucherministerin von den Grünen, Renate Künast. Sie hat ein Eckpunktepapier in Anlehnung an einen Greenpeace-Entwurf von 2001 vorgelegt. In diesem Papier hat sie das Blaue vom Himmel versprochen. Was ist aber von einem Eckpunktepapier zu halten, wenn es in der Schublade liegt und vielleicht auf Pressekonferenzen erwähnt wird, aber nicht in dem eigenen Gesetzentwurf Widerhall findet? Wenn man ein Eckpunktepapier entwirft, dann sollte der Inhalt - ich gehe jedenfalls davon aus - in den eigenen Gesetzentwurf Eingang finden. Renate Künast hat jedoch sehr früh darauf verzichtet. ({1}) Sie hat wesentliche Punkte sozusagen vom Tisch geräumt: Die Unternehmen müssen keine Auskunft geben; Dienstleistungen sind nicht enthalten. Renate Künast hat ihr Eckpunktepapier am Fastnachtdienstag vorgelegt. Das hatte schon eine gewisse humoristische Pointe. Denn es wurde nie wieder aus der Schublade herausgeholt. Im März 2002 hat sie sich zusammen mit Herrn Clement darauf geeinigt, den Anwendungsbereich des Gesetzes auf Lebensmittel und Bedarfsgegenstände zu beschränken. ({2}) Frau Höfken, Sie fordern hier etwas ein, was Ihre Ministerin noch nicht einmal im Kabinett durchsetzen konnte. Wie soll denn der Bundesrat etwas blockieren, was noch nicht einmal im Kabinett Zustimmung fand? Das ist Heuchelei. ({3}) Auffällig ist auch Ihr Populismus. Als Sie damals in der Regierung etwas unternehmen konnten, waren Sie nicht dazu in der Lage. Jetzt wollen Sie es, weil Sie genau wissen, dass Sie es eh nicht durchsetzen können. Wir machen eine verantwortungsvolle Politik. Uns geht es darum, etwas Machbares auf den Weg zu bringen. Letztlich geht es uns auch darum, dass der Verbraucher einen Mehrwert hat. Was hat der Verbraucher von einem Wunschzettel, der irgendwo in einem Ministerium in der Schublade schlummert und nur für Pressekonferenzen und PR-Gags Verwendung findet, aber letztlich nicht in ein Gesetz Eingang findet? Während die Opposition lieber mit dem Kopf durch die Wand geht, nehmen wir einfach die Tür und machen ein praxistaugliches Gesetz. ({4}) Unser Gesetz ist besser als der ursprüngliche Entwurf, den Renate Künast im Parlament einbringen wollte. Wir können festhalten, dass aus der Kannvorschrift - Renate Künast hat damals die Vorschrift entschärft und daraus eine Kannvorschrift gemacht - von uns eine Sollvorschrift gemacht wurde. Jetzt können die Namen all derer genannt werden, die versuchen, die Verbraucher zu täuschen. Dies kann auch dann geschehen, wenn die Produkte schon längst verzehrt worden sind, Stichwort Gammelfleisch. Das ist ein großer Fortschritt in Richtung mehr Verbraucherinformation. Dies bedeutet auch mehr Abschreckung. Damit bewirken wir, dass die schwarzen Schafe eine ganze Branche nicht weiterhin in Misskredit bringen. ({5}) Im Vergleich zum vormaligen Entwurf - ich möchte das hier klarstellen - haben wir noch etwas anderes erreicht: Die Staatsanwaltschaft ist verpflichtet, die Lebensmittelkontrolleure zu informieren. Bis dato war es möglich, dass die Staatsanwaltschaft ermittelt hat, ohne dass die Lebensmittelbehörden Informationen bekamen. Auch aufgrund des Zehnpunkteplans, den Herr Seehofer ({6}) in einer sehr schnellen Reaktion auf den Gammelfleischskandal vorgelegt hat, gibt es nun eine Verbesserung, und sie steht im Gesetz. Dann haben wir eine Fristverkürzung erreicht. Sie sprachen im Hinblick auf die Beantwortung von Einsprüchen von Jahren. Ihre Ministerin wollte damals einen Zeitaufschub von mindestens zwei Monaten. Wir haben dies auf einen Monat verkürzt. Dann haben wir die Einschränkung des Geheimnisschutzes bei Rechtsverstößen festgelegt. ({7}) Sie sollten eigentlich wissen, was Ihre Ministerin, Frau Künast - Sie können es nachlesen; ich habe das Zitat mitgebracht -, zu den Betriebsgeheimnissen gesagt hat. In dem von ihr formulierten Kabinettsentwurf hieß es: „… soweit durch die begehrten Informationen Betriebsoder Geschäftsgeheimnisse oder wettbewerbsrelevante Informationen, die ihrem Wesen nach Betriebsgeheimnissen gleichkommen, offenbart würden“, gebe es keine Auskunft. Das stand im Entwurf von Frau Künast, der Ministerin der Grünen. ({8}) Wir gehen einen Schritt weiter und sagen: Bei Rechtsverstößen soll es nicht möglich sein, von einem Betriebs- und Geschäftsgeheimnis auszugehen. Das ist Verbraucherschutz. Das hilft den Verbraucherinnen und den Verbrauchern und nicht der PR der Opposition. ({9}) Noch eines ist wichtig zu erwähnen: Auch ungünstige Untersuchungsergebnisse wie zum Beispiel Qualitätsunterschiede oder Qualitätsmängel sind keine Geschäftsgeheimnisse. Jüngst hat unser Wirtschaftsminister, Michael Glos, die Liste solcher Produkte vorgelegt, bei denen es zu Unterfüllungen kommt. Fast 10 Prozent der entsprechenden Produkte und Verpackungen zeigen Unterfüllungen. Jetzt wird es möglich sein, dass sich ein Verbraucher darüber informieren kann, wer versucht, ihn übers Ohr zu hauen. Ein mündiger Verbraucher wird entscheiden können, welches Produkt er wählt und wie viel Geld er wofür ausgibt. Dafür machen wir den Weg frei. Noch eines, Frau Höfken: Beim Informationsfreiheitsgesetz konnten Sie damals allein zeigen - denn das war ein Initiativgesetz vor allem der Grünen -, was Sie können und wollen. Auch in diesem Informationsfreiheitsgesetz ging es um Betriebsgeheimnisse. In diesem Gesetz, das Sie übrigens ohne Konsultationen mit den Bundesländern durchbringen konnten, steht, dass „Zugang zu Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen nur gewährt werden darf, soweit der Betroffene eingewilligt hat“. Das ist die Politik der Grünen. Jetzt fordern Sie etwas, was Sie damals hätten tun können. Ich muss Ihnen sagen: Wir sind sehr viel weiter. ({10}) Dann komme ich auf den Bereich der Chemikalien zu sprechen. Sie erwähnen immer gerne, dass zum Beispiel ITX in Kartons nicht erfasst werden würde. Was Sie hier sagen, wird auch durch ständiges Wiederholen nicht wahrer. ({11}) Richtig ist, dass diese Chemikalie kein Erzeugnis im Sinne des LFGB ist. Aber der Begriff „Beschaffenheit“ - das können Sie in der Begründung des Verbraucherinformationsgesetzes nachlesen; die Juristen wissen das umfasst die gesamte stoffliche Zusammensetzung von Lebensmitteln. Sehr wohl bekommen Sie darüber Auskunft, übrigens auch über Pestizidbelastungen und Höchstgrenzen. Dann möchte ich zum Kollegen Goldmann sagen: Wir können gerne den Versuch starten - dann stellen Sie diesen Antrag -, alle Gesetzentwürfe, die sich in diesem Zusammenhang irgendwo im Gesetzgebungsverfahren des Bundestages befinden, in ein Gesetz zu packen. Viel Glück bei diesem Engagement! Wir sitzen an einem Versicherungsvertragsgesetz; wir sitzen an der Regulierung der Fahrgastrechte; wir sitzen am Telekommunikationsgesetz. Wenn Sie all das in ein Gesetz packen wollen, dann fangen Sie an! ({12}) Wir sitzen daran; dies steht im Koalitionsvertrag. Sie kritisieren, dass über all diese Bereiche im VIG keine Auskunft gegeben wird. Das macht aber Sinn. Es ist ein schlankes Gesetz. ({13}) Ich habe selten ein solch schlankes und effektives Gesetz gesehen, das auch Nichtjuristen verstehen können. ({14}) Wir machen damit einen Schritt hin zu einer guten Balance zwischen dem mündigen Verbraucher und den Interessen der Unternehmen. Uns geht es um Arbeitsplatzsicherung. Dafür danke ich ganz herzlich Herrn Seehofer. ({15}) Auch er hat Wert auf die Berücksichtigung der Kosten gelegt. Dann möchte ich noch auf Frau Tackmann eingehen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nein, Frau Kollegin, Sie gehen nicht mehr auf Frau Tackmann ein. Ihre Redezeit ist überschritten.

Julia Klöckner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003566, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich danke Ihnen, Frau Präsidentin. - Damit geht mein Dank auch an die Kolleginnen und Kollegen aus den Koalitionsfraktionen. Ich finde, dies ist ein ordentliches Gesetz. Die Verbraucherinnen und Verbraucher dürfen sich freuen, dass wir an der Regierung sind. ({0}) Danke. ({1})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Kollegin Mechthild Rawert, SPDFraktion.

Mechthild Rawert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003825, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

- Wenn der Schlagabtausch über die Generationen hinweg beendet ist, ({0}) komme ich zum Tagesordnungspunkt. Innerhalb der Marktgesetze von Kaufen und Verkaufen benötigen Verbraucherinnen und Verbraucher eine solide Basis, um über Alternativen eigenständig und verantwortungsbewusst ihre Rolle als Marktteilnehmerinnen und -teilnehmer selbstbestimmend wahrzunehmen. ({1}) - Ich denke, hier haben wir Wesentliches zur Balance beigetragen, Herr Goldmann, indem wir die Rolle der Verbraucherinnen und Verbraucher gestärkt haben. ({2}) Verbraucherinnen und Verbraucher zeigen ein gesteigertes Interesse an Informationen, bevor sie sich zur Auswahl eines bestimmten Erzeugnisses entschließen. Insbesondere im Lebensmittelsektor - das ist von meinen Vorrednerinnen schon erwähnt worden - haben viele Menschen ein spezielles Informationsinteresse, sei es aus gesundheitlichen Gründen, sei es, dass sie sich für bestimmte Qualitätsstandards interessieren. Häufig sind Verbraucherinnen und Verbraucher angesichts der Vielfalt der Angebote nicht mehr in der Lage, aus eigenem Wissen und eigener Erfahrung die Qualität und sonstige relevante Merkmale ausreichend zu beurteilen. Mit dem von uns vorgelegten Gesetzentwurf zur Neuregelung des Rechts der Verbraucherinformation ermöglichen wir Verbraucherinnen und Verbrauchern erstmalig, von Behörden des Bundes, der Länder und der Gemeinden Informationen zu erhalten, die im Zusammenhang mit dem Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch oder auch dem Weingesetz - das ist heute noch nicht erwähnt worden - stehen. Wie bereits erwähnt, basiert das Gesetz auf zwei Säulen: Erstens. Behörden erhalten das Recht, die Öffentlichkeit unter Namensnennung zu informieren. Zweitens. Verbraucherinnen und Verbraucher können selbstständig bei Behörden Informationen abrufen. Das Gesetz ist erforderlich und es ist auch erforderlich, dass es jetzt umgesetzt wird, da sich gezeigt hat, dass eine Selbstregulierung des Marktes keine effektive Deckung des Informationsbedarfs der Verbraucherinnen und Verbraucher garantieren kann. ({3}) Richtig ist, dass Organisationen und Verbände - ich selber habe aufgrund der Reaktion eines Verbandes 1 648 E-Mails bekommen; ({4}) das hat wie bei vielen von uns zu einer Verstopfung geführt; aber darüber sind wir hinaus - den Gesetzentwurf kritisiert haben. Bei der Information der Öffentlichkeit wurde es so dargestellt ({5}) - lassen Sie, Herr Goldmann, jetzt bin ich dran -, als sei das Gesetz ein „zahnloser Tiger“. Das stimmt definitiv nicht. Wir informieren, wir gewähren Rechte und schaffen dadurch auch Nachfrage. Ich möchte noch einmal herausstellen, dass im Rahmen der Verschärfung des § 40 des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches aus einer Kannbestimmung eine Sollbestimmung geworden ist, was ein wesentlicher Schritt ist. Meine Vorrednerin, Frau Drobinski-Weiß, hat - wie einige andere Rednerinnen auch - darauf hingewiesen. Wir erwarten von dieser Verschärfung, dass Behörden die Öffentlichkeit in Zukunft frühzeitiger und ausführlicher über Gesundheitsgefahren, Rechtsverstöße, Ekel erregende Vorkommnisse - um das Gammelfleisch auch noch einmal zu erwähnen - informieren. Also Vorsorge statt Nachsorge! Diesem Grundsatz werden wir hiermit gerecht werden. ({6}) Eine Information der Öffentlichkeit erfolgt auch dann, wenn die betroffenen Erzeugnisse nicht mehr am Markt oder bereits bei der Verbraucherschaft sind. Uns, und zwar beiden Koalitionspartnern, ist wichtig gewesen, dass umtriebige Betrüger auch dezidiert mit Namen benannt werden können. Ross und Reiter werden klar herausgestellt. Und das ist gut so. ({7}) Wir schaffen hiermit neue Rechtssicherheit. Auch der Vorwurf einiger Verbände, dass bestimmte Daten unter das Geschäfts- oder Betriebsgeheimnis fallen würden, zählt nicht und ist falsch. Ausdrücklich wird herausgestellt, dass Betrug nicht unter Schutz steht. Das muss noch einmal ganz klar hervorgehoben werden. ({8}) Eine Verbesserung bringt auch die Verkürzung der Frist von acht auf vier Wochen. Man sehe mir nach, dass ich darauf hinweise, aber das ist ein eminenter Verdienst meiner Fraktion. ({9}) Wir haben gesagt, was der Gesetzentwurf für die Verbraucherinnen und Verbraucher bringt. Er dient aber auch den bundesweit tätigen Unternehmen. Bis dato wurden bundesweit agierende Unternehmen aufgrund der unterschiedlichen Regelungen in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich behandelt. Das hat der angebliche Skandal um die Salmonellen in den Tiefkühlbackwaren gezeigt. Wir sorgen für Einheitlichkeit. Das ist für jede Verbraucherin und jeden Verbraucher von Vorteil. Wir erwarten von den Unternehmen, dass sie ihre Kundinnen und Kunden besser und umfassender über Produkte informieren. Hierin sehen wir eine Grundvoraussetzung für eine Stärkung der Nachfrage. Wir setzen auf Innovation. Albert Einstein sagte, es wäre traurig, wenn die Tüte wertvoller wäre als das darin verpackte Fleisch. Mit dem hier vorliegenden Gesetzentwurf sorgen wir dafür, dass Verbraucherinnen und Verbraucher die Informationen erhalten, die sie benötigen, um - nach Albert Einstein beurteilen zu können, ob die Tüte oder das Fleisch wertvoller ist. Wir gehen einen Schritt in Richtung eines transparenten Marktes. Wir verfolgen das Leitbild des mündigen Verbrauchers, der mündigen Verbraucherin. Wir machen den ersten Schritt. Wir werden diesen Weg weitergehen; denn wir brauchen langfristig für alle Produkte und Dienstleistungen Verbraucherinformationen. Ich bin mir sicher, dass Sie uns dabei unterstützen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({10})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Gesetzentwurf zur Neuregelung des Rechts der Verbraucherinformation, Drucksache 16/1408. Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/2011, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Beratung mit demselben Stimmenergebnis wie in zweiter Beratung angenommen. Wir kommen nun zu den Entschließungsanträgen. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/2035? Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und Gegenstimmen des Bündnisses 90/Die Grünen und der FDP angenommen. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/2036? - Gegenprobe! Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit der Mehrheit der Stimmen des Hauses bei Enthaltung der Fraktion Die Linke abgelehnt. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/2037? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit der überwiegenden Mehrheit der Stimmen des Hauses abgelehnt. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Abstimmung über den von der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Entwurf eines Verbraucherinformationsgesetzes auf Drucksache 16/199. Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/2011, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU und FDP abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz auf Drucksache 16/2009. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/195 mit dem Titel „Lebensmittelskandalen effektiv entgegenwirken - Verbraucher umfassend informieren“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition angenommen. Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/111 mit dem Titel „Konsequenzen aus den Fleischskandalen: Umfassende Verbraucherinformation und bessere Kontrollen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion der FDP angenommen. Schließlich empfiehlt der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/2009 die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/825 mit dem Titel „Verbraucherschutz in der Marktwirtschaft durch mündige und aufgeklärte Verbraucher sicherstellen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der CDU/CSU angenommen. Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD Lage am Ausbildungsmarkt - Ausbildungspakt als Chance für Unternehmen, junge Menschen und den Arbeitsmarkt Bevor ich dem Kollegen Ernst Hinsken, CDU/CSUFraktion, das Wort erteile, bitte ich den Herrn Minister und die Abgeordneten der SPD-Fraktion, Platz zu nehmen. - Herr Kollege Hinsken, bitte schön.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Werte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie zunächst, dass ich mich herzlich bedanke, dass Sie dafür gesorgt haben, dass ich Gehör finde. Das ist ja Sinn und Zweck, wenn man eine Rede im Plenum des Deutschen Bundestages halten darf. Wir sprechen hier über ein ganz wichtiges Thema, das vielen Mitbürgerinnen und Mitbürgern, vor allen Dingen den betroffenen Jugendlichen, auf den Nägeln brennt; denn die Lage am Ausbildungsmarkt liegt uns allen am Herzen. Die Tatsache, dass in dieser Aktuellen Stunde zwei zuständige Bundesminister reden werden, unterstreicht die Bedeutung, die die Bundesregierung der Ausbildungsplatzsituation in der Bundesrepublik Deutschland beimisst. ({0}) Die Schaffung von Ausbildungsplätzen für die junge Generation ist in der jetzigen Zeit eine der größten Herausforderungen für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Unser gemeinsames Ziel soll und muss es daher sein, bestrebt zu sein, dass alle ausbildungswilligen Jugendlichen einen Ausbildungsplatz bekommen. ({1}) Ich möchte die Gelegenheit nutzen, den vielen Hunderttausenden von Ausbildungsbetrieben in der Bundesrepublik Deutschland ein Wort des Dankes dafür zu sagen, dass man bereit war, der großen Nachfrage in den letzten Jahren Rechnung zu tragen und Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen. ({2}) Ausbildung ist die Investition in die Zukunft. Ich möchte deshalb anerkennend feststellen: Der Ausbildungspakt hat sich rentiert. Die Wirtschaft hat die Selbstverpflichtung erfüllt. - Wir Deutschen können besonders stolz darauf sein, dass sich das duale System bewährt hat. Es findet in der Gegenwart weltweit Beachtung und wird auch in der Zukunft federführend sein. ({3}) Erfreulich ist vor allen Dingen, dass die Wirtschaft wieder in Schwung kommt. Das erwähne ich, weil es für jeden jungen Mitbürger mit einer abgeschlossenen Ausbildung wichtig ist, dass er entweder in dem Beruf, in dem er ausgebildet wurde, Beschäftigung findet oder einer anderweitigen Beschäftigung nachgehen kann. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Sie wissen genauso gut wie ich, dass in unseren Sprechstunden immer der Wunsch an uns herangetragen wird, bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz behilflich zu sein. Das spreche ich deshalb an, weil uns Jugendliche ohne abgeschlossene Ausbildung in Zukunft als Fachkräfte fehlen werden. Das wird auch von den Betrieben viel zu wenig berücksichtigt. Ich möchte insbesondere an das Handwerk ein Wort des Dankes richten. Das Handwerk hatte, was die Schaffung von Ausbildungsplätzen betrifft, zum Stichtag 30. April 2006 einen Zuwachs von 2,5 Prozent - das entspricht fast 10 000 Stellen - zu verzeichnen. Sehr vorbildlich geht man in der Hotellerie und in der Gastronomie zu Werke. In diesen Bereichen wurden allein im letzten Jahr 7 Prozent zusätzliche Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt; das bedeutet ein Mehr von einigen Tausend Plätzen. Die Grenze von insgesamt 100 000 Ausbildungsplätzen ist überschritten. In diesen Berufen werden 100 600 Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt. Wir alle können einen Beitrag dazu leisten, dass mehr Ausbildungsplätze geschaffen werden. Ich fordere Sie auf: Gehen Sie ab und zu in Hotels oder Gaststätten! Kurbeln Sie auf diese Weise die Wirtschaft an und sorgen Sie so indirekt dafür, dass vermehrt Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt werden! ({4}) Natürlich besteht auch die Möglichkeit, eine Änderung des Jugendarbeitsschutzgesetzes vorzunehmen. Wenn allein das Jugendarbeitsschutzgesetz geändert und zugelassen würde, dass man einen Lehrling, der ja dann tätig sein soll, wenn tatsächlich gearbeitet wird, pro Tag eine Stunde länger - nicht bis 22 Uhr, sondern bis 23 Uhr - beschäftigen darf, dann könnten dadurch Hunderte neuer Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt werden. ({5}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich darauf verweisen, dass es noch unbesetzte Ausbildungsplätze gibt, insbesondere was die Ausbildung zu Köchen, Fachleuten für Systemgastronomie und Restaurantfachleuten angeht. Eines möchte ich noch ansprechen: Besorgniserregend nicht nur für mich, sondern für uns alle ist, dass es sehr vielen Jugendlichen an der nötigen Ausbildungsreife fehlt. Laut dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag und dem ZDH verlassen jedes Jahr 100 000 Schülerinnen und Schüler die Schule ohne Abschluss. Weitere 100 000 verlassen die Schule ohne hinreichende Kenntnisse im Hinblick auf Lesen, Schreiben und Rechnen. Das entspricht 20 bis 25 Prozent eines Jahrgangs.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege, denken Sie an Ihre Redezeit. ({0})

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Jawohl. Ich komme zum Schluss, Herr Präsident, obwohl ich noch vieles zu sagen hätte. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das habe ich befürchtet. Deswegen habe ich mich gemeldet.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe Verständnis dafür. Nach mir sind schließlich noch andere Rednerinnen und Redner an der Reihe, die meine Ausführungen ergänzen werden. Eine Botschaft möchte ich allerdings noch vermitteln dürfen, Herr Präsident ({0}) - dabei handelt es sich um eine Bitte an die Jugendlichen; das sage ich, weil so viele Jugendliche auf der Tribüne sitzen -: Nutzt die Vielfalt der angebotenen Berufe! Es muss nicht immer der Traumberuf sein. Seid flexibel und mobil! Was ihr erlernt habt, kann euch niemand mehr nehmen. - Wenn wir uns von diesem Leitgedanken tragen lassen, dann ist mir nicht bange, dass wir die Situation auf dem Ausbildungsmarkt in diesem Jahr meistern werden. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Heinrich L. Kolb für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, diese Aktuelle Stunde ist vor allen Dingen Platzhalter. Es soll verhindert werden, dass die Opposition in dieser Woche eine weitere Aktuelle Stunde beantragt. ({0}) In der Sache gibt es wenig Aktuelles und wenig Neues zu berichten, Frau Kollegin Kressl. Wie immer zu dieser Jahreszeit haben wir eine Lehrstellenlücke zu verzeichnen. Wie groß sie im Oktober dieses Jahres sein wird, also dann, wenn die Nachbesetzungen erfolgt sind, weiß heute niemand. Ich möchte dazu aufrufen, bei der Bewertung der aktuellen Zahlen zu berücksichtigen, dass nach einer neuen Umfrage des DIHK nur noch 55 Prozent der Unternehmen ihre unbesetzten Ausbildungsplätze bei der Bundesagentur für Arbeit melden. Sie haben bei der Suche nach geeigneten Bewerbern offensichtlich kein Vertrauen mehr zur Bundesagentur, weil ihre Beratungsund Vermittlungsleistungen nicht hinreichend sind. ({1}) Auch aus diesem Grunde wäre aus unserer Sicht eine Reform der Bundesagentur für Arbeit dringend notwendig. ({2}) Ich will diese Aktuelle Stunde nutzen, um einige Anmerkungen zu machen, deren Beachtung vielleicht dazu beitrage könnte, dieses Problem künftig zu lösen. Eines will ich vorausschicken: Die Ausbildung junger Menschen ist eine herausragende Aufgabe, der wir uns alle stellen müssen. Junge Menschen haben dann eine besonders gute Chance auf dem Arbeitsmarkt, wenn sie eine abgeschlossene Ausbildung vorweisen können. Deswegen müssen wir mit all unseren Bemühungen das Ziel verfolgen, dass möglichst viele Unternehmen ausbilden. ({3}) Dazu genügt es aber nicht, wie es Herr Minister Müntefering getan hat, den Unternehmen Kurzsichtigkeit und Egoismus vorzuwerfen. Denn eines ist klar: Unternehmen, die aufgrund einer schlechten wirtschaftlichen Lage einen Personalabbau planen, werden natürlich nicht ausbilden; das ist nun einmal so, da nützt auch kein Vorwurf aus einem Ministermund. Erst recht gilt das für insolvente Unternehmen, von denen wir in den letzten fünf Jahren rund 200 000 hatten. 200 000 Unternehmen sind als potenzielle Ausbildungsbetriebe ausgeschieden. Das ist Ergebnis einer anhaltend schwachen Konjunktur und Ergebnis einer falschen Politik. Das muss man hier einmal feststellen. ({4}) Damit in ausreichender Zahl Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt werden können, brauchen wir die richtigen wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen, ein stärkeres Wachstum, die richtigen steuerpolitischen Rahmenbedingungen, die richtigen tarifpolitischen Rahmenbedingungen und weniger Bürokratie. Hier sind Sie auf dem falschen Weg, wie sich in dieser Sitzungswoche ganz aktuell zeigt. Ihnen muss doch klar sein, dass jeder Prozentpunkt, um den Sie die Mehrwertsteuer erhöhen, ({5}) Gift für die Schaffung von Ausbildungsplätzen ist. Auch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz und das geplante Nichtrauchergesetz sind Gift für die Schaffung von Ausbildungsplätzen. ({6}) Ich denke, dass man feststellen kann: Die Mehrzahl der bestehenden Unternehmen ist grundsätzlich bereit, auszubilden; das betrifft insbesondere den Mittelstand. Aber eine Ausbildung muss aus Sicht der Unternehmen auch interessant sein; das heißt, das Kosten-Nutzen-Verhältnis muss stimmen. Das ist entscheidend für die Schaffung von mehr Ausbildungsplätzen, wie auch die topaktuelle IHK-Onlinebefragung vom Juni 2006 zeigt. Hohe Ausbildungskosten, tarifliche Übernahmeverpflichtungen, zu lange Ausbildungsdauer und starre Berufsbilder sind Hemmnisse für die Bereitstellung von Ausbildungsplätzen. Hier haben wir durchaus Möglichkeiten, etwas zu tun. ({7}) - Wenn Sie anderer Meinung sind, stellen Sie mir Zwischenfragen. ({8}) Ich denke, dass auch veraltete bürokratische Vorschriften in den Ausbildungsverordnungen und beim Jugendschutz die Ausbildung behindern; darauf hat der Kollege Hinsken - wie immer zu Recht - fachkundig hingewiesen. ({9}) Die FDP hat aus ebendiesem Grunde, den du genannt hast, Ernst, einen Antrag eingebracht, der darauf hinwirkt, dass Hauptschulabgänger im Hotel- und Gaststättengewerbe eine Chance auf einen Ausbildungsplatz bekommen, indem sie länger arbeiten dürfen, wenn die Unternehmen in diesen Zeiten Kunden haben. Da können wir ganz konkret handeln. Ich werde das Abstimmungsverhalten der Kollegen mit Interesse beobachten. ({10}) Ernst, du hast darauf hingewiesen: Junge Menschen müssen auch ausbildungsfähig sein. Hier ist eine Qualitätsoffensive bei der schulischen Bildung notwendig. Für 63 Prozent der größeren Unternehmen und immerhin noch knapp 50 Prozent aller Unternehmen ist mangelnde Ausbildungsreife das Haupthindernis für eine Einstellung von Auszubildenden. Es muss selbstverständlich sein, dass jeder Hauptschulabgänger richtig lesen, schreiben und rechnen kann; das ist ein zentraler Punkt. Wenn 12 Prozent der vom DIHK befragten Unternehmen angeben, dass sie ihre Ausbildungsplätze nicht besetzen konnten, weil es keine geeigneten Bewerber gab, dann ist das ein Punkt, der uns stark beschäftigen muss. Zum Schluss: Die FDP-Bundestagsfraktion ist gegen eine Ausbildungsplatzabgabe. Ich finde, der Ausbildungspakt funktioniert, wir sind auf dem richtigen Wege. Eine Ausbildungsplatzabgabe hätte eine verheerende Wirkung. ({11}) Ich bin sicher, dass dies viele Unternehmen zum Anlass nähmen, sich aus der Ausbildung zu verabschieden. Die Forderung des DGB nach einer Lehrstellensteuer ist ein Griff in die ideologische Mottenkiste und schafft keinen einzigen zusätzlichen Ausbildungsplatz, belastet die Wirtschaft und schafft wieder ein Stück mehr Bürokratie. Wir brauchen auch eine Stärkung der überbetrieblichen Ausbildung. Die FDP hat sich dafür eingesetzt, dass die Mittel für die überbetriebliche Ausbildung erhöht werden, auch gegen anfänglichen Widerstand der großen Koalition. Ich denke, wenn Sie diese Ratschläge beherzigen, dann wäre das eine Chance, mehr junge Menschen in ein Ausbildungsverhältnis zu bringen, und dann hätte sich diese Aktuelle Stunde am Ende doch gelohnt. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({12})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich mache, um Irritationen vorzubeugen, darauf aufmerksam, dass Zwischenfragen in einer Aktuellen Stunde nicht möglich sind. Präsident Dr. Norbert Lammert ({0}) - Ich habe keinen Zweifel, dass es Interessenten dafür auf beiden Seiten meines Pultes gäbe. Nun hat die Kollegin Nicolette Kressl für die SPDFraktion das Wort. ({1})

Nicolette Kressl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002706, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Chancen von jungen Menschen im Bereich der Ausbildung ist für meine Fraktion immer ein wichtiges Thema gewesen. Deshalb weise ich das, was Sie gerade behauptet haben, Herr Kolb, nämlich dass die beiden Koalitionsfraktionen diese Aktuelle Stunde nur beantragt haben, um eine Aktuelle Stunde der Opposition zu verhindern, ausdrücklich zurück. Wir haben die Behandlung dieses Themas bereits in der letzten Sitzungswoche beantragt. Es ist mir wichtig, das zu sagen: Hier geht es um Inhalte und nicht um irgendwelche Formalitäten. ({0}) Ich halte es für absolut notwendig, dass wir im Hinblick auf die Chancen von jungen Menschen - auch durch den Ausbildungspakt - eine ehrliche Analyse durchführen. ({1}) Eine ehrliche Analyse bedeutet, dass wir die Ergebnisse des Paktes weder schlecht- noch gutreden. ({2}) Nur eine richtige Analyse kann dazu führen, dass wir uns auch die richtigen Gedanken darüber machen, wie er weiterentwickelt werden kann. Dass es in einzelnen Bereichen eine schwierige Situation gibt, ist nicht zu leugnen. Beispielsweise geht das Angebot an freien Berufen deutlich zurück. Wir haben - das wissen wir auch aus allen Ländern - sehr viele junge Menschen in Warteschleifen, die auch eine Chance verdient haben, und wir müssen die Chancen der jungen Menschen mit Migrationshintergrund noch deutlich verbessern. Auch das haben die drei Minister bzw. Ministerinnen, die für diesen Bereich zuständig sind, deutlich gemacht. ({3}) Zu einer ehrlichen Analyse gehört aber auch, zu sagen, dass die Einschaltquote bezüglich des Angebots an Ausbildungsplätzen und der Meldung bei der Bundesagentur für Arbeit zurückgegangen sind und dass wir deshalb Schwierigkeiten haben, die Situation statistisch genau zu bewerten. ({4}) Es gehört auch zur Ehrlichkeit, zu sagen und deutlich zu machen - wir sind froh darüber, dass es so ist -, dass die beiden Kammern, die den Pakt mit vereinbart haben, in diesem Bereich ein großes Engagement zeigen. Kammern können aber nur dann erfolgreich sein, wenn die Unternehmen, die ihnen angeschlossen sind, auch Ausbildungsplätze anbieten. ({5}) Man muss der Ehrlichkeit halber auch dazusagen, dass es Branchen gibt, in denen sich ein Anstieg der Zahl abgeschlossener Ausbildungsverträge andeutet. Endpunkt aber wird der 30. September sein, nach Überprüfung der Nachvermittlung. ({6}) Wir müssen überlegen, wie wir von politischer Seite aus unterstützend tätig werden können, um den Jugendlichen eine Chance zu geben. Ich halte es für dringend notwendig - das habe ich in den Redebeiträgen bisher vermisst -, noch einmal an die großen Unternehmen zu appellieren und sie aufzufordern, ihrer Verantwortung für ihre eigene ökonomische Zukunft, aber auch für die Zukunft der jungen Leute - das fügt sich zusammen stärker als bisher gerecht zu werden. Dazu gehört für mich, dass die Unternehmen und die Tarifparteien endlich Tarifgespräche mit Blick auf eine Verbesserung der Ausbildungssituation führen und zu einem Erfolg kommen. ({7}) Es muss ja kein bestimmtes Instrument sein. Es gibt viele tarifliche Vereinbarungen mit den unterschiedlichsten Instrumenten, von der Branchenumlage bis hin zur Frage, wie mit Ausbildungsvergütungen umgegangen wird. Das ist nämlich Sache der Tarifparteien. Natürlich können sie darüber reden; das ist ja auch im Chemiebereich geschehen. Dies muss aber mit einem verbindlich zugesagten Zuwachs an abgeschlossenen Ausbildungsverträgen verbunden sein. Das ist doch klar. ({8}) Ich halte es für völlig falsch, wenn von politischer Seite gesagt wird, die Vergütungen der Azubis müssten gekürzt werden. Für mich gibt es ein entscheidendes Argument dagegen: Wenn wir von den jungen Leuten Mobilität erwarten, dürfen wir nicht gleichzeitig ihre Ausbildungsvergütung kürzen. ({9}) Zwölf Jahre lang hatte ich beruflich intensiv mit dem Handwerk zu tun. Meine Handwerker sagen mir: Lasst doch die Debatte! Wie sollen wir jungen Leuten ein attraktives duales System anbieten, wenn ihr darüber redet, in Teilbereichen bereits jetzt niedrige Vergütungen noch einmal zu kürzen? Das ist der falsche Weg. Wenn, dann muss das tariflich geregelt werden. - Ich finde es bedauerlich, dass da so wenig passiert. ({10}) Zum Abschluss möchte ich Folgendes sagen: Im Hinblick auf den Ausbildungspakt muss es unser Ziel sein, wieder das Ergebnis des Paktes im ersten Jahr zu erreichen, dass wir also nicht nur neue Ausbildungsplätze haben, sondern dass es einen tatsächlichen Zuwachs an Ausbildungsplätzen gibt. Das ist das Mindestziel, das wir erreichen müssen. ({11}) Insofern unterstützen wir alle Mitglieder der Bundesregierung, die engagiert dafür eintreten und dafür werben; denn es muss etwas erreicht werden. Vielen Dank. ({12})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Kollegin Cornelia Hirsch ist die nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke. ({0})

Cornelia Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003770, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Schönrednerei, die allen voran gerade vom Kollegen Hinsken von der CDU/CSU-Fraktion betrieben wurde, halten wir für unerträglich. Lieber Kollege Hinsken, ich bitte Sie, die Erwartungen bezüglich der Ausbildungsplatzlücke in diesem Sommer zur Kenntnis zu nehmen. Es wird davon gesprochen, dass vermutlich mehr als 150 000 Jugendliche ohne Ausbildungsplatz auf der Straße stehen werden. ({0}) Das sind so viele wie nie zuvor. Angesichts dieser Zahlen müsste auch für Sie offensichtlich sein, was wir Ihnen schon im letzten Herbst gesagt haben: Der Ausbildungspakt ist auf ganzer Linie gescheitert. - Vielleicht sollten sich einmal die Kolleginnen und Kollegen von der SPD-Fraktion überlegen, dass es durchaus seinen Grund hat, wenn die Gewerkschaften nach wie vor nicht bereit sind, bei einer solchen Lügengeschichte mitzumachen. ({1}) Noch unverantwortlicher als Ihr Festhalten an diesem Pakt finden wir die Überlegungen, die zur Weiterentwicklung dieses Paktes in die Diskussion eingebracht wurden. Die Kollegen von der FDP- und der CDU/CSUFraktion haben gerade einige Punkte benannt; Gleiches wurde von Bundesministerin Annette Schavan in die Diskussion eingebracht. Konkret benannt geht es bei diesen Vorschlägen darum, die Mitbestimmung von Azubis abzubauen, die Vergütung zu senken, die Ausbildungszeiten zu verkürzen und - das war gerade der Vorschlag - die Regelungen zum Arbeitsschutz einzuschränken. Das Ganze passiert unter dem Vorwand, dadurch finde ein Abbau von Ausbildungshemmnissen statt ({2}) und werde es den Unternehmen leichter gemacht, Ausbildungsplätze einzurichten. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, zur Kenntnis zu nehmen, dass zur politischen Ehrlichkeit gehört, offen auszusprechen, was Sie mit Ausbildungshemmnissen meinen. Es sind nämlich die Rechte der Jugendlichen, die Sie abbauen wollen. Da werden wir definitiv nicht mitmachen. ({4}) Ihr zweites Lieblingsthema - auch das wurde angesprochen - ist die angeblich mangelnde Ausbildungsfähigkeit der Jugendlichen. Wir halten die Debatte um die Ausbildungsfähigkeit zu großen Teilen für ein grandioses Ablenkungsmanöver. Schließlich lässt sich damit die Ausbildungsstatistik ziemlich leicht aufbessern. Ein Jugendlicher, der als nicht ausbildungsreif abgestempelt wird, taucht in der Statistik auch nicht mehr als ausbildungsplatzsuchend auf. Wir finden, anstatt über die mangelnde Ausbildungsfähigkeit der Jugendlichen zu klagen und die Schuld dafür den Jugendlichen zuzuschieben, sollten Sie sich besser überlegen, wie Sie unser Bildungssystem verbessern können. ({5}) Gerade hier tun Sie das genaue Gegenteil. Man muss sich einmal ansehen, was morgen hier im Plenum zur Abstimmung steht. Es geht nämlich um die Föderalismusreform. ({6}) Fakt ist, dass diese Föderalismusreform die Rahmenbedingungen für die Bildung auf allen Ebenen massiv verschlechtern wird. ({7}) Das bedeutet auch, dass sich die von Ihnen beklagte Ausbildungsfähigkeit weiter verschlechtern wird. - Frau Kressl, Sie schütteln den Kopf. Ich erinnere Sie daran, es ist das Aus für Ihr hoch gelobtes Ganztagsschulprogramm, für das Förderprogramm für Migrantinnen und Migranten, für zahlreiche weitere Bund-Länder-Projekte. Deshalb sagen wir als Linksfraktion ganz klar Nein zu dieser Föderalismusreform. ({8}) Zurück zur Ausbildungsmisere. Diesbezüglich ist unsere Alternative bekannt; wir haben sie auch in den Deutschen Bundestag eingebracht. Wir finden, dass es nicht ausreicht, unverbindlich an die Unternehmen zu appellieren. Die Kanzlerin hat einen Brief geschrieben. Die Jugendlichen werden sich bedanken, wenn sie von solchen Vorstößen hören. Sie schreiben nämlich 50 Briefe und mehr, nämlich Bewerbungsbriefe, und erhalten nur Absagen von den Unternehmen. Deshalb müsste es klar sein, dass die Unternehmen von der Politik zur Ausbildung verpflichtet werden. ({9}) Des Weiteren muss für mehr Gerechtigkeit zwischen ausbildenden und nicht ausbildenden Betrieben gesorgt werden. Deshalb ist unsere Forderung klar - wir freuen uns, dass wir im deutlichen Widerspruch zur FDP stehen -: ({10}) Wir fordern die Einführung einer gesetzlichen Ausbildungsplatzumlage. Das ist ein wichtiger und richtiger Schritt, der längst überfällig ist. ({11}) Erlauben Sie mir einen letzten Hinweis an die SPDFraktion. Von der SPD kommt hin und wieder die Aussage, dass sie diese Forderung letztlich unterstützen würde, dass das Vorhaben aber im Rahmen der großen Koalition derzeit nicht durchsetzbar sei. Wir möchten in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass Sie in Ihrer Regierungszeit gemeinsam mit Ihrem damaligen Koalitionspartner, den Grünen, die Möglichkeit gehabt hätten, eine Ausbildungsplatzumlage einzuführen. Sie haben diese Möglichkeit nicht genutzt, weil es in Ihren eigenen Reihen keine Mehrheit dafür gab. Deshalb halten wir es für zutiefst verlogen, wenn Sie jetzt versuchen, sich als das soziale Gewissen in der großen Koalition zu profilieren. ({12}) Unser Fazit ist klar: Auf der Grundlage dieses Ausbildungspaktes werden sich die Perspektiven für Jugendliche auf dem Ausbildungsstellenmarkt nicht verbessern. ({13}) Gerade das aber sollte unser Ziel sein; es geht nicht nur darum, dass eine Ministerin oder ein Minister zu diesem Thema sprechen. Wir wünschen uns konkrete Initiativen. Das wäre wichtig, um die immer stärkere Ausgrenzung von Jugendlichen in dieser Gesellschaft zu beenden. Vielen Dank. ({14})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort nun dem Kollegen Kai Wegner für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Kai Wegner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003860, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir diskutieren heute über die Lage am Ausbildungsmarkt. Lieber Herr Kolb, wir sollten die Ausbildungsproblematik und die Chancen für junge Menschen nicht nur dann thematisieren, wenn das Haus schon brennt; dieses Thema sollte für den Deutschen Bundestag vielmehr ein Dauerbrenner sein. Denn die Perspektiven für junge Menschen sind uns als Regierungsfraktion wichtig. ({0}) Die aktuellen Zahlen sind zweifelsohne alarmierend, Herr Kolb. Aber wer aufgrund dieser Zahlen das Ende des Ausbildungspaktes fordert, liebe Frau Hirsch, zieht die falschen Schlüsse. ({1}) Ich komme aus Berlin, wo Ihre Partei mitregiert. Ich bin froh, dass Ihr Geschwätz hier nur Oppositionsgerede ist. Denn mit dem, was Sie fordern, haben junge Menschen keine Perspektive. ({2}) Das wird in den Bundesländern, in denen Sie mitregieren, sehr deutlich, Frau Hirsch. In Berlin und Mecklenburg-Vorpommern ist die Perspektive am Ausbildungsmarkt für junge Menschen schlechter als in BadenWürttemberg, Bayern, Thüringen oder Sachsen. ({3}) Beim Ausbildungspakt handelt es sich um ein noch junges Instrument, welches sich eines komplexen Problems annehmen soll. Das Problem ist insofern komplex, als viele Faktoren für die angespannte Lage am Ausbildungsmarkt verantwortlich sind. Es steckt eben doch etwas mehr dahinter als das immer wieder zitierte Kostenargument. Ein Indiz dafür ist die zunehmende Zahl an Lehrstellen, die Jahr für Jahr nicht besetzt werden. Neben der Konjunkturabhängigkeit und der fehlenden Flexibilität in der beruflichen Bildung spielt die Ausbildungsreife vieler Jugendlicher sehr häufig eine entscheidende Rolle. ({4}) So gab in einer Umfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer jeder zweite Betrieb an, dass er im vergangenen Jahr wegen der schlechten schulischen Vorbildung vieler Bewerber seine Ausbildungsplätze nicht besetzen konnte. ({5}) Deshalb sind alle Ansätze, eine wie auch immer geartete Ausbildungsplatzabgabe einzuführen, nicht nur unpraktikabel, sondern sie verkennen auch die eigentlichen Gründe des Problems. Die Abgabe würde die Betriebe bestrafen, die eigentlich ausbilden wollen oder aufgrund ihrer wirtschaftlichen Situation nicht ausbilden können. ({6}) In diesem Zusammenhang möchte ich auf die herausragende Stellung des deutschen Mittelstands hinweisen. Kleinere und mittlere Betriebe bilden rund 82 Prozent aller Lehrlinge in unserem Land aus. Ich glaube, diese verdienen unseren ganz besonderen Dank und unsere ganz besondere Anerkennung. ({7}) Ich halte es für den besseren Weg, die Herausforderung für mehr Ausbildungsplätze gemeinsam anzunehmen, anstatt den Unternehmen per Gesetz Zwangsabgaben anzudrohen. „Gemeinsam“ bedeutet jedoch auch, dass alle Akteure der beruflichen Bildung an einem Strang ziehen. Das gilt auch für die Gewerkschaften, die sich besser konstruktiv im Rahmen des Ausbildungspaktes engagieren sollten, anstatt ihn ständig mit Pauschalargumenten zu diskreditieren. ({8}) Mit Blick auf die einzelnen Bundesländer ist festzustellen - das sagte ich schon, Frau Hirsch -, dass die Ergebnisse des Ausbildungspaktes sehr unterschiedlich ausfallen. Im letzten Monatsbericht der Bundesagentur für Arbeit ist dabei besonders erfreulich, dass in den neuen Bundesländern das Angebot an betrieblichen Ausbildungsplätzen gegenüber dem Vorjahr um 4 Prozent gestiegen ist. Das sollte uns doch freuen. ({9}) Ich denke, wir sind uns alle einig, dass jeder ausbildungsfähige Jugendliche ohne Ausbildungsplatz einer zu viel ist. Deshalb sage ich Ihnen auch ganz klar, dass wir mit der momentanen Situation nicht zufrieden sein können ({10}) und dass wir uns damit auch nicht zufrieden geben werden. ({11}) Ich begrüße deshalb ausdrücklich den besonderen Einsatz unserer Bundeskanzlerin und unseres Bundeswirtschaftsministers, Betriebe, die bisher nicht ausgebildet haben, für die Berufsausbildung zu gewinnen. ({12}) Auch wir sollten in unseren Wahlkreisen beispielsweise durch Klinkenputzen für mehr Ausbildungsplätze werben. Jeder kann in seinem Wahlkreis etwas tun. Jeder ausbildungsfähige Jugendliche braucht einen Ausbildungsplatz. Aus meiner Sicht bedarf es dreierlei Dinge, die wir tun müssen: Wir müssen erstens die mittelständischen Betriebe entlasten, die im Übrigen in der Vergangenheit doppelt so viele Ausbildungsplätze wie zugesagt geschaffen haben. Wir müssen zweitens die Modernisierung und Weiterentwicklung der Strukturen der betrieblichen Ausbildung auf Basis des bewährten dualen Ausbildungssystems umsetzen. Wir müssen drittens die Stärkung der Schnittstelle zwischen Schule und Unternehmen forcieren. Die große Koalition hat zu allen drei Punkten entsprechende Gesetze verabschiedet und richtige Schritte in Angriff genommen. Auch von den am Pakt beteiligten Partnern wurden zahlreiche Initiativen angestoßen. In Zukunft muss für möglichst alle ausbildungsfähigen und ausbildungswilligen Jugendlichen ein Qualifizierungsangebot vorhanden sein. Ich bin mir sicher, dass uns dies gemeinsam im Rahmen des Ausbildungspaktes gelingen wird. Herzlichen Dank. ({13})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Wegner, das war Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag, zu der ich Ihnen herzlich gratuliere, ({0}) verbunden mit allen guten Wünschen für die weitere parlamentarische Arbeit. Das Wort hat nun die Kollegin Priska Hinz, Bündnis 90/Die Grünen.

Priska Hinz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003769, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Chance durch den Ausbildungspakt - leider ist das die falsche Überschrift für die Aktuelle Stunde; denn bislang gibt es keine Entspannung. Im Gegenteil: Der Druck ist eigentlich gestiegen. In diesem Jahr suchen mehr junge Menschen einen Ausbildungsplatz als in dem vergleichbaren Zeitraum des letzten Jahres. Heute sind die neuen Zahlen auf den Tisch gekommen, die das deutlich machen. Der Druck ist höher, auch der auf die Bundesregierung. Leider steht das Handeln der Bundesregierung in den letzten Monaten unter dem Motto: Pleiten, Pech und Pannen. Es ist eine Pleite, dass Frau Schavan im Januar die Weiterentwicklung des Ausbildungspaktes versäumt hat. Es ist Pech für die Jugendlichen, dass die Bundesregierung die Zuständigkeiten zwischen der Bundesbildungsministerin und dem Bundeswirtschaftsminister hin- und herschiebt. Die größte Panne ist der Bundeswirtschaftsminister selbst, der im Juni den Termin für die Sitzung des Lenkungsausschusses des Ausbildungspaktes aus seinem Kalender streicht. Das kann nichts für die Jugendlichen werden. ({0}) Wie geht die Koalition eigentlich mit denjenigen Themen um, die sie selbst angestoßen hat? Im KoalitionsPriska Hinz ({1}) vertrag ist von „branchenbezogener Umlagefinanzierung“ die Rede. Man hört nichts mehr davon. ({2}) - Aber es steht in Ihrem Koalitionsvertrag. Bringen Sie doch bitte einmal die Gewerkschaften und die Unternehmen an einen Tisch! Auch dies wäre Aufgabe der Bundesregierung. Da hat sie bislang versagt. ({3}) Wie sieht das Programm zur zweiten Chance aus? Bislang ist es immer noch nebulös. Bislang hat man keine Konsequenzen aus der IABStudie gezogen. Diese Studie zeigt auf, welche Ausbildungshemmnisse es in Betrieben gibt. Diese Betriebe bitten um personelle Unterstützung und sie haben Probleme, weil sie junge Menschen nach der Ausbildung nicht unbedingt übernehmen können. Das hätten Sie, Herr Glos, mit den Vertretern der Industrie- und Handelskammern letzte Woche besprechen können. Sie hätten sich nicht nur anhören müssen, wo es klemmt, sondern Sie hätten auch Vorschläge machen müssen. ({4}) Sie hätten zum Beispiel die Umlage von Prüfungsgebühren innerhalb eines Handwerksbezirks vorschlagen können, damit auch diejenigen Betriebe beteiligt werden, die nicht ausbilden. ({5}) Sie hätten auch vorschlagen können, dass regionale Netzwerke zwischen Berufsschulen, Arbeitsagenturen und den Industrie- und Handelskammern geknüpft werden. Diesen Vorschlag habe ich von Ihnen nicht gehört. Genauso wenig haben Sie vorgeschlagen, dass die IHK externe Dienstleistungen für Unternehmen übernehmen und Ausbildungsbegleiter sein können. ({6}) Diese Vorschläge hätten Sie machen können. Nichts davon haben Sie auf den Tisch gelegt. ({7}) Es wäre möglich, die Umsetzung des reformierten Berufsbildungsgesetzes zu forcieren, zum Beispiel die Anerkennung vollschulischer Ausbildungsgänge. Es wäre möglich, die Modularisierung von neuen Ausbildungsgängen mit einer Zertifizierung und damit mit der Möglichkeit der Anerkennung, wenn Jugendliche weitermachen, voranzutreiben. ({8}) Auch da ist nichts passiert. Ich befürchte, dass Sie nach der Föderalismusreform sagen: Das ist allein Ländersache; damit machen wir uns die Hände nicht mehr schmutzig. Das wäre schlecht für die Jugendlichen. ({9}) Sie von der Bundesregierung könnten durch die Umsetzung einer EU-Richtlinie die Vergabe öffentlicher Aufträge an die Ausbildungsbereitschaft von Betrieben koppeln. Herr Schummer, ich danke Ihnen sehr dafür, dass Sie in Presseerklärungen dafür plädieren, dass die Kommunen das übernehmen. Gehen Sie doch zu Ihrer Bundesregierung! Auch Ihre Bundesregierung kann das machen. ({10}) Schauen Sie nicht nur auf die Kommunen! Schauen Sie auf Ihre eigenen Leute! Wenn Sie Ihre Bundesregierung hier vorn nachher entsprechend aufforderten, dann wäre das für die Jugendlichen ein starkes Wort. ({11}) Es gäbe die Möglichkeit, die Umsetzung des SGB II so zu ändern, dass nicht nur die Beschäftigung von jungen Menschen zählt; Vorrang müssten vielmehr die Ausbildung und die Qualifizierung von jungen Menschen haben, damit sie nicht mehr von Transferleistungen abhängig sind. Möglich wäre auch die Aufhebung der Trennung zwischen Jugendlichen, die unter „Bedarfsgemeinschaft nach SGB II“ fallen, und Jugendlichen, denen nach SGB III die Arbeitsagentur Berufsberatung zukommen lässt. Jeder Jugendliche hat nämlich ein gutes Recht auf Berufsorientierung, Berufsberatung und auf Ausbildung und Qualifizierung. Hier könnten Sie tätig werden. Nichts ist passiert. ({12}) Natürlich tragen die Unternehmen die Hauptverantwortung. ({13}) Aber die Bundesregierung muss die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass die Unternehmen diese Verantwortung auch wahrnehmen. Sie müssen uns nichts vorwerfen: Wir Grünen haben mit unserer Umfrage - denken Sie an Adidas - und mit unserer Öffentlichkeitsarbeit mehr als diese Bundesregierung in acht Monaten erreicht. ({14}) Das kann ich Ihnen von hier vorne sagen. Ich komme zum Schluss. Frau Schavan hat mir in ihrer letzten Rede hier zugerufen: Man soll sich nicht in Rhetorik ergehen, sondern in Taten. Meine Damen und Herren, die Bundesregierung ist am Zug. Sie sollte dieses Motto beherzigen. ({15})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Wolfgang Grotthaus ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion. ({0})

Wolfgang Grotthaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003137, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Schaffung von Arbeitsplätzen ist Ziel aller hier im Haus vertretenen Fraktionen. Die Meinungen darüber, welcher Weg dazu gegangen werden soll, sind unterschiedlich. Bei einigen Diskussionsteilnehmerinnen und -teilnehmern hatte ich das Empfinden, dass ihr Motto lautet: Der Staat kann alles richten. Der Staat ist für die Schaffung von Ausbildungsplätzen zuständig. Ich stimme mit denen überein, die sagen, dass der Staat Rahmenbedingungen schaffen soll. Da streiten wir über den richtigen Weg. Die einen sagen: Wir wollen den Ausbildungspakt. Die anderen sagen: Wir wollen die Ausbildungsabgabe. - Wir haben uns für den Ausbildungspakt entschieden. Wir glauben, dass wir mit diesem Pakt den richtigen Weg gehen. Dazu einige Zahlen. Im Jahr 2005 haben wir - da lässt sich natürlich über die Zahlen im Einzelnen streiten; Sie können sagen, wir müssten noch etwas drauflegen - für das Jahr 2004 insgesamt 118 000 neue Ausbildungsplätze feststellen können, und zwar in den Bereichen der Industrie und des Handels; nicht mitgerechnet ist der Bereich des Handwerks. Damit wurde das Niveau des Vorjahres um 1,4 Prozent überschritten. Es war eine positive Tendenz. Ob zu dieser positiven Tendenz alle beigetragen haben, wage ich zu bezweifeln. Aber zumindest hat das vielen jungen Menschen in diesem Staat geholfen. Auch das neue Instrument der Einstiegsqualifizierung, das die Paktpartner geschaffen haben, ist in den zurückliegenden Jahren gut angelaufen. Insgesamt konnten 17 100 Jugendliche diese Einstiegsqualifizierung nutzen. In der Bilanz für 2005 setzen sich diese positiven Zahlen fort. Trotzdem muss man einräumen: Das reicht nicht. Das liegt aber nun nicht daran, dass die Rahmenbedingungen nicht stimmen - da sollte man ein bisschen abwarten -, sondern das hängt damit zusammen, dass es mehr Schulabgänger gibt, als Ausbildungsplätze angeboten werden. Deshalb sollte man vorrangig die Industrie und das Gewerbe verpflichten, mehr junge Menschen einzustellen, statt nach dem Staat zu rufen. ({0}) Die Verantwortlichen, Herr Kolb, sind unzweifelhaft die Unternehmen. ({1}) Die Unternehmen haben Vorsorge dafür zu treffen, dass weltweit das Qualitätssiegel „Made in Germany“ auch weiterhin Bedeutung hat, und zwar deswegen, weil unsere Facharbeiterschaft gut ausgebildet ist. ({2}) Das ist so, weil sie auch gut ausgebildete Lehrherren hat. Schon heute wird in manchen Branchen darauf hingewiesen ({3}) - hören Sie gut zu! -, ({4}) dass qualifizierter Nachwuchs fehlt. ({5}) Statt aber selbst auszubilden, wird die Forderung erhoben, im Rahmen von Zuwanderungsmöglichkeiten gut ausgebildete Facharbeiter ins Land zu holen. Mit solchen Argumenten - ich sage das hier sehr deutlich stiehlt man sich aus der Verantwortung sowohl gegenüber den jungen Menschen als auch gegenüber der Zukunftsfähigkeit der eigenen Firma und unseres Staates. ({6}) Deshalb müsste schon aus Eigennutz die Ausbildung in den Firmen höchste Priorität haben. Stattdessen wird vorgeschlagen - Frau Kressl hat schon darauf hingewiesen -, das Gehalt der Auszubildenden zu kürzen. ({7}) Ich frage mich: Wer hat dieses Gehalt festgelegt? Es waren die Tarifvertragsparteien. Am Tisch der Tarifvertragsparteien sitzen auch die Arbeitgeber. Die haben die Tarifverträge mit unterzeichnet. Jetzt nach dem Staat zu rufen, ist genau der falsche Weg. Wir zweifeln die Tarifhoheit nicht an. ({8}) Von daher sollen die Tarifvertragsparteien darüber reden. Wenn eine der Tarifvertragsparteien meint, man solle da irgendetwas angehen, dann, bitte schön, ist darüber dort am Tisch zu verhandeln. Das sollte nicht ins politische Feld hineingetragen werden. ({9}) Auch die Forderung, drei Auszubildende für das Gehalt von zweien einstellen zu dürfen, ist abzulehnen. In meinen 36 Jahren im Betrieb habe ich als Erstes gelernt: Gehaltsverzicht sichert nicht einen Arbeitsplatz. ({10}) Die Vergangenheit hat gezeigt, dass man nicht allen Versprechungen glauben darf. Ich will dazu nur daran erinnern, dass die Frühverrentung und die so genannte 58er-Regelung mit dem Argument eingeführt worden sind: Für jeden zweiten älteren Arbeitnehmer bzw. jede zweite ältere Arbeitnehmerin, den oder die wir von der Arbeit freistellen, stellen wir einen jungen Menschen neu ein. Tatsächlich war das Verhältnis sieben zu eins. Wer würde garantieren, wenn wir diesen Weg der Kürzung der Ausbildungsgehälter politisch gehen würden, dass es tatsächlich zu mehr Einstellungen käme? Wer würde rechtsverbindliche Zusagen geben, die Unternehmer, die Unternehmerverbände? Alle die würden sich zurücklehnen und sagen: Wir sind doch nicht diejenigen, die eine Unterschrift gegeben haben. Genau wie beispielsweise beim Ausbildungspakt: Auch da stiehlt sich ein Teil der Unternehmer aus der Verantwortung. ({11}) An die Adresse der Unternehmer gerichtet, meine Damen und Herren, sage ich: Nicht lamentieren, sondern ausbilden! Jungen Menschen eine Zukunftschance durch eine gute Ausbildung geben! Der zugesagten Selbstverpflichtung im Rahmen des Ausbildungspaktes nachkommen und damit ebenfalls gesellschaftliche Verantwortung in diesem Staat wahrnehmen! ({12})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, Michael Glos. ({0})

Michael Glos (Minister:in)

Politiker ID: 11000691

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass in der jetzt diskutierten Frage doch in diesem Hause eine sehr breite Zustimmung bezüglich der Auffassung herrscht, dass Ausbildung in allererster Linie Sache der Wirtschaft ist, dass wir sie in den Händen Wirtschaft belassen müssen - denn am besten kann und macht es die Wirtschaft - und dass wir uns gemeinsam noch einmal an alle Verantwortlichen wenden und sie bitten müssen, auszubilden. ({0}) - Ich komme gleich noch zu Ihnen, Herr Kolb. - Ich tue das überall. Ich habe zum Beispiel heute beim Sparkassenverband Bayern geredet. Unter den tausend Anwesenden waren auch sehr viele Unternehmer; sie haben gesagt: Jawohl, wir strengen uns stärker an. - Ich habe es gestern beim Zentralverband der Elektrotechnik- und Elektronikindustrie getan. Ich könnte Ihnen noch weitere Gelegenheiten aufzählen. Es macht ja keinen Sinn, über die Wirtschaft zu schimpfen, sondern wir müssen an ihre Verantwortung appellieren. Ich sage noch einmal: Der allergrößte Teil der Betriebe nimmt diese Verantwortung ernst und wahr. ({1}) Es ist richtig, Herr Kolb: Es kommt schon darauf an, wie die Wirtschaft läuft. Betriebe, die es nicht mehr gibt, können auch nicht ausbilden. ({2}) Wir müssen auch überprüfen, ob die Änderung der Handwerksordnung dazu geführt hat, dass mehr oder dass weniger ausgebildet wird. ({3}) All diese Dinge müssen wir selber überprüfen. Da sind wir gefordert. Wir müssen auch immer wieder die Erfahrungen nutzen, die wir gesammelt haben. Es ist aber sehr erfreulich - das wird auch auf den Ausbildungsmarkt durchschlagen -, dass wir wieder eine bessere Stimmung in der Wirtschaft haben, als es vor einem oder auch noch vor einem halben Jahr der Fall gewesen ist. Das Ifo-Institut sagt, seit 15 Jahren habe es keine so positive Stimmung mehr gegeben. Die führenden Institute sagen optimistischere Zahlen voraus, als ich sie als Wirtschaftsminister amtlich prognostizieren dürfte. Wir haben aber immer gesagt, wir schneiden lieber besser ab als vorausgesagt, als dass es umgekehrt ist. Besonders erfreulich sind die jüngst veröffentlichten Zahlen der Bundesagentur für Arbeit: Die Zahl der Arbeitslosen ist auf unter 4,5 Millionen gesunken und liegt um 138 000 niedriger als im Vormonat. Wenn es mit der Wirtschaft weiter so aufwärts geht, dann führt das, wie ich glaube, auch zu mehr Ausbildungsbereitschaft. ({4}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich erkenne an, dass der Ausbildungspakt, der von meinem Vorgänger mit initiiert worden ist und den die Wirtschaftsverbände ganz gewaltig unterstützen, ein gutes Mittel ist, um weiter voranzukommen. Es bleibt natürlich noch vieles andere übrig, was zu tun ist. So wird meine Kollegin Frau Schavan darüber reden, was mit denen, die nachqualifiziert werden müssen und dabei oft den Anschluss an den aktuellen Ausbildungsmarkt verlieren, geschehen soll. Deren Zahl nimmt ja wie eine sich immer stärker aufbauende Bugwelle zu. Häufig liegt das Problem darin, dass sie nicht gut genug in der Schule gebildet wurden. ({5}) - Für die Schulen sind natürlich die Länder verantwortlich. ({6}) - Dass Sie jetzt klatschen, Herr Tauss, hilft nicht. ({7}) Es sind aber zu gewissen Teilen auch die Eltern mit verantwortlich. So müssen wir sogar feststellen, dass es mittlerweile Wohlstandsverwahrlosung gibt. ({8}) Sowohl aus Notlagen heraus wie auch im Wohlstand kann es zu solchen Fehlentwicklungen kommen; diese gibt es also auf beiden Seiten. Wir müssen uns also überlegen, wie wir mit Leistungsgeminderten und aus anderen Gründen Verwahrlosten in Zukunft umgehen. Wir müssen auch versuchen, auf dem Integrationsgipfel der Bundeskanzlerin darauf hinzuwirken, dass noch mehr im Bereich der Migrantenkinder getan wird. Hier wird aus Gründen der Tradition Mädchen oft nicht gestattet, eine Ausbildung aufzunehmen. ({9}) Darüber muss, wie ich glaube, beim Integrationsgipfel am 14. Juli geredet werden. Vor allen Dingen muss auch verstärkt mit den Verbänden der Unternehmen in Deutschland geredet werden, die nicht in deutscher Hand sind bzw. wo andere Traditionen herrschen. Ich meine jetzt nicht nur die türkischen Unternehmerverbände. Wir haben sehr viele erfolgreiche türkische Mittelständler in Deutschland, gerade auch in dieser Stadt Berlin. ({10}) Es gibt auch andere gute Beispiele. Zu mir kam in diesen Tagen der Manager eines großen Fonds. Diese Fonds haben ja immer bestimmte Namen. Ohne dass ich Reklame machen will: Dieser Fonds heißt „Cerberus“, übersetzt: Höllenhund. ({11}) Die sind wirtschaftlich gut und erfolgreich und haben sich auch in Deutschland eingekauft. Nach Aussage des Managers stellen sie jedes Jahr, wenn sie selbst nicht ausbilden, 1 Million Euro zur Verfügung, die in den jeweiligen Städten für zusätzliche Ausbildungsplätze eingesetzt werden. An dieser Stelle wird immer der Name einer großen Sportartikelfirma genannt. Ich bin ja neutral und darf für niemanden Reklame machen. ({12}) Es ist eine Möglichkeit, wenn man selbst nicht genügend Kapazitäten hat, weil man hauptsächlich nur handelt und die Produkte von woanders bezieht, zu sagen: Dann machen wir auch einmal Sponsoring für die Ausbildung. ({13}) Es ist auch ein gutes Beispiel, das wir weiter verfolgen sollten. ({14}) Ich hatte ein sehr intensives Gespräch mit denen, die in den Kammerorganisationen an der Front stehen und die die Arbeit leisten, Frau Kollegin, mehr Ausbildungsplätze einzuwerben. Hier ging es überhaupt nicht um Show und um Reklame. Ich habe mich auch bei den Leuten bedankt. Sie müssen sich viel anhören. Denen sollten wir zuhören. Natürlich gibt es eine Reihe von Gründen, die denen, die Klinken putzen, entgegengehalten werden, warum man nicht mehr ohne weiteres bereit ist, auszubilden. Trotzdem wird es immer wieder geschafft, die Zahlen zu erhöhen. Ich möchte noch etwas zu den Zahlen der Bundesanstalt für Arbeit sagen. Ich werde demnächst mit Herrn Weise ein Gespräch führen. Wir haben schon telefonisch über die Zahlen diskutiert. Diese Zahlen haben sich auch stark aufgrund einer Statistikumstellung ergeben. Richtigerweise wurde gesagt, dass nicht jeder freie Plätze der Bundesagentur meldet. Das wird stärker von den Kammern in die Hand genommen. ({15}) Ich bin bis zum Beweis des Gegenteils optimistisch, dass es uns mit dem Ausbildungspakt gelingen wird, das, was versprochen wurde, noch zu übertreffen. So war es auch im letzten Jahr. ({16}) Dass es höhere Zahlen sind, ist schon gesagt worden. Ich möchte mich an der Stelle bei den Kolleginnen und Kollegen aus dem Deutschen Bundestag bedanken, die - ich weiß es aus meiner Fraktion - einen zusätzlichen Aktionstag durchführen, bei dem der Abgeordnete in seinem Wahlkreis und da, wo er Verantwortung trägt, mit Betriebsbesuchen, mit Appellen usw. dazu beiträgt, das Bewusstsein stärker zu wecken. Wir - Frau Ministerin Schavan, Herr Minister Müntefering, die Verantwortlichen beim DIHK, beim Zentralverband des Handwerks usw. - werden am 14. Juli zu einer Sitzung des gemeinsamen Lenkungsausschusses zusammenkommen, um eine erste Bilanz zu ziehen. Wie es wirklich ausgeht, wissen wir erst im Herbst. Bis dahin dürfen wir in den Anstrengungen nicht nachlassen, noch mehr zu tun als in der Vergangenheit. ({17}) Dafür und für diese Aktionen kann ich Ihnen jetzt schon danken. Ich hoffe, dass das alle Seiten dieses Hauses tun. Frau Kollegin Kressl hat das Thema Mobilität angesprochen. Per saldo stimmt die Bilanz optimistisch. Ich kann nur die jungen Leute ermuntern, auch einen Ausbildungsplatz anzunehmen, der sich außerhalb der Stadt oder der Region, aus der man kommt, findet. Früher musste man sogar woanders hingehen. Es gehörte zur handwerklichen Ausbildung, dass man gewandert ist. Heute reist man in die ganze Welt, wenn man kann, möchte aber unbedingt bei Muttern zu Hause bleiben, wenn es um Ausbildungsplätze geht. Auch da kann ich nur an die Betreffenden appellieren, Mobilität zu zeigen. Ich bin überzeugt: Bei gutem Willen aller Beteiligten - sowohl bei den Jugendlichen als auch bei den Betrieben - können wir eine Win-win-Situation schaffen, in der die jungen Leute gewinnen - das liegt mir ganz besonders am Herzen -, in der aber auch die Wirtschaft gewinnt. Die Zahlen werden sich ja in ein paar Jahren ohnehin wieder verändern. Es gilt: Diejenigen, die heute nicht ausgebildet sind, werden morgen als Arbeitskräfte nicht zur Verfügung stehen. Danke schön. ({18})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort dem Kollegen Klaus Barthel, SPD-Fraktion. ({0})

Klaus Barthel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002622, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal hat mich die Kritik der Opposition an der Aktuellen Stunde überrascht. ({0}) Ich garantiere Ihnen: Hätten wir sie nicht beantragt, dann hätte es geheißen, wir würden die schwierige Situation auf dem Lehrstellenmarkt ignorieren, Herr Kolb. Deshalb kann ich Ihre Kritik nicht nachvollziehen. ({1}) Für mich ist in diesem Zusammenhang ein besonderes Alarmzeichen, dass sich inzwischen selbst in ökonomisch starken Regionen unseres Landes der Lehrstellenmangel zuspitzt. Der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband berichtet zum Beispiel in diesen Tagen, dass Mitte Mai, also vor sechs Wochen, erst 30 Prozent der Hauptschulabgängerinnen und -abgänger der neunten Klasse einen Ausbildungsvertrag in der Tasche gehabt hätten; bei den Praxisklassen seien es erst 24 Prozent gewesen. Das bedeutet, dass zwei Drittel dieser Jugendlichen in Bayern noch vor dem Nichts stehen. ({2}) Ich halte aber dagegen, dass in den letzten Jahren viele Wünsche der Unternehmen - und auch der FDP hinsichtlich Flexibilisierung und Modernisierung, aber auch des Abbaus mancher Standards, genannt Ausbildungshemmnisse, erfüllt worden sind. ({3}) Stichworte: Ausbilder-Eignungsverordnung ausgesetzt, Probezeit verlängert, zweijährige Ausbildung erleichtert, neue Ausbildungsberufe eingeführt, Neuordnungsverfahren beschleunigt. Das hat sogar die Arbeitgebergruppe im Hauptausschuss des Bundesinstituts für Berufsbildung in ihrer Stellungnahme zum aktuellen Berufsbildungsbericht zugegeben. Als Wirtschaftspolitiker will ich aber noch einmal auf die ökonomische Dramatik der Lage hinweisen. Es besteht offenbar breiter Konsens darüber, dass die Zukunft der Wirtschaft vor allen Dingen von Innovationen abhängt. ({4}) Dutzende von Studien, Berichten, Gutachten usw. belegen das; Beiräte brüten seit Jahren darüber. Aber so richtig und wichtig der technologische Aspekt bei der Innovation ist, so oft wird die zentrale Voraussetzung technologischer Leistungsfähigkeit unterschlagen, nämlich die Fähigkeit der Menschen selber, neue Technologien zu entwickeln, anzuwenden und zu beherrschen. ({5}) Es macht - Herr Minister hat es erwähnt - die bisherige Stärke des Exportweltmeisters Deutschland aus, dass wir bei unserer technologischen Leistungsfähigkeit nicht nur auf akademisch geprägte Forschung und Entwicklung zurückgreifen können, sondern auch auf das breite Wissen und Können von Fachkräften zählen können, die das duale System durchlaufen haben. Dieses duale System ist eine Grundlage für Weiterbildung, sei sie schulisch, akademisch, sei sie betrieblich. Aber was ist unterdessen die Realität? Die Zahl der angebotenen betrieblichen Ausbildungsplätze sinkt sowohl konjunktur- und arbeitsmarktabhängig - im letzten Jahr um 3,5 Prozent - als auch langfristig, in den letzten 14 Jahren um etwa ein Viertel; das muss man sich einmal vorstellen. Es wird nach Verkürzungen der Ausbildungszeit gerufen und gleichzeitig durch Warteschleifen, Praktika und Einstiegsqualifizierung die Ausbildung de facto verlängert. ({6}) Ein Teil der Betriebe - auch das gibt es - nutzt die Einstiegsqualifizierung nicht für Jugendliche mit Wettbewerbsnachteilen, für die sie gedacht ist, sondern zur billigen Verlängerung der Ausbildungszeit. ({7}) Wie sonst ist es zu erklären, dass wir in den Einstiegsqualifizierungen zur Hälfte Realschülerinnen und Realschüler und sogar Abiturienten antreffen? ({8}) Wie erleben, dass die Situation auf dem Stellenmarkt und die dadurch entstehende Erpressbarkeit der Jugendlichen ausgenutzt werden, um unwürdige Verhältnisse zu schaffen. Das Ganze ist nicht nur unfair und moralisch empörend, sondern gefährdet letzten Endes die Zukunftschancen unserer Volkswirtschaft. ({9}) FDP, Unternehmerverbände und Kammern haben in der Vergangenheit immer argumentiert: Wenn sich die wirtschaftliche Lage der Betriebe verbessern würde, würden auch die Chancen steigen, Ausbildungs- und Arbeitsplätze zu schaffen. ({10}) Jetzt wissen wir aber - ich will es nicht verallgemeinern -: Die Gewinne der Unternehmen sind in den letzten Jahren im Durchschnitt deutlich gestiegen. ({11}) Nach dem „Handelsblatt“ vom Anfang dieser Woche sind die Nettogewinne der DAX-Unternehmen um 12,6 Prozent gestiegen. Außerdem schreibt das „Handelsblatt“, dass die Ausgangsbasis immer höher werde und dass die Gewinne der kleinen und mittleren Unternehmen erneut stärker als die der großen Konzerne im DAX wachsen dürften. Auffälligerweise sind gerade die Unternehmen beim Arbeits- und Ausbildungsplatzabbau besonders gut vertreten - Herr Kolb, jetzt hören Sie einmal gut zu -, die die höchsten Gewinnzuwächse hatten. ({12}) Da können doch nicht die großen Unternehmen, die Milliardengewinne einfahren, über eine Ausbildungsvergütung von 600 Euro philosophieren. ({13}) Im Übrigen möchte ich feststellen, dass die Wirtschaft bis jetzt jeden Beweis schuldig geblieben ist, dass niedrige oder sinkende Ausbildungsvergütungen Ausbildungsplätze schaffen, sonst müssten doch die neuen Bundesländer ein Ausbildungsparadies sein. Aber genau das Gegenteil ist der Fall. ({14}) Wir erleben quasi eine Verstaatlichung der beruflichen Bildung. Wir stützen mit arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen mit einem Volumen von 1,6 Milliarden Euro den Ausbildungsmarkt. 10 Milliarden Euro, also mehr als die Hälfte der Gesamtkosten, gibt die öffentliche Hand für die berufliche Ausbildung dazu. Daraus folgt, es fehlt nicht an Geld, Gesetzen, Sonntagsreden und an theoretischen Erkenntnissen. Es fehlt auch nicht an Bemühungen von vielen Kammern. Wir haben da schon von vielen rühmlichen Ausnahmen in den Betrieben gehört; das erkennen wir ausdrücklich an.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege.

Klaus Barthel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002622, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich will zum Schluss aus dem brandaktuellen Thesenpapier der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände zitieren. Unter dem Titel „Bildung schafft Arbeit“ heißt es: Bildung ist der entscheidende Schlüssel für die Zukunfts- und Wohlstandschancen Deutschlands ... Ich sage: Auf geht’s! ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Dr. Annette Schavan. ({0})

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die berufliche Bildung - dazu gehört die Kooperation von Unternehmen und Schule - ist das Herzstück des Bildungssystems in Deutschland und damit die beste Vorbeugung gegen Jugendarbeitslosigkeit. ({0}) Deshalb wächst das Interesse unserer europäischen Nachbarn an unserem dualen Ausbildungssystem. Es hat gestern unter Moderation und auf Initiative Deutschlands ein Treffen von Vertretern aus sechs europäischen Ländern gegeben, auf dem Pläne für eine Kooperation und für eine gemeinsame Modernisierung dieses Teil des Bildungssystems besprochen wurden. Ich finde es übrigens richtig, dass sich der Deutsche Bundestag mit diesem Zukunftsthema regelmäßig beschäftigt. ({1}) Das ist ein Thema auf allen politischen Ebenen und außerdem ein Thema der Tarifpartner. Es geht in diesem Zusammenhang auch um eine zentrale Frage mit Blick auf die Innovationsfähigkeit unserer Unternehmen und die Zukunftschancen der jungen Generation. ({2}) Ich nenne die konkreten Schritte, die diese Regierung in den ersten sieben Monaten ihrer Amtszeit gegangen ist. Erstens. Wir haben mit den ausländischen Unternehmen gesprochen. Wir haben Vereinbarungen über Anreize getroffen und im Gegenzug die Zusage bekommen, dass 10 000 zusätzliche Ausbildungsplätze geschaffen werden. Wir werden in den kommenden Monaten acht Regionalkonferenzen in Deutschland durchführen, auf denen wir die ausländischen Unternehmen gezielt ansprechen wollen. Wir wollen sie an unsere Ausbildungskultur heranführen und ihnen Brücken bauen, damit diese 10 000 neuen Ausbildungsplätze geschaffen werden können. Diese konkrete Aktion wird die Zukunftschancen verbessern. ({3}) Zweitens. Wir haben ein neues Bund/Länder-Sonderprogramm zur Förderung von Ausbildungsplätzen in den neuen Bundesländern aufgelegt. Dort haben wir eine ganz besondere Situation. Denn dort ist der klassische Mittelstand, der das Rückgrat der Ausbildung in Deutschland ist, nicht so stark vertreten wie in den alten Bundesländern. Deshalb müssen die neuen Länder und der Bund mehr investieren. Wir tun das. Wir schaffen auch hier Brücken. Wir wollen auch hier die Schaffung von jährlich insgesamt 13 000 zusätzlichen Ausbildungsplätzen ermöglichen. ({4}) Drittens. Wir haben dafür gesorgt, dass das Programm Jobstarter - es stellt eine gute Bündelung bisheriger Programme dar - in den nächsten Jahren finanziert wird. In den Haushaltsberatungen haben wir dies gesehen. Ich bin davon überzeugt, dass das vor allen Dingen mit wichtigen Impulsen für kleine Unternehmen verbunden ist, die Einstiegsschwierigkeiten haben. Wir brauchen gezielte Einsteigerprogramme. Wir brauchen Möglichkeiten der Begleitung von Ausbildern in kleinen Unternehmen bei der Ausbildung von Jugendlichen. Viertens. Wir diskutieren nicht nur über sehr konkrete Schritte bei der Modernisierung der beruflichen Bildung. Vielmehr hat die Umsetzung in Form von Neuordnungen an der Nahtstelle zwischen Bildung und Beschäftigung längst begonnen. Wir brauchen andere Kooperationen, andere Angebote an Jugendliche und gezielte, verbindliche Erklärungen. Die Einstiegsqualifikationen, die erworben werden, müssen auch angerechnet werden. Es muss eine Optimierung im Hinblick auf die Lebenszeit junger Menschen erfolgen. Darüber wird doch nicht nur debattiert. Damit wurde schon begonnen. Die ersten Bundesländer befinden sich längst in Umsetzungsprozessen. Die ersten Einstiegsqualifikationen sind längst erworben und wurden in die weitergehende Ausbildung der Jugendlichen eingebracht. ({5}) Ein ganz wichtiger Punkt ist - Sie haben es angesprochen -: Drei Ressorts der Bundesregierung sind mit Teilelementen in diesem großen Feld tätig. Diese drei Ressorts arbeiten jetzt zusammen. Auch das ist keine Selbstverständlichkeit. Ich habe gelernt, dass das in den letzten Jahren nicht so gut geklappt hat. Dies klappt jetzt zwischen uns. ({6}) Wir arbeiten nicht nur mit verteilten Rollen, sondern wissen auch, wo wer am besten wirken kann und wo wir uns aufeinander zu bewegen müssen. Das Wirtschaftsministerium und wir werden das zum Beispiel bei der Frage der Weiterentwicklung von Ausbildungsberufen tun. Wir müssen wegkommen von immer mehr Spezialisierungen. Wir brauchen ein breiteres Fundament und dann Spezialisierungen. ({7}) Wir erarbeiten in den nächsten Wochen ein gemeinsames Konzept zur Frage: Wie schaffen wir die Weiterentwicklung von Einstiegsqualifikationen, sodass gestufte Ausbildungsgänge möglich werden, bei denen das, was jemand im ersten, zweiten oder dritten Schritt erwirbt, weiter eingebracht werden kann? Das ist eine Modernisierung, die am Ende zu dem führt, was im Koalitionsvertrag steht, nämlich Erstausbildung und Weiterbildung miteinander zu verknüpfen. ({8}) Das setzt eine Modularisierung voraus. Da müssen alle mitmachen. Da werden wir uns einig werden. Je mehr wir gemeinsam tun, umso mehr werden uns auch die Tarifpartner bei den Prozessen der Modernisierung folgen. ({9}) Ich könnte Ihnen jetzt weitere Schritte nennen. Im Laufe der Zeit erhalten Sie dazu schriftliche Informationen. Sie werden es auch vor Ort merken. Ich will noch etwas zu den Regionalagenturen sagen. Jeder von uns besucht sie doch in seinem Wahlkreis. Wir sollten, finde ich, nicht einfach darüber hinweggehen, dass es vor Ort hoch interessante, längst existierende Netzwerke zwischen dem beruflichen Schulwesen, den Unternehmen und den Kammern zum Teil unter Moderation der Regionalagenturen gibt. Ich kenne hoch interessante Ansätze und sehr gute Angebote von Regionalagenturen, um Jugendliche, die Schwierigkeiten haben, die nicht einfach die Bereiche Lesen, Schreiben oder Rechnen betreffen - sie haben ganz andere Schwierigkeiten -, in einer relativ überschaubaren Zeit zur Ausbildungsreife zu bringen und sie damit in eine Ausbildung zu führen. ({10}) Ich rate uns: Der ganzen Debatte um Ausbildungsplätze und berufliche Bildung täte es gut, wenn die wechselseitigen Vorwürfe und das wechselseitige Kaputtreden der Argumente beendet würden. ({11}) Ich erlebe seit Jahren - egal, welcher Vorschlag kommt -, dass immer jemand sagt: Mit uns ist das nicht machbar. Ich finde, in einer solchen Diskussion, in der es um mehr Zukunftschancen geht, darf es kein Tabu geben. Zum Thema Ausbildungsvergütung. Ich stimme jedem zu, der sagt: Das ist nicht Sache der Politik. - Auch in meinem Wahlkreis gibt es viele, die sagen: Das ist nicht unser Thema. Die Vergütung haben wir vereinbart. Wenn wir sie ändern wollen, können wir dies tun. Jetzt soll man aber nicht so tun, als hätten wir kein Berufsbildungsgesetz, ({12}) das übrigens in der letzten Legislaturperiode modernisiert wurde und unter anderem den Passus enthält, dass bei nicht tarifgebundenen Vergütungen Abweichungen von bis zu 20 Prozent möglich sind. Jetzt nenne ich einmal das konkrete Beispiel einer Buchhändlerin aus Aachen, die sagt, in ihrer Buchhandlung arbeite außer ihr noch eine Teilzeitkraft mit 50 Prozent und die 700 Euro für einen Auszubildenden habe sie nicht. Sie könnte sich jedoch vorstellen, einen Auszubildenden für 560 Euro einzustellen, die sie noch so grade zusammenbekäme. Ich möchte das Thema nicht zu ausführlich behandeln, halte es aber nicht für gut, in solchen Situationen einfach nur zu sagen: Es geht nicht, das ist Ausbeutung von Jugendlichen. Das ist ein Konterkarieren des Gesetzes, das der Deutsche Bundestag verabschiedet hat. ({13}) Wenn man das falsch gefunden hätte, hätte man es bei der Modernisierung ändern können. Es würde den Jugendlichen und auch dem ganzen Thema gut tun, wenn in den Debatten nicht immer der eine über den anderen herfallen würde. Ich habe den Erlass der Prüfungsgebühren bei Kammerprüfungen ins Gespräch gebracht. ({14}) Dazu bekomme ich jetzt unentwegt Briefe. Das sei völlig unmöglich. Natürlich weiß ich, dass das nicht mehr als ein Symbol ist, ({15}) weil man auch sagen kann, dass es auf die 500 Euro auch nicht ankommt. Es geht dabei aber erstens um strukturelle Veränderungen ({16}) und zweitens um die Bereitschaft seitens der Wirtschaft, mehr in Ausbildung zu investieren. Bekanntlich lautet ein Satz des Berufsbildungsgesetzes seit 1969: Berufliche Bildung ist Sache der Wirtschaft. Drittens besteht die Notwendigkeit, Symbole zu setzen und die Spielräume zu nutzen, die uns das Gesetz gibt, und nicht so zu tun, als sei die Nutzung gesetzlicher Möglichkeiten unsittlich. ({17}) Die Zahlen eines jeden Jahres verändern sich von Woche zu Woche. Es gibt einen Unterschied zwischen den Zahlen der Bundesagentur für Arbeit und der Zahl der Ausbildungsverträge, die tatsächlich zustande kommen. Ich rate uns, unser Augenmerk in den nächsten Wochen und Monaten ganz stark auf dieses Thema zu lenken. Wir reden über ein Zukunftsthema. Die Bundesregierung wird in dieser Legislaturperiode eine Maßnahme nach der anderen zur Modernisierung des Systems vorlegen und mit Ihnen debattieren. Alle gesellschaftlichen Kräfte sind aufgerufen, dieses Thema zu besetzen und jedem Jugendlichen eine qualifizierte Ausbildung zu ermöglichen. Vielen Dank. ({18})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun der Kollege Willi Brase, SPD-Fraktion. ({0})

Willi Brase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003054, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, dass viele Vorredner die Lage am Ausbildungsstellenmarkt sehr gut beschrieben haben. ({0}) - Nein, nun überschätzen Sie Herrn Kolb mal nicht. ({1}) Ich finde es gut - das will ich ausdrücklich auch dem Wirtschaftsminister, der sich im Augenblick in den Reihen der Abgeordneten aufhält, sagen -, dass die Kanzlerin endlich einmal deutlich gesagt hat, was wir am 30. September, möglicherweise am 31. Dezember von der Wirtschaft erwarten. Sie hat nämlich gesagt: Wir brauchen 50 000 Ausbildungsplätze für die jungen Leute, damit wir dieses Ausbildungsjahr einigermaßen vernünftig überstehen. ({2}) Ich glaube, wir sollten uns als Fraktion daran messen lassen und auch die Regierung daran messen, ob wir dieses Ziel erreichen. Ich möchte jetzt aus der Sicht - ich glaube, hier bin ich der Einzige - eines in der beruflichen Bildung Verantwortlichen das eine oder andere hier bewerten. Ich bin alternierender Vorsitzender einer Kammer in meinem Heimatland in Nordrhein-Westfalen, dem Siegerland. Ich kann nur sagen, dass wir manches, was hier diskutiert wurde, seit Jahren in praktischer, vernünftiger Zusammenarbeit zwischen Unternehmen, Gewerkschaften, Berufskollegs und der Arbeitsagentur bzw. jetzt der Arge machen. ({3}) Daran, wie wir mit den Dingen umgehen, könnte sich mancher Politiker, der hier Fensterreden hält, ein sehr gutes Beispiel nehmen. ({4}) Im Rahmen des Ausbildungspakts ist das Sonderprogramm Einstiegsqualifizierung Jugendlicher, EQJ, auf den Weg gebracht worden. Die Untersuchungen des G. I. B. - das ist eine nordrhein-westfälische Gesellschaft - und der Hans-Böckler-Stiftung über die SituaWilli Brase tion im westlichen Ruhrgebiet belegen, dass zwischen 58 und 63 Prozent der EQJ-Teilnehmer direkt nach der Qualifizierung eine Ausbildung beginnen. Das ist gut. ({5}) Nachdenklich muss uns aber stimmen, dass davon sehr viele einen mittleren Bildungsabschluss haben. Das ist ein Zeichen dafür, dass die Unternehmen offensichtlich noch nicht genügend qualifizierte Ausbildungsplätze anbieten und sie die Hauptschulabgänger dadurch ein Stück weit verdrängen. ({6}) Bei den Beratungen zum Ausbildungspakt haben wir gesagt, dass wir EQJ vor allen Dingen deshalb machen, um den jungen Leuten aus den Hauptschulen eine vernünftige Perspektive zu bieten. ({7}) Deswegen bin ich sehr dafür, dass wir dieses Instrument dahin gehend überprüfen. Sollte sich der Trend fortsetzen, dass sich aufgrund der Mangelsituation verstärkt Schüler mit mittlerem Bildungsabschluss durchsetzen, dann müssen wir einschreiten. Wir müssen auch unseren Hauptschülern eine vernünftige Perspektive bieten. ({8}) Zur Ausbildungsreife. Selbstverständlich habe ich die Untersuchungen des DIHK vom letzten und den vorangegangenen Jahren gelesen. Wenn man sich die Ergebnisse der letzten zehn Jahre ansieht, stellt man fest, dass immer dann, wenn die Ausbildungssituation sehr schwierig war, gesagt wurde, dass das an der fehlenden Ausbildungsreife der Jugendlichen liege. Ich finde, der DIHK hat es gar nicht nötig, ein so dummes Argument vorzuschieben. ({9}) Es gibt eine sehr gute Untersuchung des Bundesinstituts für Berufsbildung, die im November des letzten Jahres veröffentlicht wurde. Sie enthält eine inhaltlich klare Beschreibung des Begriffs Ausbildungsreife und beschreibt, was erforderlich ist, um eine Ausbildung machen zu können. Diese Untersuchung ist von Fachleuten gemacht worden, die tagtäglich im Bereich der beruflichen Bildung tätig sind. Die Ergebnisse sind äußerst spannend. Die Konsequenzen sind weit reichend: ({10}) Erstens. Es gibt - das ist völlig klar - Probleme im familiären Bereich, die für bestimmte Verhaltensweisen ursächlich sind. Da müssen wir etwas tun. Zweitens. Es gibt Probleme bei den Schulen. Es wurde eben zu Recht gesagt, dass es wichtig ist, bei der Vermittlung der Kompetenzen in den Bereichen Lesen, Schreiben, Rechnen etc. alle Jugendlichen mitzunehmen. Drittens. Auch Unternehmensvertreter haben gesagt - 72 Prozent haben dem zugestimmt -, dass Unternehmen auch schwächeren Jugendlichen eine Chance bieten und ihre Entwicklungspotenziale einschätzen sollen. Das wurde gefordert. Ich kann nur sagen: Das ist richtig so. Viertens. Man erwartet zu Recht auch von den jungen Leuten, dass sie sich ein bisschen stärker für den Betrieb, ihre Ausbildung und ihre Zukunftsperspektiven interessieren. Das müssen wir in einem vernünftigen, regionalen Pakt zusammenbringen: Wir müssen die Familien unterstützen, damit es den jungen Leuten dort besser geht. Wir müssen die Schule stärker fordern. Die Lehrerinnen und Lehrer müssen die Kompetenzen vermitteln. Wir müssen den Unternehmen klar machen, was von ihnen erwartet wird. Der Berufsbildungsbericht zeigt, wie viele Unternehmen ausbilden und wie viele nicht ausbilden. Schauen Sie sich das an vor dem Hintergrund, wie viele Unternehmen ausbilden könnten. Hier ist noch sehr viel zu holen. Ich empfehle der Kanzlerin und den zuständigen Ministern, an die Betriebe heranzugehen, die ausbilden könnten, es aber nicht tun. Auf die müssen und wollen wir mehr Druck ausüben. ({11})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das wäre ein vorzüglicher Schlusssatz gewesen, Herr Kollege.

Willi Brase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003054, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident, darf ich noch einen Satz sagen?

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ja.

Willi Brase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003054, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bedanke mich sehr herzlich. - Frau Schavan hat als zuständige Ministerin zusammen mit der Kultusministerkonferenz den Bildungsbericht 2006 herausgegeben. Hochinteressant ist nicht die Herausgabe, sondern das, was darin steht.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das ist jetzt der dritte Satz.

Willi Brase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003054, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Interessant ist, dass wir sozusagen einen Dreierlauf haben: Ein Großteil der jungen Leute befindet sich in der dualen Ausbildung. Ein gleich großer Anteil junger Leute befindet sich im so genannten Übergangssystem, BVJ, BGJ oder berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen. Außerdem haben wir eine zunehmend große Anzahl Jugendlicher im Bereich vollqualifizierender Ausbildung an Schulen. Ich rate uns allen, diesen Bericht hier im Parlament zu diskutieren. Ich glaube, daraus müssen wir Konsequenzen ableiten, damit wir auch zukünftig unseren jungen Menschen eine vernünftige Perspektive bieten können. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Letzter Redner in der Aktuellen Stunde ist der Kollege Uwe Schummer für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Uwe Schummer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003631, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Liebe Kollegin Hirsch, Sie haben gesagt, dass die Bundesagentur für Arbeit für das Ausbildungsjahr eine Ausbildungsplatzlücke von 150 000 prognostiziert. Tatsache ist: Nach dem heutigen Stand der Bundesagentur wird sie auf 30 000 prognostiziert. Das ist ein eklatanter Unterschied. Aber das zeigt im Grunde - das ist das Bedauerliche -, Kollegin Hirsch, dass der Misserfolg des Ausbildungspaktes doch von Ihrer Gruppe mit klammheimlicher Freude genutzt wird, um Ideologie zu machen, und nicht, um den Menschen zu helfen. ({0}) Ihnen kann ich nur empfehlen, Zahlen zu lesen und darauf vernünftige Konzepte aufzubauen. Das ist die Philosophie des Ausbildungspaktes. ({1}) Wir in der großen Koalition leben davon, dass es den Menschen durch die Politik besser geht, ({2}) während Sie als Manager des Elends vom Misserfolg leben. ({3}) Die Menschen werden letztendlich sehen, wem es im nächsten Jahr im September, im Ausbildungsjahr besser gehen wird: denjenigen, die dort leben, wo eine große Koalition regiert, oder denjenigen, die in Bundesländern leben, in denen Sie, die PDS, mit an der Regierung sind, also in Mecklenburg-Vorpommern oder in Berlin. Wir haben noch zwei Monate. Jetzt ist die Zeit, nicht nur über Zahlen zu reden, sondern vor allem, um zu handeln, damit jeder ausbildungsbereite Jugendliche eine Qualifizierung findet. Es ist ein gutes Zeichen, dass beide Minister miteinander in die gleiche Richtung ziehen. Es ist ein gutes Zeichen, dass auch die Kanzlerin, Angela Merkel, sich persönlich einschaltet, nicht nur mit Briefen, sondern indem sie in die Betriebe geht und sehr persönlich dafür wirbt, dass die Wirtschaft in Menschen investiert, genauso wie sie in Maschinen investiert. ({4}) Mein Appell lautet, eben nicht nur die heutigen Kompetenzen eines Menschen zu sehen, sondern auch seine Perspektive im Blick zu haben. Es ist wie mit den Aktien: Man muss in Menschen investieren und sehen, wie sie sich entwickeln und welche Perspektiven sie haben. ({5}) Das hat uns Klinsmann mit Odonkor bei der Weltmeisterschaft gezeigt. Die Experten sagten: Das ist alles Unsinn, er hat keine Erfahrung. Klinsmann hat aber auf ihn gesetzt und ihn in die Nationalelf berufen. Letztendlich hat er das Vertrauen, das er in ihn investiert hat, in Form von Motivation zurückerhalten. Odonkor hat sich bewährt. Genauso muss es in der Wirtschaft sein. Dort geht es zwar um Ausbildung, nicht um Weltmeisterschaft, aber man investiert auch in die Menschen und in deren Perspektiven, die entwickelt werden müssen. Das ist der Appell an die Wirtschaft. Aber die Wirtschaft braucht dabei Hilfe. Lassen Sie uns doch überlegen, welche Berufsbegleitung neben den Maßnahmen, die schon existieren, möglich ist. In einer Berufsschule kann Ganztagsunterricht bis 17 Uhr laufen. Dann kann man nach einem Profiling für die jungen Menschen, die eine Lese- oder Rechenschwäche oder anderweitig Probleme haben, am Nachmittag einen gezielten Förderunterricht organisieren. Man muss versuchen, in der Berufsschule solche Negativbereiche in der Ausbildung abzubauen, und dafür sorgen, dass eben nicht der Betrieb all das aufarbeiten muss, was im allgemeinen Bildungssystem nicht richtig gelaufen ist. Wir brauchen im dualen System eine Begleitung innerhalb der Berufsschule. Das sollten wir miteinander bereden und auf den Weg bringen. ({6}) - Das geht nicht an einem Tag. Aber die Zielsetzung, dem Handwerksmeister zu vermitteln, dass innerhalb des ersten Jahres diese Lese- oder Rechenschwäche abgebaut wird, wäre eine gute Motivation für ihn, zu sagen: Wir stellen diesen Jugendlichen ein, obwohl er Defizite hat. Keiner darf verloren gehen. Es kann nicht sein, dass wir einfach untätig zuschauen, wenn 1,3 Millionen Schulabgänger bis 29 Jahre derzeit ohne eine berufliche Ausbildung auf der Straße stehen und nicht in die Arbeitswelt integriert werden. ({7}) Jeder zweite Bewerber, der bisher nicht vermittelt ist, kommt aus der Hauptschule. Ich habe mir vom Berufsbildungsinstitut in Bonn noch einmal bestätigen lassen: 90 Prozent aller Berufsbilder - aktuell haben wir 340 sind für Hauptschüler verschlossen. Wir müssen auch die eigene Diskussion betrachten. Einerseits, wenn in der Rütli-Hauptschule in Berlin oder anderswo Missstände auftreten, beklagen wir, dass Hauptschüler keine Perspektive haben, und auf der anderen Seite entwickeln wir Berufsbilder so weit, dass praktisch begabte HauptUwe Schummer schüler immer weniger Zugangschancen zu einer vernünftigen Qualifizierung haben. Im Rahmen der Berufsbildungsreform, die Frau Annette Schavan zu Recht ansprach, wurde die Philosophie vereinbart, Berufsbilder in größerem Umfang stufenweise zu organisieren. Es sollen auch Zwischenabschlüsse möglich sein. Wenn man zum Beispiel eine Ausbildung im dritten Lehrjahr nicht fortsetzt, kann man später durch Weiterbildung über verschiedene Module eine zweite Chance erhalten und auf dem bisher Erreichten aufbauen. Es soll eine Berufstreppe geschaffen werden, die für das lebenslange Lernen mitgenutzt werden kann. Die Umsetzung der Berufsbildungsreform - einer breiten Grundausbildung, die stufenweise bis hin zur Erlangung akademischer Würden weiterorganisiert wird müssen wir beschleunigen. Hier sind wir alle gefordert. Meine Damen, meine Herren, der Arbeitsmarkt ist in Bewegung. Im Jahresvergleich sind 370 000 Arbeitslose weniger zu verzeichnen. Der Verband der Ingenieure hat mitgeteilt, dass der Anteil arbeitsloser älterer Ingenieure um 25 Prozent gesunken ist, weil sie vermittelt wurden. Auch die Zahl der jüngeren Arbeitslosen bis 25 Jahre ist im Jahresvergleich um 100 000 zurückgegangen. Der Arbeitsmarkt bewegt sich also. Auch die Ausbildungsplatzsituation wird in Bewegung kommen. Dafür werden wir, wird die große Koalition sorgen. ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Mit dieser ultimativen Klarstellung ist die Aktuelle Stunde beendet. Nun rufe ich den Tagesordnungspunkt 7 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Detlef Parr, Joachim Günther ({0}), Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Recht der Sportwetten neu ordnen und Finanzierung des Sports sowie anderer Gemeinwohlbelange sichern - Drucksache 16/1674 Überweisungsvorschlag: Sportausschuss ({1}) Innenausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({2}) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die FDP als Antragstellerin sechs Minuten erhalten soll. Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so vereinbart. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Detlef Parr für die FDP-Fraktion. ({3})

Detlef Parr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001676, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Koschyk hat die erste Wette schon gewonnen. Er hat nämlich darauf gewettet, dass der Kollege Parr spricht. Er hat Recht behalten. ({0}) Urteile, Urteile, Urteile. Auf wohl keinem anderen Politikfeld gibt es derzeit so viel Rechtsunsicherheit und so viel Widersprüchliches wie bei den Sportwetten. Jüngstes Beispiel: Gestern vermeldete das OVG Münster das Aus für private Sportwetten. Das war eine ungewöhnlich harte Entscheidung, die über das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hinausgeht und weitere Klagen nach sich ziehen wird. Diese Klagespirale muss ein Ende haben. Wir brauchen endlich Rechtsklarheit. Um sie zu erreichen, müssen wir auf allen Ebenen und mit allen Betroffenen eine ehrliche und tabulose Diskussion über den richtigen und einen zukunftsfesten Weg dorthin führen. Ich bin gespannt, wie ehrlich die heutige Debatte sein wird. ({1}) Das Bundesverfassungsgericht hat unmissverständlich festgestellt, dass das bestehende staatliche Wettmonopol mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit unvereinbar ist und dass sich der Staat nicht durch die Angebote, die er macht, seine Taschen füllen darf. Es hat darüber hinaus zum Ausdruck gebracht, dass die Veranstaltungen des Sportwettenanbieters Oddset erkennbar auch fiskalische Zwecke verfolgen und dass eine Abschöpfung von Mitteln aus dem Glücksspiel für Gemeinwohlzwecke, also auch für den Sport, nur möglich ist - so das Gericht -, wenn die Suchtbekämpfung oberstes Ziel ist. Als sucht- und drogenpolitischer Sprecher meiner Fraktion stelle ich fest: ({2}) Bis zu diesem Urteil hat das Thema Spielsucht in der öffentlichen Diskussion überhaupt keine Rolle gespielt. ({3}) Jetzt aber sollen die Wettsucht konsequent bekämpft, die Wettleidenschaft begrenzt und die Werbung auf ein Mindestmaß heruntergefahren werden. Das hat den Geschäftsführer der Toto-Lotto Niedersachsen GmbH, Rolf Stypmann, zu folgender Bemerkung veranlasst: Wir verkaufen keine Waren, sondern Träume. Deshalb ist Werbung immens wichtig für uns. Bei der Beachtung solcher Auflagen ist eines sonnenklar: Das Staatsmonopol wird sich zu einer „Lame duck“ entwickeln, einem Monopol ohne Flügel, das nicht mehr konkurrenzfähig ist. Die Quellen der Sportförderung drohen nach und nach zu versiegen. Auch ist es ein Trugschluss, zu hoffen, dass die Kunden privater Anbieter nach einem Verbot zurückgewonnen werden können, und das auch noch ohne Werbung. Nein, wir müssen der Realität ins Gesicht sehen. Wir dürfen Internet-, Fernseh-, SMS- und Telefonwetten nicht ignorieren. Die Kunden werden gemeinsam mit den Unternehmen ins Ausland abwandern und somit künftig kein Steueraufkommen in Deutschland generieren. Nutzen wir den Zeitrahmen bis zum 31. Dezember 2007, den uns das Bundesverfassungsgericht gesetzt hat, zur rechtlichen Ausgestaltung einer Neuordnung, die sicherstellt, dass die privaten Anbieter eine Chance bekommen und die staatlichen Anbieter endlich wettbewerbsfähig werden. ({4}) Dabei geht es auch um Arbeitsplätze - nicht um die gut gepolsterten, gut dotierten der zahlreichen Lotteriereferenten der Länder, sondern um Tausende von Arbeitsplätzen in Wettbüros, die voller Hoffnung auf eine geregelte Weiterentwicklung des Markes eröffnet worden sind. Ich appelliere von hier aus an die Länder, diese Büros bis zur Verabschiedung eines neuen Lotteriestaatsvertrages zu dulden und nicht kurzfristig vollendete Tatsachen zu schaffen. ({5}) Karlsruhe hat nur gesagt, dass bis zur Neuregelung private Veranstalter von Sportwetten untersagt werden dürfen - von müssen ist da nicht die Rede. Es geht - viel wichtiger - auch um die Planungssicherheit von Sportveranstaltern und Sportvereinen, die bereits für die kommenden Jahre Verträge abgeschlossen haben, etwa Werder Bremen und 1860 München, oder Ausrichter sportlicher Großveranstaltungen nach der Fußball-WM, die die Budgets bereits aufgestellt haben. Was, wenn in der kommenden Champions-League-Saison der AC Mailand mit Trikotwerbung eines privaten Sportwettenanbieters in Deutschland aufläuft? Was, wenn er gerade bei Werder Bremen - kurioserweise mit demselben Trikotsponsor - antritt? Sollen dann alle oder sollen dann nur die Bremer Trikots beschlagnahmt werden, wie es von Senator Röwekamp laut „Spiegel“ bereits angekündigt ist? ({6}) Ganz im Ernst: Haben Staatsanwaltschaft, Peter Danckert und Polizei nicht wichtigere Aufgaben zu erfüllen? ({7}) Die FDP verzichtet in ihrem Antrag aus guten Gründen einstweilig auf konkrete Festlegungen. Wir wollen die Sportförderung mindestens auf derzeitigem Niveau sichern, sie möglichst noch ausbauen. Eine Lösung wären Konzessionsabgaben, Nutzungsentgelte an Sportveranstalter, steuerliche Maßnahmen oder Selbstverpflichtungen in Form von Sponsoringmodellen. ({8}) - Wer laut schreit, hat nicht immer Recht. Peter Danckert, Dagmar Freitag, hört mir wenigstens bis zum Ende zu, damit wir uns argumentativ auseinander setzen können. ({9}) Jetzt eine fertige Lösung vorzuschlagen, wäre mehr als unklug. Entscheidungsgrundlagen sind in Arbeit: Namhafte Institute, Kanzleien und Unternehmensberatungen arbeiten daran. Wie bei der Sportwettenkonferenz der FDP am 19. Juni sollten weiter alle Betroffenen in diesen Findungsprozess einbezogen werden. Die unterschiedlichen Interessen gehören an einen Tisch. Vor allem aber sollten wir alle verfügbaren Kompetenzen effektiv nutzen, das heißt, auch jede Expertise, die uns auf einem vernünftigen Weg weiterhilft. Wollen wir dem Gemeinwohl dienen und die Sportförderung auf Dauer sichern, dann müssen wir jetzt ohne Vorurteile jede Lösungsmöglichkeit prüfen - miteinander statt gegeneinander, ganz im Sinne der Bundesländer Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und SchleswigHolstein: Sie haben eine Protokollerklärung anlässlich der letzten Ministerpräsidentenkonferenz verfasst, dass sie es mittel- und langfristig für zielführender halten, anstelle eines kompromisslosen Festhaltens am Staatsmonopol für die MPK im Dezember eine begrenzte Konzessionierung im Sportwettenbereich vorzubereiten. Glückwunsch an diese Länder, die gesellschaftlich, rechtlich und wirtschaftlich Vernunft zeigen! Wie hieß es noch im Februar in einer Empfehlung der Kommission „Sportwetten“ federführend aus den Staatsund Senatskanzleien von Bayern, Berlin, NordrheinWestfalen und Rheinland-Pfalz - ich zitiere das dort formulierte Ziel -: nachhaltig globalisierungsfester staatlicher Ordnungsrahmen und sozialpolitisch eingebundene Erschließung von bislang den Sportveranstaltern nicht zugänglicher Wertschöpfung. Nur Mut, liebe Kolleginnen und Kollegen, hier und in den Ländern: Lasst uns europaweit zu einem Vorreiter für eine solche Lösung werden! Dabei Glückauf für uns alle! ({10})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun der Kollege Klaus Riegert für die CDU/CSU-Fraktion.

Klaus Riegert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001847, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kaum ist die Tinte der Begründung des Urteils des Bundesverfassungsgerichtes vom 28. März 2006 trocken, liegt ein Antrag der FDP-Fraktion auf dem Tisch, mit dem der Sportwettenmarkt unter der Maßgabe des Urteils, der internationalen Dimension und der diffizilen rechtlichen Problematik umfassend und generös geregelt werden soll: Der Glücks- und Wettspielmarkt ({0}) wird liberalisiert, die Einnahmeseite verbessert und gleichzeitig Spielsucht unterbunden und bekämpft. - So einfach ist die Welt leider nicht. Ich muss den Antrag daher unter der Rubrik Aktionismus einordnen. ({1}) - Lieber Kollege Parr, in dem Bemühen, schnell zu sein, ist die FDP kaum zu überbieten. ({2}) Doch schnell allein ist zu wenig. Sie sollten, nein, Sie müssen besser werden. Dann allerdings läge der Antrag in dieser Form hier nicht vor. Wir nehmen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts wie auch dessen Begründung sehr ernst. ({3}) Die Vermeidung bzw. Eindämmung der Spielsucht hat für uns einen hohen Wert. ({4}) Wir wollen die Menschen vor persönlichen Schicksalsschlägen und dem Ruin durch Spielsucht schützen. ({5}) Deshalb werden wir uns die Zeit nehmen, die uns das Verfassungsgericht vorgibt. Liberalisierung um jeden Preis, was kümmert uns die Spielsucht - das ist mit uns nicht zu machen. ({6}) Wir messen der Beibehaltung des staatlichen Monopols unter Einbeziehung der internationalen Entwicklungen und technischen Möglichkeiten eine hohe Priorität zu. Wir werden uns den erforderlichen Sachverstand aller Beteiligten einholen und dann entscheiden. ({7}) Die Koalition will erst die Informationen und trifft dann ihre Entscheidung. Das ist die richtige Reihenfolge. ({8}) Meine Damen und Herren, Kern des Urteils ist der Widerspruch, dass staatliche Stellen ein Monopol mit der Begründung der Suchtvermeidung beanspruchen, aber keine erkennenswerte Suchtvermeidung betreiben. Der staatliche Unternehmer Oddset wirbt massiv für seine Angebote und vertreibt diese ebenso offensiv. Der Staat kann das Monopol aber nur beanspruchen, wenn die Suchtvermeidung und nicht das Einnahmeinteresse des Staates klar im Vordergrund steht. ({9}) Absurd ist aber das Ergebnis, das überall dort, wo sich Oddset heute aus der Werbung zurückzieht, sofort private Anbieter in diese Lücke springen. Dem Gesetzgeber ist freigestellt, durch eine konsequente Ausgestaltung des Wettmonopols sicherzustellen, dass eine effektive Suchtbekämpfung und eine Begrenzung der Wettleidenschaft erfolgt, oder durch eine gesetzlich normierte und kontrollierte Zulassung gewerblicher Veranstaltungen private Wettunternehmen zuzulassen. ({10}) Trifft der Gesetzgeber bis Ende 2007 keine gesetzlichen Regelungen, dann verliert er das Monopol. Bis dahin entscheiden die Strafverfolgungsbehörden, ob Sportwettenläden geschlossen werden können oder nicht und wie sich der Sportwettenmarkt darstellt. Die Ministerpräsidenten - sie sind in erster Linie gefordert ({11}) sprechen sich für eine Beibehaltung des staatlichen Monopols aus. ({12}) Sie wollen auf der Grundlage des Urteils das staatliche Lotteriemonopol weiterentwickeln. Aus ordnungsrechtlichen Erwägungen halten sie das staatliche Monopol für geeignet, die vom Bundesverfassungsgericht vorgegebenen ordnungsrechtlichen Ziele, nämlich Eindämmung und Kanalisierung der Wett- und Spielsucht sowie Bekämpfung der Folge- und Begleitkriminalität, zu realisieren. In ihre Prüfung sollten die Länder auch den Lotteriebereich einbeziehen. Die Länder Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein sprechen sich in einer Protokollnotiz mittel- und langfristig für die Konzessionierung privater Anbieter aus. Daran sieht man: Selbst auf der Ebene der Ministerpräsidenten gibt es durchaus unterschiedliche Vorschläge. ({13}) Wir sollten die Konkretisierung der Vorschläge abwarten, sie prüfen und dann entscheiden. ({14}) Im gesamten Glücksspielbereich spielen die Sportwetten eine untergeordnete Rolle. Der Umsatz bei Sportwetten beträgt zurzeit rund 2 bis 3 Milliarden Euro. Das Marktpotenzial wird auf 5 bis 6 Milliarden Euro eingeschätzt. Bei einer Liberalisierung des Wettmarktes muss aber vor allem die Auswirkung auf das Lottosystem beachtet werden. ({15}) Hier befürchte ich große Auswirkungen auf die Finanzierung des gemeinnützigen Sports. ({16}) Meine Damen und Herren, bei der Neuregelung des Wett- und Glücksspielmarkts haben wir auch die europäische Dimension zu beachten. Zu prüfen ist, inwieweit ein staatliches Wettmonopol mit dem EU-Vertragsrecht kompatibel ist. ({17}) Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass jedes Land das Wett- und Glücksspiel für sich selbst schlüssig regeln kann, auch im Hinblick auf Berufsfreiheit und Wettbewerb. Es wird kein Scheinmonopol geben können nach dem Motto „Wir machen ein Monopol, handeln aber, als wären wir im Markt“. Kein Gericht wird uns das durchgehen lassen. ({18}) Meine Damen und Herren, der FDP-Antrag verbindet die Forderung nach gesetzlich normierter und kontrollierter Zulassung privater Anbieter von Sportwetten und knüpft dies an eine Fülle von Bedingungen: den nationalen Markt für Sportwetten auch im Vergleich zum Ausland konkurrenzfähig zu machen, ohne Einschränkung einen Teil der Einnahmen - was immer das auch heißen mag - den Destinatären zuzuweisen, gleichzeitig die Spielsucht zu bekämpfen, dem Jugendschutz Rechnung zu tragen und die Folge- und Begleitkriminalität zu vermeiden. Das alles sind verheißungsvolle Ziele; Verknüpfung und Durchsetzung der Bedingungen dürften jedoch ein Problem werden. ({19}) Deshalb hat für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion die Neuordnung des Glücks- und Wettspielmarktes klare Priorität. Die Sucht- und Spielleidenschaft muss eingegrenzt und wirksam bekämpft werden, wobei die Prävention Vorrang hat. Die Finanzierung des gemeinnützigen Sports muss sichergestellt sein. An diesen Zielsetzungen werden wir den Wett- und Glücksspielmarkt ausrichten. Danke schön. ({20})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun die Kollegin Katrin Kunert, Fraktion Die Linke.

Katrin Kunert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003795, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Detlef Parr, Ihr Antrag ist ein Fehlstart. Ich fürchte, Sie holen sich eine gewaltige Zerrung. ({0}) Das Bundesverfassungsgericht hat ein Urteil gesprochen, welches besagt, dass das staatliche Wettmonopol nur zulässig ist, wenn die Spielsucht konsequent bekämpft wird. Das Gericht zeigt dem Gesetzgeber die gelbe Karte und droht mit der roten Karte, wenn diese Auflagen ab 2008 nicht geregelt sind. Die Ministerpräsidenten der Länder haben das Urteil mehrheitlich begrüßt und lassen einen neuen Lotteriestaatsvertrag bis Dezember erarbeiten. Der DFB und die DFL haben eine grundsätzlich andere Auffassung zur Umsetzung des Urteils. Statt ausschließlich auf das staatliche Monopol zu setzen, ist nach ihrer Ansicht eine begrenzte Konzessionierung der bessere Weg. Der Vorsitzende der Sportministerkonferenz sprach sich in einer Anhörung im Mai zu diesem Thema im Sportausschuss nachdrücklich für den Erhalt des staatlichen Wettmonopols aus und warnte vor einer kontrollierten Liberalisierung von Lizenzen. Wir, die Linke, sagen, das staatliche Monopol ist geeignet und notwendig, um Spielsucht und Kriminalität wirksam zu bekämpfen. ({1}) -Wenn wir es gemeinsam packen sollten, dann sollten wir es auch tun. ({2}) Herr Kollege Parr, wir hatten nach der Anhörung im Sportausschuss einen Fahrplan vereinbart, wie wir mit dem Urteil und den sich daraus ergebenden Schlussfolgerungen umgehen wollen. Sie wissen genauso gut wie alle hier im Saal, dass am 20. September genau dieses Thema auf der Tagesordnung des Sportausschusses steht. Sie wollen sich jetzt mit diesem hochsensiblen Thema profilieren und haben wahrscheinlich sehr starken Rückenwind. Nur bewegen Sie sich zurzeit aus unserer Sicht ganz stark im Abseits. In Ihrem Antrag heißt es: Um einen Zustand der Rechtssicherheit herbeizuführen, spricht sich der Deutsche Bundestag gegen ein ausschließlich staatlich verantwortetes WettKatrin Kunert angebot und für eine gesetzlich normierte und kontrollierte Zulassung privater Veranstalter aus. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Rechtssicherheit kann auch hergestellt werden, indem man die Auflagen des Bundesverfassungsgerichts erfüllt. ({3}) In Ihrem Antrag heißt es weiter: Jede Neugestaltung des staatlichen Wettmonopols wäre daran zu messen, ob es ihr gelingt, den Konflikt zwischen fiskalischen Interessen des Staates und einer aktiven Begrenzung der Spielleidenschaft aufzulösen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, einen Konflikt löst man nicht auf, indem man ihn verschiebt. Sie wollen Gewinne gesetzlich normiert und kontrolliert privatisieren und die Suchtbekämpfung staatlich belassen. ({4}) Sie sagen, private Anbieter wären auch bereit, für die Breitensportförderung Beiträge zu leisten. Ich frage: Was sagen die privaten Anbieter zur Bekämpfung von Spielsucht und Kriminalität? ({5}) Wir brauchen eine Lösung, denn es geht am Ende auch um sehr viel Geld und Arbeitsplätze. Mit Blick auf den gesamten Lotteriemarkt muss man sagen, dass es derzeit bundesweit 25 000 Lotterieannahmestellen gibt. Bei Aufgabe des staatlichen Monopols wäre jede zweite von Schließung bedroht. Dann würde vieles über das Internet abgewickelt. Die Bundesländer haben derzeit Einnahmen aus Steuern, Abgaben und Gewinnausschüttungen bei Lotto und anderen Glücksspielen in Höhe von insgesamt 5 Milliarden Euro jährlich. Auf dieses Geld können selbst Sie nicht verzichten. Die Finanzierung von Maßnahmen in den Bereichen Kultur, Umwelt, Jugend oder Wohlfahrtspflege wäre dann massiv infrage gestellt. In besonderem Maße wäre allerdings der Breitensport betroffen, dem ein Löwenanteil aus den Gewinnen zufließt. ({6}) - Sie haben Ihre Redezeit gehabt. ({7})) Auch wenn das Gericht die fiskalischen Gründe zur Rechtfertigung des staatlichen Monopols ausschließt, sollten wir die Sportförderung im Blick behalten. An dieser Stelle möchte ich Folgendes anregen: Um aus der Abhängigkeit von diesen Mitteln herauszukommen, die hinsichtlich der Finanzierung des Sportes besteht, sollten wir über ein Sportfördergesetz zwischen Bund und Ländern nachdenken. In diesem Zusammenhang verweise ich auf das Beispiel Mecklenburg-Vorpommern, das bereits ein solches Sportfördergesetz hat und dem Landessportbund Haushaltsmittel zuweist. Der dortige Landessportbund bekommt also keine Gelder aus den Lotteriegewinnen. Danke schön. ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun die Kollegin Dagmar Freitag für die SPD-Fraktion. ({0})

Dagmar Freitag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002655, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden auf Antrag der FDP-Fraktion über das Thema Sportwetten. Das Thema ist zweifellos wichtig, allerdings kommt die Diskussion zum falschen Zeitpunkt, Herr Parr. Sie kommt eindeutig zu früh. Zudem ist der Bundestag derzeit der falsche Platz dafür. Ich erkläre Ihnen gerne, warum ich dieser Ansicht bin. Im März dieses Jahres hat das Verfassungsgericht das Urteil zum Sportwettensektor in Deutschland gefällt. Oberstes Ziel jedweder Regelung des Sportwettenmarktes muss die Prävention und die aktive Bekämpfung der Spielsucht sein. Das Verfassungsgericht hält - das ist uns bekannt - ein staatliches Monopol durchaus für ein geeignetes Mittel, um Spielsucht zu bekämpfen und vor allen Dingen auch präventiv tätig zu werden. ({0}) - Melden Sie sich einfach, wenn Sie eine Frage haben, Herr Kollege Parr! ({1}) Die Ministerpräsidentenkonferenz hat den Auftrag des Verfassungsgerichts angenommen und sich in der vergangenen Woche eindeutig positioniert. Die Ministerpräsidenten sprechen sich dafür aus, das staatliche Lotteriemonopol zu erhalten und auf der Grundlage der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts weiterzuentwickeln. Im Dezember 2006 wird die Ministerpräsidentenkonferenz über den Entwurf eines neuen Lotteriestaatsvertrages beraten, der zum Ziel haben soll, die Durchführung von Sportwetten im Rahmen des staatlichen Monopols entsprechend den Anforderungen der Sportwettenentscheidung des Verfassungsgerichts zu regeln. Er soll auf vier Jahre befristet sein und auf Effizienz und etwaigen Anpassungsbedarf evaluiert werden. Das ist - wer wollte das bestreiten - ein sinnvoller Weg. ({2}) Deshalb gibt es gegenwärtig keinen vernünftigen Grund für den Bund, sich einzumischen, Herr Kollege Parr. Vor allem sehe ich keinen Grund, sich vorschnell vom Staatsmonopol zu verabschieden. Genau das sieht Ihr Antrag aber vor, ohne anzuerkennen, dass der staatliche Anbieter Oddset den gerichtlichen Auflagen hinsichtlich einer Intensivierung der Präventionsmaßnahmen unverzüglich nachgekommen ist. Sie haben selber auf die Haltung der Ministerpräsidenten hingewiesen. Das ist interessant. Die Haltung der schwarz-gelben Landesregierungen zu Ihrem Antrag würde sicherlich uns alle interessieren, Herr Kollege Parr. ({3}) Wie steht zum Beispiel der FDP-Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen, der auch für den Sport zuständig ist, zu diesem Antrag? ({4}) - Warum soll ich Herrn Wolf anrufen? ({5}) Zu schade, dass man von Herrn Wolf öffentlich hierzu überhaupt nichts hört. Ich kann mir gut vorstellen, dass seine Haltung die Kulturschaffenden und die Vertreter des organisierten Sportes in Nordrhein-Westfalen brennend interessieren würde. ({6}) Ministerpräsident Oettinger aus Baden-Württemberg äußert sich unmissverständlich, wie man meinen sollte. Im „Rheinischen Merkur“ vom 1. Juni diesen Jahres hat er festgestellt - ich darf zwei Sätze zitieren -: Mit dem staatlichen Wettmonopol stellen wir sicher, dass Spielregeln eingehalten werden und die Risiken für die Mitspieler begrenzt sind … Wir werden deshalb am Monopol festhalten. ({7}) Das war vor vier Wochen. ({8}) - Darauf komme ich, lieber Herr Kollege Parr. Ich bin Ihnen für dieses Stichwort dankbar: Herr Oettinger hat sich der von Ihnen bereits zitierten Protokollnotiz angeschlossen, ({9}) mit der genau das aufgeweicht wird. - Sie sagen, weil er vernünftig sei. Ehrlich gesagt, dann sollte man es unterlassen, für die interessierte Öffentlichkeit den Hardliner und den Befürworter des Staatsmonopols abzugeben. ({10}) Sie haben gerade den Einfluss der FDP auf Herrn Oettinger beschworen. Da kommt mir plötzlich in den Sinn, dass Sie in der letzten Woche eine Veranstaltung hatten. Thema: Gibt es eine Sportförderung ohne Sportwetten? ({11}) Der Hauptsponsor dieser FDP-Veranstaltung, meine Damen und Herren, war Betandwin. ({12}) Niemand kann heute garantieren, dass ein neuer Staatsvertrag tatsächlich ein Erfolgsmodell sein wird. Das räume ich offen ein. Uns sollte jedoch das Ziel einen, die Bürgerinnen und Bürger vor den Gefahren des Glücksspiels zu warnen und, soweit das möglich ist, vor allen Dingen zu schützen. Die Bundesländer stellen sich dieser zugegebenermaßen schwierigen Aufgabe im Moment. Wir sollten sie dabei unterstützen und auf Querschüsse verzichten. Sollte sich allerdings zukünftig Handlungsbedarf für die Bundespolitik ergeben, werden wir uns dieser Aufgabe annehmen. Aber, Herr Kollege Parr, alles zu seiner Zeit. ({13})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort dem Kollegen Winfried Hermann, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Winfried Hermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003147, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Wettgeschäft boomt in den letzten Jahren weiter. Es gibt immer mehr verschiedene Angebote zum Wetten. Die Wetten werden immer verrückter. Ich muss sagen: Sie werden immer absurder. Was für manche ein nettes Wettspielchen ist, ist für viele ein Riesenproblem. Wir wissen seit Jahren, dass es gerade in diesem Bereich einen wachsenden Anteil von Suchtspielern gibt, ({0}) von Menschen, die ihr weniges Geld dort lassen und sich zum Teil völlig verschulden, weil sie krankhaft spielen. Leider werden im Umfeld dieses wachsenden Wettgeschäfts auch viele dreckige Geschäfte gemacht, zum Beispiel Geldwäsche oder Schiebereien. Noch vor wenigen Monaten hätten wir über die Geschäfte im Umfeld dieser Wetten gesprochen, in die Schiedsrichter und Spieler verwickelt waren. All dies hängt mit diesem boomenden Markt zusammen. Die Länder haben lange Zeit das staatliche Spiel- und Wettmonopol zur Einnahme von Steuern genutzt. Sie haben dies bedingungslos gemacht, obwohl sie eine hochmoralische Begründung hatten, nämlich die Spielsucht zu bekämpfen. Aber das haben sie nicht getan. ({1}) Nun haben sie - das haben alle Rednerinnen und Redner gesagt - vom Bundesverfassungsgericht eine deutliche Klatsche bekommen. Ich füge hinzu: Es gibt ein laufendes Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof, in dem geprüft wird, ob die deutschen Verhältnisse noch europarechtskonform sind. Auch die europäischen Richter sagen nicht pauschal, das Monopol müsse fallen, sondern sie sagen eindeutig und klar - genauso wie es die Verfassungsrichter bei uns gesagt haben -, dass Staaten natürlich das Recht und vielleicht sogar die Pflicht haben, das in Form eines Monopols zu regeln; aber wenn sie es tun, müssen sie das, was sie zu tun vorgeben, auch vollziehen, nämlich präventiv tätig zu sein und die Spielsucht zu bekämpfen. Genau das haben sie nicht getan. Das ist die Herausforderung, vor der die Länder jetzt stehen. ({2}) Nun schlägt die FDP vor, man solle offen darüber diskutieren, wie man die Spielsucht kontrollieren kann. Gleichzeitig aber sagt sie: Eigentlich wollen wir liberalisieren, wir wollen mehr private Anbieter zulassen. - Ich sage dazu: Das ist der organisierte Interessenskonflikt. Das kann nicht funktionieren. Wenn ich es zulasse, dass private Anbieter Geschäfte machen, und will, dass der Sport davon profitiert, dann ist es außerordentlich schwierig, dieses Geschäft zu begrenzen. Das passt nicht zusammen. Das kann man nicht über den Markt organisieren. ({3}) Deswegen sage ich klipp und klar: Wir wollen nicht die Gewinninteressen von Betandwin unterstützen. Wir halten es auch nicht für klug, dass sich eine Partei zum Anwalt privater Wettanbieter macht. Wir halten es ebenfalls nicht für klug, dass sie sich zum Anwalt einzelner Fußballmannschaften macht, die sich dieses Wettanbieters als Sponsor bedienen. Ich sage Ihnen ganz offen: Ich bin vom Deutschen Fußball-Bund enttäuscht. Noch vor drei Jahren hat er den deutschen Sport und die deutschen Innenminister fast dazu gedrängt, endlich die privaten Geschäftemacher zu bekämpfen, da sie - das hat man gewissermaßen in Klammern hinzugefügt - die Einnahmen von Oddset gefährden. Heute, drei Jahre danach, möchte man genau das Gegenteil. Jetzt sagt man: Öffnet endlich den Markt; wir wollen die Kohle. Das ist, wie ich finde, unmoralisch. ({4}) Das ist auch nicht besonders sportlich. Man muss dem DFB aus politischer Sicht die rote Karte zeigen. Die grüne Position ist klar: Wir glauben, dass man diesen Bereich besser nicht dem Wettbewerb preisgibt; vielmehr sollte man das staatliche Monopol beibehalten. Klar ist aber auch: Die Länder müssen eine Strategie zur Bekämpfung der Spielsucht vorlegen. Sie müssen Maßnahmen erarbeiten. Wenn sie das nicht tun, dann werden sie dieses Privileg verlieren. Das wäre schade; denn es hat der Kultur und dem Sport bisher genutzt. Das kann man fortführen, ohne gleichzeitig die Spielsucht zu fördern. Wir brauchen eine Debatte in diesem Sinne und keine unkritische Debatte, wie die FDP sie angestrebt hat. Spielsucht ist ein ernstes Thema, zu dessen Behandlung es eine ernsthafte Debatte braucht. Vielen Dank. ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zum Schluss dieses Tagesordnungspunkts erhält der Kollege Dr. Peter Danckert für die SPD-Fraktion das Wort.

Dr. Peter Danckert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003066, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir alle haben uns gefragt: Was ist eigentlich der Grund dafür, dass die FDP hier so vorprescht? Schließlich haben wir anderweitige Verabredungen. Es ist schon darauf verwiesen worden, dass wir dieses Thema im September im Sportausschuss noch einmal eingehend diskutieren. Mir ist heute völlig klar geworden - dazu hat beigetragen, dass Frau Kollegin Freitag hier dieses kleine Bild gezeigt hat -: Die FDP hat sich hier ganz eindeutig als Cheflobbyist von Betandwin enttarnt. ({0}) Das ist der einzige Grund für dieses Vorpreschen. Es ist wirklich ein starkes Stück: Am 19. Juni hat sie hier eine öffentliche Veranstaltung produziert, die komplett von Betandwin gesponsert wurde. Jetzt stellt sie sich hierhin und tritt für die Liberalisierung dieses Wirtschaftszweiges ein. Schlimmer kann man an dieser Stelle eigentlich nicht vorgehen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Parr?

Dr. Peter Danckert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003066, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte schön, Herr Kollege Parr.

Detlef Parr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001676, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Danckert, ist Ihnen bekannt, dass die CDU vor wenigen Tagen eine Medianacht durchgeführt hat und dass bei dieser Medianacht auf den Namensschildern, die dort ausgegeben wurden, „Betandwin“ zu lesen war? Ist es wirklich des Teufels, wenn Parteiveranstaltungen von bestimmten Unternehmen, die in Deutschland zugelassen sind, die in Deutschland ihre Geschäfte machen, unterstützt werden? ({0})

Dr. Peter Danckert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003066, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Erstens, Herr Kollege Parr: Das ist mir nicht bekannt. ({0}) Zweitens. Selbst wenn es so wäre: Die Union hat jedenfalls nicht einen solchen Antrag gestellt und sich damit im Parlament als Cheflobbyist von Betandwin produziert. Das ist der entscheidende Unterschied. ({1}) Der Zusammenhang zwischen Ihrer öffentlichen, von Betandwin gesponserten Veranstaltung und dem heutigen Antrag ist schon sehr merkwürdig. Sie sollten einfach einmal versuchen, das zu reflektieren. Mehr habe ich dazu nicht zu sagen. ({2}) Ich möchte Sie außerdem auf Folgendes hinweisen: Es stimmt nicht, dass Betandwin eine in Deutschland zugelassene Glücksspielorganisation ist; das ist unzutreffend. Dieses Unternehmen ist in Österreich lizensiert und versucht, unseren Markt zu bewerben. Ich möchte Ihnen noch einen Tipp geben; vielleicht können ein paar Juristen Ihnen das erklären. In § 284 Abs. 4 Strafgesetzbuch steht: Das Werben für ein nicht zugelassenes Glücksspiel ist strafbar. Das sollten Sie sich einmal durch den Kopf gehen lassen. So locker, wie das im Moment läuft, ist das nicht zu handhaben. Mehr ist dazu nicht zu sagen. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hat uns klar gemacht, dass das staatliche Wettmonopol erlaubt ist, was vorher in Zweifel gezogen worden war. ({3}) Nun müssen die Länder - sie sind am Zug; das haben sie auch am 22. Juni beschlossen - einen Weg dafür finden. Jemand, der sich auf der Basis der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auf den Weg macht, handelt absolut korrekt. Daran ist gar nichts auszusetzen. Wir werden sehen, was uns die Ministerpräsidenten im Laufe des zweiten Halbjahrs dazu präsentieren. Das wird nicht ganz einfach sein. Wer die Rahmenbedingungen, die das Bundesverfassungsgericht vorgegeben hat, erfüllen will, muss sich sehr anstrengen. Wir werden sehen, ob das gelingt. Ich habe da meine Zweifel. Die Ministerpräsidenten haben jetzt das Prä. Sie haben das so gemeinsam beschlossen. Wenn das nicht gelingen sollte, müssen wir in diesem Parlament unsere Hausaufgaben machen. Durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist festgestellt worden, dass es auch eine Bundeskompetenz für das staatliche Glücksspiel gibt. Wir werden uns daranmachen und sorgfältig prüfen: Was ist machbar und was ist nicht machbar? Dann muss man möglicherweise ganz am Ende sehen, ob es sozusagen einen dritten Weg der Öffnung in dieser Frage gibt. Wir müssen natürlich auch prüfen, wie sich das auf die Sportförderung auswirkt. Das ist sicherlich ein ganz entscheidender Gesichtspunkt. Das Ganze hat auch etwas Schizophrenes an sich. Wir wollen alles unternehmen, um die Spielsucht und die Wettleidenschaft zu bekämpfen. Das sind wirklich große Gefahren. Wir haben in unserer Anhörung Ende Januar - das war sogar auf Anregung der FDP, wenn ich mich nicht sehr täusche; ({4}) wir haben das übernommen; ohne die anderen Obleute wäre das auch nicht gegangen - von den großen Gefahren gehört, die mit den Sportwetten zusammenhängen. Wir werden also einen Weg suchen müssen, der auf der einen Seite diese Gefahren wirksam bekämpft und auf der anderen Seite das ermöglicht, was wir auch wollen - seien wir an dieser Stelle ehrlich! -, ({5}) nämlich dass die Sportförderung erhalten bleibt. ({6}) Das ist ein ganz komplizierter Weg. Wir sollten ihn gehen, um im Interesse des Sports an dieser Stelle etwas Gutes zu tun. Ich bedanke mich bei dem Präsidenten dafür - ({7}) - Ich bedanke mich bei der Präsidentin dafür, dass ich das ausführen durfte. Herzlichen Dank. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Damit ist die Aussprache beendet. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/1674 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- verstanden? - Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8 a bis 8 c auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung der Besteuerung von Ener- gieerzeugnissen und zur Änderung des Strom- steuergesetzes - Drucksachen 16/1172, 16/1347 - aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({0}) - Drucksachen 16/2007, 16/2061 Berichterstattung: Abgeordnete Norbert Schindler Reinhard Schultz ({1}) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt bb)Bericht des Haushaltsausschusses ({2}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 16/2023 Berichterstattung: Abgeordnete Jochen-Konrad Fromme Carsten Schneider ({3}) Otto Fricke Dr. Gesine Lötzsch Anja Hajduk b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({4}) zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-Josef Fell, Cornelia Behm, Dr. Reinhard Loske, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Biokraftstoffe intelligent fördern - Steuerbegünstigung erhalten - Drucksachen 16/583, 16/2007, 16/2061 Berichterstattung: Abgeordnete Norbert Schindler Reinhard Schultz ({5}) c) Beratung des Antrags der Abgeordneten HansKurt Hill, Dr. Herbert Schui, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Biokraftstoffe nachhaltig fördern - Drucksache 16/1895 ({6}) Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung liegen ein Änderungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP vor. Über den Änderungsantrag werden wir später namentlich abstimmen. Zwischen den Fraktionen ist verabredet, dass eine halbe Stunde debattiert wird. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich gebe das Wort für die SPD-Fraktion dem Kollegen Reinhard Schultz.

Reinhard Schultz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002791, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Energiesteuergesetz, das wir heute verabschieden, war keine ganz einfache Geburt. Aber die Beratungen, sowohl innerhalb der beteiligen Parteien als auch innerhalb der Koalition und darüber hinaus, haben sich im Ergebnis gelohnt. Das Gesetz zur Neuregelung der Besteuerung von Energieerzeugnissen und zur Änderung des Stromsteuergesetzes verfolgt mehrere Ziele: die Umsetzung der Energiesteuerrichtlinie, die Einführung von Mindeststeuersätzen auf alle Energieträger und das Regeln von Sondertatbeständen als Gruppentatbestände. Dabei geht es zum Beispiel um die Frage: Soll Primärenergie, die eingesetzt wird, um Strom zu erzeugen, besteuert werden, ja oder nein? Wir haben uns grundsätzlich für Nein entschieden. Darüber hinaus gibt es auch noch andere Fragen. Der zweite „dicke Brocken“ war der Einstieg in die Besteuerung von Biokraftstoffen. Wir haben vor einigen Jahren die steuerliche Begünstigung von Biokraftstoffen aufgrund eines einstimmigen Beschlusses des damaligen Bundestages aufgenommen, allerdings mit der Maßgabe, dass die entsprechende Beihilfe - das geht auch gar nicht anders; sie musste von der EU genehmigt werden - in regelmäßigen Abständen überprüft wird. Der Überprüfungsbericht hat ergeben, dass eine Überförderung stattfindet. Wir haben uns über den Grad der Überförderung gestritten, aber es war unumstritten, dass wir in die Besteuerung einsteigen müssen. Letztendlich ging es darum, eine Scharnierstelle zwischen dem zu schaffen, was wir jetzt mit der Einführung von Steuersätzen für Biokraftstoffe planen, und dem, was wir im Herbst vorhaben, nämlich der Einführung einer Pflicht zur Beimischung von Biokraftstoffen bei Diesel und Ottokraftstoffen. Wir haben, wie ich denke, in dem parlamentarischen Verfahren, insbesondere was die Biokraftstoffe angeht, eine ganze Menge erreicht: Das Finanzministerium hatte ursprünglich vor, eine Beimischungsquote für alle Kraftstoffarten festzulegen; diese wäre sehr wahrscheinlich nur durch Beimischungen bei Diesel erfüllt worden und Bioethanol als Substitut für Ottokraftstoffe hätte keine nennenswerte Rolle gespielt. Diese Haltung haben wir gemeinsam aufgebrochen; nun wird es zwei Quoten geben. Wir haben auch die Frage des politischen Vertrauensschutzes - es geht nicht um einen rechtlichen, sondern um einen politischen - für diejenigen regeln müssen, die in entsprechende Anlagen wie Ölmühlen in Deutschland investiert haben und sie betreiben oder die auf andere Art und Weise mit dem Markt für reine Biokraftstoffe verwoben sind. Es gab zu keiner Zeit eine Garantieerklärung im Gesetz. Zunächst war von einer Übergangsfrist von zwei Jahren die Rede; im parlamentarischen Verfahren wurde eine Verlängerung der steuerlichen Vergünstigung bis 2011 bei steigenden Sätzen erreicht, bis 2012 der Regelsteuersatz auch für Biodiesel und reines Pflanzenöl gilt. Der politische Vertrauensbegriff wurde hier sehr großzügig ausgelegt. Ich weiß, dass die FDP möglicherweise, wie sie es sonst auch immer tut, sagen wird, es handele sich um einen groben Vertrauensbruch. Angesichts der Tatsache aber, dass dieser Branche eine Übergangszeit von weiteren fünf Jahren eingeräumt wird, kann man nicht davon sprechen, dass wir Vertrauen gebrochen hätten. Vielmehr stützen wir die entsprechenden wirtschaftlichen Existenzen. ({0}) Wir geben ihnen natürlich auch die Chance, sich auf neue Rahmenbedingungen im Zusammenhang mit dem Beimischungsgebot einzustellen. Wir haben im Verfahren beschlossen, dass der Einsatz von reinem Pflanzenöl in der Landwirtschaft auf Dauer steuerfrei bleiben soll. Damit verbinden wir die Reinhard Schultz ({1}) Hoffnung und verfolgen die politische Absicht, dass dadurch das Agrardieselregime, in dessen Rahmen wir faktisch Agrardiesel subventionieren, allein durch die Zunahme des Verbrauchs von reinem Pflanzenöl ausgehöhlt und unterlaufen wird. Wir erhoffen uns also auch für diesen Bereich ein Zurückfahren der steuerlichen Begünstigungen. Wir haben vereinbart, bei Gelegenheit darüber zu reden, das Agrardieselregime schrittweise ganz aufzugeben. Darüber hinaus haben wir beschlossen, dass auf Dauer die Biokraftstoffe, bei denen von einer Marktdurchdringung noch nicht die Rede sein kann, wie zum Beispiel Bioethanol - E 85 - und synthetische Kraftstoffe, bis 2015 weiterhin steuerlich gefördert werden sollen. Für diese gilt, weil sie noch keine Marktbedeutung haben, weiterhin die Zweiwegestrategie, die auch in der bisherigen Praxis eine große Rolle gespielt hat. Auch für Neuentwicklungen, von denen wir jetzt noch gar nichts ahnen, gibt es im Gesetz eine Chance in Form einer Art Experimentier- bzw. Projektklausel, gemäß der auf Basis einer Rechtsverordnung entschieden werden könnte, dass neue Kraftstoffe, deren Namen wir heute noch nicht kennen, gefördert werden. Jede steuerliche Förderung muss jährlich überprüft werden; das steht auch im Gesetz. Anhand dieser muss entschieden werden, ob eine Überförderung vorliegt oder nicht. Zusammenfassend dargestellt finde ich, dass ein beachtlicher Beratungsprozess des Parlaments, insbesondere der Koalitionsfraktionen, mit der Regierung hinter uns liegt und ein gutes Ergebnis erzielt wurde. Das möchte ich ausdrücklich festhalten. ({2}) Dabei geht es auch um Geld: Die Mineralölsteuer ist die einzige wirklich nennenswerte Steuer, die nur dem Bund zusteht. Diese Steuer durch Sondertatbestände ständig auszuhöhlen und zu durchlöchern, ist auf Dauer für uns nicht gut. Wir müssen jetzt schauen, wie wir die Steuereinnahmen verstetigen, ohne die politischen Ziele, die wir mit den Subventionen verbunden hatten, aus den Augen zu verlieren. Dabei wird aufgrund des Koalitionsvertrages und der Beschlüsse der Koalition vom 1. Mai der Königsweg der Förderung von Biokraftstoffen die Beimischungspflicht sein, die am 1. Januar nächsten Jahres in Kraft treten soll. Wir wollen eine industrielle Biokraftstoffstrategie und keine, die ausschließlich in kleinen landwirtschaftlichen Kreisläufen stattfindet. ({3}) - Nein, wir wollen das nicht kaputtmachen, sondern wir wollen, dass an jeder normalen Tankstelle, an jeder Autobahn, möglichst europaweit normiert, jeder Bürger, der Auto fährt, auch Biokraftstoff anteilmäßig fährt. Das ist eine vernünftige Strategie und keine, die nur auf gutes Gewissen oder auf Steuersubventionen setzt. Darum geht es. Alles, was dahin führt, unterstützen wir. Wir fördern weiter. Wir haben einen langen Übergang. Wir haben für neue Kraftstoffe weiterhin eine steuerliche Förderung. Aber das Ziel muss es sein, alles so reif zu machen, dass es irgendwann beigemischt werden kann. Zu der Frage, wenn ich das hier einmal aufzeigen darf, um welche Beträge es geht: Eine parallele Beimischungspflicht plus eine Weiterführung der steuerlichen Förderung mit Steuersatz null, die eine der ersten Ideen der so genannten Zweiwegestrategie war, hätte uns Einnahmeverluste von 5,6 Milliarden Euro bis zum Jahre 2015 gebracht. Das wäre nicht zu verantworten gewesen. Wir mussten zu einer anderen Lösung kommen. Diese gab es nicht zum Nulltarif. ({4}) - Sie werden gleich Ihren schwungvollen Vortrag halten: Koalition verirrt im Rapsfeld! Darauf freue ich mich schon. Der nette folkloristische Titel hilft uns aber auch nicht, insbesondere nicht auf dem Fahrrad oder sonst wo.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage Ihres Kollegen Hermann Scheer zulassen?

Reinhard Schultz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002791, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Selbstverständlich, gerade von Hermann besonders gerne. ({0}) - Das ist etwas anderes. Dann habe ich die Chance, Hermann, noch einmal zu sprechen. Das, was wir jetzt machen, geschieht in einer beherrschbaren Größenordnung und kostet für die Übergangszeit alles in allem etwa 700 Millionen Euro. Das ist es uns auch wert, um die bestehenden wirtschaftlichen Strukturen abzusichern, ist aber nicht nennenswert angesichts der Ausfallbeträge, die letztendlich zu befürchten gewesen wären. Im Übrigen haben wir im Energiesteuergesetz eine Reihe von Sondertatbeständen geregelt, die uns zum Teil schon seit langem auf den Nägeln brennen, bei denen auch die Bundesländer gedrängt haben. Wir haben uns viele Jahre damit herumgeschlagen: Warum wird eigentlich Erdgas bis 2020 steuerlich als ein Vorläuferkraftstoff von Wasserstoff gefördert und warum gilt das für Flüssiggas nicht? Wir haben das jetzt gemeinsam geradegezogen. Beides wird bis 2018 gefördert. Wir haben für die verpflichtende Besteuerung von Kohle als Hausbrand, die eine nennenswerte Rolle in Nordrhein-Westfalen, in den neuen Bundesländern und im Saarland spielt, eine vernünftige Übergangsregelung bis Ende 2010 gefunden, um allen Hauseigentümern die Chance zu geben, ihre Heizungsanlagen zu modernisieren und zum Beispiel das von der Koalition auferlegte energetische Gebäudesanierungsprogramm zu nutzen. Insofern greifen die Dinge vernünftig ineinander. ({1}) Reinhard Schultz ({2}) Wir haben dafür gesorgt, dass endlich auch Klarheit besteht, dass Prozessenergien, Energien, die zur Stoffumwandlung eingesetzt werden, grundsätzlich nicht mehr besteuert werden. Das war eine lange, quälende Auseinandersetzung. Auch das ist geklärt, um Deutschland als Standort der Grundstoffindustrien zu sichern. Das ist ein ausgesprochen gutes Ergebnis. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen. Sie haben vielleicht nach der Kurzintervention noch einmal Gelegenheit, zu sprechen.

Reinhard Schultz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002791, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme zum Schluss. - Ich denke, wir haben, gerade was Biokraftstoffe angeht, einen großen Sprung nach vorne auf dem Weg weg vom Öl gemacht. Wir haben Lösungen gefunden, Deutschland als Energieerzeugungsstandort abzusichern und auch

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, kommen Sie jetzt bitte zum Schluss.

Reinhard Schultz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002791, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Grundstoffindustrien im Lande zu behalten. Vielen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Dann gebe ich das Wort dem Kollegen Hermann Scheer.

Dr. Hermann Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001950, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Mein Kollege Reinhard Schultz hat eben gesagt, wir wollten ausschließlich die Orientierung der Biokraftstoffstrategie auf eine Beimischungspflicht. Ich möchte ausdrücklich sagen, dass dieses „wir“ nicht meine Haltung trifft und auch nicht die Haltung, soweit ich es beobachte und weiß, einer übergroßen Mehrzahl zumindest der SPD-Fraktion und auch einer großen Anzahl von Kollegen in der Union. Viele haben sich in den letzten Wochen dafür eingesetzt, dass eine Zweiwegestrategie aufrechterhalten bleibt, ein reiner Biokraftstoffmarkt neben einer Beimischungspflicht, wodurch nur die Mineralölkonzerne ein Nachfragemonopol für die Biokraftstoffe erhielten. Bliebe der Zweiwegeansatz, würde die Biokraftstoffmarktentwicklung auch über mittelständische Unternehmen auf regionaler Ebene erfolgen. Das ist der Wille von vielen. Was jetzt erreicht worden ist, ist ein Kompromiss zwischen beiden Ansätzen. Ich glaube, es ist wichtig, das an dieser Stelle genau festzuhalten, damit dieser Beschluss nicht falsch interpretiert wird. Danke schön. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Schultz, möchten Sie darauf reagieren? ({0}) Dann gebe ich das Wort jetzt dem Kollegen Michael Kauch, FDP-Fraktion. ({1})

Michael Kauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003698, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Kurzintervention von Herrn Scheer hat ganz deutlich gemacht: Das Chaos in der Koalition bei der Biokraftstofffrage ist immer noch nicht beendet. Sie haben Ihre Position für sich offenbar immer noch nicht geklärt. ({0}) Herr Schultz hat gesagt, schließlich gehe es auch ums Geld. Er hätte besser sagen sollen, dass es Ihnen vor allem ums Geld geht. Denn dieser Gesetzentwurf ist nichts anderes als die Fortführung der Steuererhöhungsorgie, ({1}) die wir heute beim Steueränderungsgesetz erlebt haben. Es ist die größte Steuererhöhungsorgie, die diese Republik jemals gesehen hat. ({2}) Rufen wir uns einmal, liebe Kollegen von der Union, in Erinnerung, was die jetzige Bundeskanzlerin vor der Wahl erklärt hat. Sie hat erklärt, mit den Benzinpreiserhöhungen müsse jetzt Schluss sein. Aber was Sie hier beschließen, wird in Verbindung mit der Beimischungspflicht eine Benzinpreiserhöhung bewirken, die zwei Ökosteuerstufen von Rot-Grün entspricht. Meine Damen und Herren von der Union, Sie kassieren die Bürger so schamlos ab, wie es sich Rot-Grün nie getraut hat. ({3}) - Ja; sie hat aber nichts anderes versprochen. Dieser Gesetzentwurf wird aus fiskalischen Gründen gemacht. Sie haben keine - ich wiederhole: keine - Strategie für die Biomassenutzung in Deutschland. Sie haben keine Antwort auf die Frage der Nutzungskonkurrenzen. Sie haben keine Strategie, welcher Teil der Biomasse in die Verstromung, welcher in die Wärmeerzeugung und welcher in die stoffliche Nutzung in der Industrie gehen soll. ({4}) - Herr Kelber, Sie sagen, das muss der Markt entscheiden. Aber das müssen Sie beantworten, wenn Sie Ihre Subventionsstrategie, die Sie mit diesem Gesetz festlegen, formulieren. Das haben Sie nicht getan. Sie stochern im Nebel. Hier wird ausschließlich nach Interessenlagen entschieden. ({5}) Im Übrigen, meine Damen und Herren, ist es, auch steuerpolitisch, schon bemerkenswert, dass mitten im Jahr, am 1. August, in Steuergesetze eingegriffen wird. So etwas sollte man zum 1. Januar eines Jahres tun. Aber das sind Details, die Sie schon lange nicht mehr interessieren. Bezüglich der progressiven Steuersätze in Cent pro Liter stellt sich die Frage: Was wird die Auswirkung sein, wenn beispielsweise - das sind Szenarien, die nicht abwegig sind - der Rohölpreis zwischenzeitlich wieder sinkt? Dann wird der Biodiesel teurer als der fossile Diesel sein und Sie werden die Reinkraftstoffe endgültig kaputtgemacht haben. Dann bleibt nur noch der Beimischungsmarkt übrig. Was bedeutet das? Das bedeutet, dass die bisher mittelständisch strukturierte Industrie endgültig von wenigen Mineralölkonzernen auf der Nachfrageseite abhängen wird. Diese werden zum einen eine Marktmacht beim Preis ausüben. Zum anderen besteht bei diesen Großstrukturen natürlich ein Interesse, auch mit großen Zulieferern zu arbeiten. Das heißt, die kleineren Unternehmen in diesem Markt werden hinten runterfallen. Meine Damen und Herren, auch ordnungspolitisch, wirtschaftspolitisch und vor allen Dingen mittelstandspolitisch ist es ein Unsinn, was Sie hier mit dem Beimischungszwang betreiben. Deshalb setzt sich die FDP dafür ein, den Vertrauensschutz zu wahren, besonders aufgrund der Tatsache, dass wir noch vor zwei Jahren fraktionsübergreifend ein Instrument beschlossen haben. Dieser typische Fall von Instrumentenhopping wird aber nicht aus umweltpolitischen Gründen, wie es die Koalition hier suggeriert, sondern aus rein fiskalischen Gründen betrieben. ({6}) Die FDP-Fraktion wird deshalb die Branche, aber auch die Verbraucher, die an der Tankstelle die Rechnung für Ihre Politik bezahlen müssen, unterstützen und wird daher diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Als Nächster hat der Kollege Norbert Schindler von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Norbert Schindler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002776, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Verehrte Gäste! Herr Kollege Kauch, ich will nur zur Klarstellung sagen: Ich weiß, welche Freudentänze die FDP vor zweieinhalb, drei Jahren aufgeführt hat, als es um die Steuerbefreiung der beigemischten Bestandteile ging. Sie haben ausdrücklich zugestimmt; vor allen Dingen Herr Solms hat sich dabei hervorgetan. Ich will das aber nicht weiter vertiefen. Ich komme nun zur Sache selbst. Wir haben uns bei dem Thema Steuerbefreiung sehr in die Haare gekriegt. ({0}) Wir haben einige Male die Beratungen vertagen und neu ansetzen müssen. Deswegen habe ich vielleicht nicht mehr so viele Haare. Die Koalition hat eine epochale Vereinbarung in ihren Grundsatzbeschlüssen getroffen. Die Bundesrepublik Deutschland wird die Verpflichtungen aus dem Kiotoprotokoll erfüllen. Das ist wegweisend für Europa. Wir alle wissen, dass es 2004 ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs gegeben hat, der sich mit der unterschiedlichen Besteuerung von Energieträgern beschäftigt hat, die zu einer wettbewerbsverzerrenden Situation für die anderen europäischen Energieerzeuger geführt hat. Dass wir 2007 ein Gesetz in Kraft setzen, in dem der Beimischungszwang vorgesehen ist, hat diese hitzige Debatte ausgelöst. Wenn wir in Zukunft aus deutscher oder aus europäischer Agrarproduktion 4 Millionen bis 5 Millionen Tonnen Einheiten in den Energiebereich einfließen lassen, so ist das für die Bundesrepublik Deutschland ein einmaliger Vorgang. Wir streiten uns jetzt nur noch um das Kleingedruckte, das natürlich auch wichtig ist. Wir streiten uns auch um die Beimischung von anderen Wertstoffen wie Fette. Außerdem stellt sich die Frage, was ab dem Jahre 2018 geschieht. Herr Kollege Scheer hat in diesem Zusammenhang schon auf den zweiten Weg hingewiesen. Derzeit war aber im Rahmen dieses Kompromisses nicht mehr möglich. Man muss dazu stehen, dass sich Rot und Schwarz bei diesem Kompromiss schwer getan haben. Was passiert ab dem Jahre 2009 - ich glaube nicht, dass eine Partei eine absolute Mehrheit bekommt -, wenn neue Koalitionsverhandlungen anstehen? ({1}) Es ist sozusagen eine Bremse, dass der zweite Weg nicht so ausgebaut wird, wie es manch einer gehofft hatte. Ich sage das auch im Hinblick auf die Festlegung auf eine Steuerbefreiung bis zum Jahre 2009. Man muss einräumen, dass es diesbezüglich in den ländlichen Regionen eine Unsicherheit gibt. Die Frage ist, wie wir dort die Wertschöpfung auf Dauer sichern. ({2}) Ich will auch festhalten, dass wir mit 9 Cent beim Agrardiesel einen vernünftigen Einstieg gewählt haben, der auch von den verarbeitenden Betrieben mitgetragen wurde. Die ursprünglich angedachte Nulllösung - das hat die schwersten Bedenken des Finanzministers hervorgerufen - hat die Frage aufgeworfen, wie die Finanzierung aussehen soll. Herr Kollege Schultz, Sie haben gesagt, dass uns 5 Milliarden bis 6 Milliarden Euro fehlen werden. Sie stellen selbst die Frage, ob man über die Verbilligung des Agrardiesels noch einmal reden sollte. Ich sage sehr deutlich: Mit der Union ist in dieser Legislaturperiode über dieses Thema nicht zu reden. ({3}) Das Landwirtschaftsprivileg, das Herr Seehofer bei Herrn Steinbrück durchgesetzt hat und das wir in Form einer Verbilligung des Agrardiesels ausgestalten, ist zu begrüssen. Das betrifft Produkte aus Eigenproduktion wie früher Heu und Hafer. Damit bleiben auch in der Landwirtschaft verwendete Biokraftstoffe von der Steuer befreit. Da geschieht nichts anderes wie beim Pferdefutter, das in der Vergangenheit steuerfrei war. Dies ist eine Chance für Wertschöpfung im kleineren Bereich. Aber bei dem Kompromiss, der gefunden worden ist, wurde auch berücksichtigt, wie viele Steuereinnahmen uns dabei wegrutschen. Da hatten wir es finanzpolitisch mit Zwängen zu tun, die mir persönlich so nicht gepasst haben. Aber was soll ich sagen? Wir sind in einer Koalitionsregierung. Wir müssen den Staatshaushalt gemäß unserem Auftrag in den nächsten Jahren so in Ordnung halten, wie es jeder Wähler und jede Wählerin von uns erwartet. Die Steuerbefreiung, die im Regierungsentwurf ursprünglich nur bis 2009 vorgesehen war, haben wir für zwei weitere Jahre festgelegt. Die Steuerbefreiung in der Landwirtschaft ist generell nicht genau definiert. Sie ist total offen. Das ist ein Erfolg im Vergleich zum alten Regierungsansatz. Dass dem Finanzministerium solche Kompromisse wehtun, weil es dabei reell ums Geld geht, ist klar. Zum anderen wird im vorliegenden Gesetz - auch das geht unter - die Minderbesteuerung von Gasölen in den Häfen geregelt. In diesem Gesetz steht auch, dass im Hinblick auf die Beimischungsfragen ab 2007 ein zusätzliches Gesetz in Kraft treten soll. Das wollen wir im November abschließend festlegen. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, kommen Sie jetzt bitte zum Schluss.

Norbert Schindler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002776, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Deswegen lassen Sie uns erst Ende dieses Jahres die gesamte Wirksamkeit der heutigen Beschlüsse abschließend bewerten. Deutschland ist auf dem Weg, seine Energieführerschaft bei den nachwachsenden Rohstoffen auch in Zukunft zu behalten. Das Gesetz ist ein guter Beitrag dazu. Danke schön. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat der Kollege Hans-Kurt Hill, Die Linke. ({0})

Hans Kurt Hill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003767, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich sage Ihnen: Diese Gesetzesvorlage ist eine Subventionsorgie zugunsten der Energie fressenden Industrie. ({0}) Ihr Finanzminister Steinbrück macht damit Kasse auf Kosten des Klimaschutzes. Diese Industrie - sowieso schon Nutznießer zahlreicher Ausnahmetatbestände bekommt mit diesem Entwurf noch einmal rund 200 Millionen Euro geschenkt. Wie man heute hört, wird Lidl die Energieversorgung ausgliedern und damit die Regelung für energieintensive Betriebe in Anspruch nehmen. Das ist Ihr Erfolg. Es muss Ihnen doch klar sein: Mit Ihrem Vorgehen verspielen Sie jeglichen Anreiz zur Energieeinsparung und zur Senkung der Klimagasbelastung. ({1}) Wer zahlt die Zeche? Die junge Bioenergiebranche. Hier wird schrittweise die volle Steuer greifen. Beim Klimakiller Flugverkehr weiten wir die Steuerbefreiung aus. Ich kann nur davor warnen, dem Entwurf zuzustimmen. ({2}) Ich gebe Hermann Scheer Recht: Sie werden damit die Abschaffung von 50 000 Arbeitsplätzen auf Raten einleiten. Es muss Ihnen doch klar sein, dass die heimische Biokraftstoffbranche bei einer Vollbesteuerung keine Chance gegen das Mineralölmonopol hat. Sie treiben die Betriebe sogar noch in die Arme der Konzerne: Mit der Pflicht, Biosprit dem herkömmlichen Diesel und Benzin beizumischen, degradieren Sie die Landwirte und die Mittelständler zu Knechten der Mineralölindustrie. ({3}) Was glauben Sie denn, was passiert? Entweder beugen sich die heimischen Biokrafterzeuger dem Preisdiktat der Konzerne oder BP und Co kaufen billiges Pflanzenöl in Lateinamerika ein - jawohl, das wird passieren! - und dort wird mit fragwürdigen Anbaumethoden der Regenwald platt gemacht. Sie behaupten, man schaffe Planungssicherheit für die Biospritbranche. Ich sage: Das ist schlicht die Unwahrheit. ({4}) Nehmen Sie Ihren schädlichen Stufenplan bei der Besteuerung der Biokraftstoffe zurück; denn damit machen Sie eine ganze Branche von Mittelständlern in der Bundesrepublik Deutschland kaputt. Jetzt komme ich noch auf das zu sprechen, was gestern in den Ausschüssen passiert ist. Es ist unglaublich, wie dieses Gesetz zustande gekommen ist. Es ist wirklich unglaublich. ({5}) Es gab von Ihnen einen Wust von Änderungsanträgen zu Ihrem eigenen Entwurf - und das als Tischvorlage. Im Umweltausschuss - das war der Höhepunkt - wurden die Anträge sogar nur auf unsere Intervention hin überhaupt zur Beratung vorgelegt. Es hieß einfach: Wir haben sie nicht erhalten. Meine Damen und Herren von der Koalition, das ist unseriös, das ist undemokratisch. ({6}) Lieber Kollege Reinhard Schultz, jetzt komme ich zu Ihrer schwungvollen Rede. Was ist denn von den angekündigten Verbesserungen übrig geblieben? Nichts, gar nichts ist übrig geblieben. Sie sind das Opfer Ihres eigenen Finanzministers geworden. ({7}) Machen Sie die schlimmsten Fehler rückgängig. Erstens. Reine Biokraftstoffe müssen bis Ende 2009 steuerfrei bleiben. Alles andere ist ein Vertrauensbruch gegenüber der Branche. ({8}) Zweitens. Wenn Steuern, dann richtig: Die Bemessung muss sich nach Klimaschutz, Umweltvorteil und Erhöhung der Versorgungssicherheit richten, nicht nach Steinbrücks Steuerwut. ({9}) Drittens. Eine Beimischungspflicht ist unnötig. Der Biokraftstoffmarkt funktioniert auch so, wenn man nicht dem Mineralölkartell das Wort redet. Fördern Sie Biokraftstoffe nachhaltig und stimmen Sie unserem Antrag zu. Ich danke Ihnen. ({10})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Reinhard Loske, Bündnis 90/Die Grünen. - Entschuldigung, Herr Loske. Ich bitte darum, dass die Gespräche am Rande nach draußen verlegt werden, damit wir hier noch ein bisschen Debatte verfolgen können. Schönen Dank.

Dr. Reinhard Loske (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003176, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Reinhard Schultz hat eben davon gesprochen, wir hätten es bei diesem Gesetz mit einem beachtlichen Beratungsprozess mit dem Parlament zu tun. Da kann man nur sagen: In der Tat, das war insofern beachtlich, als es ein ständiges Hin und Her gab, das sich bis ins Plenum fortgesetzt hat, unter Geringschätzung der parlamentarischen Rechte der Opposition und unter elementarster Verunsicherung einer ganzen mittelständischen Branche. Das war kein Glanzstück, das muss man ganz klar sagen. Verfahrensmäßig war das unter aller Würde. ({0}) Zur Sache selbst. In dem Gesetz geht es auf der einen Seite um die Umsetzung der EU-Energiesteuerrichtlinie in nationales Recht und auf der anderen Seite um das kräftige Zulangen bei der Besteuerung von Bioenergien. Was die EU-Energiesteuerrichtlinie hergegeben hätte, meine Damen und Herren von der Koalition, haben Sie im Wesentlichen nicht genutzt. Sie haben erstens nicht die vielen Ökosteuersonderregelungen, die es heute noch gibt, abgebaut, was die EU-Energiesteuerrichtlinie ausdrücklich ermöglicht hätte. Davor scheuen Sie zurück. Sie haben zweitens nicht Gebrauch gemacht von der Möglichkeit, eine Kerosinbesteuerung für Inlandsflüge einzuführen. Wir haben es daher nach wie vor mit dem eklatanten Wettbewerbsnachteil der Bahn zu tun. Die Bahn zahlt Energiesteuer, die Bahn zahlt Mehrwertsteuer auf Tickets im Fernverkehr. Der Luftverkehr zahlt beides nicht. Sie haben also nichts getan, um Wettbewerbsfairness zwischen dem Schienenverkehr und dem Luftverkehr im innerdeutschen Bereich herzustellen. Auch das ist ein grobes Versäumnis. ({1}) Am allerschlimmsten aber ist, wie Sie bei den Bioenergien vorgehen. Man kann ja darüber reden, Mitnahmeeffekte dort, wo es sie gibt, abzuschöpfen. Aber was Sie machen, ist, eine ganze Branche systematisch zu verunsichern. Sie treten das zarte Pflänzchen der Bioenergiebranche regelrecht platt. ({2}) Nicht nur das: Sie kündigen an, dass Sie die Steuerprivilegien abbauen und auf ein anderes Instrument umstellen wollen, nämlich den Beimischungszwang. Ich will noch einmal ganz klar sagen, was der Unterschied ist. Bei den steuerlichen Anreizen passiert Folgendes: Sie bekommen dezentrale Strukturen, Sie bekommen regionale Wertschöpfungsmöglichkeiten im ländlichen Raum, Sie bekommen neue Arbeitsplätze in der Landwirtschaft, Sie bekommen regelrechte Erwerbs- und Einkommensalternativen für die Bauern. Reinhard Schultz - das muss ich schon einmal sagen -, das ist der gewaltige Unterschied zwischen Ihnen und uns. Sie sagen - ich habe es mir aufgeschrieben -: Wir wollen eine großindustrielle Bioenergiestrategie und nicht Klein-Klein. Dazu sage ich Ihnen: Wir wollen Wertschöpfung und Beschäftigung im ländlichen Raum und keine großindustrielle Struktur in diesem Bereich. Das ist ein gewaltiger Unterschied. ({3}) Sie sagen zwar, dass Sie eine Zweiwegestrategie machen, faktisch machen Sie aber eine Einwegstrategie: Sie sehen nur den Beimischzwang vor. Faktisch bedeutet das, dass Sie die Bauern, die regionalen Produzenten in die Abhängigkeit eines großen Nachfragemonopols bringen. Bei der Milch sehen wir doch, wohin das führt: Die Geschädigten sind am Ende die Bauern und die Profiteure sind die großen Mineralölkonzerne. Wenn Sie das wollen, dann machen Sie das. Dann sollten Sie das aber auch sagen. ({4}) Aus vielen am Rande des Plenums- bzw. im Plenum geführten Gesprächen wurde klar, dass viele Kolleginnen und Kollegen aus den Koalitionsfraktionen dieses Gesetz für falsch halten. Sie halten es zu Recht für falsch. Ihnen kann aber, wenn ich das so sagen darf, Trost gespendet werden: Es gibt einen Antrag, den wir hier vorlegen und zur namentlichen Abstimmung stellen, dem die Freunde des Klimaschutzes, die Freunde des ländlichen Raumes und die Freunde mittelständischer Strukturen zustimmen können. Wir möchten Sie darum bitten, unserem Antrag zuzustimmen und nicht dem Irrweg, der von der großen Koalition beschritten wird, zu folgen. Danke schön. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Zum Abschluss der Debatte hat der Kollege Dr. Joachim Pfeiffer, CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Dr. Joachim Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Opposition, wir sollten die Kirche im Dorf lassen. Mit dem heutigen Gesetz leisten wir im Bereich der Biokraftstoffwirtschaft einen Beitrag zur Schaffung einer Planungs- und Investitionssicherheit, und zwar mit einer Zweiwegestrategie. Wir werden auf jeden Fall keinen Fadenriss erleiden. Entgegen der ursprünglichen Absicht, die Steuerbefreiung 2009 abrupt zu beenden, haben wir einen stufenweisen Übergang bis 2012 vorgesehen. Daher werden wir keinen Fadenriss erleiden. Wir betreten vielmehr eine Brücke, die uns zur zweiten Generation der Kraftstoffe führt. ({0}) Es ist kein Geheimnis, dass sich die Union in der einen oder anderen Hinsicht mehr hätte vorstellen können. Es ist aber so, wie es ist. Das ist ein Kompromiss, den wir guten Gewissens heute hier mittragen können. Ich möchte das Augenmerk aber auf einen anderen Punkt lenken, der in dieser Diskussion leider etwas untergeht - er klang in der heutigen Debatte nur selten an -: Wir machen mit diesem Gesetz einen weiteren wichtigen Schritt zur Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft insgesamt, insbesondere aber der energieintensiven Wirtschaft. ({1}) Der erste Schritt war das Energiewirtschaftsgesetz, mit dem wir im letzten Jahr bei den Netznutzungsentgelten eine Ausnahmeregelung für die stromintensiven Industrien geschaffen haben. Von ihr wird rege Gebrauch gemacht. Im zweiten Schritt haben wir - wie in der Koalitionsvereinbarung vorgesehen - mit der Härtefallregelung beim EEG einen wesentlichen Beitrag zur Entlastung der energieintensiven Unternehmen geleistet. Das sind 100 Millionen Euro mehr für die deutsche Wirtschaft - Gesamtbetrag: 400 Millionen Euro -, die in diesem Jahr, rückwirkend zum 1. Januar 2006, wirksam werden. Heute machen wir den dritten Streich. Bei der Ökosteuer waren bisher nur ein ermäßigter Steuersatz von 60 Prozent und ein Spitzenausgleich vorgesehen. Heute werden wir bestimmte Herstellungsprozesse und -verfahren in der energieintensiven Industrie vollständig von der Energie- und Stromsteuer befreien. Dann können wir Unternehmen, die zum Beispiel in den Bereichen Glas-, Keramik-, Zement- oder Kalkverarbeitung tätig sind, die diese Materialien herstellen oder weiterverarbeiten, von der Steuer befreien. Das bedeutet eine zusätzliche Entlastung der deutschen Wirtschaft in Höhe von 60 Millionen Euro. Das Bundeskabinett hat gestern - vierter Schritt - den NAP II, den Nationalen Allokationsplan für den Emissionshandel verabschiedet. Er enthält einen differenzierten Erfüllungsfaktor, durch den wir gewährleisten, dass weitere Windfall-Profits und Einpreisungen nicht stattfinden. Auch damit verfolgen wir das Ziel, zu einem Rückgang der Emissionshandelspreise zu kommen. In einem fünften Schritt, dem Beimischungsgesetz - die Diskussion darüber steht unmittelbar im Herbst an -, werden wir für weitere Entlastungen der energieintensiven Unternehmen sorgen. Damit leisten wir nicht nur einen direkten Beitrag zur Sicherung von 600 000 gefährdeten Arbeitsplätzen in der energieintensiven Industrie, sondern wir entlasten auch indirekt die Haushalte und den normalen Verbraucher, der nämlich die zusätzlichen Netznutzungskosten und Netznutzungsentgelte zu tragen hätte, wenn diese Arbeitsplätze wegfallen würden ({2}) und wenn wir die energieintensive Industrie in Deutschland verlieren würden, die akut in Gefahr ist, mit 20, 25 oder 30 Prozent des Stromverbrauches abzuwandern. Damit leisten wir auch einen Beitrag zum Klimaschutz hier und vermeiden eine Verlagerung ins Ausland, wo weniger Klimaschutz besteht. Heute ist ein guter Tag für die Zukunft der Biokraftwirtschaft und für die Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie im Allgemeinen. Deshalb können wir dem Gesetzentwurf zustimmen. Wir sind davon überzeugt, dass es in die richtige Richtung geht. Vielen Dank. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Besteuerung von Energieerzeugnissen und zur Änderung des Stromsteuergesetzes, Druck- sachen 16/1172 und 16/1347. Zu dieser Abstimmung gibt es Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung der Kollegin und der Kol- legen Dr. Axel Berg, Gabriele Groneberg, Albert Rup- precht, Martin Gerster, Hermann Scheer und Dr. Wolfgang Wodarg.1) Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe a sei- ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/2007, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu gibt es einen Änderungsantrag der Fraktion 1) Anlage 12 Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/2068, über den wir zuerst abstimmen. Die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen verlangt hierzu namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen besetzt? - Das scheint mir der Fall zu sein. Dann eröffne ich die Abstimmung. Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, welches seine Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das scheint nicht der Fall zu sein. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses unterbreche ich die Sitzung. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt: Insgesamt wurden 555 Stimmen abgegeben. Mit Ja haben gestimmt 53 Abgeordnete, mit Nein haben gestimmt 396 Abgeordnete. Es gab 106 Enthaltungen. Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 555; davon ja: 53 nein: 396 enthalten: 106 Ja SPD Dr. Axel Berg Martin Gerster Renate Gradistanac Dr. Karl Lauterbach Anton Schaaf Gert Weisskirchen ({0}) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Volker Beck ({1}) Cornelia Behm Matthias Berninger Grietje Bettin Alexander Bonde Ekin Deligöz Dr. Thea Dückert Dr. Uschi Eid Hans-Josef Fell Kai Gehring Anja Hajduk Britta Haßelmann Peter Hettlich Priska Hinz ({2}) Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Ute Koczy Sylvia Kotting-Uhl Undine Kurth ({3}) Markus Kurth Monika Lazar Anna Lührmann Kerstin Müller ({4}) Winfried Nachtwei Claudia Roth ({5}) Krista Sager Elisabeth Scharfenberg Irmingard Schewe-Gerigk Rainder Steenblock Silke Stokar von Neuforn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Jürgen Trittin Wolfgang Wieland Nein CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Peter Albach Thomas Bareiß Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({6}) Dr. Christoph Bergner Clemens Binninger Carl-Eduard von Bismarck Peter Bleser Antje Blumenthal Jochen Borchert Wolfgang Börnsen ({7}) Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Michael Brand Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Monika Brüning Georg Brunnhuber Gitta Connemann Hubert Deittert Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Anke Eymer ({8}) Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Enak Ferlemann Hartwig Fischer ({9}) Dirk Fischer ({10}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Dr. Hans-Peter Friedrich ({11}) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Dr. Peter Gauweiler Norbert Geis Eberhard Gienger Ralf Göbel Peter Götz Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg Holger Haibach Ursula Heinen Uda Carmen Freia Heller Michael Hennrich Jürgen Herrmann Bernd Heynemann Peter Hintze Robert Hochbaum Klaus Hofbauer Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Susanne Jaffke Dr. Peter Jahr Dr. Hans-Heinrich Jordan Andreas Jung ({12}) Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({13}) Volker Kauder Eckart von Klaeden Jürgen Klimke Jens Koeppen Kristina Köhler ({14}) Manfred Kolbe Norbert Königshofen Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Martina Krogmann Johann-Henrich Krummacher Dr. Hermann Kues Dr. Karl A. Lamers ({15}) Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Ingbert Liebing Dr. Klaus W. Lippold Patricia Lips Dr. Michael Luther Stephan Mayer ({16}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz Laurenz Meyer ({17}) Maria Michalk Philipp Mißfelder Dr. Eva Möllring Marlene Mortler Carsten Müller ({18}) Stefan Müller ({19}) Bernward Müller ({20}) Dr. Gerd Müller Hildegard Müller Bernd Neumann ({21}) Henry Nitzsche Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Rita Pawelski Dr. Peter Paziorek Ulrich Petzold Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Daniela Raab Thomas Rachel Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Peter Rauen Eckhardt Rehberg Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Johannes Röring Kurt J. Rossmanith Dr. Christian Ruck Albert Rupprecht ({22}) Peter Rzepka Anita Schäfer ({23}) Hermann-Josef Scharf Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Georg Schirmbeck Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({24}) Andreas Schmidt ({25}) Ingo Schmitt ({26}) Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Kurt Segner Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Christian Freiherr von Stetten Gero Storjohann Andreas Storm Max Straubinger Thomas Strobl ({27}) Michael Stübgen Antje Tillmann Arnold Vaatz Volkmar Uwe Vogel Andrea Astrid Voßhoff Gerhard Wächter Marco Wanderwitz Marcus Weinberg Peter Weiß ({28}) Gerald Weiß ({29}) Karl-Georg Wellmann Anette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Matthias Wissmann Dagmar Wöhrl Willi Zylajew SPD Dr. Lale Akgün Gregor Amann Gerd Andres Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Ernst Bahr ({30}) Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Sören Bartol Sabine Bätzing Dirk Becker Uwe Beckmeyer Klaus Uwe Benneter Ute Berg Petra Bierwirth Lothar Binding ({31}) Volker Blumentritt Gerd Bollmann Dr. Gerhard Botz Klaus Brandner Bernhard Brinkmann ({32}) Edelgard Bulmahn Marco Bülow Ulla Burchardt Martin Burkert Dr. Michael Bürsch Christian Carstensen Dr. Peter Danckert Dr. Herta Däubler-Gmelin Karl Diller Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Detlef Dzembritzki Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Annette Faße Gabriele Fograscher Rainer Fornahl Dagmar Freitag Peter Friedrich Iris Gleicke Günter Gloser Angelika Graf ({33}) Dieter Grasedieck Monika Griefahn Kerstin Griese Gabriele Groneberg Achim Großmann Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann ({34}) Nina Hauer Reinhold Hemker Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Petra Heß Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz ({35}) Gerd Höfer Iris Hoffmann ({36}) Frank Hofmann ({37}) Eike Hovermann Klaas Hübner Christel Humme Brunhilde Irber Johannes Jung ({38}) Josip Juratovic Johannes Kahrs Ulrich Kasparick Dr. h.c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Hans-Ulrich Klose Dr. Bärbel Kofler Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Rolf Kramer Ernst Kranz Volker Kröning Angelika Krüger-Leißner Dr. Hans-Ulrich Krüger Jürgen Kucharczyk Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Dr. Uwe Küster Christian Lange ({39}) Waltraud Lehn Gabriele Lösekrug-Möller Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Markus Meckel Petra Merkel ({40}) Ulrike Merten Dr. Matthias Miersch Ursula Mogg Marko Mühlstein Detlef Müller ({41}) Michael Müller ({42}) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Dr. Rolf Mützenich Thomas Oppermann Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Christoph Pries Dr. Wilhelm Priesmeier Dr. Sascha Raabe Steffen Reiche ({43}) Maik Reichel Gerold Reichenbach Christel RiemannHanewinckel Walter Riester Sönke Rix René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({44}) Michael Roth ({45}) Marlene Rupprecht ({46}) Axel Schäfer ({47}) Bernd Scheelen Marianne Schieder Otto Schily Silvia Schmidt ({48}) Dr. Frank Schmidt Heinz Schmitt ({49}) Carsten Schneider ({50}) Ottmar Schreiner ({51}) Swen Schulz ({52}) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. Martin Schwanholz Rita Schwarzelühr-Sutter Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Andreas Steppuhn Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Joachim Stünker Dr. Rainer Tabillion Jörg Tauss Jella Teuchner Dr. h.c. Wolfgang Thierse Jörn Thießen Franz Thönnes Hans-Jürgen Uhl Rüdiger Veit Simone Violka Jörg Vogelsänger Dr. Marlies Volkmer Hedi Wegener Petra Weis Gunter Weißgerber Dr. Rainer Wend Lydia Westrich Dr. Margrit Wetzel Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Engelbert Wistuba Dr. Wolfgang Wodarg Waltraud Wolff ({53}) Heidi Wright Uta Zapf Manfred Zöllmer FDP Gudrun Kopp Enthalten CDU/CSU Josef Göppel SPD Hans Eichel Lothar Mark Andrea Nahles FDP Jens Ackermann Dr. Karl Addicks Christian Ahrendt Daniel Bahr ({54}) Uwe Barth Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Patrick Döring Mechthild Dyckmans Jörg van Essen Ulrike Flach Paul K. Friedhoff Horst Friedrich ({55}) Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Miriam Gruß Joachim Günther ({56}) Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Dr. Heinrich L. Kolb Hellmut Königshaus Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Ina Lenke Sabine LeutheusserSchnarrenberger Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Hans-Joachim Otto ({57}) Cornelia Pieper Gisela Piltz Jörg Rohde Dr. Konrad Schily Dr. Max Stadler Florian Toncar Christoph Waitz Dr. Claudia Winterstein Hartfrid Wolff ({58}) DIE LINKE Karin Binder Dr. Lothar Bisky Heidrun Bluhm Eva Bulling-Schröter Roland Claus Dr. Diether Dehm Werner Dreibus Klaus Ernst Diana Golze Heike Hänsel Lutz Heilmann Cornelia Hirsch Inge Höger-Neuling Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Dr. Hakki Keskin Katja Kipping Monika Knoche Jan Korte Oskar Lafontaine Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Ulrich Maurer Dorothee Menzner Kornelia Möller Kersten Naumann Wolfgang Nešković Dr. Norman Paech Bodo Ramelow Elke Reinke Paul Schäfer ({59}) ({60}) Dr. Herbert Schui Dr. Petra Sitte Dr. Kirsten Tackmann Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Jörn Wunderlich fraktionslos Gert Winkelmeier Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der überwiegenden Mehrheit der Stimmen der SPD-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktionen der FDP und von Bündnis 90/Die Grünen und dem Großteil der PDS-Fraktion angenommen. ({61}) - Ich habe bei Ihnen einen gesehen, der sich enthalten hat, ganz ruhig! ({62}) - Entschuldigung, das tut mir sehr Leid! ({63}) Verzeihung, das war wirklich ein Versehen! Ich habe mich jetzt so darauf konzentriert, wer in welcher Fraktion wie gestimmt hat. Also, noch einmal: „… und einer großen Mehrheit der Linksfraktion“. Einige Abgeordnete der SPD haben dagegen gestimmt und einige AbgeVizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt ordnete der SPD sowie ein Abgeordneter der Linksfraktion haben sich enthalten. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist bei Zustimmung der CDU/CSU-Fraktion und des Großteils der SPD-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktionen von FDP, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke sowie einer Gegenstimme aus der SPD-Fraktion angenommen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/2039. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen des Großteils der Koalition bei Enthaltung der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke sowie einiger Abgeordneter der SPD-Fraktion sowie bei Zustimmung der FDP-Fraktion abgelehnt. Ich komme jetzt zum Tagesordnungspunkt 8 b. Beschlussempfehlung des Finanzausschusses auf Drucksache 16/2007 zu dem Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel „Biokraftstoffe intelligent fördern - Steuerbegünstigung erhalten“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung, den Antrag auf Drucksache 16/583 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition und der FDP-Fraktion bei Gegenstimme der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen und Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 8 c. Abstimmung über den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/1895 ({64}) mit dem Titel „Biokraftstoffe nachhaltig fördern“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Gegenstimmen? - Ent- haltungen? - Dieser Antrag ist bei Zustimmung der Fraktion Die Linke, bei Gegenstimmen der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der FDP und bei Enthal- tung von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und der Fraktion der LINKEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch - Drucksache 16/856 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({65}) - Drucksache 16/1208 - Berichterstattung: Abgeordnete Anette Kramme b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({66}) zu dem Antrag der Abgeordneten Hartfrid Wolff ({67}), Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Innere Sicherheit durch Regelungen zum Arbeitskampfrecht gewährleisten - Drucksachen 16/953, 16/1208 Berichterstattung: Abgeordnete Anette Kramme Über den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke werden wir später namentlich abstimmen. Es ist verabredet, eine halbe Stunde hierüber zu debattieren. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe der Kollegin Anette Kramme, SPD-Fraktion, das Wort. ({68})

Anette Kramme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003162, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die FDP ist in tiefer Sorge um die innere Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland. ({0}) Es drohen nämlich Invasionen von Ratten und auch die Vogelgrippe wird sich epidemiehaft über ganz Deutschland ausbreiten, wenn Verdi streikt. ({1}) Ich glaube, hier spricht eher der Wolf im Großmutterkostüm, der das Rotkäppchen, nämlich die Tarifautonomie, fressen will. Meine Damen und Herren, Sie wissen doch sehr genau, dass die Gewerkschaften verpflichtet sind, Notdienste bei Streiks einzurichten. Wird kein Notdienst eingerichtet und ergeben sich daraus konkrete Gefährdungslagen für die Allgemeinheit, so steht es im pflichtgemäßen Ermessen der Polizei, hier einzuschreiten. Darüber hinaus haften die Gewerkschaften zivilrechtlich für etwaigen Schaden. Das heißt, es liegt im ureigenen Interesse der Tarifvertragspartei, Regelungen zu treffen. ({2}) Meine Damen und Herren von der FDP, die Intention Ihres Antrags ist offenbar: Sie brauchen mal wieder einen Aufhänger, Ihrer Forderung nach Einschränkung der Arbeitnehmerrechte Nachdruck zu verleihen. Es ist doch wenig glaubhaft, wenn ausgerechnet Herr Westerwelle, der den öffentlichen Dienst am liebsten komplett privatisieren möchte, anlässlich des aktuellen Streiks panisch ruft, es werde im öffentlichen Dienst jede Hand gegen die Ausbreitung der Vogelgrippe gebraucht. Sie versuchen ein ums andere Mal, die Tarifautonomie zu kappen, die Gewerkschaften zu schwächen und die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einzuschränken. Anders ist es wohl nicht zu erklären, dass Herr Brüderle unlängst forderte, das Streikgeld zu besteuern. Das ist doch der blanke Hohn. Die einzige Absicht, die sich hinter dieser Forderung verbirgt, ist, in die Medien zu kommen und die Stimmung gegen die Gewerkschaften anzuheizen. Ich erinnere auch an Ihren aktuellen Antrag, wonach ein Antrag beim Arbeitsgericht zur Einsetzung eines Wahlvorstandes bei Betriebsratswahlen ({3}) der Unterschriftsleistung durch 25 Prozent der Arbeitnehmer des Betriebs bedürfen soll. Und wenn die Welt untergeht, die FDP wird weiterhin versuchen, die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu beschneiden. Ich weiß ja, dass Dinge, die einem nicht gefallen, schnell vergessen werden. Aber zumindest die Grundrechte sollte man als Abgeordneter kennen. ({4}) Sie erinnern sich vielleicht dunkel an Art. 9 Grundgesetz. Ferner empfehle ich Ihnen die Lektüre des Bundesverfassungsgerichtsurteils vom 2. März 1993: Mit der grundrechtlichen Garantie der Tarifautonomie wird ein Freiraum gewährleistet, in dem Arbeitnehmer und Arbeitgeber ihre Interessen gegenseitig in eigener Verantwortung austragen können. ({5}) Diese Freiheit findet ihren Grund in der historischen Erfahrung, dass auf diese Weise eher Ergebnisse erzielt werden, die den Interessen der widerstreitenden Gruppen und dem Gemeinwohl gerecht werden, als bei einer staatlichen Schlichtung. Die Ihrerseits intendierte Kodifikation des Arbeitskampfrechtes, über die man theoretisch reden könnte, erfordert ein Mindestmaß an gesellschaftlichem Konsens. Die gesellschaftlichen Gruppen sind hier aber tief gespalten. ({6}) Das wird auch hier im Hause ständig offenbar. Ich bezweifle daher intensiv, dass von einem Arbeitskampfgesetz in irgendeiner Weise eine befriedende Funktion ausgehen könnte. ({7}) Es hat sich daher bewährt, dass die Rechtsprechung Regelungen für die Führung von Arbeitskämpfen entwickelt hat, an denen sich die Praxis orientieren kann. Meine Damen und Herren von der Linken, ({8}) Sie stehen der FDP in Sachen Populismus in nichts nach. ({9}) Offensichtlich ernst ist es Ihnen mit Ihrem Gesetzentwurf nicht. Ihr Geschäftsordnungsantrag in der ersten Lesung hat Ihrer Forderung nicht unbedingt Glaubwürdigkeit verliehen. Wenn Sie es wirklich Ernst meinen würden, dann hätten Sie sich die Mühe machen müssen, Ihren Gesetzentwurf rechtlich, insbesondere verfassungsrechtlich überprüfen zu lassen. ({10}) Stattdessen haben Sie ein paar Schubladen aufgezogen und einen unbrauchbaren alten Entwurf der PDS hervorgezogen. Es hakt hier an allen Ecken und Enden. Sie wollen, dass die Bundesagentur für Arbeit im Rahmen des § 146 SGB III - früher § 116 AFG - wieder die Entscheidung über die Neutralität von Lohnersatzzahlungen treffen soll. Es handelt sich hier aber um eine grundrechtsrelevante Entscheidung; Art. 9 und Art. 14 Grundgesetz sind betroffen. Deshalb darf diese Verwaltungsentscheidung nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht der Verwaltung überlassen werden. Es ist also Sache des Bundesgesetzgebers, das selbst zu regeln. Praktisch ist auch nicht mehr zu erwarten, dass sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Rahmen der Selbstverwaltung auf eine Neutralitätsanordnung einigen. Ihr Vorschlag ist den Gewerkschaften deshalb keine Hilfestellung. Bevor Sie eine Zwischenfrage anmelden: Ja, die damalige Neuregelung hat der SPD natürlich Bauchschmerzen bereitet. Das Bundesverfassungsgericht hat die Bestimmung jedoch gerade noch als verfassungsgemäß deklariert. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes ist natürlich kein Freibrief. Wir werden sehr genau darauf achten, dass die Kräfteparität der Tarifvertragsparteien nicht durch § 146 SGB III beeinträchtigt wird. Wenn die Streikfähigkeit der Gewerkschaften durch § 146 SGB III beeinträchtigt werden sollte, dann werden wir handeln. Wir brauchen nämlich starke Gewerkschaften in diesem Lande. ({11}) Auf das Instrument Streik wird in Deutschland nur selten zurückgegriffen. Deutschland zeichnet sich im internationalen Vergleich durch einen hohen sozialen Frieden aus. In den Jahren 1993 bis 2003 fielen im Durchschnitt nur drei Streiktage pro 1 000 Arbeitnehmer an. In Italien waren es dagegen 60 Tage, in Frankreich 100 Tage und in Dänemark - man erwartet das nicht sage und schreibe 178 Tage. Das sollten auch Sie, meine Damen und Herren von der FDP, endlich zur Kenntnis nehmen. Stattdessen legen Sie immer wieder dieselbe kaputte Schallplatte auf und behelligen uns mit unnötigen Anträgen. Ich bedanke mich ganz herzlich. ({12})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat der Kollege Hartfrid Wolff, FDP-Fraktion. ({0})

Hartfrid Wolff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003866, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Leben und die körperliche Unversehrtheit sind hohe Güter, die seitens des Staates geschützt werden müssen. Der ehemalige Präsident des Bundesarbeitsgerichts, Thomas Dieterich - in der SPD sicherlich kein Unbekannter -, weist in seinen Kommentierungen des Streikrechts darauf hin, dass jeder Streik dort seine Grenzen finden muss, wo erhebliche Verfassungsgüter beeinträchtigt sind. ({0}) Dies ist unbestritten, sei es durch die Gelehrten Wolfgang Däubler und Manfred Löwisch, sei es durch die Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts oder des Bundesverfassungsgerichts. Wenn wie im letzten Winter durch Streikmaßnahmen direkt und vor allem indirekt Gefährdungen für die Bürgerinnen und Bürger eintreten, dann ist das zulässige Maß überschritten. Das ist nicht mehr hinnehmbar. ({1}) Als Verdi Anfang des Jahres Winterdienste bestreikte, stieg die Anzahl der Verkehrsunfälle zum Beispiel in Bayern und Baden-Württemberg nachweislich deutlich an. ({2}) Rettungsdienste und Feuerwehren konnten aufgrund der Straßenverhältnisse nicht zum Einsatzort kommen. Die Polizei war massiv eingeschränkt. In Stuttgart musste damals, weil chaotische Verhältnisse auftraten, die Polizei einen von Verdi bestreikten Betriebshof befreien, damit der Winterdienst durchgeführt werden konnte. ({3}) - Hören Sie zu, Frau Kumpf! Das wäre nicht schlecht. Dass die Gewerkschaften hiergegen gerichtliche Schritte eingeleitet haben, war dreist. ({4}) Es gilt, in solchen Fällen Rechtssicherheit und eindeutige Regelungen für die Polizei und die Bürgerinnen und Bürger zu schaffen. Durch den Streik der Müllabfuhr ergaben sich Zustände, die in Zeiten der wieder steigenden Verbreitung von Tierseuchen inakzeptabel sind und das als Nebenfolge der zivilrechtlichen Auseinandersetzung zwischen den Tarifparteien. Das ist den Menschen nicht mehr vermittelbar, Frau Kramme. Sagen Sie bitte einem Unfallopfer ins Gesicht, dass es nicht möglich sein soll, es auch in Streikzeiten versorgen und schützen zu können! Die Tarifautonomie ist ein verfassungsrechtliches Gut aus Art. 9 des Grundgesetzes. Das möchte auch niemand infrage stellen. Die FDP steht zur Tarifautonomie. ({5}) Es kommt auf die jeweiligen Streikmittel im Einzelfall an, die verhältnismäßig sein müssen. Das Grundrecht auf Vereinigungsfreiheit und die Tarifautonomie können - im konkreten Fall muss immer die Abwägung mit wichtigen Rechtsgütern erfolgen - nicht schrankenlos gewährt werden. Ich verstehe nicht ganz, warum die Kollegen insbesondere auf der linken Seite des Plenums Bedenken haben. Aus meiner Sicht ist es erforderlich und auch verfassungspolitisch geboten, klare Regelungen zu schaffen. Durch die fehlenden gesetzlichen Regelungen ist die Rechtsprechung gezwungen, die Grenzen der richterlichen Entscheidungslegitimation bis zum Äußersten zu beanspruchen. Im Klartext: Wir brauchen auch an dieser Stelle klare Regelungen. ({6}) Deshalb bitte ich Sie, der Beschlussempfehlung des Ausschusses nicht zu folgen und somit dem Antrag der FDP zuzustimmen. Lassen Sie mich noch einige Worte zu dem Gesetzentwurf der Linken sagen. Die Linken gehen damit in die völlig falsche Richtung. Der Gesetzentwurf ist ein Schritt in die tiefe Vergangenheit. ({7}) Wie immer fordern die Linken Leistungen und schweigen über die Gegenfinanzierung. Durch diesen Vorschlag würden die Ausgaben für die Bundesagentur für Arbeit steigen und Gelder zur Finanzierung von Streiks eingesetzt werden. Damit würden durch die Beiträge aller die Streiks mitfinanziert und Beitragserhöhungen wären die Folge. Eine Steigerung der Lohnnebenkosten passt nicht in die heutige konjunkturelle Entwicklung; ({8}) sie darf erst recht nicht zur Finanzierung von Arbeitskämpfen erfolgen. Dies ist ein Weg, den wir als Freie Demokraten klar ablehnen. Für uns steht nämlich die Schaffung von Arbeitsplätzen im Vordergrund. Wir brauchen eine nachhaltige Entlastung von Steuern und Abgaben. Das sage ich in diesem Hause, wo heute Morgen Entsprechendes beschlossen wurde. Gerade die Lohnnebenkosten gängeln die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland. Es gibt keinen vernünftigen Grund, dem Gesetzentwurf der Linken zuzustimmen. Gleichzeitig bitte ich Sie, Hartfrid Wolff ({9}) auch die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu unserem Antrag abzulehnen. ({10}) - Ganz einfach: Eine doppelte Ablehnung soll Ihnen allen die Entscheidung erleichtern. Jedenfalls werden wir von der FDP-Fraktion das tun. ({11})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat der Kollege Paul Lehrieder, CDU/CSUFraktion. ({0})

Paul Lehrieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn zu einer bestehenden gesetzlichen Regelung die Kritik von links und von rechts gleichermaßen kommt, dann kann die bestehende gesetzliche Regelung so schlecht nicht sein. ({0}) Es ist immer wieder interessant zu sehen, wie sich unsere Opposition redlich am Streikrecht abarbeitet. Die Anträge der FDP und der Linken haben heute einträchtig die Endrunde, das Finale, erreicht. Das war es dann auch schon mit den Gemeinsamkeiten. Die Linkspartei - deren Mitglieder heute Nachmittag von einem Redner zutreffend als Manager des Misserfolgs bezeichnet wurden - will das Rad der Gesetzgebung ohne Not um 20 Jahre zurückdrehen und sich bei den Gewerkschaften anbiedern. ({1}) - Herr Lafontaine, Sie kommen nach mir dran. Sie können jetzt einmal den Mund halten. ({2}) Die Liberalen versuchen, uns vor den Auswüchsen des Arbeitskampfs zu schützen. Das ist zwar gut gemeint, aber überflüssig. ({3}) Unsere lieben Kollegen auf der linken Seite versuchen, Problemen von heute mit Mitteln von 1969 gerecht zu werden. Sie stellen die Gewerkschaften als bemitleidenswerte Opfer des § 146 SGB III dar und ignorieren völlig, dass es dabei nie darum ging, das Gleichgewicht zwischen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften im Arbeitskampf zu verändern. Die 1986 beschlossene Neuregelung des früheren § 116 AFG sollte die neutrale Rolle des Staates und der Bundesagentur für Arbeit im Arbeitskampf sichern - nicht mehr und nicht weniger. Ihr Hinweis auf das Bundesverfassungsgerichtsurteil von 1995, das den Gesetzgeber auffordert, die Tarifautonomie bei ungleicher Kampfstärke der Tarifvertragsparteien zu schützen, läuft somit ins Leere. Die Tarifautonomie wäre gerade dann bedroht, wenn der Staat hier nicht zur Neutralität verpflichtet wäre. Aus diesem Grund erhalten auch nur die Leistungen, die am Arbeitskampf beteiligt sind, also die Streikenden. Das gilt auch für diejenigen, welche die gleichen Forderungen erheben und vom Ergebnis des Arbeitskampfs profitieren, aber nicht selbst streiken. Wenn im mittelbar betroffenen Gebiet dieselben Ziele verfolgt werden, dann ruhen die Ansprüche nach der Neutralitätsordnung. Es kann nicht sein, dass eine Gewerkschaft mit zwei Gruppen ein und dasselbe Ziel verfolgt, mit einer Gruppe, die sie streiken lässt, und mit einer anderen Gruppe, die sie sich von der Bundesagentur bezahlen lässt. Wir wollen, dürfen und können Stellvertreterstreiks nicht finanziell unterstützen. ({4}) Die Gewährung von Kurzarbeitergeld an so genannte kalt Ausgesperrte verstößt grundsätzlich gegen die Neutralität der Bundesagentur, deren Mittel von Arbeitnehmern und Arbeitgebern gemeinsam aufgebracht werden. Die Solidarität der mittelbar betroffenen Arbeitnehmer mit den aktiv Streikenden würde gestärkt, der Arbeitskampf würde so einseitig beeinflusst. Würden wir den Tarifpartnern ermöglichen, jedes Arbeitskampfrisiko auf die Bundesagentur abzuwälzen, dann würden sie auch bestimmen, wann wir die Beiträge erhöhen müssten. Wenn die Linksfraktion behauptet, die Streikkassen wären innerhalb weniger Tage leer, wenn sie an „kalt ausgesperrte“ Mitglieder zahlen müssten, dann sollte sie auch Folgendes bedenken: Die Arbeitslosenversicherung kann, wie jede Schadensversicherung, ein entsprechendes Arbeitskampfrisiko schon deshalb nicht tragen, weil ihre Mittel ebenfalls bei einem Schwerpunktstreik innerhalb weniger Monate erschöpft wären. Am Ende stünden höhere Lohnnebenkosten, teurere Arbeit und weniger Jobs. Unser Ziel, die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung von 6,5 Prozent auf 4,5 Prozent über die Mehrwertsteuererhöhung zu senken, könnten wir so dank tätiger Mithilfe unserer Opposition nie erreichen. Zu den aktuellen Zahlen. Sie haben es heute Morgen sicherlich vernommen: Wir haben derzeit 383 000 Arbeitslose weniger als im Vorjahreszeitraum. ({5}) - Ich finde, diese Zahl verdient durchaus Beifall, auch von der Linkspartei. - Wir haben 49 000 Erwerbstätige mehr als im Vorjahreszeitraum. Wir haben 4 000 sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse mehr. Das ist der erste Monat mit einem saisonbereinigten Zuwachs in dieser Höhe. ({6}) Es ist, wie an diesem Pult bereits mehrfach ausgeführt, eine Schwalbe, die noch keinen Sommer macht; aber es ist eine zarte Pflanze am Arbeitsmarkt. Wir sind angetreten mit dem Motto: Sozial ist, was Arbeit schafft. Der beginnende Aufschwung am Arbeitsmarkt würde durch die nunmehr auch von der Linkspartei geforderte Gesetzesänderung konterkariert. Ich möchte sagen: Wir können uns diesen beginnenden Aufschwung nicht durch arbeitsmarktpolitische Brandstifter zerstören lassen. ({7}) Eine allgemeine Subvention von Arbeitskämpfen und ihre Folgen würden die Gewerkschaften zu Quasistaatsapparaten machen. Das kann aber niemand wollen, der es mit freien Gewerkschaften ernst meint. Ich sehe den Kollegen Lafontaine; weiter hinten sitzt der Kollege Ernst. Der Staat würde zum Mitbestimmer. Wer für die Folgen eintreten müsste, würde auch über die Ursachen mitreden wollen. Die Neutralität der Bundesagentur ist wichtig für die Tarifautonomie, damit die Beschäftigten sich nicht in einer Lage wiederfinden, in der ihre Arbeitskämpfe fortdauernd von Gerichtsverfahren begleitet werden; sonst wären sie in der Gefahr, dass Leistungen unter Vorbehalt ausgezahlt werden mit dem Risiko der Rückzahlung. Genau dieses Risiko wird durch § 146 SGB III eingedämmt. Im Gesetzentwurf der Linkspartei heißt es: § 146 SGB III verhindert daher die Chancengleichheit der Tarifvertragspartner und behindert so die Gewerkschaften, an einer sinnvollen Organisation des Arbeitslebens mitzuwirken. Dabei wird das bestehende Druckpotenzial der Gewerkschaften völlig unterschlagen. Ein Rückfall in die Regelung von 1969 trägt den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen der heutigen Zeit nicht Rechnung. Sie geben auch keine Antwort auf die Frage, wie unter den aktuellen Bedingungen der Arbeitskampf am Leben erhalten werden kann, ohne dass er zum Vernichtungskampf wird. Der Antrag der Linkspartei lässt die selbst ernannten Verteidiger der Arbeiterklasse leider traurig aussehen. Die Frage, ob Ihnen Arbeitnehmerinteressen und Tarifautonomie wirklich am Herzen liegen, beantworten Sie mit Ihrem Gesetzentwurf und der heutigen Aktuellen Stunde dagegen mit einem klaren und deutlichen Nein. Nicht viel besser geht es aber auch unseren Freunden, den Liberalen. ({8}) - Ja, jetzt komme ich zu euch. - Während die Linkspartei auf neue Freunde im Gewerkschaftslager schielt, will die FDP genau die am liebsten an die Leine legen. Ihre Sorge um das Gemeinwohl ist so ehrenhaft wie schwammig. Ihr Antrag stellt allerdings ebenfalls die Tarifautonomie infrage. Wer entscheidet denn, wann Streikmaßnahmen eine Gefahr für verfassungsrechtlich geschützte Rechtsgüter darstellen? Wer sind denn die „zuständigen Stellen“, die bei Arbeitskämpfen Maßnahmen zu ergreifen haben, um die Notfallversorgung der Bevölkerung sicherzustellen? Hier wird doch nach mehr Staat gerufen. Ihr liberales Selbstverständnis, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, scheint nicht sehr tragfähig zu sein. ({9}) Sie verkennen zudem, dass wir in den Landesstrafund Verordnungsgesetzen bereits Regelungen haben, die die öffentliche Sicherheit und Ordnung auch im Falle eines Streiks ausreichend aufrechterhalten. Auch frühere Arbeitskämpfe haben sicherlich Unannehmlichkeiten für die Bevölkerung mit sich gebracht. Sie konnten aber letztendlich beigelegt werden, ohne dass ein über die gegenwärtigen Regelungen hinausgehendes Eingreifen des Staates nötig oder die innere Sicherheit in Gefahr gewesen wäre. Vor permanenten Streiks, wie sie in anderen Ländern häufig stattfinden, hat uns nicht zuletzt auch die Tarifautonomie bewahrt. ({10}) - Ich habe noch zwei Minuten und 40 Sekunden; aber ich werde eine Minute verschenken. - Eine Art Notstandsgesetzgebung für Arbeitskämpfe kann doch ernsthaft niemand wollen. Auch der Streik im öffentlichen Dienst zu Beginn dieses Jahres hat gezeigt: Bevor ein Arbeitskampf die innere Sicherheit ernsthaft gefährden kann, gilt: Letztlich entscheiden der immer vorhandene Wunsch nach einer praktikablen Lösung und nicht zuletzt die Geduld der Menschen über seine Länge. Ich habe noch zwei Minuten und 18 Sekunden. Die schenke ich dem Plenum, weil zu Beginn meiner Rede die Uhr nicht richtig lief und ich etwas mehr Zeit bekommen habe, als mir zustand. Danke schön. ({11})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Dann wären wir, jedenfalls theoretisch, bei einer Schlusszeit von etwa 4.28 Uhr. ({0}) Ich gebe das Wort dem Kollegen Oskar Lafontaine, Fraktion Die Linke. ({1})

Oskar Lafontaine (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002715, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn es noch Zweifel daran gab, ob es richtig war, diesen Punkt auf die Tagesordnung zu setzen, sind sie ausgeräumt; denn die bisherige Debatte hat gezeigt, dass es notwendig war. ({0}) Die Vorredner haben versäumt, auch nur mit einem Wort zu erwähnen, worum es überhaupt geht. Es geht weder um die Linkspartei noch um die FDP. Es geht auch nicht um das Streikrecht der Gewerkschaften. Es geht noch nicht einmal um die Gewerkschaften. Es geht einzig und allein um die Frage, warum wir in Deutschland eine solch miserable Lohnentwicklung haben und warum der Satz „Leistung soll sich wieder lohnen“ in Deutschland keine Geltung mehr hat. ({1}) Über diese Frage reden wir heute. Dass Ihnen entgangen ist, dass wir in Deutschland eine Lohnentwicklung haben, die unter allen Industriestaaten beispiellos ist, zeigt wirklich exemplarisch, wie abgehoben Sie mittlerweile sind. ({2}) Während in den anderen Industriestaaten Wachstum und Beschäftigung einigermaßen in Ordnung sind, während beispielsweise in den letzten Jahren in den Vereinigten Staaten, der Hochburg des Kapitalismus, eine Reallohnentwicklung von plus 20 Prozent zu verzeichnen war, während es in Großbritannien, das uns immer wieder als Beispiel vorgehalten wird, eine Reallohnentwicklung von plus 25 Prozent gab - so ebenfalls in Schweden -, hatten wir in Deutschland ein Minus von 0,9 Prozent. ({3}) Da reden Sie hier von der grundgesetzlich garantierten Tarifautonomie und von einer Waffengleichheit. Wenn die Arbeitnehmer am wachsenden Wohlstand nicht mehr beteiligt werden, dann ist Waffengleichheit in diesem Land längst nicht mehr gegeben. ({4}) Es wäre schön gewesen, wenn die SPD das irgendwie mitbekommen hätte. Nun ist die Frage: Was kann man vonseiten der Politik machen? Natürlich haben wir nicht die direkte Zuständigkeit in Fragen der Tarifautonomie. Aber es ist doch überhaupt keine Frage, dass die Gewerkschaften in diesem Land mit dem Rücken an der Wand stehen und auch durch Gesetze dieses Hohen Hauses erheblich geschwächt worden sind. Wenn man die Gewerkschaften schwächen will, muss man eine neoliberale Wirtschaftsund Finanzpolitik machen, um die Arbeitslosigkeit kräftig zu steigern. Darin waren Sie, und zwar Sie alle, in den letzten Jahren sehr erfolgreich, was für die Bevölkerung äußerst bedauerlich ist. ({5}) Wenn man die Gewerkschaften schwächen will, dann muss man Gesetze wie Hartz IV verabschieden, die dazu führen, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Betrieben Angst haben, dann, wenn sie arbeitslos werden, nach einem Jahr auf Hartz IV zurückzufallen. Das schwächt die Widerstandskraft dieser Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Betrieben. ({6}) Deshalb darf man nicht stolz darauf sein, verehrte Frau Kollegin, dass die Zahl der Streiktage hier so gering ist, während sie in allen anderen Ländern, wo die Löhne auch viel stärker wachsen, wesentlich höher ist. Wenn man in diesem Land wirklich etwas bewirken will, was Wachstum und Beschäftigung angeht, dann muss man zumindest die Bedeutung der Lohnentwicklung für Wachstum und Beschäftigung und für unsere Volkswirtschaft wieder entdecken. Es ist wirklich abenteuerlich, dass diejenigen, die hier bisher für die Fraktionen argumentiert haben, die Bedeutung der Lohnentwicklung für Wachstum und Beschäftigung völlig ausgeblendet haben. ({7}) Damit sind wir einmalig unter allen Industriestaaten in der Welt. Die Sprecherin der SPD hat uns Populismus vorgeworfen; darauf möchte ich eingehen. Natürlich hatten wir eine Absicht, als wir diesen Gesetzentwurf vorgelegt haben, ({8}) die Absicht nämlich, Ihnen, verehrte Kolleginnen und Kollegen der SPD, wieder in Erinnerung zu rufen, dass die Forderung nach einer Änderung dieses Paragrafen Zentrum vieler Wahlkämpfe der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands war. ({9}) Sie sollten sich schämen, dass Sie dies vergessen haben. ({10}) Als wir 1998 eine Zustimmung von über 40 Prozent der Wählerinnen und Wähler erreicht haben, war es noch so, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie ihre Vertreterinnen und Vertreter Vertrauen in die Sozialdemokratische Partei Deutschlands hatten. Die Argumentation heute hat gezeigt, dass Sie dieses Vertrauen auf klägliche Art und Weise verspielt haben. ({11}) Ich darf Sie daran erinnern, dass Sie heute wiederum einen Kompromiss mit Ihrem Koalitionspartner geschlossen haben, mit dem Sie noch viel Freude haben werden. Ich bewundere das strategische politische Genie, das bei der SPD mittlerweile eingezogen ist. Sie haben heute die Verbandsklage aus dem Antidiskriminierungsgesetz wieder mehr oder weniger herausgenommen. Das war wiederum ein Kompromiss zulasten der Gewerkschaften. Das ist wirklich eine enorme Fehlentwicklung, wie ich hier einmal feststellen möchte. ({12}) Wir fassen zusammen, meine sehr geehrten Damen und Herren: ({13}) Sie werden es irgendwann noch feststellen, dass Ihr Feixen und Grinsen angesichts der Tatsache, dass in diesem Lande die Lohnentwicklung immer weiter zurückfällt und die Arbeitnehmerschaft immer weniger am wachsenden Wohlstand beteiligt wird, völlig deplatziert sind. Dieses Parlament wäre aufgrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts verpflichtet, die Gewerkschaften in diesem Lande wieder zu stärken. ({14})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat Brigitte Pothmer für Bündnis 90/Die Grünen.

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Wolff, Herr Lafontaine, die von Ihnen vorgelegten Anträge und vor allen Dingen das, was Sie heute hier in Ihren Reden präsentiert haben, kann man, wie ich glaube, sozusagen als Koalition der Billigen bezeichnen: billig in der Form und billig im Inhalt. ({0}) Die einen halten die Gewerkschaften für stark und wollen sie weiter stärken, die anderen halten die Gewerkschaften für schwach und wollen sie weiter schwächen. Eine solche Politik, wie sie in Ihren Anträgen zum Ausdruck kommt, trägt allerdings keineswegs zur Steigerung der Seriosität von Politik bei. Herr Lafontaine, Sie beschreiben die Lohnentwicklung in Deutschland. Ich möchte Sie daran erinnern, dass die Neuregelung des Streikparagrafen 20 Jahre zurückliegt. In dieser Zeit verlief die Lohnentwicklung in Deutschland zunächst nicht so, wie Sie sie beschrieben haben. Indem Sie den Eindruck erwecken, dass die Änderung dieses Paragrafen zu der ungünstigen Lohnentwicklung geführt habe, zeigen Sie nur, welch schlichte und einfache Weltsicht Sie haben, meine Damen und Herren von den Linken. ({1}) Sie können hier ruhig behaupten, bei Ihrem Gesetzentwurf gehe es nicht um die Linkspartei. Ich sage nur: In diesem Entwurf geht es nur um die Linkspartei. ({2}) Ich möchte noch etwas anderes in Erinnerung rufen, nachdem Sie hier im Grunde schon den Niedergang der Gewerkschaften beschworen haben. Ihren Gesetzentwurf, in dem Sie behaupten, es gebe eine entscheidende Schwächung der Gewerkschaften, haben Sie eingebracht, während die Metalltarifrunde lief. Herausgekommen ist dabei jedoch ein Plus von 3 Prozent, ({3}) herausgekommen ist ein Qualifizierungsvertrag, herausgekommen sind eine Menge positiver Entwicklungen. ({4}) Eine Gewerkschaft, die gar nichts mehr im Rücken hat, hätte so etwas sicher nicht durchgesetzt. ({5}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich nun etwas zum FDP-Antrag sagen. Dieser ist doch irgendwie absurd. Hier wird so getan, als ob Streiks im öffentlichen Dienst Seuchen, Notstandsszenarien und anderes - was auch immer Sie sich ausdenken - hervorriefen. ({6}) Also Hysterie auf der linken, Marktradikalismus auf der rechten Seite. Ich glaube, vor diesem Hintergrund ist es gut, dass wir Grünen jedenfalls beiden Anträgen nicht zustimmen. ({7}) Sie, Herr Lafontaine, unterstellen eine strukturelle Benachteiligung der Gewerkschaften. Ich finde, darüber muss man tatsächlich einmal reden. ({8}) - Ja, das finde ich. - Wenn Sie aber hier den Eindruck erwecken, dies sei mit einer Änderung des § 146 zu beheben, dann kann ich nicht umhin, Ihnen Populismus vorzuwerfen. Wenn wir den § 146 wieder ändern, dann stärken wir ein Stück weit die Bereiche, in denen die Gewerkschaften schon stark sind, also da, wo sie in Branchen tätig sind, die hochgradig vernetzt sind. Aber für die Bereiche, wo die Gewerkschaften schwach sind, zum Beispiel bei den in der Gastronomie tätigen Frauen, die kaum organisiert sind, tun Sie gar nichts. Genau das werfe ich Ihnen vor. ({9}) Sie tragen den Interessenkonflikt in eine Behörde, in die Bundesagentur für Arbeit. Dort treffen dann das Arbeitgeber- und das Arbeitnehmerlager aufeinander. Auf eine solche Weise lässt sich meiner Meinung nach keine vernünftige Politik machen. ({10}) Ich komme zum Schluss. ({11}) Wir haben 4 Millionen Arbeitslose, wir haben 2 Millionen Langzeitarbeitslose. Die Koalition streitet sich, macht nichts in der Arbeitsmarktpolitik. Mindestlohn, Kombilohn - die einen wollen dies, die anderen das. ({12}) Es lohnt sich, sich damit auseinander zu setzen. Das ist unsere Aufgabe. Diese Art von populistischen Anträgen bringt uns nicht weiter. Ich danke Ihnen. ({13})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich habe schon befürchtet, dass gleich La-Ola-Wellen angestimmt werden. Bevor das geschieht, kommen wir aber zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Frak- tion Die Linke zur Änderung des Dritten Buches Sozial- gesetzbuch auf Drucksache 16/856. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/1208, den Ge- setzentwurf abzulehnen. Die Fraktion Die Linke ver- langt namentliche Abstimmung. Ich weise darauf hin, dass wir jetzt über den Gesetzentwurf abstimmen. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen be- setzt? - Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstim- mung. Haben jetzt alle abgestimmt? - Ich gehe davon aus, dass kein anwesender Kollege noch nicht abgestimmt hat, und schließe die Abstimmung. Ich bitte die Schrift- führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird später be- kannt gegeben. Wir setzen die Abstimmungen fort. Tagesordnungspunkt 9 b: Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales, Drucksache 16/1208, zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „In- nere Sicherheit durch Regelungen zum Arbeitskampf- recht gewährleisten“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung, den Antrag auf Drucksache 16/953 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Ent- haltungen? - Ich bin mir nicht ganz sicher, wie die Frak- tion des Bündnisses 90/Die Grünen abgestimmt hat. - Ablehnend. Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der gesamten Opposition angenommen. Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 10 a und 10 b auf: a) - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Laurenz Meyer ({0}), Veronika Bellmann, Klaus Brähmig, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Rainer Wend, Doris Barnett, Klaus Barthel, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zum Abbau bürokratischer Hemmnisse insbesondere in der mittelständischen Wirtschaft - Drucksache 16/1407 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zum Abbau bürokratischer Hemmnisse insbesondere in der mittelständischen Wirtschaft - Drucksachen 16/1853, 16/1970 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({1}) - Drucksache 16/2017 - Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Rainer Wend b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({2}) zu dem Antrag der Abgeordneten Martin Zeil, Rainer Brüderle, Paul K. Friedhoff, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Statistikpflichten zurückführen - Bürokratiekosten senken - Drucksachen 16/1167, 16/2017 Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Rainer Wend Zur dritten Beratung des Gesetzentwurfes liegen je ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP sowie der Fraktion Die Linke vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Zuerst hat der Kollege Laurenz Meyer, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. ({3})

Laurenz Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003592, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir sind uns untereinander alle darüber im Klaren, dass der Hauptteil der Bürokratiekosten in der Wirtschaft vom Mittelstand zu tragen ist. Das liegt schon an der Struktur der mittelständischen Unternehmen. Von den Bürokratieanforderungen sind dann ausgerechnet immer diejenigen betroffen, die eigentlich den Betrieb tragen sollen. ({0}) Das ist eine zusätzliche Erschwernis, auf die wir ein besonderes Augenmerk haben sollten, wenn wir auch in den kommenden Monaten weiter über Bürokratieabbau reden. Bürokratie belastet Investitionen, Arbeitsplätze, Wirtschaftswachstum. Durch Bürokratieabbau können alle nur gewinnen. Wenn durch Bürokratieabbau auch Laurenz Meyer ({1}) 20 Milliarden Euro Kosten abgebaut werden können, dann bedeutet das zusätzliche Steuereinnahmen für den Staat. Wir sollten uns freuen, wenn wir hier Erfolge erzielen können. Wir haben vor vier Wochen hier den Normenkontrollrat und das Standardkostenmodell beschlossen. Der Normenkontrollrat wird zeitnah eingesetzt und zügig mit der Arbeit beginnen. Die Vorbereitungen sind in vollem Gange. Nun wollen wir erste konkrete Maßnahmen beschließen, die Ihnen heute mit dem Gesetzentwurf vorliegen. Sie sollen rechtzeitig zum Sommer in Kraft treten. Zu diesen Maßnahmen gehört zum Beispiel eine maßvolle Anhebung des Beschäftigungsschwellenwertes bei der Bestellung von Datenschutzbeauftragten. Schon dieser Punkt zeigt, mit welchen Problemen und Diskussionen wir uns zu beschäftigen haben; denn selbst für Kleinbetriebe werden hier beispielsweise europarechtliche Fragen aufgeworfen. Wir müssen dieses Problem an der Wurzel anpacken und auch einen begrenzten Konflikt mit Brüssel wagen; wir müssen als Parlament deutlich machen, dass wir nicht gewillt sind, von Brüssel regeln zu lassen, welche Statistiken Betriebe mit zehn oder 20 Beschäftigten in Deutschland abzugeben haben ({2}) oder ob wir bestimmte Bewegungen per Umfragen ermitteln. Ich nenne einmal, was wir jetzt beschlossen haben: Aussetzung der Gehalts- und Lohnstrukturerhebung in 2007, die Anhebung der Buchführungspflichtgrenze und Ausweitung der Kleinbetragsrechnung im Umsatzsteuerrecht. Ich will auf die gute Zusammenarbeit mit dem Arbeits- und Sozialministerium verweisen und einen Punkt besonders hervorheben. Wenn wir schon die vorgezogenen Zahlungen für die Sozialversicherungsbeiträge aus finanziellen Gründen nicht haben rückgängig machen können, so sollten wir wenigstens das Verfahren so unbürokratisch wie eben möglich machen, indem die Beiträge pauschal auf der Basis der Zahlungen des Vormonats gezahlt werden. Die Bertelsmann-Stiftung hat die Auswirkungen dieses Bürokratieproblems einmal exemplarisch durchgerechnet. Die Ergebnisse liegen uns vor. Bitte hören Sie einmal genau zu: Die Bürokratie, die mit diesem Vorgang verbunden ist, kostet die deutsche Wirtschaft 800 Millionen Euro zusätzlich. Gott sei Dank kann diese Bürokratie beseitigt werden. Herr Berninger, da Sie gleich wahrscheinlich behaupten, es gehe alles nicht weit genug, will ich Ihnen sagen, dass man daran sehen kann, welchen Quatsch Sie damals beschlossen haben. ({3}) Deswegen sollten Sie sich in der kommenden Diskussion nicht zu weit vorwagen, sondern konstruktiv an dem mitarbeiten, was wir uns gemeinsam vorgenommen haben. Ich fordere alle auf, bei der Erstellung von Vorschlägen mitzuarbeiten. Wir werden alle Vorschläge darauf abklopfen, ob sie umsetzbar sind. Wir wollen zum Herbst das Mittelstandsentlastungsgesetz in einer zweiten Stufe weiterentwickeln. Meine dringende Bitte an die Ministerien ist, dass hier konstruktiv mitgearbeitet wird. Die bisherigen Stellungnahmen sind einfach nicht ausreichend. ({4}) Es darf nicht bei dem Satz bleiben, es gebe europarechtliche Bedenken. Denn die Kollegen im Europaparlament sagen uns, dass dies nicht der Fall ist. Wir müssen die offenen Fragen rechtzeitig klären. Die Punkte liegen auf dem Tisch. Ich bitte alle Beteiligten, die strittigen Fragen jetzt zu klären. Wir müssen alle gemeinsam in Europa vorstellig werden, um die Dinge zu ändern. Wenn wir es jetzt nicht schaffen, dann müssen wir eben, wie Frau Merkel dies angekündigt hat, den Bürokratieabbau zum Schwerpunktthema ihrer Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2007 machen. Wir haben aus diesen Gründen jetzt zum Beispiel nicht beschließen können - wir wollen das aber in einem zweiten Schritt unbedingt tun und werden uns da zur Not auf diesen begrenzten Konflikt einlassen, wie ich es vorhin schon gesagt habe -, dass Existenzgründer in den ersten drei Jahren von der Pflicht zur Erstellung von Statistiken freigestellt werden. ({5}) Es kann nicht sein, dass einem solchen Vorhaben europäische Vorschriften entgegenstehen. Wir sollten einem solchen Konflikt im Interesse der deutschen Bevölkerung nicht aus dem Weg gehen und gemeinsam nach Lösungen suchen. Im Übrigen gilt: In jedem anderen Bereich der Republik erfolgt die Datenermittlung über Stichprobenerhebungen, Meinungsbefragungen usw. Warum kann man nicht bei Unternehmen bis zu 50 Beschäftigten alle benötigten Statistiken weitestgehend auf diese Weise erstellen? Damit müssen sich kleinere Betriebe nicht quälen. Auf der anderen Seite gilt: Wenn die Betriebe die Erstellung dieser Statistiken nicht ernst nehmen - was ich höre, deutet eher darauf hin -, dann führt dies zu einem unbrauchbaren Datenbestand. Viele Betriebe wollen dazu übergehen, an Stelle des Chefs, der dafür seine kostbare Zeit nicht opfern will, irgendeinen Mitarbeiter, der irgendetwas aufschreibt, mit dieser Aufgabe zu betrauen. Wenn das so ist, dann ist die Statistik nicht aussagekräftig und wird auch nicht gebraucht. ({6}) Deswegen sollten wir hier wirklich mit dem Rasenmäher herangehen und den Normenkontrollrat bei seiner Arbeit tatkräftig unterstützen. Laurenz Meyer ({7}) Mit Blick auf das zweite Mittelstandsentlastungsgesetz möchte ich schon jetzt sagen: Wir sollten unmittelbar an der Arbeit bleiben. Es sollte auch kein Schlusspunkt sein, sondern nur einen weiteren Schritt darstellen. Der Bürokratieabbau, diese Maßnahmen für den Mittelstand in Deutschland sind eine Aufgabe für die ganze Legislaturperiode. Wir müssen Schritt um Schritt versuchen, das Geflecht der Bürokratie auseinander zu reißen. Ich will darüber hinaus auf einen Punkt aus der Koalitionsvereinbarung hinweisen. In der Koalitionsvereinbarung zwischen SPD und CDU/CSU steht auch, dass wir den neuen Ländern Möglichkeiten der Abweichung von gesetzlichen Bestimmungen des Bundes gewähren wollen. Auch das kann zusätzlich ein guter Weg sein, um dieses Geflecht zu durchkreuzen. Wir haben jetzt erlebt, dass sich Betroffene und Beamte, die mit diesen Themen beschäftigt sind, selbst bei den ersten Maßnahmen, die wir getroffen haben, zur Wehr setzen. Das wird ein schwieriger Kampf. Wir hören auch, dass selbst bei Maßnahmen, die wir für die Bauindustrie bzw. das Baugewerbe treffen wollen, als Erstes der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes seine Bedenken vorträgt. Wir wissen, dass Architekten und Ingenieure, wenn in der Bauordnung Vereinfachungen vorgenommen werden sollen, entsprechend Einspruch einlegen. Gegen die Mentalität in Deutschland, dass man für alles einen Stempel haben will, ehe man anfängt, zu arbeiten, müssen wir gemeinsam in diesem Parlament antreten. Ich wünsche uns bei dieser Arbeit viel Erfolg. Das erste Mittelstandsentlastungsgesetz ist ein Beginn, aber kein Ende dieser Arbeit. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch bekannt: Abgegebene Stimmen 551. Mit Ja haben gestimmt 52 Abgeordnete, mit Nein haben gestimmt 498 Abgeordnete. Es gab eine Enthaltung. Endgültiges Ergebnis Abgegebenen Stimmen: 551; davon ja: 52 nein: 498 enthalten: 1 Ja DIE LINKE Karin Binder Dr. Lothar Bisky Heidrun Bluhm Eva Bulling-Schröter Roland Claus Dr. Diether Dehm Werner Dreibus Klaus Ernst Diana Golze Heike Hänsel Lutz Heilmann Cornelia Hirsch Inge Höger-Neuling Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Dr. Hakki Keskin Katja Kipping Monika Knoche Jan Korte Oskar Lafontaine Michael Leutert Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Ulrich Maurer Dorothee Menzner Kornelia Möller Kersten Naumann Wolfgang Nešković Dr. Norman Paech Bodo Ramelow Elke Reinke Paul Schäfer ({0}) ({1}) Dr. Herbert Schui Dr. Petra Sitte Dr. Kirsten Tackmann Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Jörn Wunderlich fraktionslos Gert Winkelmeier Nein CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Peter Albach Thomas Bareiß Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({2}) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Clemens Binninger Carl-Eduard von Bismarck Peter Bleser Antje Blumenthal Jochen Borchert Wolfgang Börnsen ({3}) Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Michael Brand Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Monika Brüning Georg Brunnhuber Gitta Connemann Hubert Deittert Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Anke Eymer ({4}) Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Enak Ferlemann Hartwig Fischer ({5}) Dirk Fischer ({6}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Dr. Hans-Peter Friedrich ({7}) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Dr. Peter Gauweiler Norbert Geis Eberhard Gienger Ralf Göbel Dr. Reinhard Göhner Josef Göppel Peter Götz Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg Holger Haibach Ursula Heinen Uda Carmen Freia Heller Michael Hennrich Jürgen Herrmann Bernd Heynemann Peter Hintze Robert Hochbaum Klaus Hofbauer Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Susanne Jaffke Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Dr. Peter Jahr Dr. Hans-Heinrich Jordan Andreas Jung ({8}) Dr. Franz Josef Jung Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({9}) Volker Kauder Eckart von Klaeden Jürgen Klimke Jens Koeppen Kristina Köhler ({10}) Manfred Kolbe Norbert Königshofen Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Martina Krogmann Johann-Henrich Krummacher Dr. Hermann Kues Dr. Karl A. Lamers ({11}) Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Ingbert Liebing Dr. Klaus W. Lippold Patricia Lips Dr. Michael Luther Stephan Mayer ({12}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz Laurenz Meyer ({13}) Maria Michalk Philipp Mißfelder Dr. Eva Möllring Marlene Mortler Carsten Müller ({14}) Stefan Müller ({15}) Bernward Müller ({16}) Dr. Gerd Müller Hildegard Müller Bernd Neumann ({17}) Henry Nitzsche Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Rita Pawelski Dr. Peter Paziorek Ulrich Petzold Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Daniela Raab Thomas Rachel Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Peter Rauen Eckhardt Rehberg Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Johannes Röring Kurt J. Rossmanith Dr. Christian Ruck Albert Rupprecht ({18}) Peter Rzepka Anita Schäfer ({19}) Hermann-Josef Scharf Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Georg Schirmbeck Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({20}) Andreas Schmidt ({21}) Ingo Schmitt ({22}) Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Kurt Segner Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Christian Freiherr von Stetten Gero Storjohann Andreas Storm Max Straubinger Thomas Strobl ({23}) Michael Stübgen Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Uwe Vogel Andrea Astrid Voßhoff Gerhard Wächter Marco Wanderwitz Marcus Weinberg Peter Weiß ({24}) Gerald Weiß ({25}) Karl-Georg Wellmann Anette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Willi Zylajew SPD Dr. Lale Akgün Gregor Amann Gerd Andres Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Ernst Bahr ({26}) Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Sören Bartol Sabine Bätzing Dirk Becker Uwe Beckmeyer Klaus Uwe Benneter Dr. Axel Berg Ute Berg Petra Bierwirth Lothar Binding ({27}) Volker Blumentritt Gerd Bollmann Dr. Gerhard Botz Klaus Brandner Bernhard Brinkmann ({28}) Edelgard Bulmahn Marco Bülow Ulla Burchardt Martin Burkert Dr. Michael Bürsch Christian Carstensen Dr. Peter Danckert Dr. Herta Däubler-Gmelin Karl Diller Martin Dörmann Detlef Dzembritzki Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Hans Eichel Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Annette Faße Gabriele Fograscher Rainer Fornahl Dagmar Freitag Peter Friedrich Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Renate Gradistanac Angelika Graf ({29}) Dieter Grasedieck Monika Griefahn Kerstin Griese Gabriele Groneberg Achim Großmann Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann ({30}) Nina Hauer Reinhold Hemker Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Petra Heß Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz ({31}) Gerd Höfer Iris Hoffmann ({32}) Frank Hofmann ({33}) Eike Hovermann Klaas Hübner Christel Humme Brunhilde Irber Johannes Jung ({34}) Josip Juratovic Johannes Kahrs Ulrich Kasparick Dr. h.c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Hans-Ulrich Klose Dr. Bärbel Kofler Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Rolf Kramer Ernst Kranz Volker Kröning Angelika Krüger-Leißner Dr. Hans-Ulrich Krüger Jürgen Kucharczyk Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Dr. Uwe Küster Christian Lange ({35}) Dr. Karl Lauterbach Waltraud Lehn Gabriele Lösekrug-Möller Lothar Mark Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Markus Meckel Petra Merkel ({36}) Ulrike Merten Dr. Matthias Miersch Ursula Mogg Marko Mühlstein Detlef Müller ({37}) Michael Müller ({38}) Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Thomas Oppermann Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Christoph Pries Dr. Wilhelm Priesmeier Dr. Sascha Raabe Steffen Reiche ({39}) Maik Reichel Gerold Reichenbach Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Christel RiemannHanewinckel Walter Riester Sönke Rix René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({40}) Michael Roth ({41}) Marlene Rupprecht ({42}) Anton Schaaf Axel Schäfer ({43}) Bernd Scheelen Marianne Schieder Otto Schily Silvia Schmidt ({44}) Dr. Frank Schmidt Heinz Schmitt ({45}) Carsten Schneider ({46}) Reinhard Schultz ({47}) Swen Schulz ({48}) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. Martin Schwanholz Rita Schwarzelühr-Sutter Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Andreas Steppuhn Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Joachim Stünker Dr. Rainer Tabillion Jörg Tauss Jella Teuchner Dr. h.c. Wolfgang Thierse Jörn Thießen Franz Thönnes Hans-Jürgen Uhl Rüdiger Veit Simone Violka Jörg Vogelsänger Dr. Marlies Volkmer Hedi Wegener Petra Weis Gunter Weißgerber Gert Weisskirchen ({49}) Dr. Rainer Wend Lydia Westrich Dr. Margrit Wetzel Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Engelbert Wistuba Dr. Wolfgang Wodarg Waltraud Wolff ({50}) Heidi Wright Uta Zapf Manfred Zöllmer FDP Jens Ackermann Dr. Karl Addicks Christian Ahrendt Daniel Bahr ({51}) Uwe Barth Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Patrick Döring Mechthild Dyckmans Jörg van Essen Ulrike Flach Paul K. Friedhoff Horst Friedrich ({52}) Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Miriam Gruß Joachim Günther ({53}) Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Dr. Heinrich L. Kolb Hellmut Königshaus Gudrun Kopp Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Ina Lenke Sabine LeutheusserSchnarrenberger Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Hans-Joachim Otto ({54}) Gisela Piltz Jörg Rohde Dr. Konrad Schily Dr. Max Stadler Florian Toncar Christoph Waitz Dr. Claudia Winterstein Hartfrid Wolff ({55}) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Volker Beck ({56}) Cornelia Behm Matthias Berninger Grietje Bettin Alexander Bonde Ekin Deligöz Dr. Thea Dückert Dr. Uschi Eid Hans-Josef Fell Kai Gehring Anja Hajduk Britta Haßelmann Peter Hettlich Priska Hinz ({57}) Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Ute Koczy Sylvia Kotting-Uhl Undine Kurth ({58}) Markus Kurth Monika Lazar Anna Lührmann Winfried Nachtwei Claudia Roth ({59}) Krista Sager Elisabeth Scharfenberg Irmingard Schewe-Gerigk Rainder Steenblock Silke Stokar von Neuforn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Jürgen Trittin Wolfgang Wieland Enthalten SPD Ottmar Schreiner Zugleich möchte ich mich für das Protokoll korrigieren. Ich habe beim Tagesordnungspunkt 9 b fälschlicherweise gesagt, die Fraktion Die Linke habe gegen die Beschlussempfehlung betreffend Drucksache 16/953 gestimmt. Sie hat ihr aber zugestimmt. Ich gebe jetzt das Wort dem Kollegen Martin Zeil, FDP-Fraktion. ({60})

Martin Zeil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003868, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Mittelstand in Deutschland stellt weit über 90 Prozent aller Unternehmen. Er tätigt 41 Prozent aller steuerpflichtigen Umsätze, bietet 70 Prozent aller Arbeitsplätze und bildet über 80 Prozent aller Lehrlinge aus. Die meisten Mittelständler handeln verlässlich mit hohem persönlichem Risiko. ({0}) - Ich weiß, dass das für einen Sozialdemokraten etwas Neues sein kann. - Sie sind heimatverbunden, auch wenn sie längst global agieren - und das mit großem Erfolg. ({1}) Sie unterscheiden sich dadurch von vielen Großunternehmen, die ständig Arbeitsplätze abbauen, Standorte verlagern und sich gravierende Managementfehler leisten. Kein Wunder also, dass der Mittelstand in den Sonntagsreden fast aller Politiker einen großen Raum einnimmt. In einigen Fraktionen gibt es sogar Mittelstandsvereinigungen und mittelstandspolitische Sprecher. So müsste sich der deutsche Mittelstand eigentlich gut aufgehoben, gehegt und gepflegt fühlen. Doch die Befindlichkeit bei vielen Mittelständlern ist eine ganz andere. Bei meinen Betriebsbesuchen und Gesprächen treffe ich auf Unternehmer, die sich durch Ideenreichtum, hohe Professionalität und soziale Verantwortung für ihre Mitarbeiter auszeichnen. Großes Vertrauen in die Politik und die Lippenbekenntnisse haben diese Leute aber nicht. Die meisten sagen: Wir wünschen uns, dass sich der Staat auf seine eigentlichen Aufgaben beschränkt und sich nicht immer neue Regelungen und Belastungen ausdenkt. Sie wünschen sich zum Beispiel eine Reform des Arbeitsrechts, das Hürden für Einstellungen endlich abbaut, statt neue aufzubauen. Viele gut ausgebildete junge Menschen, die wir im Mittelstand als Nachwuchs dringend benötigen, verlassen jährlich unser Land, im letzten Jahr fast eine viertel Million. Sie tun dies, weil ihnen unser Land in seiner politischen Behäbigkeit und seiner Regelungswut offensichtlich keine attraktive Perspektive bietet. Diese Entwicklung ist ein Besorgnis erregender Beleg für die mangelnde Zukunftsfähigkeit unseres Landes. Vor diesem Hintergrund, meine Damen und Herren von der Koalition, bleibt das so genannte Mittelstandsentlastungsgesetz weit hinter den Notwendigkeiten zurück. ({2}) Mit den paar Regelungen - die ja nicht falsch sind - geben Sie dem Mittelstand eine Beruhigungspille, um davon abzulenken, dass Sie gleichzeitig neue Belastungen und neue Bürokratie einführen, gerade heute mit der Verabschiedung des Gleichbehandlungsgesetzes. ({3}) Typisch ist auch die Regelung bei der Abführung der Sozialversicherungsbeiträge. Statt, Herr Kollege Meyer, den frechen Griff in die Liquidität der Unternehmen rückgängig zu machen, lassen Sie diese gravierende Belastung stehen und machen ein bisschen Abrechnungsvereinfachung. ({4}) Nein, die große Entfesselungsoffensive ist das nicht. Wenn auch aus Kreisen der Koalition selbst die mangelnde Mitwirkung des Ministeriums gerügt wird, dann ist das ein Armutszeugnis für dieses Ministerium. Aus dem Tiger in der Presse, dem großen Entfesselungsgesetz, ist ein kleines Mäuslein geworden. Ich zitiere: Die Union verliere ihre Glaubwürdigkeit, „wenn sie öffentlich Freiheit predigt und in der großen Koalition Staatswirtschaft praktiziert.“ Das sagt immerhin Herr Schlarmann, der Vorsitzende Ihrer Mittelstandsvereinigung. ({5}) Wir haben mit unserem Änderungs- und Entschließungsantrag gezeigt - wie übrigens auch der Bundesrat in seinen Anmerkungen -, was aus der Sicht des Mittelstandes nötig und auch sofort umsetzbar wäre. Aber dazu braucht es natürlich Einsicht, Kraft und auch Kenntnis der betrieblichen Praxis. Nach einigen Monaten im Deutschen Bundestag kann ich es gut nachvollziehen, wenn viele Unternehmer den Eindruck haben, dass viele Politiker von den echten Problemen leider viel zu wenig Ahnung haben. Sie können von uns keine Zustimmung zu Ihrem Mittelstandsentlastungsgesetz erwarten. Sie werden auch kein Vertrauen gewinnen, wenn Sie gleichzeitig neue Belastungen durchsetzen oder ankündigen: Mehrwertsteuer, Reichensteuer, mehr Staat in der Gesundheitspolitik und jetzt eine Unternehmensteuerreform, die von der Gewinn- zur Substanzbesteuerung übergeht. Ihre Politik ist halbherzig und widersprüchlich. Da beklagen Sie heute in der Aktuellen Stunde die Ausbildungssituation in unserem Land und haben nicht die Kraft, ebendie Unternehmen, die ausbilden sollen, von bürokratischen Lasten wirklich zu befreien. Es gibt - lassen Sie mich das zum Abschluss sagen in diesem Hause leider viel zu viele staatsgläubige Fraktionen, ({6}) für die Bürokratieabbau ein hoheitlicher Gnadenakt und kein Herzensanliegen ist. ({7}) Wir Liberale sehen in einer echten Entlastung des Mittelstands von Bürokratie und Belastungen ein Freiheits- und Zukunftsthema schlechthin. Wir werden nicht locker lassen und werden darauf drängen, dass den Unternehmen Verbesserungen nicht nur in Presseerklärungen der Union, sondern auch im Bundesgesetzblatt endlich spürbar geboten werden. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat der Kollege Christian Lange, SPD-Fraktion.

Christian Lange (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003168, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Zeil, ich muss fast sagen, ich bin Ihnen dankbar ob Ihres Beitrages, weil er mir Gelegenheit gibt, deutlich zu machen, dass es einen Unterschied gibt zwischen dem Bürokratieabbau auf der einen Seite und dem Abbau materiellen Rechts auf der anderen Seite. Ich will Ihnen ganz deutlich sagen: Genau dies ist auch der Grund, warum es Ihnen während Ihrer Regierungszeit - selbst ich als jüngerer Kollege habe 16 Jahre Ihrer Zeit unter Helmut Kohl erlebt und auch noch ein paar Jahre sozialliberale Zeit - nicht gelungen ist, Bürokratie abzubauen. Erstmals - das ist die Chance, die diese große Koalition ergriffen hat - ist es gelungen, die gegenseitige ideologische Blockade aufzuheben, indem man deutlich macht: Bürokratieabbau hat etwas damit zu tun, die Christian Lange ({0}) bürokratischen Informationslasten der Unternehmen zu reduzieren. Das ist es, worunter kleine Unternehmen in der Tat leiden: Sie müssen Hunderte von Formularen ausfüllen und können die Dinge nicht mehr verstehen und nachvollziehen, weil sie - anders als die Großunternehmen - keine Abteilung dafür haben. Genau das zu ändern, ist Aufgabe von Bürokratieabbau, und nicht der Abbau von Arbeitsrecht, Kündigungsschutz und dergleichen. ({1}) Deshalb haben wir übrigens in Richtung Niederlande - das will ich deutlich sagen - geschaut. In den Niederlanden - das sage ich auch gerichtet an die Kolleginnen und Kollegen von der PDS - ist es gelungen, dieses Gesetz im Parlament einstimmig durchzusetzen. Warum? Weil man nicht in die ideologische Sackgasse gegangen ist, dass man eigentlich materielles Recht anspricht, es aber mit Bürokratieabbau bemäntelt. Dieses Misstrauen schlägt dieser Diskussion entgegen. Ich bedauere ausdrücklich, dass Sie diese Vorurteile immer wieder beliefern. Ich dachte eigentlich, dass wir auf einem besseren Weg wären. Ich bin dankbar, dass die Koalitionsfraktionen diesen besseren Weg ungeachtet der Kritik, die meines Erachtens vorbeigeht, gehen. Herr Kollege Meyer, Ihren Bemerkungen zur Janusköpfigkeit der Verbände stimme ich ausdrücklich zu. Wir erleben in der Tat immer wieder, insbesondere auf europäischer Ebene, dass auf der einen Seite Entbürokratisierung gepredigt und auf der anderen Seite ein Mehr an Bürokratie verlangt wird. Wir erleben das in vielfältigen Zusammenhängen bei den Verbänden in unserem Land, aber auch hinsichtlich der Anforderungen der Europäischen Union an uns. Deshalb ist es richtig, dass wir in einem ersten Schritt - das ich sage ausdrücklich - Statistik-, Nachweis-, Dokumentations- und Buchführungspflichten reduzieren, Planungs- und Genehmigungsverfahren vereinfachen und beschleunigen, Doppel- und Mehrfachprüfungen abbauen, Schwellenwerte vereinheitlichen, die Verpflichtung von Betrieben zur Bestellung von Beauftragten begrenzen sowie die begonnene Vereinfachung der betriebsärztlichen und sicherheitstechnischen Betreuung von Kleinbetrieben fortführen. Wie erfolgreich Bürokratieabbau sein kann, zeigt in der Tat das jüngste Beispiel des Arbeits- und Sozialministers Müntefering. Erstmals wurde, ohne dass das Gesetz zu diesem Zeitpunkt schon in Kraft war, das so genannte Standardkostenmodell eingesetzt, mit dem ermittelt wird, in welcher Höhe Kosten für den Mittelstand entstehen, wenn eine gesetzliche Neuregelung zur Anwendung kommt. Ich will diesen Fall ein bisschen ausführen, weil er deutlich macht, wie absurd die Kritik der FDP ist. In diesem speziellen Fall geht es um die Vorverlegung der Fälligkeit von Sozialversicherungsbeiträgen, die seit Anfang dieses Jahres in Kraft ist. Viele Kolleginnen und Kollegen können aufgrund der Erfahrungen in ihren Wahlkreisen die Kritik der Handwerker, der kleinen und mittleren Unternehmer sicher gut nachvollziehen und haben sie noch voll im Ohr. Diese Regelung war von Anfang an heiß umstritten und wurde heftig kritisiert. Aber sie schien im Grunde unausweichlich, um einen drohenden Beitragssatzanstieg in der Rentenversicherung zu vermeiden. Deshalb haben die heutigen Koalitionsfraktionen - die CDU/CSU war damals noch in der Opposition - zugestimmt. Seit der Vorverlegung der Beitragsfälligkeit zu Beginn dieses Jahres sind Unternehmen verpflichtet, Beitragsnachweise mehrere Tage vor Monatsende zu melden. Da insbesondere in den Branchen mit schwankenden Bezügen und Bezahlung auf Stundenlohnbasis, beispielsweise in der Gastronomie oder im Baugewerbe, der endgültige Lohn vor dem Monatsende noch nicht feststeht, müssen viele Betriebe regelmäßig zunächst eine Prognose abgeben und wenige Tage später eine Korrektur vornehmen, was erheblichen Mehraufwand verursacht. Das kann in der Tat nicht gewollt sein. Nun greift diese Berechnungsmethode. Das hat nichts damit zu tun, das Ziel des Gesetzes abzuändern. Herr Zeil, deswegen war Ihr Beispiel vom Allgemeinen Gleichstellungsgesetz falsch; denn wenn diese Methode, die jetzt im Zusammenhang mit den Sozialversicherungsbeiträgen angewandt wird, auf das Allgemeine Gleichstellungsgesetz angewandt würde, würden wir einen Handlungsfaden bekommen, wie wir das Allgemeine Gleichstellungsgesetz noch besser durchsetzen könnten, damit es noch viel effektiver wirken könnte. Das ist das Ziel des Standardkostenmodells. Es geht nicht darum, das gesetzgeberisch vorgegebene Ziel in Zweifel zu ziehen, sondern es besser zur Entfaltung zu bringen. Genau das ist bei den Sozialversicherungsbeiträgen geschehen. Wie ist das geschehen? Die IHK Bonn/ Rhein-Sieg hat darauf aufmerksam gemacht, dass die Mehrbelastung den Vorteil der Vorverlegung der Beitragssatzfälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge erheblich überschreiten und von Dauer sein würde. Außerdem hat sie festgestellt, dass nicht alle Unternehmen von dieser Mehrbelastung gleichmäßig betroffen wären. Während knapp die Hälfte der Unternehmen so gut wie nicht betroffen ist, tragen die anderen die Mehrbelastung. Das kann nicht Sinn und Zweck der Geschichte sein. Es wurde in der Tat berechnet - Kollege Meyer hat die Summe genannt -, dass diese Neuregelung Mehrbelastungen in Höhe von 800 Millionen Euro auslöst. Das Interessante für den Gesetzgeber ist, dass wir 1,03 Milliarden Euro eingespielt haben. Das heißt, diese bürokratische Maßnahme des Staates ist faktisch ein Nullsummenspiel. ({2}) Das kann aber doch nicht der gesetzgeberische Zweck sein. Genau an dieser Stelle greift das Standardkostenmodell, wie ich meine, zu Recht ein, ({3}) Christian Lange ({4}) weil es einen Weg aufzeigt, wie wir unser Ziel besser erreichen können. Es wirkt auch. Der Arbeitsminister hat, noch bevor das Gesetz in Kraft war, reagiert und dafür gesorgt, dass der Arbeitgeber die Möglichkeit hat, bei der Monatsabrechnung die Werte des Vormonates anzusetzen und Differenzen zu den Istzahlen erst im Folgemonat auszugleichen. Es handelt sich also um eine Pauschalierung. Diesen Weg hat uns diese Methode eröffnet. Deshalb meine ich, dass sie nicht diskreditiert gehört. Es gehört sich auch nicht, sich bei der Abstimmung zu enthalten, sondern dies sollte unterstützt werden, gerade vonseiten der FDP. ({5}) Wir werden darüber hinaus im zweiten Mittelstandsentlastungsgesetz, das wir bereits angekündigt haben, die Existenzgründer in den ersten drei Jahren allgemein von der Pflicht zur Erstellung statistischer Berichte freistellen. Unternehmen mit weniger als 50 Beschäftigten werden wir zu maximal drei statistischen Stichprobenerhebungen pro Jahr heranziehen. Auch dies ist ein konkreter Beitrag, der heute in der Tat noch nicht beschlossen werden kann; Kollege Zeil, hier hat Ihre Kritik angesetzt. Das ist von der Europäischen Union vorgegeben. Wir haben uns vorgenommen, dass wir die Hinweise, Vorschläge und Richtlinien der Europäischen Union nicht mehr so einfach hinnehmen. Diese Chance haben wir durch die Methode, die wir jetzt anwenden. Wir haben eine objektive Methode geschaffen und können erstmals den Kampf mit der Europäischen Union aufnehmen, mit der Kommission und dem Parlament. Wir werden dies auch tun. Wir haben jetzt eine entsprechende Grundlage, die wir vorher nicht hatten. Deshalb finde ich es bedauerlich, dass ausgerechnet die FDP an dieser Stelle Nein sagt. ({6}) Ich will es noch einmal sagen: Das Ziel, Bürokratie in Deutschland abzubauen, ({7}) gelingt aus meiner Sicht effektiv nur dann, wenn wir uns in einem Punkt einig sind: Es geht nicht darum, den politischen Willen zu verändern, sondern es geht darum, die Betriebe von dem zu entlasten, was ihre Kreativität und wirtschaftliche Dynamik abwürgt. ({8}) Der politische Streit über die Frage, was das politische Ziel ist - Kündigungsschutz, Arbeitsschutz usw. -, muss im materiell-rechtlichen Diskurs geführt werden und bitte nicht unter dem Deckmantel des Abbaus von Bürokratiekosten. Herzlichen Dank. ({9})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegin Sabine Zimmermann, Fraktion Die Linke. ({0})

Sabine Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003869, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Der Mittelstand ist das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Ich frage Sie: Wie ernst meinen Sie dies? Herr Meyer sagte gerade, dass er mit dem Rasenmäher herangehen möchte. Ich sehe schon, wie er dort den Rasen mäht. Sie sagen, dass Sie eine Politik machen wollen, die den Mittelstand entlastet. Sie haben versprochen: Unter dem Deckmantel des Bürokratieabbaus findet kein Abbau gesellschaftlich notwendiger Standards statt. Nun liegt das erste Bürokratieabbaugesetz vor und wir können Sie an Ihren Taten messen. Zum ersten Punkt, der Hilfe für die kleinen Unternehmen. Angeblich bringt Ihr Gesetz im nächsten Jahr eine finanzielle Entlastung von 160 Millionen Euro; ich beziehe mich auf Ihre Zahlen. Für das einzelne Unternehmen bedeutet das vielleicht eine Entlastung um einige hundert Euro im Jahr, wenn überhaupt. Das wird ihnen wenig helfen. Zusätzlich haben Sie die Erhöhung der Mehrwertsteuer beschlossen. Wird die höhere Mehrwertsteuer komplett über die Preise weitergegeben, bringt das netto 15 Milliarden Euro. Das entzieht der Volkswirtschaft Kaufkraft. In der Wirtschaft fehlt die Nachfrage. Stellen Sie das einmal gegenüber: 160 Millionen Euro Entlastung und 15 Milliarden Euro Belastung. - Das sagt wohl alles. ({0}) - Doch, Herr Meyer. Zum zweiten Punkt, den Auswirkungen des Bürokratieabbaus. Wir haben uns im Ausschuss schon darüber unterhalten. Leider haben sich unsere Befürchtungen bestätigt, dass mehr als nur Bürokratie abgebaut wird. Es handelt sich um einen Bürokratieabbau, bei dem der Datenschutz flöten geht. Damit hat diese große Koalition anscheinend gar kein Problem. Künftig sollen Betriebe mit weniger als zehn Mitarbeitern keinen Datenschutzbeauftragten mehr bestellen; der Bundesbeauftragte für den Datenschutz hat dies scharf kritisiert. Ihre Änderungen verstoßen gegen das europäische Datenschutzrecht. Der Datenschutzbeauftragte hat eine Alternative vorgeschlagen, nämlich über die Kammern und Innungen einen betrieblichen Datenschutzbeauftragten zu installieren. Aber Union und SPD haben diesen Vorschlag nicht angenommen. Wie die große Koalition mit Kritik umgeht, ist bezeichnend. Anscheinend halten Sie es nicht mehr für nötig, auf Kritik, die außerhalb des Parlaments geäußert wird, einzugehen. Es hört sich vielleicht toll an, aber wir haben in Deutschland eine gespaltene Konjunktur: Die Großkonzerne verdienen prächtig, die Kleinstunternehmen jedoch bewegen sich oft in der Verlustzone. Deshalb brauchen wir Daten über diesen Bereich. Oder haben Sie die kleinen Unternehmen in diesem Land schon abgeschrieben? ({1}) Auch hier gibt es Alternativen. Der DGB hat vorgeschlagen, die Erhebung von Daten an die Unternehmensgröße zu koppeln. Aber in Ihrem Gesetzentwurf kann ich dazu nichts finden. Ich frage Sie: Ist das Machtverliebtheit oder politische Absicht? Ich kann Sie nur warnen: Verwechseln Sie nicht die Mehrheit in diesem Parlament mit der Mehrheit in der Gesellschaft! ({2}) Ich fasse zusammen: Sie reden vom Bürokratieabbau im Interesse des Mittelstands. Aber ihm nützt das, was Sie machen, überhaupt nicht, weil keine Nachfrage vorhanden ist. Mit der Mehrwertsteuererhöhung legen Sie noch eins drauf. Ihr Bürokratieabbau geht auf Kosten des Datenschutzes und anderer sinnvoller und notwendiger Regelungen. Wir sagen: Ihr Gesetzentwurf ist ein Placebo. Die Linksfraktion wird ihn nicht unterstützen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollege Matthias Berninger, Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

Matthias Berninger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002627, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal: Nicht Ihr Gesetzentwurf hat mir die Sprache verschlagen, sondern eine Erkältung zur besten Jahreszeit. Mit diesem Gesetzentwurf ist es nicht gelungen, den Anspruch, den die Abgeordneten der Koalition an sich selbst gestellt haben, zu erfüllen. Erinnern wir uns an die Debatte über die Einführung des Normenkontrollrats. Auch damals war es so, dass sich die Abgeordneten der Koalition höhere Ziele gesteckt hatten. Dann wurden sie zurückgepfiffen, weil ein Fraktionschef keine Lust hatte, den Normenkontrollrat mit erweiterten Kompetenzen auszustatten. ({0}) Letztlich hat man gesagt: Es gibt ja das Mittelstandsentlastungsgesetz; ({1}) in ihm werden die wegweisenden neuen Einzelvorschläge installiert. Am Mittwoch dieser Woche haben wir eine Sitzung des Wirtschaftsausschusses erlebt, in der die Abgeordneten der Koalition mitgeteilt haben, dass aus den großen Änderungen nun doch nichts wird. Darüber hinaus haben die Abgeordneten der SPD angefangen, die Schuld dafür bei den Beamten des Wirtschaftsministeriums zu suchen. Abgesehen davon, dass ich es ziemlich befremdlich fand, dass diese Beamten nicht gegen diesen Angriff verteidigt wurden, ({2}) ist die Situation ein bisschen anders gelagert. Es ist doch so: Wenn die Abgeordneten der Koalition im Wirtschaftsausschuss vollmundig erklären, Bürokratieabbau betreiben zu wollen, dann dürfen sie nicht als Gesetzentgegennehmer fungieren, sondern müssen als Gesetzgeber den Mut haben, den einen oder anderen Vorschlag durchzusetzen, der es wert wäre, durchgesetzt zu werden. ({3}) Der Kollege Meyer hat gesagt, dass auch in der rotgrünen Regierungszeit - ich war ja dabei - Beschlüsse gefasst wurden, die nicht gut waren, und ein Beispiel angeführt, das der Kollege Lange umfangreich beschrieben hat. Die Frage, warum man eine so bürokratische Regelung - sie ist leider nicht die einzige - getroffen hat, ist erlaubt und berechtigt. Ich befürchte, dass auch in der siebenmonatigen Amtszeit der großen Koalition - auch wenn Ihnen diese Zeit schon viel länger vorkommt - bereits die eine oder andere ähnlich komplizierte Regelung getroffen worden ist, die nicht zum Nutzen der Unternehmerinnen und Unternehmer und nicht zum Nutzen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer war, die unter dem Bürokratieaufbau mittelbar genauso zu leiden haben. ({4}) Die gute Nachricht des heutigen Tages ist: Jetzt geht es um das erste Mittelstandsentlastungsgesetz; das zweite wird folgen. Wenn wir es als Parlament nicht schaffen, uns an bestimmten Punkten über die Bedenkenträger hinwegzusetzen, dann werden wir es auch nicht schaffen, bürokratische Regelungen abzubauen. Wir haben Ihnen dazu ein paar Vorschläge gemacht. Ich will ein Beispiel nennen: Man glaubte, dass durch die Einführung einer Generalunternehmerhaftung die im Baugewerbe weit verbreiteten Verträge, die große Unternehmen mit Subunternehmern schließen, so gestaltet werden könnten, dass auch die Subunternehmer Sozialversicherungsbeiträge abführen. Die Folge dieses Gesetzes ist, dass die vielen kleinen Handwerker umfangreiche bürokratische Meldungen an die großen Subunternehmen leisten müssen, für die es kein Problem ist, dies zu verarbeiten. Nach einer Evaluation wurde festgestellt, dass es genau einen einzigen Fall gegeben hat, in dem dieses Gesetz Sinn gemacht hat. Hunderte von Handwerksbetrieben sind also umfangreich unter die Knute der Bürokratie genommen worden für einen einzigen Fall, in dem sich die Regelung als sinnvoll herausgestellt hat. - Dies ist nur eines von vielen Beispielen dafür, dass wir nach der Evaluation eines Gesetzes feststellen müssen, dass es doch nicht so erfolgreich war. Wir haben einen umfangreichen Antrag mit Gesetzesänderungen vorgelegt, von dem ich hoffe, dass das eine oder andere nicht in Vergessenheit gerät, sondern sich vielleicht im zweiten Mittelstandsentlastungsgesetz wiederfindet. Ich glaube, dass wir hier deutlich mehr MögMatthias Berninger lichkeiten haben, dass das Parlament deutlich mehr Freiräume hat, als wir letzten Endes nutzen. Der Mut, diese Freiräume zu nutzen, wird allerdings nur dann von Erfolg gekrönt sein, wenn wir, wie die Parlamente in den anderen europäischen Mitgliedstaaten, die Regelungen der EU eher als wichtigen Hinweis für das Regierungshandeln nehmen denn für bare Münze. Vieles, was wir eins zu eins übernehmen und dann drei- bis vierfach bürokratisch überhöht beschließen, wird in anderen Mitgliedstaaten wesentlich einfacher gehandhabt. Ich glaube, dass man genau in diesem Bereich Änderungen vornehmen sollte. ({5}) Wir werden jedenfalls weiterhin konkrete Vorschläge zum Bürokratieabbau machen. Ich denke, dass sich die PDS überlegen muss, wie der Gesetzentwurf einzustufen ist: Ist er ein Angriff auf den Sozialstaat - das haben Sie am Anfang Ihrer Rede behauptet, Frau Zimmermann - oder ist er - damit haben Sie geendet - eher ein Placebo? Ich bin der Meinung, er ist eher ein Placebo. Nach oben ist noch sehr viel Raum für Verbesserungen. Herzlichen Dank. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD sowie von der Bundesregierung eingebrachten Entwürfe eines Ersten Gesetzes zum Abbau bürokratischer Hemmnisse insbesondere in der mittelständischen Wirtschaft, Drucksachen 16/1407, 16/1853 und 16/1970. Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/2017, die genannten Gesetzentwürfe zusammenzuführen und in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Linksfraktion und der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen bei Enthaltung der FDP angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie in der zweiten Lesung angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über die Entschließungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der FDP auf Drucksache 16/2040? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der FDP abgelehnt. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/2041? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen des ganzen Hauses gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke abgelehnt. Wir fahren fort mit der Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie auf Drucksache 16/2017 zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Statistikpflichten zurückführen - Bürokratiekosten senken“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b, den Antrag auf Drucksache 16/1167 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der FDP bei Enthaltung der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 36 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ({0}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Beck ({1}), Irmingard Schewe-Gerigk, Marieluise Beck ({2}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN Presse- und Meinungsfreiheit in Kuba einfordern - zu dem Antrag der Abgeordneten Marina Schuster, Florian Toncar, Burkhardt MüllerSönksen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Menschenrechte in Kuba einfordern und die kubanische Zivilgesellschaft fördern - Drucksachen 16/934, 16/945, 16/2006 Berichterstattung: Abgeordnete Peter Weiß ({3}) Florian Toncar Michael Leutert Volker Beck ({4}) Über die vom Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe empfohlene Annahme einer Entschließung werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Christoph Strässer, SPD-Fraktion, das Wort. ({5})

Christoph Strässer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003644, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Abweichend vom dem, was ich mir aufgeschrieben habe, möchte ich mit einem Bekenntnis beginnen. ({0}) Dieses Bekenntnis bezieht sich auf eine Zeit, die schon etwas länger her ist; ich bekenne mich aber ausdrücklich dazu. Ich finde das, was ich damals getan habe, richtig, nämlich auf die Straße zu gehen, dafür zu kämpfen, dass es in Kuba eine Befreiung vom Kolonialismus gibt, ({1}) und auch dafür einzutreten, dass Kuba eine Entwicklung nimmt, aufgrund derer Menschenrechte geachtet werden, keine Menschen, die ihre Pressefreiheit wahrnehmen wollen, eingesperrt werden und es keine politischen Gefangenen gibt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das war das Ziel der überwiegenden Mehrzahl der Leute, die damals auf die Straße gegangen sind, um für die Freiheit in Kuba zu kämpfen. Das will ich an dieser Stelle einmal ganz deutlich sagen. ({2}) Ich sage sehr deutlich: Ich bekenne mich dazu und finde das nach wie vor richtig. Ich sage aber auch: All diejenigen, die das Ziel, für das sie damals eingetreten sind, mit der heutigen Situation in Kuba vergleichen, sind bitter enttäuscht; ({3}) denn das wollten wir damals nicht erreichen. Das sage ich ganz deutlich. Ich will einen, wie ich glaube, damaligen Mitstreiter und führenden Revolutionär Südamerikas in Anspruch nehmen, indem ich behaupte: Wenn Che Guevara wüsste, wie sich Kuba entwickelt hat, dann würde er sich wahrscheinlich im Grabe umdrehen und sagen: Das habe ich nicht gewollt. ({4}) - Das ist richtig. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass er sich wehren würde. Worum geht es in dieser Debatte? Sie alle wissen, dass es dazu in diesem Jahr zwei wesentliche Entschließungen auf europäischer Ebene gibt, nämlich zum einen eine mit breiter Mehrheit gefasste Resolution des EU-Parlaments, die sich mit der Menschenrechtsituation in Kuba befasst und die bei uns Einfluss auf die Formulierung des vorliegenden Antrags gehabt hat; sie sind sozusagen identisch. Wenn man die Forderungen an Kuba aus menschenrechtlicher Sicht betrachtet, dann stellt man fest, dass sie von einer derartigen Harmlosigkeit sind, dass es nicht nur erstaunt, sondern dass es wirklich Aufsehen erregt, dass es in diesem Parlament Leute gibt, die sich dieser Entschließung nicht anschließen können. Das kann ich nicht wirklich begreifen. ({5}) Daneben gibt es eine zweite Resolution. Sie ist noch gar nicht so alt; sie ist vom 12. Juni dieses Jahres. Der Europäische Rat hat sich sehr eindeutig dazu bekannt und nach entsprechender Einschätzung festgestellt, dass sich die Lage der Menschenrechte in Kuba im Jahre 2005 verschlechtert hat. Er begründet dies auch; darauf werde ich gleich noch in aller Kürze im Einzelnen eingehen. Der Europäische Rat sagt aber auch - das hat dem einen oder anderen in diesem Hause die Zustimmung zu diesem Text nicht leicht gemacht -, dass das nicht dazu führen kann - ich finde das auch richtig -, politische Maßnahmen wieder einzuführen. Die Gespräche mit der kubanischen Regierung und mit der kubanischen Opposition müssen weitergeführt werden, um eine Verbesserung der Situation in diesem Land zu erreichen. Ich glaube, das ist eine der zentralen Forderungen, hinter der sich auch der Deutsche Bundestag vereinigen sollte. ({6}) Ich möchte an dieser Stelle nur zwei Beispiele für das nennen, über das wir heute diskutieren. Ich zitiere ganz gerne Organisationen, die nicht im Verdacht stehen, politisch einsortiert werden zu können. Ich glaube, eine sehr honorige Einrichtung ist die Organisation Reporter ohne Grenzen. Die Organisation Reporter ohne Grenzen erstellt seit einiger Zeit jährlich eine Rangliste über die Situation der Presse- und Meinungsfreiheit auf der Welt. Sie kommt für das Jahr 2005 zu dem Ergebnis, dass Kuba bei 167 untersuchten Ländern auf Platz 161 landet, noch hinter China und knapp vor Nordkorea. Man kann sich über vieles streiten, aber angesichts dieser Ergebnisses kann auch jemand, der noch gewisse Sympathien für die Entwicklung dort hat, nicht sagen: Das ist in Ordnung; dazu müssen wir schweigen. - Wir müssen etwas dazu sagen. Das tun wir auch, und zwar, wie ich finde, mit der nötigen Eindeutigkeit. ({7}) Ich möchte das an einem konkreten Beispiel, das uns in diesen Tagen erreicht, deutlich machen. Sie werden wahrscheinlich alle mit dem Schicksal von Fariñas Hernández befasst gewesen sein. Fariñas Hernández ist Chef der Nachrichtenagentur „Cubanacán Press“. Er ist seit dem 31. Januar 2006 inhaftiert, weil er sich für Pressefreiheit und Meinungsfreiheit eingesetzt hat. Er befindet sich seit dieser Zeit im Hungerstreik. Wir haben Nachrichten - das sollte man zur Kenntnis nehmen -, dass sein Gesundheitszustand kritisch ist, dass er bereits mehrfach das Bewusstsein verloren hat und dass die Gefahr, dass er stirbt - diese nimmt er in Kauf -, groß ist. Ich finde, wir sollten Solidarität mit solchen Menschen üben und sagen, dass wir nicht bereit sind, das hinzunehmen, aus welchen Gründen auch immer. Deshalb gibt es diesen Antrag und deshalb müssen wir heute über dieses Thema diskutieren. ({8}) Ich möchte an dieser Stelle etwas hinzufügen, damit nicht der Eindruck entsteht, der sich in bestimmten MeChristoph Strässer dien immer ein Stück weit festsetzt, man betreibe im Deutschen Bundestag so etwas wie Cuba-Bashing. Die Situation der Menschenrechte ist eindeutig belegt. Ich persönlich - ich weiß nicht, wie viele andere in diesem Hause das sehen - führe das ein Stück weit darauf zurück, dass in den Vereinigten Staaten seit 45 Jahren eine Politik betrieben wird, die blockiert. Gesetze wie das Helms-Burton-Gesetz haben selbstverständlich nicht dazu beigetragen, dass es in diesem Land eine vernünftige und menschenrechtsorientierte Entwicklung geben kann. Hierzu will ich auch nicht schweigen. ({9}) Ich höre auch immer wieder das Stichwort Guantanamo. Wer sagt, Guantanamo muss so schnell wie möglich geschlossen werden - das sagt im Übrigen auch die Bundeskanzlerin -, ({10}) aber zu der menschenrechtlichen Entwicklung in Kuba schweigt, der erkennt nicht den grundsätzlichen Charakter von Menschenrechten: Sie sind unteilbar. Wir müssen an dieser Stelle klar machen, dass wir auch diesen Teil der Politik nicht hinnehmen können. ({11}) Ich denke, dass es gut ist - das ist über viele Jahre auch gängige Praxis in unserem Ausschuss gewesen -, wenn wir diese Dinge beim Namen nennen und sie deutlich aussprechen. Meine Damen und Herren, wir wollen weiterhin den Dialog. Das ist klar; das haben wir nie in Zweifel gezogen, auch mit unserem Antrag nicht. Wir wollen ihn intensiv auf der staatlichen Ebene führen. Wir wollen ihn aber auch sehr intensiv mit der kubanischen Opposition führen. Von daher bin ich jedenfalls der Meinung, dass kubanische Oppositionelle also wieder zu offiziellen Veranstaltungen der EU-Staaten eingeladen werden sollten. Ich finde, diese klare Botschaft sollten wir aussenden. ({12}) Ich komme zum Schluss zu dem zurück, wozu ich mich zu Beginn bekannt habe: Ich bin sehr sicher, dass eine falsch verstandene Solidarität mit dem CastroRegime und eine damit verbundene Romantisierung fehl am Platze ist. Wir wollen weiterhin auf Kuba einwirken und mit der kubanischen Bevölkerung gemeinsam dafür sorgen, dass sich dort die Menschenrechtslage verbessert. Wir glauben definitiv - das sage ich in Richtung der linken Seite des Parlaments -, dass das, was Sie im Jahre 2003 in Ihr Parteiprogramm geschrieben haben, nämlich dass das höchste Ziel politischer Arbeit sein muss, die Wahrung der Menschenrechte weltweit zu schützen und die Unteilbarkeit der Menschenrechte anzuerkennen, in diesem Hohen Hause Praxis des politischen Alltags wird. Wer sich davon verabschiedet, der muss sich sagen lassen, dass er es mit der Universalität der Menschenrechte nicht ernst meint. Das sollten wir klar darstellen. Danke schön. ({13})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegin Marina Schuster, FDPFraktion. ({0})

Marina Schuster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003845, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Im März haben wir an dieser Stelle schon einmal über die verheerende Menschenrechtslage in Kuba debattiert. Ich freue mich, dass uns heute ein interfraktioneller Antrag vorliegt, der die Lage in Kuba kritisiert und sich damit dem Antrag unserer europäischen Kollegen anschließt. Wir senden mit dem Antrag und unserer heutigen Debatte ein wichtiges Signal an die kubanischen Oppositionellen und Menschenrechtsaktivisten. Eine breite Mehrheit des Deutschen Bundestags verschließt sich nicht der Situation im selbsternannten sozialistischen Musterland. Diese Situation - mein Vorredner hat sie bereits angesprochen - möchte ich kurz schildern: Das Regime in Havanna verwehrt seinen Bürgern den Zugang zu unzensierten Informationen. Der Zugang zum Internet bleibt für viele Kubaner unerreichbar, weil der Hardwarekauf reglementiert wird. Die meisten der mutigen Dissidenten des Varela-Projektes sind schon seit drei Jahren unter katastrophalen Bedingungen in Haft. Die Angehörigen dieser Inhaftierten, die so genannten Damen in Weiß, werden in ihrem Einsatz für ihre Angehörigen und die Meinungs- und Pressefreiheit vom Regime diffamiert und unterdrückt. Dissidenten werden immer wieder willkürlich zu hohen Haftstrafen verurteilt. Auch die Versammlungsfreiheit ist in großer Gefahr. Hier wird immer wieder angeführt, dass es in Kuba zu Verbesserungen hinsichtlich der Alphabetisierung und der Gesundheitsversorgung gekommen ist. Aber die Freiheit der Menschen wird weiter von einem Unrechtssystem unterdrückt. Von einem demokratischen und rechtsstaatlichen Staatswesen ist Kuba meilenweit entfernt. ({0}) Leider hat Kuba eine deutliche Ausstrahlungskraft auf die Linksregierungen in Lateinamerika. Viele der neu gewählten linkspopulistischen Führer scheinen sich ausgerechnet Havanna zum Vorbild zu nehmen. Zum Beispiel war die Verstaatlichung der Erdgasressourcen in Bolivien ein erstes Warnsignal an die internationale Gemeinschaft. Ich meine, wir müssen den Staats- und Regierungschefs in Lateinamerika Alternativen anbieten und aktiv für unsere Ideen von Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und sozialer Marktwirtschaft werben. Bei der Entschließung des Europaparlaments sind ausnahmsweise auch einzelne Mitglieder der Linkspartei über ihren Schatten gesprungen und haben sich erlaubt, am Heiligenbild des Fidel Castro zu kratzen. ({1}) Diese Abgeordneten sind in den eigenen Reihen unter schweren Beschuss geraten. Ich begrüße das Verhalten der drei einzelnen Mitglieder der Linken im Europäischen Parlament. ({2}) Ich fordere auch die Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion hier auf, unserem interfraktionellen Antrag zuzustimmen. Stellen Sie sich nicht ins Abseits, wenn der Deutsche Bundestag heute Farbe bekennt und die nicht hinnehmbare Menschenrechtslage in Kuba kritisiert! Wir hatten als FDP-Bundestagsfraktion einen eigenen Antrag vorgelegt, der in einigen Punkten noch über den vorliegenden Antrag hinausgeht. Ich möchte stellvertretend nur eine wesentliche Forderung daraus nennen: Wir halten die Eröffnung eines Goethe-Instituts für eine sinnvolle und vor allem wirkungsvolle Maßnahme, weil sie nicht staatliche Strukturen, sondern die Zivilgesellschaft unterstützt. Dennoch bin ich froh, dass wir uns mit den Kolleginnen und Kollegen vom Bündnis 90/Die Grünen und von den Regierungsfraktionen auf einen gemeinsamen Antrag verständigt haben. Das Thema ist zu ernst, um es durch parteipolitische Grabenkämpfe zu verharmlosen. Ich schließe mit einem Zitat: Einem Menschen seine Menschenrechte zu verweigern bedeutet, ihn in seiner Menschlichkeit zu missachten. Dieser Satz von Nelson Mandela aus dem Jahr 1990 hat nichts von seiner Aktualität eingebüßt. Lassen Sie uns heute ein überparteiliches und unmissverständliches Signal an das Regime in Kuba senden. Kuba muss als Mitglied des neuen UN-Menschenrechtsrates zu höchsten Standards verpflichtet werden. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Peter Weiß, CDU/CSUFraktion. ({0})

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Menschenrechte sind überall auf der Welt unteilbar, auch in Kuba. Es ist jetzt gerade drei Jahre her, seit das kubanische Regime in einer Handstreichaktion die führenden Köpfe der demokratischen Opposition verhaftet und weggesperrt hat. 330 politische Häftlinge sitzen heute in kubanischen Gefängnissen ein, unter zum Teil erbärmlichen Bedingungen. Das ist ein so unakzeptabler Zustand, dass es einer klaren und eindeutigen Antwort der Demokraten überall auf der Welt bedarf. Deswegen ist es wichtig, dass wir einen gemeinsamen Antrag hier im Bundestag beschließen. ({0}) Am 13. August dieses Jahres - bis dahin ist es nicht mehr lange - wird Fidel Castro 80 Jahre alt; doch von Altersmilde keine Spur. ({1}) Castros restkommunistische Diktatur herrscht unerbittlich mit Gewalt und Einschüchterung gegen alle Kubaner, die Freiheit und Demokratie suchen. Ein falsches Wort, der falsche Umgang genügt, damit man Opfer der so genannten Kämpfer für die Revolution wird. Politische Gewalt, auch getarnt als einfache Straßenkriminalität, gehört zum alltäglichen Terror in Kuba. In diesen Tagen hören wir, dass der Neffe des VarelaGründers Oswaldo Payá bei seiner Einreise nach Kuba von der Staatssicherheit festgenommen wurde. Er lebt in Spanien und wollte in Kuba seine Familie besuchen. Erst nachdem der kubanische Botschafter vom Außenministerium in Madrid einbestellt wurde, hat Kubas Stasi Payá wieder freigelassen und zur Ausreise nach Spanien gezwungen. Dieser prominente Fall zeigt: Die Methoden der Sippenhaft gehören zum selbstverständlichen Repressionsinstrumentarium Fidel Castros. Er verstößt damit gegen die Mindeststandards von Rechtsstaatlichkeit. Auch dieser neue Vorfall bedarf einer klaren Antwort der Demokraten überall auf der Welt. ({2}) Mit unserem interfraktionellen Entschließungsantrag, zu dem sich die Regierungsfraktionen von CDU/CSU und SPD sowie die Oppositionsfraktionen von FDP und Bündnis 90/Die Grünen im Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe entschlossen haben, folgen wir als Abgeordnete des Deutschen Bundestages der Einschätzung unserer Kolleginnen und Kollegen im Europäischen Parlament und der Einschätzung des Europäischen Rates, der die Menschenrechtslage in Kuba auf seiner Tagung am 12. Juni scharf kritisiert hat. Gemeinsam mit den Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union verlangen wir von der kubanischen Regierung den Stopp ihrer Repressionspolitik und die sofortige Freilassung aller politischen Gefangenen. ({3}) Wir verurteilen entschieden alle Angriffe der kubanischen Regierung auf die Menschenrechte und die demokratischen Freiheiten. Es ist gut, dass wir Europäer in der Menschenrechtspolitik auch in Bezug auf Kuba eine klare und eindeutige Sprache sprechen. Peter Weiß ({4}) Einzig die PDS will sich solchen Forderungen nicht anschließen. ({5}) Offenbar hat sie kein Problem damit, dass in Kuba tagtäglich Menschenrechte verletzt und Grundfreiheiten missachtet werden. Die, wie ich finde, schon obszöne Diskussion, die sich die PDS dazu in den vergangenen Monaten geleistet hat, ist beschämend. ({6}) Die PDS verhöhnt damit die Hunderte, die aus politischen Gründen in den kubanischen Gefängnissen einsitzen. Mehr noch - auch das gehört hierher -: Mit ihrer Kubapolitik verspottet die PDS die Zigtausende, die in Deutschland und Europa unter stalinistischer Gewalt und Unterdrückung gelitten haben. ({7}) Die Äußerungen und Pamphlete, die während der so genannten Kubakrise der PDS in die Öffentlichkeit gelangt sind, sind eine historische Schande für das demokratische Deutschland nach dem Fall der Mauer. ({8}) Man muss auch hier im Deutschen Bundestag und in der Öffentlichkeit deutlich machen, was sich da in der PDS abgespielt hat: Der Parteivorstand erteilt drei PDS-Europaabgeordneten eine förmliche Rüge, ({9}) weil sie sich im Europaparlament für etwas ausgesprochen haben, was in Kuba und weltweit eigentlich selbstverständlich sein sollte: die Einhaltung der Menschenrechte. Was ist da los mit einer Partei, aus deren Mitte heraus eine Entschließung des Europäischen Parlaments für Freiheit und Demokratie als - ich zitiere - „scheinheiliges Gezeter“ diffamiert wird? ({10}) Welche Gesinnung pflegt diese Partei in ihrem Biotop aus Unverbesserlichkeit, linken Dogmen und Revolutionsromantik? Dieser Kadavergehorsam der PDS fördert den real existierenden Unterdrückungsstaat in Kuba. Das muss einmal mit aller Deutlichkeit ausgesprochen werden. ({11}) Einer der PDS-Europaabgeordneten hat diese Haltung der PDS-Führung gegenüber der kubanischen Regierung als „erschreckend“ bezeichnet. Er sieht sie - ich zitiere „in das alte Politik-, Gesellschafts- und Freiheitsverständnis der SED zurückfallen“, ({12}) wenn sie sich überhaupt jemals davon gelöst hat. ({13}) Diese ganze Affäre entlarvt die PDS. In diesem Haus machen Sie Sprüche von Gerechtigkeit und Solidarität. Gleichzeitig unterstützen Sie ohne Bedenken einen Despoten, der sein darbendes Volk im Lauf seiner Herrschaft nach Angaben von „Forbes Magazine“ um geschätzte 900 Millionen Dollar bestohlen hat. Die Kubaner leben von rationierten Lebensmitteln. Der „Máximo Líder“ aber hat Millionen auf Schweizer Nummernkonten. Das ist die Realität des real existierenden Sozialismus auf Kuba. ({14}) Ich freue mich, dass wir heute einen gemeinsamen Entschließungsantrag aller Fraktionen mit Ausnahme der PDS einbringen konnten. Wir machen deutlich: Wie Kuba in der Karibik ist die PDS in Deutschland eine Insel der Gestrigen. ({15}) Kuba ist im Mai dieses Jahres in den neuen UN-Rat für Menschenrechte gewählt worden. ({16}) Der Bock darf sozusagen Gärtner werden. Nicht zuletzt deshalb werden wir auch in Zukunft sehr genau hinschauen, wie das Castro-Regime mit den Menschenrechten umgeht. Die systematischen Repressalien gegen anders Denkende können wir als Demokraten und Europäer nicht folgenlos hinnehmen. Die friedliche demokratische Opposition braucht unsere Unterstützung. Wir wollen den friedlichen Wandel in Kuba zu Demokratie und Freiheit. Wir wollen diejenigen, die in Kuba für diesen Wandel arbeiten, aktiv unterstützen, auch mit unserem Entschließungsantrag. Vielen Dank. ({17})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Wolfgang Gehrcke, Fraktion Die Linke. ({0})

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der ganze Tagesordnungspunkt, diese ganze Entschließung hat nur einen realen Hintergrund: Sie haben die Absicht, die Linkspartei vorzuführen. Das verstehe ich. ({0}) - Das ist ja auch legitim. Darüber brauchen Sie sich gar nicht aufzuregen. Ich verstehe, dass Sie uns vorführen wollen. Wir wiederum lassen uns nicht vorführen. Ich sage Ihnen klar: Ihrer Entschließung werden wir nicht zustimmen. Das will ich Ihnen erklären, ob es Ihnen gefällt oder nicht. ({1}) Dass es in der Linken Meinungsverschiedenheiten in der Kubafrage gibt, ist bekannt. Sie haben darauf abgehoben und wollen diese nutzen. Auch das ist in Ordnung. Für uns sind solche Debatten nicht hinderlich. Wir sind eine diskutierende, lebendige Partei, in der Meinungsstreit herrscht und in der Meinungsstreit kultiviert wird. ({2}) Die Öde von Einheit und Geschlossenheit bei Ihrer Politik haben Sie von unserer Vorgängerpartei geerbt. ({3}) Herr Weiß, eines will ich Ihnen sagen: Ich habe mehr zur Kritik des Stalinismus geschrieben, als Sie gelesen haben; auch das muss hier einmal ausgesprochen werden. ({4}) Wir als Fraktion wollen die Resolution des Europaparlaments nicht begrüßen. Das hat im Wesentlichen zwei Gründe. In dieser Resolution wird die Verantwortung dafür, dass sich die Beziehungen zwischen Europa und Kuba nicht normalisiert haben, einseitig bei Kuba abgeladen. ({5}) In der Resolution steht, dass der Rat ermächtigt wird, Maßnahmen zu ergreifen. Eine solche Blankovollmacht stellen wir nicht aus, weil wir über diese Dinge differenziert nachdenken und diskutieren. ({6}) - Das ist auch kein Grund. Mich ärgert - liebe Kolleginnen und Kollegen, das ärgert mich wirklich - der funktionelle Umgang mit Menschenrechten. Mich ärgern auch oberflächliche Texte. Ein solch funktioneller Umgang mit Menschenrechten beschädigt den Kampf um Menschenrechte selbst. ({7}) Wir gehen davon aus, dass unter Menschenrechten sowohl soziale als auch politische Rechte zu fassen sind. ({8}) Es geht um Freiheits- und Gleichheitsrechte. Sie kritisieren Kuba wegen der mangelnden politischen Rechte und verschweigen völlig, auch in Ihren Texten, die großen sozialen Leistungen Kubas, übrigens nicht nur für das eigene Land. ({9}) Wir werden nicht den gleichen Fehler machen, indem wir nur über die sozialen Rechte reden und der Debatte um die politischen Rechte ausweichen. ({10}) Wir wollen Freiheit und Gleichheit. Freiheit ohne Gleichheit ist Ausbeutung und Gleichheit ohne Freiheit kann zur Unterdrückung werden. Wir diskutieren differenziert. Sie gehen einfach oberflächlich über diese Probleme hinweg und machen sich eine einfache Welt. ({11}) Kollege Strässer hat zwar in seiner Rede darauf hingewiesen, aber in Ihren Texten steht nicht, unter welchen Bedingungen Kuba sein Leben gestalten musste und muss. ({12}) Ich bin froh darüber, dass eine Revolution in Kuba mit Castro und Guevara das unwürdige, blutige Batista-Regime beendet hat und verhindert hat, dass Kuba weiter ein Bordell der USA ist. ({13}) Tun Sie doch nicht so, als ob Kriegsdrohung, Embargo und Mordanschläge nur Vergangenheit sind! Leider ist das auch lebendige Realität. Wenn man das alles ausblenden will, kann man sich die Welt sehr einfach machen. Dann kann man einfache Resolutionen beschließen. Das führt aber nicht zu einer vernünftigen Debatte. Dass 135 Länder Kuba in den Menschenrechtsrat gewählt haben, was eine hohe Verpflichtung auch für Kuba ist, sollte Ihnen doch zu denken geben. ({14}) Solche Debatten müssen wir führen, in der Differenziertheit der Standpunkte. Wir dürfen uns nicht mit einWolfgang Gehrcke fachen Weltbildern und einfachen Rezepten zufrieden geben. Wir stimmen gegen Ihre Entschließung und haben ein gutes Gefühl dabei. ({15})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Volker Beck, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Gehrcke, vielleicht wird es Sie überraschen, dass ich mit etwas Gemeinsamem anfange. Ja, ich meine, man muss über Freiheitsrechte und über die soziale Situation in Ländern wie Kuba reden. Selbstverständlich haben wir als Teil der Linken in diesem Land immer die Entwicklung begrüßt, dass sich Kuba aus der Situation befreien konnte, die vorher gegeben war und die Sie gerade beschrieben haben. Aber die Verbesserung der sozialen Situation in manchen Aspekten in Kuba rechtfertigt nicht die Beschneidung der Freiheits- und Menschenrechte. ({0}) Der Kalte Krieg ist vorbei, wo man gesagt hat: keine Einmischung in die inneren Angelegenheiten, weil da auch irgendetwas Positives ist. - Menschenrechte darf man nicht mit anderen politischen Sachverhalten verrechnen, sondern man muss klar Position beziehen. Wenn Sie sagen, wir hätten eine einseitige Weltsicht, muss ich erwidern: Der Antrag, der Anlass für diese Debatte war, nämlich der Antrag meiner Fraktion - später kam ein Antrag von der FDP dazu -, sagt in seiner Begründung ausdrücklich - ich zitiere -: ({1}) Davon unbenommen stellen wir fest, dass die einseitige Blockadepolitik der USA eine positive Veränderung der kubanischen Bevölkerung nicht befördert hat. ({2}) Vielmehr diente und dient das US-Embargo mit seiner Verschärfung im Jahr 2004 systemstabilisierend, weil es der kubanischen Führung einen Vorwand für seine Politik liefert. ({3}) Wir sagen das klar und deutlich. Wir sehen das differenziert. Aber Sie geben unter dem Vorwand, irgendetwas sei nicht differenziert genug, der kubanischen Regierungspolitik einen Freibrief. Nennen Sie mir einen Satz in diesem Beschlusstext, der eine Rechtfertigung dafür bietet, diesem Antrag nicht zuzustimmen. ({4}) Wollen Sie nicht auf die Freilassung aller wegen ihrer politischen Gesinnung inhaftierten Menschen drängen? Wollen Sie nicht für die Reisefreiheit der „Damen in Weiß“ und von Oswaldo Payá Sardiñas eintreten? Wollen Sie nicht, dass die willkürlichen Verhaftungen aufhören, das Ley 88 außer Kraft gesetzt wird und menschenrechtliche und rechtsstaatliche Standards in Kuba verwirklicht werden? Wollen Sie nicht Kuba als Mitglied des Menschenrechtsrates wie alle anderen Mitglieder auch auffordern, sich für die höchsten menschenrechtlichen Standards einzusetzen? ({5}) Welche dieser Forderungen rechtfertigt eine Ablehnung des Antrags? Wohl keine, außer man will sich völlig blind stellen. ({6}) Meine Damen und Herren, heute hat das oberste amerikanische Gericht gesagt, was in Guantanamo mit den Militärstrafgerichten vor sich geht, ist rechtswidrig. Das zeigt, dass die USA ein Rechtsstaat sind, auch wenn sich die Bush-Administration über die rechtsstaatlichen Grenzen in der amerikanischen Verfassung hinausbewegt hat. Deshalb sagen wir - das hat der Bundestag kürzlich schon gefordert -: Guantanamo muss geschlossen werden; die Gefangenen dort müssen entweder vor ordentliche Gerichte gestellt oder freigelassen werden. Das haben wir unmissverständlich zum Ausdruck gebracht. Da waren Sie dabei. Und das ist gut so. ({7}) Es geht eben um Menschenrechte in Guantanamo und auch um Guantanamo herum. Man kann nicht bei den Amerikanern eine Elle anlegen und bei den kubanischen Freunden eine andere. Bei Menschenrechten gibt es keinen Rabatt. ({8})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Beck, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gehrcke?

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Aber bitte doch.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Beck, ich nehme an, dass Sie Ihren Antrag genauso gut gelesen haben, wie ich ihn gelesen habe. Ihre richtige Argumentation bezüglich der USA, die Sie eben vorgetragen haben, ist nicht in die Forderungen Ihres Antrages an den Deutschen Bundestag eingeflossen, sondern findet sich ausschließlich in der Begründung. In der gemeinsamen Entschließung, die wir jetzt ja verhandeln, ist sie überhaupt nicht mehr enthalten. Das ad eins. Ad zwei. Ich habe versucht, Ihnen vorzutragen, warum wir uns nicht der Resolution des Europaparlaments anschließen wollen. Ich frage Sie, ob Sie mir bestätigen können, dass ich korrekt zitiere, wenn ich sage, dass in der Resolution des Europaparlaments steht, dass Kuba durch seine Handlungen einseitig die Normalisierung der Beziehungen verhindert habe und der Europäische Rat ermächtigt werde, Maßnahmen zu ergreifen. Meinen Sie, dass es sinnvoll ist, wenn ein Parlament dem Rat Freiheit bei den Maßnahmen einräumt? ({0})

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich kann Ihnen bestätigen, dass es in der Entschließung des Europäischen Parlaments, die die Mitglieder Ihrer Fraktion dort auch überwiegend abgelehnt haben und die in der Entschließung zitiert wird, unter anderem heißt: … alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die Freilassung der politischen Häftlinge und die sofortige Beendigung der Schikanen gegen die politische Opposition und die Menschenrechtler zu erreichen. ({0}) Es geht um die erforderlichen Maßnahmen! Sollen wir denn nichts tun? Sollen wir nicht einmal mit denen reden? Sollen wir nicht in bilateralen Gesprächen mit Kuba zu erreichen versuchen, dass dort die Menschenrechte eingehalten werden? Das abzulehnen, wäre doch nun wirklich billig. Ich habe leider von Ihnen und Ihrer Fraktion zu dieser gemeinsamen Entschließung nicht einen Satz, nicht einen Vorschlag gehört. Wir hatten ein interfraktionelles Berichterstattergespräch. Die Kollegen von der Fraktion Die Linke hatten es noch nicht einmal für nötig befunden, dorthin zu kommen. Da hätten Sie ja mit uns über solche Punkte verhandeln können, wenn Ihnen das wichtig gewesen wäre. ({1}) Sie haben aber diese Debatte wie die Menschenrechtssituation in Kuba mit Nichtachtung gestraft. Das ist ein Armutszeugnis. Sie verspielen hier heute Ihre Reputation im Bereich der Menschenrechtspolitik. ({2}) Man kann sich nicht aussuchen, wo man kritisiert, sondern wenn etwas kritikwürdig ist, muss man klar Flagge zeigen. Das haben wir immer so gehalten. Andere, die da früher Hemmungen hatten, tun es heute auch gegenüber Ländern wie den USA. Diese Entwicklung ist gut. Wir begrüßen sie und erkennen das an. Ihnen wünsche ich: Gute Besserung! ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe auf Drucksache 16/2006 zu dem Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel „Presse und Meinungsfreiheit in Kuba einfordern“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung, den Antrag auf Drucksache 16/934 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe, den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/945 mit dem Titel „Menschenrechte in Kuba einfordern und die kubanische Zivilgesellschaft fördern“ für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist ebenso einstimmig angenommen. Unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/2006 empfiehlt der Ausschuss, eine Entschließung anzunehmen. Es ist namentliche Abstimmung verlangt. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind die Plätze an den Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung. Ich stelle die obligate Frage: Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? ({0}) Haben jetzt alle Kolleginnen und Kollegen ihre Stimme abgegeben? - Das ist der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Er- gebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gege- ben.1) Wir setzen die Beratungen fort. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der neu gefassten Banken- richtlinie und der neu gefassten Kapital- adäquanzrichtlinie - Drucksache 16/1335 - 1) Ergebnis Seite … Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({1}) - Drucksachen 16/2018, 16/2056 - Berichterstattung: Abgeordnete Leo Dautzenberg Nina Hauer Dr. Axel Troost Hierzu liegen je ein Entschließungsantrag der Frak- tion der Linken und der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Die Kolleginnen und Kollegen Nina Hauer, Axel Troost und Gerhard Schick und der Parlamentarische Staatssekretär Karl Diller ha- ben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1) Deswegen erteile ich jetzt Kollegen Frank Schäffler, FDP-Fraktion, das Wort. ({2})

Frank Schäffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003834, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf zur Umsetzung der Basel-II-Vorgaben wird heute von einer breiten Mehrheit dieses Hauses getragen. Die FDP-Fraktion wird auch aufgrund der im Finanzausschuss erreichten Verbesserungen zustimmen. Meiner Fraktion war wichtig, dass wir einige Ände- rungsvorschläge aus der Anhörung zur Vermeidung zu- sätzlicher Bürokratie umgesetzt haben. Dies ist deshalb von großer Bedeutung, weil die Umsetzung von Basel II in nationales Recht für die Kreditwirtschaft einen enor- men Aufwand bedeutet. Allein das aufsichtliche Zulas- sungsverfahren für interne Ratings bindet in mittelstän- dischen Banken je nach Anzahl der Ratingsysteme zwei bis fünf Mannjahre. Insgesamt bietet der vorliegende Gesetzentwurf eine ausgewogene Balance zwischen dem Ziel eines stabilen Finanzmarktes und dem Interesse der Marktteilnehmer, günstige Kredite zu erhalten. Die FDP-Fraktion setzt darauf, dass die Kreditvergabe für den Mittelstand durch die geringere Eigenkapitalunterlegung der Banken ver- bessert wird. Die aktuelle Auswirkungsstudie der Bundesbank, QIS 5, hat nachgewiesen, dass im Vergleich zum derzeit in Deutschland geltenden Grundsatz I die Eigenkapi- talanforderungen für das gesamte deutsche Bankensys- tem um 6,7 Prozent sinken werden. Dabei profitieren nicht nur die großen Banken mit einem um 4,2 Prozent geringeren Eigenkapitalerfordernis, sondern insbeson- dere die kleinen Banken mit bis zu 8,4 Prozent. Die Stu- die hat auch gezeigt, dass es deutliche Anreize gibt, ver- 1) Anlage 15 feinerte Ratingverfahren zu verwenden, da damit die Eigenkapitalanforderungen sinken. Ich begrüße auch, dass beim Thema Transparenz des Ratings mit der vorliegenden Beschlussempfehlung das richtige Signal gesetzt wird. ({0}) Wir schaffen nicht einen neuen Paragrafen, sondern setzen auf die Selbstverpflichtung der Kreditwirtschaft. In Bezug auf das Scoring hat der Bundesdatenschutzbeauftragte eindeutig erklärt, dass die Regelungen, die wir hier umsetzen, nur für das Rating, aber nicht für das Scoring gelten. Ein zentraler Punkt in den Beratungen war für die FDP die Nullgewichtung von Intragruppenforderungen bei Haftungsverbünden von Sparkassen und Landesbanken. In der Anhörung wurde darauf hingewiesen, dass bei diesen Verbünden eine unbedingte Haftungszusage, eine zentrale Risikosteuerung, konsolidierte Publizitätspflichten und eine homogene Mitgliederstruktur fehlen. Es kommt nun entscheidend darauf an, dass die Bankenaufsicht auf die Beachtung der Großkreditvorschriften und der Mindestanforderungen an das Risikomanagement hinwirkt. Die Bundesregierung muss Bericht erstatten, wenn Erfahrungen mit dem novellierten KWG gemacht wurden. Wir erwarten seitens der FDP-Fraktion einen Bericht Anfang 2008, wenn die Jahresabschlüsse für 2007, also für das Jahr, in dem die neuen Regeln erstmals angewandt werden, vorliegen. Wichtig ist, dass das Parlament im weiteren Verlauf in die Umsetzung der zu Basel II gehörenden Solvabilitätsverordnung und der Groß- und Millionenkreditverordnung einbezogen bleibt. Auch beim Erlass der Verordnungen muss das Prinzip der Eins-zu-einsUmsetzung gelten. Wir werden sehr genau darauf achten, ob die BaFin die notwendigen Konsequenzen zur Stabilität unseres Finanzmarktes ergreift. ({1}) Positiv ist festzuhalten, dass im Finanzausschuss noch Änderungen des Gesetzentwurfes beschlossen wurden, die zumindest die Vermeidung zusätzlicher Bürokratie bedeuten. Ich nenne nur die nunmehr ausreichende „Bescheinigung über die prüferische Durchsicht des Zwischenabschlusses“ oder den Verzicht auf die Anzeigepflichten beim Outsourcing. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag hat in der Anhörung zu Recht darauf hingewiesen, dass der Normenkontrollrat, wenn es ihn schon geben würde, bei diesem Gesetzentwurf viel zu tun gehabt hätte. Es bleibt festzuhalten, dass das Kreditwesengesetz insgesamt einer Überarbeitung im Sinne der besseren Lesbarkeit und Handhabbarkeit bedarf. Die FDP-Fraktion hat die Basel-II-Umsetzung über viele Jahre hinaus stets im Sinne des Mittelstandes begleitet. Wir denken, dass heute ein gutes Ergebnis vorliegt. Die Basel-II-Umsetzung bleibt aber natürlich weiterhin ein Prozess, den wir aufmerksam begleiten werden. Vielen Dank. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Georg Fahrenschon, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Georg Fahrenschon (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003524, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zu zugegebenermaßen vorgerückter Stunde schließt der Deutsche Bundestag nach über siebenjähriger engagierter Begleitung eine grundlegende Modernisierung der deutschen Banken- und Kreditaufsicht ab. Man muss schon die Frage stellen, warum wir eine Veränderung der Banken- und Kreditaufsicht befürworten und was die Hintergründe dieses Vorgehens sind. Das speziell bankenspezifische Risiko besteht darin, dass ein Schuldner seiner Verpflichtung gegenüber der Bank nicht nachkommt und die Bank im schlimmsten Falle ihre eigenen Verpflichtungen gegenüber den Sparern nicht erfüllen kann. Um dieses Ausfallrisiko gegenüber den vielen Sparern und Anlegern in einer Volkswirtschaft zu reduzieren und um die Gefahr einer Krise am Finanzmarkt möglichst auszuschließen, müssen alle Kreditinstitute und Banken grundsätzlich Eigenkapital vorhalten, damit im Falle von Ausfällen die Verluste aufgefangen werden können. Das ist international üblich. Seit 1988 wurden dafür auch verbindliche Mindeststandards für die Kapitalunterlegung von Risiken durch Kreditinstitute vereinbart, die mittlerweile in über 100 Ländern angewendet werden. Nach dieser Regel müssen Banken und Sparkassen weltweit für jeden Kredit an Unternehmen in Höhe von zum Beispiel 100 Euro 8 Euro Eigenkapital hinterlegen. Jetzt kommt der entscheidende Punkt. Diese rein quantitative und pauschale Eigenkapitalvorschrift erwies sich jedoch wenige Jahre nach ihrer internationalen InKraft-Setzung einer Reihe von Risiken schlicht und einfach nicht angemessen. Was noch schwerer wiegt: Die bestehenden Regeln setzen strukturelle Fehlanreize. Dazu zählt zum Beispiel, dass ein Institut für einen Kredit an Unternehmen mit geringerem Risiko genauso viel Eigenkapital hinterlegen muss wie für einen Kredit an ein Unternehmen mit schlechter Bonität. Das bedeutet im Kern nichts anderes, als dass gute Schuldner gewissermaßen schlechte Schuldner subventionieren, was - wenn man es weiterentwickelt - den guten Schuldner dazu veranlasst, Fremdmittel beispielsweise auf Anleihemärkten aufzunehmen, weil dieser Weg für ihn günstiger ist. Letztendlich führt das dazu - das ist ein wesentlicher Grund, weshalb wir die Eigenkapitalhinterlegungsregeln ändern müssen -, dass in absolutem Widerspruch zum Ziel sich die schlechteren Risiken eher bei den Banken sammeln, als dass sie sich im Markt verteilen. ({0}) Um diesen Strukturfehler abzubauen, erfasst nun die neue Bankenregel Basel II die individuellen Risiken eines Kredits differenziert und trägt damit direkt zur Stabilisierung des nationalen wie auch des internationalen Finanzsystems bei. Ich habe schon am Anfang meiner Rede auf die siebenjährige Entwicklung hingewiesen. Man sollte daran erinnern, dass, als der so genannte Baseler Ausschuss, in dem die Bundesbank und die Bankenaufsicht die Interessen Deutschlands vertreten, 1999 seinen ersten Entwurf für die neuen Eigenkapitalanforderungen für Banken vorlegte, in Deutschland ein Sturm der Entrüstung losbrach. Vor allem der Mittelstand befürchtete vor dem Hintergrund der damaligen Vorschläge nicht zu Unrecht, dass er durch die Änderungen der Bankensteuerung massive Nachteile bei seiner Kreditversorgung erleiden werde. ({1}) Heute kann ich feststellen, dass es dem sofortigen Engagement des Deutschen Bundestages und der engen Zusammenarbeit mit den deutschen Kollegen im Europäischen Parlament, insbesondere mit dem zuständigen Berichterstatter, zu verdanken ist, dass diese Befürchtungen nicht eingetreten sind. ({2}) Im Gegenteil: Es konnten sogar erhebliche Vorteile für den deutschen Mittelstand erreicht werden. Denn mit dem so genannten Mittelstandspaket wurde bei der Behandlung der Kredite an kleine und mittlere Unternehmen sichergestellt, dass es unter Basel II definitiv nicht zu einer Verschlechterung der Finanzierungsmöglichkeiten für den Mittelstand kommen wird. So werden beispielsweise allein durch die Möglichkeit, Kredite an kleine Unternehmen von unter 1 Million Euro wie Kredite an Privatkunden zu behandeln, circa 90 Prozent aller Kreditforderungen des deutschen Mittelstands spürbar entlastet. ({3}) Diese Regelung bedeutet, dass jeder Mittelständler unabhängig von der Höhe des Jahresumsatzes bei jeder Ausfallwahrscheinlichkeit ein um 25 Prozent niedrigeres Risikogewicht als ein Unternehmenskredit erhält. Das hilft insbesondere bei Krediten an Handwerker, Freiberufler, Landwirte, aber auch bei Krediten an private Haushalte, wenn es um die Finanzierung von Wohnimmobilien inklusive der Bauspardarlehen geht. Im Ergebnis kann man also feststellen, dass Unternehmen wie private Haushalte in Zukunft sogar größere Chancen beim Nachweis ihrer Kreditwürdigkeit haben, um dann auch bessere Konditionen zu erhalten. Die AusGeorg Fahrenschon sage mancher Banker in den letzten Jahren: „Sie bekommen keinen Kredit wegen Basel II“ ist schlichtweg falsch. Vor diesem Hintergrund und um eine bessere Transparenz zu erreichen, haben CDU/CSU gemeinsam mit der SPD und der FDP in der gestrigen Finanzausschusssitzung zusätzlich eine Entschließung zu Art. 145 Abs. 4 der neu gefassten Bankenrichtlinie eingebracht. Auf der Grundlage der europäischen Richtlinie fordern wir die deutsche Kreditwirtschaft auf, über das Instrument einer Selbstverpflichtung dafür Sorge zu tragen, dass alle Kreditinstitute ihre Ratingentscheidungen den Kredit suchenden Unternehmen in nachvollziehbarer Weise und schriftlich offen legen. ({4}) An dieser Stelle ist für die Union wichtig: Sollte diese Selbstverpflichtung nicht ausreichen und nur unzureichend Wirkung zeigen, wollen wir prüfen, ob eine gesetzliche Regelung notwendig ist. ({5}) Denn Basel II ist kein Kreditkiller für den Mittelstand, sondern bietet faire Rahmenbedingungen für die Kreditvergabe. Kollege Schäffler hat bereits herausgestellt, dass es uns auch im letzten Teil, in der nationalen Umsetzung, gelungen ist, ein optimales Ergebnis für alle Akteure am Finanzstandort Deutschland zu erarbeiten und die neuen Regeln für die Kreditwirtschaft und die Verbraucher praktikabel zu machen. So konnte im parlamentarischen Verfahren gegenüber der Bundesregierung erreicht werden, dass eine Reihe von Verfahren, die in Deutschland bereits seit Jahren erfolgreich von der Kreditwirtschaft praktiziert werden, nicht unnötig verändert und verschärft wurden. Beispielhaft möchte ich die im ursprünglichen Gesetzentwurf vorgesehenen Änderungen in § 10 KWG Abs. 2 a und c nennen. Die Einführung neuer Abzugsverpflichtungen für erhebliche Verluste aus der Bewertung von Handelsbuchpositionen oder für nicht erhebliche unterjährige Verluste aus Handelsbuchgeschäften hätten enorme Anwendungsprobleme für die Institute bedeutet. Mit der Beibehaltung des Status quo in diesem Bereich konnte unnötige Bürokratie vermieden werden. ({6}) Auch bei der Ermittlung der Auslastung der Bagatellgrenzen für die Freistellung von der Anwendung der Handelsbuchregelung wird die gängige Gesetzespraxis aus gutem Grund beibehalten, da unserer Ansicht nach keinerlei Notwendigkeit besteht, die betroffenen Nichthandelsbuchinstitute mit einem unnötigen Aufwand zu belasten. Ich glaube, man kann die deutsche Umsetzung der neuen Baseler Eigenkapitalregelung fraktionsübergreifend als gelungen bezeichnen. ({7}) Die inhaltliche Ausgestaltung des neuen Aufsichtsregimes ab 2007 steht damit so frühzeitig wie möglich fest. Dadurch können wir unseren Instituten am Standort Deutschland einen Vorsprung bei der Anwendung der neuen Eigenkapitalregeln und bei den damit verbundenen frei werdenden Eigenkapitalmitteln verschaffen. ({8}) Der Kollege Schäffler hat auf die 6,7 Prozent im Durchschnitt und auf die 8,4 Prozent weniger Eigenkapitalmittel, die hinterlegt werden müssen, schon hingewiesen. Zum Jahreswechsel 2007 ergibt sich ein wichtiger Effekt für die deutsche Kreditwirtschaft, die wieder mehr Geld verfügbar hat, das sie dann auch in neue Kredite investieren kann. Ich glaube, wir müssen jetzt nur noch aufpassen, dass die Aufsicht die neuen Instrumente auch anwendet; denn die Aufgabe der Aufsicht ist es nicht, unternehmerische Entscheidungen zu fällen, sondern die Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Kreditwirtschaft in Deutschland zu schaffen und zu bewahren. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({9})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache. Bevor wir zu den Abstimmungen über diesen Tagesordnungspunkt kommen, gebe ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über Buchstabe c der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe bekannt. Abgegebene Stimmen 534. Mit Ja haben gestimmt 481, mit Nein haben gestimmt 48, Enthaltungen 5. Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Endgültiges Ergebnis Abgegebenen Stimmen: 534; davon ja: 481 nein: 48 enthalten: 5 Ja CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Peter Albach Thomas Bareiß Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({0}) Veronika Bellmann Clemens Binninger Peter Bleser Antje Blumenthal Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert Wolfgang Börnsen ({1}) Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Michael Brand Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Monika Brüning Georg Brunnhuber Gitta Connemann Hubert Deittert Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Anke Eymer ({2}) Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Enak Ferlemann Hartwig Fischer ({3}) Dirk Fischer ({4}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Dr. Hans-Peter Friedrich ({5}) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Norbert Geis Eberhard Gienger Ralf Göbel Dr. Reinhard Göhner Josef Göppel Peter Götz Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg Holger Haibach Ursula Heinen Uda Carmen Freia Heller Michael Hennrich Jürgen Herrmann Bernd Heynemann Peter Hintze Robert Hochbaum Klaus Hofbauer Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Susanne Jaffke Dr. Peter Jahr Dr. Hans-Heinrich Jordan Andreas Jung ({6}) Dr. Franz Josef Jung Hans-Werner Kammer Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({7}) Volker Kauder Eckart von Klaeden Jürgen Klimke Jens Koeppen Kristina Köhler ({8}) Manfred Kolbe Norbert Königshofen Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Martina Krogmann Johann-Henrich Krummacher Dr. Hermann Kues Dr. Karl A. Lamers ({9}) Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Ingbert Liebing Patricia Lips Dr. Michael Luther Stephan Mayer ({10}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz Laurenz Meyer ({11}) Maria Michalk Philipp Mißfelder Dr. Eva Möllring Marlene Mortler Carsten Müller ({12}) Stefan Müller ({13}) Bernward Müller ({14}) Dr. Gerd Müller Hildegard Müller Bernd Neumann ({15}) Henry Nitzsche Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Rita Pawelski Dr. Peter Paziorek Ulrich Petzold Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Daniela Raab Thomas Rachel Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Peter Rauen Eckhardt Rehberg Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Johannes Röring Kurt J. Rossmanith Dr. Christian Ruck Albert Rupprecht ({16}) Peter Rzepka Anita Schäfer ({17}) Hermann-Josef Scharf Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Georg Schirmbeck Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({18}) Andreas Schmidt ({19}) Ingo Schmitt ({20}) Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Kurt Segner Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Christian Freiherr von Stetten Gero Storjohann Andreas Storm Max Straubinger Thomas Strobl ({21}) Michael Stübgen Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Uwe Vogel Andrea Astrid Voßhoff Gerhard Wächter Marco Wanderwitz Marcus Weinberg Peter Weiß ({22}) Karl-Georg Wellmann Anette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Willi Zylajew SPD Dr. Lale Akgün Gregor Amann Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Ernst Bahr ({23}) Doris Barnett Dr. Hans- Peter Bartels Sören Bartol Sabine Bätzing Dirk Becker Uwe Beckmeyer Klaus Uwe Benneter Dr. Axel Berg Ute Berg Petra Bierwirth Lothar Binding ({24}) Volker Blumentritt Gerd Bollmann Dr. Gerhard Botz Klaus Brandner Bernhard Brinkmann ({25}) Edelgard Bulmahn Marco Bülow Ulla Burchardt Martin Burkert Dr. Michael Bürsch Christian Carstensen Dr. Herta Däubler-Gmelin Karl Diller Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Detlef Dzembritzki Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Hans Eichel Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Annette Faße Gabriele Fograscher Rainer Fornahl Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Dagmar Freitag Peter Friedrich Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Renate Gradistanac Angelika Graf ({26}) Dieter Grasedieck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Achim Großmann Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann ({27}) Nina Hauer Reinhold Hemker Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Petra Heß Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz ({28}) Gerd Höfer Iris Hoffmann ({29}) Frank Hofmann ({30}) Eike Hovermann Klaas Hübner Christel Humme Brunhilde Irber Johannes Jung ({31}) Josip Juratovic Johannes Kahrs Ulrich Kasparick Dr. h.c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Hans-Ulrich Klose Dr. Bärbel Kofler Fritz Rudolf Körper Rolf Kramer Nicolette Kressl Volker Kröning Angelika Krüger-Leißner Dr. Hans-Ulrich Krüger Jürgen Kucharczyk Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Dr. Uwe Küster Christian Lange ({32}) Dr. Karl Lauterbach Waltraud Lehn Gabriele Lösekrug-Möller Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Markus Meckel Petra Merkel ({33}) Ulrike Merten Dr. Matthias Miersch Ursula Mogg Marko Mühlstein Detlef Müller ({34}) Michael Müller ({35}) Dr. Rolf Mützenich Thomas Oppermann Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Christoph Pries Dr. Wilhelm Priesmeier Dr. Sascha Raabe Steffen Reiche ({36}) Maik Reichel Gerold Reichenbach Christel RiemannHanewinckel Walter Riester Sönke Rix René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({37}) Michael Roth ({38}) Marlene Rupprecht ({39}) Anton Schaaf Axel Schäfer ({40}) Bernd Scheelen Marianne Schieder Otto Schily Silvia Schmidt ({41}) Dr. Frank Schmidt Heinz Schmitt ({42}) Carsten Schneider ({43}) ({44}) Swen Schulz ({45}) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. Martin Schwanholz Rita Schwarzelühr-Sutter Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Andreas Steppuhn Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Joachim Stünker Dr. Rainer Tabillion Jörg Tauss Jella Teuchner Dr. h.c. Wolfgang Thierse Jörn Thießen Franz Thönnes Hans-Jürgen Uhl Rüdiger Veit Simone Violka Jörg Vogelsänger Dr. Marlies Volkmer Hedi Wegener Petra Weis Gunter Weißgerber Gert Weisskirchen ({46}) Lydia Westrich Dr. Margrit Wetzel Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Engelbert Wistuba Waltraud Wolff ({47}) Heidi Wright Uta Zapf Manfred Zöllmer FDP Jens Ackermann Dr. Karl Addicks Christian Ahrendt Daniel Bahr ({48}) Uwe Barth Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Patrick Döring Mechthild Dyckmans Jörg van Essen Ulrike Flach Paul K. Friedhoff Horst Friedrich ({49}) Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Miriam Gruß Joachim Günther ({50}) Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Hellmut Königshaus Gudrun Kopp Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Ina Lenke Sabine LeutheusserSchnarrenberger Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Hans-Joachim Otto ({51}) Gisela Piltz Jörg Rohde Marina Schuster Dr. Max Stadler Florian Toncar Christoph Waitz Dr. Claudia Winterstein Hartfrid Wolff ({52}) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Volker Beck ({53}) Cornelia Behm Matthias Berninger Grietje Bettin Alexander Bonde Ekin Deligöz Dr. Thea Dückert Dr. Uschi Eid Hans Josef Fell Kai Gehring Anja Hajduk Britta Haßelmann Peter Hettlich Priska Hinz ({54}) Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Ute Koczy Sylvia Kotting-Uhl Undine Kurth ({55}) Markus Kurth Monika Lazar Anna Lührmann Winfried Nachtwei Claudia Roth ({56}) Krista Sager Elisabeth Scharfenberg Irmingard Schewe-Gerigk Rainder Steenblock Silke Stokar von Neuforn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Jürgen Trittin Wolfgang Wieland Nein DIE LINKE Karin Binder Heidrun Bluhm Eva Bulling-Schröter Roland Claus Dr. Diether Dehm Werner Dreibus Klaus Ernst Heike Hänsel Lutz Heilmann Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Dr. Barbara Höll Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Dr. Hakki Keskin Katja Kipping Monika Knoche Jan Korte Oskar Lafontaine Michael Leutert Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Ulrich Maurer Dorothee Menzner Kornelia Möller Kersten Naumann Wolfgang Nešković Dr. Norman Paech Bodo Ramelow Elke Reinke Paul Schäfer ({57}) ({58}) Dr. Herbert Schui Dr. Petra Sitte Dr. Kirsten Tackmann Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Jörn Wunderlich fraktionslos Gert Winkelmeier Enthalten SPD Monika Griefahn Ernst Kranz Lothar Mark Dr. Wolfgang Wodarg Nun kommen wir zu den Abstimmungen dieses Tagesordnungspunktes, und zwar zunächst über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Umsetzung der neu gefassten Bankenrichtlinie und der neu gefassten Kapitaladäquanzrichtlinie, Drucksache 16/1335. Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/2018, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen des ganzen Hauses bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit der gleichen Mehrheit wie zuvor angenommen. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/2018 empfiehlt der Ausschuss, eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist bei Enthaltung der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen einstimmig angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über die Entschließungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/2042? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke von den übrigen Fraktionen abgelehnt. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/2043? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Entschließungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen mit den Stimmen des Hauses bei Gegenstimmen der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen und der Linken abgelehnt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael Kauch, Dr. Max Stadler, Sabine LeutheusserSchnarrenberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Patientenverfügungen neu regeln - Selbstbestimmungsrecht und Autonomie von nichteinwilligungsfähigen Patienten stärken - Drucksache 16/397 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({59}) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und teile zunächst mit, dass die Kollegen Kauch, Granold, Stünker, Grübel, Schewe-Gerigk und Strässer ihre Reden zu Protokoll gegeben haben.1) Es redet als Einziger zu diesem Tagesordnungspunkt der Kollege Ilja Seifert, Fraktion Die Linke. ({60})

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir leben in einer verrück- ten Zeit. Das Arzt-Patienten-Verhältnis ist von Vertrauen geprägt, sollte es jedenfalls sein. Was aber geschieht? Es wird immer weiter verrechtlicht. Eine Hoffnung ist, so- lange es kein einheitliches und überschaubares Recht des Gesundheitswesens gibt, für viele Menschen die Patien- tenverfügung; sie bleibt aber eine Notlösung. Wer das nicht sieht, geht in die Irre. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, Sie schlagen vor, die Patientenverfügung neu zu regeln. Da- gegen gibt es erst einmal gar nichts zu sagen. Sie haben aber vergessen, dass eine Vorsorgevollmacht, eine Be- treuungsverfügung und möglichst auch eine klare Festle- gung, ob man als Organspender zur Verfügung steht oder nicht, hinzugefügt werden müsste. Ansonsten nutzt die Patientenverfügung nämlich relativ wenig. 1) Anlage 16 Sie sorgen sich darum, dass die Fürsorge des Staates, die Fürsorge des Arztes, die Fürsorge des Gesundheitswesens in Bevormundung umschlägt und die Selbstbestimmung der Menschen beeinträchtigt. Sie vergessen aber - das muss, wenn das neu geordnet wird, unbedingt hinzugefügt werden -, dass wir dafür sorgen müssen, dass die Menschen, wenn man ihnen immer mehr Selbstbestimmung gibt, nicht immer stärker vereinsamen oder gar verwahrlosen. Das geschieht nicht nur bei Alkoholkranken, das geschieht auch bei alten Menschen, bei Demenz und anderen sozialen oder sonstigen Schwierigkeiten. Im Übrigen: Wie soll ich selbst bestimmen, wenn ich gar nicht weiß, welche Therapie ich gerade brauche, weil ich die Diagnose gar nicht selbst stellen kann? Deshalb sage ich: In diesem Zusammenhang nützt uns die Stärkung des Selbstbestimmungsrechts allein wenig. Wir müssen das Arzt-Patienten-Verhältnis, das ein Vertrauensverhältnis sein sollte, stärken. Es kann nicht sein, dass die Patienten zukünftig nur noch in Begleitung ihres Rechtsanwalts zum Arzt gehen, wohl wissend, dass neben dem Arzt dessen Rechtsanwalt sitzt, und sich dann die Rechtsanwälte über die Diagnose unterhalten und überlegen, welche Therapie von wem bezahlt wird. Wenn wir so weit sind, haben wir verloren. Eine grundlegende Regelung des Arzt-Patienten-Verhältnisses im BGB wäre sinnvoll, damit sowohl die Ärztinnen und Ärzte als auch die Patientinnen und Patienten wieder weniger über rechtliche Dinge nachdenken müssen, sondern man wieder stärker Vertrauen darin haben kann, dass jede Seite ihre Sache so ordentlich macht, dass für alle Seiten das Beste herauskommt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns eines nicht vergessen: Zu große Hoffnung in die Patientenverfügung zu legen, kann auch heißen, dass wir der aktiven Sterbehilfe Tür und Tor öffnen. Was wollen wir denn machen, wenn jemand frei und selbstbestimmt hineinschreibt: Wenn das und das mit mir passiert, möchte ich eine Giftspritze haben. Wie soll sich der Arzt dann verhalten? Wenn die Patientenverfügung rechtsverbindlich wäre, müsste er sie setzen. Ist sie es nicht, dann ist sie überflüssig. Also: Lassen Sie uns auch festlegen, was in einer Patientenverfügung nicht festgelegt werden darf, beispielsweise die aktive Sterbehilfe. Lassen Sie uns dafür sorgen, dass die Palliativversorung - auch ambulant richtig, schnell und flächendeckend ausgebaut wird und die Sterbebegleitung ernst genommen wird. Das ist ein Faktor, der ein paar Mark dreißig kostet, den wir uns aber leisten müssen, damit die Menschen keine Angst vor dem haben müssen, was passiert, wenn sie in eine gesundheitlich ausweglose Situation geraten. Das ist angesagt und nicht das einseitige Setzen auf Selbstbestimmung gegen das Vertrauensverhältnis von Arzt und Patient. Ich danke Ihnen, dass Sie zu dieser späten Stunde noch so aufmerksam waren, und hoffe, dass wir zu einem vernünftigen Ergebnis kommen. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/397 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 14 auf: - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union ({0}) - Drucksache 16/1024 - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union ({1}) - Drucksache 16/544 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({2}) - Drucksache 16/2015 Berichterstattung: Abgeordnete Siegfried Kauder ({3}) Joachim Stünker Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Wolfgang Nešković Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Parlamentarischen Staatssekretär Alfred Hartenbach das Wort.

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Grenzen in Europa sind in den letzten Jahrzehnten immer durchlässiger geworden. Das war eine glückliche Entwicklung und zahllose Menschen profitieren heute davon. Damit offene Grenzen aber nicht zu einem Risiko für unsere Sicherheit werden, muss auch die Verbrechensbekämpfung grenzüberschreitend werden. Der Mobilität der Straftäter müssen wir die Kooperation der Strafverfolger entgegensetzen. Der Europäische Haftbefehl ist ein wichtiges Instrument, um die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten beim Kampf gegen Terrorismus und Kriminalität weiter zu verbessern. An die Stelle der traditionellen Regelungen des Völkerrechts tritt ein vereinfachtes und vor allem beschleunigtes Auslieferungsverfahren. Ein erstes Gesetz hat das Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt. Das hat uns allen wehgetan. Wir kommen mit dem neuen Entwurf heute dem Urteil des Verfassungsgerichts nach, und zwar in allen Punkten. Die Bundesregierung hat die Entscheidung des Gerichts sehr genau geprüft und dann einen Gesetzentwurf vorgelegt. Der Rechtsausschuss hat auf dieser Grundlage eine, wie ich finde, sehr intensive und gute Anhörung durchgeführt und an einigen Punkten weitere Veränderungen vorgenommen. Wir haben das Gesetz verbessert und alle verfassungsrechtlichen Bedenken ausgeräumt. Die Entscheidung der Bewilligungsbehörde - das war eine der Fragen -, keine der möglichen Bewilligungshindernisse geltend zu machen, muss künftig durch die Oberlandesgerichte überprüft werden. Damit entsprechen wir der Forderung des Gerichts nach einem besseren Rechtsschutz. Künftig ist auch klargestellt, dass eine Auslieferung deutscher Staatsangehöriger unzulässig ist, wenn die Tat einen maßgeblichen Inlandsbezug aufweist. Anders ausgedrückt: Ausgeliefert werden darf künftig nur dann, wenn Tatort und Erfolgseintritt in wesentlichen Teilen im Ausland liegen oder wenn die Tat einen typischen grenzüberschreitenden Charakter hat, wie dies zum Beispiel bei der organisierten Kriminalität immer der Fall sein wird. Ich möchte eine dritte Änderung erwähnen, nämlich die so genannte Ausländerklausel. Angesichts von Millionen zum Teil bestens integrierter Zuwanderer in Deutschland macht es keinen Sinn, bei der Frage einer Auslieferung einzig und allein auf die Staatsbürgerschaft abzustellen. Ein Italiener zum Beispiel, der seit Jahrzehnten hier lebt, darf nicht anders behandelt werden als sein deutscher Nachbar. Allerdings kommt es immer auf den Einzelfall an. Wir haben deshalb die zwingende Regel durch eine Ermessensklausel ersetzt. Ich meine, dass das sehr vernünftig ist. Insgesamt darf ich abschließend feststellen: Wir haben nunmehr einen verfassungsfesten Entwurf auf den Tisch gelegt. Er berücksichtigt unsere Grundrechte und die Entscheidung aus Karlsruhe. Er entspricht dem europäischen Rahmenbeschluss und ist für die Praxis geeignet. Ich bin mir sicher: Mit diesem Gesetz kommt die Strafverfolgung in Europa ein gutes Stück voran und damit wird auch die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger fester. Vielen Dank. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegin Sabine LeutheusserSchnarrenberger, FDP-Fraktion. ({0})

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001336, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Staatssekretär Hartenbach, genau diese Einschätzung teile ich nicht. ({0}) Denn wenn Sie sich dieses Gesetzgebungsverfahren ganz ehrlich und nüchtern vor Augen führen, stellen Sie fest: Es war im ersten Anlauf vor dem Bundesverfassungsgericht eine große Blamage, weil das Justizministerium nicht in der Lage war, einen verfassungskonformen Entwurf vorzulegen. ({1}) Das Bundesverfassungsgericht hat das Gesetz insgesamt für nichtig erklärt. Auch das muss einmal gesagt werden. ({2}) Das hören Sie zwar nicht gerne ({3}) - das verstehe ich -, aber das ist die Geschichte dieses Gesetzentwurfs. ({4}) - Ich kann Ihnen sagen: in dieser Häufigkeit mit Sicherheit nicht. Ich nenne nur das Stichwort „Luftsicherheitsgesetz“. Das war eine Blamage bis zum Gehtnichtmehr. ({5}) Heute Morgen haben Sie Gesetzentwürfe verabschiedet, die sich alle beim Bundesverfassungsgericht wieder finden und dort mit Sicherheit keinen Bestand haben werden; denken Sie nur an das Steueränderungsgesetz. In anderen Fällen haben Sie Gesetze mit Befristungen versehen, obwohl Sie wissen, dass auch sie keinen Bestand haben werden. Insofern, Herr Staatssekretär, ist das kein Glanzstück Ihrer Rechtspolitik. Jetzt beraten wir den zweiten Anlauf des Justizministeriums. Der erste Gesetzentwurf, der vorgelegt wurde, hat noch nicht einmal die Zustimmung der Koalitionsfraktionen gefunden; andernfalls hätten Sie in der letzten Sitzung des Rechtsausschusses keine seitenlangen Änderungsvorschläge vorlegen müssen. Gott sei Dank haben wir die Anhörung zu diesem Gesetzentwurf durchgeführt, in der die Kritik der Experten aus den unterschiedSabine Leutheusser-Schnarrenberger lichsten Bereichen, die letztendlich auch das Justizministerium zur Kenntnis nehmen musste, deutlich wurde. Jetzt liegt in geänderter Fassung ein Gesetzentwurf vor, der durch diese Änderungen schon etwas verbessert wurde, der aber nach wie vor deutliche Defizite aufweist. Wenn man sich das Urteil des Bundesverfassungsgerichts - es ist zwar nicht Gesetzgeber, aber die letzte Instanz, wenn es um die Frage der Verfassungskonformität geht - genau ansieht, stellt man das fest. Das Justizministerium hat es sich zu leicht gemacht: Man hat einfach Formulierungen aus dem Urteil abgeschrieben, die von Praktikern schon heute als nicht praxistauglich beurteilt werden. ({6}) Was ist denn unter „maßgeblichem Inlandsbezug“ zu verstehen? Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt, hier müssten vonseiten des Gesetzgebers Konkretisierungen erfolgen. Aber Sie übernehmen diese Formulierungen. Alle Experten haben zum Ausdruck gebracht, dass es große Unsicherheiten gibt, dass die verwendeten Begriffe zu unbestimmt sind und dass man nicht weiß, wie man sie anwenden soll. Diese Entscheidung wird natürlich der Rechtsprechung unterworfen. Denn bei dieser Materie geht es darum, dass deutsche Staatsangehörige - zwar auch lange hier lebende Ausländer, aber insbesondere deutsche Staatsbürger - in die Hoheitsgewalt und in ein Rechtsverfahren eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union überstellt werden. Dort herrschen in diesem Bereich nach wie vor sehr unterschiedliche Traditionen und es werden verschiedene Verfahren angewendet, die sich längst nicht an einheitlichen Standards orientieren. Daher denke ich, dass es wichtig und notwendig ist, auch die Schranken, wann jemand ausgeliefert werden darf und wann nicht, sehr präzise zu formulieren. ({7}) Das ist in Ihrem Gesetzentwurf nicht mit der notwendigen Bestimmtheit der Fall. Der zweite Bereich, über den wir mit den Experten intensiv diskutiert haben, betrifft die Frage, inwieweit in diesem Bewilligungsverfahren Rechtsschutzmöglichkeiten gegeben sind. Das beinhaltet eine Bewilligungsund Zulässigkeitsprüfung. Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, nur auf massiven Druck wurde die Formulierung gestrichen, dass die getroffene Entscheidung generell unanfechtbar ist. Eine solche Regelung hätte mit Sicherheit nicht in Übereinstimmung mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts gestanden. Wir sind der Auffassung - das haben wir auch im Rechtsausschuss zum Ausdruck gebracht -, dass es letztendlich einen Rechtsbehelf gegen diese Bewilligungsentscheidung geben muss und dass die Ausgestaltung des zweistufigen Verfahrens allein, wie im vorliegenden Gesetzentwurf vorgesehen, nicht ausreicht. Lassen Sie mich zum Schluss anmerken, dass mit diesem Rahmenbeschluss zum Europäischen Haftbefehl eine neue Ära der justiziellen und polizeilichen Zusammenarbeit in der Europäischen Union eingeleitet wird. Denn mit dem gegenwärtig praktizierten Prinzip der gegenseitigen Anerkennung, mit dem wir uns in dieser Intensität bisher noch gar nicht befasst haben, wird ein Weg beschritten, der dazu führt, dass wir die Rechtsordnungen der anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union anerkennen, die, wie gesagt, sehr unterschiedlich sind und verschiedene Standards haben. Auf diese unterschiedlichen Standards wird eine Anerkennung der jeweiligen Entscheidungen aufgesetzt. Das fördert nicht Integration, das manifestiert Unterschiede. Wir haben bisher, obwohl es ein Grünbuch dazu gibt, keinen Vorschlag dazu bekommen, wie Rechtsstandards und Mindeststandards in diesem Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Europa endlich einmal im Gesamtzusammenhang betrachten werden können, um ein Stück weit Verlust und Einschränkung von Rechten der einzelnen Betroffenen abzubauen. Die FDP-Fraktion lehnt diesen Gesetzentwurf deshalb wegen grundsätzlicher Bedenken ab. Vielen Dank. ({8})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Siegfried Kauder, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Siegfried Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003563, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Es gibt einen Grundsatz, den jedermann kennt: Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand. Zu den Gerichten zählt auch das Bundesverfassungsgericht. ({0}) Damit nicht einige glauben, feixen zu können - das gilt insbesondere für die Grünen, die ja damals in der Regierungsverantwortung waren -, lohnt es sich vielleicht, die Entwicklung des ersten Gesetzentwurfes zum Europäischen Haftbefehlsgesetz zu beleuchten: Am 29. November 2000 wurde Art. 16 Abs. 2 des Grundgesetzes im Vorgriff auf das von Europa zu erwartende Recht - einen Rahmenbeschluss zum Europäischen Haftbefehlsgesetz - um einen Satz 2 ergänzt. In diesem Art. 16 Abs. 2 Satz 2 wurde abweichend von den bisherigen Grundrechten festgelegt: Durch Gesetz kann eine abweichende Regelung für Auslieferungen an einen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder an einen internationalen Gerichtshof getroffen werden, soweit rechtsstaatliche Grundsätze gewahrt sind. Damit nahm das Drama seinen Lauf: Was sind „rechtsstaatliche Grundsätze“, wie sie bei diesem Auslieferungsgesetz zu beachten sind? Am 19. September 2001 präsentierte die Kommission den Vorschlag eines Rahmenbeschlusses des Rates über Siegfried Kauder ({1}) den Europäischen Haftbefehl und am 15. August 2003 lag uns der Entwurf der Bundesregierung vor. Es war Eile geboten, nicht etwa weil Bestrafung aus Europa angestanden hätte, sondern weil alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union sich einig waren, dass in wenigen Monaten, nämlich ab dem 1. Januar 2004, dieses erleichterte Auslieferungsrecht für die gesamte Europäische Union gelten sollte. Es galt also den Anschluss zu halten. Verfassungsrechliche Rechtsprechung, an der wir uns hätten orientieren können, gab es nicht. Deswegen wurde dieser Gesetzentwurf mit der notwendigen Mehrheit im Deutschen Bundestag Gesetz. „Das war ja wohl nichts“, meinte die Frau Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger etwas feixend; denn das Bundesverfassungsgericht hat dieses Gesetz mit Pauken und Trompeten aufgehoben. Meine lieben Kolleginnen, liebe Kollegen, wir können nicht immer klüger sein, als mancher Richter das ist. Und mancher Richter ist auch nicht klüger als das Bundesverfassungsgericht. Denn kurz nachdem dieses Gesetz verabschiedet war, hat das Oberlandesgericht Stuttgart - am 28. Januar 2005 - einen Beschluss verabschiedet, dessen Ziffer 2 ich mir zu zitieren erlaube: Gegen die Verfassungsmäßigkeit des neuen Auslieferungsrechts, insbesondere soweit es die Auslieferung Deutscher betrifft, bestehen keine durchgreifenden Bedenken. Da hat immerhin ein Oberlandesgericht, im Einvernehmen mit den anderen Oberlandesgerichten, dem Gesetzgeber bestätigt: Du hast eine gute Arbeit geleistet. ({2}) Das Bundesverfassungsgericht sah das anders. Damit muss eine Regierungskoalition und eine Regierung eher leben als die Opposition, weil in aller Regel die Mehrheit im Deutschen Bundestag die Gesetze verabschiedet und sie dann auch vor dem Verfassungsgericht zu vertreten hat. Aber was hat uns das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung präsentiert? Etwas, wovon nicht nur die Politiker, sondern auch die Rechtsgelehrten völlig überrascht waren: Da hat man auf einmal eine dreistufige Prüfung eingeführt und war der Meinung, Auslieferungsfälle seien zu differenzieren nach dem so genannten maßgeblichen Inlandsbezug und nach dem maßgeblichen Auslandsbezug und, nicht zu vergessen, dann gäbe es auch noch Mischfälle, wo man nicht eindeutig sagen kann, ob ein maßgeblicher Inlandsbezug oder ein maßgeblicher Auslandsbezug vorhanden ist. Das war also die dreistufige Prüfungsreihenfolge, die uns das Verfassungsgericht vorgegeben hat. Aber auch die Verfassungsrichter erkannten dann schnell, dass es nicht so einfach möglich ist, dieses System durchzuhalten. Was machen wir denn mit der organisierten Kriminalität, die länderübergreifend tätig ist? Na ja, dachten sich die hohen Herren bei Gericht, die packen wir einfach unter eine der Fallarten, nämlich die mit maßgeblichem Auslandsbezug. - Meine Damen und Herren, Sie sehen also: Es ist auch für ein Gericht nicht so einfach, mit diesen Problemen fertig zu werden. Ein weiteres Haar wurde in der Suppe gefunden, nämlich das, was die Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger angesprochen hat: die Rechtsmittelfähigkeit der so genannten Bewilligungsentscheidungen. Seit es das Auslieferungsrecht gibt, hat es das in Deutschland noch nie gegeben und das wurde unisono auch von den Gerichten und von den Rechtsgelehrten nicht verlangt. Auf einmal ist dies völlig unerwartet eine Vorgabe des Verfassungsgerichts. Warum erzähle ich Ihnen dies alles? Weil der Grundsatz „Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand“ sicherlich auch für den jetzt vorliegenden Gesetzentwurf seine Anwendung finden könnte. ({3}) Wir haben anhand unseres eigenen Wissens, mit unseren eigenen intellektuellen Fähigkeiten und mithilfe von Fachbeamten des Justizministeriums zu prüfen, ob wir diesen Gesetzentwurf verfassungsrechtlich vertreten können oder nicht. Ich verhehle nicht, dass man den einen oder anderen Gedanken haben kann - der Kollege Montag wird dazu noch etwas sagen -, wie man dieses Gesetz noch aufpeppen kann. Liebe Kolleginnen und Kollegen vom Bündnis 90/Die Grünen, nehmen Sie es uns aber nicht übel, dass wir die Debatte, die Sie in der letzten Legislaturperiode mit Ihren Partnern nicht zu einem Ergebnis haben führen können, nicht noch einmal entfachen. Wir wollen ein verfassungskonformes Gesetz, das wir damit vorgelegt haben. Ich bin der Meinung, es ist verfassungstauglich. Ob es gerichtsfest ist, werden wir vielleicht irgendwann einmal sehen. Es ist aber geeignet, dem zuzustimmen. Darum bitte ich Sie. ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Der Kollege Wolfgang Nešković, Fraktion Die Linke, hat seine Rede zu Protokoll gegeben.1) Damit erteile ich dem Kollegen Jerzy Montag, Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen, das Wort.

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Kauder, die Grünen haben bei diesem Thema nicht gefeixt, wie Sie gesagt haben, sondern ich habe mir erlaubt, Ihnen zuzulächeln, weil ich die elegante Einfüh- rung Ihres Vortrags so gut gefunden habe. Mit allem Ernst: Ein Gesetz in einem zweiten Anlauf formulieren zu müssen, das uns Abgeordneten des Bun- destages vom Bundesverfassungsgericht mit der etwas süffisanten Bemerkung zurückgegeben worden ist, wir sollten „Gelegenheit bekommen, nunmehr unseren Ver- fassungspflichten zu genügen“, ist nicht einfach. Ich er- innere mich gut daran, dass ich am 11. März 2004 hier im Hohen Hause gesagt habe, wir seien durch den Rah- menbeschluss über den Europäischen Haftbefehl ge- 1) Anlage 17 zwungen, einige wichtige rechtsstaatliche Schutznormen des bewährten deutschen Auslieferungsrechts abzusenken. Das Bundesverfassungsgericht hat dies anders gesehen. Wir werden jetzt also in die Pflicht genommen, nach den Vorgaben des Verfassungsgerichts nachzubessern. Dabei sollten wir die uns vom Gericht zurückgegebene Autonomie mutig nutzen und unsere Vorstellungen eines rechtstaatlichen Auslieferungsverfahrens ohne ängstliches Schielen auf den Rahmenbeschluss in die Tat umsetzen. ({0}) Leider muss ich der Koalition bescheinigen, diesen Mut nicht aufgebracht zu haben. Ich will das an der zentralen Frage verdeutlichen, wann ein Deutscher an das Ausland ausgeliefert werden kann. Die Antwort, die in Ihrem Gesetz steht, lautet: Wenn seine Tat einen maßgeblichen Bezug zu dem Staat aufweist, der seine Auslieferung begehrt. - Das ist schwierig genug. Was aber ist ein maßgeblicher Bezug? Er soll gegeben sein, wenn die Tat in wesentlichen Teilen in diesem Staat begangen wurde und der Taterfolg in wesentlichen Teilen dort eingetreten ist oder wenn die Tat einen typisch grenzüberschreitenden Charakter hat. Was ist aber der „wesentliche Teil“ einer Tat und welche Taten haben einen „grenzüberschreitenden Charakter“? Fragen über Fragen. Damit ist es aber noch nicht genug. Der Deutsche kann auch ausgeliefert werden, wenn seine Tat keinen maßgeblichen Bezug zu dem Staat aufweist, der seine Auslieferung begehrt. Man fragt sich, warum und unter welchen Bedingungen das so sein soll. Das soll möglich sein, wenn seine Tat auch keinen maßgeblichen Bezug zu Deutschland hat, seine Tat - die maßgeblich wohl dann in einem Drittstaat begangen worden sein muss - nach deutschem Recht auch strafbar wäre und bei einer Abwägung der Interessen des Staates, der die Auslieferung begehrt, obwohl zu ihm gar kein maßgeblicher Bezug besteht, im Verhältnis zu dem Interesse des Deutschen, nicht ausgeliefert zu werden, die Interessen gleichgewichtig sind oder die staatlichen Interessen überwiegen. - Das soll einer verstehen, der als Betroffener vor einer Auslieferung zum Beispiel nach Lettland steht. Es kommt aber noch schlimmer. Bei diesen letztgenannten Abwägungen zwischen den Interessen des Staates und des betroffenen Bürgers sind ins Verhältnis zu setzen die praktischen Erfordernisse und Möglichkeiten einer effektiven Strafverfolgung unter Berücksichtigung der mit der Schaffung eines europäischen Rechtsraums verbundenen Ziele mit den grundrechtlich geschützten Interessen des Betroffenen. - Das alles steht in dem Gesetz. Das haben Sie wortwörtlich aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts abgeschrieben. Sie glauben, indem Sie solche Begriffskaskaden ins Gesetz aufnehmen, könnten Sie einer nochmaligen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts entkommen. Sie entkommen dem vielleicht, Herr Kollege Kauder, aber ein gutes Gesetz ist das immer noch nicht. ({1}) Wir haben deswegen im Rechtsausschuss konkrete Verbesserungsvorschläge dazu gemacht. Aber Sie haben mit uns nicht einmal die Diskussion über unsere Änderungswünsche geführt. Sie haben zu unseren Änderungsvorschlägen im Rechtsausschuss geschwiegen. Weil Sie die Diskussion nicht gesucht und unsere guten Verbesserungsvorschläge nicht akzeptiert haben, werden Sie, meine Damen und Herren von der großen Koalition, die Verantwortung für dieses Gesetz alleine zu tragen haben. Wir Grünen werden diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Carl-Christian Dressel, SPD-Fraktion.

Dr. Carl Christian Dressel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003750, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich mir einige der Vorredner, vor allem Frau LeutheusserSchnarrenberger und Herrn Montag, anhöre, dann denke ich, es geht um die Auslieferung von Verfolgten an Staaten wie China oder Kuba und nicht an Rechtsstaaten innerhalb der Europäischen Union. Meine Damen und Herren, wir können darüber froh sein, dass wir in Europa ein rechtsstaatliches Gemeinschaftssystem erreicht haben und dass der Europäische Rat bereits 1999 das Ziel formuliert hat, in Europa einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu gestalten. ({0}) Europa ist mehr als eine Wirtschaftsgemeinschaft. Europa ist eine Rechtsgemeinschaft. ({1}) Zu diesen Grundsätzen gehört auch, dass im Rahmen eines rechtsstaatlichen Verfahrens die strafrechtliche Verfolgung über die Grenzen hinaus ermöglicht wird. Wir haben den europäischen Rahmenbeschluss jetzt umzusetzen, nachdem es im ersten Anlauf nicht geklappt hat. Das Bundesverfassungsgericht hat ausgeführt, dass dem Gesetzgeber, da tragende verfassungsrechtliche Gründe nicht gehalten haben, Gelegenheit gegeben werden muss, das Gesetz in seiner Gesamtheit neu zu beraten und die Möglichkeit zu schaffen, sowohl verfassungskonform als auch rahmenbeschlusskonform zu einer Umsetzung zu kommen. ({2}) - Das steht unter Randnummer 116 B II der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Frau Leutheusser-Schnarrenberger, Sie sagen immer, das Gesetz sei insgesamt für nichtig erklärt worden. Das ist die normale Folgen, derer sich das Bundesverfassungsgericht bedient, wenn es sich um die tragenden Entscheidungen eines Gesetzes handelt. Wir haben in dem vorliegenden Gesetzentwurf die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts berücksichtigt. Ich sehe keinen Grund, daran zu zweifeln, ob verfassungsgerichtliche Vorgaben - durchaus auch im Wortlaut - im Gesetz erscheinen können. Ganz im Gegenteil: Es ist gute rechtsstaatliche Tradition, sowohl Begrifflichkeiten aus gerichtlichen Entscheidungen zu übernehmen, als auch die Entscheidung im Einzelfall Behörden und Gerichten zu überlassen. Wir können als Gesetzgeber nicht für jeden denkbaren Einzelfall Vorsorge treffen. Wir können die Grundsätze vorgeben; über den Einzelfall entscheiden Behörden und Gerichte. Und tun wir nicht so, als ob das etwas Neues wäre! Das ist im deutschen Rechtsstaat schon seit Jahrzehnten, wenn nicht seit Jahrhunderten so. ({3}) - Herr Montag, die gesetzliche Regelung der Einzelfallentscheidung gibt es bei uns seit dem 19. Jahrhundert, auch schon vor Einführung des Rechtsstaates. ({4}) - Ich sage Ihnen gerne konkret, Frau LeutheusserSchnarrenberger: Wenn Sie aufgrund von Nichtanfechtbarkeiten der Entscheidung der Bewilligungsbehörde, die wir ursprünglich vorgesehen hatten, jetzt plötzlich den Zusammenbruch des Rechtsstaates befürchten, dann ist Ihnen offenbar eine Vorschrift wie § 44 a der Verwaltungsgerichtsordnung nicht bekannt, derzufolge eine notwendige Zwischenentscheidung nicht isoliert anfechtbar ist, sondern erst im Rahmen der Gesamtentscheidung. Dann ist wahrscheinlich die Hälfte aller Baugenehmigungen, die bei Zwischenentscheidungen nicht isoliert anzufechten waren, rechtsstaatswidrig. Diese Auffassung kann ich nicht teilen, Frau LeutheusserSchnarrenberger. Mit dem Europäischen Haftbefehl werden wir die Zusammenarbeit zwischen den europäischen Staaten erheblich beschleunigen und die Kriminalitätsbekämpfung verbessern. Wir haben ein durch die Bank gutes Gesetz geschaffen, das sich an den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts orientiert. Lassen Sie uns die Grundlage für eine vernünftige Zusammenarbeit bei der Kriminalitätsbekämpfung in Europa auch im strafrechtlichen Bereich schaffen. Ich danke Ihnen. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Europäischen Haftbefehlgesetzes, Drucksache 16/1024. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/2015, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der CDU/ CSU und der SPD gegen die Stimmen der drei anderen Fraktionen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den gleichen Mehrheiten wie soeben angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/2044. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist damit mit den Stimmen der CDU/CSU und der SPD bei Enthaltung des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen der FDP und der Linken abgelehnt. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses zu dem von den Fraktionen der CDU/ CSU und der SPD eingebrachten Entwurf eines Europäischen Haftbefehlgesetzes, Drucksache 16/544. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/2015, den Gesetzentwurf für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Sevim Dagdelen, Ulla Jelpke, Petra Pau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Einbürgerungen erleichtern - Ausgrenzungen ausschließen - Drucksache 16/1770 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({0}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Die Beiträge der Kollegen Kammer, Veit, Wolff ({1}), Dagdelen und Winkler zu diesem Tages- ordnungspunkt sind zu Protokoll gegeben.1) Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/1770 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- 1) Anlage 18 Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und der Vermögensabschöpfung bei Straftaten - Drucksache 16/700 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({2}) - Drucksache 16/2021 Berichterstattung: Abgeordnete Siegfried Kauder ({3}) Jörg van Essen Jerzy Montag Die Reden der Kollegen Siegfried Kauder, Peter Danckert, Jörg van Essen, Sevim Dagdelen und Jerzy Montag zu diesem Tagesordnungspunkt sind zu Pro- tokoll gegeben1), genauso wie die Rede des Parlamenta- rischen Staatssekretärs Alfred Hartenbach2). Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und der Vermögensabschöp- fung bei Straftaten, Drucksache 16/700. Der Rechtsaus- schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/2021, den Gesetzentwurf in der Aus- schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist bei Enthaltungen der Fraktionen der FDP und Die Linke mit den Stimmen der anderen Fraktionen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzent- wurf ist mit der gleichen Mehrheit wie soeben angenom- men. Ich rufe den Zusatzpunkt 6 auf: Beratung des Antrags der Fraktionen der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Demokratiebewegung in Belarus unterstützen - Drucksache 16/1977 - Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss 1) Anlage 19 2) Rede lag bei Redaktionsschluss noch nicht vor. Die Reden der Kollegen Manfred Grund, Uta Zapf, Harald Leibrecht und Wolfgang Gehrcke3) zu diesem Tagesordnungspunkt sind zu Protokoll gegeben.4) Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/1977 an den Auswärtigen Ausschuss vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a und 20 b so- wie die Zusatzpunkte 7 und 8 auf: 20 a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU und der SPD UN-Überprüfungskonferenz als Chance zur wirksamen Kontrolle des Handels mit Klein- waffen und leichten Waffen nutzen - Drucksache 16/1894 - b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Holger Haibach, Erika Steinbach, Carl-Eduard von Bismarck, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Herta Däubler-Gmelin, Christoph Strässer, Niels Annen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Den neuen Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen zum Erfolg führen - Drucksache 16/1891 ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried Nachtwei, Alexander Bonde, Jürgen Trittin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Waffen unter Kontrolle - Für eine umfassende Begrenzung und Kontrolle des Handels mit Kleinwaffen und Munition - Drucksache 16/1967 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ({4}) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Verteidigungsausschuss Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Beck ({5}), Marieluise Beck ({6}), Alexan- der Bonde, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Den neuen Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen intensiv unterstützen - Drucksache 16/1968 - Die Reden der Kollegen Holger Haibach, Carl-Edu- ard von Bismarck, Herta Däubler-Gmelin, Christoph 3) Rede lag bei Redaktionsschluss noch nicht vor. 4) Anlage 20 Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Strässer, Florian Toncar, Michael Leutert und Volker Beck sind zu Protokoll gegeben.1) Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/1894 mit dem Titel „UN-Überprüfungskonferenz als Chance zur wirksamen Kontrolle des Handels mit Kleinwaffen und leichten Waffen nutzen“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen von CDU/ CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 20 b. Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf der Drucksache 16/1891 mit dem Titel „Den neuen Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen zum Erfolg führen“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU, SPD, FDP und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der Grünen angenommen. Zusatzpunkt 7. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/1967 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Zusatzpunkt 8. Abstimmung über den Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/1968 mit dem Titel „Den neuen Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen intensiv unterstützen“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der anderen Fraktionen abgelehnt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten CarlLudwig Thiele, Frank Schäffler, Dr. Hermann Otto Solms, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP REITs - Real Estate Investment Trusts in Deutschland einführen - Drucksache 16/1896 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({7}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die FDP sechs Minuten erhalten soll. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Carl-Ludwig Thiele, FDP-Fraktion, das Wort. ({8}) 1) Anlage 21

Carl Ludwig Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002315, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Nachdem in den Medien darüber berichtet wurde, nachdem sich Koalitionsarbeitsgruppen damit beschäftigt haben, ist es gut, dass uns heute dieser Antrag vorliegt. Dies trägt dazu bei, dass wir die Real Estate Investment Trusts entsprechend vorantreiben. Wir brauchen das. In der Koalitionsvereinbarung gibt es sogar eine entsprechende Absichtserklärung; aber wir haben REITs noch nicht. Die SPD-Linken machen erheblich Stimmung gegen die Einführung von REITs. Vielleicht ist auch ihnen das Papier „Heuschrecken vor der Haustür“ bekannt. ({0}) - Vor der Tür, Entschuldigung! ({1}) - In meinem Text steht „Heuschrecken vor der Tür“. ({2}) Heuschrecken möchte natürlich niemand gern in seiner Wohnung haben. Worum geht es? Es geht hier aus meiner Sicht im Wesentlichen darum, ideologische Vorbehalte der SPD-Linken in dieser Frage endlich einmal über Bord zu werfen. Auch für die CDU/CSU-SPD-Koalition sollte gelten: Wir wollen nicht nur wissen, was in Deutschland nicht geht, sondern wir wollen endlich auch einmal wissen, dass etwas geht in Deutschland. ({3}) Deshalb werden wir als FDP in diesem Bereich aktiv. ({4}) Die Ängste der Menschen werden geschürt; aber keiner wird durch den Verkauf einer Wohnung schlechter gestellt. Es ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass gerade unter einem SPD-geführten Ressort noch in der letzten Wahlperiode Hunderttausende von Wohnungen an Mieter, an Investoren veräußert wurden. Dies war also schon in der Vergangenheit ein Prinzip der Sozialdemokraten. Insofern kann man jetzt nicht sagen: Dieser Weg sollte nicht gegangen werden. ({5}) - Zuletzt in Dresden. Der Bereich der Immobilienwirtschaft wird aus meiner Sicht in Deutschland generell unterschätzt, auch was die Werthaltigkeit angeht. Nach einer Untersuchung des Ifo-Instituts beläuft sich der Wert inklusive des Grundstückwertes aller in Deutschland gehaltenen Immobilien auf über 7 000 Milliarden Euro. In diesem Bereich sind über 400 000 Menschen beschäftigt. Auch die volkswirtschaftliche Bedeutung dieses Bereichs sollte stärker als bisher wahrgenommen werden. ({6}) Warum ist es so wichtig, die REITs nun einzuführen? Ich möchte hier vier Gründe nennen. Erstens. Als Anlageklasse wird die Immobilie auch in Zukunft an Attraktivität gewinnen. Sie sichert durch die Mietverträge nachhaltige Erträge und ist insbesondere interessant, um Rentenverpflichtungen - Pensionsfonds und Ähnliches - erfüllen zu können. Insofern ist es ein guter Weg, die Immobilie für die Zukunft attraktiver zu gestalten. Zweitens. Die deutschen Unternehmen haben im Vergleich mit denen anderer Länder eine sehr niedrige Eigenkapitalrendite, aber überdurchschnittlich viel Immobilienbesitz. Eine Studie der Technischen Universität Darmstadt hat ergeben, dass die Immobilieneigentumsquote deutscher Unternehmen noch immer bei durchschnittlich rund 60 Prozent liegt. Im internationalen Vergleich sind 30 bis 40 Prozent üblich. ({7}) Insofern gibt es hier stille Reserven. Sie werden anders bilanziert werden müssen. Aufgrund dessen werden diese Reserven auch einer anderen Besteuerung zugeführt werden. Wir brauchen in Deutschland eine bessere Eigenkapitalausstattung der Unternehmen. Deshalb sollten wir dazu beitragen, dass die dort liegenden Werte gehoben werden, um die Eigenkapitalsituation der Unternehmen zu stärken. Das ist eine der Voraussetzungen dafür, dass die Unternehmen wettbewerbsfähiger werden, dass investiert werden kann und dass Arbeitsplätze geschaffen werden können. Das sollte in unser aller Interesse sein. In den Fragen des Finanzplatzes Deutschland waren wir bislang fraktionsübergreifend einer Meinung. Wir sollten alles tun, was den Finanzplatz stärkt. Also lassen Sie uns bitte auch in dieser Frage so verfahren! ({8}) Drittens. Auch der öffentliche Sektor verfügt über Immobilienbesitz, besonders Wohnimmobilien. Einzelne Kommunen, Dresden zum Beispiel, sind vorangegangen. Aber es ist die Frage, ob der Verkauf an Investoren erforderlich ist oder ob man auch andere Beteiligungsformen finden kann, die es den Kommunen ermöglichen, sich selbst wieder an diesen Immobilienwerten zu beteiligen. Von daher halte ich es für richtig, dass dieser Weg endlich geöffnet wird. ({9}) Viertens. In den USA gibt es REITs bereits seit den 60er-Jahren des letzten Jahrhunderts. Es gibt sie seit langem in den Niederlanden und Australien, seit mehr als zehn Jahren in Kanada, seit Beginn des Jahrtausends in vielen asiatischen Ländern, seit 2003 direkt vor unserer Haustür in Frankreich und voraussichtlich ab dem nächsten Jahr auch in Großbritannien. Das zeigt: Deutschland kann die Etablierung von REITs überhaupt nicht verhindern. Es ist nur die Frage: Findet das Geschäft in Deutschland statt ({10}) oder findet es in anderen Ländern statt? ({11}) Ich habe inzwischen wirklich die Nase voll davon, dass wir in Deutschland immer nur zeigen, was nicht geht. Wir sollten uns bemühen, die Sache flott zu machen. Wir werden das weitertreiben. Deshalb halte ich es für richtig, dass dieser Weg gegangen wird. ({12}) Lassen Sie mich abschließend noch ein paar Sätze zum Verfahren sagen. Es ist öffentlich bekannt, dass eine Koalitionsarbeitsgruppe seit längerem an der Lösung der Probleme arbeitet. ({13}) Presseberichten zufolge ist sie zu einem Ergebnis gekommen, dass sie nämlich in der Koalition kein Ergebnis erzielt hat, und insofern ist sie auseinander gegangen. ({14}) Ich begrüße ausdrücklich, dass das Bundesfinanzministerium abweichend von Regeln, die es sonst gegeben hat, öffentlich erklärt hat, noch in der Sommerpause, spätestens im September einen Gesetzentwurf einzubringen. Wir freuen uns, dass unser Antrag schon jetzt in dieser Form vom Finanzministerium aufgenommen wurde, und hoffen, dass den Finanzminister der Mut mit Blick auf einzelne Linke, die in dieser Frage für die SPD-Fraktion leider federführend verhandelt haben, nicht verlässt. Wir wünschen uns, dass das Gesetz schnellstmöglich eingebracht wird, damit dann in Ruhe die Details so beraten werden können, dass zum 1. Januar 2007 ein vernünftiges Gesetz in Kraft treten kann. Herzlichen Dank. ({15})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Leo Dautzenberg für die Unionsfraktion. ({0})

Leo Dautzenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003067, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Finanzmarktpolitik war und ist erfreulicherweise ein Gebiet, auf dem fraktionsübergreifend viele Schnittmengen und gemeinsame Zielvorstellungen gegeben waren; darin, Kollege Thiele, waren wir uns immer einig. Dass dem so ist, haben wir in dieser Woche, auch heute, gezeigt, indem wir Basel II verabschiedet haben. Zum Thema REITs und zum FDP-Antrag zur Einführung von Real Estate Investment Trusts, kurz „REITs“ genannt, in Deutschland. Auch hier haben wir gemeinsame Zielvorstellungen. Die Union hat bereits im Februar 2005 einen Antrag in den Deutschen Bundestag eingebracht, der die gleiche Zielrichtung verfolgt wie der heute hier zu debattierende Antrag der FDP. Vermutungen darüber, ob man den zum Anlass genommen hat, das Thema aus der Sicht der FDP zu aktualisieren, sind nicht so sehr angebracht. Ich kann dem Kollegen Thiele nur sagen: Was wir in Oppositionszeiten für richtig gehalten haben, halten wir im Grunde auch in Regierungszeiten für richtig. ({0}) Die Union war und ist derzeit dezidiert der Überzeugung, dass ein deutscher REIT eine Bereicherung für den Finanzplatz Deutschland wäre. Insofern stimme ich dem Antrag der FDP zu, der im Übrigen nichts anderes fordert, als sich die Koalitionsfraktionen im Koalitionsvertrag ohnehin selbst als Aufgabe gestellt haben. ({1}) Die FDP fordert, zur Besteuerung von REITs eine Lösung zu finden, die erstens nicht mit der Lage der öffentlichen Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden kollidiert, zweitens eine verlässliche Besteuerung beim Anleger sicherstellt und drittens positive Wirkungen auf den Immobilienmarkt und die Standortbedingungen erwarten lässt. An exakt diese Bedingungen knüpfen auch die Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag die Einführung von REITs. Dazu darf ich den entsprechenden Passus aus dem Koalitionsvertrag kurz zitieren. Dort heißt es: Produktinnovationen und neue Vertriebswege müssen nachdrücklich unterstützt werden. Dazu wollen wir die Rahmenbedingungen für neue Anlageklassen in Deutschland schaffen. Hierzu gehören: - Die Einführung von Real Estate Investment Trusts ({2}) unter der Bedingung, dass die verlässliche Besteuerung beim Anleger sichergestellt wird und positive Wirkungen auf Immobilienmarkt und Standortbedingungen zu erwarten sind, … So weit das Zitat aus dem Koalitionsvertrag. ({3}) Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wie Sie wissen, haben die Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD im Frühjahr eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die genau die Frage klären sollte, ob die Bedingungen, die im Koalitionsvertrag an die Einführung von REITs geknüpft sind, auch tatsächlich erfüllt bzw. erfüllbar sind. Wir haben uns in der Arbeitsgruppe also folgende Fragen gestellt: Welche Auswirkungen haben REITs auf den Standort? Welche Auswirkungen haben REITs auf den Immobilienmarkt? Wie kann die verlässliche Besteuerung beim Anleger sichergestellt werden? Zu all diesen Fragen haben wir in der Arbeitsgruppe Expertengespräche geführt. Parallel dazu hat sich auch das Bundesministerium der Finanzen darangemacht, die Fragen zu beantworten. In der Zwischenzeit hat das Ministerium alle drei Fragen sehr eindeutig positiv beantwortet. Leider sind wir aber, anders als das Ministerium, mit den drei Kollegen der SPD in der Arbeitsgruppe nicht zu einer einvernehmlichen Beantwortung der Fragen gekommen, obwohl - das sage ich sehr deutlich - auch die Experten, mit denen wir gesprochen haben, mehrheitlich die Bedingungen des Koalitionsvertrages als erfüllt ansehen. Für die Union kann ich daher sagen: Wir haben uns ausführlich mit den Folgewirkungen einer Einführung von REITs beschäftigt und teilen ausdrücklich die positive Bewertung des Finanzministeriums und der Experten. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich kurz auf die einzelnen Bedingungen eingehen, die wir an die Einführung von REITs knüpfen: Ich komme zunächst zur Frage der Auswirkungen auf den Standort. Diese ist sehr leicht zu beantworten: Die Auswirkungen auf den Finanzplatz wären positiv. Wenn wir nicht rechtzeitig REITs zulassen - Kollege Thiele, Sie haben das betont -, werden zukünftig noch weitere Investitionsvolumina am deutschen Markt vorbeigehen. ({4}) Dann werden REITs im Ausland platziert; dabei handelt es sich dann zwar um Immobilienvermögen von Deutschen, aber die Platzierung erfolgt eben im Ausland. REITs sind dazu geeignet, das Anlagespektrum zu erweitern. Gerade für institutionelle Investoren wie Versicherungen und Altersvorsorgeeinrichtungen ist ein REIT ein wertvolles Produkt. Es dient zur Diversifizierung und Stabilisierung des Portfolios. Ganz anders als in der Öffentlichkeit oftmals dargestellt, ist das Ziel eines REIT eben nicht die Renditemaximierung, sondern vielmehr der stetige Ertrag auf hohem Niveau. Das liegt daran, dass REITs einen langfristigen Anlagehorizont haben. Wer sich einmal diese Eigenschaften eines REITs vergegenwärtigt, der begreift auch sehr schnell, dass die Befürchtungen, es könne durch REITs zu negativen Auswirkungen auf dem Wohnungsmarkt kommen, unbegründet sind. Wenn ein REIT einen langfristigen Anlagehorizont hat und auf stetige Erträge setzt, warum sollte er dann, so frage ich Sie, mit Wohnungen spekulieren, sie womöglich aufteilen und damit schnelles Trading betreiben? Diese Befürchtungen entbehren jeder Grundlage. Das Gegenteil ist richtig: Gerade WohnungsREITs sind Bestands-REITs. Sie erzielen ihre Rendite nicht über Spekulation und horrende Mietsteigerungen, ({5}) sondern über Wertsteigerungen der Immobilienbestände, also des Portfolios. Von daher ist damit auch eine nachhaltige Bestandsbewirtschaftung sichergestellt. ({6}) Die Parlamentarische Staatssekretärin, Frau Dr. Hendricks, hat dies jüngst auch ausdrücklich betont. ({7}) Sie sehen, meine Damen und Herren, die Befürchtungen, die REIT-Kritiker gerade mit Blick auf die Auswirkungen auf den Wohnungsmarkt vortragen, sind ideologiegetrieben und keinesfalls sachlich begründet. Ich kann das so deutlich sagen, weil ich die Experten aus Wissenschaft und Wirtschaft und das Bundesfinanzministerium auf meiner Seite habe. Von daher sind die positiven Auswirkungen für den Immobilienmarkt deutlich herauszustellen. ({8}) Bei der dritten Bedingung, die wir zu beleuchten hatten, ging es um die Sicherstellung der Besteuerungsbasis beim Anleger. In der Vergangenheit war es so, dass dem Vermögenstrustmodell zum Teil eine gewisse Präferenz eingeräumt wurde. Man hat bei der Einführung in England gesehen, dass das Dividendenmodell mit Streubesitz auch für Deutschland gerade zur Sicherstellung der Besteuerungsbasis für den ausländischen Anleger das bessere Instrumentarium darstellt. Von daher hat das Bundesfinanzministerium sich dazu entschieden, das Dividendenmodell mit Streubesitz für die Besteuerungsbasis sicherzustellen. Herr Kollege Pronold, von daher sagen Äußerungen wie „Je nachdem, wie das Doppelbesteuerungsabkommen ausfällt, werden ausländische Investoren nur mit 10 Prozent oder 15 Prozent besteuert“ - das ist dann die Besteuerung hier in Deutschland - noch nichts darüber aus, wie die Gesamtsteuerbelastung ist, weil der Betreffende als Ausländer an seinem Wohnsitz mit einer eigenen Steuer belegt wird. Es ist eine verzerrte Darstellung, wenn man sagt, das sei eine Begünstigung des ausländischen Investors. Die Besteuerungsgrundlage ist sichergestellt. ({9}) Der Bundesfinanzminister hat vor kurzem erklärt, dass REITs zu den zentralen finanzmarktpolitischen Reformvorhaben dieser Legislaturperiode gehören und dass es für den Finanzstandort Deutschland wichtig ist, dass REITs, wie geplant, zum 1. Januar 2007 eingeführt werden, weil sonst die Gefahr der Abwanderung von deutschem Immobilienvermögen in ausländische REITs besteht. Die Finanzpolitiker der Union unterstützen den Finanzminister ausdrücklich in dieser Position. Wie das Ministerium und wie auch die FDP in ihrem Antrag formuliert, sind wir der Ansicht: Die Zeit ist reif für einen Gesetzentwurf zu REITs. Vielen Dank. ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Rede des Kollegen Axel Troost von der Fraktion Die Linke haben wir zu Protokoll genommen.1) Das Wort hat der Kollege Florian Pronold für die SPD-Fraktion.

Florian Pronold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003612, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe neue Freunde in der Fraktion! Die Thematik REITs ist tatsächlich breit in der Öffentlichkeit diskutiert worden, ({0}) mit einer bestimmten Darstellungsweise in den Zeitungen, die die Problemkonstellationen aber nicht wirklich widerspiegelt. Wir haben im Koalitionsvertrag sehr klar geregelt, dass drei Bedingungen erfüllt sein müssen, bevor wir an die Einführung von REITs in Deutschland denken. Diese Bedingungen sind zitiert worden. Sie müssen erfüllt sein, bevor REITs in Deutschland eingeführt wird. Deswegen muss man nüchtern überprüfen, ob diese Bedingungen aufgrund dessen, was bisher vorgelegt worden ist, erfüllt werden können. Da kommt die SPD-Arbeitsgruppe zu einer anderen Einschätzung als die Arbeitsgruppe der Union. ({1}) - Das werden wir einmal sehen. ({2}) - Nein, jetzt warten wir halt ab, wie der Gesetzentwurf aussieht und wie sich das insgesamt verhält. Hören Sie sich einmal zusammenhängend an, welche andere Sichtweise man da auch haben kann! Vielleicht prüfen Sie kritisch - statt sich wie ein Mitglied Ihrer Fraktion in einen lukrativen Aufsichtsrat wählen zu lassen -, ({3}) wie man die Einführung von REITs voranbringen kann! Es wird eine Form von Lobbyismus praktiziert, die zumindest hier ein Stück weit bedenklich stimmen darf. ({4}) Fangen wir bei der Frage der Sicherstellung der Besteuerungsgrundlagen im Inland an. Das ist eine ganz wichtige Frage, die uns angesichts der Haushaltslage besonders interessieren muss. ({5}) Nach der Konstruktion von REITs soll ein REIT auf der Unternehmensebene steuerfrei gestellt werden, da- mit bei den Anlegern die Besteuerung insgesamt durch die hohen Ausschüttungsverpflichtungen sichergestellt 1) Anlage 22 werden kann und damit das, was uns auf der Unternehmensebene entgeht, bei dem Anleger besteuert wird. ({6}) Wir haben in der Geschichte von REITs verschiedene Modelle erlebt. Die Besteuerungsgrundlagen haben sich immer geändert, aber eines soll gleich geblieben sein, nämlich dass die Besteuerung des Anlegers im Inland in allen Fällen sichergestellt war. Jetzt stelle ich eine spannende Frage. Das Trustmodell hat in der Frage einen guten Ansatz; es beachtet nämlich das Belegenheitsprinzip. Das Einzige, auch im Rahmen der internationalen Abkommen, wo wir als Staat noch die Möglichkeit haben, Steuern festzulegen, ist bei den Einkünften aus Grundstücken. Deswegen hat das Trustmodell des IFD vorgesehen, dass es sich weiterhin um Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung handelt. Denn es ist sehr wohl erkannt worden, dass die Anlegerbesteuerung im Inland mit Dividendenausschüttungen nicht gewährleistet werden kann. Von dem IFD-Modell hat man sich in der Debatte jedoch verabschiedet, einmal abgesehen davon, dass es in anderer Hinsicht sehr problematische Konstruktionen hatte. ({7}) Nun kommen wir zu der Frage: Was ist im Fall einer Dividendenausschüttung? Dann sind wir nämlich bei dem Doppelbesteuerungsabkommen. Wenn der Anleger in Deutschland den normalen Steuersatz oder vielleicht auch den Abgeltungssteuersatz zahlen soll, dann reden wir über eine Besteuerung des inländischen Anteilseigners an einem deutschen REIT zwischen 30 und 42 Prozent. Derjenige, der an einem deutschen REIT im Ausland beteiligt ist, zahlt in Deutschland - nur das interessiert mich als Haushaltspolitiker - 10 Prozent, also ein Drittel davon. ({8}) Da stellt sich die Frage, ob wir das, was wir auf der Unternehmensebene nicht besteuern, im Inland wieder besteuern. Sie können mir nicht sagen, dass dabei das Gleiche herauskommt. ({9}) - Gern, Herr Thiele.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herzlichen Dank für die Hilfe.

Carl Ludwig Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002315, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Ich habe nur eine Frage, Herr Pronold. Dass in dem ganzen Bereich Steuerfragen eine Rolle spielen, ist, glaube ich, unstreitig. Das Finanzministerium möchte einen Gesetzentwurf einbringen; das ist allgemein bekannt. Der Finanzminister hat es erklärt, Herr Staatssekretär Mirow ebenso. Ich erinnere an die Worte des Fraktionsvorsitzenden der SPD, der gesagt hat: Ein Gesetzentwurf, der in den Bundestag hineingeht, kann im Bundestag verändert werden. - Insofern gehe ich davon aus: Wenn es einen Entwurf geben wird, dann wird es auch eine Anhörung geben. Ich wäre jedenfalls sehr dafür. Dann kann beraten werden. Auch in anderen Fragen, die den Finanzplatz betreffen, wird es uns dann gelingen, Anregungen und Bedenken mit aufzunehmen. Im Ergebnis können wir versuchen, konsensual eine Lösung zu finden. Meine Frage lautet: Warum blockieren Sie schon die Einbringung eines Gesetzentwurfes und damit das InGang-Setzen eines solchen parlamentarischen Verfahrens? Die Fragen können gestellt werden; das ist richtig und legitim. Aber warum darf hier nicht etwas geschehen und das Parlament sich nicht in der Öffentlichkeit mit Themen beschäftigen, die von Ihnen nur in Arbeitsgruppen, in Dunkelzimmern behandelt werden?

Florian Pronold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003612, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wir haben doch einen ganz eindeutigen Koalitionsvertrag. In dem steht, dass wir die Einführung von REITs dann ins Auge fassen, wenn die Vorbedingungen geklärt sind. Es soll nicht so laufen, dass man irgendwie anfängt und dann schaut, ob man das Ganze hinbekommt und was dabei herauskommt. ({0}) - Das nehme ich auch nicht an. Deswegen sind wir heute hier, um die Fragen zu erörtern. Sie sehen ja, dass das auch im parlamentarischen Verfahren geht. Dazu tragen Sie mit Ihrem Antrag bei, in dem Sie nichts anderes abschreiben als den Koalitionsvertrag. ({1}) - Doch. ({2}) - Ich stehe vollkommen hinter dem, was der Koalitionsvertrag vorgibt, nämlich dass drei Bedingungen erfüllt sein müssen, bevor wir an die Einführung denken. Lassen Sie mich auch zu den anderen Bedingungen etwas sagen; dann kommen wir zu einer weiteren spannenden Frage. Man erinnere sich an eine der ersten großen Taten unserer großen Koalition: Wir haben Steuersparmodelle abgeschafft, die darauf beruhten, dass es steuerliche Anreize dafür gab, aus ökonomischen Gründen Entscheidungen zu treffen, die man aus betriebswirtschaftlichen Gründen sonst vielleicht nicht getroffen hätte. ({3}) - Ja, das meine ich. Das habe ich das letzte Mal im Zusammenhang mit den Windkraftfonds angesprochen. Jetzt sind wir an einem spannenden Punkt. Nicht nur die Immobilienwirtschaft will Trusts wie die REITs. Jetzt gibt es auch Forderungen nach dem FIT, dem Film Investment Trust. Demnächst wird es auch irgendwelche Schiffsbauer geben, die einen entsprechenden Trust für Schiffe haben wollen. Da stellt sich die Frage: Was sollen Steueranreize, wenn es dafür überhaupt keine ökonomische und volkswirtschaftliche Begründung gibt? Im Hinblick auf die Anlegerbesteuerung gibt es eine hoch spannende europarechtliche Problematik. Denn ausländische REITs können theoretisch in Deutschland kaufen. Das werden sie auch machen, unabhängig davon, ob wir REITs in Deutschland einführen oder nicht. Aber es gilt nach wie vor das Belegenheitsprinzip, wonach auf Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung hier Steuern gezahlt werden müssen. Wenn wir den German REIT einführen, den wir auf der Unternehmensebene steuerfrei stellen, dann stellt sich europarechtlich sofort die Frage nach der Gleichbehandlung. Wenn der EuGH zu dem Ergebnis kommt, dass es hier eine Gleichbehandlung geben muss, dann bedeutet das, dass der ausländische REIT auf der Unternehmensebene steuerfrei zu behandeln ist und dass wir keine Chance mehr haben, die Anlegerbesteuerung sicherzustellen. Damit haben wir die letzte Möglichkeit für eine nationale Besteuerung von Grundstücken aufgegeben. So lange diese Problematik nicht gelöst ist und die Bedingungen laut Koalitionsvertrag nicht erfüllt sind, will ich REITs nicht. Bis jetzt kann die Besteuerung der Anleger im Inland nicht festgestellt werden. ({4}) Es gibt einen weiteren Einwand, den man nicht einfach wegwischen kann. Es geht um die Frage des Wohnungsmarktes, von der eine ganze Menge Leute betroffen sind. Ich weiß nicht, auf welcher Anhörung Sie waren. Der Präsident des Deutschen Städtetages, Christian Ude, hat enorme Bedenken gegen die REITs geäußert. Der Vorsitzende des Mietervereins, Rips, hat ebenfalls enorme Bedenken geäußert. Da können Sie doch nicht sagen, dass alle Experten zu der Auffassung gelangt sind, dass man sehenden Auges ins Unglück rennen soll. Das kann ja wohl nicht sein. Man muss die Anhörung schon korrekt wiedergeben. Ich habe auch Äußerungen aus anderen Ressorts der Bundesregierung vernommen. Ein Bundesminister hat sich sehr kritisch zu diesem Thema geäußert. ({5}) Man wird doch noch fragen dürfen, was insgesamt gesehen passieren soll. Ich stelle Ihnen einmal eine spannende Frage. Wenn eine gut geführte Wohnungsbaugesellschaft eine Rendite von 4 bis 6 Prozent erzielt, dann möchte ich wissen, wie ein REIT eine angekündigte Rendite von 15 Prozent erzielen will. Nachdem kritisch nachgefragt wurde, wurde dieses Ziel gesenkt. Woher soll diese Rendite kommen? Seine Fremdkapitalausstattung ist noch so hoch. Deswegen ist auch der Leverage Effect nicht so hoch. Außerdem sollen angeblich keine Filetgrundstücke verkauft werden. Woher soll also diese hohe Rendite kommen? Es bleiben nur noch Mieterhöhungen übrig. Zaubern können REITs auch nicht. Man muss auch bedenken, dass die Kommunen über Wohngeld die Mieterhöhungen bei Wohnungen aus einem schlechten Wohnungsbestand mitbezahlen. Es muss uns natürlich interessieren, ob diese Punkte geklärt sind. ({6}) Für eine Bemerkung zur Standortfrage habe ich keine Zeit mehr. Ich weiß aber, wie spannend dieses Thema ist. Ich bin mir sicher, dass wir bei anderer Gelegenheit die Möglichkeit haben, darüber zu sprechen. Eines ist mir wichtig: Die Debatte muss vernünftig und unideologisch geführt werden. Wir müssen uns fragen, ob diese Bedingungen erfüllt sind.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Kollege Pronold, diese spannende Debatte müssen Sie an anderer Stelle weiterführen.

Florian Pronold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003612, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das ist in Ordnung. - Schauen wir also einmal, was da passiert. Bis heute sind die Vorbedingungen im Koalitionsvertrag nicht annähernd erfüllt. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Als letzter Redner in dieser Debatte hat der Kollege Gerhard Schick für das Bündnis 90/Die Grünen das Wort. ({0})

Dr. Gerhard Schick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003837, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn man auf diesen Debattentag zurückblickt, dann muss man sagen, dass uns heute im Unterschied zur gestrigen Finanzausschusssitzung, wo uns noch der Einblick in das Innenleben der großen Koalition verwehrt wurde - Sie erinnern sich -, ein herrliches Stück vorgeführt wurde. ({0}) Es fing heute Morgen mit der Geschäftsordnungsdebatte an, in der es darum ging, dass die Berichterstatter der Opposition offensichtlich nicht mehr notwendig sind. Mit diesem herrlichen Wechselspiel heute haben Sie deutlich gemacht, dass Sie die Opposition dadurch überflüssig machen wollen, dass Sie sich selber herrlich gegenseitig widersprechen. Das ist schon eine gute Sache. Ich finde es richtig, dass die Debatten hier im Parlament stattfinden. Das hat auch etwas Gutes; man lernt einiges dazu. Schauen Sie sich aber einmal an, welche Botschaften in den letzten Monaten von diesem Haus ausgingen. Es gibt einen Grund dafür, warum wir in den letzten Jahren Finanzmarktthemen häufig fraktionsübergreifend auf die Tagesordnung gesetzt haben: weil das Signal nach außen extrem wichtig ist. Man muss schon sagen, dass das alles nicht mehr ganz so lustig ist. Im Koalitionsvertrag wird etwas angekündigt. Dann heißt es, dies gelte doch nicht. Dann stimmt eine Arbeitsgruppe in einem Bericht zu. Dieser Bericht wurde aber offensichtlich nicht im Konsens verfasst. Dann wird ein Gesetzentwurf angekündigt; aber gleichzeitig heißt es, der dürfe jetzt noch gar nicht kommen. Was sind das für Signale gegenüber Investoren? Was für ein Signal geht damit vom deutschen Finanzplatz aus? Es gibt ernsthafte Bedenken. Ich finde, man kann zu dem Schluss kommen: Wir führen solche Anlageformen in Deutschland nicht ein. Wir müssen nicht jedes Anlageprodukt, das an anderer Stelle erfolgreich ist, auch in Deutschland einführen, wenn es nicht zu den Bedingungen unseres Standorts und zu unseren Standortstrategien passt oder wenn es steuerrechtliche bzw. fiskalische Probleme gibt, die wir nicht lösen können. Wir müssen das nicht tun. Aber ich finde, eine Koalition müsste im Laufe von sieben Monaten in der Lage sein, klar zu entscheiden: Machen wir das oder machen wir das nicht? ({1}) Ich kann für meine Fraktion sagen: Wenn ein Gesetzentwurf vorliegt, dann werden wir uns den ganz genau anschauen. Wir werden sehen, ob die steuerlichen Fragen geklärt sind. Ich halte eine Anhörung für durchaus hilfreich. Dann können wir schauen, wie die Gegebenheiten sind. In einem muss ich dem Kollegen Pronold Recht geben: Man sollte sich einmal anschauen, wie der Sektor Immobilien in Deutschland besteuert wird: Seit Jahr und Tag werden ständig Sonderregeln für diesen Bereich getroffen und dann wird wieder versucht, sie abzuschaffen. Dann kommen wieder neue hinzu. Ein neuer Vorschlag kann vor diesem Hintergrund nur mit großer Skepsis betrachtet werden. Denn dieser Sektor - das wissen Sie alle von den Einkommensteuerbilanzen; Sie sollten sich einmal anschauen, wie viel da herüberkommt - schlägt in der Einkommensteuerbilanz negativ zu Buche, was angesichts der großen Wertschöpfung schon ein wenig bedenklich ist. Herr Thiele, Sie sagen, wir sollten dazu beitragen, dass die Werte angehoben werden. Dazu muss ich sagen: Sie werden dann angehoben, wenn man eine besonders günstige Exit-Tax macht und dadurch Wertzuwächse, die bisher nicht besteuert wurden, sondern in die stillen Reserven eingeschlossen waren, steuerlich begünstigt. Das ist natürlich im Sinne der Gleichbehandlung verschiedener Investitionen eine durchaus problematische Sache, über die zumindest ich nicht so locker-flockig hinweggehen würde. Angesichts dessen, was Sie heute Abend geboten haben, steht für mich und meine Fraktion eine große Sorge im Vordergrund: Es handelt sich bei REITs um ein kleines, überschaubares Bausteinchen. Sie nehmen sich gerade eine große Unternehmensteuerreform vor; das wird noch lustig. Ich hoffe, dass Sie nicht sieben Monate brauchen, bis Sie uns hierzu ein anständiges Angebot vorlegen können. Danke. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/1896 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Peter Götz, Dirk Fischer ({1}), Dr. Klaus W. Lippold, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Petra Weis, Sören Bartol, Uwe Beckmeyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Stadtentwicklung ist moderne Struktur- und Wirtschaftspolitik - Drucksachen 16/1890, 16/2004 Berichterstattung: Abgeordneter Joachim Günther ({2}) Interfraktionell war für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Da die Kollegen Peter Götz für die Unionsfraktion, Petra Weis für die SPD, Patrick Döring für die FDP, Heidrun Bluhm für Die Linke und Peter Hettlich für das Bündnis 90/Die Grünen ihre Reden zu Protokoll gegeben haben,1) ({3}) schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung auf Drucksache 16/2004 zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD mit dem Titel „Stadtentwicklung ist moderne Struktur- und Wirtschaftspolitik“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/1890 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlussempfehlung bei Enthaltung der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf: Erste Beratung des von den Abgeordneten Cornelia Behm, Undine Kurth ({4}), Hans-Jo- sef Fell, weiteren Abgeordneten und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge- brachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur 1) Anlage 23 Vizepräsidentin Petra Pau Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes ({5}) - Drucksache 16/961 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({6}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Auch hier war nach einer interfraktionellen Verein- barung für die Aussprache eine halbe Stunde vorgese- hen. Die Reden der Kollegen Bernward Müller für die Unionsfraktion, Marko Mühlstein für die SPD-Fraktion, Angelika Brunkhorst für die FDP-Fraktion, Eva Bulling- Schröter für die Fraktion Die Linke und Cornelia Behm für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen werden zu Pro- tokoll genommen1) und ich kann hiermit die Aussprache schließen. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent- wurfs auf Drucksache 16/961 an die in der Tagesord- nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist diese Überweisung so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 24 sowie Zusatzpunkt 9 auf: 24 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN Für ein Ende der Gewalt in Norduganda - Drucksache 16/1973 - ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Hü- seyin-Kenan Aydin, Monika Knoche, Dr. Diether Dehm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Für ein Ende der Gewalt in Norduganda - Drucksache 16/1976 - Auch hier ist nach einer interfraktionellen Vereinba- rung für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es dazu Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Wir nehmen die Reden der Kollegen Gabriele Grone- berg von der SPD-Fraktion und Dr. Karl Addicks von der FDP-Fraktion zu Protokoll.2) Das Wort hat der Kollege Hartwig Fischer für die Unionsfraktion. ({7})

Hartwig Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003526, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Kollegen von Stetten und Koschorrek können bestä- tigen, dass es eine ausgezeichnete Zusammenarbeit mit 1) Anlage 24 2) Anlage 25 den Kolleginnen und Kollegen im AwZ, in der großen Koalition und im Menschenrechtsausschuss gibt. ({0}) Die Konsequenz für heute Abend ist, dass mir die Kollegin Groneberg ihre Rede, die sie zu Protokoll gegeben hat, überreicht hat, sodass ich sie kenne und weiß, dass das, was darin steht, genau die Lage beschreibt, wie wir sie vor 14 Tagen zum Beispiel in Gulu oder in Kitgum erlebt haben. ({1}) Ich möchte zu dieser Rede nur eine einzige Ergänzung machen: Wir müssen mit dafür Sorge tragen, dass die Regierung Museveni dafür sorgt, dass den Menschen eine Chance gegeben wird, in die Gebiete zurückzukehren, aus denen sie stammen, falls diese Gebiete bereits verhältnismäßig sicher sind. Auch das muss in den zukünftigen Regierungsverhandlungen eine Rolle spielen. ({2}) Ansonsten sind die Punkte in dem Antrag so deutlich formuliert, dass er keiner weiteren Ergänzung bedarf. Allerdings ein Punkt zur Geschäftsordnung: Wir waren in der Koalition aus grundsätzlichen Erwägungen nicht bereit, diesen Antrag gemeinsam mit der Linken als interfraktionellen Antrag einzubringen; deshalb gibt es von der Linken einen eigenen Antrag. Es gibt keine klare Distanzierung zum DDR-Unrechtssystem und auch heute ist in der Debatte um Kuba wieder deutlich geworden, dass für die Linke Menschenrechte teilbar sind. Dies ist der Grund, warum wir nicht bereit sind, mit Ihnen gemeinsam einen interfraktionellen Antrag einzubringen. ({3}) Wir bitten um Zustimmung zu unserem interfraktionellen Antrag. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Hüseyin Aydin für die Fraktion Die Linke. ({0})

Hüseyin Kenan Aydin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003733, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Der Bürgerkrieg in Norduganda ist einer jener Konflikte, die in den deutschen Medien praktisch nicht stattfinden. Warum? Ist der Krieg nicht grausam genug? - Nein, wer einmal die Bilder von traumatisierten Kindern gesehen hat, die nach einem Überfall auf ihre Dörfer die Eltern verloren haben, vergisst sie nicht mehr. Seit zwei Jahrzehnten wütet der Bürgerkrieg. Die brutale, christlich-fundamentalistische „Widerstandsarmee des Herren“ kämpft mit einer von Korruption zerfressenen ugandischen Armee um die Macht. Dieser Krieg hat eine humanitäre Katastrophe hinterlassen. Die Vereinten Nationen nannten den Krieg die „schlimmste vergessene Krise der Welt“. Sprechen wir Klartext: Das Morden in Norduganda fand lange unter Ausschluss der Weltöffentlichkeit statt, weil er die Interessen wichtiger westlicher Staaten nicht berührt hat. Dass sich der Bundestag heute mit seinen Folgen befasst, ist überfällig. Ich habe zusammen mit allen Kollegen im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung auf Initiative des Ausschussvorsitzenden, Kollegen Hoppe, an der Formulierung des vorliegenden interfraktionellen Antrages gearbeitet. Wir haben uns schließlich auf den vorliegenden Text geeinigt. Skandalös ist, dass Die Linke nun auf Betreiben der Fraktionsspitze der CDU/CSU im Nachhinein als Antragsteller ausgeschlossen wurde. In Norduganda werden, wie die Union selber festgestellt hat, Dörfer und Felder niedergebrannt, Menschen misshandelt, Frauen und Mädchen vergewaltigt. Man sollte meinen, solch eine Feststellung lässt keinen Spielraum für parlamentarische Winkelzüge. Falsch - kein Elend der Welt könnte so groß sein, als dass die CDU/ CSU ihren Namen neben jenem der Linken ertragen könnte. Nennen Sie das eine gute Regierungsführung? Es steigert nicht gerade die Glaubwürdigkeit deutscher Entwicklungspolitik, wenn Sie den Regierungen in der Dritten Welt permanent die Prinzipien von Good Governance unter die Nase reiben, während sie selber diese Prinzipien in Deutschland bei der erstbesten Gelegenheit verletzen. ({0}) Ich erinnere Sie daran, wie dieser Antrag zustande kam. Wir Entwicklungspolitiker haben gemeinsam den Film „Lost Children“ gesehen. Es hat uns alle tief berührt, wie Kinder in Norduganda von Fanatikern aus den Familien gerissen und zu Killern gemacht werden. Im Mai kam Bischof Odama zu Besuch, der die konfessionsübergreifende ugandische Friedensbewegung vertritt. Bischof Odama appellierte an uns alle: Helfen Sie den Kindern! Die Fachkollegen aller Parteien im Ausschuss waren sich mit Bischof Odama darin einig, dass wir das tun wollen. Deshalb entstand der gemeinsame, interfraktionelle Antrag. Leider müssen wir nun feststellen, dass die Kollegen von der CDU/CSU lieber die Linke aus einem Antrag herausdrängen, anstatt mit ihr gemeinsam die Not der nordugandischen Bevölkerung anzupacken. Mich würde interessieren, wie Sie diese etwas andere Form christlicher Nächstenliebe dem ugandischen Bischof Odama und den Christen in Deutschland begreiflich machen wollen. ({1}) Die Union beweist damit nur eines, nämlich dass ihr hehre Ziele, wie die Absicherung von Wahlen oder die Eindämmung humanitärer Katastrophen, als Vorwand für militärische Einsätze gerade recht sind, ein gemeinsames Vorgehen aller Demokraten zur Unterstützung der ugandischen Friedensbewegung aber undenkbar ist. Das zeigt: Die Regierung interessiert sich für das Leid in Uganda so wenig, wie sie sich für die Opfer ihrer Sozialkürzungspolitik in Deutschland interessiert. ({2}) Deshalb versucht die große Koalition, die Linke aus dem politischen Prozess in Deutschland herauszumobben. Unsere Anwesenheit stört sie bei der Durchsetzung ihrer neoliberalen Politik wohl genauso, wie unsere Anwesenheit die systematische Ausweitung der Militäreinsätze stört. ({3}) Doch Sie grenzen damit nicht nur die Linke aus, Sie grenzen auch 4,1 Millionen Wähler aus, die wir repräsentieren. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Aydin, Sie müssen zum Schluss kommen.

Hüseyin Kenan Aydin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003733, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich komme zum Schluss. - Wir von der Linken lassen uns das nicht gefallen. ({0}) Wir haben einen gleich lautenden Antrag eingebracht. Sie werden gleich dem interfraktionellen Antrag zustimmen, dem auch ich zustimmen werde. Ich möchte einmal sehen, ob Sie den gleich lautenden Antrag der Linken nicht unterstützen. ({1}) Das würde Ihre Glaubwürdigkeit unter Beweis stellen. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Thilo Hoppe für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Thilo Hoppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003558, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es sehr bedauerlich, dass ein gemeinsames Wort des gesamten Hauses zu den Menschenrechtsverletzungen in Norduganda jetzt in parteipolitischem Gestreit untergeht. ({0}) Ich möchte als Vorsitzender des Entwicklungsausschusses einmal kurz auf die Entstehungsgeschichte des Antrages eingehen. Es war so: Wir haben auf Initiative des Ausschusses den Film „Lost Children“ gesehen, in dem uns die Filmemacher in erschütternder Art und Weise das Schicksal der Kindersoldaten vor Augen geführt haben. Wir haben mit Vertretern der evangelischen und katholischen Kirchen und dem Netzwerk der NGOs gesprochen. Die Aktivisten für Menschenrechte dort haben uns um Hilfe gebeten und gesagt: Nicht nur Betroffenheitsrhetorik wird gebraucht, sondern tut etwas, und zwar gemeinsam. Dem haben alle Obleute im Entwicklungsausschuss ausdrücklich zugestimmt. Wir haben dann angefangen, zu verhandeln, und Texte ausgetauscht. Wir haben uns auf einem gemeinsamen, wirklich alle Fraktionen umfassenden Antrag geeinigt und dies sogar schon der Presse mitgeteilt. Ich bin dafür, dass wir hier sehr sachlich die Unterschiede benennen. Das haben wir in der Kubadebatte so gemacht. Auch in dieser Debatte waren wir ganz klar anderer Auffassung. Auch vonseiten der Grünen war ein klarer Dissens zur Politik der Linken zu erkennen. Aber wenn unter den Fachleuten Gemeinsamkeiten erzielt werden und man sich auf ein gemeinsames Konzept einigt, ist es ein recht mieser Stil, in letzter Minute eine Fraktion herauszuschmeißen. ({1}) Das hat nichts mehr mit der Sache zu tun, sondern mit Prinzipienreiterei. Ich finde das sehr ärgerlich. Wir werden beiden völlig identischen, gleich lautenden Anträgen zustimmen. Das drückt unseren Wunsch aus, dass wirklich das gesamte Haus in dieser Menschenrechtsfrage eindeutig Stellung bezieht. ({2}) Wir haben heute eine Nachtschicht eingelegt. Es ist 23.41 Uhr. Nacht für Nacht ziehen Kinder aus den Flüchtlingslagern in die Stadt Kitgum, weil sie in den Flüchtlingslagern nicht mehr sicher sind. Sie müssen Übergriffe fürchten, nicht nur der Lord’s Resistance Army, sondern auch der Regierungstruppen. Deshalb ist es wichtig, dass wir mit geeinter Stimme an die Regierung von Uganda herantreten und sagen: Sie muss dieses Problem lösen. Sie muss diesen Konflikt beenden. Wir haben den großen Verdacht, dass die doch sehr kleine und geschwächte Lord’s Resistance Army künstlich am Leben erhalten wird, weil Herr Museveni diesen Konflikt braucht, um andere Dinge, andere Geschäfte im Schatten dieses Konfliktes erledigen zu können. Deshalb ist es wichtig, dass wir mit geeinter Stimme sprechen und diesen Menschenrechtsverletzungen Einhalt gebieten und uns für die Demobilisierung und Resozialisierung der Kindersoldaten einsetzen. ({3}) Ich bitte Sie alle - wir sollten konsequent sein und ein Zeichen setzen; es ist ein Possenspiel, dass hier jetzt zwei identische Anträge vorliegen -, beiden Anträgen zuzustimmen. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/ Die Grünen auf Drucksache 16/1973 mit dem Titel „Für ein Ende der Gewalt in Norduganda“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Dann ist der Antrag einstimmig angenommen. ({0}) Wir kommen damit zum Zusatzpunkt 9, Abstimmung über den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/1976 mit dem gleich lautenden Titel „Für ein Ende der Gewalt in Norduganda“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Dann ist dieser Antrag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion abgelehnt. ({1}) - Ich habe das Abstimmungsergebnis festgestellt. Ich denke, es lässt sich im Stenografischen Protokoll nachlesen, Kollege. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit Homburger, Elke Hoff, Dr. Rainer Stinner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Gleiche Besoldung für alle Soldaten - Drucksache 16/587 Überweisungsvorschlag: Verteidigungsausschuss ({2}) Innenausschuss Haushaltsausschuss Hier war nach einer interfraktionellen Vereinbarung für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Da alle vorgesehenen Rednerinnen und Redner, also die Kollegin Monika Brüning und die Kollegin Susanne Jaffke für die Unionsfraktionen, die Kollegin Petra Heß für die SPD-Fraktion, die Kollegin Katrin Kunert für die Fraktion Die Linke, der Kollege Winfried Nachtwei für Bündnis 90/Die Grünen und der fraktionslose Kollege Gert Winkelmeier, ihre Reden zu Protokoll gegeben ha- ben,1) kann ich hiermit die Aussprache schließen. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/587 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist auch diese Über- weisung so beschlossen. 1) Anlage 26 Vizepräsidentin Petra Pau Ich rufe den Tagesordnungspunkt 38 j auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({3}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Ingbert Liebing, Enak Ferlemann, Dirk Fischer ({4}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Margrit Wetzel, Uwe Beckmeyer, Sören Bartol, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Notschleppkonzept den veränderten Bedingungen der Seeschifffahrt anpassen - zu dem Antrag der Abgeordneten Rainder Steenblock, Winfried Hermann, Peter Hettlich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Notschleppkonzept an gestiegene Herausforderungen anpassen - zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-Michael Goldmann, Patrick Döring, Horst Friedrich ({5}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Sicherheitskonzept für Nord- und Ostsee optimieren - Drucksachen 16/1647, 16/685, 16/1164, 16/2005 - Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Margrit Wetzel Peter Hettlich Auch hier war nach einer interfraktionellen Verein- barung für die Aussprache eine halbe Stunde vorgese- hen. Aber wir nehmen zu Protokoll die Reden der Kolle- gen Enak Ferlemann für die Unionsfraktion, Dr. Margrit Wetzel für die SPD-Fraktion, Hans-Michael Goldmann für die FDP-Fraktion, Dorothee Menzner für die Frak- tion Die Linke und Rainder Steenblock für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.1) Wir können zur Beschlussempfehlung des Ausschus- ses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung auf Drucksache 16/2005 zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD mit dem Titel „Notschleppkon- zept den veränderten Bedingungen der Seefahrt anpas- sen“ kommen. Der Ausschuss empfiehlt unter Num- mer 1 seiner Beschlussempfehlung, den Antrag auf Drucksache 16/1647 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Gibt es Enthal- tungen? - Dann ist die Beschlussempfehlung einstimmig angenommen. Unter Nummer 3 seiner Beschlussempfehlung emp- fiehlt der Ausschuss, den Antrag der Fraktion Bünd- nis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/685 mit dem Titel „Notschleppkonzept an gestiegene Herausforderungen anpassen“ für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gibt es Gegenstimmen? - Ent- 1) Anlage 27 haltungen? - Das ist nicht der Fall. Damit ist diese Beschlussempfehlung ebenfalls einstimmig angenommen. Schließlich empfiehlt uns der Ausschuss unter Nummer 2 seiner Beschlussempfehlung, den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/1164 mit dem Titel „Sicherheitskonzept für Nord- und Ostsee optimieren“ ebenfalls für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gibt es Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dann ist auch diese Beschlussempfehlung einstimmig angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 sowie Zusatzpunkt 10 auf: 25 Beratung des Antrags der Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Volker Beck ({6}), Monika Lazar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Selbstbestimmtes Leben in Würde ermöglichen - Transsexuellenrecht umfassend reformieren - Drucksache 16/947 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({7}) Rechtsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ZP 10 Erste Beratung des von den Abgeordneten Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Dr. Max Stadler, Jörg van Essen, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Passgesetzes - Drucksache 16/2016 - Überweisungsvorschlag: Innenausschuss Auch hier war für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Wir nehmen aber die Beiträge der Kollegen Helmut Brandt für die Unionsfraktion, Gabriele Fogra- scher für die SPD-Fraktion, Jörg van Essen für die FDP- Fraktion, Barbara Höll für die Fraktion Die Linke, Ir- mingard Schewe-Gerigk für die Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen und des fraktionslosen Kollegen Gert Win- kelmeier zu Protokoll.2) Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/947 und 16/2016 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind diese Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 26 a und 26 b auf: 26 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Unterhaltsrechts - Drucksache 16/1830 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({8}) Finanzausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2) Anlage 28 Vizepräsidentin Petra Pau b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Unterhaltsvorschussgesetzes - Drucksache 16/1829 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({9}) Rechtsausschuss Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO Auch hier war für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Wir können aber die Beiträge der Kollegin- nen Ute Granold für die Unionsfraktion, Christine Lam- brecht für die SPD-Fraktion, Sabine Leutheusser- Schnarrenberger für die FDP-Fraktion, des Kollegen Jörn Wunderlich für die Fraktion Die Linke, der Kolle- gin Ekin Deligöz für die Fraktion Bündnis 90/Die Grü- nen und der Bundesministerin der Justiz, Brigitte Zyp- ries, zu Protokoll nehmen.1) Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 16/1830 und 16/1829 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann sind auch diese Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft - Drucksache 16/1828 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({10}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Kultur und Medien Interfraktionell ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist dies so beschlossen. Das Wort hat die Bundesministerin der Justiz, Brigitte Zypries. ({11})

Brigitte Zypries (Minister:in)

Politiker ID: 11003870

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich sagen, dass es mich freut, dass mehr Mitglieder des Deutschen Bundestages zur Beratung um diese Uhrzeit hier sitzen, als das bei Themen des Rechtsausschusses normalerweise der Fall ist. Dafür herzlichen Dank! ({0}) - Genau. 1) Anlage 29 Der Gesetzentwurf, der heute hier beraten wird, hat schon vor dieser ersten Lesung im Bundestag breite öffentliche Resonanz gefunden, und das nicht nur, weil er von Verlegern und Autoren, Elektronikindustrie und Internet-Community, Bibliotheken und Verwertungsgesellschaften sehr kontrovers diskutiert wurde, sondern auch, weil das ein Gesetzentwurf ist, den wir auf breiter Basis öffentlich vorbereitet haben: Wir haben ganz viele verschiedene öffentliche Foren veranstaltet, wo alle an diesem Gesetzgebungsprozess Beteiligten sich schon im Vorfeld einbringen konnten. Das Ziel unseres Vorhabens ist klar: Wir wollen mit diesem Gesetz das deutsche Urheberrecht weiter fit machen für das digitale Zeitalter. Die Frage, die wir lösen müssen, ist: Wie ist es möglich, auch im digitalen Zeitalter einen Ausgleich zwischen den Interessen aller Beteiligten zu schaffen? Da sind zum einen die Kreativen, also die Urheber, deren Recht auf geistiges Eigentum durch das Grundgesetz garantiert ist. Dann gibt es die Nutzer; sie möchten möglichst ungehindert auf den Content, den sie sich aus dem Netz herunterladen können, zugreifen ({1}) und sehen im Wesentlichen nicht ein, dass sie dafür irgendetwas bezahlen sollen. Schließlich gibt es die Industrie; sie schafft die technischen Voraussetzungen dafür, dass die Nutzung überhaupt möglich wird. Wie Sie wissen, wird im Moment eine Urheberabgabe auf die Geräte gezahlt. Die Industrie hat natürlich ein Interesse daran, dass diese Abgabe auf ihre Geräte so niedrig wie möglich ist, weil sie die Preiskonkurrenz fürchtet. Die Notwendigkeit, einen fairen Kompromiss zwischen all den Interessen der verschiedenen Beteiligten zu schaffen, ist heute größer denn je. Schließlich war es noch nie so einfach, über das Internet von jedem Ort der Welt aus zu jeder Zeit auf urheberrechtlich geschützte Contents zurückzugreifen: Man kann sie mit einem Mausklick abrufen und sie in Sekundenschnelle vervielfältigen. Wir meinen, dass das geistige Eigentum der Kreativen aber gerade in der modernen Informationsgesellschaft gewährleistet bleiben muss. Ohne einen solchen Schutz kann es nämlich keine Kreativität geben - auf die Deutschland als Land der Ideen natürlich ganz besonders angewiesen ist. ({2}) Zwei Punkte möchte ich besonders hervorheben. Der erste Punkt ist die Reform des pauschalen Vergütungssystems. Wir meinen, dass den Urhebern als Ausgleich für die nach wie vor erlaubt bleibende Privatkopie eine angemessene Vergütung zusteht. Diese Vergütung soll auch weiterhin von den Verwertungsgesellschaften eingezogen werden. Wir wollen aber den Mechanismus, der im Moment besteht, ändern, weil wir meinen, dass er nicht funktioniert. Wir wollen den Verwertungsgesellschaften auf der einen Seite und der Industrie auf der andere Seite künftig die Möglichkeit geben, die Gebühren - wenn man das im weitesten Sinne so nennen kann untereinander auszuhandeln. Der Gesetzgeber soll nach unserer Vorstellung nur noch den Rahmen festlegen, in dem das geschieht, und ein Verfahren für den Fall vorsehen, dass sie sich nicht einigen können. Ein zweiter Punkt, den ich hervorheben möchte, ist, dass ich der Auffassung bin, dass wir mit diesem Gesetzentwurf einen Kompromiss zwischen dem individuellen Recht am geistigen Eigentum und den Belangen des Gemeinwohles schaffen müssen. Im Interesse von Bildung und Wissenschaft regeln wir elektronische Leseplätze in Bibliotheken, Museen und Archiven. Wir stellen den Versand von elektronischen Kopien durch Bibliotheken auf eine gesetzliche Grundlage und wir berücksichtigen dabei sowohl die Belange der Verlage als auch die Tatsache, dass Deutschland als Forschungsstandort Anschluss an die internationale Entwicklung halten muss. ({3}) - Genau, Herr Kollege. Das wären jetzt meine nächsten Worte gewesen. Ich weiß natürlich, dass es eine Menge Kritik an allen möglichen Vorschlägen gibt. ({4}) Ich habe das eingangs ja schon gesagt. Nun ist heute in der Debatte ja schon einmal der Satz gefallen, dass man dann, wenn man Kritik von beiden Seiten bekommt, in der Regel relativ sicher sein kann, dass man einen fairen Mittelweg vorgeschlagen hat. ({5}) Genau das gilt für das Urheberrecht auch. Ich bin ganz davon überzeugt, dass das, was wir vorgeschlagen haben, eine gute Basis ist, die man auch nicht verlassen sollte, was nicht heißt, dass man an der einen oder anderen Stelle nicht noch nachjustieren kann. Dazu sind aber die Beratungen in den Ausschüssen und im Deutschen Bundestag auch da. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Sabine LeutheusserSchnarrenberger für die FDP-Fraktion. ({0})

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001336, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Uns Berichterstattern im Rechtsausschuss für das Urheberrecht und für diesen Gesetzentwurf ist dieses Thema so wichtig, dass wir gesagt haben: Es entspricht nicht der Bedeutung dieses Vorhabens, hier einfach zur Tagesordnung überzugehen und alle unsere Reden zu Protokoll zu geben. ({0}) Gerade weil es ein so wichtiges rechtspolitisches Vorhaben ist - eines der wichtigsten dieser Legislaturperiode -, kann es gar nicht zu spät oder zu früh sein, um auch in der ersten Lesung dazu zu sprechen. Frau Ministerin, Sie haben Recht, dass es einen langen Vorlauf verbunden mit entsprechenden Vorbereitungen im Ministerium gab, bis es zu diesem Gesetzentwurf gekommen ist. Nach Vorlage dieses Gesetzentwurfes muss jetzt natürlich die intensive Befassung im Rechtsausschuss mit denen folgen, die davon betroffen sind. ({1}) Die Änderung des Urheberrechts ist immer der Versuch, einen angemessenen Ausgleich zwischen denjenigen, die es mit ihrer kreativen Leistung überhaupt erst ermöglichen, dass es etwas zu verwerten gibt, und natürlich auch denjenigen zu schaffen, die an diesem Prozess beteiligt sind. Dass es hier nach geltendem Recht immer wieder Schranken gibt, die der modernen technischen Entwicklung angepasst werden müssen, und dass hier die Interessen zu gewichten und zu wiegen sind, ist selbstverständlich. Frau Ministerin, ich bin der festen Überzeugung, dass dieser Gesetzentwurf nicht in dieser Form aus dem Rechtsausschuss zur abschließenden Beratung herausgehen wird; ({2}) denn ich glaube, dass es in einigen Bereichen die dringende Notwendigkeit gibt, zu einer wirklich besseren Gewichtung der Interessen und Anliegen der Urheber zu kommen. Das hat eine lange und gute Tradition in der Rechtsentwicklung des Urheberrechts. Auf der einen Seite ist es richtig, dass man private Vervielfältigungen zulassen muss - das ist ein Uraltthema und dazu sind schon vor Jahrzehnten Weichenstellungen vorgenommen worden -, auf der anderen Seite muss man aber den Urhebern, denjenigen, die etwas produziert haben, damit es verwertet und kopiert werden kann, angesichts der Modernisierung der Technik und der technischen Entwicklung selbstverständlich auch eine angemessene Beteiligung geben. ({3}) Frau Ministerin, deshalb sind wir sehr offen dafür und halten es auch für richtig, dass der Einsatz individueller Lizenzmodelle gerade im Online-Bereich auch mithilfe des Urheberrechts gefördert wird. Wir sagen aber ganz unmissverständlich: Auf die pauschale Geräteabgabe kann bis auf weiteres nicht verzichtet werden. Dort, wo die Geräteabgabe das Mittel der Wahl für die Vergütung bleibt, muss dem Umfang der urheberrechtlichen Nutzung angemessen Rechnung getragen werden. Darüber kann durch die Herstellerpreise eines Vervielfältigungsgerätes gerade nicht Aufschluss gegeben werden. Ich brauche hier nicht wiederzugeben, wie der Preisverfall gerade in diesem Bereich aussieht. Das bringt zum Ausdruck: Wenn es bei dieser Regelung bliebe, würde es zu einem wirklich deutlichen Einnahmeverlust bzw. zu einem Vergütungsrückgang bei den Urhebern kommen. Deshalb ist der Ansatz, der jetzt gewählt ist, nämlich die Koppelung der pauschalen Geräteabgabe an die Preise und die Begrenzung auf einen Gesamtpreis hinsichtlich des Anteils der Vervielfältigungen, nicht richtig. Darüber muss dringend beraten werden. Das ist die gute Tradition im Urheberrecht, die wir ja heute Mittag schon unter Beweis gestellt haben, als wir einen Kompromiss beim Folgerecht über alle Fraktionen hinweg gefunden haben. Obwohl es nicht allen leicht gefallen ist, haben wir gesagt, dass wir das wollen. Ich finde, auch das muss uns in diesem Bereich gelingen, denn das hat massive Auswirkungen. Wenn wir der Stellung der Urheber im Jahre 2006 folgende gerecht werden wollen, dann müssen wir uns gerade die Deckelung und die Fünfprozentklausel, die jetzt in den §§ 54 folgende des Gesetzentwurfs vorgesehen sind, vornehmen und ändern. Dabei kann es in dieser Form nicht bleiben. ({4}) Ein zweiter wichtiger und schwieriger Bereich ist natürlich die Schranke zugunsten von Bildung und Forschung. Es soll durch eine neue Vorschrift Bibliotheken, Museen und öffentlichen Archiven künftig gestattet werden, Werke an elektronischen Leseplätzen zugänglich zu machen. Durch eine weitere Bestimmung soll die Zulässigkeit des elektronischen Kopienversands gesetzlich geregelt werden. Hierzu sage ich deutlich: Im Kern sind die geplanten Bestimmungen nicht zu beanstanden, aber in der vorliegenden Ausgestaltung schießen sie über das Ziel hinaus. Jetzt würde ich über meine Redezeit hinausschießen, wenn ich dafür viele Gründe und Argumente vorbringen würde. Das werden wir dann in einer umfangreichen Anhörung, die wir bereits vom Grundsatz her beschlossen haben, im Rechtsausschuss tun. Vielen Dank. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr. Günter Krings für die Unionsfraktion. ({0})

Dr. Günter Krings (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003574, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Guten Morgen, Frau Präsidentin! Guten Morgen, meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! ({0}) - Richtig. - Wir debattieren heute in erster Lesung über einen Gesetzentwurf, dessen Entstehungsgeschichte nach Art, Umfang und Länge ihresgleichen sucht. Die Arbeiten an diesem „Korb 2“ des Urheberrechts begannen unmittelbar nach dem „Korb 1“ im Jahre 2003. Das Bundesjustizministerium, das zwar nicht mehr auf der Regierungsbank vertreten ist, aber immerhin noch sozusagen im Publikum weilt, hat dann elf Arbeitsgruppen eingesetzt und Dutzende von Verbänden mit der Vorarbeit an diesem Gesetzgebungsvorhaben sehr lange beschäftigt. Der eigentliche Gesetzgeber - an der Stelle sollte die Frau Ministerin einmal zuhören - sitzt aber in diesem Hause, die eigentliche Gesetzgebung findet hier statt. Und für dieses Gesetz gilt in ganz besonderer Weise, dass es nicht so aus dem Rechtsausschuss und dem Deutschen Bundestag hinausgehen wird, wie es vom Justizministerium eingebracht worden ist. ({1}) Nur hier ist der Ausgleich der Interessen von Urhebern, Verbrauchern und Unternehmen letztgültig vorzunehmen. Es ist gut, dass wir nun endlich die wichtigen Anpassungen des Urheberrechts an die Veränderungen einer digitalen und vernetzten Welt in Angriff nehmen können. Beim Urheberrechtsgesetz handelt es sich um nichts weniger als um das Grundgesetz der modernen Wissensgesellschaft. Auch die volkswirtschaftliche Bedeutung des Urheberrechts ist nicht zu unterschätzen; fast jeder zehnte Euro unseres Bruttoinlandsproduktes hängt direkt oder indirekt mit dem Urheberrecht zusammen. Dieser Bedeutung sind die Länge und vor allem der Zeitpunkt der heutigen Debatte nicht angemessen. ({2}) Die Bundesregierung geht bei der Pauschalvergütung neue Wege. Zukünftig soll die Vergütungspflicht von Geräten und Speichermedien anhand ihrer tatsächlichen Nutzung für Vervielfältigungsvorgänge ermittelt werden. Dadurch wird ein gerechterer Maßstab erreicht als durch die jetzige Regelung, bei der es um die erkennbare Eignung zur Vornahme von Kopien geht. Gerade die heutige Vielzahl zeitraubender Prozesse - zum Beispiel, ob der Drucker oder der Computer unter diese Voraussetzungen fällt - zeigt, dass hier eine Änderung geboten ist. Die heutige Situation ist für beide Seiten unbefriedigend. Die Urheber müssen lange auf ihre Vergütung warten. Die Hersteller von Geräten oder Speichermedien müssen zwar zunächst nicht an die Urheber zahlen, aber sie müssen aufgrund des ungewissen Prozessausgangs langfristige Rückstellungen bilden. Dieses Spiel aus Verweigerungshaltung einerseits und bilanzieller Rückstellungspflicht andererseits wiederholt sich so oft, wie neue Geräte oder Speichermedien auf den Markt kommen. Das geht heute sehr rasch. Es ist daher gut und gerecht, wenn die Bundesregierung dieses Kriterium abschaffen will und auf den tatsächlichen Einsatz von Geräten zum Kopieren abstellt. Die konkrete Ausgestaltung dieser neuen Regelung werden wir im weiteren parlamentarischen Verfahren aber noch einer genauen Prüfung unterziehen müssen. ({3}) So sieht der Entwurf vor, an die Vergütungspflicht die Bedingung zu knüpfen, dass das betroffene Gerät bzw. Speichermedium in nennenswertem Umfang für Vervielfältigungen eingesetzt wird. Die Gesetzesbegründung nennt ausdrücklich eine Mindestnutzung von 10 Prozent. Unter dieser Grenze soll keine Vergütung anfallen. Dadurch scheinen mir neue Gerichtsverfahren vorprogrammiert zu sein. Ziel des Gesetzes muss es aber sein, eine Regelung zu finden, die die Voraussetzung für eine Vergütungspflicht klar festlegt. Wir brauchen keine zusätzliche Vergütung für Rechtsanwälte, sondern eine kalkulierbare Vergütung für die Urheber. ({4}) Noch schwieriger wird es bei der Vergütungshöhe. Nach dem Regierungsentwurf soll die Vergütung bei 5 Prozent des Gerätepreises gedeckelt werden. Die Verwertungsgesellschaften rechnen mit Einbußen von bis zu 40 Prozent durch diese Kappungsgrenze. Allerdings unterschlagen sie bei ihren Berechnungen wiederum, dass auch neue Geräte in die Vergütungspflicht einbezogen werden. Umgekehrt weist BITKOM darauf hin, dass sich ohne die Kappung bei 5 Prozent und die Einführung der Voraussetzung des nennenswerten Umfangs das Vergütungsaufkommen von ZPÜ und GEMA mehr als vervierfachen würde. Hier steht Aussage gegen Aussage. Auch das wird Gegenstand der Anhörung sein. Der sehr heftige Streit zwischen den beiden Beteiligten lässt aber Zweifel aufkommen, ob es wirklich sinnvoll ist, die Verhandlungen über die Höhe einer dem Grunde nach staatlich angeordneten Pauschalvergütung in die Hände der Betroffenen zu legen. Für mich wäre zum Beispiel eine Verordnungsermächtigung für das Justizministerium zur Festsetzung der Vergütungssätze nach wie vor eine denkbare und praktikable Alternative, die ebenfalls zumindest erörtert werden muss. Aber auch dann - das richte ich an alle Urheber werden wir sicherlich Vergütungshöhen bekommen, die nicht viel mehr als 5 Prozent des Gerätepreises ausmachen. Denn auch bei der bisherigen Regelung sind die Gerätepreise - zumindest indirekt - bei den staatlich festgesetzten Vergütungshöhen berücksichtigt worden. Als Rechtsverlust empfinden einige Urheber - dem ist meines Erachtens nicht unbedingt zu folgen - die Neuregelung zu den unbekannten Nutzungsarten. Erstmals sollen die Urheber auch über unbekannte Nutzungsarten disponieren dürfen. Der Urheber geht für die Rechteübertragung allerdings keineswegs leer aus; er kann vielmehr eine gesonderte Vergütung verlangen. Außerdem erhält er ein Widerrufsrecht, was die meisten Fälle zu einer vernünftigen Lösung führen müsste. Praktische Probleme mögen sich dann ergeben, wenn ein Widerruf schwierig wird, weil die Rechte auf einen neuen Rechteinhaber übertragen worden sind, von dem der Urheber nicht weiß, wie er zu erreichen ist. Bei einer Neuregelung scheint es mir alles in allem wichtig zu sein, darauf zu achten, dass die Weiterverbreitung älterer Inhalte auf neuen Speichermedien - darum geht es uns nämlich - nicht behindert, sondern befördert wird. Die Privatkopie wird auch künftig möglich bleiben. Das dürfte in diesem Haus quer durch alle Fraktionen unbestritten sein. Trotzdem möchte ich den Stimmen deutlich widersprechen, die inzwischen die Privatkopie als ein subjektives Recht des Verbrauchers ansehen. ({5}) Die Zulassung - eben nicht das Recht - der Privatkopie fand erst 1965 Eingang ins Gesetz, als die ersten Vervielfältigungsgeräte auf den Markt kamen. ({6}) Nur weil es damals keinen wirksamen Mechanismus gab, um das Kopieren zu unterbinden, hat man den Urhebern - ganz nach dem Grundsatz „Dulde und liquidiere!“ - eine Pauschalvergütung als Ausgleich zugebilligt, Herr Kollege Montag. Privatkopie und Pauschalvergütung waren also von Anfang an kein Selbstzweck, sondern ein Notbehelf. Daher ist es auch richtig, dass der Regierungsentwurf an dem Verbot der Umgehung technischer Schutzmaßnahmen festhält. Jedes Unternehmen kann selbst über deren Einsatz entscheiden und viele Unternehmen - etwa aus der Musikbranche - verzichten aus nachvollziehbaren Gründen auf die Einführung solcher Schutzmechanismen. ({7}) Aber demjenigen, der sein Eigentum wirksam schützen möchte, können und wollen wir das in einem Rechtsstaat nicht verwehren. Dabei macht es im Grunde keinen Unterschied, ob er sein Haus mit einem Zaun oder sein geistiges Eigentum durch einen Kopierschutz schützen will. ({8}) - Herr Kollege Montag, dieser Vergleich mag wie viele Vergleiche hinken, aber auch ein Vergleich, der hinkt, geht. ({9}) Der Bundestag sollte sich aber nicht Überlegungen verschließen, die Zulässigkeit der Privatkopie zu präzisieren. Präzision schafft Rechtssicherheit. Auf die ist gerade der juristisch nicht geschulte Verbraucher angewiesen. Zu prüfen ist aus meiner Sicht daher, ob die Herstellung einer Privatkopie nur noch dann gesetzlich erlaubt werden sollte, wenn die Kopie vom eigenen Original erstellt wird. Rechtssicherheit geschaffen haben wir bereits im Vorfeld, nämlich vor der Einbringung des Gesetzentwurfes bei der Bagatellklausel. Ich bin froh, dass ich diesen meines Erachtens rechtsstaatswidrigen Vorschlag gemeinsam mit dem Kulturstaatsminister Bernd Neumann schon im Vorfeld des Regierungsentwurfs verhindern konnte. ({10}) Dem Staatsminister möchte ich nochmals für seinen Einsatz danken. Ich freue mich auch, dass jedenfalls das Justizministerium zu einer guten Einsicht gekommen ist. ({11}) Wir haben es geschafft, dass ein klarer Strafrahmen für Urheberrechtsverletzungen beibehalten wurde und derartige Verletzungen auch künftig keine Kavaliersdelikte darstellen. Das ist ein starkes und klares Signal an die Öffentlichkeit. Als Rechtspolitiker der großen Koalition freuen wir uns über das Bekenntnis im Koalitionsvertrag für ein starkes und wissenschaftsfreundliches Urheberrecht. ({12}) Wissenschaftsfreundlich - passen Sie genau auf - heißt dabei ganz unmissverständlich auch ({13}) wissenschaftsverlagsfreundlich; denn die privaten Verlage sind integraler Bestandteil unseres Wissenschaftsbetriebes. Die Verlage erfüllen bei der Verbreitung von neuen Erkenntnissen aus Wissenschaft und Forschung eine unverzichtbare Filterfunktion. Sie sind das einzige echte privatwirtschaftliche Element in unserem Wissenschaftsbetrieb. Der Urheberrechtsgesetzgeber sollte daher dieses Geschäftsmodell nicht zerstören. ({14}) Mit Besorgnis sehe ich daher die Ausgestaltung des § 52 b im Gesetzentwurf der Bundesregierung. Es kann meines Erachtens nicht angehen, dass die Bibliotheken ein Buch anschaffen und es dann dutzend- oder hundertfach an Leseplätzen bereithalten. Hier ist über eine Änderung zu sprechen. Wir müssen in Deutschland aufpassen, dass wir Investitionen in Wissenschaft nicht ausschließlich als Investitionen in Beton und Technik verstehen und nicht mehr als solche in Bücher und geistige Inhalte. Ich will zu einem letzten Aspekt kommen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Kollege Krings, diese Besorgnis und Aspekte müssen wir auf die nächste Debatte vertagen.

Dr. Günter Krings (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003574, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dann machen wir das bei der nächsten Debatte. Ich weise darauf hin, dass wir beim Kopienversand per E-Mail die Regelung als einen vernünftigen Ausgleich ansehen. Insgesamt weise ich darauf hin, dass wir im Rechtsausschuss als Vorratsbeschluss bereits eine Anhörung beschlossen haben. Das wird eine sehr umfangreiche Anhörung werden, die wahrscheinlich nur noch von der Anhörung zur Föderalismusreform der letzten Woche getoppt wird. Ich freue mich, mit vielen Kollegen in dieser Anhörung weiter am Urheberrecht arbeiten zu können. Ich wünsche Ihnen einen guten Morgen oder schönen Abend, wie auch immer. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Rede der Kollegin Luc Jochimsen für die Frak- tion Die Linke nehmen wir zu Protokoll.1) Das Wort hat der Kollege Jerzy Montag für die Fraktion der Grünen. ({0})

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich glaube, noch nie ist über ein hochpolitisches, hochwichtiges rechtspolitisches Thema so früh am Tag in diesem Hause diskutiert worden. ({0}) Das ist einerseits gut so; aber das hängt nur damit zusammen, dass es in diesem Hause üblich geworden ist, rechtspolitische Themen an das Ende der Tagesordnung zu setzen. Ich finde, das geht auf Dauer so nicht. ({1}) Das deutsche Urheberrecht ist in vielerlei Hinsicht re- formbedürftig. Der Umgang mit geschütztem geistigem Eigentum, seine Nutzung durch die Berechtigten und seine neu zu definierende Sozialpflichtigkeit erfordern mutige und gerechtere Formen. Dabei regelt und schreibt die europäische Richtlinie zur Harmonisierung bestimmter Rechte des Urheberrechts, wie der Name schon sagt, nur einige, wenn auch nicht unwichtige As- pekte vor. Wir haben mit dem ersten Gesetz zur Reform des Urheberrechts den Pflichtteil der Reform erledigt. Nun geht es darum, die Kür zu machen, um das deutsche Urheberrecht für eine moderne, wissensbasierte, digital vernetzte Informationsgesellschaft fit zu machen. Das hat Frau Ministerin völlig richtig dargestellt. Dabei dürfen wir keinen der Akteure aus dem Blick verlieren, die berechtigte Interessen auf diesem Felde haben. Erstens: die Kreativen, die Künstler und Wissen- schaftler und die ihre Rechte verwaltenden Verwertungs- gesellschaften. Zweitens: die Rechteinhaber, in der Re- gel große, international tätige Konzerne. Drittens die Produzenten von Hardware, Computern und allen mögli- chen unterschiedlichen Abspielgeräten. Viertens: die Einrichtungen der Wissensvermittlung, von Schulen über Bibliotheken bis zu Universitäten. 1) Anlage 30 Fünftens - nicht zu vergessen -: die Nutzer und Genießer der Werke, die die Musik hören, Filme ansehen. Dazu gehören auch die Wissenschaftler, die die Werke ihrer Kollegen brauchen, um selbst forschend tätig sein zu können. Die Interessen dieser Gruppen zum Wohle der Einzelnen und zum Wohle der ganzen Gesellschaft auszutarieren, das ist die Aufgabe der jetzt anstehenden Reform des Urheberrechts. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung hat einen beachtlichen Vorlauf erfahren. Er ist im Wesentlichen noch unter der rot-grünen Bundesregierung entstanden, im Diskurs mit praktisch allen Mitspielern auf dem Feld des Urheberrechts. Deshalb ist er auch eine gute Vorlage für die Beratungen in den Ausschüssen. Aber er ist noch erheblich verbesserungsbedürftig. Die Umstellung der Pauschalvergütung von dem alten System „Abgabe auf Geräte, die zum Abspielen bestimmt sind“ auf das neue System „Abgabe auf Geräte, mit denen tatsächlich abgespielt wird“ ist im Grundsatz richtig. Aber mit den Vorschlägen haben Sie, Frau Ministerin, neue Probleme auf den Tisch gelegt. Was ist eine nennenswerte Nutzung? Die Streitigkeiten darüber sind vorprogrammiert. Eine Begrenzung der Pauschalabgabe auf höchstens 5 Prozent des Geräteverkaufspreises und die Nichteinbeziehung des Zubehörs sind gegenüber den Kreativen nicht gerecht. Das muss geändert werden. Die Einführung einer neuen Schranke zur Verwendung von Werken an Computerarbeitsplätzen ist richtig. Aber warum schöpfen Sie eigentlich die Möglichkeit der Richtlinie nicht aus und beziehen nicht sämtliche Bildungseinrichtungen in diese Regelung ein? Richtig ist ebenfalls die gesetzliche Einführung der vom Bundesgerichtshof entwickelten Schranke des Kopienversandes durch Bibliotheken. Ich wäre sogar damit einverstanden, den wissenschaftlichen Verlagen die Möglichkeit zu eröffnen, den Kopienversand komplett in die eigenen Hände zu nehmen, wenn dies zu fairen Bedingungen geschähe. Diesbezüglich darf das Gesetz nicht schweigen; vielmehr muss das Gesetz dazu etwas sagen. Zwei weitere Punkte, die ich heute nicht mehr ansprechen kann, liegen uns Grünen besonders am Herzen: die Bagatellklausel - wir wollen sie haben - und eine durchsetzungsstarke Privatkopie auch in der digitalen Welt. Das wollen wir ebenfalls haben. Näheres dazu werden Sie von uns Grünen erfahren, wenn wir uns diesen Gesetzentwurf in den Ausschüssen zur Beratung vornehmen werden. Danke. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Als letzter Redner in dieser Debatte hat der Kollege Dirk Manzewski für die SPD-Fraktion das Wort.

Dirk Manzewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003177, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Freunde der Rechtspolitik! Viel wäre zum heutigen Thema zu sagen. ({0}) Aufgrund der mir zur Verfügung stehenden geringen Zeit möchte ich meine Rede aber auf einige aus meiner Sicht kritische Punkte beschränken. So habe ich erhebliche Probleme mit der Neugestaltung des pauschalen Urhebervergütungssystems. Dieses bewährte System, das den Kreativen eine Kompensation für ihre Einnahmeausfälle gewährleistet, soll im Grunde genommen zwar beibehalten werden; aber anders als bisher soll nun den Verwertungsgesellschaften und den Herstellern die Bemessung der Vergütungssätze selbst übertragen werden. Ich frage mich, Frau Ministerin, wie das praktisch funktionieren soll, da wir hier nicht zwei Parteien auf gleicher Augenhöhe haben. Nicht zuletzt das Urhebervertragsgesetz hat doch gezeigt, dass man aufgrund der unterschiedlichen Interessenlage nicht zwingend auf die Einsichtsfähigkeit der Beteiligten vertrauen darf. Ich möchte aber nicht, dass den Urhebern letztendlich zugemutet wird, hinter ihren Ansprüchen herzulaufen. Hinzu kommt, dass der Maßstab für die Vergütungshöhe die tatsächliche Nutzung der Gerätetypen sein soll. Nur, wie soll die ermittelt werden? Die Bundesregierung stellt sich vor, dass die Verwertungsgesellschaften diese Daten durch Aufträge an Marktforschungsinstitute erhalten können. Aber man muss kein Prophet sein, um voraussagen zu können, dass die so ermittelten Ergebnisse von der anderen Seite umgehend angezweifelt werden. Die verbesserten Schlichtungsmöglichkeiten dürften da kaum weiterhelfen. ({1}) Es stellt sich auch die Frage, wie die so genannte tatsächliche Nutzung bei neuen Gerätetypen festgestellt werden soll; zumal man noch nicht einmal sagen kann, welchen Zeitraums es überhaupt bedarf, um entsprechende empirische Untersuchungen durchzuführen. Ungeklärt ist damit insbesondere, wie die Vergütung für die Zeit bis zum Ende dieser empirischen Untersuchungen geregelt werden soll, vor allem wenn ein neuer Gerätetyp vor dem Abschluss dieser Untersuchungen vom Markt genommen wird, entweder weil er sich nicht durchgesetzt hat oder weil der Hersteller bis dahin nicht mehr existent ist. Dies kann meiner Auffassung nach nicht zulasten der Urheber gehen. Inwieweit Gerätezubehör, welches häufig niedrige Gerätepreise kompensiert, bei der Bemessung der Vergütungshöhe Berücksichtigung finden soll, ist für mich auch nicht eindeutig geklärt. Nicht nachvollziehen kann ich, warum in diesem Zusammenhang eine Vergütungsobergrenze von 5 Prozent des Verkaufspreises eingeführt werden soll; zum einen deshalb nicht, weil der für den Urheber nicht zu beeinflussende Preis eines Gerätes doch nichts über die Nutzungseingriffe bei ihm aussagt, zum anderen deshalb nicht, weil bei dieser Regelung schon jetzt zukünftige Einbußen der Urheber zu erwarten sind. Schaut man sich nämlich zum Beispiel die Entwicklung bei Druckern und Kopierern an, dann zeigt sich, dass diese einerseits immer leistungsstärker und andererseits immer billiger werden. Neu geregelt werden soll auch die Nutzung von Werken in unbekannten Nutzungsarten. Es ist sicherlich richtig, auf die Probleme hinzuweisen, die im Zusammenhang mit Nutzungsarten, die es heute noch nicht gibt, entstehen können. Soweit den Urhebern deshalb eröffnet werden soll, künftig grundsätzlich auch über ihre Rechte für die Zukunft zu verfügen, macht dies durchaus Sinn. Aber ich habe Schwierigkeiten damit, dass der Urheber diese Rechtseinräumung nach § 31 a nur widerrufen kann, wenn der andere noch nicht mit der Nutzung des Werks begonnen hat. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass der Nutzer jeden Widerruf durch schnelle Nutzungsaufnahme ausschließen kann, zumal er nach § 32 c nur verpflichtet ist, den Urheber erst über die Aufnahme der Nutzung unverzüglich zu unterrichten. Nicht gut finde ich übrigens, dass das auch für Altverträge gelten soll, da es für mich schon einen Unterschied macht, ob ich bewusst eine Regelung für die Zukunft eingehe oder, wie bei Altverträgen, eben nicht. Ich komme zum Ende. Soweit von vielen ein bildungs- und wissenschaftsfreundliches Urheberrecht angemahnt wird, Kollege Tauss, muss ich sagen: Ich finde das nicht ganz gerecht, ({2}) da ich der Auffassung bin, dass wir ein solches Urheberrecht haben. Sosehr ich angesichts knapper Kassenlage aus Sicht von Bildung und Wissenschaft nachvollziehen kann, dass man sich hier Spielräume wünscht, so sehr muss ich aber auch deutlich sagen, dass dies nicht zulasten der Urheber gehen kann. ({3}) Auch geistiges Eigentum ist Eigentum. Es kommt ja auch niemand auf die Idee, die Rechnung eines Handwerkers nicht zu bezahlen, nur weil dieser für eine Universität tätig geworden ist. Letzter Satz. Wir müssen daher sehr vorsichtig sein, um hier die richtige Balance zu wahren; ich sichere unseren Bildungspolitikern fraktionsübergreifend jedoch zu, mit ihnen hierüber zu diskutieren, um nach Lösungen zu suchen. Ich bitte um Entschuldigung dafür, dass ich ein bisschen schnell gewesen bin, aber ansonsten hätte ich heute nicht annähernd das sagen können, was ich mir vorgenommen habe. Ich danke Ihnen. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich fürchtete schon, dass Sie gar nicht mehr Luft holen. ({0}) - Ich dachte, dass Sie ihrem Kollegen zur Hilfe kommen. Mit einer Zwischenfrage kann man so etwas lösen. Er muss sich dann nicht selbst gefährden. ({1}) - Herr Kollege, Sie sind doch so erfahren. Aber gut, das klären wir beim nächsten Mal. Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 16/1828 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Versicherungsvermittlerrechts - Drucksache 16/1935 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({2}) Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Tourismus Verabredet war hierzu eine Debatte von einer halben Stunde. Wir nehmen die Reden aber zu Protokoll. Es sind die Reden des Kollegen Kai Wegner für die Unionsfraktion, des Kollegen Christian Lange ({3}) für die SPD-Fraktion, des Kollegen Martin Zeil für die FDP-Fraktion, der Kollegin Ulla Lötzer für die Fraktion Die Linke und des Kollegen Matthias Berninger für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.1) Damit kann ich die Aussprache auch schon schließen. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 16/1935 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse und an den Ausschuss für Tourismus vorgeschlagen. Gibt es dazu weitere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 37 a auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Personenstandsrechts ({4}) - Drucksache 16/1831 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({5}) Rechtsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Auch hierzu war eine Debatte von einer halben Stunde vorgesehen. Wir nehmen aber die Beiträge des Kollegen Stephan Mayer ({6}) für die Unions- 1) Anlage 31 Vizepräsidentin Petra Pau fraktion, der Kollegin Gabriele Fograscher für die SPD- Fraktion, der Kollegin Gisela Piltz für die FDP-Fraktion, der Kollegin Ulla Jelpke für die Fraktion Die Linke und der Kollegin Silke Stokar für die Fraktion des Bündnis- ses 90/Die Grünen zu Protokoll.1) Damit schließe ich auch diese Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent- wurfs auf Drucksache 16/1831 an die in der Tagesord- nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es 1) Anlage 32 dazu weitere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir sind damit am Schluss der Tagesordnung der 43. Sitzung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf heute, Freitag, den 30. Juni 2006, 8 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.