Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie sehr herzlich zu unseren heutigen sehr umfangreichen Beratungen.
Bevor wir in die Tagesordnung einsteigen, darf ich
Sie um Aufmerksamkeit für einige amtliche Mitteilungen bitten.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene
Tagesordnung um die in der vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern:
ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
zu den Antworten der Bundesregierung auf die dringlichen Fragen Nr. 5 und 6 auf Drucksache 16/1959
({0})
ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Daniel Bahr ({1}), Heinz Lanfermann, Dr. Konrad Schily, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Für Nachhaltigkeit, Transparenz, Eigenverantwortung
und Wettbewerb im Gesundheitswesen
- Drucksache 16/1997 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({2})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
ZP 3 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
({3})
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Marieluise Beck
({4}), Volker Beck ({5}), Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Menschenrechte in Usbekistan einfordern
- Drucksache 16/1975 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ({6})
Auswärtiger Ausschuss
Verteidigungsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ute Koczy, Thilo
Hoppe, Dr. Uschi Eid, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Eine Weltbank-Energiepolitik der Zukunft - Ja zu mehr
Effizienz und erneuerbaren Energien, Nein zur Atomkraft
- Drucksache 16/1978 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung ({7})
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-Christian Ströbele, Volker Beck ({8}), Monika Lazar und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Befragung von Gefolterten und Nutzung von Foltererkenntnissen ausschließen
- Drucksache 16/836 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({9})
Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Thilo Hoppe, HansChristian Ströbele und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN
Indigene Völker - Ratifizierung des Übereinkommens der
Internationalen Arbeitsorganisation ({10}) Nr. 169 über
Indigene und in Stämmen lebende Völker in unabhängigen Staaten
- Drucksache 16/1971 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung ({11})
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Burkhardt Müller-
Sönksen, Florian Toncar, Dr. Karl Addicks, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der FDP
7 Bericht der Bundesregierung über ihre Menschenrechtspolitik
in den auswärtigen Beziehungen und in anderen Politikberei-
chen
- Drucksache 16/1999 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Florian Toncar, Bur-
khardt Müller-Sönksen, Dr. Werner Hoyer, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion der FDP
Für die weltweite Sicherstellung der Religionsfreiheit
- Drucksache 16/1998 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Redetext
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heike Hänsel, Ulla
Lötzer, Hans-Kurt Hill, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Keine Weltbankkredite für Atomtechnologie
- Drucksache 16/1961 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung ({12})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hüseyin-Kenan Aydin, Monika Knoche, Dr. Diether Dehm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Agrarbeihilfeempfänger offen legen
- Drucksache 16/1962 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung ({13})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
ZP 4 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache
({14})
a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD,
der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Ökologischen Landbau in Deutschland und Europa wei-
terentwickeln
- Drucksache 16/1972 -
b) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses
({15})
Sammelübersicht 70 zu Petitionen
- Drucksache 16/1980 -
c) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses
({16})
Sammelübersicht 71 zu Petitionen
- Drucksache 16/1981 -
d) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses
({17})
Sammelübersicht 72 zu Petitionen
- Drucksache 16/1982 -
e) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses
({18})
Sammelübersicht 73 zu Petitionen
- Drucksache 16/1983 -
f) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses
({19})
Sammelübersicht 74 zu Petitionen
- Drucksache 16/1984 -
g) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses
({20})
Sammelübersicht 75 zu Petitionen
- Drucksache 16/1985 -
h) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses
({21})
Sammelübersicht 76 zu Petitionen
- Drucksache 16/1986 -
i) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses
({22})
Sammelübersicht 77 zu Petitionen
- Drucksache 16/1987 -
j) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses
({23})
Sammelübersicht 78 zu Petitionen
- Drucksache 16/1988 -
k) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses
({24})
Sammelübersicht 79 zu Petitionen
- Drucksache 16/1989 ZP 5 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU
und der SPD:
Lage am Ausbildungsmarkt - Ausbildungspakt als
Chance für Unternehmen, junge Menschen und den
Arbeitsmarkt
ZP 6 Beratung des Antrags der Fraktionen der FDP und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Demokratiebewegung in Belarus unterstützen
- Drucksache 16/1977 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss
ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried Nachtwei,
Alexander Bonde, Jürgen Trittin, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Waffen unter Kontrolle - Für eine umfassende Begrenzung und Kontrolle des Handels mit Kleinwaffen und
Munition
- Drucksache 16/1967 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ({25})
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Beck ({26}),
Marieluise Beck ({27}), Alexander Bonde, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Den neuen Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen
intensiv unterstützen
- Drucksache 16/1968 ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Hüseyin-Kenan Aydin, Monika Knoche, Dr. Diether Dehm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Für ein Ende der Gewalt in Norduganda
- Drucksache 16/1976 ZP 10 Erste Beratung des von den Abgeordneten Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Dr. Max Stadler, Jörg van Essen, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Passgesetzes
- Drucksache 16/2016 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Die Tagesordnungspunkte 16, 17, 34 und 38 i sollen
abgesetzt werden.
Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden.
Außerdem ist beabsichtigt, die Tagesordnungspunkte 11
und 36, 19 und 20, 21 und 22 sowie 23 und 24 zu tauschen. Zu den bisher ohne Debatte vorgesehenen Tagesordnungspunkten 37 a - das ist die erste Lesung des Personenstandsrechtsreformgesetzes - und 38 j - dabei
handelt es sich um eine Beschlussempfehlung zu Anträgen zum Notschleppkonzept für die Nord- und Ostsee wird eine Aussprache gewünscht. Der Tagesordnungspunkt 38 j soll nach dem Tagesordnungspunkt 23 und
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
der Tagesordnungspunkt 37 a als letzter Punkt der heutigen Sitzung aufgerufen werden.
Schließlich mache ich auf zwei nachträgliche Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste
aufmerksam:
Der in der 40. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem Ausschuss für
Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({28}) zur Mitberatung überwiesen werden.
Antrag der Abgeordneten Monika Lazar, Irmingard ScheweGerigk, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Rechtsextremismus ernst nehmen - Bundesprogramme
Civitas und entimon erhalten, Initiativen und Maßnahmen gegen Fremdenfeindlichkeit langfristig absichern
- Drucksache 16/1498 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({29})
Innenausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss
Der in der 40. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem Ausschuss für
Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({30}) zur Mitberatung überwiesen werden.
Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Diana Golze, Petra
Pau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Fortführung und Verstetigung der Programme gegen
Rechtsextremismus
- Drucksache 16/1542 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({31})
Innenausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss
Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre dazu keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe dann die Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b
auf.
({32})
- Davon weiß ich nichts.
Soeben erfahre ich, dass ein Antrag zur Geschäftsordnung der Fraktion Die Linke vorliegt. Das Wort hat
Frau Dr. Enkelmann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die
Fraktion Die Linke widerspricht der Tagesordnung. Wir
widersprechen insbesondere der Aufsetzung des Tagesordnungspunktes „Beschlussempfehlung zum Steueränderungsgesetz“. Abgesehen davon, dass man dieser
deutlichen Mehrbelastung der Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer nicht zustimmen kann, geht es hier um das
Verfahren.
Wir haben im kollegialen Miteinander in der vergangenen Woche Fristverzicht erklärt. Am gestrigen Tag
fand eine Sitzung des Finanzausschusses statt. Es gab
eine Beschlussempfehlung mit den Unterschriften der
Berichterstatter aller Fraktionen. Weil einer Landesregierung offenkundig ein Änderungsantrag nicht passte,
wurde gestern zu etwas sehr später Stunde
({0})
erneut eine Sitzung des Finanzausschusses für heute früh
um 7 Uhr einberufen und diese Änderung kraft Mehrheit
durchgesetzt. Die Berichterstatter der Oppositionsfraktionen haben dem widersprochen.
Wir protestieren gegen dieses Verfahren. Ihr Parlamentsverständnis, meine Damen und Herren von der
Koalition, hat mit Demokratie nichts mehr zu tun.
({1})
Das, was hier passiert, ist Arroganz der Macht einer großen Koalition. Aber die Opposition lässt sich nicht zum
Hampelmann machen.
({2})
Wir beantragen deswegen die Absetzung der Beschlussempfehlung zum Steueränderungsgesetz von der
Tagesordnung.
Ich danke Ihnen.
({3})
Das Wort in der Geschäftsordnungsdebatte hat nun
der Kollege Dr. Röttgen.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Durch nichts wurde Ihre Alternativlosigkeit und
Fantasielosigkeit in der Sache
({0})
bislang so deutlich wie heute Morgen. Sie wollen der
Sachdebatte offensichtlich ausweichen, indem Sie lächerliche Verfahrenskritik üben.
({1})
Wir müssen den Bürgern zeigen, dass wir über die
Sachprobleme reden und nicht darüber, dass morgens
um 7 Uhr ein Ausschuss tagt.
({2})
Es gibt Bürgerinnen und Bürger in diesem Land, die
morgens um 7 Uhr arbeiten müssen.
({3})
Das ist, glaube ich, gelegentlich auch Parlamentariern
zuzumuten.
({4})
Regierungsfähigkeit fängt damit an, dass man morgens
früh aufstehen kann.
({5})
Die Bürger haben doch Erwartungen in der Sache an
uns.
({6})
Bei diesem Gesetz geht es darum, dass Bund und
Länder wieder auf eine solide finanzielle Grundlage gestellt werden, dass wir die Verschuldungspolitik beenden
und dass unser Staat, unser Gemeinwesen, unser Land
handlungs- und gestaltungsfähig wird, damit wir wieder
Politik machen können. Dafür sind Maßnahmen notwendig, die es erfordern, dass die Menschen einen Beitrag
leisten. Wir können nicht die moralisch, politisch und
ökonomisch nicht mehr vertretbare Verschuldung beenden wollen
({7})
und gleichzeitig alle bestehenden Steuerbegünstigungstatbestände erhalten. Darum geht es heute Morgen.
Ich bitte Sie bzw. fordere Sie auf, der Sachdebatte nicht
auszuweichen. Legen Sie Alternativen vor! Darüber
kann geredet werden. Aber üben Sie keine lächerliche
Verfahrenskritik.
({8})
In der Sache geht es ja nicht darum, dass einem Gesetz ein Punkt hinzugefügt worden ist. Dann könnten Sie
sagen: Damit konnten wir uns noch nicht beschäftigen.
Es fehlte die Zeit, sich damit auseinander zu setzen. Wenn dem so wäre, wäre Ihre Kritik berechtigt. Nein, es
geht lediglich darum, dass aus einem Gesetz eine isolierte Regelung zur Behördenzuständigkeit herausgenommen wurde, wodurch sich an der Sache nichts ändert.
({9})
Damit kann eigentlich kein Kollege oder keine Kollegin
intellektuell überfordert sein. Darum ist es richtig, heute
darüber zu debattieren und eine Entscheidung zu treffen.
({10})
Das Wort hat nun der Kollege Carl-Ludwig Thiele für
die FDP-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Kolleginnen und Kollegen! Heute soll in erster Lesung
das Steueränderungsgesetz 2007 beraten werden. Dazu
möchte ich etwas erklären, weil das nicht jeder wissen
kann: Es handelt sich hierbei um ein Artikelgesetz.
Wenn es um ein solches Artikelgesetz geht, können im
Laufe des Verfahrens Teile des Gesetzes herausgenommen oder Teile hinzugefügt werden. In diesem Fall ist
seitens der Mehrheit dieses Hauses bzw. des Finanzausschusses ein Passus über die Steuerstatistik in das Gesetz
aufgenommen worden. Das ist der Punkt, der die technischen Probleme, auf die ich zu sprechen kommen werde,
auslöst.
Über dieses Gesetz wurde gestern im Finanzausschuss abschließend abgestimmt; es ist eine Berichterstattung erfolgt. Aufgrund der Vorteile, die Handys
bieten, erhielt ich um 23 Uhr in der letzten Nacht die
Nachricht, dass heute Morgen um 7 Uhr eine Sitzung des
Finanzausschusses stattfinden soll. Herr Kollege Röttgen, die Opposition war anwesend.
({0})
Wir haben an der Beratung teilgenommen, weil wir uns
selbst einem unüblichen Verfahren nicht automatisch
entziehen.
({1})
Wir haben in der Sache beraten.
Bei diesem Gesetz gibt es aber nicht nur ein Miteinander, sondern es ist auch ein förmliches Gesetzgebungsverfahren zu beachten. Der Deutsche Bundestag
hat sich selbst eine Geschäftsordnung gegeben. In dieser
Geschäftsordnung sind gewisse Regeln enthalten. Eine
dieser Regeln lautet, dass jeder Abgeordnete - auch
wenn er Mitglied eines nicht mit dem Gesetzgebungsverfahren befassten Ausschusses ist - die Möglichkeit
haben muss, den Inhalt eines Gesetzes vor der Abstimmung zur Kenntnis zu nehmen.
({2})
Deshalb sieht diese Regel vor - das ist in der Geschäftsordnung verankert -, dass die entsprechenden Unterlagen jedem Abgeordneten 24 Stunden vor der Debatte zur
Verfügung gestellt werden müssen.
Wir als Opposition haben erklärt, dass wir angesichts
des Zeitdrucks aufgrund der morgigen Abstimmung über
die Föderalismusreform auf Fristeinrede verzichten.
Aber das kann nicht dazu führen, dass gesagt wird, dass
für das, was heute im Finanzausschuss behandelt wurde,
keine Berichterstatter der Opposition gebraucht würden,
sie würden nur stören. Denn es gab Berichterstatter und
der alte Beschluss des Finanzausschusses musste aufgehoben werden, um hier eine neue Beschlussgrundlage zu
bekommen.
Nach meinen Informationen hat die Steuerstatistik ein
Bundesland gestört. Die übrigen 15 Bundesländer haben
gesagt, sie störe sie auch. Da bin ich schon etwas überrascht, dass in einem geordneten Gesetzgebungsverfahren die Koalition wie in einem Studentenparlament
agiert
({3})
und sagt, sie habe gar keine andere Möglichkeit, sie
müsse das jetzt durchziehen und wenn die Opposition
störe, müsse sie raus. So kann es nicht laufen; denn auch
die Opposition ist gewählt.
({4})
Die Opposition trägt dazu bei, auch mit Kritik und Anmerkungen - die Mehrheit ist ja gesichert -, dass das
Verfahren vernünftig stattfindet. Dieses heute praktizierte Verfahren ist abenteuerlich. Ich habe so etwas in
meiner Parlamentszeit, die immerhin seit 1990 währt,
noch nicht erlebt.
Es gäbe zwei andere Möglichkeiten: Die Koalition
hat zum Beispiel die Möglichkeit, heute in zweiter Lesung einen entsprechenden Änderungsantrag zu stellen;
dann wäre das Formelle überhaupt kein Problem. Ich
verstehe nicht, warum die Koalition diese Möglichkeit
nicht nutzt.
Ich habe im Finanzausschuss ein weiteres Verfahren
vorgeschlagen: Das Gesetz könnte so verabschiedet werden, wie es gestern vom Finanzausschuss beschlossen
wurde. Ich möchte dann doch mal sehen, ob die Herren
Ministerpräsidenten es wagen, dieses Gesetz, welches
Mehreinnahmen für die öffentliche Hand bringen soll,
indem die Bürger bei der Entfernungspauschale schlechter gestellt werden und der Sparerfreibetrag gekürzt
wird, im Bundesrat wegen einer technischen Frage zu
stoppen. Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Ich glaube das
nicht. Andernfalls: Wenn sie es stoppen, ginge es in den
Vermittlungsausschuss. Über dessen Ergebnis könnte
dann wieder abgestimmt werden. So könnte dieses Gesetz in einem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren verabschiedet werden.
Wir als Opposition haben somit mögliche Wege aufgezeigt. Wir haben auch an den Beratungen im Finanzausschuss teilgenommen. An der Abstimmung haben
wir aber bewusst nicht teilgenommen, weil wir sie nach
wie vor für unzulässig halten.
Ich habe eine Bitte an die große Koalition: Herr Kollege Kauder, Sie können die Sitzung auch unterbrechen.
Denn diese Verfahrensfrage entzieht sich aus meiner
Sicht in wesentlichen Teilen einer Mehrheitsentscheidung des Bundestages.
({5})
Damit wäre das Gesetz als solches „infiziert“. Angesichts der verfassungsrechtlichen Probleme dieses Gesetzes - um es einmal sehr vorsichtig auszudrücken; inhaltlich werden wir noch darüber debattieren - steht es
durchaus zu erwarten, dass der eine oder andere Bürger
gegen dieses Gesetz vor Gericht ziehen wird.
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.
Ich komme zum Ende, Frau Präsidentin.
Weil es zu einem ordnungsgemäßen Gesetzgebungsverfahren gehört, bestimmte Regeln einzuhalten, bitte
ich Sie, Ihr Vorgehen zu überprüfen. Ansonsten laufen
Sie Gefahr, auch unter rechtsförmlichen Gesichtspunkten, ein Gesetz zu beschließen, welches richterlich keine
Anerkennung finden wird.
({0})
Deshalb stimmen wir als FDP dem Antrag der Linkspartei zu.
({1})
Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege Olaf
Scholz.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will
es ganz kurz machen: Die Aufregung, die wir hier vermittelt bekommen, hat mit dem Inhalt, um den es geht,
nichts zu tun.
({0})
Ich glaube, das ist eine bemerkenswerte Erkenntnis.
Es geht um eine Veränderung von Steuerstatistiken;
das kann man machen, man kann es auch lassen. Ich
glaube wie der Kollege Röttgen, dass man sich schnell
überlegen kann, wie man sich in der Abstimmung dazu
verhalten will. Ich glaube, große Reden zu halten über
Demokratie, Parlamentarismus und Bruch von Rechten,
({1})
ist im Verhältnis dazu, worum es eigentlich geht, völlig
unangemessen.
({2})
Es kann sein, dass Bürgerinnen und Bürger diese Debatte verfolgen
({3})
und, gerade weil hier große Reden gehalten werden,
überlegen: Was ist denn das wichtige Thema? Sie müssen dann ganz enttäuscht feststellen, dass hier völlig unangemessene Reden gehalten werden.
Was man hier aber noch einmal mitteilen muss: Alles
ist ordnungsgemäß. Deshalb hat auch niemand etwas anderes vorgetragen. Das waren alles nur Erwägungen zum
Thema.
Selbstverständlich kann im Finanzausschuss etwas
Neues beschlossen werden. Das ist heute Morgen um
7 Uhr in der Sitzung geschehen. Es kann eine Änderung
vorgenommen werden, bevor die Vorlagen endgültig an
die Abgeordneten verteilt werden. Etwas anderes ist
nicht erfolgt. Insofern entspricht das Verfahren, das wir
hier miteinander gewählt haben, der Geschäftsordnung
des Deutschen Bundestages und all unseren Regeln vollständig. Darum muss man auch nicht die Sorge haben,
dass es deswegen Prozesse geben wird; jedenfalls werden sie nicht erfolgreich sein.
Weil wir das Gesetz wirksam werden lassen wollen
und deshalb auch nur angemessen kurze Reden zu dem
halten, worum es hier eigentlich geht, beende ich hiermit
meinen Beitrag.
Wir lehnen diesen Antrag jedenfalls ab.
({4})
Für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen hat
nun der Kollege Volker Beck das Wort.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der großen Koalition! Auch die lieben Kolleginnen und Kollegen der
anderen Fraktionen seien gegrüßt! Das, was Sie vonseiten der Koalition hier vorgeführt haben, geht so nicht.
Das ist nur noch Arroganz der Macht.
({0})
Sie sagen für alle, dass parlamentarische Beratungsverfahren nicht mehr respektiert werden müssen. Sie können sich nicht damit herausreden, dass es sich hier um
keine wichtige Sache handele. Wenn es nicht um eine
wichtige Sache gehen würde, würden wir Ihrem Verfahren in der Sache nicht widersprechen.
In § 81 Abs. 1 der Geschäftsordnung ist vorgesehen,
dass von der Verteilung der Vorlagen bis zur Beratung
normalerweise zwei Tage vergehen müssen. Das hat einen guten Grund, nämlich den, dass sich alle Kolleginnen und Kollegen hier im Hause eine Meinung bilden
können müssen, weil sie als Abgeordnete - und nicht als
Fraktionsmitglieder - verpflichtet sind, ihr Abstimmungsverhalten vor dem Volk, vor dem Wähler zu verantworten. Diese Verantwortung treten Sie mit Ihrem
Verfahren mit Füßen.
({1})
Wir als Opposition haben gesagt - das ist guter
Brauch unter den Geschäftsführern -: Wenn die Vorlage
am Vortag, am Mittwoch, im Ausschuss fertig ist und
abends verteilt wird, dann hat jeder am Abend noch die
Möglichkeit, nachzulesen und Fragen, die sein Abstimmungsverhalten berühren, bis zum nächsten Morgen zu
klären. Als ich vorhin um 8.30 Uhr ins Haus kam, lagen
die Vorlagen beim Dienst noch nicht vor. Wie soll man
aber wissen, was man hier tut, wenn man die Vorlagen
nicht hat, über die man reden und entscheiden soll?
({2})
Mit Ihrer Vorgehensweise stellen Sie auch den Kolleginnen und Kollegen der großen Koalition, die überwiegend gar nichts für ein solches Verfahren können, ein superschlechtes Zeugnis aus. Sie sagen nämlich: Egal, was
in der Vorlage steht, unsere Leute stimmen dem ungelesen auf jeden Fall zu.
({3})
Ich finde, als Mitglieder dieses Hauses sollten wir ein
solches Verhalten der Fraktionsführungen der großen
Koalition gemeinsam zurückweisen. Die Bürgerinnen
und Bürger draußen im Lande glauben doch nicht mehr,
dass wir hier ernsthaft um Lösungen ringen und dass wir
wissen und verantworten, was wir hier tun, wenn wir
noch nicht einmal lesen können, was wir hier beschließen und worüber wir abstimmen.
({4})
Wir widersprechen nach § 20 Abs. 2 der Geschäftsordnung der Aufsetzung dieses Tagesordnungspunktes,
da die Voraussetzungen nicht gegeben sind, und wir erklären, dass der Fristverzicht, den wir für eine andere
Vorlage erklärt haben, zurückgezogen ist.
({5})
Ich komme nun noch zu dem, was Sie im Ausschuss
getan haben. Mit Ihrer Zweidrittelmehrheit können Sie
hier ja alles tun. Sie können uns auch gleich nach Hause
schicken.
({6})
Dann treffen wir uns einmal im Jahr und führen die Gesetzgebung durch, wobei Sie die Opposition aber nicht
mehr mitreden lassen. - Sie haben die Berichterstatter
der Opposition im Finanzausschuss, weil sie Ihnen nicht
passten, nach Abschluss der Beratungen ihrer Ämter enthoben, sie vor die Tür gesetzt und ihnen gesagt, dass sie
keine Berichterstatterrechte mehr haben, dass nur noch
Volker Beck ({7})
die Herren und Damen von der großen Koalition das Sagen haben. Das ist eine Ungeheuerlichkeit.
({8})
Das ist unkollegial und unparlamentarisch. Deshalb ist
das eine Schande für die große Koalition und für dieses
Haus.
({9})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben nun folgenden Sachverhalt:
Die Fraktion Die Linke hat einen Geschäftsordnungsantrag auf Absetzung der Punkte 3 a und b von der
Tagesordnung gestellt. Herr Beck von den Grünen hat
soeben Fristeinrede geltend gemacht. - Ich bitte die Geschäftsführer, zu mir zu kommen, um kurz über das weitere Abstimmungsverfahren zu beraten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Sachverhalt
konnte nicht endgültig geklärt werden. Die FDP-Fraktion hat soeben den Antrag gestellt, die Beratungen darüber im Ältestenrat fortzusetzen. Darüber hinaus wurde
mir mitgeteilt, dass die FDP eine Fraktionssitzung
durchführt.
Ich unterbreche die Sitzung. Sie werden über die Fortsetzung der Plenarsitzung informiert. Im Moment kann
ich nicht sagen, wie lange es dauern wird.
({0})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
({0})
- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, Platz zu
nehmen und die Gespräche einzustellen.
Der Ältestenrat hat sich darauf verständigt, dass nun
über den Geschäftsordnungsantrag der Fraktion Die
Linke auf Absetzung dieses Tagesordnungspunkts abge-
stimmt wird. Ich bitte um Handzeichen von denjenigen,
die dem Antrag zustimmen wollen. - Wer ist dagegen? -
Enthaltungen? - Dann ist der Antrag abgelehnt mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der FDP-Fraktion, der Fraktion des Bündnisses 90/Die
Grünen und der Fraktion Die Linke.
Damit rufe ich die Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b
auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-
nen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten
Entwurfs eines Steueränderungsgesetzes 2007
- Drucksache 16/1545 -
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Steuerän-
derungsgesetzes 2007
- Drucksachen 16/1859, 16/1969 -
aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({1})
- Drucksachen 16/2012, 16/2028 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Olav Gutting
Kerstin Andreae
bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({2}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/2013 Berichterstattung:
Abgeordnete Otto Fricke
Dr. Gesine Lötzsch
Anja Hajduk
Jochen-Konrad Fromme
Carsten Schneider ({3})
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({4})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Christine
Scheel, Kerstin Andreae, Dr. Gerhard Schick,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Steueränderungsgesetz 2007 zurückziehen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Volker Wissing, Dr. Hermann Otto Solms, Carl-Ludwig
Thiele, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP
Keine weiteren Steuererhöhungen
- Drucksachen 16/1501, 16/1654, 16/2012, 16/2028 Berichterstattung:
Abgeordnete Olav Gutting
Kerstin Andreae
Zum Entwurf des Steueränderungsgesetzes liegt ein
Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich
sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
({5})
Ich eröffne die Aussprache und bitte Sie um Aufmerksamkeit für den ersten Redner in dieser Debatte,
den Bundesminister der Finanzen, Peer Steinbrück.
({6})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Es ist knapp eine Woche her, dass
dieses Hohe Haus den Bundeshaushalt 2006 angenommen hat.
({0})
Herr Minister, einen Moment bitte. - Kolleginnen und
Kollegen, ich bitte Sie, wenn Sie der Debatte folgen wollen, Platz zu nehmen und sich darauf zu konzentrieren,
und diejenigen, die etwas anderes zu tun haben, den Saal
zu verlassen. - So, Herr Minister, Sie haben das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich habe meine
Rede mit dem Hinweis begonnen, dass es knapp eine
Woche her, dass - ({0})
- Können Sie mich nicht verstehen? Soll ich das Mikrofon in die Hand nehmen?
({1})
- Die Bürgerinnen und Bürger verstehen mich eher als
Ihre Fraktion!
Können Sie mich jetzt verstehen?
({2})
Was mache ich mit der Technik?
Es wird schon geregelt, Herr Minister; wir sind dabei.
Meine Damen und Herren! Es ist eine knappe Woche
her, dass dieses Hohe Haus den Bundeshaushalt 2006
angenommen hat. Denjenigen, die die Gelegenheit hatten, meinen Ausführungen zu folgen, ist in Erinnerung,
dass ich den Hinweis gegeben habe, dass dieser
Bundeshaushalt 2006 lediglich der Beginn eines langen,
durchaus steinigen Weges ist. Er leitet einen Weg ein,
der uns wieder zu dauerhaft tragfähigen öffentlichen Finanzen führen soll, einen Weg, der die finanziellen
Spielräume des Bundes, aber auch der anderen Gebietskörperschaften wieder erweitern soll und uns Spielräume
geben soll, mehr Zukunftsfinanzierung zu betreiben als
bisher.
Es ist deshalb Ausdruck der Zielstrebigkeit der großen Koalition, wenn wir jetzt, eine Woche später, das
Steueränderungsgesetz 2007 einbringen. Das ist eine
weitere, wichtige Etappe auf diesem Weg. Vor allem ist
es der Beleg dafür, dass diese große Koalition konsequent und entschlossen die finanzpolitische Agenda abarbeitet, die wir uns vorgenommen haben. Wir haben
Transparenz gezeigt und das, was im Koalitionsvertrag
steht, mit den späteren Beschlüssen - insbesondere denen von Genshagen - bestätigt. Das halte ich für wichtig
und das halte ich auch für gut so; denn damit wissen die
Bürgerinnen und Bürger genau, dass die steuerpolitischen Entscheidungen der Bundesregierung berechenbar
und verlässlich sind,
({0})
selbst dort, wo wir unpopuläre Maßnahmen zu treffen
haben, um die sich zumindest ein Teil der Mitglieder der
Oppositionsfraktionen drückt.
({1})
Mit dem vorliegenden Entwurf des Steueränderungsgesetzes 2007 setzt die Bundesregierung die auf allen
staatlichen Ebenen notwendige Konsolidierung der öffentlichen Haushalte fort. Dies bedeutet eben, auch eine
Reihe von Maßnahmen zu verabschieden, die keine LaOla-Wellen bei den Bürgerinnen und Bürgern auslösen.
Dabei war und bleibt es unrealistisch, anzunehmen, dass
wir unseren ehrgeizigen, aber notwendigen Konsolidierungskurs ohne Einschnitte in sicher geglaubte Besitzstände vollziehen können. Zu dem von der Bundesregierung eingeschlagenen strikten Sparkurs sehe ich deshalb
keine überzeugende Alternative.
Die Bundesregierung verkennt nicht, dass diese notwendige Haushaltskonsolidierung in Einzelfällen auch
mit spürbaren Einschnitten, mit Härten und mit Zumutungen verbunden ist. Umso mehr sind wir darum bemüht, belastende Maßnahmen auch unter dem Gesichtspunkt der individuellen Leistungsfähigkeit und im
Ergebnis zumutbar auszugestalten. Dies gilt auch und
gerade für den vorliegenden Gesetzentwurf. Ich möchte
dies zum Beispiel an der Pendlerpauschale noch einmal
deutlich machen.
Ohne Einsparungen auch bei der Pendlerpauschale
und bei anderen Maßnahmen werden wir nicht zu soliden Finanzen zurückkommen. Auch im Trommelfeuer
mancher Kritik ist gänzlich untergegangen, dass wir uns
auch bei den Regelungen zur Pendlerpauschale von einer, wie wir glauben, möglichst fairen Verteilung der Belastung leiten lassen. Fernpendler, also genau die Berufstätigen mit dem höchsten Aufwand, das heißt, mit dem
weitesten Weg zur Arbeit, werden im Rahmen der vorgesehenen Härtefallregelung in Zukunft immer noch einen
erheblichen Teil ihrer Fahrtkosten in Ansatz bringen
können.
Derselbe Gesichtspunkt gilt auch mit Blick auf den
Balkon derjenigen, die sich in den oberen Einkommensetagen bewegen, also für die Reichensteuer. Auch hier
geht es nicht um Symbolpolitik, wie es uns viele unterstellen, sondern es geht darum, dass dem Grundsatz einer fairen Lastenverteilung Rechnung getragen wird;
denn der Einkommensteuerzuschlag für Spitzenverdiener ist auch ein Beitrag zur verteilungspolitischen Balance, unabhängig davon, welche Beträge dahinter stehen.
({2})
- An dieser Stelle habe ich mich offenbar verständlich
ausgedrückt.
({3})
Ich bin überzeugt: Wenn sich die Schwaden der Nebelkerzen, die jetzt gelegentlich geworfen werden, verzogen haben, dann werden auch die Bürgerinnen und
Bürger die Vorzüge einer Steuer- und Finanzpolitik erkennen, die versucht, für nachfolgende Generationen
finanzielle Spielräume zu erhalten, anstatt ihren Kindern
und Enkelkindern einfach nur einen Schuldenberg vor
die Füße zu kippen, und die Anstrengungen der Bundesregierung, einen solchen Pfad einzuschlagen, vielleicht
etwas fairer würdigen, als dies in manchen begleitenden
Kommentaren bisher der Fall ist.
({4})
Ich glaube, dass viele Bürgerinnen und Bürger bereit
sind, einen solchen Kurs der Bundesregierung zu unterstützen. Er wird als das akzeptiert, was er ist, nämlich
ein notwendiger Beitrag, um langfristig zu tragfähigen
öffentlichen Finanzen und damit auch wieder zum Vertrauen in die Verlässlichkeit der Haushalts- und Finanzpolitik zu kommen.
Jeder Einzelne weiß doch, dass es ein privater Haushalt auf Dauer nicht aushält, wenn seine Ausgaben nur
zu 80 Prozent durch Einnahmen gedeckt sind.
({5})
Das werden sie, die privaten Haushalte, sich nicht leisten
können und die öffentlichen Haushalte können dies auf
Dauer ebenfalls nicht aushalten.
Der heute vorliegende Gesetzentwurf darf nicht isoliert betrachtet werden. Er ist ein weiterer wichtiger Bestandteil des ausgewogenen steuerpolitischen Maßnahmenbündels der großen Koalition, mit dem wir auch
steuerliche Ausnahmetatbestände und Subventionen
konsequent abbauen. Das haben wir bereits in einem erheblichen Umfang getan.
Ich möchte daran erinnern, dass die Bundesregierung
mit dem Gesetz zur Beschränkung der Verlustverrechnung im Zusammenhang mit Steuerstundungsmodellen,
mit dem Gesetz zum Einstieg in ein steuerliches Sofortprogramm, mit dem Gesetz zur Abschaffung der Eigenheimzulage und mit dem Gesetz zur Eindämmung missbräuchlicher Steuergestaltungen bereits ein ganzes Stück
Weg zurückgelegt hat, um Steuersubventionen abzubauen.
Anknüpfend an diese Ausführungen möchte ich deshalb darauf hinweisen und an all diejenigen, die, wie ich
glaube, wenig schlüssige Vorschläge vorlegen, appellieren, dass dieser Weg des Abbaus von Steuersubventionen nicht diskreditiert werden sollte. Es darf nicht passieren, dass zahlreiche Experten und fast alle Parteien
- auch die, die in diesem Hohen Hause vertreten sind den Abbau von Steuersubventionen verlangen, aber in
helle Aufregung verfallen und mir nichts, dir nichts aus
dem Abbau einer Steuersubvention eine Steuererhöhung
machen, um mit diesem Begriff auch im Publikum Reflexe auszulösen, wenn wir sehr konkret an diese Arbeit
herangehen. Dies ist nicht sehr konsequent und schlüssig.
Eine solche Politik ist eher Klientelpolitik und das
krasse Gegenteil von dem, was die Bundesregierung anstrebt.
({6})
- Herr Westerwelle, ich bin mir ziemlich sicher, dass
mehr zustimmen. Im Grunde stimmen Sie doch auch zu.
({7})
- Sie stimmen doch dem notwendigen Abbau von
Steuersubventionen zu oder nicht?
({8})
- Wozu denn dann?
({9})
- Das ist doch völlig unmöglich. Dieser Dreizack funktioniert nicht. Die FDP verspricht Ihnen, meine Damen
und Herren, die Nettokreditaufnahme zu senken, Investitionen zu erhöhen und gleichzeitig die Steuern zu senken. Das ist völlig irreal.
({10})
Das, was Sie in Ihrem Antrag fordern, nämlich die
Steuersätze weiter zu senken, also eine weitere Steuerentlastung, ist irreal. Man sollte Ihnen nicht von hier bis
zum nächsten Briefkasten glauben, weil Sie genau wissen, dass Sie in einer Regierungsverantwortung diesen
Kurs nicht realisieren könnten.
Ich halte daran fest: Wir brauchen einen Abbau von
Steuersubventionen. Die Vorstellung, man könne darauf
verzichten, ist das Gegenteil von dem, was die Bundesregierung anstrebt. Wir wollen zur Haushaltskonsolidierung beitragen und diese vorantreiben. Wir wissen, dass
die damit verbundenen Einschnitte alles andere als populär sind, aber sie sind im Ergebnis zumutbar. Wir brauchen sie, wenn wir langfristig wieder auf einen soliden
Haushaltskurs zurückfinden wollen, was insbesondere
unter dem Gesichtspunkt der Generationengerechtigkeit von erheblicher Bedeutung ist, wenn wir unseren
Kindern und Enkelkindern nicht eine immense Steuerlast
buchstäblich aufbürden und einen Haushalt hinterlassen
wollen, den sie eines Tages nur noch auf dem Weg von
Steuererhöhungen oder erheblichen Leistungskürzungen
tragen können. Ich bitte deshalb um Unterstützung für
diesen Entwurf des Steueränderungsgesetzes 2007.
Vielen Dank.
({11})
Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Dr. Volker
Wissing das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Angela Merkel zufolge hat Gerhard Schröder Deutschland zu einem Sanierungsfall gemacht. Dafür hält der
Fraktionschef der SPD ihn aber trotzdem für den besseren Kanzler, weil Schröder mehr gehandelt und weniger
ausgelotet habe als Sie, Frau Bundeskanzlerin. Ich kann
nur sagen: Herzlich willkommen im Tollhaus der großen
Koalition!
({0})
Den Menschen in unserem Land wird erzählt, dass die
Erhöhung der Mehrwertsteuer für die bevorstehenden
Reformen unabdingbar sei. Kurze Zeit später teilt uns
der Vorsitzende der SPD-Fraktion in einem Interview
mit, dass man auf die größte Steuererhöhung in der Geschichte unseres Landes auch hätte verzichten können,
wenn man bereit gewesen wäre, zu sparen.
({1})
Meine Damen und Herren, dass die große Koalition
von Sparen nichts versteht und dass diese Bundesregierung vom Schuldenmachen viel versteht, haben Sie mit
der Vorlage des Bundeshaushaltes wahrlich bewiesen,
({2})
so nach dem Motto: Warum sollen wir sparen? Schulden
machen ist viel einfacher und Steuererhöhungen sind
noch leichter. - Die Politik der Steuererhöhungen ist
inzwischen das Markenzeichen dieser großen Koalition.
({3})
Frau Bundeskanzlerin, Sie sind die Kanzlerin der kleinen Schritte, aber bei den Steuererhöhungen geben Sie
Vollgas.
({4})
Egal, was CDU/CSU und SPD anpacken, ohne Steuererhöhungen geht nichts: Haushaltskonsolidierung - via
Steuererhöhungen; Auflage eines Wachstums- und Beschäftigungsprogramms, was nur Mitnahmeeffekte mit
sich bringt - finanziert über Steuererhöhungen; Senkung
von Lohnnebenkosten - selbstverständlich über Steuererhöhungen; Reform des Gesundheitswesens - ebenfalls
über Steuererhöhungen finanziert. Die große Koalition
steht für große Steuererhöhungen in unserem Land und
- hier können Sie, Frau Merkel, sogar einen Superlativ
vorweisen - die größte Steuererhöhung in der Geschichte der Republik.
({5})
Sie erhöhen Steuern ohne Rücksicht auf die Menschen in unserem Land, ohne Rücksicht auf die Unternehmen und ohne Rücksicht auf die Verfassung. Die
Reichensteuer, die Sie heute zum Beschluss vorlegen, ist
ebenso verfassungswidrig wie die willkürliche Kürzung
der Pendlerpauschale. Es ist ungeheuerlich, wie CDU/
CSU und SPD mit dem Grundgesetz umgehen.
({6})
Für Sie ist der Bruch der Verfassung die Fortsetzung der
Politik mit anderen Mitteln. Wir haben heute Morgen in
der Geschäftsordnungsdebatte erlebt, mit welcher Arroganz der Macht Sie der Opposition begegnen. Ich kann
Ihnen nur zurufen: Das wird Sie noch einholen.
({7})
Mit der Reichensteuer beschränken Sie die Steuerbelastungen ausschließlich auf Erwerbseinkommen. Das
ist mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Trotzdem wollen Sie den Gesetzentwurf heute beschließen.
Die Kürzung der Pendlerpauschale ist willkürlich von
Ihnen festgesetzt worden. Alle Experten haben Ihnen das
in der Anhörung des Finanzausschusses unisono bescheinigt. Wie ich mir aber von meinen Kolleginnen und
Kollegen im Finanzausschuss habe erklären lassen müssen, sei das ein bisschen weniger verfassungswidrig als
eine andere Lösung. „Ein bisschen verfassungswidrig“
gibt es aber ebenso wenig wie „ein bisschen schwanger“.
Wo leben wir denn, dass solche Abwägungen getroffen
werden? Ich bin eigentlich davon ausgegangen, dass die
Erkenntnis „verfassungswidrig ist verfassungswidrig“
bei Ihnen angekommen ist.
Dieser hemdsärmelige Umgang mit dem Grundgesetz
ist unverantwortlich und im Grunde genommen nichts
anderes als ein Beleg für Ihre hilflose Finanzpolitik,
Herr Steinbrück. Sie haben kein finanzpolitisches Konzept und picken wie ein blindes Huhn in unserem Steuersystem herum. Das ist keine nachhaltige Finanzpolitik.
So kommen wir in Deutschland nicht weiter.
({8})
Man kann ja über den Abbau von Steuervergünstigungen reden, Herr Steinbrück, aber dann muss man die
Menschen in Deutschland auch durch Tarifsenkungen
entlasten. Sie, meine Damen und Herren von der Union,
haben das unisono im Wahlkampf gefordert und bleiben
den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland die Entlastungen schuldig.
({9})
Sie reden von Reformen und meinen Steuererhöhungen. Sie reden von Haushaltskonsolidierung und meinen
Steuererhöhungen. Sie reden von Wachstum und Beschäftigung, Frau Kanzlerin, und meinen immer nur
Steuererhöhungen. Glauben Sie denn im Ernst, die Menschen in Deutschland hätten nicht langsam gemerkt, dass
Sie sie hinter die Fichte führen? Ihre Politik ist doch eine
Beleidigung für jeden denkenden Menschen in Deutschland.
({10})
Sie wollen nicht sparen, erwarten aber genau das von
den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland. Die Menschen in Deutschland müssen Ihre Politik des kleinsten
gemeinsamen Nenners künftig bei jedem Einkauf mit einem Zuschlag in Höhe der 3 Prozentpunkte finanzieren.
Sie sollten übrigens bei dem Begriff „Merkel-Steuer“
bleiben. Das erspart der SPD das Umdenken und ist
überaus zutreffend.
({11})
Wissen Sie eigentlich, was Sie mit dieser Politik anrichten? Wir haben eine desolate Binnennachfrage. Sie
aber entziehen den Menschen unentwegt Kaufkraft in
Milliardenhöhe und gefährden Arbeitsplätze in diesem
Land. Das ist in hohem Maße unsozial, meine lieben
Kolleginnen und Kollegen von der SPD.
({12})
Sie beschließen mit der Mehrwertsteuererhöhung die
höchste Steuererhöhung in der Geschichte unseres Landes. Sie legen uns heute einen Gesetzentwurf vor, der zu
weiteren Belastungen der Bürgerinnen und Bürger in
Milliardenhöhe führt, und planen bei der Gesundheitsreform - ja, was denn wohl? - weitere Steuererhöhungen.
Kürzlich habe ich Sie gefragt, Herr Steinbrück, ob Sie
ausschließen können, dass es bei der Gesundheitsreform zu weiteren Steuererhöhungen kommt. Die Antwort lautete: Ich werde den Teufel tun. - Wie vom Teufel geritten kommt dann die SPD mit der Forderung nach
zusätzlichen Steuerbelastungen in Höhe von 40 Milliarden Euro für die Bürgerinnen und Bürger daher. Das
kann in Deutschland nicht so weitergehen.
({13})
Große Steuererhöhungen, kleine Reförmchen, bei den
Steuererhöhungen klotzen, beim Sparen kleckern und
beim Schuldenmachen kräftig zugreifen: Das ist Ihre
Finanzpolitik. Dabei sind die Einnahmen gar nicht das
Problem, Herr Steinbrück. Das wissen Sie auch. Wir erzielen Steuereinnahmen in Rekordhöhe. Sie sprudeln
geradezu. Die Äußerung Ihres Fraktionsvorsitzenden
- er ist gerade nicht anwesend; er entzieht sich offenbar
dieser Debatte -,
({14})
die Mehrwertsteuererhöhung sei überflüssig gewesen,
kann man anhand der hohen Steuereinnahmen in
Deutschland sehr gut begründen. Aber Sie tun nicht das,
was nötig ist. Sie erkennen die Realität nicht an. Deswegen kommen Sie mit einer solchen Politik nicht weiter.
Unsere Haushaltspolitiker haben es Ihnen vorgemacht. Mit dem liberalen Sparbuch haben sie Ihnen konkrete Einsparvorschläge vorgelegt, die Sie alle abgelehnt
haben. Damit haben Sie unter Beweis gestellt, dass Sie
nicht zu Einsparungen bereit sind. So leicht kann man es
sich machen: dem Bürger in die Tasche greifen und vom
Sparen sprechen, aber selbst keinen einzigen Beitrag
dazu leisten.
({15})
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der
Union, was Sie im Wahlkampf bekämpft haben, setzen
Sie jetzt, da Sie in der Regierungsverantwortung sind,
um. Das gilt für die Reichensteuer genauso wie für das
Antidiskriminierungsgesetz, das Sie jetzt nicht mehr als
rot-grünes, sondern als schwarz-rotes Gesetz mit einem
neuen Etikett verabschieden. Man könnte die Aufzählung beliebig fortsetzen. Die versprochenen Entlastungen sind alle ausgeblieben. Nur die Belastungen stehen
bei Ihnen schnell im Gesetz. Sie küssen die rote Kröte
bis zum Gehtnichtmehr
({16})
und wundern sich, dass am Ende kein edler Prinz vor Ihnen steht. Ich kann Ihnen nur sagen: Alles Lieben und
Herzen wird Ihnen nicht weiterhelfen. Aus dieser roten
Kröte wird kein Prinz.
({17})
Das Wort hat nun der Kollege Otto Bernhardt für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die große Koalition hat die Ziele ihrer Finanzpolitik ganz klar im Koalitionsvertrag formuliert. Wir
wollen und müssen gleichzeitig zwei Ziele verfolgen:
nachhaltige Sanierung der öffentlichen Finanzen und
Stärkung der Beschäftigung. Alle Maßnahmen, die wir
bisher in den Bundestag eingebracht haben und die auch
heute zur Diskussion stehen, dienen diesen beiden Zielen.
Ich will das Problem aufzeigen, weil die Rede meines
Vorredners von der FDP den Eindruck erweckt hat, hier
gebe es keine Probleme. In diesem Jahr - wir haben den
Haushalt verabschiedet - werden wir neue Schulden in
Höhe von 38 Milliarden Euro machen. Diesen Schulden
stehen Neuinvestitionen in der Größenordnung von
23 Milliarden Euro gegenüber. Es ist unser Ziel, im
nächsten Jahr nicht nur einen Haushalt vorzulegen, der
den Maastrichtkriterien entspricht - das ist eine nicht
ganz so schwierige Aufgabe -, sondern wir sind entschlossen und haben das im Koalitionsvertrag niedergelegt, im nächsten Jahr einen Haushalt vorzulegen, der
dem Art. 115 des Grundgesetzes gerecht wird. Das heißt,
dass die Neuverschuldung etwa 15 Milliarden Euro weniger betragen muss.
Das ist unser Ziel. Die hier wieder zitierte Erhöhung
der Mehrwertsteuer macht bezogen auf dieses Ziel
7 Milliarden Euro aus. Sie wissen, dass von den 3 Prozentpunkten der Mehrwertsteuererhöhung 1 Prozentpunkt für den Abbau der Lohnnebenkosten verwendet
wird, 1 Prozentpunkt für die Sanierung der Länderfinanzen und 1 Prozentpunkt für die Sanierung der Bundesfinanzen. Das bedeutet, dass wir außer dieser Summe
noch Einsparungen in Höhe von 8 Milliarden Euro oder
höhere Einnahmen brauchen. Wir konzentrieren uns auf
Einsparungen.
({0})
Das Gesetz, um das es heute geht, umfasst neun Maßnahmen. Diese Maßnahmen werden bereits im nächsten
Jahr ein Volumen von gut 2 Milliarden Euro ausmachen
- davon je etwa die Hälfte für den Bund und für die Länder - und in den folgenden Jahren etwa 4 Milliarden
Euro. Wir diskutieren also heute über einen Abbau der
Neuverschuldung, Herr Kollege von der FDP, der in dieser Legislaturperiode eine Größenordnung von etwa
10 Milliarden Euro hat. Es spricht für den Mut der großen Koalition, dass wir zum Teil sehr unpopuläre Maßnahmen - ich werde gleich zwei Punkte besonders erwähnen - ergreifen; denn wir meinen es wirklich ernst
mit der nachhaltigen Sanierung der öffentlichen Finanzen. Ich stimme dem Minister zu: Zu dieser Politik gibt
es keine Alternative.
({1})
Ich will die beiden Punkte herausgreifen, die auch
mein Vorredner angesprochen hat. Der eine ist der Zuschlag von 3 Prozent auf das Einkommen so genannter
Besserverdienender. Bei Alleinveranlagung greift diese
Maßnahme ab einem Einkommen von 250 000 Euro, bei
gemeinsamer Veranlagung ab einem Einkommen von
500 000 Euro. Wenn jemand 300 000 Euro verdient und
allein veranlagt wird, dann zahlt er für die Differenz zu
250 000 Euro, also 50 000 Euro, eine in der Presse so
genannte Reichensteuer in Höhe von 1 500 Euro. Bezogen auf sein gesamtes Einkommen ist das 0,5 Prozent.
Das kann natürlich jeder leisten, der ein solches Einkommen hat. Die Frage ist nur - darüber haben wir uns intensiv unterhalten -: Ist das das richtige Signal? Teile der
Koalition sagen: Das ist das richtige Signal; denn der
Normalbürger muss manches ertragen und unter dem
Gesichtspunkt der Solidarität sollten die, die besonders
viel verdienen, einen besonderen Beitrag leisten. Das ist
die eine Argumentation.
Die andere Argumentation lautet: Dies könnte dazu
führen, dass noch mehr gut Verdienende in Deutschland
gar keine Steuern mehr zahlen. Dann wäre es sicher ein
falsches Signal. Ich sage an dieser Stelle sehr deutlich:
Große Koalition heißt, dass man aufeinander zugehen
und Kompromisse schließen muss. Diese Maßnahme haben wir im Koalitionsvertrag nun einmal vereinbart. Für
einige Sozialdemokraten handelt es sich hierbei um Kaviar. Für mich handelt es sich eher um eine Kröte. Ich
stelle aber klar: Wir stehen zu diesem Punkt und wir tragen ihn mit.
({2})
Die Änderung der Pendlerpauschale - der zweite
Punkt, den ich ansprechen will - hat natürlich erhebliche
Auswirkungen auf Millionen von Arbeitnehmern. Damit
die Größenordnung klar ist - unser Ziel ist die Haushaltssanierung -: Es geht um 2,5 Milliarden Euro im
Jahr. Natürlich haben wir unterschiedliche Modelle diskutiert. Einige haben 15 Cent für jeden Kilometer empfohlen. Andere haben empfohlen, die Arbeitnehmerpauschale anzutasten. Das hätte allerdings indirekte
Steuererhöhungen für jeden und höheren Bürokratieaufwand bedeutet.
Wir haben uns in der großen Koalition letztlich zu folgender Haltung durchgerungen: Die höchsten Belastungen haben diejenigen zu tragen, die von ihrem Arbeitsplatz besonders weit entfernt wohnen. Deshalb sollen die
knappen Mittel den Fernpendlern zugute kommen; sie
erhalten weiterhin 30 Cent pro Kilometer. Ich glaube,
dies ist eine vernünftige Lösung. Wir haben im Ausschuss über die Verfassungsrechtlichkeit lange diskutiert. Wie Sie wissen, hat die Regierung klar gesagt: Verfassungsrechtlich ist das in Ordnung.
Hier wird der Eindruck erweckt, die große Koalition
sei sozusagen ein Bündnis für mehr Steuern.
({3})
Diese Aussage ist so nicht richtig. Sie müssen alle Mosaiksteine sehen; Sie dürfen sich nicht einen heraussuchen.
Um die Beschäftigung zu stärken, werden wir an zwei
ganz wichtigen Punkten umfangreiche Steuersenkungen
vornehmen.
Die große Koalition wird sicherstellen, dass ab dem
1. Januar kommenden Jahres beim Übergang einer
Firma an die nächste Generation unter bestimmten Voraussetzungen überhaupt keine Steuern anfallen. Das ist
ein wichtiger Beitrag zur Sicherung von Arbeitsplätzen,
insbesondere in der mittelständischen Wirtschaft.
({4})
Wir befinden uns zudem mitten in der Diskussion um
eine Neuordnung der Unternehmensbesteuerung. Wir
haben hier Diskussionsbedarf. Das kann bei einem solchen Thema nicht überraschen. Aber an einem Punkt
sind wir uns - das können Sie allen Äußerungen entnehmen - im Grundsatz einig: Wir müssen die steuerliche
Belastung deutscher Firmen deutlich reduzieren, damit
wir im internationalen Wettbewerb, insbesondere innerhalb der EU, konkurrieren können. Sie alle wissen, dass
wir mit knapp 39 Prozent Gesamtbelastung - Körperschaftsteuer, Solidaritätszuschlag und Gewerbesteuer die Spitzenposition in Europa haben, und zwar nicht,
weil wir die Steuern erhöht haben, sondern weil die anderen sie schneller gesenkt haben. Hinzu kommt, dass
die EU Länder mit sehr niedrigen Steuersätzen aufgenommen hat.
Jetzt diskutieren wir darüber, dass diese Steuerbelastung von bisher circa 39 Prozent in Richtung 29 Prozent
gesenkt werden soll. Das, was selbst einige Journalisten
als eine Senkung um 10 Prozent bezeichnen,
({5})
ist in Wirklichkeit eine Senkung um rund 25 Prozent.
Das heißt, diese Koalition hat die Absicht - die FDP
sollte einmal sehr aufmerksam zuhören -, die größte
Steuersenkung für Betriebe vorzunehmen, die es nach
dem Kriege gegeben hat.
({6})
Hier geht es uns um die Sicherung von Arbeitsplätzen.
Vor diesem Hintergrund zeigt auch dieses Gesetz, das
wir heute verabschieden werden, dass die große Koalition den Mut hat, unpopuläre Maßnahmen zu ergreifen,
dass sie ein ausgewogenes Konzept hat: Steuersenkung
dort, wo dringend erforderlich, Abbau von Subventionen, auch wenn unpopulär. Mit diesem Konzept werden
wir das erreichen, was wir uns vorgenommen haben,
nämlich endlich wieder einen Haushalt vorzulegen, der
sowohl den EU-Kriterien als auch dem Grundgesetz entspricht.
({7})
An diesem Problem arbeiten wir. Das ist gut und wichtig.
({8})
Herr Kollege, gestatten Sie - Sie hätten noch Zeit eine Zwischenfrage des Kollegen Koppelin?
Immer.
Kollege Bernhardt, da man bei Ihrer Rede merkte,
wie schwer Sie sich bei dem tun, was wir heute diskutieren, folgende Frage: Gibt es nicht Alternativen? Sie
kommen aus Schleswig-Holstein und waren Mitglied
des Schleswig-Holsteinischen Landtags. Ich will Ihnen
ein Zitat vortragen. Es stammt vom früheren schleswigholsteinischen Wirtschaftsminister Peer Steinbrück. Er
erklärte damals:
Die Steuer- und Abgabenquote ist eindeutig zu
hoch.
({0})
Sie ist aus der Perspektive der Arbeitgeber zu hoch …
Sie ist zu hoch aus Sicht der Arbeitnehmer …
Ich füge hinzu - ganz deutlich! -: Die Staatsquote
ist auch zu hoch. Sie ist zu hoch.
({1})
Vor diesem Hintergrund ein konsensorientiertes Ergebnis hinzukriegen, wie man Jahr für Jahr, nicht
bruchartig, sondern schrittweise, davon wieder runterkommt, halte ich des Schweißes der Edlen wert.
Wäre das nicht der richtige Weg?
Herr Kollege Koppelin, Sie wissen, dass die Staatsquote in Deutschland Gott sei Dank rückläufig ist. Sie
kennen die Zahlen des Statistischen Bundesamts. Sie
wissen, dass wir durch die Senkung der Lohnnebenkosten oder Lohnzusatzkosten - was immer der bessere
Begriff ist - erstmalig die Chance haben, da unter
40 Prozent zu kommen. Das zeigt: Die große Koalition
ist auch auf diesem Gebiet auf dem richtigen Weg. Dort
werden wir weiterarbeiten. Ich sage noch einmal: Die
Sanierung der Staatsfinanzen ist ein grundlegendes Ziel.
Es gibt keine gesunde Volkswirtschaft in Europa, die
diesem Ziel nicht eine große Bedeutung gegeben hat.
Das werden wir tun.
({0})
Das Wort hat der Kollege Dr. Gregor Gysi für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sie wollen heute leider wieder ein Steuergesetz beschließen, das
mit sozialer Gerechtigkeit und mit wirtschaftlichem Aufschwung nichts zu tun haben wird; ganz im Gegenteil.
Ich werde versuchen, das zu begründen. Ich habe mir
dazu vier Punkte herausgesucht.
Sie wollen die steuerliche Absetzbarkeit der Aufwendungen für Arbeitszimmer stark reduzieren. Sie versprechen sich dadurch Mehreinnahmen von 300 Millionen Euro. Das trifft in erster Linie Lehrerinnen und Lehrer, aber auch andere Berufsgruppen. Das bedeutet für
sie natürlich eine Nettolohnkürzung und nichts anderes.
Sie haben kein einziges Argument genannt, das die Nettolohnkürzung rechtfertigen würde, zumal die Betroffenen seit Jahren kaum Lohnsteigerungen erlebt haben.
Sie haben außerdem vor, beim Kindergeld und Kinderfreibetrag zu sparen, und zwar dergestalt, dass man
das nur noch bis zum 25. Lebensjahr und nicht mehr bis
zum 27. Lebensjahr erhält. Es ist interessant, das mit einer anderen Zahl zu vergleichen. Das durchschnittliche
Alter der Studierenden zu dem Zeitpunkt, zu dem sie ihren Abschluss machen, liegt bei 28 Jahren. Das heißt,
drei Jahre lang stellen Sie die Leute ohne Einnahme.
({0})
Was heißt das konkret? Das heißt, dass Sie die Ausbildungszeit nicht verkürzen, sondern verlängern,
({1})
weil die Betroffenen nebenbei arbeiten müssen, um ihr
Studium überhaupt noch absolvieren zu können.
({2})
Jetzt sollen noch Studiengebühren der Universitäten dazukommen. Jeder kann sich ausrechnen, wohin das
führt. Das wird eine ganz elitäre Geschichte.
({3})
Die Kinder von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern
haben kaum noch Chancen, zu studieren. Das ist damit
verbunden!
Davon versprechen Sie sich Mehreinnahmen von
534 Millionen Euro - schon eine ganze Menge.
Dann reduzieren Sie den Sparerfreibetrag. Jemand,
der allein stehend ist, hat bisher einen Sparerfreibetrag
von 1 370 Euro, Verheiratete haben einen solchen von
2 740 Euro. Das reduzieren Sie auf 750 Euro bzw.
1 500 Euro. Das machen Sie in einer Zeit, in der Sie
selbst beschließen, dass man die gesetzliche Rente später
erst mit 67 Jahren bekommt, in der Sie selbst sagen, dass
die Rente verringert werden wird. In dieser Situation reduzieren Sie den Sparerfreibetrag. In einer Zeit, in der
Sie den Leuten jeden Tag erklären, sie müssten privat
vorsorgen, greifen Sie gleichzeitig mit der Steuer zu. Sie
haben nicht einmal die Fähigkeit zu einer gewissen Logik. Man kann nicht beides miteinander verbinden.
({4})
Nehmen wir es konkret: Bei einer Verzinsung von
5 Prozent bedeutet das, dass jemand schon bei einem
Sparguthaben von 16 020 Euro Steuern bezahlen muss;
bisher waren es 32 040 Euro.
({5})
- Es kommen auch wieder bessere Zeiten. Sie wollen sie
doch schaffen. Also glauben Sie doch wenigstens an
eine Verzinsung von 5 Prozent, auch wenn wir im Augenblick davon weit entfernt sind.
({6})
Das heißt, schon bei der Hälfte des bisherigen Betrages,
der auch schon ein lächerliches Sparguthaben für eine
Altersvorsorge darstellte, müssten Steuern gezahlt werden.
Dann kommt der dickste Brocken: die Entfernungspauschale. Da erhoffen Sie sich Mehreinnahmen von
2,5 Milliarden Euro. Das heißt, dieses Geld nehmen Sie
den Leuten weg, sonst könnten Sie nicht mit solchen
Mehreinnahmen rechnen.
({7})
15 Millionen Steuerpflichtige machen derzeit die Entfernungspauschale geltend. Die Hälfte davon erhält sie
nach Ihrer Neuregelung nicht mehr, weil sie Entfernungen von bis zu 20 km bisher geltend gemacht hat, die
dann nicht mehr geltend gemacht werden dürfen. Aber
auch die andere Hälfte bekommt deutlich weniger: Jemand, dessen Entfernung zur Arbeitsstätte 50 Kilometer
beträgt, erhält nicht mehr einen Ersatz für diese 50 Kilometer, sondern nur noch für 30 Kilometer.
Das kostet die Steuerzahler richtig Geld; wir haben
das ausgerechnet. Nehmen wir einmal ein Ehepaar mit
einem Kind, das heute täglich 20 Kilometer hin und zurück zur Arbeitsstätte fährt: Bei einem Jahreseinkommen
von 48 000 Euro hieße das, dass es zusätzlich 516 Euro
aufwenden muss, bei einem Jahreseinkommen von
60 000 Euro wären es sogar 565 Euro.
({8})
Das ist die Wahrheit. Das müssen die Leute hergeben
bzw. es fällt weg, weil sie es nicht mehr geltend machen
können. Auf diese Weise erzielen Sie Ihre Mehreinnahme in Höhe von 2,5 Milliarden Euro. Übrigens betrifft das auch diejenigen, die den öffentlichen Nahverkehr benutzen. Auch diese dürfen Entfernungen bis zu
20 Kilometer nicht mehr geltend machen. So müssen sie
auch die Preissteigerungen im öffentlichen Nahverkehr,
die es in fast jeder Kommune gibt, künftig alleine tragen.
All das wollen Sie hier beschließen.
Selbst die Union will sich so entscheiden, obwohl sie
doch sonst immer vom flexiblen Arbeitsmarkt redet und
sagt, man kann sich nicht mehr aussuchen, in welcher
Stadt man arbeitet, sondern muss auch größere Entfernungen in Kauf nehmen. Zugleich sagen Sie aber, bei
Entfernungen von bis zu 20 Kilometern erstatten wir
nichts mehr.
Ich halte das auch für grundgesetzwidrig, und zwar
unter anderem deshalb, weil wir das Nettolohnprinzip
haben und weil das Bundesverfassungsgericht schon
entschieden hat, dass die Aufwendungen, die man hat,
um ein Arbeitsentgelt zu erzielen, abzugsfähig sein müssen. Sie sagen aber, sie sollen nicht mehr abzugsfähig
sein. Ich denke, dazu werden wir eines Tages eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erleben, die
Ihnen möglicherweise nicht gefällt.
({9})
Wenn ich das Ganze zusammennehme, komme ich
auf eine Kaufkraftreduzierung um über 4 Milliarden
Euro nächstes Jahr. Das müssen die Lehrerinnen und
Lehrer, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und
die Kleinsparer aufbringen. Das würde auch wirtschaftliche Folgen haben: Das Ergebnis wird sein, dass kleine
und mittlere Unternehmen Insolvenz anmelden müssen,
weil sie weniger Waren bzw. Dienstleistungen verkaufen. Dann werden wir mehr Arbeitslose haben. Ich sehe
schon, wie dann von Ihnen Anträge kommen, auf welche
Weise man Arbeitslose stärker drangsalieren und ihnen
Mittel kürzen kann. Das wird die Folge sein.
({10})
Zum Schluss gibt es dann noch ein Tröpfchen, die
Reichensteuer. Sie haben Recht, Herr Bundesminister
Steinbrück, mit symbolischer Handlung hat das nichts zu
tun. Das ist weniger als ein Witz.
({11})
Ich muss das wirklich einmal erklären: Unter Helmut
Kohl gab es einen Einkommensteuerspitzensatz von
53 Prozent. Union und FDP haben sich tapfer bemüht,
diesen zu senken, aber damals standen die SPD und auch
andere dagegen;
({12})
deshalb fiel es Ihnen schwer. Bis zu Kohls Abgang
wurde ein Steuersatz von 53 Prozent auf Einkommen
über 60 000 Euro bei Alleinstehenden bzw. über
120 000 Euro bei Verheirateten erhoben. Dann kam Gerhard Schröder; die Welt änderte sich. Der Spitzensteuersatz bei der Einkommensteuer wurde um 11 Prozent auf
42 Prozent für all diejenigen gesenkt, die mehr als
60 000 Euro bzw. 120 000 Euro verdienten.
({13})
- Okay. - Das haben Sie ja wahnsinnig gefeiert. Was haben die Haushalte dadurch an Geld verloren - diese Zahl
ist ja auch einmal interessant -: 7,2 Milliarden Euro weniger Einnahmen aufgrund der Senkung des Spitzensteuersatzes der Einkommensteuer! Jetzt stellen Sie sich hin
und verlangen von Lehrerinnen und Lehrern, von Kleinsparern und von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern
über 4 Milliarden Euro zurück, weil Sie damals den Besser- und Bestverdienenden reichlich darüber hinaus,
nämlich über 7 Milliarden Euro, gegeben haben. Diesen
Zusammenhang muss man einmal herstellen.
({14})
Nun sagen Sie zwar, jetzt müssen auch diese irgendwie zur Kasse gebeten werden. Da fällt Ihnen aber nur
eine Zusatzsteuer in Höhe von 3 Prozent ein, und zwar
für Leute, die als Alleinstehende mehr als 250 000 Euro
bzw. als Verheiratete mehr als 500 000 Euro verdienen.
Sie dürfen das aber nicht aus Gewinnen erwirtschaften, also nicht als Unternehmerin oder Unternehmer,
auch nicht aus der Forst- und Landwirtschaft, auch nicht
aus einem Gewerbebetrieb: Es bleiben praktisch nur die
Festangestellten übrig. Deshalb ist Ihr Argument, dass
sie alle weggehen könnten, ziemlicher Blödsinn. Selbst
wenn sie weggingen, würden andere eingestellt. Diese
würden das Geld dann verdienen. Das Argument zieht
hier also gar nicht.
({15})
Die Zusatzsteuer dieser kleinen Gruppe liegt bei
3 Prozent. Jetzt muss ich einmal erklären, was das heißt.
Es geht ja um das steuerpflichtige Einkommen. Das bedeutet, ein Ehepaar muss viel mehr als 500 000 Euro
verdienen, damit es auf ein steuerpflichtiges Einkommen
von 500 000 Euro kommt - da gibt es ja Freibeträge und
alles Mögliche. Wenn dann alles abgezogen ist, dann haben sie zum Beispiel noch 505 000 Euro. Dann sagen
Sie im Ernst, Herr Steinbrück: Als wichtiges Signal
müssen sie für die letzten 5 000 Euro 3 Prozent mehr
Steuern zahlen. Das ist weniger als ein Witz; sie werden
darüber lachen. Ich weiß nicht, ob sich überhaupt jemand bereitfindet, deswegen zum Bundesverfassungsgericht zu gehen.
({16})
Hier hat die FDP leider nicht Unrecht; denn es gibt
ein verfassungsrechtliches Argument. Es hat einen Zug
von Willkür, wenn man sagt: ab 500 000 Euro. Wieso
nicht vorher? Wieso verlassen Sie plötzlich die Geradlinigkeit in der Steuergesetzgebung und machen einen
Riesensprung, der überhaupt nicht nachvollziehbar ist?
Was versprechen Sie sich für eine Mehreinnahme?
250 Millionen Euro. Ich möchte das einer anderen Zahl
gegenüberstellen. Sie sagen, die Reichen - zumindest
ein ganz kleiner Teil der Reichen - sollen 250 Millionen
Euro und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Kleinsparer, Lehrerinnen und Lehrer 4,084 Milliarden Euro
zahlen. Das ist Ihre Art von Gerechtigkeit, die Sie organisiert haben, nachdem Sie den Best- und Besserverdienenden, wie ich es vorhin begründet habe, über
7 Milliarden Euro durch die Senkung des Spitzensteuersatzes bei der Einkommensteuer geschenkt haben.
({17})
Wenn man das Ganze dann noch in Verbindung mit
der Mehrwertsteuererhöhung in Höhe von 3 Prozentpunkten im nächsten Jahr setzt - sie trifft doch auch die
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und alle anderen - und wenn man dann noch hört, dass Sie jetzt am
Wochenende beschließen, dass die Gesundheitsreform
aus Steuermitteln bezahlt werden muss, dann bekommt
man wieder den Eindruck, dass 250 Millionen Euro an
Belastungen für die Reichen kommen und viele, viele
Milliarden Euro für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und die anderen. Dadurch machen Sie diese Gesellschaft nicht nur grob sozial ungerechter, sondern das
wird auch verheerende wirtschaftliche Folgen haben.
Der Kaufrausch, von dem jetzt in den Zeitungen zu
lesen ist, wenn man ihn überhaupt so bezeichnen kann
- er hat übrigens nichts mit der Fußballweltmeisterschaft
zu tun; das ist Blödsinn! -, hat damit zu tun, dass die
Leute Angst vor den Steuererhöhungen im nächsten Jahr
haben. 3 Prozentpunkte Mehrwertsteuererhöhung ist natürlich eine Menge. Da entscheiden sich viele, lieber
jetzt zu kaufen. Im nächsten Jahr wird es dann den Reinfall und wieder eine höhere Arbeitslosenzahl geben.
Dann stehen Sie wieder hier und machen Gesetzentwürfe - leider nicht gegen die Arbeitslosigkeit, sondern
gegen Arbeitslose. Das Ganze ist nicht hinnehmbar. Es
ist auch nicht vertretbar.
Ich sage Ihnen noch einmal: Wir haben keine Illusionen und sind nicht einfach nur dagegen. Wir machen Ihnen auch Vorschläge. Wir haben gesagt: Wir brauchen
eine gerechte Körperschaftsteuer. Wir haben über eine
internationale Börsensteuer geredet. Wir haben darüber
geredet, wie eine gerechte Einkommensteuer aussehen
kann. Aber zu all diesen Wegen sind Sie nicht bereit.
Die Deutsche Bank macht ihre Pressekonferenz und
berichtet von wunderbaren, tollen Gewinnen. Danke
schön, Gerhard Schröder! Wir entlassen gleich einmal
wieder 8 000 Leute.
Der nächste Konzern macht seine Pressekonferenz,
bedankt sich auch für den größten Gewinn seiner Geschichte und entlässt 10 000 Leute. Allianz macht jetzt
eine Pressekonferenz, hatte den größten Gewinn im letzten Jahr und sagt: 7 500 Leute werden wir jetzt entlassen. - Das Versprechen, dass die Steuergeschenke an
Konzerne zu mehr Arbeitsplätzen führen, ist widerlegt.
Das gilt ebenso für die Geschenke an die Reichen und
die Bestverdienenden.
({18})
Sie müssten den Mut haben, auch einmal von den
Konzernen, Reichen und Bestverdienenden mehr Steuern zu fordern. Sie wollen das nicht. Ihnen fehlt der Mut.
Das ist das Problem der Koalition. Deshalb geht Ihr Herumeiern immer zulasten derselben Gruppen: der Rentnerinnen und Rentner, der Arbeitslosen und der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
({19})
Zur unmittelbaren Erwiderung auf diese Rede erteile
ich das Wort dem Bundesminister Peer Steinbrück.
Ich mache es kurz, meine sehr geehrten Damen und
Herren. Aber man darf die Demagogie und auch manche
Aussage auf Klippschulenniveau so nicht stehen lassen;
({0})
denn sonst könnte sich, auch bei denjenigen, die uns zuhören, der Eindruck verfestigen, wir hätten plötzlich eine
verkehrte Welt.
Herr Gysi, Sie wären noch beeindruckender, wenn Sie,
insbesondere im Zusammenhang mit den Einkommensteuerreformen in der Vergangenheit, berücksichtigen
würden, dass nicht nur der Spitzensteuersatz abgesenkt
worden ist, sondern vor allen Dingen der Eingangsteuersatz, nämlich von 26 Prozent auf 15 Prozent.
({1})
Die Freibeträge für die Geringst- und Geringverdiener
sind deutlich erhöht worden, mit dem Effekt, dass jemand, der verheiratet ist und zwei Kinder hat, unter Anrechnung des Kindergeldes bis zu einem Verdienst von
37 000 Euro in Deutschland keine Steuern zahlt.
({2})
Das heißt, was Sie mit Blick auf die Effekte der Steuerreformschritte der letzten Jahre dargestellt haben, korrespondiert überhaupt nicht mit den Fakten. Es ist reine Demagogie, die Sie da verbreiten.
({3})
Dasselbe gilt, wenn Sie sich populär geben - mein
Sohn würde sagen: sich ranwanzen - und zum Beispiel
beim Thema Arbeitszimmer auf die Lehrer abheben.
Das maßgebliche Steuerkriterium bezieht sich auf den
Ort der hauptberuflichen Tätigkeit. Ich habe den Eindruck, der Ort, wo die Lehrer tätig sein sollten, ist nicht
ihr häusliches Arbeitszimmer, sondern die Schule.
({4})
Das ist ein Abgrenzungskriterium. Um das ganz deutlich
zu machen: Die Steuergelder der Bürgerinnen und Bürger sollen nicht dazu dienen, jedwede Entscheidung bezüglich einer teilweise beruflichen Tätigkeit zu Hause zu
subventionieren. Dieses Abgrenzungskriterium ist von
uns eingeführt worden.
Dasselbe gilt mit Blick auf die Pendlerpauschale. In
allen anderen europäischen Steuersystemen ist der Weg
vom Wohnort zum Arbeitsort nicht Bestandteil der Arbeitswelt. Warum soll es in Deutschland anders sein?
Warum ist es in Deutschland unter den obwaltenden
schwierigen haushaltspolitischen Bedingungen nicht
möglich, eine Regelung zu finden, nach der wir Fernpendler weiter unterstützen ({5})
- ja, ich komme mit dem Fahrrad, wenn es sein muss -,
aber die, die im Nahbereich tätig sind, an den notwendigen Konsolidierungsschritten, die wir unternehmen müssen, teilhaben lassen?
Fazit - um die Intervention nicht zu sehr in die Länge
zu ziehen -: Ihre Reden zeichnen sich immer dadurch
aus, dass Sie sich punktuell etwas herausgreifen, was
aber mit der Bandbreite der Wirklichkeit in unserer Gesellschaft und unserer Wirtschaft nichts zu tun hat. Ich
finde, das muss gelegentlich korrigiert werden.
({6})
Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege
Dr. Gregor Gysi.
Herr Bundesminister, lassen Sie mich als Erstes einen
Satz zu den Lehrern sagen. Natürlich unterrichten Lehrerinnen und Lehrer an der Schule; aber die ganze Vorbereitung, die Korrektur von Klassenarbeiten etc. müssen
sie zu Hause erledigen, da sie in der Schule alle kein
Büro haben. Deshalb ist das häusliche Arbeitszimmer
immer anerkannt worden.
({0})
Zweitens. Der Weg von der Wohnung zur Arbeit
und von der Arbeit zur Wohnung gehörte in Deutschland, im Unterschied zu anderen Ländern, immer zur Arbeitswelt. Das hat eine jahrzehntelange Tradition und ist
vom Bundesverfassungsgericht das letzte Mal 2002 ausdrücklich dahin gehend bestätigt worden, dass der Aufwand, um ein Einkommen erzielen zu können, in Bezug
auf die Steuer absetzungsfähig sein muss. Wenn Sie das
heute anders regeln, dann kürzen Sie damit nichts anderes als die Nettolöhne, reduzieren die Kaufkraft, schaffen soziale Ungerechtigkeit und schädigen die Wirtschaft.
({1})
Drittens zur Einkommensteuer; das war ja Ihr wichtigster Einwand. Es stimmt, auch die Eingangsteuersätze
sind gesenkt worden. Aber die Steuerausfälle sind ganz
überwiegend durch die Senkung des Spitzensteuersatzes
um 11 Prozentpunkte entstanden. Das hat zu dieser
wahnsinnigen Einbuße geführt.
Dazu noch ein Hinweis. Wir können das gerechter
machen. Ich kenne die Beispiele. Jemand von der CDU/
CSU hat wieder gesagt, dann würden die Leute das Land
verlassen. Wie gesagt, bei Festangestellten ist das gar
kein Argument, aber bei anderen. Machen wir das doch
nach amerikanischem Recht! Wissen Sie, wie das dort
geregelt ist? Übertragen auf Deutschland hieße das, dass
ein deutscher Staatsangehöriger, wenn er in einem anderen Land lebt und dort Steuern zahlt, seine Steuererklärung und seinen Steuerbescheid ebenfalls in Deutschland
einreichen muss. Wenn dann festgestellt wird, dass er in
Deutschland mehr Steuern hätte zahlen müssen, muss er
die Differenz zahlen. Denn solange er die deutsche
Staatsangehörigkeit hat, sind wir für ihn verantwortlich.
({2})
Wenn er irgendwo entführt wird, geben wir Geld aus, um
ihn zu retten. Das ist in Ordnung; aber dann müssen
deutsche Staatsangehörige auch Pflichten gegenüber
Deutschland haben. Dann könnte Schumi in der Schweiz
vereinbaren, was er will; er müsste seine Steuererklärung nach Deutschland schicken und im Falle einer Differenz diese bezahlen. Dann hätten Sie gar keine
Schwierigkeiten, bei der Einkommensteuer einen gerechten Spitzensteuersatz einzuführen.
({3})
Herr Minister, wollen Sie erwidern?
Nein.
Dann erteile ich dem Kollegen Fritz Kuhn von der
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Steinbrück, wenn ich mir anschaue, wie Sie agieren, dann kann ich nur sagen, dass die kühle Souveränität, mit der Sie gestartet sind, allmählich einer gewissen
Dünnhäutigkeit gewichen ist. Das zeigt sich auch heute
daran, wie Sie auf die Einwände im Rahmen der Debatte
reagieren.
({0})
Sie und Frau Merkel haben in den Debatten der letzten Wochen versucht, folgendes Bild zu zeichnen: Die
Opposition übt sich im Einbringen von unbedeutenden
Anträgen - mal hier eine Einsparung, mal dort eine Einsparung -, aber das stimmige, verlässliche und berechenbare Gesamtkonzept kommt von der großen Koalition,
wie Sie auch eben wieder sagten. Wenn ich mir die chaotische Diskussion der letzten Tage anschaue und mir
vor Augen führe, was jetzt gemacht wird und was noch
alles kommt, dann kann ich nur feststellen, dass Sie den
nie vorhandenen Überblick jetzt endgültig verloren haben. Ich will Ihnen aufzeigen, an welchen Punkten dies
deutlich wird.
Man sagt, dass wir zur Haushaltskonsolidierung dringend 24 Milliarden Euro aus der Erhöhung der Mehrwertsteuer brauchen. Sie beschließen diese Erhöhung
mit Ihrer Mehrheit im Parlament. Aber dann sagt der
Fraktionsvorsitzende der SPD, also eines Koalitionspartners, dass dies eigentlich nicht notwendig gewesen wäre.
Mit einer vernünftigen Einsparpolitik hätte man es auch
schaffen können. Bingo! Wie muss das bei der Bevölkerung draußen im Lande ankommen?
({1})
Sie sagen außerdem, dass wir eine Unternehmensteuerreform brauchen. Das ist zwar unstrittig. Aber Sie
wollen eine Entlastung in Höhe von 8 Milliarden Euro.
Das heißt im Klartext: 1 Prozentpunkt der Mehrwertsteuererhöhung geht für die Entlastung der Unternehmen
im Zuge der von Ihnen geplanten Reform drauf. Herr Finanzminister, Sie sagen übrigens nie klar, worauf sich
die 8 Milliarden Euro beziehen. Ist diese Summe dem
Time Lag geschuldet, weil die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage nicht sofort greift, oder meinen Sie tatsächlich, dass es eine Entlastung in Höhe von 8 Milliarden Euro gibt? Darüber haben Sie uns bisher völlig im
Unklaren gelassen, weil Sie mit einer Doppelstrategie
arbeiten: Diejenigen, die gerne eine Entlastung haben
wollen, sollen 8 Milliarden Euro hören und diejenigen,
die dies nicht so gerne wollen, sollen hören, dass dies
nur vorübergehend sei. So können Sie die Öffentlichkeit
nicht täuschen.
({2})
Außerdem wollen Sie die Krankenversicherungsbeiträge und damit die Lohnnebenkosten senken. Sie
sprechen davon, dass Sie allein für die Finanzierung der
kinderbezogenen Leistungen mindestens 16 Milliarden
bis 24 Milliarden Euro aus Steuermitteln brauchen. Sie
sagen bislang in der Diskussion aber nicht, welche Steuern um wie viel erhöht werden sollen. Vorläufig haben
Sie im Gesundheitswesen ein noch ganz anderes Problem. Denn die 4,2 Milliarden Euro aus der Tabaksteuer
werden nicht mehr als Zuschuss für die gesetzliche
Krankenversicherung verwendet, sondern in den Haushalt eingestellt. Dadurch werden die Krankenversicherungsbeiträge um 4,2 Milliarden Euro steigen. Was Sie
da machen, ist organisiertes Chaos.
({3})
Erst gehen die Beiträge hoch, dann sagen Sie, dass die
Beiträge durch Steuererhöhungen wieder sinken sollen.
Da können Sie doch nicht davon sprechen, dass Sie einen Plan haben, wie es insgesamt in Deutschland weitergehen soll.
({4})
Zu dem Thema Sanierungsfall, den Frau Merkel ausgerufen hat: Sie haben keine klare Konzeption, wie die
Sanierung Deutschlands aussehen soll. Sie reden nur davon, dass Sie ein stimmiges Konzept haben. Aber wenn
ich mir die Verteilungswirkungen anschaue, dann kann
ich nur sagen: Es sind die kleinen Leute, die im Großen
und Ganzen die von Ihnen geplante Sanierung bezahlen
müssen. Denn tatsächlich werden durch die Mehrwertsteuererhöhung oder Maßnahmen, die im Steuerveränderungsgesetz 2007, über das wir heute diskutieren,
enthalten sind, vor allen Dingen Menschen mit geringen
Einkommen getroffen. An dieser Tatsache kommen Sie
nicht vorbei.
Ihre Politik kann ich nur als Murks bezeichnen. Die
Merkel-Regierung ist eine Murksregierung, weil sie keinen Gesamtüberblick hat. Herr Steinbrück, wenn Sie das
bestreiten - Sie schreien ja gerade auf, als würde es Ihnen wehtun -, dann sagen Sie einmal, wie die Belastungswirkungen auf welche Einkommensgruppen in
Deutschland am Ende, also nach der Gesundheitsreform,
aussehen. Haben Sie je eine Belastungsrechnung in diesem Haus vorgelegt? Haben Sie gesagt, diese Einkommensgruppe trifft es so und jene so? Haben Sie ein Gesamtkonzept für die Sanierung der Bundesrepublik
Deutschland vorgelegt? Nein, Sie haben es nicht. Sie
machen es einmal so und einmal so, einmal rauf mit den
Beiträgen und einmal runter mit den Beiträgen. So etwas
bezeichne ich als gezielte Desinformation der Öffentlichkeit
({5})
und nicht als berechenbaren, nachvollziehbaren und jederzeit verlässlichen Plan. Sie haben heute in Ihrer Rede
wieder einen Selbstbeweihräucherungsakt unternommen.
Wir sagen: Das ist Murkspolitik. Die Merkel-Regierung macht organisierten Murks, übrigens auch deshalb,
weil sie sich um die wirtschaftlichen Folgen dessen, was
sie da macht, nicht kümmert.
({6})
Die Wirkungen der einzelnen Maßnahmen auf die Konjunktur scheinen sie nicht zu interessieren und der Wirtschaftsminister kommt in diesen Debatten gar nicht vor.
({7})
Es gibt in diesem Kabinett keine Stimme, die danach
fragt, welche Auswirkungen die Maßnahmen, die Sie in
der Haushaltspolitik und in der Finanzpolitik veranstalten, auf die Wirtschaft und die Konjunktur haben. Dabei wissen wir doch, dass wir, wenn wir in Deutschland
einen wirklich nachhaltigen Aufschwung wollen, nicht
nur den Umfang des Exports, so wie er sich zurzeit darstellt, erhalten müssen, sondern auch die Binnenkonjunktur zu einem stabilen Element des Wirtschaftswachstums
in Deutschland machen müssen. Die Maßnahmen, die
Sie hier präsentieren, sind das exakte Gegenteil.
({8})
Deswegen betone ich: Mit der Schröpf-die-Bürger-Politik, die Sie hier betreiben, machen Sie eine Antiwachstumspolitik, die spätestens im nächsten Jahr positive Effekte wieder reduzieren wird.
Zu drei Punkten, die heute zur Abstimmung stehen,
will ich kurz etwas sagen. Der erste Punkt ist die Reichensteuer. Kollege Gysi hat, was den Begriff und die
tatsächlichen Verteilungswirkungen angeht, schon das
Nötige und - das betone ich - Richtige gesagt. Und so
etwas nennt ihr - das sage ich vor allem an die Genossinnen und Genossen von der SPD gerichtet - Reichensteuer!
({9})
- Aber ihr verkauft es so. Herr Poß, wenn Sie in Ihrem
Kreisverband in Nöten sind und Ihnen gar nichts mehr
einfällt, dann kommt die ominöse Reichensteuer, mit der
Sie den Kopf aus der Schlinge ziehen wollen, was Ihnen
aber nicht gelingt.
({10})
Sie wissen genau, dass diese Steuer in der vorliegenden Form nicht verfassungskonform ist. Sie argumentieren: Wenn das Ganze ein Jahr lang nicht verfassungskonform ist, dann ist das nicht so schlimm. Dann
machen wir es anders.
({11})
- Jetzt beruhigen Sie sich, Herr Poß. Bei Ihnen gibt es
ein ganz sicheres Gesetz: Wenn Poß laut wird, dann tut
es weh, weil irgendein Unsinn, den er mitbeschlossen
hat, von diesem Rednerpult aus aufgedeckt wird.
({12})
So werden wir das auch weiter handhaben.
Die Verfassungskonformität interessiert Sie also
nicht.
Die Verteilungswirkung hat Herr Gysi richtig beschrieben: Das Aufkommen wird am Anfang, wenn Sie
Glück haben, maximal 124 Millionen Euro betragen.
Aber dies ist doch kein Ausgleich für die soziale Schieflage, die die Einsparpolitik, die Sie betreiben, bewirkt!
Ich muss die SPD nach Ihrer Zustimmung zu dieser Bonsai-Reichensteuer wirklich fragen: Können Sie Ihr
schlechtes Gewissen, das Sie wegen der Mehrwertsteuererhöhung haben, mit solch einer Nummer einfach beruhigen und fröhlich aus diesem Haus gehen und in die Ferien fahren? Sind Sie mit einer solchen Minimalsteuer so
billig zu kaufen?
({13})
Es ist doch absurd. Herr Finanzminister, wenn Sie
von der SPD einigermaßen seriös wären, dann würden
Sie sagen: Wir führen zuerst eine Unternehmensteuerreform durch, die es möglich macht, über die Frage zu reden, was diejenigen, die mehr verdienen - egal ob sie
Angestellte oder Gewerbetreibende sind -, zu zahlen haben. Nach einer Belastungsanalyse beschließen wir dann
ein konsistentes System.
Ich betone noch einmal: Über Belastungsfragen reden
Sie gar nicht. Die versteckt der Finanzminister hinter allgemeinen Sätzen, die lauten: Wir müssen einsparen. Fritz Kuhn
Auch wir wissen, dass wir einsparen müssen; deswegen
legen wir auch Alternativen vor. Aber wir müssen beim
Einsparen darauf Acht geben, dass es gerecht erfolgt und
die Konjunktur nicht ganz kaputtgeht, weil wir sonst die
Spirale nach unten weiterdrehen und keine Effekte erreichen.
Der zweite Punkt ist die Entfernungspauschale. Wir
als Grüne teilen die Auffassung, dass man hier Subventionen abbauen muss. Wir haben aber einen anderen Vorschlag gemacht; dieser ist verfassungskonform. Bei Ihrem Vorschlag mahnt der Bundesrat schon an, ob er denn
verfassungskonform sei. Wir würden die Entfernungspauschale um die Hälfte kürzen; sie aber für alle Entfernungen gelten lassen. Denn eines muss man sagen: Der
Schritt, die Entfernungspauschale bis zum 20. Kilometer
zu streichen, ist die reine Willkür. Erklären Sie einmal
jemanden, der in einer Entfernung von 19 Kilometer zu
seinem Arbeitsplatz gebaut hat, was Sie da veranstalten!
Oder betrachten Sie die Zukunftswirkung! Die Wirkung
solcher Gesetze wird sein, dass die Leute sagen: Dann
ziehe ich gleich weiter weg; denn die Baupreise sind dort
sowieso niedriger und ich bekomme dann noch etwas
vom Finanzminister. - Das heißt, Sie werden den Prozess der Zersiedelung und des Weit-weg-Wohnens vom
Arbeitsplatz mit solchen idiotischen Maßnahmen fördern.
({14})
Ich frage Sie: Wollen Sie das? Dann sagen Sie, dass Sie
das wollen. Dann übernehmen Sie aber auch die Verantwortung für die Zersiedelung, die damit einhergeht.
({15})
Zum Sparerfreibetrag ist das Notwendige gesagt
worden. Das ist eine sowohl konjunkturpolitisch als
auch mit Blick auf die Alterssicherung ganz fragwürdige
Maßnahme. Diese Regelung betrifft besonders die Menschen, die zum Zwecke der Alterssicherung eine Wohnung im Wert von 200 000 Euro oder 300 000 Euro kaufen wollen; denn diese müssen dann darauf Steuern
zahlen. Ich frage Sie: Wollen Sie das wirklich, und zwar
besonders vor dem Hintergrund der sozialen und konjunkturellen Auswirkungen? Ich kann dazu nur sagen:
Sie haben nicht genügend hingeschaut und eine sozial
und wirtschaftlich falsche Maßnahme beschlossen.
Noch einmal: An dieser Stelle braucht dieses Kabinett
endlich einen Wirtschaftsminister, der den Finger auf die
wirtschaftlichen Fragen legt, und keinen, der sich in den
entscheidenden Momenten drückt.
({16})
Sie haben aber schon begriffen, dass Sie dort eine signifikante Schwachstelle haben.
Wir von den Grünen haben viele Vorschläge zum
Subventionsabbau gemacht. Herr Steinbrück, ich bitte
Sie, einfach zu sagen, dass Sie die nicht wollen. Sie sagen immer, es gehe nicht und es gebe keine Alternative
zu Ihrer Politik. Es gibt aber Alternativen. Wie schnell
im Übrigen die große Koalition Subventionen aufbaut
- ich betone: aufbaut und nicht abbaut -, kann man an
folgendem Beispiel sehen: Nach der Finanzausschusssitzung am 9. Mai hat es noch einen parlamentarischen
Abend gegeben. Im Zuge dessen haben Sie großzügig
eine Steuerbegünstigung für Gabelstaplerfahrer an den
Güterumschlagplätzen der Seehäfen in Höhe von
25 Millionen Euro beschlossen. Die Dankesschreiben
sind schon bei der Koalition eingetroffen. Also von wegen Subventionsabbau: Sie reden davon, bauen jedoch
systematisch neue auf, wo es Ihnen gerade recht ist.
({17})
Deswegen, Herr Finanzminister, machen Sie keine
berechenbare, verlässliche, auf das große Ziel der Konsolidierung ausgerichtete Politik, sondern Sie veranstalten Steuermurks.
({18})
Bevor die Kollegin Gabriele Frechen für die SPDFraktion als Nächste das Wort erhält, möchte ich darauf
hinweisen, dass wir nach einer vorhin in der Ältestenratssitzung getroffenen Vereinbarung über den Verfahrensablauf bei den Abstimmungen am Schluss dieses Tagesordnungspunktes eine namentliche Abstimmung
haben werden und eine Zweidrittelmehrheit erforderlich
sein wird.
({0})
Ich mache jetzt schon darauf aufmerksam, damit die
Dispositionen für die Verfügbarkeit im Plenum rechtzeitig getroffen werden können.
Nun hat Frau Kollegin Frechen das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Lieber Herr Dr. Wissing, Sie haben eben gesagt: Aus einer roten Kröte wird kein Prinz. Ich will gar
kein Prinz werden und solange Sie mir nicht versprechen
können, dass man auch eine Prinzessin werden kann,
bleibe ich doch lieber eine rote Kröte.
({0})
Sie erzählen uns immer, was Sie alles richtig und besser
machen, und zwar vor allem im Bereich der Steuern. Ich
genieße es immer - auch wenn der Herr Westerwelle das
gar nicht gerne hört -,
({1})
Ihnen die Aussagen der Gutachter zu Ihrem Steuermodell vorzutragen. Alle Gutachter, alle Länderfinanzminister, waren sich einig, dass Ihr Modell zu einer erheblichen sozialen Schieflage führt. Wenn Sie hier von
„sozial“ sprechen, muss man Ihnen immer wieder vorhalten, dass Sie mit Ihrer Steuerreform eine Verschiebung von unten nach oben vorgesehen haben, und das
noch mit Steuereinnahmeverlusten in Höhe von
20 Milliarden Euro.
({2})
Erzählen Sie uns also nicht, wie es geht, und auch nicht,
wie es besser gehen sollte.
({3})
Eine zentrale Aufgabe der großen Koalition ist die
Konsolidierung der Staatsfinanzen. Wir werden in 2007
die Regelgrenze des Art. 115 des Grundgesetzes und die
Maastrichtkriterien einhalten. Dazu bedarf es trotz erheblich gestiegener Steuereinnahmen und trotz der guten
Prognosen erheblicher Anstrengungen auf allen staatlichen Ebenen. Wir müssen weiter Subventionen abbauen,
Ausgaben kürzen und die Einnahmen verbessern. Das
alles geht nicht ohne Einschnitte. Ich bin mir aber ganz
sicher, dass die Menschen erkennen, dass Einschnitte zur
Haushaltskonsolidierung notwendig sind, und dass sie
auch bereit sind, ihren Beitrag dazu zu leisten, wenn sie
einsehen, dass die Forderungen nicht nur gerechtfertigt,
sondern auch gerecht sind. Wenn Sie aber immer wieder
behaupten, Subventions- und Ausgabenabbau wären
reine Steuererhöhungen, dann springen Sie zu kurz. Das
ist, gelinde gesagt, unredlich.
({4})
Die Menschen bekommen eine Leistung vom Staat.
Sie fordern diese Leistung zu Recht ein. Wir müssen uns
natürlich fragen - Herr Dr. Wissing, das gilt auch für Sie -,
was der Staat heute noch leisten kann, was er in Zukunft
leisten muss und was er dann noch leisten kann.
({5})
- Leider Gottes haben wir aber auch Rekordschulden.
({6})
- Sie würden es sich ganz einfach machen: Sie würden
die Zuschüsse zur Rentenversicherung um ein paar Milliärdchen kürzen. Dass das für Rentnerinnen und Rentner Konsumverzicht und geringere Lebensqualität bedeuten würde, wäre Ihnen doch völlig schnuppe, diese
Leute gehen Sie doch gar nichts an.
({7})
Wir brauchen einen leistungs- und handlungsfähigen
Staat. Wir müssen überlegen, wie wir das in dieser Zeit
hinbekommen. Ich bekenne mich dazu, dass ich einen
aktiven und aktivierenden Staat will, der in den Bereichen Forschung und Bildung, Familie, soziale Leistungen, innere Sicherheit, Infrastruktur und vielen mehr für
die Menschen Aufgaben erfüllen kann.
({8})
Doch dafür braucht man nun einmal so etwas Triviales wie Geld. Ich will keinen fetten Staat, aber auch keinen ausgehungerten.
({9})
Das Steueränderungsgesetz ist ein weiterer Schritt auf
dem Weg, die im Koalitionsvertrag vereinbarten Konsolidierungsziele zu erreichen.
({10})
Als Nordrheinwestfälin, die fest zum Braun- und
Steinkohleabbau steht, muss und werde ich hier heute
die Abschaffung der Bergmannsprämie vertreten.
Diese Prämie, die vor 50 Jahren als reine Subvention
eingeführt wurde, um Männern den Beruf des Bergmanns schmackhaft zu machen, wird mit diesem Gesetz
ab 2008 gestrichen. Hiermit gehen wir - das muss ich
trotzdem sagen - ein ganz erhebliches Stück über die im
Koalitionsvertrag getroffene Vereinbarung hinaus, die
nur die Abschaffung der Steuerfreiheit vorsieht. Ich hätte
mich in diesem Punkt gerne an den Koalitionsvertrag gehalten.
Wir werden die Altersgrenze für den Bezug von Kindergeld in zwei Schritten auf 25 Jahre absenken. Außer
in Luxemburg wird nirgendwo in Europa so lange Kindergeld gezahlt wie in Deutschland. In den meisten Ländern wird es nur bis zum 18. Lebensjahr gezahlt. Wer
den Bezug von Kindergeld im 26. und 27. Lebensjahr
für den Mittelpunkt aller familienpolitischen Aktivitäten
hält, der verkennt die Realität vollkommen.
({11})
Wir haben uns Bildungs- und Forschungspolitik auf
die Fahne geschrieben. Bildungs- und Forschungspolitik
fängt aber nicht auf der Universität und nicht mit dem
25. Lebensjahr an. Wir fördern Familien auf allen staatlichen Ebenen - Elterngeld, Kindertageseinrichtungen,
Abzugsfähigkeit von Betreuungskosten, offene Ganztagsschulen und dritthöchstes Kindergeld in Europa für
die Dauer von 25 Jahren - mit insgesamt rund 100 Milliarden Euro pro Jahr. Das Kindergeld für 26- und 27-jährige Kinder macht 0,5 Prozent davon aus.
In der Anhörung wurden kaum grundsätzliche Bedenken gegen die Absenkung der Bezugsdauer geäußert.
Problematisiert wurde vielmehr die Möglichkeit, bis
zum 25. Lebensjahr in Deutschland ein Studium zu beenden.
({12})
Umso wichtiger war das Ergebnis der Nachverhandlungen zur Föderalismusreform unseres Fraktionsvorsitzenden Peter Struck. Mit dem neu aufgenommenen Begriff
Wissenschaft, der neben Forschung auch Studium und
Lehre umfasst, können Vorhaben in diesem Bereich mitfinanziert werden.
({13})
Dadurch können Gelder des Bundes eingesetzt werden,
um im Rahmen des Hochschulpakts gemeinsam mit den
Ländern dringend benötigte Studienplätze zu schaffen,
um Warteschleifen für Studierende zu vermeiden.
({14})
Folgewirkungen aus der Absenkung der Bezugsdauer
des Kindergeldes haben wir, wo es uns sinnvoll, notwendig und machbar erschien, ausgeschlossen: Die Absenkung wird nicht auf das Waisengeld oder auf die Waisenrente übertragen.
({15})
Hier bleibt es beim 27. Lebensjahr. Auch bei bestehenden Verträgen zur Altersversorgung wird es keine Veränderung geben.
Für Studierende, die einer Beihilferegelung unterliegen, haben wir Übergangsregelungen für die Krankenversicherung geschaffen. Sie haben ihre Entscheidung
für die Beihilfe und gegen die gesetzliche Studentenversicherung auf der Grundlage des geltenden Rechts getroffen und genießen deshalb Vertrauensschutz, weil
diese Entscheidung nicht rückgängig gemacht werden
kann. Ein Wechsel in die studentische Krankenversicherung ist nicht möglich. Die Studierenden, die ihr Studium im nächsten Jahr aufnehmen, treffen ihre Entscheidung auf der Grundlage des neuen Rechts.
Die in diesem Gesetz vorgesehene Beschränkung der
Entfernungspauschale auf Fahrten von mehr als
20 Kilometer zur Arbeit hat die größten finanziellen
Auswirkungen. Wir haben auch andere Varianten beraten - nicht nur hinter verschlossener Tür -, aber letztlich
war unter den gegebenen Umständen keine Veränderung
in diesem Punkt möglich.
Der Sparerfreibetrag ist eine lieb gewonnene Ausnahme vom Prinzip der Besteuerung nach Leistungsfähigkeit. Unter rein steuersystematischen Gesichtspunkten - ich betone das - hätten wir diese Ausnahme
streichen müssen. Aus Rücksicht auf Kleinsparer - bei
einem Sparguthaben von rund 50 000 Euro bei Ehepaaren - haben wir diesen Betrag nicht gestrichen, aber wir
werden ihn auf 750 Euro für Ledige und 1 500 Euro für
Verheiratete kürzen.
Ich möchte Kollegen Gysi - er ist leider nicht mehr
anwesend - einmal bitten, dass er, wenn er das nächste
Mal in seinem Ortsverein, Stadtverband oder wie auch
immer das bei der PDS genannt wird
({16})
mit den Menschen redet, sie einmal fragt, ob
32 000 Euro oder 50 000 Euro wirklich ein lächerliches
Sparguthaben sind.
({17})
Für mich sind 50 000 Euro mit Sicherheit nicht lächerlich. Ich glaube, auch für viele Menschen, von denen Sie
behaupten, dass Sie sie hier vertreten, sind 50 000 oder
auch 32 000 Euro nicht lächerlich.
({18})
- Ich habe ihn schon richtig verstanden. Ich habe ihm
zugehört.
Kosten für ein häusliches Arbeitszimmer werden in
Zukunft nur noch dann steuerlich absetzbar sein, wenn
dieses Arbeitszimmer den Mittelpunkt der beruflichen
Tätigkeit darstellt. Moderne Arbeitsformen wie Heimoder Telearbeitsplätze bleiben natürlich von der Veränderung unberührt. Im deutschen Steuerrecht gilt der
Grundsatz: Gemischte Kosten, also Kosten, die sowohl
privat als auch beruflich veranlasst sein können, werden
grundsätzlich der privaten Sphäre zugeordnet.
Außerdem schließen wir eine weitere Besteuerungslücke. Wir haben uns in der letzten Legislaturperiode
und in Fortsetzung in der großen Koalition auf die Fahne
geschrieben, dass wir Lücken schließen, wo immer wir
sie antreffen. Diese Lücke betrifft nun die Steuerpflicht
von Mitarbeitern des Bordpersonals von inländischen
Fluggesellschaften im internationalen Luftverkehr, die
ihren Wohnsitz im Ausland haben oder ins Ausland verlegt haben. Nach dem OECD-Musterabkommen und den
entsprechenden Doppelbesteuerungsabkommen steht
Deutschland hier das Besteuerungsrecht zu. Dieses werden wir auch wahrnehmen.
Schließlich - das ist heute schon öfter angeklungen werden wir den Steuersatz von 42 auf 45 Prozent bei
Einkommen über 250 000 Euro bzw. 500 000 Euro anheben. Wir rechnen mit Steuereinnahmen in Höhe von
250 Millionen Euro. Wir rechnen in der Folge in den
nächsten Jahren mit Steuereinnahmen in Höhe von
1 Milliarde Euro. Da redet Herr Gysi davon, dass das
noch nicht einmal ein Witz sei. Er sollte einmal sein Verhältnis zu Geld überdenken.
({19})
Diese Erhöhung um 3 Prozentpunkte ist ein Beitrag zur
sozialen Balance und zur Ausgewogenheit.
({20})
- Moment, eine Sekunde Geduld, Herr Kollege.
Also im Augenblick hat hauptsächlich die Kollegin
Frechen das Wort und die Fraktionen kommen gleich mit
ihren Beiträgen zur Geltung.
Zumindest habe ich noch das Mikrofon.
Aber es ist nicht der einzige Beitrag des Gesetzes.
Alle Kürzungsmaßnahmen treffen selbstverständlich auf
alle gleichermaßen zu: auf Arbeitnehmer, die einen
Dienstwagen haben, genauso wie auf Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die mit ihrem privaten PKW zur
Arbeit fahren, und genauso auf die Unternehmer, die mit
ihrem betrieblichen PKW zur Arbeit fahren. Dasselbe
gilt für den Sparerfreibetrag und das Arbeitszimmer.
Jede Streichung wirkt sich aufgrund der Progression
gleich aus: auf die höheren Einkommen mehr, auf die
niedrigeren Einkommen weniger. Hier gilt: Starke
Schultern tragen mehr.
Frau Kollegin Frechen, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ernst?
Ja, selbstverständlich.
({0})
Frau Kollegin, Sie haben gerade angesprochen, dass
diese Maßnahmen alle treffen sollen. Vom Herrn Finanzminister haben wir gehört, Lehrer bräuchten kein
Arbeitszimmer, weil ihr Arbeitsplatz eigentlich die
Schule ist. Der Arbeitsplatz des Abgeordneten ist ja das
Parlament. Heißt das - Ihre Maßnahmen sollen ja für
alle gelten -, dass auch unsere Büros abgeschafft werden? Denn wenn das so ist, brauchen auch wir sie nicht
mehr.
Herr Kollege, wenn Sie Ihr häusliches Arbeitszimmer
für Ihre Abgeordnetentätigkeit absetzen, dann begehen
Sie schlicht und ergreifend Steuerhinterziehung. Wir
dürfen das nämlich nicht.
({0})
Ich komme zum Schluss. Es muss unser gemeinsames
Anliegen sein, den Staatshaushalt in Ordnung zu bringen
und die Staatsverschuldung zu verringern. Vieles hätten
wir früher haben können. Aber das ist vergossene Milch.
Wir brauchen Spielraum für Zukunftsinvestitionen und
wir dürfen den folgenden Generationen nicht die Möglichkeit nehmen, ihre Entscheidung auf der Höhe ihrer
Zeit zu treffen. Deshalb müssen wir das Notwendige tun.
„Das Einzige, was man ohne Geld machen kann, sind
Schulden.“ So lautet das Zitat eines unbekannten Verfassers. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, wollen wir
unseren Kindern doch wohl nicht antun.
Ich danke Ihnen.
({1})
Nächster Redner ist der Kollege Carl-Ludwig Thiele
für die FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Kolleginnen und Kollegen! Mit diesem Gesetz, welches
„Steueränderungsgesetz 2007“ heißt, wird die Steuererhöhungspolitik von Schwarz-Rot fortgesetzt. Das ist
das, was die Bürger wissen sollen.
({0})
Das ist das, was hier passiert. Genau das soll heute beschlossen werden. Dabei ist man nicht etwa stringent an
das Steuerrecht herangegangen, sondern punktuell sind
einzelne Regelungen herausgenommen worden. Durch
das Streichen bestimmter Regelungen bei Gleichbleiben
der Steuersätze kommt es zu einer Mehrbelastung der
Bürger. Genau dies soll heute beschlossen werden.
({1})
Die Bundeskanzlerin hat selbst gesagt: „Deutschland
ist ein Sanierungsfall.“ Herr Finanzminister Steinbrück,
Sie haben zu Beginn Ihres Debattenbeitrags gefragt: Was
macht man, wenn man einen Haushalt hat, dessen Ausgaben nur zu 80 Prozent durch Steuereinnahmen gedeckt sind? Das waren Ihre Worte.
Dann haben Sie erklärt - das hat mich überrascht; ich
halte das nämlich für den falschen Weg -, warum der
Staat den einzigen Ausweg darin sieht, sich die Einnahmen selbst zu holen, und zwar zulasten der Bürger, zulasten der Wirtschaft und damit letztlich zulasten der Beschäftigung in unserem Lande. Das verstehe ich nach
wie vor nicht. Das ist aus meiner Sicht der Grundfehler
Ihrer Politik.
Um noch einmal das Beispiel des Haushalts aufzugreifen: Ein privater Haushalt - das war das Bild, das Sie
benutzt haben -, der 20 Prozent seiner Ausgaben nicht
gedeckt hat, kann sich nicht so verhalten. Man kann
nicht zu seinem Arbeitgeber sagen: Erhöhe mir meinen
Tarif um 20 Prozent. Man kann nicht zu seinen Kunden
sagen: Zahlt mir 20 Prozent mehr.
Ein privater Haushalt muss das machen, was wir Freie
Demokraten vom Staat verlangen: die Ausgaben und
Aufgaben auf den Prüfstand stellen. Das ist der einzige
Weg, wie das Gemeinwohl im Interesse der öffentlichen
Hand, aber auch im Interesse der Bürger unseres Landes
gefördert werden kann.
Wir dürfen nicht die Einnahmen des Staates zulasten
der Bürger erhöhen, sondern wir müssen die Ausgaben
des Staates zugunsten der Bürger reduzieren, damit den
Bürgern von dem, was sie selbst erarbeitet haben, das
verbleibt, was sie brauchen, um ihre eigenen Ausgaben
und ihr eigenes Leben finanzieren zu können.
({2})
Hier unterscheiden wir uns schon im Grundansatz. Im
Wahlkampf - die Situation der öffentlichen Haushalte
war bekannt - wurde von der Union wie auch vonseiten
der FDP ein Steuerrecht gefordert, das niedriger, einfacher und gerechter sein sollte. Aber jetzt wird das Steuerrecht an dieser Stelle komplizierter. Wenn man den Tarif nicht senkt, aber Ausnahmen streicht, wie bei der
Pendlerpauschale und beim Sparerfreibetrag geschehen,
dann führt das zu massiven Steuererhöhungen für die
Bürger. Herr Finanzminister Steinbrück erklärt, er könne
nicht sparen, weil das die Konsumfreude der Bürger reduziert. Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Diese Steuererhöhung geht genauso zulasten des Konsums der Bürger; denn das, was den Bürgern vom Staat zusätzlich
abgenommen wird, steht den Bürgern für ihren Konsum,
für sich selbst, eben nicht mehr zur Verfügung.
({3})
Einige grundsätzliche Anmerkungen. Nicht jeder hat
die große Koalition gewollt. Einige bezeichnen sie nach
wie vor auch als „Koalition von Union und SPD“; denn
eine große Koalition wäre zu einem großen Wurf in der
Lage. Was die große Koalition momentan betreibt, ist
eine Politik der Desillusionierung. Dabei hatten die
Leute nach der Wahl gehofft: Jetzt werden die Probleme
unseres Landes angegangen, jetzt werden grundsätzliche
Reformen beschlossen. Stattdessen: Stückwerk. Es geht
der Koalition ausschließlich um die Erhöhung der Einnahmen des Staates. Die Zustimmung zur großen Koalition sinkt, weil die Bürger sich mehr von ihr versprochen
haben. Nun merken sie, diese Versprechungen werden
von Ihnen nicht eingelöst. Wir erleben momentan eine
Koalition des kleinsten gemeinsamen Nenners, ohne
zentrale Linie, ohne Perspektive für die Bürger unseres
Landes.
Ich sage ganz persönlich, obwohl ich zur Opposition
gehöre: Ich wünsche mir sogar, dass die große Koalition
Erfolg hat: weil Deutschland Erfolg benötigt. Mit Ihrer
Politik der Belastung der Bürger vergeben Sie diese
Chance. Mehr Wachstum und mehr Beschäftigung in unserem Land wird es mit diesem Kurs der Koalition nicht
geben. So sinkt die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze weiter. Wir brauchen für Deutschland
eine Vision. Wir brauchen einen neuen Anlauf. Die
große Koalition ist dazu leider nicht geeignet.
Herzlichen Dank.
({4})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Olav Gutting,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Ich stehe hier wie im letzten halben Jahr
zum wiederholten Male, um über einen kleinen Schritt in
die richtige Richtung zu sprechen. Zwischenzeitlich
summieren sich diese kleinen Schritte zu einer ganz erheblichen Strecke.
Mit dem Entwurf des Steueränderungsgesetzes 2007
kommen wir dem Ziel einer Begrenzung der staatlichen
Ausgaben und eines ausgeglichenen Haushaltes wieder
ein Stückchen näher. Wie immer, wenn ein solcher Katalog vorgelegt wird, kommt es zu Streitigkeiten, vor allem über Einzelmaßnahmen. In der Tat gibt es Einzelmaßnahmen, über die gestritten werden kann. Aber das
ändert doch nichts daran, dass der eingeschlagene Weg
der richtige ist.
({0})
Seit Jahren treibt die expansiv betriebene Ausgabenpolitik die Neuverschuldung nach oben. Obwohl Finanzexperten immer wieder vor der Gefahr der Schuldenfalle
warnen, hat keine der bisherigen Bundesregierungen
diese Warnungen wirklich ernst genommen und entsprechend reagiert.
({1})
Alle Fraktionen hier im Deutschen Bundestag waren an
dieser Politik beteiligt. Dabei will ich auch frühere
Unionsregierungen nicht ausnehmen: Auch wir als
Union haben unseren Beitrag zu dieser immensen
Staatsverschuldung geleistet. Umso mehr sehe ich
mich als Mitglied der Unionsfraktion heute in der Verantwortung, diese Verschuldung zu stoppen.
({2})
- Frau Höll, Sie waren nicht dabei: Sie haben als SED
die DDR ruiniert - dafür zahlen wir heute noch.
({3})
Die große Koalition ist seit langem die erste Bundesregierung, die nicht bereit ist, diesen Weg in den Schuldenstaat fortzusetzen.
({4})
Die Erkenntnis, die wir heute haben, dass sich die Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden und vor allem
die sozialen Sicherungssysteme in einer äußerst ernsten
Lage befinden, ja sogar ein Sanierungsfall sind, ist weder neu noch originell, aber sie ist leider wahr.
({5})
Meines Erachtens hinken wir mit der Informierung der
Öffentlichkeit über die Notwendigkeit von Sparmaßnahmen seitens der öffentlichen Hand leider immer noch
hinterher.
Darf die Kollegin Höll Ihnen eine Zwischenfrage stellen?
Nein, hier nicht. - Die Politik hat es bisher versäumt,
in aller Deutlichkeit über die Notwendigkeit der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte aufzuklären. Dazu
gehört auch, dass man sich die astronomischen Schuldenstände dieses Staates vor Augen führt. Der Bund der
Steuerzahler hat errechnet, dass der aktuelle Schuldenstand von Bund, Ländern und Gemeinden bei 1,5 Billionen Euro liegt.
({0})
Das heißt, dass auf jeden einzelnen Bürger in Deutschland 18 200 Euro an öffentlichen Schulden entfallen. Besonders plastisch wird die drohende Schuldenfalle, wenn
man bedenkt, wie schnell dieser gigantische Schuldenberg wächst, nämlich um 2 113 Euro pro Sekunde. Schon
allein während meiner Redezeit hier an diesem Pult wird
sich die Staatsverschuldung um weitere 1,2 Millionen
Euro erhöhen.
({1})
- Nicht deswegen.
Der Bund muss bereits jeden fünften Euro, den er
durch Steuern einnimmt, nur für Schuldzinsen ausgeben.
Würde man ab sofort keine Schulden mehr aufnehmen
und würde die öffentliche Hand gesetzlich verpflichtet,
jeden Monat 1 Milliarde Euro an Schulden zurückzuzahlen, also zu tilgen, so würde der Prozess zum Abbau des
gesamten Schuldenberges über 110 Jahre dauern.
({2})
- Warten Sie es ab.
Die laufenden Ausgaben liegen zum Teil dramatisch
über den regelmäßig fließenden Einnahmen. Wir haben
das vorhin schon vom Bundesfinanzminister gehört. Allein beim Bundeshaushalt gibt es eine strukturelle Deckungslücke in einer Größenordnung von rund 60 Milliarden Euro. Durch den demografischen Wandel wird
der Druck auf die öffentlichen Haushalte unweigerlich
noch weiter erhöht.
In der Vergangenheit hat jeder Finanzminister, der das
schwere Erbe seines Vorgängers angetreten hat, den Vorsatz gehabt, die Verschuldung der öffentlichen Haushalte
zurückzufahren. Es gab Finanzminister und Regierungen, die anfänglich Erfolge hatten, zum Beispiel unter
der Union Anfang und Mitte der 80er-Jahre. Letztendlich gab es am Ende aber immer wieder die gleichartige
bedrohliche Bilanz: Der Schuldenstand des Bundes erhöhte sich. Von einer Rekordverschuldung ging es zur
nächsten.
({3})
Steigende Staatsverschuldung heißt zunächst, dass ein
immer größer werdender Anteil des Etats für Zinsen
aufgebracht werden muss. Dadurch wird die politische
Handlungsfähigkeit des Staates natürlich aufgezehrt.
({4})
Deshalb muss in der derzeitigen prekären Haushaltssituation auch das Junktim unserer Fraktion ausgesetzt
werden, dass mit der Streichung von steuerlichen Vergünstigungen und mit dem Subventionsabbau immer
auch eine Senkung der Steuersätze einhergehen muss.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Liberalen,
natürlich wäre es wünschenswert, wenn wir die Mehreinnahmen, die durch die Beseitigung der einzelnen Vergünstigungen hereinkommen, in Form einer allgemeinen
Steuersatzsenkung an die Menschen zurückgeben
könnten.
({5})
Dies ist aber nicht möglich, weil diese Rückflüsse bereits durch das jahrzehntelange Leben über unsere Verhältnisse aufgezehrt sind. Mehreinnahmen müssen daher
zur Eindämmung und, wenn möglich, zur Verringerung
der bestehenden Staatsverschuldung eingesetzt werden;
({6})
denn wir wollen ja auch nachfolgenden Generationen einen finanziell handlungsfähigen Staat hinterlassen.
({7})
Wie eng die Handlungsfähigkeit bereits heute ist, sehen wir jetzt bei der Unternehmensteuerreform.
({8})
Wir haben kaum die Möglichkeit, eine vernünftige Unternehmensteuerreform vorzufinanzieren. Schon heute
sind wir also eingeengt und es wird immerzu schlimmer
werden, wenn wir nichts ändern. Die große Koalition hat
sich deshalb in ihrer Koalitionsvereinbarung zu Recht
darauf verständigt, die Konsolidierung der öffentlichen
Haushalte zur zentralen Aufgabe für die nächsten Jahre
zu machen.
({9})
Dem haben sich alle anderen politischen Wünsche unterzuordnen.
Ein kleiner Mosaikstein in diesem gesamten Konzept
ist das Steueränderungsgesetz 2007, das im Zusammenspiel mit anderen Maßnahmen zu sehen ist. Der Bundesfinanzminister hat zum Beispiel schon das Gesetz zur
Eindämmung missbräuchlicher Steuergestaltungen genannt. Die Änderungsanträge, die die Opposition hier
vorbringt, werden den finanzpolitischen Herausforderungen in diesem Lande einfach nicht gerecht. Unsere
haushaltspolitischen Probleme lassen sich eben nicht
einseitig durch Ausgabenkürzungen lösen.
({10})
Wir dürfen die mittlerweile doch erfreuliche wirtschaftliche Entwicklung nicht aufs Spiel setzen, sondern
wir müssen sorgfältig darauf achten, dass wir mit dem
Bündel der von uns getroffenen Maßnahmen nicht über
das Ziel hinausschießen und dem konjunkturellen Aufschwung letzten Endes nicht entgegenwirken. Dieses
Bemühen kommt auch in den getroffenen Einzelmaßnahmen dieses Gesetzentwurfs zum Ausdruck. Nehmen
wir zum Beispiel die Kürzung der Pendlerpauschale.
Die Umstellung auf das Werktorprinzip bei der Pendlerpauschale ist richtig. Der Weg zur Arbeit ist Privatsache
und muss nicht von der Allgemeinheit mitfinanziert werden.
({11})
Wo man wohnt, ist schließlich die private Entscheidung jedes Einzelnen.
Ich habe an dieser Stelle bereits gesagt, dass man normalerweise konsequenterweise die Ausnahme für Fernpendler ab dem 21. Kilometer hätte streichen sollen. Die
große Koalition hat sich jedoch entschlossen, diese möglichen Härten bei Fernpendlern abzufedern. Damit
beweisen wir das Augenmaß, mit dem die Koalitionsparteien die Ausarbeitung der Einzelmaßnahmen vorgenommen haben.
Ähnliches gilt für die Absenkung der Altersgrenze
für den Kindergeldbezug. Die Kollegin Frechen hat es
bereits erklärt. Wir haben uns entschieden, die jungen
Erwachsenen, die sich 2006, 2007 in der Ausbildung befinden, von dem Gesetzesvollzug auszunehmen und es
bei ihnen bei der alten Regelung zu belassen.
Allein an diesen beiden Beispielen kann man erkennen, dass es sich die Koalition, was die Größenordnung
der Belastung und damit die Zumutbarkeit der getroffenen Maßnahmen angeht, in der Tat nicht leicht gemacht
hat.
Wir wissen, dass unsere Haushalts-, Steuer- und
Finanzpolitik unseren Bürgerinnen und Bürgern einiges
an Zumutungen abverlangt.
({12})
Aber wir müssen die Haushaltssanierung konsequent
fortsetzen. Das ist unsere Verantwortung und das, was
wir zukünftigen Generationen schlicht schuldig sind.
Nur wenn wir eine Gesundung der Staatsfinanzen erreichen, haben wir die Chance auf eine dauerhafte Konjunkturbelebung. Damit verbunden sind der Abbau der
Arbeitslosigkeit und das Ziel einer nachhaltigen staatlichen Investitionspolitik gerade in den Bereichen Bildung
und Forschung, um damit die Zukunftsfähigkeit unseres
Staates und unserer gesamten Gesellschaft zu sichern.
({13})
Herr Kollege, denken Sie bitte an die Redezeit.
Zeigen Sie deshalb Verantwortungsbewusstsein!
Seien Sie verantwortungsbewusst und stimmen Sie dem
Gesetzentwurf zu!
({0})
Zu einer Kurzintervention erhält das Wort die Kollegin Dr. Höll, Fraktion Die Linke.
Herr Kollege, könnte es sein, dass, wenn Sie hier an
die Information der Öffentlichkeit appellieren, das ehrlicherweise mit einschließen sollte, auch aufzuzeigen, woher die Staatsverschuldung kommt, unter anderem eben
durch die Steuergeschenke, die Sie in den letzten Jahren
zu verantworten hatten? Würde sich daraus nicht ableiten, dass das eigene Wissen als Voraussetzung für weitere politische Entscheidungen doch begründet sein
sollte?
Vor diesem Hintergrund hätte ich Sie gerne gefragt,
wie Sie Ihr gestriges Verhalten erklären, was ja auch zu
der Verzögerung heute Morgen geführt hat. Wir haben
im Ausschuss mit Mehrheit beschlossen, dass die Informationspflichten in der Bundesrepublik verstärkt werden
müssen, weil, wie Sie selber sagen, Informationen eine
wichtige Grundlage sind, um die Unternehmensteuerreform und die Erhebung der Erbschaftsteuer neu gestalten zu können. Herr Minister Steinbrück hat ja vorhin
ausgeführt, dass diese Regelung ansteht.
Jetzt haben Sie in einer Nacht-und-Nebel-Aktion gesagt, dass Sie diese Informationen nicht mehr brauchen.
Ist das für die Öffentlichkeit so zu verstehen, dass Sie sehenden Auges eine Politik betreiben, für die Ihnen die
Datengrundlage fehlt, von der Sie nicht wissen, wie die
Auswirkungen sein werden, und bei der Sie trotzdem
den Unternehmen heute schon eine weitere Entlastung in
Höhe von 8 Milliarden Euro in Aussicht stellen?
({0})
Zur Erwiderung hat der Kollege Gutting das Wort.
Werte Kollegin, zunächst der Hinweis, dass ich Mitglied der Unionsfraktion bin. Wir waren in den letzten
Jahren nicht an der Regierung beteiligt.
Zum Vorgehen hat bereits heute Morgen unser parlamentarischer Geschäftsführer alles gesagt.
Was die Datenerhebung anbelangt, ist in dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht geregelt, dass wir keine Daten erheben; es wurden lediglich Änderungen vorgenommen. Die Daten werden selbstverständlich erhoben und
wir benötigen sie auch für die Vorbereitung der entsprechenden Gesetzentwürfe und Reformen.
({0})
Das Wort hat nun der Kollege Florian Pronold für die
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für
die steuerpolitische Debatte gilt: Sachkenntnis schadet
dem Populismus.
({0})
Wenn ich berücksichtige, wie zum Beispiel von Herrn
Gysi die Regelung zur steuerlichen Absetzbarkeit eines
Arbeitszimmers dargestellt wird, dann muss ich wie
meine Vorrednerin darauf hinweisen, dass es sich dabei
nicht um eine Regelung nur für Lehrerinnen und Lehrer
handelt, sondern für alle. Es geht darum, dass dabei gemischte Aufwendungen entstehen. Das bedeutet, dass
das Arbeitszimmer sowohl privat als auch beruflich genutzt wird. Das gilt nicht nur für Lehrerinnen und Lehrer, sondern auch für Selbstständige, Rechtsanwälte und
andere. Wer kein anderes Arbeitszimmer hat, kann sein
häusliches Arbeitszimmer steuerlich absetzen.
Die gemischten Aufwendungen sind mit einem großen Kontroll- und Bürokratieaufwand und vielen Steuergestaltungsmöglichkeiten verbunden. In diesem Punkt
treffen wir nun eine klarere Regelung.
Wenn Sie einwenden, dass die Lehrer dann kein Arbeitszimmer mehr zur Verfügung haben, dann muss ich
darauf hinweisen, dass es nicht die Aufgabe des Bundes
ist, entsprechende Steuervergünstigungen zu bieten;
vielmehr müssen die Länder, die die Lehrer beschäftigen, entweder einen Zuschuss zum häuslichen Arbeitszimmer gewähren oder in den Schulen Räumlichkeiten
zur Verfügung stellen. Es ist aber nicht die Aufgabe der
Allgemeinheit, aus Steuermitteln eine entsprechende Regelung zu finanzieren.
({1})
- Sofort. Ich führe noch einen Gedanken aus.
Was die Senkung der Steuersätze für die unteren und
mittleren Einkommensgruppen in den letzten Stufen der
Steuerreform angeht, sollten Sie ehrlicherweise feststellen, dass wir in den letzten Jahren für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer höhere Reallohnzuwächse
durch Steuerentlastungen als durch tarifliche Lohnerhöhungen erzielt haben. Das kann man doch nicht einfach
leugnen. Man muss auch die Fakten zur Kenntnis nehmen.
({2})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Schneider?
Sehr gerne.
Herr Kollege, würden Sie mir erstens zustimmen,
dass Lehrer in ihren Arbeitszimmern zu Hause zu einem
erheblichen Teil Arbeiten erledigen, die für den Schulunterricht dringend geboten sind, wie Unterrichtsvorbereitung und die Korrektur von Klassenarbeiten?
Zweitens. Würden Sie mir des Weiteren zustimmen,
dass es normalerweise Sache des Arbeitgebers ist, die
Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass einem Arbeitnehmer die Arbeitsbedingungen zur Verfügung stehen,
die er zur Erledigung seiner Arbeit und zur Erfüllung - ({0})
- Lassen Sie mich doch zu Ende reden! Ich weiß, warum
Sie so herumpöbeln. Es ist mir klar, welch schlechtes
Gewissen Sie in diesem Punkt haben.
Würden Sie mir des Weiteren zustimmen, dass es Sache des Arbeitgebers ist, die Voraussetzungen zu schaffen, dass ein Arbeitnehmer seinen Arbeitsvertrag erfüllen kann?
Drittens. Sind Sie vor diesem Hintergrund nicht der
Auffassung, dass es fast schon eine Unverschämtheit ist,
zu behaupten, es würden private Arbeitszimmer subventioniert? Sorgen durch diese Regelung nicht eher umgekehrt Lehrer dafür, dass staatliche Mittel nicht in den
Bau von Lehrerbüros in den Schulen fließen müssen?
Ich weiß nicht, welche Schulgebäude Sie kennen.
Diejenigen, die ich kenne, bieten nachmittags meistens
relativ viel Platz. Ich glaube nicht, dass man zusätzliche
Büroräume anbauen müsste, damit Lehrerinnen und
Lehrer dort arbeiten können.
Wenn Sie mir zugehört hätten, dann wüssten Sie, dass
ich genau das gesagt habe: Der Arbeitgeber ist dafür verantwortlich - das bezieht sich auf Ihre zweite Frage -,
die entsprechenden Arbeitsbedingungen bereitzustellen.
Wenn dies nicht der Fall ist - wie einige vorbringen -,
dann muss man darüber reden, inwiefern der Arbeitgeber Abhilfe schaffen kann, aber doch nicht der Steuerzahler. Es geht auch nicht um die Lehrerinnen und
Lehrer; es geht vielmehr um die Frage, ob für ein Arbeitszimmer eine gemischte Nutzung besteht. Dazu
müsste vonseiten der Finanzverwaltung kontrolliert werden, ob in einem Arbeitszimmer zum Beispiel ein Bett
steht
({0})
bzw. ob es als Gästezimmer genutzt wird. Es geht darum, eine klare Abgrenzung zu schaffen.
Wie ich sehe, haben Sie sich bereits gesetzt. Ich habe
Ihre Fragen jetzt beantwortet. Sie waren ein bisschen
voreilig - nicht nur bei der Fragestellung, sondern auch
beim Hinsetzen.
({1})
Ich bin Herrn Gutting für seinen Redebeitrag dankbar,
weil er deutlich gemacht hat, dass die Union die PendFlorian Pronold
lerpauschale eigentlich komplett streichen wollte. Auch
Herr Bernhardt hat schon dargestellt, dass es unterschiedliche Ansichten in der Koalition gibt. Wir als SPD
sind auch im Wahlkampf dafür eingetreten, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihre Belastungen
weiterhin absetzen können. Es ist schön, dass Sie uns zugestehen, dass wir wenigstens dies für die Fernpendler
erkämpft haben.
Ich bin aber schon überrascht - das gehört zur Wahrhaftigkeit -, dass Herr Kalb vor wenigen Tagen in der
Zeitung erklärt hat, es seien Änderungen möglich. Er ist
Haushaltsexperte der CSU und, so glaube ich, auch für
Erbschaftsangelegenheiten zuständig. Herr Hofbauer
von der CSU hat gestern im Verkehrsausschuss Tränen
geweint, weil bei der Pendlerpauschale keine Änderungen mehr möglich seien. Die Wahrheit ist, dass die CSUStaatsregierung von Bayern im Bundesrat Bedenken wegen einer möglichen Verfassungswidrigkeit geäußert hat.
Wenn die Staatsregierung hustet, dann wird doch die
Landesgruppe im Bundestag schwer krank. Sie macht,
was die Staatsregierung will. Warum diesmal nicht?
Wir von der SPD haben ein Modell angeboten, das
gerechter wäre, das verfassungsfester wäre - ich erinnere an all die Bedenken, die in der Anhörung vorgebracht wurden - und das trotzdem die Einsparungen in
Höhe von 2,5 Milliarden Euro erbracht hätte. Sie haben
Ihre Zustimmung verweigert.
({2})
Auch das gehört zur Ehrlichkeit. Es geht nicht an, dass
wir immer die Kohlen aus dem Feuer holen und Sie sich
hinstellen und behaupten, Sie hätten mit den unangenehmen Dingen nichts zu tun.
Herr Kollege Pronold, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kalb?
Selbstverständlich.
Herr Kollege Pronold, weil Sie gerade auf mich abgezielt haben: Darf ich Sie fragen, ob Sie bereit sind, zur
Kenntnis zu nehmen, dass mich das Verhalten der Ministerpräsidenten, insbesondere Ihres Parteivorsitzenden
Beck, im Bundesrat zur Frage der Regionalisierungsmittel und das Entgegenkommen des Bundesfinanzministers gegenüber den Ländern, das ich persönlich für eine
gravierende Abweichung vom Koalitionsvertrag halte,
zu meiner Reaktion veranlasst haben? Ich bin der Meinung, dass den Pendlern in den ländlichen Gebieten in
gleicher Weise hätte entgegengekommen werden müssen.
Ich bin bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass Sie, Herr
Kalb, versucht haben, das in diesem Kontext zu sagen.
Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass wir einen
Vorschlag eingebracht haben, der keine weiteren Verluste für den Bundeshaushalt bedeutet, sondern Einnahmen von 2,5 Milliarden Euro gebracht hätte und trotzdem besser und gerechter für die Pendlerinnen und
Pendler wäre, und dass Sie es waren, die diesen Vorschlag nicht umsetzen wollten?
({0})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, unter Berücksichtigung der von uns selbst vereinbarten Debattenzeit
möchte ich vorschlagen, dass der Kollege Pronold seine
Rede zu Ende führt. Danach haben wir einen weiteren
Redner und dann kommen wir zu den Abstimmungen.
({0})
Wir machen uns mit diesem Gesetz handlungsfähiger.
Es ist eine schwierige Aufgabe, die wir zu bewältigen
haben. Aber den Populismus der FDP, der darin besteht,
dass sie einerseits die Steuern senken will, andererseits
aber mehr Geld ausgeben und mehr investieren will,
gleichzeitig aber nie sagt, wie das gehen soll, können wir
uns nicht zu Eigen machen. Wir haben die Verantwortung dafür, dass wir den Haushalt konsolidieren und investieren. Mit diesem Gesetz gehen wir diesen Weg. Es
mag schön sein, für diesen Populismus Beifall zu kriegen, aber die Lösung der wirklichen Probleme wird man
mit Sonntagsreden nicht erreichen. Vielmehr bedarf es
konkreten Handelns. Das tun wir mit diesem Gesetz.
({0})
Letzter Redner ist der Kollege Hans Michelbach für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Kolleginnen und Kollegen! Zum Abschluss der Debatte
über das Steueränderungsgesetz stelle ich für die CDU/
CSU fest: Die große Koalition kommt heute einen weiteren Schritt auf dem Weg zur Sanierung unseres Landes
voran. Die große Koalition ist damit eine Koalition der
neuen Chancen für mehr Wachstum und Beschäftigung.
({0})
Natürlich ist der Abbau von Steuersubventionen immer ein unpopulärer und für die Betroffenen schwerwiegender Schritt. Für solch einen Schritt braucht man Mut
und keinen Populismus. Ich muss schon sagen, Herr Pronold: Ihre Flucht aus der Verantwortung kann ich nicht
akzeptieren.
({1})
Ohne Schärfe in diese Debatte bringen zu wollen: Es ist
die Vorlage Ihres eigenen Bundesfinanzministers; die
CDU/CSU hat sich bei der Pendlerpauschale in keiner
Weise verweigert. Ich kann Ihnen sagen: Sie stehen
heute nach den Berichterstattungen, nach den Briefen,
die Sie in Bayern geschrieben haben, nackt da. Sie müssen einmal anerkennen, dass es so ist.
({2})
Wir verfolgen - ich hoffe, gemeinsam - ein zielführendes Konzept für mehr Wachstum und Beschäftigung.
Unter dem Motto „Sanieren, investieren, reformieren“
verfolgt diese große Koalition ein finanz- und steuerpolitisches Gesamtkonzept, das darauf abzielt, den europäischen Stabilitätspakt und die Verschuldungsgrenze nach
Art. 115 des Grundgesetzes im nächsten Jahr einzuhalten und die Weichen für eine dauerhafte, tragfähige
Finanzpolitik zu stellen.
({3})
Sparen, reformieren und investieren, das ist das Gebot. Der Kurs dieser großen Koalition ist auf eine Verbesserung der Konjunktur, auf mehr Wachstum und
mehr Beschäftigung ausgerichtet. Das ist der richtige
Kurs. Wir werden ihn einhalten. Ich hoffe, dass wir ihn
auch in der Zukunft gemeinsam verfolgen.
({4})
Es ist so: Wegen eines falschen Politikansatzes wurde
in der Vergangenheit zu oft verkündet, die Ausgaben des
Staates seien nicht durch seine Einnahmen, sondern
durch die wachsenden Aufgaben zu bestimmen. Diese
Denke war verhängnisvoll. Seitdem man ihr folgt, ist unser Staat überfordert, leben wir zulasten der Zukunft und
ist die Leistungskultur in Deutschland auf der schiefen
Ebene. Das müssen wir so sehen.
Mittlerweile leben 7 Millionen Menschen von
Hartz IV. Gleichzeitig ist die Zahl der Beschäftigten auf
unter 26 Millionen gesunken. Diejenigen, die von ihrer
Arbeit leben, sind bereits in der Minderheit. So hat unsere Gesellschaft keine Zukunft. Unsere Reformen sind
notwendig. Wir beschließen sie heute als Teilkonzept.
({5})
Wir müssen natürlich deutlich machen: In dem Jahr,
in dem diese Regierung ins Amt kam und die große Koalition ihre Arbeit aufnahm, lag das strukturelle Defizit
zwischen den laufenden Einnahmen und den Ausgaben
bei rund 60 Milliarden Euro. Mit anderen Worten: Jeder
fünfte Euro, den der Bund ausgibt, ist nicht von entsprechenden Einnahmen gedeckt. Man muss selbstverständlich deutlich machen: Das kann so nicht weitergehen.
Das Defizit muss in den nächsten Jahren entschlossen
zurückgeführt werden, um künftigen Generationen keine
größeren Lasten aufzubürden.
Die Bundesregierung spart bis zum Jahr 2007 einschließlich 35 Milliarden Euro. Wer sagt, es würden nur
Erhöhungen vorgenommen, erzählt Märchen. Im Haushalt werden ebenfalls wesentliche Ausgabenkürzungen
vorgenommen. Das tun wir auch heute. Dieses Vorgehen
dient langfristig den Menschen in unserem Land; denn
ein klarer Sparkurs ist das Beste. Wir weisen jeden Vorwurf, wir reduzierten Ausgaben nicht, von uns.
({6})
Die Menschen sehen, dass wir im nächsten Jahr den
europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt einhalten
wollen. Diesen Pakt hat im Übrigen die Union mit Theo
Waigel hart erkämpft. Ich glaube, es ist der Erfolg einer
neuen und zuverlässigen Politik, dass man klare Ziele
formuliert und alle denkbaren Wege beschreitet, um
diese Ziele zu erreichen.
Es ist auch eine Tatsache, dass dadurch die Stimmung
in Deutschland besser geworden ist. Dabei sagen wir natürlich ehrlich: Nur mit Anstrengung und Leistung
schaffen wir neue Chancen für die Menschen. Zur Ehrlichkeit in diesem Bereich gehört, zu erklären: Dieser
Weg wird allen Opfer abverlangen.
Der Rückgriff auf die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage und die Steuererhöhung sind dabei unausweichlich. Entscheidend ist, dass wir mit einem Drittel
der zusätzlichen Einnahmen sofort die Senkung der
Lohnnebenkosten finanzieren. Auch das ist die Wahrheit: dass wir Arbeit verbilligen und dass sich Arbeit
wieder mehr lohnt. Deswegen haben wir hier den richtigen Ansatz. Sozusagen eine Umfinanzierung zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit bei den Arbeitskosten
schafft mehr Beschäftigung in Deutschland.
({7})
Solide Staatsfinanzen sind eine wesentliche Voraussetzung für die Steigerung von Wachstum und Beschäftigung. Umgekehrt können ohne erhöhtes Wirtschaftswachstum der Abbau der Arbeitslosigkeit, die
Stabilisierung der sozialen Sicherungssysteme und die
Konsolidierung der öffentlichen Haushalte natürlich
nicht gelingen.
Die große Koalition verbindet die notwendige Haushaltssanierung deshalb mit kurzfristig wirkenden
Wachstumsimpulsen in Höhe von 25 Milliarden Euro
für den Zeitraum bis 2009: deutlich steigende Investitionen in Forschung und Entwicklung, gezielte Verbesserungen für den Mittelstand, Ausweitung der Verkehrsinvestitionen, Verbesserung der Familienleistungen. Das
ist der Ansatz: sparen, reformieren, investieren. Ein Gesamtkonzept, das die Menschen voranbringt und ihnen
dient, ist die Grundlage.
Demagogie, wie sie bei dieser Debatte heute von
Herrn Gysi, von Herrn Kuhn und anderen an den Tag gelegt worden ist, hilft uns nicht weiter. Das mit der Gerechtigkeit in Deutschland ist nämlich ganz anders, als
sie verkünden. Die 10 Prozent, die die höchsten Steuern
zahlen, erbringen in unserem Land über 50 Prozent des
Steueraufkommens. Für die gewerblichen Gewinne
wurde die Bemessungsgrundlage in den letzten Jahren
immer wieder erhöht, nicht gesenkt. Dagegen wurden
die unteren Einkommen über den niedrigen Eingangssteuersatz, wie auch Herr Steinbrück verdeutlicht hat, erheblich begünstigt. So tragen heute die unteren
50 Prozent der Steuerzahler unter 10 Prozent der Steuerbelastung. Das ist die Wahrheit über die Steuergerechtigkeit in Deutschland.
Der Neidfaktor, den Sie immer wieder in die Debatte
einführen, schadet unserem Land, weil er die Menschen
in die falsche Richtung führt. Das ist die Situation.
({8})
Zur Neiddemagogie von Herrn Gysi, weiteren Linken
und anderen, die hier dazu gesprochen haben, kann ich
nur ein altes Sprichwort anführen: Neid ist genauso alt
wie Unfähigkeit.
Wir müssen in Deutschland wieder die Fähigkeit gewinnen, Wachstum und Beschäftigung zu erreichen, damit wir aus der Talsohle herauskommen und wieder
mehr Steuereinnahmen generieren - aus der Gerechtigkeit heraus, dass alle ihren Beitrag für dieses Land leisten sollen. Deshalb müssen wir mit dem Gesamtkonzept,
das heute mit einer Teillösung umgesetzt wird, den Weg
der Reformen weitergehen. Wenn wir das tun, dann werden wir vorankommen und die Ernte einfahren, die darin
besteht, dass es den Menschen in Deutschland wieder
besser geht.
Herzlichen Dank.
({9})
Nun erhält die Kollegin Scheel das Wort zu einer
Kurzintervention und danach, so hoffe ich, können wir
abstimmen.
({0})
- Ich schlage im Übrigen vor, liebe Kolleginnen und
Kollegen, dass Sie dafür Platz nehmen - die Prozedur
wird ein bisschen Zeit in Anspruch nehmen -; das macht
die Veranstaltung dann wenigstens eine Idee gemütlicher.
Bitte schön, Frau Kollegin Scheel.
Danke schön, Herr Präsident, für den Hinweis auf die
Gemütlichkeit.
Ich habe von Herrn Pronold die Begründung für die
Änderung bei der Entfernungspauschale gehört. Die Öffentlichkeit sollte wissen, finde ich, dass die SPDFinanzexperten, namentlich auch Florian Pronold, in
verschiedenen Medien gesagt haben, dieser Vorschlag
sei verfassungswidrig.
Mein Vorredner Hans Michelbach hat darauf hingewiesen, dass sich Florian Pronold nicht aus der Verantwortung stehlen könne. Ich kann die Abwesenheit von
Herrn Pronold bei der Abstimmung im federführenden
Finanzausschuss über diese Frage nur so beurteilen, dass
er deswegen der Abstimmung fern geblieben ist, weil
ihm klar war, dass das ein verfassungswidriger Vorgang
ist. Ich sehe aber, dass auch aus der Union in dieser
Frage ähnliche Äußerungen getätigt wurden, es also
auch von dieser Seite zum Thema Ausgestaltung der
Entfernungspauschale Kritik an der Regierungsvorlage
gegeben hat. Damit haben sowohl Abgeordnete der SPD
als auch der Union mit ihrer großen Mehrheit etwas beschlossen, was sie in ihren jeweiligen Wahlkreisen völlig
anders darstellen.
Deswegen meine ich schon, dass die Öffentlichkeit
insgesamt wissen sollte, dass einzelne Kolleginnen und
Kollegen, vor allen Dingen aus dem Finanzbereich, in
den jeweiligen Ländern, an Stammtischen oder bei Veranstaltungen, wie sie die CSU und andere durchführen,
eine ziemlich große Klappe riskieren, aber jedes Mal
dann, wenn es darum geht, sich dementsprechend zu entscheiden, einknicken und hier sogar etwas tun, von dem
sie wissen, dass es nicht verfassungskonform ist.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nun zu den Abstimmungen. Ich bitte einen Augenblick um Aufmerksamkeit, weil wir, wie jedermann heute Morgen ja feststellen konnte, eine etwas
kompliziertere Verhandlungslage haben als gewöhnlich.
({0})
Wir haben uns vorhin im Ältestenrat unbeschadet der
natürlich unterschiedlichen politischen Bewertung der
Gesetzentwürfe und auch der damit verbundenen Ver-
fahrensabläufe auf einen Ablauf verständigt, den ich nun
- verbunden mit dem ausdrücklichen Dank an alle Betei-
ligten, sich trotz der unterschiedlichen politischen Be-
wertungen darauf geeinigt zu haben - erläutern möchte.
Wir werden zunächst in zweiter Lesung über die Be-
schlussempfehlung des Finanzausschusses zu dem von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Steu-
eränderungsgesetzes 2007 abstimmen. Im Übrigen lie-
gen hierzu - darauf will ich bei der Gelegenheit schon
hinweisen - eine ganze Reihe von persönlichen Erklä-
rungen zur Abstimmung vor, die wir dem Protokoll in
der üblichen Weise beifügen.1)
({1})
Wir werden dann nach der vorhin im Ältestenrat ge-
troffenen interfraktionellen Vereinbarung über den so-
fortigen Eintritt in die dritte Beratung mit dem Erforder-
nis einer Zweidrittelmehrheit abstimmen und dazu eine
namentliche Abstimmung durchführen. Das hängt - um
das nur in wenigen Sätzen zu erläutern - damit zusam-
men, dass wir eine bestimmte, seit Jahren praktizierte
Handhabung über Fristverzicht haben, für die es aber
1) Anlagen 2 bis 7
Präsident Dr. Norbert Lammert
eine präzise Festlegung in der Geschäftsordnung nicht
gibt. So haben wir uns vorhin wiederum einvernehmlich
darauf verständigt, den Geschäftsordnungsausschuss um
eine Klärung dieses Sachverhaltes zu bitten und eine
mögliche Regelung für die Geschäftsordnung zu erarbeiten, wie in solchen Fällen künftig verfahren werden soll.
Wir haben uns vorhin darauf verständigt, dass wir
heute so verfahren, wie unsere Geschäftsordnung es für
den Fall vorsieht, dass es in zweiter Lesung Änderungen
gibt. Über diese kann nämlich nur dann sofort in dritter
Lesung abgestimmt werden, wenn der Bundestag dies
mit Zweidrittelmehrheit der anwesenden Mitglieder des
Bundestages beschließt. Wir können deswegen alle möglichen Zweifelsfragen dadurch ausräumen, dass eine solche Verfahrensentscheidung mit einer Mehrheit von
zwei Dritteln getroffen wird.
Danach findet die einfache Abstimmung in dritter Lesung statt. Darauf folgen eine Reihe von Abstimmungen
zu Entschließungsanträgen.
Ich bitte Sie darum, sozusagen die ganze Schönheit
dieses Verfahrens in vollen Zügen mitzuverfolgen, nachdem nun hoffentlich jeder weiß, dass und warum so verfahren wird, wie gerade erläutert.
Ich rufe zunächst die Beschlussempfehlung des Finanzausschusses auf, Drucksache 16/2012. Er empfiehlt
unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung, die genannten Gesetzentwürfe zusammenzuführen und in der
Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen.
({2})
- Wenn das so ist, dann machen wir das nicht per Zuruf,
sondern nehmen ausdrücklich zu Protokoll, dass es einzelne Gegenstimmen auch aus den Reihen der SPDFraktion gegeben hat.
({3})
- Das ist doch kein Grund zur Aufregung. Niemand bezweifelt die Mehrheitsentscheidung, die ich gerade festgestellt habe.
Nun entscheiden wir über den sofortigen Eintritt in
die dritte Beratung unter der vorhin erläuterten Voraussetzung, dass zwei Drittel der anwesenden Mitglieder
des Bundestages das beschließen. Dazu ist interfraktionell eine namentliche Abstimmung vereinbart.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen, damit wir diese namentliche Abstimmung durchführen können. - Sind alle
Plätze besetzt? - Das scheint der Fall zu sein. Dann eröffne ich die Abstimmung.
Ist noch jemand im Saal, der seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich
die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und
Schriftführer, das Ergebnis auszuzählen. Bis zur Bekanntgabe des Ergebnisses - danach finden die weiteren
Abstimmungen statt - unterbreche ich die Sitzung.
({4})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich gebe das von
den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den sofortigen Eintritt in die dritte Beratung bekannt: Abgegebene
Stimmen 585. Mit Ja haben gestimmt 425, mit Nein haben gestimmt 159, Enthaltungen eine. Damit ist der sofortige Eintritt in die dritte Beratung mit der erforderlichen Mehrheit beschlossen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 585;
davon
ja: 425
nein: 159
enthalten: 1
Ja
CDU/CSU
Ilse Aigner
Peter Albach
Peter Altmaier
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({0})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Clemens Binninger
Carl-Eduard von Bismarck
Renate Blank
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({1})
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Anke Eymer ({2})
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Hartwig Fischer ({3})
Dirk Fischer ({4})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({5})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Peter Gauweiler
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Ralf Göbel
Dr. Reinhard Göhner
Josef Göppel
Peter Götz
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Karl-Theodor Freiherr zu
Guttenberg
Präsident Dr. Norbert Lammert
Holger Haibach
Ursula Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Peter Hintze
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung ({6})
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({7})
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Jürgen Klimke
Jens Koeppen
Kristina Köhler ({8})
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Martina Krogmann
Johann-Henrich
Krummacher
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers
({9})
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Ingbert Liebing
Dr. Klaus W. Lippold
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Stephan Mayer ({10})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Laurenz Meyer ({11})
Maria Michalk
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Carsten Müller
({12})
Stefan Müller ({13})
Bernward Müller ({14})
Dr. Gerd Müller
Hildegard Müller
Bernd Neumann ({15})
Henry Nitzsche
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Dr. Peter Paziorek
Ulrich Petzold
Sibylle Pfeiffer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Daniela Raab
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({16})
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht ({17})
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({18})
Hermann-Josef Scharf
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Georg Schirmbeck
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({19})
Andreas Schmidt ({20})
Ingo Schmitt ({21})
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Wilhelm Josef Sebastian
Horst Seehofer
Kurt Segner
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Max Straubinger
Thomas Strobl ({22})
Michael Stübgen
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Marcus Weinberg
Peter Weiß ({23})
Gerald Weiß ({24})
Karl-Georg Wellmann
Anette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer ({25})
Elisabeth WinkelmeierBecker
Matthias Wissmann
Dagmar Wöhrl
Willi Zylajew
SPD
Dr. Lale Akgün
Gregor Amann
Gerd Andres
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr ({26})
Dr. Hans- Peter Bartels
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({27})
Volker Blumentritt
Kurt Bodewig
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Bernhard Brinkmann
({28})
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Detlef Dzembritzki
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Sigmar Gabriel
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Renate Gradistanac
Angelika Graf ({29})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann
({30})
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({31})
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({32})
Frank Hofmann ({33})
Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Brunhilde Irber
Johannes Jung ({34})
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Dr. h.c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Ernst Kranz
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christian Lange ({35})
Dr. Karl Lauterbach
Waltraud Lehn
Gabriele Lösekrug-Möller
Lothar Mark
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Petra Merkel ({36})
Präsident Dr. Norbert Lammert
Ulrike Merten
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller ({37})
Michael Müller ({38})
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Christoph Pries
Dr. Wilhelm Priesmeier
Dr. Sascha Raabe
Steffen Reiche ({39})
Maik Reichel
Gerold Reichenbach
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
Sönke Rix
Rene Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({40})
Michael Roth ({41})
Ortwin Runde
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({42})
Bernd Scheelen
Marianne Schieder
Otto Schily
Ulla Schmidt ({43})
Silvia Schmidt ({44})
Renate Schmidt ({45})
Dr. Frank Schmidt
Heinz Schmitt ({46})
Carsten Schneider ({47})
Ottmar Schreiner
({48})
Swen Schulz ({49})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Andreas Steppuhn
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Dr. Rainer Tabillion
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. h.c. Wolfgang Thierse
Jörn Thießen
Franz Thönnes
Hans-Jürgen Uhl
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen
({50})
Dr. Rainer Wend
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Waltraud Wollf
({51})
Heidi Wright
Uta Zapf
Manfred Zöllmer
Nein
SPD
FDP
Jens Ackermann
Dr. Karl Addicks
Christian Ahrendt
Daniel Bahr ({52})
Uwe Barth
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich ({53})
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Miriam Gruß
Joachim Günther ({54})
Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Elke Hoff
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Dr. Heinrich L. Kolb
Hellmut Königshaus
Gudrun Kopp
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Markus Löning
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Hans-Joachim Otto
({55})
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Jörg Rohde
Dr. Konrad Schily
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Florian Toncar
Christoph Waitz
Dr. Claudia Winterstein
Hartfrid Wolff ({56})
DIE LINKE
Karin Binder
Dr. Lothar Bisky
Heidrun Bluhm
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Werner Dreibus
Klaus Ernst
Diana Golze
Heike Hänsel
Lutz Heilmann
Cornelia Hirsch
Inge Höger-Neuling
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Dr. Hakki Keskin
Katja Kipping
Monika Knoche
Jan Korte
Oskar Lafontaine
Michael Leutert
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Ulrich Maurer
Dorothee Menzner
Kornelia Möller
Kersten Naumann
Wolfgang Neskovic
Dr. Norman Paech
Bodo Ramelow
Elke Reinke
Paul Schäfer ({57})
({58})
Dr. Herbert Schui
Dr. Petra Sitte
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Jörn Wunderlich
BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({59})
Volker Beck ({60})
Cornelia Behm
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Alexander Bonde
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Dr. Ursula Eid
Hans Josef Fell
Kai Gehring
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Priska Hinz ({61})
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ute Koczy
Sylvia Kotting-Uhl
Renate Künast
Undine Kurth ({62})
Markus Kurth
Monika Lazar
Anna Lührmann
Kerstin Müller ({63})
Winfried Nachtwei
Krista Sager
Elisabeth Scharfenberg
Irmingard Schewe-Gerigk
Rainder Steenblock
Silke Stokar von Neuforn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Jürgen Trittin
Wolfgang Wieland
Margareta Wolf ({64})
fraktionslos
Gert Winkelmeier
Enthalten
CDU/CSU
Friedrich Merz
Präsident Dr. Norbert Lammert
({65})
Wir kommen nun zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. - Herr Lafontaine, es würde
zur Komplettierung des Protokolls beitragen, wenn Sie
in den Reihen Platz nähmen, die der Entscheidung der
Wähler entsprechen.
({66})
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
vorhin festgestellten Fassung zustimmen wollen, sich zu
erheben. - Wer stimmt gegen den Gesetzentwurf? - Wer
möchte sich der Stimme enthalten? - Damit ist der Ge-
setzentwurf mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen bei eini-
gen Gegenstimmen aus den Reihen der SPD-Fraktion
und einer Enthaltung aus der SPD-Fraktion mit der not-
wendigen Mehrheit angenommen.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion Die Linke auf der
Drucksache 16/2014. Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich
der Stimme? - Der Entschließungsantrag ist mit Mehr-
heit abgelehnt.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 3 b. Hier geht
es um Abstimmungen über die Beschlussempfehlung des
Finanzausschusses auf der Drucksache 16/2012. Der Aus-
schuss empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlussemp-
fehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/1501 mit
dem Titel „Steueränderungsgesetz 2007 zurückziehen“.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Die
Beschlussempfehlung ist angenommen.
Unter Buchstabe d seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der
FDP-Fraktion auf Drucksache 16/1654 mit dem Titel
„Keine weiteren Steuererhöhungen“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? -
Enthaltungen? - Auch diese Beschlussempfehlung ist
mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 c sowie
den Zusatzpunkt 2 auf:
4 a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit ({67}) zu dem Antrag der Abgeordneten Birgitt
Bender, Elisabeth Scharfenberg, Dr. Harald
Terpe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Dem Solidarsystem eine stabile Grundlage
geben - für eine nachhaltige Finanzierungs-
reform der Krankenversicherung
- Drucksachen 16/950, 16/2002 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Hilde Mattheis
b) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion
der LINKEN eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches
Sozialgesetzbuch
- Drucksache 16/451 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit ({68})
- Drucksache 16/1753 -
Berichterstattung:
Abgeodneter Dr. Rolf Koschorrek
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgitt
Bender, Matthias Berninger, Dr. Thea Dückert,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Stärkung der Solidarität und Ausbau des
Wettbewerbs - Für eine leistungsfähige Krankenversicherung
- Drucksache 16/1928 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit
ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Daniel
Bahr ({69}), Heinz Lanfermann, Dr. Konrad
Schily, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP
Für Nachhaltigkeit, Transparenz, Eigenverantwortung und Wettbewerb im Gesundheitswesen
- Drucksache 16/1997 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({70})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Über den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke werden wir zu einem späteren Zeitpunkt namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst der Parlamentarischen Staatssekretärin Marion
Caspers-Merk.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das
Thema Gesundheit bewegt die Menschen. Gesunde
Menschen haben natürlich viele Wünsche. Kranke Menschen haben eigentlich nur einen Wunsch, nämlich den,
gesund zu werden. Deswegen ist klar, dass die Gesundheitspolitik ein Politikfeld ist, das die Menschen wie
kein zweites beschäftigt.
Insofern ist es eine gute Gelegenheit, heute zu den
Leitlinien der Gesundheitspolitik Stellung zu nehmen
und die Anträge der Oppositionsparteien im Deutschen
Bundestag zu würdigen. Es ist Ihr gutes Recht - das sage
ich zu den Kolleginnen und Kollegen von den Grünen -,
etwas einzufordern. Was Sie einfordern, wird aber eigentlich schon getan. Sie fordern uns nämlich auf, einen
Gesetzentwurf zum Thema „Strukturreformen in der Gesundheitspolitik“ vorzulegen. Vielleicht ist den Kolleginnen und Kollegen ja entgangen, dass genau dies im
Moment erarbeitet wird.
({0})
Dieser Aufforderung hätte es also gar nicht bedurft.
Denn es ist seit langem Beschlusslage, dass die große
Koalition einen Entwurf zur Reform des Gesundheitswesens vorlegen wird.
({1})
Einen Augenblick bitte, Frau Kollegin. - Ich darf diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die dringend andere
Geschäfte zu erledigen haben, bitten, dies möglichst außerhalb des Plenarsaals zu tun, um die Konzentration für
diese Debatte sicherzustellen.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Die Aufgeregtheiten,
die aus Baden-Württemberg kamen und zu einer Verzögerung der Abarbeitung der Tagesordnung beigetragen
haben, habe ich als Badenerin nicht verursacht und nicht
zu verantworten.
({0})
Insofern ist klar, dass es etwas unruhig war.
({1})
- Die Stuttgarter wehren sich.
Es ist so, dass Union und SPD vor der Bundestagswahl sehr unterschiedliche Konzepte in der Gesundheitspolitik angekündigt hatten. Deswegen ist jetzt ein
schwieriger, aber notwendiger Reformprozess zu bewältigen. Diese Reform muss tragfähig sein und von beiden
Parteien und den Fraktionen, die die Regierung stellen,
verantwortet werden können. Ich denke, dass sowohl der
Zeitrahmen als auch die Fragestellungen, um die es geht,
klar waren.
Das, was Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von
Bündnis 90/Die Grünen, in Ihren Anträgen fordern, wird
längst gemacht. Es wird auf der einen Seite die Finanzierungskonzeption auf eine neue, tragfähige Basis gestellt.
Auf der anderen Seite wird klargezogen, dass eine nachhaltige Entwicklung in der Gesundheitspolitik erforderlich ist. Sie fordern ein, dass diese Reform sicherstellt,
dass künftig alle Bürgerinnen und Bürger versichert
sind. Genau das ist unser Ziel. Wir haben die Ziele der
Reformpolitik auch deutlich gemacht.
Frau Staatssekretärin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Wolf?
Selbstverständlich.
Bitte, Frau Wolf.
Sehr geehrte Frau Staatssekretärin, die Bundesregierung hat die Gesundheitsstrukturreform zu dem Reformprojekt erklärt. Ich stelle die Frage, warum uns die Ministerin heute nicht selber Rede und Antwort steht,
zumal sie doch im Plenum anwesend ist.
({0})
Frau Kollegin, Ihre Fachpolitikerinnen und Fachpolitiker wissen, dass die Ministerin wegen der Verzögerung
der Debatte und der Gesundheitsministerkonferenz in
Dessau nicht während der gesamten Debatte anwesend
sein kann.
({0})
Der Respekt vor dem Parlament gebietet es, dass man
dann, wenn man nicht während der gesamten Debatte
anwesend ist, auch nicht das Wort ergreift. Das hätten
Sie dann nämlich auch kritisiert.
({1})
Daran, dass sie trotzdem anwesend ist, sehen Sie, wie
wichtig uns dieses Thema ist. Sie kann jedoch nicht die
ganze Zeit bleiben und das ist Ihren Fachpolitikerinnen
und -politikern auch mitgeteilt worden.
({2})
So viel Fairness sollte man im Umgang miteinander haben.
Ich möchte noch einmal zu Ihren Anträgen kommen.
Sie haben erstens gefordert, dass in Zukunft jeder versichert sein soll. Dieses Erfordernis wird derzeit diskutiert
und die beiden Fraktionen sind sich auch einig geworden, dass ein Versicherungsschutz in Zukunft für alle
in Deutschland gelten soll.
Sie fordern zweitens, dass der Zugang zu medizinischer Versorgung künftig für alle gewährleistet sein
muss. Auch das ist erklärtes Ziel unserer Politik. Was
also soll Ihr Antrag zum jetzigen Zeitpunkt? Sie wissen,
dass ein Reformkonzept vorgelegt wird. Sie kennen die
Zeitpläne. Sie hatten auch sehr wohl im Fachausschuss
die Gelegenheit, sowohl die Finanzsituation als auch die
einzelnen Bearbeitungsschritte, die vorgetragen wurden,
zu diskutieren. Insofern bedarf es der Aufforderung in
Form Ihres Antrags nicht.
Dennoch gibt uns Ihr Antrag die Gelegenheit, über
die notwendigen Strukturreformen in der Gesundheitspolitik zu reden. Das tun wir sehr gerne, weil auch die
Öffentlichkeit ein Interesse daran hat, zu erfahren, welche Fragestellungen eigentlich erörtert werden. Ich erinnere insbesondere die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen,
die damals an der Regierung beteiligt war, daran, dass
wir das GMG aufgrund der Probleme damals gemeinsam
mit einer hohen Einsparquote verabredet haben.
({3})
Wir haben die Ausgabenseite angepackt und auch Strukturen verändert. Jeder weiß aber, dass Strukturveränderungen ein auf Dauer angelegter Prozess sind. Jeder
weiß auch, dass die nachhaltige Finanzierung zwischen den Parteien strittig war. Deswegen ist es richtig,
dass in einer gemeinsamen Runde ein tragfähiger dritter
Weg, ein Modell entwickelt wird, das auch für die große
Koalition tragfähig ist.
Welches sind die Elemente dieser tragfähigen Politik?
Zunächst einmal brauchen wir eine nachhaltige Finanzierungsstruktur. Das bedeutet, dass wir Beitragsstabilität brauchen. Wir brauchen aber auch zusätzliche Einnahmen im System. Es hat sich auch bis zur Opposition
herumgesprochen, dass derzeit über ein Fondsmodell
diskutiert wird. Die vorgetragenen Kritikpunkte sind
nicht sehr substanziell. Ein Fonds ist weder gut noch
schlecht. Er bietet aber die Chance, unterschiedliche
Finanzquellen zusammenzuführen und die Belastungen
gerechter zu verteilen. Darum geht es im Moment. Sie
werden sich gedulden müssen, bis die Eckpunkte der Reform vorgelegt werden.
({4})
Die Termine standen fest und das wussten Sie auch, Frau
Kollegin Künast.
Wir wollen das Gesundheitswesen konkurrenzfähiger
und wettbewerbsorientierter machen. Wir glauben, dass
mehr Transparenz und Wettbewerb dringend überfällig sind. Wir wollen darüber hinaus, dass die Strukturen
in den Institutionen klarer werden. Das ist überfällig.
Derzeit haben wir im Bereich der Selbstverwaltung nämlich eine intransparente Struktur. Das Aufbrechen der
Verkrustungen ist dringend notwendig, um voranzukommen. Wir brauchen natürlich eine modernere Selbstverwaltung, die den Herausforderungen gerecht wird.
Darüber hinaus brauchen wir spürbare strukturelle
Reformen. Wir wollen - das ist klar - den Patientinnen
und Patienten mehr Wahl- und Wechselmöglichkeiten
eröffnen. Auch das haben wir Ihnen in den Grundzügen
erläutert.
({5})
An den Konzepten der Opposition ist eines interessant: Im Fachausschuss konnte sich die Opposition gestern nicht auf ein gemeinsames Vorgehen einigen. Sie
waren sich, glaube ich, nur bei einem Tagesordnungspunkt einig, nämlich als es um das Verbot der Einfuhr
von Wildvögeln ging. Darüber hat die Opposition einheitlich abgestimmt. In der Gesundheitspolitik liegen
Ihre Auffassungen hingegen weit auseinander.
({6})
Von der einen Seite wird immer wieder das Thema Kostenerstattung aufgerufen und von der Seite der Linken
hört man außer einer allgemeinen Forderung nach der
Bürgerversicherung - Sie sagen noch nicht einmal, wie
Sie sie eigentlich ausgestalten wollen - sehr wenig.
({7})
Insofern können wir unsere Reformen sehr gelassen
vorantreiben und vorstellen. Wir haben Ihnen den Zeitplan mitgeteilt. Sie kennen ihn. Sie wissen auch, was die
Grundüberlegungen dieser Reformpolitik sind.
({8})
Wir haben Ihnen die Möglichkeit gegeben, sich zu beteiligen. Sie werden sich aber noch ein bisschen gedulden
müssen. Es ist das gute Recht der Opposition, hier Fragen zu stellen und Anträge vorzulegen. Es ist aber auch
das gute Recht der Regierung, ihren Zeitplan in aller
Ruhe und Gelassenheit zu fahren;
({9})
denn die Bürgerinnen und Bürger haben es verdient, dass
sie eine Gesundheitspolitik aus einem Guss vorfinden.
Schönen Dank.
({10})
Für die FDP-Fraktion erhält nun das Wort der Kollege
Daniel Bahr.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Staatssekretärin Caspers-Merk, es ist schon ein
starkes Stück,
({0})
dass Sie erwarten, dass Ihnen die Opposition jetzt, wo
sich die große Koalition nicht in der Lage sieht, sich zu
einigen, diese Aufgabe abnimmt. Die Opposition legt
hier eigene Konzepte vor, und zwar jede Fraktion für
sich, weil sie unterschiedliche Ansätze haben. Die
schwarz-rote Koalition hat aber den Wählerauftrag, für
Daniel Bahr ({1})
Veränderungen zu sorgen und endlich eine Reform vorzulegen. Und was machen Sie? Klammheimlich, während der Fußball-WM, beraten Sie die Eckpunkte zur
Gesundheitsreform.
({2})
Das Endspiel der Gesundheitsreform findet am Sonntag
statt. Das Parlament hat dann überhaupt keine Gelegenheit mehr, vor der Sommerpause über die Eckpunkte dieser Reform zu diskutieren. Die nächste Möglichkeit
dafür würde sich erst im Herbst bieten. Daher ist es das
gute Recht der Opposition, hier und heute eine Debatte
über die Gesundheitspolitik zu führen.
({3})
Frau Caspers-Merk, Sie haben mir eine Steilvorlage
geliefert: Es ist ja richtig, dass die letzte große Gesundheitsreform von einer großen Koalition durchgeführt
wurde, nämlich von der CDU/CSU, den Grünen und der
SPD. Was hat aber das Gesetz zur Modernisierung des
Gesundheitssystems gebracht? Die letzte große Gesundheitsreform ist gerade einmal zweieinhalb Jahre her. Sie
sollte eine massive Beitragssatzsenkung bringen. Damals lag der Beitragssatz im Schnitt bei 14,4 Prozent.
Versprochen wurde uns eine Senkung auf 13,0 Prozent
inklusive Sonderbeitrag. Die Realität sieht heute aber
anders aus: Der Beitragssatz liegt bei durchschnittlich
14,2 Prozent. Die Reform brachte eine Senkung um
0,2 Prozent - das nenne ich eine große Jahrhundertreform! Zum 1. Januar und zum 1. Juli dieses Jahres
wurden von zahlreichen Krankenkassen Beitragssatzerhöhungen vorgenommen.
({4})
81 Krankenkassen haben immer noch Schulden in Höhe
von insgesamt knapp 4 Milliarden Euro. Für 2007 erwarten wir ein Defizit von 8 Milliarden Euro.
Das ist das Ergebnis der letzten Reform einer großen
Koalition in der Gesundheitspolitik. Das ist ein zutiefst
blamables Ergebnis. Sie haben es nicht geschafft, an die
Strukturprobleme der Gesundheitspolitik heranzugehen.
({5})
Schwarz-Rot hat das Defizit, das im nächsten Jahr
eintreten wird, selbst zu verantworten. Die Mehrwertsteuererhöhung belastet die gesetzlichen Krankenversicherungen. Etwa 1,3 Milliarden Euro werden, zum Teil
für Arzneimittel, zum Teil für Krankenhauskosten, mehr
ausgegeben. Außerdem hat die schwarz-rote Koalition
beschlossen, den Bundeszuschuss in Höhe von 4,2 Milliarden Euro, finanziert aus der Tabaksteuererhöhung,
bis 2008 wieder auf null zu senken. Dabei wird die Tabaksteuererhöhung übrigens überhaupt nicht infrage
gestellt. - Ein Steuerzuschuss für die gesetzliche Krankenversicherung ist also gar nicht so neu. Jetzt plant die
Koalition den nächsten, höheren Steuerzuschuss; er liegt
mittlerweile bei 16 bis 24 Milliarden Euro.
Hier stehen wir in der Tat vor einer Richtungsentscheidung: Wollen wir ein steuerfinanziertes staatliches
Gesundheitswesen oder wollen wir ein Gesundheitswesen, das auf Freiheit, auf Wettbewerb und auf Eigenverantwortung der Versicherten baut? Wir von der FDP
möchten kein steuerfinanziertes staatliches Gesundheitswesen. All die Erfahrungen mit dem bisherigen Bundeszuschuss zeigen doch, wie unsicher ein pauschaler Steuerzuschuss ist. Dann entscheidet der Finanzminister und
die Verlässlichkeit geht verloren. Eine weit gehende
Steuerfinanzierung kann angesichts der Haushaltslage
zur Gesundheit nach Kassenlage führen. Ich möchte das
nicht.
({6})
Dann machen Sie Versprechungen, mit Steuergeldern
die Beiträge zu senken. Das alles haben wir schon vor
Jahren erlebt. Oder ist Ihnen die Debatte über die Ökosteuer von 1998 nicht mehr in Erinnerung?
({7})
Damals wurde uns beigebracht, dass der Rentenbeitrag
bei mittlerweile 18,5 Prozent liegen müsste. Zusammengenommen sind seit dem Jahr 2000 85 Milliarden Euro
aus der Ökosteuer in die Rentenkasse geflossen. Trotzdem muss der Rentenversicherungsbeitrag im nächsten
Jahr auf 19,9 Prozent, also fast 20 Prozent, steigen.
({8})
Die Versprechung, dass durch Steuererhöhungen Lohnzusatzkosten und Rentenbeiträge gesenkt werden, ist
doch Makulatur, wenn Sie sich die Erfahrung der Politik
der letzten Jahre vergegenwärtigen. Das ist nicht der
richtige Weg, um die Lohnzusatzkosten zu senken.
({9})
Steuerzuschüsse ersetzen eben keine Strukturreform.
Sie haben weder den Mut noch die Kraft für eine grundlegende Reform. Die Bundeskanzlerin hat in ihrer Regierungserklärung gesagt:
Wir werden es grundlegend anders machen, damit
es grundlegend besser wird.
Die Bürger stellen aber hinsichtlich der Gesundheitspolitik immer mehr fest, dass es teurer wird, ohne besser zu
werden. Die schwarz-rote Koalition kauft sich einen
Kompromiss mit dem Geld der Steuer- und Beitragszahler.
({10})
Frau Caspers-Merk hat eben gesagt, es sei das Ziel
der Koalition, zu einer nachhaltigen Finanzierung zu
kommen. Ich kann nur feststellen, dass in den Debatten
über eine Gesundheitsreform das Thema „alternde Bevölkerung“ - wie bekommen wir mehr Nachhaltigkeit in
die Finanzierung des Gesundheitswesens? - bisher überhaupt gar keine Rolle spielt.
({11})
Daniel Bahr ({12})
Sie nennen als Beispiel den Gesundheitsfonds. Das
hört sich toll an. Gemeinhin denkt man, dass dort Geld
angespart wird für Zeiten, in denen man dieses Geld
braucht. Aber der Gesundheitsfonds, wie Sie ihn planen,
ist nichts anderes als eine gigantische Geldsammelstelle,
bei der es nur darum geht, die Bürgerinnen und Bürger
zu täuschen. Sie überlegen doch nur, aus welcher Tasche
man ihnen noch Geld nehmen kann und wie man es
möglichst großzügig auf die Krankenkassen umverteilt.
Das ist keine Nachhaltigkeit, sondern die Fortsetzung einer wenig nachhaltigen Finanzierung des Krankenversicherungssystems. So schieben Sie die Lasten weiterhin
auf die kommenden Generationen.
({13})
Sie wollen - das ist mein Eindruck - den Weg in ein
zentralistisch gesteuertes, staatliches Gesundheitswesen
gehen. Ein Gesundheitsfonds kombiniert mit einem
Bundeskrankenkassenverband, in dem die Krankenversicherungen nur noch Befehlsempfänger dieser Dachorganisation sind, und vorgeschriebene Mindestgrößen für
Krankenkassen, wodurch gerade die kleinen, innovativen Krankenkassen, die geringe Verwaltungskosten
haben, zerstört werden sollen, bedeuten weniger Wettbewerb, weniger Autonomie und weniger Selbstverwaltung. Das wird mehr Kosten und Bürokratie verursachen. Das ist der Weg in die Planwirtschaft im
Gesundheitswesen. Wir wollen diesen Weg nicht mitgehen.
({14})
Wir haben in unserem Antrag dargestellt, wie wir
mehr Freiheit im Gesundheitswesen wagen wollen, und
zwar mit privaten Krankenversicherungen, die im Wettbewerb zueinander stehen, mit Wahlmöglichkeiten für
die Versicherten, sodass sie selbst auswählen können,
wie sie ihren Versicherungstarif gestalten, und mit Altersrückstellungen, wodurch Vorsorge für die alternde
Bevölkerung betrieben wird.
Das Gesundheitswesen ist der größte Arbeitgeber in
Deutschland. Wenn es auch zukünftig ein Wachstumsmarkt sein soll, dann darf hier nicht weiter staatlich
reglementiert werden, sondern dann muss es wie ein Gesundheitsmarkt verstanden werden, mit Freiheit, Wettbewerb, Transparenz und Eigenverantwortung.
({15})
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({16})
Das Wort hat jetzt der Kollege Wolfgang Zöller von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eines muss sich die Opposition schon vorhalten lassen: Sie
müssen sich langsam entscheiden, wie Sie argumentieren. Man kann doch nicht ans Rednerpult gehen und sagen, die Regierung habe kein Konzept, und dann die einzelnen Punkte des angeblich nicht vorhandenen
Konzeptes kritisieren. Das passt nicht zusammen.
({0})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Grünen
beginnen ihren Antrag mit den Worten:
Auch acht Wochen nach Verhandlungsbeginn hat
die große Koalition der Fraktionen der CDU/CSU
und SPD noch kein gemeinsames Konzept für die
Reform der gesetzlichen Krankenversicherung …
({1})
Ich kann Sie wirklich beruhigen. Wir halten uns an unseren Terminplan. Wie vorgesehen werden die Eckpunkte
am kommenden Sonntag festgelegt.
Ich kann mich, was die Grünen betrifft, nicht des Eindrucks erwehren, als wollten Sie vor der Sommerpause
unbedingt noch eine Show. Herr Fischer ist Ihnen abhanden gekommen. Jetzt brauchen Sie eine andere Showebene.
({2})
Aber dafür ist dieses Thema viel zu ernst.
Das deutsche Gesundheitswesen ist in den letzten
Jahren wie selten zuvor in den Mittelpunkt sozialpolitischer Diskussionen gerückt. Der stete Wechsel gesundheitspolitischer Rahmenbedingungen fand in immer kürzeren Zeitintervallen statt. Deshalb habe ich größtes
Verständnis dafür, dass die Akteure im Gesundheitswesen nach den vielen Reformen der letzten 15 Jahre nun
endlich Planungssicherheit erwarten. Dies wird man
aber nur dann erreichen, wenn man die Hauptursache der
Reformen der letzten Jahre, die Bindung der Finanzierung an die Löhne, und damit die zusätzliche Belastung
der Lohnkosten angeht.
({3})
Hier brauchen wir endlich eine nachhaltige Lösung.
Nicht der Kostendruck, sondern der Wettbewerb und
eine bessere Versorgung der Menschen müssen künftig die Leitgedanken von Reformen sein. Man muss allerdings auch zur Kenntnis nehmen, dass in keinem anderen Bereich so viele Gefühle angesprochen bzw. so
viele Ängste ausgelöst werden und kaum ein politisches
Feld so komplex und vielschichtig ist wie unser Gesundheitswesen. Deshalb habe ich überhaupt kein Verständnis dafür, wenn man die Leute tagtäglich mit falschen
Behauptungen und nicht zutreffenden Vermutungen verunsichert.
({4})
Wie sieht die Einnahmeseite der gesetzlichen Krankenversicherung tatsächlich aus? Die Diskussion der
letzten Jahre verdeutlicht doch, dass wir im System
keine Versorgungskrise, sondern eine Finanzierungskrise
haben.
({5})
Uns ist die Einnahmeseite weggebrochen. Ich bin davon
überzeugt, dass die Krankenversicherung künftig nicht
mehr allein über die Arbeitslöhne finanziert werden
kann. Unser Gesundheitswesen wird schon aufgrund des
medizinisch-technischen Fortschritts und aufgrund der
steigenden Lebenserwartung mit zunehmenden Ausgaben belastet.
Lassen Sie mich hierzu ein paar Zahlen nennen: Die
Einnahmeseite ist uns auch deshalb weggebrochen, weil
wir in den letzten Jahren 1,5 Millionen sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze verloren haben. Das bedeutet einen Einnahmeverlust in Höhe von 6,5 Milliarden Euro. Auch ein anderer Aspekt ist viel zu wenig
beachtet worden: In den letzten Jahren haben ungefähr
1 Million bestausgebildete junge deutsche Menschen
Deutschland verlassen. Man muss fragen: Warum? Immer wieder wird das Argument angeführt, die Bürokratie
in Deutschland sei zu hoch. Wenn das grüne Antidiskriminierungsgesetz tatsächlich Realität geworden wäre,
wären noch mehr Menschen ausgewandert. Wir müssen
endlich die Ursachen dieser Entwicklung angehen.
({6})
- Wenn Sie keine Redezeit haben, können Sie mir gerne
eine Frage stellen.
({7})
Mit unseren Vorschlägen werden wir erstmals das
Problem der Verschiebebahnhöfe in Angriff nehmen und
verhindern, dass sich ständig andere Sozialsysteme zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung sanieren.
({8})
Die dadurch entstehenden Kosten belaufen sich inzwischen auf einen Betrag von jährlich 5 Milliarden Euro.
Ein Aspekt muss in diesem Zusammenhang ebenfalls
erwähnt werden: Unser Gesundheitssystem ist wesentlich besser, als es momentan in der Öffentlichkeit dargestellt wird.
({9})
Allerdings müssen wir ehrlich sagen, dass wir in diesem
Bereich nach wie vor für mehr Eigenverantwortung
sorgen müssen, nicht nur für mehr Eigenverantwortung
der Versicherten, sondern auch für mehr Eigenverantwortung der am System Beteiligten.
({10})
Die gesetzliche Krankenversicherung lebt von der Solidarität der Beitragszahler.
({11})
Solidarität heißt zu Recht: Verantwortung für das Ganze.
Solidarität darf aber nicht heißen: Verantwortung für
alles. Im Gegenteil: Solidarität verstanden als Daseinsvorsorge für die großen Risiken setzt auch voraus, dass
kleinere Risiken eigenverantwortlich geschultert werden
können.
({12})
Die gemeinschaftliche Vorsorge für die großen Risiken
ermöglicht es dem Einzelnen ja erst, kleinere Risiken eigenverantwortlich zu übernehmen.
Wer Freiheit und Wohlstand will, muss auch bereit
sein, sich von Überbetreuung und falscher Geborgenheit
zu verabschieden.
({13})
In einer Gesellschaft, in der die Freiheit zur Selbstentfaltung und Selbstverwirklichung immer größer geworden
ist, sollte es eigentlich nicht unmöglich sein, das Pendant
zu dieser Freiheit zu neuem Leben zu erwecken, nämlich
die individuelle Selbstverantwortung.
({14})
In diesem Zusammenhang möchte ich etwas zitieren:
Das Grundgesetz geht von dem freiheitlichen,
selbstverantwortlichen Individuum aus; in der Realität aber versperrt der Gesetzgeber durch dauernd
steigende soziale Belastungen dem einzelnen Beschäftigten nicht nur die Möglichkeit, sondern auch
den Antrieb zur individuellen Vorsorge.
Diese Aussage stammt aus einem „Spiegel“-Interview
von 1967, von dem ersten Sozialminister einer großen
Koalition, Hans Katzer. Wir sehen, dass das Thema Eigenverantwortung nicht neu ist.
Ich will einen Punkt aus Ihrem Programm ansprechen, meine sehr verehrten Damen und Herren von den
Grünen: Wir brauchen auch weiterhin den Wettbewerb
zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung; dazu stehen wir.
({15})
Die zusätzlichen Honorarzahlungen der privaten Versicherungen bieten den Leistungserbringern, ob niedergelassenen Ärzten oder Ärzten im Krankenhaus, höhere
Planungssicherheit. Wie viele Neuverfahren wurden zunächst in der PKV erstattet und kamen dann allen Versicherten zugute! Wer Ärzten für ihre schwierige und verantwortungsvolle Arbeit die angemessene Honorierung
verweigert, schadet letztendlich der medizinischen Versorgung der Patienten.
({16})
Die Grünen behaupten in ihrem Antrag, die einkommensstärksten 10 Prozent der Bevölkerung beteiligten
sich nicht an der Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung.
({17})
Diese Annahme ist schlichtweg falsch.
({18})
Aus einer falschen Grundannahme kann man aber keine
richtigen Schlüsse ziehen. Ich will Ihnen dazu nur einige
Zahlen nennen: 55 Prozent der privat Versicherten haben
ein Einkommen von unter 2 500 Euro im Monat. Ich
habe langsam den Eindruck, wenn die Grünen „privat
Versicherte“ hören, glänzen ihnen die Augen und sie
denken an Ackermann. Aber in der Privatversicherung
sind auch kleine Beamte, Beihilfeempfänger, und das in
der überwiegenden Zahl.
({19})
Wenn Sie von den Grünen in diesem Punkt ehrlich sind,
müssen Sie zugeben: Es geht Ihnen hier nicht um die Sache. Sie schüren puren Sozialneid. Ich kann Ihnen sagen:
Wer die PKV kaputtmacht, löst damit kein einziges Problem der gesetzlichen Krankenversicherung.
({20})
Lassen Sie mich an zwei Beispielen ein Problem ansprechen, das wir gemeinsam viel stärker beachten sollten: Erstes Beispiel. Wir haben in den Krankenhäusern
eine, wie wir meinen, leistungsgerechte Vergütung eingeführt. So gibt es zum Beispiel für eine normale Geburt
einen festen Betrag; für etwas kompliziertere Fälle mit
Kaiserschnitt gibt es einen wesentlich höheren Betrag.
Plötzlich müssen wir feststellen, dass in etlichen Krankenhäusern normale Geburten so gut wie nicht mehr
stattfinden und fast alles über Kaiserschnitte läuft. Das
ist nicht in Ordnung.
({21})
Das zweite Beispiel - auch ein tatsächlicher Fall -:
Ein 25-Jähriger kommt zum Arzt und möchte eine neue
Hüfte. Der Arzt stellt fest, dass der Patient
140 Kilogramm wiegt, und sagt: Wenn ich Ihnen eine
neue Hüfte gebe, nützt das nichts. Sie müssten eigentlich
erst abnehmen. - Er bekommt zur Antwort: Ich bezahle
meinen Beitrag und deshalb haben Sie das gefälligst zu
machen.
Ich habe diese beiden Beispiele gebracht, weil ich fest
davon überzeugt bin: Ohne Moral fahren wir alle Sozialsysteme an die Wand.
Vielen Dank.
({22})
Das Wort hat die Kollegin Dr. Martina Bunge von der
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Mit den vorliegenden Oppositionsanträgen diskutieren
wir zum wiederholten Mal in dieser Legislaturperiode
über die Zukunft der gesetzlichen Krankenversicherung.
Eine nachhaltige Finanzreform ist uns von den Koalitionären angekündigt worden. Auf dem Tisch liegen aber
nur Spekulationen, nicht mehr.
({0})
Lassen Sie mich an Ihren Terminplan anknüpfen. Er
ist nämlich etliche Male geändert worden.
({1})
Die seriös erscheinende Arbeitsphase bis Ostern ist in
eine seit Wochen anhaltende Phase übergegangen, in der
wortwörtlich jeden Tag ein neuer Vorschlag - sei er noch
so skurril - durch die Medien gejagt wird. Die Machtverhältnisse lassen dies leider zu. Durch dieses Verfahren werden die Parlamentarierinnen und Parlamentarier
langsam genervt
({2})
und die Versicherten und Patientinnen und Patienten zunehmend verunsichert. Aber auch die Akteure im Gesundheitssystem sind erbost, weil sie außen vor bleiben.
Gesundheit geht alle an, aber einige wenige meinen
derzeit, alleine darüber befinden zu können.
({3})
Dabei sind gegenwärtig sehr viele reformbereit und reformwillig angesichts der Herausforderungen, vor denen
das Gesundheitssystem durch die Alterung der Gesellschaft und durch den medizinischen Fortschritt steht.
Allein Ihre vermeintliche Verständigung auf einen
Gesundheitsfonds hat enorme Energien freigesetzt. Die
Aussicht, dass einzig den Arbeitgebern stabile, abgesenkte Beiträge von 6,5 Prozent versprochen werden, die
Versicherten aber 7,5 Prozent aufgebrummt bekommen
und das gesamte Risiko für die Ausgabensteigerungen
über eine kleine Kopfpauschale tragen sollen, ist sozial
ungerecht und findet nicht unsere Zustimmung.
({4})
Das Bekenntnis zur gesetzlichen, beitragsfinanzierten
Krankenversicherung und deren Grundprinzipien wie
Solidarausgleich und Parität wächst. Herr Bahr, es gibt
eben nicht nur die Alternative zwischen der staatlichen
Versorgung und der Freiheit für mehr Wettbewerb,
({5})
sondern es geht um Solidarität, und zwar um Solidarität
pur.
({6})
Die gesetzliche Krankenversicherung ist nicht pleite. Sie
wird schlechtgeredet, damit die Transformation in ein
neues System eingeleitet werden kann. Wir meinen, die
finanziellen Grundlagen der GKV müssen verteidigt,
aber auch weiterentwickelt werden.
Wie geht es mit dieser wichtigen Reform weiter? Es
ist angekündigt worden, dass die Verhandlerinnen und
Verhandler in der nächsten Woche die Eckpunkte der
Gesundheitsreform verkünden werden. Dann wird nicht
nur im Parlament die Sommerpause eingeläutet. Medial
wird die Debatte weitergehen, aber nicht hier und nicht
mit den Akteuren im und um das Gesundheitssystem.
Der Gesetzentwurf wird in der Sommerpause im Ministerium zusammengezimmert und ab September drückt
die Zeit, sodass es keine solide parlamentarische Behandlung mehr geben kann; denn das nächste Finanzloch der GKV für 2007 ist durch die Gesetzgebung der
letzten Woche bereits vorprogrammiert. Durch das neue
Finanzloch wird im Herbst zur Eile gedrängt. Durchpeitschen führt aber zu Fehlern. Denken Sie an Hartz IV!
({7})
Wir fordern Sie auf: Machen Sie ein Vorschaltgesetz
({8})
- warten wir das ab -, um die Kassenlage für 2007 zu
stabilisieren, und stellen Sie dann die eigentliche Reform
vom Kopf auf die Füße!
({9})
Lassen Sie uns gemeinsam zuerst über die künftigen
Aufgaben und Strukturen reden - ich habe nicht viel
von Strukturen gehört, sondern immer nur etwas von
nachhaltiger Finanzierung ({10})
und erst danach über das Geld!
Lassen Sie uns vorurteilsfrei darüber reden, wie man
mit Gesundheitsförderung und Prävention von Kindesbeinen an Krankheiten vermeiden, Wohlbefinden fördern, aber auch Gesundheitskosten sparen kann; das
muss man doch einkalkulieren.
Lassen Sie uns darüber reden, wie wir der so genannten Volkskrankheiten Herr werden und dabei seltene
Krankheiten nicht vergessen; das kostet natürlich Geld.
Lassen Sie uns die Ergebnisse neuer Versorgungsformen analysieren und in die Breite gehen; das bringt Effizienz.
Lassen Sie uns gemeinsam beraten, welche Anforderungen zunehmende Demenz stellt, wie die Schmerztherapie ausgestaltet werden muss und wie bedarfsgerechte
geriatrische Versorgung Lebensqualität auch im hohen
Alter sichert. Lassen Sie uns endlich auch aus dem Medikamentenwirrwarr eine Positivliste kreieren.
({11})
Erst dann wäre es an der Zeit, über das Geld zu reden.
Es besteht ein breiter gesellschaftlicher Konsens für
eine Bürgerversicherung, durch die die Versichertenbasis und die Beitragsbasis verbreitert werden, faktisch
eine Versicherung von allen für alle.
({12})
Der Konsens ist groß, den Faktor Arbeit zu entlasten.
Die Frage ist nur, wie. Unser Vorschlag, mittels einer
Wertschöpfungsabgabe arbeitsintensive, zumeist kleine
Unternehmen wie den Bäcker oder die Änderungsschneiderei um die Ecke zu entlasten und die kapitalintensiven,
von Automatengreifarmen und Computersteuerung nur
so strotzenden gewinnträchtigen Unternehmen wie Siemens und Daimler-Benz stärker zu belasten, wäre zu diskutieren.
({13})
Hören Sie auf, abhängig Beschäftigten, Rentnerinnen
und Rentnern sowie Arbeitslosen immer stärker in die
Tasche zu greifen! Holen Sie das Geld dort, wo es ist!
Danke.
({14})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Renate Künast vom
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Caspers-Merk, dass Sie hier geredet haben und nicht die Ministerin, habe ich verstanden. Aber das kann ja nicht daran gelegen haben, dass die Ministerin zur
Gesundheitsministerkonferenz nach Dessau muss; denn
sie sitzt ja noch hier. Ich vermute, es hat daran gelegen,
dass die Ministerin nichts sagen konnte und auch nichts
sagen wollte. Sie haben in Ihrem Beitrag ja auch nur gesagt, dass wir das Recht haben, zu fragen. Das war, ehrlich gesagt, ein Armutszeugnis.
({0})
Sie beschäftigen sich seit Monaten mit diesem Thema,
aber herausgekommen ist nichts, außer, dass Sie netterweise sagen, die Opposition dürfe hier einen Antrag stellen.
Herr Zöller, Sie haben gesagt, die Koalition wäre am
Sonntag fertig. Olaf Scholz hat aber gesagt, man könne
wahrscheinlich am Sonntag zu groben Eckpunkten kommen,
({1})
von denen er hofft, dass sie den Sommer überdauern. Fazit: Sie haben eigentlich nichts außer monatelangen Debatten. Sie können es einfach nicht, Herr Zöller. Diese
Koalition kann offensichtlich keine Gesundheitsreform
rechnen, die bezahlbar ist, zu Wettbewerb führt und den
Patientinnen und Patienten etwas bringt.
({2})
Es ist immer noch nicht klar, was mit der kleinen
Kopfpauschale ist, von der wir alle wissen, dass sie am
Ende die AOK-Mitglieder treffen wird und nicht die
Mitglieder in den privaten Krankenkassen.
({3})
Was ist mit dem Arbeitgeberbeitrag, den Sie - das hört
man ja - einseitig einfrieren wollen?
({4})
Damit machen Sie eine Gesundheitsreform zulasten der
Arbeitnehmer, die einzahlen. Das, Herr Zöller, ist nicht
gerecht.
({5})
- Wenn Sie noch Redezeit haben, dann gehen Sie doch
ans Rednerpult. Dann hören wir uns Ihre epischen Ausführungen noch einmal an.
Was ist mit den privaten Krankenkassen? Herr Zöller, das C in CDU steht ja bekanntlich für „christlich“.
({6})
- Und CSU. - Ich glaube, eines Tages werden Sie das C
an Ihrer Parteizentrale einfach fallen lassen; denn die Art
und Weise, wie Sie den privaten Krankenkassen in dieser
Republik eine systematische Rosinenpickerei erlauben,
rechtfertigt das C in Ihrem Namen überhaupt nicht.
({7})
Sie haben gesagt: „Wer die PKV kaputtmacht, …“ Es
geht nicht um das Kaputtmachen. Es geht darum, dass
sie endlich Konkurrenz und einen echten Wettbewerb
bekommen und dass es nicht eine Art Otto-GrafLambsdorff-Schutzgesetz gibt.
({8})
Das kann ich den Kolleginnen und Kollegen von der
FDP nicht ersparen. Es fällt schon auf, wenn man immer
wieder große Werbeanzeigen sieht, in denen Otto Graf
Lambsdorff dafür wirbt, dass die PKV weiter bestehen
bleibt. Mich interessiert daran nur, wie viel Geld der
Mann dafür bekommt. Die PKV scheint offensichtlich
zu viel Geld zu haben.
({9})
Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Daniel Bahr? - Bitte schön, Herr Bahr.
Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass sich unter den
ehemaligen Politikern, die sich in diesen Anzeigen für
ein privates Krankenversicherungssystem einsetzen,
weil es mehr Nachhaltigkeit bietet - diese Zielsetzung
verfolgen eigentlich auch die Grünen, indem sie für Altersrückstellungen und Vorsorge für die alternde Bevölkerung eintreten -, auch der ehemalige grüne Politiker
und Bundestagsabgeordnete Oswald Metzger befindet.
Deshalb frage ich Sie: Glauben Sie nicht, dass es angesichts der alternden Bevölkerung und der Lasten, die
noch auf uns zukommen, sinnvoll ist, endlich Vorsorge
zu betreiben, indem wir verstärkt Altersrückstellungen
bilden, statt kurzfristig die bereits bestehenden Altersrückstellungen sinnlos zu verbraten?
({0})
Herr Bahr, eine Krankenkasse, die sich aussuchen
darf, wen sie aufnimmt, wird die Besserverdienenden,
die Selbstständigen und die Beamten auswählen, nämlich all diejenigen, die - das zeigt ein Blick in die Sterbestatistik - durchweg gesünder sind und weniger Kosten
verursachen. Auch wenn Otto Graf Lambsdorff und Oswald Metzger Werbung für die PKV machen: Fakt ist,
dass die privaten Krankenversicherungen nicht wirklich
am Wettbewerb beteiligt sind und keinen Solidarausgleich betreiben, um die Risiken aller Mitversicherten
solidarisch mitzutragen. Das ist zu kritisieren.
({0})
Die Reform ist uns immer wieder als große Gesundheitsreform angekündigt worden. Ich stelle in diesem
Zusammenhang fest, dass wir Grüne in die peinliche Situation kommen, uns in einigen Punkten auf der Seite
von Markus Söder und Roland Koch wiederzufinden.
Das ist wirklich unangenehm. Söder hat in Bezug auf die
Mitversicherung der Kinder festgestellt, dass irgendwann die Schmerzgrenze erreicht sei, wenn die
16 Milliarden Euro aus Steuermitteln finanziert würden.
Ich bin schon dankbar, dass bei Ihrer ewigen Steuererhöherei überhaupt irgendjemand eine Schmerzgrenze hat.
({1})
Noch lieber ist mir wundersamerweise an dieser Stelle
Roland Koch, der heute klar gesagt hat, die
16 Milliarden Euro für die Mitversicherung der Kinder
stufenweise über Steuerfinanzierung aufzubringen, widerspreche dem CDU-Programm und sei konjunkturschädlich. Statt in anderen Punkten sollten Sie sich ausnahmsweise dieses Mal nach Roland Koch richten.
({2})
Sie entscheiden sich wieder einmal für den kleinsten
gemeinsamen Nenner. Der heißt bei Ihnen immer Murks.
({3})
Sie fassen den Menschen in die Taschen und in die
Portemonnaies. Sie legen letzten Endes ein Konzept vor,
bei dem Sie so tun, als hätten Sie etwas Gutes für die
Kinder bewirkt. Aber in Wahrheit greifen Sie wieder den
Eltern ins Portemonnaie, indem Sie es letztlich doch
wieder über Steuererhöhungen finanzieren. Sie wissen
offensichtlich nicht mehr, wie hoch die Belastungen der
Menschen - von der Kürzung der Pendlerpauschale bis
zur Mehrwertsteuererhöhung - in dieser Republik sind.
Sie machen einen großen Fehler, weil Sie zu feige sind,
an der Stelle die Ausgabenseite anzugehen. Die muss
man aber zuerst anpacken, bevor man über Steuererhöhungen nachdenken kann.
({4})
Notwendig ist etwas anderes. Wir brauchen einen
echten Kassenwettbewerb und die Beteiligung der
Privatversicherten. An der Stelle ist ein Paradigmenwechsel notwendig. Darin liegt Ihr Kardinalfehler. Alles,
was wir in diesem Zusammenhang bisher von Ihnen gehört haben, sind - um das Unwort des Jahres 1994 zu
verwenden - Peanuts. Gehen Sie endlich den Weg weg
vom Reparaturbetrieb und hin zu ernsthaften Reformen,
bei denen es um Wettbewerb und Effizienzpotenziale
geht und nicht um die einseitige Belastung der Versicherten!
Wir müssen die Kartelle bei den Ärzten und Kassen
aufheben. Wir müssen endlich Wettbewerb unter den
Pharmaunternehmen einführen. Wir müssen die zunftähnlichen Strukturen im Arzneimittelhandel auflösen
und wir brauchen Marktwirtschaft beim Apothekenmehrbesitz. Diese Punkte müssen wir radikal anpacken,
bevor man schon wieder dem kleinen Mann in die Tasche fasst und seinen letzten Cent herausholt.
({5})
Herr Zöller, Sie haben vorhin das schöne Beispiel des
140-Kilo-Manns gebracht.
({6})
- Oder auch die Frau; das ist mir egal. Es war Ihr Beispiel. Es kommt nicht auf das Geschlecht an.
Sie haben Recht, wenn Sie sagen, dass man mehr für
Prävention tun muss. Es war aber die CDU/CSU, die im
letzten Jahr das Präventionsgesetz torpediert hat. Haben
Sie doch endlich den Mut, bei den Kassen für Wettbewerb und dafür zu sorgen, dass sie Prävention anbieten!
({7})
Sagen Sie, dass wir ein Präventionsgesetz brauchen, das
solche Dinge regelt!
({8})
Dann haben Sie eine ordentliche Reform. Bei Ihnen sehe
ich aber nur Merkel-Murks.
({9})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Carola Reimann
von der SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zur
Frage der Finanzierung haben wir in diesem Hause nicht
nur bei diesem Tagesordnungspunkt eine ganze Menge
gehört, noch mehr haben wir in den letzten Tagen und
Wochen dazu gelesen. Die Frage, wer wie viel bezahlt,
wer sich an der Solidarität beteiligt, ob der Beitrag ausschließlich nach Leistungsfähigkeit oder auch nach dem
Gesundheitszustand bemessen werden soll, beschäftigt
in den letzten Tagen nicht nur uns alle, sondern auch die
Medien und die Öffentlichkeit in mannigfaltiger Hinsicht. Das bietet Stoff für Spekulationen zuhauf.
Die Schar derer, die auf äußerst spekulativer Grundlage, dafür aber umso lautstärker Kritik üben, ist erwartungsgemäß groß. Um eine sachgerechte Darstellung
geht es in den seltensten Fällen. Häufig arbeitet man sich
nur an Reizwörtern und Begriffen ab. Sachkundige Kritiker oder diejenigen, die sich als solche ausgeben möchten, heben sich dabei ganz gern von der Masse ab, indem
sie darauf verweisen, dass es mit einer Finanzreform alleine nicht getan sei und man die eigentlichen Probleme
nicht lösen könne, indem man mehr Geld in das System
pumpe. Mit der Forderung, man müsse zuerst einmal Löcher stopfen, bevor man neues Geld nachschütte, gibt
man sich gern als vermeintlicher Kenner der Szene zu
erkennen. Sie alle haben in einem Punkt Recht: Es bringt
nichts, nur neues Geld in das Gesundheitssystem fließen
zu lassen und die Versorgungsstrukturen außer Acht zu
lassen.
({0})
Wer die Forderung jedoch in einer Art und Weise erhebt,
dass man den Eindruck bekommen könnte, hier würde
nichts getan, entpuppt sich ganz schnell als ein weniger
guter Kenner der Gesundheitspolitik der letzten Jahre.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, Sie
fordern in den vorliegenden Anträgen Strukturreformen, die für mehr Qualität und Wirtschaftlichkeit sorgen
können. An dieser Forderung ist grundsätzlich nichts
auszusetzen. Vor drei Jahren - zu Zeiten der rot-grünen
Koalition - haben wir gemeinsam, auch unter der Beteiligung unserer heutigen Koalitionspartner, mit dem
GKV-Modernisierungsgesetz den Weg in Richtung mehr
Wettbewerb, Qualität und Wirtschaftlichkeit eingeschlagen.
({2})
Zu dieser Richtungsentscheidung stehen wir. Sie war damals richtig und gut und ist es auch heute noch.
({3})
Die Staatssekretärin hat es gesagt: Reformen sind ein
Prozess. Deshalb werden wir diesen Weg fortsetzen. Die
Struktur der Versorgung zählte deshalb auch zu den ersten Themen der zurzeit noch laufenden Gesundheitsgespräche. Wir wollen klarere Strukturen. Wir wollen Instrumente und Elemente für mehr Effizienz und mehr
Wettbewerb. Deshalb werden wir konsequent mehr Vertragsmöglichkeiten zwischen den Leistungsanbietern
schaffen. Insofern rennen Sie mit Ihren Forderungen bei
uns offene Türen ein.
({4})
Die Agenturmeldung dieser Woche - das muss ich allerdings auch sagen -, in der Ihre Kollegin, Frau Roth,
mit der Äußerung zu vernehmen war, das Herangehen
der Koalition an die Ausgabenseite sei völlig unambitioniert, kann ich überhaupt nicht nachvollziehen.
({5})
Die große Koalition ist seit etwas mehr als einem halben
Jahr im Amt und steht kurz vor dem Abschluss der Verhandlungen über eine unzweifelhaft weit reichende Gesundheitsreform. Ich würde das nicht als unambitioniert
bezeichnen wollen. Schauen wir uns doch lieber die Fakten an. Wenn wir über Fakten reden, will ich zu allererst
sagen, dass wir aufhören sollten, das System der gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland schlechter
zu reden, als es ist.
({6})
Bei aller Reformnotwendigkeit erscheint es mir dringend
notwendig, sich gelegentlich ins Gedächtnis zu rufen,
dass es hier darum geht, die Funktionsfähigkeit eines der
besten Gesundheitssysteme der Welt zu erhalten, und um
nichts anderes.
({7})
Laut einer Studie des Fritz-Beske-Instituts - es steht bestimmt nicht im Verdacht, zu den Mietmäulern der GKV
zu gehören - hat Deutschland im internationalen Vergleich ein überaus effizientes Gesundheitssystem. In diesen Tagen hat das schwedische Unternehmen Health
Consumer Powerhouse - es ist komplett unabhängig eine Studie vorgelegt, die ebenfalls zu dem Ergebnis
kommt, dass das deutsche Gesundheitssystem aus Sicht
der Patientinnen und Patienten im Hinblick auf Transparenz, Service und Qualität zu den Spitzenreitern in
Europa gehört.
({8})
Dieses hohe Versorgungsniveau im Interesse der Patientinnen und Patienten zu erhalten und auszubauen, das ist
unsere Aufgabe und nicht die Sanierung eines maroden
Haufens, auch wenn die eine oder der andere diesen Eindruck hier gern einmal erwecken möchte.
({9})
Mit dem Arzneimittelversorgungs-Wirtschaftlichkeitsgesetz, das am 1. Mai in Kraft getreten ist, haben
wir auch in dieser Legislaturperiode einen weiteren
Schritt getan. Wie wir bereits heute sehen, war es ein
wirksamer Schritt. Mit diesem Gesetz ist die Absenkung
der Festbeträge, aber auch die Möglichkeit der Zuzahlungsbefreiung bei besonders preisgünstigen Arzneimitteln vorgesehen.
Als Reaktion auf die Möglichkeit einer solchen Zuzahlungsbefreiung haben zahlreiche Arzneimittelhersteller ihre Preise bereits stark gesenkt; weitere Preissenkungen sind angekündigt. Damit werden wir bei gleicher
Qualität Einsparungen für Patientinnen und Patienten,
aber auch für Kassen realisieren. Die Liste ist ab 1. Juli,
also ab diesem Wochenende, auf der Homepage des Ministeriums, aber auch bei den Spitzenverbänden der gesetzlichen Krankenversicherung einsehbar.
({10})
Ich will an dieser Stelle alle Ärztinnen und Ärzte und
alle Patientinnen und Patienten aufrufen, von dieser
neuen Möglichkeit Gebrauch zu machen.
({11})
Diesen Weg werden wir weitergehen.
Sie, meine verehrten Kollegen von der Opposition,
müssen sich nun, auch wenn es schwer fällt, noch einige
wenige Tage gedulden, bis die Vorschläge vorliegen und
wir sie dann auch diskutieren können.
({12})
Es ist natürlich Ihr gutes Recht, eine Debatte über Konzepte einzufordern. Ich möchte dann allerdings, dass Sie
Konzepte vorlegen.
({13})
Sie haben hier beantragt, die Praxisgebühr abzuschaffen.
Um die Kollegen von der FDP nicht ganz leer ausgehen
zu lassen:
({14})
In der Überschrift Ihres Antrags ist die übliche Worthülse „Eigenverantwortung“ enthalten. Damit meinen
Sie die finanzielle Alleinverantwortung und die totale
Privatisierung aller Lebensrisiken.
({15})
Das wollen Sie mit dem Etikett „Freiheit und Wettbewerb“ verkaufen.
({16})
Ein Konzept ist das nicht.
({17})
- Ja, das habe ich getan. In Ihrem Antrag steht nichts.
Kollege Lanfermann, Sie haben gleich Gelegenheit, das
zu erläutern.
Wir werden in Kürze die Reformeckpunkte vorlegen,
um unser bewährtes solidarisches Gesundheitssystem
weiter zu stärken. Dazu werden wir nicht nur Effizienzreserven heben, sondern auch in puncto Strukturen und
Wettbewerb die notwendigen Rahmenbedingungen verbessern, damit unser Gesundheitssystem den veränderten und ohne Zweifel steigenden Ansprüchen gerecht
wird.
Ich danke.
({18})
Das Wort hat jetzt der Kollege Heinz Lanfermann von
der FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zuerst mit Staunen, aber jetzt doch mehr mit Entsetzen schauen die Bürger auf die verzweifelten Versuche
der Koalition, sich irgendwie zu einigen. Kein Vorschlag
ist töricht genug, um nicht in die Öffentlichkeit lanciert
zu werden. Aber offensichtlich ist, dass keines der strukturellen Probleme durch eine neue Umverteilungsbürokratie oder gar neue Steuern gelöst wird.
({0})
Was bleibt, ist der starre Blick auf die Einnahmeseite.
Sie wollen noch mehr Geld in das Fass ohne Boden
schütten, das jetzt mit „Fonds“ bezeichnet wird. Dabei
richten sich die begehrlichen Blicke bei der SPD, aber
auch bei den Grünen und bei den Linken vor allem auf
die private Krankenversicherung. Zum einen schielt
man auf die Rücklagen von mittlerweile fast
100 Milliarden Euro; zum anderen hält man die Privatversicherten für geeignete Melkkühe. Es wird das Zerrbild von den egoistischen, unsolidarischen Besserverdienenden gezeichnet, denen man nur in die dicke
Brieftasche greifen muss, um endlich die soziale Gerechtigkeit auf Erden herzustellen.
({1})
Das geht so weit, dass der Kollege Lauterbach verkündet hat, die Privaten seien die Parasiten der gesetzlichen Kassen. Das ist eine abstoßende Sprache, mit der
auch nicht irgendwelche anonymen Institutionen getroffen werden; davon werden vielmehr 8,5 Millionen Menschen getroffen. Es sind Bürger, die ganz normal Versicherungsverträge abschließen, Beiträge - durchaus auch
hohe Beiträge - zahlen, die Leistungen von Ärzten und
Krankenhäusern gut bezahlen und am Ende von ihrer
Versicherung die Kosten erstattet bekommen. Anschließend werden sie von Frau Künast hier noch beschimpft.
({2})
Diesen Bürgern den Vorwurf zu machen, sie verhielten
sich damit parasitär, ist schlichtweg eine Unverschämtheit und in der Sache auch falsch.
({3})
Das vom Kollegen Lauterbach als Begründung vorgebrachte Argument, die Praxiseinrichtung der Ärzte und
die Ausstattung der Kliniken würden weitgehend über
die Einnahmen aus den gesetzlichen Kassen finanziert,
geht völlig daneben. Wenn 90 Prozent der Patienten gesetzlich versichert sind, kommt der numerisch größere
Teil der Einnahmen natürlich von den Krankenkassen.
Weil aber jeder der 10 Prozent privat versicherten Patienten höhere Honorare und Rechnungen zahlt, ist ihr
proportionaler Anteil an den Einnahmen von Ärzten und
Krankenhäusern höher als bei den gesetzlich Versicherten.
({4})
- Das müssen Sie pro Kopf rechnen, Frau Ferner, nicht
in der Summe!
Diese 10 Prozent tragen schon jetzt bis zu 40 Prozent
der Kosten in den Praxen. Viele Praxen wären ohne Privatpatienten überhaupt nicht lebensfähig.
({5})
Manches teure Gerät im Krankenhaus steht nur deswegen dort und damit allen Patienten zur Verfügung, weil
seine Finanzierung über die Einnahmen von den Privatpatienten gesichert wird. Die Zahlen sind bekannt: Es
sind in jedem Jahr 9,5 Milliarden Euro, die die privat
Versicherten mehr zahlen, als es ihrem Anteil entspricht.
Auch die Behauptung, bei den 8,5 Millionen privat
Versicherten handele es sich nur um Besserverdiener,
ist eine Luftblase. Natürlich gehört ein kleinerer Teil der
privat Versicherten auch zu den höher Verdienenden.
Das liegt schon daran, dass Sie den meisten Menschen
verbieten, eine private Versicherung abzuschließen.
({6})
Lassen Sie mich zwei Zahlen nennen: Erste Zahl.
Nach der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe des
Statistischen Bundesamts für 2003 hatte der durchschnittliche PKV-Versicherte in diesem Jahr etwas über
28 800 Euro zur Verfügung. Das sind im Monat
2 404 Euro. Zweite Zahl. In diesem Jahr lag die Beitragsbemessungsgrenze bei 41 400 Euro. Von den privat
Versicherten haben aber 78 Prozent weniger als
40 000 Euro verdient. Das verwundert auch nicht. Die
Hälfte der privat Versicherten sind Beamte, davon die allermeisten gering oder mittelmäßig besoldet. Bei den
Selbstständigen gibt es inzwischen eine immer höhere
Zahl von Geringverdienern.
Es geht nicht nur um Zerrbilder, die zur Stimmungsmache eingesetzt werden; es geht auch um Vertrauensschutz, um geschützte Rechtsgüter, um mit eigenen Mitteln erworbene Ansprüche und Anwartschaften. Man
kann nicht erst über Jahrzehnte für viele Millionen Menschen zwei voneinander unabhängige, unterschiedliche,
in der Risikofrage und im rechnerischen Aufbau verschiedene Systeme schaffen und dann, wenn das eine gut
und das andere schlecht funktioniert, einfach über den
Zaun greifen und sich bedienen. Sie können es drehen
und wenden, wie Sie wollen: Man heilt einen Kranken
nicht dadurch, dass man einen Gesunden krank macht.
({7})
Wenn Sie überlegen, wie eine Versicherung aussehen
soll, dann schauen Sie bitte in den Antrag auf
Drucksache 16/1997, der die wesentlichen Elemente des
FDP-Modells vorstellt, und werfen Sie dann bitte einen
Blick auf die Fragen, die wirklich wichtig sind: Wollen
wir mehr Transparenz, soll also zum Beispiel jeder Patient bei allen Behandlungen wissen, was es kostet? Soll
jeder Bürger die Wahl zwischen verschiedenen Tarifen
haben,
({8})
bei denen er eine mehr oder weniger hohe Eigenbeteiligung an den Kosten trägt? Sollen die Beiträge konjunkturunabhängig und damit beständiger sein? Sollen die
Beiträge vom Arbeitslohn unabhängig sein, um die
Lohnkosten zu senken? Soll es auch möglich sein, medizinischen Fortschritt und Innovationen zu nutzen? Vor
allem, auch mit Blick auf Frau Künast: Soll sich das Versicherungssystem möglichst selbst tragen und auch
zukunftsfest sein? Soll es die Problematik höherer
Krankheitskosten im Alter und der demografischen Entwicklung - schrumpfende Bevölkerung mit immer weiter steigendem Altenanteil - gewachsen sein? Auf alle
diese Fragen kann man verantwortungsbewusst doch nur
mit Ja antworten.
({9})
Dann stellt sich die Frage, welche Versicherung dies
alles leistet. Die Antwort ist klar: Die privaten Versicherungen erfüllen diese Bedingungen, die gesetzlichen
kaum etwas davon. Das sollte uns zu denken geben. Deswegen sind wir der Meinung, dass es ein System, das
funktioniert, leistungsstark und zukunftssicher ist, nicht
verdient, hier angegriffen zu werden; eher muss man es
zur Grundlage der Überlegungen dazu machen, wie wir
insgesamt ein besseres Gesundheitssystem bekommen
können.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({10})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Annette WidmannMauz von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Die Berichterstattung und die heutige Debatte hier im
Parlament verwirren die Menschen mehr, als dass sie
aufklären.
({0})
Frau Künast, wenn sich draußen jemand heute von Ihnen
Aufklärung im Sinne von Verbraucherinformation erhofft hat, dann wurde er nur noch einmal mehr enttäuscht. Das, was Sie hier abgeliefert haben, war widersprüchlich. Ich nenne es Desinformation, was Sie heute
Morgen betrieben haben.
({1})
Die Union will die Strukturen des Gesundheitswesens
wettbewerbsfähiger, transparenter und effizienter gestalten. Unser Ziel ist es, die Versorgung über den Wettbewerb effizienter zu gestalten und daneben auch die
Wachstumspotenziale, die im Gesundheitssektor vorhanden sind, zu erschließen, ohne die Lohnnebenkosten
ständig weiter ansteigen zu lassen. Wir wollen, dass das
System transparenter wird, um den Versicherten mehr
Einflussmöglichkeiten auf ihre gesundheitliche Versorgung zu geben.
({2})
Heute weiß doch der Patient überhaupt nicht, ob seine
Kasse zu dem festgesetzten Beitragssatz eine kostengünstige Versicherung anbietet oder nicht. Er kann doch
heute nicht ermessen, welche Leistungen sein Arzt mit
seiner Krankenkasse verrechnet oder, um es anders auszudrücken, was der Arzt für die einzelne Behandlung
überhaupt erhält. Unser Ziel ist es deshalb, die Strukturen aus der Sicht der Versicherten neu zu ordnen. Wir
wollen anstelle des bevormundeten oder zwangsbeglückten Patienten den aufgeklärten, mündigen Patienten stellen. Diese Mündigkeit geht eben einher mit
einem Kostenbewusstsein für die Inanspruchnahme medizinischer Leistungen.
({3})
Deshalb wollen wir bei der ambulanten und bei der
zahnärztlichen Versorgung auch das Sachleistungsprinzip durch das Prinzip der Kostenerstattung ersetzen.
({4})
Auf der Grundlage einer neuen, verlässlichen und leistungsgerechten ärztlichen Vergütung in der gesetzlichen
Krankenversicherung sollte es doch dem Arzt möglich
sein, dem Patienten Auskunft über die erbrachten medizinischen Leistungen und die damit verbundenen Kosten
zu geben. Wir von der Union sind zuversichtlich, dass
eine Kostenerstattung in Verbindung mit Selbstbehalttarifen eine positive Steuerungswirkung entfalten würde.
({5})
Wir wissen auch, was uns immer entgegengehalten wird:
Härtefälle, die durch hohe Rechnungen oder bei einkommensschwachen Menschen auftreten. Dafür können unbürokratische Ausnahmeregelungen vorgesehen werden.
Der mündige Versicherte soll darüber hinaus auch in
der Lage sein, das Angebot der einzelnen Kasse sowohl
nach der Leistung als auch nach dem Preis beurteilen zu
können. Das ist doch wichtig. Er muss schließlich wissen, bei welcher Krankenkasse er sich am besten versorgt fühlt. Ein Gesundheitsfonds wäre doch ein Instrument, um diese Ziele zu erreichen: Die Beiträge von
Arbeitgebern und Arbeitnehmern könnten von einer
Stelle erhoben werden, Steuergelder könnten hinzukommen und diese Einnahmen auf die Zahl der Versicherten
umgelegt werden. Auf dieser Basis erhält die jeweilige
Kasse einen Betrag pro Versicherten zur Verfügung gestellt. Damit sichert die einzelne Krankenkasse den gesetzlichen Leistungskatalog. Bei der Fondslösung kann
ein Versicherter daran, ob seine Kasse einen Aufschlag
verlangt oder - dieser umgekehrte Fall ist genauso denkbar - auch einmal Geld an die Versicherten zurückgegeben werden kann, sehen, ob sie mit dem für ihn bereitgestellten Beitrag auskommt.
({6})
Ich sage Ihnen: Jeder Versicherte kann dann prüfen, ob
er mit dem Angebot, das die Kasse ihm macht, zufrieden
ist. Wenn er Preissensibilität spürt, wird er zum ersten
Mal auch wirklich ein Interesse haben, günstigere Tarife,
die die Kassen anbieten, auch anzunehmen.
({7})
Solche Überlegungen setzen natürlich zweierlei
Dinge voraus: Zum einen, dass unterschiedliche Risiken
wie zum Beispiel Alter und Geschlecht auch weiter vor
der Ausschüttung des Pauschalbeitrages an die Kassen
berücksichtigt werden und zwischen den Kassen ausgeglichen werden, und zum Zweiten, dass für Kassen und
Leistungserbringer mehr Vertragsmöglichkeiten bestehen, damit Wahltarife und damit ein Angebot für die
Versicherten überhaupt entwickelt werden kann.
Man liest ja immer wieder und auch heute in der Debatte bringen Sie es immer wieder ein, die Koalition
stemme sich gegen Änderungen an den Strukturen und
es finde zu wenig Wettbewerb statt. Dies ist schlicht und
ergreifend falsch. Schauen Sie doch einmal im Gesetz
nach - ein solcher Blick ist manchmal hilfreich -, welche vertraglichen Möglichkeiten es seit 2004 gibt. Krankenkassen und Leistungserbringer könnten sie konsequent wahrnehmen, aber sie tun es nicht, denn im
bestehenden System hat niemand wirklich Interesse daran.
Denken Sie an das AVWG, das wir erst vor einigen
Monaten hier verabschiedet haben. Darin haben wir zu
Beginn des Jahres Rabattverträge zwischen Kassen und
Arzneimittelherstellern vorgesehen. Bereits durch die
Absenkung der Festbeträge und die Möglichkeit der Zuzahlungsbefreiung bei besonders preiswerten Generika
ist es zu einer erheblichen Dynamik im Markt gekommen. Bereits zum 1. Juli werden Tausende von Präparaten wie einige Betablocker zum Beispiel zuzahlungsfrei
gestellt.
Schauen Sie heute in die Zeitung! Weitere Preissenkungen wurden angekündigt, zum Teil um 40 Prozent.
Wir wollen weitere Vertragsmöglichkeiten bei Preisverhandlungen zwischen Arzneimittelherstellern und Krankenkassen, damit mehr Wettbewerb in Schwung kommt,
mehr Markt möglich wird und die Versicherten zu einem
günstigeren Preis Arzneimittel erhalten können.
({8})
Um eine angemessene Grundlage für Preisverhandlungen und damit für Wettbewerb zu erhalten, brauchen wir
auch stärkere Bewertungen und Beurteilungen von Arzneimitteln und von anderen Therapieformen.
Ein weiterer Punkt, an dem gerne die Frage, ob wettbewerbliche Strukturen vorhanden sind oder nicht, festgemacht wird, ist die Frage nach dem Erhalt der Kassenärztlichen Vereinigungen. Auch heute wurde sie
wieder aufgebracht. Für die Grünen sind es die „Atomkraftwerke“ in der Gesundheitspolitik, die abgeschaltet
werden müssen. So wie in der Energiepolitik niemand
ernsthaft glaubt, den Strombedarf der Bundesrepublik
ganz ohne Atomkraftwerke decken zu können, gibt es
auch in der gesundheitspolitischen Fachwelt niemanden,
der wirklich glaubt, gänzlich auf Kassenärztliche Vereinigungen verzichten zu können,
({9})
höchstens Lobbygruppen, Herr Kuhn, die sich erhebliche Vorteile von ihrer Monopolstellung im System versprechen. Die würden sicherlich mächtig davon profitieren.
({10})
Selbst Krankenkassen halten dies nicht für wünschenswert. Wer sollte denn ansonsten die Qualitätssicherung bis in die einzelne Arztpraxis hinein vornehAnnette Widmann-Mauz
men? Wer sollte denn sonst die Versorgung in der
Uckermark oder im Bayerischen Wald sicherstellen?
Wer sollte denn sonst dafür geradestehen, dass Leistungen nicht uferlos erbracht werden? Oder wer sollte dem
Arzt, der in Managementfragen keine Ausbildung erfahren hat, weil er eben Medizin und nicht Betriebswirtschaftslehre studiert hat, die entsprechende Beratung geben? All diese Fragen bleiben bei Ihnen unbeantwortet.
Umgekehrt wagen sich dieselben Leute, die hier
große ideologische Schlachten schlagen, nicht an die
Kostenerstattung heran, obwohl damit die Kassenärztlichen Vereinigungen mit ihren Aufgaben wesentlich verschlankt werden könnten.
Die große Koalition wird die Kassenärztlichen Vereinigungen nicht abschaffen. Das haben wir im Koalitionsvertrag festgelegt. Sinnvoll wäre es aber sehr wohl,
die Vertragsmöglichkeiten für die Kassen zu erweitern.
Das heißt, es muss nicht alles kollektiv, gemeinsam und
einheitlich erfolgen, vielmehr müssen mehr Möglichkeiten zum Abschluss von Einzelverträgen geschaffen werden. Dabei können auf Kassenseite einzelne Kassen handeln oder sich in Gruppen zusammenschließen. Auf der
Ärzteseite können neben einzelnen oder Gruppen von
Ärzten auch Kassenärztliche Vereinigungen Vertragspartner sein. Das wäre eine zukunftsweisende Strukturreform.
({11})
Wir werden noch mehr auf den Weg bringen, als Sie
sich heute vorstellen können. Lassen Sie mich einmal
das Thema Bürokratieabbau ansprechen. Wenn es um
die DMPs geht, haben wir enorme Möglichkeiten, Bürokratieabbau bei den Kassen und in den Praxen zu beschleunigen. Auch darum geht es bei dieser Reform.
({12})
Schauen wir uns den Fonds an! Die Befürchtung, ein
Fonds sei ein bürokratisches Monster, entbehrt jeder
Grundlage. Der Beitragseinzug kann unbürokratisch gestaltet werden. Das wissen offenbar mittlerweile auch
die Kassen und ziehen gegen den Fonds oder das, von
dem sie meinen, dass es ein Fonds sein könnte, dramatisch
zu Felde. Warum denn? Von den 160 000 Beschäftigten
bei den Krankenkassen sind allein 30 000 mit dem Beitragseinzug beschäftigt.
Wenn wir dies in Zukunft etwas einfacher und mit geringerem bürokratischem Aufwand machen könnten,
({13})
dann wäre das im Interesse der Beitragszahlerinnen und
Beitragszahler und muss nicht von vornherein als tabu
erklärt werden. Für die Arbeitgeber könnte ein solches
Verfahren auch erhebliche Erleichterungen mit sich bringen. Heute muss ein Unternehmer mit seiner Personalabteilung alle Beiträge der 250 Kassen im Kopf haben, um
die Beiträge auch korrekt abführen zu können.
({14})
Mit einem Fonds muss er nur noch einen Beitrag und
eine Kontonummer im Kopf haben. Das ist doch eine
deutliche Verschlankung.
Zum Thema Risikostrukturausgleich gäbe es noch
viel zu sagen. Es gibt wohl keinen Bereich, meine Damen und Herren, in dem in den letzten Jahren so viel
Geld eingespart worden ist wie im Gesundheitssektor.
Mit dem Reformgesetz von 2004 konnte die angestrebte
Beitragssatzsenkung wegen der höheren Verschuldung
der Kassen als angenommen nicht vollständig erreicht
werden; aber die Beiträge blieben in den meisten Fällen
stabil. Außerdem wurden die Kassen entschuldet. Insgesamt hat dieses Gesetz 8 Milliarden Euro Schulden bei
den Kassen abgebaut und Ausgabensteigerungen in
Höhe von 6 bis 8 Milliarden Euro abgefangen. Es soll
mir einmal jemand hier ein anderes Sozialversicherungssystem nennen, das eine Einsparung in dieser Dimension
aus sich selbst heraus erbracht hat.
({15})
All diejenigen, die ständig fordern, wir müssten mehr
tun, sollten zuerst die Hausaufgaben in ihren Systemen
machen.
({16})
Dann wären wir schon deutliche Schritte weiter.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Meine Damen, meine Herren, die Anträge der Opposition, die heute zur Beratung vorliegen, tragen nicht
wirklich zur Problemlösung bei. Sie sind gut gemeint,
bleiben aber weit hinter dem zurück, was getan werden
muss, um den Wettbewerb in der gesetzlichen Krankenversicherung zu forcieren, die Transparenz zu erhöhen
und die Wahlmöglichkeiten der Versicherten auszuweiten. Wir werden nach der Sommerpause genügend Gelegenheit haben, einen guten Gesetzentwurf für eine
grundlegende Reform des deutschen Gesundheitswesens
zu beraten.
Herzlichen Dank.
({0})
Das Wort hat der Kollege Frank Spieth von der Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ob der
Entwurf, der uns vorgelegt werden wird, gut ist, werden
wir sehen. Hoffentlich wird den Menschen in diesem
Land dabei nicht schlecht. Die Gefahr ist nach dem, was
ich vorhin von Herrn Zöller gehört habe, sehr groß. Er
hat gesagt: Solidarität für die großen Risiken, Eigenverantwortung für die kleinen Risiken. - Damit meinte er:
Privatisierung der Lebensrisiken.
Wir haben deshalb - leider ist bisher dazu wenig gesagt worden - einen Antrag eingebracht, mit dem wir
eine weitere Privatisierung dieser Lebensrisiken, dieser
Gesundheitsrisiken beenden wollen, und zwar durch die
Abschaffung der Eintrittsgebühr.
({0})
Wir wollen eben keinen Gesundheitsfonds für Gesunde;
wir brauchen eine gesetzliche Krankenversicherung, die
die Leistungen bereitstellt, die Menschen benötigen,
wenn sie krank werden.
({1})
Genau dazu sind die Vorschläge zum Gesundheitsfonds,
die bisher öffentlich geworden sind, nicht eindeutig.
({2})
Die Eintrittsgebühr für die Inanspruchnahme eines
Arztes, Zahnarztes oder Psychotherapeuten, auch Praxisgebühr genannt, hat das eigentliche Ziel der damaligen übergroßen Koalition nicht erreicht. Sie wollte auch
durch die Eintrittsgebühr erreichen, dass die Lohnnebenkosten gesenkt und damit Arbeitsplätze geschaffen werden. Aber millionenfach können wir jetzt nachvollziehen: Dies ist nicht realisiert. Millionen Arbeitslose
können eine andere Erfahrung schildern.
({3})
Im aktuellen „Gesundheitsmonitor“ der BertelsmannStiftung wird festgestellt - das ist die letzte Erhebung
vom April 2006 -, dass die Anzahl der Arztkontakte
nach einem deutlichen Rückgang im Jahre 2004 und im
Frühjahr 2005 seit dem Herbst 2005 wieder angezogen
hat, allerdings mit deutlichen Differenzen in den unterschiedlichen Einkommensgruppen. Man kann bilanzierend
feststellen, dass die Eintrittsgebühr und die Zuzahlungsregelungen eine nach unserer Auffassung sozialstaatlich
nicht vertretbare Fehlentwicklung bewirken, sodass
Menschen mit geringem Einkommen und hohen Gesundheitsrisiken Arztkontakte vermeiden oder aufschieben. Dies gilt vor allem für die Einkommensgruppen bis
500 und bis 1 000 Euro im Monat.
Eine Arbeitslosengeld-II-Empfängerin in Weimar
schilderte mir auf bedrückende Art und Weise, dass sie
schon mehrfach vor der Entscheidung gestanden habe,
für sich und ihre Tochter Lebensmittel zu kaufen oder
die Eintrittsgebühr beim Arzt zu bezahlen. Nach den
Beratungen im Gesundheitsausschuss befürchte ich, dass
Sie den Antrag der Linksfraktion zur Abschaffung der
Praxisgebühr heute gemeinsam niederstimmen. Dies
wird bei den Betroffenen mit Sicherheit eine große Enttäuschung auslösen; denn es bestand die Hoffnung, dass
der Sachverstand möglicherweise doch größer als die
politische Engstirnigkeit ist.
({4})
Nach den vorhin gemachten Ausführungen befürchte
ich, dass Sie, meine Damen und Herren von der großen
Koalition, mit dem Gesundheitsfonds einen weiteren
großen Schritt in Richtung Zuzahlungen und Privatisierung der Gesundheitskosten gehen werden. Direktzahlungen der Patientinnen und Patienten zählen seit
25 Jahren zum neoliberalen Standardrepertoire und zur
politischen Begleitmusik von Gesundheitsreformen in
Deutschland.
({5})
Damit - das hat die FDP vorhin wieder gezeigt - feiert
die Idee von der so genannten Eigenverantwortlichkeit
und dem Rückzug des solidarischen und sozialen Ausgleichs fröhliche Urständ.
Neben zusätzlichen Einnahmen sollen Zuzahlungen
- das war immer die Aussage - eine Steuerung des Verhaltens der so genannten Verbraucherinnen und Verbraucher auf dem Gesundheitsmarkt bewirken, indem mit ihnen die vermeintlich überzogene Inanspruchnahme
kostenfreier Leistungen eingedämmt werden soll. Damit
sollen die Versicherten zu einer rationaleren Nutzung des
medizinischen Angebots bewegt und eine nicht näher
bestimmte Effizienz des Gesundheitswesens gesteigert
werden.
Doch bei näherem Hinsehen entpuppt sich dieses gängige Credo als grober Unsinn. Das einseitige Menschenbild vom Homo oeconomicus erklärt allenfalls einen
kleinen Teil des Verhaltens der so genannten Verbraucher am Gesundheitsmarkt. Die Erhebung von Selbstbeteiligungen und vor allen Dingen die Einführung von
Befreiungsregelungen erzeugen auf der anderen Seite
zusätzlichen Verwaltungsaufwand und Kosten. Die postulierte Unterscheidung zwischen sinnvoller und überflüssiger Inanspruchnahme ist nach meiner Auffassung
unsinnig und realitätsfremd und ist nirgendwo auf der
Welt wirksam geworden.
({6})
Eigenbeteiligungen setzen beim Verbraucherverhalten an. Die wichtigsten kostentreibenden Faktoren neben
dem medizinisch-technischen Fortschritt sind allerdings
- das sagt jeder Experte - das Anbieterverhalten und die
Honorierung der Anbieter. Patientenzuzahlungen wirken
vor allem auf den Erstkontakt mit dem Gesundheitswesen und auf einfachere, preisgünstige Leistungen.
Weitergehende Untersuchungen und vor allem teure
Diagnostik und Therapie erfolgen danach. Eigenbeteiligungen führen nicht zum erwünschten Verzicht auf ärztliche Behandlung oder medikamentöse Therapie.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme zum Ende.
Zuzahlungsbefreiungen sind aufwendig. Sie verschlingen einen Teil der Mehreinnahmen und können die
erzeugten Ungerechtigkeiten nur teilweise und allenfalls
nachholend ausgleichen. Optimale Zuzahlungen - das
kann man mit Blick auf die in der Fondslösung angedeuteten Maßnahmen sagen - sind Elfenbeintürme. Sie sind
extrem aufwendig und beruhen zudem auf falschen Prämissen.
Ich wünsche mir, dass Sie unserem Antrag zustimmen.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf der Ehrentribüne hat soeben der Parlamentspräsident der Republik Indien, Herr Chatterjee, mit seiner Delegation
Platz genommen.
({0})
Im Namen aller Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages begrüße ich Sie sehr herzlich. Herr
Präsident, es ist uns eine große Freude, Sie und Ihre Begleitung zu einem offiziellen Besuch zu Gast zu haben.
Der Deutsche Bundestag misst der Zusammenarbeit unserer Parlamente große Bedeutung bei.
Für Ihren Aufenthalt und für Ihr weiteres parlamentarisches Wirken begleiten Sie unsere besten Wünsche.
({1})
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Kollegin Birgitt Bender vom Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In einer
großen Koalition soll angeblich richtig zugepackt werden.
({0})
Was erleben wir? Seit neun Wochen wird verhandelt und
jeden Tag wird eine neue Sau durch die Presselandschaft
getrieben.
({1})
Das heißt, es gibt nach wie vor keine Einigung. Da mag
man fast die alten Zeiten loben. Damals hat Rot-Grün
sich mit der Union zusammengesetzt. Wir haben drei
Wochen lang verhandelt und dann hatten wir ein Ergebnis. Nehmen Sie sich mal ein Beispiel an unserer damaligen Arbeitsmoral!
({2})
Was ist bisher zustande gekommen? Ich höre gewisse
Worte, die mir gefallen, etwa: Wettbewerb. Mehr Wettbewerb solle es geben. In der Tat, darum geht es uns.
Aber was hören wir gleichzeitig, Herr Zöller? Sie verteidigen den Schutzzaun um die private Krankenversicherung.
({3})
Dort gibt es doch gerade keinen Wettbewerb. Nicht alle
können sich aussuchen, in welche Versicherung sie gehen.
({4})
Es gibt einen Schutzzaun um die PKV. Die sucht sich
die Leute danach aus, ob sie auch gesund genug sind
({5})
und keine Risiken mitbringen.
({6})
Schaffen Sie doch endlich Wettbewerb und entsprechende Rahmenbedingungen, damit die Versicherten
von einer Versicherung zur anderen, so wie sie es wollen, wandern können. Stattdessen verteidigen Sie, fröhlich sekundiert von der FDP, die derzeitige Arbeitsweise
der PKV. Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Wozu führt
denn die Tatsache, dass die private Krankenversicherung
bessere Arzthonorare zahlt? Das führt dazu, dass es sehr
viele Ärzte am Starnberger See gibt.
({7})
Aber versuchen Sie einmal, in Berlin-Neukölln einen
Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten zu finden!
Das heißt, die private Krankenversicherung bietet eine
Medizin für die Reichen und Schönen. Da gibt es Überversorgung. Die anderen bekommen den Rest. Das ist
doch keine akzeptable Steuerungswirkung in einem sozialen Sicherungssystem!
({8})
Wettbewerb wäre in der Tat gut. Es geht um den richtigen Suchmechanismus für Innovationen in der
Gesundheitsversorgung. Was höre ich stattdessen
schon wieder von der Union? Die Ärztekartelle seien
gut.
({9})
Frau Widmann-Mauz, wenn Sie das gleich mit einem
Bekenntnis zur Atomkraft verbinden, kann man dazu nur
sagen: Sie haben eine Vorliebe für Dinosaurier, zeigen
aber keine Reformbereitschaft.
({10})
Ich höre von Frau Merkel immer „Mehr Freiheit wagen!“ und das Bekenntnis zur Marktwirtschaft. Dann
fangen Sie doch einmal an! Setzen Sie die Fachärzte
doch der Marktwirtschaft aus und schaffen Sie in den
Apothekenzünften endlich einmal Marktwirtschaft! So
können Sie die Worte von Frau Merkel realisieren und
brauchen nicht nur große Worte zu schwingen. Aber ich
sehe nicht, dass das passiert.
({11})
Statt den frischen Wind des Wettbewerbs in das Gesundheitswesen zu bringen, diskutieren Sie über mehr
Staat. Jetzt wird - wir haben es gehört - ein Fonds geschaffen.
({12})
Da wird erst einmal der Beitragseinzug verstaatlicht,
übrigens mit der Folge, dass dies doppelt so viel kostet,
und die Beitragshöhe staatlich festgesetzt, was früher die
Kassen gemacht haben. Dann soll noch eine Mindestzahl
von Versicherten festgelegt werden, die eine Kasse haben muss.
({13})
Stellen Sie sich einmal vor, das würden wir mit den
Bäckern machen! Nennt man so etwas etwa Marktwirtschaft? Schließlich wollen Sie noch einen Einheitsdachverband der Krankenkassen schaffen, damit sie auch
wirklich als Einheitsfront sprechen. Nennt man so etwas
etwa Marktwirtschaft und Wettbewerb?
({14})
Das ist doch Etatismus pur, was Sie da vorhaben.
({15})
Was bewirkt denn Ihr Gesundheitsfonds, der nach
Aussagen der Frau Staatssekretärin angeblich zu einer
nachhaltigen Finanzierung beitragen soll? Er schafft
mehr Bürokratie.
({16})
Dann wird zusätzlich eine so genannte kleine Kopfpauschale eingeführt. Das heißt, es gibt mehr Verwaltungsaufwand und eine größere soziale Belastung der
Versicherten. So etwas hat den Namen „Reform“ nicht
verdient.
({17})
Schließlich wird jeden Tag darüber diskutiert, welche
Steuer man jetzt wieder erhöhen könnte: erst die Mehrwertsteuer - das haben Sie schon beschlossen -, dann
die Einkommensteuer. Das weiß man natürlich nicht so
genau; denn hier hat Rot-Grün gerade erste Reformen
durchgeführt und eigentlich wollte die Union die Tarife
weiter senken. Dann kam man auf einen Gesundheitssoli. Jetzt haben wir schon den Soli für den Osten; ein
Soli für die Hüfte wäre vielleicht verfassungsrechtlich
schwierig. Jetzt lese ich: Wir stricken uns eine neue
Steuer. Diese neue Steuer muss allein dem Bund und
darf nicht den Ländern zustehen. Sie darf die Betriebe
nicht belasten und nicht mit Absetzmöglichkeiten verbunden sein.
Was machen Sie da eigentlich? Sie sind ein Kränzchen, in dem man sagt: Wir häkeln uns einen Geldsack.
Soll man so etwas etwa eine Reform nennen?
({18})
Ich sagen Ihnen noch etwas: Auch wenn Sie jetzt beschließen, der Krankenversicherung Steuermittel in größerem Umfang - Sie haben der Krankenversicherung gerade erst 5 Milliarden Euro genommen - wieder
zukommen zu lassen, werden die dafür notwendigen
Steuererhöhungen nicht zum nächsten Ersten greifen.
Zum nächsten Ersten haben Sie jedoch ein Finanzloch in
der Krankenversicherung in der Größenordnung von voraussichtlich 7 Milliarden Euro. Ich möchte einmal wissen, wie Sie das stopfen wollen.
Ich höre immer Herrn Ramsauer und andere, die
plötzlich darüber philosophieren, welche Leistungen
man aus dem Angebot der Krankenversicherungen rausnehmen könnte, die die Versicherten dann privat absichern können, so zum Beispiel Risikosportarten. Ich
sage Ihnen dazu eines: Die am weitesten verbreitete Risikosportart in unserer Gesellschaft ist was? - Der Fußball. Wir reden hier nicht über die Wade von Michael
Ballack, sondern über die Vereine, in denen junge Männer und zunehmend auch junge Frauen - zum Beispiel
als Kinder von Migranten - in diese Gesellschaft aufgenommen werden und einen Platz finden. Sie wollen womöglich das Signal setzen, das sei ein Luxus, der Solidarität nicht verdient habe. Dazu sage ich nur: Pfui, das ist
keine Reform.
({19})
Das Wort hat jetzt der Kollege Christian Kleiminger
von der SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn wir heute darüber reden, wie das solidarische Gesundheitssystem auch in Zukunft nachhaltig finanziert
und gesichert werden soll, dann muss man natürlich
auch über eine effiziente Nutzung der vorhandenen Finanzmittel sprechen. Dabei geht es nicht allein um die
Kosten, sondern darum, wie man den Betroffenen am
besten helfen kann.
({0})
Unsere Idee, die starren Grenzen zwischen stationärer
und ambulanter medizinischer Versorgung aufzuweichen, zieht sich dabei wie ein roter Faden durch alle gesundheitspolitischen Überlegungen. Ein variableres Versorgungsangebot wird die Qualität erheblich verbessern.
Mir ist es wichtig, in diesem Zusammenhang ein
Thema anzusprechen, mit dem wir uns leider in der Gesellschaft, aber auch hier im Parlament, noch zu wenig
auseinander setzen. Es geht mir um die Hospizarbeit
und die Palliativmedizin. Die Koalition hat dieses wichtige Thema erkannt und deshalb auch bereits im Koalitionsvertrag Verbesserungen vereinbart, um Menschen
ein Sterben in Würde zu ermöglichen. Wenn alle Betroffenen wissen, dass Sterben ohne Schmerzen durch bestmögliche Versorgung Lebensqualität bis zum Schluss
wahren kann, werden auch die Diskussionen um die aktive Sterbehilfe verstummen.
({1})
Bei meinen Besuchen in den ambulanten und stationären Hospizen - auch in meinem Wahlkreis Rostock wurde mir vermittelt, dass Anspruch und Wirklichkeit
hier leider noch immer zu weit auseinander klaffen. Das
müssen wir ändern und konkrete Rahmenbedingungen
für diesen Bereich schaffen. Bestmögliche palliative
Versorgung darf in Zukunft nicht weiter vom Wohlwollen der jeweiligen Krankenkassen und deren Medizinischer Dienste abhängen.
({2})
Deshalb muss ein Ziel des großen Pakets, das wir
schnüren, sein, einen flächendeckenden Zugang zu palliativmedizinischer und pflegerischer Versorgung und einen individuellen Leistungsanspruch hierauf für alle
Menschen zu schaffen. Dieser Zugang muss auch ambulant möglich sein, sodass schwer kranke und sterbende
Menschen länger und besser in ihrer häuslichen Umgebung versorgt werden können. Das ist der Wunsch vieler
Menschen.
({3})
Die bereits in Modellregionen - wie in Mecklenburg erprobten Palliative-Care-Teams, die sich aus speziell
ausgebildeten Ärzten und Pflegern zusammensetzen,
konnten in der Vergangenheit bereits gute Erfahrungen
sammeln. Dabei geht es um ein Nebeneinander von ambulant und stationär, von höchstem medizinischem und
pflegerischem Standard und ehrenamtlichem Engagement.
({4})
Lassen Sie mich an dieser Stelle gerade Letzteres, das
bürgerschaftliche Engagement der vielen Ehrenamtlichen, würdigen. Ohne sie wäre unsere Gesellschaft um
einiges ärmer.
({5})
Die Zahl der sterbenden und schwer kranken Menschen wird in den nächsten Jahren weiter zunehmen.
Deswegen ist es wichtig, dass auch dieser Aspekt schon
heute in die Diskussion einfließt. An dieser Stelle sollten
wir uns fragen: Was sind uns Leben und Sterben in
Würde wert? Ich bin der Auffassung, dass es uns viel
wert sein muss.
Vielen Dank.
({6})
Herr Kollege Kleiminger, ich gratuliere Ihnen zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag.
({0})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Rolf Koschorrek
von der CDU/CSU-Fraktion.
({1})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute
trifft uns unvermittelt die geballte Kraft der Opposition
zu Themen, die noch gar nicht auf dem Tisch liegen. Das
ist schon sehr interessant.
Uns liegen vier Anträge zu fast allem, was in der Gesundheitspolitik in den letzten Jahren passiert ist, vor:
viel Papier, aber nichts Erhellendes. Die Fraktion der
Linken beantragt die Abschaffung der Praxisgebühr. Die
Grünen sind dafür, die Praxisgebühr beizubehalten. Sie
beantragen die Einführung der Bürgerversicherung. Das
ist ein altes Lieblingsprojekt der Grünen, das sie aber in
den sieben Jahren, in denen sie das hätten machen können, nicht umgesetzt haben. In einem zweiten Antrag geben sie vermeintlich gute, aber durchaus verzichtbare
Ratschläge für die aktuellen Verhandlungen über die Reform der gesetzlichen Krankenversicherung und kritisieren vorab, was sie nur vom Hörensagen kennen. Die
Fraktion der FDP schließlich beantragt heute, dass das
Gesundheitssystem zu reformieren sei, und sagt, nach
welchen Kriterien dies nach ihrer Auffassung erfolgen
sollte.
({0})
- Dazu komme ich gleich.
Im Gesundheitsausschuss besteht zwischen CDU/
CSU, SPD, Grünen - das gilt weitgehend auch für die
FDP - ein breiter Konsens darüber, dass sich die Praxisgebühr seit ihrer Einführung vor zwei Jahren durchaus
bewährt hat. Sie hat nicht nur eine finanzielle Entlastung
der Kassen um jährlich rund 2 Milliarden Euro erbracht,
sondern auch die beabsichtigte Steuerungswirkung entfaltet. Die Versicherten suchen vermehrt den Hausarzt
als zentrale Anlaufstelle auf und die Zahl der Arztkontakte wurde zugunsten einer zeitintensiveren und qualitativ besseren ärztlichen Beratung verringert. Die Praxisgebühr führte offensichtlich dazu, dass die Versicherten
die ärztlichen Leistungen bewusster in Anspruch nehmen. Studien des Wissenschaftlichen Instituts der AOK
belegen dies eindeutig. Die Eigenverantwortung der Versicherten wurde gestärkt. Durch die Härtefallregelung ist
gleichzeitig sichergestellt, dass in Deutschland niemand
wegen der Praxisgebühr auf qualifizierte medizinische
Hilfe verzichten muss.
({1})
Die Realität ist: In Deutschland muss niemand auf den
Arztbesuch verzichten, weil er die Praxisgebühr nicht
aufbringen kann.
({2})
Vorsorgeuntersuchungen sind ebenso wie die Untersuchung und Behandlung von Kindern von dieser Gebühr gänzlich ausgenommen. Die Belastungsgrenze für
die Praxisgebühr und die Zuzahlungen liegt bei 2 Prozent des jährlichen Bruttohaushaltseinkommens. Im Jahr
2004 waren 6 643 362 erwachsene Personen von der
Praxisgebühr und den Zuzahlungen, die über die gesetzlich festgelegte Belastungsgrenze hinausgehen, befreit.
Darunter waren zu 90 Prozent chronisch Kranke, für die
die Belastungsgrenze von 1 Prozent ihres Haushaltseinkommens gilt. Hinzu kommen über 12 Millionen Kinder, die von den Gebühren und Zuzahlungen gänzlich
befreit sind.
Wir können zweieinhalb Jahre nach Einführung der
Gebühr sagen: Sie hat sich nicht nur als finanzielle Entlastung der Kassen bewährt, sondern sie hat sich auch als
sinnvolles Instrument zur Stärkung der Eigenverantwortung der Versicherten erwiesen.
Nach meiner Überzeugung wird die Eigenverantwortung im Gesundheitsbereich künftig, im Vergleich
zu den vergangenen Jahren, eine zunehmend wichtige
Rolle spielen. So ist es auch im Koalitionsvertrag unter
der Überschrift „Soziale Sicherheit verlässlich und gerecht gestalten“ vereinbart. Dort heißt es:
Eigenverantwortung und Eigeninitiative müssen
gestärkt werden und Solidarität ist nicht nur innerhalb der einzelnen Generationen, sondern auch zwischen den Generationen gefordert.
({3})
Vielfach wird suggeriert, Eigenverantwortung und
Solidarität seien Gegensätze. Darum möchte ich hier
ganz deutlich bewusst machen: Eigenverantwortung und
Solidarität stehen nicht im Gegensatz zueinander. Vielmehr müssen sie sich im gesellschaftlichen Leben ergänzen. Eigenverantwortung und Solidarität, ebenso wie
Freiheit, sind gleichwertige Grundsätze unserer Gesellschaft.
Deswegen können die Fragen, die sich stellen, nur
lauten: Wie weit geht die Eigenverantwortung des Einzelnen? Wann kommen die Verpflichtung zur Solidarität und das Anrecht des Einzelnen auf Solidarität zum
Tragen? Eine der fundamentalen Grundüberzeugungen
der Politik der Union lautet: Die individuelle Verantwortung hat Vorrang gegenüber dem staatlichen Handeln.
Der Einzelne trägt nach seinen jeweiligen Fähigkeiten
und Möglichkeiten, nach seiner individuellen Leistungsfähigkeit Verantwortung für sich und für die Gesellschaft.
({4})
Er ist zunächst für sich selbst verantwortlich. Darüber
hinaus hat er einen Anspruch auf Solidarität und ist zugleich - so weit es in seinen Kräften steht - zur Solidarität mit anderen verpflichtet.
({5})
Dieses Grundprinzip hat ganz wesentlich mit dem C
in unserem Parteinamen zu tun. Unsere Basis ist das
christliche Menschenbild und die Überzeugung, dass
das staatliche Zusammenleben nach dem Subsidiaritätsprinzip zu organisieren ist. Das werden wir uns auch von
Ihnen, Frau Künast, mit Sicherheit nicht absprechen lassen.
({6})
Die Ehrlichkeit gebietet es, zu sagen, dass das Gesundheitswesen durch unsere Bevölkerungsentwicklung
und den Fortschritt in allen Bereichen der Medizin in
Zukunft trotz aller Sparbemühungen nicht auf dem heutigen Ausgabenniveau zu halten sein wird. Es wird teurer werden. Die Bundeskanzlerin sagte dies auch in der
vergangenen Woche in der Haushaltsdebatte, dass wir
zur Finanzierung des Systems die solidarische Grundlage verbreitern müssen. Zugleich müssen wir allerdings
auch nach Einsparmöglichkeiten suchen. Ob eine Senkung der Kosten in großem Umfang wirklich möglich
sein wird, möchte ich jetzt dahingestellt sein lassen. Ich
bin aber überzeugt, dass eine Begrenzung der künftigen
Kosten, zum Beispiel durch eine obligatorische Selbstbeteiligung der Versicherten, durch Rückerstattungen,
durch mehr Transparenz und durch Kostenerstattungen
im System nicht nur möglich, sondern durchaus anzustreben ist.
({7})
Die Versicherten sind mündige und verantwortungsbewusste Bürger. Es muss ihnen die Möglichkeit gegeben werden, sich als solche zu verhalten. Es besteht in
meinen Augen kein Anlass, sie zum Beispiel in Unkenntnis darüber zu lassen, wie hoch die Kosten für die
medizinische Versorgung, die sie in Anspruch nehmen,
sind. Wir müssen die Versicherten zu einem bewussten
und verantwortungsvollen Umgang mit ihrer Gesundheit, zu einem gesundheitsbewussten Leben, zur Prophylaxe und zu einem bewussten Umgang mit der Inanspruchnahme medizinischer Leistungen motivieren.
Wenige Tage vor Bekanntgabe des neuen Konzepts
der Bundesregierung für die Reform unseres Gesundheitssystems hat die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen wieder den alten Hut der Bürgerversicherung hervorgeholt, die sie - ich muss mich leider wiederholen in den sieben Jahren, in denen sie selbst Verantwortung
trug, nicht realisiert hat.
({8})
Warum haben Sie das damals nicht getan? Sie hatten es
in der Hand. Was soll dieses Verhalten jetzt? Sie hängen
offensichtlich immer noch Ihrem alten Modell von gestern und vorgestern nach.
({9})
Zugleich treten Sie hier als voreilige Bedenkenträger
gegen das neue Konzept der großen Koalition auf, über
dessen Details erst in den nächsten Tagen entschieden
wird. Einer Ihrer Hauptkritikpunkte ist, dass die Einrichtung eines Gesundheitsfonds, wie er seit einigen
Wochen öffentlich im Gespräch ist, mit hohem Verwaltungsaufwand verbunden wäre. Es ist doch eine Binsenweisheit, dass alles Neue zunächst einmal mit organisatorischem Aufwand, mit Arbeit und Unbequemlichkeit
verbunden ist.
({10})
Das darf doch aber kein Grund dafür sein, sinnvolles
Neues abzulehnen und alles beim Alten zu lassen.
({11})
Die große Koalition hat den Auftrag und die Verpflichtung, das Gesundheitssystem gründlich zu reformieren und zukunftsfähig zu gestalten. Wir nehmen diesen Auftrag ernst und sind bereit, uns von alten Zöpfen
zu trennen und etwas Neues in Angriff zu nehmen. Wir
schauen nach vorn und sind sicher, dass die Bürger zusammen mit den Beschäftigten im Gesundheitswesen,
mit den Leistungserbringern und mit den Krankenkassen
flexibel genug sind, etwas Neues, Effektives auf den
Weg zu bringen und die Akzeptanz dafür zu wecken.
Kurz vor Toresschluss hat die FDP-Fraktion noch
schnell und offensichtlich sehr eilig einen Antrag formuliert, um ihn hier und heute auf die Tagesordnung setzen
zu lassen.
({12})
Ihr Antrag beinhaltet eine plakative Aufzählung von
gängigen Schlagworten wie „Effizienz“, „Transparenz“
und „Nachhaltigkeit“. Aber die wichtigen Finanzierungsfragen im Hinblick auf die Einnahmeseite der
GKV lässt die FDP völlig außen vor.
({13})
Dieser Antrag der FDP sieht schwer nach einer Verlegenheitslösung aus. Er demonstriert eigentlich nur Ihren
Willen, auf plakative Weise eine Daseinsberechtigung
vorzutragen.
({14})
Die CDU/CSU lehnt die vorliegenden Anträge der
Opposition ab. Diese Anträge wenige Tage vor Bekanntgabe unseres Konzepts vorzulegen, ist allzu durchsichtig. Es liegt auf der Hand, dass die Oppositionsfraktionen hier und heute schnell noch einmal Verunsicherung
streuen und vorab die Position der Koalitionsfraktionen
und der Bundesregierung austesten wollen.
Die Koalition ist sich über die Ziele der Gesundheitsreform einig. Über den Weg, wie wir diese Ziele erreichen, verhandeln wir. Die Ergebnisse dieser Verhandlungen werden wir in wenigen Tagen bekannt geben.
Danke schön.
({15})
Als letzter Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt
gebe ich das Wort der Kollegin Elke Ferner von der
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Es
ist eigentlich wie immer: Je näher eine Entscheidung
rückt, umso größer werden die Spekulationen, nicht nur
in der Presse, sondern auch im Deutschen Bundestag.
({0})
Es liegen einige Anträge vor, in denen es unter anderem um die Finanzsituation der GKVen geht. Ich muss
sagen - das ist manchmal schon etwas merkwürdig -:
Alle reden im Moment darüber, an welchen Stellen Ausgaben gekürzt werden müssen. Herr Bahr hat eben darauf hingewiesen, dass die versprochenen Beitragssatzsenkungen nicht durchgeführt worden sind. Das ist
richtig. Sie haben dabei aber verschwiegen, dass sich die
Einnahmebasis der gesetzlichen Krankenversicherung
anders entwickelt hat, als man es, als es damals um das
GMG ging, angenommen hatte.
({1})
Das, sehr geehrter Herr Kollege, hat natürlich auch etwas mit der Entwicklung der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse und mit den Tarifabschlüssen zu tun. All das muss man mitberücksichtigen.
({2})
- Ich glaube nicht, dass das unsere Arbeitsmarktpolitik
war.
({3})
Das hängt auch damit zusammen, dass die Wirtschaft die
Angebote, die ihr gemacht wurden, nicht genutzt hat.
({4})
Trotz Steuersenkungen und trotz der Senkung der Lohnnebenkosten sind keine zusätzlichen Arbeitsplätze geschaffen worden und keine zusätzlichen Beschäftigungsverhältnisse entstanden.
({5})
Hinzu kommt, dass, während die Beitragsleistungen
aus sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung sinken, die Einkünfte wie Mieten, Pachten, Zinsen, Dividenden und Unternehmensgewinne steigen. Diese
Einnahmen werden zur Mitfinanzierung des Gesundheitswesens gegenwärtig noch nicht herangezogen.
Wenn aber alle in dieser Republik Gesundheitsschutz haben sollen, wenn alle dann, wenn sie krank sind, die notwendige medizinische Behandlung erhalten sollen und
wenn alle am medizinischen Fortschritt teilhaben sollen,
dann darf man die Finanzierung dessen nicht auf immer
weniger und immer schmalere Schultern verteilen. Sie
wollen das offensichtlich tun.
({6})
Wir wollen eine gerechte und solidarische Finanzierung unseres Gesundheitswesens. Jeder soll an dieser
Finanzierung nach seiner individuellen Leistungsfähigkeit beteiligt werden.
({7})
Deshalb wollen wir als SPD den Einstieg in eine neue
Säule der Finanzierung. Wir wollen, dass das über eine
Steuer finanziert wird.
({8})
Da Frau Künast eben gesagt hat, Steuererhöhungen
seien konjunkturschädlich, muss ich eine Gegenfrage
stellen. Was ist konjunkturschädlicher: die Steuern zu erhöhen und mit diesen Steuermehreinnahmen für alle die
Beitragssätze zu senken,
({9})
oder die gegenwärtige Höhe der Steuern und Beitragssätze beizubehalten, allerdings unter der Maßgabe, dass
das Beitragsaufkommen von sehr viel weniger Menschen erbracht werden muss? Ich glaube, die Lösung, die
Frau Künast eben vorgestellt hat, ist nicht gerecht und
nicht solidarisch.
({10})
Nun komme ich zum zweiten Punkt, den ich ansprechen möchte. Da viel über das Fondsmodell diskutiert
wird, sage ich noch einmal: Für uns ist nicht entscheidend, was oben drauf steht, sondern was innen drin ist.
Hier gibt es zwischen uns und der Union noch Differenzen. Es wäre falsch, das zu leugnen. Frau WidmannMauz hat sich eben für eine feste Prämie ausgesprochen.
Wir sind der Auffassung, man kann durchaus ein Finanzstrommodell innerhalb eines solchen Fonds entwickeln,
ohne dass man am Ende eine feste Prämie braucht. Da
gibt es noch Diskussionspunkte; das braucht man nicht
unter den Tisch zu kehren.
({11})
- Wofür wir den Fonds brauchen? Wenn Sie ein bisschen
nachdenken, dann kommen Sie darauf, lieber Herr
Kollege: Wir haben heute zwischen den gesetzlichen
Krankenversicherungen einen Ausgleich von lediglich
92 Prozent. Über einen solchen Fonds könnte man einen
Ausgleich zu 100 Prozent und einen risikoadjustierten,
krankheitsbedingten RSA einführen.
({12})
- Stellen Sie mir doch eine Zwischenfrage, statt so herumzuschreien.
({13})
- Gut, dann halten Sie sich etwas zurück mit Ihren Zwischenrufen.
Ich möchte noch ein Wort zur privaten Krankenversicherung sagen, weil da in den letzten Wochen einiges
an Fehl- und Desinformationen aufgetaucht ist. Wir haben gehört, das PKV-System stütze das GKV-System finanziell und deshalb sei eine Einbeziehung der PKV in
ein solches Fondsmodell nicht möglich; überdies dürfe
ein Steuerzuschuss nicht ausschließlich der GKV zufließen, auch die PKV müsse davon etwas haben.
Diese Behauptungen sind schlicht und ergreifend
falsch. Denn zunächst einmal ist es doch so: Die private
Krankenversicherung versichert die Einkommensstärkeren. Wenn man sich einmal anschaut, wie die Durchschnittseinkommen der PKV-Versicherten und die der
GKV-Versicherten aussehen, muss man feststellen, dass
erstere im Verhältnis über 63 Prozent höher liegen. Dann
versichert die PKV auch noch die Gesünderen - die Risikoselektion ist ja eben schon angesprochen worden und in der PKV sind wesentlich weniger Ältere versichert, wodurch die PKV weniger Belastungen zu tragen
hat, was ihre Ausgabenstruktur anbelangt. Hinzu
kommt: Ohne die gesetzliche Krankenversicherung gäbe
es in vielen Regionen dieser Republik für die privat Versicherten keinen Arzt, keine Ärztin, kein Krankenhaus,
wo sie sich behandeln lassen können.
({14})
Wir haben eben über Steuern und Selbstverantwortung gesprochen und darüber, was die PKV-Versicherten
alles selber bezahlen würden. Ich habe mir die Zahlen
herausgesucht - manchmal genügt ja einfach ein Blick
auf die Zahlen -: Nach eigenen Angaben geben die privaten Krankenversicherungen für Leistungen für ihre
Versicherten 16,5 Milliarden Euro aus. Wenn man sich
einmal anschaut, was die öffentliche Hand für Beihilfe
ausgibt, stellt man fest, dass das im letzten Jahr
8,5 Milliarden Euro gewesen sind. Und woher kommt
die Beihilfe? Sie wird aus Steuern finanziert.
({15})
Wenn man das einmal ins Verhältnis setzt, dann heißt
das, dass zu dem, was die PKVs für Gesundheitsleistungen ausgeben, über die Hälfte aus Steuern zugeschossen
wird. Deshalb kann ich die Frage, welches System hier
welches stützt, nur so beantworten: Die gesetzlich Versicherten stützen das Gesundheitssystem insgesamt, von
dem die PKV-Versicherten profitieren, und die Steuerzahler stützen das PKV-System zusätzlich.
({16})
Deshalb sind wir der Auffassung, dass bei einer neuen
Finanzierung das PKV-System einen Solidarbeitrag für
das gesamte Gesundheitssystem leisten muss.
Ich möchte einen letzten Punkt ansprechen. Es werden ja immer gerne große Einsparvorschläge gemacht von denen, die sich auskennen, eher aber noch von denen, die sich nicht so gut auskennen. Wir haben - das hat
Frau Widmann-Mauz eben schon angesprochen - in den
letzten Jahren Erhebliches geleistet: Im Saldo sind die
Kassen schuldenfrei. Vieles mussten die Versicherten
bzw. die Patienten alleine tragen. Insgesamt sind beim
GMG und bei anderen Maßnahmen 13,2 Milliarden
Euro mobilisiert worden. Wer sagt, das Einsparvolumen
aus Strukturveränderungen - die bekanntermaßen immer
erst nach einer gewissen Zeit greifen - sei immer noch
zu klein, verkennt, dass wir nicht bei null anfangen. Es
ist, wie gesagt, schon einiges getan worden in den letzten
Jahren; sonst wäre das alles viel weiter aus dem Ruder
gelaufen.
Wenn ich jetzt höre, private Unfälle sollten aus dem
Leistungskatalog ausgegliedert werden - das habe ich
diese Woche von Herrn Ramsauer gelesen; ich habe gelesen, die Unionsministerpräsidenten wollten das -,
muss ich sagen: Das ist wirklich grober Unfug!
({17})
Man muss sich das einmal praktisch vorstellen: Bekommt man einen Herzinfarkt im Bett, zahlt die Krankenkasse. Bekommt man einen Herzinfarkt nach einem
Unfall, dann soll die Unfallversicherung bezahlen. Erleidet man einen Unfall, weil man einen Herzinfarkt hat,
dann werden Heerscharen von Rechtsanwälten beauftragt. Wer so etwas vorschlägt, der versucht nicht, Kosten zu sparen, sondern lediglich zu verschieben. Insofern
kann ich die Union nur bitten, von diesem Vorschlag abzurücken.
({18})
Ein Letztes zum Antrag der Linken. Sie wollen die
Praxisgebühr abschaffen. Was heißt das denn? Diejenigen, die heute ein niedriges Einkommen haben und die
Belastungsobergrenze sehr schnell erreichen - die berühmten Empfänger von ALG II -, werden davon überhaupt nicht profitieren; es dauert lediglich etwas länger,
bis die Belastungsobergrenze erreicht wird. Profitieren
würden aber diejenigen, die die Belastungsobergrenze
nicht erreichen, was bekanntermaßen nicht diejenigen
sind, die wenig verdienen, sondern diejenigen, die eher
viel verdienen. So viel zu Ihrem Thema Gerechtigkeit.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({19})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Gesundheit auf Drucksache 16/2002 zu
dem Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen
mit dem Titel „Dem Solidarsystem eine stabile Grund-
lage geben - für eine nachhaltige Finanzierungsreform
der Krankenversicherung“. Der Ausschuss empfiehlt,
den Antrag auf Drucksache 16/950 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfeh-
lung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und
der Fraktion der FDP gegen die Stimmen des Bündnis-
ses 90/Die Grünen und bei Enthaltung der Fraktion Die
Linke angenommen.
Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion
Die Linke zur Änderung des Fünften Buches Sozialge-
setzbuch auf Drucksache 16/451. Der Ausschuss für Ge-
sundheit empfiehlt auf Drucksache 16/1753, den Gesetz-
entwurf abzulehnen. Die Fraktion Die Linke verlangt
namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerin-
nen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzu-
nehmen. - Sind jetzt alle Urnen mit Schriftführerinnen
und Schriftführern besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne
die Abstimmung.
Ist noch ein Abgeordneter anwesend, der seine
Stimme nicht abgegeben hat? - Ich schließe die Abstim-
mung und bitte, mit der Auszählung zu beginnen. Das
Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt ge-
geben.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/1928 und 16/1997 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? - Es gibt keinen Wider-
spruch. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen jetzt zu Überweisungen im verein-
fachten Verfahren.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 37 b bis 37 g sowie
die Zusatzpunkte 3 a bis 3 h auf:
37 b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur
Änderung des Betriebsrentengesetzes
- Drucksache 16/1936 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({0})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzes zur
Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes
sowie zur Änderung des Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetzes und anderer Vorschriften
- Drucksache 16/1937 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({1})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur
Änderung des Gesetzes zur Verbesserung der
personellen Struktur beim Bundeseisenbahnvermögen und in den Unternehmen der Deutschen Bundespost
- Drucksache 16/1938 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({2})
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
e) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ver-
trag vom 13. April 2005 zwischen der Bundes-
republik Deutschland und dem Königreich der
Niederlande über den Zusammenschluss der
deutschen Bundesstraße B 56n und der nieder-
ländischen Regionalstraße N 297n an der ge-
meinsamen Staatsgrenze durch Errichtung ei-
ner Grenzbrücke
- Drucksache 16/1939 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur
Änderung des vorläufigen Tabakgesetzes
- Drucksache 16/1940 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({3})
Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Jelpke, Sevim Dagdelen, Dr. Hakki Keskin, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Die Welt zu Gast bei Freunden - Für eine offenere Migrations- und Flüchtlingspolitik in
Deutschland und in der Europäischen Union
- Drucksache 16/1199 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({4})
Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
ZP 3a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Marieluise Beck ({5}), Volker Beck ({6}), Birgitt
Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Menschenrechte in Usbekistan einfordern
- Drucksache 16/1975 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ({7})
Auswärtiger Ausschuss
Verteidigungsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ute
Koczy, Thilo Hoppe, Dr. Uschi Eid, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Eine Weltbank-Energiepolitik der Zukunft Ja zu mehr Effizienz und erneuerbaren Energien, Nein zur Atomkraft
- Drucksache 16/1978 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung ({8})
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten HansChristian Ströbele, Volker Beck ({9}), Monika
Lazar und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN
Befragung von Gefolterten und Nutzung von
Foltererkenntnissen ausschließen
- Drucksache 16/836 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({10})
Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Thilo
Hoppe, Hans-Christian Ströbele und der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Indigene Völker - Ratifizierung des Übereinkommens der Internationalen Arbeitsorganisation ({11}) Nr. 169 über Indigene und in
Stämmen lebende Völker in unabhängigen
Staaten
- Drucksache 16/1971 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung ({12})
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Burk-
hardt Müller-Sönksen, Florian Toncar, Dr. Karl
Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP
7. Bericht der Bundesregierung über ihre
Menschenrechtspolitik in den auswärtigen Be-
ziehungen und in anderen Politikbereichen
- Drucksache 16/1999 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Florian
Toncar, Burkhardt Müller-Sönksen, Dr. Werner
Hoyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP
Für die weltweite Sicherstellung der Religions-
freiheit
- Drucksache 16/1998 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heike
Hänsel, Ulla Lötzer, Hans-Kurt Hill, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Keine Weltbankkredite für Atomtechnologie
- Drucksache 16/1961 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung ({13})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hüseyin-Kenan Aydin, Monika Knoche, Dr. Diether
Dehm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der LINKEN
Agrarbeihilfeempfänger offen legen
- Drucksache 16/1962 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung ({14})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 38 a bis 38 i, 38 k
und 38 m bis 38 u sowie die Zusatzpunkte 4 a bis 4 k
auf. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Tagesordnungspunkt 38 a:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Abkommen vom
8. Juni 2005 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und dem Schweizerischen Bundesrat, handelnd im Namen des
Kantons Schaffhausen, über die Erhaltung
einer Straßenbrücke über die Wutach zwischen Stühlingen ({15}) und
Oberwiesen ({16})
- Drucksache 16/1611 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
({17})
- Drucksache 16/1964 Berichterstattung:
Abgeordnete Dorothee Menzner
Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt auf Drucksache 16/1964, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von ihrem Platz zu
erheben. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Der
Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 38 b:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Abkommen vom
8. Juni 2005 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und dem Schweizerischen Bundesrat, handelnd im Namen des
Kantons Aargau, über Bau und Erhaltung einer Rheinbrücke zwischen Laufenburg ({18}) und Laufenburg ({19})
- Drucksache 16/1612 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
({20})
- Drucksache 16/1965 Berichterstattung:
Abgeordneter Winfried Hermann
Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt auf Drucksache 16/1965, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem zustimmen wollen, sich von ihrem Platz zu erheben. Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Auch dieser
Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 38 c:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Abkommen vom
28. Juni 2004 zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und der Republik Singapur zur
Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem
Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom
Vermögen
- Drucksache 16/1619 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({21})
- Drucksache 16/1974 Berichterstattung:
Abgeordneter Georg Fahrenschon
Der Finanzausschuss empfiehlt auf Drucksache 16/1974,
den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem zustimmen wollen, sich von ihrem Platz zu erheben. Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Auch dieser
Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 38 d:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten
Gesetzes über die Bereinigung von Bundesrecht im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums des Innern
- Drucksache 16/1620 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({22})
- Drucksache 16/1979 Berichterstattung:
Abgeordnete Hans-Werner Kammer
Maik Reichel
Gisela Piltz
Ulla Jelpke
Silke Stokar von Neuforn
Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/1979, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen aller
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Fraktionen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist mit gleichem Stimmenverhältnis in dritter Beratung
angenommen.
Tagesordnungspunkt 38 e:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften
Gesetzes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes
- Drucksachen 16/1107, 16/1173 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({23})
- Drucksache 16/2019 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Günter Krings
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Wolfgang Nešković
Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/2019, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in
zweiter Beratung einstimmig angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 38 f:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit ({24}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen
Parlaments und des Rates über Luftqualität
und saubere Luft für Europa
KOM ({25}) 447 endg.; Ratsdok. 14335/05
- Drucksachen 16/288 Nr. 2.20, 16/1814 Berichterstattung:
Abgeordnete Andreas Jung ({26})
Detlef Müller ({27})
Angelika Brunkhorst
Lutz Heilmann
Sylvia Kotting-Uhl
Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung der FDP-Fraktion angenommen.
Tagesordnungspunkt 38 g:
Beratung der Zweiten Beschlussempfehlung des
Wahlprüfungsausschusses
zu 62 gegen die Gültigkeit der Wahl zum
16. Deutschen Bundestag eingegangenen Wahleinsprüchen
- Drucksache 16/1800 Berichterstattung:
Abgeordnete Thomas Strobl ({28})
Klaus Uwe Benneter
Jörg van Essen
Dr. Wolfgang Götzer
Bernhard Kaster
Ulrich Maurer
Petra Merkel ({29})
Silke Stokar von Neuforn
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 38 h:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({30}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Undine Kurth
({31}), Bärbel Höhn, Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
EU-Kommission muss nationale Tierschutzbemühungen respektieren
- Drucksachen 16/549, 16/2008 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Peter Jahr
Dr. Wilhelm Priesmeier
Dr. Kirsten Tackmann
Undine Kurth ({32})
Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 16/549 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Oppositionsfraktionen.
Tagesordnungspunkt 38 i:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({33}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Hans-Michael
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Goldmann, Dr. Christel Happach-Kasan,
Dr. Edmund Peter Geisen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
BSE-Testpflichtaltersgrenze anheben
- Drucksachen 16/1170, 16/2001 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Hans-Heinrich Jordan
Dr. Wilhelm Priesmeier
Dr. Kirsten Tackmann
Bärbel Höhn
Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 16/1170 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? ({34})
Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen bei Gegenstimmen der FDPFraktion und der Fraktion Die Linke angenommen.
Tagesordnungspunkt 38 k:
Beratung der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses ({35})
Übersicht 3
über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht
- Drucksache 16/1956 Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.
Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des
Petitionsausschusses.
Tagesordnungspunkt 38 m:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({36})
Sammelübersicht 61 zu Petitionen
- Drucksache 16/1911 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 61 ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 38 n:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({37})
Sammelübersicht 62 zu Petitionen
- Drucksache 16/1912 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 62 ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 38 o:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({38})
Sammelübersicht 63 zu Petitionen
- Drucksache 16/1913 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 63 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und den Stimmen der FDP-Fraktion
bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 38 p:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({39})
Sammelübersicht 64 zu Petitionen
- Drucksache 16/1914 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 64 ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 38 q:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({40})
Sammelübersicht 65 zu Petitionen
- Drucksache 16/1915 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 65 ist mit den Stimmen aller Fraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 38 r:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({41})
Sammelübersicht 66 zu Petitionen
- Drucksache 16/1916 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 66 ist mit den Stimmen aller
Fraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke
angenommen.
Tagesordnungspunkt 38 s:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({42})
Sammelübersicht 67 zu Petitionen
- Drucksache 16/1917 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 67 ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der Fraktion der FDP bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen angenommen.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Tagesordnungspunkt 38 t:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({43})
Sammelübersicht 68 zu Petitionen
- Drucksache 16/1918 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 68 ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der Fraktion des Bündnisses 90/
Die Grünen bei Gegenstimmen der FDP und der Fraktion Die Linke angenommen.
Tagesordnungspunkt 38 u:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({44})
Sammelübersicht 69 zu Petitionen
- Drucksache 16/1919 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 69 ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Oppositionsfraktionen angenommen.
Zusatzpunkt 4 a:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Ökologischen Landbau in Deutschland und
Europa weiterentwickeln
- Drucksache 16/1972 Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag ist einstimmig angenommen.
Wir kommen zu weiteren Beschlussempfehlungen
des Petitionsausschusses.
Zusatzpunkt 4 b:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({45})
Sammelübersicht 70 zu Petitionen
- Drucksache 16/1980 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 70 ist einstimmig angenommen.
Zusatzpunkt 4 c:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({46})
Sammelübersicht 71 zu Petitionen
- Drucksache 16/1981 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 71 ist ebenfalls einstimmig
angenommen.
Zusatzpunkt 4 d:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({47})
Sammelübersicht 72 zu Petitionen
- Drucksache 16/1982 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 72 ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung der
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen.
Zusatzpunkt 4 e:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({48})
Sammelübersicht 73 zu Petitionen
- Drucksache 16/1983 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 73 ist einstimmig angenommen.
Zusatzpunkt 4 f:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({49})
Sammelübersicht 74 zu Petitionen
- Drucksache 16/1984 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 74 ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Oppositionsfraktionen angenommen.
Zusatzpunkt 4 g:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({50})
Sammelübersicht 75 zu Petitionen
- Drucksache 16/1985 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 75 ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen angenommen.
Zusatzpunkt 4 h:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({51})
Sammelübersicht 76 zu Petitionen
- Drucksache 16/1986 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 76 ist mit den Stimmen aller Fraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke
angenommen.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Zusatzpunkt 4 i:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses
({52})
Sammelübersicht 77 zu Petitionen
- Drucksache 16/1987 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 77 ist mit den Stimmen aller Fraktionen bei Enthaltung der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen.
Zusatzpunkt 4 j:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({53})
Sammelübersicht 78 zu Petitionen
- Drucksache 16/1988 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 78 ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung der
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen.
Zusatzpunkt 4 k:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({54})
Sammelübersicht 79 zu Petitionen
- Drucksache 16/1989 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 79 ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke, bei
Enthaltung der FDP-Fraktion und der Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen angenommen.
Ich darf Ihnen zwischendurch das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der
namentlichen Abstimmung über den „Entwurf eines
Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch“, der Fraktion Die Linke, Drucksachen 16/451
und 16/1753, bekannt geben: Abgegebene Stimmen 571.
Mit Ja haben gestimmt 53, mit Nein haben gestimmt 518, keine Enthaltungen. Der Gesetzentwurf ist
abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 571;
davon
ja: 53
nein: 518
Ja
DIE LINKE
Karin Binder
Heidrun Bluhm
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Werner Dreibus
Klaus Ernst
Diana Golze
Heike Hänsel
Lutz Heilmann
Cornelia Hirsch
Inge Höger-Neuling
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Dr. Hakki Keskin
Katja Kipping
Monika Knoche
Jan Korte
Oskar Lafontaine
Michael Leutert
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Ulrich Maurer
Dorothee Menzner
Kornelia Möller
Kersten Naumann
Wolfgang Neskovic
Dr. Norman Paech
Bodo Ramelow
Elke Reinke
Paul Schäfer ({55})
({56})
Dr. Herbert Schui
Dr. Petra Sitte
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Jörn Wunderlich
BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Dr. Harald Terpe
fraktionslos
Gert Winkelmeier
Nein
CDU/CSU
Ilse Aigner
Peter Albach
Peter Altmaier
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({57})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Clemens Binninger
Carl-Eduard von Bismarck
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({58})
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Anke Eymer ({59})
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Hartwig Fischer ({60})
Dirk Fischer ({61})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({62})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Peter Gauweiler
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Ralf Göbel
Dr. Reinhard Göhner
Josef Göppel
Peter Götz
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Karl-Theodor Freiherr zu
Guttenberg
Holger Haibach
Ursula Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Peter Hintze
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung ({63})
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({64})
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Jürgen Klimke
Jens Koeppen
Kristina Köhler ({65})
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Martina Krogmann
Johann-Henrich
Krummacher
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers
({66})
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Ingbert Liebing
Dr. Klaus W. Lippold
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Stephan Mayer ({67})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Laurenz Meyer ({68})
Maria Michalk
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Carsten Müller
({69})
Stefan Müller ({70})
Bernward Müller ({71})
Dr. Gerd Müller
Hildegard Müller
Bernd Neumann ({72})
Henry Nitzsche
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Dr. Peter Paziorek
Ulrich Petzold
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Daniela Raab
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Eckhardt Rehberg
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht ({73})
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({74})
Hermann-Josef Scharf
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Georg Schirmbeck
Bernd Schmidbauer
Andreas Schmidt ({75})
Ingo Schmitt ({76})
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Horst Seehofer
Kurt Segner
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Max Straubinger
Thomas Strobl ({77})
Michael Stübgen
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Marcus Weinberg
Peter Weiß ({78})
Gerald Weiß ({79})
Karl-Georg Wellmann
Anette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer ({80})
Elisabeth WinkelmeierBecker
Matthias Wissmann
Dagmar Wöhrl
Willi Zylajew
SPD
Dr. Lale Akgün
Gregor Amann
Gerd Andres
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr ({81})
Dr. Hans- Peter Bartels
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({82})
Volker Blumentritt
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Bernhard Brinkmann
({83})
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Sigmar Gabriel
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Renate Gradistanac
Angelika Graf ({84})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann
({85})
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({86})
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({87})
Frank Hofmann ({88})
Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Brunhilde Irber
Johannes Jung ({89})
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Dr. h.c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Ernst Kranz
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Jürgen Kucharczyk
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christian Lange ({90})
Dr. Karl Lauterbach
Waltraud Lehn
Gabriele Lösekrug-Möller
Lothar Mark
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Petra Merkel ({91})
Ulrike Merten
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller ({92})
Michael Müller ({93})
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Johannes Pflug
Joachim Poß
Christoph Pries
Dr. Wilhelm Priesmeier
Dr. Sascha Raabe
Steffen Reiche ({94})
Maik Reichel
Gerold Reichenbach
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
Sönke Rix
Rene Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({95})
Michael Roth ({96})
Ortwin Runde
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({97})
Bernd Scheelen
Marianne Schieder
Otto Schily
Silvia Schmidt ({98})
Renate Schmidt ({99})
Dr. Frank Schmidt
Heinz Schmitt ({100})
Carsten Schneider ({101})
Ottmar Schreiner
({102})
Swen Schulz ({103})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Andreas Steppuhn
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Dr. Rainer Tabillion
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. h.c. Wolfgang Thierse
Jörn Thießen
Franz Thönnes
Hans-Jürgen Uhl
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen
({104})
Dr. Rainer Wend
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Waltraud Wollf
({105})
Heidi Wright
Uta Zapf
Manfred Zöllmer
FDP
Jens Ackermann
Dr. Karl Addicks
Christian Ahrendt
Daniel Bahr ({106})
Uwe Barth
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich ({107})
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Miriam Gruß
Joachim Günther ({108})
Heinz-Peter Haustein
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Dr. Heinrich L. Kolb
Hellmut Königshaus
Gudrun Kopp
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Markus Löning
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Hans-Joachim Otto
({109})
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Jörg Rohde
Dr. Konrad Schily
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Florian Toncar
Christoph Waitz
Dr. Claudia Winterstein
Hartfrid Wolff ({110})
BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Kerstin Andreae
Volker Beck ({111})
Cornelia Behm
Matthias Berninger
Alexander Bonde
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Dr. Ursula Eid
Hans Josef Fell
Kai Gehring
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Peter Hettlich
Priska Hinz ({112})
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ute Koczy
Sylvia Kotting-Uhl
Renate Künast
Undine Kurth ({113})
Markus Kurth
Monika Lazar
Anna Lührmann
Kerstin Müller ({114})
Winfried Nachtwei
Claudia Roth ({115})
Krista Sager
Elisabeth Scharfenberg
Irmingard Schewe-Gerigk
Rainder Steenblock
Silke Stokar von Neuforn
Hans-Christian Ströbele
Jürgen Trittin
Wolfgang Wieland
Josef Philip Winkler
Margareta Wolf ({116})
Jetzt rufe ich die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b
auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Umsetzung europäischer Richtlinien zur
Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung
- Drucksachen 16/1780, 16/1852 - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Volker Beck
({117}) und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Umsetzung europäischer Antidis-
kriminierungsrichtlinien
- Drucksache 16/297 -
aa) Beschlussempfehlung und Bericht des
Rechtsausschusses ({118})
- Drucksache 16/2022 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Jürgen Gehb
Mechthild Dyckmans
Jerzy Montag
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({119}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/2024 Berichterstattung:
Abgeordnete Lothar Binding ({120})
Dr. Ole Schröder
Dr. Claudia Winterstein
Roland Claus
Anna Lührmann
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({121})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Ilja Seifert, Karin Binder, Sevim Dagdelen, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
EU-Antidiskriminierungsrichtlinien durch
einheitliches Antidiskriminierungsgesetz
wirksam und umfassend umsetzen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Irmingard
Schewe-Gerigk, Volker Beck ({122}), Markus
Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Keine Ausgrenzung beim Antidiskriminierungsgesetz
- zu dem Antrag der Abgeordneten Mechthild
Dyckmans, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger,
Jörg van Essen, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Bürokratie schützt nicht vor Diskriminierung - Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz ist der falsche Weg
- Drucksachen 16/370, 16/957, 16/1861, 16/2022 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Jürgen Gehb
Mechthild Dyckmans
Jerzy Montag
Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt je ein
Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke und der
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen vor. Über den
Gesetzentwurf der Bundesregierung werden wir später
namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Gibt es
Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so
beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Bundesministerin Brigitte Zypries das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und
Kollegen! Ich bin froh, dass wir dieses Projekt heute
zum Abschluss bringen können.
({0})
Alle die, die am Gesetzgebungsverfahren beteiligt waren, haben erkannt, dass es eine besondere Eilbedürftigkeit gibt. Wenn wir diesen Gesetzentwurf heute verabschieden, dann besteht die begründete Hoffnung, dass er
noch vor der Sommerpause im Bundesrat beraten wird.
Mit anderen Worten: Der europarechtliche Umsetzungsdruck, unter dem wir gestanden haben, wird sich auflösen. Dafür möchte ich denjenigen, die sich an den Verhandlungen mit Nachdruck beteiligt und dafür gesorgt
haben, dass wir in der Koalition eine Einigung finden
konnten, danken. Ich gebe zu: Es war schwierig, mit
dem Druck, der sich hinsichtlich der Umsetzung aufgebaut hatte, umzugehen. Es war insbesondere schwierig,
so etwas wie eine rationale Debatte zu führen.
Viele Kritiker haben unseren Gesetzentwurf leider offenbar nicht richtig zur Kenntnis genommen. Ich muss
gestehen, dass mich die ideologische Schärfe, mit der die
Debatte um diesen Gesetzentwurf geführt wurde, schon
oft verblüfft hat.
({1})
Es ist schade, dass es mit vielen Vertretern von NGOs,
von Verbänden und Vereinen in unserem Lande offensichtlich keine politische Streitkultur in dem Sinne gibt,
dass man anerkennt - auch nachdem ein Thema wie dieses Gegenstand von Wahlkämpfen war -, dass man aus
Rechtsgründen handeln muss. Diese Erkenntnis hat sich
mittlerweile langsam, aber sicher durchgesetzt. Anscheinend konnte man diesen Gesetzentwurf nicht früher zur
Kenntnis nehmen und sagen: Hier muss jetzt gehandelt
werden; das, was darin steht, ist so schlimm nicht. Der
Kollege Bosbach hat gesagt - seine Worte sind mir noch
im Ohr -: Jedem Zweiten, der mich anrief und sich beschwert hat, konnte ich sagen: Schau doch einmal ins
Gesetz; dann wirst du sehen, dass da etwas ganz anderes
steht.
({2})
Es ist in der Tat schwierig gewesen, hier zu einem
Konsens zu kommen. Die Änderungen, die wir jetzt
noch vorgenommen haben, sind im Großen und Ganzen
auf ebendiese Tatsache zurückzuführen. Sie lassen den
Gesetzentwurf im Kern unberührt, führen jedoch an vielen Stellen zu durchaus erwünschten Klarstellungen.
({3})
Lassen Sie mich die wichtigen Punkte nennen:
Entgegen manchen Berichten wird das Klagerecht
des Betriebsrats und der im Betrieb vertretenen Gewerkschaften keineswegs gestrichen. Wir stellen ausdrücklich
klar, was sich aus dem Verweis auf das Betriebsverfassungsgesetz im Wesentlichen ohnehin schon ergab, dass
dieses Klagerecht nur bei Betrieben mit mindestens fünf
Beschäftigten und auch nur bei groben Verstößen des
Arbeitgebers greift. Das ist auch im Betriebsverfassungsgesetz so der Fall.
({4})
Wir stellen außerdem ausdrücklich klar, dass weder Betriebsrat noch Gewerkschaften Ansprüche eines Benachteiligten im Wege der Prozessstandschaft geltend maBundesministerin Brigitte Zypries
chen können. Diese Einschränkung ist sinnvoll und
richtig, aber sie war bei vernünftiger Auslegung der Bestimmung auch schon im Entwurf enthalten.
({5})
Es wird darüber hinaus klargestellt, dass bei privaten
Vermietungen von Wohnraum die freie Mieterauswahl
durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz grundsätzlich nur insoweit eingeschränkt werden wird, wie
dies die Richtlinien verlangen. Auch das war nach dem
Regierungsentwurf so; denn im Regierungsentwurf war
immer nur von Massengeschäften die Rede. Massengeschäfte - das habe ich schon bei der ersten Lesung hier
erklärt - sind Geschäfte, bei denen jemand eine Vielzahl
von Angeboten an eine unbestimmte Vielzahl von Menschen macht und gerade kein Interesse daran hat, mit
wem er den Vertrag abschließt - Hauptsache, die Person
zahlt. Das alles haben wir schon durchdekliniert. Wenn
man das zugrunde legt, muss man sagen: Vermietungen
sind in dem Moment, wo man ein Interesse daran hat,
wer der Mieter ist, ohnehin keine Massengeschäfte.
Jetzt haben wir für die übrigen Merkmale, also Geschlecht, Religion, Behinderung, Alter und sexuelle
Identität, klargestellt: Eine dauerhafte Vermietung einer
Wohnung ist in der Regel kein Massengeschäft, wenn
der Vermieter nicht mehr als 50 Wohnungen in seinem
Bestand hat.
({6})
Ob diese Klarstellung wirklich so nötig gewesen wäre,
sei dahingestellt.
Ein anderer Punkt, der für Unruhe sorgt, ist die Änderung des § 2 Abs. 4 in Art. 1. Im Entwurf der Bundesregierung heißt es da:
Für Kündigungen gelten vorrangig die Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetzes.
Nun soll es heißen:
Für Kündigungen gelten ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz.
({7})
- Genau. Jetzt wissen alle ausgebildeten Juristen wie der
Kollege Beck zum Beispiel,
({8})
dass das Diskriminierungsverbot des europäischen
Rechts natürlich sowieso gilt, also auch hier. Selbstverständlich gelten das Kündigungsschutzgesetz sowie die
besonderen Kündigungsschutzregeln des Mutterschutzes, des Arbeitsplatzschutzgesetzes, des Neunten Buches
Sozialgesetzbuch, des Bundespersonalvertretungsgesetzes oder des Bundesdatenschutzgesetzes. Selbstverständlich gelten sie alle. Selbstverständlich sind sie, wie
auch ansonsten in der Rechtsanwendung, europarechtskonform auszulegen.
({9})
Es geht hier also nicht darum, dass wir irgendwelche
Garantien abschaffen wollen, sondern es geht in jedem
Fall um die Frage: Was können wir möglichst klar auslegen mit dem Ziel, diese ideologisch überwölbte Debatte
- darauf muss ich jetzt leider noch einmal eingehen - auf
den Boden der Tatsachen zu holen? Dem dienen die Änderungen, die noch ausgehandelt worden sind.
Das gilt auch für die Neuregelung, die wir noch ausführlich erläutern werden, nämlich die Regelung zur
Beweislast. Wir von der Bundesregierung hatten gesagt:
Es ist sinnvoll, an einen bestehenden Gesetzestext, nämlich § 611 a BGB, anzuknüpfen; dazu gibt es jahrzehntelange Rechtsprechung. Jetzt haben wir einen neuen Begriff eingeführt, den der Indizien. Wir werden durch
Erläuterungen klar machen, dass es im Grunde um dasselbe geht. Ich bin mir sicher, dass die Rechtsprechung
in der Lage sein wird, diese Auslegung auch hinzubekommen.
Ich will am Ende vor lauter Details nicht das Grundanliegen des Gesetzes außer Acht lassen. Wir haben in
Deutschland eine freiheitliche und tolerante Gesellschaft. Wann, wenn nicht jetzt, wäre das besonders zu
spüren? Wir haben eine Gesellschaft, in der möglichst
jeder nach seiner Fasson selig werden sollte. Aber - das
habe ich auch schon bei der ersten Lesung hier gesagt es gibt noch Diskriminierung in Deutschland. Insofern
ist es richtig, wenn wir uns darauf verständigen, dass der
Staat Toleranz zwar nicht verordnen, aber sehr wohl
durch seine Rechtsordnung deutlich machen kann, dass
er Intoleranz missbilligt und für die Betroffenen Möglichkeiten schafft, sich dagegen zu wehren. Das tun wir
mit dem Gesetzentwurf; das tun wir effektiv und unbürokratisch. Zur unbürokratischen Umsetzung dient auch
die Vorschrift, mit der über die Richtlinie hinausgegangen wird, um das auch ganz klar zu sagen, und mit der
nur eine Anlaufstelle vorgesehen wird, von der aus die
Beschwerden dann verteilt werden. Sie sehen, es kann
durchaus auch sachgerechte Regelungen geben, die über
eine Eins-zu-eins-Umsetzung hinausgehen.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({10})
Das Wort hat der Kollege Dr. Guido Westerwelle,
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Wir Freien Demokraten werden diesen Gesetzentwurf ablehnen.
({0})
Wir sind der Überzeugung: Dieses von Ihnen umgetaufte
Gesetz wird den Minderheiten nicht helfen, sondern
schadet ihnen. Es wird mehr Bürokratie bringen und damit Arbeitsplätze kosten. Es ist auch ein glatter Wortbruch zu dem, was Sie vor der Wahl Ihren Wählern versprochen haben.
({1})
Wir werden deutlich machen, dass das Gesetz weit
über das hinausgeht, was uns seitens des EU-Rechts in
der Tat umzusetzen aufgegeben war. Deswegen war die
gemeinsame Haltung übrigens nicht nur von Union und
FDP, sondern auch von führenden Sozialdemokraten ablehnend. Das ging von Herrn Clement über Herrn Schily
bis zum Oberbürgermeister von München, Herrn Ude,
der, als der Gesetzentwurf in der letzten Wahlperiode
schon einmal vorgelegt wurde, sagte, da haben sich Gutmenschen ausgetobt.
({2})
Es wäre ohne weiteres möglich - die Länder haben
dazu im Bundesrat einen entsprechenden Beschluss
gefasst; die Gesetzentwürfe liegen vor -, das von der Europäischen Union vorgegebene Recht eins zu eins umzusetzen. Dieses Ziel steht auch in Ihrer Koalitionsvereinbarung. Umso absurder ist es, dass Sie selbst den
Koalitionsvertrag brechen und Deutschland mehr Bürokratie verordnen. Das ist ein klassischer Fehler aus Sicht
der Fraktion der Freien Demokraten.
({3})
Es ist ein Irrtum, zu glauben, dass man Minderheiten
mit dem Gesetz helfen würde. Das einzige Ergebnis wird
sein, dass diejenigen, die es betrifft, gar nicht mehr zu
Vorstellungsgesprächen eingeladen werden, weil man
Angst davor hat, eine Klagewelle abwehren zu müssen
und dafür einer Dokumentationspflicht zu unterliegen.
Wenn Sie es mir nicht glauben, glauben Sie es Angela
Merkel. Genau das hat sie in der letzten Legislaturperiode vor ihrer Metamorphose immer und immer wieder vertreten.
({4})
Jetzt gehen wir noch einmal auf das ein, was Sie konkret sagen. Meine Damen und Herren Kolleginnen und
Kollegen von der Union, die Begeisterung über diesen
Gesetzentwurf ist in Ihren Gesichtern abzulesen. Wir erleben hier jetzt einen bemerkenswerten Kuhhandel, den
wir so vorher noch nicht kannten: Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Union, müssen heute diesem
Unsinn zustimmen, damit es morgen bei der Abstimmung über die Föderalismusreform nicht zu viele Abweichler bei den Sozialdemokraten gibt. Es geht Ihnen
gar nicht mehr um die Sache. Es geht Ihnen nur noch darum, dass die Koalition diese Woche einigermaßen übersteht.
({5})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Beck?
Ja, selbstverständlich, Herr Beck, bitte gerne. Es ist
mir immer wieder eine Freude.
Herr Kollege Westerwelle, vielen Dank für die Großzügigkeit. Bezüglich des Kuhhandels stimme ich Ihnen
zu.
({0})
Das ist sicherlich die Verlaufsform dieser Gesetzesgenese. Bezüglich des Arguments, das Sie gerade gegen
das Gesetz angeführt haben, habe ich eine Verständnisfrage.
Bitte, gerne.
Es geht darum, ob in Zukunft im Zusammenhang mit
dem Arbeitsrecht eine Klagewelle droht und Dokumentationspflichten zu erfüllen sind. Im Gesetz steht ja
nichts anderes, als dass zukünftig für die Kriterien
Rasse, ethnische Herkunft, Alter, Behinderung, sexuelle
Identität und Religion nichts anderes gilt als das, was
seit 25 Jahren gemäß § 611 a BGB für das Kriterium Geschlecht gilt. Die dortige Beweislastregel war im Gesetzentwurf der früheren rot-grünen Bundesregierung eins
zu eins vorgesehen. Alle Arbeitgeber haben in der Vergangenheit entweder Männer oder Frauen eingestellt. Da
werden Sie mir zustimmen. Tertium non datur, sagt man
da.
({0})
- Überwiegend? Entweder - oder. Wenn das so war,
dann hat man entweder Frauen oder Männer nicht eingestellt. Deshalb konnten entweder Frauen oder Männer
klagen, weil sie nicht eingestellt wurden. Das Problem
mit der Dokumentationspflicht ändert sich nicht dadurch, dass der Gesetzentwurf jetzt auch Heterosexuelle
oder Homosexuelle, Alte oder Junge, Behinderte oder
Nichtbehinderte betrifft.
Herr Kollege, Sie sollen jetzt keine Rede halten, sondern Ihre Frage beenden.
({0})
Da das immer wieder vorgebracht wird, muss man es
meiner Meinung nach illustrieren, auch damit man die
Frage versteht.
Erklären Sie mir bitte, warum ein Kriterium seit
25 Jahren zu keinen Problemen geführt hat und die Tatsache, dass weitere Kriterien dazukommen und die gleiVolker Beck ({0})
che Regel angewandt wird, einen Wust an Dokumentationspflichten hervorruft.
Ich möchte zunächst einmal die Frage, die Sie mir unter vielen gestellt haben, nämlich die Frage, ob ich Ihnen
zustimme, dass man entweder in der Vergangenheit
Männer oder Frauen eingestellt hat, uneingeschränkt bejahen, Herr Kollege. Ich finde, das musste auch von Ihnen in dieser Diskussion erfragt werden.
({0})
Das war zwingend, Herr Kollege, absolut zwingend. Das
ist schon bemerkenswert.
Ich kann Ihnen sagen, warum ich das Klagerecht und
die Dokumentationspflicht angreife und warum ich das
für falsch halte. Das Klagerecht der Gewerkschaften
wurde nicht abgeschafft
({1})
- Sie rufen: Gott sei Dank! Ich hoffe, Sie von der CDU/
CSU haben gehört, was Ihr Koalitionspartner gesagt hat:
Gott sei Dank! Das Klagerecht für die Gewerkschaften
ist eben nicht abgeschafft worden. Es kann weiterhin
wegen grober Verstöße geklagt werden. Das, was dann
in der Diskussion bewertet wird, ist der unbestimmte
Rechtsbegriff „grob“: Ist es ein solcher Verstoß, der angenommen und behauptet wird, oder nicht? Eine solche
Klagewelle wird dem Mittelstand schaden, den Betroffenen nicht helfen und Arbeitsplätze kosten.
({2})
Darauf müssen Sie sich einstellen.
Herr Kollege Beck, nun kann ich auch verstehen, dass
Sie mit diesem Gesetz besonders zufrieden sind und
freudig dieses hier verteidigen. Es stammt doch aus Ihrer
Feder. Ehre, wem Ehre gebührt!
({3})
Was ich nicht für möglich gehalten habe und was wir
heute im Gesetzgebungsverfahren erleben, ist gewissermaßen eine Art Wiederkehr der grünen Untoten.
({4})
Nicht dass Sie meinen, das sei alles oppositionelle Polemik. Bitte machen Sie mir die Freude, verehrte Abgeordnete der Union, und nehmen Sie einfach den von der
Bundesregierung uns hier vorgelegten Gesetzentwurf
zur Hand, über den wir heute entscheiden wollen, und lesen Sie in der Begründung auf Seite 25, in Abschnitt 2,
§ 18. Ich darf verkürzt zitieren:
Der Gesetzentwurf … erfüllt das in der Koalitionsvereinbarung vom 16. Oktober 2002 verabredete
Ziel …
({5})
Herzlichen Glückwunsch an Schwarz-Rot, dass Sie jetzt
sogar die rot-grüne Koalitionsvereinbarung heute zur
Grundlage Ihrer politischen Arbeit machen!
({6})
Herzlichen Glückwunsch, meine Damen und Herren
Abgeordneten! Da wählt Deutschland die Grünen ab,
und ihr bleibt immer noch im Geiste auf der Regierungsbank. Es ist ein Drama!
({7})
Nun kommen wir, weil Frau Zypries unseren spät berufenen Juristen zitiert hat, zu zwei bemerkenswerten
Akten der Rechtsgeschichte. Heute werden im Justizministerium die Fenster verhangen. Davon kann man
ausgehen. Da sitzen lauter Prädikatsjuristen, die fangen
bei dem, was Sie heute vorgelegt haben, an zu weinen.
Da ich das selber in der Tat einmal studiert habe - nicht
Soziologie, was ein großartiges Studium ist -,
({8})
möchte ich noch einmal auf einen Punkt eingehen, den
Sie uns erklären müssen, Frau Justizministerin. Jetzt
heißt es in Art. 1 § 22 - das ist das Neue, deswegen stimmen Sie dem zu -: „Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist …“. Es ist ein wirklich großartiger, in der
Rechtsgeschichte einmaliger Kunstgriff, den Indizienbeweis einzuführen. Jetzt führen wir den Indizienbeweis
im Zivilrecht ein. Herzlichen Glückwunsch, Frau Justizministerin! Sie sind zu intelligent für so einen Schwachsinn, Frau Kollegin!
({9})
- Nein, jetzt ist Schluss. Ich will jetzt nicht mehr.
Ich komme zu einem weiteren Punkt, der an dieser
Stelle erwähnt werden muss: Auch ein neuer Schwellenwert ist Ihnen eingefallen - 50 Wohnungen! Wo gab es
bisher so etwas im Bürgerlichen Gesetzbuch? Das ist bemerkenswert; das ist wirklich großartig. 50 Wohnungen was heißt das im Klartext? Verehrte Zuschauerinnen und
Zuschauer, unter 50 Wohnungen darf man in Deutschland diskriminieren, danach nicht mehr. Was für ein
Fortschritt; Rechtsgeschichte schreiben Sie hier!
({10})
Ich will schließen, weil ich auch in der ersten Lesung
dazu schon gesprochen habe. Sie werden keinem Behinderten, keiner Lesbe, keinem Schwulen, keiner diskriminierten Minderheit helfen. Sie werden ihnen schaden
und Sie schaffen mehr Bürokratie. Jetzt haben Sie nachgebessert, und zwar vorgestern und dann gestern im
Rechtsausschuss. Sie meinen, Sie seien jetzt durch. Aber
wenn aus einem saudummen Gesetzentwurf ein dummer
Gesetzentwurf wird, ist das kein Fortschritt; das Ganze
bleibt immer noch dämlich, meine sehr geehrten Damen
und Herren.
({11})
Das Wort zu einer Kurzintervention gebe ich dem
Kollegen Jerzy Montag.
Danke, Frau Präsidentin. - Herr Kollege Westerwelle,
nachdem Sie meine Zwischenfrage nicht gestattet haben,
erlaube ich mir folgende Klarstellung: Ich habe mich
sehr darüber gefreut, wie Sie - das ist auch völlig richtig - dargestellt haben, dass das Gesetz, das wir heute
beschließen, in wesentlichen Zügen dem Antidiskriminierungsgesetz der letzten Regierungsperiode gleicht,
das aus rot-grüner Feder stammte. Aber ich bitte Sie
doch, zur Kenntnis zu nehmen, dass der von Ihnen hier
vorgetragene neue Art. 1 § 22, in dem es nunmehr tatsächlich heißt, dass Indizien bewiesen werden sollen, die
dann eine Vermutung begründen, eine Änderung darstellt, zu der die Grünen nie fähig gewesen wären.
({0})
Das stammt nicht aus unserer Feder; dafür übernehmen
wir keinerlei Verantwortung.
({1})
Herr Kollege Montag, hätte ich gewusst, dass Sie
diese Zwischenfrage stellen wollten, wäre es mir eine
Freude gewesen, sie zuzulassen. Ansonsten möchte ich
Ihnen feierlich versichern: Ich nehme es dankbar zur
Kenntnis.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Jürgen Gehb,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich lebe
gern in diesem Land und ich bin stolz auf dieses Land,
und dies nicht nur vor dem Hintergrund der Lebensfreude der Menschen und der Gastfreundschaft, die wir
alle während dieser Tage der Fußballweltmeisterschaft
erleben. Ich bin stolz wegen unserer Rechtsordnung und
auf unsere Rechtsordnung, die einen ausdifferenzierten
Schutz auch und gerade für die Schwachen und Benachteiligten unserer Gesellschaft schon heute de lege lata
vorhält.
({0})
Bei aller Freude weiß ich aber auch, dass wir in unserem Land nicht in einem Paradies auf Erden leben und
dass es Ressentiments und Vorurteile gibt. Vielleicht war
es deshalb ein Anliegen Europas - ungeachtet bereits bestehender nationaler Schutzgesetze -, mit dem Erlass
von vier Richtlinien ein Zeichen gegen nahezu jede
Form von Ungleichbehandlung zu setzen.
Selbstverständlich sind wir als Gesetzgeber gehalten,
entsprechende völkerrechtliche Übereinkommen, die
von unserem Land ratifiziert wurden, oder entsprechende Richtlinien der EU in nationales Recht umzusetzen, ob einem das gefällt oder nicht. Ich glaube, es
gibt kaum einen in diesem Haus, der so dagegen, insbesondere gegen die Richtlinien, gewettert hat wie ich.
Dennoch müssen wir sie umsetzen.
({1})
Nun gibt es Regeln zum Schutz der Menschen, die
überhaupt nicht streitig sind. Dazu gehören die geradezu
klassischen Schutz- und Abwehrrechte des Bürgers gegenüber dem Staat. Aber auch viele einschlägige Regeln
im Arbeitsrecht sind uns wohl vertraut. Frau Ministerin
Zypries hat soeben eine Reihe von Beispielen genannt:
Kündigungsschutzgesetz, Betriebsverfassungsgesetz und
Mutterschutzgesetz. Eigentlich ist Deutschland der völlig falsche Adressat für eine solche Richtlinie.
({2})
Manches ist bei der Umsetzung der vier EU-Richtlinien zur Gleichbehandlung völlig unstreitig und deckt
sich auch mit dem, was wir schon jetzt haben. Manch
anderes allerdings ist weitaus weniger unstreitig, sondern - im Gegenteil - höchst umstritten. Allerdings
muss man das Parlament nicht zum Panoptikum machen
und mit sicherem Auftreten bei zum Teil völliger Ahnungslosigkeit, Herr Westerwelle, sozusagen den Zampano spielen.
({3})
Nicht zufällig entzündete sich die öffentliche Debatte
gerade an den Stellen und auf den Rechtsgebieten, die in
unserem Land bisher aus guten Gründen weitgehend regelungsfrei waren. Unsere Rechtsordnung geht von der
grundsätzlichen Trennung und Unterscheidung von Staat
und Gesellschaft aus. Lassen Sie es mich anders sagen:
Nicht alles, was dem Staat in seiner Beziehung zu den
Bürgern untersagt ist, ist auch den Bürgern untereinander untersagt und verboten. Um es ganz deutlich zu sagen: Privatautonomie und Vertragsfreiheit beinhalten
nachgerade das Recht auf Subjektivität und Rechtfertigungsfreiheit und auch auf Willkür, nämlich dann, wenn
ich einem anderen etwas nicht verkaufen will.
({4})
Das war bisher Bestandteil unserer kontinentaleuropäischen Rechtsordnung. Wir alle, die wir Jura studiert
hatten, haben das so gelernt. Diese Rechtsordnung droht
jetzt durch die europäischen Richtlinien zu kippen. Aber
nicht nur durch sie: Denn auch durch das Implantieren
von immer mehr angloamerikanischen Rechtsformen bei
uns steigt das Risiko, dass unser historisch gewachsenes,
aus dem römischen Recht - ich liebe es so - kommendes
Recht auf den Kopf gestellt wird. Dem müssen wir
schon in statu nascendi entgegenwirken.
({5})
An dieser Stelle, an der ich die Privatautonomie beleuchtet habe, geht es nicht um irgendwelche juristischen Petitessen, sondern um sehr grundsätzliche Fragen
und Auffassungen - ja, es geht klar um weltanschauliche
Fragen. Mit den Richtlinien soll unserer Gesellschaft
Mores gelehrt werden. Genau darum geht es. Viele Menschen waren beispielsweise empört - ich verstehe diese
Empörung -, weil sie sich schon durch die Antidiskriminierungsrichtlinien und erst recht durch deren bisher geplante Umsetzung in ihren ureigenen Freiheitsrechten
beschnitten fühlten.
Lassen Sie mich das an einem heute schon wiederholt
angesprochenen Beispiel klar machen. Jemand, der vier
oder fünf Wohnungen besitzt, versteht es einfach nicht
- er empfindet es geradezu als diskriminierend -, dass
ihm die Freiheit bei der Auswahl seiner Mieter genommen wird.
({6})
Nur in dem Haus, in dem er selbst wohnt, sollte er völlig
autonom in der Auswahl seiner Mieter sein. Wenn es
nach dem Antrag der Linken heute geht, soll ihm selbst
das noch genommen werden. Das ist quasi der Eingriff
total in die Privatsphäre.
Als Christdemokraten sagen wir zu einem solchen
Weltbild des Übervaters Staat schlicht und einfach Nein,
Nein und nochmals Nein. Wir wollen nicht den totalen
Staat, der bis in die letzten Ecken alles regelt.
({7})
Um noch einmal das Beispiel von der Wohnungsvermietung aufzugreifen: Ich bin zwar nicht gerade froh,
aber fast zufrieden, dass wir heute den Tausenden von
Privatvermietern insoweit Entwarnung geben können
- jetzt bitte gut zuhören -, als mit Ausnahme der zwingenden Umsetzung von europäischen Vorgaben - das
gilt unabhängig von den Mehrheiten in diesem Hause,
auch wenn die CDU/CSU, was manche befürchten, was
aber im Moment nicht zu befürchten ist, mit einer dicken
Mehrheit regieren würde ({8})
die Vertragsfreiheit in der jetzigen Fassung des Gesetzes
weitgehendst gewahrt bleibt. Wir haben nämlich durch
eine gesetzliche Auslegungshilfe, die Sie eben sehr flapsig persifliert haben, Herr Westerwelle, und durch die
Definition des Massengeschäftes im Bereich des Mietrechts, nach der der Anwendungsbereich dieses Gesetzes
- wie gesagt: mit einer einzigen Ausnahme, nämlich für
das Merkmal Rasse/Ethnie; das ist durchgehend im Arbeits- und Zivilrecht umzusetzen; da kann man sich noch
so stark echauffieren, das wäre auch mit Ihnen nicht anders gegangen - erst bei Vermietung von mehr als
50 Wohnungen eröffnet wird, die Erstreckung des Gesetzes auf private Vermieter in aller Regel ausgeschlossen.
Was ist daran eigentlich so schlimm? Wir haben auch bei
der Entfernungspauschale eine Grenze von 20 Kilometern.
({9})
- Moment einmal! Einige werden am Samstag vor einer
Wahl 18 Jahre alt und andere wiederum werden erst am
Montag nach der Wahl 18 Jahre alt.
Jegliche Zahlen, alle Begrenzungen haben immer immanent etwas Willkürliches, wie beispielsweise auch das
Spielfeld auf dem Fußballfeld. Warum gibt es einen
16-Meter-Raum und keinen 18-Meter-Raum? Irgendeine
Zahl muss der Gesetzgeber nehmen.
({10})
Aus guten Gründen haben wir auch für die großen
Wohnungsbaugesellschaften vereinbart, dass diese zur
Einhaltung und Schaffung sozial stabiler Bewohnerstrukturen einen Freiraum behalten sollen. Um es deutlich zu sagen: Ihr Bemühen, Gettos zu verhindern oder
aufzubrechen, soll nicht durch ein Gesetz konterkariert
werden.
Diese Entschärfungen und Korrekturen sind gut und
sinnvoll. Es wäre mir ein Leichtes, Ihnen detailliert weitere Änderungen aufzuzählen, mit denen nun in der vorliegenden Fassung des Gesetzes überflüssige - wenn
auch nicht alle - Belastungen für die Wirtschaft und das
Rechtsleben verhindert werden. Dies ist mir mit Blick
auf meine Redezeit von dieser Stelle aus versagt. Ich
verweise insofern auf die ausführliche Berichterstattung
der letzten Tage und Wochen, die allerdings nicht selten
von besonderem Mangel an Sachkunde geprägt war. Wir
merken immer wieder: Je höher der Mangel an Sachkunde ist, desto leichter lässt es sich polemisch-politisch
diskutieren.
({11})
Insofern sollten Sie das Gesetz auch einmal lesen.
Jedenfalls bin ich dankbar dafür, dass wir in einem
langen Prozess des gegenseitigen Annäherns und Verstehens in der Koalition nun zu einem nicht geliebten, aber
tragfähigen Kompromiss gefunden haben. Es liegt nun
einmal in der Natur der Sache, dass jeder Kompromiss
nach der eigenen Auffassung immer nur die zweitbeste
Lösung ist. Da es im Regelfall aber keine Alleinregierung gibt, lebt jede Koalition - und dies in jeder Zusammensetzung - davon, Kompromisse zu schließen. Dies
ist eigentlich ein einfacher Zusammenhang. Trotzdem
meine ich, dass man ihn ab und zu in Erinnerung rufen
muss.
In der Haushaltsdebatte der vergangenen Woche habe
ich den Wunsch ausgesprochen, dass ein vernünftiger
Umgang zwischen Bundesrat und Bundestag dazu führen sollte, dass sich dieses Haus die konkreten Bedenken
der Länderkammer ansehen, sie ernst nehmen und sich
mit ihnen beschäftigen sollte. Das hat es auch getan. Nun
muss man sagen, dass aus diesem Gesetz wahrlich kein
gutes,
({12})
aber ein immerhin tragfähiges Gesetz geworden ist.
Wenn wir bei der Verabschiedung von Gesetzen nur
nach der Güte gehen würden, müsste man auch so manches andere Gesetz unterlassen. Deswegen werden wir
zustimmen, einige natürlich mit geballter Faust in der
Tasche.
Jetzt will ich, wohl wissend, dass ich nicht wie Cato
mit dem Ausspruch „Ceterum censeo cartaginem esse
delendam“ im Senat in die Geschichtsbücher eingehen
werde, enden und sagen, wie ich das immer tue: Wir
sollten in Ansehung des Beispiels AGG in Zukunft bereits bei der Entstehung von Richtlinien, die uns hinterher häufig dazu zwingen, solche Debatten zu führen,
aufpassen und uns davor hüten, am Ende in der Ratifizierungsfalle zu sitzen und bloß noch die Vollstreckungsgehilfen der europäischen Beamten zu sein.
Herzlichen Dank, meine Damen und Herren.
({13})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Sevim Dagdelen,
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Herr Westerwelle!
({0})
Sehr geehrte Damen und Herren! Heute soll das Gesetz
zur Umsetzung der Antidiskriminierungsrichtlinien der
EU beschlossen werden. Leider ist dies tatsächlich kein
guter Tag für die von Diskriminierung betroffenen Menschen.
Wenn ich eines ganz kurz anmerken darf, Herr Westerwelle: Auch meine Fraktion wird das Gesetz ablehnen, aber nicht, weil aus einem saudummen Gesetz ein
dummes Gesetz geworden ist, sondern deswegen, weil
aus einem alltagsuntauglichen Gesetz ein schlechtes Gesetz geworden ist. Mit den in den letzten Tagen durchgepeitschten Änderungen hat man nämlich eines klargestellt: Der großen Koalition liegt wenig daran, den
Betroffenen ein alltagstaugliches Instrument gegen Diskriminierung an die Hand zu geben. Sie hat lediglich eines geschafft: die Rechte der Einzelnen den Interessen
der Wirtschaftsverbände und der Unternehmen zu opfern.
Das Gesetz leidet im Wesentlichen darunter, dass das
zunächst aufgestellte Benachteiligungsverbot durch Einschränkungen sogleich wieder abgeschwächt worden ist.
Lassen Sie mich das an einem Beispiel darstellen: Sie
haben den größten Teil des Wohnungsmarktes - über
50 Prozent - aus dem Diskriminierungsverbot für Wohnungsvermieter herausgenommen.
({1})
Mit diesem Gesetzentwurf geben Sie den Betroffenen
nur ein schwaches Instrument an die Hand, ihr Recht auf
Nichtdiskriminierung auch gerichtlich durchzusetzen.
Klagebefugnisse von Gewerkschaften und Betriebsräten
werden zusammengestrichen. Für kleinere Betriebe haben Sie das Klagerecht komplett abgeschafft.
({2})
Sie lassen damit die Mehrzahl der Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer im Regen stehen.
Das Gleiche gilt für die Beweiserleichterung. An die
Adresse der Wirtschaft wird signalisiert: Es wird sich
nichts ändern! Wie Sie bereits feststellten, Frau Ministerin Zypries, die im Gesetzentwurf vorgesehene Beweiserleichterung lehnt sich an die jetzt schon bestehende
Regelung des § 611 a BGB an. Sie haben jedoch vergessen, zu sagen, dass diese Regelung in 25 Jahren zu lediglich 112 Gerichtsprozessen geführt hat. Daher ist es unseres Erachtens zwangsläufig geboten, den Betroffenen
nicht die Last aufzubürden, etwas beweisen zu müssen,
was ihrer Wahrnehmung schlichtweg entzogen ist. Das
ist kein schlüssiges Konzept, das sich an den Problemen
der Menschen orientiert, sondern ein Konzept nach den
Vorgaben der Wirtschaft.
({3})
Die Fraktion Die Linke fordert deswegen in ihrem
Antrag unter anderem eine Beweislastumkehr und die
Einführung eines umfassenden Verbandsklagerechts.
({4})
Das Deutsche Institut für Menschenrechte hat dieses
Argument in einer Stellungnahme einmal mehr festgehalten: Eine interne Auswertung der deutschen Rechtsprechung habe gezeigt, dass die verschiedenen Betroffenengruppen bei der gerichtlichen Geltendmachung
höchst unterschiedlich repräsentiert sind. Obwohl gerade
Migrantinnen und Migranten, schwarze Deutsche wie
schwarze Nichtdeutsche massiv von Diskriminierungen
auf dem Arbeitsmarkt, in der Bildung oder im Bereich
des Wohnungsmarktes betroffen sind, haben gerade
diese Gruppen bei der gerichtlichen Durchsetzung die
wenigsten Chancen. Ein Verbandsklagerecht würde dieses Ungleichgewicht ausgleichen.
({5})
Ferner haben Sie, meine Damen und Herren vor allen
Dingen der Union, erreicht, dass bei Kündigungen der
Diskriminierungsschutz des Gesetzes nicht mehr gilt.
Damit streichen Sie für die Betroffenen die Möglichkeit,
gegen auf Diskriminierung angelegte Kündigungen nach
dem AGG zu klagen und die entsprechenden Rechtsfolgen wie Schadenersatz einzufordern.
Was aber meines Erachtens noch viel schlimmer ist:
Die ausschließliche Geltung des Kündigungsschutzgesetzes im Arbeitsrecht wie auch die Zweimonatsfrist zur
Geltendmachung von Ansprüchen sind europarechtlich
bedenklich. Sie widersprechen der Zielsetzung der
Richtlinie und werden deswegen vor dem Europäischen
Gerichtshof keinen Bestand haben. Damit überlassen
Sie es einmal mehr den Einzelnen, durch Klagen vor
dem Europäischen Gerichtshof für einen Schutz vor Diskriminierungen zu sorgen. Ich halte das für ein Armutszeugnis dieser großen Koalition.
({6})
Sie könnten auch gleich konforme Regelungen schaffen
und nicht darauf warten, dass die Menschen in fünf bis
sechs Jahren vor dem Europäischen Gerichtshof Recht
zugesprochen bekommen.
Jean-Jacques Rousseau sagte einmal:
Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es
die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das
befreit.
Das hätte ich mir von dieser großen Koalition gewünscht.
({7})
Die große Koalition hat es heute versäumt, mit mutigen Entscheidungen auch in Deutschland endlich eine
Antidiskriminierungskultur zu initiieren. Sie haben es
versäumt, Mindeststandards festzulegen, die in anderen
europäischen Ländern längst gang und gäbe sind, so zum
Beispiel in den Niederlanden. Die Gegner eines Antidiskriminierungsgesetzes haben in dieser Debatte jedenfalls
eines erreicht: die unzureichenden Wirkungen dieses
Gesetzes zu kaschieren. In der Praxis wird damit nur wenig mehr übrig bleiben als ein symbolisches Bekenntnis
zur Gleichbehandlung. Dabei wird es bleiben.
Danke sehr.
({8})
Das Wort hat der Kollege Volker Beck, Bündnis 90/
Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich bin heute durchaus nicht unzufrieden.
({0})
Ich denke, uns liegt ein Gesetzentwurf vor, der im Kern
gut ist. Deshalb wird unsere Fraktion diesem abgewandelten rot-grünen Entwurf zustimmen.
({1})
Das ganze letzte Jahr lief die Union herum, forderte
eine Eins-zu-eins-Umsetzung der EU-Richtlinien und
mobilisierte gegen den rot-grünen Entwurf eines Antidiskriminierungsgesetzes. Nun aber beschließen Sie ein
Gesetz, das im Wesentlichen dem von uns vorgelegten
Entwurf entspricht. Der einzige Unterschied zwischen
dem, was wir vorgelegt haben, und einer Eins-zu-einsUmsetzung besteht darin, dass wir die Menschen im
Rahmen des Zivilrechts nicht nur vor Diskriminierung
aufgrund von Rasse, ethnischer Herkunft und Geschlecht schützen, sondern auch vor Diskriminierung
aufgrund von Religion, Alter, Behinderung und sexueller Identität. Das ist der Unterschied zwischen der Einszu-Eins-Umsetzung nach Herrn Westerwelle und dem
Entwurf von Rot-Grün und Schwarz. Deshalb war das
Ganze ein Popanz. Herr Westerwelle hat heute noch einmal einen solchen Popanz aufgeführt: Das war eins zu
eins Ihre Rede aus dem letzten Jahr, meine Kollegen von
der Union.
({2})
Regieren bildet. Jetzt haben Sie gemerkt, dass Sie
EU-Recht umsetzen müssen. Wir sind zufrieden, weil
sich Rot-Grün gegen Schwarz in der großen Koalition
durchgesetzt hat. Man merkt natürlich, dass die Union
bei diesem Gesetz erhebliche Schluckbeschwerden hat.
Deshalb hat die Koalition, freundlich wie man zueinander ist, Placebos bereitgehalten, Beruhigungsmittel verteilt und Schmerztabletten ausgegeben. Das Problem ist
aber, dass Placebos wirkungslos sind. Bei den Verschlechterungen - über die Sie, Frau Kollegin Dagdelen,
sich gerade aufgeregt haben - werden diese Beruhigungs- und Schmerztabletten langfristig nicht wirken,
weil sie EU-rechtswidrig und zum Teil auch verfassungswidrig, weil willkürlich sind.
({3})
Deshalb sind wir ganz getrost, dass der Unsinn, der
durch die Änderungsanträge in das Gesetz hineingebracht wurde, in der Rechtspraxis herausgenommen
wird. Die Justizministerin gesteht das frank und frei zu.
Da, wo das EU-Recht nicht umgesetzt ist, sagt man den
Richtern - nachzulesen heute in der „Frankfurter Allgemeinen“ -:
Im Zweifel müssen die Richter die Bestimmungen
eben europarechtskonform auslegen.
Man weiß genau, dass bestimmte Dinge eben nicht EUrechtskonform sind.
({4})
Was ist das aber für eine Gesetzgebung, wenn man sagt,
die Richter sollen es richtig machen, obwohl es der Gesetzgeber falsch gewollt hat? Das ist doch absurd und
wird die Menschen draußen nicht überzeugen.
Herr Westerwelle und Herr Montag haben die wunderbare Formulierung zum Indiz bei der Beweislastregel
vorgetragen: Indizien, die eine Benachteiligung wegen
eines in § 1 genannten Grundes vermuten lassen. Das
klingt wunderschön. Noch schöner finde ich allerdings
die Begründung. Man sagt, man habe das gemacht, weil
der Begriff der Glaubhaftmachung - das ist eine
Volker Beck ({5})
Regelung, die seit 25 Jahren gilt, die ausjudiziert ist, von
der jeder weiß, was er darunter zu verstehen hat - von
Journalisten oftmals falsch verstanden wird.
({6})
Die Rechtsprechung hat mit dem Begriff überhaupt
keine Probleme. Machen wir die Gesetzgebung jetzt aufgrund von TED-Abstimmungen? Stimmen wir darüber
ab, was die Leute richtig oder falsch verstehen? Gesetze
müssen funktionieren und klar sein.
({7})
Damit die Richter aber nicht irre werden, bietet die
Begründung weitere Hinweise: Das, was im Gesetz
steht, ist gar nicht gemeint. Nach der Rechtsprechung
des Europäischen Gerichtshofes „kehrt sich die Beweislast um, wenn derjenige, der dem ersten Anschein nach
diskriminiert ist, sonst kein wirksames Mittel hätte, um
die Einhaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes
durchzusetzen“. Da hat Sie Ihr Koalitionspartner gründlich hinter die Fichte geführt. Herr Gehb hat im Rechtsausschuss, wie ich mir berichten ließ, gejammert und gesagt, er könne sich mit dieser Vorschrift vor keinem
Fachpublikum mehr sehen lassen. Ich habe großes Verständnis dafür. Es ist ein allzu billiger Sieg der anderen
Seite, wenn man darauf verweist.
({8})
Die Kündigungen wollen Sie jetzt nicht mehr nach
dem AGG, sondern nach dem allgemeinen Kündigungsschutzgesetz behandeln. Dazu sagt nicht nur der DGB,
sondern auch laut „FAZ“ der Arbeitsrechtler Martin
Kock, der unverdächtig ist, das sei Augenwischerei.
Auch beim Kündigungsschutzrecht gelte selbstverständlich die europäische Wertung. Wie sollte es auch anders
sein? Das steht in der Richtlinie. Auch da hat man Ihnen
Steine statt Brot gegeben.
Bei dem Mietrecht freuen Sie sich meines Erachtens
ebenfalls zu früh. Herr Gehb hat zu Recht darauf hingewiesen, dass es ein Unterschied ist, ob ein Vermieter selber auf dem Grundstück, das er vermietet, wohnt oder ob
er das Mietobjekt nur als Kapitalanlage nutzt. Diesen
Unterschied hatten wir im rot-grünen Gesetzentwurf gemacht. Sie ziehen jetzt eine willkürliche Grenze bei
50 Wohnungen. Das macht überhaupt keinen Sinn. Ich
glaube, es wird Ihnen nicht durchgehen, dass ein Vermieter, der nur 49 Wohnungen hat, in seine Wohnungsanzeige schreiben kann: „Juden und Homosexuelle
zwecklos“. Der Zivilrichter wird Ihnen nicht durchgehen
lassen, sich mit der Grenze bei 50 Wohnungen herauszureden.
Herr Kollege Beck, Ihre Redezeit ist überschritten.
Lassen Sie mich zum Schluss sagen - es gibt noch
jede Menge weitere lustige Beispiele, die man aus den
Änderungsanträgen aufführen könnte -: Sie schrammen
an einigen Punkten die Richtlinie. Deshalb haben wir einen Entschließungsantrag eingebracht, den wir heute
überweisen. Lassen Sie uns über diesen Entschließungsantrag und die Frage, wo der Gesetzgeber die Richtlinie
nicht vollständig umsetzt, im Herbst in einer Anhörung
diskutieren
({0})
und dann die Nachbearbeitung und Verbesserung dieses
Gesetzes vorbereiten.
Vielen Dank.
({1})
Das Wort hat die Kollegin Christine Lambrecht, SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Bei allem Verständnis dafür,
in so eine Debatte ein bisschen Schwung bringen und
sich vor den Zuschauern profilieren zu wollen, möchte
ich doch darum bitten, dass wir uns abseits von all dem
kleinkarierten Auseinanderpflücken von Kommas, Bindestrichen und vergessenen Daten in irgendwelchen Begründungen wieder mit dem Gegenstand, mit dem, was
mit diesem Gesetz für die Menschen in unserem Land
bewirkt werden soll, beschäftigen.
({0})
Ich muss sagen: Ich kann die Gefühle, die Herr Beck
darüber zum Ausdruck gebracht hat, dass wir dieses Gesetz heute in zweiter und dritter Lesung beschließen,
noch toppen. Mich freut es, ich finde es richtig klasse,
dass wir nach vielen, vielen Jahren endlich dazu kommen, ein Gesetz zu beschließen, das Menschen etwas in
die Hand gibt, um sich gegen Diskriminierung zu wehren. Dann müssen sie nicht immer nur hören: Wir alle
wollen das nicht, Diskriminierung ist schlecht. Wir müssen sagen: Es reicht uns, wir haben lange genug zugesehen, in bestimmten Bereichen unserer Gesellschaft gibt
es nun einmal diese Tendenzen. Deshalb sagen wir als
Staat, als Gesetzgeber: Mit uns wird das nicht zu machen
sein. Wir geben den Menschen Instrumente in die Hand,
um sich zu wehren. Genau darum geht es mit diesem Gesetz und um sonst nichts.
({1})
Ich bin immer wieder darüber überrascht, wie einiges
verquickt wird. Herr Westerwelle redet von unnötiger
Bürokratie. Meistens kam in diesen Debatten auch noch
der Grundsatz der Vertragsfreiheit, der angeblich verletzt wird, zur Sprache. Mein Verständnis von Vertragsfreiheit ist - ich glaube, da gehe ich d’accord mit fast alChristine Lambrecht
len Kolleginnen und Kollegen - beim besten Willen
nicht das rücksichtslose Vorgehen, das Diskriminieren
von Menschen bei Massengeschäften und Leistungen,
die ohne Ansehen ihrer Person zu gewähren sind. Das
verstehe ich darunter nicht.
({2})
Ich habe in Ihrer Rede, Herr Westerwelle - er ist jetzt
abgelenkt und muss telefonieren; er hat Wichtigeres zu
tun -, Ihre Kritik an der Grenze von 50 Wohnungen
nicht ganz verstanden. Ging es darum, dass Sie Angst
davor haben, dass Menschen an einen Vermieter geraten,
der weniger Wohnungen hat, und dann keinen Diskriminierungsschutz bekommen? Geht Ihnen das Gesetz nicht
weit genug? Das wurde nicht ganz deutlich.
In dieser Diskussion besteht ein Spannungsverhältnis.
Den einen geht das Gesetz viel zu weit, den anderen geht
es nicht weit genug. Aber es freut mich, dass wir es zumindest geschafft haben - das war in diesem Prozess zu
lernen -, uns mit einer mittlerweile ganz breiten Mehrheit darauf zu konzentrieren, was wir machen können,
was sinnvoll und nicht überzogen ist, um Menschen zu
helfen.
Frau Dagdelen, ich finde es ganz interessant, dass Sie
hier heute eine Fülle von Kritik ausgeschüttet haben. Ich
hätte mich darüber gefreut, wenn Sie das gestern im
Rechtsausschuss, also in dem Gremium, in dem wir
ganz sachlich über dieses Thema gesprochen haben - Juristen sind bekannt für ihren Stil; der ist bei weitem nicht
so lustig, wie wir es hier heute erlebt haben -, getan hätten. Wir saßen gestern stundenlang zusammen und von
Ihnen war in der viereinhalbstündigen Rechtsausschusssitzung kein einziges Wort zu hören, auch nicht zu diesem Thema.
({3})
Ihre Kritik hätten Sie vielleicht früher anbringen können
als nur hier vor dem versammelten Publikum.
Ich will noch zwei, drei Punkte ansprechen. Jawohl,
das Klagerecht von Gewerkschaften und Betriebsräten
bleibt erhalten. Das ist richtig so, weil nur dieses gewährleistet, dass, wenn in Betrieben diskriminiert wird,
entsprechend vorgegangen wird, weil die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zum Teil diese Möglichkeit
selbst nicht wahrnehmen, nicht wahrnehmen wollen
oder nicht wahrnehmen können.
({4})
Es geht darum, ihnen hier etwas an die Hand zu geben.
Ich glaube, mit diesem Gesetzentwurf haben wir alles
getan, was sinnvoll und vernünftig ist, damit dieser
Schutz wirklich gewährleistet werden kann.
Die Veränderungen in Bezug auf den Kündigungsschutz sind bereits angesprochen worden. Man kann
darüber diskutieren, ob die frühere Formulierung, dass
vorrangig der Kündigungsschutz Anwendung findet, mit
der EU-Richtlinie konform geht. Ich weiß, dass es im
Hinblick auf das Spannungsfeld zwischen der jetzigen
Formulierung und den EU-Richtlinien große Bedenken
gibt; das wurde von verschiedenen Kolleginnen und
Kollegen an mich herangetragen. Aber ich gehe selbstverständlich davon aus, dass unsere Arbeitsgerichte dieses Gesetz richtlinienkonform auslegen werden und es
dementsprechend angewandt wird. Dann wird sich zeigen, wie die Rechtsprechung dazu aussieht. Aber zweifellos besteht hier ein Spannungsverhältnis. Das ist überhaupt nicht wegzudiskutieren.
Zum Thema Wohnraum habe ich schon etwas gesagt.
In den letzten Tagen wurde im Zusammenhang mit
der Höhe des Schadenersatzes darüber diskutiert, ob
exorbitante Ansprüche geltend gemacht werden können,
die Unternehmen womöglich in den Ruin treiben werden. Ich kann ganz deutlich sagen: In Deutschland wird
es nie Schadenersatzforderungen in Höhe von mehreren
hundert Millionen geben, wie sie beispielsweise in den
USA üblich sind. Das wird es bei uns nicht geben. Die
EU verlangt zwar ein abschreckend hohes Schmerzensgeld. Aber im Arbeitsrecht beträgt es, auch nach Ansicht
anderer europäischer Staaten, maximal ein Jahresgehalt
und mindestens 30 000 Euro.
Wir haben in unserem Gesetzentwurf, wie ich finde,
eine vernünftige Lösung gefunden, die sicherstellt, dass
genau das, was befürchtet wurde, nicht eintreten wird,
nämlich eine Überforderung der Unternehmen. Aber ich
sage auch ganz klar: Wer gegen dieses Gesetz verstößt
und Menschen diskriminiert, der muss das spüren. Das
muss dann Konsequenzen haben. Sonst wäre dieses Gesetz ein stumpfes Schwert.
({5})
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, dieser Gesetzentwurf ist ein großer Schritt. Ich weiß, dass sich heute
ganz viele Verbände darüber freuen, dass wir diesen
Schritt endlich machen, zum Beispiel die Behindertenverbände und die Schwulen- und Lesbenverbände. Denn
damit zeigen wir: Wir reden nicht nur, sondern wir handeln auch. Lassen Sie uns diesen Gesetzentwurf heute
verabschieden und ihn nicht kleinreden.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat der Kollege Dr. Wolfgang Götzer, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich will aus meiner Meinung zu diesem Gesetzentwurf gar keinen Hehl machen: Was lange währt, wird
nicht automatisch endlich gut.
({0})
Die Union hat immer ganz klar gesagt, dass wir Regelungen, wie sie die EU-Richtlinien vorgeben, dem
Grunde nach für überflüssig halten, im Übrigen teilweise
für ausgesprochen schlecht.
({1})
Für einen vernünftigen und ideologiefreien Schutz vor
Diskriminierung hätte unser geltendes nationales Recht
ausgereicht.
({2})
Jetzt aber hält die Ideologie Einzug in unser Zivilrecht
und greift massiv in seinen Kernbereich ein, nämlich in
die Vertragsfreiheit. Das gilt auch für den heute vorliegenden Gesetzentwurf, ist aber in den Richtlinien der
EU begründet.
({3})
Dass wir dem AGG heute trotzdem zustimmen, hat
zwei Gründe.
Erstens war die Umsetzung der EU-Gleichbehandlungsrichtlinien in deutsches Recht europarechtlich geboten. Jeder weitere Verzug - darauf ist schon hingewiesen worden - hätte für unser Land Strafzahlungen in
Höhe von bis zu 900 000 Euro pro Tag zur Folge gehabt.
Zweitens konnten gegenüber dem ursprünglichen
Entwurf, der unverkennbar die Handschrift der Grünen
getragen hat, erhebliche Verbesserungen erzielt werden.
({4})
Bereits im Rahmen der Vorbereitung des Regierungsentwurfs sind am Entwurf aus der letzten Wahlperiode einige wichtige Änderungen vorgenommen worden. Ich
nenne nur den Wegfall des Kontrahierungszwangs im
Zivilrecht. Vor allem aber konnten in den koalitionsinternen Verhandlungen der letzten Tage noch zentrale
Punkte geändert werden.
({5})
Ich weise nur stichwortartig darauf hin: Jetzt ist praktisch weitgehend ausgeschlossen, dass die AGG-Regelungen auch private Vermieter betreffen. Die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen bleibt somit weitestgehend
gewahrt. Es ist sichergestellt, dass eine unterschiedliche
Behandlung bei der Wohnraumvermietung aus übergeordneten Gründen möglich ist. Das Kriterium der Weltanschauung fällt nicht mehr unter den zivilrechtlichen
Diskriminierungsschutz. Der Begriff „Weltanschauung“
ist schwer zu definieren.
({6})
Hier wäre möglicherweise ein Einfallstor für Sekten
oder extremistische Organisationen geschaffen worden.
({7})
Das gilt übrigens nicht nur für Rechtsradikale, wie es in
der Begründung heißt, sondern natürlich auch für Linksradikale und andere, vergleichbare Organisationen. Die
Beweislastregelung ist präzisiert worden, deutlich zulasten desjenigen, der behauptet, diskriminiert worden
zu sein. Ich mache keine Hehl daraus: Natürlich wäre es
uns am liebsten gewesen, wir hätten die klassische Beweislastregelung des Zivilrechts.
({8})
Nur, Herr Kollege Westerwelle, das lässt die EU-Richtlinie nicht zu; auch das müssen wir sehen. Für Kündigungen gelten ausschließlich die Bestimmungen des allgemeinen und besonderen Kündigungsschutzes; auch
darauf ist hingewiesen worden. Ein erweitertes Klagerecht des Betriebsrates wird es nicht geben. Der Betriebsrat oder die im Betrieb vertretene Gewerkschaft
kann nur eigene Rechte geltend machen, nicht aber stellvertretend die Rechte eines Arbeitnehmers oder dies gar
gegen dessen Willen. Antidiskriminierungsverbände
können nicht als Prozessbevollmächtigte für Betroffene
auftreten. Schließlich haben wir die Ausschlussfrist für
die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen
von drei Monaten auf zwei Monate reduziert.
({9})
Das alles sind Punkte, die in den letzten Tagen noch erreicht werden konnten.
({10})
Ich sage aber auch hier ganz klar: Diese Verbesserungen
machen aus einer schlechten Richtlinie kein gutes Gesetz.
({11})
Aber sie führen dazu, dass wir, weil mehr nicht machbar
war und weil wir, wie gesagt, um eine Umsetzung der
EU-Richtlinien nicht herumkommen, dem vorliegenden
Entwurf, wenn auch mit Bauchschmerzen, zustimmen.
Lassen Sie mich abschließend eine grundsätzliche
Bemerkung machen. Die Beschäftigung mit diesen EURichtlinien muss für uns Anlass sein, dafür zu sorgen,
dass sich der Deutsche Bundestag künftig nicht erst dann
mit EU-Richtlinien beschäftigt, wenn diese bereits verbindlich geworden, also umzusetzen sind,
({12})
sondern schon dann, wenn sie in Brüssel ausgebrütet
werden: damit sie notfalls auf europäischer Ebene gestoppt werden können.
Vielen Dank.
({13})
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor wir zur Ab-
stimmung kommen, gebe ich bekannt, dass mir etliche
schriftliche Erklärungen zur Abstimmung nach § 31 un-
serer Geschäftsordnung vorliegen.1) Der Kollege Ilja
Seifert wünscht eine mündliche Erklärung abzugeben.
Ich bitte, liebe Kolleginnen und Kollegen, den Lärmpegel während dieser Zeit etwas herunterzufahren. Kollege
Seifert, Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich kann und will nicht gegen ein Gesetz stimmen, das Diskriminierungen ächtet und verbietet. Ich
kann und will aber auch nicht einem Gesetz zustimmen,
das in seiner Substanz diesem Anspruch nicht gerecht
wird.
Was heute hier beschlossen wird, könnte eigentlich
der krönende Abschluss einer langen Wegstrecke sein,
auf der auch ich, gemeinsam mit vielen anderen, seit
Jahren wandle. Gerne würde ich mit denen feiern, die
wie ich große Hoffnungen in ein umfassendes und wirkungsvolles Diskriminierungsverbot setzen. Eine Mogelpackung - als solche kommt das Gesetz heute daher lasse ich mir aber nicht als Krone verkaufen.
Seit Jahren, insbesondere in den letzten Tagen und
Wochen, gab es jede Menge Gespräche mit Betroffenen
über den heute zur Abstimmung stehenden Gesetzentwurf. Die Entscheidung, zu der ich nunmehr komme,
fällt mir wirklich nicht leicht. Sie nennen das Gesetz
jetzt sehr verschämt „Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz“. Einerseits setzen Sie nun mit mehrjähriger Verspätung Antidiskriminierungsrichtlinien der EU um worauf viele Menschen seit Jahren gewartet haben. Andererseits sind nur sehr geringe Verbesserungen mit wenig Substanz in diesem Gesetzentwurf. Aber immerhin:
Es wären Verbesserungen; das könnte für eine Zustimmung sprechen.
Vor zwei Tagen jedoch legte die Koalition in einem
ziemlich fiesen Kuhhandel, der auch mit der Föderalismusreform zusammenhängt, noch einmal Hand an ihren
eigenen Gesetzentwurf. Damit schwächten Sie ihr eigenes Gesetz noch weiter. Mit einigen Änderungen bleiben
Sie sogar hinter den Mindestanforderungen der EU zurück. Das wäre ein Grund, das Gesetz in Gänze abzulehnen.
({0})
- Ich rede die ganze Zeit zur Abstimmung und erkläre
mein Abstimmungsverhalten.
Erstens werde ich diesem Gesetzentwurf also nicht
zustimmen, weil er irreführend bezeichnet ist. Wer Dis-
kriminierung wirklich verhindern will, muss ungleich
behandeln, nämlich die Schwächen der benachteiligten
Personen und Gruppen ausgleichen. Es geht also nicht
um Gleichbehandlung, sondern um Diskriminierungs-
verbot.
1) Anlagen 10 und 11
Zweitens werde ich dem Gesetzentwurf nicht zustimmen, weil eine große Gruppe nicht einbezogen ist, nämlich diejenigen, die wegen ihrer sozialen Herkunft oder
ihres soziokulturellen Status diskriminiert werden.
Drittens kann ich diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen, weil die Verkürzung der Frist für die Geltendmachung von Ansprüchen auf nunmehr zwei Monate, während sie allgemein drei Jahre beträgt, unverhältnismäßig
ist.
Viertens werde ich dem Gesetzentwurf nicht zustimmen, weil es für die Benachteiligungen von Menschengruppen bei der Vermietung von Wohnungen keinen
akzeptablen Grund gibt. Die Unterstellungen der Wohnungswirtschaft, dass eine überdurchschnittliche Anzahl von Menschen mit Behinderung, einer bestimmten
Religion oder einer bestimmten sexuellen Identität eine
Gefährdung stabiler Bevölkerungs- und Siedlungsstrukturen darstellt, sind absurd.
Ich werde dem Gesetzentwurf - fünftens - nicht zustimmen, weil zulässige unterschiedliche Behandlungen,
also erlaubte Diskriminierungen, nicht auf ein Mindestmaß reduziert wurden. Einzig die Gefahr für Leib und
Leben hielte ich als Ausnahme für akzeptabel.
Sechstens werde ich nicht zustimmen, weil der Begriff Rasse in keinen Gesetzentwurf gehört. Das sollte
auch hier der Fall sein.
Siebtens werde ich nicht zustimmen, weil das Verbandsklagerecht ebenso wie wirkungsvolle Strafen und
Sanktionen fehlen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich werde mich in
diesem Falle also sehr bewusst und sehr ausdrücklich der
Stimme enthalten. Das ist keine feige Zurückhaltung,
sondern eine sehr bewusste Entscheidung. Ich befürchte
allerdings, dass es nicht lange dauern wird, bis ich auf
der Seite derjenigen stehen werde, die dieses allgemeine
Antidiskriminierungsgesetz gegen diejenigen verteidigen müssen, die es immer noch angreifen.
({1})
Herr Kollege Seifert, Sie haben in Ihrer mündlichen
Erklärung davon gesprochen, dass es sich um einen
„ziemlich fiesen Kuhhandel“ handeln würde. Dies ist
unparlamentarisch und ich bitte Sie herzlich, dies zukünftig bei einer mündlichen Erklärung zu unterlassen.
({0})
Wir kommen zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes
zur Umsetzung europäischer Richtlinien zur Verwirk-
lichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung, Druck-
sachen 16/1780 und 16/1852.
Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/2022, den
Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. -
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzent-
wurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
SPD, Bündnis 90/Die Grünen und CDU/CSU bei Ge-
genstimmen der Fraktionen der FDP und der Linken so-
wie aus den Reihen der CDU/CSU und einigen Enthal-
tungen der Linken angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Die Fraktion der FDP verlangt
namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerin-
nen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzu-
nehmen. - Sind alle Plätze an den Urnen besetzt? - Das
ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich
schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerin-
nen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.
Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird Ihnen
später bekannt gegeben.
Wir setzen nun die Abstimmungen fort.
Abstimmung über den Entschließungsantrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/2034: Wer
stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt
dagegen? - Stimmenthaltungen? - Der Entschließungs-
antrag ist mit der Mehrheit der Stimmen des Hauses bei
Stimmenthaltung der Grünen abgelehnt.
Der Entschließungsantrag der Fraktion des Bündnis-
ses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/2033 soll zur fe-
derführenden Beratung an den Rechtsausschuss und zur
Mitberatung an den Ausschuss für Wirtschaft und Tech-
nologie, den Ausschuss für Arbeit und Soziales sowie
den Ausschuss für Familien, Senioren, Frauen und
Jugend überwiesen werden. Sind Sie damit einverstan-
den? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so be-
schlossen.
Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion
des Bündnisses 90/Die Grünen zur Umsetzung europäi-
scher Antidiskriminierungsrichtlinien, Drucksache 16/297:
Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/2022, den Ge-
setzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. -
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzent-
wurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der
Mehrheit des Hauses bei Enthaltung der Fraktion Die
Linke abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäfts-
ordnung die weitere Beratung.
Der Rechtsausschusses empfiehlt unter Buchstabe c
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/2022
die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 16/370 mit dem Titel „EU-Antidiskriminie-
rungsrichtlinien durch einheitliches Antidiskriminie-
rungsgesetz wirksam und umfassend umsetzen“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! -
Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit der
Mehrheit der Stimmen des Hauses bei Enthaltung der
Grünen angenommen.
Unter Buchstabe d seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Druck-
sache 16/957 mit dem Titel „Keine Ausgrenzung beim
Antidiskriminierungsgesetz“. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? -
Die Beschlussempfehlung ist mit der Mehrheit der Stim-
men des Hauses bei Enthaltung der Fraktion Die Linke
angenommen.
Schließlich empfiehlt der Rechtsausschuss unter
Buchstabe e seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 16/2022 die Ablehnung des Antrags der Fraktion
der FDP auf Drucksache 16/1861 mit dem Titel „Büro-
kratie schützt nicht vor Diskriminierung - Allgemeines
Gleichbehandlungsgesetz ist der falsche Weg“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist mit den überwiegenden Stimmen des Hauses ange-
nommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des
Rechts der Verbraucherinformation
- Drucksache 16/1408 - Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Verbraucherinformationsgesetzes ({1})
- Drucksache 16/199 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({2})
- Drucksache 16/2011 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Ursula Heinen
Dr. Kirsten Tackmann
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({3})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Peter Bleser,
Ursula Heinen, Gitta Connemann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie
der Abgeordneten Waltraud Wolff ({4}),
Ulrich Kelber, Volker Blumentritt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Lebensmittelskandalen effektiv entgegenwirken - Verbraucher umfassend informieren
- zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrike Höfken,
Bärbel Höhn, Cornelia Behm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN
Konsequenzen aus den Fleischskandalen:
Umfassende Verbraucherinformation und bessere Kontrollen
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
- zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-Michael
Goldmann, Dr. Christel Happach-Kasan, Jens
Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Verbraucherschutz in der Marktwirtschaft
durch mündige und aufgeklärte Verbraucher
sicherstellen
- Drucksachen 16/195, 16/111, 16/825, 16/2009 Berichterstattung:
Abgeordnete Ursula Heinen
Hans-Michael Goldmann
Ulrike Höfken
Zum Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU
und der SPD liegen mehrere Entschließungsanträge vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Ursula Heinen, CDU/CSU-Fraktion.
({5})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach fast fünf Jahren
Diskussion wird der Deutsche Bundestag mit seiner Zustimmung das Verbraucherinformationsgesetz endlich zu
einem guten Abschluss bringen. Wir, Union und SPD,
haben damit ein neues Kapitel der Verbraucherpolitik
aufgeschlagen und ein Gesetz gestaltet, das den Verbrauchern neue Perspektiven eröffnet.
Erstmals erhalten die Verbraucher in unserem Land
ein bundeseinheitliches Recht auf Zugang zu bei Behörden vorhandenen Informationen über Lebensmittel und
Bedarfsgegenstände. Dafür müssen wir uns bei unserem
CSU-Minister, Horst Seehofer, bedanken, der das Projekt relativ zügig nach seinem Amtsantritt in Angriff genommen
({0})
- natürlich gemeinsam mit den Koalitionsfraktionen und das Gesetz über die Ziellinie gebracht hat. Das war
bekanntlich ein schwieriger Prozess.
Lassen Sie mich an dieser Stelle noch einmal betonen,
dass sich der Anwendungsbereich des hier debattierten
Gesetzes eben nicht nur auf Lebensmittel beschränkt
- wie es in den öffentlichen Diskussionen oftmals dargestellt wird -, sondern dass es auch für Kosmetika, Bekleidung, Spielwaren, Schnuller, Bettwäsche, Putz- und
Waschmittel sowie alles, was mit der Haut oder den
Schleimhäuten in Berührung kommen kann, gilt. Der
Gesetzentwurf umfasst damit die für die Verbraucher
wichtigsten Gegenstände des alltäglichen Bedarfs.
({1})
Das ist ein Riesenfortschritt.
({2})
Künftig können Informationen beispielsweise über
Verstöße gegen das Lebensmittel- und Futtermittelgesetz
- das ist angesichts der Gammelfleischdiskussion vor einigen Monaten von entscheidender Bedeutung -, über
Daten, die Auskunft über Gefahren oder Risiken für die
Gesundheit geben, sowie über Überwachungsmaßnahmen der Behörden abgerufen werden. Für die Verbraucherinnen und Verbraucher sind insbesondere Angaben
zu festgestellten Werten von Bedeutung. Erinnern Sie
sich zum Beispiel an die immer wieder aufkommende
Acrylamiddiskussion!
Der Zugang zu Informationen ist für unser Leitbild
des mündigen Verbrauchers eine entscheidende Voraussetzung,
({3})
das wir in unserem Koalitionsvertrag festgehalten haben.
Um diese Voraussetzung zu schaffen, haben wir nach der
Expertenanhörung im Ausschuss auch hinsichtlich der
Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse den Willen des
Gesetzgebers deutlicher und klarer formuliert. So fallen
künftig Informationen über Rechtsverstöße nicht unter
den Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen.
({4})
Wir haben immer wieder darüber diskutiert, ob sich Unternehmen eventuell auf das Geschäftsgeheimnis berufen können, wenn Rechtsverstöße festgestellt worden
sind. Das haben wir jetzt im Gesetz klargestellt. Das gibt
es nicht. In einem solchen Fall werden die Namen genannt. Auch das ist eine ganz wichtige Botschaft an die
Verbraucherinnen und Verbraucher.
({5})
Auf der anderen Seite gilt aber: Wir müssen die
Eigentumsrechte der Unternehmen wahren. Deshalb
befinden wir uns mit diesem Gesetz auf einer Gratwanderung. Natürlich wäre es schön, über jedes Detail eines
Produktes genau Bescheid zu wissen. Dann kann es aber
vorkommen, dass wir beispielsweise Rezepturen oder
ähnliche Dinge erfahren wollen, die ganz klar Betriebsgeheimnisse eines Unternehmens sind. Deswegen benötigen wir einen bestimmten Schutz der Unternehmen.
Nachweisliche Betriebsgeheimnisse müssen daher geschützt werden. Daran führt kein Weg vorbei.
({6})
Allerdings gilt auch: Je mehr Verbraucherinformationen die Unternehmen von sich aus bieten, desto besser
stehen sie im Wettbewerb da;
({7})
denn heute wollen Verbraucher wissen, was sie kaufen
und welche Inhaltsstoffe die Produkte haben, die sie
kaufen. Deshalb können wir den Unternehmen nur raten,
eine offensive Informationspolitik zu betreiben und die
Verbraucher von sich aus und nicht nur über den
„Umweg“ über die Behörden über ihre Produkte rechtzeitig, klar und eindeutig zu informieren.
({8})
Ich habe eingangs schon gesagt, dass wir mit dem
Verbraucherinformationsgesetz einen ganz neuen Weg in
der Verbraucherpolitik beschreiten. Weil wir prüfen
müssen, wie das Gesetz angenommen wird, haben wir
als Koalitionsfraktionen in einem Entschließungsantrag,
den wir heute auch verabschieden, festgehalten, dass wir
innerhalb der nächsten zwei Jahre das Gesetz evaluieren
wollen. Wir werden uns sehr genau anschauen, wie die
Verbraucherinnen und Verbraucher die Möglichkeiten
des Gesetzes nutzen, ob es eventuell bei den Antworten
der Behörden Schwierigkeiten gibt, ob die Unternehmen
mitmachen oder ob sie Informationen nicht preisgeben,
alles unter Verschluss halten und die Verbraucher nicht
informieren. Letzteres hieße für uns, dass wir schärfere
Regelungen treffen müssten, soweit wir das können,
ohne Eigentumsrechte der Unternehmen etc. zu verletzen.
({9})
Neben dem Verbraucherinformationsgesetz haben wir
noch eine wichtige Änderung im Lebensmittel- und
Futtermittelgesetz vorgenommen. Es geht darum, dass
die Behörden aktiv die Verbraucher informieren, wenn
Rechtsverstöße vorliegen bzw. wenn von bestimmten
Produkten ganz klar Gesundheitsgefahren ausgehen.
Bisher war im Lebensmittel- und Futtermittelgesetz nur
geregelt, dass die Behörden informieren können. Wir haben das schärfer gefasst und deshalb eine Sollbestimmung eingeführt. Die Behörden sollen jetzt die Öffentlichkeit informieren, sobald Gesundheitsgefahren,
Risiken etc. vorliegen.
({10})
In Zukunft können auch dann Namen von Produkten
genannt werden, wenn die Produkte nicht mehr auf dem
Markt sind, nachträglich aber festgestellt wurde, dass
von ihnen Gesundheitsgefahren ausgegangen sind. Auch
das ist ein großer Schritt hin zu mehr Verbraucherinformation.
Die Koalition hat bei einem wichtigen Versprechen,
nämlich in dieser Legislaturperiode ein Verbraucherinformationsgesetz vorzulegen, Wort gehalten.
({11})
Ich danke allen Kolleginnen und Kollegen, die auf
diesem Weg mitgegangen sind.
({12})
Ich komme zu Tagesordnungspunkt 5 a zurück und
gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern
ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung
über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur
Umsetzung europäischer Richtlinien zur Verwirklichung
des Grundsatzes der Gleichbehandlung - Drucksachen 16/1780, 16/1852, 16/2022 - bekannt. Abgegebene Stimmen 571. Mit Ja haben 443 gestimmt, mit Nein
haben 111 gestimmt, Enthaltungen 17.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 571;
davon
ja: 443
nein: 111
enthalten: 17
Ja
CDU/CSU
Ilse Aigner
Peter Albach
Peter Altmaier
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Dr. Christoph Bergner
Clemens Binninger
Renate Blank
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({0})
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Anke Eymer ({1})
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Hartwig Fischer ({2})
Dirk Fischer ({3})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Dr. Hans-Peter Friedrich
({4})
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Michael Glos
Ralf Göbel
Josef Göppel
Peter Götz
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Karl-Theodor Freiherr zu
Guttenberg
Holger Haibach
Ursula Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Peter Hintze
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung ({5})
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({6})
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Jürgen Klimke
Jens Koeppen
Kristina Köhler ({7})
Norbert Königshofen
Hartmut Koschyk
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Martina Krogmann
Johann-Henrich
Krummacher
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers
({8})
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Ingbert Liebing
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Stephan Mayer ({9})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Laurenz Meyer ({10})
Maria Michalk
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Carsten Müller
({11})
Stefan Müller ({12})
Bernward Müller ({13})
Dr. Gerd Müller
Hildegard Müller
Bernd Neumann ({14})
Michaela Noll
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Dr. Peter Paziorek
Ulrich Petzold
Sibylle Pfeiffer
Ronald Pofalla
Daniela Raab
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Johannes Röring
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht ({15})
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({16})
Hermann-Josef Scharf
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Georg Schirmbeck
Bernd Schmidbauer
Andreas Schmidt ({17})
Ingo Schmitt ({18})
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Horst Seehofer
Kurt Segner
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Erika Steinbach
Gero Storjohann
Andreas Storm
Max Straubinger
Thomas Strobl ({19})
Michael Stübgen
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Marcus Weinberg
Peter Weiß ({20})
Gerald Weiß ({21})
Anette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Matthias Wissmann
Dagmar Wöhrl
SPD
Dr. Lale Akgün
Gregor Amann
Gerd Andres
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr ({22})
Dr. Hans- Peter Bartels
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({23})
Volker Blumentritt
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Bernhard Brinkmann
({24})
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Sigmar Gabriel
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Renate Gradistanac
Angelika Graf ({25})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann
({26})
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({27})
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({28})
Frank Hofmann ({29})
Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Brunhilde Irber
Johannes Jung ({30})
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Dr. h.c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Ernst Kranz
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Jürgen Kucharczyk
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christian Lange ({31})
Dr. Karl Lauterbach
Waltraud Lehn
Gabriele Lösekrug-Möller
Lothar Mark
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Petra Merkel ({32})
Ulrike Merten
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller ({33})
Michael Müller ({34})
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Christoph Pries
Dr. Wilhelm Priesmeier
Dr. Sascha Raabe
Steffen Reiche ({35})
Maik Reichel
Gerold Reichenbach
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
Sönke Rix
Rene Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({36})
Michael Roth ({37})
Ortwin Runde
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({38})
Bernd Scheelen
Marianne Schieder
Otto Schily
Silvia Schmidt ({39})
Renate Schmidt ({40})
Dr. Frank Schmidt
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Heinz Schmitt ({41})
Carsten Schneider ({42})
Ottmar Schreiner
({43})
Swen Schulz ({44})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Andreas Steppuhn
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Dr. Rainer Tabillion
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. h.c. Wolfgang Thierse
Jörn Thießen
Franz Thönnes
Hans-Jürgen Uhl
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen
({45})
Dr. Rainer Wend
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Waltraud Wollf
({46})
Heidi Wright
Uta Zapf
Manfred Zöllmer
BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Kerstin Andreae
Volker Beck ({47})
Cornelia Behm
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Alexander Bonde
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Hans Josef Fell
Kai Gehring
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Peter Hettlich
Priska Hinz ({48})
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ute Koczy
Sylvia Kotting-Uhl
Renate Künast
Undine Kurth ({49})
Markus Kurth
Monika Lazar
Anna Lührmann
Kerstin Müller ({50})
Winfried Nachtwei
Claudia Roth ({51})
Krista Sager
Elisabeth Scharfenberg
Irmingard Schewe-Gerigk
Rainder Steenblock
Silke Stokar von Neuforn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Jürgen Trittin
Wolfgang Wieland
Josef Philip Winkler
Margareta Wolf ({52})
Nein
CDU/CSU
Veronika Bellmann
Carl-Eduard von Bismarck
Thomas Dörflinger
Erich G. Fritz
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Peter Gauweiler
Norbert Geis
Dr. Reinhard Göhner
Manfred Kolbe
Dr. Klaus W. Lippold
Friedrich Merz
Henry Nitzsche
Dr. Georg Nüßlein
Beatrix Philipp
Peter Rauen
Kurt J. Rossmanith
Christian Freiherr von Stetten
Willi Zylajew
FDP
Jens Ackermann
Dr. Karl Addicks
Christian Ahrendt
Daniel Bahr ({53})
Uwe Barth
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich ({54})
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Miriam Gruß
Joachim Günther ({55})
Heinz-Peter Haustein
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Dr. Heinrich L. Kolb
Hellmut Königshaus
Gudrun Kopp
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Burkhardt Müller-Sönksen
Hans-Joachim Otto
({56})
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Jörg Rohde
Dr. Konrad Schily
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Florian Toncar
Christoph Waitz
Dr. Claudia Winterstein
Hartfrid Wolff ({57})
DIE LINKE
Karin Binder
Dr. Lothar Bisky
Heidrun Bluhm
Eva Bulling-Schröter
Sevim Dagdelen
Dr. Diether Dehm
Klaus Ernst
Diana Golze
Heike Hänsel
Lutz Heilmann
Inge Höger-Neuling
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Dr. Hakki Keskin
Monika Knoche
Jan Korte
Oskar Lafontaine
Michael Leutert
Ulla Lötzer
Ulrich Maurer
Kornelia Möller
Wolfgang Neskovic
Dr. Norman Paech
Bodo Ramelow
Paul Schäfer ({58})
({59})
Dr. Herbert Schui
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
fraktionslos
Gert Winkelmeier
Enthalten
CDU/CSU
Ernst-Reinhard Beck
({60})
Eberhard Gienger
Karl-Georg Wellmann
DIE LINKE
Roland Claus
Werner Dreibus
Dr. Barbara Höll
Katja Kipping
Dr. Gesine Lötzsch
Dorothee Menzner
Kersten Naumann
Elke Reinke
Dr. Petra Sitte
Jörn Wunderlich
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Der Gesetzentwurf ist damit angenommen.
Nächster Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Hans-Michael Goldmann, FDP-Fraktion.
({61})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Auch für die FDP ist das Thema „Verbraucherbildung, Verbraucherinformation und Verbraucherschutz“ äußerst wichtig. Wir versuchen mit aller Konsequenz und mit aller Deutlichkeit, die Balance zwischen
den Rechten der Verbraucher und den Rechten der Unternehmen - wir nennen sie Betriebsgeheimnisse oder
Geschäftsgeheimnisse - herzustellen. Wir müssen diese
Sache also ausgewogen gestalten. Das ist unser Kernziel,
wenn wir uns um Verbraucherschutz kümmern.
In dieser Frage - das ist die erste Kritik - ist dieses
Gesetz unklar. Dieses Gesetz schützt nicht systematisch
genug die Betriebs- und die Geschäftsgeheimnisse von
Unternehmen, vor allem nicht von kleinen Unternehmen.
({0})
Das ist Ihnen auch klar; schließlich haben Sie in diesem
Gesetz eine ganze Litanei von Ausnahmetatbeständen
aufgeführt. Um ein bisschen mehr Klarheit in diese Angelegenheit zu bringen, müssen Sie einen Entschließungsantrag zu Ihrem eigenen Gesetzentwurf einbringen, der auf der ersten Seite zwar relativ breit, aber
unklar darlegt, wie Sie dieses Gesetz ausgestaltet wissen
wollen.
Damit verbunden ist das Hauptproblem dieses Gesetzes. Dieses Gesetz verlagert die besondere Informationsverpflichtung gegenüber dem Verbraucher zu Recht in
die Behörden. Behörden sind die Bindeglieder zwischen
den Unternehmen und den Verbrauchern. Sie sind bestückt mit Fachfrauen und Fachmännern. Sie sammeln
diese Informationen; dafür haben sie einen staatlichen
Auftrag. Das machen Lebensmittelkontrolleure in den
Betrieben. Sie gehen in die Betriebe und informieren
sich darüber, ob sie sich an die Standards halten, die sozusagen Grundlage ihres wirtschaftlichen Tuns sind.
({1})
- Genauso ist es, Herr Kelber. - Sie sammeln diese Informationen und sie stellen sie den Verbrauchern zur
Verfügung. Wenn Sie mir das nicht glauben, dann können wir uns darüber nachher einmal unterhalten. Ich
habe das jahrelang gemacht. Ich weiß in etwa, wovon ich
spreche.
({2})
Wie wenig Vertrauen Sie im Grunde genommen in
diese behördliche Struktur - sie ist gleichzeitig das
Kernelement Ihres Verbraucherinformationsgesetzes setzen, das kann man auch daran sehen, dass diese
Behörden keine Verpflichtung zur Haftung für die Auskunft, die sie geben, haben. Das ist ein dolles Ding: Da
wendet sich ein Verbraucher an die Behörde, die Behörde gibt ihm eine Information, diese Information ist
möglicherweise falsch und gefährdet das Unternehmen
bis zur Existenzzerstörung. Dazu sagen Sie: Daran sind
wir aber nicht schuld. Sie bringen hier ein eigenartiges
Gesetz auf den Weg.
({3})
Was die Qualität angeht, weist es aus meiner Sicht wirklich dramatische Mängel auf.
Wie wenig Vertrauen Sie im Grunde genommen zu
Ihrem eigenen Gesetz haben, wird wiederum in Ihrem
Entschließungsantrag deutlich. Dort schreiben Sie
- das ist der letzte Punkt -, dass Sie den ersten Erfahrungsbericht zwei Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes
vorlegen und alle gesetzlichen Informationsrechte miteinander abstimmen und systematisieren wollen.
({4})
Das ist ja wohl ein Witz. Das heißt, das jetzt vorliegende
Gesetz ist unsystematisch
({5})
und mit vorhandenen gesetzlichen Bestimmungen, zum
Beispiel dem Informationsfreiheitsgesetz, nicht in Einklang zu bringen. Das ist eine schallende Ohrfeige für
Sie, die Sie diesen Gesetzentwurf heute verabschieden
wollen. Ich halte das wirklich für dramatisch.
({6})
Ihr Gesetz ist insgesamt halbherzig angelegt. Liebe
Kollegin Heinen, Sie haben schön gesagt, welche
Zuständigkeiten mit diesem Gesetz verbunden sind.
Aber wenn dieses Gesetz so toll ist, warum regelt es
dann eigentlich nicht die Auskunft über Lebensversicherungen? Warum regelt es nicht die Auskunftspflicht bei
Kapitalgeschäften? Warum beschränken Sie sich im
Kern auf Futtermittel, Lebensmittel und die dazugehörigen Bedarfsgegenstände? Wir wollen das mit dem Spielzeug nicht übertreiben. Schauen Sie doch einmal ins alte
Lebensmittelgesetz! Da ist der Begriff des Bedarfsgegenstandes sehr klar definiert. Mit dem, was Sie hier tun,
sind Sie von dem, was dort für den Verbraucher abgedeckt wird, ein ganzes Stück weit entfernt.
Ihr Gesetz bleibt in Bezug auf unsere zentralen Verbraucherrechte, zum Beispiel Fahrgastrechte und Schutz
junger Menschen, die sich durch die Benutzung von
Handys überschulden, weit hinter den Erwartungen der
Verbraucher zurück. Deswegen wird Ihr Gesetz von den
Verbraucherverbänden auch scharf kritisiert.
({7})
- Ja, natürlich! Entschuldigen Sie, liebe Frau Klöckner,
die FDP ist eine Bürgerrechtspartei. Deswegen ist sie natürlich Anwalt der Verbraucher. Sie ist die Partei, die
ganz klar die Interessenlagen von Betrieben vertritt, gerade von kleinen Betrieben - die nicht immer alles so gut
erfüllen können wie die großen -, damit diese Betriebe
und ihre Arbeitsplätze geschützt werden.
({8})
Lassen Sie mich noch etwas zu dem Gesetz von
Bündnis 90/Die Grünen sagen, über das wir auch diskutieren. Sie wollen einen Informationsanspruch gegenüber Unternehmen begründen. Das lehnen wir entschieden ab. Es kann nicht den Anspruch eines Bürgers
an ein Unternehmen geben, zum Beispiel zu wissen, wie
ein Malermeister - Kollege Zöllmer hat es gestern im
Ausschuss eindrucksvoll belegt - seine Preise kalkuliert.
Das ist schlicht und ergreifend eine Wettbewerbsverzerrung. Der Kunde muss sich auf Folgendes verlassen:
Wenn er ein Angebot von einem Betrieb oder Unternehmen bekommt, dann ist die Erarbeitung dieses Angebots
sachgerecht. Dafür gibt es Fachleute in den Unternehmen. Die andere Funktion haben zu Recht die Behörden
zu übernehmen.
Wir sind strikt gegen zu viele Staatseingriffe. Wir lehnen das grüne Gesetz entschieden ab. Es widerspricht allen Grundsätzen von Eigenverantwortung und Eigenständigkeit in Verbraucherfragen. Dieses Gesetz, das Sie
vorgelegt haben, geht wirklich an der Sache vorbei.
({9})
Das vorliegende Gesetz der Koalition ist nach Auffassung der FDP ein Namensblender. Es ist kein Gesetz, das
in entscheidendem Maße Verbraucherinformationen
transportiert. Es ist nach unserer Auffassung eine Mogelpackung. Wenn Sie sich die Mühe machen würden,
sich den Entschließungsantrag der FDP zu Gemüte zu
führen und die Inhalte in die einzelnen Bausteine des
Gesetzes zu integrieren, könnten wir längerfristig zu einem guten Gesetz kommen. Das von Ihnen heute vorliegende Gesetz findet unsere Zustimmung nicht. Wir müssen es ablehnen.
({10})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Elvira DrobinskiWeiß, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Dieses neue Verbraucherinformationsgesetz, das
den Verbraucherinnen und Verbrauchern zum ersten Mal
einen Anspruch auf Informationen in einem eigenständigen Gesetz gibt, wird von einigen völlig unterschätzt.
Deshalb bitte ich Sie, dem, was von meinem Vorredner
gerade ausgeführt worden ist, nicht zu folgen. Ich
möchte diese Gelegenheit nutzen, um einige Missverständnisse aufzuklären. Wenn es jetzt im Blick auf das,
was Frau Kollegin Heinen schon gesagt hat, Doppelungen gibt,
({0})
braucht Sie das nicht zu wundern; denn wir haben das
als Koalition miteinander unter starken Geburtswehen
auf den Weg gebracht.
Das Gesetz sieht deutliche Verbesserungen für die
Verbraucherinnen und Verbraucher vor und verleiht ihren Interessen mehr Gewicht. Die Behörden werden
verpflichtet, die Öffentlichkeit bei Verstößen gegen das
geltende Lebensmittelrecht zu informieren.
({1})
Das wurde auf Druck der SPD - das möchte ich ausdrücklich betonen - mit einer Verschärfung der im Lebens- und Futtermittelgesetzbuch ursprünglich vorgesehenen Kannregelung erreicht; hier gilt jetzt eine
Sollregelung. Dabei muss zwar eine Abwägung
({2})
zwischen den Belangen der Verbraucher und der betroffenen Unternehmen stattfinden; es ist aber in der Regel
davon auszugehen, dass das Interesse der Öffentlichkeit
überwiegt. Nur in begründeten Ausnahmefällen kann
von der Information der Öffentlichkeit abgesehen werden.
({3})
Ich will verdeutlichen, welche Vorteile die neue Regelung bringt. Die Behörden sollen die Öffentlichkeit
zum Beispiel informieren, wenn hinreichende Anhaltspunkte für eine gesundheitliche Gefährdung vorliegen,
die aus bestimmten Gründen nicht behoben werden
kann. Das gilt zum Beispiel für Acrylamid. Der Entstehung von Acrylamid beim Braten, Backen und Frittieren
von Kartoffeln und Getreideprodukten kann nicht verhindert werden. Aber durch niedrigere Temperaturen
und kurze Garzeiten kann die Acrylamidbelastung reduziert werden. Deshalb enthalten die auf dem Markt vorhandenen Produkte ganz unterschiedliche Anteile. Darüber müssen die Verbraucherinnen und Verbraucher
informiert werden,
({4})
zumal gerade Chips und Kekse, die vor allem belastet
sind, insbesondere von Kindern verzehrt werden.
Mit dem Gesetz haben wir jetzt ein wirksames Instrument in der Hand. Die Behörden können Produkte und
Hersteller benennen und die Verbraucher können sich
gegen hoch belastete Produkte entscheiden. Ich bin sicher, die Hersteller werden reagieren und die Belastung
reduzieren.
({5})
Ein weiteres Beispiel ist Gammelfleisch: Die Behörden sollen über Ekel erregende Lebensmittel informieren, das heißt, auch hier werden Produkt und Anbieter
benannt. Das Gesetz sieht übrigens ausdrücklich vor,
dass solche Informationen auch über Internet erfolgen
können.
Von besonderer Bedeutung ist, dass sich die Verbraucherinnen und Verbraucher nun selbst an die Behörden
wenden können, um weitere Informationen zu bekommen.
({6})
Auch das möchte ich an einem Beispiel erläutern, nämlich der Druckchemikalie ITX, die bei Verpackungen
eingesetzt wird und Anfang des Jahres mehrfach in
Obst- und Gemüsesäften aus Kartonverpackungen gefunden wurde.
Bei einigen herrschen offensichtlich Zweifel darüber,
ob Verpackungen vom Verbraucherinformationsgesetz
erfasst sind. Der Geltungsbereich umfasst nicht nur Lebens- und Futtermittel, sondern auch kosmetische Mittel
und Bedarfsgegenstände; diese hat Frau Heinen ja bereits vorhin aufgezählt. Alles, was mit Lebensmitteln
oder kosmetischen Mitteln in Berührung kommt, so zum
Beispiel Verpackungen, Behältnisse und sonstige Umhüllungen, fällt darunter. Verbraucherinnen und Verbraucher haben also das Recht, sich bei den Behörden über
die Beschaffenheit bzw. die Behandlung der Verpackung
zu informieren, und würden dort dann erfahren, ob bei
der Verpackung eines bestimmten Obstsafts ITX verwendet wurde oder nicht. Druckchemikalien gehören allerdings überhaupt nicht in Lebensmittel. Deshalb vertreten wir die Auffassung
({7})
- das sind wir -, dass die Behörden auch in solchen Fällen in Zukunft von sich aus die Öffentlichkeit informieren sollten.
({8})
Als Konsequenz aus der öffentlichen Anhörung zum
Verbraucherinformationsgesetz vor einigen Wochen
bringen wir heute auch einen Änderungsantrag zum Gesetz ein, der eine Verkürzung der Bearbeitungsfrist für
Informationsanliegen von acht Wochen auf vier Wochen
vorsieht.
({9})
Außerdem wird klargestellt, dass bei Rechtsverstößen
Informationen nicht unter Berufung auf den Schutz von
Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen verweigert werden
dürfen.
({10})
Da nun auch aus CDU/FDP-regierten Ländern, beispielsweise aus Nordrhein-Westfalen und BadenWürttemberg, Forderungen nach weiter gehenden Regelungen laut geworden sind,
({11})
kann ich für die SPD sagen: Wir sind mit dabei. Für uns
ist dieses Gesetz ein wichtiger, erster Schritt auf dem
Weg zum transparenten Markt. Wir werden dafür sorgen,
dass weitere Schritte folgen.
({12})
Wir wollen, dass auch die Wirtschaft ihre Verantwortung gegenüber den Verbraucherinnen und Verbrauchern
wahrnimmt und sie informiert.
({13})
- Eben nicht. - Bei den Unternehmen liegen schließlich
alle Daten vor, die eine bewusste Auswahl ermöglichen
und eine eigenverantwortliche Marktteilnahme gewährleisten.
({14})
Wir wollen auf Basis erster Erfahrungen mit dem Verbraucherinformationsgesetz die Aufnahme weiterer Produkte und Dienstleistungen in den Geltungsbereich erreichen.
({15})
Haben Sie zugehört, Herr Goldmann?
({16})
Wie bei allen neuen Gesetzen können wir bisher nicht
abschließend beurteilen, wie sich die Regelungen in der
Praxis bewähren werden und ob alle gewünschten Ziele
erreicht werden. Deshalb bringen wir heute auch einen
Entschließungsantrag ein, mit dem die Bundesregierung
aufgefordert wird, die Erfahrungen mit dem Gesetz zu
dokumentieren und auszuwerten. Damit werden wir zum
Beispiel beobachten können,
({17})
ob und welche Ausschlussgründe zu nicht nachvollziehbarer Informationsverweigerung führen, wie sich die
Kosten entwickeln und wie lange die Bearbeitung der
Auskunftsanliegen dauert. Diese Auswertung gibt uns
dann die Möglichkeit, bei eventuellen Fehlentwicklungen mit gesetzlichen Maßnahmen gegenzusteuern. Das
ist keineswegs eine schallende Ohrfeige. Vielmehr ist es
das Normalste von der Welt, dass man die Erfahrungen
mit einem Gesetz evaluiert.
({18})
Mit dem Antrag werden auch die Unternehmen aufgefordert, eigene Initiativen zu ergreifen und Zugang zu
den bei ihnen vorhandenen Informationen zu gewähren.
Sollte sich die Wirtschaft hier nicht bewegen, werden
wir auf gesetzliche Maßnahmen dringen.
({19})
Ich denke, wir sind mit dem Gesetz auf einem guten
Weg. Den werden wir weitergehen, denn - ich schließe
mit Johann Wolfgang von Goethe -:
Alles Gute, was geschieht, setzt das Nächste in Bewegung.
Vielen Dank.
({20})
Das Wort hat die Kollegin Dr. Kirsten Tackmann,
Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Verehrte Gäste! Dieser Entwurf eines Verbraucherinformationsgesetzes ist vor allem eins: ein Dokument der politischen Mut- und Kraftlosigkeit.
({0})
Man kann es auch stärker formulieren: Es fehlt bei einigen Akteuren, nicht bei allen, der politische Wille zur
Sicherung der Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher, auch gegenüber Interessen, die von Unternehmensverbänden geltend gemacht wurden. Ob damit
wirklich Unternehmensinteressen vertreten wurden, ist
eine spannende Diskussion.
Dass in der Protokollerklärung und im Ausschuss und
im Entschließungsantrag wichtige Defizite des Entwurfs
von den Einreichern selbst benannt werden, zeigt, dass
sie wissen, dass erstens die dringend benötigte Tür zwar
einen kleinen Spalt weit geöffnet wird, dahinter aber nur
eine Wand ist, und dass zweitens eine Chance vertan
wurde, tief erschüttertes Verbrauchervertrauen zurückzugewinnen.
Es mag ja sein, dass wir heute, objektiv gesehen, die
sichersten Lebensmittel aller Zeiten haben. Nur, die
Menschen bewerten das angesichts der Skandale der vergangenen Jahre subjektiv anders. Sie sind misstrauisch
geworden. Was haben Gammel- und Wildfleischskandale, Druckerfarben in Getränken, Pestizide in Obst und
Gemüse gemeinsam?
({1})
Die Informationen darüber gelangten viel zu spät, zu zögerlich und unvollständig an die Öffentlichkeit. Erst damit wurden sie zum Skandal!
({2})
Die Gegenstrategie wäre ebenso logisch wie einfach: ein
Verbraucherinformationsgesetz, das drei wesentliche
Kriterien erfüllt. Der Zugang zu Informationen bei Behörden und Unternehmen muss erstens möglichst vollständig, zweitens möglichst schnell und drittens erschwinglich sein.
({3})
Nur so können sich Verbraucherinnen und Verbraucher
auf gleicher Augenhöhe mit den Unternehmen am Markt
bewegen und mündige Kaufentscheidungen fällen. Was
aber bedeutet der vorliegende Gesetzentwurf für Otto
Normalverbraucher?
Erstes Beispiel: Zunächst erfährt er erst einmal gar
nichts, denn eine aktive Informationspflicht der
Behörden gibt es nicht. Otto Normalverbraucher wird
also gar nicht nachfragen, ob sein Lieblingsgetränk die
Druckerchemikalie ITX enthält, denn er ahnt ja gar
nicht, dass es die überhaupt gibt. Er bleibt im Zustand
der glückseligen Ahnungslosigkeit. Mit der entsprechenden Information hätte er solche Verpackungen meiden
können. Egal übrigens, ob ITX gesundheitsschädlich ist
oder nicht: Vorbeugen ist besser als Heilen!
({4})
Zweites Beispiel: Otto Normalverbraucher hat gelesen, dass Obst Pestizide enthalten kann. Also fragt er
beim Händler nach. Er könnte wieder Pech haben, denn
ein Auskunftsanspruch gegenüber Unternehmen besteht nicht.
Drittes Beispiel: Otto Normalverbraucher hat als eines von 300 000 Opfern eines Immobilienbetrugs durch
Strukturvertriebe viel Geld verloren. Er hätte rechtzeitig
vor dieser Gefahr gewarnt werden können. Aber Dienstleistungen gehören nicht zum Geltungsbereich des Verbraucherinformationsgesetzes.
Viertes Beispiel: Otto Normalverbraucher möchte erfahren, was an den Gerüchten dran ist, dass Honig nicht
gentechnikfrei ist. Aber er ist ALG-II-Empfänger. Die
Auskunft, dass kostendeckende Gebühren anfallen,
lässt ihn unverrichteter Dinge wieder gehen.
Der Zugang zu Informationen ist ein demokratisches
Grundrecht und sollte uns als Gesetzgeber ein hohes Gut
sein.
({5})
Diesem Anspruch wird der Koalitionsentwurf nicht gerecht.
Es geht darüber hinaus darum, dass die Rechtsordnung Markttransparenz - sie ist heute wichtiger denn
je - herstellen muss, wie das Bundesverfassungsgericht
2002 im Zusammenhang mit dem Glykolskandal urteilte. Die immer kürzeren Abstände zwischen den Skandalen sind ja kein Zufall.
({6})
Die Bedingungen des globalisierten Marktes sind sehr
hart. Sie fördern Strukturen skrupelloser Profiteure, deren Leiharbeiter und Billigstlöhner sich kaum noch
trauen, Verstöße und Schlamperei öffentlich zu machen.
Was könnte also mehr im Unternehmerinteresse liegen
als ein Gesetz, das sicherstellt, dass informierte Verbraucherinnen und Verbraucher dafür sorgen, dass Abzocker
keine Chance haben?
({7})
Im Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen
heißt es: „Verbraucherpolitik ist Wirtschaftspolitik von
der Nachfrageseite.“ Richtig! Aber die Branche hat die
Chance verpasst, ein Gesetz mit zu gestalten, das ihren
Willen zu Transparenz, Offenheit und Partnerschaft mit
den Verbraucherinnen und Verbrauchern dokumentiert.
Ich bedauere sehr, dass die vielen kritischen Hinweise
in der Expertenanhörung von Verbraucherverbänden und
aus dem Parlament nicht zu einer Qualifikation der Vorlage geführt haben. Dieser Gesetzentwurf darf nicht das
letzte Wort sein! In unserem Entschließungsantrag ist
nachzulesen, was zu ändern ist.
Danke.
({8})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulrike Höfken von
der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
({0})
Ihr wisst schon, warum ihr so ein schlechtes Gewissen habt, nehme ich an.
({0})
Der Unmut in der Bevölkerung über die große Koalition wächst deutlich. Die Mehrwertsteuererhöhung geht
zulasten der kleinen Leute. Der wirtschaftliche Verbraucherschutz ist fast überhaupt nicht mehr zu spüren. Das
Verbraucherinformationsgesetz bleibt weit hinter den
Zielen zurück, die sich Herr Seehofer selber gesetzt hat,
({1})
und stellt die schwarzen Schafe geradezu unter Artenschutz. Die Definition von „Betriebsgeheimnis“ wird so
gedehnt, dass ein Großteil der Verbraucherinformationen
zum Geheimnisverrat wird, und zwar unter dem Begriff
„sonstige wettbewerbsrelevante Informationen“.
Die Proteste sind dementsprechend zahlreich. Ich
habe das, obwohl ich schon viele Jahre im Parlament
bin, lange nicht so erlebt. Alle Verbraucherverbände,
Umweltverbände und Journalistenverbände protestieren.
({2})
Tausende von E-Mails werden geschrieben, von denen
auch ich viele beantwortet habe. Ich habe nicht die gleiche Erfahrung gemacht wie Sie, Frau Heinen; das müssen wir noch einmal klären. Ebenso zeigen die Postkartenaktionen, von denen Sie sich im Ausschuss ein Bild
machen konnten, dass es hier ein Problem gibt.
Auch die Datenschutz- und Informationsfreiheitsbeauftragten von Bund und Ländern haben Kritik angemeldet. Sie fordern, ebenso wie wir, den Anwendungsbereich zu erweitern - Frau Tackmann hat schon eine
ganze Reihe von Beispielen genannt -, nicht nur auf das
LFBG bezogen, sondern weit darüber hinaus.
({3})
Aber selbst im Bereich des Lebensmittelrechts gibt
es erhebliche Probleme; ich möchte das hier vertiefen.
Die Mehrfachbelastung mit Pestiziden ist schon erwähnt
worden. Gentechnisch veränderte tierische Lebensmittel kein Informationsanspruch.
({4})
- In Bezug auf die Ergebnisse der Lebensmittelüberwachungsbehörden zu gentechnisch veränderten tierischen
Lebensmittelprodukten besteht kein Informationsanspruch, da es bislang keine lebensmittelrechtliche Kennzeichnungsregelung gibt.
({5})
Namentliche Nennung eines Betriebes, der salmonellenkontaminiertes Putenfleisch nach Dänemark exportiert
hatte - nach Auskunft des BVL kein Informationsanspruch.
({6})
Ich habe eine Liste von etwa zehn Seiten mit solchen
Beispielen, alles Ausnahmebereiche. Dazu gehört der
gesamte Bereich, der über das Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelrecht hinausgeht. Der Name
ist, wie Herr Goldmann schon richtig gesagt hat, ein Etikettenschwindel.
({7})
- Das tue ich aber nur sehr selten.
({8})
- So ist das immer.
({9})
Die Datenschutz- und Informationsfreiheitsbeauftragten von Bund und Ländern haben auch kritisiert, dass es
keinen Rechtsanspruch auf Informationszugang gegenüber Unternehmen gibt,
({10})
ebenso die Ausnahmeregelungen. Sie haben es mit diesen Ausnahmeregelungen fertig gebracht, aus der Sollbestimmung, die Sie in den Gesetzentwurf hineingebracht haben, letztendlich eine Kannbestimmung zu
machen. Die Fristen haben Sie zwar verkürzt; aber auch
da gibt es so viele Freiräume für Unternehmen in Bezug
auf Einsprüche, dass sich die Beantwortung über Monate
und Jahre verzögern kann.
Die Regelung bei den Gebühren halte ich für einen
wirklichen Eklat. Dieser Entwurf sieht vor, kostendeckende Gebühren und Auslagen zu erheben. Bei aller
Liebe: Welcher Verbraucher oder auch Journalist soll
sich daran wagen, wenn in Bezug auf das, was auf ihn an
Forderungen zukommt, eine solche Intransparenz
herrscht, und wer kann das überhaupt leisten? Das ist
meines Erachtens wirklich nicht zu machen.
({11})
Unsere Proteste hatten Erfolg. Ich weiß auch, dass die
Abgeordneten im Verbraucherausschuss sich fast alle
sehr bemüht haben, hier Verbesserungen zu erwirken;
das erkenne ich an.
Aber klar ist auch: Was Sie in den Entschließungsantrag geschrieben haben, das hätten Sie ins Gesetz schreiben sollen.
Ich möchte unseren Gesetzentwurf dem Bundesrat
ans Herz legen.
({12})
- Auf diesen interessanten Zuruf von Julia Klöckner mit
der Kritik an Rot-Grün kann ich nur sagen: Es ist toll,
wenn diejenigen, die mit ihrer Mehrheit jeden Fortschritt
blockiert haben, eine solche Kritik äußern.
({13})
Ich verweise auf unseren Gesetzentwurf. Alle Verbraucherinnen und Verbraucher sollen Zugang zu Informationen bei Behörden und Unternehmen über alle Produkte und Dienstleistungen bekommen. Die Behörden
sollen das Recht erhalten, von sich aus die Verbraucher
aktiv über verbraucherrelevante Sachverhalte zu informieren. Es sollen Datenbanken eingerichtet werden und
ein Bundesbeauftragter soll Streitfälle schlichten.
({14})
Punkte wie Ausschlussverfahren, Antragsgründe und
Schutz von privaten und öffentlichen Interessen sollen
verbraucherfreundlich geregelt werden. Dazu gehören
insbesondere auch Regelungen hinsichtlich der Gebühren. Wir werden dieses Thema weiterhin auf die Tagesordnung setzen.
Vielen Dank.
({15})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Julia Klöckner,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Lieber Herr Minister
Seehofer! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir hätten
es uns auch einfach machen können.
({0})
Wir hätten es uns so einfach machen können wie die
ehemalige Verbraucherministerin von den Grünen, Renate Künast. Sie hat ein Eckpunktepapier in Anlehnung an einen Greenpeace-Entwurf von 2001 vorgelegt.
In diesem Papier hat sie das Blaue vom Himmel versprochen. Was ist aber von einem Eckpunktepapier zu halten,
wenn es in der Schublade liegt und vielleicht auf Pressekonferenzen erwähnt wird, aber nicht in dem eigenen
Gesetzentwurf Widerhall findet?
Wenn man ein Eckpunktepapier entwirft, dann sollte
der Inhalt - ich gehe jedenfalls davon aus - in den eigenen Gesetzentwurf Eingang finden. Renate Künast hat
jedoch sehr früh darauf verzichtet.
({1})
Sie hat wesentliche Punkte sozusagen vom Tisch geräumt: Die Unternehmen müssen keine Auskunft geben;
Dienstleistungen sind nicht enthalten. Renate Künast hat
ihr Eckpunktepapier am Fastnachtdienstag vorgelegt.
Das hatte schon eine gewisse humoristische Pointe.
Denn es wurde nie wieder aus der Schublade herausgeholt.
Im März 2002 hat sie sich zusammen mit Herrn Clement darauf geeinigt, den Anwendungsbereich des Gesetzes auf Lebensmittel und Bedarfsgegenstände zu beschränken.
({2})
Frau Höfken, Sie fordern hier etwas ein, was Ihre Ministerin noch nicht einmal im Kabinett durchsetzen konnte.
Wie soll denn der Bundesrat etwas blockieren, was noch
nicht einmal im Kabinett Zustimmung fand? Das ist
Heuchelei.
({3})
Auffällig ist auch Ihr Populismus. Als Sie damals in
der Regierung etwas unternehmen konnten, waren Sie
nicht dazu in der Lage. Jetzt wollen Sie es, weil Sie genau wissen, dass Sie es eh nicht durchsetzen können.
Wir machen eine verantwortungsvolle Politik. Uns
geht es darum, etwas Machbares auf den Weg zu bringen. Letztlich geht es uns auch darum, dass der Verbraucher einen Mehrwert hat. Was hat der Verbraucher von
einem Wunschzettel, der irgendwo in einem Ministerium
in der Schublade schlummert und nur für Pressekonferenzen und PR-Gags Verwendung findet, aber letztlich
nicht in ein Gesetz Eingang findet? Während die Opposition lieber mit dem Kopf durch die Wand geht, nehmen
wir einfach die Tür und machen ein praxistaugliches Gesetz.
({4})
Unser Gesetz ist besser als der ursprüngliche Entwurf,
den Renate Künast im Parlament einbringen wollte. Wir
können festhalten, dass aus der Kannvorschrift - Renate
Künast hat damals die Vorschrift entschärft und daraus
eine Kannvorschrift gemacht - von uns eine Sollvorschrift gemacht wurde. Jetzt können die Namen all derer
genannt werden, die versuchen, die Verbraucher zu täuschen. Dies kann auch dann geschehen, wenn die Produkte schon längst verzehrt worden sind, Stichwort
Gammelfleisch. Das ist ein großer Fortschritt in Richtung mehr Verbraucherinformation. Dies bedeutet auch
mehr Abschreckung. Damit bewirken wir, dass die
schwarzen Schafe eine ganze Branche nicht weiterhin in
Misskredit bringen.
({5})
Im Vergleich zum vormaligen Entwurf - ich möchte
das hier klarstellen - haben wir noch etwas anderes erreicht: Die Staatsanwaltschaft ist verpflichtet, die Lebensmittelkontrolleure zu informieren. Bis dato war es
möglich, dass die Staatsanwaltschaft ermittelt hat, ohne
dass die Lebensmittelbehörden Informationen bekamen.
Auch aufgrund des Zehnpunkteplans, den Herr Seehofer
({6})
in einer sehr schnellen Reaktion auf den Gammelfleischskandal vorgelegt hat, gibt es nun eine Verbesserung, und sie steht im Gesetz.
Dann haben wir eine Fristverkürzung erreicht. Sie
sprachen im Hinblick auf die Beantwortung von Einsprüchen von Jahren. Ihre Ministerin wollte damals einen Zeitaufschub von mindestens zwei Monaten. Wir
haben dies auf einen Monat verkürzt.
Dann haben wir die Einschränkung des Geheimnisschutzes bei Rechtsverstößen festgelegt.
({7})
Sie sollten eigentlich wissen, was Ihre Ministerin, Frau
Künast - Sie können es nachlesen; ich habe das Zitat
mitgebracht -, zu den Betriebsgeheimnissen gesagt hat.
In dem von ihr formulierten Kabinettsentwurf hieß es:
„… soweit durch die begehrten Informationen Betriebsoder Geschäftsgeheimnisse oder wettbewerbsrelevante
Informationen, die ihrem Wesen nach Betriebsgeheimnissen gleichkommen, offenbart würden“, gebe es keine
Auskunft. Das stand im Entwurf von Frau Künast, der
Ministerin der Grünen.
({8})
Wir gehen einen Schritt weiter und sagen: Bei Rechtsverstößen soll es nicht möglich sein, von einem Betriebs- und Geschäftsgeheimnis auszugehen. Das ist Verbraucherschutz. Das hilft den Verbraucherinnen und den
Verbrauchern und nicht der PR der Opposition.
({9})
Noch eines ist wichtig zu erwähnen: Auch ungünstige
Untersuchungsergebnisse wie zum Beispiel Qualitätsunterschiede oder Qualitätsmängel sind keine Geschäftsgeheimnisse. Jüngst hat unser Wirtschaftsminister, Michael
Glos, die Liste solcher Produkte vorgelegt, bei denen es
zu Unterfüllungen kommt. Fast 10 Prozent der entsprechenden Produkte und Verpackungen zeigen Unterfüllungen. Jetzt wird es möglich sein, dass sich ein Verbraucher darüber informieren kann, wer versucht, ihn übers
Ohr zu hauen. Ein mündiger Verbraucher wird entscheiden können, welches Produkt er wählt und wie viel Geld
er wofür ausgibt. Dafür machen wir den Weg frei.
Noch eines, Frau Höfken: Beim Informationsfreiheitsgesetz konnten Sie damals allein zeigen - denn das
war ein Initiativgesetz vor allem der Grünen -, was Sie
können und wollen. Auch in diesem Informationsfreiheitsgesetz ging es um Betriebsgeheimnisse. In diesem
Gesetz, das Sie übrigens ohne Konsultationen mit den
Bundesländern durchbringen konnten, steht, dass „Zugang zu Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen nur gewährt werden darf, soweit der Betroffene eingewilligt
hat“. Das ist die Politik der Grünen. Jetzt fordern Sie etwas, was Sie damals hätten tun können. Ich muss Ihnen
sagen: Wir sind sehr viel weiter.
({10})
Dann komme ich auf den Bereich der Chemikalien
zu sprechen. Sie erwähnen immer gerne, dass zum Beispiel ITX in Kartons nicht erfasst werden würde. Was
Sie hier sagen, wird auch durch ständiges Wiederholen
nicht wahrer.
({11})
Richtig ist, dass diese Chemikalie kein Erzeugnis im
Sinne des LFGB ist. Aber der Begriff „Beschaffenheit“
- das können Sie in der Begründung des Verbraucherinformationsgesetzes nachlesen; die Juristen wissen das umfasst die gesamte stoffliche Zusammensetzung von
Lebensmitteln. Sehr wohl bekommen Sie darüber Auskunft, übrigens auch über Pestizidbelastungen und
Höchstgrenzen.
Dann möchte ich zum Kollegen Goldmann sagen:
Wir können gerne den Versuch starten - dann stellen Sie
diesen Antrag -, alle Gesetzentwürfe, die sich in diesem
Zusammenhang irgendwo im Gesetzgebungsverfahren
des Bundestages befinden, in ein Gesetz zu packen. Viel
Glück bei diesem Engagement! Wir sitzen an einem Versicherungsvertragsgesetz; wir sitzen an der Regulierung
der Fahrgastrechte; wir sitzen am Telekommunikationsgesetz. Wenn Sie all das in ein Gesetz packen wollen,
dann fangen Sie an!
({12})
Wir sitzen daran; dies steht im Koalitionsvertrag.
Sie kritisieren, dass über all diese Bereiche im VIG
keine Auskunft gegeben wird. Das macht aber Sinn. Es
ist ein schlankes Gesetz.
({13})
Ich habe selten ein solch schlankes und effektives Gesetz
gesehen, das auch Nichtjuristen verstehen können.
({14})
Wir machen damit einen Schritt hin zu einer guten
Balance zwischen dem mündigen Verbraucher und den
Interessen der Unternehmen. Uns geht es um Arbeitsplatzsicherung. Dafür danke ich ganz herzlich Herrn
Seehofer.
({15})
Auch er hat Wert auf die Berücksichtigung der Kosten
gelegt.
Dann möchte ich noch auf Frau Tackmann eingehen.
Nein, Frau Kollegin, Sie gehen nicht mehr auf Frau
Tackmann ein. Ihre Redezeit ist überschritten.
Ich danke Ihnen, Frau Präsidentin. - Damit geht mein
Dank auch an die Kolleginnen und Kollegen aus den Koalitionsfraktionen. Ich finde, dies ist ein ordentliches Gesetz. Die Verbraucherinnen und Verbraucher dürfen sich
freuen, dass wir an der Regierung sind.
({0})
Danke.
({1})
Das Wort hat die Kollegin Mechthild Rawert, SPDFraktion.
- Wenn der Schlagabtausch über die Generationen
hinweg beendet ist,
({0})
komme ich zum Tagesordnungspunkt.
Innerhalb der Marktgesetze von Kaufen und Verkaufen benötigen Verbraucherinnen und Verbraucher eine
solide Basis, um über Alternativen eigenständig und verantwortungsbewusst ihre Rolle als Marktteilnehmerinnen und -teilnehmer selbstbestimmend wahrzunehmen.
({1})
- Ich denke, hier haben wir Wesentliches zur Balance
beigetragen, Herr Goldmann, indem wir die Rolle der
Verbraucherinnen und Verbraucher gestärkt haben.
({2})
Verbraucherinnen und Verbraucher zeigen ein gesteigertes Interesse an Informationen, bevor sie sich zur
Auswahl eines bestimmten Erzeugnisses entschließen.
Insbesondere im Lebensmittelsektor - das ist von meinen Vorrednerinnen schon erwähnt worden - haben viele
Menschen ein spezielles Informationsinteresse, sei es
aus gesundheitlichen Gründen, sei es, dass sie sich für
bestimmte Qualitätsstandards interessieren.
Häufig sind Verbraucherinnen und Verbraucher angesichts der Vielfalt der Angebote nicht mehr in der Lage,
aus eigenem Wissen und eigener Erfahrung die Qualität
und sonstige relevante Merkmale ausreichend zu beurteilen. Mit dem von uns vorgelegten Gesetzentwurf zur
Neuregelung des Rechts der Verbraucherinformation ermöglichen wir Verbraucherinnen und Verbrauchern erstmalig, von Behörden des Bundes, der Länder und der
Gemeinden Informationen zu erhalten, die im Zusammenhang mit dem Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch oder auch dem Weingesetz - das ist heute noch
nicht erwähnt worden - stehen.
Wie bereits erwähnt, basiert das Gesetz auf zwei Säulen:
Erstens. Behörden erhalten das Recht, die Öffentlichkeit unter Namensnennung zu informieren.
Zweitens. Verbraucherinnen und Verbraucher können
selbstständig bei Behörden Informationen abrufen.
Das Gesetz ist erforderlich und es ist auch erforderlich, dass es jetzt umgesetzt wird, da sich gezeigt hat,
dass eine Selbstregulierung des Marktes keine effektive
Deckung des Informationsbedarfs der Verbraucherinnen
und Verbraucher garantieren kann.
({3})
Richtig ist, dass Organisationen und Verbände - ich
selber habe aufgrund der Reaktion eines Verbandes
1 648 E-Mails bekommen;
({4})
das hat wie bei vielen von uns zu einer Verstopfung geführt; aber darüber sind wir hinaus - den Gesetzentwurf
kritisiert haben. Bei der Information der Öffentlichkeit
wurde es so dargestellt
({5})
- lassen Sie, Herr Goldmann, jetzt bin ich dran -, als sei
das Gesetz ein „zahnloser Tiger“. Das stimmt definitiv
nicht. Wir informieren, wir gewähren Rechte und schaffen dadurch auch Nachfrage.
Ich möchte noch einmal herausstellen, dass im Rahmen der Verschärfung des § 40 des Lebensmittel- und
Futtermittelgesetzbuches aus einer Kannbestimmung
eine Sollbestimmung geworden ist, was ein wesentlicher
Schritt ist. Meine Vorrednerin, Frau Drobinski-Weiß, hat
- wie einige andere Rednerinnen auch - darauf hingewiesen. Wir erwarten von dieser Verschärfung, dass Behörden die Öffentlichkeit in Zukunft frühzeitiger und
ausführlicher über Gesundheitsgefahren, Rechtsverstöße, Ekel erregende Vorkommnisse - um das Gammelfleisch auch noch einmal zu erwähnen - informieren.
Also Vorsorge statt Nachsorge! Diesem Grundsatz
werden wir hiermit gerecht werden.
({6})
Eine Information der Öffentlichkeit erfolgt auch
dann, wenn die betroffenen Erzeugnisse nicht mehr am
Markt oder bereits bei der Verbraucherschaft sind.
Uns, und zwar beiden Koalitionspartnern, ist wichtig
gewesen, dass umtriebige Betrüger auch dezidiert mit
Namen benannt werden können. Ross und Reiter werden
klar herausgestellt. Und das ist gut so.
({7})
Wir schaffen hiermit neue Rechtssicherheit.
Auch der Vorwurf einiger Verbände, dass bestimmte
Daten unter das Geschäfts- oder Betriebsgeheimnis
fallen würden, zählt nicht und ist falsch. Ausdrücklich
wird herausgestellt, dass Betrug nicht unter Schutz steht.
Das muss noch einmal ganz klar hervorgehoben werden.
({8})
Eine Verbesserung bringt auch die Verkürzung der
Frist von acht auf vier Wochen. Man sehe mir nach, dass
ich darauf hinweise, aber das ist ein eminenter Verdienst
meiner Fraktion.
({9})
Wir haben gesagt, was der Gesetzentwurf für die Verbraucherinnen und Verbraucher bringt. Er dient aber
auch den bundesweit tätigen Unternehmen. Bis dato
wurden bundesweit agierende Unternehmen aufgrund
der unterschiedlichen Regelungen in den einzelnen
Bundesländern unterschiedlich behandelt. Das hat der
angebliche Skandal um die Salmonellen in den Tiefkühlbackwaren gezeigt. Wir sorgen für Einheitlichkeit. Das
ist für jede Verbraucherin und jeden Verbraucher von
Vorteil.
Wir erwarten von den Unternehmen, dass sie ihre
Kundinnen und Kunden besser und umfassender über
Produkte informieren. Hierin sehen wir eine Grundvoraussetzung für eine Stärkung der Nachfrage. Wir setzen
auf Innovation.
Albert Einstein sagte, es wäre traurig, wenn die Tüte
wertvoller wäre als das darin verpackte Fleisch. Mit dem
hier vorliegenden Gesetzentwurf sorgen wir dafür, dass
Verbraucherinnen und Verbraucher die Informationen erhalten, die sie benötigen, um - nach Albert Einstein beurteilen zu können, ob die Tüte oder das Fleisch wertvoller ist.
Wir gehen einen Schritt in Richtung eines transparenten Marktes. Wir verfolgen das Leitbild des mündigen Verbrauchers, der mündigen Verbraucherin. Wir machen den ersten Schritt. Wir werden diesen Weg
weitergehen; denn wir brauchen langfristig für alle Produkte und Dienstleistungen Verbraucherinformationen.
Ich bin mir sicher, dass Sie uns dabei unterstützen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({10})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten
Gesetzentwurf zur Neuregelung des Rechts der Verbraucherinformation, Drucksache 16/1408. Der Ausschuss
für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/2011, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte nun diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist
damit in dritter Beratung mit demselben Stimmenergebnis wie in zweiter Beratung angenommen.
Wir kommen nun zu den Entschließungsanträgen.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktionen
der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/2035? Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung
der Fraktion Die Linke und Gegenstimmen des Bündnisses 90/Die Grünen und der FDP angenommen.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/2036? - Gegenprobe! Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit der
Mehrheit der Stimmen des Hauses bei Enthaltung der
Fraktion Die Linke abgelehnt.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/2037? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag
ist mit der überwiegenden Mehrheit der Stimmen des
Hauses abgelehnt.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Abstimmung über den von der Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Entwurf eines
Verbraucherinformationsgesetzes auf Drucksache 16/199.
Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/2011, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von SPD,
CDU/CSU und FDP abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz auf Drucksache 16/2009. Der Ausschuss
empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die
Annahme des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und
der SPD auf Drucksache 16/195 mit dem Titel „Lebensmittelskandalen effektiv entgegenwirken - Verbraucher
umfassend informieren“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
der Koalition angenommen.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion
des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/111
mit dem Titel „Konsequenzen aus den Fleischskandalen:
Umfassende Verbraucherinformation und bessere Kontrollen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion
der FDP angenommen.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss für Ernährung,
Landwirtschaft und Verbraucherschutz unter Nr. 3 seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/2009 die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/825 mit dem Titel „Verbraucherschutz in der
Marktwirtschaft durch mündige und aufgeklärte Verbraucher sicherstellen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der SPD,
des Bündnisses 90/Die Grünen und der CDU/CSU angenommen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und
der SPD
Lage am Ausbildungsmarkt - Ausbildungspakt als Chance für Unternehmen, junge Menschen und den Arbeitsmarkt
Bevor ich dem Kollegen Ernst Hinsken, CDU/CSUFraktion, das Wort erteile, bitte ich den Herrn Minister
und die Abgeordneten der SPD-Fraktion, Platz zu nehmen. - Herr Kollege Hinsken, bitte schön.
Werte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen
und Herren! Gestatten Sie zunächst, dass ich mich herzlich bedanke, dass Sie dafür gesorgt haben, dass ich Gehör finde. Das ist ja Sinn und Zweck, wenn man eine
Rede im Plenum des Deutschen Bundestages halten darf.
Wir sprechen hier über ein ganz wichtiges Thema, das
vielen Mitbürgerinnen und Mitbürgern, vor allen Dingen
den betroffenen Jugendlichen, auf den Nägeln brennt;
denn die Lage am Ausbildungsmarkt liegt uns allen am
Herzen. Die Tatsache, dass in dieser Aktuellen Stunde
zwei zuständige Bundesminister reden werden, unterstreicht die Bedeutung, die die Bundesregierung der Ausbildungsplatzsituation in der Bundesrepublik Deutschland
beimisst.
({0})
Die Schaffung von Ausbildungsplätzen für die junge Generation ist in der jetzigen Zeit eine der größten Herausforderungen für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.
Unser gemeinsames Ziel soll und muss es daher sein, bestrebt zu sein, dass alle ausbildungswilligen Jugendlichen einen Ausbildungsplatz bekommen.
({1})
Ich möchte die Gelegenheit nutzen, den vielen Hunderttausenden von Ausbildungsbetrieben in der Bundesrepublik Deutschland ein Wort des Dankes dafür zu sagen, dass man bereit war, der großen Nachfrage in den
letzten Jahren Rechnung zu tragen und Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen.
({2})
Ausbildung ist die Investition in die Zukunft. Ich möchte
deshalb anerkennend feststellen: Der Ausbildungspakt
hat sich rentiert. Die Wirtschaft hat die Selbstverpflichtung erfüllt. - Wir Deutschen können besonders stolz
darauf sein, dass sich das duale System bewährt hat. Es
findet in der Gegenwart weltweit Beachtung und wird
auch in der Zukunft federführend sein.
({3})
Erfreulich ist vor allen Dingen, dass die Wirtschaft
wieder in Schwung kommt. Das erwähne ich, weil es für
jeden jungen Mitbürger mit einer abgeschlossenen Ausbildung wichtig ist, dass er entweder in dem Beruf, in
dem er ausgebildet wurde, Beschäftigung findet oder einer anderweitigen Beschäftigung nachgehen kann. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Sie wissen genauso gut
wie ich, dass in unseren Sprechstunden immer der
Wunsch an uns herangetragen wird, bei der Suche nach
einem Ausbildungsplatz behilflich zu sein. Das spreche
ich deshalb an, weil uns Jugendliche ohne abgeschlossene Ausbildung in Zukunft als Fachkräfte fehlen werden. Das wird auch von den Betrieben viel zu wenig berücksichtigt.
Ich möchte insbesondere an das Handwerk ein Wort
des Dankes richten. Das Handwerk hatte, was die Schaffung von Ausbildungsplätzen betrifft, zum Stichtag
30. April 2006 einen Zuwachs von 2,5 Prozent - das entspricht fast 10 000 Stellen - zu verzeichnen. Sehr vorbildlich geht man in der Hotellerie und in der Gastronomie zu Werke. In diesen Bereichen wurden allein im
letzten Jahr 7 Prozent zusätzliche Ausbildungsplätze zur
Verfügung gestellt; das bedeutet ein Mehr von einigen
Tausend Plätzen. Die Grenze von insgesamt 100 000 Ausbildungsplätzen ist überschritten. In diesen Berufen werden 100 600 Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt.
Wir alle können einen Beitrag dazu leisten, dass mehr
Ausbildungsplätze geschaffen werden. Ich fordere Sie
auf: Gehen Sie ab und zu in Hotels oder Gaststätten!
Kurbeln Sie auf diese Weise die Wirtschaft an und sorgen Sie so indirekt dafür, dass vermehrt Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt werden!
({4})
Natürlich besteht auch die Möglichkeit, eine Änderung des Jugendarbeitsschutzgesetzes vorzunehmen.
Wenn allein das Jugendarbeitsschutzgesetz geändert und
zugelassen würde, dass man einen Lehrling, der ja dann
tätig sein soll, wenn tatsächlich gearbeitet wird, pro Tag
eine Stunde länger - nicht bis 22 Uhr, sondern bis
23 Uhr - beschäftigen darf, dann könnten dadurch Hunderte neuer Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt
werden.
({5})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich darauf verweisen, dass es noch unbesetzte Ausbildungsplätze gibt,
insbesondere was die Ausbildung zu Köchen, Fachleuten für Systemgastronomie und Restaurantfachleuten angeht.
Eines möchte ich noch ansprechen: Besorgniserregend
nicht nur für mich, sondern für uns alle ist, dass es sehr
vielen Jugendlichen an der nötigen Ausbildungsreife fehlt.
Laut dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag
und dem ZDH verlassen jedes Jahr 100 000 Schülerinnen
und Schüler die Schule ohne Abschluss. Weitere
100 000 verlassen die Schule ohne hinreichende Kenntnisse im Hinblick auf Lesen, Schreiben und Rechnen.
Das entspricht 20 bis 25 Prozent eines Jahrgangs.
Herr Kollege, denken Sie an Ihre Redezeit.
({0})
Jawohl. Ich komme zum Schluss, Herr Präsident, obwohl ich noch vieles zu sagen hätte.
({0})
Das habe ich befürchtet. Deswegen habe ich mich gemeldet.
Ich habe Verständnis dafür. Nach mir sind schließlich
noch andere Rednerinnen und Redner an der Reihe, die
meine Ausführungen ergänzen werden.
Eine Botschaft möchte ich allerdings noch vermitteln
dürfen, Herr Präsident
({0})
- dabei handelt es sich um eine Bitte an die Jugendlichen; das sage ich, weil so viele Jugendliche auf der Tribüne sitzen -: Nutzt die Vielfalt der angebotenen Berufe!
Es muss nicht immer der Traumberuf sein. Seid flexibel
und mobil! Was ihr erlernt habt, kann euch niemand
mehr nehmen. - Wenn wir uns von diesem Leitgedanken
tragen lassen, dann ist mir nicht bange, dass wir die Situation auf dem Ausbildungsmarkt in diesem Jahr meistern werden.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({1})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Heinrich L. Kolb
für die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
denke, diese Aktuelle Stunde ist vor allen Dingen Platzhalter. Es soll verhindert werden, dass die Opposition in
dieser Woche eine weitere Aktuelle Stunde beantragt.
({0})
In der Sache gibt es wenig Aktuelles und wenig Neues
zu berichten, Frau Kollegin Kressl. Wie immer zu dieser
Jahreszeit haben wir eine Lehrstellenlücke zu verzeichnen. Wie groß sie im Oktober dieses Jahres sein wird,
also dann, wenn die Nachbesetzungen erfolgt sind, weiß
heute niemand.
Ich möchte dazu aufrufen, bei der Bewertung der aktuellen Zahlen zu berücksichtigen, dass nach einer neuen
Umfrage des DIHK nur noch 55 Prozent der Unternehmen ihre unbesetzten Ausbildungsplätze bei der Bundesagentur für Arbeit melden. Sie haben bei der Suche
nach geeigneten Bewerbern offensichtlich kein Vertrauen mehr zur Bundesagentur, weil ihre Beratungsund Vermittlungsleistungen nicht hinreichend sind.
({1})
Auch aus diesem Grunde wäre aus unserer Sicht eine
Reform der Bundesagentur für Arbeit dringend notwendig.
({2})
Ich will diese Aktuelle Stunde nutzen, um einige Anmerkungen zu machen, deren Beachtung vielleicht dazu
beitrage könnte, dieses Problem künftig zu lösen. Eines
will ich vorausschicken: Die Ausbildung junger Menschen ist eine herausragende Aufgabe, der wir uns alle stellen müssen. Junge Menschen haben dann eine besonders
gute Chance auf dem Arbeitsmarkt, wenn sie eine abgeschlossene Ausbildung vorweisen können. Deswegen
müssen wir mit all unseren Bemühungen das Ziel verfolgen, dass möglichst viele Unternehmen ausbilden.
({3})
Dazu genügt es aber nicht, wie es Herr Minister
Müntefering getan hat, den Unternehmen Kurzsichtigkeit und Egoismus vorzuwerfen. Denn eines ist klar: Unternehmen, die aufgrund einer schlechten wirtschaftlichen Lage einen Personalabbau planen, werden natürlich
nicht ausbilden; das ist nun einmal so, da nützt auch kein
Vorwurf aus einem Ministermund. Erst recht gilt das für
insolvente Unternehmen, von denen wir in den letzten
fünf Jahren rund 200 000 hatten. 200 000 Unternehmen
sind als potenzielle Ausbildungsbetriebe ausgeschieden.
Das ist Ergebnis einer anhaltend schwachen Konjunktur
und Ergebnis einer falschen Politik. Das muss man hier
einmal feststellen.
({4})
Damit in ausreichender Zahl Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt werden können, brauchen wir die richtigen wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen, ein
stärkeres Wachstum, die richtigen steuerpolitischen Rahmenbedingungen, die richtigen tarifpolitischen Rahmenbedingungen und weniger Bürokratie. Hier sind Sie auf
dem falschen Weg, wie sich in dieser Sitzungswoche
ganz aktuell zeigt. Ihnen muss doch klar sein, dass jeder
Prozentpunkt, um den Sie die Mehrwertsteuer erhöhen,
({5})
Gift für die Schaffung von Ausbildungsplätzen ist. Auch
das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz und das geplante Nichtrauchergesetz sind Gift für die Schaffung
von Ausbildungsplätzen.
({6})
Ich denke, dass man feststellen kann: Die Mehrzahl
der bestehenden Unternehmen ist grundsätzlich bereit,
auszubilden; das betrifft insbesondere den Mittelstand.
Aber eine Ausbildung muss aus Sicht der Unternehmen
auch interessant sein; das heißt, das Kosten-Nutzen-Verhältnis muss stimmen. Das ist entscheidend für die
Schaffung von mehr Ausbildungsplätzen, wie auch die
topaktuelle IHK-Onlinebefragung vom Juni 2006 zeigt.
Hohe Ausbildungskosten, tarifliche Übernahmeverpflichtungen, zu lange Ausbildungsdauer und starre Berufsbilder sind Hemmnisse für die Bereitstellung von
Ausbildungsplätzen. Hier haben wir durchaus Möglichkeiten, etwas zu tun.
({7})
- Wenn Sie anderer Meinung sind, stellen Sie mir Zwischenfragen.
({8})
Ich denke, dass auch veraltete bürokratische Vorschriften in den Ausbildungsverordnungen und beim Jugendschutz die Ausbildung behindern; darauf hat der
Kollege Hinsken - wie immer zu Recht - fachkundig
hingewiesen.
({9})
Die FDP hat aus ebendiesem Grunde, den du genannt
hast, Ernst, einen Antrag eingebracht, der darauf hinwirkt, dass Hauptschulabgänger im Hotel- und Gaststättengewerbe eine Chance auf einen Ausbildungsplatz bekommen, indem sie länger arbeiten dürfen, wenn die
Unternehmen in diesen Zeiten Kunden haben. Da können wir ganz konkret handeln. Ich werde das Abstimmungsverhalten der Kollegen mit Interesse beobachten.
({10})
Ernst, du hast darauf hingewiesen: Junge Menschen
müssen auch ausbildungsfähig sein. Hier ist eine Qualitätsoffensive bei der schulischen Bildung notwendig.
Für 63 Prozent der größeren Unternehmen und immerhin noch knapp 50 Prozent aller Unternehmen ist mangelnde Ausbildungsreife das Haupthindernis für eine
Einstellung von Auszubildenden. Es muss selbstverständlich sein, dass jeder Hauptschulabgänger richtig lesen, schreiben und rechnen kann; das ist ein zentraler
Punkt. Wenn 12 Prozent der vom DIHK befragten Unternehmen angeben, dass sie ihre Ausbildungsplätze
nicht besetzen konnten, weil es keine geeigneten Bewerber gab, dann ist das ein Punkt, der uns stark beschäftigen muss.
Zum Schluss: Die FDP-Bundestagsfraktion ist gegen
eine Ausbildungsplatzabgabe. Ich finde, der Ausbildungspakt funktioniert, wir sind auf dem richtigen
Wege. Eine Ausbildungsplatzabgabe hätte eine verheerende Wirkung.
({11})
Ich bin sicher, dass dies viele Unternehmen zum Anlass
nähmen, sich aus der Ausbildung zu verabschieden. Die
Forderung des DGB nach einer Lehrstellensteuer ist ein
Griff in die ideologische Mottenkiste und schafft keinen
einzigen zusätzlichen Ausbildungsplatz, belastet die
Wirtschaft und schafft wieder ein Stück mehr Bürokratie.
Wir brauchen auch eine Stärkung der überbetrieblichen Ausbildung. Die FDP hat sich dafür eingesetzt,
dass die Mittel für die überbetriebliche Ausbildung erhöht werden, auch gegen anfänglichen Widerstand der
großen Koalition. Ich denke, wenn Sie diese Ratschläge
beherzigen, dann wäre das eine Chance, mehr junge
Menschen in ein Ausbildungsverhältnis zu bringen, und
dann hätte sich diese Aktuelle Stunde am Ende doch gelohnt.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({12})
Ich mache, um Irritationen vorzubeugen, darauf aufmerksam, dass Zwischenfragen in einer Aktuellen
Stunde nicht möglich sind.
Präsident Dr. Norbert Lammert
({0})
- Ich habe keinen Zweifel, dass es Interessenten dafür
auf beiden Seiten meines Pultes gäbe.
Nun hat die Kollegin Nicolette Kressl für die SPDFraktion das Wort.
({1})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Chancen von jungen Menschen im Bereich der Ausbildung ist für meine Fraktion immer ein wichtiges Thema
gewesen. Deshalb weise ich das, was Sie gerade behauptet haben, Herr Kolb, nämlich dass die beiden Koalitionsfraktionen diese Aktuelle Stunde nur beantragt
haben, um eine Aktuelle Stunde der Opposition zu verhindern, ausdrücklich zurück. Wir haben die Behandlung dieses Themas bereits in der letzten Sitzungswoche
beantragt. Es ist mir wichtig, das zu sagen: Hier geht es
um Inhalte und nicht um irgendwelche Formalitäten.
({0})
Ich halte es für absolut notwendig, dass wir im Hinblick auf die Chancen von jungen Menschen - auch
durch den Ausbildungspakt - eine ehrliche Analyse
durchführen.
({1})
Eine ehrliche Analyse bedeutet, dass wir die Ergebnisse
des Paktes weder schlecht- noch gutreden.
({2})
Nur eine richtige Analyse kann dazu führen, dass wir
uns auch die richtigen Gedanken darüber machen, wie er
weiterentwickelt werden kann.
Dass es in einzelnen Bereichen eine schwierige Situation gibt, ist nicht zu leugnen. Beispielsweise geht das
Angebot an freien Berufen deutlich zurück. Wir haben
- das wissen wir auch aus allen Ländern - sehr viele
junge Menschen in Warteschleifen, die auch eine Chance
verdient haben, und wir müssen die Chancen der jungen
Menschen mit Migrationshintergrund noch deutlich verbessern. Auch das haben die drei Minister bzw. Ministerinnen, die für diesen Bereich zuständig sind, deutlich
gemacht.
({3})
Zu einer ehrlichen Analyse gehört aber auch, zu sagen, dass die Einschaltquote bezüglich des Angebots an
Ausbildungsplätzen und der Meldung bei der Bundesagentur für Arbeit zurückgegangen sind und dass wir
deshalb Schwierigkeiten haben, die Situation statistisch
genau zu bewerten.
({4})
Es gehört auch zur Ehrlichkeit, zu sagen und deutlich zu
machen - wir sind froh darüber, dass es so ist -, dass die
beiden Kammern, die den Pakt mit vereinbart haben, in
diesem Bereich ein großes Engagement zeigen. Kammern können aber nur dann erfolgreich sein, wenn die
Unternehmen, die ihnen angeschlossen sind, auch Ausbildungsplätze anbieten.
({5})
Man muss der Ehrlichkeit halber auch dazusagen, dass
es Branchen gibt, in denen sich ein Anstieg der Zahl abgeschlossener Ausbildungsverträge andeutet. Endpunkt
aber wird der 30. September sein, nach Überprüfung der
Nachvermittlung.
({6})
Wir müssen überlegen, wie wir von politischer Seite
aus unterstützend tätig werden können, um den Jugendlichen eine Chance zu geben. Ich halte es für dringend
notwendig - das habe ich in den Redebeiträgen bisher
vermisst -, noch einmal an die großen Unternehmen zu
appellieren und sie aufzufordern, ihrer Verantwortung
für ihre eigene ökonomische Zukunft, aber auch für die
Zukunft der jungen Leute - das fügt sich zusammen stärker als bisher gerecht zu werden. Dazu gehört für
mich, dass die Unternehmen und die Tarifparteien endlich Tarifgespräche mit Blick auf eine Verbesserung der
Ausbildungssituation führen und zu einem Erfolg kommen.
({7})
Es muss ja kein bestimmtes Instrument sein. Es gibt
viele tarifliche Vereinbarungen mit den unterschiedlichsten Instrumenten, von der Branchenumlage bis hin zur
Frage, wie mit Ausbildungsvergütungen umgegangen
wird. Das ist nämlich Sache der Tarifparteien. Natürlich
können sie darüber reden; das ist ja auch im Chemiebereich geschehen. Dies muss aber mit einem verbindlich
zugesagten Zuwachs an abgeschlossenen Ausbildungsverträgen verbunden sein. Das ist doch klar.
({8})
Ich halte es für völlig falsch, wenn von politischer
Seite gesagt wird, die Vergütungen der Azubis müssten
gekürzt werden. Für mich gibt es ein entscheidendes Argument dagegen: Wenn wir von den jungen Leuten Mobilität erwarten, dürfen wir nicht gleichzeitig ihre Ausbildungsvergütung kürzen.
({9})
Zwölf Jahre lang hatte ich beruflich intensiv mit dem
Handwerk zu tun. Meine Handwerker sagen mir: Lasst
doch die Debatte! Wie sollen wir jungen Leuten ein attraktives duales System anbieten, wenn ihr darüber redet, in Teilbereichen bereits jetzt niedrige Vergütungen
noch einmal zu kürzen? Das ist der falsche Weg. Wenn,
dann muss das tariflich geregelt werden. - Ich finde es
bedauerlich, dass da so wenig passiert.
({10})
Zum Abschluss möchte ich Folgendes sagen: Im Hinblick auf den Ausbildungspakt muss es unser Ziel sein,
wieder das Ergebnis des Paktes im ersten Jahr zu erreichen, dass wir also nicht nur neue Ausbildungsplätze haben, sondern dass es einen tatsächlichen Zuwachs an
Ausbildungsplätzen gibt. Das ist das Mindestziel, das
wir erreichen müssen.
({11})
Insofern unterstützen wir alle Mitglieder der Bundesregierung, die engagiert dafür eintreten und dafür werben;
denn es muss etwas erreicht werden.
Vielen Dank.
({12})
Die Kollegin Cornelia Hirsch ist die nächste Rednerin
für die Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Schönrednerei, die allen voran gerade vom Kollegen
Hinsken von der CDU/CSU-Fraktion betrieben wurde,
halten wir für unerträglich. Lieber Kollege Hinsken, ich
bitte Sie, die Erwartungen bezüglich der Ausbildungsplatzlücke in diesem Sommer zur Kenntnis zu nehmen.
Es wird davon gesprochen, dass vermutlich mehr als
150 000 Jugendliche ohne Ausbildungsplatz auf der
Straße stehen werden.
({0})
Das sind so viele wie nie zuvor. Angesichts dieser Zahlen müsste auch für Sie offensichtlich sein, was wir Ihnen schon im letzten Herbst gesagt haben: Der Ausbildungspakt ist auf ganzer Linie gescheitert. - Vielleicht
sollten sich einmal die Kolleginnen und Kollegen von
der SPD-Fraktion überlegen, dass es durchaus seinen
Grund hat, wenn die Gewerkschaften nach wie vor nicht
bereit sind, bei einer solchen Lügengeschichte mitzumachen.
({1})
Noch unverantwortlicher als Ihr Festhalten an diesem
Pakt finden wir die Überlegungen, die zur Weiterentwicklung dieses Paktes in die Diskussion eingebracht
wurden. Die Kollegen von der FDP- und der CDU/CSUFraktion haben gerade einige Punkte benannt; Gleiches
wurde von Bundesministerin Annette Schavan in die
Diskussion eingebracht. Konkret benannt geht es bei
diesen Vorschlägen darum, die Mitbestimmung von
Azubis abzubauen, die Vergütung zu senken, die Ausbildungszeiten zu verkürzen und - das war gerade der Vorschlag - die Regelungen zum Arbeitsschutz einzuschränken. Das Ganze passiert unter dem Vorwand,
dadurch finde ein Abbau von Ausbildungshemmnissen
statt
({2})
und werde es den Unternehmen leichter gemacht, Ausbildungsplätze einzurichten.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, zur
Kenntnis zu nehmen, dass zur politischen Ehrlichkeit gehört, offen auszusprechen, was Sie mit Ausbildungshemmnissen meinen. Es sind nämlich die Rechte der Jugendlichen, die Sie abbauen wollen. Da werden wir
definitiv nicht mitmachen.
({4})
Ihr zweites Lieblingsthema - auch das wurde angesprochen - ist die angeblich mangelnde Ausbildungsfähigkeit der Jugendlichen. Wir halten die Debatte um die
Ausbildungsfähigkeit zu großen Teilen für ein grandioses Ablenkungsmanöver. Schließlich lässt sich damit die
Ausbildungsstatistik ziemlich leicht aufbessern. Ein Jugendlicher, der als nicht ausbildungsreif abgestempelt
wird, taucht in der Statistik auch nicht mehr als ausbildungsplatzsuchend auf. Wir finden, anstatt über die
mangelnde Ausbildungsfähigkeit der Jugendlichen zu
klagen und die Schuld dafür den Jugendlichen zuzuschieben, sollten Sie sich besser überlegen, wie Sie unser
Bildungssystem verbessern können.
({5})
Gerade hier tun Sie das genaue Gegenteil. Man muss
sich einmal ansehen, was morgen hier im Plenum zur
Abstimmung steht. Es geht nämlich um die Föderalismusreform.
({6})
Fakt ist, dass diese Föderalismusreform die Rahmenbedingungen für die Bildung auf allen Ebenen massiv verschlechtern wird.
({7})
Das bedeutet auch, dass sich die von Ihnen beklagte
Ausbildungsfähigkeit weiter verschlechtern wird. - Frau
Kressl, Sie schütteln den Kopf. Ich erinnere Sie daran, es
ist das Aus für Ihr hoch gelobtes Ganztagsschulprogramm, für das Förderprogramm für Migrantinnen und
Migranten, für zahlreiche weitere Bund-Länder-Projekte. Deshalb sagen wir als Linksfraktion ganz klar
Nein zu dieser Föderalismusreform.
({8})
Zurück zur Ausbildungsmisere. Diesbezüglich ist unsere Alternative bekannt; wir haben sie auch in den
Deutschen Bundestag eingebracht. Wir finden, dass es
nicht ausreicht, unverbindlich an die Unternehmen zu
appellieren. Die Kanzlerin hat einen Brief geschrieben.
Die Jugendlichen werden sich bedanken, wenn sie von
solchen Vorstößen hören. Sie schreiben nämlich
50 Briefe und mehr, nämlich Bewerbungsbriefe, und erhalten nur Absagen von den Unternehmen. Deshalb
müsste es klar sein, dass die Unternehmen von der Politik zur Ausbildung verpflichtet werden.
({9})
Des Weiteren muss für mehr Gerechtigkeit zwischen
ausbildenden und nicht ausbildenden Betrieben gesorgt
werden.
Deshalb ist unsere Forderung klar - wir freuen uns,
dass wir im deutlichen Widerspruch zur FDP stehen -:
({10})
Wir fordern die Einführung einer gesetzlichen Ausbildungsplatzumlage. Das ist ein wichtiger und richtiger
Schritt, der längst überfällig ist.
({11})
Erlauben Sie mir einen letzten Hinweis an die SPDFraktion. Von der SPD kommt hin und wieder die Aussage, dass sie diese Forderung letztlich unterstützen
würde, dass das Vorhaben aber im Rahmen der großen
Koalition derzeit nicht durchsetzbar sei. Wir möchten in
diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass Sie in Ihrer Regierungszeit gemeinsam mit Ihrem damaligen Koalitionspartner, den Grünen, die Möglichkeit gehabt hätten, eine Ausbildungsplatzumlage einzuführen. Sie
haben diese Möglichkeit nicht genutzt, weil es in Ihren
eigenen Reihen keine Mehrheit dafür gab. Deshalb halten wir es für zutiefst verlogen, wenn Sie jetzt versuchen, sich als das soziale Gewissen in der großen Koalition zu profilieren.
({12})
Unser Fazit ist klar: Auf der Grundlage dieses Ausbildungspaktes werden sich die Perspektiven für Jugendliche auf dem Ausbildungsstellenmarkt nicht verbessern.
({13})
Gerade das aber sollte unser Ziel sein; es geht nicht nur
darum, dass eine Ministerin oder ein Minister zu diesem
Thema sprechen. Wir wünschen uns konkrete Initiativen. Das wäre wichtig, um die immer stärkere Ausgrenzung von Jugendlichen in dieser Gesellschaft zu beenden.
Vielen Dank.
({14})
Ich erteile das Wort nun dem Kollegen Kai Wegner
für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir diskutieren heute über die Lage am Ausbildungsmarkt. Lieber
Herr Kolb, wir sollten die Ausbildungsproblematik und
die Chancen für junge Menschen nicht nur dann thematisieren, wenn das Haus schon brennt; dieses Thema sollte
für den Deutschen Bundestag vielmehr ein Dauerbrenner
sein. Denn die Perspektiven für junge Menschen sind
uns als Regierungsfraktion wichtig.
({0})
Die aktuellen Zahlen sind zweifelsohne alarmierend,
Herr Kolb. Aber wer aufgrund dieser Zahlen das Ende
des Ausbildungspaktes fordert, liebe Frau Hirsch, zieht
die falschen Schlüsse.
({1})
Ich komme aus Berlin, wo Ihre Partei mitregiert. Ich bin
froh, dass Ihr Geschwätz hier nur Oppositionsgerede ist.
Denn mit dem, was Sie fordern, haben junge Menschen
keine Perspektive.
({2})
Das wird in den Bundesländern, in denen Sie mitregieren, sehr deutlich, Frau Hirsch. In Berlin und Mecklenburg-Vorpommern ist die Perspektive am Ausbildungsmarkt für junge Menschen schlechter als in BadenWürttemberg, Bayern, Thüringen oder Sachsen.
({3})
Beim Ausbildungspakt handelt es sich um ein noch
junges Instrument, welches sich eines komplexen Problems annehmen soll. Das Problem ist insofern komplex,
als viele Faktoren für die angespannte Lage am Ausbildungsmarkt verantwortlich sind. Es steckt eben doch etwas mehr dahinter als das immer wieder zitierte Kostenargument.
Ein Indiz dafür ist die zunehmende Zahl an Lehrstellen, die Jahr für Jahr nicht besetzt werden. Neben der
Konjunkturabhängigkeit und der fehlenden Flexibilität
in der beruflichen Bildung spielt die Ausbildungsreife
vieler Jugendlicher sehr häufig eine entscheidende
Rolle.
({4})
So gab in einer Umfrage der Deutschen Industrie- und
Handelskammer jeder zweite Betrieb an, dass er im vergangenen Jahr wegen der schlechten schulischen Vorbildung vieler Bewerber seine Ausbildungsplätze nicht besetzen konnte.
({5})
Deshalb sind alle Ansätze, eine wie auch immer geartete
Ausbildungsplatzabgabe einzuführen, nicht nur unpraktikabel, sondern sie verkennen auch die eigentlichen
Gründe des Problems. Die Abgabe würde die Betriebe
bestrafen, die eigentlich ausbilden wollen oder aufgrund
ihrer wirtschaftlichen Situation nicht ausbilden können.
({6})
In diesem Zusammenhang möchte ich auf die herausragende Stellung des deutschen Mittelstands hinweisen.
Kleinere und mittlere Betriebe bilden rund 82 Prozent
aller Lehrlinge in unserem Land aus. Ich glaube, diese
verdienen unseren ganz besonderen Dank und unsere
ganz besondere Anerkennung.
({7})
Ich halte es für den besseren Weg, die Herausforderung für mehr Ausbildungsplätze gemeinsam anzunehmen, anstatt den Unternehmen per Gesetz Zwangsabgaben anzudrohen. „Gemeinsam“ bedeutet jedoch auch,
dass alle Akteure der beruflichen Bildung an einem
Strang ziehen. Das gilt auch für die Gewerkschaften, die
sich besser konstruktiv im Rahmen des Ausbildungspaktes engagieren sollten, anstatt ihn ständig mit Pauschalargumenten zu diskreditieren.
({8})
Mit Blick auf die einzelnen Bundesländer ist festzustellen - das sagte ich schon, Frau Hirsch -, dass die Ergebnisse des Ausbildungspaktes sehr unterschiedlich
ausfallen. Im letzten Monatsbericht der Bundesagentur
für Arbeit ist dabei besonders erfreulich, dass in den
neuen Bundesländern das Angebot an betrieblichen Ausbildungsplätzen gegenüber dem Vorjahr um 4 Prozent
gestiegen ist. Das sollte uns doch freuen.
({9})
Ich denke, wir sind uns alle einig, dass jeder ausbildungsfähige Jugendliche ohne Ausbildungsplatz einer zu
viel ist. Deshalb sage ich Ihnen auch ganz klar, dass wir
mit der momentanen Situation nicht zufrieden sein können
({10})
und dass wir uns damit auch nicht zufrieden geben werden.
({11})
Ich begrüße deshalb ausdrücklich den besonderen Einsatz unserer Bundeskanzlerin und unseres Bundeswirtschaftsministers, Betriebe, die bisher nicht ausgebildet
haben, für die Berufsausbildung zu gewinnen.
({12})
Auch wir sollten in unseren Wahlkreisen beispielsweise
durch Klinkenputzen für mehr Ausbildungsplätze werben. Jeder kann in seinem Wahlkreis etwas tun. Jeder
ausbildungsfähige Jugendliche braucht einen Ausbildungsplatz.
Aus meiner Sicht bedarf es dreierlei Dinge, die wir
tun müssen: Wir müssen erstens die mittelständischen
Betriebe entlasten, die im Übrigen in der Vergangenheit
doppelt so viele Ausbildungsplätze wie zugesagt geschaffen haben. Wir müssen zweitens die Modernisierung und Weiterentwicklung der Strukturen der betrieblichen Ausbildung auf Basis des bewährten dualen
Ausbildungssystems umsetzen. Wir müssen drittens die
Stärkung der Schnittstelle zwischen Schule und Unternehmen forcieren. Die große Koalition hat zu allen drei
Punkten entsprechende Gesetze verabschiedet und richtige Schritte in Angriff genommen. Auch von den am
Pakt beteiligten Partnern wurden zahlreiche Initiativen
angestoßen. In Zukunft muss für möglichst alle ausbildungsfähigen und ausbildungswilligen Jugendlichen ein
Qualifizierungsangebot vorhanden sein. Ich bin mir sicher, dass uns dies gemeinsam im Rahmen des Ausbildungspaktes gelingen wird.
Herzlichen Dank.
({13})
Herr Kollege Wegner, das war Ihre erste Rede im
Deutschen Bundestag, zu der ich Ihnen herzlich gratuliere,
({0})
verbunden mit allen guten Wünschen für die weitere parlamentarische Arbeit.
Das Wort hat nun die Kollegin Priska Hinz, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Chance
durch den Ausbildungspakt - leider ist das die falsche
Überschrift für die Aktuelle Stunde; denn bislang gibt es
keine Entspannung. Im Gegenteil: Der Druck ist eigentlich gestiegen. In diesem Jahr suchen mehr junge Menschen einen Ausbildungsplatz als in dem vergleichbaren
Zeitraum des letzten Jahres. Heute sind die neuen Zahlen
auf den Tisch gekommen, die das deutlich machen. Der
Druck ist höher, auch der auf die Bundesregierung. Leider steht das Handeln der Bundesregierung in den letzten
Monaten unter dem Motto: Pleiten, Pech und Pannen.
Es ist eine Pleite, dass Frau Schavan im Januar die
Weiterentwicklung des Ausbildungspaktes versäumt hat.
Es ist Pech für die Jugendlichen, dass die Bundesregierung die Zuständigkeiten zwischen der Bundesbildungsministerin und dem Bundeswirtschaftsminister hin- und
herschiebt. Die größte Panne ist der Bundeswirtschaftsminister selbst, der im Juni den Termin für die Sitzung
des Lenkungsausschusses des Ausbildungspaktes aus
seinem Kalender streicht. Das kann nichts für die Jugendlichen werden.
({0})
Wie geht die Koalition eigentlich mit denjenigen Themen um, die sie selbst angestoßen hat? Im KoalitionsPriska Hinz ({1})
vertrag ist von „branchenbezogener Umlagefinanzierung“ die Rede. Man hört nichts mehr davon.
({2})
- Aber es steht in Ihrem Koalitionsvertrag. Bringen Sie
doch bitte einmal die Gewerkschaften und die Unternehmen an einen Tisch! Auch dies wäre Aufgabe der Bundesregierung. Da hat sie bislang versagt.
({3})
Wie sieht das Programm zur zweiten Chance aus?
Bislang ist es immer noch nebulös.
Bislang hat man keine Konsequenzen aus der IABStudie gezogen. Diese Studie zeigt auf, welche Ausbildungshemmnisse es in Betrieben gibt. Diese Betriebe
bitten um personelle Unterstützung und sie haben Probleme, weil sie junge Menschen nach der Ausbildung
nicht unbedingt übernehmen können. Das hätten Sie,
Herr Glos, mit den Vertretern der Industrie- und Handelskammern letzte Woche besprechen können. Sie hätten sich nicht nur anhören müssen, wo es klemmt, sondern Sie hätten auch Vorschläge machen müssen.
({4})
Sie hätten zum Beispiel die Umlage von Prüfungsgebühren innerhalb eines Handwerksbezirks vorschlagen
können, damit auch diejenigen Betriebe beteiligt werden, die nicht ausbilden.
({5})
Sie hätten auch vorschlagen können, dass regionale
Netzwerke zwischen Berufsschulen, Arbeitsagenturen
und den Industrie- und Handelskammern geknüpft werden. Diesen Vorschlag habe ich von Ihnen nicht gehört.
Genauso wenig haben Sie vorgeschlagen, dass die IHK
externe Dienstleistungen für Unternehmen übernehmen
und Ausbildungsbegleiter sein können.
({6})
Diese Vorschläge hätten Sie machen können. Nichts davon haben Sie auf den Tisch gelegt.
({7})
Es wäre möglich, die Umsetzung des reformierten
Berufsbildungsgesetzes zu forcieren, zum Beispiel die
Anerkennung vollschulischer Ausbildungsgänge. Es
wäre möglich, die Modularisierung von neuen Ausbildungsgängen mit einer Zertifizierung und damit mit der
Möglichkeit der Anerkennung, wenn Jugendliche weitermachen, voranzutreiben.
({8})
Auch da ist nichts passiert. Ich befürchte, dass Sie nach
der Föderalismusreform sagen: Das ist allein Ländersache; damit machen wir uns die Hände nicht mehr
schmutzig. Das wäre schlecht für die Jugendlichen.
({9})
Sie von der Bundesregierung könnten durch die Umsetzung einer EU-Richtlinie die Vergabe öffentlicher
Aufträge an die Ausbildungsbereitschaft von Betrieben
koppeln. Herr Schummer, ich danke Ihnen sehr dafür,
dass Sie in Presseerklärungen dafür plädieren, dass die
Kommunen das übernehmen. Gehen Sie doch zu Ihrer
Bundesregierung! Auch Ihre Bundesregierung kann das
machen.
({10})
Schauen Sie nicht nur auf die Kommunen! Schauen Sie
auf Ihre eigenen Leute! Wenn Sie Ihre Bundesregierung
hier vorn nachher entsprechend aufforderten, dann wäre
das für die Jugendlichen ein starkes Wort.
({11})
Es gäbe die Möglichkeit, die Umsetzung des SGB II
so zu ändern, dass nicht nur die Beschäftigung von jungen Menschen zählt; Vorrang müssten vielmehr die Ausbildung und die Qualifizierung von jungen Menschen
haben, damit sie nicht mehr von Transferleistungen abhängig sind. Möglich wäre auch die Aufhebung der
Trennung zwischen Jugendlichen, die unter „Bedarfsgemeinschaft nach SGB II“ fallen, und Jugendlichen, denen nach SGB III die Arbeitsagentur Berufsberatung zukommen lässt. Jeder Jugendliche hat nämlich ein gutes
Recht auf Berufsorientierung, Berufsberatung und auf
Ausbildung und Qualifizierung. Hier könnten Sie tätig
werden. Nichts ist passiert.
({12})
Natürlich tragen die Unternehmen die Hauptverantwortung.
({13})
Aber die Bundesregierung muss die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass die Unternehmen diese
Verantwortung auch wahrnehmen. Sie müssen uns
nichts vorwerfen: Wir Grünen haben mit unserer Umfrage - denken Sie an Adidas - und mit unserer Öffentlichkeitsarbeit mehr als diese Bundesregierung in acht
Monaten erreicht.
({14})
Das kann ich Ihnen von hier vorne sagen.
Ich komme zum Schluss. Frau Schavan hat mir in ihrer letzten Rede hier zugerufen: Man soll sich nicht in
Rhetorik ergehen, sondern in Taten. Meine Damen und
Herren, die Bundesregierung ist am Zug. Sie sollte dieses Motto beherzigen.
({15})
Wolfgang Grotthaus ist der nächste Redner für die
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Schaffung von Arbeitsplätzen ist Ziel aller hier
im Haus vertretenen Fraktionen. Die Meinungen darüber, welcher Weg dazu gegangen werden soll, sind unterschiedlich. Bei einigen Diskussionsteilnehmerinnen
und -teilnehmern hatte ich das Empfinden, dass ihr
Motto lautet: Der Staat kann alles richten. Der Staat ist
für die Schaffung von Ausbildungsplätzen zuständig. Ich stimme mit denen überein, die sagen, dass der Staat
Rahmenbedingungen schaffen soll.
Da streiten wir über den richtigen Weg. Die einen sagen: Wir wollen den Ausbildungspakt. Die anderen sagen: Wir wollen die Ausbildungsabgabe. - Wir haben
uns für den Ausbildungspakt entschieden. Wir glauben,
dass wir mit diesem Pakt den richtigen Weg gehen.
Dazu einige Zahlen. Im Jahr 2005 haben wir - da
lässt sich natürlich über die Zahlen im Einzelnen streiten; Sie können sagen, wir müssten noch etwas drauflegen - für das Jahr 2004 insgesamt 118 000 neue Ausbildungsplätze feststellen können, und zwar in den
Bereichen der Industrie und des Handels; nicht mitgerechnet ist der Bereich des Handwerks. Damit wurde das
Niveau des Vorjahres um 1,4 Prozent überschritten. Es
war eine positive Tendenz. Ob zu dieser positiven Tendenz alle beigetragen haben, wage ich zu bezweifeln.
Aber zumindest hat das vielen jungen Menschen in diesem Staat geholfen.
Auch das neue Instrument der Einstiegsqualifizierung, das die Paktpartner geschaffen haben, ist in den zurückliegenden Jahren gut angelaufen. Insgesamt konnten
17 100 Jugendliche diese Einstiegsqualifizierung nutzen.
In der Bilanz für 2005 setzen sich diese positiven
Zahlen fort. Trotzdem muss man einräumen: Das reicht
nicht. Das liegt aber nun nicht daran, dass die Rahmenbedingungen nicht stimmen - da sollte man ein bisschen
abwarten -, sondern das hängt damit zusammen, dass es
mehr Schulabgänger gibt, als Ausbildungsplätze angeboten werden. Deshalb sollte man vorrangig die Industrie und das Gewerbe verpflichten, mehr junge Menschen einzustellen, statt nach dem Staat zu rufen.
({0})
Die Verantwortlichen, Herr Kolb, sind unzweifelhaft
die Unternehmen.
({1})
Die Unternehmen haben Vorsorge dafür zu treffen, dass
weltweit das Qualitätssiegel „Made in Germany“ auch
weiterhin Bedeutung hat, und zwar deswegen, weil unsere Facharbeiterschaft gut ausgebildet ist.
({2})
Das ist so, weil sie auch gut ausgebildete Lehrherren hat.
Schon heute wird in manchen Branchen darauf hingewiesen
({3})
- hören Sie gut zu! -,
({4})
dass qualifizierter Nachwuchs fehlt.
({5})
Statt aber selbst auszubilden, wird die Forderung erhoben, im Rahmen von Zuwanderungsmöglichkeiten gut
ausgebildete Facharbeiter ins Land zu holen. Mit solchen Argumenten - ich sage das hier sehr deutlich stiehlt man sich aus der Verantwortung sowohl gegenüber den jungen Menschen als auch gegenüber der Zukunftsfähigkeit der eigenen Firma und unseres Staates.
({6})
Deshalb müsste schon aus Eigennutz die Ausbildung
in den Firmen höchste Priorität haben. Stattdessen wird
vorgeschlagen - Frau Kressl hat schon darauf hingewiesen -, das Gehalt der Auszubildenden zu kürzen.
({7})
Ich frage mich: Wer hat dieses Gehalt festgelegt? Es waren die Tarifvertragsparteien. Am Tisch der Tarifvertragsparteien sitzen auch die Arbeitgeber. Die haben die
Tarifverträge mit unterzeichnet. Jetzt nach dem Staat zu
rufen, ist genau der falsche Weg. Wir zweifeln die Tarifhoheit nicht an.
({8})
Von daher sollen die Tarifvertragsparteien darüber reden.
Wenn eine der Tarifvertragsparteien meint, man solle da
irgendetwas angehen, dann, bitte schön, ist darüber dort
am Tisch zu verhandeln. Das sollte nicht ins politische
Feld hineingetragen werden.
({9})
Auch die Forderung, drei Auszubildende für das Gehalt von zweien einstellen zu dürfen, ist abzulehnen. In
meinen 36 Jahren im Betrieb habe ich als Erstes gelernt:
Gehaltsverzicht sichert nicht einen Arbeitsplatz.
({10})
Die Vergangenheit hat gezeigt, dass man nicht allen
Versprechungen glauben darf. Ich will dazu nur daran erinnern, dass die Frühverrentung und die so genannte
58er-Regelung mit dem Argument eingeführt worden
sind: Für jeden zweiten älteren Arbeitnehmer bzw. jede
zweite ältere Arbeitnehmerin, den oder die wir von der
Arbeit freistellen, stellen wir einen jungen Menschen
neu ein. Tatsächlich war das Verhältnis sieben zu eins.
Wer würde garantieren, wenn wir diesen Weg der
Kürzung der Ausbildungsgehälter politisch gehen würden, dass es tatsächlich zu mehr Einstellungen käme?
Wer würde rechtsverbindliche Zusagen geben, die Unternehmer, die Unternehmerverbände? Alle die würden
sich zurücklehnen und sagen: Wir sind doch nicht diejenigen, die eine Unterschrift gegeben haben. Genau wie
beispielsweise beim Ausbildungspakt: Auch da stiehlt
sich ein Teil der Unternehmer aus der Verantwortung.
({11})
An die Adresse der Unternehmer gerichtet, meine Damen und Herren, sage ich: Nicht lamentieren, sondern
ausbilden! Jungen Menschen eine Zukunftschance durch
eine gute Ausbildung geben! Der zugesagten Selbstverpflichtung im Rahmen des Ausbildungspaktes nachkommen und damit ebenfalls gesellschaftliche Verantwortung in diesem Staat wahrnehmen!
({12})
Das Wort hat nun der Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie, Michael Glos.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Ich freue mich, dass in der jetzt diskutierten Frage doch
in diesem Hause eine sehr breite Zustimmung bezüglich
der Auffassung herrscht, dass Ausbildung in allererster
Linie Sache der Wirtschaft ist, dass wir sie in den Händen Wirtschaft belassen müssen - denn am besten kann
und macht es die Wirtschaft - und dass wir uns gemeinsam noch einmal an alle Verantwortlichen wenden und
sie bitten müssen, auszubilden.
({0})
- Ich komme gleich noch zu Ihnen, Herr Kolb. - Ich tue
das überall. Ich habe zum Beispiel heute beim Sparkassenverband Bayern geredet. Unter den tausend Anwesenden waren auch sehr viele Unternehmer; sie haben
gesagt: Jawohl, wir strengen uns stärker an. - Ich habe es
gestern beim Zentralverband der Elektrotechnik- und
Elektronikindustrie getan. Ich könnte Ihnen noch weitere
Gelegenheiten aufzählen. Es macht ja keinen Sinn, über
die Wirtschaft zu schimpfen, sondern wir müssen an ihre
Verantwortung appellieren. Ich sage noch einmal: Der
allergrößte Teil der Betriebe nimmt diese Verantwortung
ernst und wahr.
({1})
Es ist richtig, Herr Kolb: Es kommt schon darauf an,
wie die Wirtschaft läuft. Betriebe, die es nicht mehr gibt,
können auch nicht ausbilden.
({2})
Wir müssen auch überprüfen, ob die Änderung der
Handwerksordnung dazu geführt hat, dass mehr oder
dass weniger ausgebildet wird.
({3})
All diese Dinge müssen wir selber überprüfen. Da sind
wir gefordert. Wir müssen auch immer wieder die Erfahrungen nutzen, die wir gesammelt haben.
Es ist aber sehr erfreulich - das wird auch auf den
Ausbildungsmarkt durchschlagen -, dass wir wieder
eine bessere Stimmung in der Wirtschaft haben, als es
vor einem oder auch noch vor einem halben Jahr der Fall
gewesen ist. Das Ifo-Institut sagt, seit 15 Jahren habe es
keine so positive Stimmung mehr gegeben. Die führenden Institute sagen optimistischere Zahlen voraus, als
ich sie als Wirtschaftsminister amtlich prognostizieren
dürfte. Wir haben aber immer gesagt, wir schneiden lieber besser ab als vorausgesagt, als dass es umgekehrt ist.
Besonders erfreulich sind die jüngst veröffentlichten
Zahlen der Bundesagentur für Arbeit: Die Zahl der Arbeitslosen ist auf unter 4,5 Millionen gesunken und liegt
um 138 000 niedriger als im Vormonat. Wenn es mit der
Wirtschaft weiter so aufwärts geht, dann führt das, wie
ich glaube, auch zu mehr Ausbildungsbereitschaft.
({4})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich erkenne
an, dass der Ausbildungspakt, der von meinem Vorgänger mit initiiert worden ist und den die Wirtschaftsverbände ganz gewaltig unterstützen, ein gutes Mittel ist,
um weiter voranzukommen. Es bleibt natürlich noch vieles andere übrig, was zu tun ist. So wird meine Kollegin
Frau Schavan darüber reden, was mit denen, die nachqualifiziert werden müssen und dabei oft den Anschluss
an den aktuellen Ausbildungsmarkt verlieren, geschehen
soll. Deren Zahl nimmt ja wie eine sich immer stärker
aufbauende Bugwelle zu. Häufig liegt das Problem darin, dass sie nicht gut genug in der Schule gebildet wurden.
({5})
- Für die Schulen sind natürlich die Länder verantwortlich.
({6})
- Dass Sie jetzt klatschen, Herr Tauss, hilft nicht.
({7})
Es sind aber zu gewissen Teilen auch die Eltern mit verantwortlich. So müssen wir sogar feststellen, dass es
mittlerweile Wohlstandsverwahrlosung gibt.
({8})
Sowohl aus Notlagen heraus wie auch im Wohlstand
kann es zu solchen Fehlentwicklungen kommen; diese
gibt es also auf beiden Seiten. Wir müssen uns also überlegen, wie wir mit Leistungsgeminderten und aus anderen Gründen Verwahrlosten in Zukunft umgehen.
Wir müssen auch versuchen, auf dem Integrationsgipfel der Bundeskanzlerin darauf hinzuwirken, dass noch
mehr im Bereich der Migrantenkinder getan wird. Hier
wird aus Gründen der Tradition Mädchen oft nicht gestattet, eine Ausbildung aufzunehmen.
({9})
Darüber muss, wie ich glaube, beim Integrationsgipfel
am 14. Juli geredet werden.
Vor allen Dingen muss auch verstärkt mit den Verbänden der Unternehmen in Deutschland geredet werden,
die nicht in deutscher Hand sind bzw. wo andere Traditionen herrschen. Ich meine jetzt nicht nur die türkischen
Unternehmerverbände. Wir haben sehr viele erfolgreiche
türkische Mittelständler in Deutschland, gerade auch in
dieser Stadt Berlin.
({10})
Es gibt auch andere gute Beispiele. Zu mir kam in diesen
Tagen der Manager eines großen Fonds. Diese Fonds haben ja immer bestimmte Namen. Ohne dass ich Reklame
machen will: Dieser Fonds heißt „Cerberus“, übersetzt:
Höllenhund.
({11})
Die sind wirtschaftlich gut und erfolgreich und haben
sich auch in Deutschland eingekauft. Nach Aussage des
Managers stellen sie jedes Jahr, wenn sie selbst nicht
ausbilden, 1 Million Euro zur Verfügung, die in den jeweiligen Städten für zusätzliche Ausbildungsplätze eingesetzt werden. An dieser Stelle wird immer der Name
einer großen Sportartikelfirma genannt. Ich bin ja neutral und darf für niemanden Reklame machen.
({12})
Es ist eine Möglichkeit, wenn man selbst nicht genügend
Kapazitäten hat, weil man hauptsächlich nur handelt und
die Produkte von woanders bezieht, zu sagen: Dann machen wir auch einmal Sponsoring für die Ausbildung.
({13})
Es ist auch ein gutes Beispiel, das wir weiter verfolgen
sollten.
({14})
Ich hatte ein sehr intensives Gespräch mit denen, die in
den Kammerorganisationen an der Front stehen und die
die Arbeit leisten, Frau Kollegin, mehr Ausbildungsplätze einzuwerben. Hier ging es überhaupt nicht um
Show und um Reklame. Ich habe mich auch bei den
Leuten bedankt. Sie müssen sich viel anhören. Denen
sollten wir zuhören. Natürlich gibt es eine Reihe von
Gründen, die denen, die Klinken putzen, entgegengehalten werden, warum man nicht mehr ohne weiteres bereit
ist, auszubilden. Trotzdem wird es immer wieder geschafft, die Zahlen zu erhöhen.
Ich möchte noch etwas zu den Zahlen der Bundesanstalt für Arbeit sagen. Ich werde demnächst mit Herrn
Weise ein Gespräch führen. Wir haben schon telefonisch
über die Zahlen diskutiert. Diese Zahlen haben sich auch
stark aufgrund einer Statistikumstellung ergeben. Richtigerweise wurde gesagt, dass nicht jeder freie Plätze der
Bundesagentur meldet. Das wird stärker von den Kammern in die Hand genommen.
({15})
Ich bin bis zum Beweis des Gegenteils optimistisch, dass
es uns mit dem Ausbildungspakt gelingen wird, das, was
versprochen wurde, noch zu übertreffen. So war es auch
im letzten Jahr.
({16})
Dass es höhere Zahlen sind, ist schon gesagt worden.
Ich möchte mich an der Stelle bei den Kolleginnen und
Kollegen aus dem Deutschen Bundestag bedanken, die
- ich weiß es aus meiner Fraktion - einen zusätzlichen
Aktionstag durchführen, bei dem der Abgeordnete in
seinem Wahlkreis und da, wo er Verantwortung trägt,
mit Betriebsbesuchen, mit Appellen usw. dazu beiträgt,
das Bewusstsein stärker zu wecken.
Wir - Frau Ministerin Schavan, Herr Minister Müntefering, die Verantwortlichen beim DIHK, beim Zentralverband des Handwerks usw. - werden am 14. Juli zu einer Sitzung des gemeinsamen Lenkungsausschusses
zusammenkommen, um eine erste Bilanz zu ziehen. Wie
es wirklich ausgeht, wissen wir erst im Herbst. Bis dahin
dürfen wir in den Anstrengungen nicht nachlassen, noch
mehr zu tun als in der Vergangenheit.
({17})
Dafür und für diese Aktionen kann ich Ihnen jetzt
schon danken. Ich hoffe, dass das alle Seiten dieses Hauses tun. Frau Kollegin Kressl hat das Thema Mobilität
angesprochen. Per saldo stimmt die Bilanz optimistisch.
Ich kann nur die jungen Leute ermuntern, auch einen
Ausbildungsplatz anzunehmen, der sich außerhalb der
Stadt oder der Region, aus der man kommt, findet.
Früher musste man sogar woanders hingehen. Es gehörte zur handwerklichen Ausbildung, dass man gewandert ist. Heute reist man in die ganze Welt, wenn man
kann, möchte aber unbedingt bei Muttern zu Hause bleiben, wenn es um Ausbildungsplätze geht. Auch da kann
ich nur an die Betreffenden appellieren, Mobilität zu zeigen. Ich bin überzeugt: Bei gutem Willen aller Beteiligten - sowohl bei den Jugendlichen als auch bei den Betrieben - können wir eine Win-win-Situation schaffen, in
der die jungen Leute gewinnen - das liegt mir ganz besonders am Herzen -, in der aber auch die Wirtschaft gewinnt. Die Zahlen werden sich ja in ein paar Jahren ohnehin wieder verändern. Es gilt: Diejenigen, die heute
nicht ausgebildet sind, werden morgen als Arbeitskräfte
nicht zur Verfügung stehen.
Danke schön.
({18})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Klaus Barthel,
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal hat mich die Kritik der Opposition
an der Aktuellen Stunde überrascht.
({0})
Ich garantiere Ihnen: Hätten wir sie nicht beantragt, dann
hätte es geheißen, wir würden die schwierige Situation
auf dem Lehrstellenmarkt ignorieren, Herr Kolb. Deshalb kann ich Ihre Kritik nicht nachvollziehen.
({1})
Für mich ist in diesem Zusammenhang ein besonderes
Alarmzeichen, dass sich inzwischen selbst in ökonomisch starken Regionen unseres Landes der Lehrstellenmangel zuspitzt. Der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband berichtet zum Beispiel in diesen Tagen, dass
Mitte Mai, also vor sechs Wochen, erst 30 Prozent der
Hauptschulabgängerinnen und -abgänger der neunten
Klasse einen Ausbildungsvertrag in der Tasche gehabt
hätten; bei den Praxisklassen seien es erst 24 Prozent gewesen. Das bedeutet, dass zwei Drittel dieser Jugendlichen in Bayern noch vor dem Nichts stehen.
({2})
Ich halte aber dagegen, dass in den letzten Jahren
viele Wünsche der Unternehmen - und auch der FDP hinsichtlich Flexibilisierung und Modernisierung, aber
auch des Abbaus mancher Standards, genannt Ausbildungshemmnisse, erfüllt worden sind.
({3})
Stichworte: Ausbilder-Eignungsverordnung ausgesetzt,
Probezeit verlängert, zweijährige Ausbildung erleichtert,
neue Ausbildungsberufe eingeführt, Neuordnungsverfahren beschleunigt. Das hat sogar die Arbeitgebergruppe im Hauptausschuss des Bundesinstituts für Berufsbildung in ihrer Stellungnahme zum aktuellen
Berufsbildungsbericht zugegeben.
Als Wirtschaftspolitiker will ich aber noch einmal auf
die ökonomische Dramatik der Lage hinweisen. Es besteht offenbar breiter Konsens darüber, dass die Zukunft
der Wirtschaft vor allen Dingen von Innovationen abhängt.
({4})
Dutzende von Studien, Berichten, Gutachten usw. belegen das; Beiräte brüten seit Jahren darüber. Aber so richtig und wichtig der technologische Aspekt bei der Innovation ist, so oft wird die zentrale Voraussetzung
technologischer Leistungsfähigkeit unterschlagen, nämlich die Fähigkeit der Menschen selber, neue Technologien zu entwickeln, anzuwenden und zu beherrschen.
({5})
Es macht - Herr Minister hat es erwähnt - die bisherige Stärke des Exportweltmeisters Deutschland aus,
dass wir bei unserer technologischen Leistungsfähigkeit
nicht nur auf akademisch geprägte Forschung und Entwicklung zurückgreifen können, sondern auch auf das
breite Wissen und Können von Fachkräften zählen können, die das duale System durchlaufen haben. Dieses duale System ist eine Grundlage für Weiterbildung, sei sie
schulisch, akademisch, sei sie betrieblich.
Aber was ist unterdessen die Realität? Die Zahl der
angebotenen betrieblichen Ausbildungsplätze sinkt sowohl konjunktur- und arbeitsmarktabhängig - im letzten
Jahr um 3,5 Prozent - als auch langfristig, in den letzten
14 Jahren um etwa ein Viertel; das muss man sich einmal vorstellen. Es wird nach Verkürzungen der Ausbildungszeit gerufen und gleichzeitig durch Warteschleifen,
Praktika und Einstiegsqualifizierung die Ausbildung de
facto verlängert.
({6})
Ein Teil der Betriebe - auch das gibt es - nutzt die Einstiegsqualifizierung nicht für Jugendliche mit Wettbewerbsnachteilen, für die sie gedacht ist, sondern zur billigen Verlängerung der Ausbildungszeit.
({7})
Wie sonst ist es zu erklären, dass wir in den Einstiegsqualifizierungen zur Hälfte Realschülerinnen und Realschüler und sogar Abiturienten antreffen?
({8})
Wie erleben, dass die Situation auf dem Stellenmarkt
und die dadurch entstehende Erpressbarkeit der Jugendlichen ausgenutzt werden, um unwürdige Verhältnisse zu
schaffen. Das Ganze ist nicht nur unfair und moralisch
empörend, sondern gefährdet letzten Endes die Zukunftschancen unserer Volkswirtschaft.
({9})
FDP, Unternehmerverbände und Kammern haben in
der Vergangenheit immer argumentiert: Wenn sich die
wirtschaftliche Lage der Betriebe verbessern würde,
würden auch die Chancen steigen, Ausbildungs- und Arbeitsplätze zu schaffen.
({10})
Jetzt wissen wir aber - ich will es nicht verallgemeinern -: Die Gewinne der Unternehmen sind in den letzten Jahren im Durchschnitt deutlich gestiegen.
({11})
Nach dem „Handelsblatt“ vom Anfang dieser Woche
sind die Nettogewinne der DAX-Unternehmen um
12,6 Prozent gestiegen. Außerdem schreibt das „Handelsblatt“, dass die Ausgangsbasis immer höher werde
und dass die Gewinne der kleinen und mittleren Unternehmen erneut stärker als die der großen Konzerne im
DAX wachsen dürften.
Auffälligerweise sind gerade die Unternehmen beim
Arbeits- und Ausbildungsplatzabbau besonders gut vertreten - Herr Kolb, jetzt hören Sie einmal gut zu -, die
die höchsten Gewinnzuwächse hatten.
({12})
Da können doch nicht die großen Unternehmen, die Milliardengewinne einfahren, über eine Ausbildungsvergütung von 600 Euro philosophieren.
({13})
Im Übrigen möchte ich feststellen, dass die Wirtschaft bis jetzt jeden Beweis schuldig geblieben ist, dass
niedrige oder sinkende Ausbildungsvergütungen Ausbildungsplätze schaffen, sonst müssten doch die neuen
Bundesländer ein Ausbildungsparadies sein. Aber genau
das Gegenteil ist der Fall.
({14})
Wir erleben quasi eine Verstaatlichung der beruflichen Bildung. Wir stützen mit arbeitsmarktpolitischen
Maßnahmen mit einem Volumen von 1,6 Milliarden
Euro den Ausbildungsmarkt. 10 Milliarden Euro, also
mehr als die Hälfte der Gesamtkosten, gibt die öffentliche Hand für die berufliche Ausbildung dazu. Daraus
folgt, es fehlt nicht an Geld, Gesetzen, Sonntagsreden
und an theoretischen Erkenntnissen. Es fehlt auch nicht
an Bemühungen von vielen Kammern. Wir haben da
schon von vielen rühmlichen Ausnahmen in den Betrieben gehört; das erkennen wir ausdrücklich an.
Herr Kollege.
Ich will zum Schluss aus dem brandaktuellen Thesenpapier der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände zitieren. Unter dem Titel „Bildung schafft
Arbeit“ heißt es:
Bildung ist der entscheidende Schlüssel für die Zukunfts- und Wohlstandschancen Deutschlands ...
Ich sage: Auf geht’s!
({0})
Das Wort hat die Bundesministerin für Bildung und
Forschung, Dr. Annette Schavan.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Die berufliche
Bildung - dazu gehört die Kooperation von Unternehmen und Schule - ist das Herzstück des Bildungssystems in Deutschland und damit die beste Vorbeugung gegen Jugendarbeitslosigkeit.
({0})
Deshalb wächst das Interesse unserer europäischen
Nachbarn an unserem dualen Ausbildungssystem. Es hat
gestern unter Moderation und auf Initiative Deutschlands ein Treffen von Vertretern aus sechs europäischen
Ländern gegeben, auf dem Pläne für eine Kooperation
und für eine gemeinsame Modernisierung dieses Teil des
Bildungssystems besprochen wurden.
Ich finde es übrigens richtig, dass sich der Deutsche
Bundestag mit diesem Zukunftsthema regelmäßig beschäftigt.
({1})
Das ist ein Thema auf allen politischen Ebenen und außerdem ein Thema der Tarifpartner. Es geht in diesem
Zusammenhang auch um eine zentrale Frage mit Blick
auf die Innovationsfähigkeit unserer Unternehmen und
die Zukunftschancen der jungen Generation.
({2})
Ich nenne die konkreten Schritte, die diese Regierung
in den ersten sieben Monaten ihrer Amtszeit gegangen
ist.
Erstens. Wir haben mit den ausländischen Unternehmen gesprochen. Wir haben Vereinbarungen über Anreize getroffen und im Gegenzug die Zusage bekommen,
dass 10 000 zusätzliche Ausbildungsplätze geschaffen
werden. Wir werden in den kommenden Monaten acht
Regionalkonferenzen in Deutschland durchführen, auf
denen wir die ausländischen Unternehmen gezielt ansprechen wollen. Wir wollen sie an unsere Ausbildungskultur heranführen und ihnen Brücken bauen, damit
diese 10 000 neuen Ausbildungsplätze geschaffen werden können. Diese konkrete Aktion wird die Zukunftschancen verbessern.
({3})
Zweitens. Wir haben ein neues Bund/Länder-Sonderprogramm zur Förderung von Ausbildungsplätzen in den
neuen Bundesländern aufgelegt. Dort haben wir eine
ganz besondere Situation. Denn dort ist der klassische
Mittelstand, der das Rückgrat der Ausbildung in
Deutschland ist, nicht so stark vertreten wie in den alten
Bundesländern. Deshalb müssen die neuen Länder und
der Bund mehr investieren. Wir tun das. Wir schaffen
auch hier Brücken. Wir wollen auch hier die Schaffung
von jährlich insgesamt 13 000 zusätzlichen Ausbildungsplätzen ermöglichen.
({4})
Drittens. Wir haben dafür gesorgt, dass das Programm
Jobstarter - es stellt eine gute Bündelung bisheriger Programme dar - in den nächsten Jahren finanziert wird. In
den Haushaltsberatungen haben wir dies gesehen. Ich
bin davon überzeugt, dass das vor allen Dingen mit
wichtigen Impulsen für kleine Unternehmen verbunden
ist, die Einstiegsschwierigkeiten haben. Wir brauchen
gezielte Einsteigerprogramme. Wir brauchen Möglichkeiten der Begleitung von Ausbildern in kleinen Unternehmen bei der Ausbildung von Jugendlichen.
Viertens. Wir diskutieren nicht nur über sehr konkrete
Schritte bei der Modernisierung der beruflichen Bildung.
Vielmehr hat die Umsetzung in Form von Neuordnungen
an der Nahtstelle zwischen Bildung und Beschäftigung
längst begonnen. Wir brauchen andere Kooperationen,
andere Angebote an Jugendliche und gezielte, verbindliche Erklärungen. Die Einstiegsqualifikationen, die erworben werden, müssen auch angerechnet werden. Es
muss eine Optimierung im Hinblick auf die Lebenszeit
junger Menschen erfolgen. Darüber wird doch nicht nur
debattiert. Damit wurde schon begonnen. Die ersten
Bundesländer befinden sich längst in Umsetzungsprozessen. Die ersten Einstiegsqualifikationen sind längst
erworben und wurden in die weitergehende Ausbildung
der Jugendlichen eingebracht.
({5})
Ein ganz wichtiger Punkt ist - Sie haben es angesprochen -: Drei Ressorts der Bundesregierung sind mit Teilelementen in diesem großen Feld tätig. Diese drei Ressorts arbeiten jetzt zusammen. Auch das ist keine
Selbstverständlichkeit. Ich habe gelernt, dass das in den
letzten Jahren nicht so gut geklappt hat. Dies klappt jetzt
zwischen uns.
({6})
Wir arbeiten nicht nur mit verteilten Rollen, sondern
wissen auch, wo wer am besten wirken kann und wo wir
uns aufeinander zu bewegen müssen. Das Wirtschaftsministerium und wir werden das zum Beispiel bei der
Frage der Weiterentwicklung von Ausbildungsberufen
tun. Wir müssen wegkommen von immer mehr Spezialisierungen. Wir brauchen ein breiteres Fundament und
dann Spezialisierungen.
({7})
Wir erarbeiten in den nächsten Wochen ein gemeinsames Konzept zur Frage: Wie schaffen wir die Weiterentwicklung von Einstiegsqualifikationen, sodass gestufte
Ausbildungsgänge möglich werden, bei denen das, was
jemand im ersten, zweiten oder dritten Schritt erwirbt,
weiter eingebracht werden kann? Das ist eine Modernisierung, die am Ende zu dem führt, was im Koalitionsvertrag steht, nämlich Erstausbildung und Weiterbildung
miteinander zu verknüpfen.
({8})
Das setzt eine Modularisierung voraus. Da müssen alle
mitmachen. Da werden wir uns einig werden. Je mehr
wir gemeinsam tun, umso mehr werden uns auch die Tarifpartner bei den Prozessen der Modernisierung folgen.
({9})
Ich könnte Ihnen jetzt weitere Schritte nennen. Im
Laufe der Zeit erhalten Sie dazu schriftliche Informationen. Sie werden es auch vor Ort merken.
Ich will noch etwas zu den Regionalagenturen sagen.
Jeder von uns besucht sie doch in seinem Wahlkreis. Wir
sollten, finde ich, nicht einfach darüber hinweggehen,
dass es vor Ort hoch interessante, längst existierende
Netzwerke zwischen dem beruflichen Schulwesen, den
Unternehmen und den Kammern zum Teil unter Moderation der Regionalagenturen gibt. Ich kenne hoch interessante Ansätze und sehr gute Angebote von Regionalagenturen, um Jugendliche, die Schwierigkeiten haben,
die nicht einfach die Bereiche Lesen, Schreiben oder
Rechnen betreffen - sie haben ganz andere Schwierigkeiten -, in einer relativ überschaubaren Zeit zur Ausbildungsreife zu bringen und sie damit in eine Ausbildung
zu führen.
({10})
Ich rate uns: Der ganzen Debatte um Ausbildungsplätze und berufliche Bildung täte es gut, wenn die
wechselseitigen Vorwürfe und das wechselseitige Kaputtreden der Argumente beendet würden.
({11})
Ich erlebe seit Jahren - egal, welcher Vorschlag kommt -,
dass immer jemand sagt: Mit uns ist das nicht machbar. Ich finde, in einer solchen Diskussion, in der es um mehr
Zukunftschancen geht, darf es kein Tabu geben.
Zum Thema Ausbildungsvergütung. Ich stimme jedem zu, der sagt: Das ist nicht Sache der Politik. - Auch
in meinem Wahlkreis gibt es viele, die sagen: Das ist
nicht unser Thema. Die Vergütung haben wir vereinbart.
Wenn wir sie ändern wollen, können wir dies tun.
Jetzt soll man aber nicht so tun, als hätten wir kein
Berufsbildungsgesetz,
({12})
das übrigens in der letzten Legislaturperiode modernisiert wurde und unter anderem den Passus enthält, dass
bei nicht tarifgebundenen Vergütungen Abweichungen
von bis zu 20 Prozent möglich sind. Jetzt nenne ich einmal das konkrete Beispiel einer Buchhändlerin aus
Aachen, die sagt, in ihrer Buchhandlung arbeite außer
ihr noch eine Teilzeitkraft mit 50 Prozent und die
700 Euro für einen Auszubildenden habe sie nicht. Sie
könnte sich jedoch vorstellen, einen Auszubildenden für
560 Euro einzustellen, die sie noch so grade zusammenbekäme. Ich möchte das Thema nicht zu ausführlich behandeln, halte es aber nicht für gut, in solchen Situationen einfach nur zu sagen: Es geht nicht, das ist
Ausbeutung von Jugendlichen. Das ist ein Konterkarieren des Gesetzes, das der Deutsche Bundestag verabschiedet hat.
({13})
Wenn man das falsch gefunden hätte, hätte man es bei
der Modernisierung ändern können.
Es würde den Jugendlichen und auch dem ganzen
Thema gut tun, wenn in den Debatten nicht immer der
eine über den anderen herfallen würde. Ich habe den Erlass der Prüfungsgebühren bei Kammerprüfungen ins
Gespräch gebracht.
({14})
Dazu bekomme ich jetzt unentwegt Briefe. Das sei völlig unmöglich. Natürlich weiß ich, dass das nicht mehr
als ein Symbol ist,
({15})
weil man auch sagen kann, dass es auf die 500 Euro auch
nicht ankommt. Es geht dabei aber erstens um strukturelle Veränderungen
({16})
und zweitens um die Bereitschaft seitens der Wirtschaft,
mehr in Ausbildung zu investieren. Bekanntlich lautet
ein Satz des Berufsbildungsgesetzes seit 1969: Berufliche Bildung ist Sache der Wirtschaft. Drittens besteht
die Notwendigkeit, Symbole zu setzen und die Spielräume zu nutzen, die uns das Gesetz gibt, und nicht so zu
tun, als sei die Nutzung gesetzlicher Möglichkeiten unsittlich.
({17})
Die Zahlen eines jeden Jahres verändern sich von Woche zu Woche. Es gibt einen Unterschied zwischen den
Zahlen der Bundesagentur für Arbeit und der Zahl der
Ausbildungsverträge, die tatsächlich zustande kommen.
Ich rate uns, unser Augenmerk in den nächsten Wochen
und Monaten ganz stark auf dieses Thema zu lenken.
Wir reden über ein Zukunftsthema. Die Bundesregierung
wird in dieser Legislaturperiode eine Maßnahme nach
der anderen zur Modernisierung des Systems vorlegen
und mit Ihnen debattieren. Alle gesellschaftlichen Kräfte
sind aufgerufen, dieses Thema zu besetzen und jedem
Jugendlichen eine qualifizierte Ausbildung zu ermöglichen.
Vielen Dank.
({18})
Das Wort hat nun der Kollege Willi Brase, SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, dass viele Vorredner die Lage am Ausbildungsstellenmarkt sehr gut
beschrieben haben.
({0})
- Nein, nun überschätzen Sie Herrn Kolb mal nicht.
({1})
Ich finde es gut - das will ich ausdrücklich auch dem
Wirtschaftsminister, der sich im Augenblick in den Reihen der Abgeordneten aufhält, sagen -, dass die Kanzlerin endlich einmal deutlich gesagt hat, was wir am
30. September, möglicherweise am 31. Dezember von
der Wirtschaft erwarten. Sie hat nämlich gesagt: Wir
brauchen 50 000 Ausbildungsplätze für die jungen
Leute, damit wir dieses Ausbildungsjahr einigermaßen
vernünftig überstehen.
({2})
Ich glaube, wir sollten uns als Fraktion daran messen
lassen und auch die Regierung daran messen, ob wir dieses Ziel erreichen.
Ich möchte jetzt aus der Sicht - ich glaube, hier bin
ich der Einzige - eines in der beruflichen Bildung Verantwortlichen das eine oder andere hier bewerten. Ich
bin alternierender Vorsitzender einer Kammer in meinem Heimatland in Nordrhein-Westfalen, dem Siegerland. Ich kann nur sagen, dass wir manches, was hier
diskutiert wurde, seit Jahren in praktischer, vernünftiger
Zusammenarbeit zwischen Unternehmen, Gewerkschaften, Berufskollegs und der Arbeitsagentur bzw. jetzt der
Arge machen.
({3})
Daran, wie wir mit den Dingen umgehen, könnte sich
mancher Politiker, der hier Fensterreden hält, ein sehr
gutes Beispiel nehmen.
({4})
Im Rahmen des Ausbildungspakts ist das Sonderprogramm Einstiegsqualifizierung Jugendlicher, EQJ, auf
den Weg gebracht worden. Die Untersuchungen des
G. I. B. - das ist eine nordrhein-westfälische Gesellschaft - und der Hans-Böckler-Stiftung über die SituaWilli Brase
tion im westlichen Ruhrgebiet belegen, dass zwischen
58 und 63 Prozent der EQJ-Teilnehmer direkt nach der
Qualifizierung eine Ausbildung beginnen. Das ist gut.
({5})
Nachdenklich muss uns aber stimmen, dass davon sehr
viele einen mittleren Bildungsabschluss haben. Das ist
ein Zeichen dafür, dass die Unternehmen offensichtlich
noch nicht genügend qualifizierte Ausbildungsplätze anbieten und sie die Hauptschulabgänger dadurch ein
Stück weit verdrängen.
({6})
Bei den Beratungen zum Ausbildungspakt haben wir
gesagt, dass wir EQJ vor allen Dingen deshalb machen,
um den jungen Leuten aus den Hauptschulen eine vernünftige Perspektive zu bieten.
({7})
Deswegen bin ich sehr dafür, dass wir dieses Instrument
dahin gehend überprüfen. Sollte sich der Trend fortsetzen, dass sich aufgrund der Mangelsituation verstärkt
Schüler mit mittlerem Bildungsabschluss durchsetzen,
dann müssen wir einschreiten. Wir müssen auch unseren
Hauptschülern eine vernünftige Perspektive bieten.
({8})
Zur Ausbildungsreife. Selbstverständlich habe ich die
Untersuchungen des DIHK vom letzten und den vorangegangenen Jahren gelesen. Wenn man sich die Ergebnisse der letzten zehn Jahre ansieht, stellt man fest, dass
immer dann, wenn die Ausbildungssituation sehr
schwierig war, gesagt wurde, dass das an der fehlenden
Ausbildungsreife der Jugendlichen liege. Ich finde, der
DIHK hat es gar nicht nötig, ein so dummes Argument
vorzuschieben.
({9})
Es gibt eine sehr gute Untersuchung des Bundesinstituts für Berufsbildung, die im November des letzten Jahres veröffentlicht wurde. Sie enthält eine inhaltlich klare
Beschreibung des Begriffs Ausbildungsreife und beschreibt, was erforderlich ist, um eine Ausbildung machen zu können. Diese Untersuchung ist von Fachleuten
gemacht worden, die tagtäglich im Bereich der beruflichen Bildung tätig sind. Die Ergebnisse sind äußerst
spannend. Die Konsequenzen sind weit reichend:
({10})
Erstens. Es gibt - das ist völlig klar - Probleme im familiären Bereich, die für bestimmte Verhaltensweisen
ursächlich sind. Da müssen wir etwas tun.
Zweitens. Es gibt Probleme bei den Schulen. Es
wurde eben zu Recht gesagt, dass es wichtig ist, bei der
Vermittlung der Kompetenzen in den Bereichen Lesen,
Schreiben, Rechnen etc. alle Jugendlichen mitzunehmen.
Drittens. Auch Unternehmensvertreter haben gesagt
- 72 Prozent haben dem zugestimmt -, dass Unternehmen auch schwächeren Jugendlichen eine Chance bieten
und ihre Entwicklungspotenziale einschätzen sollen. Das
wurde gefordert. Ich kann nur sagen: Das ist richtig so.
Viertens. Man erwartet zu Recht auch von den jungen
Leuten, dass sie sich ein bisschen stärker für den Betrieb,
ihre Ausbildung und ihre Zukunftsperspektiven interessieren.
Das müssen wir in einem vernünftigen, regionalen
Pakt zusammenbringen: Wir müssen die Familien unterstützen, damit es den jungen Leuten dort besser geht.
Wir müssen die Schule stärker fordern. Die Lehrerinnen
und Lehrer müssen die Kompetenzen vermitteln. Wir
müssen den Unternehmen klar machen, was von ihnen
erwartet wird.
Der Berufsbildungsbericht zeigt, wie viele Unternehmen ausbilden und wie viele nicht ausbilden. Schauen
Sie sich das an vor dem Hintergrund, wie viele Unternehmen ausbilden könnten. Hier ist noch sehr viel zu holen. Ich empfehle der Kanzlerin und den zuständigen
Ministern, an die Betriebe heranzugehen, die ausbilden
könnten, es aber nicht tun. Auf die müssen und wollen
wir mehr Druck ausüben.
({11})
Das wäre ein vorzüglicher Schlusssatz gewesen, Herr
Kollege.
Herr Präsident, darf ich noch einen Satz sagen?
Ja.
Ich bedanke mich sehr herzlich. - Frau Schavan hat
als zuständige Ministerin zusammen mit der Kultusministerkonferenz den Bildungsbericht 2006 herausgegeben. Hochinteressant ist nicht die Herausgabe, sondern das, was darin steht.
Das ist jetzt der dritte Satz.
Interessant ist, dass wir sozusagen einen Dreierlauf
haben: Ein Großteil der jungen Leute befindet sich in der
dualen Ausbildung. Ein gleich großer Anteil junger
Leute befindet sich im so genannten Übergangssystem,
BVJ, BGJ oder berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen. Außerdem haben wir eine zunehmend große Anzahl Jugendlicher im Bereich vollqualifizierender Ausbildung an Schulen.
Ich rate uns allen, diesen Bericht hier im Parlament zu
diskutieren. Ich glaube, daraus müssen wir Konsequenzen ableiten, damit wir auch zukünftig unseren jungen
Menschen eine vernünftige Perspektive bieten können.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Letzter Redner in der Aktuellen Stunde ist der Kollege Uwe Schummer für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Liebe
Kollegin Hirsch, Sie haben gesagt, dass die Bundesagentur für Arbeit für das Ausbildungsjahr eine Ausbildungsplatzlücke von 150 000 prognostiziert. Tatsache ist:
Nach dem heutigen Stand der Bundesagentur wird sie auf
30 000 prognostiziert. Das ist ein eklatanter Unterschied.
Aber das zeigt im Grunde - das ist das Bedauerliche -,
Kollegin Hirsch, dass der Misserfolg des Ausbildungspaktes doch von Ihrer Gruppe mit klammheimlicher
Freude genutzt wird, um Ideologie zu machen, und
nicht, um den Menschen zu helfen.
({0})
Ihnen kann ich nur empfehlen, Zahlen zu lesen und darauf vernünftige Konzepte aufzubauen. Das ist die Philosophie des Ausbildungspaktes.
({1})
Wir in der großen Koalition leben davon, dass es den
Menschen durch die Politik besser geht,
({2})
während Sie als Manager des Elends vom Misserfolg leben.
({3})
Die Menschen werden letztendlich sehen, wem es im
nächsten Jahr im September, im Ausbildungsjahr besser
gehen wird: denjenigen, die dort leben, wo eine große
Koalition regiert, oder denjenigen, die in Bundesländern
leben, in denen Sie, die PDS, mit an der Regierung sind,
also in Mecklenburg-Vorpommern oder in Berlin.
Wir haben noch zwei Monate. Jetzt ist die Zeit, nicht
nur über Zahlen zu reden, sondern vor allem, um zu handeln, damit jeder ausbildungsbereite Jugendliche eine
Qualifizierung findet. Es ist ein gutes Zeichen, dass
beide Minister miteinander in die gleiche Richtung ziehen. Es ist ein gutes Zeichen, dass auch die Kanzlerin,
Angela Merkel, sich persönlich einschaltet, nicht nur mit
Briefen, sondern indem sie in die Betriebe geht und sehr
persönlich dafür wirbt, dass die Wirtschaft in Menschen
investiert, genauso wie sie in Maschinen investiert.
({4})
Mein Appell lautet, eben nicht nur die heutigen Kompetenzen eines Menschen zu sehen, sondern auch seine
Perspektive im Blick zu haben. Es ist wie mit den Aktien: Man muss in Menschen investieren und sehen, wie
sie sich entwickeln und welche Perspektiven sie haben.
({5})
Das hat uns Klinsmann mit Odonkor bei der Weltmeisterschaft gezeigt. Die Experten sagten: Das ist alles Unsinn, er hat keine Erfahrung. Klinsmann hat aber auf ihn
gesetzt und ihn in die Nationalelf berufen. Letztendlich
hat er das Vertrauen, das er in ihn investiert hat, in Form
von Motivation zurückerhalten. Odonkor hat sich bewährt. Genauso muss es in der Wirtschaft sein. Dort geht
es zwar um Ausbildung, nicht um Weltmeisterschaft,
aber man investiert auch in die Menschen und in deren
Perspektiven, die entwickelt werden müssen. Das ist der
Appell an die Wirtschaft.
Aber die Wirtschaft braucht dabei Hilfe. Lassen Sie
uns doch überlegen, welche Berufsbegleitung neben den
Maßnahmen, die schon existieren, möglich ist. In einer
Berufsschule kann Ganztagsunterricht bis 17 Uhr laufen.
Dann kann man nach einem Profiling für die jungen
Menschen, die eine Lese- oder Rechenschwäche oder
anderweitig Probleme haben, am Nachmittag einen gezielten Förderunterricht organisieren. Man muss versuchen, in der Berufsschule solche Negativbereiche in der
Ausbildung abzubauen, und dafür sorgen, dass eben
nicht der Betrieb all das aufarbeiten muss, was im allgemeinen Bildungssystem nicht richtig gelaufen ist. Wir
brauchen im dualen System eine Begleitung innerhalb
der Berufsschule. Das sollten wir miteinander bereden
und auf den Weg bringen.
({6})
- Das geht nicht an einem Tag.
Aber die Zielsetzung, dem Handwerksmeister zu vermitteln, dass innerhalb des ersten Jahres diese Lese- oder
Rechenschwäche abgebaut wird, wäre eine gute Motivation für ihn, zu sagen: Wir stellen diesen Jugendlichen
ein, obwohl er Defizite hat. Keiner darf verloren gehen.
Es kann nicht sein, dass wir einfach untätig zuschauen,
wenn 1,3 Millionen Schulabgänger bis 29 Jahre derzeit
ohne eine berufliche Ausbildung auf der Straße stehen
und nicht in die Arbeitswelt integriert werden.
({7})
Jeder zweite Bewerber, der bisher nicht vermittelt ist,
kommt aus der Hauptschule. Ich habe mir vom Berufsbildungsinstitut in Bonn noch einmal bestätigen lassen:
90 Prozent aller Berufsbilder - aktuell haben wir 340 sind für Hauptschüler verschlossen. Wir müssen auch
die eigene Diskussion betrachten. Einerseits, wenn in der
Rütli-Hauptschule in Berlin oder anderswo Missstände
auftreten, beklagen wir, dass Hauptschüler keine Perspektive haben, und auf der anderen Seite entwickeln
wir Berufsbilder so weit, dass praktisch begabte HauptUwe Schummer
schüler immer weniger Zugangschancen zu einer vernünftigen Qualifizierung haben.
Im Rahmen der Berufsbildungsreform, die Frau Annette Schavan zu Recht ansprach, wurde die Philosophie
vereinbart, Berufsbilder in größerem Umfang stufenweise zu organisieren. Es sollen auch Zwischenabschlüsse möglich sein. Wenn man zum Beispiel eine
Ausbildung im dritten Lehrjahr nicht fortsetzt, kann man
später durch Weiterbildung über verschiedene Module
eine zweite Chance erhalten und auf dem bisher Erreichten aufbauen. Es soll eine Berufstreppe geschaffen werden, die für das lebenslange Lernen mitgenutzt werden
kann. Die Umsetzung der Berufsbildungsreform - einer
breiten Grundausbildung, die stufenweise bis hin zur Erlangung akademischer Würden weiterorganisiert wird müssen wir beschleunigen. Hier sind wir alle gefordert.
Meine Damen, meine Herren, der Arbeitsmarkt ist in
Bewegung. Im Jahresvergleich sind 370 000 Arbeitslose
weniger zu verzeichnen. Der Verband der Ingenieure hat
mitgeteilt, dass der Anteil arbeitsloser älterer Ingenieure
um 25 Prozent gesunken ist, weil sie vermittelt wurden.
Auch die Zahl der jüngeren Arbeitslosen bis 25 Jahre ist
im Jahresvergleich um 100 000 zurückgegangen. Der
Arbeitsmarkt bewegt sich also. Auch die Ausbildungsplatzsituation wird in Bewegung kommen. Dafür werden
wir, wird die große Koalition sorgen.
({8})
Mit dieser ultimativen Klarstellung ist die Aktuelle
Stunde beendet.
Nun rufe ich den Tagesordnungspunkt 7 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Detlef
Parr, Joachim Günther ({0}), Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP
Recht der Sportwetten neu ordnen und Finanzierung des Sports sowie anderer Gemeinwohlbelange sichern
- Drucksache 16/1674 Überweisungsvorschlag:
Sportausschuss ({1})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
({2})
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
FDP als Antragstellerin sechs Minuten erhalten soll. Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so vereinbart.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Detlef Parr für die FDP-Fraktion.
({3})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Koschyk hat die erste Wette schon gewonnen. Er
hat nämlich darauf gewettet, dass der Kollege Parr
spricht. Er hat Recht behalten.
({0})
Urteile, Urteile, Urteile. Auf wohl keinem anderen
Politikfeld gibt es derzeit so viel Rechtsunsicherheit und
so viel Widersprüchliches wie bei den Sportwetten.
Jüngstes Beispiel: Gestern vermeldete das OVG Münster
das Aus für private Sportwetten. Das war eine ungewöhnlich harte Entscheidung, die über das Urteil des
Bundesverfassungsgerichts hinausgeht und weitere Klagen nach sich ziehen wird.
Diese Klagespirale muss ein Ende haben. Wir brauchen endlich Rechtsklarheit. Um sie zu erreichen, müssen wir auf allen Ebenen und mit allen Betroffenen eine
ehrliche und tabulose Diskussion über den richtigen und
einen zukunftsfesten Weg dorthin führen. Ich bin gespannt, wie ehrlich die heutige Debatte sein wird.
({1})
Das Bundesverfassungsgericht hat unmissverständlich festgestellt, dass das bestehende staatliche Wettmonopol mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit unvereinbar ist und dass sich der Staat nicht durch die Angebote,
die er macht, seine Taschen füllen darf. Es hat darüber
hinaus zum Ausdruck gebracht, dass die Veranstaltungen
des Sportwettenanbieters Oddset erkennbar auch fiskalische Zwecke verfolgen und dass eine Abschöpfung von
Mitteln aus dem Glücksspiel für Gemeinwohlzwecke,
also auch für den Sport, nur möglich ist - so das Gericht -,
wenn die Suchtbekämpfung oberstes Ziel ist.
Als sucht- und drogenpolitischer Sprecher meiner
Fraktion stelle ich fest:
({2})
Bis zu diesem Urteil hat das Thema Spielsucht in der öffentlichen Diskussion überhaupt keine Rolle gespielt.
({3})
Jetzt aber sollen die Wettsucht konsequent bekämpft, die
Wettleidenschaft begrenzt und die Werbung auf ein Mindestmaß heruntergefahren werden. Das hat den Geschäftsführer der Toto-Lotto Niedersachsen GmbH, Rolf
Stypmann, zu folgender Bemerkung veranlasst: Wir verkaufen keine Waren, sondern Träume. Deshalb ist Werbung immens wichtig für uns.
Bei der Beachtung solcher Auflagen ist eines sonnenklar: Das Staatsmonopol wird sich zu einer „Lame duck“
entwickeln, einem Monopol ohne Flügel, das nicht mehr
konkurrenzfähig ist. Die Quellen der Sportförderung
drohen nach und nach zu versiegen. Auch ist es ein
Trugschluss, zu hoffen, dass die Kunden privater Anbieter nach einem Verbot zurückgewonnen werden können,
und das auch noch ohne Werbung. Nein, wir müssen der
Realität ins Gesicht sehen. Wir dürfen Internet-, Fernseh-, SMS- und Telefonwetten nicht ignorieren. Die
Kunden werden gemeinsam mit den Unternehmen ins
Ausland abwandern und somit künftig kein Steueraufkommen in Deutschland generieren.
Nutzen wir den Zeitrahmen bis zum 31. Dezember
2007, den uns das Bundesverfassungsgericht gesetzt hat,
zur rechtlichen Ausgestaltung einer Neuordnung, die sicherstellt, dass die privaten Anbieter eine Chance bekommen und die staatlichen Anbieter endlich wettbewerbsfähig werden.
({4})
Dabei geht es auch um Arbeitsplätze - nicht um die gut
gepolsterten, gut dotierten der zahlreichen Lotteriereferenten der Länder, sondern um Tausende von Arbeitsplätzen in Wettbüros, die voller Hoffnung auf eine geregelte Weiterentwicklung des Markes eröffnet worden
sind. Ich appelliere von hier aus an die Länder, diese Büros bis zur Verabschiedung eines neuen Lotteriestaatsvertrages zu dulden und nicht kurzfristig vollendete Tatsachen zu schaffen.
({5})
Karlsruhe hat nur gesagt, dass bis zur Neuregelung private Veranstalter von Sportwetten untersagt werden dürfen - von müssen ist da nicht die Rede.
Es geht - viel wichtiger - auch um die Planungssicherheit von Sportveranstaltern und Sportvereinen, die
bereits für die kommenden Jahre Verträge abgeschlossen
haben, etwa Werder Bremen und 1860 München, oder
Ausrichter sportlicher Großveranstaltungen nach der
Fußball-WM, die die Budgets bereits aufgestellt haben.
Was, wenn in der kommenden Champions-League-Saison der AC Mailand mit Trikotwerbung eines privaten
Sportwettenanbieters in Deutschland aufläuft? Was,
wenn er gerade bei Werder Bremen - kurioserweise mit
demselben Trikotsponsor - antritt? Sollen dann alle oder
sollen dann nur die Bremer Trikots beschlagnahmt werden, wie es von Senator Röwekamp laut „Spiegel“ bereits angekündigt ist?
({6})
Ganz im Ernst: Haben Staatsanwaltschaft, Peter Danckert und Polizei nicht wichtigere Aufgaben zu erfüllen?
({7})
Die FDP verzichtet in ihrem Antrag aus guten Gründen einstweilig auf konkrete Festlegungen. Wir wollen
die Sportförderung mindestens auf derzeitigem Niveau
sichern, sie möglichst noch ausbauen. Eine Lösung wären Konzessionsabgaben, Nutzungsentgelte an Sportveranstalter, steuerliche Maßnahmen oder Selbstverpflichtungen in Form von Sponsoringmodellen.
({8})
- Wer laut schreit, hat nicht immer Recht. Peter Danckert, Dagmar Freitag, hört mir wenigstens bis zum
Ende zu, damit wir uns argumentativ auseinander setzen
können.
({9})
Jetzt eine fertige Lösung vorzuschlagen, wäre mehr
als unklug. Entscheidungsgrundlagen sind in Arbeit:
Namhafte Institute, Kanzleien und Unternehmensberatungen arbeiten daran. Wie bei der Sportwettenkonferenz der FDP am 19. Juni sollten weiter alle Betroffenen
in diesen Findungsprozess einbezogen werden. Die unterschiedlichen Interessen gehören an einen Tisch. Vor
allem aber sollten wir alle verfügbaren Kompetenzen effektiv nutzen, das heißt, auch jede Expertise, die uns auf
einem vernünftigen Weg weiterhilft.
Wollen wir dem Gemeinwohl dienen und die Sportförderung auf Dauer sichern, dann müssen wir jetzt ohne
Vorurteile jede Lösungsmöglichkeit prüfen - miteinander statt gegeneinander, ganz im Sinne der Bundesländer
Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und SchleswigHolstein: Sie haben eine Protokollerklärung anlässlich
der letzten Ministerpräsidentenkonferenz verfasst,
dass sie es mittel- und langfristig für zielführender halten, anstelle eines kompromisslosen Festhaltens am
Staatsmonopol für die MPK im Dezember eine begrenzte Konzessionierung im Sportwettenbereich vorzubereiten. Glückwunsch an diese Länder, die gesellschaftlich, rechtlich und wirtschaftlich Vernunft zeigen!
Wie hieß es noch im Februar in einer Empfehlung der
Kommission „Sportwetten“ federführend aus den Staatsund Senatskanzleien von Bayern, Berlin, NordrheinWestfalen und Rheinland-Pfalz - ich zitiere das dort formulierte Ziel -:
nachhaltig globalisierungsfester staatlicher Ordnungsrahmen und sozialpolitisch eingebundene Erschließung von bislang den Sportveranstaltern nicht
zugänglicher Wertschöpfung.
Nur Mut, liebe Kolleginnen und Kollegen, hier und in
den Ländern: Lasst uns europaweit zu einem Vorreiter
für eine solche Lösung werden! Dabei Glückauf für uns
alle!
({10})
Das Wort hat nun der Kollege Klaus Riegert für die
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Kaum ist die Tinte der Begründung des Urteils des Bundesverfassungsgerichtes vom 28. März 2006 trocken,
liegt ein Antrag der FDP-Fraktion auf dem Tisch, mit
dem der Sportwettenmarkt unter der Maßgabe des Urteils, der internationalen Dimension und der diffizilen
rechtlichen Problematik umfassend und generös geregelt
werden soll: Der Glücks- und Wettspielmarkt
({0})
wird liberalisiert, die Einnahmeseite verbessert und
gleichzeitig Spielsucht unterbunden und bekämpft. - So
einfach ist die Welt leider nicht. Ich muss den Antrag daher unter der Rubrik Aktionismus einordnen.
({1})
- Lieber Kollege Parr, in dem Bemühen, schnell zu sein,
ist die FDP kaum zu überbieten.
({2})
Doch schnell allein ist zu wenig. Sie sollten, nein, Sie
müssen besser werden. Dann allerdings läge der Antrag
in dieser Form hier nicht vor.
Wir nehmen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts wie auch dessen Begründung sehr ernst.
({3})
Die Vermeidung bzw. Eindämmung der Spielsucht hat
für uns einen hohen Wert.
({4})
Wir wollen die Menschen vor persönlichen Schicksalsschlägen und dem Ruin durch Spielsucht schützen.
({5})
Deshalb werden wir uns die Zeit nehmen, die uns das
Verfassungsgericht vorgibt. Liberalisierung um jeden
Preis, was kümmert uns die Spielsucht - das ist mit uns
nicht zu machen.
({6})
Wir messen der Beibehaltung des staatlichen Monopols unter Einbeziehung der internationalen Entwicklungen und technischen Möglichkeiten eine hohe Priorität
zu. Wir werden uns den erforderlichen Sachverstand aller Beteiligten einholen und dann entscheiden.
({7})
Die Koalition will erst die Informationen und trifft dann
ihre Entscheidung. Das ist die richtige Reihenfolge.
({8})
Meine Damen und Herren, Kern des Urteils ist der
Widerspruch, dass staatliche Stellen ein Monopol mit
der Begründung der Suchtvermeidung beanspruchen,
aber keine erkennenswerte Suchtvermeidung betreiben.
Der staatliche Unternehmer Oddset wirbt massiv für
seine Angebote und vertreibt diese ebenso offensiv. Der
Staat kann das Monopol aber nur beanspruchen, wenn
die Suchtvermeidung und nicht das Einnahmeinteresse
des Staates klar im Vordergrund steht.
({9})
Absurd ist aber das Ergebnis, das überall dort, wo sich
Oddset heute aus der Werbung zurückzieht, sofort private Anbieter in diese Lücke springen.
Dem Gesetzgeber ist freigestellt, durch eine konsequente Ausgestaltung des Wettmonopols sicherzustellen,
dass eine effektive Suchtbekämpfung und eine Begrenzung der Wettleidenschaft erfolgt, oder durch eine
gesetzlich normierte und kontrollierte Zulassung gewerblicher Veranstaltungen private Wettunternehmen
zuzulassen.
({10})
Trifft der Gesetzgeber bis Ende 2007 keine gesetzlichen
Regelungen, dann verliert er das Monopol. Bis dahin
entscheiden die Strafverfolgungsbehörden, ob Sportwettenläden geschlossen werden können oder nicht und wie
sich der Sportwettenmarkt darstellt.
Die Ministerpräsidenten - sie sind in erster Linie gefordert ({11})
sprechen sich für eine Beibehaltung des staatlichen Monopols aus.
({12})
Sie wollen auf der Grundlage des Urteils das staatliche
Lotteriemonopol weiterentwickeln. Aus ordnungsrechtlichen Erwägungen halten sie das staatliche Monopol für
geeignet, die vom Bundesverfassungsgericht vorgegebenen ordnungsrechtlichen Ziele, nämlich Eindämmung
und Kanalisierung der Wett- und Spielsucht sowie Bekämpfung der Folge- und Begleitkriminalität, zu realisieren.
In ihre Prüfung sollten die Länder auch den Lotteriebereich einbeziehen. Die Länder Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein sprechen sich
in einer Protokollnotiz mittel- und langfristig für die
Konzessionierung privater Anbieter aus. Daran sieht
man: Selbst auf der Ebene der Ministerpräsidenten gibt
es durchaus unterschiedliche Vorschläge.
({13})
Wir sollten die Konkretisierung der Vorschläge abwarten, sie prüfen und dann entscheiden.
({14})
Im gesamten Glücksspielbereich spielen die Sportwetten eine untergeordnete Rolle. Der Umsatz bei Sportwetten beträgt zurzeit rund 2 bis 3 Milliarden Euro. Das
Marktpotenzial wird auf 5 bis 6 Milliarden Euro eingeschätzt. Bei einer Liberalisierung des Wettmarktes muss
aber vor allem die Auswirkung auf das Lottosystem beachtet werden.
({15})
Hier befürchte ich große Auswirkungen auf die Finanzierung des gemeinnützigen Sports.
({16})
Meine Damen und Herren, bei der Neuregelung des
Wett- und Glücksspielmarkts haben wir auch die europäische Dimension zu beachten. Zu prüfen ist, inwieweit ein staatliches Wettmonopol mit dem EU-Vertragsrecht kompatibel ist.
({17})
Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass jedes
Land das Wett- und Glücksspiel für sich selbst schlüssig
regeln kann, auch im Hinblick auf Berufsfreiheit und
Wettbewerb. Es wird kein Scheinmonopol geben können
nach dem Motto „Wir machen ein Monopol, handeln
aber, als wären wir im Markt“. Kein Gericht wird uns
das durchgehen lassen.
({18})
Meine Damen und Herren, der FDP-Antrag verbindet
die Forderung nach gesetzlich normierter und kontrollierter Zulassung privater Anbieter von Sportwetten und
knüpft dies an eine Fülle von Bedingungen: den nationalen Markt für Sportwetten auch im Vergleich zum Ausland konkurrenzfähig zu machen, ohne Einschränkung
einen Teil der Einnahmen - was immer das auch heißen
mag - den Destinatären zuzuweisen, gleichzeitig die
Spielsucht zu bekämpfen, dem Jugendschutz Rechnung
zu tragen und die Folge- und Begleitkriminalität zu vermeiden.
Das alles sind verheißungsvolle Ziele; Verknüpfung
und Durchsetzung der Bedingungen dürften jedoch ein
Problem werden.
({19})
Deshalb hat für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion die
Neuordnung des Glücks- und Wettspielmarktes klare
Priorität. Die Sucht- und Spielleidenschaft muss eingegrenzt und wirksam bekämpft werden, wobei die Prävention Vorrang hat. Die Finanzierung des gemeinnützigen Sports muss sichergestellt sein. An diesen
Zielsetzungen werden wir den Wett- und Glücksspielmarkt ausrichten.
Danke schön.
({20})
Das Wort hat nun die Kollegin Katrin Kunert, Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Detlef Parr, Ihr Antrag ist ein Fehlstart. Ich
fürchte, Sie holen sich eine gewaltige Zerrung.
({0})
Das Bundesverfassungsgericht hat ein Urteil gesprochen, welches besagt, dass das staatliche Wettmonopol nur zulässig ist, wenn die Spielsucht konsequent bekämpft wird. Das Gericht zeigt dem Gesetzgeber die
gelbe Karte und droht mit der roten Karte, wenn diese
Auflagen ab 2008 nicht geregelt sind. Die Ministerpräsidenten der Länder haben das Urteil mehrheitlich begrüßt
und lassen einen neuen Lotteriestaatsvertrag bis Dezember erarbeiten. Der DFB und die DFL haben eine grundsätzlich andere Auffassung zur Umsetzung des Urteils.
Statt ausschließlich auf das staatliche Monopol zu setzen, ist nach ihrer Ansicht eine begrenzte Konzessionierung der bessere Weg. Der Vorsitzende der Sportministerkonferenz sprach sich in einer Anhörung im Mai zu
diesem Thema im Sportausschuss nachdrücklich für den
Erhalt des staatlichen Wettmonopols aus und warnte vor
einer kontrollierten Liberalisierung von Lizenzen. Wir,
die Linke, sagen, das staatliche Monopol ist geeignet
und notwendig, um Spielsucht und Kriminalität wirksam
zu bekämpfen.
({1})
-Wenn wir es gemeinsam packen sollten, dann sollten
wir es auch tun.
({2})
Herr Kollege Parr, wir hatten nach der Anhörung im
Sportausschuss einen Fahrplan vereinbart, wie wir mit
dem Urteil und den sich daraus ergebenden Schlussfolgerungen umgehen wollen. Sie wissen genauso gut wie
alle hier im Saal, dass am 20. September genau dieses
Thema auf der Tagesordnung des Sportausschusses
steht. Sie wollen sich jetzt mit diesem hochsensiblen
Thema profilieren und haben wahrscheinlich sehr starken Rückenwind. Nur bewegen Sie sich zurzeit aus unserer Sicht ganz stark im Abseits.
In Ihrem Antrag heißt es:
Um einen Zustand der Rechtssicherheit herbeizuführen, spricht sich der Deutsche Bundestag gegen
ein ausschließlich staatlich verantwortetes WettKatrin Kunert
angebot und für eine gesetzlich normierte und kontrollierte Zulassung privater Veranstalter aus.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Rechtssicherheit
kann auch hergestellt werden, indem man die Auflagen
des Bundesverfassungsgerichts erfüllt.
({3})
In Ihrem Antrag heißt es weiter:
Jede Neugestaltung des staatlichen Wettmonopols
wäre daran zu messen, ob es ihr gelingt, den Konflikt zwischen fiskalischen Interessen des Staates
und einer aktiven Begrenzung der Spielleidenschaft
aufzulösen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, einen Konflikt löst
man nicht auf, indem man ihn verschiebt. Sie wollen Gewinne gesetzlich normiert und kontrolliert privatisieren
und die Suchtbekämpfung staatlich belassen.
({4})
Sie sagen, private Anbieter wären auch bereit, für die
Breitensportförderung Beiträge zu leisten. Ich frage:
Was sagen die privaten Anbieter zur Bekämpfung von
Spielsucht und Kriminalität?
({5})
Wir brauchen eine Lösung, denn es geht am Ende auch
um sehr viel Geld und Arbeitsplätze.
Mit Blick auf den gesamten Lotteriemarkt muss man
sagen, dass es derzeit bundesweit 25 000 Lotterieannahmestellen gibt. Bei Aufgabe des staatlichen Monopols
wäre jede zweite von Schließung bedroht. Dann würde
vieles über das Internet abgewickelt.
Die Bundesländer haben derzeit Einnahmen aus
Steuern, Abgaben und Gewinnausschüttungen bei Lotto
und anderen Glücksspielen in Höhe von insgesamt
5 Milliarden Euro jährlich. Auf dieses Geld können
selbst Sie nicht verzichten. Die Finanzierung von Maßnahmen in den Bereichen Kultur, Umwelt, Jugend oder
Wohlfahrtspflege wäre dann massiv infrage gestellt. In
besonderem Maße wäre allerdings der Breitensport betroffen, dem ein Löwenanteil aus den Gewinnen zufließt.
({6})
- Sie haben Ihre Redezeit gehabt.
({7}))
Auch wenn das Gericht die fiskalischen Gründe zur
Rechtfertigung des staatlichen Monopols ausschließt,
sollten wir die Sportförderung im Blick behalten.
An dieser Stelle möchte ich Folgendes anregen: Um
aus der Abhängigkeit von diesen Mitteln herauszukommen, die hinsichtlich der Finanzierung des Sportes besteht, sollten wir über ein Sportfördergesetz zwischen
Bund und Ländern nachdenken. In diesem Zusammenhang verweise ich auf das Beispiel Mecklenburg-Vorpommern, das bereits ein solches Sportfördergesetz hat
und dem Landessportbund Haushaltsmittel zuweist. Der
dortige Landessportbund bekommt also keine Gelder aus
den Lotteriegewinnen.
Danke schön.
({8})
Das Wort hat nun die Kollegin Dagmar Freitag für die
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
reden auf Antrag der FDP-Fraktion über das Thema
Sportwetten. Das Thema ist zweifellos wichtig, allerdings kommt die Diskussion zum falschen Zeitpunkt,
Herr Parr. Sie kommt eindeutig zu früh. Zudem ist der
Bundestag derzeit der falsche Platz dafür. Ich erkläre Ihnen gerne, warum ich dieser Ansicht bin.
Im März dieses Jahres hat das Verfassungsgericht
das Urteil zum Sportwettensektor in Deutschland gefällt.
Oberstes Ziel jedweder Regelung des Sportwettenmarktes muss die Prävention und die aktive Bekämpfung der
Spielsucht sein. Das Verfassungsgericht hält - das ist uns
bekannt - ein staatliches Monopol durchaus für ein geeignetes Mittel, um Spielsucht zu bekämpfen und vor allen Dingen auch präventiv tätig zu werden.
({0})
- Melden Sie sich einfach, wenn Sie eine Frage haben,
Herr Kollege Parr!
({1})
Die Ministerpräsidentenkonferenz hat den Auftrag
des Verfassungsgerichts angenommen und sich in der
vergangenen Woche eindeutig positioniert. Die Ministerpräsidenten sprechen sich dafür aus, das staatliche
Lotteriemonopol zu erhalten und auf der Grundlage der
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts weiterzuentwickeln.
Im Dezember 2006 wird die Ministerpräsidentenkonferenz über den Entwurf eines neuen Lotteriestaatsvertrages beraten, der zum Ziel haben soll, die Durchführung von Sportwetten im Rahmen des staatlichen
Monopols entsprechend den Anforderungen der Sportwettenentscheidung des Verfassungsgerichts zu regeln.
Er soll auf vier Jahre befristet sein und auf Effizienz und
etwaigen Anpassungsbedarf evaluiert werden. Das ist
- wer wollte das bestreiten - ein sinnvoller Weg.
({2})
Deshalb gibt es gegenwärtig keinen vernünftigen Grund
für den Bund, sich einzumischen, Herr Kollege Parr. Vor
allem sehe ich keinen Grund, sich vorschnell vom
Staatsmonopol zu verabschieden. Genau das sieht Ihr
Antrag aber vor, ohne anzuerkennen, dass der staatliche
Anbieter Oddset den gerichtlichen Auflagen hinsichtlich
einer Intensivierung der Präventionsmaßnahmen unverzüglich nachgekommen ist.
Sie haben selber auf die Haltung der Ministerpräsidenten hingewiesen. Das ist interessant. Die Haltung der
schwarz-gelben Landesregierungen zu Ihrem Antrag
würde sicherlich uns alle interessieren, Herr Kollege
Parr.
({3})
Wie steht zum Beispiel der FDP-Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen, der auch für den Sport zuständig ist, zu diesem Antrag?
({4})
- Warum soll ich Herrn Wolf anrufen?
({5})
Zu schade, dass man von Herrn Wolf öffentlich hierzu
überhaupt nichts hört. Ich kann mir gut vorstellen, dass
seine Haltung die Kulturschaffenden und die Vertreter
des organisierten Sportes in Nordrhein-Westfalen brennend interessieren würde.
({6})
Ministerpräsident Oettinger aus Baden-Württemberg
äußert sich unmissverständlich, wie man meinen sollte.
Im „Rheinischen Merkur“ vom 1. Juni diesen Jahres hat
er festgestellt - ich darf zwei Sätze zitieren -:
Mit dem staatlichen Wettmonopol stellen wir sicher, dass Spielregeln eingehalten werden und die
Risiken für die Mitspieler begrenzt sind … Wir
werden deshalb am Monopol festhalten.
({7})
Das war vor vier Wochen.
({8})
- Darauf komme ich, lieber Herr Kollege Parr. Ich bin
Ihnen für dieses Stichwort dankbar: Herr Oettinger hat
sich der von Ihnen bereits zitierten Protokollnotiz angeschlossen,
({9})
mit der genau das aufgeweicht wird. - Sie sagen, weil er
vernünftig sei. Ehrlich gesagt, dann sollte man es unterlassen, für die interessierte Öffentlichkeit den Hardliner
und den Befürworter des Staatsmonopols abzugeben.
({10})
Sie haben gerade den Einfluss der FDP auf Herrn
Oettinger beschworen. Da kommt mir plötzlich in den
Sinn, dass Sie in der letzten Woche eine Veranstaltung
hatten. Thema: Gibt es eine Sportförderung ohne Sportwetten?
({11})
Der Hauptsponsor dieser FDP-Veranstaltung, meine Damen und Herren, war Betandwin.
({12})
Niemand kann heute garantieren, dass ein neuer
Staatsvertrag tatsächlich ein Erfolgsmodell sein wird.
Das räume ich offen ein. Uns sollte jedoch das Ziel einen, die Bürgerinnen und Bürger vor den Gefahren des
Glücksspiels zu warnen und, soweit das möglich ist, vor
allen Dingen zu schützen. Die Bundesländer stellen sich
dieser zugegebenermaßen schwierigen Aufgabe im Moment. Wir sollten sie dabei unterstützen und auf Querschüsse verzichten. Sollte sich allerdings zukünftig
Handlungsbedarf für die Bundespolitik ergeben, werden
wir uns dieser Aufgabe annehmen. Aber, Herr Kollege
Parr, alles zu seiner Zeit.
({13})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Winfried Hermann, Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Das Wettgeschäft boomt in den letzten Jahren
weiter. Es gibt immer mehr verschiedene Angebote zum
Wetten. Die Wetten werden immer verrückter. Ich muss
sagen: Sie werden immer absurder. Was für manche ein
nettes Wettspielchen ist, ist für viele ein Riesenproblem.
Wir wissen seit Jahren, dass es gerade in diesem Bereich
einen wachsenden Anteil von Suchtspielern gibt,
({0})
von Menschen, die ihr weniges Geld dort lassen und sich
zum Teil völlig verschulden, weil sie krankhaft spielen.
Leider werden im Umfeld dieses wachsenden Wettgeschäfts auch viele dreckige Geschäfte gemacht, zum
Beispiel Geldwäsche oder Schiebereien. Noch vor wenigen Monaten hätten wir über die Geschäfte im Umfeld
dieser Wetten gesprochen, in die Schiedsrichter und
Spieler verwickelt waren. All dies hängt mit diesem boomenden Markt zusammen.
Die Länder haben lange Zeit das staatliche Spiel- und
Wettmonopol zur Einnahme von Steuern genutzt. Sie haben dies bedingungslos gemacht, obwohl sie eine hochmoralische Begründung hatten, nämlich die Spielsucht
zu bekämpfen. Aber das haben sie nicht getan.
({1})
Nun haben sie - das haben alle Rednerinnen und Redner
gesagt - vom Bundesverfassungsgericht eine deutliche
Klatsche bekommen. Ich füge hinzu: Es gibt ein laufendes Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof, in
dem geprüft wird, ob die deutschen Verhältnisse noch
europarechtskonform sind. Auch die europäischen Richter sagen nicht pauschal, das Monopol müsse fallen, sondern sie sagen eindeutig und klar - genauso wie es die
Verfassungsrichter bei uns gesagt haben -, dass Staaten
natürlich das Recht und vielleicht sogar die Pflicht haben, das in Form eines Monopols zu regeln; aber wenn
sie es tun, müssen sie das, was sie zu tun vorgeben, auch
vollziehen, nämlich präventiv tätig zu sein und die Spielsucht zu bekämpfen. Genau das haben sie nicht getan.
Das ist die Herausforderung, vor der die Länder jetzt stehen.
({2})
Nun schlägt die FDP vor, man solle offen darüber diskutieren, wie man die Spielsucht kontrollieren kann.
Gleichzeitig aber sagt sie: Eigentlich wollen wir liberalisieren, wir wollen mehr private Anbieter zulassen. - Ich
sage dazu: Das ist der organisierte Interessenskonflikt.
Das kann nicht funktionieren. Wenn ich es zulasse, dass
private Anbieter Geschäfte machen, und will, dass der
Sport davon profitiert, dann ist es außerordentlich
schwierig, dieses Geschäft zu begrenzen. Das passt nicht
zusammen. Das kann man nicht über den Markt organisieren.
({3})
Deswegen sage ich klipp und klar: Wir wollen nicht
die Gewinninteressen von Betandwin unterstützen. Wir
halten es auch nicht für klug, dass sich eine Partei zum
Anwalt privater Wettanbieter macht. Wir halten es ebenfalls nicht für klug, dass sie sich zum Anwalt einzelner
Fußballmannschaften macht, die sich dieses Wettanbieters als Sponsor bedienen.
Ich sage Ihnen ganz offen: Ich bin vom Deutschen
Fußball-Bund enttäuscht. Noch vor drei Jahren hat er
den deutschen Sport und die deutschen Innenminister
fast dazu gedrängt, endlich die privaten Geschäftemacher zu bekämpfen, da sie - das hat man gewissermaßen
in Klammern hinzugefügt - die Einnahmen von Oddset
gefährden. Heute, drei Jahre danach, möchte man genau
das Gegenteil. Jetzt sagt man: Öffnet endlich den Markt;
wir wollen die Kohle. Das ist, wie ich finde, unmoralisch.
({4})
Das ist auch nicht besonders sportlich. Man muss dem
DFB aus politischer Sicht die rote Karte zeigen.
Die grüne Position ist klar: Wir glauben, dass man
diesen Bereich besser nicht dem Wettbewerb preisgibt;
vielmehr sollte man das staatliche Monopol beibehalten.
Klar ist aber auch: Die Länder müssen eine Strategie zur
Bekämpfung der Spielsucht vorlegen. Sie müssen Maßnahmen erarbeiten. Wenn sie das nicht tun, dann werden
sie dieses Privileg verlieren. Das wäre schade; denn es
hat der Kultur und dem Sport bisher genutzt. Das kann
man fortführen, ohne gleichzeitig die Spielsucht zu fördern. Wir brauchen eine Debatte in diesem Sinne und
keine unkritische Debatte, wie die FDP sie angestrebt
hat. Spielsucht ist ein ernstes Thema, zu dessen Behandlung es eine ernsthafte Debatte braucht.
Vielen Dank.
({5})
Zum Schluss dieses Tagesordnungspunkts erhält der
Kollege Dr. Peter Danckert für die SPD-Fraktion das
Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
alle haben uns gefragt: Was ist eigentlich der Grund dafür, dass die FDP hier so vorprescht? Schließlich haben
wir anderweitige Verabredungen. Es ist schon darauf
verwiesen worden, dass wir dieses Thema im September
im Sportausschuss noch einmal eingehend diskutieren.
Mir ist heute völlig klar geworden - dazu hat beigetragen, dass Frau Kollegin Freitag hier dieses kleine Bild
gezeigt hat -: Die FDP hat sich hier ganz eindeutig als
Cheflobbyist von Betandwin enttarnt.
({0})
Das ist der einzige Grund für dieses Vorpreschen.
Es ist wirklich ein starkes Stück: Am 19. Juni hat sie
hier eine öffentliche Veranstaltung produziert, die komplett von Betandwin gesponsert wurde. Jetzt stellt sie
sich hierhin und tritt für die Liberalisierung dieses Wirtschaftszweiges ein. Schlimmer kann man an dieser
Stelle eigentlich nicht vorgehen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Abgeordneten Parr?
Ja.
Bitte schön, Herr Kollege Parr.
Herr Kollege Danckert, ist Ihnen bekannt, dass die
CDU vor wenigen Tagen eine Medianacht durchgeführt
hat und dass bei dieser Medianacht auf den Namensschildern, die dort ausgegeben wurden, „Betandwin“ zu
lesen war? Ist es wirklich des Teufels, wenn Parteiveranstaltungen von bestimmten Unternehmen, die in
Deutschland zugelassen sind, die in Deutschland ihre
Geschäfte machen, unterstützt werden?
({0})
Erstens, Herr Kollege Parr: Das ist mir nicht bekannt.
({0})
Zweitens. Selbst wenn es so wäre: Die Union hat jedenfalls nicht einen solchen Antrag gestellt und sich damit im Parlament als Cheflobbyist von Betandwin produziert. Das ist der entscheidende Unterschied.
({1})
Der Zusammenhang zwischen Ihrer öffentlichen, von
Betandwin gesponserten Veranstaltung und dem heutigen Antrag ist schon sehr merkwürdig. Sie sollten einfach einmal versuchen, das zu reflektieren. Mehr habe
ich dazu nicht zu sagen.
({2})
Ich möchte Sie außerdem auf Folgendes hinweisen:
Es stimmt nicht, dass Betandwin eine in Deutschland zugelassene Glücksspielorganisation ist; das ist unzutreffend. Dieses Unternehmen ist in Österreich lizensiert
und versucht, unseren Markt zu bewerben.
Ich möchte Ihnen noch einen Tipp geben; vielleicht
können ein paar Juristen Ihnen das erklären. In § 284
Abs. 4 Strafgesetzbuch steht: Das Werben für ein nicht
zugelassenes Glücksspiel ist strafbar.
Das sollten Sie sich einmal durch den Kopf gehen lassen. So locker, wie das im Moment läuft, ist das nicht zu
handhaben. Mehr ist dazu nicht zu sagen.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hat
uns klar gemacht, dass das staatliche Wettmonopol erlaubt ist, was vorher in Zweifel gezogen worden war.
({3})
Nun müssen die Länder - sie sind am Zug; das haben
sie auch am 22. Juni beschlossen - einen Weg dafür finden. Jemand, der sich auf der Basis der Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts auf den Weg macht, handelt
absolut korrekt. Daran ist gar nichts auszusetzen. Wir
werden sehen, was uns die Ministerpräsidenten im Laufe
des zweiten Halbjahrs dazu präsentieren. Das wird nicht
ganz einfach sein. Wer die Rahmenbedingungen, die das
Bundesverfassungsgericht vorgegeben hat, erfüllen will,
muss sich sehr anstrengen. Wir werden sehen, ob das gelingt. Ich habe da meine Zweifel. Die Ministerpräsidenten haben jetzt das Prä. Sie haben das so gemeinsam beschlossen.
Wenn das nicht gelingen sollte, müssen wir in diesem
Parlament unsere Hausaufgaben machen. Durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist festgestellt worden, dass es auch eine Bundeskompetenz für das staatliche Glücksspiel gibt. Wir werden uns daranmachen und
sorgfältig prüfen: Was ist machbar und was ist nicht
machbar? Dann muss man möglicherweise ganz am
Ende sehen, ob es sozusagen einen dritten Weg der Öffnung in dieser Frage gibt.
Wir müssen natürlich auch prüfen, wie sich das auf
die Sportförderung auswirkt. Das ist sicherlich ein
ganz entscheidender Gesichtspunkt. Das Ganze hat auch
etwas Schizophrenes an sich. Wir wollen alles unternehmen, um die Spielsucht und die Wettleidenschaft zu bekämpfen. Das sind wirklich große Gefahren. Wir haben
in unserer Anhörung Ende Januar - das war sogar auf
Anregung der FDP, wenn ich mich nicht sehr täusche;
({4})
wir haben das übernommen; ohne die anderen Obleute
wäre das auch nicht gegangen - von den großen Gefahren gehört, die mit den Sportwetten zusammenhängen.
Wir werden also einen Weg suchen müssen, der auf der
einen Seite diese Gefahren wirksam bekämpft und auf
der anderen Seite das ermöglicht, was wir auch wollen
- seien wir an dieser Stelle ehrlich! -,
({5})
nämlich dass die Sportförderung erhalten bleibt.
({6})
Das ist ein ganz komplizierter Weg. Wir sollten ihn
gehen, um im Interesse des Sports an dieser Stelle etwas
Gutes zu tun.
Ich bedanke mich bei dem Präsidenten dafür - ({7})
- Ich bedanke mich bei der Präsidentin dafür, dass ich
das ausführen durfte.
Herzlichen Dank.
({8})
Damit ist die Aussprache beendet.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/1674 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? - Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8 a bis 8 c auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Neuregelung der Besteuerung von Ener-
gieerzeugnissen und zur Änderung des Strom-
steuergesetzes
- Drucksachen 16/1172, 16/1347 -
aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({0})
- Drucksachen 16/2007, 16/2061 Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Schindler
Reinhard Schultz ({1})
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
bb)Bericht des Haushaltsausschusses ({2})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/2023 Berichterstattung:
Abgeordnete Jochen-Konrad Fromme
Carsten Schneider ({3})
Otto Fricke
Dr. Gesine Lötzsch
Anja Hajduk
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({4}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Hans-Josef Fell,
Cornelia Behm, Dr. Reinhard Loske, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Biokraftstoffe intelligent fördern - Steuerbegünstigung erhalten
- Drucksachen 16/583, 16/2007, 16/2061 Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Schindler
Reinhard Schultz ({5})
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten HansKurt Hill, Dr. Herbert Schui, Dr. Barbara Höll,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Biokraftstoffe nachhaltig fördern
- Drucksache 16/1895 ({6}) Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung liegen ein
Änderungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die
Grünen sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion der
FDP vor. Über den Änderungsantrag werden wir später
namentlich abstimmen.
Zwischen den Fraktionen ist verabredet, dass eine
halbe Stunde debattiert wird. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich gebe das Wort für die SPD-Fraktion dem Kollegen Reinhard Schultz.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Das Energiesteuergesetz, das wir heute verabschieden, war keine ganz einfache Geburt. Aber die Beratungen, sowohl innerhalb der beteiligen Parteien als
auch innerhalb der Koalition und darüber hinaus, haben
sich im Ergebnis gelohnt.
Das Gesetz zur Neuregelung der Besteuerung von
Energieerzeugnissen und zur Änderung des Stromsteuergesetzes verfolgt mehrere Ziele: die Umsetzung der
Energiesteuerrichtlinie, die Einführung von Mindeststeuersätzen auf alle Energieträger und das Regeln von
Sondertatbeständen als Gruppentatbestände. Dabei geht
es zum Beispiel um die Frage: Soll Primärenergie, die
eingesetzt wird, um Strom zu erzeugen, besteuert werden, ja oder nein? Wir haben uns grundsätzlich für Nein
entschieden. Darüber hinaus gibt es auch noch andere
Fragen.
Der zweite „dicke Brocken“ war der Einstieg in die
Besteuerung von Biokraftstoffen. Wir haben vor einigen Jahren die steuerliche Begünstigung von Biokraftstoffen aufgrund eines einstimmigen Beschlusses des damaligen Bundestages aufgenommen, allerdings mit der
Maßgabe, dass die entsprechende Beihilfe - das geht
auch gar nicht anders; sie musste von der EU genehmigt
werden - in regelmäßigen Abständen überprüft wird.
Der Überprüfungsbericht hat ergeben, dass eine Überförderung stattfindet. Wir haben uns über den Grad der
Überförderung gestritten, aber es war unumstritten, dass
wir in die Besteuerung einsteigen müssen. Letztendlich
ging es darum, eine Scharnierstelle zwischen dem zu
schaffen, was wir jetzt mit der Einführung von Steuersätzen für Biokraftstoffe planen, und dem, was wir im
Herbst vorhaben, nämlich der Einführung einer Pflicht
zur Beimischung von Biokraftstoffen bei Diesel und Ottokraftstoffen.
Wir haben, wie ich denke, in dem parlamentarischen
Verfahren, insbesondere was die Biokraftstoffe angeht,
eine ganze Menge erreicht:
Das Finanzministerium hatte ursprünglich vor, eine
Beimischungsquote für alle Kraftstoffarten festzulegen;
diese wäre sehr wahrscheinlich nur durch Beimischungen bei Diesel erfüllt worden und Bioethanol als Substitut für Ottokraftstoffe hätte keine nennenswerte Rolle
gespielt. Diese Haltung haben wir gemeinsam aufgebrochen; nun wird es zwei Quoten geben.
Wir haben auch die Frage des politischen Vertrauensschutzes - es geht nicht um einen rechtlichen, sondern um einen politischen - für diejenigen regeln müssen, die in entsprechende Anlagen wie Ölmühlen in
Deutschland investiert haben und sie betreiben oder die
auf andere Art und Weise mit dem Markt für reine Biokraftstoffe verwoben sind. Es gab zu keiner Zeit eine
Garantieerklärung im Gesetz. Zunächst war von einer
Übergangsfrist von zwei Jahren die Rede; im parlamentarischen Verfahren wurde eine Verlängerung der steuerlichen Vergünstigung bis 2011 bei steigenden Sätzen erreicht, bis 2012 der Regelsteuersatz auch für Biodiesel
und reines Pflanzenöl gilt. Der politische Vertrauensbegriff wurde hier sehr großzügig ausgelegt. Ich weiß, dass
die FDP möglicherweise, wie sie es sonst auch immer
tut, sagen wird, es handele sich um einen groben Vertrauensbruch. Angesichts der Tatsache aber, dass dieser
Branche eine Übergangszeit von weiteren fünf Jahren
eingeräumt wird, kann man nicht davon sprechen, dass
wir Vertrauen gebrochen hätten. Vielmehr stützen wir
die entsprechenden wirtschaftlichen Existenzen.
({0})
Wir geben ihnen natürlich auch die Chance, sich auf
neue Rahmenbedingungen im Zusammenhang mit dem
Beimischungsgebot einzustellen.
Wir haben im Verfahren beschlossen, dass der Einsatz
von reinem Pflanzenöl in der Landwirtschaft auf Dauer
steuerfrei bleiben soll. Damit verbinden wir die
Reinhard Schultz ({1})
Hoffnung und verfolgen die politische Absicht, dass dadurch das Agrardieselregime, in dessen Rahmen wir faktisch Agrardiesel subventionieren, allein durch die
Zunahme des Verbrauchs von reinem Pflanzenöl ausgehöhlt und unterlaufen wird. Wir erhoffen uns also auch
für diesen Bereich ein Zurückfahren der steuerlichen Begünstigungen. Wir haben vereinbart, bei Gelegenheit
darüber zu reden, das Agrardieselregime schrittweise
ganz aufzugeben.
Darüber hinaus haben wir beschlossen, dass auf
Dauer die Biokraftstoffe, bei denen von einer Marktdurchdringung noch nicht die Rede sein kann, wie zum
Beispiel Bioethanol - E 85 - und synthetische Kraftstoffe, bis 2015 weiterhin steuerlich gefördert werden
sollen. Für diese gilt, weil sie noch keine Marktbedeutung haben, weiterhin die Zweiwegestrategie, die auch in
der bisherigen Praxis eine große Rolle gespielt hat.
Auch für Neuentwicklungen, von denen wir jetzt
noch gar nichts ahnen, gibt es im Gesetz eine Chance in
Form einer Art Experimentier- bzw. Projektklausel, gemäß der auf Basis einer Rechtsverordnung entschieden
werden könnte, dass neue Kraftstoffe, deren Namen wir
heute noch nicht kennen, gefördert werden.
Jede steuerliche Förderung muss jährlich überprüft
werden; das steht auch im Gesetz. Anhand dieser muss
entschieden werden, ob eine Überförderung vorliegt
oder nicht.
Zusammenfassend dargestellt finde ich, dass ein beachtlicher Beratungsprozess des Parlaments, insbesondere der Koalitionsfraktionen, mit der Regierung hinter
uns liegt und ein gutes Ergebnis erzielt wurde. Das
möchte ich ausdrücklich festhalten.
({2})
Dabei geht es auch um Geld: Die Mineralölsteuer ist
die einzige wirklich nennenswerte Steuer, die nur dem
Bund zusteht. Diese Steuer durch Sondertatbestände
ständig auszuhöhlen und zu durchlöchern, ist auf Dauer
für uns nicht gut. Wir müssen jetzt schauen, wie wir die
Steuereinnahmen verstetigen, ohne die politischen Ziele,
die wir mit den Subventionen verbunden hatten, aus den
Augen zu verlieren. Dabei wird aufgrund des Koalitionsvertrages und der Beschlüsse der Koalition vom 1. Mai
der Königsweg der Förderung von Biokraftstoffen die
Beimischungspflicht sein, die am 1. Januar nächsten
Jahres in Kraft treten soll. Wir wollen eine industrielle
Biokraftstoffstrategie und keine, die ausschließlich in
kleinen landwirtschaftlichen Kreisläufen stattfindet.
({3})
- Nein, wir wollen das nicht kaputtmachen, sondern wir
wollen, dass an jeder normalen Tankstelle, an jeder Autobahn, möglichst europaweit normiert, jeder Bürger, der
Auto fährt, auch Biokraftstoff anteilmäßig fährt. Das ist
eine vernünftige Strategie und keine, die nur auf gutes
Gewissen oder auf Steuersubventionen setzt. Darum
geht es. Alles, was dahin führt, unterstützen wir. Wir fördern weiter.
Wir haben einen langen Übergang. Wir haben für
neue Kraftstoffe weiterhin eine steuerliche Förderung.
Aber das Ziel muss es sein, alles so reif zu machen, dass
es irgendwann beigemischt werden kann.
Zu der Frage, wenn ich das hier einmal aufzeigen
darf, um welche Beträge es geht: Eine parallele Beimischungspflicht plus eine Weiterführung der steuerlichen
Förderung mit Steuersatz null, die eine der ersten Ideen
der so genannten Zweiwegestrategie war, hätte uns Einnahmeverluste von 5,6 Milliarden Euro bis zum Jahre
2015 gebracht. Das wäre nicht zu verantworten gewesen.
Wir mussten zu einer anderen Lösung kommen. Diese
gab es nicht zum Nulltarif.
({4})
- Sie werden gleich Ihren schwungvollen Vortrag halten:
Koalition verirrt im Rapsfeld! Darauf freue ich mich
schon. Der nette folkloristische Titel hilft uns aber auch
nicht, insbesondere nicht auf dem Fahrrad oder sonst wo.
Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage Ihres
Kollegen Hermann Scheer zulassen?
Selbstverständlich, gerade von Hermann besonders
gerne.
({0})
- Das ist etwas anderes. Dann habe ich die Chance, Hermann, noch einmal zu sprechen.
Das, was wir jetzt machen, geschieht in einer beherrschbaren Größenordnung und kostet für die Übergangszeit alles in allem etwa 700 Millionen Euro. Das ist
es uns auch wert, um die bestehenden wirtschaftlichen
Strukturen abzusichern, ist aber nicht nennenswert angesichts der Ausfallbeträge, die letztendlich zu befürchten
gewesen wären.
Im Übrigen haben wir im Energiesteuergesetz eine
Reihe von Sondertatbeständen geregelt, die uns zum
Teil schon seit langem auf den Nägeln brennen, bei denen auch die Bundesländer gedrängt haben. Wir haben
uns viele Jahre damit herumgeschlagen: Warum wird eigentlich Erdgas bis 2020 steuerlich als ein Vorläuferkraftstoff von Wasserstoff gefördert und warum gilt das
für Flüssiggas nicht? Wir haben das jetzt gemeinsam geradegezogen. Beides wird bis 2018 gefördert.
Wir haben für die verpflichtende Besteuerung von
Kohle als Hausbrand, die eine nennenswerte Rolle in
Nordrhein-Westfalen, in den neuen Bundesländern und
im Saarland spielt, eine vernünftige Übergangsregelung
bis Ende 2010 gefunden, um allen Hauseigentümern die
Chance zu geben, ihre Heizungsanlagen zu modernisieren und zum Beispiel das von der Koalition auferlegte
energetische Gebäudesanierungsprogramm zu nutzen.
Insofern greifen die Dinge vernünftig ineinander.
({1})
Reinhard Schultz ({2})
Wir haben dafür gesorgt, dass endlich auch Klarheit
besteht, dass Prozessenergien, Energien, die zur Stoffumwandlung eingesetzt werden, grundsätzlich nicht
mehr besteuert werden. Das war eine lange, quälende
Auseinandersetzung. Auch das ist geklärt, um Deutschland als Standort der Grundstoffindustrien zu sichern.
Das ist ein ausgesprochen gutes Ergebnis.
({3})
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen. Sie
haben vielleicht nach der Kurzintervention noch einmal
Gelegenheit, zu sprechen.
Ich komme zum Schluss. - Ich denke, wir haben, gerade was Biokraftstoffe angeht, einen großen Sprung
nach vorne auf dem Weg weg vom Öl gemacht. Wir haben Lösungen gefunden, Deutschland als Energieerzeugungsstandort abzusichern und auch
Herr Kollege, kommen Sie jetzt bitte zum Schluss.
Grundstoffindustrien im Lande zu behalten.
Vielen Dank.
({0})
Dann gebe ich das Wort dem Kollegen Hermann
Scheer.
Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Mein Kollege Reinhard Schultz hat eben gesagt, wir wollten ausschließlich die Orientierung der
Biokraftstoffstrategie auf eine Beimischungspflicht. Ich
möchte ausdrücklich sagen, dass dieses „wir“ nicht
meine Haltung trifft und auch nicht die Haltung, soweit
ich es beobachte und weiß, einer übergroßen Mehrzahl
zumindest der SPD-Fraktion und auch einer großen Anzahl von Kollegen in der Union.
Viele haben sich in den letzten Wochen dafür eingesetzt, dass eine Zweiwegestrategie aufrechterhalten
bleibt, ein reiner Biokraftstoffmarkt neben einer Beimischungspflicht, wodurch nur die Mineralölkonzerne ein
Nachfragemonopol für die Biokraftstoffe erhielten.
Bliebe der Zweiwegeansatz, würde die Biokraftstoffmarktentwicklung auch über mittelständische Unternehmen auf regionaler Ebene erfolgen. Das ist der Wille von
vielen. Was jetzt erreicht worden ist, ist ein Kompromiss
zwischen beiden Ansätzen. Ich glaube, es ist wichtig,
das an dieser Stelle genau festzuhalten, damit dieser Beschluss nicht falsch interpretiert wird.
Danke schön.
({0})
Herr Schultz, möchten Sie darauf reagieren?
({0})
Dann gebe ich das Wort jetzt dem Kollegen Michael
Kauch, FDP-Fraktion.
({1})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die
Kurzintervention von Herrn Scheer hat ganz deutlich gemacht: Das Chaos in der Koalition bei der Biokraftstofffrage ist immer noch nicht beendet. Sie haben Ihre Position für sich offenbar immer noch nicht geklärt.
({0})
Herr Schultz hat gesagt, schließlich gehe es auch ums
Geld. Er hätte besser sagen sollen, dass es Ihnen vor allem ums Geld geht. Denn dieser Gesetzentwurf ist nichts
anderes als die Fortführung der Steuererhöhungsorgie,
({1})
die wir heute beim Steueränderungsgesetz erlebt haben.
Es ist die größte Steuererhöhungsorgie, die diese Republik jemals gesehen hat.
({2})
Rufen wir uns einmal, liebe Kollegen von der Union,
in Erinnerung, was die jetzige Bundeskanzlerin vor der
Wahl erklärt hat. Sie hat erklärt, mit den Benzinpreiserhöhungen müsse jetzt Schluss sein. Aber was Sie hier
beschließen, wird in Verbindung mit der Beimischungspflicht eine Benzinpreiserhöhung bewirken, die zwei
Ökosteuerstufen von Rot-Grün entspricht. Meine Damen
und Herren von der Union, Sie kassieren die Bürger so
schamlos ab, wie es sich Rot-Grün nie getraut hat.
({3})
- Ja; sie hat aber nichts anderes versprochen.
Dieser Gesetzentwurf wird aus fiskalischen Gründen
gemacht. Sie haben keine - ich wiederhole: keine - Strategie für die Biomassenutzung in Deutschland. Sie haben keine Antwort auf die Frage der Nutzungskonkurrenzen. Sie haben keine Strategie, welcher Teil der
Biomasse in die Verstromung, welcher in die Wärmeerzeugung und welcher in die stoffliche Nutzung in der Industrie gehen soll.
({4})
- Herr Kelber, Sie sagen, das muss der Markt entscheiden. Aber das müssen Sie beantworten, wenn Sie Ihre
Subventionsstrategie, die Sie mit diesem Gesetz festlegen, formulieren. Das haben Sie nicht getan. Sie stochern im Nebel. Hier wird ausschließlich nach Interessenlagen entschieden.
({5})
Im Übrigen, meine Damen und Herren, ist es, auch
steuerpolitisch, schon bemerkenswert, dass mitten im
Jahr, am 1. August, in Steuergesetze eingegriffen wird.
So etwas sollte man zum 1. Januar eines Jahres tun. Aber
das sind Details, die Sie schon lange nicht mehr interessieren.
Bezüglich der progressiven Steuersätze in Cent pro
Liter stellt sich die Frage: Was wird die Auswirkung
sein, wenn beispielsweise - das sind Szenarien, die nicht
abwegig sind - der Rohölpreis zwischenzeitlich wieder
sinkt? Dann wird der Biodiesel teurer als der fossile Diesel sein und Sie werden die Reinkraftstoffe endgültig kaputtgemacht haben. Dann bleibt nur noch der Beimischungsmarkt übrig. Was bedeutet das? Das bedeutet,
dass die bisher mittelständisch strukturierte Industrie
endgültig von wenigen Mineralölkonzernen auf der
Nachfrageseite abhängen wird. Diese werden zum einen
eine Marktmacht beim Preis ausüben. Zum anderen besteht bei diesen Großstrukturen natürlich ein Interesse,
auch mit großen Zulieferern zu arbeiten. Das heißt, die
kleineren Unternehmen in diesem Markt werden hinten
runterfallen.
Meine Damen und Herren, auch ordnungspolitisch,
wirtschaftspolitisch und vor allen Dingen mittelstandspolitisch ist es ein Unsinn, was Sie hier mit dem Beimischungszwang betreiben. Deshalb setzt sich die FDP
dafür ein, den Vertrauensschutz zu wahren, besonders
aufgrund der Tatsache, dass wir noch vor zwei Jahren
fraktionsübergreifend ein Instrument beschlossen haben.
Dieser typische Fall von Instrumentenhopping wird aber
nicht aus umweltpolitischen Gründen, wie es die Koalition hier suggeriert, sondern aus rein fiskalischen Gründen betrieben.
({6})
Die FDP-Fraktion wird deshalb die Branche, aber
auch die Verbraucher, die an der Tankstelle die Rechnung für Ihre Politik bezahlen müssen, unterstützen und
wird daher diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen.
({7})
Als Nächster hat der Kollege Norbert Schindler von
der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Verehrte
Gäste! Herr Kollege Kauch, ich will nur zur Klarstellung
sagen: Ich weiß, welche Freudentänze die FDP vor zweieinhalb, drei Jahren aufgeführt hat, als es um die Steuerbefreiung der beigemischten Bestandteile ging. Sie haben ausdrücklich zugestimmt; vor allen Dingen Herr
Solms hat sich dabei hervorgetan. Ich will das aber nicht
weiter vertiefen.
Ich komme nun zur Sache selbst. Wir haben uns bei
dem Thema Steuerbefreiung sehr in die Haare gekriegt.
({0})
Wir haben einige Male die Beratungen vertagen und neu
ansetzen müssen. Deswegen habe ich vielleicht nicht
mehr so viele Haare.
Die Koalition hat eine epochale Vereinbarung in ihren
Grundsatzbeschlüssen getroffen. Die Bundesrepublik
Deutschland wird die Verpflichtungen aus dem Kiotoprotokoll erfüllen. Das ist wegweisend für Europa. Wir
alle wissen, dass es 2004 ein Urteil des Europäischen
Gerichtshofs gegeben hat, der sich mit der unterschiedlichen Besteuerung von Energieträgern beschäftigt hat,
die zu einer wettbewerbsverzerrenden Situation für die
anderen europäischen Energieerzeuger geführt hat.
Dass wir 2007 ein Gesetz in Kraft setzen, in dem der
Beimischungszwang vorgesehen ist, hat diese hitzige
Debatte ausgelöst. Wenn wir in Zukunft aus deutscher
oder aus europäischer Agrarproduktion 4 Millionen bis
5 Millionen Tonnen Einheiten in den Energiebereich einfließen lassen, so ist das für die Bundesrepublik
Deutschland ein einmaliger Vorgang. Wir streiten uns
jetzt nur noch um das Kleingedruckte, das natürlich auch
wichtig ist.
Wir streiten uns auch um die Beimischung von anderen Wertstoffen wie Fette. Außerdem stellt sich die
Frage, was ab dem Jahre 2018 geschieht. Herr Kollege
Scheer hat in diesem Zusammenhang schon auf den
zweiten Weg hingewiesen. Derzeit war aber im Rahmen
dieses Kompromisses nicht mehr möglich. Man muss
dazu stehen, dass sich Rot und Schwarz bei diesem
Kompromiss schwer getan haben.
Was passiert ab dem Jahre 2009 - ich glaube nicht,
dass eine Partei eine absolute Mehrheit bekommt -,
wenn neue Koalitionsverhandlungen anstehen?
({1})
Es ist sozusagen eine Bremse, dass der zweite Weg nicht
so ausgebaut wird, wie es manch einer gehofft hatte. Ich
sage das auch im Hinblick auf die Festlegung auf eine
Steuerbefreiung bis zum Jahre 2009. Man muss einräumen, dass es diesbezüglich in den ländlichen Regionen
eine Unsicherheit gibt. Die Frage ist, wie wir dort die
Wertschöpfung auf Dauer sichern.
({2})
Ich will auch festhalten, dass wir mit 9 Cent beim
Agrardiesel einen vernünftigen Einstieg gewählt haben,
der auch von den verarbeitenden Betrieben mitgetragen
wurde. Die ursprünglich angedachte Nulllösung - das
hat die schwersten Bedenken des Finanzministers hervorgerufen - hat die Frage aufgeworfen, wie die Finanzierung aussehen soll. Herr Kollege Schultz, Sie haben
gesagt, dass uns 5 Milliarden bis 6 Milliarden Euro fehlen werden. Sie stellen selbst die Frage, ob man über die
Verbilligung des Agrardiesels noch einmal reden sollte.
Ich sage sehr deutlich: Mit der Union ist in dieser Legislaturperiode über dieses Thema nicht zu reden.
({3})
Das Landwirtschaftsprivileg, das Herr Seehofer bei
Herrn Steinbrück durchgesetzt hat und das wir in Form
einer Verbilligung des Agrardiesels ausgestalten, ist zu
begrüssen. Das betrifft Produkte aus Eigenproduktion
wie früher Heu und Hafer. Damit bleiben auch in der
Landwirtschaft verwendete Biokraftstoffe von der
Steuer befreit. Da geschieht nichts anderes wie beim
Pferdefutter, das in der Vergangenheit steuerfrei war.
Dies ist eine Chance für Wertschöpfung im kleineren
Bereich.
Aber bei dem Kompromiss, der gefunden worden ist,
wurde auch berücksichtigt, wie viele Steuereinnahmen
uns dabei wegrutschen. Da hatten wir es finanzpolitisch
mit Zwängen zu tun, die mir persönlich so nicht gepasst
haben. Aber was soll ich sagen? Wir sind in einer Koalitionsregierung. Wir müssen den Staatshaushalt gemäß
unserem Auftrag in den nächsten Jahren so in Ordnung
halten, wie es jeder Wähler und jede Wählerin von uns
erwartet.
Die Steuerbefreiung, die im Regierungsentwurf ursprünglich nur bis 2009 vorgesehen war, haben wir für
zwei weitere Jahre festgelegt. Die Steuerbefreiung in der
Landwirtschaft ist generell nicht genau definiert. Sie ist
total offen. Das ist ein Erfolg im Vergleich zum alten Regierungsansatz. Dass dem Finanzministerium solche
Kompromisse wehtun, weil es dabei reell ums Geld geht,
ist klar.
Zum anderen wird im vorliegenden Gesetz - auch das
geht unter - die Minderbesteuerung von Gasölen in den
Häfen geregelt. In diesem Gesetz steht auch, dass im
Hinblick auf die Beimischungsfragen ab 2007 ein zusätzliches Gesetz in Kraft treten soll. Das wollen wir im
November abschließend festlegen.
({4})
Herr Kollege, kommen Sie jetzt bitte zum Schluss.
Deswegen lassen Sie uns erst Ende dieses Jahres die
gesamte Wirksamkeit der heutigen Beschlüsse abschließend bewerten. Deutschland ist auf dem Weg, seine
Energieführerschaft bei den nachwachsenden Rohstoffen auch in Zukunft zu behalten. Das Gesetz ist ein guter
Beitrag dazu.
Danke schön.
({0})
Das Wort hat der Kollege Hans-Kurt Hill, Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich sage Ihnen: Diese Gesetzesvorlage ist eine Subventionsorgie zugunsten der Energie
fressenden Industrie.
({0})
Ihr Finanzminister Steinbrück macht damit Kasse auf
Kosten des Klimaschutzes. Diese Industrie - sowieso
schon Nutznießer zahlreicher Ausnahmetatbestände bekommt mit diesem Entwurf noch einmal rund
200 Millionen Euro geschenkt. Wie man heute hört, wird
Lidl die Energieversorgung ausgliedern und damit die
Regelung für energieintensive Betriebe in Anspruch
nehmen. Das ist Ihr Erfolg. Es muss Ihnen doch klar
sein: Mit Ihrem Vorgehen verspielen Sie jeglichen Anreiz zur Energieeinsparung und zur Senkung der Klimagasbelastung.
({1})
Wer zahlt die Zeche? Die junge Bioenergiebranche.
Hier wird schrittweise die volle Steuer greifen. Beim
Klimakiller Flugverkehr weiten wir die Steuerbefreiung
aus. Ich kann nur davor warnen, dem Entwurf zuzustimmen.
({2})
Ich gebe Hermann Scheer Recht: Sie werden damit
die Abschaffung von 50 000 Arbeitsplätzen auf Raten
einleiten. Es muss Ihnen doch klar sein, dass die heimische Biokraftstoffbranche bei einer Vollbesteuerung
keine Chance gegen das Mineralölmonopol hat. Sie treiben die Betriebe sogar noch in die Arme der Konzerne:
Mit der Pflicht, Biosprit dem herkömmlichen Diesel und
Benzin beizumischen, degradieren Sie die Landwirte
und die Mittelständler zu Knechten der Mineralölindustrie.
({3})
Was glauben Sie denn, was passiert? Entweder beugen sich die heimischen Biokrafterzeuger dem Preisdiktat der Konzerne oder BP und Co kaufen billiges
Pflanzenöl in Lateinamerika ein - jawohl, das wird
passieren! - und dort wird mit fragwürdigen Anbaumethoden der Regenwald platt gemacht. Sie behaupten,
man schaffe Planungssicherheit für die Biospritbranche.
Ich sage: Das ist schlicht die Unwahrheit.
({4})
Nehmen Sie Ihren schädlichen Stufenplan bei der Besteuerung der Biokraftstoffe zurück; denn damit machen
Sie eine ganze Branche von Mittelständlern in der Bundesrepublik Deutschland kaputt.
Jetzt komme ich noch auf das zu sprechen, was gestern in den Ausschüssen passiert ist. Es ist unglaublich,
wie dieses Gesetz zustande gekommen ist. Es ist wirklich unglaublich.
({5})
Es gab von Ihnen einen Wust von Änderungsanträgen
zu Ihrem eigenen Entwurf - und das als Tischvorlage.
Im Umweltausschuss - das war der Höhepunkt - wurden
die Anträge sogar nur auf unsere Intervention hin überhaupt zur Beratung vorgelegt. Es hieß einfach: Wir haben sie nicht erhalten. Meine Damen und Herren von der
Koalition, das ist unseriös, das ist undemokratisch.
({6})
Lieber Kollege Reinhard Schultz, jetzt komme ich zu
Ihrer schwungvollen Rede. Was ist denn von den angekündigten Verbesserungen übrig geblieben? Nichts, gar
nichts ist übrig geblieben. Sie sind das Opfer Ihres eigenen Finanzministers geworden.
({7})
Machen Sie die schlimmsten Fehler rückgängig.
Erstens. Reine Biokraftstoffe müssen bis Ende 2009
steuerfrei bleiben. Alles andere ist ein Vertrauensbruch
gegenüber der Branche.
({8})
Zweitens. Wenn Steuern, dann richtig: Die Bemessung muss sich nach Klimaschutz, Umweltvorteil und
Erhöhung der Versorgungssicherheit richten, nicht nach
Steinbrücks Steuerwut.
({9})
Drittens. Eine Beimischungspflicht ist unnötig. Der
Biokraftstoffmarkt funktioniert auch so, wenn man nicht
dem Mineralölkartell das Wort redet.
Fördern Sie Biokraftstoffe nachhaltig und stimmen
Sie unserem Antrag zu.
Ich danke Ihnen.
({10})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Reinhard Loske,
Bündnis 90/Die Grünen. - Entschuldigung, Herr Loske. Ich bitte darum, dass die Gespräche am Rande nach
draußen verlegt werden, damit wir hier noch ein bisschen Debatte verfolgen können. Schönen Dank.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Kollege Reinhard Schultz hat eben davon gesprochen, wir hätten es bei diesem Gesetz mit einem beachtlichen Beratungsprozess mit dem Parlament zu tun. Da
kann man nur sagen: In der Tat, das war insofern beachtlich, als es ein ständiges Hin und Her gab, das sich bis
ins Plenum fortgesetzt hat, unter Geringschätzung der
parlamentarischen Rechte der Opposition und unter elementarster Verunsicherung einer ganzen mittelständischen Branche. Das war kein Glanzstück, das muss man
ganz klar sagen. Verfahrensmäßig war das unter aller
Würde.
({0})
Zur Sache selbst. In dem Gesetz geht es auf der einen
Seite um die Umsetzung der EU-Energiesteuerrichtlinie
in nationales Recht und auf der anderen Seite um das
kräftige Zulangen bei der Besteuerung von Bioenergien.
Was die EU-Energiesteuerrichtlinie hergegeben hätte,
meine Damen und Herren von der Koalition, haben Sie
im Wesentlichen nicht genutzt. Sie haben erstens nicht
die vielen Ökosteuersonderregelungen, die es heute
noch gibt, abgebaut, was die EU-Energiesteuerrichtlinie
ausdrücklich ermöglicht hätte. Davor scheuen Sie zurück.
Sie haben zweitens nicht Gebrauch gemacht von der
Möglichkeit, eine Kerosinbesteuerung für Inlandsflüge
einzuführen. Wir haben es daher nach wie vor mit dem
eklatanten Wettbewerbsnachteil der Bahn zu tun. Die
Bahn zahlt Energiesteuer, die Bahn zahlt Mehrwertsteuer auf Tickets im Fernverkehr. Der Luftverkehr zahlt
beides nicht. Sie haben also nichts getan, um Wettbewerbsfairness zwischen dem Schienenverkehr und dem
Luftverkehr im innerdeutschen Bereich herzustellen.
Auch das ist ein grobes Versäumnis.
({1})
Am allerschlimmsten aber ist, wie Sie bei den Bioenergien vorgehen. Man kann ja darüber reden, Mitnahmeeffekte dort, wo es sie gibt, abzuschöpfen. Aber was
Sie machen, ist, eine ganze Branche systematisch zu verunsichern. Sie treten das zarte Pflänzchen der Bioenergiebranche regelrecht platt.
({2})
Nicht nur das: Sie kündigen an, dass Sie die Steuerprivilegien abbauen und auf ein anderes Instrument umstellen wollen, nämlich den Beimischungszwang. Ich
will noch einmal ganz klar sagen, was der Unterschied
ist. Bei den steuerlichen Anreizen passiert Folgendes:
Sie bekommen dezentrale Strukturen, Sie bekommen regionale Wertschöpfungsmöglichkeiten im ländlichen
Raum, Sie bekommen neue Arbeitsplätze in der Landwirtschaft, Sie bekommen regelrechte Erwerbs- und Einkommensalternativen für die Bauern.
Reinhard Schultz - das muss ich schon einmal sagen -,
das ist der gewaltige Unterschied zwischen Ihnen und
uns. Sie sagen - ich habe es mir aufgeschrieben -: Wir
wollen eine großindustrielle Bioenergiestrategie und
nicht Klein-Klein. Dazu sage ich Ihnen: Wir wollen
Wertschöpfung und Beschäftigung im ländlichen Raum
und keine großindustrielle Struktur in diesem Bereich.
Das ist ein gewaltiger Unterschied.
({3})
Sie sagen zwar, dass Sie eine Zweiwegestrategie machen, faktisch machen Sie aber eine Einwegstrategie: Sie
sehen nur den Beimischzwang vor. Faktisch bedeutet
das, dass Sie die Bauern, die regionalen Produzenten in
die Abhängigkeit eines großen Nachfragemonopols bringen. Bei der Milch sehen wir doch, wohin das führt: Die
Geschädigten sind am Ende die Bauern und die Profiteure sind die großen Mineralölkonzerne. Wenn Sie das
wollen, dann machen Sie das. Dann sollten Sie das aber
auch sagen.
({4})
Aus vielen am Rande des Plenums- bzw. im Plenum
geführten Gesprächen wurde klar, dass viele Kolleginnen und Kollegen aus den Koalitionsfraktionen dieses
Gesetz für falsch halten. Sie halten es zu Recht für
falsch. Ihnen kann aber, wenn ich das so sagen darf,
Trost gespendet werden: Es gibt einen Antrag, den wir
hier vorlegen und zur namentlichen Abstimmung stellen,
dem die Freunde des Klimaschutzes, die Freunde des
ländlichen Raumes und die Freunde mittelständischer
Strukturen zustimmen können. Wir möchten Sie darum
bitten, unserem Antrag zuzustimmen und nicht dem Irrweg, der von der großen Koalition beschritten wird, zu
folgen.
Danke schön.
({5})
Zum Abschluss der Debatte hat der Kollege
Dr. Joachim Pfeiffer, CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Meine sehr geehrten Damen und Herren von der
Opposition, wir sollten die Kirche im Dorf lassen. Mit
dem heutigen Gesetz leisten wir im Bereich der Biokraftstoffwirtschaft einen Beitrag zur Schaffung einer
Planungs- und Investitionssicherheit, und zwar mit einer
Zweiwegestrategie.
Wir werden auf jeden Fall keinen Fadenriss erleiden.
Entgegen der ursprünglichen Absicht, die Steuerbefreiung 2009 abrupt zu beenden, haben wir einen stufenweisen Übergang bis 2012 vorgesehen. Daher werden wir
keinen Fadenriss erleiden. Wir betreten vielmehr eine
Brücke, die uns zur zweiten Generation der Kraftstoffe
führt.
({0})
Es ist kein Geheimnis, dass sich die Union in der einen
oder anderen Hinsicht mehr hätte vorstellen können. Es
ist aber so, wie es ist. Das ist ein Kompromiss, den wir
guten Gewissens heute hier mittragen können.
Ich möchte das Augenmerk aber auf einen anderen
Punkt lenken, der in dieser Diskussion leider etwas untergeht - er klang in der heutigen Debatte nur selten
an -: Wir machen mit diesem Gesetz einen weiteren
wichtigen Schritt zur Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft insgesamt, insbesondere aber der energieintensiven Wirtschaft.
({1})
Der erste Schritt war das Energiewirtschaftsgesetz,
mit dem wir im letzten Jahr bei den Netznutzungsentgelten eine Ausnahmeregelung für die stromintensiven Industrien geschaffen haben. Von ihr wird rege Gebrauch
gemacht.
Im zweiten Schritt haben wir - wie in der Koalitionsvereinbarung vorgesehen - mit der Härtefallregelung
beim EEG einen wesentlichen Beitrag zur Entlastung der
energieintensiven Unternehmen geleistet. Das sind
100 Millionen Euro mehr für die deutsche Wirtschaft
- Gesamtbetrag: 400 Millionen Euro -, die in diesem
Jahr, rückwirkend zum 1. Januar 2006, wirksam werden.
Heute machen wir den dritten Streich. Bei der Ökosteuer waren bisher nur ein ermäßigter Steuersatz von
60 Prozent und ein Spitzenausgleich vorgesehen. Heute
werden wir bestimmte Herstellungsprozesse und -verfahren in der energieintensiven Industrie vollständig von
der Energie- und Stromsteuer befreien. Dann können wir
Unternehmen, die zum Beispiel in den Bereichen Glas-,
Keramik-, Zement- oder Kalkverarbeitung tätig sind, die
diese Materialien herstellen oder weiterverarbeiten, von
der Steuer befreien. Das bedeutet eine zusätzliche Entlastung der deutschen Wirtschaft in Höhe von
60 Millionen Euro.
Das Bundeskabinett hat gestern - vierter Schritt - den
NAP II, den Nationalen Allokationsplan für den Emissionshandel verabschiedet. Er enthält einen differenzierten Erfüllungsfaktor, durch den wir gewährleisten, dass
weitere Windfall-Profits und Einpreisungen nicht stattfinden. Auch damit verfolgen wir das Ziel, zu einem
Rückgang der Emissionshandelspreise zu kommen.
In einem fünften Schritt, dem Beimischungsgesetz
- die Diskussion darüber steht unmittelbar im Herbst an -,
werden wir für weitere Entlastungen der energieintensiven Unternehmen sorgen.
Damit leisten wir nicht nur einen direkten Beitrag zur
Sicherung von 600 000 gefährdeten Arbeitsplätzen in
der energieintensiven Industrie, sondern wir entlasten
auch indirekt die Haushalte und den normalen Verbraucher, der nämlich die zusätzlichen Netznutzungskosten
und Netznutzungsentgelte zu tragen hätte, wenn diese
Arbeitsplätze wegfallen würden
({2})
und wenn wir die energieintensive Industrie in Deutschland verlieren würden, die akut in Gefahr ist, mit 20, 25
oder 30 Prozent des Stromverbrauches abzuwandern.
Damit leisten wir auch einen Beitrag zum Klimaschutz
hier und vermeiden eine Verlagerung ins Ausland, wo
weniger Klimaschutz besteht.
Heute ist ein guter Tag für die Zukunft der Biokraftwirtschaft und für die Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie im Allgemeinen.
Deshalb können wir dem Gesetzentwurf zustimmen. Wir
sind davon überzeugt, dass es in die richtige Richtung
geht.
Vielen Dank.
({3})
Damit schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Neuregelung der Besteuerung von Energieerzeugnissen
und zur Änderung des Stromsteuergesetzes, Druck-
sachen 16/1172 und 16/1347.
Zu dieser Abstimmung gibt es Erklärungen nach § 31
unserer Geschäftsordnung der Kollegin und der Kol-
legen Dr. Axel Berg, Gabriele Groneberg, Albert Rup-
precht, Martin Gerster, Hermann Scheer und
Dr. Wolfgang Wodarg.1)
Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe a sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/2007, den
Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen.
Hierzu gibt es einen Änderungsantrag der Fraktion
1) Anlage 12
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/2068, über
den wir zuerst abstimmen. Die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen verlangt hierzu namentliche Abstimmung.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen besetzt? - Das scheint mir der Fall zu sein. Dann eröffne
ich die Abstimmung.
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, welches seine
Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das scheint nicht
der Fall zu sein. Dann schließe ich die Abstimmung und
bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der
Auszählung zu beginnen. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses unterbreche ich die Sitzung.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die unterbrochene
Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt: Insgesamt wurden 555 Stimmen abgegeben. Mit Ja haben gestimmt 53 Abgeordnete, mit Nein
haben gestimmt 396 Abgeordnete. Es gab 106 Enthaltungen. Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 555;
davon
ja: 53
nein: 396
enthalten: 106
Ja
SPD
Dr. Axel Berg
Martin Gerster
Renate Gradistanac
Dr. Karl Lauterbach
Anton Schaaf
Gert Weisskirchen
({0})
BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Kerstin Andreae
Volker Beck ({1})
Cornelia Behm
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Alexander Bonde
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Kai Gehring
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Peter Hettlich
Priska Hinz ({2})
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ute Koczy
Sylvia Kotting-Uhl
Undine Kurth ({3})
Markus Kurth
Monika Lazar
Anna Lührmann
Kerstin Müller ({4})
Winfried Nachtwei
Claudia Roth ({5})
Krista Sager
Elisabeth Scharfenberg
Irmingard Schewe-Gerigk
Rainder Steenblock
Silke Stokar von Neuforn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Jürgen Trittin
Wolfgang Wieland
Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Albach
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({6})
Dr. Christoph Bergner
Clemens Binninger
Carl-Eduard von Bismarck
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({7})
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Gitta Connemann
Hubert Deittert
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Anke Eymer ({8})
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Hartwig Fischer ({9})
Dirk Fischer ({10})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Dr. Hans-Peter Friedrich
({11})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Peter Gauweiler
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Ralf Göbel
Peter Götz
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Karl-Theodor Freiherr zu
Guttenberg
Holger Haibach
Ursula Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Peter Hintze
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung ({12})
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({13})
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Jürgen Klimke
Jens Koeppen
Kristina Köhler ({14})
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Martina Krogmann
Johann-Henrich
Krummacher
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers
({15})
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Ingbert Liebing
Dr. Klaus W. Lippold
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Stephan Mayer ({16})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Laurenz Meyer ({17})
Maria Michalk
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Carsten Müller
({18})
Stefan Müller ({19})
Bernward Müller ({20})
Dr. Gerd Müller
Hildegard Müller
Bernd Neumann ({21})
Henry Nitzsche
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Dr. Peter Paziorek
Ulrich Petzold
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Daniela Raab
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Eckhardt Rehberg
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht ({22})
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({23})
Hermann-Josef Scharf
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Georg Schirmbeck
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({24})
Andreas Schmidt ({25})
Ingo Schmitt ({26})
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Kurt Segner
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Max Straubinger
Thomas Strobl ({27})
Michael Stübgen
Antje Tillmann
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Marcus Weinberg
Peter Weiß ({28})
Gerald Weiß ({29})
Karl-Georg Wellmann
Anette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Matthias Wissmann
Dagmar Wöhrl
Willi Zylajew
SPD
Dr. Lale Akgün
Gregor Amann
Gerd Andres
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr ({30})
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Ute Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({31})
Volker Blumentritt
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Bernhard Brinkmann
({32})
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Iris Gleicke
Günter Gloser
Angelika Graf ({33})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann
({34})
Nina Hauer
Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({35})
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({36})
Frank Hofmann ({37})
Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Brunhilde Irber
Johannes Jung ({38})
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Dr. h.c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Ernst Kranz
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christian Lange ({39})
Waltraud Lehn
Gabriele Lösekrug-Möller
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Petra Merkel ({40})
Ulrike Merten
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller ({41})
Michael Müller ({42})
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Dr. Rolf Mützenich
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Christoph Pries
Dr. Wilhelm Priesmeier
Dr. Sascha Raabe
Steffen Reiche ({43})
Maik Reichel
Gerold Reichenbach
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({44})
Michael Roth ({45})
Marlene Rupprecht
({46})
Axel Schäfer ({47})
Bernd Scheelen
Marianne Schieder
Otto Schily
Silvia Schmidt ({48})
Dr. Frank Schmidt
Heinz Schmitt ({49})
Carsten Schneider ({50})
Ottmar Schreiner
({51})
Swen Schulz ({52})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Andreas Steppuhn
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Joachim Stünker
Dr. Rainer Tabillion
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. h.c. Wolfgang Thierse
Jörn Thießen
Franz Thönnes
Hans-Jürgen Uhl
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Petra Weis
Gunter Weißgerber
Dr. Rainer Wend
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Waltraud Wolff
({53})
Heidi Wright
Uta Zapf
Manfred Zöllmer
FDP
Gudrun Kopp
Enthalten
CDU/CSU
Josef Göppel
SPD
Hans Eichel
Lothar Mark
Andrea Nahles
FDP
Jens Ackermann
Dr. Karl Addicks
Christian Ahrendt
Daniel Bahr ({54})
Uwe Barth
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich ({55})
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Miriam Gruß
Joachim Günther ({56})
Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Dr. Heinrich L. Kolb
Hellmut Königshaus
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Hans-Joachim Otto
({57})
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Jörg Rohde
Dr. Konrad Schily
Dr. Max Stadler
Florian Toncar
Christoph Waitz
Dr. Claudia Winterstein
Hartfrid Wolff ({58})
DIE LINKE
Karin Binder
Dr. Lothar Bisky
Heidrun Bluhm
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Werner Dreibus
Klaus Ernst
Diana Golze
Heike Hänsel
Lutz Heilmann
Cornelia Hirsch
Inge Höger-Neuling
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Dr. Hakki Keskin
Katja Kipping
Monika Knoche
Jan Korte
Oskar Lafontaine
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Ulrich Maurer
Dorothee Menzner
Kornelia Möller
Kersten Naumann
Wolfgang Nešković
Dr. Norman Paech
Bodo Ramelow
Elke Reinke
Paul Schäfer ({59})
({60})
Dr. Herbert Schui
Dr. Petra Sitte
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Jörn Wunderlich
fraktionslos
Gert Winkelmeier
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der
CDU/CSU-Fraktion und der überwiegenden Mehrheit
der Stimmen der SPD-Fraktion bei Gegenstimmen der
Fraktionen der FDP und von Bündnis 90/Die Grünen
und dem Großteil der PDS-Fraktion angenommen.
({61})
- Ich habe bei Ihnen einen gesehen, der sich enthalten
hat, ganz ruhig!
({62})
- Entschuldigung, das tut mir sehr Leid!
({63})
Verzeihung, das war wirklich ein Versehen! Ich habe
mich jetzt so darauf konzentriert, wer in welcher Fraktion wie gestimmt hat. Also, noch einmal: „… und einer
großen Mehrheit der Linksfraktion“. Einige Abgeordnete der SPD haben dagegen gestimmt und einige AbgeVizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
ordnete der SPD sowie ein Abgeordneter der Linksfraktion haben sich enthalten.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist bei Zustimmung der CDU/CSU-Fraktion und des
Großteils der SPD-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktionen von FDP, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke
sowie einer Gegenstimme aus der SPD-Fraktion angenommen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/2039. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen des Großteils der Koalition bei Enthaltung der Fraktionen Bündnis 90/Die
Grünen und Die Linke sowie einiger Abgeordneter der
SPD-Fraktion sowie bei Zustimmung der FDP-Fraktion
abgelehnt.
Ich komme jetzt zum Tagesordnungspunkt 8 b. Beschlussempfehlung des Finanzausschusses auf Drucksache 16/2007 zu dem Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel „Biokraftstoffe
intelligent fördern - Steuerbegünstigung erhalten“. Der
Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung, den Antrag auf Drucksache 16/583
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition
und der FDP-Fraktion bei Gegenstimme der Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen und Enthaltung der Fraktion
Die Linke angenommen.
Tagesordnungspunkt 8 c. Abstimmung über den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/1895
({64}) mit dem Titel „Biokraftstoffe nachhaltig fördern“.
Wer stimmt für diesen Antrag? - Gegenstimmen? - Ent-
haltungen? - Dieser Antrag ist bei Zustimmung der
Fraktion Die Linke, bei Gegenstimmen der Fraktionen
der CDU/CSU, der SPD und der FDP und bei Enthal-
tung von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b
auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und der
Fraktion der LINKEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Dritten Buches
Sozialgesetzbuch
- Drucksache 16/856 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({65})
- Drucksache 16/1208 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Anette Kramme
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
({66}) zu dem Antrag der Abgeordneten
Hartfrid Wolff ({67}), Jens Ackermann,
Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Innere Sicherheit durch Regelungen zum
Arbeitskampfrecht gewährleisten
- Drucksachen 16/953, 16/1208 Berichterstattung:
Abgeordnete Anette Kramme
Über den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke werden wir später namentlich abstimmen.
Es ist verabredet, eine halbe Stunde hierüber zu debattieren. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist
so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe der Kollegin
Anette Kramme, SPD-Fraktion, das Wort.
({68})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die FDP ist in tiefer Sorge um die innere Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland.
({0})
Es drohen nämlich Invasionen von Ratten und auch die
Vogelgrippe wird sich epidemiehaft über ganz Deutschland ausbreiten, wenn Verdi streikt.
({1})
Ich glaube, hier spricht eher der Wolf im Großmutterkostüm, der das Rotkäppchen, nämlich die Tarifautonomie,
fressen will.
Meine Damen und Herren, Sie wissen doch sehr genau, dass die Gewerkschaften verpflichtet sind, Notdienste bei Streiks einzurichten. Wird kein Notdienst
eingerichtet und ergeben sich daraus konkrete Gefährdungslagen für die Allgemeinheit, so steht es im pflichtgemäßen Ermessen der Polizei, hier einzuschreiten.
Darüber hinaus haften die Gewerkschaften zivilrechtlich für etwaigen Schaden. Das heißt, es liegt im ureigenen Interesse der Tarifvertragspartei, Regelungen zu
treffen.
({2})
Meine Damen und Herren von der FDP, die Intention
Ihres Antrags ist offenbar: Sie brauchen mal wieder einen Aufhänger, Ihrer Forderung nach Einschränkung der
Arbeitnehmerrechte Nachdruck zu verleihen. Es ist doch
wenig glaubhaft, wenn ausgerechnet Herr Westerwelle,
der den öffentlichen Dienst am liebsten komplett privatisieren möchte, anlässlich des aktuellen Streiks panisch
ruft, es werde im öffentlichen Dienst jede Hand gegen
die Ausbreitung der Vogelgrippe gebraucht.
Sie versuchen ein ums andere Mal, die Tarifautonomie zu kappen, die Gewerkschaften zu schwächen und
die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
einzuschränken. Anders ist es wohl nicht zu erklären,
dass Herr Brüderle unlängst forderte, das Streikgeld zu
besteuern. Das ist doch der blanke Hohn. Die einzige
Absicht, die sich hinter dieser Forderung verbirgt, ist, in
die Medien zu kommen und die Stimmung gegen die
Gewerkschaften anzuheizen. Ich erinnere auch an Ihren
aktuellen Antrag, wonach ein Antrag beim Arbeitsgericht zur Einsetzung eines Wahlvorstandes bei Betriebsratswahlen
({3})
der Unterschriftsleistung durch 25 Prozent der Arbeitnehmer des Betriebs bedürfen soll. Und wenn die Welt
untergeht, die FDP wird weiterhin versuchen, die Rechte
der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu beschneiden.
Ich weiß ja, dass Dinge, die einem nicht gefallen,
schnell vergessen werden. Aber zumindest die Grundrechte sollte man als Abgeordneter kennen.
({4})
Sie erinnern sich vielleicht dunkel an Art. 9 Grundgesetz. Ferner empfehle ich Ihnen die Lektüre des Bundesverfassungsgerichtsurteils vom 2. März 1993:
Mit der grundrechtlichen Garantie der Tarifautonomie wird ein Freiraum gewährleistet, in dem Arbeitnehmer und Arbeitgeber ihre Interessen gegenseitig in eigener Verantwortung austragen können.
({5})
Diese Freiheit findet ihren Grund in der historischen Erfahrung, dass auf diese Weise eher Ergebnisse erzielt werden, die den Interessen der widerstreitenden Gruppen und dem Gemeinwohl gerecht
werden, als bei einer staatlichen Schlichtung.
Die Ihrerseits intendierte Kodifikation des Arbeitskampfrechtes, über die man theoretisch reden könnte, erfordert ein Mindestmaß an gesellschaftlichem Konsens.
Die gesellschaftlichen Gruppen sind hier aber tief gespalten.
({6})
Das wird auch hier im Hause ständig offenbar. Ich bezweifle daher intensiv, dass von einem Arbeitskampfgesetz in irgendeiner Weise eine befriedende Funktion ausgehen könnte.
({7})
Es hat sich daher bewährt, dass die Rechtsprechung Regelungen für die Führung von Arbeitskämpfen entwickelt hat, an denen sich die Praxis orientieren kann.
Meine Damen und Herren von der Linken,
({8})
Sie stehen der FDP in Sachen Populismus in nichts nach.
({9})
Offensichtlich ernst ist es Ihnen mit Ihrem Gesetzentwurf nicht. Ihr Geschäftsordnungsantrag in der ersten
Lesung hat Ihrer Forderung nicht unbedingt Glaubwürdigkeit verliehen. Wenn Sie es wirklich Ernst meinen
würden, dann hätten Sie sich die Mühe machen müssen,
Ihren Gesetzentwurf rechtlich, insbesondere verfassungsrechtlich überprüfen zu lassen.
({10})
Stattdessen haben Sie ein paar Schubladen aufgezogen
und einen unbrauchbaren alten Entwurf der PDS hervorgezogen. Es hakt hier an allen Ecken und Enden.
Sie wollen, dass die Bundesagentur für Arbeit im
Rahmen des § 146 SGB III - früher § 116 AFG - wieder
die Entscheidung über die Neutralität von Lohnersatzzahlungen treffen soll. Es handelt sich hier aber um eine
grundrechtsrelevante Entscheidung; Art. 9 und
Art. 14 Grundgesetz sind betroffen. Deshalb darf diese
Verwaltungsentscheidung nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht der Verwaltung überlassen werden. Es ist also Sache des Bundesgesetzgebers, das selbst zu regeln.
Praktisch ist auch nicht mehr zu erwarten, dass sich
Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Rahmen der Selbstverwaltung auf eine Neutralitätsanordnung einigen. Ihr
Vorschlag ist den Gewerkschaften deshalb keine Hilfestellung. Bevor Sie eine Zwischenfrage anmelden: Ja,
die damalige Neuregelung hat der SPD natürlich Bauchschmerzen bereitet. Das Bundesverfassungsgericht hat
die Bestimmung jedoch gerade noch als verfassungsgemäß deklariert.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes ist natürlich kein Freibrief. Wir werden sehr genau darauf achten, dass die Kräfteparität der Tarifvertragsparteien nicht
durch § 146 SGB III beeinträchtigt wird. Wenn die
Streikfähigkeit der Gewerkschaften durch § 146 SGB III
beeinträchtigt werden sollte, dann werden wir handeln.
Wir brauchen nämlich starke Gewerkschaften in diesem
Lande.
({11})
Auf das Instrument Streik wird in Deutschland nur
selten zurückgegriffen. Deutschland zeichnet sich im internationalen Vergleich durch einen hohen sozialen Frieden aus. In den Jahren 1993 bis 2003 fielen im Durchschnitt nur drei Streiktage pro 1 000 Arbeitnehmer an. In
Italien waren es dagegen 60 Tage, in Frankreich
100 Tage und in Dänemark - man erwartet das nicht sage und schreibe 178 Tage. Das sollten auch Sie, meine
Damen und Herren von der FDP, endlich zur Kenntnis
nehmen. Stattdessen legen Sie immer wieder dieselbe
kaputte Schallplatte auf und behelligen uns mit unnötigen Anträgen.
Ich bedanke mich ganz herzlich.
({12})
Das Wort hat der Kollege Hartfrid Wolff, FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Leben und die körperliche Unversehrtheit sind hohe Güter,
die seitens des Staates geschützt werden müssen. Der ehemalige Präsident des Bundesarbeitsgerichts, Thomas
Dieterich - in der SPD sicherlich kein Unbekannter -,
weist in seinen Kommentierungen des Streikrechts darauf
hin, dass jeder Streik dort seine Grenzen finden muss,
wo erhebliche Verfassungsgüter beeinträchtigt sind.
({0})
Dies ist unbestritten, sei es durch die Gelehrten Wolfgang Däubler und Manfred Löwisch, sei es durch die
Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts oder des
Bundesverfassungsgerichts. Wenn wie im letzten Winter
durch Streikmaßnahmen direkt und vor allem indirekt
Gefährdungen für die Bürgerinnen und Bürger eintreten,
dann ist das zulässige Maß überschritten. Das ist nicht
mehr hinnehmbar.
({1})
Als Verdi Anfang des Jahres Winterdienste bestreikte,
stieg die Anzahl der Verkehrsunfälle zum Beispiel in
Bayern und Baden-Württemberg nachweislich deutlich
an.
({2})
Rettungsdienste und Feuerwehren konnten aufgrund der
Straßenverhältnisse nicht zum Einsatzort kommen. Die
Polizei war massiv eingeschränkt.
In Stuttgart musste damals, weil chaotische Verhältnisse auftraten, die Polizei einen von Verdi bestreikten
Betriebshof befreien, damit der Winterdienst durchgeführt werden konnte.
({3})
- Hören Sie zu, Frau Kumpf! Das wäre nicht schlecht. Dass die Gewerkschaften hiergegen gerichtliche Schritte
eingeleitet haben, war dreist.
({4})
Es gilt, in solchen Fällen Rechtssicherheit und eindeutige Regelungen für die Polizei und die Bürgerinnen
und Bürger zu schaffen. Durch den Streik der Müllabfuhr ergaben sich Zustände, die in Zeiten der wieder steigenden Verbreitung von Tierseuchen inakzeptabel sind und das als Nebenfolge der zivilrechtlichen Auseinandersetzung zwischen den Tarifparteien.
Das ist den Menschen nicht mehr vermittelbar, Frau
Kramme. Sagen Sie bitte einem Unfallopfer ins Gesicht,
dass es nicht möglich sein soll, es auch in Streikzeiten
versorgen und schützen zu können!
Die Tarifautonomie ist ein verfassungsrechtliches
Gut aus Art. 9 des Grundgesetzes. Das möchte auch niemand infrage stellen. Die FDP steht zur Tarifautonomie.
({5})
Es kommt auf die jeweiligen Streikmittel im Einzelfall an, die verhältnismäßig sein müssen. Das Grundrecht auf Vereinigungsfreiheit und die Tarifautonomie
können - im konkreten Fall muss immer die Abwägung
mit wichtigen Rechtsgütern erfolgen - nicht schrankenlos gewährt werden.
Ich verstehe nicht ganz, warum die Kollegen insbesondere auf der linken Seite des Plenums Bedenken
haben. Aus meiner Sicht ist es erforderlich und auch verfassungspolitisch geboten, klare Regelungen zu schaffen. Durch die fehlenden gesetzlichen Regelungen ist die
Rechtsprechung gezwungen, die Grenzen der richterlichen Entscheidungslegitimation bis zum Äußersten zu
beanspruchen. Im Klartext: Wir brauchen auch an dieser
Stelle klare Regelungen.
({6})
Deshalb bitte ich Sie, der Beschlussempfehlung des
Ausschusses nicht zu folgen und somit dem Antrag der
FDP zuzustimmen.
Lassen Sie mich noch einige Worte zu dem Gesetzentwurf der Linken sagen. Die Linken gehen damit in
die völlig falsche Richtung. Der Gesetzentwurf ist ein
Schritt in die tiefe Vergangenheit.
({7})
Wie immer fordern die Linken Leistungen und schweigen über die Gegenfinanzierung. Durch diesen Vorschlag würden die Ausgaben für die Bundesagentur für
Arbeit steigen und Gelder zur Finanzierung von Streiks
eingesetzt werden. Damit würden durch die Beiträge aller die Streiks mitfinanziert und Beitragserhöhungen wären die Folge. Eine Steigerung der Lohnnebenkosten
passt nicht in die heutige konjunkturelle Entwicklung;
({8})
sie darf erst recht nicht zur Finanzierung von Arbeitskämpfen erfolgen. Dies ist ein Weg, den wir als Freie
Demokraten klar ablehnen. Für uns steht nämlich die
Schaffung von Arbeitsplätzen im Vordergrund. Wir
brauchen eine nachhaltige Entlastung von Steuern und
Abgaben. Das sage ich in diesem Hause, wo heute Morgen Entsprechendes beschlossen wurde. Gerade die
Lohnnebenkosten gängeln die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland.
Es gibt keinen vernünftigen Grund, dem Gesetzentwurf der Linken zuzustimmen. Gleichzeitig bitte ich Sie,
Hartfrid Wolff ({9})
auch die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu unserem Antrag abzulehnen.
({10})
- Ganz einfach: Eine doppelte Ablehnung soll Ihnen allen die Entscheidung erleichtern. Jedenfalls werden wir
von der FDP-Fraktion das tun.
({11})
Das Wort hat der Kollege Paul Lehrieder, CDU/CSUFraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Wenn zu einer bestehenden gesetzlichen Regelung die Kritik von links und von rechts gleichermaßen kommt, dann kann die bestehende gesetzliche Regelung so schlecht nicht sein.
({0})
Es ist immer wieder interessant zu sehen, wie sich unsere Opposition redlich am Streikrecht abarbeitet. Die
Anträge der FDP und der Linken haben heute einträchtig
die Endrunde, das Finale, erreicht. Das war es dann auch
schon mit den Gemeinsamkeiten.
Die Linkspartei - deren Mitglieder heute Nachmittag
von einem Redner zutreffend als Manager des Misserfolgs bezeichnet wurden - will das Rad der Gesetzgebung ohne Not um 20 Jahre zurückdrehen und sich bei
den Gewerkschaften anbiedern.
({1})
- Herr Lafontaine, Sie kommen nach mir dran. Sie können jetzt einmal den Mund halten.
({2})
Die Liberalen versuchen, uns vor den Auswüchsen des
Arbeitskampfs zu schützen. Das ist zwar gut gemeint,
aber überflüssig.
({3})
Unsere lieben Kollegen auf der linken Seite versuchen, Problemen von heute mit Mitteln von 1969 gerecht
zu werden. Sie stellen die Gewerkschaften als bemitleidenswerte Opfer des § 146 SGB III dar und ignorieren
völlig, dass es dabei nie darum ging, das Gleichgewicht
zwischen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften im
Arbeitskampf zu verändern. Die 1986 beschlossene
Neuregelung des früheren § 116 AFG sollte die neutrale
Rolle des Staates und der Bundesagentur für Arbeit im
Arbeitskampf sichern - nicht mehr und nicht weniger.
Ihr Hinweis auf das Bundesverfassungsgerichtsurteil
von 1995, das den Gesetzgeber auffordert, die Tarifautonomie bei ungleicher Kampfstärke der Tarifvertragsparteien zu schützen, läuft somit ins Leere. Die Tarifautonomie wäre gerade dann bedroht, wenn der Staat hier
nicht zur Neutralität verpflichtet wäre. Aus diesem
Grund erhalten auch nur die Leistungen, die am Arbeitskampf beteiligt sind, also die Streikenden. Das gilt auch
für diejenigen, welche die gleichen Forderungen erheben
und vom Ergebnis des Arbeitskampfs profitieren, aber
nicht selbst streiken. Wenn im mittelbar betroffenen Gebiet dieselben Ziele verfolgt werden, dann ruhen die Ansprüche nach der Neutralitätsordnung. Es kann nicht
sein, dass eine Gewerkschaft mit zwei Gruppen ein und
dasselbe Ziel verfolgt, mit einer Gruppe, die sie streiken
lässt, und mit einer anderen Gruppe, die sie sich von der
Bundesagentur bezahlen lässt. Wir wollen, dürfen und
können Stellvertreterstreiks nicht finanziell unterstützen.
({4})
Die Gewährung von Kurzarbeitergeld an so genannte
kalt Ausgesperrte verstößt grundsätzlich gegen die Neutralität der Bundesagentur, deren Mittel von Arbeitnehmern und Arbeitgebern gemeinsam aufgebracht werden.
Die Solidarität der mittelbar betroffenen Arbeitnehmer
mit den aktiv Streikenden würde gestärkt, der Arbeitskampf würde so einseitig beeinflusst. Würden wir den
Tarifpartnern ermöglichen, jedes Arbeitskampfrisiko auf
die Bundesagentur abzuwälzen, dann würden sie auch
bestimmen, wann wir die Beiträge erhöhen müssten.
Wenn die Linksfraktion behauptet, die Streikkassen
wären innerhalb weniger Tage leer, wenn sie an „kalt
ausgesperrte“ Mitglieder zahlen müssten, dann sollte sie
auch Folgendes bedenken: Die Arbeitslosenversicherung kann, wie jede Schadensversicherung, ein entsprechendes Arbeitskampfrisiko schon deshalb nicht tragen,
weil ihre Mittel ebenfalls bei einem Schwerpunktstreik
innerhalb weniger Monate erschöpft wären. Am Ende
stünden höhere Lohnnebenkosten, teurere Arbeit und
weniger Jobs. Unser Ziel, die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung von 6,5 Prozent auf 4,5 Prozent über die
Mehrwertsteuererhöhung zu senken, könnten wir so
dank tätiger Mithilfe unserer Opposition nie erreichen.
Zu den aktuellen Zahlen. Sie haben es heute Morgen
sicherlich vernommen: Wir haben derzeit 383 000 Arbeitslose weniger als im Vorjahreszeitraum.
({5})
- Ich finde, diese Zahl verdient durchaus Beifall, auch
von der Linkspartei. - Wir haben 49 000 Erwerbstätige
mehr als im Vorjahreszeitraum. Wir haben 4 000 sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse mehr. Das
ist der erste Monat mit einem saisonbereinigten Zuwachs
in dieser Höhe.
({6})
Es ist, wie an diesem Pult bereits mehrfach ausgeführt, eine Schwalbe, die noch keinen Sommer macht;
aber es ist eine zarte Pflanze am Arbeitsmarkt. Wir sind
angetreten mit dem Motto: Sozial ist, was Arbeit schafft.
Der beginnende Aufschwung am Arbeitsmarkt würde
durch die nunmehr auch von der Linkspartei geforderte
Gesetzesänderung konterkariert. Ich möchte sagen: Wir
können uns diesen beginnenden Aufschwung nicht
durch arbeitsmarktpolitische Brandstifter zerstören lassen.
({7})
Eine allgemeine Subvention von Arbeitskämpfen und
ihre Folgen würden die Gewerkschaften zu Quasistaatsapparaten machen. Das kann aber niemand wollen, der
es mit freien Gewerkschaften ernst meint. Ich sehe den
Kollegen Lafontaine; weiter hinten sitzt der Kollege
Ernst. Der Staat würde zum Mitbestimmer. Wer für die
Folgen eintreten müsste, würde auch über die Ursachen
mitreden wollen.
Die Neutralität der Bundesagentur ist wichtig für
die Tarifautonomie, damit die Beschäftigten sich nicht in
einer Lage wiederfinden, in der ihre Arbeitskämpfe fortdauernd von Gerichtsverfahren begleitet werden; sonst
wären sie in der Gefahr, dass Leistungen unter Vorbehalt
ausgezahlt werden mit dem Risiko der Rückzahlung.
Genau dieses Risiko wird durch § 146 SGB III eingedämmt.
Im Gesetzentwurf der Linkspartei heißt es:
§ 146 SGB III verhindert daher die Chancengleichheit der Tarifvertragspartner und behindert so die
Gewerkschaften, an einer sinnvollen Organisation
des Arbeitslebens mitzuwirken.
Dabei wird das bestehende Druckpotenzial der Gewerkschaften völlig unterschlagen. Ein Rückfall in die Regelung von 1969 trägt den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen der heutigen Zeit nicht
Rechnung. Sie geben auch keine Antwort auf die Frage,
wie unter den aktuellen Bedingungen der Arbeitskampf
am Leben erhalten werden kann, ohne dass er zum Vernichtungskampf wird.
Der Antrag der Linkspartei lässt die selbst ernannten
Verteidiger der Arbeiterklasse leider traurig aussehen.
Die Frage, ob Ihnen Arbeitnehmerinteressen und Tarifautonomie wirklich am Herzen liegen, beantworten Sie
mit Ihrem Gesetzentwurf und der heutigen Aktuellen
Stunde dagegen mit einem klaren und deutlichen Nein.
Nicht viel besser geht es aber auch unseren Freunden,
den Liberalen.
({8})
- Ja, jetzt komme ich zu euch. - Während die Linkspartei auf neue Freunde im Gewerkschaftslager schielt, will
die FDP genau die am liebsten an die Leine legen. Ihre
Sorge um das Gemeinwohl ist so ehrenhaft wie schwammig. Ihr Antrag stellt allerdings ebenfalls die Tarifautonomie infrage. Wer entscheidet denn, wann Streikmaßnahmen eine Gefahr für verfassungsrechtlich geschützte
Rechtsgüter darstellen? Wer sind denn die „zuständigen
Stellen“, die bei Arbeitskämpfen Maßnahmen zu ergreifen haben, um die Notfallversorgung der Bevölkerung
sicherzustellen? Hier wird doch nach mehr Staat gerufen. Ihr liberales Selbstverständnis, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, scheint nicht sehr tragfähig zu
sein.
({9})
Sie verkennen zudem, dass wir in den Landesstrafund Verordnungsgesetzen bereits Regelungen haben, die
die öffentliche Sicherheit und Ordnung auch im Falle
eines Streiks ausreichend aufrechterhalten. Auch frühere
Arbeitskämpfe haben sicherlich Unannehmlichkeiten für
die Bevölkerung mit sich gebracht. Sie konnten aber
letztendlich beigelegt werden, ohne dass ein über die gegenwärtigen Regelungen hinausgehendes Eingreifen des
Staates nötig oder die innere Sicherheit in Gefahr gewesen wäre. Vor permanenten Streiks, wie sie in anderen
Ländern häufig stattfinden, hat uns nicht zuletzt auch die
Tarifautonomie bewahrt.
({10})
- Ich habe noch zwei Minuten und 40 Sekunden; aber
ich werde eine Minute verschenken. - Eine Art Notstandsgesetzgebung für Arbeitskämpfe kann doch ernsthaft niemand wollen.
Auch der Streik im öffentlichen Dienst zu Beginn dieses Jahres hat gezeigt: Bevor ein Arbeitskampf die innere Sicherheit ernsthaft gefährden kann, gilt: Letztlich
entscheiden der immer vorhandene Wunsch nach einer
praktikablen Lösung und nicht zuletzt die Geduld der
Menschen über seine Länge.
Ich habe noch zwei Minuten und 18 Sekunden. Die
schenke ich dem Plenum, weil zu Beginn meiner Rede
die Uhr nicht richtig lief und ich etwas mehr Zeit bekommen habe, als mir zustand.
Danke schön.
({11})
Dann wären wir, jedenfalls theoretisch, bei einer
Schlusszeit von etwa 4.28 Uhr.
({0})
Ich gebe das Wort dem Kollegen Oskar Lafontaine,
Fraktion Die Linke.
({1})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Wenn es noch Zweifel daran gab, ob es richtig
war, diesen Punkt auf die Tagesordnung zu setzen, sind
sie ausgeräumt; denn die bisherige Debatte hat gezeigt,
dass es notwendig war.
({0})
Die Vorredner haben versäumt, auch nur mit einem
Wort zu erwähnen, worum es überhaupt geht. Es geht
weder um die Linkspartei noch um die FDP. Es geht
auch nicht um das Streikrecht der Gewerkschaften. Es
geht noch nicht einmal um die Gewerkschaften. Es geht
einzig und allein um die Frage, warum wir in Deutschland eine solch miserable Lohnentwicklung haben und
warum der Satz „Leistung soll sich wieder lohnen“ in
Deutschland keine Geltung mehr hat.
({1})
Über diese Frage reden wir heute.
Dass Ihnen entgangen ist, dass wir in Deutschland
eine Lohnentwicklung haben, die unter allen Industriestaaten beispiellos ist, zeigt wirklich exemplarisch, wie
abgehoben Sie mittlerweile sind.
({2})
Während in den anderen Industriestaaten Wachstum
und Beschäftigung einigermaßen in Ordnung sind, während beispielsweise in den letzten Jahren in den Vereinigten Staaten, der Hochburg des Kapitalismus, eine
Reallohnentwicklung von plus 20 Prozent zu verzeichnen war, während es in Großbritannien, das uns immer
wieder als Beispiel vorgehalten wird, eine Reallohnentwicklung von plus 25 Prozent gab - so ebenfalls in Schweden -, hatten wir in Deutschland ein Minus von
0,9 Prozent.
({3})
Da reden Sie hier von der grundgesetzlich garantierten
Tarifautonomie und von einer Waffengleichheit. Wenn
die Arbeitnehmer am wachsenden Wohlstand nicht mehr
beteiligt werden, dann ist Waffengleichheit in diesem
Land längst nicht mehr gegeben.
({4})
Es wäre schön gewesen, wenn die SPD das irgendwie
mitbekommen hätte.
Nun ist die Frage: Was kann man vonseiten der Politik machen? Natürlich haben wir nicht die direkte Zuständigkeit in Fragen der Tarifautonomie. Aber es ist
doch überhaupt keine Frage, dass die Gewerkschaften in
diesem Land mit dem Rücken an der Wand stehen und
auch durch Gesetze dieses Hohen Hauses erheblich geschwächt worden sind. Wenn man die Gewerkschaften
schwächen will, muss man eine neoliberale Wirtschaftsund Finanzpolitik machen, um die Arbeitslosigkeit kräftig zu steigern. Darin waren Sie, und zwar Sie alle, in
den letzten Jahren sehr erfolgreich, was für die Bevölkerung äußerst bedauerlich ist.
({5})
Wenn man die Gewerkschaften schwächen will, dann
muss man Gesetze wie Hartz IV verabschieden, die dazu
führen, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
in den Betrieben Angst haben, dann, wenn sie arbeitslos
werden, nach einem Jahr auf Hartz IV zurückzufallen.
Das schwächt die Widerstandskraft dieser Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Betrieben.
({6})
Deshalb darf man nicht stolz darauf sein, verehrte Frau
Kollegin, dass die Zahl der Streiktage hier so gering ist,
während sie in allen anderen Ländern, wo die Löhne
auch viel stärker wachsen, wesentlich höher ist.
Wenn man in diesem Land wirklich etwas bewirken
will, was Wachstum und Beschäftigung angeht, dann
muss man zumindest die Bedeutung der Lohnentwicklung für Wachstum und Beschäftigung und für unsere
Volkswirtschaft wieder entdecken. Es ist wirklich abenteuerlich, dass diejenigen, die hier bisher für die Fraktionen argumentiert haben, die Bedeutung der Lohnentwicklung für Wachstum und Beschäftigung völlig
ausgeblendet haben.
({7})
Damit sind wir einmalig unter allen Industriestaaten in
der Welt.
Die Sprecherin der SPD hat uns Populismus vorgeworfen; darauf möchte ich eingehen. Natürlich hatten
wir eine Absicht, als wir diesen Gesetzentwurf vorgelegt
haben,
({8})
die Absicht nämlich, Ihnen, verehrte Kolleginnen und
Kollegen der SPD, wieder in Erinnerung zu rufen, dass
die Forderung nach einer Änderung dieses Paragrafen
Zentrum vieler Wahlkämpfe der Sozialdemokratischen
Partei Deutschlands war.
({9})
Sie sollten sich schämen, dass Sie dies vergessen haben.
({10})
Als wir 1998 eine Zustimmung von über 40 Prozent
der Wählerinnen und Wähler erreicht haben, war es noch
so, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie
ihre Vertreterinnen und Vertreter Vertrauen in die Sozialdemokratische Partei Deutschlands hatten. Die Argumentation heute hat gezeigt, dass Sie dieses Vertrauen
auf klägliche Art und Weise verspielt haben.
({11})
Ich darf Sie daran erinnern, dass Sie heute wiederum
einen Kompromiss mit Ihrem Koalitionspartner geschlossen haben, mit dem Sie noch viel Freude haben
werden. Ich bewundere das strategische politische Genie, das bei der SPD mittlerweile eingezogen ist. Sie
haben heute die Verbandsklage aus dem Antidiskriminierungsgesetz wieder mehr oder weniger herausgenommen. Das war wiederum ein Kompromiss zulasten
der Gewerkschaften. Das ist wirklich eine enorme Fehlentwicklung, wie ich hier einmal feststellen möchte.
({12})
Wir fassen zusammen, meine sehr geehrten Damen
und Herren:
({13})
Sie werden es irgendwann noch feststellen, dass Ihr Feixen und Grinsen angesichts der Tatsache, dass in diesem
Lande die Lohnentwicklung immer weiter zurückfällt
und die Arbeitnehmerschaft immer weniger am wachsenden Wohlstand beteiligt wird, völlig deplatziert sind.
Dieses Parlament wäre aufgrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts verpflichtet, die Gewerkschaften in
diesem Lande wieder zu stärken.
({14})
Das Wort hat Brigitte Pothmer für Bündnis 90/Die
Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Wolff, Herr Lafontaine, die von Ihnen vorgelegten Anträge und vor allen Dingen das, was Sie heute hier in Ihren Reden präsentiert haben, kann man, wie ich glaube,
sozusagen als Koalition der Billigen bezeichnen: billig
in der Form und billig im Inhalt.
({0})
Die einen halten die Gewerkschaften für stark und wollen sie weiter stärken, die anderen halten die Gewerkschaften für schwach und wollen sie weiter schwächen.
Eine solche Politik, wie sie in Ihren Anträgen zum Ausdruck kommt, trägt allerdings keineswegs zur Steigerung der Seriosität von Politik bei.
Herr Lafontaine, Sie beschreiben die Lohnentwicklung in Deutschland. Ich möchte Sie daran erinnern,
dass die Neuregelung des Streikparagrafen 20 Jahre zurückliegt. In dieser Zeit verlief die Lohnentwicklung in
Deutschland zunächst nicht so, wie Sie sie beschrieben
haben. Indem Sie den Eindruck erwecken, dass die Änderung dieses Paragrafen zu der ungünstigen Lohnentwicklung geführt habe, zeigen Sie nur, welch schlichte
und einfache Weltsicht Sie haben, meine Damen und
Herren von den Linken.
({1})
Sie können hier ruhig behaupten, bei Ihrem Gesetzentwurf gehe es nicht um die Linkspartei. Ich sage nur:
In diesem Entwurf geht es nur um die Linkspartei.
({2})
Ich möchte noch etwas anderes in Erinnerung rufen,
nachdem Sie hier im Grunde schon den Niedergang der
Gewerkschaften beschworen haben. Ihren Gesetzentwurf, in dem Sie behaupten, es gebe eine entscheidende
Schwächung der Gewerkschaften, haben Sie eingebracht, während die Metalltarifrunde lief. Herausgekommen ist dabei jedoch ein Plus von 3 Prozent,
({3})
herausgekommen ist ein Qualifizierungsvertrag, herausgekommen sind eine Menge positiver Entwicklungen.
({4})
Eine Gewerkschaft, die gar nichts mehr im Rücken hat,
hätte so etwas sicher nicht durchgesetzt.
({5})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich nun etwas
zum FDP-Antrag sagen. Dieser ist doch irgendwie absurd. Hier wird so getan, als ob Streiks im öffentlichen
Dienst Seuchen, Notstandsszenarien und anderes - was
auch immer Sie sich ausdenken - hervorriefen.
({6})
Also Hysterie auf der linken, Marktradikalismus auf der
rechten Seite. Ich glaube, vor diesem Hintergrund ist es
gut, dass wir Grünen jedenfalls beiden Anträgen nicht
zustimmen.
({7})
Sie, Herr Lafontaine, unterstellen eine strukturelle
Benachteiligung der Gewerkschaften. Ich finde, darüber
muss man tatsächlich einmal reden.
({8})
- Ja, das finde ich. - Wenn Sie aber hier den Eindruck
erwecken, dies sei mit einer Änderung des § 146 zu beheben, dann kann ich nicht umhin, Ihnen Populismus
vorzuwerfen. Wenn wir den § 146 wieder ändern, dann
stärken wir ein Stück weit die Bereiche, in denen die Gewerkschaften schon stark sind, also da, wo sie in Branchen tätig sind, die hochgradig vernetzt sind. Aber für
die Bereiche, wo die Gewerkschaften schwach sind, zum
Beispiel bei den in der Gastronomie tätigen Frauen, die
kaum organisiert sind, tun Sie gar nichts. Genau das
werfe ich Ihnen vor.
({9})
Sie tragen den Interessenkonflikt in eine Behörde, in
die Bundesagentur für Arbeit. Dort treffen dann das Arbeitgeber- und das Arbeitnehmerlager aufeinander. Auf
eine solche Weise lässt sich meiner Meinung nach keine
vernünftige Politik machen.
({10})
Ich komme zum Schluss.
({11})
Wir haben 4 Millionen Arbeitslose, wir haben 2 Millionen Langzeitarbeitslose. Die Koalition streitet sich,
macht nichts in der Arbeitsmarktpolitik. Mindestlohn,
Kombilohn - die einen wollen dies, die anderen das.
({12})
Es lohnt sich, sich damit auseinander zu setzen. Das ist
unsere Aufgabe. Diese Art von populistischen Anträgen
bringt uns nicht weiter.
Ich danke Ihnen.
({13})
Ich habe schon befürchtet, dass gleich La-Ola-Wellen
angestimmt werden. Bevor das geschieht, kommen wir
aber zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Frak-
tion Die Linke zur Änderung des Dritten Buches Sozial-
gesetzbuch auf Drucksache 16/856. Der Ausschuss für
Arbeit und Soziales empfiehlt unter Buchstabe a seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/1208, den Ge-
setzentwurf abzulehnen. Die Fraktion Die Linke ver-
langt namentliche Abstimmung. Ich weise darauf hin,
dass wir jetzt über den Gesetzentwurf abstimmen.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen be-
setzt? - Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstim-
mung.
Haben jetzt alle abgestimmt? - Ich gehe davon aus,
dass kein anwesender Kollege noch nicht abgestimmt
hat, und schließe die Abstimmung. Ich bitte die Schrift-
führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu
beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird später be-
kannt gegeben.
Wir setzen die Abstimmungen fort.
Tagesordnungspunkt 9 b: Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Arbeit und Soziales, Drucksache 16/1208,
zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „In-
nere Sicherheit durch Regelungen zum Arbeitskampf-
recht gewährleisten“. Der Ausschuss empfiehlt unter
Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung, den Antrag
auf Drucksache 16/953 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Ent-
haltungen? - Ich bin mir nicht ganz sicher, wie die Frak-
tion des Bündnisses 90/Die Grünen abgestimmt hat. -
Ablehnend. Damit ist die Beschlussempfehlung mit den
Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der gesamten
Opposition angenommen.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 10 a und 10 b
auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Laurenz Meyer ({0}), Veronika Bellmann, Klaus Brähmig, weiteren Abgeordneten
und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Rainer Wend, Doris Barnett, Klaus
Barthel, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
der SPD eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zum Abbau bürokratischer Hemmnisse insbesondere in der mittelständischen
Wirtschaft
- Drucksache 16/1407 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zum Abbau bürokratischer Hemmnisse insbesondere in der mittelständischen
Wirtschaft
- Drucksachen 16/1853, 16/1970 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie
({1})
- Drucksache 16/2017 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Rainer Wend
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({2}) zu dem Antrag der Abgeordneten Martin Zeil, Rainer Brüderle, Paul K.
Friedhoff, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP
Statistikpflichten zurückführen - Bürokratiekosten senken
- Drucksachen 16/1167, 16/2017 Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Rainer Wend
Zur dritten Beratung des Gesetzentwurfes liegen je
ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP sowie
der Fraktion Die Linke vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Dazu sehe
ich keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Zuerst hat der Kollege
Laurenz Meyer, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
({3})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir sind
uns untereinander alle darüber im Klaren, dass der
Hauptteil der Bürokratiekosten in der Wirtschaft vom
Mittelstand zu tragen ist. Das liegt schon an der Struktur
der mittelständischen Unternehmen. Von den Bürokratieanforderungen sind dann ausgerechnet immer diejenigen betroffen, die eigentlich den Betrieb tragen sollen.
({0})
Das ist eine zusätzliche Erschwernis, auf die wir ein besonderes Augenmerk haben sollten, wenn wir auch in
den kommenden Monaten weiter über Bürokratieabbau
reden.
Bürokratie belastet Investitionen, Arbeitsplätze, Wirtschaftswachstum. Durch Bürokratieabbau können alle
nur gewinnen. Wenn durch Bürokratieabbau auch
Laurenz Meyer ({1})
20 Milliarden Euro Kosten abgebaut werden können,
dann bedeutet das zusätzliche Steuereinnahmen für den
Staat. Wir sollten uns freuen, wenn wir hier Erfolge erzielen können.
Wir haben vor vier Wochen hier den Normenkontrollrat und das Standardkostenmodell beschlossen. Der
Normenkontrollrat wird zeitnah eingesetzt und zügig mit
der Arbeit beginnen. Die Vorbereitungen sind in vollem
Gange. Nun wollen wir erste konkrete Maßnahmen beschließen, die Ihnen heute mit dem Gesetzentwurf vorliegen. Sie sollen rechtzeitig zum Sommer in Kraft treten.
Zu diesen Maßnahmen gehört zum Beispiel eine maßvolle Anhebung des Beschäftigungsschwellenwertes bei
der Bestellung von Datenschutzbeauftragten. Schon dieser Punkt zeigt, mit welchen Problemen und Diskussionen wir uns zu beschäftigen haben; denn selbst für
Kleinbetriebe werden hier beispielsweise europarechtliche Fragen aufgeworfen. Wir müssen dieses Problem an
der Wurzel anpacken und auch einen begrenzten Konflikt mit Brüssel wagen; wir müssen als Parlament deutlich machen, dass wir nicht gewillt sind, von Brüssel regeln zu lassen, welche Statistiken Betriebe mit zehn oder
20 Beschäftigten in Deutschland abzugeben haben
({2})
oder ob wir bestimmte Bewegungen per Umfragen ermitteln.
Ich nenne einmal, was wir jetzt beschlossen haben:
Aussetzung der Gehalts- und Lohnstrukturerhebung in
2007, die Anhebung der Buchführungspflichtgrenze und
Ausweitung der Kleinbetragsrechnung im Umsatzsteuerrecht.
Ich will auf die gute Zusammenarbeit mit dem Arbeits- und Sozialministerium verweisen und einen Punkt
besonders hervorheben. Wenn wir schon die vorgezogenen Zahlungen für die Sozialversicherungsbeiträge aus
finanziellen Gründen nicht haben rückgängig machen
können, so sollten wir wenigstens das Verfahren so unbürokratisch wie eben möglich machen, indem die Beiträge pauschal auf der Basis der Zahlungen des Vormonats gezahlt werden.
Die Bertelsmann-Stiftung hat die Auswirkungen dieses Bürokratieproblems einmal exemplarisch durchgerechnet. Die Ergebnisse liegen uns vor. Bitte hören Sie
einmal genau zu: Die Bürokratie, die mit diesem Vorgang verbunden ist, kostet die deutsche Wirtschaft
800 Millionen Euro zusätzlich. Gott sei Dank kann diese
Bürokratie beseitigt werden. Herr Berninger, da Sie
gleich wahrscheinlich behaupten, es gehe alles nicht
weit genug, will ich Ihnen sagen, dass man daran sehen
kann, welchen Quatsch Sie damals beschlossen haben.
({3})
Deswegen sollten Sie sich in der kommenden Diskussion nicht zu weit vorwagen, sondern konstruktiv an
dem mitarbeiten, was wir uns gemeinsam vorgenommen
haben. Ich fordere alle auf, bei der Erstellung von Vorschlägen mitzuarbeiten. Wir werden alle Vorschläge darauf abklopfen, ob sie umsetzbar sind.
Wir wollen zum Herbst das Mittelstandsentlastungsgesetz in einer zweiten Stufe weiterentwickeln.
Meine dringende Bitte an die Ministerien ist, dass hier
konstruktiv mitgearbeitet wird. Die bisherigen Stellungnahmen sind einfach nicht ausreichend.
({4})
Es darf nicht bei dem Satz bleiben, es gebe europarechtliche Bedenken. Denn die Kollegen im Europaparlament
sagen uns, dass dies nicht der Fall ist. Wir müssen die offenen Fragen rechtzeitig klären. Die Punkte liegen auf
dem Tisch. Ich bitte alle Beteiligten, die strittigen Fragen
jetzt zu klären.
Wir müssen alle gemeinsam in Europa vorstellig werden, um die Dinge zu ändern. Wenn wir es jetzt nicht
schaffen, dann müssen wir eben, wie Frau Merkel dies
angekündigt hat, den Bürokratieabbau zum Schwerpunktthema ihrer Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr
2007 machen.
Wir haben aus diesen Gründen jetzt zum Beispiel
nicht beschließen können - wir wollen das aber in einem
zweiten Schritt unbedingt tun und werden uns da zur Not
auf diesen begrenzten Konflikt einlassen, wie ich es vorhin schon gesagt habe -, dass Existenzgründer in den
ersten drei Jahren von der Pflicht zur Erstellung von Statistiken freigestellt werden.
({5})
Es kann nicht sein, dass einem solchen Vorhaben europäische Vorschriften entgegenstehen. Wir sollten einem
solchen Konflikt im Interesse der deutschen Bevölkerung nicht aus dem Weg gehen und gemeinsam nach Lösungen suchen.
Im Übrigen gilt: In jedem anderen Bereich der Republik erfolgt die Datenermittlung über Stichprobenerhebungen, Meinungsbefragungen usw. Warum kann man
nicht bei Unternehmen bis zu 50 Beschäftigten alle benötigten Statistiken weitestgehend auf diese Weise erstellen? Damit müssen sich kleinere Betriebe nicht quälen.
Auf der anderen Seite gilt: Wenn die Betriebe die Erstellung dieser Statistiken nicht ernst nehmen - was ich
höre, deutet eher darauf hin -, dann führt dies zu einem
unbrauchbaren Datenbestand. Viele Betriebe wollen
dazu übergehen, an Stelle des Chefs, der dafür seine
kostbare Zeit nicht opfern will, irgendeinen Mitarbeiter,
der irgendetwas aufschreibt, mit dieser Aufgabe zu betrauen. Wenn das so ist, dann ist die Statistik nicht aussagekräftig und wird auch nicht gebraucht.
({6})
Deswegen sollten wir hier wirklich mit dem Rasenmäher
herangehen und den Normenkontrollrat bei seiner Arbeit
tatkräftig unterstützen.
Laurenz Meyer ({7})
Mit Blick auf das zweite Mittelstandsentlastungsgesetz möchte ich schon jetzt sagen: Wir sollten unmittelbar an der Arbeit bleiben. Es sollte auch kein Schlusspunkt sein, sondern nur einen weiteren Schritt darstellen.
Der Bürokratieabbau, diese Maßnahmen für den Mittelstand in Deutschland sind eine Aufgabe für die ganze
Legislaturperiode. Wir müssen Schritt um Schritt versuchen, das Geflecht der Bürokratie auseinander zu reißen.
Ich will darüber hinaus auf einen Punkt aus der Koalitionsvereinbarung hinweisen. In der Koalitionsvereinbarung zwischen SPD und CDU/CSU steht auch, dass wir
den neuen Ländern Möglichkeiten der Abweichung
von gesetzlichen Bestimmungen des Bundes gewähren
wollen. Auch das kann zusätzlich ein guter Weg sein, um
dieses Geflecht zu durchkreuzen.
Wir haben jetzt erlebt, dass sich Betroffene und Beamte, die mit diesen Themen beschäftigt sind, selbst bei
den ersten Maßnahmen, die wir getroffen haben, zur
Wehr setzen. Das wird ein schwieriger Kampf. Wir hören auch, dass selbst bei Maßnahmen, die wir für die
Bauindustrie bzw. das Baugewerbe treffen wollen, als
Erstes der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes
seine Bedenken vorträgt. Wir wissen, dass Architekten
und Ingenieure, wenn in der Bauordnung Vereinfachungen vorgenommen werden sollen, entsprechend Einspruch einlegen.
Gegen die Mentalität in Deutschland, dass man für alles einen Stempel haben will, ehe man anfängt, zu arbeiten, müssen wir gemeinsam in diesem Parlament antreten. Ich wünsche uns bei dieser Arbeit viel Erfolg. Das
erste Mittelstandsentlastungsgesetz ist ein Beginn, aber
kein Ende dieser Arbeit.
({8})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich gebe das von
den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte
Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke zur Änderung des
Dritten Buches Sozialgesetzbuch bekannt: Abgegebene
Stimmen 551. Mit Ja haben gestimmt 52 Abgeordnete,
mit Nein haben gestimmt 498 Abgeordnete. Es gab eine
Enthaltung.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebenen Stimmen: 551;
davon
ja: 52
nein: 498
enthalten: 1
Ja
DIE LINKE
Karin Binder
Dr. Lothar Bisky
Heidrun Bluhm
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Werner Dreibus
Klaus Ernst
Diana Golze
Heike Hänsel
Lutz Heilmann
Cornelia Hirsch
Inge Höger-Neuling
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Dr. Hakki Keskin
Katja Kipping
Monika Knoche
Jan Korte
Oskar Lafontaine
Michael Leutert
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Ulrich Maurer
Dorothee Menzner
Kornelia Möller
Kersten Naumann
Wolfgang Nešković
Dr. Norman Paech
Bodo Ramelow
Elke Reinke
Paul Schäfer ({0})
({1})
Dr. Herbert Schui
Dr. Petra Sitte
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Jörn Wunderlich
fraktionslos
Gert Winkelmeier
Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Albach
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({2})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Clemens Binninger
Carl-Eduard von Bismarck
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({3})
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Gitta Connemann
Hubert Deittert
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Anke Eymer ({4})
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Hartwig Fischer ({5})
Dirk Fischer ({6})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Dr. Hans-Peter Friedrich
({7})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Peter Gauweiler
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Ralf Göbel
Dr. Reinhard Göhner
Josef Göppel
Peter Götz
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Karl-Theodor Freiherr zu
Guttenberg
Holger Haibach
Ursula Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Peter Hintze
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung ({8})
Dr. Franz Josef Jung
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({9})
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Jürgen Klimke
Jens Koeppen
Kristina Köhler ({10})
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Martina Krogmann
Johann-Henrich
Krummacher
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers
({11})
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Ingbert Liebing
Dr. Klaus W. Lippold
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Stephan Mayer ({12})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Laurenz Meyer ({13})
Maria Michalk
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Carsten Müller
({14})
Stefan Müller ({15})
Bernward Müller ({16})
Dr. Gerd Müller
Hildegard Müller
Bernd Neumann ({17})
Henry Nitzsche
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Dr. Peter Paziorek
Ulrich Petzold
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Daniela Raab
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Eckhardt Rehberg
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht ({18})
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({19})
Hermann-Josef Scharf
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Georg Schirmbeck
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({20})
Andreas Schmidt ({21})
Ingo Schmitt ({22})
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Kurt Segner
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Max Straubinger
Thomas Strobl ({23})
Michael Stübgen
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Marcus Weinberg
Peter Weiß ({24})
Gerald Weiß ({25})
Karl-Georg Wellmann
Anette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Willi Zylajew
SPD
Dr. Lale Akgün
Gregor Amann
Gerd Andres
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr ({26})
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({27})
Volker Blumentritt
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Bernhard Brinkmann
({28})
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Martin Dörmann
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Renate Gradistanac
Angelika Graf ({29})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann
({30})
Nina Hauer
Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({31})
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({32})
Frank Hofmann ({33})
Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Brunhilde Irber
Johannes Jung ({34})
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Dr. h.c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Ernst Kranz
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christian Lange ({35})
Dr. Karl Lauterbach
Waltraud Lehn
Gabriele Lösekrug-Möller
Lothar Mark
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Petra Merkel ({36})
Ulrike Merten
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller ({37})
Michael Müller ({38})
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Christoph Pries
Dr. Wilhelm Priesmeier
Dr. Sascha Raabe
Steffen Reiche ({39})
Maik Reichel
Gerold Reichenbach
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({40})
Michael Roth ({41})
Marlene Rupprecht
({42})
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({43})
Bernd Scheelen
Marianne Schieder
Otto Schily
Silvia Schmidt ({44})
Dr. Frank Schmidt
Heinz Schmitt ({45})
Carsten Schneider ({46})
Reinhard Schultz
({47})
Swen Schulz ({48})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Andreas Steppuhn
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Joachim Stünker
Dr. Rainer Tabillion
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. h.c. Wolfgang Thierse
Jörn Thießen
Franz Thönnes
Hans-Jürgen Uhl
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Petra Weis
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen
({49})
Dr. Rainer Wend
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Waltraud Wolff
({50})
Heidi Wright
Uta Zapf
Manfred Zöllmer
FDP
Jens Ackermann
Dr. Karl Addicks
Christian Ahrendt
Daniel Bahr ({51})
Uwe Barth
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich ({52})
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Miriam Gruß
Joachim Günther ({53})
Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Dr. Heinrich L. Kolb
Hellmut Königshaus
Gudrun Kopp
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Hans-Joachim Otto
({54})
Gisela Piltz
Jörg Rohde
Dr. Konrad Schily
Dr. Max Stadler
Florian Toncar
Christoph Waitz
Dr. Claudia Winterstein
Hartfrid Wolff ({55})
BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Kerstin Andreae
Volker Beck ({56})
Cornelia Behm
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Alexander Bonde
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Kai Gehring
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Peter Hettlich
Priska Hinz ({57})
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ute Koczy
Sylvia Kotting-Uhl
Undine Kurth ({58})
Markus Kurth
Monika Lazar
Anna Lührmann
Winfried Nachtwei
Claudia Roth ({59})
Krista Sager
Elisabeth Scharfenberg
Irmingard Schewe-Gerigk
Rainder Steenblock
Silke Stokar von Neuforn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Jürgen Trittin
Wolfgang Wieland
Enthalten
SPD
Ottmar Schreiner
Zugleich möchte ich mich für das Protokoll korrigieren. Ich habe beim Tagesordnungspunkt 9 b fälschlicherweise gesagt, die Fraktion Die Linke habe gegen die
Beschlussempfehlung betreffend Drucksache 16/953 gestimmt. Sie hat ihr aber zugestimmt.
Ich gebe jetzt das Wort dem Kollegen Martin Zeil,
FDP-Fraktion.
({60})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Der Mittelstand in Deutschland stellt weit
über 90 Prozent aller Unternehmen. Er tätigt 41 Prozent
aller steuerpflichtigen Umsätze, bietet 70 Prozent aller
Arbeitsplätze und bildet über 80 Prozent aller Lehrlinge
aus. Die meisten Mittelständler handeln verlässlich mit
hohem persönlichem Risiko.
({0})
- Ich weiß, dass das für einen Sozialdemokraten etwas
Neues sein kann. - Sie sind heimatverbunden, auch
wenn sie längst global agieren - und das mit großem Erfolg.
({1})
Sie unterscheiden sich dadurch von vielen Großunternehmen, die ständig Arbeitsplätze abbauen, Standorte verlagern und sich gravierende Managementfehler leisten.
Kein Wunder also, dass der Mittelstand in den Sonntagsreden fast aller Politiker einen großen Raum einnimmt. In einigen Fraktionen gibt es sogar Mittelstandsvereinigungen und mittelstandspolitische Sprecher. So
müsste sich der deutsche Mittelstand eigentlich gut aufgehoben, gehegt und gepflegt fühlen.
Doch die Befindlichkeit bei vielen Mittelständlern ist
eine ganz andere. Bei meinen Betriebsbesuchen und Gesprächen treffe ich auf Unternehmer, die sich durch Ideenreichtum, hohe Professionalität und soziale Verantwortung für ihre Mitarbeiter auszeichnen. Großes
Vertrauen in die Politik und die Lippenbekenntnisse haben diese Leute aber nicht. Die meisten sagen: Wir wünschen uns, dass sich der Staat auf seine eigentlichen Aufgaben beschränkt und sich nicht immer neue Regelungen
und Belastungen ausdenkt. Sie wünschen sich zum Beispiel eine Reform des Arbeitsrechts, das Hürden für Einstellungen endlich abbaut, statt neue aufzubauen.
Viele gut ausgebildete junge Menschen, die wir im
Mittelstand als Nachwuchs dringend benötigen, verlassen jährlich unser Land, im letzten Jahr fast eine viertel
Million. Sie tun dies, weil ihnen unser Land in seiner politischen Behäbigkeit und seiner Regelungswut offensichtlich keine attraktive Perspektive bietet. Diese Entwicklung ist ein Besorgnis erregender Beleg für die
mangelnde Zukunftsfähigkeit unseres Landes.
Vor diesem Hintergrund, meine Damen und Herren
von der Koalition, bleibt das so genannte Mittelstandsentlastungsgesetz weit hinter den Notwendigkeiten zurück.
({2})
Mit den paar Regelungen - die ja nicht falsch sind - geben Sie dem Mittelstand eine Beruhigungspille, um davon abzulenken, dass Sie gleichzeitig neue Belastungen
und neue Bürokratie einführen, gerade heute mit der
Verabschiedung des Gleichbehandlungsgesetzes.
({3})
Typisch ist auch die Regelung bei der Abführung der
Sozialversicherungsbeiträge. Statt, Herr Kollege
Meyer, den frechen Griff in die Liquidität der Unternehmen rückgängig zu machen, lassen Sie diese gravierende
Belastung stehen und machen ein bisschen Abrechnungsvereinfachung.
({4})
Nein, die große Entfesselungsoffensive ist das nicht.
Wenn auch aus Kreisen der Koalition selbst die mangelnde Mitwirkung des Ministeriums gerügt wird, dann
ist das ein Armutszeugnis für dieses Ministerium. Aus
dem Tiger in der Presse, dem großen Entfesselungsgesetz, ist ein kleines Mäuslein geworden. Ich zitiere:
Die Union verliere ihre Glaubwürdigkeit, „wenn sie
öffentlich Freiheit predigt und in der großen Koalition Staatswirtschaft praktiziert.“
Das sagt immerhin Herr Schlarmann, der Vorsitzende Ihrer Mittelstandsvereinigung.
({5})
Wir haben mit unserem Änderungs- und Entschließungsantrag gezeigt - wie übrigens auch der Bundesrat
in seinen Anmerkungen -, was aus der Sicht des Mittelstandes nötig und auch sofort umsetzbar wäre. Aber
dazu braucht es natürlich Einsicht, Kraft und auch
Kenntnis der betrieblichen Praxis. Nach einigen Monaten im Deutschen Bundestag kann ich es gut nachvollziehen, wenn viele Unternehmer den Eindruck haben,
dass viele Politiker von den echten Problemen leider viel
zu wenig Ahnung haben.
Sie können von uns keine Zustimmung zu Ihrem Mittelstandsentlastungsgesetz erwarten. Sie werden auch
kein Vertrauen gewinnen, wenn Sie gleichzeitig neue
Belastungen durchsetzen oder ankündigen: Mehrwertsteuer, Reichensteuer, mehr Staat in der Gesundheitspolitik und jetzt eine Unternehmensteuerreform, die von
der Gewinn- zur Substanzbesteuerung übergeht.
Ihre Politik ist halbherzig und widersprüchlich. Da
beklagen Sie heute in der Aktuellen Stunde die Ausbildungssituation in unserem Land und haben nicht die
Kraft, ebendie Unternehmen, die ausbilden sollen, von
bürokratischen Lasten wirklich zu befreien.
Es gibt - lassen Sie mich das zum Abschluss sagen in diesem Hause leider viel zu viele staatsgläubige Fraktionen,
({6})
für die Bürokratieabbau ein hoheitlicher Gnadenakt und
kein Herzensanliegen ist.
({7})
Wir Liberale sehen in einer echten Entlastung des
Mittelstands von Bürokratie und Belastungen ein Freiheits- und Zukunftsthema schlechthin. Wir werden nicht
locker lassen und werden darauf drängen, dass den Unternehmen Verbesserungen nicht nur in Presseerklärungen der Union, sondern auch im Bundesgesetzblatt endlich spürbar geboten werden.
({8})
Das Wort hat der Kollege Christian Lange, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Lieber Kollege Zeil, ich muss fast sagen, ich bin
Ihnen dankbar ob Ihres Beitrages, weil er mir Gelegenheit gibt, deutlich zu machen, dass es einen Unterschied
gibt zwischen dem Bürokratieabbau auf der einen Seite
und dem Abbau materiellen Rechts auf der anderen
Seite. Ich will Ihnen ganz deutlich sagen: Genau dies ist
auch der Grund, warum es Ihnen während Ihrer Regierungszeit - selbst ich als jüngerer Kollege habe 16 Jahre
Ihrer Zeit unter Helmut Kohl erlebt und auch noch ein
paar Jahre sozialliberale Zeit - nicht gelungen ist, Bürokratie abzubauen.
Erstmals - das ist die Chance, die diese große Koalition ergriffen hat - ist es gelungen, die gegenseitige
ideologische Blockade aufzuheben, indem man deutlich
macht: Bürokratieabbau hat etwas damit zu tun, die
Christian Lange ({0})
bürokratischen Informationslasten der Unternehmen zu
reduzieren. Das ist es, worunter kleine Unternehmen in
der Tat leiden: Sie müssen Hunderte von Formularen
ausfüllen und können die Dinge nicht mehr verstehen
und nachvollziehen, weil sie - anders als die Großunternehmen - keine Abteilung dafür haben. Genau das zu
ändern, ist Aufgabe von Bürokratieabbau, und nicht der
Abbau von Arbeitsrecht, Kündigungsschutz und dergleichen.
({1})
Deshalb haben wir übrigens in Richtung Niederlande
- das will ich deutlich sagen - geschaut. In den Niederlanden - das sage ich auch gerichtet an die Kolleginnen
und Kollegen von der PDS - ist es gelungen, dieses Gesetz im Parlament einstimmig durchzusetzen. Warum?
Weil man nicht in die ideologische Sackgasse gegangen
ist, dass man eigentlich materielles Recht anspricht, es
aber mit Bürokratieabbau bemäntelt. Dieses Misstrauen
schlägt dieser Diskussion entgegen. Ich bedauere ausdrücklich, dass Sie diese Vorurteile immer wieder beliefern. Ich dachte eigentlich, dass wir auf einem besseren
Weg wären. Ich bin dankbar, dass die Koalitionsfraktionen diesen besseren Weg ungeachtet der Kritik, die meines Erachtens vorbeigeht, gehen.
Herr Kollege Meyer, Ihren Bemerkungen zur Janusköpfigkeit der Verbände stimme ich ausdrücklich zu.
Wir erleben in der Tat immer wieder, insbesondere auf
europäischer Ebene, dass auf der einen Seite Entbürokratisierung gepredigt und auf der anderen Seite ein
Mehr an Bürokratie verlangt wird. Wir erleben das in
vielfältigen Zusammenhängen bei den Verbänden in
unserem Land, aber auch hinsichtlich der Anforderungen der Europäischen Union an uns. Deshalb ist es richtig, dass wir in einem ersten Schritt - das ich sage ausdrücklich - Statistik-, Nachweis-, Dokumentations- und
Buchführungspflichten reduzieren, Planungs- und Genehmigungsverfahren vereinfachen und beschleunigen,
Doppel- und Mehrfachprüfungen abbauen, Schwellenwerte vereinheitlichen, die Verpflichtung von Betrieben
zur Bestellung von Beauftragten begrenzen sowie die
begonnene Vereinfachung der betriebsärztlichen und sicherheitstechnischen Betreuung von Kleinbetrieben fortführen.
Wie erfolgreich Bürokratieabbau sein kann, zeigt in
der Tat das jüngste Beispiel des Arbeits- und Sozialministers Müntefering. Erstmals wurde, ohne dass das Gesetz zu diesem Zeitpunkt schon in Kraft war, das so genannte Standardkostenmodell eingesetzt, mit dem
ermittelt wird, in welcher Höhe Kosten für den Mittelstand entstehen, wenn eine gesetzliche Neuregelung zur
Anwendung kommt. Ich will diesen Fall ein bisschen
ausführen, weil er deutlich macht, wie absurd die Kritik
der FDP ist. In diesem speziellen Fall geht es um die
Vorverlegung der Fälligkeit von Sozialversicherungsbeiträgen, die seit Anfang dieses Jahres in Kraft ist.
Viele Kolleginnen und Kollegen können aufgrund der
Erfahrungen in ihren Wahlkreisen die Kritik der Handwerker, der kleinen und mittleren Unternehmer sicher
gut nachvollziehen und haben sie noch voll im Ohr.
Diese Regelung war von Anfang an heiß umstritten und
wurde heftig kritisiert. Aber sie schien im Grunde unausweichlich, um einen drohenden Beitragssatzanstieg in
der Rentenversicherung zu vermeiden. Deshalb haben
die heutigen Koalitionsfraktionen - die CDU/CSU war
damals noch in der Opposition - zugestimmt.
Seit der Vorverlegung der Beitragsfälligkeit zu
Beginn dieses Jahres sind Unternehmen verpflichtet,
Beitragsnachweise mehrere Tage vor Monatsende zu
melden. Da insbesondere in den Branchen mit schwankenden Bezügen und Bezahlung auf Stundenlohnbasis,
beispielsweise in der Gastronomie oder im Baugewerbe,
der endgültige Lohn vor dem Monatsende noch nicht
feststeht, müssen viele Betriebe regelmäßig zunächst
eine Prognose abgeben und wenige Tage später eine
Korrektur vornehmen, was erheblichen Mehraufwand
verursacht. Das kann in der Tat nicht gewollt sein.
Nun greift diese Berechnungsmethode. Das hat nichts
damit zu tun, das Ziel des Gesetzes abzuändern. Herr
Zeil, deswegen war Ihr Beispiel vom Allgemeinen
Gleichstellungsgesetz falsch; denn wenn diese Methode,
die jetzt im Zusammenhang mit den Sozialversicherungsbeiträgen angewandt wird, auf das Allgemeine
Gleichstellungsgesetz angewandt würde, würden wir einen Handlungsfaden bekommen, wie wir das Allgemeine Gleichstellungsgesetz noch besser durchsetzen
könnten, damit es noch viel effektiver wirken könnte.
Das ist das Ziel des Standardkostenmodells. Es geht
nicht darum, das gesetzgeberisch vorgegebene Ziel in
Zweifel zu ziehen, sondern es besser zur Entfaltung zu
bringen.
Genau das ist bei den Sozialversicherungsbeiträgen
geschehen. Wie ist das geschehen? Die IHK Bonn/
Rhein-Sieg hat darauf aufmerksam gemacht, dass die
Mehrbelastung den Vorteil der Vorverlegung der Beitragssatzfälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge erheblich überschreiten und von Dauer sein würde. Außerdem hat sie festgestellt, dass nicht alle Unternehmen von
dieser Mehrbelastung gleichmäßig betroffen wären.
Während knapp die Hälfte der Unternehmen so gut wie
nicht betroffen ist, tragen die anderen die Mehrbelastung. Das kann nicht Sinn und Zweck der Geschichte
sein.
Es wurde in der Tat berechnet - Kollege Meyer hat
die Summe genannt -, dass diese Neuregelung Mehrbelastungen in Höhe von 800 Millionen Euro auslöst. Das
Interessante für den Gesetzgeber ist, dass wir 1,03 Milliarden Euro eingespielt haben. Das heißt, diese bürokratische Maßnahme des Staates ist faktisch ein Nullsummenspiel.
({2})
Das kann aber doch nicht der gesetzgeberische Zweck
sein. Genau an dieser Stelle greift das Standardkostenmodell, wie ich meine, zu Recht ein,
({3})
Christian Lange ({4})
weil es einen Weg aufzeigt, wie wir unser Ziel besser erreichen können. Es wirkt auch. Der Arbeitsminister hat,
noch bevor das Gesetz in Kraft war, reagiert und dafür
gesorgt, dass der Arbeitgeber die Möglichkeit hat, bei
der Monatsabrechnung die Werte des Vormonates anzusetzen und Differenzen zu den Istzahlen erst im Folgemonat auszugleichen. Es handelt sich also um eine Pauschalierung. Diesen Weg hat uns diese Methode eröffnet.
Deshalb meine ich, dass sie nicht diskreditiert gehört. Es
gehört sich auch nicht, sich bei der Abstimmung zu enthalten, sondern dies sollte unterstützt werden, gerade
vonseiten der FDP.
({5})
Wir werden darüber hinaus im zweiten Mittelstandsentlastungsgesetz, das wir bereits angekündigt haben,
die Existenzgründer in den ersten drei Jahren allgemein
von der Pflicht zur Erstellung statistischer Berichte freistellen. Unternehmen mit weniger als 50 Beschäftigten
werden wir zu maximal drei statistischen Stichprobenerhebungen pro Jahr heranziehen. Auch dies ist ein konkreter Beitrag, der heute in der Tat noch nicht beschlossen werden kann; Kollege Zeil, hier hat Ihre Kritik
angesetzt. Das ist von der Europäischen Union vorgegeben.
Wir haben uns vorgenommen, dass wir die Hinweise,
Vorschläge und Richtlinien der Europäischen Union
nicht mehr so einfach hinnehmen. Diese Chance haben
wir durch die Methode, die wir jetzt anwenden. Wir haben eine objektive Methode geschaffen und können erstmals den Kampf mit der Europäischen Union aufnehmen, mit der Kommission und dem Parlament. Wir
werden dies auch tun. Wir haben jetzt eine entsprechende Grundlage, die wir vorher nicht hatten. Deshalb
finde ich es bedauerlich, dass ausgerechnet die FDP an
dieser Stelle Nein sagt.
({6})
Ich will es noch einmal sagen: Das Ziel, Bürokratie in
Deutschland abzubauen,
({7})
gelingt aus meiner Sicht effektiv nur dann, wenn wir uns
in einem Punkt einig sind: Es geht nicht darum, den politischen Willen zu verändern, sondern es geht darum, die
Betriebe von dem zu entlasten, was ihre Kreativität und
wirtschaftliche Dynamik abwürgt.
({8})
Der politische Streit über die Frage, was das politische
Ziel ist - Kündigungsschutz, Arbeitsschutz usw. -, muss
im materiell-rechtlichen Diskurs geführt werden und
bitte nicht unter dem Deckmantel des Abbaus von Bürokratiekosten.
Herzlichen Dank.
({9})
Ich erteile das Wort Kollegin Sabine Zimmermann,
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Der Mittelstand ist das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Ich frage Sie: Wie ernst
meinen Sie dies? Herr Meyer sagte gerade, dass er mit
dem Rasenmäher herangehen möchte. Ich sehe schon,
wie er dort den Rasen mäht. Sie sagen, dass Sie eine Politik machen wollen, die den Mittelstand entlastet. Sie
haben versprochen: Unter dem Deckmantel des Bürokratieabbaus findet kein Abbau gesellschaftlich notwendiger Standards statt. Nun liegt das erste Bürokratieabbaugesetz vor und wir können Sie an Ihren Taten messen.
Zum ersten Punkt, der Hilfe für die kleinen Unternehmen. Angeblich bringt Ihr Gesetz im nächsten Jahr
eine finanzielle Entlastung von 160 Millionen Euro; ich
beziehe mich auf Ihre Zahlen. Für das einzelne Unternehmen bedeutet das vielleicht eine Entlastung um einige hundert Euro im Jahr, wenn überhaupt. Das wird ihnen wenig helfen. Zusätzlich haben Sie die Erhöhung
der Mehrwertsteuer beschlossen. Wird die höhere Mehrwertsteuer komplett über die Preise weitergegeben,
bringt das netto 15 Milliarden Euro. Das entzieht der
Volkswirtschaft Kaufkraft. In der Wirtschaft fehlt die
Nachfrage. Stellen Sie das einmal gegenüber: 160 Millionen Euro Entlastung und 15 Milliarden Euro Belastung. - Das sagt wohl alles.
({0})
- Doch, Herr Meyer.
Zum zweiten Punkt, den Auswirkungen des Bürokratieabbaus. Wir haben uns im Ausschuss schon darüber
unterhalten. Leider haben sich unsere Befürchtungen bestätigt, dass mehr als nur Bürokratie abgebaut wird. Es
handelt sich um einen Bürokratieabbau, bei dem der
Datenschutz flöten geht. Damit hat diese große Koalition anscheinend gar kein Problem. Künftig sollen
Betriebe mit weniger als zehn Mitarbeitern keinen Datenschutzbeauftragten mehr bestellen; der Bundesbeauftragte für den Datenschutz hat dies scharf kritisiert. Ihre
Änderungen verstoßen gegen das europäische Datenschutzrecht. Der Datenschutzbeauftragte hat eine Alternative vorgeschlagen, nämlich über die Kammern und
Innungen einen betrieblichen Datenschutzbeauftragten
zu installieren. Aber Union und SPD haben diesen Vorschlag nicht angenommen.
Wie die große Koalition mit Kritik umgeht, ist bezeichnend. Anscheinend halten Sie es nicht mehr für nötig, auf Kritik, die außerhalb des Parlaments geäußert
wird, einzugehen. Es hört sich vielleicht toll an, aber wir
haben in Deutschland eine gespaltene Konjunktur: Die
Großkonzerne verdienen prächtig, die Kleinstunternehmen jedoch bewegen sich oft in der Verlustzone. Deshalb brauchen wir Daten über diesen Bereich. Oder
haben Sie die kleinen Unternehmen in diesem Land
schon abgeschrieben?
({1})
Auch hier gibt es Alternativen. Der DGB hat vorgeschlagen, die Erhebung von Daten an die Unternehmensgröße zu koppeln. Aber in Ihrem Gesetzentwurf kann ich
dazu nichts finden. Ich frage Sie: Ist das Machtverliebtheit oder politische Absicht? Ich kann Sie nur warnen:
Verwechseln Sie nicht die Mehrheit in diesem Parlament
mit der Mehrheit in der Gesellschaft!
({2})
Ich fasse zusammen: Sie reden vom Bürokratieabbau
im Interesse des Mittelstands. Aber ihm nützt das, was
Sie machen, überhaupt nicht, weil keine Nachfrage vorhanden ist. Mit der Mehrwertsteuererhöhung legen Sie
noch eins drauf. Ihr Bürokratieabbau geht auf Kosten
des Datenschutzes und anderer sinnvoller und notwendiger Regelungen. Wir sagen: Ihr Gesetzentwurf ist ein
Placebo. Die Linksfraktion wird ihn nicht unterstützen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Das Wort hat nun Kollege Matthias Berninger, Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst
einmal: Nicht Ihr Gesetzentwurf hat mir die Sprache verschlagen, sondern eine Erkältung zur besten Jahreszeit.
Mit diesem Gesetzentwurf ist es nicht gelungen, den
Anspruch, den die Abgeordneten der Koalition an sich
selbst gestellt haben, zu erfüllen. Erinnern wir uns an die
Debatte über die Einführung des Normenkontrollrats.
Auch damals war es so, dass sich die Abgeordneten der
Koalition höhere Ziele gesteckt hatten. Dann wurden sie
zurückgepfiffen, weil ein Fraktionschef keine Lust hatte,
den Normenkontrollrat mit erweiterten Kompetenzen
auszustatten.
({0})
Letztlich hat man gesagt: Es gibt ja das Mittelstandsentlastungsgesetz;
({1})
in ihm werden die wegweisenden neuen Einzelvorschläge installiert.
Am Mittwoch dieser Woche haben wir eine Sitzung
des Wirtschaftsausschusses erlebt, in der die Abgeordneten der Koalition mitgeteilt haben, dass aus den großen
Änderungen nun doch nichts wird. Darüber hinaus haben die Abgeordneten der SPD angefangen, die Schuld
dafür bei den Beamten des Wirtschaftsministeriums zu
suchen. Abgesehen davon, dass ich es ziemlich befremdlich fand, dass diese Beamten nicht gegen diesen Angriff
verteidigt wurden,
({2})
ist die Situation ein bisschen anders gelagert. Es ist doch
so: Wenn die Abgeordneten der Koalition im Wirtschaftsausschuss vollmundig erklären, Bürokratieabbau
betreiben zu wollen, dann dürfen sie nicht als Gesetzentgegennehmer fungieren, sondern müssen als Gesetzgeber den Mut haben, den einen oder anderen Vorschlag
durchzusetzen, der es wert wäre, durchgesetzt zu werden.
({3})
Der Kollege Meyer hat gesagt, dass auch in der rotgrünen Regierungszeit - ich war ja dabei - Beschlüsse
gefasst wurden, die nicht gut waren, und ein Beispiel angeführt, das der Kollege Lange umfangreich beschrieben
hat. Die Frage, warum man eine so bürokratische Regelung - sie ist leider nicht die einzige - getroffen hat, ist
erlaubt und berechtigt. Ich befürchte, dass auch in der
siebenmonatigen Amtszeit der großen Koalition - auch
wenn Ihnen diese Zeit schon viel länger vorkommt - bereits die eine oder andere ähnlich komplizierte Regelung
getroffen worden ist, die nicht zum Nutzen der Unternehmerinnen und Unternehmer und nicht zum Nutzen
der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer war, die unter
dem Bürokratieaufbau mittelbar genauso zu leiden haben.
({4})
Die gute Nachricht des heutigen Tages ist: Jetzt geht es
um das erste Mittelstandsentlastungsgesetz; das zweite
wird folgen.
Wenn wir es als Parlament nicht schaffen, uns an bestimmten Punkten über die Bedenkenträger hinwegzusetzen, dann werden wir es auch nicht schaffen, bürokratische Regelungen abzubauen. Wir haben Ihnen dazu ein
paar Vorschläge gemacht. Ich will ein Beispiel nennen:
Man glaubte, dass durch die Einführung einer Generalunternehmerhaftung die im Baugewerbe weit verbreiteten Verträge, die große Unternehmen mit Subunternehmern schließen, so gestaltet werden könnten, dass auch
die Subunternehmer Sozialversicherungsbeiträge abführen. Die Folge dieses Gesetzes ist, dass die vielen kleinen Handwerker umfangreiche bürokratische Meldungen an die großen Subunternehmen leisten müssen, für
die es kein Problem ist, dies zu verarbeiten. Nach einer
Evaluation wurde festgestellt, dass es genau einen einzigen Fall gegeben hat, in dem dieses Gesetz Sinn gemacht hat. Hunderte von Handwerksbetrieben sind also
umfangreich unter die Knute der Bürokratie genommen
worden für einen einzigen Fall, in dem sich die Regelung als sinnvoll herausgestellt hat. - Dies ist nur eines
von vielen Beispielen dafür, dass wir nach der Evaluation eines Gesetzes feststellen müssen, dass es doch
nicht so erfolgreich war.
Wir haben einen umfangreichen Antrag mit Gesetzesänderungen vorgelegt, von dem ich hoffe, dass das eine
oder andere nicht in Vergessenheit gerät, sondern sich
vielleicht im zweiten Mittelstandsentlastungsgesetz wiederfindet. Ich glaube, dass wir hier deutlich mehr MögMatthias Berninger
lichkeiten haben, dass das Parlament deutlich mehr Freiräume hat, als wir letzten Endes nutzen. Der Mut, diese
Freiräume zu nutzen, wird allerdings nur dann von Erfolg gekrönt sein, wenn wir, wie die Parlamente in den
anderen europäischen Mitgliedstaaten, die Regelungen
der EU eher als wichtigen Hinweis für das Regierungshandeln nehmen denn für bare Münze. Vieles, was wir
eins zu eins übernehmen und dann drei- bis vierfach
bürokratisch überhöht beschließen, wird in anderen
Mitgliedstaaten wesentlich einfacher gehandhabt. Ich
glaube, dass man genau in diesem Bereich Änderungen
vornehmen sollte.
({5})
Wir werden jedenfalls weiterhin konkrete Vorschläge
zum Bürokratieabbau machen.
Ich denke, dass sich die PDS überlegen muss, wie der
Gesetzentwurf einzustufen ist: Ist er ein Angriff auf den
Sozialstaat - das haben Sie am Anfang Ihrer Rede behauptet, Frau Zimmermann - oder ist er - damit haben
Sie geendet - eher ein Placebo? Ich bin der Meinung, er
ist eher ein Placebo. Nach oben ist noch sehr viel Raum
für Verbesserungen.
Herzlichen Dank.
({6})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD sowie von der Bundesregierung eingebrachten Entwürfe eines Ersten
Gesetzes zum Abbau bürokratischer Hemmnisse insbesondere in der mittelständischen Wirtschaft, Drucksachen 16/1407, 16/1853 und 16/1970. Der Ausschuss
für Wirtschaft und Technologie empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/2017, die genannten Gesetzentwürfe zusammenzuführen und in der Ausschussfassung anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen
von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Linksfraktion und der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen
bei Enthaltung der FDP angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie in der zweiten Lesung angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Entschließungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungsantrag
der FDP auf Drucksache 16/2040? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit
den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der FDP
abgelehnt.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/2041? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag
ist mit den Stimmen des ganzen Hauses gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke abgelehnt.
Wir fahren fort mit der Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und
Technologie auf Drucksache 16/2017 zu dem Antrag der
Fraktion der FDP mit dem Titel „Statistikpflichten zurückführen - Bürokratiekosten senken“. Der Ausschuss
empfiehlt unter Buchstabe b, den Antrag auf Drucksache 16/1167 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und der Fraktion Die Linke
gegen die Stimmen der FDP bei Enthaltung der Fraktion
des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 36 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und
Humanitäre Hilfe ({0})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Volker
Beck ({1}), Irmingard Schewe-Gerigk, Marieluise Beck ({2}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN
Presse- und Meinungsfreiheit in Kuba einfordern
- zu dem Antrag der Abgeordneten Marina
Schuster, Florian Toncar, Burkhardt MüllerSönksen, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Menschenrechte in Kuba einfordern und
die kubanische Zivilgesellschaft fördern
- Drucksachen 16/934, 16/945, 16/2006 Berichterstattung:
Abgeordnete Peter Weiß ({3})
Florian Toncar
Michael Leutert
Volker Beck ({4})
Über die vom Ausschuss für Menschenrechte und
Humanitäre Hilfe empfohlene Annahme einer Entschließung werden wir später namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Christoph Strässer, SPD-Fraktion, das Wort.
({5})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Abweichend vom
dem, was ich mir aufgeschrieben habe, möchte ich mit
einem Bekenntnis beginnen.
({0})
Dieses Bekenntnis bezieht sich auf eine Zeit, die schon
etwas länger her ist; ich bekenne mich aber ausdrücklich
dazu. Ich finde das, was ich damals getan habe, richtig,
nämlich auf die Straße zu gehen, dafür zu kämpfen, dass
es in Kuba eine Befreiung vom Kolonialismus gibt,
({1})
und auch dafür einzutreten, dass Kuba eine Entwicklung
nimmt, aufgrund derer Menschenrechte geachtet werden, keine Menschen, die ihre Pressefreiheit wahrnehmen wollen, eingesperrt werden und es keine politischen
Gefangenen gibt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das
war das Ziel der überwiegenden Mehrzahl der Leute, die
damals auf die Straße gegangen sind, um für die Freiheit
in Kuba zu kämpfen. Das will ich an dieser Stelle einmal
ganz deutlich sagen.
({2})
Ich sage sehr deutlich: Ich bekenne mich dazu und
finde das nach wie vor richtig. Ich sage aber auch: All
diejenigen, die das Ziel, für das sie damals eingetreten
sind, mit der heutigen Situation in Kuba vergleichen,
sind bitter enttäuscht;
({3})
denn das wollten wir damals nicht erreichen. Das sage
ich ganz deutlich. Ich will einen, wie ich glaube, damaligen Mitstreiter und führenden Revolutionär Südamerikas in Anspruch nehmen, indem ich behaupte: Wenn
Che Guevara wüsste, wie sich Kuba entwickelt hat, dann
würde er sich wahrscheinlich im Grabe umdrehen und
sagen: Das habe ich nicht gewollt.
({4})
- Das ist richtig. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass
er sich wehren würde.
Worum geht es in dieser Debatte? Sie alle wissen,
dass es dazu in diesem Jahr zwei wesentliche Entschließungen auf europäischer Ebene gibt, nämlich zum einen eine mit breiter Mehrheit gefasste Resolution des
EU-Parlaments, die sich mit der Menschenrechtsituation
in Kuba befasst und die bei uns Einfluss auf die Formulierung des vorliegenden Antrags gehabt hat; sie sind sozusagen identisch. Wenn man die Forderungen an Kuba
aus menschenrechtlicher Sicht betrachtet, dann stellt
man fest, dass sie von einer derartigen Harmlosigkeit
sind, dass es nicht nur erstaunt, sondern dass es wirklich
Aufsehen erregt, dass es in diesem Parlament Leute gibt,
die sich dieser Entschließung nicht anschließen können.
Das kann ich nicht wirklich begreifen.
({5})
Daneben gibt es eine zweite Resolution. Sie ist noch
gar nicht so alt; sie ist vom 12. Juni dieses Jahres. Der
Europäische Rat hat sich sehr eindeutig dazu bekannt
und nach entsprechender Einschätzung festgestellt, dass
sich die Lage der Menschenrechte in Kuba im
Jahre 2005 verschlechtert hat. Er begründet dies auch;
darauf werde ich gleich noch in aller Kürze im Einzelnen
eingehen. Der Europäische Rat sagt aber auch - das hat
dem einen oder anderen in diesem Hause die Zustimmung zu diesem Text nicht leicht gemacht -, dass das
nicht dazu führen kann - ich finde das auch richtig -,
politische Maßnahmen wieder einzuführen. Die Gespräche mit der kubanischen Regierung und mit der kubanischen Opposition müssen weitergeführt werden, um eine
Verbesserung der Situation in diesem Land zu erreichen.
Ich glaube, das ist eine der zentralen Forderungen, hinter
der sich auch der Deutsche Bundestag vereinigen sollte.
({6})
Ich möchte an dieser Stelle nur zwei Beispiele für das
nennen, über das wir heute diskutieren. Ich zitiere ganz
gerne Organisationen, die nicht im Verdacht stehen, politisch einsortiert werden zu können. Ich glaube, eine sehr
honorige Einrichtung ist die Organisation Reporter
ohne Grenzen. Die Organisation Reporter ohne Grenzen erstellt seit einiger Zeit jährlich eine Rangliste über
die Situation der Presse- und Meinungsfreiheit auf der
Welt. Sie kommt für das Jahr 2005 zu dem Ergebnis,
dass Kuba bei 167 untersuchten Ländern auf Platz 161
landet, noch hinter China und knapp vor Nordkorea.
Man kann sich über vieles streiten, aber angesichts dieser Ergebnisses kann auch jemand, der noch gewisse
Sympathien für die Entwicklung dort hat, nicht sagen:
Das ist in Ordnung; dazu müssen wir schweigen. - Wir
müssen etwas dazu sagen. Das tun wir auch, und zwar,
wie ich finde, mit der nötigen Eindeutigkeit.
({7})
Ich möchte das an einem konkreten Beispiel, das uns
in diesen Tagen erreicht, deutlich machen. Sie werden
wahrscheinlich alle mit dem Schicksal von Fariñas
Hernández befasst gewesen sein. Fariñas Hernández ist
Chef der Nachrichtenagentur „Cubanacán Press“. Er ist
seit dem 31. Januar 2006 inhaftiert, weil er sich für Pressefreiheit und Meinungsfreiheit eingesetzt hat. Er befindet sich seit dieser Zeit im Hungerstreik. Wir haben
Nachrichten - das sollte man zur Kenntnis nehmen -,
dass sein Gesundheitszustand kritisch ist, dass er bereits
mehrfach das Bewusstsein verloren hat und dass die Gefahr, dass er stirbt - diese nimmt er in Kauf -, groß ist. Ich finde, wir sollten Solidarität mit solchen Menschen
üben und sagen, dass wir nicht bereit sind, das hinzunehmen, aus welchen Gründen auch immer. Deshalb gibt es
diesen Antrag und deshalb müssen wir heute über dieses
Thema diskutieren.
({8})
Ich möchte an dieser Stelle etwas hinzufügen, damit
nicht der Eindruck entsteht, der sich in bestimmten MeChristoph Strässer
dien immer ein Stück weit festsetzt, man betreibe im
Deutschen Bundestag so etwas wie Cuba-Bashing. Die
Situation der Menschenrechte ist eindeutig belegt. Ich
persönlich - ich weiß nicht, wie viele andere in diesem
Hause das sehen - führe das ein Stück weit darauf zurück, dass in den Vereinigten Staaten seit 45 Jahren eine
Politik betrieben wird, die blockiert. Gesetze wie das
Helms-Burton-Gesetz haben selbstverständlich nicht
dazu beigetragen, dass es in diesem Land eine vernünftige und menschenrechtsorientierte Entwicklung geben
kann. Hierzu will ich auch nicht schweigen.
({9})
Ich höre auch immer wieder das Stichwort Guantanamo. Wer sagt, Guantanamo muss so schnell wie möglich geschlossen werden - das sagt im Übrigen auch die
Bundeskanzlerin -,
({10})
aber zu der menschenrechtlichen Entwicklung in Kuba
schweigt, der erkennt nicht den grundsätzlichen Charakter von Menschenrechten: Sie sind unteilbar. Wir müssen
an dieser Stelle klar machen, dass wir auch diesen Teil
der Politik nicht hinnehmen können.
({11})
Ich denke, dass es gut ist - das ist über viele Jahre auch
gängige Praxis in unserem Ausschuss gewesen -, wenn
wir diese Dinge beim Namen nennen und sie deutlich
aussprechen.
Meine Damen und Herren, wir wollen weiterhin den
Dialog. Das ist klar; das haben wir nie in Zweifel gezogen, auch mit unserem Antrag nicht. Wir wollen ihn intensiv auf der staatlichen Ebene führen. Wir wollen ihn
aber auch sehr intensiv mit der kubanischen Opposition führen. Von daher bin ich jedenfalls der Meinung,
dass kubanische Oppositionelle also wieder zu offiziellen Veranstaltungen der EU-Staaten eingeladen werden
sollten. Ich finde, diese klare Botschaft sollten wir aussenden.
({12})
Ich komme zum Schluss zu dem zurück, wozu ich
mich zu Beginn bekannt habe: Ich bin sehr sicher, dass
eine falsch verstandene Solidarität mit dem CastroRegime und eine damit verbundene Romantisierung fehl
am Platze ist. Wir wollen weiterhin auf Kuba einwirken
und mit der kubanischen Bevölkerung gemeinsam dafür
sorgen, dass sich dort die Menschenrechtslage verbessert. Wir glauben definitiv - das sage ich in Richtung der
linken Seite des Parlaments -, dass das, was Sie im Jahre
2003 in Ihr Parteiprogramm geschrieben haben, nämlich
dass das höchste Ziel politischer Arbeit sein muss, die
Wahrung der Menschenrechte weltweit zu schützen und
die Unteilbarkeit der Menschenrechte anzuerkennen, in
diesem Hohen Hause Praxis des politischen Alltags
wird. Wer sich davon verabschiedet, der muss sich sagen
lassen, dass er es mit der Universalität der Menschenrechte nicht ernst meint. Das sollten wir klar darstellen.
Danke schön.
({13})
Ich erteile das Wort Kollegin Marina Schuster, FDPFraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Im März haben wir an dieser Stelle
schon einmal über die verheerende Menschenrechtslage
in Kuba debattiert. Ich freue mich, dass uns heute ein interfraktioneller Antrag vorliegt, der die Lage in Kuba
kritisiert und sich damit dem Antrag unserer europäischen Kollegen anschließt.
Wir senden mit dem Antrag und unserer heutigen Debatte ein wichtiges Signal an die kubanischen Oppositionellen und Menschenrechtsaktivisten. Eine breite Mehrheit des Deutschen Bundestags verschließt sich nicht der
Situation im selbsternannten sozialistischen Musterland.
Diese Situation - mein Vorredner hat sie bereits angesprochen - möchte ich kurz schildern: Das Regime in
Havanna verwehrt seinen Bürgern den Zugang zu unzensierten Informationen. Der Zugang zum Internet bleibt
für viele Kubaner unerreichbar, weil der Hardwarekauf
reglementiert wird. Die meisten der mutigen Dissidenten
des Varela-Projektes sind schon seit drei Jahren unter katastrophalen Bedingungen in Haft. Die Angehörigen dieser Inhaftierten, die so genannten Damen in Weiß, werden in ihrem Einsatz für ihre Angehörigen und die
Meinungs- und Pressefreiheit vom Regime diffamiert
und unterdrückt. Dissidenten werden immer wieder willkürlich zu hohen Haftstrafen verurteilt. Auch die Versammlungsfreiheit ist in großer Gefahr.
Hier wird immer wieder angeführt, dass es in Kuba zu
Verbesserungen hinsichtlich der Alphabetisierung und
der Gesundheitsversorgung gekommen ist. Aber die
Freiheit der Menschen wird weiter von einem Unrechtssystem unterdrückt. Von einem demokratischen und
rechtsstaatlichen Staatswesen ist Kuba meilenweit entfernt.
({0})
Leider hat Kuba eine deutliche Ausstrahlungskraft
auf die Linksregierungen in Lateinamerika. Viele der
neu gewählten linkspopulistischen Führer scheinen sich
ausgerechnet Havanna zum Vorbild zu nehmen. Zum
Beispiel war die Verstaatlichung der Erdgasressourcen in
Bolivien ein erstes Warnsignal an die internationale Gemeinschaft. Ich meine, wir müssen den Staats- und Regierungschefs in Lateinamerika Alternativen anbieten
und aktiv für unsere Ideen von Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und sozialer Marktwirtschaft werben.
Bei der Entschließung des Europaparlaments sind
ausnahmsweise auch einzelne Mitglieder der Linkspartei
über ihren Schatten gesprungen und haben sich erlaubt,
am Heiligenbild des Fidel Castro zu kratzen.
({1})
Diese Abgeordneten sind in den eigenen Reihen unter
schweren Beschuss geraten. Ich begrüße das Verhalten
der drei einzelnen Mitglieder der Linken im Europäischen Parlament.
({2})
Ich fordere auch die Kolleginnen und Kollegen der
Linksfraktion hier auf, unserem interfraktionellen Antrag zuzustimmen. Stellen Sie sich nicht ins Abseits,
wenn der Deutsche Bundestag heute Farbe bekennt und
die nicht hinnehmbare Menschenrechtslage in Kuba kritisiert!
Wir hatten als FDP-Bundestagsfraktion einen eigenen
Antrag vorgelegt, der in einigen Punkten noch über den
vorliegenden Antrag hinausgeht. Ich möchte stellvertretend nur eine wesentliche Forderung daraus nennen: Wir
halten die Eröffnung eines Goethe-Instituts für eine
sinnvolle und vor allem wirkungsvolle Maßnahme, weil
sie nicht staatliche Strukturen, sondern die Zivilgesellschaft unterstützt.
Dennoch bin ich froh, dass wir uns mit den Kolleginnen und Kollegen vom Bündnis 90/Die Grünen und von
den Regierungsfraktionen auf einen gemeinsamen Antrag verständigt haben. Das Thema ist zu ernst, um es
durch parteipolitische Grabenkämpfe zu verharmlosen.
Ich schließe mit einem Zitat:
Einem Menschen seine Menschenrechte zu verweigern bedeutet, ihn in seiner Menschlichkeit zu
missachten.
Dieser Satz von Nelson Mandela aus dem Jahr 1990 hat
nichts von seiner Aktualität eingebüßt. Lassen Sie uns
heute ein überparteiliches und unmissverständliches Signal an das Regime in Kuba senden. Kuba muss als Mitglied des neuen UN-Menschenrechtsrates zu höchsten
Standards verpflichtet werden.
({3})
Ich erteile das Wort Kollegen Peter Weiß, CDU/CSUFraktion.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Menschenrechte sind überall auf der Welt unteilbar, auch
in Kuba. Es ist jetzt gerade drei Jahre her, seit das kubanische Regime in einer Handstreichaktion die führenden
Köpfe der demokratischen Opposition verhaftet und
weggesperrt hat. 330 politische Häftlinge sitzen heute in
kubanischen Gefängnissen ein, unter zum Teil erbärmlichen Bedingungen. Das ist ein so unakzeptabler Zustand, dass es einer klaren und eindeutigen Antwort der
Demokraten überall auf der Welt bedarf. Deswegen ist es
wichtig, dass wir einen gemeinsamen Antrag hier im
Bundestag beschließen.
({0})
Am 13. August dieses Jahres - bis dahin ist es nicht
mehr lange - wird Fidel Castro 80 Jahre alt; doch von
Altersmilde keine Spur.
({1})
Castros restkommunistische Diktatur herrscht unerbittlich mit Gewalt und Einschüchterung gegen alle Kubaner, die Freiheit und Demokratie suchen. Ein falsches
Wort, der falsche Umgang genügt, damit man Opfer der
so genannten Kämpfer für die Revolution wird. Politische Gewalt, auch getarnt als einfache Straßenkriminalität, gehört zum alltäglichen Terror in Kuba.
In diesen Tagen hören wir, dass der Neffe des VarelaGründers Oswaldo Payá bei seiner Einreise nach Kuba
von der Staatssicherheit festgenommen wurde. Er lebt in
Spanien und wollte in Kuba seine Familie besuchen. Erst
nachdem der kubanische Botschafter vom Außenministerium in Madrid einbestellt wurde, hat Kubas Stasi Payá
wieder freigelassen und zur Ausreise nach Spanien gezwungen. Dieser prominente Fall zeigt: Die Methoden
der Sippenhaft gehören zum selbstverständlichen Repressionsinstrumentarium Fidel Castros. Er verstößt damit gegen die Mindeststandards von Rechtsstaatlichkeit.
Auch dieser neue Vorfall bedarf einer klaren Antwort der
Demokraten überall auf der Welt.
({2})
Mit unserem interfraktionellen Entschließungsantrag,
zu dem sich die Regierungsfraktionen von CDU/CSU
und SPD sowie die Oppositionsfraktionen von FDP und
Bündnis 90/Die Grünen im Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe entschlossen haben, folgen
wir als Abgeordnete des Deutschen Bundestages der
Einschätzung unserer Kolleginnen und Kollegen im
Europäischen Parlament und der Einschätzung des Europäischen Rates, der die Menschenrechtslage in Kuba auf
seiner Tagung am 12. Juni scharf kritisiert hat. Gemeinsam mit den Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union verlangen wir von der kubanischen
Regierung den Stopp ihrer Repressionspolitik und die
sofortige Freilassung aller politischen Gefangenen.
({3})
Wir verurteilen entschieden alle Angriffe der kubanischen Regierung auf die Menschenrechte und die demokratischen Freiheiten. Es ist gut, dass wir Europäer in der
Menschenrechtspolitik auch in Bezug auf Kuba eine
klare und eindeutige Sprache sprechen.
Peter Weiß ({4})
Einzig die PDS will sich solchen Forderungen nicht
anschließen.
({5})
Offenbar hat sie kein Problem damit, dass in Kuba tagtäglich Menschenrechte verletzt und Grundfreiheiten
missachtet werden. Die, wie ich finde, schon obszöne
Diskussion, die sich die PDS dazu in den vergangenen
Monaten geleistet hat, ist beschämend.
({6})
Die PDS verhöhnt damit die Hunderte, die aus politischen Gründen in den kubanischen Gefängnissen einsitzen. Mehr noch - auch das gehört hierher -: Mit ihrer
Kubapolitik verspottet die PDS die Zigtausende, die in
Deutschland und Europa unter stalinistischer Gewalt und
Unterdrückung gelitten haben.
({7})
Die Äußerungen und Pamphlete, die während der so
genannten Kubakrise der PDS in die Öffentlichkeit gelangt sind, sind eine historische Schande für das demokratische Deutschland nach dem Fall der Mauer.
({8})
Man muss auch hier im Deutschen Bundestag und in der
Öffentlichkeit deutlich machen, was sich da in der PDS
abgespielt hat: Der Parteivorstand erteilt drei PDS-Europaabgeordneten eine förmliche Rüge,
({9})
weil sie sich im Europaparlament für etwas ausgesprochen haben, was in Kuba und weltweit eigentlich selbstverständlich sein sollte: die Einhaltung der Menschenrechte.
Was ist da los mit einer Partei, aus deren Mitte heraus
eine Entschließung des Europäischen Parlaments für
Freiheit und Demokratie als - ich zitiere - „scheinheiliges Gezeter“ diffamiert wird?
({10})
Welche Gesinnung pflegt diese Partei in ihrem Biotop
aus Unverbesserlichkeit, linken Dogmen und Revolutionsromantik? Dieser Kadavergehorsam der PDS fördert den real existierenden Unterdrückungsstaat in Kuba.
Das muss einmal mit aller Deutlichkeit ausgesprochen
werden.
({11})
Einer der PDS-Europaabgeordneten hat diese Haltung
der PDS-Führung gegenüber der kubanischen Regierung
als „erschreckend“ bezeichnet. Er sieht sie - ich zitiere „in das alte Politik-, Gesellschafts- und Freiheitsverständnis der SED zurückfallen“,
({12})
wenn sie sich überhaupt jemals davon gelöst hat.
({13})
Diese ganze Affäre entlarvt die PDS. In diesem Haus
machen Sie Sprüche von Gerechtigkeit und Solidarität.
Gleichzeitig unterstützen Sie ohne Bedenken einen Despoten, der sein darbendes Volk im Lauf seiner Herrschaft
nach Angaben von „Forbes Magazine“ um geschätzte
900 Millionen Dollar bestohlen hat. Die Kubaner leben
von rationierten Lebensmitteln. Der „Máximo Líder“
aber hat Millionen auf Schweizer Nummernkonten. Das
ist die Realität des real existierenden Sozialismus auf
Kuba.
({14})
Ich freue mich, dass wir heute einen gemeinsamen
Entschließungsantrag aller Fraktionen mit Ausnahme
der PDS einbringen konnten. Wir machen deutlich: Wie
Kuba in der Karibik ist die PDS in Deutschland eine Insel der Gestrigen.
({15})
Kuba ist im Mai dieses Jahres in den neuen UN-Rat
für Menschenrechte gewählt worden.
({16})
Der Bock darf sozusagen Gärtner werden. Nicht zuletzt
deshalb werden wir auch in Zukunft sehr genau hinschauen, wie das Castro-Regime mit den Menschenrechten umgeht. Die systematischen Repressalien gegen anders Denkende können wir als Demokraten und
Europäer nicht folgenlos hinnehmen. Die friedliche demokratische Opposition braucht unsere Unterstützung.
Wir wollen den friedlichen Wandel in Kuba zu Demokratie und Freiheit. Wir wollen diejenigen, die in Kuba
für diesen Wandel arbeiten, aktiv unterstützen, auch mit
unserem Entschließungsantrag.
Vielen Dank.
({17})
Ich erteile das Wort Kollegen Wolfgang Gehrcke,
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
ganze Tagesordnungspunkt, diese ganze Entschließung
hat nur einen realen Hintergrund: Sie haben die Absicht,
die Linkspartei vorzuführen. Das verstehe ich.
({0})
- Das ist ja auch legitim. Darüber brauchen Sie sich gar
nicht aufzuregen.
Ich verstehe, dass Sie uns vorführen wollen. Wir wiederum lassen uns nicht vorführen. Ich sage Ihnen klar:
Ihrer Entschließung werden wir nicht zustimmen. Das
will ich Ihnen erklären, ob es Ihnen gefällt oder nicht.
({1})
Dass es in der Linken Meinungsverschiedenheiten in
der Kubafrage gibt, ist bekannt. Sie haben darauf abgehoben und wollen diese nutzen. Auch das ist in Ordnung.
Für uns sind solche Debatten nicht hinderlich. Wir sind
eine diskutierende, lebendige Partei, in der Meinungsstreit herrscht und in der Meinungsstreit kultiviert wird.
({2})
Die Öde von Einheit und Geschlossenheit bei Ihrer Politik haben Sie von unserer Vorgängerpartei geerbt.
({3})
Herr Weiß, eines will ich Ihnen sagen: Ich habe mehr
zur Kritik des Stalinismus geschrieben, als Sie gelesen
haben; auch das muss hier einmal ausgesprochen werden.
({4})
Wir als Fraktion wollen die Resolution des Europaparlaments nicht begrüßen. Das hat im Wesentlichen
zwei Gründe. In dieser Resolution wird die Verantwortung dafür, dass sich die Beziehungen zwischen Europa
und Kuba nicht normalisiert haben, einseitig bei Kuba
abgeladen.
({5})
In der Resolution steht, dass der Rat ermächtigt wird,
Maßnahmen zu ergreifen. Eine solche Blankovollmacht
stellen wir nicht aus, weil wir über diese Dinge differenziert nachdenken und diskutieren.
({6})
- Das ist auch kein Grund.
Mich ärgert - liebe Kolleginnen und Kollegen, das ärgert mich wirklich - der funktionelle Umgang mit Menschenrechten. Mich ärgern auch oberflächliche Texte.
Ein solch funktioneller Umgang mit Menschenrechten
beschädigt den Kampf um Menschenrechte selbst.
({7})
Wir gehen davon aus, dass unter Menschenrechten
sowohl soziale als auch politische Rechte zu fassen sind.
({8})
Es geht um Freiheits- und Gleichheitsrechte. Sie kritisieren Kuba wegen der mangelnden politischen Rechte
und verschweigen völlig, auch in Ihren Texten, die großen sozialen Leistungen Kubas, übrigens nicht nur für
das eigene Land.
({9})
Wir werden nicht den gleichen Fehler machen, indem
wir nur über die sozialen Rechte reden und der Debatte
um die politischen Rechte ausweichen.
({10})
Wir wollen Freiheit und Gleichheit. Freiheit ohne
Gleichheit ist Ausbeutung und Gleichheit ohne Freiheit
kann zur Unterdrückung werden. Wir diskutieren differenziert. Sie gehen einfach oberflächlich über diese Probleme hinweg und machen sich eine einfache Welt.
({11})
Kollege Strässer hat zwar in seiner Rede darauf hingewiesen, aber in Ihren Texten steht nicht, unter welchen
Bedingungen Kuba sein Leben gestalten musste und
muss.
({12})
Ich bin froh darüber, dass eine Revolution in Kuba mit
Castro und Guevara das unwürdige, blutige Batista-Regime beendet hat und verhindert hat, dass Kuba weiter
ein Bordell der USA ist.
({13})
Tun Sie doch nicht so, als ob Kriegsdrohung, Embargo
und Mordanschläge nur Vergangenheit sind! Leider ist
das auch lebendige Realität. Wenn man das alles ausblenden will, kann man sich die Welt sehr einfach machen. Dann kann man einfache Resolutionen beschließen. Das führt aber nicht zu einer vernünftigen Debatte.
Dass 135 Länder Kuba in den Menschenrechtsrat gewählt haben, was eine hohe Verpflichtung auch für Kuba
ist, sollte Ihnen doch zu denken geben.
({14})
Solche Debatten müssen wir führen, in der Differenziertheit der Standpunkte. Wir dürfen uns nicht mit einWolfgang Gehrcke
fachen Weltbildern und einfachen Rezepten zufrieden
geben. Wir stimmen gegen Ihre Entschließung und haben ein gutes Gefühl dabei.
({15})
Ich erteile das Wort Kollegen Volker Beck, Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber
Herr Gehrcke, vielleicht wird es Sie überraschen, dass
ich mit etwas Gemeinsamem anfange. Ja, ich meine,
man muss über Freiheitsrechte und über die soziale Situation in Ländern wie Kuba reden. Selbstverständlich
haben wir als Teil der Linken in diesem Land immer die
Entwicklung begrüßt, dass sich Kuba aus der Situation
befreien konnte, die vorher gegeben war und die Sie
gerade beschrieben haben. Aber die Verbesserung der
sozialen Situation in manchen Aspekten in Kuba rechtfertigt nicht die Beschneidung der Freiheits- und Menschenrechte.
({0})
Der Kalte Krieg ist vorbei, wo man gesagt hat: keine
Einmischung in die inneren Angelegenheiten, weil da
auch irgendetwas Positives ist. - Menschenrechte darf
man nicht mit anderen politischen Sachverhalten verrechnen, sondern man muss klar Position beziehen.
Wenn Sie sagen, wir hätten eine einseitige Weltsicht,
muss ich erwidern: Der Antrag, der Anlass für diese Debatte war, nämlich der Antrag meiner Fraktion - später
kam ein Antrag von der FDP dazu -, sagt in seiner Begründung ausdrücklich - ich zitiere -:
({1})
Davon unbenommen stellen wir fest, dass die einseitige Blockadepolitik der USA eine positive Veränderung der kubanischen Bevölkerung nicht befördert hat.
({2})
Vielmehr diente und dient das US-Embargo mit seiner Verschärfung im Jahr 2004 systemstabilisierend, weil es der kubanischen Führung einen Vorwand für seine Politik liefert.
({3})
Wir sagen das klar und deutlich. Wir sehen das differenziert. Aber Sie geben unter dem Vorwand, irgendetwas sei nicht differenziert genug, der kubanischen Regierungspolitik einen Freibrief.
Nennen Sie mir einen Satz in diesem Beschlusstext,
der eine Rechtfertigung dafür bietet, diesem Antrag
nicht zuzustimmen.
({4})
Wollen Sie nicht auf die Freilassung aller wegen ihrer
politischen Gesinnung inhaftierten Menschen drängen?
Wollen Sie nicht für die Reisefreiheit der „Damen in
Weiß“ und von Oswaldo Payá Sardiñas eintreten? Wollen Sie nicht, dass die willkürlichen Verhaftungen aufhören, das Ley 88 außer Kraft gesetzt wird und menschenrechtliche und rechtsstaatliche Standards in Kuba
verwirklicht werden? Wollen Sie nicht Kuba als Mitglied des Menschenrechtsrates wie alle anderen Mitglieder auch auffordern, sich für die höchsten menschenrechtlichen Standards einzusetzen?
({5})
Welche dieser Forderungen rechtfertigt eine Ablehnung
des Antrags? Wohl keine, außer man will sich völlig
blind stellen.
({6})
Meine Damen und Herren, heute hat das oberste amerikanische Gericht gesagt, was in Guantanamo mit den
Militärstrafgerichten vor sich geht, ist rechtswidrig. Das
zeigt, dass die USA ein Rechtsstaat sind, auch wenn sich
die Bush-Administration über die rechtsstaatlichen
Grenzen in der amerikanischen Verfassung hinausbewegt hat. Deshalb sagen wir - das hat der Bundestag
kürzlich schon gefordert -: Guantanamo muss geschlossen werden; die Gefangenen dort müssen entweder vor
ordentliche Gerichte gestellt oder freigelassen werden.
Das haben wir unmissverständlich zum Ausdruck gebracht. Da waren Sie dabei. Und das ist gut so.
({7})
Es geht eben um Menschenrechte in Guantanamo und
auch um Guantanamo herum. Man kann nicht bei den
Amerikanern eine Elle anlegen und bei den kubanischen
Freunden eine andere. Bei Menschenrechten gibt es keinen Rabatt.
({8})
Kollege Beck, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Gehrcke?
Aber bitte doch.
Herr Beck, ich nehme an, dass Sie Ihren Antrag genauso gut gelesen haben, wie ich ihn gelesen habe. Ihre
richtige Argumentation bezüglich der USA, die Sie eben
vorgetragen haben, ist nicht in die Forderungen Ihres
Antrages an den Deutschen Bundestag eingeflossen,
sondern findet sich ausschließlich in der Begründung. In
der gemeinsamen Entschließung, die wir jetzt ja verhandeln, ist sie überhaupt nicht mehr enthalten. Das ad eins.
Ad zwei. Ich habe versucht, Ihnen vorzutragen, warum wir uns nicht der Resolution des Europaparlaments
anschließen wollen. Ich frage Sie, ob Sie mir bestätigen
können, dass ich korrekt zitiere, wenn ich sage, dass in
der Resolution des Europaparlaments steht, dass Kuba
durch seine Handlungen einseitig die Normalisierung
der Beziehungen verhindert habe und der Europäische
Rat ermächtigt werde, Maßnahmen zu ergreifen. Meinen
Sie, dass es sinnvoll ist, wenn ein Parlament dem Rat
Freiheit bei den Maßnahmen einräumt?
({0})
Ich kann Ihnen bestätigen, dass es in der Entschließung des Europäischen Parlaments, die die Mitglieder
Ihrer Fraktion dort auch überwiegend abgelehnt haben
und die in der Entschließung zitiert wird, unter anderem
heißt:
… alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um
die Freilassung der politischen Häftlinge und die
sofortige Beendigung der Schikanen gegen die politische Opposition und die Menschenrechtler zu erreichen.
({0})
Es geht um die erforderlichen Maßnahmen! Sollen wir
denn nichts tun? Sollen wir nicht einmal mit denen reden? Sollen wir nicht in bilateralen Gesprächen mit
Kuba zu erreichen versuchen, dass dort die Menschenrechte eingehalten werden? Das abzulehnen, wäre doch
nun wirklich billig.
Ich habe leider von Ihnen und Ihrer Fraktion zu dieser
gemeinsamen Entschließung nicht einen Satz, nicht einen Vorschlag gehört. Wir hatten ein interfraktionelles
Berichterstattergespräch. Die Kollegen von der Fraktion
Die Linke hatten es noch nicht einmal für nötig befunden, dorthin zu kommen. Da hätten Sie ja mit uns über
solche Punkte verhandeln können, wenn Ihnen das wichtig gewesen wäre.
({1})
Sie haben aber diese Debatte wie die Menschenrechtssituation in Kuba mit Nichtachtung gestraft. Das ist ein
Armutszeugnis. Sie verspielen hier heute Ihre Reputation im Bereich der Menschenrechtspolitik.
({2})
Man kann sich nicht aussuchen, wo man kritisiert,
sondern wenn etwas kritikwürdig ist, muss man klar
Flagge zeigen. Das haben wir immer so gehalten. Andere, die da früher Hemmungen hatten, tun es heute auch
gegenüber Ländern wie den USA. Diese Entwicklung ist
gut. Wir begrüßen sie und erkennen das an. Ihnen wünsche ich: Gute Besserung!
({3})
Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Menschenrechte
und Humanitäre Hilfe auf Drucksache 16/2006 zu dem
Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen mit
dem Titel „Presse und Meinungsfreiheit in Kuba einfordern“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner
Beschlussempfehlung, den Antrag auf Drucksache 16/934
für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.
Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe, den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/945 mit dem Titel „Menschenrechte in Kuba
einfordern und die kubanische Zivilgesellschaft fördern“
für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist ebenso einstimmig angenommen.
Unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/2006 empfiehlt der Ausschuss, eine Entschließung anzunehmen. Es ist namentliche Abstimmung verlangt. Ich bitte die Schriftführerinnen und
Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind die Plätze an den Urnen besetzt? - Das ist der Fall.
Dann eröffne ich die Abstimmung.
Ich stelle die obligate Frage: Ist noch ein Mitglied des
Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben
hat?
({0})
Haben jetzt alle Kolleginnen und Kollegen ihre
Stimme abgegeben? - Das ist der Fall. Dann schließe ich
die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und
Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Er-
gebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gege-
ben.1)
Wir setzen die Beratungen fort.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Umsetzung der neu gefassten Banken-
richtlinie und der neu gefassten Kapital-
adäquanzrichtlinie
- Drucksache 16/1335 -
1) Ergebnis Seite …
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({1})
- Drucksachen 16/2018, 16/2056 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Leo Dautzenberg
Nina Hauer
Dr. Axel Troost
Hierzu liegen je ein Entschließungsantrag der Frak-
tion der Linken und der Fraktion des Bündnisses 90/Die
Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Die Kolleginnen und
Kollegen Nina Hauer, Axel Troost und Gerhard Schick
und der Parlamentarische Staatssekretär Karl Diller ha-
ben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1) Deswegen erteile
ich jetzt Kollegen Frank Schäffler, FDP-Fraktion, das
Wort.
({2})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf zur Umsetzung
der Basel-II-Vorgaben wird heute von einer breiten
Mehrheit dieses Hauses getragen. Die FDP-Fraktion
wird auch aufgrund der im Finanzausschuss erreichten
Verbesserungen zustimmen.
Meiner Fraktion war wichtig, dass wir einige Ände-
rungsvorschläge aus der Anhörung zur Vermeidung zu-
sätzlicher Bürokratie umgesetzt haben. Dies ist deshalb
von großer Bedeutung, weil die Umsetzung von Basel II
in nationales Recht für die Kreditwirtschaft einen enor-
men Aufwand bedeutet. Allein das aufsichtliche Zulas-
sungsverfahren für interne Ratings bindet in mittelstän-
dischen Banken je nach Anzahl der Ratingsysteme zwei
bis fünf Mannjahre.
Insgesamt bietet der vorliegende Gesetzentwurf eine
ausgewogene Balance zwischen dem Ziel eines stabilen
Finanzmarktes und dem Interesse der Marktteilnehmer,
günstige Kredite zu erhalten. Die FDP-Fraktion setzt
darauf, dass die Kreditvergabe für den Mittelstand durch
die geringere Eigenkapitalunterlegung der Banken ver-
bessert wird.
Die aktuelle Auswirkungsstudie der Bundesbank,
QIS 5, hat nachgewiesen, dass im Vergleich zum derzeit
in Deutschland geltenden Grundsatz I die Eigenkapi-
talanforderungen für das gesamte deutsche Bankensys-
tem um 6,7 Prozent sinken werden. Dabei profitieren
nicht nur die großen Banken mit einem um 4,2 Prozent
geringeren Eigenkapitalerfordernis, sondern insbeson-
dere die kleinen Banken mit bis zu 8,4 Prozent. Die Stu-
die hat auch gezeigt, dass es deutliche Anreize gibt, ver-
1) Anlage 15
feinerte Ratingverfahren zu verwenden, da damit die
Eigenkapitalanforderungen sinken.
Ich begrüße auch, dass beim Thema Transparenz des
Ratings mit der vorliegenden Beschlussempfehlung das
richtige Signal gesetzt wird.
({0})
Wir schaffen nicht einen neuen Paragrafen, sondern setzen auf die Selbstverpflichtung der Kreditwirtschaft.
In Bezug auf das Scoring hat der Bundesdatenschutzbeauftragte eindeutig erklärt, dass die Regelungen, die
wir hier umsetzen, nur für das Rating, aber nicht für das
Scoring gelten.
Ein zentraler Punkt in den Beratungen war für die
FDP die Nullgewichtung von Intragruppenforderungen
bei Haftungsverbünden von Sparkassen und Landesbanken. In der Anhörung wurde darauf hingewiesen, dass
bei diesen Verbünden eine unbedingte Haftungszusage,
eine zentrale Risikosteuerung, konsolidierte Publizitätspflichten und eine homogene Mitgliederstruktur fehlen.
Es kommt nun entscheidend darauf an, dass die Bankenaufsicht auf die Beachtung der Großkreditvorschriften
und der Mindestanforderungen an das Risikomanagement hinwirkt. Die Bundesregierung muss Bericht erstatten, wenn Erfahrungen mit dem novellierten KWG
gemacht wurden. Wir erwarten seitens der FDP-Fraktion
einen Bericht Anfang 2008, wenn die Jahresabschlüsse
für 2007, also für das Jahr, in dem die neuen Regeln erstmals angewandt werden, vorliegen.
Wichtig ist, dass das Parlament im weiteren Verlauf in
die Umsetzung der zu Basel II gehörenden Solvabilitätsverordnung und der Groß- und Millionenkreditverordnung einbezogen bleibt. Auch beim Erlass der Verordnungen muss das Prinzip der Eins-zu-einsUmsetzung gelten. Wir werden sehr genau darauf achten, ob die BaFin die notwendigen Konsequenzen zur
Stabilität unseres Finanzmarktes ergreift.
({1})
Positiv ist festzuhalten, dass im Finanzausschuss noch
Änderungen des Gesetzentwurfes beschlossen wurden,
die zumindest die Vermeidung zusätzlicher Bürokratie
bedeuten. Ich nenne nur die nunmehr ausreichende „Bescheinigung über die prüferische Durchsicht des Zwischenabschlusses“ oder den Verzicht auf die Anzeigepflichten beim Outsourcing.
Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag hat
in der Anhörung zu Recht darauf hingewiesen, dass der
Normenkontrollrat, wenn es ihn schon geben würde, bei
diesem Gesetzentwurf viel zu tun gehabt hätte. Es bleibt
festzuhalten, dass das Kreditwesengesetz insgesamt einer Überarbeitung im Sinne der besseren Lesbarkeit und
Handhabbarkeit bedarf.
Die FDP-Fraktion hat die Basel-II-Umsetzung über
viele Jahre hinaus stets im Sinne des Mittelstandes
begleitet. Wir denken, dass heute ein gutes Ergebnis vorliegt. Die Basel-II-Umsetzung bleibt aber natürlich
weiterhin ein Prozess, den wir aufmerksam begleiten
werden.
Vielen Dank.
({2})
Ich erteile das Wort Kollegen Georg Fahrenschon,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zu zugegebenermaßen vorgerückter Stunde schließt
der Deutsche Bundestag nach über siebenjähriger engagierter Begleitung eine grundlegende Modernisierung
der deutschen Banken- und Kreditaufsicht ab. Man muss
schon die Frage stellen, warum wir eine Veränderung der
Banken- und Kreditaufsicht befürworten und was die
Hintergründe dieses Vorgehens sind.
Das speziell bankenspezifische Risiko besteht darin,
dass ein Schuldner seiner Verpflichtung gegenüber der
Bank nicht nachkommt und die Bank im schlimmsten
Falle ihre eigenen Verpflichtungen gegenüber den Sparern nicht erfüllen kann. Um dieses Ausfallrisiko gegenüber den vielen Sparern und Anlegern in einer Volkswirtschaft zu reduzieren und um die Gefahr einer Krise
am Finanzmarkt möglichst auszuschließen, müssen alle
Kreditinstitute und Banken grundsätzlich Eigenkapital
vorhalten, damit im Falle von Ausfällen die Verluste aufgefangen werden können. Das ist international üblich.
Seit 1988 wurden dafür auch verbindliche Mindeststandards für die Kapitalunterlegung von Risiken
durch Kreditinstitute vereinbart, die mittlerweile in über
100 Ländern angewendet werden. Nach dieser Regel
müssen Banken und Sparkassen weltweit für jeden Kredit an Unternehmen in Höhe von zum Beispiel 100 Euro
8 Euro Eigenkapital hinterlegen.
Jetzt kommt der entscheidende Punkt. Diese rein
quantitative und pauschale Eigenkapitalvorschrift erwies
sich jedoch wenige Jahre nach ihrer internationalen InKraft-Setzung einer Reihe von Risiken schlicht und einfach nicht angemessen. Was noch schwerer wiegt: Die
bestehenden Regeln setzen strukturelle Fehlanreize.
Dazu zählt zum Beispiel, dass ein Institut für einen Kredit an Unternehmen mit geringerem Risiko genauso viel
Eigenkapital hinterlegen muss wie für einen Kredit an
ein Unternehmen mit schlechter Bonität. Das bedeutet
im Kern nichts anderes, als dass gute Schuldner gewissermaßen schlechte Schuldner subventionieren,
was - wenn man es weiterentwickelt - den guten
Schuldner dazu veranlasst, Fremdmittel beispielsweise
auf Anleihemärkten aufzunehmen, weil dieser Weg für
ihn günstiger ist.
Letztendlich führt das dazu - das ist ein wesentlicher
Grund, weshalb wir die Eigenkapitalhinterlegungsregeln
ändern müssen -, dass in absolutem Widerspruch zum
Ziel sich die schlechteren Risiken eher bei den Banken
sammeln, als dass sie sich im Markt verteilen.
({0})
Um diesen Strukturfehler abzubauen, erfasst nun die
neue Bankenregel Basel II die individuellen Risiken eines Kredits differenziert und trägt damit direkt zur Stabilisierung des nationalen wie auch des internationalen
Finanzsystems bei.
Ich habe schon am Anfang meiner Rede auf die siebenjährige Entwicklung hingewiesen. Man sollte daran
erinnern, dass, als der so genannte Baseler Ausschuss, in
dem die Bundesbank und die Bankenaufsicht die Interessen Deutschlands vertreten, 1999 seinen ersten Entwurf
für die neuen Eigenkapitalanforderungen für Banken
vorlegte, in Deutschland ein Sturm der Entrüstung losbrach. Vor allem der Mittelstand befürchtete vor dem
Hintergrund der damaligen Vorschläge nicht zu Unrecht,
dass er durch die Änderungen der Bankensteuerung massive Nachteile bei seiner Kreditversorgung erleiden
werde.
({1})
Heute kann ich feststellen, dass es dem sofortigen Engagement des Deutschen Bundestages und der engen Zusammenarbeit mit den deutschen Kollegen im Europäischen Parlament, insbesondere mit dem zuständigen
Berichterstatter, zu verdanken ist, dass diese Befürchtungen nicht eingetreten sind.
({2})
Im Gegenteil: Es konnten sogar erhebliche Vorteile
für den deutschen Mittelstand erreicht werden. Denn
mit dem so genannten Mittelstandspaket wurde bei der
Behandlung der Kredite an kleine und mittlere Unternehmen sichergestellt, dass es unter Basel II definitiv
nicht zu einer Verschlechterung der Finanzierungsmöglichkeiten für den Mittelstand kommen wird. So werden
beispielsweise allein durch die Möglichkeit, Kredite an
kleine Unternehmen von unter 1 Million Euro wie Kredite an Privatkunden zu behandeln, circa 90 Prozent aller
Kreditforderungen des deutschen Mittelstands spürbar
entlastet.
({3})
Diese Regelung bedeutet, dass jeder Mittelständler unabhängig von der Höhe des Jahresumsatzes bei jeder
Ausfallwahrscheinlichkeit ein um 25 Prozent niedrigeres
Risikogewicht als ein Unternehmenskredit erhält. Das
hilft insbesondere bei Krediten an Handwerker, Freiberufler, Landwirte, aber auch bei Krediten an private
Haushalte, wenn es um die Finanzierung von Wohnimmobilien inklusive der Bauspardarlehen geht.
Im Ergebnis kann man also feststellen, dass Unternehmen wie private Haushalte in Zukunft sogar größere
Chancen beim Nachweis ihrer Kreditwürdigkeit haben,
um dann auch bessere Konditionen zu erhalten. Die AusGeorg Fahrenschon
sage mancher Banker in den letzten Jahren: „Sie bekommen keinen Kredit wegen Basel II“ ist schlichtweg
falsch.
Vor diesem Hintergrund und um eine bessere Transparenz zu erreichen, haben CDU/CSU gemeinsam mit
der SPD und der FDP in der gestrigen Finanzausschusssitzung zusätzlich eine Entschließung zu Art. 145 Abs. 4
der neu gefassten Bankenrichtlinie eingebracht. Auf der
Grundlage der europäischen Richtlinie fordern wir die
deutsche Kreditwirtschaft auf, über das Instrument einer
Selbstverpflichtung dafür Sorge zu tragen, dass alle Kreditinstitute ihre Ratingentscheidungen den Kredit suchenden Unternehmen in nachvollziehbarer Weise und
schriftlich offen legen.
({4})
An dieser Stelle ist für die Union wichtig: Sollte diese
Selbstverpflichtung nicht ausreichen und nur unzureichend Wirkung zeigen, wollen wir prüfen, ob eine gesetzliche Regelung notwendig ist.
({5})
Denn Basel II ist kein Kreditkiller für den Mittelstand,
sondern bietet faire Rahmenbedingungen für die Kreditvergabe.
Kollege Schäffler hat bereits herausgestellt, dass es
uns auch im letzten Teil, in der nationalen Umsetzung,
gelungen ist, ein optimales Ergebnis für alle Akteure am
Finanzstandort Deutschland zu erarbeiten und die neuen
Regeln für die Kreditwirtschaft und die Verbraucher
praktikabel zu machen. So konnte im parlamentarischen
Verfahren gegenüber der Bundesregierung erreicht werden, dass eine Reihe von Verfahren, die in Deutschland
bereits seit Jahren erfolgreich von der Kreditwirtschaft
praktiziert werden, nicht unnötig verändert und verschärft wurden. Beispielhaft möchte ich die im ursprünglichen Gesetzentwurf vorgesehenen Änderungen
in § 10 KWG Abs. 2 a und c nennen.
Die Einführung neuer Abzugsverpflichtungen für
erhebliche Verluste aus der Bewertung von Handelsbuchpositionen oder für nicht erhebliche unterjährige
Verluste aus Handelsbuchgeschäften hätten enorme Anwendungsprobleme für die Institute bedeutet. Mit der
Beibehaltung des Status quo in diesem Bereich konnte
unnötige Bürokratie vermieden werden.
({6})
Auch bei der Ermittlung der Auslastung der Bagatellgrenzen für die Freistellung von der Anwendung der
Handelsbuchregelung wird die gängige Gesetzespraxis
aus gutem Grund beibehalten, da unserer Ansicht nach
keinerlei Notwendigkeit besteht, die betroffenen Nichthandelsbuchinstitute mit einem unnötigen Aufwand zu
belasten.
Ich glaube, man kann die deutsche Umsetzung der
neuen Baseler Eigenkapitalregelung fraktionsübergreifend als gelungen bezeichnen.
({7})
Die inhaltliche Ausgestaltung des neuen Aufsichtsregimes ab 2007 steht damit so frühzeitig wie möglich
fest. Dadurch können wir unseren Instituten am Standort
Deutschland einen Vorsprung bei der Anwendung der
neuen Eigenkapitalregeln und bei den damit verbundenen frei werdenden Eigenkapitalmitteln verschaffen.
({8})
Der Kollege Schäffler hat auf die 6,7 Prozent im Durchschnitt und auf die 8,4 Prozent weniger Eigenkapitalmittel, die hinterlegt werden müssen, schon hingewiesen.
Zum Jahreswechsel 2007 ergibt sich ein wichtiger Effekt für die deutsche Kreditwirtschaft, die wieder mehr
Geld verfügbar hat, das sie dann auch in neue Kredite investieren kann. Ich glaube, wir müssen jetzt nur noch
aufpassen, dass die Aufsicht die neuen Instrumente auch
anwendet; denn die Aufgabe der Aufsicht ist es nicht,
unternehmerische Entscheidungen zu fällen, sondern die
Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Kreditwirtschaft in Deutschland zu schaffen und zu bewahren.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({9})
Ich schließe die Aussprache.
Bevor wir zu den Abstimmungen über diesen Tagesordnungspunkt kommen, gebe ich Ihnen das von den
Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über Buchstabe c
der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe bekannt. Abgegebene
Stimmen 534. Mit Ja haben gestimmt 481, mit Nein haben gestimmt 48, Enthaltungen 5. Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Endgültiges Ergebnis
Abgegebenen Stimmen: 534;
davon
ja: 481
nein: 48
enthalten: 5
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Albach
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({0})
Veronika Bellmann
Clemens Binninger
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({1})
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Gitta Connemann
Hubert Deittert
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Anke Eymer ({2})
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Hartwig Fischer ({3})
Dirk Fischer ({4})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Dr. Hans-Peter Friedrich
({5})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Ralf Göbel
Dr. Reinhard Göhner
Josef Göppel
Peter Götz
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Karl-Theodor Freiherr zu
Guttenberg
Holger Haibach
Ursula Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Peter Hintze
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung ({6})
Dr. Franz Josef Jung
Hans-Werner Kammer
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({7})
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Jürgen Klimke
Jens Koeppen
Kristina Köhler ({8})
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Martina Krogmann
Johann-Henrich
Krummacher
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers
({9})
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Ingbert Liebing
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Stephan Mayer ({10})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Laurenz Meyer ({11})
Maria Michalk
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Carsten Müller
({12})
Stefan Müller ({13})
Bernward Müller ({14})
Dr. Gerd Müller
Hildegard Müller
Bernd Neumann ({15})
Henry Nitzsche
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Dr. Peter Paziorek
Ulrich Petzold
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Daniela Raab
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Eckhardt Rehberg
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht ({16})
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({17})
Hermann-Josef Scharf
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Georg Schirmbeck
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({18})
Andreas Schmidt ({19})
Ingo Schmitt ({20})
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Kurt Segner
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Max Straubinger
Thomas Strobl ({21})
Michael Stübgen
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Marcus Weinberg
Peter Weiß ({22})
Karl-Georg Wellmann
Anette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Willi Zylajew
SPD
Dr. Lale Akgün
Gregor Amann
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr ({23})
Doris Barnett
Dr. Hans- Peter Bartels
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({24})
Volker Blumentritt
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Bernhard Brinkmann
({25})
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Renate Gradistanac
Angelika Graf ({26})
Dieter Grasedieck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann
({27})
Nina Hauer
Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({28})
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({29})
Frank Hofmann ({30})
Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Brunhilde Irber
Johannes Jung ({31})
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Dr. h.c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Fritz Rudolf Körper
Rolf Kramer
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christian Lange ({32})
Dr. Karl Lauterbach
Waltraud Lehn
Gabriele Lösekrug-Möller
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Petra Merkel ({33})
Ulrike Merten
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller ({34})
Michael Müller ({35})
Dr. Rolf Mützenich
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Christoph Pries
Dr. Wilhelm Priesmeier
Dr. Sascha Raabe
Steffen Reiche ({36})
Maik Reichel
Gerold Reichenbach
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({37})
Michael Roth ({38})
Marlene Rupprecht
({39})
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({40})
Bernd Scheelen
Marianne Schieder
Otto Schily
Silvia Schmidt ({41})
Dr. Frank Schmidt
Heinz Schmitt ({42})
Carsten Schneider ({43})
({44})
Swen Schulz ({45})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Andreas Steppuhn
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Joachim Stünker
Dr. Rainer Tabillion
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. h.c. Wolfgang Thierse
Jörn Thießen
Franz Thönnes
Hans-Jürgen Uhl
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Petra Weis
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen
({46})
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Engelbert Wistuba
Waltraud Wolff
({47})
Heidi Wright
Uta Zapf
Manfred Zöllmer
FDP
Jens Ackermann
Dr. Karl Addicks
Christian Ahrendt
Daniel Bahr ({48})
Uwe Barth
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich ({49})
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Miriam Gruß
Joachim Günther ({50})
Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Hellmut Königshaus
Gudrun Kopp
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Hans-Joachim Otto
({51})
Gisela Piltz
Jörg Rohde
Marina Schuster
Dr. Max Stadler
Florian Toncar
Christoph Waitz
Dr. Claudia Winterstein
Hartfrid Wolff ({52})
BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Kerstin Andreae
Volker Beck ({53})
Cornelia Behm
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Alexander Bonde
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Dr. Uschi Eid
Hans Josef Fell
Kai Gehring
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Peter Hettlich
Priska Hinz ({54})
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ute Koczy
Sylvia Kotting-Uhl
Undine Kurth ({55})
Markus Kurth
Monika Lazar
Anna Lührmann
Winfried Nachtwei
Claudia Roth ({56})
Krista Sager
Elisabeth Scharfenberg
Irmingard Schewe-Gerigk
Rainder Steenblock
Silke Stokar von Neuforn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Jürgen Trittin
Wolfgang Wieland
Nein
DIE LINKE
Karin Binder
Heidrun Bluhm
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Werner Dreibus
Klaus Ernst
Heike Hänsel
Lutz Heilmann
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Dr. Barbara Höll
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Dr. Hakki Keskin
Katja Kipping
Monika Knoche
Jan Korte
Oskar Lafontaine
Michael Leutert
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Ulrich Maurer
Dorothee Menzner
Kornelia Möller
Kersten Naumann
Wolfgang Nešković
Dr. Norman Paech
Bodo Ramelow
Elke Reinke
Paul Schäfer ({57})
({58})
Dr. Herbert Schui
Dr. Petra Sitte
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Jörn Wunderlich
fraktionslos
Gert Winkelmeier
Enthalten
SPD
Monika Griefahn
Ernst Kranz
Lothar Mark
Dr. Wolfgang Wodarg
Nun kommen wir zu den Abstimmungen dieses Tagesordnungspunktes, und zwar zunächst über den von der
Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Umsetzung der neu gefassten Bankenrichtlinie und der neu gefassten Kapitaladäquanzrichtlinie, Drucksache 16/1335.
Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/2018, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen des ganzen Hauses bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit der gleichen Mehrheit wie zuvor angenommen.
Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/2018 empfiehlt der Ausschuss, eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist bei Enthaltung der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen einstimmig angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Entschließungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungsantrag
der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/2042? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke von
den übrigen Fraktionen abgelehnt.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/2043? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Damit ist der Entschließungsantrag der Fraktion
des Bündnisses 90/Die Grünen mit den Stimmen des
Hauses bei Gegenstimmen der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen und der Linken abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael
Kauch, Dr. Max Stadler, Sabine LeutheusserSchnarrenberger, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Patientenverfügungen neu regeln - Selbstbestimmungsrecht und Autonomie von nichteinwilligungsfähigen Patienten stärken
- Drucksache 16/397 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({59})
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und teile zunächst mit,
dass die Kollegen Kauch, Granold, Stünker, Grübel,
Schewe-Gerigk und Strässer ihre Reden zu Protokoll
gegeben haben.1) Es redet als Einziger zu diesem Tagesordnungspunkt der Kollege Ilja Seifert, Fraktion Die
Linke.
({60})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wir leben in einer verrück-
ten Zeit. Das Arzt-Patienten-Verhältnis ist von Vertrauen
geprägt, sollte es jedenfalls sein. Was aber geschieht? Es
wird immer weiter verrechtlicht. Eine Hoffnung ist, so-
lange es kein einheitliches und überschaubares Recht des
Gesundheitswesens gibt, für viele Menschen die Patien-
tenverfügung; sie bleibt aber eine Notlösung. Wer das
nicht sieht, geht in die Irre.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, Sie
schlagen vor, die Patientenverfügung neu zu regeln. Da-
gegen gibt es erst einmal gar nichts zu sagen. Sie haben
aber vergessen, dass eine Vorsorgevollmacht, eine Be-
treuungsverfügung und möglichst auch eine klare Festle-
gung, ob man als Organspender zur Verfügung steht oder
nicht, hinzugefügt werden müsste. Ansonsten nutzt die
Patientenverfügung nämlich relativ wenig.
1) Anlage 16
Sie sorgen sich darum, dass die Fürsorge des Staates,
die Fürsorge des Arztes, die Fürsorge des Gesundheitswesens in Bevormundung umschlägt und die Selbstbestimmung der Menschen beeinträchtigt. Sie vergessen aber - das muss, wenn das neu geordnet wird,
unbedingt hinzugefügt werden -, dass wir dafür sorgen
müssen, dass die Menschen, wenn man ihnen immer
mehr Selbstbestimmung gibt, nicht immer stärker vereinsamen oder gar verwahrlosen. Das geschieht nicht
nur bei Alkoholkranken, das geschieht auch bei alten
Menschen, bei Demenz und anderen sozialen oder sonstigen Schwierigkeiten. Im Übrigen: Wie soll ich selbst
bestimmen, wenn ich gar nicht weiß, welche Therapie
ich gerade brauche, weil ich die Diagnose gar nicht
selbst stellen kann?
Deshalb sage ich: In diesem Zusammenhang nützt
uns die Stärkung des Selbstbestimmungsrechts allein
wenig. Wir müssen das Arzt-Patienten-Verhältnis, das
ein Vertrauensverhältnis sein sollte, stärken. Es kann
nicht sein, dass die Patienten zukünftig nur noch in Begleitung ihres Rechtsanwalts zum Arzt gehen, wohl wissend, dass neben dem Arzt dessen Rechtsanwalt sitzt,
und sich dann die Rechtsanwälte über die Diagnose unterhalten und überlegen, welche Therapie von wem bezahlt wird. Wenn wir so weit sind, haben wir verloren.
Eine grundlegende Regelung des Arzt-Patienten-Verhältnisses im BGB wäre sinnvoll, damit sowohl die Ärztinnen und Ärzte als auch die Patientinnen und Patienten
wieder weniger über rechtliche Dinge nachdenken müssen, sondern man wieder stärker Vertrauen darin haben
kann, dass jede Seite ihre Sache so ordentlich macht,
dass für alle Seiten das Beste herauskommt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns eines
nicht vergessen: Zu große Hoffnung in die Patientenverfügung zu legen, kann auch heißen, dass wir der aktiven
Sterbehilfe Tür und Tor öffnen. Was wollen wir denn
machen, wenn jemand frei und selbstbestimmt hineinschreibt: Wenn das und das mit mir passiert, möchte ich
eine Giftspritze haben. Wie soll sich der Arzt dann verhalten? Wenn die Patientenverfügung rechtsverbindlich
wäre, müsste er sie setzen. Ist sie es nicht, dann ist sie
überflüssig.
Also: Lassen Sie uns auch festlegen, was in einer
Patientenverfügung nicht festgelegt werden darf, beispielsweise die aktive Sterbehilfe. Lassen Sie uns dafür
sorgen, dass die Palliativversorung - auch ambulant richtig, schnell und flächendeckend ausgebaut wird und
die Sterbebegleitung ernst genommen wird. Das ist ein
Faktor, der ein paar Mark dreißig kostet, den wir uns
aber leisten müssen, damit die Menschen keine Angst
vor dem haben müssen, was passiert, wenn sie in eine
gesundheitlich ausweglose Situation geraten. Das ist angesagt und nicht das einseitige Setzen auf Selbstbestimmung gegen das Vertrauensverhältnis von Arzt und Patient.
Ich danke Ihnen, dass Sie zu dieser späten Stunde
noch so aufmerksam waren, und hoffe, dass wir zu einem vernünftigen Ergebnis kommen.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/397 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 14 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses über
den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der
Europäischen Union ({0})
- Drucksache 16/1024 - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung des
Rahmenbeschlusses über den Europäischen
Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen
Union ({1})
- Drucksache 16/544 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({2})
- Drucksache 16/2015 Berichterstattung:
Abgeordnete Siegfried Kauder ({3})
Joachim Stünker
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Wolfgang Nešković
Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein
Entschließungsantrag der Fraktion der FDP vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Parlamentarischen Staatssekretär Alfred Hartenbach das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Grenzen in Europa sind in den letzten
Jahrzehnten immer durchlässiger geworden. Das war
eine glückliche Entwicklung und zahllose Menschen
profitieren heute davon. Damit offene Grenzen aber
nicht zu einem Risiko für unsere Sicherheit werden,
muss auch die Verbrechensbekämpfung grenzüberschreitend werden. Der Mobilität der Straftäter müssen
wir die Kooperation der Strafverfolger entgegensetzen.
Der Europäische Haftbefehl ist ein wichtiges Instrument, um die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten beim
Kampf gegen Terrorismus und Kriminalität weiter zu
verbessern. An die Stelle der traditionellen Regelungen
des Völkerrechts tritt ein vereinfachtes und vor allem beschleunigtes Auslieferungsverfahren. Ein erstes Gesetz
hat das Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt. Das hat uns allen wehgetan.
Wir kommen mit dem neuen Entwurf heute dem Urteil des Verfassungsgerichts nach, und zwar in allen
Punkten. Die Bundesregierung hat die Entscheidung des
Gerichts sehr genau geprüft und dann einen Gesetzentwurf vorgelegt. Der Rechtsausschuss hat auf dieser
Grundlage eine, wie ich finde, sehr intensive und gute
Anhörung durchgeführt und an einigen Punkten weitere
Veränderungen vorgenommen. Wir haben das Gesetz
verbessert und alle verfassungsrechtlichen Bedenken
ausgeräumt.
Die Entscheidung der Bewilligungsbehörde - das war
eine der Fragen -, keine der möglichen Bewilligungshindernisse geltend zu machen, muss künftig durch die
Oberlandesgerichte überprüft werden. Damit entsprechen wir der Forderung des Gerichts nach einem besseren Rechtsschutz.
Künftig ist auch klargestellt, dass eine Auslieferung
deutscher Staatsangehöriger unzulässig ist, wenn die
Tat einen maßgeblichen Inlandsbezug aufweist. Anders
ausgedrückt: Ausgeliefert werden darf künftig nur dann,
wenn Tatort und Erfolgseintritt in wesentlichen Teilen
im Ausland liegen oder wenn die Tat einen typischen
grenzüberschreitenden Charakter hat, wie dies zum Beispiel bei der organisierten Kriminalität immer der Fall
sein wird.
Ich möchte eine dritte Änderung erwähnen, nämlich
die so genannte Ausländerklausel. Angesichts von Millionen zum Teil bestens integrierter Zuwanderer in
Deutschland macht es keinen Sinn, bei der Frage einer
Auslieferung einzig und allein auf die Staatsbürgerschaft
abzustellen. Ein Italiener zum Beispiel, der seit Jahrzehnten hier lebt, darf nicht anders behandelt werden als
sein deutscher Nachbar. Allerdings kommt es immer auf
den Einzelfall an. Wir haben deshalb die zwingende Regel durch eine Ermessensklausel ersetzt. Ich meine, dass
das sehr vernünftig ist.
Insgesamt darf ich abschließend feststellen: Wir haben nunmehr einen verfassungsfesten Entwurf auf den
Tisch gelegt. Er berücksichtigt unsere Grundrechte und
die Entscheidung aus Karlsruhe. Er entspricht dem europäischen Rahmenbeschluss und ist für die Praxis geeignet. Ich bin mir sicher: Mit diesem Gesetz kommt die
Strafverfolgung in Europa ein gutes Stück voran und damit wird auch die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger
fester.
Vielen Dank.
({0})
Ich erteile das Wort Kollegin Sabine LeutheusserSchnarrenberger, FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Staatssekretär
Hartenbach, genau diese Einschätzung teile ich nicht.
({0})
Denn wenn Sie sich dieses Gesetzgebungsverfahren
ganz ehrlich und nüchtern vor Augen führen, stellen Sie
fest: Es war im ersten Anlauf vor dem Bundesverfassungsgericht eine große Blamage, weil das Justizministerium nicht in der Lage war, einen verfassungskonformen Entwurf vorzulegen.
({1})
Das Bundesverfassungsgericht hat das Gesetz insgesamt
für nichtig erklärt. Auch das muss einmal gesagt werden.
({2})
Das hören Sie zwar nicht gerne
({3})
- das verstehe ich -, aber das ist die Geschichte dieses
Gesetzentwurfs.
({4})
- Ich kann Ihnen sagen: in dieser Häufigkeit mit Sicherheit nicht. Ich nenne nur das Stichwort „Luftsicherheitsgesetz“. Das war eine Blamage bis zum Gehtnichtmehr.
({5})
Heute Morgen haben Sie Gesetzentwürfe verabschiedet, die sich alle beim Bundesverfassungsgericht wieder
finden und dort mit Sicherheit keinen Bestand haben
werden; denken Sie nur an das Steueränderungsgesetz.
In anderen Fällen haben Sie Gesetze mit Befristungen
versehen, obwohl Sie wissen, dass auch sie keinen Bestand haben werden. Insofern, Herr Staatssekretär, ist
das kein Glanzstück Ihrer Rechtspolitik.
Jetzt beraten wir den zweiten Anlauf des Justizministeriums. Der erste Gesetzentwurf, der vorgelegt wurde,
hat noch nicht einmal die Zustimmung der Koalitionsfraktionen gefunden; andernfalls hätten Sie in der letzten
Sitzung des Rechtsausschusses keine seitenlangen Änderungsvorschläge vorlegen müssen. Gott sei Dank haben
wir die Anhörung zu diesem Gesetzentwurf durchgeführt, in der die Kritik der Experten aus den unterschiedSabine Leutheusser-Schnarrenberger
lichsten Bereichen, die letztendlich auch das Justizministerium zur Kenntnis nehmen musste, deutlich wurde.
Jetzt liegt in geänderter Fassung ein Gesetzentwurf
vor, der durch diese Änderungen schon etwas verbessert
wurde, der aber nach wie vor deutliche Defizite aufweist. Wenn man sich das Urteil des Bundesverfassungsgerichts - es ist zwar nicht Gesetzgeber, aber die letzte
Instanz, wenn es um die Frage der Verfassungskonformität geht - genau ansieht, stellt man das fest. Das Justizministerium hat es sich zu leicht gemacht: Man hat einfach Formulierungen aus dem Urteil abgeschrieben, die
von Praktikern schon heute als nicht praxistauglich beurteilt werden.
({6})
Was ist denn unter „maßgeblichem Inlandsbezug“ zu
verstehen? Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt,
hier müssten vonseiten des Gesetzgebers Konkretisierungen erfolgen. Aber Sie übernehmen diese Formulierungen. Alle Experten haben zum Ausdruck gebracht,
dass es große Unsicherheiten gibt, dass die verwendeten
Begriffe zu unbestimmt sind und dass man nicht weiß,
wie man sie anwenden soll. Diese Entscheidung wird natürlich der Rechtsprechung unterworfen. Denn bei dieser
Materie geht es darum, dass deutsche Staatsangehörige
- zwar auch lange hier lebende Ausländer, aber insbesondere deutsche Staatsbürger - in die Hoheitsgewalt
und in ein Rechtsverfahren eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union überstellt werden.
Dort herrschen in diesem Bereich nach wie vor sehr
unterschiedliche Traditionen und es werden verschiedene Verfahren angewendet, die sich längst nicht an einheitlichen Standards orientieren. Daher denke ich, dass
es wichtig und notwendig ist, auch die Schranken, wann
jemand ausgeliefert werden darf und wann nicht, sehr
präzise zu formulieren.
({7})
Das ist in Ihrem Gesetzentwurf nicht mit der notwendigen Bestimmtheit der Fall.
Der zweite Bereich, über den wir mit den Experten intensiv diskutiert haben, betrifft die Frage, inwieweit in
diesem Bewilligungsverfahren Rechtsschutzmöglichkeiten gegeben sind. Das beinhaltet eine Bewilligungsund Zulässigkeitsprüfung. Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, nur auf massiven Druck wurde die
Formulierung gestrichen, dass die getroffene Entscheidung generell unanfechtbar ist. Eine solche Regelung
hätte mit Sicherheit nicht in Übereinstimmung mit dem
Urteil des Bundesverfassungsgerichts gestanden.
Wir sind der Auffassung - das haben wir auch im
Rechtsausschuss zum Ausdruck gebracht -, dass es letztendlich einen Rechtsbehelf gegen diese Bewilligungsentscheidung geben muss und dass die Ausgestaltung
des zweistufigen Verfahrens allein, wie im vorliegenden
Gesetzentwurf vorgesehen, nicht ausreicht.
Lassen Sie mich zum Schluss anmerken, dass mit diesem Rahmenbeschluss zum Europäischen Haftbefehl
eine neue Ära der justiziellen und polizeilichen
Zusammenarbeit in der Europäischen Union eingeleitet
wird. Denn mit dem gegenwärtig praktizierten Prinzip
der gegenseitigen Anerkennung, mit dem wir uns in dieser Intensität bisher noch gar nicht befasst haben, wird
ein Weg beschritten, der dazu führt, dass wir die Rechtsordnungen der anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union anerkennen, die, wie gesagt, sehr unterschiedlich sind und verschiedene Standards haben. Auf
diese unterschiedlichen Standards wird eine Anerkennung der jeweiligen Entscheidungen aufgesetzt. Das fördert nicht Integration, das manifestiert Unterschiede.
Wir haben bisher, obwohl es ein Grünbuch dazu gibt,
keinen Vorschlag dazu bekommen, wie Rechtsstandards
und Mindeststandards in diesem Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Europa endlich
einmal im Gesamtzusammenhang betrachten werden
können, um ein Stück weit Verlust und Einschränkung
von Rechten der einzelnen Betroffenen abzubauen.
Die FDP-Fraktion lehnt diesen Gesetzentwurf deshalb wegen grundsätzlicher Bedenken ab.
Vielen Dank.
({8})
Ich erteile das Wort Kollegen Siegfried Kauder, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Es gibt einen Grundsatz, den jedermann kennt: Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand. Zu den
Gerichten zählt auch das Bundesverfassungsgericht.
({0})
Damit nicht einige glauben, feixen zu können - das
gilt insbesondere für die Grünen, die ja damals in der
Regierungsverantwortung waren -, lohnt es sich vielleicht, die Entwicklung des ersten Gesetzentwurfes zum
Europäischen Haftbefehlsgesetz zu beleuchten: Am
29. November 2000 wurde Art. 16 Abs. 2 des Grundgesetzes im Vorgriff auf das von Europa zu erwartende
Recht - einen Rahmenbeschluss zum Europäischen
Haftbefehlsgesetz - um einen Satz 2 ergänzt. In diesem
Art. 16 Abs. 2 Satz 2 wurde abweichend von den bisherigen Grundrechten festgelegt:
Durch Gesetz kann eine abweichende Regelung für
Auslieferungen an einen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder an einen internationalen Gerichtshof getroffen werden, soweit rechtsstaatliche
Grundsätze gewahrt sind.
Damit nahm das Drama seinen Lauf: Was sind „rechtsstaatliche Grundsätze“, wie sie bei diesem Auslieferungsgesetz zu beachten sind?
Am 19. September 2001 präsentierte die Kommission
den Vorschlag eines Rahmenbeschlusses des Rates über
Siegfried Kauder ({1})
den Europäischen Haftbefehl und am 15. August 2003
lag uns der Entwurf der Bundesregierung vor. Es war
Eile geboten, nicht etwa weil Bestrafung aus Europa angestanden hätte, sondern weil alle Mitgliedstaaten der
Europäischen Union sich einig waren, dass in wenigen
Monaten, nämlich ab dem 1. Januar 2004, dieses erleichterte Auslieferungsrecht für die gesamte Europäische
Union gelten sollte. Es galt also den Anschluss zu halten. Verfassungsrechliche Rechtsprechung, an der wir
uns hätten orientieren können, gab es nicht. Deswegen
wurde dieser Gesetzentwurf mit der notwendigen Mehrheit im Deutschen Bundestag Gesetz. „Das war ja wohl
nichts“, meinte die Frau Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger etwas feixend; denn das Bundesverfassungsgericht hat dieses Gesetz mit Pauken und Trompeten
aufgehoben.
Meine lieben Kolleginnen, liebe Kollegen, wir können nicht immer klüger sein, als mancher Richter das ist.
Und mancher Richter ist auch nicht klüger als das Bundesverfassungsgericht. Denn kurz nachdem dieses
Gesetz verabschiedet war, hat das Oberlandesgericht
Stuttgart - am 28. Januar 2005 - einen Beschluss verabschiedet, dessen Ziffer 2 ich mir zu zitieren erlaube:
Gegen die Verfassungsmäßigkeit des neuen Auslieferungsrechts, insbesondere soweit es die Auslieferung Deutscher betrifft, bestehen keine durchgreifenden Bedenken.
Da hat immerhin ein Oberlandesgericht, im Einvernehmen mit den anderen Oberlandesgerichten, dem Gesetzgeber bestätigt: Du hast eine gute Arbeit geleistet.
({2})
Das Bundesverfassungsgericht sah das anders. Damit
muss eine Regierungskoalition und eine Regierung eher
leben als die Opposition, weil in aller Regel die Mehrheit im Deutschen Bundestag die Gesetze verabschiedet
und sie dann auch vor dem Verfassungsgericht zu vertreten hat.
Aber was hat uns das Bundesverfassungsgericht in
seiner Entscheidung präsentiert? Etwas, wovon nicht nur
die Politiker, sondern auch die Rechtsgelehrten völlig
überrascht waren: Da hat man auf einmal eine dreistufige Prüfung eingeführt und war der Meinung, Auslieferungsfälle seien zu differenzieren nach dem so genannten maßgeblichen Inlandsbezug und nach dem
maßgeblichen Auslandsbezug und, nicht zu vergessen,
dann gäbe es auch noch Mischfälle, wo man nicht eindeutig sagen kann, ob ein maßgeblicher Inlandsbezug
oder ein maßgeblicher Auslandsbezug vorhanden ist.
Das war also die dreistufige Prüfungsreihenfolge, die
uns das Verfassungsgericht vorgegeben hat.
Aber auch die Verfassungsrichter erkannten dann
schnell, dass es nicht so einfach möglich ist, dieses System durchzuhalten. Was machen wir denn mit der organisierten Kriminalität, die länderübergreifend tätig ist?
Na ja, dachten sich die hohen Herren bei Gericht, die packen wir einfach unter eine der Fallarten, nämlich die
mit maßgeblichem Auslandsbezug. - Meine Damen und
Herren, Sie sehen also: Es ist auch für ein Gericht nicht
so einfach, mit diesen Problemen fertig zu werden.
Ein weiteres Haar wurde in der Suppe gefunden, nämlich das, was die Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger
angesprochen hat: die Rechtsmittelfähigkeit der so genannten Bewilligungsentscheidungen. Seit es das Auslieferungsrecht gibt, hat es das in Deutschland noch nie
gegeben und das wurde unisono auch von den Gerichten
und von den Rechtsgelehrten nicht verlangt. Auf einmal
ist dies völlig unerwartet eine Vorgabe des Verfassungsgerichts.
Warum erzähle ich Ihnen dies alles? Weil der Grundsatz „Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes
Hand“ sicherlich auch für den jetzt vorliegenden Gesetzentwurf seine Anwendung finden könnte.
({3})
Wir haben anhand unseres eigenen Wissens, mit unseren
eigenen intellektuellen Fähigkeiten und mithilfe von
Fachbeamten des Justizministeriums zu prüfen, ob wir
diesen Gesetzentwurf verfassungsrechtlich vertreten
können oder nicht.
Ich verhehle nicht, dass man den einen oder anderen
Gedanken haben kann - der Kollege Montag wird dazu
noch etwas sagen -, wie man dieses Gesetz noch aufpeppen kann. Liebe Kolleginnen und Kollegen vom Bündnis 90/Die Grünen, nehmen Sie es uns aber nicht übel,
dass wir die Debatte, die Sie in der letzten Legislaturperiode mit Ihren Partnern nicht zu einem Ergebnis haben
führen können, nicht noch einmal entfachen.
Wir wollen ein verfassungskonformes Gesetz, das wir
damit vorgelegt haben. Ich bin der Meinung, es ist verfassungstauglich. Ob es gerichtsfest ist, werden wir vielleicht irgendwann einmal sehen. Es ist aber geeignet,
dem zuzustimmen. Darum bitte ich Sie.
({4})
Der Kollege Wolfgang Nešković, Fraktion Die Linke,
hat seine Rede zu Protokoll gegeben.1) Damit erteile ich
dem Kollegen Jerzy Montag, Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber
Kollege Kauder, die Grünen haben bei diesem Thema
nicht gefeixt, wie Sie gesagt haben, sondern ich habe mir
erlaubt, Ihnen zuzulächeln, weil ich die elegante Einfüh-
rung Ihres Vortrags so gut gefunden habe.
Mit allem Ernst: Ein Gesetz in einem zweiten Anlauf
formulieren zu müssen, das uns Abgeordneten des Bun-
destages vom Bundesverfassungsgericht mit der etwas
süffisanten Bemerkung zurückgegeben worden ist, wir
sollten „Gelegenheit bekommen, nunmehr unseren Ver-
fassungspflichten zu genügen“, ist nicht einfach. Ich er-
innere mich gut daran, dass ich am 11. März 2004 hier
im Hohen Hause gesagt habe, wir seien durch den Rah-
menbeschluss über den Europäischen Haftbefehl ge-
1) Anlage 17
zwungen, einige wichtige rechtsstaatliche Schutznormen
des bewährten deutschen Auslieferungsrechts abzusenken. Das Bundesverfassungsgericht hat dies anders gesehen.
Wir werden jetzt also in die Pflicht genommen, nach
den Vorgaben des Verfassungsgerichts nachzubessern.
Dabei sollten wir die uns vom Gericht zurückgegebene
Autonomie mutig nutzen und unsere Vorstellungen eines rechtstaatlichen Auslieferungsverfahrens ohne
ängstliches Schielen auf den Rahmenbeschluss in die Tat
umsetzen.
({0})
Leider muss ich der Koalition bescheinigen, diesen Mut
nicht aufgebracht zu haben. Ich will das an der zentralen
Frage verdeutlichen, wann ein Deutscher an das Ausland
ausgeliefert werden kann.
Die Antwort, die in Ihrem Gesetz steht, lautet: Wenn
seine Tat einen maßgeblichen Bezug zu dem Staat aufweist, der seine Auslieferung begehrt. - Das ist schwierig genug. Was aber ist ein maßgeblicher Bezug? Er soll
gegeben sein, wenn die Tat in wesentlichen Teilen in diesem Staat begangen wurde und der Taterfolg in wesentlichen Teilen dort eingetreten ist oder wenn die Tat einen
typisch grenzüberschreitenden Charakter hat. Was ist
aber der „wesentliche Teil“ einer Tat und welche Taten
haben einen „grenzüberschreitenden Charakter“? Fragen
über Fragen.
Damit ist es aber noch nicht genug. Der Deutsche
kann auch ausgeliefert werden, wenn seine Tat keinen
maßgeblichen Bezug zu dem Staat aufweist, der seine
Auslieferung begehrt.
Man fragt sich, warum und unter welchen Bedingungen das so sein soll. Das soll möglich sein, wenn seine
Tat auch keinen maßgeblichen Bezug zu Deutschland
hat, seine Tat - die maßgeblich wohl dann in einem
Drittstaat begangen worden sein muss - nach deutschem
Recht auch strafbar wäre und bei einer Abwägung der
Interessen des Staates, der die Auslieferung begehrt, obwohl zu ihm gar kein maßgeblicher Bezug besteht, im
Verhältnis zu dem Interesse des Deutschen, nicht ausgeliefert zu werden, die Interessen gleichgewichtig sind
oder die staatlichen Interessen überwiegen. - Das soll einer verstehen, der als Betroffener vor einer Auslieferung
zum Beispiel nach Lettland steht.
Es kommt aber noch schlimmer. Bei diesen letztgenannten Abwägungen zwischen den Interessen des Staates und des betroffenen Bürgers sind ins Verhältnis zu
setzen die praktischen Erfordernisse und Möglichkeiten
einer effektiven Strafverfolgung unter Berücksichtigung
der mit der Schaffung eines europäischen Rechtsraums
verbundenen Ziele mit den grundrechtlich geschützten
Interessen des Betroffenen. - Das alles steht in dem Gesetz. Das haben Sie wortwörtlich aus der Entscheidung
des Bundesverfassungsgerichts abgeschrieben. Sie glauben, indem Sie solche Begriffskaskaden ins Gesetz aufnehmen, könnten Sie einer nochmaligen Entscheidung
des Bundesverfassungsgerichts entkommen. Sie entkommen dem vielleicht, Herr Kollege Kauder, aber ein
gutes Gesetz ist das immer noch nicht.
({1})
Wir haben deswegen im Rechtsausschuss konkrete
Verbesserungsvorschläge dazu gemacht. Aber Sie haben
mit uns nicht einmal die Diskussion über unsere Änderungswünsche geführt. Sie haben zu unseren Änderungsvorschlägen im Rechtsausschuss geschwiegen. Weil Sie
die Diskussion nicht gesucht und unsere guten Verbesserungsvorschläge nicht akzeptiert haben, werden Sie,
meine Damen und Herren von der großen Koalition, die
Verantwortung für dieses Gesetz alleine zu tragen haben.
Wir Grünen werden diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen.
({2})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Carl-Christian
Dressel, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich
mir einige der Vorredner, vor allem Frau LeutheusserSchnarrenberger und Herrn Montag, anhöre, dann denke
ich, es geht um die Auslieferung von Verfolgten an Staaten wie China oder Kuba und nicht an Rechtsstaaten innerhalb der Europäischen Union. Meine Damen und
Herren, wir können darüber froh sein, dass wir in Europa
ein rechtsstaatliches Gemeinschaftssystem erreicht haben und dass der Europäische Rat bereits 1999 das Ziel
formuliert hat, in Europa einen Raum der Freiheit, der
Sicherheit und des Rechts zu gestalten.
({0})
Europa ist mehr als eine Wirtschaftsgemeinschaft. Europa ist eine Rechtsgemeinschaft.
({1})
Zu diesen Grundsätzen gehört auch, dass im Rahmen
eines rechtsstaatlichen Verfahrens die strafrechtliche
Verfolgung über die Grenzen hinaus ermöglicht wird.
Wir haben den europäischen Rahmenbeschluss jetzt
umzusetzen, nachdem es im ersten Anlauf nicht geklappt
hat. Das Bundesverfassungsgericht hat ausgeführt, dass
dem Gesetzgeber, da tragende verfassungsrechtliche
Gründe nicht gehalten haben, Gelegenheit gegeben werden muss, das Gesetz in seiner Gesamtheit neu zu beraten und die Möglichkeit zu schaffen, sowohl verfassungskonform als auch rahmenbeschlusskonform zu
einer Umsetzung zu kommen.
({2})
- Das steht unter Randnummer 116 B II der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts.
Frau Leutheusser-Schnarrenberger, Sie sagen immer,
das Gesetz sei insgesamt für nichtig erklärt worden. Das
ist die normale Folgen, derer sich das Bundesverfassungsgericht bedient, wenn es sich um die tragenden
Entscheidungen eines Gesetzes handelt. Wir haben in
dem vorliegenden Gesetzentwurf die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts berücksichtigt.
Ich sehe keinen Grund, daran zu zweifeln, ob verfassungsgerichtliche Vorgaben - durchaus auch im Wortlaut - im Gesetz erscheinen können. Ganz im Gegenteil:
Es ist gute rechtsstaatliche Tradition, sowohl Begrifflichkeiten aus gerichtlichen Entscheidungen zu übernehmen, als auch die Entscheidung im Einzelfall Behörden
und Gerichten zu überlassen.
Wir können als Gesetzgeber nicht für jeden denkbaren Einzelfall Vorsorge treffen. Wir können die Grundsätze vorgeben; über den Einzelfall entscheiden Behörden und Gerichte. Und tun wir nicht so, als ob das etwas
Neues wäre! Das ist im deutschen Rechtsstaat schon seit
Jahrzehnten, wenn nicht seit Jahrhunderten so.
({3})
- Herr Montag, die gesetzliche Regelung der Einzelfallentscheidung gibt es bei uns seit dem 19. Jahrhundert,
auch schon vor Einführung des Rechtsstaates.
({4})
- Ich sage Ihnen gerne konkret, Frau LeutheusserSchnarrenberger: Wenn Sie aufgrund von Nichtanfechtbarkeiten der Entscheidung der Bewilligungsbehörde,
die wir ursprünglich vorgesehen hatten, jetzt plötzlich
den Zusammenbruch des Rechtsstaates befürchten, dann
ist Ihnen offenbar eine Vorschrift wie § 44 a der Verwaltungsgerichtsordnung nicht bekannt, derzufolge eine
notwendige Zwischenentscheidung nicht isoliert anfechtbar ist, sondern erst im Rahmen der Gesamtentscheidung. Dann ist wahrscheinlich die Hälfte aller Baugenehmigungen, die bei Zwischenentscheidungen nicht
isoliert anzufechten waren, rechtsstaatswidrig. Diese
Auffassung kann ich nicht teilen, Frau LeutheusserSchnarrenberger.
Mit dem Europäischen Haftbefehl werden wir die Zusammenarbeit zwischen den europäischen Staaten erheblich beschleunigen und die Kriminalitätsbekämpfung
verbessern. Wir haben ein durch die Bank gutes Gesetz
geschaffen, das sich an den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts orientiert. Lassen Sie uns die Grundlage
für eine vernünftige Zusammenarbeit bei der Kriminalitätsbekämpfung in Europa auch im strafrechtlichen Bereich schaffen.
Ich danke Ihnen.
({5})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Europäischen
Haftbefehlgesetzes, Drucksache 16/1024. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/2015, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der CDU/
CSU und der SPD gegen die Stimmen der drei anderen
Fraktionen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den gleichen Mehrheiten wie soeben angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/2044. Wer
stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag
ist damit mit den Stimmen der CDU/CSU und der SPD
bei Enthaltung des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die
Stimmen der FDP und der Linken abgelehnt.
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des
Rechtsausschusses zu dem von den Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD eingebrachten Entwurf eines Europäischen Haftbefehlgesetzes, Drucksache 16/544. Der
Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/2015, den Gesetzentwurf für erledigt zu erklären. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Sevim
Dagdelen, Ulla Jelpke, Petra Pau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Einbürgerungen erleichtern - Ausgrenzungen
ausschließen
- Drucksache 16/1770 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({0})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Die Beiträge der Kollegen Kammer, Veit, Wolff
({1}), Dagdelen und Winkler zu diesem Tages-
ordnungspunkt sind zu Protokoll gegeben.1)
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/1770 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
1) Anlage 18
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und
der Vermögensabschöpfung bei Straftaten
- Drucksache 16/700 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({2})
- Drucksache 16/2021 Berichterstattung:
Abgeordnete Siegfried Kauder ({3})
Jörg van Essen
Jerzy Montag
Die Reden der Kollegen Siegfried Kauder, Peter
Danckert, Jörg van Essen, Sevim Dagdelen und Jerzy
Montag zu diesem Tagesordnungspunkt sind zu Pro-
tokoll gegeben1), genauso wie die Rede des Parlamenta-
rischen Staatssekretärs Alfred Hartenbach2).
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Stärkung
der Rückgewinnungshilfe und der Vermögensabschöp-
fung bei Straftaten, Drucksache 16/700. Der Rechtsaus-
schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/2021, den Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? -
Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist bei Enthaltungen
der Fraktionen der FDP und Die Linke mit den Stimmen
der anderen Fraktionen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. -
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzent-
wurf ist mit der gleichen Mehrheit wie soeben angenom-
men.
Ich rufe den Zusatzpunkt 6 auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen der FDP
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Demokratiebewegung in Belarus unterstützen
- Drucksache 16/1977 -
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss
1) Anlage 19
2) Rede lag bei Redaktionsschluss noch nicht vor.
Die Reden der Kollegen Manfred Grund, Uta Zapf,
Harald Leibrecht und Wolfgang Gehrcke3) zu diesem
Tagesordnungspunkt sind zu Protokoll gegeben.4)
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/1977 an den Auswärtigen Ausschuss
vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist
der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a und 20 b so-
wie die Zusatzpunkte 7 und 8 auf:
20 a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD
UN-Überprüfungskonferenz als Chance zur
wirksamen Kontrolle des Handels mit Klein-
waffen und leichten Waffen nutzen
- Drucksache 16/1894 -
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Holger
Haibach, Erika Steinbach, Carl-Eduard von Bismarck, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Herta
Däubler-Gmelin, Christoph Strässer, Niels Annen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
SPD
Den neuen Menschenrechtsrat der Vereinten
Nationen zum Erfolg führen
- Drucksache 16/1891 ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried
Nachtwei, Alexander Bonde, Jürgen Trittin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Waffen unter Kontrolle - Für eine umfassende
Begrenzung und Kontrolle des Handels mit
Kleinwaffen und Munition
- Drucksache 16/1967 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ({4})
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker
Beck ({5}), Marieluise Beck ({6}), Alexan-
der Bonde, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Den neuen Menschenrechtsrat der Vereinten
Nationen intensiv unterstützen
- Drucksache 16/1968 -
Die Reden der Kollegen Holger Haibach, Carl-Edu-
ard von Bismarck, Herta Däubler-Gmelin, Christoph
3) Rede lag bei Redaktionsschluss noch nicht vor.
4) Anlage 20
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Strässer, Florian Toncar, Michael Leutert und Volker
Beck sind zu Protokoll gegeben.1)
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/1894 mit dem Titel „UN-Überprüfungskonferenz als Chance zur wirksamen Kontrolle des Handels
mit Kleinwaffen und leichten Waffen nutzen“. Wer
stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen von CDU/
CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen der Fraktion
Die Linke und der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 20 b. Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf der
Drucksache 16/1891 mit dem Titel „Den neuen Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen zum Erfolg führen“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen
der CDU/CSU, SPD, FDP und der Fraktion Die Linke
gegen die Stimmen der Grünen angenommen.
Zusatzpunkt 7. Interfraktionell wird Überweisung der
Vorlage auf Drucksache 16/1967 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie
damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.
Zusatzpunkt 8. Abstimmung über den Antrag der
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf
Drucksache 16/1968 mit dem Titel „Den neuen Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen intensiv unterstützen“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen
von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der anderen
Fraktionen abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten CarlLudwig Thiele, Frank Schäffler, Dr. Hermann
Otto Solms, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
REITs - Real Estate Investment Trusts in
Deutschland einführen
- Drucksache 16/1896 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({7})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
FDP sechs Minuten erhalten soll. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Carl-Ludwig Thiele, FDP-Fraktion, das Wort.
({8})
1) Anlage 21
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Kolleginnen und Kollegen! Nachdem in den Medien
darüber berichtet wurde, nachdem sich Koalitionsarbeitsgruppen damit beschäftigt haben, ist es gut, dass uns
heute dieser Antrag vorliegt. Dies trägt dazu bei, dass
wir die Real Estate Investment Trusts entsprechend vorantreiben. Wir brauchen das. In der Koalitionsvereinbarung gibt es sogar eine entsprechende Absichtserklärung; aber wir haben REITs noch nicht.
Die SPD-Linken machen erheblich Stimmung gegen
die Einführung von REITs. Vielleicht ist auch ihnen das
Papier „Heuschrecken vor der Haustür“ bekannt.
({0})
- Vor der Tür, Entschuldigung!
({1})
- In meinem Text steht „Heuschrecken vor der Tür“.
({2})
Heuschrecken möchte natürlich niemand gern in seiner
Wohnung haben.
Worum geht es? Es geht hier aus meiner Sicht im Wesentlichen darum, ideologische Vorbehalte der SPD-Linken in dieser Frage endlich einmal über Bord zu werfen.
Auch für die CDU/CSU-SPD-Koalition sollte gelten:
Wir wollen nicht nur wissen, was in Deutschland nicht
geht, sondern wir wollen endlich auch einmal wissen,
dass etwas geht in Deutschland.
({3})
Deshalb werden wir als FDP in diesem Bereich aktiv.
({4})
Die Ängste der Menschen werden geschürt; aber keiner wird durch den Verkauf einer Wohnung schlechter
gestellt. Es ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass gerade unter einem SPD-geführten Ressort
noch in der letzten Wahlperiode Hunderttausende von
Wohnungen an Mieter, an Investoren veräußert wurden.
Dies war also schon in der Vergangenheit ein Prinzip der
Sozialdemokraten. Insofern kann man jetzt nicht sagen:
Dieser Weg sollte nicht gegangen werden.
({5})
- Zuletzt in Dresden.
Der Bereich der Immobilienwirtschaft wird aus meiner Sicht in Deutschland generell unterschätzt, auch was
die Werthaltigkeit angeht. Nach einer Untersuchung des
Ifo-Instituts beläuft sich der Wert inklusive des Grundstückwertes aller in Deutschland gehaltenen Immobilien
auf über 7 000 Milliarden Euro. In diesem Bereich sind
über 400 000 Menschen beschäftigt. Auch die volkswirtschaftliche Bedeutung dieses Bereichs sollte stärker als
bisher wahrgenommen werden.
({6})
Warum ist es so wichtig, die REITs nun einzuführen?
Ich möchte hier vier Gründe nennen.
Erstens. Als Anlageklasse wird die Immobilie auch in
Zukunft an Attraktivität gewinnen. Sie sichert durch die
Mietverträge nachhaltige Erträge und ist insbesondere
interessant, um Rentenverpflichtungen - Pensionsfonds
und Ähnliches - erfüllen zu können. Insofern ist es ein
guter Weg, die Immobilie für die Zukunft attraktiver zu
gestalten.
Zweitens. Die deutschen Unternehmen haben im Vergleich mit denen anderer Länder eine sehr niedrige Eigenkapitalrendite, aber überdurchschnittlich viel Immobilienbesitz. Eine Studie der Technischen Universität
Darmstadt hat ergeben, dass die Immobilieneigentumsquote deutscher Unternehmen noch immer bei durchschnittlich rund 60 Prozent liegt. Im internationalen Vergleich sind 30 bis 40 Prozent üblich.
({7})
Insofern gibt es hier stille Reserven. Sie werden anders
bilanziert werden müssen. Aufgrund dessen werden
diese Reserven auch einer anderen Besteuerung zugeführt werden. Wir brauchen in Deutschland eine bessere
Eigenkapitalausstattung der Unternehmen. Deshalb sollten wir dazu beitragen, dass die dort liegenden Werte gehoben werden, um die Eigenkapitalsituation der Unternehmen zu stärken.
Das ist eine der Voraussetzungen dafür, dass die Unternehmen wettbewerbsfähiger werden, dass investiert
werden kann und dass Arbeitsplätze geschaffen werden
können. Das sollte in unser aller Interesse sein. In den
Fragen des Finanzplatzes Deutschland waren wir bislang
fraktionsübergreifend einer Meinung. Wir sollten alles
tun, was den Finanzplatz stärkt. Also lassen Sie uns bitte
auch in dieser Frage so verfahren!
({8})
Drittens. Auch der öffentliche Sektor verfügt über
Immobilienbesitz, besonders Wohnimmobilien. Einzelne
Kommunen, Dresden zum Beispiel, sind vorangegangen. Aber es ist die Frage, ob der Verkauf an Investoren
erforderlich ist oder ob man auch andere Beteiligungsformen finden kann, die es den Kommunen ermöglichen,
sich selbst wieder an diesen Immobilienwerten zu beteiligen. Von daher halte ich es für richtig, dass dieser Weg
endlich geöffnet wird.
({9})
Viertens. In den USA gibt es REITs bereits seit den
60er-Jahren des letzten Jahrhunderts. Es gibt sie seit langem in den Niederlanden und Australien, seit mehr als
zehn Jahren in Kanada, seit Beginn des Jahrtausends in
vielen asiatischen Ländern, seit 2003 direkt vor unserer
Haustür in Frankreich und voraussichtlich ab dem nächsten Jahr auch in Großbritannien. Das zeigt: Deutschland
kann die Etablierung von REITs überhaupt nicht verhindern. Es ist nur die Frage: Findet das Geschäft in
Deutschland statt
({10})
oder findet es in anderen Ländern statt?
({11})
Ich habe inzwischen wirklich die Nase voll davon, dass
wir in Deutschland immer nur zeigen, was nicht geht.
Wir sollten uns bemühen, die Sache flott zu machen. Wir
werden das weitertreiben. Deshalb halte ich es für richtig, dass dieser Weg gegangen wird.
({12})
Lassen Sie mich abschließend noch ein paar Sätze
zum Verfahren sagen. Es ist öffentlich bekannt, dass eine
Koalitionsarbeitsgruppe seit längerem an der Lösung
der Probleme arbeitet.
({13})
Presseberichten zufolge ist sie zu einem Ergebnis gekommen, dass sie nämlich in der Koalition kein Ergebnis erzielt hat, und insofern ist sie auseinander gegangen.
({14})
Ich begrüße ausdrücklich, dass das Bundesfinanzministerium abweichend von Regeln, die es sonst gegeben
hat, öffentlich erklärt hat, noch in der Sommerpause,
spätestens im September einen Gesetzentwurf einzubringen. Wir freuen uns, dass unser Antrag schon jetzt in
dieser Form vom Finanzministerium aufgenommen
wurde, und hoffen, dass den Finanzminister der Mut mit
Blick auf einzelne Linke, die in dieser Frage für die
SPD-Fraktion leider federführend verhandelt haben,
nicht verlässt. Wir wünschen uns, dass das Gesetz
schnellstmöglich eingebracht wird, damit dann in Ruhe
die Details so beraten werden können, dass zum 1. Januar 2007 ein vernünftiges Gesetz in Kraft treten kann.
Herzlichen Dank.
({15})
Das Wort hat der Kollege Leo Dautzenberg für die
Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Finanzmarktpolitik war und ist erfreulicherweise ein Gebiet, auf dem fraktionsübergreifend viele Schnittmengen
und gemeinsame Zielvorstellungen gegeben waren; darin, Kollege Thiele, waren wir uns immer einig. Dass
dem so ist, haben wir in dieser Woche, auch heute, gezeigt, indem wir Basel II verabschiedet haben.
Zum Thema REITs und zum FDP-Antrag zur Einführung von Real Estate Investment Trusts, kurz „REITs“
genannt, in Deutschland. Auch hier haben wir gemeinsame Zielvorstellungen. Die Union hat bereits im
Februar 2005 einen Antrag in den Deutschen Bundestag
eingebracht, der die gleiche Zielrichtung verfolgt wie
der heute hier zu debattierende Antrag der FDP. Vermutungen darüber, ob man den zum Anlass genommen hat,
das Thema aus der Sicht der FDP zu aktualisieren, sind
nicht so sehr angebracht. Ich kann dem Kollegen Thiele
nur sagen: Was wir in Oppositionszeiten für richtig gehalten haben, halten wir im Grunde auch in Regierungszeiten für richtig.
({0})
Die Union war und ist derzeit dezidiert der Überzeugung, dass ein deutscher REIT eine Bereicherung für
den Finanzplatz Deutschland wäre. Insofern stimme
ich dem Antrag der FDP zu, der im Übrigen nichts anderes fordert, als sich die Koalitionsfraktionen im Koalitionsvertrag ohnehin selbst als Aufgabe gestellt haben.
({1})
Die FDP fordert, zur Besteuerung von REITs eine
Lösung zu finden, die erstens nicht mit der Lage der öffentlichen Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden kollidiert, zweitens eine verlässliche Besteuerung
beim Anleger sicherstellt und drittens positive Wirkungen auf den Immobilienmarkt und die Standortbedingungen erwarten lässt.
An exakt diese Bedingungen knüpfen auch die Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag die Einführung von REITs. Dazu darf ich
den entsprechenden Passus aus dem Koalitionsvertrag
kurz zitieren. Dort heißt es:
Produktinnovationen und neue Vertriebswege müssen nachdrücklich unterstützt werden. Dazu wollen
wir die Rahmenbedingungen für neue Anlageklassen in Deutschland schaffen. Hierzu gehören:
- Die Einführung von Real Estate Investment
Trusts ({2}) unter der Bedingung, dass die verlässliche Besteuerung beim Anleger sichergestellt
wird und positive Wirkungen auf Immobilienmarkt
und Standortbedingungen zu erwarten sind, …
So weit das Zitat aus dem Koalitionsvertrag.
({3})
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, wie Sie wissen, haben die Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD im Frühjahr eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die genau die Frage klären sollte, ob
die Bedingungen, die im Koalitionsvertrag an die Einführung von REITs geknüpft sind, auch tatsächlich
erfüllt bzw. erfüllbar sind. Wir haben uns in der Arbeitsgruppe also folgende Fragen gestellt: Welche Auswirkungen haben REITs auf den Standort? Welche Auswirkungen haben REITs auf den Immobilienmarkt? Wie
kann die verlässliche Besteuerung beim Anleger sichergestellt werden? Zu all diesen Fragen haben wir in der
Arbeitsgruppe Expertengespräche geführt. Parallel dazu
hat sich auch das Bundesministerium der Finanzen darangemacht, die Fragen zu beantworten.
In der Zwischenzeit hat das Ministerium alle drei Fragen sehr eindeutig positiv beantwortet. Leider sind wir
aber, anders als das Ministerium, mit den drei Kollegen
der SPD in der Arbeitsgruppe nicht zu einer einvernehmlichen Beantwortung der Fragen gekommen, obwohl
- das sage ich sehr deutlich - auch die Experten, mit denen wir gesprochen haben, mehrheitlich die Bedingungen des Koalitionsvertrages als erfüllt ansehen. Für die
Union kann ich daher sagen: Wir haben uns ausführlich
mit den Folgewirkungen einer Einführung von REITs
beschäftigt und teilen ausdrücklich die positive Bewertung des Finanzministeriums und der Experten.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich kurz auf
die einzelnen Bedingungen eingehen, die wir an die Einführung von REITs knüpfen:
Ich komme zunächst zur Frage der Auswirkungen
auf den Standort. Diese ist sehr leicht zu beantworten:
Die Auswirkungen auf den Finanzplatz wären positiv.
Wenn wir nicht rechtzeitig REITs zulassen - Kollege
Thiele, Sie haben das betont -, werden zukünftig noch
weitere Investitionsvolumina am deutschen Markt vorbeigehen.
({4})
Dann werden REITs im Ausland platziert; dabei handelt
es sich dann zwar um Immobilienvermögen von Deutschen, aber die Platzierung erfolgt eben im Ausland.
REITs sind dazu geeignet, das Anlagespektrum zu erweitern. Gerade für institutionelle Investoren wie Versicherungen und Altersvorsorgeeinrichtungen ist ein REIT
ein wertvolles Produkt. Es dient zur Diversifizierung
und Stabilisierung des Portfolios. Ganz anders als in der
Öffentlichkeit oftmals dargestellt, ist das Ziel eines
REIT eben nicht die Renditemaximierung, sondern vielmehr der stetige Ertrag auf hohem Niveau. Das liegt daran, dass REITs einen langfristigen Anlagehorizont haben.
Wer sich einmal diese Eigenschaften eines REITs vergegenwärtigt, der begreift auch sehr schnell, dass die
Befürchtungen, es könne durch REITs zu negativen
Auswirkungen auf dem Wohnungsmarkt kommen,
unbegründet sind. Wenn ein REIT einen langfristigen
Anlagehorizont hat und auf stetige Erträge setzt, warum
sollte er dann, so frage ich Sie, mit Wohnungen spekulieren, sie womöglich aufteilen und damit schnelles Trading betreiben? Diese Befürchtungen entbehren jeder
Grundlage. Das Gegenteil ist richtig: Gerade WohnungsREITs sind Bestands-REITs. Sie erzielen ihre Rendite
nicht über Spekulation und horrende Mietsteigerungen,
({5})
sondern über Wertsteigerungen der Immobilienbestände,
also des Portfolios. Von daher ist damit auch eine nachhaltige Bestandsbewirtschaftung sichergestellt.
({6})
Die Parlamentarische Staatssekretärin, Frau Dr. Hendricks,
hat dies jüngst auch ausdrücklich betont.
({7})
Sie sehen, meine Damen und Herren, die Befürchtungen, die REIT-Kritiker gerade mit Blick auf die Auswirkungen auf den Wohnungsmarkt vortragen, sind ideologiegetrieben und keinesfalls sachlich begründet. Ich
kann das so deutlich sagen, weil ich die Experten aus
Wissenschaft und Wirtschaft und das Bundesfinanzministerium auf meiner Seite habe. Von daher sind die
positiven Auswirkungen für den Immobilienmarkt deutlich herauszustellen.
({8})
Bei der dritten Bedingung, die wir zu beleuchten hatten, ging es um die Sicherstellung der Besteuerungsbasis beim Anleger. In der Vergangenheit war es so,
dass dem Vermögenstrustmodell zum Teil eine gewisse
Präferenz eingeräumt wurde. Man hat bei der Einführung in England gesehen, dass das Dividendenmodell
mit Streubesitz auch für Deutschland gerade zur Sicherstellung der Besteuerungsbasis für den ausländischen
Anleger das bessere Instrumentarium darstellt. Von daher hat das Bundesfinanzministerium sich dazu entschieden, das Dividendenmodell mit Streubesitz für die Besteuerungsbasis sicherzustellen.
Herr Kollege Pronold, von daher sagen Äußerungen
wie „Je nachdem, wie das Doppelbesteuerungsabkommen ausfällt, werden ausländische Investoren nur mit
10 Prozent oder 15 Prozent besteuert“ - das ist dann die
Besteuerung hier in Deutschland - noch nichts darüber
aus, wie die Gesamtsteuerbelastung ist, weil der Betreffende als Ausländer an seinem Wohnsitz mit einer eigenen Steuer belegt wird. Es ist eine verzerrte Darstellung,
wenn man sagt, das sei eine Begünstigung des ausländischen Investors. Die Besteuerungsgrundlage ist sichergestellt.
({9})
Der Bundesfinanzminister hat vor kurzem erklärt,
dass REITs zu den zentralen finanzmarktpolitischen Reformvorhaben dieser Legislaturperiode gehören und dass
es für den Finanzstandort Deutschland wichtig ist, dass
REITs, wie geplant, zum 1. Januar 2007 eingeführt werden, weil sonst die Gefahr der Abwanderung von deutschem Immobilienvermögen in ausländische REITs besteht.
Die Finanzpolitiker der Union unterstützen den
Finanzminister ausdrücklich in dieser Position. Wie das
Ministerium und wie auch die FDP in ihrem Antrag formuliert, sind wir der Ansicht: Die Zeit ist reif für einen
Gesetzentwurf zu REITs.
Vielen Dank.
({10})
Die Rede des Kollegen Axel Troost von der Fraktion
Die Linke haben wir zu Protokoll genommen.1)
Das Wort hat der Kollege Florian Pronold für die
SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Liebe neue Freunde in der Fraktion! Die Thematik REITs ist tatsächlich breit in der Öffentlichkeit
diskutiert worden,
({0})
mit einer bestimmten Darstellungsweise in den Zeitungen, die die Problemkonstellationen aber nicht wirklich
widerspiegelt.
Wir haben im Koalitionsvertrag sehr klar geregelt,
dass drei Bedingungen erfüllt sein müssen, bevor wir an
die Einführung von REITs in Deutschland denken. Diese
Bedingungen sind zitiert worden. Sie müssen erfüllt
sein, bevor REITs in Deutschland eingeführt wird. Deswegen muss man nüchtern überprüfen, ob diese Bedingungen aufgrund dessen, was bisher vorgelegt worden
ist, erfüllt werden können. Da kommt die SPD-Arbeitsgruppe zu einer anderen Einschätzung als die Arbeitsgruppe der Union.
({1})
- Das werden wir einmal sehen.
({2})
- Nein, jetzt warten wir halt ab, wie der Gesetzentwurf
aussieht und wie sich das insgesamt verhält. Hören Sie
sich einmal zusammenhängend an, welche andere Sichtweise man da auch haben kann! Vielleicht prüfen Sie
kritisch - statt sich wie ein Mitglied Ihrer Fraktion in einen lukrativen Aufsichtsrat wählen zu lassen -,
({3})
wie man die Einführung von REITs voranbringen kann!
Es wird eine Form von Lobbyismus praktiziert, die zumindest hier ein Stück weit bedenklich stimmen darf.
({4})
Fangen wir bei der Frage der Sicherstellung der
Besteuerungsgrundlagen im Inland an. Das ist eine
ganz wichtige Frage, die uns angesichts der Haushaltslage besonders interessieren muss.
({5})
Nach der Konstruktion von REITs soll ein REIT auf
der Unternehmensebene steuerfrei gestellt werden, da-
mit bei den Anlegern die Besteuerung insgesamt durch
die hohen Ausschüttungsverpflichtungen sichergestellt
1) Anlage 22
werden kann und damit das, was uns auf der Unternehmensebene entgeht, bei dem Anleger besteuert wird.
({6})
Wir haben in der Geschichte von REITs verschiedene
Modelle erlebt. Die Besteuerungsgrundlagen haben sich
immer geändert, aber eines soll gleich geblieben sein,
nämlich dass die Besteuerung des Anlegers im Inland in
allen Fällen sichergestellt war. Jetzt stelle ich eine spannende Frage. Das Trustmodell hat in der Frage einen guten Ansatz; es beachtet nämlich das Belegenheitsprinzip.
Das Einzige, auch im Rahmen der internationalen Abkommen, wo wir als Staat noch die Möglichkeit haben,
Steuern festzulegen, ist bei den Einkünften aus Grundstücken. Deswegen hat das Trustmodell des IFD vorgesehen, dass es sich weiterhin um Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung handelt. Denn es ist sehr wohl
erkannt worden, dass die Anlegerbesteuerung im Inland
mit Dividendenausschüttungen nicht gewährleistet werden kann. Von dem IFD-Modell hat man sich in der Debatte jedoch verabschiedet, einmal abgesehen davon,
dass es in anderer Hinsicht sehr problematische Konstruktionen hatte.
({7})
Nun kommen wir zu der Frage: Was ist im Fall einer
Dividendenausschüttung? Dann sind wir nämlich bei
dem Doppelbesteuerungsabkommen. Wenn der Anleger in Deutschland den normalen Steuersatz oder vielleicht auch den Abgeltungssteuersatz zahlen soll, dann
reden wir über eine Besteuerung des inländischen Anteilseigners an einem deutschen REIT zwischen 30 und
42 Prozent. Derjenige, der an einem deutschen REIT im
Ausland beteiligt ist, zahlt in Deutschland - nur das interessiert mich als Haushaltspolitiker - 10 Prozent, also
ein Drittel davon.
({8})
Da stellt sich die Frage, ob wir das, was wir auf der Unternehmensebene nicht besteuern, im Inland wieder besteuern. Sie können mir nicht sagen, dass dabei das Gleiche herauskommt.
({9})
- Gern, Herr Thiele.
Herzlichen Dank für die Hilfe.
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Ich habe nur
eine Frage, Herr Pronold. Dass in dem ganzen Bereich
Steuerfragen eine Rolle spielen, ist, glaube ich, unstreitig. Das Finanzministerium möchte einen Gesetzentwurf
einbringen; das ist allgemein bekannt. Der Finanzminister hat es erklärt, Herr Staatssekretär Mirow ebenso. Ich
erinnere an die Worte des Fraktionsvorsitzenden der
SPD, der gesagt hat: Ein Gesetzentwurf, der in den
Bundestag hineingeht, kann im Bundestag verändert
werden. - Insofern gehe ich davon aus: Wenn es einen
Entwurf geben wird, dann wird es auch eine Anhörung
geben. Ich wäre jedenfalls sehr dafür. Dann kann beraten
werden. Auch in anderen Fragen, die den Finanzplatz
betreffen, wird es uns dann gelingen, Anregungen und
Bedenken mit aufzunehmen. Im Ergebnis können wir
versuchen, konsensual eine Lösung zu finden.
Meine Frage lautet: Warum blockieren Sie schon die
Einbringung eines Gesetzentwurfes und damit das InGang-Setzen eines solchen parlamentarischen Verfahrens? Die Fragen können gestellt werden; das ist richtig
und legitim. Aber warum darf hier nicht etwas geschehen und das Parlament sich nicht in der Öffentlichkeit
mit Themen beschäftigen, die von Ihnen nur in Arbeitsgruppen, in Dunkelzimmern behandelt werden?
Wir haben doch einen ganz eindeutigen Koalitionsvertrag. In dem steht, dass wir die Einführung von REITs
dann ins Auge fassen, wenn die Vorbedingungen geklärt
sind. Es soll nicht so laufen, dass man irgendwie anfängt
und dann schaut, ob man das Ganze hinbekommt und
was dabei herauskommt.
({0})
- Das nehme ich auch nicht an. Deswegen sind wir heute
hier, um die Fragen zu erörtern. Sie sehen ja, dass das
auch im parlamentarischen Verfahren geht. Dazu tragen
Sie mit Ihrem Antrag bei, in dem Sie nichts anderes abschreiben als den Koalitionsvertrag.
({1})
- Doch.
({2})
- Ich stehe vollkommen hinter dem, was der Koalitionsvertrag vorgibt, nämlich dass drei Bedingungen erfüllt
sein müssen, bevor wir an die Einführung denken.
Lassen Sie mich auch zu den anderen Bedingungen
etwas sagen; dann kommen wir zu einer weiteren spannenden Frage. Man erinnere sich an eine der ersten großen Taten unserer großen Koalition: Wir haben Steuersparmodelle abgeschafft, die darauf beruhten, dass es
steuerliche Anreize dafür gab, aus ökonomischen Gründen Entscheidungen zu treffen, die man aus betriebswirtschaftlichen Gründen sonst vielleicht nicht getroffen
hätte.
({3})
- Ja, das meine ich. Das habe ich das letzte Mal im Zusammenhang mit den Windkraftfonds angesprochen.
Jetzt sind wir an einem spannenden Punkt. Nicht nur
die Immobilienwirtschaft will Trusts wie die REITs.
Jetzt gibt es auch Forderungen nach dem FIT, dem Film
Investment Trust. Demnächst wird es auch irgendwelche
Schiffsbauer geben, die einen entsprechenden Trust für
Schiffe haben wollen. Da stellt sich die Frage: Was sollen Steueranreize, wenn es dafür überhaupt keine ökonomische und volkswirtschaftliche Begründung gibt?
Im Hinblick auf die Anlegerbesteuerung gibt es eine
hoch spannende europarechtliche Problematik. Denn
ausländische REITs können theoretisch in Deutschland
kaufen. Das werden sie auch machen, unabhängig davon, ob wir REITs in Deutschland einführen oder nicht.
Aber es gilt nach wie vor das Belegenheitsprinzip, wonach auf Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung
hier Steuern gezahlt werden müssen.
Wenn wir den German REIT einführen, den wir auf
der Unternehmensebene steuerfrei stellen, dann stellt
sich europarechtlich sofort die Frage nach der Gleichbehandlung. Wenn der EuGH zu dem Ergebnis kommt,
dass es hier eine Gleichbehandlung geben muss, dann
bedeutet das, dass der ausländische REIT auf der Unternehmensebene steuerfrei zu behandeln ist und dass wir
keine Chance mehr haben, die Anlegerbesteuerung sicherzustellen. Damit haben wir die letzte Möglichkeit
für eine nationale Besteuerung von Grundstücken aufgegeben. So lange diese Problematik nicht gelöst ist und
die Bedingungen laut Koalitionsvertrag nicht erfüllt
sind, will ich REITs nicht. Bis jetzt kann die Besteuerung der Anleger im Inland nicht festgestellt werden.
({4})
Es gibt einen weiteren Einwand, den man nicht einfach wegwischen kann. Es geht um die Frage des Wohnungsmarktes, von der eine ganze Menge Leute betroffen sind. Ich weiß nicht, auf welcher Anhörung Sie
waren. Der Präsident des Deutschen Städtetages, Christian Ude, hat enorme Bedenken gegen die REITs geäußert. Der Vorsitzende des Mietervereins, Rips, hat ebenfalls enorme Bedenken geäußert. Da können Sie doch
nicht sagen, dass alle Experten zu der Auffassung gelangt sind, dass man sehenden Auges ins Unglück rennen soll. Das kann ja wohl nicht sein. Man muss die Anhörung schon korrekt wiedergeben.
Ich habe auch Äußerungen aus anderen Ressorts der
Bundesregierung vernommen. Ein Bundesminister hat
sich sehr kritisch zu diesem Thema geäußert.
({5})
Man wird doch noch fragen dürfen, was insgesamt gesehen passieren soll.
Ich stelle Ihnen einmal eine spannende Frage. Wenn
eine gut geführte Wohnungsbaugesellschaft eine Rendite
von 4 bis 6 Prozent erzielt, dann möchte ich wissen, wie
ein REIT eine angekündigte Rendite von 15 Prozent erzielen will. Nachdem kritisch nachgefragt wurde, wurde
dieses Ziel gesenkt. Woher soll diese Rendite kommen?
Seine Fremdkapitalausstattung ist noch so hoch. Deswegen ist auch der Leverage Effect nicht so hoch. Außerdem sollen angeblich keine Filetgrundstücke verkauft
werden. Woher soll also diese hohe Rendite kommen?
Es bleiben nur noch Mieterhöhungen übrig. Zaubern
können REITs auch nicht.
Man muss auch bedenken, dass die Kommunen über
Wohngeld die Mieterhöhungen bei Wohnungen aus einem schlechten Wohnungsbestand mitbezahlen. Es muss
uns natürlich interessieren, ob diese Punkte geklärt sind.
({6})
Für eine Bemerkung zur Standortfrage habe ich
keine Zeit mehr. Ich weiß aber, wie spannend dieses
Thema ist. Ich bin mir sicher, dass wir bei anderer Gelegenheit die Möglichkeit haben, darüber zu sprechen. Eines ist mir wichtig: Die Debatte muss vernünftig und unideologisch geführt werden. Wir müssen uns fragen, ob
diese Bedingungen erfüllt sind.
Herr Kollege Pronold, diese spannende Debatte müssen Sie an anderer Stelle weiterführen.
Das ist in Ordnung. - Schauen wir also einmal, was
da passiert. Bis heute sind die Vorbedingungen im Koalitionsvertrag nicht annähernd erfüllt.
({0})
Als letzter Redner in dieser Debatte hat der Kollege
Gerhard Schick für das Bündnis 90/Die Grünen das
Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn
man auf diesen Debattentag zurückblickt, dann muss
man sagen, dass uns heute im Unterschied zur gestrigen
Finanzausschusssitzung, wo uns noch der Einblick in
das Innenleben der großen Koalition verwehrt wurde
- Sie erinnern sich -, ein herrliches Stück vorgeführt
wurde.
({0})
Es fing heute Morgen mit der Geschäftsordnungsdebatte an, in der es darum ging, dass die Berichterstatter
der Opposition offensichtlich nicht mehr notwendig
sind. Mit diesem herrlichen Wechselspiel heute haben
Sie deutlich gemacht, dass Sie die Opposition dadurch
überflüssig machen wollen, dass Sie sich selber herrlich
gegenseitig widersprechen. Das ist schon eine gute Sache. Ich finde es richtig, dass die Debatten hier im Parlament stattfinden. Das hat auch etwas Gutes; man lernt einiges dazu.
Schauen Sie sich aber einmal an, welche Botschaften
in den letzten Monaten von diesem Haus ausgingen. Es
gibt einen Grund dafür, warum wir in den letzten Jahren
Finanzmarktthemen häufig fraktionsübergreifend auf
die Tagesordnung gesetzt haben: weil das Signal nach
außen extrem wichtig ist. Man muss schon sagen, dass
das alles nicht mehr ganz so lustig ist. Im Koalitionsvertrag wird etwas angekündigt. Dann heißt es, dies gelte
doch nicht. Dann stimmt eine Arbeitsgruppe in einem
Bericht zu. Dieser Bericht wurde aber offensichtlich
nicht im Konsens verfasst. Dann wird ein Gesetzentwurf
angekündigt; aber gleichzeitig heißt es, der dürfe jetzt
noch gar nicht kommen. Was sind das für Signale gegenüber Investoren? Was für ein Signal geht damit vom
deutschen Finanzplatz aus?
Es gibt ernsthafte Bedenken. Ich finde, man kann zu
dem Schluss kommen: Wir führen solche Anlageformen
in Deutschland nicht ein. Wir müssen nicht jedes Anlageprodukt, das an anderer Stelle erfolgreich ist, auch in
Deutschland einführen, wenn es nicht zu den Bedingungen unseres Standorts und zu unseren Standortstrategien
passt oder wenn es steuerrechtliche bzw. fiskalische Probleme gibt, die wir nicht lösen können. Wir müssen das
nicht tun. Aber ich finde, eine Koalition müsste im Laufe
von sieben Monaten in der Lage sein, klar zu entscheiden: Machen wir das oder machen wir das nicht?
({1})
Ich kann für meine Fraktion sagen: Wenn ein Gesetzentwurf vorliegt, dann werden wir uns den ganz genau
anschauen. Wir werden sehen, ob die steuerlichen Fragen geklärt sind. Ich halte eine Anhörung für durchaus
hilfreich. Dann können wir schauen, wie die Gegebenheiten sind.
In einem muss ich dem Kollegen Pronold Recht geben: Man sollte sich einmal anschauen, wie der Sektor
Immobilien in Deutschland besteuert wird: Seit Jahr und
Tag werden ständig Sonderregeln für diesen Bereich
getroffen und dann wird wieder versucht, sie abzuschaffen. Dann kommen wieder neue hinzu. Ein neuer Vorschlag kann vor diesem Hintergrund nur mit großer
Skepsis betrachtet werden. Denn dieser Sektor - das
wissen Sie alle von den Einkommensteuerbilanzen; Sie
sollten sich einmal anschauen, wie viel da herüberkommt - schlägt in der Einkommensteuerbilanz negativ
zu Buche, was angesichts der großen Wertschöpfung
schon ein wenig bedenklich ist.
Herr Thiele, Sie sagen, wir sollten dazu beitragen,
dass die Werte angehoben werden. Dazu muss ich sagen:
Sie werden dann angehoben, wenn man eine besonders
günstige Exit-Tax macht und dadurch Wertzuwächse, die
bisher nicht besteuert wurden, sondern in die stillen Reserven eingeschlossen waren, steuerlich begünstigt. Das
ist natürlich im Sinne der Gleichbehandlung verschiedener Investitionen eine durchaus problematische Sache,
über die zumindest ich nicht so locker-flockig hinweggehen würde.
Angesichts dessen, was Sie heute Abend geboten haben, steht für mich und meine Fraktion eine große Sorge
im Vordergrund: Es handelt sich bei REITs um ein kleines, überschaubares Bausteinchen. Sie nehmen sich gerade eine große Unternehmensteuerreform vor; das wird
noch lustig. Ich hoffe, dass Sie nicht sieben Monate
brauchen, bis Sie uns hierzu ein anständiges Angebot
vorlegen können.
Danke.
({2})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/1896 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung ({0}) zu dem Antrag
der Abgeordneten Peter Götz, Dirk Fischer
({1}), Dr. Klaus W. Lippold, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie
der Abgeordneten Petra Weis, Sören Bartol, Uwe
Beckmeyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Stadtentwicklung ist moderne Struktur- und
Wirtschaftspolitik
- Drucksachen 16/1890, 16/2004 Berichterstattung:
Abgeordneter Joachim Günther ({2})
Interfraktionell war für die Aussprache eine halbe
Stunde vorgesehen. Da die Kollegen Peter Götz für die
Unionsfraktion, Petra Weis für die SPD, Patrick Döring
für die FDP, Heidrun Bluhm für Die Linke und Peter
Hettlich für das Bündnis 90/Die Grünen ihre Reden zu
Protokoll gegeben haben,1)
({3})
schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung auf Drucksache 16/2004 zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD mit dem
Titel „Stadtentwicklung ist moderne Struktur- und Wirtschaftspolitik“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag
auf Drucksache 16/1890 anzunehmen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlussempfehlung bei Enthaltung der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Cornelia Behm, Undine Kurth ({4}), Hans-Jo-
sef Fell, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur
1) Anlage 23
Vizepräsidentin Petra Pau
Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes
({5})
- Drucksache 16/961 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({6})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Auch hier war nach einer interfraktionellen Verein-
barung für die Aussprache eine halbe Stunde vorgese-
hen. Die Reden der Kollegen Bernward Müller für die
Unionsfraktion, Marko Mühlstein für die SPD-Fraktion,
Angelika Brunkhorst für die FDP-Fraktion, Eva Bulling-
Schröter für die Fraktion Die Linke und Cornelia Behm
für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen werden zu Pro-
tokoll genommen1) und ich kann hiermit die Aussprache
schließen.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 16/961 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall.
Dann ist diese Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 24 sowie Zusatzpunkt 9
auf:
24 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN
Für ein Ende der Gewalt in Norduganda
- Drucksache 16/1973 -
ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Hü-
seyin-Kenan Aydin, Monika Knoche, Dr. Diether
Dehm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der LINKEN
Für ein Ende der Gewalt in Norduganda
- Drucksache 16/1976 -
Auch hier ist nach einer interfraktionellen Vereinba-
rung für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen.
Gibt es dazu Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann
ist das so beschlossen.
Wir nehmen die Reden der Kollegen Gabriele Grone-
berg von der SPD-Fraktion und Dr. Karl Addicks von
der FDP-Fraktion zu Protokoll.2)
Das Wort hat der Kollege Hartwig Fischer für die
Unionsfraktion.
({7})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Kollegen von Stetten und Koschorrek können bestä-
tigen, dass es eine ausgezeichnete Zusammenarbeit mit
1) Anlage 24
2) Anlage 25
den Kolleginnen und Kollegen im AwZ, in der großen
Koalition und im Menschenrechtsausschuss gibt.
({0})
Die Konsequenz für heute Abend ist, dass mir die
Kollegin Groneberg ihre Rede, die sie zu Protokoll gegeben hat, überreicht hat, sodass ich sie kenne und weiß,
dass das, was darin steht, genau die Lage beschreibt, wie
wir sie vor 14 Tagen zum Beispiel in Gulu oder in
Kitgum erlebt haben.
({1})
Ich möchte zu dieser Rede nur eine einzige Ergänzung machen: Wir müssen mit dafür Sorge tragen, dass
die Regierung Museveni dafür sorgt, dass den Menschen
eine Chance gegeben wird, in die Gebiete zurückzukehren, aus denen sie stammen, falls diese Gebiete bereits
verhältnismäßig sicher sind. Auch das muss in den zukünftigen Regierungsverhandlungen eine Rolle spielen.
({2})
Ansonsten sind die Punkte in dem Antrag so deutlich
formuliert, dass er keiner weiteren Ergänzung bedarf.
Allerdings ein Punkt zur Geschäftsordnung: Wir waren in der Koalition aus grundsätzlichen Erwägungen
nicht bereit, diesen Antrag gemeinsam mit der Linken
als interfraktionellen Antrag einzubringen; deshalb
gibt es von der Linken einen eigenen Antrag. Es gibt
keine klare Distanzierung zum DDR-Unrechtssystem
und auch heute ist in der Debatte um Kuba wieder deutlich geworden, dass für die Linke Menschenrechte teilbar sind. Dies ist der Grund, warum wir nicht bereit sind,
mit Ihnen gemeinsam einen interfraktionellen Antrag
einzubringen.
({3})
Wir bitten um Zustimmung zu unserem interfraktionellen Antrag.
({4})
Das Wort hat der Kollege Hüseyin Aydin für die Fraktion Die Linke.
({0})
Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Der Bürgerkrieg in Norduganda ist einer jener
Konflikte, die in den deutschen Medien praktisch nicht
stattfinden. Warum? Ist der Krieg nicht grausam
genug? - Nein, wer einmal die Bilder von traumatisierten Kindern gesehen hat, die nach einem Überfall auf
ihre Dörfer die Eltern verloren haben, vergisst sie nicht
mehr. Seit zwei Jahrzehnten wütet der Bürgerkrieg. Die
brutale, christlich-fundamentalistische „Widerstandsarmee des Herren“ kämpft mit einer von Korruption zerfressenen ugandischen Armee um die Macht. Dieser
Krieg hat eine humanitäre Katastrophe hinterlassen. Die
Vereinten Nationen nannten den Krieg die „schlimmste
vergessene Krise der Welt“.
Sprechen wir Klartext: Das Morden in Norduganda
fand lange unter Ausschluss der Weltöffentlichkeit statt,
weil er die Interessen wichtiger westlicher Staaten nicht
berührt hat. Dass sich der Bundestag heute mit seinen
Folgen befasst, ist überfällig. Ich habe zusammen mit
allen Kollegen im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung auf Initiative des Ausschussvorsitzenden, Kollegen Hoppe, an der Formulierung des vorliegenden interfraktionellen Antrages
gearbeitet. Wir haben uns schließlich auf den vorliegenden Text geeinigt. Skandalös ist, dass Die Linke nun auf
Betreiben der Fraktionsspitze der CDU/CSU im Nachhinein als Antragsteller ausgeschlossen wurde.
In Norduganda werden, wie die Union selber festgestellt hat, Dörfer und Felder niedergebrannt, Menschen
misshandelt, Frauen und Mädchen vergewaltigt. Man
sollte meinen, solch eine Feststellung lässt keinen Spielraum für parlamentarische Winkelzüge. Falsch - kein
Elend der Welt könnte so groß sein, als dass die CDU/
CSU ihren Namen neben jenem der Linken ertragen
könnte. Nennen Sie das eine gute Regierungsführung?
Es steigert nicht gerade die Glaubwürdigkeit deutscher
Entwicklungspolitik, wenn Sie den Regierungen in der
Dritten Welt permanent die Prinzipien von Good Governance unter die Nase reiben, während sie selber diese
Prinzipien in Deutschland bei der erstbesten Gelegenheit
verletzen.
({0})
Ich erinnere Sie daran, wie dieser Antrag zustande
kam. Wir Entwicklungspolitiker haben gemeinsam den
Film „Lost Children“ gesehen. Es hat uns alle tief berührt, wie Kinder in Norduganda von Fanatikern aus den
Familien gerissen und zu Killern gemacht werden. Im
Mai kam Bischof Odama zu Besuch, der die konfessionsübergreifende ugandische Friedensbewegung vertritt. Bischof Odama appellierte an uns alle: Helfen Sie
den Kindern! Die Fachkollegen aller Parteien im Ausschuss waren sich mit Bischof Odama darin einig, dass
wir das tun wollen. Deshalb entstand der gemeinsame,
interfraktionelle Antrag. Leider müssen wir nun feststellen, dass die Kollegen von der CDU/CSU lieber die
Linke aus einem Antrag herausdrängen, anstatt mit ihr
gemeinsam die Not der nordugandischen Bevölkerung
anzupacken.
Mich würde interessieren, wie Sie diese etwas andere
Form christlicher Nächstenliebe dem ugandischen Bischof Odama und den Christen in Deutschland begreiflich machen wollen.
({1})
Die Union beweist damit nur eines, nämlich dass ihr
hehre Ziele, wie die Absicherung von Wahlen oder die
Eindämmung humanitärer Katastrophen, als Vorwand
für militärische Einsätze gerade recht sind, ein gemeinsames Vorgehen aller Demokraten zur Unterstützung der
ugandischen Friedensbewegung aber undenkbar ist. Das
zeigt: Die Regierung interessiert sich für das Leid in
Uganda so wenig, wie sie sich für die Opfer ihrer Sozialkürzungspolitik in Deutschland interessiert.
({2})
Deshalb versucht die große Koalition, die Linke aus dem
politischen Prozess in Deutschland herauszumobben.
Unsere Anwesenheit stört sie bei der Durchsetzung ihrer
neoliberalen Politik wohl genauso, wie unsere Anwesenheit die systematische Ausweitung der Militäreinsätze
stört.
({3})
Doch Sie grenzen damit nicht nur die Linke aus, Sie
grenzen auch 4,1 Millionen Wähler aus, die wir repräsentieren.
({4})
Kollege Aydin, Sie müssen zum Schluss kommen.
Ich komme zum Schluss. - Wir von der Linken lassen
uns das nicht gefallen.
({0})
Wir haben einen gleich lautenden Antrag eingebracht.
Sie werden gleich dem interfraktionellen Antrag zustimmen, dem auch ich zustimmen werde. Ich möchte einmal
sehen, ob Sie den gleich lautenden Antrag der Linken
nicht unterstützen.
({1})
Das würde Ihre Glaubwürdigkeit unter Beweis stellen.
({2})
Das Wort hat der Kollege Thilo Hoppe für
Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich finde es sehr bedauerlich, dass ein gemeinsames
Wort des gesamten Hauses zu den Menschenrechtsverletzungen in Norduganda jetzt in parteipolitischem Gestreit untergeht.
({0})
Ich möchte als Vorsitzender des Entwicklungsausschusses einmal kurz auf die Entstehungsgeschichte
des Antrages eingehen. Es war so: Wir haben auf Initiative des Ausschusses den Film „Lost Children“ gesehen,
in dem uns die Filmemacher in erschütternder Art und
Weise das Schicksal der Kindersoldaten vor Augen geführt haben. Wir haben mit Vertretern der evangelischen
und katholischen Kirchen und dem Netzwerk der NGOs
gesprochen. Die Aktivisten für Menschenrechte dort haben uns um Hilfe gebeten und gesagt: Nicht nur Betroffenheitsrhetorik wird gebraucht, sondern tut etwas, und
zwar gemeinsam.
Dem haben alle Obleute im Entwicklungsausschuss
ausdrücklich zugestimmt. Wir haben dann angefangen,
zu verhandeln, und Texte ausgetauscht. Wir haben uns
auf einem gemeinsamen, wirklich alle Fraktionen umfassenden Antrag geeinigt und dies sogar schon der
Presse mitgeteilt.
Ich bin dafür, dass wir hier sehr sachlich die Unterschiede benennen. Das haben wir in der Kubadebatte so
gemacht. Auch in dieser Debatte waren wir ganz klar anderer Auffassung. Auch vonseiten der Grünen war ein
klarer Dissens zur Politik der Linken zu erkennen.
Aber wenn unter den Fachleuten Gemeinsamkeiten
erzielt werden und man sich auf ein gemeinsames Konzept einigt, ist es ein recht mieser Stil, in letzter Minute
eine Fraktion herauszuschmeißen.
({1})
Das hat nichts mehr mit der Sache zu tun, sondern mit
Prinzipienreiterei. Ich finde das sehr ärgerlich. Wir werden beiden völlig identischen, gleich lautenden Anträgen
zustimmen. Das drückt unseren Wunsch aus, dass wirklich das gesamte Haus in dieser Menschenrechtsfrage
eindeutig Stellung bezieht.
({2})
Wir haben heute eine Nachtschicht eingelegt. Es ist
23.41 Uhr. Nacht für Nacht ziehen Kinder aus den
Flüchtlingslagern in die Stadt Kitgum, weil sie in den
Flüchtlingslagern nicht mehr sicher sind. Sie müssen
Übergriffe fürchten, nicht nur der Lord’s Resistance
Army, sondern auch der Regierungstruppen. Deshalb ist
es wichtig, dass wir mit geeinter Stimme an die Regierung von Uganda herantreten und sagen: Sie muss dieses
Problem lösen. Sie muss diesen Konflikt beenden. Wir
haben den großen Verdacht, dass die doch sehr kleine
und geschwächte Lord’s Resistance Army künstlich am
Leben erhalten wird, weil Herr Museveni diesen Konflikt braucht, um andere Dinge, andere Geschäfte im
Schatten dieses Konfliktes erledigen zu können.
Deshalb ist es wichtig, dass wir mit geeinter Stimme
sprechen und diesen Menschenrechtsverletzungen Einhalt gebieten und uns für die Demobilisierung und Resozialisierung der Kindersoldaten einsetzen.
({3})
Ich bitte Sie alle - wir sollten konsequent sein und ein
Zeichen setzen; es ist ein Possenspiel, dass hier jetzt
zwei identische Anträge vorliegen -, beiden Anträgen
zuzustimmen.
({4})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/
Die Grünen auf Drucksache 16/1973 mit dem Titel „Für
ein Ende der Gewalt in Norduganda“. Wer stimmt für
diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Dann ist der Antrag einstimmig angenommen.
({0})
Wir kommen damit zum Zusatzpunkt 9, Abstimmung
über den Antrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 16/1976 mit dem gleich lautenden Titel „Für
ein Ende der Gewalt in Norduganda“. Wer stimmt für
diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Dann ist dieser Antrag mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion abgelehnt.
({1})
- Ich habe das Abstimmungsergebnis festgestellt. Ich
denke, es lässt sich im Stenografischen Protokoll nachlesen, Kollege.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit
Homburger, Elke Hoff, Dr. Rainer Stinner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Gleiche Besoldung für alle Soldaten
- Drucksache 16/587 Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss ({2})
Innenausschuss
Haushaltsausschuss
Hier war nach einer interfraktionellen Vereinbarung
für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Da
alle vorgesehenen Rednerinnen und Redner, also die
Kollegin Monika Brüning und die Kollegin Susanne
Jaffke für die Unionsfraktionen, die Kollegin Petra Heß
für die SPD-Fraktion, die Kollegin Katrin Kunert für die
Fraktion Die Linke, der Kollege Winfried Nachtwei für
Bündnis 90/Die Grünen und der fraktionslose Kollege
Gert Winkelmeier, ihre Reden zu Protokoll gegeben ha-
ben,1) kann ich hiermit die Aussprache schließen.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/587 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist auch diese Über-
weisung so beschlossen.
1) Anlage 26
Vizepräsidentin Petra Pau
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 38 j auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung ({3})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Ingbert Liebing, Enak Ferlemann, Dirk Fischer ({4}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU sowie der Abgeordneten
Dr. Margrit Wetzel, Uwe Beckmeyer, Sören
Bartol, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD
Notschleppkonzept den veränderten Bedingungen der Seeschifffahrt anpassen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Rainder
Steenblock, Winfried Hermann, Peter Hettlich,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Notschleppkonzept an gestiegene Herausforderungen anpassen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-Michael Goldmann, Patrick Döring, Horst Friedrich ({5}), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Sicherheitskonzept für Nord- und Ostsee
optimieren
- Drucksachen 16/1647, 16/685, 16/1164, 16/2005 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Margrit Wetzel
Peter Hettlich
Auch hier war nach einer interfraktionellen Verein-
barung für die Aussprache eine halbe Stunde vorgese-
hen. Aber wir nehmen zu Protokoll die Reden der Kolle-
gen Enak Ferlemann für die Unionsfraktion, Dr. Margrit
Wetzel für die SPD-Fraktion, Hans-Michael Goldmann
für die FDP-Fraktion, Dorothee Menzner für die Frak-
tion Die Linke und Rainder Steenblock für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.1)
Wir können zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung auf
Drucksache 16/2005 zu dem Antrag der Fraktionen der
CDU/CSU und der SPD mit dem Titel „Notschleppkon-
zept den veränderten Bedingungen der Seefahrt anpas-
sen“ kommen. Der Ausschuss empfiehlt unter Num-
mer 1 seiner Beschlussempfehlung, den Antrag auf
Drucksache 16/1647 anzunehmen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Gibt es Enthal-
tungen? - Dann ist die Beschlussempfehlung einstimmig
angenommen.
Unter Nummer 3 seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Ausschuss, den Antrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/685 mit dem Titel
„Notschleppkonzept an gestiegene Herausforderungen
anpassen“ für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Gibt es Gegenstimmen? - Ent-
1) Anlage 27
haltungen? - Das ist nicht der Fall. Damit ist diese Beschlussempfehlung ebenfalls einstimmig angenommen.
Schließlich empfiehlt uns der Ausschuss unter
Nummer 2 seiner Beschlussempfehlung, den Antrag der
Fraktion der FDP auf Drucksache 16/1164 mit dem Titel
„Sicherheitskonzept für Nord- und Ostsee optimieren“
ebenfalls für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Gibt es Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dann ist auch diese Beschlussempfehlung
einstimmig angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 sowie Zusatzpunkt 10 auf:
25 Beratung des Antrags der Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Volker Beck ({6}), Monika Lazar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Selbstbestimmtes Leben in Würde ermöglichen - Transsexuellenrecht umfassend reformieren
- Drucksache 16/947 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({7})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
ZP 10 Erste Beratung des von den Abgeordneten Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger, Dr. Max Stadler,
Jörg van Essen, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Passgesetzes
- Drucksache 16/2016 -
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Auch hier war für die Aussprache eine halbe Stunde
vorgesehen. Wir nehmen aber die Beiträge der Kollegen
Helmut Brandt für die Unionsfraktion, Gabriele Fogra-
scher für die SPD-Fraktion, Jörg van Essen für die FDP-
Fraktion, Barbara Höll für die Fraktion Die Linke, Ir-
mingard Schewe-Gerigk für die Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen und des fraktionslosen Kollegen Gert Win-
kelmeier zu Protokoll.2)
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 16/947 und 16/2016 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann
sind diese Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 26 a und 26 b auf:
26 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Unterhaltsrechts
- Drucksache 16/1830 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({8})
Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
2) Anlage 28
Vizepräsidentin Petra Pau
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur
Änderung des Unterhaltsvorschussgesetzes
- Drucksache 16/1829 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({9})
Rechtsausschuss
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
Auch hier war für die Aussprache eine halbe Stunde
vorgesehen. Wir können aber die Beiträge der Kollegin-
nen Ute Granold für die Unionsfraktion, Christine Lam-
brecht für die SPD-Fraktion, Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger für die FDP-Fraktion, des Kollegen
Jörn Wunderlich für die Fraktion Die Linke, der Kolle-
gin Ekin Deligöz für die Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen und der Bundesministerin der Justiz, Brigitte Zyp-
ries, zu Protokoll nehmen.1)
Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell
wird die Überweisung der Gesetzentwürfe auf den
Drucksachen 16/1830 und 16/1829 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt
es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der
Fall. Dann sind auch diese Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur
Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft
- Drucksache 16/1828 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({10})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien
Interfraktionell ist für die Aussprache eine halbe
Stunde vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch.
Dann ist dies so beschlossen.
Das Wort hat die Bundesministerin der Justiz, Brigitte
Zypries.
({11})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zunächst einmal möchte ich sagen, dass es mich freut,
dass mehr Mitglieder des Deutschen Bundestages zur
Beratung um diese Uhrzeit hier sitzen, als das bei Themen des Rechtsausschusses normalerweise der Fall ist.
Dafür herzlichen Dank!
({0})
- Genau.
1) Anlage 29
Der Gesetzentwurf, der heute hier beraten wird, hat
schon vor dieser ersten Lesung im Bundestag breite öffentliche Resonanz gefunden, und das nicht nur, weil er
von Verlegern und Autoren, Elektronikindustrie und Internet-Community, Bibliotheken und Verwertungsgesellschaften sehr kontrovers diskutiert wurde, sondern auch,
weil das ein Gesetzentwurf ist, den wir auf breiter Basis
öffentlich vorbereitet haben: Wir haben ganz viele verschiedene öffentliche Foren veranstaltet, wo alle an diesem Gesetzgebungsprozess Beteiligten sich schon im
Vorfeld einbringen konnten.
Das Ziel unseres Vorhabens ist klar: Wir wollen mit
diesem Gesetz das deutsche Urheberrecht weiter fit machen für das digitale Zeitalter. Die Frage, die wir lösen
müssen, ist: Wie ist es möglich, auch im digitalen Zeitalter einen Ausgleich zwischen den Interessen aller Beteiligten zu schaffen? Da sind zum einen die Kreativen,
also die Urheber, deren Recht auf geistiges Eigentum
durch das Grundgesetz garantiert ist. Dann gibt es die
Nutzer; sie möchten möglichst ungehindert auf den Content, den sie sich aus dem Netz herunterladen können,
zugreifen
({1})
und sehen im Wesentlichen nicht ein, dass sie dafür irgendetwas bezahlen sollen. Schließlich gibt es die Industrie; sie schafft die technischen Voraussetzungen dafür,
dass die Nutzung überhaupt möglich wird. Wie Sie wissen, wird im Moment eine Urheberabgabe auf die Geräte
gezahlt. Die Industrie hat natürlich ein Interesse daran,
dass diese Abgabe auf ihre Geräte so niedrig wie möglich ist, weil sie die Preiskonkurrenz fürchtet.
Die Notwendigkeit, einen fairen Kompromiss zwischen all den Interessen der verschiedenen Beteiligten zu
schaffen, ist heute größer denn je. Schließlich war es
noch nie so einfach, über das Internet von jedem Ort der
Welt aus zu jeder Zeit auf urheberrechtlich geschützte
Contents zurückzugreifen: Man kann sie mit einem
Mausklick abrufen und sie in Sekundenschnelle vervielfältigen.
Wir meinen, dass das geistige Eigentum der Kreativen aber gerade in der modernen Informationsgesellschaft gewährleistet bleiben muss. Ohne einen solchen
Schutz kann es nämlich keine Kreativität geben - auf die
Deutschland als Land der Ideen natürlich ganz besonders
angewiesen ist.
({2})
Zwei Punkte möchte ich besonders hervorheben. Der
erste Punkt ist die Reform des pauschalen Vergütungssystems. Wir meinen, dass den Urhebern als Ausgleich
für die nach wie vor erlaubt bleibende Privatkopie eine
angemessene Vergütung zusteht. Diese Vergütung soll
auch weiterhin von den Verwertungsgesellschaften eingezogen werden. Wir wollen aber den Mechanismus, der
im Moment besteht, ändern, weil wir meinen, dass er
nicht funktioniert. Wir wollen den Verwertungsgesellschaften auf der einen Seite und der Industrie auf der andere Seite künftig die Möglichkeit geben, die Gebühren
- wenn man das im weitesten Sinne so nennen kann untereinander auszuhandeln. Der Gesetzgeber soll nach
unserer Vorstellung nur noch den Rahmen festlegen, in
dem das geschieht, und ein Verfahren für den Fall vorsehen, dass sie sich nicht einigen können.
Ein zweiter Punkt, den ich hervorheben möchte, ist,
dass ich der Auffassung bin, dass wir mit diesem Gesetzentwurf einen Kompromiss zwischen dem individuellen
Recht am geistigen Eigentum und den Belangen des Gemeinwohles schaffen müssen.
Im Interesse von Bildung und Wissenschaft regeln
wir elektronische Leseplätze in Bibliotheken, Museen
und Archiven. Wir stellen den Versand von elektronischen Kopien durch Bibliotheken auf eine gesetzliche
Grundlage und wir berücksichtigen dabei sowohl die Belange der Verlage als auch die Tatsache, dass Deutschland als Forschungsstandort Anschluss an die internationale Entwicklung halten muss.
({3})
- Genau, Herr Kollege. Das wären jetzt meine nächsten
Worte gewesen. Ich weiß natürlich, dass es eine Menge
Kritik an allen möglichen Vorschlägen gibt.
({4})
Ich habe das eingangs ja schon gesagt.
Nun ist heute in der Debatte ja schon einmal der Satz
gefallen, dass man dann, wenn man Kritik von beiden
Seiten bekommt, in der Regel relativ sicher sein kann,
dass man einen fairen Mittelweg vorgeschlagen hat.
({5})
Genau das gilt für das Urheberrecht auch.
Ich bin ganz davon überzeugt, dass das, was wir vorgeschlagen haben, eine gute Basis ist, die man auch nicht
verlassen sollte, was nicht heißt, dass man an der einen
oder anderen Stelle nicht noch nachjustieren kann. Dazu
sind aber die Beratungen in den Ausschüssen und im
Deutschen Bundestag auch da.
({6})
Das Wort hat die Kollegin Sabine LeutheusserSchnarrenberger für die FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Uns Berichterstattern im Rechtsausschuss für das Urheberrecht und für diesen Gesetzentwurf ist dieses Thema so wichtig, dass wir gesagt haben:
Es entspricht nicht der Bedeutung dieses Vorhabens, hier
einfach zur Tagesordnung überzugehen und alle unsere
Reden zu Protokoll zu geben.
({0})
Gerade weil es ein so wichtiges rechtspolitisches Vorhaben ist - eines der wichtigsten dieser Legislaturperiode -,
kann es gar nicht zu spät oder zu früh sein, um auch in
der ersten Lesung dazu zu sprechen.
Frau Ministerin, Sie haben Recht, dass es einen langen Vorlauf verbunden mit entsprechenden Vorbereitungen im Ministerium gab, bis es zu diesem Gesetzentwurf
gekommen ist. Nach Vorlage dieses Gesetzentwurfes
muss jetzt natürlich die intensive Befassung im Rechtsausschuss mit denen folgen, die davon betroffen sind.
({1})
Die Änderung des Urheberrechts ist immer der Versuch, einen angemessenen Ausgleich zwischen denjenigen, die es mit ihrer kreativen Leistung überhaupt erst
ermöglichen, dass es etwas zu verwerten gibt, und natürlich auch denjenigen zu schaffen, die an diesem Prozess
beteiligt sind. Dass es hier nach geltendem Recht immer
wieder Schranken gibt, die der modernen technischen
Entwicklung angepasst werden müssen, und dass hier
die Interessen zu gewichten und zu wiegen sind, ist
selbstverständlich.
Frau Ministerin, ich bin der festen Überzeugung, dass
dieser Gesetzentwurf nicht in dieser Form aus dem
Rechtsausschuss zur abschließenden Beratung herausgehen wird;
({2})
denn ich glaube, dass es in einigen Bereichen die dringende Notwendigkeit gibt, zu einer wirklich besseren
Gewichtung der Interessen und Anliegen der Urheber zu
kommen.
Das hat eine lange und gute Tradition in der Rechtsentwicklung des Urheberrechts. Auf der einen Seite ist es
richtig, dass man private Vervielfältigungen zulassen
muss - das ist ein Uraltthema und dazu sind schon vor
Jahrzehnten Weichenstellungen vorgenommen worden -,
auf der anderen Seite muss man aber den Urhebern, denjenigen, die etwas produziert haben, damit es verwertet
und kopiert werden kann, angesichts der Modernisierung
der Technik und der technischen Entwicklung selbstverständlich auch eine angemessene Beteiligung geben.
({3})
Frau Ministerin, deshalb sind wir sehr offen dafür und
halten es auch für richtig, dass der Einsatz individueller
Lizenzmodelle gerade im Online-Bereich auch mithilfe
des Urheberrechts gefördert wird. Wir sagen aber ganz
unmissverständlich: Auf die pauschale Geräteabgabe
kann bis auf weiteres nicht verzichtet werden. Dort, wo
die Geräteabgabe das Mittel der Wahl für die Vergütung
bleibt, muss dem Umfang der urheberrechtlichen Nutzung angemessen Rechnung getragen werden. Darüber
kann durch die Herstellerpreise eines Vervielfältigungsgerätes gerade nicht Aufschluss gegeben werden.
Ich brauche hier nicht wiederzugeben, wie der Preisverfall gerade in diesem Bereich aussieht. Das bringt
zum Ausdruck: Wenn es bei dieser Regelung bliebe,
würde es zu einem wirklich deutlichen Einnahmeverlust
bzw. zu einem Vergütungsrückgang bei den Urhebern
kommen. Deshalb ist der Ansatz, der jetzt gewählt ist,
nämlich die Koppelung der pauschalen Geräteabgabe an
die Preise und die Begrenzung auf einen Gesamtpreis
hinsichtlich des Anteils der Vervielfältigungen, nicht
richtig. Darüber muss dringend beraten werden. Das ist
die gute Tradition im Urheberrecht, die wir ja heute Mittag schon unter Beweis gestellt haben, als wir einen
Kompromiss beim Folgerecht über alle Fraktionen hinweg gefunden haben. Obwohl es nicht allen leicht gefallen ist, haben wir gesagt, dass wir das wollen. Ich finde,
auch das muss uns in diesem Bereich gelingen, denn das
hat massive Auswirkungen. Wenn wir der Stellung der
Urheber im Jahre 2006 folgende gerecht werden wollen,
dann müssen wir uns gerade die Deckelung und die
Fünfprozentklausel, die jetzt in den §§ 54 folgende des
Gesetzentwurfs vorgesehen sind, vornehmen und ändern. Dabei kann es in dieser Form nicht bleiben.
({4})
Ein zweiter wichtiger und schwieriger Bereich ist natürlich die Schranke zugunsten von Bildung und Forschung. Es soll durch eine neue Vorschrift Bibliotheken,
Museen und öffentlichen Archiven künftig gestattet werden, Werke an elektronischen Leseplätzen zugänglich zu
machen. Durch eine weitere Bestimmung soll die Zulässigkeit des elektronischen Kopienversands gesetzlich geregelt werden. Hierzu sage ich deutlich: Im Kern sind
die geplanten Bestimmungen nicht zu beanstanden, aber
in der vorliegenden Ausgestaltung schießen sie über das
Ziel hinaus. Jetzt würde ich über meine Redezeit hinausschießen, wenn ich dafür viele Gründe und Argumente
vorbringen würde. Das werden wir dann in einer umfangreichen Anhörung, die wir bereits vom Grundsatz
her beschlossen haben, im Rechtsausschuss tun.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort hat der Kollege Dr. Günter Krings für die
Unionsfraktion.
({0})
Guten Morgen, Frau Präsidentin! Guten Morgen,
meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen!
({0})
- Richtig. - Wir debattieren heute in erster Lesung über
einen Gesetzentwurf, dessen Entstehungsgeschichte
nach Art, Umfang und Länge ihresgleichen sucht. Die
Arbeiten an diesem „Korb 2“ des Urheberrechts begannen unmittelbar nach dem „Korb 1“ im Jahre 2003. Das
Bundesjustizministerium, das zwar nicht mehr auf der
Regierungsbank vertreten ist, aber immerhin noch sozusagen im Publikum weilt, hat dann elf Arbeitsgruppen
eingesetzt und Dutzende von Verbänden mit der Vorarbeit an diesem Gesetzgebungsvorhaben sehr lange beschäftigt. Der eigentliche Gesetzgeber - an der Stelle
sollte die Frau Ministerin einmal zuhören - sitzt aber in
diesem Hause, die eigentliche Gesetzgebung findet hier
statt. Und für dieses Gesetz gilt in ganz besonderer
Weise, dass es nicht so aus dem Rechtsausschuss und
dem Deutschen Bundestag hinausgehen wird, wie es
vom Justizministerium eingebracht worden ist.
({1})
Nur hier ist der Ausgleich der Interessen von Urhebern,
Verbrauchern und Unternehmen letztgültig vorzunehmen.
Es ist gut, dass wir nun endlich die wichtigen Anpassungen des Urheberrechts an die Veränderungen einer
digitalen und vernetzten Welt in Angriff nehmen können. Beim Urheberrechtsgesetz handelt es sich um nichts
weniger als um das Grundgesetz der modernen Wissensgesellschaft. Auch die volkswirtschaftliche Bedeutung
des Urheberrechts ist nicht zu unterschätzen; fast jeder
zehnte Euro unseres Bruttoinlandsproduktes hängt direkt
oder indirekt mit dem Urheberrecht zusammen. Dieser
Bedeutung sind die Länge und vor allem der Zeitpunkt
der heutigen Debatte nicht angemessen.
({2})
Die Bundesregierung geht bei der Pauschalvergütung neue Wege. Zukünftig soll die Vergütungspflicht
von Geräten und Speichermedien anhand ihrer tatsächlichen Nutzung für Vervielfältigungsvorgänge ermittelt
werden. Dadurch wird ein gerechterer Maßstab erreicht
als durch die jetzige Regelung, bei der es um die erkennbare Eignung zur Vornahme von Kopien geht. Gerade
die heutige Vielzahl zeitraubender Prozesse - zum Beispiel, ob der Drucker oder der Computer unter diese Voraussetzungen fällt - zeigt, dass hier eine Änderung geboten ist.
Die heutige Situation ist für beide Seiten unbefriedigend. Die Urheber müssen lange auf ihre Vergütung
warten. Die Hersteller von Geräten oder Speichermedien
müssen zwar zunächst nicht an die Urheber zahlen, aber
sie müssen aufgrund des ungewissen Prozessausgangs
langfristige Rückstellungen bilden.
Dieses Spiel aus Verweigerungshaltung einerseits und
bilanzieller Rückstellungspflicht andererseits wiederholt sich so oft, wie neue Geräte oder Speichermedien
auf den Markt kommen. Das geht heute sehr rasch.
Es ist daher gut und gerecht, wenn die Bundesregierung dieses Kriterium abschaffen will und auf den
tatsächlichen Einsatz von Geräten zum Kopieren abstellt. Die konkrete Ausgestaltung dieser neuen Regelung
werden wir im weiteren parlamentarischen Verfahren aber
noch einer genauen Prüfung unterziehen müssen.
({3})
So sieht der Entwurf vor, an die Vergütungspflicht die
Bedingung zu knüpfen, dass das betroffene Gerät bzw.
Speichermedium in nennenswertem Umfang für Vervielfältigungen eingesetzt wird. Die Gesetzesbegründung
nennt ausdrücklich eine Mindestnutzung von 10 Prozent.
Unter dieser Grenze soll keine Vergütung anfallen. Dadurch scheinen mir neue Gerichtsverfahren vorprogrammiert zu sein.
Ziel des Gesetzes muss es aber sein, eine Regelung zu
finden, die die Voraussetzung für eine Vergütungspflicht
klar festlegt. Wir brauchen keine zusätzliche Vergütung
für Rechtsanwälte, sondern eine kalkulierbare Vergütung
für die Urheber.
({4})
Noch schwieriger wird es bei der Vergütungshöhe.
Nach dem Regierungsentwurf soll die Vergütung bei
5 Prozent des Gerätepreises gedeckelt werden. Die Verwertungsgesellschaften rechnen mit Einbußen von bis zu
40 Prozent durch diese Kappungsgrenze. Allerdings unterschlagen sie bei ihren Berechnungen wiederum, dass
auch neue Geräte in die Vergütungspflicht einbezogen
werden. Umgekehrt weist BITKOM darauf hin, dass
sich ohne die Kappung bei 5 Prozent und die Einführung
der Voraussetzung des nennenswerten Umfangs das Vergütungsaufkommen von ZPÜ und GEMA mehr als vervierfachen würde. Hier steht Aussage gegen Aussage.
Auch das wird Gegenstand der Anhörung sein.
Der sehr heftige Streit zwischen den beiden Beteiligten lässt aber Zweifel aufkommen, ob es wirklich sinnvoll ist, die Verhandlungen über die Höhe einer dem
Grunde nach staatlich angeordneten Pauschalvergütung
in die Hände der Betroffenen zu legen. Für mich wäre
zum Beispiel eine Verordnungsermächtigung für das
Justizministerium zur Festsetzung der Vergütungssätze
nach wie vor eine denkbare und praktikable Alternative,
die ebenfalls zumindest erörtert werden muss.
Aber auch dann - das richte ich an alle Urheber werden wir sicherlich Vergütungshöhen bekommen, die
nicht viel mehr als 5 Prozent des Gerätepreises ausmachen. Denn auch bei der bisherigen Regelung sind die
Gerätepreise - zumindest indirekt - bei den staatlich
festgesetzten Vergütungshöhen berücksichtigt worden.
Als Rechtsverlust empfinden einige Urheber - dem
ist meines Erachtens nicht unbedingt zu folgen - die
Neuregelung zu den unbekannten Nutzungsarten.
Erstmals sollen die Urheber auch über unbekannte Nutzungsarten disponieren dürfen. Der Urheber geht für die
Rechteübertragung allerdings keineswegs leer aus; er
kann vielmehr eine gesonderte Vergütung verlangen.
Außerdem erhält er ein Widerrufsrecht, was die meisten
Fälle zu einer vernünftigen Lösung führen müsste. Praktische Probleme mögen sich dann ergeben, wenn ein Widerruf schwierig wird, weil die Rechte auf einen neuen
Rechteinhaber übertragen worden sind, von dem der Urheber nicht weiß, wie er zu erreichen ist. Bei einer Neuregelung scheint es mir alles in allem wichtig zu sein,
darauf zu achten, dass die Weiterverbreitung älterer Inhalte auf neuen Speichermedien - darum geht es uns
nämlich - nicht behindert, sondern befördert wird.
Die Privatkopie wird auch künftig möglich bleiben.
Das dürfte in diesem Haus quer durch alle Fraktionen
unbestritten sein. Trotzdem möchte ich den Stimmen
deutlich widersprechen, die inzwischen die Privatkopie
als ein subjektives Recht des Verbrauchers ansehen.
({5})
Die Zulassung - eben nicht das Recht - der Privatkopie
fand erst 1965 Eingang ins Gesetz, als die ersten Vervielfältigungsgeräte auf den Markt kamen.
({6})
Nur weil es damals keinen wirksamen Mechanismus
gab, um das Kopieren zu unterbinden, hat man den Urhebern - ganz nach dem Grundsatz „Dulde und liquidiere!“ - eine Pauschalvergütung als Ausgleich zugebilligt, Herr Kollege Montag. Privatkopie und
Pauschalvergütung waren also von Anfang an kein
Selbstzweck, sondern ein Notbehelf.
Daher ist es auch richtig, dass der Regierungsentwurf
an dem Verbot der Umgehung technischer Schutzmaßnahmen festhält. Jedes Unternehmen kann selbst über
deren Einsatz entscheiden und viele Unternehmen
- etwa aus der Musikbranche - verzichten aus nachvollziehbaren Gründen auf die Einführung solcher Schutzmechanismen.
({7})
Aber demjenigen, der sein Eigentum wirksam schützen möchte, können und wollen wir das in einem
Rechtsstaat nicht verwehren. Dabei macht es im Grunde
keinen Unterschied, ob er sein Haus mit einem Zaun
oder sein geistiges Eigentum durch einen Kopierschutz
schützen will.
({8})
- Herr Kollege Montag, dieser Vergleich mag wie viele
Vergleiche hinken, aber auch ein Vergleich, der hinkt,
geht.
({9})
Der Bundestag sollte sich aber nicht Überlegungen
verschließen, die Zulässigkeit der Privatkopie zu präzisieren. Präzision schafft Rechtssicherheit. Auf die ist gerade der juristisch nicht geschulte Verbraucher angewiesen. Zu prüfen ist aus meiner Sicht daher, ob die
Herstellung einer Privatkopie nur noch dann gesetzlich
erlaubt werden sollte, wenn die Kopie vom eigenen Original erstellt wird.
Rechtssicherheit geschaffen haben wir bereits im Vorfeld, nämlich vor der Einbringung des Gesetzentwurfes
bei der Bagatellklausel. Ich bin froh, dass ich diesen
meines Erachtens rechtsstaatswidrigen Vorschlag gemeinsam mit dem Kulturstaatsminister Bernd Neumann
schon im Vorfeld des Regierungsentwurfs verhindern
konnte.
({10})
Dem Staatsminister möchte ich nochmals für seinen Einsatz danken. Ich freue mich auch, dass jedenfalls das
Justizministerium zu einer guten Einsicht gekommen ist.
({11})
Wir haben es geschafft, dass ein klarer Strafrahmen
für Urheberrechtsverletzungen beibehalten wurde und
derartige Verletzungen auch künftig keine Kavaliersdelikte darstellen. Das ist ein starkes und klares Signal an
die Öffentlichkeit.
Als Rechtspolitiker der großen Koalition freuen wir
uns über das Bekenntnis im Koalitionsvertrag für ein
starkes und wissenschaftsfreundliches Urheberrecht.
({12})
Wissenschaftsfreundlich - passen Sie genau auf - heißt
dabei ganz unmissverständlich auch
({13})
wissenschaftsverlagsfreundlich; denn die privaten Verlage sind integraler Bestandteil unseres Wissenschaftsbetriebes. Die Verlage erfüllen bei der Verbreitung von
neuen Erkenntnissen aus Wissenschaft und Forschung
eine unverzichtbare Filterfunktion. Sie sind das einzige
echte privatwirtschaftliche Element in unserem Wissenschaftsbetrieb. Der Urheberrechtsgesetzgeber sollte daher dieses Geschäftsmodell nicht zerstören.
({14})
Mit Besorgnis sehe ich daher die Ausgestaltung des
§ 52 b im Gesetzentwurf der Bundesregierung. Es kann
meines Erachtens nicht angehen, dass die Bibliotheken
ein Buch anschaffen und es dann dutzend- oder hundertfach an Leseplätzen bereithalten. Hier ist über eine Änderung zu sprechen. Wir müssen in Deutschland aufpassen, dass wir Investitionen in Wissenschaft nicht
ausschließlich als Investitionen in Beton und Technik
verstehen und nicht mehr als solche in Bücher und geistige Inhalte.
Ich will zu einem letzten Aspekt kommen.
Herr Kollege Krings, diese Besorgnis und Aspekte
müssen wir auf die nächste Debatte vertagen.
Dann machen wir das bei der nächsten Debatte.
Ich weise darauf hin, dass wir beim Kopienversand
per E-Mail die Regelung als einen vernünftigen Ausgleich ansehen. Insgesamt weise ich darauf hin, dass wir
im Rechtsausschuss als Vorratsbeschluss bereits eine
Anhörung beschlossen haben. Das wird eine sehr umfangreiche Anhörung werden, die wahrscheinlich nur
noch von der Anhörung zur Föderalismusreform der
letzten Woche getoppt wird. Ich freue mich, mit vielen
Kollegen in dieser Anhörung weiter am Urheberrecht arbeiten zu können.
Ich wünsche Ihnen einen guten Morgen oder schönen
Abend, wie auch immer.
({0})
Die Rede der Kollegin Luc Jochimsen für die Frak-
tion Die Linke nehmen wir zu Protokoll.1)
Das Wort hat der Kollege Jerzy Montag für die Fraktion der Grünen.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
glaube, noch nie ist über ein hochpolitisches, hochwichtiges rechtspolitisches Thema so früh am Tag in diesem
Hause diskutiert worden.
({0})
Das ist einerseits gut so; aber das hängt nur damit zusammen, dass es in diesem Hause üblich geworden ist,
rechtspolitische Themen an das Ende der Tagesordnung
zu setzen. Ich finde, das geht auf Dauer so nicht.
({1})
Das deutsche Urheberrecht ist in vielerlei Hinsicht re-
formbedürftig. Der Umgang mit geschütztem geistigem
Eigentum, seine Nutzung durch die Berechtigten und
seine neu zu definierende Sozialpflichtigkeit erfordern
mutige und gerechtere Formen. Dabei regelt und
schreibt die europäische Richtlinie zur Harmonisierung
bestimmter Rechte des Urheberrechts, wie der Name
schon sagt, nur einige, wenn auch nicht unwichtige As-
pekte vor. Wir haben mit dem ersten Gesetz zur Reform
des Urheberrechts den Pflichtteil der Reform erledigt.
Nun geht es darum, die Kür zu machen, um das deutsche
Urheberrecht für eine moderne, wissensbasierte, digital
vernetzte Informationsgesellschaft fit zu machen. Das
hat Frau Ministerin völlig richtig dargestellt.
Dabei dürfen wir keinen der Akteure aus dem Blick
verlieren, die berechtigte Interessen auf diesem Felde
haben. Erstens: die Kreativen, die Künstler und Wissen-
schaftler und die ihre Rechte verwaltenden Verwertungs-
gesellschaften. Zweitens: die Rechteinhaber, in der Re-
gel große, international tätige Konzerne. Drittens die
Produzenten von Hardware, Computern und allen mögli-
chen unterschiedlichen Abspielgeräten.
Viertens: die Einrichtungen der Wissensvermittlung,
von Schulen über Bibliotheken bis zu Universitäten.
1) Anlage 30
Fünftens - nicht zu vergessen -: die Nutzer und Genießer der Werke, die die Musik hören, Filme ansehen.
Dazu gehören auch die Wissenschaftler, die die Werke
ihrer Kollegen brauchen, um selbst forschend tätig sein
zu können. Die Interessen dieser Gruppen zum Wohle
der Einzelnen und zum Wohle der ganzen Gesellschaft
auszutarieren, das ist die Aufgabe der jetzt anstehenden
Reform des Urheberrechts.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung hat einen beachtlichen Vorlauf erfahren. Er ist im Wesentlichen noch
unter der rot-grünen Bundesregierung entstanden, im
Diskurs mit praktisch allen Mitspielern auf dem Feld des
Urheberrechts. Deshalb ist er auch eine gute Vorlage für
die Beratungen in den Ausschüssen. Aber er ist noch erheblich verbesserungsbedürftig.
Die Umstellung der Pauschalvergütung von dem alten System „Abgabe auf Geräte, die zum Abspielen bestimmt sind“ auf das neue System „Abgabe auf Geräte,
mit denen tatsächlich abgespielt wird“ ist im Grundsatz
richtig. Aber mit den Vorschlägen haben Sie, Frau
Ministerin, neue Probleme auf den Tisch gelegt. Was ist
eine nennenswerte Nutzung? Die Streitigkeiten darüber
sind vorprogrammiert. Eine Begrenzung der Pauschalabgabe auf höchstens 5 Prozent des Geräteverkaufspreises
und die Nichteinbeziehung des Zubehörs sind gegenüber
den Kreativen nicht gerecht. Das muss geändert werden.
Die Einführung einer neuen Schranke zur Verwendung von Werken an Computerarbeitsplätzen ist richtig. Aber warum schöpfen Sie eigentlich die Möglichkeit
der Richtlinie nicht aus und beziehen nicht sämtliche
Bildungseinrichtungen in diese Regelung ein? Richtig ist
ebenfalls die gesetzliche Einführung der vom Bundesgerichtshof entwickelten Schranke des Kopienversandes
durch Bibliotheken. Ich wäre sogar damit einverstanden,
den wissenschaftlichen Verlagen die Möglichkeit zu eröffnen, den Kopienversand komplett in die eigenen
Hände zu nehmen, wenn dies zu fairen Bedingungen geschähe. Diesbezüglich darf das Gesetz nicht schweigen;
vielmehr muss das Gesetz dazu etwas sagen.
Zwei weitere Punkte, die ich heute nicht mehr ansprechen kann, liegen uns Grünen besonders am Herzen: die
Bagatellklausel - wir wollen sie haben - und eine durchsetzungsstarke Privatkopie auch in der digitalen Welt.
Das wollen wir ebenfalls haben. Näheres dazu werden
Sie von uns Grünen erfahren, wenn wir uns diesen Gesetzentwurf in den Ausschüssen zur Beratung vornehmen werden.
Danke.
({2})
Als letzter Redner in dieser Debatte hat der Kollege
Dirk Manzewski für die SPD-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Freunde der Rechtspolitik! Viel wäre zum heutigen
Thema zu sagen.
({0})
Aufgrund der mir zur Verfügung stehenden geringen
Zeit möchte ich meine Rede aber auf einige aus meiner
Sicht kritische Punkte beschränken. So habe ich erhebliche Probleme mit der Neugestaltung des pauschalen
Urhebervergütungssystems. Dieses bewährte System,
das den Kreativen eine Kompensation für ihre Einnahmeausfälle gewährleistet, soll im Grunde genommen
zwar beibehalten werden; aber anders als bisher soll nun
den Verwertungsgesellschaften und den Herstellern die
Bemessung der Vergütungssätze selbst übertragen werden.
Ich frage mich, Frau Ministerin, wie das praktisch
funktionieren soll, da wir hier nicht zwei Parteien auf
gleicher Augenhöhe haben. Nicht zuletzt das Urhebervertragsgesetz hat doch gezeigt, dass man aufgrund der
unterschiedlichen Interessenlage nicht zwingend auf die
Einsichtsfähigkeit der Beteiligten vertrauen darf. Ich
möchte aber nicht, dass den Urhebern letztendlich zugemutet wird, hinter ihren Ansprüchen herzulaufen.
Hinzu kommt, dass der Maßstab für die Vergütungshöhe die tatsächliche Nutzung der Gerätetypen sein soll.
Nur, wie soll die ermittelt werden? Die Bundesregierung
stellt sich vor, dass die Verwertungsgesellschaften diese
Daten durch Aufträge an Marktforschungsinstitute erhalten können. Aber man muss kein Prophet sein, um voraussagen zu können, dass die so ermittelten Ergebnisse
von der anderen Seite umgehend angezweifelt werden.
Die verbesserten Schlichtungsmöglichkeiten dürften da
kaum weiterhelfen.
({1})
Es stellt sich auch die Frage, wie die so genannte tatsächliche Nutzung bei neuen Gerätetypen festgestellt
werden soll; zumal man noch nicht einmal sagen kann,
welchen Zeitraums es überhaupt bedarf, um entsprechende empirische Untersuchungen durchzuführen.
Ungeklärt ist damit insbesondere, wie die Vergütung
für die Zeit bis zum Ende dieser empirischen Untersuchungen geregelt werden soll, vor allem wenn ein neuer
Gerätetyp vor dem Abschluss dieser Untersuchungen
vom Markt genommen wird, entweder weil er sich nicht
durchgesetzt hat oder weil der Hersteller bis dahin nicht
mehr existent ist. Dies kann meiner Auffassung nach
nicht zulasten der Urheber gehen.
Inwieweit Gerätezubehör, welches häufig niedrige
Gerätepreise kompensiert, bei der Bemessung der Vergütungshöhe Berücksichtigung finden soll, ist für mich
auch nicht eindeutig geklärt.
Nicht nachvollziehen kann ich, warum in diesem Zusammenhang eine Vergütungsobergrenze von 5 Prozent des Verkaufspreises eingeführt werden soll; zum einen deshalb nicht, weil der für den Urheber nicht zu
beeinflussende Preis eines Gerätes doch nichts über die
Nutzungseingriffe bei ihm aussagt, zum anderen deshalb
nicht, weil bei dieser Regelung schon jetzt zukünftige
Einbußen der Urheber zu erwarten sind. Schaut man sich
nämlich zum Beispiel die Entwicklung bei Druckern und
Kopierern an, dann zeigt sich, dass diese einerseits immer leistungsstärker und andererseits immer billiger
werden.
Neu geregelt werden soll auch die Nutzung von Werken in unbekannten Nutzungsarten. Es ist sicherlich
richtig, auf die Probleme hinzuweisen, die im Zusammenhang mit Nutzungsarten, die es heute noch nicht
gibt, entstehen können. Soweit den Urhebern deshalb eröffnet werden soll, künftig grundsätzlich auch über ihre
Rechte für die Zukunft zu verfügen, macht dies durchaus
Sinn. Aber ich habe Schwierigkeiten damit, dass der Urheber diese Rechtseinräumung nach § 31 a nur widerrufen kann, wenn der andere noch nicht mit der Nutzung
des Werks begonnen hat. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass der Nutzer jeden Widerruf durch
schnelle Nutzungsaufnahme ausschließen kann, zumal
er nach § 32 c nur verpflichtet ist, den Urheber erst über
die Aufnahme der Nutzung unverzüglich zu unterrichten.
Nicht gut finde ich übrigens, dass das auch für Altverträge gelten soll, da es für mich schon einen Unterschied
macht, ob ich bewusst eine Regelung für die Zukunft
eingehe oder, wie bei Altverträgen, eben nicht.
Ich komme zum Ende. Soweit von vielen ein bildungs- und wissenschaftsfreundliches Urheberrecht angemahnt wird, Kollege Tauss, muss ich sagen: Ich finde
das nicht ganz gerecht,
({2})
da ich der Auffassung bin, dass wir ein solches Urheberrecht haben. Sosehr ich angesichts knapper Kassenlage
aus Sicht von Bildung und Wissenschaft nachvollziehen
kann, dass man sich hier Spielräume wünscht, so sehr
muss ich aber auch deutlich sagen, dass dies nicht zulasten der Urheber gehen kann.
({3})
Auch geistiges Eigentum ist Eigentum. Es kommt ja
auch niemand auf die Idee, die Rechnung eines Handwerkers nicht zu bezahlen, nur weil dieser für eine Universität tätig geworden ist.
Letzter Satz. Wir müssen daher sehr vorsichtig sein,
um hier die richtige Balance zu wahren; ich sichere unseren Bildungspolitikern fraktionsübergreifend jedoch
zu, mit ihnen hierüber zu diskutieren, um nach Lösungen
zu suchen.
Ich bitte um Entschuldigung dafür, dass ich ein bisschen schnell gewesen bin, aber ansonsten hätte ich heute
nicht annähernd das sagen können, was ich mir vorgenommen habe.
Ich danke Ihnen.
({4})
Ich fürchtete schon, dass Sie gar nicht mehr Luft holen.
({0})
- Ich dachte, dass Sie ihrem Kollegen zur Hilfe kommen. Mit einer Zwischenfrage kann man so etwas lösen.
Er muss sich dann nicht selbst gefährden.
({1})
- Herr Kollege, Sie sind doch so erfahren. Aber gut, das
klären wir beim nächsten Mal.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 16/1828 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Versicherungsvermittlerrechts
- Drucksache 16/1935 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({2})
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Tourismus
Verabredet war hierzu eine Debatte von einer halben
Stunde. Wir nehmen die Reden aber zu Protokoll. Es
sind die Reden des Kollegen Kai Wegner für die Unionsfraktion, des Kollegen Christian Lange ({3}) für
die SPD-Fraktion, des Kollegen Martin Zeil für die
FDP-Fraktion, der Kollegin Ulla Lötzer für die Fraktion
Die Linke und des Kollegen Matthias Berninger für die
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.1) Damit kann
ich die Aussprache auch schon schließen.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 16/1935 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse und an den Ausschuss für
Tourismus vorgeschlagen. Gibt es dazu weitere
Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 37 a auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform
des Personenstandsrechts ({4})
- Drucksache 16/1831 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({5})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Auch hierzu war eine Debatte von einer halben
Stunde vorgesehen. Wir nehmen aber die Beiträge des
Kollegen Stephan Mayer ({6}) für die Unions-
1) Anlage 31
Vizepräsidentin Petra Pau
fraktion, der Kollegin Gabriele Fograscher für die SPD-
Fraktion, der Kollegin Gisela Piltz für die FDP-Fraktion,
der Kollegin Ulla Jelpke für die Fraktion Die Linke und
der Kollegin Silke Stokar für die Fraktion des Bündnis-
ses 90/Die Grünen zu Protokoll.1) Damit schließe ich
auch diese Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 16/1831 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
1) Anlage 32
dazu weitere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann
ist die Überweisung so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss der Tagesordnung der
43. Sitzung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf heute, Freitag, den 30. Juni 2006, 8 Uhr,
ein.
Die Sitzung ist geschlossen.