Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 6/28/2006

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf: Befragung der Bundesregierung Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Fortführung des Emissionshandels im Zeitraum 2008 bis 2012. Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht hat der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Sigmar Gabriel.

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine Damen und Herren! Das Bundeskabinett hat heute den zweiten Nationalen Allokationsplan für den Emissionshandel mit Treibhausgasen sowie die notwendige Verordnung zur Erhebung von Daten über die realen Treibhausgasemissionen in den Jahren 2003 und 2004 beschlossen. Ziel ist, dass Deutschland seinen Verpflichtungen nachkommt, das Klima zu schützen und die klimaschädlichen Treibhausgase in der Periode 2008 bis 2012 um 21 Prozent gegenüber dem Jahr 1990 zu verringern. Der wichtigste Inhalt dieses Nationalen Allokationsplans für den Emissionshandel mit Treibhausgasen lautet: Deutschland wird seine Klimaschutzziele einhalten. Wir werden den Ausstoß von CO2-Treibhausgasen zwischen 2008 und 2012 um 21 Prozent gegenüber 1990 reduzieren. Die Bundesrepublik Deutschland ist damit das erste Land in der Europäischen Union, das seinen zweiten Allokationsplan beschließt. Morgen wird die Regierung von Großbritannien folgen. Das ist insofern von großer Bedeutung, als es in Europa durchaus eine Reihe von Interessengruppen gibt, die gehofft hatten, dass es die wichtigen großen Industriestaaten, die in der Vergangenheit bereits eine Führungsrolle bei der Reduzierung der klimaschädlichen Treibhausgase innehatten, nicht schaffen würden, die Allokationspläne fristgerecht zum 30. Juni 2006 abzugeben. Es bestand durchaus die Hoffnung, dadurch das System des Emissionshandels in Europa infrage stellen zu können. Die Bundesregierung legt Wert darauf, dass dies nicht der Fall sein wird. Im Gegenteil: Wir erwarten von der Europäischen Kommission, dass sie gegenüber den Staaten, die ihren Nationalen Allokationsplan nicht zeitnah vorlegen oder die Klimaschutzziele in Europa nicht einhalten, aktiv wird. Der wesentliche Inhalt des zweiten Nationalen Allokationsplans zur Reduktion der klimaschädlichen Treibhausgase ist die Reduktion des CO2-Ausstoßes um jährlich 15 Millionen Tonnen im Zeitraum von 2008 bis 2012 im Bereich „Energiewirtschaft und Industrie“. Zum Vergleich: Der erste Allokationsplan hatte eine Reduktion um lediglich 2 Millionen Tonnen pro Jahr zum Ziel. Das Zuteilungsgesetz für die Handelsperiode 2005 bis 2007 hatte das Ziel, den Ausstoß in dieser Periode um 10 Millionen Tonnen zu reduzieren. Wir haben diese Vorgabe um 5 Millionen Tonnen auf 15 Millionen Tonnen heraufsetzen müssen, weil der Ausstoß von Treibhausgasen in Deutschland in der Vergangenheit insgesamt stärker war, als zu Beginn der ersten Handelsperiode geschätzt wurde. Von daher ist es nur logisch, dass die Pläne ambitionierter werden. Prozentual ist das eine Reduktion um 3 Prozent und nicht, wie gelegentlich in den Zeitungen zu lesen war, um 0,6 Prozent. Nur zum Vergleich: Der erste Allokationsplan sah eine Reduktion um nur 0,4 Prozent vor. Wir erleichtern neuen und modernen Gaskraftwerke den Marktzugang. Wir statten sie erstmals mit 7 500 Betriebsstunden aus, machen sie also grundlastfähig. Das war bislang nicht der Fall. Sie waren mit lediglich 3 000 Betriebsstunden ausgestattet und daher im Wesentlichen im Bereich der Spitzenlast tätig. Wir erleichtern den internationalen Wettbewerb der Strom verbrauchenden Industrie, indem wir von ihr eine Reduktion der CO2-Treibhausgase um nur 1,25 Prozent fordern. Demgegenüber muss die Energiewirtschaft ihre Emissionen um 15 Prozent reduzieren. Das ist insofern angemessen, als - das wird zu Recht allgemein beklagt - in der ersten Handelsperiode rund 6 Milliarden Euro Windfall-Profits durch die kostenlose Übertragung der CO2-Zertifikate angefallen sind. 15 Prozent sind also durchaus vertretbar. Redetext Wir haben eine Vielzahl von Ausnahmeregelungen abgeschafft: die Optionsregel, die uns im ersten Allokationsplan große Probleme bereitet hat, ebenso wie die Early-Action-Regelung. Wir haben die Reserve, die wir für Neuanlagen, insbesondere für Gaskraftwerke, brauchen, immerhin vervierfacht. Im ersten Allokationsplan gab es bei den CO2-Zertifikaten eine Reserve von nur 3 Millionen Tonnen jährlich; jetzt haben wir 12 Millionen Tonnen Reserve pro Jahr. Wir haben zudem die Übertragungsregel verändert. Im ersten Allokationsplan lag der Zeitraum bei vier plus 14 Jahren. Wir ziehen jetzt bei vier plus zehn Jahren die Grenze. Wir haben auch erheblich zur Entbürokratisierung beigetragen, indem wir die rund tausend Kleinemittenten faktisch aus dem Emissionshandel ausgenommen haben, weil ihr Beitrag zur Emissionsminderung sehr gering ist und für sie ein riesiger bürokratischer Aufwand produziert werden müsste. Letzte Bemerkung: Das Kabinett hat sich nach einer intensiven Diskussion noch einmal gegen die Auktionierung, also den Verkauf von 10 Prozent der Zertifikate zum jetzigen Zeitpunkt ausgesprochen. Das Kabinett legt Wert darauf, dass dies keine Vorentscheidung ist. Ganz im Gegenteil: Uns erscheint die Auktionierung durchaus als angemessenes Mittel. Allerdings brauchen wir vorher die Öffnung der europäischen Stromnetze, damit die Verbraucherinnen und Verbraucher sich gegen weitere Preisspiralen wehren können, die durch die Auktionierung mit Sicherheit ausgelöst werden würden. Das heißt, wir brauchen die Öffnung der europäischen Stromnetze, um mehr Wettbewerb auf dem Strommarkt zu erreichen, damit ein deutscher Verbraucher, eine Verbraucherin oder ein Betrieb aus einem anderen Land Europas Strom beziehen kann, wenn die Monopolisten in Deutschland weiterhin alles Mögliche auf die Strompreise umlegen. First things first: Wir brauchen zuerst die Öffnung der Stromnetze; dann erfolgt die Auktionierung. Wenn wir es umgekehrt machten, wie es einige fordern, würde das steigende Strompreise für die Verbraucherinnen und Verbraucher bedeuten. Das ist zurzeit leider ein Trojanisches Pferd: Es sieht schön aus, hat aber einen üblen Inhalt. Wir hoffen, dass wir aus dem Trojanischen Pferd möglichst schnell über die Öffnung der Stromnetze ein ({0}) Galopprennpferd bzw. ein echtes Pferd machen. Reinhard Loske wird gleich berichten, wie wir es besser machen können. - Ich bin auf Ihre Fragen gespannt. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich bitte, zunächst Fragen zu dem Themenbereich zu stellen, über den soeben berichtet worden ist. - Das Wort hat die Kollegin Höhn.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, Sie haben eben berichtet, dass Sie von der Möglichkeit, 10 Prozent der Zertifikate zu versteigern, keinen Gebrauch machen wollen, und dies damit begründet, dass die Preise sonst noch mehr steigen würden. Sie haben aber vorher selber gesagt, dass die vier großen Energiekonzerne den Wert der Zertifikate, die sie beim letzten Mal ohne Kosten bekommen haben, auf die Preise umgelegt haben; sonst wären die Windfall-Profits ja nicht entstanden. Das heißt, die Verbraucherinnen und Verbraucher haben sozusagen für Zertifikate gezahlt, die die Unternehmen umsonst bekommen haben. Hier wurden von den Unternehmen Kosten umgelegt - das ist aus Sicht des Verbraucherschutzes wirklich eine Schweinerei -, die nicht angefallen sind. Wie kommen Sie als Bundesregierung eigentlich unter diesem Gesichtspunkt - die Unternehmen haben keinesfalls signalisiert, dass sie den Wert der Zertifikate, die sie jetzt umsonst bekommen, nicht auf die Preise umlegen - dazu, diese 10 Prozent nicht zu versteigern? Ihnen gehen dadurch 500 bis 750 Millionen Euro pro Jahr verloren, die Sie gut nutzen könnten, um hinsichtlich des Klimawandels gerade bei den Privaten etwas zu tun. Wieso lassen Sie sich diese Chance entgehen, wenn die Unternehmen so oder so die Preise erhöhen werden? Sie verlieren 750 Millionen Euro pro Jahr.

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Ich persönlich nicht, Frau Kollegin Höhn. ({0}) Sie meinen vermutlich den Bundeshaushalt. Frau Kollegin Höhn, erstens hätte ich mir gewünscht, dass die Gefahr einer Einpreisung bei einer kostenlosen Vergabe der Zertifikate bereits in der letzten Legislaturperiode offensiver angegangen worden wäre. Ich bitte um Verständnis; ich kann nichts dafür. Dieses System, das zu Windfall-Profits geführt hat, ist unter anderem in Ihrer Regierungsmitverantwortung etabliert worden. Das freut mich nicht. Ich möchte mir Ihre deutliche Bezeichnung dieses Handelns nicht zu Eigen machen, aber in der Bewertung stimme ich Ihnen zu. Auch ich halte ein solches Verhalten für absolut unangemessen. Aber dieses System habe nicht ich zu verantworten. Zweitens. Wir haben den sicheren Eindruck, dass eine Auktionierung trotz der in großen Teilen bereits erfolgten Einpreisung weitere Preissteigerungen zur Folge hätte, weil die Unternehmen inzwischen bestreiten, die kostenlosen Zertifikate eingepreist zu haben. Sie sagen, die Strompreisentwicklung habe ganz andere Gründe. Selbstverständlich würden sie eine Auktionierung, die, wie Sie wissen, möglicherweise Spekulationsgewinne verursacht, wieder einpreisen und sich so das Geld von den Verbrauchern holen. Die Bundesregierung wird nicht den Weg gehen, sich jetzt durch die Auktionierung Mittel zu verschaffen - in welcher Höhe auch immer -, um sie dem Bundeshaushalt zuzuführen, und so zu dieBundesminister Sigmar Gabriel sem Verhalten beizutragen. Wir wollen die Auktionierung. Aber vorher müssen wir auf dem Strommarkt für Wettbewerb sorgen, damit die Verbraucherinnen und Verbraucher sozusagen eine Waffe in der Hand haben, mit der sie sich wehren können. Darüber hinaus macht auch die Debatte, die in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union geführt wird, deutlich, dass unsere Vermutung, die Auktionierung führe nur dazu, dass im Zweifel zweimal eingepreist wird, durchaus berechtigt ist. Denn es gibt eine Reihe von Mitgliedstaaten, die die Auffassung vertreten, das eigentliche Problem bestünde darin, dass nicht alle Staaten in Europa auktionieren: Wer nicht auktioniert, hat niedrigere Strompreise und damit einen Wettbewerbsvorteil. Wer auktioniert, hat höhere Strompreise. - Erst gestern habe ich darüber mit Kolleginnen und Kollegen aus verschiedenen europäischen Ländern, unter anderem aus Dänemark, diskutiert. Daran können Sie erkennen, dass wir mit unserer Vermutung, eine Auktionierung - wenn es auch nur um 10 Prozent geht - würde zu weiteren Strompreissteigerungen führen, nicht allein dastehen. Ich vermute, dass wir Sie davon nicht werden überzeugen können; das ist nämlich auch eine Einschätzungsfrage. Aber ehrlich gesagt ist mir die Auktionierung von 10 Prozent der Zertifikate zu risikoreich, wenn es auf dem Strommarkt keinen Wettbewerb gibt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Eine Nachfrage der Kollegin Höhn. Als Nächster ist dann der Kollege Kauch an der Reihe.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wenn Sie mehr Wettbewerb auf dem Energiemarkt schaffen und dadurch Vorteile für die Verbraucherinnen und Verbraucher erzielen wollen, warum unterstützen Sie dann nicht die vielen Initiativen, die es dazu bundesweit gibt? Mittlerweile wehren sich über eine halbe Million Menschen gegen die Gas- und Strompreiserhöhungen, und zwar mit dem Argument, ihnen dürften keine Kosten aufgebürdet werden, die gar nicht entstanden sind. Sie gewinnen momentan jeden Gerichtsprozess. Warum unterstützen Sie nicht diese Initiativen, die sich dafür einsetzen, dass die Unternehmen bei der Kostengestaltung das Gebot der Transparenz beachten? Dadurch könnte man echten Wettbewerb herstellen. Die Unternehmen könnten gezwungen werden, ihre Kostenkalkulationen darzulegen, was sie bisher nicht tun, was sie strikt verweigern. Dann hätten Sie für mehr Wettbewerb gesorgt, auch im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher. Warum tun Sie das nicht?

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Ihre Unterstellung ist falsch. Selbstverständlich unterstütze ich die Bemühungen der Verbraucherinnen und Verbraucher. Das habe ich auch öffentlich gesagt. Natürlich ist jedes Instrument - notfalls auch ein Gerichtsverfahren -, das zur Folge hat, dass Kalkulationen offen gelegt werden, sehr zu begrüßen. Wir erwarten erstens, dass das Urteil des Kartellamtes zur Frage der Windfall-Profits den Druck noch einmal erhöht. Zweitens gehen wir davon aus, dass die Regulierungsbehörde unter der Leitung von Herrn Kurth, die zukünftig auch für den Strommarkt zuständig sein wird, dazu beiträgt, Transparenz zu schaffen. Durch sie werden ja auch die bisherigen Genehmigungen der Strompreise abgelöst. Insofern weiß ich nicht, wie Sie auf die Idee kommen, wir würden Bemühungen um mehr Transparenz nicht unterstützen. Der Sinn der Einrichtung dieser Regulierungsbehörde war, mehr Transparenz zu schaffen. Ich erhoffe mir von ihr sehr viel. Wie Sie wissen, wollen wir über die Anreizregulierung, die bereits in der letzten Legislaturperiode beschlossen wurde, dazu beitragen, dass die aus unserer Sicht völlig überhöhten Netznutzungsentgelte - sie sind in Deutschland zum Teil doppelt so hoch sind wie in anderen Teilen Europas - deutlich gesenkt werden. Frau Kollegin Höhn, wir sind mit Ihnen also völlig einig, sofern Sie Ihre Unterstellung zurücknehmen. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt ist der Kollege Kauch dran. Sie, Frau Kollegin Höhn, können sich gerne später noch einmal melden. Herr Kauch, bitte schön.

Michael Kauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003698, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Minister, die Bundesregierung hat einen Sachverständigenrat für Umweltfragen eingesetzt. Dieser Sachverständigenrat empfiehlt - übrigens in großer Eintracht mit allen Wirtschaftsforschungsinstituten und allen Umweltverbänden - die Versteigerung von 10 Prozent der Zertifikate. Ich zitiere aus dem Gutachten des Sachverständigenrates: Bei der Wettbewerbsargumentation - auch Sie haben ja gesagt, eine Versteigerung sei nur nach Öffnung der europäischen Stromnetze möglich handelt es sich um vorgeschobene strategische Argumente im Kampf um windfall-profits. Eine Versteigerung ist die einfachste und transparenteste aller Zuteilungsmethoden und vermeidet diese Verteilungskonflikte innerhalb des Emissionshandelssektors. Wenn Ihr eigenes Beratungsgremium, alle Wirtschaftsforschungsinstitute und alle Umweltverbände das Gegenteil von dem fordern, was Sie hier vertreten, würde ich gerne wissen, auf welcher wissenschaftlichen Grundlage die Bundesregierung zu ihrer Einschätzung kommt. Ich möchte in diesem Zusammenhang auch fragen, ob Ihnen Vorschläge bekannt sind, wie man bei einer Versteigerung von 10 Prozent der Zertifikate die Spekulationsgewinne, die Sie angesprochen haben, vermeiden kann. Beispielsweise wird vom Bundesverband Emissionshandel und Klimaschutz vorgeschlagen, dass die Energiewirtschaft nur im dem Maße an der Versteigerung teilnehmen darf, wie sie auch Anteil am Emissionshandelssektor hat. Das würde den möglichen Machtmissbrauch der Energieversorger - es sind ja nur vier Unternehmen - entsprechend ausschalten. Diese beiden Punkte hätte ich gerne von Ihnen beantwortet.

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Zur zweiten Frage: Dies hätte zur Konsequenz, dass wir beispielsweise auch gegenüber der Strom verbrauchenden Industrie auktionieren müssten. Sie hätte dadurch deutlich höhere Kosten. Genau diese Industrie wollen wir aber mit einem Erfüllungsfaktor von 1,25 Prozent im internationalen Wettbewerb schützen. Ich dachte bisher, das sei auch die wirtschaftspolitische Position der FDP. Wenn sich das geändert hat, wird das die Strom verbrauchende Industrie mit Sicherheit gerne zur Kenntnis nehmen. Sie müssen wissen, dass zum Beispiel im Bereich der Zementwirtschaft eine auch nur geringe Erhöhung der Kosten für Strom und Energie dazu führen wird, dass diese Industrie in Deutschland keine Chance mehr hat. Auktionierung geht nur, wenn sie für alle gilt. Wenn Sie die Strom verbrauchende Industrie aber nicht gleichzeitig durch Wettbewerb vor der Übertragung auch noch der 15 Prozent aus der Energiewirtschaft schützen, werden Sie in diesem Bereich massive Probleme haben. Übrigens würde eine Auktionierung von 10 Prozent die Belastung der Energiewirtschaft von 15 auf über 30 Prozent anheben. Ich kenne niemanden, der glaubt, dass eine Belastung von mehr als 30 Prozent - 15 Prozent Erfüllungsfaktor plus die Kosten für die Auktionierung - nicht dazu führt, dass die Stromunternehmen das auf den Preis umlegen werden. Das glaubt lediglich jemand, der nur ans Gute glaubt. Ich glaube durchaus auch ans Gute, aber ich weiß auch, wie sich Leute im Rahmen des Möglichen gerne verhalten. Zu Ihrer ersten Frage: Ich hielte das für ein Experiment am lebenden Objekt, nämlich am Verbraucher. Ich möchte nicht, dass der Verbraucher weiter darunter zu leiden hat, und wir sind nicht ganz sicher, wie der weitere Verlauf wäre. Ich möchte deshalb, dass wir zunächst sicherstellen, dass wir Wettbewerb haben. Dann können und müssen wir auktionieren. Aber solange wir den nicht haben, muss ich im Hinblick auf die Vorschläge, wie sie in dem Gutachten stehen, aus dem Sie vorgelesen haben, sagen: Das ist in der Theorie richtig. Leider wird aber die in der Praxis vorherrschende Marktmacht außer Acht gelassen. - Ich nenne Ihnen auch den Grund, warum ich nicht allen Gutachten glaube, so wie Sie in der Regel meinen Gutachten nicht glauben: Damals hat ein Teil der Umweltökonomen, die uns heute raten, zu versteigern, versprochen, dass die kostenlose Vergabe der CO2-Zertifikate an die Unternehmen nicht zu Einpreisungen führen werde. Das hat nicht funktioniert. - Man muss also manchmal ein bisschen vorsichtig sein. Leider gibt es zu dieser Frage alle möglichen Gutachten: Es gibt die Kritik derjenigen, die sagen, wir müssten auktionieren. Ferner gibt es ein Schreiben des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, unterschrieben von Herrn Thumann, an die Bundeskanzlerin. Dessen Aussage lautet, mit diesem Emissionshandelssystem drohe der Untergang des Abendlandes. - Wir glauben, dass die Tatsache, dass uns alle Seiten kritisieren - sowohl die, die mehr wollen, als auch die, die weniger wollen -, ein Indiz dafür ist, dass wir vernünftigerweise in der Mitte liegen. In die Mitte wollten Sie doch auch immer.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Eine Nachfrage? - Bitte schön, Herr Kauch.

Michael Kauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003698, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sie haben uns gerade vorgerechnet, dass der Erfüllungsfaktor auf 30 Prozent steigen würde. Diese Argumentation ist nur dann richtig, wenn Sie unterstellen, die Zertifikate, die wir versteigern wollen, würden sich in Luft auflösen und dem Markt nicht zugeführt. Der entscheidende Unterschied zur kostenlosen Verteilung besteht aber darin, dass die Unternehmen die Zertifikate bezahlen müssen. Könnten Sie sich nicht vorstellen, dass die Argumentation, die Sie gerade vorgetragen haben, gerade deshalb von der Industrie und auch von dem genannten BDI vertreten wird, weil sie den Interessen der beteiligten Unternehmen entspricht?

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Ja. Da der BDI nicht nur Energieerzeuger vertritt, sondern auch die Strom verbrauchende Industrie, kann ich mir gut vorstellen, dass der BDI etwas dagegen hat, dass die Strom verbrauchende Industrie noch mehr bezahlen muss - ich auch und ich dachte, Sie auch. So erklärt sich diese Positionierung des BDI; da haben Sie völlig Recht.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die nächste Frage stellt der Kollege Dr. Loske.

Dr. Reinhard Loske (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003176, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, ich will jetzt nichts zur Auktionierung fragen, wenngleich es natürlich historisch interessant wäre, noch einmal darüber nachzudenken, wer in der letzten Legislaturperiode mit besonderer Vehemenz dagegen gekämpft hat. Das will ich mir jetzt aber sparen. Ich will das Mengengerüst ansprechen. Die Zahlen, die Sie gerade genannt haben, sind die eine Wahrheit. Die andere Wahrheit ist, dass nach den realen Zahlen für das Jahr 2005, die jetzt vorliegen - es wurden, um genau zu sein, 474,5 Millionen Tonnen CO2 ausgestoßen -, der CO2-Ausstoß weit unter dem Ziel von 482 Millionen Tonnen liegt, das Sie jetzt ansteuern. Nun kann man sagen, dass man aufgrund der Temperaturen, des Wetters usw. gleitende Durchschnittswerte braucht, also Werte, die sich nicht nur auf ein Jahr beziehen. Ich möchte Sie aber trotzdem gerne fragen, ob angesichts dieser 474 Millionen Tonnen das Ziel, das Sie sich für das Jahr 2012 setzen, nämlich beim CO2-Ausstoß einen Wert zu erreichen, der über dem liegt, der in 2005 erreicht worden ist, nicht doch etwas unterambitioniert ist. Hieran möchte ich direkt meine zweite Frage anschließen, die in engem Zusammenhang damit steht. Schränkt es die klimapolitischen Handlungsmöglichkeiten in Zukunft nicht enorm ein, wenn Sie die Kohle jetzt so sehr begünstigen? Sie haben auf der einen Seite die Betriebsstunden genannt, die jetzt für beide gleich hoch sind, nämlich 7 500 Stunden. Auf der anderen Seite erhält der Bereich Braunkohle pro Kilowattstunde nach wie vor doppelt so viele Emissionsrechte wie der Bereich Erdgas, sodass es beispielsweise keinerlei Anreiz für einen Brennstoffwechsel gibt. Zieht sich hier der Horizont für klimapolitische Handlungsmöglichkeiten in der Zukunft nicht enorm zu und besteht nicht die Gefahr, dass wir zwar vielleicht das Ziel 2012 erreichen, bei den Folgezielen, die ja mindestens genauso wichtig sind - 2020, 2050 usw. -, aber enorme Schwierigkeiten bekommen? Politisch zugespitzt frage ich also: Missverstehen Sie den Emissionshandel nicht als Förderprogramm für den Neubau von Kohlekraftwerken?

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Politisch zugespitzt lautet die Antwort: Nein. - Ich gebe aber zu, dass man zu beiden Themen ein bisschen mehr sagen muss. Ich bin vor allen Dingen für die erste Frage außerordentlich dankbar, weil Sie mir damit die Gelegenheit geben, eine in den letzten Tagen in der Öffentlichkeit und auch in den Medien immer wieder zitierte Behauptung klarzustellen. Würde ich mich entsprechend der Behauptung verhalten, würde ich schlichtweg rechtswidrig handeln. Sie sagen zu Recht, dass die reale Emissionsmenge im Bereich der emissionshandelspflichtigen Industrieund Energieunternehmen im Jahre 2005 474 Millionen Tonnen CO2 betragen hat. Sie fordern im Grunde - das ist in der Öffentlichkeit deutlich geworden; das steht auch in einigen Medienkommentaren -: Nehmt das doch als Obergrenze des Emissionshandels - die Unternehmen haben ja gezeigt, dass sie mit 474 Millionen Tonnen auskommen - und beginnt von diesem Wert aus mit der Senkung. Dazu ist Folgendes zu sagen: Es ist mir von der Europäischen Kommission untersagt, ein einzelnes Jahr zum Basisjahr des Emissionshandels zu machen. Insbesondere darf ich nicht das Jahr 2005 nehmen. Deswegen sagen wir: Anders als in der ersten Handelsperiode werden wir nicht nur zwei oder drei Jahre, sondern den Durchschnitt der Jahre 2000 bis 2005 heranziehen. Für die Jahre 2000 bis 2002 gibt es harte, real verifizierte Zahlen. In diesem Zusammenhang möchte ich gerne richtig stellen, was heute jemand geschrieben hat, nämlich - ich zitiere -: Dumm nur, dass es sich dabei um geschätzte Daten handelt. - Das ist schlichtweg falsch. Es geht um verifizierte Daten für die Jahre 2000 bis 2002. Die frühere Regierung hatte eine entsprechende Verordnung erlassen, um diese Daten zu erheben. Die Daten des Jahres 2005 haben wir ebenfalls, weil das das erste Jahr in der Handelsperiode des NAP I ist. Die Daten für die Jahre 2003 und 2004 fehlen uns. Die alte Bundesregierung hatte kurz vor der Wahl keine Verordnung mehr zur Erhebung der Daten für die Jahre 2003 und 2004 erlassen. Deswegen haben wir dies heute beschlossen; wir werden die Daten für die Jahre 2003 und 2004 erheben. Herr Dr. Loske, jetzt kommt das eigentlich Entscheidende: Dieser Beschluss enthält einen Datenvorbehalt. Wenn sich herausstellt, dass der Durchschnitt der Jahre 2000 bis 2005 aufgrund der niedrigen Emissionswerte in den Jahren 2003 und 2004 ebenfalls sinkt, dann werden wir das Cap natürlich anpassen. Wenn wir das nicht täten, was übrigens der Bundesverband der Deutschen Industrie fordert - er fordert, bei 495 Millionen Tonnen zu bleiben -, gäben wir den Industrie- und Energieunternehmen mehr CO2-Rechte, als sie eigentlich brauchen, wodurch es zu keinerlei Minderung käme. Deswegen werden wir das Cap immer an die realen Daten anpassen, bezogen auf die Jahre 2000 bis 2005. Die Forderung, das Ziel nur auf das Jahr 2005 zu beziehen, kann weder materiell noch rechtlich umgesetzt werden. Ich bin sehr dankbar, dass Sie diese Frage aufgeworfen haben, weil ich klarstellen kann, dass sich die daraus ergebende Konsequenz, wir würden den Ausstoß der Treibhausgase nur um 0,6 Prozent mindern, schlicht falsch ist; denn die Minderung ergibt sich nicht aus den Daten eines einzelnen Jahres - diese Rechnung ist, wie gesagt, verboten -, sondern aus dem Durchschnittswert. Dieser liegt zurzeit bei 482 Millionen Tonnen und damit deutlich unter dem Cap, das der BDI fordert. Wenn die Werte für die Jahre 2003 und 2004 niedriger ausfallen sollten und damit auch der Durchschnittswert geringer ist, werden wir - das bringt der Datenvorbehalt mit sich das Cap selbstverständlich anpassen. Zu den Gaskraftwerken. Ich habe bereits gesagt, dass wir durch die Erhöhung der Betriebsstunden versuchen, die bislang nur mit 3 000 Stunden in der Spitzenlast tätigen Gaskraftwerke an den Markt zu bekommen. Zur Kohle möchte ich Folgendes anmerken: Erstens. Ich gehöre nicht zu denen, die glauben, dass man in den kommenden Jahren in Deutschland oder in der Welt auf die Kohle wird verzichten können. Das liegt nicht daran, dass ich mir keine Welt ohne Kohlekraftwerke vorstellen könnte, aber sie wird es nicht geben. Wir setzen darauf, in Deutschland bis zum Jahre 2020 den Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromversorgung auf 20 Prozent zu steigern. Das ist, wie Sie wissen, kein niedriges, sondern ein sehr ambitioniertes Ziel. Mit einem Anteil von 20 Prozent wären wir weltweit führend; das gilt zumindest für die Länder, die erst vor kurzem damit begonnen haben. Ich weiß, dass Norwegen hier eine Ausnahme ist, aber dort wurde nie auf etwas anderes als auf erneuerbare Energien gesetzt. Dann blieben 80 Prozent übrig. Wenn wir keine Kernkraft einsetzen wollen - im Koalitionsvertrag steht, dass wir sie nicht mehr wollen -, werden wir Gas und Kohle nutzen müssen, es sei denn, man käme auf die Idee, die Kohle zu 100 Prozent durch Gas zu ersetzen. Dazu müsste man allerdings nachweisen, dass derartige Vorkommen existieren, sodass dies technisch machbar wäre. Was das für den Gaspreis bedeuten würde, sei einmal dahingestellt. Wir werden die Kohle also weiterhin nutzen müssen. Insbesondere Länder, die gigantische Vorkommen an Steinkohle haben wie China, werden auf diese Vorkommen nicht verzichten. Wenn ich nicht will, dass diese Steinkohlevorkommen mit einer alten Technologie genutzt werden, durch die das Klima weiter dramatisch geschädigt würde, muss ich in einem Hochtechnologieland wie Deutschland neue Kohletechnologien entwickeln. Die Wirkungsgrade dürfen nicht bei 30 oder 40 Prozent liegen; sie müssen bei der Steinkohle oberhalb von 45 Prozent und bei der Braunkohle bei mindestens 43 Prozent liegen. Zweitens. Natürlich muss ich auch auf dem Gebiet „Carbon Capture“ forschen. Ohne die Entwicklung einer solchen Technologie, die wir dann auch in andere Länder transferieren können, würden wir zur Schädigung des Klimas beitragen. Deswegen sage ich: so viel Gas wie möglich, aber auch so viel Gas wie vertretbar. „Vertretbar“ bezieht sich auf Menschen mit einem durchschnittlichen Einkommen, das unterhalb dessen eines Ministers oder Bundestagsabgeordneten liegt. Ich kann nicht vertreten, dass durch steigende Gaspreise und durch eine steigende Abhängigkeit von Gaspreisen Menschen mit mittlerem oder niedrigem Einkommen immer mehr ihres verfügbaren Einkommens für eine warme Wohnung ausgeben müssen. Aus diesem Grund sind wir der Ansicht, dass wir beides brauchen: Gas und Kohle. Bei der Kohle gilt: so wenig wie möglich, mit neuen Technologien und höheren Wirkungsgraden sowie Carbon Capture.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Eine Nachfrage? - Bitte schön.

Dr. Reinhard Loske (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003176, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe eine kurze Nachfrage. Sie haben in einem kenntnis- und wortreichen Plädoyer für die Kohle noch einmal all das dargelegt, was grundsätzlich richtig ist. Aber ich will es konkret formulieren. Ist es nicht so, dass es dann, wenn die ganzen Projekte für den Bau neuer Kohlekraftwerke, die jetzt in der Pipeline sind, die Sie begrüßen und auf dem Energiegipfel mit den Worten gewürdigt haben, dass diese bald noch durch den Emissionshandel flankiert würden, umgesetzt werden, immer schwieriger wird, die Klimaschutzziele zu erreichen? Ich will sie für die Kolleginnen und Kollegen wiederholen, die sich mit diesen Dingen nicht täglich beschäftigen. Ziel ist, die Treibhausgasemissionen bis 2020 um 40 Prozent und bis Mitte dieses Jahrhunderts um mindestens 80 Prozent zu senken, wobei der Kollege Fell 100 Prozent fordert. Aber sei es drum; so sind die Größenordnungen. Wenn diese Kohlekraftwerke einmal gebaut sind, dann werden sie bis 2050 laufen. Noch einmal eine präzise Nachfrage: Zieht sich der Handlungshorizont für Klimapolitik nicht enorm zu, wenn wir jetzt so massiv in Kohle investieren, wie Sie es im Rahmen des Emissionshandels ganz offensiv befördern wollen?

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Um es einmal richtig zu stellen: Was ich offensiv fördere, sind neue Kohlekraftwerke mit höheren Wirkungsgraden und einer, wie Sie wissen, geringeren Emission von CO2 gegenüber den derzeit laufenden Kohlekraftwerken. Was wir mit dem NAP II befördern, sind Investitionen in moderne Kohletechnologien und das Abschalten alter Kohlekraftwerke. Jetzt zu der aus meiner Sicht wichtigsten Frage: Erreichen wir bis 2020 eine Minderung der Treibhausgasemissionen um 40 Prozent in Deutschland und um 30 Prozent in der EU und - das geht darüber hinaus - bis 2050 eine Minderung von 60 bis 80 Prozent in der Europäischen Union? Das werden wir nicht schaffen, wenn wir nicht noch ambitioniertere Ziele als die im Kiotoprotokoll und in der Linking Directive der Europäischen Union vorgeschriebenen Minderungsziele bis 2012 erreichen. Wir glauben, dass wir das auch im Kohlebereich durchsetzen können. Wir glauben, dass wir durch die Konkurrenz zum Gas gute Wettbewerbsbedingungen schaffen. Wir glauben, dass wir bis dahin Carbon-Capture entwickeln können - das wäre die Nachrüstung -, und es wird auch bedeuten - das gebe ich zu -, dass in den Bereichen Gebäude und Verkehr deutlich stärkere Anstrengungen notwendig sind. Aus diesem Grund legt die Bundesregierung das CO2Gebäude-Sanierungsprogramm auf, das mit immerhin 1,4 Milliarden Euro pro Jahr deutlich besser ausgestattet ist als in der Vergangenheit. Aus diesem Grund tritt die Bundesregierung dafür ein, dass der Anteil von Biokraftstoffen, der den normalen Kraftstoffen beigemischt wird, deutlich ansteigen soll. Aus diesem Grund schließlich tritt die Bundesregierung dafür ein, während ihrer EURatspräsidentschaft den Anteil von beigemischten Biokraftstoffen in der Europäischen Union von derzeit 5 Prozent auf 10 Prozent zu erhöhen. Wir glauben, dass wir mit diesen Instrumentarien auch die ambitionierteren Ziele erreichen können. Ich will aber nicht verschweigen, dass wir diese Frage im parlamentarischen und politischen Raum noch heftig werden diskutieren müssen. Bei einer reinen Fortschreibung der jetzigen Minderungsziele, die dem Kiotoprotokoll entsprechen, werden wir diese Ziele nicht einhalten können - wenn Sie das meinen, haben Sie Recht -; deswegen brauchen wir - auch im Kohlebereich - ambitioniertere Technologien.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die nächste Frage stellt die Kollegin Bulling-Schröter.

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Minister Gabriel, ich möchte auf die Windfall-Profits zurückkommen. Sie haben ausgeführt, dass Sie die Verbraucherinnen und Verbraucher vor erhöhten Energiepreisen schützen wollen und dass die Preise durch die Einpreisung der - wenn auch kostenlos erfolgten - Zuteilung der Zertifikate erhöht würden. Diese Einpreisung ist bereits erfolgt. Die EnergieEva Bulling-Schröter preise wurden bereits erhöht. Wie bereits ausgeführt wurde, wird der Strom teurer. Heute wurde uns im Umweltausschuss dargelegt, dass bei regenerativen Energien wie dem Biodiesel mit dem Energiesteuergesetz Windfall-Profits abgeschöpft werden. Meine Frage an Sie lautet: Wie gedenken Sie die Windfall-Profits im Energiebereich, die sich durch die Einpreisung der kostenlosen Zuteilung der Zertifikate ergeben haben, abzuschöpfen? Letzte Woche haben Sie in unserer Debatte zu diesem Thema diese Absicht geäußert. Ich würde gerne wissen, wie Sie sich die Umsetzung vorstellen. Die Einpreisung der kostenlosen Zertifikate wird in der Gesellschaft breit diskutiert. Menschen, die sich vorher noch nie damit beschäftigt haben, sehen - gerade im Hinblick darauf, dass im Haushalt sehr viele Kürzungen im sozialen Bereich erfolgt sind - darin ein großes Problem. An dieser Stelle besteht doch die Möglichkeit, Einnahmen aus dem Umweltbereich in den Umwelthaushalt einzuspeisen.

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Ich versuche noch einmal, es zu erläutern. Wir wollen die Windfall-Profits durch die Herstellung von mehr Wettbewerb im europäischen Stromnetz bzw. mithilfe der europäischen und der deutschen Regulierungsbehörde und durch die Öffnung der Märkte vermindern. Danach kann auktioniert werden. Wenn Sie in umgekehrter Reihenfolge vorgehen - jetzt will ich auf Ihre Argumentation in anderen Politikfeldern eingehen -, dann spielen Sie mit den Interessen der Verbraucher. Sie kritisieren - ob zu Recht oder zu Unrecht -, wie mit Hartz-IV-Empfängern umgegangen wird. Sie kritisieren die Rentenentwicklung und die Entwicklung im Gesundheitssystem. Meinen Sie, dass es kranken Menschen, Rentnern und Hartz-IV-Empfängern helfen würde, wenn ich, nur um mir einen schlanken Fuß zu machen und die Debatte zu erleichtern, dem Auktionieren zustimmte? Wir würden uns in diesem Fall nämlich das Geld von diesen Menschen holen. Wir holen es dann letztlich gerade nicht von den Konzernen; vielmehr würden sie es auf die Preise umlegen. Das bedeutet, dass andere, die jetzt schon wenig haben, dann noch mehr bezahlen müssten. Das kann man zwar relativ leicht öffentlich fordern, aber das wäre sozusagen ein Trojanisches Pferd. In der Bundesregierung gibt es niemanden, der nicht darüber verärgert ist, dass in der ersten Handelsperiode 6 Milliarden Euro Cash pro Jahr gemacht wird. Natürlich gibt es in der Bundesregierung niemanden, der sich nicht wünschen würde, dass wir die Auktionierung jetzt durchsetzen könnten. Aber wir wollen dieser in der Öffentlichkeit leicht zu erhebenden Forderung nicht nachgeben, weil sie zu einem weiteren Anstieg der Strompreise führen würde. Deswegen wollen wir zunächst den ersten Schritt zu mehr Wettbewerb gehen und dann die Auktionierung einführen. Manchmal darf man populistischen Forderungen nicht nachkommen, auch wenn es schwer fällt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sie haben eine Nachfrage, Frau Bulling-Schröter.

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Können Sie sich denn nicht vorstellen, einen Teil der Windfall-Profits abzuschöpfen - das wünscht das ganze Haus - und zugunsten des sozialen Bereichs und zur Forcierung der Entwicklung der regenerativen Energien umzuverteilen? Ich habe gehört, dass Ihnen der soziale Bereich sehr am Herzen liegt, insbesondere die Belange der Verbraucherinnen und Verbraucher sowie der Krankenhäuser. Bislang gibt es beispielsweise keinerlei Kompensationsmöglichkeiten für ALG-II-Bezieher, wenn diese hohe Stromkosten zu tragen haben, was bereits der Fall ist.

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Natürlich kann ich mir das vorstellen, wenn wir die Chance haben, das zu verhindern, was ich als Gefahr beschrieben habe, nämlich das Abkassieren der Verbraucher. Ihr Modell läuft dagegen darauf hinaus, dass man sagt: Das ist mir egal. Ich gehe das Risiko ein. Notfalls zahlen die Verbraucher. Dann haben wir wieder Geld im Haushalt, verteilen die Mittel zugunsten bestimmter Projekte um und sagen: Schaut einmal, was wir alles Schönes tun! Ich kann Sie nur darauf hinweisen: Wenn nicht verhindert wird, dass die Energiekonzerne - obwohl sie schon einmal eingepreist haben - die durch eine Auktionierung verursachten Kosten den Verbrauchern und den Industriebetrieben aufbürden, dann ist das Ergebnis das Zusammenbrechen zumindest eines Teils der energieintensiven Industriebetriebe. Zudem werden die Verbraucher weiterhin geschröpft. Dann hat der Staat zwar mehr Geld. Aber die Bevölkerung dürfte darüber - wie ich finde: zu Recht - ziemlich verärgert sein. Wir wollen zwar eine Auktionierung. Aber zuerst muss der Wettbewerb sichergestellt sein. Ich kann ja verstehen - mir geht es manchmal ebenfalls so -, dass die antimonopolistische Ader mit Ihnen durchgeht. Dafür habe ich große Sympathie. Diether Dehm, der da hinten sitzt, kennt das ganz genau. Aber das erste Ziel ist nicht, einen antimonopolistischen Kampf zu führen, sondern die CO2-Emissionen zu reduzieren. Das tut man mit einer Auktionierung nicht. Dadurch reduziert man die CO2-Emissionen um kein Gramm. Des Weiteren besteht das Risiko, dass Sie - genauso wie in den letzten 60 Jahren - den antimonopolistischen Kampf verlieren und dass die Verbraucher dafür die Zeche zahlen. Das mache ich nicht mit.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Andreas Jung ist der letzte Fragesteller bei der Befragung der Bundesregierung.

Andreas Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003780, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe zwei Fragen. Die erste betrifft das Abschöpfen der Windfall-Profits. Hier gibt es ein Instrument, das von meiner Fraktion, aber auch von der Bundesregierung favorisiert wurde und wird, nämlich die Andreas Jung ({0}) Möglichkeit der Ex-post-Korrektur. Darüber ist ein Rechtsstreit der Bundesrepublik Deutschland mit der Europäischen Kommission vor dem Europäischen Gericht erster Instanz anhängig. Wir sehen dieses Instrument als wirksame Möglichkeit, Windfall-Profits abzuschöpfen. Was beabsichtigt die Bundesregierung für den Fall, dass dieses erstinstanzliche Verfahren ein für die Bundesrepublik Deutschland positives Ergebnis zeitigt, zu tun, um dieses Instrument in den NAP II nachträglich zu implementieren? Die zweite Frage betrifft den JI- und CDM-Komplex. Was wird die Bundesregierung vor dem Hintergrund, dass große Einigkeit darüber besteht, dass Klimaschutzpolitik nicht an nationalen Grenzen Halt machen darf, sondern weltweit betrieben werden muss, tun, um entsprechende Projekte zu fördern und voranzubringen? Steht die Bundesregierung mit Nachdruck hinter dem CDM-Projekt oder teilt sie die Einschätzung mancher Kollegen aus anderen Fraktionen, dass schon jetzt ein Riegel vorgeschoben werden müsse, um zu verhindern, dass dieses Instrument ausufere, es zu viel CDM gebe und dass der Schwerpunkt woanders liegen müsse?

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Vielen Dank für die beiden Fragen, die ich vorhin in meinen einleitenden Ausführungen nicht erwähnt habe. Ihre erste Frage war, wie wir mit der Möglichkeit der Ex-post-Korrektur umgehen. Wenn das Europäische Gericht erster Instanz zugunsten der Bundesrepublik Deutschland entscheiden sollte, müssten wir eine neue Entscheidung fällen. Das ist heute per Protokollerklärung im Kabinettsbeschluss festgehalten worden. Ich will Ihnen allerdings nicht zu viel Hoffnung machen. Die Europäische Kommission wird mit Macht gegen Expost-Korrekturen kämpfen. Wir müssen abwarten, was dann passiert. Wenn allerdings zugunsten Deutschlands entschieden würde, müssten wir eine neue Diskussion führen. Die Frage ist, ob das Gerichtsurteil noch vor der Beschlussfassung über das Zuteilungsgesetz kommt oder nicht. Das werden wir dann sehen. Zur zweiten Frage. Deutschland ist das Land, das den größten Klimaschutzbeitrag in der Europäischen Union leistet. Wir wissen, dass die Europäische Union insgesamt laut Kiotoprotokoll eine Senkung des Ausstoßes von Treibhausgasen um 8 Prozent erbringen soll. Einige Länder, deren industrielle Entwicklung nicht so weit ist, dürfen mehr emittieren. Wir müssen um 21 Prozent senken. Wenn man sich die Lage betrachtet, könnte man den Eindruck bekommen, Deutschland sei auch im Bereich CDM besonders engagiert. Das ist es nicht. Andere Länder, die wesentlich geringere Reduktionsziele als wir haben, sind bei CDM viel engagierter als wir. Was ist CDM? Für diejenigen, die sich damit nicht so gut auskennen, will ich sagen, dass es sich dabei um die im Kiotoprotokoll und im Beschluss von Montreal festgelegte Möglichkeit handelt, dass ein deutsches Unternehmen, das den Ausstoß von CO2 senken muss, in einem Entwicklungsland investiert - wenn es in einem Nicht-Entwicklungsland investiert, heißt das Joint Implementation -, dort den Ausstoß von CO2 senkt und sich diese Senkung, die es in dem anderen Land erreicht hat, in Deutschland anrechnen lassen kann. Das ist deshalb logisch, weil es für das Klima relativ egal ist, wo man den Ausstoß von CO2 senkt. Das hat aus der Sicht der Entwicklungsländer einen Riesenvorteil - deswegen bedrängen sie Deutschland, sich stärker bei CDM-Projekten zu engagieren -; denn damit transferieren wir Know-how, Technologie und Kapital. Für uns hat das den Vorteil, dass man den Ausstoß von CO2 beispielsweise in China oder in einem anderen Entwicklungsland wesentlich preiswerter als bei uns senken kann. Das ist eine Win-win-Situation. Das Kiotoprotokoll ermöglicht die Nutzung von Emissionsgutschriften. Wir haben im NAP festgelegt, dass wir 12 Prozent zulassen. Im internationalen Vergleich sind wir unter ferner liefen. Spanien und andere Länder machen in dieser Beziehung viel mehr. Deswegen will die Bundesregierung den CDM-Prozess deutlich intensivieren. Wir haben eine Reihe von bilateralen Vereinbarungen geschlossen, zuletzt mit Ägypten, die darauf hinauslaufen, dass wir CDM-Projekte identifizieren und deutsche Unternehmen dazu veranlassen, in Entwicklungsländern zu investieren. Das ist eine sehr preiswerte Möglichkeit, etwas für das Klima zu tun. 12 Prozent entsprechen einer CO2-Menge von 60 Millionen Tonnen jährlich. Ich bin nicht sicher, ob wir diese Menge erreichen. Ich könnte nicht verstehen, wenn jemand in Deutschland behaupten würde, wir seien in Gefahr, in dieser Beziehung zu viel zu tun. Wir tun im Gegenteil zu wenig.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Damit beende ich die Befragung der Bundesregierung. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf: Fragestunde - Drucksachen 16/1933, 16/1959 Zu Beginn der Fragestunde rufe ich gemäß Nr. 10 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde die dringlichen Fragen auf. Wir kommen zuerst zu den dringlichen Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks zur Verfügung. Die erste Frage stellt der Abgeordnete Jürgen Koppelin: Aus welchen Gründen hat der Bundesminister der Finanzen, Peer Steinbrück, es für notwendig gehalten, auf die Aussagen des SPD-Fraktionsvorsitzenden, Dr. Peter Struck, zur Mehrwertsteuererhöhung ({0}) zu reagieren ({1})?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege Koppelin, der Bundesminister der Finanzen hat nicht auf die Aussagen des SPD-Fraktionsvorsitzenden Dr. Struck reagiert. Auf Anfrage der „Bild am Sonntag“ hat der Sprecher des Bundesministers der Finanzen die Position der Bundesregierung zur Notwendigkeit der Mehrwertsteuererhöhung dargelegt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Koppelin, Sie haben eine Nachfrage?

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, verstehen Sie, dass ich es für verwunderlich halte, dass ein Sprecher bei einer so wichtigen Frage allein ohne Rücksprache mit dem Minister agiert? Können Sie uns sagen, wie der Minister selber auf die Äußerung des SPD-Fraktionsvorsitzenden reagiert hat?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Der Minister hat nicht darauf reagiert, wie ich Ihnen schon in der Beantwortung Ihrer Frage gesagt habe.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielleicht habe ich mich missverständlich ausgedrückt oder Sie haben mich nicht richtig verstanden. Ich habe gefragt: Wie hat denn der Minister darauf reagiert?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Der Minister hat nicht darauf reagiert.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Überhaupt nicht? - Gut.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Koppelin, das waren zwei Nachfragen.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das ist ein bisschen unfair, Frau Präsidentin. Es handelte sich um ein Missverständnis, das zu klären war. ({0})

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege, Sie meinen doch sicher eine verbale Reaktion gegenüber der Öffentlichkeit oder gegenüber dem Parlament. Die hat es nicht gegeben.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Oder intern im Hause. ({0})

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Auch intern im Hause nach meiner Kenntnis nicht.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Gut.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Damit kommen wir jetzt auf jeden Fall zur dringlichen Frage 2 des Kollegen Koppelin: Waren dem Bundesminister der Finanzen, Peer Steinbrück, die Aussagen des SPD-Fraktionsvorsitzenden, Dr. Peter Struck, in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ vom 25. Juni 2006 vor Erscheinen der Zeitung bekannt? Bitte schön, Frau Parlamentarische Staatssekretärin.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Nein. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Koppelin, haben Sie eine Nachfrage?

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja. - Hat der Pressesprecher des Ministeriums den Minister darüber nicht informiert? Es hat ja vorher Agenturmeldungen gegeben. Am Sonntag hat eine Koalitionsrunde stattgefunden. Ich vermute, dass auch Ihr Minister daran teilgenommen hat. In dieser Runde hat sich die Kanzlerin gegenüber dem SPD-Fraktionsvorsitzenden sehr deutlich geäußert. Ich will nicht wiederholen, was die Kanzlerin gesagt hat, um von der Präsidentin keine Rüge zu erhalten. Teilt der Finanzminister die Auffassung der Kanzlerin über Herrn Struck?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege Koppelin, ich war in der Fraktionsrunde nicht anwesend. Die Veröffentlichungen darüber sind von der Kanzlerin oder dem Regierungssprecher nicht bestätigt worden. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Zweite Nachfrage.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, da Sie nicht bereit sind, hier zu antworten - ich kann sehr gut verstehen, dass Sie da in einer Zwickmühle sind: ({0}) auf der einen Seite der Finanzminister, auf der anderen Seite der Vorsitzende der SPD-Fraktion -, möchte ich Sie fragen: Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, erstens, dass ich heute nicht beabsichtige, zu beantragen, den Minister herbeizurufen, obwohl wir dazu Anlass hätten, weil Ihre Aussagen und Ihre Antwort schwach sind, ({1}) und zweitens, dass ich keine Aktuelle Stunde beantrage, weil wir uns so sehr auf die Aktuelle Stunde freuen, die die Grünen voraussichtlich als Reaktion auf eine der Antworten auf die nächsten dringlichen Fragen stellen werden?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege Koppelin, es bleibt den Anwesenden hier im Haus nichts anderes übrig, als selbst die unsinnigsten Aussagen zur Kenntnis zu nehmen. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Da sich niemand anders zu einer Nachfrage meldet, kommen wir nun im Rahmen der Beantwortung der dringlichen Fragen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Zur Beantwortung der Fragen steht der Staatsminister Gernot Erler zur Verfügung. Ich rufe die dringliche Frage 3 des Kollegen HansChristian Ströbele auf: Inwieweit treffen Medienberichte zu, dass den für eine Teilnahme an der ersten Straßenfußballweltmeisterschaft - Streetfootballworld - angemeldeten Spielern aus Ghana und Nigeria die Visumerteilung für eine Einreise in die Bundesrepublik Deutschland versagt wurde, und inwieweit sieht die Bundesregierung dadurch die vorangegangene Förderung der Projekte durch Bundesministerien und Botschaften als wirkungslos an?

Not found (Gast)

Herr Kollege Ströbele, in 24 Ländern weltweit nehmen Jugendliche bzw. junge Männer aus Gebieten mit sozialen Problemen im Alter zwischen 16 und 21 Jahren an Straßenfußballprojekten zur sozialen Integration teil. Aus diesen lokalen Projekten wurden von den Veranstaltern jeweils fünf bis acht Jugendliche ausgewählt, um an dem Straßenfußballfestival „streetfootballworld festival 06“ ab dem 2. Juli 2006 in Berlin teilzunehmen. Richtig ist, dass die Visa hierfür acht Personen aus Nigeria und elf aus Ghana wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen für die Visumerteilung, insbesondere wegen konkret begründeter Zweifel an ihrer Rückkehrbereitschaft von den zuständigen deutschen Auslandsvertretungen leider nicht erteilt werden konnten. Das geltende Ausländerrecht, das Schengener Durchführungsübereinkommen und die Gemeinsame Konsularische Instruktion der Schengenstaaten sind auch für die Fußballweltmeisterschaft und ihre Nebenveranstaltungen zu beachten und sie sind nicht außer Kraft gesetzt. Wesentliches gemeinsames Ziel der Straßenfußballprojekte ist, dass die jungen Menschen über das Medium Fußball wichtige Fähigkeiten und Kenntnisse erlernen. Es geht um Themen der sozialen Integration, des Gewaltverzichts, um Umweltschutz und um den Kampf gegen Aids im jeweiligen Heimatland. In Ghana beschäftigt sich das Projekt „Play soccer“ mit Sitz in Princeton, USA, seit 2001 mit der Vermittlung von Fußballregeln und -technik, Gesundheitserziehung und sozialem Lernen. Für Analphabeten gibt es Lese- und Schreibkurse. Das 2003 begründete Projekt „Search and Groom“ in Nigeria organisiert Trainingslager, Workshops und Straßenfußballligen, die von nigerianischen Fußballprofis unterstützt werden. Selbstverständlich behalten diese Projekte ihren Wert, auch wenn die Visa für das Straßenfußballfestival in Berlin einigen der Projektteilnehmer leider nicht erteilt werden konnten. Die Veranstalter wurden im Übrigen bereits im Januar 2006 schriftlich darauf hingewiesen, dass die Erteilung von Visa für die Teilnahme nicht allgemein zugesichert werden kann und von der rechtlich gebundenen Entscheidung der Auslandsvertretungen abhängt. Die Bundesregierung hat im Übrigen „streetfootballworld“ als Dachorganisation, nicht aber einzelne Projekte unterstützt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege Ströbele, Sie haben eine Nachfrage.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, ich weiß nicht, ob bei der Vorbereitung von internationalen Konferenzen, die in Deutschland, zum Beispiel in Berlin, stattfinden, jeder Konferenzteilnehmer durchgecheckt wird, damit sichergestellt ist, dass er aus Deutschland tatsächlich wieder ausreist. Hierbei handelt es sich um eine Veranstaltung im Rahmen des großen Festes der Fußballweltmeisterschaft in Deutschland, das von der Bundesregierung mit finanziert worden ist. Der Bundesinnenminister persönlich - Otto Schily seinerzeit - hat gemeinsam mit dem Trainer der deutschen Fußballnationalmannschaft, „Klinsi“, in Kreuzberg das Stadion, das extra dafür errichtet worden ist, mit eröffnet. Hält es die Bundesregierung danach tatsächlich für vertretbar oder richtig, von den 24 Mannschaften, die aus allen Teilen der Welt hierher anreisen wollen - das sollen Jugendliche sein, die Straßenfußball spielen, bei denen per definitionem davon auszugehen ist, dass sie nicht über die Bindungen verfügen, über die Sie oder ich oder andere renommierte Persönlichkeiten verfügen -, gerade zwei Mannschaften aus Afrika auszuladen oder Spielern keine Visa zu erteilen, sodass sie nicht zu diesem Fußballfestival in Kreuzberg kommen dürfen, weil Sie nicht sicher sind, ob der eine oder andere in Deutschland bleiben würde? Finden Sie nicht, dass das dem Ansehen der Bundesrepublik Deutschland erheblichen Schaden zufügt und dass wir unser großes Fest, das wir in Deutschland feiern, gerade da, wo es um Jugendliche aus Afrika geht - wir denken daran, dass Ghana gestern leider aus der Fußballweltmeisterschaft ausgeschieden ist -, konterkarieren? ({0})

Not found (Gast)

Herr Kollege Ströbele, ich glaube, dass der Vergleich eines Straßenfußballfestivals mit einer internationalen Konferenz etwas problematisch ist. ({0}) Im Übrigen, Herr Kollege Ströbele, haben Sie selbst eben aufgezeigt - sehr eindrucksvoll, wie ich finde -, welch großes Interesse und welch große Unterstützung dieses Straßenfußballfestival bei der Bundesregierung gefunden hat. Die Frage ist nur, ob das zum Beispiel berechtigt, unterschiedliche rechtliche Maßstäbe anzulegen, ({1}) und wie die Reaktion der Schengenstaaten aussähe, wenn wir das täten. Wir haben rein rechtlich gar keine andere Möglichkeit, als hier eine Einzelfallprüfung vorzunehmen. Ich darf Sie auch darauf hinweisen, dass für insgesamt 13 Länder, aus denen Teams eingeladen wurden, eine Visumpflicht besteht. In elf Ländern hat diese Prüfung, zu einem großen Teil jedenfalls - es hat auch einzelne Problemfälle gegeben -, dazu geführt, dass die Mannschaften einreisen konnten. Wir bedauern sehr, dass das in den Fällen Nigeria und Ghana aufgrund der Einzelfallprüfung nicht verantwortbar war; darauf, welches die Hintergründe sind, werde ich in der Antwort auf die zweite Frage von Ihnen noch eingehen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Hierzu gibt es eine Nachfrage des Kollegen Gehrcke.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatsminister, darf ich unterstellen, dass Ihre Prüfung bei den Profifußballern, soweit eine solche stattgefunden hat, keinerlei Anhaltspunkte dafür ergeben hat, dass auch Berufsfußballer möglicherweise den Wunsch haben, in Deutschland oder in einem der anderen Schengenstaaten zu bleiben, um hier neue Verträge abzuschließen? Finden Sie nicht auch, dass der soziale Aspekt hätte bedacht werden müssen, gerade vor dem Hintergrund dessen, dass es hier um den großen Sport auf der einen Seite und Straßensport auf der anderen Seite geht?

Not found (Gast)

Herr Kollege Gehrcke, Ihre Unterstellung, dass sich die Bundesregierung nicht in der Lage sieht, hier aus irgendwelchen Gründen Unterschiede zu machen, ist völlig richtig. Die Behandlung bei der Prüfung von Visa muss aus rechtlichen Gründen überall gleich sein. Das ist auch unsere Praxis.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Dann rufe ich die dringliche Frage 4 des Kollegen Hans-Christian Ströbele auf: Sieht die Bundesregierung in dem Ablehnungsgrund, dass die Kinder aus zerrütteten Verhältnissen stammen und von daher eine Rückkehrbereitschaft nicht gesichert sei, einen Widerspruch zu den Zielen und Grundvoraussetzungen des Gesamtprojektes, das genau mit Jugendlichen arbeitet, die infolge Aidspandemie, Arbeitslosigkeit und Gewalt in schwieriger sozialer Situation leben müssen, und wie bewertet die Bundesregierung die Angebote des Vereins Streetfootballworld und der ehemaligen Bundestagsvizepräsidentin Dr. Antje Volmer, für die Spieler zu bürgen?

Not found (Gast)

Herr Kollege Ströbele, der Ablehnungsgrund der fehlenden Rückkehrbereitschaft wurde auf das Gesamtbild nach einer sehr umfassenden und intensiven Prüfung der Anträge gestützt. Insbesondere wurden durch Mitarbeiter der Auslandsvertretung ausführliche persönliche Visainterviews mit den Antragstellern geführt, in denen zum Ausdruck kam, dass diese keine gesicherte Zukunftsperspektive in ihren Heimatländern sehen. Eine Reihe von Jugendlichen räumte in den Gesprächen ein, dass sie sich über das Straßenfußballfestival eine Karriere als Fußballprofis in Deutschland erhoffen, indem ihnen Anschlussverträge von Fußballvereinen angeboten werden könnten. Leider ergab nicht nur der sonstige Hintergrund der Jugendlichen, sondern auch die Tätigkeit der Betreffenden in den Projekten in ihren Heimatländern keine gefestigte Zukunftsperspektive, sodass von daher ebenfalls nicht von einer Rückkehrbereitschaft ausgegangen werden konnte. Darüber hinaus gab es in mehreren Fällen begründete Zweifel an der Echtheit der vorgelegten Urkunden und damit an Identität und Alter dieser Personen. Ein Widerspruch zu den Grundvoraussetzungen des Gesamtprojekts besteht nicht, weil das Hauptziel der Projekte die Vermittlung des Themas Fußball als Mittel zur sozialen Integration und zu Gewaltverzicht im jeweiligen Heimatland ist und nicht in der Ermöglichung der Einreise nach Deutschland besteht. Die Bundesregierung ist sich gleichwohl bewusst, dass die Ablehnung der Visa für die Betreffenden eine große Enttäuschung darstellt. Auch die angesprochenen Bürgschaftsangebote können zu keiner veränderten Beurteilung des Kriteriums der Rückkehrbereitschaft führen. Dritte können sich nur für die Finanzierung der Aufenthaltskosten verbürgen; für die Rückkehrbereitschaft können sich Dritte nicht wirksam verbürgen, da eine solche Bürgschaft rechtlich wie tatsächlich nicht durchsetzbar ist. Entsprechende Erklärungen können daher nicht zu einer veränderten Beurteilung dieses rechtlichen Kriteriums führen. Die Rückkehrbereitschaft kann vielmehr nur aus den persönlichen Lebensumständen des Antragstellers und anhand des unmittelbaren Eindrucks in dem persönlichen Gespräch in der Visastelle ermittelt werden.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sie haben noch eine Nachfrage, Herr Ströbele? - Bitte schön.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatsminister, ist der Bundesregierung bekannt, dass es sich hier um von den Veranstaltern ausgewählte Gäste der Bundesrepublik Deutschland handelte, dass diejenigen, die vor einigen Tagen die Nachricht der Bundesregierung bekommen haben, dass sie nicht zu diesem Fußballfest nach Deutschland dürfen und hier nicht willkommen sind, in Tränen ausgebrochen sind und verzweifelt sind und dass damit die Repräsentanz Afrikas auf diesem Fußballfestival in Berlin-Kreuzberg im Rahmen der Fußballweltmeisterschaft infrage gestellt ist, und zwar gerade die von zwei Ländern, die große Verdienste um den Fußball haben, wie man ja nicht zuletzt an dem hervorragenden Spiel der ghanaischen Fußballmannschaft am gestrigen Tage sehen konnte? Ist die Bundesregierung bereit, wenn der Deutsche Bundestag die entsprechende Bitte äußern sollte - ich habe gehört, dass das jetzt möglicherweise Gegenstand der Beratungen des Sportausschusses sein wird -, ihre Entscheidung noch einmal zu überprüfen und den Jungs schleunigst eine Einreise nach Berlin zu ermöglichen, damit sie ab Sonntag an diesem Fußballfestival teilnehmen können? ({0})

Not found (Gast)

Herr Kollege Ströbele, in meinen Antworten habe ich eben sowohl das Bedauern der Bundesregierung ausgedrückt als auch das Verständnis für die Enttäuschung. Diesbezüglich besteht also kein Unterschied in der Einschätzung. In Bezug auf das, was Sie zu Afrika sagen, kann ich Ihnen nicht folgen. Insgesamt sind sechs verschiedene Teams aus Afrika eingeladen worden. Für alle sechs Länder besteht Visumspflicht. Es ist so gewesen, dass in den Fällen von Kenia und Ruanda - beide aus der Region der Großen Seen - sowie von Senegal und Südafrika diese Einzelfallprüfung nicht zu Beanstandungen geführt hat, sodass diese vier Staaten an dem Straßenfußballfestival teilnehmen können. Wir bedauern, dass das aus Gründen, die ich eben sehr detailliert dargelegt habe, im Fall von Ghana und Nigeria nicht der Fall ist. Ich will Ihnen, Herr Ströbele, auch gerne zugestehen, dass die Verdienste von Ghana und Nigeria im Fußball ziemlich groß sind. Ich glaube aber, Sie wissen genauso gut wie ich, auch aus unserer alltäglichen Praxis als Abgeordnete, dass gerade aus Ghana und Nigeria Visumsfälle, bei denen wir es mit einem unsicheren Migrationshintergrund zu tun haben, statistisch gesehen sehr häufig sind. Insofern sind diese Beanstandungen auch nicht ganz überraschend gekommen. Wir haben keinen Anlass, daran zu zweifeln, dass hier eine gründliche Prüfung stattgefunden hat, Herr Kollege Ströbele. Zum Teil sind die Betreffenden zweimal zu persönlichen Gesprächen eingeladen worden. Aus den genannten Gründen hat sich da eben eher der Eindruck verfestigt, dass statt der Teilnahme eine andere Absicht im Vordergrund gestanden hat, zum Beispiel, hier in Deutschland Fußballkarriere zu machen. ({0}) - Herr Kollege, wir müssen jetzt aufpassen, dass das seriös bleibt. Mit Ihrem Einwurf „Na und?“ unterstellen Sie, dass hier eine Nichtgleichbehandlung stattfinden soll. ({1}) Das kann man nicht akzeptieren. Wir alle kennen Fälle, wo Familien oder Einzelpersonen sehr gute Gründe haben, sich aus ihrer Heimat zu verabschieden und nach Deutschland zu kommen, das aber aus rechtlichen Gründen nicht geht. Das gilt dann eben auch für junge Menschen, die von einer Fußballkarriere träumen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Eine weitere Nachfrage der Kollegin Ute Koczy.

Ute Koczy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003788, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke sehr. - Herr Staatsminister, ich komme ja aus der Entwicklungszusammenarbeit. Auch Ihnen dürfte bekannt sein, dass das Thema Fußballkarriere gerade in den Entwicklungsländern eine wichtige Rolle spielt; sie ist eine der wenigen Möglichkeiten, der sozialen Armut zu entrinnen. Ist Ihnen bekannt, dass viele der erwachsenen Fußballspieler, die sich hier in Deutschland auf der WM präsentieren, das gerade mit dem Argument tun, eventuell eine internationale Karriere starten zu können? Stimmen Sie zu, dass der Ablehnungsgrund, den Sie hier genannt haben, eigentlich voll im Widerspruch zu dem steht, was innerhalb der Fußballwelt diskutiert wird, nämlich die Suche nach Talenten, die wir fördern wollen und die sich in Berlin präsentieren wollen und auch müssen, um überhaupt die Chance zu haben, wahrgenommen zu werden, und dass es ein sehr legitimes Interesse ist, im Fußball Karriere zu machen?

Not found (Gast)

Frau Kollegin, ich bin kein Fußballfachmann; aber meine Kenntnisse reichen, glaube ich, so weit, dass ich eine zutreffende Darstellung dessen geben kann, was junge Menschen, insbesondere junge Männer, sich in Bezug auf ihre Karriere vorstellen. Dass das berechtigte Interessen sind, sehe auch ich so. Die Frage ist bloß, ob diese berechtigten Interessen zum Beispiel schwerer wiegen als schwierige soziale Verhältnisse, aus denen Menschen kommen. Ich finde, in anderer Hinsicht ist es genauso berechtigt, sich zu überlegen, ob man nicht in einem anderen Land unter besseren Umständen leben kann. Aber das enthebt niemanden der Anwendung der gemeinsamen europäischen Regeln und Gesetze. Es ist nun einmal so, dass, wenn klare Anzeichen dafür vorhanden sind, dass keine Rückkehrbereitschaft besteht, sondern eher sogar das Ziel erkennbar ist, in dem Land zu bleiben, dem Wunsch nach einem Visum nicht entsprochen werden kann. Bei allem Verständnis für die genannten Pläne wäre es außerordentlich ungerecht, wenn man im Zusammenhang mit Fußball eine Ausnahme machen würde, bei sozialen Fragen aber nicht.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Es gibt eine Nachfrage des Kollegen Professor Dr. Keskin.

Dr. Hakki Keskin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003785, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatsminister, ich habe große Schwierigkeiten, Ihren Erläuterungen zu folgen. Es sind junge Fußballer aus den genannten Ländern eingeladen worden; aber man muss doch von vornherein gewusst haben, dass für diese Länder Visumszwang besteht. Es kann doch nicht sein, dass man jemanden einlädt und ihm anschließend sagt: Es tut mir Leid, Sie erfüllen die Anforderungen für ein Visum nicht. - Das heißt, man hätte von vornherein daran denken müssen, was passiert. Deshalb meine Frage: Weshalb hat man in diesem Fall nicht daran gedacht, dass diese Menschen aufgrund des Visumszwangs möglicherweise nicht nach Deutschland einreisen können? Wenn man die Einladung ausspricht, hätte man diese Möglichkeit in Betracht ziehen und etwas organisieren müssen.

Not found (Gast)

Herr Kollege, ich muss noch einmal darauf hinweisen, dass es nicht die Bundesregierung oder die Bundesrepublik war, die einzelne Mannschaften eingeladen hat, sondern der Veranstalter; er hat auch die Entscheidung getroffen, welche Teams eingeladen werden sollen. Ich habe vorhin darauf hingewiesen - aber ich tue es gerne noch einmal -, dass die Bundesregierung den Veranstalter von vornherein darauf aufmerksam gemacht hat, dass es bei der Visaerteilung keine Automatik gibt, sondern dass das Risiko besteht, dass eine Reise nach Deutschland aus visarechtlichen Gründen nicht möglich ist. Das wusste der Veranstalter; er ist bereits im Januar darauf hingewiesen worden. Entsprechend verhält er sich jetzt auch.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Damit komme ich zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Michael Müller zur Verfügung. Ich rufe zunächst die dringliche Frage 5 des Kollegen Volker Beck auf: Teilt die Bundesregierung die Auffassung der nordrheinwestfälischen Landesregierung, deren Innovationsminister, Dr. Andreas Pinkwart, laut Medienberichten ({0}) den Bau eines neuen Atomreaktors am Standort Jülich angeregt hat, und ist diese Position mit der Bundesregierung abgestimmt?

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Sehr geehrter Herr Kollege Beck, die Bundesregierung hat natürlich die Aussagen des Forschungsministers des Landes Nordrhein-Westfalen zur Kenntnis genommen, wonach er sich das Jülicher Forschungszentrum als Keimzelle für einen neuen Hochtemperaturreaktor grundsätzlich vorstellen könne. Diese Aussage ist aber in keiner Weise mit der Bundesregierung abgestimmt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Beck, haben Sie eine Nachfrage?

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich möchte gerne wissen - auch diesen Aspekt wollte ich in der Frage ansprechen -, wie die Bundesregierung diesen Vorstoß bewertet. Ich habe nämlich zur Kenntnis genommen - auch ich nehme manches zur Kenntnis -, dass der Bundesumweltminister gesagt hat, NRW bereite hier einen Rechtsbruch vor. Daher möchte ich gerne wissen, ob die Haltung des Bundesumweltministers von der gesamten Bundesregierung geteilt wird und - wenn nicht - was die Auffassung der Bundesregierung in dieser Frage ist.

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Ich kann nur wiederholen: Wir haben die Aussagen von Herrn Pinkwart zur Kenntnis genommen. Sie wissen, dass im Zuge der Koalitionsvereinbarung die Entscheidung getroffen wurde, die seit dem Jahre 2000 geltenden entsprechenden Regelungen des Atomgesetzes unverändert zu lassen. Im Übrigen bezweifeln wir, dass die Sicherung der Kernkompetenz im Atombereich ausgerechnet dadurch gewährleistet wird, das man eine neue Reaktorlinie beginnt. Dies ist schon ein Widerspruch zu dem, was beispielsweise an Erfordernissen im Hinblick auf die Kernkompetenz Leichtwasserreaktoren notwendig ist. Daher scheinen dem BMU die getroffenen Aussagen sehr widersprüchlich zu sein.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Und aus Sicht der Bundesregierung?

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Die Aussage, die ich am Anfang gemacht habe, ist innerhalb der Bundesregierung abgestimmt.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das freut uns.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Damit kommen wir zur dringlichen Frage 6 des Abgeordneten Volker Beck: Wie beurteilt die Bundesregierung die Vorschläge des Innovationsministers von Nordrhein-Westfalen, Dr. Andreas Pinkwart, bezüglich ihrer atomrechtlichen Konsequenzen und bezüglich der Diskussion um die Änderung der Restlaufzeiten?

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Die Vorschläge von Herrn Pinkwart finden ihre Grenzen in den Regelungen des Atomgesetzes. Dort heißt es in § 7 Abs. 1 Satz 2: Für die Errichtung und den Betrieb von Anlagen ... zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität ... werden keine Genehmigungen erteilt. Dies gilt auch für Thorium-Hochtemperaturreaktoren. Allerdings muss man sagen, dass das Gesetz weiterhin die Errichtung von Forschungsreaktoren erlaubt. Dann stellen sich aber andere wichtige Fragen. Denn das Forschungszentrum in Jülich wird zu etwa 90 Prozent vom Bund finanziert. Ich sehe nicht, dass erstens der Bund die Finanzmittel für die Errichtung neuer Reaktoren aufbringen würde und dass zweitens unser Ministerium solchen Plänen zustimmen würde.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wie bewertet denn die Bundesregierung die Aussage von Herrn Pinkwart, es gebe völlig berechtigte Forderungen aus der Atomwirtschaft, die Laufzeiten der Kernkraftwerke auf die ursprünglichen Laufzeiten zu verlängern und in diesem Zusammenhang einen Ringtausch bei den Laufzeiten vorzunehmen?

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Erstens liegt uns eine solcher Antrag nicht vor und zweitens kann ich nur wiederholen: In der Koalitionsvereinbarung wurde eine grundsätzliche Regelung zu dieser Frage getroffen. Im Übrigen sind in der Diskussion zum Teil Zahlen, die ich nicht nachvollziehen kann. Ich will ein Beispiel nennen. Wie man von Laufzeiten von 60 Jahren reden kann, entzieht sich meiner Rechenkunst angesichts der Tatsache, dass das älteste Atomkraftwerk Calder Hall, das 1956 in Betrieb genommen wurde, in der Zwischenzeit abgeschaltet worden ist und dass somit seine Laufzeit nicht annähernd diesen Wert erreicht.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Welche Haltung hat die Bundesregierung zu dem Ringtausch bei den Laufzeiten? Insbesondere möchte ich wissen, ob es eine gemeinsame Position von Bundesumweltministerium und Bundeswirtschaftsministerium gibt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Zur Beantwortung weiterer Fragen steht der Bundesumweltminister Sigmar Gabriel zur Verfügung.

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Herr Kollege Beck, es ist Zufall, dass ich noch im Plenum anwesend bin. Ich will die Gelegenheit nutzen, Ihre Frage zur Haltung der Bundesregierung zu beantworten. ({0}) Ich möchte zunächst Ihre Frage aufgreifen, ob ein Forschungsreaktor weiter möglich sei. In diesem Zusammenhang will ich auf eines hinweisen: In der Tat gibt es kein explizites gesetzliches Verbot der Finanzierung eines Hochtemperaturforschungsreaktors. Die Finanzierung widerspräche jedoch dem Zweck des Atomgesetzes. Dort heißt es in § 1 Nr. 1: ... die Nutzung der Kernenergie zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität geordnet zu beenden ... Die Errichtung eines neuen Forschungsreaktors, der zu einem Reaktortyp gehört, den es in Deutschland nicht mehr gibt, führt natürlich zu der Frage, warum diese Forschungen überhaupt durchgeführt werden sollen. Es kann ja nicht über einen Reaktortyp geforscht werden, den wir in Deutschland nicht mehr haben. Da wir keine neuen Atomreaktoren mehr bauen wollen, wäre der Versuch, dort eine Forschungseinrichtung zu errichten, die Vorbereitung eines Rechtsbruchs. Deswegen glauben wir, dass auch in diesem Fall keine Rechtsgrundlage für den Bau eines Forschungsreaktors vorhanden ist. Da es auch nicht um Sicherheitsforschung gehen kann - denn in Deutschland existiert kein solcher Reaktor; im Gegenteil, der Reaktor in Hamm-Uentrop ist nach wenigen Jahren Laufzeit mit Kosten von 2 Milliarden DM für den Steuerzahler stillgelegt worden; er verursacht im Haushalt immer noch Ausgaben von einigen 100 Millionen Euro -, können wir nicht erkennen, auf welcher gesetzlichen Grundlage der erneute Bau eines Forschungsreaktors möglich ist. Zur Frage des Ringtausches. Beim Kernkraftwerk Mülheim-Kärlich bestand Einvernehmen darüber, dass dessen Strommengen auf das KKW Emsland oder andere neuere Anlagen sowie auf die Blöcke B und C des KKW Gundremmingen und maximal 20 Prozent auf das KKW Biblis B übertragen würden. Sollte jemand versuchen - wir hören, dass es solche Sandkastenspiele gibt -, vom Kraftwerk Biblis B Strommengen auf ein anderes Kraftwerk zu übertragen, das nicht für eine Strommengenübertragung vom KKW Mülheim-Kärlich vorgesehen ist, wäre dies rechtswidrig. Ein Versuch, Strommengen vom KKW Mülheim-Kärlich zuerst auf das KKW Biblis B und dann beispielsweise auf das KKW Brunsbüttel zu übertragen, würde bedeuten, dass man versucht, das KKW Brunsbüttel über den genehmigten Zeitraum hinaus laufen zu lassen. Das wäre ein Weiterbetrieb einer kerntechnischen Anlage ohne Betriebsgenehmigung. Dies ist nach deutschem Recht strafbar. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege Beck, Sie wissen als Parlamentarischer Geschäftsführer sehr genau, dass Sie nur zwei Nachfragen stellen dürfen. Da Sie diese Möglichkeit schon mehr als ausgeschöpft haben, würde ich jetzt zur nächsten Frage übergehen wollen. ({0}) - Bitte schön. Sie können einen Antrag stellen.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Da ich diese Aussagen sehr interessant finde und den Eindruck habe, dass sie sich mit Aussagen des Bundeswirtschaftsministers zu der Frage der Restlaufzeiten, die wir immer wieder hören, nicht gänzlich in Deckung bringen lassen, beantrage ich namens meiner Fraktion am Ende der Fragestunde eine Aktuelle Stunde zu dem hier aufgerufenen Themenbereich der Atompolitik, bitte aber, damit wir diese Diskussion umso fundierter führen können, die weiteren dringlichen Fragen zu diesem Thema noch zu beantworten. Vielen Dank.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das entspricht Nr. 1 b der Richtlinien für die Aktuelle Stunde, die dann im Anschluss an die Fragestunde stattfindet. Ich rufe jetzt die dringliche Frage 7 des Abgeordneten Hans-Josef Fell auf: Teilt die Bundesregierung die Auffassung des stellvertretenden nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten, Dr. Andreas Pinkwart ({0}), dass der Thoriumreaktor eine zukunftweisende Technologie sei?

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Zwischen CDU/CSU und SPD bestehen hinsichtlich der Nutzung der Kernenergie zur Stromerzeugung unterschiedliche Auffassungen. Deshalb kann die am 14. Juni 2000 zwischen Bundesregierung und Energieversorgungsunternehmen geschlossene Vereinbarung und können die darin enthaltenen Verfahren sowie die dazu in der Novelle des Atomgesetzes getroffenen Regeln nicht geändert werden.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege Fell, Sie haben eine Nachfrage.

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin, ich habe keine Nachfrage, sondern den Eindruck, dass eine andere Frage beantwortet wurde. Ich hatte in der dringlichen Frage 7 danach gefragt, ob der Thoriumreaktor aus Sicht der Bundesregierung eine zukunftsweisende Technologie sei, so wie es der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Dr. Andreas Pinkwart meint.

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Er ist, wenn ich das richtig sehe, nur stellvertretender nordrhein-westfälischer Ministerpräsident. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Es handelt sich um die dringliche Frage 7.

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Ich dachte, diese Frage sei durch die vorangegangenen Debattenbeiträge zur Einschätzung eines Reaktors, den man mit guten Gründen abgeschaltet hat, der 2 Milliarden DM gekostet hat und für dessen Beseitigung wir noch immer einige 100 Millionen Euro aufwenden müssen, bereits beantwortet. Wenn das nicht der Fall ist, will ich deutlich sagen: Ich halte die Auffassung des Kollegen Pinkwart für nicht richtig. Im zweiten Teil dieser Frage fragen Sie, ob die Bundesregierung der Auffassung ist, dass der in die Diskussion gebrachte Bau eines neuen Reaktors notwendig ist, um die Energieversorgung zu sichern. Die Antwort ist, dass die Bundesregierung laut Koalitionsvereinbarung und übrigens auch auf der Grundlage des Statusberichtes zur Energieversorgung zum Energiegipfel nicht der Überzeugung ist, dass das notwendig ist.

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nun bin ich etwas verwirrt über meine Anzahl an Nachfragen; denn ich hätte noch eine Nachfrage zur dringlichen Frage 7. Jetzt habe ich dankenswerterweise schon die Antwort auf die dringliche Frage 8 bekommen. Ich würde gerne erst noch eine Nachfrage zur dringlichen Frage 7 und dann zur dringlichen Frage 8 stellen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Gehen wir einfach davon aus, dass die dringlichen Fragen 7 und 8 gemeinsam beantwortet werden. Diese Möglichkeit gibt es ja. Daher rufe ich jetzt die dringliche Frage 8 des Abgeordneten Hans-Josef Fell auf: Hält die Bundesregierung den vom stellvertretenden nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten, Dr. Andreas Pinkwart ({0}), in die Diskussion gebrachten Bau eines neuen Reaktors in NordrheinWestfalen für notwendig, um 2020 eine sichere, wirtschaftliche und nachhaltige Energieversorgung zu garantieren? Sie können jetzt zur dringlichen Frage 7 eine Nachfrage stellen.

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Gut. - Ich teile Ihre Einschätzung, dass das keine zukunftsweisende Technologie ist. Andererseits sehe ich aber, dass es in den Forschungseinrichtungen, die zum Großteil von der Bundesregierung finanziert werden, hier vor allem in der Helmholtz-Gemeinschaft, offensichtlich weiterhin Forschungen zu genau dieser Reaktortechnologie und insbesondere zu Sicherheitsfragen gibt. Zu erkennen ist das daran, dass Forscher aus diesen Einrichtungen auf internationalen Konferenzen auftreten und dort entsprechende Meinungen vertreten. Halten Sie es für richtig und korrekt, dass offensichtlich mit Bundesmitteln eine aus Sicht der Bundesregierung nicht zukunftsweisende Technologie über die Grundfinanzierung der Forschungseinrichtungen unterstützt wird?

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Ich halte es erst einmal für richtig, dem Verfassungsgrundsatz der Freiheit von Forschung und Lehre Rechnung zu tragen. Ich halte es nicht für unsere Aufgabe, Forscher, Professoren sozusagen über politischen Druck oder die Entziehung von finanziellen Mitteln dazu zu zwingen, die Haltung der Bundesregierung einzunehmen. Genauso wenig war oder bin ich der Überzeugung, dass es richtig gewesen wäre, bestimmten politischen Forschungseinrichtungen, die vielleicht einer früheren Bundesregierung nicht genehm gewesen sind, die Mittel zu entziehen. Wir finanzieren Grundlagenforschungseinrichtungen. Natürlich werden wir keine Forschungsmaßnahmen direkt finanzieren, die dem Atomgesetz widersprechen - darauf habe ich hingewiesen. Ansonsten bitte ich um Verständnis, dass die Einzelauffassungen von Forschern, Professoren und Wissenschaftlern durch die Bundesregierung nicht zu beeinflussen sind. Lassen Sie mich noch eine zweite Bemerkung machen: Hier im Parlament ist zu dem Thema „Wer forscht wo?“ mehrfach der Eindruck vermittelt worden, dass über die Finanzmittel für Forschung und Technologie, die die Bundesregierung zusätzlich zur Verfügung stellt, insbesondere im Zuständigkeitsbereich der Kollegin Schavan, sozusagen neue Kernforschung initiiert würde. Ich lege Wert auf die Feststellung, dass es die Initiative des Umweltministeriums gewesen ist und Frau Schavan darum gebeten wurde, wieder stärker darauf zu achten, dass die Kompetenz für den Strahlenschutz, und zwar sowohl für den medizinischen Strahlenschutz als auch für den Strahlenschutz im Bereich nuklearer Einrichtungen, in Deutschland nicht verloren geht. Diese Gefahr besteht nämlich, weil ein Teil der dort beschäftigten Wissenschaftler demnächst in Pension geht. Außerdem wurden aufgrund der Hochschulpolitik der Länder in den letzten Jahren kleine Fachbereiche - um solche handelt es sich in der Regel beim Strahlenschutz - in große Fachbereiche integriert und dort hat aufgrund entsprechender Sparmaßnahmen in der Regel keine Neubesetzung der Stellen stattgefunden. Ich habe deswegen mit der Strahlenschutzkommission und der Reaktor-Sicherheitskommission Gespräche darüber geführt. Ich bin außerordentlich dankbar, dass die Bundesregierung insgesamt, aber auch die Kollegin Schavan in ihrem Bereich, mit dazu beiträgt, durch einen Wiederausbau der Strahlenschutzforschung die Kompetenz für den Strahlenschutz sowohl im medizinischen als auch im nukleartechnischen Bereich in Bezug auf das Thema Kernenergie zu erhalten; denn in den kommenden 14 Jahren wird die Bundesrepublik Deutschland weiterhin Kernkraft nutzen. Es kann nicht in unserem Interesse liegen, dass wir bedingt durch die Altersfluktuation in diesem Bereich keinerlei Kompetenz mehr haben. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege Fell, damit wir den Überblick behalten: Sie haben jetzt theoretisch noch eine Nachfrage zu Frage 7 und zwei Nachfragen zu Frage 8.

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich will meine Fragen zusammenfassen, um die Zeit nicht überzustrapazieren. Herr Minister, Sie hatten meine Frage etwas ausweichend beantwortet. Ich habe nicht nach der Freiheit der Forschung und Lehre einzelner Forscher gefragt. Diese stelle auch ich nicht infrage. Ich habe vielmehr danach gefragt, ob die Grundfinanzierung, nicht Grundlagenforschungsfinanzierung, für Forschungseinrichtungen wie der Helmholtz-Gemeinschaft, die im Wesentlichen von der Bundesrepublik Deutschland geleistet wird, dazu benutzt werden kann, dass Forscher an Technologien wie dem Hochtemperaturreaktor forschen und ihre Erkenntnisse dann auf internationalen Konferenzen weitertragen können.

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Auf der Basis meiner zugegebenermaßen rudimentären Kenntnisse der Bedingungen für Grundfinanzierung für Forschungseinrichtungen würde meine Antwort lauten: Selbstverständlich muss es der Einrichtung selbst überlassen bleiben, für welche Bereiche sie die Grundfinanzierung nutzt. Bei der Projektfinanzierung wäre das etwas anderes. Ich fände es aber außerordentlich schwierig, sozusagen im Annex einer Grundfinanzierung aufzuzählen, in welchem Bereich man nach Auffassung der jeweiligen politischen Mehrheit nicht mehr forschen darf. Ich glaube, es ist sehr schwierig, so mit international renommierten Forschungseinrichtungen umzugehen. Ich halte es, ehrlich gesagt, nicht für ein Problem, wenn Forscher und Wissenschaftler aufgrund ihrer persönlichen Auffassung als Physiker, Mathematiker, Chemiker oder whatever in einem Bereich forschen, den wir politisch in Deutschland nicht mehr haben wollen. Die Frage ist, was in der Realität passiert. In der Realität schalten wir die Kernkraftwerke in den nächsten Jahren ab und nicht neu ein. Ich kann aber keinem deutschen Forscher verbieten, sich in Amerika, in Russland oder sonst irgendwo an Projekten zu beteiligen, die ich für falsch halte. Freiheit von Forschung und Lehre bedeutet aber nicht, dass man immer nur die angenehmen Seiten erlebt. Man wird sich wohl damit abfinden müssen, dass es gelegentlich Forscher gibt, die unser beider Auffassung nicht teilen. Diese müssen wir machen lassen, was sie wollen. Wenn sie aber Projektmittel von uns erhalten wollen, werden sie sie nicht bekommen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich rufe die dringliche Frage Nr. 9 der Kollegin Sylvia Kotting-Uhl auf: Ist der Bundesregierung bekannt, dass das Bundesland Baden-Württemberg die Absicht verfolgt, den Atomkonsens aufzukündigen, wie vorgestern, am 26. Juni 2006, die Umweltministerin des Landes, Tanja Gönner, bei einer Veranstaltung des Deutschen Atomforums e. V. in Berlin bekannt gegeben hat?

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Der Bundesregierung sind die etwaigen Absichten, die die Kollegin Gönner, Baden-Württemberg, mit ihrer etwaigen Bemerkung verfolgt, nicht bekannt. Die Bundesregierung weist darauf hin, dass diese Äußerung, falls sie tatsächlich gefallen sein sollte, dem geltenden Recht und der Koalitionsvereinbarung widersprechen würde.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Eine Nachfrage, Frau Kotting-Uhl.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Soweit sind wir uns einig. - Ich höre trotzdem von vielen Dissensen. Nicht alle sind sich in dieser Frage so einig wie Sie und die Mitglieder unserer Fraktion in diesem Moment. Von interessierter Seite wird offensichtlich die Aufkündigung des Atomkonsenses verfolgt. Gibt es Überlegungen, welche Folgen die Aufkündigung für die Endlagersuche bzw. den Betrieb eines Endlagers hätte? Gibt es Schätzungen, wie groß - es müsste ja größer sein ein Endlager dann sein müsste?

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Die Frage kann ich Ihnen nicht beantworten. Die Beantwortung ist aber schon allein deshalb nicht notwendig, weil ja klar ist, dass das Atomrecht nicht geändert wird. Ich kann nicht erkennen, dass Ihre Unterstellung stimmt, dass die Bundesregierung zulässt, dass sich an den Positionierungen, die im Atomgesetz vorgenommen wurden, etwas ändert. Von daher gibt es keine Notwendigkeit für solche Überlegungen. Im Gegenteil: Die durch den Ausstieg aus der Kernenergie bedingte Reduzierung der anfallenden Abfallmengen - an diesem Beispiel kann man das vielleicht zeigen - hat dazu geführt, dass das Volumen des geplanten Endlagers Schacht Konrad, das ursprünglich, so glaube ich, auf 600 000 Kubikmeter ausgelegt war, bereits in der letzten Periode auf rund 300 000 Kubikmeter reduziert worden ist. Daran mögen Sie erkennen, in welche Richtung die Planungen in der Vergangenheit gingen. Ich muss noch einmal deutlich sagen, dass es in Deutschland politische Auffassungen gibt, die mit der Regierungsmeinung übereinstimmen, und solche, die mit der Regierungsauffassung nicht übereinstimmen. Das ist erlaubt. Das ist auch in den Parteien erlaubt. Ich höre, selbst in einzelnen Parteien soll es zu bestimmten Fragen gelegentlich unterschiedliche Auffassungen geben. Ich habe gehört, dass das auch in meiner Partei der Fall sein soll. Dagegen ist nichts einzuwenden. Entscheidend ist, was Regierungspolitik ist. Das Maßgebliche steht im Koalitionsvertrag. Darin steht, dass sich am Ausstieg aus der Kernenergie nichts ändert.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sie haben keine weitere Nachfrage zur dringlichen Frage Nr. 9. Dann rufe ich die dringliche Frage Nr. 10 der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl auf: Wie verhält sich die Bundesregierung zu diesem Sachverhalt?

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Ich habe die Antwort, so denke ich, bereits gegeben.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Nachfrage.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das kann ich akzeptieren. Ich hatte auch den Eindruck, dass die Frage bereits beantwortet worden ist. Ich will die Beantwortung der weiteren Fragen nicht aufhalten. Wir haben nachher genügend Zeit, um uns über die insgesamt unbefriedigende Beantwortung der Fragen auszutauschen.

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Ich bitte herzlich um Verständnis für das etwas dilettantische Beantworten von Fragen, die ich zuvor nicht gelesen habe. Ich hätte es als unhöflich empfunden, wenn der Parlamentarische Staatssekretär für mich Rede und Antwort gestanden hätte, obwohl ich aufgrund der vorangegangenen Regierungsbefragung als Regierungsmitglied anwesend bin. Deswegen habe ich das Wort ergriffen. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Wir gehen natürlich niemals davon aus, dass ein Mitglied der Bundesregierung irgendetwas dilettantisch machen würde, schon gar nicht im Deutschen Bundestag. ({0}) Nachdem die dringlichen Fragen aufgerufen und beantwortet worden sind, rufe ich jetzt die Fragen auf Drucksache 16/1933 in der üblichen Reihenfolge auf. Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Die Fragen 1 und 2 der Kollegin Cornelia Behm werden schriftlich beantwortet. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung würde der Parlamentarische Staatssekretär Christian Schmidt zur Verfügung stehen. Die Frage 3 des Kollegen Paul Schäfer wird allerdings auch schriftlich beantwortet. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Hier steht zur Beantwortung der Parlamentarische Staatssekretär Michael Müller zur Verfügung. Ich rufe Frage 4 des Abgeordneten Lutz Heilmann, Die Linke, auf: Wann wird die Bundesregierung Gesetzentwürfe für die nationale Umsetzung der EU-Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie 35/2003/EG, die bis zum 25. Juni 2005 in nationales Recht hätte umgesetzt werden müssen, vorlegen, und warum wurden angesichts der Fristüberschreitung die unter der letzten Bundesregierung erarbeiteten Entwürfe für ein Öffentlichkeitsbeteiligungsgesetz und ein Umweltrechtsbehelfsgesetz jeweils vom 21. Februar 2005 noch nicht vom Kabinett beschlossen?

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Herr Kollege Heilmann, das geltende deutsche Recht entspricht bereits in weiten Teilen den Vorgaben der Richtlinie 35/2003/EG zur Beteiligung der Öffentlichkeit bei bestimmten umweltbezogenen Plänen und Programmen sowie zur Öffentlichkeitsbeteiligung und zum Gerichtszugang bei Industrieanlagen und Infrastrukturmaßnahmen. Zur vollständigen Umsetzung in der Bundesrepublik bedarf es jedoch - Sie haben es angesprochen - noch Ergänzungen durch die beiden in Ihrer Frage erwähnten Gesetzentwürfe. Sie wissen, dass wir schon im Jahre 2005 entsprechende Gesetzentwürfe veröffentlicht und im März 2005 Länder und Verbände angehört haben. Durch die Beendigung der Legislaturperiode ist dies unterbrochen worden. Wir haben die Arbeit daran in der Zwischenzeit wieder aufgegriffen. Die Kabinettsbefassung zu diesen beiden Gesetzentwürfen ist noch vor der parlamentarischen Sommerpause geplant, sodass wir mit einer Inkraftsetzung in der zweiten Jahreshälfte 2006 rechnen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, Sie haben eine Nachfrage?

Lutz Heilmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003766, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, ich habe zwei Nachfragen. Konkret zu den Gesetzentwürfen möchte ich fragen: Sollen in § 2 des Entwurfes des Umweltrechtsbehelfsgesetzes die Absätze 3 und 6, in denen es bislang sinngemäß heißt, dass Rechtsbehelfe zulässig und begründet sind, wenn Verbände in ihrem satzungsgemäßen Aufgabenbereich zur Förderung der Ziele des Umweltschutzes berührt sind, verändert werden? Wenn ja: wie und warum?

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Im Augenblick haben wir gegenüber dem Gesetzentwurf von 2005 keine Änderung vorgenommen, sondern nur eine Präzisierung.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Wollen Sie noch eine zweite Nachfrage stellen?

Lutz Heilmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003766, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Meine zweite Nachfrage lautet: Wie sieht die Präzisierung aus?

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Es geht in einem Punkt um eine entsprechende Anpassung an die Vorgaben des europäischen Rechts.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Frage 5 der Abgeordneten Veronika Bellmann wird schriftlich beantwortet. Wir sind damit beim Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Hermann Kues zur Verfügung. Ich rufe Frage 6 des Kollegen Volker Schneider, Die Linke, auf: Wie will die Bundesregierung der Empfehlung der fünften Altenberichtskommission Rechnung tragen, wonach die gesetzliche Rentenversicherung, GRV, auch in Zukunft ein Leistungsniveau bieten muss, das deutlich über dem der steuerfinanzierten bedürftigkeitsgeprüften Mindestsicherung liegt?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Frau Präsidentin, ich bitte darum, die Fragen 6 und 7 aufgrund des Sachzusammenhanges gemeinsam beantworten zu dürfen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Dann rufe ich auch die Frage 7 des Kollegen Schneider auf: Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus dem Vorschlag der Kommission, lieber vermehrt öffentliche Mittel für Weiterqualifizierung bereitzustellen, anstatt sie zur Subventionierung von Finanzkapital zur Privatvorsorge einzusetzen?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Die Fragen 6 und 7 beziehen sich auf den Sachverständigenbericht der von der Bundesregierung eingesetzten fünften Altenberichtskommission. Gemäß Beschluss des Bundestages vom 24. Juni 1994 wird die Bundesregierung zum fünften Altenbericht wie zu den bisherigen Altenberichten Stellung nehmen. Die Erarbeitung der Stellungnahme hat sich durch die vorzeitige Neuwahl und die im Zuge der Regierungsbildung erfolgten Umstrukturierungen von Ressorts ein wenig verzögert. Das betraf unter anderem das BMG, das BMAS und das BMWi, die maßgeblich an einer Stellungnahme zu beteiligen waren. Im Anschluss an die Veränderung der Ressortzuschnitte wurde die Stellungnahme entworfen, an der wieder viele Ressorts beteiligt werden mussten: BMG, BMAS, BMWi, BMBF, BMELV und BMVBS. Es bedurfte von daher einer intensiven Abstimmung. Diese Abstimmung ist mehr oder weniger abgeschlossen, aber die Stellungnahme ist noch nicht vom Kabinett beschlossen. Das Kabinett wird sich mit dem Bericht sowie der Stellungnahme dazu - dadurch wird er ja erst richtig interessant - voraussichtlich am 5. Juli 2006 befassen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege Schneider.

Volker Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003843, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, verstehe ich Sie richtig: Während uns als Abgeordnete zugemutet wird, innerhalb kürzester Zeit, etwa bei Hartz IV, an einem einzigen Tag bzw. Abend bis zum nächsten Vormittag 70 Seiten zu lesen und auch im Hinblick auf die Frage der verfassungsVolker Schneider ({0}) rechtlichen Relevanz von bestimmten Gesetzgebungsverfahren zu beurteilen, können Sie nach fast einem Jahr immer noch keine Stellungnahme zum Altenbericht abgeben, zumal hier Fragen gestellt worden sind, die sich absolut auf Einzelpunkte beziehen, welche schon in anderen Gesetzgebungsverfahren eine Rolle gespielt haben? Heißt das, dass der Altenbericht trotz seiner Vorlage in den Bemühungen der Bundesregierung in keiner Weise einen Niederschlag gefunden hat?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Nein, das ist keineswegs der Fall. Zu einzelnen Fragen, die im Altenbericht angesprochen werden, ist im Parlament mehrfach Stellung genommen worden. Es geht um eine in sich schlüssige Stellungnahme der Bundesregierung zum Altenbericht insgesamt. Das bedarf längerer Abstimmungen und vor allen Dingen der Diskussion und Beschlussfassung im Kabinett. Das ist für den 5. Juli vorgesehen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sie haben eine weitere Nachfrage.

Volker Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003843, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, Ihre Antwort stellt mich in keiner Weise zufrieden. Beispielsweise wurde hier gezielt nach der Situation der gesetzlichen Rentenversicherung gefragt. Dazu hat es in der Zwischenzeit Beratungen gegeben. Im Rahmen dieser Beratungen sind von unserer Fraktion Vermutungen angestellt worden, die sich durch diesen Bericht belegen lassen, die aber von Ihrem Minister dementiert worden sind. Es müsste doch möglich sein, zumindest auf diese gezielten Fragen mit mehr als nur der formalen Antwort, die Sie gegeben haben, zu reagieren.

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Wie Sie wissen, leitet dieses Ressort nicht ein Minister, sondern eine Ministerin, die sich dazu meines Wissens im Parlament noch nicht geäußert hat. ({0}) Wenn es einen Beschluss der Bundesregierung gibt - ich gehe davon aus, dass er am 5. Juli erfolgt -, werden Sie alle Fragen, die im Altenbericht angesprochen sind, detailliert erörtern können. Allerdings sage ich ausdrücklich: Viele der Fragen, auf die Sie hinauswollen, sind im Parlament bereits erörtert worden. Wenn der Beschluss der Bundesregierung vorliegt, können sie aber sicherlich noch einmal im Zusammenhang besprochen werden.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Eine weitere Nachfrage?

Volker Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003843, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja. - Ich muss nachfragen: Sie haben gesagt, dass diese Fragen schon im Parlament erörtert und in diesem Zusammenhang besprochen worden sind. Das kann ich Ihnen nicht bestätigen. Als es beispielsweise um die Rente mit 67 ging, sind einige Behauptungen erhoben worden, die durch den Altenbericht nicht gedeckt werden. Ist der Bericht in diesem Zusammenhang schon von Ihnen berücksichtigt worden oder nicht?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Ich bitte Sie um Verständnis dafür, dass ich zum Altenbericht, der bislang nicht im Kabinett behandelt worden ist - das wird am 5. Juli geschehen -, zum jetzigen Zeitpunkt keine Stellungnahme abgebe. Das wird erfolgen, sobald der Bericht vom Kabinett zur Kenntnis genommen und eine entsprechende Stellungnahme dazu erarbeitet worden ist.

Volker Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003843, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Heißt das, Sie behandeln Gesetze zwar unter Berücksichtigung der jeweiligen Fakten, nehmen aber keine Stellung dazu? Sehe ich das richtig? ({0})

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Wir behandeln hier keine Gesetze, sondern hier geht es speziell um den Altenbericht. Dazu habe ich, wie ich glaube, alles gesagt, was ich sagen musste.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Nun sind wir bei Frage 8 der Abgeordneten Inge Höger-Neuling, Die Linke: Wie steht die Bundesregierung zu der Anregung der fünften Altenberichtskommission, bei der Einschätzung der Einkommensentwicklung im Alter auch Selbst- und Zuzahlungen im Fall von Krankheit und Pflegebedürftigkeit, die aus den laufenden Alterseinkommen zu finanzieren sind, zu berücksichtigen?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Da es sich bei Frage 8 um einen ähnlichen Inhalt wie bei der vorherigen Frage handelt, muss ich auf das verweisen, was ich in meiner Antwort auf Frage 7 gesagt habe, auch wenn das für Sie vielleicht unbefriedigend ist: Die Bundesregierung wird ihre Position zum Altenbericht voraussichtlich am 5. Juli festlegen. Dann ist Zeit, um darüber im Einzelnen zu diskutieren.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Eine Nachfrage? - Bitte schön.

Inge Höger-Neuling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003773, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich würde meine Frage gerne umformulieren. Ohne Bezugnahme auf den Altenbericht würde ich gerne wissen, ob es für die Beurteilung der Rentenentwicklung nicht wichtig ist, die Ausgaben für Zuzahlungen im Fall von Krankheit und Pflegebedürftigkeit zu berücksichtigen.

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Sie haben Ihre Frage zwar verändert, aber sie bezieht sich nach wie vor auf den gleichen Inhalt. Sie werden verstehen, dass das gilt, was ich eben gesagt habe: Ich kann dazu erst dann Stellung nehmen, wenn die Bundesregierung eine einheitliche Position beschlossen hat.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Haben Sie eine weitere Nachfrage?

Inge Höger-Neuling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003773, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich möchte meine Unzufriedenheit zum Ausdruck bringen. Hier ist schon ausführlich über die Haltung der Bundesregierung zur Rentenentwicklung berichtet worden und die Empfehlungen des Altenberichts sind nicht berücksichtigt worden. Dass Sie sich jetzt auf eine formale Stellungnahme zurückziehen, finde ich sehr unbefriedigend.

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Das mag für Sie unbefriedigend sein. Da aber vier Abgeordnete Ihrer Fraktion mehr oder weniger ähnliche Fragen gestellt haben, darf es Sie nicht verwundern, dass ich darauf mehr oder weniger ähnliche Antworten gebe.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Damit sind wir bei der Frage 9 des Abgeordneten Klaus Ernst: Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung für ihre Pläne, das gesetzliche Rentenalter anzuheben, aus den von der fünften Altenberichtskommission erhobenen Bedenken gegen dieses Vorhaben?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Ich bitte darum, die Fragen 9 und 10 des Kollegen Ernst gemeinsam beantworten zu dürfen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Dann rufe ich auch die Frage 10 des Kollegen Ernst auf: Wie steht die Bundesregierung zu den Befürchtungen der fünften Altenberichtskommission, dass die gesetzliche Rentenversicherung, GRV, angesichts des Niveauabbaus der letzten Jahre ihre Legitimation zunehmend verlieren und die Transformation in ein eher allgemeines Umverteilungssystem - gegebenenfalls sogar verknüpft mit Bedürftigkeitsüberprüfung - eintreten könnte, und was gedenkt sie zu unternehmen, dass diese Befürchtungen nicht eintreten?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Da auch hier ein Sachzusammenhang besteht und eine unmittelbare Bezugnahme auf die vorhergehenden Fragen vorliegt, wird es Sie nicht überraschen, wenn ich sage, dass das, was ich eben geantwortet habe, hier in gleicher Weise gilt: Wir werden dann, wenn die Bundesregierung eine Stellungnahme beschlossen hat - ich habe Ihnen ein Datum genannt: den 5. Juli -, im Einzelnen Stellung dazu nehmen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Eine Nachfrage, bitte, Herr Kollege Ernst.

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sie haben deutlich zum Ausdruck gebracht, inhaltliche Fragen zum Altenbericht nicht beantworten zu wollen. Sind Sie aber bereit, die Frage zu beantworten, ob denn das Ergebnis des Altenberichts in die Beratungen der Bundesregierung über die Erhöhung des Renteneintrittsalters Eingang gefunden hat?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Sie können ganz sicher sein, dass alles, was im Verlaufe der letzten Wochen und Monate an fachlichen Stellungnahmen zusammengetragen und veröffentlicht worden ist, in die Überlegungen einfließt. Dass Teile des Altenberichts sogar auf der Homepage der einen oder anderen Fraktion aufgetaucht sind, dazu kann ich nur sagen: Das ist nun einmal so in unserer offenen Gesellschaft. In Bezug auf den Altenbericht selbst wird es, wie gesagt, eine Stellungnahme geben, über die man dann im Einzelnen diskutieren können wird. Solange es diese schriftliche, von der Bundesregierung beschlossene Stellungnahme nicht gibt, ist es logischerweise nicht möglich, dazu detailliert Stellung zu nehmen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Noch eine Nachfrage, Herr Ernst, bitte sehr.

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Wir bewerten Sie, dass in diesem Altenbericht das Gegenteil von dem steht, wie die Bundesregierung ihre Politik nach außen faktisch darstellt? Kann man davon ausgehen, dass solche wissenschaftlichen Gutachten künftig überflüssig sind, weil die Bundesregierung sie ohnehin nicht berücksichtigt?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Herr Abgeordneter, Sie scheinen Teile des Altenberichts gelesen zu haben. ({0}) Auch ich habe Teile davon gelesen, sogar mehr als nur Teile. Beim Lesen werden Sie festgestellt haben, dass es unterschiedliche Bewertungen, Prognosen, EinschätzunParl. Staatssekretär Dr. Hermann Kues gen gibt. Die zentrale Aufgabe einer Regierung ist es, solche fachlichen Stellungnahmen zu bewerten und daraus Schlussfolgerungen zu ziehen. Das ist gerade nicht die Aufgabe von Wissenschaftlern, sondern das ist die Aufgabe der Regierung. Deshalb können Sie sicher sein, dass alles, was an Fakten verfügbar ist, auch einbezogen wird.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sie haben eine weitere Nachfrage, Herr Ernst, bitte sehr.

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Es ist eine gewisse zeitliche Verzögerung zwischen der Erstellung dieses Gutachtens und seiner Veröffentlichung festzustellen. Bedeutet das in der Praxis auch für künftige Gutachten, die die Bundesregierung in Auftrag gibt, dass diese, wenn ihr Ergebnis Ihnen nicht gefällt, erst dann behandelt werden, wenn die parlamentarische Debatte darüber schon stattgefunden hat, dass sie also erst einmal nicht behandelt werden?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Ich beantworte diese Frage mit Nein. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Damit sind wir bei der Frage 11 der Kollegin Katja Kipping: Wie gedenkt die Bundesregierung der Empfehlung der fünften Altenberichtskommission Rechnung zu tragen, welche die Meinung vertritt, dass durch die weitere Entwicklung der Alterssicherung eine stärkere Spreizung der Alterseinkommen und ein langfristig drohendes Ansteigen der Altersarmut verhindert werden muss?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Weil es einen Sachzusammenhang gibt, bitte ich auch hier darum - das kann Sie nicht verwundern -, die Fragen 11 und 12 gemeinsam beantworten zu dürfen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Dann rufe ich zugleich die Frage 12 auf: Was gedenkt die Bundesregierung zu unternehmen, um die im fünften Altenbericht betonte Heterogenität sowie die sozialen Unterschiede und zunehmenden sozialen Ungleichheiten innerhalb der Gruppe der alten Menschen abzumildern und gleiche Teilhabechancen für Ältere herzustellen?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Da diese Fragen den vorherigen ähneln, verweise ich ausdrücklich auf die Antworten, die ich hier zu den Fragen 6, 7, 8, 9 und 10 gegeben habe.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Eine Nachfrage, Frau Kipping, bitte schön.

Katja Kipping (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003786, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Bei allem Verständnis für das, was Sie sagen müssen, befinden Sie sich offensichtlich im Prozess der Vorbereitung auf die Auswertung im Kabinett am 5. Juli. In Anbetracht der Tatsache, dass Teile der Kommission noch einmal festgestellt haben, dass bei einer Rente mit 67 soziale Ungleichheiten drohen und bereits heute nur sehr wenige Menschen auf 45 Beitragsjahre kommen, frage ich Sie: Ist Ihnen bekannt - und werden Sie das in die Vorbereitung der Kabinettssitzung einfließen lassen -, wie viel Prozent der Männer und Frauen heute überhaupt noch auf 45 Beitragsjahre kommen?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Ich kann Ihnen versichern, dass die einzelnen Ressorts und die einzelnen Minister sich auf diese Kabinettssitzung, wo auch über die Positionen des Altenberichts diskutiert wird, intensiv vorbereiten werden.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Eine weitere Nachfrage, Frau Kipping, bitte.

Katja Kipping (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003786, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich will noch einmal darauf hinweisen, dass meine Frage nicht darauf abzielte, Ihre Vorbereitung infrage zu stellen, sondern dass ich gerne wissen wollte, ob Ihnen bekannt ist, wie viel Prozent der Männer und Frauen in Ost und West schon heute überhaupt auf 45 Beitragsjahre kommen.

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Ich habe eben in der Antwort auf die Fragen des Kollegen Ernst ausdrücklich darauf hingewiesen, dass nur Teilaspekte genannt worden sind und die Bandbreite der Positionen des Altenberichts nicht dargestellt worden ist. Ich sage ausdrücklich, dass das Material, das im Altenbericht zusammengetragen worden ist, von der Bundesregierung bewertet wird. Dann kann man zu den einzelnen Fakten und zu den einzelnen Daten Stellung nehmen. Ich bitte um Verständnis, dass das zum heutigen Zeitpunkt von meiner Seite nicht möglich ist.

Katja Kipping (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003786, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich habe eine weitere Nachfrage.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bitte schön.

Katja Kipping (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003786, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Obwohl wir in dieser Gesellschaft bereits sehr vehement über die Rente mit 67 diskutieren, was im Übrigen unabhängig von dem Altenbericht geschieht, zu dem Sie ja nichts sagen dürfen, sind Sie als zuständiger Staats3928 sekretär also nicht in der Lage, darüber Auskunft zu geben, wie viel Prozent der Frauen und Männer in Ost und West bereits heute auf 45 Beitragsjahre kommen?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Zunächst einmal muss ich Sie korrigieren: Ich bin nicht der zuständige Staatssekretär und mein Ressort leitet auch nicht ein Minister, sondern eine Ministerin.

Katja Kipping (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003786, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sie sprechen als Vertreter der Regierung.

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Das zuständige Ressort hat hier zu den ganzen Fragen mehrfach Stellung genommen und wird sich natürlich - das hat es auch schon getan - an dem Entwurf der Stellungnahme zum Altenbericht beteiligen. Dann wird auch darüber zu diskutieren sein.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich rufe jetzt die Frage 13 der Abgeordneten Sibylle Laurischk auf: Wie erklärt die Bundesregierung die Verzögerung der Veröffentlichung des fünften Altenberichts, der ihr seit fast einem Jahr vorliegt, und wie erklärt sie, dass dieser Bericht Teilen der Presse sehr wohl bekannt ist ({0})?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Für die in jeder Legislaturperiode erfolgende Altenberichterstattung ist vorgesehen, dass zu jedem Altenbericht eine Stellungnahme der Bundesregierung erarbeitet wird, bevor diese mit dem Bericht veröffentlicht wird. Die Erarbeitung der Stellungnahme zum fünften Altenbericht hat sich verzögert, wie ich in den Antworten auf die vorhergehenden Fragen eben schon erläutert habe. Der Bundesregierung ist bekannt, dass Teile des Altenberichts von der Presse thematisch aufgegriffen worden sind. Aus welchen Quellen die Presse die Informationen hat, ist nicht bekannt. Im Rahmen der Altenberichterstattung werden die Berichte immer erst zusammen mit einer vom Kabinett beschlossenen Stellungnahme der Bundesregierung veröffentlicht. Das hat eine lange Tradition. So wird auch beim fünften Altenbericht verfahren.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sie haben eine Nachfrage. Bitte schön.

Sibylle Laurischk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003580, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, wann ist mit der Debatte zum Altenbericht hier im Bundestag zu rechnen? ({0})

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Über die Debatten im Bundestag befindet der Deutsche Bundestag und nicht die Bundesregierung. Der Bundestag muss darüber beschließen, wann er darüber debattieren will. ({0}) Wie ich schon gesagt habe: Der Beschluss im Kabinett wird am 5. Juli 2006 erfolgen. Dann wird der Bundestag zu entscheiden haben, wann er das Ganze auf die Tagesordnung setzt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Eine weitere Nachfrage.

Sibylle Laurischk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003580, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich bin mir nicht ganz sicher, ob die Frage 14 schon beantwortet wurde.

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Nein, das habe ich noch nicht getan.

Sibylle Laurischk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003580, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Dann komme ich später dazu.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich rufe jetzt die Frage 14 der Abgeordneten Laurischk auf: Welche Aussagen werden im fünften Altenbericht zum Renteneintrittsalter getroffen?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Die Kommission ist der Auffassung, dass in höherem Maße als bisher eine Flexibilisierung beim Übergang vom Erwerbsleben in die Nacherwerbsphase erforderlich ist. Ein Teil der Kommission verknüpft dies wegen der befürchteten sozialen Ungleichheiten nicht mit einer Erhöhung des gesetzlichen Renteneintrittsalters. Ein anderer Teil befürwortet eine Anhebung des Renteneintrittsalters, verweist aber darauf, dass dies eine veränderte Arbeitsmarktlage notwendig macht. Jene Personen, die in ihrer Gesundheit eingeschränkt sind, sollen auch in Zukunft vorzeitig Rente beziehen können.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Mir liegen jetzt von Frau Laurischk und von Herrn Ernst Wortmeldungen für eine Nachfrage vor.

Sibylle Laurischk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003580, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Haben sich die Teile der Kommission, die sich offensichtlich für eine Flexibilisierung und damit für eine Erhöhung des Renteneintrittsalters aussprechen, auch schon dahin gehend geäußert, wo sie eine Erhöhung ansetzen?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Dazu kann ich im Moment keine Stellung nehmen, weil dazu der Altenbericht in seiner Gesamtheit vorliegen müsste.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Nun eine Nachfrage des Kollegen Ernst.

Sibylle Laurischk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003580, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich habe noch eine weitere Nachfrage.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sie kommen danach noch einmal dran.

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich möchte doch noch die Nachfrage stellen, ob Sie es für ein normales und dem Hohen Hause angemessenes demokratisches Verfahren halten, dass die Bundesregierung Anträge für wesentliche Gesetzesänderungen zum Rentenrecht ins Parlament einbringt, während gleichzeitig eine wissenschaftliche Untersuchung läuft, die nicht veröffentlicht wird.

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Ich halte es für ein ordnungsgemäßes demokratisches Verfahren, wie es seit Jahren praktiziert wird, dass eine wissenschaftliche Kommission einen Bericht vorlegt, dass die Bundesregierung eine zwischen den Ressorts abgestimmte Bewertung vornimmt und ihre Schlussfolgerungen daraus zieht und dass dies in der entsprechenden zeitlichen Folge geschieht, dass nämlich zunächst einmal die Regierung entscheidet und dass dann über das in sich geschlossene Konzept inklusive des Berichts diskutiert wird. Das ist nichts Ungewöhnliches, sondern das ist eine ganz normale parlamentarische Regel. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Damit sind wir bei der zweiten Nachfrage der Kollegin Laurischk.

Sibylle Laurischk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003580, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Inwieweit sieht sich die Bundesregierung im Rahmen der Rentendebatte in der Lage, auf der Basis des vorliegenden Altenberichts eine eigene Meinung hinsichtlich der Frage der Erhöhung des Renteneintrittsalters zu formulieren?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Frau Kollegin Laurischk, Sie haben gefragt, inwieweit sich die Bundesregierung in der Lage sieht, auf der Basis des Berichts eine eigene Meinung zu Ihrer Frage zu formulieren. Es gilt weiterhin das, was ich eben gesagt habe: Solange der Bericht nicht vorliegt und solange es keine Stellungnahme gibt, werde ich dazu nicht detailliert Auskunft geben können - dafür bitte ich um Verständnis -, so sehr ich auch Ihren Wunsch verstehen kann.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Damit kommen wir zur Frage 15 der Abgeordneten Dr. Dückert: Hält die Bundesregierung es familienpolitisch auf Dauer für vertretbar, dass nach Berechnungen des Gutachtens von Ulrike Spangenberg „Neuorientierung der Ehebesteuerung: Ehegattensplitting und Lohnsteuerverfahren“, 2005, gefördert durch die Hans-Böckler-Stiftung, 43 Prozent aller Ehen, die vom Ehegattensplitting profitieren, kinderlos sind?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Das von Ihnen zitierte Gutachten bezieht sich auf eine Auswertung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, DIW, in Berlin. Darin wird zum Sachverhalt Folgendes ausgeführt: Für das Jahr 2003 haben 57 Prozent der Eheleute, die nach der Splittingtabelle besteuert werden, aktuell steuerlich zu berücksichtigende Kinder. Das Entlastungsvolumen des Ehegattensplittings entfiel 2003 zu 65 Prozent, also überproportional, auf Eheleute mit Kindern. Dieser Anteil ist nach dem heute geltenden Einkommensteuertarif 2005 leicht höher. Eheleute mit Kindern werden durchschnittlich stärker entlastet als Eheleute ohne Kinder. ({0}) Das DIW Berlin kommt überdies in seiner Untersuchung zu den gegenwärtigen Wirkungen der Ehegattenbesteuerung zu der Aussage, dass von den Ehepaaren ohne aktuell steuerlich zu berücksichtigende Kinder ein hoher Anteil früher Kinder bekommen habe. Die Ausführungen des DIW legen insgesamt nahe, dass etwa 90 Prozent des Splittingvolumens auf Ehepaare entfällt, die entweder steuerlich zu berücksichtigende Kinder haben oder hatten. Soweit dem Ehegattensplitting unterstellt wird, es entfalte eine Anreizwirkung und begünstige eine traditionelle Arbeitsteilung in der Ehe, dürfen diejenigen Ehepaare heute nicht benachteiligt werden, die sich auch wegen ihrer Kinder entsprechend der unterstellten Anreizwirkung des Ehegattensplittings verhalten haben. ({1}) Das Splittingverfahren bei der Einkommensbesteuerung von Ehegatten dient dem grundgesetzlichen Zweck des Schutzes der Ehe. Es stellt eine an dem Schutzgebot des Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Ehepaare - Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes - orientierte sachgerechte Besteuerung sicher, so wie es auch vom Bundesverfassungsgericht ausgeführt worden ist. Es ist kein familienpolitisches Instrument im engeren Sinne und kann demnach auch nicht allein nach familienpolitischen Maßstäben - danach hatten Sie ja gefragt beurteilt werden. Die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Frau Dr. Ursula von der Leyen, hat angekündigt, das System der familienbezogenen gesetzlichen Maßnahmen und Leistungen zu überprüfen und einer Wirkungsanalyse im Hinblick auf die Zielsetzungen einer modernen und nachhaltigen Familienpolitik zu unterziehen. Bei dieser Analyse wird wegen des Sachzusammenhangs auch das Ehegattensplitting berücksichtigt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sie haben eine Nachfrage, Frau Dr. Dückert? - Bitte schön.

Dr. Thea Dückert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003071, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, was halten Sie von dem Vorschlag - der auch in diesem Gutachten enthalten ist -, eine Alternative zum Ehegattensplitting zu entwickeln, die auf der einen Seite verfassungskonform ist, also den grundgesetzlichen Schutz der Ehe berücksichtigt, aber auf der anderen Seite ein Finanzvolumen von etwa 8 Milliarden Euro für eine direkte Förderung von Familien mit Kindern freistellt?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Ich habe darauf hingewiesen, dass die Ministerin vorhat, im Verlauf dieses und des nächsten Jahres die Familienleistungen in Deutschland, die sich von der absoluten Höhe her in Europa sicherlich im oberen Grenzbereich bewegen, zu überprüfen, die Wirkungen der Transferströme zu erfassen und zu bewerten. Sie wissen, dass es dazu sehr unterschiedliche Positionen gibt. Dann müssen wir Schlussfolgerungen hinsichtlich der Sinnhaftigkeit der bestehenden Regelungen ziehen. Wie Sie wissen, sind dabei auch verfassungsrechtliche Aspekte zu bedenken und die bestehenden Zielsetzungen im Blick zu behalten. Dann wird darüber zu reden sein, welcher finanzielle Spielraum im Einzelnen besteht. Sie werden verstehen - davon waren Sie in Ihrer Frage ja auch ausgegangen -, dass Stellungnahmen bzw. Positionen in Gutachten nicht die Grundlage für anstehende familienpolitische Entscheidungen darstellen können.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt folgt eine Nachfrage der Kollegin Scheel.

Christine Scheel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002771, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, die Diskussion über das Familiensplitting zieht sehr weite Kreise. Wie bewerten Sie die Aussage von Kardinal Meisner, der wohl zu der Auffassung gekommen ist, dass das Ehegattensplitting nicht in die heutige Zeit passt und durch ein Familiensplitting ersetzt werden sollte?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Ich habe dazu zwar eine persönliche Meinung, aber ich weiß nicht, ob sie der Meinung der Bundesregierung entspricht. Das müsste ich erst einmal klären, weil sich die Bundesregierung bis jetzt noch keine Meinung dazu gebildet hat. Ich glaube, dass jeder Kardinal das Recht hat, seine Meinung als Bürger der Bundesrepublik Deutschland zu äußern. Als solche steht diese Meinungsäußerung zur Debatte. Es ist nicht die Aufgabe der Bundesregierung, das zu bewerten.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Es gibt noch eine Nachfrage der Kollegin Dr. Dückert. - Sie wollen verzichten? Dann Frau Deligöz, bitte schön.

Ekin Deligöz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003068, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär Kues, habe ich Sie richtig verstanden, dass es die Bundesregierung bzw. Ihr Ministerium in Betracht zieht, im Rahmen der Umordnung der finanziellen Maßnahmen zur Familienförderung auch das Ehegattensplitting anzutasten und unter Umständen zu verändern?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

In diesem Punkt haben Sie mich falsch verstanden; es geht nicht darum, hier etwas anzutasten. Ich habe vielmehr gesagt: Wenn man die Wirkungsströme analysieren will, dann gehört logischerweise auch die Wirkung des Ehegattensplittings dazu. Ich habe bereits ausgeführt, zu welchem Ergebnis das DIW-Gutachten kommt, nämlich dass zu 90 Prozent Ehepaare mit Kindern vom Ehegattensplitting profitieren. Das wird mit berücksichtigt werden müssen. Dann müssen wir zu einer Gesamtbewertung kommen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt folgt eine Nachfrage des Kollegen Thiele.

Carl Ludwig Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002315, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, morgen wird im Bundestag in abschließender Debatte über das Steueränderungsgesetz 2007 abgestimmt. Der Finanzausschuss hat heute bereits dafür votiert. Vorgesehen ist eine Steuererhöhung für „Reiche“, um den Terminus der SPD zu verwenden. Inwiefern erhöht sich der Splittingvorteil durch eine Erhöhung des Steuertarifes - auch dieser Punkt muss im Zusammenhang damit erörtert werden - und hat die Bundesregierung bei diesem Vorhaben mit berücksichtigt, dass es durch die steuerliche Mehrbelastung an dieser Stelle zu erheblichen Entlastungen kommt?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Ich gehe davon aus, dass es bei der Gestaltung dieses Gesetzentwurfes Abwägungsprozesse gegeben hat. Zu der Frage, in welche Richtung die Ergebnisse konkret führen werden, wird sich meine Kollegin Frau Hendricks äußern.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bitte schön.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Durch den so genannten Balkon, der im Tarif vorgesehen ist - nämlich ein höherer Steuersatz ab einem zu versteuerndem Einkommen von über 500 000 Euro bei Verheirateten, auf die der Splittingtarif angewandt werden könnte -, erhöht sich der Vorteil nicht. Denn der maximale Splittingvorteil wird dann erreicht, wenn die Progressionszone endet und der obere Proportionaltarif erreicht ist. Das sind bei Ehepaaren - mit zwei multipliziert - 104 000 Euro.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege Thiele, da es sich um eine Frage der Abgeordneten Dr. Dückert handelt, haben Sie leider nur die Möglichkeit zu einer Zusatzfrage, die Sie bereits ausgeschöpft haben. Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Karin Roth zur Verfügung. Wir beginnen mit der Frage 16 des Abgeordneten Lutz Heilmann: Beabsichtigt die Bundesregierung, den Bereich Radverkehr im Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung aus der Grundsatzabteilung in die Abteilung Straßenbau, Straßenverkehr zu verlagern, und, wenn ja, ist nach Auffassung der Bundesregierung die Förderung des Radverkehrs, die zu erheblichen Anteilen nicht investive Maßnahmen erfordert, dann noch gewährleistet?

Karin Roth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003618

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung wird die Arbeitsgruppe „Radweg“ der Abteilung „Stadtentwicklung und Wohnen“ angliedern. Die Förderung des Radverkehrs durch das BMVBS wird auch in Zukunft gewährleistet sein.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sie haben eine Nachfrage, bitte schön, Herr Heilmann.

Lutz Heilmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003766, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich danke Ihnen für die Antwort. - Bislang sieht der Stellenplan im Bereich Radverkehr 2,5 Planstellen vor. Davon ist derzeit eine unbesetzt. Daher lautet meine Frage: Wird diese Stelle bald wieder besetzt und wird dieser Stellenplan beibehalten oder ändert sich durch die

Karin Roth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003618

Wir sind immer gehalten, bei Umorganisation und Eingliederung darauf zu achten, ob es Effizienzgewinne beim Personal gibt. Wir haben nicht ohne Grund diese Arbeitsgruppe der Abteilung „Stadtentwicklung und Wohnen“ zugeordnet. Wir werden sicherlich unsere Möglichkeiten im Rahmen der Personaleinsparverpflichtung nutzen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sie haben eine weitere Nachfrage, Herr Heilmann.

Lutz Heilmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003766, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sind Sie der Meinung, dass Sie mit weiteren Einsparungen in diesem Bereich der Bedeutung des Radverkehrs - in Berlin ist sie offensichtlich - gerecht werden?

Karin Roth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003618

Wir werden natürlich versuchen, unsere Aktivitäten auszuweiten. Das bedarf aber auch der Initiative der Länder und der Gemeinden. Ich würde es sehr begrüßen, wenn Sie dies vor Ort unterstützten.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Es gibt eine weitere Nachfrage des Kollegen Hill.

Hans Kurt Hill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003767, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Roth, ich habe eine Frage betreffend den Nationalen Radverkehrsplan. Wie schätzen Sie die Umsetzung dieses Plans ein und wie ist der Stand möglicher Änderungen?

Karin Roth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003618

Wie ich bereits ausgeführt habe, gibt es hier mehr Möglichkeiten der finanziellen Unterstützung. Diese werden bislang nicht voll genutzt. Insofern sind wir vonseiten des Ministeriums gerne bereit, entsprechende Initiativen zu unterstützen. Wir machen das schon durch Marketing und Informationsveranstaltungen vor Ort. Aber es bedarf immer der Antragstellung. Wir haben nichts dagegen - wir wären sogar sehr erfreut darüber -, wenn Sie das mit uns gemeinsam auf den Weg bringen.

Hans Kurt Hill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003767, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Frage 17 des Kollegen Winkler, die Fragen 18 und 19 des Kollegen Hettlich sowie die Fragen 20 und 21 der Kollegin Deligöz werden schriftlich beantwortet. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Thomas Rachel zur Verfügung. Ich rufe die Frage 22 der Abgeordneten Priska Hinz auf: Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt In welcher Höhe sollen finanzielle Mittel für das European Technology Institute, EIT, zur Verfügung gestellt werden und aus welchen Quellen sollen diese kommen, nachdem in der Europäischen Union bereits eine Einigung über die Finanzielle Vorausschau 2007 bis 2013 und damit auch über den Finanzrahmen des 7. Forschungsrahmenprogramms, FRP, erzielt wurde und die Europäische Kommission bis jetzt keine erkennbaren Signale gegeben hat, Mittel außerhalb des 7. FRP zur Verfügung zu stellen? Bitte sehr, Herr Staatssekretär.

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Frau Kollegin Hinz, auf Ihre Frage darf ich Ihnen wie folgt antworten: In ihrer aktuellen Mitteilung zum European Technology Institute vom 13. Juni dieses Jahres stellt die EU-Kommission heraus, dass den Mitgliedstaaten und den europäischen Stakeholdern im kommenden Herbst im Rahmen der Folgenabschätzung zunächst eine eingehende Finanzanalyse zur Verfügung gestellt wird. Die Kommission hat darüber hinaus deutlich gemacht, dass in der Anlaufphase substanzielle Summen der öffentlichen Hand benötigt werden, um den Ausbau des EIT durchzuführen. Sie geht davon aus, dass sich die Finanzierungserfordernisse auf das Ende der Phase 2007 bis 2013 konzentrieren und dass im Kern private Geldgeber das EIT tragen. Man muss aber einräumen, dass zurzeit keine weiter führenden Hinweise aus der Europäischen Kommission darauf vorliegen, in welcher Höhe finanzielle Mittel für das EIT vorgesehen sind. Ich kann nur feststellen, dass im 7. Forschungsrahmenprogramm die Finanzierung eines solchen europäischen Technologieinstituts nicht vorgesehen ist. Die Meinung der Bundesregierung ist, dass eine Finanzierung nicht zulasten des 7. Forschungsrahmenprogramms und des so genannten ERC gehen darf. Insofern ist in unseren Augen die Beantwortung der zentralen Frage nach der Finanzierung des EIT durch die Kommission aufgeschoben worden. Die Finanzierung bleibt ungeklärt. Wir hätten uns von der Kommission eine vorläufige Kalkulation der Kosten und ein Finanzierungskonzept gewünscht.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sie haben eine Nachfrage, Frau Kollegin Hinz.

Priska Hinz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003769, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, angesichts Ihrer Antwort und der unsicheren Finanzierung stellt sich in der Konsequenz umgehend die Frage, wie sicher es dann überhaupt ist, dass das EIT verwirklicht wird. Mit welcher Haltung geht die Bundesregierung in die weiteren Verhandlungen mit der europäischen Ebene?

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Sicher ist an dieser Stelle relativ wenig; denn wir befinden uns in einem europäischen Meinungsbildungsprozess. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung ist schon seit den ersten Konsultationen der Kommission proaktiv tätig, um auf der europäischen Ebene Gesichtspunkte und Erfahrungen aus der Strukturierung nationaler Einrichtungen einzubringen. Wir haben in Deutschland durch innovative Cluster Erfahrungen gemacht. ({0}) Das ist ein Thema, das wir in diesem Zusammenhang einbringen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Nachfrage? - Bitte, Frau Hinz.

Priska Hinz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003769, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse darüber vor, wie das private Kapital mobilisiert werden kann, das die Europäische Kommission gerne auch für das EIT mobilisieren möchte? Liegen der Bundesregierung darüber hinaus Erkenntnisse darüber vor, ob es zu einer Stiftung kommt und Bill Gates bereits etliche Millionen Euro bzw. Dollar zugesagt hat, um diese Stiftung zu finanzieren?

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Nein.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Wir kommen dann zur Frage 23 der Kollegin Hinz: Wodurch wird sich das EIT von derzeit bestehenden europäischen Organisationen und Initiativen mit einem ähnlich anwendungsorientierten Forschungsansatz unterscheiden und wie können durch ein solches Institut Forschung und Innovation vor Ort befördert werden?

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Frau Kollegin, nach den Vorstellungen der EU-Kommission besteht die zentrale gemeinsame europäische Aufgabe dieses Europäischen Technologieinstituts in der gebündelten Anstrengung, die Leistungspotenziale im Wissensdreieck von Ausbildung, Forschung und Innovation zur Steigerung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit auszuschöpfen. Aus Sicht der Kommission ist das eine ganzheitliche Strategie, um hinsichtlich der Erreichung der Lissabonner Ziele in den Bereichen Ausbildung, Forschung und Innovation neue und nachhaltige Impulse in Europa zu setzen. Aus Sicht der Kommission soll sich das EIT in andere EU-Initiativen einfügen. Ich nenne nur das 7. Forschungsrahmenprogramm, den Forschungsrat und die Technologieplattformen. Es ist das Ziel, damit den Innovationsrückstand aufzuholen. Hierbei sollen nach Plänen der Kommission der spezifische Beitrag des EIT in der Überwindung der Fragmentierung der Wissenssektoren in der EU, in der Schaffung eines neuen Referenzmodells und auf der Basis von Spitzenleistung sowie der Verbesserung der Integration von Wirtschaft und Innovation in Forschung und Ausbildung liegen, um so den Innovationsprozess in Europa zu beschleunigen. Aus Sicht der Kommission zielt das EIT darauf, Talente und Studierende aus der ganzen Welt anzuziehen, Innovationsmanagern ein attraktives Arbeitsfeld anzubieten und Spitzenleistungen europaweit zu fördern. Aus Sicht des Bundesministeriums für Bildung und Forschung ist kritisch anzumerken, dass bis heute eine klare Abgrenzung beispielsweise zu dem European Research Council, ERC, und damit eine verstärkte Profilbildung der europäischen Wissenslandschaft nicht zu erkennen ist.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine Nachfrage, Frau Hinz.

Priska Hinz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003769, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Mich würde angesichts der Fülle der Aufgaben, die dort wahrgenommen werden sollen, interessieren, wie speziell die Abwanderung von Nachwuchswissenschaftlern und -wissenschaftlerinnen verhindert und die Werbung um Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus dem Ausland und von Deutschen, die im Ausland tätig sind, nach Deutschland zu kommen, durch das EIT befördert werden können und ob die Bundesregierung in Verhandlungen darauf drängt, dies zu einer besonderen Aufgabe des EIT zu machen.

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Die Kommission ist bisher ein in sich schlüssiges, abgewogenes und durch einen finanziellen Rahmen abgesichertes Konzept schuldig geblieben. Daher wird diese Frage nicht beantwortet. Die Bundesregierung und das Bundesforschungsministerium sehen in den bisher vorgelegten Eckpunkten der EU-Kommission weniger die Lösung. Wir denken, dass ein europäischer Mehrwert vielmehr durch eine Vernetzung der vorhandenen Institutionen erzielt werden könnte. Das meine ich aber nicht in dem Sinne, dass beispielsweise das EIT einen ganz anderen Schritt macht, weil es eine Rechtspersönlichkeit ist. Dies sehen wir eher kritisch.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zweite Nachfrage, bitte schön.

Priska Hinz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003769, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich sehe, dass die Bundesregierung nach wie vor eine skeptische Haltung hat, die ich durchaus teile. Meine zweite Nachfrage betrifft die Zeitschiene: Wann kann die Europäische Kommission Ihrer Auffassung nach dazu kommen, überhaupt einmal ein einigermaßen schlüssiges Konzept vorzulegen, das diskutiert werden kann und bei dem Finanzierung und Schwerpunkte klar sind? Das wäre etwas, was auf der EUEbene gemeinsam getragen werden kann.

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Diese Frage müssten Sie natürlich unmittelbar an die Europäische Kommission richten. ({0}) Ich kann Ihnen nur etwas dazu sagen, welchen Beitrag die Bundesregierung in diesem Diskussionsprozess leistet. Sie wissen, dass wir den federführenden Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung immer über die weiteren Schritte informiert haben. Das BMBF hat am 10. Mai in Berlin ein Symposium zur generellen Frage der Steigerung der Leistungsfähigkeit, der technologischen und anwendungsorientierten Forschung auf europäischer Ebene mit hochrangigen Vertretern aus der Wissenschaft und der Wirtschaft durchgeführt, um zu prüfen, welche Strukturen und Aufgaben ein EIT zukünftig haben könnte. Informationen über die Anstrengungen, die hier unternommen werden, konnten an die EU-Kommission ohne weiteres weitergeleitet werden. Am 20. Juni hat im Rahmen der inzwischen erfolgten Konsultationen mit den Mitgliedstaaten eine weitere Sitzung des EIT-Expertenkreises stattgefunden, um eine wissenschaftlich fundierte Position zum Kommissionsvorschlag zu erarbeiten. Daran haben hochrangige Vertreter der deutschen Wissenschaft und der Industrie teilgenommen, beispielsweise Professor Kutzler, Präsident der TU Berlin, Professor Löhe, Uni Karlsruhe, Professor Kleinert, DFG, Professor Neher von der MPG. Auf Initiative des BMBF hat am 21. Juni in Brüssel ein Workshop zum Thema „Innovative Cluster schaffen - Erfahrungen aus Deutschland, Schweden und dem Vereinigten Königreich“ stattgefunden, um die Stärken von tatsächlich erfolgreich arbeitenden Wissenschafts- und Industrienetzen mit Vertretern der Mitgliedstaaten und der Kommission eindeutig und eingehend zu diskutieren. In diese Richtung denken wir und dies versuchen wir in den europäischen Prozess einzubringen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Wir bleiben beim Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Zur Beantwortung steht jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Andreas Storm zur Verfügung. Ich rufe die Frage 24 des Abgeordneten Dr. Hakki Keskin von der Fraktion Die Linke auf: Welche konkreten Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Tatsache, dass 41 Prozent der Personen mit Migrationshintergrund in der Altersgruppe von 25 bis 35 Jahren über keinen beruflichen Bildungsabschluss verfügen? Bitte schön.

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Vielen Dank, Herr Präsident. - Lieber Kollege Keskin, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Es ist das erklärte Ziel der Bundesregierung, dass Jugendliche und Erwachsene - das gilt uneingeschränkt sowohl für Menschen mit als auch für Menschen ohne Migrationshintergrund - eine zweite Chance erhalten, um einen Schulabschluss nachzuholen oder um eine Ausbildung erfolgreich zu durchlaufen. In den im Februar 2006 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung veröffentlichten Leitlinien der Bildungs- und Forschungspolitik wurde das Ziel formuliert, dass die Zahl der derzeit rund 1,3 Millionen jungen Menschen ohne abgeschlossene Berufsausbildung deutlich verringert wird. Ausgehend davon stellt die abschlussorientierte Nachqualifizierung von an- und ungelernten jungen Erwachsenen mit und ohne Migrationshintergrund ein zentrales Handlungsfeld künftiger berufsbildungspolitischer Aktivitäten des Bundesbildungsministeriums dar. Auch der von Frau Bundesbildungsministerin Dr. Annette Schavan Anfang April 2006 ins Leben gerufene Innovationskreis berufliche Bildung wird sich unter anderem mit diesem Themenkomplex befassen und in diesem Zusammenhang Handlungsvorschläge erarbeiten. Diese Handlungsvorschläge und Arbeitsergebnisse des Innovationskreises werden in die Planung einschlägiger Initiativen des BMBF einfließen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nachfrage, bitte.

Dr. Hakki Keskin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003785, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, 41 Prozent der Menschen zwischen 25 und 35 Jahren mit Migrationshintergrund haben keine berufliche Ausbildung bzw. Bildung. Bei Menschen ohne Migrationshintergrund beträgt dieser Anteil 15 Prozent. Mit anderen Worten: Es gibt einen riesigen Nachholbedarf, wenn es darum geht, die Lage der jungen Menschen mit Migrationshintergrund zu verbessern. Meinen Sie, dass Sie mit den Maßnahmen, die Sie genannt haben, diesem Nachholbedarf gerecht werden können?

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Herr Abgeordneter Keskin, zur Bewältigung dieses Problems gibt es eine ganze Reihe von Maßnahmen, die schon seit längerer Zeit laufen. Ich möchte einige herausgreifen. Es gibt im Förderpaket des Bundesministeriums für Bildung und Forschung für den Bereich der beruflichen Bildung das Programm „Jobstarter“ mit Konzentration unter anderem auf die Verbesserung der Situation von Menschen mit Migrationshintergrund. Zu den bundesweit verstärkt betriebenen Aktivitäten zählt unter anderem eine Veranstaltungsreihe „Moscheen aktiv für Berufsbildung“, mit der wir versuchen, insbesondere für Jugendliche aus der türkischen Bevölkerung eine deutliche Besserung im Hinblick auf die Beteiligung an der beruflichen Bildung zu erreichen. Ich möchte noch eine andere Initiative nennen. Wir haben in den letzten Monaten unsere Bemühungen verstärkt, gemeinsam mit den Vertretern von Unternehmen, deren Inhaber einen Migrationshintergrund haben, die Ausbildungsaktivitäten zu stärken. Es gibt in unserem Land 300 000 Unternehmen, deren Inhaber einen Migrationshintergrund haben. In diesen Unternehmen sind mehr als 1 Million Menschen beschäftigt. Die Zahl der Ausbildungsplätze dort beträgt derzeit nur etwa 25 000. Wir sehen hier ein großes Potenzial, die Zahl der Ausbildungsplätze deutlich zu steigern. Deshalb ist mit den Verbänden aus diesem Bereich sowie dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag und den Handwerkskammern das Ziel vereinbart worden, allein in diesem Feld 10 000 zusätzliche Ausbildungsplätze bis zum Jahr 2010 zu gewinnen. Das betrifft natürlich nicht nur Ausbildungsplätze für Migranten; aber es ist ein wesentlicher Beitrag dazu, in dem Bereich zu einer Besserung zu kommen. Sie merken also: Neben den Maßnahmen, die im Innovationskreis vorbereitet werden, läuft derzeit eine Fülle von Aktivitäten mit dem Ziel, die von Ihnen genannte Quote von 41 Prozent deutlich zu reduzieren.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Weitere Nachfrage? ({0}) - Keine Nachfrage. Eine Zusatzfrage. Bitte schön, Frau Kumpf.

Ute Kumpf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003166, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Es ist zwar nicht üblich, als Mitglied einer Regierungsfraktion die Regierung zu befragen, aber weil ein aktueller Termin ansteht, möchte ich doch fragen. Inwieweit ist daran gedacht, beim Integrationsgipfel am 14. Juli auch die Arbeitgeber in die Pflicht zu nehmen, für die jetzt zur Ausbildung anstehenden Jahrgänge auch wirklich Ausbildungsplätze bereitzustellen? Ich beobachte nämlich mit Sorge, dass in Stuttgart, einer Stadt mit einem großen Anteil von Jugendlichen mit Migrationshintergrund, die jungen Menschen mit einem solchen Hintergrund, die von der Hauptschule kommen, sehr schlechte Chancen haben.

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Frau Kollegin, die Situation der Migranten im Bereich der beruflichen Bildung ist eines der zentralen Themenfelder für den Migrationsgipfel bei der Bundeskanzlerin am 14. Juli. Unter anderem werden zu dem von mir zuvor angesprochenen Themenfeld „Verbesserung der Ausbildungssituation in solchen Unternehmen, deren Inhaber einen Migrationshintergrund haben“ im nächsten Jahr acht Regionalkonferenzen veranstaltet, die jeweils abwechselnd von der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Staatsministerin Maria Böhmer, und mir geleitet werden. Darüber hinaus gehen unsere Anstrengungen vor allen Dingen natürlich dahin, insbesondere mit der Wirtschaft zu erreichen, dass die Beteiligungschancen für junge Migranten insgesamt deutlich besser werden. Dieses Anliegen wird auch am 14. Juli eine zentrale Rolle spielen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank. - Damit kommen wir zur Frage 25 des Kollegen Keskin: Anhand welcher konkreten Kriterien beabsichtigt die Bundesregierung künftig in ihrer Bildungs- und Berufsausbildungsstatistik einen eventuellen Migrationshintergrund gesondert auszuweisen?

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Herr Kollege Keskin, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: In der Berufsbildungs- und Hochschulstatistik wird als migrationsrelevantes Merkmal die Staatsangehörigkeit der Auszubildenden bzw. Studierenden erhoben. Eine differenziertere Erfassung von Personen mit Migrationshintergrund anhand verschiedener Kriterien - solche Kriterien wären beispielsweise Geburtsort, Zuzug, Einbürgerung, Staatsangehörigkeit sowie Einbürgerung und Geburtsort beider Elternteile - ist erst durch das Mikrozensusgesetz 2005 möglich geworden, wodurch der Mikrozensus um weitere migrationsrelevante Merkmale ergänzt worden ist.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nachfrage? - Keine Nachfrage. Damit kommen wir zur Frage 26 der Kollegin Cornelia Hirsch. Sie ist aber nicht anwesend. Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen. Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Franz Thönnes zur Verfügung. Auch die Frage 27 der Kollegin Cornelia Hirsch kann nicht beantwortet werden, da sie nicht anwesend ist. Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen. Die Kollegin Inge Höger-Neuling, die die Frage 28 gestellt hat, sehe ich auch nicht im Saal. Die Frage wird dementsprechend auch nicht beantwortet. Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen. Die Frage 29 soll schriftlich beantwortet werden. Herr Staatssekretär, es tut mir Leid, Sie sind umsonst hierher gekommen, aber vielleicht konnten Sie bei der Beantwortung der anderen Fragen einiges lernen. ({0}) - Schön. Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Zur Beantwortung steht der Staatsminister Gernot Erler zur Verfügung. Die Frage 30 des Kollegen Addicks soll schriftlich beantwortet werden. Wir kommen zur Frage 31 des Kollegen Wolfgang Gehrcke von der Fraktion Die Linke: Wie beurteilt die Bundesregierung die Aussagen des früheren Bundeskanzlers Gerhard Schröder vor dem Nah- und Mittelost-Verein ({1}), in denen er direkte Gespräche mit Hamas und der von Hamas geführten Regierung gefordert hat?

Not found (Gast)

Herr Kollege Gehrcke, die Bundesregierung hat am 30. Januar 2006, also fünf Tage nach dem Wahlsieg der Hamas vom 25. Januar 2006 und noch während der Reise der Bundeskanzlerin nach Israel und in die palästinensischen Gebiete, eine unmissverständliche Botschaft an die Hamas ausgesandt: Zusammenarbeit und Kontakte wird es nur geben, wenn Hamas das Existenzrecht Israels anerkennt, Gewalt und Terror abschwört und mit Israel geschlossene Vereinbarungen einhält. Auf der gleichen Linie äußerten sich sowohl das Nahost-Quartett als auch der Allgemeine Rat der EU-Außenminister. Nachdem die Hamas in den vergangenen Monaten eindeutige Signale in Richtung Anerkennung dieser klaren Quartett-Kritierien hatte vermissen lassen, können wir seit gestern eine vorsichtige Hoffnung hegen. Alle maßgeblichen politischen Parteien Palästinas haben sich auf eine gemeinsame Erklärung geeinigt, die nach einer ersten kursorischen Durchsicht auf einige der Kriterien einzugehen scheint. Sie werden verstehen, dass wir die uns erst seit heute vorliegende Erklärung noch genau analysieren müssen; auch ist sie noch nicht unterschrieben.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine Nachfrage, Herr Gehrcke? - Bitte.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatsminister, ich hatte Sie eigentlich nicht dazu gefragt, sondern danach, wie Sie die Äußerung des ExBundeskanzlers Herrn Schröder in diesem Zusammenhang bewerten. Dazu haben Sie nichts gesagt. Ich sehe aber ein, dass man sich leicht dem Vorwurf aussetzt, jemanden vorführen zu wollen, und das umso mehr, wenn man erklärt, es nicht zu wollen. Das andere, was Sie zur Initiative von Präsident Abbas und der Hamas-Regierung gesagt haben, interessiert mich aber mehr: Die Initiative fußt ja auf dem so genannten Gefangenenbrief von inhaftierten Fatah- und Hamas-Leuten. Ich sehe darin eine große Chance. Ist die Bundesregierung bereit, diesen Prozess, der zu einer Regierung der nationalen Einheit in Palästina führen könnte, mit aller Kraft zu unterstützen? Voraussetzung wäre natürlich die Anerkennung Israels und der Verzicht auf Gewalt.

Not found (Gast)

Herr Kollege Gehrcke, an einer Unterstützung der Bundesregierung im Fall eines Prozesses der Verständigung auch über diese drei Ziele der internationalen Gemeinschaft wird es nicht fehlen. Es macht uns allerdings besorgt, dass es wohl kein Zufall ist, dass parallel zu diesen Gesprächen, die Präsident Abbas im Rahmen des nationalen Dialogs mit den führenden Vertretern des politischen Teils der Hamas geführt hat, der schreckliche Anschlag von Kerem Schalom am 25. Juni stattgefunden hat, der zu großer Spannung im Nahostkonflikt geführt hat. Es gibt Spuren, die darauf hinweisen, dass es im Hamas-Lager keine völlige Einigkeit gibt. Wir müssen die Hamas nach wie vor auffordern, auf diesem Weg weiterzugehen und vor allen Dingen zu versuchen, diejenigen, die diesen Prozess torpedieren wollen, unter Kontrolle zu bringen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zweite Nachfrage; bitte, Herr Gehrcke.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vorsichtiger Optimismus, dass dieser Weg weitergegangen werden kann, und Unterstützung dafür - das begrüße ich. Deswegen wäre es vonseiten der Bundesregierung vielleicht auch angemessen, dass man die schrecklichen Vorfälle der letzten Tage - die Entführung des israelischen Soldaten und die militärischen Angriffe auf den Gazastreifen - dazu nutzt, beide Seiten, die palästinensische Seite und Israel, aufzufordern, gerade jetzt auf jegliche Form von Gewalt in diesen Auseinandersetzungen zu verzichten. Es ist doch kein Zufall, dass immer, wenn Hoffnung aufkeimt, solche Anschläge folgen.

Not found (Gast)

Es freut mich, Herr Kollege Gehrcke, dass Sie in diesem Punkt die Haltung der Bundesregierung unterstützen, die nämlich genau das getan hat, was Sie gesagt haben: Sie hat aufgefordert, den inhaftierten israelischen Soldaten freizulassen. Die EU hat gerade heute mit Blick auf die weitere Entwicklung noch einmal einen Appell an Nahost gerichtet und zur Mäßigung aufgerufen. Auch das unterstützen wir.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Dann kommen wir zur Frage 32 des Kollegen Gehrcke: Was hat die Bundesregierung bei der Regierung der USA unternommen, um Aufklärung über die Ermordung irakischer Zivilisten in Haditha im November 2005, in Ischaki im März 2006 sowie in Hamandiya im April 2006 mutmaßlich durch US-amerikanische Soldaten zu erlangen?

Not found (Gast)

Herr Kollege Gehrcke, die Bundesregierung verfolgt die Entwicklung der Menschenrechtslage im Irak aufmerksam und bringt diese Thematik regelmäßig bei Gesprächen mit irakischen und US-Vertretern zur Sprache. Von den drei erwähnten Vorfällen in Haditha, Ischaki und Hamandiya hat die Bundesregierung aus den Medien sowie aus Berichten der Vereinten Nationen und irakischer Menschenrechtsgruppen Kenntnis erhalten. Sie hat keine Möglichkeit, diese Berichte zu überprüfen. Die Aufklärung und Verfolgung möglicher Straftaten von Angehörigen der multinationalen Truppe im Irak ist zunächst Aufgabe der Entsendestaaten und der irakischen Regierung. Die Bundesregierung hat keine Hinweise darauf, dass die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika und die irakische Regierung dieser Verpflichtung nicht nachkommen. In allen drei erwähnten Fällen haben US-Militärbehörden disziplinar- oder strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet, deren Ergebnisse teilweise noch ausstehen. Die irakische Regierung hat die Aufnahme eigener Ermittlungen angekündigt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nachfrage? - Bitte.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich freue mich natürlich, Herr Staatsminister, dass sich die Bundesregierung in der Frage, die Sie vorhin beantwortet haben, einmal in Übereinstimmung mit der Fraktion der Linken befindet. Man kann es auch so sehen. Meine Nachfrage. Da die USA weltweit wenig überzeugend an der Aufklärung solcher und anderer Vorkommnisse arbeiten: Meinen Sie, dass es, weil rechtlich der Internationale Strafgerichtshof nicht zur Verfügung steht, nicht geeigneter wäre, wenn unabhängige internationale Untersuchungsorgane sich mit diesen Vorkommnissen - das ist ein schwacher Ausdruck -, mit diesen brutalen Ereignissen auseinander setzen und dadurch eine glaubwürdige Aufklärung schaffen?

Not found (Gast)

Herr Kollege Gehrcke, bei allen internationalen Regelungen ist es so, dass zunächst einmal das betroffene Land selber verpflichtet ist, zur Aufklärung beizutragen. Bei den drei von Ihnen genannten Vorgängen ist das ganz eindeutig der Fall. Im Fall Ischaki hat es eine USUntersuchung gegeben. Sie ist zu dem Schluss gekommen, dass hier kein Fehlverhalten vorliegt. Mit diesem Ergebnis war allerdings die irakische Regierung nicht einverstanden. Sie hat angekündigt, jetzt eine eigene Untersuchung durchzuführen. Im Fall Hamandiya ist es bereits zur Anklage von sieben Marines und einem Matrosen gekommen. Sie wissen, dass es da um die Entführung und Erschießung von einer Person geht. Im Fall Haditha - das ist sicher der Aufsehen erregendste Fall; er stammt schon aus dem November letzten Jahres -, wo es um 24 getötete Zivilisten geht, hat Präsident Bush am 1. Juni eine umfassende Untersuchung angekündigt, deren Ergebnisse der Öffentlichkeit bekannt gemacht werden sollen. Die beiden Häuser des amerikanischen Kongresses haben ihrerseits angekündigt, dass sie auf der Grundlage des Berichtes eigene Anhörungen vornehmen wollen. Das alles spricht dafür, dass es eine sehr gründliche Aufarbeitung dieser Fälle seitens der amerikanischen Regierung gibt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Weitere Nachfrage? - Bitte.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Zweite Nachfrage. - Meinen Sie nicht, dass es überzeugender wäre, wenn man nicht nur die beteiligten Soldatinnen und Soldaten, also die „Kleinen“, vor Gericht stellen würde - das muss sicherlich gemacht werden -, sondern wenn man auch weltweit eine öffentliche Untersuchung einleiten würde, inwieweit sich diese Soldaten auf eine generelle Anweisung zur Kriegsführung haben stützen können bzw. inwieweit sie glaubten, sich auf diese gestützt zu haben? Welche Verantwortung tragen Präsident Bush, Herr Rumsfeld, Condoleezza Rice und andere an diesen konkreten Vorkommnissen?

Not found (Gast)

Herr Kollege Gehrcke, ich möchte wiederholen: Eine in irgendeiner Form mögliche Internationalisierung solcher Untersuchungen ist nur dann begründbar, wenn es an dem Aufklärungswillen des Landes selbst Zweifel gibt. Ich könnte Ihnen jetzt im Detail an dem Fall Haditha zeigen, dass auch die Kommandeure in die Untersuchungen einbezogen worden sind. Es gibt den Vorwurf, dass eventuell eine Vertuschungsaktion durchgeführt worden ist. In diesem Fall geht die Untersuchung aber weit über die direkt beteiligten Soldaten hinaus und erstreckt sich auch auf die zuständigen Kommandeure. Insofern wird Ihre Unterstellung, dass darauf verzichtet würde, die Verantwortlichen im militärischen Bereich zur Verantwortung zu ziehen, also nicht untermauert.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank. Wir kommen zu den Fragen 33 und 34 der Kollegin Heike Hänsel, die offenkundig nicht anwesend ist. Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen. Die Frage 35 soll schriftlich beantwortet werden. Die Fragen 36 und 37 wurden zurückgezogen. Vielen Dank, Herr Staatsminister. Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Christoph Bergner zur Verfügung. Die Fragen 38 und 39 werden nicht beantwortet, weil der Kollege Roland Claus nicht anwesend ist. Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen. Die Fragen 40 und 41 sollen schriftlich beantwortet werden. Die Fragen 42 und 43 können ebenfalls nicht beantwortet werden, weil die Kollegin Ulla Jelpke von der Fraktion Die Linke nicht anwesend ist. ({0}) Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen. Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Es tut mir Leid, Sie haben sich umsonst hierher bemüht. Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks zur Verfügung. Die Fragen 44 und 45 der Kollegin Christine Scheel, die Fragen 46 und 47 der Kollegin Kerstin Andreae, die Frage 48 der Kollegin Dr. Thea Dückert sowie die Fragen 49 und 50 des Kollegen Dr. Gerhard Schick sollen schriftlich beantwortet werden. Ich rufe nun die Frage 51 der Kollegin Ute Koczy auf: Wer ist im Ressortkreis federführend mit der Entwicklung eines deutschen Vorschlags für eine Flugticketabgabe bzw. Flugticketsteuer beauftragt und bis wann ist mit einer Abstimmung und Entscheidung diesbezüglich zu rechnen? Bitte schön, Frau Hendricks.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Danke, Herr Präsident. - Frau Kollegin Koczy, es gibt keine Beauftragung eines Ministeriums mit der Entwicklung eines deutschen Vorschlags für eine Flugticketabgabe und auch keine zeitlichen Vorgaben für eine diesbezügliche Abstimmung und Entscheidung.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine Nachfrage, bitte schön.

Ute Koczy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003788, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Dazu habe ich natürlich eine Nachfrage. Wieso ist dies nicht der Fall, da wir doch wissen, dass am 1. Juli die Franzosen, die schon sehr viel weiter sind, eine Flugticketabgabe einführen? Warum plant die Bundesregierung in diesem Zusammenhang keine weiteren Aktivitäten? Warum ist niemand dafür zuständig?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Die Bundesregierung hat noch keine endgültige Entscheidung darüber getroffen. Selbstverständlich ist klar, dass eine Federführung, sofern die Bundesregierung sich entscheidet, dem näher zu treten, baldmöglichst festgelegt werden wird. Aller Voraussicht nach läge die Federführung dann beim Bundesministerium der Finanzen, natürlich in enger Abstimmung mit dem Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Allerdings muss man bedenken, dass wir in der Bundesrepublik Deutschland eine andere Verfassungslage haben, als es in Frankreich der Fall ist. Es ist zum Beispiel zu beachten, dass eine Flugticket-Tax eine Verkehrsteuer wäre, deren Aufkommen nach den Regeln des Grundgesetzes den Ländern zustehen würde und infolgedessen nicht in die verstärkte Entwicklungszusammenarbeit fließen könnte. Diese Fragen werden natürlich auf Arbeitsebene überprüft und vorangetrieben. Aber es gibt noch keine Entscheidung, ob und, wenn ja, wann mit den Arbeiten zu einem Gesetzgebungsverfahren begonnen werden soll.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zweite Nachfrage, bitte.

Ute Koczy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003788, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Heute wurden im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zwei Anträge jeweils von der Fraktion der Linken und der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen zu diesem Thema mit dem Versprechen von der Tagesordnung abgesetzt, dass dazu eine Erarbeitung stattfindet. Kann ich Ihren Äußerungen entnehmen, dass die Bundesregierung zielführend daran arbeitet, eine Flugticketsteuer einzuführen?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Die Bundesregierung ist daran interessiert, die damit verbundenen Probleme auszuräumen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Dann kommen wir zur Frage 52 der Kollegin Koczy: Welches neue Finanzinstrument kann, wie im Koalitionsvertrag von den Regierungsparteien angekündigt, aus Sicht der Bundesregierung als Beitrag zur Umsetzung des EU-Stufenplans zur Erreichung des 0,7-Prozent-Ziels kurzfristig in Deutschland zum Einsatz kommen und welche zusätzlichen Mittel erwartet sie dadurch zu erwirtschaften?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Die Bundesregierung hat noch keine Entscheidung über die Einführung eines innovativen Finanzierungsinstruments für die Entwicklungszusammenarbeit getroffen. Aussagen über mögliche Erlöse von einzelnen in der Diskussion stehenden Möglichkeiten können daher zurzeit nicht gemacht werden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nachfrage? - Bitte.

Ute Koczy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003788, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wir sprechen ja darüber, dass wir das 0,7-ProzentZiel erreichen wollen. Bundeskanzlerin Merkel hat mehrfach betont, dass wir dieses Ziel erreichen müssen. Sehen Sie neben der Flugticketsteuer andere Möglichkeiten, das 0,7-Prozent-Ziel zu erreichen?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Im Zusammenhang mit den Verabredungen auf europäischer Ebene und im G-7-Kreis ist immer von innovativen Finanzierungsinstrumenten die Rede gewesen. Solche sind zum Beispiel in Frankreich und Großbritannien in Form einer Flugticket-Tax auf den Weg gebracht worden. Natürlich kann man eventuell an andere Möglichkeiten denken. Aber es liegt nicht nahe, andere Finanzierungsmöglichkeiten zu finden. Allerdings muss klar sein, dass nach dem deutschen Recht bei einer Abgabe ein innerer Zusammenhang zwischen der Abgabe selbst und dem Zweck, für den sie verwandt wird, bestehen muss. Deswegen würde es in Deutschland näher liegen, ein solches Finanzierungsinstrument nicht als Abgabe, sondern als Steuer aufzufassen. Das wäre rein rechtlich möglich. Ich muss im Übrigen davor warnen, dass eine wie auch immer ausgestaltete Flugticket-Tax, vergleichbar etwa der in Frankreich, einen großen Schritt auf dem Weg zur Erreichung des 0,7-Prozent-Ziels darstellen würde. Das wäre ein verhältnismäßig kleiner Schritt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ihre zweite Nachfrage, bitte.

Ute Koczy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003788, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Die Aufstockung der Mittel im Rahmen der ODAVerpflichtung und damit die Einführung einer Flugticketsteuer ist eine OECD-Verpflichtung. Die OECD fragt uns über die EU durchaus an, wie wir den ODAStufenplan erreichen wollen. Wie sieht es mit einer Konkretisierung durch einen Umsetzungsplan aus?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Dies wird zumindest durch die mittelfristige Finanzplanung konkretisiert werden müssen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das war das Ende der Fragestunde; denn alle übrigen Fragen sollen schriftlich beantwortet werden. - Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. Jetzt ist zu klären, ob wir mit der Aktuellen Stunde sofort beginnen können. - Frau Kumpf, Herr Kelber ist wohl noch nicht anwesend? ({0}) - Wo ist er? Aha, da ist er. Dann darf ich die Parlamentarischen Geschäftsführer fragen, ob sie damit einverstanden sind, dass wir mit der Aktuellen Stunde sofort beginnen. Gibt es Widerspruch? Das ist nicht der Fall. Die Bundesregierung lässt mich gerade wissen, dass der Vertreter des Wirtschaftsministeriums noch nicht anwesend ist, sie aber möchte, dass er bei dieser Debatte anwesend ist. Es war vereinbart, dass die Aktuelle Stunde erst 15.45 Uhr beginnen sollte. Deswegen müssen wir, denke ich, darauf Rücksicht nehmen. Mit Ihrem Einverständnis unterbreche ich daher die Sitzung für wenige Minuten und werde sie bei Eintreffen des Vertreters des Wirtschaftsministeriums wieder eröffnen. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Ich bitte, Platz zu nehmen. Die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen hat zur Antwort der Bundesregierung auf die dringlichen Fragen 5 und 6 eine Aktuelle Stunde beantragt. Ich darf die Fragen noch einmal kurz vorlesen. Dringliche Frage 5 lautet: Teilt die Bundesregierung die Auffassung der nordrhein-westfälischen Landesregierung, deren Innovationsminister, Dr. Andreas Pinkwart, laut Medienberichten ... den Bau eines neuen Atomreaktors am Standort Jülich angeregt hat, und ist diese Position mit der Bundesregierung abgestimmt? Die dringliche Frage 6 lautet: Wie beurteilt die Bundesregierung die Vorschläge des Innovationsministers von Nordrhein-Westfalen, Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Dr. Andreas Pinkwart, bezüglich ihrer atomrechtlichen Konsequenzen und bezüglich der Diskussion um die Änderung der Restlaufzeiten? Ich rufe daher auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Atompolitik der Bundesregierung Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat das Wort die Kollegin Bärbel Höhn von Bündnis 90/Die Grünen.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Fragestunde hat der Umweltminister sehr klar Stellung bezogen. Er hat gesagt, die Bundesregierung hält am Atomausstieg fest. Er hat auch gesagt, der Ringtausch von Laufzeiten mit dem Ziel, die Laufzeiten älterer Atommeiler zu verlängern, findet nicht statt und wird von der Bundesregierung abgelehnt. Über diese klaren Aussagen haben wir uns sehr gefreut. Herr Minister Gabriel, ich weise Sie aber darauf hin, dass es diesbezüglich keinen klaren Kurs der Bundesregierung gibt. Heute haben wir den 28. Juni. Mir liegt eine Meldung von Reuters vom 23. Juni vor, die sich auf eine Veranstaltung vom 22. Juni in Düsseldorf bezieht, bei der der Bundeswirtschaftsminister Michael Glos anwesend war. Ich zitiere aus der Meldung von Reuters: „Wir müssen einen breiten Energiemix von der Braunkohle bis zur Atomenergie aufrechterhalten“, sagte der CSU-Politiker - Michael Glos bei einer Diskussionsveranstaltung am Donnerstag in Düsseldorf. Er halte es für falsch, dass Deutschland aus der Atomkraft aussteigen wolle. ({0}) - Sehen Sie, Herr Gabriel? Was machen Sie jetzt mit Ihren Kollegen aus der Koalition? Es sei absurd, wenn Atommeiler, die technisch weiter betrieben werden könnten, „aus ideologischen Gründen“ vom Netz genommen werden sollten … Er sei optimistisch, dass es nicht dazu kommen werde, dass Atomkraftwerke bereits in dieser Legislaturperiode abgeschaltet werden würden, fügte der Minister hinzu. Dazu gebe es etwa die Möglichkeit der Quotenübertragung. Als eine Möglichkeit zur Umgehung des Atomausstiegs wird zwischen den Versorgern ein Ringtausch von Restlaufzeiten erwogen. Glos übte zugleich Kritik an Umweltminister Sigmar Gabriel. Er wisse nicht, ob es richtig sei, wenn der SPD-Politiker die Politik seines grünen Vorgängers Jürgen Trittin kopiere. „Niemand ist davor geschützt, klüger zu werden“, sagte Glos weiter … ({1}) Kritik übte Glos zugleich an der Förderung erneuerbarer Energien. Deren Sinnhaftigkeit müsse überprüft werden. Die Förderung könne sich die Bundesrepublik eigentlich nicht leisten, fügte er hinzu. So viel zu der klaren Position der Bundesregierung. Deshalb haben wir diese Aktuelle Stunde beantragt. ({2}) Ich werde heute gar nicht auf die gesundheitlichen Risiken eingehen. Ich sage Ihnen: Auch wirtschaftlich rechnet sich Atomkraft nicht. ({3}) Ich werde hier und heute nur diesen einen Punkt darlegen. Der Vorschlag von Pinkwart, ein neues Atomkraftwerk zu bauen, ist absurd, ein energiepolitischer Irrweg und haushaltspolitisch unverantwortlich. ({4}) Ich mache das an dem Typ Atomkraftwerk deutlich, den Pinkwart gefordert hat, nämlich an dem Hochtemperaturreaktor, Typ Pinkwart, den wir in Nordrhein-Westfahlen, in Hamm-Uentrop, schon einmal hatten: Baukosten 2 Milliarden DM, Gesamtkosten inklusive aller Entsorgungskosten - so ist es den Zeitungen zu entnehmen - 5 Milliarden DM. Wissen Sie, wie lange dieser Reaktor, der Zukunftsreaktor von Herrn Pinkwart, dann letzten Endes am Netz war? 426 Volllasttage. Das heißt, jeder Tag Volllast hat die Menschen 10 Millionen DM gekostet. Das sind die Kosten des Zukunftsreaktors, den Pinkwart nach vorne bringen will. Das wollen wir nicht. ({5}) Von den 5 Milliarden DM, die dieser Reaktor gekostet hat, haben die Steuerzahler letzten Endes vier Fünftel gezahlt. Den Rest haben letztlich die Energiekonzerne gezahlt. Aber die Steuerzahler haben die Hauptlast dieser absurden Summe von 5 Milliarden DM gezahlt. Ich spreche noch nicht einmal über den schnellen Brüter von Kalkar. Auch der ist ein Milliardengrab für die Steuerzahler. Das gilt übrigens auch für die Forschung. Denn Pinkwart ist nicht nur Forschungsminister, sondern auch Chaosminister, ({6}) er war nämlich Forscher in der Chaostheorie. Das kann er offensichtlich sehr exzellent. ({7}) Jetzt ist er Forschungsminister. Ich nehme einmal das Beispiel des Forschungsreaktors Jülich. Dieser Forschungsreaktor ist 1988 stillgelegt worden. Der Rückbau kostet die Steuerzahler mindestens 500 Millionen, wahrscheinlich 600 Millionen Euro. Auch das haben wir der früheren Regierung zu verdanken, nämlich dem damaligen Minister Riesenhuber, der gesagt hat: Bei den Kosten für die Forschungsreaktoren zahlen die Betreiber 1 Milliarde Euro, den Rest der Staat. Die Steuerzahlerinnen und -zahler sind jetzt verpflichtet, für die gesamten Reaktorkosten aufzukommen. Das alles sind Milliardengräber. Wir wollen endlich aus der Atomenergie aussteigen, und zwar aus vielen Gründen, unter anderem auch aus wirtschaftlichen Gründen. Deshalb schaffen Sie Klarheit in dieser Bundesregierung! Geben Sie keine falschen Signale! Ansonsten werden sie von Ministern wie Pinkwart aufgegriffen. Vielen Dank. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Marie-Luise Dött von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Marie Luise Dött (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003070, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe ein gewisses Verständnis für die grüne Opposition, die nach jedem möglichen Zipfel greift, um eine Aktuelle Stunde anzuzetteln. Zunächst sollten angebliche Äußerungen des nordrhein-westfälischen Innovationsministers zum Neubau eines Reaktors als Aufhänger für diese Aktuelle Stunde dienen. Inzwischen ist klargestellt, dass in Nordrhein-Westfalen kein Neubau eines Kernreaktors geprüft wird. ({0}) Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen musste also flugs die Überschrift für die heutige Aktuelle Stunde ändern, um doch noch einen Aufhänger zu konstruieren. ({1}) Nachdem das dann auch nicht so richtig lief, wurde das Spielchen mit der Geschäftsordnung weitergetrieben. Nun diskutieren wir also, obwohl es nichts Neues zu diskutieren gibt. ({2}) In der Koalitionsvereinbarung von Union und SPD ist ausdrücklich festgehalten, dass bezüglich der Nutzung von Kernenergie zur Stromerzeugung unterschiedliche Auffassungen bestehen und deshalb an der geltenden Rechtslage nichts geändert wird. ({3}) Das heißt aber noch lange nicht, dass für die Koalitionsfraktionen und die Parteien damit ein Maulkorb zum Thema Kernenergie verhängt wurde. Überhaupt kein Grund zur Aufregung und für die heutige Diskussion kann darin bestehen, dass sich ein Mitglied einer Landesregierung zur weitergehenden Forschung in der Reaktortechnik äußert. ({4}) Denn gerade dazu ist in der Koalitionsvereinbarung ganz klar festgehalten, dass für CDU/CSU und SPD der sichere Betrieb der Kernkraftwerke höchste Priorität hat und wir in diesem Zusammenhang die Forschung fortsetzen und ausbauen. ({5}) Insoweit steht das, was Innovationsminister Pinkwart für NRW angekündigt hat, in völliger Übereinstimmung mit dem, was die Koalitionsfraktionen in Berlin beschlossen haben. ({6}) Lassen Sie mich darüber hinaus sagen, dass ich es außerordentlich begrüße, dass NRW die Reaktorforschung verstärken will. ({7}) Denn gerade in den vergangenen sieben Jahren auch grüner Regierungsverantwortung wurde die Reaktorforschung auf null reduziert. Dem dadurch entstandenen Know-how-Verlust und der mittlerweile fehlenden Kompetenz in Deutschland, einem Land, das in diesem Bereich weltweit eine Spitzenposition eingenommen hatte, muss dringend entgegengewirkt werden. ({8}) Daher kann ich es nur begrüßen, wenn sich NRW zu einer zukunftsoffenen Forschungspolitik bekennt und diese vorantreibt. Angesichts der großen Herausforderungen, in den nächsten Jahrzehnten eine sichere, umweltbewusste und preisgünstige Energieversorgung zu gewährleisten, können wir es uns nicht erlauben, auch nur auf eine einzige mögliche Zukunftsoption, die die Forschung eröffnen könnte, zu verzichten. Meine Damen und Herren, die Grünen hängen sich in den letzten Tagen gerne an angeblichen Versuchen der Atomwirtschaft auf, die Laufzeiten älterer Atommeiler durch so genannte Ringtausche zu verlängern, wie sie in ihrem ursprünglichen Antrag auf Durchführung einer Aktuellen Stunde formuliert haben. Ich frage mich, was das soll. Fakt ist doch, dass das Atomgesetz unter der Verantwortung eines grünen Umweltministers geändert und in § 7 Abs. 1 die Elektrizitätsmengenübertragung geregelt wurde. Es ist heute geltendes Recht, dass eine Elektrizitätsmengenübertragung auf eine jüngere Anlage jederzeit möglich ist ({9}) und dass eine Übertragung auf eine ältere Anlage der Zustimmung des BMU im Einvernehmen mit dem BunMarie-Luise Dött deswirtschaftsministerium und dem Bundeskanzleramt bedarf. ({10}) Ich wiederhole: Unter der Verantwortung der Grünen wurde den Energieversorgungsunternehmen diese rechtliche Möglichkeit eröffnet. Eine ganz andere Frage ist, ob von dieser Rechtsmöglichkeit auch Gebrauch gemacht wird. Fakt ist, dass es bislang keine „Versuche“ - so wörtlich - gab. Es liegt bei den Energieversorgungsunternehmen, entsprechende Anträge zu stellen. An diesem Vorgehen gibt es nichts Anrüchiges. Es handelt sich um die legale Ausschöpfung der von den Grünen miteröffneten Möglichkeiten. Da bislang jedoch noch keine Anträge gestellt wurden, erübrigt es sich, sich hier in Spekulationen zu versteigen. Ich halte aber fest: Sollten solche Anträge gestellt werden, dann werden diese von der Bundesregierung nach geltendem Recht geprüft und beschieden. Damit diese Aktuelle Stunde vielleicht doch noch einen Sinn erhält, spreche ich jetzt den anderen Bereich der Kernenergienutzung an: die Frage der Entsorgung und Endlagerung radioaktiver Abfälle. Denn ein Argument, das vonseiten der Grünen immer gegen die Nutzung der Kernenergie angeführt wird, ist, die Entsorgungs- und Endlagerfrage sei ungelöst. Diese Argumentation finde ich unanständig und verwerflich. Denn in den letzten sieben Jahren, in denen das Umweltministerium unter der Federführung des grünen Ministers Trittin stand, wurde die Lösung dieses Problems verzögert und die Verantwortung in dieser Frage bewusst auf die kommenden Generationen verschoben. Damit muss jetzt endlich Schluss sein. ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Ulrike Flach von der FDPFraktion. ({0})

Ulrike Flach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003119, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe das Gefühl: Immer wenn die Wörter „Kernspaltung“ oder „Kernreaktor“ erwähnt werden, reagieren Sie, Frau Höhn, mit einer Art pawlowschem Reflex. Aber das wird an der Realität nichts ändern. Es wird Ihnen auch nicht helfen, eine Situation herbeizureden, die gar nicht so gewesen ist, wie Sie sie darstellen. ({0}) Frau Dött hat gerade sehr deutlich gemacht, welche Position sowohl der schwarze als auch der gelbe Teil der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen haben. Noch in dieser Woche werden die Umweltpolitiker der FDP mit einem Antrag klarstellen: Weder die Landesregierung Nordrhein-Westfalens noch der dortige Innovationsminister Pinkwart noch die FDP im Bund wollen, dass in Deutschland ein neuer Kernreaktor gebaut wird. ({1}) Es wäre sehr erstaunlich, wenn die Politik das wollte, liebe Frau Höhn. Es gibt kein Unternehmen, das das will, und keine diesbezügliche Anfrage. Lassen Sie uns diesen Fakt betrachten und lediglich über eine Verlängerung der Laufzeiten reden. Wie Frau Dött gerade gesagt hat, tun das ja viele Menschen. ({2}) So können wir eine sehr runde und sachliche Diskussion führen. Ich will die Damen und Herren von der SPD darauf hinweisen, dass Herr Clement noch vor zehn Tagen nichts anderes als Herr Pinkwart gesagt hat. ({3}) Bis vor wenigen Tagen war er immerhin Ihr Wirtschaftsminister. Es wäre gut, wenn Sie auch einmal zur Kenntnis nehmen würden, was in Ihren eigenen Reihen vor sich geht. ({4}) Nun möchte ich mich mit den Fragen auseinander setzen, die Ihre Betroffenheitskultur immer so sehr anreizen: ({5}) Erstens. Wir betrachten die Kernspaltung als eine Übergangstechnologie. Andere Länder tun das nicht. Weltweit werden zurzeit in China, in Südafrika und in Finnland Anträge auf den Bau neuer Kernkraftwerke gestellt. ({6}) Schweden und England denken darüber nach. Vor diesem Hintergrund frage ich Sie als Forschungspolitikerin in aller Deutlichkeit: Wollen wir unsere Kompetenz auf dem Gebiet dieser offensichtlich von vielen Ländern auf der Welt als zukunftsträchtig erachteten Technologie völlig versanden lassen? Können wir das wollen? ({7}) Ist es das, was in diesem Land unter „Exzellenzinitiative“ zu verstehen ist? Sie sagen unseren Forschern - das habe ich eben wieder gehört - einfach: Geht doch nach Amerika! Wir tun auf diesem Gebiet also nichts anderes als das, was Rot-Grün auf dem Gebiet der Roten Gentechnik gemacht hat und wo Sie auf dem Gebiet der Grünen Gentechnik gerade wieder dabei sind: Obwohl die Weltwirtschaft heute global funktioniert, vertreiben Sie diejenigen, die in unserem Lande Spitzentechnologie machen, aus Deutschland. ({8}) Zweitens. Wenn wir unabhängig von Öl und Gas werden wollen - das werden wir alle hier wollen; ich glaube, es gibt hier keine Fraktion, die das nicht möchte -, dann müssen wir unsere Energieforschung eben auch darauf ausrichten und Erkenntnisse nutzen, die wir im Zusammenhang mit Hochtemperaturreaktoren in der Vergangenheit gewonnen haben, und zwar zum Einstieg in die Wasserstofftechnologie. Da müssten wir bei Ihnen doch eigentlich offene Türen einrennen, Frau Höhn. ({9}) Die Thoriumhochtechnologie ist ein hoch interessantes Forschungsgebiet, und die Bedeutung der Produktion von Wasserstoff für den Einstieg in die Brennstoffzellentechnologie ist unumstritten, übrigens auch in Ihren eigenen Reihen. ({10}) Nichts anderes hat der Innovationsminister Pinkwart gesagt. Es ist folgerichtig, dass ein Industrieland wie Nordrhein-Westfalen unter einer schwarz-gelben Regierung überlegt, wie man sich an Forschungen, wie sie überall auf der Welt stattfinden, beteiligen kann. ({11}) Was wären wir denn für ein Forschungsstandort, wenn wir das nicht täten?! Ich muss mich schon wundern über Herrn Gabriel, der ungefähr wie bei der roten Stammzelle ({12}) - Entschuldigung, der Roten Gentechnik - erklärt hat, das sei nicht zulässig. Sie wissen, dass unsere Forscher vor Ort mit Simulationen arbeiten. ({13}) Selbstverständlich können sie das dann tun. Herr Gabriel, Sie haben versucht, hier ganz lässig etwas als Wahrheit darzustellen, was keine ist - und übrigens auch von Pinkwart nie so gesagt worden ist. ({14}) Unter dem Strich haben wir in Nordrhein-Westfalen hoch qualifizierte Forscher, die überall vernetzt in Deutschland arbeiten. Ich bin stolz, dass die Landesregierung bereit ist, diese Qualifikationen weiter zu nutzen. Sie können sicher sein, dass es keinen Liberalen in diesem Lande gibt, der Ihnen morgen ein Kernkraftwerk vor die Tür setzt, Frau Höhn; da brauchen Sie keine Angst zu haben. ({15})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Ulrich Kelber von der SPD-Fraktion. ({0})

Ulrich Kelber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es wird langsam zum wöchentlichen Running Gag, dass jemand eine Verlängerung der Laufzeiten von Kernkraftwerken fordert. Dass so etwas noch immer ein mediales Echo findet, halte ich für ein Zeichen, dass wir anscheinend keine schwerwiegenderen Probleme haben. Frau Höhn, Sie haben der Meinung des Privatbürgers Glos, der sich selbstverständlich an Recht und Gesetz, an Koalitionsvertrag und Verabredungen im Kabinett gebunden fühlt, etwas zu viel Platz in Ihrer Rede eingeräumt, Sie haben ihn etwas zu lange zitiert. ({0}) Als nordrhein-westfälischer Bürger muss ich sagen, dass die Debatte der letzten Woche für mich natürlich interessant war. NRW war einmal Energieland Nummer eins. Das hat sich etwas verändert. Was die Haltung zur Atomenergie angeht, weiß man nicht so recht: Rüttgers hat sich, zumindest aus seiner Sicht, klar geäußert, er möchte da nichts ausbauen; ein weiteres Mal geäußert hat er sich allerdings nicht. Pinkwart hat ein Interview gegeben, aus dem man vieles herauslesen kann. Wenn er merkt, dass es komisch wird, zieht er sich zurück. Er hat allerdings schon gesagt, er möchte einen Forschungsreaktor als Kern eines kommerziell betriebenen THTR haben; das war seine Kernaussage, und er hat sie wiederholt. Frau Thoben sagt auch: Ja, vielleicht. Doch was für einen Sinn soll es machen, einen Forschungsreaktor für eine Reaktorlinie zu bauen, die man in Deutschland nach Recht und Gesetz nie wird betreiben dürfen? Das wird vielleicht ein weiterer Redner oder eine Rednerin erklären. ({1}) Energieland Nummer eins heißt natürlich auch: Man möchte weniger Kohle. Man möchte die erneuerbaren Energien prinzipiell ausbauen. Doch die Bauverordnung verändert man so, dass man wenig Windenergie und weniger Biomasse hat, und man bereitet eine Gemeindeordnung vor, die den Stadtwerken das Leben so erschwert, dass sie als Konkurrenten auf dem Energiemarkt nicht auftreten können. Irgendwann muss mir jemand erklären, wo die Energie in NRW in Zukunft herkommen soll. Aber zurück zum THTR-Vorschlag. Mich als nordrhein-westfälischen Bürger und Abgeordneten der Stadt Bonn interessiert natürlich, wofür mein Land eigentlich Geld hat. Die wollen also einen Forschungsreaktor bauen - eventuell, vielleicht doch nicht, aber man redet schon einmal darüber mit den Medien -, und das ohne Bundeszuschüsse, ({2}) also nur aus Landesmitteln. Dies sagt ein Landeskabinett, das gerade die Kindergartenzuschüsse massiv um über 100 Millionen Euro kürzen will, was über 10 Prozent wären. Da es sich das doch nicht traut, hebt es den Betrag schnell wieder um 40 Millionen Euro an und gibt darüber eine Pressemitteilung heraus, in der steht, dass man 40 Millionen Euro mehr für Kindergärten ausgeben werde, nachdem man die Mittel vorher um 105 Millionen Euro gekürzt hat. ({3}) Dieses Landeskabinett kürzt bei sämtlichen Forschungsinstituten in NRW die Mittel, es kürzt die Anzahl der Stellen, die den Universitäten ursprünglich zugestanden wurden, und es kürzt bei den Fachhochschulen. Auf einmal kündigt es aber an, ohne Bundeszuschüsse einen Forschungsreaktor bauen zu wollen. Ich finde das spannend. ({4}) Die Zahlen hat Frau Höhn genannt. Man kann die anderen Zahlen noch dazu nennen. Es bleiben 390 Tonnen Atomschrott übrig. Nach 2009 ist die Finanzierung der jährlich 6,5 Millionen Euro allein für den Erhaltungsbetrieb bei Schließung des bestehenden THTR offen. Wer irgendwann die Endlagerung bezahlt, ist auch offen. Jetzt wollen Sie die nächste Variante davon bauen. Ich finde das spannend. Es ist zu Recht erwähnt worden, dass bei den Themen Ringtausch, Übertragung und Ähnliches ein Blick ins Gesetz oft eine Pressemitteilung ersparen könnte. ({5}) Darin steht, was erlaubt ist und was nicht erlaubt ist. ({6}) Jeder Ringtausch und jede andere Idee werden immer an folgende Stelle stoßen: Um sich den Weiterbetrieb bestimmter Kraftwerke, die in den nächsten Jahren abgeschaltet werden sollen, zu ersparen, muss man irgendwann von einem neueren auf ein älteres Kraftwerk übertragen. Auf die Begründung dafür, warum man das nach den Buchstaben des Gesetzes tun kann, bin ich einmal gespannt. Ich sehe sie nicht. ({7}) Letzter Punkt. Es bleibt dabei: Atomkraftfreunde sind Monopolfreunde. ({8}) Das Argument lautet immer: Wir müssten die Atomkraftwerke doch nur länger laufen lassen, dann würde die Höhe der Stromrechnungen sinken. Jetzt sind die Stromrechnungen aber hoch, obwohl die deutschen Atomkraftwerke mit voller Last laufen. Mehr Atomkraft als im Augenblick hat es in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie gegeben. In dem Bundesland, in dem es den höchsten Anteil an der Atomkraft gibt, nämlich in Baden-Württemberg, sind die Stromrechnungen am höchsten. Wie kann man denn an dieser Stelle trotzdem immer wieder das Gleiche sagen? Hierzu gibt es zudem einen besonderen Aspekt: Die Atomkraftwerke in Deutschland werden von den vier Energiemonopolisten betrieben, die zusammen einen Anteil von 90 Prozent am Markt haben. Wer die Debatte über längere Laufzeiten führt und die Atomkraftwerke wirklich länger laufen lässt - für den gilt das ganz besonders -, der gibt nur ein einziges Signal an den Markt: Liebe Wettbewerber, in Deutschland lohnt es sich für euch nicht, zu investieren, weil wir beschlossen haben, vom Steuerzahler subventionierte Kraftwerke am goldenen Ende weiterhin hoch subventioniert - Versicherungsbereich, Endlager und Ähnliches - weiterlaufen zu lassen. Damit können wir euch jederzeit im Wettbewerb fertig machen. ({9}) Deswegen ist es notwendig, mehr auf Wettbewerb zu setzen. Dies passiert übrigens auch beim Emissionshandel. Das wird von den Grünen zu Unrecht verschwiegen. ({10}) Dort ist einiges drin. Es gibt große Ankündigungen von Wettbewerbern, die jetzt einsteigen wollen und darauf vertrauen, dass das Atomgesetz so Bestand haben wird, wie es verabredet ist. Es bleibt übrig: Wer Wettbewerb haben will, muss für den Atomausstieg sein, wer für Atom ist, ist ein Monopolistenfreund. Vielen Dank. ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Hans-Kurt Hill von der Fraktion Die Linke. ({0})

Hans Kurt Hill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003767, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Sachen Atomenergie steigt die Zahl der Problembären sprunghaft an, nur dass diese sich dieses Mal selbst erlegen. ({0}) - Die erlegen sich jetzt selbst. Zwar hat sich Minister Pinkwart in Sachen neue Atommeiler jetzt wieder in die Büsche geschlagen, doch dass der Innovationsminister in Nordrhein-Westfalen die strahlende Atomtechnik für eine tolle Sache hält, ist bekannt. ({1}) Ich kann jedem nur empfehlen, sich einmal die Beiträge auf einer Veranstaltung der RTWH in Aachen vor zwei Monaten durchzulesen, um zu sehen, was er dazu gesagt hat. Dann kommen wir nämlich auf den Punkt, den er jetzt angesprochen hat. Er befindet sich allerdings in illustrer Gesellschaft. Die FDP hier im Haus will die Schächte Konrad und Gorleben mit aller Kraft und Macht unbedingt durchdrücken. Ich sage nur: Fachliche Bedenken und Sorgen der Menschen sind Ihnen dabei egal. ({2}) - Doch. - Ich sage nur eines: Ich bin ganz froh, dass Minister Gabriel zumindest bislang diesbezüglich eine andere Zielvorgabe hat. ({3}) Bundeswirtschaftsminister Glos, Hessens Ministerpräsident Koch und auch dem Herrn Oettinger aus BadenWürttemberg ist das aber immer wieder einmal eine Schlagzeile wert. Sie wenden sich damit zwar gegen das geltende Atomrecht, aber, wie gesagt, so kommen sie wieder in die Zeitung. Damit soll meines Erachtens auch Stimmung für die Atomkraft gemacht werden. Mit solchen Reden erweisen Sie diesem Land einen Bärendienst. Eine derart - das sage ich bewusst - ideologische Atomdebatte geht gänzlich an der Realität vorbei. ({4}) Nichts zeigt dies besser als die radioaktive Ruine des Atomreaktors von Hamm-Uentrop; Frau Höhn, Sie haben eben darauf hingewiesen. Dessen Technik hält Herr Pinkwart für zukunftsfähig. Die angeblich sichere Technologie endete nach nur fünf Jahren als Störfall, bei dem Radioaktivität freigesetzt wurde und ein GAU nur knapp vermieden werden konnte. Die Region entging nur knapp einer Katastrophe. ({5}) Ich komme zu den Kosten. 2 Milliarden Euro an Steuergeldern wurden für den Bau in den Sand gesetzt. Diese 2 Milliarden Euro fehlen uns nun in anderen Bereichen. Die Atomforschung erweist sich immer wieder als Milliardengrab. Aber Sie von der FDP und der CDU/CSU reden der Atomlobby munter das Wort und fordern weitere Milliarden nach dem Motto: Vielleicht klappt es beim nächsten Mal, der nächste Reaktortyp ist bestimmt noch sicherer. Wir sehen das anders. Sie übersehen bei Ihren Vorstellungen, dass die Atomenergie die Versorgungssicherheit reduziert. Uran muss zu 100 Prozent importiert werden. Das wirtschaftlich verfügbare Uran steht auch nur noch wenige Jahre zur Verfügung. ({6}) Dabei greift auch der Gasprom-Effekt; denn das Uran macht uns von Konzerninteressen abhängig und auch erpressbar. Eines muss Ihnen bewusst sein: Wer sich für Atomenergie ausspricht, fordert den Einstieg in die Plutoniumwirtschaft. Das ist meines Erachtens völkerrechtlich bedenklich und moralisch abstoßend. ({7}) Sie machen sich mit derartigen Atomfantasien unglaubwürdig. Noch ein Wort zur Stimmungsmache. Eine aktuelle Forsa-Umfrage straft die Atomlobby Lügen: 85 Prozent der Menschen in Deutschland befürworten erneuerbare Energien als Energiequelle der Zukunft, nur 19 Prozent wollen an der Atomenergie festhalten. ({8}) Die Menschen im Land wissen ganz genau, was sinnvoll ist. Die giftige Strahlentechnik ist es jedenfalls nicht. Die Atomtechnik ist und bleibt ein unbeherrschbarer Gefahrenherd. Laufend bedrohen uns - Mensch und Umwelt - Störfälle. Vielleicht erfahren wir auch nicht alle. Das Endlagerproblem ist, wie gesagt, noch immer nicht gelöst. ({9}) - Das habe ich nicht gesagt. ({10}) Das Endlagerproblem muss auf jeden Fall gelöst werden. Schön, dass bei Herrn Pinkwart zumindest die Erkenntnis gereift ist, dass man aus der Entsorgung und Endlagerung nicht aussteigen kann. ({11}) Es stimmt eben: Die Geister, die man ruft, wird man nicht los. Aber die Kosten dafür sollte die Atomwirtschaft tragen, nicht der Steuerzahler. ({12}) Zum Ausland. Die Irankrise zeigt, dass ein Export von Atom-Know-how - auf diesem Gebiet sind wir Weltmarktführer - die Gefahr militärischen Missbrauchs erhöht. Wissen die deutschen Steuerzahler, dass die Bundesregierung, die uns den Ausstieg verspricht, die interHans-Kurt Hill nationale Forschung für Reaktortechnik weiter unterstützt? Es war eine sehr kluge Entscheidung, aus der Nukleartechnik auszusteigen. Wir müssen uns in Verantwortung für unsere Kinder und Enkel bemühen, den Ausstieg zu beschleunigen. Eine kluge Energiepolitik setzt auf Energieeffizienz und erneuerbare Energien. Ich sage Ihnen eines: Hören Sie bitte auf, den Menschen einen Bären aufzubinden. Danke schön. ({13})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Philipp Mißfelder von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Philipp Mißfelder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003810, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Frau Höhn, Sie haben gerade von Chaos gesprochen. Chaos und nordrhein-westfälische Landesregierung - das war zu Ihrer Zeit. ({0}) Das ist seit dem vergangenen Jahr vorbei. Da muss ich die schwarz-gelbe Landesregierung in Nordrhein-Westfalen wirklich in Schutz nehmen, zumal hier der Wunsch, sich in die Öffentlichkeit zu drängen, und nicht die Sache im Vordergrund steht. Das wissen Sie ganz genau. ({1}) Ihnen geht es nur um Publicity. Wenn es in der Geschäftsführerrunde nicht verhindert worden wäre, hätten Sie mit uns sogar während des Fußballspiels am Freitag über dieses Thema diskutiert. Sie haben Ihren Patriotismus in dem Vorhaben zum Ausdruck gebracht: Lieber irgendwelche Scheindebatten führen, als die erste Halbzeit des Deutschlandsspiels anzuschauen. ({2}) Ich bin froh, dass wir heute und nicht am Freitag darüber diskutieren. Dass wir aber über Ihre Scheindebatte reden müssen, finde ich schon etwas merkwürdig. Zu den Meldungen, die Sie zitiert haben, kann ich Ihnen nur den Tipp geben, nicht immer alles zu glauben, was in der Zeitung steht. ({3}) Wenn Sie die Pressemitteilung des Ministeriums in NRW gelesen hätten, dann hätten Sie erkannt, dass von dem, was Sie behaupten, nicht die Rede gewesen ist. Insofern kann ich den Bundesumweltminister, der dies ebenso wie die SPD-Fraktion und meine eigene Fraktion zurückgewiesen hat, nur unterstützen. Wir halten uns an Recht und Gesetz und haben nicht die Absicht, irgendwelche Vorhaben zu vollziehen, die Sie mit Ihren Ankündigungen erst in die Welt gesetzt haben. ({4}) Wenn wir über das Thema diskutieren und Sie über den Ausstieg aus der Kernforschung philosophieren, dann wird aber immer klarer, dass Sie in Wahrheit mit Ihrer Technikfeindlichkeit nicht hinter dem Berg halten können. ({5}) Ich bitte Sie in diesem Zusammenhang inständig, sich an Ihre Regierungszeit zu erinnern, die schließlich noch nicht lange zurückliegt. Sie waren zwar im Bund nicht in der Regierungsverantwortung - in Nordrhein-Westfalen ist es schon etwas länger her -, aber Ihre Kolleginnen und Kollegen, unter anderem Herr Trittin. Ich darf Sie darauf aufmerksam machen, dass Rot-Grün in Ihrer eigenen siebenjährigen Regierungszeit richtigerweise an sehr vielen Projekten im Rahmen von Euratom beteiligt war. Dabei ging es in erster Linie um Kernforschung. ({6}) Das war auch absolut richtig. Deswegen möchte ich in diesen Punkten die Position der Vorgängerregierung, in deren Kontinuität wir beim Umgang mit Euratom stehen, herausstreichen. Technikfreundlichkeit in diesem Bereich ist sehr wichtig, ({7}) weil sie weltweit zu einem höheren Sicherheitsniveau beiträgt. Deswegen beteiligen wir uns daran. ({8}) Deswegen sind Sie richtigerweise nicht aus Euratom ausgestiegen und haben sich an dieser Stelle der Europäischen Union nicht verweigert. ({9}) - Selbst wenn Herr Fell das wollte, er hat sich nicht durchgesetzt. Das zeigt, dass auch bei Rot-Grün die Vernunft geherrscht hat. Es war schließlich nicht alles schlecht. ({10}) Ich bin der Meinung, dass wir über das diskutieren sollten, was tatsächlich ansteht, nämlich die weltweiten Entwicklungen auf den Energiemärkten. Ein Blick auf die weltweite Entwicklung zeigt, dass zum Beispiel in China - lassen wir Indien in diesem Zusammenhang einmal außen vor; das scheint ein Sonderfall zu sein - der Energiehunger immer mehr zunimmt. Was ist die Antwort der chinesischen Regierung darauf? ({11}) - Ja, auch erneuerbare Energien. China setzt nicht nur auf Kohle ({12}) - die Kohleförderung ist besonders in China extrem umweltfeindlich -, sondern zieht auch den Bau neuer Kernkraftwerke in Erwägung. In Zukunft sollen etwa 30 Kernkraftwerke gebaut werden. Angesichts dieser Entwicklung wird einem doch angst und bange, dass unsere Sicherheitsstandards, die aufgrund der guten Forschungsarbeit vonseiten des deutschen Ingenieurwesens entstanden sind, ({13}) voraussichtlich nicht mehr gehalten werden können, wenn sich der Kurs, den Sie von der Opposition heute anmahnen, tatsächlich durchsetzen sollte. ({14}) Deshalb bin ich für mehr Forschung in diesem Bereich. Das hat im Übrigen den positiven Nebeneffekt, dass die weltweiten CO2-Emissionen gesenkt werden können, wenn sich die Kerntechnik - natürlich mit deutschen Sicherheitsstandards - weltweit durchsetzt. Dass der Industriestandort Deutschland davon profitieren kann, liegt auf der Hand. Wenn wir diese Technologie exportieren können, dann ist das für die Arbeitsplätze besser, als wenn chinesische Ingenieure mit dem enormen Technikzuwachs, den sie tagtäglich erzielen, ihre eigenen Produkte auf den Markt bringen. ({15}) Der Standort Deutschland profitiert mehr davon, wenn wir es schaffen, unsere Produkte im Ausland abzusetzen. ({16}) Weltweit sichere Kernkraftwerke mit deutscher Technologie sind besser als der Kurs, den Sie heute vorgeschlagen haben. ({17}) Vielen Dank. ({18})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Sylvia Kotting-Uhl vom Bündnis 90/Die Grünen.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Allen in sich auch noch widersprüchlichen Dementis zum Trotz: An kaum einem Ast wird von unterschiedlichen Kräften zulasten des politischen Erfolgs, der globalen Vorbildfunktion und des erfolgreichen Innovationsdrucks so heftig gesägt wie am Atomausstieg. ({0}) Je stärker der Umweltminister betont, dass am Atomgesetz festgehalten wird, umso kürzer werden die Intervalle zwischen den Sägeattacken. Den Energiekonzernen mit ihrem Vorstoß zum Ringtausch ist der nordrheinwestfälische Innovationsminister Pinkwart und diesem wiederum vorgestern Abend beim Atomforum in Berlin die baden-württembergische Umweltministerin Tanja Gönner gefolgt. Die Liebe der baden-württembergischen Landesregierung zur Atomkraft ist mir wohl vertraut. Ich bin mir nicht sicher, ob sich der Stolz der Landesregierung auf den bundesweit höchsten Atomstromanteil von 60 Prozent auch auf die bundesweit höchsten Strompreise bezieht. Aber ich bin mir sicher, dass der Ministerin Gönner - so hat sie sich gestern Abend geäußert - die neueste Strompreiserhöhung der EnBW nicht gefällt. Wie auch, konterkarieren solche taktlosen Vorstöße doch geradezu die sorgsam ausgeklügelte Strategie zur Akzeptanz der Atomkraft, mit der die Union den Konzernen unter die Arme greifen will. Mit dem badenwürttembergischen Modell, das Frau Gönner beim Atomforum vorstellte, wird für Laufzeitenverlängerungen nämlich damit geworben, dass die Konzerne die Hälfte des zusätzlich verdienten Geldes in die Förderung der erneuerbaren Energien stecken sollen. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Es geht bei diesem Modell nicht mehr um Strommengenübertragungen von neueren AKWs auf diejenigen, die in dieser Legislaturperiode zur Abschaltung anstehen. Selbst das ist im Atomgesetz nicht wirklich vorgesehen und ist trotzdem von den Konzernen mit ihrem Run auf die Reststrommengen von Mülheim-Kärlich gerade wieder in die Debatte gebracht worden, als gäbe es keinen von ihnen unterschriebenen Vertrag. Jetzt geht Baden-Württemberg aber richtig in die Vollen. Es geht um das Atomgesetz, die Aufkündigung des mit den Energieversorgern ausgehandelten Atomkonsenses, der diesen reichlich Vorteile gebracht hat; diese nutzen die Energieversorger seitdem. Richtig gut kam der Vorschlag, die Hälfte des Zuverdienstes in die erneuerbaren Energien zu stecken, beim Atomforum übrigens nicht an, auch nicht, nachdem Frau Gönner erläutert hatte, dass man das positive Image und die Beliebtheit der erneuerbaren Energien in der Bevölkerung nutzen müsse, um Akzeptanz für die Laufzeitenverlängerung zu gewinnen. Das Spielchen zwischen SPD und Union, das seinen Beginn mit der für einen Koalitionsvertrag ungewöhnlichen Aussage nahm, Frau Dött, dass die Haltung der Koalitionäre zur Atomkraft unterschiedlich sei, schauen wir uns nun seit acht Monaten an. Es hat durchaus UnSylvia Kotting-Uhl terhaltungswert. Aber in jedem Spiel gibt es eine Schwelle, an der Schluss mit lustig sein sollte. Ich finde, diese Schwelle ist erreicht. ({1}) Es ist nicht mehr damit getan, dass sich der Umweltminister bei jedem Vorstoß eines Landesfürsten, eines Ministers - auch der Bundeswirtschaftsminister spielt gern auf diesem Feld - oder der Konzerne wortgewaltig vor den Atomausstieg stellt. Das ist auch heute nicht unsere Forderung. Wir fordern die Union vielmehr auf, Ordnung in ihre Reihen zu bringen und in ihrer Partei ihre Haltung zum im Koalitionsvertrag bekräftigten Atomausstieg zu klären sowie zu einer nachvollziehbaren, einheitlichen und klaren Aussage zu kommen. ({2}) - Ich höre Ihnen immer mit voller Begeisterung zu. Wir Grüne pflegen in solchen Fällen die Klärung auf einem Parteitag vorzunehmen. Das Ergebnis gilt dann, vor allem für das Führungspersonal. Meiner Partei hat man häufig vorgeworfen, sie streite ständig. Aber ich will Ihnen einmal eines sagen, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Union: Angesichts Ihres Dissonanzkonzertes - Frau Gönner und der baden-württembergische Ministerpräsident Oettinger wollen mit der Aufkündigung des Atomausstiegs die erneuerbaren Energien fördern; Bundeswirtschaftsminister Glos will Braunkohle und Atomkraft aufrechterhalten und die Sinnhaftigkeit der Förderung der erneuerbaren Energien überprüfen lassen; der Kollege Schulte-Drüggelte sagte in der Haushaltsdebatte in der letzten Woche auf Nachfrage, dass seine Aussage, wir könnten auf die Kernenergie vorerst nicht verzichten, mit dem bis 2020 währenden Atomausstieg konform gehe; irgendwer muss den Koalitionsvertrag ja wachen Sinnes unterschrieben haben - sind wir Grünen ein harmoniesüchtiger Haufen. Bringen Sie Ordnung in Ihre Reihen und hören Sie auf, derart widersprüchliche Signale zu senden! Nicht zuletzt der Wirtschaftsminister sollte wissen, was widersprüchliche Signale in einem so sensiblen Bereich wie der Energiepolitik für anstehende Innovationen und Investitionen bedeuten: Sie werden nicht gemacht. Das Einzige, was Sie erreichen, ist, dass Ihnen die Energiekonzerne auf der Nase herumtanzen. Sie sind offenbar bereits im Tanzkurs und üben. Danke schön. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Christoph Pries von der SPD-Fraktion. ({0})

Christoph Pries (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003874, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesumweltminister! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte meine Rede mit einem Zitat von NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers vom 6. März 2006 beginnen. Dieser antwortete auf die Frage, ob NRW neue Atomkraftwerke oder zumindest eine Verlängerung der Laufzeiten benötige, wie folgt: „Neue Kernkraftwerke will hier keiner bauen. Bei der Laufzeitverlängerung ist es so, dass ein Vertrag mit der Energiewirtschaft geschlossen wurde, und ich sehe niemanden, der daran rüttelt.“ Ich befürchte, hier irrt der Ministerpräsident. Bauen und rütteln möchte schon der eine oder andere. Bauen möchte zum Beispiel der NRW-Wissenschaftsminister Andreas Pinkwart. Dieser hat am Wochenende überschwänglich seine Sympathien für einen ThoriumHochtemperaturreaktor in Jülich bekundet, und zwar so überschwänglich, dass bei den anwesenden Journalisten der Eindruck entstand, die NRW-Landesregierung habe bereits konkrete Pläne für dessen Bau. Mit solchen Äußerungen verkennt Minister Pinkwart nicht nur in fataler Weise die geltende Rechtslage, er verkennt ganz offensichtlich auch die Beschlusslage seiner eigenen Partei. Das, was der selbst ernannte Innovationsminister als Zukunftstechnologie anpreist, hat seine eigene Partei auf ihrem Bundesparteitag in Rostock erstmals offiziell zur Übergangstechnologie erklärt. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, wir begrüßen diesen Schritt in die richtige Richtung ausdrücklich, so klein und bescheiden dieser Schritt auch sein mag. ({1}) Sie können gewiss sein, dass wir Sie in Zukunft daran messen werden. ({2}) Aber vielleicht war Ihr Umweltparteitag in Rostock nur eine Alibiveranstaltung, ({3}) um in Zukunft ungehindert in grünen Gewässern fischen zu können. Die Äußerungen von Herrn Pinkwart gehen in diese Richtung. Kommen wir nun zu denjenigen, die für das Rütteln am Atomkonsens zuständig sind, zu den Energiekonzernen. Schon seit Monaten lassen sie keine Gelegenheit ungenutzt, um immer neue Szenarien zu entwerfen, wie das geltende Atomgesetz ausgehebelt werden könnte. Die neueste Variante ist der so genannte Ringtausch der Reststrommengen des nicht in Betrieb genommenen Atomkraftwerks Mülheim-Kärlich. Diese sollen nun fröhlich von einem Atomkraftwerk auf das nächste übertragen werden, bis sie schließlich bei den alten Meilern landen. ({4}) Dumm ist nur, dass im Atomgesetz ausdrücklich festgelegt ist, auf welche Meiler die Reststrommengen von Mülheim-Kärlich übertragen werden dürfen. Biblis A, Neckarwestheim 1 und Brunsbüttel gehören nicht dazu. ({5}) Die Strommenge, die auf Biblis B übertragen werden darf, ist auf 21,45 Terawattstunden beschränkt. Das einzige Ziel dieser Vorstöße ist es, die in dieser Legislaturperiode zur Abschaltung anstehenden Atomkraftwerke über die nächste Bundestagswahl zu retten - in der Hoffnung auf atomfreundliche Mehrheiten. Diese Hoffnung ist 2002 und 2005 enttäuscht worden. Wir werden dafür sorgen, dass sie auch bei der nächsten Bundestagswahl enttäuscht wird. ({6}) Zwei Probleme haben all diejenigen, die die Laufzeiten verlängern oder neue Atomkraftwerke bauen möchten: den Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD und das Atomgesetz. Alle hier im Hause wissen, dass die Koalitionspartner in der Frage der Nutzung der Atomenergie unterschiedliche Auffassungen vertreten. Deshalb haben wir uns darauf verständigt, das Atomgesetz nicht zu ändern. Nur zur Erinnerung: Das Atomgesetz in seiner zurzeit geltenden Fassung untersagt den Neubau von Atomkraftwerken, ordnet den deutschen Atomkraftwerken fest definierte Reststrommengen bis zur Abschaltung zu und regelt die Möglichkeiten der Energiekonzerne, Reststrommengen zwischen unterschiedlichen Reaktoren zu übertragen. ({7}) Diese Regelungen sehen ausdrücklich vor, dass Reststrommengen nur von älteren auf neuere Reaktoren übertragen werden dürfen. Ausnahmen bedürfen der Genehmigung des Bundesumweltministers. Für die SPDBundestagsfraktion ist klar: Eine Übertragung von Reststrommengen von neuen Atomkraftwerken auf alte Atomkraftwerke lehnen wir ab. ({8}) Eine solche Übertragung widerspricht dem Geist des Atomkonsenses. Sie widerspricht auch dem Geist des Koalitionsvertrages, der dem sicheren Betrieb der Atomkraftwerke absolute Priorität einräumt. Dem Geist des Atomkonsenses widerspricht aber auch das Verhalten der Energiekonzerne insgesamt. Der Ausstieg aus der Atomenergie ist zwischen der damaligen Bundesregierung und den Energieversorgungsunternehmen unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen ausgehandelt und vertraglich fixiert worden. Die Vertreter der Energiekonzerne haben sich ebenso wie die Bundesregierung vor sechs Jahren dazu verpflichtet, den Inhalt des Atomkonsenses dauerhaft umzusetzen. Die Bundesregierung hat sich an diese Absprache gehalten, die Energiekonzerne leider nicht. Mit jedem Winkelzug, mit jedem neuen Vorstoß beschädigen die Vorstände der Energiekonzerne das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in das politische System unseres Landes. Ich appelliere daher eindringlich an die Verantwortlichen in den Konzernvorständen, weniger Energie auf juristische Spitzfindigkeiten zur Verlängerung von Laufzeiten zu verschwenden und lieber gemeinsam mit den politisch Verantwortlichen an einer zukunftsfähigen Energieversorgung für Deutschland zu arbeiten. ({9}) Das wäre ein erster und höchst willkommener Beitrag zur Energieeffizienz, über die wir in den vergangenen Monaten so viel geredet haben. Danke für Ihre Aufmerksamkeit, Frau Flach. ({10}) - Ich weiß.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Franz Obermeier von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Franz Obermeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003201, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Diese Debatte ist völlig überflüssig. Eines hat sie schon bewiesen: Die Kolleginnen und Kollegen von der FDP- und von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion haben den Erfolg verbucht, dass die erste Sprecherin der Grünen, Bärbel Höhn - sie hat sich noch vor kurzem mächtig aufgeblasen -, diese Debatte mittlerweile verlassen hat. ({0}) Wo gibt es denn so etwas? Das ist ein toller Stil. Das muss ich schon sagen. ({1}) - Das ist völlig stillos. Wenn man eine Debatte eröffnet, dann hat man auch die Pflicht, hier zu bleiben. ({2}) Es geht bei dieser Frage im Prinzip darum, wie es mit der Kernenergie in der Bundesrepublik Deutschland im Allgemeinen steht. Ich möchte Ihnen, Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, schon sagen: Den Kernkraftgegnern in Deutschland und auch in anderen Ländern schwimmen die Felle weg. ({3}) Was in Schweden bereits der Fall ist, wird auch in der Bundesrepublik Deutschland stattfinden: Je teurer der Strom wird, je mehr der hohe Strompreis auf die volkswirtschaftliche Entwicklung durchschlägt, desto mehr werden sich die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes überlegen, wie sie an Energie zu günstigeren Preisen kommen. ({4}) Ihre Traumtänzereien von Wasserstoff über erneuerbare Energien kann man Menschen, die sich mit diesen Themen auseinander setzen, einfach nicht zumuten. ({5}) Ich will Ihnen zum Thema „Innovationsminister in NRW“ nur Folgendes sagen: Wenn sich in der Bundesrepublik Deutschland jemand Gedanken darüber macht, wie es besser werden kann und wo in unseren wissenschaftlichen Institutionen Innovationspotenziale vorhanden sind, dann - das ist ganz charakteristisch - protestieren ausgerechnet Sie, als hätten Sie Angst, dass irgendjemand Erfolg hat mit neuen Technologien, mit Produkten, mit denen wir weltweit punkten könnten. ({6}) Ich stelle mir immer wieder die Frage: Womit sollen unsere Kinder und Kindeskinder den Wohlstand in der Bundesrepublik Deutschland erhalten, wenn wir keine neuen Produkte erzeugen und nicht für eine hohe Wertschöpfung sorgen? ({7}) Lassen Sie mich einmal einen Blick über die Landesgrenzen werfen. ({8}) In Finnland baut man derzeit ein neues Kernkraftwerk. Dieses Kernkraftwerk wird nicht vom Staat gebaut und es wird auch nicht staatlich subventioniert. Dieses Kernkraftwerk wird vielmehr von der Privatwirtschaft in Finnland finanziert. Hochinteressant ist: Die Kostenkalkulation liegt weit jenseits dessen, was grüne Ideologen uns immer vorhalten. ({9}) Befassen Sie sich einmal mit der Frage, was in China passiert. In China passiert genau das Gegenteil von dem, was Sie hier in Deutschland propagieren. ({10}) In China baut man Kohlekraftwerke. Bei Ihnen heißt es: Ausstieg aus der Kohle. Wir sollten versuchen, unsere deutsche Hochtechnologie bei der Kohleverstromung in China zur Anwendung zu bringen. ({11}) Das sollte unser Ziel sein. ({12}) Außerdem befasst man sich in China ernsthaft damit, 30 neue Kernkraftwerke zu bauen. ({13}) Die Mitarbeiter der wissenschaftlichen Institute in China sind mittlerweile so weit, dass sie die deutsche Technologie zum Bau eines neuen Kernkraftwerks bis auf ein paar wenige Elemente gar nicht mehr brauchen. Die machen das selber. Sie, meine Damen und Herren, verkaufen die gesamte Bevölkerung in Deutschland für dumm ({14}) und sagen den Leuten, alles sei so unsicher und viel zu gefährlich. ({15}) Gerade hat der Herr Hill wieder etwas erzählt - ich weiß auch nicht, wer ihm das aufgeschrieben hat -, ({16}) nämlich wie schwierig das mit den Uranvorräten usw. ist. ({17}) Das Uran aus Kanada und aus Australien ist mir bei weitem lieber ({18}) als das Öl aus gefährlichen Zonen. Darüber müssen wir uns schon im Klaren sein. Lassen Sie mich zum Abschluss noch etwas zur Endlagerfrage sagen. ({19}) Wir stehen zum Koalitionsvertrag, Herr Umweltminister; die Sache ist klar. Aber Aufgabe der Bundesregierung ist jetzt die Klärung der Frage der Endlagerung. ({20}) Da müssen wir vorankommen, Herr Umweltminister; da hilft nichts. Da kann man auch nicht mit neuen Gesetzen zur Suche und anderen neuen Sachen arbeiten, ({21}) sondern da müssen wir die Probleme lösen. Das ist die Aufgabe der nächsten Jahre. Herzlichen Dank. ({22})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Der Herr Kollege Thiele ({0}) - ich bitte einen Moment um Aufmerksamkeit! - hat sich zur Geschäftsordnung gemeldet.

Carl Ludwig Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002315, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Es ist schon erstaunlich, dass die Rednerin der Antrag stellenden Fraktion es nicht für erforderlich hält, dieser Debatte beizuwohnen. Das zeigt, dass die Debatte seitens der Grünen überhaupt nicht ernst gemeint sein kann. Ich sehe keinen Sinn darin, eine nicht ernst gemeinte Debatte hier im Deutschen Bundestag zu führen. Deshalb beantrage ich, die Aktuelle Stunde jetzt zu beenden. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Küster. Bitte schön.

Dr. Uwe Küster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001249, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Für die SPD-Fraktion antworte ich darauf wie folgt: Sie haben sicherlich Recht mit der Kritik an der Rednerin der Grünen, die die Debatte vorzeitig verlassen hat. Sie haben hier natürlich versucht, ein As aus dem Ärmel zu ziehen. Die FDP hat ihre Redezeit verbraucht. Die Grünen haben ihre Redezeit verbraucht. Wir haben noch Redezeit. Wir haben auch noch etwas zu sagen. Ich würde gar zu gern die Haltung unseres Umweltministers dazu hören. Deswegen widerspreche ich Ihrem Antrag ganz klar. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nach Auffassung der Geschäftsordnungsspezialisten ist der Antrag unzulässig, weil es sich bei der Aktuellen Stunde um ein Minderheitsrecht handelt, das nicht beschnitten werden darf. Deswegen werden wir die Aktuelle Stunde zu Ende durchführen. ({0}) Das Wort als nächste Rednerin hat die Kollegin Ute Berg von der SPD-Fraktion. ({1})

Ute Berg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003504, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Versuchsreaktor als Testballon“ titelte die „Süddeutsche Zeitung“. „Atomkraft - ja bitte?“ fragte die „Rheinische Post“. Die „Westdeutsche Allgemeine“ meldete: Pinkwart vergaloppiert sich. Es folgte, so die „Neue Westfälische“, ein Sturmlauf gegen NRW-Atompläne. Herr Pinkwart und die nordrhein-westfälische Landesregierung unter dem neuen Ministerpräsidenten Rüttgers haben jedenfalls mal wieder für bundesweite Aufregung und Verwirrung gesorgt. Die entscheidende Frage ist nun: Was bezweckt der Minister mit Äußerungen wie „Die Zeit der Reaktoren in NRW ist noch nicht vorbei“? Geht es ihm dabei wirklich nur um Forschung oder will er einfach einen Testballon für die Renaissance der Atomenergie steigen lassen, wie die „SZ“ vermutet, ({0}) oder will Schwarz-Gelb in NRW mal wieder der Koalition im Bund in die Parade fahren? Klar ist derzeit nur, dass in NRW, seit Jürgen Rüttgers das Land regiert, das Thema Atomkraft ständig durch die Gazetten spukt. Frau Thoben greift es immer wieder auf und nun eben auch Herr Pinkwart. Die NRW-CDU plant, wie ich gehört habe, auf ihrem Landesparteitag im September ein klares Bekenntnis zur Atomkraft abzugeben. Liebe Kolleginnen und Kollegen vom Bündnis 90/ Die Grünen, wenn Sie in dieser Aktuellen Stunde testen wollen, ob die SPD-Fraktion im Bund linientreu bleibt und die schwarze wie die rote Bundestagsfraktion zum Koalitionsvertrag stehen, dann kann ich Ihnen versichern: ({1}) Jawohl, die Koalition steht zu ihren am 11. November 2005 schriftlich festgelegten Grundsätzen. Das war nämlich kein Karnevalsscherz. ({2}) Natürlich wissen wir alle, dass die CDU/CSU in dieser Frage anders aufgestellt ist als wir. Ich kann aber für die SPD sagen: Das ist für uns tatsächlich auch ein Herzensanliegen. Nicht umsonst haben wir seit 1998 die Energiewende in Deutschland durchgesetzt, damals zusammen mit den Grünen und gegen erhebliche Widerstände. Deshalb haben wir auch dafür gesorgt, dass im Koalitionsvertrag festgelegt wurde, dass die Vereinbarungen zum Atomausstieg nicht rückgängig gemacht werden. Leider gibt es immer noch zu viele Ewiggestrige, die den Abschied von ihren alten Lieblingsprojekten noch nicht so recht verschmerzt haben; ({3}) Herr Pinkwart gehört dazu. Diese Leute haben den Schritt zur Energiepolitik der Zukunft noch nicht geschafft. ({4}) Sie begeben sich gerade wieder in die alten Gräben. Die Entwicklungen auf den nationalen und internationalen Energiemärkten bestärken uns aber darin, uns entschlossen auf erneuerbare Energien und auf Energieeffizienz hin zu orientieren. Diese Linie werden wir weiter verfolgen; darin lassen wir uns auch nicht beirren. Das bedeutet allerdings nicht - das möchte ich auch hinzufügen -, dass wir uns vollkommen aus der Kernenergieforschung zurückziehen. Der Bund hat hier eine Verantwortung, und zwar sowohl im Bereich Reaktorsicherheit als auch im Bereich Endlagerung von radioaktiven Abfällen. Deshalb brauchen wir hier unabhängige Forschungsarbeiten, um unsere sicherheitstechnische Kompetenz auf höchstem Niveau zu erhalten. ({5}) Dafür haben wir über die letzten Jahre Hunderte von Millionen Euro investiert. Im Koalitionsvertrag haben wir festgehalten, dass diese Forschung fortgeführt und ausgebaut wird. Sinnvoll ist es darüber hinaus, neue Technologien zu unterstützen, mit denen fossile Energieträger umweltschonend genutzt werden können; denn wir werden noch auf absehbare Zeit auf diese angewiesen sein. Daher investieren wir zum Beispiel in die Entwicklung eines emissionsfreien Kohlekraftwerks: ein Leuchtturmprojekt, das zukunftsweisend ist. ({6}) Der derzeitige nordrhein-westfälische Wissenschaftsminister ({7}) sollte sich lieber auf diese Fragen konzentrieren, statt seinen Hochtemperaturreaktorfantasien freien Lauf zu lassen, zumal er doch eigentlich wissen müsste - auch Sie, Frau Flach, sollten das wissen -, dass in NRW bereits in den 80er-Jahren Versuche mit solchen Reaktoren kläglich gescheitert sind. Frau Höhn und andere haben eben schon auf den Reaktor in Hamm-Uentrop hingewiesen. Er verschlingt jedes Jahr 6 Millionen Euro Überwachungskosten - auch heute noch -, obwohl er bereits 1989 stillgelegt wurde, und ist so verstrahlt, dass man überhaupt erst in 20 Jahren darüber nachdenken kann, diese energiepolitische Ruine abzureißen. ({8}) Also, zum Abschluss noch einmal ganz deutlich und langsam für alle, die es noch nicht verstanden haben: Herr Pinkwart und andere Mitglieder der schwarz-gelben Landesregierung können noch so häufig gebetsmühlenartig wiederholen: Atomkraft - ja bitte! Wir bleiben bei unserer Position: Atomkraft - nein danke! ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Maria Flachsbarth von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Maria Flachsbarth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003527, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Kollegin Höhn, herzlich willkommen in Ihrer Debatte, die Sie ja so sehnlich herbeigewünscht haben. ({0}) Die Debatte hat trotz der Tatsache, dass sie an den Haaren herbeigezogen ist, doch etwas Gutes, nämlich dass die Sicherheitsforschung im Bereich der Kernenergie heute wieder einmal in den Mittelpunkt des Interesses gerückt wird. Hier tun sich in Deutschland leider erschreckende Lücken auf, und dieses, so muss man feststellen, hängt auch mit dem Forschungszuschnitt der vorherigen Bundesregierung zusammen: Viele Fachleute stehen kurz vor der Pension, ohne dass Nachfolger bereit stehen; die Universitäten streichen die Kerntechnik aus ihrem Angebot; ({1}) kerntechnische Vollausbildungen werden nur noch an der TU Dresden und an der Fachhochschule Zittau angeboten. Die Schäden, die Deutschland entstehen werden, falls hier nicht gegengesteuert wird, sind immens. ({2}) Einmal verloren gegangenes Know-how lässt sich - das wissen Sie, meine Damen und Herren - nicht einfach wieder beleben, wenn man es benötigt. Denn es geht hier nicht nur um reines Buchwissen, das man aufschreiben und nachlesen kann, sondern auch um Erfahrung und gelebte Informationskultur, die von einer Generation an die nächste weitergegeben wird. ({3}) Ist diese Kette erste einmal durchtrennt, ist das Wissen verloren. Die Debatte sollte sich daher nicht um die Frage drehen, ob, wann, wo oder warum wir einen neuen Forschungsreaktor brauchen, sondern um die Frage, wie wir in Deutschland unser kerntechnologisches Fachwissen sichern können. ({4}) Die Ausstiegsvereinbarung zwischen der Vorgängerregierung und den EVUs sieht jedenfalls keinen Ausstieg aus der Kernenergieforschung vor. ({5}) - Das ist unverantwortlich. - Auch der Koalitionsvertrag ist in diesem Punkt sehr eindeutig. Er lautet wie folgt: Der sichere Betrieb der Kernkraftwerke hat für CDU, CSU und SPD höchste Priorität. In diesem Zusammenhang werden wir die Forschung zum sicheren Betrieb von Kernkraftwerken fortsetzen und ausbauen. ({6}) Im Koalitionsvertrag ist zudem nachzulesen, dass die am 14. Juni 2000 zwischen der Bundesregierung und den Energieversorgungsunternehmen geschlossene Vereinbarung zum Atomausstieg so weiter akzeptiert wird. Das heißt, die schwarz-rote Koalition hat, wie ihre Vorgängerin, vereinbart, die friedliche Nutzung der Kernenergie in Deutschland für die nächsten beiden Jahrzehnte festzuschreiben, sodass über 1 600 Terawattstunden Strom, derzeit also 28 Prozent der Gesamtstrommenge, in Kernkraftwerken erzeugt werden sollen, auch wenn interessierte Kreise immer wieder den Anschein erwecken wollen, dieses Land habe sich schon längst aus der Atomenergie verabschiedet. ({7}) Zur Gewährleistung des sicheren Betriebs der Kernkraftwerke über noch fast 20 Jahre gehört auch, dass unsere Forschung dem weltweiten Niveau entspricht. Der Ausstiegsvertrag, den ich eben zitiert habe, stellt hierzu ausdrücklich fest, dass das international hohe Sicherheitsniveau in den Kernkraftwerken gehalten werden muss. Deshalb unterstütze ich die Forderung von NRW, die vorhandene Kompetenz im Bereich der Kerntechnologie und der Kernsicherheitsforschung zu erhalten und auszubauen. ({8}) Deutschland fällt es nämlich aus den eingangs genannten Gründen international zusehends schwerer, mitzugestalten und damit auch Sicherheitsstandards zu setzen. ({9}) Ein Beispiel hierfür ist das Generation IV International Forum. Nur noch wenige Deutsche sitzen für Euratom in den Gremien dieser Initiative. Bei dem Projekt geht es nicht um baldige Reaktorneubauten, sondern um die Entwicklung effizienterer, unfallresistenterer und müllärmerer Anlagen. ({10}) Auch im Hinblick auf die insbesondere von vielen Schwellenländern in den nächsten Jahrzehnten geplanten Reaktorneubauten sollten wir uns nicht der Möglichkeit berauben, die Sicherheitsstandards hierbei weltweit mit auszuarbeiten. In diesem Hohen Hause, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, sollten wir daher nicht vordringlich über vermeintliche Laufzeitverlängerungen oder gar Reaktorneubauten in Deutschland lamentieren, sondern sollten das tun, wofür wir verantwortlich sind und worauf wir uns im Koalitionsvertrag geeinigt haben: Wir sollten erstens den rechtlichen Rahmen auch hinsichtlich der Forschung so stecken, dass ein auf weltweit anerkanntem Niveau sicherer Betrieb der laufenden Kernkraftwerke gewährleistet wird und wir internationale Sicherheitsstandards setzen können. Da setzt der Haushalt 2006 der Forschungsministerin bereits deutliche und sehr positive Zeichen. ({11}) Zweitens müssen wir zielorientiert die Frage der Endlagerung atomaren Mülls lösen. Da hat der Herr Umweltminister seine Initiative noch für dieses Jahr zugesagt. In beiden Problembereichen kann die Bundesregierung auf die nachhaltige Unterstützung der Union bauen. Ich danke Ihnen. ({12})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Bundesminister Sigmar Gabriel. ({0})

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir konnten dem Parlament und der geneigten Öffentlichkeit kaum besser zeigen, dass es in dieser Frage auch in der Koalition unterschiedliche Auffassungen gibt. Im Gegensatz zu der Kollegin Kotting-Uhl würde ich sagen: Es ist gut, dass man das zugibt und nicht versucht, irgendwelche Formelkompromisse zu finden. In der energiepolitischen Frage gibt es einen entscheidenden Unterschied zwischen SPD auf der einen Seite und CDU/CSU auf der anderen Seite, der uns sicher noch eine Weile begleiten wird - bis zu dem Tag, wo ich Herrn Obermeier überzeugt habe. Bis das der Fall ist, muss ich vermutlich noch ziemlich lange im Amt bleiben. - Herr Obermeier, ich sehe, dass Sie angesichts dieses Angebots noch nach Worten ringen. Kollegin Höhn hat meinen Kabinettskollegen Glos zitiert. Ich habe nicht verstanden, warum Sie eigentlich kritisiert haben, dass der Kollege Glos gesagt hat, ich sei wie Trittin. Sie müssten doch eigentlich - ich bin es nicht immer - froh darüber sein. ({0}) Ich habe mich revanchiert und dem Kollegen Glos entgegnet: Wenn er das noch einmal macht, werde ich öffentlich erklären, er sei wie Clement. Wir wollen doch einmal sehen, wer dann mehr Probleme hat. ({1}) Man sollte dies alles nicht übertreiben. Ich würde gerne zu den zwei angesprochenen Sachfragen Stellung nehmen. Es geht zunächst um das, was der Innovationsminister des Landes Nordrhein-Westfalen, Herr Pinkwart, zu Jülich gesagt hat. Klar ist, dass es nach § 7 Abs. 1 Satz 2 des Atomgesetzes in Deutschland verboten ist, neue Kernkraftwerke zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität zu errichten. ({2}) Wer so etwas ankündigt - manches, was die Kollegin Gönner gesagt hat, kann man so interpretieren; der Kollege Koch in Hessen hat das sogar einmal gefordert und wer erklärt, er wolle den Neubau von Kernkraftwerken zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität, der fordert in Deutschland zum Rechtsbruch auf. ({3}) - Nein, das kann er nicht. Das kann nur der Deutsche Bundestag, ({4}) aber kein Landesminister. ({5}) - Aber in diesem Parlament gibt es keine Mehrheit für die Änderung. ({6}) Wer in dieser Zeit dazu aufruft, das Gegenteil zu tun und mit Planungen für einen solchen Neubau zu beginnen, Frau Flach, dem müssen wir sagen - auch wenn er der FDP angehört -: Lieber Freund, du bereitest hier einen Rechtsbruch vor. ({7}) Das ist nicht in Ordnung. An die Adresse der FDP muss ich sagen: Ich hatte Sie immer als Rechtsstaatspartei in Erinnerung. ({8}) Wenn Sie sich den Ruf wieder erwerben wollen, dann müssen Sie dafür sorgen, dass die Verfassung des Landes, das entsprechende Bundesrecht und das Atomgesetz von Ihren Politikern öffentlich nicht infrage gestellt werden. ({9}) - Ich habe Ihnen geduldig zugehört. Nun sind Sie mit Zuhören an der Reihe. Die zweite Frage ist, ob es sich um einen Forschungsreaktor handelt. Natürlich ist es richtig, dass im Atomgesetz der Bau von Forschungsreaktoren nicht verboten ist. Die Frage ist nur, wieso Sie einen Forschungsreaktor eines Kernkraftwerkstyps bauen wollen, nämlich eines Hochtemperaturreaktors, den es in Deutschland nicht mehr gibt. In ein solches Projekt mit einer Laufzeit von drei Jahren wurden schon einmal 2 Milliarden Euro Steuergelder versenkt. Warum wollen Sie eigentlich einen solchen Reaktortyp bauen? ({10}) - Na klar. Er hat das öffentlich angesprochen und gesagt, dies sei eine Zukunftstechnologie. Ich bin zwar nicht verantwortlich für den Unsinn, den jemand über Kernenergie erzählt. Aber wenn Sie mich danach fragen, muss ich darauf antworten. Ich kann nichts dafür, wenn Ihr Kollege öffentlich erklärt, es handele sich um einen Zukunftsreaktor. Wir alle sind der Meinung, dass man auf dem Feld der Sicherheitstechnik forschen muss. Aber der Bau eines Forschungsreaktors von einem Typ, den es in Deutschland nicht gibt, trägt nicht zur Verbesserung der Sicherheitstechnik bei. Das ist doch klar. ({11}) Wenn jemand erklärt, dies sei eine Zukunftstechnologie, der hat offensichtlich vor, einen solchen Reaktor zu gewerblichen Zwecken in Deutschland einzuführen. Ich sage Ihnen, das ist nach dem Atomgesetz verboten. Deswegen würden wir dem Bau eines solches Forschungsreaktors nicht zustimmen können. ({12}) - Doch, das müssten wir. Denn 90 Prozent der Anlage in Jülich gehören dem Bund und nur 10 Prozent dem Land Nordrhein-Westfalen. Es geht hierbei nicht um Dinge, die von der Föderalismusreform tangiert werden, sondern um Eigentumsrecht, Frau Kollegin Flach. Wenn Sie sich als Liberale auch darüber hinwegsetzen wollen, dann kann ich nur sagen: gute Besserung! So geht es nicht. ({13}) - Ich möchte schon ganz gerne auf Ihren Beitrag antworten. Ich habe keine Sorge, da ich weiß, dass aus diesem Vorhaben nichts wird. Ich kann auch nicht erkennen, was daran zukunftsweisend sein soll. Beim Thema Sicherheitsforschung sind wir alle einer Meinung. Aber für einen Reaktortypen, den es in Deutschland nicht gibt, brauchen wir keine Sicherheitsforschung zu machen. Dann möchte ich etwas zum Thema Laufzeitübertragung sagen. Dieser Punkt ist im Atomgesetz eindeutig geregelt. Wer Laufzeiten von einem jüngeren Kraftwerk auf ein älteres Kraftwerk übertragen will, braucht dazu die Zustimmung des Bundesumweltministeriums. Wenn das Bundesumweltministerium dazu keine Zustimmung gibt - es kommt auf unser Votum an; bei uns müsste ein entsprechender Antrag gestellt werden -, dann wird auch kein Prozess in Gang gesetzt, den man mit dem Bundeswirtschaftsministerium und dem Kanzleramt absprechen müsste. Da hat die Kollegin Dött Recht: Jeden eingehenden Antrag würden wir nach Recht und Gesetz prüfen. Wie das ausgeht, kann die Verfahrensbehörde nicht vorhersagen. Aus politischer Sicht kann ich Ihnen aber sagen: Ich kenne keinen Grund dafür, ein weniger sicherheitsoptimiertes Kraftwerk länger laufen zu lassen als ein sicherheitsoptimiertes Kraftwerk; es sei denn, man wolle sich über die Zeitspanne der nächsten Legislaturperiode retten. Das allerdings wäre kein Grund, eine Genehmigung auszusprechen. Deswegen müssten wir eine solche verweigern. Ich nehme an, dass wir das auch tun würden. Wer versuchte, Reststrommengen des Kernkraftwerks Mülheim-Kärlich durch ein Kraftwerk durchzuleiten, um zum Beispiel das Kernkraftwerk Brunsbüttel weiterlaufen zu lassen - wenn man Reststrommengen vom Kernkraftwerk Biblis B auf das Kernkraftwerk Brunsbüttel übertragen würde, wäre dies eine Übertragung von einem älteren auf ein jüngeres Kraftwerk -, würde den Versuch der Umgehung des Atomgesetzes vornehmen. Auch dem müssten wir widersprechen. Wer versucht, Energiepolitik mit Sandkastenspielen zu betreiben, gerät gelegentlich in die Nähe des Staatsanwaltes. Denn in einem solchen Fall würde ein Kraftwerk ohne Genehmigung betrieben werden. Das ist in Deutschland strafbar. Ich sage es in aller Offenheit: Wir würden mit allen Mitteln dagegen vorgehen. Solche Spielchen lassen wir nicht zu. Es gibt ein Atomgesetz, das gilt. Denjenigen, die solche Spielchen vorhaben, muss ich Folgendes sagen: Es war die Energiewirtschaft, die den entsprechenden Vertrag freiwillig unterschrieben hat. ({14}) - Sie hat unterschrieben. Sie wird doch wissen, was sie unterschrieben hat. - Der Politik wird immer vorgehalten, sie sorge nicht für sichere Rahmenbedingungen und man könne sich nicht auf sie verlassen. Ich hoffe, dass man sich auf die Wirtschaft verlassen kann und sie sich vertragstreu verhält. ({15}) Ich sage Ihnen: Es gibt hier im Parlament keine Mehrheit zur Änderung des Atomgesetzes. Jetzt einige wenige Bemerkungen - dann ist meine Redezeit zu Ende - zu dem, was der Kollege Obermeier gesagt hat; denn er war wirklich mutig. Sie sagen, es gehe um Jobs und Wertschöpfung. Erstens. In der Atomwirtschaft sind 30 000 Menschen beschäftigt, im Bereich der erneuerbaren Energien 170 000. Das ist das Verhältnis, das wir in Deutschland haben. ({16}) Zweitens. Herr Kollege Obermeier, wissen Sie, wer in diesem Jahr den teuersten Strom geliefert hat? Frankreich, das den höchsten Anteil an Atomstrom hat. Also kommen Sie in diesem Zusammenhang nicht mit dem Argument des billigen Stroms. Das Gegenteil ist der Fall. Drittens. Öffentlich wird immer thematisiert, wer Atomkraftwerke baut. Dazu sage ich Ihnen: Der Bau von Atomkraftwerken in Finnland funktioniert nur, weil eine bayerische Bank die Zinsen subventioniert - und dies zulasten ihrer Kreditnehmer; denn die zahlen deshalb höhere Zinsen. Das ist die Politik, durch die in Finnland Kernkraftwerke gebaut werden. China hat in der Tat das Ziel, dass die Kernenergie einen Anteil von 4 Prozent an der Stromerzeugung einnimmt. Erneuerbare Energien sollen aber einen Anteil von 15 Prozent haben. Das sind die Realitäten, die wir in Deutschland bzw. in der Welt haben. ({17}) - Ich habe gesagt: in der Welt. Ich habe mich korrigiert. Sie sollten nicht nur den Fehler, sondern auch die Korrektur hören. Das würde ich gerne auch bei Ihnen machen, wenn Sie sich einmal korrigieren würden. ({18}) Warum sind wir gegen Kernenergie? Weil es in diesem Zusammenhang kein absolut sicheres Kraftwerk gibt. Weil ich nicht in die Lage gebracht werden will, zwischen den Gefahren der CO2-Emissionen und den Gefahren der Radioaktivität wählen zu müssen. Das ist die Wahl zwischen Pest und Cholera und wir wollen gesund werden. Ich bin gegen Kernenergie, weil ich nicht will, dass meine Tochter und Ihre Kinder zusätzlichen Atommüll unter ihren Füßen begraben. Wir haben schon jetzt genug davon. Wir wollen das nicht endlos ausdehnen. Das ist unverantwortlich. ({19}) - Ich nenne Ihnen jetzt meine Position, die dazu geführt hat, dass der Ausstieg aus der Kernenergie im Koalitionsvertrag steht. Zum Endlager: Die Menschen in Deutschland haben das gleiche Recht wie die Menschen in der Schweiz. Ich akzeptiere nicht, dass mir Politiker aller Parteien Briefe dergestalt schreiben, wir mögen es nicht zulassen, dass ein Endlagerstandort in der Schweiz an der deutschen Grenze gewählt wird, ohne dass Alternativen in der Schweiz geklärt werden. Das muss auch in Deutschland gelten, Herr Obermeier. Das ist die Antwort auf die Frage, wie mit einem möglichen Endlager in Gorleben umgegangen wird. ({20}) - Das ist nicht geklärt. ({21}) Das wissen Sie. Letzte Bemerkung: Wenn die Industrienationen dieser Welt weltweit erklären, nur die Kernenergie sei die Lösung, dann brauchen sie sich nicht darüber zu wundern, dass auch die Diktatoren dieser Welt auf die Idee kommen, Kernenergie zu nutzen. Das Ergebnis ist die Verbreitung kernwaffenfähigen Materials quer über den Erdball. Vielen Dank. ({22})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzter Redner hat das Wort der Kollege Marco Bülow von der SPD-Fraktion.

Marco Bülow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003512, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Die Äußerungen von Herrn Pinkwart sind wir gewöhnt. Wir haben ähnliche Äußerungen von anderen Politikerinnen und Politikern in diesem Lande gehört, die immer den Zweck erfüllen sollen, ein wenig in dem Sinne nachzubohren: Was ist in dieser Debatte möglich im Hinblick auf neue Atomkraftwerke und eine Laufzeitenverlängerung? Der Sprecher von Herrn Pinkwart, Herr Zimmermann - das wird sicherlich nicht wieder geleugnet -, hat auch noch einmal nachgelegt und gesagt, man müsse auf jeden Fall alles dafür tun, die Atomtechnologie auszubauen, dranzubleiben und auch Geld zu investieren. Damit wären wir bei den Kosten. Dazu ist schon einiges gesagt worden. 5 Milliarden Euro sind beim Schnellen Brüter in den Sand gesetzt worden, 5 Milliarden Euro, die der Steuerzahler aufbringen muss. Das ist immer im Hinterkopf zu behalten, wenn wir über die Kosten der Atomkraft, die ja so billig ist, reden. Die Stromrechnung ist niedrig, aber diese Kosten tauchen auf der Stromrechnung auch nicht auf: Hamm-Uentrop kostete 2 Milliarden Euro und kostet im laufenden Jahr immer noch 6,5 Millionen Euro. Diese Kosten muss man mit einbeziehen. Damit sind wir bei dem, was heute als neue Technologie bezeichnet worden ist. Etwas eine neue Technologie für die Zukunft zu nennen, was vor 20 Jahren schon gescheitert ist, ist absurd. Da hat wohl jemand verpennt, dass das vor 20 Jahren abgeschaltet wurde. ({0}) Ich möchte auch etwas zu den hohen Sicherheitsstandards in Deutschland sagen. Ich bin froh, dass wir hohe Sicherheitsstandards haben. Aber wir können uns eben nicht ganz sicher und zufrieden zurücklehnen. ({1}) Deswegen brauchen wir diese Forschung. Nur muss man sich entscheiden: Entweder sind sie total sicher, dann brauchen wir keine Forschung, oder sie sind nicht total sicher, dann brauchen wir die Forschung. ({2}) Nun möchte ich noch etwas zu Hamm-Uentrop sagen. Hamm-Uentrop ist nicht nur nach zwei Jahren einfach wieder abgeschaltet worden, sondern dort gab es einen Unfall - bei der doch so tollen deutschen Technologie -, bei dem radioaktives Material freigesetzt worden ist. Es gab auch zahlreiche andere Unfälle. Man kann auch heute nicht von Sicherheit sprechen. Das müssen wir einfach wissen. Dann fällt mir noch etwas anderes zu den Kosten ein: Herr Kelber hat schon darauf hingewiesen und ich als nordrhein-westfälischer Abgeordneter möchte gerne nachfragen. Es gibt beispielsweise erhebliche Einsparungen bei den Landesforschungsinstituten. Ich nehme einmal das Wuppertal Institut heraus, das wir alle für wichtig erachten, weil es Grundlagenforschung im Bereich Klimaschutz betreibt; ein Thema, über das wir noch lange reden. Ich frage mich, warum die Mittel hierfür gekürzt werden, jedoch Geld dafür da ist, weiterhin in Atomtechnologie, vor allen Dingen in überalterte Technologie, zu investieren. Ich glaube, das muss man den Menschen noch einmal deutlich erklären. ({3}) Nun noch etwas zu der immer von der FDP geschürten Angstdebatte bezüglich der Abwanderung deutscher Spitzentechnologie. Ich frage mich erstens, warum wir bei der Biotechnologie in Europa führend sind, und zweitens, warum die FDP, wenn sie sich schon so für Spitzentechnologie in Deutschland einsetzt, immer noch gegen das Erneuerbare-Energien-Gesetz zu Felde zieht und will, dass sich die erneuerbaren Energien nicht ausbreiten, sondern eingedämmt werden. ({4}) Wir wissen doch, dass man die erneuerbaren Energien in Deutschland durch ein Ausschreibungsmodell kaputt macht und die Kosten in die Höhe treibt. ({5}) Herr Gabriel hat deutlich gemacht, wie viele Arbeitsplätze und welche Potenziale im Bereich der erneuerbaren Energien vorhanden sind, die wir noch längst nicht ausgeschöpft haben. Es ist übrigens interessant, dass im Rahmen einer forsa-Umfrage, die Herr Hill schon erwähnt hat, gerade FDP-Wähler gesagt haben - das sollten Sie sich vielleicht einmal ansehen -, dass die erneuerbaren Energien das größte Potenzial aller Energiebereiche haben. ({6}) - Wenn Sie dafür wären, würden Sie dem EEG endlich zustimmen. Das wäre schön. Darauf warten wir immer noch. Ich möchte zum Schluss noch auf die Frage zu sprechen kommen: Welche Zukunft hat die Atomkraft? Ich möchte das aus einem Grund tun, der heute noch nicht angesprochen worden ist. Wir sagen immer, dass das Erdöl ausgeht, dass das Erdgas knapp wird und auch ausgeht. Die Wünsche nach der Entstehung neuer Atomkraftwerke in China und anderswo nehme ich mit Besorgnis zur Kenntnis. Wenn all diese Atomkraftwerke wirklich gebaut werden, haben wir ganz schnell auch kein Natururan mehr. Dann können wir ganz schnell alle Atomkraftwerke, die darauf bauen, abschalten. Das sollte man bei der Debatte vielleicht berücksichtigen. ({7}) Übrigens: Öl durch Atomkraft zu ersetzen, das müssen Sie mir einmal vormachen. Es hat schon einmal ein Ministerpräsident im Zusammenhang mit dem Anstieg der Spritpreise gemeint, es müsse nur die Atomkraft ausgebaut werden, um das in den Griff zu bekommen. Ich habe noch keine Tankstelle gesehen, die Atomstrom in die Autos „füllt“. Zum Schluss zur Nachhaltigkeit: Das Nachhaltigste an der Atomkraft ist, dass wir damit unseren Kindern und Kindeskindern, die niemals eine Chance hatten, darüber zu bestimmen, ob sie Atomkraftwerke haben wollen oder nicht, Müll hinterlassen, der Hunderttausende von Jahren strahlt. Deswegen gebe ich unserem Minister Gabriel voll und ganz Recht, wenn er sagt: Wir wollen nicht noch mehr Atommüll, den wir unseren Kindern und Kindeskindern hinterlassen müssen. Es ist gar keine Frage, dass wir mit dem, was wir haben, sorgfältig umgehen müssen. In diesem Sinne: Vielen Dank. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestags auf morgen, Donnerstag, den 29. Juni 2006, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.