Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sitzung ist eröffnet.
Wir setzen die Haushaltsberatungen - Tagesord-
nungspunkt I - fort:
a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2006
({0})
- Drucksachen 16/750, 16/1348 -
b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses ({1}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 2005 bis 2009
- Drucksachen 16/751, 16/1348, 16/1327 Berichterstattung:
Abgeordnete Otto Fricke
Steffen Kampeter
Carsten Schneider ({2})
Dr. Gesine Lötzsch
Wir beginnen mit den gestern vertagten Abstimmungen zum Einzelplan 06 und zum Zusatzpunkt 3. Wir
kommen zunächst zur Abstimmung über den Einzelplan 06
in der Ausschussfassung - Tagesordnungspunkt I.11 -:
Einzelplan 06
Bundesministerium des Innern
- Drucksachen 16/1306, 16/1324 Berichterstattung:
Abgeordnete Bettina Hagedorn
Dr. Michael Luther
Norbert Barthle
Jürgen Koppelin
Roland Claus
Hierzu liegen drei Änderungsanträge vor, über die wir
zuerst abstimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 16/1864? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den
Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU
und FDP gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 16/1865? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den
Stimmen von SPD, CDU/CSU und FDP gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die
Linke abgelehnt.
Wir kommen nun zum Änderungsantrag der Fraktion
des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/1881.
Die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen verlangt namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen
und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen.
Sind die Plätze an den Urnen besetzt? - Das ist der
Fall. Ich eröffne die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? - Ich gehe davon aus, dass
alle Mitglieder des Hauses ihre Stimme abgegeben haben.
Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung unterbreche ich die Sitzung.
({3})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich weise darauf hin, dass sich die FDP bei der Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 16/1864 der Stimme enthalten
hat. Sie hat also nicht dagegen gestimmt.
Redetext
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen zum Einzelplan 06 auf Drucksache 16/1881 bekannt: Abgegebene Stimmen 556.
Mit Ja haben gestimmt 91, mit Nein haben gestimmt
410, Enthaltungen 55. Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 555;
davon
ja: 91
nein: 409
enthalten: 55
Ja
CDU/CSU
Dr. Peter Jahr
DIE LINKE
Hüseyin-Kenan Aydin
Dr. Lothar Bisky
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Sevim Dagdelen
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Dr. Gregor Gysi
Lutz Heilmann
Cornelia Hirsch
Inge Höger-Neuling
Dr. Barbara Höll
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Monika Knoche
Jan Korte
Katrin Kunert
Oskar Lafontaine
Dr. Gesine Lötzsch
Ulrich Maurer
Dorothee Menzner
Kersten Naumann
Wolfgang Neskovic
Bodo Ramelow
Elke Reinke
Paul Schäfer ({0})
({1})
Dr. Herbert Schui
Dr. Petra Sitte
Frank Spieth
Dr. Axel Troost
BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Kerstin Andreae
Volker Beck ({2})
Cornelia Behm
Birgitt Bender
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Dr. Ursula Eid
Hans Josef Fell
Kai Gehring
Anja Hajduk
Winfried Hermann
Priska Hinz ({3})
Dr. Anton Hofreiter
Thilo Hoppe
Ute Koczy
Fritz Kuhn
Undine Kurth ({4})
Monika Lazar
Dr. Reinhard Loske
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({5})
Winfried Nachtwei
Brigitte Pothmer
Claudia Roth ({6})
Krista Sager
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Dr. Gerhard Schick
Rainder Steenblock
Silke Stokar von Neuforn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Jürgen Trittin
Wolfgang Wieland
Josef Philip Winkler
Margareta Wolf ({7})
fraktionslos
Gert Winkelmeier
Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Peter Albach
Peter Altmaier
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({8})
Otto Bernhardt
Clemens Binninger
Carl-Eduard von Bismarck
Renate Blank
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({9})
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Alexander Dobrindt
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Georg Fahrenschon
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({10})
Dirk Fischer ({11})
Axel E. Fischer ({12})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Dr. Hans-Peter Friedrich
({13})
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Michael Glos
Ralf Göbel
Dr. Reinhard Göhner
Josef Göppel
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Karl-Theodor Freiherr zu
Guttenberg
Olav Gutting
Holger Haibach
Ursula Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Robert Hochbaum
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung ({14})
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Siegfried Kauder ({15})
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Kristina Köhler ({16})
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Johann-Henrich
Krummacher
Dr. Hermann Kues
Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Eduard Lintner
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Stephan Mayer ({17})
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Laurenz Meyer ({18})
Maria Michalk
Hans Michelbach
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Carsten Müller
({19})
Stefan Müller ({20})
Bernward Müller ({21})
Hildegard Müller
Bernd Neumann ({22})
Henry Nitzsche
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Dr. Peter Paziorek
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Daniela Raab
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({23})
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({24})
Hermann-Josef Scharf
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({25})
Andreas Schmidt ({26})
Ingo Schmitt ({27})
Dr. Andreas Schockenhoff
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Kurt Segner
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Jens Spahn
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Thomas Strobl ({28})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß ({29})
Gerald Weiß ({30})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Anette Widmann-Mauz
Willy Wimmer ({31})
Elisabeth WinkelmeierBecker
Matthias Wissmann
Dagmar Wöhrl
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
SPD
Dr. Lale Akgün
Gregor Amann
Gerd Andres
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr ({32})
Doris Barnett
Klaus Barthel
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({33})
Volker Blumentritt
Kurt Bodewig
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({34})
Edelgard Bulmahn
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Martin Dörmann
Dr. Carl-Christian Dressel
Elvira Drobinski-Weiß
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Hans Eichel
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Renate Gradistanac
Angelika Graf ({35})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann
({36})
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({37})
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({38})
Frank Hofmann ({39})
Eike Hovermann
Lothar Ibrügger
Brunhilde Irber
Johannes Jung ({40})
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Dr. h.c. Susanne Kastner
Christian Kleiminger
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Anette Kramme
Ernst Kranz
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange ({41})
Dr. Karl Lauterbach
Helga Lopez
Gabriele Lösekrug-Möller
Dirk Manzewski
Lothar Mark
Katja Mast
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Petra Merkel ({42})
Ulrike Merten
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller ({43})
Michael Müller ({44})
Gesine Multhaupt
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Christoph Pries
Dr. Wilhelm Priesmeier
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Maik Reichel
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
Sönke Rix
Rene Röspel
Karin Roth ({45})
Michael Roth ({46})
Ortwin Runde
Marlene Rupprecht
({47})
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({48})
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Marianne Schieder
Otto Schily
Ulla Schmidt ({49})
Silvia Schmidt ({50})
Heinz Schmitt ({51})
Olaf Scholz
Ottmar Schreiner
Reinhard Schultz
({52})
Swen Schulz ({53})
Ewald Schurer
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Dr. Rainer Tabillion
Jella Teuchner
Dr. h.c. Wolfgang Thierse
Jörn Thießen
Franz Thönnes
Hans-Jürgen Uhl
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Petra Weis
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen
({54})
Dr. Rainer Wend
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Waltraud Wollf
({55})
Heidi Wright
Uta Zapf
Manfred Zöllmer
Enthalten
FDP
Jens Ackermann
Dr. Karl Addicks
Christian Ahrendt
Daniel Bahr ({56})
Uwe Barth
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Otto Fricke
Horst Friedrich ({57})
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther ({58})
Elke Hoff
Birgit Homburger
Dr. Heinrich L. Kolb
Hellmut Königshaus
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Heinz Lanfermann
Harald Leibrecht
Michael Link ({59})
Markus Löning
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Hans-Joachim Otto
({60})
Detlef Parr
Gisela Piltz
Jörg Rohde
Frank Schäffler
Dr. Konrad Schily
Marina Schuster
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Florian Toncar
Christoph Waitz
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({61})
Martin Zeil
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzelplan 06 - Bundesministerium des Innern - in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 06 ist mit den
Stimmen der CDU/CSU und der SPD bei Gegenstimmen
der Fraktion Die Linke, des Bündnisses 90/Die Grünen
und der FDP angenommen.
Zusatzpunkt 3:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Ernst
Burgbacher, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger,
Gisela Piltz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Konsequenzen ziehen aus dem Urteil des
Europäischen Gerichtshofs vom 30. Mai 2006
zur Weitergabe europäischer Fluggastdaten
an die Vereinigten Staaten von Amerika
- Drucksache 16/1876 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({62})
Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/1876 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt I.12 auf:
Einzelplan 11
Bundesministerium für Arbeit und Soziales
- Drucksachen 16/1311, 16/1324 Berichterstattung:
Abgeordnete Waltraud Lehn
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Gesine Lötzsch
Hierzu liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion
Die Linke vor. Über den Änderungsantrag auf Drucksache 16/1866 werden wir später namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Dr. Claudia Winterstein, FDP-Fraktion.
({63})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Im letzten Jahr warnte der Bundesrechnungshof
vor einer drohenden finanziellen Handlungsunfähigkeit des Bundes. Ich zitiere:
Erstmals in der Geschichte des Bundeshaushalts
entfällt mehr als die Hälfte des veranschlagten
Haushaltsvolumens auf den Sozialbereich.
Zinsausgaben und Sozialausgaben zusammengenommen
zehren 90 Prozent der Steuereinnahmen des Bundes auf.
Diese Kritik richtete sich noch an die Haushaltspolitik
von Rot-Grün. Der erste Haushalt von Schwarz-Rot
zeigt uns jetzt: Die notwendige Trendwende ist nicht geschafft. Der Anteil der Sozialausgaben ist sogar noch
gestiegen. 51,2 Prozent aller Ausgaben des Bundes fließen in diesem Jahr in den Sozialbereich. Der Haushalt
des Arbeits- und Sozialministers ist der größte Einzeletat. Deswegen müssen hier besondere Konsolidierungsanstrengungen unternommen werden. Die
Haushaltsberatungen haben aber gezeigt: Der Haushalt
des Arbeitsministers leistet keinen Beitrag zur Konsolidierung.
({0})
Die Ausgaben werden nicht gekürzt. Der Arbeitsminister hat bei der Haushaltskonsolidierung schlichtweg versagt.
({1})
Auf dem Gebiet der sozialen Sicherung bekommen
Sie die Probleme nicht in den Griff. Sie doktern an den
Symptomen herum, aber Sie haben kein Konzept. Die
Rentenbeiträge sollen im nächsten Jahr erhöht werden.
Trotzdem reicht das Geld nicht. In Ihrem Rentenbericht
arbeiten Sie mit geschönten Zahlen und täuschen den
Bürger darüber hinweg, welche wahren Notwendigkeiten hier anstehen.
Herr Minister, beim Arbeitslosengeld werden Sie
von den Kosten überrollt. Die Kosten für Hartz IV laufen in diesem Jahr zum zweiten Mal völlig aus dem Ruder.
({2})
Ich bitte, die Gespräche auf der Regierungsbank einzustellen.
({0})
Unter Rot-Grün explodierten im Jahr 2005 die Kosten
von 14,6 Milliarden Euro auf 25 Milliarden Euro. Unter
Schwarz-Rot werden in diesem Jahr etwa 27 Milliarden
Euro gebraucht. Das ist die Fortsetzung rot-grüner Misswirtschaft.
({0})
Der Arbeitsminister hat nun versucht, uns vorzurechnen,
dass der Haushaltsansatz für Hartz IV reicht. Er hat uns
erklärt, die Ausgaben für Hartz IV lägen stabil bei
2,25 Milliarden Euro im Monat. Das macht nach Adam
Riese 27 Milliarden Euro im Jahr. Eingeplant sind aber
nur 24,4 Milliarden Euro. Wollen wir jetzt darüber streiten, Herr Minister, ob das eine Milliardenlücke ist oder
nicht? Darüber kann man wohl kaum streiten, wenn Sie
einigermaßen rechnen können.
({1})
Von dem Plan, im Jahr 2006 insgesamt 3 Milliarden
Euro durch Optimierungen bei Hartz IV einzusparen, ist
die Regierungskoalition Stück für Stück abgerückt. Übrig geblieben ist ein Sparvolumen von weniger als
500 Millionen Euro; alles andere wurde vertagt.
Dieses Thema hat auch innerhalb der Koalition schon
zu heftigem Streit geführt. Aber jetzt demonstrieren Sie
Scheinfrieden und haben die Reformdebatte erst einmal
vertagt. Das bedeutet aber: Zusätzlich zu den offenen
Reformfeldern wie Gesundheit, Unternehmensteuer und
Föderalismus gibt es mit der Frage der Hartz-IV-Reform
ein weiteres Feld, bei dem keiner mehr weiß, wohin sich
die Kontrahenten überhaupt bewegen und wie sie sich
jemals einigen wollen.
Noch schlimmer aber ist, dass Sie auf dem Arbeitsmarkt nicht die richtigen Weichen stellen. Denn das
grundlegende Problem ist nicht Hartz IV. Das grundlegende Problem ist, dass zu viele Menschen keine Arbeit
haben.
({2})
4,5 Millionen Menschen sind arbeitslos. Die gegenwärtige minimale Besserung darf kein Anlass zur Zufriedenheit sein. Denn was die Arbeitsplätze betrifft, so ist
immer noch ein Rückgang und kein Zuwachs zu verzeichnen. Wirklich helfen kann uns nur die Schaffung
besserer Perspektiven für Unternehmen, die dazu führen,
dass sie bereit sind, neue Arbeitskräfte einzustellen. Hier
muss der Arbeitsminister seinen Schwerpunkt setzen.
({3})
Aber was erleben wir? Die „FAZ“ vom 24. Mai dieses
Jahres bringt es auf den Punkt:
Münteferings Bemühungen zur Bekämpfung der
Arbeitslosigkeit sind im besten Fall teuer und nutzlos …
({4})
Die Vorschläge der FDP liegen auf dem Tisch: Senkung der Steuern und der Lohnnebenkosten, damit die
Menschen netto mehr in der Tasche haben, Lockerungen
beim Kündigungsschutz, damit Einstellungshemmnisse
wegfallen, flexiblere Tarifgestaltung, damit Betriebe und
Belegschaften auch schwierige Situationen besser meistern können, Freigabe der Höhe der Ausbildungsvergütungen, damit mehr Lehrstellen angeboten werden, und
Verzicht auf die Mehrwertsteuererhöhung, damit die
Wirtschaft 2007 nicht abgewürgt wird. Aber das wollten
Sie ja nicht.
Wie sehr die Koalition in die falsche Richtung denkt,
hat auch die Diskussion über die Überschüsse der Bundesagentur für Arbeit gezeigt. Hier wurden die verschiedensten Ideen entwickelt, wie der Bund aus diesem
Topf etwas für sich abzweigen könnte. Die verfassungsrechtlichen Probleme sind dabei völlig außer Acht gelassen worden.
Ich will für die FDP ganz deutlich sagen: Überschüsse, die bei der Bundesagentur entstehen, müssen
genutzt werden, um die Beiträge und damit die Lohnnebenkosten zu senken.
({5})
Das Beitragsaufkommen aus den Taschen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer darf nicht zum Selbstbedienungsladen der Bundesregierung werden.
Dass der Haushalt des Arbeitsministers keinen Beitrag zur Konsolidierung leistet, will ich an einem weiteren Beispiel deutlich machen: Sie sperren bei den Eingliederungsmaßnahmen 1,1 Milliarden Euro, weil dort
mehr Geld veranschlagt worden ist, als sinnvollerweise
ausgegeben werden kann. Sie sparen dieses Geld aber
nicht ein. Im Gegenteil, Sie wollen es gleich mehrfach
ausgeben: Erstens soll dieser Puffer die Mehrkosten
beim Arbeitslosengeld II decken; allein dafür ist diese
Summe aber viel zu gering. Zweitens möchte die Union
aus diesem Topf auch noch Mittel für den geplanten
Kombilohn abzweigen. Aber zweimal können auch Sie,
meine Damen und Herren, dieses Geld nicht ausgeben.
({6})
Für die Eingliederungsmaßnahmen sind knapp
6,5 Milliarden Euro vorgesehen. Im vergangenen Jahr
lagen diese Ausgaben bei 3,5 Milliarden Euro. Im ersten
Drittel dieses Jahres sind 1,14 Milliarden Euro abgeflossen. Nichts spricht also dafür, dass es in diesem Jahr
mehr als 3,5 Milliarden Euro werden.
({7})
Deswegen hat die FDP beantragt, diesen Titel auf
3,5 Milliarden Euro zu kürzen und mit den eingesparten
3 Milliarden Euro einen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung zu leisten. Unser Antrag hätte also zur Folge,
dass die Eingliederungsmaßnahmen in gleicher Höhe
wie im Vorjahr fortgeführt würden. Alles, was gestern zu
diesem Punkt gesagt worden ist, ist schlichtweg falsch.
({8})
Mit unserem „Liberalen Sparbuch“ haben wir Ihnen
mit fast 500 Anträgen Sparvorschläge in einer Größenordnung von 8,3 Milliarden Euro geliefert. Sie haben sie
abgelehnt. Sie denken nicht ans Sparen. Hätten Sie unsere Vorschläge aufgegriffen, hätten Sie die Maastrichtkriterien einhalten können. Dass Sie das nicht geschafft
haben, stört Sie aber nicht. Der Stabilitätspakt wird 2006
wieder verletzt. Der Haushalt 2006 ist wieder verfassungswidrig. Sämtliche Anstandsgrenzen der Haushaltspolitik sind also verletzt. Die Regierung verfährt nach
dem Motto: Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert.
({9})
Als Fazit bleibt nur: Dieser erste schwarz-rote Haushalt ist kein Stück Verbesserung - im Gegenteil, er läuft
weiter in die falsche Richtung.
({10})
Das Wort hat die Kollegin Waltraud Lehn, SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zunächst einmal möchte ich mich bei den Mitberichterstattern für die sehr faire und konstruktive Beratung, die
wir über viele Wochen miteinander hatten, recht herzlich
bedanken. Trotz oft unterschiedlicher Auffassungen
- auch in der Opposition gab es unterschiedliche Auffassungen; das sind bei diesem Einzeplan wirklich drei unterschiedliche Oppositionslinien - war die Zusammenarbeit insgesamt sehr gut und wir konnten eine sehr
offene Auseinandersetzung führen.
Bedanken möchte ich mich auch beim Minister, der
uns über einen langen Zeitraum zur Verfügung gestanden und die vielfältigen Anfragen sehr offen beantwortet
hat, manchmal mehrere Dutzend pro Woche. Das Ministerium war ausgesprochen fleißig und hat gut zugearbeitet, sodass wir die Beratungen selber in der gebührenden
Form abschließen konnten. Den Mitarbeitern in seinem
Haus, besonders der Haushaltsabteilung, aber auch dem
Finanzministerium und dem Bundesrechnungshof herzlichen Dank!
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir beraten heute
über fast 45 Prozent des gesamten Haushalts. Von insgesamt 262 Milliarden Euro geben wir 119,5 Milliarden
Euro, also 45 Prozent, nur für den Sozialbereich
- Einzelplan 11 - aus. Nimmt man die rund 10 Milliarden Euro hinzu, die wir an anderer Stelle an Sozialausgaben leisten, dann bedeutet das, dass wir von 100 Euro
Steuern, die wir von den Menschen in diesem Land erhalten, 72 Euro an sie zurückgeben - allein für Sozialleistungen!
({1})
Wenn man sich das vor Augen führt, merkt man sehr
schnell, dass für die übrigen Bereiche zu wenig Geld übrig bleibt. Das ist sicherlich nicht gut.
({2})
Aber wir arbeiten an einer positiven Entwicklung, weniger spektakulär als vermutet, aber sehr geradlinig und
sehr konsequent. Für den Sozialhaushalt bedeutet das:
Erstens. Wir brauchen eine Balance zwischen dem,
was der Staat für diejenigen leisten muss, die wirklich
darauf angewiesen sind, und dem, was er insgesamt ausgeben kann. Also müssen entweder die Einnahmen steigen oder die Ausgaben sinken - am besten beides, sage
ich.
Zweitens. Die zukünftigen Generationen, unsere Kinder und Enkel, brauchen eigene Handlungsmöglichkeiten. Deshalb müssen die Schulden abgebaut werden, sie
dürfen nicht erhöht werden. Wir brauchen mehr Geld für
Bildung und Forschung; das sind Investitionen in unsere Kinder und damit in unsere Zukunft.
Drittens. Die Sicherung des Sozialstaates ist die beste
Garantie für den sozialen Frieden und für Wachstum
und Beschäftigung. Deshalb sind alle den Prinzipien
des Sozialstaates verpflichtet, auch diejenigen, die sich
hier gelegentlich als nicht - oder ich sage besser: nicht
mehr - zuständig empfinden.
Diese drei Grundgedanken müssen wir berücksichtigen, wenn wir über die Ausgaben für den Sozialstaat reden. Das müssen auch diejenigen wissen, die die Hilfe
des Staates beanspruchen. Sie müssen sich fragen lassen,
ob sie wirklich alles getan haben, um sich selbst zu helfen, und ob sie wirklich alles einbringen, was ihnen
möglich ist. Es geht nicht, zunächst einmal zu schauen,
was beim Staat zu holen ist, und sich erst dann darum zu
kümmern, was man selbst tun muss.
({3})
Aber, meine Damen und Herren, eine solche Haltung
hat sich in den letzten Jahrzehnten auch deshalb, vielleicht vor allem deshalb entwickelt, weil sowohl einige
Prominente - da sind manche ehemalige Fußballspieler
nicht ausgenommen ({4})
als auch manche Unternehmen in diesem Land alles,
aber auch wirklich alles dafür tun, um sich von Steuerzahlungen zu befreien.
({5})
Das exzessive Suchen und Ausnutzen von Steuerschlupflöchern ist zu einer Selbstverständlichkeit, ja
schon fast zu einem Sport geworden. Das hat nicht zuletzt dazu geführt, dass auch die Menschen mit kleinem
Einkommen nach Mitnahmemöglichkeiten suchen.
Bei den Haushaltsberatungen ist die Finanzierung des
Bereichs Arbeit zugegebenermaßen der Bereich, der uns
zurzeit Sorgen bereitet. Wie schon im vergangenen Jahr
liegen die Ausgaben beim Arbeitslosengeld II in diesem Jahr voraussichtlich über dem ursprünglich angenommenen Wert. Grund dafür ist nach wie vor die hohe
Zahl an Bedarfsgemeinschaften sowie die steigende Zahl
derjenigen Hilfebezieher, die ergänzend zum Arbeitslosengeld I oder ergänzend zu dem, was sie an Arbeitslohn
erhalten, Arbeitslosengeld II erhalten müssen.
Um den wahrscheinlichen Mehrbedarf hier ohne zusätzliche Neuverschuldung auszugleichen, haben wir bei
den veranschlagten Ausgaben für die Eingliederung von
Empfängern des Arbeitslosengelds II eine Sperre in
Höhe von 1,1 Milliarden Euro vereinbart. Das ist uns
nicht leicht gefallen; denn im Gegensatz zu dem, was Sie
gesagt haben, Frau Winterstein, sind bereits heute, wie
die Arbeitsagentur nicht nur mir sondern auch Ihnen
schriftlich mitgeteilt hat, mehr als zwei Drittel dieser
Mittel insgesamt gebunden.
Im Gegensatz zum letzten Jahr ist es so, dass man bereits Anfang dieses Jahres mit guten, vernünftigen Maßnahmen, die den Menschen helfen sollen, wieder einen
Arbeitsplatz zu finden, arbeiten konnte und das auch getan hat. Von daher setzen wir darauf, dass diese Mittel,
die ursprünglich für dieses Jahr veranschlagt waren, im
nächsten Jahr dann auch tatsächlich verausgabt werden.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Dehm?
Aber sicherlich.
({0})
Frau Kollegin, weil ich vorgestern vom Bundesfinanzminister darauf keine Antwort erhalten habe, versuche ich es bei Ihnen - ermutigt auch von Ihrer klaren,
fast zu Ende geführten Andeutung. Könnte es sein, dass
Sie mit den Fußballern auch den Kaiser Franz Beckenbauer meinen? Denn in der Presse steht, dass er in Kitzbühel seinen Steuerwohnsitz hat.
Der Finanzminister hat nicht geantwortet. So geht es
jedenfalls durch die Presse: Ich hatte einmal ausnahmsweise nicht nur nach der Steuermeidung durch Deutsche Bank, BMW und Daimler-Chrysler gefragt, sondern eben auch nach Franz Beckenbauer. Wie kommt es
bei den Menschen an - um deren Steuersolidität haben
Sie ja hier geworben -, wenn sich die Frau Bundeskanzlerin in der Öffentlichkeit Tag für Tag, Stunde für Stunde
neben Franz Beckenbauer präsentiert?
({0})
- Wir zahlen ordentlich unsere Steuern. Das erwarten
wir auch von dem, der als oberster Repräsentant der
deutschen Sportkultur fungieren möchte.
({1})
Ich will gerne auf die Frage eingehen.
({0})
Ich glaube, dass es falsch ist, wenn man hier nach
Einzelpersonen schaut, weil es ein kollektives Problem
ist. Es ist ein Problem von Menschen, die es ohne jedes
Unrechtsbewusstsein für selbstverständlich erachten, zu
schauen, wie sie möglichst viel von ihrem Geld an der
Finanzierung der gesellschaftlichen Aufgaben vorbei irgendwohin transferieren können, wohin immer das auch
sein mag. Die Frage, ob das Herr Beckenbauer macht,
kann ich Ihnen überhaupt nicht beantworten. Ich kann
Ihnen aber eines sagen: Wir wissen, dass sich prominente Einzelpersonen so verhalten.
Ich glaube, es war Herr Müller von der Firma, die die
Müller-Milch herstellt, der gesagt hat: Ich gehe in die
Schweiz, damit meine Erben von meinem großen Vermögen möglichst viel behalten. Solche Aussagen gibt es
also. Sie werden in den Medien nicht angegriffen und ihnen wird meiner Meinung nach nicht mit der gebotenen
Skepsis begegnet. Ich denke, dass diejenigen, die in diesem Land davon profitieren, dass wir einen hohen Standard haben und dass hier nach wie vor viele gut ausgebildete Menschen arbeiten, insgesamt und jeden Tag
eine Verpflichtung gegenüber diesen Menschen und diesem Land haben; denn es kann nicht sein, nur zu jubeln,
wenn ein Tor für Deutschland geschossen wird.
({1})
Frau Kollegin, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage
des Kollegen Dehm?
Nein, ich denke, das sollten wir nicht tun, weil es
dann ein Dialog wird. Am Rande des Plenums stehe ich
aber gerne zu jedem Gespräch zur Verfügung.
({0})
- Ja, genau.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben die Instrumente für den Arbeitsmarkt mit dem Ziel korrigiert,
weniger Arbeitslose, längere Erwerbszeiten, einen weniger großzügigen Gestaltungsspielraum und eine Einschränkung der Möglichkeiten zum Missbrauch zu erreichen. Ich sage aber noch einmal: Es sind weniger die
Missbräuche als die Gestaltungsmöglichkeiten, die uns
Probleme machen. Um unser Ziel zu erreichen, brauchen
wir Unternehmen, die ihrer Verantwortung endlich nachkommen und nicht wie bisher trotz hoher Renditen Entlassungen vornehmen und Ausbildungsplätze streichen.
({1})
Durch die Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zum 1. Januar 2007 haben wir einen wichtigen Impuls für die Schaffung neuer Arbeitsplätze geschaffen. In den Wirtschaftsgutachten aller Institute
- das hat man ja selten - wird bestätigt, dass die Rahmenbedingungen für eine kräftige Entspannung auf dem
Arbeitsmarkt seit Jahren nicht so gut gewesen sind wie
derzeit. Jetzt kommt es aber darauf an, dass die Wirtschaft ihre gesamtgesellschaftliche Verantwortung wahrnimmt.
Die Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung führt zu einer realen Entlastung der Arbeitgeber
und der Beschäftigten um jeweils 2,8 Milliarden Euro.
Die Bundesagentur für Arbeit kann die Absenkung des
Beitrags mit dem von ihr in diesem Jahr zu erwartenden
Überschuss locker finanzieren, weil sie zusätzlich Geld
aus der Mehrwertsteuererhöhung erhält. Dies wird bei
manchen Diskussionsbeiträgen überhaupt nicht beachtet:
1 Prozentpunkt der Mehrwertsteuererhöhung dient der
Absenkung des Beitrages zur Arbeitslosenversicherung.
({2})
Am Beispiel des Arbeitsmarkts wird deutlich, dass
der Staat auch in Zukunft seinen Beitrag leistet, um
Menschen zu unterstützen, wenn sie Hilfe brauchen. Er
ist auch ein Beispiel dafür, dass wir bei knapper werdenden Haushaltsmitteln und bei großen Haushaltsdefiziten
vor den sicherlich unangenehmen Fragen stehen, was
der Staat sinnvollerweise überhaupt leisten kann, welche
Hilfe politisch gewollt ist und wie sie ausgestaltet sein
muss. Nur so werden wir den Sozialstaat sicher halten
können.
({3})
Wir stehen aber auch vor den Fragen, welche Verantwortung der Einzelne hat und welche Verantwortung gerade auch die Wirtschaft und Unternehmen in diesem
Zusammenhang haben. Ich halte es für einen ganz besonderen Skandal, dass es Unternehmen gibt, die keine
Ausbildungsplätze anbieten.
({4})
Sie handeln damit nicht nur grob fahrlässig gegenüber
den jungen Menschen, die einen Ausbildungsplatz suchen, sondern sie schaffen mit dieser Verweigerungshaltung Arbeitslose und somit die finanziellen Belastungen
dieses Landes von morgen.
({5})
Wir alle sind gefordert: die Politik, die Unternehmen,
die Gewerkschaften, aber auch jede und jeder Einzelne.
Die Leistungsfähigkeit unseres Staates ist begrenzt. Wir
müssen die hohe Staatsverschuldung von 1,4 Billionen
Euro abbauen. Die Bewegungsfreiheit kommender Generationen darf nicht von einem engen Schuldenkorsett
bestimmt werden und wir müssen in die Zukunft investieren.
Wir müssen aber auch Verlässlichkeit schaffen, zum
Beispiel für die alten Menschen, die Rentner und Rentnerinnen und die Kranken, das heißt für diejenigen, die
Hilfe brauchen. Die Verlässlichkeit muss aber für beide
Seiten gelten. Die Menschen müssen wissen, dass sie
Unterstützung erhalten, wenn sie sie brauchen. Gleichzeitig braucht der Staat die Gewissheit, dass seine Hilfe
nur dann in Anspruch genommen wird, wenn Selbsthilfe
nicht möglich ist.
({6})
Wir brauchen Unternehmen, die ihr Heil nicht nur in Gewinnmaximierung suchen, sondern die sich ihrer gesellWaltraud Lehn
schaftlichen Verantwortung bewusst sind und ihr gerecht
werden.
Herzlichen Dank.
({7})
Das Wort hat die Kollegin Katja Kipping, Fraktion
Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau
Lehn, Sie haben viele Punkte angesprochen, bei denen
wir von der Linken klatschen konnten. Aber man muss
sich in einer Haushaltsdebatte auch mit den Gesetzen
auseinander setzen, die Sie in den letzten Wochen mit
durchgedrückt haben. Diese sprechen leider eine andere
Sprache.
({0})
Sie sprechen folgende Sprache: In dem Wahn, den
schwarzen Peter für die Massenarbeitslosigkeit den Erwerbslosen in die Schuhe zu schieben, hat die große Koalition bisher leider vor nichts zurückgeschreckt, auch
nicht vor der Verfassung. Verfassungsmäßig geschützte
Rechte und Prinzipien wurden leichtfertig geopfert.
({1})
Dies spiegelt sich auch im vorliegenden Haushalt wider.
Darin sind bereits Kürzungen eingeplant, die durch die
Verschärfung der Hartz-IV-Regelungen erreicht werden
sollen. Das möchte ich an drei Beispielen erläutern.
Erstens. Die Umkehr der Beweislast bei den
Bedarfsgemeinschaften ist ein Angriff auf den Rechtsstaat.
({2})
„Im Zweifel für den Angeklagten“ ist ein rechtsstaatliches Prinzip, das hierzulande selbst für Mörder gilt.
Aber für Erwerbslose, die in einer Wohngemeinschaft leben, soll dies künftig außer Kraft gesetzt werden.
({3})
Der Bundessozialrichter Ulrich Werner hat diese Beweislastumkehr zu Recht als völlig verkehrt bezeichnet.
Ich zitiere seine Begründung:
Weil zwei Personen im Rechtssinne nicht beweisen
können, dass sie einander nicht in einer eheähnlichen Gemeinschaft verbunden sind, kann ihnen
auch keine entsprechende Beweislastumkehr auferlegt werden.
Wir fordern die Koalition deswegen auf: Nehmen Sie die
Beweislastumkehr zurück!
({4})
Zweitens. CDU und SPD untergraben das Grundrecht auf freie Berufswahl. In Art. 12 Abs. 1 des
Grundgesetzes heißt es:
Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen.
Aber beim Fortentwicklungsgesetz haben Sie beschlossen, dass Erwerbslose jedes Angebot annehmen müssen.
Dies ist ein Angriff auf die verfassungsrechtlich geschützte freie Wahl des Arbeitsplatzes, die durch eine
Diffamierungskampagne und künstliche Missbrauchsdebatte flankiert wird.
({5})
Wenn Sie sich so über unsere Kritik aufregen, dann
möchte ich Sie daran erinnern, dass wir mit dieser Kritik
nicht alleine stehen. Namhafte Bürgerrechtsvereinigungen wie der Republikanische Anwälteverein, das Komitee für Grundrechte und Demokratie, die Humanistische
Union und viele andere kritisieren diese Entwicklung
aufs Schärfste.
({6})
In dem von ihnen verfassten Grundrechte-Report finden
sie ziemlich klare Worte zu den aktuellen Entwicklungen. Darin heißt es:
Hartz IV schafft Arbeitszwang statt Berufsfreiheit
und pauschaliert die Menschenwürde.
({7})
Bei der Vorstellung des aktuellen Grundrechte-Reports in Karlsruhe fand die frühere Präsidentin des Bundesverfassungsgerichtes, Jutta Limbach, klare Worte für
die ständig am Kochen gehaltene Missbrauchsdebatte.
Solch eine Geisteshaltung
- so Limbach zu der Missbrauchsunterstellung mache unempfindlich für die Grund- und Menschenrechte der sozial und ökonomisch Schwachen.
({8})
Das ist das Urteil einer ehemaligen Präsidentin des Bundesverfassungsgerichtes zu Ihrer Politik!
Drittens. CDU, CSU und SPD rütteln am Sozialstaatsprinzip. Bei nicht willfährigem Verhalten können
sowohl das Arbeitslosengeld II als auch die Kosten der
Unterkunft um bis zu 100 Prozent gekürzt werden und
selbst die Sachleistungen wie Lebensmittelkarten sind
nur eine Kannregelung und nicht definitiv garantiert.
Wenn also Menschen im Zweifelsfall zum Hungern
und Frieren freigegeben werden,
({9})
dann ist das Sozialstaatsprinzip nun wahrlich gefährdet.
({10})
- Nein, es handelt sich eben nicht um Arbeitsplätze. Es
wird gefordert, dass sie jedes, aber auch jedes Angebot
annehmen müssen, jeden 1-Euro-Job und jede andere
Zwangsmaßnahme, die Sie sich einfallen lassen. Ansonsten können die Leistungen um 100 Prozent gekürzt
werden. Sie sollten einmal Ihre eigenen Änderungsanträge lesen.
({11})
Meine Damen und Herren von CDU/CSU und SPD,
die Gewährung eines Existenzminimums für jeden
Menschen ist keine Entscheidung, die unserer Laune obliegt, und auch nicht ein Akt besonderer Großzügigkeit
oder Mildtätigkeit. Bei der Gewährung eines Existenzminimums für jeden hier lebenden Menschen handelt es
sich schlicht und ergreifend um ein Verfassungsgebot ein Verfassungsgebot, das wir ernst nehmen müssen und
zu verteidigen haben.
({12})
Denn das Sozialstaatsprinzip genießt innerhalb unserer
Verfassung einen besonderen Rang, schließlich ist es
durch die Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Grundgesetz garantiert.
Während Millionen Menschen in diesem Land nun
mehr Armut und mehr Repressionen bange entgegensehen, planen CDU und CSU weiteren Sozialraub. Offensichtlich sind inzwischen alle moralischen Dämme gebrochen. Zumindest wird dieser Eindruck erweckt, wenn
man an die aktuellen Forderungen des arbeitsmarktpolitischen Sprechers Stefan Müller von der CDU/CSU
denkt. Er schlug vor, alle Langzeitarbeitslosen zu einem
Gemeinschaftsdienst zu verpflichten. Mit diesem Vorstoß beweisen Sie eines ganz klar, nämlich dass Ihnen
die Verfassung egal ist. Denn in Art. 12 Abs. 3 heißt es
eindeutig:
Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich verordneten Freiheitsentziehung zulässig.
Als dieser menschenverachtende Vorstoß in der Zeitung erschien, rief bei mir ganz aufgeregt eine Arbeitslosengeld-II-Bezieherin an und fragte mich, wann dieser
Arbeitsdienst eingerichtet werde. Ich muss sagen, es ist
verwunderlich, dass aus den Reihen von CDU/CSU zu
diesem menschenverachtenden Vorstoß nur ein Satz zu
hören war: Dies sei nicht abgestimmt. Als ob dieser Vorstoß besser werden würde, wenn er abgestimmt worden
wäre. Deshalb fordern wir ganz klar: Distanzieren Sie
sich von dieser Zwangsmaßnahme!
({13})
Vor kurzem forderte der SPD-Vorsitzende Beck von
Armen und Erwerbslosen mehr Anstand ein. Man müsse
ja nicht alles herausholen, was einem zustehe. So Beck
in Richtung der Erwerbslosen.
Ja, mit vollem Bauch und gut gefülltem Konto lässt
sich leicht Verzicht von denjenigen einfordern, denen es
nicht so gut geht. Da drängt sich natürlich die Gegenfrage auf: Herr Beck, auf welche Steuervergünstigungen
verzichten Sie denn in Zukunft freiwillig und selbstlos?
({14})
Nachdem Herr Beck 14 Kilogramm abgenommen
hatte, erklärte er gegenüber den Medien: Ich kann den
Gürtel nicht mehr enger schnallen, er ist im letzten Loch.
({15})
Eine weise Erkenntnis. Diese Sensibilität für die Begrenztheit des Gürtel-enger-Schnallens sollte aber nicht
beim eigenen Gürtel Halt machen. Deswegen sollten
Herr Kurt und seine Sozialdemokraten aufhören, die
Ärmsten in dieser Gesellschaft dazu zu verdonnern, den
Gürtel immer enger zu schnallen.
({16})
Statt weiterer Kürzungen beim Arbeitslosengeld II bedarf es einer Überwindung des Arbeitslosengeldes II hin
zu einer repressionsfreien sozialen Grundsicherung. Die
Erhöhung des Regelsatzes auf 420 Euro ist das Mindeste, was einem Menschen zustehen sollte.
Wir werden dies mit einem Änderungsantrag einbringen und bitten um Zustimmung.
Danke.
({17})
Das Wort hat der Kollege Hans-Joachim Fuchtel,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
möchte mich nicht lange bei dem aufhalten, was gerade
von der PDS gesagt worden ist. Nur so viel: Das ist wohl
die falsche Gruppe, die zu dem Thema Stellung nimmt.
({0})
Wenn bereits 51 Prozent der Ausgaben für Soziales
eingesetzt werden, dann muss man sich doch fragen, ob
damit nicht ein ganz gewaltiges Zeichen für diesen Sozialstaat gesetzt worden ist.
({1})
Vielleicht sagen Sie einmal Ihren Leuten, dass wir daran arbeiten müssen, dass jeder, der eine Arbeit angeboten bekommt, diese auch annimmt; denn es sind auch
Ihre Wähler als Arbeitnehmer, die an der Aufbringung
der Mittel mittragen und die dafür mit zahlen müssen,
dass andere eine Leistung bekommen können. Vielleicht
sagen Sie das Ihren Leuten einmal, wenn Sie hier schon
so großspurig auftreten.
({2})
Ich möchte auf die positiven Aspekte des Haushalts
zu sprechen kommen; sie sind gewaltig. Der gewaltigste
ist, dass wir zum ersten Mal nach 21 Jahren keinen Bundeszuschuss für die Bundesagentur für Arbeit benötigen. Das ist eine Weichenstellung besonderer Art, und
dies bereits nach sieben Monaten große Koalition, Frau
Kollegin Winterstein.
({3})
Genauso wichtig sind die Weichenstellungen zugunsten von Beitragssenkungen im nächsten Jahr. Die Weichen wurden dabei so gestellt, dass die Bundesagentur
für Arbeit die Vorgabe von 1 Prozent tatsächlich bewältigen kann. Damit entfällt ein Risiko für den Bundeshaushalt, wenn die Beitragssenkungen wirksam werden. Das
ist ein ganz wichtiger Punkt.
Nebenbei gesagt: Im Hinblick auf die prognostizierte
Entwicklung der Rentenversicherung müssen wir uns
ebenfalls keine Sorgen um den Bundeshaushalt machen.
Das ist auch ein wichtiger Punkt, wenn es darum geht,
die Zukunft zu gestalten.
({4})
Hier sind ordnungspolitische Fragen angesprochen
worden. Die Arbeitslosenversicherung ist in allererster
Linie eine Risikoversicherung. Deswegen muss alles andere, was nicht der Risikoabsicherung dient, vom Steuerzahler finanziert werden. Dementsprechend müssen
wir unsere Politik gestalten. Das tun wir mit dem vorliegenden Haushalt auch.
({5})
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Entlastung der
Beitragszahler. Leistung muss sich wieder lohnen. Wir
sorgen dafür, indem wir die Beiträge senken. Es wird uns
mit dem vorliegenden Haushalt gelingen, im nächsten
Jahr die Quote der Sozialabgaben auf unter 40 Prozent
zu senken. Man hat sich dieses Ziel schon sehr lange gesetzt, aber nie erreicht. Aber dieses Mal wird es gelingen, und dies bereits nach sieben Monaten große Koalition, Frau Winterstein.
({6})
Ich bin der Auffassung, dass trotz aller Probleme
wichtige und positive Signale von dem vorliegenden
Haushalt ausgehen werden, und zwar auch für den ersten
Arbeitsmarkt; darauf kommt es an. Die Einschätzung ist
sicherlich richtig, dass durch die Umgestaltung der IchAG zu effektiveren, transparenteren und preisgünstigeren Lösungen ein weiterer Beitrag zur Entlastung des
Haushalts der Bundesagentur für Arbeit geleistet wird
und dass damit eine Sicherung gegeben ist, die dafür
sorgt, dass wir keine Überraschungen erleben müssen,
und zwar weder in diesem noch im nächsten Jahr. So
muss es weitergehen.
In diesem Zusammenhang ist für meine Fraktion folgender Punkt sehr wichtig: Sollte die Bundesagentur für
Arbeit Überschüsse erwirtschaften, dann sind sie in allererster Linie für weitere Beitragssenkungen zu verwenden; denn nur auf diese Weise werden wir das Ziel erreichen, die Beitragslast auf das Niveau von vor 1989 zu
reduzieren.
({7})
Wir sind auf einem guten Weg; er muss fortgesetzt werden. Mit einem Beitragssatz in der Arbeitslosenversicherung von 4,5 Prozent sind wir von unserem Ziel nur noch
1 Prozentpunkt entfernt. Es muss uns gelingen, den Beitragssatz um einen weiteren Prozentpunkt zu senken; daran müssen wir arbeiten.
Ich möchte deutlich machen: Die Finanzierung der
Leistungen im Zusammenhang mit dem Arbeitslosengeld II wird durch Steuermittel sichergestellt. Hier ist
der Bundeshaushalt gefordert. Es darf nicht erneut eine
Verschiebung zulasten der Beitragszahler vorgenommen
werden. Darauf muss konsequent geachtet werden. Wir
von der Union sind dankbar, dass unser Koalitionspartner unseren Wünschen Rechnung getragen hat und dass
wir ein entsprechendes Paket vorlegen konnten.
Erinnern wir uns an die Situation, als Herr Clement
hier stand - damals waren die Verhältnisse noch etwas
anders, wie wir wissen -; man ging davon aus, dass
14 Milliarden Euro gebraucht würden. Wir haben das
damals nicht so ganz geglaubt; darin sind wir uns mit anderen einig gewesen. Es hat auch nicht so funktioniert,
wie es vorgesehen war. Ich sage an die Adresse der Grünen: Wenn man da besser aufgepasst hätte, wäre die Situation jetzt einfacher. Die Ausgabensteigerung ist mit
brutto nahezu 2 Prozentpunkten Mehrwertsteuer groß!
Denken Sie einmal daran, welch komfortable Situation
wir hätten, wenn die Prognosen von Clement eingetreten
wären! Das wäre eine ganz andere Ausgangssituation.
Aber da wir jetzt nun einmal in dieser Situation sind,
werden wir mithelfen, dass es besser wird.
Dazu gehört natürlich auch, dass wir weiter an Kosteneinsparungen bei Hartz IV arbeiten werden:
({8})
Umsetzung der beschlossenen Maßnahmen und Nutzung
aller Einsparungspotenziale, zunächst einmal im Verwaltungsbereich, im Gesetzesvollzug und beim Missbrauch.
Es kann nicht so sein, dass sich die einen die Steuer und
die anderen Hartz IV gestalten und dazwischen die ehrlichen Steuerzahler und Leistungsempfänger sind. Wir
sind auf der Seite der ehrlichen Steuerzahler und Leistungsempfänger.
({9})
Deswegen muss Missbrauch mit aller Kraft bekämpft werden. Missbrauch darf nicht länger ein Kavaliersdelikt sein. Es kann nicht sein, dass Missbrauch
zwar zur Anzeige gebracht wird, aber nicht zur Verurteilung führt, da die Verfahren in großem Stil eingestellt
werden. Sozialleistungsmissbrauch, egal wer ihn betreibt, muss bekämpft werden. Daran muss stärker unter
generalpräventiven Gesichtspunkten herangegangen
werden, damit wir den Ehrlichen und den Schwachen,
der die Leistung braucht, besser in Schutz nehmen und
ihm die Leistung auch gewähren können.
In diesem Zusammenhang wird es natürlich auch darauf ankommen, zu klären, wer bei den Arbeitsgemeinschaften künftig den Hut aufhat. Mir sagen die Kollegen
aus Thüringen beispielsweise, dass die Optionskommunen wesentlich bessere Ergebnisse bringen als andere.
({10})
Ich höre, dass Arbeitsgemeinschaften mehr Selbstständigkeit wünschen, um besser voranzukommen, die Sparziele besser einzuhalten und mehr Treffsicherheit zu erreichen.
Die Diskussion um Hartz IV ist noch nicht am Ende.
Es gibt noch sehr viele Potenziale. Es wird uns gelingen,
hier zu niedrigeren Ausgaben zu kommen, ohne dass wir
den Leuten gleich etwas wegnehmen müssen. Das muss
die erste Zielsetzung bei dem Ganzen sein.
Es kann nicht sein, dass die Leistung gewährt wird,
sechs Monate lang nichts geschieht und dann die erste
Maßnahme beginnt. Wir müssen für Folgendes sorgen:
Derjenige, der eine Leistung bekommt, muss unverzüglich und unmittelbar ein Angebot zur Arbeitsaufnahme
oder wenigstens zur Erprobung erhalten. Wenn wir das
erreichen, werden die Leute von selbst daran interessiert
sein, dass sie möglichst schnell aus dieser Situation herauskommen. Dann werden sich die Probleme auch sehr
schnell etwas reduzieren.
({11})
Die Probleme sind da. Man muss wissen, dass beispielsweise 15 Prozent der Beratungsgespräche ausfallen. Hier würden wir uns nichts vergeben, wenn wir die
Leute, die einfach nicht erscheinen, mit einer Säumnisgebühr belegen würden.
({12})
So etwas muss einfach gemacht werden, um Zeichen zu
setzen.
({13})
- Da schreien Sie. Ist es in Ordnung, wenn man einfach
nicht erscheint und der Apparat stillsteht? Ihrer Ansicht
nach macht das alles wohl nichts. Dieser Schlendrian
darf aber nicht sein; sonst werden wir nie in eine entsprechende finanzielle Situation kommen.
({14})
Ich möchte mich einem weiteren Punkt widmen, den
auch schon die Kollegin Lehn angesprochen hat, nämlich den Ausgaben für die Eingliederungshilfe. Hier unterscheidet sich die Position der Union von jener der
FDP. Man kann nicht einfach das Geld streichen und
sagen: Dann gibt es halt nichts mehr. Aufgrund der
besonders hohen Arbeitslosigkeit in manchen Bereichen
in Deutschland müssen wir sorgfältig mit den Eingliederungsmaßnahmen umgehen. Richtig ist, dass 50 Prozent der Ausgaben in Richtung Ostdeutschland fließen,
weil dort die Probleme am größten sind.
Wir werden das Geld aber nicht unüberlegt unter die
Leute bringen, sondern gemeinsam mit dem Minister
sehr sorgfältig darauf achten, dass effektiv gearbeitet
wird und dass derjenige, der eine solche Leistung benötigt, die Chance hat, sie auch zu bekommen. Das Ganze
darf nicht nur fiskalisch betrachtet werden, sondern der
Mensch muss im Mittelpunkt stehen. Das ist christlichdemokratische und christlich-soziale Politik. Da gibt es
zwischen uns ganz gewaltige Unterschiede.
({15})
Meine Damen und Herren, da dieser Bereich im Mittelpunkt steht, habe ich mich ihm etwas ausführlicher
gewidmet. Wenn wir die ALG-II-Problematik besser in
den Griff bekommen, dann werden wir auch bezüglich
des Sozialhaushaltes Entwarnung geben können; denn
dann wird der Sozialhaushalt noch mehr zur Konsolidierung des Gesamthaushalts beitragen können. Das ist unsere Zielsetzung, an der wir weiter arbeiten werden. Wir
werden den Minister in seinen Bemühungen voll unterstützen.
({16})
Nächste Rednerin ist Kollegin Anja Hajduk, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ohne
Zweifel kann man an dem Etat Arbeit und Soziales von
Bundesminister Müntefering erkennen, wie schwierig es
ist, den Bundeshaushalt in Ordnung zu bringen. Es ist
hier schon gesagt worden: Arbeit und Soziales machen
45 Prozent der Ausgaben im Bundeshaushalt aus. Das
sind keinesfalls schlechte Ausgaben; auch das sollte man
einmal sagen. Aber es ist eine große Masse. Der größte
Brocken davon ist die Rente mit 78 Milliarden Euro. An
zweiter Stelle steht mit knapp 40 Milliarden Euro die
Arbeitsmarktpolitik im weiteren Sinne.
Ich möchte ganz kurz etwas zur Rente sagen, weil uns
dieser Punkt auch in Zukunft sehr stark beschäftigen
wird. So richtig ich es finde, dass Sie die Rente ab
77 Jahren - Entschuldigung, ab 67 Jahren - eingeführt
haben
({0})
- das wäre auch wirklich falsch -, so muss ich doch auf
Probleme hinweisen, die noch ungelöst sind. Ich erwähne dieses Thema, obwohl es unpopulär ist. Ich habe
aber gerade wieder feststellen können, mit wie viel positiver Herausforderung die Rentenreform in Finnland und
Schweden angegangen wurde. Dort wurde ebenfalls
über die Verlängerung der Lebensarbeitszeit gesprochen. Es ging auch um eine freiwillige Verlängerung;
wer es sich leisten kann, kann früher aufhören. Aber die
Verlängerung der Lebensarbeitszeit wird dort auch als
Sicherung des Lebensstandards im Alter begriffen. Das
ist eine vernünftige Richtung. Ich will Ihnen gerne zugestehen, Herr Müntefering, dass es nicht immer leicht ist,
so etwas öffentlich zu vermitteln. Aber es ist ehrlich und
im sozialen Sinne mit Blick auf den Lebensstandard von
Älteren notwendig und richtig.
({1})
Wie sieht die Lage bei der Rentenversicherung aus?
Sie haben einen Rentenversicherungsbericht vorgelegt,
der den Zeitraum bis 2019 umfasst. Außerdem haben Sie
sich das Ziel gesetzt, die Rentenausgaben im Haushalt
zu entdynamisieren. Da kann ich nur sagen: Sie haben
eine Mogelpackung gebunden. Sie wissen schon jetzt,
dass aus dem Haushalt 600 Millionen Euro zusätzlich
gezahlt werden müssen, damit der Rentenbeitrag im
Jahr 2008 nicht erneut steigt. Die Prognose im Rentenbericht zeigt: Die Rentenleistungen sind nur konstant zu
halten, wenn wir Lohnzuwächse von 2,5 Prozent, ein
durchschnittliches Wachstum von 1,7 Prozent - was
wünschenswert wäre - und eine geringe Arbeitslosenzahl voraussetzen. Ich nenne diese drei Bedingungen,
damit wir wissen - das ist ehrlich -, nur wenn diese Bedingungen erfüllt werden, sind die Renten finanziert.
Das heißt, dass in der Rentenfinanzierung immer noch
große Risiken bestehen und weitere Reformanstrengungen nötig sein werden.
({2})
Dies macht deutlich: Wenn wir die Rente sichern wollen, dann muss unsere Arbeitsmarktpolitik erfolgreicher
werden. Hierin besteht ein elementarer Zusammenhang
im Hinblick auf die Finanzierung der Renten, aber auch
im Hinblick auf eine erfolgreiche Gesellschaftspolitik.
Jetzt komme ich zum Thema Arbeitsmarkt und zu
dem, was die große Koalition in diesem Zusammenhang
tut. Der Arbeitslosenversicherungsbeitrag wird um
2 Prozentpunkte gesenkt. Herr Fuchtel, zur Souveränität
der CDU/CSU sollte es auch gehören, anzuerkennen,
dass, wenn die Bundesagentur für Arbeit dieses Jahr
keinen Zuschuss braucht und sie letztes Jahr nur einen
sehr geringen benötigt hat, dies die Reformdividende einer vernünftigen rot-grünen Arbeitsmarktpolitik ist. Sie
sollten die Souveränität haben, dies anzuerkennen; denn
Sie profitieren in der großen Koalition davon. Da sieht
man: Arbeitsmarktreformen brauchen manchmal Zeit
und haben zum Beispiel in diesem Fall Erfolg; das
möchte ich an dieser Stelle feststellen.
({3})
Dann möchte ich darauf eingehen, was getan werden
muss, wenn das so bleiben soll. Man muss der Ehrlichkeit halber sagen: Dass die Bundesagentur in Zukunft
keinen Zuschuss mehr braucht, hat mit einer schwierigen
Maßnahme zu tun. Wir haben entschieden: Die maximale Bezugsdauer wird beim Arbeitslosengeld I von
32 Monate auf 18 bzw. zwölf Monate gekürzt. Noch
heute wettert Herr Rüttgers dagegen.
Aber wenn Sie es befürworten, die Bundesagentur für
Arbeit ohne einen Zuschuss im Haushalt zu balancieren,
dann war auch diese unpopuläre Maßnahme richtig. Es
geht letztlich um Steuergeld, das ansonsten falsch eingesetzt würde. Es ist vernünftig, dass diese unpopuläre
Maßnahme getroffen wurde. Das ist eine zweite erfolgreiche Maßnahme, die wir unter Rot-Grün beschlossen
haben und auf die Sie, Herr Müntefering, aufbauen können. Ich möchte das heute ausdrücklich feststellen.
({4})
- Ich freue mich über Applaus aus der SPD an dieser
Stelle; das ist auch selbstverständlich.
Jetzt komme ich zum Thema Hartz IV. Was war das
für eine Diskussion über die Kostenexplosion im Bereich Hartz IV? Man muss einmal genauer hinschauen:
2004, also vor der Reform, haben sich - das hat uns der
Arbeitsminister vorgerechnet - die Ausgaben für die Sozialhilfe und die alte Arbeitslosenhilfe auf 38,6 Milliarden Euro summiert. Wenn man davon ausgeht, dass wir
in 2005 und auch heute mehr Leistungsempfänger haben, und diese Zahlen nach den Bestimmungen der alten
Rechtslage hochrechnet, kommt man für Bund, Länder
und Gemeinden auf Ausgaben in Höhe von ungefähr
43 Milliarden Euro. Die tatsächlichen Ausgaben nach
der neuen Gesetzgebung lagen in 2005 bei 44 Milliarden
Euro. Die Behauptung einer Kostenexplosion ist also
nicht richtig,
({5})
auch wenn die Höhe der Kosten ein Problem ist.
Das Argument der Kostenexplosion wird benutzt, um
eine Missbrauchsdebatte führen zu können. Ich muss Ihnen sagen: Daran erkennt man die tiefe Spaltung der
Koalition in einer der wichtigsten politischen Fragen, die
wir in Deutschland zu lösen haben. Diejenigen, die die
Missbrauchsdebatte forcieren, zielen darauf, Einschnitte
durchzusetzen. Das kommt stark aus dem Bereich der
Union. Damit hat die SPD natürlich ein großes Problem.
Auch wenn sich Herr Beck in dieser Sache entsprechend
geäußert hat, weiß ich, dass der Minister entschieden gegen diese Missbrauchsdebatte argumentiert.
Hier wird sehr deutlich: Sie haben zwei ganz unterschiedliche Konzepte in Bezug auf das Thema, wie wir
mit der Langzeitarbeitslosigkeit umgehen sollten. Es ist
für das Land ein Problem, dass Sie an dieser Stelle nicht
richtig zusammenkommen und deswegen keine erfolgreichen Lösungen vorschlagen können.
({6})
Ich muss in diesem Zusammenhang ergänzen - denn
ich will nicht behaupten, dass, wenn wir 44 Milliarden
Euro für diesen Bereich ausgeben, dies keine Steigerung
und dies in Ordnung sei -: Aber wenn wir in der Arbeitsmarktpolitik Erfolg haben, dann erreichen wir auch eine
Senkung der Ausgaben in diesem Bereich. Aber Erfolg
hat man nicht, wenn man einfach Leistungen streicht.
({7})
Zum Abschluss komme ich auf den Kern der Sache
zu sprechen. Die große Koalition hat sich jetzt zu einem
Kompromiss durchgerungen, der den hundertprozentig
falschen Akzent setzt. Sie haben entschieden: Wenn dieses Jahr die Mittel für das Arbeitslosengeld II nicht reichen, dann ziehen wir dafür die Eingliederungshilfen
heran. So kann man argumentieren; Frau Winterstein
von der FDP hat dies vorgeschlagen. Ich halte es für die
falsche, alte deutsche Arbeitsmarktpolitik,
({8})
Transferzahlungen zu gewährleisten und billigend keine
Fördermittel auszugeben.
({9})
Wir müssen wissen: Fördern und Fordern gehören zusammen. Aber auch Fordern muss ein Angebot beinhalten. Herr Fuchtel, wenn Sie zugestehen,
Frau Kollegin!
- ich komme zum Schluss -, dass es zu wenig Eingliederungsgespräche und zu wenig Angebote gibt, dann
ist der Vorwurf des Missbrauchs haltlos und der Mangel
an Fördern Ihre politische Fehlentscheidung. Damit
kommen wir in Zukunft nicht weiter.
Frau Lehn, ich weiß, dass Sie mir an dieser Stelle zustimmen.
Frau Kollegin, Sie sprechen auf Kosten der Redezeit
Ihres Kollegen.
Mein allerletzter Satz. - Ich muss eines noch sagen:
Die Kollegin Lehn hat gemeint, die Opposition sei in
drei unterschiedliche Lager gespalten. Wissen Sie, was
das Problem ist? Diese Regierung ist in Bezug auf die
Arbeitsmarktpolitik in zwei tief gespaltene Lager auseinander gefallen. Das ist das Problem für die Arbeitsmarktpolitik in Zukunft in Deutschland.
({0})
Ich gebe das Wort zu einer Kurzintervention der Kollegin Claudia Winterstein.
Frau Hajduk, ich denke, Sie haben mich da vorhin
völlig falsch verstanden. Es bestehen in dieser Frage insofern zwischen uns überhaupt keine Differenzen, im
Gegenteil: Ich habe das angeprangert und habe gesagt,
ich halte es für fatal, wenn eine Summe in andere Bereiche geschoben wird, die dort überhaupt nicht hingehört.
Ich habe mich dagegen ausgesprochen, dass diese
1,1 Milliarden Euro, wenn sie denn dann mit einem
Sperrvermerk versehen werden, für andere Bereiche verwendet werden. Da haben Sie mich völlig falsch verstanden.
({0})
Um das noch einmal deutlich zu machen: Wir haben
vorhin davon gesprochen, dass wir eine Summe von
3,5 Milliarden Euro für richtig halten; das ist die
Summe, die wir im letzten Jahr in diesem Bereich ausgegeben haben. Insofern wollen wir den eingeschlagenen
Weg fortsetzen. Wir haben festgestellt, dass in diesem
Jahr 1,1 Milliarden Euro ausgegeben worden sind und
dass wir mit dieser Summe auch in Zukunft auskommen
werden.
In Bezug auf das, was Sie hinsichtlich der Eingliederungshilfen gesagt haben, habe ich gesagt, ich halte es
nicht für richtig, dass man in diesem Bereich einen
Sperrvermerk vorsieht und diesen Betrag letztendlich für
andere Dinge verwendet und eventuell entstandene Löcher damit ausfüllt. Das war der entscheidende Punkt.
({1})
Frau Kollegin Winterstein, an dem einen Punkt will
ich zugestehen - so habe ich das auch verstanden -, dass
Sie von einer Deckungsfähigkeit zwischen den Mitteln
für die Eingliederungshilfen und denen für das
Arbeitslosengeld II nichts halten. Das nehme ich zur
Kenntnis und das deckt sich auch mit meiner Erinnerung. Aber Sie haben ja parallel einen Kürzungsvorschlag für die Eingliederungsmittel eingebracht. Das war
mein Punkt. Da haben wir eine Differenz. Sie wollen,
dass in diesem Bereich insgesamt Einsparmöglichkeiten
realisiert werden; wir wollen zweierlei: Wir wollen, dass
das Fördern gelingt, weil wir davon ausgehen, dass dann
beim Arbeitslosengeld II in der Folge viel mehr eingespart wird, da die Leute wieder in Beschäftigung kommen. Das hat ja auch das durchgeführte Benchmarking
mit anderen Ländern gezeigt und der Bundesrechnungshof hat gesagt: Die Hauptschwierigkeit bei der Bundesagentur - sie hieß damals noch „Bundesanstalt“ - liegt in
der Qualität der Vermittlung; das muss verbessert werden. Die große Koalition betätigt in dieser Frage gerade
die Bremse; ich will ja noch nicht sagen, sie legt den
Rückwärtsgang ein. Aber eine deutliche Bremswirkung
ist es schon, weil die diesbezüglichen Vorstellungen von
CDU/CSU und SPD sehr weit auseinander gehen. Das
zeigt auch, dass wir bei der Arbeitsmarktpolitik leider
eine Zukunft vor uns haben, von der ich mir nicht viel
verspreche.
Die FDP hat in dieser Frage ein ganz anderes Konzept
als die Grünen; das kann ja auch so stehen bleiben.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Ralf Brauksiepe,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir reden bei diesem Einzelplan über rund die Hälfte
des Bundeshaushalts. Ich finde, es ist sinnvoll, einige
Zahlen und Fakten zur Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt in Erinnerung zu rufen. Wir haben natürlich immer noch zu viele Arbeitslose in Deutschland - das
macht es notwendig, im Bereich Arbeit und Soziales
noch viel Geld auszugeben -, aber wir haben ausweislich der Maizahlen, die uns vorliegen, 350 000 Arbeitslose weniger als im Vorjahresmonat. Das ist der stärkste
Rückgang in einem Mai seit der Wiedervereinigung. Wir
haben bei den Jüngeren einen Rückgang der Arbeitslosigkeit um 85 000 gegenüber dem Vorjahresmonat. Die
Zahl der Erwerbstätigen insgesamt ist gegenüber dem
Vorjahresmonat um 6 000 gestiegen. Wir haben den
Rückgang der Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten fast gestoppt. Es ist allerdings keine gute
Nachricht, dass die Zahl der sozialversicherungspflichtig
Beschäftigten unter 26 Millionen liegt. Diese negative
Entwicklung müssen wir nicht nur stoppen, sondern wir
müssen in diesem Bereich zu einem Aufwuchs kommen.
Wir sind da auf dem richtigen Weg. Denn wir haben einen bemerkenswert hohen Zuwachs an offenen Stellen.
Im Jahresvergleich stieg die Zahl der offenen Stellen um
83 000 auf 405 000. Wenn man die Entwicklung auf dem
Arbeitsmarkt betrachtet, zeigt sich: Wir sind noch lange
nicht am Ziel. Aber diese große Koalition ist nach sieben
Monaten auf dem richtigen Weg in der Arbeitsmarktpolitik und bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.
({0})
Wir haben eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, mit
denen wir diese Entwicklung in der Zukunft flankieren
werden. Ich will nur auf den neu geschaffenen Gründungszuschuss verweisen, der dafür sorgen wird, dass
wir mit weniger Geld sehr viel effektiver Existenzgründungen fördern können, als dies in der Vergangenheit
der Fall gewesen ist.
Wir haben auch festzustellen, dass wir im so genannten Hartz-IV-Bereich, mit dem SGB-II-Änderungsgesetz
und dem SGB-II-Fortentwicklungsgesetz eine ganze
Menge geschafft haben. Wir können realistischerweise
davon ausgehen, dass wir durch eine Konzentration der
Hilfe auf diejenigen, die diese Hilfe wirklich brauchen,
und durch eine Verbesserung im organisatorischen Bereich vom nächsten Jahr an knapp 4 Milliarden Euro im
Jahr einsparen werden. Wir erreichen dies nicht durch
Kahlschlag, sondern, wie gesagt, durch die Konzentration der Hilfe auf diejenigen, die sie wirklich brauchen.
Das ist unser Anspruch. Da stehen wir an der Seite der
gesamten Bundesregierung.
({1})
Heute vor einem Jahr - da stimmen sogar Kollege van
Essen und andere Freie Demokraten zu - war ein guter
Tag für Nordrhein-Westfalen.
({2})
Denn der nordrhein-westfälische Landtag hat Jürgen
Rüttgers zum Ministerpräsidenten gewählt. Heute, ein
Jahr später, hat die Unionsfraktion eine gute Nachricht
für den Bundesfinanzminister Steinbrück: Bei der Bekämpfung der Haushaltsrisiken im Bereich Arbeit und
Soziales stehen wir voll an Ihrer Seite und werden Sie
dabei unterstützen, Herr Bundesfinanzminister.
({3})
Das bedeutet auch, dass wir uns nicht auf dem Erreichten ausruhen. Wir haben uns vorgenommen, dass
wir im Herbst dieses Jahres ein Kombilohnmodell vorlegen werden. Es ist ganz selbstverständlich, dass wir uns
in diesem Zusammenhang beispielsweise mit der Zuverdienstregelung beschäftigen müssen, die es in unserem
Sozialsystem, insbesondere beim Arbeitslosengeld II,
gibt. Man muss feststellen, dass es im Moment in diesem
System relativ unkompliziert ist - das wird auch gerne in
Anspruch genommen -, zum Arbeitslosengeld II ein wenig hinzuzuverdienen. Aber es gibt aufgrund des von uns
geschaffenen Transfersystems zu wenige Anreize, über
geringfügige Beschäftigung - beispielsweise 400-EuroJobs - hinaus in Vollzeitarbeit zu kommen.
Im Gegensatz zur öffentlichen Wahrnehmung haben
wir die Situation, dass viele Leistungen, die die Sozialhilfeempfänger früher bekommen haben, deutlich ausgeweitet wurden. Wir haben also keinen Kahlschlag
gemacht, sondern wir haben in vielen Bereichen eine
deutliche Leistungsausweitung durchgeführt. Diesen
Punkt, Frau Kollegin Hajduk, bitte ich doch zur Kenntnis zu nehmen: Es geht nicht um die Kostenexplosion.
Als Sie noch an der Regierung waren, haben Sie sich bei
den Kosten im Vergleich zum Ansatz um einen zweistelligen Milliardenbetrag verschätzt.
({4})
Das machen wir jetzt anders. Jetzt rechnen wir solide,
auch wenn das zu schwierigen Einsparoperationen führt.
Das ist der Unterschied zu früher.
({5})
Wir werden uns im Rahmen des Kombilohnmodells
und der Neuordnung des Niedriglohnbereichs auch mit
der Frage beschäftigen müssen, wie wir die Zuverdienstregelungen so gestalten können, dass es für die Betroffenen sinnvoll ist, nicht nur ein wenig hinzuzuverdienen,
sondern durch eigene Anstrengungen aus dem System
des Transferbezugs herauszukommen. Das werden wir
unaufgeregt und zielorientiert machen.
Herr Kollege Brauksiepe, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kurth?
Aber gerne. Denn gleich kann er nicht mehr so lange
reden, weil die Kollegin Hajduk dies schon vor ihm getan hat. Bitte.
({0})
Herr Brauksiepe, Sie bringen mich dazu, zu fragen,
ob Ihnen bekannt ist, dass von den gut 800 000 Menschen, die zum Arbeitslosengeld II hinzuverdienen, immerhin die Hälfte, nämlich mehr als 400 000, nach Erhebungen der BA tatsächlich mehr als 400 Euro verdient.
Diese Menschen verdienen sehr wohl über die Geringfügigkeitsgrenze hinaus.
Stimmen Sie mir auch zu, dass es bei der früheren Arbeitslosenhilfe einen Freibetrag beim Zuverdienst von
165 Euro gab und dass jetzt beim Arbeitslosengeld II
erst bei einem Zuverdienst von 400 Euro ein Freibetrag
von 160 Euro erreicht wird, wir also das Niveau der Zuverdienstmöglichkeiten gerade einmal gehalten und keineswegs unmäßig ausgedehnt haben, damals übrigens
- daran darf ich Sie erinnern - mithilfe einer Intervention der Grünen?
Herr Kollege Kurth, ich denke, wir stimmen in der
Feststellung überein, dass es einen hohen Zuwachs sowohl bei Bedarfsgemeinschaften als auch bei so genannten Aufstockern gibt. Es muss uns doch, wie ich finde,
gemeinsam darum gehen, diejenigen zu unterstützen, die
auf die Stunde bezogen wenig verdienen, und nicht diejenigen, die die Möglichkeit haben, die Anzahl ihrer Arbeitsstunden zu reduzieren, und sich dann das fehlende
Geld vom Staat holen. Es muss dazu kommen, dass sich
jeder fragt: „Was kann ich selber tun, um eigene Hilfebedürftigkeit zu reduzieren und abzubauen?“, und nicht:
„Wie viel darf ich dazuverdienen, damit ich weiterhin
Geld vom Staat erhalte?“ Darum geht es doch.
({0})
Wir brauchen uns nicht über Zahlen zu streiten, vielmehr
muss es um das Ziel gehen. Es geht doch nicht darum, zu
verhindern, dass einer etwas dazu verdienen kann, sondern darum, die Zuverdienstmöglichkeiten so zu gestalten, dass ein Anreiz für die Menschen besteht, reguläre
Arbeit aufzunehmen.
Etwas anderes, Herr Kurth, ist doch auch klar: Wenn
die Bundesagentur 405 000 offene Stellen meldet - Sie
lesen doch auch diese Meldungen - und zugleich davon
ausgeht, dass ihr nur ein Drittel der offenen Stellen gemeldet werden, dann müsste es 1,2 Millionen Stellen geben, die zu besetzen sind. Diese müssten auch von Menschen besetzt werden können, die jetzt als Aufstocker
Transferleistungen vom Staat bekommen, obwohl sie
ohne diese Transferleistungen auskommen könnten. Das
ist jedenfalls unsere Überzeugung. Deswegen arbeiten
wir auch an diesem Punkt, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({1})
Es geht also nicht darum, dass man bei denen kürzt,
die mit den Leistungen gemäß Regelsatz auskommen
müssen. Diese sind nicht hoch; das ist wahr. Es geht
vielmehr darum, dass wir die Schwachen, die wirklich
der Hilfe bedürfen, von denjenigen trennen, die, obwohl
sie eigentlich, wie es die Bundeskanzlerin schon in ihrer
Regierungserklärung gesagt hat, stark genug sind, sich
als Schwache verkleiden. Das kann sich dieser Sozialstaat nicht leisten. So ein Verhalten werden wir auch in
Zukunft bekämpfen müssen. Darauf werden sich unsere
Maßnahmen konzentrieren. Wir stehen auf der Seite derjenigen, die durch Steuern und Beiträge das erwirtschaften, was diejenigen brauchen, die sich selbst nicht helfen
können und deshalb auch die entsprechende Hilfe von
uns bekommen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({2})
Lassen Sie mich noch auf ein paar Dinge aus dem
Rentenbereich zu sprechen kommen. Dieser macht ja
den größten Block im Haushalt des Bundesministeriums
für Arbeit und Soziales aus. Wir haben da mit vielen
Horrormeldungen zu tun gehabt. Wir können auch hier
feststellen: Wir haben durch eine klare Politik zur Stabilisierung des gesetzlichen Rentensystems beigetragen.
Niemand würde sich wünschen, in Zeiten von Massenarbeitslosigkeit bei völlig leeren Rentenkassen die Regierungsverantwortung zu übernehmen. Das war aber die
Situation, die wir vorgefunden haben. Wir haben eine
Reihe von Maßnahmen ergriffen und werden sie in den
nächsten sechs Monaten auch auf den Gesetzgebungsweg bringen, um zu einer weiteren Stabilisierung beizutragen.
Wir werden im Übrigen durch eine gesetzliche Klarstellung dafür sorgen, dass den Unternehmen die Abführung der Sozialversicherungsbeiträge erleichtert wird.
Auch das ist eine notwendige Maßnahme. Wir werden in
diesem Jahr auch noch das Gesetzgebungsverfahren auf
den Weg bringen, mit dem die gesetzliche Lebensarbeitszeit verlängert wird, um zu einem Renteneintritt
mit 67 Jahren zu kommen. Wir tun das nicht, weil wir
die Leute ärgern wollen, sondern weil es angesichts der
demografischen Entwicklung notwendig ist. Wir gehen
hier keinen populären Weg, aber die große Koalition hat,
wie ich finde, ein seriöses Konzept vorgelegt, während
sich die komplette Opposition in diesem Haus bei dieser
Frage in die Büsche geschlagen hat. Das ist doch die
Wahrheit.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen,
was haben Sie, nachdem die von Ihnen mitgetragene Regierung bis acht Tage vor dem Stichtag nichts getan hat,
um den Rentenbericht vorzulegen, versucht, zu skandalisieren, dass die neue Regierung den Bericht nicht bis
zum Stichtag vorgelegt hat. Als wir ihn dann vorgelegt
und diskutiert haben, ist Ihnen von den Grünen nichts zu
diesem Thema eingefallen. Als wir einen solide vorbereiteten Bericht vorgelegt haben, ist gar nichts von Ihnen
gekommen, nachdem Sie vorher Zeter und Mordio geschrien haben.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, es ist
ja schon erstaunlich, wie bei Ihnen die Diskussion zur
Frage Rente mit 67 verläuft. Der Kollege Kolb hat mit
einigen anderen Getreuen auf dem FDP-Bundesparteitag
einen Antrag mit dem Ziel vorgelegt, das Renteneintrittsalter auf 67 Jahre zu erhöhen. Der FDP-Parteitag hat diesen Antrag des Kollegen Kolb und anderer abgelehnt.
Die Begründung - vorgetragen vom Bundesvorsitzenden
Westerwelle - lautete, das wäre nur eine fette Rentenkürzung. Der Antrag ist abgelehnt worden. Lieber Herr Kollege Kolb, ich war kürzlich auf einer Veranstaltung, auf
der zur Rente mit 67 so wie bei Ihnen in der FDP argumentiert worden ist. Das war der DGB-Kongress. Das,
was Guido Westerwelle zum Nein zur Rente mit 67 sagt,
höre ich hier sonst nur von Ursula Engelen-Kefer.
({5})
Das ist wirklich ein tolles Paar, das sich da in der Rentenpolitik gefunden hat.
({6})
In einer Agenturmeldung war zu lesen: Guido
Westerwelle und Dirk Niebel warnten erfolgreich vor einem derartigen Beschluss, weil er die FDP in Mithaftung
für das Vorhaben von Arbeitsminister Franz Müntefering
nehmen würde, das letztlich auf Rentenkürzung hinausliefe. Der Kollege Kolb mahnte vergeblich die FDP zur
Ehrlichkeit. - So ist es, Herr Kollege Kolb.
({7})
Sie haben es versucht, aber mit Ihrem Versuch, Ehrlichkeit in Ihre Partei zu bringen, sind Sie leider gescheitert.
Deswegen seien Sie ganz sicher, Herr Kollege Kolb: Wir
werden solchen populistischen Versuchungen widerstehen. Wir werden weiter eine solide Rentenpolitik machen. Wir werden die gesetzliche Rente so fortentwickeln, dass sie nicht die alleinige, so bedeutende Säule
wie zurzeit bleibt, aber dass sich die Menschen auf diese
Säule der Alterssicherung verlassen können. Das ist kein
populärer Weg, aber wir werden ihn gemeinsam im Interesse der Menschen gehen, die diesen Weg mit uns gehen wollen.
Danke schön.
({8})
Das Wort hat der Kollege Dr. Heinrich Kolb, FDPFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Brauksiepe, auf die Rentenfrage komme ich im
Laufe meiner Rede selbstverständlich zurück. Ich will
aber zunächst einmal wiederholen, was schon gesagt
worden ist. Wir reden über 46 Prozent des Bundeshaushaltes, wenn wir über den Einzelplan 11 diskutieren. Es
ist noch nicht gesagt worden, dass die Ausgaben in diesem Bereich in 2006 um 4 Prozent ansteigen - in absoluten Zahlen sind das 4,8 Milliarden Euro - und diese
somit deutlich stärker als das Bruttoinlandsprodukt steigen, für das in diesem Jahr ein Plus von 1,6 Prozent erwartet wird. Die Konsequenz daraus ist - das will ich an
den Beginn meiner Rede stellen -, dass die Sozialstaatsquote, also das Verhältnis der Sozialausgaben zum Bruttoinlandsprodukt, wie in den letzten Jahren auch weiter
ansteigen wird. Schon in 2005 hatten wir einen Rekord,
als die Sozialstaatsquote knapp über 33 Prozent lag. Nur
in der DDR war sie höher gewesen. 2006 wird sie nach
den gegebenen Daten erneut ansteigen müssen. Dass wir
vor diesem Hintergrund in Deutschland trotzdem über
Sozialabbau reden, gehört meines Erachtens zu den Ungereimtheiten der sozialpolitischen Diskussion in unserem Lande.
({0})
Aus diesen Zahlen und Trends ergibt sich ganz unmittelbar und zwingend, dass die Ausgabenentwicklung in
den Bereichen Rente - wir haben hier 77,5 Milliarden
Euro im Bundeshaushalt - und Hartz IV - da sind es
38,3 Milliarden Euro - für das Scheitern oder das Gelingen der Operation Haushaltssanierung ganz entscheidend sein wird. Um es vorwegzunehmen, Herr Minister
Müntefering: Anlass zur Hoffnung besteht aus unserer
Sicht bei der derzeitigen Politik der Bundesregierung
nicht. Sie werden scheitern; denn - das ist mein Vorwurf
an Sie - Sie handeln zu spät, Sie handeln nicht entschieden genug und Sie handeln ohne eine klare Vorstellung
davon, wohin Sie eigentlich wollen. Leitlinie Ihres Handelns ist nämlich der erreichbare Kompromiss, der
kleinste gemeinsame Nenner der großen Koalition, aber
nicht das, was im Interesse unseres Landes eigentlich geschehen müsste.
({1})
Das will ich Ihnen an den Beispielen Rente und
Hartz IV kurz erläutern. Sie haben mit dem Kunstgriff
des Vorziehens der Fälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge die Rentenversicherung für dieses Jahr stabilisiert. Trotz eines Defizits von 6,1 Milliarden Euro ist damit die Liquidität gesichert. Sie werden auch 2007 einen
Teil des dann entstehenden Defizits kompensieren können. Aber schon 2008 ist der einmalige Liquiditätsgewinn weggeschmolzen und nur ein zusätzlicher Zuschuss von 600 Millionen Euro aus dem Bundeshaushalt
kann dann einen Anstieg des Beitrags über die jetzt
schon zum 1. Januar 2007 vorgesehene Erhöhung auf
19,9 Prozent hinaus verhindern. Es lastet also erheblicher Druck auf der Rentenkasse, Herr Müntefering. Aber
was machen Sie? Sie lehnen eine kurzfristige Beendigung der Frühverrentung, die die Rentenkasse entlasten
würde, ab. Sie schwächen die Rentenkasse, indem Sie
die Beitragszahlungen für Hartz-IV-Empfänger um
2 Milliarden Euro kürzen. Sie machen ein Gesetz, nach
dem Rentenkürzungen selbst für den Fall ausgeschlossen
sind, dass die beitragsrelevanten Entgelte sinken sollten.
Das ist ein Verstoß gegen das Grundgesetz der umlagefinanzierten sozialen Sicherung. Sie verschieben die Finanzierung der laufenden Defizite auf künftige Generationen; denn, Herr Müntefering, vom Nachholfaktor weiß
man bisher nicht mehr, als dass er nicht vor 2010 wirksam wird.
Sie kündigen eine Erhöhung des gesetzlichen Renteneintrittsalters auf 67 Jahre an - Herr Brauksiepe,
jetzt komme ich darauf zu sprechen -, unternehmen aber
nichts, um die Beschäftigung Älterer am Arbeitsmarkt
zu fördern.
({2})
Deswegen haben diejenigen in unserer Partei Recht, die
sagen, dass das auf eine Rentenkürzung, auf höhere Abschläge für Zeiten, in denen die Menschen arbeitslos
sind, hinausläuft. Ich füge hinzu: Wenn man diese Erhöhung des Renteneintrittsalters in der von Ihnen vorgesehenen Form vornimmt, das heißt, wenn man zahlreiche
Ausnahmen vorsieht, zum Beispiel bezüglich der beitragsfreien Zeiten für Angehörige belastender Berufe,
dann kann man es gleich ganz sein lassen, weil die Entlastung am Ende gegen null geht.
({3})
Darüber haben wir auf unserem Parteitag offen diskutiert
und am Schluss eine entsprechende Entscheidung getroffen.
An Leistungskürzungen - Herr Brauksiepe, das ist
ein Punkt, bei dem Sie zuhören sollten -,
({4})
die bei schwacher Konjunktur das Defizit allein begrenzen könnten, trauen Sie sich nicht heran, obwohl sie
Ihnen vom Sachverständigenrat nahe gelegt wurden. Die
Frage ist, ob man bei den arbeitsmarktbedingten Erwerbsminderungsrenten jährlich 1,7 Milliarden Euro
einsparen will oder nicht. Müssen Teilerwerbsgeminderte - wir stellen uns dieser Frage; Sie sollten das auch
tun - wirklich volle Erwerbsminderungsrenten erhalten?
Der Sachverständigenrat weist auch darauf hin, dass
bei den Hinterbliebenenrenten jährlich 4,5 Milliarden
Euro eingespart werden könnten, wenn diese Renten erst
ab dem 60. Lebensjahr und nicht bereits ab dem
45. Lebensjahr gezahlt würden. Die Frage ist, ob es noch
dem Bild moderner Eigenverantwortlichkeit entspricht,
wenn Regelungen, die auf die Gesellschaftsverhältnisse
von vor 40 Jahren zugeschnitten sind, weiterhin gelten.
Der Sachverständigenrat jedenfalls weist ausdrücklich
darauf hin, dass es sich hierbei um eine versicherungsfremde Leistung handelt, die durch den Bundeszuschuss
bisher nicht abgedeckt ist.
Ich warne davor, Erfolge auf dem Arbeitsmarkt zu
verkünden - Herr Brauksiepe, Sie haben das getan -;
denn an dieser Front gibt es allem Schönreden zum Trotz
weiterhin keine Entwarnung. Die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung - das ist das Maß der Dinge,
wenn wir über die Sicherung der sozialen Systeme
reden - unterschreitet weiterhin Monat für Monat das
Vorjahresniveau. Nach ersten, vorläufigen Hochrechnungen lag die Anzahl der Arbeitsplätze im März bei
25,91 Millionen. Das waren erneut 88 000 Arbeitsplätze
weniger als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Das
entspricht einem Verlust von zwar durchschnittlich nur
noch 1 700 Arbeitsplätzen pro Kalenderwoche; einen
überragenden arbeitsmarktpolitischen Erfolg kann ich
darin aber nicht sehen.
Ich habe heute gehört, dass die Allianz 5 000 Beschäftigte entlassen will. Ich sage Ihnen: Die Deutsche
Bank kauft die Berliner Bank auch nicht, um dort Arbeitsplätze zu schaffen.
({5})
Herr Brandner, es ist absehbar, dass dieser Trend weitergeht und auch die Insolvenzen bei den kleinen Betrieben
sind im ersten Quartal dieses Jahres gegenüber dem Vergleichszeitraum um 9 Prozent gestiegen. Das heißt, dass
wir bei großen wie bei kleinen Betrieben von einer positiven wirtschaftlichen Entwicklung weit entfernt sind.
({6})
Ich will noch etwas zu Hartz IV sagen. Herr
Brandner, auch hier steuern Sie zu spät und zu wenig
entschieden gegen. Im Haushaltsvollzug des Jahres 2005
sind die Kosten klar angestiegen. Nach den Zahlen des
ersten Quartals ist bereits klar, dass die vorgesehenen
Gelder auch 2006 nicht reichen werden. Herr Brandner,
deswegen bleibt Harzt IV das Haushaltsrisiko Nummer
eins. Ihre Planung lässt vollkommen offen, wie Sie im
Jahr 2007 eine Reduktion der Leistungsausgaben auf
20,6 Milliarden Euro erreichen wollen.
({7})
Mit dem SGB-II-Änderungsgesetz und dem SGB-II-Fortentwicklungsgesetz werden Sie das jedenfalls nicht erreichen. Wenn Sie mir das nicht glauben, dann sollten
Sie es wenigstens Herrn Rappe glauben, unserem früheren Kollegen und heutigen Ombudsmann, der klipp und
klar gesagt hat, dass das nicht so schnell gehen wird, wie
Herr Müntefering glaubt.
({8})
Wir brauchen eine grundlegende Reform. Das sagen
auch einige aus den Reihen der großen Koalition. Was heißt
das? Man muss nicht nur an den Missbrauch herangehen.
Das ist zwar auch ein Thema, auf das der Bundesrechnungshof hinweist. Am Ende ist das Leistungsvolumen von
heute aber das Ergebnis gewollter Entscheidungen des
Gesetzgebers. Der Gesetzgeber muss andere Entscheidungen treffen. Er muss prüfen, ob er die Leistungsvoraussetzungen wieder dem Niveau annähern will, das
vor der Reform geherrscht hat, beispielsweise im Bereich der Sozialhilfe. Der Gesetzgeber muss auch den
grundsätzlichen Konstruktionsfehler beseitigen, nämlich die ungeklärte Kompetenzverteilung zwischen Bundesagentur, Kommunen und Arbeitsgemeinschaften.
Wenn beides nicht geleistet wird, ist das keine grundlegende Reform. Ohne eine grundlegende Reform, die
hoffentlich im Herbst kommen wird - ich hoffe, dass die
Schritte dann nicht so halbherzig sein werden wie bisher -,
wird die Konsolidierung im Bereich Hartz IV nicht gelingen können.
Insgesamt kann man sagen: Ohne einen durchschlagenden Erfolg am Arbeitsmarkt werden wir die ProDr. Heinrich L. Kolb
bleme im Bereich der sozialen Sicherung nicht in den
Griff bekommen, werden die Haushaltsrisiken, die sich
aus dem Einzelplan 11 ergeben - ich habe versucht, das
an den Beispielen Rente und Hartz IV deutlich zu machen -, weiterhin als Damoklesschwert über der Haushaltskonsolidierung hängen. Dazu braucht es aber eine
vernünftige Arbeitsmarktpolitik mit einer Steuerreform
und mit Änderungen der Arbeitsmarktrahmenbedingungen. Wenn Sie dies verweigern - ich sehe hier keinen
Konsens in der großen Koalition -, wird es keine echten
Erfolge geben können.
Herr Kollege Kolb!
Frau Präsidentin, ich komme zum Ende. - Der Einzelplan 11 bleibt auf der Agenda. Schon im Herbst werden
Sie zeigen müssen, ob Sie wirklich bereit sind, hier
nachzubessern oder nicht. Wir werden das mit Interesse
beobachten.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Das Wort hat der Kollege Klaus Brandner, SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Oberstes Ziel der Koalition ist die
Schaffung von mehr Beschäftigung in Deutschland. Das
ist keine Frage nur eines einzelnen Politikbereiches, sondern eine Gesamtaufgabe für mehr Wachstum und mehr
Beschäftigung.
Wir dürfen der Opposition heute einmal ganz klar zur
Kenntnis geben, dass sich die Perspektiven für mehr
Wachstum und für mehr Beschäftigung in Deutschland
deutlich aufgehellt haben.
({0})
Wir haben ein dynamisches Wachstum. Damit werden wir von unseren europäischen Nachbarländern wieder als Konjunkturlokomotive wahrgenommen. Wir sollten uns das von der FDP mit ihrer Risikodebatte, Herr
Kolb, nicht kleinreden lassen.
({1})
Mich freut es - das sage ich hier ganz deutlich -,
wenn die OECD und einige Institute sagen, dass dieses
Wachstum von der Mehrwertsteuererhöhung im nächsten Jahr nicht nachhaltig gebremst wird. Die OECD prognostiziert für das nächste Jahr ein Wachstum von
1,6 Prozent in Deutschland. Das ist ermutigend und setzt
Kräfte frei.
({2})
Was ein positiver Schwung in den Köpfen alles zu bewirken vermag, das erleben wir zurzeit ganz konkret in
den Stadien, auf den Straßen und auf den Plätzen in
Deutschland. Wir brauchen diese Aufbruchstimmung
und, wenn es sein darf, auch ein wenig Euphorie statt
ständiges Lamentieren, dass dies oder jenes nicht schnell
genug geht.
({3})
Dies möchte ich auch als Hinweis an die Wirtschaftsverbände richten, die wieder einmal in unnachahmlicher Art ein zu geringes Reformtempo beklagen.
Gerade ihnen möchte ich sagen: Machen Sie erst einmal
vor Ihrer Haustür Platz, machen Sie Ihre Hausaufgaben!
Sorgen Sie lieber für die Einhaltung Ihrer Zusagen, zum
Beispiel im Rahmen des Ausbildungspakts! Damit können Sie Freude auslösen. Damit können Sie jungen Menschen eine Perspektive schaffen. Eines lassen Sie sich
heute ganz klipp und klar sagen: Wir werden Ihnen den
Gefallen nicht tun, Sie anschließend öffentlich über
Fachkräftemangel klagen zu lassen, wenn Sie sich heute
nicht verantwortlich an der Ausbildungsfront zeigen.
Politik ist kein Ausputzer für eigene Versäumnisse. Das
muss in einer Haushaltsdebatte über arbeitsmarktpolitische Fragen deutlich gesagt werden.
({4})
Wir haben eine positive Stimmung in diesem Land.
Wir haben mit unserer Politik, wie ich finde, erheblich
dazu beigetragen: mit dem Wachstumspakt mit Investitionen in Höhe von 25 Milliarden Euro, mit dem Innovationspakt mit Investitionen in Höhe von 6 Milliarden
Euro, mit der Verbreiterung der Gewerbesteuerbasis und
mit der Förderung der Ganztagsschulen, um nur einige
Beispiele zu nennen.
Auf dem Arbeitsmarkt kommt diese Entwicklung
- Kollege Brauksiepe hat sehr detailliert darauf hingewiesen - allmählich an. Unsere Politik ist in diesem Bereich erfolgreich. Im Mai dieses Jahres ist die Zahl der
Arbeitslosen saisonbereinigt um 93 000 zurückgegangen. Auch die Zahl der Erwerbstätigen steigt wieder an,
um 10 000 im letzten Monat, Herr Kolb.
Man kann einwenden, es gehe alles nicht schnell genug. Es müssen aber auch alle Beteiligten mitmachen.
Ich will das sagen, ohne auf die gesamtwirtschaftliche
Verantwortung der Unternehmen und deren Gewinne
hinzuweisen. Mittlerweile sollten alle in diesem Land
wissen, dass eine Angebotspolitik zur Steigerung der
Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen nicht allein
dazu dienen sollte, die Unternehmensgewinne zu steigern, sondern auch dazu, für mehr Arbeitsplätze zu sorgen und bestehende Arbeitsplätze zu erhalten. Das, was
wir gerade über die Allianz und andere gehört haben, ist
ein nicht willkommener Akt. Das muss an dieser Stelle
einmal deutlich gesagt werden.
({5})
Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen: die
kommunalen Investitionen. Die finanzielle Entlastung
durch den Bund hat erheblich dazu beigetragen, dass die
Gewerbesteuereinnahmen in weiten Teilen des Landes
sprudeln. Insofern haben nun auch die Kommunen einen
gewissen Spielraum, diese zusätzlichen Einnahmen
nicht nur zum Sparen und Entschulden zu nutzen, sondern sie auch für kommunale Investitionen und damit
zur Förderung von Wachstum und zur Stärkung der Binnennachfrage einzusetzen. Deshalb fände ich es richtig,
wenn die Kommunen diese Mehreinnahmen für mehr Investitionen nutzen würden. Diejenigen, die auf kommunaler Ebene Verantwortung tragen, fordere ich auf: Nehmen Sie Ihre wachstumspolitische Verantwortung auch
in Ihrem eigenen Interesse wahr!
({6})
Lassen Sie mich etwas zum Haushalt des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales sagen. Waltraud
Lehn, unsere Berichterstatterin, hat darauf hingewiesen,
dass dieser Haushalt von besonderer Relevanz ist. Er
macht 46 Prozent des gesamten Bundeshaushalts aus.
Damit setzen wir sozialpolitische Prioritäten. Deshalb
bin ich sehr irritiert, wenn ich zur Kenntnis nehmen
muss, dass der Haushalt für Arbeit und Soziales von vielen allein unter dem Aspekt des Sparens betrachtet wird.
An dieser Stelle nimmt die Diskussion, wie wir es auch
heute wieder erleben konnten, mitunter bizarre Konturen
an. Da werden einerseits die Leistungen beim Regelsatz
oder bei den pauschalierten Einmalzahlungen gekürzt
und andererseits die Arbeitssuchenden unter Generalverdacht gestellt, und das alles nur, weil man sparen
möchte.
Um es an dieser Stelle klipp und klar zu sagen: Das ist
und wird kein Ansatz der SPD werden. Wir sagen Nein
zur allgemeinen Diffamierung der Arbeitssuchenden.
Wir sagen Nein zur ideenlosen Kürzung von Leistungen.
Und wir sagen Nein zur weiteren Verunsicherung der
Menschen in unserem Land.
({7})
Für die SPD sind die Arbeitsmarktpolitik und die Sozialpolitik mehr als nur Debatten über Kosten und Missbrauch. Wir stehen für bessere und schnellere Vermittlung und für bessere und schnellere Qualifizierung der
Arbeitssuchenden. In diesem Zusammenhang will ich
betonen: Wer morgen mehr Innovationen haben möchte,
muss die Menschen heute qualifizieren. Diese Binsenweisheit sollten alle beachten, die die Mittel, die für die
Qualifizierung zur Verfügung stehen, für zweifelhafte
Kombilohnprojekte ausgeben wollen. Die Qualifizierung der Menschen ist für den nachhaltigen Abbau der
Arbeitslosigkeit allemal besser als die Dauersubventionierung von Arbeitsplätzen im Niedriglohnsektor.
({8})
Dies gilt im Übrigen auch für das Arbeitslosengeld I.
Wir freuen uns, dass die Vermittlung von Arbeitslosen
deutlich verbessert worden ist und dass die Bundesagentur für Arbeit Überschüsse erzielt. Auch das ist ein Ergebnis unserer Reformpolitik und ihrer erfolgreichen
Umsetzung durch die Bundesagentur für Arbeit.
An dieser Stelle gilt allen Beschäftigten der BA und
der Arbeitsgemeinschaften sowie den Aktiven in den
Optionskommunen mein Dank dafür, dass sie diesen
komplizierten Umbauprozess mit so viel Engagement
begleiten. Denn gerade sie sorgen dafür, dass die Menschen gar nicht erst in die Langzeitarbeitslosigkeit entlassen werden. Es war schon immer unser erklärtes Ziel,
dafür zu sorgen, dass die Vermittlung schnell erfolgt und
dass diese schnelle Vermittlung zu Effizienzgewinnen
führt und dadurch Beitragssenkungen möglich werden.
In der letzten Legislaturperiode haben wir die dafür
notwendigen Reformen vorbereitet. Jetzt setzen wir sie
fort. Ich möchte ganz deutlich sagen, dass die Senkung
der Lohnnebenkosten für uns auch weiterhin ein Ziel
- ich betone: ein Ziel - bleibt, um die Wirtschaft von
Kosten zu befreien und den Arbeitnehmern netto mehr in
der Tasche zu verschaffen. Das ist unzweifelhaft ein
positiver Beitrag zur Schaffung von mehr Wachstum und
Beschäftigung. Es ist allerdings irritierend, dass die ersten Erfolge in der Arbeitsmarktpolitik von Einzelnen genutzt werden, um weitere Beitragssenkungen zu fordern.
Hierfür brauchen wir zunächst eine solide Finanzbasis;
einmalige Überschüsse reichen nicht aus.
Klar ist - damit bin ich wieder beim Thema Qualifizierung -: Auch für Arbeitslosengeld-I-Empfänger müssen wir mehr, bessere und teilweise auch längere Qualifizierungsmaßnahmen auf den Weg bringen.
({9})
Deshalb fordern wir die BA auf, mehr für die Qualifizierung dieser Menschen zu tun, und zwar schon im ersten
Jahr ihrer Arbeitslosigkeit. Es kommt darauf an, dass die
Betreuungskunden schon im ersten Jahr ihrer Arbeitslosigkeit die erforderlichen Qualifizierungsangebote erhalten. Hier darf nicht an der falschen Stelle gespart
werden. Es muss sichergestellt werden, dass Langzeitarbeitslosigkeit von vornherein vermieden wird.
({10})
Ich möchte unsere Position zur gegenwärtigen Spardebatte auf den Punkt bringen: Wir müssen sparen und
wir müssen alles tun, um nicht gewollte Leistungsmitnahmen zu vermeiden. Aber im Zentrum unserer Bemühungen muss die qualitative Arbeitsmarktpolitik stehen:
bessere Vermittlung und bessere Qualifizierung.
Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen, der in
der öffentlichen Debatte eine Rolle spielt: die GrundKlaus Brandner
revision, von der auch Herr Fuchtel heute Morgen einige
Facetten angesprochen hat. Besonders aus den Reihen
der Länder kommt die Forderung nach einer solchen
Generalrevision von Hartz IV. Für mich ist es schon
erstaunlich, wer hierbei populistisch über Land zieht und
durch die Medien geistert. Das sind dieselben Herren,
die die gegenwärtigen Organisationsstrukturen im Vermittlungsausschuss erst eingeführt haben.
({11})
Jetzt, ein Jahr nach der Einführung, wollen sie alles über
Bord werfen und sich aus der gemeinsamen Verantwortung stehlen.
({12})
Richtig ist in diesem Zusammenhang, dass wir in der
Arbeitsmarktpolitik sowohl bei den Organisationsstrukturen als auch bei weiteren Reformmaßnahmen keine
Schnellschüsse gebrauchen können. Was die FDP fordert
- die Abschaffung der Arbeitsagenturen -, ist nichts anderes als eine weitere Verunsicherung der Menschen in
diesem Land. Aber auch die Debatte, wer denn nun den
Hut aufhat, sollten wir sehr sorgfältig führen. Wir sollten
die Ergebnisse der Evaluation abwarten; dann können
wir zielgenau einzelne Absprachen treffen, Kollege
Fuchtel.
In diesem Zusammenhang will ich klar sagen: Ich
finde es gut, dass Sie dem Minister die volle Unterstützung zugesichert haben für eine sachpolitische Auseinandersetzung; denn was uns heute an Daten vorliegt, ist
viel zu wenig, um jetzt schon bewerten zu können, wer
die Arbeitsvermittlung besser oder schöner oder noch effizienter betreiben kann. Wir sind darauf angewiesen,
zunächst einmal eine solide Datenbasis zu erarbeiten,
aufgrund derer wir entscheiden können, wer die Arbeitsmarktpolitik letztlich effizienter voranbringen kann.
Deshalb bitte ich darum, dass man diesen Prozess in
aller Sorgfalt angeht und am Ende nicht ideologisch entscheidet, sondern seine Entscheidung unter Berücksichtigung der in den ersten Jahren gewonnenen Erkenntnisse trifft.
({13})
Zur Rente werden wir noch vieles sagen müssen; mir
ist die Zeit ein bisschen weggelaufen.
({14})
- Ihnen auch. - Deshalb will ich nur sagen: 78 Milliarden Euro für die verschiedenen Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung sind ein Posten, der die Fantasie vieler anregt und sie fragen lässt, ob da nicht etwas
gestrichen oder gekürzt werden kann. Als verantwortungsvoller Sozialpolitiker will ich an dieser Stelle deutlich sagen: Da kann man nur den Kopf schütteln. An der
gefundenen Klarheit in der Rentenpolitik darf man nicht
herumbasteln; denn man muss wissen, wofür es den
Bundeszuschuss gibt, nämlich zur Finanzierung nicht
beitragsgedeckter Ausgaben.
Ich will zum Schluss klar sagen: Die Rentnerinnen
und Rentner in diesem Land sollten sich auf die Rente
verlassen können; sie haben ihre Ansprüche hart erarbeitet.
Herr Kollege!
Hier zu kürzen würde bedeuten, dass wir nicht mehr
bereit wären, diese Arbeitsleistung ausreichend anzuerkennen. Das ist mit uns nicht zu machen. Wer sein Leben
lang hart gearbeitet hat, hat das Recht auf eine auskömmliche, verlässliche Rente im Alter. Rentner sind für
uns keine Manövriermasse. Dabei soll es bleiben.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Kornelia Möller, Fraktion
Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
bleibe dabei: Hartz IV ist ein schlechtes Gesetz.
Hartz IV muss weg.
({0})
Statt Arbeitsplätze zu schaffen, treten Sie, meine Damen
und Herren von der großen Koalition, eine Missbrauchskampagne gegen Menschen los, die Ihre Politik erst ins
Abseits gestellt hat. Welch ein Hohn!
Ich freue mich natürlich, zu hören, dass sich der Kollege Brandner davon distanziert.
({1})
Aber, Herr Kollege Brandner, auch ich kenne - um auf
Ihre Rede zurückzukommen - den schönen Spruch: Trau
keiner Statistik, die du nicht selber gefälscht hast.
({2})
Ich finde, Sie sollten das hier in diesem Hause außen vor
lassen und nicht erzählen, die BA gibt weniger aus, die
BA hat Überschüsse, wenn Sie nicht gleichzeitig sagen,
dass die Leistungen um zwei Drittel gekürzt worden
sind.
({3})
Mein Eindruck ist, dass ein unqualifiziertes Aus-demBauch-heraus-Handeln, ohne Fakten zu berücksichtigen,
weiter Einzug in die Arbeit dieser Koalition hält.
Ich finde, der „Spiegel“ vom 12. Juni 2006 hat Recht.
Er nennt die Arbeit der großen Koalition einen „Schmalspurbetrieb im Bundestag“, bei dem es vorrangig um das
große Freizeitangebot in Berlin, die Segelmöglichkeiten
und nette Wanderungen zu gehen scheint.
({4})
Nicht, dass ich Ihnen das Segeln neiden würde, Herr
Runde. Aber ich habe gestern mit einer allein erziehenden Mutter gesprochen, die ihren Kindern wieder sagen
musste: In diesem Monat fällt das Kino aus. Das tut weh.
Diesen Zustand muss Politik ändern.
({5})
Es kann nicht sein, dass über Schicksale Politiker und
Politikerinnen entscheiden, von denen manche augenscheinlich jeden Bezug zur Realität verloren haben
({6})
und die für einen Cappuccino im Nobelrestaurant mehr
bezahlen, als ein Jungerwachsener am ganzen Tag für
Nahrung ausgeben kann.
({7})
Jetzt zu einem aus dem Hause der CDU-Scharfmacher. In einem Interview vom 30. Mai 2006 in der „Mittelbayerischen Zeitung“ las ich, dass Sie, Herr
Brauksiepe, eine nachhaltige, verantwortungsbewusste
Haushaltspolitik im Auge hätten. Es mag ja sein, dass
Sie etwas im Auge haben, etwas, das Sie blind macht für
die Würde arbeitsloser Bürgerinnen und Bürger dieses
Landes, etwas, das Sie blind macht für die Wichtigkeit
der Ankurbelung der Binnennachfrage und für eine zukunftsweisende Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik. Eine verantwortungsvolle Haushaltspolitik ist es jedoch nicht, die Sie im Auge haben.
({8})
Seit 1999 hat Rot-Grün Steuerschenkungsgesetze
für Großindustrie und Spitzenverdiener verabschiedet,
die unsere Volkswirtschaft jährlich über 20 Milliarden
Euro kosten. Aus vollem Hals haben Sie angekündigt:
So werden Arbeitsplätze entstehen. Nur, wo sind die
Millionen Arbeitsplätze? Und wo sind die Millionen
Euro, die Sie den Konzernen geschenkt haben? Doch
manche sind unbelehrbar. Aus den Reihen von CDU und
CSU ist immer wieder zu hören, dass die gemachten
Steuergeschenke nicht reichen; Pläne für weitere Schenkungen liegen bereits in schwarz-roten Schubladen.
Sie haben gänzlich übersehen, dass in diesem Land
die klein- und mittelständischen Unternehmen circa
60 Prozent der Arbeitsplätze und circa 70 Prozent der
Ausbildungsplätze schaffen. Doch statt die klein- und
mittelständischen Unternehmen zu unterstützen, indem
Sie Gesetze verabschieden, die die Binnennachfrage und
Kaufkraft stärken, schwächen Sie weiter die Binnennachfrage, von der diese Unternehmen abhängig sind.
Sie, meine Damen und Herren der großen Koalition,
kommen mir vor wie Zauberlehrlinge.
Um Ihnen fachlich unter die Arme zu greifen, schlagen wir, die Linksfraktion im Bundestag, zur verfahrenen Arbeitsmarktpolitik von Rot-Grün, fortentwickelt
durch Schwarz-Rot, folgende Alternativen vor: die
Nachfrage nach Arbeit stärken, Maßnahmen zur Stärkung der Binnennachfrage und damit der Kaufkraft etablieren. Schauen Sie dabei in unseren Antrag für einen
gesetzlichen Mindestlohn von 8 Euro plus und für die
Bündelung von Mitteln der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik für versicherungspflichtige Arbeitsplätze! Denn
so kann Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanziert werden,
und zwar auf dem von uns vorgeschlagenen Mindestlohnniveau.
({9})
Sehen Sie in unser Zukunftsinvestitionsprogramm
und schauen Sie sich unser Steuerkonzept an: Wiedereinführung der Vermögensteuer, Veränderung der Erbschaftsbesteuerung, Erhöhung des Spitzensteuersatzes
und Veränderungen in der Unternehmensbesteuerung.
Kommen wir zur Etablierung eines öffentlich geförderten Beschäftigungssektors! Praktische Erfahrungen
finden Sie beispielsweise auch in Mecklenburg-Vorpommern, wo 600 Schulsozialarbeiter wertvolle Erziehungsarbeit leisten.
Natürlich muss der Bereich der öffentlichen Dienstleistungen, wie in Skandinavien erfolgreich praktiziert,
auch hier wieder ausgebaut werden. Wir fordern eine gerechte Verteilung von Arbeit und in diesem Zusammenhang auch Arbeitszeitverkürzung und Überstundenabbau; denn das schafft Arbeitsplätze und darüber hinaus
auch Lebensqualität.
({10})
Wir fordern eine einheitliche bundesgesetzliche Regelung für die Weiterbildung. Natürlich muss sich eine
geförderte berufliche Weiterbildung an ihrer Qualität
und nicht daran messen lassen, ob sie billig ist.
({11})
Die gegenwärtige Praxis, die Kosten der Arbeitslosigkeit in immer größerem Maße auf die Allgemeinheit zu
schieben, ist indiskutabel. Ich freue mich, auch aus Ihrem Munde gehört zu haben - von der Kollegin Lehn
und anderen -, dass auch Sie das so sehen. Deshalb müssen wir mittels Gesetzesinitiativen vor allem die großen
Unternehmen in die finanzielle Verantwortung nehmen,
die zum Beispiel nicht ausbilden oder die infolge einer
unterlassenen betrieblichen Weiterbildung, aus Gründen
der Verlagerung ins Ausland oder trotz günstiger Ertragslage Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer entlassen. Noch einmal: Nur durch eine starke Binnennachfrage werden Arbeitsplätze geschaffen.
({12})
Tun Sie endlich etwas dafür!
Soziale Gerechtigkeit beginnt und endet da, wo der
Mensch und die Menschenwürde das Maß aller Dinge
sind. Das gilt auch für Sie, für Herrn Müntefering und
für Frau Merkel.
Ich danke Ihnen.
({13})
Nächster Redner ist der Kollege Markus Kurth, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Ich möchte mit etwas Grundsätzlichem beginnen. Wir
reden hier über einen Einzelplan, der nicht nur 45 Prozent des Gesamthaushalts ausmacht, sondern durch den
für Millionen von Menschen, die ihren Lebensunterhalt
zumeist nicht, nicht vollständig, nicht mehr oder vorübergehend nicht aus eigener Arbeit oder Vermögen bestreiten können, nämlich für Rentnerinnen und Rentner,
Arbeitslose und zum Teil auch Menschen mit Behinderungen, auch sozialstaatliche Leistungsgarantien gegeben werden. Man muss sich in Erinnerung rufen: Fast
jede Person in Deutschland ist auf diese sozialstaatlichen
Leistungsgarantien angewiesen. Für die meisten gilt das
spätestens aufgrund der Rente im Alter, für viele gilt das
aber auch einmal oder häufiger aufgrund von Arbeitslosigkeit während ihres Erwerbslebens.
Wegen dieser elementaren Bedeutung ist das Sozialstaatsprinzip ebenso wie das Rechtstaatprinzip als fundamentales Prinzip im Grundgesetz verankert. Ich glaube,
in einer Zeit und einem Klima, in dem leichtfertig verfassungsmäßige Grundsätze wie etwa auch das Existenzminimum infrage gestellt werden, ohne dass die Hintergründe bekannt oder politisch thematisiert werden, muss
man einmal grundsätzlich an diese Tatsachen erinnern.
({0})
Beispiele für dieses Infragestellen sind Legion, und zwar
vorwiegend von der Union. Zum Beispiel stellt der
Haushaltsexperte Kampeter den Regelsatz einfach einmal so freihändig infrage.
Nun sind - das will ich hier insgesamt gerne zugestehen - sozialstaatliche Garantien nicht in Stein gemeißelt
und natürlich immer auch Gegenstand von politischen
Verhandlungen, bei der die Finanzbasis des Staates und
seine Stabilität mitberücksichtigt werden müssen. Die
Menschen, die aktuell oder möglicherweise in Zukunft
auf diese sozialstaatlichen Garantien angewiesen sind,
können aber erwarten, dass ihre Abgeordneten, ihre Vertreterinnen und Vertreter hier auf einer rationalen Grundlage nüchtern und vor allen Dingen tatsachengestützt
über die Ausgestaltung des Sozialstaatsprinzips reden
und verhandeln. Genau das geschieht im Moment nicht.
({1})
Herr Kauder von der Union unterstellt den Arbeitslosen, sie wollten den ganzen Tag im Bett liegen. Herr
Müller von der CSU
({2})
möchte alle morgens zum Appell antreten lassen.
({3})
Meine Damen und Herren von der Union, halten Sie
diese Ansätze für vertretbar? Sie bedenken dabei nicht,
welche Folgen das auch für die Demokratie, für die Gesellschaft und für die Wahrnehmung in der Gesellschaft
hat.
Was sollen etwa Kinder von Langzeitarbeitslosen
denken, die mitbekommen, dass ihre Eltern auf Beratungstermine warten müssen und unter Umständen keine
oder schlechte Angebote bekommen, sich aber gleichzeitig anhören müssen, Arbeitslose lägen den ganzen
Tag im Bett? Was sollen diese Personen von ihren Vertreterinnen und Vertretern im Parlament halten?
({4})
- Herr Kauder hat indirekt angedeutet, dass die Arbeitslosen den ganzen Tag im Bett lägen.
({5})
Es wird auch nicht dadurch besser, dass Herr Beck
den Eindruck erweckt, im Rahmen des bestehenden Regelsatzes gäbe es noch Einsparpotenziale und man
könnte auf das eine oder andere verzichten. Zur Redlichkeit gehört auch, nicht so zu tun, als gäbe es an dieser
Stelle noch Spielräume.
Frau Lehn, auch Sie haben diese Argumentation vertreten. Die Sache wird aber nicht dadurch besser, dass
man auf diejenigen verweist, die legale Mittel nutzen,
um Steuern zu sparen oder zu verkürzen. Ich frage mich,
wo ich eigentlich bin, wenn der Gesetzgeber von diesem
Pult aus die Bürgerinnen und Bürger, die das Gesetz zu
ihren Gunsten nutzen, auffordert, dies nicht zu tun.
({6})
Wir sind der Gesetzgeber. Wenn wir bestimmte Möglichkeiten der Steuerverkürzung nicht wollen, dann müssen wir eben die Gesetze entsprechend ändern,
({7})
statt den Bürgerinnen und Bürgern vorzuschreiben, dass
sie als Bettelmönche herumlaufen sollen.
({8})
Zur Redlichkeit gehört auch - das ist die Basis der
Politik -, den Hintergrund der so genannten Missbrauchs- bzw. Schmarotzerdebatte zu betrachten. Sehr
interessant fand ich eine Meldung, die erst gestern von
der Bundesagentur für Arbeit bekannt gegeben wurde.
Die Bundesagentur und die Job-Center haben 3,2 Millionen Datensätze verglichen. Ich kann Ihnen sagen, wie
viele Missbrauchsfälle bei dem in diesem Umfang bisher
einmaligen Datenabgleich aufgedeckt worden sind. Es
sind insgesamt 22 900 Fälle, in denen Betrug oder eine
Straftat wegen falscher Angaben vermutet worden ist.
Das ist noch nicht einmal 1 Prozent der Leistungsbezieher.
Es wird für Sie noch bitterer, meine Damen und Herren von der großen Koalition. Sie glauben, bei den Missbrauchsfällen wahnsinnig viel einsparen zu können. Das
Volumen der Rückforderungen von zu Unrecht gezahlten Leistungen beträgt aber nicht einmal 36 Millionen
Euro. Das bewegt sich im Verhältnis zu den Gesamtausgaben im Promillebereich.
({9})
Das macht auf dramatische Weise deutlich, dass Sie
in eine völlig falsche Richtung steuern. Sie konzentrieren sich auf eine Missbrauchsdebatte, obwohl der eigentliche Skandal darin besteht, dass das Fördern ausbleibt.
Herr Brandner, Sie haben Ihre guten Absichten erklärt
und dargestellt, was Sie tun wollen.
({10})
Aber ich frage Sie: Warum gibt es immer noch zahllose
1-Euro-Jobs? Warum führen Sie keine Umstellung auf
die Deckungsfähigkeit von aktiven und passiven Leistungen durch, um mit den Mitteln des Arbeitslosengeldes II auch sozialversicherungspflichtige Jobs zu schaffen? Warum ändern Sie nicht die Strukturen hinsichtlich
der Qualifikation?
Nicht der Missbrauch ist ein Skandal, sondern die
Tatsache, dass die Fördermittel von Ihnen eingefroren
werden und nicht mit der notwendigen Vehemenz - dazu
ist auch vom Minister wenig zu hören; vielleicht können
Sie gleich noch etwas dazu sagen - darauf hingewiesen
wird, dass wir nicht nur eine Mehraufwandsentschädigung, sondern Förderung wollen und dass wir den
Menschen in Arbeitslosigkeit eine realistische Perspektive bieten wollen. Wir wollen aber keine ziellose Missbrauchsdebatte, die weder in unserem Sinne, noch im
Sinne der Menschen in diesem Land etwas bringt.
Vielen Dank.
({11})
Das Wort hat jetzt der Kollege Wolfgang Meckelburg
von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Mich stört an der Debatte, Herr Kurth,
dass die gesamte Diskussion über das Arbeitslosengeld II und alle damit verbundenen Instrumente und
Möglichkeiten von Ihnen und auch den Linken auf die
Frage des Missbrauchs und die vermeintliche Absicht
der großen Koalition reduziert wird, Menschen in Armut
zu bringen.
({0})
Es ist aber Unsinn, die Debatte darauf zu reduzieren.
Es geht doch darum, den Prozess, den wir über politische Grenzen hinweg angefangen haben, fortzusetzen
und an den notwendigen Stellen Kontrollen durchzuführen. Ich werde darauf gleich näher eingehen.
Herr Brandner, Ihre Feststellung, dass eine Totalrevision mit Ihnen nicht möglich ist, und der Hinweis des
SPD-Vorsitzenden Beck, dass das bei der früheren Sozialhilfe nicht üblich war und jetzt nicht notwendig ist,
weil das Ganze gesetzlich geregelt ist, bringen uns nicht
weiter. Wir werden auch weiterhin über eine ganze
Reihe von Fragen zu sprechen haben.
Ich sage das mit Blick darauf, dass wir gemeinsam
eine Menge erreicht haben. Wir haben festzuhalten: Auf
dem Arbeitsmarkt gab es im Mai einen Rückgang um
350 000 Arbeitslose. Die Bundesanstalt erhält das erste
Mal seit 21 Jahren keinen Bundeszuschuss mehr. Finanzielle Verbesserungen eröffnen uns an einer ganz entscheidenden Stelle, an der wir bisher nicht weitergekommen sind - die Lohnzusatzkosten sollen wirklich
einmal unter 40 Prozent liegen -, Spielräume. Das setzt
sich fort.
Das ist ein Ziel, das wir als Union wirklich durchhalten werden. Wir haben ja auch nicht locker gelassen, als
es in der internen Auseinandersetzung darum ging, die
1,8 Milliarden Euro zu finden, diese aber nicht aus den
Beitragsmitteln zu finanzieren. Wir haben die feste Absicht, eine Blockade zu beseitigen, die die Schaffung von
Arbeitsplätzen verhindert, nämlich bei den Lohnzusatzkosten tatsächlich unter 40 Prozent zu kommen.
Wir haben jetzt die Chance, nicht nur - was gemeinsam beschlossen worden ist - von 6,5 Prozent auf
4,5 Prozent Arbeitslosenversicherungsbeitrag zu kommen, sondern möglicherweise sogar darüber hinaus Senkungen vornehmen zu können, weil sich die Einsparungen bei der Bundesanstalt erhöht haben.
({1})
Ich finde, wir haben eine Menge auf den Weg gebracht. Wir haben uns auch nicht vor schwierigen Fragen, etwa der Rente mit 67, gedrückt. Der Minister hat
das in einer unpopulären Zeit - sage ich einmal - unpopulär durchgesetzt. Das ist eine Botschaft, die rüberkommt.
({2})
Wir haben bei der Rente auch festgelegt, dass es keine
Senkung geben wird, haben aber gleichzeitig gesagt, wir
müssen im nächsten Jahr den Beitragssatz auf
19,9 Prozent erhöhen.
Wir haben vor allem - das muss man immer wieder
sagen - an den Stellen, wo die Arbeitsmarktpolitik gar
nichts bewegen kann, wo nämlich der Arbeitsmarkt
selbst beteiligt ist, eine Reihe von Programmen auf den
Weg gebracht. Ich erinnere an das 25-Milliarden-EuroProgramm, das wir in der großen Koalition gemeinsam
auf den Weg gebracht haben, was aber insgesamt, weil
es den Staat immer nur prozentual betrifft, bis zu
100 Milliarden Euro Investitionen nach sich ziehen
kann. Das bedeutet, dass wir den Mittelstand mehr bewegen können. Das bedeutet, dass wir den privaten
Haushalt als Arbeitgeber stärker nach vorn bringen könWolfgang Meckelburg
nen. Dies halte ich für ein ganz wichtiges Ziel. Darin
liegt noch viel Potenzial.
Die Förderung von Forschung und Entwicklung und
die Gebäudesanierungsprogramme - all das sind Vorhaben, die in den nächsten vier Jahren auf den ersten Arbeitsmarkt ausgerichtet sind, die dort Bewegung hineinbringen und genau dort Arbeitsplätze schaffen, wo wir
manchmal mit der Arbeitsmarktpolitik nicht weiterkommen.
Lassen Sie mich jetzt noch auf das Versprochene sozusagen in der zweiten Halbzeit eingehen. Wir haben,
unabhängig davon, ob wir darüber sprechen, dass wir
eine Totalrevision von Hartz oder kleinere Veränderungen brauchen, einfach festzustellen, dass es gar nicht anders geht, als im Herbst darüber weiter zu sprechen.
Wir haben in den ersten sieben Monaten dieses Jahres
viel geleistet. Der Haushalt 2006 ist sozusagen der Abschluss. Wir wissen aber, dass die Haushaltsberatungen
für 2007 unmittelbar bevorstehen und dass wir auch da
drei Lesungen haben werden und dass wir vereinbart haben, im weiteren Verfahren über viele Dinge zu sprechen.
Wir haben uns vorgenommen, über die Eingliederungshilfen insgesamt, über die Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik zu sprechen. Das ist dringend
notwendig. Das ist viel zu unübersichtlich. Da muss
Klarheit hinein und die Spreu vom Weizen getrennt werden. Das, was funktioniert, muss richtig weitergeführt
werden. Wo etwas nicht funktioniert, muss man auch
den Mut haben, zu sagen, das geht nicht.
({3})
Wir haben schon an zwei Stellen Korrekturen vorgenommen. Die Personal-Service-Agenturen sind praktisch nicht mehr da - ich sage es einmal so -, mit Ausnahme von drei bis vier Bezirken, in denen das
funktioniert. Bei der Ich-AG haben wir eine bessere Lösung gefunden; diesen Weg werden wir weitergehen
müssen.
({4})
Wenn wir über Kombilohn, Mindestlohn und diesen
ganzen Themenbereich diskutieren, will ich einmal der
politischen Diskussion sozusagen für die zweite Halbzeit
noch ein paar Vorlagen geben.
({5})
- Ich weiß nicht, ob wir das alles mit Ihnen schneller
hinbekommen hätten, mit den Voraussetzungen, die Sie
uns finanziell erlaubt hätten.
Wenn wir über Kombilohn und Mindestlohn sprechen, dann kann man doch nicht über diese Fragen diskutieren, wenn man nicht parallel über die Frage
Arbeitslosengeld und Hinzuverdienst redet.
({6})
- Und Mindestlohn. Das habe ich gerade gesagt. Das
wurde ja vereinbart. Ich will nur sagen, worüber wir
dann auch sprechen müssen. Wir müssen in diesem Zusammenhang auch über die Regelungen betreffend den
Hinzuverdienst reden. Wir dürfen doch nicht vielen
Menschen dadurch, dass ein bestimmter Hinzuverdienst
im Rahmen des Sozialtransfers erlaubt ist, einen Korridor eröffnen und anschließend heißt es: Mein Kombilohn besteht aus dem Arbeitslosengeld plus dem, was ich
hinzuverdienen kann, und das ist es. Darüber müssen wir
eine Diskussion in der Gesellschaft führen.
({7})
Ein Kombilohn besteht für mich jedenfalls aus Lohn auf
dem ersten Arbeitsmarkt plus ein bisschen Zusatztransfer. Aber viele Menschen scheinen noch nicht so weit zu
sein. Oft wird nur danach gefragt, was einem staatlicherseits zusteht und wie viel man bei Sozialtransfer hinzuverdienen darf. Ziel muss aber sein, eine Politik zu betreiben, die der Integration auf dem ersten Arbeitsmarkt
Vorfahrt gibt. Das ist die wichtigste Aufgabe, die wir erfüllen müssen.
({8})
Wir müssen außerdem über das offensichtliche Problem des Aufstockens reden. Jemand, der Anspruch auf
Arbeitslosengeld I hat, kann es auf das Niveau des
Arbeitslosengeldes II aufstocken, wenn das Arbeitslosengeld I niedriger ist. Das kann man sozialpolitisch
noch vertreten. Jemand, der einen Job auf dem ersten Arbeitsmarkt hat und nicht genügend verdient, kann ebenfalls auf das ALG-II-Niveau aufstocken. Aber das hat
Formen angenommen, die vermuten lassen, dass es bei
der gegenwärtigen Mentalität zu Missbrauch kommt.
Wir, der Gesetzgeber, haben hier offenbar etwas produziert, über dessen Richtigkeit wir nachdenken sollten.
Genau das ist gemeint, wenn wir über eine Revision reden.
({9})
Zum Schluss möchte ich noch eine Brücke schlagen,
damit wir das in der großen Koalition gemeinsam schaffen. Der Chef der Wirtschaftsweisen, Bert Rürup, sieht
dies genauso. Er sagt:
Das Verbleiben in der Arbeitslosigkeit muss unattraktiver werden im Vergleich zu einer Beschäftigungsaufnahme - und zwar insbesondere im Hinblick auf solche Arbeitsverhältnisse, die auch die
registrierte Arbeitslosigkeit verringern.
Er fügt hinzu, dass das Arbeitslosengeld II nicht als
Grundsicherung für diejenigen gedacht sei, „die kein Beschäftigungsinteresse haben“. Darüber muss man doch
offen reden dürfen, ohne dass man sich dauernd den Vorwurf zuzieht, man wolle nur kürzen. Wir müssen überprüfen, ob die Regelungen funktionieren, egal ob im
Rahmen einer Totalrevision oder in einem länger dauernden Prozess. Zielrichtung muss sein, mehr Menschen
in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren. Einen ersten
Schritt hat die große Koalition gemacht. Ich glaube, wir
sind auf einem guten Weg und werden gemeinsam genügend Kraft tanken, um auch die strittigen Themen anzugehen.
({10})
Das Wort hat jetzt der Bundesminister Franz
Müntefering.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich
möchte mich zuerst beim gesamten Parlament sowie insbesondere beim Haushaltsausschuss und beim Fachausschuss für die gute Zusammenarbeit bedanken. Wir haben manche Stunde darauf verwandt. Aber ich glaube, es
hat sich gelohnt. Wir haben einen guten, überzeugenden
und zukunftsfähigen Haushalt vorgelegt. Wir wissen,
dass wir in den nächsten Jahren über die richtigen Entscheidungen heftig zu streiten haben. Aber ich denke,
die Debatte lohnt sich.
Ich bin über die Argumente von der linken und der
rechten Seite ein bisschen enttäuscht. Ich frage mich,
warum wir überhaupt eine solche Debatte führen. Entweder verstehen Sie nicht oder Sie wollen nicht verstehen oder ich habe mich missverständlich ausgedrückt;
das kann natürlich sein. Ich will das - ganz bescheiden offen lassen. Ich bin jedenfalls ein bisschen verwundert.
Die Qualität einer Opposition kann man immer daran erkennen, ob auf die Argumente der Regierung eingegangen wird oder ob einfach Reden gehalten werden, die
man schon seit einem halben Jahr kennt. Ich denke jedenfalls, wir sind ein ganzes Stück weitergekommen.
({0})
Diese große Koalition hat auch zum Bereich Arbeit
und Soziales ein schlüssiges, vernünftiges und belastbares Konzept vorgelegt. Wir sind mit der Umsetzung dieses Konzeptes in der Zeit. Manche sprechen mich an und
sagen: Ihr müsst viel schneller machen. Diesen sage ich:
Das geht nicht; denn wir müssen Zeit haben, nachzudenken und die Entscheidungen sorgfältig vorzubereiten.
Manche Wissenschaftler warnen mich vor Aktionismus
und empfehlen, abzuwarten; es kläre sich alles von
selbst. Diesen sage ich: Es klärt sich nicht alles von
selbst. Es kommt darauf an, dass wir das richtige Tempo
und den richtigen Rhythmus haben, wenn es darum geht,
die Dinge zu entscheiden.
Ich will ein paar Punkte ansprechen, von denen ich
meine, dass man sich mit ihnen sehr gut sehen lassen
kann:
Die Arbeitslosenzahl liegt um etwa 350 000 unter
den Zahlen von vor einem Jahr. Das ist kein Grund für
Euphorie. Wir haben auch keine Jubelgesänge angestimmt. Aber 350 000 sind auch keine Kleinigkeit. Bei
den arbeitslosen Jugendlichen unter 25 Jahren sind es
85 000 weniger. Bei den über 50-Jährigen sind es etwa
50 000 weniger. Es bewegt sich was in Deutschland. Das
ist nicht zufällig. Das ist lange vorbereitet worden, auch
von dieser Koalition vorbereitet worden.
Das 25-Milliarden-Euro-Programm war eine mutige
Sache. Es hat Impulse gegeben. Wenn man sich die Zahlen bei der KfW anschaut, stellt man fest: eine Steigerung um 46 Prozent in den ersten Monaten unter anderem für Maßnahmen, mit denen Instandhaltung oder
energetische Gebäudesanierung gefördert worden ist. Da
bewegt sich was. Das Programm ist für dieses Jahr fast
ausgebucht. Im nächsten Jahr werden wir es ebenfalls
zur Verfügung haben, auch begleitend zur Erhöhung der
Mehrwertsteuer, deren Problematik uns bewusst ist, der
wir aber mit dem Programm, das wir auf den Weg gebracht haben, vernünftig begegnen.
Finanzen: Wir haben einen Arbeitsmarkt. Der eine
Arbeitsmarkt hat das Arbeitslosengeld I und das
Arbeitslosengeld II. Beides gehört zum Arbeitsmarkt.
Nun sage ich Ihnen einmal, wie die Situation im Februar
war und wie sie sich jetzt darstellt. Im Februar waren wir
zusammen mit der Bundesagentur für Arbeit der Meinung, dass die Bundesagentur in diesem Jahr ein Plus
von 1,8 Milliarden Euro machen wird. Sie macht aber
jetzt ein Plus von 5 Milliarden Euro, vielleicht 6 Milliarden Euro, vielleicht auch mehr. Unter dem Strich kommt
sie um 4 Milliarden Euro besser durch das Jahr, als wir
alle miteinander im Februar geglaubt haben.
Den Zahlbetrag für das Arbeitslosengeld II haben
wir auf 24,4 Milliarden Euro geschätzt; mehr kann man
zu Beginn des Jahres nicht tun. Es ist ein Rechtsanspruch. Jetzt stellen wir fest: In den ersten Monaten ist
mehr ausgegeben worden. Wenn das auf der Höhe der
ersten Monate bliebe, würden wir mehr Geld brauchen.
Aber wir haben inzwischen Gesetze gemacht, das
SGB-II-Fortentwicklungsgesetz und das SGB-II-Änderungsgesetz. Wir wollen im zweiten Halbjahr an dieser
Stelle noch etwa 600 bis 700 Millionen Euro sparen.
Wir schätzen aber, dass es nicht dabei bleibt, sondern
dass wir irgendwo bei 25,5 Milliarden Euro landen. Wir
würden an der Stelle also 1,1 Milliarden Euro mehr ausgeben. Um dies abzusichern, sperren wir 1,1 Milliarden
Euro von den 10 Milliarden Euro, die wir für Verwaltungskosten und Eingliederungshilfen an die Argen und
die ZKT, die Optionskommunen, gegeben haben. Die
haben also nicht 10 Milliarden Euro zur Verfügung, sondern 8,9 Milliarden Euro. Ob sie im Laufe des Herbstes
die 1,1 Milliarden Euro noch zur Verfügung haben werden, wird sich zeigen, je nachdem, wie sich die Dinge an
der Stelle entwickeln. Im letzten Jahr standen 10 Milliarden Euro für Verwaltung und Eingliederung zur Verfügung. Davon sind etwa 6,5 bis 7 Milliarden Euro ausgegeben worden. Wir stellen ihnen für dieses Jahr also
8,9 Milliarden Euro zur Verfügung.
Ich weiß, wie schwierig das ist. Manche der Argen
können das Geld zu 100 Prozent gebrauchen und vernünftig ausgeben. Das sollen sie möglichst auch können.
Wir wollen sie nicht ausbremsen. Aber es gibt auch ganz
viele, die weniger ausgeben. Wir werden im September
noch einmal schauen, wie man das zwischen denen, die
vorgeprescht sind, und denen, die noch nicht so viel Aktivität gezeigt haben, ausgleichen kann. Was wir da miteinander vereinbart haben, ist, finde ich, eine vernünftige Sache.
Für KdU, Kosten der Unterkunft, werden wir als
Bund etwa 200 oder 300 Millionen Euro mehr ausgeben,
weil es mehr Bedarfsgemeinschaften und höhere Wohnungskosten gibt, als wir gedacht haben.
Machen wir einmal einen Strich darunter - Vergleich
Februar und jetzt -: Beim Arbeitslosengeld I stellt sich
die Situation um 4 Milliarden Euro günstiger dar. Für
das Arbeitslosengeld II müssen wir wenigstens 1,1 Milliarden Euro mehr zur Verfügung stellen. Beim Eingliederungstitel von 10 Milliarden Euro stellt sich das Ganze
um 1,1 Milliarden Euro günstiger dar, weil wir sperren.
Etwa 300 Millionen Euro mehr sind für KdU zu veranschlagen. Jetzt frage ich: Wo ist da das Drama?
In einem flexiblen, atmenden Markt werden sich im
Verlaufe des Jahres - das werden wir erleben - die Dinge
verändern. Das ist auch keine Schande. Darüber kann
man offen sprechen. Ich finde, dass wir in diesem Haushalt eine gute Lösung gefunden haben.
({1})
Lassen Sie mich etwas zu den Sozialversicherungsbeiträgen sagen. Auf der Grundlage dessen, was wir
jetzt machen, werden wir im nächsten Jahr folgende
Sätze haben: 19,9 Prozent bei der Rentenversicherung,
4,5 Prozent bei der Arbeitslosenversicherung, 13,2 bis
13,3 Prozent bei der Krankenversicherung. Das sind zusammen 37,6 Prozent. Die Frage ist natürlich: Was ist
mit der Krankenversicherung? Wie lösen wir die Probleme? Das wird man in den nächsten Wochen zu klären
haben. Dazu kommen noch 2,6 Prozent, nämlich
1,7 Prozent für die Pflege und 0,9 Prozent, die die Arbeitnehmer separat bezahlen. Das heißt, die Arbeitnehmer finanzieren noch 2,6 Prozent zusätzlich.
Wir haben in der Koalition vereinbart, dauerhaft unter
40 Prozent zu bleiben. Das werden wir auch tun. Ich persönlich sage hier ganz klar: Ich hätte nichts dagegen,
wenn wir da eine zusätzliche Anstrengung auf uns nehmen könnten.
({2})
Wir hatten zu Beginn der deutschen Einheit eine Sozialversicherungsquote von etwa 35 bis 36 Prozent. Damals
haben wir alle miteinander den Fehler gemacht, Kosten,
die man anders hätte finanzieren müssen, über die Sozialversicherungsbeiträge zu finanzieren.
({3})
Diese Beurteilung aus heutiger Sicht teilen wir alle. Deshalb sollten wir uns bemühen, bei der Senkung der
Lohnnebenkosten noch ein Stück weiterzukommen.
Herr Müntefering, erlauben Sie eine Zwischenfrage
der Kollegin Hajduk?
Ja.
Bitte, Frau Hajduk.
Herr Minister, vor dem Hintergrund, dass Sie hier erläutert haben, wie die Kostenentwicklung bzw. Kostenprognose im Haushalt zu beurteilen ist, möchte ich Sie
fragen, wie Sie vorankommen wollen, wenn Sie bei den
Leistungen für Verwaltung und Eingliederung bei den
Arbeitsgemeinschaften 1,1 Milliarden Euro sperren wollen. Wie bringen Sie dieses angebliche Einsparpotenzial bei der Verwaltung mit der Tatsache überein, dass
jüngst kritisiert wurde, dass nach über sieben Monaten
mit bis zu einem Drittel der betroffenen Arbeitslosen
- das sind häufig Langzeitarbeitslose - keinerlei Eingliederungsgespräche geführt oder im Zusammenhang mit
möglichen Angeboten und Programmen schlicht keine
Eingliederungsvereinbarungen getroffen wurden? Ich
sehe da einen Widerspruch, wenn Sie sagen, gerade mit
Blick auf die Minderausgaben vom Vorjahr, auch dieses
Jahr würde man mit weniger als dem geplanten Geld
auskommen können.
Ich widerspreche Ihnen da ausdrücklich nicht. Ich
wäre froh, wenn das Geld für den Zweck ausgegeben
würde, für den es vorgesehen ist. Aber die Lebenswirklichkeit ist anders. Im letzten Jahr sind von
10 Milliarden Euro für Verwaltung und Eingliederung
6,5 bis 7 Milliarden Euro ausgegeben worden. In den
ersten vier Monaten dieses Jahres sind rechnerisch
1,1 Milliarden Euro nicht ausgegeben worden. Wenn
man das mit drei multiplizieren würde - was man nicht
darf -, wäre man bei 3,3 Milliarden Euro. Wir kürzen
aber an dieser Stelle nicht um 3 Milliarden Euro, sondern sperren 1,1 Milliarden Euro. Das halte ich für verantwortbar. Ich glaube, dass wir im Verlauf des Jahres
sehen werden, dass wir damit gut leben können. Dann
werden wir für das nächste Jahr wieder miteinander darum zu streiten haben, was wir dort an Mitteln zur Verfügung stellen. Jedenfalls will ich nicht, dass an dieser
Stelle gezielt zulasten der Arbeitslosen gespart wird.
Aber die Lebenswirklichkeit ist so, wie ich sie beschrieben habe, und darauf haben wir uns in diesem Haushalt
eingestellt.
({0})
Ein Wort zur Rente. Das Problem in den Haushalten
insgesamt besteht seit Jahrzehnten darin, dass die Prognosen, die wir für die Zukunft stellen, relativ zuversichtlich und optimistisch sind. Frau Hajduk - Sie haben
das angesprochen -, wir haben in der Vergangenheit
schon gemeinsam erlebt, dass die Prognosen in Bezug
auf Lohnsummen und Wachstum für kommende Jahre
günstiger waren, als es letztendlich der Lebenswirklichkeit entsprach. Am Ende des Jahres waren dann immer
die Wirtschaftsweisen die Weisen und die Politiker die
Dummen. Das war in vielen Jahren der Fall. Deshalb
müssen wir in den kommenden Jahren sehr genau hinschauen, um möglichst nah an die Lebenswirklichkeit
heranzukommen.
Wir haben in dieser Koalition die Prognosen für die
nächsten Jahre um 0,5 Prozent nach unten korrigiert. Ob
das genug ist, wird man sehen. Ich bin sehr dafür, dass
wir uns ehrlich machen. Es ist auch eine Aufgabe des
Haushaltshausschusses, auf die niedergelegten Prognosen für die nächsten Jahre zu achten. Denn wenn man
das Jahr mit Illusionen beginnt, darf man sich nicht wundern, wenn man im Verlauf des Jahres nachsteuern muss.
({1})
Ich bin dafür, dass wir, auch wenn das anstrengend ist,
hart am Wind segeln, und zwar jetzt und nicht erst in ein
paar Jahren, um möglichst nah an die Tatsachen heranzukommen.
Ich will zu diesem Bereich etwas sagen, was mir ganz
wichtig ist. Wir müssen die betriebliche Rente und die
Riesterrente stärken. Im Lande muss ein Bewusstsein
dafür entstehen, dass ein Rentenniveau von 46 Prozent
bis 2020 und 43 Prozent bis 2030 nicht mehr dem Wohlstand von heute entspricht und dass man den Wohlstand
nur halten kann, wenn man zusätzlich spart. Es muss
selbstverständlich werden, dass die jungen Leute, die einen Beruf ausüben, eine solche zusätzliche Altersvorsorge betreiben.
Deshalb mein Appell an die Tarifparteien - beim letzten Tarifvertrag in der Metallindustrie wurde in dieser
Beziehung etwas Gutes beschlossen -: In den nächsten
Jahren muss die Debatte über die Beteiligung der Arbeitnehmer am Gewinn und am Kapital auf die Idee fokussiert werden, die betriebliche Altersvorsorge zu stärken
und zu verbessern. Das müssen sie miteinander hinbekommen. Wir von der Politik müssen diese Linie unterstützen. Dies ist ein vernünftiger Weg, den man in den
nächsten Jahren miteinander gehen kann.
({2})
Nur als Stichwort - einige Kollegen haben es schon
angesprochen -: Ich halte die Zurückhaltung, die derzeit
noch auf dem Ausbildungsmarkt herrscht, nicht nur für
schade, sondern für fast skandalös.
({3})
Die jungen Leute, die jetzt aus den Schulen kommen,
müssen eine Chance haben. Die Einstellung, die manche
- auch große - Unternehmen vermitteln, indem sie sagen: „Wir bilden nicht aus, weil wir die Auszubildenden
in drei Jahren nicht einstellen können“, ist falsch. Wer
ausgebildet ist, hat eine größere Chance. Man kann die
Zahl der Ausbildungsplätze in den Unternehmen nicht
an der Zahl der Arbeitnehmer messen, die die Unternehmen selbst nach drei Jahren benötigen. Sie müssen vielmehr allen eine Chance geben. Zwei Drittel der jungen
Menschen, die arbeitslos sind, sind ohne Ausbildung.
Wer keine Ausbildung hat, hat fast keine Chance.
Deshalb appelliere ich von hier aus noch einmal an
alle diejenigen, die dabei mithelfen können: Sorgt dafür,
dass die jungen Leute eine Chance haben!
({4})
Den jungen Leuten sage ich: Versucht, nicht nur an dem
speziellen Interesse festzuhalten, das ihr habt! Es gibt sicher auch andere Ausbildungen, die für euch infrage
kommen.
Im Stakkato der Zeitplan: Jetzt geht es um den
Haushalt 2006. Noch vor der Sommerpause werden wir
Eckpunkte zur Initiative 50 plus vorlegen. Wir wissen,
dass wir die Verantwortung dafür haben, dass die 50- und
55-Jährigen auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr so abgeschoben werden, wie das in den vergangenen Jahren der
Fall war. Wir werden im Herbst eine Debatte über den
Niedriglohn, den Mindestlohn und den Kombilohn, über
Mini- und Midijobs führen und darüber, wie das alles zusammenpasst.
In diesem Zusammenhang werden wir natürlich auch
eine Diskussion über das Verhältnis dieses Themas zum
Bereich des Arbeitslosengeldes II zu führen haben. Denn
es ist klar: In der allgemeinen, öffentlichen Debatte besteht die Gefahr, dass das Arbeitslosengeld II in die „Sozialhilferisierung“ - wenn ich das Wort einmal gebrauchen darf - abrutscht. Das Arbeitslosengeld II ist ein
Instrument, das sich auf den Arbeitsmarkt orientiert.
Diejenigen, die es erhalten, sollen auf den Arbeitsmarkt.
Sie sollen sich nicht dauerhaft mit dem Arbeitslosengeld II einrichten. Wir wollen das nicht. Wir wollen vielmehr, dass es für sie Impulse gibt, auf den Arbeitsmarkt
zu kommen. Wir müssen aufpassen, dass an dieser Stelle
Bewegung entsteht.
Herr Kurth hat hier sehr lange über angeblichen Missbrauch in diesem Zusammenhang gesprochen. Es fällt
mir leicht, darauf einzugehen. Mich können Sie damit
nicht gemeint haben; ich spreche nicht davon. Wenn Sie
das, was da stattfindet, nicht wollen, dann müssen Sie
helfen, das Gesetz zu verändern. Das habe ich getan und
das tue ich auch. Wenn man Missbrauch nicht will, dann
muss man entsprechenden Gesetzesänderungen auch zustimmen. Dann darf man sie nicht auch noch bekämpfen,
wenn sie auf der Tagesordnung stehen.
({5})
Da wird noch einiges zu tun sein.
Wenn jemand seit fünf Jahren mit einem anderen
Menschen in einem Haus bzw. auf einem Flur zusammenwohnt und sie gemeinsame Kinder haben, aber sagt:
„Eine Partnerschaft besteht bei uns nicht; wir wollen als
zwei Bedarfsgemeinschaften anerkannt werden“, dann
sage ich dazu: Das ist doch Wahnsinn. Es muss doch
möglich sein, zu sagen: Das müsst ihr beweisen. Das ist
die Umkehr der Beweislast. Dies ist übrigens keine
Schnüffelei. Dies werden wir zu Ende führen. Dazu
muss man mal ein deutliches Wort sagen; das kann doch
nicht sein.
({6})
Wenn ein Selbstständiger sagt: „Ich habe in den letzten Monaten nicht genug Geschäfte gemacht und bitte
darum, meine Einkünfte mit Arbeitslosengeld II aufzufüllen“ und ihm wird eine Beschäftigung angeboten, die
er aber mit der Begründung ablehnt, dass er seine gesamte Arbeitszeit für die Akquisition im Rahmen seines
Betriebes benötige, dann muss man sich fragen: Ist das
Sinn der Veranstaltung, die wir da machen? Darüber
müssen wir sprechen. Wir werden Wege finden, das ein
Stück weit zu korrigieren.
Ich will abschließend feststellen: Das, was ich zu diesem Haushalt gesagt habe, klingt zuversichtlich; ich
weiß das. Ich will aber ausdrücklich festhalten: Wir werden in den nächsten Jahren erhebliche Schwierigkeiten
haben, mit unseren finanziellen Herausforderungen klarzukommen. Ich stehe voll hinter dem Finanzminister.
Wir werden nicht von der Linie abgehen, Art. 115 des
Grundgesetzes und die Maastrichtkriterien zu erfüllen.
Denn wir dürfen und wir können uns das nicht leisten.
Das wäre insgesamt für dieses Land schlecht.
Deshalb sage ich: Das wird riesige Herausforderungen mit sich bringen, und zwar für alle Bereiche und
nicht nur für diesen Etat, der nun einmal im Haushalt einen großen Raum einnimmt. Für dieses Jahr haben wir
eine gute, reelle und insgesamt akzeptable Leistung in
diesem Haushalt für diesen Bereich aufgestellt.
Wir werden in den nächsten Jahren auf allen Ebenen
zusätzliche Anstrengungen brauchen; das kann man
schon heute absehen. Deshalb sage ich: Die Anstrengungen werden auch in den nächsten Jahren bleiben. Aber
ich bin ganz sicher: Wir werden in dieser Koalition gemeinsam vernünftige Wege finden, um unsere Ziele zu
erreichen. Das erste Ziel ist, die Menschen in Arbeit zu
bringen - das ist das Wichtigste überhaupt -, ihnen eine
Chance zu geben, dass sie arbeiten können. Dann werden sich viele Probleme bei den sozialen Sicherungssystemen, insbesondere bei der Rentenversicherung, lösen.
Ich bin mit dem, was wir in dieser Koalition bis jetzt
erreicht haben, hoch zufrieden. Ich sage noch einmal:
Das Konzept stimmt. Wir liegen voll im Zeitplan. Wir
werden in diesem Herbst nach einer intensiven Diskussion weitere wichtige Schritte tun.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({7})
Als letzter Redner zu diesem Einzelplan hat der Kollege Max Straubinger von der CDU/CSU-Fraktion das
Wort.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Bundesminister Franz Müntefering hat bereits die Weichenstellungen dargelegt, die wir in der Koalition in den
vergangenen sieben Monaten vorgenommen haben, um
Arbeit für die Menschen in Deutschland zu schaffen und
soziale Sicherung zu garantieren. Auch ich möchte unterstreichen: Diese Koalition, mit Bundeskanzlerin
Angela Merkel an der Spitze und mit Vizekanzler Franz
Müntefering, hat die richtigen Weichenstellungen für
eine Belebung des Arbeitsmarkts und die soziale Sicherung der Menschen vorgenommen. Ich glaube, es ist beachtlich, welche gesetzlichen Maßnahmen wir in diesen
sieben Monaten in diesem Parlament verabschiedet haben. Dabei hat es zwar viele kontroverse Diskussionen
gegeben. Aber ich bin davon überzeugt, dass wir in vielen Bereichen in großer Einigkeit die Grundlagen dafür
geschaffen haben, dass unsere sozialen Sicherungssysteme zukunftsfest gemacht werden können und dass vor
allen Dingen die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland gesteigert werden kann.
Dazu zählen auch die Regelungen zum Arbeitsmarkt,
besonders das jüngst verabschiedete Fortentwicklungsgesetz zu Hartz IV. Wir müssen Arbeit für die Menschen schaffen und diese in den ersten Arbeitsmarkt integrieren. Darüber hinaus müssen wir unterscheiden
zwischen denen, die sich nicht selber helfen können und
die unserer Unterstützung bedürfen, und denen, die es
sich möglicherweise in einer sozialen Hängematte bequem machen wollen. Dies kann nicht sein und dafür haben wir klare Regelungen geschaffen.
({0})
Folgendes ist aber ebenso entscheidend - das kam bei
der heutigen Debatte über den Einzelplan des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vielleicht ein wenig zu kurz -: Wir werden nur dann Arbeitsplätze in
Deutschland schaffen können, wenn die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verbessert werden. Hier hat
die Regierung bereits einige Maßnahmen eingeleitet.
Der Effekt ist in einigen Bundesländern verstärkt festzustellen, wie zum Beispiel in Bayern. Dort wurde mittlerweile eine Zunahme der sozialversicherungspflichtigen
Beschäftigung erreicht. Das ist auch ein Signal an ganz
Deutschland.
Darüber hinaus werden wir die Wettbewerbsfähigkeit
unseres Standorts mit Änderungen im Steuerrecht und
einer wettbewerbsfähigen Unternehmensbesteuerung
stärken. Viele andere Länder können für uns dafür Vorbild sein.
Heute ist ja bereits von Vorrednerinnen und Fragestellern die Frage der Standortwahl bzw. der Wohnortwahl
und der damit verbundenen Besteuerung unter moralischen Gesichtspunkten angesprochen worden. Ich bin
der Meinung, es müsste für uns ein Ansporn sein, bei
uns ein wettbewerbsfähiges Steuerrecht zu schaffen,
weil dann die Unternehmen ihre Steuern in Deutschland
zahlen.
({1})
Das kann man nicht unter moralischen Gesichtspunkten
sehen. Aber offensichtlich gibt es in diesem Bereich eine
starke Doppelmoral. Ich möchte jetzt die Kolleginnen
und Kollegen der Fraktion der Linken oder der PDSFraktion oder der WASG oder der SED - die wechseln ja
die Namen so häufig, dass im Vergleich dazu ein Chamäleon fast ein uniformes Tier ist 3706
({2})
fragen, wieso dann die SED-Millionen nach Österreich
verschoben worden sind. Das muss ich Sie schon fragen.
({3})
Dass gerade Sie auf diese Weise moralisch über andere
urteilen, ist meines Erachtens fehl am Platze.
Herr Kollege Straubinger, darf ich Sie einen Moment
unterbrechen? Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte
Sie, trotz der folgenden namentlichen Abstimmung etwas mehr Ruhe zu bewahren und Ihre Aufmerksamkeit
dem Kollegen Max Straubinger zu widmen, der Wichtiges zu sagen hat.
({0})
Bitte schön, Herr Straubinger.
Danke schön, Herr Präsident.
Ich glaube, es ist vor allen Dingen entscheidend, dass
wir die Wettbewerbsfähigkeit unseres Wirtschaftsstandortes stärken. Da haben wir sicherlich noch einige Baustellen zu bearbeiten.
Es geht aber noch um einen anderen Punkt; auch das
ist heute bereits angeklungen. Natürlich beklagen wir
den Verlust jedes Arbeitsplatzes, sowohl in kleinen als
auch in großen Unternehmen. Aber bei den Entscheidungen der Unternehmen geht es darum, den Bestand dieser
Unternehmen für die Zukunft zu sichern. Wenn sie in der
Zukunft nämlich nicht bestehen könnten, dann hätten
wir noch eine weit höhere Arbeitslosigkeit zu verzeichnen. Dies zu verhindern, muss unsere gemeinsame Aufgabe sein.
({0})
Ich möchte mich auch mit einem der beiden Änderungsanträge der Linken auseinander setzen, der vordergründig den Eindruck vermittelt, man brauche nur nach
Geld zu rufen und es dann zu verteilen. Wenn dieser Antrag für den Bundeshaushalt wirksam würde, dann hätten
wir Mehrausgaben in Höhe von 2 Milliarden bis
3 Milliarden Euro. Sie sagen natürlich nicht, woher das
Geld kommen soll.
Allein die Forderung, die Regelsätze auf 420 Euro zu
erhöhen, würde Mehrkosten von über 2 Milliarden Euro
verursachen. Ich bin überzeugt, dass es mit dieser Regelung noch viel uninteressanter würde, gering bezahlte
Tätigkeiten in unserem Lande aufzunehmen. Das kann
es nicht sein. Beim Arbeitsamt meines Wahlkreises haben sich 300 ALG-II-Bezieher freiwillig für eine landwirtschaftliche Tätigkeit gemeldet. 64 davon haben die
Arbeit angetreten. Aber einen Tag später sind nur noch
20 übrig geblieben. Man muss sich also durchaus fragen,
ob hier eine Arbeitswilligkeit vorhanden ist. Wir müssen
uns verstärkt darum bemühen, dass es Anreize zur Arbeitsaufnahme gibt.
({1})
In dem Änderungsantrag der Linken wird weiterhin
gefordert, dass die Asylbewerber in unserem Land sofort an allen Leistungen unseres Sozialstaates teilhaben
sollen. Ich bin davon überzeugt, dass man dies den Beitragszahlern und den Steuerzahlern, also denjenigen, die
tagtäglich zur Arbeit gehen und vielleicht nur ein geringes Einkommen haben, in keiner Weise zumuten kann.
Unsere Bürgerinnen und Bürger würden eine Ausweitung des Berechtigtenkreises mit Sicherheit nicht mittragen.
({2})
Sie fordern zusätzlich unabhängige Sozialberatungsstellen. Das bedeutet aber: Sie unterstellen letztendlich
unseren staatlichen Sozialberatungsstellen und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bundesagentur für
Arbeit bzw. den Argen, dass sie nicht objektiv beraten
bzw. Ratsuchende nicht unterstützen. Diese Forderung in
Ihrem Antrag ist unerträglich.
({3})
Ich bin überzeugt: Diese Koalition ist auf einem guten
Weg. Der Herr Bundesminister hat bereits sehr viele
wegweisende Maßnahmen besonders im Bereich der
Rente dargestellt. Ich spreche mich dafür aus, dass bei
der Rente die private Vorsorge der Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer gestärkt wird. Ich wünsche mir auch,
dass das Wohneigentum bei der Förderung hinsichtlich
der privaten Vorsorge einen besonderen Stellenwert bekommt.
Wir werden mit unseren Vorschlägen den Sozialstaat
weiter festigen und im Sinne der Hilfebedürftigen in unserem Land weiter ausbauen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({4})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 11 - Bundesministerium für Arbeit und Soziales in der Ausschussfassung. Hierzu liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion Die Linke vor, über die wir
zuerst abstimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 16/1867? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen aller
Fraktionen bei Zustimmung der Fraktion Die Linke abgelehnt.
Wir kommen zum Änderungsantrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 16/1866. Zu diesem Änderungsantrag ist namentliche Abstimmung beantragt.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung. Haben alle Kolleginnen und Kollegen ihre
Stimmkarte abgegeben? - Noch nicht.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Ich glaube, jetzt haben alle Kolleginnen und Kollegen
ihre Stimmkarte abgegeben. Ich schließe den Wahlgang
und bitte, mit der Auszählung zu beginnen. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung
unterbreche ich die Sitzung.
({0})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich gebe das Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt: Abgegebene Stimmen 569. Mit Ja haben gestimmt 49, mit Nein 520, Enthaltungen keine.
Der Änderungsantrag der Fraktion Die Linke ist abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 569;
davon
ja: 49
nein: 520
Ja
DIE LINKE
Hüseyin-Kenan Aydin
Dr. Lothar Bisky
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Sevim Dagdelen
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Dr. Gregor Gysi
Heike Hänsel
Lutz Heilmann
Cornelia Hirsch
Inge Höger-Neuling
Dr. Barbara Höll
Dr. Lukrezia Jochimsen
Dr. Hakki Keskin
Monika Knoche
Jan Korte
Katrin Kunert
Oskar Lafontaine
Michael Leutert
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Ulrich Maurer
Dorothee Menzner
Kersten Naumann
Wolfgang Neskovic
Dr. Norman Paech
Bodo Ramelow
Elke Reinke
Paul Schäfer ({0})
({1})
Dr. Herbert Schui
Dr. Petra Sitte
Frank Spieth
Dr. Axel Troost
fraktionslos
Gert Winkelmeier
Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Peter Albach
Peter Altmaier
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({2})
Veronika Bellmann
Otto Bernhardt
Clemens Binninger
Carl-Eduard von Bismarck
Renate Blank
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({3})
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Monika Brüning
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Alexander Dobrindt
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Georg Fahrenschon
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({4})
Dirk Fischer ({5})
Axel E. Fischer ({6})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({7})
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Michael Glos
Ralf Göbel
Dr. Reinhard Göhner
Josef Göppel
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Karl-Theodor Freiherr zu
Guttenberg
Olav Gutting
Holger Haibach
Ursula Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Robert Hochbaum
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung ({8})
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Siegfried Kauder ({9})
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Kristina Köhler ({10})
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Johann-Henrich
Krummacher
Dr. Hermann Kues
Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Eduard Lintner
Dr. Michael Luther
Stephan Mayer ({11})
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Laurenz Meyer ({12})
Maria Michalk
Hans Michelbach
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Carsten Müller
({13})
Stefan Müller ({14})
Bernward Müller ({15})
Hildegard Müller
Bernd Neumann ({16})
Henry Nitzsche
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Dr. Peter Paziorek
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Eckhardt Rehberg
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Katherina Reiche ({17})
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({18})
Hermann-Josef Scharf
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({19})
Andreas Schmidt ({20})
Ingo Schmitt ({21})
Dr. Andreas Schockenhoff
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Kurt Segner
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Jens Spahn
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Thomas Strobl ({22})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß ({23})
Gerald Weiß ({24})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Anette Widmann-Mauz
Elisabeth WinkelmeierBecker
Matthias Wissmann
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
SPD
Dr. Lale Akgün
Gregor Amann
Gerd Andres
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr ({25})
Doris Barnett
Dr. Hans- Peter Bartels
Klaus Barthel
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({26})
Volker Blumentritt
Kurt Bodewig
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({27})
Edelgard Bulmahn
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Martin Dörmann
Dr. Carl-Christian Dressel
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Renate Gradistanac
Angelika Graf ({28})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann
({29})
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({30})
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({31})
Frank Hofmann ({32})
Eike Hovermann
Brunhilde Irber
Johannes Jung ({33})
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Dr. h.c. Susanne Kastner
Christian Kleiminger
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Anette Kramme
Ernst Kranz
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange ({34})
Dr. Karl Lauterbach
Helga Lopez
Gabriele Lösekrug-Möller
Dirk Manzewski
Lothar Mark
Katja Mast
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Petra Merkel ({35})
Ulrike Merten
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller ({36})
Michael Müller ({37})
Gesine Multhaupt
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Christoph Pries
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Steffen Reiche ({38})
Maik Reichel
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
Sönke Rix
Rene Röspel
Karin Roth ({39})
Michael Roth ({40})
Ortwin Runde
Marlene Rupprecht
({41})
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({42})
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Marianne Schieder
Otto Schily
Ulla Schmidt ({43})
Silvia Schmidt ({44})
Heinz Schmitt ({45})
Carsten Schneider ({46})
Olaf Scholz
Ottmar Schreiner
Reinhard Schultz
({47})
Swen Schulz ({48})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Dr. Rainer Tabillion
Jella Teuchner
Dr. h.c. Wolfgang Thierse
Jörn Thießen
Franz Thönnes
Hans-Jürgen Uhl
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Petra Weis
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen
({49})
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Waltraud Wollf
({50})
Heidi Wright
Uta Zapf
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
FDP
Jens Ackermann
Dr. Karl Addicks
Christian Ahrendt
Daniel Bahr ({51})
Uwe Barth
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Otto Fricke
Horst Friedrich ({52})
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther ({53})
Elke Hoff
Birgit Homburger
Dr. Heinrich L. Kolb
Hellmut Königshaus
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Heinz Lanfermann
Harald Leibrecht
Michael Link ({54})
Markus Löning
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Hans-Joachim Otto
({55})
Detlef Parr
Gisela Piltz
Jörg Rohde
Frank Schäffler
Dr. Konrad Schily
Marina Schuster
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Florian Toncar
Christoph Waitz
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({56})
Martin Zeil
BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({57})
Cornelia Behm
Birgitt Bender
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Dr. Ursula Eid
Hans Josef Fell
Kai Gehring
Britta Haßelmann
Winfried Hermann
Priska Hinz ({58})
Dr. Anton Hofreiter
Thilo Hoppe
Ute Koczy
Fritz Kuhn
Undine Kurth ({59})
Monika Lazar
Dr. Reinhard Loske
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({60})
Winfried Nachtwei
Brigitte Pothmer
Claudia Roth ({61})
Krista Sager
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Dr. Gerhard Schick
Rainder Steenblock
Silke Stokar von Neuforn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Jürgen Trittin
Wolfgang Wieland
Josef Philip Winkler
Margareta Wolf ({62})
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzel-
plan 11 in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? -
Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 11 ist
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen der FDP-Fraktion, der Fraktion Die Linke und
der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen angenom-
men.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.13 auf:
a) Einzelplan 17
Bundesministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend
- Drucksache 16/1324 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Frank Schmidt
Otto Fricke
Roland Claus
b) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Einführung des Elterngeldes
- Drucksache 16/1889 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({63})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ekin
Deligöz, Krista Sager, Kai Boris Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Kinder fördern und Vereinbarkeit von Beruf
und Familie stärken - Rechtsanspruch auf
Kindertagesbetreuung ausweiten
- Drucksache 16/1673 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({64})
Finanzausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Außerdem rufe ich die Zusatzpunkte 4 bis 6 auf:
ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Monika
Lazar, Irmingard Schewe-Gerigk, Kerstin
Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Rechtsextremismus ernst nehmen - Bundesprogramme Civitas und entimon erhalten, Initiativen und Maßnahmen gegen Fremdenfeindlichkeit langfristig absichern
- Drucksache 16/1498 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({65})
Innenausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss
ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla
Jelpke, Diana Golze, Petra Pau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Fortführung und Verstetigung der Programme gegen Rechtsextremismus
- Drucksache 16/1542 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({66})
Innenausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss
ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Jörn
Wunderlich, Karin Binder, Klaus Ernst, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Elterngeld sozial gestalten
- Drucksache 16/1877 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({67})
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. Gibt es Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteilte als erster Rednerin das Wort der Kollegin Ina Lenke von der FDPFraktion.
({68})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die
finanzpolitischen Entscheidungen der großen Koalition
- Mehrwertsteuererhöhung, Erhöhung der Steuern auf
Benzin, die Senkung der Altersgrenze für die Beziehung
von Kindergeld von 27 auf 25 Jahre; demnächst fallen
auch noch höhere Kosten für die Gesundheit an - wirken
sich sehr negativ auf Familien aus. Den Eltern wird das
Geld aus der rechten Tasche herausgenommen und ihnen
wird in die linke Tasche weniger gegeben.
Die hohe Verschuldung des Haushaltes 2006 ist - das
wissen wir alle - nicht generationengerecht. Ich zeige
Ihnen noch einmal das „Sparbuch“ der FDP. Wir haben
viele Vorschläge gemacht, wie in diesem Haushalt Einsparungen vorgenommen werden könnten. Es wäre besser gewesen, Sie hätten sie übernommen, selbst wenn es
nur einige gewesen wären.
({0})
Was wir heute erleben, kann als Tauschgeschäft zulasten von Familien in Deutschland beschrieben werden.
Das Gesetz zur Einführung des Elterngeldes, über das
wir heute beraten, soll die familienfreundliche und kinderfreundliche Politik der großen Koalition postulieren.
Das ist aber nur ein Baustein, der allein nicht greifen
wird. Die Forderung nach einer bundesweit qualitativ
guten Kinderbetreuung hat für viele Familien und Eltern einen höheren Stellenwert als die Zahlung eines Elterngeldes für die Dauer von zwölf Monaten, wenn die
anschließende Kinderbetreuung fehlt. Ohne anschließende Kinderbetreuung wird das Elterngeld nur ein nettes Starterpaket für Familien sein. Danach schnappt die
Kinderbetreuungsfalle zu.
Die FDP-Bundestagsfraktion hat bereits im April dieses Jahres einen Antrag dazu eingebracht. Was wir brauchen, liebe Kollegen und Kolleginnen, ist eine Allianz
für Familien mit Wahlfreiheit bei der Lebensgestaltung
und mehr Freiraum für Familien mit Kindern.
({1})
Die bisherige Organisation der staatlichen Kinderbetreuung ohne Markt und Wettbewerb hat zu starren Öffnungszeiten geführt, die zu den flexiblen Arbeitszeiten,
die wir heute haben, überhaupt nicht passen. Das ist in
den neuen Bundesländern etwas anders. Wir schauen
manches Mal sehr neidisch dorthin. Wer als Mutter aus
dem Büro zum Kindergarten hastet,
({2})
weil dieser mittags pünktlich schließt, kennt den Druck,
dem Eltern tagtäglich ausgesetzt sind.
({3})
Frau von der Leyen, wenn Ihr Ziel der Dreiklang aus
guter Infrastruktur, familienfreundlicher Arbeitswelt und
passgenauen finanziellen Leistungen sein soll, dann hätten Sie heute neben dem Konzept zum Elterngeld ein
Konzept zur Anschlussbetreuung vorlegen müssen.
({4})
In unserem Antrag fordern wir die Bundesregierung
auf, endlich einen Kinderbetreuungsgipfel einzuberufen. Die Bundesregierung, die Bundesländer, die kommunalen Spitzenverbände und Kommunen haben sich
lange genug gegenseitig den schwarzen Peter zugeschoben, und das auf dem Rücken der jungen Eltern.
Ein Wort zum Antrag von Bündnis 90/Die Grünen,
der die Forderung nach mehr Kinderbetreuung enthält.
Damit kommen Sie zwei Legislaturperioden zu spät.
({5})
Sie haben in der rot-grünen Bundesregierung anscheinend geschlafen und wachen erst in der Opposition auf.
({6})
Die FDP-Bundestagsfraktion erwartet von der Bundesregierung, dass die gesamte Familienförderung auf
den Prüfstand gestellt wird. Sie muss vereinfacht und
transparent werden. Obwohl in Deutschland mehr als
100 Milliarden Euro für Leistungen für Familien ausgegeben und erbracht werden, haben wir in Europa eine
der niedrigsten Geburtenraten.
Frau von der Leyen, ich sage auch für mich persönlich: Die ersten Informationen zum Elterngeld klangen
sehr viel versprechend. Denn der Idee einer Lohnersatzleistung für Berufstätige stehe ich grundsätzlich positiv
gegenüber. Doch ein Paradigmenwechsel in der Familienpolitik ist das nicht.
Weshalb?
Erstens. Teilzeit in der Erziehungszeit wird zu zwei
Dritteln auf das Elterngeld angerechnet. Das Ergebnis
ist, dass wir nur eine scheinbare Wahlfreiheit haben.
Denn kaum jemand wird für ein Drittel des Nettolohnes
in der Elternzeit arbeiten gehen wollen.
Zweitens. Das Elterngeld als Lohnersatzleistung: Dieses Prinzip wird oft durchbrochen. Festbeträge werden
als Mindestelterngeld gezahlt. Bei ALG-II-Empfängerinnen greift das Elterngeldprinzip - Sie nennen es: Entlohnung, um das Kind zu Hause zu betreuen - nicht. Ob
das richtig ist und damit richtigerweise in dieses Gesetz
aufgenommen wurde, wage ich zu bezweifeln.
Drittens. Unverheiratete Paare mit Kindern sowie Alleinerziehende werden durch dieses Gesetz nur mit
600 Euro beglückt, während Ehepaare zusätzlich zu den
je 300 Euro monatlich in den Genuss der Vorteile aus
dem Ehegattensplitting kommen.
Wir haben die Kritik gehört, dass es als Ergebnis des
Elterngeldes zu Einsparungen bei ärmeren Familien
kommt. Mit welcher Begründung greift bei der Geburt
des zweiten Kindes innerhalb von 24 Monaten eine neue
Elterngeldberechnung? Warum orientieren Sie sich nicht
an der Arbeitsplatzgarantie von 36 Monaten, die Frauen
die Rückkehr in den Beruf absichern soll?
Hinsichtlich der Stichtagsregelung kritisieren viele
Eltern eine fehlende Übergangsregelung. Die Geringverdienerregelung - ich hätte sie Ihnen gern vorgelesen,
aber die Zeit reicht dafür nicht aus - ist derart bürokratisch, dass man sich wirklich darüber kaputtlachen kann.
({7})
Der Prozentsatz erhöht sich von 67 Prozent um
0,1 Prozent für je 2 Euro, um die das maßgebliche Einkommen den Betrag von 1 000 Euro unterschreitet, auf
bis zu 100 Prozent. Dazu wird es extra ein Buch mit
40 bis 50 Seiten geben müssen, damit die Leute diese
Regelung überhaupt verstehen. Ich will nur ganz kurz
darauf hinweisen: Für Personen mit der Steuerklasse V
ist das ganz schrecklich. Eine Frau mit Steuerklasse V
erhält nur 630 Euro Elterngeld pro Monat, während eine
Frau mit Steuerklasse III 1 020 Euro bekommt.
Wir werden uns in den Beratungen sehr mit Ihrem
Antrag und Ihrem Konzept des Elterngeldes auseinander
setzen. Aber eines ist schon heute klar: Ohne verlässliche Kinderbetreuung gibt es in der Familienpolitik keinen Paradigmenwechsel.
({8})
Das Wort hat jetzt die Bundesministerin Dr. Ursula
von der Leyen.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Haushalt des Bundesfamilienministeriums hat für das nächste
Jahr einen Aufwuchs von 1 Milliarde Euro bekommen.
Das ist ein Quantensprung. Als ich die Debatten der letzten Tage verfolgt habe, habe ich wahrgenommen, dass
diese Mehrausgaben in Höhe von 1 Milliarde Euro für
das Elterngeld teilweise von Kritik begleitet wurden.
Den Kritikern sei gesagt: Allein durch den Rückgang der
Geburtenrate haben die Finanzminister dieses Landes
seit dem Jahre 1997 stillschweigend weit über 1 Milliarde Euro gespart, und zwar deswegen, weil weniger
Kindergeld gezahlt werden musste. Von kindbezogenen
Sozialleistungen, Freibeträgen und Ausbildungskosten
will ich gar nicht erst sprechen. Da kommen Milliardenbeträge zusammen. Aber um welchen Preis? Es geht um
die Lebensoptionen und Zukunftsvorstellungen einer
Gesellschaft. Deshalb ist es jetzt an der Zeit, die richtigen Schwerpunkte zu setzen. Das erfordert haushaltspolitisch einen Kraftakt. Aber das ist die richtige und
zeitgemäße Investition.
({0})
Zu den Zahlen: Das Erziehungsgeld hat im Jahre
2005 - das sind die jüngsten Zahlen, die vorliegen rund 2,9 Milliarden Euro gekostet. Für das Jahr 2007
sind die Ausgaben für das Elterngeld mit 3,5 Milliarden
Euro beziffert; wir liegen also unter Soll. In 2008 sind
4,4 Milliarden Euro eingeplant, weil sich in diesem Jahr
das auslaufende Erziehungsgeld und das Elterngeld
überlagern. Das ist aber ein Einmaleffekt. Ab 2009 betragen die Kosten für das Elterngeld, wie verabredet,
3,9 Milliarden Euro.
Weil ich des Öfteren die Kritik gehört habe, das Gesamtvolumen des Elterngeldes könne steigen, sage ich
Ihnen: Sollte es in späteren Jahren tatsächlich steigen,
wäre das das Beste, was diesem Land passieren kann.
Denn das würde bedeuten, dass mehr Kinder geboren
werden und ihre Eltern Arbeit haben.
({1})
Herr Westerwelle hat gestern darauf hingewiesen,
dass jedes Kind gleich viel wert ist. Da hat er völlig
Recht. Aber das Elterngeld ist keine kindbezogene Leistung.
({2})
Es ist kein Kindergeld, sondern eine elternbezogene
Leistung.
({3})
Es berücksichtigt den Umstand, dass junge Menschen,
die ein Kind bekommen und sich für ihr Kind Zeit nehmen, im Vergleich zu ihren Berufskollegen Einkommen
verlieren.
({4})
Die Einführung des Elterngeldes verdeutlicht, dass Kinder nicht nur ein großes Glück für ihre Eltern und Geschwister sind, sondern auch ein großer Gewinn für dieses Land. Wenn sich - aus welchen Gründen auch immer nicht mehr alle Menschen für Kinder entscheiden, aber
alle auf die nachwachsenden Generationen bauen, dann
können auch alle aus Steuermitteln dazu beitragen, dass
der Einkommensverlust der Eltern am Anfang der Erziehungszeit ausgeglichen wird.
({5})
Herr Gysi hat gestern von den Besserverdienenden
gesprochen. Ich möchte darum bitten, auch in diesem
Zusammenhang erst einmal die Realität zur Kenntnis zu
nehmen:
({6})
98 Prozent aller Frauen, die sich im 30. Lebensjahr befinden - im Durchschnitt bringen Frauen in Deutschland
in diesem Alter ihr erstes Kind zur Welt -, haben Nettoeinkommen, die unterhalb der Obergrenze liegen, die für
die Förderung durch das Elterngeld vorgesehen ist. So
gering sind eben die Einkommen am Anfang des Berufslebens. Dennoch werden die Kinder in diesem Alter geboren. Durch das Elterngeld wird dieser Einkommenseinbruch abgefangen. Das ist richtig.
({7})
Ich bin froh, dass es uns - auch dank der breiten Unterstützung aus Gesellschaft, Wirtschaft und Politik - gemeinsam gelungen ist, das Elterngeld auf den Weg zu
bringen. Es wird allen Eltern nützen, die sich im ersten
Lebensjahr ihres Kindes Zeit für ihr Neugeborenes nehmen und auf Einkommen verzichten. Die Einführung
des Elterngeldes ist aber auch ein klares Signal, dass es
von der Gesellschaft akzeptiert ist, Kontakt zum Berufsleben zu halten und später in den Beruf zurückzukehren.
Grundsätzlich sind Eltern zunächst einmal selbst für
die Sicherung des Lebensunterhalts der Kinder verantwortlich. Nur dann, wenn sie dies nicht selbst schaffen, ist das die Aufgabe des Sozialstaates, allerdings
nicht die des Elterngeldes. Deshalb ist es konsequent, die
Kernleistung auf ein Jahr zu begrenzen.
Das Elterngeld wird an Vater oder Mutter für maximal 14 Monate gezahlt. Sie können diesen Zeitraum frei
untereinander aufteilen. Allerdings können von einem
Elternteil höchstens 12 Monate in Anspruch genommen
werden, die zwei weiteren Monate sind für den anderen
Partner reserviert. Das hat enorme Diskussionen ausgelöst. Aber diese Diskussionen haben Sinn gemacht.
({8})
Sie haben nämlich die längst überfällige Debatte über
die Rolle des Vaters in der Kindererziehung ausgelöst
und die Frage nach seiner Möglichkeit der Vereinbarkeit
von Beruf und Familie in den Mittelpunkt gerückt. Die
Partnermonate sind eine echte Option; das heißt, man
kann sie nehmen oder es lassen. Ersetzt wird nur ausfallendes Einkommen, und zwar zu 67 Prozent, maximal
1 800 Euro. Damit stärken wir auch den Vätern den Rücken, die sich Zeit für ihr eigenes Kind nehmen wollen.
Das wird zu einem Umdenken in der Arbeitswelt führen.
({9})
Das ist auch gewollt; denn in einer modernen Gesellschaft werden Kinder ihre Väter im Alltag genauso brauchen wie ihre Mütter.
Damit erweitert sich die Interpretation des so viel genutzten Begriffs der Wahlfreiheit. Die Möglichkeit, bei
den Kindern zu sein oder zu arbeiten, diese Wahlfreiheit
müssen beide Geschlechter haben.
({10})
Echte Wahlfreiheit kommt vor allem den Kindern zugute; denn sie haben mehr von beiden Elternteilen.
Frau Lenke, das Elterngeld steht nicht alleine; das ist
völlig richtig. Ebenso wichtig ist die Kinderbetreuung.
Beides muss Hand in Hand gehen. Wenn man sich Länder anschaut wie Schweden, wo das Elterngeld vor rund
10 Jahren eingeführt worden ist, muss man feststellen,
dass die Kinderbetreuung damals auch dort noch sehr lückenhaft war. Erst das Elterngeld und die Diskussion
darüber haben den entscheidenden Schub zu einem flächendeckenden Ausbau der Kinderbetreuung gebracht,
von dem wir alle wissen, wer für ihn die primäre Verantwortung hat. Es war ganz interessant, in den letzten Wochen und Monaten zu beobachten, wie diese Diskussion
inzwischen auch bei uns eingesetzt hat, und zwar mit
voller Vehemenz. Es wird gar nicht mehr darüber diskutiert, ob wir überhaupt Kinderbetreuung brauchen, sondern nur noch, wie und wann wir sie für alle Kinder ermöglichen können.
Frau von der Leyen, darf ich Sie einen Moment unterbrechen? - Die Frau Kollegin Haßelmann würde gerne
eine Zwischenfrage stellen.
Ich habe nur noch vier Minuten und noch den ganzen
Einzelplan vor mir.
Die Zeit wird gestoppt.
Dann ist es gut.
Bitte schön, Frau Haßelmann.
Frau von der Leyen, Sie vermitteln uns gerade die
Vorzüge des Elterngeldes,
({0})
auch in Bezug auf die gerechte Verteilung von Elternarbeit und Erziehungsarbeit zwischen Frauen und Männern. Sie haben innerhalb der CDU/CSU ja sehr lange
gebraucht, bis Sie das erkannt haben.
({1})
Meine Frage ist: Wieso unterscheiden Sie bei der vorgesehenen Regelung zwischen arbeitenden Eltern, die sich
die Erziehung teilen wollen - sie sollen 14 Monate Anspruch haben, nämlich 12 plus zwei -, und Arbeitslosengeld II beziehenden Eltern, die sich die Erziehung
teilen wollen und nur 12 Monate lang Elterngeld bekommen? Empfinden Sie diese Regelung nicht als zutiefst
ungerecht?
({2})
Die Kernzeit ist frei aufteilbar, wie immer man es
möchte. Das gilt für alle. Der 13. und 14. Monat sind
eine echte Option. Ich sagte es bereits: Man kann sie
nehmen oder es lassen. Das heißt, es gibt für niemanden
300 Euro Mindestelterngeld - für niemanden -, der diese
Zeit nicht nimmt, und es wird in der Tat nur ausfallendes
Einkommen ersetzt. Wenn kein Einkommen ausfällt,
dann wird im 13. und 14. Monat auch kein Einkommen
ersetzt.
({0})
Die Kernzeit von 12 Monaten bleibt unangetastet.
({1})
Ich war beim Thema Kinderbetreuung. Dazu will ich
noch ankündigen, dass ich den Bericht zum Stand des
Ausbaus der Kinderbetreuung Mitte Juli der Öffentlichkeit vorstellen werde.
Meine Damen und Herren, ich komme nun zum
Einzelplan 17 insgesamt. Er orientiert sich an den Istergebnissen des Jahres 2005. Ab 2007 möchten wir auf
Empfehlung der Berichterstatter des Haushaltsausschusses die Ausgaben für die Bereiche Familien-, Seniorenund Gleichstellungspolitik in einem Titel zusammenführen. Das entspricht einem sehr modernen Ansatz der
Haushaltsführung. Es gibt dem Haus vor allem mehr
Flexibilität und kommt unseren Schwerpunkten zugute.
Drei der Schwerpunkte möchte ich noch herausgreifen. Ein Schwerpunkt ist das Programm „Frühe Hilfen“. Wir werden gemeinsam mit den Ländern und den
Kommunen Modelle entwickeln, um frühzeitig Kindern
in prekären Familiensituationen zu helfen. Wir möchten
ein Frühwarnsystem einrichten, um diese Kinder rechtzeitig zu finden und gezielt Hilfe in die Familien hineinzutragen. Die Strukturen dafür haben wir bereits: Hebammen, Familienhelfer, Kinderärzte, Geburtshelfer,
Kinder- und Jugendhilfe. Es gilt jetzt, sie effizienter zu
vernetzen. Das Projekt „Frühe Hilfen“ ist im Kinderund Jugendplan veranschlagt und wird mit Verabschiedung des Haushalts starten.
Der zweite Schwerpunkt ist die Stärkung des Zusammenhaltes der Generationen. Das Programm „Mehrgenerationenhäuser“ steht gewissermaßen in den Startlöchern. Ich denke, wenn die Familien kleiner und bunter
werden und wir den Kreislauf des Gebens und Nehmens
zwischen den Generationen mehr denn je brauchen werden, dann sind Mehrgenerationenhäuser, wenn auch
nicht die einzige, aber eine sehr zeitgemäße Antwort
darauf. Sie schaffen Räume, wo sich die Generationen
im Alltag helfen und wo sie Kompetenzen austauschen
können. Aber sie schaffen in einer modernen Gesellschaft auch einen „Marktplatz für Dienstleistungen“, die
insbesondere Familien entlasten, und stellen als Marktplatz für bürgerschaftliches Engagement eine Drehscheibe dar.
Bis zum Jahr 2010 soll es in jedem Landkreis und in
jeder kreisfreien Stadt ein Mehrgenerationenhaus geben,
insgesamt 439. Wir stellen aus Bundesmitteln 98 Millionen Euro zur Verfügung. Gleich nach Verabschiedung
des Haushalts 2006 wird eine Servicestelle eingerichtet.
Die erste Ausschreibungs- und Förderwelle wird noch
2006 erfolgen, eine zweite Welle im Jahr 2007.
Dritter und letzter Schwerpunkt ist das Thema „Toleranz und Demokratie“. Dieser Tage während der WM
präsentiert sich Deutschland als ein weltoffenes, tolerantes Land,
({2})
in dem Menschen ganz vieler Kulturen friedlich zusammenleben. Das soll so bleiben. Wir wollen demokratisches Verhalten und ziviles Engagement in unserem
Land nachhaltig stärken. Themen wie Rechtsextremis3714
mus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und jede
Form von Extremismus dürfen keine Chance haben.
({3})
Die bisherigen Programme laufen plangemäß 2006
aus. Aber wie in der Koalitionsvereinbarung festgelegt,
wird die Bundesregierung ab 2007 mit einem neuen Programm den Weg zur Stärkung von Vielfalt, Toleranz und
Demokratie sowie gegen Rechtsextremismus konsequent weitergehen. Im Rahmen der Aufstellung des
Haushalts 2007 planen wir mit einem gleich hohen Betrag wie in 2006.
({4})
Abschließend darf ich zusammenfassen: Ich denke,
der Haushalt des Einzelplans 17 setzt die richtigen
Schwerpunkte für Kinder, für Eltern und für den Zusammenhalt der Generationen.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort hat der Kollege Jörn Wunderlich von der
Fraktion Die Linke.
({0})
Verehrter Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer auf den Rängen und zu Hause!
Enttäuschend, Frau Ministerin von der Leyen! Ich habe
Ihnen mehrfach versprochen - und ich halte mich an
Versprechen - sowohl Ihre Worte als auch Ihre Taten einer gründlichen Überprüfung zu unterziehen. Die Einführung des Elterngeldes als Lohnersatzleistung ist
prinzipiell eine positive Entwicklung in der Familienpolitik und findet unsere Unterstützung. Aber eine Neuorientierung in der Familienpolitik darf nicht aus einer
Umverteilung von Arm nach Reich bestehen.
({0})
Deshalb bekräftige ich mit Nachdruck unsere Forderung:
Das Gesetz zur Einführung eines Elterngeldes muss weiter sozial ausgestaltet werden.
Mit dem Elterngeld soll die berufliche Eigenständigkeit der Frauen gestärkt und gesichert werden, die Väter
sollen für die Betreuung von Kindern in die Pflicht genommen werden. Deshalb ist das Elterngeld weder eine
Kinderförderung noch eine Kinderprämie. Ich erwähne
das an dieser Stelle, weil das in den Medien immer gerne
vermengt wird. Das Elterngeld ist eine Lohnersatzleistung; sie beträgt zwei Drittel des bisherigen Nettolohns.
({1})
Etwas mehr Mühe bedarf es schon, die gut verpackten
Unzulänglichkeiten im Elterngeldgesetz herauszufinden.
Frau von der Leyen, das Elterngeldkonzept ist eine familien- und sozialpolitische Mogelpackung zulasten der
Einkommensschwachen, der Alleinerziehenden und der
Empfänger von Arbeitslosengeld II.
({2})
Darüber verlieren Sie in der Öffentlichkeit allerdings
kein Wort. Diese Unehrlichkeit wird mit Aussprüchen
gepaart wie „Eins zu null für die Familien: Das Elterngeld kommt“
({3})
oder „Heute ist ein guter Tag für Familien“.
({4})
Das zeigt, wie arrogant Macht sein kann. Der zuletzt zitierte Satz hat mich doch stark an den Ausspruch des
Sachverständigen Hartz erinnert, der bei der Vorstellung
seiner Gesetzesinitiativen gesagt hat: Ein guter Tag für
Arbeitslose. - Was daraus geworden ist, können wir alle
hier unumwunden sehen.
({5})
Es gab Nachbesserungen und Verschärfungen zulasten
der Betroffenen. Ein solcher Satz ist ein Schlag ins Gesicht der Betroffenen und an Zynismus kaum zu überbieten.
Petitionen, die von mehr als 10 000 Bürgerinnen und
Bürgern mitgetragen werden und Unmengen an Briefen,
Mails und Stellungnahmen belegen, dass der Umfang
der Regelungen zum Elterngeld schon jetzt Unsicherheit
bei den Eltern hervorruft. Sie aber, Frau von der Leyen,
gehen wie immer charmant lächelnd darüber hinweg,
obwohl diese Ungerechtigkeiten nach wie vor auf der
Tagesordnung sind.
Herr Kollege Wunderlich, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Kressl?
Aber gerne.
Bitte schön, Frau Kressl.
Herr Kollege Wunderlich, ich finde sehr interessant,
dass Sie darauf hinweisen, dass es mehrere tausend Petitionen zum Elterngeld gibt. Ich hoffe, es ist Ihnen bewusst, dass alle diese Petentinnen und Petenten wollen,
dass sie das Elterngeld so schnell wie möglich bekommen. Ich bitte Sie dringend, hier nicht den Eindruck zu
erwecken, als sei die Anzahl dieser Petenten ein Indiz
dafür, dass sie mit unserer Regelung unzufrieden sind.
Das Gegenteil ist der Fall.
({0})
Sie dürfen aber nicht übersehen, dass ein sehr großer
Prozentsatz gerade die Stichtagsregelung anprangert.
({0})
Darauf komme ich nachher noch zu sprechen. Es wird
aber auch kritisch gefragt: Was ist mit dem Elterngeld?
Wieso werde ich schlechter gestellt? Warum bekomme
ich nicht die Leistungen, die andere bekommen? - Man
muss die Petitionen und die Schriftstücke auch einmal
lesen.
({1})
Diese Fragen stellt sich zum Beispiel ein Empfänger
von ALG II, der bisher 24 Monate lang 300 Euro monatlich an Erziehungsgeld bekam und jetzt plötzlich nur
noch 12 Monate lang 300 Euro Elterngeld erhält, ohne
dabei die Aussicht auf Arbeit zu haben.
({2})
- Ja. Sie selbst sagen aber, der Grundbetrag werde als
Anerkennung für die Erziehungsleistung gezahlt.
({3})
Die Anerkennung der Erziehungsleistung von Empfängern des Arbeitslosengeldes II scheint also weniger
wert zu sein. Das gilt auch für die Erziehung der Kinder,
die vor dem 1. Januar 2007 geboren wurden bzw. werden.
({4})
Das Elterngeld gibt jungen Müttern - ich zitiere unsere Ministerin - einen Schonraum, sich ohne finanziellen Druck Zeit für ihr Neugeborenes zu nehmen.
({5})
- Frau Humme, ich kenne Ihre Meinung. - Am stärksten
benachteiligt ist doch die allein erziehende Empfängerin
von ALG II. Sie kann sich noch nicht einmal auf die
Ausnahmeregelung, die Möglichkeit der Verlängerung,
berufen. Das haben Sie vorhin ja noch einmal ausgeführt, Frau von der Leyen. Ich frage Sie: Wie muss sich
diese Betroffene fühlen?
Ich wiederhole es mit Nachdruck: Das Elterngeld
bleibt sozial unausgewogen. 15 Prozent aller jungen ostdeutschen Mütter sind arbeitslos und suchen eine Beschäftigung, finden aber keine. Mit dem Elterngeldgesetz
wird ihnen zusätzlich die Hälfte der sozialen Sicherheit,
nämlich die Hälfte der Leistungen nach dem gegenwärtigen Bundeskindergeldgesetz, genommen. Zusätzlich erhöht die Regierung ab Januar 2007 die Mehrwertsteuer,
ohne auch nur im Geringsten über Ausgleichsleistungen
nachzudenken. Eins zu null, Frau von der Leyen. Ich
frage mich nur: Für wen?
Ein Wort zur Stichtagsregelung; ich habe das schon
angesprochen. Ich frage Sie: Ist die Erziehungsleistung
von Eltern, deren Kinder vor dem 1. Januar 2007 geboren wurden bzw. werden, weniger wert als die der Eltern,
deren Kinder nach dem 1. Januar 2007 geboren werden?
({6})
Wir haben immer angemahnt, dass Frauen, die bereits
schwanger sind - Frau von der Leyen, ich gehe einmal
davon aus, dass Sie wissen, wie lange eine Schwangerschaft dauert; das weiß sogar ich -, nicht wissen, was ab
dem 1. Januar 2007 auf sie zukommt. Sie haben sich Zeit
genommen. Das Thema war in der Diskussion, aber es
kam keine Information, wann was passiert. Jetzt aber
soll das Gesetz ruckzuck vor der Sommerpause beschlossen werden, ohne jede Übergangsregelung für
Sonder- und Extremfälle.
Herr Kollege Wunderlich, erlauben Sie noch eine
Zwischenfrage des Kollegen Kucharczyk von der SPD?
Ja.
Bitte.
Herr Kollege Wunderlich, teilen Sie die Auffassung,
dass die Zielsetzung von Kindergeld und Elterngeld unterschiedlich gelagert ist?
Ja. Vom Kindergeld rede ich hier auch nicht.
Aber Sie verwechseln scheinbar etwas.
({0})
Nein, ich verwechsele nichts.
Es hört sich so an.
Gucken Sie in die Statistik und fragen Sie im Ministerium nach!
Frau von der Leyen, was hindert Sie in Ihrem Demokratieverständnis daran, ein Wahlrecht zwischen der bisherigen Regelung und dem Elterngeld einzuräumen?
Beim Mindestelterngeld fordern wir mit allem
Nachdruck eine Anhebung und Nachbesserung. Greifen
Sie aber dabei nicht wieder, wie es bislang immer wieder
geschehen ist, den Ärmsten in die Tasche!
({0})
- Mein Gott, Frau Humme, Sie wissen ja schon selber
nicht mehr, was Sie tun.
({1})
Aber was soll man von der Regierung auch anderes erwarten? Bei der satten Mehrheit in allen Gremien und
Ausschüssen ist Kritik im Grunde aussichtslos; sie wird
abgebügelt.
({2})
- Doch, der kommt noch. Die Frage ist nur, bei wem.
Wenn Sie immer wieder halbherzig auf unsere Nachbarländer verweisen, zum Beispiel auf Schweden, dann
können Sie das nicht einfach aus dem Kontext herausreißen.
({3})
Erwähnen Sie bitte alles. In Schweden ist das Elterngeld
nämlich eine Versicherungsleistung, in Deutschland ist
es steuerfinanziert. Sie verschweigen, dass die finanzielle Unterstützung hier immer wieder vom Geldbeutel
der Eltern abhängig gemacht wird. - Eins zu null für die
Familie. Fragt sich nur, für welche.
Wie klingt denn Ihr ständig zitierter Dreiklang zur
Familienpolitik, Frau von der Leyen? Bei dem vorliegenden Gesetzesentwurf ist es gegenwärtig für mich bestenfalls eine Kakophonie. Selbstredend macht das Elterngeld allein noch keine gute Familienpolitik aus. Es
muss darum gehen, gesellschaftliche Verantwortung für
Familien mit zu übernehmen. Notwendig ist eine kostenlose und hochwertige Ganztagsbetreuung für Kinder
und Jugendliche.
({4})
Das ist nicht nur eine Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, sondern ein bildungspolitisches Muss.
({5})
Elternschaft muss lebbar werden. Das heißt auch,
über Arbeitszeitverkürzung und das neue Leitbild der
partnerschaftlichen Aufteilung von Erwerbs- und Familienarbeit zu reden.
Noch eine Bemerkung zu den so genannten Papa-Monaten.
({6})
Ich schlage das Wort „Wickelvolontariat“ - Originalton
Ramsauer - zur Wahl des Unwortes 2006 vor. So wie Sie
derzeit Familienpolitik betreiben, Frau von der Leyen,
wird sie nicht zu einer stärkeren Familienfreundlichkeit
führen.
Danke schön.
({7})
Das Wort hat jetzt der Kollege Frank Schmidt von der
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Wunderlich, es ist wirklich verwunderlich, dass Sie
Funktion und Sinn des Elterngelds offensichtlich nicht
verstanden haben. Denn obwohl Sie einerseits sagen,
dass eine Lohnersatzleistung - was es nun einmal ist richtig ist, sprechen Sie andererseits davon, dass es eine
Transferleistung sein soll. Das passt nicht zusammen.
({0})
Sie haben offensichtlich nicht verstanden, um was es
geht und welche Zielrichtung wir verfolgen.
Aber ich möchte jetzt auf den Haushalt für Familien,
Senioren, Frauen und Jugend zu sprechen kommen, den
wir heute beraten. Dieser Haushalt zeichnet sich gegenüber fast allen anderen Einzelplänen dadurch aus, dass
so gut wie keine Kürzungen vorgenommen wurden. Dies
ist eine klare Zielsetzung der Koalition, die ihre Gründe
hat: Wir wollen eine konsequente und - das ist für die
Opposition sicherlich etwas weniger problematisch eine solide finanzierte Fortentwicklung der Familienpolitik. Das ist ein Markenzeichen auch dieser Koalition.
({1})
Im Übrigen leben wir - auch darauf muss an dieser
Stelle hingewiesen werden - in einer gewissen Kontinuität. Uns Sozialdemokraten freut es natürlich besonders,
dass dies eine konsequente Fortentwicklung der erfolgreichen Politik von Renate Schmidt darstellt. Ich will
zwei Beispiele für diese Kontinuität anführen.
Zum einen gibt es schon an 564 Standorten 308 Teilnehmer an lokalen Bündnissen für Familien. Das ist
ein Erfolg. Das zeigt: Es ist ein erfolgreiches Programm.
Wir haben es gestartet. Es wird fortgeführt und das ist
gut so.
({2})
Was uns Sozialdemokraten bei der Familienpolitik
ebenfalls freut, ist die Tatsache, dass das Tagesbetreuungsausbaugesetz heute von allen, auch von unseren
neuen Freunden, wie es so schön heißt, gern hervorgehoben und nach außen hin positiv dargestellt wird. Das
freut uns; denn es zeigt, dass das Gezocke, das es einmal
darum gegeben hat - das hat uns wirklich lange Nächte
gekostet -, nun von Erfolg gekrönt ist. Es ist ein gutes
Gesetz. Die Ausgestaltung wird die Koalition vornehmen.
({3})
Wichtig ist auch, dass mit dem Haushalt 2006 einige
Akzente gesetzt werden. Wir sind zum einen, wie im
Koalitionsvertrag vereinbart, den Kurs im Bereich des
Zivildienstes in vollem Umfang weitergefahren, und
zwar so, wie wir es mit dem Haushalt 2005 begonnen
haben.
({4})
Sicherlich wird dies von dem einen oder anderen in der
Opposition nicht so gesehen. Das liegt an der anderen
politischen Ausrichtung. Aber es ist eine klare Willenserklärung der Koalition, diesen Weg fortzusetzen.
In diesem Zusammenhang ist es wichtig, all denjenigen ein herzliches Dankeschön zu sagen, die in unserem
Land Zivildienst leisten und damit einen ganz wichtigen,
elementaren Beitrag für unser Gemeinwesen leisten. Er
ist gar nicht wegzudenken; das wissen wir. Deshalb ein
herzliches Dankeschön an dieser Stelle.
({5})
Was auch festgestellt werden muss, ist die Tatsache,
dass wir insbesondere die Förderung von Kindern und
Jugendlichen weiter verstetigt haben. Der Kinder- und
Jugendplan ist mit einem leichten Anwachsen - das hat
Frau Ministerin von der Leyen eben schon gesagt - weiter verstetigt worden. Wir haben das freiwillige soziale
Jahr und das freiwillige ökologische Jahr weiter ausgebaut.
({6})
Es ist eine klare Aussage dieser Koalition, dass wir hier
eine Priorität setzen. Das ist auch gut so.
({7})
Ich möchte einen weiteren Bereich anführen, in dem
wir unsere Programme fortführen. Entimon und Civitas,
die Programme gegen Rechtsextremismus, werden sowohl in diesem Jahr als auch in den nächsten Jahren auf
gleichem Niveau wie in 2005 fortgeführt. Auch dazu hat
es schon eine klare Aussage der Koalition gegeben.
({8})
Diese Aussage ist maßgeblich für zwei Anträge vonseiten der Grünen und der Linken, die heute auch zur
Debatte stehen. Darin wird etwas gefordert, was die
Koalition schon längst umgesetzt hat. Damit sind diese
Anträge gegenstandslos. Die Regierung braucht keine
Nachhilfe, wenn es um den Einsatz gegen rechts geht.
({9})
Nach der Statistik vom April dieses Jahres waren im
vergangenen Jahr rund 814 Straftaten politisch rechts
motiviert. Wir werden daher keineswegs nachlassen, auf
diesem Gebiet entschieden tätig zu werden. Die mobilen
Einsatzteams, die Opferberatungsstellen und die Netzwerkstellen, zum Beispiel im Programm Civitas, aber
auch die vielen Projekte vor Ort, gerade auch im Osten,
leisten eine herausragende Arbeit. Wir sind es uns, unserer Gesellschaft, Europa und der Welt schuldig, dass wir
hier aktiv und demonstrativ tätig werden. Das werden
wir auch weiterhin tun.
({10})
Noch ein paar Worte zur Weiterentwicklung der
Familienpolitik. Die SPD-Bundestagsfraktion hat
hierzu eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die, von
Nicolette Kressl und Bärbel Dieckmann geleitet, bis zum
Ende dieses Jahres konkrete Vorschläge vorbereiten
wird, wie die Kinderbetreuung in unserem Land ausgebaut und finanziert werden kann.
Dies, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ist eine
andere Vorgehensweise, als wir es heute gehört haben,
Frau Lenke, auch eine andere Vorgehensweise, als es
dem einen oder anderen Antrag hier im Parlament entspricht. Wir sind der Meinung, dass es nicht richtig ist,
mit fadenscheinigen Anträgen - ohne Sicherstellung der
Finanzierung und ohne klare Beachtung der Verfassungsstruktur in diesem Lande - Erwartungen bei Eltern
zu wecken, die man nicht einmal ansatzweise befriedigen kann.
({11})
Wir erwarten von Ihnen konkrete Vorschläge, aus denen
hervorgeht, wie so etwas umgesetzt werden kann, und
nicht wohl meinende Anträge, in denen noch nicht einmal ansatzweise die Finanzierung erwähnt wird.
Es ist zwar das Vorrecht der Opposition, Dinge zu fordern, die die Regierung nicht einhalten kann. Aber Sie,
liebe Kolleginnen und Kollegen vom Bündnis 90/Die
Grünen, müssen dann damit rechnen, dass solche Anträge wie der vorliegende hier keine Mehrheit finden.
Das ist auch gut so; denn wir wollen, dass die zukünftige
Familienpolitik praxistauglich und voll durchfinanziert
ist. Wir werden entsprechende Vorschläge machen. Das
sind wir den Eltern in diesem Lande schuldig. Wir dürfen keine Erwartungen wecken, die wir nicht erfüllen
können.
Zum Schluss meiner Ausführungen zum Einzelplan 17, den wir heute verabschieden, ein Dankeschön
von mir, dem Hauptberichterstatter im Haushaltsausschuss, an die Kolleginnen und Kollegen sowie an Sie,
Frau Ministerin, für die gute Zusammenarbeit.
({12})
- Ich finde es schön, dass auch die CDU/CSU applaudiert. Es hat Gründe, dass ich das erwähne. - Frau
Ministerin, wir Sozialdemokraten finden es gut, dass Sie
einen Beitrag dazu leisten, dass die Union endlich in der
familienpolitischen Realität ankommt; das ist wichtig.
({13})
Dazu kann jeder einen Beitrag leisten.
Ein Dankeschön meinerseits auch an Ihre beiden
Staatssekretäre sowie an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Ihres Hauses, Frau Ministerin. Alle Berichterstatter haben erlebt, wie informativ und schnell im
Haushaltsausschuss gearbeitet worden ist. Deswegen ein
Dankeschön meinerseits an die Mitberichterstatter. Das
macht Mut und Hoffnung, dass die bald anstehenden
Haushaltsberatungen 2007 in gleicher Weise ablaufen
werden.
Vielen Dank.
({14})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Ekin Deligöz vom
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im
Fokus der heutigen Debatte steht das Elterngeld. In eine
Sitzungswoche, in der wir über die Finanzen reden, passt
das gut. Es ist aber auch höchste Zeit, erstmalig über den
Gesetzentwurf zum Elterngeld zu beraten; denn er soll
nach der Sommerpause beschlossen werden - apropos:
Herr Wunderlich, es gibt übrigens zuvor noch eine
Fachanhörung - und das Gesetz soll 2007 in Kraft treten.
Bislang konnten sich junge oder werdende Eltern kein
Bild über die Regelung machen. Ein Bild über die Arbeitsweise dieser Koalition konnte man sich sehr wohl
machen. Sie haben monatelang darüber gestritten. Es
ging zwischen den beiden Koalitionsfraktionen hin und
her wie bei einem Pingpongspiel. Letztendlich kam ein
kritikwürdiger Gesetzentwurf heraus, ein Entwurf, der
sozial unausgewogen und vor allem wenig stringent ist.
({0})
Das ist mehr als bedauerlich; denn das Elterngeld an sich
ist sehr unterstützenswert, genauso wie die damit verfolgten Ziele.
Da die Ziele in dieser Debatte bislang noch nicht
deutlich genug benannt worden sind, werde ich es tun.
Das erste Ziel muss sein, durch finanzielle Förderung einen Beitrag zur Sicherung des Lebensstandards in der
ersten Erziehungsphase zu leisten und gleichzeitig mit
einer klar begrenzten Bezugszeit im Anschluss einen Erwerbsanreiz zu setzen. Das Ziel des Elterngeldes ist also,
dass Mütter und Väter möglichst schnell in den Beruf
zurückkehren. Gerade weil sich viele junge Mütter und
Väter das wünschen und darauf angewiesen sind, ist ein
solches Instrument wichtig. Aber das alleine reicht nicht.
Wir brauchen nicht nur das Elterngeld - eine gute Idee -,
sondern vor allem auch eine Betreuungsinfrastruktur.
Aber hier haben wir in Deutschland die größten Defizite.
({1})
Ohne eine ausreichende Betreuungsinfrastruktur wird
das Elterngeld nicht wirken. Es wird komplett ins Leere
laufen. Gerade an diesem entscheidenden Punkt haben
Sie bislang versagt.
({2})
Beim Thema Ausbau des Betreuungsangebots spielen
Sie auf Zeit. Die vielen kleinen Punkte, die Sie angesprochen haben, zeigen mir nur, dass Ihnen ein familienpolitisches Gesamtkonzept fehlt. Das vermisse ich bei
allem, was Sie sagen. Sie haben uns bislang keinen familienpolitischen Weg in das 21. Jahrhundert aufgezeigt.
Wir vom Bündnis 90/Die Grünen machen in unserem
vorliegenden Antrag deutlich, wie es gehen kann. Mit
unserer Idee einer Kinderbetreuungskarte zeigen wir auf,
wie man verbindlich und zeitnah eine Regelung zum
Ausbau des Betreuungsangebots veranlassen kann.
Durch einen Rechtsanspruch und eine zweckgebundene
Geldleistung sichern wir nicht nur den Ausbau des Kinderbetreuungsangebots vor Ort, sondern schaffen auch
die Rahmenbedingungen für das Gelingen des Elterngeldes.
({3})
Sie von der FDP kritisieren uns und sagen, das reiche
nicht. Ich frage Sie: Warum haben Sie sich bei der Abstimmung über den Entwurf eines Tagesbetreungsausbaugesetzes nur enthalten und nicht mit uns gestimmt?
Es wäre doch besser gewesen, wenn Sie hier mehr Willen gezeigt hätten, anstatt nur zu kritisieren.
Frau Deligöz, Sie erlauben die Zwischenfrage der
Kollegin Lenke. - Bitte schön, Frau Lenke.
Frau Deligöz, wenn vom Bund ein Gesetz gemacht
wird, das nur die Kommunen belastet, dann ist unsere
Enthaltung sehr gerechtfertigt. Ich habe die Sorge, dass
im Bundestag wieder Gesetze und Regelungen formuliert werden, die andere bezahlen müssen. Deshalb war
unsere Enthaltung sehr notwendig. Ich frage Sie, ob Sie
diese Argumentation verstehen.
({0})
Frau Lenke, ich verstehe sie nicht. Ich verstehe sie
auch deshalb nicht, weil wir Politikerinnen und Politiker
politische Antworten geben müssen.
({0})
Die politische Antwort an diesem Punkt Kinderbetreuung ist, dass der Bund über das Kinder- und Jugendhilferecht - § 24 des SGB VIII - für die Betreuungsinfrastruktur zuständig ist.
({1})
Wir sind zuständig. Deshalb können auch nur wir diese
Gesetze machen.
Wenn wir in diesem Land etwas bewegen wollen,
wenn wir etwas verändern wollen, dann müssen wir zu
dieser Verantwortung stehen und können uns nicht davor
drücken. Anstatt unzählige Argumente dafür aufzuzählen, dass wir das nicht können, sollten wir nach Wegen
suchen, wie es uns gelingen kann. Von Ihnen kam bisher
kein Vorschlag dazu.
Wir haben einen Vorschlag. Er ist verfassungsrechtlich möglich. Er ist zeitnah umsetzbar. Er ist vor allem
so gestrickt, dass wir ihn auch finanzieren können. Wir
wollen das über die Umwandlung des Ehegattensplittings in ein Individualsplitting finanzieren.
({2})
Das Geld wollen wir dafür verwenden, den Eltern mehr
Nachfragemacht zu verleihen sowie die Kommunen und
die Länder vor Ort zu stärken, die Kinderbetreuung auszubauen. Das kann uns gelingen, wenn der politische
Wille da ist. Diesen politischen Willen vermisse ich an
diesem Ort.
({3})
Das Gleiche gilt für den Betreuungsausbau: Wenn der
politische Wille da ist, dann kann es uns gelingen. Aus
Ihren Reden, Frau von der Leyen und Herr Singhammer
- ich könnte auch noch andere nennen -, höre ich immer
wieder heraus: Sie wollen es. Aber warum tun Sie es
dann nicht? Wenn Sie der Überzeugung sind, dass wir
mehr Angebote für Kinderbetreuung brauchen, dass es
in dem Bereich qualitative und quantitative Defizite gibt,
warum dann diese Abwartetaktik? Warum führen Sie
den Rechtsanspruch nicht sofort ein? Wovor haben Sie
Angst? Warum tun Sie es nicht einfach, sondern reden
nur darüber?
({4})
Zurzeit ist es sehr angesagt, auf die WM Bezug zu
nehmen. Das mache ich auch. Ich bringe es mit einem
Beispiel auf den Punkt. Sie können nicht die WM fordern und planen, gleichzeitig aber darauf verzichten,
Stadien zu bauen, in der Hoffnung, dass irgendjemand irgendwo ein paar Stadien bauen wird. Das wird nicht reichen. Wenn Sie die Vereinbarkeit von Beruf und Familie
wollen und dafür Anreize geben wollen, dann müssen
Sie auch die Grundlage dafür schaffen, nämlich die Infrastruktur ausbauen. Daran müssen wir uns messen lassen.
({5})
Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und die Kinderfrühförderung sind die beiden entscheidenden Herausforderungen für die Zukunft. Wer diesen Wettbewerb meistern will, der muss nicht nur gut aufgestellt
sein, sondern der muss auch handeln. So weit sind wir in
Deutschland nicht. Was Sie hier bieten, überzeugt ganz
und gar nicht.
({6})
Noch ein Letztes zum Elterngeld. Es ist in der Tat so,
dass Transferempfänger schlechter gestellt werden.
Das kann man vielleicht begründen, indem man sagt:
Die verkürzte Bezugsdauer ist Politik; wir wollen das
so. - Aber was Sie nicht begründen können - bisher fehlen die richtigen Antworten darauf -, ist, wie es eigentlich kommt, dass die einen das Geld für 14 Monate und
die anderen das Geld nur für zwölf Monate erhalten,
auch wenn sich die Eltern, Vater und Mutter, diese Zeit
teilen. Warum Studierende und Transferempfänger das
Geld nur für zwölf Monate bekommen, während alle anderen es für 14 Monate bekommen, habe ich nicht verstanden. Das ist auch nicht hinnehmbar.
({7})
Apropos 14 Monate. Ursprünglich waren für die
Bezugsdauer zwölf Monate vorgesehen: zehn plus zwei.
Dann haben einige Traditionalisten gesagt: Das ist Teufelswerk. Das ist eine Einmischung in die Familie, Wickelvolontariat! - Jetzt sind es plötzlich zwölf plus zwei
Monate und schon verkaufen Sie uns die 14 Monate als
eine umsichtige Lösung.
({8})
Was ist der qualitative Unterschied? Selbst die Ministerin hat in der Ausschusssitzung gesagt: Qualitativ gibt es
da keinen Unterschied. - Der einzige Unterschied - das
sage ich Ihnen - sind die Kosten für die zusätzlichen
zwei Monate von 750 Millionen Euro - Geld, das Sie
nicht haben,
({9})
Geld, das Sie woanders viel besser investieren könnten.
Sie müssen uns auch noch erklären, woher Sie das Geld
nehmen.
({10})
Aber das ist so sagenhaft teuer, dass es nicht mehr als
umsichtige Lösung bezeichnet werden kann.
({11})
- Das hat die Ministerin in der Ausschusssitzung gesagt;
Sie können es im Protokoll nachlesen. Wenn das nicht
stimmt, hat sie in diesem Punkt die Unwahrheit gesagt.
({12})
Die zwei zusätzlichen Monate dienen einzig dazu,
dass die CSU keinen Gesichtsverlust erleidet. Das kostet
den Steuerzahler 750 Millionen Euro.
Noch ein Letztes zur Übergangsregelung. Es ist
wahr: Die Eltern machen sich Sorgen; denn wenn ihr
Kind am 31. Dezember auf die Welt kommt, erhalten sie
die neue Leistung nicht, während sie sie erhalten, wenn
das Kind am 1. Januar auf die Welt kommt.
({13})
Das ist ungerecht gegenüber einem Teil der Eltern; denn
die Kinder sind im Prinzip gleichaltrig.
Denken Sie doch einmal über das Antragsmodell
nach! Warum kann nicht eingeführt werden, dass Eltern
bis zu einem gewissen Zeitraum auf Antrag die neue
Leistung erhalten, wenn sie dadurch besser gestellt werden?
({14})
Sie wollen doch etwas bewegen und umsteuern; dann
müssen Sie dafür auch etwas tun.
Was Sie uns zurzeit in Sachen Elterngeld bieten, ist
nicht die kopernikanische Wende. Es könnte jedoch ein
Schritt in die richtige Richtung sein, aber nur, wenn Sie
es nicht vermasseln, wozu Sie allerdings gerade auf dem
besten Wege sind.
({15})
Das Wort hat jetzt der Kollege Johannes Singhammer
von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit Ministerin von der Leyen hat die Familienpolitik neuen Schwung bekommen.
({0})
Innerhalb von nur wenigen Monaten unter der neuen
Bundesregierung hat die Familienpolitik so oft in den
Schlagzeilen gestanden wie fast nie zuvor. Herr Kollege
Schmidt von der SPD, es ist erfreulich: statt Gedöns
Topthema. Spitze ist das!
({1})
Wir haben in der großen Koalition gemeinsam zwei
große Schritte vorwärts gemacht: Schritt Nummer eins
war die steuerliche Absetzbarkeit der Kinderbetreuungskosten, Schritt Nummer zwei ist das Elterngeld, das jetzt
eingebracht wird. Es war nicht immer leicht, weil es in
der Familienpolitik oft um grundsätzliche Themen geht,
die nicht so leicht pragmatisch anzugehen sind wie Themen in anderen politischen Gebieten. Trotzdem bedurfte
es keiner unvergesslichen Nachtsitzungen, sondern wir
haben das Thema im Regelfall in intensiven Nachmittagssitzungen gemeinsam bewältigt und sind zu guten
Ergebnissen gelangt.
Familien und Eltern können sich freuen, weil das Elterngeld hilft, Familie und Beruf deutlich besser zu vereinbaren. Wir als Union sind zufrieden, weil das Elterngeld bürgerliche und leistungsorientierte Strukturen
enthält, an denen uns besonders gelegen war.
Einige Punkte, die die Handschrift der Union zeigen:
Die Einführung des Mindestelterngeldes für alle Familien war deshalb besonders wichtig, weil damit das
Prinzip der Wahlfreiheit durchgesetzt wurde und wir
eine staatliche Gängelung bei einem bestimmten Familienmodell vermieden haben. Wie die Eltern ihre Kinder
in den ersten zwölf bzw. 14 Monaten betreuen, ist ihre
eigene Entscheidung. Erstmals bekommt jede Familie
im ersten Lebensjahr des Kindes 300 Euro monatlich,
und zwar ausnahmslos. Das ist ein erheblicher Fortschritt. Die traditionelle Alleinverdienerfamilie erhält
damit ebenso Unterstützung wie die Familien, in denen
beide Partner erwerbstätig sind.
Wir haben - anders als ursprünglich geplant; das ist
richtig, Frau Deligöz - durchgesetzt, dass das Elterngeld
zwei Monate länger ausgezahlt wird, zwölf plus zwei
Monate. Ich weiß nicht, was daran kritikwürdig sein soll.
Es ist ein Erfolg. Auf der einen Seite bemängeln Sie,
dass dieser Zeitraum noch zu kurz sei und zu wenig ausgegeben werde,
({2})
auf der anderen Seite beklagen Sie, dass durch die zwei
zusätzlichen Monate die Bundeskasse strapaziert werde.
Ich meine, dass da ein gewisser Widerspruch besteht,
den Sie auflösen sollten.
Das Bonussystem ist gut. Wir haben auch die Alleinerziehenden, die ohne Rückhalt durch eine verlässliche
Partnerschaft unter hohem persönlichem Einsatz für ihre
Kinder sorgen, nicht aus dem Blick verloren. Die Familiensituation unter erschwerten Bedingungen verdient
Schutz. Deshalb haben wir auch dem Elterngeld für
14 Monate zugestimmt.
Ein weiterer wichtiger Bereich ist die Geringverdienerkomponente. Wir wollten Menschen mit wenig Einkommen nicht Menschen mit Transfereinkommen
gleichsetzen, weil für uns der Grundsatz gilt: Arbeit
muss sich immer lohnen. Deshalb haben wir eine besondere Geringverdienerkomponente eingebaut. Sie macht
es möglich, dass sich Arbeit aufgrund eines Zuschlages
lohnt.
Dann war uns als Union der Geschwisterbonus
wichtig. Wir haben durchgesetzt, dass eine Aufstockung
zum Mindestelterngeld erfolgen wird, wenn innerhalb
von 24 Monaten nach der Geburt des ersten Kindes ein
weiteres Kind geboren wird. Wir hoffen, dass dieser Geschwisterbonus dazu beiträgt, dass die Mehrkinderfamilie wieder zahlreicher wird.
Herr Kollege Singhammer, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Lenke?
Aber gerne.
Bitte schön, Frau Lenke.
Das ist sehr nett, Herr Singhammer. Vielen Dank.
Herr Singhammer, ich habe eine Frage: Warum haben
Sie als Zeitraum für die Gültigkeit des Geschwisterbonus 24 und nicht 36 Monate vorgesehen? Denn in diesen
36 Monaten haben Frauen, die zu Hause zu bleiben, gesetzlich eine Arbeitsplatzsicherheit, also einen Anspruch
auf Rückkehr in den Beruf. Warum haben Sie sich für
24 Monate entschieden?
Frau Kollegin Lenke, ich verstehe die Intention Ihrer
Frage gut und meine, dass es durchaus berechtigt ist,
über eine Verlängerung auf 36 Monate nachzudenken.
({0})
Die Frage ist aber, wie wir mit dem vorhandenen Finanzrahmen zurechtkommen. Das muss gelöst werden. Das
sind die Grundlagen für die weiteren Beratungen im Gesetzesverfahren.
Herr Kollege Singhammer, auch die Frau Kollegin
Deligöz würde gerne eine Frage stellen.
Aber bitte, gerne.
Das möge jetzt aber bitte die letzte Zwischenfrage
sein, die Herrn Singhammer gestellt wird.
({0})
Ansonsten verzögert sich die Debatte zu sehr. - Bitte
schön.
Herr Kollege Singhammer, wenn ich Sie richtig verstehe, wollen Sie das Elterngeld mit dem Ziel des Erwerbsanreizes einkommensabhängig gestalten. Das Ziel
ist, dass Frauen möglichst schnell in die Erwerbstätigkeit
zurückkehren. Deshalb wird der Anspruch um ein Jahr
gekürzt. Könnten Sie mir erklären, wie das dazu passt,
dass Sie die Gültigkeit der Geschwisterregelung doch
wieder auf 36 Monate erhöhen wollen? Denn damit konterkarieren Sie natürlich das Ziel, dass Frauen möglichst
schnell in die Erwerbstätigkeit zurückkehren. Damit ermöglichen Sie keine Anreize. Oder wollen Sie gar keine
Erwerbsanreize setzen? Denn das wäre die konsequente
Antwort auf das, was Sie gerade gesagt haben.
Frau Kollegin Deligöz, ich denke, es ist unbestritten,
dass eine neue Situation gegeben ist, wenn innerhalb eines kurzen Zeitraums - dazu zähle ich 24 oder auch
36 Monate - ein zweites Kind kommt, und sich dann für
Mütter und auch für Väter neue Fragen stellen. Eine Folgekinderregelung macht absolut Sinn.
({0})
Wir können damit in dieser Betreuungsphase, in der
zwei kleine Kinder vorhanden sind, besondere Angebote
machen. Ich glaube, das ist unbestritten und hat mit einem scheinbaren Widerspruch in der Argumentation,
wie Sie es formulieren, wirklich nichts zu tun.
({1})
Wir können heute mit Genugtuung den Gesetzentwurf
zum Elterngeld einbringen. Wir sind uns gleichzeitig
aber auch bewusst, dass damit der Anfang für eine ganze
Reihe weiterer Initiativen für die Familien gemacht werden muss. Über die Frage „Was kommt nach dem Elterngeld?“ ist schon diskutiert worden.
Ich denke, wir brauchen vor allem eine Bündelung
der familienpolitischen Maßnahmen. Derzeit existieren in Deutschland rund 145 unterschiedlichste Leistungen - Sie haben richtig gehört - für Familien. Zur einen
Hälfte sind dies Steuererleichterungen, zur anderen
Hälfte direkte Zahlungen. Die Gesamtsumme beträgt, je
nachdem welchen Maßstab man anwendet, rund 85 Milliarden Euro. Diese 145 unterschiedlichen Leistungspakete können auch bei wohlwollender Betrachtung nicht
das Prädikat „transparent, durchschaubar und übersichtlich“ erhalten.
Deshalb macht es Sinn, die Leistungen der Familien
zu bewerten, dann zusammenzufassen, zu bündeln und
zu konzentrieren.
({2})
Wenige breite, große und übersichtliche Straßen der Familienförderung statt eines Gestrüpps von verästelten
Wegen sollte das Ziel sein. Ich denke, es macht Spaß, in
der Familienpolitik zu klotzen, statt mit vielen Einzelmaßnahmen zu kleckern.
Der Zugewinn und die Ersparnis an Bürokratiekosten
sollten dann allerdings ausnahmslos den Familien zufließen. Die Einrichtung einer solchen Familienkasse neuen
Typs, wie sie im Koalitionsvertrag formuliert wurde, ist
in der Tat eine Herkulesaufgabe, eine große Herausforderung. Deshalb bedarf es einer großen Koalition.
Diese großen Vorhaben können aber nicht im luftleeren Raum, ohne Werte, realisiert werden. Ohne ein
Familienbild, ohne ein Koordinatensystem, ohne einen
Kompass in der Familienpolitik wächst die Gefahr des
Scheiterns. Deshalb sage ich auch an dieser Stelle: Wir
werden es nicht zulassen, dass bestimmte Lebensentwürfe verächtlich gemacht werden. Wir werden es insbesondere nicht zulassen, dass Frauen und Mütter, die sich
für eine bestimmte Zeit ausschließlich der Kindererziehung widmen, als spießig oder verzopft dargestellt werden.
({3})
Und wir werden es auch nicht zulassen, dass Frauen, die
den Großteil ihres Lebens für die Kindererziehung ein3722
gebracht haben, im Nachhinein mitleidig belächelt werden
({4})
und dass gesagt wird, sie hätten eine falsche Lebensentscheidung getroffen. Wir wollen, dass weder den klassischen Alleinverdienerfamilien noch den Familien, in denen beide Partner erwerbstätig sind, der Respekt versagt
wird.
Lassen Sie mich noch Folgendes hinzufügen: Für
mich bedeutet Familie auch, dass sich die Eltern untereinander zu ihrer Verantwortung bekennen und ihren Kindern im Zusammenleben Geborgenheit und Orientierung
geben. Ehe und Familie sind für das Kindeswohl von
entscheidender Bedeutung. Es gibt ein Idealbild und es
gibt die Realität. Wir wissen alle, dass das Ideal und die
Realität nicht immer deckungsgleich sind. Das kann aber
nicht bedeuten, dass wir auf ein Leitbild verzichten, und
das kann ebenfalls nicht bedeuten, dass wir das Leitbild
ständig der Realität anpassen müssen. Denn sonst müssten wir das Leitbild alle 14 Tage ändern. Das, denke ich,
möchte niemand.
Familie ist die Grundlage unseres Staates. Dieser Satz
hat nichts an seiner Bedeutung eingebüßt. Lassen Sie
mich ein einziges Zitat in dieser Rede bringen, das allerdings nicht von der Deutschen Bischofskonferenz und
auch nicht von der EKD, sondern von einem deutschen
Wochenmagazin namens „Spiegel“ stammt, der vor wenigen Wochen formuliert hat: „Ohne Familie verlernt die
Gesellschaft schlichtweg die Liebe.“ Gemeint ist: Die
Familie vermag die notwendige Ursubstanz einer Solidargemeinschaft am besten zu schaffen. Darum geht es;
darum ist die Familie wichtig und deshalb wollen wir sie
fördern.
({5})
Ich bin überzeugt, dass in Zeiten, in denen die Finanzkraft und auch der Zuständigkeitshunger des Staates
nicht weiter wachsen werden
({6})
und die Sehnsucht nach emotionaler Wärme und Beziehung zunehmen wird, die Familie eine neue Bedeutung
gewinnen wird. Ich meine, dass die Familie vor einer
Renaissance steht. Wir werden alles tun, um die politischen Rahmenbedingungen für die Familie günstig zu
gestalten.
({7})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Sibylle Laurischk von
der FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am Anfang möchte ich mich an eine der beiden Damen der Bundesregierung, die jetzt anwesend sind, nämlich Frau Böhmer, und erst in zweiter Linie an Frau von
der Leyen wenden. Frau Böhmer hat als Integrationsbeauftragte schon in der gestrigen Generaldebatte vernommen, dass Spracherwerb gerade auch von den Vertretern
der SPD und der Union als ein wichtiges Thema im Rahmen der Integrationsarbeit gesehen wird. Ich halte diese
Auffassung von Union und SPD auch für richtig. Nur,
meine sehr verehrten Damen und Herren von der großen
Koalition, dann sollten diesen Forderungen auch Taten
folgen.
({0})
Weil - so die Verlautbarung - die Mittel für die
Sprachintegration im Jahr 2005 nicht voll abgerufen
wurden, wählt die Bundesregierung jetzt einen geringeren Ansatz. Ich empfehle Ihnen die Pressemitteilung der
Integrationsbeauftragten Frau Böhmer vom 3. Mai 2006
zur Lektüre. In den dort verkündeten Eckpunkten zur
Entwicklung der Integrationskurse können Sie nachlesen, dass die Integrationskurse mit 600 Deutschstunden
nicht ausreichend sind. Frau Böhmer meint, dass diese
Anzahl von 600 Stunden auf 900 Stunden angehoben
werden muss, um eine entsprechende Wirksamkeit zu
entfalten. Sie empfiehlt eine Anhebung des Stundensatzes, der an die Sprachkursträger gezahlt wird, von
2,05 auf 3 Euro. Frau Böhmer empfiehlt darüber hinaus,
dass ein sozialpädagogisches Konzept zur Begleitung
der Jugendlichen umgesetzt wird. Das halte ich mit
Blick auf die Erhöhung der Arbeitsmarktchancen von
Jugendlichen mit Migrationshintergrund für dringend
geboten.
Mir scheint es angesichts der Vielfalt von Fragen in
diesem Feld sinnvoll zu sein, das Thema Integration und
Migration unter parlamentarischer Begleitung in einer
Enquete zur Integration und Migration zu diskutieren.
Union und SPD wollen auch mehr für die Familie tun.
Es bleibt aber ein wohl gehütetes Geheimnis - ich
denke, das wird eine zentrale Diskussion der kommenden Jahre sein -, wie dies mit einer drastischen Mehrwertsteuererhöhung, die vor allem die Familien treffen
wird, gelingen soll.
({1})
Union und SPD wollen eine bessere Vereinbarkeit
von Familie und Beruf und streichen das Erziehungsgeld. Das bedeutet, dass sich einkommensschwache
Familien, in denen viele Kinder geboren werden, demnächst schlechter stehen werden als bisher. Die Problematik hinsichtlich der ALG-II-Empfänger ist hier schon
angesprochen worden.
Das Elterngeld ist nach meinem Dafürhalten keine
Zukunftsvision, sondern dient dem Schaufenster. Das erklärte Ziel des Elterngeldes soll die Erhöhung der
Geburtenzahl in Deutschland sein, besonders bei gut
ausgebildeten Frauen. Was wird aber passieren? Den gut
ausgebildeten Frauen hilft das Elterngeld nur wenig;
denn das Angebot an Kinderbetreuung bleibt auf dem
heutigen Niveau. Eine Entscheidung für ein Kind werden diese Frauen nicht aufgrund des Elterngeldes trefSibylle Laurischk
fen. Die Geburtenrate wird sich nach meiner Einschätzung nicht erhöhen.
Neben dieser grundsätzlichen Erwägung ist zudem
die Verfassungsmäßigkeit des Entwurfs fraglich. Es ist
schon paradox, dass demnächst diejenigen Familien, die
wenig oder gar nicht bedürftig sind, eine wesentlich höhere staatliche Transferleistung erhalten werden als die
bedürftigen Familien. Für mich ist es mit dem Sozialstaatsgebot unserer Verfassung nicht vereinbar, wenn
eine solche Leistung aus allgemeinen Steuermitteln finanziert wird.
Um nicht missverstanden zu werden: Eine Lohnersatzleistung Elterngeld kann sinnvoll sein, wenn die
anderen Rahmenbedingungen für Familien stimmen,
wenn also die Kinderbetreuung im Anschluss gewährleistet wäre. Eine solche Lohnersatzleistung darf nach
meinem Dafürhalten ordnungspolitisch aber nicht aus
allgemeinen Steuermitteln finanziert werden. Eine Sozialleistung - um eine solche handelt es sich bei dem Elterngeld - darf niemals mit abnehmender Bedürftigkeit
ansteigen. Dies ginge nur, wenn eine solche Leistung
beitragsfinanziert wäre.
Überhaupt ist die Frage, was mit unserer Verfassung
möglich ist, interessant. In neuester Zeit wird Art. 6 des
Grundgesetzes, in dem der besondere Schutz von Ehe
und Familie verankert ist, stark diskutiert. Verblüffend
ist schon, was alles in den Art. 6 hineininterpretiert wird,
wenn es um den Diskussionspunkt Ehegattensplitting
geht. Zumindest erscheint mir innerhalb der Union der
Vorschlag von Herrn Pofalla familienpolitisch und programmatisch interessanter zu sein als der Vorschlag von
Frau von der Leyen, ein Elterngeld einzuführen.
Das Ehegattensplitting in aktueller Form ist ehefreundlich. Wir brauchen aber auch ein Steuerrecht, das
kinder- und familienfreundlich ist.
({2})
In der laufenden Diskussion habe ich den Eindruck gewonnen, dass manche diesen Gesichtspunkt außer Acht
lassen. Ich habe den Eindruck, dass dies auch auf die
Grünen zutrifft.
Das Ehegattensplitting ist vielleicht kein Fall für die
Ewigkeit. Was wir benötigen, ist ein Steuersystem, welches vor allem eine weit reichende familienfreundliche
Komponente besitzt. Ich verweise hier auf das Steuerkonzept von Herrn Kollegen Solms, das nicht nur einen
Grundfreibetrag in Höhe von 7 700 Euro für jeden Ehepartner, sondern den gleichen Freibetrag als Kinderfreibetrag für jedes Kind und gegebenenfalls eine Erhöhung
des Kindergeldes auf 200 Euro je Kind vorsieht.
Unser Steuerkonzept wurde vorgelegt. Es ermöglicht
den Frauen die Wahlfreiheit, sich entweder ausschließlich für die Familie oder aber für Familie und Beruf zu
entscheiden, wozu deren Vereinbarkeit Voraussetzung
wäre. Das ist nach meinem Dafürhalten wirkliche Familienförderung.
({3})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Nicolette Kressl von
der SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
diskutieren heute nicht nur über den Haushalt des Ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, sondern auch über den eingebrachten Gesetzentwurf zum
Elterngeld und damit einhergehende große Veränderungen, und zwar nicht nur gesetzliche. Vielmehr wird das
Gesetz - davon bin ich überzeugt - mit der Zeit, in der es
in Kraft ist, zunehmend auch eine gesellschaftliche Veränderung mit sich bringen. Somit geht es auch darum,
dass diejenigen, die Politik machen, diese gesellschaftliche Veränderung aufnehmen, wahrnehmen und umsetzen.
({0})
Ich halte es für ganz wichtig, dass niemand in der Politik
sagt: Wir stellen uns ein bestimmtes Familienbild vor
und dementsprechend sollt ihr euch verhalten. Genau
umgekehrt sollte es sein, nämlich dass wir wahrnehmen,
was Frauen und Männer in dieser Gesellschaft wollen,
und dann die entsprechenden gesetzlichen Rahmenbedingungen schaffen. Dazu gehört eben auch das Elterngeld.
({1})
Große Veränderungen brauchen sehr häufig Väter und
Mütter. Bei der Debatte um das Elterngeld möchte ich an
die Mutter erinnern, die den Stein ins Wasser geworfen
hat, und ihr ein Dankeschön sagen: Es war Renate
Schmidt, die in der letzten Legislaturperiode diese Diskussion angestoßen hat. Wenn man ehrlich ist, muss man
auch zugestehen, dass darüber auch ein Stück weit debattiert wurde.
({2})
Ich finde, dass es notwendig ist, daran zu erinnern, dass
sie die Debatte angestoßen hat. Sie kann heute nicht da
sein, weil sie gesundheitliche Probleme hat. Dennoch
möchten wir von unserer Seite an ihre Leistung erinnern
und ihr Dank sagen.
({3})
Dadurch, dass das Elterngeld näher an der Lebenswirklichkeit der Menschen liegt, haben Eltern bezüglich
der Frage, wer sich zumindest teilweise um Kinder kümmern und sie betreuen kann, sehr viel mehr Entscheidungsfreiheit als bisher. Frau von der Leyen hat das ja
auch schon angesprochen. Das will ich aber nicht nur abstrakt feststellen, sondern auch an einem konkreten Beispiel verdeutlichen, von dem in ähnlicher Form wohl
alle schon gehört haben:
({4})
Ein junges Paar, das ein Kind bekommt oder plant, ein
Kind in die Welt zu setzen, musste sich bisher immer die
Frage stellen, wer von beiden sich um das Kind kümmern und für einen Teil der Zeit auf die Erwerbstätigkeit
verzichten soll. In meinem Umfeld habe ich sehr oft erlebt, dass gesagt wurde, eigentlich wolle der Vater das
gerne tun, aber man könne es sich nicht leisten, weil so
viel Geld wegfalle. Damit war man nicht frei in der Entscheidung, sondern unfrei. Hier kommen wir nun ein
ganz großes Stück voran, da zukünftig jüngere Menschen durch die Möglichkeiten, die ihnen das Gesetz eröffnet, in ihrer Entscheidung freier sein werden.
({5})
Ich will auf einen Punkt hinweisen, der in der Debatte
noch nicht angesprochen worden ist: Die Entscheidungsmöglichkeiten sind zusätzlich auch noch sehr flexibel
ausgestaltet. Zum Beispiel wird es dank dieses Gesetzes
möglich sein, dass sich Eltern entscheiden können, beide
zusammen für ein halbes Jahr teilweise auf Erwerbstätigkeit zu verzichten und sich gemeinsam um das Kind
zu kümmern.
({6})
Ich weiß, dass ganz viele Menschen dieses Lebensmodell für die Kinderbetreuung wollen. Genau das
werden wir ihnen mit diesem Gesetz tatsächlich ermöglichen. Das ist ein weiterer Schritt zur flexiblen Gestaltung dessen, was sich Eltern für ihre Familie wünschen.
Drei Akzente, die beim Elterngeld gesetzt wurden,
möchte ich ganz besonders herausheben:
Erstens. Es gibt - das halte ich für ganz wichtig - eine
Regelung für Menschen, die nicht so hohe Einkommen
haben, nämlich die Geringverdienerregelung, nach der
die Lohnersatzleistungen ansteigen können.
Frau Lenke, das ist ein einfacher Dreisatz. Wenn Sie
das als kompliziert beschreiben, dann ist das Ihr Problem. Das ist nun wirklich eine einfache Regelung.
({7})
Ich möchte Ihnen sagen, was diese Geringverdienerregelung bedeutet, weil immer wieder das Gerücht in die
Welt gesetzt wird, mit dem Elterngeld würden Familien
mit geringem Erwerbseinkommen im Vergleich zur Regelung des jetzigen Erziehungsgeldes benachteiligt. Die
Wahrheit ist, dass es, sobald Partnermonate in Anspruch
genommen werden, für den Partner oder die Partnerin,
der bzw. die Lohnersatzleistung bekommt, keine
Schlechterstellung geben wird, wenn er bzw. sie bis zu
588 Euro verdient. Es wird für viele Geringverdienerfamilien eine deutliche Besserstellung geben. Damit wirkt
sich die Regelung zugunsten dieser Familien aus.
({8})
Ich will nicht, dass an diesem Punkt ohne Ende diffamiert wird. Das ist für uns ganz entscheidend. Diese Regelung war in den ersten Konzepten nicht vorgesehen.
Wir haben zu Recht sehr lange darüber diskutiert und
diese Regelung zusätzlich in den Gesetzentwurf aufgenommen.
({9})
Ich komme zum zweiten wichtigen Akzent. Da bitte
ich, genau zu unterscheiden, wenn so salopp dahergeredet wird. Dieses Elterngeld besteht aus zwei Komponenten. Die eine ist die Kernleistung - so nenne ich sie einmal -, nämlich die Lohnersatzleistung. Die können alle
beziehen, die 14 Monate lang ihre Berufstätigkeit gegen
die Erziehungszeit tauschen. Zusätzlich gibt es - das ist
nicht die Kernleistung; Herr Schmidt hat das vorhin angesprochen - ein Mindestelterngeld bzw. einen Sockelbetrag, der eher der traditionellen Transferleistung entspricht. Dieses Elterngeld gibt es für alle, die nicht auf
Erwerbstätigkeit verzichten wollen oder verzichten können. Das gilt grundsätzlich für zwölf Monate. Da gibt es
auch keine Unterschiede zwischen Alleinerziehenden
und sonstigen Personen. Der tatsächliche Unterschied
besteht vielmehr zwischen der Lohnersatzleistung, die
für 14 Monate gewährt werden kann, und der Transferleistung, die für zwölf Monate möglich ist. Frau Deligöz,
das müssten eigentlich auch Sie verstehen können.
({10})
Der dritte Akzent betrifft die Partnermonate, über
die es eine große gesellschaftliche Debatte gegeben hat.
Ich bin sicher, dass es auch in Unternehmen eine Debatte
darüber geben wird, welche Verantwortung Männer und
Frauen tragen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass aufgrund
dieses Gesetzes auch in Unternehmen in zunehmendem
Maße erkannt wird, dass die Verantwortung für Kinder
bei Männern und Frauen liegt, und dass als Folge der
Debatte über die Partnermonate verstärkt Erziehungszeiten genommen werden. Das ist die dritte wichtige Entwicklung. Es kann nicht alles mit der materiellen Leistung des Elterngeldes geregelt werden. Wir müssen
Akzente setzen, damit in der Gesellschaft, in der Wirtschaft und in den Unternehmen darüber nachgedacht
wird und eine Verhaltensänderung eintritt. Diese Verhaltensänderung ist die weitere wichtige Rahmenbedingung,
die wir brauchen, um zu einem familienfreundlichen
Deutschland zu kommen. Die Partnermonate werden
dazu ein ganz wichtiger Anstoß sein.
({11})
Klar ist auch - das will ich ergänzen -, dass wir zusätzlich eine gute Infrastruktur für die Betreuung
brauchen. Ich darf ausdrücklich auf einen Satz im Koalitionsvertrag hinweisen, der mir etwas versteckt erscheint. Es gab zwar schon in der vorherigen Legislaturperiode das Tagesbetreuungsausbaugesetz. Jetzt aber
sagen wir: Wenn der Zuwachs an Betreuungsplätzen für
unter 3-Jährige erkennbar nicht so erreicht wird, wie wir
das im Gesetz vorgesehen haben, dann wird es einen
Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz geben. Das
ist für uns - das sage ich auch für meine Fraktion - ein
ganz entscheidender Satz im Koalitionsvertrag. Man
sollte ihn deswegen nicht verstecken, sondern immer
wieder wiederholen.
({12})
Wenn wir über moderne Politik in einer veränderten
Gesellschaft reden, dann gehört dazu auch, dass der Respekt vor und die Würde von Menschen, die anders
scheinen oder anders sind, unterstützt werden. Deshalb
will ich betonen, dass für uns ganz wichtig ist, dass alle
bisherigen Programme, die gegen Rechtsextremismus
wirken, nicht nur erhalten bleiben, sondern dass wir über
alle bürokratischen Hürden und Einwände hinweg Wege
finden, um diese Programme, mit denen wir junge Menschen, die Toleranz, Selbstvertrauen und Rückgrat gegen
Rechtsextremismus zeigen, unterstützen, dauerhaft zu
finanzieren. Ich glaube, das ist die Grundlage für das,
was wir erreichen wollen: eine offene Gesellschaft, in
der Respekt und Toleranz entscheidende Grundpfeiler
unseres Zusammenlebens sind.
Vielen Dank.
({13})
Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Karin
Binder, Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Besucherinnen und Besucher! Was sich bereits in
der Planung der Familienministerin gezeigt hat, bestätigt
sich nun im Haushalt: Gleichstellungspolitik kommt
nicht vor.
({0})
Ohne ganztägige Kinderbetreuung keine Vereinbarkeit
von Familie und Beruf, ohne Erwerbstätigkeit und eigenes Einkommen keine Existenzsicherung, keine Chancengleichheit und keine Gleichstellung der Geschlechter.
({1})
Zusammen mit dem Einzelplan 17 diskutieren wir
heute über die Einführung eines Elterngeldes. Dies ist
aus gleichstellungspolitischer Sicht lange überfällig. Das
Elterngeld soll insbesondere Frauen nach der Geburt eines Kindes finanzielle Unabhängigkeit und eine möglichst rasche Rückkehr in das Berufsleben gewährleisten. Zwei so genannte Vätermonate sind jedoch nur ein
kleiner Beitrag. Es ist noch viel zu tun in Sachen gleiche
Teilhabe an Familien- und Erwerbsarbeit für Männer
und Frauen.
({2})
Die Koalition feiert das Elterngeld als großen gleichstellungspolitischen Wurf nach skandinavischem Vorbild. Leider ist es eine Skandinavian-light-Version geworden; denn in Schweden gibt es im Gegensatz zu
Deutschland ausreichend Kinderbetreuungsplätze. Wir
fordern eine flächendeckende, ganztägige und beitragsfreie Kinderbetreuung, und zwar für Kinder von null
bis 16 Jahren.
({3})
- Genau die Frage habe ich erwartet.
({4})
Gemäß einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung von 2002 - sie ist heute immer noch
gültig - führt eine flächendeckende Kinderbetreuung zu
Mehreinnahmen, und zwar auch bei den Kommunen.
Wenn Mütter leichter und schneller in ihren Beruf zurückkehren können, hat das positive Effekte für die Wirtschaft, für das Steueraufkommen und bedeutet Mehreinnahmen für die Sozialversicherungen.
Zurück zum Elterngeld. Frau Ministerin, Sie wollen
die finanzielle Achterbahnfahrt, die die Geburt eines
Kindes für die Eltern mit sich bringt, bremsen. Für ein
Drittel aller Familien - mein Kollege Jörn Wunderlich
hat das bereits ausgeführt - beginnt aufgrund Ihrer Konzeption des Elterngeldes die finanzielle Talfahrt aber nun
erst richtig. Deshalb ist das Konzept für uns nicht tragbar.
({5})
Nun zur Gleichstellung der Geschlechter auf dem
Arbeitsmarkt. Die Europäische Kommission fordert die
Mitgliedstaaten seit langem auf, diese durch eigene Aktivitäten zu fördern. Ebenso verpflichtet uns der Art. 3
Abs. 2 unseres Grundgesetzes dazu. Doch im Haushalt
sucht man vergebens nach entsprechenden Maßnahmen.
Im Gegenteil: Die Bundesregierung hält sogar an Gesetzen fest, die sich nach ihrer eigenen Evaluation negativ
auf Frauen auswirken. Sie verschärft sie sogar noch. Beispiel Hartz-Gesetze: Mit dem so genannten Fortentwicklungsgesetz entwickeln wir uns auf keinen Fall fort.
Frauen sind die Verliererinnen der derzeitigen Politik,
insbesondere dieser Hartz-Reformen. Deshalb setzt sich
die Linke für eine bedarfsorientierte soziale Grundsicherung als Individualanspruch für Frauen und Männer ein.
({6})
Durch die Hartz-Gesetzgebung wurde ein staatlich
subventionierter Niedriglohnsektor geschaffen - das bedeutet Kosten für den Staat - mit einem hohen Anreiz
für Unternehmen zur Schaffung weiterer prekärer
Beschäftigungsverhältnisse. Auch hier sind die Hauptbetroffenen Frauen. Dagegen hilft nur eines: die Einführung eines existenzsichernden gesetzlichen Mindestlohns. Von der Einführung eines solchen Mindestlohns
würden vor allem Frauen profitieren, weil mehr als zwei
Drittel der Beschäftigten in den Niedriglohnbereichen
weiblich sind. Dass dies zur weiteren Entlastung des
Haushaltes beitragen könnte, brauche ich wohl nicht näher zu erläutern.
Die einzige Maßnahme der Bundesregierung, Lohndiskriminierung von Frauen einzudämmen, erstreckt
sich auf ein Faltblättle. Damit bekämpft man Lohndiskriminierung nicht. Gleichstellungspolitik ist eine staatliche Querschnittsaufgabe, die sich durch alle Politikfelder zieht und daher auch durch den gesamten Haushalt
ziehen müsste. In diesem Haushalt kommt Gleichstellungspolitik jedoch so gut wie nicht vor.
Ich bedanke mich.
({7})
Anna Lührmann hat das Wort für Bündnis 90/Die
Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich habe in meinem Freundeskreis eine kleine
Umfrage unter jungen Frauen und Männern, die entweder schon Kinder haben oder Kinder bekommen wollen,
gestartet. Ich habe sie gefragt: Was braucht ihr eigentlich
vom Staat, was für eine Unterstützung braucht ihr, damit
ihr euch eher für Kinder entscheidet und damit es leichter für euch ist, Familie und Beruf unter einen Hut zu
bringen? Sie haben mir alle gesagt: Na ja, dieses Elterngeld, das jetzt eingeführt werden soll, ist ja ganz nett,
aber eigentlich brauchen wir Betreuungsplätze.
({0})
Wir müssen wissen, wo wir unsere Kinder tagsüber unterbringen können.
({1})
Zu diesem Thema hat die Regierung nichts anzubieten.
({2})
Wir Grüne haben zu dem Thema, was junge Familien
wirklich brauchen, einiges anzubieten. Wir haben das
Konzept für eine Kinderbetreuungskarte vorgelegt, über
das wir heute diskutieren. Das Konzept ist sehr einfach
und funktioniert. Jedes Kind unter drei Jahren hat einen
Anspruch auf einen Betreuungsplatz und der wird dann
auch zur Verfügung gestellt.
({3})
Frau Kollegin Lührmann, möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Singhammer zulassen?
Sehr gerne.
Bitte schön.
Frau Kollegin Lührmann, da Sie hier immer wieder
verbesserte Betreuung einfordern, weise ich darauf hin,
dass es in den neuen Bundesländern ein weitestgehend
flächendeckendes Betreuungsangebot gibt. Gleichwohl
ist dort die Zahl der Neugeborenen leider besonders
niedrig. Können Sie sich vorstellen, dass das damit zu
tun hat, dass die Chancen, Arbeitsplätze zu finden, in
manchen Regionen besonders gering sind, und dass die
Verfügbarkeit von Kinderbetreuung nur einer von mehreren Beweggründen ist, sich für ein Kind zu entscheiden oder nicht?
Ich muss sagen, Herr Kollege: Diese Frage zeigt
schon wieder, dass die CDU/CSU von Familienpolitik
aber auch gar nichts versteht.
({0})
Wir sprechen doch an dieser Stelle über die Frage, wie
wir es als Staat und als Gesellschaft jungen Familien,
jungen Frauen und Männern besser ermöglichen können,
Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen. Das
ist die Frage, über die wir hier diskutieren. Wir haben
eine Reihe von Konzepten dazu vorgelegt, von denen
Sie nichts zu verstehen scheinen, was auch Ihre Äußerungen zum Thema Ehegattensplitting deutlich machen. Wir schlagen vor - das ist ein zentraler Baustein
unseres Konzeptes -, das Ehegattensplitting zu ersetzen,
um zusätzliche Betreuungsplätze zu finanzieren. Das ist
das, was Familien brauchen. Sie brauchen keine Subventionierung der Alleinverdienerehe, sondern Betreuungsplätze.
({1})
So können sie sich für das entscheiden, was sie wollen.
Wir als Staat müssen ihnen dabei nichts vorschreiben.
Wir müssen ihnen nicht vorschreiben, wie sie zu leben
haben oder ob sie Familie und Beruf unter einen Hut bekommen sollen oder nicht.
({2})
- Wir schreiben es ihnen nicht vor. Wir ermöglichen ihnen Wahlfreiheit.
({3})
Gehen Sie einmal in Ihren Wahlkreis oder reden Sie
einmal mit Ihrem Kollegen Ole Schröder; er sitzt direkt
hinter Ihnen. Denn er hat das sehr richtig erkannt und gesagt: Wir müssen mehr für Betreuung tun. Wir müssen
mehr tun, um die realen Familien wirklich zu unterstützen und nicht dieses Idealbild von Familie - davon haben Sie gerade hier gesprochen -, das sehr wenige erfüllen können oder zum Teil auch erfüllen wollen. Wir
wollen wirkliche Wahlfreiheit gewährleisten. Das tun
wir dadurch, dass nicht nur Familien mit einem dicken
Portemonnaie, sondern alle Familien auf eine gute Betreuungsinfrastruktur zurückgreifen können.
({4})
Wie ich eben angefangen habe auszuführen, wollen
wir als Grüne das durch vier einfache Voraussetzungen
gewährleisten: Erstens wollen wir jetzt und nicht erst
2008, Frau Kressl, einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für unter Dreijährige einführen. Zweitens
wollen wir das Ehegattensplitting abschmelzen, um
5 Milliarden Euro locker zu machen. Drittens wollen wir
ein Geldleistungsgesetz einführen, das funktioniert - ein
Geldleistungsgesetz haben wir zum Beispiel auch beim
Wohngeld -, um direkt von der Bundesebene Geld für
die Bedürftigen, nämlich für die, die Kinder unter drei
Jahren haben, umleiten zu können.
Viertens wollen wir jeder Familie mit Kindern unter
drei Jahren eine Kinderbetreuungskarte in die Hand geben. Mit dieser Kinderbetreuungskarte sollen sie zu der
jeweiligen Einrichtung vor Ort gehen können. Dadurch
hätten sie eine größere Nachfragemacht; denn sie könnten entscheiden. Das wäre Wahlfreiheit. Sie könnten entscheiden, ob sie das Geld für eine Kinderkrippe oder für
eine anerkannte Tagespflege ausgeben. Es gibt also viele
Möglichkeiten, dafür zu sorgen, dass sich die Qualität
vor Ort verbessert. Solche konkreten Möglichkeiten
wollen wir schaffen.
({5})
Das Allerbeste ist, dass durch die Abschmelzung des
Ehegattensplittings mehr als 2 Milliarden Euro für die
Länder übrig bleiben. Diese 2 Milliarden Euro können
sie in den Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtungen
bzw. in eine Qualitätsoffensive vor Ort investieren. Die
Konzeption der Grünen zum Thema Kinderbetreuung
bringt wirklich Vorteile für Familien und Kinder mit
sich. Deshalb würde ich mich darüber freuen, wenn Sie
unserem Antrag in den Ausschussberatungen doch noch
zustimmen würden.
({6})
Abschließend möchte ich auf zwei weitere Punkte
dieses Etats eingehen: Der erste Aspekt betrifft die Zivildienstleistenden, einen der größten Posten im Etat des
Familienministeriums. Mit den eingeplanten Mitteln sollen 90 000 Zivildienstleistende einberufen werden. Im
gleichen Zeitraum sollen aber nur ungefähr 60 000 junge
Männer Wehrdienst leisten, und das, obwohl immer
mehr junge Männer verweigern, sich also für den Zivildienst entscheiden.
Das bedeutet: Wer heutzutage den Wehrdienst verweigert, wird praktisch auf jeden Fall einberufen. Wer
das nicht tut, hat eine relativ große Chance, nicht einberufen zu werden, weil die Regierung für Wehrdienstleistende weniger Plätze zur Verfügung stellt. Der Ehrliche
- derjenige, der von Anfang an sagt, dass er verweigern
möchte - ist also der Dumme. Mit Wehrgerechtigkeit
hat das nichts zu tun. Das ist ungerecht. Deshalb meinen
wir Grüne, dass das Geld in diesem Haushalt umgeschichtet werden muss.
({7})
Wie bereits in den letzten Jahren haben wir zu diesem
Themenbereich erneut Anträge gestellt, durch die
35 Millionen Euro umgeschichtet werden: vom Zivildienstetat vor allen Dingen hin zur Förderung von Freiwilligendiensten.
({8})
Es gibt genug junge Männer und Frauen, die freiwillig
all das machen wollen, wozu Zivildienstleistende gezwungen werden. Ich glaube, dass das aus liberalem
Blickwinkel das richtige Konzept ist.
({9})
Wir wollen in diese Richtung weitergehen. Denn wir
sind der Meinung, dass Zwangsdienste insgesamt abgeschafft werden sollten.
({10})
Zum Schluss möchte ich noch auf zwei sehr wichtige
Programme, die in diesem Etat enthalten sind, eingehen:
auf Civitas und Entimon. Mit diesen Programmen hat
die Bundesregierung in den letzten Jahren sehr erfolgreich zivilgesellschaftliche Gruppen im Kampf gegen
Rechtsextremismus gestärkt und Opferberatungen gefördert. Deshalb haben wir Grüne, wie schon in den vergangenen Etatberatungen, Aufstockungsanträge in einer
Größenordnung von 2 Millionen Euro gestellt. So wollen wir dazu beitragen, dass vor Ort noch mehr gegen
Rechtsextremismus unternommen wird.
Frau von der Leyen, ich finde es wirklich sehr schön,
dass auch Ihnen heute Morgen aufgefallen ist, dass diese
Programme in Ihrem Etat ressortieren.
({11})
Denn im Zusammenhang mit diesem Thema sind Sie in
den letzten Monaten eher dadurch aufgefallen, dass Sie
die genannten Initiativen verunsichert haben, statt sie zu
stärken. Heute Morgen haben Sie jedoch, wie ich finde,
sehr richtige Aussagen getroffen.
({12})
Im letzten halben Jahr haben Vertreter Ihres Hauses vorgetragen, dass beabsichtigt ist, diese Programme auf den
Kampf gegen alle möglichen Formen von Extremismus
auszuweiten.
({13})
Das hätte bedeutet, dass den erfolgreichen Projekten gegen Rechtsextremismus unter dem Strich weniger Geld
zur Verfügung gestanden hätte. Das waren die Planungen Ihres Hauses.
Herr Frank Schmidt, Sie haben eben gesagt, die Regierung bräuchte bei diesem Thema keine Nachhilfe.
({14})
Wenn ich mir die Debatten des letzten halben Jahres vor
Augen führe, muss ich aber feststellen: Nur der Druck,
den unter anderem wir Grüne durch die Anträge, die wir
eingebracht haben, die Zivilgesellschaft und vielleicht
auch Leute aus Ihren Reihen aufgebaut haben, hat dazu
geführt, dass diese Pläne endlich vom Tisch sind.
({15})
Das ist auch gut so. Dabei soll es auch bleiben. Wir
Grüne werden Sie durch Anträge und Initiativen unterstützen. Wenn Sie meinen, dass Sie das alleine schaffen
können, ist das gut. Aber wir werden Sie auf jeden Fall
unterstützen - darüber können Sie sich freuen -, wenn es
darum geht, die Programme gegen rechts in den nächsten Jahren fortzuführen. Denn ich glaube - darüber sind
wir uns in diesem Hause hoffentlich einig -, es muss
noch eine Menge getan werden, bis Deutschland wirklich das weltoffene und tolerante Land ist, das wir gerne
sein möchten, damit es in den nächsten Jahren wirklich
heißen kann: Jeder ist in Deutschland willkommen und
zu Gast bei Freunden.
({16})
Das Wort hat Thomas Dörflinger, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zwischen
dem Abschluss der Koalitionsvereinbarung und dem ersten Haushalt, den die große Koalition vorlegt, liegt ein
Weg, der nicht immer ganz einfach war. Ich sage das weniger mit Blick auf die Beratungen innerhalb der Koalition als vielmehr mit Blick auf die Erwartungen des einen oder anderen, der Skepsis hatte, was er von dem,
was sich die große Koalition an familienpolitischen Vorhaben auf die Agenda geschrieben hat, im Haushalt 2006
und in den Folgehaushalten wiederfindet.
Heute, nachdem wir den ersten Haushalt gemeinsam
eingebracht haben und ihn in dieser Woche verabschieden werden, kann ich sagen: Vieles von dem, was in der
Koalitionsvereinbarung festgeschrieben worden ist, findet sich bereits im Haushalt 2006; es ist gelungen, den
Haushalt auf hohem Niveau zu verstetigen und deutliche
Schwerpunkte zu setzen. Das ist ein Erfolg dieser Bundesregierung und der sie tragenden Fraktionen.
({0})
Ich habe allerdings den Eindruck, dass mancher und
manche den Beiträgen in dieser Debatte nicht ausreichend zugehört hat. Ich will das festmachen an dem Vorwurf, die Koalitionsfraktionen bzw. die Bundesregierung
stufe den Dreiklang von Kinderbetreuung, finanzieller
Förderung von Familien und steuerlichen Maßnahmen
quasi zu einem Zweiklang herab.
({1})
Ich stelle fest, dass die Ministerin in ihrem Beitrag darauf hingewiesen hat, dass die Vorgaben des Tagesbetreuungsausbaugesetzes gegenwärtig von der Bundesregierung evaluiert werden. Wenn Sie in Ihre Wahlkreise
gehen und dort nachfragen, werden Sie auf Bürgermeisterinnen und Bürgermeister treffen, die den Bedarf an
Kinderbetreuung in ihren Städten und Gemeinden gegenwärtig ermitteln. Im Herbst des Jahres 2006 und im
Laufe des Jahres 2007 können wir uns dann in einer gemeinsamen Aktion von Bund, Ländern und Kommunen
darüber unterhalten, wie wir diesem Anspruch gerecht
werden und ihn vernünftig in die Tat umsetzen können.
Ich sage auch an dieser Stelle: Qualität geht vor Tempo.
Der Bedarf an Kinderbetreuung ist von Ort zu Ort unterschiedlich; das will bedacht sein. Lieber lassen wir uns
eine Woche mehr Zeit damit, eine Lösung zu finden, als
dass wir holterdiepolter etwas ins Gesetzblatt schreiben,
von dem wir anschließend feststellen müssen, dass es
den Erfordernissen nicht gerecht wird.
({2})
Ich will einen zweiten Punkt ansprechen - auch da
habe ich den Eindruck, dass manche nicht ausreichend
zugehört haben -: die Integration. Frau Laurischk, ich
erinnere mich noch genau an die Berichterstattung durch
Herrn Staatssekretär Dr. Kues, der im Ausschuss auf
meine Frage, ob es notwendig sei, die Haushaltsansätze
für die Sprachförderung im Einzelplan 17 so zu gestalten, wie das angedacht ist, oder ob es andere Möglichkeiten gebe, geantwortet hat, dass aufgrund der Vorgaben der Bundeshaushaltsordnung Mittel, die im Vorjahr
nicht in ausreichendem Maße abgerufen wurden, nicht
für alle Zukunft mit dem gleichen Haushaltsansatz fortgeschrieben werden können. Ob die Gründe dafür, dass
diese Mittel nicht abgerufen wurden, in der Systematik
der Sprachförderung und damit im Zuständigkeitsbereich von uns als Gesetzgeber liegen, darüber kann man
reden. Die dafür zuständige Staatsministerin bei der
Bundeskanzlerin hat aber das im Hinblick auf den in
Kürze stattfindenden Integrationsgipfel aus ihrer Sicht
Notwendige aufgeschrieben. Das stellt unter Beweis,
dass die Bundesregierung genau das tut, was wir gemeinsam beraten haben. Deswegen sehe ich keinen Anlass, die Bundesregierung oder die Staatsministerin zu
kritisieren.
({3})
Es ist gelungen, die Ansätze in diesem Haushalt in
vielen Punkten auf hohem Niveau zu verstetigen; das gilt
auch für den Kinder- und Jugendplan. Insbesondere ist
es gelungen - das ist verschiedentlich schon angeklungen -, den Ansatz für die Freiwilligendienste aufzustocken und dadurch weitere 2 000 Plätze für das
freiwillige soziale Jahr und weitere 400 Plätze für das
freiwillige ökologische Jahr zu schaffen.
({4})
Jetzt können wir sagen: Angesichts der Mitteilung der
Trägerorganisationen, dass man Bewerbungen für
30 000 Plätze oder mehr hätte, sind 2 400 etwas wenig.
Nur, hinsichtlich der finanziellen Gegebenheiten, die
dieser Bundeshaushalt bietet und von dem sich die Folgehaushalte nicht wesentlich unterscheiden werden, ist
es ein Erfolg, dass es gelungen ist, 2 400 neue Plätze zu
schaffen, auch wenn der Bedarf zugegebenermaßen wesentlich höher ist.
({5})
Wenn die Bundesregierung bereits in der nächsten
Woche unter dem Stichwort „Evaluation FSJ/FÖJ-Änderungsgesetz“ mit einer Veranstaltung dokumentiert, dass
man diese Evaluation erstens vorgenommen hat und
zweitens bereit ist, mit den Betroffenen und mit den politisch Verantwortlichen dieses Thema zu diskutieren,
und bereit ist, darüber nachzudenken, ob es über das,
was im FSJ/FÖJ-Änderungsgesetz bereits vorgenommen
worden ist, hinaus Handlungsbedarf gibt - ich sage das
mit Blick auf die Freiwilligendienste im Ausland -, dann
zeigt man, dass die Bundesregierung das, was in der Koalitionsvereinbarung steht, umsetzt - und das bereits im
ersten Jahr des Bestehens der großen Koalition - und
nicht auf die lange Bank schiebt. Auch das ist ein Nachweis dafür, dass wir das, was wir an politischen Vorgaben formuliert haben, auf die politische Agenda setzen
und konkret im Haushalt umsetzen.
({6})
Lassen Sie mich einen Gedanken aufgreifen, den der
Kollege Singhammer vorhin in die Debatte eingeführt
hat, nämlich das Thema Familienkasse. Es ist verschiedentlich diskutiert worden. Ich unterstelle nicht jedem,
der dieses Thema diskutiert hat, partout den Ansatz, den
ich jedem Familienpolitiker und jeder Familienpolitikerin unterstelle, dass man nämlich davon ausgeht, dass die
Zusammenfassung von Leistungen in wenigen Fördersträngen dazu führt, dass sich die Gesamtsumme der
Förderung dadurch nicht vermindert. Manch einer mag
vielleicht mit anderen, möglicherweise finanzpolitischen
Erwägungen an diese Dinge herangegangen sein.
Aber das alles ändert nichts an der Tatsache, dass wir
gefordert sind, genau diesen Punkt noch einmal genauer
unter die Lupe zu nehmen, um insbesondere im Interesse
von Bürgerinnen und Bürgern, von jungen Familien das,
was der Staat in weit über 100 Förderungstatbeständen
für Familien auf den unterschiedlichsten Ebenen tut, zusammenzufassen und ein Stück weit transparenter, auch
praktikabler zu machen für diejenigen, die das anschließend in den öffentlichen Verwaltungen umsetzen sollen.
Das sollte über Koalitions- und Oppositionsgrenzen hinweg unser gemeinsames Ziel sein. Ich denke, dieses
Thema ist weitgehend unstrittig.
Ich will einen letzten Punkt ansprechen. Die Vorgaben, die insbesondere finanziell über diesem Haushalt
stehen und die sich vermutlich von denen des Jahres
2007 nicht wesentlich unterscheiden, erlegen uns selbstverständlich auch Grenzen auf. Ich bin dankbar, dass es
uns gelungen ist - ich verbinde dies mit einem Dankeschön an die Kolleginnen und Kollegen Berichterstatter
im Haushaltsausschuss und in den Fachausschüssen -,
unter Beweis zu stellen, dass wir nicht nur diejenigen
sind, die Neuausgaben fordern. Wir sind vielmehr auch
diejenigen, die durchaus bereit sind, uns auf den eigenen
Zuständigkeitsbereich zu bescheiden.
Ich will das an der Tatsache festmachen, dass wir die
Vorgaben des Bundeshaushaltsplanentwurfs, was die
Gestaltung der Antidiskriminierungsstelle beim BMFSFJ
angeht, durch die Beschlüsse der Kolleginnen und Kollegen des Haushaltsausschusses reduziert haben oder reduzieren werden. Das geschieht ausdrücklich mit unserer Unterstützung. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion
wird dem Haushaltsplan zustimmen.
Herzlichen Dank.
({7})
Das Wort hat die Kollegin Miriam Gruß, FDP-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ob Wickelvolontariat, Vätermonate
oder Windelpraktikum - bisher hat das Elterngeld nur eines gebracht: eine, wie ich meine, zweifelhafte Bereicherung unseres Wortschatzes.
Den Schöpfungsgeist und die Kreativität einzelner
Koalitionspolitiker in Ehren - doch, meine sehr verehrten Damen und Herren, der Duden ist schon dick genug.
Den Familien, auf die es uns hier ankommen muss,
bringt diese mehr oder weniger ernst gemeinte Ausweitung des Vokabulars rein gar nichts. Das, was Eltern in
Deutschland heute wirklich brauchen, steht nicht in Ihrem Gesetz, Frau Ministerin.
({0})
Durch diverse Studien und Umfragen der vergangenen Wochen wurde uns immer wieder schwarz auf weiß
gezeigt: Eltern wollen eine verlässliche Betreuung für
ihre Kinder. Diese ist ihnen wichtiger als weitere Geldleistungen, zumal wir - auch das ist schon angesprochen
worden - im internationalen Vergleich bei den familienpolitischen Leistungen sowieso schon im oberen Feld
liegen.
Mehrere von Ihnen haben wohl gestern den Artikel in
der „FAZ“ gelesen. Ich nenne Ihnen noch eine andere
Zahl: Bund, Länder und Gemeinden und Sozialversiche3730
rungen haben laut des Kieler Instituts für Weltwirtschaft
im vergangenen Jahr rund 240 Milliarden Euro ausgegeben, die den Familien zugute kommen. Sie alle wissen,
wie hoch die Geburtenrate in Deutschland ist: Sie beträgt
1,3 Kinder pro Frau. Der Aufwand ist also enorm hoch,
während der Ertrag enorm niedrig ist.
Ich bin der festen Überzeugung, dass auch das
Elterngeld leider nichts daran ändern wird; denn natürlich denken planende Eltern darüber nach, wie es nach
einem Jahr weitergehen soll. Was nützt uns denn ein
zwölf- oder 14-monatiges Elterngeld, wenn wir danach
keinen Betreuungsplatz anbieten können? Das ist heute
Gott sei Dank schon mehrfach angesprochen worden.
({1})
Ich meine, dass sich der Bund hier nicht aus seiner Verantwortung stehlen darf. In Zeiten notwendiger Mobilität kann es nicht sein, dass in Bayern nur jedes hundertste Kind unter drei Jahre die Chance auf einen
Krippenplatz hat, während es in Brandenburg jedes
zweite Kind ist.
Frau Kollegin, möchten Sie eine Zwischenfrage von
Kerstin Griese zulassen? - Bitte schön.
Liebe Frau Kollegin Gruß, weil von der FDP immer
wieder Behauptungen aufgestellt werden, drängt es
mich, Sie zu fragen: Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu
nehmen, dass wir mit dem Tagesbetreuungsausbaugesetz, das seit Januar letzten Jahres in Kraft ist, einen großen Schritt gemacht haben, damit die Betreuungsmöglichkeiten für die unter Dreijährigen in den Kommunen
ausgebaut werden? Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen - wenn Sie durch die Städte in Ihrem Wahlkreis
reisen, werden Sie das sehen -, dass alle Städte Ausbaupläne erstellen und Bedarfserhebungen für die Betreuung von unter Dreijährigen durchführen? Mir fehlt
die aktive Unterstützung der FDP für den Ausbau der
Kinderbetreuung. Ich habe von Ihnen bisher keinen aktiven Beitrag für dieses Gesetz oder für den Ausbau der
Kinderbetreuung gesehen.
({0})
Frau Kollegin, Frau Lenke hat vorhin in die ähnliche
Richtung geantwortet. Ich kann Ihnen nur sagen: Sie
wissen selbst, dass ich Mutter bin. Ich habe in Bayern
ein Jahr lang auf einen Kindergartenplatz gewartet und
ein Jahr lang versucht, Kind und Karriere zu vereinbaren. Ich kann Ihnen also aus meiner persönlichen Erfahrung sagen: Das, was Sie geplant haben, mag schön und
gut sein, aber die derzeitige Situation ist noch nicht ausreichend. Wir reden hier von der derzeitigen Situation in
Deutschland.
({0})
In dem Gesetzentwurf schreiben Sie, das bisherige
Bundeserziehungsgeld habe - ich zitiere - „nicht die beabsichtigte größere Wahlfreiheit zur Vereinbarkeit von
Beruf und Familie eröffnet“.
({1})
Als Lösung schlagen Sie das Elterngeld vor. Eine echte
Wahlfreiheit für Eltern kann es aber nur geben, wenn in
Deutschland zuerst in den qualitativen und quantitativen
Ausbau der Kinderbetreuung investiert wird. Das muss
im Sinne der Eltern und Kinder oberste Priorität haben.
({2})
Meine Damen und Herren, neben dieser grundsätzlich
falschen Schwerpunktsetzung gibt es in dem Gesetzentwurf zum Elterngeld auch zahlreiche handwerkliche
Mängel:
Erstens. Es fehlt - das ist schon angesprochen worden eine vernünftige Übergangsregelung.
Zweitens. Die Zeiteinteilung der Betreuung zwischen
den Eltern ist nur monatsweise vorgesehen. Eine flexible
und praxisnahe Aufteilung - beispielsweise tageweise -,
wie sie vielen berufstätigen Eltern zugute kommen
würde, ist also nicht möglich.
({3})
Ich kenne zum Beispiel ein zertifiziert kinderfreundliches Unternehmen, in dem 300 verschiedene Arbeitszeiten wahrgenommen werden. Arbeitnehmer, Väter und
Mütter, setzen sich mit dem Arbeitgeber zusammen und
legen die Stundenfolge ganz individuell fest. Die Gesetzgebung darf hinter dieser schon jetzt funktionierenden Realität doch nicht hinterherhinken.
({4})
Noch ein Wort zu den Vätermonaten. Ich halte es
grundsätzlich für falsch, Väter zwangsweise zu verpflichten, auf ihre Kinder aufzupassen und sich um die
Kinder zu kümmern. Dadurch werden die Väter keine
besseren Väter. Eltern sollen bitte in vollem Umfang frei
entscheiden dürfen, wer sich wann und wie um die Kinder kümmert.
({5})
Drittens. Der Beitrag für die gesamte Gesellschaft,
den Eltern jeden Tag aufs Neue mit der Erziehung ihrer
Kinder leisten, wird auch mit dem Elterngeld nicht honoriert.
Die Begriffe „Übergangsregelung“, „Zeiteinteilung“
und „Erziehung“ stehen schon längst im Duden. Wir
müssen die Familienpolitik nicht neu erfinden; wir müssen sie jedoch an den tatsächlichen Bedürfnissen von Familien ausrichten. Deshalb lehnen wir dieses Korsett für
Eltern ab. Es ist zu steif und zu eng und es stützt die Familien an der falschen Stelle.
Kinder brauchen Fürsorge, um den richtigen Weg in
ihr Leben zu finden. Eltern brauchen Unterstützung dort,
wo sie diese Fürsorge nicht leisten können. Familien
brauchen die Freiheit, diese Unterstützung nach ihren individuellen Bedürfnissen einzusetzen. Ein bürokratisches Werk fernab der Lebenswirklichkeit ist der falsche
Weg.
({6})
Das Wort hat die Kollegin Caren Marks, SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen
der Kollegin Gruß machen deutlich, dass die FDP und
auch sie persönlich noch sehr viel zu lernen haben. Wie
wir eben mitbekommen haben, steht nicht alles im Duden, den Sie offenbar stets dabeihaben.
({0})
Mit dem Kabinettsbeschluss und der ersten Lesung
des Gesetzentwurfs zur Einführung des Elterngelds ist
sichergestellt, dass dieses zentrale familienpolitische
Konzept der SPD in der großen Koalition tatsächlich
umgesetzt wird. Ab dem 1. Januar 2007 erhalten Familien in Deutschland ein Elterngeld als Lohnersatzleistung für entgangenes Einkommen im ersten Jahr nach
der Geburt eines Kindes. Das Elterngeld nach skandinavischem Vorbild war eine wichtige Wahlkampfforderung
der SPD, die wir im Rahmen der Koalitionsverhandlungen durchsetzen konnten.
Heute wird der Gesetzentwurf zur Einführung des
Elterngeldes in den Bundestag eingebracht. Das Elterngeld steht für die kontinuierliche Fortsetzung einer modernen und sozial gerecht ausgestalteten Familienpolitik
der SPD. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten waren es, die die Familienpolitik in Deutschland
1998 aus dem Dornröschenschlaf geweckt und einen
Paradigmenwechsel hin zu einer nachhaltigen Familienpolitik eingeleitet haben.
({1})
Wie alle wissen, kann Deutschland nur dann wirtschaftlich stark sein, wenn in Zukunft wieder mehr Kinder in unserem Land geboren werden und junge Menschen hier leben und arbeiten. Daher müssen wir die
Lebens- und Arbeitsbedingungen für junge Frauen und
Männer so gestalten, dass sie ihre Wünsche hinsichtlich
Familiengründung und erfolgreichem Arbeitsleben
gleichsam erfüllen können.
Moderne Familienpolitik muss auf die veränderte Lebenssituation von Familien reagieren. Das unterstreicht
auch der Siebte Familienbericht der Bundesregierung.
Frauen sind so gut ausgebildet wie nie zuvor und verbinden damit ebenso selbstverständlich den Wunsch nach
Berufstätigkeit wie die Männer. Für viele Männer und
Frauen sind die finanziellen Einbußen und Brüche in ihrem Erwerbsleben Gründe, den Kinderwunsch aufzuschieben oder erst gar nicht zu verwirklichen.
Das alte Bundeserziehungsgeld hat all diese Belange
nicht berücksichtigt. Es ist ein überholtes Modell, das
Familien nicht ausreichend die Wahlfreiheit gewährleistet, Familie und Beruf ihren Wünschen entsprechend
miteinander zu vereinbaren. Es hat vielmehr eine Verlängerung der Erwerbsunterbrechung von Müttern begünstigt, aus der sich im Vergleich zu Kinderlosen häufig unaufholbare Nachteile ergeben und durch die sich
Armutsrisiken vergrößern.
Mit der Einführung des Elterngeldes werden die Defizite des Erziehungsgeldes beseitigt. Das Elterngeld ist
ein weiterer wichtiger Schritt zu einer modernen Familienpolitik. Es ist ein wichtiger Bestandteil im Dreiklang
aus unterstützender Infrastruktur, einer familienbewussten Arbeitswelt und der gezielten finanziellen Förderung
von Familien.
Frau Kollegin, möchten Sie eine Zwischenfrage von
Ina Lenke zulassen?
Ja, gerne.
Bitte schön.
Ich finde es sehr nett, dass Sie die Zwischenfrage zulassen, Frau Kollegin. Ich habe eine sehr ernste Frage.
Meine Kollegin, Frau Miriam Gruß, hat darauf hingewiesen, dass keine tageweise Aufteilung der Betreuung
möglich ist. Sie haben gerade von einer familienbewussten Arbeitswelt gesprochen. Wir können sie den Unternehmen nicht per Gesetz vorschreiben, aber wir können
auf unserer Seite etwas dafür tun.
In diesem Zusammenhang frage ich Sie, ob mit Ihrem
Gesetz zur Einführung des Elterngeldes möglich werden
soll, dass sich die Eltern bei ihrer Berufstätigkeit abwechseln, zum Beispiel montags und dienstags die Mutter und mittwochs, donnerstags und freitags der Vater.
Frau Lenke, eine Frage dieser Art von Ihnen und von
der FDP zu bekommen, verwundert mich außerordentlich. Sie, die mit allen Mitteln, mit aller Vehemenz
das Gleichstellungs-/Antidiskriminierungsgesetz bekämpfen, weil es Bürokratie und Hemmnisse für die
Wirtschaft bedeutet, wollen in der Arbeitswelt organisieren, dass Männer und Frauen in ihrem Erwerbsleben tageweise abwechselnd anwesend sind. Ich glaube, dies
würde in der Tat größere Schwierigkeiten mit sich bringen, als Sie denken. Vielleicht sollten Sie einmal Ihre Anträge lesen, weil diese mit Ihren Fragen, die Sie hier zwischendurch immer wieder stellen, nichts gemein haben.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der Einführung
des Elterngeldes werden die Defizite des Erziehungsgeldes beseitigt. Es ist ein wichtiger Bestandteil im Dreiklang einer modernen Familienpolitik.
Mit dem Kernelement des Elterngeldes, der Einkommensersatzleistung in Anknüpfung an das Erwerbseinkommen, wird die finanzielle Lücke junger Familien im
ersten Jahr nach der Geburt eines Kindes geschlossen.
Da unabhängig vom Einkommen des Partners ein finanzieller Ausgleich für den betreuenden Elternteil vorgesehen ist, bedeutet dies gerade für Frauen, die häufig im
ersten Jahr nach der Geburt eines Kindes zu Hause bleiben, eine wirtschaftliche Selbstständigkeit innerhalb der
Partnerschaft. Zudem besteht durch die weitgehende
Kompensation des Einkommens erstmalig auch eine
wirkliche Wahlfreiheit, nämlich die Möglichkeit, auf das
höhere der beiden elterlichen Einkommen zu verzichten.
Auf die Frage, ob das Elterngeld sozial ausgewogen
ist, kann ich mit einem klaren Ja antworten. Auch wenn
in reflexartigem Gehabe die PDS etwas anderes behauptet, ist die Ausgestaltung des Elterngeldes sozial gerecht.
Die Behauptung in Ihrem aktuellen Antrag, meine
Damen und Herren von der PDS, dass mit dem Elterngeld eine Umverteilung von Arm zu Reich begünstigt
wird, ist nahezu absurd.
({1})
Staatliche Leistung kann abhelfende, unterstützende
oder vorbeugende Hilfe sein. Das Elterngeld ist abhelfende Hilfe und zugleich Hilfe zur Sicherung der
eigenen Lebensgrundlage für die Zukunft. Es ist keine
Sozialleistung im herkömmlichen Sinn, sondern eine Familien unterstützende dynamische Leistung in Anknüpfung an das Erwerbseinkommen.
Bei der Beurteilung der sozialen Ausgewogenheit ist
es angebracht, endlich auch die Situation berufstätiger
junger Paare zu berücksichtigen. Ihre Sorge vor dauerhaften Einkommenseinbrüchen und beruflichen Nachteilen ist berechtigt.
Im ersten Jahr nach der Geburt des Kindes erhalten
alle Eltern in Zukunft mindestens so viel wie bisher,
viele mehr, da die Einkommensgrenzen des Erziehungsgeldes entfallen. Für Spitzenverdiener ist die Lohnersatzleistung in Höhe von 67 Prozent des letzten Nettoeinkommens auf einen Höchstbetrag von 1 800 Euro
monatlich begrenzt. Betreuende Elternteile, die vor der
Geburt eines Kindes über kein eigenes Arbeitseinkommen verfügten, erhalten ein Mindestelterngeld in Höhe
von 300 Euro. Dies trifft auf Hausfrauen und -männer,
Studierende und ALG-II-Empfänger zu.
Gegenüber den im Koalitionsvertrag vorgesehenen
Regelungen wird der Sockelbetrag nicht als Einkommen
bei anderen Sozialleistungen berücksichtigt. Er kann
also - das war uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wichtig - zusätzlich zum ALG II bezogen
werden. Ich möchte aber betonen, dass das ALG II dazu
da ist, den Bedarf einer Bedarfsgemeinschaft zu decken.
Das ist nicht die Aufgabe des Elterngeldes.
({2})
Soziale Ausgewogenheit haben wir auch durch die so
genannte Geringverdienerkomponente, die bereits vorgestellt wurde, hergestellt.
Wie sieht es aber in Deutschland aus, wenn junge
Frauen und Männer nach der Bezugszeit des Elterngeldes in den Beruf zurückkehren wollen? Familien brauchen ein familienfreundliches Umfeld, um Familie und
Beruf zu vereinbaren. Das Elterngeld entfaltet seine positive Leistung nur in Verbindung mit ausreichenden verlässlichen und flexiblen Betreuungsangeboten. Diese
müssen bereits für Kinder im Krippenalter gegeben sein.
Mit dem Tagesbetreuungsausbaugesetz haben wir bereits
in der letzten Legislaturperiode beschlossen, diese Betreuungsangebote deutlich auszuweiten.
({3})
Zum aktuellen Antrag der Grünen möchte ich nur anmerken, dass die Kolleginnen und Kollegen der Grünen
als unser vorheriger Koalitionspartner eigentlich wissen
müssten, wie wichtig der SPD-Fraktion der Ausbau von
guten Betreuungsangeboten ist. Wir werden weiter daran
arbeiten.
Ausbau der Kinderbetreuung bedeutet auch Ausbau
der Bildung. Das beginnt mit der lange vernachlässigten
frühkindlichen Bildung. Das entspricht den Anforderungen an eine Wissensgesellschaft.
({4})
Es ist belegt, dass gerade bei kleinen Kindern jeder eingesetzte Euro gut angelegt ist. Eine frühe Förderung aller Kinder bedeutet eine bessere Bildung und das ist die
beste Armutsprävention, meine Damen und Herren von
der PDS.
({5})
Der notwendige Ausbau der Kinderbetreuungsangebote,
das Elterngeld und eine familienfreundlichere Arbeitswelt werden nach den Erfahrungen in anderen Ländern
wichtige Schritte sein, um Paaren die Entscheidung für
Kinder zu erleichtern. Das in den letzten Jahren erfolgreiche sozialdemokratische familienpolitische Konzept
wird mit dem neuen Elterngeld sinnvoll fortgeführt.
Kinder sind eine vielfältige Bereicherung für Frauen
und Männer, die sich entscheiden, Mütter bzw. Väter zu
werden, und für unsere Gesellschaft. Nur ein Land bzw.
eine Gesellschaft mit Kindern hat eine Zukunft. Kinder
und Familien brauchen aber die Unterstützung der Gesellschaft. Deshalb wollen wir Deutschland zu einem familienfreundlicheren Land machen. Wir sind fest entschlossen, diesen Weg weiterzubeschreiten. Ich lade Sie
alle herzlich ein, sich gemeinsam mit uns dafür stark zu
machen.
Herzlichen Dank.
({6})
Das Wort hat die Kollegin Diana Golze, Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Kolleginnen und Kollegen! Der Rechtsextremismus ist
ein aktuelles Problem, auch wenn die euphorische Stimmung während der Fußballweltmeisterschaft derzeit vieles überdeckt. Von Januar bis Ende April dieses Jahres
registrierte die Polizei bundesweit 3 489 Straftaten von
Neonazis. Das sind über 400 mehr als im Vorjahr. Doch
in den letzten Wochen ist es um die Bundesprogramme
gegen rechts, CIVITAS und Entimon, ruhig geworden.
Die Großkoalitionäre haben sich Anfang Mai wirkungsvoll vor die Presse gestellt und verkündet, dass es keine
Kürzungen bei den Bundesprogrammen zur Förderung
von Maßnahmen gegen Rechtsextremismus geben soll.
Auch die inhaltliche Aufweichung der Programme sei
vom Tisch, hieß es. Aus den Landesparlamenten liegen
mehrere entsprechende Anträge und Entschließungen
vor. Ich zitiere stellvertretend Herrn Burkhard
Jungkamp, Staatssekretär im brandenburgischen Bildungsministerium. Er meint, dass viele Projekte „allein
mit der Unterstützung, die das Land selbst gewähren
kann, kaum in der Lage sind, in der Auseinandersetzung
mit dem Rechtsextremismus weiter erfolgreich zu arbeiten“.
({0})
Inzwischen sind nahezu zwei weitere Monate ins
Land gegangen. Die Sommerpause steht bevor. Dann haben wir September. Ein neuer Haushalt für 2007 wird
vorliegen und wir alle haben Gelegenheit, die Haltbarkeit der Versprechen zu überprüfen.
({1})
Sechs Monate vor dem Auslaufen der Bundesprogramme ist aber die wichtigste Frage noch offen: Welche
Zukunft haben die viel gelobten Strukturprojekte im Osten der Republik, wie Opferberatungsstellen, mobile Beratungsteams und Netzwerkstellen? Sie stehen nach Ansicht aller Experten für Kontinuität der Arbeit gegen den
Rechtsextremismus. Sie sind in den Bundesländern
- dank dieser Kontinuität - hervorragend verankert und
stoßen auf breite Akzeptanz. Sie sind ein entscheidender
Faktor der Arbeit gegen den Rechtsextremismus.
Was aber hören wir von der Regierung? Der Antwort
auf eine Kleine Anfrage vom 30. Mai dieses Jahres entnehme ich, die dauerhafte Finanzierung der entsprechenden Strukturen sei „ausgeschlossen“. Meine sehr
verehrten Damen und Herren, insbesondere von der
SPD, ich habe Frau Kressls Äußerungen dazu zur Kenntnis genommen. Der Vorsitzende des Innenausschusses,
Sebastian Edathy, wird in der heutigen Ausgabe des „Tagesspiegel“ mit dem Satz wiedergegeben:
Die Bundesprogramme zur Förderung zivilgesellschaftlicher Initiativen, zum Beispiel der Beratungsstellen für Opfer rechter Gewalt, müssten
langfristig gesichert und weiterentwickelt werden.
Mit jedem Tag, an dem Sie die Projekte im Unklaren
über ihre Zukunft lassen, leisten Sie aber einen Beitrag
zur Selbstabwicklung der mühsam aufgebauten Strukturen. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen sich neue
Perspektiven suchen. Verträge laufen aus. Verabredungen zur Weiterarbeit reichen notgedrungen nur bis zum
Jahresende. Schaffen Sie endlich und schnell Klarheit
über den langfristigen Erhalt dieser Projekte!
({2})
Meine sehr verehrten Damen und Herren von der
Koalition, mit unserem Antrag zur Fortführung und Verstetigung der Programme gegen Rechtsextremismus, der
Ihnen vorliegt, geben wir Ihnen zum Ende der
Haushaltsdebatte 2006 eine Hausaufgabe für die Sommerpause mit. Wir fordern Sie auf, aus einer pauschalen
Finanzierungszusage ein haltbares Konzept zu machen.
Warten Sie nicht auf den nächsten rechtsextremen Übergriff und die darauf folgende öffentliche Aufmerksamkeit, wenn Sie eine Chance haben, zu seiner Verhinderung beizutragen!
({3})
- Ich denke, Sie haben mich sehr genau verstanden.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat der Kollege Dr. Ole Schröder, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Debatte hat gezeigt, dass die große Koalition im Bereich der Familienpolitik wirklich etwas bewegt. Mit der Einführung des Elterngeldes und der besseren Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten
machen wir unser Land familienfreundlicher.
({0})
Das Elterngeld führt dazu, dass die Entscheidung für
ein Kind nicht mehr gleichzeitig die Entscheidung für
massive finanzielle Einschnitte bedeuten muss. Das Elterngeld und die höhere Absetzbarkeit sind wichtige
Bausteine, mit denen wir als große Koalition auf die Herausforderungen der demografischen Entwicklung reagieren.
Bessere Rahmenbedingungen für Kinder zu schaffen
ist wichtig, um auf die veränderte Altersstruktur zu reagieren. Genauso wichtig ist es, die Alterung der Gesellschaft positiv zu gestalten. Wir wollen nicht nur die
daraus entstehenden Probleme diskutieren; vielmehr
begreifen wir die älter werdende Gesellschaft auch als
Chance. Wir werden deshalb die Rahmenbedingungen
für ein seniorengerechtes Lebensumfeld schaffen: bei
der Regelung der Arbeitswelt oder beim Zusammenhalt
der Generationen.
({1})
Wir Christdemokraten haben klare Grundwerte.
({2})
Für uns sind Kinder und Familie ein Wert an sich,
({3})
sind Kinder und Familie etwas Positives für jeden Einzelnen und daher auch etwas Positives für unsere Gesellschaft. Natürlich sind Kinder der Grundpfeiler für die
Sicherung unseres zukünftigen Lebensstandards. Eine
höhere Geburtenrate ist für die Sicherung unseres Sozialsystems, das auf Solidarität und auf dem Prinzip des
Generationenvertrags beruht, unerlässlich. Doch machen
wir nicht den Fehler, in der politischen Diskussion Kinder immer nur als Wirtschaftsfaktor zu betrachten, die
dazu da sind, unser Sozialsystem zu retten! Kinder sind
ein Wert an sich und deshalb machen wir eine bessere
Familienpolitik.
({4})
Entsprechendes gilt auch für die Senioren. Viel zu
häufig werden nur die negativen Auswirkungen der alternden Gesellschaft diskutiert. Dass wir alle älter werden, ist eine sehr freudige Entwicklung, auf die wir uns
einstellen können, und nichts Negatives. Wichtig ist nur,
dass der enorme Erfahrungsschatz der Seniorinnen und
Senioren, auch ihre Lebenserfahrung, in die Gesellschaft
einfließen kann und in die Gesellschaft eingebracht
wird.
Wie stellt sich die Familienpolitik heute dar? Die entscheidende Frage in einer Haushaltsdebatte ist: Gehen
wir mit dem Geld, das die Bürgerinnen und Bürger uns
anvertraut haben, auch vernünftig um? Wir betreiben Familienpolitik momentan mit über 100 unterschiedlichen
familienpolitischen Maßnahmen. Auf unterschiedlichen föderalen Ebenen haben wir auf verschiedene Probleme mit immer neuen Instrumentarien reagiert. Jeder
spezielle Einzelfall führte zu neuen Förderungstatbeständen, sei es im Steuersystem, sei es im Sozialversicherungssystem oder sei es in Form direkter finanzieller
Hilfen im Bereich der Betreuungsinfrastruktur. Die
Folge ist: Keiner blickt mehr durch. Wenn keiner mehr
durchblickt, dann ist auch der Anreiz nicht mehr erkennbar und fehlt somit.
({5})
Außerdem verschwindet viel Geld in der Förderbürokratie. Das krasseste Beispiel hierfür ist der Kinderzuschlag, der ja eine vernünftige Grundlage hat, nämlich
dass Eltern, die zwar ihren eigenen Lebensunterhalt,
aber nicht den ihrer Kinder bestreiten können, einen Zuschuss vom Staat bekommen, um die Kinder aus der Sozialhilfe herauszuholen. Doch wie sieht die Realität aus?
Die Umsetzung des Kinderzuschlages ist höchst mangelhaft. Bis November letzten Jahres wurden von
600 000 Anträgen 550 000 Anträge abgelehnt. Neun von
zehn Bürgern haben sich umsonst durch diesen Antrag
hindurchgequält und Kapazitäten unserer Verwaltung
unnötig in Anspruch genommen.
Als Haushaltspolitiker geht es mir nicht darum, jede
einzelne familienpolitische Maßnahme inhaltlich zu
überprüfen. Mir geht es darum, dass das Geld entsprechend der Intention der Familienpolitiker vernünftig,
effektiv und effizient verwendet wird.
({6})
Von daher ist es positiv, Frau Ministerin von der
Leyen, dass Sie sich des Themas der Entbürokratisierung der Familienpolitik angenommen haben und mit
der Überarbeitung des Kinderzuschlags damit anfangen.
Lassen Sie uns hierbei mutig agieren, um den deutschen
familienpolitischen Förderungsdschungel zu lichten und
ein deutliches Signal für Familien zu setzen.
Ein Wort zu dem Antrag der Grünen, den Sie hier eingebracht haben und der heute zusammen mit dem Haushalt und dem Elterngeld diskutiert wird. Sie fordern in
Ihrem Antrag, das Ehegattensplitting massiv zu kürzen
und das Geld für Infrastruktur auszugeben.
({7})
Das heißt, Sie wollen erst einmal den Familien Geld
wegnehmen.
({8})
- Das ist die Wahrheit. Sie wollen das Ehegattensplitting
massiv kürzen und nehmen den Familien dadurch erst
einmal Geld weg. - Ich verstehe überhaupt nicht, warum
man diese beiden wichtigen Themen - Förderung der
Familien auf der einen Seite und Infrastruktur auf der anderen Seite - ständig gegeneinander ausspielen muss.
({9})
Familien brauchen beides. Vor allen Dingen brauchen
sie Zuversicht, meine Damen und Herren.
({10})
Herr Kollege Schröder, möchten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Anna Lührmann zulassen?
Bitte schön.
Bitte sehr.
Herr Kollege, es gibt ja auch in der Union mittlerweile eine Debatte über das Ehegattensplitting. Wenn ich
mich recht entsinne, Herr Kollege Schröder, dann gehören auch Sie zu denjenigen, die betonen, dass von dem
Ehegattensplitting vor allen Dingen Ehen profitieren, in
denen es keine Kinder gibt, und dass man deswegen darüber nachdenken muss, wie man Mittel zielgerichtet für
Familien ausgeben kann.
({0})
Von daher noch einmal an Sie die Frage: Würden Sie mir
zustimmen, dass mit dem Ehegattensplitting in Zeiten
knapper Kassen über 20 Milliarden Euro sehr zielungenau verteilt werden?
({1})
Herr Kollege, wenn Sie auch noch die Frage der Kollegin Lenke zulassen, dann könnten Sie auf beide Fragen
umfassend antworten.
Bitte.
Frau Lenke, bitte.
Herr Kollege, Sie haben sehr darauf abgehoben, dass
unsere Gesellschaft kinderfreundlich sein muss, wenn
sie human, menschlich sein will. Jetzt aber wettern Sie
gegen das Ehegattensplitting.
({0})
- Sie wettern gegen die Änderung des Ehegattensplittings. Ich habe nur eine Frage an Sie, Herr Kollege: Wissen Sie, dass in 40 Prozent der Ehen, die jedes Jahr Ehegattensplitting erhalten, keine Kinder leben?
({1})
Ich danke Ihnen für die Zwischenfragen. Aber wenn
Sie wollen, dass Sie Ihre Frage beantwortet bekommen,
dann müssen Sie leider stehen bleiben.
In der CDU geht die Diskussion darum, dass wir neben der Verantwortungsgemeinschaft Ehe auch die Verantwortungsgemeinschaft Familie stärker berücksichtigen.
({0})
Die CDU möchte der Familie anders als die Grünen
nichts wegnehmen. Darin unterscheiden wir uns voneinander.
({1})
Kinder würden bei einem in unseren Reihen diskutierten
Familiensplitting dadurch gefördert werden, dass nicht
nur die Ehe, sondern zusätzlich die Kinder berücksichtigt werden. Wir als CDU/CSU werden immer - das sage
ich ganz deutlich - die wichtige Verantwortungsgemeinschaft Ehe unterstützen, die die Grundlage der Familie
darstellt.
({2})
Die Frage, die wir uns stellen müssen, ist, ob wir beim
Ehegattensplitting, wie es beispielsweise in Frankreich
der Fall ist, nicht zusätzlich die Kinder berücksichtigen,
({3})
damit wir noch stärker die Verantwortungsgemeinschaften fördern, in denen Kinder leben, und nicht nur die Ehe
an sich. Dieser Diskussion werden wir uns innerhalb der
CDU/CSU stellen.
({4})
Aber jetzt zurück zum Haushalt.
({5})
Ich würde gerne all diejenigen, die sich zu Zurufen
animiert fühlen - ich weiß nicht, ob es darum geht, ob
man bei der Beantwortung einer Zwischenfrage aufstehen muss oder nicht -, darum bitten, dem Redner weiter
zuzuhören, der wahrscheinlich auch noch die Zwischenfrage von Frau Lenke beantworten möchte. Danach können Sie, Herr Schröder, dann entscheiden, ob Sie zwei
weitere Zwischenfragen zulassen möchten.
Ich bin auf beide Zwischenfragen gleichmäßig eingegangen. Frau Lenke, Sie dürfen sich gerne wieder setzen
und meinen weiteren Ausführungen zuhören.
Wenn Sie also auf beide Zwischenfragen eingegangen
sind, muss ich Sie jetzt fragen, ob Sie auch die Zwischenfragen von Frau Haßelmann und Frau Deligöz
noch zulassen möchten.
({0})
Bitte schön, Frau Haßelmann.
Bitte schön, Frau Haßelmann.
Sehr geehrter Herr Kollege, Sie sind ja noch relativ
jung.
({0})
Deshalb meine Frage: Glauben Sie in der Tat, dass Sie
mit Ihren Aussagen eben über das Institut der Ehe und
die Familiengründung in der Realität angekommen sind?
({1})
Für uns als CDU/CSU stellt die Ehe einen wichtigen
Wert dar, den wir beim Ehegattensplitting weiterhin
steuerlich berücksichtigen wollen. In der Diskussion
steht, ob neben der Verantwortungsgemeinschaft Ehe zusätzlich die Verantwortungsgemeinschaft Familie mit
Kindern stärker steuerlich berücksichtigt wird.
({0})
Sagen Sie deutlich, dass Sie den Ehen und damit den
Familien Geld wegnehmen wollen! Das ist offensichtlich Ihre Realität, in der Sie von den Grünen angekommen sind. Wir als CDU/CSU wollen den Familien nichts
wegnehmen, sondern die Familien stärker berücksichtigen, in denen Kinder leben. Das ist unser Konzept.
({1})
Ich denke, es ist die Realität, dass in Familien und Ehen
Menschen füreinander Verantwortung übernehmen. Dies
wollen wir als CDU/CSU entsprechend berücksichtigen
und fördern.
({2})
So, Frau Deligöz.
Herr Kollege, wenn Sie sagen, Sie wollten den Familien nichts wegnehmen, dann würde mich Ihre Antwort
auf eine Frage ganz dringend interessieren: Wie haben
Sie bei der Mehrwertsteuererhöhung abgestimmt? Genau die kostet die Familien Geld; denn sie können gar
nicht anders als konsumieren.
({0})
Mich würde Ihre Antwort auf eine zweite Frage interessieren: Sie zitieren hier so schön das Modell Frankreich. Über das dortige Familiensplitting sind Sie, so
glaube ich, falsch informiert. Ist Ihnen bewusst, dass gerade die Franzosen weder Kindergeld wie bei uns noch
Kinderfreibeträge kennen, sondern primär in die Infrastruktur investieren, was übrigens auch die Grünen in ihrem Modell vorschlagen? Im Familiensplittingmodell
der Franzosen kommt erst eine vierköpfige Familie
durch die Bewertung der einzelnen Familienmitglieder
auf einen ähnlichen Betrag, wie er in Deutschland im
Moment an die Familien gezahlt wird. Das heißt, wenn
Sie das französische Modell adaptieren würden, würden
Sie bei der finanziellen Förderung der Familien kürzen.
Wenn Sie bei den Franzosen die guten Instrumente abschauen, dann nähern Sie sich unserem Modell, das vorsieht, das Ehegattensplitting zugunsten von Familien mit
Kindern zu kürzen.
({1})
Ich verstehe nicht, warum die Grünen die Förderung
der Familien, die ja hoffentlich auch den Grünen am
Herzen liegt, gegen das Thema Infrastruktur ausspielen. Die Familien brauchen beides.
({0})
Nehmen Sie den Familien nicht aus der einen Tasche etwas weg, um es ihnen in die andere Tasche hineinzustecken! Diese Logik verstehe ich nicht. Ich denke, dass wir
über das Thema Familiensplitting noch diskutieren werden, wir von der CDU/CSU und vielleicht auch Sie von
den Grünen. Aber denken Sie daran, dass es keine Lösung ist, den Familien erst etwas wegzunehmen,
({1})
um es ihnen dann über staatliche Transferleistungen zurückzugeben.
({2})
Was ich an Ihrem Antrag besonders problematisch
finde, ist, dass Sie nur auf öffentliche Infrastruktursysteme setzen - das steht in Ihrem Antrag mindestens dreioder viermal - und dass Sie auf die Vielfalt der Infrastrukturmöglichkeiten, die eben auch von Privaten zur
Verfügung gestellt werden können, gar nicht eingehen.
So hätten Sie Ihren Antrag verbessern können.
({3})
Mir liegt noch eine Zwischenfrage vor. Wenn Sie
möchten?
Ich würde jetzt gerne zum Haushalt zurückkommen.
({0})
Wir sind ja hier in einer Haushaltsdebatte. Alle anderen
Dinge können bei den Beratungen im Ausschuss noch
diskutiert werden.
Bei der Haushaltsaufstellung - das ist für mich als
Mitglied des Haushaltsausschusses ein wichtiger Punkt konnten wir 6 Millionen Euro für die Einrichtung der
Mehrgenerationenhäuser zur Verfügung stellen. Der
Start dieses Projekts noch in diesem Jahr ist gesichert. Es
ist jetzt Aufgabe der Bundesregierung, zu zeigen, dass
der Vertrauensvorschuss, den sie vom Parlament bekommen hat, gerechtfertigt ist. Wir werden das Projekt im
Hinblick auf die Bundesausgaben konstruktiv und kritisch begleiten.
Bei allen wichtigen Weichenstellungen für eine bessere Familienpolitik dürfen wir das für die nachkommenden Generationen wichtigste Thema nicht vergessen: die Konsolidierung des Haushalts. Ohne die
Konsolidierung des Haushalts werden wir die Handlungsspielräume der kommenden Generationen immer
stärker einengen. Deswegen ist es für unsere Kinder
ganz wichtig, dass wir hier tätig werden. Das ist ein
wichtiges Projekt der großen Koalition.
({1})
Zur Fußballweltmeisterschaft ist noch nichts gesagt
worden. Das will ich aber natürlich tun.
Das machen Sie jetzt schon außerhalb Ihrer Redezeit.
Frankreich ist 1998 Fußballweltmeister geworden.
Seit dieser Zeit ist die Geburtenrate in Frankreich von
1,6 Kinder auf 1,9 Kinder gestiegen.
({0})
Ich denke, wir sollten das den Franzosen nachmachen.
({1})
Frau Ministerin, ich denke, dass Sie unseren Bundestrainer auf diesen wichtigen Sachzusammenhang hinweisen
sollten.
Schönen Dank.
({2})
Das Wort hat die Kollegin Christel Humme, SPDFraktion.
({0})
Frau Vorsitzende! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Es ist in der Tat neu, dass wir fast zwei Stunden im
Parlament über Familien- und Gleichstellungspolitik reden. Ich denke, das zeigt, Frau Binder, welchen Stellenwert wir diesen Themen beimessen. Ich verstehe Ihre
Kritik überhaupt nicht, wonach wir überhaupt kein Konzept haben. Das kann ich nicht nachvollziehen. Ich sehe
Ihnen das aber nach, weil Sie ja erst sieben Monate im
Bundestag sind.
Ich verstehe die durch Anna Lührmann geäußerte
Kritik der Grünen gar nicht. Sie hat ja gesagt, dass sie
kein Konzept erkennen könne. Ja, wo waren Sie denn,
Frau Lührmann? In der letzten Legislaturperiode haben
Sie zusammen mit uns das Tagesbetreuungsausbaugesetz und das Ganztagsschulprogramm, das heute noch
Gültigkeit hat, auf den Weg gebracht. Dafür, dass hier
eine solche Kritik geäußert wird, habe ich überhaupt
kein Verständnis.
({0})
Diese beiden Instrumente verhelfen unseren Kindern
zu besseren Bildungschancen und sie ermöglichen auch
eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Ich
gebe Ihnen von den Grünen natürlich Recht: Es ist gar
keine Frage, dass das, was wir jetzt haben, noch nicht
ausreicht. Wir brauchen mehr.
Wenn Sie in den Koalitionsvertrag schauen - Frau
Deligöz, auch Sie sollten darin einmal nachlesen -, dann
können Sie eindeutig erkennen, dass wir einen Schwerpunkt auf den Ausbau der Infrastruktur legen. Wenn
bis 2008 absehbar ist, dass der Ausbau nicht bedarfsgerecht erfolgt ist, wollen wir - das ist für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ganz wichtig; Frau
Kressl hat es bereits erwähnt - den Rechtsanspruch auf
einen Betreuungsplatz für unter Dreijährige durchsetzen.
({1})
- Frau Deligöz, Sie müssten einmal genau hinhören,
dann wüssten Sie, welche Jahreszahl ich genannt habe.
Vereinbarkeit von Familie und Beruf war unser Markenzeichen in den letzten beiden Legislaturperioden.
Wir knüpfen in der großen Koalition genau an diesen
Punkt an. Der Baustein Elterngeld ist da ein weiteres Instrument, das nicht nur für die Vereinbarkeit von Familie
und Beruf wichtig ist.
Für uns ist es auch wichtig - die Ministerin hat es
schon betont -, dass die Familien den Lebensstandard,
den sie haben, auch halten können. Denn wir wissen aus
der Vergangenheit: Gerade der Wegfall eines Einkommens hat vielfach zu Familien- und Kinderarmut geführt. Das Elterngeld will genau das verhindern.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben dies
schon heute öfter gehört; ich freue mich, dass darüber
nicht mehr so heftig diskutiert wird: Der besondere Reiz
der Lohnersatzleistung in Höhe von maximal bis zu
1 800 Euro monatlich liegt in seiner Botschaft an die Väter. Ihnen wird es künftig sicherlich schwerer fallen
- auch das hat Frau Kressl vorhin gesagt -, der Meinung
zu sein, dass sich Elternzeit für sie nicht lohne. Denn
eine Lohnersatzeinleistung in Höhe von bis zu 1 800 Euro
im Monat ist für die Väter sehr interessant. Ich freue
mich, dass die Debatte über die Vätermonate endlich
verstummt ist.
Frau Binder, was den Gleichstellungsaspekt betrifft,
möchte ich sagen: Das Elterngeld trägt dazu bei, dass die
Väter in den Betrieben zukünftig leichter sagen können,
dass sie Familienarbeit übernehmen wollen.
({2})
Es fördert auch die Entwicklung - das ist ein weiterer
Gleichstellungsgesichtspunkt -, dass Frauen bei Einstellungen weniger diskriminiert werden. Denn mittlerweile
sind die männlichen Bewerber ebenfalls in der Situation,
Elternzeit nehmen zu können. Das heißt, es wurde ein
wesentliches Ziel in Bezug auf die Gleichstellung erreicht.
Kurz gesagt: Durch das Elterngeld wird zur Umsetzung von neuen Rollenkonzepten ermuntert werden. Außerdem kann die Wahlfreiheit, deren Wichtigkeit Frau
Kressl gerade so eindringlich beschrieben hat, besser in
Anspruch genommen werden.
Frau Lenke, wir haben die Lohnersatzleistung ganz
bewusst für die Dauer von 14 Monaten konzipiert. Damit fördern wir den Gedanken, dass der Berufseinstieg
verbessert werden muss. Ich denke, da sind wir aufgrund
der Diskussion in der Vergangenheit einer Meinung. Daher wundere ich mich, dass Sie, Frau Lenke, fordern, die
Rahmenfrist auf 32 Monate zu erhöhen.
({3})
Ich empfehle allen, die eine Verlängerung der Rahmenfrist fordern, einen Blick in eine Studie des Deutschen
Instituts für Wirtschaftsforschung aus dem Jahre 2004 zu
werfen. Dort wird eindeutig festgestellt, dass bei dem
ersten Kind der Anteil der Frauen, die bereits nach einem Jahr wieder berufstätig sein wollen, 75 Prozent beträgt. Ein weiteres interessantes Ergebnis dieses Berichts
ist, dass nach dem zweiten Kind der Wunsch, wieder berufstätig zu sein, bereits nach einem halben Jahr vorhanden ist. Daher halte ich diese Diskussion für völlig verfehlt.
Zur Klarstellung noch einmal: Das Elterngeld ersetzt
das Erziehungsgeld. Daher verbietet sich ein Vergleich.
Es ist ein völlig neues Instrument, mit dem vor allem
zwei Ziele in den Vordergrund gestellt werden: eine bessere Gleichstellung der Geschlechter am Arbeitsplatz
und eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Ich gebe all denen Recht, die heute in der Debatte gesagt haben, das Elterngeld entfalte seine volle Wirkung,
wenn wir nach einem Jahr die Betreuungsangebote haben, die wir brauchen. Ich gebe auch all denen Recht, die
heute gesagt haben, dass wir einmal genau hinschauen
müssen, welche Leistungen es für Familien gibt. Wir
müssen uns aber fragen, ob das alles noch so zielgenau
ist, wie wir es eigentlich wollen. Müssten wir nicht vielleicht umsteuern zugunsten von mehr Betreuungsangeboten, was ein modernerer Weg wäre?
Ich denke mir, Frau Laurischk, Ihr Vorschlag ist ein
wenig widersprüchlich. Sie fordern das Gleiche wie ich
vorhin, nämlich mehr Betreuungsplätze. Sie nehmen uns
aber zugleich die Möglichkeit der Gestaltung, indem Sie
ein Familiensplitting fordern.
({4})
Sie wissen, was das kostet: mindestens 17 Milliarden
Euro. Ich frage alle, die diese Forderung erheben: Wie
wollen Sie sicherstellen, dass in Zukunft noch Geld für
den Ausbau von Betreuungsplätzen da ist? Ich halte das
für höchst ungerecht und auch unter sozialem Gesichtspunkt für falsch.
({5})
- Sie können gleich noch fragen; ich möchte das eben zu
Ende führen.
All denen aber, die in dieser Debatte gesagt haben,
wir müssten uns einmal das Ehegattensplitting genauer
anschauen und prüfen, ob da nicht vielleicht doch eine
Umsteuerung wünschenswert wäre, weil es vielleicht
kein modernes Instrument oder nicht mehr zeitgemäß ist,
stimme ich insofern zu, dass ich finde, dass es die Mühe
wert wäre, darüber eine sachliche Diskussion zu führen.
Herr Schröder, Sie haben vorhin in Übereinstimmung
mit all den anderen, die das Ehegattensplitting verteidigen, gesagt: Die Ehe steht im Mittelpunkt dieser Förderung. Darum frage ich jetzt Sie, Herr Schröder, und damit auch alle, die die Meinung vertreten, dass das
Ehegattensplitting als Eheförderung beizubehalten ist:
Welche Ehe meinen Sie? Meinen Sie eine Ehe, in denen
nur einer zum Familieneinkommen beiträgt, oder meinen Sie eine Ehe, in der beide zum Familieneinkommen
beitragen? Ich erkläre Ihnen gleich, warum ich so frage.
Frau Kollegin, möchten Sie jetzt die Zwischenfrage
zulassen?
Moment, ich will den Gedanken eben zu Ende führen,
damit klar wird, was ich meine. - Für mich ist nicht einsehbar, dass beispielsweise ein Familieneinkommen in
Höhe von 110 000 Euro, das von einem Ehepartner alleine erwirtschaftet wird, durch einen Splittingeffekt in
Höhe von rund 8 000 Euro subventioniert wird,
({0})
dass jedoch Ehepartner, die beide je 55 000 Euro - die
Annahme, dass beide gleich verdienen, ist schon optimistisch - zum gemeinsamen Familieneinkommen von
110 000 Euro beitragen, 0 Euro Splittingvorteil, also
keine Subvention erhalten.
({1})
In beiden Fällen handelt es sich um Ehen, in beiden Fällen handelt es sich um ein Familieneinkommen.
Ich glaube, wir sollten uns hier nicht so echauffieren,
wie wir es gerade gemacht haben. Wir sollten an dieser
Stelle vielmehr eine sachliche Diskussion führen und
uns fragen, wen wir in Zukunft fördern wollen. Wir wollen zum einen Familien mit Kindern fördern. Darüber
sind wir uns alle einig; diesbezüglich habe ich keinen
Dissens festgestellt. Zum anderen brauchen wir Geld für
mehr Betreuung. Diesbezüglich habe ich auch keinen
Dissens festgestellt. Lassen Sie uns also an diese Fragen
herangehen und die entsprechenden Leistungen sachlich
diskutieren und nach Lösungen suchen, die verfassungskonform sind, den Unterhaltsanspruch für Familien berücksichtigen und gleichzeitig im Sinne einer Gleichstellung die Frauen, die berufstätig sind oder sein wollen,
nicht benachteiligen.
({2})
Auf ein Letztes, was mir sehr am Herzen liegt,
möchte ich doch noch eingehen. Frau Binder, Sie haben
unsere Gleichstellungspolitik ja stark kritisiert. Vorgestern hatten wir endlich die erste Lesung zum Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz. Das ist ein wichtiger
Punkt. Auf dieses Gesetz haben vor allem wir Frauen,
aber nicht nur wir, gewartet. Ich weiß, dass die Gleichstellungsstelle, die in Zukunft im Familienministerium
angesiedelt sein wird, schon im Haushalt etatisiert
wurde. Darüber habe ich mich sehr gefreut.
Frau Kollegin, Sie müssen jetzt zum Ende kommen.
Deshalb hoffe ich, dass dieses Gesetz den Bundesrat
unverändert passiert und nichts mehr verändert wird. Ich
meine nämlich - auch da werden wir alle gleicher Meinung sein -, Gleichstellung ist nicht verhandelbar.
Schönen Dank.
({0})
Es tut mir Leid, ich kann nicht außerhalb der Redezeit
eine Zwischenfrage zulassen.
({0})
- Ich hatte Sie zweimal gefragt, da wollten Sie die Zwischenfrage nicht zulassen. Nun kann ich, nachdem Ihre
Redezeit vorbei ist, keine Zwischenfrage mehr zulassen.
({1})
- Doch, ich habe sie zweimal gefragt und sie hat gesagt,
sie möchte den Gedanken zu Ende führen. Darüber müs-
sen wir jetzt nicht weiter diskutieren.
Ich schließe jetzt die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-
plan 17 - Bundesministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend - in der Ausschussfassung. Wer
stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Da-
mit ist der Einzelplan mit den Stimmen der Koalition ge-
gen die Stimmen der gesamten Opposition angenom-
men.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt I.13 b und c
sowie zu den Zusatzpunkten 4 bis 6. Interfraktionell
wird Überweisung der Vorlagen auf den Druck-
sachen 16/1889, 16/1673, 16/1498, 16/1542 und 16/1877
an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse
vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist
der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Interfraktionell ist vereinbart, die heutige Tagesord-
nung um die erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zum
Abbau bürokratischer Hemmnisse insbesondere in der
mittelständischen Wirtschaft - Drucksache 16/1853 - zu
erweitern und sofort im vereinfachten Verfahren zu über-
weisen. Sind Sie damit einverstanden? - Dann ist so be-
schlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte III a bis f und die
Zusatzpunkte 7 a und 7 b sowie den eben aufgesetzten
Zusatzpunkt 9 auf:
III a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Partnerschafts- und Kooperationsabkommen
vom 11. Oktober 2004 zur Gründung einer
Partnerschaft zwischen den Europäischen
Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten
einerseits und der Republik Tadschikistan
andererseits
- Drucksache 16/1621 -
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Steueränderungsgesetzes 2007
- Drucksache 16/1859 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({2})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung und zur Regelung der Aufgaben des Bundesamts für Justiz
- Drucksache 16/1827 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({3})
Innenausschuss
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur
Änderung des Allgemeinen Eisenbahngesetzes
- Drucksache 16/1851 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({4})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jörg van
Essen, Birgit Homburger, Sabine LeutheusserSchnarrenberger, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Zuständigkeit in der Strafverfolgung deutscher Soldaten im Auslandseinsatz rechtsstaatlich sicherstellen
- Drucksache 16/673 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({5})
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Verteidigungsausschuss
f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Thilo
Hoppe, Ute Koczy, Hans-Christian Ströbele und
der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Diaspora - Potenziale von Migrantinnen und
Migranten für die Entwicklung der Herkunftsländer nutzen
- Drucksache 16/1669 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung ({6})
Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
ZP 7 a)Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter
Götz, Dirk Fischer ({7}), Dr. Klaus W.
Lippold, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Petra
Weis, Sören Bartol, Uwe Beckmeyer, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Stadtentwicklung ist moderne Struktur- und
Wirtschaftspolitik
- Drucksache 16/1890 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({8})
Innenausschuss
Sportausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ute
Koczy, Jürgen Trittin, Undine Kurth ({9}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Schaden von der Reputation der Osteuropabank abwenden - Das Öl- und Gasprojekt Sachalin II als Lackmustest für die Einhaltung
internationaler Umwelt- und Sozialstandards
- Drucksache 16/1668 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung ({10})
Finanzausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
ZP 9 Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zum
Abbau bürokratischer Hemmnisse insbesondere in der mittelständischen Wirtschaft
- Drucksache 16/1853 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und
Technologie ({11})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss
Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Die Vorlage auf
Drucksache 16/1669 - Tagesordnungspunkt III f - soll
zusätzlich an den Ausschuss für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend überwiesen werden. Sind Sie damit
einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte IV a bis l auf. Es
handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu
denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Tagesordnungspunkt IV a:
Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Besteuerung des Spieleinsatzes ({12})
- Drucksache 16/1032 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({13})
- Drucksache 16/1666 Berichterstattung:
Abgeordneter Manfred Kolbe
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung, den Gesetzentwurf auf Drucksache 16/1032 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist
diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.
Tagesordnungspunkt IV b:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung ({14})
zu dem Antrag der Abgeordneten Ilse Aigner,
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Michael Kretschmer, Katherina Reiche ({15}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU sowie der Abgeordneten René
Röspel, Jörg Tauss, Nicolette Kressl, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Informatives Berichtswesen als Grundlage
einer guten Forschungs- und Technologiepolitik
- Drucksachen 16/646, 16/1705 Berichterstattung:
Abgeordnete Ilse Aigner
René Röspel
Dr. Petra Sitte
Priska Hinz ({16})
Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 16/646 in der Ausschussfassung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Die
Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist auch diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen des ganzen Hauses
angenommen.
Tagesordnungspunkt IV c:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({17})
- zu der Verordnung der Bundesregierung
Vierundsiebzigste Verordnung zur Ände-
rung der Außenwirtschaftsverordnung
- zu der Verordnung der Bundesregierung
Einhundertdreiundfünfzigste Verordnung
zur Änderung der Einfuhrliste
- Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz -
- Drucksachen 16/1292, 16/1294, 16/1476
Nr. 2.1, 2.2, 16/1747 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Erich G. Fritz
Der Ausschuss empfiehlt, die Aufhebung der Verord-
nungen auf den Drucksachen 16/1292 und 16/1294 nicht
zu verlangen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Be-
schlussempfehlung ist mit den Stimmen des ganzen
Hauses angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte IV d bis l auf:
d) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({18})
Sammelübersicht 52 zu Petitionen
- Drucksache 16/1686 -
e) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({19})
Sammelübersicht 53 zu Petitionen
- Drucksache 16/1687 -
f) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({20})
Sammelübersicht 54 zu Petitionen
- Drucksache 16/1688 -
g) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({21})
Sammelübersicht 55 zu Petitionen
- Drucksache 16/1689 -
h) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({22})
Sammelübersicht 56 zu Petitionen
- Drucksache 16/1690 -
i) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({23})
Sammelübersicht 57 zu Petitionen
- Drucksache 16/1691 -
j) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({24})
Sammelübersicht 58 zu Petitionen
- Drucksache 16/1692 -
k) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({25})
Sammelübersicht 59 zu Petitionen
- Drucksache 16/1693 -
l) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({26})
Sammelübersicht 60 zu Petitionen
- Drucksache 16/1694 -
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt IV d, Sammel-
übersicht 52, auf Drucksache 16/1686. Wer stimmt da-
für? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Sammel-
übersicht ist mit den Stimmen des ganzen Hauses
angenommen.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt IV e, Sammel-
übersicht 53, auf Drucksache 16/1687. Wer stimmt da-
für? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Auch diese
Sammelübersicht ist mit den Stimmen des ganzen Hau-
ses angenommen.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt IV f, Sammel-
übersicht 54, auf Drucksache 16/1688. Wer stimmt da-
für? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Sammel-
übersicht ist bei Gegenstimmen der Linksfraktion und
Enthaltungen der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grü-
nen und Zustimmung aller anderen Fraktionen angenom-
men.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt IV g, Sammel-
übersicht 55, auf Drucksache 16/1689. Wer stimmt da-
für? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Sammel-
übersicht 55 ist mit den Stimmen des ganzen Hauses
angenommen.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt IV h, Sammel-
übersicht 56, auf Drucksache 16/1690. Wer stimmt
dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die
Sammelübersicht 56 ist mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenom-
men.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt IV i, Sammel-
übersicht 57, auf Drucksache 16/1691. Wer stimmt da-
für? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Diese
Sammelübersicht ist mit den Stimmen der CDU/CSU,
der SPD und der FDP gegen die Stimmen der Linksfrak-
tion und des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt IV j, Sammel-
übersicht 58, auf Drucksache 16/1692. Wer stimmt
dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die
Sammelübersicht ist mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen, der FDP und der Linksfraktion gegen die
Stimmen des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt IV k, Sammel-
übersicht 59, auf Drucksache 16/1693. Wer stimmt da-
für? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sam-
melübersicht ist gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke mit den Stimmen der übrigen Fraktionen ange-
nommen.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt IV l, Sammel-
übersicht 60, auf Drucksache 16/1694. Wer stimmt da-
für? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Sammel-
übersicht ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
und des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen
der FDP und der Fraktion Die Linke angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.14 auf:
a) Einzelplan 12
Bundesministerium für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung
- Drucksachen 16/1312, 16/1324 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Roland Claus
Norbert Königshofen
Dr. Claudia Winterstein
b) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Winfried Hermann, Dr. Anton Hofreiter, Peter
Hettlich, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur effizienteren Finanzierung des öffentlichen Nahverkehrs ({27})
- Drucksache 16/1435 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({28})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss
Zum Einzelplan liegen ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP sowie zwei Änderungsanträge der Fraktion
Die Linke vor.
Unter den Fraktionen ist vereinbart, hierzu zwei Stunden zu debattieren. - Dazu höre ich keinen Widerspruch.
Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort der
Kollegin Claudia Winterstein, FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die traurige Bilanz des ersten schwarz-roten
Haushalts ist: Die Schulden steigen, die Steuern steigen,
aber die Ausgaben für Investitionen stagnieren und bleiben auf einem viel zu niedrigen Niveau. In die Verkehrsinfrastruktur investieren Sie zum Beispiel keinen einzigen zusätzlichen Euro.
({0})
Die Ausgaben für Investitionen liegen bei
9 Milliarden Euro. Sie sind also nicht höher als im letzten Jahr. Damit bleiben sie etwa 1 Milliarde Euro unter
dem Durchschnitt der letzten zehn Jahre und etwa
3 Milliarden Euro unter dem tatsächlichen Investitionsbedarf, den die Sachverständigenkommission festgestellt
hat. Diese Lücke ließe sich durchaus schließen, wenn Sie
nämlich die Einnahmen aus der LKW-Maut in Höhe von
2,9 Milliarden Euro - eventuell werden es sogar noch
mehr sein - zusätzlich in den Verkehr investieren würden. Das ist übrigens auch versprochen worden.
({1})
- Ja. - Dieses Versprechen wird jetzt unter Rot-Schwarz
ebenso gebrochen wie unter Rot-Grün im letzten Jahr.
({2})
Einsparmöglichkeiten im Verkehrshaushalt nutzen Sie
nicht.
Der Bundesrechnungshof hat dargelegt, dass sich mit
der Umstellung der Finanzierung des Schienenbestandsnetzes von den bisherigen Baukostenzuschüssen auf
zinslose Darlehen 750 Millionen Euro im Jahr einsparen
ließen. Warum greifen Sie die Vorschläge des Bundesrechnungshofes eigentlich nicht auf?
Herr Minister, bei der Bahn haben Sie sich einen eigenartigen Alleingang erlaubt. Schon vor der Anhörung
der Experten haben Sie sich für eine Kapitalprivatisierung mit Schiene ausgesprochen.
({3})
Diese Form der Privatisierung wäre aber mit unverantwortbaren Haushaltsrisiken verbunden.
({4})
Sie haben sich sowohl bei den angehörten Experten
als auch bei den Interessenverbänden eine deutliche Abfuhr abgeholt. Es scheint so zu sein, als wollten Sie trotz
alledem stur an der Privatisierung mit Schiene festhalten, egal was die Experten davon halten. Die FDP will
eine sinnvolle Privatisierung der Bahn ohne Schiene mit
weitgehender Wettbewerbsfreiheit für alle Anbieter und
nicht Ihre Form der Verschleuderung von Staatsvermögen.
({5})
Das Stichwort Verschleuderung trifft auch auf den
technischen Vorsprung beim Transrapid zu. Wir laufen
Gefahr, unsere wichtigste wirtschaftliche Ressource, den
technischen und wissenschaftlichen Vorsprung durch Innovation, zu verschleudern. Um den Transrapid wird
nun schon so lange gezerrt, dass sich das Projekt aus
dem Zeitablauf heraus zu erledigen droht. Wir werden
hier inzwischen von anderen Nationen eingeholt und
überholt.
({6})
Nach langem Streit wurde nun endlich ein Standort
für den Bau einer Transrapidstrecke gefunden, und zwar
von München zum Flughafen. Die dafür ausgewiesenen
Mittel reichen aus, um die Finanzierung mit einem größeren Anteil des Bundes sicherzustellen. Sie aber feilschen noch immer mit dem Land Bayern und der Stadt
München um die Aufteilung der Kosten. Die Zeit drängt
jedoch. Wenn der Bau einer Transrapidstrecke in
Deutschland weiter hinausgezögert wird, verlieren irgendwann alle bis dato getätigten Investitionen in dieses
Vorhaben ihren Sinn. Das wäre in der Tat eine gigantische Steuermittelverschwendung.
Die Bundesregierung hat sich mit den Bundesländern
bis in die letzte Bundesratssitzung hinein über die Höhe
der Regionalisierungsmittel gestritten. Leider streiten
Sie nicht mit derselben Intensität über die richtige Verwendung der Mittel. Aus Haushaltssicht gilt für den Bereich der Schiene wie auch für alle anderen Verkehrsträger des öffentlichen Personennahverkehrs, dass Sie
diesen Markt durch Ausschreibungen einer längst überfälligen Liberalisierung unterziehen sollten. Denn über
80 Prozent dieses Marktes werden in Deutschland ohne
öffentliche Ausschreibungen vergeben. Hier liegt ein erhebliches Sparpotenzial für die öffentlichen Haushalte.
({7})
Herr Minister, Sie diskutieren auf europäischer Ebene
aktuell über eine Verordnung zur europaweiten Ausschreibungspflicht im öffentlichen Nahverkehr. Sie sind
dabei, diese Verordnung durchzuwinken, obwohl zahlreiche Stimmen warnen, dass dadurch die lokalen Anbieter durch europäische Großkonzerne verdrängt werden.
({8})
Es darf aber nicht dazu kommen, dass Sie im Ergebnis
bloß ein staatliches Monopol durch ein privates ersetzen.
Auch in anderer Hinsicht verspricht die schwarz-rote
Zukunft nichts Gutes. Es wird eine Diskussion über die
Einführung einer PKW-Maut geführt und dabei wird auf
den vermeintlichen Erfolg der LKW-Maut verwiesen.
Ich will deutlich sagen: Schwarz-Rot nutzt wie schon
Rot-Grün die LKW-Maut allein zum Abkassieren, ohne
damit die Investitionen in den Verkehrshaushalt, wie
versprochen, aufzustocken. So verspielt man das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger.
Nach dem Thema Schiene und Straße noch ein Wort
zum Thema Schiff. Sie schaffen in diesem Jahr zahlreiche neue Schiffe an, obwohl das Konzept des maritimen
Sicherheitszentrums noch nicht so weit umgesetzt ist,
dass Synergieeffekte feststellbar sind. Man müsste aufgrund der Empfehlung des Bundesrechnungshofes bis
zum Haushalt 2008 warten. Diese Zeit könnten Sie nutzen, um die benötigten Dienstleistungen auszuschreiben,
anstatt immer sämtliche Schiffe selbst kaufen und betreiben zu wollen. Bisher ist eine Markterkundung in Bezug
auf Bau, Betrieb und Unterhalt ausgeblieben.
({9})
Wir haben deshalb beantragt, die Haushaltsmittel für
die Anschaffung der Schiffe so lange zu sperren, bis ein
Interessenbekundungsverfahren durchgeführt und die
Wirtschaftlichkeit aller in Betracht kommenden Lösungen ausreichend geprüft wurde. Stimmen Sie unserem
Vorschlag doch einfach zu! Hier liegt eine von Ihnen bislang völlig unbeachtete Sparmöglichkeit.
Fassen wir noch einmal kurz zusammen: Sie sparen
nicht, wo ohne weiteres gespart werden könnte. Sie investieren nicht, wo Investitionen Not tun. Sie liberalisieren nicht, wo Liberalisierung und Ausschreibung sowohl
den Haushalt entlasten als auch die Wirtschaft ankurbeln
könnten. Sie vernachlässigen auf europäischer Ebene die
Belange unserer mittelständischen Wirtschaft.
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Ende.
Die Bürger verlieren das Vertrauen in die schwarzrote Regierung. Wenn man sich diesen Haushalt ansieht,
dann weiß man auch, warum.
Danke.
({0})
Das Wort hat der Kollege Klaas Hübner, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Wenn man sich die FDP ansieht, dann möchte
man fast meinen, dass sie eine Studie, die vor kurzem
von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young
veröffentlicht worden ist, gar nicht zur Kenntnis genommen hat. In der Studie ist festgestellt worden, dass
Deutschland für internationale Unternehmen der attraktivste Standort in Europa ist. Mehr als die Hälfte der Unternehmen haben gesagt, wichtig bei ihrer Investitionsentscheidung sei vor allen Dingen die öffentliche
Infrastruktur in einem Land. International gesehen zeigt
sich also ein vollkommen anderes Bild als das, was Sie
gezeichnet haben.
({0})
Im internationalen Vergleich sind wir ein starker Standort. Die große Koalition bzw. die Bundesregierung hat
ihre Verantwortung erkannt und die Mittel verstetigt.
Dieser Haushalt ist ein Investitionshaushalt. Ein
Schwerpunkt des 25-Milliarden-Euro-Programms von
Genshagen findet sich in diesem Haushalt wieder. Darüber hinaus ist er ein Innovationshaushalt. Wir geben in
dieser Legislaturperiode 200 Millionen Euro zusätzlich
für Forschung und Entwicklung im Verkehrsbereich aus.
Ferner ist er ein Integrationshaushalt. Wir haben für das
Programm „Soziale Stadt“ einen Verfügungsrahmen von
110 Millionen Euro eingestellt; auch das ist nicht zu vernachlässigen. Daran sehen Sie: Dieser Haushalt ist ein
wichtiger Zukunftshaushalt.
({1})
Er ist der größte Investitionshaushalt im gesamten
Bundeshaushalt. Mehr als die Hälfte der investiven Ausgaben des Bundes sind Investitionen in die beiden Säulen des Einzelplanes 12, in den Verkehrs- und in den
Baubereich. Wir haben diese Mittel auf 9 Milliarden
Euro verstetigen können. Zusammen mit den Mitteln für
die Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden - Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz -, für den
Transrapid, für das Satellitennavigationssystem Galileo
und für den Flughafen Berlin-Brandenburg werden wir
im Verkehrsbereich im Jahre 2006 insgesamt Investitionen in Höhe von rund 11 Milliarden Euro realisieren
können.
Diese Verstetigung der Investitionsmittel kommt allen
drei Verkehrsträgern, der Straße, der Schiene und der
Wasserstraße, zugute. Der größte Teil der zusätzlichen
Mittel wird allerdings für die Straße verwendet. Denn
angesichts von Prognosen, dass im Jahre 2020 etwa
70 Millionen PKW und 1,5 Millionen LKW mehr auf
den Straßen der Europäischen Union fahren werden, ist
eine angemessene Berücksichtigung der Straße erforderlich.
Darüber hinaus ist es uns gelungen, einen Schritt von
der Staatsfinanzierung hin zu mehr Nutzerfinanzierung
zu machen; Stichwort Maut. Wir alle wissen, dass die
Maut nicht so angelaufen ist, wie wir es uns damals gewünscht haben;
({2})
das ist unbestritten. Aber heute ist sie eine Erfolgsstory.
Daran zeigt sich, dass es gut ist, die Nerven zu behalten
und solche Maßnahmen nicht, wie es teilweise hier im
Hause gefordert worden ist, einfach abzubrechen.
Manchmal muss man die Nerven behalten.
Heute ist die Maut eine Erfolgsstory. Die Einnahmen
aus ihr steigen stetig. Seit der Inbetriebnahme der Maut
am 1. Januar 2005 läuft der Betrieb ohne Probleme. Im
März dieses Jahres hatten wir Rekordeinnahmen von
270 Millionen Euro zu verzeichnen.
({3})
Insofern war sie eine richtige und wichtige Maßnahme.
In diesem Zusammenhang möchte ich an die Kolleginnen und Kollegen von der Linksfraktion sagen: Sie
haben einen Finanzierungsantrag gestellt. Sie wollen die
Mittel im Haushalt um 1 Milliarde Euro erhöhen. Dieses
Geld wollen Sie aus den Einnahmen aus dem Schiedsgerichtsverfahren zwischen dem Bund und der Industrie
nehmen. In diesem Jahr ist aber gar kein Urteil aus dem
Schiedsgerichtsverfahren zu erwarten.
({4})
Wer so etwas macht, verlässt den Weg der Solidität in
der Finanzführung. Erwartungen hinsichtlich eines Prozesses als echte, harte Einnahmen in den Haushalt einstellen zu wollen, das ist keine solide Finanzierung. Wer
so argumentiert, verabschiedet sich aus dem Kreis derjenigen, die reale Probleme auch mit realen Mitteln lösen
wollen. So geht das nicht.
({5})
Wir haben die Mittel für den Schienenverkehr verstetigt. Exemplarisch sei darauf hingewiesen, dass die
Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“, 8.1 und 8.2 - hier
geht es um die Strecken Nürnberg-Erfurt und Erfurt-Leipzig -, vorgezogen werden. Hierfür werden
jährlich zusätzlich 100 Millionen Euro aufgewendet. Damit schließen wir die Lücke im transeuropäischen Netz
Stockholm-Berlin-Palermo. Das ist richtig.
({6})
Bei dieser Gelegenheit möchte ich, da wir gerade
beim Thema Schiene sind, ein Wort zur Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG sagen, die uns im Herbst
dieses Jahres, wie ich glaube, sehr stark beschäftigen
wird. Die Diskussion darüber wird von allen Seiten teilweise extrem emotional geführt.
Ich denke, es wäre für alle Seiten gut, die Emotionen
ein wenig zurückzufahren und sich bei der Suche nach
einer Lösung vor allen Dingen an folgenden Fragen zu
orientieren: Wie schaffen wir es, dass mehr Verkehr auf
die Schiene kommt? Wie können wir den Wettbewerb
auf der Schiene sichern? Wie können wir trotzdem weiterhin eine starke Bahn erhalten? Wie können wir aus
der Teilprivatisierung einen möglichst großen Erlös für
den Bundeshaushalt erzielen? Wie können wir vermeiden, dass aus einem solchen Schritt weitere Risiken für
den Bundeshaushalt entstehen? Das ist meiner Meinung
nach der Leitfaden, an dem man sich orientieren muss.
Fünf Modelle stehen zur Diskussion. Wahrscheinlich
wird keines dieser Modelle alle Fragen zu 100 Prozent
beantworten können. Aber eine sachliche Diskussion
und ein sachliches Ringen um die richtigen Antworten
lohnen sich allemal.
Gelegentlich heißt es, dass jemand, der ein bestimmtes Modell nicht favorisiert, ein Bahngegner sei. Dem
möchte ich entgegenhalten: Ich kenne niemanden in diesem Hause - egal aus welcher Fraktion -, der kein
Freund der Bahn ist. Wir alle sind Freunde der Bahn.
Das gilt unabhängig davon, für welches Modell man sich
letztlich entscheidet. Wir müssen darum ringen, wie wir
die Bahn am besten an die Börse bringen, ohne den
Haushalt zusätzlich zu belasten.
({7})
In meinen Augen ist gerade diese Debatte, die wir hier
über alle Parteigrenzen hinweg führen, ein gutes Beispiel für parlamentarische Demokratie: weil wir in der
Sache um die beste Lösung für die Bahn, für den Haushalt und für die Bundesrepublik Deutschland ringen.
({8})
Wir haben darüber hinaus die Investitionen in die
Bundeswasserstraßen verstetigt. Der gestiegenen Bedeutung der Binnenschifffahrt werden wir dadurch gerecht, dass wir dort insgesamt 685 Millionen Euro investieren; wir fördern damit Projekte, die für den Erhalt und
die Steigerung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
des Wasserstraßennetzes von besonderer Bedeutung sind
und einen hohen verkehrswirtschaftlichen Nutzen versprechen. Stichwortartig seien der Ausbau des westdeutschen Kanalnetzes, insbesondere des Dortmund-EmsKanals, und der Ausbau der Wasserstraßenverbindung
Hannover-Magdeburg-Berlin sowie weitere Maßnahmen am Rhein erwähnt.
Die Binnenschiffer haben Probleme bei der Rekrutierung von Nachwuchs: Es gibt bei ihnen mehr Ausbildungsplätze, als nachgefragt werden, weil sich nicht genügend Menschen finden, die als Binnenschiffer arbeiten
wollen. Deshalb haben wir Gelder zur Steigerung der
Attraktivität dieses Berufs eingestellt.
Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts
Leipzig, das grünes Licht gegeben hat für den Ausbau
des Flughafens Berlin-Schönefeld, haben wir die entsprechenden Bundesmittel entsperrt, sodass dieser Flughafen jetzt zügig ausgebaut werden kann. Es ist übrigens
nicht nur für die Region Berlin-Brandenburg und für die
Hauptstadtregion, sondern für Deutschland insgesamt
eminent wichtig, dass wir einen leistungsfähigen, starken Hauptstadtflughafen haben.
({9})
Frau Winterstein, Sie haben den Transrapid angesprochen. Sie müssen zur Kenntnis nehmen, dass wir es
gewesen sind, die 50 Millionen Euro für die weitere Planung des Transrapids entsperrt haben. Wir haben unseren Part damit erfüllt; es kann weitergeplant werden. Damit ist das Gegenteil richtig von dem, was Sie gesagt
haben. Der Ball liegt nun auf der Seite des Landes, das
die entsprechende Finanzierung bereitstellen muss.
({10})
Wir befördern dieses Projekt, nun muss das Land ein
Angebot machen, wie die Gesamtfinanzierung sichergestellt werden kann. Ich persönlich gehöre zu denjenigen,
die glauben, dass wir den Transrapid in Deutschland
brauchen; ich glaube, diese Technologie ist ein wichtiges
Zukunftsprojekt. Es steht uns gut zu Gesicht, in Deutschland selber eine Strecke zu verwirklichen. Man braucht
einfach ein Referenzobjekt im eigenen Land; nur dadurch können wir die Chancen für einen Export dieser
Technologie deutlich erhöhen. Insofern halte ich es für
richtig, was wir getan haben.
Im Bereich der Bau- und Stadtentwicklung haben wir
ein Programm zur energetischen Gebäudesanierung
aufgelegt mit einem Volumen von 1,4 Milliarden Euro
pro Jahr.
({11})
Hier gelingt es der großen Koalition in vorbildlicher
Weise, Ökologie und Ökonomie miteinander zu vereinbaren. Die 1,4 Milliarden Euro, die vornehmlich über
die KfW zinsvergünstigt, zum Teil auch als Zuschuss direkt zur Verfügung gestellt werden, werden im Laufe
dieser Legislaturperiode ein Investitionsvolumen von
circa 25 bis 30 Milliarden Euro auslösen. Das ist ein gewaltiges Programm zur Stützung der Konjunktur. Daran
sehen Sie auch: Dieser Haushalt ist ein Wachstumshaushalt.
Entscheidend ist für mich: Die Aufträge, die in diesem Bereich vergeben werden, werden in der Regel Aufträge sein, deren Volumen zwischen 30 000 und
60 000 Euro liegt, also Aufträge für die mittelständische
Bauwirtschaft. Wir tun damit etwas für den Mittelstand;
das ist wichtig und wirtschaftspolitisch notwendig.
({12})
Wir haben darüber hinaus Mittel für die „Soziale
Stadt“ eingestellt; ich habe das eben schon erwähnt. Das
hat etwas damit zu tun, dass dieser Haushalt auch ein Integrationshaushalt ist. Hier werden Finanzhilfen für Investitionen in innovative und nachhaltige Stadtentwicklung gegeben. Die diesjährigen Unruhen in Frankreich,
die wir mit verfolgen konnten, machen deutlich, dass neben der baulichen Erneuerung von Quartieren auch soziale Maßnahmen von entscheidender Bedeutung sind.
({13})
Darauf gehen wir mit diesem Programm ein. Darum ist
dieses Programm ein wichtiges Programm und ein richtiges Programm. Der Bundesverkehrsminister tut damit
viel für den Integrationsstandort Deutschland. Wir halten
das für gut.
({14})
Bei den Maßnahmen für den Stadtumbau haben wir
es mit einer Gemengelage zu tun: In den neuen Bundesländern geht es um Abriss und Aufwertung von Flächen,
während in den alten Bundesländern vor allen Dingen
Konversion, sprich: die Restrukturierung, zum Beispiel
von Militäranlagen in den Städten, notwendig ist. Das
Programm „Stadtumbau Ost“, das wir dazu aufgelegt haben, hat erfolgreich zum Abbau von Wohnungsleerstand
beigetragen und die Wohnungswirtschaft in den neuen
Bundesländern stabilisiert. Darum verstetigen wir es.
Gerade der Wohnungs- und Städtebau macht die Fortschritte des Aufbaus Ost sichtbar und erlebbar.
Bei der Gelegenheit: Vielfach wird ja - ich kann das
zum Teil sogar verstehen - in Westdeutschland geklagt:
Mein Gott, im Osten ist alles so schön und so neu geworden und bei uns liegt noch einiges brach. Ich sage dann
immer: Wenn ihr das Geld bekommen hättet, hättet ihr
auch keine kaputten Häuser aufgebaut. Es ist gut, dass es
so schön aussieht im Osten. Das war ja auch gewollt.
Wir wollten ja in den neuen Bundesländern eine Aufwertung haben. Darum ist das Programm insgesamt
sinnvoll und richtig gewesen.
({15})
Ich glaube, dass wir aus dem Stadtumbau Ost sogar
lernen können für die Herausforderungen, denen wir in
Westdeutschland städtebaulich gegenüberstehen.
({16})
Insofern geht es besonders darum, dem wirtschaftlichen
Strukturwandel und dem Bevölkerungsrückgang auf
eine sinnvolle Art und Weise zu begegnen. Wir haben in
den neuen Bundesländern den Anfang gemacht. Das
kann auch ein Modell für die Entwicklungen in den alten
Bundesländern sein, die dort nachlaufend wahrscheinlich ähnlich eintreten werden.
Wir haben darüber hinaus in diesem Etat auch einen
gewaltigen Teil an Mitteln für Forschung und Entwicklung eingestellt. Sie wissen, dass es sich die Bundesregierung auf die Fahne geschrieben hat, genau diesen
Bereich zu verstetigen, um die Attraktivität des Standortes, um unsere Wirtschaftskraft auf einem hohen Niveau
zu halten. Aus dem 6-Milliarden-Euro-Sonderprogramm
der Bundesregierung für Forschung und Entwicklung
fließen dem Etat für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
in den Jahren 2006 bis 2009 insgesamt 200 Millionen
Euro zu.
Im Rahmen der Haushaltsberatungen sind die für dieses Jahr vorgesehenen 50 Millionen Euro auf verschiedene Projekte und Vorhaben verteilt worden. Wir haben
zum Beispiel einen Schwerpunkt auf ein neues Innovationsprogramm im Bereich der Wasserstoff- und
Brennstoffzellentechnologie gelegt.
Bei allem Streben nach wirtschaftlicher Entwicklung
und Wohlstand müssen die Auswirkungen auf die lokale
und globale Umwelt weiter beachtet werden. Darum ist
es unser Ziel, dass unsere Industrie und unsere Wohnungen eine saubere und sichere - das bedeutet im Übrigen
auch eine unabhängige - Energieversorgung erhalten.
Dies gilt auch im Hinblick auf unsere Mobilität.
Wir müssen langfristig die Abhängigkeit vom Öl reduzieren. Die Bundesregierung hat in den zurückliegenden 30 Jahren die Erforschung und Entwicklung der
Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie aktiv gefördert. Dabei ist deutlich geworden: Wasserstoff ist eine
wesentliche Energieoption für die Zukunft. Darum ist es
richtig, dass wir hier investieren. Diesen Weg wollen wir
verstetigen und konsequent fortsetzen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, insgesamt
lässt sich sagen: Dieser Haushalt ist ein wichtiger Haushalt für die wirtschaftliche Konjunktur in Deutschland.
Dieser Haushalt ist ein wichtiger Haushalt für die Investitionsquote in Deutschland. Er ist ein wichtiger Haushalt für die Stabilität, auch für die soziale Stabilität in
Deutschland. Er ist ein guter Haushalt. Er ist ein wichtiger Haushalt. Er ist bei dieser Koalition, er ist bei diesem
Minister in den besten Händen. Darum bitte ich Sie um
Zustimmung.
Danke schön.
({17})
Das Wort hat die Kollegin Heidrun Bluhm, Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Sehr geehrter Herr Minister Tiefensee, mit der
Gestaltung des Einzelplans 12 bietet sich die Chance, die
großen Problemfelder, die uns heute beschäftigen, zu bewältigen und diese auch wirklich zukunftsorientiert zu
gestalten. Auf diese Problemfelder muss die Politik Antworten finden. Das sind aus unserer Sicht insbesondere
der demografische Wandel, der damit zusammenhängende Niedergang ganzer Regionen, die weiter von der
wirtschaftlichen Entwicklung abgekoppelt werden, das
große Thema Mobilität, also die Chance einer nachhaltigen und ökologischen Verkehrspolitik, der Bereich Wohnen, also die Themenfelder Bauen und Stadtentwicklung, und - was gerne übersehen wird - auch der Aufbau
Ost.
Herr Hübner, wenn es Ihnen eben auch emotionsgeladen gelungen ist, den Aufbau Ost ebenfalls als eine Erfolgsstory darzustellen, müssen meine Fraktion und ich
als Abgeordnete aus dem Bundesland Mecklenburg-Vorpommern feststellen, dass der Aufbau Ost eben nicht
mehr die Priorität hat, die er eigentlich verdient.
({0})
Obwohl die Bundeskanzlerin Merkel und auch der für
den Aufbau Ost zuständige Minister Tiefensee alleine
aufgrund ihrer Herkunft einen besonderen Bezug zu Ostdeutschland haben müssten und ihnen auch die spezifischen ostdeutschen Probleme genauestens bekannt sein
müssten, ist es eben nicht mehr so, dass der Aufbau Ost
im Hauptfokus der Entwicklung der gesamten Bundesrepublik steht. Wir kritisieren das an dieser Stelle.
({1})
Herr Tiefensee, in Ihrem Interview der vergangenen
Woche in der „Berliner Zeitung“ war zu lesen - ich
zitiere -:
Wenn es uns gelingt, das Geld richtig einzusetzen,
dann werden wir gut 30 Jahre nach der friedlichen
Revolution, also 2020, mindestens in einigen
Wachstumsregionen eine stabile Wirtschaft haben … Es wird aber auch zukünftig regionale Unterschiede geben. Diese Realität müssen wir akzeptieren.
({2})
Im Umkehrschluss heißt das, dass große Teile der
deutschen Bundesländer von der Bundesregierung abgeschrieben werden.
({3})
Dieses klare Eingeständnis, dass die Gleichheit der Lebensbedingungen, die durch das Grundgesetz definiert
wird, nicht erreicht wird,
({4})
passt nicht mit einem immer größeren Druck auf Arbeitslose, verbunden mit noch schärferen Sanktionen,
zusammen, wenn diese Politik die Menschen nicht
gleichzeitig auch mit Angeboten versorgt und ihnen Perspektiven aufzeigt. Es ist ein Anerkenntnis dafür, dass
wir wachsende Regionen, aber auch sterbende Regionen
in den neuen Bundesländern und in ganz Deutschland
haben werden.
({5})
Die Zielsetzung des Programms „Soziale Stadt“ ist
dabei sehr wünschenswert. Aufgrund des Umfangs wird
es jedoch nur zu bloßen Schönheitsreparaturen kommen.
Es wird nicht durch weitere Maßnahmen flankiert, durch
die vor allem die Ursachen für diese Misere bekämpft
werden.
Der vorgelegte Einzelplan 12 enthält auch einzelne
Maßnahmen, durch die zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden können. Das sehen auch wir und das
erkennen wir auch an. Die Größenordnung der Investitionsprogramme steht unserer Meinung nach jedoch in
keinem angemessenen Verhältnis zu den Problemen.
Diese Probleme im Osten lassen sich nicht allein durch
eine bessere Infrastruktur und eben auch nicht nur durch
Straßenneubau lösen.
Lassen Sie mich einen Satz zur Einnahmeseite des
Haushalts sagen, vor allem auch, um den Vorwurf zu
entkräften, dass wir uns nicht um die Haushaltslage bemühen und dass wir nicht anerkennen, dass nur das geschafft werden kann, was bezahlt werden kann; denn wir
Linken können auch rechnen.
({6})
Herr Hübner, auch hier haben Sie Ihre Erfolgsstory im
Hinblick auf das Maut-Betreiberkonsortium letztlich
wieder eindrucksvoll, für uns aber nicht überzeugend
dargestellt. Sie kritisieren unseren Antrag, den wir letztlich in Verbindung damit gestellt haben. Ich sage Ihnen:
Sie hätten von vornherein Sorge dafür tragen müssen,
dass hier vernünftige vertragliche Verhältnisse zwischen
den Betreibern und der Bundesrepublik hergestellt werden; denn dann hätten diese Mittel heute schon zur Verfügung stehen können.
({7})
Da das nicht der Fall ist, müssen wir eben davon ausgehen, dass das Geld letztlich durch eine Schiedsklage eingetrieben wird. Ob es nun in diesem Jahr oder im nächsten Jahr zur Verfügung steht: Auf jeden Fall muss es her
und dafür ausgegeben werden, wofür es geplant war.
({8})
Wir brauchen mehr öffentliche Zukunftsinvestitionen
in die vorhandene Infrastruktur, in Verkehr und in die
ökologische Modernisierung. Im Gegensatz zu Steuergeschenken für Unternehmen wird die Konjunktur durch
Investitionsprogramme in Schwung gebracht, wodurch
neue Arbeitsplätze geschaffen werden können. Das sagen Sie aber auch selbst und ich denke, das erkennen Sie
auch an.
Damit aber nicht genug. Hinzu kommt, dass die öffentliche Hand ihr Vermögen wie bereits in den Jahren
zuvor verschleudert und ihre Substanz verzehrt. Diese
Tendenz beobachten wir nicht nur auf kommunaler
Ebene, sondern auch auf Bundesebene.
({9})
So plant die neu geschaffene Bundesanstalt für Immobilienausgaben nach Aussagen des Vorstandssprechers, jedes Jahr Immobilien im Wert von einer halben Milliarde
Euro - insgesamt sollen es 8,3 Milliarden Euro sein - zu
verkaufen. Die Erwartungshaltung der Bundesregierung,
insbesondere die kostenträchtigen und unrentablen Objekte veräußern zu können, teilen wir keineswegs. Privates Geld ist bekanntlich insbesondere daran interessiert,
sich zu vermehren. Es wird also vor allem in solche Objekte gesteckt, deren Bewirtschaftung Geld bringt. Es
steht zu erwarten, dass dem Bund genau deshalb nur
etwa 3 000 Wohnungen an entlegenen Standorten verbleiben werden, das heißt, das Ihre Rechnung nicht auf3748
gehen wird und Vermögen unwiederbringlich verloren
geht. Dass die Bundesregierung erwägt, auch börsennotierte Immobilienfonds, die so genannten REITs, als Instrument für die Abgabe ihrer Immobilien zu nutzen,
halten wir für fatal. Das setzt dem Privatisierungswahn
die Krone auf.
({10})
Für internationale Finanzinvestoren sind Wohnungen
reine Wirtschaftsgüter und Renditeobjekte. Die von den
internationalen Finanzinvestoren erwarteten Renditen
sind hierbei nur durch Mieterhöhungen, Entlassungen
von Mitarbeitern, so genannte betriebswirtschaftliche
Optimierungen, Umwandlungen von Mietwohnungen in
Wohneigentum, Weiterverkäufe sowie Investitionsstopps zu erreichen.
({11})
Das heißt, Wohnungsbestände, die nicht als leicht verwertbar eingestuft werden, werden nicht saniert oder
modernisiert.
({12})
Die Wohnung als soziales Gut bleibt auf der Strecke und
die Interessen der Bewohner und der Städte im Hinblick
auf die Stadtentwicklung werden in den Hintergrund treten.
({13})
Die öffentlichen Hände verlieren den Zugriff auf die
eigenen Wohnungsbestände und verschenken damit Einflussmöglichkeiten auf die regionalen Wohnungsmärkte
für den Preis, die Versorgung mit sozialem Wohnraum
später teuer zurückkaufen zu müssen. Wir lehnen den
Verkauf und die Privatisierung von bundeseigenen Immobilien ebenso ab wie den Verkauf des kommunalen
Wohnungsvermögens.
({14})
Vieles deutet darauf hin, dass beim Börsengang der
Deutschen Bahn AG der gleiche Fehler in großem
Maßstab wiederholt und ebenso auf bedingungslose Privatisierung gesetzt wird, als sei dies schon ein Wert an
sich.
Die berechtigten Zweifel am Börsengang der Bahn
dringen mittlerweile auch in die Regierungsparteien vor.
Das gesamte Unternehmen für läppische 10 Milliarden
bis 15 Milliarden Euro - also weit unter seinem Wert zu verkaufen, wäre nicht nur dumm, sondern würde auf
den Punkt gebracht das Verscherbeln von Volksvermögen bedeuten.
({15})
Dass die Bundesprogramme zum Stadtumbau, zur
Städtebauförderung, zum städtischen Denkmalschutz
und das Programm „Soziale Stadt“ auf hohem Niveau
fortgesetzt werden, ist folgerichtig und wird auch von
uns begrüßt. Daneben gilt es, das selbstständige Wohnen
im Alter attraktiv zu machen und zu fördern, um auch
der älteren Bevölkerung ihr gewohntes Wohnumfeld
langfristig zu erhalten und gewachsene Wohnquartiere
zu festigen.
({16})
Vor allem in den Städten im Osten Deutschlands
drückt sich der demografische Wandel schon heute in einem beschleunigten Schrumpfungsprozess aus. Der notwendige Anpassungsprozess verlangt nach einem Instrumentarium, das einen systematischen und zielgerichteten
Umbau unserer Städte unterstützt. Wir brauchen qualitativ mehr Stadt für quantitativ weniger Bürger. Das Programm „Stadtumbau Ost“, das Bund und Länder gemeinsam auf den Weg gebracht haben, hat hierbei eine
Schlüsselfunktion.
Grundvoraussetzung für einen erfolgreichen Stadtumbau ist die Erkenntnis, dass vor allem der städtische
Schrumpfungsprozess von außen nach innen verlaufen
soll, nicht nur, um dem Willen der Bevölkerung gerecht
zu werden, die die Innenstädte als Ort hoher Lebensqualität zu schätzen wissen, sondern auch, um verödete, unattraktive Innenstädte zu verhindern. Wir begrüßen in
diesem Zusammenhang, dass die Mittel für den Umbau
West aufgestockt worden sind, weil wir mittlerweile sehen, dass es auch hier Brandherde gibt, die entsprechend
zu bearbeiten sind.
Investitionen in den vorhandenen Bestand sind auch
unter dem Stichwort der zunehmenden Versiegelung unserer Landschaften und des steigenden Flächenverbrauchs Neubauprojekten vorzuziehen. Die Zielsetzung
der Bundesregierung, die Inanspruchnahme neuer Siedlungs- und Verkehrsflächen auf 30 Hektar pro Tag - das
entspricht 7 227 Fußballfeldern im Jahr - im Jahr 2020
zu reduzieren, reicht bei weitem nicht aus.
Die verfehlte Verkehrspolitik der vergangenen Jahre
zugunsten der Straße, die auch von Rot-Grün nicht unterbrochen wurde, ist eine Hauptursache für die stetige
und teilweise rücksichtslose Versiegelung unserer Landschaften.
({17})
Durch richtige Prioritätensetzung - zum Beispiel für den
Stadtumbau Ost - könnte zukünftig eine positive Flächenbilanz erreicht werden.
({18})
Das CO2-Gebäudesanierungsprogramm wird nach
unseren Vorstellungen ein sinnvolles Programm sein.
Durch die energetische Sanierung von Wohngebäuden
werden unterschiedliche Zielstellungen erreicht. Ohne
Frage verbinden sich mit der Umsetzung dieses Programms klima- und umweltpolitische Ziele zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes in Deutschland und zum sparsamen Umgang mit Energieressourcen. Wir sehen auch
die Chancen für die deutsche Bauwirtschaft und das
Handwerk wie auch die Beschäftigungseffekte, die ein
solches Programm erzielen kann. Wir haben angesichts
zum Teil drastisch gestiegener und weiter steigender
Energiepreise aber auch die Erwartung, dass die Heizkosten für die Bürgerinnen und Bürger gesenkt werden
können.
Angesichts dessen halten wir die im Haushalt vorgesehenen Mittel für Zins- und Investitionszuschüsse
letztlich für zu gering. Wir fordern deshalb in unserem
Änderungsantrag eine Verdoppelung der Zins- und Investitionszuschüsse zur Förderung von Maßnahmen zur
energetischen Gebäudesanierung inklusive der Erhöhung der Verpflichtungsermächtigungen um zusätzliche
800 Millionen Euro auf 1,6 Milliarden Euro, um dem
Nachholbedarf an dieser Stelle gerecht zu werden.
({19})
Lassen Sie mich zum Schluss noch zwei Themen ansprechen, die wir Ihnen in parlamentarischen Initiativen
in den nächsten Wochen vorlegen wollen. Das ist erstens
die Altschuldenhilfe. Sie ist eine vereinigungsbedingte
Sonderaufgabe des Bundes. Wir als Ostdeutsche und
Linke fordern die Streichung der Altschulden. Wir werden Sie in den nächsten Wochen mit diesem Thema vertraut machen.
Der zweite Punkt ist die Grunderwerbsteuer bei Fusionen von Wohnungsunternehmen in Ostdeutschland.
Hierbei kommt es uns darauf an, die zum Jahresende
auslaufende Frist entsprechend zu verlängern, damit der
in Gang gekommene Fusionsprozess fortgesetzt werden
kann.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.
Abschließend möchte ich die Kürzung der Regionalisierungsmittel streng rügen. Darauf ist aber bereits an
anderer Stelle eingegangen worden. Deshalb komme ich
damit zum Schluss.
Danke schön.
({0})
Das Wort hat nun der Kollege Bartholomäus Kalb für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Kollege Klaas Hübner hat schon darauf hingewiesen, dass der Einzelplan 12 mit seinem Volumen von
23,7 Milliarden Euro und einem außerordentlich hohen
Investitionsanteil den Investitionshaushalt des Bundes
schlechthin darstellt. Ich darf darauf hinweisen, dass es
uns mit dem Haushalt 2006 gelungen ist, den Abwärtstrend bei den Verkehrsinvestitionen zu stoppen und
eine Trendumkehr einzuleiten. Damit konnte eine Verstetigung erreicht werden.
Das ist insgesamt sehr wichtig für die Zukunftssicherung unseres Landes. Diese neue Politik ist Ausdruck
des Willens der Koalition, ernst zu nehmen, was sie in
der Koalitionsvereinbarung geschrieben hat, nämlich zu
sparen, zu sanieren und zu investieren, um damit unser
Land insgesamt zukunftsfähig zu gestalten.
Kollege Hübner hat ebenfalls darauf hingewiesen:
Die gute Verkehrsinfrastruktur in Deutschland, die
wir nach wie vor trotz aller da und dort auftretenden
Mängel haben, ist einer unserer wichtigsten positiven
Standortfaktoren. Sie ist wichtig für die Wirtschaft, für
die Arbeitsplätze und damit für die Zukunftschancen und
die Lebensqualität der Menschen in unserem Land.
Untersuchungen bestätigen, dass das Verkehrsaufkommen sowohl im Personenverkehr auf den Straßen,
aber insbesondere im Güterstraßenverkehr, in den nächsten Jahren dramatisch zunehmen wird, in einigen Korridoren der Ost-West-Verbindung sogar um mehrere
100 Prozent - so die Prognosen Ihres Hauses, Herr
Minister, bis zum Jahr 2015.
Umso wichtiger ist, dass wir beim Verkehrswegeausbau gut vorankommen. Das ist von nationaler, aber auch
von gesamteuropäischer Bedeutung, weil eben das zusammenwachsende Europa auch zu einem höheren Verkehrsaufkommen in bestimmten Bereichen führt.
Wir müssen dafür sorgen, dass wir die Verkehrsinfrastruktur auch optimal nutzen können, dass jeder Verkehrsträger einen maximalen Beitrag leisten kann. Das
heißt, wir müssen mehr vernetzen, mehr verknüpfen,
mehr koordinieren und natürlich auch moderne Steuerungsmöglichkeiten dafür nutzen.
Um diese Ziele zu erreichen, ist es auch wichtig, dass
wir den Mitteleinsatz so effizient wie nur irgend möglich
gestalten. Ich bin noch immer ein Anhänger der Auffassung, dass wir unsere Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft, die VIFG, bei der Mitteleinwerbung
einerseits und bei der Mittelverwendung und Steuerung
der Investitionsmaßnahmen andererseits optimal nutzen
müssen.
Die Zeit reicht nicht, um im Detail darauf einzugehen.
Ich denke, das, was Österreich mit einer entsprechenden
Gesellschaft, mit der ASFINAG, auf den Weg gebracht
hat, ist zumindest wert, dass wir darüber nachdenken, ob
wir nicht auch unsere Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft, die VIFG, zur vollen Geschäftsfähigkeit bringen, dass wir ihr die Möglichkeit einräumen,
ebenfalls effektiv arbeiten zu können.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Präsident der Deutschen Bundesbank, Herr Professor
Dr. Weber, hat in einem Interview zu Beginn dieser Woche noch einmal sehr deutlich darauf hingewiesen, dass
wir auch mit diesem Bundeshaushalt im Grunde genommen einen Substanzverzehr beim Bund festzustellen haben. Das ist genau der Punkt, der die große Koalition
dazu gebracht hat, ganz entschieden daranzugehen, dass
ab dem Jahr 2007 der Art. 115 des Grundgesetzes wieder
eingehalten werden kann. Hinter den Bestimmungen des
Art. 115 verbirgt sich ja nichts anderes, als dass sichergestellt werden soll, dass nicht mehr Verschuldung eintritt, als Substanzzuwachs erfolgt. Genau an dieser Stelle
befinden wir uns auf einem guten Weg.
Man braucht kein Prophet zu sein, um zu sagen, dass
es nicht leicht sein wird, den Haushalt 2007 bereits im
Herbst dieses Jahres zu beraten. Da werden noch einige
schwierige Dinge zu bewältigen sein.
Die Investitionen, die wir tätigen, werden dazu beitragen, dass wir sowohl Art. 115 des Grundgesetzes erfüllen als auch den Vertrag von Maastricht einhalten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wichtig
sind auch - das wurde vorhin schon angesprochen - die
neuen Technologien, die wir nutzen wollen und müssen.
Die Forschungsvorhaben sind bereits angesprochen worden. Einige Maßnahmen laufen bereits. Ich nenne nur
die Stichworte Galileo, die Telematiknutzung oder den
Transrapid. Mir ist es wichtig, dass wir hier vorankommen. Wir haben im Haushaltsausschuss und in der
Koalition einvernehmlich dafür Sorge getragen, dass
man in München gut vorankommt, dass die Strecke vom
Hauptbahnhof zum Flughafen realisiert werden kann.
Ich halte sie für dringend notwendig. Unabhängig davon
hat sie den Nebeneffekt, dass die fehlende Fernbahnanbindung des Flughafens München in gewisser Weise
substituiert wird. Es handelt sich um ein Projekt von nationaler Bedeutung.
({1})
- Vielen Dank, Herr Kollege Friedrich. - In den Erläuterungen des Bundeshaushalts steht wörtlich:
Die Planung und Realisierung von Anwendungsstrecken für die Magnetschwebebahntechnik dient
der Sicherung der Magnetschwebebahntechnik und
liegt im Interesse des Technologievorsprungs, des
Erhalts der Arbeitsplätze und der Sicherung des Industriestandortes Deutschland.
Das möchte ich meinerseits unterstreichen.
Es kommt darauf an, dass wir, nachdem wir viel Geld
für Forschung und Entwicklung ausgegeben haben,
diese Technologie in unserem Land zur Anwendung
bringen und sie marktfähig machen. Ich bin überzeugt,
dass sie nicht nur auf dem asiatischen oder dem amerikanischen Kontinent auf Interesse stößt, sondern dass sich
Perspektiven auch im zusammenwachsenden Europa ergeben werden.
({2})
Ich will noch einen ganz anderen Aspekt unseres
Haushalts ansprechen. Ich bedanke mich bei allen Berichterstattern zum Einzelplan 12 ganz herzlich, dass es
einvernehmlich gelungen ist - es handelt sich um ein
wichtiges Anliegen, auch wenn es haushaltstechnisch
gesehen gar nicht so umfänglich ist -, Gelder für die
Sanierung der ortsbildprägenden Baudenkmale in
den neuen Bundesländern bereitzustellen. Das scheint
mir für die Menschen in den Dörfern und Städten dort
sehr wichtig zu sein. Das ist identitätsstiftend und bietet
die Möglichkeit, Heimat erlebbar, erfahrbar und spürbar
zu machen.
({3})
Wir haben mit dem CO2-Minderungsprogramm - damit haben wir uns im Haushaltsausschuss intensiv befasst - einen guten Weg gefunden, erstens die Ziele zu
erreichen und zweitens bedeutende Beschäftigungseffekte insbesondere beim kleineren Mittelstand im Bauund Baunebengewerbe zu erzielen.
In der verbleibenden Zeit will ich mich nicht mit den
Einzelheiten der Diskussion über die Bahnprivatisierung
aufhalten.
({4})
Nur so viel: Bei aller Kritik sollten wir nicht vergessen,
dass die DB AG ein Unternehmen ist, das uns, dem
Bund, gehört - auch wenn manche Zwischentöne etwas
anderes nahe legen - und für das wir Verantwortung tragen, genauso wie für die dort beschäftigten Menschen.
({5})
Bei allen berechtigten Diskussionen über den Wettbewerb auf der Schiene dürfen die Fragen nach dem
Wettbewerb der Verkehrsträger untereinander und dem
Beitrag der Schiene dazu nicht vernachlässigt werden.
Es geht dabei auch um das europäische Umfeld und
nicht nur um den Marktzugang zum deutschen Schienennetz. Wir müssen die Zukunft gestalten und die zukünftigen Markterfordernisse bei den anstehenden Beratungen
und Beschlussfassungen berücksichtigen.
Herzlichen Dank.
({6})
Das Wort hat nun die Kollegin Anna Lührmann für
die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Über die Hälfte der Investitionen des Bundes
steckt in dem zur Diskussion stehenden Einzelplan.
Doch leider haben Sie von der Koalition die falschen
Prioritäten gesetzt. Sie investieren viel zu wenig in die
Erhaltung der Infrastruktur und den Ausbau der Schienenwege.
Zum ersten Punkt: Investitionen für die Erhaltung
der Straßen. Keine Angst, jetzt kommt kein altgrüner
Appell gegen Autos und für mehr Bäume, sondern ein
Appell aus dem Straßenbaubericht 2005 des VerkehrsAnna Lührmann
ministeriums. In diesem Straßenbaubericht steht - ich zitiere:
Es gilt, die Straßen … in ihrer Substanz und Nutzungsfähigkeit nachhaltig zu bewahren. Hierfür
müssen jährlich steigende Finanzmittelanteile aus
dem Straßenbauhaushalt bereitgestellt werden, die
den Spielraum für Neu- und Erweiterungsinvestitionen zunehmend beschneiden.
Anscheinend nehmen wir als grüne Fraktion als Einzige das ernst.
({0})
Wir haben in den Haushaltsverhandlungen ganz konkrete Anträge gestellt mit dem Ziel, die Mittel umzuschichten, um mehr Erhaltungsinvestitionen zu bekommen.
({1})
Wir kommen mit unseren Anträgen auf eine Quote von
55 Prozent der Ausgaben für Erhaltungsinvestitionen
und von 45 Prozent für Neuinvestitionen.
({2})
Bei der Regierung ist das Verhältnis der Mittel für Erhaltung und Neubau immer noch genau umgekehrt. Sie
investieren also viel zu wenig in die Erhaltung der Straßen. Dabei geht auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung - nicht unbedingt ein den Grünen naher Laden - davon aus, dass allein für den Unterhalt der
jetzt bestehenden Straßen bis zu 80 Prozent der bis 2020
für den Straßenbau zur Verfügung stehenden Mittel aufgewendet werden müssen. Aber die Regierung setzt trotz
schrumpfender Bevölkerung lieber auf prestigeträchtige
Neubauprojekte, damit irgendjemand bei der Eröffnung
ein rotes Bändchen durchschneiden kann.
({3})
Nachhaltige Verkehrspolitik sieht anders aus.
({4})
Kümmern Sie sich lieber stärker darum, dass die bestehenden Straßen nicht verlottern und an Wert verlieren!
Wie das konkret geht, haben wir Ihnen mit Anträgen in
den Haushaltsberatungen vorgestellt.
Ein weiteres grünes Anliegen ist der deutliche Ausbau der Bahnstrecken. Auch hierzu haben wir in den
Verhandlungen ganz konkrete Anträge gestellt. Wir haben uns bemüht, die Investitionen für die Schiene und
für die Straße zumindest einander anzugleichen. Wir
kommen so auf 44 Prozent für die Schiene und
50 Prozent für die Straße.
({5})
Im Ausschuss wurde mir bei diesen Anträgen als Argument entgegengehalten, dass die Bahn die Mittel sowieso nicht abrufen werde, weil sie nicht bereit sei, die
Kofinanzierung bereitzustellen. Liebe Kolleginnen und
Kollegen, ich finde das ganz schön ungeheuerlich. Es
kann doch nicht sein, dass wir uns hier im Parlament
überlegen, mehr Geld für die Schiene zur Verfügung zu
stellen, und sich ein zu 100 Prozent staatseigener Betrieb
- Sie haben es gerade erwähnt - weigert, diesen Schotter
zu verbauen. Das ist, finde ich, ein ziemlicher Skandal.
Das muss sich ändern.
({6})
Offensichtlich musste die Bahn schon in den letzten
Jahren zum Jagen getragen werden. Wie der Rechnungshof den Haushaltspolitikern kürzlich offenbart hat,
konnte das Verkehrsministerium die Bahn offenbar nur
durch zahlreiche finanzielle Anreize dazu bewegen, das
Geld, das für die Streckenerhaltung und für den Neubau
zur Verfügung gestellt wurde, auch wirklich zu verbauen. Deshalb hat die Bahn, so der Rechnungshof, in
den letzten Jahren Vergünstigungen von über 7 Milliarden Euro bekommen. So wurden zum Beispiel Darlehen
nachträglich in Zuschüsse umgewandelt, wurde die Planungskostenpauschale erhöht, wurden großzügige Pauschalen und Zinsvorteile gewährt usw.
Vor diesem Hintergrund war ich sehr verdutzt, als ich
in der „Bild“-Zeitung - das ist auch mein Lieblingsblatt ({7})
in dieser Woche ein sehr interessantes Interview mit
Herrn Mehdorn lesen konnte. Da hat sich das Lesen sehr
gelohnt. Er sagt darin - das ist Ihnen wahrscheinlich
auch aufgefallen; ich zitiere -:
Wir rennen den Politikern die Bude ein, damit wir
mehr Strecken bauen können.
({8})
Ich weiß nicht, ob er schon mal bei Ihnen war. Für
mich stellt sich die Situation eher so dar, dass wir Politikerinnen und Politiker zumindest in den letzten Jahren
hier gestanden und mit mehr Geld für die Deutsche Bundesbahn gewinkt haben,
({9})
der Bahnchef es aber nicht haben wollte.
({10})
Für mich ist daher ein Ziel des geplanten Börsengangs der DB ganz klar: Der Bundestag muss einen
stärkeren Einfluss auf den Ausbau der Schieneninfrastruktur bekommen;
({11})
denn eine bessere Bahn ist im Interesse des Gemeinwohls. Darüber sollte hier im Hause entschieden werden
können. Deshalb darf das Netz nicht ohne Not an Private
verschleudert werden.
Unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten kann
man mit einem Netz in Deutschland keine Erfolge erzielen. Deshalb wird es immer staatliche Unterstützung
brauchen. Aus diesem Grund fordert Mehdorn die Zusage über 25 Milliarden Euro aus Steuergeldern; das ist
uns allen hier bekannt.
Ich finde, wenn der Steuerzahler schon Geld für ein
Schienennetz ausgibt, dann hat er auch ein Recht darauf,
dass die von ihm gewählten Vertreterinnen und Vertreter
auf die Verwendung der Mittel Einfluss nehmen. Wie
soll das, frage ich Sie, meine Damen und Herren, nach
einem integrierten Börsengang funktionieren, wenn es
schon jetzt nicht richtig funktioniert? Der Staat wird erpressbar und kann nur sehr wenig Einfluss darauf nehmen, wo und in welchem Umfang neue Strecken gebaut
werden oder Bestandssanierung stattfindet. Den einzigen
Einfluss hat er, wenn er, wie schon in der Vergangenheit,
zusätzlichen Schotter ins Gleisbett schüttet. Eine solche
Verschlechterung des Status quo kann nicht Ziel des
Börsengangs sein.
Ziel muss vielmehr sein, mehr Verkehr auf die
Schiene zu bringen - darüber sind wir uns hier alle
einig -, und zwar durch mehr Wettbewerb und eine
möglichst effiziente Verwendung der Mittel.
({12})
Das ist im Interesse der Fahrgäste und auch im Interesse
der Umwelt.
Ich bin der festen Überzeugung, dass dieses Ziel am
besten erreicht werden kann, wenn das Netz in der öffentlichen Hand bleibt und der Betrieb verkauft wird.
({13})
Die Infrastruktur AG wird keine dröge Verwaltungsbehörde, sondern ein moderner Infrastrukturmanager sein,
der die Strecken aktiv vermarktet und durch eine sehr
geschickte Trassenpreisgestaltung für eine innovative
deutsche Eisenbahnlandschaft sorgt. So kann mehr Wettbewerb entstehen, was zu einem besseren Angebot für
den Kunden führt.
Auch mit Blick auf den Haushalt, meine Kolleginnen
und Kollegen, ist das besser. Denn so können wir mit
9 bis circa 13 Milliarden Euro deutlich mehr Einnahmen
verbuchen, als es bei einem integrierten Börsengang der
Fall wäre. Außerdem würden wir bei einer Trennung von
Netz und Betrieb nicht einen Teil des Netzes verschenken. Das Netz hat nach Ansicht von Experten immerhin
einen Wiederbeschaffungswert von 150 Milliarden Euro.
Bei einer Trennung sind auch weitere Gefahren gebannt, die einen integrierten Börsengang zur Entgleisung
bringen könnten; denn die juristischen Zusammenstöße
mit der EU, die bei einem Börsengang mit Netz drohen,
wären durch die Trennung von Netz und Betrieb ausgeräumt.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie
mich zum Schluss kommen. Ein integrierter Börsengang
bietet unkalkulierbare Risiken für den Bundeshaushalt
und führt nicht zu einem besseren Service und einem
besseren Angebot für die Kundinnen und Kunden. Deshalb hoffe ich sehr, dass die große Koalition im Sommer
den Zug bei diesem Thema noch auf das richtige Gleis
setzt und gemeinsam mit uns die Weichen für ein
Wachstumsmodell Bahn stellt.
Vielen Dank.
({14})
Für die Bundesregierung erteile ich nun dem Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung,
Wolfgang Tiefensee, das Wort.
({0})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Ich möchte meine Rede mit einem
herzlichen Dank beginnen. Wir haben in einer außerordentlich kurzen Frist gemeinsam über einen Haushalt beraten, der es in sich hat. Ich danke für die Arbeit in den
Ausschüssen, die Arbeit mit den Berichterstattern und
die Arbeit in den verschiedenen Arbeitsgruppen. Es galt
nicht nur, einen der umfangreichsten Haushalte zu beraten, sondern auch, schwierige Fragen zu beantworten,
zum Beispiel wie wir bereits während der Diskussion
Geld in den Wirtschaftskreislauf einspeisen können, statt
bis zur Verabschiedung des Haushaltes zu warten, um
möglichst schnell positive Effekte für Wachstum und
Beschäftigung zu erzielen.
({0})
Das hat in den Ausschüssen einiger Innovation, neuer
Wege und Überlegungen bedurft. Ich bedanke mich,
dass Sie offen dafür waren.
Dieser Tage ist das Ergebnis einer Umfrage veröffentlicht worden, die die Zufriedenheit im Nahverkehr untersucht hat. Infratest in Bielefeld stellt fest: 80 Prozent der
Menschen sind mit dem Nahverkehr zufrieden. Eine
Steigerung der Zufriedenheit in den letzten Jahren wird
ersichtlich.
Mindestens dreierlei trägt dazu bei. Das Erste ist die
hervorragende Arbeit derjenigen, die tagtäglich ihren
Dienst in den Nahverkehrsunternehmen versehen. Auch
ich möchte an dieser Stelle festhalten - das ist schon fast
ein Pflichtbaustein in einer Rede -: Die Gastfreundschaft, die unser Land ausstrahlt, hängt nicht zuletzt von
der Dienstleistungsqualität derjenigen ab, die für den
Nahverkehr sorgen. Ich möchte mich in diesem Zusammenhang bei denjenigen, die da tagtäglich ihren Dienst
versehen, ganz herzlich bedanken.
({1})
Das Zweite ist: Wir müssen dafür sorgen, dass die
finanziellen Rahmenbedingungen stimmen. Die Vorredner hatten es angesprochen; ich will es explizit betonen: Mit dem Durchbruch im Bundesrat bzw. der EiniBundesminister Wolfgang Tiefensee
gung über die Mittel für den Regionalverkehr ist es uns
gelungen, den Nahverkehr auf eine finanzielle Basis zu
stellen und eine Verstetigung und einen Aufwuchs ab
dem Jahre 2008 zu schaffen, der es ermöglicht, den Regionalverkehr in Deutschland vorbildlich für Europa
auch in der Zukunft zu gestalten. Das ist angesichts der
Haushaltslage alles andere als selbstverständlich. Es ist
ein deutliches Zeichen dafür, dass wir genau dort investieren wollen, wo es dicht beim Bürger zu Erfolgen
führt.
Das Dritte sind die europäischen Rahmenbedingungen. Es ist nicht so, dass wir auf der europäischen Ebene
erst darüber diskutieren, in welcher Form wir die Personenbeförderungsverordnung verabschieden und ob wir
die Rahmenbedingungen, die in Deutschland zu einem
Erfolg geführt haben, verstetigen können. Wir haben
diese Debatte, zumindest was den Verkehrsministerrat
anbetrifft, beendet. Ich kann vermelden - das ist die
dritte Säule -, dass es uns im Rahmen der Verordnung 1191 gelungen ist, die europäischen Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass die Verkehrsverbünde,
die in Deutschland eine Erfolgsstory sind, auch über die
nächsten Jahre und Jahrzehnte Bestand haben werden.
Wir haben es geschafft, dass die Kommunen nach wie
vor wählen können, ob sie ausschreiben oder ob sie Aufträge direkt vergeben wollen. Vor allen Dingen ist es uns
gelungen, die mittelständischen Betriebe in diesem Bereich, Unternehmen mit 20 Bussen und weniger bzw.
Unternehmen mit einer Verkehrsleistung von 500 000 Kilometern pro anno oder einem Umsatz von 1,7 Millionen
Euro, vor einem Wettbewerb mit Giganten zu sichern.
Denn wir wollen, dass der Mittelstand auch im Rahmen
der EU lebensfähig ist. Das ist bereits vereinbart und gehört zu der Erfolgsgeschichte, die wir in Deutschland auf
der europäischen Ebene schreiben können.
({2})
Wir arbeiten mit geliehenem Steuergeld. Der Haushalt mit seinen Ausgaben in Höhe von 261 Milliarden
Euro - mehr als 70 Prozent davon sind bereits für den
Bereich des Sozialen festgelegt - muss so gestaltet sein,
dass der Bürger vor Ort erlebt, dass dieses Geld zielgenau eingesetzt wird. Ich möchte mit diesem Haushalt
den Nachweis erbringen, dass wir es unter folgenden
Prämissen zielgenau einsetzen: Was können wir erstens
für Wachstum und Beschäftigung tun, also dafür, dass
vor Ort mehr Arbeitsplätze entstehen und ein Aufschwung möglich wird? Welchen Beitrag können wir
zweitens dazu leisten, dass Deutschland Technologiemarktführer bleibt und in einer Reihe von Feldern neu
wird? Was können wir schließlich drittens tun, um in unserem Lande den sozialen und regionalen Zusammenhalt
zu gewährleisten und für gleichwertige Lebensverhältnisse in Nord und Süd sowie Ost und West zu sorgen?
Das sind die drei Prämissen, um die es geht.
Die Antwort ist: Wir können, wenn wir dieses Programm verabschieden und die Wirtschaft ihren Beitrag
dazu leistet, es in dieser Legislaturperiode allein durch
die vorgesehenen Investitionen, durch das CO2-Gebäudesanierungsprogramm und das Investitionszulagengesetz, schaffen, zusätzlich 500 000 Arbeitsplätze zu
generieren. Dies hat direkte Auswirkung auf den Arbeitsmarkt und den Mittelstand.
({3})
Diese Maßnahmen wirken antizyklisch. In einer Phase,
in der sich der Haushalt in einer schwierigen Situation
befindet, stellt die Bundesregierung 9 Milliarden Euro
für Investitionen in die Verkehrsträger bereit.
An die FDP gerichtet möchte ich sagen: Es ist ein Zuwachs gegenüber 2005 und allemal gegenüber der Mittelfristplanung.
({4})
In den nächsten Jahren wird es einen stetigen Aufwuchs
geben - mögen es einmal nur 100 Millionen Euro und ein
anderes Mal wiederum nur 100 Millionen Euro sein -, der
Planungssicherheit bringt.
Ich möchte mich der Frage zuwenden, ob wir die Verkehrsträger richtig bedienen. Wenn man bedenkt, dass
im Modal Split zwischen Straße, Schiene und Binnenwasserstraße ein stetiger Zuwachs beim Schienenweg zu
verzeichnen ist, sein Anteil zwar inzwischen bei 16 bis
17 Prozent liegt, wir aber knapp 40 Prozent der Haushaltsmittel in das Schienennetz investieren, wird deutlich: Wir investieren überdurchschnittlich in die Schiene,
um in der Zukunft zu Verschiebungen beim Modal Split
in Richtung Schienenverkehr zu kommen. Darüber hinaus gibt es ein großzügiges Programm für die Binnenschifffahrt, um auch diesen Verkehrsträger voranzubringen. Wir meinen, dass wir mit den Investitionen in den
nächsten Jahren - in diesem Jahr investieren wir 9 Milliarden Euro - Planungssicherheit für die nächsten Jahre
schaffen, sodass die Infrastruktur ein Rückgrat für die
Wirtschaft wird.
({5})
Zur Technologie- und Innovationsführerschaft
Deutschlands. Mir kommt es darauf an, noch einmal zu
unterstreichen, dass wir eine Verantwortung für Investitionen in neue Verkehrsträger, neue Antriebssysteme,
neue Kraftstoffe, neue Arten des Bauens sowie des - alters- und generationengerechten - Zusammenlebens haben.
({6})
Der Bundeshaushalt sieht für diese Bereiche Investitionen in einem Maße, das es vorher nicht gab, vor. Es gibt
Aufwüchse um 200 Millionen Euro. Darüber hinaus stoßen wir mit einem Programm für Wasserstoff- und
Brennstoffzellen die Tür auf, um in Deutschland für die
Technologieführerschaft Europas zu sorgen. Daran hängen Arbeitsplätze und neue Produkte, die wir nicht nur
in Deutschland, sondern auch darüber hinaus verkaufen
können.
Es geht uns auch um den sozialen und regionalen Zusammenhalt. Ich habe kein Verständnis dafür, dass im
Hinblick auf den Aufbau Ost - ein problematischer Begriff, wenn man schaut, wie viel dort schon aufgebaut
worden ist - einfach unter den Teppich gekehrt wird, dass
wir mit dem Solidarpakt II und dessen Stabilität unbe3754
strittenermaßen dafür sorgen, dass 156 Milliarden Euro
- auch die Tranche für 2006 - ausgezahlt werden. Dies
bringt genau die finanzielle Sicherheit, die wir im Osten
unseres Landes brauchen.
({7})
Hinzu kommen Investitionszulagen, der Stadtumbau
Ost, das Programm „Soziale Stadt“, die zusätzlich zum
sozialen und regionalen Zusammenhalt beitragen.
Insgesamt ist es ein innovativer Haushalt, der für
Wachstum und Beschäftigung sorgen wird und die Regionen, die Städte und Stadtteile zusammenbringen
wird. Ich bedanke mich für eine intensive Diskussion.
Wir sind auf gutem Wege. Stimmen Sie diesem Haushalt
zu!
Vielen Dank.
({8})
Das Wort hat nun der Kollege Joachim Günther von
der FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Eigentlich ist es ein Ritual bei den Haushaltsdiskussionen, dass die Opposition etwas mehr Geld fordert und
sagt: Hier und dort könnte etwas gebraucht werden. Wer
die Debatte aufmerksam verfolgt hat, merkt, dass es
diesmal ein wenig anders war. Sie von der Koalition haben gemäß dem Motto „Mehr Staat, mehr Schulden,
mehr Steuern“ gehandelt. Wir haben dagegengesetzt:
weniger Staat, weniger Steuern, mehr Eigenverantwortung.
({0})
Man erkennt das, wenn man das Buch, das wir vorgelegt
haben, liest.
({1})
Damit die Summe der möglichen Einsparungen in
Höhe von 8,3 Milliarden Euro nicht nur pauschal im
Raum steht, möchte ich anhand des Einzelplans 12, über
den wir hier beraten, darlegen, wo Einsparungen möglich sind. Beim Lesen des Buches werden Sie feststellen:
Wir schlagen keine Kürzung in den Bereichen des
Einzelplans 12, in denen Investitionen vorgesehen sind,
vor. Im Gegenteil: Wir fordern - meine Kollegin hat es
bereits dargelegt - eine Aufstockung der Investitionen in
Zusammenhang mit den Einnahmen durch die Maut.
Herr Minister, wir sind mit dem Haushaltsplan im
Großen und Ganzen zufrieden. Denn der Ansatz liegt um
100 Millionen Euro über dem des Vorjahres. Doch mittelfristig gesehen wird er - auch Sie wissen das - um
1 Milliarde Euro niedriger liegen.
Wir haben natürlich andere Vorstellungen als Sie. Bei
Programmen wie dem Stadtumbau Ost/West und dem
Gebäudesanierungsprogramm - darüber hatten wir uns
bereits unterhalten - liegen wir im Prinzip auf der gleichen Wellenlänge. Doch es gibt Punkte, in denen wir unterschiedlicher Meinung sind und die wir im Ausschuss
und im Plenum ansprechen wollen. Ich erinnere nur an
den in der ersten Lesung angeforderten Statusbericht
zum Stadtumbau Ost, der bis jetzt dem Ausschuss noch
nicht vorgelegt wurde. Wir sollten ihn beraten. Vielleicht
kommen wir dann zu anderen Erkenntnissen, aufgrund
derer das Rückbauprogramm verändert wird. Das sind
Punkte, die im Endeffekt einen durchschlagenden Charakter haben könnten.
Ich möchte ferner das Stichwort Eigenheimzulage
nennen. Dieses Thema ist nach wie vor aktuell. Wir haben als FDP dieser Entscheidung in Erwartung einer umfassenden Steuerreform nur deshalb zugestimmt, weil
Sie eine Kompensation bei der Altersvorsorge versprochen haben. Aber keines Ihrer Modelle hat bisher Wirkung gezeigt. Keines spiegelt sich in irgendeiner Form
im Haushalt wider. Eine Integration der Immobilien in
die Riesterrente hätte eine Vorlaufzeit von acht Jahren
zur Folge. Ich frage die Bundesregierung: Wollen Sie allen Ernstes acht Jahre lang nichts für die Eigentumsvorsorge tun? Das wäre schlecht für unser Land. Wir liegen
schon jetzt im europaweiten Vergleich am Ende.
({2})
Wir fordern Sie auf, sofort etwas zu unternehmen.
Wir können uns auch vorstellen, dass Sie Zwischenlösungen präsentieren, solange kein mehrheitlich getragenes Konzept vorliegt. Sorgen Sie dafür, dass zum Beispiel die Länder die Grunderwerbsteuer und die
Grundsteuer solange aussetzen! Das wäre ein kleines
Trostpflaster für die Bauindustrie und ein Signal in Richtung Bauindustrie, dass es in diesem Bereich weiter vorangehen könnte. Wichtig wäre außerdem, dass Sie von
Ihrer Seite alles unterlassen, was neue Belastungen für
die Eigenheimbesitzer und die Immobilienbranche insgesamt bedeutet.
Herr Minister, Sie haben sicherlich die Presse in den
letzten Tagen verfolgt. Ich kann Sie nur auffordern, sich
allen Begehrlichkeiten von Umweltminister Gabriel zu
widersetzen und nicht an der Wahlfreiheit beim Gebäudeenergiepass herumzudoktern. Die Zwangseinführung
des bedarfsorientierten Energieausweises würde laut
Wohnungswirtschaft einige Milliarden kosten. Die
DENA hat sich schon ausgerechnet, dass sie pro Einfamilienhaus mindestens 150 Euro einnehmen würde. Wir
waren uns fraktionsübergreifend einig, dass diese Wahlfreiheit bestehen bleiben muss. Bitte setzen Sie alles daran, dass diese Diskussion nicht erneut aufkommt.
({3})
Herr Minister, Sie sind - Sie haben es hier anklingen
lassen - auch für den Aufbau Ost zuständig. Sie sind in
der Regierung die Integrationsfigur für den Osten. Ich
muss aber ehrlich sagen, dass ich noch nichts von den
für Sie charakteristischen durchschlagenden Einfällen
bemerkt habe. Es wäre gut, wenn Sie sich an einigen brisanten Punkten Gehör verschaffen würden. Das wäre an
manchen Stellen schon aus psychologischer Sicht wichtig.
Joachim Günther ({4})
Ich betrachte einmal das Thema Abwanderung unter
einem besonderen Blickwinkel, der in den letzten Tagen
eine besondere Rolle gespielt hat, obwohl ich weiß, dass
dieses Thema nicht unbedingt in Ihren unmittelbaren
Entscheidungsbereich fällt. Der Marburger Bund und die
Länder haben sich bei ihrem Tarifabschluss darauf geeinigt, dass die Ärzte an den Unikliniken im Osten
400 Euro weniger erhalten als ihre Kollegen im Westen.
Das ist meines Erachtens ein großer Rückschritt.
16 Jahre nach Wiederherstellung der deutschen Einheit
ist eine solche Lohndifferenz ein Marschbefehl für die
Abwanderung.
Damit kommen wir wieder zu Ihrem Bereich. An dieser Stelle wird nämlich die Infrastruktur tangiert. Wenn
die Ärzte abwandern, dann können Schulschließungen
die Folge sein, weil Familien wegziehen. Außerdem ist
der Nahverkehr, also unser Bereich, betroffen. Wir müssen über diesen Gesamtkomplex nachdenken und dafür
sorgen, dass es nicht zu dieser Abwanderung in dieser
Größenordnung kommt. Denn es nützt uns nichts, wenn
wir im Osten zwar gute Straßen, aber keine Menschen
haben, die hier wohnen.
({5})
Es gäbe noch viele Punkte, über die man in diesem
Zusammenhang diskutieren könnte. Ich möchte an dieser Stelle ein Beispiel aus dem Bereich ALG II erwähnen, das mir vor kurzem untergekommen ist, obwohl mir
bewusst ist, dass jetzt manche fragen, warum dieses Beispiel die FDP betrifft. Wenn 50-jährige Familienväter
aus Mecklenburg für 5,10 Euro Stundenlohn als Erntehelfer in Bayern arbeiten und dort in Containern untergebracht sind - von dem Lohn bleibt aufgrund der Fahrtund Unterbringungskosten nichts mehr übrig -, dann
muss man sagen, dass wir uns in einer Bürokratie verstrickt haben, die nicht mehr zeitgemäß ist. Ich bin der
festen Überzeugung, so ein Problem könnte man vor Ort,
also auf kommunaler Ebene, besser lösen, als es die Arbeitsämter mit ihrer Überlandverschickung können.
({6})
Diese sind im Endeffekt an diesem Problem schuld. Hier
müssen wir handeln. Wir haben die Abschaffung der Arbeitsämter gefordert. Geben Sie den Kommunen und
Kreisen mehr Möglichkeiten, dann würde so etwas nicht
passieren.
({7})
Infrastruktur schafft Arbeitsplätze; das haben Sie,
Herr Minister, vorhin gesagt. Das trifft auch auf die Gebäudesanierung zu; da gebe ich Ihnen Recht. Nutzen Sie
also die Chance, neue Arbeitsplätze auch durch Infrastrukturmaßnahmen zu schaffen, damit wir den Wanderungsbewegungen entgegenwirken können. Nutzen Sie
diese Chance. Dann können die Menschen in ihrer Heimat wohnen bleiben. Sie sind auch als zuständiger Minister für den Aufbau Ost dazu aufgerufen. Wir wünschen Ihnen dazu viel Glück.
({8})
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Klaus Lippold,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Verehrte Damen und Herren! Ich glaube, dass wir gerade
am heutigen Tage im Rahmen der Haushaltsdebatte zur
Verkehrspolitik noch einmal die Notwendigkeit betonen
sollten, die EU-Verkehrspolitik im Auge zu behalten.
Ich sage das deshalb, weil der zuständige Kommissar
heute die Halbzeitbilanz des EU-Aktionsplans vorgelegt
hat und dabei zu ganz erstaunlichen Ergebnissen gekommen ist. Im Vorhinein möchte ich sagen, dass ich nicht
unterschreibe, was da steht. Ich möchte aber, dass wir
uns damit politisch auseinander setzen, weil ich das für
ausgesprochen wichtig halte.
({0})
Zunächst einmal ist festzustellen, dass nach den
Schätzungen der Kommission das Transportvolumen
der Bahn zwar leicht zunehmen wird, doch deren Anteil
am gesamten Verkehrsaufkommen weiter zurückgehen
wird, beim Gütertransport von heute etwa 11 auf 8 Prozent und beim Personentransport von 6 auf 5 Prozent.
Ich denke, das sollte uns angesichts der Strategie, Herr
Minister, die wir hier in der Bundesrepublik entwickeln,
ziemlich nachdenklich stimmen. Ich glaube, dass wir
- das habe ich auch gestern noch einmal zum Ausdruck
gebracht - vor der unabweisbaren Notwendigkeit stehen,
die Bahn zu stützen und mehr Verkehr auf die Bahn zu
bringen, weil sonst unserer Republik der Verkehrs- und
Mobilitätsinfarkt droht. Wir müssen aber sehen, wie wir
das optimieren.
Die Kommission will in Zukunft eigentlich nur noch
den Langstreckentransport auf der Bahn sowie den Verkehr in Ballungsräumen und in Innenstädten fördern.
Wir werden - ich sage das einmal mit einem Soupçon beobachten müssen, inwieweit die Union, wenn sie die
Ballungsräume ins Visier nimmt, auch in diese hineinregieren will. In den letzten Jahren ist mir nämlich aufgefallen, dass - mit Verlaub - der Substitutionsgedanke,
den wir mit der EU verbinden und der davon ausgeht,
dass vor Ort die Dinge besser geregelt werden können
als zentral von der Europäischen Union, gelegentlich in
Erinnerung gebracht werden muss. Es gibt bestimmte
Entwicklungen im Umweltbereich, die von Brüssel zentimetergenau gesteuert werden. Ich glaube, dass es nicht
gut wäre, wenn es eine vergleichbare Entwicklung im
Verkehrsbereich gäbe. Deshalb, Herr Minister, sollten
wir nicht warten, bis das alles zu Ende gedacht ist, sondern uns im Vorhinein informieren. Gegebenenfalls sollten Sie auch eine erste Wertung in der nächsten Verkehrsausschusssitzung vornehmen, damit wir eine Basis
für die weiteren Beratungen haben. Ich halte dies für
ganz entscheidend, weil wir hier Etliches tun müssen.
({1})
Ich glaube, dass wir uns angesichts der Tatsache, dass
die Kommission Wert auf die Schaffung von europäischen Verkehrs- und Logistikunternehmen legt, auch mit
Grundsatzfragen der Industriepolitik auseinander setzen müssen. Wir haben in der letzten Zeit eine ganze
Reihe industriepolitischer Maßnahmen erlebt. Ich war,
ehrlich gesagt, aus deutscher Sicht nicht immer ganz
glücklich mit den Ergebnissen. Deshalb sollten wir uns
hiermit sehr intensiv auseinander setzen, damit die zukünftigen Ergebnisse europäischer Industriepolitik günstiger ausfallen als in der Vergangenheit. Ich glaube, auch
das stellt eine ausgesprochene Notwendigkeit für unser
Land dar.
({2})
Des Weiteren wird auf die Engpässe im Luftverkehr
hingewiesen. So sagt die Kommission, dass den 60 größten europäischen Flughäfen spätestens im Jahr 2020 die
vollständige Überlastung droht. Gerade dies ist ein
Punkt, mit dem wir uns vor dem Hintergrund, dass es
nicht nur um europäische Fragestellungen, sondern auch
darum geht, wie wir uns international bzw. global behaupten, sehr intensiv auseinander setzen müssen.
Wir sind heute in verschiedenen Positionen führend.
Wir haben zwei Hubs, große Flughäfen, in der Bundesrepublik Deutschland. Das ist hervorragend. Die Frage
ist, wie das in zehn Jahren sein wird, wenn wir die Entwicklung nicht sorgfältig verfolgen. Wir müssen beobachten, wer heute den A380 kauft und wer damit in
absehbarer Zeit in der Lage ist, beispielsweise von New
York oder Washington aus direkt nach Dubai zu fliegen
und damit den südostasiatischen Luftverkehrsraum zu
erschließen, und darauf reagieren. Wir müssen günstige
Voraussetzungen schaffen, soweit wir sie politisch überhaupt schaffen können. Nicht alles liegt in unserer Hand,
damit wir uns da nicht missverstehen. Aber soweit wir
Standortbedingungen politisch begünstigen können, sollten wir das tun, um unseren Unternehmen die Möglichkeit zu geben, sich in diesem internationalen Wettbewerb
zu behaupten und damit Arbeitsplätze nicht nur zu sichern, sondern neue zu schaffen. Ich glaube, die Zukunft
vieler Arbeitsplätze wird im Mobilitätsbereich und im
Logistikbereich liegen. Deshalb dürfen wir unsere Stärken nicht nur bewahren, sondern wir müssen sie ausbauen. Da stimme ich mit Ihnen völlig überein. Sie haben den Akzent auf den Logistikbereich gelegt. Ich
meine, dass wir gemeinsam daran arbeiten sollten, unsere Position auszubauen.
({3})
Ich will einige wenige Worte zu unseren Aktivitäten
beim Altbaubestand sagen. Nachdem wir als Union ungefähr acht Jahre versucht haben, in dieser Richtung etwas zu bewegen, ist ein entscheidender Punkt, dass wir
jetzt endlich Umweltschutz und Investitionen in die Gebäudesanierung zusammenführen. Ich gehe davon aus,
Herr Minister, dass das dazu führen wird, dass die Summen, die wir für Fördermittel aufwenden, durch die in
der Bauwirtschaft generierte Beschäftigung und das daraus resultierende Steueraufkommen wieder eingenommen werden. Wenn wir die erste Phase beobachtet und
die Konsequenzen aus dieser Beobachtung gezogen haben, können wir prüfen, wie wir gegebenenfalls mehr
Dynamik in diesen Bereich hineinbringen können. Das
soll nicht die Erfolge schmälern, die bisher erzielt worden sind. Das gilt auch für die Versuche, vorzeitig an die
Aufgaben heranzugehen, wofür ich Ihnen, Herr Minister,
danke. Wir sollten sehen, dass wir den Umweltschutz
weiter fördern und zusätzlich Beschäftigung schaffen.
Denn der Altbaubestand, den wir haben, bietet die Möglichkeit, durch die erwähnten Maßnahmen die Konjunktur anzukurbeln. Es nützt auch dem Finanzminister,
wenn wir einen Return on Investment haben und die
Staatskasse Einnahmen erzielt. Vielleicht stellt sich der
Finanzminister dann etwas weniger sperrig, als wir es
diesmal alle feststellen mussten.
({4})
Ich will ein Wort zur Opposition sagen. Frau
Lührmann, Sie haben einiges gefordert. Das hätten Sie
zu Ihrer Regierungszeit auch schon haben können.
({5})
Für die Gebäudesanierung hatten Sie, wenn ich das richtig sehe, eine steuerliche Förderung im Koalitionsprogramm mit Ihrem Koalitionspartner verankert. Sie haben
sie nur nicht umgesetzt. In anderen Bereichen - Sie sprachen von Bahn und Schiene - stellten Sie die Aufsichtsratmitglieder. Was haben die denn kontrolliert, als es um
die Verwendung von Investitionsmitteln bei der Bahn
ging? Sie sehen, dass man immer etwas vorsichtig sein
muss. Es könnten noch einige hier sein, die die frühere
Entwicklung mitbekommen haben und deshalb wissen,
wie Sie sich damals verhalten haben.
({6})
Das macht die Situation für Sie natürlich nicht einfacher.
({7})
Ich verstehe Ihre Rolle als Opposition. Aber nichtsdestoweniger müssen solche Anmerkungen gelegentlich erlaubt sein.
({8})
- Herr Kollege Hermann, in Anbetracht der unwahrscheinlich guten Zusammenarbeit, die wir im Verkehrsausschuss über alle Fraktionsgrenzen hinweg haben,
nehme ich diesen Zwischenruf als wohlgemeinten Beitrag. Wir werden sicherlich in Zukunft weiter kooperieren.
Für mich ist wichtig, dass wir bei den Managementplänen, die auszuarbeiten wir uns vorgenommen haben,
möglichst bald zu Ergebnissen kommen. Die Gelder sind
eingestellt. Wir müssen möglichst schnell beraten und
- was ich für das Entscheidende halte - möglichst
schnell in die Umsetzungsphase kommen. Noch so gute
Pläne und noch so gute Beratungen sind nichts, wenn sie
nicht umgesetzt werden. Sie haben bislang gezeigt, dass
Sie an diese Dinge herangehen. Sie werden das, so hoffe
ich, mit unserer Unterstützung in Zukunft genauso tun.
Ich danke den Mitarbeitern der beteiligten Häuser für die
geleistete Arbeit im Zusammenhang mit den Haushaltsberatungen.
Ich bedanke mich bei Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({9})
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Ilja Seifert für die
Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die Diskussion, die wir jetzt geführt haben, reizt
natürlich, zu vielen Fragen noch einiges zu sagen. Da
meine Kollegin Bluhm die entscheidenden Eckpunkte
unseres städtebaulichen Konzepts bereits dargelegt hat
und unsere Kollegin Menzner in der ersten Lesung das
Gleiche für die Verkehrsfragen getan hat, möchte ich
mich jetzt auf drei Punkte konzentrieren, an denen
exemplarisch gezeigt werden kann, wo gespart werden
könnte - davon handeln zwei Punkte - und wo wirklich
innovativ in die Zukunft gebaut werden könnte, ohne
dass zusätzliche Kosten entstehen, wenn wir es richtig
anpacken.
Erster Punkt. Fast auf den Tag genau vor 15 Jahren
beschloss der Bundestag den Umzug von Bonn nach
Berlin. Dieser Beschluss war mit vielfältigen Fehleinschätzungen und etlichen Fehlleistungen verbunden.
Schauen wir uns einmal um, was inzwischen passiert ist.
In Berlin hat sich einiges verändert. Bonn ist inzwischen
die Boomtown schlechthin. Nie ging es Bonn so gut wie
jetzt, jedenfalls nicht zu den Zeiten, als es Parlamentssitz
war. Was tun wir aber noch immer? Wir leisten uns zwei
Sitze für alle Ministerien, was mit unnötigem Hin- und
Herreisen verbunden ist. Das sind unnötige Ausgaben,
die wirklich nicht mehr zu rechtfertigen sind.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, sogar
einer Ihrer Interimsvorsitzenden hat das inzwischen erkannt und laut gesagt. Dafür muss man ihm einmal
Danke sagen. Er hat es gemerkt. Liebe Kolleginnen und
Kollegen von der CDU/CSU, vielleicht merken Sie das
auch. Dann könnten wir bald zu einem vernünftigen Beschluss kommen, durch den nicht nur Kosten gespart
würden, sondern auch die wichtigen Entscheidungen an
einem Ort gefällt werden könnten.
Ich will einen zweiten Punkt erwähnen, der auch im
Zusammenhang mit dem Umzug steht und ebenfalls horrender Unsinn ist. Die Eigenheimzulage für Häuslebauer
haben wir gestrichen. Wenn aber ein vom Regierungsumzug betroffener Mensch aus Bonn in Berlin Eigentum
erwerben will, wird das noch immer durch günstige Darlehen, Zuschüsse usw. gefördert. Mit welcher Begründung denn eigentlich? Damals war die Begründung, dass
es in Berlin einen riesigen Wohnungsmangel gäbe. Deswegen mussten die Umzugszulage und die Eigentumsförderung eingeführt werden. Inzwischen wissen wir,
dass in Berlin Zehntausende von Wohnungen leer stehen. Warum können Bonner Beamte denn nicht in diese
Wohnungen ziehen? Wieso müssen sie gefördert werden, wenn sie hier Eigentum erwerben wollen? Kein einziger vernünftiger Grund spricht dafür.
({1})
Dass aus ideologischen Gründen der Palast der Republik abgerissen werden muss, was immer teurer wird und
immer länger dauert, will ich nur am Rande einmal erwähnt haben, auch wenn es nicht ganz und gar unwichtig
ist.
Der letzte Punkt, den ich anführen will, hat einen aufbauenden Charakter. Herr Minister, wenn wir es endlich
einmal schaffen würden, in allen Förderungsprogrammen Ihres Ministeriums als Kriterium und zwingende
Voraussetzung für die Gewährung von Fördermitteln die
Schaffung von Barrierefreiheit aufzunehmen, dann hätten wir eine Investition in die Zukunft, die auf Jahrzehnte wirksam wäre.
({2})
Sie wäre nicht nur für Menschen mit Behinderungen und
Mobilitätseinschränkungen günstig, sondern auch für
ganz viele andere. Ich habe in diesem Zusammenhang
insbesondere die demografische Entwicklung im Auge.
Das betrifft den Verkehrsbereich, den städtebaulichen
Bereich und den Wohnungsbereich.
({3})
- Das ist nicht wahr. Lieber Kollege, ich habe etliche
Anfragen an die Bundesregierung gestellt, wie es mit der
Barrierefreiheit als Förderkriterium aussieht. Ich habe
immer schwammige Auskünfte erhalten, nach dem
Motto: Es ist nicht verboten, barrierefrei zu bauen, aber
es ist keine zwingende Voraussetzung.
({4})
- Wenn ich das richtig sehe, sind wir hier im Bundesparlament und nicht im Bayerischen Landtag. Es kann ja
sein, dass dort anders vorgegangen wird. Ich beziehe
mich auf die Bundesebene. Ich rede jetzt mit dem Bundesminister und der Bundesregierung und nicht mit irgendeinem bayerischen Provinzfürsten.
Ich möchte, dass wir ordentliche Kriterien haben, die
bundesweit gelten. Darum geht es mir. Wenn es richtig
gemacht wird, wird dafür überhaupt kein Euro mehr ausgegeben, aber es werden die Lebensbedingungen für alle
verbessert. Darum sollte es gehen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({5})
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Anton Hofreiter,
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Viele Menschen sind Tag für Tag auf den
Nahverkehr angewiesen. Die Lebensqualität der Städte
hängt entscheidend von der Qualität des Nahverkehrs ab.
Welche Entwicklungen hatten wir in den letzten Jahren?
Der ÖPNV ist dank der Regionalisierungsmittel besser
geworden. Gleichzeitig sind die Ölpreise gestiegen. Das
heißt, der Individualverkehr ist teurer geworden. Zudem
müssen wir mit einer demografischen Entwicklung rechnen, die zu weitaus mehr älteren Menschen führt.
Die Regionalisierung des Schienenpersonennahverkehrs ist nahezu die einzige Erfolgsgeschichte der
Bahnreform: besserer Takt, neuere Züge und weitaus
mehr Passagiere. Was fällt der großen Koalition dazu
ein? Als Belohnung werden die Mittel um circa
2 Milliarden Euro gekürzt. Wen trifft dies am härtesten?
Von den Schäden für die Umwelt, für die Gesundheit der
Menschen in Ballungsräumen und das Klima wollen wir
erst einmal gar nicht reden. Dies trifft die Menschen
ohne Auto, die noch dazu oft über ein geringeres Einkommen verfügen, am härtesten. Es trifft die ganz Jungen, die noch keinen Führerschein haben können. Es
trifft ältere Menschen. Es trifft insbesondere die Bewohner von Ballungsräumen, die speziell unter der Verkehrsdichte leiden. Es trifft auch die wenigen Menschen auf
dem flachen Land, die kein Auto haben oder haben können, die nahezu von der Mobilität abgeschnitten werden.
Herr Minister Tiefensee spricht davon, dass die Länder die Effizienzgewinne heben sollen, um dies auszugleichen.
({0})
Wir sind für Effizienz und Transparenz der Mittelvergabe. Aber die Kürzungen treten sofort in Kraft. Wir
wissen, dass, nachdem sowohl das Bundesministerium
- wenn auch unter einem anderen Minister - als auch
viele Länder dies jahrelang verschlafen haben, sich nun
die Effizienzgewinne frühestens in drei, vier Jahren heben lassen. Das heißt, die Kürzungen treffen alle gleichmäßig. Die Länder, die die Effizienzgewinne bereits gehoben haben, damit mehr Verkehr auf die Schiene
gebracht und all die positiven Effekte bewirkt haben,
werden bestraft. Wir haben einen Gesetzentwurf eingebracht, der vorsieht, dass 50 Prozent der Mittel erfolgsabhängig vergeben werden können. Ich werde einmal sehen, wie Sie darauf reagieren.
({1})
Wer allerdings führt diese Kürzungen durch? War es
die CDU/CSU allein? Dann könnten wir sagen: Beim
Nahverkehr haben wir sowieso nichts anderes erwartet.
Aber nein, die SPD war fleißig bei den Kürzungen dabei.
Sozial Schwächere, junge Menschen, alte Menschen und
Menschen in Ballungsräumen scheinen ja keine Gruppen
mehr zu sein, die für die SPD relevant sind. Vertreten
werden sie von ihr schon lange nicht mehr. Das sieht
man auch an der gleichzeitigen Mehrwertsteuererhöhung
und an der Debatte, trotz Rekordgewinnen die Körperschaftsteuer für die Unternehmen zu halbieren.
Zur verkehrlichen Kompetenz der Vorredner ist noch
etwas zu sagen. Herausgehoben werden zwei Projekte:
der Transrapid und der Ausbau der Strecke Nürnberg-Erfurt. Das zeigt eine fast verblüffende Inkompetenz in verkehrlichen Dingen. Die Strecke Nürnberg-Erfurt, auf der nach eigener Aussage der Bundesregierung
im Schnitt 1,5 Züge pro Stunde im Fernverkehr fahren,
soll ausgebaut werden, was Milliarden verschlingen
wird, während für andere logistisch notwendige Projekte
- Herr Beckmeyer müsste das eigentlich wissen -, zum
Beispiel betreffend die Rheinschiene - dort droht die
Anlandung immer größerer Containerschiffe und die
Container müssen dann auch abtransportiert werden -,
kein Geld vorhanden ist. Was für eine Prioritätensetzung
ist denn das? Milliarden Euro für eine Strecke herzugeben, auf der 1,5 Züge pro Stunde fahren, ist einfach inkompetent!
Die nächste Inkompetenz zeigt sich beim Transrapid. 2 Milliarden Euro sollen für ein Projekt versenkt
werden, damit ein paar Leute schneller zum Flughafen
kommen. 18 000 pro Tag werden prognostiziert. Das ist
doch absolut inkompetent. Das Geld wird einfach sinnlos verschwendet.
({2})
Dieser Haushaltsplan zeigt vor allem eines: Die Koalition hat kein Konzept, um die Herausforderungen der
Zukunft anzugehen. Im größten Investitionshaushalt
- das wurde schon öfter hier gesagt - geht man mit den
Investitionen offensichtlich besonders unökonomisch
um. Man denkt sich: Lasst uns hier und dort 1 Milliarde
Euro nehmen und das Geld versenken. Es ist ja egal, ob
das, was wir tun, verkehrlich sinnvoll oder gar nötig ist
bzw. ob es ökonomisch gefordert ist. - Für das, was
sinnvoll wäre und was auch die Industrieverbände benötigten - ich nenne zum Beispiel den Ausbau von Knotenpunkten und Engstellen -, ist kein Geld vorhanden.
Dieser Haushaltsplan zeigt vor allem eines: Die große
Koalition ist für die ökologischen, sozialen und ökonomischen Herausforderungen der Zukunft blind.
({3})
Das Wort hat nun der Kollege Sören Bartol, SPDFraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir debattieren heute nicht nur über den Bundeshaushalt, sondern auch über einen Antrag des
Bündnisses 90/Die Grünen zum RegionalisierungsgeSören Bartol
setz. Ich bin froh, dass, was die Regionalisierungsmittel
betrifft, seit letztem Freitag die Kuh vom Eis ist.
({0})
Der Bundesrat hat dem Haushaltsbegleitgesetz und
damit der Neufestsetzung der Regionalisierungsmittel
zugestimmt.
({1})
Das ist ein notwendiger Beitrag zur Haushaltskonsolidierung. Im Gegenzug hat der Bund den Ländern für die
Jahre 2008 bis 2010 zugesagt, die Kürzungen um
500 Millionen Euro zu reduzieren und die Mittel ab
2009 wieder zu dynamisieren. Ich freue mich, dass es
gelungen ist, die ursprünglich im Koalitionsvertrag vorgesehene Summe an Einsparungen von 3,1 Milliarden
Euro auf 1,8 Milliarden Euro zu reduzieren.
({2})
Für 2006 bedeutet das: Verzicht auf den Aufwuchs und
Festschreibung auf dem Vorjahresrekordniveau von
7,05 Milliarden Euro.
({3})
Im Jahre 2007 werden es 6,7 Milliarden Euro sein.
Der Kompromiss mit den Ländern ist ein gutes Ergebnis, sowohl aus verkehrspolitischer als auch aus
haushaltspolitischer Sicht. Er gibt den Ländern Planungssicherheit und genügend Spielraum, um mit den
zusätzlichen Einnahmen aus der Mehrwertsteuer bei der
Förderung des öffentlichen Verkehrs eigene Prioritäten
zu setzen.
({4})
Jetzt gilt es, die mündlichen Verabredungen schnellstmöglich in Gesetzesform zu gießen.
({5})
Ich will nicht verhehlen, dass ich als Verkehrspolitiker Bauchschmerzen habe, wenn Mittel für den öffentlichen Verkehr gekürzt werden. Ich stehe aber zu unserer
haushaltspolitischen Verantwortung. Ich bin sicher, dass
die Schreckensszenarien von Streckenstilllegungen und
Fahrpreiserhöhungen, die die Verkehrsverbünde in den
vergangenen Wochen gezeichnet haben, nicht Realität
werden. Die Kürzungen sind verkraftbar. Sie erfordern
allerdings eine zielgenaue und effiziente Mittelverwendung.
({6})
Die Regionalisierung ist eine Erfolgsgeschichte, die
wir Sozialdemokraten in den Landesregierungen, an denen wir beteiligt waren, entscheidend mitgestaltet haben.
({7})
Diese Erfolgsgeschichte wollen und werden wir fortsetzen.
Der Schienenpersonennahverkehr ist das Rückgrat
des öffentlichen Verkehrssystems. Ohne ihn ließen sich
die großen Verkehrsströme nicht bewältigen. Er entlastet
Städte und Ballungsräume vom Autoverkehr, sichert
gleiche Lebensverhältnisse in den Regionen und leistet
einen wichtigen Beitrag zum Umweltschutz. Es ist ein
Erfolg der Bahnreform, dass der SPNV heute ein qualitativ hochwertiges Verkehrsangebot und eine zuverlässige Alternative zum Auto ist. Über 2 Milliarden Fahrgäste nutzten 2005 die Regionalbahnen. Das sind eine
halbe Milliarde mehr Fahrgäste als 1996, als das Regionalisierungsgesetz in Kraft trat.
Der ÖPNV ist für uns ein Teil der Daseinsvorsorge,
eines sozial und ökologisch verträglichen Verkehrssystems. Wir wissen, dass ein attraktives öffentliches Verkehrsangebot allein aus Fahrgeldeinnahmen nicht finanzierbar ist. Deshalb steht außer Frage, dass der Bund den
ÖPNV auch weiterhin mit einem hinreichenden Finanzbeitrag auf hohem Niveau fördern muss.
Wir stehen zu dieser Aussage des Koalitionsvertrages.
Das zeigt der Haushalt 2006. Die Regionalisierungsmittel bleiben auf dem Vorjahresniveau. Die Mittel des
Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes werden mit
1,6 Milliarden Euro auf hohem Niveau verstetigt. Gut
die Hälfte davon verwenden Bund und Länder für Investitionen in den öffentlichen Personennahverkehr. Damit
stellt der Bund den Ländern umfassende Finanzmittel
aus seinem Steueraufkommen zur Verfügung.
Doch die Bäume wachsen nicht in den Himmel, Herr
Hofreiter. Ihre Fraktion will mit vollen Händen Geld
ausgeben, das nicht da ist. 7,3 Milliarden Euro und erhöhte Regionalisierungsmittel wollen Sie den Ländern
für die Jahre 2007 bis 2017 in die Hand versprechen,
ohne sich die Möglichkeit der Revision vorzubehalten.
({8})
Im Gegenzug sollen die Länder die Verwendung der
Mittel offen legen. Effizienter Mitteleinsatz soll belohnt,
Zweckentfremdung soll bestraft werden. Das klingt,
wie ich finde, zunächst einmal gut.
({9})
Aber selbst wenn die Länder zu einer entsprechenden
Änderung des Regionalisierungsgesetzes bereit wären
- das sehe ich im Moment allerdings nicht -, wäre hierfür auch eine Änderung der Finanzverfassung erforderlich. Für finanzielle Sanktionen bei Zweckentfremdung,
wie Sie sie fordern, müsste sogar der Aufgabenteil des
Grundgesetzes geändert werden. Das scheint mir kein
realistischer Weg zu sein.
Wir haben von den Ländern gerade in den letzten Jahren Transparenz hinsichtlich der Verwendung der Regionalisierungsmittel eingefordert. Immerhin sind die Länder nun, unter dem Druck der notwendigen Einsparungen,
zu einer Offenlegung der Verwendung der Mittel in den
Jahren 2002 bis 2005 bereit. Wir brauchen aber vollstän3760
dige Transparenz; denn nur so lässt sich der hohe Mitteleinsatz politisch legitimieren.
({10})
Wir alle wissen, dass es im Regionalverkehr durchaus
noch Effizienzpotenziale gibt, die die Länder durch
mehr Wettbewerb mobilisieren können. Sie sind dabei
auf einem guten Weg. Zunehmend finden auch Wettbewerber ihren Weg auf die Bahnschienen. Während 1994
der Anteil der Wettbewerber bei lediglich 4 Prozent lag,
betrug er 2005 rund 14 Prozent, bei zunehmender Tendenz. Der SPNV-Markt wird dennoch von einem Anbieter, der DB AG, mit einem Anteil von 86 Prozent dominiert, während sich den Rest des Marktes 50 kleinere
Anbieter teilen. Es gibt also noch reichlich Potenzial für
mehr Wettbewerb. Für uns ist allerdings klar: Wettbewerb darf nicht zu Sozialdumping führen. Es darf nicht
nur um Kostensenkungen gehen. Es muss letztlich auch
um höhere Qualität und um eine Erhöhung der Fahrgastzahlen gehen.
({11})
Ein Mehr an Wettbewerb wollen wir aber nicht mit
der Brechstange umsetzen wie die Grünen. Eine Ausschreibungspflicht ohne Übergangsfrist lehnen wir ab.
Wir begrüßen deshalb, dass sich der Rat der EU-Verkehrsminister am 9. Juni auf eine Verordnung für den öffentlichen Personennahverkehr geeinigt hat, die neben
der Ausschreibung unter bestimmten Voraussetzungen
eine Direktvergabe an kommunale Verkehrsunternehmen und kleine Busunternehmen ermöglicht. Das
schützt unsere in Europa einmalige Struktur des ÖPNVMarkts mit kleinen und mittelständischen Betrieben.
Wir wollen den mit dem Regionalisierungsgesetz eingeschlagenen erfolgreichen Weg weitergehen. Der Bund
ist bereit, finanziell weiterhin einen hohen Beitrag zu
leisten. Die Länder müssen im Gegenzug für eine effiziente und transparente Mittelverwendung sorgen und in
ihren Haushalten Prioritäten für den ÖPNV setzen. Sie
haben dafür ausreichend Spielraum. Sie erhalten im
Jahr 2007 zwar 565 Millionen Euro weniger Regionalisierungsmittel; in der Summe aber werden ihre Haushalte im selben Jahr um mehr als das Zehnfache entlastet.
Unser Ziel ist die Sicherstellung einer bedarfsgerechten, zielgenauen und effizienten Finanzierung des öffentlichen Verkehrs. Mit dem Haushalt 2006 gewährleisten
wir als Bund weiterhin ein attraktives Nahverkehrsangebot.
Danke schön.
({12})
Das Wort hat nun der Kollege Patrick Döring, FDPFraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich denke, das Thema Regionalisierungsmittel lohnt weder die vom Kollegen Hofreiter gezeigte Aufregung
noch eine reine Lobeshymne, wie sie der Kollege Bartol
gehalten hat.
Wenn man den Verlauf dieser Debatte nachzeichnet,
stellt man fest, dass die Koalition mit ihrer überraschenden Sparankündigung in den Kommunen und in den
Ländern zumindest für erhebliche Irritationen gesorgt
hat. Noch im Februar 2006 haben sich Vertreter der Koalition in den „GRV-Nachrichten“ dazu geäußert. Die
Union hat gesagt, die Höhe der Regionalisierungsmittel
werde im Jahre 2007 gemeinsam mit den Ländern festgelegt. Die SPD hat gesagt, nach dem Regionalisierungsgesetz sei für das Jahr 2007 eine erneute Prüfung
und Neufestsetzung vorgesehen. Sie haben das in einem
Hauruckverfahren vorgezogen. Das war natürlich weder
hilfreich noch gut; denn Sie wissen genau, dass die Länder so kurzfristig nicht reagieren können, weil die Verträge laufen, und die nötigen Einspareffekte nicht erzielt
werden können.
({0})
Jetzt gibt es einen Kompromiss. Ich bin mit dem Kollegen Bartol einig, dass dieser Kompromiss Stabilität
und Sicherheit bis 2008 bringt und dazu führt, dass wir
eine verlässliche Nahverkehrspolitik bekommen.
Ich will ganz kurz etwas zu dem Antrag der Grünen
sagen. Diese streng schienengläubige Politik wird uns sicher auch nicht nach vorne bringen; das Geld wächst
schließlich nicht aus der Erde.
Die Geschichte der Regionalisierung ist vor allen
Dingen die Erfolgsgeschichte der DB Regio. Aber wir
müssen einmal genau hinschauen, in welchen Bundesländern die DB Regio einen Marktanteil von 90 Prozent
und mehr hat und wie viele Regionalisierungsmittel pro
Personenkilometer dort verbraten werden und in welchen Bundesländern die DB Regio einen Marktanteil
von 80 Prozent oder weniger hat und wie viele Regionalisierungsmittel pro Personenkilometer dort zugeschossen werden. In Schleswig-Holstein beispielsweise haben
andere Schienenpersonennahverkehrsdienstleister einen
Anteil von über 30 Prozent. Wer das Verhältnis von eingesetzten Regionalisierungsmitteln pro Personenkilometer bildet, kommt zu spannenden Ergebnissen, die die
Effizienzreserven, von denen hier gesprochen wurde,
deutlich erkennbar werden lassen. Von daher bin ich mit
der Kollegin Winterstein einig: Hier sind noch Reserven
drin, ohne dass Qualität und Quantität des Nahverkehrs
angetastet werden müssten. Man muss dann aber vor allem bereit sein - darüber haben wir im Ausschuss intensiv gesprochen und darauf ist auch der Herr Minister eingegangen -, auch mehr Wettbewerb zuzulassen.
({1})
Wir bleiben dabei: Das Prinzip der Inhouse-Vergabe
und der so genannten marktorientierten Direktvergabe
führt sicherlich nicht dazu, dass in allen Bundesländern
die Effizienzreserven gehoben werden. Mit der
DB Regio werden auch weiterhin Tausch- und Kopplungsgeschäfte gemacht werden, wie wir alle sie aus unseren Bundesländern kennen.
({2})
Lassen Sie mich noch zu der Frage kommen, wie qualitativ wertvoll sich der Nahverkehr entwickeln wird.
Wir haben hier die Diskussion um die Schiene geführt;
wir werden sie weiter führen beim Thema „Privatisierung der Bahn“. Das ist bereits angesprochen worden.
Auch wurde die Zweckentfremdung eines Teils der
Regionalisierungsmittel angesprochen. Dazu kann ich
nur sagen: 15 der 16 Landesverkehrsminister gehören
der Union oder der SPD an. Sprechen Sie mit denen,
wenn sie die Mittel angeblich zweckentfremden. Das
Problem lässt sich in einer großen Koalition doch leicht
lösen.
({3})
Wenn die Diskussion darüber jetzt langsam beginnt,
dann sind wir beim Thema „öffentlicher Personennahverkehr“ auf einem guten Weg.
Eines muss ich abschließend noch sagen: Gehen wir
davon ab, immer nur auf die Schiene zu schauen. Wir
alle wissen, dass im ländlichen Raum der Bus öfter das
preiswertere und bessere Verkehrsmittel ist. Die Schienenbezogenheit, wie sie im Antrag der Grünen zutage
tritt, ist nicht mehr zeitgemäß. Deshalb werden wir diesen Antrag ablehnen.
({4})
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Jetzt hat das Wort der Kollege Klaus Hofbauer, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Erlauben Sie mir, mit einer Vorbemerkung zu
beginnen. Wir haben in den letzten Wochen im
Ausschuss des Öfteren über die EG-Nachfolgeverordnung 1191 diskutiert und beraten; es geht darin um die
Rahmenbedingungen des öffentlichen Nahverkehrs.
Sehr geehrter Herr Minister, ich möchte Ihnen danken
und Ihnen meine Anerkennung aussprechen. Sie haben
im Ministerrat gut verhandelt und die Interessen unseres
Landes ausgezeichnet vertreten. Herzlichen Dank dafür!
({0})
Wir müssen jetzt die Umsetzung im Personenbeförderungsgesetz vollziehen. Dabei werden wir insbesondere
die Interessen unseres mittelständischen Gewerbes vertreten.
Erlauben Sie mir noch eine Bemerkung dazu. Ich
habe es schon für gut empfunden, dass diese Verordnung
rechtzeitig in der politischen Diskussion im Ausschuss
war. Wir konnten auch einen Teil dazu beitragen, Herr
Minister, dass dieser Prozess entsprechend gestaltet
wurde. Das ist für mich ein positives Beispiel. Wenn europäische Verordnungen rechtzeitig in die politischen
Gremien kommen, wenn wir uns mit der Regierung
rechtzeitig im positiven Sinne auseinander setzen können, dann kommt auch etwas Gutes dabei heraus.
({1})
Als Vertreter des ländlichen Raumes hat mich natürlich die Thematik Regionalisierungsmittel in besonderem Maße beschäftigt. Ich glaube, dass wir eine gute und
vor allem eine einvernehmliche Lösung mit den Ländern
gefunden haben. Ich glaube auch, dass hier eine Lösung
mit Perspektive für die Zukunft aufgebaut werden kann.
Die Regionalisierungsmittel haben entscheidend dazu
beigetragen, dass wir einen öffentlichen Nahverkehr haben, der sich sehen lassen kann. Ich glaube, das darf man
hier einmal sagen. Wir sollten stolz darauf sein, was im
öffentlichen Nahverkehr passiert ist.
({2})
Die Mobilität, die Verkehrspolitik insgesamt ist einer
der entscheidenden Träger zur Sicherung und Schaffung
von Arbeitsplätzen in unserem Lande. Es gibt unheimlich viele Initiativen in diesem Bereich. Allein die Mobilitätswirtschaft stellt 7 Millionen Arbeitsplätze. Die
Logistikbranche boomt und es werden weitere Arbeitsplätze entstehen. Die Automobilindustrie und die Elektroindustrie sichern fast jeden siebten Arbeitsplatz in unserem Lande. Dies alles bietet eine gute Grundlage für
den Wirtschaftsstandort Deutschland.
Es ist schon angesprochen worden, dass wir unsere
gute Infrastruktur erhalten und stärken müssen. Aufgrund der Ergebnisse der Umfragen in der letzten Zeit
können wir uns nicht zurücklehnen. In Deutschland besteht ein ganz gravierender Handlungsbedarf; denn wir
sind sehr schnell weg vom Fenster, wenn wir nicht die
Weichen in Richtung Zukunft stellen.
({3})
Deswegen hat mir die Diskussion in der letzten Legislaturperiode nicht gefallen, als es hieß: „Bildung statt Beton“. Ich glaube, das war nicht der richtige Weg. Wir
müssen ganz klar feststellen, dass durch Bildung und
Forschung, aber auch durch die Verkehrsinfrastruktur
ganz entscheidende Weichenstellungen für die Zukunft
vorgenommen werden können. Beides gehört in meinen
Augen unzertrennlich zusammen.
({4})
Durch den Koalitionsvertrag hat die Verkehrspolitik
in unserem Lande insgesamt wieder an Bedeutung gewonnen. Die Verkehrspolitik ist wieder zentral vertreten.
Ich glaube, das sollten wir erkennen.
Es ist schon angesprochen worden, dass die Europäische Kommission 2001 ein Weißbuch zur europäischen
Verkehrspolitik bis 2010 herausgebracht hat. Ich unterstreiche, was mein Kollege Lippold gesagt hat: Wir müssen die Ergebnisse der Halbzeitbilanz bei uns in
Deutschland auch im Hinblick auf die europäische Politik diskutieren. Deutschland spielt in diesem erweiterten
Europa eine zentrale Rolle; denn der Verkehr Europas
spielt sich in Deutschland ab. Deswegen müssen wir die
europäische Verkehrspolitik ganz entscheidend mitgestalten.
Es ist nicht zu leugnen, dass die Marktanteile beim
Schienenverkehr zurückgegangen sind. Gestern Abend
hatten wir ja eine Diskussion mit Herrn Mehdorn, bei
der einige Probleme in Europa aufgezeigt wurden. Herr
Minister, ich darf Sie herzlich bitten, die europäische
Bahnpolitik in den Mittelpunkt Ihrer Arbeit zu stellen,
wenn Deutschland im nächsten Jahr die Ratspräsidentschaft innehat, weil von Deutschland aus eine Weichenstellung für eine gute Bahnpolitik in ganz Europa vorgenommen werden kann. Machen Sie das bitte zu einem
inhaltlichen Schwerpunkt während der Ratspräsidentschaft.
({5})
Erlauben Sie mir noch, die europäische Verkehrspolitik im Hinblick auf die EU-Osterweiterung anzusprechen. Wir müssen feststellen, dass die EU-Osterweiterung, die Öffnung der Grenze im Jahre 1989 und vor
allen Dingen der Beitritt von zehn neuen Ländern - das
haben wir begrüßt; dieser Einigungsprozess ist eine Erfolgsgeschichte -, auch ganz verheerende Auswirkungen
auf die Verkehrspolitik in Deutschland gehabt hat.
Erlauben Sie mir einfach einmal, eine Zahl von einem
Grenzübergang in meinem Wahlkreis zu nennen, der
sich zwischen Bayern und Böhmen befindet. Zwischen
den neuen Bundesländern und Polen wird dies mit Sicherheit nicht anders sein. Am Grenzübergang in Waidhaus hat der Güterverkehr um mehrere 100 Prozent zugenommen. Ich kann Ihnen das anhand einer Grafik
zeigen: Im Jahre 1995 gab es dort 323 000 Verkehrsbewegungen von LKW; jetzt sind es 1,9 Millionen, ohne
dass es zu einer wesentlichen Verbesserung der Straßen
kam. Allein an diesem Grenzübergang hat sich der
Güterverkehr nach dem Beitritt am 1. Mai 2004 von
62 000 auf 113 000 fast verdoppelt. Diese Zunahme ist
gravierend.
Im Bundesverkehrswegeplan stehen zwar Verkehrsprojekte im Hinblick auf die EU-Osterweiterung; aber
sie reichen nicht. Wir müssen die EU-Osterweiterung bei
der Aufstellung des kommenden Finanzierungsplans
ganz stark in den Mittelpunkt rücken; denn die Einigung
Europas wird unter anderem nur dann gelingen, wenn
die Verkehrsprobleme bewältigt werden. Darin liegt
auch die Chance, in der Wirtschaft Prosperität zu erreichen und voranzukommen.
({6})
Heute ist wiederholt das CO2-Gebäudesanierungsprogramm angesprochen worden. Ich unterstreiche,
was Sie dazu ausgeführt haben, Herr Kollege Hübner.
Die KfW hat festgestellt, dass bei einem Fördervolumen
in Höhe von 5 Milliarden Euro Investitionen in Höhe
von 25 Milliarden bis 28 Milliarden Euro angestoßen
werden. Damit erreichen wir die zwei großen Ziele der
Energieeinsparung und der Minimierung der Abhängigkeit von Energieimporten. Bei dieser Gelegenheit
möchte ich mich herzlich bei der KfW bedanken, die das
Programm sehr unbürokratisch und schnell abwickelt.
Ich glaube, auch das sollte man einmal anerkennend
feststellen.
({7})
Wir haben aber feststellen müssen, dass wir das Programm langsam ausgeschöpft haben. Gott sei dank läuft
es hervorragend. Deswegen möchte ich die Aussage eines Kollegen unterstreichen: Wir sollten in der Tat überlegen, ob nicht trotz der finanziellen Schwierigkeiten an
dieser Stelle die Mittel erhöht werden sollten. Wenn wir
mit einer Fördersumme von 5 Milliarden Euro so hohe
Investitionen anstoßen können, dann finanziert sich das
Programm fast von selbst.
Mit dem Haushalt 2006 werden die Weichen in die
richtige Richtung gestellt. Ich glaube, dass wir in der
Verkehrspolitik auf dem richtigen Weg sind. Wir müssen
diesen Weg in der Koalition gemeinsam verfolgen; denn
die Verkehrspolitik ist der Bereich, der die Menschen am
meisten berührt. Das sollten wir berücksichtigen.
Herzlichen Dank.
({8})
Das Wort hat der Kollege Uwe Beckmeyer, SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Bei einigen Reden der Opposition zur Verkehrspolitik im Laufe dieses Nachmittags hat man den Eindruck bekommen, dass ein Zerrbild gezeichnet wird. Es
wurde etwas behauptet, das nicht zutrifft.
Ich möchte einige Fakten nennen: Wir haben in den
Haushalt 2006 1 Milliarde Euro mehr für Verkehrsinfrastrukturausgaben eingestellt. Wer dies leugnet, der hat
den Haushalt nicht gelesen.
Wir leisten in wesentlichen Feldern Unterstützung für
eine gute Konjunktur. Die Infrastrukturpolitik ist der
Transmissionsriemen für die Konjunktur in Deutschland.
Wir brauchen gute Infrastrukturen in Deutschland. Wir
müssen das Bestehende erhalten und Neues schaffen.
Dafür stellt der Haushalt die erforderlichen Finanzmittel
zur Verfügung: für die Schiene, die Straßen und die Wasserstraßen. Ich denke, das sind die Bereiche, um die wir
uns kümmern müssen.
Wir haben damit eine Politik manifestiert, die auch
hinsichtlich des Ordnungsrahmens intakt ist. Insofern
hat die große Koalition in dieser Frage ihre Hausaufgaben für das Jahr 2006 erfüllt. Ich denke, das wird auch
beim Haushalt 2007 der Fall sein.
({0})
Es geht um Mobilität von Menschen und Gütern. Mobilität ist bekanntlich ein Freiheitsbegriff. Mobilität
muss ermöglicht und gesichert werden. So schwer uns
auch die Einsparungen bei den Regionalisierungsmitteln
gefallen sind: Es ist ein Konsens mit den Ländern gefunden worden - der Kollege Bartol hat bereits darauf hingewiesen -, der garantieren wird, dass die Erfolgsstory
der Regionalisierungsmittel in Deutschland fortgesetzt
werden kann. Dafür stehen wir ausdrücklich.
({1})
Ich möchte an dieser Stelle eines hervorheben: Was
Herr Minister Wolfgang Tiefensee hinsichtlich der EUVerordnung 1191 zum öffentlichen Personenverkehr in
Europa, wo unser System im Grunde einzigartig ist
- kein anderes Land hat ein so differenziertes System -,
für Deutschland erreicht hat, ist ein hervorragendes und
nicht genug zu lobendes Ergebnis. Hut ab vor dem, was
damit auf europäischer Ebene erreicht worden ist!
({2})
Ich glaube, es ist notwendig, dass dies einmal festgestellt
wird. Vielleicht nimmt das endlich auch die bremische,
hamburgische, bayerische bzw. die gesamte deutsche
Öffentlichkeit wahr.
Ich möchte zu einigen Punkten kommen, die überhaupt noch nicht angesprochen worden sind. Verkehrspolitik geht natürlich immer auch einher mit der Akzeptanz der Bevölkerung. Wir haben großen Wert darauf
gelegt, hinsichtlich des Themas Lärmschutz die Mittelansätze in diesem Haushaltsplan zu verdoppeln. Statt
wie in der Vergangenheit 50 Millionen Euro geben wir
in diesem Jahr, für Schiene und Straße zusammengenommen, 100 Millionen Euro für den Lärmschutz aus.
Das sind 100 Prozent mehr als im Vorjahr.
({3})
Damit machen wir nach außen hin deutlich, dass wir in
dieser Frage aktiv sind. Die Menschen haben einen Anspruch darauf, dass man sich, wenn Verkehrsinfrastruktur in ihrer Nähe ist, auch um die Vermeidung von Lärm
kümmert.
({4})
Zum Thema Logistik; das ist hier kurz angeklungen.
In diesem Haushalt ist der Grundstein für die „Logistikinitiative Deutschland“ gelegt worden, wie wir es in der
Koalition verabredet haben. Wir stellen für die nächsten
zwei Jahre über 1,8 Millionen Euro ein, um einen Masterplan Logistik für Deutschland zu erarbeiten. Wir haben Logistikinitiativen; aber wir wollen mehr. Wir wollen die Länderinitiativen mit einer nationalen Initiative
verbinden. Wir müssen neue Kreativpotenziale erschließen, um auf diesem Feld noch besser zu werden.
Klaas Hübner ist vorhin auf die Studie von Ernst &
Young eingegangen, die belegt, dass die Logistik als
Standortfaktor bei der Beurteilung Deutschlands innerhalb Europas ganz entscheidend ist. Ich denke, dass die
Anerkennung, die wir durch diese Befragung von Unternehmen weltweit erfahren, deutlich macht, dass wir hier
auf dem richtigen Weg sind.
Das CO2-Gebäudesanierungsprogramm ist hier bereits angesprochen worden. Ich glaube, dass wir dadurch
auch den Mittelstand ganz hervorragend unterstützen.
Wir sanieren und investieren. Gleichzeitig stützen wir
die Konjunktur. Hier sind wir auf einem guten Weg.
Zur Forschung. Die Wasserstofftechnologie, die
Brennstoffzellen, all das ist schon angesprochen worden.
Neben der Entwicklung neuer Ideen und neuer Förderungen müssen wir aber auch Wert auf eine Effizienzsteigerung legen. Das gehört zusammen. Wir müssen
Neues schaffen und gleichzeitig Vorhandenes verbessern. Die Effizienz kann in den Feldern, in denen wir in
Deutschland notorisch Energie verbrauchen, im Zusammenwirken mit der Industrie erhöht werden.
Ich möchte noch etwas zum Thema „Schiene und
Straße“ sagen. Hier gibt es ein Spannungsverhältnis. Ich
glaube, dass sich in diesem Hause eine breite Mehrheit
dafür ausspricht, im integrierten Verkehrssystem
Deutschland, mit Straße, Wasserstraße und Schiene,
mehr Verkehr auf die Schiene zu bekommen. Darum ist
es wichtig, gemeinsam mit der Deutschen Bahn AG ein
solches Projekt zu kreieren und sie bei der Umsetzung zu
unterstützen.
({5})
Noch einige Kleinigkeiten, die etwas mit Sicherheit
zu tun haben: Es geht um die Sicherheit im Straßenverkehr und - im Falle der Notfallschlepper - in der See.
Das sind Haushaltsposten, die vielleicht gar nicht so auffallen. Sie müssen sich aber vor Augen führen, dass
demnächst große Containerschiffe - 400 Meter lang, mit
über 10 000 Containern mit Gefahrgut - oder große
Tankschiffe in der Nordsee bei Sturm plötzlich einen
Maschinenausfall haben können. Dann muss man in der
Lage sein, einen solchen „Jumbo“ auf den Haken zu
nehmen, und dazu braucht man die entsprechenden Geräte.
Insofern ist es klug, dass sich das Verkehrsministerium hierzu eindeutig positioniert hat. Wir werden in Zukunft ein Sicherheitskonzept für Nord- und Ostsee vorhalten, das sich sehen lassen kann.
Dies ist ein runder Haushalt. Er setzt Impulse. Er gibt
der Konjunktur Fahrt. Er unterstützt das, was wir in der
Bundesrepublik momentan brauchen. Ich glaube, wir
können mit einer gewissen Zufriedenheit sagen: Es ist
den Verkehrspolitikern mit Unterstützung der Haushaltspolitiker gelungen, dieses Segment des Gesamthaushalts
so zu gestalten, dass man damit ordentlich arbeiten kann.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
Nächster Redner ist der Kollege Volkmar Vogel,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Unsicherheiten durch die vorgezogenen Neuwahlen im vergangenen Jahr waren Gift für die Investitionen der öffentlichen
Hand, insbesondere für die des Bundes. Es ist höchste
Eisenbahn - darüber sind wir uns alle sicherlich einig -,
dass wir hier wieder für Sicherheit sorgen. Aber die Situation war schwierig; denn wir wollten keinen geschönten
Haushalt vorlegen. Es war daher notwendig, sicherzustellen, dass das, was wir machen wollen, zu finanzieren
und planungssicher zu realisieren ist. Das betrifft ganz
besonders den Einzelplan 12, der mit knapp 23,7 Milliarden Euro den Großteil der Bundesinvestitionen, aber
auch der Förderung im privaten Baubereich trägt.
Gerade die östlichen Bundesländer sind dringend
auf die Investitionen des Bundes angewiesen. Die Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ müssen wir planmäßig
und termingerecht zu Ende führen, nicht mehr, aber auch
nicht weniger.
({0})
Die A 20 entlang der Ostsee und die A 72, die Thüringen
mit Franken verbindet, sind beispielhafte Projekte, die
dafür sorgen, dass Wachstum und Beschäftigung entstehen. Sehr geehrte Frau Bluhm, Sie haben gesagt, der Osten sei vergessen. Ich mache Sie darauf aufmerksam,
dass dies nur zwei Beispiele aus dem Bereich der Verkehrspolitik sind, die belegen, dass der Osten nicht vergessen ist und dass wir schon viel erreicht haben. Wir
müssen uns nur daran erinnern. Angesichts der zugesagten 156 Milliarden Euro Solidarpaktmittel kann man erst
recht nicht davon sprechen, dass der Osten vergessen ist.
Im Gegenteil: Der Aufbau geht weiter.
({1})
Die Beispiele zeigen deutlich: Die Modernisierung
der Infrastruktur - auch in den neuen Bundesländern dient dem ganzen Land und eröffnet neue Chancen. Angesichts der aktuellen Diskussion möchte ich in aller
Deutlichkeit sagen: Die VDEs und die anderen Projekte,
die zu verwirklichen sind, sind noch nicht abschließend
realisiert. Ich erinnere nur an einige wichtige Straßenbauprojekte wie die A 73, die fertig zu stellen ist, die
A 38, die Hessen mit Sachsen über Thüringen verbindet,
sowie eine ganze Reihe von Ortsumgehungen und Zubringern, die Mensch und Umwelt entlasten. Auch das
ist Ziel unserer Verkehrspolitik. Zudem gibt es noch Lücken bei den Schienenverbindungen.
Neben all den wichtigen Straßenbauprojekten brauchen wir - davon bin ich, der ich als Thüringer in der
Mitte unseres Landes wohne, überzeugt - eine weitere
schnelle Nord-Süd-Schienenverbindung. Mit München-Nürnberg und Leipzig-Berlin haben wir dafür
wichtige Teilstücke fertig gestellt. Aber der Ausbau der
innerdeutschen Infrastruktur als Teil des transeuropäischen Verkehrsnetzes ist ein Standortfaktor für unser
Land und hat gleichzeitig eine große Bedeutung für die
Wettbewerbsfähigkeit der gesamten Europäischen Union.
Dabei darf Deutschland, die wirtschaftlich stärkste Nation innerhalb der EU, nicht zum Bremsklotz werden.
Die Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ 8.1 - Nürnberg-Erfurt - und 8.2 - Erfurt-Halle/Leipzig - sind
wichtige Abschnitte der europäischen Verbindung von
Palermo bis nach Stockholm; das hat Kollege Hübner
schon angesprochen. Der verbleibende Teil dieser Hochgeschwindigkeitsstrecke in unserem Land muss nun zügig in Angriff genommen werden. Der Verkehrsminister
hat dazu eine klare Vorgabe gemacht. Die Fertigstellung
soll bis 2016 erfolgen. Wir Verkehrspolitiker begrüßen
diese Zielstellung außerordentlich, gerade mit Blick auf
die neuen Bundesländer.
({2})
Die für den Einzelplan 12 vorgesehenen Mittel sind
sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung. Aber,
liebe Kolleginnen und Kollegen, es kommt jetzt darauf
an, die Finanzierung über das Jahr 2009 hinaus zu verstetigen. Dafür stellen wir jährlich circa 350 Millionen
Euro zur Verfügung. Ich gebe in diesem Zusammenhang
eines zu bedenken: Die EFRE- und die TEN-Mittel der
EU laufen 2013 aus. An diese Fakten muss die Gesamtfinanzierung gekoppelt werden, gerade mit Blick auf die
kostenintensiven Bauwerke.
Neben dem Personenverkehr bringt vor allem der
schnelle Güterverkehr, der dann auf dieser Nord-SüdSchiene möglich ist, Wettbewerbsvorteile für die Wirtschaft; er entlastet die Fernstraßen und ist aus unserer
Sicht auch ökologisch sinnvoll.
Dabei - auch daran muss man denken - wird die
Strecke Berlin-Rostock im Güterverkehr an Bedeutung
gewinnen. Der zunehmende Warenaustausch, auch mit
den baltischen Ländern, über die Seehäfen an der Ostsee
zwingt uns auf dieser Strecke zum Handeln.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, parallel zu den notwendigen Investitionen hat uns der Straßenbaubericht
2005 auf den Nachholebedarf im Bereich Reparaturen
und Modernisierung hingewiesen. Sehr geehrte Frau
Kollegin Lührmann, wenn Sie den Straßenbaubericht
2005 zitieren, müssen Sie auch zur Kenntnis nehmen,
dass der Zustand der Straßen sich nicht erst in den letzten sieben Monaten verschlechtert hat, sondern mindestens in den letzten sieben Jahren nicht besser geworden
ist.
({4})
Darüber besteht hier sicherlich Übereinstimmung. Da
müssen wir eine Lösung finden.
Aber nichtsdestotrotz: Wenn wir sowohl alle wichtigen Investitionen als auch die Reparaturen schultern
wollen, werden die konventionellen FinanzierungsVolkmar Uwe Vogel
methoden nicht mehr reichen. Mit privat finanzierten
Straßenabschnitten oder Bauwerken im Rahmen von
ÖPP-Projekten kann man Zeit kaufen. Außerdem gehört
nicht jeder Teil des Bahndammes unbedingt zur Fahrstrecke.
Die Zweckbindung der Straßenmaut als Finanzierungsinstrument muss weiter Bestandteil unserer Überlegungen
bleiben. Ebenso brauchen wir Rahmenbedingungen zur
Verbesserung der Kosteneffizienz. Diese Verbesserung
darf aber - das möchte ich an dieser Stelle betonen nicht immer nur zulasten der Betriebe und Bauarbeiter
gehen. Zum Beispiel das Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz, das wir in den nächsten Wochen auf den
Weg bringen werden, wird dafür sorgen, dass der Planungsaufwand konsolidiert wird. Schnelleres Genehmigen und Bauen spart Kosten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, gerade in den Regionen und Bundesländern mit hoher Arbeitslosigkeit brauchen wir die Baubranche weiterhin als Jobmaschine.
1 Milliarde Euro Investitionen mehr im Jahr bedeutet
25 000 Arbeitsplätze, 25 000 Existenzen, die gesichert
sind, 25 000 Familien, die ein Auskommen haben.
Auch nach dem Wegfall der Eigenheimzulage, den
ich persönlich nach wie vor bedaure, gibt der Einzelplan 12 wichtige Impulse für die Bauwirtschaft. So tragen 150 Millionen Euro für den Stadtumbau Ost maßgeblich dazu bei, den Strukturwandel unserer Städte zu
meistern. Das sind knapp 10 Prozent mehr als im vergangenen Jahr.
Die Erfolge in den östlichen Bundesländern haben
den Stadtumbau zu einem gefragten Instrument für die
westlichen Länder werden lassen. Seit 2004 unterstützt
der Bund auch den Stadtumbau im Westen. Die Mittel in
diesem Bereich sollen von derzeit 40 Millionen Euro bis
2009 auf 86 Millionen Euro steigen.
Gleichzeitig unterstützen eine ganze Reihe von Programmen - das Beispiel „Soziale Stadt“ wurde heute
schon genannt -, dass die verbleibenden Strukturen mit
attraktiven Wohnungen in einem guten sozialen Umfeld
den entsprechenden Zulauf an Mietern und Eigentümern
haben. Als gewollter Nebeneffekt helfen wir mit diesen
Programmen ganz besonders den ortsansässigen Handwerkern und der mittelständischen Bauwirtschaft, unterstützen also Strukturen, die gerade im Osten für die Erhaltung und Schaffung von Arbeitsplätzen eine sehr
wichtige Rolle spielen.
({5})
Das CO2-Gebäudesanierungsprogramm mit einem
Volumen von 1,4 Milliarden Euro pro Jahr wurde hier
schon von mehreren Kollegen erwähnt. Ich denke, das
ist ein wichtiges und sehr gutes Programm vor allen Dingen mit Blick auf die Arbeitsplätze, aber auch in Bezug
auf die Umwelt. Herr Minister, vielen Dank an Sie und
Ihre Mitarbeiter für die Zusammenarbeit im Rahmen der
Modifizierung des CO2-Gebäudesanierungsprogammes.
Gerade die Regelungen, die wir jetzt gefunden haben,
was die Baujahre betrifft, ab denen eine Förderung möglich ist, kommen vor allem Eigenheimbesitzern im Osten
zugute, vor allem denen, bei denen Anfang der 90erJahre ungeklärte Eigentumsverhältnisse herrschten oder
nicht die notwendigen finanziellen Mittel vorhanden waren. Von meiner Seite vielen Dank für die Unterstützung
dafür.
Ich wünsche mir - lassen Sie mich das abschließend
sagen -, dass wir diese gute Zusammenarbeit fortsetzen.
Ich habe einige Dinge genannt, die in den nächsten Monaten anstehen: die Finanzierung VDE 8.1/8.2, das Aufden-Weg-Bringen des Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetzes, ganz aktuell die Privatisierung der Bahn,
aber auch der notwendige Masterplan für den Luftverkehr, der in der nächsten Zeit eine große Rolle spielen
soll.
Also, liebe Kollegen, es gibt viel zu tun.
({6})
Gehen wir gemeinsam ans Werk!
Vielen Dank.
({7})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-
plan 12 - Bundesministerium für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung - in der Ausschussfassung. Hierzu lie-
gen drei Änderungsanträge vor, über die wir zuerst ab-
stimmen.
Zunächst geht es um den Änderungsantrag der Frak-
tion der FDP auf Drucksache 16/1868. Wer stimmt für
den Änderungsantrag der FDP? - Wer ist dagegen? -
Enthaltungen? - Dann ist dieser Änderungsantrag mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstim-
men der FDP-Fraktion, der Fraktion des Bündnisses 90/
Die Grünen und der Fraktion Die Linke abgelehnt.
Nun kommen wir zum Änderungsantrag der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 16/1869. Wer stimmt für den
Änderungsantrag der Fraktion Die Linke? - Wer ist da-
gegen? - Wer enthält sich? - Dann ist der Änderungs-
antrag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und
der FDP bei Enthaltungen der Grünen und Gegenstim-
men der Fraktion Die Linke abgelehnt.
Nun kommen wir zum Änderungsantrag der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 16/1870. Wer stimmt für den
Änderungsantrag der Fraktion Die Linke? - Wer ist da-
gegen? - Wer enthält sich? - Dann ist der Änderungsan-
trag bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke mit den
Stimmen aller übrigen Fraktionen abgelehnt.
Wer stimmt für den Einzelplan 12 in der Ausschuss-
fassung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist
der Einzelplan 12 mit den Stimmen der Fraktionen der
CDU/CSU und der SPD bei Gegenstimmen der Fraktio-
nen von FDP, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke an-
genommen.
Tagesordnungspunkt I.14 b: Interfraktionell wird Über-
weisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 16/1435 an
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? Ich
sehe: Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so
beschlossen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt I.15 auf:
a) Einzelplan 30
Bundesministerium für Bildung und For-
schung
- Drucksachen 16/1320, 16/1324 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Klaus Hagemann
Ulrike Flach
Michael Leutert
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Übereinkommen vom 11. April 1997 über die
Anerkennung von Qualifikationen im Hochschulbereich in der europäischen Region
- Drucksache 16/1291 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({0})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Zu dem Einzelplan liegen ein Änderungsantrag der
Fraktion der FDP sowie zwei Änderungsanträge der
Fraktion Die Linke vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich
sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Kollegin Ulrike Flach, FDP-Fraktion.
({1})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Jede Gesellschaft, die im Strukturwandel und im Wettbewerb Erfolg haben möchte, muss auf die drei Elemente
Bildung, Forschung und Innovation setzen. Ich vermute,
dass wir alle uns darüber sehr einig sind. Wir brauchen
ein strategisch gut aufgestelltes Bildungs- und Forschungsministerium, das im Zentrum einer ressortübergreifenden, wettbewerbsorientierten Innovationsstrategie steht.
({0})
Da fängt die Realität an.
({1})
Nach einem halben Jahr haben wir ein etwas gerupftes
Ministerium, das große Teile der Technologieförderung
an Herrn Glos verloren hat, der mit der bayerischen
Gießkanne die Mittel verteilt, und ein Bündel von Ankündigungen einer Hightechstrategie, die erst Ende des
Jahres 2006 haushälterisch greifen wird.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der großen Koalition, das Jahr 2006 ist verschenkt. Es kann und wird
keinen Innovationsimpuls geben. Sie, die Haushälter der
Koalition, haben das zu Recht erkannt und entsprechend
die Mittel für das Kernstück Ihrer Innovationsstrategie,
die Exzellenzinitiative, in Höhe von 42,5 Millionen Euro gestrichen. Sie könnten ohnehin nicht mehr in
diesem Jahr an die Hochschulen verteilt werden.
({3})
Das erste Jahr hat vor allem gezeigt, dass die große
Koalition enorme Probleme hat, eine gemeinsame Innovationsstrategie auf die Beine zu stellen. Was haben wir
bisher von Frau Schavan gehört? Ein bisschen über kerntechnische Sicherheitsforschung, ein bisschen über berufliche Bildung und natürlich ein bisschen über das
konsequente Festhalten an der Stichtagsregelung für die
Stammzellenforschung, obwohl Sie gerade wieder einmal von europäischer Ebene erfahren mussten, dass sich
Deutschland hier offenkundig in einer Sackgasse befindet.
({4})
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Hagemann?
Aber sicher.
Liebe Frau Kollegin Flach, ich habe eine Frage zu der
eben von Ihnen aufgestellten Behauptung, die Mittel für
die Exzellenzinitiative seien gestrichen worden. Ist Ihnen bekannt, dass Sie selbst zugestimmt haben, als nicht
die Streichung dieser Mittel - sie fallen unter die GMA
im Haushalt 2006 -, sondern ihre Verwendung im Haushalt 2007 beschlossen wurde? Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, ist dieser Beschluss sogar einstimmig erfolgt.
({0})
Lieber Herr Hagemann, wir hatten schon bei der letzten Debatte diesen kleinen Disput. Wenn Sie meinen
Worten richtig gelauscht haben - das empfiehlt sich bei
Liberalen immer -,
({0})
werden Sie mitbekommen haben, dass ich darauf verwiesen habe, dass Sie diese Mittel zu Recht gestrichen
haben, weil Sie in diesem Jahr nicht mehr zu Potte kommen. Sie brauchen die Mittel in diesem Jahr nicht! Das
heißt, die Innovationsstrategie im Jahr 2006 ist eine in
den Medien immer wieder positiv dargestellte Angelegenheit, bei der sich in der Realität - wir Haushälter erkennen das zuallererst - 2006 nichts bewegen wird.
Über 2007 reden wir demnächst, Herr Hagemann.
({1})
- Wenn Herr Hagemann wieder aufsteht, können wir
gerne weitermachen.
({2})
Ich war gerade dabei, anzuführen, was wir eigentlich
bisher von der Ministerin gehört haben. Zum Schluss
habe ich die Stichtagsregelung für die Stammzellenforschung angesprochen. Das war’s, Frau Schavan! Ansonsten überraschen Sie uns immer wieder mit Bemerkungen zu einem Thema, welches Ihrer eigenen
Meinung nach ein Unthema für eine Bundesministerin
sein sollte: die Bildungspolitik. Ich habe von Ihnen Äußerungen zum Schulschwänzen und zu Schuluniformen
gelesen. Ich habe mit Ihnen gemeinsam in den Medien
über das Sitzenbleiben diskutiert. Wenn ich aber zurückdenke, was Sie früher an dieser Stelle Frau Bulmahn angekreidet haben, denke ich mir: Die ehemalige KMKPräsidentin Annette Schavan wäre erschaudert, wenn sie
in der Vergangenheit diese Worte gehört hätte.
({3})
Das spiegelt sich natürlich im Haushalt wider: keine
Bündelung von Zielen, kein durchgängiges Motiv der
Förderung und vor allem kein Echo Ihrer eigenen Überzeugungen, Frau Schavan. Sie haben weder die alten rotgrünen Spielwiesen, zum Beispiel die Deutsche Stiftung
Friedensforschung, beerdigen können,
({4})
obwohl Sie allesamt immer erbittert dagegen gekämpft
haben, noch die hochgemuten Forderungen von Herrn
Willsch und Frau Reiche zum Thema Viadrina umsetzen
können, obwohl wir von diesen Forderungen immer wieder in der Zeitung gelesen haben. Schon gar nicht hatten
Sie den Mut, dort zu streichen, wo Sie nach Ihrer eigenen Meinung eigentlich sofort mit Streichungen hätten
herangehen müssen, nämlich dort, wo der Bund in Zukunft - ungeachtet aller Verhandlungen im Rahmen der
Föderalismusreform - wahrscheinlich nichts mehr zu sagen hat. Das betrifft zum Beispiel die Juniorprofessur
oder das Programm „Zukunft Bildung“, wo die Mittel in
der Vergangenheit nicht abgerufen worden sind.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Schirmbeck?
Gern.
Bitte, Herr Kollege.
Verehrte Frau Kollegin Flach, Sie werden sicherlich
wissen, dass 1648 in Osnabrück der Westfälische Friede
geschlossen worden ist.
Ist das jetzt ein Koalitionsangebot?
Die Bundesrepublik Deutschland hat deshalb die
Stadt Osnabrück als Standort für die Deutsche Stiftung
Friedensforschung auserkoren.
({0})
Glauben Sie, dass die Mittel, die wir zur Verfügung
zu stellen beabsichtigen, dort nicht optimal eingesetzt
werden? Ist die FDP gegen die Bereitstellung dieser Mittel?
Lieber Kollege Schirmbeck, ich kann verstehen, dass
Sie als Vertreter Ihres Wahlkreises diese Frage stellen.
So muss man einfach reden, wenn man aus der Region
Osnabrück kommt. Aber ich erinnere mich an völlig anders lautende Äußerungen Ihrer Kollegen zu diesem
Thema. Deswegen habe ich einfach einmal in Erinnerung gerufen, dass die Union genauso wie wir der Meinung war, dass wir in Deutschland beim Thema Friedensforschung bereits exzellent aufgestellt sind. Wir
brauchen keine neue Stiftung in diesem Bereich.
({0})
Hier wurde schlicht Geld in die Hand genommen, nur
um ein rot-grünes Hobby zu bedienen.
({1})
Die Osnabrücker werden sicherlich jetzt sehr zufrieden
mit Ihnen sein.
Frau Schavan, in den Bereichen, die ich eben genannt
habe, haben Sie nicht gehandelt. Wir haben dies getan.
Allerdings haben wir die Gelder nicht gestrichen, sondern wir haben sie ganz bewusst in Bereiche umgeschichtet, die wir für wichtig halten. Wir setzen einen
Schwerpunkt bei Gesundheit und Medizin. Für diesen
Bereich wollen wir fast 40 Millionen Euro mehr ausgeben als Sie. Ich glaube, Besseres kann man in einer alternden Gesellschaft, in der wir nun leider leben, nicht
tun.
({2})
Wir haben dort Kürzungen vorgeschlagen, wo Sie uns
seit Monaten mit einer Vorankündigung hinhalten, nämlich bei der so genannten Hightechstrategie. Sie wollen
15 Millionen Euro ausgeben, um „Brücken zwischen
Forschung und Zukunftsmärkten“ zu schlagen und
Leuchttürme zu entwickeln. Das ist eine Wortblase, Frau
Schavan. Warum schauen Sie eigentlich nicht, wie es in
anderen Ländern läuft?
Sie kennen doch wahrscheinlich den Lambert-Report
und wissen, wie die Engländer mit diesem Thema umgegangen sind. Dort haben eben nicht monatelang Politiker
vor sich hingebrütet und überlegt, was man einem Land
Gutes tun kann. Dort ist mithilfe externer Expertise ein
Report erstellt worden, der uns vom Stifterverband für
die Deutsche Wissenschaft zu Recht als großes Beispiel
vorgehalten wird. Sie hätten schon längst dem englischen Beispiel folgen können. Dann müssten wir nicht
bis zum Juli warten, um endlich weiterzukommen.
({3})
Da ich mich dem Ende meiner Redezeit nähere,
möchte ich eine weitere Sache erwähnen, die in England
gut gelaufen ist. Es geht um die Forschungsprämie.
({4})
Zum Schluss möchte ich mich dafür bedanken, dass es
die Kollegen von der CDU/CSU, nachdem sie monatelang, ja fast jahrelang gegen die Forschungsprämie, die
von der FDP vorgeschlagen wurde, gezetert haben
- Frau Pieper weiß das so gut wie ich -, nun mit einer
Art Raubkopie geschafft haben, genau dieses Modell
dem deutschen Volke als ein besonderes Wunder zu präsentieren.
({5})
Das reicht bis hin zu den Zahlen, die wir zusammen mit
dem BDI ausgerechnet haben. Das ist eine tolle Leistung
von Ihnen. Ich bin erfreut, dass Sie dahin gekommen
sind. Dem werden wir sicherlich zustimmen. Aber es
wäre viel schöner, wenn ein entsprechender Vorschlag
bei uns auf dem Tisch liegen würde, Frau Schavan.
({6})
Wir werden Ihnen da entgegenkommen. Sie bekommen unseren Antrag in der nächsten Woche. Dann können wir über diesen wichtigen Teil der deutschen Forschungspolitik gerne diskutieren.
({7})
Nächster Redner ist der Kollege Klaus-Peter Willsch,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Lieber Herr Tauss! Frau Flach, es könnte nicht
schaden, wenn wir in dieser Debatte einmal zum Ausdruck bringen würden, dass wir bei diesem Thema fachlich sehr nah beieinander liegen und dass wir alle um
seine große Bedeutung wissen. Das wäre eleganter gewesen als Ihre krampfhaften Versuche, doch noch etwas
zu finden, was Ihrer Rolle als Opposition gerecht werden
könnte.
({0})
Hätten Sie einfach gesagt: Wir hätten das genauso gemacht, wenn wir mit der CDU/CSU die Koalition gebildet hätten - was uns ganz lieb gewesen wäre -, dann
hätte das eine gute Signalwirkung in der Öffentlichkeit
erzielt. Aber ich verstehe, dass man, wenn man die Oppositionsrolle spielen muss, dann, wenn die Regierung
etwas vorgelegt hat, in den Krümeln sucht, um irgendetwas zu finden.
Ich will auf einige Argumente, die während der ersten
Lesung zum Einzelplan 30 im März gebracht wurden,
noch einmal eingehen. Es gab da den durchaus verständlichen Wunsch, noch mehr in diesem Bereich zu tun.
Uns eint im Hause die Erkenntnis, dass Forschung und
Entwicklung in den Mittelpunkt unserer Bemühungen
gestellt werden müssen; denn hier können wir auf Feldern säen, auf denen wir später einmal die Ernte in Form
von Beschäftigungsmöglichkeiten und Arbeitsplätzen
einfahren wollen.
({1})
Zur Haushaltsdebatte gehört aber natürlich, alles in den
großen Rahmen zu stellen und aufzuzeigen, in welch
schwieriger Situation wir uns befinden, gerade auch mit
Blick auf die Öffentlichkeit, die dieser Debatte folgt.
Wir haben bei einem Bruttoinlandsprodukt von etwa
2,25 Billionen Euro inzwischen eine aufgelaufene Gesamtverschuldung über alle Ebenen dieses Landes von
über 1,5 Billionen Euro. Das sind rund 67 Prozent des
Bruttoinlandsprodukts. Im Mittelpunkt der Diskussion
über den europäischen Stabilitätspakt steht immer das
3-Prozent-Kriterium, bezogen auf die Nettoneuverschuldung eines Jahres. Dieses konnten wir seit fünf Jahren
nicht einhalten. Das zweite Kriterium des Stabilitätspaktes fordert, die Gesamtverschuldung unter 60 Prozent
des BIP zu halten. Das haben wir nicht geschafft. Dahin
müssen wir erst wieder kommen. Insofern arbeiten wir
unter äußerst restriktiven Bedingungen. Gleichwohl
können wir alle miteinander, die wir in irgendeiner
Weise für den Forschungsbereich Verantwortung tragen,
froh sein, dass diese Regierung unter der Führung von
Bundeskanzlerin Angela Merkel für den von Frau
Dr. Schavan verantworteten Bereich die Zeichen der Zeit
erkannt hat und im richtigen Bereich Gas gibt, um es
einmal so zu formulieren.
({2})
Die Nettoneuverschuldung liegt bei mehr als
38 Milliarden Euro. In etwa so viel müssen wir bei günstiger Zinssituation für Zinszahlungen aufwenden. Auch
damit will ich die haushaltswirtschaftliche und finanzpolitische Krise unseres Landes noch einmal deutlich machen. Wir müssen aus dieser Schuldenfalle heraus.
Heute entfallen auf jeden Kopf der Bevölkerung, ob
Säugling oder Greis, 17 600 Euro Schulden. Das müssen
wir ändern. Aber gerade in dem Bereich, über den wir
jetzt reden, dürfen wir uns nicht kaputtsparen, sondern
müssen dafür sorgen, dass durch Investitionen und entsprechendes Engagement heute Zukunftschancen eröffnet werden. Das sage ich, weil wir natürlich in diesem
Bereich gerne noch mehr machen würden.
Man muss aber auch die Umsetzungsmöglichkeiten
sehen. Diese haben wir beim Erwirtschaften der Globalen Minderausgabe berücksichtigt; es macht ja keinen
Sinn, etwas zu veranschlagen, das in diesem Jahr nicht
abfließt. Nur sollten wir der Redlichkeit halber - der
Kollege Hagemann hat in einer Zwischenfrage darauf
aufmerksam gemacht - mitteilen, dass wir bei den vereinbarten Größenordnungen bleiben und lediglich das,
was dieses Jahr im Rahmen der Exzellenzinitiative nicht
an die Hochschulen abfließen kann, auf die Folgejahre
verschieben werden.
Wir haben also nach meinem Dafürhalten die Schwerpunkte richtig gesetzt. Wir haben mit dem Einzelplan 30
ein stimmiges Gesamtkonzept vorgelegt. Der Aufwuchs
beträgt hier über 5 Prozent; damit liegt der Ansatz über
8 Milliarden Euro. Wir investieren damit so viel in Forschung, Entwicklung und Bildung wie noch nie zuvor in
diesem Land.
({3})
Wir wollen das nicht alleine machen, wir können es auch
nicht alleine machen. Das Ziel ist, dass die Ausgaben für
Forschung und Entwicklung einen Anteil von 3 Prozent
am Bruttoinlandsprodukt erreichen. Um die Steigerung
von 2,5 auf 3 Prozent zu bewältigen, liegt noch ein Stück
Weg vor uns. Das schaffen wir nur, wenn die Länder
mitziehen - ich bin sicher, sie werden das tun; in einigen
Bereichen ist das vereinbart - und wenn die Wirtschaft
ebenfalls ihren Teil dazu beiträgt. Das ist Voraussetzung
dafür, um auf diese Maßzahl von 3 Prozent, die wir definiert haben und in überschaubarer Zeit erreichen wollen,
zu kommen. Wenn wir über Forschungsprämien nachdenken - ich verstehe wiederum nicht, warum Sie, Frau
Flach, da einen kritischen Unterton anbringen; ich habe
mich gefreut, davon zu lesen -, um den Anreiz für kleine
und mittlere Unternehmen, sich der marktbezogenen
Forschungsmöglichkeiten der Universitäten zu bedienen, und den Anreiz für Forschungseinrichtungen und
Universitäten zur Kooperation zu erhöhen, dann ist das
ein weiterer Schritt auf dem Weg, die 3-Prozent-Marke
zu erreichen.
({4})
Ich erwähne das alles, weil es schwierige Bedingungen sind, unter denen sich unsere Politik bewegt. Wir
müssen die Weichen in Richtung Zukunft stellen. Wir
müssen aber auch einen Zug auf das Gleis setzen und sehen, dass sich dieser Zug in Bewegung setzt.
4 Milliarden Euro aus dem 25-Milliarden-Investitionsprogramm entfallen auf den Bereich des BMBF, weitere
2 Milliarden Euro auf Bildung und Forschung in anderen
Ressorts. Die Gesamtkoordination und Federführung liegen beim BMBF. Insofern ist auch diese Teilkritik von
Ihnen, Frau Flach, ziemlich konstruiert.
({5})
Wir setzen mit dem, was wir vorgelegt haben, einen
Meilenstein, um in Sachen Wissenschaft und Forschung
an die Spitze zurückzukommen. Wir sollten bei dieser
Gelegenheit all denen, die daran mitwirken, angefangen
von der Bundeskanzlerin über Frau Ministerin Schavan
bis hin zu den Mitarbeitern des ganzen Hauses, ein ganz
herzliches Dankeschön sagen. Ihre Arbeit zeigt, dass die
Aufgaben der Zeit erkannt worden sind und die Weichen
richtig gestellt werden.
({6})
- Wir haben heute unsere Stunde, Herr Tauss, und wir
werden heute die Mittel dafür zur Verfügung stellen. Das
ist notwendig und wichtig und dafür ist das Parlament
da.
({7})
Auch die Geistes- und Sozialwissenschaften erfahren mit einer 13-prozentigen Steigerung eine nachhaltige
Förderung. Wir müssen in Zeiten, in denen Menschen
nach Orientierung suchen, auch im Wissenschaftssystem
einen Beitrag zu Sinnstiftung und Orientierung leisten.
Das hat in Deutschland eine große Tradition.
Wir haben ein Problem in Deutschland - die „FAZ“
hat heute darüber berichtet -: Existenzgründer aus dem
Hightechbereich haben Probleme, Erkenntnisse der Forschung schnell genug in marktfähige Produkte umzusetzen. An diesem Punkt setzt die Hightechinitiative der
Bundesregierung an, die im Juli verabschiedet werden
wird. Viele Details sind schon erkennbar und es wird
deutlich, was auf uns zukommen wird. Wir sollten noch
die wenigen Wochen, bis das Kabinett die Initiative beschlossen und vorgestellt hat, die nötige Geduld aufbringen,
({8})
Meldungen, dass Gründer von Hightechunternehmen in
Deutschland Schwierigkeiten haben, schnell mit Produkten auf den Markt zu kommen, weil die Übermittlung
der Forschungsergebnisse aus den Hochschulen nicht
schnell genug gelingt, sollten der Vergangenheit angehören. Wir brauchen dieses Tempo beim Übergang von der
wissenschaftlichen Erkenntnis zur Herstellung von
marktfähigen Produkten.
({9})
Wir reden über die Zukunftsfähigkeit unseres Landes.
Schauen Sie sich die Begeisterungsfähigkeit unserer Bevölkerung an! Wir leiden vielleicht im Moment etwas
darunter, weil auch das Spiel Italien gegen Tschechien
seine Reize hat. Schauen Sie sich an, was sich in unse3770
rem Land angesichts der Fußballweltmeisterschaft gegenwärtig abspielt!
({10})
Schauen Sie sich die Begeisterungsfähigkeit gerade der
jungen Menschen und ihre unverkrampft positive Einstellung zu unserem Vaterland an, die sich hier um den
Reichstag manifestiert!
Wir haben tolle junge Leute in unserem Land, denen
wir Gelegenheit geben müssen, an Universitäten und
Forschungseinrichtungen ihre herausragenden Fähigkeiten zur Entfaltung zu bringen. Wir müssen dafür sorgen,
dass die entsprechenden Voraussetzungen vorhanden
sind. Damit garantieren wir für die Zukunft Arbeitsplätze auch in der Industrie.
({11})
Nur so werden wir den jungen Spitzenkräften die Möglichkeit eröffnen, unser Land an die Weltspitze zurückzuführen. Nur so werden sie in der Lage sein - damit
komme ich auf meine Eingangsbemerkung zurück -, den
Deckel zu bezahlen, den wir an der Theke für sie hinterlegt haben, die Folge von 35 Jahren zunehmend verantwortungsloser Verschuldungspolitik.
Ein besonderer Schwerpunkt ist der Hochschulpakt;
dies wurde schon angesprochen. Ich denke, dass wir mit
dem Beschluss der Föderalismusreform in der nächsten
Woche auch in diesem Bereich abschließend Klarheit
bekommen.
Die Exzellenzinitiative Spitzenförderung von
Hochschulen wird mit einer Verzögerung starten. Das
wollten wir alle so. Wir wollten nicht, dass quasi vom
Feldherrenhügel festgelegt wird, was Exzellenz ist, sondern dass sich das im Wettbewerb herausbildet und die
Mittel entsprechend vergeben werden.
({12})
Darum haben wir gesagt: Wir geben etwas mehr Zeit
und führen in Ruhe die Wettbewerbsrunden an den
Hochschulen durch. Die Mittel dafür werden aber in voller Höhe zur Verfügung gestellt, so wie wir es zugesagt
haben. Es macht doch keinen Sinn, so zu tun, als wenn
wir dieses Jahr schon schießen könnten. Das ist ein
wichtiger Bereich, den wir mit Hochdruck angehen und
als Kernstück unserer Arbeit ansehen.
({13})
Lassen Sie mich zum Schluss kommen.
({14})
Die Leistung, die wir im Rahmen dieser Haushaltsplanberatungen und der Vorbereitung durch das Haus insgesamt zustande gebracht haben, macht zuversichtlich. Zuversicht ist die treibende Kraft für Fortschritt in der
Gesellschaft und der Wissenschaft.
Herr Kollege Willsch, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme zum Schluss. - Wir neigen in Deutschland gelegentlich zur Tiefstapelei und zum Nörgeln. Das
sind keine Eigenschaften, mit denen man vorwärts kommen könnte.
({0})
Wir brauchen Optimismus und Zuversicht. Ich glaube,
dass wir dadurch, dass wir den Schwerpunkt genau auf
diesen Bereich legen, genau das Richtige für unser Land
tun. Wir geben damit gerade an die junge Generation ein
Zeichen der Zuversicht und des Optimismus. Das ist
wichtig. Nur so können wir vorwärts kommen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({1})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Cornelia Hirsch von
der Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei
all den genannten Zahlen darf aus unserer Sicht eine Sache nicht aus dem Blick geraten: In bildungspolitischen
Studien und Untersuchungen wird regelmäßig nachgewiesen, dass Armut in diesem Land erblich ist und dass
sie durch unser Bildungssystem zementiert und immer
weiter verschärft wird.
({0})
Der Haushaltsentwurf 2006 bietet für diese Herausforderungen wieder einmal keine Lösungen. Erstens
bleiben die öffentlichen Ausgaben für die Bildung weiterhin viel zu niedrig und zweitens können wir, wie wir
schon bei der Einbringung des Haushalts angemerkt haben, immer noch keine klare Schwerpunktsetzung bei
der Unterstützung struktureller Reformen, die die Aufhebung der sozialen Ungleichheit zum Ziel haben, erkennen. Eben das ist der Grund für unseren Änderungsantrag „Zukunft Bildung“.
Ich will Ihnen einige Beispiele nennen, was getan
werden müsste und mit den von der Bundesregierung
veranschlagten Bundesmitteln auch getan werden
könnte, um die Chancengleichheit im Bildungssystem zu
verbessern:
Erster Punkt. Die frühkindliche Erziehung. In allen
Fraktionen wird davon geredet, wie wichtig sie ist. Ein
erster Ansatz, um sie auch qualitativ aufzuwerten, wäre
eine grundlegende Reform der Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern. Hier könnte an erfolgreiche Modellprojekte an Fachhochschulen angeknüpft werden.
({1})
Zweiter Punkt. Die Schule. Auch wenn die Union es
immer noch nicht wahrhaben will, ist es mittlerweile
mehr als offensichtlich, dass das gegliederte Schulsystem ausgrenzt und selektiert, anstatt zu fördern.
({2})
Wir brauchen Geld für eine strukturelle Fortentwicklung. Ein erster Ansatzpunkt könnte das von Rot-Grün
gestartete Ganztagsschulprogramm sein.
Dritter Punkt. Geschlechtergerechtigkeit. Erste geschlechtsspezifische Auswertungen zur Studienreform
zeigen, dass Frauen deutlich häufiger als Männer die
Hochschulen schon nach dem Bachelor verlassen. Hier
müsste man gegensteuern, doch stattdessen werden die
Mittel für das erfolgreiche Programm „Chancengleichheit für Frauen in Forschung und Lehre“ in diesem Jahr
um rund ein Sechstel gekürzt.
Vierter Punkt. Die Internationalisierung. Auf der
Tagesordnung steht heute - darauf ist schon hingewiesen
worden - gemeinsam mit dem Haushaltsentwurf das
Übereinkommen über die Anerkennung von Qualifikationen im Hochschulbereich in der europäischen Region.
Die Ratifizierung dieses Übereinkommens ist auch aus
unserer Sicht ausdrücklich zu begrüßen und längst überfällig. Wichtig ist aber, dass den Worten auch Taten und
vor allem auch Euros folgen. Ansonsten ist zu befürchten, dass der Bundestag das Übereinkommen zwar ratifiziert, danach an den Hochschulen aber, weil die finanziellen Mittel fehlen, nur eine Umsetzung à la carte
erfolgt. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD
und der Union, auf Grundlage unserer jetzigen Verfassung hätten Sie die Möglichkeit, solche Programme zu
entwickeln, zu finanzieren und durchzuführen. Wir halten es für unverantwortlich, dass diese Möglichkeit auch
in diesem Jahr wieder nicht genutzt wird.
({3})
Noch fataler wäre es - darauf müssen wir aufgrund
der Aktualität hinweisen -, wenn diese Möglichkeiten
zukünftig sogar grundgesetzlich verboten wären. Denn
genau das ist im jetzigen Entwurf zur Föderalismusreform vorgesehen. Wir möchten die Gelegenheit hier nutzen, um an die Vernunft aller Beteiligten zu appellieren,
uns allen noch etwas mehr Zeit zur Beratung zu geben
und die Weichen nicht vorschnell in eine falsche Richtung zu stellen.
Für uns ist klar: Ein Mehr an Chancengleichheit im
Bildungssystem setzt strukturelle Reformen voraus.
Diese zu entwickeln und umzusetzen ist eine gemeinsame Aufgabe von Bund und Ländern und muss es auch
bleiben. Wir alle dürfen deshalb nicht zulassen, dass die
bisherige Gemeinschaftsaufgabe „Bildungsplanung“ in
eine reine Berichterstattungs- und Informationskompetenz umgewandelt wird und von Bund und Ländern
keine gemeinsamen Schlussfolgerungen mehr gezogen
werden dürfen.
Wir dürfen auch nicht zulassen, dass der Bund den
Ländern keine finanziellen Mittel mehr für die vorschulische und die schulische Bildung zur Verfügung stellen
kann. Im Bereich der Hochschulen scheint es in dieser
Frage erfreulicherweise - an dieser Stelle ein ausdrücklicher Dank an die SPD - Bewegung zu geben. Aber klar
ist auch, dass das natürlich bei weitem nicht ausreicht.
({4})
Schon jetzt führen die Länder ihre leeren Kassen als
Argument an, um die Verantwortung für die Bildungsfinanzierung mehr und mehr auf die Einzelnen zu übertragen. Die Folgen sind Einführung von Kindergartengebühren, Einschränkung der Lernmittelfreiheit, Anstieg
des Bedarfs an privater Nachhilfe und vor allem auch die
Einführung von Studiengebühren. Durch solche Maßnahmen wird sich die soziale Ungleichheit im Bildungssystem nur noch weiter verschärfen.
Wir sagen stattdessen: Die Ausgaben für Bildung
müssen steigen. Bund und Länder müssen in allen Bildungsphasen weiterhin gemeinsam die Möglichkeit zur
Finanzierung haben. Wir sagen, dass die gemeinsame
Bildungsplanung von Bund und Ländern nicht abgeschafft werden darf, sondern erhalten und deutlich ausgebaut werden muss. Ziel sind strukturelle Reformen:
weg von einem Bildungssystem, das ausgrenzt und selektiert, hin zu einem integrativen Bildungssystem, das
jedes einzelne Kind und jeden einzelnen Jugendlichen
individuell fördert.
({5})
Schließlich muss die öffentliche Verantwortung für
das Bildungswesen gesichert werden. Ein Schritt in
diese Richtung wäre, die Gebührenfreiheit im Bereich
der Bildung im Grundgesetz zu verankern. Wir finden es
erschreckend, dass Diskussionen über solche Forderungen nicht einmal mehr stattfinden. Die aktuellen Proteste
der Studierenden in immer mehr Bundesländern gegen
die Pläne, Studiengebühren einzuführen, weisen in eine
andere Richtung. Aus diesem Grund haben diese Proteste unsere volle Unterstützung und Solidarität.
({6})
Vielen Dank.
({7})
Das Wort hat jetzt der Kollege Klaus Hagemann von
der SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir einen roten Faden
in der Debatte dieser Woche suchen, dann ist es sicher
die Diskussion über das Staatsverständnis und die Kritik
der Staatsaufgaben. Dies hat in den letzten Tagen bei allen Beratungspunkten eine Rolle gespielt. Auf der einen
Seite steht der schwachbrüstige Nachtwächterstaat und
auf der anderen Seite der starke Staat, der genügend Einnahmen hat, um insbesondere bei Bildung und Forschung - darüber diskutieren wir hier - seine Aufgaben
erfüllen zu können.
Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten vertreten den letzten Standpunkt. Wir wollen einen starken
Staat, um zum einen ein Maximum an Chancengerechtigkeit zu erreichen und für Bildungschancen für alle
Schichten zu sorgen. Um alle Schichten zu erreichen, haben wir, Frau Hirsch, gerade beim BAföG Erhebliches
geleistet und diesen Bereich verbessert. Das wollte ich
noch einmal herausstellen.
({0})
Wir brauchen zum anderen einen starken Staat, der
genügend Einnahmen hat, um die Zukunftsfähigkeit unseres Landes zu sichern, damit Forschung und Entwicklung vorangebracht werden können. Deswegen hat die
SPD seit 1998, seitdem wir wieder die Regierungsverantwortung tragen, darauf geachtet, dass gerade die Mittel im Einzelplan 30 - Bildung und Forschung - kontinuierlich stark aufgestockt wurden. Es wurden also
regelmäßig mehr Mittel für den Bildungs- und Forschungsbereich zur Verfügung gestellt.
({1})
In dieser guten Kontinuität stehen wir auch jetzt, da es
um den Einzelplan 30 des Haushalts 2006 geht. Gemeinsam mit unserem Koalitionspartner haben wir mehr Geld
zur Verfügung gestellt. Wir haben also nicht nur den Status quo erhalten, sondern die Mittel sogar erheblich erhöht.
({2})
Viele Beschlüsse, die in der letzten, der 15. Legislaturperiode gefasst worden sind, finden nun in diesem
Einzelplan für das Jahr 2006 ihre Ansätze. Hier finden
sie ihren Niederschlag und verdeutlichen die politische
Dividende. Sicherlich erinnern Sie sich, dass manche
dieser Beschlüsse insbesondere im Bundesrat sehr hart
umkämpft waren.
Ich darf Beispiele nennen: Hart umkämpft war aufgrund steigender Studierendenzahlen die verstärkte Förderung der Studierenden durch das Bundesausbildungsförderungsgesetz;
({3})
das habe ich gerade erwähnt. Ähnliches gilt für das
Meister-BAföG, das in diesem Zusammenhang auch erwähnt werden muss. Ebenfalls muss das sehr erfolgreiche Ganztagsschulprogramm in Erinnerung gerufen werden. Ich bin froh, dass wir es fortführen. Das ist im
Koalitionsvertrag vereinbart worden.
({4})
Die Exzellenzinitiative - wir haben eben schon über
sie diskutiert, Frau Flach -, die in der letzten Legislaturperiode beschlossen worden ist, findet nun ihren Niederschlag und wird eingeleitet. Auch der Pakt für Forschung und Innovation sei erwähnt. Die dafür
bereitgestellten Mittel wurden um 3 Prozentpunkte erhöht.
Die Krone des Ganzen ist das 6-Milliarden-Euro-Programm für Forschung und Entwicklung, das für den
Zeitraum von 2006 bis 2010 angelegt ist; vor zwei, drei
Wochen haben wir darüber diskutiert. Daher brauche ich
jetzt nicht sehr ausführlich darauf einzugehen; das haben
wir bereits getan.
Wir haben Wert darauf gelegt, dass diese Arbeit in
diesem Jahr nicht verloren geht. Denn es ist schon Ende
Juni. Die Verpflichtungsermächtigungen haben wir bereits freigegeben, damit die Mittel schnellstmöglich vergeben, die Bescheide verschickt und die Forschungsarbeiten an den Instituten eingeleitet werden können.
Das wollen wir und das haben wir unterstützt.
({5})
Ich bin dankbar, dass unsere Politik auch in der Wissenschaftscommunity Anklang findet. Lassen Sie mich
den Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Professor Winnacker, zitieren. Der „Süddeutschen Zeitung“ sagte er:
Die Regierung sagt nicht nur, dass sie sechs Milliarden Euro mehr für die Forschung ausgeben will, sie
tut es auch.
Herr Professor Winnacker hat Recht.
({6})
Insgesamt stehen in diesem Jahr 7,2 Milliarden Euro
- ich wiederhole: 7,2 Milliarden Euro - für Forschungsausgaben zur Verfügung. Allerdings ist nicht der gesamte Betrag im Einzelplan 30 enthalten. Hier sind es
4,2 Milliarden Euro. Die restlichen 3 Milliarden Euro
- Kollege Willsch hat schon darauf hingewiesen - sind
in anderen Einzelplänen etatisiert.
({7})
- Ja. Wir können mit dem Vollzug des Haushalts 2006
erst verspätet beginnen. Es ist klar, dass die entsprechenden Programme erst später starten.
({8})
- Damit es schneller geht, haben wir die VEs schon freigegeben, auch für den Einzelplan 09. Ich bin überzeugt,
dass dies auch im Hinblick auf den Einzelplan 30 zügig
geschehen kann.
({9})
Lassen Sie mich noch einen Gedanken zur Ressortforschung äußern. Auf Initiative der SPD-Fraktion haben wir schon in der letzten Legislaturperiode im Haushaltsausschuss beschlossen, dass die Ressortforschung,
also die Forschung, die von den einzelnen Ministerien
ausgeht, evaluiert werden soll, um festzustellen, wo es
Schwachstellen gibt und wo gute Ergebnisse erzielt werKlaus Hagemann
den. Die ersten Ergebnisse liegen nun vor. Es gibt Einrichtungen, die top sind, und es gibt Einrichtungen, die
nicht gerade top sind.
Wir legen Wert darauf, dass die Ressortforschung
nicht nur auf 13 Einrichtungen, sondern auch auf die
restlichen Einrichtungen in diesem Bereich ausgedehnt
wird, und dass wir dann, wenn die Detailberichte des
Wissenschaftsrates vorliegen, darüber diskutieren und
die notwendigen Konsequenzen ziehen, damit wir die
Mittel gezielt für die Forschung einsetzen können.
Meine Damen und Herren, unsere Beratungen und
Diskussionen im Haushaltsausschuss hinsichtlich des
Einzelplans 30 haben sehr viel Spaß gemacht. Deswegen
möchte ich als Hauptberichterstatter allen Kolleginnen
und Kollegen, Ihnen, Frau Ministerin, und Ihrem Haus
für die gute Zusammenarbeit danken.
Herr Kollege Hagemann, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Flach?
Der Kollegin Flach immer.
Bitte schön.
Danke schön, Herr Kollege. - Wie Sie sicherlich wissen, haben wir, als es in der Vergangenheit um die Evaluierung der Ressortforschung ging, über alle Fraktionsgrenzen hinweg immer die gleiche Meinung vertreten:
Sie muss evaluiert werden. Es gab allerdings zwischen
uns und dem Rest des Hauses immer einen deutlichen
Unterschied. Wir haben immer gesagt: Diese Evaluierung muss ergebnisoffen sein. Das heißt, wenn ein Institut wirklich als schlecht bewertet wird, darf es nicht
mehr zur Ressortforschung gehören, es muss in die Freiheit entlassen werden und auf eigenen Beinen stehen und vielleicht sogar geschlossen werden. Sie haben gerade wieder betont, dass Sie weiter evaluieren werden,
was wir im Prinzip begrüßen. Deswegen meine Frage an
Sie: Sind Sie bereit, ein Institut, für das so schlechte Ergebnisse vorgelegt wurden, wie das beim Bundesamt für
Strahlenschutz der Fall war, zu schließen bzw. es aus der
Ressortforschung zu entlassen, sodass es sich in der
freien Forschungswelt bewähren muss?
Zunächst einmal: Wir haben den Wissenschaftsrat beauftragt, 13 Einrichtungen zu evaluieren. Das ist geschehen und die Ergebnisse liegen vor. Wie ich eben ausgeführt habe, gibt es Ergebnisse, die top sind, und
Ergebnisse, die, um es diplomatisch auszudrücken, nicht
ganz so top sind.
({0})
Der Haushaltsausschuss ist sich, wenn ich mich richtig
erinnere, einig gewesen, dass über Konsequenzen nachgedacht werden muss. Das können wir aber erst tun,
wenn die Berichte im Detail vorliegen; denn wir können
nicht nur anhand von Presseberichten oder Kurzberichten eine Entscheidung treffen. Wenn die Detailberichte
des Wissenschaftsrates vorliegen, müssen wir über sie
breit diskutieren und können dann über Konsequenzen
nachdenken. Das war die Grundlage dessen, was der
Haushaltsausschuss festgelegt hat.
({1})
Ich sprach eben über die gemeinsamen Beratungen,
die recht fair und zum Teil auch freundschaftlich verlaufen sind. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang einige Anträge der FDP ansprechen. Frau Flach, Sie haben
vorhin vergessen, die Monstranz, die Sie immer vor sich
her tragen, Ihre Streichliste, hoch zu halten.
({2})
Lassen Sie mich unterstreichen: Sie wollten - Sie haben
es vorhin kurz angesprochen - die Mittel für den Aktionsplan „Hightechstrategie“ einfach um 12 Millionen
Euro kürzen. Sie haben - das gibt mir zu denken - die
Mittel für das Sonderprogramm Ost zur Schaffung von
Ausbildungsplätzen in Ostdeutschland um 6 Millionen
Euro kürzen wollen - und das bei der derzeit bestehenden schwierigen Ausbildungsplatzsituation.
Oder nehmen wir den Eingliederungstitel, der nicht
im Einzelplan 30 enthalten ist: Diesen Eingliederungstitel wollten Sie um 3 Milliarden Euro zurückfahren.
Dabei wissen wir, dass gerade die unter 25-Jährigen
hiervon, was ihre Qualifizierung und Ausbildung angeht,
sehr stark profitieren. Eine Kürzung wäre zu ihrem
Schaden.
({3})
Deswegen frage ich mich, ob es sinnvoll ist, Ihr „Liberales Sparbuch“ immer wieder als Monstranz vor sich her
zu tragen.
Herr Kollege Hagemann, erlauben Sie eine weitere
Zwischenfrage der Kollegin Flach?
Ja, da gewinne ich noch ein bisschen Zeit.
Bitte schön.
Herr Kollege Hagemann, der letzte Teil, zu dem Sie
etwas gesagt haben, betrifft zwar nicht diesen Haushalt.
Aber Sie haben ihn angeführt; deswegen möchte ich für
meine Fraktion an dieser Stelle klarstellen: Wir wollen
bei den Eingliederungshilfen keine Mittel streichen,
nicht, weil wir der Meinung wären, dass das alles sinnvoll sei, sondern weil diese nicht abgerufen wurden und
wir davon ausgehen, dass das auch für den Rest des Jahres so bleiben wird. Sind Sie bereit, das anzuerkennen?
Wir haben von Ihrem Fraktionsvorsitzenden - haben Sie
das nicht mitbekommen? - auf unsere Frage, was Sie mit
diesen Geldern vorhaben, keine Antwort bekommen.
Das heißt, Sie haben sich hier nichts anderes als eine
Sparbüchse geschaffen. Genau das prangern wir an.
({0})
Zur Schaffung zusätzlicher Ausbildungsplätze in den
neuen Ländern. Ist Ihnen denn nicht bekannt - ich kenne
Sie gut genug, um zu wissen, dass Ihnen das bekannt ist -,
({1})
dass die Istzahlen des letzten Jahres bei 77 Millionen
Euro lagen? Diese Gelder wurden nicht ausgeschöpft.
Warum wollen Sie diese Mittel jetzt noch um 30 Millionen Euro erhöhen, wenn sie doch in diesem Jahr nicht
einmal in der Lage waren, das auszugeben, was im Etat
vorgesehen war?
({2})
- Aber sie ist berechtigt.
Das ist ja fast eine Korede, die Sie da gehalten haben,
verehrte Frau Kollegin.
Ich möchte mit dem zweiten Punkt anfangen: Auch
wir haben in diesem Bereich Kürzungen vorgenommen.
({0})
Aber wir haben diesen Titel nicht gestrichen, wie Sie
dies, um einzusparen, vorschlagen, sondern absichtlich
eine Umschichtung vorgenommen. Denn wir wissen,
wie schwierig die Ausbildungsplatzsituation in unserem
Lande ist: Man liest ja zurzeit von 50 000 fehlenden
Ausbildungsplätzen. Wir können vielen Jugendlichen
keine Zukunft geben; deswegen darf in diesem Bereich
keine Kürzung vorgenommen werden. Eine Umschichtung erfolgte im Bereich der Lehrlingsausbildung. Wir
haben mehr Mittel für die überbetrieblichen Ausbildungsstätten zur Verfügung gestellt, damit diese gestärkt
werden; während Sie diese ganz streichen wollten.
({1})
- Sie haben Kürzungen von 6 Milliarden Euro vorgeschlagen. Das steht in Ihrem „Liberalen Sparbuch“. So
lauteten die Anträge im Haushaltsausschuss;
({2})
ich habe sie jetzt leider nicht vorliegen. In Ihrem Monstranzbuch - ich hätte fast gesagt: in Ihrer Bibel; das ist
aber falsch -, das hier immer hoch gehalten wird, waren
Streichungen in Höhe von 6 Milliarden Euro vorgesehen. Man sieht, dass es in Ihrem Buch um viel heiße Luft
geht.
Aber nun zur Eingliederungshilfe. Wir wissen, warum
die Mittel nicht abgeflossen sind: weil es Anfangsschwierigkeiten gab. Minister Müntefering hat dies
heute früh in der Sozialdebatte deutlich herausgestellt.
Unser Ziel ist es, dass die Mittel, die zur Verfügung stehen, auch verausgabt werden. Gerade für die jungen
Menschen, die unter 25 Jahre alt sind, ist es dringend
notwendig - da gibt es Qualifikations- und Fördermängel -, dass diese Gelder zur Verfügung gestellt werden
und dass in den ersten Arbeitsmarkt investiert wird. Das
ist der richtige Weg. Der falsche Weg wäre, in diesem
Bereich zu streichen.
({3})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie
mich in der restlichen Redezeit das Thema fortführen,
das ich eben begonnen habe: die berufliche Bildung.
Ich hoffe, dass in diesem Bereich Ende dieses Jahres
kein Drama festzustellen ist, wie es in der Presse kürzlich formuliert worden ist.
Morgen werden in Rheinland-Pfalz die Schüler entlassen, die ihren Schulabschluss erreicht haben. An einer
Hauptschule in meinem Wahlkreis - das habe ich gestern
in der Presse gelesen - haben 10 Prozent der Schüler der
9. Klasse einen Ausbildungsplatz. Ich komme aus einer
Region, die wirtschaftlich gesund ist. 10 Prozent haben
einen Ausbildungsplatz, 90 Prozent keinen. Ich kenne
diese Jugendlichen. Ich habe mit ihnen vor ein paar Wochen gesprochen. Sie haben mir berichtet, dass sie 50 bis
60 Bewerbungen geschrieben haben und keinen Erfolg
hatten. Wir brauchen hier dringend Hilfe. Hier muss gehandelt werden.
Diese Forderung richtet sich natürlich in erster Linie,
Willi Brase, an die Wirtschaft, die handeln muss.
({4})
Sie muss ihre Aufgabe erfüllen. Denn wir wissen, wie
wichtig gut ausgebildete Fachkräfte sind. Sie sind die
Arbeitskräfte und auch die Steuer- und Abgabenzahler
von morgen.
Herr Kollege Hagemann, ich habe noch eine Bitte um
eine Zwischenfrage. Das ist aber die letzte, die ich zulasse. Frau Kollegin Hirsch möchte eine Zwischenfrage
stellen.
Ja, bitte.
({0})
Das ist sehr schön.
Ich freue mich sehr, dass Sie bezüglich der Ausbildungssituation so stark an die Wirtschaft appellieren. Es
besteht dann aber doch die Frage, ob die SPD, wenn sie
jetzt wieder die Forderung nach einer Ausbildungsplatzabgabe stellt,
({0})
weiterhin nur auf diesem Appellcharakter beharrt, der ja
offensichtlich nicht funktioniert, wie Sie selber anhand
Ihrer Zahlen eben bestätigt haben.
({1})
Bitte schön, Herr Hagemann.
Ich persönlich - ich äußere meine ganz persönliche
Meinung - stehe dem nicht abweisend gegenüber. Ich
habe das auch während der Diskussion, die wir im vergangenen Jahr in unserer Fraktion geführt haben, sehr
deutlich gemacht.
({0})
Im Koalitionsvertrag - hier fällt das Stichwort - ist dies
für diese Legislaturperiode entsprechend ausgeschlossen. Aber man kann ja beispielsweise - darauf lege ich
Wert - zusammen mit den Kammern einen Beginn machen. Wir dürfen sie nicht aus der Verantwortung entlassen.
({1})
Man könnte einem Unternehmen beispielsweise die Gebühren, die es für seine Angestellten, die ausgebildet
werden, zu zahlen hat, erlassen. Eine solche Gebührenerhebung ist nicht in Ordnung. Gebühren für die Eintragungen in die Handwerksrolle oder Prüfungsgebühren
zu erlassen, wäre ein erster Schritt. Diese könnten von
allen Kammermitgliedern mitbezahlt werden. Das
möchte ich unterstützen und in diese Richtung argumentieren.
({2})
Im Einzelplan 30 haben wir, weil die Verantwortung
bei der Wirtschaft liegt, entsprechende Mittel für die berufliche Bildung in Höhe von insgesamt 368 Millionen
Euro vorgesehen. Hier stehen sehr starke Fördermittel
zur Verfügung. Wir wünschen, Frau Ministerin, dass
diese auch schnellstens verausgabt werden.
Hierzu gehört auch ein Beschluss aus dem
Jahre 2005, also aus der 15. Legislaturperiode. Das Förderprogramm Jobstarter für mehr Ausbildungsplätze soll
massiv gestärkt werden. Sie haben das selbst in der
Presse schon angekündigt. Frau Ministerin, ich kann darüber hinaus jedes Wort, das Sie in Ihrem Gastkommentar in der „Bild“-Zeitung geschrieben haben, unterstreichen. Wir müssen gemeinsam darangehen, für genügend
Ausbildungsplätze zu sorgen. Man darf nicht nur Briefe
schreiben - es ist gut und wichtig, dass die Kanzlerin
und der Wirtschaftsminister Briefe schreiben -,
({3})
sondern jetzt muss auch gehandelt werden. Hierfür gibt
es das gute Beispiel des früheren Wirtschaftsministers
Clement, der den Unternehmen vor die Hütte gerückt ist
und für die Jugendlichen gekämpft hat, die en masse
noch keine Lehrstelle hatten.
Ich bitte Sie, jetzt zum Schluss zu kommen.
Jawohl, Herr Präsident. - Durch den Einzelplan 30
werden gute Voraussetzungen für die Zukunftsfähigkeit
unseres Staates und die Chancengerechtigkeit geboten.
Wir sind auf dem richtigen Weg und wir müssen die Herausforderungen annehmen. Deswegen wird die SPDFraktion diesem Einzelplan zustimmen.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat jetzt der Kollege Kai Gehring vom
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jedes Jahr wollen in Zukunft circa 80 000 Abiturienten zusätzlich an den deutschen Hochschulen starten. Das sind
fast so viele, wie derzeit an den drei großen Berliner
Universitäten zusammen studieren.
Was erwartet diese motivierten jungen Menschen an
einer deutschen Hochschule? Ohnehin schon überfüllte
Seminare? Gar verschlossene Hörsaaltüren? Ein Aussieben je nach Einkommenssituation der Eltern oder nach
dem strengsten Numerus clausus an einer Hochschule?
Oder sogar das Verdrängen auf dem bereits schon jetzt
hart umkämpften Ausbildungsmarkt? Frau Schavan,
sieht so die schwarz-rote Hochschulpolitik auf dem Weg
in die Wissensgesellschaft aus?
Es ist doch offenkundig: Wir brauchen mehr qualitativ hochwertige Studienplätze. Dafür hat die Bundesregierung in den letzten Monaten keinen Handschlag unternommen. Die große Koalition ist nicht nur eine
Schnecke, sie verpennt fahrlässig zentrale Zukunftschancen für mehr Studierende und mehr Absolventen.
({0})
Weder in Ihrem Haushalt noch in Ihrem Entwurf zur Föderalismusreform finden sich irgendwelche Ansätze,
durch die dazu beigetragen werden könnte, die Studienplatzkapazitäten an den Hochschulen bundesweit zu erhöhen.
Sie halten mir nun sicherlich Ihren Hochschulpakt
entgegen. Doch das ist nichts anderes als ein zahnloser
Tiger; denn für Studienplätze soll dort kein einziger Cent
fließen.
({1})
Stattdessen wollen Sie den Ländern zusätzliches Geld
für die Forschungsförderung in die Hand geben, in der
Hoffnung, dass die Länder ihrerseits mehr Geld für die
Studienplätze locker machen. Das ist nichts anderes als
eine reine Luftbuchung. Deswegen landet eine solche
Umwegfinanzierung zwangsläufig in der Sackgasse.
({2})
Nicht umsonst fordern die SPD-Bildungspolitiker einen
ehrlichen Hochschulpakt.
Frau Schavan, Ihr Hochschulpakt soll erst Ende dieses Jahres kommen. So lange können die Hochschulen,
die Dozentinnen und Dozenten, die Studierenden und
auch die Studienberechtigten allerdings nicht warten.
Ein Hochschulpakt, der den Hochschulen und den künftigen Studierenden wirklich etwas bringen soll, braucht
im Übrigen eine tragfähige juristische Grundlage. Das
bedeutet: Beerdigen Sie endgültig das Kooperationsverbot im Zuge der Föderalismusreform und ermöglichen Sie so Bund und Ländern gemeinsame Initiativen
für zusätzliche Studienplätze.
({3})
Ich fürchte, wir werden gerade Zeuge eines riesigen
Täuschungsmanövers. Anfang dieser Woche bekamen
die besorgten Bildungs- und Wissenschaftsorganisationen sowie die Öffentlichkeit noch ein wenig Baldrian
verabreicht. Es hieß, das Kooperationsverbot sei bereits
gekippt.
({4})
Wer das Kooperationsverbot allerdings kippen will, der
muss Art. 91 b Grundgesetz ändern. Alles andere wäre
eine Mogelpackung.
({5})
Glauben Sie aber nicht, allein die Streichung des absurden Kooperationsverbots aus der Staatsreform würde
ausreichen. Dann hätten Sie aus der Anhörung nichts gelernt.
({6})
Über neun Stunden lang haben fast alle Expertinnen und
Experten an dem Gesetzentwurf Kritik geübt, die vernichtender nicht hätte ausfallen können. Darüber kann
selbst die große Koalition nicht hinweggehen. Deshalb
fordere ich Sie auf: Streichen Sie die Abweichungsrechte der Länder beim Hochschulzugang und bei den
Abschlüssen!
({7})
Heben Sie die unsinnige Trennung von Forschung und
Lehre bei der Gemeinschaftsaufgabe auf! Denn das ist
absolut künstlich. Entwickeln Sie endlich einen Verteilungsmechanismus für die Hochschulbaumittel, der dem
Bedarf auch bundesweit gerecht wird!
({8})
- Lesen Sie die aktuellen guten und neuen Konzepte der
Grünen in Baden-Württemberg! Davon können Sie sicherlich einiges lernen, Herr Tauss.
({9})
Nun zum Haushalt. Dem Haushalt fehlen ein klarer
Ansatz und erst recht eine Gesamtstrategie für die größten hochschulpolitischen Herausforderungen. Es wird
hier ein bisschen gekürzt und dort ein wenig erhöht. Das
hat mit einer Gesamtstrategie nichts zu tun.
({10})
Diesen großkoalitionären Beliebigkeiten setzen wir
Grüne eine Hochschulpolitik entgegen, die die Studienplatz- und Personalkapazitäten schnell und bedarfsgerecht ausbaut, einen einkommensunabhängigen und gerechten Zugang zu akademischer Bildung eröffnet und
qualitativ hochwertige Lehre und Forschung fördert.
Notwendig sind vor allem drei Faktoren.
Erstens - in diesem Zusammenhang möchte ich an
die CDU/CSU und die SPD appellieren - brauchen wir
eine Föderalismusreform, die gesamtstaatliche bildungspolitische Kooperationen ermöglicht, statt sie zu verbieten.
({11})
Zweitens brauchen wir einen echten Qualitätspakt für
die Hochschulen, in dem sich Bund und Länder gemeinsam für den dringend notwendigen Ausbau der Studienplatzkapazitäten einsetzen. Der Pakt muss Anreize setzen, um die notwendigen Studienplätze zu schaffen und
auch in Regionen, in denen es weniger Studienberechtigte gibt, Studienplätze zu erhalten.
Drittens brauchen wir einen Bundeshaushalt, der ab
sofort ausreichende Mittel für einen solchen Qualitätspakt für die Hochschulen bereitstellt, um all den jungen
Menschen eine Perspektive zu bieten, die in den kommenden Jahren an den deutschen Hochschulen studieren
wollen.
Vielen Dank.
({12})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Katherina Reiche von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Was wir
heute nicht in Forschung investieren, können wir morgen nicht in Form von Innovationen ernten“, sagte
Jürgen Hambrecht, Vizepräsident des Stifterverbandes
für die Deutsche Wissenschaft. Der Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit, der übrigens die Vergangenheit beleuchtet - nicht etwa die Zukunft -, mahnt
Katherina Reiche ({0})
denn auch: Deutschland ist zwar noch ein Hightechland, aber unsere technologische Leistungsfähigkeit ist
bedroht.
Wir sind zwar stark bei höherwertigen Technologien,
haben aber Schwächen in Feldern der Spitzentechnologien, die unsere Zukunft bestimmen. Es gibt erkennbare
Mängel in der Struktur und Dynamik der Forschungsund Entwicklungslandschaft in Deutschland. Das gilt sowohl für den öffentlich als auch für den privat finanzierten Bereich.
Die internationale Konkurrenz schläft nicht. Nordeuropa, die USA und selbst Japan investieren kräftig in
Forschung und Entwicklung. China beweist einen schier
unstillbaren Technologiehunger und hat sich auf Platz 3
der forschungsreichsten Länder vorgeschoben. Deutschland ist von Platz 3 auf Platz 9 abgerutscht. Wer hier zu
spät kommt, den bestraft in der Tat das Leben, und zwar
mit Wohlstandsverlust.
Der Forschungsstandort Deutschland hat ohne
Zweifel eine Reihe von Stärken: Wir verfügen über ein
dichtes Netz von guten bis sehr guten Hochschulen, über
außeruniversitäre Forschungseinrichtungen und gut ausgebildete Wissenschaftler. Sie sind offenbar so gut, dass
sie meist mit verlockenden Angeboten aus unserem Heimatland weggelockt werden und uns den Rücken kehren. Wir haben innovative und starke Branchen wie die
Automobilindustrie, die Medizintechnik und den Maschinenbau.
Aber all das wird nicht reichen, um den Standort
Deutschland auf Dauer zu sichern. Viele Kennzahlen
sind schlechter als Anfang der 90er-Jahre. Damals betrug der Anteil des Bruttoinlandsprodukts an Forschung
und Entwicklung rund 3 Prozent. Inzwischen liegt er bei
2,5 Prozent. Allen Unkenrufen zum Trotz, Frau Flach,
sind wir jetzt dabei - und zwar mit klaren Aussagen
auch in diesem Haushalt - diesen Anteil zu erhöhen. Wir
haben uns dem Lissabonziel verschrieben. 6 Milliarden
Euro in den nächsten Jahren sind eine klare Aussage, die
auch von Ihnen nicht kleingeredet werden kann.
({1})
Der Innovationsanteil des Mittelstandes hat allerdings in den vergangenen Jahren nachgelassen. Laut
Stifterverband sind zuletzt noch ungefähr 11 Prozent
F-und-E-Ausgaben getätigt worden. Mitte der 90er-Jahre
waren es knapp 20 Prozent.
({2})
Vor diesem Hintergrund gibt es keine Alternative. Wir
brauchen eine Politik, die auf Forschung und Innovation
setzt. Diese Bundesregierung handelt. Schlagzeilen wie
„Der Innovationsmotor in Deutschland stottert“ aus dem
Jahr 2005 darf es nicht mehr geben.
({3})
Wir entwickeln eine Innovationspolitik, in der alle
Elemente - von beruflicher Bildung über Hochschule,
Forschung bis hin zum Unternehmertum, die rechtlichen
Rahmenbedingungen, aber auch ein innovationsfreundliches gesellschaftliches Klima - wie die Zähne eines
Reißverschlusses ineinander greifen. Denn Innovationen
entstehen im Zusammenspiel von Bildung, Grundlagenund angewandter Forschung, Wirtschaft und Gesellschaft. Das ist eine Herausforderung, aber mit einer konsequenten Strategie ist das machbar.
In konkreten Zahlen steigt der Bundeshaushalt 2006
im Einzelplan 30 um 5,6 Prozent. Der Kollege Willsch
hat das intensiv ausgeführt.
Der schon im letzten Jahr vereinbarte, aber nunmehr
auch solide finanzierte Pakt für Forschung schafft Planungssicherheit für die außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Der Pakt hieße aber nicht Pakt, wenn wir
nicht auch etwas erwarten dürften. Die Wissenschaftslandschaft ist in Bewegung. Die Forschungseinrichtungen begreifen die Nachwuchsförderung, bessere Karrierechancen für Frauen und auch eine stärkere
Vernetzung mit den Hochschulen als ihre eigenen Anliegen.
({4})
Mit der Exzellenzinitiative, die Bund und Länder übrigens nach einem langen, äußerst streitigen Diskussionsprozess gemeinsam gefunden haben - ein Weg, der
im Wettbewerb entschieden wurde -, hat unsere Hochschullandschaft jetzt die Chance, ihre Stärken tatsächlich
zu zeigen. In meinen Augen bringt der Exzellenzwettbewerb eine neue Dynamik in die Hochschulentwicklung.
Auch die, die nicht zu den Gewinnern zählen, sind sich
ihrer Stärken und Schwächen bewusst geworden. Die
einmal entwickelten Kooperationen werden umgesetzt.
Der Hochschulpakt ist ein wichtiger Baustein, um
die Studien- und Forschungsbedingungen an den Hochschulen zu verbessern. Er ist vor allem der beste Beweis
gegen die Legendenbildung, dass sich der Bund nach der
Föderalismusreform aus seiner Verantwortung für die
Hochschulen stehlen würde.
Doch gilt für die Hochschulen, wie übrigens für alle
Zähne des Innovationsreißverschlusses vor allem eines:
Geld ist das eine, freiheitliche Bedingungen sind das andere. Wir müssen darangehen, die Karrierewege unserer
Wissenschaftler in Deutschland verlässlicher zu gestalten. Dies gilt zuerst im Hinblick auf eine Veränderung
bei der Befristungsregel für Drittmittelstellen. Außerdem müssen wir eine Strategie entwickeln, wie wir die
klugen Köpfe, die im Ausland sind, durch attraktive Angebote entweder zur Rückkehr oder zum Kommen nach
Deutschland überzeugen können. Initiativen wie die
GSO haben hierzu Vorschläge gemacht.
({5})
Auch die Fachhochschulen sind die idealen Forschungspartner für den regionalen Mittelstand. Deshalb
haben wir auch hier eine Umkehr vorgenommen, indem
wir nämlich den Ansatz bei dem Titel „Angewandte Forschung an Fachhochschulen im Verbund mit der Wirtschaft“ um 42 Prozent deutlich erhöht haben. Weitere
Steigerungen sind geplant.
Katherina Reiche ({6})
In den letzten Jahren war viel von Innovationsinitiativen die Rede, aber die Projektförderung hat der Bund
real gekürzt.
({7})
Auch das haben wir umgedreht, zum Beispiel durch
mehr Geld für Lebenswissenschaften, für Umwelt- und
Geotechnologien.
An dieser Stelle möchte ich einen weiteren Bereich
ansprechen. Wir werden in Deutschland auch die
Sicherheitsforschung stärker angehen müssen als bisher.
({8})
Es kann nicht sein, dass Europa in Security und Safety
investiert und wir als größtes Land danebenstehen und
zuschauen. Auch in diesem Fall finde ich das, was beschlossen worden ist, richtig.
Ein wichtiger Eckpfeiler wird im Juli präsentiert: die
Hightechstrategie. Frau Flach, an Sie gewandt: Es wird
erstmals eine Innovationspolitik aufgestellt und aufgebaut, die ressortübergreifend ist und tatsächlich eine in
sich stimmige Strategie ist. Nicht Sie haben das Copyright, Frau Flach, sondern wir, und zwar durch einen Antrag, den wir als CDU/CSU-Fraktion seit 1998 verfolgen. Wir sind froh, dass wir jetzt bei der Umsetzung
sind.
({9})
Dass die Bundesforschungsministerin hierbei den Hut
auf hat, ist nur folgerichtig.
Meine Damen und Herren, das ambitionierte Ziel von
3 Prozent bedeutet in nackten Zahlen, dass wir von derzeit 54 Milliarden Euro für F-und-E-Ausgaben auf
knapp 70 Milliarden Euro bis 2010 kommen müssen.
Das kann der Bund nicht allein schultern. Dazu brauchen
wir die Länder und die Wirtschaft. Der Bund ist hierbei
eindeutig in Vorleistung gegangen.
({10})
Wir erwarten aber, dass die Länder und die Wirtschaft
mitziehen. Natürlich müssen durch die Bundespolitik
Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass insbesondere der forschende Mittelstand an Forschungs- und
Entwicklungsleistungen wieder teilhaben kann. Sie werden sehen, dass wir demnächst auch hier eine Antwort
geben werden.
({11})
Es muss uns vor allem gelingen, ein positives Bild
von der Innovationskraft und der Forschung in Deutschland zu zeichnen. Vielleicht ist es zu viel verlangt, wenn
man meint, dass den Nobelpreisträgern Günter Blobel,
Theodor Hänsch und Christiane Nüsslein-Volhard genauso zugejubelt werden sollte wie unserer Fußballnationalmannschaft. Aber vielleicht überträgt sich ein
Teil der gegenwärtigen Begeisterung und des Optimismus auf unsere Forschungslandschaft. Zu wünschen
wäre es jedenfalls.
Gänzlich falsch ist es aber, mit Forschungs- und Technologieblockaden sowie mit dem Schüren von Ängsten
ein Klima in diesem Land zu schaffen, das weder auf die
Forscherelite hierzulande noch auf die im Ausland einladend wirkt. Wir dürfen uns nicht von der Grünen Biotechnologie verabschieden. Wir brauchen Forschung
und Anwendung in diesem Bereich. Beides wird durch
das geltende Gentechnikrecht behindert. Eine Novelle
des Gentechnikrechts ist daher ohne Alternative. Aber
Lippenbekenntnisse und das Singen des Hoheliedes auf
die Forschung helfen dieser innovativen Branche nicht.
Auch hier werden wir handeln.
({12})
„Der Beste zu sein und voranzustreben den anderen“,
diese Worte sind über 2 000 Jahre alt und stammen aus
der Ilias-Sage. Sie taugen aber nach wie vor sehr gut als
Motto für das, was die Bundesregierung und wir, die
Parlamentarier, in der Innovationspolitik für Deutschland leisten müssen.
Vielen Dank.
({13})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Cornelia Pieper von
der FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
will daran erinnern, dass wir uns mit dem Sanierungsfall
Deutschland nicht beschäftigen müssten, wenn es die
sieben Jahre rot-grüne Regierung nicht gegeben hätte. Es
waren verlorene Jahre.
({0})
Fakt ist: Der Bericht der Bundesregierung zur technologischen Leistungsfähigkeit macht deutlich, dass die
Innovationsfähigkeit dieses Landes, insbesondere der
deutschen Wirtschaft, nachlässt. Der Anteil der Unternehmen - das betrifft insbesondere den Mittelstand -,
die neue Produkte auf den Markt bringen, ist seit 1999
von 65 Prozent auf 59 Prozent gesunken. Das ist ein
ernst zu nehmendes Alarmsignal, auf das die Politik reagieren muss. Frau Ministerin, die Forschungsprämie
- ich habe das schon zum Ausdruck gebracht - ist sicherlich richtig. Wir haben dafür in der letzten Legislaturperiode die ersten Initiativen im Ausschuss gestartet.
Wir werden Sie dabei unterstützen. Aber ich hätte mir
gewünscht, dass die Forschungsprämie bereits im Haushalt 2006 etatisiert und auf den Weg gebracht worden
wäre. Das wäre das für Deutschland angemessene
Tempo gewesen.
({1})
Greifen Sie die Initiative der Max-Planck-Gesellschaft für einen Innovationsfonds auf! Wir brauchen einen Gründerboom in Deutschland. Wir brauchen mehr
innovative Unternehmen. Die Ausgründungen aus
Hochschulen sind ein wichtiges Element einer modernen
Innovationspolitik. Auch hier müssen wir vorankommen.
({2})
- Sehr verehrter Herr Tauss, ich weiß, dass Sie trotz Ihrer hochwertigen Qualitäten als Dispatcher in der Vergangenheit so einiges nicht auf den Weg bringen konnten.
({3})
Sie sollten kreativ an der von der FDP angestoßenen Debatte teilnehmen.
Der bisherige Verlauf der Haushaltsberatungen hat
mir gezeigt, welche Taktik die Bundesregierung eigentlich verfolgt. Auf der einen Seite werden die Ausgaben
für Bildung und Forschung um rund 420 Millionen
Euro erhöht nach dem Motto „Jetzt geht’s los“. Das ist
aber nur anscheinend ein Motivationsschub; denn auf
der anderen Seite wurde im ersten Entwurf, Frau Ministerin, eine viel zu hohe globale Minderausgabe in Höhe
von 187,5 Millionen Euro angesetzt, die erst auf Antrag
der FDP im Ausschuss - später hat auch die Regierungskoalition einen entsprechenden Antrag eingebracht - gekürzt worden ist. Es ist Augenwischerei, wenn man einerseits von Zuwächsen für Bildung und Forschung im
Bundeshaushalt spricht und andererseits die Gestaltungsmöglichkeiten in Bezug auf neue Vorhaben durch
eine viel zu hohe globale Minderausgabe einschränkt.
({4})
Meine Damen und Herren, das Bekenntnis der Bundesregierung zu dem EU-Ziel, den Anteil für Investitionen in Forschung und Entwicklung bis zum Jahr 2010
auf 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu steigern, ist
ein wichtiges Signal, das wir unterstützen wollen. Aber
bei einem angenommenen jährlichen Wachstum von
1,5 Prozent würde das bedeuten, dass die Ausgaben für
Forschung und Entwicklung um 13,5 Milliarden Euro
anwachsen müssten. Die öffentliche Hand müsste bei einem Finanzierungsanteil von einem Drittel demnach im
Jahr 2010 mit Mehrausgaben von 4,5 Milliarden Euro
rechnen. Bei einer angenommenen Verteilung der
Ausgaben zwischen Bund und Ländern von zwei Dritteln zu einem Drittel müsste der Bund im Jahr 2010
seine F-und-E-Ausgaben auf 15,8 Milliarden Euro erhöht haben. Auch das entzaubert ein wenig das Investitionsprogramm der Bundesregierung von 6 Milliarden
Euro. Da hätte ich mir etwas mehr Mut seitens der Bundesregierung vorstellen können.
({5})
Der Aufbruch in der Forschungs- und Innovationspolitik der Bundesregierung ist dadurch eingeschränkt,
dass die Signale bei der Grünen Biotechnologie auf Rot
stehen, zu erkennen an der ablehnenden Haltung gegenüber Freisetzungsversuchen und der zögerlichen Haltung
gegenüber der Novellierung des Gentechnikgesetzes.
Frau Reiche, da teile ich Ihren Optimismus nicht. Wenn
Sie nur die Forschung im Labor vorantreiben wollen,
aber Freisetzungsversuche ablehnen, ist das innovationshemmend. Deswegen fordern wir die Bundesregierung
auf, hier wirklich schnell zu handeln und nicht auf Herrn
Seehofer von der CSU zu hören, der da wohl als Bremser auftritt.
({6})
Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, ich muss, weil es aktuell ist, auch das Thema der
embryonalen Stammzellforschung aufgreifen.
({7})
Nachdem die Bundesregierung mit ihrem Vorhaben gescheitert ist, im Rahmen des 7. EU-Forschungsrahmenprogramms die Fördervorhaben für die embryonale
Stammzellforschung zu streichen, kann ich nur an Sie
appellieren: Legitimieren Sie nicht auf der einen Seite
das 7. EU-Forschungsrahmenprogramm - die Ministerin
hat das im Ausschuss gesagt und Sie werden dem zustimmen -, wenn Sie auf der anderen Seite die Stammzellforscher im eigenen Land kriminalisieren. Das ist aus
meiner Sicht Zynismus; das ist scheinheilig.
({8})
Frau Ministerin, ich mahne auch noch einmal an, dass
Sie sich endlich für die nationale Strategie für Bildung
und Forschung einsetzen, für die Sie schon öffentlich
geworben haben, wie zuletzt am 5. August 2005 in der
„FAZ“ nachzulesen war. Da sagten Sie: Natürlich müssen sich Bund und Länder in der Bildungspolitik über
strategische Ziele verständigen. - Ich vermisse Ihre
Stimme bei der Föderalismusreform. Da habe ich Sie
kaum gehört.
({9})
Sie waren ohne weiteres bereit, auf entscheidende Kompetenzen zu verzichten. Sie waren bereit, die deutschen
Hochschulen durch die nach Ihren Planungen erzwungene Trennung von Forschung und Lehre in größte
Schwierigkeiten zu bringen. Die Expertenmeinungen
gingen bei Ihnen bestenfalls zum einen Ohr hinein und
zum anderen wieder hinaus. Erst der massive Widerstand der Opposition und großer Teile der SPD-Fraktion
hat, wie es derzeit aussieht, noch etwas bewirkt.
Trotzdem appelliere ich an Sie: Stoppen Sie das Vorhaben des Rechtsausschusses bzw. der Mehrheit in diesem Parlament. Sie können eventuell Art. 104 b in das
Grundgesetz einfügen, aber nicht Art. 91 b ändern. Ich
halte es für ausgesprochen notwendig, dass wir das humboldtsche Prinzip der Einheit von Forschung und Lehre
in Deutschland nicht verletzen und auch in Zukunft wahren, indem wir uns als Bund weiterhin finanziell beteiligen, wenn es um Lehre und das Anwachsen der Studierendenzahlen geht.
({10})
Ich kann, um mit Bertrand Russell, einem walisischen
Mathematiker und Philosophen, zu sprechen, nur sagen:
Gesellschaftlicher Fortschritt ist nur über Minderheiten
möglich, Mehrheiten zementieren das Bestehende. - Ich
glaube, das ist eine weise Aussage.
Vielen Dank.
({11})
Das Wort hat jetzt der Kollege Ernst Dieter Rossmann
von der SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei
den Ungleichzeitigkeiten, die man in dieser Bildungsund Forschungsdebatte hat, möchte ich eines in Erinnerung rufen: Wir streiten für das Lissabonziel - 3 Prozent
mehr für Forschung und Entwicklung - und der WimKok-Bericht hat uns dazu gesagt: Nachhaltig ist Innovation, wenn sie über Bildung abgesichert ist. - Deshalb
haben wir die Bildungs- und Forschungspolitik in einem
Zusammenhang zu sehen,
({0})
selbst wenn ich jetzt gern den Aspekt der Bildungspolitik stärker forcieren möchte.
Angesichts der Brüchigkeit der Bildungszuständigkeit des Bundes vor dem Hintergrund der aktuellen Verhandlungen - daraus will ich gar kein Geheimnis
machen - kann man sich aus vollstem Herzen den verschiedensten Beiträgen in manchem anschließen. Ich
will mich ausdrücklich über Frau Aigner freuen. Wenn
sich denn die Vernunft in einer Einzelperson Bahn
bricht, dann soll man das anerkennen.
({1})
Tatsache ist, dass wir insgesamt in dieser großen Koalition und im gesamten Parlament eine Grundlage für
die Bildungsentwicklung haben. Frau Pieper, Sie haben
das Setzen von langfristigen gemeinsamen Zielen eingefordert, nämlich den ersten gemeinsamen Bildungsbericht von Bund und Ländern. Das sollte nicht untergehen
und nicht vergessen werden. Daran möchte ich einmal
mit einer formalen Bitte anknüpfen. Der Bericht ist so
gehaltvoll, dass wir ihn auch hier im Parlament diskutieren sollten,
({2})
gerade wenn wir ihn ernst nehmen, gerade wenn das ein
gemeinsames Anliegen von Bund und Ländern ist.
Ministerin Schavan hat betreffend die Anfangsphasen
der Bildung bemerkenswerte Begriffe verwendet. Frau
Pieper, man muss das, was da an Perspektive aufgezeigt
worden ist, auch aufnehmen. Die Ministerin hat von Bildungshäusern gesprochen. Sie hat die Bildungsphasen
nicht klassisch eingeteilt - von sechs bis zehn, von zehn
bis 15 und darüber hinaus -, sondern sie hat sie, wenn
ich sie richtig verstanden habe, wie folgt eingeteilt: drei
bis zehn, zehn bis 17, also vorschulische und schulische
Bildung, schulische Bildung und Überleitung in die berufliche Bildung, als zwei entscheidende Bildungsphasen mit einem strategischen Ziel.
Was gerade in diesem Bildungsbericht herausgearbeitet wird, ist, dass wir bei der Integrationsaufgabe - ich
denke an den Beitrag von Frau Böhmer in der Debatte
und auch an den Integrationsgipfel - wirklich alle, nämlich Bund, Länder, Kommunen und Verbände, zusammenführen müssen.
({3})
Es gehört dazu, finde ich, dass dies als strategisches Bildungsziel anerkannt wird. Wenn wir das nur bezogen auf
diesen Haushalt sehen, stellen wir fest, dass da noch
nicht so viel enthalten ist, aber versteckt sind natürlich
Handlungsmöglichkeiten da.
Es geht darum, die Bildungsforschung ordentlich auszubauen und das als Zukunftsaufgabe Integration anzusehen. Dazu müssen wir aber feststellen: Wir haben hier
ein Institut. Wir haben da einen Forschungsbereich. Als
positive Beispiele sind Mannheim, Berlin und andere zu
nennen. Aber wir haben es nicht auf gesellschaftsbezogene durchgängige Forschung zugespitzt. Unser Wunsch
ist, die gemeinsame Initiative zur Forschungsförderung
im Bildungsbereich speziell auf den gesamten Integrationsweg auszudehnen.
({4})
Aus der Debatte nehmen wir mit - das ist durch diesen Bildungsbericht herausgearbeitet worden -, dass
25 Prozent der jungen Menschen einen Migrationshintergrund haben und dass die erste und zweite Generation
besser integriert waren, als es die dritte und die folgenden sein werden. Das hat vielleicht auch damit zu tun,
dass diejenigen, die im Bildungsbereich tätig sind und
selbst einen Migrationshintergrund haben, also praktische Integration vorleben könnten, äußerst rar gesät sind.
Um es an einem Beispiel zu sagen: Die verdienstvolle
Otto-Benecke-Stiftung hat jetzt einen Korridor eingerichtet, in dem sie 20 Menschen ein Stipendium geben
kann, damit sie mit ihrer Qualifikation und ihrem jeweiligen Migrationshintergrund hier als Pädagogen, Psychologen, Lehrer und anderes Anschluss finden können.
Wenn wir diese Übereinstimmung in der Bildungsforschung haben, dann sollten wir sie auch im Stipendienwesen erreichen. Eine Anregung oder ein Wunsch ist,
dass wir gemeinschaftlich so etwas für die Zukunft entwickeln, um mehr daraus zu machen. Was gegenwärtig
aus den 640 000 Euro im Etat resultiert, kann zu einem
Stipendienwesen ausgebaut werden.
Ich könnte das auf einen weiteren Bereich beziehen.
Wir stehen positiv da, was manche Anstrengungen im
Ausbildungspakt angeht. Frau Ministerin hat nicht umsonst darauf hingewiesen, dass wir zusätzlich
10 000 Plätze speziell für Jugendliche mit Migrationshintergrund mobilisieren müssen. Wenn man den BilDr. Ernst Dieter Rossmann
dungsbericht liest, erkennt man: Dort wird nachgewiesen - das ist erschreckend -, dass Jugendliche gleicher
Qualifikation - das ist fast ein Fall für das Gleichbehandlungsgesetz - nicht die gleiche Chance haben, einen
Ausbildungsplatz zu bekommen, sondern dass diejenigen mit Migrationshintergrund und höherer Qualifikation schlechtere Chancen haben, in ein Ausbildungsverhältnis zu kommen. Das kann uns nicht ruhen lassen.
In der Überleitung zur beruflichen Bildung will ich
konstruktiv Folgendes ansprechen:
Nicht umsonst - es folgt einer Strategie - haben wir
gemeinschaftlich die Mittel für die außerbetrieblichen
Bildungsstätten erhöht, und zwar um 4 Millionen Euro
auf 29 Millionen Euro. Es besteht die Chance, dass wir
damit jungen Menschen mit all den Qualifikationen, die
sie als voll Ausbildungsfähige haben, einen Trittstein für
das erste Ausbildungsjahr gesetzt haben, damit sie im
zweiten und dritten Jahr einer beruflichen Ausbildung in
außerbetrieblichen Einrichtungen in das reguläre Berufsbildungswesen hineinfinden können.
({5})
Mit diesen konkreten Punkten möchte ich aufzeigen,
dass es bei aller Brüchigkeit - ich gestehe es gern noch
einmal zu - und bei aller unterschiedlicher Leidenschaft
beim Ringen um die zukünftige Verteilung der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern auch in Zukunft genügend gemeinsame Handlungsfelder geben muss, wenn
wir - das sollte unser Anspruch sein - in der großen
Koalition tatsächlich etwas bewegen wollen. Im Hinblick auf die berufliche Bildung müssen wir weniger den
Grünen - sie haben es schon mit angeschoben -, mehr
jedoch der Linkspartei sagen: Das Programm Jobstarter
ist wichtig; es darf aber nicht dabei bleiben.
({6})
Müssen wir nicht mehr für die qualifizierte berufliche
Ausbildung auch außerhalb des dualen Systems tun?
Man darf nicht ignorieren, dass weniger als 50 Prozent
über das duale System in die berufliche Bildung einsteigen. Es darf nicht dazu kommen, dass wir die Qualität
im nicht dualen System schleifen lassen.
({7})
Es muss doch eine Möglichkeit geben, bei der Zuteilung
der Verantwortlichkeiten zwischen Bund und Ländern
einen Einstieg zu finden, damit man beim dritten Feld,
das ich ansprechen möchte, daran anknüpfen kann: die
berufliche Weiterbildung. Ich spreche dieses Feld an,
weil es bisher noch gar nicht angesprochen worden ist.
Auch hier handelt es sich um eine gemeinsame Handlungsebene. Bei der Weiterbildung steht Deutschland im
internationalen Vergleich dramatisch schlecht da.
({8})
Wenn es ein Innovationshemmnis gibt, dann besteht
es darin, dass wir bei der Weiterbildung - insbesondere
der nicht so gut Qualifizierten - nicht vorankommen.
50 Prozent der gut Qualifizierten nehmen Weiterbildungen in Anspruch, bei den weniger gut Qualifizierten sind
es nur 20 Prozent. Es sollte uns nicht wundern, dass uns
die Umsetzung von Reformen bei der Weiterbildung so
schwer fällt, wenn wir so viel in Forschung und Entwicklung investieren. Im Bereich der Fort- und Weiterbildung muss in der ganzen Breite stärker mobilisiert
werden.
({9})
Das ist eine gemeinschaftliche Aufgabe, die noch nicht
genügend angegangen wurde. Immerhin hat sich Frau
Ministerin Schavan für dieses Jahr vorgenommen, ein
Programm aufzustellen, das Menschen eine zweite
Chance bietet. Dabei unterstützen wir sie nachdrücklich,
({10})
auch weil es darum geht, ein Bewusstsein für die entsprechenden Probleme zu schaffen. Wir haben gemeinschaftlich gelernt: Es ist wichtig, dass wir mit Sprachförderprogrammen Schulfähigkeit herstellen. Es ist wichtig,
dass wir Ausbildungsfähigkeit dadurch herstellen, dass
wir die Berufsvorbereitung und den Erwerb von Einstiegsqualifikationen unterstützen. Es ist uns wichtig,
dass außerdem Hochschulfähigkeit und Weiterbildungsfähigkeit hergestellt werden.
({11})
Weiterbildungsfähigkeit wird nicht dadurch erreicht,
dass man gemeinschaftlich Zukunftsprogramme für über
50-Jährige ins Leben ruft. Weiterbildungsfähigkeit entsteht im Alter von 30 oder 35 Jahren; so früh muss man
anfangen, sie aufzubauen.
({12})
In diesem Bereich müssen wir gemeinschaftlich Initiative ergreifen.
Ich möchte nun eine finanzpolitische Bemerkung machen. Nachdem Kohl und Rüttgers früher Kürzungen in
Höhe von - wie ich glaube - 800 Millionen DM im Bereich Bildung und Forschung durchgesetzt haben, gab es
unter der rot-grünen Regierung - man kann über sie
schimpfen, wie man will; ihre Ergebnisse sind das Fundament, auf dem wir gemeinsam aufbauen - unter
Schröder und Bulmahn im Bildungs- und Forschungsbereich einen Zuwachs, der sich sehen lassen kann. Er war
auch deshalb möglich, weil es glücklicherweise die Versteigerung der UMTS-Lizenzen gab und die entsprechenden Zinsersparnisse genutzt werden konnten.
({13})
Frau Ministerin Schavan kann jetzt auf dem Glücksfall aufbauen, dass die gemeinsame Vernunft der großen
Koalition dazu führt, dass die Eigenheimzulage und anderes abgebaut werden. Das hat - auch wenn wir es gern
drei Jahre früher gehabt hätten - im Hinblick auf die Finanzierung für einen ordentlichen Schub gesorgt.
({14})
Ob das ausreichen wird, um das, was man sich gemeinschaftlich vornimmt, zu erreichen, will ich infrage stellen.
Es gibt in Deutschland einen Schatz: unrentierlich gelagertes Gold, über das nicht geredet werden soll.
({15})
Ich glaube nur, dass die Goldreserven allmählich rentierlich gelagert werden sollten. In Tresoren versteckt, wie
es jetzt der Fall ist, ist es unrentierlich.
({16})
Wir wollen in der großen Koalition gemeinsam für
Rentierlichkeit zugunsten von Forschung und Bildung
sorgen.
Danke schön fürs Zuhören.
({17})
Das Wort hat jetzt der Kollege Volker Schneider von
der Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Frau Bundesminister Schavan, ich habe interessehalber Ihren Lebenslauf gelesen und habe gesehen, dass Sie in 13 Jahren Ihr Abitur erworben haben.
({0})
- Es ist immer schwierig, so etwas auszurechnen, wenn
das exakte Datum nicht dabeisteht.
Sie haben die Schule wahrscheinlich kostenlos besucht und haben im selben Jahr mit dem Studium der
Theologie, Philosophie und Erziehungswissenschaften
begonnen.
({1})
Wahrscheinlich war dieses Studium auch kostenlos.
An dieser Stelle, Frau Schavan, habe ich mich gefragt: Würden Sie heute dieselbe Entscheidung fällen,
wenn Sie in den USA studieren würden? Ich war gerade
an einer der viel gepriesenen Eliteuniversitäten und habe
dort hören müssen, dass sich die Fächer, die Sie sich damals ausgesucht haben, einer drastisch gesunkenen Beliebtheit erfreuen. Das ist gut zu verstehen. Denn wer am
Ende seines Studiums auf einem Schuldenberg von
100 000 Dollar aufwärts sitzt, der sucht sich sein Studium in der Regel - wie heißt es neudeutsch so schön? nach dem Return of Invest aus.
({2})
Herr Kollege Schneider, erlauben Sie ein Zwischenfrage der Kollegin Aigner?
Aber selbstverständlich.
Bitte schön, Frau Aigner.
Sehr geehrter Herr Kollege Schneider, geben Sie mir
Recht, dass die Situation, was die Höhe der Studiengebühren anbelangt, nicht unbedingt vergleichbar ist?
Wir haben ein staatliches College besucht, das mehr oder
weniger zur Erlangung der Abiturreife führt. Dort werden 25 000 Dollar pro Jahr an Gebühren verlangt. Geben
Sie mir also Recht, dass diese Gebühr nicht unbedingt
mit der vergleichbar ist, über die im Moment in Deutschland diskutiert wird? Ich glaube, auch der Dispatcher
könnte darauf antworten.
({0})
Frau Kollegin Aigner, da wir beide die gleichen Universitäten besucht haben, weiß ich natürlich um die unterschiedlichen Höhen der Studiengebühren. Ich habe
ausdrücklich die Eliteuniversitäten angesprochen. An
der Stanford University haben wir gehört, dass sich beispielsweise Fächer wie Deutsch oder Philosophie einer
drastisch gesunkenen Beliebtheit erfreuen. An anderen
Universitäten, zum Beispiel an der University of California, haben Sie gehört, dass man die Studiengebühren zunächst langsam, dann aber stark erhöht hat, was dort
dazu geführt hat, dass die Studierendenzahlen drastisch
zurückgegangen sind. Ist das korrekt, Frau Kollegin
Aigner?
({0})
In einem Land, wo man viel Geld hauptsächlich als
Manager, Arzt, Jurist oder Informatiker verdienen kann,
werden selbst - auch das haben wir in den USA sehen
können - Ingenieure knapp und müssen sozusagen aus
dem Ausland importiert werden. Sie werden teilweise
aus Deutschland abgeworben.
Zurück zu Ihrem Lebenslauf, Frau Dr. Schavan. In
nur sechs Jahren haben Sie Ihr Studium mit Promotion
abgeschlossen. Kompliment! Ich denke aber, das kann
man nur schaffen, wenn man neben dem Studium nicht
Volker Schneider ({1})
noch für seinen Lebensunterhalt sorgen muss. Ich
denke, Sie waren diesbezüglich abgesichert.
Genau so wie ich Ihnen, Frau Bundesminister, diesen
Erfolg gönne, würden wir uns als Linke wünschen, dass
möglichst viele junge Menschen die Chance haben, einen ähnlichen Weg gehen zu können. Was wir wollen,
ist, dass den jungen Menschen nach ihren jeweiligen Interessen ein freier Zugang, insbesondere ein Zugang frei
von finanziellen Zwängen, zu Bildungseinrichtungen zur
Verfügung steht.
({2})
Bildung ist die wichtigste Ressource in unserem technologieorientierten Land. Über das Ziel, diese optimal
zu entwickeln - unabhängig von sozialer Herkunft -,
darüber sollte eigentlich Übereinstimmung in diesem
Hohen Hause herrschen.
Wer dann noch die Chance hat, erworbene Qualifikationen erfolgreich auf dem Arbeitsmarkt zu verwerten,
der wird bei angemessenen Spitzensteuersätzen über die
Steuern der Gesellschaft vielfach das zurückgeben, was
sie oder er von der Gemeinschaft erhalten hat. Keine
Krankenschwester braucht das Studium eines Arztes zu
finanzieren.
({3})
Zurück zu Ihnen, Frau Schavan. Die Anforderungen,
die in Ihrer beruflichen Laufbahn als Referentin, Abteilungsleiterin, Bundesgeschäftsführerin, Leiterin und
Kultusministerin an Sie gestellt worden sind, werden Sie
schwerlich nur mit den an der Universität erworbenen
Kenntnissen und Fähigkeiten bewältigt haben können.
Sicher haben Sie sich in Ihrem Berufsleben in vielfältiger Weise weitergebildet und, wie man sieht, diese Weiterbildung hat sich für Sie gelohnt. Damit befinden Sie
sich im statistischen Mittel. Wer bereits überdurchschnittlich qualifiziert ist, bildet sich überdurchschnittlich fort und profitiert auch überdurchschnittlich von der
Weiterbildung. Herr Rossmann hat das ja schon angesprochen. Leider - auch das hat Herr Rossmann angesprochen - gilt das umgekehrt auch am unteren Ende der
Skala: Die Bereitschaft zur Weiterbildung sinkt mit dem
Bildungsniveau und -abschluss, auch und leider weil
sich Weiterbildung zunehmend weniger lohnt.
Der Präsident des Deutschen Städtetages, Münchens
Oberbürgermeister Christian Ude, kommt bei Betrachtung dieser Problematik zu dem Ergebnis:
Unzweifelhaft wird die klassische Aufgabe der
Weiterbildung, jungen Erwachsenen eine zweite
Chance zu eröffnen und Möglichkeiten der schulischen und beruflichen Nachqualifizierung bereitzustellen, an Bedeutung gewinnen und zusätzliche finanzielle Anstrengungen erfordern.
Recht hat er.
({4})
- Das wollen wir; wir haben einen dementsprechenden
Antrag gestellt.
Was tut die Bundesregierung? Sie produziert bislang
nur heiße Luft. Der wohlklingenden Ankündigung, die
Weiterbildung zur vierten Säule des Bildungssystems
ausbauen zu wollen, sind noch keine greifbaren Konsequenzen gefolgt. Da wird dann mit Frau Süssmuth selbst
eine Christdemokratin ungeduldig. Diese hat kürzlich
beim Volkshochschultag erklärt:
Wohlfeile Lippenbekenntnisse zum wachsenden
Stellenwert der Weiterbildung für die Zukunft der
Menschen in Deutschland und gleichzeitige massive Kürzungen der finanziellen Förderung passen
nicht zusammen. Das ist nicht nur unglaubwürdig,
sondern auch gesellschaftspolitisch und ökonomisch kurzsichtig und kontraproduktiv.
Recht hat sie.
({5})
Sie, Frau Bundesminister, haben auf derselben Veranstaltung den Vorwurf finanzieller Kürzungen von sich
gewiesen. Fakt ist aber, dass die Istzahlen im entsprechenden Unterkapitel des Titels 685 03 2004
52,071 Millionen Euro sowie 2005 43,676 Millionen
Euro betrugen und für 2006 38,419 Millionen Euro eingeplant sind. Das entspricht seit 2004 einer Kürzung um
13 Millionen bzw. einem Minus von 25 Prozent. Das
können Sie auch unter Einbeziehung von EU-Mitteln
nicht schönreden.
Wir kommen - ({6})
- Ja, ich komme zum Schluss.
Wer eine vierte Säule bauen will, braucht die notwendigen finanziellen Mittel, muss die Ärmel hochkrempeln
und anfangen. Vielleicht, Herr Tauss, braucht er auch
noch einen Dispatcher. Also bitte ich Sie, unserem Antrag zu folgen und eine vergleichsweise bescheidene
Umschichtung im Haushalt zugunsten der Weiterbildung
vorzunehmen. Das wäre ein erster Schritt weg von Lippenbekenntnissen hin zu einer notwendigen und wichtigen Veränderung unseres Bildungssystems.
Vielen Dank.
({7})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Priska Hinz von
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das einzig
Sinnvolle an der laufenden Haushaltsberatung war, dass
die große Koalition die Kürzungen bei den überbetrieblichen Ausbildungsstätten zurückgenommen hat. Wir hatten das im Bildungsausschuss ja bereits gefordert. Im
Priska Hinz ({0})
Haushaltsausschuss hat sich die große Koalition ein
Herz gefasst. Das finden wir in Ordnung, denn vom heutigen Standpunkt aus fehlen im September voraussichtlich 31 000 Ausbildungsplätze. Dazu kommen noch die
vielen jungen Menschen aus den Warteschleifen, die Altbewerber. Wir werden wahrscheinlich eine größere Ausbildungsplatzlücke als im Vorjahr haben.
({1})
Von daher ist es ein begrüßenswerter, aber leider auch
nur winziger Schritt auf dem Weg zur Beendigung der
Ausbildungsplatzmisere.
Bei diesem Thema herrscht ja ein Missstand nicht nur
auf dem Ausbildungsmarkt, sondern auch in der Regierung. Sie hatten fast acht Monate Zeit, Maßnahmen einzuleiten. Was ist passiert, Frau Schavan? Nichts ist passiert. Zu allem Überfluss wurden die von Ihnen vor einer
Kabinettssitzung angekündigten Sofortmaßnahmen auf
dieser vom Tisch gewischt. Auch woanders passierte
nichts. Die geplante Sitzung des Lenkungsausschusses
im Juni wurde verschoben. Das Einzige, was Sie, Frau
Schavan, geschafft haben, ist, einen Ihrer Stuhlkreise,
also einen Innovationskreis, auf den Weg zu bringen.
Herr Glos wiederum befindet sich nach eigenen Worten
auf einem Trip, um herauszufinden, wo es bei der Ausbildung klemmt. Ich kann dazu sagen: Es klemmt bei der
Regierung, nirgendwo sonst.
({2})
Wir haben kein Erkenntnisproblem, sondern wir haben
das Problem, dass die Bundesregierung nichts tut und
sich die große Koalition nicht auf den Weg macht.
({3})
- Herr Tauss, vielleicht könnten Sie als Dispatcher die
Bundesregierung an die Hand nehmen und sie auf den
richtigen Weg führen. Dann könnten Sie zeigen, was Sie
in dieser Funktion können.
({4})
Wir haben festgestellt, dass die meisten DAX-Unternehmen unterirdische Ausbildungszahlen haben. Hier
könnte sich die Bundesregierung beweisen. Wir haben
vorgeschlagen, dass die Betriebe vorrangig öffentliche
Aufträge bekommen sollen, die ausbilden. Herr
Schummer hat diesen Vorschlag für die Kommunen
übernommen. Wir sind der Meinung, hier sollte auch der
Bund zeigen, was er kann.
Wir meinen, es müssten unterschiedliche Lernorte
geschaffen werden, in die betriebliche Elemente eingeführt werden. Die Ausbildung könnte vielleicht nur an
Schulen, an außerbetrieblichen Einrichtungen oder an
Produktionsschulen stattfinden. Auf jeden Fall müssten
Qualitätsstandards gewahrt werden. All dies hat die
Bundesregierung nicht angepackt. Sie wartet vielmehr
ab, was im September passieren wird. Das ist zu wenig.
({5})
In Sachen Weiterbildung als Innovationsfaktor hat die
Bundesregierung bislang außer einem weiteren Stuhlkreis nichts auf den Weg gebracht. Es ist wirklich bedauerlich, dass Sie bei den wichtigen Punkten, für die Sie
noch zuständig sind und zuständig sein wollen, nichts
machen.
Frau Schavan hat uns jetzt wieder mit einer Ankündigungsoffensive überrascht. Jetzt soll es die Forschungsprämie geben. Sie hat aber nicht mitgeteilt, wie diese
Forschungsprämie aussehen soll,
({6})
welche inhaltlichen Kriterien es geben soll, in welchem
thematischen Zusammenhang sie mit der Hightechstrategie stehen soll, wie viele Mittel dafür bereitgestellt werden sollen und vor allen Dingen welche Hebelwirkung
diese Forschungsprämie haben soll, damit auch die Unternehmen zu dem 3-Prozent-Ziel beitragen.
({7})
Die Unternehmen haben eingeräumt, dass sie ihren Anteil nicht leisten können. Wir erwarten, dass Sie nicht
nur endlich Ihre Hightechstrategie und Ihre gebündelte
Innovationsstrategie vortragen, sondern dass Sie außer
Ihren Ankündigungen auch Konzepte vorlegen.
({8})
Ein letzter Punkt, bei dem Sie unsere Unterstützung
haben, wenn Sie hart bleiben, ist das Thema embryonale
Stammzellenforschung auf EU-Ebene. Wir sind der
Meinung, dass hier eine falsche Entscheidung getroffen
wurde. Es kann nicht sein, dass mit Forschungsgeldern,
die auch aus Deutschland kommen, auf EU-Ebene Anträge beschieden und Projekte finanziert werden, die
nach deutschem Recht verboten sind. Das gilt entsprechend für weitere neun EU-Länder.
({9})
Sie haben unsere Unterstützung, wenn Sie hart bleiben
und ein Veto einlegen. Ich hätte gerne einmal gehört, wie
Sie da vorgehen wollen. In diesem Punkte sind wir mit
Ihnen einig.
Ansonsten ist leider nur zu sagen: Der Aufwuchs im
Haushalt ist positiv, die Ausführung der Politik ist
schlecht. Deswegen können wir dem Haushalt nicht zustimmen.
Danke schön.
({10})
Das Wort hat jetzt die Bundesministerin Dr. Annette
Schavan.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Nachdem sich der Kollege
Schneider so freundlich mit meinem Lebenslauf beschäftigt hat, möchte ich ihm doch sagen, dass ich zwar
tatsächlich nur sechs Jahre bis zur Promotion studiert
habe, dieses Studium aber weitgehend selbst finanziert
habe, also in der vorlesungsfreien Zeit gejobbt habe. Nur
so viel zur Ergänzung dieses Lebenslaufs.
({0})
Ich bin auch davon überzeugt, dass es ein bisschen mehr
Job bedeutet hätte, wenn es Studiengebühren in Höhe
von 500 Euro gegeben hätte. Das lässt sich alles wunderbar verbinden.
({1})
Studiengebühren und Stipendiensysteme sind ein Beitrag dazu, dass in dieser Gesellschaft klar wird: Investition in die Bildung ist nicht allein aufseiten der öffentlichen Hand wichtig, Investition in die Bildung ist in der
gesamten Gesellschaft wichtig. Jeder muss sehen, dass
das eine lohnende Investition ist.
({2})
Dieser Haushalt zeigt in jeder Hinsicht Aufwuchs
und setzt Prioritäten: bei den Spitzentechnologien, im
Bereich von Wissenschafts- und Forschungsstandort, im
Bereich der Bildung und der Weiterbildung. Selbst wenn
man in der Opposition ist, kann man das nicht leugnen.
Dann kann man sich höchstens darauf zurückziehen, zu
sagen, dass die Umsetzung schlecht ist.
Wir haben den Trend - Stichwort Zuwachs - zum Teil
deutlich umgekehrt: Dort, wo Ausgaben zurückgestellt
werden sollten, wo die Ausgaben heruntergegangen
sind, haben wir umgeswitcht. Das ist das richtige Signal,
übrigens auch an junge Leute in dieser Gesellschaft.
({3})
Von den Grünen bin ich immer wieder überrascht: Ich
verstehe Ihre Rolle ja, menschlich habe ich dafür wirklich großes Verständnis. Wenn man aber sieben Jahre in
der Bundesregierung war, sollte man sich gut überlegen,
was man nach 200 Tagen Amtszeit einer neuen Bundesregierung sagt. Sieben Jahre lang waren Sie unter anderem für den Ausbildungsmarkt in Deutschland mitverantwortlich.
({4})
In diesen ersten 200 Tagen unserer Regierungszeit
waren wir in struktureller Hinsicht sehr erfolgreich. In
der beruflichen Bildung geht es um eine strukturelle
Modernisierung. Wir werden mit den jetzigen Strukturen nicht noch weitere 20 Jahre leben können. Wir werden im Hinblick auf die genaue Konstruktion der dualen
Ausbildung Veränderungen haben. Wir sind längst dabei, an der Nahtstelle zwischen Bildung und Beschäftigung zu Veränderungen zu kommen: Die ersten Bundesländer entwickeln gemeinsam mit uns neue Formen
eines Werkstattjahres und neue Formen der Berufsvorbereitung. Ich verstehe, dass Sie nicht alles mitbekommen.
Sie sollten aber einmal überlegen, warum Sie eigentlich
in keinem der Länder ein Mandat zur Bildungs- und
Hochschulpolitik bekommen.
({5})
Politik ist nicht eine Frage besonders progressiver
Rhetorik. Die Wirksamkeit von Politik entscheidet sich
an Taten. Diese Regierung wird in unspektakulärer
Weise Taten auf den Weg bringen und sich nicht in progressiver Rhetorik ergehen. Das gilt für beide Koalitionspartner.
({6})
In dieser Debatte ist der rote Faden unserer Politik deutlich geworden.
An die Adresse der FDP sage ich: Mit Ihren FDPKollegen auf Länderebene komme ich wunderbar zurecht. Wir kooperieren glänzend. Liebe Frau Pieper, deshalb sollten Sie nicht zum fünften Mal wiederholen, die
420 Millionen gäbe es gar nicht, weil es globale Minderausgaben seien. Es ist erschütternd. Immer wieder
der gleiche Satz, obwohl Sie genau wissen, dass die
420 Millionen tatsächlicher Aufwuchs sind und nicht
mit globalen Minderausgaben verrechnet werden. Das
weiß jeder. Wir haben alles besprochen.
({7})
Sie wissen auch, dass der Hochschulpakt, die Exzellenzinitiative und der Pakt für Forschung und Innovation
wirklich neue Instrumente der Kooperation zwischen
Bund und Ländern sind. Das sind moderne Instrumente
der Steuerung und Entwicklung des Wissenschaftssystems. Sie sind moderner und besser als das, was in den
letzten 20, 30 Jahren an einseitigen Aktivitäten, ohne
Verpflichtungen für die Länder, ohne gemeinsame strategische Ziele, getätigt worden ist. Jetzt beginnen wir ein
neues Kapitel in den Beziehungen zwischen Bund und
Ländern.
({8})
Die Föderalismusreform wird das möglich machen.
Niemand wird bestreiten, dass wir gemeinsame strategische Ziele haben. Wenn Programme aufgelegt werden,
werden beide Seiten in diese Programme zu investieren
haben. Der Bund ist nicht die Sparkasse der Länder.
({9})
Herr Hagemann hat die Frage der Ressortforschung
angesprochen. Ich darf Ihnen sagen, dass wir das sofort
aufgegriffen haben. Das Kabinett hat den Beschluss gefasst, dass sämtliche Ressortforschungseinrichtungen
evaluiert werden. Der Bericht, der im November vorgestellt wird, bezieht sich lediglich auf 13 Institutionen.
Alle 54 Institutionen werden evaluiert und dann - auch
das ist unter den Ministerkollegen völlig klar - wird in
den Ministerien die Optimierung der Ressortforschung
vorangetrieben. Denn da steckt viel Geld drin und wir
müssen jeden Euro in der Forschung wirklich wirksam
einsetzen.
({10})
Wir müssen überall Wettbewerbsverfahren einleiten. Die
Orientierung an internationalen Maßstäben gilt auch für
die Ressortforschung.
({11})
Frau Kollegin Schavan, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Pieper?
Bitte schön.
Frau Ministerin, Sie haben gerade die Föderalismusreform angesprochen und im Zusammenhang mit
Art. 91 b des Grundgesetzes das humboldtsche Prinzip
der Einheit von Forschung und Lehre. Sie haben betont, dass der Bund nicht die Sparkasse der Länder sei
und die Länder ihre Aufgaben in der Hochschul- und
Bildungspolitik wahrnehmen müssen. Ich stimme Ihnen
einerseits zu, frage Sie aber trotzdem, ob Sie es bildungs- und wissenschaftspolitisch für gerechtfertigt halten, das Prinzip der Einheit von Forschung und Lehre in
Zukunft in Deutschland aufs Spiel zu setzen, und ob Ihr
Koalitionspartner, die SPD, mit Ihnen in Ihrer Aussage
übereinstimmt.
Ich setze die Einheit von Forschung und Lehre überhaupt nicht aufs Spiel. Ich habe bekanntlich in den letzten Wochen, zuletzt heute in einem Interview, gesagt: In
Zukunft reden wir über die Entwicklung des Wissenschaftssystems. Wir reden nicht über Forschung oder
Lehre. Sie sind eine Einheit und sie bleiben eine Einheit.
Solange es Forschung in Hochschulen gibt, ist der Bund
mit an den Hochschulen beteiligt. So einfach ist das.
({0})
Das ist das Konzept. Da sind wir uns völlig einig und danach werden wir handeln.
Wir werden übrigens in den nächsten zehn Jahren erleben, Frau Pieper, dass sich dieses Wissenschaftssystem
nicht exakt so weiterentwickeln wird wie in den letzten
20 Jahren.
({1})
Wir werden erleben, wie die Beziehung zwischen universitär und außeruniversitär und auch die Versäulung
im Bereich der Forschung, Wirtschaft und Wissenschaft
sehr viel stärker umgewandelt werden in strategische
Kooperationen, in Cluster und in Netzwerke. Das ist die
richtige Entwicklung.
({2})
Mit unseren jetzigen Beratungen zum Hochschulpakt
gehen wir einen ersten Schritt zur Weiterentwicklung.
Davon bin ich überzeugt. Es gibt keinen Ministerpräsidenten, der diese Modernisierung des Wissenschaftssystems nicht will.
Aber klar ist doch auch - ich bleibe von der Kraft föderaler und subsidiärer Strukturen überzeugt -,
({3})
dass es Eindeutigkeit in der Verantwortung braucht.
Glauben Sie denn im Ernst, dass es, wenn unentwegt nur
eine Ebene verantwortlich ist, wenn der Bund für Schulen und Hochschulen verantwortlich gemacht wird und
die Kulturhoheit der Länder ausgehöhlt wird, zu besseren Verhältnissen kommt? Wir brauchen Strukturen, wie
sie uns jetzt zum Beispiel in der Schweiz vorgemacht
werden: klare Verantwortung vor Ort und zugleich die
Möglichkeit zu nationalen Strategien. Die werden wir
bekommen.
({4})
Die Antwort soll nicht eine Rede in der Rede sein.
Aber erlauben Sie Frau Pieper, noch eine Nachfrage zu
stellen?
Bitte schön.
Frau Ministerin, einmal davon abgesehen, dass gerade die Schweiz durch eine Volksabstimmung eine Verfassungsänderung herbeigeführt hat und dafür gesorgt
hat, dass die Kantone gegenseitig ihre Schulabschlüsse
und nationalen Bildungsstandards anerkennen, will ich
Sie noch einmal fragen: Heißt das mit anderen Worten
- Sie haben jetzt über Art. 104 b des Entwurfs gesprochen; mir geht es um Art. 91 b des Grundgesetzes -, dass
Sie die Befürchtung, die die große Mehrheit der Experten in der Anhörung hatte, nicht teilen und ignorieren
werden? Werden Sie sich nicht von Bundesseite für die
Einheit von Forschung und Lehre stark machen? Man
kann das eine vom anderen nicht trennen, weil Hochschulen nun einmal wissenschaftliche Zentren sind, wo
beides stattfindet. Ich bitte auch, meine andere Frage zu
beantworten: Sieht Ihr Koalitionspartner das genauso?
Wir sind mitten in der Schlussberatung. Das wissen
Sie. Sie wissen auch, dass es durchaus Nuancen gibt,
({0})
nicht einfach nur zwischen SPD und CDU. Ute Vogt in
Baden-Württemberg sieht das anders als ihr Generalsekretär Tauss.
({1})
Diese Nuancen gehen also quer durch die Parteien. So ist
das Leben halt manchmal. Herr Kretschmann sieht das
auch anders als die Grünen hier im Bundestag. Das Leben ist halt bunter, als wir uns das hier manchmal vorstellen.
({2})
Aber ich sage Ihnen: Seit über fünf Jahrzehnten gibt
es im Grundgesetz Art. 91 a und b, in denen von wissenschaftlicher Forschung die Rede ist, wie jetzt auch im
Entwurf zur Änderung des Grundgesetzes. Sie tun alle
so, als hätte es in den alten Art. 91 a oder b des Grundgesetzes eine andere Formulierung gegeben und als würden wir jetzt Forschung und Lehre auseinander dividieren. Diese Formulierung ist exakt die gleiche. Im alten
Art. 91 b des Grundgesetzes ist von „wissenschaftlicher
Forschung“ die Rede. An dieser Stelle gibt es also überhaupt keine neue Formulierung. Es bestünde die Möglichkeit, die Formulierung „wissenschaftliche Forschung“ durch das Wort „Wissenschaft“ zu ersetzen. Das
wäre ein möglicher Weg. Das habe auch ich immer gesagt. Man könnte auch den Weg über Art. 104 a des
Grundgesetzes gehen. Dazu müssten dann entsprechende Begründungen verfasst werden. Es gibt also zwei
Wege. Die einen befürworten diesen Weg, die anderen
jenen. Entscheidend ist das Ergebnis. Wir müssen zu
strategischen Kooperationen kommen.
({3})
Liebe Frau Pieper, das, was Sie zur Situation in der
Schweiz gesagt haben, ist in Deutschland längst geschehen.
({4})
In Deutschland werden Schulabschlüsse längst in
16 Bundesländern anerkannt. In Deutschland sind längst
Bildungsstandards eingeführt und beschlossen worden.
({5})
Wie Sie wissen, haben alle 16 Bundesländer beschlossen, künftig auf der Grundlage dieser Bildungsstandards
Evaluationen durchzuführen.
Da ich die Diskussionen, die in der Schweiz geführt
werden, ein bisschen kenne und auch weiß, woran man
sich dort orientiert hat,
({6})
weiß ich - das wissen auch Sie -: Die Kantone spielen in
der Schweiz eine viel größere Rolle als in Deutschland
die Bundesländer. Sie holen jetzt zu Recht manches
nach, was bei uns in den letzten Jahren im Kontext der
Kultusministerkonferenz längst passiert ist.
Frau Flach, eines möchte ich Ihnen noch sagen: In der
Entscheidung, zu welchen Themen ich rede, bin ich
ziemlich frei. Ich bin nämlich stellvertretende Vorsitzende der CDU Deutschlands. Ich kann zu jedem Thema
reden, gefragt und sogar ungefragt.
({7})
- Ist das so? Das ist wunderbar.
Ich sage Ihnen noch etwas - darauf haben bereits einige meiner Vorredner hingewiesen, vor allen Dingen
Herr Rossmann -: Sie unterschätzen die Instrumente der
gemeinsamen Bildungsberichterstattung und die damit
verbundenen Empfehlungen. Sie unterschätzen, dass wir
in Deutschland erstmals gemeinsam einen Bildungspanel durchführen. Sie unterschätzen, dass die Bildungsforschung die Quelle von empirisch begründbarer und
wissensbasierter Bildungspolitik ist.
({8})
Das, was wir in Skandinavien immer wieder beobachtet haben und wovon wir sagen, dass das der Schlüssel
für die dortigen Erfolgsgeschichten war, wird jetzt in gemeinsamer Verantwortung von Bund und Ländern möglich. Wir gehen weg von der Phase der Modellversuche,
die nie die Fläche erreicht haben, und kommen hin zu einer Entwicklung, die mehr bewirken kann, als so mancher heute noch glaubt. Das sind neue Steuerungsinstrumente. Damit werden wir ein an internationalen
Maßstäben orientiertes Bildungssystem fortentwickeln.
Davon bin ich überzeugt.
({9})
Es ist in diesem Haus Konsens, dass der Wissenschafts- und Forschungsstandort Deutschland ein
hohes Ansehen genießt. Er ist in vielen Bereichen hoch
anerkannt. 87 Prozent aller Unternehmen sagen, ihre
Standortentscheidungen haben mit dem Stellenwert der
Forschung am jeweiligen Standort zu tun. Sie haben zu
tun mit guten Strukturen an den Universitäten
({10})
und damit, dass das durchschnittliche Niveau an den
Universitäten hoch ist. Das müssen wir überhaupt nicht
unter den Scheffel stellen.
Bildung und Forschung sind entscheidende Standortfaktoren geworden. Gerade in den letzten Wochen haben wir Standortentscheidungen erlebt, zum Beispiel
von AMD in Dresden, von Intel in Braunschweig, von
Roche in Bensberg und von Bosch in Reutlingen, die zeigen - wenn man die Unternehmen fragt, sagen sie das
auch -: Ein Grund ist, dass sich in Deutschland - das
werden wir am Beispiel der Fachhochschulen noch verstärkt wahrnehmen - die Kooperationen zwischen Wirtschaft und Hochschulen immer mehr als regionale und
strukturpolitisch relevante Faktoren erweisen. Auch das
ist Strukturpolitik und hat mit der regionalen Entwicklung zu tun.
({11})
Deshalb war es richtig, zu sagen: Jetzt legen wir zu.
Die Forschungsprämie wird Teil der Hightechstrategie
sein. In diesem Rahmen wird sie genau erläutert. Sie
wird auf kleine und mittelständische Unternehmen konzentriert. Aus den Gesprächen mit der Wirtschaft sind
die entscheidenden Daten dafür entwickelt worden.
Ich finde, wir sollten unterschiedliche Instrumente
nutzen. Wir werden auch andere Anreizsysteme entwickeln. Denn die Hightechstrategie ist nicht einfach eine
Anhäufung von wissenschaftlichen Programmen bzw.
von Forschungsprogrammen, sondern ein Zusammenspiel von Programm, Strategie und Anreizsystemen.
Das, was zusammengehört, wird erstmals auch zusammengebracht. Diese Bündelung der Kräfte wird helfen.
({12})
Meine letzte Bemerkung: Ich werde bei der embryonalen Stammzellforschung hart bleiben. Der nächste
Schritt muss sein, dass wir im Europäischen Parlament
signalisieren, dass es so nicht geht. Übrigens ist in
Deutschland in diesem Zusammenhang niemand gescheitert. Wir wurden überhaupt nicht gefragt. Es gab lediglich eine Abstimmung im Europäischen Parlament.
Ich halte es für falsch, die Frage der embryonalen
Stammzellforschung - überhaupt so schwierige Themen in das 7. Forschungsrahmenprogramm, also ins Hauptprogramm, aufzunehmen. Bisher gab es dafür ein spezifisches Programm. Jeder wusste, dass jedes Mitgliedsland an die Entscheidungen seiner Parlamente gebunden
ist. Diese Frage ist übrigens keine Frage von Fraktionen.
Dieses Parlament hat mit überwältigender Mehrheit,
quer durch die allermeisten Fraktionen, eine klare Entscheidung getroffen. Dieser Entscheidung ist diese Regierung verpflichtet und dieser Entscheidung fühle ich
mich auch persönlich verpflichtet, wie man weiß. Das
Europäische Parlament und die Europäische Kommission müssen wissen, dass sie durch eine solche Kopplung nicht eine Situation herbeiführen dürfen, in der das
gesamte Forschungsrahmenprogramm auf dem Spiel
steht. Hier wieder die alte Konstellation herzustellen,
muss unser nächster Schritt sein, um dann auch separat
beraten und entscheiden zu können.
({13})
An dieser Stelle wird deutlich, dass wir es in der Wissenschafts- und Forschungspolitik immer mit einem Zusammenspiel von klaren Perspektiven zu tun haben mit
Blick auf Investitionen, mit Blick auf die Zukunftschancen der jungen Generation - das muss unser Leitsatz
sein: für die, die eine Lehrstelle suchen, und für die, die
einen Studienplatz brauchen -, mit Blick auf die Teilhabe an Bildung, aber auch mit Blick auf Wertorientierung durch Bildung.
Ich danke Ihnen.
({14})
Das Wort hat jetzt der Kollege Jörg Tauss von der
SPD-Fraktion.
({0})
Ich bitte Sie, sich an die Zeit zu halten, weil die Frau Ministerin ihre Zeit deutlich überzogen hat.
({1})
Lieber Herr Präsident, ich bin, wie Sie wissen, immer
sehr bemüht, meine Redezeit einzuhalten.
Entschuldigung, Herr Tauss, nur um das aufzuklären:
Wenn die vereinbarte Redezeit eingehalten werden soll,
dann ist das nicht anders möglich, als dass die Redezeit
auch dem Koalitionspartner abgezogen wird.
({0})
Wie Sie wissen, haben die Mitglieder der Bundesregierung aufgrund der Verfassung unbegrenzte Redezeit.
Herr Präsident, noch habe ich 9 Minuten und 55 Sekunden. Ich gehe davon aus, dass mir die ersten fünf Sekunden wieder gutgeschrieben werden. Die Redezeit
wird aber auch ausreichen, weil die Ministerin in der Tat
viele wichtige Punkte für die Koalition angesprochen
hat.
Frau Pieper, Sie wissen - Historiker wissen das erst
recht -, dass es immer Versuche der jeweils Herrschenden gegeben hat, Geschichtsschreiber in ihrem Auftrag
die Geschichte so formulieren zu lassen, wie es ihnen
gepasst hat.
({0})
Kollege Mark ist Historiker; er kann das bestätigen.
Manches kam dann fälschlicherweise in die Geschichtsbücher und wurde verbreitet. Also, Frau Pieper: Wenn
Sie uns Kürzungen vorwerfen, dann lassen Sie uns festhalten - Frau Flach hat das ja, als wir einmal miteinander diskutiert haben, bereits als Fehler bezeichnet -, dass
unter Schwarz-Gelb, damals unter Herrn Rüttgers, bei
Bildung, Wissenschaft und Forschung massive Kürzungen vorgenommen worden sind. Das ist ein mathematischer Fakt; da hilft auch kein Geschichtsschreiber.
Selbstverständlich bin ich stolz darauf, dass es unter
Rot-Grün in den letzten Jahren gelungen ist, die entsprechenden Mittel um 30 Prozent aufzustocken.
({1})
Genauso stolz bin ich jetzt, dass Rot-Schwarz in Kontinuität dieser Politik das 3-Prozent-Ziel angeht. Ich
hoffe, dass die Geschichtsschreiber einmal feststellen
werden, dass es mit Bildung, Wissenschaft und Forschung immer dann, wenn Rot beteiligt war - egal ob
Rot-Grün oder Schwarz-Rot - aufwärts gegangen ist.
Damit könnte ich hervorragend leben.
({2})
Die Ausbildungsplätze sind auch so ein Thema. Ihre
Anzahl ist schon bei Kohl unter Schwarz-Gelb zurückgegangen. Auch unter Rot-Grün ist die Zahl der Ausbildungsplätze zurückgegangen; auch diesen Fakt müssen
wir anerkennen. Das ist unverrückbar. Allerdings gab es
eine Ausnahme unter Rot-Grün: Das war in dem Jahr, als
wir die Diskussion über eine Ausbildungsplatzumlage
geführt haben. Die Diskussion hat zum Ausbildungspakt
geführt. In diesem Jahr musste die Wirtschaft befürchten, dass es gefährlich wird für sie, dass man sie an ihre
Verpflichtungen erinnert. Und ganz plötzlich war es
möglich, die Zahl der Ausbildungsplätze zu steigern.
Seit die Herren aber das Gefühl haben, dass so etwas
nicht mehr droht, geht es wieder abwärts mit der Zahl
der Ausbildungsplätze. Auch das muss man sich merken.
({3})
Aus diesem Grunde bin ich außerordentlich dankbar,
dass sowohl Sie, Frau Bundesministerin Schavan, als
auch die Bundeskanzlerin die Wirtschaft daran erinnert
haben, dass wir noch zusätzlich 50 000 Ausbildungsplätze brauchen.
Das ist eine Hausnummer, die genannt worden ist,
und die ist von der Wirtschaft zu erbringen. Es geht hier
nicht nur um eine Sozialleistung. Es geht um die Zukunftssicherung, darum, den Fachkräftemangel zu beseitigen im Interesse der deutschen Wirtschaft.
({4})
Das müssen wir von den Herrschaften nicht einbetteln, das müssen wir einfordern von den Herrschaften,
egal ob sie Hundt oder wie auch immer heißen, um dieses noch einmal ganz klar zu machen.
({5})
Wir haben als Koalition Wort gehalten. Wir haben einen Rekordhaushalt für Bildung und Forschung vorgelegt. Die Kollegen Hagemann und Willsch haben das
entsprechend dargelegt. Das brauche ich an dieser Stelle
nicht zu vertiefen. Wir machen sehr vieles zusätzlich für
die Projektförderung. Ich bin den Haushältern dankbar,
dass sie uns hier insgesamt unterstützt haben. Es ist Tatsache, dass wir für den Bereich Bildung, Wissenschaft
und Forschung den höchsten Haushalt haben trotz Verlagerungen zum Teil in andere Ressorts.
Wir werden die Schwerpunkte bei den neuen Technologien belassen: plus 7,8 Prozent. Lebenswissenschaften plus 9,5 Prozent, umweltgerechte Entwicklung plus
6,6 Prozent. Wir fanden bei Frau Ministerin Schavan
eine ausdrückliche Unterstützung für den Aufwuchs der
Mittel für Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften.
Ich glaube, wir hatten eine tolle Anhörung, in der wir auf
die Probleme im Bereich der Geisteswissenschaften hingewiesen haben. Die Ergebnisse können wir jetzt am
Haushalt ablesen. Wir hatten bei der Bundesregierung
und beim Finanzminister die entsprechende Unterstützung. Dafür sind wir dankbar.
Frau Flach, ich muss wirklich sagen, ich finde es
nicht in Ordnung, wie Sie hier zur Stiftung Friedensforschung geredet haben. Das fand ich nicht gut.
({6})
Wenn wir einmal sehen, was weltweit für Rüstung
ausgegeben wird, wenn wir sehen, was wir an Militäretats haben, wenn wir sehen, was es in den vielen Teilen
der Welt für Fehlentwicklungen gibt - Verminung ganzer Landstriche, katastrophale Entwicklungen durch
Krieg und Zerstörung, die wir dann mühsam und mit
sehr viel Geld rückgängig machen müssen, indem wir
Friedenstruppen hinschicken; letztes Beispiel Kongo zur
Absicherung einer Wahl -, dann halte ich es für richtig,
wenn man einen minimalen Betrag - um den geht es von 2 Millionen Euro zusätzlich dafür aufwendet, zu
überlegen, wie von vornherein vermieden werden kann,
dass solch teure Investitionen in militärische Maßnahmen vorgenommen werden müssen.
({7})
Wir müssen hier prophylaktisch arbeiten. Ich bin mir
darin mit dem Kollegen Willsch und der CDU einig.
({8})
- Wir haben das toll miteinander hinbekommen, Herr
Willsch. Ich erinnere mich mit Freude an diesen Morgen.
Freuen Sie sich doch einmal, wenn ich Sie lobe. Es waren tolle Projekte. Beispielsweise wird jetzt nachgeschaut, ob die Polizeimaßnahmen im Kosovo und anderswo den richtigen strategischen Ansatz haben und
wie wir sie verbessern können. Das sind Dinge, die erforscht werden und die uns letztlich weiterhelfen, übrigens auch hinsichtlich der Kosten entsprechender Einsätze.
Ich bin stolz auf das, was durch die Deutsche Stiftung
Friedensforschung - sie hat ihren Sitz in Osnabrück; das
erinnert uns an den Westfälischen Frieden - getan wird.
Das werden wir auch in diesem und im nächsten Jahre
weiter fördern. Dann wollen wir aber auch einmal die
Möglichkeit haben, zu sagen: Jetzt ist es gut für den Rest
der Legislaturperiode. Aber sie leistet gute Arbeit.
Mittel für Großgeräte oder Ähnliches sollten wir
auch nicht vergessen. Wichtig sind PETRA III, X-FEL
und FAIR, Großgeräte für die deutsche Wissenschaft.
Sie werden die internationale Wissenschaft wieder nach
Deutschland bringen. Das ist ein toller Akzent und eine
geradlinige Fortsetzung einer vernünftigen Politik. Auch
hier sind wir dankbar, dass das Bundesministerium für
Bildung und Wissenschaft dies entsprechend fördert und
in diesem Zusammenhang neue Impulse setzt.
Die Forschungsprämie ist ein interessanter Punkt.
Wenn hier übrigens über Urheberrecht geredet wird,
muss man ganz klar sagen: Das Urheberrecht hat eigentlich der Bundesverband der Deutschen Industrie. Noch
hoffe ich, dass wir mit denen nicht in einem Sack hocken, auch der Koalitionspartner nicht. Damit das klar
ist. Was die allerdings von uns wollten, waren zum Teil
Subventionstatbestände, auch für die Großindustrie. Wir
werden hier einen interessanten und auch intellektuell
richtigen Ansatz finden, zu sagen: Wir subventionieren
nicht die Industrie, sondern wir wollen einen Beitrag im
Zusammenhang mit den Hochschulen leisten. Die Hochschulen müssen von dieser Forschungsprämie und der
Kooperation mit der Wirtschaft profitieren. Das halte ich
für einen wichtigen Punkt.
({9})
Wir haben ja mit Herrn Staatssekretär Storm diese
Woche schon die entsprechenden Gespräche geführt. Ich
glaube, das wird eine interessante Geschichte sein. Ich
weiß, dass die Opposition neugierig ist; das ist völlig
klar. Wir werden die Höhe der Finanzierung nennen,
nachdem wir das in Ruhe diskutiert und eine vernünftige
Lösung gefunden haben.
Ich will noch einen Punkt erwähnen, der auch von der
FDP angesprochen worden ist und bei dem es um die Patentierbarkeit, das Risiko, die Umwandlung in Produkte
und all diese Dinge geht. Wir sind uns hier völlig einig.
Als Dispatcher auf der USA-Reise will ich an dieser
Stelle aber noch einen Punkt sagen.
({10})
Das, was uns die Amerikaner gesagt haben, war hochinteressant. Wir haben uns dort mit jungen Leuten zusammengesetzt, die Risikokapital verteilen. Niemand von
denen hat gesagt, dass sie auf den amerikanischen Staat
hoffen. Das unterscheidet sie erheblich von der deutschen Wirtschaft, die sagt: Bevor wir als Business Angels tätig werden, müsst ihr erst einmal steuerliche Rahmenbedingungen schaffen.
Die Jungs haben geschaut wie sonst etwas, weil man
auch nur auf diese Idee gekommen ist. Sie haben gesagt:
Unser Prinzip in Kalifornien ist: Having fun, making
money und - das wird in Deutschland selten von Unternehmen gesagt; ich habe es bisher zumindest nur sehr
selten gehört - doing good. Sie sind dankbar, dass sie Erfolg hatten, und sie nehmen das Geld, das sie verdient
haben, und helfen damit jungen Unternehmern, dasselbe
zu erreichen, was sie erreicht haben. Eine solche Philosophie in der deutschen Wirtschaft würde uns an vielen
Stellen voranbringen.
({11})
Frau Ministerin, jetzt komme ich zu einem Punkt, bei
dem wir einen kleinen Dissens haben, nämlich zur Bewertung der jetzt diskutierten Föderalismusreform. Ich
habe übrigens keinen Dissens mit meiner Landesvorsitzenden. Zwischen uns passt kein Blatt Papier. Ich bin in
der Tat der Auffassung, dass das, was wir im Moment
angelegt haben und was in Texten auf dem Tisch vorliegt
- ich hoffe, bis Sonntag erreichen wir Verbesserungen -,
etwas Ähnliches wie ein Kooperationsverbot ist.
Wenn man sagt, dass man kein Kooperationsverbot
will, dann könnte man in das deutsche Grundgesetz doch
klar und deutlich schreiben: Bund und Länder wirken bei
der Entwicklung und Gestaltung des Bildungswesen und
der Wissenschaft und Forschung mit Zustimmung des
Bundesrates zusammen. Somit kann man ihm auch nicht
irgendetwas aufdrücken. Dann müssten wir ein Gesetz
erlassen, in dem das klar geregelt ist.
({12})
Wer sagt, dass wir kein Kooperationsverbot haben und
auch nicht wollen, der könnte das ganz klar im Grundgesetz formulieren. An diesen Punkt möchte ich nur erinnern.
({13})
Ich will den Mitgliedern meiner Arbeitsgruppe nicht
vorgreifen, aber ich kann nur sagen: Das, was mir im
Moment vorliegt, ist für mich noch nicht zustimmungsfähig.
({14})
Ich würde mir sehr wünschen, dass in der nächsten Woche auch einzelnen Ministerpräsidenten klar wird, dass
sie den Erfolg der Föderalismusreform nicht durch Uneinsichtigkeit gefährden dürfen. Das hoffen wir. Wie gesagt, ich baue auf die Vernunft und eine klare Lösung.
Herr Präsident, ich hoffe, Sie stimmen mit mir überein, dass ich meine Redezeit hervorragend dispatched
habe.
({15})
Wir haben es also trotz der langen Rede der Ministerin
miteinander hinbekommen. Es war aber wichtig, in dieser heutigen Debatte all das zu sagen, was wir zur Bildung, Wissenschaft und Forschung gesagt haben.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
({16})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den
Einzelplan 30 - Bundesministerium für Bildung und
Forschung - in der Ausschussfassung. Hierzu liegen Änderungsanträge vor, über die wir zuerst abstimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der
FDP auf Drucksache 16/1871? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist damit mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen und des Bündnisses 90/Die Grünen bei Zustimmung der FDP-Fraktion
und der Fraktion Die Linke abgelehnt.
Jetzt kommen wir zum Änderungsantrag der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 16/1872. Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Zustimmung der Fraktion
Die Linke und Enthaltung des Bündnisses 90/Die Grünen abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 16/1873? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den
Stimmen aller Fraktionen bei Zustimmung der Fraktion
Die Linke abgelehnt.
Wer stimmt für den Einzelplan 30 in der Ausschussfassung - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der
Einzelplan 30 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen.
Tagesordnungspunkt I.15 b: Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 16/1291 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es weitere Vorschläge? - Das ist nicht der
Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe,
komme ich zurück zu Tagesordnungspunkt I.5 c. Es
handelt sich um den bereits am Dienstag an die Ausschüsse überwiesenen Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Umsetzung europäischer Richtlinien zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung,
Drucksachen 16/1780 und 16/1852. Interfraktionell ist
vereinbart worden, dass dieser Gesetzentwurf nachträglich an den Finanzausschuss, den Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, den
Ausschuss für Gesundheit, den Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe und an den Ausschuss
für die Angelegenheiten der Europäischen Union überwiesen werden soll. Sind Sie damit einverstanden? - Das
ist offensichtlich der Fall. Dann sind die Überweisungen
so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.16 auf:
Einzelplan 16
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit
- Drucksache 16/1324 Berichterstattung:
Abgeordnete Michael Leutert
Petra Hinz ({0})
Anna Lührmann
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. Gibt es
Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so
beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Kollegin Ulrike Flach von der FDP-Fraktion
das Wort.
({1})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Umweltschutz muss heute mehr denn je sowohl auf einen effizienten Einsatz von Haushaltsmitteln als auch
auf eine vorsorgende und nachhaltige Gesamtstrategie
achten. Deshalb kann auch der Umwelthaushalt nicht
von Einsparungen verschont bleiben. Die Ausgaben
müssen sich daran orientieren, wo mit geringstem Mitteleinsatz die größtmögliche positive Wirkung für die
Umwelt zu erzielen ist.
({0})
Ich möchte einige Aspekte herausgreifen, die deutlich
machen, dass der Umweltminister dieser komplexen
Aufgabe der Vorsorge und Nachhaltigkeit bei sparsamem Mitteleinsatz nicht durchgehend nachkommt. Vorsorge zu betreiben hieße, im Haushalt 2006 erheblich
mehr Mittel für das fertig gestellte Endlager Schacht
Konrad und die weitere Erkundung des Salzstockes
Gorleben einzustellen. Sie haben für Gorleben
26 Millionen Euro eingestellt, womit lediglich die Offenhaltungskosten gedeckt werden. Wir wollen die Erkundung fortsetzen.
({1})
Sie sollten auch das Endlager Schacht Konrad, das
nach rechtskräftigem Abschluss des Gerichtsverfahrens
in Betrieb gehen müsste, finanziell absichern. Man kann
nicht auf der einen Seite bei der der Atomkraft ständig
die ungelöste Endlagerfrage kritisieren, Herr Gabriel,
aber auf der anderen Seite die Mittel für ein planungsrechtlich erschlossenes Endlager zurückhalten.
({2})
Ein verantwortlicher Umgang mit Steuergeldern bedeutet auch - das wurde im Zusammenhang mit dem
Verkehrsetat bereits angesprochen -, dass die Ressortforschungseinrichtungen regelmäßig evaluiert und aus
dem Ergebnis auch Konsequenzen gezogen werden. Der
Umgang mit dem Ergebnis der Begutachtung des
Bundesamtes für Strahlenschutz - ehemals eines der
renommiertesten Institute in Deutschland - durch den
Wissenschaftsrat ist symptomatisch. Der Wissenschaftsrat urteilt, das Amt werde seinem selbst gesetzten Anspruch als Informationsvermittler nicht gerecht. Die
Aufgabenwahrnehmung entspreche nicht dem Errichtungsgesetz. Der wissenschaftliche Auftrag spiele kaum
eine Rolle und die Forschung sei nicht auf dem neuesten
Stand.
({3})
Vernichtender kann ein Urteil über eine Ressortforschungseinrichtung nicht ausfallen.
Sie - vertreten durch Ihren Staatssekretär Müller sind aber nicht bereit, Herr Gabriel, diese wissenschaftliche Expertise auch nur ansatzweise aufzugreifen und das
Amt, das den Steuerzahler allein bei den Personal- und
Sachkosten 168 Millionen Euro kostet - das muss man
als Haushälter berücksichtigen -, seinem gesetzlichen
Auftrag entsprechend zu gestalten. Sie glauben doch
wohl nicht im Ernst, dass Sie damit bei den Haushältern
aller Fraktionen durchkommen.
Ich appelliere an die Kollegen aller Fraktionen, hierbei auf die saubere Verwendung der Steuergelder zu achten. Wir können es uns nicht leisten, dass eine Forschungseinrichtung, die die Öffentlichkeit sachlich
neutral - das ist nämlich das Entscheidende - über Fragen des Strahlenschutzes informieren soll, von dem immerhin höchsten Rat, den wir für diesen Zweck haben
und der evaluiert, so beschrieben wird, dass man zu dem
Schluss kommen muss, dass es sich um eine Propagandaeinrichtung des Umweltministers handelt.
({4})
Umweltpolitik darf keine Sache der Ideologie sein.
Das haben wir lange genug unter Rot-Grün erlebt.
({5})
Dies gilt natürlich vor allem auch im Bereich der Energiepolitik, aufgeteilt auf drei Ministerien mit jeweils anderen Schwerpunkten.
({6})
Hier ist die große Koalition eindeutig auf verschiedenen
Dampfern unterwegs. Gerade heute gibt es dazu wieder
einen schönen Artikel in der „Süddeutschen Zeitung“.
Man versucht hier offensichtlich nicht, das Problem
gemeinsam zu lösen und uns endlich aus der Abhängigkeit zu lösen und selbstständig zu machen. Wir müssen
wissen, wie wir als Energiestandort Deutschland ohne
Abhängigkeiten, wie wir sie in den letzten Monaten erlebt haben, reagieren können. Man zerrt vielmehr in verschiedene Richtungen, die sich dann im Haushalt schon
sehr merkwürdig darstellen, Herr Gabriel.
So wird bei Herrn Glos die kerntechnische Sicherheitsforschung hochgefahren und die Exportunterstützung für erneuerbare Energien von 15 Millionen Euro
auf 12 Millionen Euro heruntergefahren. Sie fahren genau die umgekehrte Strategie und verdoppeln die Investitionszuschüsse für erneuerbare Energien und die Mittel
für Forschungsvorhaben in diesem Bereich.
({7})
Die ganzen letzten Wochen haben wir uns daran vergnügt, wie Sie sich beide über die Medien, manchmal
auch brieflich, manchmal auch mit uns im Ausschuss
darüber unterhalten haben. Aber diese Hü-Hott-Politik,
lieber Herr Minister, wird mit Sicherheit nicht dazu beitragen, dass der Hightechstandort Deutschland mehr aufblühen wird, als wir es zurzeit sehen.
({8})
Für die FDP gehören beide, die erneuerbaren Energien und die Kernkraft, zu einer modernen Energieversorgung. Sie haben diese inneren Widersprüche - das
muss ich vor allem in Richtung der Kollegen von der
CDU/CSU sagen - bisher weder im Koalitionsvertrag
noch in der täglichen Arbeit der Ministerien auflösen
können.
({9})
Worüber Sie sich geeinigt haben - dazu will ich, liebe
Kollegen, zumindest zum Schluss noch ein paar Worte
verlieren -, ist ein Umstand, der in diesem Etat nicht
verankert ist, aber für den Sie, Herr Gabriel, politisch
verantwortlich sind. Das ist die kostenlose Abgabe von
Flächen des Bundes an die Länder im Rahmen der Stiftung Naturerbe.
Ich bin dem Kollegen Fromme von der CDU/CSU äußerst dankbar - er ist nämlich der gleichen Meinung wie
die FDP -, dass er einmal das Ausmaß dieser Schenkung
anhand einer wunderschönen Karte dargestellt hat. Ich
empfehle jedem, sich das einmal anzusehen. Deutschland hat Masern, wenn wir es so machen, wie Sie es sich
offenbar vorgenommen haben. Das Land ist gesprenkelt
von Flächen, die in Zukunft den Ländern bzw. der Stiftung gehören werden. Das ist verschenktes Geld im Wert
von bis zu 220 Millionen Euro, die Sie dem Naturschutz
in einer Haushaltssituation, wie wir sie zurzeit haben,
übereignen.
({10})
Herr Gabriel, es ist geradezu aberwitzig, dass Sie das
mitmachen. Wir können Sie davor nur warnen.
Kollege Kauch wird Ihnen sicherlich gleich sagen,
was wir zu dem Thema Grünes Band denken. Wir sind
natürlich für das Grüne Band gewesen, aber wir sind
nicht für die Verschleuderung von Steuergeldern. Auch
dafür sind Sie zuständig und verantwortlich.
({11})
Ich denke, Sie sollten sich das noch einmal sehr gut
überlegen.
Zum Schluss appelliere ich an die Haushälter der beiden großen Fraktionen. Wir haben im Prinzip einen weisen Beschluss in Form eines Vermerks im Haushalt getroffen. Wir haben hineingeschrieben, die Länder sollten
das Personal, das damit zusammenhängt, unbedingt
übernehmen. Lieber Herr Kampeter, ich kann Ihnen nur
raten, das auch tatsächlich umzusetzen.
({12})
Dann wird uns vielleicht allen erspart bleiben, dass an
dieser Stelle im Haushalt ein Verlust von über
200 Millionen Euro zu verzeichnen ist. Ich setze dabei
auf Sie und hoffe, dass das so läuft.
({13})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Petra Hinz von der
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer der Debatte in
den letzten Tagen gefolgt ist und sehr aufmerksam zugehört hat
({0})
- so wie wir, Herr Kampeter, und, wie ich denke, auch
Frau Flach -,
({1})
wird festgestellt haben, dass nur wenige - ich habe in
meinem Manuskript stehen: keine - konstruktive Vorschläge eingebracht wurden. Ich habe nur Kritik gehört.
Es gab nicht einen konstruktiven Vorschlag.
({2})
Auch das, was Sie heute vorgetragen haben, war alles
andere als konstruktiv und im Prinzip nichts anderes als
die Fortsetzung Ihrer Ausschussarbeit.
({3})
Die Reden der Vertreter der Opposition waren teilweise
inhalts- und konzeptionslos.
({4})
Beeindruckend, finde ich, ist die Tatsache, dass Sie,
liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,
Umgangsformen pflegen - ohne auf die Konsequenzen
und die Wirkung auf die Bürger zu achten -, die nicht zu
einer besseren Darstellung der Politik und der Politiker
beitragen. Sie sollten sehr genau aufpassen; denn den
Geist, den Sie nun aus medialen und populistischen
Gründen herbeirufen, werden wir eventuell nicht mehr
los. Um es noch deutlicher zu sagen: Populismus kann
und darf kein Instrument der Politik sein. Schöne Grüße
an Herrn Westerwelle und Frau Künast!
({5})
Ich möchte dafür Beispiele nennen. Sie von der FDP
arbeiten noch immer Ihren Wahlkampf und das für Sie
unbefriedigende Wahlergebnis ab. Das kann ich sowohl
in menschlicher Hinsicht als auch als Wahlkämpferin
sehr gut nachvollziehen. Aber Sie sollten nicht ständig
gegen alles sein, sondern sich gemeinsam mit uns - gerade weil der Einzelplan 30 ein Zukunftsplan ist - den
wichtigen Herausforderungen der Zukunft stellen.
({6})
Sie von der Linken bauen Traum- und Luftschlösser
auf, die nichts mit der Wirklichkeit zu tun haben und
kein Fundament haben. Sie erwecken bei den Menschen
Hoffnungen und Erwartungen, die Sie nicht annähernd
erfüllen können. Auch das trägt nicht zur Glaubwürdigkeit der Politik und der Politiker bei.
({7})
In den Ausschussberatungen haben Sie - Herr Leutert ist
leider nicht anwesend ({8})
nur draufgesattelt, ohne zu fragen, ob die Mittel im laufenden Haushaltsjahr noch verausgabt werden können,
ohne die Sinnhaftigkeit der Etatisierung zu hinterfragen.
Das war konzeptionslos.
({9})
Zu den Grünen: Auch wenn Frau Künast nicht anwesend ist, beziehe ich mich auf ihre gestrige Rede. Ich
habe den Eindruck, dass sie über eine gläserne Kugel
verfügt; denn Frau Künast kann in die Zukunft schauen.
Zur Erinnerung: Sie hat gestern den Niedergang der
deutschen Umweltpolitik prophezeit. Ich kann dazu nur
sagen: Fern aller Realität! Ich bitte Sie, meine Damen
und Herren von den Grünen, ganz höflich, Ihrer Kollegin
einmal zu sagen, dass sie mit der Märchenstunde aufhören soll. Im Ausschuss haben Sie als Fachpolitiker noch
bekräftigt - das ist im Protokoll nachzulesen -, dass der
Anstieg des Etats des BMU die wachsende Bedeutung
der Umweltpolitik in Deutschland deutlich macht und
nicht den Niedergang beschreibt.
({10})
Zum Vergleich: 1998 hatte der Umwelthaushalt ein
Volumen von 620 Millionen Euro und 2005 ein Volumen
von 769 Millionen Euro.
({11})
- Herr Kampeter! - Im Haushalt 2006 beträgt das Volumen 774 Millionen Euro. Um es Ihnen leicht zu machen:
Nach Adam Riese beträgt der Zuwachs im Vergleich
zum Vorjahr 0,7 Prozent.
Petra Hinz ({12})
({13})
Ich rede nur vom Umwelthaushalt. Im Gesamthaushalt
stehen für Umweltschutzausgaben insgesamt 4,052 Milliarden Euro zur Verfügung.
Verwundert bin ich allerdings über die Berichterstattergespräche. Gerade die kleinen Fraktionen haben im
Rahmen dieser Gespräche - genau, Herr Kauch, halten
Sie ruhig das dicke Kompendium von 500 Anträgen
hoch - einen so großen zeitlichen Druck erzeugt, dass
wir ständig fragen mussten, ob wir überhaupt noch eine
Frage stellen dürfen oder ob ein Nachfolgetermin notwendig ist. Auf einmal kommen Sie im Rahmen der
Ausschussberatung, ohne vorher in den Berichterstattergesprächen die Chance genutzt zu haben, das eine oder
andere zu hinterfragen, mit Ihren Anträgen an. Wie gesagt, besonders spannend finde ich das Antragspaket der
FDP.
({14})
Ich komme jetzt zu einzelnen Anträgen in dem Wunderwerk der FDP „Wer bietet mehr - ohne Konzept?“,
um deutlich zu machen, wo Ihre Schwerpunkte liegen:
Ein Kürzungsantrag bezieht sich auf die Kosten des
Messprogramms zur Überwachung der Gewässergüte.
Hier sollen 227 000 Euro eingespart werden. Ein anderer
Titel lautet: „Forschung, Untersuchungen und Ähnliches“. Hier wollen Sie 655 000 Euro einsparen.
Jetzt nehmen wir uns doch einmal die Zeit, uns anzuschauen, was „Ähnliches“ heißt: Die FDP wollte die
Mittel in den Bereichen Umweltpolitik, Gewässerschutz,
Klimaschutz, Luftreinhaltung, Anlagensicherheit, Lärmschutz, Lärmbekämpfung und Umweltwirkungen auf die
menschliche Gesundheit um 655 000 Euro kürzen, obwohl wir Investitionen in diesen Bereichen besonders
brauchen; denn gerade hier schaffen wir Arbeitsplätze.
({15})
Die Ausgaben für Umweltschutzprojekte und Naturschutzprojekte von Verbänden wollen Sie sogar um rund
1,1 Millionen Euro kürzen. Haben wir eigentlich bestehende Verträge? Diese Frage ist gar nicht gestellt worden. Welche Programme sollen denn da aufgekündigt
werden? Auch diese Frage ist nicht gestellt worden.
({16})
- Sie können so viel hineinrufen, wie Sie wollen; deswegen werden Ihre Aussagen nicht wahrer.
Weiter: Die Investitionen zur Verminderung von Umweltschutzbelastungen wollen Sie um 1,25 Millionen
Euro kürzen. In dieser Art gibt es weitere Anträge, die
ich hier vorstellen könnte.
({17})
Das ist das große Einsparungspotenzial der FDP, ohne
Rücksicht auf Investitionsprogramme, Forschung und
Entwicklung oder Wachstum und Beschäftigung.
Der nächste Punkt. Fast gebetsmühlenartig sprechen
Sie im Ausschuss immer wieder das Thema Endlagerbereich an - Sie haben es auch gerade wieder angesprochen -,
({18})
obwohl Minister Gabriel sehr deutlich auf die rechtlichen Rahmenbedingungen hingewiesen und angekündigt hat, noch im Laufe dieses Jahres die Frage zu klären.
({19})
- Er hat gesagt, die Konzeption werde erarbeitet; das
wissen Sie. Die Frage „Wie denn?“ war wohl eine rein
rhetorische.
({20})
Wir sanieren und setzen gleichzeitig Impulse für
Wachstum und Beschäftigung. Ein Herzstück dabei ist
die Förderung erneuerbarer Energien. Sie wurde von
40 Millionen Euro um 43 Millionen Euro auf über
83 Millionen Euro im Haushalt 2006 verdoppelt und entsprechend etatisiert. Das ist ein großer politischer Erfolg.
({21})
Deshalb verstehe ich die Vorwürfe der Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen nicht so ganz. Sie haben uns
im Ausschuss während der Haushaltsberatungen vorgeworfen, dass die Forschungsmittel für erneuerbare Energien und für das Marktanreizprogramm gegenseitig deckungsfähig gewesen seien, was dazu geführt habe, dass
hohe Summen aus dem Marktanreizprogramm für Forschungsvorhaben im Bereich der erneuerbaren Energien
eingesetzt worden seien und daher für eine Verwendung
im Rahmen des Marktanreizprogramms nicht mehr zur
Verfügung gestanden hätten. Das war übrigens Spielmasse für den damaligen Minister Trittin.
({22})
Da haben wir jetzt ein P vorgesetzt,
({23})
indem wir die Deckungsfähigkeit aufgehoben und damit
de facto die Mittel erhöht haben. Das ist im Haushalt
nachzulesen und das ist zukunftsweisend.
({24})
Unsere Haushaltspolitik ist konsequent und schlüssig.
Alle Ausgaben stehen auf dem Prüfstand und werden daraufhin untersucht, ob sie zielgenau und richtig verwandt
werden. Wir bleiben ein verlässlicher Partner im Rahmen der Abkommen und Vereinbarungen. Wir kürzen
nicht willkürlich im Rahmen von internationalen AbPetra Hinz ({25})
kommen Mittel um 300 000 oder 600 000 Euro, wie es
die FDP vorhatte.
Zur Wahrheit und Klarheit des Haushaltes gehört,
dass wir intensiv über Haushaltsausgabereste und
gegenseitige Deckungsfähigkeit reden. Das, Herr
Gabriel, ist tatsächlich ein Ansatz für den Haushalt 2007.
({26})
Wir haben in diesem Bereich enorme Ausgabereste. Das
Ministerium könnte sich intensiv darum bemühen, dass
die Mittel abfließen können.
({27})
Was wir von der großen Koalition Ihnen vorgestellt
haben, ist nachhaltige Umwelt-, Finanz- bzw. Haushaltspolitik.
({28})
Damit ermöglichen wir Planung für die Zukunft oder,
anders gesagt, nachhaltige Generationengerechtigkeit.
Es gehört sich, dass man sich zum Schluss bedankt.
Ich möchte mich ganz herzlich beim Bundesministerium
für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit - hier
stellvertretend natürlich beim Minister und stellvertretend für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei Herrn
Püschel - bedanken. Außerdem möchte ich einen Dank
sagen an das Bundesministerium der Finanzen sowie an
die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Ausschuss für
die angenehme und konstruktive Atmosphäre. Bedanken
möchte ich mich auch für die Zusammenarbeit, und zwar
natürlich beim Koalitionspartner, bei Frau Flach
({29})
und bei allen anderen Mitberichterstattern und Hauptberichterstattern.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({30})
Das Wort hat der Kollege Hans-Kurt Hill für die Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen
und Kollegen! Minimalismus, Stillstand, Ermüdung das ist das, was der Umwelthaushalt 2006 und die Situation der großen Koalition widerspiegeln.
({0})
Frau Kollegin Hinz, ich empfehle mal eine Trainingseinheit bei Herrn Klinsmann. Vielleicht hilft Ihnen das.
Den drängenden Umweltaufgaben werden die Haushaltszahlen nämlich nicht gerecht.
Herr Minister Gabriel, wenn man Ihre Reden so verfolgt, stellt man fest, dass Sie für manches zuständig
sind: für Wirtschaft, für Arbeit und für Entwicklungshilfe. Sogar zu Verteidigungsaufgaben fühlen Sie sich
berufen.
({1})
Als Industrieminister nimmt man Sie wahr, aber bei Umwelt und Naturschutz ist nach meiner Meinung Fehlanzeige.
({2})
Sie machen Umweltschutz im Kriechgang. Das geht auf
Kosten der Ökosysteme und damit auf Kosten der Menschen in Deutschland.
Stichwort: erneuerbare Energien. Täglich lesen wir
Meldungen über die Folgen des Klimawandels:
({3})
Wetterextreme, massenhafter Artenschwund, Verlust
wertvoller Kulturlandschaft.
({4})
Ergebnis: Kosten für die Volkswirtschaft in Milliardenhöhe. Hauptgrund: die massenhafte Verbrennung von
Kohle, Öl und Gas zur Energieerzeugung.
({5})
Nebenwirkungen dieser Politik: fatale Abhängigkeit von
Importen knapper Energien zu astronomischen Preisen.
Deutschland lässt sich von einzelnen Energiekonzernen
am Nasenring durch die Arena führen.
({6})
Ich sage Ihnen: Wir können diese Probleme nur lösen,
wenn wir in der Energiepolitik endlich einen anderen
Weg gehen. Energie intelligenter nutzen und konsequent
und zügig auf erneuerbare Energien setzen!
Herr Minister Gabriel, Sie verkünden, natürlich auch
mehr für Energie aus Sonne, Wind und Co. zu tun. Immerhin - das ist eben angeklungen - sind 43 Millionen
Euro mehr im Umweltetat für die Forschung zu erneuerbaren Energien eingestellt. Doch wenn man genauer hinschaut, erkennt man: Das ist ein Ringtausch zulasten der
Zukunftsenergiebetriebe. Ausgerechnet bei der Förderung von Geothermie und Biomasse werden 13 Millionen Euro gestrichen. Bei der Atomenergie ist man da
nicht so kleinlich.
({7})
Eines ist klar, Herr Gabriel: Wenn Sie die Endlagerprobleme der Atomlobby überlassen, Gorleben zur Verhandlungsmasse erklären und auch nur ein Atommeiler
länger läuft als vorgesehen, dann sollten Sie besser den
Hut nehmen.
Beim Vergleich der Haushaltszahlen für erneuerbare
Energien mit der Steuerpolitik dieser Regierung wird eines deutlich: Die Zukunftsenergien bleiben auf der
Strecke und die Zeche zahlen wieder einmal die privaten
Haushalte.
({8})
Ausgerechnet bei den Biokraftstoffen wird Kasse gemacht, die Energie verschwendende Industrie von der
Umlage für die Windenergie und den Solarstrom - beides umweltfreundlich - befreit.
Das Energiesteuergesetz liest sich wie ein Abgesang
an die Zukunft: klimaschädliche Kohleverstromung:
76 Millionen Euro weniger Einnahmen; Klimakiller
Flugverkehr: 32 Millionen Euro weniger Steuern; Energie verschwendende Industrie: 60 Millionen Euro geschenkt plus 400 Millionen Euro weniger Abgaben, damit die Konzerne nichts für den Ökostrom bezahlen.
Die Steuergeschenke an die Klimasünder - da sind
Sie sich einig - können nicht groß genug sein. Mit höheren Abgaben auf erneuerbare Energien und für private
Haushalte wird die Steuerkasse aufgefüllt. Dabei wissen
Sie vor lauter Aufregung nicht, wo Sie die Milliarden
kassieren sollen.
Kollege Hill, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Gern.
Vielen Dank, dass Sie mir eine Zwischenfrage ermöglichen. - Herr Kollege Hill, ist Ihnen bekannt, dass die
Härtefallregelung, die Sie angesprochen haben, von einem Finanzminister eingeführt worden ist, der jetzt Ihr
Fraktionsvorsitzender ist?
Es tut mir Leid: Damals war er Vorsitzender Ihrer
Fraktion, nicht der Vorsitzende der Fraktion der Linken.
({0})
Somit habe ich das nicht zu verantworten. Das müssen
Sie verantworten, oder?
({1})
Damit die Bürgerinnen und Bürger wissen, was
kommt: Aufgrund der gestiegenen Spritpreise kassiert
der Finanzminister noch auf Grundlage des alten Mehrwertsteuersatzes von 16 Prozent allein in diesem Jahr
über 1 Milliarde Euro mehr. Mit Steuern in Höhe von insgesamt 1,7 Milliarden Euro macht Minister Steinbrück
umweltfreundlichen Biokraftstoff völlig uninteressant.
Das Geld kommt von den Privathaushalten, die mit steigenden Energiepreisen kämpfen, und von den Landwirten, die bisher erfolgreich in Bioenergie investiert haben.
Rücken Sie diese 2 Milliarden Euro wieder heraus!
({2})
Statt mit erneuerbaren Energien die Strompreise zu
senken und den Klimaschutz zu stärken, setzt die große
Koalition auf alte Kamellen: Die heimische Kohle soll es
richten.
({3})
Die Stromkonzerne versprechen Ihnen klimagasfreie
Kohlekraftwerke; Sie glauben das Märchen auch noch.
Ohne eine Verdoppelung der Strompreise ist der Unsinn
- ganz zu schweigen von der Endlagerung über Jahrtausende - überhaupt nicht finanzierbar.
({4})
Hier tauchen übrigens noch einmal die 2 Milliarden
Euro auf: Die Klimagasverklappung soll gefördert und
das Geld den Monopolisten in den Rachen geworfen
werden.
Wofür stehen Sie eigentlich? Glauben Sie im Ernst,
dass wir noch einmal über 1 000 Quadratkilometer
Landschaft aufreißen können, um mehr Braunkohle zu
verfeuern? Das ist den Menschen doch überhaupt nicht
mehr zu vermitteln. Glauben Sie wirklich, dass die Energiekonzerne mehr deutsche Steinkohle verfeuern und zusätzliche Kraftwerke bauen?
({5})
Die SPD hat doch längst den Ausstieg aus dem Bergbau beschlossen. Die Energiewirtschaft baut nur neu,
um alte und marode Kohlekraftwerksblöcke zu ersetzen.
Die Folge: 25 000 Arbeitsplätze werden überflüssig,
weil neue Kraftwerke mit minimaler Belegschaft betrieben werden und weil RAG-SPD-Müller den Steinkohlebergbau abschaffen möchte.
({6})
Wenn aufgrund Ihrer Stillstandspolitik der Anteil der
erneuerbaren Energien nicht um 1 Prozentpunkt gesteigert wird, hat das zur Folge, dass 20 000 Arbeitsplätze
nicht geschaffen werden. Dafür werden wir Sie in die
Verantwortung nehmen. Was Sie hier machen, ist
Hartz IV aus der Steckdose. Fazit: Gabriels Fördertopf
wird durch Steinbrücks Steuerabzocke wieder kassiert.
Die Dummen sind die Bürgerinnen und Bürger.
Ich komme jetzt zu den Anträgen.
Kollege Hill, das wird jetzt nichts mehr. Sie müssen
bitte zum Ende kommen und den letzten Satz bilden.
Ich komme zum Ende. - Wir fordern 100 Millionen
Euro mehr für Zukunftsenergien und die Rücknahme einer Steuerpolitik, die Arbeitsplätze vernichtet. Die Menschen haben einen Anspruch auf bezahlbare Energie und
auf eine intakte Umwelt.
Ich danke Ihnen.
({0})
Das Wort hat der Kollege Bernhard SchulteDrüggelte für die Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Aufstellung des Einzelplans 16 folgte wie in allen
anderen Bereichen dem Konzept: sanieren, reformieren
und investieren.
({0})
Darüber hinaus werden wir dafür sorgen, dass im
Jahr 2007 die Maastrichtkriterien und Art. 115 Grundgesetz eingehalten werden. Wir sind angetreten, um diese
Ziele zu erreichen. Das primäre Bemühen bestand darin,
dass jeder Bereich einen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung leistet. Frau Hinz hat gerade die Zahlen des
Haushaltes genannt; ich möchte sie nicht wiederholen.
Ich sage aber deutlich: Mit einer Steigerung der Ausgaben um nur 0,7 Prozent ist ein Beitrag zur Konsolidierung geleistet worden.
Der gesamte Haushalt umfasst nicht nur das Bundesministerium, sondern auch die Bundesbehörden: das
Umweltbundesamt, das Bundesamt für Strahlenschutz
und das Bundesamt für Naturschutz.
Wir haben in den Beratungen zuvor diesen Haushalt
als Übergangshaushalt bezeichnet. Das ist zwar rechtlich nicht korrekt, aber man kann schon sagen, dass es
sich um einen Haushalt des Übergangs von Rot-Grün zur
großen Koalition handelt.
({1})
Ein Schlüsselwort, das diesen Haushalt betrifft, ist reformieren. In diesem Zusammenhang möchte ich auf einen Punkt zurückkommen, der vorhin schon angesprochen worden ist: Wie geht es mit dem Bundesamt für
Strahlenschutz weiter? Der Wissenschaftsrat - das
wurde vorhin sehr deutlich - hat diesem Amt ein, um es
vorsichtig auszudrücken, sehr schlechtes Zeugnis ausgestellt.
({2})
Nach den Beratungen gab es schon erste Konsequenzen
im Personalbereich. Ich nehme an, dass es noch weitere
Konsequenzen geben muss.
({3})
- Ich weiß, wie Sie dazu stehen.
Ein weiteres Schlüsselwort, das ich ansprechen will,
ist investieren. Hier setzt der Haushalt besondere Akzente im umwelt- und energiepolitischen Bereich. Es
wurde vorhin schon das CO2-Gebäudesanierungsprogramm mit einem Volumen von 1,4 Milliarden Euro angesprochen. Daneben ist noch das Marktanreizprogramm mit einem Volumen in Höhe von 180 Millionen
Euro zu erwähnen. Die wichtigste Veränderung aber ist,
dass die Ansätze für Forschungsmittel - Herr Fell hat es
schon angesprochen - deutlich erhöht wurden, wenngleich um einen geringeren Betrag als vorher genannt.
Wir wissen alle, dass der Strom nicht einfach so aus
der Steckdose kommt und dass wir in diesem Bereich
weiter investieren müssen. Deshalb ist die Erhöhung des
Ansatzes der Forschungsmittel für erneuerbare Energien
eine Investition in die Zukunft.
({4})
Auch die Sicherung der Energieversorgung ist eine
Zukunftsfrage. Wir sollten daher nicht außer Acht lassen, dass bei weltweit steigendem Bedarf eine wachsende Abhängigkeit von Energieimporten bei Öl und
Gas festzustellen ist. Bei der Sicherung unserer Energieversorgung werden die erneuerbaren Energien in Zukunft eine wichtige Rolle spielen. Die Ziele sind auch da
klar definiert: Der Anteil der erneuerbaren Energien soll
auf 20 Prozent gesteigert werden und die immer wieder
angesprochene Energieeffizienz soll sich bis zum Jahr
2020 verdoppeln. Dieses Ziel verfolgen wir gemeinsam.
({5})
Die Förderung erneuerbarer Energien muss in eine
nationale Energiestrategie, vielleicht auch in eine Rohstoffstrategie, eingebettet sein. Denn es werden in diesem Bereich nur dann wettbewerbsfähige Arbeitsplätze
in Deutschland entstehen, wenn die Verlässlichkeit der
Versorgung mit Energie, also mit preiswertem Strom,
mit preiswerter Wärme und mit preiswerten Kraftstoffen
sichergestellt ist.
({6})
Moderne Energieversorgung ist auf eine ökologisch
wie ökonomisch angemessene Grundlage zu stellen. Der
Energiegipfel bei der Bundeskanzlerin hat in dieser Beziehung Zeichen gesetzt. Umweltverträglichkeit, Versorgungssicherheit und Wirtschaftlichkeit sind der Dreiklang in der Energiepolitik.
Energieeffizienz und Energietechnologie sind in
diesem Zusammenspiel die Schlüsselworte für die Zukunft. Wir brauchen anspruchsvolle energieeffiziente
Technologien sowohl bei der Erschließung neuer Ressourcen als auch bei der Weiterentwicklung erneuerbarer
Energien. Deshalb ist die Energieforschung eine strategische Säule der Energiepolitik. Sie kann einen Beitrag
leisten, um Innovationsprozesse zu beschleunigen, neue
klima- und umweltschonende Technologien schneller in
den Markt zu bringen und auch für andere Länder verfügbar zu machen. Damit kann der deutsche Export gesteigert werden.
Staatliche Förderung - auch das wurde schon angesprochen - und die Mehrausgaben im Bereich erneuerbarer Energien rechtfertigen sich natürlich nur, wenn sie,
wie es im Koalitionsvertrag steht, ökonomisch sinnvoll
bleiben. Wir müssen uns pragmatisch und frei von Ideologie fragen: Welche Energiearten sollen künftig in ihrer
technischen Entwicklung gefördert werden und in wel3798
chen Bereichen sollte man lieber etwas zurückhaltender
sein?
({7})
Daneben müssen wir - ich wiederhole diese Forderung - ein tragfähiges Konzept haben, dem ein ausgewogener Energiemix zugrunde liegen soll.
Damit komme ich jetzt auf eine Energieform zu sprechen, die etwas umstrittener ist, nämlich die Kernenergie. Dieses Thema möchte ich gerne noch einmal
ansprechen.
({8})
Ich meine, wir können auf die Kernenergie als wettbewerbsfähigen und CO2-freien Energieträger in absehbarer Zukunft nicht verzichten. Kernenergie schafft den
zeitlichen Spielraum, der für die technische Entwicklung
erneuerbarer Energien und damit für ihre Marktreife nötig ist.
({9})
Die Koalitionspartner sind sich in dieser Frage nicht
ganz einig; ich will das nicht verhehlen. Wir kommen
aus verschiedenen Richtungen, aber trotz verschiedener
Ansichten tragen wir doch eine gemeinsame Verantwortung. Dazu sollte man auch stehen. Wir müssen uns bemühen, einen gemeinsamen Weg in dieser Frage zu finden.
({10})
- Wenn Sie einen Zwischenruf machen, mache ich noch
eine Zwischenbemerkung und gehe auf ein vom BMU
herausgegebenes Heftchen ein. Ich halte es nicht für
zweckdienlich, wenn dort Broschüren mit dem Titel
„Atomkraft: Ein teurer Irrweg“ auftauchen.
({11})
Ich will es einmal so sagen: Auf der Rückseite des Heftchens hätte nicht stehen dürfen: „Diese Broschüre ist
Teil der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung“. Da
hätte stehen müssen: „Diese Broschüre ist Teil der Öffentlichkeitsarbeit der SPD“.
({12})
Dann könnte man noch hinzufügen: Wer die Musik bestellt, soll sie auch bezahlen.
({13})
- Aber nicht in dieser Form. Hier haben wir unterschiedliche Meinungen; das wissen auch Sie. Wir können da
unterschiedlicher Meinung bleiben. Das ist ja nichts
Schlimmes.
Es sind noch einige Fragen offen.
Entschuldigung, darf ich Sie da einmal unterbrechen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin BullingSchröter?
Ich weiß gar nicht, wer das ist.
Sie gehört zur Fraktion Die Linke.
So.
Gut, Sie gestatten sie zum Kennenlernen der Kollegin.
Lieber Herr Kollege Schulte-Drüggelte, vielen Dank,
dass Sie mir die Möglichkeit geben, Sie zu befragen, obwohl Sie mich nicht kennen.
Ich würde gerne von Ihnen wissen: Werden Sie sich
dafür einsetzen, dass in dieser Legislaturperiode die
Laufzeiten der Atomkraftwerke verlängert werden?
Wenn ja, gehen Sie dann davon aus, dass die Laufzeiten
verlängert werden? Wenn ich Ihr Plädoyer richtig verstanden habe - ich habe genau zugehört -, sind Sie ja ein
Befürworter der Atomenergie. Sie haben ja auch gesagt,
dass das im Grunde genommen eine günstige, zukunftsweisende Technologie sei.
Schön, dass wir uns kennen gelernt haben.
({0})
Auch Ihren Fraktionskollegen, der in unserem Ausschuss Hauptberichterstatter ist, sieht man nicht so oft.
Ich will Ihnen aber eine klare Antwort geben: Es gibt
einen Koalitionsvertrag. Da steht drin, dass der Ausstieg
so respektiert wird, wie er beschlossen wurde. Ich habe
bezüglich des Zeitraums des Einsatzes von Kernenergie
von absehbarer Zeit gesprochen. Damit halte ich mich
selbstverständlich an die bestehenden Verträge.
({1})
Ich möchte auch etwas zum Endlager sagen, weil das
ja in die Zuständigkeit des Ministeriums fällt, und den
Umweltminister ermuntern, die entsprechende Problematik zu lösen. Frau Künast hat, als sie die Qualität der
Minister bewertete, den Umweltminister als - ich zitiere „möglichen Ausfall“ bezeichnet. Das kommt gerade von
Frau Künast!
({2})
Dazu möchte ich sagen - Bernhard Schulte-Drüggelte
({3})
- Ich habe sie zitiert. „Möglicher Ausfall“ war ein Zitat.
({4})
Frau Künast scheint wohl Vorurteile zu haben. Sie
scheint sich nicht vorstellen zu können
({5})
- sie hat in ihrem eigenen Namen gesprochen -, dass ein
roter Umweltminister besser sein könnte als ein grüner.
({6})
- Das ist aber wahrscheinlich möglich.
({7})
Ich möchte sie nur auffordern, die Vorurteile wegzulassen und einen Menschen nicht nur nach seinen Worten,
sondern auch nach seinen Taten zu beurteilen. Wenn
man Menschen so beurteilt, sollte man auch einen Minister so beurteilen. Das hat er auf jeden Fall verdient.
({8})
Der Bundesminister hat die Einrichtung des Schachtes Konrad als Endlager für schwach radioaktive Stoffe
wie zum Beispiel Abfälle aus Krankenhäusern immerhin
schon als sehr wahrscheinlich bezeichnet. Das ist ein
ganz gewaltiger Fortschritt, wenn man das mit der rotgrünen Politik vergleicht. Wenn dann aus der Wahrscheinlichkeit noch Sicherheit wird, dann würde ich das
sehr begrüßen.
({9})
Es ist natürlich richtig, dass ein klares Konzept für die
Endlager gefunden werden muss. Es geht zum einen um
ein Endlager für die schwach radioaktiven Stoffe,
Schacht Konrad, und zum anderen um ein Endlager für
die hoch radioaktiven Stoffe. Als Haushälter möchte ich
darauf hinweisen, dass das Geld nicht zum Fenster hinaus geworfen werden darf.
({10})
Eine weitere Standortsuche hätte Belastungen des Haushaltes oder der Stromverbraucher zur Folge. Das hat der
Bundesrechnungshof bestätigt. Daran sollte man denken,
wenn man weiter vorgeht. Man sollte klar sagen, dass
die Suche nach den Endlagern im Haushalt 2007 und in
den folgenden Haushalten veranschlagt und dokumentiert werden sollte.
Zum Schluss möchte ich noch auf einige offene Fragen hinweisen. Es geht einmal um die Frage nach der
Verwendung von Mitteln für die Öffentlichkeitsarbeit,
aber auch um die Frage der Hilfskräfte im BMU, die
langfristig gelöst werden sollte, die Frage nach der Verbände- und Projektförderung, die schon angesprochen
worden ist, und die Frage, wie es eigentlich mit dem
VN-Campus in Bonn weitergeht. Ist das eine Aufgabe
des Bundesumweltministers? Das sollte man sich einmal
überlegen.
Mit diesem Haushalt haben wir wichtige Schritte eingeleitet. Wir müssen uns klar machen, dass derjenige,
der die Zukunft für mindestens so wichtig hält wie die
Gegenwart, sich entsprechend vorbereiten muss. Zukunft hat, wer sie schneller erreicht als andere. Ich habe
jetzt noch 0,5 Sekunden Redezeit. Ich möchte mit den
Vorbereitungen für die Zukunft und für den
Haushalt 2007 beginnen und, um bei der sportlichen
Wortwahl zu bleiben, sagen: Bleiben wir am Ball!
Danke schön.
({11})
Die Kollegin Sylvia Kotting-Uhl hat für die Fraktion
des Bündnisses 90/Die Grünen das Wort.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich noch einmal die Eckdaten des Gesamthaushaltes nennen: Rekordneuverschuldung von
38,2 Milliarden Euro trotz steigender Steuereinnahmen
von 3,7 Milliarden Euro, Mehrausgaben von 1,8 Milliarden Euro
({0})
- doch, die stimmen durchaus - bei verfassungswidrig
unter der Neuverschuldung liegenden Investitionen.
({1})
Nun ist der Haushalt die reale, nicht die rhetorische Leitlinie der Politik. Würde der grüne Haushalt verabschiedet, der sich in 400 Änderungsanträgen manifestiert,
Frau Hinz, dann hätte man die Neuverschuldung auf
32,3 Milliarden Euro senken und trotzdem mehr in die
Zukunftsbereiche investieren können. Das hätte mit
5 Milliarden Euro vor allem die Kinder- und Familienpolitik betroffen, aber auch mit 100 Millionen Euro die
Entwicklungszusammenarbeit und mit 155 Millionen Euro
ökologische Innovationen.
Sie, meine Damen und Herren von der Regierung,
und Sie, meine Damen und Herren Abgeordneten der zugehörigen Fraktionen, die hier keinen Anlass zur Änderung sahen, frage ich, wie Ihre Vorstellung von ökologischer Innovation und Zukunftsfähigkeit aussieht.
Schwarz, möchte ich sagen; denn über allem strahlt die
Kohle; nicht die, die Sie angeblich einsparen wollten
- das tun Sie ja gar nicht -, sondern die, deren Abbau Sie
fördern, deren Verstromung Sie anheizen
({2})
und deren Emissionen Sie weiterhin in die Atmosphäre
schicken. Sie wollen die Kohlesubventionen nicht ab3800
bauen, Sie lehnen sogar die Rückforderung von offensichtlich zu viel gezahlten Subventionen ab und Sie machen aus dem Emissionshandel im NAP II ein
Geschenkgutscheinabonnement für die Kohlewirtschaft.
({3})
Das ist unverantwortlich, nicht nur aus ökonomischen,
sondern vor allem aus Klimaschutzgründen - in der Rhetorik ja das Lieblingsthema des Umweltministers.
Der Haushalt einer Regierung spiegelt auch deren Gerechtigkeitsvorstellungen wider. Klimaschutz steht auf
der globalen Gerechtigkeitsskala ganz oben. Hier rhetorisch die Vorreiterrolle Deutschlands zu betonen und
faktisch eine Politik zu betreiben, die die selbst gesetzten
Ziele in den Wind schreibt, ist ein übles Spiel.
Das Gerechtigkeitsspielchen lässt sich aber auch auf
der nationalen Ebene beobachten. Was ist das für eine
Politik, die Biokraftstoffe besteuert, weil der Finanzminister Geld braucht, die damit ein junges, aber viel
versprechendes innovatives Mittelstandspflänzchen dem
freien Spiel der Marktkräfte aussetzt, die es vermutlich
zertreten werden, und gleichzeitig Milliardengeschenke
an die Konzerne macht?
({4})
Was die Macht des Oligopols der Energiekonzerne
und deren Stärkung durch eine solche Politik mit den
ständig steigenden Strompreisen zu tun hat, das ist die
Frage, die sich hier direkt anschließt. Die Antwort ist
faktisch das Gegenteil der Argumentation der Regierung. Der Verbraucher bekommt das Ganze demnächst
garniert mit einer Erhöhung der Mehrwertsteuer um
3 Prozentpunkte. Damit ist das Gerechtigkeitsspiel mit
3 : 0 gegen die Verbraucher ausgegangen.
Ich will aber noch eine weitere deutliche Kritik an das
Umweltministerium richten. Im Umweltausschuss bekamen wir auf die Frage, um welche Summen es sich bei
den Windfall-Profits tatsächlich handelt - die öffentlichen Vermutungen bewegen sich in einer breiten Spanne
zwischen 3,8 und 8 Milliarden Euro -, die Antwort, das
wisse man nicht, das sei ein schwieriges Geschäft. Das
ist es zweifellos. Es ist aber das Geschäft der Regierung,
hier zumindest eine belastbare Einschätzung vorzunehmen, bevor im NAP II die Basis für Windfall-Profits
noch vergrößert wird. Das haben Sie versäumt.
({5})
Die Politik, die Sie im NAP II skizzieren, ist Leitlinie
Ihrer gesamten Umweltpolitik, Herr Minister Gabriel:
Sie wollen Innovationsminister, Klimaschützer und
Ökologe sein. Bisher haben Sie sich aber bei jeder weitreichenden Entscheidung für kurzfristige Profitinteressen der Wirtschaft entschieden oder sich von Ministerpräsidenten, die ihre Einzelinteressen verfolgt haben, ins
Boxhorn jagen lassen. Ob bei REACH oder Biosprit,
Emissionshandel oder Föderalismusreform, Sie entscheiden zulasten von Innovation und Mittelstand und
nicht im Sinne Ihres obersten Auftrages, im Sinne des
Schutzes der Natur und der Gesundheit der Menschen.
Wenn Sie als der zuständige Minister zulassen, dass
mit der Föderalismusreform im Umweltrecht das Abweichungsrecht eingeführt wird, dann können Ihre Nachfolger bei der Frage nach der Verantwortung vermutlich
recht häufig mit dem Finger auf die Länder zeigen.
Selbst wenn das nicht berechtigt ist, wird es keiner merken; denn der normale Bürger und Zeitungsleser wird
sich über die Zuständigkeiten im Umweltrecht nicht
mehr im Klaren sein.
Die Akzeptanz der Umweltpolitik wird vermutlich
noch weiter sinken, da schon heute von interessierten
Kräften an ihr gesägt wird, indem sie mit lästiger, übertriebener Bürokratie gleichgesetzt wird. Eine Bundesregierung, die sich nicht in der Lage sieht, analog dem
„Recht der Wirtschaft“ ein „Recht der Umwelt“ in die
Verfassung zu schreiben, hat das Recht auf den Titel
„Vorreiter im Umweltschutz“ formal verwirkt.
({6})
Es bleibt die Leitbildfunktion beim Atomausstieg.
Bleibt sie? Herr Minister Gabriel, Ihr Part ist hier nicht
leicht. Die ständigen Angriffe des Koalitionspartners
und die Abwehr der Begehrlichkeiten der Energiekonzerne kosten vermutlich eine Menge Energie, die für Sie
logischerweise eine erneuerbare sein muss. Es geht hier
nicht um das Prestigeobjekt der letzten rot-grünen Bundesregierung. Es geht um den entscheidenden Innovationsdruck für neue Technologien und bei der Rolle des
globalen Vorreiters um den glaubwürdigen Einstieg ins
solare Zeitalter.
({7})
Dass Sie hierbei nicht auch nachgeben, müssen Sie, Herr
Minister, noch beweisen, indem Sie die Begehrlichkeiten nach Laufzeitenverlängerungen und -übertragungen
abweisen,
({8})
und zwar nicht nur bei der lächerlichen Frage bezüglich
Mülheim-Kärlich, sondern auch bei Biblis, Neckarwestheim und Brunsbüttel.
({9})
- Gut so. - Sie müssen außerdem die Endlagersuche
ernsthafter angehen. Mit den angekündigten 180 Millionen Euro ist eine ernsthafte, vergleichende Suche nicht
zu finanzieren. Beim Atomausstieg bauen wir - noch auf Ihre Standfestigkeit. Sie haben unsere Unterstützung.
Die von Ihnen bisher praktizierte Umweltpolitik kritisieren wir, die zu geringe Ausrichtung auf ökologische
Innovation im Haushalt kritisieren wir ebenfalls. Deshalb lehnen wir den Haushalt ab.
Danke schön.
({10})
Für die Bundesregierung hat das Wort der Minister
für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Sigmar
Gabriel.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich will zu Beginn gerne auf
ein paar der Argumente eingehen, die vorhin vorgetragen worden sind.
Zuerst möchte ich mich allerdings bei den Mitgliedern des Umweltausschusses für die intensive Beratung
dieses Haushaltes - es ist der erste, den ich mit zu verantworten habe - bedanken.
Wir sind möglicherweise nicht in allen Dingen einer
Meinung. Aber ich finde, es war eine gute Diskussion.
Ich möchte mich vor allen Dingen bedanken bei den Obleuten, bei den Berichterstatterinnen und Berichterstattern aus dem Bereich des Haushaltsausschusses, aber
auch bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in meinem Hause und in der Bundestagsverwaltung sowie im
Finanzministerium. Denn ich finde - das mag ein Unterschied zu den Rednern der Opposition sein -, dass dieser
Haushalt insgesamt ein guter Einstieg in die Umweltpolitik der großen Koalition ist.
({0})
Ich lasse einmal mein Redemanuskript beiseite und
widme mich einigen der vorgebrachten Argumente. Ich
fange einmal mit denen der Kollegin Flach von der FDPFraktion an. Sie haben mehrfach kritisiert, da fehle die
Vorsorge. Ich sage Ihnen: Wenn im Jahre 2006 - über
diesen Haushalt reden wir - weder im Schacht Konrad
noch in Gorleben noch an einer anderen Stelle in
Deutschland Arbeiten zur Einrichtung eines Endlagers
begonnen werden können, dann macht es nicht viel Sinn,
dafür Geld einzusetzen. Das hat dann wenig mit Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit zu tun, aber eine
Menge mit Luftbuchungen.
({1})
Sie haben gesagt, Sie wollen Umweltschutz ohne Ideologie. Dann dürfen Sie für ideologische Positionen kein
Geld einsetzen, das man eigentlich gar nicht ausgeben
kann. Das macht wenig Sinn.
({2})
Dann haben Sie hier ein Projekt kritisiert, für das Sie
selber früher einmal eingetreten sind, für das alle Naturschutzverbände in Deutschland eintreten und für das der
Bundespräsident massiv geworben hat, nämlich die Unterschutzstellung von Naturflächen, die besonders wertvoll sind oder besonders gut entwickelt werden können
und früher militärische Liegenschaften waren. Wir bringen 125 000 Hektar in die Stiftung „Deutsches Naturerbe“ ein. Sie nennen das: Masern kriegen. Ich weiß
nicht, Frau Kollegin Flach, in welchen Kategorien Sie
denken, wenn Sie über den Naturhaushalt unseres Landes reden. Aber wenn Sie sagen, dass man das im Zweifel alles verkaufen könnte, dann bedeutet das, wenn man
Ihre Position zu Ende denkt, dass es auch sinnvoll wäre,
die 14 Nationalparks in Deutschland zu verkaufen. Warum sollten wir die dann behalten? Warum brauchen wir
eigentlich überhaupt Nationalparks? Warum soll man
sich um Artenvielfalt kümmern, um Biodiversität und
um den Naturhaushalt? Ich sage Ihnen einmal: Wenn Sie
das alles nur unter ökonomischen Gesichtspunkten sehen,
({3})
dann werden Sie bald eine Bauchlandung machen, weil
der Bottleneck, der Flaschenhals, der zukünftigen wirtschaftlichen Entwicklung auch ein guter Naturhaushalt
ist.
({4})
Durch die Begrenztheit der Ressourcen, die wir verbrauchen, werden wir immer mehr auf das Wissen der
Natur angewiesen sein. Sie bezeichnen dies nun ausgerechnet als Masern. Ich weiß nicht, in welchen Bildern
Sie Politik transportieren wollen. Wir sind stolz darauf,
dass wir in der großen Koalition - übrigens als eines der
ersten Projekte, das wir in der Arbeitsgruppe im Rahmen
der Koalitionsverhandlungen zwischen CDU/CSU und
SPD vereinbart hatten - beschlossen haben: Wir wollen
Realität werden lassen, was viele in Deutschland gefordert haben, was in der Vergangenheit noch nicht erreicht
wurde. Wir stellen 125 000 Hektar unter Schutz. Wir
verscherbeln das nicht, so, wie Sie das wollen, sondern
wir bewahren das für unsere Kinder, Enkel und Urenkel.
Darauf sind wir jedenfalls stolz.
({5})
- Ich habe kein Problem damit, wenn Sie mir eine Zwischenfrage stellen wollen.
({6})
Ich beantworte die alle. Aber wenn Sie nur dazwischenrufen, kann ich Sie nicht immer richtig hören.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Flach?
Selbstverständlich, mit großer Freude.
Ich würde jetzt zwar lieber zum Sommerfest gehen,
aber auf diese Sache müssen wir uns schon einlassen.
Herr Gabriel, unser Vorwurf geht in eine andere Richtung. Wir sagen: Es gibt Interessenten für den Kauf. Uns
liegen auch Briefe dazu vor. Trotzdem werden diese
Grundstücke dann offensichtlich doch einfach weitergegeben. Das ist unser Vorwurf. Wir sagen: Hinsichtlich
derer, die nicht verkauft werden können, sind wir völlig
Ihrer Meinung. Da haben wir kein Problem mit der Weitergabe. Daher stelle ich Ihnen meine Frage: Wie kommen Sie auf die Idee, uns vorzuwerfen, wir wollten dieses Projekt generell blockieren? Darum geht es nicht. Es
geht vielmehr darum, dass wir einen Not leidenden
Haushalt haben und deshalb gewisse Flächen besser
nicht einfach verschenkt werden sollten.
Frau Kollegin Flach, was meinen Sie, wie viele Interessenten wir finden würden, wenn wir die Filetstücke
unserer Nationalparke anbieten würden?
({0})
- Natürlich. Sie sagen: Überall da, wo einer etwas kaufen will, sollten wir es ihm geben, und den Rest dürfen
wir behalten. Dann hätten wir am Ende nichts mehr. Das
ist der Grund, warum wir Ihre Politik nicht mitmachen.
Was Sie da treiben, ist nicht sinnvoll.
({1})
Nächster Punkt. In mehreren Reden ist auf das Bundesamt für Strahlenschutz hingewiesen worden. Dazu
möchte ich etwas sagen. Natürlich kann man das genannte Gutachten nicht ignorieren. Das machen wir auch
gar nicht; wir werden es analysieren und auswerten.
Aber es ist ein wenig frivol, kurze Zeit später zu verlangen - wie die Kollegin Flach es getan hat -, dass wir
gleich haushaltsrechtliche Konsequenzen ziehen. So
geht es nicht. Aber selbstverständlich werden wir das
Gutachten beachten.
({2})
Ich werde das übrigens auch auf einer Personalversammlung erläutern.
Nun sage ich Ihnen, was wir nicht machen werden.
Ich folge nicht jedem Vorschlag, den man sich im Elfenbeinturm einer Universität ausdenken kann, der aber mit
der politischen Praxis nichts zu tun hat. Der Vorschlag,
den Präsidenten einer Bundesoberbehörde in Zukunft
von Hochschulrektoren auswählen zu lassen, hat meiner
Meinung nach etwas Kabarettistisches. Sie können sicher sein, dass ich das nicht mache.
({3})
Ich habe an zu vielen Berufungen von Hochschulprofessoren mitgewirkt, um nicht zu wissen, welche Fehler dabei passieren. Deswegen werden wir das bei einer Bundesoberbehörde nicht so machen.
({4})
- Solche Vorschläge kamen aus dem Wissenschaftsrat.
({5})
- Nun müssen Sie mich aber einmal ausreden lassen.
Sie sagen, das Bundesamt sei nicht mehr renommiert.
Ich sage Ihnen: Die Weltgesundheitsorganisation hat
fünf Standorte für Partner für Forschungen zu nicht ionisierenden Strahlungen, also zum Beispiel Strahlungen
von Handys, ausgesucht. Eines der renommiertesten Institute dieser Welt ist das Bundesamt für Strahlenschutz
in Salzgitter. Wie kommen Sie eigentlich auf die Idee,
die Arbeit dort in Bausch und Bogen schlechtzureden?
({6})
Ich sage Ihnen auch: Am Ende werden wir uns bei der
Beantwortung der Frage, welche Konsequenzen wir ziehen, daran orientieren müssen, dass es natürlich Wissenschaftseinrichtungen gibt, die glauben, das Bundesamt
für Strahlenschutz sei, wie eine Universität, eine reine
Wissenschaftseinrichtung. Das ist eine falsche Messlatte, denn es handelt sich um eine Bundesoberbehörde.
Für das, was dort getan wird, ist übrigens im Zweifel der
jeweilige Bundesminister zuständig. Eine Bundesoberbehörde ist weisungsgebunden.
({7})
Deswegen müssen wir sie anders behandeln. Wenn auch
die Messlatte also nicht immer richtig war, müssen wir
die inhaltliche Kritik natürlich aufnehmen.
Ich mache es überhaupt nicht mit, dass Personen, die
in unserem Auftrag arbeiten, anders behandelt werden
als jeder Mitarbeiter, den wir einstellen oder der in der
Privatwirtschaft arbeitet. Wenn wir den Eindruck hätten,
eine Person habe nicht die richtige Qualifikation und sei
fehl am Platze, dann würden wir Wert darauf legen, dass
so etwas als Personalsache behandelt wird und dass die
Kritik nicht zuerst in der Zeitung steht.
({8})
Wer das - auch aus dem Kreis des Wissenschaftsrates anders macht, setzt sich dem Verdacht aus, an einem ungeliebten Nachfolger sein Mütchen kühlen zu wollen.
Dazu sage ich Ihnen: Das mache ich nicht mit. Ich stehe
hinter dem Präsidenten des Bundesamtes für Strahlenschutz, hinter Wolfram König, und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Eine öffentliche Diskreditierung
von Mitarbeitern meiner Behörde werde ich nicht zulassen; darauf können Sie sich verlassen.
({9})
Nun zu den Kritikpunkten der Kollegin Kotting-Uhl
insbesondere bezüglich des Emissionshandels. Ich sage
das auch, weil in dieser Woche zwei Artikel erschienen
sind, in denen der Bundesregierung und auch mir vorgeworfen wird, dass wir - das haben Sie ja eben wiederholt den Stromkonzernen bei der Festlegung der CO2-Minderungspflichten im Nationalen Allokationsplan 2008 bis
2012 zu stark entgegen gekommen sein. Auch im Bundestag wird so etwas immer wieder gesagt. Ich habe den
Eindruck, dass man dazu einmal ein paar Dinge sagen
muss, insbesondere zu den Grünen. Sie sind ja erst seit
sieben Monaten nicht mehr in Regierungsverantwortung. Da müssten Sie sich doch ein bisschen an das erinnern, was Sie selber im Nationalen Allokationsplan I gemacht und damals - das haben Sie vielleicht vergessen im Zuteilungsgesetz für den Nationalen Allokationsplan II, den wir jetzt machen sollen, vorgeschlagen haben. Daran möchte ich gerne erinnern. Ihre Messlatte
überspringt die jetzige Koalition mit ihrem NAP II.
Ganz locker machen wir das besser als Sie mit Ihrem eigenen NAP und Ihren eigenen Vorschlägen zum NAP II.
({10})
- Warten Sie ab! Literaturstudium hilft an dieser Stelle.
({11})
Der im NAP II festgelegte Klimaschutzbeitrag der
deutschen Wirtschaft beträgt, Frau Kotting-Uhl, 15 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr. Die in Zeitungen zu lesenden Behauptungen, es seien nur 3 Millionen Tonnen CO2
pro Jahr, sind einfach Blödsinn. Aber es gibt ja Menschen, die sich Ihre schon verfassten Artikel durch Sachkenntnis nicht kaputtmachen wollen. Demgegenüber
beträgt der Klimaschutzbeitrag in der ersten Handelsperiode - 2005 bis 2007 - 2 Millionen Tonnen CO2 pro
Jahr. Sie haben einen NAP zu verantworten, in dem der
Klimaschutzbeitrag der deutschen Wirtschaft 2 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr beträgt - wir verantworten einen mit 15 Millionen Tonnen.
({12})
Ich würde den Ball an Ihrer Stelle flach halten, ich
würde nicht zu laut schreien und etwas einfordern, wovon Sie gerade einmal 10 Prozent haben realisieren können. Die große Koalition ist da deutlich besser.
({13})
- Dafür reichen die Grundrechenarten: Wenn Sie es bei
2 Millionen Tonnen belassen haben und wir 15 Millionen Tonnen erreichen, dann sind wir doch ganz gut!
({14})
Wir gehen in dieser Entscheidung übrigens deutlich
über das hinaus, was im letzten Zuteilungsgesetz für die
zweite Handelsperiode vorgesehen war - das hatten Sie
ja mit zu verantworten -: Da hatten Sie eine Minderung
von 10 Millionen Tonnen CO2 vorgeschlagen - wir erreichen, wie gesagt, 15 Millionen Tonnen. Über was beschweren Sie sich eigentlich, Frau Kotting-Uhl? Wir gehen um die Hälfte weiter, als Sie es jemals vorhatten. Ich
finde, dafür könnten Sie uns einmal loben! Ich sehe ja
ein, dass so eine Minderung schwierig durchzusetzen ist.
Aber es ist schon ein Kunststück, zu kritisieren, dass wir
es besser machen, als Sie es jemals vorhatten!
({15})
Wenn Sie sagen - jetzt zitiere ich Sie -, was wir hier
betreiben, das sei ein übles Spiel, dann muss man Ihnen
einfach entgegenhalten: Ein übles Spiel ist es, selber
nichts hinzukriegen, aber anderen, die es besser machen,
öffentlich Vorhaltungen zu machen. Das ist kein fairer
Umgang; so etwas bin ich von Ihnen eigentlich nicht gewohnt.
Das Gleiche gilt für die Reserve, deren Höhe Sie beklagen: Sie wissen, dass für einige Kraftwerke keine Reserve gebraucht wird, weil diese die Übertragungsregel
nutzen. Sie hatten als Reserve 3 Millionen Tonnen vorgesehen, wir sehen 12 Millionen Tonnen vor, also viermal so viel. Ihre Kritik ist also überzogen.
Sie haben die Auktionierung angesprochen. Sie müssen einmal erklären, was die Auktionierung eigentlich
für den CO2-Handel bringt. Weniger CO2-Emissionen
wird es dadurch nicht geben.
({16})
- Moment! Sie glauben, dass man, ohne dass Wettbewerb im europäischen Strommarkt hergestellt wäre, mit
einer Auktionierung 10 Prozent der Windfall-Profits abschöpfen könnte. Aber das ist ein Irrglaube. Ihre Rechnung geht nicht auf, weil die Konzerne die steigenden
Kosten für Strom durch eine weitere Preisrunde auf die
Verbraucher abwälzen werden; das ist es, was sie machen werden.
({17})
Und Sie wissen ganz genau, dass das die Folge ist! Sie
machen Politik auf dem Rücken der Verbraucherinnen
und Verbraucher - das machen wir nicht.
({18})
Wir wollen, dass den Energiekonzernen 15 Prozent weniger zugeteilt werden, aber nur 1,25 Prozent bei der
Strom verbrauchenden Industrie. Auch wir wollen die
Auktionierung - auch ich will mehr als 10 Prozent: mindestens 50 Prozent -, aber bitte erst, wenn es einen Wettbewerb auf dem europäischen Strommarkt gibt, und diesen müssen wir erst erstreiten.
Herr Minister Gabriel, ich muss Sie darauf aufmerksam machen, dass, wenn Sie weiterreden - was Sie nach
der Geschäftsordnung natürlich können, solange Sie
Vizepräsidentin Petra Pau
wollen -, dies auf Kosten Ihrer Kollegen bei den nachfolgenden Tagesordnungspunkten geht.
Vielen Dank. Ich werde zusehen, dass ich zum
Schluss komme; ich lasse ein paar Punkte einfach weg.
Sie versuchen, ein kompliziertes Problem zu simplifizieren. Das kann ich Ihnen nicht durchgehen lassen; deswegen wollte ich Ihnen Rede und Antwort stehen.
Natürlich halten wir fest an dem Ziel, die CO2-Emissionen im Zeitraum 2008 bis 2012 um 21 Prozent zu vermindern.
Ich will noch eine Bemerkung zur Kohle machen.
Wir erhöhen den Haushalt für die Forschung an erneuerbaren Energien um mehr als 40 Millionen Euro und Sie
sagen, es gebe weniger Geld! Wie Sie zu Ihren Zahlen
gekommen sind, ist mir schleierhaft. Wir wollen, dass
die erneuerbaren Energien bis 2020 einen Anteil an der
Stromerzeugung von 20 Prozent erreichen. Die 80 Prozent, die übrig bleiben, will ich nicht durch Atomstrom
decken; das ist der Unterschied zur CDU/CSU - wobei
auch die nicht 80 Prozent durch Atomstrom decken wollen.
({0})
Also bleiben Kohle und Gas. So viel Gas, dass wir den
weltweiten Bedarf damit decken könnten, gibt es gar
nicht auf der Welt. Also werden wir auch Kohle nutzen
müssen.
({1})
Auch ich will einen möglichst hohen Gasanteil; deswegen werden wir 7 500 Stunden bei den Standardauslastungsfaktoren geben.
Wir werden jedoch - wie gesagt - weiterhin auch die
Kohle nutzen müssen und brauchen dafür neue Technologien: Wir brauchen höhere Wirkungsgrade und natürlich müssen wir an der CO2-Abscheidung forschen. Es
wäre abenteuerlich, zu glauben, es ginge ohne sie! Sie
machen den Menschen etwas vor, nur um Ihre ideologische Energiepolitik durchhalten zu können. Das wird mit
uns nicht funktionieren.
({2})
Meine Damen und Herren, ich hoffe, dass wir hier
noch einmal die Gelegenheit haben, uns über das Thema
ausführlicher zu streiten. Sie können sich jedenfalls darauf verlassen, dass mir das viel Spaß macht.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Der Kollege Michael Kauch hat für die FDP-Fraktion
das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Kollege Gabriel, ich schätze Sie ja ansonsten außerordentlich, aber es muss wahrscheinlich am heißen Wetter
liegen, dass Sie hier so in Wallung geraten und Dinge erzählen, die so einfach nicht hinzunehmen sind. Wenn Sie
sich hier vor den Präsidenten des Bundesamtes für
Strahlenschutz stellen, dann ist das aus Ihrer Sicht vielleicht okay; aber zu sagen, man dürfe Personalpolitik
hier nicht über die Presse machen, ist nicht okay. Hier
geht es nicht um den Hausmeister vom BfS. Hier geht es
um den Präsidenten, um einen politischen Beamten. Und
der muss sich dem öffentlichen Streit stellen. Das müssen Sie in dieser Frage auch, Herr Gabriel.
({0})
Es ist schon erstaunlich, dass die Kolleginnen und
Kollegen von der SPD hauptsächlich die Kritik seitens
der Opposition abarbeiten, anstatt sich mit den Zukunftsaussichten für die Umweltpolitik dieses Landes zu befassen.
({1})
Deshalb werde ich, bevor ich zu Ihrem Haushalt komme,
noch ein paar Dinge zu dem sagen, was Sie hier zum
Naturerbe gesagt haben.
Wenn die Kollegin Flach sagt, das sehe aus wie Masern, dann meint sie damit, dass es uns darum geht, dass
man Naturschutz am besten auf großen Flächen betreibt,
in unzerschnittenen Landschaften, und eben nicht mal
hier bei einem kleinen Stück und mal dort bei einem
kleinen Stück. Vielmehr geht es um große Einheiten.
Das muss die Leitlinie für den Naturschutz sein.
({2})
Deshalb kann man sehr wohl kritisieren, welche Flächen verschenkt werden. Man kann sehr wohl kritisieren, dass bestimmte dieser Flächen heute und in Zukunft
weiter bewirtschaftet werden und deshalb einen Preis haben könnten, Herr Gabriel. Ich denke, das gehört zur
Wahrheit dazu. Man darf nicht so tun, als wolle man
dann, wenn man verkaufen will, den Naturschutz platt
machen.
({3})
In der nächsten Woche wird das Kabinett über den
Nationalen Allokationsplan für die Jahre 2008 bis 2012
entscheiden. Einfach, kostengünstig und gerecht - das
stellen sich die Liberalen unter Emissionshandel vor.
Die Realität bei Schwarz-Rot sieht leider anders aus:
Bestehende Sonderregelungen werden nur begrenzt abgebaut. Die Verteilungskämpfe zwischen den Unternehmen und den Branchen gehen genau so weiter, wie das
bei NAP I der Fall war. Der Grund dafür ist, dass Sie
sich davor drücken, endlich einen Teil der Zertifikate zu
versteigern.
({4})
Denn nur das - das sagen alle Umweltökonomen - wird
Gelegenheit geben, zum einen die Verteilungskämpfe zu
verringern und zum anderen auch die Mitnahmeeffekte,
die Windfall-Profits der großen Energieversorger zu begrenzen.
Das, was hier von der Regierungsseite abgezogen
wird, ist nichts anderes als ein Ablenkungsmanöver. Sie
verwechseln die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen
Wirtschaft mit den Konzerninteressen von vier großen
Unternehmen. Das wird Ihnen die FDP nicht durchgehen
lassen, Herr Gabriel.
({5})
Sie verschenken Geld an diese Energieversorger. Sie
könnten, wenn Sie versteigern, das Geld, das Sie damit
erzielen, den Verbraucherinnen und Verbrauchern zurückgeben, indem Sie die Stromsteuer senken. Das ist
unser Vorschlag. Damit sinken die Strompreise und sie
steigen nicht.
Wir haben als FDP-Fraktion in diesen Haushaltsberatungen keine Kürzungsvorschläge im Bereich des Investitionsprogramms für erneuerbare Energien gemacht,
obwohl wir nahezu zum gesamten Haushalt Kürzungsvorschläge gemacht haben. Wir taten das, weil wir der
Meinung sind, dass wir hier einen Beitrag für Klimaschutz und Versorgungssicherheit leisten müssen.
({6})
Aber wir als FDP sagen auch: In den Fördermitteln
für die Forschung müssen wir umschichten - weg von
der Forschung im Bereich der Netzintegration hin zur
Forschung im Bereich der Speichertechnologien. Das
sind auch Anträge, die wir gestellt haben.
({7})
Lassen Sie mich noch auf ein Trauerspiel dieser großen Koalition eingehen, nämlich auf die Biospritbesteuerung. Das ist ja das absolute Chaosspiel. Jede Woche, die wir hier im Bundestag sind, wird das Gesetz
wieder von der Tagesordnung gestrichen, weil Sie sich
nicht einig werden.
({8})
Das zeigt deutlich: Sie wissen nicht, in welche Richtung
Sie hier wollen. Sie haben das Vertrauen der Branche bereits verspielt. Wir als FDP sagen: Es muss Vertrauensschutz für die Instrumente geben, die wir erst vor zwei
Jahren fraktionsübergreifend beschlossen haben.
Meine Damen und Herren, insbesondere von der
CDU/CSU, vor der Wahl haben Sie gesagt, die Belastungen müssten ein Ende haben. Jetzt aber unternehmen Sie
mit der Aufhebung der Steuerbefreiung einen Schritt,
durch den der Benzinpreis um zwei Stufen der Ökosteuer der rot-grünen Koalition hochgetrieben wird. Das
ist die Realität Ihrer Umweltpolitik. Vor der Wahl haben
Sie gesagt, dass es keine Belastungen geben werde. Jetzt
kassieren Sie die Bürger schamloser ab, als es Rot-Grün
jemals getan hat.
({9})
- Frau Hinz, ich glaube, den Preis für den Oberlehrer haben Sie am Beginn der Debatte bereits gewonnen.
({10})
Lassen Sie mich noch auf einige Punkte eingehen, die
aus meiner Sicht notwendig sind, um die Umweltpolitik
zukunftsgerichtet zu gestalten. Aus Sicht der FDP brauchen wir insbesondere im internationalen Natur- und
Meeresschutz mehr Anstrengungen. Wenn man sich den
Naturschutzbericht des letzten Jahres anschaut, dann
sieht man, dass wir hier erhebliche Defizite haben. Es
geht darum, das genetische Reproduktionspotenzial unseres Planeten für kommende Generationen zu erhalten.
Es geht um Artenschutz- und Naturschutzabkommen.
Für den Meeresschutz ist mehr Mut erforderlich. Dazu
gehört auch, dass man in Verhandlungen dafür eintritt,
dass die Industriefischerei verboten wird.
({11})
Wir müssen durch Armutsbekämpfung, Holzzertifizierung und mehr Rechte für die indigenen Völker - das
ist auch eine Aufgabe der Außenpolitik - gegen den illegalen Holzeinschlag in den Urwäldern vorgehen.
({12})
Wir brauchen mehr Naturschutz mit den Menschen und
nicht gegen sie. Das gilt in unserem eigenen Land genauso wie global.
Ich danke Ihnen sehr herzlich.
({13})
Bevor ich der nächsten Rednerin das Wort erteile, gestatten Sie mir bitte einen Hinweis. Mir wurde gerade
berichtet, dass uns eine leibhaftige Wurstkönigin
zuhört. - Sie sind aufgrund unseres nächsten Tagesordnungspunktes extra aus dem Land Thüringen angereist.
({0})
Leider müssen Sie sich noch ein wenig gedulden.
Das Wort hat die Kollegin Marie-Luise Dött von der
Unionsfraktion.
({1})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich hatte
auch auf meinem Zettel stehen, dass Sie da sind: Herzlich willkommen!
({0})
Die große Koalition hat sich in ihrer Koalitionsvereinbarung darauf verständigt, in der Umweltpolitik auf
Kooperation, auf eine Kombination aus Eigenverantwortung der Wirtschaft und der Bürger sowie Markt und
Wettbewerb und auf die notwendigen verbindlichen
Rechtsnormen und ihre wirksame Kontrolle zu setzen.
Kurz: Wir haben die Umweltpolitik wieder auf die Beine
gestellt. Sie schwebt nicht mehr im Träumerisch-Ideolo3806
gischen, sondern ist dort, wo sie hingehört, nämlich bei
den Menschen.
({1})
Mit unserer Umweltpolitik leisten wir einen zentralen
Beitrag zur Modernisierung der Gesellschaft. Sie ist
ein Motor der wirtschaftlichen Entwicklung und sorgt
für neue qualifizierte Arbeitsplätze. Die Diskussion über
Ökologie oder Ökonomie ist eine Diskussion von gestern. Ökonomie und Ökologie, vereinbart in einer ökologisch orientierten sozialen Marktwirtschaft, das ist der
Weg in die Zukunft.
({2})
Umweltschutz mit den Menschen und nach den Regeln
einer ökologisch orientierten sozialen Marktwirtschaft
bedeutet auch weniger Gängelei, weniger Bevormundung, mehr Freiheit, mehr Kreativität und damit mehr
Fortschritt für die Menschen und für die Umwelt. Wir
wollen mehr Umweltschutz durch mehr Freiheit.
({3})
Die Föderalismusreform, die wir in der kommenden
Woche verabschieden werden, wird uns den Weg eröffnen, nach vielen Anläufen endlich ein einheitliches
Umweltgesetzbuch zu entwickeln. Mit diesem Umweltgesetzbuch werden wir das stark zersplitterte deutsche
Umweltrecht vereinfachen, ohne dass dies zulasten des
Umweltschutzes oder der Bürgerbeteiligung geht. Wir
wollen mehr Umweltschutz mit weniger Bürokratie.
({4})
Die großen umweltpolitischen Herausforderungen,
denen sich die Regierungskoalition stellt, liegen auf der
Hand. Allen voran sind dies der weltweite Verlust an
biologischer Vielfalt und der Klimawandel. Beides sind
Probleme von globaler Dimension, denen wir national,
auf der Ebene der Europäischen Union und international
mit einer Vielzahl geeigneter Instrumente begegnen
müssen. Der Bundeshaushalt, den wir in dieser Woche
diskutieren und beschließen werden, muss und wird dies
widerspiegeln.
Deutschland verfügt über eine Vielzahl von Landschaften. Hochgebirge, Mittelgebirge, Flachland, Flusstäler und Küstenstreifen haben eine große biologische
und auch eine großartige kulturelle Vielfalt hervorgebracht. Um die biologische Vielfalt zu sichern, sind ausreichend große geschützte Räume erforderlich, in denen
sich die Natur ohne belastende Eingriffe des Menschen
entfalten kann.
({5})
Eine Vernetzung dieser Flächen ist notwendig, um den
negativen Folgen von Zerschneidung und Verinselung
entgegenzuwirken.
({6})
Unsere vordringlichste Maßnahme ist es daher, das
reichhaltige Naturerbe, über das unser Land verfügt, zu
sichern und so für künftige Generationen zu erhalten.
Mit einem Verkaufsstopp für bundeseigene, gesamtstaatlich repräsentative Naturschutzflächen haben wir
den ersten Schritt getan. Jetzt müssen diese Flächen an
die Länder oder in eine Bundesstiftung überführt werden. Dies ist im Haushalt berücksichtigt worden. Ich fordere die Länder auf, rasch das Angebot des Bundes anzunehmen und ihren Teil der Verantwortung für das
nationale Naturerbe wahrzunehmen.
({7})
Der Klimawandel ist einer wachsenden Zahl von
Menschen durchaus bewusst. Täglich erreichen uns neue
Forschungsergebnisse über das Ausmaß und weitere Details seiner Folgen. Seit der Konferenz von Rio im
Jahre 1992 ist Deutschland Vorreiter beim Klimaschutz.
Wir müssen und werden diese Rolle national, auf europäischer Ebene und im internationalen Kontext weiter
ausbauen. Dabei werden wir auch Anwalt unserer wohlverstandenen eigenen Interessen als große Industrienation sein.
({8})
Wir müssen uns mit den Instrumenten, die uns zur Verfügung stehen und die wir entwickeln, darauf konzentrieren, vordringlich das zu tun, was rasch zu möglichst großen CO2-Einsparungen zu bezahlbaren Preisen führt.
Wir brauchen also nicht nur eine größere Energieeffizienz. Wir müssen auch bei der Wahl der Instrumente,
die wir für den Klimaschutz einsetzen, Politikeffizienz
beweisen.
Mit dem CO2-Gebäudesanierungsprogramm gehen
wir diesen Weg. Angesichts der angespannten Haushaltslage leisten wir dabei einen Kraftakt, um das große
Potenzial zur wirtschaftlichen Einsparung von Energie
besser als bisher nutzen zu können. Wir erhalten und
schaffen dadurch Arbeitsplätze in Handwerk und Mittelstand, schützen Haushalte vor hohen Energiepreisen und
leisten einen kostengünstigen Beitrag zum Klimaschutz.
({9})
Wenn ich, wie eben, von Energieeffizienz spreche, dann
meine ich, dass wir uns auch die Zeit nehmen sollten, die
Wirkung des Gebäudesanierungsprogramms zu beobachten und zu analysieren, bevor wir über neue und zusätzliche Instrumente im Wärmebereich entscheiden.
Um unsere Klimaschutzziele zu erreichen, brauchen
wir einen breit gefächerten Energiemix, bei dem weder
einzelne Energieträger bzw. Energietechnologien privilegiert werden noch auf spezifische Energieträger willkürlich verzichtet wird. Wir wollen grundsätzlich alle
Optionen für die Nutzung der verfügbaren Energieträger
offen halten.
({10})
Nach meiner Überzeugung ist eine globale Lösung der
CO2-Problematik ohne eine friedliche Nutzung der
Kernenergie undenkbar. Nur mit Energieeinsparungen
und dem verstärkten Einsatz alternativer Energien lassen
sich der weltweit steigende Energiebedarf und die weltweiten Klimaschutzziele aus meiner Sicht nicht erreichen.
Wir nehmen mit der friedlichen Nutzung der Kernenergie auch unsere internationale Verantwortung wahr.
Angesichts des wachsenden Energiebedarfs in der Welt
und angesichts der Sicherheitsstandards deutscher Kernkraftwerke ist aus meiner Sicht ein Abschied Deutschlands aus der Kerntechnik und der Kernsicherheitsforschung nicht vertretbar.
({11})
Nicht vertretbar ist aber auch eine weitere Verzögerung
in der Entsorgungsfrage. Das Ein-Endlager-Konzept des
Herrn Trittin hat sich als reine Verzögerungsstrategie
enttarnt. Die damit auch verbundenen finanziellen Risiken in Milliardenhöhe waren deshalb zu Recht in das Visier des Bundesrechnungshofes geraten.
Ich sage hier klar für die Union: Es liegt in der Verantwortung unserer Generation, die die Kernenergie
nutzt, die Voraussetzungen für die Endlagerung zu
schaffen. Wir werden deshalb darauf dringen, die Koalitionsvereinbarung umzusetzen und die Endlagerfrage in
dieser Legislaturperiode zu beantworten.
({12})
Meine Damen und Herren, Deutschland ist nicht nur
ein schönes Land mit einer schützenswerten Natur.
Deutschland ist auch eine große und - trotz der Ergebnisse intensiver Nabelschau - reiche Industrienation.
Dies wird dank unserer Politik auch so bleiben.
({13})
Rund um den Erdball leiden jedoch immer mehr
Menschen unter den Folgen der Übernutzung der natürlichen Ressourcen, unter zunehmender Wasserknappheit,
unter immer länger anhaltenden Dürren und unter sich
ausdehnenden Wüsten. Die Folgen von Raubbau und
nicht nachhaltiger Nutzung treten immer offener zutage.
Die Mehrzahl der kriegerischen Auseinandersetzungen
der vergangenen Jahre wurde durch Streit um die Nutzung natürlicher Ressourcen ausgelöst. Immer häufiger
suchen Menschen auf der Flucht vor unmenschlichen
Umweltbedingungen das Wohl für sich und ihre Familien jenseits der Grenzen ihrer Heimat. Der Begriff
„Wirtschaftsflüchtling“, der noch vor Jahren die Debatte
beherrschte, wird allmählich durch den Begriff „Umweltflüchtling“ ersetzt.
Ich komme zum Schluss. Der Schutz der natürlichen
Lebensgrundlagen und die Bekämpfung der Armut sind
zwei Seiten einer Medaille. Nur wenn es gelingt, den
Teufelskreis aus Raubbau und wachsender Armut zu
durchbrechen und eine nachhaltige Entwicklung zu verankern, werden die Entwicklungsländer in der Lage sein,
die Lebensgrundlagen gerade der armen Bevölkerung zu
bewahren.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({14})
Das Wort hat die Kollegin Eva Bulling-Schröter für
die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrter Herr Minister! Frau Hinz hat schon angesprochen, dass wir den Haushalt gerne erweitern würden. Das wollen wir auch. Wir brauchen mehr Geld im
Umweltbereich; darin sind wir uns sicherlich mit Ihnen
einig. Sie würden doch auch gern mehr Geld ausgeben,
wenn Sie es hätten.
({0})
Wir möchten dazu einen Vorschlag machen, der den
Umwelthaushalt betrifft. Im Umwelthaushalt können
keine Mittel gestrichen werden. Vielmehr müssen wir
mehr Mittel in den Umwelthaushalt geben. Dazu sollten
wir Vorschläge unterbreiten. Ich denke, Sie wissen, wovon ich spreche.
({1})
Wenn nicht: Minister Gabriel hat gestern von
30 Wissenschaftlern der Humboldt-Universität einen
Vorschlag zum Zertifikatehandel erhalten. Das heißt
also, dass sich Wissenschaftler damit befassen. Das sind
ja keine Menschen, die ignorant sind. Im Gegenteil, sie
wissen, wovon sie sprechen. Sie haben diesen Vorschlag
bekräftigt.
Die Bundesrepublik - das hört der Minister nicht gern verschenkt jährlich Berechtigungen über den Ausstoß
von rund 500 Millionen Tonnen Kohlendioxid an die
Unternehmen. In der ersten Handelsperiode 2005 bis
2007 werden den Stromversorgern sämtliche Zertifikate
kostenlos überlassen, obwohl die Möglichkeit bestanden
hätte, wenigstens 5 Prozent davon zu versteigern. Somit
verzichtet der Finanzminister auf Einnahmen in Höhe
von schätzungsweise 1 Milliarde Euro im Jahr.
({2})
Diese Milliarde wandert als Extraprofit direkt in die
Kassen der Stromkonzerne. Schließlich haben die Unternehmen nach eigenem Bekunden den Marktwert der
Zertifikate, welcher zeitweise bei 30 Euro je Tonne CO2
lag - wir wissen, er liegt jetzt niedriger -, voll in den
Strompreis eingepreist. Beim Bundeskartellamt läuft
deswegen eine Klage kleinerer Unternehmen gegen die
großen Energiekonzerne. Wir sind gespannt, wie das
ausgehen wird. Aber ich finde, schon die Klage ist lesenswert.
Trotzdem soll auch in der um zwei Jahre längeren
Handelsperiode von 2008 bis 2012 kein einziges Zertifikat per Auktion an die Unternehmen gehen. Die Bundesregierung hat sich dazu offenbar am vergangenen
Wochenende endgültig entschieden - Minister Gabriel
hat das heute bekräftigt -, obwohl nach EU-Recht mittlerweile sogar 10 Prozent versteigert werden könnten. Einige europäische Länder haben damit begonnen. Wir
sollten genau beobachten, was dort passiert. Deutschland
verzichtet jedenfalls - nach heutigen Marktpreisen - auf
rund 4,8 Milliarden Euro und schiebt sie den Stromversorgern als Zusatzprofite zu.
({3})
Herr Minister Gabriel, Sie haben davon gesprochen,
dass Sie 2013 50 Prozent der Zertifikate versteigern
möchten. Das ist sicherlich ambitioniert, auch wenn
100 Prozent, wie wir fordern, besser wären. Aber wie
wollen Sie verhindern, dass die Oligopole die Strompreise weiter erhöhen? Hier geht es um Marktmacht. Es
muss verhindert werden, dass die Energiekonzerne die
eingepreisten Zertifikate noch einmal als Vorwand für
Preiserhöhungen nehmen. Hierüber ist eine Diskussion
dringend notwendig.
({4})
Die Bundesregierung war im Übrigen seinerzeit entscheidend daran beteiligt, dass die Versteigerung als
Grundprinzip in der EU-Emissionshandelsrichtlinie
nicht aufgenommen wurde.
Eine Studie des Öko-Instituts im Auftrag der Umweltstiftung WWF kommt zu folgendem Ergebnis: Dem
Bundesetat gehen zwischen 2005 und 2012 30 Milliarden bis 60 Milliarden Euro verloren. Die Verbraucher
zahlen im selben Umfang für diese leistungslos erzielten
Zusatzgewinne der Stromversorger. Das bedeutet, dass
die 30 Milliarden, die die Energiewirtschaft kürzlich auf
dem Energiegipfel als Investitionen in diesem Zeitraum
angekündigt hat, allein aus diesen Extraprofiten bezahlt
werden könnten. Diese Profite machen zudem ein Mehrfaches dessen aus, was die Bundesregierung mit verschärften Kontrollen aus den Arbeitslosengeld-II-Empfängerinnen und -Empfängern herauspressen will.
({5})
Den ohnehin in Reichtum schwimmenden Konzernen
und deren Aktionären wird das Geld in den Rachen geworfen, während bei den Ärmsten weiter gestrichen und
mit kleinlicher Bespitzelung die Menschenwürde angetastet wird.
({6})
Ich habe leider keine Zeit mehr, um auf die umweltpolitische Lenkungswirkung des Allokationsplans einzugehen. Zudem sind die Regelungen für Neu- und Ersatzanlagen diskussionswürdig; denn sie sind nichts anderes
- darauf wurde schon hingewiesen - als Schutzregeln für
die Kohlewirtschaft. Die Neuanlagenreserve ist ebenfalls diskussionswürdig. Wissenschaftler sagen, dass wir
eine Reserve von 30 Millionen Tonnen brauchen - dem
schließen wir uns an -, während Sie 10 Millionen Tonnen für ausreichend halten.
Es tut mir Leid, aber weiter dürfen Sie die Liste der
Dinge, über die heute noch sinnvollerweise gesprochen
werden sollte, nicht verlängern.
Ich komme zum Schluss. Sehr geehrter Herr Minister
Gabriel, Sie haben gestern gesagt, dass Sie 4 000 Schulen eine Wetterstation schenken wollen. Das ist sehr begrüßenswert. Wenn Sie aber die Zertifikate verkaufen
würden, hätten Sie so viel Geld, dass Sie jeder Schule
eine Wetterstation schenken könnten. Ich denke, das
wünschen sich alle Kolleginnen und Kollegen in diesem
Haus.
({0})
Das Wort hat der Kollege Hans-Josef Fell für die
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Minister Gabriel, ich darf Sie daran erinnern, dass wir vom Bündnis 90/Die Grünen im Parlament - übrigens zusammen mit den Umweltpolitikern
der SPD - sehr stark dafür gekämpft haben, dass in
NAP I eine wesentlich stärkere CO2-Reduktion als Ziel
festgelegt wird.
({0})
Verhindert haben das Ihre Parteifreunde: der damalige
Wirtschaftsminister Clement und später auch Kanzler
Schröder. Sie sind dafür verantwortlich, dass die von Ihnen zu Recht kritisierten schlechten Werte herausgekommen sind. Machen Sie also nicht uns dafür verantwortlich, sondern packen Sie sich an die eigene Nase, wenn
Sie hier Kritik üben!
({1})
Kommen wir aber zurück zum Haushalt und zu den
Finanzierungsfragen. Auch hier spielt das Thema eine
große Rolle. Man kann Ihnen, Herr Minister, wirklich
nicht vorwerfen, dass Sie das Geld mit beiden Händen
zum Fenster hinauswerfen - so große Hände hat nämlich
niemand. Herr Gabriel, Sie haben einen Kohleschaufelbagger ins BMU gestellt, der jeden Tag mehr als
1 Million Euro in die Konzernzentralen der Energieversorgungsunternehmen umschaufelt. 500 bis 750 Millionen Euro pro Jahr könnten Sie erzielen, wenn Sie
10 Prozent der Emissionszertifikate versteigern würden. Sie tun es aber nicht. Deswegen haben Sie Löcher
in Ihrem Haushalt.
({2})
Ich frage Sie: Woher kommt die Rücksichtnahme auf
die großen Energiekonzerne? Statt „Haltet den Dieb!“ zu
rufen und das den Bürgern genommene Geld von den
Energieversorgern wieder zurückzufordern, kürzen Sie
lieber die Fördermittel für erneuerbare Energien. Zum
zweiten Mal in diesem Jahr wird die Förderung drastisch
gekürzt.
({3})
Bei einfachen Sonnenkollektoren wurde sogar fast die
Hälfte zusammengestrichen. So viel Mut hätten wir uns
von Ihnen bei der Kohle gewünscht.
Womit werden die Kürzungen bei Solaranlagen und
Holzpellets begründet? Der Topf ist leer. Kein Wunder,
dass er leer ist, wenn man das Geld vorher schon verschenkt hat. Kein Wunder auch angesichts der Tatsache,
dass die Mittel für den Markteinführungstitel um
13 Millionen Euro gekürzt worden sind. Bei genauerer
Betrachtung ist auch Ihre Erhöhung der Energieforschungsmittel um 43 Millionen Euro keine wirkliche
Erhöhung. Fragen Sie Herrn Kollegen SchulteDrüggelte; er wird es Ihnen erklären können. Stattdessen
haben Sie über einen Haushaltstrick nur den Haushaltsansatz erhöht; die Erhöhung der Mittel ist nur gering.
({4})
An anderen Stellen finden wir ähnliche Vorgaben der
Bundesregierung. Beispielsweise hat Herr Landwirtschaftsminister Seehofer die Mittel für Bioenergien gekürzt. Sein CSU-Kollege und Wirtschaftsminister Glos
kürzt die Mittel für die Exportförderung erneuerbarer
Energien. Dabei ist zu betonen, dass das Parlament mit
seiner schwarz-roten Mehrheit die Kürzungsvorschläge
der Regierung sogar getoppt und noch etwas draufgelegt
hat. Die Anträge der Grünen zur Erhöhung der Energieforschungsmittel im Haushalt der Bildungs- und Forschungsministerin um 50 Millionen Euro aber, für die
wir sogar einen Deckungsvorschlag gemacht haben, haben Sie einfach abgelehnt.
({5})
Die Bundesregierung hat sich mittlerweile überlegt,
wo sie zusätzliches Geld herbekommen kann. Wo ist sie
fündig geworden? Es wurde hier schon zu Recht mehrfach kritisiert: bei den Biokraftstoffen. Diese sollen
zum Teil schon ab diesem Jahr besteuert werden, mehr
noch ab 2007 und wiederum mehr ab 2009; danach soll
möglichst voll zugegriffen werden.
({6})
Die schwarz-rote Bioenergiesteuer werden wir im nächsten Wahlkampf zur Wahl stellen. Dann kann der Bürger
Union und SPD die Quittung geben.
({7})
Man muss sich fragen: Wieso macht Schwarz-Rot genau das Gegenteil dessen, was Sie in Energiesonntagsreden und Parteiprogrammen verkündet haben? Wissen
Sie denn nicht, was Sie tun? In der Tat spricht einiges
dafür, dass Sie tatsächlich nicht wissen, was Sie tun. Ich
werde das an folgenden Beispielen belegen.
Wir haben die Bundesregierung gefragt, wie hoch die
Einpreisung bei den CO2-Zertifikaten ist, die die Bürger
so immens belastet. Was hat die Bundesregierung geantwortet? Sie weiß es nicht! Die Schätzungen liegen zwischen 5 und 10 Milliarden Euro, aber die Bundesregierung tappt im Dunkeln.
Wir haben die Bundesregierung auch gefragt, mit
welchen Mengen an Biokraftstoffen sie unter den verschiedenen Besteuerungsvarianten rechnet. Antwort der
Bundesregierung: Sie weiß es nicht. Also kennt sie auch
nicht die möglichen unterschiedlichen Steuerausfälle.
Aber dennoch tut der Finanzminister so, als sei die Abschaffung der vorhandenen biogenen Reinkraftstoffe
seine wichtigste Aufgabe in dieser Legislaturperiode.
Noch ein Beispiel. Wir haben die Bundesregierung
gefragt, wie die Pflanzenölbesteuerung in der Landwirtschaft nach 2009 gehandhabt werden soll. Zunächst hat
die Bundesregierung geantwortet, dass eine Vollbesteuerung vorgesehen sei. Bei der nächsten Nachfrage hat sie
gemeint, dass sie das jetzt auch noch nicht so genau
wisse. Frei nach dem Motto „Auch ein blindes Huhn findet mal ein Korn“ wird dann im Haushalt und bei den
Steuersätzen herumgepickt.
Ist jemandem unter Ihnen aufgefallen, dass sich der
Bundesumweltminister in Brüssel für mehr Forschungsmittel für erneuerbare Energien und weniger Mittel für
Kernfusion und Kernspaltung einsetzen würde? Im
7. Forschungsrahmenprogramm ist für Kernfusion und
Kernspaltung ein Mehrfaches von dem vorgesehen, was
für erneuerbare Energien insgesamt eingeplant ist. Dazu
haben wir nichts gehört!
Wir haben uns auch den Antrag der Regierungsfraktionen angeschaut. In dem Antrag wurde auf diesen
Skandal nicht einmal eingegangen. Das Missverhältnis
wurde nicht angesprochen. Mehr noch: Es wurde nicht
einmal kritisiert, dass neue Atomreaktoren entwickelt
werden sollen, obwohl Deutschland aus der Atomenergie aussteigt. Wir sind gespannt, wie die SPD darauf reagieren wird, wenn Ministerin Schavan ihre Drohung
wahr macht und wieder in die Erforschung neuer
Atomreaktoren einsteigt. Einen Wiedereinstieg in die
Atomenergie durch die Forschungshintertür werden wir
Ihnen nicht durchgehen lassen.
({8})
Die Regierungsbilanz im Energie- und Umweltbereich ist ernüchternd. Die ökologisch schädlichen Subventionen - Kerosinsteuerbefreiung für die Luftfahrt,
steuerfreier Schiffsdiesel, Agrardiesel oder Rückstellungen für Atomkraftwerke - wurden nicht abgebaut. Von
einem Wärmegesetz für erneuerbare Energien ist weit
und breit nichts zu sehen. Das Erneuerbare-EnergienGesetz wird schrittweise zur Privilegierung von Unternehmen missbraucht, die das Klima in besonders großem Maße belasten. Da passt es nur zu gut, dass die Minister Gabriel und Glos den Emissionshandel zu dem mit
Abstand teuersten Instrument weiterentwickeln wollen,
das der Umweltschutz bislang gesehen hat.
Ich denke, wir haben genügend Gründe dafür dargelegt, dass wir diesem Haushalt, der den großen Herausforderungen für Umwelt- und Klimaschutz nicht gerecht
wird, nicht zustimmen können.
({9})
Für die SPD-Fraktion hat das Wort der Kollege Marco
Bülow.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mein
erster Dank gilt dem Umweltminister und seinem Haus
sowie den Haushälterinnen und Haushältern, nämlich
dafür, dass sie in einer schwierigen Haushaltslage den
Umfang des Umwelthaushalts bewahrt bzw. sogar leicht
erhöht haben. Das Volumen beträgt 774,8 Millionen
Euro. Das sind etwa 0,3 Prozent des Gesamthaushalts.
Damit sprechen wir über einen zwar kleinen, aber sehr
wichtigen Haushaltsbereich. Außerdem ist zu erwähnen,
dass viele Haushaltsposten in anderen Bereichen - wir
haben über das Gebäudesanierungsprogramm gesprochen; es wird deutlich erhöht - zu finden sind, die auch
der Umwelt zugute kommen. Der Haushalt ist ein
Grundpfeiler für eine gute Umweltpolitik, die aber nicht
nur an Geldmitteln gemessen werden kann.
Drei Viertel aller Deutschen halten den Umweltschutz für wichtig oder für sehr wichtig. Jeder weiß:
Wer heute den Lebensraum zerstört, riskiert die Zukunft
unserer Kinder und Enkel. Immer mehr bekommen mit:
Wir befinden uns mitten im Klimawandel. Doch fast jeder europäische Haushalt verfügt über mindestens ein
Auto. Beim Kauf dieses Autos wird meist nicht darüber
nachgedacht, wie hoch der Verbrauch ist; das hat keine
hohe Priorität. Es gibt kaum jemanden, der nicht schon
einen Billigflug innerhalb Europas genutzt hat und nicht
über das Klima nachgedacht hat. Wir alle, vor allem
Nordeuropäer und Nordamerikaner, verbrauchen Unmengen von Energie und produzieren daher gefährliche
Klimagase. Diese Diskrepanz zwischen Bewusstsein
und Handeln ist eher größer geworden. Man nennt das
wohl ein Dilemma. Dies ist auch der Grund dafür, dass
Umweltpolitik in Deutschland in den letzten 20 Jahren
zu einem wichtigen und unerlässlichen Politikbereich
geworden ist.
({0})
In diesen 20 Jahren wurde viel erreicht, auch deshalb
weil im Haushalt immer wieder Mittel für wichtige Investitionen bereitgestellt worden sind. Das gilt für diesen
Haushalt ebenfalls - siehe Marktanreizprogramm -;
meine Kollegin Petra Hinz hat dazu genug gesagt.
Herr Fell, man muss sich die Zahlen anschauen. Man
kann sich natürlich einzelne Posten herausgreifen, aber
wenn man die erneuerbaren Energien betrachtet, muss
man die Gesamtzahl sehen. Insofern haben wir die Mittel erhöht. Das wird niemand in Abrede stellen. Man
kann natürlich über einzelne Posten reden. Aber die
Frage ist doch, welche Zahl am Ende steht.
({1})
Ich möchte noch einen Schlenker zur Opposition machen. Auf der einen Seite hören wir, wir hätten zu viel
Geld in den Naturschutz gesteckt, und auf der anderen
Seite hören wir, Naturschutz sei überhaupt nicht vorhanden. Daran sieht man ein bisschen, wo hier die Diskrepanz ist.
Herr Fell, Sie können uns vieles vorwerfen, wir können auch sicherlich über einiges diskutieren. Aber klar
ist: Die SPD hat im Europaparlament deutlich gemacht,
dass sie diesen Weg im Atombereich nicht gehen will,
und hat dazu auch Anträge gestellt. Das müsste einmal
zur Kenntnis genommen werden; denn das sind auch Sozialdemokraten.
({2})
Was die Atomkraft angeht, könnte ich mir jetzt einen
Schlenker zum Koalitionspartner erlauben, aber ich sage
dazu nichts. Auch wir wollen sichere Endlager und sind
uns unserer Verantwortung bewusst. Nur, eines ist auch
klar: Ein sicheres Endlager wird es niemals geben. Kein
Mensch kann nämlich sagen, wie lange ein Endlager,
selbst wenn es so sicher wie möglich ist, hält. Das müssen wir den Leuten fairerweise sagen. Es ist klar, dass
wir unserer Sorgfaltspflicht gerecht werden müssen.
Bei allen Anstrengungen wissen wir, dass wir uns
nicht hinter den Erfolgen verstecken dürfen. Angesichts
des angesprochenen Dilemmas können wir uns sicherlich nicht zurücklehnen. Nicht nur wegen des notwendigen Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen bleibt
die Umweltpolitik unverzichtbar, sondern auch, weil sie
zunehmend zu einem Investitionsfaktor geworden ist.
Wenn Investitionen zielführend eingesetzt werden und
ein sinnvoller Rahmen gesetzt wird, eröffnet uns dieser
Bereich ein nahezu unerschöpfliches Potenzial, welches
unserer Wirtschaft sowie der Umwelt und damit den
Menschen zugute kommt.
Dies zeigt sich besonders deutlich, wenn es um den
Verbrauch unserer Ressourcen und den Klimawandel
geht. Mittlerweile vergeht keine Woche ohne Horrornachricht. Meistens lautet der Inhalt: Das Institut XY hat
herausgefunden, dass der Klimawandel weiter vorangeschritten bzw. heftiger ist, als bisher angenommen. Kein
seriöser Wissenschaftler bezweifelt noch den Klimawandel. Im Gegenteil: Einstige Kritiker, neulich der Physiker Armin Bunde, veröffentlichen Studien, mit denen sie
beweisen, dass sie früher Unrecht hatten, als sie bestritten, dass der Klimawandel hauptsächlich von den Menschen verursacht wurde.
({3})
Auch die neueste Nachricht ist nicht gerade hoffnungsbringend: Ein norwegisches meteorologisches Institut zeigt, dass im Frühjahr die Temperaturen auf SpitzMarco Bülow
bergen 13 Grad zu hoch waren. Jeder in diesem Saal
weiß, welche Auswirkungen es hat, wenn das Eis schneller schmilzt. Die Reflexion des Eises ist sehr wichtig,
weil sie verhindern kann, dass sich die Erdatmosphäre
weiter erhitzt. Mittlerweile wissen wir ziemlich genau,
was es bedeutet, wenn der Meeresspiegel steigt, sich die
Klimazonen verschieben und die Umweltgewalten häufiger auftreten bzw. heftiger werden.
Abgesehen von der direkten Betroffenheit der Menschen werden durch den Klimawandel immense Kosten
auf uns zukommen. Es sind Kosten, die wir irgendwann
im Haushalt zu schultern haben werden, vielleicht nicht
im Umwelthaushalt, aber in vielen anderen Bereichen.
Wir wissen also, wie groß unsere Spielräume noch sind
und was auf uns zukommen wird.
Ja, wir tun einiges, zum Beispiel haben wir das Erneuerbare-Energien-Gesetz auf den Weg gebracht. Es
gehört nicht zum Umwelthaushalt, leistet aber einen klaren Beitrag zur Förderung der erneuerbaren Energien.
Inzwischen ist es international als das Instrument überhaupt anerkannt.
({4})
Wir sorgen auch für eine Steigerung der Energieeffizienz; in diesem Bereich wollen wir deutlich zulegen.
Ich glaube, wir, die Umweltpolitiker aller Fraktionen,
sollten dem Umweltministerium jede Unterstützung geben, damit wir bei der Steigerung der Energieeffizienz,
beim Ausbau der erneuerbaren Energien und beim
Kampf gegen den Klimawandel erfolgreich sein werden.
({5})
Zum Schluss wollte ich eigentlich noch genauer auf
einen Punkt eingehen - das schaffe ich leider nicht
mehr -, an dem man erkennt, dass manches auch nicht
funktioniert; ich meine die Verbreitung von Dieselrußpartikelfiltern. Ich sage dazu nur einen Satz: Ich fordere die Länder auf, den guten Vorschlag zum Umgang
mit dieser Innovation, der dankenswerterweise von der
Regierung eingebracht wurde, zu unterstützen.
({6})
Häufiger als man denkt, stellt man fest, dass Schutz
und Innovation zusammengehören. Das Dilemma kann
aufgelöst werden. Doch man muss die Chancen bündeln
und nutzen. Einsatz für die Umwelt heißt Einsatz für den
Menschen. Das sollten wir in dieser, aber auch in allen
künftigen Haushaltsperioden im Bewusstsein mit uns
tragen.
Vielen Dank.
({7})
Als letzter Redner in dieser Debatte hat der Kollege
Ulrich Petzold für die Unionsfraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Unser Motto sollte sein: Tue
Gutes und sprich darüber. Wir alle sind stolz auf unsere
Fußballnationalmannschaft. Wir können aber auch auf
unseren Umwelthaushalt stolz sein.
({0})
Wir haben - unter Beachtung der globalen Minderausgabe - eine effektive Erhöhung um 2,4 Prozent erreicht,
und zwar in einem Haushaltsjahr, das finanziell sehr
schwierig ist.
Es ist natürlich auch wichtig, welche Schwerpunkte
im Haushalt gesetzt wurden. Nach unserem Verständnis
muss ein Schwerpunkt auf der Investition in Köpfe, also
in Wissen und Forschung, liegen. Deshalb wurde in der
Titelgruppe 02 - erneuerbare Energien - der Ansatz für
Forschungs- und Entwicklungsvorhaben um 23 Millionen Euro erhöht und damit mehr als verdoppelt. Diesen
Erfolg sollte man klar und deutlich vermitteln.
Auch die Investitionszuschüsse zur möglichst breiten
Einführung der erneuerbaren Energien wurden bei einem
Zuwachs von 20 Millionen Euro fast verdoppelt. Das ist
durchaus etwas, worauf wir als Umweltpolitiker stolz
sein können. Es sollte also nicht immer nur gemeckert
werden.
({1})
Natürlich müssen wir uns darüber im Klaren sein,
dass der Haushalt 2006 nur ein Übergangshaushalt und
eigentlich der Aufgalopp für den Haushalt 2007 ist. Vieles, was in den vergangenen Wochen im Umweltausschuss besprochen und beraten worden ist, muss weiter
verfolgt werden, damit es in Zukunft zu einer Umsetzung kommt. Denn wir alle wissen: Die nächsten Haushalte werden nicht einfacher. Wir müssen noch ganz
schön viel Geld einsparen.
Da heißt es, zum Beispiel abzuwägen, ob Doppelungen, die in verschiedenen Haushalten vorhanden sind
- ich nenne in diesem Zusammenhang den Bereich der
Anlagensicherheit, welcher sich sowohl beim Arbeitsschutz als auch beim Umweltschutz findet -, weiter bestehen bleiben sollen oder ob wir hier nicht zu einer Vereinfachung kommen können.
Liebe Freunde, dass wir durchaus noch Einsparpotenzial haben, habe ich bereits in der Ausschusssitzung am Beispiel der Subventionierung der Aufarbeitung von Altöl zu Basisöl nachgewiesen.
({2})
Jeder von uns Umweltpolitikern ist überzeugt, dass insbesondere die Aufarbeitung von hochwertigen Altölen
unbedingt geboten ist.
({3})
Wir subventionieren diese Aufarbeitung dementsprechend mit 731 000 Euro. Wenn wir aber fragen, warum
subventioniert werden muss, dann müssen wir auf uns
selbst zeigen: In § 51 des Energiesteuergesetzes stellen
wir die Verwendung von Altölen als Brennstoff in der
mineralogischen Wirtschaft von der Mineralölsteuer frei.
Demzufolge handelt es sich um eine Subvention, die einer anderen Subvention entgegenwirkt. Hören wir also
mit diesem irrsinnigen Subventionsringelspiel auf! Wir
haben mit dem Energiesteuernachfolgegesetz alle Möglichkeiten dazu.
({4})
Wenn wir als Umweltpolitiker Einsparvorschläge machen, dann tun wir dies nicht ohne Hintergedanken.
Die größte und beste Ressource, die wir in Deutschland haben, ist unsere Jugend und ihre möglichst gute
Ausbildung. Seit dem im Jahre 2004 geschlossenen Nationalen Pakt für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs
in Deutschland gilt eine 7-prozentige Ausbildungsquote
für alle Bundesbehörden. Zurzeit bildet das Umweltbundesamt 65 junge Menschen aus und gibt ihnen damit
eine Zukunft. Am Standort Dessau haben sich in diesem
Jahr etwa 1 000 Jugendliche auf zehn Ausbildungsplätze
beworben, obwohl es für diese Ausbildungsplätze keine
Übernahmezusage gab.
Das derzeitige Verfahren sieht vor, dass diese Jugendlichen im Umweltbundesamt für zwölf Monate weiter
beschäftigt werden. Aber durch die jährlichen Stellenkürzungen, durch die zusätzlichen Einsparauflagen und
durch den vereinbarten Solidarbeitrag der öffentlichen
Verwaltung zur Konsolidierung des Bundeshaushaltes
sind die 1,4 Millionen Euro, die für eine Weiterbeschäftigung dieser Jugendlichen notwendig wären, nicht mehr
vorhanden. Es wäre aber ein fatales Signal, wenn die befristeten Anschlussverträge für die Ausgebildeten nicht
mehr beibehalten werden könnten.
({5})
Nach Ansicht aller Mitglieder unserer Arbeitsgruppe
wäre hier eine positive Entscheidung sehr wichtig. Die
Möglichkeiten für eine Gegenfinanzierung habe ich vorhin dargestellt. Herr Bundesminister, tun wir auch im
Haushaltsjahr 2007 etwas Gutes. Tun wir etwas für unsere Jugend!
Herzlichen Dank.
({6})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan
16, Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit. Wir stimmen über die Ausschussfassung ab. Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dann ist der Einzelplan 16 mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der drei
Oppositionsfraktionen angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.17 auf:
Einzelplan 10
Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
- Drucksachen 16/1310, 16/1324 Berichterstattung:
Abgeordnete Georg Schirmbeck
Ernst Bahr ({0})
Jürgen Koppelin
Michael Leutert
Ich bitte jetzt die Kollegen, die hier so engagiert für
den Umweltschutz gestritten haben, etwas leiser das
Feld für die anderen Kollegen zu räumen, sodass alle
Anwesenden der weiteren Debatte folgen können.
Ich mache darauf aufmerksam, dass zu diesem Einzelplan ein Änderungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen vorliegt, über den wir namentlich abstimmen, allerdings erst morgen früh um 8 Uhr. Dieser
letzte Hinweis ist vielleicht nicht ganz unwichtig für Ihre
weitere Abendplanung.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Dazu
höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Als erster Redner in dieser Debatte hat der Kollege
Hans-Michael Goldmann von der FDP-Fraktion das
Wort.
({1})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die FDP hat beim Haushalt 2006 gute handwerkliche Arbeit gemacht. Wir haben kluge Einsparvorschläge gebracht, ohne dadurch die unternehmerische,
marktorientierte Landwirtschaft zu schwächen. Wir haben auch die richtigen Weichenstellungen vorgenommen, indem wir zum Beispiel gesagt haben, es ist nicht
der richtige Zeitpunkt für Ökospielereien, aber es muss
Wert gelegt werden auf die Stärkung der Leistungsfähigkeit der im internationalen Wettbewerb stehenden Landwirtschaft.
({0})
Wir hatten uns bei unseren Überlegungen zum Haushalt ein Ziel gesetzt: Wir wollten erreichen, dass die
Maastrichtkriterien aus eigener Kraft erfüllt werden. Das
ist uns geglückt. Damit haben wir unseren Beitrag für
mehr Freiheit der jungen Generation geleistet, wie wir
sowieso eine Politik der Freiheit statt der Unfreiheit ins
Zentrum unserer Oppositionsarbeit gerückt haben.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist nach 200 Tagen Seehofer sicherlich an der Zeit, eine Bilanz der Arbeit des neuen Ministers zu ziehen. Ich glaube sogar,
dass viele von Ihnen mit mir darin übereinstimmen, dass
diese Bilanz enttäuschend ausfällt.
({2})
Von Bauernbefreiung im guten Sinne haben viele geträumt,
({3})
von einer Befreiung von zu viel Marktregulierung. Als
Herr Seehofer auf der Grünen Woche in Anspielung auf
die Vorgängerministerin sagte, der Handwerker müsse
wieder den Mundwerker ablösen, da schöpfte man etwas
Hoffnung. Aber, Herr Minister Seehofer, Sie haben, wie
gesagt, alle, die ernsthaft und sachorientiert arbeiten,
enttäuscht. Sie haben viel angekündigt, Sie haben viel
versprochen und fast alles gebrochen. Aus meiner Sicht
sind Ihre Ausführungen häufig - ich muss das sehr deutlich sagen - von mangelndem fachlichen Tiefgang geprägt.
({4})
Das ist erschreckend. Ich werde das, wie ich glaube, jetzt
jedem anhand von Beispielen aufzeigen können.
Wenn man ein Wort wie „Sofortprogramm“ hört,
dann glaubt man erstens, es handele sich um ein Programm, und zweitens, es komme sofort. Wie aber steht
es um das von diesem Minister auf den Weg gebrachte
Sofortprogramm - natürlich zehn Punkte umfassend,
weil es ja auch die Zehn Gebote gibt?
({5})
- Ich denke, es gibt da schon Beziehungen zwischen politischer Arbeit und der konfessionellen Orientierung
von Herrn Seehofer.
({6})
Als wir nach einer gewissen Zeit in Form einer Kleinen
Anfrage fragten, was eigentlich aus dem Zehnpunkteprogramm geworden ist, musste selbst die Bundesregierung erklären, eigentlich nichts: versprochen - gebrochen!
Ich erinnere mich noch gut an die Diskussion um die
Einstandspreise.
({7})
Wo sind die Aktivitäten, um dieses in meinen Augen falsche, aber politisch artikulierte Ziel zu erreichen?
Nehmen wir einen weiteren Punkt. Wir, die wir in diesem Bereich politisch tätig sind, haben davon geträumt,
dass den Landwirten mehr Freiheiten eingeräumt werden. Warum wurde die Chance dazu nicht genutzt, zum
Beispiel bei der Umsetzung der Legehennenverordnung
oder der Schweinehaltungsverordnung? Warum konnten
wir uns nicht dazu entschließen, die europäischen Vorgaben eins zu eins in nationales Recht umzusetzen?
({8})
Ein weiterer Punkt, der heute auch schon angesprochen wurde: Der Wegfall der Mineralölsteuerbefreiung
für biogene Kraftstoffe ist ein Schlag ins Gesicht all
der kleinen und mittelständischen Betriebe, die darauf
vertrauten, dass sich die Politik an die Worte hält, die sie
spricht. Dieses Vertrauen ist nun zerstört worden.
({9})
Der Gipfel dieses Verhaltens wurde diese Woche erreicht: Da wurde eine Sondersitzung zu diesem Thema
für Mittwoch anberaumt, die dann aber ausfallen musste,
weil sich die große Koalition nicht einig war. Das führt
zu Verunsicherung der Landwirte und zu Stillstand, der
sich sehr zum Nachteil der ländlichen Räume auswirkt.
({10})
- Liebe Kollegin Wolff, wir alle haben darauf vertraut,
dass man sich auf gesetzliche Bestimmungen und die
Worte von Ministern verlassen kann.
Oder nehmen Sie den Zickzackkurs in der Grünen
Gentechnik. Lesen Sie einfach das, was heute in der
„Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ dazu steht.
Nehmen Sie einen weiteren Punkt im Zusammenhang
mit der Vogelgrippe: Impfen statt Töten. Damals, als
der erste Fall auftrat, sind Sie, Herr Seehofer, in großer
journalistischer Begleitung und mit sehr wenig Sachverstand in die Rügenszene eingestiegen. Wir haben schon
damals gesagt, dass wir impfen statt töten sollten. Es war
hochinteressant, bei einem Besuch in den Niederlanden
festzustellen, dass sich andere Länder viel globaler orientieren, mehr Tierschutz realisieren und mehr Planungssicherheit für die intensive Landwirtschaft schaffen.
({11})
Ich bleibe dabei, moderne und zukunftsfähige intensive
Landwirtschaft ist nur mit vernünftigen Impfmethoden
zu haben, nicht aber, wenn man nach dem Motto verfährt: Wir schlagen tot, wenn ein Einzelfall auftritt. Dafür gibt es überhaupt keine gesellschaftliche Akzeptanz. Wir haben es bei der großen Koalition mit einer
Menge Dilettantismus zu tun.
Nehmen Sie ein weiteres Beispiel: die Erntehelfer.
Es gibt 4,5 Millionen Arbeitslose und wir glauben, das
Problem der Arbeitslosigkeit dadurch regeln zu können,
dass wir ein Kontingent von Erntehelfern festlegen. Das
ist ein Schwachsinn sondergleichen. Dieses Kontingent
kann gar nicht ausgefüllt werden. Wenn Sie vor Ort gehen, dann werden Sie feststellen, dass das überhaupt
nicht geklappt hat. Das hat im Gegenteil zu einer riesigen Verunsicherung und zu viel Ärger geführt, weil es
komische Kontrollen gegeben hat. In der Sache hat das
überhaupt nichts gebracht. Im Übrigen bin ich der Meinung, dass es in diesem Zusammenhang nicht klug ist,
die Grenzen zu schließen. Mein Gott, was ist denn
schlimm daran, wenn bei uns 10 000 Polen Geld verdienen, sie mit diesem Geld nach Hause gehen, sich etwas
aufbauen und mit dem Geld, das sie ausgeben, auch unsere Wirtschaft ankurbeln? Wo ist da das Problem?
({12})
Wir müssen das Problem lösen, sonst kommt es im
Herbst erneut auf uns zu. Das kann überhaupt nicht in
unserem Interesse sein.
Ich will nun zu den Dingen kommen, die sehr populistisch gehandhabt werden und flach angelegt sind.
({13})
- Lieber Georg, animier du erst einmal deine bayrischen
Freunde, damit sie den Bären fangen. Dann können wir
uns wieder vernünftig unterhalten.
({14})
Lassen Sie mich ein paar Worte zur gegenwärtigen
Diskussion über das Rauchen sagen. Das ist nichts anderes als ein großes Ablenkungsmanöver; denn erstens
sollten Sie einmal fragen, wer für diesen Bereich zuständig ist, und zweitens sollten Sie sich um eine einheitliche
Linie bemühen. Warum sagen führende Politiker aus den
Koalitionsfraktionen etwas völlig anderes als Herr
Seehofer?
({15})
Ähnlich verhält es sich mit der Grünen Gentechnik. Herr
Seehofer will die Grüne Gentechnik auf den Weg bringen, aber die CSU in Bayern hält die Grüne Gentechnik
für Teufelswerk. Hier ist keine gemeinsame Linie zu erkennen.
({16})
Und lassen Sie uns nicht die Dinge vermischen! Das EUWerbeverbot hat überhaupt nichts mit dem Nichtraucherschutz zu tun, den Herr Seehofer jetzt propagiert.
Ich glaube, hier handelt es sich um einen deutlichen Fall
von mangelndem fachlichem Tiefgang und hier wird
nach meiner Auffassung unqualifiziert in die Landschaft
gepustet.
Nehmen Sie ein letztes Beispiel, weil ich nicht mehr
so viel Redezeit habe. Eines Tages kommt der Minister
und sagt, er wolle ein deutsches Reinheitsgebot für
Wein.
({17})
- Herr Kollege, ich schlage vor, Sie gehen einmal dorthin, wo Menschen qualitativ hochwertigen Wein machen. Unterhalten Sie sich einmal mit der Kollegin
Klöckner darüber!
Wer der Meinung ist, dass die Forderung, ein deutsches Reinheitsgebot für Wein herauszuposaunen, eine
kluge und marktorientierte ist, der hat schlicht und ergreifend keine Ahnung. Wer ein deutsches Reinheitsgebot für Wein fordert, der muss ein bayrischer Biertrinker
sein und der bewegt sich in einer sehr engen Welt. Mein
Kollege Wissing hat Recht und du, Julia Klöckner, weißt
es ganz genau: Die Forderung nach einem Reinheitsgebot für Wein ist eine Schnapsidee.
Lassen Sie uns gemeinsam die Weichen für eine Politik stellen, die wir brauchen. Nehmen Sie ernst, was
Leute wie Herr Dr. Born oder Herr Nüssel, der DRV-Präsident, sagen: Politik bleibt in der Verantwortung für die
Agrarmärkte. - Die Grundlage dieser Verantwortung ist
eine klare, sachliche und fachlich begründete Politik.
Kollege Goldmann, Sie hatten richtig erkannt, dass
Ihre Redezeit abgelaufen ist.
Populismus in der Agrarpolitik, in der Ernährung und
im Verbraucherschutz ist fehl am Platz. Das lehnen wir
entschieden ab und somit lehnen wir auch Ihren Haushalt ab.
Danke schön.
({0})
Das Wort hat der Kollege Georg Schirmbeck für die
Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Herr Kollege Goldmann, wenn man dem anderen vorwirft, er sei nicht Handwerker, sondern Mundwerker, dann verfällt man schnell in einen Slang, in dem
man - wie Sie es gemacht haben - etwas vom Bären erzählt.
({0})
Lassen Sie mich einen Punkt aufnehmen, den Sie so
flapsig angesprochen haben: die Erntehelfer.
({1})
Wenn man in seinem Wahlkreis, so wie ich, 25 000 arbeitslose Menschen hat und gleichzeitig weiß, dass dort
5 000 bis 6 000 polnische - wahrscheinlich sind es mittlerweile eher bulgarische oder rumänische - Erntehelfer
arbeiten, so muss es doch der Anstrengung aller redlichen Menschen wert sein, wenigstens einige dieser deutschen Arbeitslosen in Arbeit und Brot zu bringen.
({2})
Ich weiß, dass das für die Betriebe eine Herausforderung ist. Ich stehe mit den Betrieben in guten Gesprächen. Wenn man das aber so einseitig wie Sie sieht und
sagt, wir machen einfach die Grenzen auf, es interessiert
uns nicht, wenn hier oder dort 10 000 Erntehelfer sind,
dann darf man sich anschließend nicht über die sozialen
Verwerfungen erregen. Es ist nicht in Ordnung, dass Sie
das so populistisch vortragen. Das ist leider keine Lösung. Wenn das so einfach wäre, wären wir vielleicht
auch schon auf diese Idee gekommen.
({3})
- Allein der Hinweis auf „die Polen“ ist aufschlussreich.
Es sind nämlich kaum noch Polen, sondern eher Rumänen und Bulgaren.
({4})
Allein das zeigt, dass du uns wieder einmal das erzählst,
was du uns immer erzählst. Nur hilft uns das leider nicht
weiter.
Natürlich kann man seine Redezeit darauf verwenden,
alle möglichen schönen Wünsche zu äußern. Wenn ich
das aber richtig verstanden habe, geht es hier um den
Bundeshaushalt 2006 und damit um Zahlen.
Damit bin ich bei dem eigentlichen Thema. Wir haben im Einzelplan 10 im Vergleich zum Vorjahr
200 Millionen Euro eingespart. Das ist ein Sparbeitrag,
der zur Konsolidierung des Bundeshaushalts dient.
Wir haben - das ist an der einen oder anderen Stelle ganz
schüchtern angesprochen worden - einen schwierigen
Haushalt und müssen die Enden zusammenbringen. Angesichts dessen kann man sich nicht damit brüsten, dass
man hier 100 Millionen Euro mehr zur Verfügung hat
oder dort zusätzlich dieses oder jenes tut. Wir müssen
die Dinge unter volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten
zueinander bringen. Wenn man berücksichtigt, dass der
Gesamtetat bei 5 Milliarden Euro liegt, haben wir, so
finde ich, eine gute Leistung vorzuweisen.
({5})
Wir bringen einen Haushalt ohne sachliche Brüche
zustande. Aus Sicht der CDU/CSU kann man sich natürlich über die eine oder andere Maßnahme, die die alte
Regierung noch auf den Weg gebracht hat, unterhalten.
Wenn man diese Maßnahmen jetzt aber einfach kappen
würde, wären alle Steuermittel, die bisher hineingeflossen sind, wirklich vergeudet worden. Deshalb müssen
die Maßnahmen, die bereits angelaufen sind, auch sachlich zu Ende geführt werden. Das heißt für uns: Kontinuität und eine berechenbare Sachpolitik.
({6})
Auch die CDU/CSU hat sich die Sache mit dem Sparen an der einen oder anderen Stelle leichter vorgestellt.
Wir haben beispielsweise gedacht, dass in dem Küchenkabinett von Frau Künast mit den vielen Fächern und
Dosen viel Sparpotenzial vorhanden sei. Wir mussten
leider feststellen, dass diese Dosen alle leer waren. Frau
Künast hat zwar viel Wind gemacht, in Wirklichkeit aber
lief so manche Aktion, die sie aufgeblasen hat, ins Leere.
Daher war nicht viel einzusparen. Das ist die Realität.
Wenn man berücksichtigt, dass von den 5 Milliarden Euro im Einzelpan 4 Milliarden Euro für soziale
Verpflichtungen auf gesetzlicher Basis belegt sind - wir
alle haben sie in der Vergangenheit beschlossen -, dann
weiß man, dass der politische Spielraum vergleichsweise
begrenzt ist.
({7})
Am Schluss konnten wir also über 1 Milliarde Euro verfügen. Einen großen Brocken bildet dabei die Gemeinschaftsaufgabe Küstenschutz.
({8})
Man kann sich darüber unterhalten, welche Ausgaben in
den einzelnen Bundesländern und Sachbereichen notwendig sind. Sicherlich gibt es unendlich viele Wünsche. Kritiker könnten uns vorhalten, dass in diesem Bereich vor gar nicht allzu langer Zeit noch doppelt so
viele Mittel zur Verfügung standen. Da die Mittel aber
derart begrenzt waren, gab es keine Alternative zur Reduzierung auf 615 Millionen Euro.
({9})
In der Tendenz ist es aber so - wir beschließen nicht nur
über einen einzelnen Posten, sondern man muss das Gesamtwerk sehen -, dass wir durch die Mehrwertsteuererhöhung, die wir leider beschließen mussten, auch erreichen, dass die Finanzausstattung der Länder besser
wird. Dann muss das eben gegengerechnet werden. Jedenfalls können wir für die Gemeinschaftsaufgabe Küstenschutz nicht mehr zur Verfügung stellen.
Ich möchte in diesem Zusammenhang einen ganz anderen Punkt ansprechen. Wir sagen immer: „Die GAK
hat beschlossen.“ Wer ist eigentlich die GAK? Ich halte
das für einen vergleichsweise undemokratischen Verein,
um das einmal vorsichtig zu sagen. Wir hier auf Bundesebene als Abgeordnete beschließen nicht darüber. Meine
Erfahrung mit einem Landeshaushalt zeigt, dass man die
Beschlüsse dort eigentlich auch nur mitgeteilt bekommt;
dort beschließen wir auch nicht darüber. In Veranstaltungen vor Ort beziehen wir aber die Prügel, weil es dann
heißt: Die GAK hat uns das vorgeschrieben bzw. gibt
uns dieses und jenes als Auflage. Also, über dieses
Thema sollte man einmal in Ruhe sprechen. Etwas mehr
Übersicht und etwas mehr Transparenz wären sicherlich
nicht schlecht.
Die Projekte zum Verbraucherschutz und zur Ökologie, die im Haushalt enthalten sind, können wir planmäßig weiterführen. Ich war bei der ersten Lesung überrascht, dass die Kollegin Höfken uns hier sehr energisch
beschimpft hat,
({10})
weil wir angeblich alles abgeräumt haben; auch gerade
eben kam wieder der Hinweis darauf, was Herr Seehofer
alles gestrichen habe. - Ich habe im Vorfeld mit dem
Kollegen Bahr noch einmal darüber gesprochen: Uns ist
das nicht bekannt, genauso wenig wie Herrn Seehofer.
Wahrscheinlich haben Sie über eine ganz andere Vorlage
beraten. Wir führen alles, was verabredet ist, weiter. Ich
glaube, das ist auch sachgerecht.
({11})
Wir werden erleben, dass im Ministerium die Sachund Personalkosten sachgerecht und planmäßig zurückgefahren werden.
({12})
Das heißt, es wird sparsam mit den Ressourcen umgegangen. Das schließt aber nicht aus, dass man sich Entwicklungen an der einen oder anderen Stelle nicht entgegenstellen kann.
({13})
Wenn die Kosten für Benzin und Diesel aufgrund der
Preisentwicklung exorbitant steigen - in diesem konkreten Fall um 1,4 Millionen Euro -, dann muss das seine
Berücksichtigung im Haushaltsplan finden; denn die Arbeit insgesamt muss ja weitergehen.
Ich habe es schon angesprochen: Ein wesentlicher
Punkt des Einzelplans 10 ist der Agrarsozialbereich.
({14})
Wir werden in diesem Jahr 50 Millionen Euro zusätzlich
für die gesetzliche Unfallversicherung zur Verfügung
stellen.
({15})
Kollege Goldmann, das wäre beispielsweise ein fairer
Beitrag gewesen. Wenn man sich so besonders um den
Berufsstand kümmert und sich ihm verbunden fühlt,
dann hätte man auch ansprechen können, dass dort ganz
konkret etwas Positives für den Berufsstand geleistet
wird.
({16})
Statt nur die Defizite zu beklagen, hätte man hier ganz
konkret die andere Seite aufzeigen können.
({17})
Allerdings gibt es, wenn wir den gesamten Sozialbereich
betrachten - ich nenne konkret die Berufsgenossenschaft
und die Landwirtschaftliche Krankenversicherung -, immer noch Handlungsbedarf.
({18})
- Man muss über die einzelnen Punkte sprechen. Ich
nehme gern konkrete Vorschläge - auch von der Opposition - entgegen. Wenn ich aber Briefe bekomme, beispielsweise von einzelnen Berufsgenossenschaften, in
denen steht, es dürfe sich nichts verändern, alles müsse
so bleiben wie es ist, dann kann ich nur sagen: Die haben
den Schuss nicht gehört. Wer nicht mit der Zeit geht, der
geht mit der Zeit. Er schadet dem Berufsstand und allen,
denen er angeblich helfen will. Deshalb nützt es überhaupt nicht, hier große Sprüche zu machen, sondern wir
müssen uns ganz konkret um Lösungen bemühen.
({19})
Wir werden daran arbeiten. Kollege Goldmann, es ist
in der Tat manchmal eine schwierige Aufgabe, in den eigenen Reihen - dabei spielt es keine Rolle, ob man zur
CDU/CSU oder zur SPD gehört - einer Meinung zu
sein. Die Ansichten zu einzelnen Sachfragen sind eben
unterschiedlich und wir sind selbstständige Abgeordnete. Deshalb dürfen wir miteinander darum ringen. Das
alles ist nicht in einer Nacht oder an einem Tag zu machen. Aber es ist besser, wenn wir einige Tage länger
konstruktiv streiten, anstatt in einem Schnellschuss etwas Falsches zu beschließen.
({20})
Das machen wir auch bei diesen Fragen so. Aber wir haben uns Fristen gesetzt. Wir werden zu Ergebnissen
kommen.
Wir arbeiten vergleichsweise sehr schnell. Ich habe
von jemandem, der in der Vergangenheit die Aufgabe eines Landesministers übernommen hat, vorgetragen bekommen, dass wir im Bundestag im Vergleich zu den
Landesparlamenten unsere Gesetze und Verordnungen
schnell beschließen. Angesichts der sehr komplexen
Sachverhalte ist es, glaube ich, angebracht, dass wir in
Ruhe darüber nachdenken.
({21})
Wir erwecken durch die Mittel für die Landwirtschaft
im ansonsten relativ geringen Einzelplan 10 den Eindruck, dass wir Bedeutendes in der Landwirtschaft bewegen. Sicherlich sind die Entscheidungen, die wir bezüglich des Haushaltes treffen, wichtig. Aber noch
wichtiger sind natürlich die einzelnen gesetzlichen Maßnahmen, die wir auf den Weg bringen. Dazu ist festzustellen - diesen Punkt habe ich in der Rede des Kollegen
Goldmann vermisst -, dass wir die Mehrwertsteueroption durchgesetzt haben.
({22})
Das war eine schwierige Sache in der großen Koalition.
Aber heute darf ich allen, die dabei mitgeholfen haben,
Danke dafür sagen, dass das möglich geworden ist. Das
sage ich insbesondere zu den Kollegen von der SPD.
Das ist eine Leistung, die wir gemeinsam auf den Weg
gebracht haben.
({23})
Jetzt können Sie natürlich sagen, dass die Legehennenverordnung noch stärker eins zu eins hätte umgesetzt
werden können. Das gilt natürlich auch für die Verordnung zur Schweinehaltung. Aber Sie müssen sehen, dass
wir zwei große Volksparteien sind. Wir müssen uns bewegen und auch die Bundesländer mit auf den Weg nehGeorg Schirmbeck
men. Im Ergebnis ist jedenfalls festzuhalten - das sagen
uns auch die Vertreter des Berufsstandes -, dass man mit
den Beschlüssen, die wir gemeinsam getroffen haben, leben kann.
({24})
Das heißt, auch in dieser Branche haben die entsprechenden Wirtschaftsbereiche in Deutschland eine Zukunft.
Dasselbe können Sie mit Blick auf die Zuckermarktordnung sagen. Sie werden erleben, dass wir beim Biosprit in sehr kurzer Zeit Beschlüsse fassen, die nicht nur
bis 2009, sondern auch darüber hinaus eine Perspektive
bieten. Daran wird mit Hochdruck gearbeitet; dabei wird
der Fleiß aller eingesetzt. Ich glaube, wir sind insofern
auf einem guten Weg.
({25})
Im Ergebnis kann man feststellen, dass wir mit Minister Seehofer und der von uns unterstützten Politik politisch berechenbar sind, dass wir sachlich begründete
Entscheidungen treffen und deshalb gute Aussichten für
die zukünftige Entwicklung haben. Natürlich gibt es
auch in unseren Reihen - das trifft wohl auf jede Volkspartei zu - unterschiedliche Einschätzungen zur Grünen
Gentechnik. Aber Sie dürfen davon ausgehen, dass wir
auch diese Fragen so lösen werden, dass die Wirtschaftsbereiche, die davon abhängen, eine gute Perspektive haben.
({26})
Schließlich geht aus dem Einzelplan 10 hervor, dass
wir zwei hochseefeste Schiffe kaufen.
({27})
Diese hochseefesten Schiffe sind für die Fischereiaufsicht wichtig. Sie sollen die Raubfischerei beispielsweise im Nordatlantik verhindern. Das ist ein Beitrag
zum Artenschutz und zum Umweltschutz, über den ja
eben schon lange gesprochen worden ist.
Meine Damen und Herren, ich darf mich ganz herzlich beim Kollegen Bahr für die konstruktive Zusammenarbeit bei der Aufstellung des Einzelplans 10 bedanken. Das gilt aber auch mit Blick auf alle anderen
Berichterstatter. Ich darf mich beim Minister und seinem
Team bedanken. An der einen oder anderen Stelle waren
es intensive Beratungen; aber insgesamt hat es Spaß gemacht. Wir haben, glaube ich, die Voraussetzungen dafür
geschaffen, dass wir in Deutschland in der Ernährungswirtschaft und im Verbraucherschutz eine gute Entwicklung haben werden.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({28})
Das Wort hat die Kollegin Dr. Kirsten Tackmann, Die
Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Der Einzelplan 10 ist - das ist schon gesagt
worden - ein vergleichsweise kleiner Etat. Allein der
Verteidigungshaushalt hat das fünffache Volumen. Trotzdem ist die Diskussion über die Agrarpolitik in diesem
Lande aus meiner Sicht dringender denn je; denn die
Probleme spitzen sich zu und das Zeitfenster für vernünftige Lösungen wird immer enger.
In der aktuellen EU- und WTO-Politik werden leider
soziale und Umweltstandards als Wirtschaftshemmnisse
gesehen. Dabei sind sie doch eigentlich das Regelwerk
zur Sicherung gesamtgesellschaftlicher Interessen.
({0})
Unter diesen Bedingungen spitzt sich die Situation in
immer mehr ländlichen Räumen zu. Immer häufiger
wird die Frage gestellt, wo sie zukünftig überhaupt noch
besiedelt und genutzt werden können.
Sicher: Eine zukunftsfähige Agrarpolitik mit wenig
Geld zu gestalten, ist sehr schwierig. Aber es fehlt dieser
Regierung nicht nur das Geld - dies ist übrigens selbstverschuldet -, sondern auch ein Zukunftskonzept für den
ländlichen Raum. Dabei ist die Situation an Brisanz
kaum zu überbieten: In den letzten zehn Jahren ist in
Deutschland die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe
in Ost- und Westdeutschland von rund 550 000 auf
365 000 gesunken. Das ist ein Minus von 34 Prozent. Im
Jahr 2005 waren noch knapp 1,3 Millionen Arbeitskräfte
in der Landwirtschaft tätig. Das sind 10 Prozent weniger
als 1995.
Wie reagiert die Bundesregierung darauf? Als Ergebnis der EU-Agrarverhandlungen der Kanzlerin verliert
die Bundesregierung fast 40 Prozent der EU-Fördermittel für den ländlichen Raum. Gerade dieses Geld würde
aber dringend benötigt. Das bedeutet eine geringere betriebliche Investitionsförderung, die den Bauern direkt
zugute kommt, und weniger Möglichkeiten, zum Beispiel über Programme zur ländlichen Kulturlandschaft
zusätzliches Einkommen zu erzielen.
Auch die beiden Bereiche, die in den vergangenen
Jahren in der Landwirtschaft besonders erfolgreich waren - Bioenergie und Ökolandbau -, gerieten in die
Fänge der Haushälter. Es ist doch grotesk: Aufgrund der
günstigen politischen Rahmenbedingungen hat sich zum
Beispiel die Zahl der Biogasanlagen innerhalb eines Jahres verzehnfacht. Die Rapsmenge, die geerntet wird, hat
sich innerhalb von zehn Jahren um 65 Prozent erhöht,
die Anbaufläche um 42 Prozent.
({1})
Produktions- und Verarbeitungsanlagen für Biodiesel
sind neu entstanden und der Biodiesel beginnt sich am
Markt zu etablieren. Auch das ist zwar keine konfliktfreie Entwicklung, aber es bietet eine Chance.
Doch was macht die Bundesregierung? Sie versucht
per Besteuerung, eine angebliche Überkompensation bei
den biogenen Kraftstoffen abzubauen, was gerade im
Hinblick auf die kleinen, dezentralen Ölmühlen und die
regionalen Biokraftstoffmärkte fraglich ist.
({2})
Dasselbe gilt für den ökologischen Landbau, den einzigen Sektor der Nahrungsmittelerzeugung in Deutschland
und in Europa, der in den vergangenen Jahren ein
konstantes Produktions- und Vermarktungswachstum
verzeichnen konnte. Beispielsweise ist der Anteil des
ökologischen Landbaus in Mecklenburg-Vorpommern
mittlerweile auf 10 Prozent gestiegen; das entspricht einer Steigerung der Zahl der Ökobetriebe zwischen 1999
und 2005 um 43 Prozent. Der Umsatz ist in Deutschland
im Jahresvergleich um 15 Prozent gestiegen.
Die Politik von Bund und Ländern reagiert aber auch
hier gegen den Trend: Trotz der wachsenden Verbraucherakzeptanz der Ökoprodukte werden die Mittel für
die Förder- und Umstellprogramme in nahezu allen Bundesländern reduziert bzw. gestrichen. Auch hiermit richtet sich die Politik gegen die Sicherung von Arbeitsplätzen im ländlichen Raum.
({3})
Eines ist wohl unbestritten: Unsere Bäuerinnen und
Bauern brauchen zusätzliche Erwerbsmöglichkeiten. Die
Arbeitsplätze im ländlichen Raum müssen angesichts
des immensen Strukturwandels dringend gesichert werden und, wo immer möglich, neue geschaffen werden.
Doch genau das wird mit der Kürzung des Bundesanteils
an der Gemeinschaftsaufgabe „Agrarstruktur und Küstenschutz“ zumindest infrage gestellt.
({4})
Statt die Streichung der EU-Mittel für die ländliche Entwicklung wenigstens teilweise zu kompensieren, werden
50 Millionen Euro gestrichen. Damit gehen nicht nur die
Bundesgelder, sondern auch die Kofinanzierungsanteile
der Länder verloren.
Woher soll das Geld kommen, das für Agrarumweltmaßnahmen, für die Förderung des tierartgerechten
Stallbaus und für Agrarinvestitionsprogramme benötigt
wird? Dabei werden gerade diese Gelder zur Sicherung
der Arbeitsplätze im ländlichen Raum dringend benötigt.
Im Koalitionsvertrag steht:
Die Bundesregierung wird eine nationale Strategie
zur ländlichen Entwicklung vorlegen und darüber
einen umfassenden Dialog führen.
Angesichts der aktuellen Politik klingt das fast wie eine
Drohung!
Aber der Bundesregierung fehlt nicht nur ein Konzept
für den ländlichen Raum, ihr fehlt auch ein Konzept für
die Agrarressortforschung. 1996 hatte der Bundestag
tief greifende Kürzungen bei der Agrarressortforschung
beschlossen, übrigens gegen die Stimmen der damals
oppositionellen SPD und ohne vorherige fachliche Prüfung und Ermittlung des tatsächlichen Bedarfs der Bundesregierung an wissenschaftlicher Politikberatung.
Haushälter haben damals die Agrarforschungslandschaft
„gestaltet“. Laut Antwort der Bundesregierung auf eine
aktuelle Nachfrage von mir wurde damals entschieden,
dass 2 600 Personalstellen im Jahr 2008 reichen müssen.
Im gesamten Ressortforschungsbereich sind das
1 000 Arbeitsplätze weniger. 830 sind bereits gestrichen,
und zwar zufällig, nämlich dort, wo gerade eine Stelle
frei geworden ist.
Warum spreche ich das hier an? Weil sich solch ein
unsinniger Vorgang im Augenblick wiederholt und wieder Haushälter die Agrarressortforschung neu ordnen.
Minister Seehofer hat laut Presse die jüngste Vorlage als
„nicht fortschrittlich genug“ zurückgewiesen und die
Vorlage eines neuen Rahmenkonzeptes für Mitte/Ende
Juli angekündigt. Ich fordere Minister Seehofer und uns
alle dazu auf, sich zunächst die Erfahrungen mit dem
96er-Projekt anzusehen.
({5})
Seit zehn Jahren wurde nahezu keine frei gewordene
Stelle in der Agrarressortforschung wieder besetzt. Damit fielen meist auch die entsprechenden Aufgaben weg
- ohne jede Prüfung der Relevanz.
Dazu ein konkretes Beispiel: Das einzige Forschungsprojekt, das sich mit der aktuellen, dramatischen räumlichen Ausweitung und dem Anstieg der Häufigkeit des
Kleinen Fuchsbandwurms bei Füchsen und Marderhunden in der Bundesrepublik beschäftigt hat, ist seit
meinem Einzug in den Bundestag wissenschaftlich tot.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist keine Hobbyforschung: Der Kleine Fuchsbandwurm verursacht die
gefährlichste von Tieren auf Menschen übertragbare parasitäre Erkrankung in Europa, die ohne frühzeitige Diagnose und Behandlung fast immer tödlich verläuft. Niemand kennt zurzeit die Auswirkungen der
Veränderungen in den Tierpopulationen auf das Infektionsrisiko des Menschen. Dieses Wissensdefizit könnte
dem selbsternannten Lebensminister Seehofer sehr
schnell auf die Füße fallen.
Aber es fielen nicht nur wichtige Forschungsarbeiten
weg. Eine ganze Wissenschaftlergeneration hat in diesen
zehn Jahren in der Ressortforschung kaum Fuß fassen
können - mit entsprechenden Konsequenzen für den Altersdurchschnitt in diesen Einrichtungen. Dieser Verlust
ist kaum zu kompensieren. In diesen zehn Jahren des
Personalabbaus wurden zudem keine neuen wissenschaftlichen Kapazitäten für die Politikberatung der
Bundesregierung aufgebaut, die dringend nötig wären.
Die Arbeit des Biomasseforschungszentrums schleppt
sich dahin; das Amt für Produktsicherheit ist über die
Willensbekundung kaum hinausgekommen.
Ein weiteres Sorgenkind ist nach wie vor die Veterinärepidemiologie. Dabei ist dieses Thema auch für unsere Landwirtschaft sehr wichtig; denn die ökonomischen Verluste durch Infektionserreger sind gigantisch
und die emotionalen Folgen für die Tierhalter sehr dramatisch.
Erinnern wir uns an die brennenden Kadaverberge im
Jahre 2001während des MKS-Seuchenzugs in Großbritannien. Die Verluste in diesem Zusammenhang werden
mit insgesamt 3,1 Milliarden Pfund Sterling angegeben.
Die Landwirte verloren damals 20 Prozent ihres gesamten landwirtschaftlichen Einkommens. Die Kosten durch
BSE werden für Großbritannien für das Jahr 1996/1997
mit 1,5 Milliarden Pfund angegeben. Im Zusammenhang
mit dem Ausbruch der Geflügelpest 1999/2000 entstanden der italienischen Geflügelindustrie Kosten von
620 Millionen US-Dollar. 14 Millionen Tiere mussten
damals getötet werden. In den Niederlanden werden im
Rahmen des Geflügelpestausbruchs im Jahre 2003 Kosten von 500 Millionen Euro im Hinblick auf die Geflügelindustrie angegeben. Davon entstanden allein
270 Millionen Euro durch Tierseuchenbekämpfungsmaßnahmen.
Die Klassische Schweinepest hat in der Bundesrepublik zwischen 1993 und 1998 Kosten von 1,5 bis 2 Milliarden DM verursacht. Allein beim Ausbruch in einem
Großbestand entstand ein Gesamtschaden von 20 Millionen DM, der zur Hälfte durch die Gewährung von Landesmitteln als Zuschuss für die Tierseuchenkasse gedeckt werden musste.
Was sagt uns das? Wissenschaftliche Kapazitäten zur
Erarbeitung effektiver und Kosten sparender Bekämpfungskonzepte einschließlich der sehr wichtigen Bewertung der Einschleppungs- und Verbreitungsrisiken sind
alles andere als Luxus. Im Gegenteil: Wenn wir hier an
der falschen Stelle sparen, werden wir unter den Bedingungen eines globalisierten Welthandels unserer Verantwortung für die einheimische Tierhaltung und die
Bevölkerung nicht gerecht. Der Schaden kann die Einsparsumme sehr schnell exponentiell übersteigen. Wir
brauchen also dringend ein veterinärepidemiologisches
Zentrum für die Forschung.
({6})
Eines sollte für den gesamten Bereich der Agrarressortforschung eigentlich selbstverständlich sein: Erst
muss der wissenschaftliche Beratungsbedarf durch die
Fachleute definiert werden, dann kann man sich auch erfolgreich mit den Haushältern um das Geld streiten.
Vielen Dank.
Für die SPD-Fraktion hat das Wort der Kollege Ernst
Bahr.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Frau Dr. Tackmann, es liegt mir
fern, Ihre Rede zu kommentieren; aber zwei Bemerkungen muss ich doch dazu machen. Die eine Bemerkung
ist: Sie beklagen, dass die Landwirtschaft und der ländliche Raum wegen der Bio- und Ökoenergiepolitik geschwächt oder gar in die Katastrophe getrieben würden.
Daher muss ich auf Folgendes hinweisen: Ich habe den
Landwirten schon vor Jahren gesagt, sie sollten sich auf
neue Erwerbsquellen umstellen, zum Beispiel auf die Erzeugung von Stoffen, die für die Herstellung von Biodiesel benötigt werden. Das alles ist vehement zurückgewiesen worden. Als wir eine Kürzung der Subventionen
vorgenommen haben, hat man sich plötzlich darauf besonnen, dass man ja auf dem Acker gewissermaßen auch
Energie anbauen kann. Diese gute Entwicklung fördern
wir jetzt mit unserer Politik weiter.
({0})
Die zweite Bemerkung ist: Frau Dr. Tackmann, ich
finde es sehr unfair, wie unkollegial Sie hier über Haushaltspolitiker reden.
({1})
Ich will nur einen Ausdruck wiedergeben, den Sie verwendet haben: Bestimmte Bereiche seien „in die Fänge
der Haushaltspolitiker geraten“.
Herr Kollege Goldmann, zu den von Ihnen angesprochenen Ökospielereien. Sie sollten sich einmal vor Augen führen, dass die Bevölkerung bzw. der Verbraucher
zunehmend nach Ökoprodukten fragt,
({2})
und dass die Politik - auch dieser Regierung - dies seit
Jahren fördert und dazu beiträgt, dass Menschen im
ländlichen Raum andere Erwerbsquellen erschließen.
Ich finde Ihren Begriff unpassend und finde es nicht in
Ordnung, wie Sie darüber sprechen.
({3})
- Das können Sie ja so sehen. Das haben Sie bisher in jeder Rede so vorgetragen. Ich denke, dass das, was Sie
dazu gesagt haben, schon allen bekannt ist. Es trifft jedenfalls sachlich nicht zu.
({4})
Deshalb finde ich es nicht in Ordnung.
Der Haushalt 2006 findet jetzt seinen Abschluss. Ich
möchte mich an dieser Stelle natürlich beim Kollegen
Schirmbeck und bei meinen Kolleginnen und Kollegen
Berichterstattern recht herzlich bedanken. Wir haben,
denke ich, trotz unterschiedlicher Auffassungen konstruktiv zusammengearbeitet. Auch die vertrauensvolle
Arbeit mit dem Ministerium möchte ich dankend erwähnen.
Wir haben in den zurückliegenden Jahren immer wieder festgestellt, dass in den öffentlichen Haushalten intensive Konsolidierungsbeiträge auf der Ausgabenseite
vorgenommen worden sind.
Ernst Bahr ({5})
Wir hatten dann Schwierigkeiten, die Einnahmeseite zu
verbessern. Das ist noch bis heute eine große Schwierigkeit.
({6})
Wir bekämen die Konsolidierung des Haushalts nicht
in den Griff, wenn wir nicht andere Maßnahmen ergreifen würden, so schwer es uns auch fällt. Die Maastrichtkriterien und die Vorgaben in Art. 115 des Grundgesetzes zu erfüllen, macht es erforderlich, dass wir die
Einnahmeseite verbessern. Bisher ist das leider nicht gelungen. Es ist uns schwer gefallen, durch die Mehrwertsteuererhöhung Einnahmen zu realisieren.
({7})
Die Verteilung der Mittel ist in dieser Debatte schon
verschiedentlich belegt und dokumentiert worden; deswegen will ich darauf nicht weiter eingehen. Für uns hat
das im Einzelplan 10 die Bedeutung, dass wir bei einem
Gesamtvolumen von 5,05 Milliarden Euro einen Handlungsspielraum von nicht ganz 1 Milliarde Euro haben;
Herr Kollege Schirmbeck hat das schon erwähnt. Auch
das trifft nicht ganz zu, weil in dieser Summe noch Verpflichtungsermächtigungen enthalten sind. Wir haben
daher von der Finanzmasse her große Schwierigkeiten,
eine moderne Landwirtschaftspolitik zu gestalten. Wir
haben aber eine Reihe von Schwerpunkten gesetzt. Ich
bin dankbar, dass wir das hinbekommen haben. Dadurch, dass der Sozialbereich fast 74,9 Prozent des
Haushalts ausmacht - das sind 3,78 Milliarden Euro -,
wird deutlich, wie schwierig es ist, hier noch Politik zu
gestalten. Deswegen mussten wir sehen, dass wir das einigermaßen hinbekommen.
Ein Kernpunkt war, die Verbraucherpolitik fortzusetzen. Wir haben sie verstetigen können. Frau Professor
Müller ist eine sehr verantwortungsvolle Frau, die dem
Verbraucherzentrale Bundesverband vorsteht und die
Verbraucherzentralen betreut. Auch sie ist natürlich
nicht damit zufrieden, dass wir nicht mehr Geld zur Verfügung stellen können. Sie ist aber froh, wenn die
Summe wenigstens stabil bleibt. Wenn man sich ansieht,
wie diese Einrichtung arbeitet, kommt man zu dem Ergebnis, dass sich auch bei knapper werdenden Mitteln
einiges erreichen lässt, was man gar nicht für möglich
gehalten hätte.
({8})
Wir haben die Mittel für die landwirtschaftliche
Unfallversicherung um 50 Millionen Euro erhöht; Kollege Schirmbeck hat das schon angedeutet. Das ist ein
Schwerpunkt für uns, weil wir der Meinung sind, dass
wir die Beitragserhöhungen, die ansonsten gedroht hätten, vermeiden müssen. Das ist uns in diesem Fall gelungen. An dieser Stelle möchte ich aber schon darauf hinweisen, dass es dringend notwendig ist, uns über die
Neustrukturierung und die Neuausrichtung der landwirtschaftlichen Sozialkassen schnellstens Gedanken zu machen, weil diese sonst in Zukunft nicht mehr finanzierbar
sind.
({9})
Deswegen bin ich dankbar, dass die CDU/CSU-Fraktion
dies mitträgt.
Ein weiterer Punkt sind die nachwachsenden Rohstoffe. Ich muss sagen: Diesen Punkt fördern wir nun
wirklich kontinuierlich. Wir bleiben dabei, diese Dinge
für unsere Landwirte und den ländlichen Raum so auszugestalten, dass man daraus wirklich neue Wirtschaftsund Erwerbszweige entwickeln kann. Ich denke, dass die
anfänglichen Entwicklungen das auch zeigen. Die Besteuerung, die wir planen - wir haben vor, die Landwirtschaft in einem gewissen Sinne davon auszunehmen -,
wird nicht zu umgehen sein. Das ist finanzpolitisch und
auch europarechtlich nicht umgehbar. Deswegen werden
wir zu dieser Besteuerung kommen müssen, so schwer
sie uns auch fällt.
({10})
Der Ökolandbau wird mit 20 Millionen Euro gefördert.
Die Leistung, die wir hier erbringen, ist für meine Begriffe vorbildlich, weil hier auch noch einiges zu tun ist.
Neben diesen Schwerpunkten haben wir einige Einsparungen zur Auflösung der globalen Minderausgabe
zu erbringen. Von 5 Milliarden Euro haben wir 200 Millionen einzusparen. Das hört sich zunächst gar nicht so
schlimm an. Wenn aber schon fast drei Viertel der Gesamtsumme nicht mehr zur Verfügung stehen, dann ist es
besonders schwer, von 1 Milliarde Euro 200 Millionen
Euro einsparen zu müssen. Dies ist uns gelungen. Ich bin
froh, dass wir das alles in die Reihe bekommen konnten.
Ein Knackpunkt bei der Erbringung dieser globalen
Minderausgabe ist die Gemeinschaftsaufgabe „Agrarstruktur und Küstenschutz“. Kollege Schirmbeck hat das
schon erläutert; ich will das nur andeuten. Die in den
vergangenen Jahren bereitgestellten Mittel wurden nicht
ausgeschöpft. Einige Länder hätten mehr annehmen
können, andere konnten nicht kofinanzieren. Da aber ein
geltender Schlüssel existiert, können wir die Gelder
nicht einfach anders verteilen. Das heißt, die Summe, die
wir zur Verfügung gestellt haben, hat gereicht. Ich
denke, mehr ist unter den jetzigen Bedingungen nicht zu
machen.
({11})
Insofern können wir die vorgenommenen Kürzungen
auch vertreten. Ich jedenfalls stehe dazu. Das wurde
auch schon bei meinen Ausführungen über die Kürzung
der Agrardieselbeihilfen deutlich.
Wir müssen in der Politik manchmal der öffentlichen
Meinung standhalten. Über kurz oder lang wird es zu einem Meinungsumschwung kommen, der dann konstruktiv genutzt werden kann. Das ist sicherlich auch in anderen Punkten nötig.
Die Mehrwertsteuererhöhung bringt auch für die
Landwirte Belastungen mich sich. Auch das ist uns nicht
Ernst Bahr ({12})
leicht gefallen. Deswegen ist die Vorsteuerpauschale für
die landwirtschaftlichen Kleinbetriebe und Nebenerwerbslandwirte von 9 Prozent auf 10,7 Prozent erhöht
worden. In der Forstwirtschaft ist sie von 5 Prozent auf
5,5 Prozent erhöht worden. Ich denke, damit tragen wir
dazu bei, dass die Belastungen im Wesentlichen kompensiert werden.
({13})
Dass der Anteil der Sozialausgaben an den Gesamtausgaben des Einzelplans 74,9 Prozent beträgt, ist ein
Signal, dass man etwas tun muss. Es ist notwendig, die
Aufgaben anzugehen. Vom Bundesrechnungshof, vom
Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz und auch von den Trägern der Sozialversicherung in der Landwirtschaft gehen deutliche Signale
aus, dass wir zu konstruktiven Gesprächen über vernünftige Lösungen in diesem Bereich kommen werden. Ich
erwarte, dass wir das in Kürze angehen und im neuen
Haushaltsplan 2007 zumindest von neuen Eckdaten ausgehen können, um die Kostenentwicklung zu dämpfen,
sodass die Finanzierung der Landwirtschaft in den
nächsten Jahren keinen Anlass mehr zu großer Sorge geben wird. Ich erwarte, dass wir den Spielraum für die
Gestaltung einer modernen Landwirtschaftspolitik zugunsten des ländlichen Raumes und des Verbraucherschutzes vergrößern können. Ich hoffe, dass uns das
schon in den nächsten Wochen und Monaten gelingt.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({14})
Für Bündnis 90/Die Grünen spricht Alexander
Bonde.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lassen Sie mich als Haushaltspolitiker feststellen, dass
es in der Haushaltspolitik nicht nur auf das Sparen ankommt; auch das Gestalten muss im Vordergrund stehen.
Bei allen notwendigen Sparbemühungen muss man auch
klären, wo durch Einsparungen Schaden angerichtet
wird, der sich nicht wieder gutmachen lässt. Der Einzelplan, den wir gerade beraten, ist ein trauriges Beispiel;
denn er sendet dramatische Signale hinsichtlich der Situation des ländlichen Raumes und der Auswirkungen
auf bäuerliche Familienbetriebe.
Wir dürfen an dieser Stelle nicht nur den Bundeshaushalt sehen; vielmehr müssen wir eine Gesamtbetrachtung anstellen. Die Ära dieser neuen Koalition hat mit
einem sehr unseligen Beschluss auf EU-Ebene begonnen. Die neue Bundeskanzlerin hat dort praktisch die
zweite Säule der Agrarförderung für Deutschland gekappt. Sie hat mit ihren Verhandlungsergebnissen im
ländlichen Raum den Kahlschlag eingeläutet. Westdeutschland wird 45 Prozent weniger Mittel aus dem Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung
des ländlichen Raumes erhalten; für Ostdeutschland sind
es 25 Prozent weniger. Die Bundesregierung kam mit einem Minus von 3,5 Milliarden Euro für den ländlichen
Raum aus Brüssel zurück.
({0})
- Das müssen Sie sich schon sagen lassen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD.
({1})
In demselben Beschluss ist übrigens die klassische
Agrarsubvention in der ersten Säule von dieser Koalition
unangetastet geblieben, obwohl die Großindustrie im
Agrarbereich so gut verdient, dass Sie, Herr Minister,
sich immer noch weigern, offen zu legen, wer die Empfänger dieser Subventionen in Deutschland sind. Sie haben erst auf EU-Ebene schlecht verhandelt und setzen
jetzt in diesem Haushalt noch einen oben drauf. Bei der
Gemeinschaftsaufgabe „Agrarstruktur und Küstenschutz“ nehmen Sie zusätzliche Kürzungen in Höhe von
50 Millionen Euro bei den Strukturmitteln für den ländlichen Raum vor. Damit gefährden Sie die Entwicklung
in ohnehin geschwächten ländlichen Regionen, wo der
Strukturwandel schon jetzt hohe Anforderungen an die
Landwirte stellt, Auswirkungen auf die Arbeitsplätze hat
und sich das Problem des Bevölkerungsrückgangs stellt.
Diese Kürzungen betreffen am stärksten die Agrarumweltmaßnahmen, die Ausgleichszulagen für benachteiligte Gebiete, die Vermarktung und Verarbeitung, die
Unterstützung der Direktvermarktung und regionale Produktkreisläufe.
({2})
- Da Sie fragen, Herr Kollege, woher ich das weiß - der
eine oder andere wird es schon gehört haben -: Mein
Wahlkreis liegt im Schwarzwald. In meinem Wahlkreis
reden wir über die Höhenlandwirtschaft, über kleine Familienbetriebe, die in schwierigster Bewirtschaftungssituation in Höhenlagen Flächen bewirtschaften und die
Kulturlandschaft Schwarzwald erhalten. Das sind eben
nicht die Großbetriebe, die Sie mit Ihrer Politik fördern.
Das sind Betriebe, die auf diese Strukturmaßnahmen
dringend angewiesen sind.
({3})
Sie sollten sich einmal fragen, ob die Menschen, die
das im Familienbetrieb - oft im Nebenerwerb - machen
und die alle nicht reich davon werden - das wissen Sie
so gut wie ich -, nicht eine wesentlich größere Unterstützung dieses Parlaments verdient hätten als diejenigen,
für die Sie hier Agrarpolitik machen. Sie gehen den
kleinen bäuerlichen Strukturen auf dem Land an den
Kragen. Sie sollten sich langsam fragen: Wollen Sie in
solchen Bereichen eigentlich noch Landwirtschaft betreiben? Die Kürzungen, die Sie auf europäischer Ebene
verhandelt haben und die Sie jetzt hier nachvollziehen,
verdeutlichen eine klare Antwort.
({4})
Ich will beim Beispiel Baden-Württemberg bleiben.
Zentrale Bedeutung für die Landwirtschaft in BadenWürttemberg hat das Programm MEKA. Die Politik, die
Sie betreiben - ich meine die CDU und SPD; die CSU
muss man hier besonders erwähnen, weil es vielen von
der CSU im Herzen wehtut, worüber sie hier mitstimmen müssen -, führt dazu, dass in Baden-Württemberg
47 Prozent der Mittel in diesem Bereich fehlen. Das ist
von früher 115 Millionen Euro ein Rückgang auf
61 Millionen Euro pro Jahr.
Ich appelliere hier an alle von Ihnen - ich weiß, dass
hier genügend Abgeordnete aus meiner Region sitzen,
die wissen, was für einen dramatischen Einschnitt das
bedeutet -: Sie haben hier in namentlicher Abstimmung
die Möglichkeit, zumindest Kürzungen in Höhe von
50 Millionen Euro zurückzunehmen. Wenn Ihnen die
Landwirtschaft am Herzen liegt, dann geben Sie sich einen Stoß.
({5})
Wir haben viele positive Rückmeldungen zu diesem Antrag bekommen. Es reicht aber nicht, wenn dieser Antrag
allgemeine Zustimmung bekommt. Auch Sie müssen
zeigen, dass diese Zustimmung etwas wert ist. Dazu haben Sie in der Abstimmung über unseren Antrag die
Chance.
({6})
- Das ist nicht unehrlich.
({7})
Wir als grüne Fraktion haben in den Haushaltsverhandlungen belegt, dass dieser Antrag finanzierbar und im
Rahmen dieses Einzelplans gestaltbar ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Sie
belegen mit diesem Haushaltsplan, dass Sie nicht in der
Lage sind, substanzielle Einsparungen zu erbringen, und
dass Sie gleichzeitig nicht in der Lage sind, eine positive
Gestaltung vorzunehmen. Die Einzelplanberatung, die
wir hierzu geführt haben, hat das nachdrücklich belegt.
Die Schwerpunktsetzung, die Sie in der Landwirtschaft
vornehmen, ist ein Kahlschlag. Dafür müssen Sie sich
verantworten.
({8})
- Sie brauchen nicht zu schreien. Gehen Sie mit diesen
Beschlüssen auf die Höfe! Reden Sie mit den Landwirten und sagen Sie ehrlich, welche Politik Sie an dieser
Stelle beschreiten!
({9})
Kleine Leute gibt es auch auf dem Land. Sie machen
eine Politik gegen den ländlichen Raum; da hilft das
ganze Geschrei nicht.
Sie haben die Chance, Kürzungen zurückzunehmen.
Ein entsprechender Antrag steht zur Abstimmung auf
der Tagesordnung.
({10})
Wir sind gespannt, wie Sie sich verhalten.
Herzlichen Dank.
({11})
Das Wort hat jetzt der Bundesminister Horst
Seehofer.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
möchte zuallererst den beiden Berichterstattern Georg
Schirmbeck und Ernst Bahr, den beiden Arbeitsgruppensprechern Waltraud Wolff und Peter Bleser sowie den
beiden stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Wolfgang
Zöller und Ulrich Kelber Dank sagen für die ungewöhnlich gute und angenehme Zusammenarbeit, die wir in
den letzten Monaten innerhalb der Koalition in unserem
Aufgabenfeld hatten. Ich habe im Laufe eines Vierteljahrhunderts hier im Parlament viele Funktionen in der
Opposition und in der Regierung innegehabt. Ich muss
Ihnen sagen, dass die Zusammenarbeit, die ich in den
letzten Monaten erfahren und praktiziert habe, zu dem
Besten gehört, was ich in der Politik erlebt habe.
({0})
Dafür möchte ich den Fraktionen und insbesondere den
genannten Personen danken. Ich meine sogar Herrn
Kelber. Ich habe nichts dagegen, wenn mehrere Menschen bei politischen Entscheidungsprozessen mitdenken.
Das Ringen um Lösungen war zwar manchmal nicht
einfach. Aber wir haben immer im Interesse unseres
Landes, unseres Volkes und der Sache vernünftige Lösungen gefunden. Es war in menschlicher Hinsicht sehr
angenehm. Ich greife einen Satz auf, der heute schon gefallen ist: Es war kluge und handwerklich saubere Arbeit.
({1})
Herr Bonde, ich habe mir die Zahlen betreffend die
Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ angeschaut. Als
Ihre Partei das Ministerium übernommen hat, belief sich
das Ausgabenvolumen dieser Aufgabe auf 875 Millionen Euro. Als ich nach Ihrer Regierungszeit das Ministerium übernommen habe, belief sich das Ausgabenvolumen auf nur noch 665 Millionen Euro.
({2})
Das ist eine Reduzierung der Mittel für den ländlichen
Raum um 210 Millionen Euro. Nun kann man über Kürzungen reden und denken, wie man will. Wer aber wie
Sie um 210 Millionen Euro gekürzt hat, sollte sich nicht
zum Anwalt des ländlichen Raumes machen, wenn es
um 50 Millionen Euro geht.
({3})
Das ist die Realität: 210 Millionen Euro weniger! Das
müssen Sie draußen erklären.
Herr Fell, Sie fahren in meinem Wahlkreis herum und
tun so, als ob der Weltuntergang bevorstünde, weil wir
beabsichtigen, die Biokraftstoffe zu besteuern. Ich prognostiziere Ihnen: Das wird genauso wirkungslos bleiben wie die früheren Versuche. Verfolgen Sie genau, was
am Wochenende und in der nächsten Woche geschieht!
Dann werden Sie alle Ihre Reden vom Niedergang der
Biokraftstoffe wegen der geplanten Besteuerung beerdigen bzw. umweltfreundlich verbrennen können; denn
unsere Entscheidungen sind gut vorbereitet. Es bleibt bei
unserer politischen Zielsetzung.
({4})
Lieber Kollege Goldmann, ich wollte mich mit Ihnen
eigentlich nicht explizit auseinander setzen. Aber Sie haben heute wieder einen kleinen Rückfall erlitten und sich
auf das Rügen-Niveau begeben. Ich möchte in Erinnerung rufen, welche bedeutende Rolle die FDP in den
60er-, 70er- und 80er-Jahren in der Landwirtschaft gespielt hat. Sie hat große Landwirtschaftsminister gestellt,
die sowohl Willy Brandt und Helmut Schmidt als auch
Helmut Kohl gedient haben und die ein hohes Ansehen
in der Öffentlichkeit genossen haben. Wenn wir von der
Union damals neben diesen Landwirtschaftsministern
von der FDP gestanden haben, dann habe ich das empfunden, als ob die einen die großen Dirigenten und wir
kleine Jungs wären, die mit dem Schepperl nebenherlaufen. Wenn ich diese große Tradition der FDP im Agrarbereich mit Ihrer heutigen Argumentation vergleiche,
dann muss ich Ihnen sagen, dass dazwischen Lichtjahre
liegen.
({5})
Sie argumentieren ganz einfach: Der kann nicht denken, erst recht nicht tief schürfend, weil er des Hochdeutschen nicht mächtig ist. Zudem ist er Opportunist
und Populist und verhält sich widersprüchlich. Aber Sie
vermeiden sehr sorgfältig, auch nur anzudeuten, was Sie
selbst wollen.
({6})
Sie haben heute ein paar Andeutungen gemacht, die
ich im Hinblick auf die öffentlichen Debatten in den
nächsten Wochen und Monaten - heute haben wir wahrscheinlich keine Chance gegen den Fußball - übersetzen
möchte. Sie haben gesagt, wir sollten die Legehennenverordnung eins zu eins umsetzen. Sie haben aber nicht
erwähnt, was das bedeutet. Das bedeutet nämlich, dass
die Freie Demokratische Partei dafür eintritt, dass in der
Bundesrepublik Deutschland zur alten Käfighaltung zurückgekehrt wird. Diese Käfige sind nämlich nach der
EU-Richtlinie bis zum Jahre 2012 erlaubt. Ich halte fest:
Sie wollen zur alten Käfighaltung zurückkehren. Das
wollen wir aber nicht.
({7})
Wir haben, finde ich, nach langer Diskussion eine intelligente Lösung gefunden. Diese habe nicht ich gefunden. Vielmehr kam sie überraschenderweise aus der
Mitte des Parlaments.
({8})
Die intelligente Lösung lautet, dass wir eine artgerechte
Haltung der Tiere unter Beachtung des Tierschutzes und
des Grundgesetzanspruches einerseits sowie die Gewährleistung, dass in der Bundesrepublik Deutschland in
der Zukunft weiterhin Hennen gehalten werden können,
andererseits miteinander verbinden, sodass wir den Irrsinn vermeiden können, dass die Investitionen im Ausland getätigt und die im Ausland gelegten Eier von
Deutschland importiert werden. Wir haben eine ideale
Kombination von artgerechter Haltung, Tierschutz und
wirtschaftlichen Interessen unserer Legehennenhalter
gefunden.
({9})
Das ist praktische Politik. Politik, Herr Goldmann,
beginnt mit der Betrachtung der Realitäten. Also weg
mit der Eins-zu-eins-Umsetzung; denn davon haben die
Leute nichts.
({10})
Zu den Saisonarbeitnehmern. Meine Damen und
Herren, wenn das Wort vom Fördern und Fordern angesichts von 4 Millionen Arbeitslosen noch irgendeine Berechtigung haben soll, muss es doch erlaubt sein,
10 Prozent der Saisonarbeitskräfte aus hier lebenden arbeitslosen Menschen zu rekrutieren und darüber hinaus
ausländische Kräfte einzusetzen. Das ist doch eine intelligente Lösung. Das ist unsere Härtefallregelung.
({11})
Vormittags reden Sie vom Fordern gegenüber den Arbeitslosen und wollen bei Arbeitsverweigerung Leistungen kürzen, abends sprechen Sie sich dafür aus, dass alle
aus dem Ausland kommen, weil wir den Bedarf im Inland angeblich nicht decken können.
({12})
Zum Thema Impfstoffe. Das Friedrich-Loeffler-Institut ist so weit, dass es den von uns allen gewünschten
Markerimpfstoff in Kürze in einem Feldversuch einsetzen kann.
({13})
- Nein, der Feldversuch beginnt. - Das heißt, den Forschern ist etwas eingefallen, was Erfolg verspricht. Uns
hilft der schöne Satz „Impfen statt töten“ gar nichts, weil
er intellektuell nicht stimmt. Wenn in den Niederlanden
oder Frankreich in einem Bestand, der geimpft ist, eine
Tierseuche ausbricht, muss der Bestand trotzdem getötet
werden.
({14})
Impfen und töten ist die ehrliche Antwort.
Aber wir sind, auch durch zusätzliche Diskussionen
und finanzielle Ausstattung unserer Forschungsinstitute,
jetzt in der Lage, einen Feldversuch mit dem Markerimpfstoff zu beginnen. Das ist in der Wissenschaft so etwas wie die klinische Erprobung eines Arzneimittels.
Das ist ein Riesenfortschritt, der Hoffnung gibt, dass wir
in der Tierseuchenpolitik einen Strategiewechsel erreichen, sodass Impfen eine Alternative zum Aufstallen
wird. Wir sind weiter als je zuvor und das möchte ich
dem Parlament mitteilen.
({15})
Zur Grünen Gentechnik. Da kann man viel schwafeln; viele, die nichts darüber wissen, schreiben darüber.
Wir haben in der letzten Woche mit denen, die auf
diesem Feld tätig sind, dem Bundesverband der Sortenhersteller und den Biotechunternehmen, eine Grundsatzvereinbarung geschlossen, in der Freiheit und
Verantwortung miteinander verbunden werden. Die Unternehmen erklären, dass sie zu ihrer Verantwortung stehen. Sie sagen: Wir wollen, dass das geltende Haftungsrecht in der jetzigen Form bestehen bleibt, dass nur
einige unbestimmte Rechtsbegriffe präzisiert werden.
Aber wir stehen zu unserer Verantwortung und werden
im Fall der Auskreuzung - der im Übrigen in der Bundesrepublik Deutschland noch nie vorgekommen ist die Haftung übernehmen. - Das geschieht nicht durch
gesetzliche Gängelung, sondern durch eine Verbändevereinbarung, an der der Deutsche Bauernverband, die
Wirtschaft und die Bundesregierung mitwirken werden.
Das ist die ideale Konstellation von Freiheit und Verantwortung in einem schwierigen Feld.
({16})
Maßlos enttäuscht bin ich, wenn ich höre, wie ein
FDP-Politiker eine politische Debatte über die Zuständigkeitsfrage führt. Ich stehe zu dem, was ich vor zehn
Jahren am Rednerpult des Bundestages in Bonn zum
Thema Nichtraucherschutz in öffentlichen Räumen
gesagt habe. Damals habe ich mich als Gesundheitsminister dafür ausgesprochen, dass die Freiwilligkeit zunächst Vorrang hat. Aber wenn die Freiwilligkeit im
Laufe der Jahre nicht zum Tragen kommt, müssen wir
den Gesundheitsschutz durch einen kleinen Paragrafen
unterstützen. Italien hat das mit einem einzigen Satz geregelt; das hat nichts mit Regulierung und Bürokratie zu
tun.
({17})
Bürokratie hat für die Bevölkerung nichts mit der Sicherstellung des Gesundheitsschutzes zu tun; das sage
ich Ihnen.
Nachdem jetzt einige Jahre vergangen sind und auch
Einrichtungen und Organisationen, die man dem öffentlichen Raum zuordnen kann, zum Beispiel die Bahn, der
Aufforderung zur Freiwilligkeit aus meiner Sicht nicht
ausreichend nachgekommen sind, stellen Sie nun die
Frage: Darf ein Verbraucherschutzminister eine Debatte
darüber eröffnen?
({18})
Das erinnert mich an den Heiligen Sankt Bürokratius.
Bei dem geht es nämlich nach dem Grundsatz: Bin ich
sachlich und örtlich zuständig? - Wir müssen wieder politisch denken und nicht so bürokratisch: Sind wir sachlich oder örtlich zuständig?
Ich bleibe dabei, dass wir in Deutschland eine öffentliche Debatte über den Schutz von Nichtrauchern brauchen. Ich gönne jedem, wie er lebt. Aber wer sich in öffentlichen Gebäuden aufhält, dem muss der Staat
garantieren, dass seine Gesundheit geschützt ist. Dabei
bleibe ich.
({19})
Zu den Bundesforschungsanstalten noch eine Bemerkung, Frau Tackmann. Es ist so, wie Sie erfahren haben. Mein Ministerium hat offensichtlich eine ausreichende Pressearbeit, sodass alles, was ich entscheide,
sofort bei Ihnen landet. Ich kann Ihnen dazu nur sagen:
Ich halte nichts von einer Reform der Bundesforschungsanstalten nach der Methode: Wie viel Planstellen
sparen wir ein? Das ist ein Annex; der muss auch sein.
Natürlich müssen wir das Ganze wirtschaftlich organisieren. Aber meine erste Frage ist - sie ist bei uns im
Hause noch nicht ausreichend beantwortet; das ist eine
exekutive Maßnahme -: Welche wissenschaftlichen
Zielsetzungen verbinden wir mit einer Bundesforschungsanstalt? Mein Ehrgeiz ist und unser gemeinsamer Ehrgeiz sollte sein, dass die Bundesforschungsanstalten, die wir in der Zukunft haben, national und
international erstklassige Reputation genießen. Nicht die
Zahl der Planstellen ist für mich entscheidend, sondern
für mich ist entscheidend, Herr Bahr und Herr
Schirmbeck: Welche politischen Zielsetzungen haben
wir? Erreichen wir mit der Organisation unserer ForBundesminister Horst Seehofer
schungslandschaft in der Ressortforschung eine nationale und internationale Reputation, auf die wir stolz sein
können? Dafür werbe ich bei den Bundesforschungsanstalten.
({20})
Zum Schluss, Herr Goldmann, möchte ich Sie herzlich gern einladen, mich ohne jede Selbstbeteiligung ein
paar Tage lang durch die Bundesrepublik Deutschland
zu begleiten.
({21})
Dann würden Sie sehen, wie die Stimmung in der Landwirtschaft, in der Agrarwirtschaft und bei den Verbrauchern ist. Das wäre eine wunderbare Geschichte. Ich
lade Sie nicht nur ein, im Auto mitzufahren; Sie bekommen von mir auch zu essen, zu trinken, alles, was Sie
zum persönlichen Wohlbefinden brauchen.
({22})
Eines sage ich Ihnen: Wenn Sie dem nicht zustimmen,
dann verweise ich darauf, dass das Investitionsklima in
der deutschen Agrarwirtschaft und die Exportziffern so
gut sind wie nie zu vor, seitdem man in diesem Feld Aufzeichnungen macht.
({23})
Ich sage nicht, dass das alles unserer Politik zuzuordnen ist.
({24})
Es ist auch dem Fleiß und dem Können der Menschen
zuzuordnen. Aber ein bisschen hat das schon mit den politischen Rahmenbedingungen zu tun, die wir in den
letzten Monaten gemeinsam gesetzt haben.
Herzlichen Dank.
({25})
Das Wort hat der Kollege Dr. Edmund Geisen, FDPFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Sehr
geehrte Herren! Landwirtschaft ist mehr als produzieren,
Landwirtschaft geht alle an. Lassen Sie mich deshalb
vorab einiges nochmals deutlich machen.
Erstens. Das deutsche Agrarbusiness trägt mit
15,2 Prozent zur Bruttowertschöpfung in Deutschland
bei.
Zweitens. Die Landwirte sichern als Produzenten und
Verbraucher Tausende von Arbeitsplätzen. Genau
11,1 Prozent aller Erwerbstätigen in Deutschland oder
jeder neunte Arbeitsplatz hängt von der Landwirtschaft
ab.
Drittens. Die Produktion besteht aus hochwertigen
und sicheren Nahrungs- und Genussmitteln für Mensch
und Tier und einer Menge von nicht monetär zu bewertenden Produkten wie Landschaftsästhetik, Produktkreisläufen, Erholungs- und Umweltfunktionen.
({0})
Weil dem so ist, meinen wir, dass es nicht ausreichend
ist, die Bedeutung der Landwirtschaft an medienwirksamen Skandalen oder Skandälchen auszurichten und
nur noch verbraucherpopulistische Aussagen zu machen.
({1})
Werter Herr Minister Seehofer, die Branche der Landwirtschaft hat zu Beginn großes Vertrauen in die große
Koalition gesetzt. Bis heute hat sich aber nur Enttäuschung breit gemacht. Die Erwartungen der Bauern wurden in keiner Weise erfüllt. Das wird im Laufe meines
Vortrags noch deutlicher.
Damit die deutsche Landwirtschaft langfristig ihre
Aufgaben erfüllen kann - das ist im Interesse unserer gesamten Gesellschaft -, braucht sie vor allem Folgendes:
Erstens gleiche Produktionsbedingungen durch harmonisierte Vorschriften auf EU-Ebene, zweitens gleiche
Wettbewerbsbedingungen, zumindest innerhalb der EU,
drittens eine Befreiung von den Altlasten.
Lassen Sie mich hier ein paar Beispiele nennen.
Zu den Produktionsbedingungen. Es kann nicht
sein, dass unsere europäischen Nachbarn nach anderen
Vorschriften produzieren können. Wir brauchen in Europa gleiche Vorgaben in den Bereichen der Tierhaltung,
des Pflanzenbaus und des Pflanzenschutzes.
({2})
Zu den Wettbewerbsbedingungen. Ich finde es unmöglich, dass den Bauern in unserem Land aufgrund politischer Vorgaben überhöhte Kostenbelastungen entstehen. Ich komme von der belgischen Grenze. Wenn mein
Schwager als Landwirt einen Tag Feldarbeit betreibt, hat
er - bei vergleichbaren Maschinen - 200 Euro mehr Dieselkosten als die Bauern aus Belgien und Luxemburg,
die in der Nachbarschaft auf dem Feld genau dieselbe
Arbeit leisten. Das haben wir insbesondere der Dieselund der Ökosteuer zu verdanken. Herr Minister
Seehofer, setzen Sie sich dafür ein, dass die deutschen
Bauern die gleichen Spritkosten haben.
({3})
Zu den Altlasten. Die Landwirte erwarten dringend
eine Befreiung von den Fesseln des alten Sozialsystems
mit seinen überhöhten Kosten. Das gilt insbesondere für
die landwirtschaftliche Unfallversicherung. Hier plädiert
die FDP für einen grundlegenden Systemwechsel: weg
vom umlagefinanzierten Modell, hin zum Kapitaldeckungsverfahren bei Übernahme der Altlasten durch den
Bund.
({4})
Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
In diesem Sinne haben sich schon vor Wochen der
Minister und sein Fraktionskollege Herr Bleser geäußert.
Ende Mai allerdings machten Sie, Herr Minister, einen
Rückzieher und plädierten wieder für das Umlageverfahren.
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Am 3. Juni kam dann der Hammer. Herr Minister, Sie
sagten im Interview mit dem „Bayernkurier“:
In Zukunft wollen wir die Unfallversicherungspflicht bei der Berufsgenossenschaft abschaffen.
Dieser Zickzackkurs eines Ministers verunsichert unnötig die Berufsgruppe der Landwirte. So können Sie Ihre
im „Bayernkurier“ genannte Absicht - „Den Bauern ihren Stolz zurückgeben“ - nicht erfüllen.
Herr Kollege, kommen Sie jetzt bitte zum Schluss.
Ja, noch zwei Sätze. Danke schön.
Vielleicht noch einen Satz.
Wir von der FDP-Fraktion fordern Sie auf: Sagen Sie
uns hier und heute, was Sie wirklich wollen. Sehr geehrter Herr Minister, im Hinblick auf den vorgelegten
Agrarhaushalt möchte ich Sie auffordern: Streichen Sie
alle unnötigen Titel! Berücksichtigen Sie unsere Sparvorschläge und Anregungen! So bleiben unserer Landwirtschaft die notwendigen Mittel erhalten. Berücksichtigen Sie die eben genannten Forderungen.
Herr Kollege, Sie müssen wirklich zum Schluss kommen!
Wir fordern die Harmonisierung in der EU, die Beseitigung der überhöhten Kosten und zuletzt die Abschaffung der Altlasten.
({0})
Herr Kollege, Sie benennen gerade zum dritten Mal
Ihre Forderungen. Deswegen müssen Sie jetzt bitte zum
Schluss kommen.
({0})
- Das ist für uns alle sehr schade. Vielleicht können Sie
es in einem anderen parlamentarischen Gremium unterbringen.
Ich gebe nun dem Kollegen Ulrich Kelber, SPD-Fraktion, das Wort.
({1})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Manchmal hat man bei den Kollegen der FDP
das Gefühl, dass sie Freiheit mit Selbstbedienung verwechseln, zumindest was die Redezeit angeht.
({0})
Wenn wir über den Haushalt sprechen, dann müssen
wir auch über die Schwerpunktthemen sprechen. Ich
möchte drei solcher Themen anreißen: der Einsatz der
EU-Mittel in der Landwirtschaft, die Novelle des Gentechnikrechts und die Novelle des Verbraucherinformationsgesetzes.
Hinsichtlich der EU-Mittel müssen wir uns fragen:
Für was und wie viel Geld geben wir aus? Bei dem
Kompromiss zu den EU-Finanzen kam in der Tat für
Deutschland ein nicht zufrieden stellendes Ergebnis heraus. Die Mittel in der ersten Säule sind quasi unverändert.
({1})
Aber es gibt deutliche Verluste in der zweiten Säule. Andere Länder haben andere Schwerpunkte bei diesem Finanzkompromiss gesetzt. Diesen Punkt muss man als
Agrarpolitiker auch ansprechen dürfen.
Das stellt die Koalition natürlich vor ein ernstes Problem. Denn wir haben in unserem Koalitionsvertrag
zwei Festlegungen getroffen. Erstens. Wir wollen die
Mittel der ersten Säule nicht anfassen. Zweitens. Wir
wollen die erste und zweite Säule gleichermaßen behandeln. Beides ist mit diesem Agrarkompromiss nicht zu
erreichen.
Dabei kennen wir natürlich die Bedeutung der Mittel
der zweiten Säule für die ländliche Entwicklung, für die
Arbeitsplätze dort, für den Tourismus und vor allem für
die damit bezahlten gesellschaftlichen Leistungen, die
für die Akzeptanz von Agrarsubventionen wichtig sind.
Deswegen müssen wir Antworten darauf finden, wie wir
die Streichungen in der zweiten Säule kompensieren.
Wir müssen die Debatte über die Modulation ausführlich
und langsam führen.
({2})
Dies muss schrittweise, behutsam und mit Planungssicherheit für die Landwirte vonstatten gehen, um die
deutsche Landwirtschaft auf die Zeit nach 2012 vorzubereiten, wo wahrscheinlich die direkten Zahlungen in dieser Höhe nicht mehr erfolgen werden.
Herr Bonde, wir Sozialdemokraten setzen unterschiedliche Schwerpunkte. Unser erster Schwerpunkt
beinhaltet, dass die Mittel in den strukturschwachen
Regionen verbleiben müssen, in denen sie moduliert
werden.
({3})
Es kann keine Umschichtungen in strukturstarke Gebiete
geben, nur weil es dort eine andere Struktur im Bereich
des Nebenerwerbs gibt. Wir müssen diese Mittel dort
einsetzen können, wo sie entwicklungsfördernd wirken;
denn in den betroffenen Gebieten schlagen die demografischen Veränderungen noch stärker zu als in anderen
Gebieten.
({4})
Ein ganz wichtiger Punkt: Wir akzeptieren den Plan
der Europäischen Union nicht, jetzt zu verlangen, sich
innerhalb von zwei Monaten auf die gesamte Finanzierung bis 2012 festzulegen. Wir wollen diese Diskussion
in Ruhe führen. Sie darf wegen der Planbarkeit nicht
2006 übers Knie gebrochen werden. Wir wollen uns aber
auch nicht bis 2012 durch Brüssel festlegen lassen.
({5})
- Nein, die Verordnung besagt 2012 und verweist nebenbei auf den Midterm-Review 2008.
In den letzten Wochen sind die Spekulationen über
das Gentechnikrecht ins Kraut geschossen. Vielen der
daran Beteiligten kann ich nur empfehlen, einfach auf
die Vorlage der Eckpunkte und auf die Positionierung
der Koalition zu warten. Es war nämlich viel von Dingen
zu lesen, die ich in der Diskussion innerhalb der Koalition nicht mitbekommen habe.
Wir wissen: Über 80 Prozent der Verbraucherinnen
und Verbraucher lehnen gentechnisch veränderte Organismen ab. Auch Handel und Landwirte wollen zum
Großteil diese Technik nicht nutzen, sondern sie fordern
im Gegenteil einen klaren Schutz für gentechnikfreie Lebensmittel.
Heute gab es ganz aktuell die entsprechende Studie
aus dem Büro für Technikfolgenabschätzung. Sie zeigt,
dass Arbeitsplätze in der gentechnikfreien Landwirtschaft massiv gefährdet sind.
({6})
Deswegen habe ich persönlich sehr viele Sympathien für
den Vorschlag des CSU-Generalsekretärs. Diesem stehen aber EU-Recht und die Koalitionsvereinbarung ein
Stück weit entgegen.
({7})
Damit es kein Missverständnis gibt: Ich plädiere ganz
klar für mehr Forschung im Bereich der Gentechnik.
({8})
Es sollte mehr Sicherheitsforschung und mehr Anwendungsforschung an dieser Stelle geben. Ich glaube, dass
es richtig ist, dass die Koalition und der Minister angekündigt haben, dass die Kritiker in diese Forschung eingebunden werden sollen, um dort, wo es möglich ist, einen Konsens zu erreichen.
Wir haben in den letzten Tagen öffentliche Aussagen
des Ministers Seehofer über die zu erwarteten Eckdaten
für die Gentechnik hören können. Er sieht beispielsweise
keine Möglichkeit für den Anbau von Genraps in diesem Land. Ich glaube, das ist richtig.
({9})
Er ist der Meinung, dass wir große Abstandsflächen
brauchen. Außerdem soll es keine Bereitstellung von
Steuermitteln und keine Belastung der GVO-freien Wirtschaft für die Haftung von GVO-Nutzern geben. Herr
Minister, Sie haben damit die „roten Linien“, die wir als
SPD-Fraktion gezogen haben, eingehalten. Ich bin mir
sicher, dass wir schnell zu einem gemeinsamen Ergebnis
kommen.
Wenn sich jetzt noch herausstellt, dass die Wirtschaft
keinen Haftungsfonds aus Wirtschaftsgeldern und keine
Versicherungslösung unterstützt, dann zeigt das, dass das
Recht an dieser Stelle nicht ganz schlecht ist, das von einer Fraktion gestaltet wurde, die sowohl in der alten wie
auch in der neuen Regierung vertreten war bzw. ist.
Wir sind auf jeden Fall auf diese Lösung stolz. Aber
auch hier ist ein wichtiger Punkt zu beachten: Wir müssen sicherstellen, dass die Haftungsansprüche von gentechnikfreier Landwirtschaft auch dann, wenn eine Kontamination durch gentechnisch veränderte Organismen
eintritt, die unter den gesetzlichen Grenzwerten liegt,
nicht aufgeweicht werden, sondern der Landwirtschaft
auch in diesem Fall geholfen werden kann.
({10})
Drittes und letztes Thema ist für mich das Verbraucherinformationsgesetz, das wir bald beschließen wollen. Der Entwurf des Verbraucherinformationsgesetzes
wurde stark kritisiert; das haben wir mitbekommen. Gegenüber dieser Kritik sind wir nicht blind. Ich glaube,
dass ein Großteil der Kritik übertrieben ist, weil die Kritiker unterschätzen, welche Bedeutung die erstmalige Installation eines eigenständigen Verbraucherinformationsgesetzes hat.
Herr Kelber, möchten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Happach-Kasan zulassen?
Gerne, auch wenn ich dann wahrscheinlich vom Verbraucherinformationsgesetz auf die Gentechnik zurückkommen muss.
({0})
Bitte schön, Frau Happach-Kasan.
Herr Kollege Kelber, Sie haben Recht, ich möchte
zum Thema Gentechnik eine Zwischenfrage stellen. Es
geht mir insbesondere um die Frage der Haftung. In dem
nicht autorisierten Eckpunktepapier der Bundesregierung stand, dass das Wörtchen „insbesondere“ aus dem
§ 36 gestrichen werden soll, weil, wie der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages im Jahre 2004
festgestellt hat, hiermit eine besondere Rechtsunsicherheit verbunden ist. Ich frage Sie nun: Möchten Sie, dass
das Wörtchen „insbesondere“ in diesem Gesetz beibehalten wird, oder sind Sie ebenso wie die Bundesregierung damit einverstanden, das Wörtchen zu streichen?
Damit komme ich auch schon zum Nachbarschaftsrecht. Sie wissen sicherlich, dass der ehemalige Staatssekretär Catenhusen einmal in einem „Zeit“-Interview
deutlich gemacht hat, dass für das Haftungsrecht im
Prinzip die Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches
zum Nachbarschaftsrecht völlig ausreichend seien. Stimmen Sie mir und auch Ihrem ehemaligen Staatssekretär
Catenhusen darin zu?
Sie haben eben ein nicht autorisiertes Eckpunktepapier des Ministers angesprochen, was nun auf einmal
schon zur Meinung der Bundesregierung avancierte. Ich
habe das Protokoll meiner bisherigen Rede logischerweise noch nicht vorliegen, aber ich glaube, dass ich gesagt habe, ich könne allen nur empfehlen, auf die Vorlage des Eckpunktepapiers zu warten und sich dann
anzuschauen, was darin steht, statt über Dinge zu spekulieren, die überhaupt nicht autorisiert sind, wie Sie ja selber feststellten. - Das ist, wie ich glaube, die beste Antwort auf Ihre Frage.
({0})
Ich hatte von dem Wert eines eigenständigen Verbraucherinformationsgesetzes gesprochen. Wir teilen
allerdings auch Teile der Kritik. Die SPD hat ja öffentlich gesagt, dass sie an bestimmten Stellen noch mehr
gewollt hätte, zum Beispiel die Einbindung weiterer Produkte und Dienstleistungen, weniger Ausnahmen und einen stärkeren Druck auf die Informationspolitik der Unternehmen.
({1})
Man kann auch offen darüber sprechen, dass an bestimmten Stellen die eigenen Positionen von denen des
Koalitionspartners abweichen und dass man zu einem
bestimmten Zeitpunkt nur gewisse Punkte umsetzen
kann.
Mir kamen nun Ankündigungen aus Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen zu Ohren, also von CDUregierten Ländern, dass man im Bundesrat die Umsetzung einiger dieser Punkte beantragen will. Dazu kann
ich nur sagen: Herzlich willkommen! An der SPD wird
diese Initiative zumindest nicht scheitern.
({2})
- Sie sind CDU/FDP-regiert. Das stimmt.
Da Sie vorhin von Abzocke und komischen Vorschlägen gesprochen haben, mache ich einen kleinen Einschub: Ich komme aus Nordrhein-Westfalen, wo die
FDP mitregiert. Sie streichen im Landeshaushalt die
Gelder für Kindergärten.
({3})
- Die Zuschüsse für die Kindergärten werden um mehrere Millionen gesenkt. - Die offizielle Antwort auf die
Nachfrage der Kommunen, wie sie die Kindergärten nun
finanzieren sollen, lautet: Hebt doch die Kindergartenbeiträge an. Das ist die Antwort der FDP zum Thema
Kindergärten.
({4})
Wenn wir das betrachten, was Sie in Ländern machen,
in denen Sie mitregieren, dann sollten wir auch die
Schattenseiten Ihres Mitregierens ins Auge fassen und
nicht nur die goldenen Seiten.
({5})
Ich komme nun zu meinem letzten Punkt, dem Verbraucherinformationsgesetz zurück, ein Thema, das Sie
ja, Herr Goldmann, sehr interessiert, wie an Ihren Zwischenrufen deutlich wird. Wir haben eine Anhörung
zum Verbraucherinformationsgesetz durchgeführt.
({6})
Ich finde es gut, dass diese Koalition Anhörungen ernst
nimmt und dann auch bereit ist, Änderungen und Klarstellungen vorzunehmen. Vier Punkte werden wir hier
noch umsetzen:
Wir werden über das Ausschussprotokoll klarstellen,
dass Anträge selbstverständlich per E-Mail und mündlich gestellt werden können. Wir werden ebenfalls klarstellen, dass in der Regel die Daten von den Behörden
veröffentlicht werden müssen und dass das Zurückhalten
von Daten eine begründete Ausnahme sein muss. Wir
werden deutlicher formulieren, dass Rechtsverstöße
nicht unter den Schutz des Betriebsgeheimnisses fallen.
Last, but not least werden wir die Frist, in der die Behörden einen Antrag bearbeiten müssen, von acht Wochen
auf vier Wochen verkürzen. Ich glaube, das sind zum
Abschied noch vier gute Botschaften für den Verbraucherschutz.
Vielen Dank.
({7})
Das Wort hat die Kollegin Bärbel Höhn, Bündnis 90/
Die Grünen.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Bei jeder Haushaltsberatung - das ist die Sternstunde des Parlaments - muss man überlegen, was die
Bundesregierung geleistet hat. Was leistet der zuständige
Minister in den Bereichen, die er zu verantworten hat?
Hier geht es um die Landwirtschaft und den Verbraucherschutz. Es geht darum, ob zusätzliche Zukunftsperspektiven und zusätzliche Perspektiven für Arbeitsplätze
für den ländlichen Raum geschaffen worden sind. Auf
genau diese Punkte hin müssen wir diesen Haushalt und
die bisherige Politik überprüfen. Ich sage Ihnen: Was
hier beschlossen werden soll, sind zusätzliche große Belastungen für den ländlichen Raum. Es gibt große Versäumnisse sowohl bei der Impfpolitik als auch bei der
Verbraucherschutzpolitik. Das Einzige, was die große
Koalition geleistet hat, ist, dass die Menschen unter großen Versäumnissen leiden werden und große Belastungen auf die Menschen in diesen Bereichen zukommen.
({0})
Ich will das begründen. Ich fand interessant, wie die
Beiträge von Alex Bonde hier kommentiert worden sind.
Es war ein Aufschrei der Entrüstung, zu Recht. Ich habe
manchmal den Eindruck, dass einige noch nicht ganz
verstanden haben, wie der ländliche Raum wirklich gefördert wird. Der ländliche Raum wird nicht nur aus der
Gemeinschaftsaufgabe gefördert. Herr Minister, Sie haben versucht, mit Zahlen die dramatischen Veränderungen, die stattfinden werden, zu beschönigen. Ja, Sie haben Recht, leider hat die rot-grüne Koalition in den
letzten sieben Jahren die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe um ungefähr 200 Millionen Euro kürzen müssen. Das war mehr Herr Funke als Renate Künast.
({1})
Ich sage, dass wir dafür gemeinsam die Verantwortung
tragen. Es waren 200 Millionen Euro in sieben Jahren.
Was Sie vorhaben - das macht die Dramatik aus - ist
keine Kürzung um 200 Millionen Euro in sieben Jahren,
sondern eine Kürzung um 450 Millionen Euro in einem
Jahr.
({2})
Warum ist das so? Das haben die meisten noch gar nicht
verstanden. Die Tatsache, dass Frau Merkel in Brüssel
mit großen Geschenken aufgewartet hat und damit den
Bauern 400 Millionen Euro pro Jahr weniger zur Verfügung stehen, hat heute schon Bedeutung. Ich sage Ihnen,
was das in Nordrhein-Westfalen bedeutet. Vertragsnaturschutzmaßnahmen zum Beispiel werden für einen Zeitraum von fünf Jahren abgeschlossen. Wenn Sie
eine längerfristige Planung machen müssen - das muss
jedes Landesministerium -, dann können Sie heute die
Verträge, die in diesem Jahr auslaufen, weil die fünf
Jahre vorbei sind, nicht mehr verlängern. Wir haben vorhin unter großem Getöse gesagt, wir seien alle für den
Naturschutz. De facto wird aber der Vertragsnaturschutz,
die Vereinbarungen zwischen Landwirtschaft und Naturschutz, mit den Kürzungen, die Sie eingeleitet haben, kaputtgemacht. Ein Fünftel der Verträge läuft dieses Jahr
aus und wird nicht verlängert. Das haben Sie mit Ihren
Entscheidungen erreicht.
({3})
Ich komme zum Ökolandbau. Auch er erhält Geld
aus diesen Mitteln. Ich sage Ihnen unabhängig von Ideologien: Die Verbraucherinnen und Verbraucher kaufen
mehr Ökoprodukte. In diesem Jahr gab es wieder einen
Zuwachs von mehr als 10 Prozent. Was passiert aber
jetzt? Weil die Länder die Umstellung auf Ökolandbau
nicht mehr finanzieren können, weil sie die zusätzlichen
Prämien nicht mehr bezahlen können, kehren heute Ökobauern wieder zum konventionellen Landbau zurück.
Das haben Sie von der großen Koalition mit Ihren Einsparmaßnahmen zu verantworten.
({4})
Was folgt daraus? Obwohl es mehr Verbraucher gibt,
die Ökoprodukte wollen, können sie diese Produkte von
Bauern in Deutschland nicht mehr kaufen. Sie überlassen diesen Markt den ausländischen Bauern. Das ist ein
Armutszeugnis für einen Minister, der gesagt hat, er will
etwas für die Bauern tun. Da, wo Zuwachs vorhanden
ist, wird gestrichen. Da, wo Zuwachs vorhanden ist, gibt
es keine Perspektive. Das ist Ihre Politik. Mit Verbraucherschutz hat das nichts zu tun.
({5})
Weil die Zeit abläuft, sage ich nur noch eines zum
Impfen. Herr Seehofer, Sie haben Recht. Wir diskutieren nicht über Impfen statt Töten. Auch wenn man impft,
muss man töten. Der Unterschied aber ist, dass Sie,
wenn Sie impfen, viel weniger Tiere töten müssen. Die
Niederländer hätten sicherlich damals über 10 Millionen
Tiere weniger töten müssen. Herr Minister, es macht einen Unterschied, wenn Sie 10 Millionen Tiere weniger
töten müssen. Überdenken Sie endlich einmal Ihre Impfpolitik. Warten Sie nicht auf einen Impfstoff des Instituts
auf Riems. Die Niederländer haben schon lange einen,
der alle Bedingungen erfüllt.
({6})
Die Niederländer impfen mit H5N9. Dieser Impfstoff
steht Ihnen schon heute zur Verfügung. Damit haben Sie
die Möglichkeit, Ihr Ziel zu erreichen.
Es kann doch nicht sein, dass Sie ideologisch so besetzt sind, dass Sie unbedingt auf einen deutschen Impfstoff setzen. Setzen Sie auf einen Impfstoff, der dafür
sorgt, dass Sie weniger töten müssen. Das wäre für die
Verbraucher, für die Tiere und letzten Endes auch für die
Landwirtschaft besser.
Versuchen Sie endlich, im Rahmen dieses Haushaltes
etwas für den ländlichen Raum zu tun. Machen Sie die
Zukunftsperspektive des ländlichen Raumes nicht kaputt.
({7})
Dafür sind wir. Ich wünsche Ihnen guten Erfolg. Machen
Sie das aber bitte nicht so, wie Sie diesen Haushalt gemacht haben.
Danke schön.
({8})
Das Wort hat jetzt der Kollege Peter Bleser, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach
Jahren der Verunsicherung und Verängstigung der Verbraucherinnen und Verbraucher in Bezug auf unsere Lebensmittelqualität - wir erinnern uns -, nach Jahren der
Verunglimpfung von 4,2 Millionen Beschäftigten der
Agrarbranche,
({0})
nach Jahren der bis zum Exzess betriebenen Bürokratisierung der Landwirtschaft, nach Jahren des Pessimismus, der Hoffungslosigkeit, der Zukunftsangst, sehen
die Verbraucher sowie die Bäuerinnen und Bauern in
diesem Land jetzt endlich wieder das Morgenrot der Zuversicht und des Optimismus.
({1})
Zusammengefasst ist dies das Ergebnis von sieben
Jahren - von sieben Monaten; sieben Jahre sollen es sicher noch werden - erfolgreicher Politik der Koalition
und des Bundesministers Horst Seehofer.
({2})
Ich muss noch einmal die Vergangenheit ins Gedächtnis rufen. Frau Künast hat immer versucht, vermeintliche Lebensmittelskandale zu ideologisieren und aus
der Verängstigung der Verbraucher politisches Kapital
zu schlagen.
({3})
Wir haben von Anfang an auf sachliche, wissenschaftlich begründete Lösungsansätze gesetzt: Beim Gammelfleischskandal haben wir ein 10-Punkte-Sofortprogramm
aufgelegt und nicht die ganze Fleischbranche wegen einiger weniger schwarzer Schafe, die zu Recht zur Rechenschaft gezogen werden müssen, verunglimpft. Bei
der Vogelgrippe haben wir den Lösungsansatz gemeinsam mit dem hoch anerkannten Friedrich-Loeffler-Institut auf der Insel Riems abgestimmt. Wir haben Erfolg
gehabt. In Deutschland haben wir den geringsten Verbrauchsrückgang bei Geflügelprodukten. Andere Länder
klagen sehr über den Rückgang.
Mit dem rigiden Vorgehen bei der Bekämpfung dieser
Seuche haben wir verhindert, dass bei uns weitere Nutztierbestände befallen wurden. In anderen Ländern sieht
das anders aus. Zum Beispiel in Ungarn war vor kurzem
ein Bestand mit 2 500 Enten betroffen, die alle gekeult
werden mussten. Insgesamt waren es 450 000 Tiere. Das
ist ein Erfolg, den wir als Verbraucherschutz verbuchen
können.
({4})
Wir machen unser Versprechen wahr: Wir verhelfen
unseren Verbrauchern dazu, auf Augenhöhe am Markt
teilzunehmen. Auch das ist gelebter Verbraucherschutz.
Was Frau Künast als selbst ernannte Oberverbraucherschützerin in fünf Jahren nicht geschafft hat, nämlich ein Verbraucherinformationsgesetz vorzulegen,
das machen wir jetzt, und zwar in der nächsten Woche.
Damit haben wir drei große Ziele erreicht, die ich alle
für sehr beachtenswert halte.
Erstens. Wir haben die Position der Verbraucher am
Markt gestärkt, indem sie die Möglichkeit erhalten, bei
Behörden vorliegende Erkenntnisse über Gesetzesverstöße zu erfahren. Das schafft mehr Sicherheit.
Zweitens. Noch mehr wirkt, dass die Unternehmen,
die sich danebenbenommen haben, die glauben, sich mit
Qualitätsdumping am Markt durchzusetzen, an den
Pranger gestellt werden. Das wirkt qualitätssteigernd.
Das dient dem Verbraucherschutz.
({5})
Drittens. Die Statistiken belegen leider - ich muss das
so sagen -, dass die zu uns importierten Produkte nicht
immer unseren Qualitätsstandard aufweisen. Das heißt,
dass das Verbraucherinformationsgesetz unseren Unternehmen einen Vorteil am Markt verschafft. Auch das ist
Verbraucherschutz.
({6})
Wir nehmen den Verbraucherschutz auch in anderen
Bereichen sehr ernst. Die Roaminggebühren, also die
Gebühren, die Handynutzer beim Telefonieren im Ausland zahlen müssen, sind allein aufgrund unserer Initiative um 50 Prozent gesenkt worden. Das ist etwas, was
den Verbrauchern im Urlaub dient und den Verbraucherschutz nach vorne bringt.
Jetzt habe ich es sieben Mal gesagt, jetzt kann ich es
lassen. Das war Bedingung in der Wette.
Wir werden im Übrigen auch beim Telekommunikationsgesetz mit den Kollegen Berichterstattern in den
anderen Arbeitskreisen dafür sorgen, dass auch hier die
Übervorteilung unserer Verbraucher beendet wird.
Noch ein Letztes, weil es wichtig ist, dies zu erwähnen: Viele haben von Eins-zu-eins-Umsetzung gesprochen.
({7})
Die Bundesregierung hat das BSE-Testalter auf 30 Monate angehoben. Der Bundesrat hat am Freitag zugestimmt. Auch damit ist ein Stück Wettbewerbsungleichheit abgeschafft worden. Auch das dient im wahrsten
Sinne den Verbrauchern, weil die Kosten, die die Bauern
und die Verbraucher tragen müssen, gesenkt werden.
({8})
Ich will noch etwas zu zwei Themen sagen: zur Grünen Gentechnik und zu den Biokraftstoffen.
({9})
Herr Kelber, die Grüne Gentechnik hat ein Potenzial,
das besonders durch eine Nachricht in den letzten Tagen
noch einmal sehr verdeutlich worden ist. Es gibt einen
genehmigten Freisetzungsversuch in Mecklenburg-Vorpommern, bei dem getestet werden soll, ob es gelingt,
mit Kartoffeln Impfstoffe zu erzeugen, also Menschen
zu helfen. Allein diese Meldung beweist, was für ein Potenzial in dieser Technologie steckt.
({10})
Es wäre eine große Unterlassung, wenn wir unserer Bevölkerung die Nutzung dieser Potenziale verweigern
würden. Deshalb müssen wir noch in diesem Jahr zu
Potte kommen.
({11})
Es freut mich ganz besonders, dass die Saatgutwirtschaft
in den letzten Tagen einen Schwenk vorgenommen hat
und sich von sich aus bereit erklärt hat, im Rahmen der
bestehenden Haftungsregelung eventuelle Haftungsfragen im bilateralen Verhältnis mit den Anbauern zu klären.
Als Letztes zu den Biokraftstoffen: Ich bin sehr zuversichtlich, dass die Hartnäckigkeit, die von vielen in
diesem Raum in den letzten Tagen verfolgt worden ist,
zu einem positiven Ergebnis führt. Deswegen haben die
Beschäftigten in der Agrarwirtschaft, in der Landwirtschaft und in den dazugehörigen Bereichen sowie die
Verbraucher allen Grund, hoffnungsvoll in die Zukunft
zu schauen. Wir werden unsere Arbeit in diesem Sinne
fortsetzen.
Herzlichen Dank.
({12})
Auch wenn ich nicht verstanden habe, wieso Wetten
gut für den Verbraucherschutz ist, möchte ich jetzt gern
zum Abschluss der Debatte das Wort an die Kollegin
Waltraud Wolff, SPD-Fraktion, geben.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Deutschland ist im Fußballfieber. Darum
möchte ich gern kurz auf die Rede meines Kollegen
Bleser eingehen, der am Anfang in einem tieftraurigen
Ton über die Vergangenheit des Verbraucherinformationsgesetzes geredet hat.
({0})
Beim Fußball würde man sagen: Für unfaires Nachtreten
gibt es die rote Karte.
({1})
Ich habe dir eine Minute geschenkt und ich denke, das
war ein unfaires Nachtreten, weil wir in den letzten vier
Jahren intensiv an einem guten Verbraucherinformationsgesetz gearbeitet haben.
({2})
Jetzt zum Thema. Wir sind fast am Ende der Debatte.
({3})
Ich will noch einmal ganz deutlich machen, dass die
große Koalition im Konsens einen sehr guten Haushaltsplan im Bereich Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz aufgestellt hat. Das ist für mich noch einmal ein Grund, am Ende der Debatte ein herzliches
Dankeschön ins Haus zu sagen, Herr Minister Seehofer.
Ich denke, wir haben gute Unterstützung bekommen.
Anders als die Kolleginnen und Kollegen der grünen
Fraktion das gerne darstellen, finde ich nicht, dass es im
Haushaltsansatz einen Bruch mit der bisherigen Politik
gibt. Die Bundesprogramme zur artgerechten Tierhaltung und zum Ökolandbau werden in gleicher Höhe weitergeführt. Was die Förderung der nachwachsenden
Rohstoffe angeht, so setzt die neue Bundesregierung auf
Planungssicherheit. Für die nachwachsenden Rohstoffe
sind 52,2 Millionen Euro eingestellt. Damit wurden die
Mittel im Vergleich zum Vorjahr wirklich nur ganz gering, um 2,3 Prozentpunkte, gesenkt. Die Branche
boomt. Das zeigt auch der Agrarbericht 2006, über den
wir im Herbst beraten werden.
Damit das so bleibt, sind Investitionen in die Forschung notwendig. Es wird für Herrn Minister Seehofer
sicherlich keine leichte Aufgabe sein, zu entscheiden,
wo in den neuen Ländern das Biomasseforschungszentrum angesiedelt wird.
({4})
Waltraud Wolff ({5})
Eines möchte ich von dieser Stelle aber ganz deutlich sagen: Im Interesse der Forschung wünsche ich mir, dass
diese Entscheidung schnell getroffen wird.
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, insgesamt befinden
sich die Mittel, die unser Fachbereich zur Haushaltskonsolidierung beiträgt, auf einem Niveau, das als durchaus
verträglich zu bezeichnen ist. Auch dafür sage ich Danke
schön an beide Haushälter.
({7})
Was die Gemeinschaftsaufgabe „Agrarstruktur
und Küstenschutz“ betrifft - darüber hat sich hier jeder
schon ausgelassen -, möchte ich sagen: Auch ich persönlich spare in diesem Bereich ungern, weil daraus
viele Projekte zur Entwicklung der ländlichen Räume
gespeist werden.
({8})
Wer aber dem Kollegen Bahr ordentlich zugehört hat,
der weiß sehr wohl, dass es hier zu keinen gravierenden
Einsparungen kommt.
({9})
Wir haben die Aufgabe, in Zukunft ganz besonders
auf die inhaltliche Ausgestaltung zu achten.
({10})
Zwar hat der Bund nicht die Zuständigkeit, diese Projekte originär zu beeinflussen - hier ist der Planer gefordert -,
({11})
doch jedem muss klar sein, dass es in Zukunft nicht
mehr möglich ist, die Mittel nach dem Gießkannenprinzip „Überall ein bisschen Wasser“ zu verteilen.
({12})
Das wird es explizit nicht mehr geben.
({13})
Auch wir Abgeordnete sind gefordert, über die Möglichkeiten und Chancen der ländlichen Räume und ihre finanzielle Unterstützung zu diskutieren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, an dieser Stelle
komme ich natürlich nicht umhin, auf den Antrag, den
die Grünen zum Haushalt gestellt haben, einzugehen.
({14})
Über ihn wird erst morgen früh abgestimmt. Ich
wünschte, wir hätten das heute Abend gemacht.
({15})
Sie haben eine namentliche Abstimmung beantragt.
Herr Bonde, wie plump glauben Sie von den Grünen
eigentlich vorgehen zu können?
({16})
Sie fordern in Ihrem Antrag, die Haushaltsmittel für die
Gemeinschaftsaufgabe auf 685 Millionen Euro - dieser
Betrag entspricht dem Sollwert des Jahres 2005 - aufzustocken. Das wäre in Zeiten voller Kassen löblich und
wir alle würden das gerne mittragen.
({17})
Aber haben Sie eigentlich alles vergessen? Haben Sie
vergessen, dass der erste Entwurf des Haushaltsansatzes
für das Jahr 2006 noch von Ministerin Künast vorgelegt
worden ist
({18})
und dass schon damals ein Einsparvolumen von 20 Millionen Euro eingestellt war? Das ist doch die Wahrheit!
({19})
- Sie haben genug Polemik betrieben. So viel Demagogie können wir an einem Abend wie heute nicht gebrauchen.
({20})
Ich möchte Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage von
Frau Höfken zulassen möchten?
Wie bitte?
Frau Höfken würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage
stellen. Wollen Sie sie zulassen?
Ich habe gesagt, dass ich heute Abend keine Demagogie mehr erleben möchte.
({0})
- Finden Sie etwa, dass das, was hier heute Abend von
Frau Höhn und Herrn Bonde dargelegt wurde, ordentliche Oppositionspolitik ist? Das kann doch wohl nicht
wahr sein. Ich glaube das nicht.
Waltraud Wolff ({1})
({2})
Ich sage Ihnen eines: Die von Ihnen geforderte namentliche Abstimmung ist in meinen Augen eine unehrliche
Showveranstaltung, bei der Sie morgen nicht glänzen
werden.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich kann und
will sich die Koalition nicht nur an der finanziellen Ausstattung von Haushaltstiteln messen lassen - durchaus
nicht.
Wir haben wichtige Vorhaben auf den Weg gebracht,
Vorhaben, die sich sehen lassen können. Beispielsweise
haben wir die EU-Freisetzungsrichtlinie zur Grünen
Gentechnik endlich umgesetzt. Nun steht die Novelle
ins Haus; Herr Kollege Kelber hat dazu seine Ausführungen gemacht. Ich will noch einmal deutlich machen:
Bei der Durchsicht der Gesetzeslage gilt es an dieser
Stelle sensibel zu sein und mit Augenmaß vorzugehen.
Wir haben nach Jahren des Stillstandes die TierschutzNutztierhaltungsverordnung verabschiedet, nach der die
Käfighaltung von Legehennen ab 2007 zu beenden ist.
Die Hennenhalter sind eine Selbstverpflichtung eingegangen, dass sie ab 2009 mindestens die Hälfte der Legehennen in Freiland- oder Bodenhaltung bringen. Wir
sind natürlich gespannt, ob sie das einhalten. Ich bin
froh, dass es diese Selbstverpflichtungserklärung gibt,
und ich hoffe, dass sie stringent eingehalten wird.
({4})
Sollten die Vorgaben nicht eingehalten werden - wovon
wir nicht ausgehen wollen -, würde die Diskussion über
die Hennenhaltung wieder entflammen; selbstredend
wäre dann die Politik wieder gefragt.
Außerdem - ich schaue ein bisschen um die Ecke, zu
Ihnen, Herr Minister - haben wir uns auf ein obligatorisches Prüf- und Zulassungsverfahren verständigt. Ich
bitte darum, dass die Vorschläge zu diesem so genannten
Tierschutz-TÜV schnell auf den Weg gebracht werden,
damit wir darüber im Parlament beraten können. Damit
können wir erreichen, dass ab 2012 nur noch zugelassene, serienmäßig hergestellte Stalleinrichtungen in
Deutschland verwendet werden, die auf Tiergerechtheit
geprüft sind. Ich denke, das ist gut. Die Beispiele, die ich
aufgeführt habe, bieten Lösungen für Vorhaben, die für
die deutsche Agrarwirtschaft von großer Bedeutung
sind.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in jedem Haushaltsjahr macht die Agrarsozialpolitik mit 74 Prozent den
größten Teil des Einzelplans 10 aus; das ist schon gesagt
worden. Die LSV wäre natürlich allein eine Debatte
wert, und ich bin der festen Überzeugung, dass wir diese
Debatte in diesem Jahr noch führen werden. Nach der
Sommerpause wird es um eine zukunftsweisende Organisationsreform gehen, zu der selbstredend eine Überarbeitung der Beitragsmaßstäbe für die landwirtschaftliche
Krankenversicherung und für die landwirtschaftliche
Unfallversicherung gehören wird. Ich gehe davon aus,
dass die Reform der allgemeinen Sozialversicherungssysteme auf die Modernisierung der LSV Einfluss haben
wird. Der immer wieder aufkommenden Diskussion, wenigstens Teile der Unfallversicherung zu privatisieren,
möchte ich von dieser Stelle aus eine Absage erteilen.
Allein die Versuche, spezifische Berufsrisiken von Betriebsleitern privat zu versichern, zeigen, dass diese
Dinge gescheitert sind. Ich sage: Wir müssen es schaffen, bundesweit einheitliche Beitragsmaßstäbe einzuführen. Wir müssen den Leistungskatalog so ausgestalten,
dass die Bauern nicht besser, aber auch nicht schlechter
gestellt werden als andere Berufsgruppen. Die Versicherten zählen, und sonst nichts.
({5})
- Natürlich; aber das wird man in der nächsten Zeit sehen.
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss!
Ich sehe schon: Ich habe mich bei den Grünen zu
lange aufgehalten.
Das ist jetzt nicht mehr zu reparieren.
({0})
Ich möchte ganz zum Schluss ein Thema anreißen -
Einen Satz noch.
Ich möchte Herrn Minister Seehofer bei der Debatte,
die ihm ins Haus steht - das Rauchverbot in öffentlichen Gebäuden und Gaststätten - unterstützen.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.
Ich komme zum Schluss. - Dieses Bestreben unterstütze ich ausdrücklich - auch wenn ich Raucherin bin.
Ich denke, das ist ein zukunftsweisendes Projekt.
({0})
Man darf hier nicht immer nur über Sachstände reden,
sondern man muss Dinge politisch in Gang setzen.
Ich bedanke mich.
({1})
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort der
Kollegin Ulrike Höfken.
Sie möchten „heute Abend keine Demagogie mehr“
haben? Ich möchte doch einmal aufzeigen, was hier im
Haushalt wirklich passiert. Herr Seehofer hat vorgerechnet, Rot-Grün hätte - das war hauptsächlich Funke - in
seinen sieben Jahren die Gemeinschaftsaufgabe um
200 Millionen Euro gekürzt.
Aber was jetzt passiert, ist eine Kürzung um über
400 Millionen Euro pro Jahr durch die Entscheidungen,
die Frau Merkel zu verantworten hat, bei der finanziellen
Vorausschau in Brüssel: minus 400 Millionen Euro pro
Jahr. Hinzu kommen die Einsparungen, die Sie jetzt im
Haushaltsplan vorlegen. Auch da war Ihre Aussage
durchaus nicht richtig, was den Haushalt 2006 angeht.
({0})
Da hat nämlich im Vorschlag von Eichel gestanden: minus 20 Millionen Euro. Was hat Seehofer gemacht? Er
hat noch 50 Millionen Euro draufgelegt und dann um
70 Millionen Euro gekürzt. Wir haben die 50 Millionen,
die Seehofer weggenommen hat, wieder draufgelegt und
das mit dem morgigen Antrag auch dokumentiert. Das
heißt, wir haben hier eine Rechnung gemacht, die absolut eine Minimalkompensation im Hinblick auf die Gemeinschaftsaufgabe darstellt.
({1})
Das Ganze auch noch mit den fehlenden Einnahmen
und den leeren Kassen zu begründen, das ist nun wirklich ein Hohn bei der „größten Steuererhöhung der
Nachkriegszeit“, und das auch noch bei 2 Milliarden
Euro Mehrausgaben pro Jahr an Brüssel.
({2})
- Das war ein großer Bestandteil der Rede von Frau
Wolff. Ich antworte genau auf den Vorwurf, dass das
nicht der Fall sei.
({3})
Das tut weh, das glaube ich schon. Sie können das im
Übrigen im Protokoll ganz genau nachlesen.
Vielen Dank.
({4})
Frau Wolff, möchten Sie reagieren?
({0})
Dann erteile ich das Wort dem Bundesminister Horst
Seehofer.
({1})
Frau Höfken, ich möchte mich noch einmal melden,
weil Sie jetzt unzulässigerweise etwas vermischen, um
Ihren Antrag für morgen in der Früh noch gewissermaßen zu rechtfertigen.
Ihr Antrag beschäftigt sich ausschließlich mit dem
Bundeshaushalt, Einzelplan 10, und mit der Gemeinschaftsaufgabe „Agrarstruktur und Küstenschutz“. Nicht
einmal in der Begründung steht ein Halbsatz zur zweiten
Säule oder zur EU. Nun haben Sie offensichtlich aufgrund der heutigen Debatte erkannt, dass dies ein gewaltiger Fehler war,
({0})
weil Sie sich mit diesem Antrag in großem Widerspruch
zu Ihrem eigenen Handeln stellen.
Es gibt sieben Jahre: Funke 1998 870 Millionen Euro,
Funke 1999 870 Millionen Euro, Funke 2000 870 Millionen Euro, dann kommt noch einmal Funke/Künast
875 Millionen Euro, 872 Millionen Euro. Ich habe
665 Millionen Euro übernommen. Von Frau Künast ist
zu meiner Amtsübernahme um 210 Millionen Euro gekürzt worden. Und Sie beschäftigen sich im Antrag morgen in der Früh ausschließlich mit der Gemeinschaftsaufgabe „Agrarstruktur und Küstenschutz“, die Sie
selber um 210 Millionen Euro gekürzt haben.
Meine Antwort ist: Wer selbst um 210 Millionen Euro
kürzt, kann sich nicht zum Anwalt von 50 Millionen
Euro machen. Sie haben einen großen Fehler gemacht.
({1})
Damit jetzt Ihre Argumentation irgendwie stimmt,
verbinden Sie das Ganze mit der EU-Finanzierung, die
im Jahre 2006 im Haushalt überhaupt keine Rolle spielt,
weil diese geänderte EU-Finanzierung erst im nächsten
Jahr in Kraft tritt. Das ist die Wahrheit. Sie haben einen
großen politischen Fehler gemacht.
({2})
Sie bitten das ganze Parlament morgen in der Früh zu einer namentlichen Abstimmung über den Sachverhalt,
den Sie selbst zu verantworten haben.
({3})
Jetzt gibt es hier eine Diskussion zwischen verschiedenen Geschäftsführern.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
({0})
Unsere Geschäftsordnung enthält die Möglichkeit,
nicht den Zwang, die Debatte, nachdem der Minister gesprochen hat, neu zu eröffnen. Ich möchte jetzt fragen,
ob das hier eine Fraktion beantragt oder nicht.
({1})
- Dann ist das ein Antrag.
Damit müssen wir die Debatte neu eröffnen. Ich bitte
die Geschäftsführer, sich untereinander kurz zu besprechen, um sich über die Redezeiten zu einigen.
({2})
Herr Kaster hat das Wort zur Geschäftsordnung. Bitte
schön.
Ich möchte zur Geschäftsordnung Folgendes sagen:
Wir haben eben erlebt, dass die Geschäftsordnung bei
der Kurzintervention in einem solchen Sinne angewandt
worden ist, dass man von einem Missbrauch sprechen
kann.
({0})
Im Rahmen der Kurzintervention ist nicht genau auf eine
Rede, die gehalten worden ist, eingegangen worden,
sondern es sind viele Teile der Debatte aufgegriffen worden. Von daher kommen jetzt andere Bestandteile der
Geschäftsordnung zum Tragen, durch die es ermöglicht
wird, auf den Redebeitrag des Ministers zu antworten.
Im Hinblick auf einen vernünftigen Umgang der
Fraktionen untereinander sollte man das noch einmal
überdenken.
({1})
Ich glaube, es ist nicht unbedingt ein Mittel der Geschäftsordnung, dass eine Fraktion noch einmal etwas
überdenkt. Deshalb bitte ich die Geschäftsführer der
Fraktionen jetzt zu mir, damit wir uns darüber einigen
können, wie die Verteilung der Redezeit ist oder ob es
eine andere Lösung gibt.
Die Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer haben
sich untereinander darauf geeinigt, dass jede Fraktion,
die möchte, jetzt eine Redezeit von zwei Minuten erhält.
Als erster Fraktion gebe ich der FDP das Wort. Frau
Happach-Kasan, bitte schön.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es ist mir sehr wichtig, dass wir solch eine kontroverse
Debatte über den Haushalt, der morgen beschlossen
wird, nicht mit dem Redebeitrag des Ministers abschließen. Denn ich meine, dass wir als Parlamentarier die
Pflicht haben, deutlich zu machen, dass dieser Haushalt
vom Parlament und nicht vom Minister beschlossen
wird.
({0})
Deswegen bin ich der Meinung, dass es richtig ist, dass
wir jetzt noch einmal das Wort ergreifen.
Ich möchte hervorheben, dass die Situation, in die wir
geraten sind, dadurch entstanden ist, dass Kollegin Wolff
eine Frage nicht zugelassen hat. Das zieht eine Kurzintervention nach sich.
({1})
In diesem Fall hat Frau Höfken - das war völlig richtig ihr Recht zu einer Kurzintervention wahrgenommen und
ihre Möglichkeiten genutzt, um ihren Standpunkt klar zu
machen. Ich schließe mich ihrem Standpunkt und auch
dem des Ministers nicht in allen Punkten an, aber das ist
das übliche parlamentarische Verfahren. Wir als Parlamentarier sollten untereinander die Solidarität aufbringen, uns zu Wort kommen zu lassen. Ich finde ihr Vorgehen richtig.
({2})
Ich darf hinzufügen, dass es völlig rechtens war, das
Verhandlungsergebnis, das Frau Merkel in Brüssel erzielt hat, in die Diskussion über die Haushaltsberatungen
einzubeziehen. Selbstverständlich gehen durch das Verhandlungsergebnis von Frau Merkel den Menschen im
ländlichen Raum Finanzmittel verloren, wenn auch nicht
in diesem Jahr, dann aber im nächsten. Es ist richtig,
auch dies in Beziehung zu der heutigen Haushaltsdebatte
zu setzen. Denn es geht uns um die Menschen im ländlichen Raum und um die finanziellen Mittel, die ihnen zur
Verfügung gestellt werden. Ein Verhandlungsergebnis,
wie es von Frau Bundeskanzlerin Merkel in Brüssel erzielt worden ist, schwächt die Menschen im ländlichen
Raum. Das müssen wir bei unseren Entscheidungen berücksichtigen.
({3})
Ich danke allen für die Aufmerksamkeit.
({4})
Wenn ich die nonverbalen Äußerungen richtig verstanden habe, dann möchte die CDU/CSU nicht reden.
Die Linke möchte auch nicht reden. Die SPD
({0})
möchte auch nicht reden. Dann gebe ich das Wort dem
Bündnis 90/Die Grünen. Frau Höhn, bitte.
({1})
Meine Damen und Herren! Zunächst einmal möchte
ich Folgendes sagen: Uli Höfken hat mit ihrer Intervention etwas sachlich dargestellt. Ich finde, es ist parlamentarischer Brauch, dass man darauf auch sachlich antwortet. Ich würde es begrüßen, wenn wir das in Zukunft
immer so handhaben, statt sie in der Art und Weise wie
vorhin zu unterbrechen. Dabei müssen wir uns an die eigene Nase fassen.
({0})
- Richtig. Meinetwegen alle. - Wir müssen anders miteinander umgehen. Wer interveniert und den Sachverhalt
noch einmal darstellt, muss auch eine Antwort verlangen
können.
({1})
Insofern finde ich, dass Uli Höfken alles richtig gemacht
hat.
Lassen Sie mich einen weiteren Punkt ansprechen. Es
geht mir um den ländlichen Raum. Ich bitte Sie alle,
gemeinsam den Blick darauf zu richten, was wir mit den
Menschen im ländlichen Raum machen und was dort
passiert. Wir haben logischerweise die EU-Kürzungen
und die Kürzungen im Bundeshaushalt zusammen betrachtet; denn die Menschen vor Ort unterscheiden auch
nicht, ob die Kürzungen vonseiten der EU oder im Bundeshaushalt erfolgen.
Die Lage ist sogar noch dramatischer; denn die Kofinanzierung der Länder fällt weg. Das macht zusätzlich
ungefähr ein Drittel aus. Das heißt, dem ländlichen
Raum werden ungefähr 600 Millionen Euro pro Jahr weniger zur Verfügung stehen.
({2})
Ich appelliere an Sie, dass wir alle vor dem Zu-BettGehen - wir gehen ja gleich schlafen; ich hatte bei dem
Redebeitrag von Herrn Bleser auch ein bisschen den
Eindruck, dass er schon bei der Parlamentarischen Gesellschaft war ({3})
überlegen, wie wir für die Menschen im ländlichen
Raum das Übermaß an Belastungen, das ihnen durch die
fehlenden 600 Millionen Euro im Jahr entsteht, kompensieren können.
({4})
Denken Sie darüber nach, wenigstens die Kürzung
um 50 Millionen Euro zurückzunehmen, die Sie beschlossen haben. Das können Sie morgen früh machen,
indem Sie unserem Vorschlag zustimmen.
({5})
Ich bedanke mich bei Ihnen, weil Sie meinem zweiminütigen Redebeitrag so aufmerksam und ohne Zwischenrufe zugehört haben.
Danke schön.
({6})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell ist verabredet, die Abstimmungen
zum Tagesordnungspunkt I.17 einschließlich der namentlichen Abstimmung auf morgen früh zu Beginn der
Sitzung zu vertagen. - Damit sind Sie offensichtlich einverstanden. Dann ist so beschlossen.
Wir sind am Schluss der heutigen Tagesordnung. Genießen Sie die gewonnenen Einsichten.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 23. Juni 2006, 8 Uhr,
ein.
Die Sitzung ist geschlossen.