Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Fortführung des Emissionshandels im Zeitraum 2008 bis 2012.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit, Sigmar Gabriel.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine Damen und
Herren! Das Bundeskabinett hat heute den zweiten Nationalen Allokationsplan für den Emissionshandel mit
Treibhausgasen sowie die notwendige Verordnung zur
Erhebung von Daten über die realen Treibhausgasemissionen in den Jahren 2003 und 2004 beschlossen. Ziel
ist, dass Deutschland seinen Verpflichtungen nachkommt, das Klima zu schützen und die klimaschädlichen
Treibhausgase in der Periode 2008 bis 2012 um 21 Prozent gegenüber dem Jahr 1990 zu verringern. Der wichtigste Inhalt dieses Nationalen Allokationsplans für den
Emissionshandel mit Treibhausgasen lautet: Deutschland wird seine Klimaschutzziele einhalten. Wir werden
den Ausstoß von CO2-Treibhausgasen zwischen 2008
und 2012 um 21 Prozent gegenüber 1990 reduzieren.
Die Bundesrepublik Deutschland ist damit das erste
Land in der Europäischen Union, das seinen zweiten Allokationsplan beschließt. Morgen wird die Regierung
von Großbritannien folgen. Das ist insofern von großer
Bedeutung, als es in Europa durchaus eine Reihe von Interessengruppen gibt, die gehofft hatten, dass es die
wichtigen großen Industriestaaten, die in der Vergangenheit bereits eine Führungsrolle bei der Reduzierung der
klimaschädlichen Treibhausgase innehatten, nicht schaffen würden, die Allokationspläne fristgerecht zum
30. Juni 2006 abzugeben. Es bestand durchaus die Hoffnung, dadurch das System des Emissionshandels in
Europa infrage stellen zu können. Die Bundesregierung
legt Wert darauf, dass dies nicht der Fall sein wird. Im
Gegenteil: Wir erwarten von der Europäischen Kommission, dass sie gegenüber den Staaten, die ihren Nationalen Allokationsplan nicht zeitnah vorlegen oder die Klimaschutzziele in Europa nicht einhalten, aktiv wird.
Der wesentliche Inhalt des zweiten Nationalen Allokationsplans zur Reduktion der klimaschädlichen Treibhausgase ist die Reduktion des CO2-Ausstoßes um jährlich 15 Millionen Tonnen im Zeitraum von 2008 bis
2012 im Bereich „Energiewirtschaft und Industrie“. Zum
Vergleich: Der erste Allokationsplan hatte eine Reduktion um lediglich 2 Millionen Tonnen pro Jahr zum Ziel.
Das Zuteilungsgesetz für die Handelsperiode 2005 bis
2007 hatte das Ziel, den Ausstoß in dieser Periode um
10 Millionen Tonnen zu reduzieren. Wir haben diese
Vorgabe um 5 Millionen Tonnen auf 15 Millionen Tonnen heraufsetzen müssen, weil der Ausstoß von Treibhausgasen in Deutschland in der Vergangenheit insgesamt
stärker war, als zu Beginn der ersten Handelsperiode geschätzt wurde. Von daher ist es nur logisch, dass die
Pläne ambitionierter werden. Prozentual ist das eine Reduktion um 3 Prozent und nicht, wie gelegentlich in den
Zeitungen zu lesen war, um 0,6 Prozent. Nur zum Vergleich: Der erste Allokationsplan sah eine Reduktion um
nur 0,4 Prozent vor.
Wir erleichtern neuen und modernen Gaskraftwerke
den Marktzugang. Wir statten sie erstmals mit 7 500 Betriebsstunden aus, machen sie also grundlastfähig. Das
war bislang nicht der Fall. Sie waren mit lediglich
3 000 Betriebsstunden ausgestattet und daher im Wesentlichen im Bereich der Spitzenlast tätig. Wir erleichtern den internationalen Wettbewerb der Strom verbrauchenden Industrie, indem wir von ihr eine Reduktion der
CO2-Treibhausgase um nur 1,25 Prozent fordern. Demgegenüber muss die Energiewirtschaft ihre Emissionen
um 15 Prozent reduzieren. Das ist insofern angemessen,
als - das wird zu Recht allgemein beklagt - in der ersten
Handelsperiode rund 6 Milliarden Euro Windfall-Profits
durch die kostenlose Übertragung der CO2-Zertifikate
angefallen sind. 15 Prozent sind also durchaus vertretbar.
Redetext
Wir haben eine Vielzahl von Ausnahmeregelungen
abgeschafft: die Optionsregel, die uns im ersten Allokationsplan große Probleme bereitet hat, ebenso wie die
Early-Action-Regelung. Wir haben die Reserve, die wir
für Neuanlagen, insbesondere für Gaskraftwerke, brauchen, immerhin vervierfacht. Im ersten Allokationsplan
gab es bei den CO2-Zertifikaten eine Reserve von nur
3 Millionen Tonnen jährlich; jetzt haben wir 12 Millionen Tonnen Reserve pro Jahr. Wir haben zudem die
Übertragungsregel verändert. Im ersten Allokationsplan
lag der Zeitraum bei vier plus 14 Jahren. Wir ziehen jetzt
bei vier plus zehn Jahren die Grenze. Wir haben auch erheblich zur Entbürokratisierung beigetragen, indem wir
die rund tausend Kleinemittenten faktisch aus dem
Emissionshandel ausgenommen haben, weil ihr Beitrag
zur Emissionsminderung sehr gering ist und für sie ein
riesiger bürokratischer Aufwand produziert werden
müsste.
Letzte Bemerkung: Das Kabinett hat sich nach einer
intensiven Diskussion noch einmal gegen die Auktionierung, also den Verkauf von 10 Prozent der Zertifikate
zum jetzigen Zeitpunkt ausgesprochen. Das Kabinett
legt Wert darauf, dass dies keine Vorentscheidung ist.
Ganz im Gegenteil: Uns erscheint die Auktionierung
durchaus als angemessenes Mittel. Allerdings brauchen
wir vorher die Öffnung der europäischen Stromnetze,
damit die Verbraucherinnen und Verbraucher sich gegen
weitere Preisspiralen wehren können, die durch die Auktionierung mit Sicherheit ausgelöst werden würden. Das
heißt, wir brauchen die Öffnung der europäischen
Stromnetze, um mehr Wettbewerb auf dem Strommarkt
zu erreichen, damit ein deutscher Verbraucher, eine Verbraucherin oder ein Betrieb aus einem anderen Land
Europas Strom beziehen kann, wenn die Monopolisten
in Deutschland weiterhin alles Mögliche auf die Strompreise umlegen.
First things first: Wir brauchen zuerst die Öffnung der
Stromnetze; dann erfolgt die Auktionierung. Wenn wir
es umgekehrt machten, wie es einige fordern, würde das
steigende Strompreise für die Verbraucherinnen und Verbraucher bedeuten. Das ist zurzeit leider ein Trojanisches Pferd: Es sieht schön aus, hat aber einen üblen Inhalt. Wir hoffen, dass wir aus dem Trojanischen Pferd
möglichst schnell über die Öffnung der Stromnetze ein
({0})
Galopprennpferd bzw. ein echtes Pferd machen. Reinhard Loske wird gleich berichten, wie wir es besser machen können. - Ich bin auf Ihre Fragen gespannt.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({1})
Ich bitte, zunächst Fragen zu dem Themenbereich zu
stellen, über den soeben berichtet worden ist. - Das Wort
hat die Kollegin Höhn.
Herr Minister, Sie haben eben berichtet, dass Sie von
der Möglichkeit, 10 Prozent der Zertifikate zu versteigern, keinen Gebrauch machen wollen, und dies damit
begründet, dass die Preise sonst noch mehr steigen würden. Sie haben aber vorher selber gesagt, dass die vier
großen Energiekonzerne den Wert der Zertifikate, die sie
beim letzten Mal ohne Kosten bekommen haben, auf die
Preise umgelegt haben; sonst wären die Windfall-Profits
ja nicht entstanden. Das heißt, die Verbraucherinnen und
Verbraucher haben sozusagen für Zertifikate gezahlt, die
die Unternehmen umsonst bekommen haben. Hier wurden von den Unternehmen Kosten umgelegt - das ist aus
Sicht des Verbraucherschutzes wirklich eine Schweinerei -, die nicht angefallen sind.
Wie kommen Sie als Bundesregierung eigentlich unter diesem Gesichtspunkt - die Unternehmen haben keinesfalls signalisiert, dass sie den Wert der Zertifikate, die
sie jetzt umsonst bekommen, nicht auf die Preise umlegen - dazu, diese 10 Prozent nicht zu versteigern? Ihnen
gehen dadurch 500 bis 750 Millionen Euro pro Jahr verloren, die Sie gut nutzen könnten, um hinsichtlich des
Klimawandels gerade bei den Privaten etwas zu tun.
Wieso lassen Sie sich diese Chance entgehen, wenn die
Unternehmen so oder so die Preise erhöhen werden? Sie
verlieren 750 Millionen Euro pro Jahr.
Ich persönlich nicht, Frau Kollegin Höhn.
({0})
Sie meinen vermutlich den Bundeshaushalt.
Frau Kollegin Höhn, erstens hätte ich mir gewünscht,
dass die Gefahr einer Einpreisung bei einer kostenlosen
Vergabe der Zertifikate bereits in der letzten Legislaturperiode offensiver angegangen worden wäre. Ich bitte
um Verständnis; ich kann nichts dafür. Dieses System,
das zu Windfall-Profits geführt hat, ist unter anderem in
Ihrer Regierungsmitverantwortung etabliert worden. Das
freut mich nicht. Ich möchte mir Ihre deutliche Bezeichnung dieses Handelns nicht zu Eigen machen, aber in der
Bewertung stimme ich Ihnen zu. Auch ich halte ein solches Verhalten für absolut unangemessen. Aber dieses
System habe nicht ich zu verantworten.
Zweitens. Wir haben den sicheren Eindruck, dass eine
Auktionierung trotz der in großen Teilen bereits erfolgten Einpreisung weitere Preissteigerungen zur Folge
hätte, weil die Unternehmen inzwischen bestreiten, die
kostenlosen Zertifikate eingepreist zu haben. Sie sagen,
die Strompreisentwicklung habe ganz andere Gründe.
Selbstverständlich würden sie eine Auktionierung, die,
wie Sie wissen, möglicherweise Spekulationsgewinne
verursacht, wieder einpreisen und sich so das Geld von
den Verbrauchern holen. Die Bundesregierung wird
nicht den Weg gehen, sich jetzt durch die Auktionierung
Mittel zu verschaffen - in welcher Höhe auch immer -,
um sie dem Bundeshaushalt zuzuführen, und so zu dieBundesminister Sigmar Gabriel
sem Verhalten beizutragen. Wir wollen die Auktionierung. Aber vorher müssen wir auf dem Strommarkt für
Wettbewerb sorgen, damit die Verbraucherinnen und
Verbraucher sozusagen eine Waffe in der Hand haben,
mit der sie sich wehren können.
Darüber hinaus macht auch die Debatte, die in den
Mitgliedstaaten der Europäischen Union geführt wird,
deutlich, dass unsere Vermutung, die Auktionierung
führe nur dazu, dass im Zweifel zweimal eingepreist
wird, durchaus berechtigt ist. Denn es gibt eine Reihe
von Mitgliedstaaten, die die Auffassung vertreten, das
eigentliche Problem bestünde darin, dass nicht alle Staaten in Europa auktionieren: Wer nicht auktioniert, hat
niedrigere Strompreise und damit einen Wettbewerbsvorteil. Wer auktioniert, hat höhere Strompreise. - Erst
gestern habe ich darüber mit Kolleginnen und Kollegen
aus verschiedenen europäischen Ländern, unter anderem
aus Dänemark, diskutiert.
Daran können Sie erkennen, dass wir mit unserer Vermutung, eine Auktionierung - wenn es auch nur um
10 Prozent geht - würde zu weiteren Strompreissteigerungen führen, nicht allein dastehen. Ich vermute, dass
wir Sie davon nicht werden überzeugen können; das ist
nämlich auch eine Einschätzungsfrage. Aber ehrlich gesagt ist mir die Auktionierung von 10 Prozent der Zertifikate zu risikoreich, wenn es auf dem Strommarkt keinen Wettbewerb gibt.
Eine Nachfrage der Kollegin Höhn. Als Nächster ist
dann der Kollege Kauch an der Reihe.
Wenn Sie mehr Wettbewerb auf dem Energiemarkt
schaffen und dadurch Vorteile für die Verbraucherinnen
und Verbraucher erzielen wollen, warum unterstützen
Sie dann nicht die vielen Initiativen, die es dazu bundesweit gibt? Mittlerweile wehren sich über eine halbe Million Menschen gegen die Gas- und Strompreiserhöhungen, und zwar mit dem Argument, ihnen dürften keine
Kosten aufgebürdet werden, die gar nicht entstanden
sind. Sie gewinnen momentan jeden Gerichtsprozess.
Warum unterstützen Sie nicht diese Initiativen, die
sich dafür einsetzen, dass die Unternehmen bei der Kostengestaltung das Gebot der Transparenz beachten? Dadurch könnte man echten Wettbewerb herstellen. Die
Unternehmen könnten gezwungen werden, ihre Kostenkalkulationen darzulegen, was sie bisher nicht tun, was
sie strikt verweigern. Dann hätten Sie für mehr Wettbewerb gesorgt, auch im Interesse der Verbraucherinnen
und Verbraucher. Warum tun Sie das nicht?
Ihre Unterstellung ist falsch. Selbstverständlich unterstütze ich die Bemühungen der Verbraucherinnen und
Verbraucher. Das habe ich auch öffentlich gesagt. Natürlich ist jedes Instrument - notfalls auch ein Gerichtsverfahren -, das zur Folge hat, dass Kalkulationen offen gelegt werden, sehr zu begrüßen.
Wir erwarten erstens, dass das Urteil des Kartellamtes
zur Frage der Windfall-Profits den Druck noch einmal
erhöht. Zweitens gehen wir davon aus, dass die Regulierungsbehörde unter der Leitung von Herrn Kurth, die zukünftig auch für den Strommarkt zuständig sein wird,
dazu beiträgt, Transparenz zu schaffen. Durch sie werden ja auch die bisherigen Genehmigungen der Strompreise abgelöst. Insofern weiß ich nicht, wie Sie auf die
Idee kommen, wir würden Bemühungen um mehr Transparenz nicht unterstützen. Der Sinn der Einrichtung dieser Regulierungsbehörde war, mehr Transparenz zu
schaffen. Ich erhoffe mir von ihr sehr viel.
Wie Sie wissen, wollen wir über die Anreizregulierung, die bereits in der letzten Legislaturperiode beschlossen wurde, dazu beitragen, dass die aus unserer
Sicht völlig überhöhten Netznutzungsentgelte - sie sind
in Deutschland zum Teil doppelt so hoch sind wie in anderen Teilen Europas - deutlich gesenkt werden. Frau
Kollegin Höhn, wir sind mit Ihnen also völlig einig, sofern Sie Ihre Unterstellung zurücknehmen.
({0})
Jetzt ist der Kollege Kauch dran. Sie, Frau Kollegin
Höhn, können sich gerne später noch einmal melden. Herr Kauch, bitte schön.
Herr Minister, die Bundesregierung hat einen Sachverständigenrat für Umweltfragen eingesetzt. Dieser
Sachverständigenrat empfiehlt - übrigens in großer Eintracht mit allen Wirtschaftsforschungsinstituten und allen Umweltverbänden - die Versteigerung von 10 Prozent der Zertifikate. Ich zitiere aus dem Gutachten des
Sachverständigenrates:
Bei der Wettbewerbsargumentation
- auch Sie haben ja gesagt, eine Versteigerung sei nur
nach Öffnung der europäischen Stromnetze möglich handelt es sich um vorgeschobene strategische Argumente im Kampf um windfall-profits. Eine Versteigerung ist die einfachste und transparenteste
aller Zuteilungsmethoden und vermeidet diese Verteilungskonflikte innerhalb des Emissionshandelssektors.
Wenn Ihr eigenes Beratungsgremium, alle Wirtschaftsforschungsinstitute und alle Umweltverbände das Gegenteil von dem fordern, was Sie hier vertreten, würde
ich gerne wissen, auf welcher wissenschaftlichen Grundlage die Bundesregierung zu ihrer Einschätzung kommt.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auch fragen, ob
Ihnen Vorschläge bekannt sind, wie man bei einer Versteigerung von 10 Prozent der Zertifikate die Spekulationsgewinne, die Sie angesprochen haben, vermeiden
kann. Beispielsweise wird vom Bundesverband Emissionshandel und Klimaschutz vorgeschlagen, dass die
Energiewirtschaft nur im dem Maße an der Versteigerung teilnehmen darf, wie sie auch Anteil am Emissionshandelssektor hat. Das würde den möglichen
Machtmissbrauch der Energieversorger - es sind ja nur
vier Unternehmen - entsprechend ausschalten.
Diese beiden Punkte hätte ich gerne von Ihnen beantwortet.
Zur zweiten Frage: Dies hätte zur Konsequenz, dass
wir beispielsweise auch gegenüber der Strom verbrauchenden Industrie auktionieren müssten. Sie hätte dadurch deutlich höhere Kosten. Genau diese Industrie
wollen wir aber mit einem Erfüllungsfaktor von
1,25 Prozent im internationalen Wettbewerb schützen.
Ich dachte bisher, das sei auch die wirtschaftspolitische
Position der FDP. Wenn sich das geändert hat, wird das
die Strom verbrauchende Industrie mit Sicherheit gerne
zur Kenntnis nehmen.
Sie müssen wissen, dass zum Beispiel im Bereich der
Zementwirtschaft eine auch nur geringe Erhöhung der
Kosten für Strom und Energie dazu führen wird, dass
diese Industrie in Deutschland keine Chance mehr hat.
Auktionierung geht nur, wenn sie für alle gilt. Wenn Sie
die Strom verbrauchende Industrie aber nicht gleichzeitig durch Wettbewerb vor der Übertragung auch noch
der 15 Prozent aus der Energiewirtschaft schützen, werden Sie in diesem Bereich massive Probleme haben.
Übrigens würde eine Auktionierung von 10 Prozent
die Belastung der Energiewirtschaft von 15 auf über
30 Prozent anheben. Ich kenne niemanden, der glaubt,
dass eine Belastung von mehr als 30 Prozent - 15 Prozent Erfüllungsfaktor plus die Kosten für die Auktionierung - nicht dazu führt, dass die Stromunternehmen das
auf den Preis umlegen werden. Das glaubt lediglich jemand, der nur ans Gute glaubt. Ich glaube durchaus auch
ans Gute, aber ich weiß auch, wie sich Leute im Rahmen
des Möglichen gerne verhalten.
Zu Ihrer ersten Frage: Ich hielte das für ein Experiment am lebenden Objekt, nämlich am Verbraucher. Ich
möchte nicht, dass der Verbraucher weiter darunter zu
leiden hat, und wir sind nicht ganz sicher, wie der weitere Verlauf wäre. Ich möchte deshalb, dass wir zunächst
sicherstellen, dass wir Wettbewerb haben. Dann können
und müssen wir auktionieren. Aber solange wir den
nicht haben, muss ich im Hinblick auf die Vorschläge,
wie sie in dem Gutachten stehen, aus dem Sie vorgelesen
haben, sagen: Das ist in der Theorie richtig. Leider wird
aber die in der Praxis vorherrschende Marktmacht außer
Acht gelassen. - Ich nenne Ihnen auch den Grund, warum ich nicht allen Gutachten glaube, so wie Sie in der
Regel meinen Gutachten nicht glauben: Damals hat ein
Teil der Umweltökonomen, die uns heute raten, zu versteigern, versprochen, dass die kostenlose Vergabe der
CO2-Zertifikate an die Unternehmen nicht zu Einpreisungen führen werde. Das hat nicht funktioniert. - Man
muss also manchmal ein bisschen vorsichtig sein.
Leider gibt es zu dieser Frage alle möglichen Gutachten: Es gibt die Kritik derjenigen, die sagen, wir müssten
auktionieren. Ferner gibt es ein Schreiben des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, unterschrieben von
Herrn Thumann, an die Bundeskanzlerin. Dessen Aussage lautet, mit diesem Emissionshandelssystem drohe
der Untergang des Abendlandes. - Wir glauben, dass die
Tatsache, dass uns alle Seiten kritisieren - sowohl die,
die mehr wollen, als auch die, die weniger wollen -, ein
Indiz dafür ist, dass wir vernünftigerweise in der Mitte
liegen. In die Mitte wollten Sie doch auch immer.
Eine Nachfrage? - Bitte schön, Herr Kauch.
Sie haben uns gerade vorgerechnet, dass der Erfüllungsfaktor auf 30 Prozent steigen würde. Diese Argumentation ist nur dann richtig, wenn Sie unterstellen, die
Zertifikate, die wir versteigern wollen, würden sich in
Luft auflösen und dem Markt nicht zugeführt. Der entscheidende Unterschied zur kostenlosen Verteilung besteht aber darin, dass die Unternehmen die Zertifikate
bezahlen müssen. Könnten Sie sich nicht vorstellen, dass
die Argumentation, die Sie gerade vorgetragen haben,
gerade deshalb von der Industrie und auch von dem genannten BDI vertreten wird, weil sie den Interessen der
beteiligten Unternehmen entspricht?
Ja. Da der BDI nicht nur Energieerzeuger vertritt,
sondern auch die Strom verbrauchende Industrie, kann
ich mir gut vorstellen, dass der BDI etwas dagegen hat,
dass die Strom verbrauchende Industrie noch mehr bezahlen muss - ich auch und ich dachte, Sie auch. So erklärt sich diese Positionierung des BDI; da haben Sie
völlig Recht.
Die nächste Frage stellt der Kollege Dr. Loske.
Herr Minister, ich will jetzt nichts zur Auktionierung
fragen, wenngleich es natürlich historisch interessant
wäre, noch einmal darüber nachzudenken, wer in der
letzten Legislaturperiode mit besonderer Vehemenz dagegen gekämpft hat. Das will ich mir jetzt aber sparen.
Ich will das Mengengerüst ansprechen. Die Zahlen,
die Sie gerade genannt haben, sind die eine Wahrheit.
Die andere Wahrheit ist, dass nach den realen Zahlen für
das Jahr 2005, die jetzt vorliegen - es wurden, um genau
zu sein, 474,5 Millionen Tonnen CO2 ausgestoßen -, der
CO2-Ausstoß weit unter dem Ziel von 482 Millionen
Tonnen liegt, das Sie jetzt ansteuern. Nun kann man sagen, dass man aufgrund der Temperaturen, des Wetters
usw. gleitende Durchschnittswerte braucht, also Werte,
die sich nicht nur auf ein Jahr beziehen. Ich möchte Sie
aber trotzdem gerne fragen, ob angesichts dieser
474 Millionen Tonnen das Ziel, das Sie sich für das
Jahr 2012 setzen, nämlich beim CO2-Ausstoß einen Wert
zu erreichen, der über dem liegt, der in 2005 erreicht
worden ist, nicht doch etwas unterambitioniert ist.
Hieran möchte ich direkt meine zweite Frage anschließen, die in engem Zusammenhang damit steht.
Schränkt es die klimapolitischen Handlungsmöglichkeiten in Zukunft nicht enorm ein, wenn Sie die Kohle jetzt
so sehr begünstigen? Sie haben auf der einen Seite die
Betriebsstunden genannt, die jetzt für beide gleich hoch
sind, nämlich 7 500 Stunden. Auf der anderen Seite erhält der Bereich Braunkohle pro Kilowattstunde nach
wie vor doppelt so viele Emissionsrechte wie der Bereich Erdgas, sodass es beispielsweise keinerlei Anreiz
für einen Brennstoffwechsel gibt. Zieht sich hier der Horizont für klimapolitische Handlungsmöglichkeiten in
der Zukunft nicht enorm zu und besteht nicht die Gefahr,
dass wir zwar vielleicht das Ziel 2012 erreichen, bei den
Folgezielen, die ja mindestens genauso wichtig sind
- 2020, 2050 usw. -, aber enorme Schwierigkeiten bekommen? Politisch zugespitzt frage ich also: Missverstehen Sie den Emissionshandel nicht als Förderprogramm
für den Neubau von Kohlekraftwerken?
Politisch zugespitzt lautet die Antwort: Nein. - Ich
gebe aber zu, dass man zu beiden Themen ein bisschen
mehr sagen muss.
Ich bin vor allen Dingen für die erste Frage außerordentlich dankbar, weil Sie mir damit die Gelegenheit geben, eine in den letzten Tagen in der Öffentlichkeit und
auch in den Medien immer wieder zitierte Behauptung
klarzustellen. Würde ich mich entsprechend der Behauptung verhalten, würde ich schlichtweg rechtswidrig handeln.
Sie sagen zu Recht, dass die reale Emissionsmenge
im Bereich der emissionshandelspflichtigen Industrieund Energieunternehmen im Jahre 2005 474 Millionen
Tonnen CO2 betragen hat. Sie fordern im Grunde - das
ist in der Öffentlichkeit deutlich geworden; das steht
auch in einigen Medienkommentaren -: Nehmt das doch
als Obergrenze des Emissionshandels - die Unternehmen haben ja gezeigt, dass sie mit 474 Millionen Tonnen
auskommen - und beginnt von diesem Wert aus mit der
Senkung.
Dazu ist Folgendes zu sagen: Es ist mir von der Europäischen Kommission untersagt, ein einzelnes Jahr zum
Basisjahr des Emissionshandels zu machen. Insbesondere darf ich nicht das Jahr 2005 nehmen. Deswegen sagen wir: Anders als in der ersten Handelsperiode werden
wir nicht nur zwei oder drei Jahre, sondern den Durchschnitt der Jahre 2000 bis 2005 heranziehen. Für die
Jahre 2000 bis 2002 gibt es harte, real verifizierte Zahlen. In diesem Zusammenhang möchte ich gerne richtig
stellen, was heute jemand geschrieben hat, nämlich - ich
zitiere -: Dumm nur, dass es sich dabei um geschätzte
Daten handelt. - Das ist schlichtweg falsch. Es geht um
verifizierte Daten für die Jahre 2000 bis 2002. Die frühere Regierung hatte eine entsprechende Verordnung erlassen, um diese Daten zu erheben. Die Daten des
Jahres 2005 haben wir ebenfalls, weil das das erste Jahr
in der Handelsperiode des NAP I ist. Die Daten für die
Jahre 2003 und 2004 fehlen uns. Die alte Bundesregierung hatte kurz vor der Wahl keine Verordnung mehr zur
Erhebung der Daten für die Jahre 2003 und 2004 erlassen. Deswegen haben wir dies heute beschlossen; wir
werden die Daten für die Jahre 2003 und 2004 erheben.
Herr Dr. Loske, jetzt kommt das eigentlich Entscheidende: Dieser Beschluss enthält einen Datenvorbehalt.
Wenn sich herausstellt, dass der Durchschnitt der
Jahre 2000 bis 2005 aufgrund der niedrigen Emissionswerte in den Jahren 2003 und 2004 ebenfalls sinkt, dann
werden wir das Cap natürlich anpassen. Wenn wir das
nicht täten, was übrigens der Bundesverband der Deutschen Industrie fordert - er fordert, bei 495 Millionen
Tonnen zu bleiben -, gäben wir den Industrie- und Energieunternehmen mehr CO2-Rechte, als sie eigentlich
brauchen, wodurch es zu keinerlei Minderung käme.
Deswegen werden wir das Cap immer an die realen Daten anpassen, bezogen auf die Jahre 2000 bis 2005.
Die Forderung, das Ziel nur auf das Jahr 2005 zu beziehen, kann weder materiell noch rechtlich umgesetzt
werden. Ich bin sehr dankbar, dass Sie diese Frage aufgeworfen haben, weil ich klarstellen kann, dass sich die
daraus ergebende Konsequenz, wir würden den Ausstoß
der Treibhausgase nur um 0,6 Prozent mindern, schlicht
falsch ist; denn die Minderung ergibt sich nicht aus den
Daten eines einzelnen Jahres - diese Rechnung ist, wie
gesagt, verboten -, sondern aus dem Durchschnittswert.
Dieser liegt zurzeit bei 482 Millionen Tonnen und damit
deutlich unter dem Cap, das der BDI fordert. Wenn die
Werte für die Jahre 2003 und 2004 niedriger ausfallen
sollten und damit auch der Durchschnittswert geringer
ist, werden wir - das bringt der Datenvorbehalt mit sich das Cap selbstverständlich anpassen.
Zu den Gaskraftwerken. Ich habe bereits gesagt, dass
wir durch die Erhöhung der Betriebsstunden versuchen,
die bislang nur mit 3 000 Stunden in der Spitzenlast tätigen Gaskraftwerke an den Markt zu bekommen.
Zur Kohle möchte ich Folgendes anmerken: Erstens.
Ich gehöre nicht zu denen, die glauben, dass man in den
kommenden Jahren in Deutschland oder in der Welt auf
die Kohle wird verzichten können. Das liegt nicht daran,
dass ich mir keine Welt ohne Kohlekraftwerke vorstellen
könnte, aber sie wird es nicht geben. Wir setzen darauf,
in Deutschland bis zum Jahre 2020 den Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromversorgung auf 20 Prozent
zu steigern. Das ist, wie Sie wissen, kein niedriges, sondern ein sehr ambitioniertes Ziel. Mit einem Anteil von
20 Prozent wären wir weltweit führend; das gilt zumindest für die Länder, die erst vor kurzem damit begonnen
haben. Ich weiß, dass Norwegen hier eine Ausnahme ist,
aber dort wurde nie auf etwas anderes als auf erneuerbare Energien gesetzt.
Dann blieben 80 Prozent übrig. Wenn wir keine Kernkraft einsetzen wollen - im Koalitionsvertrag steht, dass
wir sie nicht mehr wollen -, werden wir Gas und Kohle
nutzen müssen, es sei denn, man käme auf die Idee, die
Kohle zu 100 Prozent durch Gas zu ersetzen. Dazu
müsste man allerdings nachweisen, dass derartige Vorkommen existieren, sodass dies technisch machbar wäre.
Was das für den Gaspreis bedeuten würde, sei einmal dahingestellt.
Wir werden die Kohle also weiterhin nutzen müssen.
Insbesondere Länder, die gigantische Vorkommen an
Steinkohle haben wie China, werden auf diese Vorkommen nicht verzichten. Wenn ich nicht will, dass diese
Steinkohlevorkommen mit einer alten Technologie genutzt werden, durch die das Klima weiter dramatisch geschädigt würde, muss ich in einem Hochtechnologieland
wie Deutschland neue Kohletechnologien entwickeln.
Die Wirkungsgrade dürfen nicht bei 30 oder 40 Prozent
liegen; sie müssen bei der Steinkohle oberhalb von
45 Prozent und bei der Braunkohle bei mindestens
43 Prozent liegen.
Zweitens. Natürlich muss ich auch auf dem Gebiet
„Carbon Capture“ forschen. Ohne die Entwicklung einer
solchen Technologie, die wir dann auch in andere Länder transferieren können, würden wir zur Schädigung
des Klimas beitragen.
Deswegen sage ich: so viel Gas wie möglich, aber
auch so viel Gas wie vertretbar. „Vertretbar“ bezieht sich
auf Menschen mit einem durchschnittlichen Einkommen, das unterhalb dessen eines Ministers oder Bundestagsabgeordneten liegt. Ich kann nicht vertreten, dass
durch steigende Gaspreise und durch eine steigende Abhängigkeit von Gaspreisen Menschen mit mittlerem oder
niedrigem Einkommen immer mehr ihres verfügbaren
Einkommens für eine warme Wohnung ausgeben müssen. Aus diesem Grund sind wir der Ansicht, dass wir
beides brauchen: Gas und Kohle. Bei der Kohle gilt: so
wenig wie möglich, mit neuen Technologien und höheren Wirkungsgraden sowie Carbon Capture.
Eine Nachfrage? - Bitte schön.
Ich habe eine kurze Nachfrage. Sie haben in einem
kenntnis- und wortreichen Plädoyer für die Kohle noch
einmal all das dargelegt, was grundsätzlich richtig ist.
Aber ich will es konkret formulieren. Ist es nicht so, dass
es dann, wenn die ganzen Projekte für den Bau neuer
Kohlekraftwerke, die jetzt in der Pipeline sind, die Sie
begrüßen und auf dem Energiegipfel mit den Worten gewürdigt haben, dass diese bald noch durch den Emissionshandel flankiert würden, umgesetzt werden, immer
schwieriger wird, die Klimaschutzziele zu erreichen?
Ich will sie für die Kolleginnen und Kollegen wiederholen, die sich mit diesen Dingen nicht täglich beschäftigen. Ziel ist, die Treibhausgasemissionen bis 2020 um
40 Prozent und bis Mitte dieses Jahrhunderts um mindestens 80 Prozent zu senken, wobei der Kollege Fell
100 Prozent fordert. Aber sei es drum; so sind die Größenordnungen. Wenn diese Kohlekraftwerke einmal gebaut sind, dann werden sie bis 2050 laufen.
Noch einmal eine präzise Nachfrage: Zieht sich der
Handlungshorizont für Klimapolitik nicht enorm zu,
wenn wir jetzt so massiv in Kohle investieren, wie Sie es
im Rahmen des Emissionshandels ganz offensiv befördern wollen?
Um es einmal richtig zu stellen: Was ich offensiv fördere, sind neue Kohlekraftwerke mit höheren Wirkungsgraden und einer, wie Sie wissen, geringeren Emission
von CO2 gegenüber den derzeit laufenden Kohlekraftwerken. Was wir mit dem NAP II befördern, sind Investitionen in moderne Kohletechnologien und das Abschalten alter Kohlekraftwerke.
Jetzt zu der aus meiner Sicht wichtigsten Frage: Erreichen wir bis 2020 eine Minderung der Treibhausgasemissionen um 40 Prozent in Deutschland und um
30 Prozent in der EU und - das geht darüber hinaus - bis
2050 eine Minderung von 60 bis 80 Prozent in der Europäischen Union? Das werden wir nicht schaffen, wenn
wir nicht noch ambitioniertere Ziele als die im Kiotoprotokoll und in der Linking Directive der Europäischen
Union vorgeschriebenen Minderungsziele bis 2012 erreichen. Wir glauben, dass wir das auch im Kohlebereich
durchsetzen können. Wir glauben, dass wir durch die
Konkurrenz zum Gas gute Wettbewerbsbedingungen
schaffen. Wir glauben, dass wir bis dahin Carbon-Capture entwickeln können - das wäre die Nachrüstung -,
und es wird auch bedeuten - das gebe ich zu -, dass in
den Bereichen Gebäude und Verkehr deutlich stärkere
Anstrengungen notwendig sind.
Aus diesem Grund legt die Bundesregierung das CO2Gebäude-Sanierungsprogramm auf, das mit immerhin
1,4 Milliarden Euro pro Jahr deutlich besser ausgestattet
ist als in der Vergangenheit. Aus diesem Grund tritt die
Bundesregierung dafür ein, dass der Anteil von Biokraftstoffen, der den normalen Kraftstoffen beigemischt wird,
deutlich ansteigen soll. Aus diesem Grund schließlich
tritt die Bundesregierung dafür ein, während ihrer EURatspräsidentschaft den Anteil von beigemischten Biokraftstoffen in der Europäischen Union von derzeit
5 Prozent auf 10 Prozent zu erhöhen.
Wir glauben, dass wir mit diesen Instrumentarien
auch die ambitionierteren Ziele erreichen können. Ich
will aber nicht verschweigen, dass wir diese Frage im
parlamentarischen und politischen Raum noch heftig
werden diskutieren müssen.
Bei einer reinen Fortschreibung der jetzigen Minderungsziele, die dem Kiotoprotokoll entsprechen, werden
wir diese Ziele nicht einhalten können - wenn Sie das
meinen, haben Sie Recht -; deswegen brauchen wir
- auch im Kohlebereich - ambitioniertere Technologien.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Bulling-Schröter.
Sehr geehrter Herr Minister Gabriel, ich möchte auf
die Windfall-Profits zurückkommen. Sie haben ausgeführt, dass Sie die Verbraucherinnen und Verbraucher
vor erhöhten Energiepreisen schützen wollen und dass
die Preise durch die Einpreisung der - wenn auch kostenlos erfolgten - Zuteilung der Zertifikate erhöht würden. Diese Einpreisung ist bereits erfolgt. Die EnergieEva Bulling-Schröter
preise wurden bereits erhöht. Wie bereits ausgeführt
wurde, wird der Strom teurer.
Heute wurde uns im Umweltausschuss dargelegt, dass
bei regenerativen Energien wie dem Biodiesel mit dem
Energiesteuergesetz Windfall-Profits abgeschöpft werden. Meine Frage an Sie lautet: Wie gedenken Sie die
Windfall-Profits im Energiebereich, die sich durch die
Einpreisung der kostenlosen Zuteilung der Zertifikate ergeben haben, abzuschöpfen? Letzte Woche haben Sie in
unserer Debatte zu diesem Thema diese Absicht geäußert. Ich würde gerne wissen, wie Sie sich die Umsetzung vorstellen.
Die Einpreisung der kostenlosen Zertifikate wird in
der Gesellschaft breit diskutiert. Menschen, die sich vorher noch nie damit beschäftigt haben, sehen - gerade im
Hinblick darauf, dass im Haushalt sehr viele Kürzungen
im sozialen Bereich erfolgt sind - darin ein großes Problem. An dieser Stelle besteht doch die Möglichkeit,
Einnahmen aus dem Umweltbereich in den Umwelthaushalt einzuspeisen.
Ich versuche noch einmal, es zu erläutern. Wir wollen
die Windfall-Profits durch die Herstellung von mehr
Wettbewerb im europäischen Stromnetz bzw. mithilfe
der europäischen und der deutschen Regulierungsbehörde und durch die Öffnung der Märkte vermindern.
Danach kann auktioniert werden.
Wenn Sie in umgekehrter Reihenfolge vorgehen
- jetzt will ich auf Ihre Argumentation in anderen Politikfeldern eingehen -, dann spielen Sie mit den Interessen der Verbraucher. Sie kritisieren - ob zu Recht oder
zu Unrecht -, wie mit Hartz-IV-Empfängern umgegangen wird. Sie kritisieren die Rentenentwicklung und die
Entwicklung im Gesundheitssystem. Meinen Sie, dass es
kranken Menschen, Rentnern und Hartz-IV-Empfängern
helfen würde, wenn ich, nur um mir einen schlanken Fuß
zu machen und die Debatte zu erleichtern, dem Auktionieren zustimmte? Wir würden uns in diesem Fall nämlich das Geld von diesen Menschen holen. Wir holen es
dann letztlich gerade nicht von den Konzernen; vielmehr
würden sie es auf die Preise umlegen. Das bedeutet, dass
andere, die jetzt schon wenig haben, dann noch mehr bezahlen müssten. Das kann man zwar relativ leicht öffentlich fordern, aber das wäre sozusagen ein Trojanisches
Pferd.
In der Bundesregierung gibt es niemanden, der nicht
darüber verärgert ist, dass in der ersten Handelsperiode
6 Milliarden Euro Cash pro Jahr gemacht wird. Natürlich gibt es in der Bundesregierung niemanden, der sich
nicht wünschen würde, dass wir die Auktionierung jetzt
durchsetzen könnten. Aber wir wollen dieser in der Öffentlichkeit leicht zu erhebenden Forderung nicht nachgeben, weil sie zu einem weiteren Anstieg der Strompreise führen würde.
Deswegen wollen wir zunächst den ersten Schritt zu
mehr Wettbewerb gehen und dann die Auktionierung
einführen. Manchmal darf man populistischen Forderungen nicht nachkommen, auch wenn es schwer fällt.
Sie haben eine Nachfrage, Frau Bulling-Schröter.
Können Sie sich denn nicht vorstellen, einen Teil der
Windfall-Profits abzuschöpfen - das wünscht das ganze
Haus - und zugunsten des sozialen Bereichs und zur
Forcierung der Entwicklung der regenerativen Energien
umzuverteilen? Ich habe gehört, dass Ihnen der soziale
Bereich sehr am Herzen liegt, insbesondere die Belange
der Verbraucherinnen und Verbraucher sowie der Krankenhäuser. Bislang gibt es beispielsweise keinerlei Kompensationsmöglichkeiten für ALG-II-Bezieher, wenn
diese hohe Stromkosten zu tragen haben, was bereits der
Fall ist.
Natürlich kann ich mir das vorstellen, wenn wir die
Chance haben, das zu verhindern, was ich als Gefahr beschrieben habe, nämlich das Abkassieren der Verbraucher. Ihr Modell läuft dagegen darauf hinaus, dass man
sagt: Das ist mir egal. Ich gehe das Risiko ein. Notfalls
zahlen die Verbraucher. Dann haben wir wieder Geld im
Haushalt, verteilen die Mittel zugunsten bestimmter Projekte um und sagen: Schaut einmal, was wir alles Schönes tun!
Ich kann Sie nur darauf hinweisen: Wenn nicht verhindert wird, dass die Energiekonzerne - obwohl sie
schon einmal eingepreist haben - die durch eine Auktionierung verursachten Kosten den Verbrauchern und den
Industriebetrieben aufbürden, dann ist das Ergebnis das
Zusammenbrechen zumindest eines Teils der energieintensiven Industriebetriebe. Zudem werden die Verbraucher weiterhin geschröpft. Dann hat der Staat zwar mehr
Geld. Aber die Bevölkerung dürfte darüber - wie ich
finde: zu Recht - ziemlich verärgert sein. Wir wollen
zwar eine Auktionierung. Aber zuerst muss der Wettbewerb sichergestellt sein.
Ich kann ja verstehen - mir geht es manchmal ebenfalls so -, dass die antimonopolistische Ader mit Ihnen
durchgeht. Dafür habe ich große Sympathie. Diether
Dehm, der da hinten sitzt, kennt das ganz genau. Aber
das erste Ziel ist nicht, einen antimonopolistischen
Kampf zu führen, sondern die CO2-Emissionen zu reduzieren. Das tut man mit einer Auktionierung nicht. Dadurch reduziert man die CO2-Emissionen um kein
Gramm. Des Weiteren besteht das Risiko, dass Sie - genauso wie in den letzten 60 Jahren - den antimonopolistischen Kampf verlieren und dass die Verbraucher dafür
die Zeche zahlen. Das mache ich nicht mit.
Der Kollege Andreas Jung ist der letzte Fragesteller
bei der Befragung der Bundesregierung.
Ich habe zwei Fragen. Die erste betrifft das Abschöpfen der Windfall-Profits. Hier gibt es ein Instrument, das
von meiner Fraktion, aber auch von der Bundesregierung favorisiert wurde und wird, nämlich die
Andreas Jung ({0})
Möglichkeit der Ex-post-Korrektur. Darüber ist ein
Rechtsstreit der Bundesrepublik Deutschland mit der
Europäischen Kommission vor dem Europäischen Gericht erster Instanz anhängig. Wir sehen dieses Instrument als wirksame Möglichkeit, Windfall-Profits abzuschöpfen. Was beabsichtigt die Bundesregierung für den
Fall, dass dieses erstinstanzliche Verfahren ein für die
Bundesrepublik Deutschland positives Ergebnis zeitigt,
zu tun, um dieses Instrument in den NAP II nachträglich
zu implementieren?
Die zweite Frage betrifft den JI- und CDM-Komplex.
Was wird die Bundesregierung vor dem Hintergrund,
dass große Einigkeit darüber besteht, dass Klimaschutzpolitik nicht an nationalen Grenzen Halt machen darf,
sondern weltweit betrieben werden muss, tun, um entsprechende Projekte zu fördern und voranzubringen?
Steht die Bundesregierung mit Nachdruck hinter dem
CDM-Projekt oder teilt sie die Einschätzung mancher
Kollegen aus anderen Fraktionen, dass schon jetzt ein
Riegel vorgeschoben werden müsse, um zu verhindern,
dass dieses Instrument ausufere, es zu viel CDM gebe
und dass der Schwerpunkt woanders liegen müsse?
Vielen Dank für die beiden Fragen, die ich vorhin in
meinen einleitenden Ausführungen nicht erwähnt habe.
Ihre erste Frage war, wie wir mit der Möglichkeit der
Ex-post-Korrektur umgehen. Wenn das Europäische Gericht erster Instanz zugunsten der Bundesrepublik
Deutschland entscheiden sollte, müssten wir eine neue
Entscheidung fällen. Das ist heute per Protokollerklärung im Kabinettsbeschluss festgehalten worden. Ich
will Ihnen allerdings nicht zu viel Hoffnung machen.
Die Europäische Kommission wird mit Macht gegen Expost-Korrekturen kämpfen. Wir müssen abwarten, was
dann passiert. Wenn allerdings zugunsten Deutschlands
entschieden würde, müssten wir eine neue Diskussion
führen. Die Frage ist, ob das Gerichtsurteil noch vor der
Beschlussfassung über das Zuteilungsgesetz kommt oder
nicht. Das werden wir dann sehen.
Zur zweiten Frage. Deutschland ist das Land, das den
größten Klimaschutzbeitrag in der Europäischen Union
leistet. Wir wissen, dass die Europäische Union insgesamt laut Kiotoprotokoll eine Senkung des Ausstoßes
von Treibhausgasen um 8 Prozent erbringen soll. Einige
Länder, deren industrielle Entwicklung nicht so weit ist,
dürfen mehr emittieren. Wir müssen um 21 Prozent senken. Wenn man sich die Lage betrachtet, könnte man den
Eindruck bekommen, Deutschland sei auch im Bereich
CDM besonders engagiert. Das ist es nicht. Andere Länder, die wesentlich geringere Reduktionsziele als wir haben, sind bei CDM viel engagierter als wir.
Was ist CDM? Für diejenigen, die sich damit nicht so
gut auskennen, will ich sagen, dass es sich dabei um die
im Kiotoprotokoll und im Beschluss von Montreal festgelegte Möglichkeit handelt, dass ein deutsches Unternehmen, das den Ausstoß von CO2 senken muss, in einem Entwicklungsland investiert - wenn es in einem
Nicht-Entwicklungsland investiert, heißt das Joint Implementation -, dort den Ausstoß von CO2 senkt und
sich diese Senkung, die es in dem anderen Land erreicht
hat, in Deutschland anrechnen lassen kann. Das ist deshalb logisch, weil es für das Klima relativ egal ist, wo
man den Ausstoß von CO2 senkt. Das hat aus der Sicht
der Entwicklungsländer einen Riesenvorteil - deswegen
bedrängen sie Deutschland, sich stärker bei CDM-Projekten zu engagieren -; denn damit transferieren wir
Know-how, Technologie und Kapital. Für uns hat das
den Vorteil, dass man den Ausstoß von CO2 beispielsweise in China oder in einem anderen Entwicklungsland
wesentlich preiswerter als bei uns senken kann. Das ist
eine Win-win-Situation.
Das Kiotoprotokoll ermöglicht die Nutzung von
Emissionsgutschriften. Wir haben im NAP festgelegt,
dass wir 12 Prozent zulassen. Im internationalen Vergleich sind wir unter ferner liefen. Spanien und andere
Länder machen in dieser Beziehung viel mehr. Deswegen will die Bundesregierung den CDM-Prozess deutlich intensivieren. Wir haben eine Reihe von bilateralen
Vereinbarungen geschlossen, zuletzt mit Ägypten, die
darauf hinauslaufen, dass wir CDM-Projekte identifizieren und deutsche Unternehmen dazu veranlassen, in Entwicklungsländern zu investieren. Das ist eine sehr preiswerte Möglichkeit, etwas für das Klima zu tun.
12 Prozent entsprechen einer CO2-Menge von 60 Millionen Tonnen jährlich. Ich bin nicht sicher, ob wir diese
Menge erreichen. Ich könnte nicht verstehen, wenn jemand in Deutschland behaupten würde, wir seien in Gefahr, in dieser Beziehung zu viel zu tun. Wir tun im Gegenteil zu wenig.
Damit beende ich die Befragung der Bundesregierung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksachen 16/1933, 16/1959 Zu Beginn der Fragestunde rufe ich gemäß Nr. 10
Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde die dringlichen Fragen auf.
Wir kommen zuerst zu den dringlichen Fragen aus
dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische
Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks zur Verfügung.
Die erste Frage stellt der Abgeordnete Jürgen Koppelin:
Aus welchen Gründen hat der Bundesminister der Finanzen, Peer Steinbrück, es für notwendig gehalten, auf die Aussagen des SPD-Fraktionsvorsitzenden, Dr. Peter Struck, zur
Mehrwertsteuererhöhung ({0}) zu reagieren ({1})?
Herr Kollege Koppelin, der Bundesminister der
Finanzen hat nicht auf die Aussagen des SPD-Fraktionsvorsitzenden Dr. Struck reagiert. Auf Anfrage der „Bild
am Sonntag“ hat der Sprecher des Bundesministers der
Finanzen die Position der Bundesregierung zur Notwendigkeit der Mehrwertsteuererhöhung dargelegt.
Herr Koppelin, Sie haben eine Nachfrage?
Frau Staatssekretärin, verstehen Sie, dass ich es für
verwunderlich halte, dass ein Sprecher bei einer so wichtigen Frage allein ohne Rücksprache mit dem Minister
agiert? Können Sie uns sagen, wie der Minister selber
auf die Äußerung des SPD-Fraktionsvorsitzenden reagiert hat?
Der Minister hat nicht darauf reagiert, wie ich Ihnen
schon in der Beantwortung Ihrer Frage gesagt habe.
Vielleicht habe ich mich missverständlich ausgedrückt oder Sie haben mich nicht richtig verstanden. Ich
habe gefragt: Wie hat denn der Minister darauf reagiert?
Der Minister hat nicht darauf reagiert.
Überhaupt nicht? - Gut.
Herr Koppelin, das waren zwei Nachfragen.
Das ist ein bisschen unfair, Frau Präsidentin. Es handelte sich um ein Missverständnis, das zu klären war.
({0})
Herr Kollege, Sie meinen doch sicher eine verbale
Reaktion gegenüber der Öffentlichkeit oder gegenüber
dem Parlament. Die hat es nicht gegeben.
Oder intern im Hause.
({0})
Auch intern im Hause nach meiner Kenntnis nicht.
Gut.
Damit kommen wir jetzt auf jeden Fall zur dringlichen Frage 2 des Kollegen Koppelin:
Waren dem Bundesminister der Finanzen, Peer Steinbrück,
die Aussagen des SPD-Fraktionsvorsitzenden, Dr. Peter
Struck, in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“
vom 25. Juni 2006 vor Erscheinen der Zeitung bekannt?
Bitte schön, Frau Parlamentarische Staatssekretärin.
Nein.
({0})
Herr Koppelin, haben Sie eine Nachfrage?
Ja. - Hat der Pressesprecher des Ministeriums den
Minister darüber nicht informiert? Es hat ja vorher
Agenturmeldungen gegeben. Am Sonntag hat eine Koalitionsrunde stattgefunden. Ich vermute, dass auch Ihr
Minister daran teilgenommen hat. In dieser Runde hat
sich die Kanzlerin gegenüber dem SPD-Fraktionsvorsitzenden sehr deutlich geäußert. Ich will nicht wiederholen, was die Kanzlerin gesagt hat, um von der Präsidentin keine Rüge zu erhalten. Teilt der Finanzminister die
Auffassung der Kanzlerin über Herrn Struck?
Herr Kollege Koppelin, ich war in der Fraktionsrunde
nicht anwesend. Die Veröffentlichungen darüber sind
von der Kanzlerin oder dem Regierungssprecher nicht
bestätigt worden.
({0})
Zweite Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, da Sie nicht bereit sind, hier zu
antworten - ich kann sehr gut verstehen, dass Sie da in
einer Zwickmühle sind:
({0})
auf der einen Seite der Finanzminister, auf der anderen
Seite der Vorsitzende der SPD-Fraktion -, möchte ich
Sie fragen: Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, erstens, dass ich heute nicht beabsichtige, zu beantragen,
den Minister herbeizurufen, obwohl wir dazu Anlass
hätten, weil Ihre Aussagen und Ihre Antwort schwach
sind,
({1})
und zweitens, dass ich keine Aktuelle Stunde beantrage,
weil wir uns so sehr auf die Aktuelle Stunde freuen, die
die Grünen voraussichtlich als Reaktion auf eine der
Antworten auf die nächsten dringlichen Fragen stellen
werden?
Herr Kollege Koppelin, es bleibt den Anwesenden
hier im Haus nichts anderes übrig, als selbst die unsinnigsten Aussagen zur Kenntnis zu nehmen.
({0})
Da sich niemand anders zu einer Nachfrage meldet,
kommen wir nun im Rahmen der Beantwortung der
dringlichen Fragen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes.
Zur Beantwortung der Fragen steht der Staatsminister
Gernot Erler zur Verfügung.
Ich rufe die dringliche Frage 3 des Kollegen HansChristian Ströbele auf:
Inwieweit treffen Medienberichte zu, dass den für eine
Teilnahme an der ersten Straßenfußballweltmeisterschaft
- Streetfootballworld - angemeldeten Spielern aus Ghana und
Nigeria die Visumerteilung für eine Einreise in die Bundesrepublik Deutschland versagt wurde, und inwieweit sieht die
Bundesregierung dadurch die vorangegangene Förderung der
Projekte durch Bundesministerien und Botschaften als wirkungslos an?
Herr Kollege Ströbele, in 24 Ländern weltweit nehmen Jugendliche bzw. junge Männer aus Gebieten mit
sozialen Problemen im Alter zwischen 16 und 21 Jahren
an Straßenfußballprojekten zur sozialen Integration teil.
Aus diesen lokalen Projekten wurden von den Veranstaltern jeweils fünf bis acht Jugendliche ausgewählt, um an
dem Straßenfußballfestival „streetfootballworld festival 06“
ab dem 2. Juli 2006 in Berlin teilzunehmen.
Richtig ist, dass die Visa hierfür acht Personen aus
Nigeria und elf aus Ghana wegen Nichtvorliegens der
Voraussetzungen für die Visumerteilung, insbesondere
wegen konkret begründeter Zweifel an ihrer Rückkehrbereitschaft von den zuständigen deutschen Auslandsvertretungen leider nicht erteilt werden konnten. Das
geltende Ausländerrecht, das Schengener Durchführungsübereinkommen und die Gemeinsame Konsularische Instruktion der Schengenstaaten sind auch für die
Fußballweltmeisterschaft und ihre Nebenveranstaltungen zu beachten und sie sind nicht außer Kraft gesetzt.
Wesentliches gemeinsames Ziel der Straßenfußballprojekte ist, dass die jungen Menschen über das Medium
Fußball wichtige Fähigkeiten und Kenntnisse erlernen.
Es geht um Themen der sozialen Integration, des Gewaltverzichts, um Umweltschutz und um den Kampf gegen Aids im jeweiligen Heimatland. In Ghana beschäftigt sich das Projekt „Play soccer“ mit Sitz in Princeton,
USA, seit 2001 mit der Vermittlung von Fußballregeln
und -technik, Gesundheitserziehung und sozialem Lernen. Für Analphabeten gibt es Lese- und Schreibkurse.
Das 2003 begründete Projekt „Search and Groom“ in
Nigeria organisiert Trainingslager, Workshops und Straßenfußballligen, die von nigerianischen Fußballprofis
unterstützt werden.
Selbstverständlich behalten diese Projekte ihren Wert,
auch wenn die Visa für das Straßenfußballfestival in
Berlin einigen der Projektteilnehmer leider nicht erteilt
werden konnten. Die Veranstalter wurden im Übrigen
bereits im Januar 2006 schriftlich darauf hingewiesen,
dass die Erteilung von Visa für die Teilnahme nicht allgemein zugesichert werden kann und von der rechtlich
gebundenen Entscheidung der Auslandsvertretungen abhängt. Die Bundesregierung hat im Übrigen „streetfootballworld“ als Dachorganisation, nicht aber einzelne
Projekte unterstützt.
Herr Kollege Ströbele, Sie haben eine Nachfrage.
Herr Staatssekretär, ich weiß nicht, ob bei der Vorbereitung von internationalen Konferenzen, die in
Deutschland, zum Beispiel in Berlin, stattfinden, jeder
Konferenzteilnehmer durchgecheckt wird, damit sichergestellt ist, dass er aus Deutschland tatsächlich wieder
ausreist.
Hierbei handelt es sich um eine Veranstaltung im
Rahmen des großen Festes der Fußballweltmeisterschaft
in Deutschland, das von der Bundesregierung mit finanziert worden ist. Der Bundesinnenminister persönlich
- Otto Schily seinerzeit - hat gemeinsam mit dem Trainer der deutschen Fußballnationalmannschaft, „Klinsi“,
in Kreuzberg das Stadion, das extra dafür errichtet worden ist, mit eröffnet. Hält es die Bundesregierung danach
tatsächlich für vertretbar oder richtig, von den 24 Mannschaften, die aus allen Teilen der Welt hierher anreisen
wollen - das sollen Jugendliche sein, die Straßenfußball
spielen, bei denen per definitionem davon auszugehen
ist, dass sie nicht über die Bindungen verfügen, über die
Sie oder ich oder andere renommierte Persönlichkeiten
verfügen -, gerade zwei Mannschaften aus Afrika auszuladen oder Spielern keine Visa zu erteilen, sodass sie
nicht zu diesem Fußballfestival in Kreuzberg kommen
dürfen, weil Sie nicht sicher sind, ob der eine oder andere in Deutschland bleiben würde? Finden Sie nicht,
dass das dem Ansehen der Bundesrepublik Deutschland
erheblichen Schaden zufügt und dass wir unser großes
Fest, das wir in Deutschland feiern, gerade da, wo es um
Jugendliche aus Afrika geht - wir denken daran, dass
Ghana gestern leider aus der Fußballweltmeisterschaft
ausgeschieden ist -, konterkarieren?
({0})
Herr Kollege Ströbele, ich glaube, dass der Vergleich
eines Straßenfußballfestivals mit einer internationalen
Konferenz etwas problematisch ist.
({0})
Im Übrigen, Herr Kollege Ströbele, haben Sie selbst
eben aufgezeigt - sehr eindrucksvoll, wie ich finde -,
welch großes Interesse und welch große Unterstützung
dieses Straßenfußballfestival bei der Bundesregierung
gefunden hat. Die Frage ist nur, ob das zum Beispiel berechtigt, unterschiedliche rechtliche Maßstäbe anzulegen,
({1})
und wie die Reaktion der Schengenstaaten aussähe,
wenn wir das täten. Wir haben rein rechtlich gar keine
andere Möglichkeit, als hier eine Einzelfallprüfung vorzunehmen.
Ich darf Sie auch darauf hinweisen, dass für insgesamt 13 Länder, aus denen Teams eingeladen wurden,
eine Visumpflicht besteht. In elf Ländern hat diese Prüfung, zu einem großen Teil jedenfalls - es hat auch einzelne Problemfälle gegeben -, dazu geführt, dass die
Mannschaften einreisen konnten. Wir bedauern sehr,
dass das in den Fällen Nigeria und Ghana aufgrund der
Einzelfallprüfung nicht verantwortbar war; darauf, welches die Hintergründe sind, werde ich in der Antwort auf
die zweite Frage von Ihnen noch eingehen.
Hierzu gibt es eine Nachfrage des Kollegen Gehrcke.
Herr Staatsminister, darf ich unterstellen, dass Ihre
Prüfung bei den Profifußballern, soweit eine solche stattgefunden hat, keinerlei Anhaltspunkte dafür ergeben hat,
dass auch Berufsfußballer möglicherweise den Wunsch
haben, in Deutschland oder in einem der anderen Schengenstaaten zu bleiben, um hier neue Verträge abzuschließen? Finden Sie nicht auch, dass der soziale Aspekt hätte
bedacht werden müssen, gerade vor dem Hintergrund
dessen, dass es hier um den großen Sport auf der einen
Seite und Straßensport auf der anderen Seite geht?
Herr Kollege Gehrcke, Ihre Unterstellung, dass sich
die Bundesregierung nicht in der Lage sieht, hier aus irgendwelchen Gründen Unterschiede zu machen, ist völlig richtig. Die Behandlung bei der Prüfung von Visa
muss aus rechtlichen Gründen überall gleich sein. Das
ist auch unsere Praxis.
Dann rufe ich die dringliche Frage 4 des Kollegen
Hans-Christian Ströbele auf:
Sieht die Bundesregierung in dem Ablehnungsgrund, dass
die Kinder aus zerrütteten Verhältnissen stammen und von daher eine Rückkehrbereitschaft nicht gesichert sei, einen
Widerspruch zu den Zielen und Grundvoraussetzungen des
Gesamtprojektes, das genau mit Jugendlichen arbeitet, die infolge Aidspandemie, Arbeitslosigkeit und Gewalt in schwieriger sozialer Situation leben müssen, und wie bewertet die
Bundesregierung die Angebote des Vereins Streetfootballworld und der ehemaligen Bundestagsvizepräsidentin Dr. Antje
Volmer, für die Spieler zu bürgen?
Herr Kollege Ströbele, der Ablehnungsgrund der fehlenden Rückkehrbereitschaft wurde auf das Gesamtbild
nach einer sehr umfassenden und intensiven Prüfung der
Anträge gestützt. Insbesondere wurden durch Mitarbeiter der Auslandsvertretung ausführliche persönliche Visainterviews mit den Antragstellern geführt, in denen
zum Ausdruck kam, dass diese keine gesicherte Zukunftsperspektive in ihren Heimatländern sehen. Eine
Reihe von Jugendlichen räumte in den Gesprächen ein,
dass sie sich über das Straßenfußballfestival eine Karriere als Fußballprofis in Deutschland erhoffen, indem
ihnen Anschlussverträge von Fußballvereinen angeboten
werden könnten.
Leider ergab nicht nur der sonstige Hintergrund der
Jugendlichen, sondern auch die Tätigkeit der Betreffenden in den Projekten in ihren Heimatländern keine gefestigte Zukunftsperspektive, sodass von daher ebenfalls
nicht von einer Rückkehrbereitschaft ausgegangen werden konnte.
Darüber hinaus gab es in mehreren Fällen begründete
Zweifel an der Echtheit der vorgelegten Urkunden und
damit an Identität und Alter dieser Personen. Ein Widerspruch zu den Grundvoraussetzungen des Gesamtprojekts besteht nicht, weil das Hauptziel der Projekte die
Vermittlung des Themas Fußball als Mittel zur sozialen
Integration und zu Gewaltverzicht im jeweiligen Heimatland ist und nicht in der Ermöglichung der Einreise
nach Deutschland besteht. Die Bundesregierung ist sich
gleichwohl bewusst, dass die Ablehnung der Visa für die
Betreffenden eine große Enttäuschung darstellt.
Auch die angesprochenen Bürgschaftsangebote können zu keiner veränderten Beurteilung des Kriteriums
der Rückkehrbereitschaft führen. Dritte können sich nur
für die Finanzierung der Aufenthaltskosten verbürgen;
für die Rückkehrbereitschaft können sich Dritte nicht
wirksam verbürgen, da eine solche Bürgschaft rechtlich
wie tatsächlich nicht durchsetzbar ist. Entsprechende Erklärungen können daher nicht zu einer veränderten Beurteilung dieses rechtlichen Kriteriums führen. Die Rückkehrbereitschaft kann vielmehr nur aus den persönlichen
Lebensumständen des Antragstellers und anhand des unmittelbaren Eindrucks in dem persönlichen Gespräch in
der Visastelle ermittelt werden.
Sie haben noch eine Nachfrage, Herr Ströbele? - Bitte
schön.
Herr Staatsminister, ist der Bundesregierung bekannt,
dass es sich hier um von den Veranstaltern ausgewählte
Gäste der Bundesrepublik Deutschland handelte, dass
diejenigen, die vor einigen Tagen die Nachricht der Bundesregierung bekommen haben, dass sie nicht zu diesem
Fußballfest nach Deutschland dürfen und hier nicht willkommen sind, in Tränen ausgebrochen sind und verzweifelt sind und dass damit die Repräsentanz Afrikas
auf diesem Fußballfestival in Berlin-Kreuzberg im Rahmen der Fußballweltmeisterschaft infrage gestellt ist,
und zwar gerade die von zwei Ländern, die große Verdienste um den Fußball haben, wie man ja nicht zuletzt
an dem hervorragenden Spiel der ghanaischen Fußballmannschaft am gestrigen Tage sehen konnte?
Ist die Bundesregierung bereit, wenn der Deutsche
Bundestag die entsprechende Bitte äußern sollte - ich
habe gehört, dass das jetzt möglicherweise Gegenstand
der Beratungen des Sportausschusses sein wird -, ihre
Entscheidung noch einmal zu überprüfen und den Jungs
schleunigst eine Einreise nach Berlin zu ermöglichen,
damit sie ab Sonntag an diesem Fußballfestival teilnehmen können?
({0})
Herr Kollege Ströbele, in meinen Antworten habe ich
eben sowohl das Bedauern der Bundesregierung ausgedrückt als auch das Verständnis für die Enttäuschung.
Diesbezüglich besteht also kein Unterschied in der Einschätzung.
In Bezug auf das, was Sie zu Afrika sagen, kann ich
Ihnen nicht folgen. Insgesamt sind sechs verschiedene
Teams aus Afrika eingeladen worden. Für alle sechs
Länder besteht Visumspflicht. Es ist so gewesen, dass in
den Fällen von Kenia und Ruanda - beide aus der Region der Großen Seen - sowie von Senegal und Südafrika diese Einzelfallprüfung nicht zu Beanstandungen
geführt hat, sodass diese vier Staaten an dem Straßenfußballfestival teilnehmen können. Wir bedauern, dass das
aus Gründen, die ich eben sehr detailliert dargelegt habe,
im Fall von Ghana und Nigeria nicht der Fall ist. Ich will
Ihnen, Herr Ströbele, auch gerne zugestehen, dass die
Verdienste von Ghana und Nigeria im Fußball ziemlich
groß sind. Ich glaube aber, Sie wissen genauso gut wie
ich, auch aus unserer alltäglichen Praxis als Abgeordnete, dass gerade aus Ghana und Nigeria Visumsfälle,
bei denen wir es mit einem unsicheren Migrationshintergrund zu tun haben, statistisch gesehen sehr häufig sind.
Insofern sind diese Beanstandungen auch nicht ganz
überraschend gekommen.
Wir haben keinen Anlass, daran zu zweifeln, dass hier
eine gründliche Prüfung stattgefunden hat, Herr Kollege
Ströbele. Zum Teil sind die Betreffenden zweimal zu
persönlichen Gesprächen eingeladen worden. Aus den
genannten Gründen hat sich da eben eher der Eindruck
verfestigt, dass statt der Teilnahme eine andere Absicht
im Vordergrund gestanden hat, zum Beispiel, hier in
Deutschland Fußballkarriere zu machen.
({0})
- Herr Kollege, wir müssen jetzt aufpassen, dass das seriös bleibt. Mit Ihrem Einwurf „Na und?“ unterstellen
Sie, dass hier eine Nichtgleichbehandlung stattfinden
soll.
({1})
Das kann man nicht akzeptieren. Wir alle kennen Fälle,
wo Familien oder Einzelpersonen sehr gute Gründe haben, sich aus ihrer Heimat zu verabschieden und nach
Deutschland zu kommen, das aber aus rechtlichen Gründen nicht geht. Das gilt dann eben auch für junge Menschen, die von einer Fußballkarriere träumen.
Eine weitere Nachfrage der Kollegin Ute Koczy.
Danke sehr. - Herr Staatsminister, ich komme ja aus
der Entwicklungszusammenarbeit. Auch Ihnen dürfte
bekannt sein, dass das Thema Fußballkarriere gerade in
den Entwicklungsländern eine wichtige Rolle spielt; sie
ist eine der wenigen Möglichkeiten, der sozialen Armut
zu entrinnen. Ist Ihnen bekannt, dass viele der erwachsenen Fußballspieler, die sich hier in Deutschland auf der
WM präsentieren, das gerade mit dem Argument tun,
eventuell eine internationale Karriere starten zu können?
Stimmen Sie zu, dass der Ablehnungsgrund, den Sie hier
genannt haben, eigentlich voll im Widerspruch zu dem
steht, was innerhalb der Fußballwelt diskutiert wird,
nämlich die Suche nach Talenten, die wir fördern wollen
und die sich in Berlin präsentieren wollen und auch müssen, um überhaupt die Chance zu haben, wahrgenommen
zu werden, und dass es ein sehr legitimes Interesse ist,
im Fußball Karriere zu machen?
Frau Kollegin, ich bin kein Fußballfachmann; aber
meine Kenntnisse reichen, glaube ich, so weit, dass ich
eine zutreffende Darstellung dessen geben kann, was
junge Menschen, insbesondere junge Männer, sich in
Bezug auf ihre Karriere vorstellen. Dass das berechtigte
Interessen sind, sehe auch ich so. Die Frage ist bloß, ob
diese berechtigten Interessen zum Beispiel schwerer
wiegen als schwierige soziale Verhältnisse, aus denen
Menschen kommen. Ich finde, in anderer Hinsicht ist es
genauso berechtigt, sich zu überlegen, ob man nicht in
einem anderen Land unter besseren Umständen leben
kann. Aber das enthebt niemanden der Anwendung der
gemeinsamen europäischen Regeln und Gesetze. Es ist
nun einmal so, dass, wenn klare Anzeichen dafür vorhanden sind, dass keine Rückkehrbereitschaft besteht,
sondern eher sogar das Ziel erkennbar ist, in dem Land
zu bleiben, dem Wunsch nach einem Visum nicht entsprochen werden kann. Bei allem Verständnis für die genannten Pläne wäre es außerordentlich ungerecht, wenn
man im Zusammenhang mit Fußball eine Ausnahme machen würde, bei sozialen Fragen aber nicht.
Es gibt eine Nachfrage des Kollegen Professor
Dr. Keskin.
Herr Staatsminister, ich habe große Schwierigkeiten,
Ihren Erläuterungen zu folgen. Es sind junge Fußballer
aus den genannten Ländern eingeladen worden; aber
man muss doch von vornherein gewusst haben, dass für
diese Länder Visumszwang besteht. Es kann doch nicht
sein, dass man jemanden einlädt und ihm anschließend
sagt: Es tut mir Leid, Sie erfüllen die Anforderungen für
ein Visum nicht. - Das heißt, man hätte von vornherein
daran denken müssen, was passiert. Deshalb meine
Frage: Weshalb hat man in diesem Fall nicht daran gedacht, dass diese Menschen aufgrund des Visumszwangs
möglicherweise nicht nach Deutschland einreisen können? Wenn man die Einladung ausspricht, hätte man
diese Möglichkeit in Betracht ziehen und etwas organisieren müssen.
Herr Kollege, ich muss noch einmal darauf hinweisen, dass es nicht die Bundesregierung oder die Bundesrepublik war, die einzelne Mannschaften eingeladen hat,
sondern der Veranstalter; er hat auch die Entscheidung
getroffen, welche Teams eingeladen werden sollen. Ich
habe vorhin darauf hingewiesen - aber ich tue es gerne
noch einmal -, dass die Bundesregierung den Veranstalter von vornherein darauf aufmerksam gemacht hat, dass
es bei der Visaerteilung keine Automatik gibt, sondern
dass das Risiko besteht, dass eine Reise nach Deutschland aus visarechtlichen Gründen nicht möglich ist. Das
wusste der Veranstalter; er ist bereits im Januar darauf
hingewiesen worden. Entsprechend verhält er sich jetzt
auch.
Damit komme ich zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Zur Beantwortung der Fragen steht der
Parlamentarische Staatssekretär Michael Müller zur Verfügung.
Ich rufe zunächst die dringliche Frage 5 des Kollegen
Volker Beck auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung der nordrheinwestfälischen Landesregierung, deren Innovationsminister,
Dr. Andreas Pinkwart, laut Medienberichten ({0}) den Bau eines neuen Atomreaktors am Standort Jülich angeregt hat, und ist diese Position mit
der Bundesregierung abgestimmt?
Sehr geehrter Herr Kollege Beck, die Bundesregierung hat natürlich die Aussagen des Forschungsministers
des Landes Nordrhein-Westfalen zur Kenntnis genommen, wonach er sich das Jülicher Forschungszentrum als
Keimzelle für einen neuen Hochtemperaturreaktor
grundsätzlich vorstellen könne. Diese Aussage ist aber
in keiner Weise mit der Bundesregierung abgestimmt.
Herr Beck, haben Sie eine Nachfrage?
Ich möchte gerne wissen - auch diesen Aspekt wollte
ich in der Frage ansprechen -, wie die Bundesregierung
diesen Vorstoß bewertet. Ich habe nämlich zur Kenntnis
genommen - auch ich nehme manches zur Kenntnis -,
dass der Bundesumweltminister gesagt hat, NRW bereite
hier einen Rechtsbruch vor. Daher möchte ich gerne wissen, ob die Haltung des Bundesumweltministers von der
gesamten Bundesregierung geteilt wird und - wenn
nicht - was die Auffassung der Bundesregierung in dieser Frage ist.
Ich kann nur wiederholen: Wir haben die Aussagen
von Herrn Pinkwart zur Kenntnis genommen. Sie wissen, dass im Zuge der Koalitionsvereinbarung die Entscheidung getroffen wurde, die seit dem Jahre 2000 geltenden entsprechenden Regelungen des Atomgesetzes
unverändert zu lassen.
Im Übrigen bezweifeln wir, dass die Sicherung der
Kernkompetenz im Atombereich ausgerechnet dadurch
gewährleistet wird, das man eine neue Reaktorlinie beginnt. Dies ist schon ein Widerspruch zu dem, was beispielsweise an Erfordernissen im Hinblick auf die Kernkompetenz Leichtwasserreaktoren notwendig ist. Daher
scheinen dem BMU die getroffenen Aussagen sehr widersprüchlich zu sein.
Und aus Sicht der Bundesregierung?
Die Aussage, die ich am Anfang gemacht habe, ist innerhalb der Bundesregierung abgestimmt.
Das freut uns.
Damit kommen wir zur dringlichen Frage 6 des Abgeordneten Volker Beck:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Vorschläge des Innovationsministers von Nordrhein-Westfalen, Dr. Andreas
Pinkwart, bezüglich ihrer atomrechtlichen Konsequenzen und
bezüglich der Diskussion um die Änderung der Restlaufzeiten?
Die Vorschläge von Herrn Pinkwart finden ihre Grenzen in den Regelungen des Atomgesetzes. Dort heißt es
in § 7 Abs. 1 Satz 2:
Für die Errichtung und den Betrieb von Anlagen ...
zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität ...
werden keine Genehmigungen erteilt.
Dies gilt auch für Thorium-Hochtemperaturreaktoren.
Allerdings muss man sagen, dass das Gesetz weiterhin die Errichtung von Forschungsreaktoren erlaubt.
Dann stellen sich aber andere wichtige Fragen. Denn das
Forschungszentrum in Jülich wird zu etwa 90 Prozent
vom Bund finanziert. Ich sehe nicht, dass erstens der
Bund die Finanzmittel für die Errichtung neuer Reaktoren aufbringen würde und dass zweitens unser Ministerium solchen Plänen zustimmen würde.
Wie bewertet denn die Bundesregierung die Aussage
von Herrn Pinkwart, es gebe völlig berechtigte Forderungen aus der Atomwirtschaft, die Laufzeiten der Kernkraftwerke auf die ursprünglichen Laufzeiten zu verlängern und in diesem Zusammenhang einen Ringtausch
bei den Laufzeiten vorzunehmen?
Erstens liegt uns eine solcher Antrag nicht vor und
zweitens kann ich nur wiederholen: In der Koalitionsvereinbarung wurde eine grundsätzliche Regelung zu dieser
Frage getroffen.
Im Übrigen sind in der Diskussion zum Teil Zahlen,
die ich nicht nachvollziehen kann. Ich will ein Beispiel
nennen. Wie man von Laufzeiten von 60 Jahren reden
kann, entzieht sich meiner Rechenkunst angesichts der
Tatsache, dass das älteste Atomkraftwerk Calder Hall,
das 1956 in Betrieb genommen wurde, in der Zwischenzeit abgeschaltet worden ist und dass somit seine Laufzeit nicht annähernd diesen Wert erreicht.
Welche Haltung hat die Bundesregierung zu dem
Ringtausch bei den Laufzeiten? Insbesondere möchte ich
wissen, ob es eine gemeinsame Position von Bundesumweltministerium und Bundeswirtschaftsministerium
gibt.
Zur Beantwortung weiterer Fragen steht der Bundesumweltminister Sigmar Gabriel zur Verfügung.
Herr Kollege Beck, es ist Zufall, dass ich noch im
Plenum anwesend bin. Ich will die Gelegenheit nutzen,
Ihre Frage zur Haltung der Bundesregierung zu beantworten.
({0})
Ich möchte zunächst Ihre Frage aufgreifen, ob ein
Forschungsreaktor weiter möglich sei. In diesem Zusammenhang will ich auf eines hinweisen: In der Tat gibt es
kein explizites gesetzliches Verbot der Finanzierung
eines Hochtemperaturforschungsreaktors. Die Finanzierung widerspräche jedoch dem Zweck des Atomgesetzes. Dort heißt es in § 1 Nr. 1:
... die Nutzung der Kernenergie zur gewerblichen
Erzeugung von Elektrizität geordnet zu beenden ...
Die Errichtung eines neuen Forschungsreaktors, der
zu einem Reaktortyp gehört, den es in Deutschland nicht
mehr gibt, führt natürlich zu der Frage, warum diese Forschungen überhaupt durchgeführt werden sollen. Es
kann ja nicht über einen Reaktortyp geforscht werden,
den wir in Deutschland nicht mehr haben. Da wir keine
neuen Atomreaktoren mehr bauen wollen, wäre der Versuch, dort eine Forschungseinrichtung zu errichten, die
Vorbereitung eines Rechtsbruchs.
Deswegen glauben wir, dass auch in diesem Fall
keine Rechtsgrundlage für den Bau eines Forschungsreaktors vorhanden ist. Da es auch nicht um Sicherheitsforschung gehen kann - denn in Deutschland existiert
kein solcher Reaktor; im Gegenteil, der Reaktor in
Hamm-Uentrop ist nach wenigen Jahren Laufzeit mit
Kosten von 2 Milliarden DM für den Steuerzahler stillgelegt worden; er verursacht im Haushalt immer noch
Ausgaben von einigen 100 Millionen Euro -, können wir
nicht erkennen, auf welcher gesetzlichen Grundlage der
erneute Bau eines Forschungsreaktors möglich ist.
Zur Frage des Ringtausches. Beim Kernkraftwerk
Mülheim-Kärlich bestand Einvernehmen darüber, dass
dessen Strommengen auf das KKW Emsland oder andere neuere Anlagen sowie auf die Blöcke B und C des
KKW Gundremmingen und maximal 20 Prozent auf das
KKW Biblis B übertragen würden. Sollte jemand versuchen - wir hören, dass es solche Sandkastenspiele gibt -,
vom Kraftwerk Biblis B Strommengen auf ein anderes
Kraftwerk zu übertragen, das nicht für eine Strommengenübertragung vom KKW Mülheim-Kärlich vorgesehen ist, wäre dies rechtswidrig. Ein Versuch, Strommengen vom KKW Mülheim-Kärlich zuerst auf das KKW
Biblis B und dann beispielsweise auf das KKW Brunsbüttel zu übertragen, würde bedeuten, dass man
versucht, das KKW Brunsbüttel über den genehmigten
Zeitraum hinaus laufen zu lassen. Das wäre ein Weiterbetrieb einer kerntechnischen Anlage ohne Betriebsgenehmigung. Dies ist nach deutschem Recht strafbar.
({1})
Herr Kollege Beck, Sie wissen als Parlamentarischer
Geschäftsführer sehr genau, dass Sie nur zwei Nachfragen stellen dürfen. Da Sie diese Möglichkeit schon mehr
als ausgeschöpft haben, würde ich jetzt zur nächsten
Frage übergehen wollen.
({0})
- Bitte schön. Sie können einen Antrag stellen.
Da ich diese Aussagen sehr interessant finde und den
Eindruck habe, dass sie sich mit Aussagen des Bundeswirtschaftsministers zu der Frage der Restlaufzeiten, die
wir immer wieder hören, nicht gänzlich in Deckung
bringen lassen, beantrage ich namens meiner Fraktion
am Ende der Fragestunde eine Aktuelle Stunde zu dem
hier aufgerufenen Themenbereich der Atompolitik, bitte
aber, damit wir diese Diskussion umso fundierter führen
können, die weiteren dringlichen Fragen zu diesem
Thema noch zu beantworten.
Vielen Dank.
Das entspricht Nr. 1 b der Richtlinien für die Aktuelle
Stunde, die dann im Anschluss an die Fragestunde stattfindet.
Ich rufe jetzt die dringliche Frage 7 des Abgeordneten
Hans-Josef Fell auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung des stellvertretenden nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten, Dr. Andreas
Pinkwart ({0}),
dass der Thoriumreaktor eine zukunftweisende Technologie
sei?
Zwischen CDU/CSU und SPD bestehen hinsichtlich
der Nutzung der Kernenergie zur Stromerzeugung unterschiedliche Auffassungen. Deshalb kann die am 14. Juni
2000 zwischen Bundesregierung und Energieversorgungsunternehmen geschlossene Vereinbarung und können die darin enthaltenen Verfahren sowie die dazu in
der Novelle des Atomgesetzes getroffenen Regeln nicht
geändert werden.
Herr Kollege Fell, Sie haben eine Nachfrage.
Frau Präsidentin, ich habe keine Nachfrage, sondern
den Eindruck, dass eine andere Frage beantwortet
wurde. Ich hatte in der dringlichen Frage 7 danach gefragt, ob der Thoriumreaktor aus Sicht der Bundesregierung eine zukunftsweisende Technologie sei, so wie es
der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Dr. Andreas
Pinkwart meint.
Er ist, wenn ich das richtig sehe, nur stellvertretender
nordrhein-westfälischer Ministerpräsident.
({0})
Es handelt sich um die dringliche Frage 7.
Ich dachte, diese Frage sei durch die vorangegangenen Debattenbeiträge zur Einschätzung eines Reaktors,
den man mit guten Gründen abgeschaltet hat, der
2 Milliarden DM gekostet hat und für dessen Beseitigung wir noch immer einige 100 Millionen Euro aufwenden müssen, bereits beantwortet. Wenn das nicht der
Fall ist, will ich deutlich sagen: Ich halte die Auffassung
des Kollegen Pinkwart für nicht richtig.
Im zweiten Teil dieser Frage fragen Sie, ob die Bundesregierung der Auffassung ist, dass der in die Diskussion gebrachte Bau eines neuen Reaktors notwendig ist,
um die Energieversorgung zu sichern. Die Antwort ist,
dass die Bundesregierung laut Koalitionsvereinbarung
und übrigens auch auf der Grundlage des Statusberichtes
zur Energieversorgung zum Energiegipfel nicht der
Überzeugung ist, dass das notwendig ist.
Nun bin ich etwas verwirrt über meine Anzahl an
Nachfragen; denn ich hätte noch eine Nachfrage zur
dringlichen Frage 7. Jetzt habe ich dankenswerterweise
schon die Antwort auf die dringliche Frage 8 bekommen. Ich würde gerne erst noch eine Nachfrage zur
dringlichen Frage 7 und dann zur dringlichen Frage 8
stellen.
Gehen wir einfach davon aus, dass die dringlichen
Fragen 7 und 8 gemeinsam beantwortet werden. Diese
Möglichkeit gibt es ja. Daher rufe ich jetzt die dringliche
Frage 8 des Abgeordneten Hans-Josef Fell auf:
Hält die Bundesregierung den vom stellvertretenden nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten, Dr. Andreas Pinkwart
({0}), in die Diskussion gebrachten Bau eines neuen Reaktors in NordrheinWestfalen für notwendig, um 2020 eine sichere, wirtschaftliche und nachhaltige Energieversorgung zu garantieren?
Sie können jetzt zur dringlichen Frage 7 eine Nachfrage stellen.
Gut. - Ich teile Ihre Einschätzung, dass das keine zukunftsweisende Technologie ist. Andererseits sehe ich
aber, dass es in den Forschungseinrichtungen, die zum
Großteil von der Bundesregierung finanziert werden,
hier vor allem in der Helmholtz-Gemeinschaft, offensichtlich weiterhin Forschungen zu genau dieser Reaktortechnologie und insbesondere zu Sicherheitsfragen
gibt. Zu erkennen ist das daran, dass Forscher aus diesen
Einrichtungen auf internationalen Konferenzen auftreten
und dort entsprechende Meinungen vertreten. Halten Sie
es für richtig und korrekt, dass offensichtlich mit Bundesmitteln eine aus Sicht der Bundesregierung nicht zukunftsweisende Technologie über die Grundfinanzierung
der Forschungseinrichtungen unterstützt wird?
Ich halte es erst einmal für richtig, dem Verfassungsgrundsatz der Freiheit von Forschung und Lehre Rechnung zu tragen. Ich halte es nicht für unsere Aufgabe,
Forscher, Professoren sozusagen über politischen Druck
oder die Entziehung von finanziellen Mitteln dazu zu
zwingen, die Haltung der Bundesregierung einzunehmen. Genauso wenig war oder bin ich der Überzeugung,
dass es richtig gewesen wäre, bestimmten politischen
Forschungseinrichtungen, die vielleicht einer früheren
Bundesregierung nicht genehm gewesen sind, die Mittel
zu entziehen. Wir finanzieren Grundlagenforschungseinrichtungen. Natürlich werden wir keine Forschungsmaßnahmen direkt finanzieren, die dem Atomgesetz widersprechen - darauf habe ich hingewiesen. Ansonsten bitte
ich um Verständnis, dass die Einzelauffassungen von
Forschern, Professoren und Wissenschaftlern durch die
Bundesregierung nicht zu beeinflussen sind.
Lassen Sie mich noch eine zweite Bemerkung machen: Hier im Parlament ist zu dem Thema „Wer forscht
wo?“ mehrfach der Eindruck vermittelt worden, dass
über die Finanzmittel für Forschung und Technologie,
die die Bundesregierung zusätzlich zur Verfügung stellt,
insbesondere im Zuständigkeitsbereich der Kollegin
Schavan, sozusagen neue Kernforschung initiiert würde.
Ich lege Wert auf die Feststellung, dass es die Initiative
des Umweltministeriums gewesen ist und Frau Schavan
darum gebeten wurde, wieder stärker darauf zu achten,
dass die Kompetenz für den Strahlenschutz, und zwar
sowohl für den medizinischen Strahlenschutz als auch
für den Strahlenschutz im Bereich nuklearer Einrichtungen, in Deutschland nicht verloren geht. Diese Gefahr
besteht nämlich, weil ein Teil der dort beschäftigten
Wissenschaftler demnächst in Pension geht. Außerdem
wurden aufgrund der Hochschulpolitik der Länder in den
letzten Jahren kleine Fachbereiche - um solche handelt
es sich in der Regel beim Strahlenschutz - in große
Fachbereiche integriert und dort hat aufgrund entsprechender Sparmaßnahmen in der Regel keine Neubesetzung der Stellen stattgefunden. Ich habe deswegen mit
der Strahlenschutzkommission und der Reaktor-Sicherheitskommission Gespräche darüber geführt. Ich bin außerordentlich dankbar, dass die Bundesregierung insgesamt, aber auch die Kollegin Schavan in ihrem Bereich,
mit dazu beiträgt, durch einen Wiederausbau der
Strahlenschutzforschung die Kompetenz für den Strahlenschutz sowohl im medizinischen als auch im nukleartechnischen Bereich in Bezug auf das Thema Kernenergie zu erhalten; denn in den kommenden 14 Jahren wird
die Bundesrepublik Deutschland weiterhin Kernkraft
nutzen. Es kann nicht in unserem Interesse liegen, dass
wir bedingt durch die Altersfluktuation in diesem Bereich keinerlei Kompetenz mehr haben.
({0})
Herr Kollege Fell, damit wir den Überblick behalten:
Sie haben jetzt theoretisch noch eine Nachfrage zu
Frage 7 und zwei Nachfragen zu Frage 8.
Ich will meine Fragen zusammenfassen, um die Zeit
nicht überzustrapazieren.
Herr Minister, Sie hatten meine Frage etwas ausweichend beantwortet. Ich habe nicht nach der Freiheit der
Forschung und Lehre einzelner Forscher gefragt. Diese
stelle auch ich nicht infrage. Ich habe vielmehr danach
gefragt, ob die Grundfinanzierung, nicht Grundlagenforschungsfinanzierung, für Forschungseinrichtungen wie
der Helmholtz-Gemeinschaft, die im Wesentlichen von
der Bundesrepublik Deutschland geleistet wird, dazu benutzt werden kann, dass Forscher an Technologien wie
dem Hochtemperaturreaktor forschen und ihre Erkenntnisse dann auf internationalen Konferenzen weitertragen
können.
Auf der Basis meiner zugegebenermaßen rudimentären Kenntnisse der Bedingungen für Grundfinanzierung
für Forschungseinrichtungen würde meine Antwort lauten: Selbstverständlich muss es der Einrichtung selbst
überlassen bleiben, für welche Bereiche sie die Grundfinanzierung nutzt. Bei der Projektfinanzierung wäre das
etwas anderes. Ich fände es aber außerordentlich schwierig, sozusagen im Annex einer Grundfinanzierung aufzuzählen, in welchem Bereich man nach Auffassung der
jeweiligen politischen Mehrheit nicht mehr forschen
darf. Ich glaube, es ist sehr schwierig, so mit international renommierten Forschungseinrichtungen umzugehen. Ich halte es, ehrlich gesagt, nicht für ein Problem,
wenn Forscher und Wissenschaftler aufgrund ihrer persönlichen Auffassung als Physiker, Mathematiker, Chemiker oder whatever in einem Bereich forschen, den wir
politisch in Deutschland nicht mehr haben wollen.
Die Frage ist, was in der Realität passiert. In der Realität schalten wir die Kernkraftwerke in den nächsten
Jahren ab und nicht neu ein. Ich kann aber keinem deutschen Forscher verbieten, sich in Amerika, in Russland
oder sonst irgendwo an Projekten zu beteiligen, die ich
für falsch halte. Freiheit von Forschung und Lehre bedeutet aber nicht, dass man immer nur die angenehmen
Seiten erlebt. Man wird sich wohl damit abfinden müssen, dass es gelegentlich Forscher gibt, die unser beider
Auffassung nicht teilen. Diese müssen wir machen lassen, was sie wollen. Wenn sie aber Projektmittel von uns
erhalten wollen, werden sie sie nicht bekommen.
Ich rufe die dringliche Frage Nr. 9 der Kollegin Sylvia Kotting-Uhl auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, dass das Bundesland
Baden-Württemberg die Absicht verfolgt, den Atomkonsens
aufzukündigen, wie vorgestern, am 26. Juni 2006, die Umweltministerin des Landes, Tanja Gönner, bei einer Veranstaltung des Deutschen Atomforums e. V. in Berlin bekannt gegeben hat?
Der Bundesregierung sind die etwaigen Absichten,
die die Kollegin Gönner, Baden-Württemberg, mit ihrer
etwaigen Bemerkung verfolgt, nicht bekannt. Die Bundesregierung weist darauf hin, dass diese Äußerung, falls
sie tatsächlich gefallen sein sollte, dem geltenden Recht
und der Koalitionsvereinbarung widersprechen würde.
Eine Nachfrage, Frau Kotting-Uhl.
Soweit sind wir uns einig. - Ich höre trotzdem von
vielen Dissensen. Nicht alle sind sich in dieser Frage so
einig wie Sie und die Mitglieder unserer Fraktion in diesem Moment.
Von interessierter Seite wird offensichtlich die Aufkündigung des Atomkonsenses verfolgt. Gibt es Überlegungen, welche Folgen die Aufkündigung für die Endlagersuche bzw. den Betrieb eines Endlagers hätte? Gibt
es Schätzungen, wie groß - es müsste ja größer sein ein Endlager dann sein müsste?
Die Frage kann ich Ihnen nicht beantworten. Die Beantwortung ist aber schon allein deshalb nicht notwendig, weil ja klar ist, dass das Atomrecht nicht geändert
wird. Ich kann nicht erkennen, dass Ihre Unterstellung
stimmt, dass die Bundesregierung zulässt, dass sich an
den Positionierungen, die im Atomgesetz vorgenommen
wurden, etwas ändert. Von daher gibt es keine Notwendigkeit für solche Überlegungen.
Im Gegenteil: Die durch den Ausstieg aus der Kernenergie bedingte Reduzierung der anfallenden Abfallmengen - an diesem Beispiel kann man das vielleicht
zeigen - hat dazu geführt, dass das Volumen des geplanten Endlagers Schacht Konrad, das ursprünglich, so
glaube ich, auf 600 000 Kubikmeter ausgelegt war, bereits in der letzten Periode auf rund 300 000 Kubikmeter
reduziert worden ist. Daran mögen Sie erkennen, in welche Richtung die Planungen in der Vergangenheit gingen.
Ich muss noch einmal deutlich sagen, dass es in
Deutschland politische Auffassungen gibt, die mit der
Regierungsmeinung übereinstimmen, und solche, die
mit der Regierungsauffassung nicht übereinstimmen.
Das ist erlaubt. Das ist auch in den Parteien erlaubt. Ich
höre, selbst in einzelnen Parteien soll es zu bestimmten
Fragen gelegentlich unterschiedliche Auffassungen geben. Ich habe gehört, dass das auch in meiner Partei der
Fall sein soll. Dagegen ist nichts einzuwenden. Entscheidend ist, was Regierungspolitik ist. Das Maßgebliche
steht im Koalitionsvertrag. Darin steht, dass sich am
Ausstieg aus der Kernenergie nichts ändert.
Sie haben keine weitere Nachfrage zur dringlichen
Frage Nr. 9. Dann rufe ich die dringliche Frage Nr. 10
der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl auf:
Wie verhält sich die Bundesregierung zu diesem Sachverhalt?
Ich habe die Antwort, so denke ich, bereits gegeben.
Nachfrage.
Das kann ich akzeptieren. Ich hatte auch den Eindruck, dass die Frage bereits beantwortet worden ist. Ich
will die Beantwortung der weiteren Fragen nicht aufhalten. Wir haben nachher genügend Zeit, um uns über die
insgesamt unbefriedigende Beantwortung der Fragen
auszutauschen.
Ich bitte herzlich um Verständnis für das etwas dilettantische Beantworten von Fragen, die ich zuvor nicht
gelesen habe. Ich hätte es als unhöflich empfunden,
wenn der Parlamentarische Staatssekretär für mich Rede
und Antwort gestanden hätte, obwohl ich aufgrund der
vorangegangenen Regierungsbefragung als Regierungsmitglied anwesend bin. Deswegen habe ich das Wort ergriffen.
({0})
Wir gehen natürlich niemals davon aus, dass ein Mitglied der Bundesregierung irgendetwas dilettantisch machen würde, schon gar nicht im Deutschen Bundestag.
({0})
Nachdem die dringlichen Fragen aufgerufen und beantwortet worden sind, rufe ich jetzt die Fragen auf
Drucksache 16/1933 in der üblichen Reihenfolge auf.
Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Die Fragen 1 und 2 der Kollegin Cornelia Behm werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung würde
der Parlamentarische Staatssekretär Christian Schmidt
zur Verfügung stehen. Die Frage 3 des Kollegen Paul
Schäfer wird allerdings auch schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Hier steht zur Beantwortung der Parlamentarische Staatssekretär Michael Müller zur Verfügung.
Ich rufe Frage 4 des Abgeordneten Lutz Heilmann,
Die Linke, auf:
Wann wird die Bundesregierung Gesetzentwürfe für die
nationale Umsetzung der EU-Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie 35/2003/EG, die bis zum 25. Juni 2005 in nationales
Recht hätte umgesetzt werden müssen, vorlegen, und warum
wurden angesichts der Fristüberschreitung die unter der letzten Bundesregierung erarbeiteten Entwürfe für ein Öffentlichkeitsbeteiligungsgesetz und ein Umweltrechtsbehelfsgesetz
jeweils vom 21. Februar 2005 noch nicht vom Kabinett beschlossen?
Herr Kollege Heilmann, das geltende deutsche Recht
entspricht bereits in weiten Teilen den Vorgaben der
Richtlinie 35/2003/EG zur Beteiligung der Öffentlichkeit bei bestimmten umweltbezogenen Plänen und Programmen sowie zur Öffentlichkeitsbeteiligung und zum
Gerichtszugang bei Industrieanlagen und Infrastrukturmaßnahmen. Zur vollständigen Umsetzung in der Bundesrepublik bedarf es jedoch - Sie haben es angesprochen - noch Ergänzungen durch die beiden in Ihrer
Frage erwähnten Gesetzentwürfe. Sie wissen, dass wir
schon im Jahre 2005 entsprechende Gesetzentwürfe veröffentlicht und im März 2005 Länder und Verbände angehört haben. Durch die Beendigung der Legislaturperiode ist dies unterbrochen worden. Wir haben die
Arbeit daran in der Zwischenzeit wieder aufgegriffen.
Die Kabinettsbefassung zu diesen beiden Gesetzentwürfen ist noch vor der parlamentarischen Sommerpause geplant, sodass wir mit einer Inkraftsetzung in der zweiten
Jahreshälfte 2006 rechnen.
Herr Kollege, Sie haben eine Nachfrage?
Ja, ich habe zwei Nachfragen. Konkret zu den Gesetzentwürfen möchte ich fragen: Sollen in § 2 des Entwurfes des Umweltrechtsbehelfsgesetzes die Absätze 3
und 6, in denen es bislang sinngemäß heißt, dass Rechtsbehelfe zulässig und begründet sind, wenn Verbände in
ihrem satzungsgemäßen Aufgabenbereich zur Förderung
der Ziele des Umweltschutzes berührt sind, verändert
werden? Wenn ja: wie und warum?
Im Augenblick haben wir gegenüber dem Gesetzentwurf von 2005 keine Änderung vorgenommen, sondern
nur eine Präzisierung.
Wollen Sie noch eine zweite Nachfrage stellen?
Meine zweite Nachfrage lautet: Wie sieht die Präzisierung aus?
Es geht in einem Punkt um eine entsprechende Anpassung an die Vorgaben des europäischen Rechts.
Die Frage 5 der Abgeordneten Veronika Bellmann
wird schriftlich beantwortet.
Wir sind damit beim Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Hermann Kues zur Verfügung.
Ich rufe Frage 6 des Kollegen Volker Schneider, Die
Linke, auf:
Wie will die Bundesregierung der Empfehlung der fünften
Altenberichtskommission Rechnung tragen, wonach die gesetzliche Rentenversicherung, GRV, auch in Zukunft ein Leistungsniveau bieten muss, das deutlich über dem der steuerfinanzierten bedürftigkeitsgeprüften Mindestsicherung liegt?
Frau Präsidentin, ich bitte darum, die Fragen 6 und 7
aufgrund des Sachzusammenhanges gemeinsam beantworten zu dürfen.
Dann rufe ich auch die Frage 7 des Kollegen Schneider auf:
Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus
dem Vorschlag der Kommission, lieber vermehrt öffentliche
Mittel für Weiterqualifizierung bereitzustellen, anstatt sie zur
Subventionierung von Finanzkapital zur Privatvorsorge einzusetzen?
Die Fragen 6 und 7 beziehen sich auf den Sachverständigenbericht der von der Bundesregierung eingesetzten fünften Altenberichtskommission. Gemäß Beschluss
des Bundestages vom 24. Juni 1994 wird die Bundesregierung zum fünften Altenbericht wie zu den bisherigen
Altenberichten Stellung nehmen. Die Erarbeitung der
Stellungnahme hat sich durch die vorzeitige Neuwahl
und die im Zuge der Regierungsbildung erfolgten Umstrukturierungen von Ressorts ein wenig verzögert. Das
betraf unter anderem das BMG, das BMAS und das
BMWi, die maßgeblich an einer Stellungnahme zu beteiligen waren. Im Anschluss an die Veränderung der Ressortzuschnitte wurde die Stellungnahme entworfen, an
der wieder viele Ressorts beteiligt werden mussten:
BMG, BMAS, BMWi, BMBF, BMELV und BMVBS. Es
bedurfte von daher einer intensiven Abstimmung. Diese
Abstimmung ist mehr oder weniger abgeschlossen, aber
die Stellungnahme ist noch nicht vom Kabinett beschlossen. Das Kabinett wird sich mit dem Bericht sowie der
Stellungnahme dazu - dadurch wird er ja erst richtig interessant - voraussichtlich am 5. Juli 2006 befassen.
Herr Kollege Schneider.
Herr Staatssekretär, verstehe ich Sie richtig: Während
uns als Abgeordnete zugemutet wird, innerhalb kürzester Zeit, etwa bei Hartz IV, an einem einzigen Tag bzw.
Abend bis zum nächsten Vormittag 70 Seiten zu lesen
und auch im Hinblick auf die Frage der verfassungsVolker Schneider ({0})
rechtlichen Relevanz von bestimmten Gesetzgebungsverfahren zu beurteilen, können Sie nach fast einem Jahr
immer noch keine Stellungnahme zum Altenbericht abgeben, zumal hier Fragen gestellt worden sind, die sich
absolut auf Einzelpunkte beziehen, welche schon in anderen Gesetzgebungsverfahren eine Rolle gespielt haben? Heißt das, dass der Altenbericht trotz seiner Vorlage in den Bemühungen der Bundesregierung in keiner
Weise einen Niederschlag gefunden hat?
Nein, das ist keineswegs der Fall. Zu einzelnen Fragen, die im Altenbericht angesprochen werden, ist im
Parlament mehrfach Stellung genommen worden. Es
geht um eine in sich schlüssige Stellungnahme der Bundesregierung zum Altenbericht insgesamt. Das bedarf
längerer Abstimmungen und vor allen Dingen der Diskussion und Beschlussfassung im Kabinett. Das ist für
den 5. Juli vorgesehen.
Sie haben eine weitere Nachfrage.
Herr Staatssekretär, Ihre Antwort stellt mich in keiner
Weise zufrieden. Beispielsweise wurde hier gezielt nach
der Situation der gesetzlichen Rentenversicherung gefragt. Dazu hat es in der Zwischenzeit Beratungen gegeben. Im Rahmen dieser Beratungen sind von unserer
Fraktion Vermutungen angestellt worden, die sich durch
diesen Bericht belegen lassen, die aber von Ihrem Minister dementiert worden sind. Es müsste doch möglich
sein, zumindest auf diese gezielten Fragen mit mehr als
nur der formalen Antwort, die Sie gegeben haben, zu reagieren.
Wie Sie wissen, leitet dieses Ressort nicht ein Minister, sondern eine Ministerin, die sich dazu meines Wissens im Parlament noch nicht geäußert hat.
({0})
Wenn es einen Beschluss der Bundesregierung gibt - ich
gehe davon aus, dass er am 5. Juli erfolgt -, werden Sie
alle Fragen, die im Altenbericht angesprochen sind, detailliert erörtern können. Allerdings sage ich ausdrücklich: Viele der Fragen, auf die Sie hinauswollen, sind im
Parlament bereits erörtert worden. Wenn der Beschluss
der Bundesregierung vorliegt, können sie aber sicherlich
noch einmal im Zusammenhang besprochen werden.
Eine weitere Nachfrage?
Ja. - Ich muss nachfragen: Sie haben gesagt, dass
diese Fragen schon im Parlament erörtert und in diesem
Zusammenhang besprochen worden sind. Das kann ich
Ihnen nicht bestätigen. Als es beispielsweise um die
Rente mit 67 ging, sind einige Behauptungen erhoben
worden, die durch den Altenbericht nicht gedeckt werden. Ist der Bericht in diesem Zusammenhang schon von
Ihnen berücksichtigt worden oder nicht?
Ich bitte Sie um Verständnis dafür, dass ich zum Altenbericht, der bislang nicht im Kabinett behandelt worden ist - das wird am 5. Juli geschehen -, zum jetzigen
Zeitpunkt keine Stellungnahme abgebe. Das wird erfolgen, sobald der Bericht vom Kabinett zur Kenntnis genommen und eine entsprechende Stellungnahme dazu
erarbeitet worden ist.
Heißt das, Sie behandeln Gesetze zwar unter Berücksichtigung der jeweiligen Fakten, nehmen aber keine
Stellung dazu? Sehe ich das richtig?
({0})
Wir behandeln hier keine Gesetze, sondern hier geht
es speziell um den Altenbericht. Dazu habe ich, wie ich
glaube, alles gesagt, was ich sagen musste.
Nun sind wir bei Frage 8 der Abgeordneten Inge Höger-Neuling, Die Linke:
Wie steht die Bundesregierung zu der Anregung der fünften Altenberichtskommission, bei der Einschätzung der Einkommensentwicklung im Alter auch Selbst- und Zuzahlungen
im Fall von Krankheit und Pflegebedürftigkeit, die aus den
laufenden Alterseinkommen zu finanzieren sind, zu berücksichtigen?
Da es sich bei Frage 8 um einen ähnlichen Inhalt wie
bei der vorherigen Frage handelt, muss ich auf das verweisen, was ich in meiner Antwort auf Frage 7 gesagt
habe, auch wenn das für Sie vielleicht unbefriedigend
ist: Die Bundesregierung wird ihre Position zum Altenbericht voraussichtlich am 5. Juli festlegen. Dann ist
Zeit, um darüber im Einzelnen zu diskutieren.
Eine Nachfrage? - Bitte schön.
Ich würde meine Frage gerne umformulieren. Ohne
Bezugnahme auf den Altenbericht würde ich gerne wissen, ob es für die Beurteilung der Rentenentwicklung
nicht wichtig ist, die Ausgaben für Zuzahlungen im Fall
von Krankheit und Pflegebedürftigkeit zu berücksichtigen.
Sie haben Ihre Frage zwar verändert, aber sie bezieht
sich nach wie vor auf den gleichen Inhalt. Sie werden
verstehen, dass das gilt, was ich eben gesagt habe: Ich
kann dazu erst dann Stellung nehmen, wenn die Bundesregierung eine einheitliche Position beschlossen hat.
Haben Sie eine weitere Nachfrage?
Ich möchte meine Unzufriedenheit zum Ausdruck
bringen. Hier ist schon ausführlich über die Haltung der
Bundesregierung zur Rentenentwicklung berichtet worden und die Empfehlungen des Altenberichts sind nicht
berücksichtigt worden. Dass Sie sich jetzt auf eine formale Stellungnahme zurückziehen, finde ich sehr unbefriedigend.
Das mag für Sie unbefriedigend sein. Da aber vier
Abgeordnete Ihrer Fraktion mehr oder weniger ähnliche
Fragen gestellt haben, darf es Sie nicht verwundern, dass
ich darauf mehr oder weniger ähnliche Antworten gebe.
Damit sind wir bei der Frage 9 des Abgeordneten
Klaus Ernst:
Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung für ihre Pläne,
das gesetzliche Rentenalter anzuheben, aus den von der fünften Altenberichtskommission erhobenen Bedenken gegen dieses Vorhaben?
Ich bitte darum, die Fragen 9 und 10 des Kollegen
Ernst gemeinsam beantworten zu dürfen.
Dann rufe ich auch die Frage 10 des Kollegen Ernst
auf:
Wie steht die Bundesregierung zu den Befürchtungen der
fünften Altenberichtskommission, dass die gesetzliche Rentenversicherung, GRV, angesichts des Niveauabbaus der letzten Jahre ihre Legitimation zunehmend verlieren und die
Transformation in ein eher allgemeines Umverteilungssystem
- gegebenenfalls sogar verknüpft mit Bedürftigkeitsüberprüfung - eintreten könnte, und was gedenkt sie zu unternehmen,
dass diese Befürchtungen nicht eintreten?
Da auch hier ein Sachzusammenhang besteht und
eine unmittelbare Bezugnahme auf die vorhergehenden
Fragen vorliegt, wird es Sie nicht überraschen, wenn ich
sage, dass das, was ich eben geantwortet habe, hier in
gleicher Weise gilt: Wir werden dann, wenn die Bundesregierung eine Stellungnahme beschlossen hat - ich habe
Ihnen ein Datum genannt: den 5. Juli -, im Einzelnen
Stellung dazu nehmen.
Eine Nachfrage, bitte, Herr Kollege Ernst.
Sie haben deutlich zum Ausdruck gebracht, inhaltliche Fragen zum Altenbericht nicht beantworten zu wollen. Sind Sie aber bereit, die Frage zu beantworten, ob
denn das Ergebnis des Altenberichts in die Beratungen
der Bundesregierung über die Erhöhung des Renteneintrittsalters Eingang gefunden hat?
Sie können ganz sicher sein, dass alles, was im Verlaufe der letzten Wochen und Monate an fachlichen Stellungnahmen zusammengetragen und veröffentlicht worden ist, in die Überlegungen einfließt. Dass Teile des
Altenberichts sogar auf der Homepage der einen oder
anderen Fraktion aufgetaucht sind, dazu kann ich nur sagen: Das ist nun einmal so in unserer offenen Gesellschaft. In Bezug auf den Altenbericht selbst wird es, wie
gesagt, eine Stellungnahme geben, über die man dann im
Einzelnen diskutieren können wird. Solange es diese
schriftliche, von der Bundesregierung beschlossene Stellungnahme nicht gibt, ist es logischerweise nicht möglich, dazu detailliert Stellung zu nehmen.
Noch eine Nachfrage, Herr Ernst, bitte sehr.
Wir bewerten Sie, dass in diesem Altenbericht das
Gegenteil von dem steht, wie die Bundesregierung ihre
Politik nach außen faktisch darstellt? Kann man davon
ausgehen, dass solche wissenschaftlichen Gutachten
künftig überflüssig sind, weil die Bundesregierung sie
ohnehin nicht berücksichtigt?
Herr Abgeordneter, Sie scheinen Teile des Altenberichts gelesen zu haben.
({0})
Auch ich habe Teile davon gelesen, sogar mehr als nur
Teile. Beim Lesen werden Sie festgestellt haben, dass es
unterschiedliche Bewertungen, Prognosen, EinschätzunParl. Staatssekretär Dr. Hermann Kues
gen gibt. Die zentrale Aufgabe einer Regierung ist es,
solche fachlichen Stellungnahmen zu bewerten und daraus Schlussfolgerungen zu ziehen. Das ist gerade nicht
die Aufgabe von Wissenschaftlern, sondern das ist die
Aufgabe der Regierung. Deshalb können Sie sicher sein,
dass alles, was an Fakten verfügbar ist, auch einbezogen
wird.
Sie haben eine weitere Nachfrage, Herr Ernst, bitte
sehr.
Es ist eine gewisse zeitliche Verzögerung zwischen
der Erstellung dieses Gutachtens und seiner Veröffentlichung festzustellen. Bedeutet das in der Praxis auch für
künftige Gutachten, die die Bundesregierung in Auftrag
gibt, dass diese, wenn ihr Ergebnis Ihnen nicht gefällt,
erst dann behandelt werden, wenn die parlamentarische
Debatte darüber schon stattgefunden hat, dass sie also
erst einmal nicht behandelt werden?
Ich beantworte diese Frage mit Nein.
({0})
Damit sind wir bei der Frage 11 der Kollegin Katja
Kipping:
Wie gedenkt die Bundesregierung der Empfehlung der
fünften Altenberichtskommission Rechnung zu tragen, welche die Meinung vertritt, dass durch die weitere Entwicklung
der Alterssicherung eine stärkere Spreizung der Alterseinkommen und ein langfristig drohendes Ansteigen der Altersarmut verhindert werden muss?
Weil es einen Sachzusammenhang gibt, bitte ich auch
hier darum - das kann Sie nicht verwundern -, die
Fragen 11 und 12 gemeinsam beantworten zu dürfen.
Dann rufe ich zugleich die Frage 12 auf:
Was gedenkt die Bundesregierung zu unternehmen, um
die im fünften Altenbericht betonte Heterogenität sowie die
sozialen Unterschiede und zunehmenden sozialen Ungleichheiten innerhalb der Gruppe der alten Menschen abzumildern
und gleiche Teilhabechancen für Ältere herzustellen?
Da diese Fragen den vorherigen ähneln, verweise ich
ausdrücklich auf die Antworten, die ich hier zu den
Fragen 6, 7, 8, 9 und 10 gegeben habe.
Eine Nachfrage, Frau Kipping, bitte schön.
Bei allem Verständnis für das, was Sie sagen müssen,
befinden Sie sich offensichtlich im Prozess der Vorbereitung auf die Auswertung im Kabinett am 5. Juli. In Anbetracht der Tatsache, dass Teile der Kommission noch
einmal festgestellt haben, dass bei einer Rente mit 67 soziale Ungleichheiten drohen und bereits heute nur sehr
wenige Menschen auf 45 Beitragsjahre kommen, frage
ich Sie: Ist Ihnen bekannt - und werden Sie das in die
Vorbereitung der Kabinettssitzung einfließen lassen -,
wie viel Prozent der Männer und Frauen heute überhaupt
noch auf 45 Beitragsjahre kommen?
Ich kann Ihnen versichern, dass die einzelnen Ressorts und die einzelnen Minister sich auf diese Kabinettssitzung, wo auch über die Positionen des Altenberichts diskutiert wird, intensiv vorbereiten werden.
Eine weitere Nachfrage, Frau Kipping, bitte.
Ich will noch einmal darauf hinweisen, dass meine
Frage nicht darauf abzielte, Ihre Vorbereitung infrage zu
stellen, sondern dass ich gerne wissen wollte, ob Ihnen
bekannt ist, wie viel Prozent der Männer und Frauen in
Ost und West schon heute überhaupt auf
45 Beitragsjahre kommen.
Ich habe eben in der Antwort auf die Fragen des Kollegen Ernst ausdrücklich darauf hingewiesen, dass nur
Teilaspekte genannt worden sind und die Bandbreite der
Positionen des Altenberichts nicht dargestellt worden ist.
Ich sage ausdrücklich, dass das Material, das im Altenbericht zusammengetragen worden ist, von der Bundesregierung bewertet wird. Dann kann man zu den einzelnen Fakten und zu den einzelnen Daten Stellung
nehmen. Ich bitte um Verständnis, dass das zum heutigen
Zeitpunkt von meiner Seite nicht möglich ist.
Ich habe eine weitere Nachfrage.
Bitte schön.
Obwohl wir in dieser Gesellschaft bereits sehr vehement über die Rente mit 67 diskutieren, was im Übrigen
unabhängig von dem Altenbericht geschieht, zu dem Sie
ja nichts sagen dürfen, sind Sie als zuständiger Staats3928
sekretär also nicht in der Lage, darüber Auskunft zu geben, wie viel Prozent der Frauen und Männer in Ost und
West bereits heute auf 45 Beitragsjahre kommen?
Zunächst einmal muss ich Sie korrigieren: Ich bin
nicht der zuständige Staatssekretär und mein Ressort leitet auch nicht ein Minister, sondern eine Ministerin.
Sie sprechen als Vertreter der Regierung.
Das zuständige Ressort hat hier zu den ganzen Fragen
mehrfach Stellung genommen und wird sich natürlich
- das hat es auch schon getan - an dem Entwurf der Stellungnahme zum Altenbericht beteiligen. Dann wird auch
darüber zu diskutieren sein.
Ich rufe jetzt die Frage 13 der Abgeordneten Sibylle
Laurischk auf:
Wie erklärt die Bundesregierung die Verzögerung der Veröffentlichung des fünften Altenberichts, der ihr seit fast einem
Jahr vorliegt, und wie erklärt sie, dass dieser Bericht Teilen
der Presse sehr wohl bekannt ist ({0})?
Für die in jeder Legislaturperiode erfolgende Altenberichterstattung ist vorgesehen, dass zu jedem Altenbericht eine Stellungnahme der Bundesregierung erarbeitet
wird, bevor diese mit dem Bericht veröffentlicht wird.
Die Erarbeitung der Stellungnahme zum fünften Altenbericht hat sich verzögert, wie ich in den Antworten auf
die vorhergehenden Fragen eben schon erläutert habe.
Der Bundesregierung ist bekannt, dass Teile des
Altenberichts von der Presse thematisch aufgegriffen
worden sind. Aus welchen Quellen die Presse die Informationen hat, ist nicht bekannt. Im Rahmen der Altenberichterstattung werden die Berichte immer erst
zusammen mit einer vom Kabinett beschlossenen Stellungnahme der Bundesregierung veröffentlicht. Das hat
eine lange Tradition. So wird auch beim fünften Altenbericht verfahren.
Sie haben eine Nachfrage. Bitte schön.
Herr Staatssekretär, wann ist mit der Debatte zum Altenbericht hier im Bundestag zu rechnen?
({0})
Über die Debatten im Bundestag befindet der Deutsche Bundestag und nicht die Bundesregierung. Der
Bundestag muss darüber beschließen, wann er darüber
debattieren will.
({0})
Wie ich schon gesagt habe: Der Beschluss im Kabinett
wird am 5. Juli 2006 erfolgen. Dann wird der Bundestag
zu entscheiden haben, wann er das Ganze auf die Tagesordnung setzt.
Eine weitere Nachfrage.
Ich bin mir nicht ganz sicher, ob die Frage 14 schon
beantwortet wurde.
Nein, das habe ich noch nicht getan.
Dann komme ich später dazu.
Ich rufe jetzt die Frage 14 der Abgeordneten Laurischk auf:
Welche Aussagen werden im fünften Altenbericht zum
Renteneintrittsalter getroffen?
Die Kommission ist der Auffassung, dass in höherem
Maße als bisher eine Flexibilisierung beim Übergang
vom Erwerbsleben in die Nacherwerbsphase erforderlich
ist. Ein Teil der Kommission verknüpft dies wegen der
befürchteten sozialen Ungleichheiten nicht mit einer Erhöhung des gesetzlichen Renteneintrittsalters. Ein anderer Teil befürwortet eine Anhebung des Renteneintrittsalters, verweist aber darauf, dass dies eine veränderte
Arbeitsmarktlage notwendig macht. Jene Personen, die
in ihrer Gesundheit eingeschränkt sind, sollen auch in
Zukunft vorzeitig Rente beziehen können.
Mir liegen jetzt von Frau Laurischk und von Herrn
Ernst Wortmeldungen für eine Nachfrage vor.
Haben sich die Teile der Kommission, die sich offensichtlich für eine Flexibilisierung und damit für eine Erhöhung des Renteneintrittsalters aussprechen, auch
schon dahin gehend geäußert, wo sie eine Erhöhung ansetzen?
Dazu kann ich im Moment keine Stellung nehmen,
weil dazu der Altenbericht in seiner Gesamtheit vorliegen müsste.
Nun eine Nachfrage des Kollegen Ernst.
Ich habe noch eine weitere Nachfrage.
Sie kommen danach noch einmal dran.
Ich möchte doch noch die Nachfrage stellen, ob Sie es
für ein normales und dem Hohen Hause angemessenes
demokratisches Verfahren halten, dass die Bundesregierung Anträge für wesentliche Gesetzesänderungen zum
Rentenrecht ins Parlament einbringt, während gleichzeitig eine wissenschaftliche Untersuchung läuft, die nicht
veröffentlicht wird.
Ich halte es für ein ordnungsgemäßes demokratisches
Verfahren, wie es seit Jahren praktiziert wird, dass eine
wissenschaftliche Kommission einen Bericht vorlegt,
dass die Bundesregierung eine zwischen den Ressorts
abgestimmte Bewertung vornimmt und ihre Schlussfolgerungen daraus zieht und dass dies in der entsprechenden zeitlichen Folge geschieht, dass nämlich zunächst
einmal die Regierung entscheidet und dass dann über das
in sich geschlossene Konzept inklusive des Berichts diskutiert wird. Das ist nichts Ungewöhnliches, sondern das
ist eine ganz normale parlamentarische Regel.
({0})
Damit sind wir bei der zweiten Nachfrage der Kollegin Laurischk.
Inwieweit sieht sich die Bundesregierung im Rahmen
der Rentendebatte in der Lage, auf der Basis des vorliegenden Altenberichts eine eigene Meinung hinsichtlich
der Frage der Erhöhung des Renteneintrittsalters zu formulieren?
Frau Kollegin Laurischk, Sie haben gefragt, inwieweit sich die Bundesregierung in der Lage sieht, auf der
Basis des Berichts eine eigene Meinung zu Ihrer Frage
zu formulieren. Es gilt weiterhin das, was ich eben gesagt habe: Solange der Bericht nicht vorliegt und solange
es keine Stellungnahme gibt, werde ich dazu nicht detailliert Auskunft geben können - dafür bitte ich um Verständnis -, so sehr ich auch Ihren Wunsch verstehen
kann.
Damit kommen wir zur Frage 15 der Abgeordneten
Dr. Dückert:
Hält die Bundesregierung es familienpolitisch auf Dauer
für vertretbar, dass nach Berechnungen des Gutachtens von
Ulrike Spangenberg „Neuorientierung der Ehebesteuerung:
Ehegattensplitting und Lohnsteuerverfahren“, 2005, gefördert
durch die Hans-Böckler-Stiftung, 43 Prozent aller Ehen, die
vom Ehegattensplitting profitieren, kinderlos sind?
Das von Ihnen zitierte Gutachten bezieht sich auf eine
Auswertung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, DIW, in Berlin. Darin wird zum Sachverhalt
Folgendes ausgeführt: Für das Jahr 2003 haben 57 Prozent der Eheleute, die nach der Splittingtabelle besteuert
werden, aktuell steuerlich zu berücksichtigende Kinder.
Das Entlastungsvolumen des Ehegattensplittings entfiel
2003 zu 65 Prozent, also überproportional, auf Eheleute
mit Kindern. Dieser Anteil ist nach dem heute geltenden
Einkommensteuertarif 2005 leicht höher. Eheleute mit
Kindern werden durchschnittlich stärker entlastet als
Eheleute ohne Kinder.
({0})
Das DIW Berlin kommt überdies in seiner Untersuchung zu den gegenwärtigen Wirkungen der Ehegattenbesteuerung zu der Aussage, dass von den Ehepaaren
ohne aktuell steuerlich zu berücksichtigende Kinder ein
hoher Anteil früher Kinder bekommen habe. Die Ausführungen des DIW legen insgesamt nahe, dass etwa
90 Prozent des Splittingvolumens auf Ehepaare entfällt,
die entweder steuerlich zu berücksichtigende Kinder haben oder hatten.
Soweit dem Ehegattensplitting unterstellt wird, es
entfalte eine Anreizwirkung und begünstige eine traditionelle Arbeitsteilung in der Ehe, dürfen diejenigen
Ehepaare heute nicht benachteiligt werden, die sich auch
wegen ihrer Kinder entsprechend der unterstellten Anreizwirkung des Ehegattensplittings verhalten haben.
({1})
Das Splittingverfahren bei der Einkommensbesteuerung von Ehegatten dient dem grundgesetzlichen Zweck
des Schutzes der Ehe. Es stellt eine an dem Schutzgebot
des Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Ehepaare - Art. 3 Abs. 1
des Grundgesetzes - orientierte sachgerechte Besteuerung sicher, so wie es auch vom Bundesverfassungsgericht ausgeführt worden ist.
Es ist kein familienpolitisches Instrument im engeren
Sinne und kann demnach auch nicht allein nach familienpolitischen Maßstäben - danach hatten Sie ja gefragt beurteilt werden. Die Bundesministerin für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend, Frau Dr. Ursula von der
Leyen, hat angekündigt, das System der familienbezogenen gesetzlichen Maßnahmen und Leistungen zu überprüfen und einer Wirkungsanalyse im Hinblick auf die
Zielsetzungen einer modernen und nachhaltigen Familienpolitik zu unterziehen. Bei dieser Analyse wird wegen
des Sachzusammenhangs auch das Ehegattensplitting
berücksichtigt.
Sie haben eine Nachfrage, Frau Dr. Dückert? - Bitte
schön.
Herr Staatssekretär, was halten Sie von dem Vorschlag - der auch in diesem Gutachten enthalten ist -,
eine Alternative zum Ehegattensplitting zu entwickeln,
die auf der einen Seite verfassungskonform ist, also den
grundgesetzlichen Schutz der Ehe berücksichtigt, aber
auf der anderen Seite ein Finanzvolumen von etwa
8 Milliarden Euro für eine direkte Förderung von Familien mit Kindern freistellt?
Ich habe darauf hingewiesen, dass die Ministerin vorhat, im Verlauf dieses und des nächsten Jahres die Familienleistungen in Deutschland, die sich von der absoluten
Höhe her in Europa sicherlich im oberen Grenzbereich
bewegen, zu überprüfen, die Wirkungen der Transferströme zu erfassen und zu bewerten. Sie wissen, dass es
dazu sehr unterschiedliche Positionen gibt. Dann müssen
wir Schlussfolgerungen hinsichtlich der Sinnhaftigkeit
der bestehenden Regelungen ziehen. Wie Sie wissen,
sind dabei auch verfassungsrechtliche Aspekte zu bedenken und die bestehenden Zielsetzungen im Blick zu behalten. Dann wird darüber zu reden sein, welcher finanzielle Spielraum im Einzelnen besteht. Sie werden
verstehen - davon waren Sie in Ihrer Frage ja auch ausgegangen -, dass Stellungnahmen bzw. Positionen in
Gutachten nicht die Grundlage für anstehende familienpolitische Entscheidungen darstellen können.
Jetzt folgt eine Nachfrage der Kollegin Scheel.
Herr Staatssekretär, die Diskussion über das Familiensplitting zieht sehr weite Kreise. Wie bewerten Sie
die Aussage von Kardinal Meisner, der wohl zu der Auffassung gekommen ist, dass das Ehegattensplitting nicht
in die heutige Zeit passt und durch ein Familiensplitting
ersetzt werden sollte?
Ich habe dazu zwar eine persönliche Meinung, aber
ich weiß nicht, ob sie der Meinung der Bundesregierung
entspricht. Das müsste ich erst einmal klären, weil sich
die Bundesregierung bis jetzt noch keine Meinung dazu
gebildet hat. Ich glaube, dass jeder Kardinal das Recht
hat, seine Meinung als Bürger der Bundesrepublik
Deutschland zu äußern. Als solche steht diese Meinungsäußerung zur Debatte. Es ist nicht die Aufgabe der
Bundesregierung, das zu bewerten.
Es gibt noch eine Nachfrage der Kollegin
Dr. Dückert. - Sie wollen verzichten? Dann Frau Deligöz, bitte schön.
Herr Staatssekretär Kues, habe ich Sie richtig verstanden, dass es die Bundesregierung bzw. Ihr Ministerium
in Betracht zieht, im Rahmen der Umordnung der finanziellen Maßnahmen zur Familienförderung auch das
Ehegattensplitting anzutasten und unter Umständen zu
verändern?
In diesem Punkt haben Sie mich falsch verstanden; es
geht nicht darum, hier etwas anzutasten. Ich habe vielmehr gesagt: Wenn man die Wirkungsströme analysieren
will, dann gehört logischerweise auch die Wirkung des
Ehegattensplittings dazu. Ich habe bereits ausgeführt, zu
welchem Ergebnis das DIW-Gutachten kommt, nämlich
dass zu 90 Prozent Ehepaare mit Kindern vom Ehegattensplitting profitieren. Das wird mit berücksichtigt werden müssen. Dann müssen wir zu einer Gesamtbewertung kommen.
Jetzt folgt eine Nachfrage des Kollegen Thiele.
Herr Staatssekretär, morgen wird im Bundestag in abschließender Debatte über das Steueränderungsgesetz
2007 abgestimmt. Der Finanzausschuss hat heute bereits
dafür votiert. Vorgesehen ist eine Steuererhöhung für
„Reiche“, um den Terminus der SPD zu verwenden. Inwiefern erhöht sich der Splittingvorteil durch eine Erhöhung des Steuertarifes - auch dieser Punkt muss im Zusammenhang damit erörtert werden - und hat die
Bundesregierung bei diesem Vorhaben mit berücksichtigt, dass es durch die steuerliche Mehrbelastung an dieser Stelle zu erheblichen Entlastungen kommt?
Ich gehe davon aus, dass es bei der Gestaltung dieses
Gesetzentwurfes Abwägungsprozesse gegeben hat. Zu
der Frage, in welche Richtung die Ergebnisse konkret
führen werden, wird sich meine Kollegin Frau Hendricks äußern.
Bitte schön.
Durch den so genannten Balkon, der im Tarif vorgesehen ist - nämlich ein höherer Steuersatz ab einem zu
versteuerndem Einkommen von über 500 000 Euro bei
Verheirateten, auf die der Splittingtarif angewandt werden könnte -, erhöht sich der Vorteil nicht. Denn der maximale Splittingvorteil wird dann erreicht, wenn die Progressionszone endet und der obere Proportionaltarif
erreicht ist. Das sind bei Ehepaaren - mit zwei multipliziert - 104 000 Euro.
Herr Kollege Thiele, da es sich um eine Frage der Abgeordneten Dr. Dückert handelt, haben Sie leider nur die
Möglichkeit zu einer Zusatzfrage, die Sie bereits ausgeschöpft haben.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung.
Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Karin Roth zur Verfügung.
Wir beginnen mit der Frage 16 des Abgeordneten
Lutz Heilmann:
Beabsichtigt die Bundesregierung, den Bereich Radverkehr im Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung aus der Grundsatzabteilung in die Abteilung Straßenbau, Straßenverkehr zu verlagern, und, wenn ja, ist nach
Auffassung der Bundesregierung die Förderung des Radverkehrs, die zu erheblichen Anteilen nicht investive Maßnahmen erfordert, dann noch gewährleistet?
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung wird die
Arbeitsgruppe „Radweg“ der Abteilung „Stadtentwicklung und Wohnen“ angliedern. Die Förderung des Radverkehrs durch das BMVBS wird auch in Zukunft gewährleistet sein.
Sie haben eine Nachfrage, bitte schön, Herr Heilmann.
Ich danke Ihnen für die Antwort. - Bislang sieht der
Stellenplan im Bereich Radverkehr 2,5 Planstellen vor.
Davon ist derzeit eine unbesetzt. Daher lautet meine
Frage: Wird diese Stelle bald wieder besetzt und wird
dieser Stellenplan beibehalten oder ändert sich durch die
Wir sind immer gehalten, bei Umorganisation und
Eingliederung darauf zu achten, ob es Effizienzgewinne
beim Personal gibt. Wir haben nicht ohne Grund diese
Arbeitsgruppe der Abteilung „Stadtentwicklung und
Wohnen“ zugeordnet. Wir werden sicherlich unsere
Möglichkeiten im Rahmen der Personaleinsparverpflichtung nutzen.
Sie haben eine weitere Nachfrage, Herr Heilmann.
Sind Sie der Meinung, dass Sie mit weiteren Einsparungen in diesem Bereich der Bedeutung des Radverkehrs - in Berlin ist sie offensichtlich - gerecht werden?
Wir werden natürlich versuchen, unsere Aktivitäten
auszuweiten. Das bedarf aber auch der Initiative der
Länder und der Gemeinden. Ich würde es sehr begrüßen,
wenn Sie dies vor Ort unterstützten.
Es gibt eine weitere Nachfrage des Kollegen Hill.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Roth, ich habe
eine Frage betreffend den Nationalen Radverkehrsplan.
Wie schätzen Sie die Umsetzung dieses Plans ein und
wie ist der Stand möglicher Änderungen?
Wie ich bereits ausgeführt habe, gibt es hier mehr
Möglichkeiten der finanziellen Unterstützung. Diese
werden bislang nicht voll genutzt. Insofern sind wir vonseiten des Ministeriums gerne bereit, entsprechende Initiativen zu unterstützen. Wir machen das schon durch
Marketing und Informationsveranstaltungen vor Ort.
Aber es bedarf immer der Antragstellung. Wir haben
nichts dagegen - wir wären sogar sehr erfreut darüber -,
wenn Sie das mit uns gemeinsam auf den Weg bringen.
Vielen Dank.
Die Frage 17 des Kollegen Winkler, die Fragen 18
und 19 des Kollegen Hettlich sowie die Fragen 20 und
21 der Kollegin Deligöz werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Thomas
Rachel zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 22 der Abgeordneten Priska Hinz
auf:
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
In welcher Höhe sollen finanzielle Mittel für das European
Technology Institute, EIT, zur Verfügung gestellt werden und
aus welchen Quellen sollen diese kommen, nachdem in der
Europäischen Union bereits eine Einigung über die Finanzielle Vorausschau 2007 bis 2013 und damit auch über den
Finanzrahmen des 7. Forschungsrahmenprogramms, FRP, erzielt wurde und die Europäische Kommission bis jetzt keine
erkennbaren Signale gegeben hat, Mittel außerhalb des
7. FRP zur Verfügung zu stellen?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Frau Kollegin Hinz, auf Ihre Frage darf ich Ihnen wie
folgt antworten: In ihrer aktuellen Mitteilung zum European Technology Institute vom 13. Juni dieses Jahres
stellt die EU-Kommission heraus, dass den Mitgliedstaaten und den europäischen Stakeholdern im kommenden
Herbst im Rahmen der Folgenabschätzung zunächst eine
eingehende Finanzanalyse zur Verfügung gestellt wird.
Die Kommission hat darüber hinaus deutlich gemacht,
dass in der Anlaufphase substanzielle Summen der öffentlichen Hand benötigt werden, um den Ausbau des
EIT durchzuführen. Sie geht davon aus, dass sich die Finanzierungserfordernisse auf das Ende der Phase 2007
bis 2013 konzentrieren und dass im Kern private Geldgeber das EIT tragen.
Man muss aber einräumen, dass zurzeit keine weiter
führenden Hinweise aus der Europäischen Kommission
darauf vorliegen, in welcher Höhe finanzielle Mittel für
das EIT vorgesehen sind. Ich kann nur feststellen, dass
im 7. Forschungsrahmenprogramm die Finanzierung eines solchen europäischen Technologieinstituts nicht vorgesehen ist. Die Meinung der Bundesregierung ist, dass
eine Finanzierung nicht zulasten des 7. Forschungsrahmenprogramms und des so genannten ERC gehen darf.
Insofern ist in unseren Augen die Beantwortung der zentralen Frage nach der Finanzierung des EIT durch die
Kommission aufgeschoben worden. Die Finanzierung
bleibt ungeklärt. Wir hätten uns von der Kommission
eine vorläufige Kalkulation der Kosten und ein Finanzierungskonzept gewünscht.
Sie haben eine Nachfrage, Frau Kollegin Hinz.
Herr Staatssekretär, angesichts Ihrer Antwort und der
unsicheren Finanzierung stellt sich in der Konsequenz
umgehend die Frage, wie sicher es dann überhaupt ist,
dass das EIT verwirklicht wird. Mit welcher Haltung
geht die Bundesregierung in die weiteren Verhandlungen
mit der europäischen Ebene?
Sicher ist an dieser Stelle relativ wenig; denn wir
befinden uns in einem europäischen Meinungsbildungsprozess. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung ist schon seit den ersten Konsultationen der
Kommission proaktiv tätig, um auf der europäischen
Ebene Gesichtspunkte und Erfahrungen aus der Strukturierung nationaler Einrichtungen einzubringen. Wir haben in Deutschland durch innovative Cluster Erfahrungen gemacht.
({0})
Das ist ein Thema, das wir in diesem Zusammenhang
einbringen.
Eine weitere Nachfrage? - Bitte, Frau Hinz.
Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse darüber
vor, wie das private Kapital mobilisiert werden kann, das
die Europäische Kommission gerne auch für das EIT
mobilisieren möchte? Liegen der Bundesregierung darüber hinaus Erkenntnisse darüber vor, ob es zu einer
Stiftung kommt und Bill Gates bereits etliche Millionen
Euro bzw. Dollar zugesagt hat, um diese Stiftung zu
finanzieren?
Nein.
Wir kommen dann zur Frage 23 der Kollegin Hinz:
Wodurch wird sich das EIT von derzeit bestehenden europäischen Organisationen und Initiativen mit einem ähnlich anwendungsorientierten Forschungsansatz unterscheiden und
wie können durch ein solches Institut Forschung und Innovation vor Ort befördert werden?
Frau Kollegin, nach den Vorstellungen der EU-Kommission besteht die zentrale gemeinsame europäische
Aufgabe dieses Europäischen Technologieinstituts in der
gebündelten Anstrengung, die Leistungspotenziale im
Wissensdreieck von Ausbildung, Forschung und Innovation zur Steigerung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit auszuschöpfen. Aus Sicht der Kommission ist das
eine ganzheitliche Strategie, um hinsichtlich der Erreichung der Lissabonner Ziele in den Bereichen Ausbildung, Forschung und Innovation neue und nachhaltige
Impulse in Europa zu setzen.
Aus Sicht der Kommission soll sich das EIT in andere
EU-Initiativen einfügen. Ich nenne nur das 7. Forschungsrahmenprogramm, den Forschungsrat und die
Technologieplattformen. Es ist das Ziel, damit den Innovationsrückstand aufzuholen. Hierbei sollen nach Plänen
der Kommission der spezifische Beitrag des EIT in der
Überwindung der Fragmentierung der Wissenssektoren
in der EU, in der Schaffung eines neuen Referenzmodells und auf der Basis von Spitzenleistung sowie der
Verbesserung der Integration von Wirtschaft und Innovation in Forschung und Ausbildung liegen, um so den
Innovationsprozess in Europa zu beschleunigen. Aus
Sicht der Kommission zielt das EIT darauf, Talente und
Studierende aus der ganzen Welt anzuziehen, Innovationsmanagern ein attraktives Arbeitsfeld anzubieten
und Spitzenleistungen europaweit zu fördern.
Aus Sicht des Bundesministeriums für Bildung und
Forschung ist kritisch anzumerken, dass bis heute eine
klare Abgrenzung beispielsweise zu dem European Research Council, ERC, und damit eine verstärkte Profilbildung der europäischen Wissenslandschaft nicht zu erkennen ist.
Eine Nachfrage, Frau Hinz.
Mich würde angesichts der Fülle der Aufgaben, die
dort wahrgenommen werden sollen, interessieren, wie
speziell die Abwanderung von Nachwuchswissenschaftlern und -wissenschaftlerinnen verhindert und die Werbung um Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus
dem Ausland und von Deutschen, die im Ausland tätig
sind, nach Deutschland zu kommen, durch das EIT befördert werden können und ob die Bundesregierung in
Verhandlungen darauf drängt, dies zu einer besonderen
Aufgabe des EIT zu machen.
Die Kommission ist bisher ein in sich schlüssiges, abgewogenes und durch einen finanziellen Rahmen abgesichertes Konzept schuldig geblieben. Daher wird diese
Frage nicht beantwortet. Die Bundesregierung und das
Bundesforschungsministerium sehen in den bisher vorgelegten Eckpunkten der EU-Kommission weniger die
Lösung. Wir denken, dass ein europäischer Mehrwert
vielmehr durch eine Vernetzung der vorhandenen Institutionen erzielt werden könnte. Das meine ich aber nicht
in dem Sinne, dass beispielsweise das EIT einen ganz
anderen Schritt macht, weil es eine Rechtspersönlichkeit
ist. Dies sehen wir eher kritisch.
Zweite Nachfrage, bitte schön.
Ich sehe, dass die Bundesregierung nach wie vor eine
skeptische Haltung hat, die ich durchaus teile.
Meine zweite Nachfrage betrifft die Zeitschiene:
Wann kann die Europäische Kommission Ihrer Auffassung nach dazu kommen, überhaupt einmal ein einigermaßen schlüssiges Konzept vorzulegen, das diskutiert
werden kann und bei dem Finanzierung und Schwerpunkte klar sind? Das wäre etwas, was auf der EUEbene gemeinsam getragen werden kann.
Diese Frage müssten Sie natürlich unmittelbar an die
Europäische Kommission richten.
({0})
Ich kann Ihnen nur etwas dazu sagen, welchen Beitrag die Bundesregierung in diesem Diskussionsprozess
leistet. Sie wissen, dass wir den federführenden Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung immer über die weiteren Schritte informiert
haben. Das BMBF hat am 10. Mai in Berlin ein Symposium zur generellen Frage der Steigerung der Leistungsfähigkeit, der technologischen und anwendungsorientierten Forschung auf europäischer Ebene mit
hochrangigen Vertretern aus der Wissenschaft und der
Wirtschaft durchgeführt, um zu prüfen, welche Strukturen und Aufgaben ein EIT zukünftig haben könnte. Informationen über die Anstrengungen, die hier unternommen werden, konnten an die EU-Kommission ohne
weiteres weitergeleitet werden.
Am 20. Juni hat im Rahmen der inzwischen erfolgten
Konsultationen mit den Mitgliedstaaten eine weitere Sitzung des EIT-Expertenkreises stattgefunden, um eine
wissenschaftlich fundierte Position zum Kommissionsvorschlag zu erarbeiten. Daran haben hochrangige Vertreter der deutschen Wissenschaft und der Industrie teilgenommen, beispielsweise Professor Kutzler, Präsident
der TU Berlin, Professor Löhe, Uni Karlsruhe, Professor
Kleinert, DFG, Professor Neher von der MPG. Auf Initiative des BMBF hat am 21. Juni in Brüssel ein Workshop zum Thema „Innovative Cluster schaffen - Erfahrungen aus Deutschland, Schweden und dem Vereinigten
Königreich“ stattgefunden, um die Stärken von tatsächlich erfolgreich arbeitenden Wissenschafts- und Industrienetzen mit Vertretern der Mitgliedstaaten und der
Kommission eindeutig und eingehend zu diskutieren. In
diese Richtung denken wir und dies versuchen wir in den
europäischen Prozess einzubringen.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Wir bleiben beim
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung
und Forschung. Zur Beantwortung steht jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Andreas Storm zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 24 des Abgeordneten Dr. Hakki
Keskin von der Fraktion Die Linke auf:
Welche konkreten Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Tatsache, dass 41 Prozent der Personen mit
Migrationshintergrund in der Altersgruppe von 25 bis 35 Jahren über keinen beruflichen Bildungsabschluss verfügen?
Bitte schön.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Lieber Kollege Keskin, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Es ist das erklärte Ziel der Bundesregierung, dass Jugendliche und
Erwachsene - das gilt uneingeschränkt sowohl für
Menschen mit als auch für Menschen ohne Migrationshintergrund - eine zweite Chance erhalten, um einen
Schulabschluss nachzuholen oder um eine Ausbildung
erfolgreich zu durchlaufen. In den im Februar 2006 vom
Bundesministerium für Bildung und Forschung veröffentlichten Leitlinien der Bildungs- und Forschungspolitik wurde das Ziel formuliert, dass die Zahl der derzeit
rund 1,3 Millionen jungen Menschen ohne abgeschlossene Berufsausbildung deutlich verringert wird.
Ausgehend davon stellt die abschlussorientierte
Nachqualifizierung von an- und ungelernten jungen Erwachsenen mit und ohne Migrationshintergrund ein zentrales Handlungsfeld künftiger berufsbildungspolitischer
Aktivitäten des Bundesbildungsministeriums dar. Auch
der von Frau Bundesbildungsministerin Dr. Annette
Schavan Anfang April 2006 ins Leben gerufene Innovationskreis berufliche Bildung wird sich unter anderem
mit diesem Themenkomplex befassen und in diesem Zusammenhang Handlungsvorschläge erarbeiten. Diese
Handlungsvorschläge und Arbeitsergebnisse des Innovationskreises werden in die Planung einschlägiger Initiativen des BMBF einfließen.
Nachfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, 41 Prozent der Menschen zwischen 25 und 35 Jahren mit Migrationshintergrund haben keine berufliche Ausbildung bzw. Bildung. Bei
Menschen ohne Migrationshintergrund beträgt dieser
Anteil 15 Prozent. Mit anderen Worten: Es gibt einen
riesigen Nachholbedarf, wenn es darum geht, die Lage
der jungen Menschen mit Migrationshintergrund zu verbessern. Meinen Sie, dass Sie mit den Maßnahmen, die
Sie genannt haben, diesem Nachholbedarf gerecht werden können?
Herr Abgeordneter Keskin, zur Bewältigung dieses
Problems gibt es eine ganze Reihe von Maßnahmen, die
schon seit längerer Zeit laufen. Ich möchte einige herausgreifen.
Es gibt im Förderpaket des Bundesministeriums für
Bildung und Forschung für den Bereich der beruflichen
Bildung das Programm „Jobstarter“ mit Konzentration
unter anderem auf die Verbesserung der Situation von
Menschen mit Migrationshintergrund.
Zu den bundesweit verstärkt betriebenen Aktivitäten
zählt unter anderem eine Veranstaltungsreihe „Moscheen
aktiv für Berufsbildung“, mit der wir versuchen, insbesondere für Jugendliche aus der türkischen Bevölkerung
eine deutliche Besserung im Hinblick auf die Beteiligung an der beruflichen Bildung zu erreichen.
Ich möchte noch eine andere Initiative nennen. Wir
haben in den letzten Monaten unsere Bemühungen verstärkt, gemeinsam mit den Vertretern von Unternehmen,
deren Inhaber einen Migrationshintergrund haben, die
Ausbildungsaktivitäten zu stärken. Es gibt in unserem
Land 300 000 Unternehmen, deren Inhaber einen Migrationshintergrund haben. In diesen Unternehmen sind
mehr als 1 Million Menschen beschäftigt. Die Zahl der
Ausbildungsplätze dort beträgt derzeit nur etwa 25 000.
Wir sehen hier ein großes Potenzial, die Zahl der Ausbildungsplätze deutlich zu steigern. Deshalb ist mit den
Verbänden aus diesem Bereich sowie dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag und den Handwerkskammern das Ziel vereinbart worden, allein in diesem
Feld 10 000 zusätzliche Ausbildungsplätze bis zum
Jahr 2010 zu gewinnen. Das betrifft natürlich nicht nur
Ausbildungsplätze für Migranten; aber es ist ein wesentlicher Beitrag dazu, in dem Bereich zu einer Besserung
zu kommen.
Sie merken also: Neben den Maßnahmen, die im Innovationskreis vorbereitet werden, läuft derzeit eine
Fülle von Aktivitäten mit dem Ziel, die von Ihnen genannte Quote von 41 Prozent deutlich zu reduzieren.
Weitere Nachfrage?
({0})
- Keine Nachfrage.
Eine Zusatzfrage. Bitte schön, Frau Kumpf.
Es ist zwar nicht üblich, als Mitglied einer Regierungsfraktion die Regierung zu befragen, aber weil ein
aktueller Termin ansteht, möchte ich doch fragen. Inwieweit ist daran gedacht, beim Integrationsgipfel am
14. Juli auch die Arbeitgeber in die Pflicht zu nehmen,
für die jetzt zur Ausbildung anstehenden Jahrgänge auch
wirklich Ausbildungsplätze bereitzustellen? Ich beobachte nämlich mit Sorge, dass in Stuttgart, einer Stadt
mit einem großen Anteil von Jugendlichen mit Migrationshintergrund, die jungen Menschen mit einem solchen Hintergrund, die von der Hauptschule kommen,
sehr schlechte Chancen haben.
Frau Kollegin, die Situation der Migranten im Bereich der beruflichen Bildung ist eines der zentralen Themenfelder für den Migrationsgipfel bei der Bundeskanzlerin am 14. Juli. Unter anderem werden zu dem von mir
zuvor angesprochenen Themenfeld „Verbesserung der
Ausbildungssituation in solchen Unternehmen, deren Inhaber einen Migrationshintergrund haben“ im nächsten
Jahr acht Regionalkonferenzen veranstaltet, die jeweils
abwechselnd von der Beauftragten der Bundesregierung
für Migration, Staatsministerin Maria Böhmer, und mir
geleitet werden.
Darüber hinaus gehen unsere Anstrengungen vor allen Dingen natürlich dahin, insbesondere mit der Wirtschaft zu erreichen, dass die Beteiligungschancen für
junge Migranten insgesamt deutlich besser werden. Dieses Anliegen wird auch am 14. Juli eine zentrale Rolle
spielen.
Vielen Dank. - Damit kommen wir zur Frage 25 des
Kollegen Keskin:
Anhand welcher konkreten Kriterien beabsichtigt die Bundesregierung künftig in ihrer Bildungs- und Berufsausbildungsstatistik einen eventuellen Migrationshintergrund gesondert auszuweisen?
Herr Kollege Keskin, ich beantworte Ihre Frage wie
folgt: In der Berufsbildungs- und Hochschulstatistik
wird als migrationsrelevantes Merkmal die Staatsangehörigkeit der Auszubildenden bzw. Studierenden erhoben. Eine differenziertere Erfassung von Personen mit
Migrationshintergrund anhand verschiedener Kriterien
- solche Kriterien wären beispielsweise Geburtsort, Zuzug, Einbürgerung, Staatsangehörigkeit sowie Einbürgerung und Geburtsort beider Elternteile - ist erst durch
das Mikrozensusgesetz 2005 möglich geworden, wodurch der Mikrozensus um weitere migrationsrelevante
Merkmale ergänzt worden ist.
Nachfrage? - Keine Nachfrage.
Damit kommen wir zur Frage 26 der Kollegin Cornelia Hirsch. Sie ist aber nicht anwesend. Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Zur Beantwortung
steht der Parlamentarische Staatssekretär Franz Thönnes
zur Verfügung.
Auch die Frage 27 der Kollegin Cornelia Hirsch kann
nicht beantwortet werden, da sie nicht anwesend ist. Es
wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen.
Die Kollegin Inge Höger-Neuling, die die Frage 28
gestellt hat, sehe ich auch nicht im Saal. Die Frage wird
dementsprechend auch nicht beantwortet. Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen.
Die Frage 29 soll schriftlich beantwortet werden.
Herr Staatssekretär, es tut mir Leid, Sie sind umsonst
hierher gekommen, aber vielleicht konnten Sie bei der
Beantwortung der anderen Fragen einiges lernen.
({0})
- Schön.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Zur Beantwortung steht der Staatsminister
Gernot Erler zur Verfügung.
Die Frage 30 des Kollegen Addicks soll schriftlich
beantwortet werden.
Wir kommen zur Frage 31 des Kollegen Wolfgang
Gehrcke von der Fraktion Die Linke:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Aussagen des früheren Bundeskanzlers Gerhard Schröder vor dem Nah- und
Mittelost-Verein ({1}), in denen er direkte Gespräche mit Hamas und
der von Hamas geführten Regierung gefordert hat?
Herr Kollege Gehrcke, die Bundesregierung hat am
30. Januar 2006, also fünf Tage nach dem Wahlsieg der
Hamas vom 25. Januar 2006 und noch während der
Reise der Bundeskanzlerin nach Israel und in die palästinensischen Gebiete, eine unmissverständliche Botschaft
an die Hamas ausgesandt: Zusammenarbeit und Kontakte wird es nur geben, wenn Hamas das Existenzrecht
Israels anerkennt, Gewalt und Terror abschwört und mit
Israel geschlossene Vereinbarungen einhält. Auf der
gleichen Linie äußerten sich sowohl das Nahost-Quartett
als auch der Allgemeine Rat der EU-Außenminister.
Nachdem die Hamas in den vergangenen Monaten
eindeutige Signale in Richtung Anerkennung dieser klaren Quartett-Kritierien hatte vermissen lassen, können
wir seit gestern eine vorsichtige Hoffnung hegen. Alle
maßgeblichen politischen Parteien Palästinas haben sich
auf eine gemeinsame Erklärung geeinigt, die nach einer
ersten kursorischen Durchsicht auf einige der Kriterien
einzugehen scheint. Sie werden verstehen, dass wir die
uns erst seit heute vorliegende Erklärung noch genau
analysieren müssen; auch ist sie noch nicht unterschrieben.
Eine Nachfrage, Herr Gehrcke? - Bitte.
Herr Staatsminister, ich hatte Sie eigentlich nicht dazu
gefragt, sondern danach, wie Sie die Äußerung des ExBundeskanzlers Herrn Schröder in diesem Zusammenhang bewerten. Dazu haben Sie nichts gesagt. Ich sehe
aber ein, dass man sich leicht dem Vorwurf aussetzt, jemanden vorführen zu wollen, und das umso mehr, wenn
man erklärt, es nicht zu wollen.
Das andere, was Sie zur Initiative von Präsident
Abbas und der Hamas-Regierung gesagt haben, interessiert mich aber mehr: Die Initiative fußt ja auf dem so
genannten Gefangenenbrief von inhaftierten Fatah- und
Hamas-Leuten. Ich sehe darin eine große Chance. Ist die
Bundesregierung bereit, diesen Prozess, der zu einer Regierung der nationalen Einheit in Palästina führen
könnte, mit aller Kraft zu unterstützen? Voraussetzung
wäre natürlich die Anerkennung Israels und der Verzicht
auf Gewalt.
Herr Kollege Gehrcke, an einer Unterstützung der
Bundesregierung im Fall eines Prozesses der Verständigung auch über diese drei Ziele der internationalen Gemeinschaft wird es nicht fehlen. Es macht uns allerdings
besorgt, dass es wohl kein Zufall ist, dass parallel zu diesen Gesprächen, die Präsident Abbas im Rahmen des nationalen Dialogs mit den führenden Vertretern des politischen Teils der Hamas geführt hat, der schreckliche
Anschlag von Kerem Schalom am 25. Juni stattgefunden
hat, der zu großer Spannung im Nahostkonflikt geführt
hat. Es gibt Spuren, die darauf hinweisen, dass es im
Hamas-Lager keine völlige Einigkeit gibt. Wir müssen
die Hamas nach wie vor auffordern, auf diesem Weg
weiterzugehen und vor allen Dingen zu versuchen, diejenigen, die diesen Prozess torpedieren wollen, unter Kontrolle zu bringen.
Zweite Nachfrage; bitte, Herr Gehrcke.
Vorsichtiger Optimismus, dass dieser Weg weitergegangen werden kann, und Unterstützung dafür - das
begrüße ich. Deswegen wäre es vonseiten der Bundesregierung vielleicht auch angemessen, dass man die
schrecklichen Vorfälle der letzten Tage - die Entführung
des israelischen Soldaten und die militärischen Angriffe
auf den Gazastreifen - dazu nutzt, beide Seiten, die palästinensische Seite und Israel, aufzufordern, gerade jetzt
auf jegliche Form von Gewalt in diesen Auseinandersetzungen zu verzichten. Es ist doch kein Zufall, dass immer, wenn Hoffnung aufkeimt, solche Anschläge folgen.
Es freut mich, Herr Kollege Gehrcke, dass Sie in diesem Punkt die Haltung der Bundesregierung unterstützen, die nämlich genau das getan hat, was Sie gesagt haben: Sie hat aufgefordert, den inhaftierten israelischen
Soldaten freizulassen. Die EU hat gerade heute mit Blick
auf die weitere Entwicklung noch einmal einen Appell
an Nahost gerichtet und zur Mäßigung aufgerufen. Auch
das unterstützen wir.
Dann kommen wir zur Frage 32 des Kollegen Gehrcke:
Was hat die Bundesregierung bei der Regierung der USA
unternommen, um Aufklärung über die Ermordung irakischer
Zivilisten in Haditha im November 2005, in Ischaki im
März 2006 sowie in Hamandiya im April 2006 mutmaßlich
durch US-amerikanische Soldaten zu erlangen?
Herr Kollege Gehrcke, die Bundesregierung verfolgt
die Entwicklung der Menschenrechtslage im Irak aufmerksam und bringt diese Thematik regelmäßig bei Gesprächen mit irakischen und US-Vertretern zur Sprache.
Von den drei erwähnten Vorfällen in Haditha, Ischaki
und Hamandiya hat die Bundesregierung aus den Medien sowie aus Berichten der Vereinten Nationen und
irakischer Menschenrechtsgruppen Kenntnis erhalten.
Sie hat keine Möglichkeit, diese Berichte zu überprüfen.
Die Aufklärung und Verfolgung möglicher Straftaten
von Angehörigen der multinationalen Truppe im Irak ist
zunächst Aufgabe der Entsendestaaten und der irakischen Regierung. Die Bundesregierung hat keine Hinweise darauf, dass die Regierung der Vereinigten Staaten
von Amerika und die irakische Regierung dieser Verpflichtung nicht nachkommen. In allen drei erwähnten
Fällen haben US-Militärbehörden disziplinar- oder strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet, deren Ergebnisse
teilweise noch ausstehen. Die irakische Regierung hat
die Aufnahme eigener Ermittlungen angekündigt.
Nachfrage? - Bitte.
Ich freue mich natürlich, Herr Staatsminister, dass
sich die Bundesregierung in der Frage, die Sie vorhin beantwortet haben, einmal in Übereinstimmung mit der
Fraktion der Linken befindet. Man kann es auch so sehen.
Meine Nachfrage. Da die USA weltweit wenig überzeugend an der Aufklärung solcher und anderer Vorkommnisse arbeiten: Meinen Sie, dass es, weil rechtlich
der Internationale Strafgerichtshof nicht zur Verfügung
steht, nicht geeigneter wäre, wenn unabhängige internationale Untersuchungsorgane sich mit diesen Vorkommnissen - das ist ein schwacher Ausdruck -, mit diesen
brutalen Ereignissen auseinander setzen und dadurch
eine glaubwürdige Aufklärung schaffen?
Herr Kollege Gehrcke, bei allen internationalen Regelungen ist es so, dass zunächst einmal das betroffene
Land selber verpflichtet ist, zur Aufklärung beizutragen.
Bei den drei von Ihnen genannten Vorgängen ist das
ganz eindeutig der Fall. Im Fall Ischaki hat es eine USUntersuchung gegeben. Sie ist zu dem Schluss gekommen, dass hier kein Fehlverhalten vorliegt. Mit diesem
Ergebnis war allerdings die irakische Regierung nicht
einverstanden. Sie hat angekündigt, jetzt eine eigene Untersuchung durchzuführen.
Im Fall Hamandiya ist es bereits zur Anklage von sieben Marines und einem Matrosen gekommen. Sie wissen, dass es da um die Entführung und Erschießung von
einer Person geht. Im Fall Haditha - das ist sicher der
Aufsehen erregendste Fall; er stammt schon aus dem
November letzten Jahres -, wo es um 24 getötete Zivilisten geht, hat Präsident Bush am 1. Juni eine umfassende
Untersuchung angekündigt, deren Ergebnisse der Öffentlichkeit bekannt gemacht werden sollen. Die beiden
Häuser des amerikanischen Kongresses haben ihrerseits
angekündigt, dass sie auf der Grundlage des Berichtes
eigene Anhörungen vornehmen wollen. Das alles spricht
dafür, dass es eine sehr gründliche Aufarbeitung dieser
Fälle seitens der amerikanischen Regierung gibt.
Weitere Nachfrage? - Bitte.
Zweite Nachfrage. - Meinen Sie nicht, dass es überzeugender wäre, wenn man nicht nur die beteiligten Soldatinnen und Soldaten, also die „Kleinen“, vor Gericht
stellen würde - das muss sicherlich gemacht werden -,
sondern wenn man auch weltweit eine öffentliche Untersuchung einleiten würde, inwieweit sich diese Soldaten
auf eine generelle Anweisung zur Kriegsführung haben
stützen können bzw. inwieweit sie glaubten, sich auf
diese gestützt zu haben? Welche Verantwortung tragen
Präsident Bush, Herr Rumsfeld, Condoleezza Rice und
andere an diesen konkreten Vorkommnissen?
Herr Kollege Gehrcke, ich möchte wiederholen: Eine
in irgendeiner Form mögliche Internationalisierung solcher Untersuchungen ist nur dann begründbar, wenn es
an dem Aufklärungswillen des Landes selbst Zweifel
gibt. Ich könnte Ihnen jetzt im Detail an dem Fall
Haditha zeigen, dass auch die Kommandeure in die Untersuchungen einbezogen worden sind. Es gibt den Vorwurf, dass eventuell eine Vertuschungsaktion durchgeführt worden ist. In diesem Fall geht die Untersuchung
aber weit über die direkt beteiligten Soldaten hinaus und
erstreckt sich auch auf die zuständigen Kommandeure.
Insofern wird Ihre Unterstellung, dass darauf verzichtet
würde, die Verantwortlichen im militärischen Bereich
zur Verantwortung zu ziehen, also nicht untermauert.
Vielen Dank.
Wir kommen zu den Fragen 33 und 34 der Kollegin
Heike Hänsel, die offenkundig nicht anwesend ist. Es
wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen.
Die Frage 35 soll schriftlich beantwortet werden.
Die Fragen 36 und 37 wurden zurückgezogen.
Vielen Dank, Herr Staatsminister.
Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung steht der
Parlamentarische Staatssekretär Dr. Christoph Bergner
zur Verfügung.
Die Fragen 38 und 39 werden nicht beantwortet, weil
der Kollege Roland Claus nicht anwesend ist. Es wird
verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen.
Die Fragen 40 und 41 sollen schriftlich beantwortet
werden.
Die Fragen 42 und 43 können ebenfalls nicht beantwortet werden, weil die Kollegin Ulla Jelpke von der
Fraktion Die Linke nicht anwesend ist.
({0})
Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Es tut mir Leid, Sie
haben sich umsonst hierher bemüht.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung steht die
Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks
zur Verfügung.
Die Fragen 44 und 45 der Kollegin Christine Scheel,
die Fragen 46 und 47 der Kollegin Kerstin Andreae, die
Frage 48 der Kollegin Dr. Thea Dückert sowie die Fragen 49 und 50 des Kollegen Dr. Gerhard Schick sollen
schriftlich beantwortet werden.
Ich rufe nun die Frage 51 der Kollegin Ute Koczy auf:
Wer ist im Ressortkreis federführend mit der Entwicklung
eines deutschen Vorschlags für eine Flugticketabgabe bzw.
Flugticketsteuer beauftragt und bis wann ist mit einer Abstimmung und Entscheidung diesbezüglich zu rechnen?
Bitte schön, Frau Hendricks.
Danke, Herr Präsident. - Frau Kollegin Koczy, es gibt
keine Beauftragung eines Ministeriums mit der Entwicklung eines deutschen Vorschlags für eine Flugticketabgabe und auch keine zeitlichen Vorgaben für eine diesbezügliche Abstimmung und Entscheidung.
Eine Nachfrage, bitte schön.
Dazu habe ich natürlich eine Nachfrage. Wieso ist
dies nicht der Fall, da wir doch wissen, dass am 1. Juli
die Franzosen, die schon sehr viel weiter sind, eine Flugticketabgabe einführen? Warum plant die Bundesregierung in diesem Zusammenhang keine weiteren Aktivitäten? Warum ist niemand dafür zuständig?
Die Bundesregierung hat noch keine endgültige Entscheidung darüber getroffen. Selbstverständlich ist klar,
dass eine Federführung, sofern die Bundesregierung sich
entscheidet, dem näher zu treten, baldmöglichst festgelegt werden wird. Aller Voraussicht nach läge die Federführung dann beim Bundesministerium der Finanzen,
natürlich in enger Abstimmung mit dem Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung.
Allerdings muss man bedenken, dass wir in der Bundesrepublik Deutschland eine andere Verfassungslage
haben, als es in Frankreich der Fall ist. Es ist zum Beispiel zu beachten, dass eine Flugticket-Tax eine Verkehrsteuer wäre, deren Aufkommen nach den Regeln des
Grundgesetzes den Ländern zustehen würde und infolgedessen nicht in die verstärkte Entwicklungszusammenarbeit fließen könnte. Diese Fragen werden natürlich auf
Arbeitsebene überprüft und vorangetrieben. Aber es gibt
noch keine Entscheidung, ob und, wenn ja, wann mit den
Arbeiten zu einem Gesetzgebungsverfahren begonnen
werden soll.
Zweite Nachfrage, bitte.
Heute wurden im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zwei Anträge jeweils
von der Fraktion der Linken und der Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen zu diesem Thema mit dem
Versprechen von der Tagesordnung abgesetzt, dass dazu
eine Erarbeitung stattfindet. Kann ich Ihren Äußerungen
entnehmen, dass die Bundesregierung zielführend daran
arbeitet, eine Flugticketsteuer einzuführen?
Die Bundesregierung ist daran interessiert, die damit
verbundenen Probleme auszuräumen.
Dann kommen wir zur Frage 52 der Kollegin Koczy:
Welches neue Finanzinstrument kann, wie im Koalitionsvertrag von den Regierungsparteien angekündigt, aus Sicht
der Bundesregierung als Beitrag zur Umsetzung des EU-Stufenplans zur Erreichung des 0,7-Prozent-Ziels kurzfristig in
Deutschland zum Einsatz kommen und welche zusätzlichen
Mittel erwartet sie dadurch zu erwirtschaften?
Die Bundesregierung hat noch keine Entscheidung
über die Einführung eines innovativen Finanzierungsinstruments für die Entwicklungszusammenarbeit getroffen. Aussagen über mögliche Erlöse von einzelnen in der
Diskussion stehenden Möglichkeiten können daher zurzeit nicht gemacht werden.
Nachfrage? - Bitte.
Wir sprechen ja darüber, dass wir das 0,7-ProzentZiel erreichen wollen. Bundeskanzlerin Merkel hat
mehrfach betont, dass wir dieses Ziel erreichen müssen.
Sehen Sie neben der Flugticketsteuer andere Möglichkeiten, das 0,7-Prozent-Ziel zu erreichen?
Im Zusammenhang mit den Verabredungen auf europäischer Ebene und im G-7-Kreis ist immer von innovativen Finanzierungsinstrumenten die Rede gewesen. Solche sind zum Beispiel in Frankreich und Großbritannien
in Form einer Flugticket-Tax auf den Weg gebracht worden. Natürlich kann man eventuell an andere Möglichkeiten denken. Aber es liegt nicht nahe, andere Finanzierungsmöglichkeiten zu finden.
Allerdings muss klar sein, dass nach dem deutschen
Recht bei einer Abgabe ein innerer Zusammenhang zwischen der Abgabe selbst und dem Zweck, für den sie
verwandt wird, bestehen muss. Deswegen würde es in
Deutschland näher liegen, ein solches Finanzierungsinstrument nicht als Abgabe, sondern als Steuer aufzufassen. Das wäre rein rechtlich möglich.
Ich muss im Übrigen davor warnen, dass eine wie
auch immer ausgestaltete Flugticket-Tax, vergleichbar
etwa der in Frankreich, einen großen Schritt auf dem
Weg zur Erreichung des 0,7-Prozent-Ziels darstellen
würde. Das wäre ein verhältnismäßig kleiner Schritt.
Ihre zweite Nachfrage, bitte.
Die Aufstockung der Mittel im Rahmen der ODAVerpflichtung und damit die Einführung einer Flugticketsteuer ist eine OECD-Verpflichtung. Die OECD
fragt uns über die EU durchaus an, wie wir den ODAStufenplan erreichen wollen. Wie sieht es mit einer Konkretisierung durch einen Umsetzungsplan aus?
Dies wird zumindest durch die mittelfristige Finanzplanung konkretisiert werden müssen.
Das war das Ende der Fragestunde; denn alle übrigen
Fragen sollen schriftlich beantwortet werden. - Vielen
Dank, Frau Staatssekretärin.
Jetzt ist zu klären, ob wir mit der Aktuellen Stunde
sofort beginnen können. - Frau Kumpf, Herr Kelber ist
wohl noch nicht anwesend?
({0})
- Wo ist er? Aha, da ist er.
Dann darf ich die Parlamentarischen Geschäftsführer
fragen, ob sie damit einverstanden sind, dass wir mit der
Aktuellen Stunde sofort beginnen. Gibt es Widerspruch? Das ist nicht der Fall.
Die Bundesregierung lässt mich gerade wissen, dass
der Vertreter des Wirtschaftsministeriums noch nicht anwesend ist, sie aber möchte, dass er bei dieser Debatte
anwesend ist. Es war vereinbart, dass die Aktuelle
Stunde erst 15.45 Uhr beginnen sollte. Deswegen müssen wir, denke ich, darauf Rücksicht nehmen.
Mit Ihrem Einverständnis unterbreche ich daher die
Sitzung für wenige Minuten und werde sie bei Eintreffen
des Vertreters des Wirtschaftsministeriums wieder eröffnen.
({1})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Ich
bitte, Platz zu nehmen.
Die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen hat zur
Antwort der Bundesregierung auf die dringlichen Fragen 5 und 6 eine Aktuelle Stunde beantragt. Ich darf die
Fragen noch einmal kurz vorlesen. Dringliche Frage 5
lautet:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung der nordrhein-westfälischen Landesregierung, deren Innovationsminister, Dr. Andreas Pinkwart, laut Medienberichten ... den Bau eines neuen Atomreaktors
am Standort Jülich angeregt hat, und ist diese Position mit der Bundesregierung abgestimmt?
Die dringliche Frage 6 lautet:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Vorschläge
des Innovationsministers von Nordrhein-Westfalen,
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Andreas Pinkwart, bezüglich ihrer atomrechtlichen Konsequenzen und bezüglich der Diskussion
um die Änderung der Restlaufzeiten?
Ich rufe daher auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Atompolitik der Bundesregierung
Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat
das Wort die Kollegin Bärbel Höhn von Bündnis 90/Die
Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In
der Fragestunde hat der Umweltminister sehr klar Stellung bezogen. Er hat gesagt, die Bundesregierung hält
am Atomausstieg fest. Er hat auch gesagt, der Ringtausch von Laufzeiten mit dem Ziel, die Laufzeiten älterer Atommeiler zu verlängern, findet nicht statt und wird
von der Bundesregierung abgelehnt. Über diese klaren
Aussagen haben wir uns sehr gefreut.
Herr Minister Gabriel, ich weise Sie aber darauf hin,
dass es diesbezüglich keinen klaren Kurs der Bundesregierung gibt. Heute haben wir den 28. Juni. Mir liegt
eine Meldung von Reuters vom 23. Juni vor, die sich auf
eine Veranstaltung vom 22. Juni in Düsseldorf bezieht,
bei der der Bundeswirtschaftsminister Michael Glos anwesend war. Ich zitiere aus der Meldung von Reuters:
„Wir müssen einen breiten Energiemix von der
Braunkohle bis zur Atomenergie aufrechterhalten“,
sagte der CSU-Politiker
- Michael Glos bei einer Diskussionsveranstaltung am Donnerstag
in Düsseldorf. Er halte es für falsch, dass Deutschland aus der Atomkraft aussteigen wolle.
({0})
- Sehen Sie, Herr Gabriel? Was machen Sie jetzt mit Ihren Kollegen aus der Koalition?
Es sei absurd, wenn Atommeiler, die technisch weiter betrieben werden könnten, „aus ideologischen
Gründen“ vom Netz genommen werden sollten …
Er sei optimistisch, dass es nicht dazu kommen
werde, dass Atomkraftwerke bereits in dieser Legislaturperiode abgeschaltet werden würden, fügte
der Minister hinzu. Dazu gebe es etwa die Möglichkeit der Quotenübertragung. Als eine Möglichkeit
zur Umgehung des Atomausstiegs wird zwischen
den Versorgern ein Ringtausch von Restlaufzeiten
erwogen. Glos übte zugleich Kritik an Umweltminister Sigmar Gabriel. Er wisse nicht, ob es richtig
sei, wenn der SPD-Politiker die Politik seines grünen Vorgängers Jürgen Trittin kopiere. „Niemand
ist davor geschützt, klüger zu werden“, sagte Glos
weiter …
({1})
Kritik übte Glos zugleich an der Förderung erneuerbarer Energien. Deren Sinnhaftigkeit müsse überprüft werden. Die Förderung könne sich die Bundesrepublik eigentlich nicht leisten, fügte er hinzu.
So viel zu der klaren Position der Bundesregierung. Deshalb haben wir diese Aktuelle Stunde beantragt.
({2})
Ich werde heute gar nicht auf die gesundheitlichen Risiken eingehen. Ich sage Ihnen: Auch wirtschaftlich
rechnet sich Atomkraft nicht.
({3})
Ich werde hier und heute nur diesen einen Punkt darlegen. Der Vorschlag von Pinkwart, ein neues Atomkraftwerk zu bauen, ist absurd, ein energiepolitischer Irrweg
und haushaltspolitisch unverantwortlich.
({4})
Ich mache das an dem Typ Atomkraftwerk deutlich,
den Pinkwart gefordert hat, nämlich an dem Hochtemperaturreaktor, Typ Pinkwart, den wir in Nordrhein-Westfahlen, in Hamm-Uentrop, schon einmal hatten: Baukosten 2 Milliarden DM, Gesamtkosten inklusive aller
Entsorgungskosten - so ist es den Zeitungen zu entnehmen - 5 Milliarden DM.
Wissen Sie, wie lange dieser Reaktor, der Zukunftsreaktor von Herrn Pinkwart, dann letzten Endes am Netz
war? 426 Volllasttage. Das heißt, jeder Tag Volllast hat
die Menschen 10 Millionen DM gekostet. Das sind die
Kosten des Zukunftsreaktors, den Pinkwart nach vorne
bringen will. Das wollen wir nicht.
({5})
Von den 5 Milliarden DM, die dieser Reaktor gekostet
hat, haben die Steuerzahler letzten Endes vier Fünftel
gezahlt. Den Rest haben letztlich die Energiekonzerne
gezahlt. Aber die Steuerzahler haben die Hauptlast dieser absurden Summe von 5 Milliarden DM gezahlt. Ich
spreche noch nicht einmal über den schnellen Brüter von
Kalkar. Auch der ist ein Milliardengrab für die Steuerzahler.
Das gilt übrigens auch für die Forschung. Denn
Pinkwart ist nicht nur Forschungsminister, sondern auch
Chaosminister,
({6})
er war nämlich Forscher in der Chaostheorie. Das kann
er offensichtlich sehr exzellent.
({7})
Jetzt ist er Forschungsminister. Ich nehme einmal das
Beispiel des Forschungsreaktors Jülich. Dieser Forschungsreaktor ist 1988 stillgelegt worden. Der Rückbau
kostet die Steuerzahler mindestens 500 Millionen,
wahrscheinlich 600 Millionen Euro. Auch das haben wir
der früheren Regierung zu verdanken, nämlich dem damaligen Minister Riesenhuber, der gesagt hat: Bei den
Kosten für die Forschungsreaktoren zahlen die Betreiber
1 Milliarde Euro, den Rest der Staat. Die Steuerzahlerinnen und -zahler sind jetzt verpflichtet, für die gesamten
Reaktorkosten aufzukommen.
Das alles sind Milliardengräber. Wir wollen endlich
aus der Atomenergie aussteigen, und zwar aus vielen
Gründen, unter anderem auch aus wirtschaftlichen Gründen. Deshalb schaffen Sie Klarheit in dieser Bundesregierung! Geben Sie keine falschen Signale! Ansonsten
werden sie von Ministern wie Pinkwart aufgegriffen.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Marie-Luise Dött von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe
ein gewisses Verständnis für die grüne Opposition, die
nach jedem möglichen Zipfel greift, um eine Aktuelle
Stunde anzuzetteln. Zunächst sollten angebliche Äußerungen des nordrhein-westfälischen Innovationsministers zum Neubau eines Reaktors als Aufhänger für diese
Aktuelle Stunde dienen. Inzwischen ist klargestellt, dass
in Nordrhein-Westfalen kein Neubau eines Kernreaktors
geprüft wird.
({0})
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen musste also flugs
die Überschrift für die heutige Aktuelle Stunde ändern,
um doch noch einen Aufhänger zu konstruieren.
({1})
Nachdem das dann auch nicht so richtig lief, wurde das
Spielchen mit der Geschäftsordnung weitergetrieben.
Nun diskutieren wir also, obwohl es nichts Neues zu diskutieren gibt.
({2})
In der Koalitionsvereinbarung von Union und SPD ist
ausdrücklich festgehalten, dass bezüglich der Nutzung
von Kernenergie zur Stromerzeugung unterschiedliche
Auffassungen bestehen und deshalb an der geltenden
Rechtslage nichts geändert wird.
({3})
Das heißt aber noch lange nicht, dass für die Koalitionsfraktionen und die Parteien damit ein Maulkorb zum
Thema Kernenergie verhängt wurde. Überhaupt kein
Grund zur Aufregung und für die heutige Diskussion
kann darin bestehen, dass sich ein Mitglied einer Landesregierung zur weitergehenden Forschung in der Reaktortechnik äußert.
({4})
Denn gerade dazu ist in der Koalitionsvereinbarung ganz
klar festgehalten, dass für CDU/CSU und SPD der sichere Betrieb der Kernkraftwerke höchste Priorität hat
und wir in diesem Zusammenhang die Forschung fortsetzen und ausbauen.
({5})
Insoweit steht das, was Innovationsminister Pinkwart für
NRW angekündigt hat, in völliger Übereinstimmung mit
dem, was die Koalitionsfraktionen in Berlin beschlossen
haben.
({6})
Lassen Sie mich darüber hinaus sagen, dass ich es außerordentlich begrüße, dass NRW die Reaktorforschung
verstärken will.
({7})
Denn gerade in den vergangenen sieben Jahren auch grüner Regierungsverantwortung wurde die Reaktorforschung auf null reduziert. Dem dadurch entstandenen
Know-how-Verlust und der mittlerweile fehlenden Kompetenz in Deutschland, einem Land, das in diesem Bereich weltweit eine Spitzenposition eingenommen hatte,
muss dringend entgegengewirkt werden.
({8})
Daher kann ich es nur begrüßen, wenn sich NRW zu
einer zukunftsoffenen Forschungspolitik bekennt und
diese vorantreibt. Angesichts der großen Herausforderungen, in den nächsten Jahrzehnten eine sichere, umweltbewusste und preisgünstige Energieversorgung zu
gewährleisten, können wir es uns nicht erlauben, auch
nur auf eine einzige mögliche Zukunftsoption, die die
Forschung eröffnen könnte, zu verzichten.
Meine Damen und Herren, die Grünen hängen sich in
den letzten Tagen gerne an angeblichen Versuchen der
Atomwirtschaft auf, die Laufzeiten älterer Atommeiler
durch so genannte Ringtausche zu verlängern, wie sie in
ihrem ursprünglichen Antrag auf Durchführung einer
Aktuellen Stunde formuliert haben. Ich frage mich, was
das soll. Fakt ist doch, dass das Atomgesetz unter der
Verantwortung eines grünen Umweltministers geändert
und in § 7 Abs. 1 die Elektrizitätsmengenübertragung
geregelt wurde. Es ist heute geltendes Recht, dass eine
Elektrizitätsmengenübertragung auf eine jüngere Anlage
jederzeit möglich ist
({9})
und dass eine Übertragung auf eine ältere Anlage der
Zustimmung des BMU im Einvernehmen mit dem BunMarie-Luise Dött
deswirtschaftsministerium und dem Bundeskanzleramt
bedarf.
({10})
Ich wiederhole: Unter der Verantwortung der Grünen
wurde den Energieversorgungsunternehmen diese rechtliche Möglichkeit eröffnet.
Eine ganz andere Frage ist, ob von dieser Rechtsmöglichkeit auch Gebrauch gemacht wird. Fakt ist, dass es
bislang keine „Versuche“ - so wörtlich - gab. Es liegt
bei den Energieversorgungsunternehmen, entsprechende Anträge zu stellen. An diesem Vorgehen gibt es
nichts Anrüchiges. Es handelt sich um die legale Ausschöpfung der von den Grünen miteröffneten Möglichkeiten. Da bislang jedoch noch keine Anträge gestellt
wurden, erübrigt es sich, sich hier in Spekulationen zu
versteigen. Ich halte aber fest: Sollten solche Anträge
gestellt werden, dann werden diese von der Bundesregierung nach geltendem Recht geprüft und beschieden.
Damit diese Aktuelle Stunde vielleicht doch noch einen Sinn erhält, spreche ich jetzt den anderen Bereich
der Kernenergienutzung an: die Frage der Entsorgung
und Endlagerung radioaktiver Abfälle. Denn ein Argument, das vonseiten der Grünen immer gegen die Nutzung der Kernenergie angeführt wird, ist, die Entsorgungs- und Endlagerfrage sei ungelöst. Diese
Argumentation finde ich unanständig und verwerflich.
Denn in den letzten sieben Jahren, in denen das Umweltministerium unter der Federführung des grünen Ministers Trittin stand, wurde die Lösung dieses Problems verzögert und die Verantwortung in dieser Frage bewusst
auf die kommenden Generationen verschoben. Damit
muss jetzt endlich Schluss sein.
({11})
Das Wort hat die Kollegin Ulrike Flach von der FDPFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe
das Gefühl: Immer wenn die Wörter „Kernspaltung“
oder „Kernreaktor“ erwähnt werden, reagieren Sie, Frau
Höhn, mit einer Art pawlowschem Reflex. Aber das
wird an der Realität nichts ändern. Es wird Ihnen auch
nicht helfen, eine Situation herbeizureden, die gar nicht
so gewesen ist, wie Sie sie darstellen.
({0})
Frau Dött hat gerade sehr deutlich gemacht, welche
Position sowohl der schwarze als auch der gelbe Teil der
Landesregierung von Nordrhein-Westfalen haben. Noch
in dieser Woche werden die Umweltpolitiker der FDP
mit einem Antrag klarstellen: Weder die Landesregierung Nordrhein-Westfalens noch der dortige Innovationsminister Pinkwart noch die FDP im Bund wollen,
dass in Deutschland ein neuer Kernreaktor gebaut wird.
({1})
Es wäre sehr erstaunlich, wenn die Politik das wollte,
liebe Frau Höhn. Es gibt kein Unternehmen, das das
will, und keine diesbezügliche Anfrage. Lassen Sie uns
diesen Fakt betrachten und lediglich über eine Verlängerung der Laufzeiten reden. Wie Frau Dött gerade gesagt
hat, tun das ja viele Menschen.
({2})
So können wir eine sehr runde und sachliche Diskussion
führen.
Ich will die Damen und Herren von der SPD darauf
hinweisen, dass Herr Clement noch vor zehn Tagen
nichts anderes als Herr Pinkwart gesagt hat.
({3})
Bis vor wenigen Tagen war er immerhin Ihr Wirtschaftsminister. Es wäre gut, wenn Sie auch einmal zur Kenntnis nehmen würden, was in Ihren eigenen Reihen vor
sich geht.
({4})
Nun möchte ich mich mit den Fragen auseinander setzen, die Ihre Betroffenheitskultur immer so sehr anreizen:
({5})
Erstens. Wir betrachten die Kernspaltung als eine
Übergangstechnologie. Andere Länder tun das nicht.
Weltweit werden zurzeit in China, in Südafrika und in
Finnland Anträge auf den Bau neuer Kernkraftwerke gestellt.
({6})
Schweden und England denken darüber nach. Vor diesem Hintergrund frage ich Sie als Forschungspolitikerin
in aller Deutlichkeit: Wollen wir unsere Kompetenz auf
dem Gebiet dieser offensichtlich von vielen Ländern auf
der Welt als zukunftsträchtig erachteten Technologie
völlig versanden lassen? Können wir das wollen?
({7})
Ist es das, was in diesem Land unter „Exzellenzinitiative“ zu verstehen ist? Sie sagen unseren Forschern - das
habe ich eben wieder gehört - einfach: Geht doch nach
Amerika! Wir tun auf diesem Gebiet also nichts anderes
als das, was Rot-Grün auf dem Gebiet der Roten
Gentechnik gemacht hat und wo Sie auf dem Gebiet der
Grünen Gentechnik gerade wieder dabei sind: Obwohl
die Weltwirtschaft heute global funktioniert, vertreiben
Sie diejenigen, die in unserem Lande Spitzentechnologie
machen, aus Deutschland.
({8})
Zweitens. Wenn wir unabhängig von Öl und Gas werden wollen - das werden wir alle hier wollen; ich glaube,
es gibt hier keine Fraktion, die das nicht möchte -, dann
müssen wir unsere Energieforschung eben auch darauf
ausrichten und Erkenntnisse nutzen, die wir im Zusammenhang mit Hochtemperaturreaktoren in der Vergangenheit gewonnen haben, und zwar zum Einstieg in die
Wasserstofftechnologie. Da müssten wir bei Ihnen doch
eigentlich offene Türen einrennen, Frau Höhn.
({9})
Die Thoriumhochtechnologie ist ein hoch interessantes
Forschungsgebiet, und die Bedeutung der Produktion
von Wasserstoff für den Einstieg in die Brennstoffzellentechnologie ist unumstritten, übrigens auch in Ihren eigenen Reihen.
({10})
Nichts anderes hat der Innovationsminister Pinkwart
gesagt. Es ist folgerichtig, dass ein Industrieland wie
Nordrhein-Westfalen unter einer schwarz-gelben Regierung überlegt, wie man sich an Forschungen, wie sie
überall auf der Welt stattfinden, beteiligen kann.
({11})
Was wären wir denn für ein Forschungsstandort, wenn
wir das nicht täten?! Ich muss mich schon wundern über
Herrn Gabriel, der ungefähr wie bei der roten Stammzelle
({12})
- Entschuldigung, der Roten Gentechnik - erklärt hat,
das sei nicht zulässig. Sie wissen, dass unsere Forscher
vor Ort mit Simulationen arbeiten.
({13})
Selbstverständlich können sie das dann tun. Herr Gabriel, Sie haben versucht, hier ganz lässig etwas als Wahrheit darzustellen, was keine ist - und übrigens auch von
Pinkwart nie so gesagt worden ist.
({14})
Unter dem Strich haben wir in Nordrhein-Westfalen
hoch qualifizierte Forscher, die überall vernetzt in
Deutschland arbeiten. Ich bin stolz, dass die Landesregierung bereit ist, diese Qualifikationen weiter zu nutzen. Sie können sicher sein, dass es keinen Liberalen in
diesem Lande gibt, der Ihnen morgen ein Kernkraftwerk
vor die Tür setzt, Frau Höhn; da brauchen Sie keine
Angst zu haben.
({15})
Das Wort hat jetzt der Kollege Ulrich Kelber von der
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es wird
langsam zum wöchentlichen Running Gag, dass jemand
eine Verlängerung der Laufzeiten von Kernkraftwerken
fordert. Dass so etwas noch immer ein mediales Echo
findet, halte ich für ein Zeichen, dass wir anscheinend
keine schwerwiegenderen Probleme haben.
Frau Höhn, Sie haben der Meinung des Privatbürgers
Glos, der sich selbstverständlich an Recht und Gesetz, an
Koalitionsvertrag und Verabredungen im Kabinett gebunden fühlt, etwas zu viel Platz in Ihrer Rede eingeräumt, Sie haben ihn etwas zu lange zitiert.
({0})
Als nordrhein-westfälischer Bürger muss ich sagen, dass
die Debatte der letzten Woche für mich natürlich interessant war. NRW war einmal Energieland Nummer eins.
Das hat sich etwas verändert. Was die Haltung zur
Atomenergie angeht, weiß man nicht so recht: Rüttgers
hat sich, zumindest aus seiner Sicht, klar geäußert, er
möchte da nichts ausbauen; ein weiteres Mal geäußert
hat er sich allerdings nicht. Pinkwart hat ein Interview
gegeben, aus dem man vieles herauslesen kann. Wenn er
merkt, dass es komisch wird, zieht er sich zurück. Er hat
allerdings schon gesagt, er möchte einen Forschungsreaktor als Kern eines kommerziell betriebenen THTR haben; das war seine Kernaussage, und er hat sie wiederholt. Frau Thoben sagt auch: Ja, vielleicht. Doch was für
einen Sinn soll es machen, einen Forschungsreaktor für
eine Reaktorlinie zu bauen, die man in Deutschland nach
Recht und Gesetz nie wird betreiben dürfen? Das wird
vielleicht ein weiterer Redner oder eine Rednerin erklären.
({1})
Energieland Nummer eins heißt natürlich auch: Man
möchte weniger Kohle. Man möchte die erneuerbaren
Energien prinzipiell ausbauen. Doch die Bauverordnung
verändert man so, dass man wenig Windenergie und weniger Biomasse hat, und man bereitet eine Gemeindeordnung vor, die den Stadtwerken das Leben so erschwert,
dass sie als Konkurrenten auf dem Energiemarkt nicht
auftreten können. Irgendwann muss mir jemand erklären, wo die Energie in NRW in Zukunft herkommen soll.
Aber zurück zum THTR-Vorschlag. Mich als nordrhein-westfälischen Bürger und Abgeordneten der Stadt
Bonn interessiert natürlich, wofür mein Land eigentlich
Geld hat. Die wollen also einen Forschungsreaktor
bauen - eventuell, vielleicht doch nicht, aber man redet
schon einmal darüber mit den Medien -, und das ohne
Bundeszuschüsse,
({2})
also nur aus Landesmitteln. Dies sagt ein Landeskabinett, das gerade die Kindergartenzuschüsse massiv um
über 100 Millionen Euro kürzen will, was über 10 Prozent wären. Da es sich das doch nicht traut, hebt es den
Betrag schnell wieder um 40 Millionen Euro an und gibt
darüber eine Pressemitteilung heraus, in der steht, dass
man 40 Millionen Euro mehr für Kindergärten ausgeben
werde, nachdem man die Mittel vorher um 105 Millionen Euro gekürzt hat.
({3})
Dieses Landeskabinett kürzt bei sämtlichen Forschungsinstituten in NRW die Mittel, es kürzt die Anzahl der
Stellen, die den Universitäten ursprünglich zugestanden
wurden, und es kürzt bei den Fachhochschulen. Auf einmal kündigt es aber an, ohne Bundeszuschüsse einen Forschungsreaktor bauen zu wollen. Ich finde das spannend.
({4})
Die Zahlen hat Frau Höhn genannt. Man kann die anderen Zahlen noch dazu nennen. Es bleiben 390 Tonnen
Atomschrott übrig. Nach 2009 ist die Finanzierung der
jährlich 6,5 Millionen Euro allein für den Erhaltungsbetrieb bei Schließung des bestehenden THTR offen. Wer
irgendwann die Endlagerung bezahlt, ist auch offen.
Jetzt wollen Sie die nächste Variante davon bauen. Ich
finde das spannend.
Es ist zu Recht erwähnt worden, dass bei den Themen
Ringtausch, Übertragung und Ähnliches ein Blick ins
Gesetz oft eine Pressemitteilung ersparen könnte.
({5})
Darin steht, was erlaubt ist und was nicht erlaubt ist.
({6})
Jeder Ringtausch und jede andere Idee werden immer an
folgende Stelle stoßen: Um sich den Weiterbetrieb bestimmter Kraftwerke, die in den nächsten Jahren abgeschaltet werden sollen, zu ersparen, muss man irgendwann von einem neueren auf ein älteres Kraftwerk
übertragen. Auf die Begründung dafür, warum man das
nach den Buchstaben des Gesetzes tun kann, bin ich einmal gespannt. Ich sehe sie nicht.
({7})
Letzter Punkt. Es bleibt dabei: Atomkraftfreunde sind
Monopolfreunde.
({8})
Das Argument lautet immer: Wir müssten die Atomkraftwerke doch nur länger laufen lassen, dann würde
die Höhe der Stromrechnungen sinken. Jetzt sind die
Stromrechnungen aber hoch, obwohl die deutschen
Atomkraftwerke mit voller Last laufen. Mehr Atomkraft
als im Augenblick hat es in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie gegeben. In dem Bundesland, in dem
es den höchsten Anteil an der Atomkraft gibt, nämlich in
Baden-Württemberg, sind die Stromrechnungen am
höchsten. Wie kann man denn an dieser Stelle trotzdem
immer wieder das Gleiche sagen?
Hierzu gibt es zudem einen besonderen Aspekt: Die
Atomkraftwerke in Deutschland werden von den vier
Energiemonopolisten betrieben, die zusammen einen
Anteil von 90 Prozent am Markt haben. Wer die Debatte
über längere Laufzeiten führt und die Atomkraftwerke
wirklich länger laufen lässt - für den gilt das ganz besonders -, der gibt nur ein einziges Signal an den Markt:
Liebe Wettbewerber, in Deutschland lohnt es sich für
euch nicht, zu investieren, weil wir beschlossen haben,
vom Steuerzahler subventionierte Kraftwerke am goldenen Ende weiterhin hoch subventioniert - Versicherungsbereich, Endlager und Ähnliches - weiterlaufen zu
lassen. Damit können wir euch jederzeit im Wettbewerb
fertig machen.
({9})
Deswegen ist es notwendig, mehr auf Wettbewerb zu
setzen. Dies passiert übrigens auch beim Emissionshandel. Das wird von den Grünen zu Unrecht verschwiegen.
({10})
Dort ist einiges drin. Es gibt große Ankündigungen von
Wettbewerbern, die jetzt einsteigen wollen und darauf
vertrauen, dass das Atomgesetz so Bestand haben wird,
wie es verabredet ist.
Es bleibt übrig: Wer Wettbewerb haben will, muss für
den Atomausstieg sein, wer für Atom ist, ist ein Monopolistenfreund.
Vielen Dank.
({11})
Das Wort hat der Kollege Hans-Kurt Hill von der
Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! In Sachen Atomenergie steigt die Zahl der
Problembären sprunghaft an, nur dass diese sich dieses
Mal selbst erlegen.
({0})
- Die erlegen sich jetzt selbst.
Zwar hat sich Minister Pinkwart in Sachen neue
Atommeiler jetzt wieder in die Büsche geschlagen, doch
dass der Innovationsminister in Nordrhein-Westfalen die
strahlende Atomtechnik für eine tolle Sache hält, ist bekannt.
({1})
Ich kann jedem nur empfehlen, sich einmal die Beiträge
auf einer Veranstaltung der RTWH in Aachen vor zwei
Monaten durchzulesen, um zu sehen, was er dazu gesagt
hat. Dann kommen wir nämlich auf den Punkt, den er
jetzt angesprochen hat.
Er befindet sich allerdings in illustrer Gesellschaft.
Die FDP hier im Haus will die Schächte Konrad und
Gorleben mit aller Kraft und Macht unbedingt durchdrücken. Ich sage nur: Fachliche Bedenken und Sorgen der
Menschen sind Ihnen dabei egal.
({2})
- Doch. - Ich sage nur eines: Ich bin ganz froh, dass
Minister Gabriel zumindest bislang diesbezüglich eine
andere Zielvorgabe hat.
({3})
Bundeswirtschaftsminister Glos, Hessens Ministerpräsident Koch und auch dem Herrn Oettinger aus BadenWürttemberg ist das aber immer wieder einmal eine
Schlagzeile wert. Sie wenden sich damit zwar gegen das
geltende Atomrecht, aber, wie gesagt, so kommen sie
wieder in die Zeitung. Damit soll meines Erachtens auch
Stimmung für die Atomkraft gemacht werden.
Mit solchen Reden erweisen Sie diesem Land einen
Bärendienst. Eine derart - das sage ich bewusst - ideologische Atomdebatte geht gänzlich an der Realität vorbei.
({4})
Nichts zeigt dies besser als die radioaktive Ruine des
Atomreaktors von Hamm-Uentrop; Frau Höhn, Sie haben eben darauf hingewiesen. Dessen Technik hält Herr
Pinkwart für zukunftsfähig. Die angeblich sichere Technologie endete nach nur fünf Jahren als Störfall, bei dem
Radioaktivität freigesetzt wurde und ein GAU nur knapp
vermieden werden konnte. Die Region entging nur
knapp einer Katastrophe.
({5})
Ich komme zu den Kosten. 2 Milliarden Euro an Steuergeldern wurden für den Bau in den Sand gesetzt. Diese
2 Milliarden Euro fehlen uns nun in anderen Bereichen.
Die Atomforschung erweist sich immer wieder als Milliardengrab. Aber Sie von der FDP und der CDU/CSU
reden der Atomlobby munter das Wort und fordern weitere Milliarden nach dem Motto: Vielleicht klappt es
beim nächsten Mal, der nächste Reaktortyp ist bestimmt
noch sicherer. Wir sehen das anders.
Sie übersehen bei Ihren Vorstellungen, dass die
Atomenergie die Versorgungssicherheit reduziert. Uran
muss zu 100 Prozent importiert werden. Das wirtschaftlich verfügbare Uran steht auch nur noch wenige Jahre
zur Verfügung.
({6})
Dabei greift auch der Gasprom-Effekt; denn das Uran
macht uns von Konzerninteressen abhängig und auch erpressbar. Eines muss Ihnen bewusst sein: Wer sich für
Atomenergie ausspricht, fordert den Einstieg in die Plutoniumwirtschaft. Das ist meines Erachtens völkerrechtlich bedenklich und moralisch abstoßend.
({7})
Sie machen sich mit derartigen Atomfantasien unglaubwürdig.
Noch ein Wort zur Stimmungsmache. Eine aktuelle
Forsa-Umfrage straft die Atomlobby Lügen: 85 Prozent
der Menschen in Deutschland befürworten erneuerbare
Energien als Energiequelle der Zukunft, nur 19 Prozent
wollen an der Atomenergie festhalten.
({8})
Die Menschen im Land wissen ganz genau, was sinnvoll
ist. Die giftige Strahlentechnik ist es jedenfalls nicht.
Die Atomtechnik ist und bleibt ein unbeherrschbarer
Gefahrenherd. Laufend bedrohen uns - Mensch und
Umwelt - Störfälle. Vielleicht erfahren wir auch nicht
alle. Das Endlagerproblem ist, wie gesagt, noch immer
nicht gelöst.
({9})
- Das habe ich nicht gesagt. ({10})
Das Endlagerproblem muss auf jeden Fall gelöst werden. Schön, dass bei Herrn Pinkwart zumindest die Erkenntnis gereift ist, dass man aus der Entsorgung und
Endlagerung nicht aussteigen kann.
({11})
Es stimmt eben: Die Geister, die man ruft, wird man
nicht los. Aber die Kosten dafür sollte die Atomwirtschaft tragen, nicht der Steuerzahler.
({12})
Zum Ausland. Die Irankrise zeigt, dass ein Export
von Atom-Know-how - auf diesem Gebiet sind wir
Weltmarktführer - die Gefahr militärischen Missbrauchs
erhöht. Wissen die deutschen Steuerzahler, dass die Bundesregierung, die uns den Ausstieg verspricht, die interHans-Kurt Hill
nationale Forschung für Reaktortechnik weiter unterstützt? Es war eine sehr kluge Entscheidung, aus der
Nukleartechnik auszusteigen. Wir müssen uns in Verantwortung für unsere Kinder und Enkel bemühen, den
Ausstieg zu beschleunigen. Eine kluge Energiepolitik
setzt auf Energieeffizienz und erneuerbare Energien.
Ich sage Ihnen eines: Hören Sie bitte auf, den Menschen einen Bären aufzubinden.
Danke schön.
({13})
Das Wort hat der Kollege Philipp Mißfelder von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Frau Höhn, Sie haben gerade von Chaos gesprochen. Chaos und nordrhein-westfälische Landesregierung - das war zu Ihrer Zeit.
({0})
Das ist seit dem vergangenen Jahr vorbei. Da muss ich
die schwarz-gelbe Landesregierung in Nordrhein-Westfalen wirklich in Schutz nehmen, zumal hier der
Wunsch, sich in die Öffentlichkeit zu drängen, und nicht
die Sache im Vordergrund steht. Das wissen Sie ganz genau.
({1})
Ihnen geht es nur um Publicity. Wenn es in der Geschäftsführerrunde nicht verhindert worden wäre, hätten
Sie mit uns sogar während des Fußballspiels am Freitag
über dieses Thema diskutiert. Sie haben Ihren Patriotismus in dem Vorhaben zum Ausdruck gebracht: Lieber irgendwelche Scheindebatten führen, als die erste Halbzeit des Deutschlandsspiels anzuschauen.
({2})
Ich bin froh, dass wir heute und nicht am Freitag darüber diskutieren. Dass wir aber über Ihre Scheindebatte
reden müssen, finde ich schon etwas merkwürdig.
Zu den Meldungen, die Sie zitiert haben, kann ich Ihnen nur den Tipp geben, nicht immer alles zu glauben,
was in der Zeitung steht.
({3})
Wenn Sie die Pressemitteilung des Ministeriums in
NRW gelesen hätten, dann hätten Sie erkannt, dass von
dem, was Sie behaupten, nicht die Rede gewesen ist. Insofern kann ich den Bundesumweltminister, der dies
ebenso wie die SPD-Fraktion und meine eigene Fraktion
zurückgewiesen hat, nur unterstützen. Wir halten uns an
Recht und Gesetz und haben nicht die Absicht, irgendwelche Vorhaben zu vollziehen, die Sie mit Ihren Ankündigungen erst in die Welt gesetzt haben.
({4})
Wenn wir über das Thema diskutieren und Sie über
den Ausstieg aus der Kernforschung philosophieren,
dann wird aber immer klarer, dass Sie in Wahrheit mit
Ihrer Technikfeindlichkeit nicht hinter dem Berg halten
können.
({5})
Ich bitte Sie in diesem Zusammenhang inständig, sich an
Ihre Regierungszeit zu erinnern, die schließlich noch
nicht lange zurückliegt. Sie waren zwar im Bund nicht in
der Regierungsverantwortung - in Nordrhein-Westfalen
ist es schon etwas länger her -, aber Ihre Kolleginnen
und Kollegen, unter anderem Herr Trittin. Ich darf Sie
darauf aufmerksam machen, dass Rot-Grün in Ihrer eigenen siebenjährigen Regierungszeit richtigerweise an
sehr vielen Projekten im Rahmen von Euratom beteiligt
war. Dabei ging es in erster Linie um Kernforschung.
({6})
Das war auch absolut richtig.
Deswegen möchte ich in diesen Punkten die Position
der Vorgängerregierung, in deren Kontinuität wir beim
Umgang mit Euratom stehen, herausstreichen. Technikfreundlichkeit in diesem Bereich ist sehr wichtig,
({7})
weil sie weltweit zu einem höheren Sicherheitsniveau
beiträgt. Deswegen beteiligen wir uns daran.
({8})
Deswegen sind Sie richtigerweise nicht aus Euratom
ausgestiegen und haben sich an dieser Stelle der Europäischen Union nicht verweigert.
({9})
- Selbst wenn Herr Fell das wollte, er hat sich nicht
durchgesetzt. Das zeigt, dass auch bei Rot-Grün die Vernunft geherrscht hat. Es war schließlich nicht alles
schlecht.
({10})
Ich bin der Meinung, dass wir über das diskutieren
sollten, was tatsächlich ansteht, nämlich die weltweiten
Entwicklungen auf den Energiemärkten. Ein Blick auf
die weltweite Entwicklung zeigt, dass zum Beispiel in
China - lassen wir Indien in diesem Zusammenhang einmal außen vor; das scheint ein Sonderfall zu sein - der
Energiehunger immer mehr zunimmt. Was ist die Antwort der chinesischen Regierung darauf?
({11})
- Ja, auch erneuerbare Energien. China setzt nicht nur
auf Kohle
({12})
- die Kohleförderung ist besonders in China extrem umweltfeindlich -, sondern zieht auch den Bau neuer Kernkraftwerke in Erwägung. In Zukunft sollen etwa
30 Kernkraftwerke gebaut werden.
Angesichts dieser Entwicklung wird einem doch
angst und bange, dass unsere Sicherheitsstandards, die
aufgrund der guten Forschungsarbeit vonseiten des deutschen Ingenieurwesens entstanden sind,
({13})
voraussichtlich nicht mehr gehalten werden können,
wenn sich der Kurs, den Sie von der Opposition heute
anmahnen, tatsächlich durchsetzen sollte.
({14})
Deshalb bin ich für mehr Forschung in diesem Bereich.
Das hat im Übrigen den positiven Nebeneffekt, dass die
weltweiten CO2-Emissionen gesenkt werden können,
wenn sich die Kerntechnik - natürlich mit deutschen Sicherheitsstandards - weltweit durchsetzt.
Dass der Industriestandort Deutschland davon profitieren kann, liegt auf der Hand. Wenn wir diese Technologie exportieren können, dann ist das für die Arbeitsplätze besser, als wenn chinesische Ingenieure mit dem
enormen Technikzuwachs, den sie tagtäglich erzielen,
ihre eigenen Produkte auf den Markt bringen.
({15})
Der Standort Deutschland profitiert mehr davon, wenn
wir es schaffen, unsere Produkte im Ausland abzusetzen.
({16})
Weltweit sichere Kernkraftwerke mit deutscher Technologie sind besser als der Kurs, den Sie heute vorgeschlagen haben.
({17})
Vielen Dank.
({18})
Das Wort hat die Kollegin Sylvia Kotting-Uhl vom
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Allen in sich auch noch widersprüchlichen Dementis zum
Trotz: An kaum einem Ast wird von unterschiedlichen
Kräften zulasten des politischen Erfolgs, der globalen
Vorbildfunktion und des erfolgreichen Innovationsdrucks so heftig gesägt wie am Atomausstieg.
({0})
Je stärker der Umweltminister betont, dass am Atomgesetz festgehalten wird, umso kürzer werden die Intervalle zwischen den Sägeattacken. Den Energiekonzernen
mit ihrem Vorstoß zum Ringtausch ist der nordrheinwestfälische Innovationsminister Pinkwart und diesem
wiederum vorgestern Abend beim Atomforum in Berlin
die baden-württembergische Umweltministerin Tanja
Gönner gefolgt.
Die Liebe der baden-württembergischen Landesregierung zur Atomkraft ist mir wohl vertraut. Ich bin mir
nicht sicher, ob sich der Stolz der Landesregierung auf
den bundesweit höchsten Atomstromanteil von 60 Prozent auch auf die bundesweit höchsten Strompreise bezieht. Aber ich bin mir sicher, dass der Ministerin
Gönner - so hat sie sich gestern Abend geäußert - die
neueste Strompreiserhöhung der EnBW nicht gefällt.
Wie auch, konterkarieren solche taktlosen Vorstöße doch
geradezu die sorgsam ausgeklügelte Strategie zur Akzeptanz der Atomkraft, mit der die Union den Konzernen unter die Arme greifen will. Mit dem badenwürttembergischen Modell, das Frau Gönner beim
Atomforum vorstellte, wird für Laufzeitenverlängerungen nämlich damit geworben, dass die Konzerne die
Hälfte des zusätzlich verdienten Geldes in die Förderung
der erneuerbaren Energien stecken sollen.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Es geht bei diesem Modell nicht mehr um Strommengenübertragungen
von neueren AKWs auf diejenigen, die in dieser Legislaturperiode zur Abschaltung anstehen. Selbst das ist im
Atomgesetz nicht wirklich vorgesehen und ist trotzdem
von den Konzernen mit ihrem Run auf die Reststrommengen von Mülheim-Kärlich gerade wieder in die Debatte gebracht worden, als gäbe es keinen von ihnen unterschriebenen Vertrag. Jetzt geht Baden-Württemberg
aber richtig in die Vollen. Es geht um das Atomgesetz,
die Aufkündigung des mit den Energieversorgern ausgehandelten Atomkonsenses, der diesen reichlich Vorteile
gebracht hat; diese nutzen die Energieversorger seitdem.
Richtig gut kam der Vorschlag, die Hälfte des Zuverdienstes in die erneuerbaren Energien zu stecken, beim
Atomforum übrigens nicht an, auch nicht, nachdem Frau
Gönner erläutert hatte, dass man das positive Image und
die Beliebtheit der erneuerbaren Energien in der Bevölkerung nutzen müsse, um Akzeptanz für die Laufzeitenverlängerung zu gewinnen.
Das Spielchen zwischen SPD und Union, das seinen
Beginn mit der für einen Koalitionsvertrag ungewöhnlichen Aussage nahm, Frau Dött, dass die Haltung der
Koalitionäre zur Atomkraft unterschiedlich sei, schauen
wir uns nun seit acht Monaten an. Es hat durchaus UnSylvia Kotting-Uhl
terhaltungswert. Aber in jedem Spiel gibt es eine
Schwelle, an der Schluss mit lustig sein sollte. Ich finde,
diese Schwelle ist erreicht.
({1})
Es ist nicht mehr damit getan, dass sich der Umweltminister bei jedem Vorstoß eines Landesfürsten, eines
Ministers - auch der Bundeswirtschaftsminister spielt
gern auf diesem Feld - oder der Konzerne wortgewaltig
vor den Atomausstieg stellt. Das ist auch heute nicht unsere Forderung. Wir fordern die Union vielmehr auf,
Ordnung in ihre Reihen zu bringen und in ihrer Partei
ihre Haltung zum im Koalitionsvertrag bekräftigten
Atomausstieg zu klären sowie zu einer nachvollziehbaren, einheitlichen und klaren Aussage zu kommen.
({2})
- Ich höre Ihnen immer mit voller Begeisterung zu.
Wir Grüne pflegen in solchen Fällen die Klärung auf
einem Parteitag vorzunehmen. Das Ergebnis gilt dann,
vor allem für das Führungspersonal. Meiner Partei hat
man häufig vorgeworfen, sie streite ständig. Aber ich
will Ihnen einmal eines sagen, verehrte Kolleginnen und
Kollegen von der Union: Angesichts Ihres Dissonanzkonzertes - Frau Gönner und der baden-württembergische Ministerpräsident Oettinger wollen mit der Aufkündigung des Atomausstiegs die erneuerbaren Energien
fördern; Bundeswirtschaftsminister Glos will Braunkohle und Atomkraft aufrechterhalten und die Sinnhaftigkeit der Förderung der erneuerbaren Energien überprüfen lassen; der Kollege Schulte-Drüggelte sagte in
der Haushaltsdebatte in der letzten Woche auf Nachfrage, dass seine Aussage, wir könnten auf die Kernenergie vorerst nicht verzichten, mit dem bis 2020 währenden Atomausstieg konform gehe; irgendwer muss den
Koalitionsvertrag ja wachen Sinnes unterschrieben haben - sind wir Grünen ein harmoniesüchtiger Haufen.
Bringen Sie Ordnung in Ihre Reihen und hören Sie
auf, derart widersprüchliche Signale zu senden! Nicht
zuletzt der Wirtschaftsminister sollte wissen, was widersprüchliche Signale in einem so sensiblen Bereich wie
der Energiepolitik für anstehende Innovationen und Investitionen bedeuten: Sie werden nicht gemacht. Das
Einzige, was Sie erreichen, ist, dass Ihnen die Energiekonzerne auf der Nase herumtanzen. Sie sind offenbar
bereits im Tanzkurs und üben.
Danke schön.
({3})
Das Wort hat jetzt der Kollege Christoph Pries von
der SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesumweltminister! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte meine Rede mit einem Zitat von
NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers vom 6. März
2006 beginnen. Dieser antwortete auf die Frage, ob
NRW neue Atomkraftwerke oder zumindest eine Verlängerung der Laufzeiten benötige, wie folgt: „Neue Kernkraftwerke will hier keiner bauen. Bei der Laufzeitverlängerung ist es so, dass ein Vertrag mit der
Energiewirtschaft geschlossen wurde, und ich sehe niemanden, der daran rüttelt.“ Ich befürchte, hier irrt der
Ministerpräsident.
Bauen und rütteln möchte schon der eine oder andere.
Bauen möchte zum Beispiel der NRW-Wissenschaftsminister Andreas Pinkwart. Dieser hat am Wochenende
überschwänglich seine Sympathien für einen ThoriumHochtemperaturreaktor in Jülich bekundet, und zwar so
überschwänglich, dass bei den anwesenden Journalisten
der Eindruck entstand, die NRW-Landesregierung habe
bereits konkrete Pläne für dessen Bau. Mit solchen Äußerungen verkennt Minister Pinkwart nicht nur in fataler
Weise die geltende Rechtslage, er verkennt ganz offensichtlich auch die Beschlusslage seiner eigenen Partei.
Das, was der selbst ernannte Innovationsminister als Zukunftstechnologie anpreist, hat seine eigene Partei auf
ihrem Bundesparteitag in Rostock erstmals offiziell zur
Übergangstechnologie erklärt.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, wir begrüßen diesen Schritt in die richtige Richtung ausdrücklich, so klein und bescheiden dieser Schritt auch sein
mag.
({1})
Sie können gewiss sein, dass wir Sie in Zukunft daran
messen werden.
({2})
Aber vielleicht war Ihr Umweltparteitag in Rostock nur
eine Alibiveranstaltung,
({3})
um in Zukunft ungehindert in grünen Gewässern fischen
zu können. Die Äußerungen von Herrn Pinkwart gehen
in diese Richtung.
Kommen wir nun zu denjenigen, die für das Rütteln
am Atomkonsens zuständig sind, zu den Energiekonzernen. Schon seit Monaten lassen sie keine Gelegenheit
ungenutzt, um immer neue Szenarien zu entwerfen, wie
das geltende Atomgesetz ausgehebelt werden könnte.
Die neueste Variante ist der so genannte Ringtausch der
Reststrommengen des nicht in Betrieb genommenen
Atomkraftwerks Mülheim-Kärlich. Diese sollen nun
fröhlich von einem Atomkraftwerk auf das nächste übertragen werden, bis sie schließlich bei den alten Meilern
landen.
({4})
Dumm ist nur, dass im Atomgesetz ausdrücklich festgelegt ist, auf welche Meiler die Reststrommengen von
Mülheim-Kärlich übertragen werden dürfen. Biblis A,
Neckarwestheim 1 und Brunsbüttel gehören nicht dazu.
({5})
Die Strommenge, die auf Biblis B übertragen werden
darf, ist auf 21,45 Terawattstunden beschränkt. Das einzige Ziel dieser Vorstöße ist es, die in dieser Legislaturperiode zur Abschaltung anstehenden Atomkraftwerke
über die nächste Bundestagswahl zu retten - in der Hoffnung auf atomfreundliche Mehrheiten. Diese Hoffnung
ist 2002 und 2005 enttäuscht worden. Wir werden dafür
sorgen, dass sie auch bei der nächsten Bundestagswahl
enttäuscht wird.
({6})
Zwei Probleme haben all diejenigen, die die Laufzeiten verlängern oder neue Atomkraftwerke bauen möchten: den Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD und
das Atomgesetz. Alle hier im Hause wissen, dass die
Koalitionspartner in der Frage der Nutzung der Atomenergie unterschiedliche Auffassungen vertreten. Deshalb haben wir uns darauf verständigt, das Atomgesetz
nicht zu ändern. Nur zur Erinnerung: Das Atomgesetz in
seiner zurzeit geltenden Fassung untersagt den Neubau
von Atomkraftwerken, ordnet den deutschen Atomkraftwerken fest definierte Reststrommengen bis zur Abschaltung zu und regelt die Möglichkeiten der Energiekonzerne, Reststrommengen zwischen unterschiedlichen
Reaktoren zu übertragen.
({7})
Diese Regelungen sehen ausdrücklich vor, dass Reststrommengen nur von älteren auf neuere Reaktoren
übertragen werden dürfen. Ausnahmen bedürfen der Genehmigung des Bundesumweltministers. Für die SPDBundestagsfraktion ist klar: Eine Übertragung von Reststrommengen von neuen Atomkraftwerken auf alte
Atomkraftwerke lehnen wir ab.
({8})
Eine solche Übertragung widerspricht dem Geist des
Atomkonsenses. Sie widerspricht auch dem Geist des
Koalitionsvertrages, der dem sicheren Betrieb der Atomkraftwerke absolute Priorität einräumt.
Dem Geist des Atomkonsenses widerspricht aber
auch das Verhalten der Energiekonzerne insgesamt. Der
Ausstieg aus der Atomenergie ist zwischen der damaligen Bundesregierung und den Energieversorgungsunternehmen unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen ausgehandelt und vertraglich fixiert worden. Die
Vertreter der Energiekonzerne haben sich ebenso wie die
Bundesregierung vor sechs Jahren dazu verpflichtet, den
Inhalt des Atomkonsenses dauerhaft umzusetzen. Die
Bundesregierung hat sich an diese Absprache gehalten,
die Energiekonzerne leider nicht. Mit jedem Winkelzug,
mit jedem neuen Vorstoß beschädigen die Vorstände der
Energiekonzerne das Vertrauen der Bürgerinnen und
Bürger in das politische System unseres Landes. Ich
appelliere daher eindringlich an die Verantwortlichen in
den Konzernvorständen, weniger Energie auf juristische
Spitzfindigkeiten zur Verlängerung von Laufzeiten zu
verschwenden und lieber gemeinsam mit den politisch
Verantwortlichen an einer zukunftsfähigen Energieversorgung für Deutschland zu arbeiten.
({9})
Das wäre ein erster und höchst willkommener Beitrag
zur Energieeffizienz, über die wir in den vergangenen
Monaten so viel geredet haben.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit, Frau Flach.
({10})
- Ich weiß.
Das Wort hat jetzt der Kollege Franz Obermeier von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Diese Debatte ist völlig überflüssig. Eines hat sie schon bewiesen:
Die Kolleginnen und Kollegen von der FDP- und von
der CDU/CSU-Bundestagsfraktion haben den Erfolg
verbucht, dass die erste Sprecherin der Grünen, Bärbel
Höhn - sie hat sich noch vor kurzem mächtig aufgeblasen -, diese Debatte mittlerweile verlassen hat.
({0})
Wo gibt es denn so etwas? Das ist ein toller Stil. Das
muss ich schon sagen.
({1})
- Das ist völlig stillos. Wenn man eine Debatte eröffnet,
dann hat man auch die Pflicht, hier zu bleiben.
({2})
Es geht bei dieser Frage im Prinzip darum, wie es mit
der Kernenergie in der Bundesrepublik Deutschland im
Allgemeinen steht. Ich möchte Ihnen, Kolleginnen und
Kollegen von den Grünen, schon sagen: Den Kernkraftgegnern in Deutschland und auch in anderen Ländern
schwimmen die Felle weg.
({3})
Was in Schweden bereits der Fall ist, wird auch in der
Bundesrepublik Deutschland stattfinden: Je teurer der
Strom wird, je mehr der hohe Strompreis auf die volkswirtschaftliche Entwicklung durchschlägt, desto mehr
werden sich die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes
überlegen, wie sie an Energie zu günstigeren Preisen
kommen.
({4})
Ihre Traumtänzereien von Wasserstoff über erneuerbare
Energien kann man Menschen, die sich mit diesen Themen auseinander setzen, einfach nicht zumuten.
({5})
Ich will Ihnen zum Thema „Innovationsminister in
NRW“ nur Folgendes sagen: Wenn sich in der Bundesrepublik Deutschland jemand Gedanken darüber macht,
wie es besser werden kann und wo in unseren wissenschaftlichen Institutionen Innovationspotenziale vorhanden sind, dann - das ist ganz charakteristisch - protestieren ausgerechnet Sie, als hätten Sie Angst, dass
irgendjemand Erfolg hat mit neuen Technologien, mit
Produkten, mit denen wir weltweit punkten könnten.
({6})
Ich stelle mir immer wieder die Frage: Womit sollen unsere Kinder und Kindeskinder den Wohlstand in der
Bundesrepublik Deutschland erhalten, wenn wir keine
neuen Produkte erzeugen und nicht für eine hohe Wertschöpfung sorgen?
({7})
Lassen Sie mich einmal einen Blick über die Landesgrenzen werfen.
({8})
In Finnland baut man derzeit ein neues Kernkraftwerk.
Dieses Kernkraftwerk wird nicht vom Staat gebaut und
es wird auch nicht staatlich subventioniert. Dieses Kernkraftwerk wird vielmehr von der Privatwirtschaft in
Finnland finanziert. Hochinteressant ist: Die Kostenkalkulation liegt weit jenseits dessen, was grüne Ideologen
uns immer vorhalten.
({9})
Befassen Sie sich einmal mit der Frage, was in China
passiert. In China passiert genau das Gegenteil von dem,
was Sie hier in Deutschland propagieren.
({10})
In China baut man Kohlekraftwerke. Bei Ihnen heißt es:
Ausstieg aus der Kohle. Wir sollten versuchen, unsere
deutsche Hochtechnologie bei der Kohleverstromung in
China zur Anwendung zu bringen.
({11})
Das sollte unser Ziel sein.
({12})
Außerdem befasst man sich in China ernsthaft damit,
30 neue Kernkraftwerke zu bauen.
({13})
Die Mitarbeiter der wissenschaftlichen Institute in China
sind mittlerweile so weit, dass sie die deutsche Technologie zum Bau eines neuen Kernkraftwerks bis auf ein
paar wenige Elemente gar nicht mehr brauchen. Die machen das selber. Sie, meine Damen und Herren, verkaufen die gesamte Bevölkerung in Deutschland für dumm
({14})
und sagen den Leuten, alles sei so unsicher und viel zu
gefährlich.
({15})
Gerade hat der Herr Hill wieder etwas erzählt - ich
weiß auch nicht, wer ihm das aufgeschrieben hat -,
({16})
nämlich wie schwierig das mit den Uranvorräten usw.
ist.
({17})
Das Uran aus Kanada und aus Australien ist mir bei weitem lieber
({18})
als das Öl aus gefährlichen Zonen. Darüber müssen wir
uns schon im Klaren sein.
Lassen Sie mich zum Abschluss noch etwas zur Endlagerfrage sagen.
({19})
Wir stehen zum Koalitionsvertrag, Herr Umweltminister; die Sache ist klar. Aber Aufgabe der Bundesregierung ist jetzt die Klärung der Frage der Endlagerung.
({20})
Da müssen wir vorankommen, Herr Umweltminister; da
hilft nichts. Da kann man auch nicht mit neuen Gesetzen
zur Suche und anderen neuen Sachen arbeiten,
({21})
sondern da müssen wir die Probleme lösen. Das ist die
Aufgabe der nächsten Jahre.
Herzlichen Dank.
({22})
Der Herr Kollege Thiele
({0})
- ich bitte einen Moment um Aufmerksamkeit! - hat
sich zur Geschäftsordnung gemeldet.
Sehr geehrter Herr Präsident! Es ist schon erstaunlich,
dass die Rednerin der Antrag stellenden Fraktion es
nicht für erforderlich hält, dieser Debatte beizuwohnen.
Das zeigt, dass die Debatte seitens der Grünen überhaupt
nicht ernst gemeint sein kann. Ich sehe keinen Sinn darin, eine nicht ernst gemeinte Debatte hier im Deutschen
Bundestag zu führen. Deshalb beantrage ich, die Aktuelle Stunde jetzt zu beenden.
({0})
Das Wort hat der Kollege Küster. Bitte schön.
Für die SPD-Fraktion antworte ich darauf wie folgt:
Sie haben sicherlich Recht mit der Kritik an der Rednerin der Grünen, die die Debatte vorzeitig verlassen hat.
Sie haben hier natürlich versucht, ein As aus dem Ärmel
zu ziehen. Die FDP hat ihre Redezeit verbraucht. Die
Grünen haben ihre Redezeit verbraucht. Wir haben noch
Redezeit. Wir haben auch noch etwas zu sagen. Ich
würde gar zu gern die Haltung unseres Umweltministers
dazu hören. Deswegen widerspreche ich Ihrem Antrag
ganz klar.
({0})
Nach Auffassung der Geschäftsordnungsspezialisten
ist der Antrag unzulässig, weil es sich bei der Aktuellen
Stunde um ein Minderheitsrecht handelt, das nicht beschnitten werden darf. Deswegen werden wir die Aktuelle Stunde zu Ende durchführen.
({0})
Das Wort als nächste Rednerin hat die Kollegin Ute
Berg von der SPD-Fraktion.
({1})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
„Versuchsreaktor als Testballon“ titelte die „Süddeutsche Zeitung“. „Atomkraft - ja bitte?“ fragte die „Rheinische Post“. Die „Westdeutsche Allgemeine“ meldete:
Pinkwart vergaloppiert sich. Es folgte, so die „Neue
Westfälische“, ein Sturmlauf gegen NRW-Atompläne. Herr Pinkwart und die nordrhein-westfälische Landesregierung unter dem neuen Ministerpräsidenten Rüttgers
haben jedenfalls mal wieder für bundesweite Aufregung
und Verwirrung gesorgt.
Die entscheidende Frage ist nun: Was bezweckt der
Minister mit Äußerungen wie „Die Zeit der Reaktoren in
NRW ist noch nicht vorbei“? Geht es ihm dabei wirklich
nur um Forschung oder will er einfach einen Testballon
für die Renaissance der Atomenergie steigen lassen, wie
die „SZ“ vermutet,
({0})
oder will Schwarz-Gelb in NRW mal wieder der Koalition im Bund in die Parade fahren?
Klar ist derzeit nur, dass in NRW, seit Jürgen Rüttgers
das Land regiert, das Thema Atomkraft ständig durch
die Gazetten spukt. Frau Thoben greift es immer wieder
auf und nun eben auch Herr Pinkwart. Die NRW-CDU
plant, wie ich gehört habe, auf ihrem Landesparteitag im
September ein klares Bekenntnis zur Atomkraft abzugeben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen vom Bündnis 90/
Die Grünen, wenn Sie in dieser Aktuellen Stunde testen
wollen, ob die SPD-Fraktion im Bund linientreu bleibt
und die schwarze wie die rote Bundestagsfraktion zum
Koalitionsvertrag stehen, dann kann ich Ihnen versichern:
({1})
Jawohl, die Koalition steht zu ihren am 11. November
2005 schriftlich festgelegten Grundsätzen. Das war nämlich kein Karnevalsscherz.
({2})
Natürlich wissen wir alle, dass die CDU/CSU in dieser Frage anders aufgestellt ist als wir. Ich kann aber für
die SPD sagen: Das ist für uns tatsächlich auch ein Herzensanliegen. Nicht umsonst haben wir seit 1998 die
Energiewende in Deutschland durchgesetzt, damals zusammen mit den Grünen und gegen erhebliche Widerstände. Deshalb haben wir auch dafür gesorgt, dass im
Koalitionsvertrag festgelegt wurde, dass die Vereinbarungen zum Atomausstieg nicht rückgängig gemacht
werden.
Leider gibt es immer noch zu viele Ewiggestrige, die
den Abschied von ihren alten Lieblingsprojekten noch
nicht so recht verschmerzt haben;
({3})
Herr Pinkwart gehört dazu. Diese Leute haben den
Schritt zur Energiepolitik der Zukunft noch nicht geschafft.
({4})
Sie begeben sich gerade wieder in die alten Gräben.
Die Entwicklungen auf den nationalen und internationalen Energiemärkten bestärken uns aber darin, uns entschlossen auf erneuerbare Energien und auf Energieeffizienz hin zu orientieren. Diese Linie werden wir weiter
verfolgen; darin lassen wir uns auch nicht beirren. Das
bedeutet allerdings nicht - das möchte ich auch hinzufügen -, dass wir uns vollkommen aus der Kernenergieforschung zurückziehen. Der Bund hat hier eine
Verantwortung, und zwar sowohl im Bereich Reaktorsicherheit als auch im Bereich Endlagerung von radioaktiven Abfällen. Deshalb brauchen wir hier unabhängige
Forschungsarbeiten, um unsere sicherheitstechnische
Kompetenz auf höchstem Niveau zu erhalten.
({5})
Dafür haben wir über die letzten Jahre Hunderte von
Millionen Euro investiert. Im Koalitionsvertrag haben
wir festgehalten, dass diese Forschung fortgeführt und
ausgebaut wird.
Sinnvoll ist es darüber hinaus, neue Technologien zu
unterstützen, mit denen fossile Energieträger umweltschonend genutzt werden können; denn wir werden noch
auf absehbare Zeit auf diese angewiesen sein. Daher investieren wir zum Beispiel in die Entwicklung eines
emissionsfreien Kohlekraftwerks: ein Leuchtturmprojekt, das zukunftsweisend ist.
({6})
Der derzeitige nordrhein-westfälische Wissenschaftsminister
({7})
sollte sich lieber auf diese Fragen konzentrieren, statt
seinen Hochtemperaturreaktorfantasien freien Lauf zu
lassen, zumal er doch eigentlich wissen müsste - auch
Sie, Frau Flach, sollten das wissen -, dass in NRW bereits in den 80er-Jahren Versuche mit solchen Reaktoren
kläglich gescheitert sind.
Frau Höhn und andere haben eben schon auf den Reaktor in Hamm-Uentrop hingewiesen. Er verschlingt jedes Jahr 6 Millionen Euro Überwachungskosten - auch
heute noch -, obwohl er bereits 1989 stillgelegt wurde,
und ist so verstrahlt, dass man überhaupt erst in
20 Jahren darüber nachdenken kann, diese energiepolitische Ruine abzureißen.
({8})
Also, zum Abschluss noch einmal ganz deutlich und
langsam für alle, die es noch nicht verstanden haben:
Herr Pinkwart und andere Mitglieder der schwarz-gelben Landesregierung können noch so häufig gebetsmühlenartig wiederholen: Atomkraft - ja bitte! Wir bleiben
bei unserer Position: Atomkraft - nein danke!
({9})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Maria Flachsbarth
von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Frau Kollegin Höhn, herzlich willkommen
in Ihrer Debatte, die Sie ja so sehnlich herbeigewünscht
haben.
({0})
Die Debatte hat trotz der Tatsache, dass sie an den Haaren herbeigezogen ist, doch etwas Gutes, nämlich dass
die Sicherheitsforschung im Bereich der Kernenergie
heute wieder einmal in den Mittelpunkt des Interesses
gerückt wird. Hier tun sich in Deutschland leider erschreckende Lücken auf, und dieses, so muss man feststellen, hängt auch mit dem Forschungszuschnitt der
vorherigen Bundesregierung zusammen: Viele Fachleute
stehen kurz vor der Pension, ohne dass Nachfolger bereit
stehen; die Universitäten streichen die Kerntechnik aus
ihrem Angebot;
({1})
kerntechnische Vollausbildungen werden nur noch an
der TU Dresden und an der Fachhochschule Zittau angeboten.
Die Schäden, die Deutschland entstehen werden, falls
hier nicht gegengesteuert wird, sind immens.
({2})
Einmal verloren gegangenes Know-how lässt sich - das
wissen Sie, meine Damen und Herren - nicht einfach
wieder beleben, wenn man es benötigt. Denn es geht hier
nicht nur um reines Buchwissen, das man aufschreiben
und nachlesen kann, sondern auch um Erfahrung und gelebte Informationskultur, die von einer Generation an die
nächste weitergegeben wird.
({3})
Ist diese Kette erste einmal durchtrennt, ist das Wissen
verloren.
Die Debatte sollte sich daher nicht um die Frage drehen, ob, wann, wo oder warum wir einen neuen Forschungsreaktor brauchen, sondern um die Frage, wie wir
in Deutschland unser kerntechnologisches Fachwissen
sichern können.
({4})
Die Ausstiegsvereinbarung zwischen der Vorgängerregierung und den EVUs sieht jedenfalls keinen Ausstieg
aus der Kernenergieforschung vor.
({5})
- Das ist unverantwortlich. - Auch der Koalitionsvertrag
ist in diesem Punkt sehr eindeutig. Er lautet wie folgt:
Der sichere Betrieb der Kernkraftwerke hat für
CDU, CSU und SPD höchste Priorität. In diesem
Zusammenhang werden wir die Forschung zum sicheren Betrieb von Kernkraftwerken fortsetzen und
ausbauen.
({6})
Im Koalitionsvertrag ist zudem nachzulesen, dass die
am 14. Juni 2000 zwischen der Bundesregierung und
den Energieversorgungsunternehmen geschlossene Vereinbarung zum Atomausstieg so weiter akzeptiert wird.
Das heißt, die schwarz-rote Koalition hat, wie ihre Vorgängerin, vereinbart, die friedliche Nutzung der Kernenergie in Deutschland für die nächsten beiden Jahrzehnte festzuschreiben, sodass über 1 600 Terawattstunden Strom, derzeit also 28 Prozent der Gesamtstrommenge, in Kernkraftwerken erzeugt werden sollen,
auch wenn interessierte Kreise immer wieder den Anschein erwecken wollen, dieses Land habe sich schon
längst aus der Atomenergie verabschiedet.
({7})
Zur Gewährleistung des sicheren Betriebs der Kernkraftwerke über noch fast 20 Jahre gehört auch, dass unsere Forschung dem weltweiten Niveau entspricht. Der
Ausstiegsvertrag, den ich eben zitiert habe, stellt hierzu
ausdrücklich fest, dass das international hohe Sicherheitsniveau in den Kernkraftwerken gehalten werden
muss. Deshalb unterstütze ich die Forderung von NRW,
die vorhandene Kompetenz im Bereich der Kerntechnologie und der Kernsicherheitsforschung zu erhalten und
auszubauen.
({8})
Deutschland fällt es nämlich aus den eingangs genannten Gründen international zusehends schwerer, mitzugestalten und damit auch Sicherheitsstandards zu setzen.
({9})
Ein Beispiel hierfür ist das Generation IV International
Forum. Nur noch wenige Deutsche sitzen für Euratom in
den Gremien dieser Initiative. Bei dem Projekt geht es
nicht um baldige Reaktorneubauten, sondern um die
Entwicklung effizienterer, unfallresistenterer und müllärmerer Anlagen.
({10})
Auch im Hinblick auf die insbesondere von vielen
Schwellenländern in den nächsten Jahrzehnten geplanten
Reaktorneubauten sollten wir uns nicht der Möglichkeit
berauben, die Sicherheitsstandards hierbei weltweit mit
auszuarbeiten.
In diesem Hohen Hause, meine lieben Kolleginnen
und Kollegen, sollten wir daher nicht vordringlich über
vermeintliche Laufzeitverlängerungen oder gar Reaktorneubauten in Deutschland lamentieren, sondern sollten
das tun, wofür wir verantwortlich sind und worauf wir
uns im Koalitionsvertrag geeinigt haben: Wir sollten erstens den rechtlichen Rahmen auch hinsichtlich der Forschung so stecken, dass ein auf weltweit anerkanntem
Niveau sicherer Betrieb der laufenden Kernkraftwerke
gewährleistet wird und wir internationale Sicherheitsstandards setzen können. Da setzt der Haushalt 2006 der
Forschungsministerin bereits deutliche und sehr positive
Zeichen.
({11})
Zweitens müssen wir zielorientiert die Frage der Endlagerung atomaren Mülls lösen. Da hat der Herr Umweltminister seine Initiative noch für dieses Jahr zugesagt.
In beiden Problembereichen kann die Bundesregierung auf die nachhaltige Unterstützung der Union bauen.
Ich danke Ihnen.
({12})
Das Wort hat jetzt der Bundesminister Sigmar Gabriel.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir konnten dem Parlament und der geneigten Öffentlichkeit
kaum besser zeigen, dass es in dieser Frage auch in der
Koalition unterschiedliche Auffassungen gibt. Im Gegensatz zu der Kollegin Kotting-Uhl würde ich sagen: Es
ist gut, dass man das zugibt und nicht versucht, irgendwelche Formelkompromisse zu finden. In der energiepolitischen Frage gibt es einen entscheidenden Unterschied zwischen SPD auf der einen Seite und CDU/CSU
auf der anderen Seite, der uns sicher noch eine Weile begleiten wird - bis zu dem Tag, wo ich Herrn Obermeier
überzeugt habe. Bis das der Fall ist, muss ich vermutlich
noch ziemlich lange im Amt bleiben. - Herr Obermeier,
ich sehe, dass Sie angesichts dieses Angebots noch nach
Worten ringen.
Kollegin Höhn hat meinen Kabinettskollegen Glos
zitiert. Ich habe nicht verstanden, warum Sie eigentlich
kritisiert haben, dass der Kollege Glos gesagt hat, ich sei
wie Trittin. Sie müssten doch eigentlich - ich bin es
nicht immer - froh darüber sein.
({0})
Ich habe mich revanchiert und dem Kollegen Glos entgegnet: Wenn er das noch einmal macht, werde ich öffentlich erklären, er sei wie Clement. Wir wollen doch
einmal sehen, wer dann mehr Probleme hat.
({1})
Man sollte dies alles nicht übertreiben.
Ich würde gerne zu den zwei angesprochenen Sachfragen Stellung nehmen.
Es geht zunächst um das, was der Innovationsminister
des Landes Nordrhein-Westfalen, Herr Pinkwart, zu
Jülich gesagt hat. Klar ist, dass es nach § 7 Abs. 1 Satz 2
des Atomgesetzes in Deutschland verboten ist, neue
Kernkraftwerke zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität zu errichten.
({2})
Wer so etwas ankündigt - manches, was die Kollegin
Gönner gesagt hat, kann man so interpretieren; der Kollege Koch in Hessen hat das sogar einmal gefordert und wer erklärt, er wolle den Neubau von Kernkraftwerken zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität, der
fordert in Deutschland zum Rechtsbruch auf.
({3})
- Nein, das kann er nicht. Das kann nur der Deutsche
Bundestag,
({4})
aber kein Landesminister.
({5})
- Aber in diesem Parlament gibt es keine Mehrheit für
die Änderung.
({6})
Wer in dieser Zeit dazu aufruft, das Gegenteil zu tun
und mit Planungen für einen solchen Neubau zu beginnen, Frau Flach, dem müssen wir sagen - auch wenn er
der FDP angehört -: Lieber Freund, du bereitest hier einen Rechtsbruch vor.
({7})
Das ist nicht in Ordnung.
An die Adresse der FDP muss ich sagen: Ich hatte Sie
immer als Rechtsstaatspartei in Erinnerung.
({8})
Wenn Sie sich den Ruf wieder erwerben wollen, dann
müssen Sie dafür sorgen, dass die Verfassung des Landes, das entsprechende Bundesrecht und das Atomgesetz
von Ihren Politikern öffentlich nicht infrage gestellt werden.
({9})
- Ich habe Ihnen geduldig zugehört. Nun sind Sie mit
Zuhören an der Reihe.
Die zweite Frage ist, ob es sich um einen Forschungsreaktor handelt. Natürlich ist es richtig, dass im Atomgesetz der Bau von Forschungsreaktoren nicht verboten ist.
Die Frage ist nur, wieso Sie einen Forschungsreaktor eines Kernkraftwerkstyps bauen wollen, nämlich eines
Hochtemperaturreaktors, den es in Deutschland nicht
mehr gibt. In ein solches Projekt mit einer Laufzeit von
drei Jahren wurden schon einmal 2 Milliarden Euro
Steuergelder versenkt. Warum wollen Sie eigentlich einen solchen Reaktortyp bauen?
({10})
- Na klar. Er hat das öffentlich angesprochen und gesagt,
dies sei eine Zukunftstechnologie. Ich bin zwar nicht
verantwortlich für den Unsinn, den jemand über Kernenergie erzählt. Aber wenn Sie mich danach fragen,
muss ich darauf antworten. Ich kann nichts dafür, wenn
Ihr Kollege öffentlich erklärt, es handele sich um einen
Zukunftsreaktor. Wir alle sind der Meinung, dass man
auf dem Feld der Sicherheitstechnik forschen muss.
Aber der Bau eines Forschungsreaktors von einem Typ,
den es in Deutschland nicht gibt, trägt nicht zur Verbesserung der Sicherheitstechnik bei. Das ist doch klar.
({11})
Wenn jemand erklärt, dies sei eine Zukunftstechnologie, der hat offensichtlich vor, einen solchen Reaktor zu
gewerblichen Zwecken in Deutschland einzuführen. Ich
sage Ihnen, das ist nach dem Atomgesetz verboten. Deswegen würden wir dem Bau eines solches Forschungsreaktors nicht zustimmen können.
({12})
- Doch, das müssten wir. Denn 90 Prozent der Anlage in
Jülich gehören dem Bund und nur 10 Prozent dem Land
Nordrhein-Westfalen. Es geht hierbei nicht um Dinge,
die von der Föderalismusreform tangiert werden, sondern um Eigentumsrecht, Frau Kollegin Flach. Wenn Sie
sich als Liberale auch darüber hinwegsetzen wollen,
dann kann ich nur sagen: gute Besserung! So geht es
nicht.
({13})
- Ich möchte schon ganz gerne auf Ihren Beitrag antworten.
Ich habe keine Sorge, da ich weiß, dass aus diesem
Vorhaben nichts wird. Ich kann auch nicht erkennen, was
daran zukunftsweisend sein soll. Beim Thema Sicherheitsforschung sind wir alle einer Meinung. Aber für einen Reaktortypen, den es in Deutschland nicht gibt,
brauchen wir keine Sicherheitsforschung zu machen.
Dann möchte ich etwas zum Thema Laufzeitübertragung sagen. Dieser Punkt ist im Atomgesetz eindeutig
geregelt. Wer Laufzeiten von einem jüngeren Kraftwerk
auf ein älteres Kraftwerk übertragen will, braucht dazu
die Zustimmung des Bundesumweltministeriums. Wenn
das Bundesumweltministerium dazu keine Zustimmung
gibt - es kommt auf unser Votum an; bei uns müsste ein
entsprechender Antrag gestellt werden -, dann wird auch
kein Prozess in Gang gesetzt, den man mit dem Bundeswirtschaftsministerium und dem Kanzleramt absprechen
müsste. Da hat die Kollegin Dött Recht: Jeden eingehenden Antrag würden wir nach Recht und Gesetz prüfen.
Wie das ausgeht, kann die Verfahrensbehörde nicht vorhersagen.
Aus politischer Sicht kann ich Ihnen aber sagen: Ich
kenne keinen Grund dafür, ein weniger sicherheitsoptimiertes Kraftwerk länger laufen zu lassen als ein sicherheitsoptimiertes Kraftwerk; es sei denn, man wolle sich
über die Zeitspanne der nächsten Legislaturperiode retten. Das allerdings wäre kein Grund, eine Genehmigung
auszusprechen. Deswegen müssten wir eine solche verweigern. Ich nehme an, dass wir das auch tun würden.
Wer versuchte, Reststrommengen des Kernkraftwerks
Mülheim-Kärlich durch ein Kraftwerk durchzuleiten,
um zum Beispiel das Kernkraftwerk Brunsbüttel weiterlaufen zu lassen - wenn man Reststrommengen vom
Kernkraftwerk Biblis B auf das Kernkraftwerk Brunsbüttel übertragen würde, wäre dies eine Übertragung von
einem älteren auf ein jüngeres Kraftwerk -, würde den
Versuch der Umgehung des Atomgesetzes vornehmen.
Auch dem müssten wir widersprechen. Wer versucht,
Energiepolitik mit Sandkastenspielen zu betreiben, gerät
gelegentlich in die Nähe des Staatsanwaltes. Denn in einem solchen Fall würde ein Kraftwerk ohne Genehmigung betrieben werden. Das ist in Deutschland strafbar.
Ich sage es in aller Offenheit: Wir würden mit allen
Mitteln dagegen vorgehen. Solche Spielchen lassen wir
nicht zu. Es gibt ein Atomgesetz, das gilt. Denjenigen,
die solche Spielchen vorhaben, muss ich Folgendes sagen: Es war die Energiewirtschaft, die den entsprechenden Vertrag freiwillig unterschrieben hat.
({14})
- Sie hat unterschrieben. Sie wird doch wissen, was sie
unterschrieben hat. - Der Politik wird immer vorgehalten, sie sorge nicht für sichere Rahmenbedingungen und
man könne sich nicht auf sie verlassen. Ich hoffe, dass
man sich auf die Wirtschaft verlassen kann und sie sich
vertragstreu verhält.
({15})
Ich sage Ihnen: Es gibt hier im Parlament keine Mehrheit
zur Änderung des Atomgesetzes.
Jetzt einige wenige Bemerkungen - dann ist meine
Redezeit zu Ende - zu dem, was der Kollege Obermeier
gesagt hat; denn er war wirklich mutig. Sie sagen, es
gehe um Jobs und Wertschöpfung. Erstens. In der Atomwirtschaft sind 30 000 Menschen beschäftigt, im Bereich der erneuerbaren Energien 170 000. Das ist das
Verhältnis, das wir in Deutschland haben.
({16})
Zweitens. Herr Kollege Obermeier, wissen Sie, wer in
diesem Jahr den teuersten Strom geliefert hat? Frankreich, das den höchsten Anteil an Atomstrom hat. Also
kommen Sie in diesem Zusammenhang nicht mit dem
Argument des billigen Stroms. Das Gegenteil ist der
Fall.
Drittens. Öffentlich wird immer thematisiert, wer
Atomkraftwerke baut. Dazu sage ich Ihnen: Der Bau von
Atomkraftwerken in Finnland funktioniert nur, weil eine
bayerische Bank die Zinsen subventioniert - und dies
zulasten ihrer Kreditnehmer; denn die zahlen deshalb
höhere Zinsen. Das ist die Politik, durch die in Finnland
Kernkraftwerke gebaut werden.
China hat in der Tat das Ziel, dass die Kernenergie einen Anteil von 4 Prozent an der Stromerzeugung einnimmt. Erneuerbare Energien sollen aber einen Anteil
von 15 Prozent haben. Das sind die Realitäten, die wir in
Deutschland bzw. in der Welt haben.
({17})
- Ich habe gesagt: in der Welt. Ich habe mich korrigiert.
Sie sollten nicht nur den Fehler, sondern auch die Korrektur hören. Das würde ich gerne auch bei Ihnen machen, wenn Sie sich einmal korrigieren würden.
({18})
Warum sind wir gegen Kernenergie? Weil es in diesem Zusammenhang kein absolut sicheres Kraftwerk
gibt. Weil ich nicht in die Lage gebracht werden will,
zwischen den Gefahren der CO2-Emissionen und den
Gefahren der Radioaktivität wählen zu müssen. Das ist
die Wahl zwischen Pest und Cholera und wir wollen gesund werden. Ich bin gegen Kernenergie, weil ich nicht
will, dass meine Tochter und Ihre Kinder zusätzlichen
Atommüll unter ihren Füßen begraben. Wir haben schon
jetzt genug davon. Wir wollen das nicht endlos ausdehnen. Das ist unverantwortlich.
({19})
- Ich nenne Ihnen jetzt meine Position, die dazu geführt
hat, dass der Ausstieg aus der Kernenergie im Koalitionsvertrag steht.
Zum Endlager: Die Menschen in Deutschland haben
das gleiche Recht wie die Menschen in der Schweiz. Ich
akzeptiere nicht, dass mir Politiker aller Parteien Briefe
dergestalt schreiben, wir mögen es nicht zulassen, dass
ein Endlagerstandort in der Schweiz an der deutschen
Grenze gewählt wird, ohne dass Alternativen in der
Schweiz geklärt werden. Das muss auch in Deutschland
gelten, Herr Obermeier. Das ist die Antwort auf die
Frage, wie mit einem möglichen Endlager in Gorleben
umgegangen wird.
({20})
- Das ist nicht geklärt.
({21})
Das wissen Sie.
Letzte Bemerkung: Wenn die Industrienationen dieser
Welt weltweit erklären, nur die Kernenergie sei die Lösung, dann brauchen sie sich nicht darüber zu wundern,
dass auch die Diktatoren dieser Welt auf die Idee kommen, Kernenergie zu nutzen. Das Ergebnis ist die Verbreitung kernwaffenfähigen Materials quer über den
Erdball.
Vielen Dank.
({22})
Als letzter Redner hat das Wort der Kollege Marco
Bülow von der SPD-Fraktion.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Die Äußerungen von
Herrn Pinkwart sind wir gewöhnt. Wir haben ähnliche
Äußerungen von anderen Politikerinnen und Politikern
in diesem Lande gehört, die immer den Zweck erfüllen
sollen, ein wenig in dem Sinne nachzubohren: Was ist in
dieser Debatte möglich im Hinblick auf neue Atomkraftwerke und eine Laufzeitenverlängerung? Der Sprecher
von Herrn Pinkwart, Herr Zimmermann - das wird sicherlich nicht wieder geleugnet -, hat auch noch einmal
nachgelegt und gesagt, man müsse auf jeden Fall alles
dafür tun, die Atomtechnologie auszubauen, dranzubleiben und auch Geld zu investieren.
Damit wären wir bei den Kosten. Dazu ist schon einiges gesagt worden. 5 Milliarden Euro sind beim Schnellen Brüter in den Sand gesetzt worden, 5 Milliarden
Euro, die der Steuerzahler aufbringen muss. Das ist immer im Hinterkopf zu behalten, wenn wir über die Kosten der Atomkraft, die ja so billig ist, reden. Die Stromrechnung ist niedrig, aber diese Kosten tauchen auf der
Stromrechnung auch nicht auf: Hamm-Uentrop kostete
2 Milliarden Euro und kostet im laufenden Jahr immer
noch 6,5 Millionen Euro. Diese Kosten muss man mit
einbeziehen.
Damit sind wir bei dem, was heute als neue Technologie bezeichnet worden ist. Etwas eine neue Technologie
für die Zukunft zu nennen, was vor 20 Jahren schon gescheitert ist, ist absurd. Da hat wohl jemand verpennt,
dass das vor 20 Jahren abgeschaltet wurde.
({0})
Ich möchte auch etwas zu den hohen Sicherheitsstandards in Deutschland sagen. Ich bin froh, dass wir hohe
Sicherheitsstandards haben. Aber wir können uns eben
nicht ganz sicher und zufrieden zurücklehnen.
({1})
Deswegen brauchen wir diese Forschung. Nur muss man
sich entscheiden: Entweder sind sie total sicher, dann
brauchen wir keine Forschung, oder sie sind nicht total
sicher, dann brauchen wir die Forschung.
({2})
Nun möchte ich noch etwas zu Hamm-Uentrop sagen.
Hamm-Uentrop ist nicht nur nach zwei Jahren einfach
wieder abgeschaltet worden, sondern dort gab es einen
Unfall - bei der doch so tollen deutschen Technologie -,
bei dem radioaktives Material freigesetzt worden ist. Es
gab auch zahlreiche andere Unfälle. Man kann auch
heute nicht von Sicherheit sprechen. Das müssen wir
einfach wissen.
Dann fällt mir noch etwas anderes zu den Kosten ein:
Herr Kelber hat schon darauf hingewiesen und ich als
nordrhein-westfälischer Abgeordneter möchte gerne
nachfragen. Es gibt beispielsweise erhebliche Einsparungen bei den Landesforschungsinstituten. Ich nehme
einmal das Wuppertal Institut heraus, das wir alle für
wichtig erachten, weil es Grundlagenforschung im Bereich Klimaschutz betreibt; ein Thema, über das wir
noch lange reden. Ich frage mich, warum die Mittel hierfür gekürzt werden, jedoch Geld dafür da ist, weiterhin
in Atomtechnologie, vor allen Dingen in überalterte
Technologie, zu investieren. Ich glaube, das muss man
den Menschen noch einmal deutlich erklären.
({3})
Nun noch etwas zu der immer von der FDP geschürten Angstdebatte bezüglich der Abwanderung deutscher
Spitzentechnologie. Ich frage mich erstens, warum wir
bei der Biotechnologie in Europa führend sind, und
zweitens, warum die FDP, wenn sie sich schon so für
Spitzentechnologie in Deutschland einsetzt, immer noch
gegen das Erneuerbare-Energien-Gesetz zu Felde zieht
und will, dass sich die erneuerbaren Energien nicht ausbreiten, sondern eingedämmt werden.
({4})
Wir wissen doch, dass man die erneuerbaren Energien in
Deutschland durch ein Ausschreibungsmodell kaputt
macht und die Kosten in die Höhe treibt.
({5})
Herr Gabriel hat deutlich gemacht, wie viele Arbeitsplätze und welche Potenziale im Bereich der erneuerbaren Energien vorhanden sind, die wir noch längst nicht
ausgeschöpft haben. Es ist übrigens interessant, dass im
Rahmen einer forsa-Umfrage, die Herr Hill schon
erwähnt hat, gerade FDP-Wähler gesagt haben - das
sollten Sie sich vielleicht einmal ansehen -, dass die erneuerbaren Energien das größte Potenzial aller Energiebereiche haben.
({6})
- Wenn Sie dafür wären, würden Sie dem EEG endlich
zustimmen. Das wäre schön. Darauf warten wir immer
noch.
Ich möchte zum Schluss noch auf die Frage zu sprechen kommen: Welche Zukunft hat die Atomkraft? Ich
möchte das aus einem Grund tun, der heute noch nicht
angesprochen worden ist. Wir sagen immer, dass das
Erdöl ausgeht, dass das Erdgas knapp wird und auch
ausgeht. Die Wünsche nach der Entstehung neuer Atomkraftwerke in China und anderswo nehme ich mit Besorgnis zur Kenntnis. Wenn all diese Atomkraftwerke
wirklich gebaut werden, haben wir ganz schnell auch
kein Natururan mehr. Dann können wir ganz schnell alle
Atomkraftwerke, die darauf bauen, abschalten. Das
sollte man bei der Debatte vielleicht berücksichtigen.
({7})
Übrigens: Öl durch Atomkraft zu ersetzen, das müssen Sie mir einmal vormachen. Es hat schon einmal ein
Ministerpräsident im Zusammenhang mit dem Anstieg
der Spritpreise gemeint, es müsse nur die Atomkraft ausgebaut werden, um das in den Griff zu bekommen. Ich
habe noch keine Tankstelle gesehen, die Atomstrom in
die Autos „füllt“.
Zum Schluss zur Nachhaltigkeit: Das Nachhaltigste
an der Atomkraft ist, dass wir damit unseren Kindern
und Kindeskindern, die niemals eine Chance hatten, darüber zu bestimmen, ob sie Atomkraftwerke haben wollen oder nicht, Müll hinterlassen, der Hunderttausende
von Jahren strahlt. Deswegen gebe ich unserem Minister
Gabriel voll und ganz Recht, wenn er sagt: Wir wollen
nicht noch mehr Atommüll, den wir unseren Kindern
und Kindeskindern hinterlassen müssen. Es ist gar keine
Frage, dass wir mit dem, was wir haben, sorgfältig umgehen müssen.
In diesem Sinne: Vielen Dank.
({8})
Die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestags auf morgen, Donnerstag, den 29. Juni 2006, 9 Uhr,
ein.
Die Sitzung ist geschlossen.