Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 6/21/2006

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 1 Beratung des Antrags der Abgeordneten Mechthild Dyckmans, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Jörg van Essen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Bürokratie schützt nicht vor Diskriminierung - Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz ist der falsche Weg - Drucksache 16/1861 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({0}) Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Tourismus ZP 2 Beratung des Antrags der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN Neubesetzung des Amtes des Koordinators für die deutsch-russische zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit - Drucksache 16/1885 ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ernst Burgbacher, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Gisela Piltz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Konsequenzen ziehen aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 30. Mai 2006 zur Weitergabe europäischer Fluggastdaten an die Vereinigten Staaten von Amerika - Drucksache 16/1876 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({1}) Auswärtiger Ausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Monika Lazar, Irmingard Schewe-Gerigk, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Rechtsextremismus ernst nehmen - Bundesprogramme Civitas und entimon erhalten, Initiativen und Maßnahmen gegen Fremdenfeindlichkeit langfristig absichern - Drucksache 16/1498 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({2}) Innenausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Jelpke, Diana Golze, Petra Pau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Fortführung und Verstetigung der Programme gegen Rechtsextremismus - Drucksache 16/1542 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({3}) Innenausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Jörn Wunderlich, Karin Binder, Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Elterngeld sozial gestalten - Drucksache 16/1877 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({4}) Ausschuss für Arbeit und Soziales ZP 7 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren ({5}) a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter Götz, Dirk Fischer ({6}), Dr. Klaus W. Lippold, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Petra Weis, Sören Bartol, Uwe Beckmeyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Stadtentwicklung ist moderne Struktur- und Wirtschaftspolitik - Drucksache 16/1890 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({7}) Innenausschuss Sportausschuss Redetext Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- cherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ute Koczy, Jürgen Trittin, Undine Kurth ({8}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Schaden von der Reputation der Osteuropabank abwenden - Das Öl- und Gasprojekt Sachalin II als Lackmustest für die Einhaltung internationaler Umwelt- und Sozialstandards - Drucksache 16/1668 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({9}) Finanzausschuss Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthias Berninger, Dr. Thea Dückert, Margareta Wolf ({10}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Deutsche Steinkohle AG muss zügig belastbares Datenmaterial vorlegen - Drucksache 16/1672 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({11}) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuss Der Tagesordnungspunkt I.13 d entfällt, da der An- trag auf Drucksache 16/1681 zurückgezogen wurde. Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, soweit erforderlich, abgewichen werden. Schließlich möchte ich Sie schon heute darauf auf- merksam machen, dass der Beginn der Plenarsitzung am Freitag auf 8 Uhr vorgezogen wird. Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlos- sen. Wir setzen die Haushaltsberatungen - Tages- ordnungspunkt I - fort: a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2006 ({12}) - Drucksachen 16/750, 16/1348 - b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses ({13}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Finanzplan des Bundes 2005 bis 2009 - Drucksachen 16/751, 16/1348, 16/1327 Berichterstattung: Abgeordnete Otto Fricke Steffen Kampeter Carsten Schneider ({14}) Anja Hajduk Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.6 auf: Einzelplan 04 Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt - Drucksachen 16/1304, 16/1324 Berichterstattung: Abgeordnete Steffen Kampeter Petra Merkel ({15}) Roland Claus Anna Lührmann Es liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion Die Linke vor. Ich weise darauf hin, dass wir im Anschluss an die Aussprache über den Einzelplan namentlich abstimmen werden. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache vier Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Rainer Brüderle, FDP-Fraktion. ({16})

Rainer Brüderle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003059, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kennen Sie noch das Plakat der CDU „Deutschland braucht den Wechsel“ mit orangefarbenem Hintergrund? ({0}) Ich vermute, Sie haben damit nicht gemeint, dass die deutsche Nationalelf das Trikot der Holländer tragen soll. Sie wollten einen Politikwechsel. Sie haben mehr Freiheit versprochen. Nach sechs Monaten einer CDUKanzlerin wissen wir nun, was Sie mit dem Wechsel gemeint haben: mehr Steuern, mehr Staat, mehr Bürokratie. Das ist Ihr Konzept. ({1}) Die Empfehlungen des Sachverständigenrates, der Bundesbank und des Bundespräsidenten werden ignoriert. Ein führender Sozialdemokrat beschimpft den Bundespräsidenten als Besserwisser. Sie haben gestern erkannt, dass Deutschland ein Sanierungsfall ist. - Das ist die Situation. Deshalb sollten wir nicht über den Repräsentationsetat der Kanzlerin sprechen, sondern über ihre Politik. ({2}) Sie haben an dieser Stelle versprochen, mehr Freiheit zu wagen. Ist es mehr Freiheit, wenn Sie die Menschen in Deutschland mit 20 Milliarden Euro pro Jahr mehr abkassieren? Das ist nicht mehr Freiheit, das ist weniger Freiheit. Das ist die Realität. ({3}) Statt mehr Eigenverantwortung bekommen wir mehr Bevormundung, statt mehr Freiheit mehr Regulierung. Deutschland freut sich, wenn die Kanzlerin die Nationalelf anfeuert. Aber ein bisschen Schwung, wie Sie ihn im Dortmunder Westfalenstadion und gestern im Berliner Olympiastadion gezeigt haben, könnten Sie schon in die Regierung mitbringen. Enttäuschung macht sich im Land breit. Manche kehren Ihrer Partei den Rücken. Andere hoffen noch darauf, dass Sie sich zu mehr Freiheit bekennen. ({4}) Selbst Herr Thumann vom BDI hat seine vornehme Zurückhaltung aufgegeben. Da hilft es auch nichts, dass Sie Herrn Röttgen aus Ihrer Prätorianergarde dorthin abordnen. Die Stimmung wird schlechter, weil keine entsprechende Politik umgesetzt wird. ({5}) Nehmen wir nur die Familienpolitik. Weil Sie nicht mehr wissen, wen Sie eigentlich alimentieren bzw. unterstützen wollen, erhalten alle ein bisschen. Sie schaffen neue bürokratische Regeln. Wahrscheinlich sind Sie froh, dass es den Normenkontrollrat noch nicht gibt, und hoffen, dass die Menschen deshalb mehr Kinder kriegen. Es geht doch nicht um eine Art Zuchtprämie für Doppelverdiener; es geht um bessere Betreuung und darum, Familie und Beruf besser zu vereinbaren. Das muss Kernstück der Politik sein. ({6}) Generell sollten Sie von der Subventionitis die Finger lassen. Sie haben vor wenigen Tagen die größte Steuererhöhung in der Geschichte des Landes im Bundesrat absegnen lassen. Sie mussten den Ländern 500 Millionen Euro zahlen, damit Sie eine Mehrheit bekommen. Auch das muss der Steuerzahler blechen. Es bleibt dabei: Sie nehmen dem Bauern ein Schwein, geben ihm drei Koteletts zurück und dafür soll er sich auch noch bedanken. Das ist keine überzeugende Politik. ({7}) Dann „pofallat“ es in der Debatte über das Ehegattensplitting. Das ist eine Scheindebatte. Sie kennen die Verfassungslage. Ich kann dazu nur sagen: „Pofallala“. Das ist kein Ansatz, der überzeugen kann. ({8}) Führen Sie eine Flat Tax mit anständigen Kinderfreibeträgen ein! Dann haben Sie mit einem Schlag viele Probleme gelöst. Beim Antidiskriminierungsgesetz hat die Union alle Vorsätze über Bord geworfen. ({9}) Mit der Forderung nach einer Eins-zu-eins-Umsetzung sind Sie in den Wahlkampf gezogen. Damals haben Sie, Frau Bundeskanzlerin, wörtlich an die Adresse von RotGrün gesagt - ich zitiere -: Sie haben wieder draufgesattelt. Das sind die Leute leid, weil sie spüren, dass sie in Europa nicht mehr wettbewerbsfähig sind. - Das haben Sie vor der Wahl richtig erkannt. Jetzt sind Sie als Bettvorleger der SPD gelandet und setzen mit der SPD das um, was die Grünen wollten. ({10}) Das Gleichbehandlungsgesetz läutet das Ende der Vertragsfreiheit ein. Ihr Gesetz ist ein Antigleichbehandlungsgesetz. Die Benachteiligten werden noch weniger Chancen haben, da die Angst vor der Prozessflut dazu führt, dass es weniger Einstellungschancen gibt. Sie haben vor der Wahl immer gesagt: Versprochen, gebrochen. - Das haben Sie nach der Wahl vergessen. Meine Damen und Herren von der Union, Sie haben sich das alte Weltbild der SPD überstülpen lassen. Das ist das falsche Weltbild. Es ist von gestern. Die Sozialdemokratisierung der Union ist erschreckend schnell vorangeschritten. Wir werden von zwei sozialdemokratischen Parteien regiert. ({11}) Eine ist rot angestrichen, die andere ist schwarz angestrichen und beide sind falsch programmiert. Das ist die Situation. ({12}) Wir leben von Vielfalt. Gleichmacherei schafft nicht einmal Mittelmaß. ({13}) Gleichmacherei ist die Orientierung an dem Schlechtesten. Das sehen wir jetzt beim Streit über die Gesundheitsreform. Statt endlich mehr Wahlmöglichkeiten für alle zu schaffen, darf jetzt der politische Fliegenpilz Lauterbach seinen Traum von der sozialistischen Einheitsversicherung umsetzen. Das ist der falsche Weg. ({14}) Sie sind dabei, das funktionierende System der privaten Krankenkassen kaputtzuschlagen. Die Einbeziehung der Privatversicherten in den Gesundheitsfonds kommt einer Enteignung gleich. ({15}) Sie haben selbst formuliert - ich zitiere Sie, Frau Merkel -: Da, wo Sie falsche Konzepte vertreten wie zum Beispiel die Bürgerversicherung, würden Sie Deutschland nicht nutzen, sondern Deutschland schaden. - Das haben Sie der SPD gesagt. Versprochen, gebrochen. Jetzt machen Sie etwas anderes. ({16}) Die Union ist dabei, im Schatten des FC Klinsmann ein weiteres Wahlversprechen zu brechen. Im ganzen Land schwenken die Menschen die deutsche, schwarzrot-goldgelbe Fahne. Die Autos fahren mit Fahnen durch die Städte. Der neue Fahnenpatriotismus ist die größte Straßendemonstration gegen die große Koalition. ({17}) Jede deutsche Flagge zeigt: Schwarz-rot allein reicht nicht. Da fehlt etwas. Da fehlt nämlich die gelbe Kraft, die Vernunft. Dafür kämpfen wir. ({18})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland, Angela Merkel. ({0})

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben in diesen Tagen die Welt zu Gast bei uns in Deutschland. Deutschland hat lange auf das größte Sportereignis nach den Olympischen Spielen hingearbeitet. Die Organisatoren haben jede erdenkliche Mühe aufgewandt. Die Wirtschaft hat geholfen, zum Beispiel mit der Kampagne „Deutschland - Land der Ideen“, unser Land nach innen und nach außen so zu präsentieren, wie es ist. Die Politik hat das Menschenmögliche für die Sicherheit und einen reibungslosen Ablauf getan. Viele Tausende Helferinnen und Helfer haben keine Mühe und keine Zeit gescheut - sie tun das auch in diesen Tagen nicht - und sich freiwillig zur Verfügung gestellt. Hierfür möchte ich allen ganz herzlich danken. ({0}) 32 Fußballmannschaften geben ihr Bestes oder haben ihr Bestes gegeben, darunter eine deutsche, auf die wir stolz sein können. ({1}) Das alles ist aber nur Vorbereitung, Rahmen und Unterstützung, damit das Vorhaben gelingen kann. Das Eigentliche leisten die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes. Wie ich finde, tun sie das einfach großartig. Sie sind die eigentlichen Gastgeber. Sie feiern mit Begeisterung die Siege der eigenen und der anderen Mannschaften. Sie leiden mit, sie trösten sich gegenseitig und freuen sich miteinander. Wenn ich sehe, welches Potenzial an Begeisterung und Fröhlichkeit in unserem Lande steckt, wenn ich sehe, wie andere in diesen Tagen von außen auf uns schauen und begeistert sind, dann wird mir nicht bange, dass unser Land die Herausforderungen, vor denen es steht, nicht meistern könnte. ({2}) Ich bin ganz fest davon überzeugt, hier liegt der Schlüssel für das Gelingen. Die Bürgerinnen und Bürger, für die wir Politik machen, sind diejenigen, die unser Land stark machen. Politik setzt einen Rahmen; Politik schafft Voraussetzungen; Politik muss deutlich machen, dass wir Vertrauen in die Menschen dieses Landes haben. Nur dann - davon bin ich überzeugt - können wir die Schwierigkeiten überwinden, vor denen wir stehen. ({3}) Das gilt auch für die Schwierigkeiten in der Außenpolitik. Ich möchte an dieser Stelle nur erwähnen, der Bundesaußenminister und ich haben in vielen Gesprächen mit einen Beitrag dazu geleistet, dass die Europäische Union zusammen mit den Vereinigten Staaten von Amerika, Russland und China dem Iran ein Angebot unterbreitet hat. Ich hoffe, dass der Iran auf dieses Angebot eingeht und die Chance nutzt, einen Konflikt, der diese Welt bedrückt, zu beseitigen, und zwar auf diplomatischem Wege. Ich hoffe, dass die Vernunft siegt. ({4}) Wir haben auf der letzten Tagung des Europäischen Rates in Brüssel einen Beitrag dazu geleistet, Wege zu finden, wie die Europäische Union im Nahen Osten trotz der Anforderungen, die das Quartett im Nahostprozess mit Recht stellt, humanitäre Hilfe leisten kann. Trotzdem sagen wir der Hamas ganz deutlich: Ihr müsst das Existenzrecht Israels anerkennen; ihr müsst auf Gewalt als Lösungsmöglichkeit verzichten; ihr müsst akzeptieren, dass der Verhandlungsprozess fortgesetzt wird. ({5}) Wir haben einen Plan erarbeitet, wie wir den Verfassungsprozess in der Europäischen Union trotz aller Schwierigkeiten fortsetzen können. Die deutsche Präsidentschaft wird einen Beitrag dazu leisten. Wir haben Ziele gesetzt, die etwas mit Wachstum und Beschäftigung in Europa zu tun haben. Deutschland muss seinen Beitrag dazu leisten: Wir müssen zum Beispiel endlich wieder die Maastrichtkriterien einhalten. So, wie wir die Schwierigkeiten in der Außenpolitik meistern können, wenn unsere Politik von einem Vertrauen in die Menschen geprägt ist, so - davon bin ich überzeugt - werden wir auch die Schwierigkeiten in der Innenpolitik meistern können, wenn wir eine Politik des Dialogs auf die Beine bringen, die vom Vertrauen in die Bürger geprägt ist. Es ist natürlich das eine, dass eine Opposition - Herr Brüderle hat es heute wieder vorgemacht - über diesen und jenen Teilaspekt diskutiert und ihn kritisiert. ({6}) Das ist sicherlich auch die Funktion einer Opposition. Wir alle würden hier gern über Steuersenkungen sprechen; wir würden gern Wohltaten verkünden; wir würBundeskanzlerin Dr. Angela Merkel den gern dies und jenes versprechen. Aber ich sage Ihnen: Ich habe eine andere Aufgabe, die Bundesregierung hat eine andere Aufgabe und auch die sie tragenden Koalitionsfraktionen haben eine andere Aufgabe. Sie haben die Aufgabe, das Ganze zu sehen, die Dinge im Zusammenhang zu sehen, weil es um ganz Deutschland und seine Zukunft geht. ({7}) Wer sich mit dem Haushalt beschäftigt, wer sich mit der Realität beschäftigt - dabei geht es nicht um Schuldzuweisungen -, der muss feststellen: Natürlich ist das Wort „Sanierungsfall“ ein hartes Wort. Ich habe aber deutlich gemacht, dass das nicht die ganze Realität Deutschlands ist. Ich kann mich jedoch vor den Realitäten dieses Haushaltes nicht drücken. ({8}) Es gibt ein strukturelles Defizit - das im Übrigen niemand, auch niemand von der Opposition leugnen kann, weil die Zahlen eindeutig sind - von 60 Milliarden Euro. Bei aller Detailbetrachtung, die Sie von der Opposition in den Haushaltsberatungen angestellt haben, muss man sagen: Ihre Vorschläge sind entweder nicht redlich oder sie decken nicht einmal die Maßgabe des Art. 115 des Grundgesetzes. Das heißt, wenn wir das wollen - zu dieser Überzeugung kommt neben der großen Mehrheit des Bundestages auch die große Mehrheit des Bundesrates -, dann bleibt uns nichts anderes übrig, als auch zu dem Mittel von begrenzten Steuererhöhungen zu greifen. ({9}) Wir wissen im Übrigen, dass wir den Menschen damit schwierige Aufgaben aufbürden. Es ist nicht einfach, den Sparerfreibetrag zu reduzieren; es ist nicht einfach, die Pendlerpauschale zu reduzieren; es ist nicht einfach, die Eigenheimlage zu streichen. ({10}) Glauben Sie nicht, dass das irgendeinem der Abgeordneten hier in diesem Hause leicht fällt. Das zeigt sich im Gespräch mit den Bürgerinnen und Bürgern. Wir haben uns in voller Verantwortung in Bezug auf mögliche Nebenwirkungen einer Mehrwertsteuererhöhung zwischen Zukunftssicherung und dem, was heute zu tun ist, ({11}) und der Möglichkeit, alles unter den Tisch zu kehren und morgen und übermorgen noch schwierigere Schritte zu gehen, entschieden. Wir machen dieses Land zukunftsfest. ({12}) Diejenigen, die sich einer sachlichen Betrachtung nicht verschließen - sei es die Europäische Kommission, sei es der Bundesrechnungshof, sei es die Bundesbank, sei es die OECD -, weisen darauf hin, dass Steuererhöhungen immer problematisch sind, dass sie aber zur Konsolidierung unserer Haushalte notwendig sind. ({13}) Deshalb haben wir an dieser Stelle Entscheidungen getroffen; aber sie sind nicht singulär, nicht losgelöst, sondern ganz deutlich in ein Gesamtkonzept eingebettet, das heißt: Sanieren, Reformieren, Investieren. Genau daran arbeiten wir seit sieben Monaten. ({14}) Wir haben den erfreulichen Sachverhalt, dass die wirtschaftliche Lage besser ist, als sie manches Jahr war. Wir haben den erfreulichen Sachverhalt, dass wir seit Jahren - man kann fast sagen: seit einem Jahrzehnt erstmals keine Zuschüsse mehr für die Bundesagentur für Arbeit brauchen. Wir haben weniger Insolvenzen. Wir wollen genau diesen Impuls ausnutzen und mit Reformen und mit Investitionen die Bewegung weitertreiben und gleichzeitig eine Konsolidierung der Haushalte durchführen. Diese Entwicklung muss fortgesetzt werden. Das, was wir in sieben Monaten geschafft haben, kann sich sehen lassen. ({15}) Wir haben verbesserte Abschreibungsregelungen. Wir haben die Istbesteuerung so verändert, dass in den neuen Bundesländern besser gearbeitet werden kann. Wir haben ein Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz auf den Weg gebracht. Das ist etwas, was Rot-Grün über Monate und Jahre nicht zustande gebracht hat. ({16}) 86 Großprojekte können jetzt sehr viel schneller durchgesetzt werden. Bei 4,5 Millionen Arbeitslosen ist es natürlich nicht egal, ob ein Großprojekt innerhalb von 15 oder 20 Jahren umgesetzt wird oder innerhalb von fünf oder zehn Jahren. ({17}) Deshalb ist es ein spürbarer Fortschritt für die Menschen, dass wir in Zukunft schneller vorankommen werden. ({18}) Wir haben ein Mittelstandsentlastungsgesetz auf den Weg gebracht. Meine Damen und Herren von der FDP, wir sind jederzeit bereit, gute Vorschläge aufzugreifen. ({19}) - Was zum Beispiel den Bürokratieabbau anbelangt, muss ich Ihnen sagen: Die Vorschläge, die gemacht werden, müssen seriös sein. ({20}) Maßnahmen, die Geld kosten und erneut zu Lücken im Haushalt führen, nützen uns überhaupt nichts. ({21}) Wir haben die rechtliche Grundlage für die Bildung eines Normenkontrollrates geschaffen. Dadurch werden wir zum ersten Mal eine systematische Betrachtung der Bürokratiekosten auf den Weg bringen. Damit haben unsere Nachbarn in Holland sehr gute Erfahrungen gemacht. Auch die Europäische Kommission führt dieses Verfahren jetzt ein. Im Rahmen der deutschen EURatspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2007 werden wir genau diese Art und Weise des Herangehens weiter betreiben. Wir wollen auch auf europäischer Ebene eine bessere Rechtsetzung. Weniger Rechtsetzung kann auch in Europa mehr und besser für die Bürgerinnen und Bürger sein. Das, was wir in unserem Lande tun, wollen wir auch auf europäischer Ebene tun. ({22}) Wir wissen: Deutschland braucht eine Unternehmensteuerreform. Die Koalition bekennt sich dazu. Der Bundesfinanzminister arbeitet an ihren Eckpunkten, die noch vor der Sommerpause vorgelegt werden. Hier werden mutige Schritte gemacht. Denn wir müssen sicherstellen, dass unsere Unternehmen international wettbewerbsfähig arbeiten können, damit sie in Deutschland Steuern zahlen und nicht abwandern. ({23}) Wir müssen eine vernünftige Balance zwischen kleinen und großen Unternehmen schaffen und uns damit auseinander setzen, dass eine Abgeltungssteuer heutzutage in vielerlei Hinsicht eine moderne Antwort auf die Frage der Kapitalbildung darstellt. ({24}) Wir müssen dafür Sorge tragen, dass auf der einen Seite die Kommunen ihre Einnahmen nicht verlieren, dass aber auf der anderen Seite das gesamte Steuersystem in sich schlüssig und wettbewerbsfähig bleibt. Diese Aufgabe werden wir lösen. Dabei sind wir auf einem guten Weg. Meine Damen und Herren, alles, was wir tun, orientiert sich an der Frage: Schaffen wir mehr Arbeitsplätze? Angesichts von 4,5 Millionen Arbeitslosen können wir nicht zufrieden sein. Der Rückgang der Beschäftigung ist zwar in diesem Frühjahr zum ersten Mal gestoppt; aber die Situation, in der wir sind, kann uns nicht zufrieden stellen. Wir können weder damit zufrieden sein, dass so viele junge Menschen keine Chance haben, Arbeit zu bekommen, noch damit, dass so viele Menschen schon mit 50 oder 55 Jahren aus dem Arbeitsleben ausscheiden. Deshalb müssen wir uns an dieser Stelle ganz klar an der Frage orientieren: Was schafft mehr Arbeit? Zu diesem Zweck werden wir in einem dauernden Prozess überprüfen: Funktionieren die Instrumente, die wir anwenden? Ich will ganz deutlich sagen: Die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe war und bleibt ein richtiger Schritt. Hier gibt es überhaupt kein Vertun. ({25}) Aber diese zwei Transfersysteme, die zusammengelegt wurden, haben sehr unterschiedliche Wirkungen. Daher müssen wir auch immer wieder kontrollieren: Funktionieren die Anreizwirkungen dieses Systems? Da wir uns das Motto „Fördern und Fordern“ auf die Fahnen geschrieben haben, müssen wir hinterfragen: Fordern wir genug und schaffen wir das Fördern? ({26}) Ich will an dieser Stelle sagen: Wenn die FDP bei den Eingliederungshilfen 3 Milliarden Euro streichen will, dann geschieht das auf dem Buckel der Langzeitarbeitslosen. Das wollen wir nicht. Wir wollen, dass diese Mittel auf richtige und vernünftige Art und Weise ausgegeben werden. ({27}) Dass das im vergangenen Jahr noch nicht gelungen ist, bedeutet nichts anderes, als dass das System noch nicht voll gearbeitet hat. ({28}) - Hören Sie doch zu! ({29}) - Dass diese Gelder im vergangenen Jahr noch nicht in vollem Umfang abgerufen wurden, bedeutet nicht, dass die Eingliederungshilfen der falsche Weg sind, ({30}) sondern, dass die Bundesagentur Anfangsschwierigkeiten hatte, was im Übrigen nicht verwunderlich ist. Das muss in diesem und im nächsten Jahr besser funktionieren. ({31}) Wir wollen vernünftige Wege gehen, um die Menschen in Arbeit zu bringen. Das ist unsere Antwort. Meine Damen und Herren, wir haben die Ich-AGs kritisch auf den Prüfstand gestellt und sie durch ein neues Instrument ersetzt. Mit dem Hartz-IV-Fortentwicklungsgesetz, das noch im Juli dieses Jahres vom Bundesrat beschlossen wird, wollen wir dafür sorgen, dass das Fordern besser durchgesetzt werden kann. Wer mehrmals - um es ganz deutlich zu sagen: dreimal - eine angebotene Arbeit ablehnt, der bekommt im Rahmen des Arbeitslosengeldes II keine Geldleistungen mehr. Das finde ich richtig und wichtig. ({32}) Im Herbst werden wir dann in einem nächsten Schritt weitere Probleme lösen müssen. Ich sage ganz selbstkritisch: Ich war sehr dafür, dass Zuverdienstmöglichkeiten eingeführt werden. Aber heute bin ich mir nicht mehr sicher, ob diese Anreize wirklich funktionieren. Wir werden uns daran gewöhnen müssen, miteinander eine vernünftige Debatte zu führen. Wir können nicht davon ausgehen, dass wir mit einer revolutionären Neuerung, die wir einführen - wie der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe -, für alle Zeiten ohne jede Änderung weiterkommen. Das ist moderne Politik, meine Damen und Herren: dass man aus dem lernt, was nicht vollkommen funktioniert. ({33}) Ich bin dem Bundesarbeitsminister sehr dankbar, dass er an dieser Stelle, zusammen mit den Fraktionen, die ersten Änderungsvorschläge gemacht hat. Wir werden eine Initiative fortsetzen, die sich um mehr Ausbildungsplätze kümmert. Es ist nicht in Ordnung - ich sage das auch an die deutsche Wirtschaft gewandt -, dass heute, in den wenigen Jahren, in denen noch mehr Schulabsolventen einen Ausbildungsplatz suchen werden, an vielen Stellen nicht ausreichend ausgebildet wird. Ich habe selber die 300 größten Unternehmen in Deutschland angeschrieben, um deutlich zu machen: Es ist eine Notwendigkeit und im Übrigen auch eine Zukunftsinvestition, dass die jungen Menschen in diesem Lande eine Ausbildung bekommen, vorzugsweise eine betriebliche Ausbildung. Ich hoffe, dass dieser Ausbildungspakt wieder mit Leben erfüllt wird, sodass wir am Jahresende sagen können: Jeder bekommt einen solchen Ausbildungsplatz. ({34}) Das macht der Bundeswirtschaftsminister, das macht die Bundesbildungsministerin und das macht die ganze Bundesregierung. ({35}) - Falls Sie mitmachen würden, Herr Kuhn, wäre das auch kein Schaden für unser Land, wirklich nicht! ({36}) Meine Damen und Herren, wir wissen - das ist ein Kernanliegen unserer Reform -, dass wir die Lohnzusatzkosten unter 40 Prozent bringen müssen. Wir haben an dieser Stelle bereits erste Schritte eingeleitet: Die Entscheidung, die Lebensarbeitszeit zu verlängern, ist keine einfache Entscheidung, aber eine zukunftsweisende; denn wir müssen unsere Gesellschaft darauf vorbereiten, dass die demografischen Veränderungen weitergehen und sich immer klarer zeigen werden. Wir arbeiten im Augenblick an einer Gesundheitsreform. Da wäre es schön, wenn die politischen Gruppierungen, die in diesem Hause versammelt sind, die Kraft finden würden, eine Debatte zu führen, von der die Bürgerinnen und Bürger draußen sagen: Die ringen um die richtigen Lösungen. ({37}) Wenn sich manch einer, der sich damit nicht so beschäftigt hat, dazu frank und frei äußert, dann ist das in Ordnung. Aber hier einfach Dinge zu behaupten, die weder beschlossen noch diskutiert sind, das ist nicht in Ordnung. ({38}) Was sind die Ziele unserer Gesundheitsreform? Die Ziele unserer Gesundheitsreform sind eindeutig definiert: Wir wollen, dass die Menschen in diesem Lande - unter den demografischen Veränderungen, aber auch angesichts besserer medizinischer Möglichkeiten - alle, und zwar unabhängig vom Alter und unabhängig vom Wohlstand des Einzelnen, das medizinisch Notwendige und das medizinisch Mögliche bekommen. Wir wollen ein Gesundheitssystem, in dem durch Wettbewerb Wachstumskräfte freigesetzt werden und in dem diejenigen, die in den medizinischen Berufen arbeiten, die Chance haben, dafür auch das entsprechende Geld zu bekommen. Ich möchte an dieser Stelle den Ärztinnen und Ärzten, ob freiberuflich oder im Krankenhaus, den Krankenschwestern und den vielen, die in den Heilberufen arbeiten, auch einmal ein herzliches Dankeschön sagen. ({39}) Wenn wir dieses Gesundheitssystem mit diesen Menschen nicht hätten, dann hätten wir große Schwierigkeiten. Ich finde, in diese Debatte gehört ein Stück Ehrlichkeit. ({40}) - Ja; das ist schon mal ein guter Ausgangspunkt. - Zu dieser Ehrlichkeit gehört, zu sagen, dass in unserem System an vielen Stellen mehr Wettbewerb möglich ist. Ich bin der Meinung, dass wir auch Strukturveränderungen brauchen. ({41}) Wir werden dazu eine Reihe von Vorschlägen machen, und zwar wirkliche Vorschläge. Wer aber glaubt, dass man Strukturveränderungen vornehmen kann, ohne neue Strukturelemente einzuführen, der glaubt an etwas, was wir eigentlich alle abgelegt haben: den Weihnachtsmann oder so etwas. Denn was heißt mehr Transparenz? Wo gibt es Intransparenz in unserem System? Da kann ich Ihnen zwei Bereiche nennen: Die eine Intransparenz liegt darin, dass wir nicht wissen, wie sich der ambulante Bereich hinsichtlich seiner Kostenstruktur zum stationären verhält. Wenn Sie das durchdenken, dann müssen Sie zu dem Schluss kommen: Wir brauchen eine Gebührenordnung für Ärzte, damit Ärzte wissen, was sie für das, was sie tun, bekommen. Wir müssen die Preise im ambulanten und im stationären Bereich miteinander vergleichen können. Das heißt in der Endkonsequenz, dass wir die gleiche Finanzierungsform brauchen, sprich: eine monistische Krankenhausfinanzierung. Dafür werden wir im Übrigen nicht ein Jahr brauchen und nicht zwei Jahre, sondern wahrscheinlich 15. ({42}) Nur wenn wir diese Strukturen ändern, können wir vernünftig entscheiden: Machen wir das besser ambulant oder in einem Krankenhaus? Zweiter Punkt. In dem heutigen System der Gesundheitsversorgung weiß ich nicht, wie sich die Einnahmen zu den Ausgaben verhalten. Wenn ich wissen möchte, wer wo wie viel einzahlt und welche Kasse für wen wie viel ausgibt, dann muss ich ganz einfach eine Trennung zwischen den Einnahmen und den Ausgaben vornehmen. Bis dahin ist noch nichts anderes passiert, als diese beiden Sachen auseinander zu halten, sodass ich hinterher feststellen kann, wer mit den Geldern effizient arbeitet und wer das nicht tut. Nichts anderes verfolgt der Gedanke, der hinter einem solchen Fondsmodell steht. Ich finde es schon dramatisch, dass Sie, die Sie genau wissen, dass heute 30 bis 40 Prozent der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Krankenkassen damit beschäftigt sind, Beiträge einzuziehen, schlankweg behaupten, das Ganze würde bürokratischer. Ich sage Ihnen: Wenn wir uns für einen solchen Fonds entscheiden sollten, dann wird nichts bürokratischer und dann wird auch nicht mehr Personal benötigt. Im Gegenteil, zum Schluss werden wir aufpassen müssen, dass wir keine Beschwerden erhalten, weil die Leute etwas anderes tun, als Beiträge einzuziehen. Das ist die Wahrheit. ({43}) Die Art der Debatte bekümmert mich wirklich ein bisschen, um es einmal ganz vorsichtig zu sagen. ({44}) Schließlich schauen die Menschen immer dann, wenn es um die Gesundheit geht, besonders schnell mit Angst und Sorge auf die Diskussion. ({45}) Deshalb haben all jene, die die Thematik verstehen, auch die Pflicht, diese Debatte redlich zu führen; denn es wird keine Strukturveränderungen geben, ohne dass sich etwas ändert. ({46}) Es wird noch eine zweite Wahrheit geben, um die sich auch die Opposition aus meiner Sicht nicht drücken darf. Diese zweite Wahrheit heißt: Auch bei noch mehr Struktureffizienz und noch mehr Transparenz wird dieses System der solidarischen Gesundheitsvorsorge in den nächsten Jahren tendenziell nicht billiger, sondern teurer. Auch das müssen wir den Menschen sagen und wir müssen uns überlegen, auf welche Art und Weise wir diese Probleme lösen. ({47}) Aus diesem Grunde glaube ich, dass es sehr angezeigt ist, zu überlegen, wie wir die solidarischen Systeme - dazu gehört vor allem das Gesundheitssystem - in Zukunft organisieren und wie wir die solidarische Grundlage verbreitern, anstatt sie zu verschmälern. ({48}) Ich füge für mich allerdings hinzu: Das kann nicht die Zerschlagung von funktionierenden wettbewerblichen Systemen in diesem Bereich bedeuten. ({49}) Wir müssen andere Formen der Solidarität finden und vor allen Dingen müssen wir - deshalb ist die Abkopplung von den Arbeitskosten so wichtig - unseren Anteil an den Lohnzusatzkosten unter 40 Prozent halten. ({50}) Genauso wie die Einhaltung des Art. 115 Grundgesetz ist das die Aufgabe dieser Regierung. ({51}) Genau unter dieser Maßgabe diskutiert die Koalition in diesen Tagen und Wochen das Thema Gesundheitsreform. Angesichts der Beschwerlichkeit eines solchen Weges und der Schwierigkeit eines solchen Umbaus ist das übrigens keineswegs zu lang. Noch vor der Sommerpause werden wir unsere Eckwerte dafür vorlegen, sodass zum 1. Januar 2007 eine Gesundheitsreform in Kraft treten kann, die ihre Wirkungen über viele Jahre entfalten wird, weil sie sehr grundsätzliche Neuordnungen enthalten wird. Das sind der Anspruch und die Aufgabe einer großen Koalition. Genau das werden wir auch erreichen. ({52}) Neben den Themen Sanieren und Reformieren werden wir natürlich auch das Thema Investieren miteinander zu bereden haben. Diese Bundesregierung hat sich trotz des Konsolidierungskurses entschieden, weitere Mittel in den Bereichen zu investieren, in denen wir die Zukunft dieses Landes sehen, um die wirtschaftliche Entwicklung zu beleben. ({53}) Dazu gehört, dass man sich die Frage stellt: Wo können wir neue Arbeitsmöglichkeiten in einer sich verändernden Welt schaffen? - Aus diesem Grunde haben wir damit begonnen, die privaten Haushalte als Arbeitgeber zu entwickeln. Noch sind wir damit nicht fertig; aber immerhin haben wir es bereits möglich gemacht, die Absetzbarkeit von Handwerkerrechnungen, von Kinderbetreuungskosten und von haushaltsnahen Dienstleistungen zu verbessern. Auf diesem Weg müssen wir schrittweise vorangehen. Hier handelt es sich nämlich nicht um kleine Schräubchen, mit denen hie und da eine steuerliche Maßnahme verändert wird, sondern hier handelt es sich um ein beschäftigungspolitisches Zukunftsfeld, das wir in den nächsten Jahren und Jahrzehnten systematisch weiterentwickeln müssen, weil es Menschen neue Formen von Arbeit eröffnet, die wir so bisher nicht kannten. ({54}) Wir haben uns entschieden, mit dem CO2-Gebäudesanierungsprogramm einen Schwerpunkt zu setzen. Daneben wollen wir die Bauinvestitionen stärken und dabei mehr für die Infrastruktur investieren. Das halte ich für richtig und wichtig. In einem modernen Industrieland muss Mobilität möglich sein. Anstatt große ideologische Debatten darüber zu führen, ob in die Bahn oder in die Straße investiert wird, sorgen wir dafür, dass man sich auf den verschiedenen Verkehrswegen in Deutschland vernünftig bewegen kann. ({55}) Darüber hinaus investieren wir mit dem Elterngeld in die Zukunft. Herr Brüderle, ich bin über Ihre Reaktion sehr erstaunt; das muss ich einmal sagen. Sie werden sich diese Maßnahme angeschaut haben. Eigentlich müsste es die FDP für einen sehr modernen Weg halten, Beruf und Familie miteinander zu vereinbaren. Natürlich gehört dazu auch die Kinderbetreuung; das ist keine Frage. Dadurch wird vor allen Dingen denen, die eine bessere Qualifizierung haben, die Möglichkeit gegeben, dass die Entscheidung für Kinder von der Gesellschaft anerkannt wird. Das ist deshalb ein Paradigmenwechsel, weil wir Familienpolitik auch, aber nicht mehr nur als Transfer- und Sozialpolitik begreifen; vielmehr als eine gesellschaftspolitische Aufgabe im umfassenden Sinne, die mit Sozial- und Berufspolitik zu tun hat. Mit dieser Neuerung muss man sich wenigstens auseinander setzen. Ich halte das für einen richtigen Schritt. ({56}) Bei all diesen Investitionen haben wir einen wesentlichen Schwerpunkt gesetzt: die Erhöhung der Ausgaben für Forschung und Innovation. Ich bin der festen Überzeugung: Unsere Entscheidung, 3 Prozent des Bruttoinlandprodukts für Forschung ausgeben zu wollen, ist eine Weichenstellung, die auf sehr lange Zeit, und zwar weit über das Jahr 2010 hinaus, ihre Wirkung entfalten wird. Zum ersten Mal hat die Politik die Voraussetzungen in diesem Bereich umfassend erfüllt. Deshalb werden wir die Wirtschaft auffordern, ihrerseits den notwendigen Beitrag zu leisten. Das heißt, dass die Wirtschaft 2 Prozent des Bruttoinlandprodukts für Forschung und Entwicklung ausgeben muss. Wir werden mit der Wirtschaft über die Instrumente zu sprechen haben, wie man das schaffen kann. Wir werden mit der Wirtschaft über die Rahmenbedingungen zu sprechen haben, Stichwort Novelle des Gentechnikgesetzes; das ist vollkommen klar. So wie die Wirtschaft von der Politik mit Recht manches fordert, wird die Politik in dieser Frage deutlich machen, dass ihre Erwartungen an die Wirtschaft in diesem Lande hier ganz klar sind. ({57}) Wer ein modernes und innovationsfreundliches Land fordert, der muss an dieser Stelle handeln. Es ist richtig, dass die Bundesbildungsministerin einen Dialog mit der Wirtschaft darüber führt, wie man zum Beispiel mittelständischen Unternehmen Investitionen in Forschung und Entwicklung erleichtern kann. Hier muss auch die Bereitschaft hinzukommen, etwas zu wagen; denn unser Wohlstand wird in Zukunft davon abhängen - davon bin ich zutiefst überzeugt -, ob wir auf der Welt zu denen gehören, die Produkte nicht nur erfinden, sondern die Produkte auch einsetzen und herstellen, mit denen dann in unserer Gesellschaft Geld verdient wird und Steuern gezahlt werden. Wir werden eine Hightechstrategie für 17 Branchen entwickeln - die Bundesbildungsministerin hat sie bereits vorgestellt -, in denen Deutschland führend sein kann und die wir zu einem Markenzeichen dieses Landes machen wollen. Deshalb liegt hier ein großer Schwerpunkt unserer Aufgaben. Wir werden noch vor der Sommerpause die Föderalismusreform verabschieden. ({58}) Ich weiß, dass über vieles diskutiert wird und durch die Anhörungen Fragen aufgeworfen wurden. ({59}) - Die Föderalismusreform bedeutet eine sehr grundsätzliche Diskussion, die nichts mit Kleinstaaterei zu tun hat, sondern in der wir der Frage nachgehen, wie unser Land am besten organisiert werden kann. ({60}) Dabei wird immer wieder die Auffassung vertreten, dass der Zentralstaat die beste Möglichkeit ist, ein Land zu organisieren. Wir glauben, dass ein Land mit 80 Millionen Einwohnern am besten in der Form organisiert ist, dass es zentrale Verantwortlichkeiten kennt und die Länder in einem Wettbewerbsföderalismus auf Länderebene um die beste Meinung ringen, die an vielen Stellen auch nur aufgrund der bestehenden Unterschiede ausprobiert werden kann. ({61}) Eines der besten Beispiele ist für mich - das sage ich hier frank und frei -, dass es nach meiner Überzeugung in Deutschland heute nicht das Abitur nach zwölf Jahren gäbe, wenn wir in der Bundesrepublik Deutschland ein zentrales Schulsystem hätten. Es war nur deshalb möglich, weil sich Sachsen und Thüringen nach der Wiedervereinigung zu diesem Schritt entscheiden konnten, weil sie anschließend dafür geworben und bei der PISA-Studie gut abgeschnitten haben. Jetzt sind selbst die Bayern der Meinung, dass man das in zwölf Jahren schaffen kann. ({62}) - Damit ich auch den Beifall des Kollegen Ramsauer erheischen kann: Die Bayern haben - im Übrigen zu Recht - darauf hingewiesen, ({63}) dass die Verkürzung der Schulzeit an sich kein Wert ist, wenn damit der Ausbildungsstand verschlechtert wird. ({64}) Nur durch die Kombination der PISA-Studie und dem guten Abschneiden von Sachsen und Thüringen ist der Beweis erbracht worden, dass man auch in zwölf Jahren etwas schaffen kann, das man andernorts - allerdings sehr gut; denn Bayern liegt in der PISA-Studie auf Platz eins - in 13 Jahren schafft. Das war der Ausgangspunkt dafür, dass sich auch Bayern den anderen Ländern angeschlossen hat. Das war nach meiner festen Überzeugung der richtige Weg. ({65}) Deshalb bitte ich, dass, wenn wir nächste Woche über die Föderalismusreform abstimmen, in den ganzen Diskussionen um die vielen Einzelheiten, in denen sicherlich auch richtige und gewichtige Argumente vorgebracht werden, eines nicht untergeht: Wir werden bei einer Vielzahl von Gesetzgebungsvorhaben zu einer deutlich besseren Aufteilung der Verantwortlichkeit von Bund und Ländern kommen. Wir werden - das halte ich für wichtig - aus der Situation herauskommen, dass 60 bis 70 Prozent der Gesetze zustimmungspflichtig sind, was immer wieder dazu führt, dass schließlich in einem für die Bürgerinnen und Bürger sehr intransparenten Vermittlungsverfahren von Bund und Ländern Entscheidungen getroffen werden, bei denen sich letzten Endes jeder vor der Verantwortung drücken kann. Wir vom Bundestag nehmen sehr bewusst die neuen Herausforderungen an. Denn es wird mehr zustimmungsfreie Gesetze geben und wenn diese nicht funktionieren sollten, dann werden wir nicht mehr die Ausrede haben, dass irgendein Land seinen Willen durchsetzen wollte. Wir werden uns vielmehr damit auseinander setzen müssen. Das Ganze wird im Übrigen zu verbesserten Ausschussberatungen im Deutschen Bundestag führen. Ich halte die Föderalismusreform für einen Schritt zur Stärkung der Möglichkeiten des Deutschen Bundestages und zu mehr Transparenz. Genau das ist für die Akzeptanz der Demokratie unter der Maßgabe der Bürgerinnen und Bürger notwendig. ({66}) Sieben Monate große Koalition! Wichtige Projekte sind auf den Weg gebracht oder umgesetzt worden, die der Konsolidierung unserer Finanzen und damit der Zukunftsfähigkeit unseres Landes dienen, damit die jungen Menschen in diesem Lande sagen können: Jawohl, wir bleiben; hier wird auch an unsere Interessen in 20 oder 30 Jahren gedacht. Das ist eine sehr wichtige Botschaft. Wir haben die Weichen in Richtung Forschung und Innovation gestellt. Wir haben Weichen gestellt, die die Möglichkeiten, in Arbeit zu kommen, verbessern. Wir haben Weichen für diejenigen gestellt, die in Deutschland investieren wollen. Wir werden das fortsetzen und die Unternehmensteuerreform wie auch die Erbschaftsteuerreform in einer Art und Weise durchführen, dass die Unternehmen etwas davon haben und ihre Vorhaben praktizieren können. Wir haben zudem die Föderalismusreform und die notwendigen Veränderungen unserer sozialen Sicherungssysteme in Angriff genommen. Alle diese Maßnahmen erfordern eine große Ernsthaftigkeit, weil sie für die Menschen mit Veränderungen verbunden sind und weil wir in einer Zeit leben, in der wir erkennbar weniger zu verteilen haben, als es in früheren Zeiten der Fall war. Es ist immer einfacher, Politik zu machen, wenn man schöne Dinge versprechen kann. Es ist manchmal sehr hart, Politik zu machen, bei der man sagen muss: Dies und jenes können wir uns im Augenblick nicht leisten. Ich glaube aber, dass der Kompass, dass die Grundausrichtung der großen Koalition - dabei gibt es Dinge, die jedem schwer fallen - richtig ist, weil wir uns auf die richtigen Schwerpunkte konzentrieren: Arbeitsplätze zu schaffen, Zukunft zu sichern, die Integration derjenigen, die in unserer Gesellschaft noch nicht ausreichend integriert sind, zu sichern sowie die Zukunft der Energiepolitik zu besprechen und zu manifestieren. Das alles heißt, dicke Bretter zu bohren. In den letzten sieben Monaten haben wir schon einiges geschafft. Aber in den nächsten Monaten haben wir noch viel vor uns. Wir wollen dies in einem Geist tun - das ist jedenfalls mein Wunsch und, soweit es das Kabinett angeht, will ich mich dafür ganz herzlich bedanken -, wohl wissend, dass wir zwar zum Teil aus sehr unterschiedlichen Richtungen kommen, aber eine gemeinsame Verantwortung haben. Diese Verantwortung nehmen wir gerne für die Menschen in unserem Lande wahr, weil wir Vertrauen in sie haben. Herzlichen Dank. ({67})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Dr. Gregor Gysi, Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Frau Bundeskanzlerin, ich habe Ihnen genau zugehört. Ich glaube, wir beide sollten ein Eingeständnis machen. Es gibt eine Gemeinsamkeit zwischen uns: Unser gemeinsamer Leistungsanteil an den Erfolgen der deutschen Fußballnationalmannschaft ist gleich null. ({0}) Wenn das stimmt, sollten Sie nicht versuchen, die Erfolge der Nationalmannschaft für die Regierung zu vereinnahmen. Das bekommt man beim besten Willen nicht hin. Ich hatte erwartet, dass Sie uns in Ihrer Rede erklären, wohin Sie mit Deutschland wollen. Aber ich habe es nicht verstanden, weder außenpolitisch noch innenpolitisch. Ich glaube, das ist die entscheidende Frage. Zur Außenpolitik: Sie haben über den Iran gesprochen und gesagt, Sie strebten eine diplomatische Lösung des Konflikts an. Das wäre tatsächlich sehr wichtig, wenn es denn gelänge. Ich hoffe darauf. Aber ich möchte in diesem Zusammenhang auf ein paar Punkte hinweisen: Erstens. Der Präsident des Iran macht Äußerungen zu Israel und dem Holocaust, die in diesem Hause parteiübergreifend als völlig indiskutabel betrachtet werden. Das steht, glaube ich, fest. Zum Zweiten will er für seinen Staat die friedliche Nutzung der Atomenergie in Anspruch nehmen. Darüber kann man unterschiedlicher Auffassung sein. Aber das Problem ist, dass sie allen Staaten erlaubt ist. Also kann man sie dem Iran nicht verbieten. Das Dritte ist: Es wird unterstellt, er wolle Atomwaffen. Angenommen, es stimmte, dann brächte uns das in einen Konflikt, und zwar unter anderem deshalb, weil die fünf Atommächte noch nicht einmal das Ende des Kalten Krieges genutzt haben, um den Atomwaffensperrvertrag zu erfüllen und schrittweise ihre Atomwaffen abzubauen, ({1}) weil inzwischen auch Israel, Indien und Pakistan Atomwaffen haben und weil Kriege gegen Jugoslawien, den Irak und Afghanistan geführt worden sind, immer gegen Staaten, die keine Massenvernichtungswaffen hatten. Deshalb denken andere, dass sie unangreifbar wären, wenn sie solche Waffen besäßen. Wir müssen aber aus dieser Logik heraus. Dazu müssen zuerst die Atommächte andere Schritte gehen. ({2}) Frau Bundeskanzlerin, ich bitte Sie für die Öffentlichkeit, für die Bevölkerung im eigenen Land um eine Antwort auf folgende Frage: Was machen wir denn nun, wenn George W. Bush wieder durchdreht und Krieg gegen den Iran führt? Erklären Sie hier doch einmal eindeutig und verbindlich, dass Deutschland dann nicht zur Koalition der Willigen gehören und daran teilnehmen wird. ({3}) Wenn Sie, wie ich hoffe, das eines Tages erklären, hätte ich gerne noch Ihre Antwort auf die Frage gewusst, ob wir dann zu 80 Prozent - wie unter Schröder - oder ob wir zu 100 Prozent nicht teilnehmen, was bedeutete, dass auch unsere Geheimdienste nicht mitmachen und dass keine Flughäfen zur Verfügung gestellt werden. ({4}) Sie haben nun George W. Bush zum Wahlkampf nach Stralsund eingeladen. Frau Bundeskanzlerin, ich bitte Sie! Wer George W. Bush für den Wahlkampf in Mecklenburg-Vorpommern braucht, der hat die Wahlen schon verloren. Ich glaube, das geht daneben. ({5}) Lassen Sie mich noch eine andere außenpolitische Frage ansprechen, die mir wichtig ist, weil wir darüber gerade so viel diskutiert haben: die EU-Verfassung. Sie wollen die EU-Verfassung natürlich irgendwie in Kraft treten sehen. Ich verstehe auch, dass die EU eine bessere Struktur braucht. Aber die EU-Verfassung hat eben entscheidende Mängel. Zwei Völker haben durch Volksentscheid mehrheitlich Nein gesagt. ({6}) - Jetzt heißt es, viele andere Länder hätten aber Ja gesagt. In den 16 Ländern, die Ja gesagt haben, ist das in zwei Fällen durch Volksentscheid, im Übrigen nur durch die Parlamente geschehen. ({7}) Sie wissen, dass es leichter ist, eine Mehrheit dafür im Parlament zu bekommen als in der Bevölkerung. ({8}) Das gilt auch für Deutschland. Auch wir hätten hierzu einen Volksentscheid gebraucht. Abgesehen davon möchte ich wissen: Wie sieht denn Ihr Weg aus? Wollen Sie den Willen der beiden Völker umgehen? Wollen Sie ein anderes Annahmeverfahren installieren? Wollen Sie die Verfassung ändern? Wollen Sie sie sozialer gestalten, weniger neoliberal? Wollen Sie sie entmilitarisieren? Wollen Sie vielleicht die Steuern harmonisieren, all das tun, was wir in der Europäischen Union dringend benötigten? ({9}) Damit bin ich bei der Innenpolitik. Sie haben gestern gesagt, Deutschland sei ein Sanierungsfall. Das ist ein mutiges Eingeständnis. ({10}) - Okay, wir sind nicht nur ein Sanierungsfall - ich kenne die Ergebnisse der Nationalmannschaft -, ({11}) aber wir sind auch ein Sanierungsfall. Hinzuzufügen ist aber: Die Regierenden haben aus Deutschland einen Sanierungsfall gemacht, und zwar angefangen bei der vorigen Regierung und fortgesetzt durch die jetzige; das gehört zur Ehrlichkeit dazu. ({12}) Bestimmte Zahlen nennen Sie nicht. Ich will einmal die Steigerung einer Größe von 2004 zu 2005 nennen. Die Gewinne und Einkommen aus Vermögen sind im Vergleich von 2004 zu 2005 um 31 Milliarden Euro gewachsen. Im selben Zeitraum sind die Bruttolöhne und -gehälter der Bevölkerung um 5,7 Milliarden Euro gesunken. Das ist die Wahrheit im Vergleich von 2004 zu 2005. Das sind die Folgen Ihrer Politik. ({13}) - Gerade Ihrer; denn da war Schröder noch Kanzler. ({14}) Was haben die Konzerne für die Steuergeschenke versprochen, Frau Bundeskanzlerin? Sie haben gesagt, wenn die Kosten gesenkt würden, könnten sie Arbeitsplätze schaffen. Dann haben sie Pressekonferenzen gemacht. Auf den Pressekonferenzen haben sie die Politik verhöhnt und gesagt: Das war sehr nett. Schönen Dank. Wir haben tolle Gewinne. Dafür bauen wir Arbeitsplätze ab. - In einem Fall waren es 8 000 und in einem anderen Fall über 10 000 Arbeitsplätze. Ich habe gehofft, Herr Steinbrück, dass Sie sagen: Dann fordern wir von denen wenigstens gerechte Steuern. - Aber Sie machen es genau umgekehrt. Das erklären Sie auch. Sie sagen, wir - das ist eine Kritik, die sich immer an mich und meine Fraktion richtet - hätten nicht begriffen, dass man in Steuerkonkurrenz lebe, und weil man in Steuerkonkurrenz lebe, müsse man sich so verhalten. Sie sagen also: Man muss sich im Hinblick auf diese Steuerkonkurrenz ein- und unterordnen. Selbst wenn das stimmte, muss ich noch eine Frage stellen. Haben die Urväter Wilhelm Liebknecht und August Bebel, als sie die Sozialdemokratie gründeten, wirklich daran gedacht, dass sie nur dafür da ist, sich ein- und unterzuordnen? Die waren noch kapitalismuskritisch und wollten, dass man in dieser Gesellschaft mal etwas angreift, mal etwas verändert. ({15}) Wo sind Ihre Initiativen beim G-8-Gipfel oder auch bei den Treffen der Staats- und Regierungschefs der EU, die darauf abzielen, wenigstens einmal zu diskutieren, ob man nicht eine internationale soziale Marktwirtschaft und eine Steuerharmonisierung hinbekommt? ({16}) Es passiert nicht! Was Sie sagen, stimmt auch gar nicht. Die ganze Konkurrenzsituation, die Sie schildern, ist nicht gegeben. In der Europäischen Union der 25 liegen wir bei den Steuern auf Platz 24. Wir sind die Vorletzten. Nur die Slowakei hat geringere Steuern als Deutschland. Dann sagen Sie immer, die Lohnnebenkosten, die Abgaben seien so hoch; das müsse man bei der Berechnung einbeziehen. Gut, rechne ich das mit ein. Wenn ich Steuern und Abgaben einbeziehe, sind wir in der Europäischen Union auf Platz 16. 15 Länder der Europäischen Union haben höhere Steuern und Abgaben als Deutschland, und zwar an ganz anderen Stellen. ({17}) Deshalb geht es dort auch etwas gerechter zu. Deshalb haben die auch nicht den Sozialabbau, den Sie hier in Deutschland organisieren. Welche Vorschläge machen Sie in dieser Situation? Im letzten Jahr sind die Gewinne bei 20 DAX-Konzernen um mindestens 30 Prozent gestiegen. Welche Vorschläge machen Sie, Herr Steinbrück, lassen sie sich von der SPD-Führung genehmigen? Ihr Vorschlag lautet, die Körperschaftsteuer zu halbieren, nämlich von 25 Prozent auf 12,5 Prozent. Weil Sie immer die Konkurrenzsituation anführen, darf ich Sie daran erinnern: Die USA haben eine Körperschaftsteuer von 35 Prozent, ({18}) Frankreich hat eine von 33 Prozent, Großbritannien von 30 Prozent. Sie schlagen 12,5 Prozent vor. Wenn es hier jemanden gibt, der Steuerkonkurrenz organisiert, Frau Bundeskanzlerin, dann sind das Sie und Herr Steinbrück und nicht die anderen Länder. ({19}) Dann machen Sie noch einen Vorschlag hinsichtlich der Abgeltungssteuer. Die Einkünfte aus Kapital, Aktien und Immobilien unterliegen der Einkommensteuer. Unter Kohl hatten wir einen Spitzensteuersatz von 53 Prozent, jetzt haben wir einen Spitzensteuersatz von 42 Prozent. Nun schlagen Sie eine Abgeltungssteuer von 30 Prozent im ersten Schritt und 25 Prozent im zweiten Schritt vor. Wieder sollen die Vermögenden, die Bestverdienenden deutlich besser gestellt werden. Aber wozu? Was soll dabei herauskommen, außer dass die soDr. Gregor Gysi ziale Ungerechtigkeit in unserem Land grob zunimmt? Einen positiven Effekt können Sie nicht nennen. Konzerne, Bestverdienende und Vermögende haben zwei Dinge in Deutschland nicht zu fürchten: die Union und die SPD. ({20}) Inzwischen gibt es - das muss man sich wirklich einmal überlegen - Reiche, die selbst fordern, höhere Steuern zu bezahlen. Ich bitte Sie, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie: Es gibt Reiche, die inzwischen linker sind als die Sozialdemokratie! So weit haben Sie es gebracht. ({21}) Die Union will an die Konzerne und die Reichen nicht heran. Das entspricht ihrer politischen Ausrichtung; das kann ich verstehen. Aber Ihnen von der SPD fehlt jeder Mut diesbezüglich. Darüber sollten Sie nachdenken. Deshalb haben wir keine gerechte Vermögensteuer, keine gerechte Veräußerungserlössteuer, keine gerechte Körperschaftsteuer, keine internationale Börsensteuer, nichts von dem, was wir benötigten, um Sozialabbau zu verhindern und mehr Gerechtigkeit in diesem Lande zu finanzieren. Wer soll das Ihrer Meinung nach alles bezahlen? Sie wollen das über die Mehrwertsteuer finanzieren. Frau Bundeskanzlerin, eines muss ich Ihnen lassen: Sie haben die Erhöhung im Wahlkampf immerhin ehrlich angekündigt, auch wenn es Ihnen nicht viel gebracht hat ({22}) und Sie nur von 2 Prozent gesprochen haben, es aber nun 3 Prozent geworden sind. Ich kann mich noch sehr gut an den Wahlkampf 1990 erinnern, meine Damen und Herren von der SPD. Ich weiß noch, dass Herr Kohl damals sagte, es werde im Osten keine Massenarbeitslosigkeit geben und die Einheit koste kein Geld; es gebe keine Steuererhöhungen. Ebenso kann ich mich erinnern, dass Sie damals einen Spitzenkandidaten namens Oskar Lafontaine hatten, der sagte: Erstens wird es Massenarbeitslosigkeit geben und zweitens wird es zu Steuererhöhungen kommen. ({23}) Ich sage aus Bescheidenheit nicht, dass auch andere das ausgesprochen haben; er jedenfalls hat es gesagt. ({24}) Sie wissen, wie die Wahlen ausgegangen sind. Danach kamen Massenarbeitslosigkeit und der Solidaritätszuschlag, also eine Steuererhöhung. Was haben Sie - nur darum geht es mir - damals gesagt? Sie haben gesagt, das sei erstens eine Steuerlüge und zweitens Wahlbetrug. Jetzt schalten wir einmal um auf das Jahr 2005. Ich bin aus ökonomischen und sozialen Gründen strikt gegen die Mehrwertsteuererhöhung. Frau Merkel hat sie immerhin angekündigt. Sie jedoch haben sich auf Plakaten gegen die Erhöhung ausgesprochen. Dadurch haben wir Veränderungen bei den Umfrageergebnissen erlebt. Als nämlich Herr Schröder vorzeitige Neuwahlen ankündigte, lag die Union noch knapp bei der absoluten Mehrheit. Das war schon erschreckend. Ihre Umfragewerte hingegen lagen im Keller; daran kann ich mich erinnern. Gerade wegen der Auseinandersetzung bezüglich der Mehrwertsteuererhöhung sackten die Werte der Union immer weiter ab und Ihre stiegen immer höher. Unmittelbar nach der Wahl haben Sie dann gesagt: Alles Geschwätz von gestern; wir wollen nicht 2 Prozent, sondern 3 Prozent Mehrwertsteuererhöhung. ({25}) Jetzt frage ich Sie einmal: Hätten Sie 2005 Plakate gegen Frau Merkel geklebt, auf denen gestanden hätte: „Nicht 2 Prozent, sondern 3 Prozent Mehrwertsteuererhöhung“, was glauben Sie, wie viele von Ihnen hier jetzt nicht säßen, weil Ihr Wahlergebnis viel schlechter gewesen wäre? ({26}) Was allerdings nicht schön wäre: Es säßen dann mehr von der Union hier. Es geht mir um dieses Thema, weil das ein Vorgang ist, der alle Politikerinnen und Politiker beschädigt. Denn letztlich, ob Sie das wollen oder nicht, sagen die Leute: Die sind doch alle gleich; erst versprechen sie das eine und dann machen sie das andere. - Dann unterscheiden die Leute nicht mehr zwischen uns. ({27}) - Nein, leider. Aber es hat auch seinen Vorteil: Wir können uns dadurch ganz gut unterscheiden. Die Mehrwertsteuererhöhung ist ökonomisch und sozial falsch. Wir haben dadurch natürlich etwas höhere Einnahmen. Aber wen treffen Sie mit dieser Erhöhung, Frau Kanzlerin? Nicht sich selbst, nicht mich; wir können das verkraften. Aber denken Sie einmal an die Arbeitslosen, an die Rentnerinnen und Rentner, an die Geringverdienenden. Sie alle müssen diese 3 Prozent mehr zahlen und es gibt nicht eine einzige Ausgleichsleistung für sie. Damit schwächen Sie die Kaufkraft. Das hat in ganz Deutschland erhebliche negative ökonomische Folgen. Bei Unternehmen, die schon jetzt an der Grenze sind, ist die Insolvenz absehbar. Dann gibt es wieder mehr Arbeitslose und Herr Steinbrück wird erneut vorschlagen, die Unternehmensteuern zu senken und die Leistungen für Arbeitslose zu kürzen. Genau diesen Weg können wir nicht mehr gehen. ({28}) Seit dem Jahr 2000 hatten wir in Deutschland - auch das muss man einmal bei all dem Steuerkonkurrenzgerede sagen - einen Exportboom. Wir sind Exportweltmeister. Das sind wir nicht deswegen, weil hier alles so teuer ist, dass man überhaupt keine Produkte mehr herstellen und verkaufen kann. Wir verkaufen weltweit prozentual mehr als alle anderen Länder; das muss man einfach sehen. Dadurch sind in Deutschland 1 Million Arbeitsplätze entstanden. Durch die Schwäche der Binnenkonjunktur, durch die Schwäche des Binnenmarktes, sind 1,3 Millionen Arbeitsplätze verloren gegangen, sodass wir ein zusätzliches Minus von 300 000 Arbeitsplätzen haben. Das ist die Wahrheit. Warum sind wir in der Lage, uns beim Export erfolgreich ökonomisch zu entwickeln, und lassen bei der Binnenwirtschaft derart nach? Die Antwort ist ganz einfach: weil Sozialabbau herrscht, weil die Kaufkraft der Bevölkerung abnimmt ({29}) und weil Sie die Bevölkerung täglich neu verunsichern, sodass sie sich gar nicht mehr traut, einzukaufen, und wenn doch, dann nur noch in diesem Jahr, weil sie glaubt, es sich nächstes Jahr überhaupt nicht mehr leisten zu können. ({30}) Was tun Sie noch? Neben der Mehrwertsteuererhöhung wollen Sie die Pendlerpauschale einschränken. Was heißt denn das? Sie fordern einen flexiblen Arbeitsmarkt und sagen, man müsse heute bereit sein, auch einmal 100 Kilometer weit zu fahren, um zu seinem Arbeitsplatz zu kommen. Gleichzeitig kürzen Sie die Leistungen dafür und machen es Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern immer schwerer, darauf einzugehen. Sie kürzen den Sparerfreibetrag. Das stört doch nicht Vermögende. Dieser Freibetrag ist für die Kleinsparer, die bisher davon profitiert haben, gedacht. Viele fallen dann nicht mehr unter diesen Freibetrag und müssen Steuern zahlen. Das ist wieder eine Maßnahme zulasten der sozial Schwachen. Was machen Sie bei Hartz IV? Jeden Tag kommt ein neuer Vorschlag dazu, wo man etwas kürzen kann. Jeden Tag kommt ein neuer Vorschlag dazu, wie man die Betroffenen drangsalieren kann. Was ist eigentlich eine zumutbare Arbeit? Soll ein Ingenieur verpflichtet werden können, Schuhputzer zu werden? Ist das für Sie zumutbar? ({31}) Ist das die Zukunft unserer Gesellschaft? Darf ich einmal etwas fragen: Wir haben kaum offene Stellen. Wohin wollen Sie die Leute vermitteln? Sie drangsalieren in der Hoffnung, dass weniger Anträge auf Bezug von Arbeitslosengeld gestellt werden, um auf diese Art und Weise Geld zu sparen. Das ist nicht in Ordnung. ({32}) Eine dreiste sozialdemokratische Sozialkürzung war dies: 36 Monate lang gab es das Arbeitslosengeld I. Diese Bezugsdauer haben Sie auf zwölf Monate, um zwei Drittel, gekürzt. Einen solchen Sozialabbau hatte es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland bis dahin nicht gegeben; das haben Sie zusammen mit den Grünen verabredet. Das ist die Wahrheit. ({33}) Jetzt sagt Herr Rüttgers - Sie lassen sich aber auch vorführen! -, dies gehe zu weit. Wer sehr lange Beiträge gezahlt habe, müsse länger Arbeitslosengeld I bekommen. Jetzt überholt die CDU Sie sozialdemokratisch. Sie sollten wirklich anfangen, nachzudenken. ({34}) Was macht - lassen Sie mich das noch sagen - Ihr Vorsitzender, Herr Beck? Herr Beck sagt: Die Arbeitslosen sollten nicht immer alle Leistungen in Anspruch nehmen. ({35}) Man sollte nicht immer all das, was einem nach dem Gesetz zusteht, annehmen. Er mahnte etwas Bescheidenheit an. Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Wir alle sollten so etwas nicht sagen. Man sollte von anderen Leuten nie verlangen, was wir auch von uns nicht verlangen. Weder hat Herr Beck bisher an das zuständige Ministerium geschrieben und darum gebeten, ihm weniger als sein gesetzliches Gehalt auszuzahlen, ({36}) noch haben wir deshalb an Herrn Lammert geschrieben. Das werden wir auch nicht tun. Solange wir das aber nicht machen, sollten wir keinem Arbeitslosen sagen, er solle nicht all das in Anspruch nehmen, was ihm zusteht. Natürlich tut er das und das ist auch sein Recht. ({37}) Frau Kanzlerin, Sie haben zu Recht über die fehlenden Ausbildungsplätze gesprochen. Es fehlen 50 000. Aber es fällt Ihnen nichts anderes ein, als das zu tun, was Helmut Kohl getan hat. Helmut Kohl hat jedes Jahr einen Brief an die Unternehmen geschrieben. Dieser war immer ähnlich wirkungslos. Er hat nichts gebracht. Hinterher gab es Tausende Jugendliche ohne Perspektive. Wenn Sie einem Jugendlichen keine Ausbildungschance geben, was soll dann aus ihm werden? Es mag sein, dass Ausbildung teuer ist. Aber Jugendgefängnisse sind viel teurer. Ich verstehe nicht, mit welchem Recht meine Generation meint, der nächsten Generation das Recht auf Ausbildung teilweise absprechen zu können. ({38}) Ich muss Ihnen sagen: Diese Bittbriefe an die Unternehmen helfen gar nichts. Entweder muss der Staat dann ausbilden - das ist nicht das Ideale, das weiß ich; aber es wäre immerhin eine Ausbildung - oder wir müssen endlich die Ausbildungsplatzabgabe wirklich einführen. Sie haben es in diesem Zusammenhang zwar zu einem Gesetz gebracht, es aber nicht in Kraft gesetzt. Auch das ist typisch sozialdemokratisch. Eine solche Ausbildungsplatzabgabe wäre eine Lösung. Ich weiß, die FDP ist strikt dagegen. Sie ist immer für die Freiheit der Ausbeutung. Das geht uns zu weit; wenn ich das einmal so sagen darf. ({39}) Deshalb meine ich, dass wir hier einen anderen Ansatz brauchen. Zum Elterngeld. Am Elterngeld gefällt mir natürlich, dass man den Bezug um zwei Monate verlängern kann, wenn auch der andere Sorgeberechtigte - in der Regel ist dies ja wohl der Mann - zwei Monate lang zugreifen muss. Das gefällt mir. Die Nörgelei in der Union, die es dazu gibt, werden Sie schon durchstehen. Aber was mich wirklich umhaut: Eine solche verordnete Umverteilung von unten nach oben habe ich in dieser Direktheit noch nie erlebt. Ich will zwei Beispiele nennen. Das erste Beispiel: Alle haben einen Anspruch auf einen Bezug dieser Leistungen bis zu 14 Monaten, aber ALG-II-Empfänger haben nur einen Anspruch auf zwölf Monate. Das können Sie nicht erklären. Wieso bekommen sie die Leistungen zwei Monate weniger? Das zweite Beispiel: Sie bekamen bisher Erziehungsgeld, und zwar zwei Jahre lang monatlich 300 Euro. Jetzt sagen Sie: Es gibt die monatlichen 300 Euro nur ein Jahr lang. Das heißt, die Leistung wird nur für die Hälfte der Zeit gewährt. Ferner sagen Sie: Besserverdienende bekommen monatlich bis zu 1 800 Euro. - Es ist doch nicht hinnehmbar, dass Sie Arbeitslosen nur noch die Hälfte geben und den Besserverdienenden dagegen ein Elterngeld in Höhe von bis zu 1 800 Euro zugestehen. Das ist nicht nachvollziehbar. Das ist eine reine Umverteilung. ({40}) Wenn wir die Steuer- und Abgabenquote Frankreichs hätten, hätten wir im Jahr 200 Milliarden Euro Mehreinnahmen und brauchten alle diese sozialen Kürzungen nicht. Wenn wir nur den Durchschnitt der Steuerund Abgabenquote in der EU hätten, wären unsere Einnahmen aufgrund von Steuern und Abgaben um 6 Prozent höher; das entspräche 130 Milliarden Euro. All diese Zahlen stammen aus der OECD-Statistik. Ich finde es gut, wenn immer wieder darauf hingewiesen wird, wie die Realitäten in anderen Ländern aussehen. Sie haben auch noch die tolle Idee, die Einrichtungen der öffentlichen Daseinsvorsorge zu privatisieren. Ich warte die Ergebnisse Ihrer Gesundheitsreform ab; ich will mich vorher nicht festlegen. Das Einzige, was ich bis jetzt verstanden habe, ist: Sie wollen eine neue große Bürokratie schaffen. ({41}) Was sie bringen soll, ist mir völlig schleierhaft. Aber, wie gesagt, ich warte die Vorschläge ab. - Nur noch Folgendes: Ich habe heute gelesen, sogar die Besserverdienenden sollen mehr bezahlen. Ich bin sehr gespannt, was dabei herauskommt. ({42}) Hat die Privatisierung der Einrichtungen der öffentlichen Daseinsvorsorge bewirkt, dass es billiger geworden ist, wie es immer angekündigt worden ist? Es wurde gesagt, private Konzerne seien effektiv, es sei wunderbar für die Kundinnen und Kunden. Nichts davon ist eingetreten. Es gibt höhere Kosten für die Betroffenen, den Abbau von Personal und im Falle von Wohnungsgesellschaften auch noch höhere Mieten. Nehmen wir die Energieversorgung. Vier Stromkonzerne haben wir in Deutschland; es ist ja fast alles privatisiert worden. Am Anfang sank der Strompreis etwas - das stimmt -, aber nur am Anfang. Inzwischen ist er ins Gigantische gestiegen. Die Stromkonzerne machen riesige Gewinne und fordern, dass das von den Bürgerinnen und Bürgern und auch von der Wirtschaft bezahlt werden soll. Es ist dabei also nichts von dem herausgekommen, was Sie versprochen haben. Lassen Sie mich einen Satz zum Föderalismus sagen. Frau Bundeskanzlerin, Sie haben darüber länger gesprochen. Sie haben in diesem Zusammenhang auch Bildung und Wettbewerb genannt. Ich bitte Sie, mir die Logik des Ganzen zu erklären. Die Union tritt dafür ein, dass der Arbeitsmarkt flexibler wird. Das heißt, Sie sagen Eltern mit zwei schulpflichtigen Kindern: Wenn ihr einen Arbeitsplatz wollt, müsst ihr auch bereit sein, das Bundesland zu wechseln. Das sei heute nun einmal so. Ich will jetzt einmal davon absehen, dass Ihre gesamte Ideologie in Bezug auf Kirchenchor und Schützenverein, denen man vielleicht sogar 40 Jahre lang angehören sollte, angesichts eines so flexiblen Arbeitsmarkts nicht mehr aufgeht; das geht alles ein bisschen durcheinander. Aber das macht ja nichts; das ist Ihr Problem. ({43}) Ich will auf etwas ganz anderes hinaus: Die Eltern können das alles doch nicht mehr verantworten. Wenn Eltern mit schulpflichtigen Kindern heute zweimal das Bundesland wechseln müssen, verhalten sie sich gegenüber ihren Kindern unverantwortlich und verschlechtern deren Bildungschancen. Es ist keine Strukturfrage, sondern eine Frage der Chancengleichheit für unsere Kinder, dass wir einheitliche Qualitätsstandards für die Bildung in ganz Deutschland einführen. ({44}) Das Abitur in Bayern und das in Mecklenburg-Vorpommern müssen gleich viel wert werden. Dafür haben wir zu sorgen, und auch dafür, dass der Abschluss nach der zehnten Klasse und die Berufsausbildung gleichwertig werden. Ich verstehe Ihre Haltung nicht. Es ist eine einfache Frage der Logik. Da muss man nicht links oder rechts oder sonst etwas sein, sondern einfach nur vernünftig und schon könnte man das anders regeln. Dann würden Sie auch die Bevölkerung für das Prinzip des Föderalis3548 mus begeistern können. Diese Strukturhackerei, die Verfahrensweise, dass die reichen Bundesländer meinen, sie könnten die Bedingungen für die armen diktieren, wird niemandem einleuchten, und das zu Recht. Lassen Sie mich zum Schluss noch etwas zur deutschen Einheit sagen. Wir haben jetzt den Abschluss zwischen den zuständigen Landesministern und dem Marburger Bund für die Klinikärzte erlebt. Ich sage Ihnen: Das ist einfach eine Unverschämtheit; es ist wirklich eine Unverschämtheit. ({45}) Sie stellen sich im Jahre 16 der deutschen Einheit hin und sagen: Im ersten und im zweiten Jahr erhält eine Klinikärztin oder ein Klinikarzt in den neuen Bundesländern mit Sicherheit 400 Euro weniger als eine Klinikärztin oder ein Klinikarzt in den alten Bundesländern. Das ist arrogant. Es ist demütigend. Es ist ökonomisch falsch und sozial grob ungerecht. Das ist durch nichts mehr zu verteidigen - wirklich nicht. ({46}) Nun wollen wir einmal sehen, wie es dort weitergeht. Aber ich weiß natürlich, wer da sitzt. Ich weiß, welche Landesminister und wer da vom Marburger Bund sitzt. Diese Arroganz müssen wir überwinden. Wir brauchen nicht eine Einheit, wir brauchen eine Vereinigung. Das heißt, wir müssen aufeinander zugehen. ({47}) Frau Bundeskanzlerin, Sie kommen aus Ostdeutschland; deshalb interessiert mich sehr, ob Sie diesbezüglich etwas leisten werden, ob Sie wenigstens einen Fahrplan aufstellen. Sind Sie dafür, dass man für die gleiche Arbeit den gleichen Lohn erhält? Sind Sie dafür, dass man für die gleiche Lebensleistung die gleiche Rente erhält? Ich weiß, Sie können das nicht zum 1. Januar 2007 einführen; das verlange ich auch nicht. Aber es wäre doch nicht falsch, wenn Sie Auskunft gäben und sagten: Das ist unser Fahrplan. In diesen Schritten wollen wir das erreichen. - Wir haben diesbezüglich noch nichts von Ihnen gehört. Ich will wissen, ob Sie die Angleichung wollen oder ob sie bei dieser Bundesregierung abgeschrieben ist. ({48}) Wenn wir die Arbeitslosigkeit senken wollen, brauchen wir einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor wie in Mecklenburg-Vorpommern. 600 Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter arbeiten dort nachmittags an den Schulen, machen Förderunterricht und vieles andere. Sie erzielen Einnahmen. Diese Einnahmen reichen aber nicht aus, um sie zu bezahlen. Also zahlt das Land etwas dazu. Dadurch spart der Bund Arbeitslosengeld. Glauben Sie, wir bekommen solch eine kleine Strukturfrage geregelt? Man könnte etwa sagen: Von dem gesparten Geld geht die Hälfte an Mecklenburg-Vorpommern, dann könnte es den öffentlich geförderten Beschäftigungssektor erweitern. So könnte man das in jedem Land machen. Hier sind also Verbesserungen möglich. Wir brauchen keine Arbeitszeitverlängerung, sondern Arbeitszeitverkürzung. ({49}) Wir brauchen gerechte Steuern - ich hatte darüber gesprochen - und Investitionen in Bildung, Kultur, Wissenschaft, Forschung und Infrastruktur. Liebe Frau Bundeskanzlerin, die Situation der Ostdeutschen, der Arbeitslosen in ganz Deutschland, der gering und durchschnittlich verdienenden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, der Kranken und der Rentnerinnen und Rentner verlangt unser Nein zu Ihrem Etat. Danke. ({50})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Olaf Scholz, SPDFraktion. ({0})

Olaf Scholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003231, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Uff“ möchte man sagen, wenn Herr Gysi gesprochen hat. Er ist alles losgeworden, was er einmal sagen wollte, auch wenn nicht alles einen großen Zusammenhang hatte. ({0}) Wenn man zugehört hat, was links außen und rechts außen im Parlament gesprochen wurde - so ist jedenfalls die Sitzordnung von FDP und Linken -, dann hat man das Gefühl: Das sind zwei Gegensätze, die sich hier miteinander unterhalten wollen. Die einen sagen: Das Übel, das wir in unserer Gesellschaft haben, ist der Staat. Die anderen sagen: Der Staat löst alle unsere Probleme, dann kommt Manna vom Himmel und wir müssen keine Politik mehr machen. - Das ist keine sinnvolle Politik, das ist nicht maßvoll. Ich glaube, dass man sich mehr Mühe geben muss, wenn man das Land regieren will, als solche Sprüche abzulassen. ({1}) Ich glaube auch, dass sich die FDP, die eine große Tradition als Regierungspartei in unserem Land hat, ({2}) überlegen muss, ob sie sich in diesem Gegensatz und mit dieser extremen Positionierung in Fragen der Sozialpolitik richtig verortet. Sie wäre gut beraten, das zu ändern. Es ist von Herrn Brüderle und auch in vielen anderen Reden schon gesagt worden: Da gibt es Kontinuität. Es gab sieben Jahre lang die Regierung Schröder/Fischer. Wenn man schaut, was jetzt passiert, dann stellt man fest, dass vieles bei dem ansetzt, was schon vorher stattOlaf Scholz gefunden hat. Ich frage mich immer, warum ich mich darüber ärgern soll. ({3}) Ich fand, die sieben Jahre der rot-grünen Regierung waren nicht so schlecht, meine Damen und Herren. ({4}) Deshalb: Reden Sie nur weiter so! Das macht noch einmal deutlich, dass das, was wir heute tun, was wir heute fortsetzen, was wir heute weiterentwickeln, an eine der mutigsten Reformpolitiken der letzten Jahrzehnte anknüpft, die in der siebenjährigen Regierungszeit der vorherigen Regierung angefangen hat. Es ist richtig, dass wir da weitermachen und nicht aufhören oder eine Kehrtwende beginnen. ({5}) Zum Antidiskriminierungsgesetz. ({6}) Herr Brüderle hat darüber gesprochen, Herr Westerwelle wird sicherlich auch noch darüber sprechen. ({7}) - Das heißt jetzt Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz; das ist übrigens ein wirklicher Fortschritt. ({8}) - Ja, das klingt besser. Ich stelle mir immer vor - es war schon einmal so -, die FDP würde mit den Sozialdemokraten regieren. Dann müssten Sie von der FDP das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, so wie es dem Deutschen Bundestag vorliegt, hier begründen. ({9}) Ich frage mich immer, was Herr Brüderle dann sagen würde. Er würde wohl sagen: Das muss so gemacht werden; denn es gibt europäische Richtlinien. Wir haben gar keine große Wahl, wir müssen es so tun. - Herr Westerwelle würde wohl sagen: Das ist richtig so; denn wenn wir schon von der EU gezwungen werden, vorzuschreiben, dass Ausländer und Frauen im allgemeinen Zivilleben nicht diskriminiert werden dürfen, dann lässt sich nicht gut erklären, warum wir nicht auch alten Menschen, Behinderten oder Homosexuellen den gleichen Schutz gewähren sollen. Das ist der Grund dafür, dass wir dieses Gesetz so beschließen wollen. ({10})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Westerwelle?

Olaf Scholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003231, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, Sie haben gesagt, wir sollten uns einmal vorstellen, wir würden zusammen regieren. Als die erste Variante, das Antidiskriminierungsgesetz, in der letzten Legislaturperiode beschlossen worden ist, regierten SPD und FDP zusammen, und zwar im Land Rheinland-Pfalz. Ist Ihnen bekannt, dass es seinerzeit aus Rheinland-Pfalz - mit dem Ministerpräsidenten und jetzigen SPD-Vorsitzenden Kurt Beck - nicht nur verbalen Widerstand gegen das Prinzip „Toleranz durch Bürokratie“ gab? ({0})

Olaf Scholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003231, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Es ist mir nicht bekannt, dass Kurt Beck den Ausdruck „Toleranz durch Bürokratie“ verwandt hat; dafür ist er viel zu intelligent. ({0}) Es ist mir aber sehr wohl bekannt, dass zum Beispiel der rheinland-pfälzische Ministerpräsident und der frühere nordrhein-westfälische Ministerpräsident, der jetzt Finanzminister dieser Republik ist - ich habe damals öfter mit ihm darüber diskutiert -, dafür gesorgt haben, dass der erste Gesetzentwurf, über den wir geredet haben, so gut geworden ist, dass wir jetzt auf dieser qualitätsvollen Arbeit aufbauen können. ({1}) Herr Westerwelle, ich möchte mein Gedankenspiel noch ergänzen. Wären Sie in der Regierung, müssten Sie den Gesetzentwurf hier rechtfertigen. Das ist eine Perspektive, die sich eine Partei wie die Ihre gelegentlich erlauben sollte. Sie sollten darüber nachdenken: Ginge das, was ich in der Opposition sage, auf, wenn ich in der Regierung wäre? Könnte ich irgendetwas von dem, was ich hier erzähle, wahr machen? Oder gibt es Umstände, Zwänge, gesetzliche Regelungen, die es mir gar nicht ermöglichten, die großen Reden fortzuführen, die ich vorher gehalten habe? Ich bin ganz sicher, dass sich unsere Freunde von der Union zwar ärgern, dass sie Ihnen nicht die Rede halten können, die Herr Brüderle der Union hält, sich aber mehr darüber freuen, dass sie in der Regierung sind und Gestaltungsmacht haben, anstatt hier Reden ohne Wirkung zu halten. ({2}) Seitdem sich die neue Regierung gebildet hat, ist eine ganze Reihe von Reformen auf den Weg gebracht worden, die mit großen Schritten vorangebracht werden. Es ist merkwürdig, was wir jetzt erleben: Der eine schreibt auf Seite 3 der Zeitung, nichts geschehe; der andere schreibt auf Seite 2, alle seien nervös, weil jetzt so große Dinge passierten. Die Wahrheit ist: Beides zugleich kann nicht richtig sein, schon gar nicht, wenn beides in einem Leitartikel steht. Es kommt aber vor, dass beides behauptet wird. Deshalb möchte ich ein paar Punkte nennen, bei denen wir große Fortschritte machen und die eine Rolle bei dem, was wir in dieser Koalition in der nächsten Zeit voranbringen wollen, spielen. Wir sorgen dafür, dass der föderale Staatsaufbau vernünftig organisiert wird. Wir brauchen eine Föderalismusreform. Franz Müntefering und Edmund Stoiber haben eine große Rolle dabei gespielt, die Dinge zur Zeit der rot-grünen Koalition voranzubringen. ({3}) Wir werden die Reform jetzt realisieren; wir wollen vor der Sommerpause fertig sein. Der Gesetzentwurf, der hier zur Beratung steht, ist so gut, dass er dafür sorgen würde, dass viel weniger Gesetze im Bundesrat zustimmungspflichtig wären, als es in der Vergangenheit der Fall war. Das zu erreichen, haben wir den Bürgerinnen und Bürgern versprochen. ({4}) Wir haben ihnen auch versprochen, dass wir uns nicht nur mit uns selbst beschäftigen und wir es uns sparen wollen, darüber zu diskutieren, wer wann nachts um vier im Vermittlungsausschuss was gemacht hat. Wir wollen mit der Föderalismusreform dafür sorgen, dass die Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit haben, zu entscheiden: Der Struck hat es gut gemacht, der Westerwelle hat es schlecht gemacht; das berücksichtige ich jetzt bei meinen Wahlentscheidungen. Das ist nicht möglich, wenn die Verantwortung nicht zugeordnet werden kann. Es tut dem Föderalismus gut, wenn die Verantwortung des Bundes und die Verantwortung der Länder auseinander gehalten werden können. Wir sind für einen föderalen Staat; wir wollen ihn stärken und nicht schwächen. ({5}) Natürlich muss es Verbesserungen geben. Es ist eine große Sache, dass es uns gelungen ist, eine Verfassungsbesonderheit zustande gebracht zu haben, nämlich eine gemeinsame Anhörung von Bundestag und Bundesrat im Wesentlichen in diesem Saal. Wir alle wissen: Es muss etwas geändert werden. Das ist für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ganz klar. Wir wollen diese Reform, aber wir wollen noch Veränderungen, die es in der nächsten Woche geben wird. Das wird für jeden sichtbar sein. ({6}) Wichtig ist - das wurde schon gesagt -, dass es im Bereich von Wissenschaft und Forschung möglich sein muss, zusammenzuarbeiten. Die Bewältigung des großen Studierendenbergs und der notwendige massive Ausbau in Bezug auf unsere Forschungseinrichtungen und Universitäten dürfen nicht behindert werden, weil wir im Zuge der Verfassungsreform etwa nicht aufgepasst haben. Wir werden aufpassen. Das wird uns gelingen; ich bin da ganz optimistisch. Eine der wichtigen Aufgaben, die wir haben und die angesichts der jetzigen Regierungskonstellation vielleicht etwas Besonderes ist, ist es, dafür zu sorgen, dass das Vertrauen der Menschen in die sozialen Sicherungssysteme wieder hergestellt wird, so wie es vor vielen Jahren, vor Jahrzehnten, war. Das Vertrauen ist in die Krise geraten, weil Einnahmen und Ausgaben nicht mehr ohne weiteres zusammenpassen, weil die wirtschaftliche und die demografische Entwicklung, die Zusammensetzung unserer Bevölkerung, Spuren hinterlassen hat. Die Sozialversicherung, insbesondere die Rentenund die Krankenversicherung, ist zutiefst mit der Geschichte unseres Landes verbunden. Sie ist keine Erfindung der letzten Jahre, sondern ist weit über 100 Jahre alt; sie stammt noch aus dem vorletzten Jahrhundert. Deshalb gehört eine gute sozialstaatliche Struktur mit dem System der sozialen Sicherung zur Identität, zum Selbstverständnis der Deutschen. Die Sozialversicherung gehört auch zur Traditionsgeschichte der beiden Koalitionsparteien; denn der Grundstein dafür wurde im vorletzten Jahrhundert von einem Vorfahren eines jetzigen Bundestagsabgeordneten - ich grüße Carl-Eduard von Bismarck - gelegt, indem er entschieden hat, zwei Dinge zu tun: erstens die Sozialdemokraten ins Gefängnis zu werfen und zweitens dafür zu sorgen, dass eine Sozialversicherung aufgebaut wird, damit die Leute nicht auf falsche Gedanken kommen. Das war der Beginn der Sozialversicherung. Es gehört auch zur deutschen Geschichte, dass Konservative und Sozialdemokraten den Sozialstaat weiterentwickelt haben. Deshalb wäre es eine große Sache, wenn wir es im Bereich Rente und Gesundheit fertig bringen würden, einen Konsens zu erzielen, der 10, 20 oder 30 Jahre Bestand hat, und den Menschen damit sagen, dass sie sich auf die Sozialversicherung in Deutschland verlassen können. ({7}) Bei der Rente sind wir aufgrund der Reformen der letzten Jahre schon sehr weit. Was noch geschehen muss, wird auch geschehen. Irgendwann kann man dann nach vielen Jahren der Propaganda, in denen gesagt wurde, das Rentenversicherungssystem habe keine Zukunft, nicht nur sagen: „Die Rechnung, dass sich Einnahmen und Ausgaben ausgleichen, geht auf“, sondern auch darauf hoffen, dass die Menschen wieder an die Rentenversicherung glauben, weil sie wissen, dass sie in die Zukunft investieren. Ich glaube, das ist ganz wichtig. Die meisten Menschen sind nicht so reich, dass sie sich alle vier Jahre einen Systemwechsel bei der Kranken- und der Rentenversicherung leisten könnten. Die meisten Menschen werden nervös, wenn alle vier Jahre alles zur Disposition steht. Sie sind darauf angewiesen, dass wir, die Abgeordneten in diesem Haus und die Bundesregierung, dafür sorgen, dass der Sozialstaat funktioniert. Das ist die Aufgabe, der wir nachkommen müssen. Als Nächstes liegt die Reform der Krankenversicherung an. Dazu ist schon einiges gesagt worden. Ich glaube, dass wir es hinbekommen, eine Reform der Krankenversicherung auf solidarischer Basis zustande zu bringen. Das ist notwendig; denn die Menschen verlangen von uns, dass wir Solidarität herstellen. Solidarität ist gut für diejenigen, die wenig verdienen und die sich ohne solidarische Strukturen etwa in der Krankenversicherung einen vollwertigen Versicherungsschutz nicht leisten könnten. Darum brauchen wir Solidarität insbesondere für die Menschen, die wenig verdienen. ({8}) Wir brauchen Solidarität für die Unternehmer, die diese Menschen beschäftigen wollen. Wir sprechen hier über Lohnnebenkosten und über Kosten der Arbeit. Solidarität bedeutet in diesem Zusammenhang Entlastung der Unternehmer; denn davon profitieren gerade Menschen mit geringer Qualifikation und geringem Einkommen. Die Unternehmer dürfen in einem solidarischen System nicht überproportional hohe Beiträge zur Krankenversicherung dieser Arbeitnehmer leisten müssen. Deshalb ist es richtig, dass wir das Krankenversicherungssystem unter Beachtung des Solidaritätsprinzips in Ordnung bringen. Sie wissen, dass darüber diskutiert wird. Über Modelle kann man allerdings erst dann diskutieren, wenn sie endgültig da sind. Eines kann man aber als Sozialdemokrat schon jetzt sagen: Ein Beitrag zur Solidarität wird sein müssen, dass wir dafür sorgen, dass man sich von der Sozialversicherung nicht verabschieden kann. Es darf nicht sein, dass man sich, wie es bei Steueroasen der Fall ist - Beispiel Cayman Islands -, der Solidarität entzieht. Das haben wir allerdings mit dem Nebeneinander von privater und gesetzlicher Krankenversicherung, so wie es heute organisiert ist. Wir brauchen vielmehr ein Miteinander. Es gibt viele Wege, wie man das machen kann. Darüber reden und streiten wir. Ich bin sicher, dass wir einen vernünftigen Weg finden werden. Die Menschen werden dafür sein, dass es solidarisch zugeht. Da kann die FDP sagen, was sie will. ({9}) Bei dieser Gelegenheit möchte ich darauf hinweisen, dass in den Fußballstadien, die von einigen von uns besucht werden, gelegentlich ein sozialdemokratisches Grundsatzprogramm in Form eines Liedes vorgetragen wird. Das berührt die Frage, wie wir mit der Gesundheits- und Rentenreform umgehen. Das Grundsatzprogramm, das dort vorgetragen wird, heißt: You‘ll never walk alone. Das ist eigentlich die richtige Überschrift für ein sozialdemokratisches Grundsatzprogramm. So sehen wir die Welt. Ich frage mich, wie Sie sie sehen. ({10}) Zu unseren Aufgaben gehört auch, dass wir den Haushalt weiter konsolidieren. Das ist nicht leicht. Es ist vor allem nicht so leicht, wie die Leichtmacher sich das denken; denn es gibt eine große Lücke zwischen Einnahmen und Ausgaben. ({11}) Deshalb muss man dafür sorgen, dass die Lücke kleiner wird. Der Koalitionsvertrag hat dazu eine klare Aussage getroffen. Es lohnt sich, sich diese gelegentlich ins Gedächtnis zu rufen. Ich will das tun. Auch die Kanzlerin hat einen Teil daraus vorgetragen. Wir werden: sanieren, reformieren und investieren und dabei die Lasten gerecht auf alle Schultern verteilen. Wir werden mutig sparen und Subventionen abbauen. Das hat Vorrang. Aber ohne Steuererhöhung ist die für unser Land wichtige Konsolidierung nicht zu schaffen. Dieses Zitat aus dem Koalitionsvertrag ist wahr und richtig. Seitdem wir gemeinsam regieren, sind wir daran, diese klare Aussage in allen Details bei der Haushaltskonsolidierung umzusetzen. Auch da gibt es eine gewisse Kontinuität; man ist ja nicht geschichtslos. Manche der Subventionen, die in den letzten Monaten abgebaut worden sind, und die Subventionen, die wir demnächst abbauen werden, haben mehrfach auf der Tagesordnung dieses Parlaments gestanden. Aber es war immer das gleiche Spiel: Der Bundestag schaffte sie ab, der Bundesrat rettete die Subventionen. Dieses Spiel ist jetzt aus. Das ist der eigentliche Fortschritt. Wir treiben den Subventionsabbau voran, ob das Filmfonds betrifft, ob das die Eigenheimzulage ist oder ob das verschiedene einfach oder schwer zu begründende Subventionen sind. Wir sind miteinander mutig. ({12}) Das ist wichtig, weil wir unser Land und den Staatshaushalt in Ordnung bringen wollen. ({13}) Herr Gysi, Steuererhöhungen für alles und jeden sind nicht die Lösung des Problems. Daher kommt auch nicht das viele Geld, das Sie sich erhoffen. Wir müssen dafür sorgen, dass wir die richtige Balance finden. Wir brauchen eine Besteuerung, die für die Menschen, für die Unternehmen und international vertretbar ist. Gleichzeitig brauchen wir eine Situation, in der der Staat die Aufgaben, die - ich wähle jetzt mal diese Reihenfolge - die Unternehmen, die Bürgerinnen und Bürger, die Arbeitnehmer, die Studierenden, die Schülerinnen und Schüler, die alle an uns stellen, auch erfüllen kann. Der Staat muss dazu in der Lage sein. Man kann nicht eine super Autobahn haben und gleichzeitig keine Steuern zahlen wollen. Beides gleichzeitig geht nicht. Deshalb werden wir immer das richtige Maß finden müssen. Über dieses Maß kann man streiten. Ich will gerne hinzufügen, dass Mitte und Maß gute Tugenden des Handwerks in unserem Land sind. ({14}) Es ist die Sache von Außenseitern, zu behaupten, dass Mitte und Maß etwas mit Mittelmäßigkeit zu tun hätten. Wir werden uns gegen diese Diskreditierung vernünftiger Politik immer zur Wehr setzen. ({15}) Uns ist schon etwas gelungen, ({16}) sogar eine so schwierige Operation - Herr Gysi und andere haben darüber geredet - wie die Erhöhung der Mehrwertsteuer. Die ist ja niemandem leicht gefallen. Keiner macht das gerne, gleich ob vor oder nach Wahlkämpfen, es bleibt schwierig, wenn man Steuern erhöht. ({17}) - Seid mal froh, dass ihr nicht mitregieren müsst, dann wäret ihr auch dafür! ({18}) Die Menschen sind nicht so aufgeregt, wie die Debatte in diesem Parlament geführt wird. Was ist uns nicht alles vorhergesagt worden? Es wurden Kampagnen in Zeitungen geschaltet und für diejenigen, die das aufhalten wollten, wurden Orden verteilt. Jetzt wurde gesagt: Das ist die letzte Chance, das sind diejenigen, die das aufhalten können. Wir haben es trotzdem gemacht. Die Menschen freuen sich zwar nicht, verstehen aber, warum das geschehen ist. Deshalb sind sie mit dem Gesamtergebnis dieser Entscheidung einverstanden. ({19}) Das wird übrigens auch für ein anderes Thema gelten, das viele aufregt. Es betrifft nicht alle, auch nicht alle Mitglieder dieses Hauses. Ich bin zwar nicht über die Nebeneinkünfte eines jeden Abgeordneten informiert, glaube aber, dass mit der Reichensteuer keiner oder fast keiner etwas zu tun haben wird. ({20}) - Oskar Lafontaine, das kann sein. - Dass sie kommt, ist gut, weil das zeigt, dass wir die soziale Balance in dem Besteuerungssystem dieses Landes zustande gebracht haben. Es ist richtig, dass diejenigen, die über breite Schultern verfügen, mitmachen. Lassen Sie mich einen letzten Punkt ansprechen. Einen der größten Fortschritte machen wir auf dem Gebiet der Familienpolitik. Hier gibt es eine gute Kontinuitätslinie. Das Ganztagsbetreuungsprogramm war ein Fortschritt. Es war richtig, dass wir das Angebot an Ganztagsschulen ausgebaut haben. ({21}) Es ist ein Zielwechsel gelungen. Anders als vor wenigen Jahren sagt die ganze Republik, weitgehend parteiübergreifend: Wir müssen ein Angebot an Ganztagskrippen, -kindergärten und -schulen haben. Niemand diskutiert heute mehr darüber, dass Eltern, die ihre Kinder dort hinschicken, Rabeneltern wären. ({22}) Niemand - zumindest sind es nicht viele - diskutiert heute mehr darüber, dass es schlecht für die Kinder ist, wenn sie eine Ganztagseinrichtung besuchen. Umgekehrt wissen wir, dass wir manchen unserer jungen Leute nur dann eine Chance geben können, wenn wir ihnen ganz früh Förderung angedeihen lassen, die sie aufgrund der Hintergründe und Umstände von ihren Eltern nicht bekommen können. ({23}) Ich bin froh, dass sich diese Linie mit dem Elterngeld fortsetzt. Das ist eine ganz moderne Familienpolitik. Man muss Demagoge sein, um das schlecht zu finden. Es ist eine moderne Politik, weil sie bei den Bedürfnissen der jungen Eltern ansetzt, die sich für Kinder entscheiden, die Beruf und Familie vereinbaren wollen. Wenn wir das jetzt in Deutschland umsetzen, folgen wir Staaten, die uns ansonsten als Vorbild entgegengehalten werden, zum Beispiel Schweden und Frankreich. Das ist eine soziale Maßnahme, das ist eine Maßnahme für alle. Eines möchte ich in diesem Zusammenhang noch sagen: Wer, wie Herr Gysi, jemanden, der 1 600 Euro Elterngeld bekommt, weil er sich als Vater um die Betreuung der Kinder kümmert, als Besserverdiener beschimpft, der zeigt, dass er keine Ahnung von dieser Welt hat. Schönen Dank. ({24})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Renate Künast, Bündnis 90/Die Grünen.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Bundeskanzlerin, ich habe ja geahnt, dass Sie in Ihrer Rede als Erstes versuchen werden, ein bisschen Honig aus der jetzt laufenden Fußballweltmeisterschaft zu saugen. ({0}) - Jetzt operieren wir schon mit dem Wort Mädchen, junger Mann. ({1}) Sie haben versucht, den Fußball an dieser Stelle zu nutzen. Aber wahr ist: Wir Abgeordnete haben nicht mittrainiert und wir haben auch nicht mitgespielt. Dass in diesem Land im Augenblick gute Stimmung ist, heißt nicht, dass die gute Stimmung der Regierung geschuldet ist, sondern dem Team von Herrn Klinsmann und denen, die auf diesem Feld spielen. Darüber können wir alle glücklich und froh sein. Die Leistung, die Klinsmann mit seinen Männern erbracht hat, haben Sie, Frau Merkel, erst noch vor sich. ({2}) Im Gegensatz zu Klinsmann, der das Team systematisch entwickelt hat, haben wir bei der Bundesregierung im Augenblick doch wohl eher die Sorge, dass Sie mehr und mehr Ausfälle in der Truppe haben. Das werde ich Ihnen begründen. Lieber Olaf, du hast gesagt, dass in den Stadien „You’ll never walk alone“ gesungen wird. Die Zuschauer sagen: Dieses Team wird nicht alleine laufen, weil sie Solidarität empfinden und sich mitgenommen fühlen. Sie jubeln einem Team zu, dessen Trainer sagt: Jeder ist wichtig für unseren Erfolg. Diese Leistung, wirklich alle Menschen in dieser Republik einzubeziehen, mitzunehmen, jedem eine Chance zu geben und kein Kind auf der Strecke liegen zu lassen, muss die Bundesregierung erst noch erbringen. Ich sehe sie noch nicht. ({3}) Wir werden unseren Teil dazu beitragen. Aber das ändert nichts daran - das sage ich in Richtung SPD -, dass die Regierung als Erstes eine Bringschuld hat, Vorschläge zu machen. Dazu muss ich Ihnen sagen: Auf die vielen Fragen, die im Augenblick auf der Agenda sind - wie schaffen wir Arbeitsplätze inmitten einer internationalen Konkurrenz, wie erhalten wir die natürlichen Lebensgrundlagen, wie schaffen wir eine Energieversorgung ohne Atomrisiko und ohne Klimazerstörung? -, habe ich hier noch keine Antworten gehört. Ich muss Ihnen auch sagen: Die Antwort auf die Frage, wie man in diesem Land Job und Kinder vereinbaren kann, ist von Ihnen auch noch nicht gegeben worden. ({4}) - Sie sagen, Sie würden das machen. Ich sage Ihnen: Was Sie machen, sind zwei Dinge. Sie inszenieren sich als Koalition und entwickeln sich in Ihrem Streit in Richtung kleinstes Karo - man nennt das auch Pepita; das ist kleinkariert -, ohne dass Sie wirklich Lösungen anbieten. Bei der CDU/CSU habe ich darüber hinaus im Augenblick das Gefühl, dass sie sich im Wesentlichen mit sich selbst beschäftigt. Die CDU/CSU beschäftigt sich mit den Fragen, wie sie Ihnen von der SPD in den Städten die Wählerschaft abgreifen kann und wie sie sich selber ein modernes Antlitz gibt. Ich will mit dem Thema Elterngeld anfangen. Ich gratuliere Frau von der Leyen. Der Kampf, den Sie gegen die Männer in der CDU/CSU geführt haben, war sicherlich nicht einfach. ({5}) - Das ist einfach die Wahrheit, das ist kein vergifteter Pfeil. Aber ich sage Ihnen eines: Das Elterngeld und vor allem die Vätermonate - wie Herr Pofalla, die junge aufstrebende Kraft in der CDU/CSU, sie nennt - zeigen, wie weit Sie, die CDU/CSU, noch von der Realität in Deutschland entfernt sind. Das Elterngeld ist vielleicht ein großer Schritt für die CDU/CSU, um endlich aus den 70er-Jahren heraus und im Jahr 2006 anzukommen. Aber dieses Geld ist kein großer Schritt für die Väter und Mütter in dieser Republik, weil es ihre Probleme nicht löst. ({6}) Die Kernfrage lautet: Was macht man in diesem Land als Mutter oder Vater, wenn das eigene Kind zwölf oder 14 Monate alt ist? Hier lassen Sie die erwerbstätigen Väter und Mütter allein. ({7}) Ich gebe zu: Das, was Sie vorschlagen, sieht modern aus. Aber die Leute merken, dass das Problem dadurch nicht gelöst wird. ({8}) Auch Ihr Familiensplitting ist ein solcher Coup. ({9}) Durch das Familiensplitting werden letztlich wieder diejenigen privilegiert, die hohe Einkommen haben. Das Ergebnis ist, dass Kinder in dieser Republik unterschiedlich behandelt werden. Dadurch organisieren Sie, vielleicht als schöner Schein, ein Stück Modernisierung der CDU. Aber wahr ist: Sie zementieren eine neue finanzielle Ungerechtigkeit zulasten der Kinder. ({10}) Wir wollen das Ehegattensplitting in eine Individualbesteuerung mit einem übertragbaren Höchstbetrag von 10 000 Euro umwandeln. Das führt letztlich zu einer Einsparung in Höhe von 5 Milliarden Euro. Diese 5 Milliarden Euro sind die Antwort auf die Frage: Was mache ich mit meinem zwölf Monate alten Kind, wenn ich erwerbstätig sein will bzw. muss? Mit diesen 5 Milliarden Euro kann man eine Betreuung der Kinder nach dem ersten Lebensjahr finanzieren. Dafür haben wir ein Konzept vorgelegt, über das wir gerne mit Ihnen diskutieren. ({11}) Unser Ziel muss immer sein, die Kinder in den Mittelpunkt unserer politischen Bemühungen zu stellen und darauf hinzuwirken, dass jedes einzelne Kind gefördert wird. Wir alle kennen die OECD- und PISA-Studien, an denen deutlich wird, dass immer mehr Kinder aus bildungsfernen sowie finanziell und sozial schwachen Familien - überproportional aus Migrantenfamilien -, wenn sie im Alter von sechs Jahren in die Schule kommen, ein Entwicklungsdefizit von ein bis zwei Jahren aufweisen. Dieses Defizit in der Entwicklung der Kinder tut mir in der Seele weh. Deshalb sage ich: Wir brauchen kein Familiensplitting, sondern wir müssen das Geld umtopfen, um ganz konkret die Förderung der Kinder zu gewährleisten. Jedes Kind braucht einen guten Betreuungsplatz und muss in jeder Hinsicht gefördert werden. Das ist deren, das ist unsere Zukunft. ({12}) Da ich von einer neuen Ungerechtigkeit gesprochen habe, muss ich, wenn ich mir die letzten sieben Monate vor Augen führe, an dieser Stelle auch auf die Steuerpolitik zu sprechen kommen. Frau Merkel, Sie haben es geschafft, die größte Steuererhöhung seit 1949 durchzudrücken, ohne gleichzeitig das einzuhalten, was Sie versprochen haben: tatsächlich mehr für die Haushaltskonsolidierung zu tun und die Lohnnebenkosten zu senken. Das ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Unverfrorenheit, die mich noch mehr ärgert als das unwahre Spiel der SPD, die erst Nein zur Mehrwertsteuererhöhung sagt und dann aus der geplanten Erhöhung um 2 Prozentpunkte eine Erhöhung um 3 Prozentpunkte macht. ({13}) Die Mehrwertsteuererhöhung wird die kleinen Leute überproportional treffen. Wir wissen, dass jeder Mensch nicht nur Lebensmittel zum Leben braucht, sondern auch Kleidung, Spielzeug, eine Waschmaschine, Waschpulver usw. Bei allen Produkten, die sie kaufen - sogar, wenn sie Handwerkerrechnungen bezahlen -, werden sie von diesen 3 Prozentpunkten betroffen sein. Auf der Liste der neuen Ungerechtigkeiten, die Sie produzieren, steht auch das Thema Unternehmensteuerreform. Alles, was man dazu bisher gehört hat, lässt in mir das Gefühl aufkeimen, dass Sie immer noch vorzugsweise auf Lobbyisten hören. Die Nettoentlastung der Unternehmen soll satte 8 Milliarden Euro betragen. Die Frage ist: Wie kann man eine solche Steuerentlastung gegenfinanzieren? Das entspricht 1 Prozentpunkt Mehrwertsteuer. Da Ihnen keine andere Einnahmequelle zur Verfügung steht, bedeutet das: Sie greifen in das Portemonnaie der kleinen Leute, um die großen Unternehmen steuerlich zu entlasten. ({14}) Das ist der großkoalitionäre, aber kleinkarierte Konsens. Letztlich einigen Sie sich immer auf den Nenner, dem kleinen Mann in die Tasche zu greifen. ({15}) Wir brauchen eine konsequente Unternehmensteuerreform. Zwar muss unser Steuerrecht international wettbewerbsfähig sein. Aber die Unternehmensteuerreform sollte aufkommensneutral sein. Sie sollte weder zulasten der öffentlichen Haushalte noch zulasten der kleinen Leute gehen, sondern mit einer Verbreiterung der Bemessungsgrundlage bei den Unternehmensteuern einhergehen. So wird ein Schuh daraus. ({16}) Wir brauchen im Steuerrecht Mechanismen, um endlich die Gewinnverlagerung ins Ausland an entscheidender Stelle zu durchbrechen. Wir brauchen eine Stärkung des Mittelstands bei der Eigenkapitalbildung; sie ist die Ursache für die Krisenanfälligkeit der kleineren und mittleren Unternehmen. Außerdem brauchen wir eine Vereinfachung der Gewerbesteuer. Das sind unsere Vorschläge und Ansätze für mehr Gerechtigkeit. ({17}) Diese Koalition ist meines Erachtens kraftlos und ziellos - daran ändern all die warmen Worte, die hier gesprochen worden sind, nichts -, weil selbst die großen, angekündigten Reformen noch keine Linie haben und sich widersprechen. Ich nehme als Erstes die Föderalismusreform. Uns wird gesagt, endlich würde klar, wer zuständig ist, und die Bürger wüssten das dann auch. Aber wenn es Ihnen darum geht, dann fangen Sie doch einmal da an, wo Sie es schon könnten, zum Beispiel beim Antidiskriminierungsgesetz. Es ist klar, dass allein der Bund zuständig ist. Zeigen Sie doch, was eine Harke ist, anstatt das Fass aufzumachen, indem Sie auf den Bundesrat zugehen, wo es gar nicht nötig ist! ({18}) Sie können uns die Föderalismusreform doch nicht als klare Trennung verkaufen und hier unnötigerweise ein anderes Verfahren wählen. Frau Merkel, Sie haben hier gesagt, welche ungeheuren Entwicklungsmöglichkeiten sich den Schulen eröffneten, wenn man die Verfassung zugunsten der Bundesländer änderte. Aber Sie haben das mit einem Beispiel begründet, das ungeeignet ist, weil man dafür gar nichts ändern müsste. Bei der jetzigen Rechtslage, haben Sie uns erklärt, hat zum Beispiel Sachsen das zwölfjährige Abitur angeschoben und mittlerweile hat auch Bayern davon gelernt. Wozu müssen wir den Bund dann durch diese Verfassungsreform aus der zentralen Aufgabe der Bildungsplanung herauskatapultieren? Das geht doch genau in die falsche Richtung! ({19}) Bildung ist einer der zentralen Gerechtigkeitspunkte. Ich weiß, dass das gerade den Sozialdemokraten auf der Seele liegt. Bildung, auch eine gute berufliche Ausbildung, ist der Rohstoff der Zukunft. Eine gute Bildung ist das Kapital, das jedes Kind in dieser Republik mitbekommen muss, um seinen Beitrag für die Gestaltung der Gesellschaft leisten zu können, um sich selber entfalten zu können, um das Geld für sein eigenes Leben verdienen zu können. An dieser Stelle dürfen wir kein einziges Kind zurücklassen. Deshalb, sage ich Ihnen, reicht es nicht aus, wenn Sie das Kooperationsverbot im Hinblick auf die Wissenschaft ein bisschen aufheben. Nein, es muss auch in Zukunft möglich sein, dass der Bund mit Finanzspritzen für die Bildung hilft, dass der Bund mit allen Bundesländern gemeinsam kreativ plant, wie die Bildung in diesem Land weiterentwickelt werden soll, für alle Kinder. Das ist ein zentraler Gerechtigkeitspunkt. ({20}) Nun verstehe ich ja, dass Frau Merkel an dieser Stelle ein besonderes Problem hat: Das Problem heißt Roland Koch. ({21}) - Das sagt selbst Herr Tauss. - Frau Merkel, ich verstehe ja, dass Sie dem Prinzip folgen, dass man seine stärksten Gegner immer einbinden sollte. Aber ich finde, es reicht aus, wenn Sie Roland Koch bei der CDU als Vize einbinden - bei der Verfassung sollten Sie als Kanzlerin auf den Tisch hauen und sagen: Da geht es nicht um Parteiinternes, sondern da geht es um die Zukunft der Kinder und deshalb machen wir das so nicht. ({22}) Diese Föderalismusreform wird keine Mutter der Reformen, es wird möglicherweise nicht einmal ein blasses Stiefmütterchen. Ich halte die Art und Weise, wie Sie an dieser Stelle vorgehen, für kraftlos, mutlos und ziellos. Als Zweites warten wir auf die Gesundheitsreform. Ihre Gesundheitsreform kommt daher wie ein Wolpertinger, obwohl ich glaube, dass das Modell mit dem Fonds, das Sie gerade diskutieren, nicht in Bayern erfunden ist. Für die, die es nicht wissen: Ein Wolpertinger ist ein Fabelwesen, das aus verschiedenen Tieren zusammengesetzt ist. Ich stelle es mir vor als ein Fabelwesen mit einem roten Kopf und einem schwarzen Körper. ({23}) Niemand weiß genau, was dieser Wolpertinger eigentlich ist und wie gefährlich er ist. So ist es mit Ihrem Modell eines Fonds für die Gesundheitspolitik. ({24}) Der Fonds ist ja erst einmal nichts anderes. Den kann man ja an sich nicht kritisieren - da haben Sie Recht, Frau Merkel -, weil er ja nichts anderes als eine Hülle ist, die ein wenig der Gesichtswahrung für beide Seiten dient, weil man weder Kopfpauschale noch Bürgerversicherung sagen will. Es kommt jetzt aber darauf an, was darin steckt. Ist das mehr als eine neue Megabehörde, die Gelder einnimmt und dann wieder verteilt? Lösen wir hier irgendein Problem oder werden die gesetzlich Versicherten am Ende nur dreifach abkassiert, indem sie Beiträge zahlen, indem sie das System über Steuern mitfinanzieren und - hier habe ich aufgrund der hohen Belastungen besonders für die AOKler Befürchtungen eine kleine Kopfpauschale à la Kauder obendrauf finanzieren? Das wäre nicht gerecht. ({25}) Wir sagen auch: Die privat Versicherten dürfen nicht unbehelligt bleiben. Man muss mindestens an die Versicherungspflichtgrenze heran. Für uns ist klar - ich versuche jetzt einmal, in Ihrem System zu bleiben -: Eine gute Gesundheitsreform darf nicht einseitig nur zulasten der Versicherten gehen. Es muss mehr Wettbewerb zwischen allen produziert werden, vor allem unter den Ärzten und unter den Apotheken, und die Effizienzpotenziale müssen endlich genutzt werden. Lassen Sie mich noch eines dazu sagen: Eine wirklich große Gesundheitsreform braucht ein Präventionsgesetz; denn zwei Drittel der Kosten entstehen durch chronisch-degenerative Erkrankungen, die einer ordentlichen Präventionsarbeit bedürfen und die gerade die sozioökonomisch schwachen Schichten belasten. An dieser Stelle sage ich Ihnen: Nur dann, wenn Sie in der Lage sind, dieses Gesamtpaket vorzulegen, erreichen wir eine wirklich gute Umstrukturierung unseres Gesundheitssystems. ({26}) Frau Merkel, wenn ich mir andere Politikbereiche anschaue, dann muss ich sagen: Anders als das Team von Klinsmann kommen Sie hier langsam in die gefährliche Zone. Sie haben nämlich lauter Ausfälle in Ihrem Team. Der erste Ausfall ist der Wirtschaftsminister. ({27}) Ich kann Ihnen nur sagen: Die Kabarettisten in dieser Republik machen ihn immer nach und müssen gar nicht sagen, wen sie vorführen. Ein großes Gähnen genügt. Diesen Mann hört man immer nur dann, wenn es darum geht, dass man die Laufzeiten der Atomkraftwerke verlängern müsse. Gerüchteweise - ich gebe zu: gerüchteweise - kümmert er sich jetzt auch um Ausbildungsplätze. Herr Glos, ich sage Ihnen: Nutzen Sie gleich das Ende der Debatte und gehen Sie dort drüben in die Arena von Adidas. Bezüglich der Ausbildungsquote ist das Unternehmen das absolute Schlusslicht. Sie können dort gleich einmal sagen: Wer hier vor diesem Hohen Hause eine Arena aufbaut, der muss die Mindestanforderung, nämlich eine entsprechende Ausbildungsquote, erfüllen. Hier könnten Sie einmal etwas tun, Herr Glos. ({28}) Herr Glos, wenn Sie dann noch Zeit haben, dann tun Sie endlich auch einmal etwas für sinkende Strompreise. Wir haben von den Monopolen die Nase voll. Die Netzagentur braucht unsere Unterstützung. Auch dort müssen Sie einfordern, dass die Preise heruntergehen. ({29}) Wenn wir uns die Ausfälle in diesem Kabinett anschauen, dann müssen wir natürlich auch ein Wort zu Herrn Jung sagen. ({30}) Herr Jung ist der Nächste, der in diesem Kabinett offensichtlich überfordert ist. ({31}) Er war beim Kongoeinsatz überfordert und beim Thema Weißbuch setzt er jetzt ein heilloses Gemurkse in Gang. Ich sage Ihnen: Wir erwarten, dass diese Strategien zur Sicherheitspolitik in diesem Parlament diskutiert werden und dass wir darüber reden, ob diese Entgrenzung des Verteidigungsbegriffs richtig ist. Nicht jedes Sicherheitsproblem in dieser Welt kann und darf man mit dem Militär lösen. Das muss in einem solchen Papier auch stehen. ({32}) Zur Sicherheitspolitik gehören auch Entwicklungspolitik und eine nachhaltige Ressourcenpolitik, damit sich die Länder entwickeln und Arbeitsplätze schaffen können. Auf diese Art und Weise kann und muss man Konflikte entschärfen bzw. gar nicht erst entstehen lassen. Deshalb findet dieses Weißbuch Ihres Herrn Jung unser definitives Nein. ({33}) Wir erwarten, dass Sie die alltäglichen Sorgen der Menschen ernst nehmen und darauf reagieren. Lassen Sie mich an dieser Stelle einige Worte zu Hartz IV sagen. Mich stinkt an, wie Sie hier flächendeckend eine Missbrauchsdebatte organisieren. Das ist abgedroschen und falsch. Es gibt für diesen Missbrauch keine Belege, im Gegenteil. ({34}) Die Wahrheit ist, dass die Förderung überhaupt nicht stattfindet. Viele Arbeitslose warten Wochen und Monate auf Eingliederungsgespräche und -vereinbarungen, aber nichts passiert. ({35}) Wir alle miteinander warten auf wirkliche regionale Arbeitsmarktpolitik und den Wettbewerb um die besten Integrationslösungen. Wir warten auf eine Einschränkung bei den 1-Euro-Jobs, weil diese im wahrsten Sinne des Wortes missbraucht werden, um reguläre Arbeitsplätze zu ersetzen. ({36}) - Das diskutiere ich gerne auch mit Ihnen, Sie Dauerzwischenrufer. Wir stellen Ihnen gerne unser Progressivmodell vor. Das schafft neue Jobs bei den Niedrigqualifizierten, und zwar ohne Mitnahmeeffekte. ({37}) Sie, Frau Merkel, haben uns gerade im Blick auf die FDP bei Hartz IV Sand in die Augen gestreut, indem Sie gesagt haben, Sie wollten die Gelder, anders als die FDP, endlich für die Langzeitarbeitslosen einsetzen. Wahr ist: Ihre Fraktion organisiert da wieder Taschenspielertricks. Diese 6,5 Milliarden Euro für aktivierende Maßnahmen wollen Sie nicht entsprechend investieren, sondern Haushaltslöcher damit stopfen. Die Mehrkosten beim ALG II sollen aus den Fördermitteln finanziert werden können. Einer solchen Regelung werden wir nicht zustimmen. ({38}) Dieses Geld gehört den Langzeitarbeitslosen und muss kreativ dafür eingesetzt werden, um ihnen zu helfen. ({39}) Mein letzter Satz ({40}) gilt dem Bundesumweltminister. Die Probleme der Klimafolgen sind von zentraler Bedeutung. Das Wasser steigt immer höher und wird uns irgendwann bis zum Halse stehen. Ich muss Ihnen sagen: Trotz der wunderbaren Rhetorik des Bundesumweltministers steht auch dieser Mann im Verdacht, ein Ausfall zu werden. Reden allein reicht nicht. Zu REACH hat er sich nicht als Ökologe geäußert, sondern war in Brüssel faktisch der Vertreter der Chemielobby. Beim zweiten Nationalen Allokationsplan zum Emissionshandel - das ist das Schlimmste - verteilt er Gratiszertifikate. Der „Tagesspiegel“ vom heutigen Tage titelt zu Recht: Hier wird der Klimaschutz aufgegeben, um die Industrie zu schonen. Dann haben Sie noch die Dreistigkeit, anzubieten, einen nationalen Fahrkurs einzuführen. Ich sehe das schon vor mir: Wir alle machen einen Kurs für besseres Autofahren, damit wir vorsichtiger anfahren, um einen Tropfen Sprit einzusparen. Ich halte eine ordentliche Fahrweise für richtig. Aber es ist eine Schildbürgerbotschaft, zu sagen: Wir schonen die Industrie und ersparen ihr Vorschriften zur Reduktion. Mutlos wie Sie sind, trauen Sie sich nicht einmal, die Zertifikate zu versteigern, um endlich Wettbewerb zu erreichen. Stattdessen sollen die Autofahrer an der Ampel nicht so scharf Gas geben. Das ist albern. Das ist keine Klimapolitik. Wenn Sie so weitermachen, Herr Gabriel, haben Sie den Namen „Bundesumweltminister“ nicht verdient. ({41}) Mit Blick auf den G-8-Gipfel erwarte ich von Ihnen, Frau Merkel, dass Sie dort tatsächlich eine konsistente Energiepolitik machen und dafür sorgen, dass in den nächsten Jahren die G-8-Staaten nicht wie bislang geplant Gelder in Höhe von 17 000 Milliarden US-Dollar - das ist 70 Mal so viel wie der Bundeshaushalt - für Atomkraft und die Erschließung der letzten Öl- und Gasreserven ausgeben. Vielmehr fordere ich Sie auf: Legen Sie ein international abgestimmtes und gutes Konzept vor, das Gelder für Investitionen in erneuerbare Energien, Energieeffizienz und -einsparmaßnahmen vorsieht. Das ist für die Kunden und für die Wirtschaft bei uns wegen der hohen Rohstoffkosten gut. Das schafft am Ende auch Arbeitsplätze. Genau das wollen die Menschen. ({42}) Mein Fazit dieser sieben Monate der so genannten großen Koalition ist: Viel mehr als den kleinsten gemeinsamen Nenner haben Sie nicht erreicht. Wir stellen unsere Konzepte dagegen. Ich sage Ihnen ganz klar: Finden Sie endlich den Mut und die Kraft, die Dinge anzupacken! Hören Sie auf, zu lavieren und zu moderieren! Packen Sie die Dinge endlich ernsthaft an, aber machen Sie das gerecht, statt neue Ungerechtigkeiten zu schaffen! ({43})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Volker Kauder, CDU/CSUFraktion. ({0})

Volker Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001074, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir führen heute die zentrale Debatte über die Frage, wie wir unser Land voranbringen können. Die Regierung hatte dafür ein Konzept. Und sie hat für dieses Konzept einen Bundeshaushalt vorgelegt. Man darf zwar von der Opposition erwarten, dass sie sich mit diesem Konzept und den damit verbundenen Fragen auseinander setzt und ein Gegenmodell vorlegt. Aber gerade für Sie, Frau Künast, gilt: Sie brauchen noch eine erhebliche Zeit in der Opposition, um klarer erkennen zu können, was für unser Land wirklich notwendig ist. ({0}) Ich habe bei mancher Ihrer Äußerungen in der letzten Zeit - beispielsweise zur Integrationspolitik oder über die Fehler, die in der Vergangenheit gemacht worden sind - gedacht, dass Sie erkannt hätten, dass sich in unserem Land etwas ändern muss. Aber Ihre heutige Rede erreicht nicht das intellektuelle Niveau, das wir brauchen, um Konzepte für unser Land zu entwickeln. ({1}) An die FDP gewandt, möchte ich kurz auf eines hinweisen, Herr Brüderle: Sie haben in diesem Haus und auch auf Veranstaltungen außerhalb festgestellt, dass die von uns beabsichtigte Mehrwertsteuererhöhung nicht in Ordnung sei. Man kann zwar darüber diskutieren, ob Mehrwertsteuererhöhungen ein geeignetes Mittel sind, aber dann muss man auch sagen, welche anderen Mittel zur Verfügung stehen. Wenn man die Ziele im Blick hat - den Haushalt zu konsolidieren, ({2}) das Land voranzubringen und vor allem dafür zu sorgen, dass der Weg in den Verschuldungsstaat endlich beendet wird -, dann gibt es dazu aus unserer Sicht keine überzeugende Alternative. ({3}) Lassen Sie mich noch einen Punkt ansprechen, Herr Brüderle - wenn es nicht so traurig wäre, dann müsste ich insgeheim schmunzeln -: Es ist auch keine Art und Weise der politischen Arbeit, einerseits gegen die Mehrwertsteuererhöhung zu wettern, aber andererseits in den Ländern, in denen Sie mitregieren, die aus dieser Steuererhöhung zu erwartenden Einnahmen bereits in den Haushalt einzustellen. ({4}) Sie haben die Reden der Opposition gehört. Es lohnt sich nicht, sich weiter damit auseinander zu setzen. ({5}) Wir legen heute einen Bundeshaushalt vor, der Teil einer Gesamtstrategie ist, die darauf hinausläuft, unser Land voranzubringen und bessere Chancen für die Menschen in unserem Land zu erwirken. Dieser Bundeshaushalt ist ein Übergangshaushalt von der rot-grünen Bundesregierung zur jetzigen großen Koalition. Welche Ausgangslage haben wir denn in der großen Koalition vorgefunden? Als Eröffnungsbilanz haben wir ein strukturelles Defizit von 60 bis 65 Milliarden Euro übernehmen müssen. ({6}) Kann ein vernünftiger Mensch glauben, dass innerhalb von sieben Monaten - diesen Zeitraum hatten wir bisher zur Verfügung - ein so hohes strukturelles Defizit auf null gefahren werden kann, Herr Brüderle? Traumtänzer sind doch Realisten dagegen. ({7}) Dieser Übergangshaushalt zeigt schon die klare Richtung, dass es mit der Verschuldung eben nicht so weitergeht wie bisher; wir beginnen vielmehr sehr konsequent damit, den Haushalt zu konsolidieren. Nun wird mir ständig - auch auf den Hauptversammlungen der verschiedenen Verbände - die Frage gestellt, wo eigentlich gespart worden ist. ({8}) Darauf kann ich nur antworten: Genauso wie ein Blick in das Gesetzbuch die Rechtsfindung erleichtert - das habe ich als Jurastudent schon im ersten Semester gelernt -, erleichtert ein Blick in den vorliegenden Haushaltsentwurf, zu erkennen, welche Strukturen sich bereits verändert haben. Ich nenne ein Beispiel - es ist nur eines von vielen -, das belegt, wo wir zu strukturellen Veränderungen gekommen sind und wo wir sparen. So wurden wir ständig - auch von großen Industrieverbänden - aufgefordert, die Eigenheimzulage abzuschaffen, weil dann ein zweistelliger Milliardenbetrag eingespart werden könne. Wir haben die Eigenheimzulage abgeschafft und werden sicherlich einen zweistelligen Milliardenbetrag einsparen, aber nicht schon im Haushalt 2006. Die Herren haben offenbar übersehen, dass es im ersten Jahr nur etwa 250 Millionen Euro sind. Der Weg ist aber richtig. ({9}) Ich darf daran erinnern - das alles wird sonst nicht gesagt -, dass wir im Zusammenhang mit dem Haushaltsbegleitgesetz Sparmaßnahmen beschlossen haben. Dazu bekennen wir uns und dazu stehen wir, auch wenn es nicht einfach ist; denn diese Maßnahmen sind notwendig. Ich nenne nur die Kürzung der Pendlerpauschale als Beispiel. Glauben Sie bloß nicht, dass uns das leicht gefallen ist! Wenn man aber einen stark ausgabengeprägten Haushaltsplan hat, dann kann man die Ausgaben nicht einfach auf null reduzieren; denn ansonsten fährt man den Staat an die Wand. Schließlich haben wir es mit Menschen zu tun, die einen Teil der infrage stehenden Gelder bekommen und darauf vertrauen. Vielmehr gilt es, zwei Dinge zu tun. Man muss auf der einen Seite die Ausgaben langsam und sozialverträglich zurückfahren und auf der anderen Seite die Einnahmesituation verbessern. Beides tun wir mit dem Haushalt 2006. ({10})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kuhn?

Volker Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001074, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Bitte, Herr Kuhn.

Fritz Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003577, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege, Sie haben beklagt, dass man nicht so schnell die geplanten Milliardenbeträge einsparen könne. Dafür haben Sie um Verständnis geworben. Ist Ihnen eigentlich bekannt, dass die Union spätestens seit 2002 ein riesengroßes Paket von Einsparungsvorschlägen im steuerlichen Subventionsbereich - das gilt auch für die Eigenheimzulage - im Bundesrat systematisch blockiert hat und dass wir uns heute, haushaltstechnisch gesehen, um viele Milliarden besser stünden, wenn Sie diese Blockadepolitik nicht betrieben hätten? ({0})

Volker Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001074, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Kuhn, es war völlig richtig, dass wir uns damals gegen die Streichung der Eigenheimzulage gewehrt haben; denn wir haben gesehen, dass Ihre Regierung die durch den Wegfall der Eigenheimzulage frei werdenden Mittel nicht zum Einsparen, sondern zum Ausgeben verwenden wollte. ({0}) Herr Kuhn, ich sage Ihnen noch eines: Angesichts der Eröffnungsbilanz, die wir vorgefunden haben, wäre es sinnvoller gewesen, wenn Sie soeben geschwiegen hätten. ({1}) Denn Sie waren im fraglichen Zeitraum nicht sieben Jahre in der Opposition, sondern an der Regierung und sind damit auch für diese Bilanz verantwortlich. ({2}) Ich habe davon gesprochen, dass der Haushalt 2006 ein Übergangshaushalt ist und dass mit diesem Übergangshaushalt als Teil einer Gesamtstrategie bereits viel erreicht wurde. Wenn ich in den Zeitungen lese, was alles über die Arbeit der großen Koalition gesagt wird, dann habe ich den Eindruck, dass viele meinen, wir seien schon über die Hälfte der Zeit hinaus. Tatsächlich regiert die große Koalition erst sieben Monate. In dieser Zeit wurden bereits große Dinge geleistet und vorangebracht. ({3}) - Die Mehrwertsteuererhöhung ist noch nicht einmal erfolgt, Herr Brüderle. Haben Sie das noch nicht mitbekommen? In welcher Realität leben Sie eigentlich? ({4}) Was haben wir erreicht? Wir haben die Haushaltskonsolidierung vorangebracht. Wir haben dafür gesorgt, dass in diesem Land die Investitionen angekurbelt werden. Dafür haben wir ein 25-Milliarden-Programm aufgelegt. Sie haben das Stichwort Investitionen genannt. Es gibt Investitionen in unserem Land, die nur die öffentliche Hand tätigen kann. Diese muss die öffentliche Hand auch tätigen. Wir haben einen erheblichen Nachholbedarf bei unserer öffentlichen Infrastruktur, etwa im Straßenbau. Der Straßenbau wird nicht von der privaten Wirtschaft finanziert, sondern von der öffentlichen Hand. Deshalb ist es richtig, dass wir gerade in diesem Bereich Geld in die Hand nehmen, um beim Ausbau der Infrastruktur voranzukommen. ({5}) Ein zentrales Aufgabenfeld unseres Zukunftsprojektes, Deutschland voranzubringen - die Bundeskanzlerin hat es angesprochen -, sind Forschung und Wissenschaft. Auch hier nehmen wir Geld in die Hand. Ich warte darauf, dass die Wirtschaft sagt: An diesem Zukunftsprojekt, Deutschland voranzubringen, beteiligen wir uns im Bereich Wissenschaft und Forschung. Allein können dies die öffentliche Hand und die Bundesregierung nicht schultern. ({6}) Es gibt keinen anderen Bereich, wo ich so viele Möglichkeiten sehe, voranzukommen und neue Chancen zu ermöglichen. Es war früher unsere Stärke, dass infolge qualifizierter Spitzenforschung auch entsprechende Produkte gefertigt wurden. Das hat den hochintelligenten Leuten und denen, die dann produziert haben, Arbeit gegeben. Das müssen wir in unserem Land wieder erreichen. Dafür müssen Blockaden aufgehoben werden. ({7}) Wenn wir darüber reden, dass wir Chancen für dieses Land und für die Menschen in diesem Land ermöglichen wollen, reden wir natürlich auch über die junge Generation. Die Bundeskanzlerin hat völlig Recht, wenn sie sagt: Wir müssen dafür sorgen, dass junge Menschen Ausbildungsplätze bekommen. ({8}) In diesem Zusammenhang kann ich nur an die Wirtschaft appellieren, junge Menschen einzustellen, sie in Ausbildungsverhältnisse zu übernehmen. Wir tun dies, weil wir Verantwortung dafür tragen, dass junge Menschen in unsere Gesellschaft hineinwachsen können. Ich werde nachher noch einige Sätze zum Thema Integration sagen. Jetzt nur so viel: Wenn junge Menschen keinen guten Start in die Gesellschaft haben, dann tun sie sich auch mit der Integration schwer, egal ob sie Ausländer oder Deutsche sind. Deswegen ist es so wichtig, jungen Menschen Zukunftschancen in diesem Land zu geben. ({9}) Bei der Frage der Ausbildungsplätze geht es allerdings noch um ein bisschen mehr und das möchte ich der deutschen Wirtschaft sagen. Ich habe den Eindruck, dass das Handwerk in unserem Land dies gut verstanden hat. Es geht darum, ein Ausbildungssystem, das eine gute Mischung aus staatlicher Ausbildung und betrieblicher Ausbildung darstellt, ein Ausbildungssystem, das eben nicht nur „Staat“ heißt, auch für die Zukunft zu erhalten. Dafür, dass dies gelingt, tragen beide Partner Verantwortung: die Wirtschaft und wir. Ich hoffe, dass es gelingt, dieser Verantwortung, die wir für das System und für die jungen Menschen haben, in den nächsten Wochen auch gerecht zu werden. ({10}) Beim Sanieren sind wir auf dem Weg. Wir haben gesagt, dass wir den Haushalt 2007 so gestalten werden, dass nicht nur die Maastrichtkriterien erfüllt sind, sondern dass auch die Grenze des Art. 115 Grundgesetz eingehalten wird. Das ist ein ambitionierter Anspruch. Damit tun sich viele Länder, auch Länder, in denen die FDP an der Regierung beteiligt ist, sehr schwer. Diesen Anspruch zu erfüllen, bedarf der ganzen Kraft. Wir werden den Bundesfinanzminister auf diesem Weg unterstützen. Der Haushaltsentwurf wird noch in diesem Jahr vorgelegt. Ich kann Sie nur ermuntern, Herr Bundesfinanzminister: Bleiben Sie hart! Wir stehen an Ihrer Seite. ({11}) Sanieren, investieren, reformieren: Über die Reformaufgaben, die sich uns stellen, hat die Bundeskanzlerin bereits gesprochen. Da kann ich nur sagen: Wir haben in der Koalitionsvereinbarung der großen Koalition ganz genau festgelegt, wann wir welche Reform auf den Weg bringen. Wenn die Damen und Herren in den großen Hauptversammlungen, die im Augenblick stattfinden, fragen, was bisher passiert ist und was wir auf den Weg gebracht haben, dann kann ich nur sagen: Wir haben Ihnen versprochen, dass es bis zum 1. Januar 2007 eine Reform des Gesundheitssystems geben wird und dass wir dann die Unternehmensteuerreform beschlossen haben werden, sodass Sie planen können. Nach meiner Kenntnis haben wir jetzt aber noch nicht den 1. Januar 2007, sondern gerade einmal Juni 2006. Ich kann nur sagen: Wir werden unsere Zusagen einhalten. Alle überzogene Kritik, die jetzt erfolgt, ist wenig hilfreich und überhaupt nicht überzeugend. ({12}) Zum Thema Gesundheitsreform hat die Bundeskanzlerin alles gesagt. ({13}) Bei der Unternehmensteuerreform sind wir gerade dabei, die Eckpunkte zu formulieren. Wir werden dafür sorgen müssen, dass wir eine Unternehmensteuerreform durchführen, die die Kapital- und Personengesellschaften, insbesondere den Mittelstand, das Rückgrat unserer deutschen Wirtschaft, in gleicher Weise entlastet und gleiche Situationen schafft. Ich weiß, wie schwer es ist, die Gewerbesteuer zu verändern. Auch die Kommunen haben keine leichte Finanzsituation. Im Augenblick sprudeln die Gewerbesteuereinnahmen, was übrigens auch ein Zeichen dafür ist, dass sich in unserem Land etwas bewegt. Wenn wir an diesem Punkt Probleme haben, dann können wir die Gewerbesteuer nicht weiter ausbauen und verfestigen; dann können wir nicht viel verändern. Aber eine Gewerbesteuer aufzubauen, die wieder Elemente der Substanzbesteuerung enthält, nachdem wir die Gewerbekapitalsteuer gerade abgeschafft haben, ist nicht der Weg, den wir von der Union uns vorstellen. ({14}) Zur Gesundheitsreform - Herr Kollege Scholz hat sie angesprochen -: Wir, auch der Kollege Struck, wissen, dass wir hier eine gute Arbeit abliefern müssen, und das werden wir auch tun. Alle können sich darauf verlassen, dass wir hier zu einem guten Ergebnis kommen. Natürlich diskutieren wir offen miteinander darüber, welchen Beitrag jeder in diesem System leisten muss. Wir brauchen - ich bin froh, dass wir hier dieselbe Überzeugung haben - mehr Wettbewerb im System. Dann - das sage ich schon jetzt voraus - wird es auch nach der Reform eine private Krankenversicherung als Vollversicherung geben. ({15}) Meine Damen und Herren, die Föderalismusreform ist angesprochen worden. Ich bin sicher, dass die große Koalition auch bei diesem Thema ihre Reformfähigkeit beweisen wird. Aber hier habe ich eine Bitte, Frau Bundeskanzlerin. Die Föderalismusreform zeigt, dass es notwendig ist, klar zu machen, welche Ebene was regeln muss, damit die Transparenz gesichert ist. Sie, Frau Bundeskanzlerin, werden im ersten Halbjahr 2007 die EUPräsidentschaft führen. Große Projekte stehen an. Man weiß, wie schwer die Aufgabe sein wird. Wir von der Union haben die herzliche Bitte, dass Sie das Thema Subsidiarität während dieser Präsidentschaft erneut ansprechen. Europa muss verstehen, dass es große Aufgaben zu bewältigen hat, die der Nationalstaat allein nicht bewältigen kann. Ich denke beispielsweise an die Energiepolitik - ein großes Feld, wie man an der derzeitigen Entwicklung der Gaspreise sieht -, ich denke aber auch an die Außenpolitik und die Sicherheitspolitik. Aber es gibt Felder, um die sich Europa heute kümmert, um die es sich aber nach dem Prinzip der Subsidiarität nicht zu kümmern bräuchte und nicht kümmern dürfte. Ich bitte Sie, das zum Thema zu machen. ({16}) Wir wollen, dass Europa auch in den Köpfen der Menschen wieder ein Zukunftsmotor wird. Wir wollen an dem Satz festhalten können: Deutschland ist unsere Heimat, Europa unsere Zukunft. Dazu gehört aber auch, dass man das Gefühl der Menschen ernst nimmt, die den Eindruck haben, dass die Europäische Union in der letzten Zeit zu schnell gewachsen ist und wir zu wenig getan haben, um Europa intern zusammenzuführen. Auch da bitte ich Sie, diesen Aspekt während der europäischen Ratspräsidentschaft einzubringen und zu berücksichtigen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, jenseits aller Wirtschaftsfragen, aller Haushaltsfragen und aller Finanzfragen gibt es Themen in unserer Gesellschaft, die die Menschen bewegen und die wir ernst nehmen müssen. Das ist zum Beispiel das Thema der Integration. Wir erleben im Augenblick ein Land, das nicht schöner zeigen könnte, wie weltoffen es ist und wie wir mit Gästen in unserem Land umgehen. Ich bin stolz darauf, was zurzeit in diesem Land abläuft. ({17}) Viele Ausländer, die hierher kommen, sagen: Wir haben gar nicht erwartet, dass wir so offen aufgenommen werden. Auch von einer Dienstleistungswüste ist nichts zu spüren. Bis morgens um 3 Uhr werden die Menschen überall bedient. ({18}) - Wenn Sie einen Beitrag dazu geleistet haben, dann seien Sie froh. Sie müssten mir aber noch sagen, welchen. ({19}) - Darüber können wir nachher reden. - Es herrscht also eine super Stimmung in diesem Land. Ich sage Ihnen aber: Wir müssen uns mit der Integration beschäftigen. Deswegen bin ich der Bundeskanzlerin dankbar dafür, dass sie unsere Initiative aufgegriffen hat, einen Integrationsgipfel durchzuführen. Auf diesem Integrationsgipfel müssen natürlich die Themen Bildung und Sprache angesprochen werden; denn Bildung und Sprache sind die entscheidenden Voraussetzungen dafür, dass die Menschen Anteil an der Entwicklung unserer Gesellschaft nehmen können. Ich bin aber auch der Meinung, dass auf diesem Integrationsgipfel deutlich gemacht werden muss, dass es um Fördern und Fordern gehen muss, dass Integration nicht nur eine Einbahnstraße im Hinblick auf das Angebot unsererseits sein kann, sondern dass es auch eine Annahme dieses Angebots geben muss. Wir müssen dafür sorgen, dass diese Angebote auch angenommen werden. ({20}) Zu diesem Integrationsgipfel gehört nach meiner Überzeugung auch, dass wir das Ausländerrecht daraufhin überprüfen, wo die aktuellen Bestimmungen Integration erschweren. Diese müssen wir dahin gehend ändern, dass sie die Integration erleichtern. ({21})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Addicks?

Volker Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001074, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin in meiner Redezeit schon sehr knapp und will die Redezeit meiner Kollegen, die noch sprechen werden, nicht verkürzen. ({0}) Zu den derzeitigen großen Problemen und den Handlungsmöglichkeiten und -notwendigkeiten sage ich: Diese große Koalition macht ihre Aufgabe richtig. Wir sollten von der Stimmung der Fußballweltmeisterschaft etwas mitnehmen. Olaf Scholz hat gesagt: „you’ll never walk alone“. Ich sage, es gilt auch ein anderer Satz, der deutlich macht, was die Deutschen in diesem Tagen vorleben: „Steh auf, wenn du ein Deutscher bist! Nimm die Sache in die Hand und bring das Land voran!“ Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({1})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Dr. Guido Westerwelle, FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will an das anknüpfen, was Herr Kollege Kauder am Schluss seiner Rede gesagt hat; ich glaube, das verbindet uns. Ich bin kein großer Fußballspezialist, wie alle Redner vorher es augenscheinlich sind. ({0}) Deswegen kann ich auch keine Vergleiche anstellen. Aber ich finde, Sie haben am Schluss Ihrer Rede eine kluge Bemerkung gemacht. Sie haben dargestellt, welche Stimmung derzeit in diesem Land herrscht. Nach diesem großen Erfolg gestern und nachdem man gesehen hat, wie bis tief in die Nacht auf den Straßen deutsche Fahnen geschwenkt wurden, möchte ich an das Wort erinnern, das der Präsident des Deutschen Bundestages gestern zur Eröffnung der Haushaltsdebatte gewählt hat: Das ist ein fröhlicher Patriotismus. Ich möchte das jetzt in einen Zusammenhang mit dem stellen, was wir von Gewerkschaftsfunktionären der GEW lesen durften, ({1}) nämlich dass, wenn man die deutsche Nationalhymne singe, man ein furchtbares Loblied singe. Heute habe ich gelesen, dass die Jugendorganisation der PDS der Überzeugung ist, dass die schwarz-rot-goldene Fahne für Ausgrenzung stehe. ({2}) Ich empfinde es als eine wunderbare Freude, dass sich unsere Bürger von solchen linken Dämlichkeiten nicht beeindrucken lassen. ({3}) Ich glaube, was hier stattfindet, wird uns noch lange beschäftigen. Bis vor wenigen Monaten haben wir es ja noch erlebt, dass Bundesminister beim Singen der Nationalhymne die Zähne nicht auseinander gekriegt haben, geschweige denn die Hände aus den Hosentaschen. Da hat sich einfach etwas zum Guten gewendet. Das ist aufgeklärter Patriotismus; das ist ein europäischer Patriotismus, der uns Deutschen auch gut tut. Das sind Weltoffenheit und Toleranz. Das ist das Einzige, was ich kommentierend zur Fußballweltmeisterschaft sagen möchte. ({4}) Ich möchte gern an das anknüpfen, was die Bundeskanzlerin, die sich ja überraschend früh zu Wort gemeldet hat, am Anfang der Debatte vorgetragen hat. Sie, Frau Bundeskanzlerin, sprachen von einer „begrenzten Steuererhöhung“. Das ist ja, höflich formuliert, ein Akt der babylonischen Sprachverwirrung. Man könnte es auch Veräppelung nennen. Mir würden im Herrenkreise auch andere Bemerkungen einfallen, die ich nicht sagen darf, weil mich die Bundestagspräsidentin dann zu Recht rügen würde. Bei der größten Steuererhöhung seit Gründung der Republik von einer „begrenzten Steuererhöhung“ zu sprechen, ist eine schlichte Unverschämtheit. ({5}) Es ist ja beeindruckend, dass - gestern von Herrn Kampeter, heute von der Bundeskanzlerin und eben übrigens auch von Herrn Kollegen Kauder - in Richtung meiner Fraktion gesagt worden ist: Die Regierungsparteien haben das große Ganze im Blick und die Oppositionsparteien haben ja nur ihr kleines Partikularinteresse im Kopf. ({6}) Dazu fällt mir ein: Arroganz der Macht ist das eine, große Koalition heißt große Arroganz der Macht das andere. Denn jeder Abgeordnete ist dem ganzen deutschen Volk verpflichtet. Wenn Sie nun behaupten, dass wir nur einige wenige im Kopfe hätten und Sie für Deutschland zuständig seien, so verwechseln Sie das mit der Geisteshaltung eines absolutistischen Staates. ({7}) Der Staat sind nicht Sie; Sie sind die Regierung. Die werden wir auch weiterhin kritisieren. Um das auf den Punkt zu bringen: Der FDP die Regierungsfähigkeit abzusprechen, hat etwas Drolliges, wenn es aus den Reihen der Union kommt. Wir regieren ja in den drei großen Bundesländern zusammen fast die Hälfte der gesamten bundesrepublikanischen Bevölkerung; 36 Millionen Menschen werden von uns gemeinsam in Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Niedersachsen regiert. Herr Kollege Kauder, da in Ihrem Heimatland Schwarz-Gelb an der Regierung ist und in meinem Heimatland Schwarz-Gelb an der Regierung ist, wissen wir beide: Man kann Deutschland auch anders regieren als mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner der großen Koalition. ({8}) Schließlich möchte ich auch noch an das anknüpfen, was von Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, zu Beginn der Debatte eingeführt worden ist. Ich will Sie in diesem Zusammenhang einfach daran erinnern, was Sie am 30. November des letzten Jahres in Ihrer Regierungserklärung ausgerufen haben. Da waren Sie noch mutig; da haben Sie gesagt: „Lassen Sie uns mehr Freiheit wagen!“ Ich erinnere mich noch daran, dass meine Fraktion Ihnen an dieser Stelle, obwohl wir ja Opposition sind, Beifall gespendet hat, weil dieser Satz auch unserer Haltung entspricht. Jetzt sind Sie etwas mehr als ein halbes Jahr im Amt, je nachdem, wie man rechnet. Eines stellen wir jetzt fest: Seitdem Sie regieren, Frau Bundeskanzlerin, hat Ihre Regierung nicht mehr Freiheit gewagt. Sie haben den Bürgern mehr Unfreiheit gebracht. ({9}) Sie haben in den wenigen Monaten Ihrer Regierungszeit die größte Steuererhöhung in der Geschichte der Republik beschlossen. Sie haben die größten Schulden - darüber reden wir in dieser Woche - in Höhe von fast 40 Milliarden Euro aufgenommen. Sie haben - entgegen allen Bekundungen gegen das Antidiskriminierungsgesetz, die es vor der Wahl gab - beschlossen, die Bürokratie auszuweiten. ({10}) Jetzt haben Sie sich auf den Weg gemacht, einen Kassensozialismus in der Gesundheitspolitik durchzusetzen ({11}) mithilfe von Fonds, mit enteignungsgleichen Eingriffen bei den privat Versicherten, mit Steuererhöhungen, mit mehr Bürokratie, mehr Schulden und Abkassieren. Das ist mehr Unfreiheit und nicht „mehr Freiheit wagen“, was Sie uns in diesem Hohen Hause versprochen haben. ({12}) Ich finde es sehr interessant, wie sehr Ihre jetzige Politik mit dem kontrastiert, was noch bis zur Bundestagswahl von uns gemeinsam vertreten worden ist. Lieber Herr Kollege Scholz, einige Ihrer Ausführungen fand ich zwar bemerkenswert; darauf kann ich gleich noch eingehen. Dass aber ein Sozialdemokrat in dieser Debatte die FDP kritisiert, weil wir das sagen, was Sie selber bis zum Wahltag immer gesagt haben, nämlich dass eine Mehrwertsteuererhöhung Arbeitsplätze kostet, ist wirklich eine Form von Schizophrenie, die Ihnen keiner durchgehen lässt, Herr Kollege Scholz. ({13}) Jetzt wollen wir einmal Folgendes festhalten. Sie gehen mit dem größten Wahlbetrug der letzten Jahre an die Öffentlichkeit. Sie sagen, das sei gar nicht anders möglich. Von der Frau Bundeskanzlerin konnten wir gestern hören - wir beide hatten die Ehre, auf der Veranstaltung des BDI zu sprechen -, Deutschland sei ein Sanierungsfall. Dabei haben Sie überrascht getan. Entschuldigen Sie, Frau Bundeskanzlerin, aber das war doch die Ausgangslage, warum die CDU-Vorsitzende Angela Merkel, der CSU-Vorsitzende Edmund Stoiber und meine Wenigkeit seinerzeit auf einem Wechselgipfel ein Programm mit niedrigeren, einfacheren und gerechteren Steuern, Abbau von Bürokratie, Liberalisierung des Arbeitsrechts sowie Schwerpunktsetzung auf neue Technologien und Forschung verabredet haben. Nichts von dem, was Angela Merkel in der Opposition an hehren Zielen gehabt hat, ist auf der Regierungsbank gelandet. Das empfinde ich als Enttäuschung. ({14}) Wir haben gestern gehört, dass der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion, Herr Kollege Poß, eine, wie ich finde, geradezu unverschämte Beschimpfung des Herrn Bundespräsidenten vorgenommen hat. ({15}) Das Allermindeste, das man in dieser Debatte erwarten darf, ist, Frau Bundeskanzlerin, dass Sie den Herrn Bundespräsidenten, den wir übrigens einmal gemeinsam gewählt haben, vor diesen Beschimpfungen aus den Reihen der Koalition hier öffentlich in Schutz nehmen. ({16}) Koalitionsfrieden ist das eine. Unser Staatsoberhaupt ist aber ein Verfassungsorgan. Daher gehören sich solche Entgleisungen nicht. Wenn es sich um eine andere Person handeln würde, dann würden Sie es genauso sehen. ({17}) Deutschland ist ein Sanierungsfall. Das ist der Ausgangspunkt Ihrer Analyse. Ich glaube, da wird Ihnen mittlerweile jeder in diesem Hause zustimmen. Die Entzückung der Sozialdemokraten bei Ihren Ausführungen, wessen Schuld dies ist, war mit den Händen greifbar. ({18}) Aber schauen wir nach vorne und denken über die Frage nach, wie man dieses Problem Sanierungsfall Deutschland angehen soll. Das kann auf zwei Wegen geschehen. Der eine Weg ist der, den Sie mittlerweile gewählt haben. Sie setzen in Wahrheit auf mehr Staat und mehr Staatswirtschaft. Dabei kommt folgender Konstruktionsfehler einer großen Koalition zum Tragen: In einer großen Koalition haben nämlich die „Sozialdemokraten“ beider großen Parteien die strukturelle Mehrheit. Daraus ergibt sich der eigentliche Fehler, dass niemand mehr darauf achtet, dass Kompromisse in Richtung mehr Freiheit, mehr Eigenverantwortung und in Richtung „Privat kommt vor dem Staat“ gezogen werden. Das ist es, was in Wahrheit fehlt. Vor diesem Hintergrund können Sie, Frau Bundeskanzlerin, nicht sagen, die Opposition habe keine Alternativvorschläge. Jedes Mal fragen Sie hier rhetorisch für die Bürger, die uns zuschauen: Wo sind denn eure Alternativen? Wir würden sie prüfen. - Was Sie dabei verschweigen, ist, dass wir in all den unter Ausschluss der Öffentlichkeit tagenden Ausschüssen, bei denen keine Fernsehkameras zugegen sind und somit auch niemand zuschauen kann, die Umsetzung unserer Alternativvorschläge beantragt haben und diese dort auch ausführlicher dargestellt haben, als wir es hier aufgrund der geringen Redezeit als Oppositionspartei machen können. Wir haben 500 Anträge im Haushaltsausschuss gestellt. Sie sagen, das seien alles Kürzungsanträge, die aus Ihrer Sicht nicht seriös seien. Das müsste ich im Rahmen des politischen Meinungsstreites so stehen lassen. Aber dass Sie auch die über 70 Anträge zum Haushalt mit einem Einsparvolumen von mehreren Milliarden, die wir in den Ausschüssen gestellt haben und die bis hin zu den Formulierungen dem entsprechen, was die Union in den letzten Jahren als Opposition im Haushaltsausschuss beantragt hat, abgelehnt haben, zeigt, dass bei Ihnen der Verstand in Wahrheit durch die Koalitionsräson dominiert wird. Das ist schlecht für Deutschland, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({19}) Sie wissen das und deswegen genieren Sie sich dafür ja auch. Wo ist die CSU geblieben? Sie hatte einmal im Zusammenhang mit der Kandidatur von Strauß plakatiert - als junger Student bin ich, wie es sich gehört, heftig dagegen angegangen -: Freiheit statt Sozialismus! Dieses Plakat wird eines Tages einmal gegen Sie herausgeholt. ({20}) Das wird passieren. Nein, wir haben etwas anderes gewollt. Lassen wir einmal das Geplänkel weg und konzentrieren uns auf die Sache. Ich will Ihnen einmal ein paar Beispiele nennen: ({21}) Sie, Herr Kollege Steinbrück, haben gestern in der Einbringungsrede zum Haushalt einen meiner Meinung nach ganz wichtigen Punkt angesprochen, der es auch wert wäre, hier im Bundestag besprochen zu werden. Sie forderten, den Staat nicht schlecht zu machen, und kritisierten, eine Allianz aus Opposition und Boulevardpresse - so haben Sie es sinngemäß formuliert - vergreife sich an dem Ansehen des Staates, weil sie von dem gefräßigen Steuerstaat spreche. ({22}) Ich sage Ihnen, lieber Herr Finanzminister, das ist aus meiner Sicht zu kurz gegriffen. Wir werden als Opposition auch in Zukunft - das stellt die kontinuierliche Linie unserer Politik dar - jede Steuererhöhungspolitik kritisieren. In den letzten Jahren haben wir nämlich die Erfahrung gemacht, dass Steuererhöhungen nie dazu geführt haben, dass die Staatsfinanzen in Ordnung kamen. Die Staatsfinanzen kommen nur in Ordnung, wenn Arbeitsplätze entstehen. Also muss alles unterlassen werden, was Arbeitsplätze kostet. Weil Steuererhöhungen dramatisch viele Arbeitsplätze kosten, muss man sie lassen, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({23}) Ich nenne Ihnen nun ein paar Unsinnigkeiten in Ihrem Haushalt, für die Sie die Verantwortung tragen. Wenn ich das tue, ist das keine Kritik am Staat, die man verurteilen müsste. Nein, wir wollen einfach diese Ausgaben nicht. Sie wollen diese Ausgaben aus politischen Gründen; das ist Ihr gutes Recht. Sie haben eine große Mehrheit in diesem Hause und können es auch beschließen. Aber es muss erlaubt sein, dass wir als Opposition bestimmte Einzelpunkte aufgreifen und angreifen. ({24}) Als Beispiel nenne ich die Tatsache, dass wir immer noch Entwicklungshilfe an China zahlen. Wir haben im Haushaltsausschuss die Streichung dieser Hilfen beantragt und hätten uns mit Ihnen auch über Übergangsfristen und darüber, wie man dabei vorgehen kann, verständigen können. Tatsache ist, China ist mittlerweile unser wichtigster Handelspartner in Asien. Es ist die drittgrößte Handelsnation der Welt. Wir aber geben hunderte Millionen Entwicklungshilfe an China. ({25}) Die bauen den Transrapid und steigen in die Weltraumindustrie ein. Wir aber geben einem unserer stärksten Konkurrenten Entwicklungshilfe. Das ist Denken von gestern. Hier handelt es sich um einen Wettbewerber, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({26}) Ich darf Sie darauf aufmerksam machen, dass sich die Entwicklungshilfe für China in den letzten drei Jahren auf etwa 200 Millionen Euro belaufen hat. Sie haben dazwischengerufen, es seien nur 70 Millionen. Das gilt nur für einen Ansatz. Insgesamt haben wir in den letzten Jahren etwa 2,8 Milliarden Euro Entwicklungshilfe an China gezahlt. Man kann natürlich so weitermachen. Man kann es auch ändern. Wir sind der Meinung, man sollte es ändern. ({27}) Sie sind der Meinung, man solle es so lassen. Verantworten Sie das gegenüber der Bevölkerung. Wir vertreten eine andere Meinung. Deswegen sind wir nicht schlechtere Deutsche, Herr Finanzminister. Das möchte ich an dieser Stelle klar sagen. ({28}) Ich will auf einen weiteren Punkt eingehen. Sie sagen ja, Sie würden jetzt die Staatsfinanzen konsolidieren. Tatsache ist, Sie erhöhen die Steuern wie keine Regierung zuvor, und Tatsache ist, dass Sie das nicht zugunsten der jungen Generation tun nach dem Motto: Dann machen wir weniger Schulden. Sie machen beides. Auch die Nettokreditaufnahme ist so hoch wie nie zuvor: fast 40 Milliarden Euro. Das hat es noch nicht gegeben. Große Koalition, große Schuldenmacherei - das ist es, worüber wir hier reden müssten. ({29}) Was bedeutet Ihre Politik für die Familien? Sie rühmen sich ja so wegen des Elterngelds. Niemand ist dagegen, dass Familienpolitik gemacht wird. Die Frage ist nur, wie sie gemacht wird. Als staatliche Bevormundung? Eigentlich müsste dem Staat jedes Kind gleich viel wert sein. Das ist immer die klassische Haltung dieses Hohen Hauses gewesen. ({30}) Sie machen jetzt etwas ganz anderes. Sie sagen: Es bekommt Geld, wer das Familienmodell der Regierung in der Erziehung verfolgt. Wir sagen: weniger Bevormundung wäre besser. Das ist auch eine intelligente Familienpolitik. ({31}) Was tun Sie stattdessen im Familienbereich? Ich möchte in der Öffentlichkeit noch einmal Zahlen nennen: Eine Familie mit einem Durchschnittseinkommen von 40 000 Euro wird nur durch die Beschlüsse der letzten Wochen eine Mehrbelastung in Höhe von 1 600 Euro im Jahr haben. ({32}) Ich möchte auch einmal erwähnen, was das für das Handwerk und den Handel bedeutet, weil Sie sich darüber wundern, dass im Augenblick so viel gekauft wird. Das ist doch kein Wunder. Viele Leute wollen der Mehrwertsteuererhöhung entgehen, von der sie wissen, dass sie im nächsten Jahr kommt. Die Käufe werden vorgezogen. Umso leerer werden die Auftragsbücher in den ersten beiden Quartalen des Jahres 2007 sein. Das sagen Ihnen der Bundesbankpräsident, die FDP und die Wirtschaftsinstitute. Sie wollen es aber nicht hören und beschimpfen stattdessen die Opposition. Ich möchte ein Beispiel anführen: Eine Familie will einen Golf zu einem Preis von - das ist geschätzt 20 000 Euro kaufen. ({33}) - Ja, Herr Kampeter, das ist die schmale Ausgabe; ich bin sicher, dass Sie die nicht fahren. ({34}) Es gibt aber Familien, die weniger verdienen als ein Abgeordneter. - Diese Familie wird nur durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer 600 Euro mehr zahlen. Dieses Geld nehmen Sie den Bürgern. 600 Euro, sechs HundertEuro-Scheine, mehr, wenn man sich ein Auto kauft, nur weil Sie nicht in der Lage sind, strukturelle Reformen des Haushaltes zu bewirken. Ich finde, das ist ein unanständiges Abkassieren der Bürgerinnen und Bürger. Das hat mit wirtschaftlicher Vernunft und sozialer Gerechtigkeit nichts zu tun. ({35}) Herr Kollege Scholz, ich muss auch auf dieses Thema eingehen, weil Sie es angesprochen haben: Thema Steuern. Wir haben ein Konzept dazu vorgelegt. Es fehlt mir die Zeit, es als Oppositionsabgeordneter vortragen zu können. Ich kann nicht wie Regierungsmitglieder beliebig lange reden. Wir haben entsprechende Konzepte im Haushaltsausschuss eingebracht. Nun aber zum Thema Bürokratie. Dass die Union gegen das Antidiskriminierungsgesetz gewesen ist, wissen alle. Aber bei allem Respekt, Herr Kollege Scholz, wie kann man den Satz formulieren: Habt ihr etwas für die Diskriminierung übrig? - Wenn es jemanden - auch im Rahmen der heutigen Debatte - gibt, der sich ganz persönlich mit Sicherheit immer gegen die Diskriminierung von Minderheiten aussprechen wird, dann bin ich es. Ich glaube, dass Sie mit diesem Antidiskriminierungsgesetz Minderheiten in Wahrheit nicht schützen, sondern ihnen schaden. ({36}) Mit dieser Bürokratie und der Klagewelle von Opferverbänden gegen den Willen des angeblich Diskriminierten werden Sie denen, die Sie schützen wollen, nur schaden. Es ist in Wahrheit ein minderheitenschädliches Gesetz, das Sie hier beschließen. Lassen Sie uns darüber sprechen, wie bisher darüber gedacht worden ist. Die Bemerkungen von Frau Merkel im Bundestagswahlkampf waren hinreichend bekannt. Wir haben doch einmal gemeinsam das Antidiskriminierungsgesetz verhindert, weil wir es für zu bürokratisch hielten. Da Sie der FDP Vorwürfe gemacht haben, zitiere ich einige Aussagen. Schily: Die Rücknahme des Antidiskriminierungsgesetzes wäre ein echter Beitrag zum Bürokratieabbau. - Das sagte er im März letzten Jahres. ({37}) Clement: Ich sehe das genauso wie der Kollege Schily. Steinbrück: Das Antidiskriminierungsgesetz in seiner jetzigen Konzeption ist eine zusätzliche Belastung für die Wirtschaft. Deshalb würde ich im Bundesrat diesem Gesetz nicht zustimmen. ({38}) Platzeck: Wir sind ein völlig verriegeltes Völkchen geworden. Was Deutschland wirklich nicht mehr gebrauchen kann, ist, auf Brüssel noch irgendwo einen Punkt draufzulegen. - Herr Ude, SPD-Oberbürgermeister in München: Da haben sich Gutmenschen ausgetobt. Schöner hätte ich das gar nicht formulieren können. ({39}) Herr Beck, ich meine den großen Beck, den SPD-Vorsitzenden Beck, ({40}) den rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Kurt Beck, der damals zugleich stellvertretender SPD-Chef war, sprach sich dafür aus, gesetzlich nur das zu regeln, was die EU-Richtlinien zwingend vorgeben. Eigentlich waren wir uns doch einig! Entsprechend sah auch Ihre Regierungserklärung aus. Die EU-Richtlinie sollte eins zu eins umgesetzt werden. Wenn Sie jetzt Bürokratie draufsatteln, dann kritisieren Sie die FDP nicht dafür, dass sie das anprangert! ({41}) Weil Sie, Frau Bundeskanzlerin, gerade ganz Wichtiges mit dem Bundesumweltminister zu besprechen hatten, komme ich auf eine Sache ganz kurz zu sprechen. Es ist erstaunlich, wofür die Regierung Geld hat, zum Beispiel für eine Broschüre gegen die Kernkraft. Die hat jeder Zeitung beigelegen. Die kostete Geld, Tausende, vielleicht sogar Hunderttausende. ({42}) - Nach sozialdemokratischer Rechnung wären das Milliarden. Das ist wahr. - Da stehen Sie, meine Damen und Herren, fröhlich beieinander. Herr Gabriel, der Umweltminister, schreibt, wie klasse es sei, dass man aus der Kernkraft aussteige, ({43}) wie notwendig das sei und dass die SPD schon seit Jahren dafür sei. ({44}) - Und die SPD klatscht. - Drei Tage später spricht unsere Bundeskanzlerin auf der Hannover-Messe und sagt: Wissen Sie, ich glaube, wenn man den Klimaschutz wirklich ernst nimmt, dann kann man auf die Kernkraft nicht verzichten. ({45}) Was gilt denn jetzt in dieser Regierung? ({46}) Gabriel grinst sich einen, was ich aus seiner Sicht verstehen kann. Das Mindeste, was man erwarten kann, ist, dass Sie, Frau Bundeskanzlerin, dafür sorgen, dass Sie wenigstens in Ihrer Öffentlichkeitsarbeit mit Rücksicht auf das Portemonnaie der Steuerzahler eine einheitliche Haltung vertreten. Das ist das Mindeste, was man von Ihnen erwarten kann. ({47}) Ich will mit einer Bemerkung zur Gesundheitspolitik schließen. Es war eine brillante Verkleisterung, Herr Kollege Kauder, die Sie uns geboten haben. Das zeigt, dass Sie ein sehr guter Redner sind. Es war toll, wie Sie das hier gemacht haben. ({48}) Herr Fraktionsvorsitzender, das war toll und beeindruckend. Respekt gegenüber Ihrer Professionalität zolle ich Ihnen immer, auch wenn Sie Unfug machen. ({49}) Aber Sie, Herr Kauder, stellen sich hier hin und sagen, die Bundeskanzlerin habe zum Thema Gesundheit alles gesagt. Nichts hat sie gesagt. ({50}) Sie hat gar nichts gesagt, was irgendwie Substanz gehabt hätte. ({51}) Sie sagte: Vor dem Sommer werden wir das alles noch lösen. Da gehen wir heran. - In Wahrheit haben die Zeitungen längst die Papiere. Oder wollen Sie sagen, dass die „Süddeutsche Zeitung“ in ihrer heutigen Ausgabe lügt? Gibt es dieses Papier oder gibt es das nicht? Ist das eine Regierungsausarbeitung oder lügt etwa die „Süddeutsche Zeitung“? Sie hätten die Gelegenheit wahrnehmen können, etwas dazu zu sagen. ({52}) Nach den Plänen, die wir bisher kennen, wissen wir nur eines: Nach der größten Steuererhöhung, dem Ausbau von Bürokratie und der größten Verschuldung kommt jetzt in der Gesundheitspolitik noch einmal ein tiefer Griff in die Tasche der Bürger auf uns zu. Warum? Weil Sie nicht in der Lage sind, sich auf einen gemeinsamen Reformnenner zu verständigen. Jetzt wird eine Chimäre geboren. Ein bisschen so und ein bisschen so, wie in der Steuerpolitik: Gibst du mir deine Mehrwertsteuererhöhung, gebe ich dir die Reichensteuer. Das machen Sie jetzt wieder in der Gesundheitspolitik. Sie fangen schon wieder mit dem Abkassieren an. Es werden Fonds gebildet, und an die PKVs wird herangegangen, als ob es um die Kassen ginge, dabei geht es doch um die Versicherten; denen wird das Geld weggenommen. ({53}) Eines sage ich Ihnen: Sie hätten Mut zur Reform der sozialen Sicherungssysteme zeigen müssen. Sie hätten sagen müssen: Das ist mein Weg in der Gesundheitspolitik. Stattdessen ringen Sie um einen faulen Kompromiss hinter verschlossenen Türen. Die Zeitungen bekommen Papiere zugesteckt, damit sich die Öffentlichkeit nachher nicht so aufregt, weil nicht ganz so dramatisch abkassiert wird, wie die Horrorzahlen, die heute veröffentlicht wurden, vermuten ließen. Diese Regierung wagt nicht mehr Freiheit, es ist eine Regierung, die den Staat wichtiger nimmt als die Gesellschaft und die Bürger. Deswegen, wegen dieser grundsätzlichen Haltung, lehnen wir den Haushalt Ihrer Regierung ab, Frau Merkel. ({54})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Vorsitzende der SPD-Fraktion, Dr. Peter Struck. ({0})

Dr. Peter Struck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002278, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Westerwelle, ich fand es mutig, dass Sie hier zugegeben haben, dass Sie nichts von Fußball verstehen - im Gegensatz zu mir: ({0}) Ich war einer der tragenden Spieler in der Bundestagsmannschaft. Peter Rauen wird das bestätigen. ({1}) Ich stimme Ihnen in einem Punkt, den Sie angesprochen haben, dennoch zu: Die Weltmeisterschaft ist für uns ein Glückfall. ({2}) Sie hat vor allem dem Land den Schleier der Miesmacherei weggerissen. ({3}) Sie haben heute versucht, damit weiterzumachen. Deutschland ist ein freundlicher Gastgeber. Die Fanmeile in unmittelbarer Nähe zum Reichstag ist Tag für Tag und Abend für Abend ein Beweis für ein fröhliches Miteinander von Gästen und Gastgebern. Wir können stolz auf unsere Deutschen sein, die unsere ausländischen Kameraden und Freunde betreuen und sich mit ihnen zusammen über Siege freuen und über Niederlagen trauern. Wir freuen uns, auch bei den nächsten Spielen, mehr über Siege. ({4}) Herr Kollege Westerwelle, Sie haben von der Enttäuschung auf der Regierungsbank gesprochen. Ich interpretiere das so, dass Sie enttäuscht sind, dass Sie nicht auf der Regierungsbank sitzen. Da wollten Sie ja gerne hin. ({5}) Was hätten Sie eigentlich gemacht, wenn Sie regiert hätten? - Ich will übrigens klar sagen: Die Aussage, Deutschland ist ein Sanierungsfall, ist nicht die meine. Das möchte ich unterstreichen. ({6}) Deutschland war ein Sanierungsfall 1998. ({7}) Da haben wir zusammen mit den Grünen die Regierung übernommen. Wir haben ordentlich regiert. Trotzdem sage ich: Es gibt in diesem Land viel zu tun. Was hätten Sie eigentlich gemacht, wenn Sie neben Frau Merkel auf der Regierungsbank gesessen hätten? Ich weiß ja nicht, ob Sie in das Kabinett hineingehen wollten. Es hieß ja, Sie hätten die Liste, wer was werden sollte, schon fertig. Stellen Sie sich vor, Sie hätten über die Finanzen reden müssen. Wir haben eine Mehrwertsteuererhöhung um 3 Prozentpunkte durchgesetzt. Ein Prozentpunkt bringt dem Bund 4,7 Milliarden Euro. Das heißt, eine Erhöhung um 2 Prozentpunkte bringt 9,4 Milliarden Euro. Wenn Sie keine Steuererhöhung gemacht hätten, hätten im Bereich der geplanten Investitionen 9,4 Milliarden Euro gefehlt. Wir haben ein Investitionsprogramm mit einem Volumen von 25,4 Milliarden Euro in den nächsten Jahren aufgelegt, das weitere Investitionen in einer Größenordnung von 60 Milliarden Euro nach sich zieht. Hätten diese Investitionen nicht stattfinden sollen? Das ist meine Frage. Hätten Sie nicht Ihre Hand dafür gehoben, dass wir Maßnahmen zur Sanierung von Gebäuden subventionieren oder das Elterngeld einführen? All das wird doch davon finanziert. Außerdem senken wir den Arbeitslosenversicherungsbeitrag um einen Punkt. Sind Sie dagegen, dass das geschieht? Ich frage angesichts des Gedröhnes, das Sie mit Ihrem komischen Märchenbuch, mit Ihren Anträgen, die Sie in den Haushaltsausschuss eingebracht haben, verursachen: Was würden Sie eigentlich tatsächlich anders machen? ({8}) Ich greife einen Punkt heraus, der mich aufgrund meiner früheren Tätigkeit besonders beschäftigt. Die FDPFraktion sagt: Wir kürzen bei der Bundeswehr um 1 Milliarde Euro. Die PDS-Fraktion fordert noch mehr: ({9}) 2 Milliarden. Dazu will ich Ihnen deutlich sagen: Was glauben Sie, was die Soldaten in Afghanistan oder im Kongo von einer solchen Maßnahme halten? Es ist eine unzumutbare Vorstellung, den Haushalt der Bundeswehr um 1 Milliarde Euro zu kürzen. Das kann man niemals akzeptieren. Das geht überhaupt nicht. ({10}) - Wir haben eine internationale Verantwortung. Das weiß doch jeder und auch Sie. Sie sind doch diejenigen gewesen, die, als wir regiert haben, immer gesagt haben: Ihr müsst mit dem Rumsfeld und dem Bush klarkommen; gebt mehr Geld für Verteidigung aus. Jetzt wollen Sie kürzen. Weitere Kürzungsmaßnahmen aus Ihrem Märchenbuch: 3 Milliarden Euro wollen Sie bei den Eingliederungshilfen kürzen. Carsten Schneider hat schon gestern in der Debatte darauf hingewiesen, dass 50 Prozent dieser Eingliederungshilfen in Ostdeutschland ausgeteilt werden. Sind Sie dafür, dass in dem Bereich noch härtere Kürzungsmaßnahmen durchgeführt werden? Das kann doch nicht Ihr Ernst sein. ({11}) - Wollen Sie eine Zwischenfrage stellen? Einen Augenblick noch. Setzen Sie sich noch einen Moment, Herr Fricke, es dauert noch ein bisschen. ({12}) - Ja, Sie können auch gern im Stehen warten. Ich will Folgendes sagen: Wir, CDU, SPD und CSU, haben 70 Prozent Mehrheit im Parlament. Das bedeutet, wir können zum Beispiel Verfassungsänderungen allein durchsetzen. Im Bundesrat ist die Situation so, dass die Länderregierungen diese Koalition tragen. Es wird immer Situationen geben, in denen ein Land, aus welchen Gründen auch immer, beabsichtigt, den Vermittlungsausschuss anzurufen, oder uns sagt, dass wir noch über etwas reden müssen, bevor wir es im Bundestag beschließen. Die jetzige Situation hatten wir seit der ersten großen Koalition von 1966 bis 1969 nicht mehr. Das heißt für mich, dass es eine große Verantwortung ist. Wenn nicht diese große Koalition die Zukunftsfragen der Nation löst, wer löst sie dann? Das heißt, wir sind wirklich zum Erfolg verdammt. Das gilt für jeden Punkt, über den wir zu diskutieren haben. Ich will die Opposition nicht kleinreden. Ganz im Gegenteil: Ich respektiere Ihre Arbeit. Das wissen Sie ganz genau. Aber auf uns kommt es jetzt an. Was sind die Zukunftsfragen der Nation? Versetzen wir uns einmal in die Lage eines normalen Menschen, der seinem Beruf nachgeht oder einen Arbeitsplatz sucht. Was erwartet er von uns? Er erwartet von uns, dass wir folgende Probleme lösen: Erstens erwartet er, wenn er arbeitslos wird oder bereits arbeitslos ist, dass wir ihm helfen, einen Arbeitsplatz zu finden. Die Maßnahmen, die wir jetzt mit Hartz IV bei der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe begonnen haben, sind absolut richtig. Die Debatte, die vor einiger Zeit über Hartz IV geführt worden ist, war falsch. Es war eine richtige Maßnahme, zu der wir stehen. Es war keine falsche Maßnahme. ({13}) Übrigens war es im Vermittlungsausschuss so - das wissen auch Sie -, dass die damalige Opposition, die CDU/ CSU, zugestimmt hat.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Struck, besteht denn die Aussicht, dass Kollege Fricke seine Frage noch vor dem Ende Ihrer Rede stellen kann?

Dr. Peter Struck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002278, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich verfolge gerade meinen Gedankengang. Herr Fricke, Sie können es vielleicht nachher noch einmal versuchen. Ich bin jetzt gerade bei einem anderen Thema. Sie kommen aber wirklich noch dran. Ich habe es ja zugesagt. ({0}) Wir sprechen in diesem Zusammenhang auch über Optimierungsgesetze. Wir haben über das Hartz-IVOptimierungsgesetz entschieden. Ich will gar nicht verschweigen, dass in meiner Fraktion natürlich heftige Debatten darüber geführt wurden. Auch bei den Kolleginnen und Kollegen von den Gewerkschaften gab es Debatten. Aber ich muss sagen: Ich kann überhaupt nicht verstehen, dass das Optimierungsgesetz, das Franz Müntefering vorgelegt hat, so umstritten gewesen ist, und zwar auch bei den Gewerkschaften, weil es dabei doch darum geht, einen besseren Verwaltungsablauf zu erreichen. Es geht auch darum, dass man jemanden - obwohl Renate Künast Recht hat, wenn sie die Größenordnung des Missbrauchs anspricht -, der eine zumutbare Arbeit zwei oder drei Mal ablehnt, auch mit entsprechenden Sanktionen belegt. Das Geld, das die Arbeitsagentur oder die Argen vergeben, ist doch Steuerzahlergeld. Es geht darum, dass wir eine gerechte Lösung finden. Dieses Optimierungsgesetz war also richtig und wir werden, wenn es nötig ist, noch weitere Schritte gehen. Es gibt einen laufenden Überprüfungsprozess, den der Arbeitsminister durchführt. ({1}) Das zweite Hauptthema, das die Menschen beschäftigt, ist: Was passiert mit mir, wenn ich krank werde? Jeder von uns kann in diese Situation geraten. Das wissen Sie. Wir müssen darauf achten, welche Sorgen die Menschen haben. Was ist die Sorge der Menschen? Die Sorge ist: Bin ich so krankenversichert, dass wirklich jede Krankheit, die mich befallen kann, entsprechend den ärztlichen Regeln behandelt wird? Mit anderen Worten: Erhalte ich das, was medizinisch notwendig ist, unabhängig davon, wie alt ich bin und ob ich arm oder reich bin? ({2}) Die Ziele der Gesundheitsreform müssen sein - hier sind wir uns einig -: Erstens. Jeder muss krankenversichert sein. ({3}) Gegenwärtig sind ungefähr 400 000 Menschen nicht krankenversichert. Das muss in Form eines Kontrahierungszwangs für die Krankenversicherungen organisiert werden. Zweitens. Jeder muss die medizinisch notwendigen Leistungen erhalten. Wir wollen keine Zustände wie zum Beispiel in Großbritannien. Dort kommt es vor, dass man drei oder vier Monate auf einen Operationstermin warten muss oder dass sich ein 70-Jähriger die künstliche Hüfte, die er braucht, selbst kaufen muss. Solche Zustände wollen und werden wir in Deutschland nicht bekommen. ({4}) Die dritte Frage, die die Menschen neben den Themen Arbeitslosigkeit und Krankheit bewegt, bezieht sich auf die Rente: Was geschieht, wenn ich alt bin? Sowohl durch die Debatten der letzten Zeit als auch durch die Diskussionen, die wir in den letzten zehn Jahren, also schon zu Helmut Kohls Regierungszeit, geführt haben, weiß jeder, dass die Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung nicht ausreichen werden, um den Lebensstandard, den man während des aktiven Arbeitslebens hatte, im Alter zu halten. Warum das so ist, brauche ich nicht zu erläutern. Das hat unter anderem mit der demografischen Entwicklung und mit der Arbeitsmarktentwicklung zu tun. Das ist bekannt. Deshalb hat die vorherige Koalition aus SPD und Grünen die Riesterrente eingeführt. Sie wird gut angenommen und ist auch in der Unionsfraktion akzeptiert. Hier müssen wir noch mehr tun. Klar ist - darüber wurde in den Koalitionsverhandlungen diskutiert und das ist umfangreich kommentiert worden -, dass wir länger arbeiten müssen. Franz Müntefering hat die mutige Entscheidung getroffen, öffentlich darüber zu sprechen, dass bis zum Alter von 67 Jahren gearbeitet werden muss und ab wann diese Regelung gilt. Das hat natürlich keinen Jubel hervorgerufen. ({5}) Das ist logisch. Dass darauf vonseiten der PDS-Fraktion mit gnadenlosem Populismus reagiert wurde, war nachvollziehbar. Aber das ist keine Lösung. Wir müssen also länger arbeiten. ({6}) Welche Funktion hat eine Haushaltsdebatte? Da ich im Deutschen Bundestag schon an 25 Haushaltsdebatten teilgenommen habe - ich meine die zweiten und dritten Lesungen -, kann ich Ihnen mitteilen: Die normale Funktion dieser Debatte besteht darin, dass die Regierung sagt, dass sie alles eigentlich ganz gut macht - Frau Merkel, Ihr Amtsvorgänger hat immer gesagt, dass seine Regierung eigentlich sehr gut ist; Sie sind im Augenblick noch ein bisschen bescheidener -, ({7}) und dass die Opposition sagt, dass alles, was die Regierung macht, falsch ist. Im Hinblick auf die Opposition muss ich feststellen: Sie sprechen immer nur von der Mehrwertsteuererhöhung. Aber irgendwann müssen Sie dieses Thema vergessen, Herr Westerwelle. Dann muss Ihnen etwas anderes einfallen. Im nächsten Jahr können Sie nicht mehr auf die Mehrwertsteuererhöhung verweisen. Dass Sie das im Moment machen, kann ich aber verstehen. Die Mehrwertsteuererhöhung ist niemandem leicht gefallen. Da wir jedoch gleichzeitig die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung senken und das Investitionsprogramm finanzieren, legen wir das Geld der Bürger, das wir durch die Mehrwertsteuererhöhung einnehmen, vernünftig an. ({8}) Nun zu den Kleinigkeiten, über die sich die Opposition aufregt. Weil es in den Zeitungen steht und viel darüber geredet wird, zum Beispiel in Hintergrundgesprächen, ist bekannt, dass über ein Allgemeines Gleichstellungsgesetz diskutiert wird. Ich weiß, dass die Unionsfraktion damit Probleme hat. ({9}) Aber wir haben Vereinbarungen getroffen. Die Koalition kann nur dann durchhalten, wenn diese Vereinbarungen eingehalten werden. Ich bin fest davon überzeugt, dass dies geschieht und dass Volker Kauder sein Wort, das er mir gegeben hat, hält; ({10}) denn andernfalls könnten wir nicht mehr zusammenarbeiten. So ist das. An dieser Stelle möchte ich den Kollegen der CDU/CSU-Fraktion dafür danken, dass sie ihr Wort halten. ({11}) - Ja, darauf komme ich gleich noch zu sprechen. ({12}) Kollege Westerwelle weist zwar darauf hin, dass ihr, bevor wir unsere Vereinbarungen getroffen haben, etwas anderes gesagt habt. Aber das ist in der Politik nun einmal so. Natürlich habt ihr in der Vergangenheit etwas anderes gesagt. Aber dann haben wir uns auf eine bestimmte politische Lösung geeinigt. ({13}) Das hat auch etwas mit der Föderalismusreform zu tun. Auch darüber wird innerhalb der Koalition diskutiert; das gebe ich gerne zu. Frau Merkel, Sie haben es angesprochen und es ist völlig richtig: Man darf das große Ziel nicht aus den Augen verlieren; ich schaue jetzt die Kritikerinnen und Kritiker in meinen Reihen an. ({14}) - Nicht nur Herrn Tauss; wir werden in der nächsten Woche darüber entscheiden. - Die Zielrichtung - weniger zustimmungspflichtige Gesetze und eine klare Verteilung der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern ist absolut richtig und dabei bleibt es auch. ({15}) Aber man muss schon darüber diskutieren, ob es richtig ist, manche Kompetenzen vom Bund auf die Länder zu verlagern. Wir haben - das wissen Sie genau - ein sehr umfangreiches Anhörungsverfahren durchgeführt, wie es das in der Geschichte des Bundestages noch nicht geDr. Peter Struck geben hat: 100 Sachverständige, nicht nur von den Fraktionen, sondern auch vom Bundesrat benannt, haben in diesem Raum manchen Punkt sehr kritisch bewertet. ({16}) Wir haben alle, soweit wir es konnten, zugehört, und unsere Expertinnen und Experten haben uns darüber berichtet. Es kann aber nicht sein - das will ich deutlich sagen -, dass wir diese Anhörung just for show gemacht haben, vielmehr nehmen wir das, was hier vorgetragen wurde, ernst. ({17}) Aber wir alle in diesem Raum wissen doch auch: Von dem, was im Hinblick auf die Föderalismusreform diskutiert wird, wird einiges vom Bundesrat akzeptiert werden können und einiges nicht; das ist so. Hier verlaufen die Grenzen doch nicht zwischen SPD und CDU/CSU einerseits und der Opposition andererseits, sondern die Grenzen verlaufen zwischen Bundestag und Bundesrat. ({18}) - Auch. Aber im Wesentlichen scheiden sich die Meinungen doch gerade an dem Punkt, über den wir hier kritisch diskutieren. Also: Ich weiß genau, wir bekommen nicht alle unsere Änderungswünsche durch. Übrigens ist es nicht so, dass nur meine Fraktion gerne etwas geändert hätte - es gibt auch Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSUFraktion, die gern etwas geändert hätten. ({19}) Sie verstecken sich im Moment nur hinter uns, weil sie sich sagen: Lass mal die Sozis vorangehen! ({20}) Und auch in der FDP wird vieles kritisch diskutiert; das weiß ich. Trotzdem bin ich der festen Überzeugung, dass wir eine Föderalismusreform - über die wir ja in der nächsten Woche zu entscheiden haben - brauchen. Wir brauchen sie, um die Regierung unseres Landes schneller handlungsfähig zu machen. Die Einzelheiten müssen wir noch bereden. ({21}) - Etwas spröde, kann man sagen. ({22}) - Ich kriege das schon hin in meiner Fraktion. ({23}) - Das denke ich schon. Ich nehme meine Verantwortung als Fraktionsvorsitzender wahr und will dazu gleich einmal etwas sagen. ({24}) - Ich mache das schon. ({25}) Man muss natürlich auch sagen, dass wir, was die Föderalismusreform angeht, am Freitag in einer Woche eine ausführliche Debatte brauchen. Denjenigen Kolleginnen und Kollegen, die Bedenken haben, muss wirklich die Chance gegeben werden, ihre Änderungswünsche im Plenum darzustellen. Trotzdem muss sich am Ende jeder - ich schaue jetzt in Richtung der FDP, weil ich weiß, dass es auch dort Rechtsexperten gibt, die viele Fragen haben - die Frage stellen: Sollen wir trotz Bedenken an einzelnen Stellen - die jeder haben kann - das Gesamtpaket scheitern lassen? ({26}) - Meine Position ist auch: Nein. Aber ich setze voraus, dass wir noch Gespräche zu führen haben, auch mit dem Bundesrat, um auszuloten, was machbar ist und was nicht. ({27}) Zu Beginn der Debatte, als der Entwurf der Föderalismusreform eingebracht worden ist, da hieß es: Nichts wird geändert, das steht im Koalitionsvertrag, der Bundesrat hat so beschlossen. - Deshalb bedanke ich mich bei denjenigen, die dazu beigetragen haben, dass es eine offenere Debatte gibt und dass die harte Ablehnung inzwischen aus der Welt ist. Dafür herzlichen Dank! ({28}) Ich will noch auf den Kollegen Kauder eingehen, weil er im Zusammenhang mit der Unternehmensteuerreform etwas zu aktuellen Fragen wie der Zukunft der Gewerbesteuer gesagt hat. Ich habe jahrelang Kommunalpolitik betrieben - ich war 20 Jahre im Kreistag - und will für meine Fraktion und sicher auch für den Finanzminister deutlich machen: Ich bin nicht bereit, die Gewerbesteuer in irgendeiner Weise aufzugeben, solange es nicht eine bessere Alternative dazu gibt. Ich sehe keine bessere Alternative. ({29}) Man kann über vieles sprechen. Das werden wir auch tun. Ich möchte eines gleich klarstellen. Herr Finanzminister Steinbrück, der Herr Kollege Kauder hat Ihnen seine uneingeschränkte Solidarität zum Haushaltsentwurf 2006 bekundet. Damit überhaupt kein Zweifel daran besteht: Ich möchte mich dieser uneingeschränkten Solidarität für die SPD-Bundestagsfraktion anschließen. ({30}) - Nein, das glaube ich nicht. Abschließend möchte ich sagen: Es ist der erste Haushalt dieser großen Koalition. Der zweite Haushalt, der 2007er-Haushalt, wird schwieriger. Darüber sind wir uns - das gilt für alle, die auf der Regierungsbank sitzen, und auch für uns - völlig im Klaren. Wir werden das schaffen, weil wir wissen, dass wir unseren Auftrag erfüllen müssen. Wir müssen das tun, was die Menschen in unserem Land brauchen. Die SPD-Fraktion steht dazu bereit. ({31})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Otto Fricke das Wort.

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, Herr Fraktionsvorsitzender Struck, Sie hatten mir leider nicht die Möglichkeit gegeben, eine Frage zu stellen. Deswegen muss ich jetzt diesen Weg gehen. Ich darf Sie als Erstes darauf aufmerksam machen, dass die Änderungsanträge der FDP-Fraktion bezüglich der Bundeswehr nicht die Ausstattung der Soldaten, sondern zum Beispiel Waffensysteme für Hubschrauber, Waffensysteme für den Eurofighter und Ähnliches mehr betreffen. ({0}) Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir diese Dinge im Kongo brauchen. Es wäre unverantwortlich, wenn wir so etwas tun würden. Das nur zur Klarstellung. Zweitens. Bekomme ich von Ihnen als Fraktionsvorsitzenden der SPD zum Thema Eingliederungshilfe, bei dem Sie uns den Vorwurf machen, wir würden den Leuten etwas wegnehmen, hier im Parlament die klare und deutliche Aussage, dass die 6,5 Milliarden Euro, die für die Eingliederungshilfe etatisiert worden sind und von denen bisher übrigens nur ein Viertel verbraucht worden ist, obwohl bereits die Hälfte des Jahres herum ist, nur dafür und nicht für irgendetwas anderes ausgegeben werden? Würde das Geld für etwas anderes ausgegeben, dann wären unsere Anträge ja durchaus berechtigt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zur Erwiderung, Herr Kollege Struck.

Dr. Peter Struck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002278, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Fricke, entschuldigen Sie, aber ich habe wirklich vergessen, später noch eine Frage zuzulassen. Das war ernst gemeint. ({0}) - Das ist jetzt also geklärt. Zur Bundeswehr. Ich meine, Sie können nicht sagen, Herr Kollege Jung kenne sich nicht aus. Sie sagen, die Bundeswehr brauche nicht so viele Waffen, weswegen um 1 Milliarde Euro gekürzt werden könne. Ich frage Sie einmal: Wie wollen Sie das verantworten? Ich meine: Ein Soldat ohne Waffensystem ist eigentlich auch nicht viel wert. Das muss man wohl festhalten. ({1}) - Nein, U-Boote im Kongo nicht. Wie gesagt: Ich kenne mich aus und wäre bei den Kürzungen ganz vorsichtig. ({2}) Dass Sie hier Ihre Vorschläge machen müssen, ist ja nachvollziehbar. Zur Eingliederungshilfe. Ich bin dafür nicht politisch verantwortlich. Ich bin auch nicht in der Regierung dafür verantwortlich, dass das, was Sie eben angesprochen haben, eintritt. Ich bin aber optimistisch, dass das Problem gelöst wird. Gerade unsere Haushälter und der Herr Arbeitsminister werden genau darauf achten, dass wir das Thema Eingliederungshilfe so behandeln - haushaltsmäßig, über die Agenturen und über wen auch immer -, dass das seine Richtigkeit hat. Ich weiß, was Sie ansprechen, und kenne den Hintergrund Ihrer Frage. Ich verlasse mich auf die Leute, die wir haben, und der Minister ist sowieso ein guter Minister. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Dr. Lothar Bisky, Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Lothar Bisky (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003739, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Regelfall lobt die Regierung ihren eigenen Haushalt und wir als linke Opposition kritisieren ihn. Das ist auch bei diesem Haushalt richtig und wichtig; denn wieder einmal sollen die sozial Benachteiligten die Zeche zahlen. Aber keine Regel ohne Ausnahme. Dem Kulturstaatsminister ist es gelungen, Kürzungen im Kulturhaushalt abzuwenden, ja, sogar kleine Zuwächse zu erreichen. Bundeskulturstiftung, Filmförderung und die Deutsche Welle profitieren mit jeweils 2 Millionen Euro. Der Hauptstadtkulturfonds bleibt unbeschadet. Die Unterstützung zur Sanierung des Pergamonmuseums ist in Aussicht gestellt. Auch bei der Staatsoper gehen wir davon aus, dass sich der Bund an der Sanierung angemessen beteiligen wird. ({0}) Das bestehende Niveau wurde also insgesamt gehalten. Das ist angesichts der überall grassierenden Kürzungen auch von uns als linker Opposition ausdrücklich zu würdigen. Nun gilt es, dieses Votum für die Kultur politisch zu verteidigen. Ich bin mir sicher, das wird nicht einfach werden. Aber - ich bin nun dabei, etwas Wasser in den Wein zu gießen - viele Kultureinrichtungen sind aufgrund steigender Kosten und der Kürzungen vergangener Jahre in einer äußerst schwierigen Lage. Das ist nicht zu übersehen. Wir beantragen deshalb zum Beispiel mehr Mittel als von Ihnen vorgesehen für die Stiftung für das sorbische Volk. ({1}) - Ich weiß. Sie haben den Mittelansatz sogar leicht erhöht. Aber wir wollen etwas mehr. Das dürfen wir doch noch. ({2}) - Danke. Das ist okay. Vor allem aber fragen wir: Wo ist die Investition in die Kultur, von der die Kanzlerin in ihrer Regierungserklärung gesprochen hat? Wo ist die richtige, wichtige und zukunftsträchtige Investition in den deutschen Film? Die dafür vorgesehenen Investitionen sind um 2 Millionen Euro erhöht worden; das wissen wir. Endlich gibt es sie wieder: erfolgreiche deutsche Filme von Qualität. Deren Regisseure und Produzenten haben es verdient, dass nun auf sie gesetzt wird. Das Stichwort heißt: Investitionen in die Kulturwirtschaft als Wachstumsbranche für moderne Arbeitsplätze. Da sind die 2 Millionen Euro mehr für den deutschen Film in diesem Haushalt ein Anfang. Aber im Großen und Ganzen sind dies wie so vieles Großkoalitionäre zögerliche Trippelschritte; denn sie reichen keinesfalls aus. Es mag ja sein, dass sie eine Art Bonsai-Hollywood als Leitbild vor Augen haben. Das wird nicht reichen, um dem deutschen Film wirkliche Wachstumsimpulse zu verleihen. ({3}) Wo bleiben zukunftsträchtige Investitionen in Städte und Regionen, die ihr industrielles Fundament verloren haben, aber über große Kulturschätze und damit über Anziehungskraft verfügen? Würden diese Städte besser gefördert und ihr kulturelles Potenzial innovativ genutzt, könnten sie durch Kultur zu neuer Blüte und modernem Reichtum kommen, wie dies vielen ehemaligen armen Städten und Regionen in Europa gelungen ist und woran zum Beispiel auch Essen erinnert. Ist denn das für uns alle keine Herausforderung? Wie wäre es mit einem Sonderinvestitionsprogramm des Bundes für die Kultur? 25 Milliarden Euro sind ausgelobt worden. Warum wird die Kultur daran nicht beteiligt? Der Kulturausschuss hat sich dafür ausgesprochen, das Ressort von Herrn Neumann an diesem Programm zu beteiligen und zum Beispiel in den Denkmalschutz und den Erhalt von Baudenkmälern zu investieren, vor allem übrigens in den neuen Ländern. Wir halten das für sehr sinnvoll.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss.

Dr. Lothar Bisky (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003739, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. - Die Fraktion Die Linke fordert ein Zukunftsinvestitionsprogramm „Jugend und Innovation“ und darin 1,5 Millionen Euro mehr für die Filmförderung. Der Film und andere kulturwirtschaftliche Faktoren müssen energischer gefördert werden. Haben Sie mehr Courage dazu! Haben Sie mehr Mut zu Neuinvestitionen in der Kultur! Mehr Kultur ist der Zweck von Politik. Ich danke Ihnen. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun die Kollegin Christine Scheel, Bündnis 90/Die Grünen.

Christine Scheel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002771, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben auch heute wieder auf sehr eindrucksvolle Weise erkennen können, dass die Union und die SPD mit ihren gemeinsamen Projekten, die für die Zukunft dieses Landes wichtig sind, nicht wirklich weitergekommen sind; vielmehr werden die einzelnen Projekte anscheinend noch stärker zerfleddert, bevor Eckpunkte vorgelegt werden können. Für das Land ist das fatal, weil weder in der Wirtschaft noch für die Bürger und für die Berufe, von denen wir wissen, dass sie für notwendige Innovationen von Bedeutung sind und in denen neue Arbeitsplätze entstehen können, eine Perspektive erkennbar ist. ({0}) Das ist das Problem. Wenn man sich die einzelnen Bereiche anschaut, dann wird deutlich, dass es nicht nur in der Frage, wie ein bestimmtes Gesetz im Detail gestaltet wird, Unterschiede gibt; vielmehr gibt es auch hinsichtlich der Geisteshaltung und der Vorstellung, wie die Gesellschaft in Zukunft auszusehen hat, eklatante Unterschiede innerhalb dieser Koalition, und zwar nicht nur zwischen der CDU/CSU und der SPD, sondern auch innerhalb der Union und der SPD. Ich mache das an verschiedenen Beispielen deutlich. Wir haben eine Debatte über die Frage begonnen, wie wir in Zukunft die finanzielle Situation von Kindern und Familien verbessern können. Man muss es anerkennen, dass Herr Pofalla diese Debatte angestoßen hat. Wir diskutieren zurzeit darüber, ob das Ehegattensplitting zukunftsorientiert und richtig ist oder ob dieses Modell, das in den 50er-, 60er- und 70er-Jahren geeignet war, in der modernen Gesellschaft von heute keinen Bestand mehr hat. Er kommt aber zu der falschen Schlussfolgerung. Er geht nicht davon aus, dass dem Staat jedes Kind gleich viel wert sein muss. Seine Schlussfolgerung ist vielmehr, dass Bezieher von sehr hohen Einkommen neben dem Ehegattensplitting in Zukunft auch noch das Familiensplitting in Anspruch nehmen können und damit eine massive Entlastung erfahren. Die Bezieher von kleinen Einkommen hätten aber nichts davon, zumal dann die Kinderfreibeträge wegfallen würden. Das heißt: Oben entlasten Sie und unten belasten Sie; die Differenz zwischen Kindern aus Familien mit niedrigem Einkommen und hohem Einkommen wird erhöht. Das ist ungerecht und es ist auch für die Zukunft aus unserer Sicht nicht akzeptabel. ({1}) Dass die CSU das Thema nicht angehen will, verstehe ich. Denn die Riege der CSU-Vorderen hinkte schon immer der gesellschaftspolitischen Entwicklung hinterher. ({2}) Ich finde, sie sollten sich ein bisschen mehr um den Bären kümmern. ({3}) Aber vielleicht bekommt ihr ein bisschen mehr Drive und werdet etwas fortschrittlicher in eurer Denkweise. ({4}) Was die Unternehmensbesteuerung anbelangt, gibt es anscheinend einen breiten Konsens darüber, die Gewerbesteuer beizubehalten. Die CDU/CSU war immer für die Abschaffung; die anderen haben gefordert, sie beizubehalten. Das Fatale an der gegenwärtigen Situation ist aber, dass man ein Reformkonzept für alle unsere Unternehmen - auch für die kleinen und mittelständischen - auf den Weg bringen will, das man auch vernünftig finanzieren möchte, weil man sich keine riesigen Steuerausfälle leisten kann, dass aber - wie alle Ankündigungen aus den verschiedensten Reihen, gerade auch die Presseberichte des heutigen Tages, sehr deutlich gemacht haben - die Finanzierung der Reformen keinen Bestand mehr hat. In diesem Zusammenhang muss man schon berücksichtigen, was dabei herauskommt, wenn man sich auf die Senkung der Körperschaftsteuersätze beschränkt. Das ist keine Reform für die Zukunft; es ist vielmehr der kleinste gemeinsame Nenner, auf den man sich letztlich einigt. Der BDI-Präsident Thumann hat zu Recht darauf hingewiesen, dass der kleinste gemeinsame Nenner auch null sein kann. Bei den Reformen ist zu befürchten, dass für die Gesellschaft und vor allen Dingen hinsichtlich der Arbeitsplätze null herauskommt. ({5}) In diesem Kontext sind auch die Überlegungen betreffend die Erbschaftsteuer zu sehen. Das ist kein kleines Thema. Wir, die Gesellschaft, müssen die in unserer Verfassung verankerte Sozialbindung des Eigentums sehr ernst nehmen. Man geht aber den falschen Weg, wenn man sowohl kleine und mittelständische Unternehmen als auch Konzerne unabhängig davon, ob sie Arbeitsplätze erhalten, über einen Zeitraum von zehn Jahren von der Erbschaftsteuer vollständig befreit. Dann müssen die Bürger letztendlich die Steuerausfälle bezahlen. Wahrscheinlich ist ein solches Gesetz sogar verfassungswidrig. Das geht nicht. Die Sozialbindung des Eigentums ist ein ganz zentrales Element. Wenn Sie dieses Element im Gesetzgebungsverfahren nicht berücksichtigen, dann laufen Sie Gefahr, dass das Gesetz verfassungswidrig ist, dass diejenigen, die große Erbschaften gemacht haben, vor Gericht klagen werden und ihre Steuerbescheide unter Vorbehalt stellen und dass diesen Erben später eine Steuerrückerstattung gewährt werden muss. Das akzeptieren wir nicht. Wir wollen eine faire und gerechte Lösung. Auch wir wollen eine vernünftige Nachfolgeregelung für kleine und mittelständische Unternehmen. Aber bei einer solchen Regelung muss der Erhalt von Arbeitsplätzen berücksichtigt werden. Das gilt nicht nur im Hinblick auf die Unternehmensbesteuerung und die Erbschaftsteuer, sondern auch im Hinblick auf die Entwicklung in der Sozialversicherung und für alle anderen Ebenen, über die wir heute nur ansatzweise diskutieren können, weil wir nicht wissen, was Sie konkret vorhaben. Da Sie nicht in der Lage sind, dazu detaillierte Auskünfte zu geben, können wir keine abschließende Bewertung vornehmen. Fest steht jedenfalls: Wir haben eigene Vorschläge und Modelle und werden in der Sommerpause noch eine spannende Auseinandersetzung haben. Danke schön. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Dr. Christian Ruck, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Christian Ruck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001893, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Haushalt 2006 ist der erste Haushalt einer neuen Regierung. Er beginnt mit einem neuen Kurs. Die alte Politik war gescheitert. Deutschland ist nun auf einem guten Weg. Der Regierungswechsel hat zu einer positiven Stimmung geführt. Das drückt sich nicht nur im Meer der bunten Fahnen der Fußballfans aus, sondern auch in harten ökonomischen Fakten. Der Stellenabbau ist zum Stillstand gekommen. Die Arbeitslosenzahlen sind erstmals wieder signifikant gesunken. Bei uns in Bayern steigen die Beschäftigungszahlen bereits seit Monaten wieder. ({0}) Der deutsche Export boomt. Die Investitionen nehmen wieder zu und die Binnenkonjunktur festigt sich. ({1}) Diese Trendwende ist natürlich auch der neuen Bundesregierung unter Kanzlerin Merkel zu verdanken. ({2}) Wir haben die Kraft zu einer stetigen Politik. Mit dem Dreiklang „Sanieren, Reformieren, Investieren“ haben wir den richtigen Ansatz gefunden, Deutschland wieder nach vorne zu bringen. Vorredner haben schon darauf hingewiesen, dass die große Koalition bereits konkret angepackt hat. Bezüglich der Ausgabenseite haben wir den Entwurf eines Hartz-IV-Fortentwicklungsgesetzes verabschiedet. Das Gesetz ist nicht eine gesetzliche Regelung für Sozialabbau, sondern stellt eine Initiative zur Korrektur von Fehlentwicklungen im Ausgabenbereich dar. Es verhindert Leistungsmissbrauch und löst lähmende Verwaltungsverstrickungen. Ich erinnere nur an den explosionsartigen Anstieg der Zahl von Bedarfsgemeinschaften, gegründet von jungen Leuten. Genau das wollten wir alle doch nicht haben. Wir haben des Weiteren Steuerschlupflöcher geschlossen, fragwürdige Gestaltungsmöglichkeiten eingeschränkt und die Ausnutzung von Gesetzeslücken eingedämmt. Bezüglich der Einnahmeseite haben wir das Steueränderungsgesetz unter Dach und Fach gebracht, und zwar im Rahmen eines vernünftigen finanz- und steuerpolitischen Gesamtkonzepts. Wir tun das nicht aus Jux und Tollerei. Vielmehr gibt es keine Alternativen zu diesen Maßnahmen. Dieses Gesamtkonzept zielt darauf ab, den europäischen Stabilitätspakt und die Verschuldungsgrenze des Art. 115 des Grundgesetzes im nächsten Jahr einzuhalten. Dagegen kann niemand sein. Das Steueränderungsgesetz ist ein wichtiger Schritt hin zur Haushaltskonsolidierung. Mit ihm wird genau das umgesetzt, was CDU/CSU und SPD gemeinsam im Koalitionsvertrag vereinbart haben. ({3}) Ich wehre mich energisch gegen das Stichwort „Arroganz“, das vonseiten der FDP gefallen ist. Wir haben den Mut gehabt, auch im Wahlkampf die Notwendigkeit von Steuererhöhungen deutlich zu machen. Wir von der CSU gewinnen im Gegensatz zu den Mitgliedern der FDP unsere Wahlkreise in der Regel direkt. Das geht nicht, indem wir gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern, die uns wählen, die Arroganz an den Tag legen, die Sie uns unterstellen. Unsere Familienpolitik zeigt, dass die große Koalition auch hier innovative Wege geht. Mit dem Elterngeld erhalten die Familien eine neue finanzielle Unterstützung. Mit der Ausweitung der Kinderbetreuung, der steuerlichen Absetzbarkeit der Betreuungskosten und der Schaffung von mehr Familienfreundlichkeit am Arbeitsplatz fördert die große Koalition die Familien. Uns ging es auch darum, dass die Elternteile oder die Frauen, die die Aufgabe der Kindererziehung wahrnehmen, indem sie zu Hause bleiben, nicht benachteiligt werden, sondern ebenfalls gefördert werden. Das war ein fester und wichtiger Bestandteil der CSU-Politik. ({4}) Für die CSU geht Qualität vor Eile. Das gilt vor allem für die Gesundheitsreform. Hier ist der öffentliche Druck besonders groß, doch darf er uns nicht zu unüberlegten Entscheidungen zwingen, die wir alle dann als Patienten und Beitragszahler bereuen würden. Der Finanzierungsfonds ist nicht ein Zweck an sich und gewiss auch nicht ein Grundstein für Kassensozialismus, wie das heute behauptet wurde; im Gegenteil, er ist Mittel zum Zweck, nämlich für mehr Transparenz, mehr Wettbewerb und mehr Rationalisierung. Wichtig sind für uns auch der Erhalt der privaten Krankenversicherung und die Abkopplung der Gesundheitskosten von den Arbeitskosten. ({5}) Ziel bleibt: Es muss gewährleistet werden, dass der technische Fortschritt im Gesundheitsbereich auch in Zukunft jedermann zugute kommt. Zweck all unserer Reformen und Haushaltsentwürfe muss letztlich die Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen sein. Dazu müssen wir die Wirtschaft und vor allem den Mittelstand ankurbeln. Dazu ist bereits viel in Gang gesetzt, zum Beispiel das Gesetz zur steuerlichen Förderung von Wachstum und Beschäftigung, zum Beispiel das Mittelstandsentlastungsgesetz, das in Arbeit ist, und das 6-Milliarden-Euro-Programm „Neue Impulse für Innovation und Wachstum“. ({6}) Auch das Handwerk wurde von uns durch die Einführung der steuerlichen Absetzbarkeit von Handwerksleistungen wieder einigermaßen aufs Gleis gesetzt. Deswegen finde ich es unfair und nicht korrekt, dass Frau Künast - jetzt ist sie nicht mehr da - behauptet, der Bundeswirtschaftsminister würde hier zu wenig tun. ({7}) Das alles sind ganz entscheidende Schritte, die in den ersten sieben Monaten aus diesem Haus gekommen sind. Der größte Treppenwitz ist, dass dem Bundeswirtschaftsminister die hohen Strompreise angekreidet werden. Wenn von der grünen Politik in den sieben Jahren Rot-Grün irgendetwas bleibt, dann ist es nicht die Diskussion um die Legehennenbatterien, sondern dann sind es die exorbitant gestiegenen Energiepreise; die haben nämlich vor allem die Grünen zu vertreten. ({8}) Richtig ist, dass die große Koalition die Besteuerung der Unternehmen neu ordnet, damit Arbeitsplätze gesichert und geschaffen werden. Da möchte ich etwas ansprechen, was mir in der Debatte als etwas schräg aufgefallen ist. Es wird immer hin und her gerechnet, auf welchem Platz in Europa die Steuerbelastung der deutschen Unternehmen steht. Der Kern des Problems ist doch, dass wir mit einer massiven Abwanderung von Arbeitsplätzen und Unternehmen ins Ausland zu kämpfen haben. Das hat eine ganze Reihe von Ursachen. Die Form der Besteuerung ist eine Ursache. Es gibt einige Stellschrauben, an denen wir nicht drehen wollen. Zum Beispiel kommen für uns Dumpinglöhne nicht infrage. Das ist für uns kein Weg. ({9}) Deswegen müssen wir einen anderen Weg finden. Der hat dann etwas mit steuerlicher Entlastung zu tun. Die CSU-Landesgruppe will Waffengleichheit für Kapitalgesellschaften und Personenunternehmen. ({10}) Wir wollen die Investitionskraft und die Standortbindung gerade der kleinen und mittleren Unternehmen stärken. Deswegen ist es für uns ganz wichtig, dass es zu einer vernünftigen Regelung bei der Erbschaftsteuer kommt, Frau Scheel. Da können wir über alles Vernünftige reden. Aber eine Regelung, die gerade provoziert, dass ausgelagert wird, bevor diese Regelung in Kraft tritt, ist genau das falsche Rezept, um Arbeitplätze zu sichern. Meine sehr verehrten Damen und Herren, unsere Nationalmannschaft - das haben wir heute schon gehört arbeitet hart daran, die Weltmeisterschaft zu gewinnen. ({11}) Auch der Weltmeistertitel Deutschlands im Export ist das Ergebnis harter Arbeit. Wir müssen die Voraussetzungen dafür erarbeiten, dass wir Spitze bleiben. Der Export ist der Motor unserer Wirtschaft; auch unsere soziale Balance im Innern hängt davon ab. ({12}) Wir leben vom Verkauf unseres international anerkannten Know-hows. Deswegen setzt auch die CSU auf eine starke, verbesserte Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Bildungs- und Ausbildungssystems. ({13}) Um unsere Position in der Weltwirtschaft abzusichern, müssen wir auch unsere Außenbeziehungen optimieren, verzahnen und nachhaltig gestalten. Dazu ist die Verbesserung der transatlantischen Beziehungen ebenso wichtig wie ein neuer Anlauf zur Schaffung eines politisch handlungsfähigen Europas. Denn es wird immer deutlicher, dass wir als Nationalstaat zwischen den großen ökonomischen und politischen Blöcken ohne ein funktionierendes Europa zerrieben würden. Wir benötigen als Deutschland eine gesicherte Energie- und Rohstoffversorgung, ein faires Handelsregime und breit angelegte strategische Partnerschaften mit einer Vielzahl von Staaten, auch mit den neuen politischen und ökonomischen Kräften wie China, Indien, Mexiko und Brasilien. Überall hier haben die Bundeskanzlerin und ihr Kabinett bereits entscheidende Akzente gesetzt. Allerdings verschärfen sich vielerorts in den Schwellen- und Entwicklungsländern die Entwicklungsprobleme. Sie gefährden langfristig auch Frieden und Wohlstand in Deutschland und Europa. Deswegen ist die Ratio der Entwicklungspolitik als Teil unserer Außenbeziehungen nicht nur ein Element christlicher Solidarität und Verantwortung, sondern liegt auch im Interesse unserer eigenen Sicherheit und der Position Deutschlands in der Welt. ({14}) Deshalb treten wir für die Umsetzung des EU-Stufenplans für die Entwicklungsfinanzierung ebenso wie für gemeinsames Handeln in Krisengebieten und schnelle Hilfeleistung nach Katastrophen ein. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir stehen vor wichtigen Entscheidungen. Bundestag und Bundesrat müssen beweisen, dass wir in der Lage sind, das Vertrauen, das die Bürger uns bei der Wahl geschenkt haben, zu mutigen und nachhaltigen Reformen zu nutzen. Das nächste Entscheidende, was wir angehen müssen, ist die Föderalismusreform. Sie macht unsere Entscheidungsprozesse transparenter, sorgt für schnellere politische Entscheidungen und trägt dazu bei, dass unsere Demokratie wieder erfolgreicher wird und auf größere Akzeptanz stößt. Ich möchte auch darauf hinweisen, dass es Ministerpräsident Stoiber und Herr Müntefering waren, die schon in der letzten Legislaturperiode die entscheidenden Weichenstellungen für dieses Reformwerk vorgenommen haben. ({15}) Wir brauchen bei den Reformprozessen nicht nur Mut, sondern auch Kompromissfähigkeit. Die Koalition und die Koalitionäre haben sich aus verschiedenen politischen Richtungen aufeinander zubewegt und zusammengefunden. Das ist oft ein schwieriger Prozess und geht, wie Sie sehen, nicht immer ohne Blessuren ab. ({16}) Aber wir sind zum Erfolg entschlossen, zum Wohle unseres Landes. Auch wir von der CSU, Herr Struck, werden uns da einbringen. Vielen Dank. ({17})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächste Rednerin ist die Kollegin Petra Merkel für die SPD-Fraktion.

Petra Merkel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003591, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Haushalt 2006, den wir in dieser Woche abschließend beraten, ordnet sich ein - das kennen Sie jetzt schon - in den Dreiklang aus Sanieren, Reformieren und Investieren. ({0}) Unter dieser Zielsetzung hat die Koalition aus SPD, CDU und CSU ihre Arbeit angetreten. Der Haushalt ist durch eine strikte Ausgabendisziplin geprägt. Er hat aber vor allem ein Ziel: die Wachstumskräfte zu stärken und damit Arbeitsplätze zu sichern und zu schaffen. Die Beratungen des Haushalts 2006 wurden am 1. Juni im Haushaltsausschuss abgeschlossen. Dort findet übrigens die Kärrnerarbeit statt. Da werden ständig Petra Merkel ({1}) folgende Fragen gestellt: Sind die Ausgaben realistisch? Sind die Einnahmen richtig veranschlagt? Wo kann gespart werden? Welche Strukturen müssen verändert werden, damit weniger ausgegeben wird? Die globalen Minderausgaben in den Fachetats - das sind die pauschalen Einsparsummen, die jedes Ressorts zu erbringen hat - konnten weitestgehend auf die Einzelposten verteilt werden. Das war für viele Kolleginnen und Kollegen eine unglaubliche Arbeit. Das war anstrengend. Diese Arbeit ist - das können Sie sich vorstellen - nicht einfach. ({2}) Wir scheuen uns nicht vor internen Auseinandersetzungen. Denn anders wäre es nicht dazu gekommen, dass wir die Ausgaben für die Öffentlichkeitsarbeit in allen Ressorts um insgesamt 10,2 Millionen Euro senken werden. Das entspricht ungefähr 10 Prozent der Gesamtausgaben für den Bereich Öffentlichkeitsarbeit. Wir halten auch an der pauschalen Stellenkürzung der letzten Jahre in den Bundesverwaltungen in Höhe von 1,5 Prozent fest. Das ist eine ziemlich große Summe. Im Gegenteil: In diesem Jahr mussten wir diese auf 1,6 Prozent erhöhen, weil wir die beschlossene Arbeitszeitverlängerung umsetzen mussten. Allerdings stützt dieser Haushalt die politischen Schwerpunkte, mit denen Arbeitsplätze gesichert werden und neue entstehen. So sind während der Haushaltsberatungen trotz der nötigen Einsparungen die Investitionsausgaben mit 23,2 Milliarden Euro konstant geblieben. Wir starten mit dem Haushalt 2006 unser 25-Milliarden-Investitionsprogramm, das durch circa 12 Milliarden Euro aus den Ländern und Kommunen ergänzt wird, also circa 37 Milliarden Euro umfassen wird. Wir versprechen uns von diesem Investitionsprogramm mehr Arbeitsplätze und damit ein höheres Wirtschaftswachstum. Wir erwarten dadurch mehr Ausbildungsplätze. Wir wollen die Grundlage einer Existenz für die Jugendlichen schaffen und das Handwerk stärken. ({3}) Zum Beispiel werden, beginnend im Jahre 2006, 6 Milliarden Euro für die Förderung der Forschung bereitgestellt. Insgesamt 9,4 Milliarden Euro werden zur Förderung des Mittelstands durch Impulsprogramme, wie zum Beispiel das CO2-Gebäudesanierungsprogramm, eingestellt und hoffentlich die Baukonjunktur stärker bewegen. Das Solar- und das Wärmedämmprogramm für Hausfassaden wirken doppelt: Auf der eine Seite wirken sie energiesparend; auf der anderen Seite setzen sie auf neue Techniken. 4,3 Milliarden Euro werden zusätzlich für Verkehrsinvestitionen ausgegeben und 3 Milliarden Euro für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf - das ist ein wichtiges Feld, wie Sie wissen - bereitgestellt. Über den Haushalt versuchen wir bereits mit kurzfristigen Maßnahmen, das Wachstum zu stabilisieren. Wir verzichten im Haushalt 2006 bewusst auf weitergehende Einschnitte in Sozialleistungen und Bundesinvestitionen und akzeptieren eine eigentlich immer noch zu hohe Neuverschuldung im Jahr 2006. Wir sind der Überzeugung, dass unsere Staatsfinanzen nicht allein mit einer rigorosen Sparpolitik in Ordnung gebracht werden können. ({4}) Wir brauchen einen Mix aus wachstums- und beschäftigungsfördernden Maßnahmen, einer Verbesserung der gesetzlichen Rahmenbedingungen, einer entschlossenen Haushaltskonsolidierung und ({5}) strukturellen Reformen. Strukturveränderungen, die darüber hinaus für ein dauerhaftes Wachstum nötig sind, werden vorbereitet, zum Beispiel die Gesundheitsreform, die Unternehmensteuerreform, die „Reichensteuer“ und die Föderalismusstrukturreform. Diese werden die Beratungen für den Haushalt 2007 und den Finanzplan bis 2010 bestimmen. Als Mitglied des Haushaltsausschusses, das für den Etat der Bundeskanzlerin zuständig ist, möchte ich ein aktuelles Thema aufgreifen, das Sie und mich bewegt und von dem wir alle gepackt sind, obwohl wir gar nicht so recht gewusst haben, wie sehr es uns packen könnte. Dahinter verbirgt sich aber ein sehr grundsätzliches gesellschaftliches Thema; Herr Kauder, Sie haben es schon angesprochen. Die Zeitungen überschlagen sich und fragen: Was ist los in Deutschland? „Hoppla - sind wir das?“ titelte Gerd Appenzeller vom „Tagesspiegel“ in der vergangenen Woche seinen Kommentar und beschrieb sehr treffend, was viele von uns bewegt. Ich möchte daraus zitieren: Wir mögen uns Deutschland ohne Weltmeisterschaft gar nicht vorstellen im Moment, ({6}) ohne das Turnier, wohlgemerkt, nicht ohne den Titel, - Das finde ich gut. das ist etwas ganz anderes. … Entweder verändert uns diese Weltmeisterschaft, oder sie hat uns die Augen dafür geöffnet, dass wir längst anders sind, als wir dachten. Wir alle, die wir in diesem Land leben, ob wir nun hier geboren oder zugewandert sind, ob schon unsere Eltern einen deutschen Pass hatten oder den eines anderen Landes. … Wenn in Neukölln und auf dem Kurfürstendamm junge Türken und Araber, in Deutschlandfahnen gehüllt, nach dem Sieg gegen Polen frenetisch hupend Autokorsos veranstalten, kann uns das die Augen dafür öffnen, dass dieses Land vielleicht viel weiter ist, als wir dachten. ({7}) Richtig: Deutschland ist bunt, nicht nur zur WM; Menschen aus unterschiedlichen Ländern, bunte Trikots, gemeinsames Feiern, gemeinsames Bangen um den richtigen Schuss ins Tor und - natürlich - das gemeinsame Jubeln, wenn der Treffer gelungen ist. Durch dieses gemeinsame Erleben des friedlichen großen WM-Festes Petra Merkel ({8}) entsteht mehr; es entsteht ein neues Gefühl der Nähe und Verständigung. Auch diejenigen sind gepackt, die sich nicht unbedingt für Fußball interessieren; auch ich habe das gemerkt. ({9}) Das gemeinsame bunte Leben in Deutschland scheint mit dieser Fußballweltmeisterschaft neu wahrgenommen zu werden und zusätzliche Impulse zu bekommen. Nicht nur die Defizite des Zusammenlebens, die in den letzten Monaten leider immer wieder Schlagzeilen machten, stehen im Mittelpunkt, sondern auf einmal eine zwar längst vorhandene, aber vielleicht nicht erkannte gemeinsame Lebenswirklichkeit. Genau diese positive Lebenswirklichkeit ist in der letzten Zeit in der Wahrnehmung zu kurz gekommen, vom Karneval der Kulturen in Berlin über die Integrationsarbeit in vielen Sportvereinen in der Bundesrepublik und in den vielen Jugendgruppen bis hin eben zu unserer Fußballnationalmannschaft; auch da hat sich ja etwas verändert. Jetzt berichtet die Presse darüber, wie weltoffen die Atmosphäre ist und was in Deutschland auch wirklich Grundlage ist. Dazu, beide Aspekte, sowohl die Defizite als auch die gelungene Integration, das gelungene Zusammenleben in Deutschland, zusammenzuführen, könnte als ein erster Schritt der Integrationsgipfel mit Vertreterinnen und Vertretern von Ländern, Städten und Gemeinden, Ausländerverbänden und Religionsgemeinschaften dienen. Damit soll ein Prozess zur Erarbeitung eines nationalen Aktionsplans eingeleitet werden. Ziel muss es sein, das Notwendige für Integration zu tun, aber auch die positiven Erfahrungen der unterschiedlichen Akteure zu nutzen und auszutauschen. Gute Beispiele müssen genutzt werden. ({10}) Ich habe festgestellt, dass in dem Einzelplan zum Amt der Bundeskanzlerin eine Menge enthalten ist, was mit den Fragen der Integration und damit zu tun hat, wie man Brücken zwischen den Völkern schlägt, und was der Verständigung dient. Dort ist ebenfalls das Amt der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Frau Professor Dr. Böhmer, angesiedelt; es ist ja jetzt erstmals im Haushalt des Bundeskanzleramts verankert. Mit diesem Haushalt haben wir die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass dieser Integrationsgipfel noch in diesem Sommer möglich wird. Wie wichtig dieser Austausch von Erfahrungen ist, habe ich gerade wieder in der Pfingstakademie des Berliner Wannsee-Forums erlebt. Da treffen sich zu Pfingsten jeweils an die hundert Jugendliche aus allen Teilen der Bundesrepublik, um ihre Erfahrungen im Bereich Jugendbeteiligung und in Bezug auf Jugendprojekte auszutauschen. Das ist eine bunte Gruppe von jungen Menschen. Das Thema, das ich mit ihnen diskutiert habe, war: Migration in Deutschland. Wir haben hart diskutiert. Eine junge Frau aus Köln, in der Ukraine geboren, formulierte das so: Ich brauche die Verlässlichkeit, hier in Deutschland leben zu können. Ich lebe gerne hier, aber ich will auch, dass ihr mich wollt. Ich brauche echte Chancen in der Bildung und ich brauche eine Perspektive, zu arbeiten. Und: Ich brauche die Achtung und Anerkennung, die ich auch den Deutschen entgegenbringe. Ich glaube, treffender kann man das nicht ausdrücken. ({11}) Zum Austausch gehört die Sprache. Sprache, Sprache, Sprache, immer wieder - zur Integration gehört das ganz notwendig dazu. Das müssen wir unterstützen, wie wir alle wissen. Ich glaube aber, auch da muss man das Rad nicht immer neu erfinden. Vor einigen Jahren haben die Firma McKinsey, das Bundesministerium für Bildung und Forschung und der Senat von Berlin einen „Spracherwerbskoffer“ für Kindergärten entwickelt. Mit ihm kann man nicht erst mit Kindern im Kindergartenalter, also in einem Alter ab drei Jahren, arbeiten, sondern schon viel früher, nämlich dann, wenn die Kinder anfangen zu sprechen. Zielgruppe wären auch nicht nur die Kinder mit einer anderen Sprache als Deutsch, sondern auch die deutschen. Wir stellen ja auch bei den deutschen Kindern immer wieder fest, dass ihre Sprache immer reduzierter wird und immer weniger in ihrer Vielfalt angewandt wird. Der Grundstein dazu wird in der Krippe und in der Kita gelegt. Dieser Spracherwerbskoffer ist eine der Möglichkeiten, die wir nutzen können und die wir in den Gedankenaustausch mit einbringen können. ({12}) Die Bedingungen und Angebote für Integration müssen definiert werden; das ist ganz klar. Es muss aber auch der Diskriminierung entgegengewirkt werden. Zur Wahrnehmung neuer Aufgaben im Zusammenhang mit dem Antidiskriminierungsgesetz sind die Personalmittel im Bereich der Migrationsbeauftragten gegenüber dem Vorjahr um 324 000 Euro erhöht worden. Wir erleben im Moment, wie sehr der Sport Menschen verbindet. Das gilt aber auch für die Kultur. Der Sport wie die Kultur leisten tagtäglich Beiträge dazu, Menschen in unserem Land zusammenzubringen. Häufig geschieht das unter Mitwirkung von sehr vielen Ehrenamtlichen. Sport und Kultur schaffen so Verständnis, Achtung und ein gemeinsames Gefühl von Heimat und Identifikation. Damit schaffen sie die Grundlagen für Integration und zugleich auch für Eigenständigkeit. Sport und Kultur bauen Brücken untereinander und zu anderen Ländern. Sie haben sicherlich gemerkt, dass das meine Überleitung zu dem Haushalt des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, Herrn Bernd Neumann, war. 2006 beträgt der Haushalt für Kultur 914 Millionen Euro. Daran hat die Kulturstiftung des Bundes mit Hortensia Völckers an der Spitze, die gerade wiedergewählt worden ist, einen großen Anteil. Auch dort finden Petra Merkel ({13}) wir viele Projekte zur Integration als Brücke in andere europäische Länder. Ich nenne zum Beispiel das Büro Kopernikus, das deutsch-polnische Kulturprojekte initiiert. Übrigens wird Nikolaus Kopernikus sowohl von den Polen als auch von den Deutschen gleichermaßen für sich beansprucht. Ich nenne weiter das Projekt „Migration“, das etablierte Sichtweisen auf Migration überwinden will. Nach dem Koalitionsvertrag sind im Haushalt 2006 zusätzliche Mittel für die Kulturförderung auf der Grundlage des Bundesvertriebenengesetzes in Höhe von 1 Million Euro eingestellt worden. ({14}) Die finanzielle Unterstützung dient zur Wahrung der eigenen kulturellen Wurzeln. ({15}) Sie können gleich weiterklatschen. Denn: Mit 2 Millionen Euro wird die Ausstellung „Flucht, Vertreibung, Integration“ im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gefördert, ({16}) die neben Bonn und Leipzig auch in Berlin gezeigt wird. Diese Ausstellung zeigt übrigens ganz deutlich, wie groß die Integrationsleistung in Deutschland nach dem Krieg, also in einer weitaus schwierigeren Zeit, gewesen ist. Auch der Bundesanteil zur Unterstützung der Wahrung der Eigenständigkeit der Volksgruppe der Sorben als nationale Minderheit wird in Höhe von 7,6 Millionen Euro bewilligt. Ein neues Finanzierungsabkommen zwischen den Ländern Brandenburg, Sachsen und dem Bund ist allerdings dringend notwendig. Ich weise gern auf Genshagen hin. Das Berlin-Brandenburgische Institut für deutsch-französische Zusammenarbeit in Europa ist zunehmend auch im Dialog mit Polen. ({17}) Auch das ist wichtig für den Brückenbau zwischen Nachbarn. Nicht zuletzt die Medien bringen Menschen unterschiedlicher Kulturen zueinander. Der neue Titel „Deutscher Filmförderfonds“ mit 14,3 Millionen Euro setzt einen kulturellen wie wirtschaftlichen Schwerpunkt. Die Deutsche Welle erhält circa 273 Millionen Euro. Sie trägt Informationen über Deutschland in viele Teile der Welt. ({18}) - Das stimmt. Ich komme noch einmal zurück auf den Kommentar von Gerd Appenzeller: Nicht nur unsere Gäste, auch wir selbst erleben uns völlig anders, als wir sonst sind - oder vielleicht zu sein glaubten? Ein Deutschland, das sich weder Bedenken tragend noch mürrisch präsentiert, ein Land, das fröhlich, begeistert und begeisternd ist, in dem schwarz-rot-goldene Fahnen geschwenkt werden und in dem die Bürger ganz selbstverständlich die Nationalhymne mitsingen, ohne dass ein Hauch von Überheblichkeit oder Chauvinismus mitschwingt. Ich füge als jemand, der sich für Fußball begeistert, hinzu: Vielleicht liegt das auch daran, dass sich die Ausstrahlung der deutschen Fußballnationalmannschaft erheblich verändert hat. Sie ist eine Mannschaft, die nicht zaudert, zögert oder defensiv spielt, sondern ein Team, das nach vorne geht, manchmal etwas riskiert, sich etwas zutraut und seine Chancen sucht; eine Mannschaft, auf die wir richtig stolz sind. Glückwunsch, Herr Klinsmann! ({19}) Ich hoffe, dass die positive Stimmung, die hier im Regierungsviertel unweit vom Parlament, aber auch an vielen anderen Orten der Republik zu spüren ist, und das Selbstwertgefühl auch in den Monaten nach der FußballWM weiterwirken. Klinsmann hat gezeigt, dass ein Mentalitätswechsel möglich ist. Ich will mich an dieser Stelle bei den Kolleginnen und Kollegen für die Beratung im Haushaltsausschuss bedanken. Ich spüre immer wieder, dass die Zusammenarbeit gut funktioniert, auch wenn wir unterschiedlicher Meinung sind. Wenn das bei diesen Debatten herüberkommt, dann kann es nicht schaden. Schönen Dank. ({20})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, möchte ich darauf hinweisen, dass die namentliche Abstimmung zum Einzelplan des Kanzleramtes in etwa 16 Minuten, also in einer guten Viertelstunde, stattfinden wird. Das ist etwas früher, als wir zwischenzeitlich unter anderem auch im Videotext angekündigt hatten. So möchte ich auf diesem Wege die Kolleginnen und Kollegen, die nicht ohnehin schon hier sind, darauf aufmerksam machen, dass die namentliche Abstimmung in absehbarer Zeit aufgerufen wird. Nun erteile ich dem Kollegen Wolfgang Börnsen für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Wolfgang Börnsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000227, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Petra Merkel, Sie haben mit Art und Ausrichtung Ihrer Rede genau das praktiziert, was Sie von anderen gewünscht haben, nämlich eine positive Einstellung Wolfgang Börnsen ({0}) zu vermitteln, ohne dabei die notwendige Differenzierung aus den Augen zu verlieren. Herzlichen Dank. ({1}) Mit dem Etat der Bundeskanzlerin entscheiden wir auch heute gewissermaßen über den hochkarätigen Edelstein dieses Etats, nämlich die Kulturförderung. Deutschland hat eine der vitalsten Kulturszenen in der Welt. ({2}) Ob im Musiktheater, in der modernen Kunst, ob in der Literatur bis hin zu Fernseh- und Filmproduktionen: Kreativ, kritisch, herausfordernd bis anmaßend präsentiert sich die Spitzenkultur in unserem Land. Kultur ist gut für uns und Kultur tut gut. ({3}) Sie kostet zwar viel, aber Unkultur kostet noch viel mehr. ({4}) Es ist bemerkenswert um die Kulturnation Deutschland bestellt. Das gilt für die Qualität, das gilt auch für die Quantität: mehr als 110 000 Theater-, Opern- und Musicalaufführungen jährlich, mehr als 7 000 Konzerte, die von über 35 Millionen Menschen besucht werden, mehr als 6 500 Museen und Ausstellungshäuser mit über 100 Millionen Besuchern. Die Bundesliga dagegen kommt gerade einmal auf 10 Millionen Zuschauer. Da können Sie einmal sehen, welchen Stellenwert bei uns die Kultur einnimmt. ({5}) Um im Bild dieser Tage zu bleiben: In einigen Kulturbereichen sind wir sogar dabei, weltmeisterlich zu werden. Auf dem Weltkunstmarkt setzen wir erstklassige Akzente. Deutsche Orchester bestimmen europaweit die Maßstäbe in der Musik. Literatur aus unserem Land hat eine internationale Reputation. Das Kulturland Deutschland zeigt Kraft und Kreativität. ({6}) Die Kultur ist dabei nicht nur ein Kostgänger des Staates. Sie ist zu einer beispielhaften Wachstumsbranche geworden. Fast 800 000 Menschen arbeiten in Kreativberufen. Im Vergleich dazu: Die Automobilindustrie beschäftigt 620 000 Mitarbeiter. Innerhalb der letzten zehn Jahre ist die Anzahl der Kulturschaffenden bei uns um 31 Prozent gestiegen - ein jährliches Wachstum von 3,4 Prozent! Jeder Zweite davon ist selbstständig. Kultur und Kunst haben sich zu einem Jobmotor gemausert. Die Wertschöpfung im Kreativsektor betrug 2003 beachtliche 35 Milliarden Euro - 5 Milliarden mehr, als die Energiebranche auf die Beine brachte. Kultur schafft Beschäftigung! ({7}) Das von manchen Kulturkritikern verbreitete Bild eines nur muffigen, kleinkarierten Landes stimmt objektiv nicht. Deutschland ist wieder, besonders im Kulturbereich, zu einem Land der Ideen geworden. Die meisten Anmeldungen beim Europäischen Patentamt kommen aus der Bundesrepublik. Solche Erfolge kommen nicht von ungefähr. Sie sind das Resultat einer an Freiheit orientierten Kulturpolitik des Bundes, der Länder und der Kommunen. Hier ist ein kreativer Bodensatz entstanden, der schöpferische Kräfte freisetzt und zu einem Aufbruch in der Gesellschaft führt. Glücklicherweise diktiert nicht die Nützlichkeit maßgeblich die Kulturförderung, sondern das Wissen um ihre identitätsstiftende Wirkung. Kulturelle Bildung schafft Toleranzkompetenz. Sie ist das Salz im Flechtwerk der Demokratie. ({8}) Wir verstehen Kunst und Kultur nicht als Dekoration. Sie sind existenzieller Teil unseres Staatsverständnisses. Im Einigungsvertrag nimmt dieser Gedanke eine Schlüsselfunktion ein. Heute, 15 Jahre später, lässt sich feststellen: Kunst und Kultur haben durch die Wirkungskräfte der Wiedervereinigung einen dynamischen Schub und neue schöpferische Kraft bekommen. ({9}) Mit ihren Finanzbeiträgen für die Kultur haben alle Bundesregierungen diesen Prozess von Anfang an konstruktiv und verlässlich begleitet. Fast 1 Milliarde Euro für die Bundeskultur sind zu einer festen Größe geworden. Fast auf den Tag genau 15 Jahre nach dem hauchdünnen Hauptstadtbeschluss zugunsten Berlins lässt sich belegen: Unser Kulturstaat ist in seiner Hauptstadt erkennbar und erlebbar. Berlin ist zu einem erstklassigen Kulturschaufenster geworden. ({10}) Jeder zweite Euro für die Bundeskultur wird hier investiert. Ob allerdings alle Investitionen der Erfüllung gesamtstaatlicher Aufgaben entsprechen, ist von den Mitgliedern des Haushaltsausschusses kritisch zu prüfen, Steffen Kampeter. ({11}) Auf jeden Fall praktiziert Staatsminister Bernd Neumann mit Professionalität und Pragmatismus Kulturförderung in der Kontinuität seiner Vorgänger. Für jemanden, der bedingt durch die vorgezogene Bundestagswahl fast ein Dutzend kultur- und geschichtspolitische Baustellen aus dem Stand hat übernehmen müssen, sind seine bisherigen Erfolge anerkennenswert. Das gilt auch für die Erhöhung der Mittel des Kulturhaushalts. ({12}) Die Bundeskanzlerin hat zutreffend von einer zweiten Gründerzeit in der Kultur gesprochen und damit nicht nur die neuen Medien gemeint. Die eindrucksvolle, würWolfgang Börnsen ({13}) dige Eröffnung des Deutschen Historischen Museums ist ein Beispiel dafür. Geschichte als Mahnung, als Sinnstiftung, aber auch als Aufforderung zur Mitgestaltung an einer weltoffenen Demokratie der Partizipation! ({14}) Für eine solch sachgerechte Ausrichtung wäre zu fordern, dass im Rahmen der Föderalismusreform für Art. 23 eine Formulierung gefunden wird, die unserem föderalen Staat in Brüssel eine einheitliche gesamtstaatliche Interessenwahrnehmung garantiert. Außerdem - das gilt auch für die EU - müssen wir uns einer Initiative anschließen, die unser Parlamentspräsident angestoßen hat, nämlich Deutsch als dritte Amtssprache aus den Brüsseler Verhandlungen nicht auszuklammern. ({15}) Wer diesem Anspruch gerecht werden will, der muss auch dafür sorgen, dass die Förderung der Sprachkompetenz eine der Kernaufgaben der Kulturpolitik bleibt und im Land praktiziert wird - das ist auch wichtig für unsere Außendarstellung -; denn Sprache schafft Identität und öffnet erst die Tür zur Integration. Ich komme zum Ende.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ja, bitte.

Wolfgang Börnsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000227, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das Bildungswesen in Deutschland, das auf dem Weg zur flächendeckenden Ganztagsschule ist, braucht ein Bündnis mit der Breitenkultur. Die Breitenkultur ist neben der Spitzenkultur einer der kreativsten und beachtlichsten Bereiche in unserer Demokratie. 7 Millionen Menschen sind in diesem Bereich ehrenamtlich tätig. Sie sollten in einer Kulturdebatte ebenso Anerkennung und Unterstützung finden wie die Spitzenkultur. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat nun die Kollegin Monika Griefahn von der SPD-Fraktion.

Dr. Monika Griefahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003136, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich war in der letzten Woche bei einer bemerkenswerten Veranstaltung. Es wurden drei Jubiläen gleichzeitig gefeiert: erstens das 30-jährige Jubiläum der Kulturpolitischen Gesellschaft, zweitens das 35-jährige Jubiläum der Fabrik, einem Kulturzentrum in Hamburg, und drittens das 30-jährige Jubiläum von MOTTE, einem Kulturzentrum, das stadtteilbezogene Kultur- und Sozialarbeit macht. Alle drei verkörpern das, was uns wichtig ist, nämlich Kultur für alle und Kultur so zu gestalten, dass alle teilnehmen können, wobei sie dort abgeholt werden, wo sie sind. Wir hatten in unserem Wahlprogramm die Losung: Kultur ist Lebensmittel. Sie ist kein Luxus, sondern sie ist eine Grundlage unseres Lebens. ({0}) Ich glaube, wenn wir das mit unserer Politik deutlich machen können, dann haben wir viel erreicht. Wir haben dafür verschiedene Einrichtungen. Die Kulturstiftung des Bundes erreicht 2006 erstmals die Zielförderhöhe von 38 Millionen Euro. Das ist eine Menge Geld. Das Wichtige daran ist, dass wir gemeinsame Projekte mit anderen Ländern, aber auch gemeinsame Projekte in den Kommunen und in den Bundesländern machen können. Das ist die größte Stiftung ihrer Art in Europa, mit der sehr innovative Programme gestaltet und Projekte unterstützt werden können. So wird beispielsweise mit der Kulturstiftung der Länder die Restaurierung mobiler Objekte finanziert, wodurch sehr seltene Handwerksberufe wieder belebt werden können, die sonst aussterben würden. Das ist ganz wichtig; denn damit unterstützen wir den Erhalt von Arbeitsplätzen und sorgen dafür, dass Know-how erhalten bleibt. ({1}) Wir haben bei der schrittweisen Sanierung eines bedeutenden Weltkulturerbes, der Museumsinsel in Berlin, dieses Know-how benötigt. Man sieht, dass die Menschen die Museumsinsel annehmen und diese ein Publikumsmagnet ist. Allein an dem einen Wochenende im letzten Jahr, an dem das Bode-Museum probeweise geöffnet war, kamen 25 000 Besucher. Daran sieht man, dass sich die Leute informieren wollen und dass sie Kultur wollen. Kultur gehört zur Grundausstattung und sie ist ein Lebensmittel. Deswegen ist Geld, das für Kultur ausgegeben wird, kein verschenktes Geld, sondern eine notwendige Investition, die gleichzeitig Arbeitsplätze schafft. Wir freuen uns, dass 2009 das Neue Museum eröffnet werden kann. Das Geld dafür ist wirklich gut eingesetzt. Nicht nur Berlin kommt die Tätigkeit der Stiftung Preußischer Kulturbesitz zugute. Im Rahmen des föderalen Programms arbeitet die Stiftung auch mit Institutionen der Länder zusammen, um hochwertige Ausstellungen zu realisieren. Deswegen glauben wir, dass es wichtig ist, dass es dem Bund auch nach der Föderalismusreform weiterhin möglich ist, Kultur zu fördern und mit den Ländern und den Kommunen zusammenzuarbeiten, genauso wie es mit anderen Ländern in der internationalen Politik möglich ist. Die internationale Politik macht sich vor Ort bemerkbar. Ich verweise auf das Haus der Kulturen der Welt, das nur 500 Meter von hier entfernt ist und ein Treffpunkt für viele Nationen ist. Zurzeit gibt es eine tolle Ausstellung über die brasilianische Kulturrevolution. Auch dieses Haus wird jetzt mit Mitteln bedacht, damit es renoviert werden und weiterhin ein Treffpunkt sein kann. Damit kann das, was Frau Merkel im Zusammenhang mit der Fußballweltmeisterschaft dargestellt hat, weitergehen, nämlich der Spirit des Gemeinsamen, des Internationalen, des Offenen. Deswegen ist es gut, dass wir das fördern können.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Griefahn, darf ich Sie einen Moment unterbrechen? - Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte, der Rednerin Gehör zu schenken und insbesondere in der Mitte des Saales die Privatgespräche einzustellen. ({0})

Dr. Monika Griefahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003136, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Damit schlage ich eine Brücke vom Haushalt der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes zu dem Haushalt, den wir als nächsten diskutieren werden, dem des Auswärtigen Amts; denn die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik wird aus beiden Haushalten finanziert. Ein wichtiger Bereich, der im Ressort von Herrn Neumann angesiedelt ist, ist die Deutsche Welle. Ich bin sehr froh, dass wir die Deutsche Welle stabilisieren konnten und Herr Neumann angekündigt hat, sich in den kommenden Haushaltsverhandlungen weiter für angemessene Mittel einzusetzen. Ich glaube, wir können im Lande nicht einschätzen, welche Bedeutung die Deutsche Welle hat. Sie erreicht 90 Millionen Bürger weltweit. ({0}) In vielen Ländern der Welt, in denen es sonst keine Informationen gibt, hat sie die Funktion, Informationen zu verbreiten. Sie hat einen Etat, der kleiner als der des WDR ist. Wir sollten also nicht darüber diskutieren, ob das zu viel Geld ist. Die Finanzierung muss weitergehen; denn wir brauchen den Kontakt zu den Bürgern. Ich freue mich, dass wir jetzt zum Beispiel das arabische Programm haben, das noch ausgeweitet wird, dass wir den Afghanen geholfen haben und dass das spanische Programm weitergeht, was ebenfalls sehr kontrovers diskutiert worden ist. Zu weiteren Punkten der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik werden meine Kollegen Lothar Mark und Gert Weisskirchen etwas sagen. Ein zentraler Punkt betrifft die Kulturpolitik insgesamt: Wir müssen die Budgetierung vorantreiben. Das gilt besonders für die Goethe-Institute, aber auch für andere Einrichtungen, zum Beispiel den DAAD. Die Mittel müssen flexibler einsetzbar sein, damit wir in diesen Bereichen weiterkommen. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen Hans-Joachim Otto von der FDP-Fraktion.

Hans Joachim Otto (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001666, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Liebe Frau Kollegin Griefahn, lieber Herr Kollege Börnsen, Sie haben in gewohnter Weise sehr schöne Worte für die Kultur und den Kulturhaushalt gefunden. ({0}) Sie waren so schön, dass ich fast geneigt gewesen wäre, Ihnen zuzustimmen. Ein Thema haben Sie aber sehr konsequent ausgespart - ich stelle fest, dass während der gesamten Haushaltsdebatte kein einziges Wort darauf verwendet wurde -: Die Bundeskanzlerin hat vorhin angekündigt, dass die Föderalismusreform bis zur Sommerpause durchgepeitscht und vom Bundestag endgültig beschlossen werden soll. Die Konsequenzen aber, die dieses Reformwerk für die zukünftige Kulturfinanzierung hat, sind bisher von keinem Redner angesprochen worden. Sie haben mehrfach über die Kulturstiftung des Bundes gesprochen. Wir müssen ernsthafte Zweifel haben, ob die Kulturstiftung des Bundes angesichts des vorgesehenen Art. 104 b des Grundgesetzes überhaupt noch zulässig ist, ob sie überhaupt noch weiterhin fördern kann. Bei den Rednerinnen und Rednern der Koalition vermisse ich Folgendes: Alle Kulturpolitiker haben es in den vergangenen Wochen und Monaten versäumt, auf die Gefahren, Risiken und Fragen hinzuweisen, die der Kulturfinanzierung durch dieses Reformwerk in Zukunft drohen. Die vorgesehene Änderung des Grundgesetzes bedeutet, dass es dort, wo die Länder die ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit haben, zum Beispiel im Bereich der Kultur, keine Kooperation von Bund und Ländern mehr geben darf. Ich halte es, gelinde gesagt, für unklug, dass die Kolleginnen und Kollegen von der großen Koalition hier hehre Worte finden, obwohl in der nächsten Woche dieser große Einschnitt in die Kulturpolitik droht. Das muss angesichts der Haushaltsberatungen heute mit einem Wort erwähnt werden. Hier droht Schaden für die deutsche Kultur. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Griefahn zur Erwiderung, bitte.

Dr. Monika Griefahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003136, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Erstens bin ich auf die Föderalismusreform eingegangen. Ich habe gesagt, dass der Bund weiterhin die Möglichkeit haben muss, mit den Ländern und Kommunen - genauso wie auf internationaler Ebene - Kulturpolitik zu machen. Dafür setzen wir uns ein. ({0}) Zweitens. Der Kollege Börnsen ist darauf eingegangen, dass wir auch auf europäischer Ebene die Vertretungsregelung diskutieren und schauen, wie wir das besser regeln können. Diese Sache müssen wir natürlich mit den Ländern abstimmen. Dazu können Sie in den Ländern, in denen Sie mitregieren, beitragen. ({1}) Für uns ist das ein sehr wichtiges Ziel. Daran arbeiten wir - das haben wir auch immer deutlich gemacht -, auch als Kulturpolitiker. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt erteile ich das Wort dem Kollegen Jörg Tauss von der SPD-Fraktion.

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich bin sehr froh, dass es im Rahmen der Beratungen des Kanzleretats möglich ist, auf den Etat für Kultur und Medien einzugehen. Wie wir gehört haben, ist es zwar ein kleiner, aber wesentlicher Bereich des Etats. Er ist der kleinste im Bundeshaushalt; darum ist er besonders sensibel. Lieber Kollege Otto, uns Kultur- und Medienpolitikern ist es in einem schwierigen finanzpolitischen Umfeld gelungen, den Etat des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien weiter zu steigern, und zwar auf 914 Millionen Euro. Im Vorjahr waren es 907 Millionen Euro. In Verbindung mit den anderen Punkten mit Blick auf Stellenkürzungen, die meine Kollegin Griefahn angesprochen hat, werden wir sicherlich noch viel zu tun haben. 1,6 Prozent Stellenkürzungen in einem 10 000-Personen-Ministerium sind natürlich etwas anderes als 1,6 Prozent Stellenkürzungen in einem kleinen GoetheInstitut irgendwo vor Ort. Deswegen müssen wir uns um diese Fragen kümmern. Über die auswärtige Kulturpolitik wird nachher noch gesprochen. Ich glaube, ihre Bedeutung muss noch einmal deutlich zum Ausdruck gebracht werden. Gerade die heute so viel bemühte Fußballweltmeisterschaft ist eine Chance, über das, was wir jetzt im sportlichen Bereich erleben, hinaus, nämlich im Bereich der auswärtigen Kulturpolitik, auch weiterhin für unser Land Akzente zu setzen und für unser Land zu werben. ({0}) Ich gehe in Fußballstadien. Ich bin selbstverständlich Mitglied beim KSC. Aber es gehen immer noch mehr Menschen in Museen und Theater als in Fußballstadien. Deswegen müssen wir den Sport und die Kultur in den Mittelpunkt unserer Betrachtungen stellen. ({1}) Ein wichtiger Bereich der Kulturförderung ist die Filmförderung. Es gibt gerade einen sehr schönen Film in Deutschland: „Das Leben der anderen“. Der Film ist wirtschaftlich erfolgreich, aber darüber hinaus ein hervorragender kultureller Beitrag zu einem Thema, das uns nach der deutschen Einheit bewegt, nämlich die Bewältigung dessen, was der Stasiapparat und andere auch im kulturellen Bereich in diesem Lande angerichtet haben. Es wäre ganz gut, wenn die Freunde von der PDS gelegentlich auch zu diesem Thema etwas sagen könnten. ({2}) Die Filmförderung ist ökonomisch wichtig. In den Vereinigten Staaten von Amerika hat die Filmindustrie heute bereits eine höhere Bedeutung als die Automobilindustrie. Deswegen ist es für uns wichtig, uns um diesen Bereich zu kümmern und in diesem Bereich Förderung anzusetzen, so wie es der Beauftragte tut. Das gilt übrigens auch für einen zweiten Bereich, der häufig belacht und vernachlässigt wird und von dem man sagt, er habe nur mit Gewalt und Ballerei zu tun. Doch das stimmt nicht. Es geht um den Bereich der Computerspiele. ({3}) Das ist ein Bereich, den wir in Deutschland völlig vernachlässigen, der aber zwischenzeitlich eine noch größere wirtschaftliche Komponente - er hat auch eine kulturelle Komponente - im Bereich der Jugendkultur hat als der Bereich des Films. Deswegen würde ich es mir sehr wünschen - leider ist vom Bundesrat gerade niemand anwesend -, dass wir über dieses Thema nicht nur unter dem Gesichtspunkt Ballerei und Gewalt diskutieren - was ein kleiner Randaspekt ist -, sondern unter dem Gesichtspunkt dessen, was kulturell und ökonomisch bis in den Bereich der Informatik für Deutschland möglich wäre. ({4}) Die Föderalismusreform ist einige Male angesprochen worden. Liebe Frau Bundeskanzlerin, Sie haben mich heute wieder so nett angesehen. Ich weiß gar nicht, warum Sie immer mich ansehen, wenn es um den Föderalismus geht. ({5}) Es scheint bei Ihnen angekommen zu sein, dass ich dazu noch ein paar Fragen habe. Im Kulturbereich können wir natürlich noch über das eine oder andere diskutieren, Kollege Börnsen. Frau Bundeskanzlerin, aus der Union kam der interessante Vorschlag, im Zusammenhang mit Art. 23 des Grundgesetzes - es war Rupert Scholz, der das vorgetragen hat - darüber zu diskutieren, ob es nicht sinnvoll wäre, dass der Bund die Interessen des Bundes und der Länder in Europa vertritt, und die österreichische Lösung zu übernehmen. Ich würde vorschlagen, über diesen Punkt am Sonntagabend zu diskutieren. Das wäre vernünftig. Hinsichtlich der Schulen, Frau Bundeskanzlerin - wir werden die Bildungsdebatte ja noch führen -, stimme ich Ihnen völlig zu. Mich interessiert nicht die Frage, wie Bayern die Schulzeit behandelt. Dazu habe ich eine Meinung; aber es interessiert mich nicht als Bundespolitiker. Mich interessiert nicht einmal die Frage, warum es nicht möglich ist, dass Bayern und Baden-Württemberg ein gemeinsames Lateinbuch herausgeben. Es gibt kein einziges Land, das mit einem anderen Land ein gemeinsames Schulbuch hat. Darüber könnten wir einmal im Zusammenhang mit der Föderalismusreform diskutieren. Das ist jetzt aber nicht unser Thema. ({6}) Eines würde ich allerdings gerne thematisieren: Da die Länder für die Schulen zuständig sind - sie sollen es auch sein -, müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass jedes Jahr Zehntausende von Jugendlichen - auch aus BadenWürttemberg, Bayern, Berlin und Nordrhein-Westfalen die Schule ohne Abschluss verlassen und keine Chance auf eine Lehrstelle haben. Dieses Problem wird dem Bund von den Ländern sozusagen vor die Haustür gekippt. ({7}) Ich akzeptiere es, wenn die Länder nicht wollen, dass der Bund für die Schulpolitik zuständig ist. Aber ich will gemeinsam mit den Ländern darüber diskutieren können, welche Folgen sich aus ihrer misslingenden Schulpolitik für den Bund ergeben. Er muss nämlich Milliardenbeträge aufwenden, um die Folgen dieses Systems bis in die Schulstrukturen hinein zu reparieren. ({8}) Da meine Redezeit gleich abgelaufen ist, möchte ich folgende Schlussbemerkung machen: Unsere Fraktion ist sich mit Peter Struck völlig einig: Über ein Kooperationsverbot muss diskutiert werden dürfen. ({9}) Liebe Frau Bundeskanzlerin, es macht keinen Sinn, im Grundgesetz vorzuschreiben, dass im Hinblick auf die Zukunftsthemen Bildung, Wissenschaft und Forschung keine Kooperation staatlicher Ebenen möglich sein darf. Das wäre Unfug. Meine Bitte an Sie ist, den Fraktionsvorsitzenden der SPD, die SPD-Fraktion, die vielen Vernünftigen in den Reihen der Union, der FDP, der Grünen und teilweise sogar der Linken hier zu unterstützen. Herzlichen Dank. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 04 in der Ausschussfassung. Hierzu liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion Die Linke vor, über die wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 16/1862? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen aller Fraktionen bei Zustimmung der Fraktion Die Linke abgelehnt. Wir kommen zum Änderungsantrag auf Drucksache 16/1892. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis abgelehnt. Wir stimmen jetzt über den Einzelplan 04 in der Ausschussfassung ab. Es ist namentliche Abstimmung beantragt worden. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind die Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Dann bitte ich, mit der Abstimmung zu beginnen. Haben jetzt alle Mitglieder ihre Stimmkarte abgegeben? - Das scheint der Fall zu sein. Ich schließe die Abstimmung und bitte, mit der Auszählung zu beginnen. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung unterbreche ich die Sitzung. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Ich bitte darum, wieder die Plätze einzunehmen. Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2006 - hier: Einzelplan 04, Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes - bekannt: Abgegebene Stimmen 580. Mit Ja haben gestimmt 425, mit Nein haben gestimmt 155, Enthaltungen keine. Die Beschlussempfehlung und damit der Einzelplan 04 sind angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 580; davon ja: 425 nein: 155 Ja CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Peter Albach Peter Altmaier Thomas Bareiß Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({0}) Dr. Christoph Bergner Otto Bernhardt Clemens Binninger Carl-Eduard von Bismarck Renate Blank Peter Bleser Antje Blumenthal Dr. Maria Böhmer Wolfgang Börnsen ({1}) Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Michael Brand Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Monika Brüning Georg Brunnhuber Gitta Connemann Leo Dautzenberg Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Georg Fahrenschon Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({2}) Dirk Fischer ({3}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Dr. Hans-Peter Friedrich ({4}) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Dr. Michael Fuchs Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Hans-Joachim Fuchtel Dr. Peter Gauweiler Dr. Jürgen Gehb Norbert Geis Eberhard Gienger Michael Glos Ralf Göbel Dr. Reinhard Göhner Josef Göppel Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg Olav Gutting Holger Haibach Ursula Heinen Uda Carmen Freia Heller Michael Hennrich Bernd Heynemann Ernst Hinsken Peter Hintze Robert Hochbaum Klaus Hofbauer Franz-Josef Holzenkamp Anette Hübinger Hubert Hüppe Dr. Peter Jahr Dr. Hans-Heinrich Jordan Andreas Jung ({5}) Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({6}) Eckart von Klaeden Jürgen Klimke Julia Klöckner Jens Koeppen Kristina Köhler ({7}) Manfred Kolbe Norbert Königshofen Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Dr. Martina Krogmann Johann-Henrich Krummacher Dr. Hermann Kues Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Ingbert Liebing Eduard Lintner Dr. Klaus W. Lippold Patricia Lips Stephan Mayer ({8}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Friedrich Merz Laurenz Meyer ({9}) Maria Michalk Hans Michelbach Philipp Mißfelder Dr. Eva Möllring Marlene Mortler Carsten Müller ({10}) Stefan Müller ({11}) Bernward Müller ({12}) Dr. Gerd Müller Hildegard Müller Bernd Neumann ({13}) Henry Nitzsche Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Rita Pawelski Dr. Peter Paziorek Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Daniela Raab Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Peter Rauen Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({14}) Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Albert Rupprecht ({15}) Peter Rzepka Anita Schäfer ({16}) Hermann-Josef Scharf Hartmut Schauerte Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Georg Schirmbeck Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({17}) Andreas Schmidt ({18}) Ingo Schmitt ({19}) Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Wilhelm Josef Sebastian Kurt Segner Bernd Siebert Johannes Singhammer Jens Spahn Christian Freiherr von Stetten Gero Storjohann Andreas Storm Thomas Strobl ({20}) Lena Strothmann Michael Stübgen Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Uwe Vogel Andrea Astrid Voßhoff Gerhard Wächter Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg Peter Weiß ({21}) Gerald Weiß ({22}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Anette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Willy Wimmer ({23}) Elisabeth WinkelmeierBecker Matthias Wissmann Dagmar Wöhrl Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Dr. Lale Akgün Gregor Amann Gerd Andres Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Ernst Bahr ({24}) Dr. Hans- Peter Bartels Klaus Barthel Sören Bartol Dirk Becker Uwe Beckmeyer Klaus Uwe Benneter Dr. Axel Berg Ute Berg Petra Bierwirth Lothar Binding ({25}) Volker Blumentritt Kurt Bodewig Gerd Bollmann Dr. Gerhard Botz Klaus Brandner Willi Brase Bernhard Brinkmann ({26}) Edelgard Bulmahn Marco Bülow Martin Burkert Dr. Michael Bürsch Christian Carstensen Marion Caspers-Merk Dr. Peter Danckert Dr. Herta Däubler-Gmelin Karl Diller Martin Dörmann Dr. Carl-Christian Dressel Elvira Drobinski-Weiß Garrelt Duin Detlef Dzembritzki Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Hans Eichel Gernot Erler Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Annette Faße Elke Ferner Gabriele Fograscher Rainer Fornahl Gabriele Frechen Peter Friedrich Sigmar Gabriel Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Renate Gradistanac Angelika Graf ({27}) Dieter Grasedieck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Alfred Hartenbach Michael Hartmann ({28}) Nina Hauer Hubertus Heil Reinhold Hemker Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Petra Heß Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz ({29}) Iris Hoffmann ({30}) Frank Hofmann ({31}) Eike Hovermann Klaas Hübner Christel Humme Lothar Ibrügger Brunhilde Irber Johannes Jung ({32}) Josip Juratovic Ulrich Kasparick Dr. h.c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Christian Kleiminger Hans-Ulrich Klose Astrid Klug Dr. Bärbel Kofler Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Rolf Kramer Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Anette Kramme Ernst Kranz Nicolette Kressl Volker Kröning Angelika Krüger-Leißner Dr. Hans-Ulrich Krüger Jürgen Kucharczyk Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Dr. Uwe Küster Christine Lambrecht Christian Lange ({33}) Dr. Karl Lauterbach Waltraud Lehn Helga Lopez Gabriele Lösekrug-Möller Dirk Manzewski Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Markus Meckel Petra Merkel ({34}) Dr. Matthias Miersch Ursula Mogg Marko Mühlstein Detlef Müller ({35}) Michael Müller ({36}) Gesine Multhaupt Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Thomas Oppermann Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Christoph Pries Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Mechthild Rawert Steffen Reiche ({37}) Maik Reichel Dr. Carola Reimann Christel RiemannHanewinckel Walter Riester Sönke Rix Rene Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({38}) Michael Roth ({39}) Ortwin Runde Marlene Rupprecht ({40}) Anton Schaaf Axel Schäfer ({41}) Bernd Scheelen Dr. Hermann Scheer Marianne Schieder Ulla Schmidt ({42}) Silvia Schmidt ({43}) Renate Schmidt ({44}) Dr. Frank Schmidt Heinz Schmitt ({45}) Carsten Schneider ({46}) Ottmar Schreiner Reinhard Schultz ({47}) Swen Schulz ({48}) Frank Schwabe Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Rita Schwarzelühr-Sutter Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Andreas Steppuhn Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Christoph Strässer Joachim Stünker Dr. Rainer Tabillion Jella Teuchner Dr. h.c. Wolfgang Thierse Jörn Thießen Franz Thönnes Hans-Jürgen Uhl Rüdiger Veit Simone Violka Jörg Vogelsänger Dr. Marlies Volkmer Hedi Wegener Petra Weis Gunter Weißgerber ({49}) Dr. Rainer Wend Lydia Westrich Dr. Margrit Wetzel Andrea Wicklein Dr. Dieter Wiefelspütz Engelbert Wistuba Dr. Wolfgang Wodarg Waltraud Wollf ({50}) Heidi Wright Uta Zapf Manfred Zöllmer Brigitte Zypries Nein SPD Ulla Burchardt FDP Jens Ackermann Christian Ahrendt Daniel Bahr ({51}) Uwe Barth Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Patrick Döring Mechthild Dyckmans Jörg van Essen Ulrike Flach Paul K. Friedhoff Horst Friedrich ({52}) Dr. Edmund Peter Geisen Hans-Michael Goldmann Miriam Gruß Joachim Günther ({53}) Dr. Christel Happach-Kasan Birgit Homburger Michael Kauch Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Heinz Lanfermann Harald Leibrecht Ina Lenke Sabine LeutheusserSchnarrenberger Markus Löning Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Jan Mücke Burkhardt Müller-Sönksen ({54}) Detlef Parr Cornelia Pieper Jörg Rohde Frank Schäffler Marina Schuster Dr. Max Stadler Carl-Ludwig Thiele Florian Toncar Christoph Waitz Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff ({55}) Martin Zeil DIE LINKE Hüseyin-Kenan Aydin Karin Binder Heidrun Bluhm Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Roland Claus Sevim Dagdelen Dr. Diether Dehm Dr. Dagmar Enkelmann Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Diana Golze Heike Hänsel Lutz Heilmann Hans-Kurt Hill Inge Höger-Neuling Dr. Barbara Höll Dr. Hakki Keskin Katja Kipping Jan Korte Oskar Lafontaine Ulla Lötzer Ulrich Maurer Dorothee Menzner Kornelia Möller Kersten Naumann Wolfgang Neskovic Dr. Norman Paech Petra Pau Bodo Ramelow Elke Reinke Paul Schäfer ({56}) Volker Schneider ({57}) Dr. Herbert Schui Dr. Ilja Seifert Dr. Petra Sitte Dr. Kirsten Tackmann Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck ({58}) Volker Beck ({59}) Cornelia Behm Matthias Berninger Grietje Bettin Ekin Deligöz Dr. Thea Dückert Dr. Ursula Eid Hans Josef Fell Kai Gehring Anja Hajduk Britta Haßelmann Winfried Hermann Peter Hettlich Priska Hinz ({60}) Ulrike Höfken Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Thilo Hoppe Ute Koczy Sylvia Kotting-Uhl Renate Künast Undine Kurth ({61}) Markus Kurth Monika Lazar Dr. Reinhard Loske Anna Lührmann Jerzy Montag Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Kerstin Müller ({62}) Brigitte Pothmer Claudia Roth ({63}) Krista Sager Elisabeth Scharfenberg Irmingard Schewe-Gerigk Dr. Gerhard Schick Silke Stokar von Neuforn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Jürgen Trittin Josef Philip Winkler Margareta Wolf ({64}) fraktionslos Gert Winkelmeier Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.7 auf: Einzelplan 05 Auswärtiges Amt - Drucksachen 16/1305, 16/1324 Berichterstattung: Abgeordnete Jürgen Koppelin Lothar Mark Alexander Bonde Zum Einzelplan 05 liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der Linken vor. Außerdem rufe ich den Zusatzpunkt 2 auf: Beratung des Antrags der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Neubesetzung des Amtes des Koordinators für die deutsch-russische zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit - Drucksache 16/1885 Über diesen Antrag werden wir später abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin das Wort der Kollegin Birgit Homburger von der FDP-Fraktion. ({65})

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Die Welt zu Gast bei Freunden“ - das erleben derzeit Hunderttausende Besucher aus aller Herren Länder überall in Deutschland. Ausländische Gesprächspartner sind voll des Lobes und manche internationalen Zeitungen geradezu überrascht: Das hatte man uns Deutschen nicht zugetraut. ({0}) In der Debatte heute Morgen war schon von der Gastfreundlichkeit und Weltoffenheit, die von den Menschen in diesem Land gezeigt wird, die Rede. Ich möchte den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes und insbesondere den Fußballfans ein Kompliment machen; denn sie machen mit ihrer Begeisterung und Gastfreundschaft eine tolle Imagekampagne für dieses Land. Sie sind zwar keine klassischen Diplomaten, aber sie machen eine tolle Außenpolitik für dieses Land. Ich will hinzufügen: Mit dem, was sie damit leisten, toppen sie auch die Bundesregierung. ({1}) Die FDP hat die Außenpolitik der Bundeskanzlerin und der Bundesregierung in den letzten Wochen oft genug gelobt, Frau Kollegin. Wir bleiben dabei: Es war gut und richtig, dass Frau Merkel Neujustierungen vorgenommen hat. Die deutsche Außenpolitik musste nach sieben Jahren Rot-Grün dringend wieder auf Kurs gebracht werden. Wir sind froh, dass erste Ansätze sichtbar werden. ({2}) Ein Beispiel ist die Russlandpolitik. Herr Schröder war aus lauter Freundschaft zu Präsident Putin vollkommen unkritisch geworden. Seine Betriebsblindheit gegenüber Russland hat ihn inzwischen sogar dazu gebracht, ganz unmittelbar in einen Betrieb des Kreml einzusteigen. ({3}) Ich finde, dieses Vorgehen ist schlicht schamlos. ({4}) Frau Merkel dagegen hat bei ihrem Moskaubesuch gezeigt, Herr Kollege Tauss, dass man ein gutes Arbeitsverhältnis mit dem russischen Präsidenten durchaus mit direkter und indirekter Kritik am leider rückläufigen Transformationsprozess in Russland verbinden kann. Das Zusammentreffen mit Vertretern der russischen Zivilgesellschaft war geschickt und wirkt in Russland bis heute nach. Es ist ein ermutigendes und positives Zeichen; denn diese Zivilgesellschaft ist Russlands Zukunft. Jetzt bleibt nur zu hoffen, dass dies nicht nur der erste Elan war, sondern dass es in der Substanz bei dieser Politik bleibt. Dazu fordert die FDP Sie auf. ({5}) Beim G-8-Gipfel in Sankt Petersburg gibt es die Gelegenheit dazu. Dieser Gipfel darf nicht einfach zu einer Jubelarie für den russischen Präsidenten werden. Dafür ist die Entwicklung in Russland einfach zu besorgniserregend. Freedom House hat Russland gerade zum zweiten Mal in die Gruppe der unfreien Staaten eingruppiert, und zwar auf derselben Stufe wie Simbabwe. Die G 7 - das möchte ich an dieser Stelle hervorheben - sind sei3586 nerzeit als Zusammenschluss der industrialisierten Demokratien gegründet worden. Genau deshalb ist es so wichtig, den G-8-Gipfel in Russland auch dazu zu nutzen, gemeinsam mit den Partnern gegenüber dem russischen Präsidenten und auch der russischen Zivilgesellschaft deutlich zu machen, dass wir mit Sorge sehen, dass Russland den Weg der Demokratie und Rechtstaatlichkeit verlassen hat. ({6}) Ich finde, wir sollten Russland nicht nur auffordern, sondern anlässlich des G-8-Gipfels von Russland auch deutlich einfordern, Herr Bundesaußenminister, auf den Weg zur Transformation zurückzukehren. Das ist vor allen Dingen auch deshalb so entscheidend, weil die kleinen und mittleren Länder in der EU auf Deutschland schauen. Eine klare Haltung Deutschlands ist entscheidend für die Haltung Europas. Hinzu kommt, dass Deutschland zum 1. Januar nächsten Jahres die Präsidentschaft in der EU übernimmt. Das heißt, die Blicke sind schon heute besonders auf die Bundeskanzlerin gerichtet. Es gibt hohe Erwartungen an Deutschland. Deshalb fordern wir, dass Deutschland in enger Abstimmung mit Finnland eine konsistente, an demokratischen Grundsätzen und Menschenrechten orientierte Russlandpolitik betreibt. ({7}) Frau Merkel ist auch in den USA sehr positiv aufgenommen worden, und zwar trotz ihrer Kritik an Guantanamo. Das zeigt vor allem eines: Amerika ist und bleibt eine offene Gesellschaft. Die Amerikaner wissen sehr genau, dass man einzelne Aspekte der Politik ihres Präsidenten kritisieren kann. Sie tun das selbst zur Genüge. Aber man sollte das in Deutschland nicht innenpolitisch instrumentalisieren und die transatlantische Freundschaft nicht riskieren. Deshalb ist es so wichtig, dass die transatlantischen Beziehungen wieder in Ordnung gebracht werden. Wir als FDP sind froh, dass wir hierbei auf einem guten Weg sind. ({8}) Wir hoffen, Herr Bundesaußenminister, dass Sie diese Linie übernehmen. In den ersten Monaten waren Sie ja vor allem mit dem Versuch beschäftigt, das Erbe Schröders zu retten, während Frau Merkel Außenpolitik gemacht hat. Wir fordern die Übernahme der Politik, die Frau Merkel eingeleitet hat, und damit nicht mehr und nicht weniger als die Rückkehr zu einer werteorientierten Außenpolitik, die unter Rot-Grün völlig vernachlässigt wurde. ({9}) Die FDP unterstützt nicht nur diesen Kurswechsel, sondern auch die Politik der Bundesregierung in den aktuellen Brennpunkten der Außenpolitik, beispielsweise der Irankrise. ({10}) In der Irankrise gibt es keine Alternative zu Verhandlungen. Wir sind der Meinung, dass sich eine militärische Option nicht stellt. Anreize müssen glaubwürdig mit Druckmitteln verknüpft werden. Das ist jetzt geschehen. Der Iran muss reagieren. Wenn der iranische Präsident das Angebot einfach ausschlägt, dann brüskiert er nicht nur die internationale Staatengemeinschaft. Er stößt dann auch die durchaus offen und modern denkende iranische Mittelschicht vor den Kopf. Denn sie will das Land nicht auf Dauer in völliger Isolation sehen. Deswegen sollte diese Politik fortgesetzt werden. Im Nahen Osten spitzt sich die Entwicklung leider immer weiter zu. Trotzdem bleiben auch wir Liberalen dabei, dass mit der Hamas erst dann kooperiert werden kann, wenn diese dem Terror abschwört, Israel anerkennt und sich zu internationalen Abkommen bekennt. Wenn das auf glaubwürdige Weise geschieht, dann sollten wir die israelische Regierung auffordern, zum Verhandlungsweg und zur Road Map zurückzukehren. ({11}) Wir machen uns große Sorgen um die Situation und die Entwicklung in Afghanistan. Es zeigt sich leider, dass auch Jahre des intensiven internationalen Engagements das Land noch nicht so weit vorangebracht haben, wie wir uns das erhoffen. Es gibt sicherlich keinen Königsweg für Afghanistan, aber es muss allmählich Licht am Ende des Tunnels auftauchen, ({12}) weil sich ein militärisches Engagement im derzeitigen Umfang sicherlich nicht über Jahrzehnte aufrechterhalten lässt. So wichtig und richtig die Durchführung freier Wahlen war, so notwendig ist auch die Unterstützung von Präsident Karzai. Wir müssen uns aber über eines im Klaren sein: Afghanistan ist nicht nur Kabul und Karzai ist nicht Afghanistan. Wir brauchen neben der militärischen Konzeption mit den PRTs dringend ein politisches Konzept, das diesem Land auch eine wirtschaftliche Perspektive eröffnet; denn die UNO hat im Jahr 2005 festgestellt, dass die Hälfte des afghanischen Bruttoinlandsprodukts im Drogenhandel erwirtschaftet wird. Es bedarf also eines politischen Konzeptes und hier sind Sie, Herr Bundesaußenminister, aus unserer Sicht in besonderem Maße gefordert. ({13}) Abschließend möchte ich noch etwas zum Kongoeinsatz sagen, über den wir hier ja bereits diskutiert haben: Es ist ein außenpolitischer Fehler - der erste der Bundeskanzlerin und dieser Bundesregierung -, Soldaten in eine solche unsichere Mission zu schicken. Wir Liberale appellieren an die Bundesregierung sowie an die Kollegen von der Koalition, künftig Auslandseinsätze der Bundeswehr nur als letztes Mittel zu beschließen. Wir fordern eine überzeugende, multilateral abgestimmte und zeitlich absehbare Rahmenkonzeption. Wir wollen vor allen Dingen ein politisches Gesamtkonzept für die Stabilisierung eines Landes nach einem Einsatz. Ein solches Konzept beinhaltet auch das nun vorgelegte WeißBirgit Homburger buch nicht. Das sollte Sie, Herr Bundesaußenminister Steinmeier, ganz besonders interessieren; denn schließlich ist dieses Dokument dann eine außenpolitische Grundlage. Wir hoffen, dass Sie sich einschalten und auf eine intensive Überarbeitung dieses Weißbuchs drängen. In der jetzigen Fassung findet das Weißbuch jedenfalls nicht unsere Zustimmung. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, wer Bundeswehreinsätze zunehmend als Politikersatz in der Außenpolitik missbraucht, versündigt sich nicht nur an unseren Soldaten und deren Angehörigen, sondern beschädigt auch massiv das Ansehen unseres Landes. Hier besteht Handlungsbedarf. Wir erwarten, dass Sie darüber öffentlich und im Parlament diskutieren. Vielen Dank. ({14})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Lothar Mark von der SPD-Fraktion.

Lothar Mark (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003190, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich möchte darauf aufmerksam machen, dass die FDP mit dieser Rede die Beratungen über den Haushalt des Auswärtigen Amtes eröffnet hat. Trotzdem möchte ich kurz auf ein paar Punkte eingehen. Es wurde gesagt, dass das Auswärtige Amt auf Kurs gebracht werden müsse. Das bedeutet, dass die Friedenspolitik, die wir die ganze Zeit betrieben haben, seitens der FDP infrage gestellt wird. Oder wie ist das zu interpretieren? Genauso verhält es sich, wenn gesagt wird, eine werteorientierte Außenpolitik sei vernachlässigt worden. Ich weise das ganz entschieden zurück; ({0}) denn das ist eine Unterstellung, die weder die alte Bundesregierung noch die neue Bundesregierung verdient haben. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Deutschlands Verantwortung in der internationalen Politik ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gewachsen. Erst kürzlich wurde Deutschland mit der höchsten Stimmenzahl in den neuen UN-Menschenrechtsrat gewählt, was als Zeichen der Anerkennung für eine berechenbare und ausgewogene Linie Deutschlands in der internationalen Menschenrechtspolitik zu verstehen ist, Frau Homburger. ({2}) Im ersten Halbjahr 2007 werden wir - wie bereits erwähnt - die EU-Präsidentschaft sowie ganzjährig den Vorsitz der G 8 mit Ausrichtung des G-8-Gipfels übernehmen, was neue Herausforderungen an uns alle stellen wird. Vor dem Hintergrund, dass der islamistische Terror in den letzten Jahren Europa erreicht hat, dass nach wie vor humanitäre Hilfe in bekannten und neuen Krisenregionen zu leisten ist und dass bei der Sicherung des Friedens bzw. beim zivilen Aufbau in Afghanistan, im Kosovo, im Irak und in Darfur sowie nun bei der Sicherung der Wahlen im Kongo unsere Unterstützung gefragt ist, sind die Erwartungen an die Bundesregierung und das Auswärtige Amt - auch in konzeptioneller Hinsicht gewachsen. Der Haushalt des Auswärtigen Amtes hat im Jahr 2006 ein Gesamtvolumen von circa 2,3 Milliarden Euro. Damit beträgt der Anteil der Ausgaben für die Außenpolitik am Gesamthaushalt lediglich 0,88 Prozent. Im Vergleich zu 2005 steigt der Haushalt des AA realiter zwar um 87 Millionen Euro; davon sind aber allein 73 Millionen Euro auf Wechselkursanpassungen bei den UN-Pflichtbeiträgen zurückzuführen. Seit langem trete ich dafür ein, dass die Konzernkosten - so nenne ich das - wie die UN-Pflichtbeiträge von den flexiblen Ausgaben getrennt und herausgerechnet werden, da heute bei Kürzungen die flexiblen Titel überproportional belastet werden. ({3}) Dies ist allerdings nur dann umsetzbar, wenn im Bundeshaushalt generell so verfahren wird. Die Berichterstatter - darunter Herr Koppelin - haben dies bereits im Auswärtigen Ausschuss thematisiert. Die große Koalition hat zahlreiche Maßnahmen eingeleitet, um Binnenkonjunktur und Außenwirtschaft anzukurbeln. Ich appelliere deshalb an Sie, mit uns dafür zu sorgen, dass der Haushalt des AA in den nächsten Jahren wieder einen echten Aufwuchs erfährt, ({4}) wie der Auswärtige Ausschuss mit seinem Beschluss vom 5. April 2006 für das Haushaltsjahr 2007 bereits angemahnt hatte. Der Ansatz für humanitäre Hilfe konnte in den diesjährigen Haushaltsberatungen erstmals substanziell, auf 50 Millionen Euro, angehoben werden und in der Finanzplanung verstetigt werden. Ich glaube, dass dies ein großer Erfolg ist. Mit meinem Berichterstatterkollegen Herbert Frankenhauser habe ich dafür gesorgt, dass der Ansatz beim Titel „Demokratisierungs- und Ausstattungshilfe, Minenbeseitigungsprogramme, Unterstützung von Maßnahmen zur Förderung der Menschenrechte“ gegenüber dem Regierungsentwurf eine Erhöhung um 504 000 Euro auf fast 19 Millionen Euro erfährt. ({5}) Die zusätzlichen Mittel sollen zur Verstärkung der laufenden Minenbeseitigungsprogramme dienen. Allerdings muss hier auch angemerkt werden, dass das Ottawa-Abkommen, mit dem Antipersonenminen geächtet werden, intensiver verfolgt werden muss und dass nicht weiter Antipersonenminen produziert, ver3588 kauft und zum Schluss verlegt werden dürfen. Produktion und Vertrieb sind grundsätzlich einzustellen und zu ächten. ({6}) Wir sollten die Länder, die in der Vergangenheit solche Minen produziert und vertrieben haben, verstärkt heranziehen, wenn es um die Beseitigung dieser Minen geht. Zum Thema Ausstattungshilfe gestatten Sie mir ein paar Sätze. Wir hatten die Gelegenheit, die Ausstattungshilfe in Tansania zu besichtigen. Da ist uns klar geworden, welch segensreiche Arbeit geleistet wird. Mit dieser Ausstattungshilfe werden zum Beispiel Krankenhäuser finanziert, wird das Gesundheitswesen in Tansania aufgebaut, allerdings unter Oberaufsicht der dortigen Armee. Aber wenn man um die Strukturen in diesen Ländern weiß, wird man sehr schnell erkennen, dass es leider keinen anderen Akteur gibt, der in der Lage ist, sicherzustellen, dass dies auf Dauer funktioniert. Wichtig scheint mir noch zu sein, den Stabilitätspakt Afghanistan und den Stabilitätspakt Südosteuropa zu erwähnen. Diese beiden Pakte sind mit 30 Millionen Euro ausgestattet, derzeit beim BMZ etatisiert. Sie laufen in diesem Jahr aus. Ich bitte darum - und das habe ich dem Bundesfinanzminister bereits mitgeteilt -, dass diese Mittel auch in Zukunft bereitgestellt und beim AA etatisiert werden, weil hier auch die politische Fachverantwortung liegt. Ich bitte darum, dass im Sinne von Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit so verfahren wird. ({7}) Ich möchte einige Anmerkungen zur internationalen Politik insgesamt machen, bevor ich auf die auswärtige Kulturpolitik eingehe. Ich habe mit sehr großer Freude zur Kenntnis genommen, dass unser Außenminister Dr. Steinmeier auch eine Weichenstellung in Richtung Lateinamerika vorgenommen hat. Er hat dies mit einer Auslandsreise wenige Monate nach seinem Amtsantritt dokumentiert. Ich denke, hiermit wird signalisiert, dass wir diesen Bereich stärker beobachten müssen. In Lateinamerika gehen fundamentale Änderungen vor sich, die wir verfolgen müssen, wenn wir die Märkte dort nicht verlieren wollen. Der Mercosur spielt in Zukunft eine große Rolle. Deshalb bitte ich, auch die Kontakte in Richtung Venezuela zu überprüfen. Ich habe bei meinem Besuch festgestellt, dass Italien, Spanien und Frankreich sehr intensive Wirtschaftskontakte und auch Regierungskontakte mit Venezuela pflegen und dort sehr stark ins Geschäft kommen. ({8}) Ich denke, dass wir darüber verstärkt nachdenken müssen. Ich möchte einige kleine Hinweise geben, die vielleicht Beachtung finden können: Es stellt sich die Frage, wieso ein Militärattaché in Lima, aber nicht in Caracas ist und wieso aus dem prosperierenden Land Panama der Wirtschaftsattaché abgezogen wurde. Auch darüber sollte man neu nachdenken. Zum Thema Kuba werde ich nichts sagen, weil wir demnächst eine Kubadebatte haben werden. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, da in den letzten Wochen eine breite Diskussion zur auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik insbesondere im Zusammenhang mit dem Goethe-Institut in den Medien, aber auch in den Ausschüssen stattgefunden hat, will ich darauf eingehen. Zunächst einmal bekunde ich mit Dankbarkeit und Freude, dass wir im Auswärtigen Ausschuss einen Unterausschuss für auswärtige Kultur- und Bildungspolitik geschaffen haben. ({9}) Auch hier wird daran gearbeitet, eine Trendwende in der Förderung der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik einzuleiten. Nach den parlamentarischen Beratungen kann das Kapitel „Pflege kultureller Beziehungen zum Ausland“ mit einem Volumen von 548 Millionen Euro im laufenden Jahr einen leichten Zuwachs gegenüber 2005 verzeichnen. Die Haushaltslage des Goethe-Instituts gibt Anlass zur Sorge. Die Geschäftsführung ist deshalb gebeten, bis spätestens Herbst 2006 ein Sanierungskonzept zu erarbeiten, bei dem es nicht nur darum gehen kann, bewährte Einrichtungen im alten Europa zu schließen, wie vielfach in den Medien berichtet wurde. Effizienzsteigerung durch Bündelung der Kräfte, Vernetzung und gemeinsame Unterbringung mehrerer Mittlerorganisationen vor Ort sind hier genauso gefragt wie Kooperationen mit dem Institut Français, dem Instituto Cervantes und dem British Council. Ich begrüße außerordentlich, dass in diesem Jahr in Abu Dhabi ein Goethe-Institut eingerichtet wurde, das sich mit dem Deutschen Akademischen Austauschdienst und der GTZ die Räumlichkeiten teilt, um damit gegenseitig Synergieeffekte zu nutzen. Die Emirate sind inzwischen Deutschlands größter Handelspartner in der Region. Die Nachfrage nach deutscher Sprache kann kaum befriedigt werden. Im Zuge der parlamentarischen Beratungen wurde beim Goethe-Institut eine Umschichtung von Programmmitteln zur institutionellen Förderung vorgenommen, damit die Zentrale die Deckungslücke von rund 7 Millionen Euro in diesem Jahr schließen kann; prinzipiell sollen aber die Projektmittel verstärkt werden. Wir hatten für diesen Haushalt bereits das Pilotprojekt Italien des Goethe-Instituts beschlossen, das die gesamte Budgetierung für Goethe in Italien beinhaltet. Ich begrüße, dass mit dem neuen Haushalt die Erprobungsphase auf die Regionen Nordamerika, Osteuropa und Zentralasien ausgedehnt werden soll. Ich bin der festen Überzeugung, dass die neuen Steuerungsinstrumente - Budgetierung und die damit verbundene strategische Zielvereinbarung - dazu beitragen werden, eine effizientere Steuerung und größeres Kostenbewusstsein zu ermöglichen. Durch sie werden die Eigenverantwortung der Mittler gestärkt sowie eine bessere Überschaubarkeit und Kontrolle der Ausgaben sichergestellt. ({10}) Ich bin allerdings auch der Meinung, dass wir diese Budgetierung auf das Goethe-Institut weltweit ausdehnen müssen und dass wir weitere Mittlerorganisationen budgetieren sollten, ({11}) weil damit ein Weg gezeigt würde, wie man effizient mit Steuermitteln des Bundes umgehen kann. ({12}) Die Mittel für den Deutschen Akademischen Austauschdienst wurden auf 119,7 Millionen Euro, die für die Alexander-von-Humboldt-Stiftung auf 34 Millionen und die für das Deutsche Archäologische Institut auf fast 25 Millionen Euro aufgestockt. ({13}) In diesem Zusammenhang will ich darauf hinweisen, dass diese Institutionen dazu beitragen, den Ruf der Bundesrepublik international zu stärken, und dass gerade in diesen Sektoren Zukunftsentwicklungen möglich sind. ({14}) Ich möchte den Europäisch-Islamischen Kulturdialog erwähnen. Er wird in den nächsten Jahren immer mehr an Bedeutung gewinnen. Es ist uns gelungen, die Mittel hierfür auf immerhin 6 Millionen Euro anzuhäufen. ({15}) Dass hier weiterer Bedarf besteht, steht außer Frage. Das Thema Auslandsschulen kann ich nur kurz streifen. Auch hier ist es unabdingbar, dass ein neues umfassendes Konzept entwickelt wird, das uns nach Möglichkeit noch in diesem Jahr vorgelegt wird. Dass die Auslandsschulen eine sehr große Bedeutung haben, zeigt sich am Beispiel Mexiko, wo annähernd 100 Absolventen der deutschen Schule in einheimischen Spitzenfunktionen arbeiten, einschließlich zweier Minister. Es ist darauf hinzuweisen, dass diese Absolventen natürlich eine große Affinität zu Deutschland - auch im ökonomischen Sinne - entwickeln. Meine Redezeit läuft mir davon. Ich möchte nur noch darauf hinweisen, dass Kultur- und Bildungsmittel Investitionen in die Zukunft sind, die der Konfliktprävention auch im Inland dienen. ({16})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss. Sie haben Ihre Zeit weit überzogen.

Lothar Mark (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003190, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

In diesem Zusammenhang denke ich auch an die politischen Stiftungen und deren Engagement im Ausland. Abschließend einen herzlichen Dank an den Haushaltsauschuss und den Auswärtigen Ausschuss und an die Mitberichterstatterkollegen und den Hauptberichterstatter Jürgen Koppelin sowie an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes, die uns in vorbildlicher Weise Rede und Antwort standen. Vielen Dank. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Monika Knoche von der Fraktion Die Linke. ({0})

Monika Knoche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002701, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Guantanamo muss geschlossen werden. Diesen Satz sollte die Bundeskanzlerin ihrem baldigen Gast, Herrn Präsidenten Bush, in aller Deutlichkeit sagen. ({0}) Wer politischen Gefangenen grundlegende Rechte vorenthält, sie körperlicher und psychischer Gewalt aussetzt und sie in Suizide treibt - das ist noch zu untersuchen -, darf nicht erwarten, dass die Frau an der Spitze Deutschlands darüber hinweglächelt. Frau Merkel hat als Repräsentantin eines demokratischen Rechtsstaates die Pflicht, deutlich zu fordern, dass dieses Lager geschlossen wird. Der Präsident der USA führt den Krieg gegen Terror mit all seinen Unerträglichkeiten, zum Beispiel mit besonderen Verhörmethoden in Abu Ghureib, politisch katastrophalen Auswirkungen im Irak, neuen Bombardements, geheimen Gefängnissen und all dem, womit der Untersuchungsausschuss sich zu beschäftigen hat. Guantanamo ist ein Schandfleck für das Völker- und das Menschenrecht. ({1}) Nicht nur die Fraktion Die Linke, die aus tiefer Überzeugung gegen den Krieg gegen Terror ist, sieht das so und vertritt diese Einstellung. Ich denke, wir Abgeordneten sollten es dem Europaparlament gleichtun und eine gemeinsame Erklärung abgeben. Diese Realität belastet in nicht unbeträchtlicher Weise die deutsch-amerikanischen Beziehungen. Mit Kontinuität sind die transatlantischen Beziehungen unter der großen Koalition meines Erachtens nicht treffend beschrieben. Die Zeit nach dem Kalten Krieg währt schon 16 Jahre. Durch die Macht des Faktischen hat sich mehr neu definiert, als die Politik je diskutiert hat. Die Mehrheit der Bevölkerung lehnt die neuen Kriege des 21. Jahrhunderts ab, auch wenn sie im Namen der Terrorbekämpfung geführt werden. Die große Koalition aber löst sich in dieser Frage nicht aus der unguten Überloyalität zu den USA. Im Gegenteil: Sie versucht, mit einer Militarisierung der EU neben der NATO einen eigenen militärischen Arm zu bewegen. All das geschieht in völkerrechtlich nicht gesicherter oder in verfassungsrechtlich zweifelhafter Weise. Eine weltweit einsetzbare Interventionsarmee soll nach 60 Jahren die Verteidigungsarmee ablösen. Das deutsche Selbstverständnis soll sich ändern. Man ändert lieber die Verfassung, als dass man die Politik zivilisiert. Zivilisierend wäre es, alle Anstrengungen zu unternehmen, sich aus der Abhängigkeit von Öl und Gas zu emanzipieren. Nicht alle Konflikte dieser Welt lassen sich auf dieses Schema zurückführen. Der Konflikt Israel/Palästina beispielsweise steht in einem anderen historischen und aktuellen Kontext. Aber auch da schlägt sich Deutschland nur auf die Seite Israels und der USA. Im Iran geriert sich Deutschland als diplomatische Vortruppe der US-genehmen Positionen. Der Iran hat sich keiner Verletzung des Atomwaffensperrvertrags schuldig gemacht, aber er droht in unannehmbarer Weise Israel. Und dennoch: Wir Linke setzen auf eine diplomatische Lösung und eine Friedenskonferenz als Bühne dafür. ({2}) Etwas näher gerückt ist erfreulicherweise eine friedliche Beilegung des Konflikts. Bemerkenswert bleibt aus meiner Sicht: Deutschland scheint über kein eigenes diplomatisches Besteck zu verfügen. Es ist eine Außenpolitik, die sich in dem Kreis der G 8 und einer neuen Militärmacht Europa einfindet. Es mag im Einzelnen nach nicht zusammenhängenden Außenaktivitäten aussehen, wenn überallhin Soldaten entsandt werden. Trotzdem ergibt sich ein stimmiges Bild. Deutschland will den Kampf um die Ressourcen mal mit der NATO, mal mit der EU gewinnen. Das ist eine Ausrichtung, die wir Linke nicht akzeptieren. ({3}) Mitte Juli treffen sich in Sankt Petersburg die Regierungschefs der G-8-Staaten. Sie treffen, wie immer, Verabredungen von globaler Tragweite. Ein repräsentatives Gremium für solche weitreichenden Entscheidungen sind sie aber keinesfalls. ({4}) Sie haben nicht das Mandat der Welt, um maßgeblichen Einfluss auf diese zu nehmen. Nur ein Siebtel der Weltbevölkerung lebt in diesen reichen G-8-Staaten und doch wird die Geschäftspolitik des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank von ihnen allein bestimmt. ({5}) Mittlerweile eignet sich die G 8 immer mehr Themen an, die bei der UNO besser aufgehoben wären, zum Beispiel das Thema HIV/Aids. Der UN-Aids-Gipfel vor drei Wochen in New York ergab unter anderem, dass Aids/HIV, gerade was Spritzdrogengebrauch und Prostitution angeht, so eng mit der afghanischen Drogenmafia verbunden ist, dass es ohne eine weltweit neue Ausrichtung der Drogenpolitik nicht zu einer Beherrschung der Infektion kommen kann. Es gibt aber keine Anzeichen - ich war gerade in Russland -, dass die Mächte der G 8 vom unsinnigen und gescheiterten „Krieg gegen Drogen“ ablassen und sich einer aufgeklärten Politik zuwenden. Oder glaubt jemand, Präsident Putin wird nach Petersburg die Erkenntnis haben, mit Methadon und Heroinsubstitution für sich prostituierende Mädchen oder Gefängnisinsassen den Kampf gegen Aids aufzunehmen? - Das ist ein Randthema der G 8; ich weiß. Aber es ist aufgerufen worden. Die große Aufgabenstellung lautet: globale Energiesicherheit. Im Klartext: Es wird dabei mehr Kriegsgefahr beim Kampf um die knapper werdenden Ressourcen und eine Renaissance der Atomindustrie herauskommen. Das halten wir für eine fatale Fehlentwicklung. ({6}) Umso mehr muss begriffen werden, dass die UNO aufgewertet werden muss, wie es auch der UN-Generalsekretär in dieser Woche in der „Frankfurter Rundschau“ sagte, als er davon sprach, dass die Reichen einen erdrückenden Einfluss auf die Vereinten Nationen ausüben. Viele sagen zur EU-Politik: Nach dem Brüsseler Gipfel ist die Zukunft ungewiss; die EU ist zerrissen. Das kommt davon - so will ich etwas flapsig sagen -, wenn man sich das Gigaprojekt „supranationale Verfasstheit“ in den Kopf setzt und glaubt, via einen Konvent über die Meinung der Bevölkerung der Mitgliedstaaten hinweggehen zu können. Ich halte die Prognosen hinsichtlich einer Zerrissenheit für übertrieben. Das Projekt „Verfassung“ ist geplatzt. Mehr ist nicht passiert. ({7}) Die Verträge bestehen weiter. Es kann auch ohne Verfassung eine Reform für ein soziales, friedliches Europa geben. ({8}) Eine Reform jedoch hat die EU offenbar vollkommen verpasst; das ist die, die in einigen Ländern Lateinamerikas stattgefunden hat. Deshalb begrüße ich, was Sie, Herr Mark, in Ihrer Haushaltsrede dazu gesagt haben. Hätte die Regierung unseren Antrag zum Wiener Gipfel gelesen, wäre sie nicht erstaunt gewesen, dass es nicht dazu gekommen ist, eine Freihandelszone auf ganz Lateinamerika auszuweiten. ({9}) Insofern ist es eine gute Nachricht, wenn dort im Schlussdokument die Souveränität und die politische Unabhängigkeit der Staaten Lateinamerikas hervorgehoben werden. Wir hoffen doch sehr, dass sich auch die USA diese Erklärung zu Gemüte führen. Das ist eine gute Nachricht. Keine gute Nachricht - damit komme ich zum Schluss - kommt derzeit aus Afghanistan. Hier will die NATO ihr Konzept ausweiten, ja sogar ISAF und Enduring Freedom faktisch zusammenlegen. Am Ende bekäme die Bundeswehr noch einen Kampfauftrag. Das wollen wir auf keinen Fall. ({10}) Deutsche Soldaten sollen nicht Konfliktpartei werden. Was wir stattdessen brauchen, ist eine Exitstrategie. Die Truppenstellenden müssen folgende Fragen beantworten: Erstens. Was sind die eigentlichen Kriegsziele? Zweitens. Wann sind diese Kriegsziele erreicht? Drittens. Die Taliban sind erstarkt, es blüht der Mohnanbau, es herrscht der Drogenhandel - was jetzt? Wir sagen, Afghanistan ist so nicht zu schaffen - nicht mit Waffen. ({11}) Die wichtige und richtige Antwort findet man in einer radikalen Energiewende und dem Ende des Krieges um Öl. Das befriedet die Transit- und Exportstaaten, minimiert das Risiko atomarer Bewaffnung und schließt eine radikale Abwehr vom Krieg gegen Drogen ein. Ich danke Ihnen. ({12})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Eckart von Klaeden von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir stehen in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten vor wichtigen Herausforderungen und Entscheidungen in der Außen- und Sicherheitspolitik. Ich nenne beispielhaft Iran, Afghanistan und Kongo. Bei all diesen Herausforderungen stellt sich die Frage, wie wir gemeinsam mit unseren Partnern und Verbündeten auch in Zukunft in der Lage sein werden, die globale Ordnung zu gestalten. Das gilt zunächst einmal für den Iran. Dort geht es um die Durchsetzung der Aufrechterhaltung unserer Prinzipien, nämlich um die Achtung des Völkerrechts und globaler Institutionen, um die Fortführung der Abrüstung und Unterbindung der Proliferation sowie um die Anerkennung des Existenzrechts Israels. Es geht deshalb auch nicht, Frau Kollegin Knoche, um einen Konflikt zwischen dem Iran und den USA, sondern um einen Konflikt des Iran mit der internationalen Rechtsgemeinschaft. ({0}) Es ist nicht zuletzt ein besonderer Erfolg der Bundesregierung - Frau Knoche, auch hier hätten Sie sich ein anderes Feld für Ihre Kritik an der Bundesregierung aussuchen müssen; Sie müssten allerdings selbst herausfinden, welches -, ({1}) dass dem Iran ein neues Verhandlungsangebot unterbreitet worden ist. Wir müssen bei dieser Frage geschlossen und auch entschlossen vorgehen. Geschlossenheit bezieht sich auf den Weg und Entschlossenheit auf das Ziel. Der Iran darf auf keinen Fall Nuklearmacht werden. Das ist die Forderung des Völkerrechts. Völkerrecht ist eine Sollensordnung mit dem Anspruch auf internationale Durchsetzung, eine Ordnung, die am Ende auch gegen den Willen des Rechtsunterworfenen durchgesetzt werden muss. Dazu müssen wir bereit sein, alle geeigneten und erforderlichen Mittel einzusetzen, die nukleare Bewaffnung des Iran zu verhindern, und dürfen von vornherein keine Optionen ausschließen. ({2}) Bundesaußenminister Steinmeier hat zu Recht in einem „Spiegel“-Interview in dieser Woche eine neue Qualität in der amerikanischen Außenpolitik festgestellt. Das gilt auch für unsere Außenpolitik. Wir bekennen uns im Koalitionsvertrag zum effektiven Multilateralismus. Unsere Verpflichtung ist es, seine Effektivität - das heißt die Fähigkeit, Probleme multilateral lösen zu können unter Beweis zu stellen. Der Iran betont wie viele andere muslimische Staaten bei der Auseinandersetzung immer wieder die Ehre seiner Nation. In der Tat verfügt der Iran über eine jahrtausendealte beeindruckende Geschichte. Das erneute Verhandlungsangebot zeigt, wie respektvoll wir den Iran behandeln. Die Ehre des Iran wird aber nicht durch die Behandlung durch den Westen, sondern durch die Äußerungen seines Präsidenten Ahmadinedschad verletzt. ({3}) Es geht nicht nur um die Ehre des Iran, sondern auch um unsere Ehre ({4}) und unsere Pflicht, dem Recht zur Durchsetzung zu verhelfen. Opus iustitiae pax - der Friede ist das Werk des Rechts. Vor ähnlichen Herausforderungen stehen wir auch in Bezug auf Nordkorea. Wir haben in diesen Tagen erfahren, dass Nordkorea vor dem Abschuss einer so genannten Taepodong-2-Rakete steht, einer nordkoreanischen Kontinentalrakete, die die USA erreichen und letztlich auch uns bedrohen kann. Ein heißer, möglicherweise sogar nuklearer Konflikt in Ostasien würde Länder treffen, die enge Partner von uns sind, und die Weltwirtschaft auf das Schwerste erschüttern. Gareth Evans, der Präsident der International Crisis Group, hat Nordostasien als einen der gefährlichsten Brandherde der Welt qualifiziert und das auch an der „Wiederauferstehung eines rüden Nationalismus“ in der Region festgemacht. Nordkorea und Iran zeigen uns, dass unsere Sicherheit auch durch Konflikte in weit entfernten Regionen gefährdet werden kann. ({5}) Deswegen ist es wichtig, dass die NATO den Dialog und die globale Partnerschaft mit Staaten wie Japan oder Australien sucht, die unsere Werte und unsere sicherheitspolitischen Interessen teilen. ({6}) Auch Singapur ist ein Partner von uns und kann eventuell eine Vermittlerrolle übernehmen. Es ist richtig und wichtig, dass wir uns weiterhin in Afghanistan und im Kongo mit Bundeswehrsoldaten engagieren. Ich will hier ausdrücklich den Soldatinnen und Soldaten für ihren Einsatz danken. ({7}) Die Einsätze sind ein Beispiel für das breite internationale Engagement und die Verpflichtung zum Völkerrecht der Bundesrepublik Deutschland. ({8}) In Afghanistan müssen wir mehr dafür tun, dass die Afghanen auch in entlegenen Gegenden von internationalen Einsätzen profitieren und damit die Präsenz internationaler Organisationen anerkennen. Wir müssen mehr und effektivere Maßnahmen gegen Drogenanbau und -handel treffen. Wir sollten die Kritik von Lakhdar Brahimi, dem ehemaligen algerischen Außenminister und Sondergesandten der UNO, in der „FAZ“ vom 6. Juni 2006 beherzigen. Er mahnte, die internationale Gemeinschaft müsse sich realistische Ziele setzen und auf das Wesentliche konzentrieren, so beispielsweise in Afghanistan auf den Aufbau der Rechtsstaatlichkeit. Nach Brahimi könne es nicht darum gehen, aus Afghanistan ein Schweden zu machen, und es deshalb mit 800 Nichtregierungsorganisationen zu überziehen und Geld „ohne Sinn und Verstand“ zu verteilen. ({9}) Was wir im Kongo nach dem Wahlprozess unterstützen wollen, muss auch heute schon eine Rolle spielen und darauf müssen wir uns stärker konzentrieren. Wir müssen größeres Gewicht auf den Aufbau einer formellen, transparenten und rationalen Bergbauwirtschaft, die auch ihren Beitrag für die kongolesische Bevölkerung leisten kann, legen. ({10}) Erste richtige Schritte sind die europäische Initiative zu Transparenz in der Rohstoffindustrie sowie die geplante Einrichtung einer Kommission zur Überwachung der Rohstoffförderung im Kongo. Wir sollten die afrikanischen Staaten viel mehr ermuntern, sich stärker dem Aufbau regionaler Märkte zu widmen. Das ist die beste Entwicklungszusammenarbeit. Mosambiks wirtschaftlicher Aufschwung zum Beispiel ist mitunter auf die beeindruckende Steigerung eines interregionalen Handels in der SADC zurückzuführen. Die genannten Themen haben eines gemeinsam, was vor wenigen Jahren noch nicht der Fall war: Bei all diesen Fragen spielt China eine zunehmend wichtigere Rolle. Dies wird besonders bei dem Thema Energiesicherheit deutlich. China, aber auch die anderen asiatischen Staaten von Indien über die südostasiatischen Länder bis nach Japan stellen für uns als Deutsche und für Europa die Herausforderung überhaupt dar. Wir stehen am Anfang eines asiatischen Zeitalters und die besondere Wichtigkeit Asiens für unsere Politik, nicht nur für unsere Außenpolitik, haben die Reisen von Bundesminister Steinmeier und auch der Bundeskanzlerin unterstrichen. China drängt auf die Weltmärkte. Das ist keine Neuigkeit. Indien und China vereinen 40 Prozent der Weltbevölkerung im arbeitsfähigen Alter. Im besten Fall ist China auf dem Weg, die technologischen und finanziellen Stärken einer hoch entwickelten Gesellschaft mit dem Kostenvorteil eines Entwicklungslandes zu verbinden. China ist nicht mehr allein die Werkbank der Welt. China verfügt mit über 750 Milliarden US-Dollar über die zweitgrößten Devisenreserven der Welt. Chinesische Familien haben eine enorme Sparquote; sie liegt bei circa 40 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. China baut sein Humankapital kontinuierlich aus. Chinesische Universitäten graduieren jährlich mehr als 200 000 Ingenieure. Die chinesische Regierung gründet jedes Jahr über 200 Forschungsinstitute. Das Microsoft-Entwicklungsbüro in China dominiert zunehmend die Innovationen dieses Weltkonzerns. Indien blickt auf ähnlich kraftvolle Zahlen. - Auf diese geballte Entwicklung müssen wir uns einstellen. Wir müssen uns fit machen für den Wettbewerb und uns die Frage stellen, wie wir uns in eine zunehmend asiatisch dominierte Weltwirtschaft integrieren. In diesem Zusammenhang sollten wir auch die Prinzipien unserer Entwicklungszusammenarbeit mit China ständig neu hinterfragen und weiterentwickeln. Dazu gehört, dass wir unsere eigenen Interessen, zum Beispiel an einem funktionierenden und transparenten Rechtssystem in China, in den Vordergrund stellen. Wir können nicht die soziale und ökologische Verantwortung der chinesischen Regierung gegenüber ihrer eigenen Gesellschaft übernehmen. Wir sollten darauf achten, dass China kontinuierlich und immer mehr für Leistungen bezahlt, die von uns erbracht werden. ({11}) Die Herausforderung gegenüber China hat nicht nur eine innen-, sondern auch eine außenpolitische Dimension. China stellt uns die Systemfrage. Das chinesische System, ein Einparteienstaat, der das Land wie ein gigantisches modernes Wirtschaftsunternehmen führt, übt aufgrund seines Erfolges eine große Anziehungskraft aus. Dagegen wirken westliche Demokratien schwerfällig. Andere Staaten könnten in der Einschränkung der Beteiligung der eigenen Bevölkerung eine Erfolgsformel für ihre eigene Zukunft sehen. Deswegen sind wir herausgefordert, zu zeigen, dass unser System erfolgreich ist. Die Reformen, die wir in unserem Land durchführen, sind also auch Teil unserer Asienstrategie. Es geht um die Frage, wie unser Modell auf andere Länder ausstrahlt. ({12}) Dass China eine außenpolitische Herausforderung darstellt, zeigte sich erneut beim Treffen der SchanghaiKooperation-Organisation in der vergangenen Woche. Die Organisation gewinnt regional auch in Abgrenzung zu den transatlantischen Partnern an Bedeutung; sie bot dem iranischen Präsidenten Ahmadinedschad eine internationale Bühne. Des Weiteren finden Herrscher wie die birmanischen Generäle, Diktatoren wie Mugabe, Populisten wie Chávez oder islamische Führer wie Bashir Unterstützung in Peking, weil ihre Länder über wertvolle Bodenschätze verfügen. Das erschwert unsere Bemühungen um Förderung der Demokratisierung in diesen Ländern. Zudem kann das Verhalten Chinas zum Beispiel gegenüber dem Sudan oder dem Iran unmittelbar unsere europäischen Sicherheitsinteressen berühren. Welche Konsequenzen müssen wir daraus ziehen? Erstens. Wir müssen alles dafür tun, dass sich China friedlich und im Rahmen des internationalen Rechts entwickeln kann. Wir müssen China, soweit es geht, in die internationale, globale Ordnung einbinden. Daran muss China selber ein Interesse haben, weil es die internationale, die globale Interdependenz als eigenen Entwicklungsweg gewählt hat. Zweitens müssen wir China ermuntern, einen eigenen Beitrag zur Regelung von Problemen zu leisten. Letztlich kann auch China kein Interesse an Instabilität wie im Sudan oder in Simbabwe haben. Drittens müssen wir Europäer uns sehr viel mehr um unsere natürlichen Verbündeten kümmern, um unsere Gleichgesinnten in Asien, mit denen wir gemeinsame politische Ziele verfolgen. Ich nenne hier insbesondere Japan, aber auch Südkorea oder Singapur. Wir haben ein Interesse an einer friedlichen Entwicklung Chinas zu mehr Wohlstand. Wir haben aber auch ein Interesse daran, dass die Risiken in der Entwicklung Chinas gesehen werden und alles getan wird, dass entsprechende Entwicklungen nicht eintreten. Das führt uns zu den Aufgaben, die wir in Europa wahrzunehmen haben. Die europäische Sicherheitsstrategie soll dafür sorgen, dass sich Sicherheit und Wohlstand in unserer Nachbarschaft weiterentwickeln können. Dazu gehört die Entwicklung auf dem Balkan, aber auch die Entwicklung in der Ukraine. Die Ukraine ist ein Schlüsselland in Osteuropa. Deswegen ist es gut, dass sich in der letzten Nacht die Parteien der orangenen Revolution auf eine Neuauflage der Koalition geeinigt haben. ({13}) Die Ukraine braucht eine klare europäische Perspektive und wir müssen ihr diese klare europäische Perspektive einräumen. Die Zusammenarbeit mit der Ukraine könnte und sollte ein Schwerpunkt der deutschen EU-Präsidentschaft sein. Dabei gilt es auch - wir sind ja in der Haushaltsdebatte -, die Instrumente unserer Außenpolitik auf solche Schlüsselländer wie die Ukraine stärker auszurichten. In diesem Zusammenhang möchte ich, wie es der Kollege Mark schon getan hat, die Arbeit der politischen Stiftungen in der Ukraine, aber auch in anderen Ländern ganz besonders loben und ihnen dafür danken. Wir sollten darauf achten, dass den politischen Stiftungen für ihre hervorragende Arbeit auch in Zukunft die nötigen Mittel zur Verfügung stehen. ({14}) Ein letztes Wort zu Russland. Das G-8-Treffen in Sankt Petersburg im Juli steht unmittelbar bevor. Russland steht vor ähnlichen Herausforderungen wie China. Russlands Demokraten benötigen den Westen als Modell. Wir wollen, dass die viel beschworene strategische Partnerschaft zwischen Deutschland und Russland nicht nur eine wirtschaftliche Partnerschaft ist, sondern sich diese Partnerschaft an universellen Werten orientiert. Dazu gilt es die Vertrauensbasis weiterzuentwickeln. In diesem Zusammenhang spielt auch die Frage, wie sich Russland innenpolitisch entwickelt und wie es sich seinen Nachbarn gegenüber verhält, eine Rolle. Was die innenpolitische Entwicklung Russlands angeht, so will ich hier ganz deutlich sagen, weil es dazu einen Antrag der Grünen gibt, dass wir die Übergriffe auf unseren Kollegen Volker Beck bedauern und verurteilen. ({15}) Gleichzeitig weisen wir darauf hin, dass die Delegation der Nichtregierungsorganisationen, die vor zwei Wochen auf Einladung von Andreas Schockenhoff in Berlin war, zum Ausdruck gebracht hat, welche Wertschätzung Andreas Schockenhoff bei den Nichtregierungsorganisationen in Russland genießt und dass ihm die demokratische Entwicklung Russlands sehr am Herzen liegt. Deswegen werden wir Ihren Antrag ablehnen. ({16})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bevor ich in der Rednerliste fortfahre, möchte ich Ihnen Folgendes bekannt geben: Die Fraktionen haben sich darauf verständigt, dass die Beratung des Einzelplans 06 wie vorgesehen heute Abend stattfindet, jedoch die Abstimmungen über den Einzelplan 06 einschließlich der namentlichen Abstimmung erst morgen zu Beginn der Sitzung erfolgen. Gleiches gilt für die Beratung und Abstimmung über den Einzelplan 10. Die Beratung erfolgt wie vorgesehen morgen Abend, die Abstimmungen einschließlich der namentlichen Abstimmung finden jedoch erst am Freitag zu Beginn der Sitzung statt. Damit können wir abends zu der entspre3594 Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms chenden Zeit auf die namentlichen Abstimmungen verzichten und sie morgens früh durchführen. Als nächste Rednerin erteile ich der Kollegin Kerstin Müller vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am Montag hat der neue Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen erstmals getagt. Das war für die Menschenrechte sicherlich ein guter Tag. Gleichzeitig wird damit ein Teil der Reformen der Vereinten Nationen umgesetzt, leider aber nur ein Teil. Darauf will ich zunächst einmal zu sprechen kommen. Sie, Herr von Klaeden, haben den effektiven Multilateralismus angesprochen. Deshalb wundert mich, dass Sie die UN-Reform nicht erwähnt haben; denn in einem Hilferuf hat Kofi Annan in diesen Tagen deutlich gemacht, dass die Vereinten Nationen als Ganzes scheitern, wenn nicht auch die übrigen Reformen angegangen werden, weil sie für die neuen internationalen Herausforderungen nicht gewappnet sind. Die Vereinten Nationen stehen vor einem Moment der Wahrheit, so Kofi Annan. Er hat Recht. Die Selbstblockade, die wir zurzeit bei der UN-Reform erleben, ist verheerend. So notwendig die Reformen sind, der Beitragsboykott der USA ist, so meine ich, ein völlig unakzeptables Mittel zu deren Durchsetzung. Damit wird man nicht weiterkommen. ({0}) Fatal ist auch - das ist die andere Seite des Konflikts die momentane Reformverweigerung vieler Entwicklungsländer. Herr Außenminister, die Reformvorschläge liegen auf dem Tisch. Wir brauchen jetzt eine neue Initiative zur Umsetzung der Reformen. Ich fordere Sie auf: Werden Sie als Bundesregierung endlich sichtbar aktiv. Ein Scheitern der UN-Reformen wäre ein verheerendes Signal. ({1}) Der Einsatz für den effektiven Multilateralismus - darin sind wir uns alle einig - gehört zu den Grundsäulen der deutschen und der europäischen Außenpolitik. ({2}) Nirgendwo wird das deutlicher - das ist in der Tat ein positives Beispiel - als im Atomstreit mit dem Iran. Von Anfang an haben die Europäer auf eine Verhandlungslösung gesetzt. Herr Außenminister, ich bin sehr froh, dass Sie den Kurs der alten Regierung fortsetzen und dass dem Iran jetzt ein neues Angebot der internationalen Gemeinschaft vorgelegt wurde. ({3}) Das ist der richtige Weg, auch wenn manche Äußerungen von Präsident Ahmadinedschad wirklich unerträglich sind. Auch die Amerikaner sind jetzt zu direkten Gesprächen mit Iran bereit und unterstützen das Angebot. Das hat auch meine Fraktion immer wieder gefordert. Das ist ein zentraler und wichtiger Schritt nach vorn. Das zeigt: Wenn die internationale Gemeinschaft gemeinsam und entschlossen handelt, dann sind auch in schwierigen Krisensituationen Verhandlungslösungen erreichbar. Jetzt aber ist der Iran am Zuge. Wir fordern Iran auf, auf der Basis dieses Angebotes wirklich ernsthafte Verhandlungen aufzunehmen und natürlich während dieser Zeit die Urananreicherung zu suspendieren. Das ist - das muss man deutlich sagen - die letzte Chance. Wir bieten Anerkennung und Sicherheit, einschließlich Sicherheitsgarantien. Falls der Iran das Angebot ablehnt, führt der Weg in die Isolation. Das sind die Alternativen. Das bedeutet aber, dass wir dem Iran auch klarmachen müssen: Falls neue Verhandlungen abgelehnt werden, sind wir bereit, das gesamte Instrumentarium politischer, finanzieller und ökonomischer Druckmittel anzuwenden, auch wenn das teilweise zu unseren Lasten gehen wird. Ohne diese Konsequenz bleibt das Angebot wirkungslos. Der Fall Iran weist auf ein weiteres ernsthaftes Problem hin: Der Nichtverbreitungsvertrag ist inzwischen fast wirkungslos. Wenn wir aber den Iran, Nordkorea und andere davon abhalten wollen, Nuklearwaffen zu entwickeln, dann müssen auch die Atommächte ihre Abrüstungsverpflichtungen endlich ernst nehmen. ({4}) Herr Außenminister, Sie haben die Atommächte gemahnt. Aber auch hier ist, so glaube ich, Initiative gefragt. Gerade Deutschland - ich darf daran erinnern, dass auch in unserem Land noch Atomwaffen stationiert sind sollte gemeinsam mit anderen Nichtkernwaffenstaaten eine politische Initiative zur grundlegenden Reform und Stärkung des Nichtverbreitungsvertrages ergreifen. ({5}) Das zeigt: Deutsche Außenpolitik bleibt Friedenspolitik; sie ist eingebunden in die Vereinten Nationen und wir betreiben sie gemeinsam mit den europäischen Partnern. Was heißt das für den Nahostkonflikt? Gerade in der zurzeit verfahrenen Situation müssen wir auch hier multilateral, das heißt im Rahmen des Nahostquartetts, alles versuchen, damit der Friedensprozess zwischen den Konfliktparteien wieder aufgenommen wird. Die Forderungen an die Hamas sind klar: Ohne Anerkennung des Existenzrechts Israels und ohne einen klaren Gewaltverzicht der Hamas ist auch für uns eine Kooperation mit der neuen Regierung undenkbar; ({6}) Kerstin Müller ({7}) denn die Sicherheit des Staates Israel ist - darin stimmen wir alle überein - eine historische Verpflichtung unserer Außenpolitik. Dennoch war es überfällig, dass das Nahostquartett am Samstag einen Hilfsfonds für die Palästinenser beschlossen hat, der unter Umgehung der HamasRegierung zumindest eine humanitäre Krise verhindern soll. Der Vorschlag von Präsident Abbas, notfalls eine Volksabstimmung über die Gefangeneninitiative, das heißt, letztlich über eine Zweistaatenlösung, herbeizuführen, ist, meine ich, ein sehr kluger Vorschlag, den wir und die EU unterstützen sollten. Wir brauchen eine schnelle Rückkehr an den Verhandlungstisch, solange Präsident Abbas noch das Vertrauen der palästinensischen Bevölkerung hat. Insofern ist das morgige erste Treffen zwischen Abbas und Premier Olmert in Jordanien ein wichtiger Schritt. Ein Bürgerkrieg zwischen Hamas und Fatah und eine weitere Eskalation mit Israel sind noch lange nicht abgewendet. Die EU braucht daher schnellstens eine Strategie, wie eine weitere Eskalation der Lage verhindert werden kann. Die Isolation der Hamas ist richtig. Aber sie ersetzt keine Politik. Zum Schluss möchte ich noch einmal zum Thema Menschenrechte zurückkommen. Herr von Klaeden, es ist sicher gut, dass Sie hier noch einmal klargestellt haben, dass Sie die Übergriffe auf Herrn Beck anlässlich der Demonstration in Moskau bedauern. Aber ich meine - das muss ich hier sehr deutlich sagen -: Das reicht nicht. Man braucht sich nur die Äußerungen anzusehen, die Herr Schockenhoff, Ihr Koordinator für deutsch-russische Zusammenarbeit, gemacht hat. Zum grundrechtswidrigen Verbot des Christopher Street Days in Moskau hat Herr Schockenhoff gesagt, man müsse „sich auf die politische Ordnung eines Gastlandes einstellen“ und dürfe nicht die russischen „Spielregeln“ unterlaufen. Den Einsatz des Kollegen Volker Beck für die Rechte der Lesben und Schwulen hat er sehr heftig kritisiert. Ich will Sie nur einmal darauf aufmerksam machen: Wenn sich die Ostdeutschen an die politische Ordnung und die Spielregeln der DDR gehalten hätten, dann stünde die Mauer heute noch. Dann wäre man nicht sehr weit gekommen. ({8}) Russische NGOs wie zum Beispiel Memorial haben ausdrücklich die Teilnahme ausländischer Politiker an solchen Aktionen begrüßt. Sie haben noch einmal deutlich gemacht: Die russische Bürokratie zwingt NGOs mit fadenscheinigen Demonstrationsverboten zu solchen nicht genehmigten Versammlungen. Sie, Herr Schockenhoff, haben sich bisher leider nicht entschuldigt. Ich meine: Wer Menschenrechtsaktivisten vom sicheren Deutschland aus verbal in die Kniekehlen tritt, der taugt nicht mehr als Russlandkoordinator. Ich meine, der Rücktritt des Herrn Schockenhoff von seinem Amt als Koordinator ist überfällig, Herr Außenminister. Vielen Dank. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Bundesminister Frank-Walter Steinmeier.

Dr. Frank Walter Steinmeier (Minister:in)

Politiker ID: 11004167

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Reisende im deutschen Interesse sind wir alle, die einen mehr, die anderen weniger. Fast überall sind wir zu Gast bei Freunden. Ich jedenfalls stoße bei fast allen meinen Gesprächspartnern im Augenblick auf denselben Grundton. Deutschland ist ein international wichtiger und - wie ich finde - zunehmend gefragter Gesprächspartner, allerdings auch einer, an den hohe Erwartungen gerichtet werden. Ich bin mir sicher, dass Sie fast alle - außer offensichtlich Frau Knoche - bei Ihren Auslandsreisen, bei Ihren Kontakten in den Gastländern, bei Ihren Besuchen in den Botschaften und Vertretungen dort, die gleiche Botschaft erhalten. Weltweit wird unser Land als gewichtiger Akteur - gewichtig weil vernünftig und effektiv multilateral aufgestellt - im internationalen Staatengefüge wahrgenommen. ({0}) Das ist keine falsche Wahrnehmung. Die Wahrnehmung ist zutreffend. Wir tragen in der Tat mehr Verantwortung. Gleichzeitig - ich finde das richtig und notwendig - überlegen wir uns sehr genau, wo und wie wir diese Verantwortung übernehmen. Das hat die jüngste Debatte über einen Einsatz im Kongo hier im Hohen Hause durchaus eindrucksvoll gezeigt. Lange haben wir miteinander darüber diskutiert. Lange haben wir das Für und Wider einer Beteiligung an einer solchen Mission abgewogen. Ich glaube, eines wird man uns nicht vorwerfen können: Leicht hat es sich hier in diesem Hohen Hause in der Tat niemand gemacht. Am Ende, nach langer Diskussion, war sich eine übergroße Mehrheit des Bundestages einig, dass es richtig ist, die Wahlen im Kongo durch eine europäische Mission, an der wir beteiligt sein werden, abzusichern. Hier stehen wir gemeinsam in einer internationalen Pflicht: in der Pflicht, gemeinsam mit unseren Partnern dafür zu sorgen, dass die Stabilisierungsbemühungen der letzten Jahre, von denen ich berichtet habe, nach der Wahl nicht in Gefahr gebracht werden. Meine Damen und Herren, wenn wir heute über den Haushalt des Auswärtigen Amtes diskutieren, so tun wir das vor dem Hintergrund einer veränderten Situation, einer Situation, in der wir gewachsene internationale Verantwortung tragen. Verantwortung heißt ganz praktisch - das ist in vielen Reden angeklungen -: höhere Ansprüche an unsere Kreativität und Sachkompetenz, überdurchschnittlicher Einsatz, aber auch angemessene Mittelausstattung; darauf werde ich am Ende meiner Ausführungen noch einmal zu sprechen kommen. Ich möchte kurz zwei Krisenherde ansprechen, obwohl wir in den vergangenen Wochen und Monaten bereits häufig genug Anlass hatten, über diese Themen zu reden. Beginnen sollte ich mit Afghanistan, weil diese Region in den allermeisten Reden, die hier gehalten wurden, eine Rolle gespielt hat. Zu Recht sind die Schwierigkeiten, die wir im Augenblick in Afghanistan haben, angesprochen worden. Aber wir sollten trotz aller Schwierigkeiten nicht vergessen, dass wir dort gemeinsam mit unseren internationalen Partnern ein Fundament für die Stabilisierung und den Aufbau eines demokratischen Staatswesens geschaffen haben. Deutschland hat dazu wichtige Beiträge geleistet. Wir tragen seit kurzer Zeit die Verantwortung für das Regionalkommando Nord. Wir haben für den Aufbau der Polizei in Afghanistan Verantwortung übernommen. Darüber hinaus leiten wir zwei regionale Wiederaufbauteams. Deshalb glaube ich, dass wir - damit meine ich auch dieses Haus - selbstbewusst feststellen können: Wir haben in den letzten Monaten und Jahren vieles erreicht. Das sage ich auch vor dem Hintergrund einer sich verändernden, weil angespannten Sicherheitslage in Afghanistan; auch das darf nicht verschwiegen werden. Das, was dort jetzt geschieht, verdeutlicht im Grunde genommen nur das, was wir in unseren Analysen der letzten Jahre immer wieder festgestellt haben: Das Land ist von staatlicher Normalität noch weit entfernt. Natürlich ist unsere Mission nicht ohne Risiko. Aber genau deshalb sind wir, sowohl mit zivilen als auch mit militärischen Kräften, so prominent vor Ort. Ich jedenfalls bin fest davon überzeugt - ich bin froh, dass das auch andere festgestellt haben -: Wir dürfen in dieser unserer Unterstützung Afghanistans nicht nachlassen. ({1}) Meine zweite Bemerkung bezieht sich auf den Nahen Osten: Die Lage bleibt kompliziert. Die Hamas-Regierung verweigert sich den Kriterien - sie sind heute viele Male genannt worden -, die das Nahostquartett für eine konstruktive Zusammenarbeit mit der dortigen Regierung genannt hat. Gleichzeitig verschlechtert sich die Sicherheitslage in den palästinensischen Gebieten ganz erkennbar. Ich kann nur hoffen, dass, wie es Frau Müller zum Ausdruck gebracht hat, die Initiative von Mahmud Abbas hilft, den innenpolitischen Stillstand, den es ganz ohne Zweifel gibt, aufzulösen und die vorherrschende Gewalt einzudämmen. Das habe ich dem Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde am vergangenen Freitag in einem ausführlichen Telefongespräch gesagt und ihm unsere Unterstützung für diesen Prozess zugesichert. Das alles hilft jedoch nicht, wenn wir gleichzeitig zur Kenntnis nehmen müssen, dass sich die humanitäre Lage in den palästinensischen Gebieten verschlechtert. Wie Sie wissen, haben wir im Kreise der EU-Außenminister in den letzten Wochen intensiv nach Wegen gesucht, wie wir den Menschen in den palästinensischen Gebieten konkret helfen können: bei der Nahrungsmittelversorgung, bei der Versorgung mit Wasser und Energie und letztlich auch bei der Versorgung von Kranken. Seit Montag vergangener Woche gibt es einen internationalen Finanzierungsmechanismus, der im Europäischen Rat vereinbart wurde. Frau Bundeskanzlerin, ich bin froh, dass nach dem Europäischen Rat auch das Nahostquartett diesem Finanzierungsmechanismus zugestimmt hat. Jetzt bin ich zuversichtlich, dass es mithilfe der Weltbank gelingen wird, der Not leidenden palästinensischen Bevölkerung tatsächlich und schnell zu helfen, ({2}) und zwar - das betone ich - unter Umgehung der Hamas-Regierung. Ich weiß, dass viele - vielleicht auch der eine oder andere hier im Hause - sich in dieser Frage mehr Flexibilität wünschen. Ich halte all denjenigen, die unsere restriktive Haltung gegenüber der Hamas kritisch sehen, entgegen: Wir haben eine klare Verantwortung aus unserer Geschichte - gegenüber Israel. Unser Platz kann daher nie an der Seite derjenigen sein, die das Existenzrecht Israels infrage stellen. ({3}) Ich kann bestätigen, dass das drängendste politische Problem der Konflikt um das iranische Atomprogramm ist. Sie wissen, dass wir, die EU-3, gemeinsam mit Russland, China und den USA dem Iran ein umfassendes Angebot zur Kooperation vorgelegt haben. Dieses Kooperationsangebot eröffnet dem Iran Perspektiven; wie ich finde, sogar weit reichende Perspektiven. Sie wissen ebenso, dass eine Antwort bis zum heutigen Tage leider nicht vorliegt. Wir verfolgen natürlich mit großer Aufmerksamkeit das, was gegenwärtig an Äußerungen aus der iranischen Führung zu hören ist. Wir sind im Augenblick zufrieden - müssen zufrieden damit sein -, dass die iranische Führung und viele Beteiligte sich dahin gehend geäußert haben, dass man dieses Angebot ernsthaft prüfen will. Wie ich immer öffentlich gesagt habe: Das rechtfertigt noch keinen Optimismus. Aber ich kenne meinen iranischen Amtskollegen, Herrn Mottaki, der am Wochenende wieder hier in Berlin sein und ein Gespräch mit mir führen wird, aus früheren Begegnungen. Deshalb sage ich ausdrücklich: Ich bin froh, dass er dieses Angebot öffentlich zumindest als einen entscheidenden Schritt nach vorn bezeichnet hat. Ich hoffe natürlich, dass sich in Teheran am Ende der internen Beratungen die Kräfte der Vernunft durchsetzen. Wir hoffen, dass der Iran die Chancen erkennt, die in diesem Angebot liegen. Dokumentiert wird in dem Verfahren, wie wir zu diesem Angebot gekommen sind, aber auch ein Zweites: Die USA haben in Gesprächen mit den Europäern ihre Bereitschaft bekundet, an diesen Verhandlungen teilzunehmen, und es besteht die begründete Hoffnung, dass Russland und China diesem Beispiel folgen. Das allein ist ein großer Erfolg der internationalen Politik und wir dürfen uns freuen, dass wir hier in vorderster Reihe mitgearbeitet haben. ({4}) Wenn ich noch einen Nachsatz sagen darf: Aus meiner Sicht ist das auch ein Erfolg für die europäische Außenpolitik. Der Hohe Repräsentant der EU, Solana, war als fest eingebundener, glaubwürdiger und akzeptierter Partner an den Gesprächen von Anfang an beteiligt. Er hat als Vertreter aller sechs Staaten, die in Wien zusammen verhandelt haben, das Angebot nach Teheran überbracht. Das ist letztlich auch ein Beweis für das Vertrauen in die gemeinsame europäische Außenpolitik, die wir vielleicht etwas selbstbewusster vertreten sollten, als wir das in der Vergangenheit getan haben. ({5}) Der westliche Balkan wird uns weiterhin beschäftigen, gar keine Frage: Es gibt viele ungelöste Probleme, denen wir uns weiterhin widmen müssen, ganz zuvorderst natürlich die Klärung des Status des Kosovo. Ich will dazu zum gegenwärtigen Zeitpunkt gar nichts weiter sagen, weil wir diese Frage hier oft genug erörtert haben. Martti Ahtisaari hält an seinem Zeitplan fest, er hat die beteiligten Parteien in Wien beieinander. Zur Kenntnis nehmen müssen wir allerdings, dass die Positionen noch weit auseinander liegen. Ich greife dieses Stichwort deshalb auf, um auf eine Entwicklung hinzuweisen, die sich in den letzten beiden Wochen ergeben hat, eine Entwicklung, deren Brisanz auch in anderen europäischen Hauptstädten stärker erkannt wird: Für Serbien häufen sich in diesem Jahr nicht leicht zu verkraftende Entwicklungen: Montenegro hat sich von Serbien losgelöst, Serbien muss befürchten, demnächst mit einer Klärung des Status des Kosovo konfrontiert zu werden, und die Verhandlungen mit der EU sind ausgesetzt - keine einfache Situation. Unter den europäischen Außenministern ist besprochen worden, dass wir uns intensiver bemühen müssen, auch Serbien auf dem Weg nach Europa zu halten; ({6}) denn eines ist bei all den Bemühungen um den westlichen Balkan ja klar: Ohne Serbien wird es keine Stabilität auf dem Balkan geben. Insofern müssen wir diese Bemühungen bei aller berechtigten Kritik gegenüber der Politik in Belgrad fortsetzen. ({7}) Meine Damen und Herren, einige wenige Sätze zur deutschen Ratspräsidentschaft. Auch hier schauen alle mit großen Erwartungen auf uns. Die Erwartungen an unsere Präsidentschaft sind groß. Es gibt viele Ratschläge dafür, wie wir diese Präsidentschaft anlegen können. Reden wir aber nicht darum herum: Auch dann, wenn wir uns darum bemühen, die Verfassung nicht so sehr in den Mittelpunkt zu stellen, wird sie ein wichtiger Punkt unserer Präsidentschaft sein. Sie wissen, dass der Rat Deutschland beauftragt hat, Mitte nächsten Jahres einen Bericht vorzulegen. Mit diesem Bericht wird natürlich erwartet, dass wir, wie es heißt, einen tragfähigen Vorschlag für die Fortsetzung des Verfassungsprozesses entwickeln. Ich hoffe, dass uns das gelingt, aber ich kann Ihnen auch sagen: Das wird nicht allein von der Präsidentschaft, sondern auch von der Bereitschaft vieler wichtiger Mitgliedstaaten abhängen, an diesem Prozess mitzuwirken. Ich spreche von der Präsidentschaft aber auch, weil ich sagen will, dass wir in erster Linie natürlich inhaltlich gefordert sein werden. Das ist aber nicht alles. In einer groß gewordenen Europäischen Union wird die europäische Ratspräsidentschaft auch unter protokollarischen und logistischen Gesichtspunkten eine Herausforderung sein. Ich sage das deshalb, weil das einerseits Last, andererseits aber zugleich Chance ist. Ich finde, wenn wir erkennen, wie es bei Großveranstaltungen gelingen kann, das äußere Erscheinungsbild eines Landes zu prägen, dann müssen wir auch zusehen, wie dies nicht nur bei einer Fußballweltmeisterschaft, sondern auch während einer Ratspräsidentschaft gelingen kann. Ich darf hinzufügen: Österreich hat das während seiner Ratspräsidentschaft in geradezu vorbildlicher Art und Weise gezeigt. ({8}) Meine Damen und Herren, einige wenige abschließende Bemerkungen zum Haushalt selbst. Ich stehe zu den Konsolidierungsbemühungen der Bundesregierung. Deshalb sage ich auch in Richtung des Bundesfinanzministeriums: Wir haben unsere Einsparungen gemäß dem Koalitionsvertrag erbracht. Es ist gesagt worden: Dieser Haushalt entsteht und steht unter etwas ungewöhnlichen politischen Rahmenbedingungen. Er ist deshalb eher so etwas wie ein Übergangshaushalt. Dies ist für uns mit der Möglichkeit eines knapp 4-prozentigen Zuwachses verbunden. Herr Mark hat darauf hingewiesen: Das gleicht den Mehrbedarf bei den Pflichtbeiträgen aus. Lothar, neben den vielen anderen Dingen, die du erwähnt hast, möchte ich zwei Erfolge herausheben, nämlich zum einen die humanitäre Hilfe mit einer Absicherung in der Größenordnung von 50 Millionen Euro und zum anderen zumindest in den Bereichen Wissenschaftsaustausch und Stipendien verbesserte Möglichkeiten im Bereich der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik. Wenn meine Redezeit jetzt nicht vorbei wäre, dann würde ich jetzt anknüpfend an die Fußballweltmeisterschaft sagen: ({9}) Mit Blick auf die gelungene neue Präsentation unseres Landes müssen wir gemeinsam miteinander auch eine neue Wertschätzung gegenüber der auswärtigen Kulturund Bildungspolitik auf den Weg bringen, und zwar nicht eine, die wir nur in Sonntagsreden formulieren, sondern eine, die sich in den Haushaltsansätzen widerspiegelt. ({10}) Meinen Dank an diejenigen, die im Parlament für den Haushalt 2006 zuständig waren - Herrn Koppelin als Hauptberichterstatter und Herrn Frankenhausen, Herrn Mark, Herrn Bonde und Herrn Leutert als Mitberichterstatter -, verbinde ich deshalb mit der Ankündigung und der Bitte, bei der Diskussion über den Haushalt 2007 so etwas wie eine kleine Trendwende bei den Ansätzen für den Bereich der auswärtigen Kulturund Bildungspolitik hinzubekommen. Ich danke Ihnen schon jetzt für Ihre Bereitschaft. Vielen Dank. ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Bundesminister Steinmeier, es ist zwar einerseits richtig, dass Sie aufgrund der Verfassung jederzeit unbegrenzt Rederecht haben. Aber es ist andererseits üblich, sich in einem gewissen Rahmen an die Vereinbarungen der Geschäftsführer der Fraktionen zu halten, weil dann, wenn Sie länger reden, dies auf Kosten der Redezeit der Kollegen aus der eigenen Fraktion geschieht. ({0}) Ich erteile als nächstem Redner das Wort dem Kollegen Jürgen Koppelin von der FDP-Fraktion.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, ich will auch Ihnen zuerst einmal Dank sagen. Sie haben eben die Berichterstatter erwähnt. Ich bin in dieser Legislaturperiode Hauptberichterstatter für den Etat 05, Auswärtiges Amt. Ich will mich ausdrücklich bei Ihnen und vor allem bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Auswärtigen Amtes für die gute Zusammenarbeit bedanken. Da Sie uns Berichterstatter erwähnt haben, will ich hier ausdrücklich sagen, dass wir als Berichterstattergruppe ein ausgesprochen gutes Team sind. Sie werden - das haben Sie erlebt - kaum eine Unterscheidung zwischen Regierung und Opposition finden. Das ändert nichts daran, dass natürlich jede Opposition versucht, Akzente zu setzen. Das gilt ebenfalls für Ihren Haushalt. Auch bei den Koalitionsabgeordneten hat jeder sein Steckenpferd; das ist völlig in Ordnung. Als Oppositionsabgeordneter sage ich: Wir suchen zwar in jedem Etat nach Einsparmöglichkeiten. Der Etat des Auswärtigen Amtes jedoch hat kaum Speck auf den Rippen. Im Gegenteil: Nach meiner Auffassung - das sage ich ganz deutlich - ist er, wenn man ganz ehrlich ist, unterfinanziert. Für einen Minister gehört es dazu, sich bei den Haushaltsberatungen nicht mit globalen Minderausgaben abspeisen zu lassen, die die Haushälter erbringen müssen. Vielmehr müssen Sie dem Finanzminister sagen: So geht das nicht. Wenn ich Außenpolitik machen und über die Botschaften unserer Wirtschaft helfen soll, Kontakte ins Ausland zu knüpfen, dann gehört es dazu, dass ich einen vernünftigen Etat habe und dass vor allem die Botschaften personell entsprechend ausgestattet sind. Ich will das einmal deutlich machen. Als es darum ging, diesen Haushalt abzuspecken, waren wir alle ohne Ausnahme dabei. Seit 1993 wurde allein bei den Botschaften die Zahl der Beschäftigten um 2 000 reduziert. Der Rest ist Substanz. Mehr geht nicht. Das ist insgesamt die Auffassung der Berichterstatter. Deswegen haben wir schon vor längerer Zeit das Personal des Auswärtigen Amtes von allgemeinen Kürzungen ausgenommen. Ich möchte an dieser Stelle - ich glaube, das tue ich für alle Berichterstatter - nicht nur den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Auswärtigen Amtes, sondern vor allem auch unserem Personal an den Botschaften überall dort, wo es seinen Dienst tut, ausdrücklich danken. ({0}) Wir haben große Erwartungen, wenn wir Politik machen. Jedes Mal, wenn es darauf ankommt - bei dem Tsunami haben wir es erlebt und erleben das auch bei anderen Katastrophen -, merken wir, welche Leistungsfähigkeit in den Botschaften steckt, obwohl sie teilweise personell ausgesprochen dünn besetzt sind. Sie leisten eine hervorragende Arbeit, ohne dabei im Dienst auf die Uhr zu schauen. Wir müssen uns irgendwann einmal darüber unterhalten - wir haben hier eine Fürsorgepflicht und Verantwortung -, ob unsere Botschaften in dieser Weise noch arbeiten können. Das trifft nicht nur auf das Personal, sondern auch auf die finanzielle Situation zu. Ich finde, so geht es auf Dauer nicht mehr weiter. ({1}) Wenn wir für die Botschaften gute Leute bekommen wollen, dann muss sich ein Minister darum kümmern, was mit den Ehepartnern derjenigen, die ins Ausland gehen, passiert, die keinen Job haben. Auch bei der Besoldung wird gekürzt. Dadurch wird der Dienst im Auswärtigen Amt bei den Botschaften immer unattraktiver. Das wird dazu führen, dass wir kaum noch gute Leute bekommen. Insofern ist es wichtig, sich darum zu kümmern, an den Botschaften zum Beispiel eine Jobbörse einzurichten, damit die Ehepartner die Möglichkeit bekommen, bei deutschen Firmen, die im Ausland tätig sind, eine Stelle zu finden. Das sollten wir langfristig angehen. Das halte ich für dringend erforderlich. Ich will noch einen weiteren Bereich ansprechen, um den Sie sich als Minister kümmern sollten; dabei werden wir Sie gerne unterstützen. Ich staune immer über das Tempo, wie hier am Potsdamer Platz die US-Botschaft entsteht. ({2}) - Entschuldigung. Ich nehme die Korrektur entgegen. ({3}) - Das ist nicht so entscheidend. Es geht um den Bau dieser Botschaft. Manchmal wünsche ich mir, dass die Baumaßnahmen des Bundes vor allem im Ausland in einem ähnlichen Tempo stattfänden, anstatt Behörden zwischenzuschalten, die - das ist mein Eindruck - blockieren, sodass sich unsere Botschaften noch mit den Behörden herumschlagen müssen. Es wäre gut, sich auch darum zu kümmern, Herr Außenminister. ({4}) Dadurch könnten wir auch viel Geld sparen. Das ist meine Meinung. Ich habe mich auch deswegen zu Wort gemeldet, um - damit spreche ich sicherlich für alle Berichterstatter unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an den Botschaften herzlich zu danken. Sie sollen wissen, dass sie sich auf uns verlassen können. Wir können natürlich kein Geld drucken. ({5}) Deshalb sind wir darauf angewiesen, dass der Minister erfolgreich mit dem Bundesfinanzminister verhandelt. Herzlichen Dank für Ihre Geduld. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Veronika Bellmann von der CDU/CSU-Fraktion.

Veronika Bellmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003501, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Debatte über den Haushalt des Auswärtigen Amtes bietet traditionell auch die Möglichkeit zu einigen grundsätzlichen Ausführungen zum Thema EU. Als Sächsin aus dem Erzgebirge - der neuen geografischen Mitte der EU nach der Osterweiterung - tue ich das sehr gerne. ({0}) Insbesondere nach dem Ratstreffen vom 15. bis 16. Juni dieses Jahres stellt sich die Frage, ob Europa gerettet werden will, kann oder soll. Die Antwort ist: Es muss gerettet werden; denn es gibt keine Alternative zur Wirtschafts- und Wertegemeinschaft der EU. Es gibt erst recht keine Alternative zu der seit fast 60 Jahren bestehenden Friedensgemeinschaft der EU. ({1}) Angesichts der Globalisierung brauchen wir die Wirtschaftsgemeinschaft; denn nur sie verleiht uns Stärke. Ich denke zum Beispiel an die Durchsetzungsfähigkeit in der Welthandelsorganisation, bei dem Partnerschaftsabkommen mit Russland oder demnächst bei dem Transatlantischen Partnerschaftsabkommen mit den USA. Wir brauchen diese Stärke. Aber um sie wiederzugewinnen, müssen wir die EU meines Erachtens in vielerlei Hinsicht wieder vom Kopf auf die Füße stellen. Das Motto „Die Welt zu Gast bei Freunden“ wurde heute schon vielfach erwähnt. Von Deutschland geht ein positives Bild um die Welt. Wir sehen allenthalben die schwarz-rot-goldenen Flaggen. Sie sind von den meisten völlig unpolitisch gemeint: nicht als Symbol der Einheit, der Demokratie oder der sozialen Marktwirtschaft, sondern als kleines Zeichen der deutschen Identität. Wenn wir im Zusammenhang mit der Wertegemeinschaft von europäischer Identität sprechen, dann ist, glaube ich, die deutsche Identität die Basis dafür. Insofern bedauere ich das, was zurzeit in Sachsen bei den Jungen Linken passiert. Dort ist von einer linken Abgeordneten zu hören, dass die Flaggen von den Straßen zu holen seien und dass sie gegen T-Shirts mit Antinaziaufdrucken getauscht werden könnten. Deutschland hat mit der Fußballweltmeisterschaft ein positives Bild in die Welt getragen. Wir haben aber auch in den Jahren davor mit unserem Engagement für den Aufbau der Europäischen Union und die Integration neuer Mitgliedstaaten ein positives Bild in die Welt getragen. ({2}) Nun sind wir an einem Punkt angelangt, an dem Deutschland sein Ansehen und seinen Einfluss dazu nutzen muss, die EU wieder auf den richtigen Weg zu bringen. Es gibt jede Menge Baustellen: die Erweiterung der Europäischen Union, Wachstum und Beschäftigung, der Verfassungsvertrag, die Finanzierung, die Energiepolitik und die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Lassen Sie mich zwei Punkte herausgreifen. Zunächst zur Finanzierung: Der Kampf um den neuen EU-Haushalt für die Jahre 2007 bis 2013 hat gezeigt, dass es auch in Zukunft nicht leichter wird, ein angemessenes Budget zusammenzubekommen. Obgleich die Einigung für den neuen Förderungszeitraum gelungen ist, wird die finnische Ratspräsidentschaft noch Einzelheiten auszuhandeln haben. Denn wir haben immerhin über 40 Politikprogramme, bei denen wir uns keinen Aufschub mehr leisten dürfen. Das gilt vor allem für die Bereiche Strukturpolitik, Forschung und Ausbildung. Gerade als ostdeutsche Abgeordnete will ich aber auf einen positiven Aspekt hinweisen, den die EU-Förderung mit sich gebracht hat. Bei der EU-Strukturförderung haben wir in hohem Maße von den Haushaltsmitteln profitiert, die die Mitgliedstaaten jährlich zur Verfügung gestellt haben. Ich nenne nur ein Beispiel aus der Solarindustrie. In meinem Wahlkreis ist die deutsche Solar-World angesiedelt. In Sachsen-Anhalt ist Q-Cells vertreten. Diese Solarfirmen sind bekanntlich mittlerweile börsennotiert. Sie haben in den 90er-Jahren mit vier bis zehn Arbeitsplätzen begonnen. Die Zahl der Arbeitsplätze ist inzwischen - auch dank der millionenschweren EU-Förderung - auf 700 bis 1 000 Arbeitsplätze angewachsen. Das zeigt doch, wie man eine sinnvoll angewendete EU-Förderung in Beschäftigung ({3}) - auch in Geld, Herr Löning - ummünzen kann. Wir müssen dennoch über eine Neuordnung der Finanzierung nachdenken. Ich meine damit nicht die unsägliche Debatte über die Einführung einer EUSteuer, sondern die solide Finanzpolitik der EU, die natürlich auf der soliden Finanzpolitik der einzelnen Mitgliedstaaten basiert und davon nicht abgekoppelt werden kann. Daher ist die Forderung der Europäischen Kommission nach mehr Transparenz bei der Strukturförderung richtig. Dort gibt es erhebliche Informationsdefizite. So haben wir bislang kaum überblicken können, ob mit EU-Mitteln zum Beispiel die Arbeitsplatzverlagerung von einem Staat in einen anderen gefördert worden ist. ({4}) Insofern muss es dort mehr Information und Kommunikation sowie Kontrolle geben. Der Vorschlag Frankreichs ist zu begrüßen, die Agrarpolitik zu vereinfachen. Immerhin ist der Agrarhaushalt mit einem Anteil von 40 Prozent am EU-Gesamthaushalt ein großer Posten. Die Kanzlerin betont ständig die Themen Deregulierung und Entbürokratisierung und übt Aufgabenkritik. Das alles führt zu Einsparungen. Man darf nicht vergessen: 30 Prozent der EU-Kosten sind Verwaltungskosten. Die hierfür verwendeten Mittel kommen nur in einem sehr geringen Umfang dem Bürger zugute. Ich glaube, dass wir auf diesem Gebiet hart in der Sache bleiben müssen. ({5}) Ich komme zur Erweiterungspolitik. Auch der neuen Europäischen Kommission ist nicht verborgen geblieben, dass eine gewisse Erweiterungsmüdigkeit herrscht. Es gibt eine Abkehr vom bisherigen Erweiterungsautomatismus; das ist zu begrüßen. Wir müssen aber das, was wir in Zukunft in Bezug auf die Erweiterung machen wollen, neu definieren. Das betrifft zum einen den politischen und den wirtschaftlichen Charakter der Union und zum anderen die geografische Ausbreitung und den kulturhistorischen Bereich. Die Forderung des Europäischen Parlaments an die EU-Kommission, einen Zeitplan für die Neukonzeption der Erweiterungsstrategie vorzulegen, und die Forderung, dass zukünftig Kandidatenländer bereits vor der Aufnahme von Verhandlungen die EU-Grundsätze - Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit - verwirklichen sollen, sind unbedingt zu begrüßen. Ich möchte an dieser Stelle eine Metapher des serbischen Außenministers Vuk Drašković aufgreifen, die er kürzlich bei seinem Parisbesuch vortrug: Wenn wir das Prinzip so fortsetzen wie bisher, dann ist das so, als wenn ein Student zu seinem Professor geht und sagt, gib mir das Diplom, ich lerne dann schon. So darf es bei der Erweiterung nicht zugehen. Zuerst muss gelernt und müssen die Aufgaben bzw. die Beitrittskriterien erfüllt werden. Dann kann es das Diplom geben bzw. die Aufnahme in die EU erfolgen. Die besten Beispiele bieten zurzeit Bulgarien und Rumänien, deren Aufnahme in die EU ansteht. Sie werden alle Hände voll zu tun haben, bis zur Vorlage des Fortschrittsberichts im Herbst die Beitrittskriterien zu erfüllen. Erst dann sind sie würdig, in die EU aufgenommen zu werden. Die Bundesregierung übernimmt mit der Ratspräsidentschaft 2007 viel Verantwortung. Alles, was von uns erwartet wird, können wir, glaube ich, gar nicht schultern. Aber am wichtigsten ist - gerade in Bezug auf den Verfassungsvertrag - das Thema Bürgernähe. Mehr Information und mehr Kommunikation mit den Bürgern sind notwendig, wenn mehr Identität entstehen soll. Wir brauchen mehr Transparenz und eine stärkere demokratische Legitimation.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.

Veronika Bellmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003501, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum Schluss. Es sind viele Aufgaben erwähnt worden, die wir in Zukunft im Hinblick auf die EU zu erledigen haben. Hierauf bezogen darf ich Mahatma Gandhi zitieren, der einmal gesagt hat: „Ohne Tat bleibt jeder Gedanke blass.“ Herzlichen Dank. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Michael Leutert von der Fraktion Die Linke. ({0})

Michael Leutert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003800, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit geraumer Zeit gehört der Koalitionsvertrag zu meinen Lieblingslektüren. ({0}) Ich darf kurz daraus zitieren: Vertraglich abgesicherte Nichtverbreitung, Abrüstung und Rüstungskontrolle sind zentrale Anliegen der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik. Wir halten an dem langfristigen Ziel der vollständigen Abschaffung aller Massenvernichtungswaffen fest. ({1}) Diesen Punkt können auch wir als Linke unterschreiben und unterstützen. ({2}) Nun gibt es im Einzelplan des Auswärtigen Amtes einen Titel, in dem auch Mittel zur Minenbeseitigung beMichael Leutert reitgestellt werden. Leider muss man feststellen, dass diese Gelder von ehemals 12 Millionen Euro auf jetzt knapp 9 Millionen Euro abgeschmolzen werden. Zum Vergleich dazu - um die Dimension deutlich zu machen -: Der Verteidigungsetat mit einem Volumen von fast 24 Milliarden Euro - das ist der zweitgrößte Etat - und mit etwas mehr als 9 Prozent des Gesamthaushalts enthält ein Extrakapitel - ich habe das hier schon einmal an anderer Stelle gesagt - mit der Bezeichnung „Wehrforschung, wehrtechnische und sonstige militärische Entwicklung und Erprobung“. Allein dieses Kapitel umfasst circa 1,1 Milliarden Euro. Das sind 0,4 Prozent des Gesamthaushalts. Der Einzelplan 05 umfasst lediglich das Doppelte, 0,88 Prozent des Gesamthaushalts. Die Mittel in diesem Kapitel sind natürlich um 153 Millionen Euro aufgestockt worden. Hier scheinen die Schwerpunktsetzungen etwas verfehlt zu sein. Haushaltsplan und Koalitionsvertrag passen an dem Punkt meines Erachtens nicht so ganz zusammen. ({3}) Auch die CDU/CSU war schon einmal Oppositionspartei. ({4}) Im März 2002 stellte die CDU/CSU-Fraktion einen Antrag im Bundestag, auch von Frau Merkel unterzeichnet, in dem es unter anderem heißt - ich zitiere -: Jahr für Jahr sind mehrere tausend zivile Minenopfer zu beklagen. In allen Teilen der Welt gibt es Länder, in denen Minen in einer so großen Menge verlegt wurden, dass sie eine immense Gefahr für die Bevölkerung darstellen ... Sie kommt zu der Schlussfolgerung: Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, ... den nationalen Beitrag für Minenräumprojekte und die Minenopferhilfe signifikant zu erhöhen. Damals war ein Betrag von 9,5 Millionen Euro eingestellt. Sie sprachen von signifikanter Erhöhung und nicht von Kürzung in diesem Bereich. Ich frage Sie einfach, ob Sie mir sagen können, warum Sie jetzt, wo Sie die Chance haben, das durchzusetzen, was Sie eigentlich wollten, das nicht in die Tat umsetzen. Ich glaube auch nicht, dass das am Widerstand der SPD liegt. Immerhin meinte der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse - Zitat -: Über 30 000 Menschen kommen jährlich durch Minen ums Leben oder werden durch sie schwer verletzt. Sie treffen ihre Opfer unvorbereitet und völlig wahllos auf grausamste Weise. Es muss alles getan werden, um diesem Wahnsinn ein Ende zu machen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich kann also hier im Hohen Hause eine breite Mehrheit feststellen - die FDP und die Grünen haben ähnlich gelagerte Anträge in den letzten Legislaturperioden gestellt -, was die Mittel für Minenbeseitigung betrifft. Deshalb kann ich Sie nur darum bitten, unserem heute vorliegenden Änderungsantrag zuzustimmen, die Mittel für die Minenbeseitigung zu verdoppeln, nämlich auf 16 Millionen Euro zu erhöhen. Wir alle haben also heute die Chance, unseren Worten Taten folgen zu lassen. Danke. ({5})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Gert Weisskirchen, SPD-Fraktion. ({0})

Gert Weisskirchen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002465, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Außenminister hat den Krisenbogen beschrieben, der uns direkt berührt, in dessen räumlicher Nähe wir leben: die arabische Welt. Sie befindet sich in einem fundamentalen Wandel und in einem Umbruch, der viel tiefer geht als das, was wir Europäer an Umbrüchen in den letzten 15 Jahren erlebt haben. Wenn man sich die Region genau anschaut, dann wird auch klar, warum es so einen dramatischen Unterschied gibt zwischen den Transformationsprozessen, die in Europa stattgefunden haben und noch stattfinden, und dem, was der arabischen Welt bevorsteht. Dort gibt es keinen Anker, an dem sich die Länder festhalten können. Anders war es bei den Ländern, die damals den Wandel in Osteuropa durchgesetzt haben. Sie hatten einen Anker: Sie konnten in die Europäische Union, nach Westen und sich dort erstens in Bezug auf Stabilität, Konsolidierung und Demokratie und zweitens in Richtung ökonomischer Modernisierung orientieren. So konnten sie den Versuch unternehmen, zivilisatorische Nachholprozesse zu organisieren. Das ist der Unterschied zur arabischen Welt. Unsere Aufgabe ist es, der arabischen Welt in dieser Situation, die zurzeit erlebt wird und die in Angst, zum Teil in Verzweiflung mündet, eine vernünftige, kluge Antwort zu geben. Die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik, der Islamdialog ist eine solche Antwort. Ich bin froh darüber, dass der Außenminister am Schluss seiner Rede deutlich gemacht hat, dass die auswärtige Kulturpolitik einer der ganz zentralen Punkte - mit Blick auf das, was künftig zu tun ist, vielleicht sogar das Herzstück - unserer Außenpolitik ist. Ich bin froh darüber, dass das in Ihren Händen ist. Diese Politik wird fortgesetzt und das Parlament wird Sie dabei unterstützen. ({0}) Die Angst, die man in der arabischen Welt erleben kann, sucht sich Fluchtwege. Um nur ein Beispiel zu nennen: Seit 1976 ist die Hälfte aller Ärztinnen und Ärzte - vorwiegend Ärzte -, die in der arabischen Welt ausgebildet worden sind, ausgewandert, in die USA oder in die Europäische Union. Die Angst verlangt aber eine andere Antwort. Diese Antwort zu finden, dazu können wir etwas beitragen. Wir können die entwickelten Gert Weisskirchen ({1}) Instrumente verstärken und, wo es nötig ist, zuspitzen. Zum Beispiel halte ich es für zwingend erforderlich, dass der Islamdialog an folgendem Punkt ergänzt und erweitert wird, Herr Außenminister: Wir sollten nicht alleine - was wichtig genug ist - mit den politischen Akteuren, etwa Parlamentariern, in diesen Regionen Kontakte pflegen und ausbauen, sondern darüber hinaus den Jugendlichen in dieser Region die Chance zu einer Begegnung mit Jugendlichen der Europäischen Union geben. Ich glaube, dass das eines der ganz zentralen neuen Instrumente sein muss. Damit ist schon begonnen worden, aber das muss ausgebaut und verstärkt werden. Denn die Begegnung zwischen jungen Menschen ist Teil dessen, wonach die islamische Welt - das ist einer der Gründe, warum sie sich gegenwärtig in Aufruhr befindet geradezu sehnsüchtig sucht: Anerkennung und Achtung ihrer eigenen Religion. Ich glaube, an diesem Punkt kann der Islamdialog ein ungeheuer vernünftiges, kluges Instrument sein, das unverzichtbar ist und an dem wir weiterarbeiten müssen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Das ist auch deshalb nötig, weil die Modernisierungsversuche, die in der arabischen Welt seit Jahrzehnten unternommen werden, allesamt gescheitert sind, und zwar auch deshalb, weil die Konzepte, die als Modernisierungsversuche überlegt worden sind, entliehene Konzepte waren; entliehen aus der europäischen Welt nach dem Vorbild des Kolonialismus. Der erste Versuch war, den Nationalismus zu adaptieren, zu übernehmen, obwohl die Europäer schon damals erkannt hatten, dass das falsch war. Ich nenne nur das Beispiel der PLO. Der Versuch, den Nationalismus auf die eigene Region zu übertragen, ist gescheitert; er musste scheitern. Schon in dem Moment war klar, dass der blinde Aktionismus der PLO nur in die Leere gehen oder gar zu etwas viel Gefährlicherem führen kann - das war schon zu Beginn zu erkennen -: In dem Moment, wo die Enttäuschungen über die Fehlkonzepte der europäischen Welt, wie etwa der Nationalismus eines war, in dieser Region explodieren, gibt es einen Adressaten, bei dem man den Hass abladen kann, nämlich Israel.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, darf ich Sie sanft an die Zeit erinnern? ({0})

Gert Weisskirchen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002465, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich meine, gerade aus diesem Grunde haben wir Deutsche und wir Europäer die Aufgabe, die Pflicht, dafür zu sorgen, dass die Modernisierungsblockaden in der arabischen Welt aufgelöst werden, damit Israel als Anker der Modernisierung und der Demokratie in dieser Region eine andere und noch bessere Chance hat, als es gegenwärtig der Fall ist. Auch deshalb ist es wichtig, dass der Islamdialog fortgesetzt wird. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Rainder Steenblock, Bündnis 90/Die Grünen.

Rainder Steenblock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002806, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrter Herr Außenminister, Sie haben im außenpolitischen Teil Ihrer Rede eine ganze Reihe von Fragen angeschnitten, in denen Sie in diesem Hause über die Regierungsfraktionen hinaus sicherlich eine breite Unterstützung haben werden. Das Wenige, das Sie heute zu Europa gesagt haben, hat mich doch sehr enttäuscht. Sie haben im Grunde nur kurz auf die Frage des Verfassungsvertrages hingewiesen, so wie er auf dem letzten Rat behandelt worden ist. Sehr geehrte Frau Kollegin Schwall-Düren, ich spreche gerade mit dem Außenminister. ({0}) - In diesem Hohen Hause ist es in der Regel so, dass man das vom Rednerpult aus macht. Es hat sich aber, gerade wenn ein Vertreter der Opposition redet, eingeschlichen, dass andere als der Redner, der am Rednerpult steht, mit den Vertretern und Vertreterinnen der Regierung sprechen. Ich finde diesen Stil in diesem Hause nicht in Ordnung. Das will ich in aller Ruhe sagen. ({1}) - Ich bin nicht derjenige, der berufen ist, irgendjemanden zu verteidigen. ({2}) Ich finde, wir haben Regularien, die wir alle einhalten sollten. Daran möchte ich in aller Ruhe erinnern. ({3}) Herr Außenminister, Sie haben zwar auf die gewachsene Bedeutung Deutschlands und die Erwartungen, die an uns gerichtet werden, hingewiesen. Es wäre aber auch notwendig gewesen, etwas zum Inhalt der Verfassungsdebatte zu sagen. Sie hätten darstellen können, dass wir im nächsten Jahr während der deutschen Ratspräsidentschaft nicht nur Vorschläge dazu machen wollen, wie das Verfahren weitergeht - es wäre zu wenig, diesbezüglich nur eine Tagesordnung aufzustellen -, sondern auch dazu, wie wir in der Sache vorankommen. Diese Verantwortung liegt zu einem ganz großen Teil bei uns. Darüber müssen wir mit unseren Freundinnen und Freunden reden. Dieser Verantwortung sollten wir uns nicht entziehen. Das heißt natürlich auch, dass wir das Gespräch mit den Menschen in diesem Lande suchen müssen. Die Europäische Union hat sich mit ihrer Kommunikationsstrategie nicht besonders mit Ruhm bekleckert. Im Grunde findet in der EU keine Debatte über die Konsequenzen aus den Voten von Frankreich und den Niederlanden statt. Wir brauchen eine neue Kommunikationsinitiative, um die Menschen in der EU tatsächlich wieder für die europäischen Ideen zu begeistern. Der Internationalismus, der die Herzen der Menschen in diesem Lande erobert hat - das sehen wir bei dieser Weltmeisterschaft -, ist eine gute Grundlage dafür, um europäische Politik aus Deutschland heraus zu gestalten. Es ist wichtig, dass die Bundesregierung intensivere Kommunikation betreibt, als Sie das heute dargestellt haben. Sie haben die Frage der Erweiterung so gut wie gar nicht angesprochen. Auch die Energie wird ein zentrales Thema auf dem Frühjahrsgipfel, den die deutsche Ratspräsidentschaft durchführen wird, sein. Sie haben dazu und zum Lissabonprozess nichts gesagt. ({4}) Die Bundesregierung wird natürlich an der Frage gemessen, ob sie in der Lage ist, diesen Themenkatalog abzuarbeiten. In Bezug auf die Frage des Verfassungsvertrages stimmt mich sehr nachdenklich, dass der Rat beschlossen hat, den Zeitplan so aufzubauen, dass erst unter der französischen Ratspräsidentschaft auf dem Dezembergipfel am Ende des Jahres 2008 eine Entscheidung über den Verfassungsvertrag erfolgt. Ich halte diesen Zeitablauf vor dem Hintergrund der Debatten, die wir führen, für hochgefährlich. Der vorgesehene Zeitpunkt der Entscheidung liegt wenige Wochen vor der Europawahl. Wenn man möchte, dass die Menschen in der EU ausreichend Zeit haben, um über diesen gegebenenfalls neuen Verfassungsvertrag zu diskutieren, brauchen wir eine andere Zeitplanung, sodass sich die Menschen in der EU ernst genommen fühlen. Wir müssen die Menschen in dieser Debatte mitnehmen. ({5}) Das Gleiche gilt für die Frage der Erweiterung der Union. Sie haben - das unterstütze ich sehr - die Perspektive für den Balkan angesprochen. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage - da gebe ich Ihnen völlig Recht -, wie man zu Serbien steht. Auch ich halte die Stimmung und Perspektivlosigkeit, die sich im Augenblick auf dem Balkan zusammenbrauen, für hochbrisant. Deshalb, glaube ich, sind wir gut beraten, die Erweiterungsdiskussion so zu führen, dass die Menschen und die Staaten dort eine Perspektive erhalten. ({6}) Es wird nicht anders gehen. Sonst drohen uns extrem große Gefahren. Jeder, der sich dort aufhält, weiß, dass die Diskussionen, die derzeit dort geführt werden, fast schon ein Pulverfass darstellen. Auch aus diesem Grunde bin ich dafür, dass die Erweiterungsverhandlungen mit Kroatien von denen mit der Türkei getrennt werden. Denn die Erweiterungsverhandlungen mit Kroatien haben mit Blick auf die Region einen anderen Stellenwert. Deshalb müssen wir deutlich machen: Wir wollen die Integration des Balkans in die Europäische Gemeinschaft, wobei die einzelnen Staaten unterschiedliche zeitliche Perspektiven erhalten sollten. Das müssen wir ernst nehmen und dazu benötigen wir Symbole. ({7}) Die Verhandlungen mit Kroatien stellen eines dieser Symbole dar. ({8}) Lassen Sie mich zum Schluss noch Folgendes - was ich sehr ärgerlich finde - sagen. Wenn wir angesichts der Vertrauenskrise der Europäischen Union, die es im Augenblick gibt, die Menschen begeistern wollen, dann gilt: Wir brauchen Transparenz. Wir müssen den Menschen sagen, was passiert. Ein Beispiel ist der Umgang mit dem Geld der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler aus Deutschland. In diesen Zusammenhang gehört für mich die Frage der Transparenz entscheidend dazu. ({9}) Wenn dann die Bundesregierung, der Bauernverband oder wer auch immer sagen, dass sie keine Offenlegung dahin gehend wollen, wo zum Beispiel Mittel aus der Agrarförderung oder der Strukturförderung ausgegeben werden, dann ist das nicht nur beschämend. Vielmehr ist das genau der falsche Weg, wenn man Menschen für die EU begeistern und sie mitnehmen will. ({10}) Deshalb glaube ich, dass wir an dieser Stelle mehr Mut brauchen. Die Menschen in Deutschland und in der EU sind nicht gegen die europäische Integration. Aber sie wollen wissen, was passiert. Wir haben die Verantwortung, mit ihnen darüber zu diskutieren. Das ist eine Aufgabe, der sich die Bundesregierung in der Zukunft stärker als in der Vergangenheit widmen muss. Vielen Dank. ({11})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Erika Steinbach, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Erika Steinbach-Hermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002808, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Es ist nötig, dass wir in einer Haushalts3604 debatte eben nicht nur über Geld reden, sondern auch über Menschen und ihre Rechte, insbesondere beim Thema Außenpolitik. Erfreulicherweise haben das ja auch alle Redner getan; die Menschenrechte haben in den Reden eine sehr deutliche Rolle gespielt. Seit Montag dieser Woche trifft sich in Genf der neu gegründete Menschenrechtsrat. Mit der hochrangigen Vertretung Deutschlands durch Außenminister FrankWalter Steinmeier und den neuen Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung, unseren früheren Kollegen Günter Nooke, zeigt Deutschland, welche Bedeutung es dem Thema Menschenrechte zumisst. Es wird nicht die zweite, die dritte oder die vierte Garnitur geschickt; vielmehr ist es gut, dass Sie, Herr Außenminister, persönlich dort teilnehmen. ({0}) Deutsche Außenpolitik kümmert sich eben nicht nur um Wirtschaftskontakte - so wichtig sie auch immer sind - oder um Sicherheitspolitik, sondern auch um Menschenrechte. Finanziell ist das wohl eher eine zu vernachlässigende Größenordnung im Haushalt des Auswärtigen Amtes oder im gesamten Bundeshaushalt; moralisch aber ist dieser Einsatz von herausragender Bedeutung. Er muss immer wieder in den Vordergrund gestellt werden. Wie nötig der Einsatz für Menschen ist, zeigt die Vielzahl von erschütternden Berichten über Menschenrechtsverletzungen weltweit. Ein Blick nach China macht das aktuell sehr deutlich. Das Schicksal des chinesischen Regierungskritikers und Umweltaktivisten Fu Xiancai, der schwere Verletzungen durch brutale Schläger erlitten hat, weil er um sein Recht kämpfte, und die dann unterlassene notwendige medizinische Behandlung haben viele bei uns in Deutschland berührt; ja, es hat viele Menschen auch erschüttert. Erst die finanzielle Unterstützung von deutscher Seite hat es am Ende ermöglicht, dass dieser Mann operiert werden konnte. Auch wenn ihm diese Operation wohl das Leben gerettet hat, wird er wahrscheinlich leider querschnittsgelähmt bleiben und im Rollstuhl sitzen müssen. Dieses Beispiel ist nur ein kleiner Ausschnitt aus dem chinesischen Alltag. Es zeigt aber, wie richtig die Bundeskanzlerin lag, als sie bei ihrem Staatsbesuch in China vor Ort die Einhaltung der Menschenrechte dezidiert gefordert hat. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen vom Koalitionspartner, ich verkneife mir, zu sagen, dass ich diesen Paradigmenwechsel in der deutschen Außenpolitik begrüße; denn ich weiß, dass es Sie ein wenig treffen würde. Darum sage ich es ausdrücklich nicht. ({2}) Aber nicht nur im entfernten Asien, in Afrika, in Südamerika oder auch in Guantanamo - das sage ich mit Blick auf die Vereinigten Staaten - stellen wir tagtäglich Menschenrechtsverletzungen fest. Schauen wir doch einmal auf Europa. Der Europäische Rat hat auf seiner Sitzung am 15./16. Juni in Brüssel die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei thematisiert. Der Rat hat die Türkei aufgefordert, die in Gang gesetzten Reformprozesse zu intensivieren. Die Aktualität dieses Hinweises wird durch die Statistik der ergangenen Urteile des Europäischen Gerichthofes für Menschenrechte in Straßburg verdeutlicht. Die Türkei führt mit 290 Verurteilungen im Jahre 2005 leider die Liste der Länder an, in denen Menschenrechtsverletzungen begangen wurden. Das ist eine dramatische Entwicklung; denn das entspricht einem Anteil von 26 Prozent aller Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte. Daran sieht man, dass es in der Türkei in diesem Bereich erhebliche Defizite gibt. Durch die gesetzlichen Reformen im Bereich des türkischen Strafrechts wurden in den letzten Monaten zwar ohne Zweifel Fortschritte erzielt - insbesondere die Zahl der Folterungen von politischen Gefangenen ist wohl rückläufig -, aber gleichzeitig stellt Amnesty International in seinem Jahresbericht fest, dass sich „gewöhnliche Straftäter“ heute eher einer erhöhten Gefahr ausgesetzt sehen, Misshandlungen zu erleiden. Das zeigt, dass die Türkei noch weit davon entfernt ist, europäische Menschenrechtsstandards zu erreichen. Amnesty International hat mehrfach auf den neuen § 301 im türkischen Strafgesetzbuch verwiesen, der die „Herabwürdigung des Türkentums, der türkischen Republik und der Institutionen des Staates“ - so heißt es darin - unter Strafe stellt. Schon diese nebulösen Formulierungen lassen den Verdacht aufkommen, dass sich darunter bei Bedarf eine Menge subsumieren lässt. In der Tat gibt es unzählige Berichte, dass türkische Behörden auf ebenjenen Paragrafen zurückgreifen, um Kritiker einzuschüchtern sowie Menschenrechtsverteidiger und Pressevertreter am Ende strafrechtlich zu belangen. Schließlich höhlen auch die Einschränkungen für den Gebrauch von Minderheitensprachen das Recht auf Meinungsfreiheit aus. Hierdurch werden insbesondere die Kurden in ihren Rechten beschnitten. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass in der Türkei mit Bezug auf Menschenrechte noch vieles im Argen liegt. Es ist völlig unerheblich, ob man der Meinung ist, dass die Türkei Mitglied der Europäischen Union werden solle, oder ob man begründete Bedenken dagegen hat wie viele Kolleginnen und Kollegen aus der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Die Menschenrechtslage in der Türkei ist für beide Positionen nicht akzeptabel. Sie muss sich deutlich verbessern. ({3}) Ich bitte die Bundesregierung, sich weiterhin so intensiv wie in den vergangenen Monaten für Menschenrechtsfragen einzusetzen, und danke für das in diesen Monaten gezeigte Engagement. ({4})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Michael Link, FDP-Fraktion. ({0})

Michael Link (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003802, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die Frau Bundeskanzlerin hat mit ihrem Wort vom Sanierungsfall bewusst oder unbewusst vielleicht das Wort der Woche, vielleicht das Wort des Monats und vielleicht sogar mehr geprägt. Ich will über einen anderen Sanierungsfall reden, den Sanierungsfall Europäische Union. Ich konzentriere mich dabei insbesondere auf die Finanzen. Ich denke, wir sind uns da gar nicht so uneinig, denn immerhin ist unter starker Mitwirkung der Bundeskanzlerin und des Bundesaußenministers - wir haben das begrüßt - ein Beschluss herbeigeführt worden, dass die gesamten Einnahmen und Ausgaben der Europäischen Union 2008 auf den Prüfstand sollen. Auch das nennt man einen Sanierungsfall. Gerade weil gegenwärtig so vieles bei den Finanzen der EU im Argen liegt, haben wir als FDP im Europäischen Parlament genauso wie hier den im Dezember letzten Jahres in Brüssel gefundenen Kompromiss bezüglich der finanziellen Vorausschau, die nicht weniger als sieben Jahre gelten soll, abgelehnt. Ein solcher Beschluss - das muss man sich einmal klar machen; es ist ja auch vielen, die sich mit dieser extrem komplizierten Materie EU-Haushalt befassen, nicht klar - bindet uns hier auf sieben Jahre. Wir könnten nicht einfach von einem Jahr zum anderen sagen, wir nehmen unser Entscheidungsrecht wahr. Dieses Recht haben wir nämlich nicht. Deshalb müssen wir - das ist ein ganz entscheidender Punkt, wo das Parlament über die Fraktionsgrenzen hinweg endlich tätig werden muss - dazu kommen, dass in Zukunft vor Entscheidungen, die sich über sieben Jahre bindend auf den Bundeshaushalt auswirken, wirklich eine substanzielle Befassung damit im Parlament stattfindet und dem Bundestag auch ein wirkliches Mitspracherecht zukommt und nicht nur das Recht, einen solchen Beschluss im Nachhinein abzusegnen. ({0}) Das Stichwort „im Nachhinein“ möchte ich zum Anlass nehmen, daran zu erinnern, wie spät wir beim letzten und bisher einzigen Mal darüber abgestimmt haben: Etwa zwei Jahre, nachdem die finanzielle Vorausschau von den Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union beschlossen wurde, bekamen wir nämlich den so genannten EU-Eigenmittelbeschluss zur Ratifizierung vorgelegt. Glauben Sie im Ernst daran, dass jemand die finanzielle Vorausschau, nachdem sie schon zwei Jahre Basis für das Handeln war, ablehnen könnte? Es sind beileibe auch keine Peanuts, über die wir hier reden, sondern es geht jedes Jahr um 21 Milliarden Euro, über die der Bundestag eigentlich nicht wirklich mitentscheiden darf. Das ist, meine Damen und Herren, Demokratiedefizit live. ({1}) Bitte verstehen Sie die FDP an dieser Stelle nicht falsch. Wir sind überhaupt nicht dagegen, dass wir Geld für die Europäische Union ausgeben, und wir sagen auch nicht per se, die Beträge sind zu hoch. Wir sagen aber, die Ausgaben sind vor dem Hintergrund dessen, wofür sie ausgegeben werden, zu hoch und formell nicht in Ordnung, weil der Bundestag darüber nicht mitentscheiden durfte. Das muss sich ändern, im Bereich EU-Finanzen genauso wie im Bereich EU-Vertragsänderungen und europäische Verfassung. Mitspracherecht des Bundestages ist das Gebot der Stunde. ({2}) Wir haben es heute sehr stark vermisst, von Ihnen, Herr Bundesaußenminister, dazu etwas zu hören. Wir wissen zwar, dass gegenwärtig die Verhandlungen über die Vereinbarung zwischen Bundestag und Bundesregierung laufen, aber zumindest eine Absichtserklärung wäre schön gewesen. Zu einem Zeitpunkt, wo wir merken, dass zurückgerudert wird, leider auch bei Punkten, die die Kollegen von der CDU/CSU letztes Jahr selber in den Deutschen Bundestag eingebracht haben, wäre es doch wichtig, ein Signal zu setzen, dass der Deutsche Bundestag bei Vertragsänderungen und bei Beschlüssen über weitere Erweiterungsschritte im Vorfeld eingebunden wird, und zwar auch in der Art, dass, wie es im Antrag der CDU/CSU vom 25. Januar 2005 noch heißt, mit dem Bundestag Einvernehmen hergestellt wird. ({3}) Wenn sich die derzeitige Bundesregierung, in der ja auch Abgeordnete der damaligen Opposition vertreten sind, nicht an das hält, was damals gesagt wurde, und wenn auch die Frau Bundeskanzlerin in diesem Punkt nicht den Mut hat, dem Parlament die Rechte zu geben, die sie damals selbst eingefordert hat, dann hat die Bundesregierung ein Glaubwürdigkeitsproblem. Deshalb werden wir dieses Thema weiterhin massiv propagieren. Wir als FDP sagen deshalb auch zum Bundesaußenminister: Trauen Sie in den Bereichen europäische Finanzen und auch Mitwirkungsrechte der frei gewählten Parlamentarier dem Bundestag mehr zu. Wir sind hier keine Populisten, die ein „race to the bottom“ veranstalten wollen. Wir wollen mit der Regierung Schritte für die EU unternehmen: beim Geld, bei der Erweiterung, bei der Verfassung. Das geht aber nur, wenn wir nicht nur hinterher abnicken dürfen, sondern auch mitreden dürfen. Danke schön. ({4})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Axel Schäfer, SPDFraktion.

Axel Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003624, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mein Bochumer Mitbürger Herbert Grönemeyer hat bei Axel Schäfer ({0}) der WM-Fußballhymne getextet: „Zeit, dass sich was dreht“. Das stimmt. Das stimmt, Gott sei Dank, auch für Europa. Das Erste. Wir bringen Soziales wieder voran. Gestern hat der Kommissionspräsident Barroso in seinem Bericht vor dem Europäischen Parlament so häufig über die Notwendigkeit von sozialer Verantwortung und Zusammenhalt geredet wie nie zuvor in seiner Amtszeit. Es ist wichtig, dass wir deutlich machen: Europa wird Menschen nur überzeugen, wenn es auch als Sozialgemeinschaft funktioniert. Es ist gut, dass sich in der Kommission etwas gedreht hat, dass sie dazugelernt hat und dass daher der kalte Marktradikalismus in Brüssel keine Chance hat. ({1}) Das Zweite. Die Verfassung lebt. ({2}) Die Initiative des Außenministertreffens und des EUGipfels haben das deutlich gezeigt. Es hat sich auch gezeigt, was die Neinsager an Alternativen haben: Sie haben keine. Sie haben keine konkreten Vorstellungen und sie haben keine Überlegungen, die irgendwo mehrheitsfähig sein könnten, geschweige denn konsensfähig. Deshalb ist es wichtig, dass wir das in der deutschen Ratspräsidentschaft weiterdrehen und dass wir zu guten Ergebnissen kommen. Ich glaube, das gehört genau an dieser Stelle einmal gesagt. ({3}) Ein Drittes. Wir kommen mit der Parlamentarisierung voran. Es hat viele gute Gespräche gegeben, in die die Obleute des Bundestages eingebunden waren und die sie vorangebracht haben. Es ist gut, dass sich auch die Bundesregierung an dieser Stelle bewegt. Ich gehe davon aus, dass wir dort zu Ergebnissen kommen, die in diesem Hause mit breiter Mehrheit tragfähig sind. ({4}) Neben Bewegung und Änderung geht es in Europa auch immer um Kontinuität. Ein Teil dieser Kontinuität ist der Bundesaußenminister. Frank-Walter Steinmeier formuliert ja eher bescheiden; aber er spricht zu Recht von Selbstbewusstsein. Wir als Deutsche müssen in Europa und auch für Europa selbstbewusst auftreten. Ich habe gerade die Ticker-Meldung aus Wien erhalten: Beim EU-USA-Gipfel hat Präsident Bush angekündigt, dass Guantanamo geschlossen werden soll. Das ist auch ein wichtiger Erfolg für Europa. Das ist ein wichtiger Erfolg für unsere Politik, die heißt: Wir setzen auf die Stärke des Rechts und nicht auf das Recht des Stärkeren. ({5}) Herbert Grönemeyer hat in seiner Fußball-WMHymne im englischen Text geschrieben: … never stop fighting, moving as one will still work for all. Das ist eine gute Aufgabe auch für die Deutsche Ratspräsidentschaft: immer in Europa weiterkämpfen, sich selbst engagieren und dabei andere mitnehmen. Ich glaube, die heutige Debatte hat gezeigt, dass wir da gut aufgestellt sind. Glückauf für diese unsere Bundesregierung, vor allem für unseren Außenminister in der Europapolitik! ({6})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Herbert Frankenhauser, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Herbert Frankenhauser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000572, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist nicht sehr einfach, am Ende einer Debatte, die sich Haushaltsdebatte nennt, aber vorwiegend geprägt ist durch außenpolitische Ausführungen mit sehr stark sportpolitischen Inhalten, noch einmal zum Haushalt zurückzukommen. Zunächst kann ich mit Freude feststellen - wir haben viel über Fahnen gesprochen -, Herr Außenminister, dass wir beide heute gemeinsam noch die Farben Weiß und Blau des Freistaates Bayern hier vertreten. Das kann man auch als Symbol der Harmonie in der Koalition werten. ({0}) Es ist darauf hingewiesen worden, dass der Haushalt des Auswärtigen Amtes ein außerordentlich schwieriger ist. Das ist er wohl auch deswegen, weil in den zurückliegenden Jahren die Aufgaben des Auswärtigen Amtes überproportional zugenommen haben, aber die dafür notwendige finanzielle Ausstattung nicht Schritt gehalten hat. Es kam eine Menge von zusätzlichen Belastungen insbesondere auf die Mitarbeiter zu, denen von dieser Stelle aus zu Recht schon gedankt worden ist. Auch wir im Haushaltsausschuss wissen, dass vieles notwendig oder zumindest wünschbar wäre, insbesondere wenn ich an unsere Mittlerorganisationen denke, die exzellente Arbeit leisten. Wir würden den Wünschen gerne entsprechen, aber wir sind in einem gewissen Maße verpflichtet, an der Konsolidierung des Bundeshaushalts teilzunehmen, wobei ich die Auffassung teile, dass wir im Personalbereich, wenn die Aufgaben beibehalten werden sollen, künftig wohl nicht mehr an der pauschalen Stellenkürzung teilnehmen können. ({1}) Das müssen schon die ersten Beratungen für den anstehenden Haushalt 2007 zeigen. Ebenso wollen wir beim nächsten Haushalt unsere Koalitionsvereinbarung über die Stärkung der deutschen Schulen im Ausland umsetzen und diese entsprechend dotieren. Es bleibt Ihnen, Herr Außenminister, die gütige Hilfe unseres Kollegen Koppelin, der Ihnen angeboten hat, dass Sie künftig das nötige Geld selber drucken dürfen. ({2}) Es ist schon angesprochen worden, dass es eine gewisse Grundskepsis der Bevölkerung gegenüber der EU gibt, die nicht zuletzt auch darin begründet ist, dass die Leute nicht mehr erkennen können, ob mit ihren Steuergeldern ordnungsgemäß und ordentlich umgegangen wird. Deswegen scheint mir für den Einigungsprozess außerordentlich wichtig zu sein, der Bevölkerung die Sicherheit zu geben, dass die Steuergelder ordentlich verwandt werden. Daher bitte ich Sie, Herr Außenminister, um Unterstützung bei der Offenlegung zum Beispiel der Strukturmittel des EU-Haushalts, die immerhin ein Drittel des gesamten EU-Haushaltes ausmachen, der bis 2013 auf sage und schreibe 308 Milliarden Euro anwachsen soll. Ich denke, es ist im gemeinsamen Interesse, eine solche Offenlegung dieser Fördergelder für die Landwirtschaft und für die Strukturprogramme hinzubekommen. Das muss nicht unbedingt, wie befürchtet wird, ein Datenfriedhof werden. Wer Gelder ordentlich verwendet, braucht keine Sorge zu haben, die Daten offen zu legen. ({3}) Ich möchte eine weitere Bitte an Sie, Herr Außenminister, richten. Es werden die Zahlungen an die Autonomiebehörde Palästinas jetzt wieder aufgenommen, wenn auch nicht direkt an die Regierung. Ich bitte, dafür Sorge zu tragen, dass der fast ausschließlich aus EUGeldern finanzierte palästinensische Sender PA TV damit aufhört, weiterhin quasi mit unserem Geld zur Vernichtung des Staates Israel aufzurufen. Das kann nicht hingenommen werden. ({4}) Vieles ist wünschenswert. Sie haben zu Recht die Sorge um die adäquate Finanzausstattung geäußert, damit sich Deutschland nicht nur personell - das ist durch die Bundeskanzlerin und das Kabinett gewährleistet während der EU-Präsidentschaft darstellen kann. Das bedeutet, dass auch das Equipment entsprechend sein soll. Ich glaube, für alle Kollegen in der Koalition sprechen zu dürfen, wenn ich sage, dass dafür in ausreichendem Maße vorgesorgt wird. Wir haben bereits Mittel bereitgestellt. ({5}) - Ich habe die besorgten Einwände des Kollegen Kampeter zur Kenntnis genommen. Wir werden dafür sorgen, dass diese Präsidentschaft nicht nur inhaltlich, sondern insgesamt ein voller Erfolg wird. Gestatten Sie mir noch ein paar Anmerkungen zu der Problematik Goethe-Institut. Ich denke, es muss auch von dieser Stelle aus einmal deutlich gesagt werden, dass die Maßnahmen zur Konsolidierung des Bundes- haushalts nicht an einem einzigen Institut - die Zentrale des Goethe-Instituts befindet sich in der Bundesrepublik Deutschland - vorbeigehen können. Wenn wir das be- rücksichtigen, müssen wir feststellen, dass die Vorge- hensweise dieses Instituts, zunächst einmal die Feuille- tons damit zu füttern, wie viele Institute wegen der mangelnden Finanzausstattung weltweit geschlossen werden müssen, nicht akzeptabel ist. Das ist der ver- kehrte Weg. Den werden wir nicht mitgehen. Nach meiner festen Überzeugung hat das Goethe-In- stitut zunächst endlich - nach vielen Ankündigungen - eine Konzeption vorzulegen, die a) die Aufgaben bein- haltet, die das Goethe-Institut als Mittlerorganisation im Ausland zu erbringen hat, und die b) aufzeigt, welche Möglichkeiten der Umorganisation im Hause selbst vorhanden sind. Von der Sparsamkeit ist auch die Zentrale in München nicht auszunehmen, weil das Goethe-Institut die vornehmliche Arbeit im Ausland und nicht in der Zentrale in München vorzunehmen hat. ({6}) Wenn diese Informationen vorliegen, wird der Haushaltsausschuss - davon bin ich überzeugt - Verständnis aufbringen und für eine vernünftige Finanzausstattung dieses Instituts sorgen. Ich bitte das Goethe-Institut aber dringend, von der umgekehrten Vorgehensweise abzusehen. Ich unterstütze nachdrücklich den Vorschlag des Hauptberichterstatters, doch auch einmal über die Frage der Zuständigkeiten und der Ablehnungspraxis bei den Bauten des Auswärtigen Amtes nachzudenken. ({7}) Mir schwebt in diesem Zusammenhang keine neue Baubehörde vor, sondern eine Einrichtung, die es ermöglicht, dass die notwendigen Botschaften im Ausland sachgerecht, schnell und unkompliziert errichtet werden, und die dafür sorgt, dass die eingesparten Mittel, zum Beispiel für Schneefanggitter in Afrika, sinnvoll verwendet werden. ({8})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzel- plan 05 - Auswärtiges Amt - in der Ausschussfassung. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/1863 vor. Wer stimmt für diesen Än- derungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Wer stimmt für den Einzelplan 05 in der Ausschuss- fassung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 05 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio- nen bei Gegenstimmen der Fraktionen Die Linke, Bündnis 90/Die Grünen und FDP angenommen. Zusatzpunkt 2. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/1885 mit dem Titel „Neubesetzung des Amtes des Koordinators für die deutsch-russische Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit“. Die Frak- tion Bündnis 90/Die Grünen verlangt namentliche Ab- stimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind die Plätze an den Urnen besetzt? - Sind die Schriftführer an den Ur- nen? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Ich glaube, jetzt haben alle Mitglieder des Hauses ihre Stimme abgegeben. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schrift- führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.1) Ich bitte all diejenigen, die sich anderweitig unterhalten wollen, ihre Gespräche außerhalb des Plenarsaals zu führen. Ich rufe Tagesordnungspunkt I.8 auf: Einzelplan 14 Bundesministerium der Verteidigung - Drucksachen 16/1313, 16/1324 Berichterstattung: Abgeordnete Johannes Kahrs Susanne Jaffke Bartholomäus Kalb Dr. Gesine Lötzsch Zum Einzelplan 14 liegen zwei Entschließungsanträge der Fraktion der FDP und ein Entschließungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen vor, über die wir am Freitag nach der Schlussabstimmung abstimmen werden. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Elke Hoff, FDP-Fraktion. ({0})

Elke Hoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003771, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die meisten Fachpolitiker in diesem Hause sind sich sicherlich darüber einig, dass der jetzt vorliegende Entwurf des Verteidigungshaushaltes für das Jahr 2006 noch nicht all die Zumutungen enthält, die schon in wenigen Wochen mit dem Entwurf des Verteidigungshaushaltes 2007 mit voller Wucht auf uns zukommen werden. Aber schon der Haushaltsent- wurf 2006 entspricht nicht dem, was sich der Bundesver- teidigungsminister vorgenommen hat und was auch nur 1) Seite 3609 D einigermaßen den sicherheitspolitischen Anforderungen entsprechen würde. ({0}) Herr Minister Jung, Sie haben am 29. März 2006 in einer Pressemitteilung erklärt: Im Entwurf des Verteidigungshaushaltes stehen der Bundeswehr 23,88 Milliarden Euro zur Verfügung. Im Vergleich zum Haushalt 2005 bedeutet dies eine Verbesserung um 150 Millionen. - Diese Behauptung ist nicht zu halten, da Belastungen des Verteidigungshaushaltes von bis zu 300 Millionen Euro durch die Finanzierung israelischer U-Boote und die Abgabe von Verkaufserlösen an den Finanzminister nicht berücksichtigt werden. ({1}) Tatsächlich sinkt der Verteidigungshaushalt um mehr als 20 Millionen Euro. Auch die Kosten, die durch den bevorstehenden Kongoeinsatz der Bundeswehr als zusätzliche Belastungen auf den Verteidigungshaushalt zukommen, nämlich 56 Millionen Euro plus XXL, sind noch nicht berücksichtigt. Von Herrn Steinbrück habe ich bis heute noch nicht gehört, dass er diesen Einsatz aus seinen leeren Schatullen finanzieren will, wie von Herrn Minister Jung angekündigt. Dagegen werden die Auslandszulagen unserer Soldaten im Kongo zum Gegenstand der öffentlichen Auseinandersetzung. Es ist schlimm, Herr Minister, dass Sie in der Bundeswehr nicht für Ruhe sorgen. ({2}) Schon bei der Verabschiedung dieses Haushaltes sind die Vorgaben des Bundeswehrplanes 2006, also des wichtigsten Planungsdokumentes für die Bundeswehr, Makulatur. Tatsächlich wird der ermittelte Finanzbedarf in Höhe von 24,2 Milliarden Euro um bis zu 430 Millionen Euro unterschritten. Ein so massives Unterschreiten der Finanzvorgabe des Bundeswehrplanes hat fatale Konsequenzen für die zukünftige Ausrüstung der Bundeswehr, da diese Lücke nur durch eine weitere Runde Streichen, Strecken und Kürzen geschlossen werden kann. Die Situation im Hinblick auf den Materialerhalt, die insbesondere beim Heer bereits heute dramatisch ist, verschärft sich weiter und beeinträchtigt damit zunehmend die Einsatzbereitschaft, und zwar auch die der Soldaten, die sich im Auslandseinsatz befinden. Es grenzt inzwischen an Verantwortungslosigkeit, bestehende Einsatzverpflichtungen weiterhin zu mandatieren und gleichzeitig neue Verpflichtungen einzugehen, ohne die hierfür notwendigen Mittel bereitzustellen. ({3}) Die Bundesregierung muss, indem sie ihren Haushalt vorlegt, die Frage beantworten, was ihr die Sicherheit und die internationalen Verpflichtungen unseres Landes wert sind. Nach Bekundungen von allen Seiten darf die Ausrüstung der Bundeswehr keinen Kompromissen unterliegen. Die Soldatinnen und Soldaten im Einsatz sind mit dem besten und sichersten Material auszustatten, welches zur Verfügung steht. Eine Erhöhung der Anzahl geschützter Fahrzeuge, aber auch die dringend notwendige Beschaffung eines Schutzsystems gegen Sprengfallen gehören an die Spitze der Agenda. Wir müssen daher neue Spielräume schaffen, um die Bundeswehr adäquat auszurüsten. Dies wird mittelfristig nur möglich sein, wenn wir bei der Beschaffung des Eurofighters und des A400M Abstriche machen. ({4}) Niemand in der Bundeswehr behauptet heute noch ernsthaft, der Kauf von 180 Eurofightern sei zwingend notwendig. ({5}) Diese Stückzahl entspricht nicht den sicherheitspolitischen Anforderungen. Was wir dagegen brauchen, ist eine Mehrrollenbefähigung des Eurofighters. Daher hat die FDP-Fraktion die Reduzierung des dritten Loses Eurofighter sowie die Überprüfung einer Weiterveräußerung von Eurofightern an Drittstaaten beantragt. Gleiches gilt für die Beschaffung von 60 Transportflugzeugen vom Typ A400M. Die Beschaffung des A400M unterliegt der Prämisse, dass er zu einer Verlegeoperation fähig sein muss. Aber dazu werden selbst nach Angaben des Ministeriums nur 49 Maschinen benötigt. Um finanziell neue Spielräume zu gewinnen, ist es deshalb aus der Sicht der FDP geboten, den Umfang der Beschaffung des A400M auf 49 Stück zu begrenzen. Eine Reduzierung der Stückzahl ist auch deshalb nötig, weil der zeitgleiche Zulauf neuer Flugzeuge bei Weiternutzung der vorhandenen zu einer Explosion der Betriebskosten führt. Schon jetzt ist absehbar, dass sich die Bundeswehr nicht einmal die für die Schulung des Personals erforderlichen Flugstunden leisten kann. Es ist abenteuerlich, dass die Bundeswehr teures Gerät beschafft, ohne dessen Betrieb finanzieren zu können! ({6}) Ähnliche Probleme gibt es offenbar bei der Ausbildung von Personal, das einen Auslandseinsatz vor sich hat, im Umgang mit geschützten Fahrzeugen. In Afghanistan stehen dem Vernehmen nach geschützte Fahrzeuge zur Verfügung, die, weil unsere Soldatinnen und Soldaten zu Hause nicht die Möglichkeit hatten, auf diesem Gerät ausgebildet zu werden, nicht eingesetzt werden können. Wenn das stimmt, wäre das ein Skandal. ({7}) Die Entwicklung der Bundeswehr weg von Streitkräften, die vorrangig die Heimat schützen, hin zu einer Armee im Einsatz soll nach dem Willen der jetzigen Bundesregierung fortgeschrieben werden. Daher ist es notwendiger denn je, die sicherheitspolitischen Interessen Deutschlands, aber auch die Grenzen möglicher zukünftiger Auslandseinsätze zu definieren. Obwohl der Ressortentwurf eines Weißbuches den Fraktionen des Deutschen Bundestages immer noch nicht auf einem angemessenen Wege bekannt gegeben wurde, kennen inzwischen alle sicherheitspolitisch Interessierten dieses Papier aus dem Hause Jung. ({8}) Nichts von dem, was darin über die Finanzierung der Bundeswehr geschrieben steht, findet sich im vorliegenden Entwurf oder im Bundeswehrplan 2007 wieder. Sie werden weder heute noch bis zum Jahre 2009 eine Verstetigung der Verteidigungsausgaben auf 10 Prozent des gesamten Bundeshaushaltes erreichen, wie dies von Ihrem Vorgänger, Herrn Struck, gefordert wurde, noch ist eine Erhöhung des investiven Anteils auf mindestens 30 Prozent in Ihrer vorliegenden Planung wiederzufinden. Wir können unseren Soldatinnen und Soldaten nicht immer mehr zumuten und sie dabei materiell immer schlechter stellen. Die Berufs- und die Zeitsoldaten mussten erst kürzlich schmerzhafte Einbußen beim Urlaubs- und beim Weihnachtsgeld hinnehmen. Die Diskrepanz zwischen der Bezahlung von Soldaten und der von Bediensteten auf allen anderen Ebenen des öffentlichen Dienstes ist aufgrund der hohen Anforderungen an die Soldaten und der Gefährlichkeit ihres Einsatzes nicht länger hinnehmbar. ({9}) Herr Minister Jung, führen Sie endlich eine eigene Besoldungsordnung für Soldaten ein, die der beruflichen Realität gerecht wird und spürbare Verbesserungen mit sich bringt! Andernfalls werden Sie aus den kommenden geburtenschwachen Jahrgängen nicht mehr die jungen Menschen gewinnen können, die Sie für die Bewältigung der immer anspruchsvoller werdenden Aufgaben brauchen, ganz zu schweigen von der Motivation der jetzt dienenden Soldatinnen und Soldaten. Man kann nicht immer neue Aufgaben annehmen und internationale Verpflichtungen eingehen, die finanziellen Rahmenbedingungen aber unberührt lassen. Anspruch und finanzielle Wirklichkeit klaffen gerade in der Sicherheitspolitik immer weiter auseinander. Es ist an der Zeit, dieses Auseinanderklaffen endlich zu stoppen, um den, wie es Außenminister Steinmeier in der vorigen Debatte betont hat, hohen internationalen Erwartungen an Deutschland gerecht werden zu können. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({10})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zurück zum Zusatzpunkt 2 und gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/1885 mit dem Titel „Neubesetzung des Amtes des Koordinators für die deutsch-russische zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit“ bekannt: Abgegebene Stimmen 557. Mit Ja haben gestimmt 127, mit Nein haben gestimmt 410, Enthaltungen 20. Dieser Antrag ist damit abgelehnt. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 554; davon ja: 128 nein: 406 enthalten: 20 Ja SPD Marco Bülow Wolfgang Grotthaus Ottmar Schreiner FDP Jens Ackermann Daniel Bahr ({0}) Angelika Brunkhorst Patrick Döring Mechthild Dyckmans Jörg van Essen Horst Friedrich ({1}) Dr. Edmund Peter Geisen Hans-Michael Goldmann Miriam Gruß Dr. Christel Happach-Kasan Birgit Homburger Michael Kauch Jürgen Koppelin Harald Leibrecht Ina Lenke Sabine LeutheusserSchnarrenberger Michael Link ({2}) Markus Löning Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Burkhardt Müller-Sönksen Jörg Rohde Frank Schäffler Marina Schuster Dr. Max Stadler Florian Toncar Christoph Waitz Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff ({3}) Martin Zeil DIE LINKE. Hüseyin-Kenan Aydin Karin Binder Heidrun Bluhm Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Roland Claus Sevim Dagdelen Dr. Diether Dehm Dr. Dagmar Enkelmann Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Diana Golze Lutz Heilmann Hans-Kurt Hill Dr. Barbara Höll Jan Korte Oskar Lafontaine Dr. Gesine Lötzsch Ulrich Maurer Dorothee Menzner Kornelia Möller Kersten Naumann Wolfgang Neskovic Bodo Ramelow Elke Reinke Paul Schäfer ({4}) Volker Schneider ({5}) Dr. Ilja Seifert Dr. Petra Sitte Dr. Kirsten Tackmann Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck ({6}) Volker Beck ({7}) Cornelia Behm Matthias Berninger Grietje Bettin Ekin Deligöz Dr. Thea Dückert Dr. Ursula Eid Hans Josef Fell Kai Gehring Anja Hajduk Britta Haßelmann Winfried Hermann Peter Hettlich Priska Hinz ({8}) Ulrike Höfken Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Thilo Hoppe Ute Koczy Sylvia Kotting-Uhl Renate Künast Undine Kurth ({9}) Markus Kurth Monika Lazar Anna Lührmann Jerzy Montag Kerstin Müller ({10}) Brigitte Pothmer Krista Sager Elisabeth Scharfenberg Irmingard Schewe-Gerigk Dr. Gerhard Schick Silke Stokar von Neuforn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Jürgen Trittin Josef Philip Winkler Margareta Wolf ({11}) Nein CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Peter Albach Thomas Bareiß Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({12}) Dr. Christoph Bergner Otto Bernhardt Carl-Eduard von Bismarck Renate Blank Antje Blumenthal Dr. Maria Böhmer Wolfgang Börnsen ({13}) Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Michael Brand Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Monika Brüning Georg Brunnhuber Gitta Connemann Leo Dautzenberg Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Georg Fahrenschon Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({14}) Dirk Fischer ({15}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Dr. Hans-Peter Friedrich ({16}) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Dr. Peter Gauweiler Dr. Jürgen Gehb Norbert Geis Eberhard Gienger Ralf Göbel Dr. Reinhard Göhner Josef Göppel Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg Olav Gutting Holger Haibach Ursula Heinen Uda Carmen Freia Heller Michael Hennrich Bernd Heynemann Ernst Hinsken Peter Hintze Klaus Hofbauer Franz-Josef Holzenkamp Anette Hübinger Hubert Hüppe Dr. Peter Jahr Dr. Hans-Heinrich Jordan Andreas Jung ({17}) Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({18}) Eckart von Klaeden Jürgen Klimke Julia Klöckner Jens Koeppen Kristina Köhler ({19}) Manfred Kolbe Norbert Königshofen Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Dr. Martina Krogmann Johann-Henrich Krummacher Dr. Hermann Kues Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Ingbert Liebing Eduard Lintner Dr. Klaus W. Lippold Patricia Lips Stephan Mayer ({20}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Friedrich Merz Laurenz Meyer ({21}) Maria Michalk Hans Michelbach Philipp Mißfelder Dr. Eva Möllring Carsten Müller ({22}) Stefan Müller ({23}) Bernward Müller ({24}) Hildegard Müller Bernd Neumann ({25}) Henry Nitzsche Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald Rita Pawelski Dr. Peter Paziorek Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Daniela Raab Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Peter Rauen Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({26}) Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Albert Rupprecht ({27}) Anita Schäfer ({28}) Hermann-Josef Scharf Hartmut Schauerte Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Georg Schirmbeck Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({29}) Andreas Schmidt ({30}) Ingo Schmitt ({31}) Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Kurt Segner Bernd Siebert Johannes Singhammer Jens Spahn Christian Freiherr von Stetten Gero Storjohann Andreas Storm Thomas Strobl ({32}) Lena Strothmann Michael Stübgen Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Uwe Vogel Andrea Astrid Voßhoff Gerhard Wächter Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg Peter Weiß ({33}) Gerald Weiß ({34}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Anette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Willy Wimmer ({35}) Elisabeth WinkelmeierBecker Matthias Wissmann Dagmar Wöhrl Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Dr. Lale Akgün Gregor Amann Gerd Andres Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Ernst Bahr ({36}) Doris Barnett Klaus Barthel Sören Bartol Sabine Bätzing Dirk Becker Uwe Beckmeyer Klaus Uwe Benneter Dr. Axel Berg Ute Berg Petra Bierwirth Lothar Binding ({37}) Volker Blumentritt Kurt Bodewig Gerd Bollmann Dr. Gerhard Botz Klaus Brandner Willi Brase Bernhard Brinkmann ({38}) Edelgard Bulmahn Ulla Burchardt Martin Burkert Dr. Michael Bürsch Christian Carstensen Marion Caspers-Merk Dr. Peter Danckert Dr. Herta Däubler-Gmelin Karl Diller Martin Dörmann Dr. Carl-Christian Dressel Elvira Drobinski-Weiß Garrelt Duin Detlef Dzembritzki Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Hans Eichel Gernot Erler Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Annette Faße Elke Ferner Gabriele Fograscher Rainer Fornahl Gabriele Frechen Peter Friedrich Sigmar Gabriel Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Renate Gradistanac Angelika Graf ({39}) Dieter Grasedieck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Achim Großmann Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Alfred Hartenbach Nina Hauer Hubertus Heil Reinhold Hemker Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Petra Heß Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz ({40}) Iris Hoffmann ({41}) Frank Hofmann ({42}) Eike Hovermann Klaas Hübner Christel Humme Lothar Ibrügger Brunhilde Irber Johannes Jung ({43}) Josip Juratovic Ulrich Kasparick Dr. h.c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Christian Kleiminger Hans-Ulrich Klose Astrid Klug Dr. Bärbel Kofler Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Rolf Kramer Anette Kramme Ernst Kranz Nicolette Kressl Volker Kröning Angelika Krüger-Leißner Dr. Hans-Ulrich Krüger Jürgen Kucharczyk Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Dr. Uwe Küster Christine Lambrecht Christian Lange ({44}) Dr. Karl Lauterbach Waltraud Lehn Helga Lopez Gabriele Lösekrug-Möller Dirk Manzewski Caren Marks Katja Mast Markus Meckel Petra Merkel ({45}) Dr. Matthias Miersch Ursula Mogg Marko Mühlstein Detlef Müller ({46}) Michael Müller ({47}) Gesine Multhaupt Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Thomas Oppermann Holger Ortel Heinz Paula Christoph Pries Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Mechthild Rawert Steffen Reiche ({48}) Maik Reichel Dr. Carola Reimann Christel RiemannHanewinckel Walter Riester Sönke Rix Rene Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({49}) Michael Roth ({50}) Ortwin Runde Marlene Rupprecht ({51}) Anton Schaaf Axel Schäfer ({52}) Dr. Hermann Scheer Marianne Schieder Ulla Schmidt ({53}) Silvia Schmidt ({54}) Dr. Frank Schmidt Heinz Schmitt ({55}) Carsten Schneider ({56}) Reinhard Schultz ({57}) Swen Schulz ({58}) Frank Schwabe Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Rita Schwarzelühr-Sutter Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Christoph Strässer Joachim Stünker Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Dr. Rainer Tabillion Jella Teuchner Dr. h.c. Wolfgang Thierse Jörn Thießen Franz Thönnes Hans-Jürgen Uhl Rüdiger Veit Simone Violka Jörg Vogelsänger Dr. Marlies Volkmer Hedi Wegener Petra Weis Gunter Weißgerber ({59}) Dr. Rainer Wend Lydia Westrich Dr. Margrit Wetzel Andrea Wicklein Engelbert Wistuba Dr. Wolfgang Wodarg Waltraud Wollf ({60}) Heidi Wright Uta Zapf Manfred Zöllmer Brigitte Zypries FDP Uwe Barth Joachim Günther ({61}) Enthalten FDP Christian Ahrendt Ernst Burgbacher Ulrike Flach Paul K. Friedhoff Dr. Heinrich L. Kolb Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Jan Mücke ({62}) Detlef Parr Cornelia Pieper Carl-Ludwig Thiele DIE LINKE. Inge Höger-Neuling Dr. Norman Paech fraktionslos Gert Winkelmeier Bevor ich dem Kollegen Kurt Rossmanith das Wort gebe, gratuliere ich dem Kollegen Rainer Arnold recht herzlich zu seinem heutigen Geburtstag. ({63}) Nun hat das Wort Kurt Rossmanith, CDU/CSU-Fraktion. ({64})

Kurt J. Rossmanith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001887, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Kollegen! Es ist schön für den Kollegen Arnold, dass er heute als Sprecher der SPD-Fraktion für die Sicherheits- und Verteidigungspolitik seinen Geburtstag im Plenum bei dem wunderschönen Thema dieses Einzelplans 14 verbringen darf. Deshalb auch von meiner Seite und vonseiten der CDU/CSU-Fraktion noch einmal herzliche Glückwünsche! Der Einzelplan 14 des Haushalts hat einen Umfang von fast 23,9 Milliarden Euro, wobei die Betriebsausgaben 17,2 Milliarden Euro betragen. Das heißt, wir haben den Anteil der Betriebsausgaben von über drei Viertel auf 72 Prozent zurückgeführt. In diesem Jahr haben wir 11,8 Milliarden Euro an Personalausgaben zu leisten. Diese Zahl konnten wir in den vergangenen 15 Jahren nie erreichen. Im Verteidigungsbereich haben wir die investiven Ausgaben von 5,9 Milliarden Euro im vergangenen Jahr auf über 6 Milliarden Euro angehoben. Das heißt, der Anteil am Plafond beträgt wieder über 25 Prozent. Das sind die Fakten, die man zur Kenntnis nehmen und auch würdigen sollte, weil die Mittel in unserem Bundeshaushalt knapp sind und weil bei einer Konsolidierung des Bundeshaushalts alle Bereiche des Bundeshaushalts erfasst werden. Dennoch haben wir erreicht, dass wir uns bei den Ausgaben für unsere Streitkräfte im sicherheitspolitischen und im sicherheitstechnischen Bereich - im Einzelplan 14 - nur sehr behutsam an Rückführungen beteiligen. Ich finde, dass gerade die Steigerungen bei den Investitionsausgaben - das sind sowohl die Ausgaben für die Beschaffung als auch für die Forschung und Entwicklung - zu begrüßen sind. Das ist der Einklang, den wir uns in der großen Koalition vorgenommen haben. Wir wollen zukunftsorientierte Technologien fördern. Die Verteidigungstechnik ist sicherlich auch eine Zukunftstechnologie. Frau Kollegin Hoff, Sie haben das ja angesprochen: Unsere Soldaten brauchen bei ihren Auslandseinsätzen neben der besten Ausbildung natürlich auch die beste Ausrüstung und die beste Technologie. ({0}) Ich habe bei Ihrer Rede mit meinem Zwischenruf schon gesagt, man solle nicht jeden Unfug, den irgendjemand von sich gibt und den die Presse aufgreift, einfach kritiklos übernehmen. Ich habe dabei den Dingo im Blick. Es ist ein Märchen, das nicht einmal zu 1001 Nacht passen würde, dass wir Material für den Einsatz beschaffen und in den Einsatzgebieten bereitstellen, welches niemand bedienen kann. Ich empfehle wirklich, dies nicht weiter zu verbreiten. ({1})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Rossmanith, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Stinner?

Kurt J. Rossmanith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001887, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Dr. Rainer Stinner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003640, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank. - Lieber Herr Kollege, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass ich vor drei Wochen in Faizabad persönlich gesehen habe, dass dort vier nagelneue Dingos auf dem Hof gestanden haben, und dass mir der Kommandeur in Faizabad persönlich gesagt hat, dass sie diese vier neuen Dingos, die dort auf dem Hof stehen, nicht einsetzen können, weil sie kein Personal haben, das dieses Gerät fahren kann? ({0})

Kurt J. Rossmanith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001887, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Stinner, ich bin bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass Sie diese Frage gestellt haben und dass Sie in Afghanistan waren. ({0}) Wenn der Kommandeur Ihnen dies wirklich so gesagt hat, dann muss ich ein sehr großes Fragezeichen hinter diesen Kommandeur setzen. Ich sage es Ihnen einmal sehr vereinfacht. Selbst ich würde mir noch zutrauen, den Dingo zu fahren. ({1}) Ich kenne ihn. Ich bin ein aktiver Reservist, aber nicht in diesem Bereich. Vielleicht haben Sie den Kommandeur missverstanden. Das unterstelle ich jetzt einmal für beide Seiten. Wenn dort ein Dingo ist, dann heißt das ja nicht, dass dieser von null bis 24 Uhr bewegt werden muss. Die Dingos standen gerade zu dem Zeitpunkt draußen, als Sie, lieber Kollege Stinner, sie besichtigt haben. Vielleicht wurden sie auch extra für Sie herausgestellt, um zu zeigen, was an Material alles vorhanden ist. ({2}) Aber die Behauptung, niemand sei in der Lage, diese Fahrzeuge zu fahren, weise ich zurück. Ich werde der Sache - das können wir gerne gemeinsam machen nachgehen; das ist gar kein großes Problem. ({3}) Wir können uns hier noch und nöcher streiten. Aber es wäre ein Armutszeugnis, für diese Panne die Soldaten verantwortlich zu machen. Ich stelle mich vor die Soldaten, weil ich weiß, dass sie im Einsatz eine hervorragende Leistung erbringen. Ich darf mich nicht nur für meine Fraktion, sondern - davon bin ich überzeugt - im Namen des ganzen Hauses ausdrücklich für das bedanken, was unsere Soldaten von A wie Afghanistan bis Z wie Zaire - heute heißt es wieder Kongo - leisten und noch zukünftig leisten müssen. Sie machen eine großartige Arbeit. ({4}) Ich weiß, dass sie bestens ausgebildet sind und mit dem neuesten Gerät, das ihnen zur Verfügung gestellt wird, bereits hier in Deutschland vertraut gemacht werden. Es mag vielleicht sein, dass die eine oder andere Gasse - lieber Kollege Stinner, da Sie dort waren, kennen Sie sich aus - nicht die Breite hat, wie das bei uns der Fall ist. Durch einige Sträßchen - da stimme ich zu passt ein Dingo nicht. Da kann man vielleicht noch mit einem Fahrrad durchfahren. ({5}) Aber dass die Soldaten nicht mit einem Dingo fahren können, ist ein Märchen, das wir so nicht weiter verbreiten sollten.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, Sie sind sicherlich der Überzeugung, dass der Herr Kollege Stinner umfassend aufgeklärt ist und sich hinsetzen darf. ({0}) Ich möchte gerne Ihre Redezeit weiterlaufen lassen und werde das auch tun.

Kurt J. Rossmanith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001887, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin, ich werde den Kollegen Stinner so weit unterrichten und ihm den Sachverhalt so lange erläutern, wie er dies wünscht. Solange er steht, wünscht er sich das wohl. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Stinner, ich denke, Sie können jetzt Platz nehmen. ({0})

Kurt J. Rossmanith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001887, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Kollege Stinner, dann diskutieren wir das anschließend mit dem Bundesminister der Verteidigung weiter, da die Frau Präsidentin - dafür habe ich natürlich Verständnis - meine Redezeit nicht übermäßig verlängern will, weil die Sitzung sonst zu lange dauert. ({0}) Frau Kollegin Hoff, bei einer Sache bin ich mit Ihnen völlig einig: Wir müssen eine Lösung dafür finden, wie wir diese Auslandseinsätze finanzieren. Aber 1 Milliarde Euro weniger ist angesichts des relativ schmalen Budgets schon sehr viel. Wir alle wünschen uns, hier mehr Mittel zur Verfügung stellen zu können, aber die Haushaltszwänge sind nun einmal so, wie sie sind. Hier müssen wir - damit beschäftigen wir uns gerade - eine gerechte Lösung finden. Wir werden - davon bin ich überzeugt - auch eine Lösung finden. Auslandseinsätze und Transformationsprozesse kosten nun einmal Geld. Liebe Frau Hoff und verehrte Kolleginnen und Kollegen von der FDP, der Kollege van Essen hat es sicherheitshalber vorgezogen, heute gar nicht zu erscheinen. ({1}) Ich frage mich schon, weshalb Sie auf der einen Seite das schmale Budget des Verteidigungshaushaltes ({2}) beklagen - unter den gegebenen Zwängen geht das nicht anders - und auf der anderen Seite milliardenschwere Kürzungsanträge stellen. ({3}) - Nein, von den Reservisten hat sie gar nichts gesagt. Ich weiß nicht, ob die vielen aktiven Reservisten der FDP diesen Anträgen zugestimmt haben. Dass Sie gerade in dem Bereich der Reservisten, die nicht nur die Verbindung zwischen dem zivilen und dem militärischen Bereich schaffen, sondern sich auch an den Auslandseinsätzen aktiv beteiligen, und zwar unter Inkaufnahme persönlicher Unbill - schließlich brauchen wir Fachleute und die Reservisten stellen sich gerne zur Verfügung -, einen Kürzungsantrag stellen, finde ich geradezu schäbig und völlig unangebracht. Sie hätten sich vielleicht informieren sollen, bevor Sie nur deshalb einen Antrag vorlegen, weil Sie wissen, dass er ohnehin abgelehnt wird. Auch das sage ich klar und deutlich. ({4}) An den Bundesminister der Verteidigung und die gesamte Hardthöhe gewandt, weise ich darauf hin, dass wir gemeinsam eine Konzeption zur Neuordnung des Reservistenwesens erarbeiten müssen, weil wir die Reservisten dringend brauchen, und zwar nicht nur als Verbindung zwischen dem zivilen und dem militärischen Bereich, sondern auch für den Einsatz selbst. Dabei leisten die Reservisten hervorragende Arbeit. Ich möchte als letzten Punkt die Kooperation mit der Wirtschaft ansprechen. Auch hier müssen wir zu einem Ergebnis kommen. Wir können weder nur auf die Streitkräfte noch allein auf die Wirtschaft setzen; auch hierbei ist ein gemeinsames Vorgehen notwendig. Das wird die gemeinsame Aufgabe des Haushaltsausschusses, des Verteidigungsausschusses und des Ministeriums sein. Ich bin sicher, dass wir auf diesem Weg eine geeignete Linie finden werden und dass wir alle in diesem Haus - vielleicht mit Ausnahme der PDS - gut ausgebildete Streitkräfte wollen. Wir sind stolz auf unsere Soldatinnen und Soldaten. Deswegen bitte ich herzlich um Zustimmung zu diesem Haushalt. Auch mir persönlich fällt es aufgrund der Einschränkungen dieses Haushalts nicht leicht, ihm zuzustimmen. Aber wir wissen, dass wir mit in der Verantwortung stehen und dass sich die Haushaltskonsolidierung über alle Bereiche erstrecken muss. Herzlichen Dank. ({5})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch, Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Gäste auf der Tribüne! „Es gibt nichts mehr zu verteilen“ lautet die Dauerfalschbehauptung der Kanzlerin und des Finanzministers, die man am Verteidigungsetat sehr schön widerlegen kann. Da es mein Vorredner von der CSU nicht getan hat, möchte ich Sie darauf hinweisen, dass es sich dabei um den drittgrößten Einzelhaushalt im Bundeshaushalt handelt. Er macht fast 11 Prozent des gesamten Haushaltes aus. ({0}) Der Verteidigungsetat hat - nach den Beratungen im Haushaltsausschuss ist der Etat noch etwas erhöht worden - ein Gesamtvolumen von 23,88 Milliarden Euro. ({1}) Das ist mehr, als zum Beispiel das Land Niedersachsen insgesamt für die Erfüllung seiner staatlichen Aufgaben im Jahr 2006 zur Verfügung hat. ({2}) Der niedersächsische Landeshaushalt hat lediglich ein Gesamtvolumen von 22 Milliarden Euro. Herr Schäuble hat, als er noch in der Opposition war, keine Tagung und kein Interview ausgelassen, um den aus seiner Sicht bedauernswerten Zustand der Bundeswehr zu beklagen. In den Medien wurde berichtet, dass sich die Bundeswehrsoldaten in Afghanistan selbst mit Tchibo-Ferngläsern ausrüsten müssten, weil die Bundeswehr dafür kein Geld habe. Es ist immer das gleiche Spiel: Bei der Sicherheit und der persönlichen Ausrüstung der Soldaten wird gespart. Dafür fließt das Geld üppig, wenn es um die Beschaffung von neuen Rüstungsgütern geht, die keiner braucht. Wir als Linke lehnen zum Beispiel - um das etwas deutlicher zu machen - die Anschaffung des Hubschraubers Tiger ab. ({3}) Er ist als zweisitziger Begleit- und Unterstützungshubschrauber konzipiert und soll den Panzerabwehrhubschrauber BO-105 ersetzen. Der Steuerzahler soll dafür 380 Millionen Euro bezahlen. Welche Panzer sollen denn damit abgewehrt werden? Es ist vielleicht die Technik, die begeistert; die Bundeswehr braucht sie aber nicht. Wie Sie alle wissen, werden im Rüstungshaushalt noch Projekte aus dem Kalten Krieg realisiert, die keine Antwort auf die heutigen sicherheitspolitischen Herausforderungen geben. ({4}) Ich finde es erstaunlich, dass Rüstungsprojekte in der Öffentlichkeit so gut wie gar nicht diskutiert werden. Wie viele andere Projekte werden solche Anschaffungen von der Koalition - häufig, wie bei MEADS, mit Unterstützung der Grünen - durch den Bundestag gewunken, ohne dass in den Medien davon Notiz genommen und über den Sinn oder Unsinn solcher Projekte diskutiert wird. Wie lange zum Beispiel wurde öffentlich über das Für und Wider der Angleichung des Arbeitslosengeldes II Ost an das Westniveau gestritten? ({5}) Jetzt gibt es für jeden Arbeitslosengeld-II-Empfänger im Osten 14 Euro mehr. Das macht insgesamt 120 Millionen Euro. Aber allein die Anschaffung der Tiger-Hubschrauber kostet den Steuerzahler 380 Millionen Euro im Jahr 2006 und kein Mensch möchte darüber reden. ({6}) Es verwundert mich, dass sich die kritischen Medien und der Bund der Steuerzahler so gar nicht für die Verschwendung von Steuergeldern bei der Rüstungsbeschaffung interessieren. In letzter Zeit hört man leider auch wenig darüber, wenn es um Korruption in diesem Bereich geht. Ich habe die Bundesregierung gefragt, wie hoch die Korruptionsschäden im Gesundheitswesen, bei der Rüstungsbeschaffung und im Bauwesen geschätzt werden. War die Antwort, bezogen auf das Bauwesen, noch halbwegs informativ, habe ich über Korruption bei der Rüstungsbeschaffung nichts erfahren. Dabei wissen wir alle doch seit den Geschäften, die die Bundesregierung Kohl mit Waffenhändlern realisiert hat, dass es hier in der Regel um sehr viel Geld geht. Wenn die Bundeswehr eine Parlamentsarmee sein soll, dann muss auch hier offen und ehrlich über solche Fragen geredet werden. Doch als Parlamentarier trifft man auf eine Mauer des Schweigens. ({7}) Wir, die Linke, fordern die Bundesregierung auf, die Heimlichtuerei endlich zu beenden und mehr Transparenz bei der Rüstungsbeschaffung herzustellen. ({8}) Unsere Fraktion hat in den Haushaltsberatungen Kürzungen beim Verteidigungsetat in Höhe von 2,6 Milliarden Euro vorgeschlagen. Das sind ungefähr10 Prozent dieses Etats. Dieser Konsolidierungsbeitrag würde die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger in keiner Weise einschränken. Leider sind alle unsere Vorschläge abgelehnt worden. ({9}) Deshalb werden wir gegen den Einzelplan 14 stimmen. Abschließend möchte ich Ihnen klar und deutlich sagen, dass wir, die Linke, der begründeten Auffassung sind, dass die Bundeswehr die Sicherheit unseres Landes nicht zu garantieren vermag. Wer glaubt, die Sicherheit durch neue Waffensysteme zu garantieren, der hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Nur eine gerechtere Wirtschafts- und Sozialpolitik, die Bekämpfung von Armut sowie die Verhinderung bzw. die Beendigung von Kriegen können uns allen mehr Sicherheit geben. Vielen Dank. ({10})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Johannes Kahrs, SPD-Fraktion. ({0})

Johannes Kahrs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003157, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Man kennt mich nicht anders. - Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Verteidigungshaushalt gehört zu den stabilen Haushalten. Er hat ein Volumen von 23,88 Milliarden Euro. Ungefähr auf diesem Niveau bewegt er sich seit Mitte der 90er-Jahre. Das heißt, der Verteidigungshaushalt ist in den letzten Jahren immer stabil gewesen. Der einzige Unterschied ist, dass kein Inflationsausgleich stattgefunden hat, sodass die Kaufkraft abgenommen hat. Rein zahlenmäßig ist dieser Etat allerdings stabil. Es wird viel über die berühmte Friedensdividende gesprochen. 1990 hatte der Verteidigungsetat ein Volumen von 29,42 Milliarden Euro. Nun sind es 23,88 Milliarden Euro. Das heißt, die Verteidigungsausgaben sind in den letzten Jahren kontinuierlich gesunken. ({0}) Die Friedensdividende ist eingefahren worden. Aber die entscheidende Frage ist, wie viel man noch sparen kann, ohne die Soldaten in Gefahr zu bringen. ({1}) 1993 betrug der Anteil des Einzelplans 14 am Bundeshaushalt 10 Prozent. Nun sind es rund 9 Prozent. Die FDP hat Kürzungsvorschläge mit einem Volumen von 350 Millionen Euro gemacht. Frau Kollegin Hoff, vor diesem Hintergrund ist es relativ schwierig, Ihre Rede zu begreifen; denn Sie haben eher das genaue Gegenteil gefordert. Wir geben sehr viel Geld aus, um dem Schutz der Soldaten Rechnung zu tragen. ({2}) Alle Beschaffungsvorhaben der letzten Zeit dienen dazu. Sie wissen das ebenfalls. Ich muss an dieser Stelle sicherlich nicht mehr auf die Dingos eingehen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Koppelin?

Johannes Kahrs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003157, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Der von mir geschätzte Kollege Koppelin kann immer eine Zwischenfrage stellen.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Kahrs. - Ich greife einmal einen Kürzungsvorschlag der FDP heraus, der auch einiges an Geld gebracht hätte. Dazu hätte ich doch gern Ihre Stellungnahme. Sind Sie nicht mit uns der Auffassung, dass man eigentlich zum Beispiel die Stelle des Parlamentarischen Staatssekretärs streichen könnte, der sich kaum noch im Ministerium aufhält, sondern Wahlkampf in Berlin macht und kaum noch Zeit für dieses Ministerium zu haben scheint? ({0})

Johannes Kahrs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003157, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Geschätzter Kollege Koppelin, wie Sie wissen, schätze ich die beiden Parlamentarischen Staatssekretäre, die wir haben, sehr. Ich glaube, dass sie ihre Arbeit hervorragend machen, so wie der Minister auch, und deswegen kann ich das leider nicht nachvollziehen. ({0}) Zu der Rede der Kollegin Hoff möchte ich noch anmerken, dass wir zum Schutz der Soldaten viel Geld ausgeben. Wir priorisieren das, um dem ganz besonders Rechnung zu tragen. Wenn man schaut, was im Bereich des persönlichen Schutzes getan wird, stellt man fest, dass das sehr überzeugend ist. Uns alle eint das gemeinschaftliche Bemühen, die Soldaten, die wir ins Ausland schicken, vernünftig auszurüsten und auszustatten, damit sie da nicht in Gefahr geraten. Wir haben einen eigenen Etat für einsatzbedingten Sofortbedarf. Ich persönlich habe mich sehr dafür eingesetzt - wie meine Fraktion und wie diese Koalition -, dass man im Notfall bestimmte Dinge auch beschleunigt, damit die Soldaten im Einsatz das Notwendige bekommen. Dabei kann es Probleme geben. Im Einzelfall muss man das dann aufklären. Aber in der Sache ist dieser Koalition, dem Verteidigungsministerium und dem Minister nicht vorzuwerfen, irgendetwas unterlassen zu haben. In dem Zusammenhang kann ich auf das Beispiel der Kollegin Lötzsch mit dem Tiger eingehen. Wir hätten den Tiger jetzt ganz gern in Afghanistan. Man könnte damit Konvois, die über lange Strecken fahren müssen, besser schützen, wobei auch insbesondere die eigenen Soldaten nicht so gefährdet wären. Deswegen hätten wir damit kein Problem. Der 39. Finanzplan sieht eine jährliche Steigerung um circa 300 Millionen Euro ab dem Jahr 2007 vor. Das bedeutet, dass die Preissteigerung in jedem Jahr aufgefangen wird. Das wiederum bedeutet, dass wir ein stabiles Niveau haben. Das bedeutet, dass der eingeschlagene Weg der Transformation der Bundeswehr so weiterverfolgt werden kann. Das heißt wiederum, dass wir die Transformationsziele auch erreichen können. Es gibt bei der ganzen Sache noch ein Risiko. Das ist die Mehrwertsteuererhöhung. Sie wird bei uns mit um die 300 Millionen Euro zu Buche schlagen. Im Etat 2007 wird man zu einer Lösung dafür kommen müssen. Wir werden an dieser Stelle diskutieren müssen - das ist uns bekannt -, wie die Koalition dieses Problem löst. Für den Haushalt 2006 ist das noch nicht das Problem. Wenn wir uns die Struktur des Haushalts anschauen, stellen wir fest, dass wir für Betriebsausgaben 17,2 Milliarden Euro vorsehen. Das sind 72 Prozent des Verteidigungshaushalts. Damit sind wir das erste Mal seit ewigen Zeiten unter der 75-Prozent-Marke, was daran liegt, dass wir insbesondere im Personalbereich sparen. Das Thema „Abbau des Zivilpersonals“ kennen Sie. Der Betrag für die Personalkosten beläuft sich auf 11,8 Milliarden Euro. Es gab einmal eine Deckelung auf 12,5 Milliarden Euro. Das heißt, hier geht die Koalition einen richtigen Weg weiter. Ich glaube, dass das auch von Erfolg gekrönt sein wird. Wir haben die Personalstärke bei den Soldatinnen und Soldaten, die in der Zielstruktur 2010 veranschlagt ist, jetzt schon fast erreicht. Beim Zivilpersonal werden wir uns in dieser Hinsicht noch anstrengen müssen. Da gibt es die Zielmarke von 75 000, wobei diese Marke auch gern unterschritten werden kann. Staatssekretär Dr. Wichert wird ein Personalstrukturmodell vorlegen. Wir als Fachpolitiker, als Haushälter werden daran mitwirken, weil das eine wichtige Aufgabe ist, wenn es darum geht, die Bundeswehr vernünftig aufzustellen. Es gab bedauerliche Kürzungen; Sie haben sie aufgeführt. Genauso richtig ist aber auch, dass es uns gelungen ist, das Entlassungsgeld für Wehrpflichtige zu erhalten. Es ist nicht gestrichen worden. Das haben wir für besonders wichtig erachtet. Die anderen Dinge, so unschön sie sind, sind damit zu erklären, dass man sich im Bereich des öffentlichen Dienstes bewegt und die Bundeswehr da keine Extraregelung bekommen kann. In dem Fall wäre es eine Extraregelung gewesen. Das haben wir verhindert. Wenn man sich das Ganze anschaut, stellt man fest, dass wir als Koalition im Bereich der Planstellen viel verbessert haben. Für die Feldwebel sind schon im Regierungsentwurf 900 Planstellen gehoben worden. Wir, Fachpolitiker, Haushälter und Ministerium, haben in Zusammenarbeit mit dem Bundeswehr-Verband weitere Verbesserungen erreicht, sodass wir hoffen, dass sich die Wartezeit für die Beförderung zum nächsten Dienstgrad deutlich verkürzt. Der Beförderungsstau kann nicht komplett aufgelöst werden, wir sind aber auf dem richtigen Weg. Für die Materialerhaltung geben wir 1,9 Milliarden Euro aus, für den sonstigen Betrieb, also Treibstoffe, Bewirtschaftung der Liegenschaften und Ähnliches, 3,5 Milliarden Euro. Lassen Sie mich, was den Betrieb der Liegenschaften angeht, noch etwas sagen. Wir haben in den letzten Jahren viel Geld investiert, insbesondere in den neuen Bundesländern. Das war notwendig, richtig und gut. Gleichzeitig ist es aber so, dass im Westen der Republik ein erhöhter Handlungsbedarf besteht. Nachdem wir nun ein feststehendes Stationierungskonzept haben, ist es wichtig, dass wir insbesondere Geld in die Hand nehmen, um die Infrastruktur, das heißt die Umgebung unserer Soldatinnen und Soldaten, zu verbessern und aufzuwerten. Das muss sowohl für die Übernachtungsräume, also die Kasernen selber, als auch für die Kantinen und anderes gelten. Ich persönlich stehe dafür ebenso wie meine Kolleginnen und Kollegen. Ich glaube, dass wir als Parlament mit der Verbesserung des täglichen Umfeldes der Soldaten eine wichtige Aufgabe haben. ({1}) Für die Betreiberlösung stellen wir 652 Millionen Euro zur Verfügung. Davon gehen allein 365 Millionen Euro in die Bundeswehr-Fuhrpark Service GmbH. Da gab es viel Kritik und am Anfang auch viele Probleme. Aber wenn man jetzt mit den Kameradinnen und Kameraden in der Truppe darüber redet, stellt man fest, dass die Begeisterung angesichts der neuen Autos doch deutlich überwiegt; denn das ist etwas, was es vorher so nicht gegeben hat. Ich glaube, dass das eine vernünftige Maßnahme war, die man weiter unterstützen sollte. Auch die Heeresinstandsetzungslogistik GmbH, HIL, bauen wir zurzeit auf. Die verteidigungsinvenstiven Ausgaben liegen bei circa 6 Milliarden Euro und machen ungefähr 25 Prozent des Etats aus. Das bedeutet, dass wir für Investitionen mehr ausgeben als seit langem in der Geschichte der Bundeswehr. Das Ziel von 30 Prozent wird angestrebt; dazu haben wir auch entsprechende Vorlagen gemacht. Ich glaube, dass wir hier auf einem guten Wege sind. Wichtig ist, dass zusätzliche Handlungsspielräume bei Senkung der Betriebsausgaben erreicht werden. Das werden wir angehen. Probleme gibt es - das ist hier angesprochen worden wegen entsprechender Großvorhaben in dem Etat. Das betrifft allerdings, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, insbesondere den Eurofighter, der unter einer schwarz-gelben Regierungskonstellation beschlossen worden ist. Jetzt muss man sehen, wie man das vernünftig regelt. Wir haben aber in der Vergangenheit immer hervorragende Lösungen gefunden, wobei das Verteidigungsministerium geholfen hat. Ich möchte jetzt einige inhaltliche Punkte ansprechen, von denen ich glaube, dass sie für die Arbeit der nächsten Jahre wesentlich sind und über das Klein-Klein ein bisschen hinausgehen. Wir haben schon in den Koalitionsverhandlungen darüber gesprochen, inwieweit Art. 87 b Grundgesetz noch eine Funktion erfüllt. Der darin enthaltene zweigliedrige Aufbau der Bundeswehr lässt sich aus den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs erklären. Heute müssen wir uns fragen, ob das nach wie vor sinnstiftend ist oder ob das zu Doppelungen bei den Strukturen führt, die nur Geld kosten, und ob man das anders hinbekommt. Ich glaube, dass wir darüber mit allen Fraktionen und mit den Bundesländern, die wir dafür ebenfalls brauchen, diskutieren müssen. An diese Diskussion muss man ergebnisoffen herangehen. Aber wenn sich dadurch Effizienzpotenziale heben ließen, wäre das ein vernünftiger Weg, den man nicht dogmatisch angehen sollte. Des Weiteren möchte ich mit den Kollegen Haushältern über die Frage der Struktur des Verteidigungshaushaltes diskutieren, der als einziger Haushalt so aufgebaut ist, dass alles mit allem deckungsfähig ist. Das hat Vorteile, die wir alle kennen, nämlich dass der Haushalt sehr gut ausgeschöpft werden kann. Am Ende eines Haushaltsjahres gibt es beim Verteidigungsetat fast keine Haushaltsreste. ({2}) Das ist löblich und relativ selten. Dass alles mit allem deckungsfähig ist, bedeutet aber auch, dass eine parlamentarische Kontrolle nach dem Wahlspruch „Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit“ relativ schwierig zu erreichen ist. ({3}) Dazu gehört viel Vertrauen. Ich glaube, dass man sich einmal darüber unterhalten sollte, inwieweit man einzelne Deckungskreise schaffen kann, mit denen das Gleiche, nämlich die Ausschöpfung des Etats, erreicht wird, aber auf der anderen Seite die Möglichkeit der parlamentarischen Kontrolle erhöht wird. Frau Lötzsch hatte die Transparenz angesprochen. Ich glaube, das würde uns allen dienen; denn dann könnte jeder sehen, was in diesem Hauhalt passiert. Wir hatten zum Beispiel einen Titel von ungefähr 470 Millionen Euro für den einsatzbedingten Sofortbedarf, der im letzten Jahr nur zur Hälfte ausgeschöpft worden ist. Das ist für viele Parlamentarier schwer nachvollziehbar. Ich glaube, dass es für uns alle besser wäre, wenn wir diese Diskussion rechtzeitig führten, um zu erleben, dass es auch anders funktioniert. Das heißt, mehr Transparenz ist nötig; dann bekommt man das auch hin. ({4}) Diese Diskussion sollten wir führen. Des Weiteren sollten wir nicht nur über die Finanzierung, sondern auch über die Auslandseinsätze an sich sprechen. Deren Finanzierung müssen wir einzeln ausweisen. Man muss einen entsprechenden Weg finden. Ich halte es für schwierig, den Haushalt des Einzelplans 14 immer als komplett deckungsfähig anzusehen. Das können wir bis zu den nächsten Beratungen regeln. Mir ist es insbesondere nach den Reden, die bisher gehalten worden sind, wichtig, darauf hinzuweisen, dass deutlich weniger Soldaten als in den letzten Jahren im Auslandseinsatz sind. Zurzeit sind noch ungefähr 6 400 Soldatinnen und Soldaten im Auslandseinsatz. Man muss aber auch betonen - das fällt mir in diesem Hause manchmal nicht leicht -, dass die Einsätze im Kosovo und in Nordafghanistan keine Routine sind. Diese Einsätze sind eher gefährlicher denn friedlicher geworden. Sie sind sehr anspruchsvoll und werden unsere Aufmerksamkeit und Konzentration benötigen. Das heißt, wir als Parlamentarier sind gefordert, uns mehr um diese Einsätze - insbesondere auch den Einsatz in Afghanistan zu kümmern. Wir haben vor kurzem eine Diskussion über den Kongoeinsatz geführt. Meine Ablehnung, was diesen Einsatz angeht, ist hinlänglich bekannt. Solch ein Einsatz bringt ganz eigene Probleme mit sich, die wir aus anderen Einsätzen nicht kennen; das ist von Generalleutnant Viereck angesprochen worden. Dabei geht es zum Beispiel um die Frage der Kindersoldaten. Dazu gibt es politische Aussagen. In der Sache ist es relativ schwierig, den Soldaten diese Problematik zu vermitteln und sie darauf vorzubereiten. Auch das sollten wir sehr ernst nehmen; denn es handelt sich um eine Parlamentsarmee. Der Einsatz im Kongo wird die Bundeswehr vor neue Situationen und Herausforderungen stellen. Man muss sich überlegen, wie das weitergehen soll. An internationalen Verpflichtungen sind wir in einigen Bereichen, zum Beispiel mit der Bereitstellung von Truppen zur NATO Response Force oder zu den EU-Battle-Groups, beteiligt. Dies birgt die Gefahr, dass wir an Einsätzen teilnehmen, die wir so gar nicht vorhergesehen oder geplant haben. Das alles kann sehr schnell gehen. Deswegen sollte man diesem Punkt eine ganz andere Aufmerksamkeit schenken. Die kritische Diskussion über und die Vorbereitung zum Kongoeinsatz sind sehr wichtig gewesen. Die getroffene Entscheidung müssen wir jetzt gemeinsam durchstehen, so unterschiedlich unser aller Auffassungen vielleicht waren. Die Soldaten können von uns verlangen, dass wir dies tun. Was zukünftige Einsätze jenseits des Kongos angeht, würde ich darum bitten, sehr kritisch und sehr vorsichtig vorzugehen. Denn mit Afghanistan und dem Kosovo haben wir zwei offene Baustellen, die uns beschäftigen werden. Ich glaube, dass der Einsatz im Kongo nicht einfach wird. Ich glaube, dass er länger dauern wird, als wir alle uns das vorstellen. ({5}) Deswegen habe ich meine Probleme mit einem Konzept, das langfristig mehr Auslandseinsätze vorsieht als die, die wir jetzt kennen. Meine Bitte ist, dies vorsichtig zu betreiben. An dieser Stelle möchte ich mich bei meinen Kolleginnen und Kollegen ganz herzlich für die gute Zusammenarbeit bedanken, insbesondere bei der Kollegin Jaffke, die heute aus gesundheitlichen Gründen leider nicht hier sein kann - ich wünsche ihr von dieser Stelle gute Besserung -, ({6}) und dem Kollegen Bartholomäus Kalb. Insbesondere mit dem geschätzten Kollegen Koppelin, der durch seine kritischen Einwürfe unsere Arbeit immer wieder befruchtet, gab es eine hervorragende Zusammenarbeit. ({7}) Ich bedanke mich auch bei dem ehemals verbündeten Kollegen Bonde, mit dem wir immer gerne zusammenarbeiten, und der Kollegin Lötzsch, die wir sehr schätzen, was ihre konstruktiven Vorschläge und Äußerungen angeht. Bei allen Meinungsverschiedenheiten kann man festhalten, dass wir alle dafür arbeiten, dass die Soldaten im Ausland vernünftig ausgerüstet werden und geschützt sind. Es ist unser Bemühen, die Bundeswehr, wenn es notwendig und nicht vermeidbar ist, in entsprechender Art und Weise in den Einsatz zu schicken. Ich möchte mich bei dem zuständigen Ministerium, insbesondere beim Minister und seinen Staatssekretären, für die gute Zusammenarbeit bedanken. Glückauf! ({8})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Alexander Bonde, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Alexander Bonde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003509, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schwierig, nach so viel Dank an die Opposition die notwendigen Anmerkungen zu einem Einzelplan wie diesem zu machen. Ich möchte die Anregung des Kollegen Kahrs aufgreifen, der uns alle dazu eingeladen hat, sehr intensiv über die Struktur dieses Haushaltes zu diskutieren. Ich will festhalten, dass wir mit den Koalitionsfraktionen in diesen Haushaltsberatungen in dieser Diskussion nicht weitergekommen sind. Denn dieser Haushalt hat den Ausschuss praktisch unverändert, so wie ihn uns das Ministerium vorgeschlagen hat, passiert. Alle Diskussionen, die wir heute in dieser Debatte, aber auch in der Debatte über den Einzelplan des Auswärtigen Amts, über die Veränderung von Einsatzszenarien der Bundeswehr und über die konkreten Situationen geführt haben, in denen sich deutsche Streitkräfte in ihren Einsätzen befinden, finden wir in der Struktur dieses Haushalts nicht wirklich wieder. Wenn wir bei diesem Einzelplan eine Diskussion über seine Gesamthöhe führen und uns fragen, ob er zu niedrig oder zu hoch ist, dann fehlt mir dabei die entscheidende Frage, nämlich: Bekommen wir für das Geld, das wir bzw. die Steuerzahler in diesen Einzelplan investieren, die militärischen Kapazitäten und Fähigkeiten, die heute eigentlich angemessen sind und die zu der Rolle der Bundeswehr und zu der Rolle der Bundesrepublik im internationalen Geschehen passen? ({0}) Ich will in dem Zusammenhang mit einem Totschlagargument aufräumen, das heute Morgen die Debatte bestimmt hat. Ich will mit Blick auf die Änderungsanträge meiner Fraktion sagen: Wir haben in Bezug auf diesen Einzelplan eine Reihe von Kürzungsanträgen gestellt; jeder einzelne dieser Anträge ist umsetzbar und kein einziger gefährdet die Soldaten in den Einsätzen. Das ist ja ein Pappkamerad, der hier in den Debatten aufgebaut wird. Damit will man ausblenden, dass auch bei diesem Einzelplan die Notwendigkeit besteht, sehr genau jede Ausgabe zu prüfen und dort, wo einer Ausgabe keine Fähigkeit gegenübersteht, entsprechend zu kürzen. Ich will dafür Beispiele benennen. Ein Paradebeispiel ist eine Sonderaktion des Bundesverteidigungsministers, der über die Medien bekannt gegeben hat, er wolle, abweichend von den Plänen seines Vorgängers, 5 000 zusätzliche Wehrpflichtige einberufen. ({1}) Damit rückt er von den Planungen des Hauses ab; damit ignoriert er die Vorschläge seines eigenen Hauses, und zwar an einem Punkt, bei dem es um eine ideologische Frage geht. Denn jeder weiß, dass die Wehrpflichtigen keine Hilfe für die Soldatinnen und Soldaten in den Einsätzen sind, und jeder weiß, dass sie eine Belastung für die Bundeswehr in Bezug auf ihre Struktur und die Ressourcenplanung sind. Die ganze Operation kostet - wir mussten lange bohren, um eine Zahl aus dem Ministerium zu bekommen - den Steuerzahler 80 Millionen Euro. Diese 80 Millionen findet man in diesem Einzelplan auch gar nicht, weil sie generalstabsmäßig versteckt worden sind. Auf langes Bohren unsererseits wurde uns gesagt: Der Verteidigungsminister will diese Stellen finanzieren, indem er Einsparungen bei den Berufs- und Zeitsoldaten entgegen der Personalplanung und entgegen dem Stellenplan des Einzelplans 14 vornimmt. Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit finden bei diesem Minister also nicht statt. Wir sind gespannt, wie er gegenüber der Truppe diese Abweichung vom Plan in den nächsten Jahren begründen will; wir sind gespannt, wie er diese Gesamtzahl haushaltsrechtlich absichern will. Es wären auch noch weitere Fragen zu stellen, etwa: Werden die Beschaffungsprioritäten mit Blick auf die Einsatzszenarien richtig gesetzt? Welches Ausgangsbild und welche Bedrohungslage werden unterstellt? Der Entwurf des Weißbuches, der auf dem Tisch liegt - auch eine Geheimoperation des Ministers -, sorgt eher für eine Verunklarung, als dass er eine klarere Priorisierung bei der Beschaffung deutlich macht. Ich will auf zwei dieser Beschaffungsmaßnahmen eingehen: Der Eurofighter wurde ja bereits genannt. Wir wissen alle: Keiner braucht 180 Stück. Wir wissen aber auch, dass dieser Minister nicht in der Lage ist, hier eine Priorisierung vorzunehmen und in Gespräche über eine Stückzahlreduzierung einzutreten. Das wäre aber der richtige Weg. Wir sehen im Gegensatz zur FDP den richtigen Weg nicht in der Weiterveräußerung, sondern in Verhandlungen zur Reduzierung der Stückzahlen. ({2}) Das nächste Rüstungsprojekt wird uns in der nächsten Woche auf den Tisch gelegt werden. Es ist PARS 3, eine Panzerabwehrwaffe, die man sich Anfang der 80er-Jahre ausgedacht hat, die Mitte der 80er-Jahre konzeptioniert wurde, der in den 90er-Jahren der Feind abhanden gekommen ist und die wir nun, 2006, beschaffen sollen. Sie ist ein typisches Beispiel dafür, dass in diesem Haus die Auslastung der Kapazitäten der Rüstungsindustrie wesentlich wichtiger ist als die Frage nach dem tatsächlichen Bedarf. Herr Minister, wer ein solches Projekt, das Rot-Grün zu Recht auf Eis gelegt hat, nun als Hochzeitsgeschenk für die deutsche Lenkwaffenindustrie wieder hervorholt, muss sich schon fragen lassen, ob er der große Bundeswehrreformer ist, der er sein will, oder doch nur das Schoßhündchen der Rüstungsindustrie. ({3}) Wir reden hier über ein Projekt, aus dem die europäischen Partnernationen längst ausgestiegen sind, weil sie erkannt haben, dass es die Bedrohung mit Panzern aus dem Osten nicht mehr gibt. Wir reden über ein System, bei dem jeder Schuss eine halbe Million Euro kosten wird. Knapp 400 Millionen Euro sollen für ein Projekt ausgegeben werden, das ungefähr zu einer Zeit begonnen wurde, als ich auf die Welt kam. Wir reden über Panzerabwehrwaffen und Bunkerbekämpfungswaffen, die für keinen Einsatz gebraucht werden, den die Bundeswehr heute durchführt. Dieser Einzelplan leidet darunter, dass in ihm keine politische Priorität gesetzt wird. Die alten Auftragsbücher werden von Jahr zu Jahr weitergeführt. Aber es fehlt der politische Mut, einen Schnitt vorzunehmen. Es fehlt ein klares Verständnis, was Priorität haben muss. Außerdem fehlt die Überlegung, bei welchen Szenarien wir militärische Gewalt einsetzen müssen und wie wir dafür unsere Soldatinnen und Soldaten verantwortungsvoll ausrüsten können. Sie haben unsere Unterstützung, wenn es darum geht, sinnvolle internationale Einsätze unter UN-Mandat zu organisieren und die Soldatinnen und Soldaten adäquat auszurüsten. Aber Sie bekommen unsere Unterstützung nicht dafür, den Kalten Krieg fortzuführen, als hätte sich die Welt nicht verändert. Dieser Einzelplan ist in dieser Form nicht zustimmungsfähig. Legen Sie einen vor, der ins Jahr 2006 passt! Dann können wir ihn ernsthaft beraten. Vielen Dank. ({4})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Bundesminister der Verteidigung, Dr. Franz Josef Jung. ({0})

Dr. Franz Josef Jung (Minister:in)

Politiker ID: 11003781

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrte Damen und Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich will zunächst festhalten, dass mit dem Haushalt 2006 die Grundlage geschaffen wird, dass die Bundeswehr die Sicherheit und Freiheit unserer Bürgerinnen und Bürger weiterhin gewährleisten kann, dass sie ihre friedensichernde Funktion in den Auslandseinsätzen wahrneh3620 men kann und dass die Soldatinnen und Soldaten die notwendigen Rahmenbedingungen für die erfolgreiche Erfüllung dieser Aufträge vorfinden. ({0}) Ich bin den Berichterstattern und auch der Mehrheit im Haushaltsausschuss für die Unterstützung sehr dankbar. Frau Kollegin Hoff, ich habe mich aber schon sehr gewundert, als ich Ihre Ausführungen gehört habe. Ich hätte mir gewünscht, dass das, was Sie hier gesagt haben, auch Ihren Taten entsprochen hätte. Denn Ihre Ausführungen stehen schon im Widerspruch zu den Kürzungsanträgen, die Ihre Fraktion im Rahmen dieser Haushaltsberatungen gestellt hat. Frau Kollegin Lötzsch, wenn Sie hier den Eindruck erwecken, es sei erheblich draufgesattelt worden, nur weil wir bei 27 Milliarden Euro landen, dann muss ich sagen, dass Sie verkannt haben, dass es eine neue Versorgungsregelung gibt - Herr Kollege Kampeter hat gestern darauf hingewiesen - und dass wegen der Berücksichtigung der neuen Versorgungsbezüge der Etatansatz bei 27 Milliarden Euro liegt. Dieser Anstieg hat aber nichts mit einem Aufwuchs im Rüstungsbereich zu tun, wie Sie kritisiert haben. Lassen Sie mich einen weiteren Punkt erwähnen. Wir sind mittlerweile mit rund 6 500 Soldatinnen und Soldaten in den Auslandseinsätzen tätig, sei es in Afghanistan, am Horn von Afrika oder auf dem Balkan. Wir stellen teilweise die stärksten Kontingente. Im Rahmen der IFOR-Mission in Bosnien-Herzegowina stellen wir das stärkste Kontingent. In Afghanistan sind wir bei einem nicht einfachen Einsatz mit 2 800 Soldatinnen und Soldaten vertreten. Im Kosovo stellen wir ebenfalls ein großes Kontingent. Ich will einmal festhalten, dass sich unsere Soldatinnen und Soldaten in gefährlichen Einsätzen beispielhaft verhalten. Deshalb möchte ich auch ihnen für diesen Einsatz im Rahmen friedenssichernder Missionen herzlich danken. ({1}) Weil im Rahmen dieser Debatte schon viel von der Fußballweltmeisterschaft gesprochen worden ist, möchte ich erwähnen, dass ich Jürgen Klinsmann und der deutschen Nationalmannschaft sehr dankbar bin, dass am Montag auf der Pressekonferenz zu unseren Soldaten nach Afghanistan geschaltet wurde. Damit wurde ein Stück Verbundenheit mit ihnen zum Ausdruck gebracht. Ich denke, dass unsere Soldaten dies verdient haben, wo sie doch in solch einer schwierigen Situation ihre Aufgabe erfüllen. ({2}) Ich will noch eine Anmerkung zu dem machen, was Frau Künast heute Morgen gesagt hat. Sie hat Punkte vorgetragen, die mit der Realität überhaupt nicht in Einklang stehen. ({3}) Natürlich leisten wir in Afghanistan einen Stabilisierungs-, aber auch einen Wiederaufbaubeitrag. Natürlich leistet die Bundeswehr diesen Beitrag, aber wir betreiben dort eine vernetzte Sicherheitspolitik. Jeden Montag findet nämlich eine Schaltung zwischen Bundesaußenministerium, Bundesinnenministerium, Bundesverteidigungsministerium, Bundesentwicklungsministerium und Bundeswirtschaftsministerium statt, um entsprechende Aktivitäten abzustimmen. Zur Frage der Sicherheitspolitik auch und gerade in Afghanistan gehört ja mit dazu, dass auch andere Bereiche entwickelt werden, sei es im zivilen Bereich der Ausbau der Polizei, seien es Maßnahmen im Bereich der Entwicklungspolitik, sei es im wirtschaftlichen Bereich, dass man den Bauern, die jetzt mit der Drogenszene zusammenarbeiten, Alternativen eröffnet, damit sie nicht zu ihrem Überleben zwingend darauf angewiesen sind, Mohn und andere Drogenpflanzen anzubauen. Unsere vernetzte Sicherheitspolitik ist, wie ich glaube, notwendig, um einen positiven Aufbauprozess in Afghanistan zu bewirken. Sie ist auch richtig, denn mit dieser Arbeit haben wir auch und gerade in den PRTs Erfolg. ({4}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte auch darauf hinweisen, dass wir gerade jetzt vor weiteren Herausforderungen stehen. Es ist meines Erachtens in der Öffentlichkeit noch viel zu wenig bekannt, dass ab nächsten Monat - ich wiederhole: ab 1. Juli 6 600 deutsche Soldaten in der NATO Response Force stehen. Das ist die schnelle Eingreiftruppe der NATO, die innerhalb von fünf Tagen einsatzfähig sein soll. Das sind neue und weitere Herausforderungen, die hier auf die Bundeswehr zukommen. Weiterhin steht ab 1. Januar nächsten Jahres die EU-Battle-Group. Diskussionen, wie wir sie etwa im Zusammenhang mit dem Kongoeinsatz hatten, finden dann in der Art und Weise nicht mehr statt, weil wir an dieser ersten EU-Battle-Group, die ebenfalls innerhalb von fünf Tagen einsatzfähig sein soll, mit 1 200 Soldaten beteiligt sein werden. ({5}) - Nicht ohne die Zustimmung des Deutschen Bundestages. Aber wir sind dort, Kollege Kahrs - das sollte fairerweise auch berücksichtigt werden -, schon Verpflichtungen eingegangen, bevor ich in dieses Amt kam, und wir müssen im Rahmen der internationalen Verpflichtungen unsere Verantwortung wahrnehmen. Wir können dann konkret über die einzelnen Dinge diskutieren. Darüber, dass wir für Einsätze ein Mandat brauchen, gibt es überhaupt keine Diskussion. Ich halte es aber schon für richtig, den Deutschen Bundestag und auch die deutsche Öffentlichkeit darauf hinzuweisen, in welchem Umfang wir internationale Verpflichtungen im Hinblick auf Sicherheitspolitik eingegangen sind, damit sie sich darüber bewusst sind, welche weiteren HerausforderunBundesminister Dr. Franz Josef Jung gen gegebenenfalls auf die Bundeswehr zukommen können, wenn solche Einsätze bevorstehen. ({6}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich noch einen zweiten Gesichtspunkt vortragen. Wir leisten einmal unseren Beitrag im Rahmen von friedenstiftenden Missionen im Ausland. Wir leisten aber, wie ich finde, auch einen effektiven, positiven und guten Beitrag für den Schutz Deutschlands. Ich denke nur an die Handlungs- und Leistungsfähigkeit der Bundeswehr bei der Schneekatastrophe in Bayern, an die Handlungsund Leistungsfähigkeit bei der Bekämpfung der Vogelgrippe auf Rügen und an die Handlungs- und Leistungsfähigkeit beim Hochwasserschutz, der von Sachsen über Sachsen-Anhalt bis Niedersachsen hohe Anforderungen an die Bundeswehr gestellt hat. Oder denken Sie daran, wie leistungsfähig die Bundeswehr jetzt während der Fußballweltmeisterschaft ist. Ich halte es schon für positiv, auf welche Art und Weise unsere Sicherheitskräfte - da beziehe ich selbstverständlich ausdrücklich die Polizei ein - die Sicherheit bei dieser Fußballweltmeisterschaft gewährleisten. Ohne sich aufzudrängen oder einen falschen Eindruck in der Öffentlichkeit zu bewirken, wird dezent im Hintergrund Sicherheit gewährleistet. Die 2 800 Soldaten, die jetzt im Einsatz sind, schaffen also die Voraussetzungen dafür, dass diese Weltmeisterschaft in einer so fröhlichen und friedlichen Stimmung stattfinden kann. Das ist eine positive Leistung, die die Bundeswehr erbringt. Auch das wollte ich in diesem Zusammenhang gerne erwähnen. ({7}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, angesichts dessen, was wir von unseren Soldatinnen und Soldaten fordern, müssen wir auch daran denken, dass die sozialen Rahmenbedingungen stimmen. Ich bin dankbar dafür, dass wir im Rahmen dieses Haushaltes die Möglichkeit haben, jetzt beispielsweise eine erhebliche Anzahl von Beförderungen von Feldwebeln und von Soldaten mit Mannschaftsdienstgraden vorzunehmen. Ich finde nämlich schon, dass es ein Stück dazugehört, dass gute Leistung berücksichtigt und auch belohnt wird. Wenn ich es richtig sehe - auch das möchte ich in dieser Debatte erwähnen -, ist die Bundeswehr die einzige Institution des öffentlichen Dienstes, in der es als Einstiegsgehalt die Besoldungsgruppe A 3 gibt. ({8}) Das dürfen wir nicht ganz aus den Augen verlieren, wenn wir über strukturelle Fragen sprechen. Deshalb bin ich dankbar, dass wir im Rahmen dieses Haushaltes Möglichkeiten der Beförderung für die Mannschaften und für die Feldwebeldienstgrade haben. ({9}) Herr Kollege Bonde, Sie haben etwas kritisch angesprochen, dass wir an der Wehrpflicht festhalten. Sie haben eine andere Einstellung zur Wehrpflicht. Das habe ich nicht zu kritisieren. Ich halte diese Einstellung nur für falsch. Ich glaube - nicht nur, weil ich Wehrpflichtiger war -, dass die Wehrpflicht einen entscheidenden Beitrag dazu geleistet hat, wie sich die Bundeswehr heute darstellt und wie sie in unserer Gesellschaft verwurzelt ist. ({10}) Ich glaube, es ist wichtig - auch für die Entwicklung einer Armee und im Zusammenhang mit der inneren Führung -, dass wir an der Wehrpflicht festhalten. Wenn ich aber an der Wehrpflicht festhalten will, dann muss ich auch in der Lage sein, dem Anspruch der Wehrgerechtigkeit bzw., wie wir sagen, Einberufungsgerechtigkeit nachzukommen. Sie wissen, dass beim Bundesverfassungsgericht ein Vorlagebeschluss liegt. Ich möchte nicht, dass wir in der Koalition sagen, dass wir an der Wehrpflichtarmee festhalten wollen, dann aber nicht in der Lage sind, ausreichend viele Wehrpflichtige einzuziehen, sodass uns dann das Bundesverfassungsgericht sagt, das entspreche nicht der Wehrgerechtigkeit und wir hätten keine Chance mehr, die Wehrpflicht aufrechtzuerhalten. Deshalb habe ich entschieden, dass wir die Zahl der Grundwehrdienstleistenden auf 35 000 stabilisieren, um dem Anspruch der Einberufungsgerechtigkeit Rechnung tragen zu können. ({11}) Ich möchte noch erwähnen, dass wir etwa 60 000 Wehrpflichtige im Jahr einziehen. Davon verpflichten sich 25 000 weiter, was eine gute Entwicklung ist. Insofern wird auch die Strukturentwicklung der Bundeswehr durch die Wehrpflicht positiv beeinflusst. Ich denke, das findet eine sehr gute Resonanz in der Öffentlichkeit. ({12}) Da ich sehe, dass die vereinbarte Zeit abgelaufen ist, möchte ich nur noch zusammenfassend sagen, dass ich denke, dass die Bundeswehr ihre Aufgaben - wir müssen damit rechnen, dass wir noch mehr Aufgaben wahrnehmen müssen; wir sehen das im Zusammenhang mit der Mission im Kongo - gut und im Interesse der Sicherheit unserer Bevölkerung ausübt und dadurch dazu beiträgt, dass wir unsere internationalen Verpflichtungen erfüllen. Unser Ziel muss es sein, die Bundeswehr so auszustatten, dass die deutschen Streitkräfte weiterhin ihre Aufträge erfüllen können und unser Land seinen internationalen Verpflichtungen nachkommen kann, im Interesse der Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger, aber auch im Interesse der friedenssichernden Funktion der Bundeswehr. Dafür ist dieser Haushalt eine gute Grundlage. Deshalb bitte ich um Ihre Zustimmung. Besten Dank. ({13})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun der Kollege Jürgen Koppelin für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Einzelplan 14, der Haushalt des Verteidigungsministers, ist wohl der Haushalt, der mit Haushaltswahrheit und -klarheit überhaupt nichts zu tun hat. Das ist kein Vorwurf an den Verteidigungsminister; das will ich ausdrücklich sagen. Darauf hätte der Finanzminister achten müssen. Wer in der Situation des Verteidigungsministers ist, müsste ähnlich verfahren, wie es der Verteidigungsminister macht. Wenn Sie sich den Etat anschauen, dann werden Sie an vielen Kostenstellen die Bemerkung finden, dass die Mittel, wenn sie nicht ausgegeben werden, dem Einzelplan 14 zufließen. Es gibt überall Spardosen. Warum? Wenn hier ein Auslandseinsatz beschlossen wird, dann muss der Verteidigungsminister einsammeln. Und wo sammelt er ein? An diesen vielen Kostenstellen. Deswegen haben wir als FDP gesagt: Wir müssen einen ehrlichen Haushalt aufstellen und sagen, was für jede Kostenstelle notwendig ist. Das Geld für Auslandseinsätze hat gefälligst der Bundesfinanzminister über den Einzelplan 60 zur Verfügung zu stellen. - Das ist Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit, deswegen unsere Anträge. ({0}) Die einzigen echten Zahlen in Ihrem Haushalt, Herr Minister - es tut mir Leid, das sagen zu müssen -, sind wahrscheinlich Ihr Gehalt und die Gehälter der Staatssekretäre. Da sind wir schon auf den Gedanken gekommen, dass man das Gehalt des Staatssekretärs Pflüger einsparen könnte. Im Ministerium würde ihn kaum einer vermissen. ({1}) Das ist jedenfalls unsere Auffassung. Herr Minister, ich hätte mir schon gewünscht, dass Sie etwas zu den Beschaffungsmaßnahmen sagen. Wir haben 1994 den Eurofighter bestellt - damals in einer Koalition aus CDU/CSU und FDP, mit teilweiser Zustimmung bei den Sozialdemokraten. Nach zwölf Jahren wird man solche Beschaffungsmaßnahmen ja wohl auf den Prüfungstand stellen dürfen. Man muss sagen können, ob die Zahlen noch stimmen und ob die Firma EADS ihre Verträge bisher erfüllt hat. Dazu hätte ich mir - das sage ich auch mit Blick auf die momentane Krise bei EADS - schon eine Bemerkung von Ihnen gewünscht. Unsere Bundeswehr ist einer der größten Auftraggeber für EADS. Ich finde, dazu kann der Verteidigungsminister, der diese vielen Aufträge unterschreiben muss, schon einmal ein Wort sagen. Wie ist es möglich, dass die Briten die Zahl ihrer bestellten Flugzeuge reduzieren können, was früher angeblich nicht machbar war? Sie verkaufen die Flugzeuge an das Ausland und wir dürfen das nicht. Wir müssen uns an alle Regeln halten, aber die Briten machen etwas ganz anderes. In den Verträgen stand etwas anderes. Ich finde, darüber darf man ganz offen sprechen. Man darf wohl auch einmal darüber sprechen, wenn man Haushaltspolitiker ist, ob es wirklich notwendig ist - ich sage nicht Ja oder Nein zur Lieferung der U-Boote an Israel -, dass der Verteidigungsminister den Anteil für die U-Boote bezahlen muss, oder ob das nicht der Finanzminister im Einzelplan 60 machen muss. Das darf man ja wohl einmal fragen. ({2}) Herr Minister, wir haben zu den Beschaffungsmaßnahmen Anträge gestellt. Schauen Sie sich einmal die letzte Etatberatung an! Die gleichen Anträge mit einem Einsparvolumen von etwa 400 Millionen Euro, die jetzt die FDP vorlegt, hat damals die CDU/CSU gestellt. Wir sind da gar nicht so weit voneinander entfernt. Jetzt sind Sie in einer Koalition und wollen davon plötzlich nichts mehr wissen. Sie können in diesem Haushalt noch weiter sparen. Sorgen Sie endlich für einen radikalen Bürokratieabbau auch bei der Bundeswehr. ({3}) Ich bedaure jeden Kompaniechef. Wenn Sie einen Kompaniechef nach seinen Vorschriften fragen, dann öffnet er seinen Schrank, der mit Vorschriften über Vorschriften gefüllt ist. Das darf doch nicht wahr sein. Die Leute werden von den Vorschriften erschlagen. Misten Sie dieses Zeug endlich aus! Dann können wir viel Geld sparen. Das ist jedenfalls meine Auffassung. Sie hätten eine Bemerkung zu dem Vorgang um die Firma Dussmann und die Verpflegung der Bundeswehr machen müssen, weil die FDP-Fraktion die einzige Fraktion war, die dies kritisiert hat. Wir als FDP haben von vornherein gesagt, dass das Projekt zum Scheitern verurteilt ist, dass der Vertrag zu lange läuft usw. Die Bundeswehr hat kräftig investiert und Dussmann kündigt den Vertrag schon nach einem Jahr einseitig. Ich hätte schon ganz gerne in nächster Zeit einen Bericht im Haushaltsausschuss und im Verteidigungsausschuss darüber, was uns der Spaß gekostet hat. Das war eine Fehlplanung, die auch andere, zum Beispiel der Kollege Bonde, zu verantworten haben. Sie sollten darüber nachdenken, wenn Sie zukünftig Geld sparen müssen - das werden Sie müssen -, ob Sie Projekte wie MEADS wirklich brauchen und ob wir in solche Projekte investieren müssen. Wir als FDP sind der Auffassung, dass wir das nicht brauchen. Unsere Soldaten sollen wirklich die modernste Ausrüstung bekommen bei dem schweren Job, den sie machen, insbesondere bei den Auslandseinsätzen. Man darf ihnen aber nicht vorgaukeln, sie erhielten das Beste, während sie im Ausland vor Ort feststellen müssen, dass sie doch nicht das Beste zu ihrem Schutz bekommen haben. Da ist einiges zu tun. Ich hätte gern noch eine Bemerkung zur Zusammenarbeit mit der wehrtechnischen Industrie gehört. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir über eine Zusammenlegung beim Panzerbau mit den Firmen reden müssen, auch damit wir zu vernünftigen Preisen kommen. Es kann aber nicht sein, dass wir unsere wehrtechnische Industrie so im Unklaren darüber lassen, was die Bundeswehr zukünftig beschaffen will. Das wird eine Ihrer wichtigsten Aufgaben in der Zukunft sein. Vielen Dank für Ihre Geduld. ({4})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ich erteile das Wort der Kollegin Ulrike Merten für die SPD-Fraktion.

Ulrike Merten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003192, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine moderne, wirksame, ausreichende und mit dem notwendigen Schutz ausgestatte Ausrüstung, die Einsatzorientierung im Bündnis sowie die Attraktivität der Streitkräfte sind die wichtigsten Koordinaten dieses Verteidigungshaushalts. Die Bundeswehr ist eine Armee im weltweiten Einsatz und sie ist zugleich eine Armee im tief greifenden Wandel. Beide eng miteinander verknüpften Entwicklungen kennzeichnen den Weg der Streitkräfte zu einer modernen Armee des 21. Jahrhunderts. Unser Ziel muss es sein, trotz der gegenwärtigen Sparzwänge, die nicht von der Hand zu weisen sind, in absehbarer Zeit noch bessere und einsatzfähigere Streitkräfte zur Verfügung zu stellen, um sie im Rahmen des erweiterten Aufgabenspektrums bedrohungsadäquat und wirkungsvoll einsetzen zu können. Derzeit haben wir 6 500 unserer 250 000 Soldatinnen und Soldaten in acht verschiedenen Operationen auf drei Erdteilen eingesetzt. Ich glaube, darauf muss man einmal hinweisen, weil den meisten Menschen gar nicht klar ist, dass die Soldaten seit Jahren in so vielen Einsätzen tätig sind. In Kürze wird der Kongoeinsatz, an dem wir uns im Rahmen der EU-Mission mit 780 deutschen Soldaten beteiligen, beginnen. An dieser Stelle darf man den Soldatinnen und Soldaten und nicht zuletzt auch den Zivilbeschäftigten für ihr Engagement in den Missionen danken. Weil die Zivilbeschäftigten im Zusammenhang mit den Auslandseinsätzen so gerne vergessen werden, will ich ausdrücklich sagen: Ohne ihre Leistung wäre das, was die Soldaten in ihren Einsätzen leisten, nicht möglich. ({0}) Der diesjährige Einzelplan 14 ist vor allem von Kontinuität geprägt; darauf ist bereits hingewiesen worden. Wir haben ihn seit nunmehr sechs Jahren bei 24 Milliarden Euro verstetigt. Damit leistet der Verteidigungshaushalt wiederholt einen Beitrag zur notwendigen Konsolidierung des Bundeshaushalts. Vor dem Hintergrund der schwierigen finanzpolitischen Gesamtsituation ist der Plafond eine Grundlage, die uns verlässliches Handeln ermöglicht, aber auch ein hohes Maß an Kreativität abfordert. Umso wichtiger ist die Verlässlichkeit der mittelfristigen Finanzplanung bis 2009, die eine recht deutliche Steigerung, um rund 1 Milliarde Euro, auf dann 25 Milliarden Euro vorsieht. Nach dem Bundesratsbeschluss vom letzten Freitag wird die Erhöhung der Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte im nächsten Jahr kommen. Allein das bedeutet für den kostenintensiven Verteidigungsbereich eine Mehrbelastung in Höhe von 300 Millionen Euro jährlich. Es ist durchaus ein Problem, dies aufzufangen. Die Investitionsmittel wurden ebenfalls verstetigt, und zwar bei 25 Prozent. Das ist wichtig. Rechnet man die Mittel für Forschung und Technologie hinzu, die um 153 Millionen Euro auf circa 1,1 Milliarden Euro gestiegen sind, befinden sich Bundeswehrplanung und Finanzplanung im Einklang. Zum Glück bewegen wir uns damit - ich glaube, darauf darf man hinweisen - auf das Ziel von 30 Prozent für Investitionen zu. Bei den Investitivausgaben treten in diesem Jahr die Fähigkeiten Aufklärung, Informations- und Kommunikationstechnik sowie Logistik besonders hervor. Erst vor wenigen Tagen wurden entsprechende Verträge zu den Projekten vorbereitet, die über Betreiberverträge realisiert werden. Gerade von dem Projekt „Herkules“ erhoffe ich mir, dass kleine und mittelständische IT-Unternehmen ihre Kompetenz weiterhin in den Dienst der Bundeswehr stellen können. Die andauernden Auslandseinsätze und die sich verändernden Bedingungen in den Einsatzgebieten erfordern in erster Linie die Fähigkeiten des Heeres. Von den 6 500 Soldaten der Bundeswehr in Auslandseinsätzen stellt das Heer weit über die Hälfte. Es liegt in seiner Struktur, dass es den Herausforderungen bei der Mandatserfüllung am Boden direkt ausgesetzt ist. Aufgrund der aktuellen Ereignisse in Afghanistan, wo sich Sprengstoffanschläge gegen deutsche ISAF-Truppenteile nicht erst seit der Übernahme des Kommandos über die internationale Schutztruppe mehren, werden wir die Schutzkomponente bei Planung und Beschaffung noch stärker gewichten müssen. Der Schutz der Soldatinnen und Soldaten ist ein ganz wichtiger Punkt. Darüber hinaus kommt es aber auch darauf an, dass man den Soldatinnen und Soldaten, die in ihren Einsätzen häufig einer Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt sind, ein möglichst hohes Maß an Sicherheit und Verlässlichkeit hinsichtlich ihrer Berufsperspektive eröffnet. Deswegen ist es gut, dass der Bundesminister der Verteidigung jetzt über das Einsatzversorgungsgesetz hinaus eine Initiative, die aus dem Bereich der Abgeordneten gekommen ist, aufgegriffen hat. Demnächst dürfen Soldatinnen und Soldaten, die im Auslandseinsatz verwundet wurden, sicher sein, dass sie auch nach ihrem Einsatz eine Beschäftigung in der Bundeswehr finden. Das wird nicht von dem Wohlwollen des jeweiligen Ministers abhängig sein, sondern dafür wird es eine gesetzliche Grundlage geben. Darauf haben wir lange gewartet. Das ist wichtig; darauf müssen sich die Soldaten verlassen können. ({1}) Ein wesentlicher Faktor der Transformation der Bundeswehr ist nicht zuletzt das Personalstrukturmodell 2010, das Minister Jung von seinem Vorgänger Peter Struck übernommen hat und konsequent weiterführt. Mit den bereits vollzogenen Strukturmaßnahmen konnten wir im letzten Jahr die Personalausgaben erstmals bei unter 50 Prozent des Gesamthaushalts veranschlagen. Das ist wichtig, weil wir zunehmend Spielräume für die notwendigen Beschaffungsvorhaben brauchen. An dieser Stelle sind wir um ein Erhebliches vorangekommen. Allerdings dürfen wir in unseren Anstrengungen nicht nachlassen. Das fordert den Soldatinnen und Soldaten, aber auch den Zivilbeschäftigten ein hohes Maß an Verständnis ab. Sie immer wieder einzubinden und ihnen deutlich zu machen, dass sie sich auf das, was geplant ist, auch verlassen können, dass der Mensch im Vordergrund des Transformationsprozesses steht, das muss von hier aus unsere Botschaft sein. Ich meine, das sind wir den Soldatinnen und Soldaten schuldig. Auch die Zivilbeschäftigten müssen sich darauf verlassen können. Herzlichen Dank. ({2})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächste Rednerin ist die Kollegin Katrin Kunert, Fraktion Die Linke. ({0})

Katrin Kunert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003795, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Gäste! Wäre der Bundeshaushalt ein kommunaler Haushalt, wäre er stark genehmigungsgefährdet. Nur: Leider gibt es keine übergeordnete Genehmigungsbehörde für den Bundeshaushalt. Mehrheiten ersetzen Haushaltsrecht und Mehrheiten bestimmen darüber, was für den Bund Pflicht ist und was Kür. Diese Haushaltspolitik ist weder seriös noch nachhaltig. ({0}) Der Verteidigungshaushalt, der Einzelplan 14, ist der drittgrößte Einzelplan und rangiert noch vor dem Haushalt für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, dem Bereich, der eigentlich so wichtig ist für die Entwicklung gleicher Lebensverhältnisse in Ost und West. In der gestrigen Debatte zum Einzelplan Finanzen hat ein Kollege gesagt, dass dieser Haushalt dazu beitragen wird, dass jetzt noch sachgerechter mit öffentlichen Mitteln umgegangen wird. Nun frage ich: Wie ist denn bisher mit öffentlichen Mitteln umgegangen worden und wann geht ein Staat sachgerecht mit öffentlichen Mitteln um? Orientiert er sich an den Aufgaben, die er erfüllen will oder muss, oder erledigt er Aufgaben nach Kassenlage? Der uns vorliegende Haushaltsentwurf orientiert sich an der Kassenlage; darauf weisen Sie immer wieder hin. Nur beim Einzelplan 14 gibt es eine gewisse Stetigkeit. Aus unserer Sicht ist dieser Etat einfach zu hoch. ({1}) Der Kalte Krieg ist seit Jahren vorbei und so viele Bedrohungen können gar nicht herbeigeredet werden, um diesen Etat mit rund 28 Milliarden Euro zu rechtfertigen. Die klassische Aufgabenstellung der Bundeswehr ist für uns nach wie vor die Landesverteidigung. Eine Bundeswehr als schnelle Eingreiftruppe für das Ausland lehnen wir ab. ({2}) Für die Aufgaben der inneren Sicherheit haben wir die Polizei. Wir bleiben dabei: Abschaffung der Wehrpflicht, eine Berufsarmee mit 100 000 Mann und keine Auslandseinsätze! Mit dem dann kleineren Etat wäre eine wirksame Landesverteidigung gesichert und die freigesetzten Mittel könnten für eine wirkliche Entwicklungshilfe und für eine langfristige Deeskalation in den betroffenen Ländern eingesetzt werden. Bei Betrachtung des Verteidigungshaushalts wird auch deutlich - meine Kollegin Gesine Lötzsch hat darauf hingewiesen -, dass es eine Schere zwischen den Investitionen in Prestigeobjekte und den Arbeitsbedingungen der Soldatinnen und Soldaten gibt. Hier ist ein Ungleichgewicht entstanden; dem muss man entgegenwirken. Die Absicherung von immer mehr und längeren Auslandseinsätzen geht zulasten der Ausstattung im Inland. Das kann nicht so bleiben. Eine Grundlage für die Erstellung des Verteidigungshaushaltes müsste eigentlich der Bericht des Wehrbeauftragten sein. In ihm werden Jahr für Jahr Probleme aufgelistet, die die Arbeitsbedingungen betreffen. Der Zustand der Kasernen und der Soldatenunterkünfte wird bemängelt. Hier besteht erheblicher Sanierungsbedarf. Die Versorgung im Sanitätsbereich ist grenzwertig. Durch die vielen Auslandseinsätze kann sie nicht mehr in vollem Umfang gewährleistet werden. In der ersten Lesung des Haushalts haben wir bereits darauf hingewiesen, dass die Sozialverträglichkeit bei der Umsetzung des Stationierungskonzeptes auch im Haushalt ihren Niederschlag finden muss. Konversionsprogramme sind von Bund, Ländern und Kommunen zu entwickeln, um die Umstrukturierungsprozesse in den Kommunen nachhaltig zu gestalten und den Beschäftigten eine Zukunft zu geben. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Haushalt ist eine weitere Kürzung des Weihnachtsgeldes vorgesehen. Das ist aus unserer Sicht nicht akzeptabel. Wir haben dazu im Verteidigungsausschuss einen Antrag gestellt. Er hat leider keine Mehrheit gefunden. ({4}) Nach wie vor werden Soldatinnen und Soldaten aus Ost und West unterschiedlich bezahlt. Die Angleichung der Tarife wird für 2009 in Aussicht gestellt. Warum erst 2009? Wir haben im Verteidigungsausschuss auch den Antrag gestellt, die Tarife ab 2006 anzugleichen. Die Angleichung der Tarife der Berufssoldatinnen und -soldaten auf Zeit würde 33 Millionen Euro ausmachen, die Angleichung der Tarife der zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter 36 Millionen Euro, also circa die Summe, die der Kongoeinsatz kosten wird. ({5}) Auch diesen Antrag haben Sie leider abgelehnt. An dieser Stelle möchte ich Ihnen eines ganz deutlich sagen: Wenn Sie die Soldatinnen und Soldaten in Zukunft loben und ihnen Ihren Dank und Ihre Anerkennung aussprechen, sollten Sie daran denken, dass sich Lob, Dank und Anerkennung auch im Geldbeutel bemerkbar machen müssen. ({6}) Mit Blick auf die Ausgestaltung des Verteidigungshaushaltes sei mir abschließend noch eine Bemerkung gestattet: Die Haushaltstitel weisen den gewünschten Weg für die Bundeswehr aus. Herr Minister Jung, lassen Sie uns doch gemeinsam über die künftigen Aufgaben der Bundeswehr reden. ({7}) Wie man den Zeitungen entnehmen kann, steht es um Ihr Weißbuch im Moment nicht ganz so rosig. ({8}) - Hören Sie doch bitte bis zum Schluss zu! Ich hoffe, dass sich die Genossen in der SPD wieder auf die klassischen Aufgaben der Bundeswehr besinnen. Die Grundausrichtung auf eine globale Einsatztruppe mit neuen Angriffswaffen, wie im Haushalt festgeschrieben, und die Ausweitung der Einsätze der Bundeswehr im Innern lehnen wir weiterhin ab. Schönen Dank. ({9})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun der Kollege Winfried Nachtwei für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

Winfried Nachtwei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002743, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir stehen kurz vor der Sommerpause. Aber in der Sicherheitspolitik wird es garantiert keine Sommerpause geben, im Gegenteil. Aus diesem Anlass und angesichts der vor uns liegenden Monate möchte ich etwas zu den Bundeswehreinsätzen und zum Weißbuch sagen. Erstens. Was den Kongoeinsatz angeht, sei auf Folgendes hingewiesen: Beim Kongoeinsatz und bei der Beteiligung Deutschlands an der EU-Truppe kommt es so sehr auf Glaubwürdigkeit an, wie es bei früheren Einsätzen selten der Fall war. Damit meine ich Glaubwürdigkeit sowohl im Hinblick auf die eingesetzten Einheiten als auch hinsichtlich der zentralen Botschaften. Hier kam es in den letzten Wochen von ziviler Seite aus leider zu einem sehr schädlichen Durcheinander. Zweitens. Die Entwicklung in Afghanistan ist - normalerweise bin ich in meinen Bewertungen sehr zurückhaltend - sehr beunruhigend, nicht nur aufgrund der Zunahme der Kämpfe im Süden und der zunehmenden Perfektionierung der Anschläge, sondern auch aus anderen Gründen. Mittlerweile müssen wir einen eklatanten Rückschlag bei der Drogenbekämpfung befürchten. Im vorigen Jahr ging die Anbaufläche um ungefähr ein Viertel enorm zurück. Für dieses Jahr weisen die Prognosen einen Anstieg hinsichtlich der Anbaufläche um zum Teil mehr als 50 Prozent aus, zum Beispiel in Badakhshan. Was den Drogenanbau betrifft, sind also wieder rapide Steigerungen zu verzeichnen. Woran liegt das? Im letzten Jahr wurden Versprechungen gemacht, dass für die Betroffenen alternative Erwerbsmöglichkeiten geschaffen werden. Diese Versprechungen sind nicht eingehalten worden. ({0}) Stattdessen findet eine verschärfte und aggressive Vernichtung der Anbaufelder statt. Die Folge ist, dass die Bauern ihre Existenz verlieren. ({1}) Die Bauern suchen Schutz. Wer bietet ihnen den? Die Taliban. Im Süden - das ist deutlich festzustellen - entsteht das, wovor wir schon vor geraumer Zeit gewarnt haben: eine Drogenvolksfront. Dadurch wird die Spirale der Gewalt enorm angetrieben. Hinzu kommt, dass „Enduring Freedom“-Einsätze vor allem im Süden und Südosten offenkundig viel zu oft kontraproduktiv wirken. Die Folge ist, dass die internationale Gemeinschaft und die Zentralregierung immer mehr die Herzen der Afghanen verlieren. Das ist eine sehr bedrohliche Entwicklung. Das heißt, es besteht die Gefahr, dass die ISAF, die internationale Sicherheitsunterstützungstruppe, in der Wahrnehmung von immer mehr Menschen nicht mehr als Friedensunterstützungstruppe, sondern als Besatzungstruppe wahrgenommen zu werden droht. Eine Besatzungstruppe ist aber keine Stabilisierungstruppe mehr. Das ist eine äußerst gefährliche Entwicklung. ({2}) Die Konsequenz daraus ist, dass es bei dem Afghanistaneinsatz nicht um neue Konzepte gehen muss - Konzepte gibt es sehr viele -, sondern darum, die Strategie, die am Boden praktiziert wird, in den nächsten Monaten, vor der Verlängerung der Mandate, zu überprüfen. ({3}) Zum Weißbuch. Seit einigen Wochen ist der Entwurf des Weißbuchs im Umlauf. Es soll laut Ihren Aussagen, Herr Minister, sicherheitspolitisch und strategisch eine Standortbestimmung bringen. Dieser Anspruch ist völlig richtig; doch er wird mangelhaft eingelöst. Erstes Beispiel: Nach mehr als zehn Jahren deutschen Krisenengagements bzw. Einsätzen der Bundeswehr ist es an der Zeit, zu einer systematischen und offenen Auswertung dieses Teils deutscher Außenpolitik zu kommen. Das ist dringend erforderlich. Tätigkeitsberichte allein reichen nicht; wir brauchen eine Auswertung. Hierüber steht im Weißbuch nichts. Dabei wäre das eine enorme Chance. Es wäre auch zwingend notwendig, um abschätzen zu können, was Militär, was Bundeswehr an Außenpolitik leisten kann und was nicht. Das ist das erste wichtige Versäumnis. Zweitens. Der Verteidigungsbegriff ist diffus formuliert. Aber die Andeutungen gehen in Richtung einer Ausweitung des Verteidigungsbegriffes, sowohl nach innen - dass eine Terrorattacke dem Verteidigungsfall vergleichbar sei - als auch nach außen, Ressourcenschutz usw. Dazu müssen wir kurz und knapp feststellen: Das bringt kein Mehr an Sicherheit, sondern eindeutig mehr Unsicherheit. Drittens. Der Anspruch umfassender und Gewalt vorbeugender Sicherheitspolitik bleibt leider in der Ansage stecken. Herr Minister, Sie haben selbst darauf hingewiesen, dass die Bundeswehr in den Einsatzgebieten mit den anderen Kräften vernetzt ist und mit ihnen gut zusammenarbeitet, mit einigen Lücken zwar, aber insgesamt gut. Doch diese besondere Zusammenarbeit mit den verschiedenen Kräften schlägt sich nicht im Weißbuch nieder. Hier gibt es also ganz deutlich eine Unausgewogenheit der militärischen, polizeilichen und zivilen Krisenmanagementfähigkeiten. Vorprogrammiert ist dabei Folgendes: Immer mehr Bundeswehreinsätze und immer längere Bundeswehreinsätze mit immer weniger Wirkung.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, denken Sie an Ihre Redezeit!

Winfried Nachtwei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002743, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, ich komme zum Schluss. - Diese Schlüsselfragen können nicht per Kabinettsbeschluss über ein Weißbuch sozusagen erlassen werden. Sie brauchen eine breite Debatte. Ob diese breite Debatte blockiert wird oder ob sie zustande kommt, dafür tragen Sie, Herr Minister, eine sehr große Verantwortung. Ich appelliere an Sie - ich glaube, ich spreche hier, ausgesprochen oder unausgesprochen, im Namen aller Kollegen -: Tragen Sie bitte Ihren Anteil dazu bei, dass wir eine solche Debatte bekommen! Danke schön. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun der Kollege Thomas Kossendey für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Thomas Kossendey (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001188, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Viele Zahlen sind heute genannt worden; manches von dem, was im Haushalt verankert werden soll, ist angesprochen worden. Dies ist der erste Haushalt der großen Koalition. Deswegen möchte ich einige Aspekte herausgreifen, die noch nicht erwähnt worden sind. Was bleibt? Was wird anders? Was bleibt, ist die wirkliche Enge in diesem Verteidigungshaushalt. Er ist so knapp auf Kante genäht wie alle in den Jahren zuvor. Wir haben allerdings - das finde ich positiv - eine Perspektive der Verlässlichkeit bekommen. Was uns in den letzten Jahren immer wieder geärgert hat, waren die unkalkulierbaren Eingriffe in den laufenden Haushalt, ({0}) die eine Planungssicherheit gar nicht erst haben aufkommen lassen. ({1}) Es gibt allerdings schon jetzt zwei Punkte, die in diesem Zusammenhang anzusprechen sind - der Kollege Johannes Kahrs hat das bereits getan -: Ohne dass wir das vorher planen konnten, müssen wir aus dem Verteidigungshaushalt den Kongoeinsatz und unseren Anteil an den israelischen U-Booten finanzieren. Beides sind wichtige Aufgaben, aber nicht jede wichtige Aufgabe, die wir in diesem Land zu lösen haben und die außenpolitische Akzente hat, muss aus dem Verteidigungshaushalt bezahlt werden. ({2}) Deswegen habe ich eine sehr große Sympathie dafür, dass wir uns im Parlament, im Verteidigungsausschuss und auch im Haushaltsausschuss darüber verständigen, wie wir diese unwägbaren Eingriffe für die Zukunft ausschließen. Ich will nicht wieder auf den Einzelplan 60 zurückkommen, aber ein vergleichbares Verfahren wie dort brauchen wir dringend, um eine Verlässlichkeit in der Planung zu erreichen. Hier sollten uns auch Leertitel und globale Minderausgaben nicht helfen. Nein, wir brauchen eine wirkliche Etatisierung von unvorhergesehenen Ausgaben, durch die der Verteidigungshaushalt weitgehend geschützt wird. Verlässlichkeit ist das Thema. Ich will dazu noch einen Vorschlag wiederholen, den ich hier vor einigen Jahren gemacht habe und der mir politisch immer noch wichtig erscheint. Wir müssen aus meiner Sicht drei Haushalte zusammen betrachten: den Verteidigungshaushalt, den Haushalt für das Auswärtige und den Haushalt für das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Alle drei haben nämlich eine außergewöhnlich wichtige Ausstrahlung nach draußen und sind für die Bedeutung und den Stellenwert unseres Landes in der Völkergemeinschaft wichtig. Ich denke, deshalb sollten wir versuchen, ein Agreement dahin gehend zu schaffen, dass wir diese drei Haushalte vor die Klammer ziehen, wenn es wieder einmal darum geht, mit dem Rasenmäher zu kürzen, weil wir den Ruf unseres Landes nicht aus haushalterischen Gründen unnütz aufs Spiel setzen sollten. Wenn ich von Verlässlichkeit spreche, dann meine ich den Investivbereich; insbesondere aber meine ich die Menschen in der Bundeswehr, die eine Verlässlichkeit der Planung verdient haben. Wir haben bei diesem Haushalt zum ersten Mal notieren können, dass der Personalanteil auf unter 50 Prozent gefallen ist. Das klingt zunächst sehr gut, aber ist teuer erkauft, nämlich durch den Verzicht auf Zulagen, Weihnachtsgeld und anderes - und das in einer Zeit, da wir unsere Soldaten in den nächsten Wochen in einen sehr schwierigen Auftrag schicken werden. Ich bin deswegen dankbar, dass die Frau Kollegin Merten angesprochen hat, dass wir nach dem Einsatzversorgungsgesetz nun auch eine gesetzliche Grundlage dafür schaffen wollen, dass Soldaten, die im Einsatz verletzt worden sind, mehr Möglichkeiten haben, hinterher ihre berufliche Perspektive bei der Bundeswehr zu finden. Was nutzt es dem Zeitsoldaten auf vier Jahren nämlich, wenn er im Einsatz auf eine Mine tritt, ein Bein verliert und wir ihm nach vier Jahren sagen: Tschüss, das war es! - Das kann nicht die Fürsorge unseres Landes gegenüber denjenigen sein, die für uns und in unserem Auftrag ihr Leben riskieren. Deswegen ist das, was der Minister dort vorhat, sehr wichtig. ({3}) Wir müssen uns auch noch mehr als bisher um die Motivation und die Attraktivität des Dienstes in der Bundeswehr kümmern. Der Erfolg eines Einsatzes hängt in einer Zeit, in der ein Einsatz in internationalen Gebieten eigentlich der tägliche reale Dienst ist, nicht nur von der Zahl der Soldatinnen und Soldaten, sondern auch von der Motivation der Soldatinnen und Soldaten ab. Es ist viel wichtiger als vieles andere, was wir in der Bundeswehr zu beobachten haben, dass wir diesen Dienst attraktiv gestalten; denn in absehbarer Zeit wird die Bundeswehr mit vielen anderen Arbeitgebern um Nachwuchs kämpfen müssen. Wenn dann der Dienst nicht attraktiv ist und der Verdacht besteht, dass wir unsere Fürsorgepflicht nicht ernst nehmen, dann wird es schwer werden, diejenigen zu finden, die wir bei der Bundeswehr brauchen. Ich will hier ein Stichwort ansprechen, das mir sehr am Herzen liegt. Wir haben fast 7 500 weibliche Soldaten. Das SOWI hat untersucht, dass 75 Prozent dieser Frauen ihren Dienst bei der Bundeswehr mit einem Kinderwunsch angetreten haben. Was tun wir eigentlich für diese Frauen? ({4}) - Elterngeld ist das eine, danke. Das ist eine sehr wichtige Perspektive. - Nehmen Sie aber einmal eine junge Soldatin, die Dienstzeiten hat, die eben nicht mit denen im öffentlichen Dienst im Allgemeinen vergleichbar sind. Wenn sie morgens zum Dienst in die Kaserne geht, hat noch kein öffentlicher Kindergarten offen, und wenn sie eine Übung oder abends vielleicht verlängerten Dienst hat, wird es ganz schwierig. Deswegen sollte sich die Bundeswehr, so denke ich, in den Kommunen intensiv an den runden Tischen für die Familie beteiligen, damit wir für diese Gruppe von Soldatinnen eine Möglichkeit finden, ihrer Betreuungspflicht nachkommen zu können. Ich will das dem Minister sehr ans Herz legen, weil ich glaube, dass hier vieles zu tun ist. Lassen Sie mich noch einen zweiten Bereich ansprechen, der gerade in den letzten Wochen in der Öffentlichkeit Aufmerksamkeit erregt hat, nämlich die Belastung der Soldaten in internationalen Einsätzen, deren Folgen die Psychologen so wunderbar posttraumatisches Belastungssyndrom oder posttraumatische Belastungsstörung nennen. Ich glaube, wir sind es unseren Soldatinnen und Soldaten, aber auch den zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die im internationalen Einsatz stehen, schuldig, dass wir uns darum kümmern, dass da, wo psychische Probleme entstehen, nachgearbeitet wird. ({5}) Das tun wir bereits vereinzelt; es ist auch richtig und gut. Wir sollten das aber viel besser organisieren. Der heute schon mehrfach erwähnte Staatssekretär Dr. Pflüger ({6}) hat im Verteidigungsausschuss dazu einen sehr intensiven Bericht vorgelegt, den ich dringend zur Beratung in diesem Ausschuss empfehle. Ich meine, wir sollten in unsere Überlegungen auch diejenigen einbeziehen, die in internationalen Einsätzen entsprechende Störungen davongetragen haben und zwischenzeitlich aus dem Dienst ausgeschieden sind. Eine so verstandene Fürsorgepflicht kann möglicherweise in der Einrichtung eines Rehazentrums ihren Ausdruck finden. Wenn ich von den Menschen bei der Bundeswehr spreche, dann bleiben die Zivilbediensteten sozusagen etwas im Schatten. Die Zahl von 75 000 Zivilbediensteten, die wir bis 2010 erreichen wollen, ist aus haushalterischen Gründen festgelegt worden. Ihr lag keine Struktur zugrunde, liebe Frau Kollegin Merten. Ich bin dankbar, dass Staatssekretär Dr. Wichert diese Struktur bis zum Jahresende schafft. Denn nur mit einer Struktur, die bis zum letzten Standort ausgeplant ist, können wir den Menschen, die versetzt werden müssen, helfen, Alternativen im Bereich der Bundeswehr zu finden. Dann hört endlich das Elend auf, dass keine Stelle mehr nachbesetzt wird und die Menschen nur um den Preis von Zeitverträgen bei der Bundeswehr beschäftigt werden. Das kann nicht richtig sein. Deswegen ist meine dringende Bitte, Herr Minister: Sorgen Sie dafür, dass der Bericht über die Struktur möglichst schnell erscheint und dass wir zügig umsetzen, was wir mittlerweile in die Kern- und Nichtkernaufgaben der Bundeswehr aufgeteilt haben! Wann bekommen wir zum Beispiel eine Übersicht, welche Liegenschaft aus militärischen Gründen dringend notwendig ist und welche vielleicht in die Verwaltung der BImA abgegeben werden kann? Wir brauchen dabei Klarheit, um auch für das Personal eine Perspektive zu schaffen. Lassen Sie mich noch etwas zum Thema Dussmann ausführen, das vom Kollegen Koppelin angesprochen worden ist. Mich ärgert es sehr, dass der Versuch in München in die Hose gegangen ist, weil Dussmann den Vertrag gekündigt hat. ({7}) Es ärgert mich deswegen, weil ich nach wie vor glaube, dass die Übertragung von Aufgaben, die bislang innerhalb der Bundeswehr erledigt wurden, an Private eine Perspektive bieten kann, die sowohl für die Soldaten gut als auch hinsichtlich des Haushalts richtig sein kann. ({8}) Das von uns festgestellte Unvermögen eines Auftragnehmers, den Auftrag zur Zufriedenheit der Soldaten auszuführen, ({9}) darf nicht dazu führen, dass wir das Thema grundsätzlich von der Tagesordnung nehmen. Wir müssen sehr genau prüfen, wo die Gründe für das Versagen lagen. Wir müssen prüfen, ob sie einseitig bei dem Unternehmer lagen oder ob vonseiten der Verwaltung oder des Ministeriums Vorgaben gemacht wurden, die nicht umzusetzen waren. Ich glaube, wenn wir uns in diesen Tagen über den Fall aufregen, der 13 Küchen betrifft, dann sollten wir auch berücksichtigen, dass allein bei den Küchen der Bundeswehr, die wir noch selber verwalten, ein Investitionsbedarf in Höhe von 300 Millionen Euro besteht, um sie so weit instand zu setzen, dass ein Veterinär sie bei einer Inspektion nicht gleich schließt. Das müssen wir im Haushalt berücksichtigen. An dem Standort in meinem Wahlkreis Oldenburg gibt es drei Truppenküchen. Alle drei Küchen sind vom Veterinär geschlossen worden, weil der bauliche Zustand es nicht zuließ, Essen zu kochen, das für den menschlichen Verzehr bestimmt ist. Die Luftlandebrigade 31 - eine der Brigaden, die wir als erstes in den Einsatz schicken wollen - wird, weil kein Geld für eine neue Küche vorhanden ist, in den nächsten fünf Jahren aus einer containerisierten Küche in Zelten verpflegt werden. Das ist keine Fürsorge, wie wir sie uns vorstellen. ({10}) Lassen Sie mich noch etwas zum Thema Material und Investitionen ausführen. Wir haben die Betriebskosten um 4 Prozent senken können. Das ist gut. Es gibt uns Raum für Investitionen. Wir müssen dringend identifizieren, wo Investitionen notwendig sind. Der strategische Lufttransport ist einer der wichtigsten Punkte in diesem Zusammenhang. Aber, Herr Minister, nehmen Sie bitte Kontakt mit den Damen und Herren von EADS auf! Ich befürchte angesichts der aktuellen Ereignisse, dass unser Flugzeug A400M, das von diesem Unternehmen gebaut wird, unter Umständen ins Hintertreffen gerät. ({11}) Denn die Ingenieurkapazitäten, die EADS braucht, um beim Airbus umzusteuern, werden unter Umständen bei der Produktion des A400M fehlen, was zu einer Zeitverzögerung führen könnte. Das sollten wir auf jeden Fall verhindern. Denken Sie im Investivbereich auch an die Materialerhaltung! Nach Aussagen des Bundeswehrplans 2007 bis 2010 werden ungefähr 1 Milliarde Euro fehlen, die notwendig sind, um das vorhandene Material instand zu halten. Diese Unterdeckung müssen wir nicht einfach hinnehmen; wir müssen vielmehr genau überprüfen, was wir im Bereich der Materialerhaltung selber machen können und was von anderen durchgeführt werden muss. Wir müssen aber auch kritisch auf den Prüfstand stellen, mit welchem Stückzahlgerüst wir unser Material erhalten wollen. ({12}) Und schließlich müssen wir darauf achten, dass wir im Bereich der Luftwaffenwerften und des Marinearsenals eigene Kompetenz und Expertise erhalten, damit wir nicht den Preisen, die uns die Wirtschaft diktiert, wahllos ausgeliefert sind. Lassen Sie mich zum Schluss noch auf das Weißbuch zu sprechen kommen. Ich habe selten eine solche Diskussion über ein noch nicht veröffentlichtes Buch und solche detaillierten Forderungen erlebt, wie es beim Weißbuch der Fall ist. Ich glaube, dieses Weißbuch hat schon jetzt einen wichtigen Teil seiner Aufgabe erfüllt. Das vom Bundespräsidenten angesprochene wohlwollende Desinteresse, das der Bundeswehr in der Öffentlichkeit entgegenschlägt, ist einer engagierten Diskussion gewichen. Was kann einem Weißbuch Besseres passieren, als dass darüber schon vor seiner Veröffentlichung so intensiv diskutiert wird? Das halte ich für wichtig. Wir haben in Deutschland drei Sicherheitsbereiche: die soziale Sicherheit, die innere Sicherheit und die äußere Sicherheit. Über die soziale Sicherheit diskutieren wir jeden Tag. Die innere Sicherheit liegt uns deswegen am Herzen, weil uns die Menschen fragen, was wir eigentlich tun. Aber die äußere Sicherheit hat längst nicht den gleichen Stellenwert. Ich wünsche mir, dass das Weißbuch dafür sorgt, dass die äußere Sicherheit wieder den Stellenwert in der öffentlichen Diskussion bekommt, den sie verdient. Vielen Dank. ({13})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun für die SPD-Fraktion der Kollege Andreas Weigel. ({0})

Andreas Weigel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003656, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der von mir sehr geschätzte Kollege Alexander Bonde hat in seiner Rede die Frage gestellt, ob wir für das investierte Geld das Optimum bekommen. Ich will diese Frage aufgreifen. Entscheidend ist, wie wir das Optimum definieren. Das ist eine sehr subjektive Bewertung. Das Optimum kann sein, dass der Einzelplan 14 an dritter Stelle steht, was ja von der PDS kritisiert wird. Das Optimum kann sein, dass alles drin ist, was wir auf der großen „Wünsch dir was“-Liste aufgeführt haben. Das Optimum kann aber auch sein, dass die Einsatzbereitschaft und die Sicherheit der Truppe gewährleistet sind. Ich glaube, dass der heute zur Diskussion stehende Einzelplan 14 dieses Kriterium auf alle Fälle erfüllt. Verehrter Herr Kollege Kossendey, wir stehen damit in der guten Kontinuität der Haushalte in den vergangenen Jahren und sorgen für Verlässlichkeit. Die Einsatzbereitschaft und die Sicherheit der Truppe sind gewährleistet. ({0}) Als letzter Redner in dieser Debatte will ich kurz drei Themen ansprechen, die nicht nur den hier zur Beratung anstehenden Haushalt betreffen, sondern auch die kommenden Haushalte. Das sind die Themen Anpassung der Bundeswehrverwaltung an die Herausforderungen der Transformation, die Kooperation der Bundeswehr mit der Wirtschaft und die Kooperation im Rüstungsbereich auf europäischer Ebene. Meine sehr geehrten Damen und Herren, 17 Prozent des Verteidigungsetats, ungefähr 4 Milliarden Euro, nimmt Jahr für Jahr die Finanzierung des Zivilpersonals der Bundeswehr in Anspruch. Ungefähr 250 000 Soldaten - einschließlich der Wehrpflichtigen - stehen annähernd 120 000 Zivilbeschäftigten gegenüber. Wir haben uns das Ziel gesetzt, bis 2010 die Zahl der Zivilbeschäftigten auf 75 000 zu reduzieren. Aber wir werden dieses Ziel - ich glaube, das bestreitet niemand ernsthaft wohl nicht erreichen. Was bedeutet das und was folgt daraus? Wir kommen in der Haushaltsplanung nicht darum herum, die Betriebskosten zu reduzieren und Zivilpersonal sozialverträglich abzubauen. Der jetzige Zustand ist für das Zivilpersonal in vielerlei Hinsicht unbefriedigend. Jeder weiß, dass es Veränderungen geben wird. Aber niemand weiß, wie sie sich auswirken werden. Die Zivilbeschäftigten sorgen sich um ihre Arbeitsplätze und ihre berufliche Zukunft. Die mittelfristige Entwicklung ist ungeklärt. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir über das von Ihnen, Herr Minister, vorgelegte Konzept rasch diskutieren, damit wir für alle Klarheit über die tatsächliche Entwicklung schaffen. Die Wehrverwaltung ist 16 Jahre lang nicht immer ausreichend an die Realitäten angepasst worden. Dabei brauchen wir eine Wehrverwaltung, die in die Transformation der Streitkräfte unmittelbar eingebettet ist. Wir haben das Problem in den letzten Jahren unter Minister Struck sehr intensiv angepackt. Diesen Weg müssen wir weitergehen. Ähnliche Fragen stellen sich bei der Kooperation der Bundeswehr mit der Wirtschaft, dem zweiten Bereich, den ich hier kurz ansprechen möchte. Maßgeblich für unsere Bemühungen muss die Konzentration der Bundeswehr auf die Kernfähigkeiten und Kernaufgaben sein. Wir haben hierbei bemerkenswerte Fortschritte erreicht. Das Potenzial ist allerdings noch nicht ganz ausgeschöpft. Die Partnerschaft mit der Wirtschaft, sei es in Form von Betreibermodellen oder Kooperationsmodellen im engeren Sinne, ist ein zentraler Bestandteil der Transformation. Dass es auf der militärischen Seite erhebliche Skepsis gegenüber PPP-Vorhaben gibt, ist kein Geheimnis. Die Sorge, die mit dieser kritischen Haltung verbunden ist, nämlich dass die Leistungen nicht in der richtigen Qualität und Menge erbracht werden, darf nicht einfach ignoriert werden. Die Vertragskündigung durch die Firma Dussmann, die wir derzeit diskutieren, ist ein Thema, das wir wirklich sehr sorgfältig und ausführlich im Verteidigungsausschuss beraten müssen. Wir müssen aufpassen, dass wir dabei nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. ({1}) Privatisierungsprojekte sind wichtig. Wir alle gemeinsam müssen sicherlich aus dem, was wir derzeit erleben, lernen und unsere Lehren für weitere Projekte ziehen. Wir müssen darüber hinaus überlegen, ob wir im Bereich der Kameralistik und des Rechnungswesens zu Veränderungen kommen. Sparen muss sich lohnen. Dienstbereichs- und dienststellenbezogene Globalhaushalte müssen Standard werden. Flexible Budgetierung in der Verantwortung und Zuständigkeit des jeweiligen militärischen und zivilen Leiters sollte in Zukunft die Norm werden. Sie sollte für alle Anreize bieten. ({2}) Schließlich werden wir im Bereich der Streitkräfte neue Wege gehen müssen. Die Festlegung auf Kernfähigkeiten und die Bereitschaft zur Integration auf europäischer Ebene sind hier wichtige Stichworte. Das muss wesentlich stärker als bislang seinen Niederschlag auch im Haushalt finden. Die Bundeswehr ist als Bündnisarmee konzipiert und die europäischen Streitkräfte wachsen zusammen. Deshalb ist es geboten, über neue Formen einer verstärkten gemeinsamen europäischen Finanzierung nachzudenken. Dies könnte mit dem Ausbau der Europäischen Verteidigungsagentur zu einem wesentlichen Instrument bei der Vernetzung europäischer Streitkräfte gekoppelt werden. Die Bundesregierung geht hier mit gutem Beispiel voran. Ich glaube, dass wir in Europa auf einem guten Weg sind. Wir sollten das im nächsten Haushalt, den wir sehr bald diskutieren werden, berücksichtigen. Ich glaube, dass der vorliegende Haushalt es wert ist, mit Zustimmung bedacht zu werden. Ich danke. ({3})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 14 - Bundesministerium der Verteidigung - in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist der Einzelplan 14 mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktionen von FDP, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.9 auf: Einzelplan 23 Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung - Drucksachen 16/1319, 16/1324 Berichterstattung: Abgeordnete Alexander Bonde Iris Hoffmann ({0}) Michael Leutert Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Bevor ich das Wort dem Kollegen Hellmut Königshaus für die FDP-Fraktion gebe, bitte ich darum, dass die Gespräche nicht hier im Plenum, sondern vor dem Saal geführt werden, damit wir dem Redner aufmerksam zuhören können. - Herr Kollege Königshaus.

Hellmut Königshaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003709, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich bedanke mich sehr herzlich, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin, ich könnte es mir leicht machen und meine Rede zur ersten Lesung des Einzelplans hier noch einmal wiederholen; denn am Sachverhalt hat sich leider nichts geändert. Wenn wir deshalb nachher - was Sie wahrscheinlich nicht sehr überraschen wird - Ihren Haushalt ablehnen werden, können Sie die Gründe dort nachlesen. Ich will mich auf zwei Kernpunkte konzentrieren, die mir besonders dringlich erscheinen. Mein Kollege Dr. Addicks wird nachher noch einiges ergänzen. Erstens zur politischen Konzeption. Frau Ministerin, wann erhalten wir von Ihnen ein klares und nachvollziehbares Konzept, in welchem Verhältnis die verschiedenen Felder unserer Entwicklungszusammenarbeit - bilateral, europäisch, multilateral - zueinander stehen? Wie sollen wir heute, frage ich Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, verantwortlich über einen Haushalt befinden, aus dem ein großer Teil der Mittel in ein diffuses Umfeld abfließen soll, bei dem wir kaum Möglichkeiten der Einflussnahme oder der Kontrolle haben? Und wann - das wäre eine weitere Frage an Sie, Frau Ministerin - werden wir, das Parlament, in die Erörterung über die zukünftige Struktur der Durchführungsorganisationen eingebunden? ({0}) Ich hoffe, es ist kein schlechtes Omen, dass das von Ihrem Haus in Auftrag gegebene Gutachten hierzu justament kurz vor Beginn der parlamentarischen Sommerpause vorgelegt werden soll. Ich will nicht hoffen, dass wir dann nach der Sommerpause vor vollendete Tatsachen gestellt werden. Das wäre sehr ärgerlich. Sie alle wissen: Organisation und Struktur sind gelebte Politik; das brauche ich Ihnen nicht zu sagen. Sie können auch den Kollegen Struck fragen; der spricht immer davon. Noch dringlicher allerdings erwarten wir - zweitens von Ihnen, Frau Staatssekretärin, und im Übrigen auch vom Bundesfinanzminister eine Stellungsnahme zum Europäischen Entwicklungsfonds. Ich habe das in meinem Beitrag zur ersten Lesung schon einmal gesagt. Dass und warum wir Liberale dem Fonds kritisch gegenüberstehen, können Sie dort nachlesen. Wir zahlen in die Nachsorge kolonialer Sünden unserer Partner, teilweise sogar in die Infrastruktur der Überseegebiete von EUMitgliedstaaten. Das ist doch sehr erstaunlich; ich glaube, kaum einer weiß das. Das sollten wir bei anderer Gelegenheit noch einmal erörtern, übrigens auch, warum wir dort mit 23,36 Prozent am meisten einzahlen. Geklärt werden muss ebenso, warum wir es immer noch hinnehmen sollen, dass es hierfür keinerlei parlamentarische Kontrolle gibt. ({1}) Ich erwarte von Ihnen aber vor allem eine Stellungnahme zu den dort angehäuften Haushaltsrisiken. Ich hatte Sie danach in der ersten Lesung gefragt, habe aber bis heute noch keine Antwort erhalten. Es geht dabei um namhafte Beträge, die der EEF in der Vergangenheit nicht abgerufen hat. Diese summieren sich mittlerweile, wenn wir richtig gerechnet haben, auf insgesamt 9,9 Milliarden Euro; der deutsche Anteil beläuft sich auf rund 2,4 Milliarden Euro. Sie haben diese nicht abgeflossenen Mittel großzügig in die bilaterale finanzielle Zusammenarbeit umgeleitet, also ausgegeben. Nun hat es aber in den vergangenen Jahren erstmals Nachforderungen bezüglich der damals aufgelaufenen Rückstände gegeben, im vergangenen Haushaltsjahr beispielsweise in Höhe von 97 Millionen Euro. Darunter ist Ihr Haushalt fast zusammengebrochen. Welche Konsequenzen hat die Koalition daraus gezogen? Haben Sie mit dem EEF, mit der Kommission gesprochen? Und wie soll es denn nun weitergehen? Was, wenn die Kommission die in den vergangenen Jahren aufgelaufenen Mittel vollständig nachfordert? Können Sie das ausschließen? Wenn ja, haben Sie das schriftlich? Was also, Frau Staatssekretärin, ist mit dem verbleibenden Risiko von 2,4 Milliarden Euro? Das sind ja keine Peanuts. Das wären acht weitere Monate Elterngeld oder 500 Kilometer neue Autobahnen. Sie könnten auf die Erhöhung der Versicherungsteuer verzichten oder drei Jahre lang kostenlos Kitas anbieten. ({2}) Ich will diese Anliegen nicht gegeneinander ausspielen, meine Damen und Herren. Aber ich bin schon verwundert über die Leichtigkeit, mit der hier über solche Risiken gesprochen oder, genauer gesagt, nicht gesprochen wird. Deshalb erwarten wir hier von Ihnen eine Antwort. Solange wir über solche Unsicherheiten reden müssen, solange diese nicht einfach aufgeklärt werden können, ist die Haushaltsplanung nicht seriös. So lange können wir Ihrem Haushalt nicht zustimmen. Danke schön. ({3})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun für die SPD-Fraktion die Kollegin Iris Hoffmann.

Iris Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003151, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Fast das gesamte öffentliche Leben steht im Moment im Zeichen der Fußballweltmeisterschaft. Viele der Länder, deren Nationalteams zurzeit bei uns zu Gast sind, sind unsere Partner im Bereich der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und Entwicklung. Ich denke beispielsweise an Ghana, die Elfenbeinküste, an Ecuador oder Paraguay, aber auch an Serbien-Montenegro oder die Ukraine. Diese Länder bauen nicht nur während der Fußballweltmeisterschaft auf unsere Zusammenarbeit und Unterstützung. Deshalb freut es mich, dass die wirtschaftliche Zusammenarbeit und die Entwicklungspolitik einen bedeutenden Stellenwert in der Arbeit der Bundesregierung einnehmen. Das wird auch in der Mittelausstattung des Einzelplans 23 sehr deutlich. Ich möchte Sie nicht mit zu vielen Zahlen nötigen. Aber in einer Haushaltsdebatte kommt man natürlich nicht umhin, die wichtigsten Eckpunkte und Entwicklungslinien des Etatentwurfs zu skizzieren. Der Haushaltsansatz des Bundesministeriums sieht Gesamtausgaben von rund 4 Milliarden Euro vor. Lässt man die Dezentralisierung der Versorgungsausgaben, also die Pensionen, einmal außen vor, beträgt die Steigerung im Vergleich zu 2005 circa 300 Millionen Euro. Ich finde aber, noch bedeutender als der nominale Aufwuchs ist die Tatsache, dass der Einzelplan 23 damit prozentual wesentlich deutlicher wächst als der Gesamthaushalt. Auch der Anteil der Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit am Bundeshaushalt und an den Gesamtinvestitionen des Bundes kann in diesem Jahr signifikant gesteigert werden. Von dieser Erhöhung profitiert natürlich insbesondere der Europäische Entwicklungsfonds. Sein Baransatz steigt um 126 Millionen Euro. Hier gerieten im Übrigen die verspäteten Haushaltsberatungen zu einem Vorteil: Der Titel musste nicht wie in den Vorjahren geschätzt werden, sondern konnte anhand der konkreten Beschlüsse der EU-Kommission vom Dezember 2005 veranschlagt werden. Dadurch wird in diesem Bereich höchstwahrscheinlich kein abrufbedingter Mehrbedarf anfallen. Das ist insbesondere für die Kreditanstalt für Wiederaufbau ein Vorteil, da die Mehrbedarfe im Rahmen des Europäischen Entwicklungsfonds im vergangenen Jahr aus Mitteln der bilateralen finanziellen Zusammenarbeit gedeckt werden mussten. Die anderen Ansätze im Rahmen der multilateralen Entwicklungszusammenarbeit, wie der für die Vereinten Nationen, der für die Weltbank, aber auch der für die Regionalbanken, steigen maßvoll um circa 34 Millionen Euro. Der zweite Haushaltstitel, der maßgeblich von der Mittelerhöhung profitiert, ist die Wiederaufbauhilfe für die vom Seebeben bzw. vom Tsunami im Indischen Ozean betroffenen Regionen. In diesem Verstärkungstitel sind 150 Millionen Euro veranschlagt worden, von denen das Ministerium 108 Millionen Euro direkt bewirtschaftet. Der Rest verteilt sich auf verschiedene andere Ressorts. Die Tsunamimittel fließen überwiegend in Vorhaben der bilateralen staatlichen und nicht staatlichen Entwicklungszusammenarbeit, die ansonsten in etwa auf dem Niveau des Vorjahres fortgeführt wird. Bei den beiden großen staatlichen Durchführungsorganisationen KfW und GTZ wurden die Verpflichtungsermächtigungen gekürzt, um die vorhandenen Barmittellücken abzubauen und künftigen Barmittelproblemen vorzubeugen. Allerdings sind im Gegenzug beim Tsunamititel neue Verpflichtungsermächtigungen in Höhe von 125 Millionen Euro ausgebracht worden. Meine Damen und Herren, insgesamt sind in diesem Haushalt für die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit im weiteren Sinne Barmittel in Höhe von rund 2,5 Milliarden Euro vorgesehen, während für die multilaterale Entwicklungszusammenarbeit gut 1,5 Milliarden Euro veranschlagt wurden. Prozentual ist bei der multilateralen Entwicklungszusammenarbeit im Vergleich zu 2005 die Steigerung in etwa doppelt so hoch wie bei der bilateralen. Diese Zahlen veranschaulichen natürlich die Dynamik, die sich in den letzten Jahren zugunsten der multilateralen Entwicklungszusammenarbeit entwickelt hat. Ohne sie hierbei abwerten zu wollen, sind wir uns in den Koalitionsfraktionen sehr wohl darin einig, dass diese Dynamik sich nicht weiter zuungunsten der bilateralen Zusammenarbeit entwickeln darf. In diesem Zusammenhang möchte ich an den bestehenden Beschluss des Haushaltsausschusses erinnern - ich glaube, er stammt aus dem Jahre 1994 -, nach dem die Mittel des Einzelplans 23 im Verhältnis zwei Drittel zu einem Drittel zwischen der bilateralen und der multi3632 Iris Hoffmann ({0}) lateralen Entwicklungszusammenarbeit aufgeteilt werden. Wir sollten in der Tat gemeinsam versuchen, in den kommenden Haushaltsjahren zu dieser Aufteilung zurückzukehren. Um ein politisches Zeichen zu setzen, haben die Haushälter der großen Koalition im Rahmen der diesjährigen Etatberatungen einige Umschichtungen vor allen Dingen zugunsten der zivilgesellschaftlichen bilateralen Zusammenarbeit vorgenommen. Die Gegenfinanzierung wird hier vom Europäischen Entwicklungsfonds erbracht. Es ist wichtig, zu erwähnen, dass der Mittelansatz für den reinen Verwaltungsbereich im Einzelplan 23 gegenüber dem Vorjahr um 8 Millionen Euro zurückgeht. Das ist viel Geld für ein vergleichsweise kleines Ministerium. Das Haus erbringt also weiterhin seinen Beitrag zur Konsolidierung. Allerdings kann man die kritische Frage stellen, inwieweit dies angesichts eines, wie wir alle hoffen, insgesamt weiterhin steigenden Etats und eines entsprechend erhöhten Arbeits-, Koordinierungsund Kontrollaufwandes in den kommenden Jahren sinnvoll ist. Einige Worte zu den Kürzungen bei den Verpflichtungsermächtigungen. Mir ist bewusst, dass wir - ich habe das bereits erwähnt - vor allen Dingen bei der technischen Zusammenarbeit eine Barmittellücke aufgebaut haben, weil in früheren Haushalten mehr für Verpflichtungsermächtigungen veranschlagt wurde, als schlussendlich durch Barmittel abgedeckt werden konnte. Auch mir ist klar, dass diese Lücke geschlossen werden muss. Mir ist es wichtig, die politische Intention aufzuzeigen, die hinter den damaligen Erhöhungen der Verpflichtungsermächtigungen stand: Die erhöhten Verpflichtungsermächtigungen sollten mittelfristig mit ebenfalls höheren Barmitteln unterfüttert werden. Das ist nicht geschehen. Nun haben wir die Barmittellücke und die Verpflichtungsermächtigungen werden gekürzt. In der momentanen Situation mag das haushalterisch völlig richtig und sinnvoll sein. ({1}) Nach meiner Meinung ist aber eine Reduzierung der Verpflichtungsermächtigungen bei der bilateralen Zusammenarbeit das falsche politische Signal. Theoretisch hätte man die Höhe der Barmittellücke und die der Verpflichtungsermächtigungen dadurch in Einklang bringen können, dass man die Barmittel stärker erhöht, anstatt die Verpflichtungsermächtigungen selbst zu reduzieren. ({2}) Ich weiß, dass dies angesichts der Gesamthaushaltslage schwer zu realisieren und damit illusorisch ist. ({3}) Wenn die Bundesregierung ihre internationalen Verpflichtungen ernst nimmt - davon bin ich überzeugt und die ODA-Zusage erfüllen möchte, muss dies neben anderem durch eine deutliche und nachhaltige Stärkung des Einzelplans 23 ermöglicht werden. Damit man mich nicht falsch versteht: Ich bewerte den vorliegenden Haushalt insgesamt sehr positiv und denke, dass er ein großer Schritt in die richtige Richtung ist; es werden aber noch viele weitere Schritte folgen müssen. ({4}) In 2005 hat die Bundesrepublik nach den vorläufigen Zahlen ihre ODA-Zusage sogar übererfüllt. Auch in diesem Jahr werden wir das Ziel mit allergrößter Wahrscheinlichkeit erreichen. Es ist kein Geheimnis, dass uns dies nicht zuletzt aufgrund eines Schuldenerlasses gelungen ist bzw. gelingt. Das ist legitim; man muss sich dafür nicht schämen. ({5}) Dieses Instrument, ODA zu generieren, wird jedoch in zukünftigen Jahren nur noch eingeschränkt zur Verfügung stehen. Bis 2010 fehlen nach heutigem Stand etwa 7 Milliarden Euro, um das zugesagte ODA-Zwischenziel von 0,51 Prozent des Bruttonationaleinkommens zu erreichen. Was ich mir persönlich in diesem Zusammenhang wünsche, ist ein abgestimmtes und in sich tragfähiges Gesamtkonzept der Bundesregierung im Hinblick auf die Frage, in welchen Schritten und mit welchen Mitteln die ODA-Zusage bis zum Jahr 2015 erfüllt werden soll. Ich denke, der Haushalt 2006 des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung lässt sich mit einem Fußballvergleich auf den Punkt bringen: Die Vorrunde ist erfolgreich überstanden, aber bis zum Titel ist es noch ein weiter Weg. Doch wenn wir alle in der Entwicklungszusammenarbeit als Team agieren, können wir hierbei einen großen Schritt vorankommen. Ich danke Ihnen. ({6})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun die Kollegin Heike Hänsel für die Fraktion Die Linke. ({0})

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, Frau Präsidentin. - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestern, am 20. Juni, war der Tag des Flüchtlings. Frau Wieczorek-Zeul hat eine Presseerklärung dazu herausgegeben. Sie hat darin vor allem auf die Situation der Flüchtlinge in Darfur hingewiesen. Das halte ich für sehr wichtig; denn die Situation ist für sehr viele Menschen katastrophal. Mia Farrow war gestern ebenfalls anwesend und hat darüber sehr eindrücklich berichtet. Ich begrüße diese Initiative. Allerdings vermisse ich, dass Sie am Tag des Flüchtlings kein Wort zu den Flüchtlingen gesagt haben, die Tag für Tag an den Außengrenzen der Europäischen Union ankommen, und dass Sie sich nicht dazu geäußert haben, wie wir mit diesen Flüchtlingen umgehen. Wie reagiert die EU auf diese Flüchtlinge? Wir schicken jetzt sogar mobile Eingreiftruppen auf die Kanarischen Inseln. Man muss sich das einmal vorstellen: Wo Touristen ihren Urlaub verbringen, werden Flüchtlinge mit Schiffen abgefangen, um sie dann in ihr Heimatland zurückzubringen. Es gab vor kurzem einen sehr guten und eindrücklichen Bericht in der „tageszeitung“ über die Situation von Kleinfischern im Senegal, deren Existenzgrundlage zunehmend bedroht ist. Sie haben keine Einnahmequellen mehr, weil große EU-Fischereiflotten für eine enorme Überfischung im Hoheitsgebiet dieses Landes sorgen und schwimmende Fischfabriken in dieser Region Tag für Tag Fisch verarbeiten. Was unternehmen diese Fischer nun? Sie vermieten ihre Boote, mit denen sie früher Fisch gefangen haben, an Flüchtlinge für die Überfahrt Richtung Europa. Damit kommen Menschen an unseren Außengrenzen an. Was ist unsere Antwort darauf? Zunehmend haben wir darauf eine militärische Antwort parat. Da stellt sich die Frage, warum wir Entwicklungspolitikerinnen und Entwicklungspolitiker keine andere Antwort haben und warum wir vor allem keine grundsätzlichen Debatten führen. ({0}) Es stellt sich außerdem die Frage nach den Strukturen unserer Wirtschaftsordnung. Wir haben auch heute gehört, dass wir sie im Zuge der EU-Verfassung weiterentwickeln wollen. Das neoliberale Modell soll ausgebaut werden, obwohl es sehr viele Probleme verursacht, für die wir keine Lösungen haben. Trotzdem entwickeln wir diese Politik konsequent weiter. Wir müssen uns weiterhin die Frage stellen: Kann mit der jetzigen Weltwirtschaftsordnung das durch die Vereinten Nationen verbriefte Recht der Menschen auf Entwicklung gewährleistet werden? Die Antwort lautet ganz klar Nein. Deshalb müssen wir grundsätzliche Alternativen dazu entwickeln. ({1}) Bei dieser und bei der letzten Debatte ist mir aufgefallen, dass wir die Millenniumsziele, die wir verabschiedet haben, überhaupt nicht thematisieren. Den ganzen Tag über gab es kein Wort dazu, wie die Armutsbekämpfung angegangen werden soll. Was sind unsere Antworten und wo setzen wir der Armut etwas entgegen? ({2}) - Sie können gerne eine Zwischenfrage stellen. Aber halten Sie sich ansonsten bitte zurück! ({3}) - Ja, genau. Die Antwort ist der freie Markt, mit dem anscheinend alle Probleme gelöst werden können. Aber er verursacht immer mehr Probleme, und das längst nicht mehr nur in den armen Ländern des Südens, sondern mittlerweile auch in unserer Region. Daher wollen wir an Alternativen anknüpfen, die es in vielen anderen Ländern gibt. Dazu werde ich gleich noch etwas sagen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die zunehmende weltweite Militarisierung. Die Entwicklungspolitik muss sich die Frage stellen, ob sie sich dafür instrumentalisieren lässt. Ganz aktuell stellt sich die Frage nach der zivil-militärischen Zusammenarbeit. Trotz der Verschärfung der Situation in Afghanistan gibt es weiterhin eine sehr enge Verknüpfung zwischen zivilen und militärischen Aufgaben. Ich sehe darin eine sehr große Gefährdung der dort arbeitenden Menschen und außerdem besteht die Gefahr, dass die Interessen der Entwicklungspolitik instrumentalisiert werden. Dem müssen wir eine ganz klare Absage erteilen. ({4}) Wir müssen uns auch mit dem dahinterstehenden Sicherheitsbegriff auseinander setzen. Auch das wurde heute mehrmals erwähnt. Wir müssen den Sicherheitsbegriff erweitern, ohne militärische Aspekte einzubringen. Es wird nämlich weltweit keine militärische Sicherheit geben, wenn es keine Weiterentwicklung der sozialen Sicherheit gibt. In diese Sicherheit müssen wir viel mehr investieren. Aber wenn wir uns den Haushalt anschauen, dann können wir erkennen, dass er das überhaupt nicht hergibt. ({5}) Ein aktuelles Beispiel ist der Kongo. Wir schicken 1 500 Soldaten in den Kongo. Wir entsenden aber nur 200 zivile Wahlbeobachterinnen und Wahlbeobachter dorthin. Das ist eine völlige Verkehrung der Aufgabe, die wir dort haben. So wird eine völlig falsche Gewichtung vorgenommen. Da ich nicht sehe, dass von der auswärtigen Politik Antworten in diesem Bereich gegeben werden, ist es die Aufgabe von Entwicklungspolitikerinnen und Entwicklungspolitikern, sich für den Aufbau neuer Instrumente der zivilen Konfliktlösung einzusetzen, sowohl auf internationaler Ebene, also auf UNO-Ebene, als auch nationaler Ebene. Wir selbst haben uns für die Erhöhung der Mittel für den zivilen Friedensdienst eingesetzt. Eine deutliche Aufstockung wäre angebracht; diese hat es leider nicht gegeben. Es konnte gerade der Status quo beibehalten werden. Gleichwohl wäre es von entscheidender Bedeutung, viel mehr in diesen Bereich zu investieren, weil so ganz andere Möglichkeiten für Konfliktlösungen entwickelt werden könnten. Zum Haushalt möchte ich noch ganz kurz Folgendes sagen: ({6}) Erster Punkt. Es ärgert mich schon, dass bei der ODA-Quote Entschuldungsmaßnahmen und die Tsunamihilfe angerechnet wurden. Das halte ich nicht für seriös. ({7}) Es handelt sich um Extraposten, die nicht dafür benutzt werden dürften, die ODA-Quote zu erhöhen. ({8}) Statt sie durch einmalige Zahlungen zu erhöhen, müssten vielmehr feste Ausgabeposten im Haushalt eingeplant werden. In dieser Frage gibt es auch überhaupt kein Gegenargument; das räumt selbst die Ministerin ein. Zweiter Punkt ist, dass keine neuen Finanzierungsmechanismen wie zum Beispiel die Flugticketabgabe, deren Einführung auch wir unterstützen, vorgesehen werden. Frau Ministerin, wenn Sie sich dafür einsetzen, sichere ich Ihnen unsere Unterstützung zu. Ich finde, die Flugticketabgabe ist längst überfällig. Ein aus unserer Sicht interessanter Punkt ist es, dass es in Ländern auf anderen Kontinenten Alternativen gibt. Ich denke da zum Beispiel an Lateinamerika. Es gab den EU-Lateinamerika-Gipfel. Dort haben wir uns dafür engagiert, dass kein Freihandelsabkommen zustande kommt. Wir glauben nämlich, dass es in Lateinamerika nun vermehrt zu selbstbestimmter Entwicklung kommt. Wir halten zum Beispiel die Verstaatlichung der Erdgas- und Erdölreserven in Bolivien für einen der besten Beiträge zur Entwicklungspolitik der letzten Jahre. ({9}) - Es gibt dort weitere neue Ansätze, von denen Sie keine Ahnung haben. Sie beziehen mittlerweile völlig altbackene Positionen, weil Sie in keiner Weise für eine selbstbestimmte Entwicklung eintreten. ({10}) Sie sitzen hier im Parlament, machen schlaue Sprüche, aber sind nicht bereit, in Gesellschaften zu investieren, um neue Prozesse anzustoßen. ({11}) Beispielsweise über regionale Integration wird anderswo versucht, neue Antworten zu geben. ({12}) - Das ist eine andere Frage. - Was Sie machen, ist im Grunde genommen überholt. Sie kommen mit alten Antworten, obwohl es neue Ansätze gibt. An diese wollen wir anknüpfen. Wir werden die Menschen in Lateinamerika unterstützen und sehen uns als Teil einer Bewegung, die für die Umsetzung solcher Ansätze in Europa eintritt. Herzlichen Dank. ({13})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun der Kollege Jochen Borchert für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Jochen Borchert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000233, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bundeshaushalt 2006 steht im Zeichen der Konsolidierung einerseits und notwendiger Reformen andererseits. Das Ziel ist klar: Wir müssen und wir wollen die Maastrichtkriterien und gleichzeitig die Vorschriften des Art. 115 des Grundgesetzes einhalten. ({0}) - Sie müssen etwas lauter zwischenrufen; ich habe Sie nicht verstanden. - Dabei steht der Einzelplan 23 als investiver Einzelplan in einer besonderen Verantwortung; denn neben der Konsolidierung des Bundeshaushaltes haben wir uns im Koalitionsvertrag auch auf eine Erhöhung der ODA-Quote verständigt. Das bedeutet, dass im Jahr 2010 0,51 Prozent unseres Bruttonationaleinkommens für Entwicklungsaufgaben aufgewendet werden sollen. Meine Damen und Herren, das ist unser Anteil an der Armutsbekämpfung, das ist unser Anteil zum sozialen Frieden und das ist unsere internationale Zusage. Es galt für die Bundesregierung, schon in diesem Haushalt Zeichen zu setzen. Dies ist, wie ich denke, eindrucksvoll gelungen. Für das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung bringt dies eine Erhöhung des Etats um 320 Millionen Euro mit sich. Das entspricht einer Erhöhung von fast 8,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahresetat. Damit werden die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen, wie ich denke, ihrer Verpflichtung aus der ODA-Zusage gerecht. Das stärkt auch das Ministerium bei der Bewältigung der wachsenden Aufgaben. Wir setzen diese Erhöhung - damit halten wir unsere Zusage ein - in einem Haushalt durch, in dem zugleich intensiv gespart wird. ({1}) Die nächsten Ziele lauten: eine ODA-Quote von 0,51 Prozent im Jahr 2010 und 0,7 Prozent im Jahr 2015. Bevor ich einen Ausblick gebe, wie wir dieses Ziel gemeinsam erreichen wollen, lassen Sie mich noch einige Worte zu den Haushaltsberatungen dieses Jahres sagen. Nach der parlamentarischen Beratung hat der Einzelplan 23 knapp 320 Millionen Euro mehr in diesem Haushaltsjahr. Diesen Aufwuchs benötigen wir auf der einen Seite für unsere Verpflichtungen im Europäischen Entwicklungsfonds und auf der anderen Seite, um unsere Zusagen für die vom Tsunami betroffenen Regionen erfüllen zu können und diese Regionen nachhaltig zu unterstützen. Herr Kollege Königshaus, wir haben den Anforderungen aus dem EEF natürlich mit Erhöhungen Rechnung getragen. Wir haben aber auch - mit Zustimmung der FDP - im Haushaltsauschuss beschlossen, dass dem Haushaltsausschuss in Zukunft vor internationalen Zusagen frühzeitig - ehe die Bundesregierung Verpflichtungen eingeht - entsprechende Informationen vorgelegt werden, damit wir die Auswirkungen auf kommende Haushalte genau überprüfen können. Das heißt, wir legen Wert darauf, dass hier in Zukunft keine Risiken aufwachsen. Ich denke, wir werden in den nächsten Jahren mit den Verpflichtungen im EEF den Zusagen gerecht und werden das auch umsetzen können. Mit den 150 Millionen Euro für die vom Tsunami betroffenen Regionen unterstützen wir vor allen Dingen bilaterale Partner in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Sie können ihr Engagement vor Ort nachhaltig fortführen. Die Stärkung unserer deutschen Partner in der Entwicklungszusammenarbeit ist uns ein besonderes Anliegen. Daher war in den Haushaltsberatungen die Umschichtung zugunsten bilateraler Entwicklungszusammenarbeit, soweit dies in diesem Etat möglich war, für uns wichtig. Wir konnten dies auch mit großer Mehrheit im Haushaltsausschuss beschließen. Vor allem die politischen Stiftungen und die Kirchen profitieren von dieser Umschichtung. So kann auch dem Koalitionsvertrag Rechnung getragen werden, der den Stiftungen, aber auch den Kirchen eine besondere Rolle bei der Entwicklungszusammenarbeit zuweist. Dies gilt auch für die internationale Agrarforschung. Gerade unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit ist es wichtig, unseren Partnerländern das erforderliche Wissen zur Verfügung zu stellen, damit sie selbstständig Ernährungssicherung durchsetzen und selbstständig Armutsbekämpfung betreiben können. Ich sehe in der Unterstützung der internationalen Agrarforschung nicht nur einen wesentlichen Beitrag zur Bekämpfung des Hungers und dadurch zur Armuts- und Krankheitsbekämpfung, sondern auch einen wesentlichen Beitrag zum Schutz der natürlichen Ressourcen. Ich denke, dies gilt für alle Bereiche der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft. Diese Bereiche wollen wir auch in Zukunft intensiv unterstützen. Meine Damen und Herren, in den letzten Wochen ist viel darüber diskutiert worden, dass deutliche Zeichen gesetzt werden müssen. Die Bundesregierung und die Koalition haben das Ziel der Erhöhung der ODA-Quote auf 0,51 Prozent bis 2010 bzw. auf 0,7 Prozent bis 2015 ernst genommen. Eine Etaterhöhung um 8,2 Prozent ist hier ein richtiger und wichtiger Schritt und ein deutliches Zeichen. Die deutliche Steigerung der Barmittel hat auch einen positiven Nebeneffekt, auf den die Kollegin Hoffmann bereits hingewiesen hat: Damit kann die Barmittellücke in diesem Jahr abgebaut werden. Wir werden dann im nächsten Jahr über die Erhöhung der VE und der Barmittel diskutieren können. Um die ODA-Quote zu steigern, werden wir neben der Barmittelsteigerung noch über andere Instrumente der Finanzierung der Entwicklungszusammenarbeit diskutieren müssen. Erstens werden wir das Instrument des Schuldenerlasses fortführen. Es hat sich gezeigt, dass hier bei verantwortungsvollem Einsatz weitere Entwicklungspotenziale unserer Partner freigesetzt werden können. ({2}) Zweitens wird es eine besondere Herausforderung für das Ministerium, für die Durchführungsorganisationen und für uns sein, neue kreative Finanzierungsinstrumente zu entwickeln. Ich denke, da sind wir alle gefordert. Drittens geht es darum, die vorhandenen Mittel möglichst effizient einzusetzen. Das Thema Effizienz ist nicht nur vor dem Hintergrund der ODA-Quote eine große Herausforderung für uns. Der DAC-Bericht für Deutschland hat gezeigt, dass wir in Sachen Harmonisierung und Effizienz mehr leisten können, wenn wir die Strukturen der Entwicklungszusammenarbeit verbessern. Diese Aufgabe müssen wir entschlossen und schnell umsetzen. Herr Kollege Königshaus hat darauf hingewiesen, dass hierzu eine Studie über die Zusammenarbeit der TZ und der FZ in Auftrag gegeben worden ist. Ich stimme Ihnen zu, dass wir über diese Studie parlamentarisch sehr intensiv diskutieren und daraus gemeinsam die richtigen Konsequenzen ziehen müssen. Über diese Studie muss mit dem Parlament und den beteiligten Organisationen intensiv diskutiert werden. So unterschiedlich die Positionen einzelner Akteure in dieser Diskussion, die nicht neu ist, sondern die uns seit langem begleitet, sind, unter dem Strich muss eine deutliche Verbesserung der Effizienz stehen. ({3}) Um dies zu erreichen, müssen wir unsere Kriterien und Maßnahmen immer wieder überprüfen. Für den Bereich der Steigerung der Barmittel heißt das, dass mit steigenden Mitteln die Evaluierung immer wichtiger wird, und zwar sowohl im staatlichen als auch im nichtstaatlichen Bereich. Für den Bereich der Entlastung der Staatshaushalte der Partnerländer über den Schuldenerlass oder auch über die Gewährung neuer Mittel muss dies bedeuten, dass wir klare Konditionen an den Schuldenerlass und an die Budgethilfe binden, auf deren Einhaltung wir achten und drängen müssen. Für den Bereich der innovativen Finanzierungsinstrumente muss das heißen, dass wir auch nach 2015 ein verlässlicher Partner in der Entwicklungszusammenarbeit sind. Wir brauchen eine Debatte darüber, welche Länder wir im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit auch in Zukunft unterstützen wollen. Bei den am wenigsten entwikkelten Ländern wird diese Frage selten oder gar nicht gestellt. Was bedeutet dies aber für Partnerländer, die an der Schwelle zum Industrieland stehen, Länder, deren Wachstum das der Bundesrepublik übertrifft? Dürfen wir uns von dort zurückziehen? Ist in solchen Ländern die Armut überwunden, der Frieden gesichert, die Umwelt geschützt und die Nachhaltigkeit gesichert? Sind Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte in diesen Ländern verwirklicht? Wenn wir über Schwellenländer diskutieren, müssen wir diese Punkte sachlich überprüfen. Wir müssen die wirtschaftliche Zu3636 sammenarbeit mit einem Schwellenland mit anderen Schwerpunkten fortführen als die Hilfe für die am wenigsten entwickelten Länder. Bei Schwellenländern können wir unsere Hilfe auf eine Beratungsleistung in den Bereichen Demokratisierung, Umwelt- und Ressourcenschutz oder in anderen Bereichen konzentrieren. Nehmen wir das Beispiel China. Wir hören häufig die Forderung, die Entwicklungszusammenarbeit mit China einzustellen. Prüfen wir aber die oben genannten Ziele der Entwicklungspolitik aus dem Koalitionsvertrag, wird schnell deutlich, dass China Unterstützung und wirtschaftliche Zusammenarbeit braucht. ({4}) - Das ging auch an Ihre Adresse. - Niemand bestreitet, dass die Dynamik der wirtschaftlichen Entwicklung in China immens ist. Gerade erst wurde aber das Weißbuch zur Umweltsituation in China vorgestellt. Es deckt erschreckende Mängel auf. 200 Milliarden US-Dollar kostet die Umweltzerstörung pro Jahr. Das entspricht einem großen Teil des Bruttosozialprodukts und frisst damit fast das gesamte Wirtschaftswachstum dieses Landes auf. ({5}) - Herr Kollege Kampeter, die deutsche Entwicklungshilfe setzt genau da ein, um diese Umweltschäden zu vermeiden. ({6}) Ich bin gerne bereit, Ihnen das in einem Vieraugengespräch intensiv zu erläutern. ({7}) Die Umweltsünden dieses Landes sind nicht nur für China, sondern weltweit eine Bedrohung, der wir uns stellen müssen. Deshalb muss die Zusammenarbeit mit China fortgesetzt werden und es müssen Konzepte gefunden werden, die nachhaltig den Energiebedarf des Landes gewährleisten, aber gleichzeitig die Umwelt und die natürlichen Ressourcen schonen. ({8}) - Ich bedanke mich besonders für diesen Beifall. ({9}) - Das ist nicht so wichtig. - Es entspricht unserer globalen Verantwortung, dass wir uns nicht aus dieser Entwicklungszusammenarbeit zurückziehen. Die Bundesregierung hat mit dem vorgelegten Entwurf ein deutliches Zeichen in Richtung der ODA-Quote von 0,7 Prozent gesetzt. Dies ist ein erster, ein wichtiger Schritt in einer schwierigen Haushaltssituation. Ich möchte diese Gelegenheit nicht verstreichen lassen, ohne mich beim Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sowie den Mitarbeitern des Hauses nachdrücklich für die gute Zusammenarbeit bei den diesjährigen Haushaltsberatungen zu bedanken. Ich bedanke mich auch sehr herzlich bei den Berichterstattern für die gute Zusammenarbeit bei den Beratungen im Haushaltsausschuss. Ich darf Sie bitten, dem vorgelegten Haushalt zuzustimmen. Herzlichen Dank. ({10})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun der Kollege Alexander Bonde für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

Alexander Bonde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003509, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Hauptberichterstatter zu diesem Einzelplan möchte auch ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sowie den Kolleginnen und Kollegen meinen Dank aussprechen. Die Beratungen sind in einer sehr sachlichen und freundschaftlichen Atmosphäre verlaufen. Gleichwohl ist es geboten, dass wir uns in der Sache über diesen Einzelplan streiten. Frau Ministerin, in den vergangenen Jahren haben Ihre und meine Fraktion gemeinsam sehr intensiv für die Einhaltung der Millenniumsziele gekämpft. Wir haben uns um die Schaffung von Kapazitäten bemüht, damit der EU-Stufenplan, nach dem die ODA-Mittel im Jahr 2015 bei 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens liegen sollen, tatsächlich eingehalten wird. Gleichwohl komme ich zu einer ganz anderen Bewertung dieses Einzelplans als die Rednerinnen und Redner der Koalition. Es bedarf einer enormen Anstrengung, damit man überhaupt in die Nähe dessen kommt, was der Stufenplan vorgibt. ({0}) Wir erkennen ausdrücklich an, dass in diesem Jahr ebenso wie im letzten Jahr zusätzliche Mittel in den Etat eingestellt wurden. Wir bedauern aber, dass die Kolleginnen und Kollegen der anderen Fraktionen nicht die Möglichkeit genutzt haben, über die Erhöhungen, die der Finanzminister im Kabinettsentwurf zugelassen hat, hinausgehend etwas zu tun. Ich will aber deutlich sagen: Um das Ziel, das wir hier gemeinsam propagieren, zu erreichen, ist das, was hier vorgelegt wird, viel zu wenig. ({1}) Ich will das an drei Punkten sehr deutlich machen. Erstens. Das 0,7-Prozent-Ziel erreicht man nicht - das ist der zentrale Punkt - durch eine Einmalzahlung. Sie bewirkt lediglich eine leichte Korrektur des Prozentbzw. des Promillesatzes. Man muss vielmehr langfristig Kurs halten. Die zentrale Frage in diesem Zusammenhang sind die Verpflichtungsermächtigungen. Es geht also um die Gelder, die man in den Folgejahren für Projekte tatsächlich einsetzen kann. Es geht um die Gelder, die für eine langfristige Finanzierung von Entwicklungsmaßnahmen erforderlich sind. In diesem Einzelplan hat sich diesbezüglich nichts zum Positiven verändert. Im Gegenteil: In diesem Bereich werden die Mittel um 20 Prozent abgesenkt, was in vielen Bereichen dazu führt, dass keine neuen Projekte angestoßen werden können. ({2}) Zweitens. Sie wissen alle, dass es zur Erreichung der ODA-Ziele nicht ausreichen wird, wie bisher Haushaltsmittel umzuschichten oder mit dem manchmal auch fragwürdigen, bisher eingesetzten Mittel des Schuldenerlasses zu operieren, sondern dass wir neue Finanzinstrumente brauchen. ({3}) Insofern freue ich mich, dass in den Reihen der Koalitionsfraktionen die Frage zusätzlicher Finanzierungsinstrumente thematisiert wird. Gleichzeitig müssen wir an dieser Stelle aber sagen, dass diese neue Koalition auch auf diesem Gebiet nichts auf die Reihe bringt. Was ist mit dem französischen Vorschlag der Ticket-Tax? Wenn man genau hinhört, erkennt man in der Regierung ein Stimmengewirr, hört aber keine klaren Bekenntnisse. Teilweise herrschte auch ein peinliches Schweigen bei den Auftritten auf internationalen Konferenzen. Sie wissen, dass meine Fraktion hierzu klar positioniert ist. Wir erahnen, dass auch Sie, Frau Ministerin, klar positioniert sind. Eine klare Position der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen zu dieser Frage steht aber noch aus wie bei so vielen Dingen. Drittens. Man fragt sich, mit welcher Strategie das immer wieder propagierte Ziel, das von uns ausdrücklich unterstützt wird, umgesetzt werden soll. Auch dazu herrscht im Ministerium Schweigen. Spätestens ab 2008, wenn der Schuldenerlass keine Wirkung mehr zeigt, steht die Antwort auf die Frage an, wie die große Koalition das Ziel eigentlich ernsthaft verfolgen will, ob die Festlegung im Koalitionsvertrag mehr als ein Lippenbekenntnis ist. Wir sind sehr gespannt. Unsere Fraktion hat bei den Haushaltsverhandlungen belegt, dass man im Rahmen dieses Einzelplans mehr für die Entwicklungszusammenarbeit tun kann. Wir haben unsere Vorschläge gegenfinanziert und haben belegt, wie man bereits in diesem Haushalt 100 Millionen Euro mehr in den Bereich der ODA-Mittel hätte umschichten können, und zwar sowohl im Bundesministerium für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit wie auch im Auswärtigen Amt oder anderen beteiligten Ministerien. Wir haben vor allem belegt, wie man 445 Millionen Euro an Verpflichtungsermächtigungen hätte umschichten können. Sie als Koalition haben sich dazu nicht durchringen können. ({4}) Ich finde, diese Blockade des Finanzministeriums gegenüber dem BMZ steht in einer Kontinuität, die zeigt, wie in dieser Regierung der Entwicklungsbereich angefasst wird, welche Priorität er hat. ({5}) Man hat manchmal den Eindruck, dass es kein völliger Zufall ist, dass das Entwicklungsministerium auf der Regierungsbank in die dritte Reihe gerückt ist. Denn in den politischen Feldern spielt sich das häufig auch so ab. ({6}) Ich will einmal aktuelle Debatten aufgreifen und daran erinnern, was wir gerade in der Debatte mit dem Bundesverteidigungsminister erlebt haben. Wir erleben, dass der Bundesverteidigungsminister in den großen politischen Linien all das, was wir, Frau Wieczorek-Zeul, gemeinsam als Rot-Grün im Zusammenhang mit dem erweiterten Sicherheitsbegriff entwickelt haben - den Stellenwert, den Entwicklungszusammenarbeit auch in der Sicherheitskonzeption und politisch für die Regierung hatte -, in seinem Weißbuch abräumt. In diesem Grundsatzdokument für deutsche Sicherheitspolitik fällt kein Wort mehr zur Entwicklungszusammenarbeit. Sämtliche präventive Maßnahmen werden an den Rand gedrückt. Die Remilitarisierung des Sicherheitsbegriffes wird in dieser Koalition zur Sicherheitsdoktrin. Frau Ministerin, wir kennen Sie nicht als sehr schweigsame Ministerin. Wir warten noch darauf, dass in Verteidigung der gemeinsamen rot-grünen Position in dieser Koalition endlich einmal ein Aufschrei kommt, der diesem Zurückdrängen von Entwicklungszusammenarbeit, diesem Zurückdrängen von konfliktpräventiven Maßnahmen und von zivilen Maßnahmen endlich ein Ende setzt. Denn das ist eine Frage des Selbstverständnisses von Entwicklungspolitik in dieser Regierung und in dieser Koalition. Wenn ich das alles zusammennehme, dann kann ich sagen, dass wir uns über leichte Erhöhungen freuen, uns aber nicht sicher sind, ob diese wirklich vom Herzen getragen sind. ({7}) In den großen Linien der Koalition findet Entwicklungspolitik nicht statt. Wir warten gespannt auf die Stimmen aus der Koalition, die in diese Debatten eingreifen. Bisher herrscht, wenn es zum Schwur kommt, noch immer das Schweigen. Sie protestieren hier nun schon so lautstark. Wir warten mit Spannung darauf, dass Sie Ihrem Protest Taten folgen lassen. Erste selbstkritische Anmerkungen aus den Koalitionsreihen in dieser Debatte nehmen wir mit Wohlwollen entgegen. ({8}) Wenn dem nun auch Zustimmung zu unseren Änderungsanträgen gegenüberstünde, wäre unser Wohlwollen noch viel größer. Aber darauf werden wir wohl noch eine Weile warten müssen. Vielen Dank. ({9})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat das Wort der Kollege Dr. Sascha Raabe für die SPD-Fraktion.

Dr. Sascha Raabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kollege Bonde, Sie haben das angebliche Schweigen beklagt. Manchmal ist es so: Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Ihre Rede bietet dafür ein ganz gutes Beispiel. Denn es geht nicht darum, wer hier am lautesten redet, wie die Kollegin Hänsel, oder wer am lautesten Beifall klatscht, wie die Kollegin Koczy. ({0}) Wir wollen nicht an unseren Worten, sondern an unseren Taten gemessen werden. Die können sich beim Haushalt 2006 mit über 300 Millionen Euro Steigerung sehen lassen. ({1}) Es fällt Ihnen ja auch erkennbar schwer, diesen Haushalt wirklich sachlich schlechtzureden. ({2}) Wenn Sie selbst einräumen müssen, dass wir mit über 8 Prozent Steigerung und einer historischen Steigerung der ODA-Quote von 0,28 Prozent im Jahr 2004 auf 0,35 Prozent im letzten Jahr einen Riesenaufwuchs für Entwicklungspolitik und -zusammenarbeit gehabt haben, dann kann ich schon verstehen, dass Sie dann darauf zurückgreifen müssen, zu sagen: Na ja, diese 300 Millionen Euro kommen vielleicht nicht von Herzen. Also, den Menschen in Afrika und Lateinamerika ist es egal, ob das Geld von Herzen kommt oder nicht, sondern ihnen ist wichtig, dass sie durch das Geld ein selbstbestimmtes Leben führen können. Das ist für die Menschen wichtig. Wir sind stolz darauf, dass wir einen Haushalt mit solchen Steigerungsraten vorgelegt haben. ({3}) Es geht bei der finanziellen und technischen Zusammenarbeit nicht um Almosen, sondern es geht um Hilfe zur Selbsthilfe. Wir wollen die Millenniumsentwicklungsziele, die die Vereinten Nationen gesetzt haben, unter anderem die Halbierung von Hunger und Armut bis zum Jahr 2015, mit diesem Haushalt und mit unserer Entwicklungspolitik erreichen. Denn nach wie vor sterben pro Tag 30 000 Kinder an den Folgen von Hunger und Armut. Das ist für uns Ansporn genug, etwas zu unternehmen. Letztlich zahlen sich Investitionen in die Bekämpfung von Armut auch für uns immer aus. Wir müssen uns vor Augen führen, dass wir in vielen Ländern der Welt - zum Beispiel in Afghanistan, im Irak, im Kongo und im Sudan - oft im Rahmen sehr teurer Militärmissionen das reparieren, was man präventiv durch Entwicklungszusammenarbeit hätte verhindern können. Wenn man die entsprechenden Zahlen gegenüberstellt, wird man feststellen, dass die Militär- und Rüstungsausgaben pro Jahr weltweit 1 000 Milliarden Euro betragen, dass aber nur ungefähr ein Zehntel dieses Betrages für die Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung gestellt wird. Es wäre besser, dieses Verhältnis umzukehren und den Schwerpunkt bei der Entwicklungszusammenarbeit zu setzen. ({4}) Dann hätten wir viel erreicht. ({5}) - Dieser Haushalt, Frau Hänsel, ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Immerhin haben wir eine fast 10-prozentige Steigerung zu verzeichnen. Das wollen wir in den nächsten Jahren mit dem ODA-Stufenplan fortführen. ({6}) Aber natürlich muss die Erhöhung der Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit von der Gesellschaft mitgetragen werden. In diesem Zusammenhang werden wir sicherlich noch über andere Instrumente diskutieren müssen. Herr Bonde, Sie haben zum Beispiel die Flugticketabgabe angesprochen. Wir werden den Menschen erklären müssen, warum sie noch mehr Geld für die Entwicklungszusammenarbeit aufbringen sollen. Ich glaube, dass die Menschen in Deutschland bereit sind, Geld für die Ärmsten auf der Welt auszugeben; das haben sie beim Tsunami und in anderen Fällen bewiesen. Aber sie müssen das Gefühl haben, dass es wirklich den Ärmsten zugute kommt. Deswegen legen wir großen Wert auf gute Regierungsführung und setzen einen Schwerpunkt unserer Arbeit bei Antikorruptionsprogrammen und Demokratisierungsprozessen. Es darf kein Pardon mit Despoten und korrupten Eliten in den Entwicklungsländern geben. ({7}) Aber die Forderung, die Entwicklungszusammenarbeit mit jedem Land, das nicht ganz lupenrein arbeitet, einzustellen - wahrscheinlich wird Herr Addicks das gleich ansprechen -, ({8}) ist natürlich auch problematisch. Wir müssen schon darauf achten, dass wir die treffen, die die Mittel verantwortungslos in den Sand setzen, dass wir aber nicht die Ärmsten der Armen treffen. Deshalb werden wir auch weiterhin differenziert vorgehen, wenn es um die Zusammenarbeit mit nicht staatlichen Organisationen und um die anderen Instrumente im Hinblick auf die staatlichen Institutionen geht. Wir brauchen gute Regierungsführung nicht nur in den Entwicklungsländern, sondern auch in den Industrieländern. Oft ist es leider so, dass viele Industrieländer durch ihre Agrar- und Handelspolitik das kaputtmachen, was sie zuvor im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit aufgebaut haben. Deswegen brauchen wir beim Welthandel gerechtere Regeln. Es muss Schluss sein mit den zerstörerischen Agrarsubventionen weltweit. Auch die Schaffung eines besseren Marktzugangs für die Entwicklungsländer ist sehr wichtig. Hier müssen wir gute Regierungsführung beweisen. Unsere Regierung bzw. unsere Ministerin hat bei der WTO schon oft gute Initiativen auf den Weg gebracht, um zum Beispiel den Baumwollfarmern in Westafrika, aber auch anderen Kleinbauern auf aller Welt Chancen zu geben. In der nächsten Woche wird sich auf der Mini-Ministerkonferenz der WTO in Genf zeigen, ob auch die EU und die USA zu guter Regierungsführung bereit sind. Wir haben schon früh als Kernbestandteil unserer Entwicklungszusammenarbeit erkannt, dass Entwicklungspolitik auch globale Strukturpolitik ist. Deshalb ist der Einzelplan 23 auch in Kohärenz zu den Haushalten anderer Ministerien zu sehen. Aber auch der Haushalt insgesamt macht Mut, dass es möglich ist, auf der Welt bessere und gerechtere Bedingungen zu schaffen. Deswegen sollte das Motto „Die Welt zu Gast bei Freunden“ auch nach der WM gelten. Wir wollen für die Welt gute Freunde sein und allen Menschen ein selbstbestimmtes und gerechtes Leben ohne Hunger und Armut ermöglichen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({9})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist nun der Kollege Dr. Karl Addicks für die FDP-Fraktion.

Dr. Karl Addicks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003713, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Danke, Frau Präsidentin. - Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es fällt mir wirklich nicht ganz leicht, einen Haushalt für EZ abzulehnen. Denn das Thema Entwicklungszusammenarbeit eignet sich nicht für einen deftigen Haushaltsstreit. Deutschland hat nun einmal bindende Zusagen gegenüber der Völkergemeinschaft abgegeben. Aber ich habe ein kleines Problem damit, die ODA auf Pump zu finanzieren, auch wenn es für einen guten Zweck ist. Ich frage Sie, ob wir nicht erst einmal die Wirkungen und die Qualität unserer EZ verbessern sollten, bevor wir nach immer mehr Geld rufen. Ich denke, es gibt einige Möglichkeiten, die Effizienz zu erhöhen. Bevor wir das nicht getan haben, können wir diesem Haushalt leider nicht zustimmen. ({0}) Der gute Zweck allein heiligt nicht die Mittel. Sie verletzen die Stabilitätskriterien, Sie türmen einen gigantischen Schuldenberg auf, Sie ziehen die Steuerschraube immer weiter an; gerade haben wir wieder etwas von einer Ticketsteuer gehört. Erstens sind das alles schlechte Beispiele für unsere Partnerländer und zweitens würgen wir damit das Wirtschaftswachstum ab, das wir brauchen, wenn wir eine substanzielle Zusammenarbeit auf Dauer finanzieren wollen. ({1}) Aber zurück zur EZ - ich habe hier nur drei Minuten und muss haushalten; deshalb komme ich lieber wieder zum Thema - und gleich zu den MDGs: Von den acht MDGs beziehen sich drei auf den Gesundheitsbereich. Aids ist dort namentlich genannt worden. Jeder von uns kennt die verheerenden Auswirkungen, die Aids auf die Entwicklung gerade der Länder Afrikas hat, wo die Seuche am allerschlimmsten wütet: Ganze soziale Gefüge kommen durch diese Krankheit ins Wanken. Im entwicklungspolitischen Teil der Koalitionsvereinbarung kommt das Wort „Profilschärfung“ zweimal vor, das Wort „Aids“ aber kein einziges Mal, nicht einmal unter dem Oberbegriff „Gesundheit“. Ich weiß nicht, wie so etwas auf unsere Partner wirkt. Vielleicht ist es ja vergessen worden. Das hätten wir gutmachen können, wenn Sie wenigstens unserem Änderungsantrag zugestimmt hätten, für die Bekämpfung von Aids Mindestmittel anzusetzen. Aber auch das haben Sie nicht getan. Dabei hätten wir hier ein Signal setzen können, wie wichtig uns die Bekämpfung von Aids ist. ({2}) Nach dem, was uns bisher an Daten vorliegt, wird ausgerechnet bei der Aidsbekämpfung das Haushaltsziel 2006 nicht erreicht. Könnte mir das bitte jemand erklären? Wir müssen unsere Anstrengungen noch viel mehr, als wir das bisher getan haben, auf die Bekämpfung von Aids, Malaria und Tbc richten; denn bei der Gesundheit fängt die Entwicklungszusammenarbeit an. Wie effektiv ist die Prävention, wenn wir erfahren müssen, dass in manchen Ländern Afrikas 75 Prozent aller 15- bis 25-Jährigen immer noch nicht wissen, wie Aids übertragen wird? Thailand hat hier große Erfolge vorzuweisen; wir sollten versuchen, dies auf Afrika zu übertragen. Wie effektiv ist die Behandlung von HIV-Infizierten, wenn wir erfahren müssen, dass gerade einmal 20 Prozent aller Infizierten in den Genuss einer Behandlung kommen, wenn wir erfahren müssen, dass pro Mann und Jahr ganze vier Kondome zur Verfügung stehen? Was stimmt nicht am deutschen Konzept, wenn zum Beispiel in Südafrika, dem am schlimmsten betroffenen Land, Präventionsmethoden abenteuerlichster Art selbst von Ministern propagiert werden? Meine Damen und Herren, je länger wir in diesem wichtigen Bereich der Entwicklungszusammenarbeit mit entschlossenem Handeln warten, desto schwieriger wird es werden: Was wir heute nicht leisten, das können wir in Zukunft selbst mit der zwei- bis dreifachen Anstrengung nicht erreichen. Deshalb mein Appell an Sie: Bevor wir den EZ-Haushalt auf Pump weiter aufblähen, bitte noch einmal genau prüfen, wie man die knappen Mittel wirkungsvoller einsetzen könnte! Ich danke Ihnen. ({3})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat das Wort der Kollege Hartwig Fischer für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Hartwig Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003526, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch in Zeiten, in denen wir vor der Herausforderung stehen, unseren eigenen Haushalt zu konsolidieren, stehen wir gleichzeitig in der Verantwortung für viele Menschen anderer Kontinente; auch dies liegt im deutschen Interesse. Deutschland hat sich dem Ziel der Völkergemeinschaft verschrieben, die Armut bis 2015 zu halbieren. Jochen Borchert hat aufgezeigt, wie wir multilateral Verpflichtungen eingehen und ihnen nachkommen und wie wir bilateral Schwerpunkte setzen können; er hat gleichzeitig klare Aussagen zu den Schwellenländern gemacht. Im Zeitalter der Globalisierung kommt nachhaltiger Entwicklungszusammenarbeit eine entscheidende Rolle zu, wenn wir eine Weiterentwicklung der armen Länder erreichen wollen. Sauberes Wasser ist Lebensgrundlage, doch 1,1 Milliarden Menschen verfügen nicht über sauberes Wasser. Die Menschen müssen sich eigenverantwortlich Ernährungsquellen schaffen können, wenn wir den Hunger bekämpfen wollen. Bildung für Mädchen wie für Jungen ist der Schlüssel für die Lösung der Probleme der armen Länder, sie versetzt sie in die Lage, ihre Zukunft eigenverantwortlich zu gestalten. 785 Millionen Menschen können weder lesen noch schreiben. 100 Millionen Kinder haben keine Chance, eine Schule zu besuchen. Dabei ist Bildung auch die Grundlage für die Bekämpfung von Aids. An Unterstützung bei Gesundheitsvorsorge und Gesundheitsversorgung besteht in den Entwicklungsländern dringender Bedarf. Diese Länder brauchen Chancen für ihre Infrastruktur, um Güter, insbesondere Nahrungsmittel, in Eigenversorgung herzustellen oder, wenn möglich, auf dem Weltmarkt zu verkaufen. Herr von Klaeden hat vorhin in der außenpolitischen Debatte deutlich gemacht, dass der Aufbau einer formellen, transparenten und rationalen Nutzung von Rohstoffen notwendig ist - und zwar nicht nur im Kongo -, damit sie in die Wertschöpfung der jeweiligen Haushalte der Länder einfließen kann. Meine Damen und Herren, gerade um die Lebensgrundlagen nicht nur für die Menschen in ihrem eigenen Land zu erhalten, sondern auch, weil dies Auswirkungen auf unsere Lebensbedingungen, auf das Großklima in unserer Welt und auf das Wasser hat, brauchen wir in Bezug auf die Biodiversität und die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen weitere wichtige Schritte. Schauen Sie sich nur die Abwasserentwicklung in den Megastädten der verschiedenen Kontinente an! ({0}) All diese Punkte sind Teil der wichtigen entwicklungspolitischen Aufgaben, denen wir uns multilateral und bilateral stellen müssen. Mit diesem Haushalt leisten wir einen Beitrag dazu, gerade auch, um die Durchführungsorganisationen in die Lage zu versetzen, zu handeln, und auch den NGOs Planungssicherheit zu geben. Bad Governance, also schlechte Regierungsführung, fehlende Rechtsstaatlichkeit, Korruption, keine funktionierenden Verwaltungsstrukturen, keine Finanz- und keine Sozialsysteme - das sind oft Hemmnisse für eine positive Entwicklung. Mit diesem Haushalt tragen wir dem Rechnung, weil unseren Stiftungen - zum Beispiel beim Rechtsstaatsdialog, beim Aufbau der Wirtschaftskreisläufe und auch im humanitären Bereich -, den Durchführungsorganisationen und den Kirchen dadurch Möglichkeiten gegeben werden. Kriege, Armut und Perspektivlosigkeit sind Auslöser für Flüchtlingsströme - auch nach Europa. Darauf wurde eben hingewiesen. Täglich erreichen uns Bilder, was sich auf Schiffen im Mittelmeer abspielt. Kriege, Armut und Perspektivlosigkeit können aber auch Nährboden für Fundamentalisten und Terroristen und damit kurz-, mittel- und langfristig auch für unsere Sicherheit bedeutsam sein. Das heißt, wir handeln hier in unserem eigenen Interesse. Wir werden das Elend, das es in Teilen dieser Welt gibt, nicht allein in Deutschland und auch nicht in Europa bewältigen können. Wir werden es mittelfristig nur gemeinsam durch eine nachhaltige Entwicklungsarbeit in den betroffenen Ländern überwinden können. ({1}) In diesem Zusammenhang habe ich eine Bitte, die ich insbesondere an die Tribüne der Journalisten richte, die heute Abend nicht besetzt ist: Auch über die Entwicklungspolitik brauchen wir eine nachhaltige Berichterstattung, um in der Bevölkerung eine höhere Akzeptanz für die Entwicklungspolitik zu erreichen. Lassen Sie uns gemeinsam dafür arbeiten. ({2}) Ich möchte das aufgreifen, was Herr Raabe eben gesagt hat. Es geht darum, was im Bewusstsein unserer Bevölkerung nicht vorhanden ist. Als es beim Tsunami 300 000 Tote gab, war die Weltbevölkerung entsetzt über diese Naturkatastrophe und die Spendenbereitschaft war unglaublich. Meine Damen und Herren, in dieser Stunde der Debatte sterben 1 250 Kinder von Millionen Kindern dieser Welt, die leiden, weil sie eine mangelnde Ernährung, kein sauberes Wasser und eine mangelnde Gesundheitsversorgung haben und Kriege mitmachen müssen. 1 250 sterbende Kinder in einer Stunde bedeuHartwig Fischer ({3}) tet, dass 30 000 Kinder an einem Tag und 10,5 Millionen Kinder im Jahr sterben. Das ist so viel, als wenn die Gesamtbevölkerung von Niedersachsen und SchleswigHolstein innerhalb eines Jahres von der Landkarte verschwinden würde - und das jedes Jahr. Deshalb bitte ich um Verständnis dafür, dass ich Folgendes heute auch einmal sage: Wir sprechen in Deutschland manchmal über Armut - ich weiß, dass es Armut durch Vereinsamung gibt und dass nicht alle auf der Sonnenseite des Lebens leben -, aber Armut in Deutschland ist nicht mit dem täglichen Kampf ums Überleben, um sauberes Wasser und um Ernährung zu vergleichen. Deshalb bitte ich, dass wir unser politisches Koordinatensystem bei manchen Diskussionen einmal zurechtrücken. ({4}) Ein Euro sichert eine ganze Tagesration Noternährung für ein hungerndes Kind. ({5}) Acht Euro genügen, um eine Hirseernte für eine ganze Familie zu sichern. Acht Euro für zwei imprägnierte Moskitonetze helfen, dass Kinder vor Malaria geschützt werden. 9 Euro kosten 1 000 Tabletten, um in einem Krisengebiet 5 000 Liter Wasser zu entkeimen. Ich bin dankbar, dass es nach Jahren der Stagnation einen klaren Aufwuchs in der Entwicklungspolitik gibt. Ich setze darauf, dass diese Koalition, die meine Kolleginnen und Kollegen und ich gewollt haben, den Aufwuchs so fortsetzt, dass wir uns den Millenniumzielen nicht nur rhetorisch, sondern auch materiell verpflichtet fühlen. Ich danke Ihnen. ({6})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun für die Bundesregierung die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Heidemarie Wieczorek-Zeul. ({0})

Heidemarie Wieczorek-Zeul (Minister:in)

Politiker ID: 11002503

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bedanke mich bei allen, die sich an den Beratungen beteiligt haben, aber auch bei allen, die in den Ausschüssen - vor allem im Haushaltsausschuss - dazu beigetragen haben, dass die Mittel in einem solchen Umfang erhöht werden konnten. Mit über 300 Millionen Euro ist das der höchste Aufwuchs, den wir in den letzten Jahren erreicht haben. Ich verspreche Ihnen - das gilt insbesondere für diejenigen, die daran zweifeln -, dass wir es schaffen werden, den Stufenplan der Europäischen Union zur Erhöhung der Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit auf 0,51 Prozent des Bruttoinlandsprodukts bis zum Jahr 2010, den wir mit unterstützt haben, in den kommenden Jahren zeitgerecht umzusetzen. Das sind wir den Kindern und den Menschen, die in Elend und Armut leben und ihre Hoffnungen in uns setzen, schuldig und wir werden es auch schaffen. ({0}) An Herrn Königshaus gewandt, möchte ich feststellen, dass wir es ihnen schuldig sind, auch bei uns Effizienz zu praktizieren. Wir werden in diesem Jahr noch viele Reformen auch im Inneren durchführen. Das ist notwendig. Ich sage ausdrücklich zu, dass das in Auftrag gegebene Gutachten den Obleuten in den zuständigen Ausschüssen dargestellt wird. Wir werden im Herbst - so viel Zeit muss sein - die verschiedenen Optionen diskutieren. Denn es ist wichtig, dass über diese Fragen eine Diskussion stattfindet und eine möglichst breite Zustimmung erzielt wird. Lassen Sie mich angesichts der kurzen Redezeit ein paar Punkte ansprechen, die mir besonders am Herzen liegen. Manche sind bereits von meinen Vorrednern erwähnt worden. Einer der Punkte ist Lateinamerika. Dabei handelt es sich mittlerweile um die demokratischste Entwicklungsregion der Welt. ({1}) - Ja, die lateinamerikanischen Länder haben die Diktaturen überwunden. ({2}) Es ist wichtig, dass wir den Ländern, die soziale Gerechtigkeit und Beteiligungsrechte für die Menschen wollen, europäische Unterstützung und unsere Partnerschaft anbieten. Europa und Lateinamerika sind aus meiner Sicht natürliche Bündnispartner. Eines der in unserem Haushalt enthaltenen Ziele ist, auch in unserem Interesse dazu beizutragen, dass die Biodiversität in dieser Region erhalten bleibt, indem wir die Zusammenarbeit fortsetzen und verstärken. Das gilt im Übrigen auch für die Energieeffizienz und die erneuerbaren Energien, die wir gerade mit Blick auf Lateinamerika entsprechend ausweiten werden. Ich möchte abschließend aus zeitlichen Gründen nur noch zwei Punkte ansprechen - ich denke, zum Thema China hat Herr Borchert das Notwendige gesagt -, die mir auch unter dem Gesichtspunkt der aktuellen Entwicklung besonders am Herzen liegen. Ich freue mich über den Soforthilfefonds der Europäischen Union für die Menschen in den Palästinensischen Gebieten. Wenn er in die Praxis umgesetzt wird, dann wird endlich ein Beitrag dazu geleistet, der wachsenden Armut entgegenzuwirken und zu verhindern, dass Kinder weiter in elende Verhältnisse abrutschen, in denen sie dann leben müssen. Denn mit der Armut wächst das Elend und die Radikalisierung nimmt zu. Deshalb haben wir ein großes Interesse daran, dass auch bezogen auf die Palästinensischen Gebiete den Menschen geholfen wird. Es wird einen europäischen Fonds geben, an dem sich die Bundesrepublik Deutschland mit 20 Millionen Euro beteiligen wird. Der letzte Punkt betrifft Darfur. Die Situation der 2 Millionen Flüchtlinge, die in dieser Region leben, hat sich - Herr Hartwig Fischer, Sie haben es heute nicht ansprechen können; aber wir haben bereits darüber gesprochen - drastisch verschlechtert. Mein Appell ist: Wir dürfen uns mit der Vertreibung dieser Menschen nicht abfinden. Anderenfalls hätte die sudanesische Regierung das erreicht, was sie sich vorgenommen hat, nämlich auf Dauer die Menschen zu vertreiben. Das dürfen wir nicht zulassen. ({3}) Es ist wichtig, dass die Hilfe die Flüchtlinge auch erreicht. Aber ich plädiere nachdrücklich für ein neues UN-Mandat für diese Region; denn die internationale Gemeinschaft muss die Sicherheit der dort lebenden Menschen garantieren. Sonst werden wir keine Hilfe leisten können. Wir dürfen Vertreibungen weder in Europa noch in anderen Regionen zulassen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 23 - Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung - in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? Dann ist der Einzelplan 23 mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen von der FDP-Fraktion, der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt I. 10 auf: Einzelplan 15 Bundesministerium für Gesundheit - Drucksache 16/1324 Berichterstattung: Abgeordnete Ewald Schurer Dr. Claudia Winterstein Anja Hajduk Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Kollegin Dr. Claudia Winterstein von der FDP-Fraktion.

Dr. Claudia Winterstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003661, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Gesundheitsreform gilt als der entscheidende Indikator dafür, ob die Koalition überhaupt zu grundlegenden Reformen fähig ist. Bislang sieht es nicht so aus. Dabei stehen wir vor massiven Problemen. Bei den gesetzlichen Krankenkassen stehen die nächsten Beitragserhöhungen vor der Tür. Jedenfalls hat die Ministerin das bereits für unausweichlich erklärt. Neben einer höheren Mehrwertsteuer und höheren Rentenbeiträgen sind also höhere Krankenkassenbeiträge zu erwarten. Das Modell des Gesundheitsfonds, auf das sich nun beide Koalitionspartner zubewegen, stellt keine grundlegende Reform dar, sondern ist ein Etikettenschwindel. Es ist nämlich eine Einigung, die nur darauf abzielt, nichts zu entscheiden und sich alle Wege offen zu halten. ({0}) Diesen Eindruck konnte die Bundeskanzlerin auch heute früh nicht widerlegen. Das soll der notwendige Reformschritt sein, der das Gesundheitswesen für die nächsten Jahrzehnte sattelfest macht? Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, das ist keine seriöse Politik. Das einzig klare Ergebnis der bisherigen Reformdebatte ist: Für die Bürger wird es teurer, ohne dass dabei das System zukunftsfest wird; denn es werden keine Rücklagen gebildet. ({1}) Aber nur ein System mit Rücklagen kann die künftigen Ausgabensteigerungen auffangen, die durch die Bevölkerungsentwicklung und den medizinischen Fortschritt auf uns zukommen. Frau Ministerin, Sie haben in der ersten Lesung des Haushaltes eine Reform sowohl der Finanzierungsseite als auch der Strukturen in Richtung mehr Wettbewerb, mehr Transparenz und Vertragsfreiheit angekündigt. Das sind die richtigen Kriterien. Sie legen dafür aber leider die falschen Instrumente vor. Der Fonds löst die Finanzprobleme nicht und sorgt nicht für die notwendigen Strukturveränderungen. Er ist nur der kleinste gemeinsame Nenner der Koalition. ({2}) Mehr Wettbewerb, mehr Transparenz und Vertragsfreiheit, das alles kann mit dem FDP-Modell, das Ihnen schon lange bekannt ist, erreicht werden. Unser Vorschlag orientiert sich an diesen entscheidenden Kriterien. Ich nenne noch einmal die Hauptpunkte: Die Gesundheitskosten müssen von den Arbeitskosten abgekoppelt werden. ({3}) Das System muss mit Altersrückstellungen arbeiten. Der Leistungskatalog muss konzentriert werden. ({4}) Die Kernforderung aus liberaler Sicht ist: Wenn der Bürger für seine Gesundheitsversorgung künftig mehr zahlen muss, dann muss er auch mehr Gestaltungsfreiheit bekommen, ({5}) nämlich freie Entscheidung für alle Bürger darüber, ob sie sich in der gesetzlichen oder in der privaten Krankenversicherung versichern lassen wollen; ({6}) freie Entscheidung über den Umfang des Versicherungsschutzes, Pflicht zur Versicherung nur für den Grundleistungskatalog; freie Wahl des gewünschten Tarifs, zum Beispiel mit oder ohne Selbstbehalt; mehr Transparenz im System durch Rechnungen. ({7}) Wir wollen, dass die Patienten wissen, was Gesundheitsleistungen kosten, und wir wollen auch, dass die Ärzte für ihre Leistungen feste Preise bekommen. Der Fonds kann das alles nicht leisten. Ich zitiere das Urteil des Vorsitzenden der Wirtschaftsweisen, Bert Rürup: Der Fonds ist ein „Reform-Alibi, das vor allem der Gesichtswahrung der beiden politischen Partner dient“. ({8}) Weiter sagt er: Wenn man nicht mehr zustande bringt als den Fonds, sollte man die Strukturreform lieber abblasen... ({9}) Da der Haushalt des Gesundheitsministeriums 2006 knapp 4,6 Milliarden Euro umfasst und 4,2 Milliarden Euro davon als Zuschuss für die gesetzliche Krankenversicherung bestimmt sind, fallen die restlichen Ausgabeposten mit circa 382 Millionen Euro im Vergleich bescheiden aus. Das heißt aber noch lange nicht, dass in diesem Haushalt alles in Ordnung wäre. Zu viel fließt in gewohnte Strukturen. Unseren Antrag, einen von zwei Parlamentarischen Staatssekretären abzuschaffen, haben Sie abgelehnt. ({10}) Zu viel fließt in die Selbstdarstellung. Unseren Antrag, die Mittel für Öffentlichkeitsarbeit zu kürzen, haben Sie abgelehnt. Im Gegenteil, Sie erhöhen diesen Posten in Ihrem Etat um 20 Prozent auf 6,1 Millionen Euro. Da lässt sich die 10-prozentige Kürzung, die die Koalitionshaushälter jetzt tatsächlich beschlossen haben, natürlich leicht hinnehmen. Ganz schön trickreich. Aber nicht nur das. Frau Ministerin, Sie geben in diesem Haushalt außerdem noch 3,6 Millionen Euro für eine Präventionskampagne aus. Sie begründen das mit dem Präventionsgesetz. Das Gesetz gibt es aber noch gar nicht. Es ist auch überhaupt noch nicht in Sicht. ({11}) Diese 3,6 Millionen Euro für die Präventionskampagne sind in Wahrheit Gelder, die unter „Öffentlichkeitsarbeit“ verbucht werden müssten, ({12}) die Sie in diesem Jahr einfach auch sparen könnten. Hinzu kommen in diesem Haushalt die Kosten, die durch die Neustrukturierung von Arbeits-, Wirtschaftsund Gesundheitsministerium entstehen. Das Gesundheitsministerium hat es doch tatsächlich geschafft, als einziges dieser drei Häuser eine deutliche Stellenvermehrung vorzunehmen. ({13}) 2002, als das Haus den gleichen Zuschnitt hatte wie jetzt, waren es 462 Stellen, jetzt sind es 499 Stellen. ({14}) Der Haushalt des Gesundheitsministeriums wird den Notwendigkeiten nicht gerecht. ({15}) Die Arbeit der Gesundheitsministerin wird den Notwendigkeiten ebenfalls nicht gerecht. Mit dem von der Ministerin verfochtenen Gesundheitsfonds betrügen Sie die Bevölkerung um die nötige Sicherung der Gesundheitsversorgung in der Zukunft. Die „Zeit“ hat es in der letzten Woche auf den Punkt gebracht: Diese „Gesundheitsreform hilft der großen Koalition, nicht aber den Versicherten“. Vielen Dank. ({16})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Ewald Schurer von der SPD-Fraktion. ({0})

Ewald Schurer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003234, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Einzelplan 15 - Gesundheit - steht natürlich im Zeichen der vor uns liegenden Gesundheitsreform; keine Frage. Ich möchte damit starten, dass ich auf Folgendes verweise: 1994 hat die „Süddeutsche Zeitung“ in München in einem Leitartikel zu den damaligen Reformbemühungen in der Gesundheitspolitik von einem „verminten Feld“ gesprochen. Die Autorin wies darauf hin, dass sich Kassen, Kassenärztliche Vereinigungen, Pharmaindustrie, Apotheker und die weiteren Akteure unversöhnlich gegenüberstünden. Ich denke, „vermintes Feld“ war ein bisschen übertrieben. Aber auch heute stellen wir noch fest, dass gewisse Akteure Schwierigkeiten haben, über Interaktion und Kommunikation zusammenzufinden. Damals wurde unterstellt, dass man nicht in der Lage sei, das System strukturell - die Kollegin Winterstein hat es gerade vorweggenommen - zu reformieren, dass man stattdessen nach mehr Geld im System suchen oder mit einer zweiten Variante den Versuch machen würde, die Kosten zu deckeln. Soweit die Analyse der Situation 1994 als Rückblick auf vergangene Gesundheitsdebatten in Deutschland. Heute, zwölf Jahre später, können wir feststellen, dass die Frontstellung der Akteure im Gesundheitswesen nach wie vor existiert, wenn auch vielleicht nicht mehr ganz so ausgeprägt wie damals. Ganz aktuell geht es um eine echte Strukturreform im deutschen Gesundheitswesen. Ich denke, dass es zwischen allen Fraktionen den Minimalkonsens gibt - auch wenn sich Frau Winterstein hier sehr negativ und nicht überzeugt geäußert hat -, dass wir eine nachhaltige Reform brauchen, die über den Charakter einer Finanzreform hinausgehen und eine wirkliche Strukturreform darstellen sollte. ({0}) Man muss dazusagen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Die Menschen haben eine Erwartung. Die Debatte zum Thema Gesundheit ist wichtig angesichts des Vertrauens der Bürgerinnen und Bürger in die Fähigkeit des Staates, die Sozialsysteme im Sinne von Leistungsfähigkeit und Solidarität zu reformieren. Das ist die Erwartungshaltung von Menschen, die ein Leben lang lernen, leisten und Beiträge zahlen. ({1}) Deswegen steht die Koalition in einer riesigen Verantwortung. Ich bin überzeugt, dass wir dieser Verantwortung gerecht werden. ({2}) Meine erste These heißt: Ausgangsposition ist die volkswirtschaftliche Wertschöpfung. Dieses Land hat trotz Stagnation bei den binnenwirtschaftlichen Zuwächsen in den letzten Jahren und bei einem weltmeisterlichen Export eine volkswirtschaftliche Wertschöpfung entwickelt, die so groß ist wie nie zuvor. Als Gesundheitsökonom kann man da, wenn man ideologische Versatzstücke einmal weglässt, nur feststellen: Die volkswirtschaftliche Wertschöpfung ermöglicht es durchaus, die Finanzierung eines solidarischen Gesundheitssystems ohne Wenn und Aber auch künftig sicherzustellen und zu garantieren. Das ist ein wichtiger Punkt. Meine zweite These ist: Dieses Land ist trotz aller wirtschaftlichen Probleme ein hochproduktives Land. In Industrie, Gewerbe und Dienstleistung sind wir, was die Produktivität angeht, Weltspitze. Das brachte allerdings unter anderem das Problem mit sich, dass aufgrund der technischen Systeme immer weniger Menschen immer mehr produzieren und deswegen bei uns die versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse in den letzten zehn Jahren leider zurückgegangen sind. Das ist eine Tatsache, der sich die Politik stellen muss. So waren 1995 noch 28,2 Millionen Menschen sozialversicherungspflichtig beschäftigt; im Jahr 2005 waren es nur noch 26,5 Millionen Menschen. Wenn aber die versicherungspflichtige Beschäftigung - ein Stück weit leider auch aufgrund der hohen Produktivität und des Ersatzes menschlicher Arbeitskraft durch Maschinentechnik wegbricht, führt das dazu, dass alle Sozialsysteme massive Probleme auf der Einnahmeseite haben. Wir stehen - dazu hat sich die Frau Kollegin schon ausgelassen - vor der ökonomischen Notwendigkeit, künftig neben dem Faktor Arbeit einen weiteren Faktor in das Gesundheitswesen einzubringen, um die Entwicklung im medizinischen Bereich ergänzend zu finanzieren. Das heißt für mich, dass wir den Faktor Arbeit als Grundlage der solidarischen Finanzierung im Kern beibehalten, diesen aber künftig um einen Faktor X ergänzen, um die Entwicklung im Gesundheitswesen finanziell abzusichern. Das ist der Grund für den Diskurs über einen Gesundheitsfonds, den wir hier führen. Ich bin überzeugt, dass die koalitionären Verhandlungspartner diese Aufgabe, wie immer am Ende die Ausgestaltung des Fonds aussehen wird, bewältigen werden. Die Gespräche befinden sich jetzt, anders als teilweise öffentlich dargestellt, auf einer konstruktiven Ebene. Als Hauptberichterstatter für den Einzelplan 15 und Haushaltspolitiker fasse ich die zweite These zusammen: Die volkswirtschaftliche Wertschöpfung in diesem Lande ist groß genug, um das solidarische Gesundheitswesen auch künftig im Kern durch den Faktor Arbeit zu finanzieren, ergänzt durch einen zusätzlichen Faktor in der Finanzierung. Meine dritte These lautet - das wissen natürlich wir alle -, dass im Zuge der Mehrwertsteuererhöhung für die Arbeitnehmerhaushalte, die kleinen und mittleren Betriebe und die Selbstständigen die Belastungsgrenze erreicht ist. Wir wissen, dass wir den Menschen nicht mehr beliebig finanzielle Zusatzbelastungen im Rahmen der Gesundheitsreform zumuten können. ({3}) Wir wissen, dass es keine Alternative dazu gibt, gezielt an die Ineffizienzen im System heranzugehen. Ich sage: Es gibt keine Alternative für uns. Wir müssen dafür sorgen, dass die integrierte Versorgung, also eine bessere Verzahnung des Vorhaltens ambulanter und stationärer medizinischer Leistungen, vorangebracht wird. Die integrierte Versorgung zwischen den niedergelassenen Ärzten und den Kliniken in Deutschland ist für mich ein ganz wichtiger Punkt. Sie muss künftig ganz gezielt entwickelt werden, weil in diesem Bereich Reserven in Milliardenhöhe stecken. ({4}) OECD-Gutachten besagen seit Anfang der 90er-Jahre, dass diese Schnittstelle, dieses doppelte Vorhalten von medizinischen Leistungen in Deutschland weder von der Leistungsseite noch von der finanziellen Darstellung her zu rechtfertigen ist. Das müssen wir beachten; das ist von großer Bedeutung. ({5}) Auch der Pharmabereich darf nicht tabuisiert werden. Ich erkenne an, dass die Pharmaindustrie gerade im mittelständischen Bereich eminente Leistungen in Wissenschaft und Forschung erbringt. Aber ich sehe überhaupt keine Rechtfertigung dafür, dass wir in Deutschland einen Pharmamarkt haben, in dem teilweise ein Drittel oder sogar 40 Prozent höhere Marktpreise für Medikamente bzw. Arzneimittel als im europäischen Durchschnitt verlangt werden. Wir liegen bei diesen Preisen sogar signifikant höher als das nicht arme Nachbarland Schweiz. Das kann man so nicht lassen. Ich bin überzeugt davon, dass mit einer Gesundheitsstrukturreform - in Ergänzung zum Gesetz zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit in der Arzneimittelversorgung, das wir erst kürzlich, nämlich am 17. Februar 2006, verabschiedet haben - die Situation im pharmazeutischen Bereich deutlich verbessert werden muss. Meine vierte These lautet - das ist bei aller fachlichen Liebe zu diesem Thema für einen Haushälter der SPDFraktion, aber auch für die Haushälter der CDU/CSUFraktion, so denke ich, nicht verwunderlich -, dass das Nachschießen von frischem Geld in das Gesundheitssystem - das klingt ein bisschen polemisch; das gebe ich zu - ohne ein gleichzeitiges Nutzen der in Milliardenhöhe vorhandenen Reserven schlicht und einfach nicht goutiert werden kann. Wenn wir künftig versuchen, in Ergänzung zum Faktor Arbeit über einen Fonds entsprechend Geld bereitzustellen, dann müssen wir auch die in Milliardenhöhe vorhandenen Reserven nutzen. Dies ist meine Meinung zu diesem Bereich. Das heißt ganz konkret: Zusätzliches Steuergeld sollte nur unter der Bedingung einer höheren Effizienz, also bei Nutzung der Reserven und nach Einführung eines stärkeren Wettbewerbs im Gesundheitssystem zur Verfügung gestellt werden. ({6}) Die Zielmarke ist, dadurch auch weiterhin ein solidarisches Gesundheitssystem zu garantieren, zu dem ganz bewusst Junge und Alte, Gesunde und Kranke und - jetzt kommt es - gesetzlich und privat Versicherte ihren sozial gerechten Anteil leisten. Meine Lieblingsvorstellung ist immer noch, dass auch die privat Versicherten - man möge es mir verzeihen - mit in den Risikostrukturausgleich eingebunden werden, um die Solidarität im System entsprechend hoch zu halten. ({7}) Wir müssen mit dieser Strukturreform dazu kommen, dass wir auf der Kostenseite effizient werden. In einschlägigen Gutachten steht dazu, wir seien in Deutschland, was eine effektive medizinische Versorgung angehe, Weltspitze. Wir seien aber auf der Kostenseite nicht effizient genug. Wir sollten versuchen, die guten Leistungen kostenmäßig effizienter darzustellen. Die Partner der Union mögen es mir verzeihen, wenn ich meine, bei all den Überlegungen, die wir in Bezug auf einen möglichen Gesundheitsfonds anstellen, sind Zuschläge der Patienten an die Kassen nicht wünschenswert und nicht vermittelbar, weil dies zu einer Belastung der Menschen führen würde, die nicht darstellbar ist. In einer fünften und letzten These möchte ich die volkswirtschaftliche Bedeutung des Sektors Gesundheit darstellen. In der öffentlichen Diskussion wird immer so getan, als ginge es bei der Gesundheit nur um Kosten. Das ist eine völlige Verkennung der objektiven ökonomischen Tatsachen. Das Gesundheitswesen in Deutschland beschäftigt als mittlerweile größter volkswirtschaftlicher Arbeitsmarktsektor - je nach Art der Rechnung - zwischen 4,2 und 4,5 Millionen Menschen, viel mehr als die Automobilindustrie und die Elektroindustrie. Das vergessen viele. Der Gesundheitsmarkt ist ein absoluter Wachstumsmarkt. Während wir noch im Jahr 1970 6,2 Prozent des Volkseinkommens für Gesundheit ausgegeben haben, waren es im Jahr 2004 bereits 11,3 Prozent. Führende Institute sagen voraus, dass im Jahr 2015 13 Prozent des Volkseinkommens im Bereich Gesundheit ausgegeben werden. Das heißt, dass der Anteil des Gesundheitsmarkts am Bruttoinlandsprodukt binnen zehn Jahren von einem Neuntel auf ein Achtel steigen wird. Das bedeutet für die Gesellschaft: Der Gesundheitsmarkt ist ein riesiger Wachstumsmarkt und ein riesiger Arbeitsmarkt. Noch ein Vorurteil, mit dem aufgeräumt werden muss: Es ist definitiv falsch - oft wird es so dargestellt -, zu glauben, dass die demografische Entwicklung nur etwas mit Kostensteigerungen in der Gesellschaft zu tun hätte. Wenn die Menschen länger leben, birgt dies ein zusätzliches Potenzial für die Gesellschaft. Die Gesundheitskosten am Ende des Lebens sind zwar signifikant hoch; die sinkende Sterblichkeit der Menschen führt aber auch dazu, dass lebenslang lernende Menschen sehr viel für die Gesellschaft leisten können, entweder durch bürgerschaftliches Engagement oder durch Teilnahme am regulären Arbeitsleben. Wenn man mit einem richtigen Ansatz für mehr Prävention sorgt, können die Kosten im Alter deutlich begrenzt werden. Natürlich ist es richtig, dass älter werdende Menschen einen ganz speziellen Bedarf an zusätzlichen Gesundheitsleistungen haben. Aber auch darin liegt eine riesige Chance, entsprechend qualifizierte, neue Arbeitsplätze zu schaffen, die wiederum zur volkswirtschaftlichen Wertschöpfung beitragen. Es ist klar: „Entscheidender Wachstumstreiber für den Gesundheitsmarkt ist der medizinisch-technische Fortschritt“ - so die Deutsche Bank Research. Es ist die entscheidende Größe. Der Markt der medizinischen Möglichkeiten, das Machbare im medizinischen Bereich wird sich auch in den nächsten zehn bis 20 Jahren gewaltig ausdehnen. In der Zusammenfassung heißt das: Für die ökonomische Entwicklung des Landes bergen die Medizin und der Sektor Gesundheit gewaltige Chancen. Wenn wir den demografischen Wandel richtig gestalten, die künf3646 tige Medizintechnik mit ihren Potenzialen richtig einsetzen und die Wirtschaftlichkeitsreserven gezielt heben, haben wir alle Chancen, in den nächsten Jahren einen Strukturprozess im Gesundheitswesen voranzutreiben, der ebendiesen Namen verdient. Zum Schluss: Die Ausgaben im Gesundheitsmarkt in Deutschland betrugen in den Jahren 2003 und 2004 240 Milliarden Euro. Daran hat allein die GKV einen Anteil von rund 144 Milliarden Euro. In der gesetzlichen Krankenversicherung sind 70,5 Millionen Menschen versichert, während die privaten Versicherungen gut 8 Millionen Menschen betreuen. Ich denke, der Einzelplan 15 des Haushalts 2006 des Bundes ist, wie die Kollegin schon gesagt hat, relativ übersichtlich. Die Mittel in Höhe von 4,58 Milliarden Euro beinhalten die so genannte GKV-Pauschale in Höhe von 4,2 Milliarden Euro, mit der die Aufwendungen der Krankenkassen für versicherungsfremde Leistungen abgegolten werden. Die Pauschale wird, wie wir wissen, entsprechend der Koalitionsvereinbarung vom Herbst 2005 auf null zurückgeführt. Damit sind wir wieder beim Thema Gesundheitsreform. Wir wissen, dass aufgrund der Erhöhung der Mehrwertsteuer und der abnehmenden GKV-Pauschale die Gefahr droht, dass die Krankenkassen ihre Beiträge um 1 Prozentpunkt anheben. Das können wir uns nicht leisten, weil es Belastungen für die Haushalte mit sich brächte, die wir vermeiden wollen. Für den eigentlichen Bereich verbleiben im Haushalt 382 Millionen Euro, womit das Gesundheitsministerium und seine fünf nachgelagerten Behörden bzw. Institute, darunter das hoch reputierte Robert-Koch-Institut - in letzter Zeit wegen der Pandemiegefahr in aller Munde -, bedient werden müssen. Ich denke, wir Berichterstatter haben es geschafft, in sehr kollegialer Weise die vorhandenen Mittel effizient in den Titeln zu disponieren. Zum Schluss möchte ich sagen, dass die Aufstellung des Haushalts 2007 sicherlich eine sehr spannende Aufgabe werden wird; denn er wird entlang der Ergebnisse, die die Gesundheitsstrukturreform mit sich bringt, erstellt werden müssen. Es handelt sich also nicht um eine isolierte Veranstaltung. Ich bin überzeugt, dass wir es mit Sachverstand und mit dem politischen Kalkül von Union und SPD schaffen werden, eine tragfähige Gesundheitsreform hinzubekommen, die zum 1. Januar 2007 in Kraft tritt und mit der den Menschen gezeigt wird, dass eine Reform in diesem Bereich funktionieren kann. Ganz zum Schluss möchte ich sagen, dass ich realistisch optimistisch bin.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das ist jetzt schon die dritte Schlussbemerkung, Herr Kollege Schurer.

Ewald Schurer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003234, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Werter Präsident, ganz zum Schluss

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das ist jetzt die vierte Schlussbemerkung.

Ewald Schurer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003234, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

- möchte ich mich, wie es üblich ist, bei den Berichterstattern und bei den Vertretern der beiden Ministerien, des Finanzministeriums und des Gesundheitsministeriums, für die gute Kooperation und für ihre Geduld sowie bei Ihnen für die Aufmerksamkeit ganz herzlich bedanken. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Frank Spieth von der Fraktion Die Linke. ({0})

Frank Spieth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003849, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es war schon beeindruckend, wie Herr Schurer eben als Haushälter das Thema Gesundheit sachkundig bearbeitet hat. ({0}) Ich muss sagen: Respekt. Viele Thesen, die Sie hier vorgetragen haben, kann ich als Abgeordneter der Linken auch im Namen meiner Fraktion dick unterstreichen: wenn es um Solidarität, um neue Versorgungsformen und um bessere Qualität im Gesundheitswesen geht. ({1}) - Sie werden noch Anlass für weitere Ahnungen haben, Herr Bahr. - Ich habe aber Bedenken, dass hier genau wieder das geschieht, was wir in den letzten Monaten ständig erleben mussten: Sie blinken links und biegen anschließend in der großen Koalition mit der CDU/CSU nach rechts ab. ({2}) Ich habe daher hinsichtlich dessen, was Sie in Bezug auf den Gesundheitsfonds angedeutet haben, große Bedenken. Das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Gesundheitspolitik nimmt in den Zeiten der großen Koalition dramatisch ab. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Studie des Kölner Marktforschungs- und Beratungsinstituts psychonomics AG, die vom April bis zum Mai 1 500 Bundesbürger befragt hat. Nicht einmal ein Drittel der Befragten, genau nur 29 Prozent, traut der Bundesregierung noch zu, die gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung langfristig sicherstellen zu können. Das ist ein dramatisches Testat. Dieses Ergebnis hat übrigens seine Ursachen. Unter Willy Brandt war Reform das Schlüsselwort für Demokratisierung. Menschen mit geringem Einkommen haben damit die Hoffnung verbunden, am sozialen Staat und am gesellschaftlichen Reichtum auch durch Umverteilung beteiligt zu werden. Aber diese Zeiten sind lange vorbei. Dieser Anspruch ist schon unter Rot-Grün unter die Räder geraten und wird durch die gegenwärtigen gesundheitspolitischen Planspiele der großen Koalition quasi wie mit der Dampframme unter die Erde gestampft. Keine Wählerin und kein Wähler der Union werden sich darüber wundern, dass die CDU/CSU getreu ihrem Bundestagswahlprogramm den Weg über den Gesundheitsfonds mit Elementen der Kopfpauschale bis zur endgültigen Privatisierung des Gesundheitsrisikos beschreitet. Die Wählerinnen und Wähler der SPD werden sich allerdings an den Kopf fassen angesichts des zentralen Wahlversprechens der Sozialdemokraten. Sie wollten die Einführung der Bürgerversicherung. Jetzt aber machen Sie einen Gesundheitsfonds, aller Voraussicht nach verbunden mit einer Kopfpauschale. In Ihrem Aufruf zur Bundestagswahl 2005 haben Sie unter der Überschrift „Vertrauen in Deutschland Gerhard Schröder muss Kanzler bleiben!“ unter anderem gesagt: Wir kämpfen auch für die kommende Legislaturperiode für eine sozialdemokratisch geführte Bundesregierung. Doch wir wollen mehr: 1. Wir sind bereit, unsere Fehler einzugestehen. Das einseitige Setzen auf die Senkung der Lohnnebenkosten hat den Menschen vieles zugemutet: die Rentenreform, die Gesundheitsreform und auch die Arbeitsmarktreform werden in der Bevölkerung primär als sozial ungerecht wahrgenommen - auch weil diese Reformen nicht in der Lage waren, dem Arbeitsmarkt die dringend notwendigen Impulse zu geben. Damit hatten Sie absolut Recht. Diese Selbsterkenntnis hat dann anschließend offenkundig bei den Bürgern Eindruck gemacht und dazu geführt, dass Sie ein überraschend gutes Wahlergebnis einfahren konnten. Sie haben den Bürgerinnen und Bürgern versprochen - ich zitiere noch einmal wörtlich -: Wir führen die solidarische Bürgerversicherung in der Gesundheitspolitik ein. Vergleichbar soll die Lösung bei der Pflegeversicherung sein. Wer leistungsfähig ist, muss auch stärker zur Solidarität beitragen. Das gilt in den sozialen Sicherungsystemen und in der Steuerpolitik. Es ist Ihnen gelungen, mit dem Hinweis auf Ihre ursprünglichen Fehler bei den Wählern den Eindruck zu vermitteln, ab sofort werde wieder sozialdemokratische Politik gemacht. Ich kann Ihr Versprechen allerdings nicht in der Koalitionsvereinbarung und schon gar nicht in der derzeitigen Gesundheitspolitik wiederfinden. Sie beantworten mit den bisher bekannt gewordenen Vorschlägen zum Gesundheitsfonds keine der strukturellen Fragen, die sich bezüglich der gesetzlichen Krankenversicherung stellen. Sie wollen zwar weiterhin die Arbeitgeber zur Beitragszahlung heranziehen, aber nur noch mit einem gedeckelten Satz von 6 Prozent. Die Kostensteigerungen im Gesundheitssystem werden dann zukünftig nicht mehr von den Arbeitgebern mitfinanziert, sondern sie werden alleine von den Versicherten zu zahlen sein, die dann zukünftig mit 8 Prozent und wie auf einer nach offenen Richterskala bei allen zukünftigen Kostensteigerungen alleine zusätzlich belastet werden. Darüber hinaus wollen Sie die Einführung einer Kopfpauschale unterstützen, ({3}) die von den Krankenversicherten alleine finanziert werden soll. Das bisschen zusätzliche Steuerfinanzierung ist nicht mehr als eine Beruhigungspille, die dazu dient, den Eindruck zu vermitteln, es ginge gerecht zu. Tatsächlich wollen Sie aber die bislang beitragsfreie Kindermitversicherung über Steuern finanzieren. ({4}) Einerseits ermöglicht das nach Bekunden der Sachverständigen eine Beitragsreduzierung um 1,4 Prozentpunkte, andererseits führt das aber dazu, dass der Entlastungseffekt von 7 Milliarden Euro ausschließlich bei den Unternehmen wirksam wird - eine erneute und aus meiner Sicht perfide Umverteilung von unten nach oben. ({5}) Außerdem machen Sie damit den Privatversicherten ein Geschenk, indem Sie deren Beiträge für die Kinderkrankenversicherung den Steuerzahlern und damit wiederum im Wesentlichen den Arbeitnehmern aufdrücken. ({6}) Mit Ihrem Gesundheitsfonds errichten Sie nur eine neue Geldverteilungsmaschine ganz nach der Methode: Wenn ich kein Ziel habe, dann ist jeder Weg der richtige. Wenn Sie schon nicht zu einer sozial gerechten Gesundheitsreform in der Lage sind, dann machen Sie wenigstens Ihre Hausaufgaben, indem Sie das für 2007 zu erwartende Finanzdebakel in der GKV angehen. Die Finanzprobleme und die Strukturprobleme im Gesundheitswesen werden durch Errichtung einer neuen Bürokratie nicht gelöst, sondern vergrößert. Sie haben durch die von Ihnen zu verantwortende Politik Verschiebebahnhöfe geschaffen, die zu erheblichen Einnahmeverlusten bei den Krankenkassen führen: Die Absenkung der Beiträge für Arbeitslose, die Verkürzung der Anspruchszeiten beim Arbeitslosengeld, die nun geplante Abschaffung der durch die Tabaksteuer finanzierten Mutterschaftsleistungen, die Verpflichtung der Kassen zur Entschuldung bis zum Dezember 2007, die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte sowie die Mehrwertsteuererhöhung sind unter anderem mit dafür verantwortlich, dass wir nach unserer Einschätzung im kommenden Jahr in der gesetzlichen Krankenversicherung ein Finanzloch von mindestens 15 Milliarden Euro haben werden. Selbst mein geschätzter Kollege Lauterbach spricht davon, dass im kommenden Jahr über 10 Milliarden Euro fehlen werden. Wir halten es deshalb für dringend erforderlich, dass Sie zunächst einmal zur Sicherstellung der Krankenversi3648 cherungsleistungen unverzüglich ein Vorschaltgesetz zur Gewährleistung der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung einbringen. Die sozialen Sicherungssysteme, meine Damen und Herren, sind dazu da, im Bedarfsfall frei von Diskriminierung und sozialer Ausgrenzung Versicherten in jeder Lebensphase alle erforderlichen Leistungen bereitzustellen. Dazu wurden sie geschaffen. Dies gilt insbesondere für die gesetzliche Krankenversicherung. Mir erzählte kürzlich eine Frau bei einer Veranstaltung in Hannover, dass eine Ultraschalluntersuchung, die in ihrem Fall erforderlich war, nur gemacht wurde, weil sie diese privat bezahlte. Am Montag dieser Woche erzählte mir ein Rentner auf einer Veranstaltung in Dresden, dass er zum Ende des Quartals regelmäßig zur privaten Finanzierung von Medikamenten aufgefordert werde, weil das Budget erschöpft sei. Eine Arbeitslosengeld-II-Empfängerin in Weimar schilderte mir vor einigen Tagen an ihrem Beispiel auf bedrückende Art und Weise, dass sie schon mehrfach vor der Entscheidung gestanden habe - hören Sie gut zu -, für sich und ihre Tochter entweder Lebensmittel zu kaufen oder die Eintrittsgebühr beim Arzt zu zahlen. Dies sind Einzelbeispiele, die man beliebig ergänzen könnte. Es kann nicht sein, dass durch Zuzahlungen, durch Leistungsausgrenzungen, durch Eintrittsgebühren bei Ärzten, durch Sonderbeiträge ({7}) und - jetzt offenkundig beabsichtigt - durch endgültige Abschaffung des Krankengelds und die Abschaffung der Versicherung privater Unfälle die Versicherten immer weniger Leistungen erhalten, dafür aber zusätzlich zur Kasse gebeten werden, wie Frau Merkel heute Morgen gesagt hat. Die Grundprinzipien der gesetzlichen Krankenversicherung, nämlich Solidarausgleich, Parität, umfassende Sachleistungen, Umlageverfahren und Kontrahierungszwang haben sich nach unserer Auffassung bewährt. Sie finden in der Bevölkerung eine breite Akzeptanz. Arbeitnehmer, Arbeitslose, Rentnerinnen und Rentner sowie bisher beitragsfrei mitversicherte Angehörige erwarten von uns, dass wir ein Gesundheitssystem anbieten, mit dem die vorgenannten Ansprüche erfüllt werden können. Die Bürgerversicherung findet in der Bevölkerung große Zustimmung. ({8}) Die Wählerinnen und Wähler haben bei ihrer Stimmabgabe auch eine parlamentarische Mehrheit für diese Bürgerversicherung geschaffen. Die Linksfraktion, die Fraktion der Bündnisgrünen und die Sozialdemokraten, die sich eindeutig dafür ausgesprochen haben, haben, wenn sie es wollen, die Mehrheit in diesem Haus, als einzig notwendige und richtige Reformalternative eine Bürgerversicherung einzuführen. Wir werden Sie dabei unterstützen. Nehmen Sie das Angebot ernst! Danke. ({9})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat jetzt der Kollege Norbert Barthle von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Norbert Barthle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003033, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beraten hier heute abschließend den Etat des Gesundheitsministeriums. Zieht man die Zuschüsse zur Krankenversicherung ab, dann verbleiben noch ganze 381 Millionen Euro oder auch schlanke 1,5 Promille des Gesamtetats - ein, wie ich immer sage, kleiner, aber feiner Etat, dessen Volumen in krassem Gegensatz zur gesellschaftlichen Bedeutung dieses Ressorts steht. Dass man aber auch über die richtige Ausgabe von 381 Millionen Euro konstruktiv nachdenken und beraten kann, haben die Berichterstattergespräche gezeigt. Ich will deshalb an dieser Stelle, gleich zu Anfang, allen Beteiligten aus Opposition und Koalition und vor allem auch Ihnen, Frau Ministerin, und Ihrem Hause ganz herzlich für diese Beratungen und deren konstruktiven Verlauf danken. ({0}) Wir Großkoalitionäre, mein Kollege Ewald Schurer und ich, waren uns einig, dass es auch mit diesem kleinen Etat durchaus möglich ist, Schwerpunkte zu setzen. Bereits zu Beginn dieses Jahres erschreckte uns das Thema Vogelgrippe und machte uns darauf aufmerksam, dass Deutschland auf eine Pandemie vielleicht doch nicht ganz so gut vorbereitet ist, wie wir alle angenommen haben. Bislang ist das Virus zwar noch nicht derart mutiert, dass es von Mensch zu Mensch überspringen kann, aber wir sollten uns nicht nur mit dem Ob, sondern auch mit dem Wenn beschäftigen. Auch das Thema HIV/Aids bedarf wieder verstärkt unserer Aufmerksamkeit; denn auch wenn die Zahl der Infizierten in Deutschland auf einem erfreulich niedrigen Niveau liegt, macht es uns doch besorgt, dass die Zahl der Neuinfektionen binnen eines Jahres um 20 Prozent gestiegen ist. Also fragen wir uns: Stimmt die Aufklärungskampagne noch? Erreichen wir die entsprechenden Zielgruppen? Müssen wir nicht unsere Anstrengungen in diesem Bereich verstärken? Wir haben uns als große Koalition auf die Fahnen geschrieben, die Haushaltskonsolidierung als oberstes Ziel zu verfolgen. Deshalb müssen alle Mehrmittel, die wir einsetzen wollen, sauber gegenfinanziert sein. Wir waren uns da einig, dass die Öffentlichkeitsarbeit ein möglicher Bereich ist. Aber nachdem sich der Haushaltsausschuss darauf geeinigt hat, dass wir rund 10 Millionen Euro als globale Minderausgabe im Einzelplan 60 realisieren wollen, die eigentlich schwerpunktmäßig über Öffentlichkeitsarbeit erbracht werden soll, blieb für diese Gegenfinanzierungsmöglichkeit kein Spielraum. Deshalb sage ich an dieser Stelle: Das wird eine Aufgabe für die kommenden Jahre sein. Frau Kollegin Winterstein, ich verspreche Ihnen: Wir bleiben am Ball. Wir müssen feststellen, dass die Spielräume sehr eng sind. Im Einzelplan 15 sind 140 Millionen Euro des Etats alleine für Personalausgaben vorgesehen. Ich frage mich manchmal schon, ob zum Beispiel das RobertKoch-Institut mit der bestehenden Mittel- und Personalausstattung die Aufgaben tatsächlich bewältigen kann. ({1}) Wir haben im Koalitionsvertrag mit guten Gründen formuliert: Die gesundheitspolitische Schlüsselstellung des Robert-Koch-Instituts insbesondere im Hinblick auf die wachsenden potentiell erheblichen Gesundheitsgefährdungen der Bevölkerung … soll ausgebaut und institutionell gefördert werden. Wenn ich bedenke, dass bei diesem Institut seit dem Jahr 2000 mehr als 20 Prozent der etatisierten Stellen abgebaut wurden, dann haben wir noch eine Menge Arbeit vor uns. Andererseits sind wir Haushälter immer darauf bedacht, Aufwüchse bei den Personalkosten zu vermeiden und Einsparungen vorzusehen. Deshalb wird es für uns alle eine schwierige Aufgabe sein, einen entsprechenden Weg zu suchen. Lassen Sie mich kurz auf das „Sparbuch“ der FDP eingehen. Ich gehe davon aus, dass wir damit auch in den kommenden Jahren wieder traktiert werden sollen; denn das Austauschen und Fortschreiben von Zahlen ist nicht besonders schwer, auch wenn die Idee an sich schon ziemlich abgegriffen ist. ({2}) Das Ganze wirkt etwas antiquiert wie ein abgegriffenes Telefonbuch. Vielleicht können Sie Herrn Westerwelle den Rat geben, er möge eine CD vorlegen, wenn Sie eine moderne Partei sein wollen. Dann müssen die Kolleginnen und Kollegen nicht immer das schwere Buch herumtragen. ({3}) Frau Kollegin, Sie selbst haben die Kürzung der Ausgaben für die Prävention um mehr als die Hälfte angesprochen. Ich bleibe dabei: Jeder Euro, den wir für Prävention ausgeben, ist gut angelegtes Geld. Wir können hinterher bei der Behandlung von Erkrankungen gar nicht so viel einsparen wie vorher durch eine wirksame und gezielte Prävention. ({4}) Wenn ich zum Beispiel im aktuellen Mikrozensus lese, dass jeder zweite Deutsche übergewichtig ist und sogar 14 Prozent stark übergewichtig sind, dann bin ich mir sicher, dass im Bereich der Prävention noch erheblicher Handlungsbedarf herrscht. ({5}) Wer hier mit spitzer Feder kürzt, der handelt falsch. Was die Anwesenden anbelangt, so trifft diese Analyse sicher auch auf diese zu. Lassen Sie mich eine zweite Kritik aufgreifen, die von der Opposition immer wieder vorgetragen wird: Sie betrifft die Kürzung der Zuschüsse für die GKV. Natürlich ist es richtig, dass wir in Zukunft einen größeren Teil der Kosten unserer Sozialsysteme über das Steuersystem finanzieren wollen. ({6}) Anders werden wir die notwendige Trendwende am Arbeitsmarkt nicht realisieren können. Das ist vollkommen klar. Aber die reine Umschichtung zur Steuerfinanzierung ergibt keinen Sinn. Das haben wir aus der rot-grünen Rentenreform gelernt; denn die Mittel aus der Ökosteuer sollten die Rentenbeiträge auf Dauer stabilisieren. Das Ganze hielt nur sehr kurze Zeit. Anschließend versickerten die Mittel in einem Fass ohne Boden. ({7}) Da wir aber alle kluge Menschen sind - jedenfalls die in der Koalition -, haben wir aus den Fehlern gelernt. Deshalb wird es die angekündigte Umsteuerung ohne eine echte Strukturreform nicht geben. Damit bin ich bei der aktuellen Gesundheitsreform, zu der ich mich nicht im Detail äußern will. ({8}) Dafür haben wir unsere Experten, die mit großer Sachkunde und mit großem Enthusiasmus zu Werke gehen. Ich will nur zwei Punkte ansprechen, die aus meiner Sicht wichtig sind. Einerseits sollten wir die Ausgabenseite mutig angehen. Wenn in einem Bereich 240 Milliarden Euro jährlich ausgegeben werden, dann ist das wie eine Mine, in der noch so manche Goldreserve schlummert. Da sind noch Milliardenbeträge zu heben, wenn man mit dem notwendigen Mut an das System herangeht und für zusätzliche Effizienz sorgt. Effizienz heißt wirtschaftlicher Einsatz der vorhandenen Mittel und steht nicht im Gegensatz zu einer bedarfsgerechten Versorgung. Das hat nichts mit Rationalisierung oder gar Rationierung zu tun. Andererseits muss jede Gesundheitsreform, die ihren Namen wirklich verdient, eine zentrale Frage beantworten, nämlich wie wir die steigenden Gesundheitskosten auffangen können, ohne die Arbeitskosten zu belasten. Ich bin dankbar, dass unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel diese Tatsache heute früh mit großer Ehrlichkeit angesprochen und auf den Punkt gebracht hat. Sie hat den Dreiklang benannt: Mit mehr Transparenz, mehr Effizienz und mehr Konkurrenz wäre dieses Problem zu lösen. ({9}) Lassen Sie mich noch auf das viel diskutierte Thema GKV und PKV eingehen und dazu ein schönes Bild anführen: Wenn man die GKV als einen leckgeschlagenen Tanker betrachtet, dann sind die PKVen die schwimmfähigen Rettungsboote. Es macht schlicht keinen Sinn, die Rettungsboote noch enger an den Tanker zu ketten; denn dann würden sie durch den Strudel mit in die Tiefe gerissen. Ich bin mir sicher und sehr zuversichtlich, dass die großkoalitionären Verhandlungsführer den Mut aufbringen, sich an das Schließen des Lecks im Tanker zu machen, und dabei die Rettungsboote schwimmfähig erhalten. Das ist, so denke ich, der richtige Weg. Alles andere führt auf Dauer zu einem Unglück für beide. ({10}) Deshalb wünsche ich mir, dass die großkoalitionären Verhandlungsführer - ich spreche ihnen Mut zu - tatsächlich an das Thema Eigenverantwortung herangehen. Eine gesunde Lebensführung, eine Lebensführung, die Gesundheitsrisiken vermeidet, muss letztendlich belohnt und darf nicht bestraft werden. Das muss der Drehund Angelpunkt aller Überlegungen sein, bei denen es darum geht, mehr Eigenverantwortung zu realisieren. Es kann nicht angehen, dass man nur einzelne Risikobereiche benennt und womöglich wieder auf die berühmten Risikosportarten, die auch sehr umstritten sind, zu sprechen kommt. Es ist wesentlich sinnvoller, zu sagen: Wer durch eigenverantwortliches Handeln zu einer gesunden Lebensführung beiträgt, der soll auch entsprechend belohnt werden. Das muss der Weg sein. Einzelne Bereiche dürfen nicht ausgegrenzt werden. In diesem Sinne herzlichen Dank und gute weitere Beratungen. ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Birgitt Bender von Bündnis 90/Die Grünen.

Birgitt Bender (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003502, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es war schon die Rede davon, dass nach einer aktuellen Umfrage nur noch 29 Prozent der Bevölkerung der Regierungskoalition zutrauen, die strukturellen Probleme des Gesundheitswesens zu lösen. ({0}) Ich füge hinzu: Im letzten Jahr waren es noch 37 Prozent. Wie das wohl kommt?! Im letzten Jahr war in den Medien des Öfteren zu lesen, eine große Koalition sei das, was das Land braucht. Eine große Koalition kann große Probleme lösen und gerade im Gesundheitswesen wird sie die Kraft haben, sich gegen die versammelten Lobbyisten durchzusetzen. Ach, meine Damen und Herren, wenn es doch nur so wäre! ({1}) Vorhin haben wir von dem Kollegen Haushälter, dem Kollegen Schurer, eine zutreffende Problembeschreibung des Gesundheitswesens gehört. Er hat einen Pfad mit möglichen Lösungswegen aufgezeigt. Nur, der sitzt nicht am Verhandlungstisch. Was hören wir stattdessen von denen, die eben dort sitzen, von den politischen Spitzen der Koalition? Hören wir da etwas von mehr Wettbewerb auf der Anbieterseite und den Wegen dahin? ({2}) - Herr Zöller, hören wir etwas von mehr Effizienz, und davon, was man tun könnte, um sie zu erreichen? ({3}) Hören wir etwas davon, wie eine nachhaltige Finanzierung all dieser möglichen Wege aussähe? ({4}) Aber nein! Sie reden lediglich über eine neue Behörde. Vielleicht nennen Sie sie Bundesagentur für Gesundheit oder so ähnlich. Die Behörde hat einen unglaublichen Vorteil: Die einkommensabhängigen Beiträge, die die SPD vorsieht, gehen vorne rein und die Kopfpauschale der CDU kommt hinten raus. Da kommt bei den Koalitionsfraktionen Freude auf, weil alle sehen, sie haben etwas realisiert. ({5}) Was haben Sie damit aber geschaffen? Eine „Reformattrappe“, wie „Die Zeit“ zuletzt zu Recht schrieb. Ich füge hinzu: eine Reformattrappe, die viel Bürokratie nach sich zieht. ({6}) Von der Bundeskanzlerin mussten wir heute früh leider erfahren, dass Sie sich tatsächlich darauf geeinigt haben. Das ist der Stand der Dinge. Nun geht es noch um die Ausgestaltung im Einzelnen, zum Beispiel um die Frage, wie die Beteiligung der privaten Krankenversicherung aussieht. Ich werde gelegentlich gefragt, wie es eigentlich mit dem Einfluss der Lobbyisten im Gesundheitswesen sei. ({7}) - Wenn ich mir die Union so anhöre, muss ich feststellen, dass das ein gutes Beispiel ist. Das ist in den Sprechwerkzeugen der Politik schon angekommen, jedenfalls auf der Unionsseite. Herr Barthle, wenn die PKV das Rettungsboot ist, dann lassen Sie die Boote doch zu Wasser und setzen Sie die PKV dem Wettbewerb aus! ({8}) Aber gerade das tun Sie nicht, weil Sie sich weigern, den einheitlichen Versichertenmarkt einzuführen. Das wäre doch der richtige Weg, wenn Ihr Bild stimmen würde. ({9}) Ich sage Ihnen: Wenn Sie das nicht machen, wenn die PKV völlig ungeschoren hinter ihrem Schutzzaun bleibt, dann wird es wieder so sein, dass die Gesunden und die Einkommensstarken von dieser Reform, die größere Belastungen mit sich bringen wird, nicht berührt werden. Ich sage Ihnen: Solidarität ohne die Stärksten - das hält kein Sozialsystem auf Dauer aus. ({10}) - Ja, das weiß ich recht gut, Herr Zöller. Viele von uns hier zum Beispiel. ({11}) Wir könnten etwas dazu beitragen, dass Solidarität gestärkt wird, anstatt Schutzzäune zu erhalten. ({12}) Nächste Frage, über die Sie diskutieren: die so genannte kleine Kopfpauschale. ({13}) Wenn die zusätzlich zu den Beiträgen erhoben wird, dann ist das erstens eine erhebliche Wettbewerbsverzerrung zulasten der Kassen, die viele kranke Menschen versorgen. Das ist schon Grund genug, sie nicht einzuführen. Zweitens belastet eine Kopfpauschale Geringverdiener mehr als Gutverdienende. Deswegen ist sie sozial ungerecht. Jetzt muss mir einmal jemand von der SPD eine Frage beantworten. ({14}) Wir, Rot-Grün, haben im letzten Jahr die kleine Kopfpauschale für den Zahnersatz in Höhe von 5 bis 8 Euro, die uns die Union aufgedrückt hatte, gekippt. Warum? Weil wir gesagt haben, dass sie sozial ungerecht sei. Kann mir jetzt jemand erklären, warum der sozialdemokratische Parteivorsitzende Beck die kleine Kopfpauschale, die bis zu 40 Euro betragen soll, für sozial verträglich hält? ({15}) Diese Frage müssen Sie mir wirklich einmal beantworten. Ich finde, manchmal ist es ganz gut, wenn das Geschwätz von gestern auch heute noch etwas gilt. ({16}) - Es ist doch nachzulesen, dass er das in eurer Sitzung des Parteirats und ich weiß nicht wem vorgetragen hat. ({17}) Nächste Diskussion: Sie wollen den Arbeitgeberbeitrag einfrieren. Wenn Sie den auf 6 Prozent reduzieren - gegenwärtig zahlen die Arbeitgeber im Durchschnitt 6,65 Prozent -, dann bedeutet das schon einmal mehr als ein halbes Prozent, das von den Versicherten zusätzlich getragen werden muss. Das Einfrieren bedeutet auch, dass jede zusätzliche Belastung im Gesundheitswesen, wie auch immer sie entstehen wird, einseitig zulasten der Versicherten geht. Das nenne ich eine soziale Schieflage. ({18}) Ich weiß nicht, was eine große Koalition bewegt, dies tun zu wollen. Nächste Frage: Steuerfinanzierung im Gesundheitswesen. Davon ist oft die Rede. Nun kann man unterschiedlicher Meinung sein, wie wichtig der Schritt wäre, tatsächlich mehr Steuern für die Sozialversicherung aufzubringen. Gerade wurde das Beispiel Ökosteuer genannt. Das ist, wie ich finde, ein erfolgreiches Beispiel. ({19}) Hinsichtlich des Gesundheitswesens bin ich eher etwas skeptisch. Wenn etwas meine Skepsis befördert hat, dann ist es der jüngste Schritt der großen Koalition. Sie haben sich daran gemacht, die 4,2 Milliarden Steuerzuschuss, die wir gemeinsam verabredet hatten, erst einmal wieder einzukassieren. Da sieht man, wie es mit den Steuern gehen kann. Aber wenn man das jetzt einmal ernst nimmt und sagt, dass Steuern ein Teil dieser Finanzierung sein sollen, dann braucht man dafür ein Konzept. Ich sage nur: Diskutiert wird immer über 15 Milliarden Euro für die Finanzierung der Gesundheitsversorgung der Kinder. Wo ist denn die Gegenfinanzierung dafür? Ich habe gelesen - das steht übrigens auch in der Zeitung; das sage ich an die Adresse der SPD -, der sozialdemokratische Parteivorsitzende sei der Meinung, dass 30 bis 45 Milliarden Euro Steueranteil in der Krankenversicherung eine gute Sache seien. ({20}) Dazu kann ich nur sagen, Herr Spieth: Wenn die PDS so etwas vorschlagen würde, ({21}) dann würden hier alle sagen, dass die PDS glaube, das Geld komme aus der Steckdose, und dass sie mit einem solchen Vorschlag zeige, dass sie nicht regierungsfähig ist. Wie nennt man dann so etwas bei der großen Koalition? ({22}) Sie haben gleich am Anfang zwei große Fehler gemacht. Sie haben das 5-Milliarden-Euro-Loch selbst geschaffen. Die Steuerzuschüsse in Höhe von 4,2 Milliarden Euro haben Sie herausgenommen und die Mehrwertsteuer erhöht. Dadurch haben Sie für Zusatzbelastungen von 900 Millionen Euro gesorgt. Zur Verdeckung dieser Missetat - als Juristin weise ich darauf hin, dass die Verdeckungsabsicht im Strafrecht straferhöhend wirkt - hat die Kanzlerin in schöner Eintracht mit der Gesundheitsministerin gesagt: Gesundheit wird teurer. Als Gründe wurden die Alterung der Bevölkerung und der medizinische Fortschritt angeführt. Aber Gesundheit wird nur teurer, weil Sie selbst dieses Milliardenloch geschaffen haben. ({23}) Die Alterung unserer Bevölkerung führt nicht notwendigerweise dazu, dass Gesundheit teurer wird; denn die Menschen haben die Chance, gesünder alt zu werden. Auch der medizinische Fortschritt hat nicht notwendigerweise die Folge, dass sie teurer wird; denn eine Innovation wie zum Beispiel die Schlüssellochchirurgie bietet auch Potenzial zum Sparen. Der medizinische Fortschritt kann also auch in dieser Richtung wirken. ({24}) Sie haben gesagt: Gesundheit wird mehr Geld kosten. Wozu hat das geführt? Dadurch haben Sie bei allen, die ihr Geld im Gesundheitswesen verdienen, die Hoffnung geweckt, dass es frisches Geld gibt und dass bald Schluss ist mit den lästigen Diskussionen über Strukturreformen. Wie können Sie das nun wieder rückgängig machen? Gar nicht. ({25}) Sie müssen erst einmal frisches Geld organisieren. Hier haben die Versicherten, so fürchte ich, nichts Gutes zu erwarten. Denn wenn man Ihre Diskussionen verfolgt, kommt man zu dem Ergebnis: Demnächst zahlen die Versicherten erstens einkommensabhängige Beiträge, zweitens eine Kopfpauschale und drittens noch höhere Steuern. Alles wird also teurer, ohne dass dadurch auch nur ein einziges strukturelles Problem des Gesundheitswesens gelöst würde. ({26}) - Frau Widmann-Mauz, die einzige Meinungsverschiedenheit, die es bei Ihnen noch gibt, betrifft die Frage, bei wem das meiste Geld zu holen ist. ({27}) Die einen denken, dass dies bei den Geringverdienern der Fall ist, weil sie durch die Kopfpauschale am meisten belastet werden. ({28}) Dann sagen die anderen: Holen wir das Geld doch bei den Gutverdienern, und zwar durch eine höhere Beitragsbemessungsgrenze! Hier möchte ich Ihnen ironisch empfehlen: Kombinieren Sie doch beides; ({29}) dann sind Sie alle wieder glücklich. ({30}) Ich komme zum Ende. Gelegentlich heißt es, wenn eine Reform nicht zustande kommt: Der Berg kreißt und gebiert eine Maus. Ich würde sagen: Hier kreißen zwei Berge mit zahlreichen Untergipfeln. Was dabei herauskommt, ist eine Maus mit Schwimmflossen, mit der niemand etwas anfangen kann. Anders gesagt: Die große Koalition ist nicht reformfähig. Das schätzt die Bevölkerung völlig richtig ein. ({31})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Bundesministerin Ulla Schmidt. ({0})

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank, Herr Präsident. - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin Bender, ich habe gedacht: Mein Gott, was schreibt man sich nur auf, wenn man nicht weiß, worüber man spricht. ({0}) Sie haben sich an jegliche Kritik angeschlossen, die derzeit in diesem Lande geäußert wird. Wir haben immer gesagt, dass wir die Eckpunkte zu Beginn des Sommers, also Anfang Juli, ({1}) vorlegen. Dieser Termin liegt noch vor uns. Da können Sie noch so lange fragen, welche Vorschläge vorliegen. Auch Sie selbst haben einmal an solchen Verhandlungen teilgenommen. ({2}) Wir werden die Präsentation der Ergebnisse erst machen, wenn alles vereinbart ist. Ich kann verstehen, dass Sie neugierig sind. ({3}) Ich kann auch verstehen, dass Sie sehr ungeduldig sind. Allerdings heute - das sei ganz nebenbei erwähnt - habe ich kein einziges Konzept, wie man die Probleme im Gesundheitswesen lösen kann, gehört, ({4}) weder von der Linken noch von der FDP noch von Ihnen, Frau Bender. Aber es scheint üblich zu sein, dass man, ohne zu wissen, worüber man redet, sagt: Wir sind dagegen. - Es ist ja immer gut, gegen etwas zu sein. Da befinden Sie sich in guter Gesellschaft mit den Verbänden, mit verschiedenen Organisationen und mit Professoren, die beleidigt sind, weil sie nicht beteiligt wurden, und deswegen alle Vorschläge für falsch halten. Ihnen haben die Wählerinnen und Wähler keinen Regierungsauftrag erteilt. Sie haben so gewählt, dass die große Koalition den Auftrag bekommen hat, die entsprechenden Reformen auf den Weg zu bringen und die Probleme in diesem Land zu lösen. ({5}) Zur Prävention gehört auch, sich nicht immer so aufzuregen. Warten Sie doch einfach ab, bis wir Ihnen das Konzept vorlegen, und lassen Sie uns, nachdem Sie es gelesen haben, in aller Ruhe Stück für Stück darüber reden, ob diese Vorschläge geeignet sind, den wachsenden Herausforderungen der demografischen Entwicklung und der Veränderung der Erwerbsbiografien zu begegnen. Herausforderungen entstehen aber auch durch den medizinischen Fortschritt; dabei geht es darum, zu entscheiden, was zur Bekämpfung von Krankheiten tatsächlich nutzt bzw. was die Lebensqualität der Menschen wirklich erhöht. Wir müssen diesen Herausforderungen gerecht werden, damit eines gesichert ist - das ist die Grundlage unserer Verhandlungen -: Alle Menschen in diesem Lande müssen unabhängig von ihrem Portemonnaie eine gute gesundheitliche Versorgung bekommen, alle müssen unabhängig von ihrem Portemonnaie am medizinischen Fortschritt teilhaben können und für alle Menschen in unserem Lande müssen, egal ob sie in Brandenburg, in Mecklenburg-Vorpommern, in SachsenAnhalt, in Sachsen, in Thüringen, im Bayerischen Wald, in Niedersachsen oder anderswo leben, Medizinerinnen und Mediziner da sein, die sie versorgen, sowie Menschen, die in der Pflege tätig sind - das sicherzustellen, ist unsere Aufgabe. ({6}) Man kann dabei über vieles reden. Herr Kollege Spieth, Sie sind doch für eine AOK verantwortlich, ({7}) doch das bereitet Ihnen schon genügend Probleme. ({8}) Ich sage Ihnen: Auf dem Posten, den ich jetzt im sechsten Jahr innehabe, würden Sie es keine einzige Woche aushalten! Sie würden kein einziges Problem lösen können; da können Sie sicher sein. ({9}) Wenn wir darüber reden, wie wir die Finanzierung der Gesundheitsversorgung sichern können und wie die Strukturen im Gesundheitssystem aussehen müssen, dann sind das zwei Seiten einer Medaille. Wir werden die Strukturveränderungen, die wir mit der Gesundheitsreform 2003 begonnen haben, konsequent fortsetzen: Wir werden die integrierte Versorgung weiterentwickeln, wir werden die medizinischen Versorgungszentren fördern, wir werden die starre Grenze zwischen dem ambulanten und dem stationären Sektor überwinden, wir werden die Patientenbeteiligung und die Prävention ausbauen und wir werden für mehr Wettbewerb im System sorgen - weil wir eines wissen: Ehe neues Geld in dieses System fließt, muss der Topf wasserdicht gemacht werden, damit das Geld nicht irgendwo unnütz eingesetzt wird, wo es für die Versorgung von Patientinnen und Patienten gar nicht nötig ist. Das ist der erste Punkt. ({10}) Der zweite Punkt ist: Wir wissen, dass die Bindung der Beiträge an sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse die Achillesferse unseres Gesundheitssystems bleibt. Diese Bindung trägt nicht mehr, weil wir in den letzten Jahren - leider - einen großen Abbau von sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen hatten. Auch wenn ich froh bin, dass das jetzt gestoppt ist und wir langsam wieder einen Zuwachs haben, weiß ich sehr wohl, dass diese Bindung auf Dauer nicht ausreicht. Schon in den letzten 20 Jahren ist die Entwicklung der Beitragseinnahmen um 31 Prozent hinter der Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts zurückgeblieben. ({11}) Darauf brauchen wir eine Antwort. Jetzt reden wir über den Fonds, Herr Kollege Spieth. ({12}) - Das ist klar. ({13}) Für die Kritikaster in diesem Land - ich habe sie eben schon genannt -, die immer nur darüber reden, wie schlecht alles ist, ist schon, dass es ein neues Wort gibt, Grund genug, erst einmal Nein zu sagen. ({14}) Hier könnte sich einmal etwas positiv verändern; doch das würde vieles erfordern. Gehen Sie doch mit einer anderen Sichtweise an diesen Fonds heran - auch Sie von der FDP - und überlegen Sie, wie wir - Herr Spieth, Sie als AOKler müssten das kennen - das, was in § 1 Satz 1 des Sozialgesetzbuches V steht - die Krankenkassen als Solidargemeinschaft -, umsetzen können. Wenn wir einen Fonds hätten - wir reden gerade über ihn und seine Ausgestaltung -, in den die Beiträge der Arbeitgeber, der Versicherten, der Rentner und der Arbeitslosen sowie Gelder der Bundesagentur für Arbeit und Steuern einfließen, dann könnten wir sagen: In diesem Land findet ein 100-prozentiger Einkommensausgleich statt. ({15}) - Haben wir nicht, es sind 92 Prozent. ({16}) - Herr Kollege Spieth, wir wollen nicht, dass es für eine Krankenkasse einen Unterschied macht, ob dort ein Empfänger von Arbeitslosengeld II oder ein Bankdirektor versichert ist. Wir wollen, dass alle Krankenkassen in diesem Land den gleichen Anteil je Versicherten an den Gesamteinnahmen aller gesetzlichen Krankenkassen erhalten. Das ist der erste Schritt und das ist eine wesentliche Vereinfachung gegenüber dem, was heute ist. Der zweite Schritt ist, dass wir von dort ausgehend klären, wie wir die unterschiedlichen Krankheitsrisiken ausgleichen können. Deswegen gehört zu einem 100prozentigen Einkommensausgleich ein zielgenauer, an den Krankheitsrisiken orientierter Risikostrukturausgleich. Ich sage Ihnen: Viele Kassen, die heute Probleme haben, weil sie viele ältere und kränkere Menschen versichern, würden mit einer solchen Lösung sehr viel besser gestellt, als sie es heute sind, und wären endlich in der Lage, ihre Aufgaben innerhalb des Wettbewerbs wahrzunehmen. Ich bitte Sie alle: Gehen Sie doch einmal mit einer anderen Sichtweise heran, springen Sie einmal über die Hürden, nehmen Sie Ihr Herz in die Hand und lassen Sie uns die Zukunft diskutieren. ({17})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Ministerin, möchten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hajduk zulassen?

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Nein. Ein weiterer Punkt, warum wir eine Reform brauchen. Wir haben zwar ein gutes Gesundheitswesen, aber es lässt uns keine Ruhe, dass eine zunehmende Anzahl von Menschen in diesem Land nicht versichert ist. ({0}) Auch dafür, dass alle Menschen in diesem Land versichert sind, soll dieser Fonds dienen. Wir müssen dafür sorgen, dass jede Kasse und jede Krankenversicherung in diesem Land jeden versichern muss. Wir wollen Schluss damit machen, dass die großen Risiken bei den gesetzlichen Krankenkassen abgeladen werden und sich die Privaten auf Dauer aussuchen können, wen sie aufnehmen. Wir wollen einen Weg finden, dass jede Versicherung jeden aufnehmen muss. Das ist ein Riesenfortschritt gegenüber dem, was wir heute haben. ({1}) Herr Kollege Barthle, das wird vielleicht dazu führen, dass die Rettungsboote ihrer Bestimmung nach eingesetzt werden. Es gehört zu diesem System, dass man jeden rettet, der eine solche Rettung nötig hat, und nicht manche außen vor lässt. ({2}) Neben den notwendigen Strukturreformen werden wir auch dafür sorgen - das ist mir ein ernstes Anliegen -, dass nicht nur die Ärzte und Ärztinnen, sondern auch die Menschen, die Tag für Tag in nicht ärztlichen medizinischen Berufen arbeiten und für kranke Menschen und Menschen, die Hilfe benötigen, da sind, eine Perspektive erhalten. Wir wollen zu einer angemessenen und gerechteren Finanzierung kommen, als das heute der Fall ist; denn ich sage Ihnen eines: Wir reden nicht nur über das nächste Jahr, sondern wir müssen uns heute schon GeBundesministerin Ulla Schmidt danken darüber machen, wie wir dafür sorgen können, dass junge Menschen wieder eine Perspektive in Pflegeberufen und auch in ärztlichen Berufen haben. Auch das wollen wir mit dieser Reform anpacken. ({3}) Ich finde es sehr gut und es spricht für die Qualität der deutschen Mediziner und Medizinerinnen, dass sie auch im Ausland gefragt sind. Wir möchten aber auch, dass sie hier bleiben und hier ihre Arbeit machen. Wir werden uns darum kümmern. Frau Kollegin Winterstein, wir sehen Perspektiven in unserem Land und wir gehören nicht zu denen - so, wie Ihre Partei -, die immer glauben, dass die Probleme besser lösbar sind, wenn man alles dem internationalen Kapitalmarkt aussetzt. ({4}) Wir glauben zum Beispiel, dass die Rentnerinnen und Rentner in diesem Land, die ihr Leben lang in die solidarische Kasse eingezahlt haben, auch einen Anspruch darauf haben, im Alter Solidarität zu genießen. Auch darum werden wir uns kümmern. Lassen Sie mich noch ein Thema ansprechen, das mir wichtig ist. Wir haben heute schon viel über Aids, Aidsprävention und unsere Aufgaben in diesem Zusammenhang gehört. Wir werden auf Dauer mehr tun müssen als bisher und wir werden auch mehr Mittel in den Haushalt einstellen müssen. Darüber werden wir in den kommenden Haushaltsberatungen diskutieren. Die Kollegen Barthle und Schurer haben es bereits angesprochen. Aids ist nicht nur ein gesundheitliches, sondern auch ein soziales, gesellschaftspolitisches und ökonomisches Problem. Die internationale Staatengemeinschaft wie auch die Europäische Union würden sehr schlecht daran tun, dieses Thema nicht als globales Problem zu behandeln. Es geht um viel mehr als das, was unser Land betrifft. In unserem Land müssen wir in die Prävention investieren, weil sie das einzige Mittel ist, mit dem Aids bekämpft werden kann. Wir haben aber auch die Verantwortung, in einem geeinten Europa - dazu gehört auch Osteuropa - dafür zu sorgen, dass Menschen Zugang zur Behandlung erhalten. Es ist ein Skandal, wenn von weltweit über 40 Millionen infizierten Menschen nur gut 1,3 Millionen Zugang zur Behandlung haben. ({5}) Das ist nicht nur ein entwicklungspolitisches Thema, sondern es geht uns alle an. Aids ist zunehmend ein Armutsproblem. Es steht in einem engen Zusammenhang mit der Armutsbekämpfung, dem Zugang zur Bildung und ganz massiv mit dem Kampf um Menschenrechte und Frauenrechte. ({6}) Deswegen haben wir entschieden, Aids zu einem der Hauptthemen während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im kommenden Jahr zu machen und uns endlich damit auseinander zu setzen, wie durch die Verantwortung der Politik und der Zivilgesellschaft dafür gesorgt werden kann, dass die notwendigen Strukturen für eine nachhaltige Aidspolitik geschaffen werden. Ich bin dankbar, wenn Sie das alles mit unterstützen. Ich glaube, dass das Thema unterschätzt wird. Es ist aber eines der wichtigen Themen der Menschheit, das mehr Menschen betrifft als die, die wir zum Beispiel durch Maßnahmen zur Bekämpfung einer Pandemie schützen zu müssen glauben. Deshalb muss der Kampf gegen Aids unser gemeinsames Anliegen sein. Meine Redezeit nähert sich dem Ende. Ich kann leider nicht näher auf andere Themen eingehen. Wir werden aber die Pflege reformieren und das Präventionsgesetz auf den Weg bringen. Wir werden unseren Kampf gegen legale und illegale Drogen fortsetzen. Insofern werden wir auch in den kommenden Wochen und Monaten noch sehr viel Gelegenheit haben zu streiten. In zwei Wochen sind wir etwas weiter. Dann reden wir nicht nur darüber, wie die Dinge heißen, sondern auch mehr über Inhalte. Vielen Dank. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat der Kollege Daniel Bahr, FDP-Fraktion.

Daniel Bahr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003495, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sie von der schwarz-roten Koalition verhalten sich drollig: Sie debattieren hier und wenn die Opposition Kritik übt, regen Sie sich auf, frei nach dem Motto „Wir wissen noch nicht, wo es hingeht, also hat auch die Opposition kein Recht, das zu kritisieren“. Ein Realist, der die Probleme benennt, ist aber noch lange kein Miesmacher. Es ist auch nicht so, dass die Vorschläge, die in den Medien kursieren, aus dem luftleeren Raum kommen. Sie sind doch von Teilnehmern aus der Verhandlungsgruppe gezielt an die Medien gegeben worden. Es werden doch gezielt Papiere aus den Ministerien an Journalisten weitergegeben, um sie in der Öffentlichkeit zu debattieren. Es ist insofern notwendig, dass wir hier über die angeblich in der Verhandlungsgruppe behandelten Vorschläge diskutieren, die derzeit kursieren. Es ist doch das gute Recht der Opposition, sich mit Vorschlägen auseinander zu setzen. ({0}) Ich finde Ihr Verhalten übrigens zutiefst beschämend für den Parlamentarismus. ({1}) Daniel Bahr ({2}) Am heutigen Abend - es ist jetzt 20.08 Uhr - soll das große Thema Gesundheit mit einem der größten Etats im Haushalt beraten werden. Dass die Vorschläge unter dem Deckmantel der Fußball-WM-Euphorie ({3}) klammheimlich noch vor dem Endspiel in die Öffentlichkeit gelangen und dass diese Debatte quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet, zeigt doch nur, dass Sie Angst vor der Reaktion der Öffentlichkeit und damit der Wählerinnen und Wähler haben. Sie werden es aber noch bereuen, wenn die Öffentlichkeit davon erfährt. ({4}) - Dass Sie sich so aufregen, zeigt nur, dass ich einen wunden Punkt getroffen habe. ({5}) Es war richtig, was eben gesagt wurde: Wer sich aufregt, schadet seiner Gesundheit. Ich teile viele Kritikpunkte der Kollegin Bender. Man darf aber nicht vergessen, dass die letzte große Gesundheitsreform einer vermeintlich großen Koalition noch gar nicht so lange her ist. Im Sommer 2003 sollte eine Jahrhundertreform auf den Weg gebracht werden, die das Gesundheitswesen stabilisieren und zu sinkenden Beitragssätzen führen sollte. Nach Ihren Versprechungen, Frau Schmidt, müsste der durchschnittliche Beitragssatz heute bei 13,0 Prozent liegen. Tatsächlich liegt er bei 14,2 Prozent. ({6}) Ich vertraue Ihren Aussagen und der großen Koalition im Gesundheitswesen nicht mehr, genauso wenig wie die Versicherten. Nun spricht Herr Beck, der SPD-Vorsitzende, schon nicht mehr von einer Jahrhundertreform. Vielmehr sagt er, sie solle 15 Jahre halten. Damit geht er schon ein bisschen realistischer an die Sache heran. Ich sage Ihnen voraus, dass Ihre geplante Reform möglicherweise noch nicht einmal die ganze Legislaturperiode halten wird. Zu diesem Schluss bin ich gekommen, als ich mich mit Ihren Vorschlägen auseinander gesetzt habe. Frau

Not found (Kanzler:in)

„Wir werden es grundlegend anders machen, damit es grundlegend besser wird.“ Nach dem, was ich bislang gehört habe, muss ich feststellen, dass es teurer wird, ohne besser zu werden. Sie machen es grundlegend anders und es wird grundlegend teurer. Die Kanzlerin hat sicherlich Recht, wenn sie sagt, dass das Gesundheitssystem in den nächsten Jahrzehnten aufgrund der alternden Bevölkerung tendenziell teurer wird. Aber ich kann nicht erkennen, dass die Fragen betreffend die Nachhaltigkeit und die Demografieanfälligkeit des Umlageverfahrens in der gesetzlichen Krankenversicherung überhaupt eine Rolle in Ihren Verhandlungen spielen. Zumindest ist das bislang nicht festzustellen. ({0}) Nun kommen Sie auf die Idee, die Löcher kurzfristig durch mehr Steuergelder zu stopfen. Das ist laut „Zeit“ jedenfalls der Vorschlag von Herrn Beck. Das wird Sie aber auch nicht weiterbringen. Das wird die Demografieprobleme mitnichten lösen. Ähnliches haben wir bereits bei der Rentenversicherung, der Pflegeversicherung, der Arbeitslosenversicherung und beim Bundeszuschuss für die Krankenversicherung erlebt. Erstens. Steuerzuschüsse sind sehr unsicher; denn der Finanzminister und der Haushaltsausschuss können jedes Jahr aufs Neue darüber entscheiden, ob der Zuschuss gesenkt werden soll. Zweitens. Damit wird das Problem der Demografieanfälligkeit von den Krankenkassen auf den Bundeshaushalt verlagert. Dort werden Sie die Lasten den kommenden Generationen aufbürden, genauso wie mit der Ausweitung der Umlagefinanzierung. Die nun diskutierte Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze ist nichts anderes als eine verkappte Beitragserhöhung für eine bestimmte Einkommensgruppe. Das hat die langsame Austrocknung des Demografievorsorge betreibenden Systems der privaten Krankenversicherungen zur Folge. Ist das mehr Freiheit wagen, wenn immer weniger Menschen die Wahl haben, sich privat zu versichern? Nein, das ist es nicht! ({1}) Wir fordern: Schaffen Sie die Versicherungspflichtgrenze ab! Geben Sie den Bürgerinnen und Bürgern doch die freie Wahl, sich gesetzlich oder privat zu versichern! Wir brauchen aufgrund der steigenden Gesundheitskosten im Alter eher mehr Privatversicherte und nicht ein Austrocknen der privaten Krankenversicherung. Lassen Sie die Bürgerinnen und Bürger selber entscheiden! Damit betreiben Sie Vorsorge! Die Streichung des Bundeszuschusses, die Senkung der Beiträge für Arbeitslosengeld-II-Bezieher und die Erhöhung der Mehrwertsteuer, die ab dem nächsten Jahr bei den Arzneimittelkosten zu einer Belastung in Höhe von 800 Millionen Euro und in der stationären Versorgung zu einer Belastung in Höhe von 500 Millionen Euro führen wird, all das sind hausgemachte Probleme, die Sie von der schwarz-roten Koalition zuallererst selber zu verantworten haben. Das wird im nächsten Jahr zu einem enormen Beitragssatzdruck in der gesetzlichen Krankenversicherung führen. ({2}) Zu Ihrem Gesundheitsfonds: Der Begriff hört sich prima an. Ich habe extra im Duden nachgeschlagen, was ein Fonds eigentlich ist. Die erste Erklärungsvariante lautet: Geld- oder Vermögensreserve für bestimmte Zwecke. Dem würden wir zustimmen. Aber ich kann nicht erkennen, dass Ihr Gesundheitsfonds dazu dient, Reserven bzw. Rücklagen für steigende Kosten zu bilden. Im Gegenteil: Ihr Fonds ist nichts anderes als eine gigantische Geldsammelstelle, die allein - darin bin ich durch die eben gemachten Vorschläge bestätigt worden der stärkeren Umverteilung und der zunehmenden staatlichen Reglementierung im Gesundheitswesen dient. Die zweite Erklärungsvariante lautet: Gesamtheit der im gesellschaftlichen Interesse verwendbaren materielDaniel Bahr ({3}) len und finanziellen Mittel eines sozialistischen Betriebes. In Klammern wird auf die sozialistische Planwirtschaft hingewiesen. ({4}) Der Gesundheitsfonds ist also nichts anderes als der Einstieg in die Planwirtschaft im Gesundheitswesen. Deswegen lehnen wir eine solche gigantische Geldsammelstelle ab. Sie wird kein einziges Struktur- und Finanzproblem im Gesundheitswesen lösen. Sie haben in den Verhandlungen noch Gelegenheit, sich davon zu trennen und stattdessen für mehr Wettbewerb, Transparenz und Eigenverantwortung zu sorgen. Nutzen Sie die letzten Tage, an denen Sie noch verhandeln! Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat die Kollegin Annette Widmann-Mauz, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Annette Widmann-Mauz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Kollege Bahr, auch wenn Sie mit dem Duden in der Hand, in dem Sie sonst, glaube ich, nicht so häufig nachschlagen - er sieht noch so ungebraucht aus -, ({0}) viel kritisieren, sich viel mit Begriffen auseinander setzen - Sie haben sich gerade als Realist bezeichnet -, muss ich sagen: Problemlöser waren Sie am heutigen frühen Abend wieder einmal nicht. ({1}) Das trägt nicht dazu bei, dass wir über die gesetzliche Krankenversicherung den Menschen in unserem Land Schutz bieten. Dass Sie vor Kameras beklagen, dass wir um diese Uhrzeit debattieren, ist schön; ({2}) nur da, wo Sie es hätten tun müssen - im Ältestenrat hätten Sie widersprechen und fordern müssen, dass wir dieses wichtige Thema und diesen wichtigen Etat zu anderer Zeit debattieren -, haben Sie geschwiegen. ({3}) So kann man Politik nicht betreiben. Das Fußballfieber in unserem Land steigt von Spiel zu Spiel. Wie unsere Mannschaft so kommen auch wir bei den Gesundheitsreformgesprächen von Runde zu Runde dem Finale näher. ({4}) Ich bin mir sicher: Wir werden noch vor Jürgen Klinsmann und seinen Jungs im Finale stehen. Herr Bahr, wir wollen auch nicht bis zur Reiter-WM warten. Es ist doch gut, wenn wir uns anstrengen, vor dem WMFinale fertig zu sein. So wie unser Team im Fußball sind auch wir mit der Zeit zu einem konzentrierten Team, zu einer Mannschaft zusammengewachsen. ({5}) Jetzt liegen noch zwei anstrengende Beratungswochen vor uns. Dann werden wir Anfang Juli Eckpunkte präsentieren. Wir haben ein konstruktives Gesprächsklima. Deshalb sind wir auch zuversichtlich, die schweren Brocken, die noch vor uns liegen, insbesondere die Ausgestaltung der Finanzierungsreform, im Zeitplan abschließen zu können. Ich will an dieser Stelle noch einmal betonen, worauf es der Union bei der Neugestaltung der Einnahmeseite ankommt. Das dringendste Problem stellt doch nach wie vor die Situation auf dem Arbeitsmarkt dar. Um eine weitgehende Entlastung des Faktors Arbeit zu erreichen und die Wirtschaft wieder anzukurbeln, ist es notwendig, auch in der Gesundheitspolitik Anreize zu setzen, die auf eine weitgehende Entlastung der Arbeitskosten über alle Wirtschaftsbereiche hinweg zielen. Immer mehr Menschen beklagen, dass ihnen von ihrem Gehalt netto immer weniger in der Tasche bleibt. Hinter dieser Klage steckt der Wunsch, wieder über mehr Geld in der Lohntüte zu verfügen, aber vor allem auch der Wunsch, selbst entscheiden zu können, wofür sie ihr Geld ausgeben. Das schließt den Wunsch ein, mehr Gestaltungsmöglichkeiten, mehr Einfluss auf die Absicherung des Krankheitsrisikos zu haben. Auch die Arbeitgeber wollen mehr Freiraum haben. Wie können wir in einer Welt, in der die Globalisierung das wirtschaftliche Leben bestimmt, den Betrieben, den Unternehmen noch zumuten, sich in einem System mit freiem Zugang der Versicherten zu jeder Kasse mit der Hälfte des Beitrags zum Beispiel einer besonders teuren Kasse zu beteiligen, wenn der Versicherte auch die Möglichkeit hätte, in eine preiswertere Kasse einzutreten? Deshalb müssen wir Arbeitnehmer und Arbeitgeber von den Gesundheitskosten entlasten und Voraussetzungen dafür schaffen, dass der Versicherte bei einem Anbieter seiner Wahl einen soweit als möglich auch nach seinen Maßstäben individualisierbaren Versicherungsschutz erhält. Mit einem freiheitlich organisierten Versicherungsschutz können wir mehr Wachstumsimpulse setzen, die dann auch Beschäftigungspotenziale im Innovationsund Dienstleistungssektor Gesundheit erschließen. Das haben Sie auf dieser Seite des Hauses mittlerweile erkannt. Angesichts der Dynamik des medizinischen Fortschritts und des demografischen Wandels muss mit der Finanzierungsreform auch ein Beitrag zur Nachhaltigkeit und damit zur Demografieresistenz in der gesetzlichen Krankenversicherung geleistet werden. ({6}) Der Wandel der Erwerbsbiografien - ich denke nur an die Erwerbstätigkeit der Frauen, Beschäftigungsunterbrechungen durch Schwangerschaft, Arbeitslosigkeit, geringfügige Beschäftigungsverhältnisse oder Selbstständigkeit - und die abnehmende Bedeutung von Erwerbseinkommen als Ausdruck der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit führen zu Veränderungen in der Struktur der Einkommen und damit eben der Einnahmebasis der gesetzlichen Krankenversicherung. ({7}) Wir beobachten seit Jahren, dass die Schere zwischen den Einnahmen und den Ausgaben immer weiter auseinander klafft. Die Lösung dieser Problematik erfordert eine stärkere Berücksichtigung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Dies ist im Hinblick auf zukünftige Generationen per se schon ein wichtiger Beitrag zur Nachhaltigkeit. ({8}) Starke Schultern müssen sich stärker an der Finanzierung der Solidarlast beteiligen als schwache. Eine bessere Abbildung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit lässt sich am einfachsten und ohne größeren bürokratischen Aufwand über das Steuersystem organisieren. Deshalb begrüße ich, dass in der Führung der SPD, wenn man einem Bericht der „Zeit“ Glauben schenken darf, die Einsicht gewachsen ist, dass die Solidarlasten aus dem Steuersystem zu finanzieren sind. ({9}) Denn die größte Solidargemeinschaft ist die Gemeinschaft der Steuerzahler. Dabei können auch privat Versicherte durchaus mit einbezogen werden, ohne dass das auf verfassungsrechtliche Hindernisse stößt. Wenn es der SPD-Vorsitzende mit der Finanzierung über das Steuersystem ernst meint, dann müsste er auch einen zweiten Schritt machen und die Gesundheitskosten von den Sozialkosten trennen. Das tut die SPD aber nicht. Wenn sie es nicht tut, dann droht die Steuerfinanzierung wie bei der Rente zu einer ausschließlichen Subventionsspritze zu werden. Hier haben wir Vorbehalte. Wir wissen nun, dass eine Steuerfinanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung in dem Haushalt, den wir heute beraten, nicht zu realisieren ist. Vielmehr wird im Haushalt 2007 der Zufluss aus der Tabaksteuer auf 1,5 Milliarden Euro gekürzt und im Jahre 2008 wohl gänzlich gestrichen werden. Wir, die Gesundheitspolitiker der Unionsfraktion, sind über diese Entwicklung alles andere als erfreut. Das gehört zur Ehrlichkeit dazu. Ebenso gehört zur Wahrheit, dass wir den Bundeshaushalt erst konsolidieren müssen, um wieder Handlungsfähigkeit und Gestaltungsfähigkeit zu erlangen und damit auch auf dem Feld des Gesundheitswesens die notwendigen Investitionen in zukunftsfähige Strukturen tätigen zu können. Eine Steuerfinanzierung der Sozialkosten würde die Kosten für die Gesundheit deutlicher machen und den Wettbewerb zwischen der gesetzlichen Krankenversicherung und der privaten Krankenversicherung, aber auch innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung intensivieren. Deshalb sind einzelne Aussagen in den Medien über eine angebliche Zurückhaltung der Koalition in Sachen Wettbewerb absoluter Blödsinn. Schon ein Prämienmodell, wie es die Union vorgeschlagen hat, setzt den Wettbewerb geradezu voraus, und zwar sowohl aufseiten der Kassen als auch aufseiten der Leistungserbringer. Damit Wettbewerb nämlich überhaupt stattfinden kann, müssen die Versicherten doch einen Anreiz haben, zwischen den verschiedenen Kassen zu wählen. Diesen Anreiz haben sie in der Krankenversicherung wie auch sonst im täglichen Leben über den Preis der Leistung. Ein Fonds - oder ein Pool, wenn Sie sich darunter mehr vorstellen können; Sie können ja auch nachschlagen könnte die Wechselbereitschaft erhöhen und damit zur Belebung des Wettbewerbs beitragen. ({10}) Mit einem solidarischen Beitragsguthaben würde der Versicherte selbst entscheiden, zu welchen Konditionen er seinen garantierten Leistungsumfang absichern will und ob und inwieweit er zusätzliche Leistungen erhalten will. Zwar garantieren freier Zugang zu jeder Kasse und der Kontrahierungszwang schon heute ein hohes Wechsel- und Wettbewerbspotenzial. Dieses kann aber mit einem Pauschalbeitrag, der einen Preisvergleich wirklich erlaubt, viel besser erreicht werden, als das mit prozentualen Beiträgen, wie Frau Nahles sie heute wieder gefordert hat, geschehen kann. Denn nur so haben am Ende die Kassen einen wirklichen Anreiz, ihren Versicherten differenzierte Tarife und Leistungsangebote anzubieten. Das ist der grundlegende Unterschied zu der derzeitigen Finanzierungs- und Angebotsform in der gesetzlichen Krankenversicherung. In einem wettbewerblichen System müssen die Gestaltungsmöglichkeiten für die einzelnen Kassen erweitert werden. Die Kassen müssen die Möglichkeit erhalten, Verträge zu besseren Konditionen als ihre Konkurrenten abschließen zu können. Preisverhandlungen müssen dabei auch mit der Perspektive geführt werden, mit Leistungserbringern, die zum Beispiel den hohen Qualitätsstandards nicht genügen, keine Verträge abzuschließen. Nur dann kann die Nachfrage in einen Preisdruck umgemünzt werden. Diesen brauchen wir; denn nur so ist Wettbewerb um Qualität und Leistung zu realisieren. ({11}) So wie der Wettbewerb bei den Beiträgen schon heute nach bestimmten Regeln abläuft, muss dies in Zukunft auch beim Wettbewerb um Qualität und Leistung geschehen. Auch dieser muss nach bestimmten Regeln erfolgen. Dabei dürfen zum Beispiel Art und Umfang des Wettbewerbs nicht zur Entsolidarisierung oder gar zur Risikoselektion führen. Das heißt, insbesondere der Zugang zu medizinischer Versorgung und Mindeststandards müssen gewährleistet bleiben. Daneben findet der Wettbewerb seine Grenzen im Wettbewerbs- und Kartellrecht. Das heißt, es darf weder ein Nachfragemonopol zum Beispiel einer in einer Region dominierenden Kasse noch ein Monopol eines großen Anbieters, zum Beispiel eines Krankenhausriesens, geben. ({12}) Die Mitglieder der Unionsfraktion und auch die Mitglieder unserer Verhandlungsdelegation sind der Auffassung, dass wir mehr Freiheit im System der gesetzlichen Krankenversicherung brauchen. ({13}) Aus Sicht der Versicherten bedeutet dies klar mehr Wahlmöglichkeiten hinsichtlich des Leistungsumfangs. ({14}) Wir brauchen nämlich keine paternalistische Zwangsbeglückung, ({15}) sondern attraktive Angebote für mündige Versicherte. ({16}) Aus Sicht der Leistungsanbieter und der Kostenträger bedeutet dies, mehr Vertragsfreiheit zu haben und damit mehr Verantwortung zu übernehmen. In den Verhandlungen drängen wir auf die Durchsetzung gerade dieser Punkte. Intransparente Strukturen werten Leistungsanstrengungen ab und befördern damit mangelndes Kostenbewusstsein. Sie schwächen geradezu die Wahrnehmung der jeweiligen Verantwortung. Dies darf nicht sein. Ich erwähne diese Punkte, um deutlich zu machen, worauf es bei der anstehenden Gesundheitsreform ankommt. Wir wollen nicht nur eine weitere Kostendämpfungsmaßnahme betreiben, das heißt, nicht lediglich notwendige Verbesserungen auf der Ausgabenseite erzielen, um uns dann mit dem Stopfen der Löcher zu beschäftigen, die wir selbst hineingerissen haben. Dies ist keine nachhaltige und zielgerichtete Politik.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.

Annette Widmann-Mauz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme dann auch zum Schluss.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bitte gleich.

Annette Widmann-Mauz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir dürfen nicht ständig Ausgaben bejammern, wenn wir nicht bereit sind, Kosten, die auf uns zukommen, zu vermeiden. Ich nenne nur das Stichwort „Nichtraucherschutz“. Auch diesen nehmen wir sehr ernst. ({0}) Für Schnellschüsse ist die Reform nicht geeignet.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen; ansonsten geht das noch mehr auf Kosten Ihrer nachfolgenden Redner.

Annette Widmann-Mauz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir werden über die Sommerpause die notwendigen Maßnahmen beraten und vorbereiten. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat der Kollege Max Straubinger, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Für alle Schlechtredner in diesem Land und vielen Unkenrufen zum Trotz möchte ich vorausschicken: Unser Land verfügt über ein großartiges und modernes Gesundheitssystem. ({0}) Dies sollte wieder einmal in Erinnerung gerufen werden. Ich glaube, das gerät ob der Diskussionen, die darüber geführt werden, vielfältigst aus dem Blickwinkel. In punkto Versorgungsqualität und -intensität ist Deutschland absolute Weltspitze. Viele Menschen im Ausland würden es sich wünschen, dieses System in Anspruch nehmen zu können, ein System, in dem unabhängig von Alter, Geschlecht, sozialer Herkunft und Einkunftslage alle Bürgerinnen und Bürger behandelt werden. Darauf können wir alle stolz sein. Weil wir nicht nur in Zeiten der WM, sondern auch kurz vor der Urlaubssaison sind: Ich weiß, dass viele Menschen in Deutschland, wenn sie in ferne Länder reisen und dort krank werden oder einem Unglück anheim fallen, so schnell wie möglich wieder zu Hause sein wollen, weil sie im deutschen Gesundheitssystem versorgt werden wollen. Auch dies ist ein wichtiger Punkt. ({1}) Dieses qualitativ hochwertige Gesundheitswesen hat seinen Preis. Wir alle profitieren von moderner Diagnostik, modernen Therapien, pharmazeutischer Forschung und modernster Medizintechnik. Unsere steigende Lebenserwartung wäre ohne diese Fortschritte - sie ist ein sichtbares Zeichen dafür - nicht denkbar. Wer meint, dass diese Errungenschaften und Herausforderungen zukünftig ohne Steigerungen der Kosten für die Bürgerinnen und Bürger zu bewältigen sind, streut den Bürgern Sand in die Augen. Ich versuche, die Worte des Kollegen Bahr und die Debatte des Tages insgesamt zu verinnerlichen. Die FDP fordert auf der einen Seite steuerliche Erleichterungen, was natürlich zu Einnahmeverlusten führen würde. Auf der anderen Seite beklagt die FDP, dass der Zuschuss aus dem Bundeshaushalt, der an die gesetzlichen Krankenversicherungen gezahlt wird, abgesenkt und langfristig gestrichen werden soll. ({2}) Man kann nicht alles haben: einerseits den Zuschuss, andererseits den Abbau von Steuern, der zu niedrigeren Einnahmen im Bundeshaushalt führt. Es ist meines Erachtens wichtig, darauf hinzuweisen. Sieht man von der Bürgerversicherung ab, wurden heute kaum Vorschläge gemacht. Es wurde weder von den Kolleginnen und Kollegen von den Grünen noch vom Kollegen Spieth von der PDS, von der Linken oder wie Sie sich gerade nennen, verdeutlicht, wie eine Bürgerversicherung aussehen soll. ({3}) Diese Partei steht in der Tradition eines staatlichen Gesundheitssystems, ({4}) das bis zum Gehtnichtmehr marode war. Dieses sozialistische Gesundheitssystem war Ausdruck einer Zweiklassenmedizin: Die Funktionäre hatten Medikamente aus dem Westen zur Verfügung; die anderen Bürgerinnen und Bürger darbten in dieser Hinsicht. Es ist entscheidend, dass die große Koalition es schafft, ein modernes, hochwertiges Gesundheitssystem, das auch die Bürgerinnen und Bürger im Osten kennen und schätzen gelernt haben, weiterzuentwickeln und zukunftsfest zu gestalten. ({5}) Die solidarische Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung ist für uns eine weitere Herausforderung. Trotz aller Kostendämpfungsmaßnahmen in der jüngeren Vergangenheit sieht sich die GKV der Entwicklung eines ansteigenden Defizits gegenüber. Selbst unter Ausnutzung der vielen Wirtschaftlichkeits- und Effizienzreserven ist derzeit wahrscheinlich nicht glaubhaft darzulegen, dass mit der jetzigen Form die Finanzierungsbasis dauerhaft gesichert ist. Wir haben das auch im Koalitionsvertrag dargelegt. Für uns, die große Koalition, ist entscheidend: Wir wollen weiterhin am Ziel festhalten, dass alle Menschen auch zukünftig unabhängig von Alter, Krankheit, Einkommensverhältnissen und sozialer Herkunft an der Hochleistungsmedizin, am medizinischen Fortschritt teilhaben können. ({6}) Weil ich aus einem ländlichen Bereich komme, weise ich auch auf eines hin: Wir wollen auch, dass es eine flächendeckende Versorgung gibt. Es ist entscheidend, dass es in erreichbarer Entfernung ein Krankenhaus der Grundversorgungsstufe gibt. Was nützt mir der beste Facharzt, wenn ich beispielsweise 150 Kilometer anreisen muss? Wir stehen zur Notwendigkeit einer flächendeckenden Versorgung. Deshalb müssen wir - die Kollegin Widmann-Mauz und die Frau Gesundheitsministerin haben darauf hingewiesen - mit der Gesundheitsreform neue Wege beschreiten. Bei der Diskussion müssen wir uns manchen Fragen zuwenden, insbesondere im Hinblick auf die Leistungen: Gehören Surf- oder Kletterunfälle zu den Problembereichen? Kann man die damit verbundenen Gefahren im Finanzierungssystem anders absichern? Wir müssen uns auch mit den Fragen der Generationengerechtigkeit befassen, die uns gerade junge Beitragszahler stellen: Ist es auf Dauer angemessen, dass die Rentner, wie es heute der Fall ist, durch ihre Beiträge nur 40 Prozent der durch den eigenen Leistungsbezug verursachten Kosten tragen? ({7}) Vor 20 Jahren waren es noch 70 Prozent. Diese Fragen werden natürlich von der jungen Generation an uns herangetragen. Ich möchte betonen: Die ältere Generation hat trotz der steigenden Lebenserwartung die größten Vorteile aufgrund des medizinischen Fortschritts. Ich weiß das aus eigener Erfahrung; denn es trifft auf meine Mutter zu. Wenn sie ihre Krankheit vor 20 Jahren bekommen hätte, dann würde sie heute möglicherweise nicht mehr leben. Durch modernste Medizintechnik ist es möglich, den Patienten die bestmögliche Versorgung zu geben. Es ist wichtig, dies den Bürgerinnen und Bürgern darzulegen und darüber mit ihnen zu diskutieren. Es stellt sich auch die Frage, was insgesamt gesehen sozial ist. Wir erheben den Anspruch, dass alle Menschen an unserem Gesundheitssystem teilhaben können, unabhängig von ihrer Herkunft, von ihrem Einkommen und von ihrem Gesundheitszustand. In Zuge der vergangenen Gesundheitsreform haben wir Instrumente mit Lenkungswirkung wie die Praxisgebühr und wie Eigenbeteiligung in einzelnen Bereichen eingeführt. Mit der Einführung einer Überforderungsklausel haben wir für eine sozial ausgewogene Ausgestaltung gesorgt: Es gibt die 2-Prozent-Regelung für die chronisch Kranken und die 1-Prozent-Regelung für anderweitig Kranke. ({8}) Es ist sozial verantwortbar, unter Umständen eine stärkere Eigenbeteiligung einzufordern; denn damit können wir den Menschen gewährleisten, auch zukünftig von der Spitzenmedizin zu profitieren. Alles andere würde zu einer Rationierung führen, was wir letztendlich nicht wollen. Ich möchte nur noch folgenden Punkt ganz kurz ansprechen. Wir legen Wert darauf, dass die private Krankenversicherung auch weiterhin im Wettbewerb bestehen kann. In vielen Diskussionen wird die private Krankenversicherung als die Versicherung der Reichen abgetan. Das ist aber beileibe nicht so. Nur 20 Prozent der privat Krankenversicherten verdienen über der Beitragsbemessungsgrenze. 80 Prozent liegen mit ihrem Verdienst darunter. Sehr viele, die eine Ich-AG gegründet haben und sich privat krankenversichert haben, verfügen über kein hohes Einkommen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir müssen auch Solidarität mit Beitragszahlern üben, die nur über ein geringes Einkommen verfügen. Unter diesem Gesichtspunkt wird die große Koalition - davon bin ich überzeugt - die kommenden Aufgaben sehr zielorientiert angehen. Es ist wie immer vor Weihnachten: Viele können es nicht erwarten. Aber Sie können sicher sein: Bis zur Sommerpause werden die Eckpunkte stehen. Sie müssen nur noch ein wenig darauf warten. Besten Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 15, Bundesministerium für Gesundheit, in der Ausschussfassung. Wer möchte diesem Einzelplan zustimmen? Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Einzelplan mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der gesamten Opposition angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.11 auf: Einzelplan 06 Bundesministerium des Innern - Drucksachen 16/1306, 16/1324 Berichterstattung: Abgeordnete Bettina Hagedorn Norbert Barthle Roland Claus Zum Einzelplan 06 liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion Die Linke und ein Änderungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen vor. Über den zuletzt genannten Änderungsantrag soll namentlich abgestimmt werden. Ich rufe außerdem den Zusatzpunkt 3 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Ernst Burgbacher, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Gisela Piltz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Konsequenzen ziehen aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 30. Mai 2006 zur Weitergabe europäischer Fluggastdaten an die Vereinigten Staaten von Amerika - Drucksache 16/1876 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({0}) Auswärtiger Ausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Zwischen den Fraktionen ist verabredet, eine Stunde zu debattieren. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort der Kollegin Gisela Piltz, FDP-Fraktion.

Gisela Piltz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003667, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, die Stimmung im Lande kann man am besten mit der Abwandlung einer früheren Überschrift einer großen Boulevardzeitung zusammenfassen: „Wir sind die WM!“. Das ist es, was nach unserer Ansicht Millionen im Moment dadurch zum Ausdruck bringen, dass sie Fähnchen schwenken, entsprechende Hüte aufsetzen oder schwarz-rot-goldene Girlanden um den Hals tragen. Das hat nichts mit übersteigertem Nationalismus zu tun, sondern das ist einfach Ausdruck der Freude darüber, dass ein solches Ereignis hier in Deutschland stattfindet. ({0}) Wenn das infrage gestellt oder wie von der GEW zum Anlass genommen wird, über die Nationalhymne zu debattieren ({1}) - ich weiß, dass sie es schon zurückgenommen hat -, sehe ich mich schon veranlasst, zu fragen, wer alles in diesem Lande etwas sagen darf und wie lange manche brauchen, etwas Unpassendes zurückzunehmen. ({2}) - Entschuldigung, wir debattieren hier nicht über Bildung; aber wenn sich die Lehrergewerkschaft in einer solchen Art und Weise äußert, dann darf man auch einmal sagen, dass man das nicht für akzeptabel hält, wenn die Lehrer unsere Kinder in einem solchen Geist erziehen. Darüber brauchen Sie sich gar nicht aufzuregen. ({3}) Mehr als die Hälfte der Spiele haben wir jetzt vor dem Fernseher oder im Stadion gesehen. Mein besonderer Dank gilt heute insbesondere denen, die dazu beitragen, dass diese Spiele so friedlich und erfolgreich verlaufen. Ich danke nicht nur der Elf von Jürgen Klinsmann, sondern vor allen Dingen den Polizistinnen und Polizisten, dem THW, dem Roten Kreuz und vielen anderen ehrenamtlichen Helfern, ({4}) ohne die das überhaupt nicht möglich wäre. ({5}) Es zeigt sich aber auch, dass der Einsatz der Bundeswehr im Innern nicht nötig gewesen wäre und die ganze Debatte nur eine Scheindebatte darstellte. Die FDP kann hier und heute nur nochmals bekräftigen: Wir haben den Einsatz der Bundeswehr im Innern immer abgelehnt, wir lehnen ihn auch heute ab und werden das auch in Zukunft tun. ({6}) Wir sind froh, dass die beiden Panzer am Sowjetischen Ehrenmal an der Fanmeile hier in Berlin die einzigen Panzer sind, die in der Nähe von Orten stehen, an denen man sich in Deutschland die Fußball-WM anschaut. ({7}) Bei der Fußball-WM fällt einem noch ein anderes Stichwort ein, nämlich BOS-Digitalfunk. Herr Minister, Sie können nichts dafür, dass Ihr Vorgänger, der andere Schily - Kollege Schily, verzeihen Sie mir das -, uns immer wieder versprochen hat, dass bis zur Fußball-WM der BOS-Digitalfunk eingeführt sein wird. ({8}) Wir hoffen, dass er jetzt zügig eingeführt wird und wir nicht bis zur nächsten Fußball-WM warten müssen, sondern dass dieses Vorhaben jetzt zeitnah umgesetzt wird. ({9}) - Man kann das ja auch als Ansporn nehmen, dass diese in 30 Jahren wieder hier bei uns stattfindet. Aber so lange wollen wir nicht warten. Zum THW lässt sich nur sagen, dass wir froh sind, dass es gelungen ist, den entsprechenden Etat um 20 Prozent zu steigern. Wir bedauern aber die Kürzung der für die Feuerwehren relevanten Mittel, die unverändert vorgesehen ist. Wir glauben, dass sozusagen nicht nur die „Blauen“, sondern auch die „Roten“ mehr Mittel brauchen. Deren Arbeit geschieht vornehmlich ehrenamtlich. Wir hoffen, dass dies auch in Zukunft berücksichtigt wird. ({10}) Weiterhin bedauern wir, dass wir uns beim Punkt Integrationskurse nicht durchsetzen konnten. Hier war die Bundesregierung nämlich nicht bereit, sich zu bewegen. Die vorgesehenen Kürzungen in diesem Bereich sind nicht nachvollziehbar. ({11}) - Herr Wiefelspütz, wenn Sie das für so unglaublich halten, hätten Sie sich einmal durchsetzen sollen, statt aus der zweiten Reihe Zurufe zu machen. - Das durch diese Entscheidung gegebene Signal ist aus unserer Sicht völlig falsch. Meine Damen und Herren aus den Koalitionsfraktionen, Ihre eigene Integrationsbeauftragte, Frau Professor Böhmer, die ja hier auch anwesend ist, hat mit Datum vom 3. Mai 2006 ausführlich ihre Eckpunkte zur qualitativen Verbesserung der Integrationskurse vorgestellt: mehr Stunden, bessere Finanzausstattung und zum Beispiel auch kostenlose Teilnahme von Bedürftigen. ({12}) Warum tun Sie da nichts, nachdem Ihre Integrationsbeauftragte das schon eindeutig festgestellt hat? Warum warten Sie bis zum nächsten Haushalt? ({13}) Machen Sie es jetzt. Das wäre überhaupt kein Problem. Migration und Integration sind wichtige Themen. Deshalb erneuern wir noch einmal unsere Forderung, in dieser Legislaturperiode dazu eine Enquete-Kommission einzusetzen. Wir hoffen, dass Sie dabei alle an unserer Seite sind; ich denke, das dürfte die Zustimmung des ganzen Hauses finden. ({14}) Sie werden uns fragen, woher denn das Geld dafür kommen soll. Das ist aus unserer Sicht wie immer auch eine Frage der richtigen Verteilung. Nach dem 11. September wurden zum Beispiel die Tabak- und die Versicherungsteuer erhöht, um mehr Mittel zur Bekämpfung des Terrorismus ausgeben zu können. Der Bürger glaubt, er sei jetzt geschützt. Im ersten Jahr haben Sie auch einen Bericht über die Mittelverwendung vorlegen können. Aber auf unsere Kleine Anfrage haben Sie dann geantwortet - ich darf zitieren -: Die finanziellen Auswirkungen des Gesetzes zur Finanzierung der Terrorbekämpfung können ex post nicht aus dem Kassenaufkommen hergeleitet werden. Die Vielzahl an Einflussfaktoren, die auf das kassenmäßige Steueraufkommen wirken, wie zum Beispiel die dreistufige Tabaksteuererhöhung ab dem Jahr 2004, macht es uns unmöglich, die Effekte der einzelnen gesetzlichen Maßnahmen zu separieren. Wenn das Ihre Antwort auf eine Steuererhöhung ist - nach vier Jahren wissen Sie nicht, wo das Geld herkommt und wo es hingeht -, dann habe ich ganz schlimme Ahnungen, was mit den 3 Prozent Mehrwertsteuererhöhung passiert, die Sie uns allen als Bürger jetzt aufbrummen. Das ist keine solide Kassenführung. Das ist, finde ich, eine Unverschämtheit. ({15}) Sie könnten aus meiner Sicht auch beim Innenministerium einsparen, nämlich beim Neubau. Es wird geplant und geplant - dafür wird bereits Geld ausgegeben. Sie haben einen teuren Mietvertrag und Sie planen einen teuren Neubau. Im Innenausschuss ist gesagt worden, das sei zusammen wirtschaftlich. Wenn Sie das hinbekommen, also wenn es wirklich so wäre, dass ein Neubau und der bestehende Vertrag wirtschaftlich vertretbar wären, müssten wir uns um den Haushalt keine Sorgen machen. Ich kann das nicht erkennen. Von daher hoffe ich, dass Sie da etwas ändern. Aber es gibt natürlich auch Sachen, die Sie nichts kosten würden und die Sie locker tun könnten. Das betrifft zum einen die Frage, wie wir mit dem Datenschutz umgehen. Wir haben hier heute einen Antrag betreffend die Weitergabe der Passagierdaten an die USA eingereicht. Wir erwarten, dass Sie die Kommission daran hindern, diese Daten weiterhin unmittelbar zu übertragen. Wir brauchen eine Diskussion in den Landesparlamenten zu diesem Thema. Wir sind im Übrigen auch der Ansicht, dass seit 2003 genügend Zeit verstrichen ist, um das Ganze jetzt zu evaluieren. So etwas darf man nicht durchpeitschen, so etwas muss man diskutieren. Genauso müssen wir aus unserer Sicht das Bundesdatenschutzgesetz dringend überarbeiten. Es ist weder in der Praxis für den Verbraucher noch was neue Technologien angeht einigermaßen nachvollziehbar. Deshalb setzen wir uns für eine Überarbeitung ein. ({16}) Zur Pressefreiheit. Dabei geht es nicht nur um die Durchsuchung von Büros von Journalisten. Dabei geht es auch darum, was wir uns bei der Pressefreiheit eigentlich leisten und wie wir dieses Thema behandeln. Wenn ein Beamter eine Information weitergibt und dafür bestraft wird, dann ist das eine Sache. Die andere aber ist: Wie gehen wir mit dem Journalisten um, der diese Daten verwertet? Herr Minister, Sie haben in einem „Spiegel“Interview vor einigen Wochen dazu Stellung genommen. Die FDP hat dazu einen Gesetzentwurf eingebracht. Sie haben das zumindest inhaltlich positiv begleitet. Wir würden uns freuen, wenn Sie uns auch bei diesem Gesetzentwurf weiterhin positiv begleiten könnten. Zum Abschluss: Die Vorgänge zum BND werden im Untersuchungsausschuss ausführlich behandelt werden. Die Diskussionen haben aber doch ergeben, dass das Verfahren des PKGr überarbeitungswürdig ist. Von daher bitten wir auch um Ihre Unterstützung für eine Reform des PKGr; denn ich glaube, was jetzt passiert, hat gezeigt, dass das dringend notwendig ist. Zum Abschluss mein Dank -

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Zum Abschluss müssen Sie jetzt bitte kommen.

Gisela Piltz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003667, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja. - Zum Abschluss mein Dank an die Haushaltsabteilung des Ministeriums, die immer guten Willens war. Sie hat zwar nicht alle meine Fragen beantwortet, aber wenn es nicht ging, hat sie wenigstens nett gesagt: Es geht nicht. Zum Abschluss auch mein Dank an alle Berichterstatter. Das war immer eine freundliche Zusammenarbeit, auch in Zeiten der großen Koalition. Meine Damen und Herren, das, was Sie hier zeigen, ist mehr Bürokratie, ist mehr Staat und sind mehr Schulden. Deshalb werden wir diesen Haushalt ablehnen. Vielen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat der Kollege Dr. Michael Luther, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Michael Luther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001398, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Hinter uns liegen arbeitsreiche Wochen der Haushaltsberatungen. Gleich am Anfang möchte ich mich bei Minister Schäuble und seinem gesamten Haus sowie insbesondere natürlich beim Haushaltsreferat für die gute Zusammenarbeit bedanken. Unser Bundestagspräsident Norbert Lammert sprach in seiner Antrittsrede im vergangenen Oktober davon, dass das Parlament nicht Vollzugsorgan, sondern Auftraggeber der Regierung sei. Insbesondere in Zeiten einer großen Koalition bedürfe es daher eines selbstbewussten Parlaments. Wir sind ein selbstbewusstes Parlament. Das hat gerade das Innenministerium während der Haushaltsberatungen gespürt. Ich danke daher recht herzlich für die Geduld, die man mit uns hatte. ({0}) - Gut. Die Insider wissen Bescheid. Ein wichtiges Ziel der Haushaltsberatung war nämlich, einen Teil der globalen Minderausgabe aufzulösen, die im Einzelplan 06 immerhin 132 Millionen Euro ausmachte. Was ist ein Haushalt mit einer solch hohen globalen Minderausgabe wert? Die einzelnen Haushaltstitel versprechen Geld und im Haushaltsvollzug führt dann die Auflösung der globalen Minderausgabe dazu, dass das versprochene Geld im Endeffekt nicht fließt. Letztendlich handelt es sich also nur um eine Ankündigungspolitik. Wir wollen damit Schluss machen. Ich glaube, dass diese GMA das Budgetrecht des Parlamentes aushebelt. Deshalb haben wir die GMA um 50 Prozent reduziert. Das ist im Etat des Innenministeriums nicht ganz so einfach. Man kann das nicht einfach auf zwei oder drei Haushaltstitel umlegen. Es hat sich vielmehr gezeigt, dass es einer generellen Überarbeitung des Haushaltes bedurfte. Der Beleg dafür sind die 160 Änderungsanträge, die wir als Koalition in den Haushaltsberatungen erarbeitet und letztendlich beschlossen haben. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, bis 2008 die GMA ganz zurückzuführen. Das wird schwierig werden, weil es dazu struktureller Veränderungen im Haushalt und geänderter Schwerpunktsetzungen bedarf. Herr Minister, ich als Haushälter gebe Ihnen an dieser Stelle die Zusage, dass wir Sie bei dieser schwierigen Arbeit unterstützen werden. Ich will noch eine Bemerkung zu den Einsparvorschlägen machen, die die FDP in Form einer dicken Bibel vorgelegt hat. Ich habe die Zahlen nachgerechnet. Die FDP hat für das Innenressort Kürzungen in Höhe von rund 90 Millionen Euro vorgeschlagen. Diese 90 Millionen Euro reichen nicht aus, um die globale Minderausgabe von 132 Millionen Euro aufzuheben. Allerdings haben Sie sie in Ihrer Sparbibel aufgelistet. Es wäre seriös, wenn Sie in diesem Buch, das Sie verfasst haben, wenigstens diese Sparvorschläge von 90 Millionen Euro streichen würden. ({1}) Wir haben in den Haushaltsberatungen strukturelle Schwerpunkte gesetzt. Dazu will ich einige Stichpunkte nennen. Erstens. Sehr wichtig ist für uns die Einführung des BOS-Digitalfunks - davon wurde schon gesprochen - für Polizei, Feuerwehr und viele andere. Diese Einführung ist längst überfällig. Ich bin Minister Schäuble sehr dankbar, dass er dieses Thema nach dem Regierungswechsel konsequent weiter verfolgt und dabei auf die existierenden Unterlagen zurückgreift und nicht etwa etwas Neues anfängt. Wir als Parlament werden ihn auf diesem Weg unterstützen. 2006 stehen für die Einführung des Digitalfunks rund 100 Millionen Euro zur Verfügung. Sollte dieses Geld 2006 aber nicht in Gänze abgerufen werden können, so haben wir als Haushälter sichergestellt, dass es auch 2007 noch zur Verfügung steht. Zweitens. Der Slogan lautet: Die Welt zu Gast bei Freunden. Die Fußballweltmeisterschaft ist bislang in zweifacher Hinsicht ein voller Erfolg. In sportlicher Hinsicht freue auch ich mich, dass die deutsche Nationalmannschaft so gut spielt und erfolgreich ist. Ich freue mich allerdings auch, dass sich Zehntausende von Fußballfans aus der ganzen Welt in Deutschland wohl und sicher fühlen. ({2}) Das heißt, dass neben dem FIFA-Organisationskomitee, das hervorragende Arbeit leistet, insbesondere die Sicherheitskräfte unseres Landes, die des Bundes und der Länder, ihren Beitrag zur Sicherheit leisten. Den Tausenden von Polizeibeamten und - aus unserer Sicht ganz besonders der Bundespolizei und dem Bundeskriminalamt gilt unser Dank für die hohe Einsatzbereitschaft, die sie in diesen Tagen zeigen. ({3}) Sicherheit ist nicht selbstverständlich. Die Bundespolizei und das BKA sind nicht nur im Rahmen der Fußball-WM unabdingbar. Sie sind wichtig im Kampf gegen Kriminalität, bei der Terrorismusabwehr oder bei der Sicherung der EU-Außengrenzen. Wir als Parlament unterstützen die Bundespolizei, damit sie auch in Zukunft dieser Aufgabe gerecht werden kann. Meines Erachtens ist es sehr wichtig, dass der Dienst in der Bundespolizei attraktiver wird. Deshalb beinhaltet auch der Bundeshaushalt 2006 Mittel für die Fortsetzung des Attraktivitätsprogramms der Bundespolizei. Das Bundesministerium des Innern ist auch das Sportministerium des Bundes. An dieser Stelle will ich einen persönlichen Dank formulieren. Das Bundesministerium des Innern kümmert sich seit 1990 auch um den Ausbau der Sportinfrastruktur in den neuen Bundesländern. Hierbei gab es, beginnend mit der Regierung Helmut Kohl bis heute, eine große Kontinuität. Deshalb können wir heute auf sanierte Stadien in Berlin und Leipzig zurückgreifen. Eine Fußballweltmeisterschaft in Deutschland könnte nicht in ganz Deutschland stattfinden, wenn dies nicht gemacht worden wäre. Sie findet halt nicht nur bei den großen Vereinen in den alten Bundesländern, zum Beispiel in Hamburg oder München statt, sondern eben auch in Berlin und Leipzig. Das finde ich sehr gut. Dafür meinen recht herzlichen Dank! ({4}) Ein weiteres Themenfeld war für uns das Technische Hilfswerk, das zum Gelingen der Fußballweltmeisterschaft ebenfalls maßgeblich beiträgt. Tausende freiwillige Helfer kümmern sich in ihrer Freizeit ohne finanziellen Ausgleich darum, dass die Spiele gut ablaufen. Das machen sie nicht nur jetzt - das ist ein aktueller Anlass -, sondern auch bei vielen anderen Gelegenheiten. Ich denke zum Beispiel an den Tsunami oder das Hochwasser in Sachsen. Diese Ereignisse liegen noch nicht allzu lange zurück. Sie sind wirklich sehr aktiv. Das THW verfügt über eine ehrenamtliche Basis von circa 41 000 Helfern. Ich bin der festen Überzeugung, dass es sich nicht lohnt, um Ehrenamtler zu werben, wenn wir nicht in der Lage sind, sie ordentlich auszubilden, adäquat auszurüsten und einsatzfähig zu halten. Deshalb haben wir innerhalb des Etats des Bundesinnenministeriums Mittel zugunsten des THW umgeschichtet, das heißt, mehr Geld für Aus- und Fortbildung sowie für die Ortsverbände zur Verfügung gestellt. ({5}) Noch ein Wort zu dem Antrag, der zur namentlichen Abstimmung gestellt wird, zum Thema Integration. Wir sind uns alle einig, dass Integration ein wichtiges Thema ist. Die jüngsten Vorgänge, wie zum Beispiel die an der Berliner Rütli-Schule, haben uns gezeigt, dass Sprache und Sprachförderung von entscheidender Bedeutung sind, wenn Integration gelingen soll. ({6}) Nun wird kritisiert, dass dafür im vorliegenden Haushalt weniger Mittel als 2005 eingestellt sind. ({7}) Fakt ist: Die Mittel für Integration wurden im vergangenen Jahr nicht in vollem Umfang abgerufen. Über die Ursachen dafür kann man philosophieren. Es macht aber keinen Sinn, Geld in den Haushalt einzustellen, das voraussichtlich wieder nicht abgerufen wird. ({8}) Unser Haushaltsansatz für die Sprachförderung ist seriös und bezieht sich auf die Zahlen, die sich in diesem Jahr anzeigen. ({9}) Außerdem haben wir für alle Eventualitäten einen Haushaltsvermerk eingebracht, der sicherstellt, dass bei einem eventuellen finanziellen Mehrbedarf das entsprechende Geld auch zur Verfügung steht. ({10}) Damit ist ausreichend Vorsorge getroffen. Wir wollen die Integrationsmaßnahmen verbessern. ({11}) Wenn das geschehen ist, folgt dem auch das Geld. Einfach nur Geld zu fordern, ohne konkrete Planungen vorzulegen und die entsprechenden Rahmenbedingungen zu schaffen, ist aus meiner Sicht nichts weiter als billiger Populismus. Das bringt die Integration nicht voran. ({12})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Lieber Kollege, ich nehme an, Sie kommen zum Schluss.

Dr. Michael Luther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001398, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ein letzter Satz von mir. - Der Innenausschuss des Bundestages tagt zu dem Einzelplan heute aus aktuellem Anlass unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Ich bedanke mich dafür, dass Sie mir trotzdem aufmerksam zugehört haben. Schönen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat die Kollegin Ulla Jelpke, Fraktion Die Linke. ({0})

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Auf den Repressionsapparat werde ich noch zu sprechen kommen. Keine Angst. ({0}) Die Integrationspolitik ist eine der größten Aufgaben, vor denen die Bundesrepublik steht. Wenn wir aber die Politik der Bundesregierung in Sachen Integration anschauen, dann kann man eigentlich nur feststellen, dass sie darauf ausgerichtet ist, keine Angebote zu machen und vor allen Dingen zu schikanieren.So wird regelmäßig die Bedeutung von guten Deutschkenntnissen beschworen. Doch die meisten Kurse sind so überfüllt, dass auf die individuelle Ausgangssituation der Teilnehmer nicht eingegangen werden kann. Die Kritik, die die Träger der Kurse an der schon bestehenden Unterfinanzierung üben, Herr Luther, stößt bei der Bundesregierung auf taube Ohren. Vollmundig wurde versprochen, keine Kürzungen bei den Mitteln für Sprachkurse vorzunehmen. Doch genau diese Kürzungen sind weiter im Haushalt vorgesehen. Im Juli will die Bundeskanzlerin einen Integrationsgipfel abhalten. Herr Faruk Sen, der Leiter des Zentrums für Türkeistudien, hat dazu erklärt, diese Veranstaltung illustriere lediglich die Konzeptionslosigkeit der Integrationspolitik der Bundesregierung. Eine fundierte Vorbereitung habe es nicht gegeben, Migrationsorganisationen seien weitgehend nicht repräsentiert. Faruk Sen kommt zu dem Schluss, der Gipfel habe nur eine Feigenblattfunktion. Ich muss ihm da leider Recht geben. Integrationspolitik - das können die Minister der Kanzlerin bestellen - erschöpft sich eben nicht darin, Einwanderer unter Strafandrohung in überfüllte Deutschkurse zu zwingen. Sprache zu erlernen, ist wichtig; das betone ich hier. Aber eine gescheiterte Integration können Sie nicht nur auf fehlende Sprachkenntnisse zurückführen. ({1}) Sie nehmen hier eine, gelinde gesagt, unterkomplexe Betrachtung vor. Migranten sind in vielen Bereichen unserer Gesellschaft benachteiligt. Der letzte Bericht zur Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland hat gezeigt: Von den negativen Entwicklungen am Arbeitsmarkt und in der Sozialpolitik sowie von der zunehmenden sozialen Selektion im Bildungssystem sind Menschen mit Migrationshintergrund besonders betroffen. Gute Integrationspolitik ist unserer Auffassung nach in erster Linie eine gute Sozialpolitik. Für diese Bundesregierung sind freilich beides Fremdworte. Sie beschränkt sich in beiden Politikbereichen darauf, noch mehr Kürzungen, noch mehr Repressionen und noch mehr Kontrollen einzuführen. In die Zukunft weisende Vorstellungen hat sie leider nicht. Das gilt insbesondere, aber leider nicht nur für Edmund Stoiber, den Prokonsul aus München. Als Signal für eine ernst gemeinte Integrationspolitik will er jetzt den so genannten Gotteslästerungsparagrafen, § 166 des Strafgesetzbuches, verschärfen. Auf eine Herausforderung der modernen Gesellschaft reagiert er mit dem Rückgriff auf einen Zensurparagrafen des Kaiserreichs. Das zeigt exemplarisch die Ratlosigkeit der Regierungsparteien. Das zeigt aber auch, was Sie unter Leitkultur verstehen: Repression statt Freiheit. Dass Migranten von der Bundesregierung im Kampf gegen den Terrorismus als Bedrohung beschrieben werden, hat fatale Folgen. In den letzten Wochen häufen sich gewalttätige Angriffe auf Menschen, die ihren Peinigern nicht weiß und nicht deutsch genug sind. Der Verfassungsschutz gibt an, dass die Zahl der rechtsextremistischen Gewalttaten um 23,5 Prozent und die der Straftaten insgesamt sogar um 27,5 Prozent gestiegen ist. Die Zahlen sind erschreckend. Sie sind eine Herausforderung für die Demokratie. Auch hier fehlt der Bundesregierung jedes Konzept. Sie will den Verfassungsschutz umbauen und die Abteilung für den so genannten Linksextremismus mit der Abteilung für Rechtsextremismus zusammenlegen. Dazu fällt mir nur ein: Wenn zwei Dumme sich zusammentun, sind sie auch nicht schlauer als vorher. ({2}) - Sie können sich gerne darüber aufregen. Aber ich kann die Einseitigkeit, die hier immer wieder zur Schau getragen wird, wenn es um den so genannten Extremismus geht, wirklich nicht anders bezeichnen. Die Unzulänglichkeit des Verfassungsschutzes ist schon eine Legende. Er fasst in seinem Bericht lediglich Daten zusammen, die wir im Übrigen bereits durch das Bundeskriminalamt kennen. Der Bundesverfassungsschutz malt ständig das Gespenst vom Linksextremismus an die Wand und bezeichnet Friedensgruppen und Überlebende des NS-Regimes als Verfassungsfeinde. Auf der anderen Seite kann man im Verfassungsschutzbericht 2005 lesen, wie sehr verharmlost wird. Der Bericht betont - ich zitiere - „die grundsätzlich vorhandene Gewaltaffinität der Szeneangehörigen“. Es seien wiederholt Waffen gefunden worden, auch fände paramilitärisches Training statt. Aber Anhaltspunkte für terroristische Absichten von Rechtsextremisten lägen nicht vor. Da werden also Waffen und Sprengstoff gefunden. Da werden Wehrsportübungen durchgeführt. Da hat die Gruppe „Freikorps Havelland“ einen ganzen Landstrich mit Brandanschlägen überzogen. Da kommt es in Berlin, Rheinsberg, Magdeburg, Dortmund und in vielen anderen Städten in Ost und West regelmäßig zu Übergriffen mit Verletzten und Toten. Da gibt es Zonen, in die sich Menschen, vor allen Dingen Menschen mit ausländischer Herkunft, nicht mehr trauen. Das ist der alltägliche Terror, den Neofaschisten ausüben. Aber der Innenminister erklärt in gespielter und dreister Ahnungslosigkeit, es gebe keine Angstzonen - offensichtlich, weil es sie nicht geben darf. Machen Sie doch einmal die Augen auf, Herr Schäuble! Werte Kollegen, ich begrüße es, dass unsere Proteste zumindest dazu geführt haben, dass weitere Kürzungen der Mittel für die Bundeszentrale für politische Bildung verhindert werden konnten. ({3}) - Nehmen Sie meine Kritik trotzdem zur Kenntnis! Der Haushaltsansatz für die Bundeszentrale für politische Bildung verharrt allerdings auf niedrigem Niveau. Die Stärkung des demokratischen Bewusstseins erreicht man nicht durch Repression und durch den Abbau von Grundrechten im Kampf gegen die vermeintlichen oder echten Feinde der Demokratie. Das ist genau der falsche Weg. Wir brauchen eine detaillierte Analyse der Bedrohungen der Demokratie und der Grundrechte. Die Fraktion Die Linke fordert deswegen die Einrichtung einer unabhängigen Beobachtungsstelle für Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus, die vom Bundestag im Übrigen schon einmal beschlossen wurde. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Jelpke, kommen Sie bitte zum Schluss.

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vor allen Dingen fordern wir, dass Projekte wie die „Opferperspektive“ und die „Mobilen Beratungsteams“ weiterhin, also auch im Jahre 2007, finanziert werden. ({0}) Im Übrigen möchte ich auf eines aufmerksam machen:

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Jelpke, Sie müssen zum Ende kommen.

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Wenn die Bundesregierung durch ihre Politik endlich dafür sorgen würde, dass deutsche Polizisten die Nazis auf der Straße nicht mehr schützen müssten, dann wären wir, was die Bekämpfung der Übergriffe und Angriffe von Neonazis angeht, schon viel weiter. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat die Kollegin Bettina Hagedorn, SPDFraktion.

Bettina Hagedorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003545, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verehrtes Präsidium! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Als zuständige Hauptberichterstatterin kann ich heute feststellen: Die Schularbeiten sind gemacht. ({0}) Stärker, als es in anderen Etatbereichen der Fall war, haben wir Abgeordnete in den letzten Wochen den Haushaltsentwurf des Bundesinnenministeriums gestaltet und verändert. Dabei haben wir als Koalitionsfraktion im Haushaltsausschuss sage und schreibe - ich habe nachgezählt - 180 Anträge gestellt und über sie abgestimmt. Zum Teil haben wir unpopuläre Einsparungen durchgesetzt, dabei Druck erzeugt und ausgehalten. Das war fürwahr oft keine vergnügungssteuerpflichtige Aufgabe. Insbesondere die Tatsache, dass im Regierungsentwurf dieses Haushalts, der ohne Versorgungslasten insgesamt eine Größenordnung von gut 4 Milliarden Euro hat, pauschal eine globale Minderausgabe von 132 Millionen Euro veranschlagt war, von der wir um der Haushaltswahrheit und -klarheit willen immerhin die Hälfte auflösen und damit gut 66 Millionen Euro einsparen wollten, stellte uns vor schwierige Herausforderungen. Da mehr als die Hälfte des gesamten Etats, nämlich über 2,1 Milliarden Euro, allein für Personal, nämlich für circa 54 000 Mitarbeiter, aufgewendet wird, konnten wir die Einsparung in Höhe von 66 Millionen Euro nicht erbringen, ohne auch im Personalbereich zu kürzen. Kein Bereich und keine der 18 Verwaltungsbehörden des Bundesinnenministeriums blieben davon verschont. Das ist die schlechte Nachricht. Uns ist bewusst, dass die beim Personal vorgenommenen Einsparungen in Höhe von 20 Millionen Euro, die vom Ministerium dauerhaft erbracht werden sollen, nur durch strukturelle Änderungen zu erreichen sind. Wir Berichterstatter erwarten gespannt die Konzepte, die das Ministerium dazu entwickeln wird. Aber es gibt auch eine gute Nachricht: Im Schwerpunktbereich der inneren Sicherheit, bei der Bundespolizei, wird es im mittleren Polizeivollzugsdienst trotzdem 1 190 neue Planstellen geben. Bereits 2002 beschloss die damalige Bundesregierung im Rahmen des Antiterrorpakets die Einstellung und Ausbildung dieser Anwärter für den Polizeivollzugsdienst. Sie sind nun mit ihrer Ausbildung fertig und werden 2006 fest in den Dienst übernommen. Den Bürgerinnen und Bürgern geben wir damit das klare Signal, dass die Sicherheit im Land trotz aller Sparbemühungen Schwerpunkt unserer Arbeit bleibt. ({1}) Zum Thema Beamte, zu den Personalkosten und den Pensionen. Wie wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben, hat der öffentliche Dienst allein in diesem Jahr mit 500 Millionen Euro zu den Sparbemühungen beizutragen; davon betroffen sind 372 000 aktive Beamte und Soldaten und 710 000 Pensionäre. Angesichts dieser Zahlen kann sich jeder ausmalen, dass die Pensionslasten für den Bundeshaushalt kein Pappenstiel sind. Sie betragen genau 8,5 Milliarden Euro; das ist mehr als doppelt so viel wie der gesamte Haushalt des Bundesinnenministeriums. Man muss nicht mit besonders viel Fantasie ausgestattet sein, um sich vorstellen zu können, dass diese Pensionslasten angesichts der demografischen Entwicklung künftig beängstigend steigen werden. Bisher waren die Pensionslasten im Einzelplan 33, für den ich auch zuständig bin, zentral veranschlagt. Diese zentrale Veranschlagung hat natürlich in allen Ministerien weder bei der Personaleinstellung noch bei der Bewilligung von Frühpensionierungen oder Altersteilzeit zu einem Problembewusstsein beigetragen, welche Konsequenzen solche pensionsrelevanten Entscheidungen haben. ({2}) Deshalb bin ich besonders stolz, dass wir es im Haushaltsausschuss in diesem Frühjahr - nach jahrelanger Diskussion und gegen erheblichen Widerstand aller Ressorts - endlich geschafft haben, den Einzelplan 33 praktisch aufzulösen und zu veranlassen, dass die Pensionslasten künftig dezentral, in den Haushalten der einzelnen Bundesministerien, veranschlagt werden müssen. ({3}) Allein für das Ministerium des Innern bedeutet dieser Schritt zu veranschlagende Mehrkosten von gut 298 Millionen Euro. Zusätzlich richten wir einen Pensionsfonds ein, in den künftig durch die Ministerien Einzahlungen zu leisten sind, damit die Versorgungslasten nicht länger allein auf die Schultern künftiger Generationen geladen werden. Das ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. 18 Verwaltungsbehörden gehören zum Bundesinnenministerium; die meisten von ihnen spielen in der Sicherheitsarchitektur unseres Landes eine zentrale Rolle. Dazu gehört natürlich insbesondere die Bundespolizei, die mit über 2 Milliarden Euro allein die Hälfte des Gesamtetats ausmacht. Rund 87 Prozent des Gesamtetats werden für diese 18 Verwaltungsbehörden verausgabt. Deswegen konnte bei unserer Kürzung um 66 Millionen Euro keine dieser Behörden ein Tabu sein. Dennoch haben wir Parlamentarier den finanziellen Bedarf wichtiger Politikbereiche anders eingeschätzt als das Bundesinnenministerium und deshalb in den überaus harten Haushaltsverhandlungen an den politisch entscheidenden Stellen gegenüber dem Regierungsentwurf kleine, aber wirkungsvolle Korrekturen vorgenommen. Im Ergebnis setzen wir mit diesem Haushalt einerseits klar auf Haushaltskonsolidierung durch strukturelle Einsparungen. Andererseits ist er ein Bekenntnis zu wichtigen gesellschaftlichen Schwerpunkten. Mein Kollege Michael Luther hat das Beispiel „THW und Katastrophenschutz“ schon angesprochen. Auch dieser Bereich konnte von Einsparungen nicht völlig ausgenommen werden. Aber es gibt eindeutig einen Gewinner im Bereich des Katastrophenschutzes. Das ist das Ehrenamt, das sind die Helferinnen und Helfer, das sind die Ortsverbände, wo die erfolgreiche und wichtige Jugendarbeit geschieht. Das THW schreibt gerade in der Jugendarbeit bereits seit Jahren eine Erfolgsstory: Die Anzahl der freiwilligen jugendlichen THWler ist seit 2002 von über 12 300 auf jetzt über 15 000 angestiegen; das ist ein Plus von 22 Prozent. Das verdient einerseits unseren Beifall und andererseits unsere massive finanzielle Unterstützung. ({4}) Die verbesserte Grundlage haben wir jetzt geschaffen, indem die zuständigen Ortsverbände und die Helfervereinigung des THW insgesamt 3,6 Millionen Euro mehr als im Regierungsentwurf vorgesehen erhalten. Zusätzlich haben wir die Mittel für die Aus- und Fortbildung um 1,5 Millionen Euro erhöht. Den Ortsverbänden des THW stehen damit 23,5 Millionen Euro zur Verfügung. Das ist ein Aufwuchs um satte 14,5 Prozent. Das ist wahrlich eine gute Nachricht. ({5}) Anlässlich der Fußballweltmeisterschaft werden die Ehrenamtlichen des THW zahlreiche zusätzliche Einsätze in erheblichem Umfang absolvieren und damit zur Sicherheit der Sportereignisse beitragen. In den letzten Jahren hat sich die Zahl der Einsätze des THW vor allem in Katastrophengebieten im Ausland massiv erhöht. Waren es 2004 noch 42 Einsätze, so kam das THW 2005 schon 71-mal zu Hilfe. Bei dieser Arbeit hat sich das THW weltweit einen ausgezeichneten Ruf erworben. THWler sind vorbildliche Botschafter Deutschlands. ({6}) Auch die Zahl der Einsätze der Bereitschaftspolizeien der Länder steigt bundesweit an. Auch sie haben im Moment mit Urlaubssperren und explodierenden Überstundenkonten zu kämpfen. Die Mittel für die Fahrzeugbeschaffung im Regierungsentwurf wurden gegenüber den Vorjahren dennoch gekürzt. Ich bin froh, dass es im Haushaltsausschuss auch in diesem Bereich gelang, eine Erhöhung von 1,5 Millionen Euro durchzusetzen, um dringend notwendige Modernisierungen im Fahrzeugpark vorzunehmen; denn klar ist: Wir wollen die Polizisten in ihrer oft schwierigen Arbeit durch verstärkte Investitionen in ihre Ausstattung unterstützen. Bei der Programmarbeit der Bundeszentrale für politische Bildung sollten laut Regierungsentwurf 5 Millionen Euro gegenüber 2005 gestrichen werden. Das wäre eine Kürzung um fast 30 Prozent gewesen und war nach Auffassung der SPD völlig unakzeptabel. Gerade junge Menschen profitieren von den unglaublich breit gefächerten Informationsangeboten. Bundesweit nutzen die Schulen die kostengünstig zur Verfügung stehenden Schriften, die eine aktuelle Ergänzung nicht nur für den gesellschaftspolitischen Unterricht darstellen und durch kein Schulbuch abgedeckt werden. Das ist Aufklärung, Information und Prävention, wie wir sie in Deutschland angesichts steigender Politikverdrossenheit, Wahlmüdigkeit und - schlimmer noch - des Abdriftens von Jungwählern nach rechts und in die Gewalt dringend brauchen. Ich bin glücklich, dass es in einem Kraftakt gelungen ist, die vorgesehene Kürzung von 18,4 auf 13,4 Millionen Euro komplett rückgängig zu machen. 5 Millionen Euro in diesem Schwerpunktbereich „on top“, das ist wahrlich eine gute Nachricht. ({7}) Ich muss allerdings zugeben, dass mich eine schlechte Nachricht bedrückt: Die Mittel für den wichtigen Bereich der Sprachkurse für Zuwanderer werden gegenüber dem Soll von 2005 faktisch um 67 Millionen Euro, also um ein Drittel des Gesamtetats, auf 140 Millionen Euro gekürzt. Mein Kollege Luther ist darauf eingegangen: Das Innenministerium hat auf unseren Wunsch hin mehrfach Berichte vorgelegt, aus denen dessen Prognose hervorgeht, dass das Geld angesichts der Erfahrungen aus dem Vorjahr im Jahre 2006 reichen wird. Der Innenausschuss ist dieser Kalkulation mehrheitlich gefolgt. Ich persönlich fürchte aber, dass wir aufgrund der im Vorjahr verspätet angelaufenen Sprachkurse kurz nach In-Kraft-Treten des Zuwanderungsgesetzes, aufgrund verzögerter Abrechnungen der Träger bis in dieses Jahr hinein und aufgrund der viel zu langen Fristen von bis zu zwei Jahren für das Einlösen der Berechtigungsscheine in Wahrheit eine Bugwelle an nicht absolvierten Sprachkursen für Zuwanderer aus 2005 vor uns herschieben, für die dringend zusätzliche Mittel zur Verfügung stehen müssen. ({8}) Das Innenministerium versicherte uns, dass Mehrausgaben durch einen vorsorglichen Haushaltsvermerk gedeckt würden und dass in diesem Jahr kein integrationswilliger Zuwanderer und kein Träger Abstriche beim Angebot von Sprachkursen machen muss. ({9}) Darauf, Herr Minister, werde ich pochen. Der geplante Integrationsgipfel wäre ein zahnloser Tiger, wenn die Mittel für eine verbesserte Integration in Deutschland nicht kassenwirksam zur Verfügung stehen. Im Zuwanderungsgesetz vorgesehene Spezialkurse zum Beispiel für Frauen mit Betreuungsangeboten für ihre Kinder, für Jugendliche und für Analphabeten wurden bisher bundesweit noch viel zu wenig angeboten. Ich freue mich, dass eine kleine Gruppe in meiner Heimat, im deutsch-dänischen Grenzland in SchleswigHolstein, bereits in diesem Jahr von einer wichtigen Kurskorrektur profitiert. Dabei handelt es sich um den Bund der Nordschleswiger. Immerhin konnten wir die vorgesehene Kürzung in Höhe von 100 000 Euro zurücknehmen, Herr Bergner. Wie Sie wissen, hat das im Norden zu großer Zufriedenheit geführt. Auch in einem anderen Bereich hat eine vergleichsweise kleine Summe große Wirkung erzielt. Dem Abraham-Geiger-Kolleg stehen als jüdischer Bildungseinrichtung mit Sitz an der Universität Potsdam 2006 73 000 Euro mehr zur Verfügung. Das ist ein Signal in Anerkennung der Leistungen der ersten Rabbinerausbildungsstätte in Deutschland. ({10}) Zum Schluss möchte ich noch auf das 6-MilliardenEuro-Programm für mehr Forschung und Entwicklung und das im Koalitionsvertrag festgelegte Ziel eingehen, diese Ausgaben bis 2009 auf 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes zu steigern. Das ist für mich eines der Kernziele dieser großen Koalition. Ich gehöre zu denjenigen, die schon in der Vergangenheit mit ganzer Seele für die Aufstockung der Mittel für Bildung und Forschung gekämpft haben. Ich hätte mir schon in der letzten Wahlperiode gewünscht, dass der Bundesrat die Abschaffung der Eigenheimzulage zugunsten des Bildungs- und Forschungsbereiches nicht, wie geschehen, blockiert hätte; denn dann wären wir in Deutschland in diesem Bereich vielleicht schon weiter. Aber den Blick nicht zurück, sondern nach vorne zu richten, soll auch meine Parole sein. Ich freue mich, dass das Bundesinnenministerium an dem 6-Milliarden-Euro-Programm der Bundesregierung teilhaben wird. Allein 2006 sind 20 Millionen Euro zusätzlich für fünf Projektbereiche vorgesehen. Bis 2009 sollen insgesamt 80 Millionen Euro Bundesmittel bereitgestellt werden. Dennoch muss ich gestehen, dass die Haushälter diese Mittel vorerst komplett gesperrt haben. Ich will gerne kurz den Grund dafür erläutern. Ich erinnere an die Worte der Bundeskanzlerin bei der ersten Beratung des Haushaltes im März. Sie sagte damals, dass die Frage - ich zitiere -, „an welcher Stelle wir diesen Betrag in Höhe von 6 Milliarden Euro ausgeben müssen, damit am Ende der Legislaturperiode Deutschland insgesamt 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Forschung und Entwicklung ausgibt“, noch genau geklärt werden müsse. Diese Sache sei „noch nicht in trockenen Tüchern, weil auf jeden Euro der öffentlichen Hand 2 Euro privater Investitionen der Wirtschaft folgen müssen“. Ich gebe der Kanzlerin ausdrücklich Recht. Weil es noch keine Gesamtstrategie gibt und weil es vor allem noch keine Zusagen der Bundesländer und der Wirtschaft gibt, ihren jeweiligen Anteil zur Steigerung der F-und-E-Mittel beizutragen, bleiben diese Mittel vorerst gesperrt. Welchen Effekt wir durch die 6 Milliarden Euro auf Bundesebene erzielen können, will ich am Beispiel des BMI-Haushalts verdeutlichen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.

Bettina Hagedorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003545, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme zum Schluss. - Aus den 20 Millionen Euro, die allein 2006 etatisiert sind, und den 80 Millionen Euro bis 2009 könnten nämlich insgesamt 480 Millionen Euro für Bildung und Forschung werden, wenn die Bundesländer und die Wirtschaft ihre Zusagen an dieser Stelle einhalten. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin, Sie müssen jetzt dringend zum Schluss kommen.

Bettina Hagedorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003545, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich möchte mich bei meinen Mitberichterstattern für die kollegiale Zusammenarbeit und bei Innenminister Dr. Schäuble und seinen Mitarbeitern für die vielfache Unterstützung bedanken. Ich glaube, wir haben eine gute Arbeit geleistet und können zufrieden auf diese Haushaltsberatungen zurückblicken. Ich danke Ihnen. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat der Kollege Wolfgang Wieland, Bündnis 90/Die Grünen.

Wolfgang Wieland (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003863, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte auch ich mich als Fachpolitiker bei den Kolleginnen und Kollegen aus dem Haushaltsausschuss, insbesondere bei den Berichterstatterinnen und Berichterstattern, bedanken. Ich füge aber hinzu, dass die Schlussdebatte nach meinem Verständnis eher eine Stunde der politischen Auseinandersetzung als der Buchhalter sein sollte. Es sollte eher eine Stunde der Generalabrechnung mit der politischen Linie der Regierung sein. Hier fängt unsere Schwierigkeit an. Wo ist eigentlich die Linie der großen Koalition im Bereich des Innern? Was man sieht, lieber Kollege Wiefelspütz, ist eine Art Waffenstillstandslinie zwischen SPD und CDU/CSU, die sich ständig ändert. Oder um es in der Sprache des Fußballs auszudrücken, damit Sie es verstehen: Zu sehen ist eine Mannschaft, die gegeneinander spielt, in der der eine Teil stürmt - die CDU/CSU stürmt immer gegen Bürgerrechte und rechtsstaatliche Fundamente an -, während ein großer Teil der SPD verteidigt und einige an der Außenlinie irrlichtern und nicht wissen, ob sie stürmen oder verteidigen sollen. Das ist ziemlich amüsant anzusehen, aber Weltmeister wird eine solche Mannschaft nicht. ({0}) Eigentlich müsste der Trainer, der Bundesminister des Innern, sagen, welchen Kurs die Regierung steuern will. Er hat ja eine unnachahmliche Art. Er kommt ohne Manuskript oder legt es beiseite, schüttelt dann Grundsätzliches aus dem Ärmel und sagt im Plauderton, wie er denkt, dass sich die Innenpolitik entwickeln sollte. So hat er es auch im Innenausschuss gemacht, als er sein Vierjahresprogramm vorlegen sollte und zu der Evaluation der Sicherheitsgesetze, der Nutzung von Autobahnmautanlagen zu Fahndungszwecken, der Heraufsetzung des Nachzugsalters von Ehegatten und dem Einsatz der Bundeswehr im Innern, seinem Steckenpferd, Stellung genommen hat. Auf die Frage, ob das alles mit dem Koalitionspartner abgesprochen sei, ob das wirklich Regierungspolitik wird, antwortete er nicht und schaute stattdessen wie ein Auto nach dem Motto „Dann hätte ich hier doch gar nichts sagen können“. In der Pädagogik gibt es den unterforderten bzw. den sich unterfordert fühlenden Schüler. Bei diesem Innenminister habe ich ständig den Eindruck, dass wir nun den sich unterfordert fühlenden Innenminister erleben, der eigentlich gerne etwas ganz anderes machen möchte, aber tatsächlich nur dasitzt und die Welt beobachtet, genauso wie im Augenblick. ({1}) - Danke für das Kompliment. Lieber Herr Schäuble, Sie wählen die passive Rolle, und zwar auch bei der Föderalismusreform, obwohl Sie als Verfassungsminister für die Beziehungen zu den Ländern und - last, but not least - für die Angelegenheiten der Beamten zuständig sind. Selbst bei dieser als Jahrhundertwerk titulierten Reform haben Sie nur die Rolle eines Zaungastes gespielt. Sie haben lediglich einen Anstandsbesuch am ersten Tag der Anhörungen gemacht. Sie haben aber nicht in die Debatte eingegriffen. Sie haben nichts dazu gesagt, dass das Versammlungsrecht auf 16 Bundesländer aufgeteilt und so zersplittert werden soll, genauso wenig wie zu der geplanten BKAAllzuständigkeit. Das ist sicherlich ganz in Ihrem Sinne. Aber eine aktive Politikgestaltung sieht anders aus. Wer Sie noch aus Ihrer ersten Amtszeit kennt - ich nenne als Beispiele nur das Ausländergesetz, an dem Ihr Vorgänger, Herr Zimmermann, gescheitert ist, und die Verhandlungen über den Einigungsvertrag -, der hat einen Macher in Erinnerung, der wirklich herangeht. Was aber passiert heute? Morgen und übermorgen wird Politik gemacht; so lauten die Versprechungen. Man ist fast versucht, zu sagen: Vielleicht ist es gut, dass Sie diese Form der Arbeitsverweigerung zurzeit noch an den Tag legen; denn Ihre Langzeitprojekte, die Verschmelzung von Militär und Polizei sowie von Polizei und Geheimdiensten - auf die Auseinandersetzungen darüber freuen wir uns; diese Projekte haben Sie bestimmt nicht vergessen; Sie warten nur auf den richtigen Zeitpunkt, sie umzusetzen -, veränderten die Sicherheitsarchitektur in diesem Land. Es wäre eine Architektur, die uns das Grausen lehrte. ({2}) - Es ist schön, wenn Sie sich gruseln. Dann hat sie ihren Sinn erfüllt. ({3}) Da sich hier die Redezeit reziprok proportional zu den Inhalten verhält, die die Rednerinnen und Redner vortragen, möchte ich ohne Hader noch ein deutliches Wort zu den Integrationskursen sagen. Das ist wirklich ein Stück aus dem Tollhaus. Der Kollege Grindel hat eine Bildungsreise zu einem solchen Kurs gemacht. Als er zurückkam, sagte er im Innenausschuss - Reisen bildet -: Das muss anders gemacht werden. Hier ist eine Binnendifferenzierung notwendig. Eine Analphabetin darf nicht neben einer Studentin sitzen. Zudem müssen wir das Honorar heraufsetzen und die Zeiten verlängern. - Das alles ist richtig. Gleichzeitig war man sich einig, dass nicht nur die Neuzuzügler, sondern auch die so genannten Bestandsausländerinnen solche Kurse besuchen sollten. Gleichzeitig sagte uns das Statistische Bundesamt bei der Vorstellung des Mikrozensus 2005: Wir haben in diesem Land 15,3 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund. - Das ist fast ein Fünftel der Bevölkerung. Gleichzeitig sagt der ebenfalls Ihnen zugeordnete Leiter des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge: Das Geld wird nicht reichen. - Sie wollen die Kurse verbessern, wir wollen das auf Bestandsausländerinnen und -ausländer ausdehnen und dann werden die Gelder um ein Drittel gekürzt. Das passt nicht zusammen. Deswegen haben wir zu unserem Änderungsantrag eine namentliche Abstimmung gefordert. Ihnen zuliebe, den Kollegen zuliebe, die nicht da sind - die können Fußball gucken -, wollen wir die Abstimmung darüber nicht jetzt. So freundlich sind wir. ({4}) Aber wir erwarten als Gegenleistung, Kolleginnen und Kollegen der SPD, dass Sie Ihren Worten hier Taten folgen lassen und zustimmen. Abschließend zum Thema Integration. Weil so gern über Fußball geredet wird, will ich noch sagen: Wir haben in den letzten Tagen gerade in Berlin erfreut festgestellt - als Innenpolitiker soll man den Tag nie vor dem Abend loben; das weiß ich -, dass die WM bisher ein fröhliches Fest war. Wir hoffen, dass es so bleibt. ({5}) Erfreulich war auch, dass viele junge Türken hier in Berlin mit der Deutschlandfahne durch die Straßen gelaufen sind und sich entsprechend bemalt haben.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege!

Wolfgang Wieland (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003863, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das ist mein letzter Satz. - Das ist ein Signal. Sie wollen dazugehören. Sie wollen mit dabei sein. Das sollten wir ernst nehmen ({0}) und in Zukunft sagen: Bei der Integration brauchen wir einen Quantensprung und keine Mittelkürzung. Vielen Dank. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat der Bundesminister des Innern, Dr. Wolfgang Schäuble.

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will zunächst einmal eine Bemerkung zu Ihnen machen, Herr Kollege Wieland. Natürlich müssen wir über die Sache der Innenpolitik intensiv diskutieren. Aber wer die sorgfältige Wahrnehmung des Budgetrechts des Parlaments als Buchhalterei bezeichnet, verrät ein unzureichendes Verständnis von der Notwendigkeit, mit knappen Steuergeldern verantwortungsvoll umzugehen. ({0}) Ich will mich in der gebotenen Konzentration zunächst beim Haushaltsausschuss und bei den Berichterstattern herzlich für die intensive Beratung bedanken; Frau Kollegin Hagedorn hat es gerade beschrieben. Wir haben seit Beginn der Haushaltsberatungen gestern Morgen darüber geredet, dass dieser Haushalt ein Stück weit ein Haushalt des Übergangs ist. Wir haben im Einzelplan 06 - gewissermaßen als Erblast - eine relativ hohe globale Minderausgabe vorgefunden. Die ist nicht jetzt entstanden. Die Probleme bei ihrem Abbau und die Konsequenzen daraus haben Sie liebenswürdigerweise sehr präzise beschrieben; ich brauche das gar nicht zu wiederholen. Ich bin jedenfalls dankbar dafür, dass wir sie abbauen; ich unterstütze das ausdrücklich. Insbesondere bei Frau Hagedorn und Herrn Luther sowie den anderen Berichterstattern bedanke ich mich dafür, dass wir einen großen Schritt vorangekommen sind, sowie auch für die Bereitschaft, zu akzeptieren, dass wir diese globale Minderausgabe nicht in einem Schritt abbauen können, sondern dass wir zwei Schritte brauchen und dass wir das auf die nächsten Haushaltsjahre bis 2008 verteilen müssen; sonst kommen wir überhaupt nicht zurande. Ich sage Ihnen zu, das mit Nachdruck zu unterstützen und meinen Beitrag dazu zu leisten. Ich bedanke mich so, wie Sie sich bei den Mitarbeitern des Hauses für die Zusammenarbeit bedankt haben. Ich sehe auch gar keine grundsätzlichen Meinungsunterschiede. Herr Kollege Wieland, machen Sie sich keine Sorge im Hinblick auf Unterforderung oder Arbeitsverweigerung. Diese Sorge brauchen Sie nicht zu haben. Im Übrigen habe ich nicht verstanden: Wollen Sie nun mehr oder weniger von mir? ({1}) Da müssen Sie sich irgendwie entscheiden. Aber es macht ja Spaß. Meine Aussage, dass es nichts Schöneres gibt, als Ihnen zuzuhören, war natürlich nur eine Aussage für die Gegenwart. In dem Moment, in dem Sie gesprochen haben, hat es für mich nichts Schöneres gegeben, als Ihnen aufmerksam zuzuhören. Aber das Ende der Redezeit ist dann auch wieder schön. Jetzt ist es schön, dass Sie mir zuhören. Aber Spaß beiseite. Ich möchte in diesem Zusammenhang eine Bemerkung zum Thema BOS machen, das mehrfach, angefangen bei Frau Piltz, erwähnt worden ist. Ich finde, dieses Thema zeigt beispielhaft - das möchte ich, verehrte Kolleginnen und Kollegen, mit allem Nachdruck sagen -, dass es in diesem Land, unabhängig davon, wer welche Mehrheit hat, wahnsinnig schwierig ist, Entscheidungen zustande zu bringen und umzusetzen. Das Thema BOS hat ja eine lange Leidensgeschichte. Bis die nächste Fußballweltmeisterschaft in Deutschland stattfindet, sind Sie wahrscheinlich nicht mehr Mitglied des Innenausschusses und ich bin vermutlich nicht mehr Mitglied des Deutschen Bundestages. ({2}) - Es wird auf jeden Fall eine Zeit lang dauern. Ich füge hinzu: Ich fürchte, dass die Haushaltsvorsorge - bisher steht im Haushalt eine Verpflichtungsermächtigung - nicht ganz ausreichen wird. Wir brauchen sie aber dringend. Ich mache zurzeit Druck, dass keine überzogenen Anforderungen gestellt werden; aber wir müssen eine funktionsfähige Regelung haben. Wir müssen übrigens berücksichtigen, dass wir bei jedem Handeln im Bereich der inneren Sicherheit - davon bin ich im Grundsatz sehr überzeugt - auf die Zusammenarbeit mit den prioritär verantwortlichen und zuständigen Bundesländern angewiesen sind. Das macht die Einführung des BOS-Digitalfunks noch komplizierter. Es ist aber gesamtstaatlich richtig. Ich bekenne mich als Bundesinnenminister und Verfassungsminister zur föderalen Ordnung. Deswegen befürworte ich die prioritäre Zuständigkeit der Bundesländer, wo sie gegeben ist. Ich habe übrigens auch als Mitglied der Bundesregierung großen Respekt vor den Verfassungsorganen Bundestag und Bundesrat, Herr Kollege Wieland. Deswegen weise ich als Mitglied des Bundestages die Kritik zurück. Der Deutsche Bundestag hat die Kommission zur Reform des Föderalismus vor vier Jahren zu seiner eigenen Sache gemacht. Da waren doch auch Sie dabei. Entstanden ist eine gemeinsame Kommission von Bun3672 destag und Bundesrat. Da können Sie doch jetzt nicht sagen, die Bundesregierung hätte dafür sorgen sollen, dass Bundestag und Bundesrat nicht das umsetzen, was sie selber in schwierigsten Verhandlungen als richtig erarbeitet haben! Entweder - oder! Sie sollten der Bundesregierung nicht Respekt vor dem Parlament vorwerfen. ({3}) - Wir haben uns an den Beratungen intensiv beteiligt. Aber da Sie ja das Gefühl haben, ich sei unterfordert, werde ich Ihnen bei Gelegenheit einmal meinen Tagesablauf schildern. Eine Bemerkung zur Fußballweltmeisterschaft. Es herrschen große Freude und Erleichterung, dass - jedenfalls bis jetzt - alles so gut läuft; wir befinden uns wirklich am oberen Rand jeder denkbaren Erwartung. Wenn die Weltmeisterschaft zu Ende ist, werden wir viel Grund haben, uns bei den Zehntausenden von Polizeibeamtinnen und -beamten, bei den Helferinnen und Helfern der Hilfswerke, des Technischen Hilfswerks - ich bedanke mich übrigens für das hier geäußerte große Lob für das THW - und bei vielen anderen sehr für den tollen Einsatz zu bedanken. Das gilt auch für die vielen ehrenamtlichen Helfer und die Bevölkerung insgesamt, die ein großes Maß an Gastfreundschaft und Aufnahmebereitschaft gezeigt hat. Unsere ausländischen Gäste sind einfach begeistert von diesem Land. Am Ende glauben wir selber noch, dass wir gar nicht so schlecht sind. ({4}) Trotzdem füge ich in dieser Stunde auch der Erleichterung darüber, dass bisher alles gut gelaufen ist, hinzu: Hätten wir nicht einen so ungeheuer großen präventiven Sicherheitsaufwand betrieben, ({5}) würde es vielleicht nicht so gut laufen. Deswegen darf aus den Erfahrungen dieser Fußballweltmeisterschaft um Himmels willen nicht abgeleitet werden, dass wir die Anforderungen an die innere Sicherheit in Zukunft nicht mehr so ernst zu nehmen brauchen. Ich füge hinzu: Wir werden auch in Zukunft dringend leistungsfähige Nachrichtendienste brauchen, weil wir sonst in der Prävention, in der Gefahrenabwehr verraten und verkauft und nicht in der Lage sind, unserer Verantwortung gerecht zu werden. ({6}) Auch diese Bemerkung mache ich mit großem Ernst und mit aller möglichen Eindringlichkeit. Ich will zu dem Thema Integration in aller Kürze etwas sagen. Was den Integrationsgipfel anbelangt, warten Sie ihn doch erst einmal ab! Lassen Sie ihn erst einmal stattfinden, bevor Sie ihn schlechtreden! Ich jedenfalls höre bei den betroffenen Bevölkerungsgruppen positive Reaktionen und erkenne durchaus die Bereitschaft, da mitzumachen. Wir sind entschlossen, das Menschenmögliche zu tun, um Defizite, die es in diesem Land ganz sicher gibt, abzubauen. Man kann ja auch daraus lernen und es besser machen. Was die Integrationskurse anbetrifft: Wir alle sollten mit den Einbürgerungskursen seriös umgehen. Sie sind letztes Jahr eingeführt worden. Wir haben eine Evaluierung in Auftrag gegeben. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, das übrigens jenseits aller parteipolitischen Zuordnung weitgehend gelobt wird und eine wirklich gute Arbeit leistet, hat Aufträge - auch extern - vergeben, um diese Kurse zu evaluieren. Wir wissen, dass die Mittel hierfür in diesem Jahr ausreichen. Wir befinden uns übrigens in der Mitte des Jahres und haben keine vergleichbaren Zahlen von 2005; so viel zur Bugwelle, die wir angeblich vor uns herschieben. Es spricht alles dafür, dass das, was ich im Innenausschuss gesagt habe, eintreten wird, nämlich dass die Mittel ausreichen. Im Übrigen gilt die Zusage, dass kein Kurs, sollte ein Mangel an Mitteln eintreten, daran scheitern wird. Ob wir die Mittel für das nächste Jahr erhöhen müssen, werden wir in den nächsten Haushaltsberatungen seriös und intensiv beraten. Wie wir die Kurse ändern und welche Erfahrungen wir machen, evaluieren wir seriös. Deswegen haben wir entsprechende Aufträge vergeben. Wenn man eine Evaluation in Auftrag gibt, dann kennt man das Ergebnis nicht, bevor der Bericht über die Evaluation vorliegt. Wenn es anders wäre, würde sie keinen Sinn machen. Dann wäre es rausgeschmissenes Geld. ({7}) - Die sind leider so, dass ich den Haushaltsausschuss bitten müsste, die Mittel für diesen Bereich nicht nur marginal zu erhöhen, sondern zu verdoppeln. Wir haben einmal nachgerechnet, was deren Umsetzung kostet. Von der Opposition habe ich übrigens gestern und heute Kritik dazu gehört - ich habe der Haushaltsdebatte in weiten Teilen aufmerksam zugehört -, die Verschuldung sei zu hoch. Sie können nicht den ganzen Tag die Verschuldung als zu hoch kritisieren, dann ständig mehr Geld ausgeben wollen und nicht sagen, woher es kommen soll. Das geht nicht. ({8}) Wir müssen bei begrenzten Mitteln die Effizienz verstärken. Deswegen muss erst einmal evaluiert werden. Wenn eine Sache erst ein Jahr in Kraft ist, macht es keinen Sinn, blind etwas Neues zu sagen. Man muss vielmehr bereit sein, unvoreingenommen zu prüfen, wo es Verbesserungsnotwendigkeiten und -möglichkeiten gibt. Wenn es welche gibt, dann setzen wir diese auch um. Dies aber vorher zu wissen, ist ideologisches Handeln und keine verantwortliche Politik. ({9}) Deswegen meine Bitte: Lassen Sie uns im Ausschuss oder wo auch immer über die Fragen dieser Politik intensiv diskutieren! Heute ist die Stunde der Beratung des Einzelplans - im Rahmen der begrenzten Redezeit, die wir für Haushaltsberatungen festgelegt haben. Ich bedanke mich dafür, dass wir bei insgesamt begrenzten Mitteln mit diesem Haushalt das Notwendige für die prioritären Aufgaben im Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern zur Verfügung gestellt bekommen. Ich bedanke mich für die gute Zusammenarbeit und bitte Sie, dem Einzelplan 06 zuzustimmen. ({10})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat der Kollege Gerold Reichenbach, SPDFraktion. ({0})

Gerold Reichenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003615, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin, ich möchte mir außerhalb der Redezeit, solange das Rednerpult hochfährt, eine kurze Information erlauben: Das Spiel Argentinien gegen Italien steht 0 : 0. ({0}) - Entschuldigung, Niederlande. Für den Überblick haben wir ja einen Innenminister.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Mitglieder des Sportausschusses sind nicht da; vielleicht lag daran Ihr Versehen. ({0})

Gerold Reichenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003615, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir Sozialdemokraten haben uns bereits in den letzten beiden Legislaturperioden als Garant von Sicherheit und Freiheit in diesem Lande begriffen. Dies werden wir in der neuen Konstellation fortsetzen. Der Etat, der heute zur Verabschiedung ansteht, ist davon getragen. Wir haben das Notwendige getan. Wir werden es auch weiterhin tun, um in unserem Lande ein Höchstmaß an Sicherheit gegenüber den neuen Herausforderungen zu bieten. Wir werden dabei aber auch darauf achten, dass die Freiheitsrechte der Bürger und die Grundentscheidung unserer Verfassungsväter nicht unter die Räder kommen. Der Satz: „Freiheit ohne Sicherheit ist nichts“ ist richtig; aber er gilt auch umgekehrt. Wir wissen, dass insbesondere die Prävention und die Bekämpfung des Terrorismus und der internationalen Kriminalität nur mit einer bestmöglichen Vernetzung und einem effektiven Informationsaustausch zu leisten sind. Das wollen wir voranbringen, aber unter Beachtung der Trennung von Polizei und Geheimdiensten und unter der Maßgabe einer klaren Kontrolle. Die jüngste Debatte über die Geheimdienste bestärkt uns darin. ({0}) Wir werden darauf achten - und haben dies auch im Koalitionsvertrag festgehalten -, dass die grundgesetzliche Trennung zwischen polizeilichen und militärischen Aufgaben gewahrt bleibt. ({1}) Die Verschränkung von innerer und äußerer Sicherheit bedeutet, dass unsere Polizei - die Bundespolizei, das BKA, aber auch die Landespolizeien - verstärkt internationale Verantwortung wahrnimmt. Schon heute spielen wir international eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, in Krisenregionen eine verlässliche und rechtsstaatliche Polizei aufzubauen. Der Wert dieses Beitrags zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus und der internationalen Kriminalität kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Wir Sozialdemokraten werden uns auch in Zukunft der Verantwortung stellen. Lassen Sie mich an dieser Stelle den Männern und Frauen bei der Polizei, die dafür vor Ort den Kopf hinhalten, danken. ({2}) Wir werden unsere Sicherheitsarchitektur dort, wo wir Mängel erkannt haben, weiterentwickeln. Dabei haben Sozialdemokraten Impulse gesetzt. Wir wollen, dass das Bundeskriminalamt auch bei der Bekämpfung des Terrorismus die Möglichkeit erhält, selbstständig im Vorfeld Ermittlungen zu tätigen. Das ist insbesondere dann wichtig, wenn es darum geht, Hinweisen von ausländischen Stellen vertieft nachzugehen. ({3}) Auch an anderer Stelle halten wir eine Weiterentwicklung unserer Sicherheitsarchitektur für notwendig. Ich meine hier den Schutz der Bevölkerung. Grundsätzlich haben wir ein gutes Notfallversorgungssystem. Ich freue mich sehr, dass wir mit dem Mittelaufwuchs für das THW dort, wo der Bund Verantwortung trägt, ausdrücklich den Einsatz der ehrenamtlichen Helfer würdigen und sie unterstützen. Für den Fall von länderübergreifenden Katastrophen und Terroranschlägen fehlt es dem Bund aber an Möglichkeiten, korrigierend und steuernd einzugreifen. Die Flutkatastrophe an der Elbe und das Versagen der FEMA in den USA haben uns das deutlich aufgezeigt. Wir wollen diese Sicherheitslücke beseitigen. Wir brauchen eine gesetzliche Grundlage dafür, dass der Bund in solchen Fällen tätig werden kann. Die Fußball-WM hat in der Vorbereitungsphase wichtige Impulse für den Sicherheitsbereich gegeben, auf denen wir aufbauen werden. Ich möchte mich ausdrücklich dem Dank an diejenigen anschließen, die nach intensiver Vorbereitung rund um die Uhr im Einsatz sind, um eine sichere WM zu gewährleisten: den Polizistinnen und Polizisten, den Helfern vom THW, von der Feuerwehr und den Rettungsdiensten sowie den anderen ehrenamtlichen Helfern. Sie alle leisten tolle Arbeit. Danke! ({4}) Wir zeigen in diesen Tagen ein weltoffenes Deutschland. Junge Menschen ziehen mit Fahnen durch die Gegend, nicht, wie im Vorfeld befürchtet, mit Baseballschlägern. Das überlassen sie den Spielern der New York Yankees. ({5}) Menschen aus allen Erdteilen werden offen und vorurteilsfrei empfangen; ihre Teams werden auch von den einheimischen Schlachtenbummlern unterstützt. Wir werden alles dafür tun, dass dies so bleibt, dass Fremdenfeindlichkeit in unserem Land keine Chance hat. Deswegen werden wir unsere Anstrengungen bei der Bekämpfung von Rechtsradikalismus fortsetzen. ({6}) Wir wollen Zukunftsperspektiven für das Zusammenleben mit den Menschen, die als Migranten zu uns gekommen sind - auch mit denen, die schon länger mit uns leben -, aufzeigen. Zum Thema Integrationskurse ist genügend gesagt worden. Integration bedeutet mehr: Sie umfasst auch Bildungschancen, Arbeit und Wohnen. Wir können zu Recht fordern, dass Migranten die Werte unseres Grundgesetzes akzeptieren. Wir müssen ihnen aber im Gegenzug die Chance zur gesellschaftlichen Teilhabe eröffnen. Um im Bild dieser Tage zu bleiben: Wir dürfen die Menschen nicht auf den Elfmeterpunkt stellen und ihnen dann den Ball vorenthalten. Es nutzt nichts, mit Platzverweis zu drohen, wenn sie nicht auf das Tor schießen können. Wir müssen ihnen Chancen und Perspektiven eröffnen. ({7}) Das betrifft auch die rund 300 000 Menschen, die von Kettenduldungen betroffen sind. Auch sie benötigen eine Perspektive; sonst gibt es keine Integration. Wie Menschen, gerade junge Menschen, reagieren, wenn sie keine Chance erhalten - egal ob es sich um Ausländer oder Inländer handelt -, ist bekannt: Perspektivlosigkeit ist auch eine Quelle von Gewalt und letztlich von Terrorismus.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Gerold Reichenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003615, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme zum Ende. Wir Sozialdemokraten wollen, dass das sichere und weltoffene Bild, das unser Land in diesen Tagen der Weltöffentlichkeit zeigt, auch im Alltag von Dauer ist. Mit dem Haushalt soll ein Beitrag dazu geleistet werden. Ich bitte um Ihre Unterstützung. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich schließe die Aussprache. In Übereinstimmung mit den Parlamentariergruppen, die für die Niederlande und Argentinien zuständig sind, wurde zwischen den Fraktionen vereinbart - das ist wahrscheinlich auch mit Rücksicht auf die Sicherheitskräfte geschehen, die das Viertelfinale betreuen werden -, die Abstimmungen zu diesem Tagesordnungspunkt, auch die namentliche Abstimmung, auf morgen früh zu Beginn der Sitzung zu vertagen. Ich gehe davon aus, dass Sie damit einverstanden sind. - Dann ist das so beschlossen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Donnerstag, den 22. Juni 2006, 9 Uhr, ein. Genießen Sie die gewonnenen Einsichten und den Rest des Abends. Die Sitzung ist geschlossen.