Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sitzung ist eröffnet.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene
Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern:
ZP 1 Beratung des Antrags der Abgeordneten Mechthild
Dyckmans, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Jörg van
Essen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Bürokratie schützt nicht vor Diskriminierung - Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz ist der falsche Weg
- Drucksache 16/1861 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({0})
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Tourismus
ZP 2 Beratung des Antrags der Fraktion des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN
Neubesetzung des Amtes des Koordinators für die
deutsch-russische zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit
- Drucksache 16/1885 ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ernst Burgbacher,
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Gisela Piltz, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Konsequenzen ziehen aus dem Urteil des Europäischen
Gerichtshofs vom 30. Mai 2006 zur Weitergabe europäischer Fluggastdaten an die Vereinigten Staaten von
Amerika
- Drucksache 16/1876 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({1})
Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Monika Lazar,
Irmingard Schewe-Gerigk, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Rechtsextremismus ernst nehmen - Bundesprogramme
Civitas und entimon erhalten, Initiativen und Maßnahmen gegen Fremdenfeindlichkeit langfristig absichern
- Drucksache 16/1498 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({2})
Innenausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss
ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Jelpke, Diana
Golze, Petra Pau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
LINKEN
Fortführung und Verstetigung der Programme gegen
Rechtsextremismus
- Drucksache 16/1542 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({3})
Innenausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss
ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Jörn Wunderlich,
Karin Binder, Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der LINKEN
Elterngeld sozial gestalten
- Drucksache 16/1877 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({4})
Ausschuss für Arbeit und Soziales
ZP 7 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren ({5})
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter Götz, Dirk
Fischer ({6}), Dr. Klaus W. Lippold, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Petra Weis, Sören Bartol, Uwe Beckmeyer,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Stadtentwicklung ist moderne Struktur- und Wirtschaftspolitik
- Drucksache 16/1890 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({7})
Innenausschuss
Sportausschuss
Redetext
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
cherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ute Koczy,
Jürgen Trittin, Undine Kurth ({8}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN
Schaden von der Reputation der Osteuropabank abwenden - Das Öl- und Gasprojekt Sachalin II als
Lackmustest für die Einhaltung internationaler Umwelt- und Sozialstandards
- Drucksache 16/1668 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung ({9})
Finanzausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthias Berninger,
Dr. Thea Dückert, Margareta Wolf ({10}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN
Deutsche Steinkohle AG muss zügig belastbares Datenmaterial vorlegen
- Drucksache 16/1672 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({11})
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss
Der Tagesordnungspunkt I.13 d entfällt, da der An-
trag auf Drucksache 16/1681 zurückgezogen wurde.
Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, soweit
erforderlich, abgewichen werden.
Schließlich möchte ich Sie schon heute darauf auf-
merksam machen, dass der Beginn der Plenarsitzung am
Freitag auf 8 Uhr vorgezogen wird.
Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? -
Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlos-
sen.
Wir setzen die Haushaltsberatungen - Tages-
ordnungspunkt I - fort:
a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2006
({12})
- Drucksachen 16/750, 16/1348 -
b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses ({13}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 2005 bis 2009
- Drucksachen 16/751, 16/1348, 16/1327 Berichterstattung:
Abgeordnete Otto Fricke
Steffen Kampeter
Carsten Schneider ({14})
Anja Hajduk
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.6 auf:
Einzelplan 04
Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt
- Drucksachen 16/1304, 16/1324 Berichterstattung:
Abgeordnete Steffen Kampeter
Petra Merkel ({15})
Roland Claus
Anna Lührmann
Es liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion Die
Linke vor.
Ich weise darauf hin, dass wir im Anschluss an die
Aussprache über den Einzelplan namentlich abstimmen
werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache vier Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Rainer Brüderle, FDP-Fraktion.
({16})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kennen
Sie noch das Plakat der CDU „Deutschland braucht den
Wechsel“ mit orangefarbenem Hintergrund?
({0})
Ich vermute, Sie haben damit nicht gemeint, dass die
deutsche Nationalelf das Trikot der Holländer tragen
soll. Sie wollten einen Politikwechsel. Sie haben mehr
Freiheit versprochen. Nach sechs Monaten einer CDUKanzlerin wissen wir nun, was Sie mit dem Wechsel gemeint haben: mehr Steuern, mehr Staat, mehr Bürokratie. Das ist Ihr Konzept.
({1})
Die Empfehlungen des Sachverständigenrates, der
Bundesbank und des Bundespräsidenten werden ignoriert. Ein führender Sozialdemokrat beschimpft den
Bundespräsidenten als Besserwisser. Sie haben gestern
erkannt, dass Deutschland ein Sanierungsfall ist. - Das
ist die Situation. Deshalb sollten wir nicht über den Repräsentationsetat der Kanzlerin sprechen, sondern über
ihre Politik.
({2})
Sie haben an dieser Stelle versprochen, mehr Freiheit
zu wagen. Ist es mehr Freiheit, wenn Sie die Menschen
in Deutschland mit 20 Milliarden Euro pro Jahr mehr abkassieren? Das ist nicht mehr Freiheit, das ist weniger
Freiheit. Das ist die Realität.
({3})
Statt mehr Eigenverantwortung bekommen wir mehr Bevormundung, statt mehr Freiheit mehr Regulierung.
Deutschland freut sich, wenn die Kanzlerin die Nationalelf anfeuert. Aber ein bisschen Schwung, wie Sie ihn im
Dortmunder Westfalenstadion und gestern im Berliner
Olympiastadion gezeigt haben, könnten Sie schon in die
Regierung mitbringen.
Enttäuschung macht sich im Land breit. Manche kehren Ihrer Partei den Rücken. Andere hoffen noch darauf,
dass Sie sich zu mehr Freiheit bekennen.
({4})
Selbst Herr Thumann vom BDI hat seine vornehme Zurückhaltung aufgegeben. Da hilft es auch nichts, dass Sie
Herrn Röttgen aus Ihrer Prätorianergarde dorthin abordnen. Die Stimmung wird schlechter, weil keine entsprechende Politik umgesetzt wird.
({5})
Nehmen wir nur die Familienpolitik. Weil Sie nicht
mehr wissen, wen Sie eigentlich alimentieren bzw. unterstützen wollen, erhalten alle ein bisschen. Sie schaffen
neue bürokratische Regeln. Wahrscheinlich sind Sie
froh, dass es den Normenkontrollrat noch nicht gibt,
und hoffen, dass die Menschen deshalb mehr Kinder
kriegen. Es geht doch nicht um eine Art Zuchtprämie für
Doppelverdiener; es geht um bessere Betreuung und darum, Familie und Beruf besser zu vereinbaren. Das muss
Kernstück der Politik sein.
({6})
Generell sollten Sie von der Subventionitis die Finger
lassen. Sie haben vor wenigen Tagen die größte Steuererhöhung in der Geschichte des Landes im Bundesrat absegnen lassen. Sie mussten den Ländern 500 Millionen
Euro zahlen, damit Sie eine Mehrheit bekommen. Auch
das muss der Steuerzahler blechen. Es bleibt dabei: Sie
nehmen dem Bauern ein Schwein, geben ihm drei Koteletts zurück und dafür soll er sich auch noch bedanken.
Das ist keine überzeugende Politik.
({7})
Dann „pofallat“ es in der Debatte über das Ehegattensplitting. Das ist eine Scheindebatte. Sie kennen die Verfassungslage. Ich kann dazu nur sagen: „Pofallala“. Das
ist kein Ansatz, der überzeugen kann.
({8})
Führen Sie eine Flat Tax mit anständigen Kinderfreibeträgen ein! Dann haben Sie mit einem Schlag viele Probleme gelöst. Beim Antidiskriminierungsgesetz hat die
Union alle Vorsätze über Bord geworfen.
({9})
Mit der Forderung nach einer Eins-zu-eins-Umsetzung
sind Sie in den Wahlkampf gezogen. Damals haben Sie,
Frau Bundeskanzlerin, wörtlich an die Adresse von RotGrün gesagt - ich zitiere -: Sie haben wieder draufgesattelt. Das sind die Leute leid, weil sie spüren, dass sie in
Europa nicht mehr wettbewerbsfähig sind. - Das haben
Sie vor der Wahl richtig erkannt. Jetzt sind Sie als Bettvorleger der SPD gelandet und setzen mit der SPD das
um, was die Grünen wollten.
({10})
Das Gleichbehandlungsgesetz läutet das Ende der Vertragsfreiheit ein. Ihr Gesetz ist ein Antigleichbehandlungsgesetz. Die Benachteiligten werden noch weniger
Chancen haben, da die Angst vor der Prozessflut dazu
führt, dass es weniger Einstellungschancen gibt. Sie haben vor der Wahl immer gesagt: Versprochen, gebrochen. - Das haben Sie nach der Wahl vergessen.
Meine Damen und Herren von der Union, Sie haben
sich das alte Weltbild der SPD überstülpen lassen. Das
ist das falsche Weltbild. Es ist von gestern. Die Sozialdemokratisierung der Union ist erschreckend schnell vorangeschritten. Wir werden von zwei sozialdemokratischen Parteien regiert.
({11})
Eine ist rot angestrichen, die andere ist schwarz angestrichen und beide sind falsch programmiert. Das ist die Situation.
({12})
Wir leben von Vielfalt. Gleichmacherei schafft nicht einmal Mittelmaß.
({13})
Gleichmacherei ist die Orientierung an dem Schlechtesten. Das sehen wir jetzt beim Streit über die Gesundheitsreform. Statt endlich mehr Wahlmöglichkeiten für
alle zu schaffen, darf jetzt der politische Fliegenpilz
Lauterbach seinen Traum von der sozialistischen Einheitsversicherung umsetzen. Das ist der falsche Weg.
({14})
Sie sind dabei, das funktionierende System der privaten
Krankenkassen kaputtzuschlagen. Die Einbeziehung der
Privatversicherten in den Gesundheitsfonds kommt einer
Enteignung gleich.
({15})
Sie haben selbst formuliert - ich zitiere Sie, Frau Merkel -:
Da, wo Sie falsche Konzepte vertreten wie zum Beispiel
die Bürgerversicherung, würden Sie Deutschland nicht
nutzen, sondern Deutschland schaden. - Das haben Sie
der SPD gesagt. Versprochen, gebrochen. Jetzt machen
Sie etwas anderes.
({16})
Die Union ist dabei, im Schatten des FC Klinsmann
ein weiteres Wahlversprechen zu brechen. Im ganzen
Land schwenken die Menschen die deutsche, schwarzrot-goldgelbe Fahne. Die Autos fahren mit Fahnen durch
die Städte. Der neue Fahnenpatriotismus ist die größte
Straßendemonstration gegen die große Koalition.
({17})
Jede deutsche Flagge zeigt: Schwarz-rot allein reicht
nicht. Da fehlt etwas. Da fehlt nämlich die gelbe Kraft,
die Vernunft. Dafür kämpfen wir.
({18})
Das Wort hat die Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland, Angela Merkel.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben in diesen Tagen die Welt zu Gast bei uns in Deutschland. Deutschland hat lange auf das größte Sportereignis
nach den Olympischen Spielen hingearbeitet. Die Organisatoren haben jede erdenkliche Mühe aufgewandt. Die
Wirtschaft hat geholfen, zum Beispiel mit der Kampagne „Deutschland - Land der Ideen“, unser Land nach
innen und nach außen so zu präsentieren, wie es ist. Die
Politik hat das Menschenmögliche für die Sicherheit und
einen reibungslosen Ablauf getan. Viele Tausende Helferinnen und Helfer haben keine Mühe und keine Zeit gescheut - sie tun das auch in diesen Tagen nicht - und
sich freiwillig zur Verfügung gestellt. Hierfür möchte ich
allen ganz herzlich danken.
({0})
32 Fußballmannschaften geben ihr Bestes oder haben ihr
Bestes gegeben, darunter eine deutsche, auf die wir stolz
sein können.
({1})
Das alles ist aber nur Vorbereitung, Rahmen und Unterstützung, damit das Vorhaben gelingen kann. Das Eigentliche leisten die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes. Wie ich finde, tun sie das einfach großartig. Sie sind
die eigentlichen Gastgeber. Sie feiern mit Begeisterung
die Siege der eigenen und der anderen Mannschaften.
Sie leiden mit, sie trösten sich gegenseitig und freuen
sich miteinander. Wenn ich sehe, welches Potenzial an
Begeisterung und Fröhlichkeit in unserem Lande steckt,
wenn ich sehe, wie andere in diesen Tagen von außen
auf uns schauen und begeistert sind, dann wird mir nicht
bange, dass unser Land die Herausforderungen, vor denen es steht, nicht meistern könnte.
({2})
Ich bin ganz fest davon überzeugt, hier liegt der
Schlüssel für das Gelingen. Die Bürgerinnen und Bürger,
für die wir Politik machen, sind diejenigen, die unser
Land stark machen. Politik setzt einen Rahmen; Politik
schafft Voraussetzungen; Politik muss deutlich machen,
dass wir Vertrauen in die Menschen dieses Landes haben. Nur dann - davon bin ich überzeugt - können wir
die Schwierigkeiten überwinden, vor denen wir stehen.
({3})
Das gilt auch für die Schwierigkeiten in der Außenpolitik. Ich möchte an dieser Stelle nur erwähnen, der Bundesaußenminister und ich haben in vielen Gesprächen
mit einen Beitrag dazu geleistet, dass die Europäische
Union zusammen mit den Vereinigten Staaten von Amerika, Russland und China dem Iran ein Angebot unterbreitet hat. Ich hoffe, dass der Iran auf dieses Angebot
eingeht und die Chance nutzt, einen Konflikt, der diese
Welt bedrückt, zu beseitigen, und zwar auf diplomatischem Wege. Ich hoffe, dass die Vernunft siegt.
({4})
Wir haben auf der letzten Tagung des Europäischen
Rates in Brüssel einen Beitrag dazu geleistet, Wege zu
finden, wie die Europäische Union im Nahen Osten trotz
der Anforderungen, die das Quartett im Nahostprozess
mit Recht stellt, humanitäre Hilfe leisten kann. Trotzdem
sagen wir der Hamas ganz deutlich: Ihr müsst das Existenzrecht Israels anerkennen; ihr müsst auf Gewalt als
Lösungsmöglichkeit verzichten; ihr müsst akzeptieren,
dass der Verhandlungsprozess fortgesetzt wird.
({5})
Wir haben einen Plan erarbeitet, wie wir den Verfassungsprozess in der Europäischen Union trotz aller
Schwierigkeiten fortsetzen können. Die deutsche Präsidentschaft wird einen Beitrag dazu leisten. Wir haben
Ziele gesetzt, die etwas mit Wachstum und Beschäftigung in Europa zu tun haben. Deutschland muss seinen
Beitrag dazu leisten: Wir müssen zum Beispiel endlich
wieder die Maastrichtkriterien einhalten.
So, wie wir die Schwierigkeiten in der Außenpolitik
meistern können, wenn unsere Politik von einem Vertrauen in die Menschen geprägt ist, so - davon bin ich
überzeugt - werden wir auch die Schwierigkeiten in der
Innenpolitik meistern können, wenn wir eine Politik des
Dialogs auf die Beine bringen, die vom Vertrauen in die
Bürger geprägt ist.
Es ist natürlich das eine, dass eine Opposition - Herr
Brüderle hat es heute wieder vorgemacht - über diesen
und jenen Teilaspekt diskutiert und ihn kritisiert.
({6})
Das ist sicherlich auch die Funktion einer Opposition.
Wir alle würden hier gern über Steuersenkungen sprechen; wir würden gern Wohltaten verkünden; wir würBundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
den gern dies und jenes versprechen. Aber ich sage Ihnen: Ich habe eine andere Aufgabe, die Bundesregierung
hat eine andere Aufgabe und auch die sie tragenden Koalitionsfraktionen haben eine andere Aufgabe. Sie haben
die Aufgabe, das Ganze zu sehen, die Dinge im Zusammenhang zu sehen, weil es um ganz Deutschland und
seine Zukunft geht.
({7})
Wer sich mit dem Haushalt beschäftigt, wer sich mit
der Realität beschäftigt - dabei geht es nicht um Schuldzuweisungen -, der muss feststellen: Natürlich ist das
Wort „Sanierungsfall“ ein hartes Wort. Ich habe aber
deutlich gemacht, dass das nicht die ganze Realität
Deutschlands ist. Ich kann mich jedoch vor den Realitäten dieses Haushaltes nicht drücken.
({8})
Es gibt ein strukturelles Defizit - das im Übrigen niemand, auch niemand von der Opposition leugnen kann,
weil die Zahlen eindeutig sind - von 60 Milliarden Euro.
Bei aller Detailbetrachtung, die Sie von der Opposition
in den Haushaltsberatungen angestellt haben, muss man
sagen: Ihre Vorschläge sind entweder nicht redlich oder
sie decken nicht einmal die Maßgabe des Art. 115 des
Grundgesetzes. Das heißt, wenn wir das wollen - zu dieser Überzeugung kommt neben der großen Mehrheit des
Bundestages auch die große Mehrheit des Bundesrates -,
dann bleibt uns nichts anderes übrig, als auch zu dem
Mittel von begrenzten Steuererhöhungen zu greifen.
({9})
Wir wissen im Übrigen, dass wir den Menschen damit
schwierige Aufgaben aufbürden. Es ist nicht einfach,
den Sparerfreibetrag zu reduzieren; es ist nicht einfach,
die Pendlerpauschale zu reduzieren; es ist nicht einfach,
die Eigenheimlage zu streichen.
({10})
Glauben Sie nicht, dass das irgendeinem der Abgeordneten hier in diesem Hause leicht fällt. Das zeigt sich im
Gespräch mit den Bürgerinnen und Bürgern. Wir haben
uns in voller Verantwortung in Bezug auf mögliche Nebenwirkungen einer Mehrwertsteuererhöhung zwischen Zukunftssicherung und dem, was heute zu tun ist,
({11})
und der Möglichkeit, alles unter den Tisch zu kehren und
morgen und übermorgen noch schwierigere Schritte zu
gehen, entschieden. Wir machen dieses Land zukunftsfest.
({12})
Diejenigen, die sich einer sachlichen Betrachtung
nicht verschließen - sei es die Europäische Kommission,
sei es der Bundesrechnungshof, sei es die Bundesbank,
sei es die OECD -, weisen darauf hin, dass Steuererhöhungen immer problematisch sind, dass sie aber zur
Konsolidierung unserer Haushalte notwendig sind.
({13})
Deshalb haben wir an dieser Stelle Entscheidungen getroffen; aber sie sind nicht singulär, nicht losgelöst, sondern ganz deutlich in ein Gesamtkonzept eingebettet, das
heißt: Sanieren, Reformieren, Investieren. Genau daran
arbeiten wir seit sieben Monaten.
({14})
Wir haben den erfreulichen Sachverhalt, dass die
wirtschaftliche Lage besser ist, als sie manches Jahr
war. Wir haben den erfreulichen Sachverhalt, dass wir
seit Jahren - man kann fast sagen: seit einem Jahrzehnt erstmals keine Zuschüsse mehr für die Bundesagentur
für Arbeit brauchen. Wir haben weniger Insolvenzen.
Wir wollen genau diesen Impuls ausnutzen und mit Reformen und mit Investitionen die Bewegung weitertreiben und gleichzeitig eine Konsolidierung der Haushalte
durchführen. Diese Entwicklung muss fortgesetzt werden.
Das, was wir in sieben Monaten geschafft haben,
kann sich sehen lassen.
({15})
Wir haben verbesserte Abschreibungsregelungen. Wir
haben die Istbesteuerung so verändert, dass in den neuen
Bundesländern besser gearbeitet werden kann. Wir haben ein Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz auf
den Weg gebracht. Das ist etwas, was Rot-Grün über
Monate und Jahre nicht zustande gebracht hat.
({16})
86 Großprojekte können jetzt sehr viel schneller durchgesetzt werden. Bei 4,5 Millionen Arbeitslosen ist es natürlich nicht egal, ob ein Großprojekt innerhalb von
15 oder 20 Jahren umgesetzt wird oder innerhalb von
fünf oder zehn Jahren.
({17})
Deshalb ist es ein spürbarer Fortschritt für die Menschen, dass wir in Zukunft schneller vorankommen werden.
({18})
Wir haben ein Mittelstandsentlastungsgesetz auf den
Weg gebracht. Meine Damen und Herren von der FDP,
wir sind jederzeit bereit, gute Vorschläge aufzugreifen.
({19})
- Was zum Beispiel den Bürokratieabbau anbelangt,
muss ich Ihnen sagen: Die Vorschläge, die gemacht werden, müssen seriös sein.
({20})
Maßnahmen, die Geld kosten und erneut zu Lücken im
Haushalt führen, nützen uns überhaupt nichts.
({21})
Wir haben die rechtliche Grundlage für die Bildung
eines Normenkontrollrates geschaffen. Dadurch werden
wir zum ersten Mal eine systematische Betrachtung der
Bürokratiekosten auf den Weg bringen. Damit haben unsere Nachbarn in Holland sehr gute Erfahrungen gemacht. Auch die Europäische Kommission führt dieses
Verfahren jetzt ein. Im Rahmen der deutschen EURatspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2007 werden
wir genau diese Art und Weise des Herangehens weiter
betreiben. Wir wollen auch auf europäischer Ebene eine
bessere Rechtsetzung. Weniger Rechtsetzung kann auch
in Europa mehr und besser für die Bürgerinnen und Bürger sein. Das, was wir in unserem Lande tun, wollen wir
auch auf europäischer Ebene tun.
({22})
Wir wissen: Deutschland braucht eine Unternehmensteuerreform. Die Koalition bekennt sich dazu. Der
Bundesfinanzminister arbeitet an ihren Eckpunkten, die
noch vor der Sommerpause vorgelegt werden. Hier werden mutige Schritte gemacht. Denn wir müssen sicherstellen, dass unsere Unternehmen international wettbewerbsfähig arbeiten können, damit sie in Deutschland
Steuern zahlen und nicht abwandern.
({23})
Wir müssen eine vernünftige Balance zwischen kleinen und großen Unternehmen schaffen und uns damit
auseinander setzen, dass eine Abgeltungssteuer heutzutage in vielerlei Hinsicht eine moderne Antwort auf die
Frage der Kapitalbildung darstellt.
({24})
Wir müssen dafür Sorge tragen, dass auf der einen Seite
die Kommunen ihre Einnahmen nicht verlieren, dass
aber auf der anderen Seite das gesamte Steuersystem in
sich schlüssig und wettbewerbsfähig bleibt. Diese Aufgabe werden wir lösen. Dabei sind wir auf einem guten
Weg.
Meine Damen und Herren, alles, was wir tun, orientiert sich an der Frage: Schaffen wir mehr Arbeitsplätze?
Angesichts von 4,5 Millionen Arbeitslosen können wir
nicht zufrieden sein. Der Rückgang der Beschäftigung
ist zwar in diesem Frühjahr zum ersten Mal gestoppt;
aber die Situation, in der wir sind, kann uns nicht zufrieden stellen. Wir können weder damit zufrieden sein, dass
so viele junge Menschen keine Chance haben, Arbeit zu
bekommen, noch damit, dass so viele Menschen schon
mit 50 oder 55 Jahren aus dem Arbeitsleben ausscheiden. Deshalb müssen wir uns an dieser Stelle ganz klar
an der Frage orientieren: Was schafft mehr Arbeit?
Zu diesem Zweck werden wir in einem dauernden
Prozess überprüfen: Funktionieren die Instrumente, die
wir anwenden? Ich will ganz deutlich sagen: Die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe war
und bleibt ein richtiger Schritt. Hier gibt es überhaupt
kein Vertun.
({25})
Aber diese zwei Transfersysteme, die zusammengelegt
wurden, haben sehr unterschiedliche Wirkungen. Daher
müssen wir auch immer wieder kontrollieren: Funktionieren die Anreizwirkungen dieses Systems? Da wir uns
das Motto „Fördern und Fordern“ auf die Fahnen geschrieben haben, müssen wir hinterfragen: Fordern wir
genug und schaffen wir das Fördern?
({26})
Ich will an dieser Stelle sagen: Wenn die FDP bei den
Eingliederungshilfen 3 Milliarden Euro streichen will,
dann geschieht das auf dem Buckel der Langzeitarbeitslosen. Das wollen wir nicht. Wir wollen, dass diese Mittel auf richtige und vernünftige Art und Weise ausgegeben werden.
({27})
Dass das im vergangenen Jahr noch nicht gelungen ist,
bedeutet nichts anderes, als dass das System noch nicht
voll gearbeitet hat.
({28})
- Hören Sie doch zu!
({29})
- Dass diese Gelder im vergangenen Jahr noch nicht in
vollem Umfang abgerufen wurden, bedeutet nicht, dass
die Eingliederungshilfen der falsche Weg sind,
({30})
sondern, dass die Bundesagentur Anfangsschwierigkeiten hatte, was im Übrigen nicht verwunderlich ist. Das
muss in diesem und im nächsten Jahr besser funktionieren.
({31})
Wir wollen vernünftige Wege gehen, um die Menschen
in Arbeit zu bringen. Das ist unsere Antwort.
Meine Damen und Herren, wir haben die Ich-AGs
kritisch auf den Prüfstand gestellt und sie durch ein
neues Instrument ersetzt. Mit dem Hartz-IV-Fortentwicklungsgesetz, das noch im Juli dieses Jahres vom
Bundesrat beschlossen wird, wollen wir dafür sorgen,
dass das Fordern besser durchgesetzt werden kann. Wer
mehrmals - um es ganz deutlich zu sagen: dreimal - eine
angebotene Arbeit ablehnt, der bekommt im Rahmen des
Arbeitslosengeldes II keine Geldleistungen mehr. Das
finde ich richtig und wichtig.
({32})
Im Herbst werden wir dann in einem nächsten Schritt
weitere Probleme lösen müssen. Ich sage ganz selbstkritisch: Ich war sehr dafür, dass Zuverdienstmöglichkeiten
eingeführt werden. Aber heute bin ich mir nicht mehr sicher, ob diese Anreize wirklich funktionieren.
Wir werden uns daran gewöhnen müssen, miteinander
eine vernünftige Debatte zu führen. Wir können nicht
davon ausgehen, dass wir mit einer revolutionären Neuerung, die wir einführen - wie der Zusammenlegung von
Arbeitslosen- und Sozialhilfe -, für alle Zeiten ohne jede
Änderung weiterkommen. Das ist moderne Politik,
meine Damen und Herren: dass man aus dem lernt, was
nicht vollkommen funktioniert.
({33})
Ich bin dem Bundesarbeitsminister sehr dankbar, dass er
an dieser Stelle, zusammen mit den Fraktionen, die ersten Änderungsvorschläge gemacht hat.
Wir werden eine Initiative fortsetzen, die sich um
mehr Ausbildungsplätze kümmert. Es ist nicht in Ordnung - ich sage das auch an die deutsche Wirtschaft gewandt -, dass heute, in den wenigen Jahren, in denen
noch mehr Schulabsolventen einen Ausbildungsplatz suchen werden, an vielen Stellen nicht ausreichend ausgebildet wird. Ich habe selber die 300 größten Unternehmen in Deutschland angeschrieben, um deutlich zu
machen: Es ist eine Notwendigkeit und im Übrigen auch
eine Zukunftsinvestition, dass die jungen Menschen in
diesem Lande eine Ausbildung bekommen, vorzugsweise eine betriebliche Ausbildung. Ich hoffe, dass dieser Ausbildungspakt wieder mit Leben erfüllt wird, sodass wir am Jahresende sagen können: Jeder bekommt
einen solchen Ausbildungsplatz.
({34})
Das macht der Bundeswirtschaftsminister, das macht die
Bundesbildungsministerin und das macht die ganze Bundesregierung.
({35})
- Falls Sie mitmachen würden, Herr Kuhn, wäre das
auch kein Schaden für unser Land, wirklich nicht!
({36})
Meine Damen und Herren, wir wissen - das ist ein
Kernanliegen unserer Reform -, dass wir die Lohnzusatzkosten unter 40 Prozent bringen müssen. Wir haben
an dieser Stelle bereits erste Schritte eingeleitet: Die Entscheidung, die Lebensarbeitszeit zu verlängern, ist keine
einfache Entscheidung, aber eine zukunftsweisende;
denn wir müssen unsere Gesellschaft darauf vorbereiten,
dass die demografischen Veränderungen weitergehen
und sich immer klarer zeigen werden.
Wir arbeiten im Augenblick an einer Gesundheitsreform. Da wäre es schön, wenn die politischen Gruppierungen, die in diesem Hause versammelt sind, die Kraft
finden würden, eine Debatte zu führen, von der die Bürgerinnen und Bürger draußen sagen: Die ringen um die
richtigen Lösungen.
({37})
Wenn sich manch einer, der sich damit nicht so beschäftigt hat, dazu frank und frei äußert, dann ist das in Ordnung. Aber hier einfach Dinge zu behaupten, die weder
beschlossen noch diskutiert sind, das ist nicht in Ordnung.
({38})
Was sind die Ziele unserer Gesundheitsreform? Die
Ziele unserer Gesundheitsreform sind eindeutig definiert: Wir wollen, dass die Menschen in diesem Lande
- unter den demografischen Veränderungen, aber auch
angesichts besserer medizinischer Möglichkeiten - alle,
und zwar unabhängig vom Alter und unabhängig vom
Wohlstand des Einzelnen, das medizinisch Notwendige
und das medizinisch Mögliche bekommen. Wir wollen
ein Gesundheitssystem, in dem durch Wettbewerb
Wachstumskräfte freigesetzt werden und in dem diejenigen, die in den medizinischen Berufen arbeiten, die
Chance haben, dafür auch das entsprechende Geld zu bekommen. Ich möchte an dieser Stelle den Ärztinnen und
Ärzten, ob freiberuflich oder im Krankenhaus, den Krankenschwestern und den vielen, die in den Heilberufen arbeiten, auch einmal ein herzliches Dankeschön sagen.
({39})
Wenn wir dieses Gesundheitssystem mit diesen Menschen nicht hätten, dann hätten wir große Schwierigkeiten.
Ich finde, in diese Debatte gehört ein Stück Ehrlichkeit.
({40})
- Ja; das ist schon mal ein guter Ausgangspunkt. - Zu
dieser Ehrlichkeit gehört, zu sagen, dass in unserem System an vielen Stellen mehr Wettbewerb möglich ist. Ich
bin der Meinung, dass wir auch Strukturveränderungen brauchen.
({41})
Wir werden dazu eine Reihe von Vorschlägen machen, und zwar wirkliche Vorschläge. Wer aber glaubt,
dass man Strukturveränderungen vornehmen kann, ohne
neue Strukturelemente einzuführen, der glaubt an etwas,
was wir eigentlich alle abgelegt haben: den Weihnachtsmann oder so etwas. Denn was heißt mehr Transparenz?
Wo gibt es Intransparenz in unserem System? Da kann
ich Ihnen zwei Bereiche nennen: Die eine Intransparenz
liegt darin, dass wir nicht wissen, wie sich der ambulante
Bereich hinsichtlich seiner Kostenstruktur zum stationären verhält. Wenn Sie das durchdenken, dann müssen Sie
zu dem Schluss kommen: Wir brauchen eine Gebührenordnung für Ärzte, damit Ärzte wissen, was sie für das,
was sie tun, bekommen. Wir müssen die Preise im ambulanten und im stationären Bereich miteinander vergleichen können. Das heißt in der Endkonsequenz, dass
wir die gleiche Finanzierungsform brauchen, sprich:
eine monistische Krankenhausfinanzierung. Dafür werden wir im Übrigen nicht ein Jahr brauchen und nicht
zwei Jahre, sondern wahrscheinlich 15.
({42})
Nur wenn wir diese Strukturen ändern, können wir vernünftig entscheiden: Machen wir das besser ambulant
oder in einem Krankenhaus?
Zweiter Punkt. In dem heutigen System der Gesundheitsversorgung weiß ich nicht, wie sich die Einnahmen
zu den Ausgaben verhalten. Wenn ich wissen möchte,
wer wo wie viel einzahlt und welche Kasse für wen wie
viel ausgibt, dann muss ich ganz einfach eine Trennung
zwischen den Einnahmen und den Ausgaben vornehmen. Bis dahin ist noch nichts anderes passiert, als diese
beiden Sachen auseinander zu halten, sodass ich hinterher feststellen kann, wer mit den Geldern effizient arbeitet und wer das nicht tut.
Nichts anderes verfolgt der Gedanke, der hinter einem
solchen Fondsmodell steht. Ich finde es schon dramatisch, dass Sie, die Sie genau wissen, dass heute 30 bis
40 Prozent der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von
Krankenkassen damit beschäftigt sind, Beiträge einzuziehen, schlankweg behaupten, das Ganze würde bürokratischer. Ich sage Ihnen: Wenn wir uns für einen solchen Fonds entscheiden sollten, dann wird nichts
bürokratischer und dann wird auch nicht mehr Personal
benötigt. Im Gegenteil, zum Schluss werden wir aufpassen müssen, dass wir keine Beschwerden erhalten, weil
die Leute etwas anderes tun, als Beiträge einzuziehen.
Das ist die Wahrheit.
({43})
Die Art der Debatte bekümmert mich wirklich ein
bisschen, um es einmal ganz vorsichtig zu sagen.
({44})
Schließlich schauen die Menschen immer dann, wenn es
um die Gesundheit geht, besonders schnell mit Angst
und Sorge auf die Diskussion.
({45})
Deshalb haben all jene, die die Thematik verstehen, auch
die Pflicht, diese Debatte redlich zu führen; denn es wird
keine Strukturveränderungen geben, ohne dass sich etwas ändert.
({46})
Es wird noch eine zweite Wahrheit geben, um die sich
auch die Opposition aus meiner Sicht nicht drücken darf.
Diese zweite Wahrheit heißt: Auch bei noch mehr Struktureffizienz und noch mehr Transparenz wird dieses System der solidarischen Gesundheitsvorsorge in den nächsten Jahren tendenziell nicht billiger, sondern teurer.
Auch das müssen wir den Menschen sagen und wir müssen uns überlegen, auf welche Art und Weise wir diese
Probleme lösen.
({47})
Aus diesem Grunde glaube ich, dass es sehr angezeigt
ist, zu überlegen, wie wir die solidarischen Systeme
- dazu gehört vor allem das Gesundheitssystem - in Zukunft organisieren und wie wir die solidarische Grundlage verbreitern, anstatt sie zu verschmälern.
({48})
Ich füge für mich allerdings hinzu: Das kann nicht die
Zerschlagung von funktionierenden wettbewerblichen
Systemen in diesem Bereich bedeuten.
({49})
Wir müssen andere Formen der Solidarität finden und
vor allen Dingen müssen wir - deshalb ist die Abkopplung von den Arbeitskosten so wichtig - unseren Anteil
an den Lohnzusatzkosten unter 40 Prozent halten.
({50})
Genauso wie die Einhaltung des Art. 115 Grundgesetz
ist das die Aufgabe dieser Regierung.
({51})
Genau unter dieser Maßgabe diskutiert die Koalition
in diesen Tagen und Wochen das Thema Gesundheitsreform. Angesichts der Beschwerlichkeit eines solchen
Weges und der Schwierigkeit eines solchen Umbaus ist
das übrigens keineswegs zu lang. Noch vor der Sommerpause werden wir unsere Eckwerte dafür vorlegen, sodass zum 1. Januar 2007 eine Gesundheitsreform in
Kraft treten kann, die ihre Wirkungen über viele Jahre
entfalten wird, weil sie sehr grundsätzliche Neuordnungen enthalten wird. Das sind der Anspruch und die Aufgabe einer großen Koalition. Genau das werden wir auch
erreichen.
({52})
Neben den Themen Sanieren und Reformieren werden wir natürlich auch das Thema Investieren miteinander zu bereden haben. Diese Bundesregierung hat sich
trotz des Konsolidierungskurses entschieden, weitere
Mittel in den Bereichen zu investieren, in denen wir die
Zukunft dieses Landes sehen, um die wirtschaftliche
Entwicklung zu beleben.
({53})
Dazu gehört, dass man sich die Frage stellt: Wo können wir neue Arbeitsmöglichkeiten in einer sich verändernden Welt schaffen? - Aus diesem Grunde haben wir
damit begonnen, die privaten Haushalte als Arbeitgeber zu entwickeln. Noch sind wir damit nicht fertig; aber
immerhin haben wir es bereits möglich gemacht, die Absetzbarkeit von Handwerkerrechnungen, von Kinderbetreuungskosten und von haushaltsnahen Dienstleistungen zu verbessern. Auf diesem Weg müssen wir
schrittweise vorangehen. Hier handelt es sich nämlich
nicht um kleine Schräubchen, mit denen hie und da eine
steuerliche Maßnahme verändert wird, sondern hier handelt es sich um ein beschäftigungspolitisches Zukunftsfeld, das wir in den nächsten Jahren und Jahrzehnten
systematisch weiterentwickeln müssen, weil es Menschen neue Formen von Arbeit eröffnet, die wir so bisher
nicht kannten.
({54})
Wir haben uns entschieden, mit dem CO2-Gebäudesanierungsprogramm einen Schwerpunkt zu setzen. Daneben wollen wir die Bauinvestitionen stärken und dabei
mehr für die Infrastruktur investieren. Das halte ich für
richtig und wichtig. In einem modernen Industrieland
muss Mobilität möglich sein. Anstatt große ideologische
Debatten darüber zu führen, ob in die Bahn oder in die
Straße investiert wird, sorgen wir dafür, dass man sich
auf den verschiedenen Verkehrswegen in Deutschland
vernünftig bewegen kann.
({55})
Darüber hinaus investieren wir mit dem Elterngeld in
die Zukunft. Herr Brüderle, ich bin über Ihre Reaktion
sehr erstaunt; das muss ich einmal sagen. Sie werden
sich diese Maßnahme angeschaut haben. Eigentlich
müsste es die FDP für einen sehr modernen Weg halten,
Beruf und Familie miteinander zu vereinbaren. Natürlich
gehört dazu auch die Kinderbetreuung; das ist keine
Frage. Dadurch wird vor allen Dingen denen, die eine
bessere Qualifizierung haben, die Möglichkeit gegeben,
dass die Entscheidung für Kinder von der Gesellschaft
anerkannt wird. Das ist deshalb ein Paradigmenwechsel,
weil wir Familienpolitik auch, aber nicht mehr nur als
Transfer- und Sozialpolitik begreifen; vielmehr als eine
gesellschaftspolitische Aufgabe im umfassenden Sinne,
die mit Sozial- und Berufspolitik zu tun hat. Mit dieser
Neuerung muss man sich wenigstens auseinander setzen.
Ich halte das für einen richtigen Schritt.
({56})
Bei all diesen Investitionen haben wir einen wesentlichen Schwerpunkt gesetzt: die Erhöhung der Ausgaben
für Forschung und Innovation. Ich bin der festen Überzeugung: Unsere Entscheidung, 3 Prozent des Bruttoinlandprodukts für Forschung ausgeben zu wollen, ist
eine Weichenstellung, die auf sehr lange Zeit, und zwar
weit über das Jahr 2010 hinaus, ihre Wirkung entfalten
wird. Zum ersten Mal hat die Politik die Voraussetzungen in diesem Bereich umfassend erfüllt. Deshalb werden wir die Wirtschaft auffordern, ihrerseits den notwendigen Beitrag zu leisten. Das heißt, dass die Wirtschaft
2 Prozent des Bruttoinlandprodukts für Forschung und
Entwicklung ausgeben muss. Wir werden mit der Wirtschaft über die Instrumente zu sprechen haben, wie man
das schaffen kann. Wir werden mit der Wirtschaft über
die Rahmenbedingungen zu sprechen haben, Stichwort
Novelle des Gentechnikgesetzes; das ist vollkommen
klar. So wie die Wirtschaft von der Politik mit Recht
manches fordert, wird die Politik in dieser Frage deutlich
machen, dass ihre Erwartungen an die Wirtschaft in diesem Lande hier ganz klar sind.
({57})
Wer ein modernes und innovationsfreundliches Land
fordert, der muss an dieser Stelle handeln.
Es ist richtig, dass die Bundesbildungsministerin einen Dialog mit der Wirtschaft darüber führt, wie man
zum Beispiel mittelständischen Unternehmen Investitionen in Forschung und Entwicklung erleichtern kann.
Hier muss auch die Bereitschaft hinzukommen, etwas zu
wagen; denn unser Wohlstand wird in Zukunft davon abhängen - davon bin ich zutiefst überzeugt -, ob wir auf
der Welt zu denen gehören, die Produkte nicht nur erfinden, sondern die Produkte auch einsetzen und herstellen,
mit denen dann in unserer Gesellschaft Geld verdient
wird und Steuern gezahlt werden.
Wir werden eine Hightechstrategie für 17 Branchen
entwickeln - die Bundesbildungsministerin hat sie bereits vorgestellt -, in denen Deutschland führend sein
kann und die wir zu einem Markenzeichen dieses Landes
machen wollen. Deshalb liegt hier ein großer Schwerpunkt unserer Aufgaben.
Wir werden noch vor der Sommerpause die Föderalismusreform verabschieden.
({58})
Ich weiß, dass über vieles diskutiert wird und durch die
Anhörungen Fragen aufgeworfen wurden.
({59})
- Die Föderalismusreform bedeutet eine sehr grundsätzliche Diskussion, die nichts mit Kleinstaaterei zu tun hat,
sondern in der wir der Frage nachgehen, wie unser Land
am besten organisiert werden kann.
({60})
Dabei wird immer wieder die Auffassung vertreten, dass
der Zentralstaat die beste Möglichkeit ist, ein Land zu
organisieren. Wir glauben, dass ein Land mit 80 Millionen Einwohnern am besten in der Form organisiert ist,
dass es zentrale Verantwortlichkeiten kennt und die Länder in einem Wettbewerbsföderalismus auf Länderebene
um die beste Meinung ringen, die an vielen Stellen auch
nur aufgrund der bestehenden Unterschiede ausprobiert
werden kann.
({61})
Eines der besten Beispiele ist für mich - das sage ich
hier frank und frei -, dass es nach meiner Überzeugung
in Deutschland heute nicht das Abitur nach zwölf Jahren
gäbe, wenn wir in der Bundesrepublik Deutschland ein
zentrales Schulsystem hätten. Es war nur deshalb möglich, weil sich Sachsen und Thüringen nach der Wiedervereinigung zu diesem Schritt entscheiden konnten, weil
sie anschließend dafür geworben und bei der PISA-Studie gut abgeschnitten haben. Jetzt sind selbst die Bayern
der Meinung, dass man das in zwölf Jahren schaffen
kann.
({62})
- Damit ich auch den Beifall des Kollegen Ramsauer erheischen kann: Die Bayern haben - im Übrigen zu Recht
- darauf hingewiesen,
({63})
dass die Verkürzung der Schulzeit an sich kein Wert ist,
wenn damit der Ausbildungsstand verschlechtert wird.
({64})
Nur durch die Kombination der PISA-Studie und dem
guten Abschneiden von Sachsen und Thüringen ist der
Beweis erbracht worden, dass man auch in zwölf Jahren
etwas schaffen kann, das man andernorts - allerdings
sehr gut; denn Bayern liegt in der PISA-Studie auf Platz
eins - in 13 Jahren schafft. Das war der Ausgangspunkt
dafür, dass sich auch Bayern den anderen Ländern angeschlossen hat. Das war nach meiner festen Überzeugung
der richtige Weg.
({65})
Deshalb bitte ich, dass, wenn wir nächste Woche über
die Föderalismusreform abstimmen, in den ganzen Diskussionen um die vielen Einzelheiten, in denen sicherlich auch richtige und gewichtige Argumente vorgebracht werden, eines nicht untergeht: Wir werden bei
einer Vielzahl von Gesetzgebungsvorhaben zu einer
deutlich besseren Aufteilung der Verantwortlichkeit von
Bund und Ländern kommen. Wir werden - das halte ich
für wichtig - aus der Situation herauskommen, dass
60 bis 70 Prozent der Gesetze zustimmungspflichtig sind,
was immer wieder dazu führt, dass schließlich in einem
für die Bürgerinnen und Bürger sehr intransparenten
Vermittlungsverfahren von Bund und Ländern Entscheidungen getroffen werden, bei denen sich letzten Endes
jeder vor der Verantwortung drücken kann.
Wir vom Bundestag nehmen sehr bewusst die neuen
Herausforderungen an. Denn es wird mehr zustimmungsfreie Gesetze geben und wenn diese nicht funktionieren sollten, dann werden wir nicht mehr die Ausrede
haben, dass irgendein Land seinen Willen durchsetzen
wollte. Wir werden uns vielmehr damit auseinander setzen müssen. Das Ganze wird im Übrigen zu verbesserten
Ausschussberatungen im Deutschen Bundestag führen.
Ich halte die Föderalismusreform für einen Schritt zur
Stärkung der Möglichkeiten des Deutschen Bundestages
und zu mehr Transparenz. Genau das ist für die Akzeptanz der Demokratie unter der Maßgabe der Bürgerinnen
und Bürger notwendig.
({66})
Sieben Monate große Koalition! Wichtige Projekte
sind auf den Weg gebracht oder umgesetzt worden, die
der Konsolidierung unserer Finanzen und damit der Zukunftsfähigkeit unseres Landes dienen, damit die jungen
Menschen in diesem Lande sagen können: Jawohl, wir
bleiben; hier wird auch an unsere Interessen in 20 oder
30 Jahren gedacht. Das ist eine sehr wichtige Botschaft.
Wir haben die Weichen in Richtung Forschung und
Innovation gestellt. Wir haben Weichen gestellt, die die
Möglichkeiten, in Arbeit zu kommen, verbessern. Wir
haben Weichen für diejenigen gestellt, die in Deutschland investieren wollen. Wir werden das fortsetzen und
die Unternehmensteuerreform wie auch die Erbschaftsteuerreform in einer Art und Weise durchführen, dass
die Unternehmen etwas davon haben und ihre Vorhaben
praktizieren können. Wir haben zudem die Föderalismusreform und die notwendigen Veränderungen unserer
sozialen Sicherungssysteme in Angriff genommen.
Alle diese Maßnahmen erfordern eine große Ernsthaftigkeit, weil sie für die Menschen mit Veränderungen
verbunden sind und weil wir in einer Zeit leben, in der
wir erkennbar weniger zu verteilen haben, als es in früheren Zeiten der Fall war. Es ist immer einfacher, Politik
zu machen, wenn man schöne Dinge versprechen kann.
Es ist manchmal sehr hart, Politik zu machen, bei der
man sagen muss: Dies und jenes können wir uns im Augenblick nicht leisten. Ich glaube aber, dass der Kompass, dass die Grundausrichtung der großen Koalition
- dabei gibt es Dinge, die jedem schwer fallen - richtig
ist, weil wir uns auf die richtigen Schwerpunkte konzentrieren: Arbeitsplätze zu schaffen, Zukunft zu sichern,
die Integration derjenigen, die in unserer Gesellschaft
noch nicht ausreichend integriert sind, zu sichern sowie
die Zukunft der Energiepolitik zu besprechen und zu manifestieren. Das alles heißt, dicke Bretter zu bohren.
In den letzten sieben Monaten haben wir schon einiges geschafft. Aber in den nächsten Monaten haben wir
noch viel vor uns. Wir wollen dies in einem Geist tun
- das ist jedenfalls mein Wunsch und, soweit es das Kabinett angeht, will ich mich dafür ganz herzlich bedanken -, wohl wissend, dass wir zwar zum Teil aus sehr
unterschiedlichen Richtungen kommen, aber eine gemeinsame Verantwortung haben. Diese Verantwortung
nehmen wir gerne für die Menschen in unserem Lande
wahr, weil wir Vertrauen in sie haben.
Herzlichen Dank.
({67})
Das Wort hat der Kollege Dr. Gregor Gysi, Fraktion
Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Frau Bundeskanzlerin, ich habe Ihnen genau zugehört. Ich glaube, wir beide sollten ein
Eingeständnis machen. Es gibt eine Gemeinsamkeit zwischen uns: Unser gemeinsamer Leistungsanteil an den
Erfolgen der deutschen Fußballnationalmannschaft ist
gleich null.
({0})
Wenn das stimmt, sollten Sie nicht versuchen, die Erfolge der Nationalmannschaft für die Regierung zu vereinnahmen. Das bekommt man beim besten Willen nicht
hin.
Ich hatte erwartet, dass Sie uns in Ihrer Rede erklären,
wohin Sie mit Deutschland wollen. Aber ich habe es
nicht verstanden, weder außenpolitisch noch innenpolitisch. Ich glaube, das ist die entscheidende Frage.
Zur Außenpolitik: Sie haben über den Iran gesprochen und gesagt, Sie strebten eine diplomatische Lösung
des Konflikts an. Das wäre tatsächlich sehr wichtig,
wenn es denn gelänge. Ich hoffe darauf. Aber ich möchte
in diesem Zusammenhang auf ein paar Punkte hinweisen:
Erstens. Der Präsident des Iran macht Äußerungen zu
Israel und dem Holocaust, die in diesem Hause parteiübergreifend als völlig indiskutabel betrachtet werden.
Das steht, glaube ich, fest.
Zum Zweiten will er für seinen Staat die friedliche
Nutzung der Atomenergie in Anspruch nehmen. Darüber
kann man unterschiedlicher Auffassung sein. Aber das
Problem ist, dass sie allen Staaten erlaubt ist. Also kann
man sie dem Iran nicht verbieten.
Das Dritte ist: Es wird unterstellt, er wolle Atomwaffen. Angenommen, es stimmte, dann brächte uns das in
einen Konflikt, und zwar unter anderem deshalb, weil
die fünf Atommächte noch nicht einmal das Ende des
Kalten Krieges genutzt haben, um den Atomwaffensperrvertrag zu erfüllen und schrittweise ihre Atomwaffen abzubauen,
({1})
weil inzwischen auch Israel, Indien und Pakistan Atomwaffen haben und weil Kriege gegen Jugoslawien, den
Irak und Afghanistan geführt worden sind, immer gegen
Staaten, die keine Massenvernichtungswaffen hatten.
Deshalb denken andere, dass sie unangreifbar wären,
wenn sie solche Waffen besäßen. Wir müssen aber aus
dieser Logik heraus. Dazu müssen zuerst die Atommächte andere Schritte gehen.
({2})
Frau Bundeskanzlerin, ich bitte Sie für die Öffentlichkeit, für die Bevölkerung im eigenen Land um eine Antwort auf folgende Frage: Was machen wir denn nun,
wenn George W. Bush wieder durchdreht und Krieg gegen den Iran führt? Erklären Sie hier doch einmal eindeutig und verbindlich, dass Deutschland dann nicht zur
Koalition der Willigen gehören und daran teilnehmen
wird.
({3})
Wenn Sie, wie ich hoffe, das eines Tages erklären, hätte
ich gerne noch Ihre Antwort auf die Frage gewusst, ob
wir dann zu 80 Prozent - wie unter Schröder - oder ob
wir zu 100 Prozent nicht teilnehmen, was bedeutete,
dass auch unsere Geheimdienste nicht mitmachen und
dass keine Flughäfen zur Verfügung gestellt werden.
({4})
Sie haben nun George W. Bush zum Wahlkampf nach
Stralsund eingeladen. Frau Bundeskanzlerin, ich bitte
Sie! Wer George W. Bush für den Wahlkampf in Mecklenburg-Vorpommern braucht, der hat die Wahlen schon
verloren. Ich glaube, das geht daneben.
({5})
Lassen Sie mich noch eine andere außenpolitische
Frage ansprechen, die mir wichtig ist, weil wir darüber
gerade so viel diskutiert haben: die EU-Verfassung. Sie
wollen die EU-Verfassung natürlich irgendwie in Kraft
treten sehen. Ich verstehe auch, dass die EU eine bessere
Struktur braucht. Aber die EU-Verfassung hat eben entscheidende Mängel. Zwei Völker haben durch Volksentscheid mehrheitlich Nein gesagt.
({6})
- Jetzt heißt es, viele andere Länder hätten aber Ja gesagt. In den 16 Ländern, die Ja gesagt haben, ist das in
zwei Fällen durch Volksentscheid, im Übrigen nur durch
die Parlamente geschehen.
({7})
Sie wissen, dass es leichter ist, eine Mehrheit dafür im
Parlament zu bekommen als in der Bevölkerung.
({8})
Das gilt auch für Deutschland. Auch wir hätten hierzu
einen Volksentscheid gebraucht.
Abgesehen davon möchte ich wissen: Wie sieht denn
Ihr Weg aus? Wollen Sie den Willen der beiden Völker
umgehen? Wollen Sie ein anderes Annahmeverfahren
installieren? Wollen Sie die Verfassung ändern? Wollen
Sie sie sozialer gestalten, weniger neoliberal? Wollen Sie
sie entmilitarisieren? Wollen Sie vielleicht die Steuern
harmonisieren, all das tun, was wir in der Europäischen
Union dringend benötigten?
({9})
Damit bin ich bei der Innenpolitik. Sie haben gestern
gesagt, Deutschland sei ein Sanierungsfall. Das ist ein
mutiges Eingeständnis.
({10})
- Okay, wir sind nicht nur ein Sanierungsfall - ich kenne
die Ergebnisse der Nationalmannschaft -,
({11})
aber wir sind auch ein Sanierungsfall. Hinzuzufügen ist
aber: Die Regierenden haben aus Deutschland einen Sanierungsfall gemacht, und zwar angefangen bei der vorigen Regierung und fortgesetzt durch die jetzige; das gehört zur Ehrlichkeit dazu.
({12})
Bestimmte Zahlen nennen Sie nicht. Ich will einmal
die Steigerung einer Größe von 2004 zu 2005 nennen.
Die Gewinne und Einkommen aus Vermögen sind im
Vergleich von 2004 zu 2005 um 31 Milliarden Euro
gewachsen. Im selben Zeitraum sind die Bruttolöhne
und -gehälter der Bevölkerung um 5,7 Milliarden Euro
gesunken. Das ist die Wahrheit im Vergleich von 2004
zu 2005. Das sind die Folgen Ihrer Politik.
({13})
- Gerade Ihrer; denn da war Schröder noch Kanzler.
({14})
Was haben die Konzerne für die Steuergeschenke versprochen, Frau Bundeskanzlerin? Sie haben gesagt,
wenn die Kosten gesenkt würden, könnten sie Arbeitsplätze schaffen. Dann haben sie Pressekonferenzen gemacht. Auf den Pressekonferenzen haben sie die Politik
verhöhnt und gesagt: Das war sehr nett. Schönen Dank.
Wir haben tolle Gewinne. Dafür bauen wir Arbeitsplätze
ab. - In einem Fall waren es 8 000 und in einem anderen
Fall über 10 000 Arbeitsplätze. Ich habe gehofft, Herr
Steinbrück, dass Sie sagen: Dann fordern wir von denen
wenigstens gerechte Steuern. - Aber Sie machen es genau umgekehrt.
Das erklären Sie auch. Sie sagen, wir - das ist eine
Kritik, die sich immer an mich und meine Fraktion richtet - hätten nicht begriffen, dass man in Steuerkonkurrenz lebe, und weil man in Steuerkonkurrenz lebe,
müsse man sich so verhalten. Sie sagen also: Man muss
sich im Hinblick auf diese Steuerkonkurrenz ein- und
unterordnen.
Selbst wenn das stimmte, muss ich noch eine Frage
stellen. Haben die Urväter Wilhelm Liebknecht und
August Bebel, als sie die Sozialdemokratie gründeten,
wirklich daran gedacht, dass sie nur dafür da ist, sich
ein- und unterzuordnen? Die waren noch kapitalismuskritisch und wollten, dass man in dieser Gesellschaft mal
etwas angreift, mal etwas verändert.
({15})
Wo sind Ihre Initiativen beim G-8-Gipfel oder auch
bei den Treffen der Staats- und Regierungschefs der EU,
die darauf abzielen, wenigstens einmal zu diskutieren,
ob man nicht eine internationale soziale Marktwirtschaft
und eine Steuerharmonisierung hinbekommt?
({16})
Es passiert nicht!
Was Sie sagen, stimmt auch gar nicht. Die ganze Konkurrenzsituation, die Sie schildern, ist nicht gegeben. In
der Europäischen Union der 25 liegen wir bei den Steuern auf Platz 24. Wir sind die Vorletzten. Nur die Slowakei hat geringere Steuern als Deutschland.
Dann sagen Sie immer, die Lohnnebenkosten, die Abgaben seien so hoch; das müsse man bei der Berechnung
einbeziehen. Gut, rechne ich das mit ein. Wenn ich Steuern und Abgaben einbeziehe, sind wir in der Europäischen Union auf Platz 16. 15 Länder der Europäischen
Union haben höhere Steuern und Abgaben als Deutschland, und zwar an ganz anderen Stellen.
({17})
Deshalb geht es dort auch etwas gerechter zu. Deshalb
haben die auch nicht den Sozialabbau, den Sie hier in
Deutschland organisieren.
Welche Vorschläge machen Sie in dieser Situation?
Im letzten Jahr sind die Gewinne bei 20 DAX-Konzernen um mindestens 30 Prozent gestiegen. Welche Vorschläge machen Sie, Herr Steinbrück, lassen sie sich von
der SPD-Führung genehmigen? Ihr Vorschlag lautet, die
Körperschaftsteuer zu halbieren, nämlich von 25 Prozent
auf 12,5 Prozent. Weil Sie immer die Konkurrenzsituation anführen, darf ich Sie daran erinnern: Die USA haben eine Körperschaftsteuer von 35 Prozent,
({18})
Frankreich hat eine von 33 Prozent, Großbritannien von
30 Prozent. Sie schlagen 12,5 Prozent vor. Wenn es hier
jemanden gibt, der Steuerkonkurrenz organisiert, Frau
Bundeskanzlerin, dann sind das Sie und Herr Steinbrück
und nicht die anderen Länder.
({19})
Dann machen Sie noch einen Vorschlag hinsichtlich
der Abgeltungssteuer. Die Einkünfte aus Kapital, Aktien und Immobilien unterliegen der Einkommensteuer.
Unter Kohl hatten wir einen Spitzensteuersatz von
53 Prozent, jetzt haben wir einen Spitzensteuersatz von
42 Prozent. Nun schlagen Sie eine Abgeltungssteuer von
30 Prozent im ersten Schritt und 25 Prozent im zweiten
Schritt vor. Wieder sollen die Vermögenden, die Bestverdienenden deutlich besser gestellt werden. Aber
wozu? Was soll dabei herauskommen, außer dass die soDr. Gregor Gysi
ziale Ungerechtigkeit in unserem Land grob zunimmt?
Einen positiven Effekt können Sie nicht nennen.
Konzerne, Bestverdienende und Vermögende haben
zwei Dinge in Deutschland nicht zu fürchten: die Union
und die SPD.
({20})
Inzwischen gibt es - das muss man sich wirklich einmal
überlegen - Reiche, die selbst fordern, höhere Steuern zu
bezahlen. Ich bitte Sie, meine Damen und Herren von
der Sozialdemokratie: Es gibt Reiche, die inzwischen
linker sind als die Sozialdemokratie! So weit haben Sie
es gebracht.
({21})
Die Union will an die Konzerne und die Reichen nicht
heran. Das entspricht ihrer politischen Ausrichtung; das
kann ich verstehen. Aber Ihnen von der SPD fehlt jeder
Mut diesbezüglich. Darüber sollten Sie nachdenken.
Deshalb haben wir keine gerechte Vermögensteuer,
keine gerechte Veräußerungserlössteuer, keine gerechte
Körperschaftsteuer, keine internationale Börsensteuer,
nichts von dem, was wir benötigten, um Sozialabbau zu
verhindern und mehr Gerechtigkeit in diesem Lande zu
finanzieren.
Wer soll das Ihrer Meinung nach alles bezahlen? Sie
wollen das über die Mehrwertsteuer finanzieren. Frau
Bundeskanzlerin, eines muss ich Ihnen lassen: Sie haben
die Erhöhung im Wahlkampf immerhin ehrlich angekündigt, auch wenn es Ihnen nicht viel gebracht hat
({22})
und Sie nur von 2 Prozent gesprochen haben, es aber nun
3 Prozent geworden sind. Ich kann mich noch sehr gut
an den Wahlkampf 1990 erinnern, meine Damen und
Herren von der SPD. Ich weiß noch, dass Herr Kohl damals sagte, es werde im Osten keine Massenarbeitslosigkeit geben und die Einheit koste kein Geld; es gebe
keine Steuererhöhungen. Ebenso kann ich mich erinnern, dass Sie damals einen Spitzenkandidaten namens
Oskar Lafontaine hatten, der sagte: Erstens wird es Massenarbeitslosigkeit geben und zweitens wird es zu Steuererhöhungen kommen.
({23})
Ich sage aus Bescheidenheit nicht, dass auch andere das
ausgesprochen haben; er jedenfalls hat es gesagt.
({24})
Sie wissen, wie die Wahlen ausgegangen sind. Danach
kamen Massenarbeitslosigkeit und der Solidaritätszuschlag, also eine Steuererhöhung. Was haben Sie - nur
darum geht es mir - damals gesagt? Sie haben gesagt,
das sei erstens eine Steuerlüge und zweitens Wahlbetrug.
Jetzt schalten wir einmal um auf das Jahr 2005. Ich
bin aus ökonomischen und sozialen Gründen strikt gegen die Mehrwertsteuererhöhung. Frau Merkel hat sie
immerhin angekündigt. Sie jedoch haben sich auf Plakaten gegen die Erhöhung ausgesprochen. Dadurch haben
wir Veränderungen bei den Umfrageergebnissen erlebt.
Als nämlich Herr Schröder vorzeitige Neuwahlen ankündigte, lag die Union noch knapp bei der absoluten
Mehrheit. Das war schon erschreckend. Ihre Umfragewerte hingegen lagen im Keller; daran kann ich mich erinnern. Gerade wegen der Auseinandersetzung bezüglich der Mehrwertsteuererhöhung sackten die Werte der
Union immer weiter ab und Ihre stiegen immer höher.
Unmittelbar nach der Wahl haben Sie dann gesagt: Alles
Geschwätz von gestern; wir wollen nicht 2 Prozent, sondern 3 Prozent Mehrwertsteuererhöhung.
({25})
Jetzt frage ich Sie einmal: Hätten Sie 2005 Plakate
gegen Frau Merkel geklebt, auf denen gestanden hätte:
„Nicht 2 Prozent, sondern 3 Prozent Mehrwertsteuererhöhung“, was glauben Sie, wie viele von Ihnen hier
jetzt nicht säßen, weil Ihr Wahlergebnis viel schlechter
gewesen wäre?
({26})
Was allerdings nicht schön wäre: Es säßen dann mehr
von der Union hier.
Es geht mir um dieses Thema, weil das ein Vorgang
ist, der alle Politikerinnen und Politiker beschädigt.
Denn letztlich, ob Sie das wollen oder nicht, sagen die
Leute: Die sind doch alle gleich; erst versprechen sie das
eine und dann machen sie das andere. - Dann unterscheiden die Leute nicht mehr zwischen uns.
({27})
- Nein, leider. Aber es hat auch seinen Vorteil: Wir können uns dadurch ganz gut unterscheiden.
Die Mehrwertsteuererhöhung ist ökonomisch und sozial falsch. Wir haben dadurch natürlich etwas höhere
Einnahmen. Aber wen treffen Sie mit dieser Erhöhung,
Frau Kanzlerin? Nicht sich selbst, nicht mich; wir können das verkraften. Aber denken Sie einmal an die Arbeitslosen, an die Rentnerinnen und Rentner, an die Geringverdienenden. Sie alle müssen diese 3 Prozent mehr
zahlen und es gibt nicht eine einzige Ausgleichsleistung
für sie. Damit schwächen Sie die Kaufkraft. Das hat in
ganz Deutschland erhebliche negative ökonomische Folgen. Bei Unternehmen, die schon jetzt an der Grenze
sind, ist die Insolvenz absehbar. Dann gibt es wieder
mehr Arbeitslose und Herr Steinbrück wird erneut vorschlagen, die Unternehmensteuern zu senken und die
Leistungen für Arbeitslose zu kürzen. Genau diesen Weg
können wir nicht mehr gehen.
({28})
Seit dem Jahr 2000 hatten wir in Deutschland - auch
das muss man einmal bei all dem Steuerkonkurrenzgerede sagen - einen Exportboom. Wir sind Exportweltmeister. Das sind wir nicht deswegen, weil hier alles so
teuer ist, dass man überhaupt keine Produkte mehr herstellen und verkaufen kann. Wir verkaufen weltweit prozentual mehr als alle anderen Länder; das muss man einfach sehen. Dadurch sind in Deutschland 1 Million
Arbeitsplätze entstanden. Durch die Schwäche der Binnenkonjunktur, durch die Schwäche des Binnenmarktes,
sind 1,3 Millionen Arbeitsplätze verloren gegangen, sodass wir ein zusätzliches Minus von 300 000 Arbeitsplätzen haben. Das ist die Wahrheit.
Warum sind wir in der Lage, uns beim Export erfolgreich ökonomisch zu entwickeln, und lassen bei der Binnenwirtschaft derart nach? Die Antwort ist ganz einfach:
weil Sozialabbau herrscht, weil die Kaufkraft der Bevölkerung abnimmt
({29})
und weil Sie die Bevölkerung täglich neu verunsichern,
sodass sie sich gar nicht mehr traut, einzukaufen, und
wenn doch, dann nur noch in diesem Jahr, weil sie
glaubt, es sich nächstes Jahr überhaupt nicht mehr leisten zu können.
({30})
Was tun Sie noch? Neben der Mehrwertsteuererhöhung wollen Sie die Pendlerpauschale einschränken.
Was heißt denn das? Sie fordern einen flexiblen Arbeitsmarkt und sagen, man müsse heute bereit sein, auch einmal 100 Kilometer weit zu fahren, um zu seinem
Arbeitsplatz zu kommen. Gleichzeitig kürzen Sie die
Leistungen dafür und machen es Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmern immer schwerer, darauf einzugehen.
Sie kürzen den Sparerfreibetrag. Das stört doch
nicht Vermögende. Dieser Freibetrag ist für die Kleinsparer, die bisher davon profitiert haben, gedacht. Viele
fallen dann nicht mehr unter diesen Freibetrag und müssen Steuern zahlen. Das ist wieder eine Maßnahme zulasten der sozial Schwachen.
Was machen Sie bei Hartz IV? Jeden Tag kommt ein
neuer Vorschlag dazu, wo man etwas kürzen kann. Jeden
Tag kommt ein neuer Vorschlag dazu, wie man die Betroffenen drangsalieren kann. Was ist eigentlich eine zumutbare Arbeit? Soll ein Ingenieur verpflichtet werden
können, Schuhputzer zu werden? Ist das für Sie zumutbar?
({31})
Ist das die Zukunft unserer Gesellschaft? Darf ich einmal
etwas fragen: Wir haben kaum offene Stellen. Wohin
wollen Sie die Leute vermitteln? Sie drangsalieren in der
Hoffnung, dass weniger Anträge auf Bezug von Arbeitslosengeld gestellt werden, um auf diese Art und Weise
Geld zu sparen. Das ist nicht in Ordnung.
({32})
Eine dreiste sozialdemokratische Sozialkürzung war
dies: 36 Monate lang gab es das Arbeitslosengeld I.
Diese Bezugsdauer haben Sie auf zwölf Monate, um
zwei Drittel, gekürzt. Einen solchen Sozialabbau hatte es
in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland bis
dahin nicht gegeben; das haben Sie zusammen mit den
Grünen verabredet. Das ist die Wahrheit.
({33})
Jetzt sagt Herr Rüttgers - Sie lassen sich aber auch vorführen! -, dies gehe zu weit. Wer sehr lange Beiträge gezahlt habe, müsse länger Arbeitslosengeld I bekommen.
Jetzt überholt die CDU Sie sozialdemokratisch. Sie sollten wirklich anfangen, nachzudenken.
({34})
Was macht - lassen Sie mich das noch sagen - Ihr
Vorsitzender, Herr Beck? Herr Beck sagt: Die Arbeitslosen sollten nicht immer alle Leistungen in Anspruch
nehmen.
({35})
Man sollte nicht immer all das, was einem nach dem Gesetz zusteht, annehmen. Er mahnte etwas Bescheidenheit
an.
Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Wir alle sollten so
etwas nicht sagen. Man sollte von anderen Leuten nie
verlangen, was wir auch von uns nicht verlangen. Weder
hat Herr Beck bisher an das zuständige Ministerium geschrieben und darum gebeten, ihm weniger als sein gesetzliches Gehalt auszuzahlen,
({36})
noch haben wir deshalb an Herrn Lammert geschrieben.
Das werden wir auch nicht tun. Solange wir das aber
nicht machen, sollten wir keinem Arbeitslosen sagen, er
solle nicht all das in Anspruch nehmen, was ihm zusteht.
Natürlich tut er das und das ist auch sein Recht.
({37})
Frau Kanzlerin, Sie haben zu Recht über die fehlenden Ausbildungsplätze gesprochen. Es fehlen 50 000.
Aber es fällt Ihnen nichts anderes ein, als das zu tun, was
Helmut Kohl getan hat. Helmut Kohl hat jedes Jahr einen Brief an die Unternehmen geschrieben. Dieser war
immer ähnlich wirkungslos. Er hat nichts gebracht. Hinterher gab es Tausende Jugendliche ohne Perspektive.
Wenn Sie einem Jugendlichen keine Ausbildungschance
geben, was soll dann aus ihm werden? Es mag sein, dass
Ausbildung teuer ist. Aber Jugendgefängnisse sind viel
teurer. Ich verstehe nicht, mit welchem Recht meine Generation meint, der nächsten Generation das Recht auf
Ausbildung teilweise absprechen zu können.
({38})
Ich muss Ihnen sagen: Diese Bittbriefe an die Unternehmen helfen gar nichts. Entweder muss der Staat dann
ausbilden - das ist nicht das Ideale, das weiß ich; aber es
wäre immerhin eine Ausbildung - oder wir müssen endlich die Ausbildungsplatzabgabe wirklich einführen.
Sie haben es in diesem Zusammenhang zwar zu einem
Gesetz gebracht, es aber nicht in Kraft gesetzt. Auch das
ist typisch sozialdemokratisch.
Eine solche Ausbildungsplatzabgabe wäre eine Lösung. Ich weiß, die FDP ist strikt dagegen. Sie ist immer
für die Freiheit der Ausbeutung. Das geht uns zu weit;
wenn ich das einmal so sagen darf.
({39})
Deshalb meine ich, dass wir hier einen anderen Ansatz
brauchen.
Zum Elterngeld. Am Elterngeld gefällt mir natürlich,
dass man den Bezug um zwei Monate verlängern kann,
wenn auch der andere Sorgeberechtigte - in der Regel ist
dies ja wohl der Mann - zwei Monate lang zugreifen
muss. Das gefällt mir. Die Nörgelei in der Union, die es
dazu gibt, werden Sie schon durchstehen. Aber was mich
wirklich umhaut: Eine solche verordnete Umverteilung
von unten nach oben habe ich in dieser Direktheit noch
nie erlebt. Ich will zwei Beispiele nennen. Das erste Beispiel: Alle haben einen Anspruch auf einen Bezug dieser
Leistungen bis zu 14 Monaten, aber ALG-II-Empfänger
haben nur einen Anspruch auf zwölf Monate. Das können Sie nicht erklären. Wieso bekommen sie die Leistungen zwei Monate weniger? Das zweite Beispiel: Sie bekamen bisher Erziehungsgeld, und zwar zwei Jahre lang
monatlich 300 Euro. Jetzt sagen Sie: Es gibt die monatlichen 300 Euro nur ein Jahr lang. Das heißt, die Leistung
wird nur für die Hälfte der Zeit gewährt. Ferner sagen
Sie: Besserverdienende bekommen monatlich bis zu
1 800 Euro. - Es ist doch nicht hinnehmbar, dass Sie Arbeitslosen nur noch die Hälfte geben und den Besserverdienenden dagegen ein Elterngeld in Höhe von bis zu
1 800 Euro zugestehen. Das ist nicht nachvollziehbar.
Das ist eine reine Umverteilung.
({40})
Wenn wir die Steuer- und Abgabenquote Frankreichs hätten, hätten wir im Jahr 200 Milliarden Euro
Mehreinnahmen und brauchten alle diese sozialen Kürzungen nicht. Wenn wir nur den Durchschnitt der Steuerund Abgabenquote in der EU hätten, wären unsere Einnahmen aufgrund von Steuern und Abgaben um 6 Prozent höher; das entspräche 130 Milliarden Euro. All
diese Zahlen stammen aus der OECD-Statistik. Ich finde
es gut, wenn immer wieder darauf hingewiesen wird,
wie die Realitäten in anderen Ländern aussehen.
Sie haben auch noch die tolle Idee, die Einrichtungen
der öffentlichen Daseinsvorsorge zu privatisieren. Ich
warte die Ergebnisse Ihrer Gesundheitsreform ab; ich
will mich vorher nicht festlegen. Das Einzige, was ich
bis jetzt verstanden habe, ist: Sie wollen eine neue große
Bürokratie schaffen.
({41})
Was sie bringen soll, ist mir völlig schleierhaft. Aber,
wie gesagt, ich warte die Vorschläge ab. - Nur noch Folgendes: Ich habe heute gelesen, sogar die Besserverdienenden sollen mehr bezahlen. Ich bin sehr gespannt, was
dabei herauskommt.
({42})
Hat die Privatisierung der Einrichtungen der öffentlichen Daseinsvorsorge bewirkt, dass es billiger geworden
ist, wie es immer angekündigt worden ist? Es wurde gesagt, private Konzerne seien effektiv, es sei wunderbar
für die Kundinnen und Kunden. Nichts davon ist eingetreten. Es gibt höhere Kosten für die Betroffenen, den
Abbau von Personal und im Falle von Wohnungsgesellschaften auch noch höhere Mieten.
Nehmen wir die Energieversorgung. Vier Stromkonzerne haben wir in Deutschland; es ist ja fast alles privatisiert worden. Am Anfang sank der Strompreis etwas
- das stimmt -, aber nur am Anfang. Inzwischen ist er
ins Gigantische gestiegen. Die Stromkonzerne machen
riesige Gewinne und fordern, dass das von den Bürgerinnen und Bürgern und auch von der Wirtschaft bezahlt
werden soll. Es ist dabei also nichts von dem herausgekommen, was Sie versprochen haben.
Lassen Sie mich einen Satz zum Föderalismus sagen.
Frau Bundeskanzlerin, Sie haben darüber länger gesprochen. Sie haben in diesem Zusammenhang auch Bildung
und Wettbewerb genannt. Ich bitte Sie, mir die Logik des
Ganzen zu erklären. Die Union tritt dafür ein, dass der
Arbeitsmarkt flexibler wird. Das heißt, Sie sagen Eltern
mit zwei schulpflichtigen Kindern: Wenn ihr einen Arbeitsplatz wollt, müsst ihr auch bereit sein, das Bundesland zu wechseln. Das sei heute nun einmal so. Ich will
jetzt einmal davon absehen, dass Ihre gesamte Ideologie
in Bezug auf Kirchenchor und Schützenverein, denen
man vielleicht sogar 40 Jahre lang angehören sollte, angesichts eines so flexiblen Arbeitsmarkts nicht mehr aufgeht; das geht alles ein bisschen durcheinander. Aber das
macht ja nichts; das ist Ihr Problem.
({43})
Ich will auf etwas ganz anderes hinaus: Die Eltern
können das alles doch nicht mehr verantworten. Wenn
Eltern mit schulpflichtigen Kindern heute zweimal das
Bundesland wechseln müssen, verhalten sie sich gegenüber ihren Kindern unverantwortlich und verschlechtern
deren Bildungschancen. Es ist keine Strukturfrage, sondern eine Frage der Chancengleichheit für unsere Kinder, dass wir einheitliche Qualitätsstandards für die Bildung in ganz Deutschland einführen.
({44})
Das Abitur in Bayern und das in Mecklenburg-Vorpommern müssen gleich viel wert werden. Dafür haben wir
zu sorgen, und auch dafür, dass der Abschluss nach der
zehnten Klasse und die Berufsausbildung gleichwertig
werden.
Ich verstehe Ihre Haltung nicht. Es ist eine einfache
Frage der Logik. Da muss man nicht links oder rechts
oder sonst etwas sein, sondern einfach nur vernünftig
und schon könnte man das anders regeln. Dann würden
Sie auch die Bevölkerung für das Prinzip des Föderalis3548
mus begeistern können. Diese Strukturhackerei, die Verfahrensweise, dass die reichen Bundesländer meinen, sie
könnten die Bedingungen für die armen diktieren, wird
niemandem einleuchten, und das zu Recht.
Lassen Sie mich zum Schluss noch etwas zur deutschen Einheit sagen. Wir haben jetzt den Abschluss
zwischen den zuständigen Landesministern und dem
Marburger Bund für die Klinikärzte erlebt. Ich sage Ihnen: Das ist einfach eine Unverschämtheit; es ist wirklich eine Unverschämtheit.
({45})
Sie stellen sich im Jahre 16 der deutschen Einheit hin
und sagen: Im ersten und im zweiten Jahr erhält eine
Klinikärztin oder ein Klinikarzt in den neuen Bundesländern mit Sicherheit 400 Euro weniger als eine Klinikärztin oder ein Klinikarzt in den alten Bundesländern. Das
ist arrogant. Es ist demütigend. Es ist ökonomisch falsch
und sozial grob ungerecht. Das ist durch nichts mehr zu
verteidigen - wirklich nicht.
({46})
Nun wollen wir einmal sehen, wie es dort weitergeht.
Aber ich weiß natürlich, wer da sitzt. Ich weiß, welche
Landesminister und wer da vom Marburger Bund sitzt.
Diese Arroganz müssen wir überwinden. Wir brauchen
nicht eine Einheit, wir brauchen eine Vereinigung. Das
heißt, wir müssen aufeinander zugehen.
({47})
Frau Bundeskanzlerin, Sie kommen aus Ostdeutschland; deshalb interessiert mich sehr, ob Sie diesbezüglich
etwas leisten werden, ob Sie wenigstens einen Fahrplan
aufstellen. Sind Sie dafür, dass man für die gleiche Arbeit den gleichen Lohn erhält? Sind Sie dafür, dass man
für die gleiche Lebensleistung die gleiche Rente erhält?
Ich weiß, Sie können das nicht zum 1. Januar 2007 einführen; das verlange ich auch nicht. Aber es wäre doch
nicht falsch, wenn Sie Auskunft gäben und sagten: Das
ist unser Fahrplan. In diesen Schritten wollen wir das erreichen. - Wir haben diesbezüglich noch nichts von
Ihnen gehört. Ich will wissen, ob Sie die Angleichung
wollen oder ob sie bei dieser Bundesregierung abgeschrieben ist.
({48})
Wenn wir die Arbeitslosigkeit senken wollen, brauchen wir einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor wie in Mecklenburg-Vorpommern. 600 Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter arbeiten dort nachmittags
an den Schulen, machen Förderunterricht und vieles andere. Sie erzielen Einnahmen. Diese Einnahmen reichen
aber nicht aus, um sie zu bezahlen. Also zahlt das Land
etwas dazu. Dadurch spart der Bund Arbeitslosengeld.
Glauben Sie, wir bekommen solch eine kleine Strukturfrage geregelt? Man könnte etwa sagen: Von dem gesparten Geld geht die Hälfte an Mecklenburg-Vorpommern, dann könnte es den öffentlich geförderten
Beschäftigungssektor erweitern. So könnte man das in
jedem Land machen. Hier sind also Verbesserungen
möglich.
Wir brauchen keine Arbeitszeitverlängerung, sondern
Arbeitszeitverkürzung.
({49})
Wir brauchen gerechte Steuern - ich hatte darüber
gesprochen - und Investitionen in Bildung, Kultur, Wissenschaft, Forschung und Infrastruktur. Liebe Frau
Bundeskanzlerin, die Situation der Ostdeutschen, der
Arbeitslosen in ganz Deutschland, der gering und durchschnittlich verdienenden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, der Kranken und der Rentnerinnen und Rentner
verlangt unser Nein zu Ihrem Etat.
Danke.
({50})
Nächster Redner ist der Kollege Olaf Scholz, SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
„Uff“ möchte man sagen, wenn Herr Gysi gesprochen
hat. Er ist alles losgeworden, was er einmal sagen wollte,
auch wenn nicht alles einen großen Zusammenhang
hatte.
({0})
Wenn man zugehört hat, was links außen und rechts
außen im Parlament gesprochen wurde - so ist jedenfalls
die Sitzordnung von FDP und Linken -, dann hat man
das Gefühl: Das sind zwei Gegensätze, die sich hier miteinander unterhalten wollen. Die einen sagen: Das Übel,
das wir in unserer Gesellschaft haben, ist der Staat. Die
anderen sagen: Der Staat löst alle unsere Probleme, dann
kommt Manna vom Himmel und wir müssen keine Politik mehr machen. - Das ist keine sinnvolle Politik, das
ist nicht maßvoll. Ich glaube, dass man sich mehr Mühe
geben muss, wenn man das Land regieren will, als solche Sprüche abzulassen.
({1})
Ich glaube auch, dass sich die FDP, die eine große
Tradition als Regierungspartei in unserem Land hat,
({2})
überlegen muss, ob sie sich in diesem Gegensatz und mit
dieser extremen Positionierung in Fragen der Sozialpolitik richtig verortet. Sie wäre gut beraten, das zu ändern.
Es ist von Herrn Brüderle und auch in vielen anderen
Reden schon gesagt worden: Da gibt es Kontinuität. Es
gab sieben Jahre lang die Regierung Schröder/Fischer.
Wenn man schaut, was jetzt passiert, dann stellt man
fest, dass vieles bei dem ansetzt, was schon vorher stattOlaf Scholz
gefunden hat. Ich frage mich immer, warum ich mich
darüber ärgern soll.
({3})
Ich fand, die sieben Jahre der rot-grünen Regierung waren nicht so schlecht, meine Damen und Herren.
({4})
Deshalb: Reden Sie nur weiter so! Das macht noch
einmal deutlich, dass das, was wir heute tun, was wir
heute fortsetzen, was wir heute weiterentwickeln, an
eine der mutigsten Reformpolitiken der letzten Jahrzehnte anknüpft, die in der siebenjährigen Regierungszeit der vorherigen Regierung angefangen hat. Es ist
richtig, dass wir da weitermachen und nicht aufhören
oder eine Kehrtwende beginnen.
({5})
Zum Antidiskriminierungsgesetz.
({6})
Herr Brüderle hat darüber gesprochen, Herr Westerwelle
wird sicherlich auch noch darüber sprechen.
({7})
- Das heißt jetzt Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz;
das ist übrigens ein wirklicher Fortschritt.
({8})
- Ja, das klingt besser.
Ich stelle mir immer vor - es war schon einmal so -,
die FDP würde mit den Sozialdemokraten regieren.
Dann müssten Sie von der FDP das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, so wie es dem Deutschen Bundestag
vorliegt, hier begründen.
({9})
Ich frage mich immer, was Herr Brüderle dann sagen
würde. Er würde wohl sagen: Das muss so gemacht werden; denn es gibt europäische Richtlinien. Wir haben gar
keine große Wahl, wir müssen es so tun. - Herr
Westerwelle würde wohl sagen: Das ist richtig so; denn
wenn wir schon von der EU gezwungen werden, vorzuschreiben, dass Ausländer und Frauen im allgemeinen
Zivilleben nicht diskriminiert werden dürfen, dann lässt
sich nicht gut erklären, warum wir nicht auch alten Menschen, Behinderten oder Homosexuellen den gleichen
Schutz gewähren sollen. Das ist der Grund dafür, dass
wir dieses Gesetz so beschließen wollen.
({10})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Westerwelle?
Ja.
Herr Kollege, Sie haben gesagt, wir sollten uns einmal vorstellen, wir würden zusammen regieren. Als die
erste Variante, das Antidiskriminierungsgesetz, in der
letzten Legislaturperiode beschlossen worden ist, regierten SPD und FDP zusammen, und zwar im Land Rheinland-Pfalz. Ist Ihnen bekannt, dass es seinerzeit aus
Rheinland-Pfalz - mit dem Ministerpräsidenten und jetzigen SPD-Vorsitzenden Kurt Beck - nicht nur verbalen
Widerstand gegen das Prinzip „Toleranz durch Bürokratie“ gab?
({0})
Es ist mir nicht bekannt, dass Kurt Beck den Ausdruck „Toleranz durch Bürokratie“ verwandt hat; dafür
ist er viel zu intelligent.
({0})
Es ist mir aber sehr wohl bekannt, dass zum Beispiel der
rheinland-pfälzische Ministerpräsident und der frühere
nordrhein-westfälische Ministerpräsident, der jetzt Finanzminister dieser Republik ist - ich habe damals öfter
mit ihm darüber diskutiert -, dafür gesorgt haben, dass
der erste Gesetzentwurf, über den wir geredet haben, so
gut geworden ist, dass wir jetzt auf dieser qualitätsvollen
Arbeit aufbauen können.
({1})
Herr Westerwelle, ich möchte mein Gedankenspiel
noch ergänzen. Wären Sie in der Regierung, müssten Sie
den Gesetzentwurf hier rechtfertigen. Das ist eine Perspektive, die sich eine Partei wie die Ihre gelegentlich
erlauben sollte. Sie sollten darüber nachdenken: Ginge
das, was ich in der Opposition sage, auf, wenn ich in der
Regierung wäre? Könnte ich irgendetwas von dem, was
ich hier erzähle, wahr machen? Oder gibt es Umstände,
Zwänge, gesetzliche Regelungen, die es mir gar nicht ermöglichten, die großen Reden fortzuführen, die ich vorher gehalten habe?
Ich bin ganz sicher, dass sich unsere Freunde von der
Union zwar ärgern, dass sie Ihnen nicht die Rede halten
können, die Herr Brüderle der Union hält, sich aber mehr
darüber freuen, dass sie in der Regierung sind und Gestaltungsmacht haben, anstatt hier Reden ohne Wirkung
zu halten.
({2})
Seitdem sich die neue Regierung gebildet hat, ist eine
ganze Reihe von Reformen auf den Weg gebracht worden, die mit großen Schritten vorangebracht werden. Es
ist merkwürdig, was wir jetzt erleben: Der eine schreibt
auf Seite 3 der Zeitung, nichts geschehe; der andere
schreibt auf Seite 2, alle seien nervös, weil jetzt so große
Dinge passierten. Die Wahrheit ist: Beides zugleich kann
nicht richtig sein, schon gar nicht, wenn beides in einem
Leitartikel steht. Es kommt aber vor, dass beides behauptet wird. Deshalb möchte ich ein paar Punkte nennen, bei denen wir große Fortschritte machen und die
eine Rolle bei dem, was wir in dieser Koalition in der
nächsten Zeit voranbringen wollen, spielen.
Wir sorgen dafür, dass der föderale Staatsaufbau vernünftig organisiert wird. Wir brauchen eine Föderalismusreform. Franz Müntefering und Edmund Stoiber haben eine große Rolle dabei gespielt, die Dinge zur Zeit
der rot-grünen Koalition voranzubringen.
({3})
Wir werden die Reform jetzt realisieren; wir wollen vor
der Sommerpause fertig sein.
Der Gesetzentwurf, der hier zur Beratung steht, ist so
gut, dass er dafür sorgen würde, dass viel weniger Gesetze im Bundesrat zustimmungspflichtig wären, als es
in der Vergangenheit der Fall war. Das zu erreichen, haben wir den Bürgerinnen und Bürgern versprochen.
({4})
Wir haben ihnen auch versprochen, dass wir uns nicht
nur mit uns selbst beschäftigen und wir es uns sparen
wollen, darüber zu diskutieren, wer wann nachts um vier
im Vermittlungsausschuss was gemacht hat.
Wir wollen mit der Föderalismusreform dafür sorgen,
dass die Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit haben,
zu entscheiden: Der Struck hat es gut gemacht, der
Westerwelle hat es schlecht gemacht; das berücksichtige
ich jetzt bei meinen Wahlentscheidungen. Das ist nicht
möglich, wenn die Verantwortung nicht zugeordnet werden kann. Es tut dem Föderalismus gut, wenn die Verantwortung des Bundes und die Verantwortung der Länder
auseinander gehalten werden können. Wir sind für einen
föderalen Staat; wir wollen ihn stärken und nicht schwächen.
({5})
Natürlich muss es Verbesserungen geben. Es ist eine
große Sache, dass es uns gelungen ist, eine Verfassungsbesonderheit zustande gebracht zu haben, nämlich eine
gemeinsame Anhörung von Bundestag und Bundesrat
im Wesentlichen in diesem Saal. Wir alle wissen: Es
muss etwas geändert werden. Das ist für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ganz klar. Wir wollen diese Reform, aber wir wollen noch Veränderungen,
die es in der nächsten Woche geben wird. Das wird für
jeden sichtbar sein.
({6})
Wichtig ist - das wurde schon gesagt -, dass es im
Bereich von Wissenschaft und Forschung möglich sein
muss, zusammenzuarbeiten. Die Bewältigung des großen Studierendenbergs und der notwendige massive
Ausbau in Bezug auf unsere Forschungseinrichtungen
und Universitäten dürfen nicht behindert werden, weil
wir im Zuge der Verfassungsreform etwa nicht aufgepasst haben. Wir werden aufpassen. Das wird uns gelingen; ich bin da ganz optimistisch.
Eine der wichtigen Aufgaben, die wir haben und die
angesichts der jetzigen Regierungskonstellation vielleicht etwas Besonderes ist, ist es, dafür zu sorgen, dass
das Vertrauen der Menschen in die sozialen Sicherungssysteme wieder hergestellt wird, so wie es vor vielen
Jahren, vor Jahrzehnten, war. Das Vertrauen ist in die
Krise geraten, weil Einnahmen und Ausgaben nicht
mehr ohne weiteres zusammenpassen, weil die wirtschaftliche und die demografische Entwicklung, die Zusammensetzung unserer Bevölkerung, Spuren hinterlassen hat.
Die Sozialversicherung, insbesondere die Rentenund die Krankenversicherung, ist zutiefst mit der Geschichte unseres Landes verbunden. Sie ist keine Erfindung der letzten Jahre, sondern ist weit über 100 Jahre
alt; sie stammt noch aus dem vorletzten Jahrhundert.
Deshalb gehört eine gute sozialstaatliche Struktur mit
dem System der sozialen Sicherung zur Identität, zum
Selbstverständnis der Deutschen.
Die Sozialversicherung gehört auch zur Traditionsgeschichte der beiden Koalitionsparteien; denn der Grundstein dafür wurde im vorletzten Jahrhundert von einem
Vorfahren eines jetzigen Bundestagsabgeordneten - ich
grüße Carl-Eduard von Bismarck - gelegt, indem er entschieden hat, zwei Dinge zu tun: erstens die Sozialdemokraten ins Gefängnis zu werfen und zweitens dafür zu
sorgen, dass eine Sozialversicherung aufgebaut wird, damit die Leute nicht auf falsche Gedanken kommen. Das
war der Beginn der Sozialversicherung.
Es gehört auch zur deutschen Geschichte, dass Konservative und Sozialdemokraten den Sozialstaat weiterentwickelt haben. Deshalb wäre es eine große Sache,
wenn wir es im Bereich Rente und Gesundheit fertig
bringen würden, einen Konsens zu erzielen, der 10, 20
oder 30 Jahre Bestand hat, und den Menschen damit sagen, dass sie sich auf die Sozialversicherung in Deutschland verlassen können.
({7})
Bei der Rente sind wir aufgrund der Reformen der
letzten Jahre schon sehr weit. Was noch geschehen muss,
wird auch geschehen. Irgendwann kann man dann nach
vielen Jahren der Propaganda, in denen gesagt wurde,
das Rentenversicherungssystem habe keine Zukunft,
nicht nur sagen: „Die Rechnung, dass sich Einnahmen
und Ausgaben ausgleichen, geht auf“, sondern auch darauf hoffen, dass die Menschen wieder an die Rentenversicherung glauben, weil sie wissen, dass sie in die Zukunft investieren. Ich glaube, das ist ganz wichtig. Die
meisten Menschen sind nicht so reich, dass sie sich alle
vier Jahre einen Systemwechsel bei der Kranken- und
der Rentenversicherung leisten könnten. Die meisten
Menschen werden nervös, wenn alle vier Jahre alles zur
Disposition steht. Sie sind darauf angewiesen, dass wir,
die Abgeordneten in diesem Haus und die Bundesregierung, dafür sorgen, dass der Sozialstaat funktioniert. Das
ist die Aufgabe, der wir nachkommen müssen.
Als Nächstes liegt die Reform der Krankenversicherung an. Dazu ist schon einiges gesagt worden. Ich
glaube, dass wir es hinbekommen, eine Reform der
Krankenversicherung auf solidarischer Basis zustande
zu bringen. Das ist notwendig; denn die Menschen verlangen von uns, dass wir Solidarität herstellen. Solidarität ist gut für diejenigen, die wenig verdienen und die
sich ohne solidarische Strukturen etwa in der Krankenversicherung einen vollwertigen Versicherungsschutz
nicht leisten könnten. Darum brauchen wir Solidarität
insbesondere für die Menschen, die wenig verdienen.
({8})
Wir brauchen Solidarität für die Unternehmer, die
diese Menschen beschäftigen wollen. Wir sprechen hier
über Lohnnebenkosten und über Kosten der Arbeit. Solidarität bedeutet in diesem Zusammenhang Entlastung
der Unternehmer; denn davon profitieren gerade Menschen mit geringer Qualifikation und geringem Einkommen. Die Unternehmer dürfen in einem solidarischen
System nicht überproportional hohe Beiträge zur Krankenversicherung dieser Arbeitnehmer leisten müssen.
Deshalb ist es richtig, dass wir das Krankenversicherungssystem unter Beachtung des Solidaritätsprinzips in
Ordnung bringen.
Sie wissen, dass darüber diskutiert wird. Über Modelle kann man allerdings erst dann diskutieren, wenn
sie endgültig da sind. Eines kann man aber als Sozialdemokrat schon jetzt sagen: Ein Beitrag zur Solidarität
wird sein müssen, dass wir dafür sorgen, dass man sich
von der Sozialversicherung nicht verabschieden kann.
Es darf nicht sein, dass man sich, wie es bei Steueroasen
der Fall ist - Beispiel Cayman Islands -, der Solidarität
entzieht. Das haben wir allerdings mit dem Nebeneinander von privater und gesetzlicher Krankenversicherung,
so wie es heute organisiert ist. Wir brauchen vielmehr
ein Miteinander. Es gibt viele Wege, wie man das machen kann. Darüber reden und streiten wir. Ich bin sicher, dass wir einen vernünftigen Weg finden werden.
Die Menschen werden dafür sein, dass es solidarisch zugeht. Da kann die FDP sagen, was sie will.
({9})
Bei dieser Gelegenheit möchte ich darauf hinweisen,
dass in den Fußballstadien, die von einigen von uns besucht werden, gelegentlich ein sozialdemokratisches
Grundsatzprogramm in Form eines Liedes vorgetragen
wird. Das berührt die Frage, wie wir mit der Gesundheits- und Rentenreform umgehen. Das Grundsatzprogramm, das dort vorgetragen wird, heißt: You‘ll never
walk alone. Das ist eigentlich die richtige Überschrift für
ein sozialdemokratisches Grundsatzprogramm. So sehen
wir die Welt. Ich frage mich, wie Sie sie sehen.
({10})
Zu unseren Aufgaben gehört auch, dass wir den Haushalt weiter konsolidieren. Das ist nicht leicht. Es ist vor
allem nicht so leicht, wie die Leichtmacher sich das denken; denn es gibt eine große Lücke zwischen Einnahmen
und Ausgaben.
({11})
Deshalb muss man dafür sorgen, dass die Lücke kleiner
wird. Der Koalitionsvertrag hat dazu eine klare Aussage
getroffen. Es lohnt sich, sich diese gelegentlich ins Gedächtnis zu rufen. Ich will das tun. Auch die Kanzlerin
hat einen Teil daraus vorgetragen.
Wir werden: sanieren, reformieren und investieren
und dabei die Lasten gerecht auf alle Schultern verteilen.
Wir werden mutig sparen und Subventionen abbauen. Das hat Vorrang. Aber ohne Steuererhöhung
ist die für unser Land wichtige Konsolidierung
nicht zu schaffen.
Dieses Zitat aus dem Koalitionsvertrag ist wahr und
richtig. Seitdem wir gemeinsam regieren, sind wir daran,
diese klare Aussage in allen Details bei der Haushaltskonsolidierung umzusetzen.
Auch da gibt es eine gewisse Kontinuität; man ist ja
nicht geschichtslos. Manche der Subventionen, die in
den letzten Monaten abgebaut worden sind, und die Subventionen, die wir demnächst abbauen werden, haben
mehrfach auf der Tagesordnung dieses Parlaments gestanden. Aber es war immer das gleiche Spiel: Der Bundestag schaffte sie ab, der Bundesrat rettete die Subventionen. Dieses Spiel ist jetzt aus. Das ist der eigentliche
Fortschritt. Wir treiben den Subventionsabbau voran, ob
das Filmfonds betrifft, ob das die Eigenheimzulage ist
oder ob das verschiedene einfach oder schwer zu begründende Subventionen sind. Wir sind miteinander mutig.
({12})
Das ist wichtig, weil wir unser Land und den Staatshaushalt in Ordnung bringen wollen.
({13})
Herr Gysi, Steuererhöhungen für alles und jeden sind
nicht die Lösung des Problems. Daher kommt auch nicht
das viele Geld, das Sie sich erhoffen. Wir müssen dafür
sorgen, dass wir die richtige Balance finden. Wir brauchen eine Besteuerung, die für die Menschen, für die
Unternehmen und international vertretbar ist. Gleichzeitig brauchen wir eine Situation, in der der Staat die Aufgaben, die - ich wähle jetzt mal diese Reihenfolge - die
Unternehmen, die Bürgerinnen und Bürger, die Arbeitnehmer, die Studierenden, die Schülerinnen und Schüler,
die alle an uns stellen, auch erfüllen kann. Der Staat
muss dazu in der Lage sein. Man kann nicht eine super
Autobahn haben und gleichzeitig keine Steuern zahlen
wollen. Beides gleichzeitig geht nicht. Deshalb werden
wir immer das richtige Maß finden müssen. Über dieses
Maß kann man streiten. Ich will gerne hinzufügen, dass
Mitte und Maß gute Tugenden des Handwerks in unserem Land sind.
({14})
Es ist die Sache von Außenseitern, zu behaupten, dass
Mitte und Maß etwas mit Mittelmäßigkeit zu tun hätten.
Wir werden uns gegen diese Diskreditierung vernünftiger Politik immer zur Wehr setzen.
({15})
Uns ist schon etwas gelungen,
({16})
sogar eine so schwierige Operation - Herr Gysi und andere haben darüber geredet - wie die Erhöhung der
Mehrwertsteuer. Die ist ja niemandem leicht gefallen.
Keiner macht das gerne, gleich ob vor oder nach Wahlkämpfen, es bleibt schwierig, wenn man Steuern erhöht.
({17})
- Seid mal froh, dass ihr nicht mitregieren müsst, dann
wäret ihr auch dafür!
({18})
Die Menschen sind nicht so aufgeregt, wie die Debatte in diesem Parlament geführt wird. Was ist uns nicht
alles vorhergesagt worden? Es wurden Kampagnen in
Zeitungen geschaltet und für diejenigen, die das aufhalten wollten, wurden Orden verteilt. Jetzt wurde gesagt:
Das ist die letzte Chance, das sind diejenigen, die das
aufhalten können. Wir haben es trotzdem gemacht. Die
Menschen freuen sich zwar nicht, verstehen aber, warum
das geschehen ist. Deshalb sind sie mit dem Gesamtergebnis dieser Entscheidung einverstanden.
({19})
Das wird übrigens auch für ein anderes Thema gelten,
das viele aufregt. Es betrifft nicht alle, auch nicht alle
Mitglieder dieses Hauses. Ich bin zwar nicht über die
Nebeneinkünfte eines jeden Abgeordneten informiert,
glaube aber, dass mit der Reichensteuer keiner oder fast
keiner etwas zu tun haben wird.
({20})
- Oskar Lafontaine, das kann sein. - Dass sie kommt, ist
gut, weil das zeigt, dass wir die soziale Balance in dem
Besteuerungssystem dieses Landes zustande gebracht
haben. Es ist richtig, dass diejenigen, die über breite
Schultern verfügen, mitmachen.
Lassen Sie mich einen letzten Punkt ansprechen. Einen der größten Fortschritte machen wir auf dem Gebiet
der Familienpolitik. Hier gibt es eine gute Kontinuitätslinie. Das Ganztagsbetreuungsprogramm war ein Fortschritt. Es war richtig, dass wir das Angebot an Ganztagsschulen ausgebaut haben.
({21})
Es ist ein Zielwechsel gelungen. Anders als vor wenigen
Jahren sagt die ganze Republik, weitgehend parteiübergreifend: Wir müssen ein Angebot an Ganztagskrippen,
-kindergärten und -schulen haben. Niemand diskutiert
heute mehr darüber, dass Eltern, die ihre Kinder dort
hinschicken, Rabeneltern wären.
({22})
Niemand - zumindest sind es nicht viele - diskutiert
heute mehr darüber, dass es schlecht für die Kinder ist,
wenn sie eine Ganztagseinrichtung besuchen. Umgekehrt wissen wir, dass wir manchen unserer jungen
Leute nur dann eine Chance geben können, wenn wir ihnen ganz früh Förderung angedeihen lassen, die sie aufgrund der Hintergründe und Umstände von ihren Eltern
nicht bekommen können.
({23})
Ich bin froh, dass sich diese Linie mit dem Elterngeld
fortsetzt. Das ist eine ganz moderne Familienpolitik.
Man muss Demagoge sein, um das schlecht zu finden.
Es ist eine moderne Politik, weil sie bei den Bedürfnissen der jungen Eltern ansetzt, die sich für Kinder entscheiden, die Beruf und Familie vereinbaren wollen.
Wenn wir das jetzt in Deutschland umsetzen, folgen wir
Staaten, die uns ansonsten als Vorbild entgegengehalten
werden, zum Beispiel Schweden und Frankreich. Das ist
eine soziale Maßnahme, das ist eine Maßnahme für alle.
Eines möchte ich in diesem Zusammenhang noch sagen: Wer, wie Herr Gysi, jemanden, der 1 600 Euro Elterngeld bekommt, weil er sich als Vater um die Betreuung der Kinder kümmert, als Besserverdiener
beschimpft, der zeigt, dass er keine Ahnung von dieser
Welt hat.
Schönen Dank.
({24})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Renate Künast,
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau
Bundeskanzlerin, ich habe ja geahnt, dass Sie in Ihrer
Rede als Erstes versuchen werden, ein bisschen Honig
aus der jetzt laufenden Fußballweltmeisterschaft zu saugen.
({0})
- Jetzt operieren wir schon mit dem Wort Mädchen, junger Mann.
({1})
Sie haben versucht, den Fußball an dieser Stelle zu
nutzen. Aber wahr ist: Wir Abgeordnete haben nicht mittrainiert und wir haben auch nicht mitgespielt. Dass in
diesem Land im Augenblick gute Stimmung ist, heißt
nicht, dass die gute Stimmung der Regierung geschuldet
ist, sondern dem Team von Herrn Klinsmann und denen,
die auf diesem Feld spielen. Darüber können wir alle
glücklich und froh sein. Die Leistung, die Klinsmann mit
seinen Männern erbracht hat, haben Sie, Frau Merkel,
erst noch vor sich.
({2})
Im Gegensatz zu Klinsmann, der das Team systematisch
entwickelt hat, haben wir bei der Bundesregierung im
Augenblick doch wohl eher die Sorge, dass Sie mehr
und mehr Ausfälle in der Truppe haben. Das werde ich
Ihnen begründen.
Lieber Olaf, du hast gesagt, dass in den Stadien
„You’ll never walk alone“ gesungen wird. Die Zuschauer sagen: Dieses Team wird nicht alleine laufen,
weil sie Solidarität empfinden und sich mitgenommen
fühlen. Sie jubeln einem Team zu, dessen Trainer sagt:
Jeder ist wichtig für unseren Erfolg. Diese Leistung,
wirklich alle Menschen in dieser Republik einzubeziehen, mitzunehmen, jedem eine Chance zu geben und
kein Kind auf der Strecke liegen zu lassen, muss die
Bundesregierung erst noch erbringen. Ich sehe sie noch
nicht.
({3})
Wir werden unseren Teil dazu beitragen. Aber das ändert nichts daran - das sage ich in Richtung SPD -, dass
die Regierung als Erstes eine Bringschuld hat, Vorschläge zu machen. Dazu muss ich Ihnen sagen: Auf die
vielen Fragen, die im Augenblick auf der Agenda sind
- wie schaffen wir Arbeitsplätze inmitten einer internationalen Konkurrenz, wie erhalten wir die natürlichen
Lebensgrundlagen, wie schaffen wir eine Energieversorgung ohne Atomrisiko und ohne Klimazerstörung? -,
habe ich hier noch keine Antworten gehört. Ich muss Ihnen auch sagen: Die Antwort auf die Frage, wie man in
diesem Land Job und Kinder vereinbaren kann, ist von
Ihnen auch noch nicht gegeben worden.
({4})
- Sie sagen, Sie würden das machen. Ich sage Ihnen:
Was Sie machen, sind zwei Dinge. Sie inszenieren sich
als Koalition und entwickeln sich in Ihrem Streit in
Richtung kleinstes Karo - man nennt das auch Pepita;
das ist kleinkariert -, ohne dass Sie wirklich Lösungen
anbieten. Bei der CDU/CSU habe ich darüber hinaus im
Augenblick das Gefühl, dass sie sich im Wesentlichen
mit sich selbst beschäftigt. Die CDU/CSU beschäftigt
sich mit den Fragen, wie sie Ihnen von der SPD in den
Städten die Wählerschaft abgreifen kann und wie sie
sich selber ein modernes Antlitz gibt.
Ich will mit dem Thema Elterngeld anfangen. Ich
gratuliere Frau von der Leyen. Der Kampf, den Sie gegen die Männer in der CDU/CSU geführt haben, war sicherlich nicht einfach.
({5})
- Das ist einfach die Wahrheit, das ist kein vergifteter
Pfeil.
Aber ich sage Ihnen eines: Das Elterngeld und vor allem die Vätermonate - wie Herr Pofalla, die junge aufstrebende Kraft in der CDU/CSU, sie nennt - zeigen,
wie weit Sie, die CDU/CSU, noch von der Realität in
Deutschland entfernt sind. Das Elterngeld ist vielleicht
ein großer Schritt für die CDU/CSU, um endlich aus den
70er-Jahren heraus und im Jahr 2006 anzukommen.
Aber dieses Geld ist kein großer Schritt für die Väter
und Mütter in dieser Republik, weil es ihre Probleme
nicht löst.
({6})
Die Kernfrage lautet: Was macht man in diesem Land als
Mutter oder Vater, wenn das eigene Kind zwölf oder
14 Monate alt ist? Hier lassen Sie die erwerbstätigen Väter und Mütter allein.
({7})
Ich gebe zu: Das, was Sie vorschlagen, sieht modern
aus. Aber die Leute merken, dass das Problem dadurch
nicht gelöst wird.
({8})
Auch Ihr Familiensplitting ist ein solcher Coup.
({9})
Durch das Familiensplitting werden letztlich wieder diejenigen privilegiert, die hohe Einkommen haben. Das
Ergebnis ist, dass Kinder in dieser Republik unterschiedlich behandelt werden. Dadurch organisieren Sie, vielleicht als schöner Schein, ein Stück Modernisierung der
CDU. Aber wahr ist: Sie zementieren eine neue finanzielle Ungerechtigkeit zulasten der Kinder.
({10})
Wir wollen das Ehegattensplitting in eine Individualbesteuerung mit einem übertragbaren Höchstbetrag von
10 000 Euro umwandeln. Das führt letztlich zu einer
Einsparung in Höhe von 5 Milliarden Euro. Diese
5 Milliarden Euro sind die Antwort auf die Frage: Was
mache ich mit meinem zwölf Monate alten Kind, wenn
ich erwerbstätig sein will bzw. muss? Mit diesen
5 Milliarden Euro kann man eine Betreuung der Kinder
nach dem ersten Lebensjahr finanzieren. Dafür haben
wir ein Konzept vorgelegt, über das wir gerne mit Ihnen
diskutieren.
({11})
Unser Ziel muss immer sein, die Kinder in den Mittelpunkt unserer politischen Bemühungen zu stellen und
darauf hinzuwirken, dass jedes einzelne Kind gefördert
wird. Wir alle kennen die OECD- und PISA-Studien, an
denen deutlich wird, dass immer mehr Kinder aus bildungsfernen sowie finanziell und sozial schwachen Familien - überproportional aus Migrantenfamilien -,
wenn sie im Alter von sechs Jahren in die Schule kommen, ein Entwicklungsdefizit von ein bis zwei Jahren
aufweisen. Dieses Defizit in der Entwicklung der Kinder
tut mir in der Seele weh. Deshalb sage ich: Wir brauchen
kein Familiensplitting, sondern wir müssen das Geld
umtopfen, um ganz konkret die Förderung der Kinder zu
gewährleisten. Jedes Kind braucht einen guten Betreuungsplatz und muss in jeder Hinsicht gefördert werden.
Das ist deren, das ist unsere Zukunft.
({12})
Da ich von einer neuen Ungerechtigkeit gesprochen
habe, muss ich, wenn ich mir die letzten sieben Monate
vor Augen führe, an dieser Stelle auch auf die Steuerpolitik zu sprechen kommen. Frau Merkel, Sie haben es geschafft, die größte Steuererhöhung seit 1949 durchzudrücken, ohne gleichzeitig das einzuhalten, was Sie
versprochen haben: tatsächlich mehr für die Haushaltskonsolidierung zu tun und die Lohnnebenkosten zu senken. Das ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Unverfrorenheit, die mich noch mehr ärgert als das unwahre
Spiel der SPD, die erst Nein zur Mehrwertsteuererhöhung sagt und dann aus der geplanten Erhöhung um
2 Prozentpunkte eine Erhöhung um 3 Prozentpunkte
macht.
({13})
Die Mehrwertsteuererhöhung wird die kleinen Leute
überproportional treffen. Wir wissen, dass jeder Mensch
nicht nur Lebensmittel zum Leben braucht, sondern auch
Kleidung, Spielzeug, eine Waschmaschine, Waschpulver
usw. Bei allen Produkten, die sie kaufen - sogar, wenn
sie Handwerkerrechnungen bezahlen -, werden sie von
diesen 3 Prozentpunkten betroffen sein.
Auf der Liste der neuen Ungerechtigkeiten, die Sie
produzieren, steht auch das Thema Unternehmensteuerreform. Alles, was man dazu bisher gehört hat,
lässt in mir das Gefühl aufkeimen, dass Sie immer noch
vorzugsweise auf Lobbyisten hören. Die Nettoentlastung
der Unternehmen soll satte 8 Milliarden Euro betragen.
Die Frage ist: Wie kann man eine solche Steuerentlastung gegenfinanzieren? Das entspricht 1 Prozentpunkt
Mehrwertsteuer. Da Ihnen keine andere Einnahmequelle
zur Verfügung steht, bedeutet das: Sie greifen in das
Portemonnaie der kleinen Leute, um die großen Unternehmen steuerlich zu entlasten.
({14})
Das ist der großkoalitionäre, aber kleinkarierte Konsens.
Letztlich einigen Sie sich immer auf den Nenner, dem
kleinen Mann in die Tasche zu greifen.
({15})
Wir brauchen eine konsequente Unternehmensteuerreform. Zwar muss unser Steuerrecht international wettbewerbsfähig sein. Aber die Unternehmensteuerreform
sollte aufkommensneutral sein. Sie sollte weder zulasten
der öffentlichen Haushalte noch zulasten der kleinen
Leute gehen, sondern mit einer Verbreiterung der Bemessungsgrundlage bei den Unternehmensteuern einhergehen. So wird ein Schuh daraus.
({16})
Wir brauchen im Steuerrecht Mechanismen, um endlich die Gewinnverlagerung ins Ausland an entscheidender Stelle zu durchbrechen. Wir brauchen eine Stärkung
des Mittelstands bei der Eigenkapitalbildung; sie ist die
Ursache für die Krisenanfälligkeit der kleineren und
mittleren Unternehmen. Außerdem brauchen wir eine
Vereinfachung der Gewerbesteuer. Das sind unsere Vorschläge und Ansätze für mehr Gerechtigkeit.
({17})
Diese Koalition ist meines Erachtens kraftlos und
ziellos - daran ändern all die warmen Worte, die hier gesprochen worden sind, nichts -, weil selbst die großen,
angekündigten Reformen noch keine Linie haben und
sich widersprechen. Ich nehme als Erstes die Föderalismusreform. Uns wird gesagt, endlich würde klar, wer
zuständig ist, und die Bürger wüssten das dann auch.
Aber wenn es Ihnen darum geht, dann fangen Sie doch
einmal da an, wo Sie es schon könnten, zum Beispiel
beim Antidiskriminierungsgesetz. Es ist klar, dass allein der Bund zuständig ist. Zeigen Sie doch, was eine
Harke ist, anstatt das Fass aufzumachen, indem Sie auf
den Bundesrat zugehen, wo es gar nicht nötig ist!
({18})
Sie können uns die Föderalismusreform doch nicht als
klare Trennung verkaufen und hier unnötigerweise ein
anderes Verfahren wählen.
Frau Merkel, Sie haben hier gesagt, welche ungeheuren Entwicklungsmöglichkeiten sich den Schulen eröffneten, wenn man die Verfassung zugunsten der Bundesländer änderte. Aber Sie haben das mit einem Beispiel
begründet, das ungeeignet ist, weil man dafür gar nichts
ändern müsste. Bei der jetzigen Rechtslage, haben Sie
uns erklärt, hat zum Beispiel Sachsen das zwölfjährige
Abitur angeschoben und mittlerweile hat auch Bayern
davon gelernt. Wozu müssen wir den Bund dann durch
diese Verfassungsreform aus der zentralen Aufgabe der
Bildungsplanung herauskatapultieren? Das geht doch
genau in die falsche Richtung!
({19})
Bildung ist einer der zentralen Gerechtigkeitspunkte.
Ich weiß, dass das gerade den Sozialdemokraten auf der
Seele liegt. Bildung, auch eine gute berufliche Ausbildung, ist der Rohstoff der Zukunft. Eine gute Bildung ist
das Kapital, das jedes Kind in dieser Republik mitbekommen muss, um seinen Beitrag für die Gestaltung der
Gesellschaft leisten zu können, um sich selber entfalten
zu können, um das Geld für sein eigenes Leben verdienen zu können. An dieser Stelle dürfen wir kein einziges
Kind zurücklassen. Deshalb, sage ich Ihnen, reicht es
nicht aus, wenn Sie das Kooperationsverbot im Hinblick
auf die Wissenschaft ein bisschen aufheben. Nein, es
muss auch in Zukunft möglich sein, dass der Bund mit
Finanzspritzen für die Bildung hilft, dass der Bund mit
allen Bundesländern gemeinsam kreativ plant, wie die
Bildung in diesem Land weiterentwickelt werden soll,
für alle Kinder. Das ist ein zentraler Gerechtigkeitspunkt.
({20})
Nun verstehe ich ja, dass Frau Merkel an dieser Stelle
ein besonderes Problem hat: Das Problem heißt Roland
Koch.
({21})
- Das sagt selbst Herr Tauss. - Frau Merkel, ich verstehe
ja, dass Sie dem Prinzip folgen, dass man seine stärksten
Gegner immer einbinden sollte. Aber ich finde, es reicht
aus, wenn Sie Roland Koch bei der CDU als Vize einbinden - bei der Verfassung sollten Sie als Kanzlerin auf
den Tisch hauen und sagen: Da geht es nicht um Parteiinternes, sondern da geht es um die Zukunft der Kinder
und deshalb machen wir das so nicht.
({22})
Diese Föderalismusreform wird keine Mutter der Reformen, es wird möglicherweise nicht einmal ein blasses
Stiefmütterchen. Ich halte die Art und Weise, wie Sie an
dieser Stelle vorgehen, für kraftlos, mutlos und ziellos.
Als Zweites warten wir auf die Gesundheitsreform.
Ihre Gesundheitsreform kommt daher wie ein Wolpertinger, obwohl ich glaube, dass das Modell mit dem Fonds,
das Sie gerade diskutieren, nicht in Bayern erfunden ist.
Für die, die es nicht wissen: Ein Wolpertinger ist ein Fabelwesen, das aus verschiedenen Tieren zusammengesetzt ist. Ich stelle es mir vor als ein Fabelwesen mit einem roten Kopf und einem schwarzen Körper.
({23})
Niemand weiß genau, was dieser Wolpertinger eigentlich ist und wie gefährlich er ist. So ist es mit Ihrem
Modell eines Fonds für die Gesundheitspolitik.
({24})
Der Fonds ist ja erst einmal nichts anderes. Den kann
man ja an sich nicht kritisieren - da haben Sie Recht,
Frau Merkel -, weil er ja nichts anderes als eine Hülle
ist, die ein wenig der Gesichtswahrung für beide Seiten
dient, weil man weder Kopfpauschale noch Bürgerversicherung sagen will. Es kommt jetzt aber darauf an, was
darin steckt. Ist das mehr als eine neue Megabehörde, die
Gelder einnimmt und dann wieder verteilt? Lösen wir
hier irgendein Problem oder werden die gesetzlich Versicherten am Ende nur dreifach abkassiert, indem sie Beiträge zahlen, indem sie das System über Steuern mitfinanzieren und - hier habe ich aufgrund der hohen
Belastungen besonders für die AOKler Befürchtungen eine kleine Kopfpauschale à la Kauder obendrauf finanzieren? Das wäre nicht gerecht.
({25})
Wir sagen auch: Die privat Versicherten dürfen nicht
unbehelligt bleiben. Man muss mindestens an die Versicherungspflichtgrenze heran. Für uns ist klar - ich versuche jetzt einmal, in Ihrem System zu bleiben -: Eine gute
Gesundheitsreform darf nicht einseitig nur zulasten der
Versicherten gehen. Es muss mehr Wettbewerb zwischen
allen produziert werden, vor allem unter den Ärzten und
unter den Apotheken, und die Effizienzpotenziale müssen endlich genutzt werden.
Lassen Sie mich noch eines dazu sagen: Eine wirklich
große Gesundheitsreform braucht ein Präventionsgesetz; denn zwei Drittel der Kosten entstehen durch chronisch-degenerative Erkrankungen, die einer ordentlichen
Präventionsarbeit bedürfen und die gerade die sozioökonomisch schwachen Schichten belasten. An dieser
Stelle sage ich Ihnen: Nur dann, wenn Sie in der Lage
sind, dieses Gesamtpaket vorzulegen, erreichen wir eine
wirklich gute Umstrukturierung unseres Gesundheitssystems.
({26})
Frau Merkel, wenn ich mir andere Politikbereiche anschaue, dann muss ich sagen: Anders als das Team von
Klinsmann kommen Sie hier langsam in die gefährliche
Zone. Sie haben nämlich lauter Ausfälle in Ihrem Team.
Der erste Ausfall ist der Wirtschaftsminister.
({27})
Ich kann Ihnen nur sagen: Die Kabarettisten in dieser
Republik machen ihn immer nach und müssen gar nicht
sagen, wen sie vorführen. Ein großes Gähnen genügt.
Diesen Mann hört man immer nur dann, wenn es darum
geht, dass man die Laufzeiten der Atomkraftwerke verlängern müsse. Gerüchteweise - ich gebe zu: gerüchteweise - kümmert er sich jetzt auch um Ausbildungsplätze.
Herr Glos, ich sage Ihnen: Nutzen Sie gleich das Ende
der Debatte und gehen Sie dort drüben in die Arena von
Adidas. Bezüglich der Ausbildungsquote ist das Unternehmen das absolute Schlusslicht. Sie können dort
gleich einmal sagen: Wer hier vor diesem Hohen Hause
eine Arena aufbaut, der muss die Mindestanforderung,
nämlich eine entsprechende Ausbildungsquote, erfüllen.
Hier könnten Sie einmal etwas tun, Herr Glos.
({28})
Herr Glos, wenn Sie dann noch Zeit haben, dann tun
Sie endlich auch einmal etwas für sinkende Strompreise. Wir haben von den Monopolen die Nase voll.
Die Netzagentur braucht unsere Unterstützung. Auch
dort müssen Sie einfordern, dass die Preise heruntergehen.
({29})
Wenn wir uns die Ausfälle in diesem Kabinett anschauen, dann müssen wir natürlich auch ein Wort zu
Herrn Jung sagen.
({30})
Herr Jung ist der Nächste, der in diesem Kabinett offensichtlich überfordert ist.
({31})
Er war beim Kongoeinsatz überfordert und beim Thema
Weißbuch setzt er jetzt ein heilloses Gemurkse in Gang.
Ich sage Ihnen: Wir erwarten, dass diese Strategien zur
Sicherheitspolitik in diesem Parlament diskutiert werden
und dass wir darüber reden, ob diese Entgrenzung des
Verteidigungsbegriffs richtig ist. Nicht jedes Sicherheitsproblem in dieser Welt kann und darf man mit dem Militär lösen. Das muss in einem solchen Papier auch stehen.
({32})
Zur Sicherheitspolitik gehören auch Entwicklungspolitik und eine nachhaltige Ressourcenpolitik, damit sich
die Länder entwickeln und Arbeitsplätze schaffen können. Auf diese Art und Weise kann und muss man Konflikte entschärfen bzw. gar nicht erst entstehen lassen.
Deshalb findet dieses Weißbuch Ihres Herrn Jung unser
definitives Nein.
({33})
Wir erwarten, dass Sie die alltäglichen Sorgen der Menschen ernst nehmen und darauf reagieren.
Lassen Sie mich an dieser Stelle einige Worte zu
Hartz IV sagen. Mich stinkt an, wie Sie hier flächendeckend eine Missbrauchsdebatte organisieren. Das ist abgedroschen und falsch. Es gibt für diesen Missbrauch
keine Belege, im Gegenteil.
({34})
Die Wahrheit ist, dass die Förderung überhaupt nicht
stattfindet. Viele Arbeitslose warten Wochen und Monate auf Eingliederungsgespräche und -vereinbarungen,
aber nichts passiert.
({35})
Wir alle miteinander warten auf wirkliche regionale Arbeitsmarktpolitik und den Wettbewerb um die besten Integrationslösungen. Wir warten auf eine Einschränkung
bei den 1-Euro-Jobs, weil diese im wahrsten Sinne des
Wortes missbraucht werden, um reguläre Arbeitsplätze
zu ersetzen.
({36})
- Das diskutiere ich gerne auch mit Ihnen, Sie Dauerzwischenrufer. Wir stellen Ihnen gerne unser Progressivmodell vor. Das schafft neue Jobs bei den Niedrigqualifizierten, und zwar ohne Mitnahmeeffekte.
({37})
Sie, Frau Merkel, haben uns gerade im Blick auf die
FDP bei Hartz IV Sand in die Augen gestreut, indem Sie
gesagt haben, Sie wollten die Gelder, anders als die FDP,
endlich für die Langzeitarbeitslosen einsetzen. Wahr ist:
Ihre Fraktion organisiert da wieder Taschenspielertricks.
Diese 6,5 Milliarden Euro für aktivierende Maßnahmen
wollen Sie nicht entsprechend investieren, sondern
Haushaltslöcher damit stopfen. Die Mehrkosten beim
ALG II sollen aus den Fördermitteln finanziert werden
können. Einer solchen Regelung werden wir nicht zustimmen.
({38})
Dieses Geld gehört den Langzeitarbeitslosen und muss
kreativ dafür eingesetzt werden, um ihnen zu helfen.
({39})
Mein letzter Satz
({40})
gilt dem Bundesumweltminister. Die Probleme der Klimafolgen sind von zentraler Bedeutung. Das Wasser
steigt immer höher und wird uns irgendwann bis zum
Halse stehen. Ich muss Ihnen sagen: Trotz der wunderbaren Rhetorik des Bundesumweltministers steht auch
dieser Mann im Verdacht, ein Ausfall zu werden. Reden
allein reicht nicht. Zu REACH hat er sich nicht als Ökologe geäußert, sondern war in Brüssel faktisch der Vertreter der Chemielobby. Beim zweiten Nationalen Allokationsplan zum Emissionshandel - das ist das
Schlimmste - verteilt er Gratiszertifikate. Der „Tagesspiegel“ vom heutigen Tage titelt zu Recht: Hier wird
der Klimaschutz aufgegeben, um die Industrie zu schonen.
Dann haben Sie noch die Dreistigkeit, anzubieten, einen nationalen Fahrkurs einzuführen. Ich sehe das schon
vor mir: Wir alle machen einen Kurs für besseres Autofahren, damit wir vorsichtiger anfahren, um einen Tropfen Sprit einzusparen. Ich halte eine ordentliche Fahrweise für richtig. Aber es ist eine Schildbürgerbotschaft,
zu sagen: Wir schonen die Industrie und ersparen ihr
Vorschriften zur Reduktion. Mutlos wie Sie sind, trauen
Sie sich nicht einmal, die Zertifikate zu versteigern, um
endlich Wettbewerb zu erreichen. Stattdessen sollen die
Autofahrer an der Ampel nicht so scharf Gas geben. Das
ist albern. Das ist keine Klimapolitik. Wenn Sie so weitermachen, Herr Gabriel, haben Sie den Namen „Bundesumweltminister“ nicht verdient.
({41})
Mit Blick auf den G-8-Gipfel erwarte ich von Ihnen,
Frau Merkel, dass Sie dort tatsächlich eine konsistente
Energiepolitik machen und dafür sorgen, dass in den
nächsten Jahren die G-8-Staaten nicht wie bislang geplant Gelder in Höhe von 17 000 Milliarden US-Dollar
- das ist 70 Mal so viel wie der Bundeshaushalt - für
Atomkraft und die Erschließung der letzten Öl- und Gasreserven ausgeben. Vielmehr fordere ich Sie auf: Legen
Sie ein international abgestimmtes und gutes Konzept
vor, das Gelder für Investitionen in erneuerbare Energien, Energieeffizienz und -einsparmaßnahmen vorsieht.
Das ist für die Kunden und für die Wirtschaft bei uns
wegen der hohen Rohstoffkosten gut. Das schafft am
Ende auch Arbeitsplätze. Genau das wollen die Menschen.
({42})
Mein Fazit dieser sieben Monate der so genannten
großen Koalition ist: Viel mehr als den kleinsten gemeinsamen Nenner haben Sie nicht erreicht. Wir stellen
unsere Konzepte dagegen. Ich sage Ihnen ganz klar: Finden Sie endlich den Mut und die Kraft, die Dinge anzupacken! Hören Sie auf, zu lavieren und zu moderieren!
Packen Sie die Dinge endlich ernsthaft an, aber machen
Sie das gerecht, statt neue Ungerechtigkeiten zu schaffen!
({43})
Das Wort hat der Kollege Volker Kauder, CDU/CSUFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir führen heute die zentrale Debatte über die
Frage, wie wir unser Land voranbringen können. Die
Regierung hatte dafür ein Konzept. Und sie hat für dieses Konzept einen Bundeshaushalt vorgelegt. Man darf
zwar von der Opposition erwarten, dass sie sich mit diesem Konzept und den damit verbundenen Fragen auseinander setzt und ein Gegenmodell vorlegt. Aber gerade
für Sie, Frau Künast, gilt: Sie brauchen noch eine erhebliche Zeit in der Opposition, um klarer erkennen zu können, was für unser Land wirklich notwendig ist.
({0})
Ich habe bei mancher Ihrer Äußerungen in der letzten
Zeit - beispielsweise zur Integrationspolitik oder über
die Fehler, die in der Vergangenheit gemacht worden
sind - gedacht, dass Sie erkannt hätten, dass sich in unserem Land etwas ändern muss. Aber Ihre heutige Rede
erreicht nicht das intellektuelle Niveau, das wir brauchen, um Konzepte für unser Land zu entwickeln.
({1})
An die FDP gewandt, möchte ich kurz auf eines hinweisen, Herr Brüderle: Sie haben in diesem Haus und
auch auf Veranstaltungen außerhalb festgestellt, dass die
von uns beabsichtigte Mehrwertsteuererhöhung nicht
in Ordnung sei. Man kann zwar darüber diskutieren, ob
Mehrwertsteuererhöhungen ein geeignetes Mittel sind,
aber dann muss man auch sagen, welche anderen Mittel
zur Verfügung stehen. Wenn man die Ziele im Blick hat
- den Haushalt zu konsolidieren,
({2})
das Land voranzubringen und vor allem dafür zu sorgen,
dass der Weg in den Verschuldungsstaat endlich beendet
wird -, dann gibt es dazu aus unserer Sicht keine überzeugende Alternative.
({3})
Lassen Sie mich noch einen Punkt ansprechen, Herr
Brüderle - wenn es nicht so traurig wäre, dann müsste
ich insgeheim schmunzeln -: Es ist auch keine Art und
Weise der politischen Arbeit, einerseits gegen die Mehrwertsteuererhöhung zu wettern, aber andererseits in den
Ländern, in denen Sie mitregieren, die aus dieser Steuererhöhung zu erwartenden Einnahmen bereits in den
Haushalt einzustellen.
({4})
Sie haben die Reden der Opposition gehört. Es lohnt
sich nicht, sich weiter damit auseinander zu setzen.
({5})
Wir legen heute einen Bundeshaushalt vor, der Teil
einer Gesamtstrategie ist, die darauf hinausläuft, unser
Land voranzubringen und bessere Chancen für die Menschen in unserem Land zu erwirken. Dieser Bundeshaushalt ist ein Übergangshaushalt von der rot-grünen Bundesregierung zur jetzigen großen Koalition. Welche
Ausgangslage haben wir denn in der großen Koalition
vorgefunden? Als Eröffnungsbilanz haben wir ein strukturelles Defizit von 60 bis 65 Milliarden Euro übernehmen müssen.
({6})
Kann ein vernünftiger Mensch glauben, dass innerhalb
von sieben Monaten - diesen Zeitraum hatten wir bisher
zur Verfügung - ein so hohes strukturelles Defizit auf
null gefahren werden kann, Herr Brüderle? Traumtänzer
sind doch Realisten dagegen.
({7})
Dieser Übergangshaushalt zeigt schon die klare Richtung, dass es mit der Verschuldung eben nicht so weitergeht wie bisher; wir beginnen vielmehr sehr konsequent
damit, den Haushalt zu konsolidieren.
Nun wird mir ständig - auch auf den Hauptversammlungen der verschiedenen Verbände - die Frage gestellt,
wo eigentlich gespart worden ist.
({8})
Darauf kann ich nur antworten: Genauso wie ein
Blick in das Gesetzbuch die Rechtsfindung erleichtert
- das habe ich als Jurastudent schon im ersten Semester
gelernt -, erleichtert ein Blick in den vorliegenden Haushaltsentwurf, zu erkennen, welche Strukturen sich bereits verändert haben.
Ich nenne ein Beispiel - es ist nur eines von vielen -,
das belegt, wo wir zu strukturellen Veränderungen gekommen sind und wo wir sparen. So wurden wir ständig
- auch von großen Industrieverbänden - aufgefordert,
die Eigenheimzulage abzuschaffen, weil dann ein zweistelliger Milliardenbetrag eingespart werden könne. Wir
haben die Eigenheimzulage abgeschafft und werden sicherlich einen zweistelligen Milliardenbetrag einsparen,
aber nicht schon im Haushalt 2006. Die Herren haben
offenbar übersehen, dass es im ersten Jahr nur etwa
250 Millionen Euro sind. Der Weg ist aber richtig.
({9})
Ich darf daran erinnern - das alles wird sonst nicht gesagt -, dass wir im Zusammenhang mit dem Haushaltsbegleitgesetz Sparmaßnahmen beschlossen haben. Dazu
bekennen wir uns und dazu stehen wir, auch wenn es
nicht einfach ist; denn diese Maßnahmen sind notwendig. Ich nenne nur die Kürzung der Pendlerpauschale als
Beispiel. Glauben Sie bloß nicht, dass uns das leicht gefallen ist! Wenn man aber einen stark ausgabengeprägten
Haushaltsplan hat, dann kann man die Ausgaben nicht
einfach auf null reduzieren; denn ansonsten fährt man
den Staat an die Wand. Schließlich haben wir es mit
Menschen zu tun, die einen Teil der infrage stehenden
Gelder bekommen und darauf vertrauen. Vielmehr gilt
es, zwei Dinge zu tun. Man muss auf der einen Seite die
Ausgaben langsam und sozialverträglich zurückfahren
und auf der anderen Seite die Einnahmesituation verbessern. Beides tun wir mit dem Haushalt 2006.
({10})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Kuhn?
Ja.
Bitte, Herr Kuhn.
Herr Kollege, Sie haben beklagt, dass man nicht so
schnell die geplanten Milliardenbeträge einsparen
könne. Dafür haben Sie um Verständnis geworben. Ist
Ihnen eigentlich bekannt, dass die Union spätestens seit
2002 ein riesengroßes Paket von Einsparungsvorschlägen im steuerlichen Subventionsbereich - das gilt auch
für die Eigenheimzulage - im Bundesrat systematisch
blockiert hat und dass wir uns heute, haushaltstechnisch
gesehen, um viele Milliarden besser stünden, wenn Sie
diese Blockadepolitik nicht betrieben hätten?
({0})
Herr Kollege Kuhn, es war völlig richtig, dass wir uns
damals gegen die Streichung der Eigenheimzulage gewehrt haben; denn wir haben gesehen, dass Ihre Regierung die durch den Wegfall der Eigenheimzulage frei
werdenden Mittel nicht zum Einsparen, sondern zum
Ausgeben verwenden wollte.
({0})
Herr Kuhn, ich sage Ihnen noch eines: Angesichts der
Eröffnungsbilanz, die wir vorgefunden haben, wäre es
sinnvoller gewesen, wenn Sie soeben geschwiegen hätten.
({1})
Denn Sie waren im fraglichen Zeitraum nicht sieben
Jahre in der Opposition, sondern an der Regierung und
sind damit auch für diese Bilanz verantwortlich.
({2})
Ich habe davon gesprochen, dass der Haushalt 2006
ein Übergangshaushalt ist und dass mit diesem Übergangshaushalt als Teil einer Gesamtstrategie bereits viel
erreicht wurde. Wenn ich in den Zeitungen lese, was alles über die Arbeit der großen Koalition gesagt wird,
dann habe ich den Eindruck, dass viele meinen, wir seien
schon über die Hälfte der Zeit hinaus. Tatsächlich regiert
die große Koalition erst sieben Monate. In dieser Zeit
wurden bereits große Dinge geleistet und vorangebracht.
({3})
- Die Mehrwertsteuererhöhung ist noch nicht einmal erfolgt, Herr Brüderle. Haben Sie das noch nicht mitbekommen? In welcher Realität leben Sie eigentlich?
({4})
Was haben wir erreicht? Wir haben die Haushaltskonsolidierung vorangebracht. Wir haben dafür gesorgt,
dass in diesem Land die Investitionen angekurbelt werden. Dafür haben wir ein 25-Milliarden-Programm aufgelegt.
Sie haben das Stichwort Investitionen genannt. Es
gibt Investitionen in unserem Land, die nur die öffentliche Hand tätigen kann. Diese muss die öffentliche Hand
auch tätigen. Wir haben einen erheblichen Nachholbedarf bei unserer öffentlichen Infrastruktur, etwa im Straßenbau. Der Straßenbau wird nicht von der privaten
Wirtschaft finanziert, sondern von der öffentlichen
Hand. Deshalb ist es richtig, dass wir gerade in diesem
Bereich Geld in die Hand nehmen, um beim Ausbau der
Infrastruktur voranzukommen.
({5})
Ein zentrales Aufgabenfeld unseres Zukunftsprojektes, Deutschland voranzubringen - die Bundeskanzlerin
hat es angesprochen -, sind Forschung und Wissenschaft. Auch hier nehmen wir Geld in die Hand. Ich
warte darauf, dass die Wirtschaft sagt: An diesem Zukunftsprojekt, Deutschland voranzubringen, beteiligen
wir uns im Bereich Wissenschaft und Forschung. Allein
können dies die öffentliche Hand und die Bundesregierung nicht schultern.
({6})
Es gibt keinen anderen Bereich, wo ich so viele Möglichkeiten sehe, voranzukommen und neue Chancen zu
ermöglichen. Es war früher unsere Stärke, dass infolge
qualifizierter Spitzenforschung auch entsprechende Produkte gefertigt wurden. Das hat den hochintelligenten
Leuten und denen, die dann produziert haben, Arbeit gegeben. Das müssen wir in unserem Land wieder erreichen. Dafür müssen Blockaden aufgehoben werden.
({7})
Wenn wir darüber reden, dass wir Chancen für dieses
Land und für die Menschen in diesem Land ermöglichen
wollen, reden wir natürlich auch über die junge Generation. Die Bundeskanzlerin hat völlig Recht, wenn sie
sagt: Wir müssen dafür sorgen, dass junge Menschen
Ausbildungsplätze bekommen.
({8})
In diesem Zusammenhang kann ich nur an die Wirtschaft appellieren, junge Menschen einzustellen, sie in
Ausbildungsverhältnisse zu übernehmen. Wir tun dies,
weil wir Verantwortung dafür tragen, dass junge Menschen in unsere Gesellschaft hineinwachsen können. Ich
werde nachher noch einige Sätze zum Thema Integration
sagen. Jetzt nur so viel: Wenn junge Menschen keinen
guten Start in die Gesellschaft haben, dann tun sie sich
auch mit der Integration schwer, egal ob sie Ausländer
oder Deutsche sind. Deswegen ist es so wichtig, jungen
Menschen Zukunftschancen in diesem Land zu geben.
({9})
Bei der Frage der Ausbildungsplätze geht es allerdings noch um ein bisschen mehr und das möchte ich der
deutschen Wirtschaft sagen. Ich habe den Eindruck, dass
das Handwerk in unserem Land dies gut verstanden hat.
Es geht darum, ein Ausbildungssystem, das eine gute
Mischung aus staatlicher Ausbildung und betrieblicher
Ausbildung darstellt, ein Ausbildungssystem, das eben
nicht nur „Staat“ heißt, auch für die Zukunft zu erhalten.
Dafür, dass dies gelingt, tragen beide Partner Verantwortung: die Wirtschaft und wir. Ich hoffe, dass es gelingt,
dieser Verantwortung, die wir für das System und für die
jungen Menschen haben, in den nächsten Wochen auch
gerecht zu werden.
({10})
Beim Sanieren sind wir auf dem Weg. Wir haben gesagt, dass wir den Haushalt 2007 so gestalten werden,
dass nicht nur die Maastrichtkriterien erfüllt sind, sondern dass auch die Grenze des Art. 115 Grundgesetz eingehalten wird. Das ist ein ambitionierter Anspruch. Damit tun sich viele Länder, auch Länder, in denen die FDP
an der Regierung beteiligt ist, sehr schwer. Diesen Anspruch zu erfüllen, bedarf der ganzen Kraft. Wir werden
den Bundesfinanzminister auf diesem Weg unterstützen.
Der Haushaltsentwurf wird noch in diesem Jahr vorgelegt. Ich kann Sie nur ermuntern, Herr Bundesfinanzminister: Bleiben Sie hart! Wir stehen an Ihrer Seite.
({11})
Sanieren, investieren, reformieren: Über die Reformaufgaben, die sich uns stellen, hat die Bundeskanzlerin
bereits gesprochen. Da kann ich nur sagen: Wir haben in
der Koalitionsvereinbarung der großen Koalition ganz
genau festgelegt, wann wir welche Reform auf den Weg
bringen. Wenn die Damen und Herren in den großen
Hauptversammlungen, die im Augenblick stattfinden,
fragen, was bisher passiert ist und was wir auf den Weg
gebracht haben, dann kann ich nur sagen: Wir haben Ihnen versprochen, dass es bis zum 1. Januar 2007 eine
Reform des Gesundheitssystems geben wird und dass
wir dann die Unternehmensteuerreform beschlossen haben werden, sodass Sie planen können. Nach meiner
Kenntnis haben wir jetzt aber noch nicht den 1. Januar
2007, sondern gerade einmal Juni 2006.
Ich kann nur sagen: Wir werden unsere Zusagen einhalten. Alle überzogene Kritik, die jetzt erfolgt, ist wenig hilfreich und überhaupt nicht überzeugend.
({12})
Zum Thema Gesundheitsreform hat die Bundeskanzlerin alles gesagt.
({13})
Bei der Unternehmensteuerreform sind wir gerade
dabei, die Eckpunkte zu formulieren. Wir werden dafür
sorgen müssen, dass wir eine Unternehmensteuerreform
durchführen, die die Kapital- und Personengesellschaften, insbesondere den Mittelstand, das Rückgrat unserer
deutschen Wirtschaft, in gleicher Weise entlastet und
gleiche Situationen schafft.
Ich weiß, wie schwer es ist, die Gewerbesteuer zu
verändern. Auch die Kommunen haben keine leichte
Finanzsituation. Im Augenblick sprudeln die Gewerbesteuereinnahmen, was übrigens auch ein Zeichen dafür
ist, dass sich in unserem Land etwas bewegt. Wenn wir
an diesem Punkt Probleme haben, dann können wir die
Gewerbesteuer nicht weiter ausbauen und verfestigen;
dann können wir nicht viel verändern. Aber eine Gewerbesteuer aufzubauen, die wieder Elemente der Substanzbesteuerung enthält, nachdem wir die Gewerbekapitalsteuer gerade abgeschafft haben, ist nicht der Weg, den
wir von der Union uns vorstellen.
({14})
Zur Gesundheitsreform - Herr Kollege Scholz hat
sie angesprochen -: Wir, auch der Kollege Struck, wissen, dass wir hier eine gute Arbeit abliefern müssen, und
das werden wir auch tun. Alle können sich darauf verlassen, dass wir hier zu einem guten Ergebnis kommen. Natürlich diskutieren wir offen miteinander darüber, welchen Beitrag jeder in diesem System leisten muss. Wir
brauchen - ich bin froh, dass wir hier dieselbe Überzeugung haben - mehr Wettbewerb im System. Dann - das
sage ich schon jetzt voraus - wird es auch nach der Reform eine private Krankenversicherung als Vollversicherung geben.
({15})
Meine Damen und Herren, die Föderalismusreform
ist angesprochen worden. Ich bin sicher, dass die große
Koalition auch bei diesem Thema ihre Reformfähigkeit
beweisen wird. Aber hier habe ich eine Bitte, Frau Bundeskanzlerin. Die Föderalismusreform zeigt, dass es notwendig ist, klar zu machen, welche Ebene was regeln
muss, damit die Transparenz gesichert ist. Sie, Frau Bundeskanzlerin, werden im ersten Halbjahr 2007 die EUPräsidentschaft führen. Große Projekte stehen an. Man
weiß, wie schwer die Aufgabe sein wird. Wir von der
Union haben die herzliche Bitte, dass Sie das Thema
Subsidiarität während dieser Präsidentschaft erneut ansprechen. Europa muss verstehen, dass es große Aufgaben zu bewältigen hat, die der Nationalstaat allein nicht
bewältigen kann. Ich denke beispielsweise an die Energiepolitik - ein großes Feld, wie man an der derzeitigen
Entwicklung der Gaspreise sieht -, ich denke aber auch
an die Außenpolitik und die Sicherheitspolitik. Aber es
gibt Felder, um die sich Europa heute kümmert, um die
es sich aber nach dem Prinzip der Subsidiarität nicht zu
kümmern bräuchte und nicht kümmern dürfte. Ich bitte
Sie, das zum Thema zu machen.
({16})
Wir wollen, dass Europa auch in den Köpfen der
Menschen wieder ein Zukunftsmotor wird. Wir wollen
an dem Satz festhalten können: Deutschland ist unsere
Heimat, Europa unsere Zukunft. Dazu gehört aber auch,
dass man das Gefühl der Menschen ernst nimmt, die den
Eindruck haben, dass die Europäische Union in der letzten Zeit zu schnell gewachsen ist und wir zu wenig getan
haben, um Europa intern zusammenzuführen. Auch da
bitte ich Sie, diesen Aspekt während der europäischen
Ratspräsidentschaft einzubringen und zu berücksichtigen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, jenseits aller Wirtschaftsfragen, aller Haushaltsfragen und aller Finanzfragen gibt es Themen in unserer Gesellschaft, die die Menschen bewegen und die wir ernst nehmen müssen. Das
ist zum Beispiel das Thema der Integration. Wir erleben
im Augenblick ein Land, das nicht schöner zeigen
könnte, wie weltoffen es ist und wie wir mit Gästen in
unserem Land umgehen. Ich bin stolz darauf, was zurzeit
in diesem Land abläuft.
({17})
Viele Ausländer, die hierher kommen, sagen: Wir haben
gar nicht erwartet, dass wir so offen aufgenommen werden. Auch von einer Dienstleistungswüste ist nichts zu
spüren. Bis morgens um 3 Uhr werden die Menschen
überall bedient.
({18})
- Wenn Sie einen Beitrag dazu geleistet haben, dann
seien Sie froh. Sie müssten mir aber noch sagen, welchen.
({19})
- Darüber können wir nachher reden. - Es herrscht also
eine super Stimmung in diesem Land.
Ich sage Ihnen aber: Wir müssen uns mit der Integration beschäftigen. Deswegen bin ich der Bundeskanzlerin dankbar dafür, dass sie unsere Initiative aufgegriffen
hat, einen Integrationsgipfel durchzuführen. Auf diesem Integrationsgipfel müssen natürlich die Themen Bildung und Sprache angesprochen werden; denn Bildung
und Sprache sind die entscheidenden Voraussetzungen
dafür, dass die Menschen Anteil an der Entwicklung unserer Gesellschaft nehmen können. Ich bin aber auch der
Meinung, dass auf diesem Integrationsgipfel deutlich gemacht werden muss, dass es um Fördern und Fordern gehen muss, dass Integration nicht nur eine Einbahnstraße
im Hinblick auf das Angebot unsererseits sein kann, sondern dass es auch eine Annahme dieses Angebots geben
muss. Wir müssen dafür sorgen, dass diese Angebote
auch angenommen werden.
({20})
Zu diesem Integrationsgipfel gehört nach meiner
Überzeugung auch, dass wir das Ausländerrecht daraufhin überprüfen, wo die aktuellen Bestimmungen Integration erschweren. Diese müssen wir dahin gehend ändern,
dass sie die Integration erleichtern.
({21})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Addicks?
Ich bin in meiner Redezeit schon sehr knapp und will
die Redezeit meiner Kollegen, die noch sprechen werden, nicht verkürzen.
({0})
Zu den derzeitigen großen Problemen und den Handlungsmöglichkeiten und -notwendigkeiten sage ich:
Diese große Koalition macht ihre Aufgabe richtig. Wir
sollten von der Stimmung der Fußballweltmeisterschaft
etwas mitnehmen. Olaf Scholz hat gesagt: „you’ll never
walk alone“. Ich sage, es gilt auch ein anderer Satz, der
deutlich macht, was die Deutschen in diesem Tagen vorleben: „Steh auf, wenn du ein Deutscher bist! Nimm die
Sache in die Hand und bring das Land voran!“
Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({1})
Das Wort hat der Kollege Dr. Guido Westerwelle,
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Ich will an das anknüpfen, was Herr Kollege
Kauder am Schluss seiner Rede gesagt hat; ich glaube,
das verbindet uns. Ich bin kein großer Fußballspezialist,
wie alle Redner vorher es augenscheinlich sind.
({0})
Deswegen kann ich auch keine Vergleiche anstellen.
Aber ich finde, Sie haben am Schluss Ihrer Rede eine
kluge Bemerkung gemacht. Sie haben dargestellt, welche Stimmung derzeit in diesem Land herrscht. Nach
diesem großen Erfolg gestern und nachdem man gesehen
hat, wie bis tief in die Nacht auf den Straßen deutsche
Fahnen geschwenkt wurden, möchte ich an das Wort erinnern, das der Präsident des Deutschen Bundestages
gestern zur Eröffnung der Haushaltsdebatte gewählt hat:
Das ist ein fröhlicher Patriotismus.
Ich möchte das jetzt in einen Zusammenhang mit dem
stellen, was wir von Gewerkschaftsfunktionären der
GEW lesen durften,
({1})
nämlich dass, wenn man die deutsche Nationalhymne
singe, man ein furchtbares Loblied singe. Heute habe ich
gelesen, dass die Jugendorganisation der PDS der Überzeugung ist, dass die schwarz-rot-goldene Fahne für
Ausgrenzung stehe.
({2})
Ich empfinde es als eine wunderbare Freude, dass sich
unsere Bürger von solchen linken Dämlichkeiten nicht
beeindrucken lassen.
({3})
Ich glaube, was hier stattfindet, wird uns noch lange
beschäftigen. Bis vor wenigen Monaten haben wir es ja
noch erlebt, dass Bundesminister beim Singen der Nationalhymne die Zähne nicht auseinander gekriegt haben,
geschweige denn die Hände aus den Hosentaschen. Da
hat sich einfach etwas zum Guten gewendet. Das ist aufgeklärter Patriotismus; das ist ein europäischer Patriotismus, der uns Deutschen auch gut tut. Das sind Weltoffenheit und Toleranz.
Das ist das Einzige, was ich kommentierend zur Fußballweltmeisterschaft sagen möchte.
({4})
Ich möchte gern an das anknüpfen, was die Bundeskanzlerin, die sich ja überraschend früh zu Wort gemeldet hat, am Anfang der Debatte vorgetragen hat. Sie,
Frau Bundeskanzlerin, sprachen von einer „begrenzten
Steuererhöhung“. Das ist ja, höflich formuliert, ein Akt
der babylonischen Sprachverwirrung. Man könnte es
auch Veräppelung nennen. Mir würden im Herrenkreise
auch andere Bemerkungen einfallen, die ich nicht sagen
darf, weil mich die Bundestagspräsidentin dann zu Recht
rügen würde. Bei der größten Steuererhöhung seit
Gründung der Republik von einer „begrenzten Steuererhöhung“ zu sprechen, ist eine schlichte Unverschämtheit.
({5})
Es ist ja beeindruckend, dass - gestern von Herrn
Kampeter, heute von der Bundeskanzlerin und eben
übrigens auch von Herrn Kollegen Kauder - in Richtung
meiner Fraktion gesagt worden ist: Die Regierungsparteien haben das große Ganze im Blick und die Oppositionsparteien haben ja nur ihr kleines Partikularinteresse
im Kopf.
({6})
Dazu fällt mir ein: Arroganz der Macht ist das eine,
große Koalition heißt große Arroganz der Macht das andere. Denn jeder Abgeordnete ist dem ganzen deutschen
Volk verpflichtet. Wenn Sie nun behaupten, dass wir nur
einige wenige im Kopfe hätten und Sie für Deutschland
zuständig seien, so verwechseln Sie das mit der Geisteshaltung eines absolutistischen Staates.
({7})
Der Staat sind nicht Sie; Sie sind die Regierung. Die
werden wir auch weiterhin kritisieren.
Um das auf den Punkt zu bringen: Der FDP die
Regierungsfähigkeit abzusprechen, hat etwas Drolliges,
wenn es aus den Reihen der Union kommt. Wir regieren
ja in den drei großen Bundesländern zusammen fast die
Hälfte der gesamten bundesrepublikanischen Bevölkerung; 36 Millionen Menschen werden von uns gemeinsam in Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und
Niedersachsen regiert. Herr Kollege Kauder, da in Ihrem
Heimatland Schwarz-Gelb an der Regierung ist und in
meinem Heimatland Schwarz-Gelb an der Regierung ist,
wissen wir beide: Man kann Deutschland auch anders
regieren als mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner der
großen Koalition.
({8})
Schließlich möchte ich auch noch an das anknüpfen,
was von Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, zu Beginn der
Debatte eingeführt worden ist. Ich will Sie in diesem Zusammenhang einfach daran erinnern, was Sie am 30. November des letzten Jahres in Ihrer Regierungserklärung
ausgerufen haben. Da waren Sie noch mutig; da haben
Sie gesagt: „Lassen Sie uns mehr Freiheit wagen!“ Ich
erinnere mich noch daran, dass meine Fraktion Ihnen an
dieser Stelle, obwohl wir ja Opposition sind, Beifall gespendet hat, weil dieser Satz auch unserer Haltung entspricht. Jetzt sind Sie etwas mehr als ein halbes Jahr im
Amt, je nachdem, wie man rechnet. Eines stellen wir
jetzt fest: Seitdem Sie regieren, Frau Bundeskanzlerin,
hat Ihre Regierung nicht mehr Freiheit gewagt. Sie haben den Bürgern mehr Unfreiheit gebracht.
({9})
Sie haben in den wenigen Monaten Ihrer Regierungszeit die größte Steuererhöhung in der Geschichte der Republik beschlossen. Sie haben die größten Schulden
- darüber reden wir in dieser Woche - in Höhe von fast
40 Milliarden Euro aufgenommen. Sie haben - entgegen
allen Bekundungen gegen das Antidiskriminierungsgesetz, die es vor der Wahl gab - beschlossen, die
Bürokratie auszuweiten.
({10})
Jetzt haben Sie sich auf den Weg gemacht, einen Kassensozialismus in der Gesundheitspolitik durchzusetzen
({11})
mithilfe von Fonds, mit enteignungsgleichen Eingriffen
bei den privat Versicherten, mit Steuererhöhungen, mit
mehr Bürokratie, mehr Schulden und Abkassieren. Das
ist mehr Unfreiheit und nicht „mehr Freiheit wagen“,
was Sie uns in diesem Hohen Hause versprochen haben.
({12})
Ich finde es sehr interessant, wie sehr Ihre jetzige
Politik mit dem kontrastiert, was noch bis zur Bundestagswahl von uns gemeinsam vertreten worden ist. Lieber Herr Kollege Scholz, einige Ihrer Ausführungen
fand ich zwar bemerkenswert; darauf kann ich gleich
noch eingehen. Dass aber ein Sozialdemokrat in dieser
Debatte die FDP kritisiert, weil wir das sagen, was Sie
selber bis zum Wahltag immer gesagt haben, nämlich
dass eine Mehrwertsteuererhöhung Arbeitsplätze kostet, ist wirklich eine Form von Schizophrenie, die Ihnen
keiner durchgehen lässt, Herr Kollege Scholz.
({13})
Jetzt wollen wir einmal Folgendes festhalten. Sie gehen mit dem größten Wahlbetrug der letzten Jahre an
die Öffentlichkeit. Sie sagen, das sei gar nicht anders
möglich. Von der Frau Bundeskanzlerin konnten wir
gestern hören - wir beide hatten die Ehre, auf der Veranstaltung des BDI zu sprechen -, Deutschland sei ein
Sanierungsfall. Dabei haben Sie überrascht getan. Entschuldigen Sie, Frau Bundeskanzlerin, aber das war
doch die Ausgangslage, warum die CDU-Vorsitzende
Angela Merkel, der CSU-Vorsitzende Edmund Stoiber
und meine Wenigkeit seinerzeit auf einem Wechselgipfel
ein Programm mit niedrigeren, einfacheren und gerechteren Steuern, Abbau von Bürokratie, Liberalisierung
des Arbeitsrechts sowie Schwerpunktsetzung auf neue
Technologien und Forschung verabredet haben. Nichts
von dem, was Angela Merkel in der Opposition an hehren Zielen gehabt hat, ist auf der Regierungsbank gelandet. Das empfinde ich als Enttäuschung.
({14})
Wir haben gestern gehört, dass der stellvertretende
Vorsitzende der SPD-Fraktion, Herr Kollege Poß, eine,
wie ich finde, geradezu unverschämte Beschimpfung des
Herrn Bundespräsidenten vorgenommen hat.
({15})
Das Allermindeste, das man in dieser Debatte erwarten
darf, ist, Frau Bundeskanzlerin, dass Sie den Herrn Bundespräsidenten, den wir übrigens einmal gemeinsam gewählt haben, vor diesen Beschimpfungen aus den Reihen der Koalition hier öffentlich in Schutz nehmen.
({16})
Koalitionsfrieden ist das eine. Unser Staatsoberhaupt ist
aber ein Verfassungsorgan. Daher gehören sich solche
Entgleisungen nicht. Wenn es sich um eine andere Person handeln würde, dann würden Sie es genauso sehen.
({17})
Deutschland ist ein Sanierungsfall. Das ist der Ausgangspunkt Ihrer Analyse. Ich glaube, da wird Ihnen
mittlerweile jeder in diesem Hause zustimmen. Die Entzückung der Sozialdemokraten bei Ihren Ausführungen,
wessen Schuld dies ist, war mit den Händen greifbar.
({18})
Aber schauen wir nach vorne und denken über die
Frage nach, wie man dieses Problem Sanierungsfall
Deutschland angehen soll. Das kann auf zwei Wegen geschehen. Der eine Weg ist der, den Sie mittlerweile gewählt haben. Sie setzen in Wahrheit auf mehr Staat und
mehr Staatswirtschaft. Dabei kommt folgender Konstruktionsfehler einer großen Koalition zum Tragen: In
einer großen Koalition haben nämlich die „Sozialdemokraten“ beider großen Parteien die strukturelle Mehrheit.
Daraus ergibt sich der eigentliche Fehler, dass niemand
mehr darauf achtet, dass Kompromisse in Richtung mehr
Freiheit, mehr Eigenverantwortung und in Richtung
„Privat kommt vor dem Staat“ gezogen werden. Das ist
es, was in Wahrheit fehlt.
Vor diesem Hintergrund können Sie, Frau Bundeskanzlerin, nicht sagen, die Opposition habe keine Alternativvorschläge. Jedes Mal fragen Sie hier rhetorisch
für die Bürger, die uns zuschauen: Wo sind denn eure
Alternativen? Wir würden sie prüfen. - Was Sie dabei
verschweigen, ist, dass wir in all den unter Ausschluss
der Öffentlichkeit tagenden Ausschüssen, bei denen
keine Fernsehkameras zugegen sind und somit auch niemand zuschauen kann, die Umsetzung unserer Alternativvorschläge beantragt haben und diese dort auch ausführlicher dargestellt haben, als wir es hier aufgrund der
geringen Redezeit als Oppositionspartei machen können.
Wir haben 500 Anträge im Haushaltsausschuss gestellt.
Sie sagen, das seien alles Kürzungsanträge, die aus Ihrer
Sicht nicht seriös seien. Das müsste ich im Rahmen des
politischen Meinungsstreites so stehen lassen. Aber dass
Sie auch die über 70 Anträge zum Haushalt mit einem
Einsparvolumen von mehreren Milliarden, die wir in den
Ausschüssen gestellt haben und die bis hin zu den Formulierungen dem entsprechen, was die Union in den
letzten Jahren als Opposition im Haushaltsausschuss beantragt hat, abgelehnt haben, zeigt, dass bei Ihnen der
Verstand in Wahrheit durch die Koalitionsräson dominiert wird. Das ist schlecht für Deutschland, meine sehr
geehrten Damen und Herren.
({19})
Sie wissen das und deswegen genieren Sie sich dafür ja
auch.
Wo ist die CSU geblieben? Sie hatte einmal im Zusammenhang mit der Kandidatur von Strauß plakatiert
- als junger Student bin ich, wie es sich gehört, heftig
dagegen angegangen -: Freiheit statt Sozialismus! Dieses Plakat wird eines Tages einmal gegen Sie herausgeholt.
({20})
Das wird passieren.
Nein, wir haben etwas anderes gewollt. Lassen wir
einmal das Geplänkel weg und konzentrieren uns auf die
Sache. Ich will Ihnen einmal ein paar Beispiele nennen:
({21})
Sie, Herr Kollege Steinbrück, haben gestern in der
Einbringungsrede zum Haushalt einen meiner Meinung
nach ganz wichtigen Punkt angesprochen, der es auch
wert wäre, hier im Bundestag besprochen zu werden. Sie
forderten, den Staat nicht schlecht zu machen, und kritisierten, eine Allianz aus Opposition und Boulevardpresse - so haben Sie es sinngemäß formuliert - vergreife sich an dem Ansehen des Staates, weil sie von
dem gefräßigen Steuerstaat spreche.
({22})
Ich sage Ihnen, lieber Herr Finanzminister, das ist aus
meiner Sicht zu kurz gegriffen. Wir werden als Opposition auch in Zukunft - das stellt die kontinuierliche Linie
unserer Politik dar - jede Steuererhöhungspolitik kritisieren. In den letzten Jahren haben wir nämlich die Erfahrung gemacht, dass Steuererhöhungen nie dazu geführt haben, dass die Staatsfinanzen in Ordnung kamen.
Die Staatsfinanzen kommen nur in Ordnung, wenn Arbeitsplätze entstehen. Also muss alles unterlassen werden, was Arbeitsplätze kostet. Weil Steuererhöhungen
dramatisch viele Arbeitsplätze kosten, muss man sie lassen, meine sehr geehrten Damen und Herren.
({23})
Ich nenne Ihnen nun ein paar Unsinnigkeiten in Ihrem
Haushalt, für die Sie die Verantwortung tragen. Wenn
ich das tue, ist das keine Kritik am Staat, die man verurteilen müsste. Nein, wir wollen einfach diese Ausgaben
nicht. Sie wollen diese Ausgaben aus politischen Gründen; das ist Ihr gutes Recht. Sie haben eine große Mehrheit in diesem Hause und können es auch beschließen.
Aber es muss erlaubt sein, dass wir als Opposition bestimmte Einzelpunkte aufgreifen und angreifen.
({24})
Als Beispiel nenne ich die Tatsache, dass wir immer
noch Entwicklungshilfe an China zahlen. Wir haben
im Haushaltsausschuss die Streichung dieser Hilfen beantragt und hätten uns mit Ihnen auch über Übergangsfristen und darüber, wie man dabei vorgehen kann, verständigen können. Tatsache ist, China ist mittlerweile
unser wichtigster Handelspartner in Asien. Es ist die
drittgrößte Handelsnation der Welt. Wir aber geben hunderte Millionen Entwicklungshilfe an China.
({25})
Die bauen den Transrapid und steigen in die Weltraumindustrie ein. Wir aber geben einem unserer stärksten
Konkurrenten Entwicklungshilfe. Das ist Denken von
gestern. Hier handelt es sich um einen Wettbewerber,
meine sehr geehrten Damen und Herren.
({26})
Ich darf Sie darauf aufmerksam machen, dass sich die
Entwicklungshilfe für China in den letzten drei Jahren
auf etwa 200 Millionen Euro belaufen hat. Sie haben dazwischengerufen, es seien nur 70 Millionen. Das gilt nur
für einen Ansatz. Insgesamt haben wir in den letzten
Jahren etwa 2,8 Milliarden Euro Entwicklungshilfe an
China gezahlt. Man kann natürlich so weitermachen.
Man kann es auch ändern. Wir sind der Meinung, man
sollte es ändern.
({27})
Sie sind der Meinung, man solle es so lassen. Verantworten Sie das gegenüber der Bevölkerung. Wir vertreten
eine andere Meinung. Deswegen sind wir nicht schlechtere Deutsche, Herr Finanzminister. Das möchte ich an
dieser Stelle klar sagen.
({28})
Ich will auf einen weiteren Punkt eingehen. Sie sagen
ja, Sie würden jetzt die Staatsfinanzen konsolidieren.
Tatsache ist, Sie erhöhen die Steuern wie keine Regierung zuvor, und Tatsache ist, dass Sie das nicht zugunsten der jungen Generation tun nach dem Motto: Dann
machen wir weniger Schulden. Sie machen beides. Auch
die Nettokreditaufnahme ist so hoch wie nie zuvor: fast
40 Milliarden Euro. Das hat es noch nicht gegeben.
Große Koalition, große Schuldenmacherei - das ist es,
worüber wir hier reden müssten.
({29})
Was bedeutet Ihre Politik für die Familien? Sie rühmen sich ja so wegen des Elterngelds. Niemand ist dagegen, dass Familienpolitik gemacht wird. Die Frage ist
nur, wie sie gemacht wird. Als staatliche Bevormundung? Eigentlich müsste dem Staat jedes Kind gleich
viel wert sein. Das ist immer die klassische Haltung dieses Hohen Hauses gewesen.
({30})
Sie machen jetzt etwas ganz anderes. Sie sagen: Es bekommt Geld, wer das Familienmodell der Regierung in
der Erziehung verfolgt. Wir sagen: weniger Bevormundung wäre besser. Das ist auch eine intelligente Familienpolitik.
({31})
Was tun Sie stattdessen im Familienbereich? Ich
möchte in der Öffentlichkeit noch einmal Zahlen nennen: Eine Familie mit einem Durchschnittseinkommen
von 40 000 Euro wird nur durch die Beschlüsse der letzten Wochen eine Mehrbelastung in Höhe von 1 600 Euro
im Jahr haben.
({32})
Ich möchte auch einmal erwähnen, was das für das
Handwerk und den Handel bedeutet, weil Sie sich
darüber wundern, dass im Augenblick so viel gekauft
wird. Das ist doch kein Wunder. Viele Leute wollen der
Mehrwertsteuererhöhung entgehen, von der sie wissen,
dass sie im nächsten Jahr kommt. Die Käufe werden vorgezogen. Umso leerer werden die Auftragsbücher in den
ersten beiden Quartalen des Jahres 2007 sein. Das sagen
Ihnen der Bundesbankpräsident, die FDP und die Wirtschaftsinstitute. Sie wollen es aber nicht hören und beschimpfen stattdessen die Opposition.
Ich möchte ein Beispiel anführen: Eine Familie will
einen Golf zu einem Preis von - das ist geschätzt 20 000 Euro kaufen.
({33})
- Ja, Herr Kampeter, das ist die schmale Ausgabe; ich
bin sicher, dass Sie die nicht fahren.
({34})
Es gibt aber Familien, die weniger verdienen als ein Abgeordneter. - Diese Familie wird nur durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer 600 Euro mehr zahlen. Dieses
Geld nehmen Sie den Bürgern. 600 Euro, sechs HundertEuro-Scheine, mehr, wenn man sich ein Auto kauft, nur
weil Sie nicht in der Lage sind, strukturelle Reformen
des Haushaltes zu bewirken. Ich finde, das ist ein unanständiges Abkassieren der Bürgerinnen und Bürger. Das
hat mit wirtschaftlicher Vernunft und sozialer Gerechtigkeit nichts zu tun.
({35})
Herr Kollege Scholz, ich muss auch auf dieses Thema
eingehen, weil Sie es angesprochen haben: Thema Steuern. Wir haben ein Konzept dazu vorgelegt. Es fehlt mir
die Zeit, es als Oppositionsabgeordneter vortragen zu
können. Ich kann nicht wie Regierungsmitglieder beliebig lange reden. Wir haben entsprechende Konzepte im
Haushaltsausschuss eingebracht.
Nun aber zum Thema Bürokratie. Dass die Union
gegen das Antidiskriminierungsgesetz gewesen ist,
wissen alle. Aber bei allem Respekt, Herr Kollege
Scholz, wie kann man den Satz formulieren: Habt ihr etwas für die Diskriminierung übrig? - Wenn es jemanden
- auch im Rahmen der heutigen Debatte - gibt, der sich
ganz persönlich mit Sicherheit immer gegen die Diskriminierung von Minderheiten aussprechen wird, dann bin
ich es. Ich glaube, dass Sie mit diesem Antidiskriminierungsgesetz Minderheiten in Wahrheit nicht schützen,
sondern ihnen schaden.
({36})
Mit dieser Bürokratie und der Klagewelle von Opferverbänden gegen den Willen des angeblich Diskriminierten
werden Sie denen, die Sie schützen wollen, nur schaden.
Es ist in Wahrheit ein minderheitenschädliches Gesetz,
das Sie hier beschließen.
Lassen Sie uns darüber sprechen, wie bisher darüber
gedacht worden ist. Die Bemerkungen von Frau Merkel
im Bundestagswahlkampf waren hinreichend bekannt.
Wir haben doch einmal gemeinsam das Antidiskriminierungsgesetz verhindert, weil wir es für zu bürokratisch
hielten. Da Sie der FDP Vorwürfe gemacht haben, zitiere
ich einige Aussagen. Schily: Die Rücknahme des Antidiskriminierungsgesetzes wäre ein echter Beitrag zum
Bürokratieabbau. - Das sagte er im März letzten Jahres.
({37})
Clement: Ich sehe das genauso wie der Kollege Schily. Steinbrück: Das Antidiskriminierungsgesetz in seiner
jetzigen Konzeption ist eine zusätzliche Belastung für
die Wirtschaft. Deshalb würde ich im Bundesrat diesem
Gesetz nicht zustimmen. ({38})
Platzeck: Wir sind ein völlig verriegeltes Völkchen geworden. Was Deutschland wirklich nicht mehr gebrauchen kann, ist, auf Brüssel noch irgendwo einen Punkt
draufzulegen. - Herr Ude, SPD-Oberbürgermeister in
München: Da haben sich Gutmenschen ausgetobt. Schöner hätte ich das gar nicht formulieren können.
({39})
Herr Beck, ich meine den großen Beck, den SPD-Vorsitzenden Beck,
({40})
den rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Kurt
Beck, der damals zugleich stellvertretender SPD-Chef
war, sprach sich dafür aus, gesetzlich nur das zu regeln,
was die EU-Richtlinien zwingend vorgeben. Eigentlich
waren wir uns doch einig! Entsprechend sah auch Ihre
Regierungserklärung aus. Die EU-Richtlinie sollte eins
zu eins umgesetzt werden. Wenn Sie jetzt Bürokratie
draufsatteln, dann kritisieren Sie die FDP nicht dafür,
dass sie das anprangert!
({41})
Weil Sie, Frau Bundeskanzlerin, gerade ganz Wichtiges mit dem Bundesumweltminister zu besprechen hatten, komme ich auf eine Sache ganz kurz zu sprechen. Es
ist erstaunlich, wofür die Regierung Geld hat, zum Beispiel für eine Broschüre gegen die Kernkraft. Die hat
jeder Zeitung beigelegen. Die kostete Geld, Tausende,
vielleicht sogar Hunderttausende.
({42})
- Nach sozialdemokratischer Rechnung wären das Milliarden. Das ist wahr. - Da stehen Sie, meine Damen und
Herren, fröhlich beieinander. Herr Gabriel, der Umweltminister, schreibt, wie klasse es sei, dass man aus der
Kernkraft aussteige,
({43})
wie notwendig das sei und dass die SPD schon seit Jahren dafür sei.
({44})
- Und die SPD klatscht. - Drei Tage später spricht unsere Bundeskanzlerin auf der Hannover-Messe und sagt:
Wissen Sie, ich glaube, wenn man den Klimaschutz
wirklich ernst nimmt, dann kann man auf die Kernkraft
nicht verzichten. ({45})
Was gilt denn jetzt in dieser Regierung?
({46})
Gabriel grinst sich einen, was ich aus seiner Sicht verstehen kann. Das Mindeste, was man erwarten kann, ist,
dass Sie, Frau Bundeskanzlerin, dafür sorgen, dass Sie
wenigstens in Ihrer Öffentlichkeitsarbeit mit Rücksicht
auf das Portemonnaie der Steuerzahler eine einheitliche
Haltung vertreten. Das ist das Mindeste, was man von
Ihnen erwarten kann.
({47})
Ich will mit einer Bemerkung zur Gesundheitspolitik
schließen. Es war eine brillante Verkleisterung, Herr
Kollege Kauder, die Sie uns geboten haben. Das zeigt,
dass Sie ein sehr guter Redner sind. Es war toll, wie Sie
das hier gemacht haben.
({48})
Herr Fraktionsvorsitzender, das war toll und beeindruckend. Respekt gegenüber Ihrer Professionalität zolle
ich Ihnen immer, auch wenn Sie Unfug machen.
({49})
Aber Sie, Herr Kauder, stellen sich hier hin und sagen,
die Bundeskanzlerin habe zum Thema Gesundheit alles
gesagt. Nichts hat sie gesagt.
({50})
Sie hat gar nichts gesagt, was irgendwie Substanz gehabt
hätte.
({51})
Sie sagte: Vor dem Sommer werden wir das alles noch
lösen. Da gehen wir heran. - In Wahrheit haben die Zeitungen längst die Papiere. Oder wollen Sie sagen, dass
die „Süddeutsche Zeitung“ in ihrer heutigen Ausgabe
lügt? Gibt es dieses Papier oder gibt es das nicht? Ist das
eine Regierungsausarbeitung oder lügt etwa die „Süddeutsche Zeitung“? Sie hätten die Gelegenheit wahrnehmen können, etwas dazu zu sagen.
({52})
Nach den Plänen, die wir bisher kennen, wissen wir nur
eines: Nach der größten Steuererhöhung, dem Ausbau
von Bürokratie und der größten Verschuldung kommt
jetzt in der Gesundheitspolitik noch einmal ein tiefer
Griff in die Tasche der Bürger auf uns zu. Warum? Weil
Sie nicht in der Lage sind, sich auf einen gemeinsamen
Reformnenner zu verständigen. Jetzt wird eine Chimäre
geboren. Ein bisschen so und ein bisschen so, wie in der
Steuerpolitik: Gibst du mir deine Mehrwertsteuererhöhung, gebe ich dir die Reichensteuer. Das machen Sie
jetzt wieder in der Gesundheitspolitik. Sie fangen schon
wieder mit dem Abkassieren an. Es werden Fonds gebildet, und an die PKVs wird herangegangen, als ob es um
die Kassen ginge, dabei geht es doch um die Versicherten; denen wird das Geld weggenommen.
({53})
Eines sage ich Ihnen: Sie hätten Mut zur Reform der
sozialen Sicherungssysteme zeigen müssen. Sie hätten
sagen müssen: Das ist mein Weg in der Gesundheitspolitik. Stattdessen ringen Sie um einen faulen Kompromiss
hinter verschlossenen Türen. Die Zeitungen bekommen
Papiere zugesteckt, damit sich die Öffentlichkeit nachher
nicht so aufregt, weil nicht ganz so dramatisch abkassiert
wird, wie die Horrorzahlen, die heute veröffentlicht wurden, vermuten ließen. Diese Regierung wagt nicht mehr
Freiheit, es ist eine Regierung, die den Staat wichtiger
nimmt als die Gesellschaft und die Bürger. Deswegen,
wegen dieser grundsätzlichen Haltung, lehnen wir den
Haushalt Ihrer Regierung ab, Frau Merkel.
({54})
Nächster Redner ist der Vorsitzende der SPD-Fraktion, Dr. Peter Struck.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Westerwelle, ich fand es mutig, dass
Sie hier zugegeben haben, dass Sie nichts von Fußball
verstehen - im Gegensatz zu mir:
({0})
Ich war einer der tragenden Spieler in der Bundestagsmannschaft. Peter Rauen wird das bestätigen.
({1})
Ich stimme Ihnen in einem Punkt, den Sie angesprochen haben, dennoch zu: Die Weltmeisterschaft ist für
uns ein Glückfall.
({2})
Sie hat vor allem dem Land den Schleier der Miesmacherei weggerissen.
({3})
Sie haben heute versucht, damit weiterzumachen.
Deutschland ist ein freundlicher Gastgeber. Die Fanmeile in unmittelbarer Nähe zum Reichstag ist Tag für
Tag und Abend für Abend ein Beweis für ein fröhliches
Miteinander von Gästen und Gastgebern. Wir können
stolz auf unsere Deutschen sein, die unsere ausländischen Kameraden und Freunde betreuen und sich mit ihnen zusammen über Siege freuen und über Niederlagen
trauern. Wir freuen uns, auch bei den nächsten Spielen,
mehr über Siege.
({4})
Herr Kollege Westerwelle, Sie haben von der Enttäuschung auf der Regierungsbank gesprochen. Ich interpretiere das so, dass Sie enttäuscht sind, dass Sie nicht
auf der Regierungsbank sitzen. Da wollten Sie ja gerne
hin.
({5})
Was hätten Sie eigentlich gemacht, wenn Sie regiert hätten? - Ich will übrigens klar sagen: Die Aussage,
Deutschland ist ein Sanierungsfall, ist nicht die meine.
Das möchte ich unterstreichen.
({6})
Deutschland war ein Sanierungsfall 1998.
({7})
Da haben wir zusammen mit den Grünen die Regierung
übernommen. Wir haben ordentlich regiert. Trotzdem
sage ich: Es gibt in diesem Land viel zu tun.
Was hätten Sie eigentlich gemacht, wenn Sie neben
Frau Merkel auf der Regierungsbank gesessen hätten?
Ich weiß ja nicht, ob Sie in das Kabinett hineingehen
wollten. Es hieß ja, Sie hätten die Liste, wer was werden
sollte, schon fertig. Stellen Sie sich vor, Sie hätten über
die Finanzen reden müssen. Wir haben eine Mehrwertsteuererhöhung um 3 Prozentpunkte durchgesetzt. Ein
Prozentpunkt bringt dem Bund 4,7 Milliarden Euro. Das
heißt, eine Erhöhung um 2 Prozentpunkte bringt 9,4 Milliarden Euro. Wenn Sie keine Steuererhöhung gemacht
hätten, hätten im Bereich der geplanten Investitionen
9,4 Milliarden Euro gefehlt.
Wir haben ein Investitionsprogramm mit einem Volumen von 25,4 Milliarden Euro in den nächsten Jahren
aufgelegt, das weitere Investitionen in einer Größenordnung von 60 Milliarden Euro nach sich zieht. Hätten
diese Investitionen nicht stattfinden sollen? Das ist
meine Frage. Hätten Sie nicht Ihre Hand dafür gehoben,
dass wir Maßnahmen zur Sanierung von Gebäuden subventionieren oder das Elterngeld einführen? All das wird
doch davon finanziert.
Außerdem senken wir den Arbeitslosenversicherungsbeitrag um einen Punkt. Sind Sie dagegen, dass
das geschieht? Ich frage angesichts des Gedröhnes, das
Sie mit Ihrem komischen Märchenbuch, mit Ihren Anträgen, die Sie in den Haushaltsausschuss eingebracht
haben, verursachen: Was würden Sie eigentlich tatsächlich anders machen?
({8})
Ich greife einen Punkt heraus, der mich aufgrund meiner früheren Tätigkeit besonders beschäftigt. Die FDPFraktion sagt: Wir kürzen bei der Bundeswehr um
1 Milliarde Euro. Die PDS-Fraktion fordert noch mehr:
({9})
2 Milliarden. Dazu will ich Ihnen deutlich sagen: Was
glauben Sie, was die Soldaten in Afghanistan oder im
Kongo von einer solchen Maßnahme halten? Es ist eine
unzumutbare Vorstellung, den Haushalt der Bundeswehr
um 1 Milliarde Euro zu kürzen. Das kann man niemals
akzeptieren. Das geht überhaupt nicht.
({10})
- Wir haben eine internationale Verantwortung. Das
weiß doch jeder und auch Sie. Sie sind doch diejenigen
gewesen, die, als wir regiert haben, immer gesagt haben:
Ihr müsst mit dem Rumsfeld und dem Bush klarkommen; gebt mehr Geld für Verteidigung aus. Jetzt wollen
Sie kürzen.
Weitere Kürzungsmaßnahmen aus Ihrem Märchenbuch: 3 Milliarden Euro wollen Sie bei den Eingliederungshilfen kürzen. Carsten Schneider hat schon gestern in der Debatte darauf hingewiesen, dass 50 Prozent
dieser Eingliederungshilfen in Ostdeutschland ausgeteilt
werden. Sind Sie dafür, dass in dem Bereich noch härtere Kürzungsmaßnahmen durchgeführt werden? Das
kann doch nicht Ihr Ernst sein.
({11})
- Wollen Sie eine Zwischenfrage stellen? Einen Augenblick noch. Setzen Sie sich noch einen Moment, Herr
Fricke, es dauert noch ein bisschen.
({12})
- Ja, Sie können auch gern im Stehen warten.
Ich will Folgendes sagen: Wir, CDU, SPD und CSU,
haben 70 Prozent Mehrheit im Parlament. Das bedeutet,
wir können zum Beispiel Verfassungsänderungen allein
durchsetzen. Im Bundesrat ist die Situation so, dass die
Länderregierungen diese Koalition tragen. Es wird immer Situationen geben, in denen ein Land, aus welchen
Gründen auch immer, beabsichtigt, den Vermittlungsausschuss anzurufen, oder uns sagt, dass wir noch über
etwas reden müssen, bevor wir es im Bundestag beschließen.
Die jetzige Situation hatten wir seit der ersten großen
Koalition von 1966 bis 1969 nicht mehr. Das heißt für
mich, dass es eine große Verantwortung ist. Wenn nicht
diese große Koalition die Zukunftsfragen der Nation
löst, wer löst sie dann? Das heißt, wir sind wirklich zum
Erfolg verdammt. Das gilt für jeden Punkt, über den wir
zu diskutieren haben. Ich will die Opposition nicht kleinreden. Ganz im Gegenteil: Ich respektiere Ihre Arbeit.
Das wissen Sie ganz genau. Aber auf uns kommt es jetzt
an.
Was sind die Zukunftsfragen der Nation? Versetzen
wir uns einmal in die Lage eines normalen Menschen,
der seinem Beruf nachgeht oder einen Arbeitsplatz
sucht. Was erwartet er von uns? Er erwartet von uns,
dass wir folgende Probleme lösen:
Erstens erwartet er, wenn er arbeitslos wird oder bereits arbeitslos ist, dass wir ihm helfen, einen Arbeitsplatz zu finden. Die Maßnahmen, die wir jetzt mit
Hartz IV bei der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe begonnen haben, sind absolut richtig. Die Debatte, die vor einiger Zeit über Hartz IV geführt worden ist, war falsch. Es war eine richtige
Maßnahme, zu der wir stehen. Es war keine falsche
Maßnahme.
({13})
Übrigens war es im Vermittlungsausschuss so - das wissen auch Sie -, dass die damalige Opposition, die CDU/
CSU, zugestimmt hat.
Herr Kollege Struck, besteht denn die Aussicht, dass
Kollege Fricke seine Frage noch vor dem Ende Ihrer
Rede stellen kann?
Ich verfolge gerade meinen Gedankengang. Herr
Fricke, Sie können es vielleicht nachher noch einmal
versuchen. Ich bin jetzt gerade bei einem anderen
Thema. Sie kommen aber wirklich noch dran. Ich habe
es ja zugesagt.
({0})
Wir sprechen in diesem Zusammenhang auch über
Optimierungsgesetze. Wir haben über das Hartz-IVOptimierungsgesetz entschieden. Ich will gar nicht verschweigen, dass in meiner Fraktion natürlich heftige Debatten darüber geführt wurden. Auch bei den Kolleginnen und Kollegen von den Gewerkschaften gab es
Debatten. Aber ich muss sagen: Ich kann überhaupt
nicht verstehen, dass das Optimierungsgesetz, das Franz
Müntefering vorgelegt hat, so umstritten gewesen ist,
und zwar auch bei den Gewerkschaften, weil es dabei
doch darum geht, einen besseren Verwaltungsablauf zu
erreichen. Es geht auch darum, dass man jemanden - obwohl Renate Künast Recht hat, wenn sie die Größenordnung des Missbrauchs anspricht -, der eine zumutbare
Arbeit zwei oder drei Mal ablehnt, auch mit entsprechenden Sanktionen belegt. Das Geld, das die Arbeitsagentur oder die Argen vergeben, ist doch Steuerzahlergeld. Es geht darum, dass wir eine gerechte Lösung
finden. Dieses Optimierungsgesetz war also richtig und
wir werden, wenn es nötig ist, noch weitere Schritte gehen. Es gibt einen laufenden Überprüfungsprozess, den
der Arbeitsminister durchführt.
({1})
Das zweite Hauptthema, das die Menschen beschäftigt, ist: Was passiert mit mir, wenn ich krank werde? Jeder von uns kann in diese Situation geraten. Das wissen
Sie. Wir müssen darauf achten, welche Sorgen die Menschen haben. Was ist die Sorge der Menschen? Die
Sorge ist: Bin ich so krankenversichert, dass wirklich
jede Krankheit, die mich befallen kann, entsprechend
den ärztlichen Regeln behandelt wird? Mit anderen Worten: Erhalte ich das, was medizinisch notwendig ist, unabhängig davon, wie alt ich bin und ob ich arm oder
reich bin?
({2})
Die Ziele der Gesundheitsreform müssen sein - hier
sind wir uns einig -: Erstens. Jeder muss krankenversichert sein.
({3})
Gegenwärtig sind ungefähr 400 000 Menschen nicht
krankenversichert. Das muss in Form eines Kontrahierungszwangs für die Krankenversicherungen organisiert
werden.
Zweitens. Jeder muss die medizinisch notwendigen
Leistungen erhalten. Wir wollen keine Zustände wie
zum Beispiel in Großbritannien. Dort kommt es vor,
dass man drei oder vier Monate auf einen Operationstermin warten muss oder dass sich ein 70-Jähriger die
künstliche Hüfte, die er braucht, selbst kaufen muss. Solche Zustände wollen und werden wir in Deutschland
nicht bekommen.
({4})
Die dritte Frage, die die Menschen neben den Themen
Arbeitslosigkeit und Krankheit bewegt, bezieht sich auf
die Rente: Was geschieht, wenn ich alt bin? Sowohl
durch die Debatten der letzten Zeit als auch durch die
Diskussionen, die wir in den letzten zehn Jahren, also
schon zu Helmut Kohls Regierungszeit, geführt haben,
weiß jeder, dass die Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung nicht ausreichen werden, um den Lebensstandard, den man während des aktiven Arbeitslebens
hatte, im Alter zu halten. Warum das so ist, brauche ich
nicht zu erläutern. Das hat unter anderem mit der demografischen Entwicklung und mit der Arbeitsmarktentwicklung zu tun. Das ist bekannt.
Deshalb hat die vorherige Koalition aus SPD und
Grünen die Riesterrente eingeführt. Sie wird gut angenommen und ist auch in der Unionsfraktion akzeptiert.
Hier müssen wir noch mehr tun. Klar ist - darüber wurde
in den Koalitionsverhandlungen diskutiert und das ist
umfangreich kommentiert worden -, dass wir länger arbeiten müssen. Franz Müntefering hat die mutige Entscheidung getroffen, öffentlich darüber zu sprechen,
dass bis zum Alter von 67 Jahren gearbeitet werden
muss und ab wann diese Regelung gilt. Das hat natürlich
keinen Jubel hervorgerufen.
({5})
Das ist logisch. Dass darauf vonseiten der PDS-Fraktion
mit gnadenlosem Populismus reagiert wurde, war nachvollziehbar. Aber das ist keine Lösung. Wir müssen also
länger arbeiten.
({6})
Welche Funktion hat eine Haushaltsdebatte? Da ich
im Deutschen Bundestag schon an 25 Haushaltsdebatten
teilgenommen habe - ich meine die zweiten und dritten
Lesungen -, kann ich Ihnen mitteilen: Die normale
Funktion dieser Debatte besteht darin, dass die Regierung sagt, dass sie alles eigentlich ganz gut macht - Frau
Merkel, Ihr Amtsvorgänger hat immer gesagt, dass seine
Regierung eigentlich sehr gut ist; Sie sind im Augenblick noch ein bisschen bescheidener -,
({7})
und dass die Opposition sagt, dass alles, was die Regierung macht, falsch ist.
Im Hinblick auf die Opposition muss ich feststellen:
Sie sprechen immer nur von der Mehrwertsteuererhöhung. Aber irgendwann müssen Sie dieses Thema vergessen, Herr Westerwelle. Dann muss Ihnen etwas anderes einfallen. Im nächsten Jahr können Sie nicht mehr
auf die Mehrwertsteuererhöhung verweisen. Dass Sie
das im Moment machen, kann ich aber verstehen.
Die Mehrwertsteuererhöhung ist niemandem leicht
gefallen. Da wir jedoch gleichzeitig die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung senken und das Investitionsprogramm finanzieren, legen wir das Geld der Bürger, das
wir durch die Mehrwertsteuererhöhung einnehmen, vernünftig an.
({8})
Nun zu den Kleinigkeiten, über die sich die Opposition aufregt. Weil es in den Zeitungen steht und viel darüber geredet wird, zum Beispiel in Hintergrundgesprächen, ist bekannt, dass über ein Allgemeines
Gleichstellungsgesetz diskutiert wird. Ich weiß, dass die
Unionsfraktion damit Probleme hat.
({9})
Aber wir haben Vereinbarungen getroffen. Die Koalition
kann nur dann durchhalten, wenn diese Vereinbarungen
eingehalten werden. Ich bin fest davon überzeugt, dass
dies geschieht und dass Volker Kauder sein Wort, das er
mir gegeben hat, hält;
({10})
denn andernfalls könnten wir nicht mehr zusammenarbeiten. So ist das. An dieser Stelle möchte ich den Kollegen der CDU/CSU-Fraktion dafür danken, dass sie ihr
Wort halten.
({11})
- Ja, darauf komme ich gleich noch zu sprechen.
({12})
Kollege Westerwelle weist zwar darauf hin, dass ihr,
bevor wir unsere Vereinbarungen getroffen haben, etwas
anderes gesagt habt. Aber das ist in der Politik nun einmal so. Natürlich habt ihr in der Vergangenheit etwas anderes gesagt. Aber dann haben wir uns auf eine bestimmte politische Lösung geeinigt.
({13})
Das hat auch etwas mit der Föderalismusreform zu tun.
Auch darüber wird innerhalb der Koalition diskutiert;
das gebe ich gerne zu.
Frau Merkel, Sie haben es angesprochen und es ist
völlig richtig: Man darf das große Ziel nicht aus den Augen verlieren; ich schaue jetzt die Kritikerinnen und Kritiker in meinen Reihen an.
({14})
- Nicht nur Herrn Tauss; wir werden in der nächsten
Woche darüber entscheiden. - Die Zielrichtung - weniger zustimmungspflichtige Gesetze und eine klare Verteilung der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern ist absolut richtig und dabei bleibt es auch.
({15})
Aber man muss schon darüber diskutieren, ob es richtig
ist, manche Kompetenzen vom Bund auf die Länder zu
verlagern. Wir haben - das wissen Sie genau - ein sehr
umfangreiches Anhörungsverfahren durchgeführt, wie
es das in der Geschichte des Bundestages noch nicht geDr. Peter Struck
geben hat: 100 Sachverständige, nicht nur von den Fraktionen, sondern auch vom Bundesrat benannt, haben in
diesem Raum manchen Punkt sehr kritisch bewertet.
({16})
Wir haben alle, soweit wir es konnten, zugehört, und unsere Expertinnen und Experten haben uns darüber berichtet. Es kann aber nicht sein - das will ich deutlich sagen -, dass wir diese Anhörung just for show gemacht
haben, vielmehr nehmen wir das, was hier vorgetragen
wurde, ernst.
({17})
Aber wir alle in diesem Raum wissen doch auch: Von
dem, was im Hinblick auf die Föderalismusreform diskutiert wird, wird einiges vom Bundesrat akzeptiert werden können und einiges nicht; das ist so. Hier verlaufen
die Grenzen doch nicht zwischen SPD und CDU/CSU
einerseits und der Opposition andererseits, sondern die
Grenzen verlaufen zwischen Bundestag und Bundesrat.
({18})
- Auch. Aber im Wesentlichen scheiden sich die Meinungen doch gerade an dem Punkt, über den wir hier kritisch diskutieren.
Also: Ich weiß genau, wir bekommen nicht alle unsere Änderungswünsche durch. Übrigens ist es nicht so,
dass nur meine Fraktion gerne etwas geändert hätte - es
gibt auch Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSUFraktion, die gern etwas geändert hätten.
({19})
Sie verstecken sich im Moment nur hinter uns, weil sie
sich sagen: Lass mal die Sozis vorangehen!
({20})
Und auch in der FDP wird vieles kritisch diskutiert; das
weiß ich.
Trotzdem bin ich der festen Überzeugung, dass wir
eine Föderalismusreform - über die wir ja in der nächsten Woche zu entscheiden haben - brauchen. Wir brauchen sie, um die Regierung unseres Landes schneller
handlungsfähig zu machen. Die Einzelheiten müssen wir
noch bereden.
({21})
- Etwas spröde, kann man sagen.
({22})
- Ich kriege das schon hin in meiner Fraktion.
({23})
- Das denke ich schon. Ich nehme meine Verantwortung
als Fraktionsvorsitzender wahr und will dazu gleich einmal etwas sagen.
({24})
- Ich mache das schon.
({25})
Man muss natürlich auch sagen, dass wir, was die Föderalismusreform angeht, am Freitag in einer Woche eine
ausführliche Debatte brauchen. Denjenigen Kolleginnen
und Kollegen, die Bedenken haben, muss wirklich die
Chance gegeben werden, ihre Änderungswünsche im
Plenum darzustellen.
Trotzdem muss sich am Ende jeder - ich schaue jetzt
in Richtung der FDP, weil ich weiß, dass es auch dort
Rechtsexperten gibt, die viele Fragen haben - die Frage
stellen: Sollen wir trotz Bedenken an einzelnen Stellen
- die jeder haben kann - das Gesamtpaket scheitern lassen?
({26})
- Meine Position ist auch: Nein. Aber ich setze voraus,
dass wir noch Gespräche zu führen haben, auch mit dem
Bundesrat, um auszuloten, was machbar ist und was
nicht.
({27})
Zu Beginn der Debatte, als der Entwurf der Föderalismusreform eingebracht worden ist, da hieß es: Nichts
wird geändert, das steht im Koalitionsvertrag, der Bundesrat hat so beschlossen. - Deshalb bedanke ich mich
bei denjenigen, die dazu beigetragen haben, dass es eine
offenere Debatte gibt und dass die harte Ablehnung inzwischen aus der Welt ist. Dafür herzlichen Dank!
({28})
Ich will noch auf den Kollegen Kauder eingehen, weil
er im Zusammenhang mit der Unternehmensteuerreform etwas zu aktuellen Fragen wie der Zukunft der Gewerbesteuer gesagt hat. Ich habe jahrelang Kommunalpolitik betrieben - ich war 20 Jahre im Kreistag - und
will für meine Fraktion und sicher auch für den Finanzminister deutlich machen: Ich bin nicht bereit, die Gewerbesteuer in irgendeiner Weise aufzugeben, solange es
nicht eine bessere Alternative dazu gibt. Ich sehe keine
bessere Alternative.
({29})
Man kann über vieles sprechen. Das werden wir auch
tun.
Ich möchte eines gleich klarstellen. Herr Finanzminister Steinbrück, der Herr Kollege Kauder hat Ihnen
seine uneingeschränkte Solidarität zum Haushaltsentwurf 2006 bekundet. Damit überhaupt kein Zweifel daran besteht: Ich möchte mich dieser uneingeschränkten
Solidarität für die SPD-Bundestagsfraktion anschließen.
({30})
- Nein, das glaube ich nicht.
Abschließend möchte ich sagen: Es ist der erste Haushalt dieser großen Koalition. Der zweite Haushalt, der
2007er-Haushalt, wird schwieriger. Darüber sind wir uns
- das gilt für alle, die auf der Regierungsbank sitzen, und
auch für uns - völlig im Klaren. Wir werden das schaffen, weil wir wissen, dass wir unseren Auftrag erfüllen
müssen. Wir müssen das tun, was die Menschen in unserem Land brauchen. Die SPD-Fraktion steht dazu bereit.
({31})
Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Otto
Fricke das Wort.
Herr Kollege, Herr Fraktionsvorsitzender Struck, Sie
hatten mir leider nicht die Möglichkeit gegeben, eine
Frage zu stellen. Deswegen muss ich jetzt diesen Weg
gehen.
Ich darf Sie als Erstes darauf aufmerksam machen,
dass die Änderungsanträge der FDP-Fraktion bezüglich
der Bundeswehr nicht die Ausstattung der Soldaten, sondern zum Beispiel Waffensysteme für Hubschrauber,
Waffensysteme für den Eurofighter und Ähnliches mehr
betreffen.
({0})
Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir diese Dinge im
Kongo brauchen. Es wäre unverantwortlich, wenn wir so
etwas tun würden. Das nur zur Klarstellung.
Zweitens. Bekomme ich von Ihnen als Fraktionsvorsitzenden der SPD zum Thema Eingliederungshilfe, bei
dem Sie uns den Vorwurf machen, wir würden den Leuten etwas wegnehmen, hier im Parlament die klare und
deutliche Aussage, dass die 6,5 Milliarden Euro, die für
die Eingliederungshilfe etatisiert worden sind und von
denen bisher übrigens nur ein Viertel verbraucht worden
ist, obwohl bereits die Hälfte des Jahres herum ist, nur
dafür und nicht für irgendetwas anderes ausgegeben
werden? Würde das Geld für etwas anderes ausgegeben,
dann wären unsere Anträge ja durchaus berechtigt.
Zur Erwiderung, Herr Kollege Struck.
Herr Kollege Fricke, entschuldigen Sie, aber ich habe
wirklich vergessen, später noch eine Frage zuzulassen.
Das war ernst gemeint.
({0})
- Das ist jetzt also geklärt.
Zur Bundeswehr. Ich meine, Sie können nicht sagen,
Herr Kollege Jung kenne sich nicht aus. Sie sagen, die
Bundeswehr brauche nicht so viele Waffen, weswegen
um 1 Milliarde Euro gekürzt werden könne. Ich frage
Sie einmal: Wie wollen Sie das verantworten? Ich
meine: Ein Soldat ohne Waffensystem ist eigentlich auch
nicht viel wert. Das muss man wohl festhalten.
({1})
- Nein, U-Boote im Kongo nicht. Wie gesagt: Ich kenne
mich aus und wäre bei den Kürzungen ganz vorsichtig.
({2})
Dass Sie hier Ihre Vorschläge machen müssen, ist ja
nachvollziehbar.
Zur Eingliederungshilfe. Ich bin dafür nicht politisch
verantwortlich. Ich bin auch nicht in der Regierung dafür
verantwortlich, dass das, was Sie eben angesprochen haben, eintritt. Ich bin aber optimistisch, dass das Problem
gelöst wird. Gerade unsere Haushälter und der Herr Arbeitsminister werden genau darauf achten, dass wir das
Thema Eingliederungshilfe so behandeln - haushaltsmäßig, über die Agenturen und über wen auch immer -,
dass das seine Richtigkeit hat. Ich weiß, was Sie ansprechen, und kenne den Hintergrund Ihrer Frage. Ich verlasse mich auf die Leute, die wir haben, und der Minister
ist sowieso ein guter Minister.
({3})
Das Wort erhält nun der Kollege Dr. Lothar Bisky,
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Regelfall lobt die Regierung ihren eigenen Haushalt und wir
als linke Opposition kritisieren ihn. Das ist auch bei diesem Haushalt richtig und wichtig; denn wieder einmal
sollen die sozial Benachteiligten die Zeche zahlen. Aber
keine Regel ohne Ausnahme.
Dem Kulturstaatsminister ist es gelungen, Kürzungen
im Kulturhaushalt abzuwenden, ja, sogar kleine Zuwächse zu erreichen. Bundeskulturstiftung, Filmförderung und die Deutsche Welle profitieren mit jeweils
2 Millionen Euro. Der Hauptstadtkulturfonds bleibt unbeschadet. Die Unterstützung zur Sanierung des Pergamonmuseums ist in Aussicht gestellt. Auch bei der
Staatsoper gehen wir davon aus, dass sich der Bund an
der Sanierung angemessen beteiligen wird.
({0})
Das bestehende Niveau wurde also insgesamt gehalten. Das ist angesichts der überall grassierenden Kürzungen auch von uns als linker Opposition ausdrücklich zu
würdigen. Nun gilt es, dieses Votum für die Kultur politisch zu verteidigen. Ich bin mir sicher, das wird nicht
einfach werden. Aber - ich bin nun dabei, etwas Wasser
in den Wein zu gießen - viele Kultureinrichtungen sind
aufgrund steigender Kosten und der Kürzungen vergangener Jahre in einer äußerst schwierigen Lage. Das ist
nicht zu übersehen. Wir beantragen deshalb zum Beispiel mehr Mittel als von Ihnen vorgesehen für die Stiftung für das sorbische Volk.
({1})
- Ich weiß. Sie haben den Mittelansatz sogar leicht erhöht. Aber wir wollen etwas mehr. Das dürfen wir doch
noch.
({2})
- Danke. Das ist okay. Vor allem aber fragen wir: Wo ist
die Investition in die Kultur, von der die Kanzlerin in ihrer Regierungserklärung gesprochen hat? Wo ist die
richtige, wichtige und zukunftsträchtige Investition in
den deutschen Film? Die dafür vorgesehenen Investitionen sind um 2 Millionen Euro erhöht worden; das
wissen wir.
Endlich gibt es sie wieder: erfolgreiche deutsche
Filme von Qualität. Deren Regisseure und Produzenten
haben es verdient, dass nun auf sie gesetzt wird. Das
Stichwort heißt: Investitionen in die Kulturwirtschaft als
Wachstumsbranche für moderne Arbeitsplätze. Da sind
die 2 Millionen Euro mehr für den deutschen Film in
diesem Haushalt ein Anfang. Aber im Großen und Ganzen sind dies wie so vieles Großkoalitionäre zögerliche
Trippelschritte; denn sie reichen keinesfalls aus. Es mag
ja sein, dass sie eine Art Bonsai-Hollywood als Leitbild
vor Augen haben. Das wird nicht reichen, um dem deutschen Film wirkliche Wachstumsimpulse zu verleihen.
({3})
Wo bleiben zukunftsträchtige Investitionen in Städte
und Regionen, die ihr industrielles Fundament verloren
haben, aber über große Kulturschätze und damit über
Anziehungskraft verfügen? Würden diese Städte besser
gefördert und ihr kulturelles Potenzial innovativ genutzt,
könnten sie durch Kultur zu neuer Blüte und modernem
Reichtum kommen, wie dies vielen ehemaligen armen
Städten und Regionen in Europa gelungen ist und woran
zum Beispiel auch Essen erinnert. Ist denn das für uns
alle keine Herausforderung?
Wie wäre es mit einem Sonderinvestitionsprogramm des Bundes für die Kultur? 25 Milliarden
Euro sind ausgelobt worden. Warum wird die Kultur daran nicht beteiligt? Der Kulturausschuss hat sich dafür
ausgesprochen, das Ressort von Herrn Neumann an diesem Programm zu beteiligen und zum Beispiel in den
Denkmalschutz und den Erhalt von Baudenkmälern zu
investieren, vor allem übrigens in den neuen Ländern.
Wir halten das für sehr sinnvoll.
Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss.
Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. - Die Fraktion Die Linke fordert ein Zukunftsinvestitionsprogramm „Jugend und Innovation“ und darin 1,5 Millionen Euro mehr für die Filmförderung. Der Film und
andere kulturwirtschaftliche Faktoren müssen energischer gefördert werden. Haben Sie mehr Courage dazu!
Haben Sie mehr Mut zu Neuinvestitionen in der Kultur!
Mehr Kultur ist der Zweck von Politik.
Ich danke Ihnen.
({0})
Das Wort hat nun die Kollegin Christine Scheel,
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
haben auch heute wieder auf sehr eindrucksvolle Weise
erkennen können, dass die Union und die SPD mit ihren
gemeinsamen Projekten, die für die Zukunft dieses Landes wichtig sind, nicht wirklich weitergekommen sind;
vielmehr werden die einzelnen Projekte anscheinend
noch stärker zerfleddert, bevor Eckpunkte vorgelegt
werden können. Für das Land ist das fatal, weil weder in
der Wirtschaft noch für die Bürger und für die Berufe,
von denen wir wissen, dass sie für notwendige Innovationen von Bedeutung sind und in denen neue Arbeitsplätze entstehen können, eine Perspektive erkennbar ist.
({0})
Das ist das Problem. Wenn man sich die einzelnen
Bereiche anschaut, dann wird deutlich, dass es nicht nur
in der Frage, wie ein bestimmtes Gesetz im Detail gestaltet wird, Unterschiede gibt; vielmehr gibt es auch
hinsichtlich der Geisteshaltung und der Vorstellung, wie
die Gesellschaft in Zukunft auszusehen hat, eklatante
Unterschiede innerhalb dieser Koalition, und zwar nicht
nur zwischen der CDU/CSU und der SPD, sondern auch
innerhalb der Union und der SPD.
Ich mache das an verschiedenen Beispielen deutlich.
Wir haben eine Debatte über die Frage begonnen, wie
wir in Zukunft die finanzielle Situation von Kindern und
Familien verbessern können. Man muss es anerkennen,
dass Herr Pofalla diese Debatte angestoßen hat. Wir diskutieren zurzeit darüber, ob das Ehegattensplitting zukunftsorientiert und richtig ist oder ob dieses Modell,
das in den 50er-, 60er- und 70er-Jahren geeignet war, in
der modernen Gesellschaft von heute keinen Bestand
mehr hat.
Er kommt aber zu der falschen Schlussfolgerung. Er
geht nicht davon aus, dass dem Staat jedes Kind gleich
viel wert sein muss. Seine Schlussfolgerung ist vielmehr,
dass Bezieher von sehr hohen Einkommen neben dem
Ehegattensplitting in Zukunft auch noch das Familiensplitting in Anspruch nehmen können und damit eine
massive Entlastung erfahren. Die Bezieher von kleinen
Einkommen hätten aber nichts davon, zumal dann die
Kinderfreibeträge wegfallen würden. Das heißt: Oben
entlasten Sie und unten belasten Sie; die Differenz
zwischen Kindern aus Familien mit niedrigem Einkommen und hohem Einkommen wird erhöht. Das ist ungerecht und es ist auch für die Zukunft aus unserer Sicht
nicht akzeptabel.
({1})
Dass die CSU das Thema nicht angehen will, verstehe
ich. Denn die Riege der CSU-Vorderen hinkte schon immer der gesellschaftspolitischen Entwicklung hinterher.
({2})
Ich finde, sie sollten sich ein bisschen mehr um den Bären kümmern.
({3})
Aber vielleicht bekommt ihr ein bisschen mehr Drive
und werdet etwas fortschrittlicher in eurer Denkweise.
({4})
Was die Unternehmensbesteuerung anbelangt, gibt
es anscheinend einen breiten Konsens darüber, die Gewerbesteuer beizubehalten. Die CDU/CSU war immer
für die Abschaffung; die anderen haben gefordert, sie
beizubehalten. Das Fatale an der gegenwärtigen Situation ist aber, dass man ein Reformkonzept für alle unsere
Unternehmen - auch für die kleinen und mittelständischen - auf den Weg bringen will, das man auch vernünftig finanzieren möchte, weil man sich keine riesigen
Steuerausfälle leisten kann, dass aber - wie alle Ankündigungen aus den verschiedensten Reihen, gerade auch
die Presseberichte des heutigen Tages, sehr deutlich gemacht haben - die Finanzierung der Reformen keinen
Bestand mehr hat. In diesem Zusammenhang muss man
schon berücksichtigen, was dabei herauskommt, wenn
man sich auf die Senkung der Körperschaftsteuersätze
beschränkt. Das ist keine Reform für die Zukunft; es ist
vielmehr der kleinste gemeinsame Nenner, auf den man
sich letztlich einigt. Der BDI-Präsident Thumann hat zu
Recht darauf hingewiesen, dass der kleinste gemeinsame
Nenner auch null sein kann. Bei den Reformen ist zu befürchten, dass für die Gesellschaft und vor allen Dingen
hinsichtlich der Arbeitsplätze null herauskommt.
({5})
In diesem Kontext sind auch die Überlegungen betreffend die Erbschaftsteuer zu sehen. Das ist kein kleines Thema. Wir, die Gesellschaft, müssen die in unserer
Verfassung verankerte Sozialbindung des Eigentums
sehr ernst nehmen. Man geht aber den falschen Weg,
wenn man sowohl kleine und mittelständische Unternehmen als auch Konzerne unabhängig davon, ob sie Arbeitsplätze erhalten, über einen Zeitraum von zehn Jahren von der Erbschaftsteuer vollständig befreit. Dann
müssen die Bürger letztendlich die Steuerausfälle bezahlen. Wahrscheinlich ist ein solches Gesetz sogar verfassungswidrig. Das geht nicht.
Die Sozialbindung des Eigentums ist ein ganz zentrales Element. Wenn Sie dieses Element im Gesetzgebungsverfahren nicht berücksichtigen, dann laufen Sie
Gefahr, dass das Gesetz verfassungswidrig ist, dass diejenigen, die große Erbschaften gemacht haben, vor Gericht klagen werden und ihre Steuerbescheide unter Vorbehalt stellen und dass diesen Erben später eine
Steuerrückerstattung gewährt werden muss. Das akzeptieren wir nicht. Wir wollen eine faire und gerechte Lösung. Auch wir wollen eine vernünftige Nachfolgeregelung für kleine und mittelständische Unternehmen. Aber
bei einer solchen Regelung muss der Erhalt von Arbeitsplätzen berücksichtigt werden. Das gilt nicht nur im
Hinblick auf die Unternehmensbesteuerung und die Erbschaftsteuer, sondern auch im Hinblick auf die Entwicklung in der Sozialversicherung und für alle anderen Ebenen, über die wir heute nur ansatzweise diskutieren
können, weil wir nicht wissen, was Sie konkret vorhaben. Da Sie nicht in der Lage sind, dazu detaillierte Auskünfte zu geben, können wir keine abschließende Bewertung vornehmen.
Fest steht jedenfalls: Wir haben eigene Vorschläge
und Modelle und werden in der Sommerpause noch eine
spannende Auseinandersetzung haben.
Danke schön.
({6})
Das Wort erhält nun der Kollege Dr. Christian Ruck,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Haushalt 2006 ist der erste Haushalt einer neuen Regierung. Er beginnt mit einem neuen Kurs. Die alte Politik
war gescheitert. Deutschland ist nun auf einem guten
Weg. Der Regierungswechsel hat zu einer positiven
Stimmung geführt. Das drückt sich nicht nur im Meer
der bunten Fahnen der Fußballfans aus, sondern auch in
harten ökonomischen Fakten. Der Stellenabbau ist zum
Stillstand gekommen. Die Arbeitslosenzahlen sind erstmals wieder signifikant gesunken. Bei uns in Bayern
steigen die Beschäftigungszahlen bereits seit Monaten
wieder.
({0})
Der deutsche Export boomt. Die Investitionen nehmen
wieder zu und die Binnenkonjunktur festigt sich.
({1})
Diese Trendwende ist natürlich auch der neuen Bundesregierung unter Kanzlerin Merkel zu verdanken.
({2})
Wir haben die Kraft zu einer stetigen Politik. Mit dem
Dreiklang „Sanieren, Reformieren, Investieren“ haben
wir den richtigen Ansatz gefunden, Deutschland wieder
nach vorne zu bringen. Vorredner haben schon darauf
hingewiesen, dass die große Koalition bereits konkret
angepackt hat. Bezüglich der Ausgabenseite haben wir
den Entwurf eines Hartz-IV-Fortentwicklungsgesetzes
verabschiedet. Das Gesetz ist nicht eine gesetzliche Regelung für Sozialabbau, sondern stellt eine Initiative zur
Korrektur von Fehlentwicklungen im Ausgabenbereich
dar. Es verhindert Leistungsmissbrauch und löst lähmende Verwaltungsverstrickungen. Ich erinnere nur an
den explosionsartigen Anstieg der Zahl von Bedarfsgemeinschaften, gegründet von jungen Leuten. Genau das
wollten wir alle doch nicht haben. Wir haben des Weiteren Steuerschlupflöcher geschlossen, fragwürdige Gestaltungsmöglichkeiten eingeschränkt und die Ausnutzung von Gesetzeslücken eingedämmt.
Bezüglich der Einnahmeseite haben wir das Steueränderungsgesetz unter Dach und Fach gebracht, und
zwar im Rahmen eines vernünftigen finanz- und steuerpolitischen Gesamtkonzepts. Wir tun das nicht aus Jux
und Tollerei. Vielmehr gibt es keine Alternativen zu diesen Maßnahmen. Dieses Gesamtkonzept zielt darauf ab,
den europäischen Stabilitätspakt und die Verschuldungsgrenze des Art. 115 des Grundgesetzes im nächsten Jahr
einzuhalten. Dagegen kann niemand sein. Das Steueränderungsgesetz ist ein wichtiger Schritt hin zur Haushaltskonsolidierung. Mit ihm wird genau das umgesetzt, was
CDU/CSU und SPD gemeinsam im Koalitionsvertrag
vereinbart haben.
({3})
Ich wehre mich energisch gegen das Stichwort „Arroganz“, das vonseiten der FDP gefallen ist. Wir haben den
Mut gehabt, auch im Wahlkampf die Notwendigkeit von
Steuererhöhungen deutlich zu machen. Wir von der CSU
gewinnen im Gegensatz zu den Mitgliedern der FDP unsere Wahlkreise in der Regel direkt. Das geht nicht, indem wir gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern, die
uns wählen, die Arroganz an den Tag legen, die Sie uns
unterstellen.
Unsere Familienpolitik zeigt, dass die große Koalition auch hier innovative Wege geht. Mit dem Elterngeld
erhalten die Familien eine neue finanzielle Unterstützung. Mit der Ausweitung der Kinderbetreuung, der
steuerlichen Absetzbarkeit der Betreuungskosten und
der Schaffung von mehr Familienfreundlichkeit am Arbeitsplatz fördert die große Koalition die Familien. Uns
ging es auch darum, dass die Elternteile oder die Frauen,
die die Aufgabe der Kindererziehung wahrnehmen, indem sie zu Hause bleiben, nicht benachteiligt werden,
sondern ebenfalls gefördert werden. Das war ein fester
und wichtiger Bestandteil der CSU-Politik.
({4})
Für die CSU geht Qualität vor Eile. Das gilt vor allem
für die Gesundheitsreform. Hier ist der öffentliche
Druck besonders groß, doch darf er uns nicht zu unüberlegten Entscheidungen zwingen, die wir alle dann als Patienten und Beitragszahler bereuen würden.
Der Finanzierungsfonds ist nicht ein Zweck an sich
und gewiss auch nicht ein Grundstein für Kassensozialismus, wie das heute behauptet wurde; im Gegenteil, er
ist Mittel zum Zweck, nämlich für mehr Transparenz,
mehr Wettbewerb und mehr Rationalisierung. Wichtig
sind für uns auch der Erhalt der privaten Krankenversicherung und die Abkopplung der Gesundheitskosten von
den Arbeitskosten.
({5})
Ziel bleibt: Es muss gewährleistet werden, dass der
technische Fortschritt im Gesundheitsbereich auch in
Zukunft jedermann zugute kommt.
Zweck all unserer Reformen und Haushaltsentwürfe
muss letztlich die Sicherung und Schaffung von
Arbeitsplätzen sein. Dazu müssen wir die Wirtschaft
und vor allem den Mittelstand ankurbeln. Dazu ist bereits viel in Gang gesetzt, zum Beispiel das Gesetz zur
steuerlichen Förderung von Wachstum und Beschäftigung, zum Beispiel das Mittelstandsentlastungsgesetz,
das in Arbeit ist, und das 6-Milliarden-Euro-Programm
„Neue Impulse für Innovation und Wachstum“.
({6})
Auch das Handwerk wurde von uns durch die Einführung der steuerlichen Absetzbarkeit von Handwerksleistungen wieder einigermaßen aufs Gleis gesetzt.
Deswegen finde ich es unfair und nicht korrekt, dass
Frau Künast - jetzt ist sie nicht mehr da - behauptet, der
Bundeswirtschaftsminister würde hier zu wenig tun.
({7})
Das alles sind ganz entscheidende Schritte, die in den
ersten sieben Monaten aus diesem Haus gekommen sind.
Der größte Treppenwitz ist, dass dem Bundeswirtschaftsminister die hohen Strompreise angekreidet werden. Wenn von der grünen Politik in den sieben Jahren
Rot-Grün irgendetwas bleibt, dann ist es nicht die Diskussion um die Legehennenbatterien, sondern dann sind
es die exorbitant gestiegenen Energiepreise; die haben
nämlich vor allem die Grünen zu vertreten.
({8})
Richtig ist, dass die große Koalition die Besteuerung
der Unternehmen neu ordnet, damit Arbeitsplätze gesichert und geschaffen werden. Da möchte ich etwas ansprechen, was mir in der Debatte als etwas schräg aufgefallen ist. Es wird immer hin und her gerechnet, auf
welchem Platz in Europa die Steuerbelastung der deutschen Unternehmen steht. Der Kern des Problems ist
doch, dass wir mit einer massiven Abwanderung von Arbeitsplätzen und Unternehmen ins Ausland zu kämpfen
haben. Das hat eine ganze Reihe von Ursachen. Die
Form der Besteuerung ist eine Ursache. Es gibt einige
Stellschrauben, an denen wir nicht drehen wollen. Zum
Beispiel kommen für uns Dumpinglöhne nicht infrage.
Das ist für uns kein Weg.
({9})
Deswegen müssen wir einen anderen Weg finden. Der
hat dann etwas mit steuerlicher Entlastung zu tun.
Die CSU-Landesgruppe will Waffengleichheit für
Kapitalgesellschaften und Personenunternehmen.
({10})
Wir wollen die Investitionskraft und die Standortbindung gerade der kleinen und mittleren Unternehmen
stärken. Deswegen ist es für uns ganz wichtig, dass es zu
einer vernünftigen Regelung bei der Erbschaftsteuer
kommt, Frau Scheel. Da können wir über alles Vernünftige reden. Aber eine Regelung, die gerade provoziert,
dass ausgelagert wird, bevor diese Regelung in Kraft
tritt, ist genau das falsche Rezept, um Arbeitplätze zu sichern.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, unsere Nationalmannschaft - das haben wir heute schon gehört arbeitet hart daran, die Weltmeisterschaft zu gewinnen.
({11})
Auch der Weltmeistertitel Deutschlands im Export ist
das Ergebnis harter Arbeit. Wir müssen die Voraussetzungen dafür erarbeiten, dass wir Spitze bleiben. Der
Export ist der Motor unserer Wirtschaft; auch unsere soziale Balance im Innern hängt davon ab.
({12})
Wir leben vom Verkauf unseres international anerkannten Know-hows. Deswegen setzt auch die CSU auf eine
starke, verbesserte Wettbewerbsfähigkeit des deutschen
Bildungs- und Ausbildungssystems.
({13})
Um unsere Position in der Weltwirtschaft abzusichern, müssen wir auch unsere Außenbeziehungen optimieren, verzahnen und nachhaltig gestalten. Dazu ist die
Verbesserung der transatlantischen Beziehungen ebenso
wichtig wie ein neuer Anlauf zur Schaffung eines politisch handlungsfähigen Europas. Denn es wird immer
deutlicher, dass wir als Nationalstaat zwischen den großen ökonomischen und politischen Blöcken ohne ein
funktionierendes Europa zerrieben würden.
Wir benötigen als Deutschland eine gesicherte Energie- und Rohstoffversorgung, ein faires Handelsregime
und breit angelegte strategische Partnerschaften mit einer Vielzahl von Staaten, auch mit den neuen politischen
und ökonomischen Kräften wie China, Indien, Mexiko
und Brasilien. Überall hier haben die Bundeskanzlerin
und ihr Kabinett bereits entscheidende Akzente gesetzt.
Allerdings verschärfen sich vielerorts in den Schwellen- und Entwicklungsländern die Entwicklungsprobleme. Sie gefährden langfristig auch Frieden und Wohlstand in Deutschland und Europa. Deswegen ist die
Ratio der Entwicklungspolitik als Teil unserer Außenbeziehungen nicht nur ein Element christlicher Solidarität
und Verantwortung, sondern liegt auch im Interesse unserer eigenen Sicherheit und der Position Deutschlands
in der Welt.
({14})
Deshalb treten wir für die Umsetzung des EU-Stufenplans für die Entwicklungsfinanzierung ebenso wie für
gemeinsames Handeln in Krisengebieten und schnelle
Hilfeleistung nach Katastrophen ein.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir stehen
vor wichtigen Entscheidungen. Bundestag und Bundesrat müssen beweisen, dass wir in der Lage sind, das Vertrauen, das die Bürger uns bei der Wahl geschenkt haben, zu mutigen und nachhaltigen Reformen zu nutzen.
Das nächste Entscheidende, was wir angehen müssen, ist
die Föderalismusreform. Sie macht unsere Entscheidungsprozesse transparenter, sorgt für schnellere politische Entscheidungen und trägt dazu bei, dass unsere Demokratie wieder erfolgreicher wird und auf größere
Akzeptanz stößt.
Ich möchte auch darauf hinweisen, dass es Ministerpräsident Stoiber und Herr Müntefering waren, die
schon in der letzten Legislaturperiode die entscheidenden Weichenstellungen für dieses Reformwerk vorgenommen haben.
({15})
Wir brauchen bei den Reformprozessen nicht nur
Mut, sondern auch Kompromissfähigkeit. Die Koalition
und die Koalitionäre haben sich aus verschiedenen politischen Richtungen aufeinander zubewegt und zusammengefunden. Das ist oft ein schwieriger Prozess und
geht, wie Sie sehen, nicht immer ohne Blessuren ab.
({16})
Aber wir sind zum Erfolg entschlossen, zum Wohle unseres Landes. Auch wir von der CSU, Herr Struck, werden uns da einbringen.
Vielen Dank.
({17})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Petra Merkel für
die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Der Haushalt 2006, den wir
in dieser Woche abschließend beraten, ordnet sich ein
- das kennen Sie jetzt schon - in den Dreiklang aus Sanieren, Reformieren und Investieren.
({0})
Unter dieser Zielsetzung hat die Koalition aus SPD,
CDU und CSU ihre Arbeit angetreten. Der Haushalt ist
durch eine strikte Ausgabendisziplin geprägt. Er hat aber
vor allem ein Ziel: die Wachstumskräfte zu stärken und
damit Arbeitsplätze zu sichern und zu schaffen.
Die Beratungen des Haushalts 2006 wurden am
1. Juni im Haushaltsausschuss abgeschlossen. Dort findet übrigens die Kärrnerarbeit statt. Da werden ständig
Petra Merkel ({1})
folgende Fragen gestellt: Sind die Ausgaben realistisch?
Sind die Einnahmen richtig veranschlagt? Wo kann gespart werden? Welche Strukturen müssen verändert werden, damit weniger ausgegeben wird?
Die globalen Minderausgaben in den Fachetats
- das sind die pauschalen Einsparsummen, die jedes
Ressorts zu erbringen hat - konnten weitestgehend auf
die Einzelposten verteilt werden. Das war für viele Kolleginnen und Kollegen eine unglaubliche Arbeit. Das
war anstrengend. Diese Arbeit ist - das können Sie sich
vorstellen - nicht einfach.
({2})
Wir scheuen uns nicht vor internen Auseinandersetzungen. Denn anders wäre es nicht dazu gekommen,
dass wir die Ausgaben für die Öffentlichkeitsarbeit in
allen Ressorts um insgesamt 10,2 Millionen Euro senken
werden. Das entspricht ungefähr 10 Prozent der Gesamtausgaben für den Bereich Öffentlichkeitsarbeit.
Wir halten auch an der pauschalen Stellenkürzung
der letzten Jahre in den Bundesverwaltungen in Höhe
von 1,5 Prozent fest. Das ist eine ziemlich große
Summe. Im Gegenteil: In diesem Jahr mussten wir diese
auf 1,6 Prozent erhöhen, weil wir die beschlossene Arbeitszeitverlängerung umsetzen mussten.
Allerdings stützt dieser Haushalt die politischen
Schwerpunkte, mit denen Arbeitsplätze gesichert werden
und neue entstehen. So sind während der Haushaltsberatungen trotz der nötigen Einsparungen die Investitionsausgaben mit 23,2 Milliarden Euro konstant geblieben.
Wir starten mit dem Haushalt 2006 unser 25-Milliarden-Investitionsprogramm, das durch circa 12 Milliarden Euro aus den Ländern und Kommunen ergänzt wird,
also circa 37 Milliarden Euro umfassen wird. Wir versprechen uns von diesem Investitionsprogramm mehr
Arbeitsplätze und damit ein höheres Wirtschaftswachstum. Wir erwarten dadurch mehr Ausbildungsplätze. Wir
wollen die Grundlage einer Existenz für die Jugendlichen schaffen und das Handwerk stärken.
({3})
Zum Beispiel werden, beginnend im Jahre 2006,
6 Milliarden Euro für die Förderung der Forschung bereitgestellt. Insgesamt 9,4 Milliarden Euro werden zur
Förderung des Mittelstands durch Impulsprogramme,
wie zum Beispiel das CO2-Gebäudesanierungsprogramm, eingestellt und hoffentlich die Baukonjunktur
stärker bewegen. Das Solar- und das Wärmedämmprogramm für Hausfassaden wirken doppelt: Auf der eine
Seite wirken sie energiesparend; auf der anderen Seite
setzen sie auf neue Techniken. 4,3 Milliarden Euro werden zusätzlich für Verkehrsinvestitionen ausgegeben und
3 Milliarden Euro für die Vereinbarkeit von Familie und
Beruf - das ist ein wichtiges Feld, wie Sie wissen - bereitgestellt.
Über den Haushalt versuchen wir bereits mit kurzfristigen Maßnahmen, das Wachstum zu stabilisieren. Wir
verzichten im Haushalt 2006 bewusst auf weitergehende
Einschnitte in Sozialleistungen und Bundesinvestitionen
und akzeptieren eine eigentlich immer noch zu hohe
Neuverschuldung im Jahr 2006. Wir sind der Überzeugung, dass unsere Staatsfinanzen nicht allein mit einer
rigorosen Sparpolitik in Ordnung gebracht werden können.
({4})
Wir brauchen einen Mix aus wachstums- und beschäftigungsfördernden Maßnahmen, einer Verbesserung der
gesetzlichen Rahmenbedingungen, einer entschlossenen
Haushaltskonsolidierung und
({5})
strukturellen Reformen. Strukturveränderungen, die darüber hinaus für ein dauerhaftes Wachstum nötig sind,
werden vorbereitet, zum Beispiel die Gesundheitsreform, die Unternehmensteuerreform, die „Reichensteuer“ und die Föderalismusstrukturreform. Diese werden die Beratungen für den Haushalt 2007 und den
Finanzplan bis 2010 bestimmen.
Als Mitglied des Haushaltsausschusses, das für den
Etat der Bundeskanzlerin zuständig ist, möchte ich ein
aktuelles Thema aufgreifen, das Sie und mich bewegt
und von dem wir alle gepackt sind, obwohl wir gar nicht
so recht gewusst haben, wie sehr es uns packen könnte.
Dahinter verbirgt sich aber ein sehr grundsätzliches gesellschaftliches Thema; Herr Kauder, Sie haben es schon
angesprochen. Die Zeitungen überschlagen sich und fragen: Was ist los in Deutschland? „Hoppla - sind wir
das?“ titelte Gerd Appenzeller vom „Tagesspiegel“ in
der vergangenen Woche seinen Kommentar und beschrieb sehr treffend, was viele von uns bewegt. Ich
möchte daraus zitieren:
Wir mögen uns Deutschland ohne Weltmeisterschaft gar nicht vorstellen im Moment,
({6})
ohne das Turnier, wohlgemerkt, nicht ohne den Titel,
- Das finde ich gut. das ist etwas ganz anderes. … Entweder verändert
uns diese Weltmeisterschaft, oder sie hat uns die
Augen dafür geöffnet, dass wir längst anders sind,
als wir dachten. Wir alle, die wir in diesem Land leben, ob wir nun hier geboren oder zugewandert
sind, ob schon unsere Eltern einen deutschen Pass
hatten oder den eines anderen Landes. … Wenn in
Neukölln und auf dem Kurfürstendamm junge Türken und Araber, in Deutschlandfahnen gehüllt, nach
dem Sieg gegen Polen frenetisch hupend Autokorsos veranstalten, kann uns das die Augen dafür öffnen, dass dieses Land vielleicht viel weiter ist, als
wir dachten.
({7})
Richtig: Deutschland ist bunt, nicht nur zur WM;
Menschen aus unterschiedlichen Ländern, bunte Trikots,
gemeinsames Feiern, gemeinsames Bangen um den richtigen Schuss ins Tor und - natürlich - das gemeinsame
Jubeln, wenn der Treffer gelungen ist. Durch dieses gemeinsame Erleben des friedlichen großen WM-Festes
Petra Merkel ({8})
entsteht mehr; es entsteht ein neues Gefühl der Nähe und
Verständigung. Auch diejenigen sind gepackt, die sich
nicht unbedingt für Fußball interessieren; auch ich habe
das gemerkt.
({9})
Das gemeinsame bunte Leben in Deutschland scheint
mit dieser Fußballweltmeisterschaft neu wahrgenommen
zu werden und zusätzliche Impulse zu bekommen. Nicht
nur die Defizite des Zusammenlebens, die in den letzten Monaten leider immer wieder Schlagzeilen machten,
stehen im Mittelpunkt, sondern auf einmal eine zwar
längst vorhandene, aber vielleicht nicht erkannte gemeinsame Lebenswirklichkeit. Genau diese positive Lebenswirklichkeit ist in der letzten Zeit in der Wahrnehmung zu kurz gekommen, vom Karneval der Kulturen in
Berlin über die Integrationsarbeit in vielen Sportvereinen in der Bundesrepublik und in den vielen Jugendgruppen bis hin eben zu unserer Fußballnationalmannschaft; auch da hat sich ja etwas verändert. Jetzt
berichtet die Presse darüber, wie weltoffen die Atmosphäre ist und was in Deutschland auch wirklich Grundlage ist.
Dazu, beide Aspekte, sowohl die Defizite als auch die
gelungene Integration, das gelungene Zusammenleben
in Deutschland, zusammenzuführen, könnte als ein erster Schritt der Integrationsgipfel mit Vertreterinnen und
Vertretern von Ländern, Städten und Gemeinden, Ausländerverbänden und Religionsgemeinschaften dienen.
Damit soll ein Prozess zur Erarbeitung eines nationalen
Aktionsplans eingeleitet werden. Ziel muss es sein, das
Notwendige für Integration zu tun, aber auch die positiven Erfahrungen der unterschiedlichen Akteure zu nutzen und auszutauschen. Gute Beispiele müssen genutzt
werden.
({10})
Ich habe festgestellt, dass in dem Einzelplan zum Amt
der Bundeskanzlerin eine Menge enthalten ist, was mit
den Fragen der Integration und damit zu tun hat, wie
man Brücken zwischen den Völkern schlägt, und was
der Verständigung dient. Dort ist ebenfalls das Amt der
Beauftragten der Bundesregierung für Migration,
Flüchtlinge und Integration, Frau Professor Dr. Böhmer,
angesiedelt; es ist ja jetzt erstmals im Haushalt des Bundeskanzleramts verankert. Mit diesem Haushalt haben
wir die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass dieser
Integrationsgipfel noch in diesem Sommer möglich
wird.
Wie wichtig dieser Austausch von Erfahrungen ist,
habe ich gerade wieder in der Pfingstakademie des Berliner Wannsee-Forums erlebt. Da treffen sich zu Pfingsten
jeweils an die hundert Jugendliche aus allen Teilen der
Bundesrepublik, um ihre Erfahrungen im Bereich Jugendbeteiligung und in Bezug auf Jugendprojekte auszutauschen. Das ist eine bunte Gruppe von jungen Menschen. Das Thema, das ich mit ihnen diskutiert habe,
war: Migration in Deutschland. Wir haben hart diskutiert. Eine junge Frau aus Köln, in der Ukraine geboren,
formulierte das so:
Ich brauche die Verlässlichkeit, hier in Deutschland
leben zu können. Ich lebe gerne hier, aber ich will
auch, dass ihr mich wollt. Ich brauche echte Chancen in der Bildung und ich brauche eine Perspektive, zu arbeiten. Und: Ich brauche die Achtung und
Anerkennung, die ich auch den Deutschen entgegenbringe.
Ich glaube, treffender kann man das nicht ausdrücken.
({11})
Zum Austausch gehört die Sprache. Sprache, Sprache, Sprache, immer wieder - zur Integration gehört das
ganz notwendig dazu. Das müssen wir unterstützen, wie
wir alle wissen. Ich glaube aber, auch da muss man das
Rad nicht immer neu erfinden. Vor einigen Jahren haben
die Firma McKinsey, das Bundesministerium für Bildung und Forschung und der Senat von Berlin einen
„Spracherwerbskoffer“ für Kindergärten entwickelt. Mit
ihm kann man nicht erst mit Kindern im Kindergartenalter, also in einem Alter ab drei Jahren, arbeiten, sondern
schon viel früher, nämlich dann, wenn die Kinder anfangen zu sprechen. Zielgruppe wären auch nicht nur die
Kinder mit einer anderen Sprache als Deutsch, sondern
auch die deutschen. Wir stellen ja auch bei den deutschen Kindern immer wieder fest, dass ihre Sprache immer reduzierter wird und immer weniger in ihrer Vielfalt
angewandt wird. Der Grundstein dazu wird in der
Krippe und in der Kita gelegt. Dieser Spracherwerbskoffer ist eine der Möglichkeiten, die wir nutzen können
und die wir in den Gedankenaustausch mit einbringen
können.
({12})
Die Bedingungen und Angebote für Integration müssen definiert werden; das ist ganz klar. Es muss aber
auch der Diskriminierung entgegengewirkt werden.
Zur Wahrnehmung neuer Aufgaben im Zusammenhang
mit dem Antidiskriminierungsgesetz sind die Personalmittel im Bereich der Migrationsbeauftragten gegenüber
dem Vorjahr um 324 000 Euro erhöht worden.
Wir erleben im Moment, wie sehr der Sport Menschen verbindet. Das gilt aber auch für die Kultur. Der
Sport wie die Kultur leisten tagtäglich Beiträge dazu,
Menschen in unserem Land zusammenzubringen. Häufig geschieht das unter Mitwirkung von sehr vielen Ehrenamtlichen. Sport und Kultur schaffen so Verständnis,
Achtung und ein gemeinsames Gefühl von Heimat und
Identifikation. Damit schaffen sie die Grundlagen für Integration und zugleich auch für Eigenständigkeit. Sport
und Kultur bauen Brücken untereinander und zu anderen
Ländern.
Sie haben sicherlich gemerkt, dass das meine Überleitung zu dem Haushalt des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, Herrn Bernd Neumann,
war.
2006 beträgt der Haushalt für Kultur 914 Millionen
Euro. Daran hat die Kulturstiftung des Bundes mit
Hortensia Völckers an der Spitze, die gerade wiedergewählt worden ist, einen großen Anteil. Auch dort finden
Petra Merkel ({13})
wir viele Projekte zur Integration als Brücke in andere
europäische Länder. Ich nenne zum Beispiel das Büro
Kopernikus, das deutsch-polnische Kulturprojekte initiiert. Übrigens wird Nikolaus Kopernikus sowohl von
den Polen als auch von den Deutschen gleichermaßen
für sich beansprucht. Ich nenne weiter das Projekt
„Migration“, das etablierte Sichtweisen auf Migration
überwinden will.
Nach dem Koalitionsvertrag sind im Haushalt 2006
zusätzliche Mittel für die Kulturförderung auf der
Grundlage des Bundesvertriebenengesetzes in Höhe von
1 Million Euro eingestellt worden.
({14})
Die finanzielle Unterstützung dient zur Wahrung der eigenen kulturellen Wurzeln.
({15})
Sie können gleich weiterklatschen. Denn: Mit
2 Millionen Euro wird die Ausstellung „Flucht, Vertreibung, Integration“ im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gefördert,
({16})
die neben Bonn und Leipzig auch in Berlin gezeigt wird.
Diese Ausstellung zeigt übrigens ganz deutlich, wie groß
die Integrationsleistung in Deutschland nach dem Krieg,
also in einer weitaus schwierigeren Zeit, gewesen ist.
Auch der Bundesanteil zur Unterstützung der Wahrung der Eigenständigkeit der Volksgruppe der Sorben
als nationale Minderheit wird in Höhe von 7,6 Millionen
Euro bewilligt. Ein neues Finanzierungsabkommen zwischen den Ländern Brandenburg, Sachsen und dem
Bund ist allerdings dringend notwendig.
Ich weise gern auf Genshagen hin. Das Berlin-Brandenburgische Institut für deutsch-französische Zusammenarbeit in Europa ist zunehmend auch im Dialog mit
Polen.
({17})
Auch das ist wichtig für den Brückenbau zwischen
Nachbarn.
Nicht zuletzt die Medien bringen Menschen unterschiedlicher Kulturen zueinander. Der neue Titel „Deutscher Filmförderfonds“ mit 14,3 Millionen Euro setzt einen kulturellen wie wirtschaftlichen Schwerpunkt. Die
Deutsche Welle erhält circa 273 Millionen Euro. Sie
trägt Informationen über Deutschland in viele Teile der
Welt.
({18})
- Das stimmt.
Ich komme noch einmal zurück auf den Kommentar
von Gerd Appenzeller:
Nicht nur unsere Gäste, auch wir selbst erleben uns
völlig anders, als wir sonst sind - oder vielleicht zu
sein glaubten? Ein Deutschland, das sich weder Bedenken tragend noch mürrisch präsentiert, ein
Land, das fröhlich, begeistert und begeisternd ist, in
dem schwarz-rot-goldene Fahnen geschwenkt werden und in dem die Bürger ganz selbstverständlich
die Nationalhymne mitsingen, ohne dass ein Hauch
von Überheblichkeit oder Chauvinismus mitschwingt.
Ich füge als jemand, der sich für Fußball begeistert,
hinzu: Vielleicht liegt das auch daran, dass sich die Ausstrahlung der deutschen Fußballnationalmannschaft erheblich verändert hat. Sie ist eine Mannschaft, die nicht
zaudert, zögert oder defensiv spielt, sondern ein Team,
das nach vorne geht, manchmal etwas riskiert, sich etwas
zutraut und seine Chancen sucht; eine Mannschaft, auf
die wir richtig stolz sind. Glückwunsch, Herr
Klinsmann!
({19})
Ich hoffe, dass die positive Stimmung, die hier im
Regierungsviertel unweit vom Parlament, aber auch an
vielen anderen Orten der Republik zu spüren ist, und das
Selbstwertgefühl auch in den Monaten nach der FußballWM weiterwirken. Klinsmann hat gezeigt, dass ein
Mentalitätswechsel möglich ist.
Ich will mich an dieser Stelle bei den Kolleginnen
und Kollegen für die Beratung im Haushaltsausschuss
bedanken. Ich spüre immer wieder, dass die Zusammenarbeit gut funktioniert, auch wenn wir unterschiedlicher
Meinung sind. Wenn das bei diesen Debatten herüberkommt, dann kann es nicht schaden.
Schönen Dank.
({20})
Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile,
möchte ich darauf hinweisen, dass die namentliche Abstimmung zum Einzelplan des Kanzleramtes in etwa
16 Minuten, also in einer guten Viertelstunde, stattfinden
wird. Das ist etwas früher, als wir zwischenzeitlich unter
anderem auch im Videotext angekündigt hatten. So
möchte ich auf diesem Wege die Kolleginnen und Kollegen, die nicht ohnehin schon hier sind, darauf aufmerksam machen, dass die namentliche Abstimmung in absehbarer Zeit aufgerufen wird.
Nun erteile ich dem Kollegen Wolfgang Börnsen für
die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Petra Merkel, Sie haben mit Art und Ausrichtung Ihrer Rede genau das praktiziert, was Sie von anderen gewünscht haben, nämlich eine positive Einstellung
Wolfgang Börnsen ({0})
zu vermitteln, ohne dabei die notwendige Differenzierung aus den Augen zu verlieren. Herzlichen Dank.
({1})
Mit dem Etat der Bundeskanzlerin entscheiden wir
auch heute gewissermaßen über den hochkarätigen Edelstein dieses Etats, nämlich die Kulturförderung.
Deutschland hat eine der vitalsten Kulturszenen in der
Welt.
({2})
Ob im Musiktheater, in der modernen Kunst, ob in der
Literatur bis hin zu Fernseh- und Filmproduktionen:
Kreativ, kritisch, herausfordernd bis anmaßend präsentiert sich die Spitzenkultur in unserem Land. Kultur ist
gut für uns und Kultur tut gut.
({3})
Sie kostet zwar viel, aber Unkultur kostet noch viel
mehr.
({4})
Es ist bemerkenswert um die Kulturnation Deutschland bestellt. Das gilt für die Qualität, das gilt auch für
die Quantität: mehr als 110 000 Theater-, Opern- und
Musicalaufführungen jährlich, mehr als 7 000 Konzerte,
die von über 35 Millionen Menschen besucht werden,
mehr als 6 500 Museen und Ausstellungshäuser mit über
100 Millionen Besuchern. Die Bundesliga dagegen
kommt gerade einmal auf 10 Millionen Zuschauer. Da
können Sie einmal sehen, welchen Stellenwert bei uns
die Kultur einnimmt.
({5})
Um im Bild dieser Tage zu bleiben: In einigen Kulturbereichen sind wir sogar dabei, weltmeisterlich zu werden. Auf dem Weltkunstmarkt setzen wir erstklassige
Akzente. Deutsche Orchester bestimmen europaweit die
Maßstäbe in der Musik. Literatur aus unserem Land hat
eine internationale Reputation. Das Kulturland Deutschland zeigt Kraft und Kreativität.
({6})
Die Kultur ist dabei nicht nur ein Kostgänger des
Staates. Sie ist zu einer beispielhaften Wachstumsbranche geworden. Fast 800 000 Menschen arbeiten in Kreativberufen. Im Vergleich dazu: Die Automobilindustrie
beschäftigt 620 000 Mitarbeiter. Innerhalb der letzten
zehn Jahre ist die Anzahl der Kulturschaffenden bei uns
um 31 Prozent gestiegen - ein jährliches Wachstum von
3,4 Prozent! Jeder Zweite davon ist selbstständig. Kultur
und Kunst haben sich zu einem Jobmotor gemausert. Die
Wertschöpfung im Kreativsektor betrug 2003 beachtliche 35 Milliarden Euro - 5 Milliarden mehr, als die
Energiebranche auf die Beine brachte. Kultur schafft Beschäftigung!
({7})
Das von manchen Kulturkritikern verbreitete Bild eines nur muffigen, kleinkarierten Landes stimmt objektiv
nicht. Deutschland ist wieder, besonders im Kulturbereich, zu einem Land der Ideen geworden. Die meisten
Anmeldungen beim Europäischen Patentamt kommen
aus der Bundesrepublik. Solche Erfolge kommen nicht
von ungefähr. Sie sind das Resultat einer an Freiheit
orientierten Kulturpolitik des Bundes, der Länder und
der Kommunen. Hier ist ein kreativer Bodensatz entstanden, der schöpferische Kräfte freisetzt und zu einem
Aufbruch in der Gesellschaft führt. Glücklicherweise
diktiert nicht die Nützlichkeit maßgeblich die Kulturförderung, sondern das Wissen um ihre identitätsstiftende
Wirkung. Kulturelle Bildung schafft Toleranzkompetenz. Sie ist das Salz im Flechtwerk der Demokratie.
({8})
Wir verstehen Kunst und Kultur nicht als Dekoration.
Sie sind existenzieller Teil unseres Staatsverständnisses.
Im Einigungsvertrag nimmt dieser Gedanke eine
Schlüsselfunktion ein. Heute, 15 Jahre später, lässt sich
feststellen: Kunst und Kultur haben durch die Wirkungskräfte der Wiedervereinigung einen dynamischen Schub
und neue schöpferische Kraft bekommen.
({9})
Mit ihren Finanzbeiträgen für die Kultur haben alle Bundesregierungen diesen Prozess von Anfang an konstruktiv und verlässlich begleitet. Fast 1 Milliarde Euro für
die Bundeskultur sind zu einer festen Größe geworden.
Fast auf den Tag genau 15 Jahre nach dem hauchdünnen Hauptstadtbeschluss zugunsten Berlins lässt sich belegen: Unser Kulturstaat ist in seiner Hauptstadt erkennbar und erlebbar. Berlin ist zu einem erstklassigen
Kulturschaufenster geworden.
({10})
Jeder zweite Euro für die Bundeskultur wird hier investiert. Ob allerdings alle Investitionen der Erfüllung gesamtstaatlicher Aufgaben entsprechen, ist von den Mitgliedern des Haushaltsausschusses kritisch zu prüfen,
Steffen Kampeter.
({11})
Auf jeden Fall praktiziert Staatsminister Bernd
Neumann mit Professionalität und Pragmatismus Kulturförderung in der Kontinuität seiner Vorgänger. Für jemanden, der bedingt durch die vorgezogene Bundestagswahl fast ein Dutzend kultur- und geschichtspolitische
Baustellen aus dem Stand hat übernehmen müssen, sind
seine bisherigen Erfolge anerkennenswert. Das gilt auch
für die Erhöhung der Mittel des Kulturhaushalts.
({12})
Die Bundeskanzlerin hat zutreffend von einer zweiten
Gründerzeit in der Kultur gesprochen und damit nicht
nur die neuen Medien gemeint. Die eindrucksvolle, würWolfgang Börnsen ({13})
dige Eröffnung des Deutschen Historischen Museums
ist ein Beispiel dafür. Geschichte als Mahnung, als Sinnstiftung, aber auch als Aufforderung zur Mitgestaltung
an einer weltoffenen Demokratie der Partizipation!
({14})
Für eine solch sachgerechte Ausrichtung wäre zu fordern, dass im Rahmen der Föderalismusreform für
Art. 23 eine Formulierung gefunden wird, die unserem
föderalen Staat in Brüssel eine einheitliche gesamtstaatliche Interessenwahrnehmung garantiert. Außerdem - das
gilt auch für die EU - müssen wir uns einer Initiative anschließen, die unser Parlamentspräsident angestoßen hat,
nämlich Deutsch als dritte Amtssprache aus den Brüsseler Verhandlungen nicht auszuklammern.
({15})
Wer diesem Anspruch gerecht werden will, der muss
auch dafür sorgen, dass die Förderung der Sprachkompetenz eine der Kernaufgaben der Kulturpolitik bleibt
und im Land praktiziert wird - das ist auch wichtig für
unsere Außendarstellung -; denn Sprache schafft Identität und öffnet erst die Tür zur Integration.
Ich komme zum Ende.
Ja, bitte.
Das Bildungswesen in Deutschland, das auf dem Weg
zur flächendeckenden Ganztagsschule ist, braucht ein
Bündnis mit der Breitenkultur. Die Breitenkultur ist neben der Spitzenkultur einer der kreativsten und beachtlichsten Bereiche in unserer Demokratie. 7 Millionen
Menschen sind in diesem Bereich ehrenamtlich tätig. Sie
sollten in einer Kulturdebatte ebenso Anerkennung und
Unterstützung finden wie die Spitzenkultur.
Herzlichen Dank.
({0})
Das Wort hat nun die Kollegin Monika Griefahn von
der SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich war in der letzten Woche bei einer
bemerkenswerten Veranstaltung. Es wurden drei Jubiläen gleichzeitig gefeiert: erstens das 30-jährige Jubiläum der Kulturpolitischen Gesellschaft, zweitens das
35-jährige Jubiläum der Fabrik, einem Kulturzentrum in
Hamburg, und drittens das 30-jährige Jubiläum von
MOTTE, einem Kulturzentrum, das stadtteilbezogene
Kultur- und Sozialarbeit macht.
Alle drei verkörpern das, was uns wichtig ist, nämlich
Kultur für alle und Kultur so zu gestalten, dass alle teilnehmen können, wobei sie dort abgeholt werden, wo sie
sind. Wir hatten in unserem Wahlprogramm die Losung:
Kultur ist Lebensmittel. Sie ist kein Luxus, sondern sie
ist eine Grundlage unseres Lebens.
({0})
Ich glaube, wenn wir das mit unserer Politik deutlich
machen können, dann haben wir viel erreicht.
Wir haben dafür verschiedene Einrichtungen. Die
Kulturstiftung des Bundes erreicht 2006 erstmals die
Zielförderhöhe von 38 Millionen Euro. Das ist eine
Menge Geld. Das Wichtige daran ist, dass wir gemeinsame Projekte mit anderen Ländern, aber auch gemeinsame Projekte in den Kommunen und in den Bundesländern machen können. Das ist die größte Stiftung ihrer
Art in Europa, mit der sehr innovative Programme gestaltet und Projekte unterstützt werden können. So wird
beispielsweise mit der Kulturstiftung der Länder die
Restaurierung mobiler Objekte finanziert, wodurch sehr
seltene Handwerksberufe wieder belebt werden können,
die sonst aussterben würden. Das ist ganz wichtig; denn
damit unterstützen wir den Erhalt von Arbeitsplätzen
und sorgen dafür, dass Know-how erhalten bleibt.
({1})
Wir haben bei der schrittweisen Sanierung eines bedeutenden Weltkulturerbes, der Museumsinsel in Berlin, dieses Know-how benötigt. Man sieht, dass die
Menschen die Museumsinsel annehmen und diese ein
Publikumsmagnet ist. Allein an dem einen Wochenende
im letzten Jahr, an dem das Bode-Museum probeweise
geöffnet war, kamen 25 000 Besucher. Daran sieht man,
dass sich die Leute informieren wollen und dass sie Kultur wollen. Kultur gehört zur Grundausstattung und sie
ist ein Lebensmittel. Deswegen ist Geld, das für Kultur
ausgegeben wird, kein verschenktes Geld, sondern eine
notwendige Investition, die gleichzeitig Arbeitsplätze
schafft. Wir freuen uns, dass 2009 das Neue Museum eröffnet werden kann. Das Geld dafür ist wirklich gut eingesetzt.
Nicht nur Berlin kommt die Tätigkeit der Stiftung
Preußischer Kulturbesitz zugute. Im Rahmen des föderalen Programms arbeitet die Stiftung auch mit Institutionen der Länder zusammen, um hochwertige Ausstellungen zu realisieren. Deswegen glauben wir, dass es
wichtig ist, dass es dem Bund auch nach der Föderalismusreform weiterhin möglich ist, Kultur zu fördern und
mit den Ländern und den Kommunen zusammenzuarbeiten, genauso wie es mit anderen Ländern in der internationalen Politik möglich ist.
Die internationale Politik macht sich vor Ort bemerkbar. Ich verweise auf das Haus der Kulturen der Welt,
das nur 500 Meter von hier entfernt ist und ein Treffpunkt für viele Nationen ist. Zurzeit gibt es eine tolle
Ausstellung über die brasilianische Kulturrevolution.
Auch dieses Haus wird jetzt mit Mitteln bedacht, damit
es renoviert werden und weiterhin ein Treffpunkt sein
kann. Damit kann das, was Frau Merkel im Zusammenhang mit der Fußballweltmeisterschaft dargestellt hat,
weitergehen, nämlich der Spirit des Gemeinsamen, des
Internationalen, des Offenen. Deswegen ist es gut, dass
wir das fördern können.
Frau Kollegin Griefahn, darf ich Sie einen Moment
unterbrechen? - Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich
bitte, der Rednerin Gehör zu schenken und insbesondere
in der Mitte des Saales die Privatgespräche einzustellen.
({0})
Damit schlage ich eine Brücke vom Haushalt der
Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes zu dem
Haushalt, den wir als nächsten diskutieren werden, dem
des Auswärtigen Amts; denn die auswärtige Kultur- und
Bildungspolitik wird aus beiden Haushalten finanziert.
Ein wichtiger Bereich, der im Ressort von Herrn
Neumann angesiedelt ist, ist die Deutsche Welle. Ich bin
sehr froh, dass wir die Deutsche Welle stabilisieren
konnten und Herr Neumann angekündigt hat, sich in den
kommenden Haushaltsverhandlungen weiter für angemessene Mittel einzusetzen. Ich glaube, wir können im
Lande nicht einschätzen, welche Bedeutung die Deutsche Welle hat. Sie erreicht 90 Millionen Bürger weltweit.
({0})
In vielen Ländern der Welt, in denen es sonst keine Informationen gibt, hat sie die Funktion, Informationen zu
verbreiten. Sie hat einen Etat, der kleiner als der des
WDR ist. Wir sollten also nicht darüber diskutieren, ob
das zu viel Geld ist. Die Finanzierung muss weitergehen;
denn wir brauchen den Kontakt zu den Bürgern. Ich
freue mich, dass wir jetzt zum Beispiel das arabische
Programm haben, das noch ausgeweitet wird, dass wir
den Afghanen geholfen haben und dass das spanische
Programm weitergeht, was ebenfalls sehr kontrovers diskutiert worden ist.
Zu weiteren Punkten der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik werden meine Kollegen Lothar Mark und
Gert Weisskirchen etwas sagen.
Ein zentraler Punkt betrifft die Kulturpolitik insgesamt: Wir müssen die Budgetierung vorantreiben. Das
gilt besonders für die Goethe-Institute, aber auch für
andere Einrichtungen, zum Beispiel den DAAD. Die
Mittel müssen flexibler einsetzbar sein, damit wir in diesen Bereichen weiterkommen.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({1})
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem
Kollegen Hans-Joachim Otto von der FDP-Fraktion.
Liebe Frau Kollegin Griefahn, lieber Herr Kollege
Börnsen, Sie haben in gewohnter Weise sehr schöne
Worte für die Kultur und den Kulturhaushalt gefunden.
({0})
Sie waren so schön, dass ich fast geneigt gewesen wäre,
Ihnen zuzustimmen.
Ein Thema haben Sie aber sehr konsequent ausgespart
- ich stelle fest, dass während der gesamten Haushaltsdebatte kein einziges Wort darauf verwendet wurde -: Die
Bundeskanzlerin hat vorhin angekündigt, dass die Föderalismusreform bis zur Sommerpause durchgepeitscht
und vom Bundestag endgültig beschlossen werden soll.
Die Konsequenzen aber, die dieses Reformwerk für die
zukünftige Kulturfinanzierung hat, sind bisher von keinem Redner angesprochen worden.
Sie haben mehrfach über die Kulturstiftung des Bundes gesprochen. Wir müssen ernsthafte Zweifel haben,
ob die Kulturstiftung des Bundes angesichts des vorgesehenen Art. 104 b des Grundgesetzes überhaupt noch
zulässig ist, ob sie überhaupt noch weiterhin fördern
kann.
Bei den Rednerinnen und Rednern der Koalition vermisse ich Folgendes: Alle Kulturpolitiker haben es in
den vergangenen Wochen und Monaten versäumt, auf
die Gefahren, Risiken und Fragen hinzuweisen, die der
Kulturfinanzierung durch dieses Reformwerk in Zukunft
drohen. Die vorgesehene Änderung des Grundgesetzes
bedeutet, dass es dort, wo die Länder die ausschließliche
Gesetzgebungszuständigkeit haben, zum Beispiel im Bereich der Kultur, keine Kooperation von Bund und Ländern mehr geben darf.
Ich halte es, gelinde gesagt, für unklug, dass die Kolleginnen und Kollegen von der großen Koalition hier
hehre Worte finden, obwohl in der nächsten Woche dieser große Einschnitt in die Kulturpolitik droht. Das muss
angesichts der Haushaltsberatungen heute mit einem
Wort erwähnt werden. Hier droht Schaden für die deutsche Kultur.
({1})
Frau Griefahn zur Erwiderung, bitte.
Erstens bin ich auf die Föderalismusreform eingegangen. Ich habe gesagt, dass der Bund weiterhin die Möglichkeit haben muss, mit den Ländern und Kommunen
- genauso wie auf internationaler Ebene - Kulturpolitik
zu machen. Dafür setzen wir uns ein.
({0})
Zweitens. Der Kollege Börnsen ist darauf eingegangen, dass wir auch auf europäischer Ebene die Vertretungsregelung diskutieren und schauen, wie wir das besser regeln können. Diese Sache müssen wir natürlich mit
den Ländern abstimmen. Dazu können Sie in den Ländern, in denen Sie mitregieren, beitragen.
({1})
Für uns ist das ein sehr wichtiges Ziel. Daran arbeiten
wir - das haben wir auch immer deutlich gemacht -,
auch als Kulturpolitiker.
({2})
Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt
erteile ich das Wort dem Kollegen Jörg Tauss von der
SPD-Fraktion.
Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich bin sehr froh,
dass es im Rahmen der Beratungen des Kanzleretats
möglich ist, auf den Etat für Kultur und Medien einzugehen. Wie wir gehört haben, ist es zwar ein kleiner, aber
wesentlicher Bereich des Etats. Er ist der kleinste im
Bundeshaushalt; darum ist er besonders sensibel.
Lieber Kollege Otto, uns Kultur- und Medienpolitikern ist es in einem schwierigen finanzpolitischen Umfeld gelungen, den Etat des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien weiter zu steigern, und
zwar auf 914 Millionen Euro. Im Vorjahr waren es
907 Millionen Euro.
In Verbindung mit den anderen Punkten mit Blick auf
Stellenkürzungen, die meine Kollegin Griefahn angesprochen hat, werden wir sicherlich noch viel zu tun haben. 1,6 Prozent Stellenkürzungen in einem 10 000-Personen-Ministerium sind natürlich etwas anderes als
1,6 Prozent Stellenkürzungen in einem kleinen GoetheInstitut irgendwo vor Ort. Deswegen müssen wir uns um
diese Fragen kümmern.
Über die auswärtige Kulturpolitik wird nachher noch
gesprochen. Ich glaube, ihre Bedeutung muss noch einmal deutlich zum Ausdruck gebracht werden. Gerade die
heute so viel bemühte Fußballweltmeisterschaft ist eine
Chance, über das, was wir jetzt im sportlichen Bereich
erleben, hinaus, nämlich im Bereich der auswärtigen
Kulturpolitik, auch weiterhin für unser Land Akzente zu
setzen und für unser Land zu werben.
({0})
Ich gehe in Fußballstadien. Ich bin selbstverständlich
Mitglied beim KSC. Aber es gehen immer noch mehr
Menschen in Museen und Theater als in Fußballstadien.
Deswegen müssen wir den Sport und die Kultur in den
Mittelpunkt unserer Betrachtungen stellen.
({1})
Ein wichtiger Bereich der Kulturförderung ist die
Filmförderung. Es gibt gerade einen sehr schönen Film
in Deutschland: „Das Leben der anderen“. Der Film ist
wirtschaftlich erfolgreich, aber darüber hinaus ein hervorragender kultureller Beitrag zu einem Thema, das uns
nach der deutschen Einheit bewegt, nämlich die Bewältigung dessen, was der Stasiapparat und andere auch im
kulturellen Bereich in diesem Lande angerichtet haben.
Es wäre ganz gut, wenn die Freunde von der PDS gelegentlich auch zu diesem Thema etwas sagen könnten.
({2})
Die Filmförderung ist ökonomisch wichtig. In den
Vereinigten Staaten von Amerika hat die Filmindustrie
heute bereits eine höhere Bedeutung als die Automobilindustrie. Deswegen ist es für uns wichtig, uns um diesen Bereich zu kümmern und in diesem Bereich Förderung anzusetzen, so wie es der Beauftragte tut.
Das gilt übrigens auch für einen zweiten Bereich, der
häufig belacht und vernachlässigt wird und von dem
man sagt, er habe nur mit Gewalt und Ballerei zu tun.
Doch das stimmt nicht. Es geht um den Bereich der
Computerspiele.
({3})
Das ist ein Bereich, den wir in Deutschland völlig vernachlässigen, der aber zwischenzeitlich eine noch größere wirtschaftliche Komponente - er hat auch eine kulturelle Komponente - im Bereich der Jugendkultur hat
als der Bereich des Films. Deswegen würde ich es mir
sehr wünschen - leider ist vom Bundesrat gerade niemand anwesend -, dass wir über dieses Thema nicht nur
unter dem Gesichtspunkt Ballerei und Gewalt diskutieren - was ein kleiner Randaspekt ist -, sondern unter
dem Gesichtspunkt dessen, was kulturell und ökonomisch bis in den Bereich der Informatik für Deutschland
möglich wäre.
({4})
Die Föderalismusreform ist einige Male angesprochen worden. Liebe Frau Bundeskanzlerin, Sie haben
mich heute wieder so nett angesehen. Ich weiß gar nicht,
warum Sie immer mich ansehen, wenn es um den Föderalismus geht.
({5})
Es scheint bei Ihnen angekommen zu sein, dass ich dazu
noch ein paar Fragen habe. Im Kulturbereich können wir
natürlich noch über das eine oder andere diskutieren,
Kollege Börnsen.
Frau Bundeskanzlerin, aus der Union kam der interessante Vorschlag, im Zusammenhang mit Art. 23 des
Grundgesetzes - es war Rupert Scholz, der das vorgetragen hat - darüber zu diskutieren, ob es nicht sinnvoll
wäre, dass der Bund die Interessen des Bundes und der
Länder in Europa vertritt, und die österreichische Lösung zu übernehmen. Ich würde vorschlagen, über diesen Punkt am Sonntagabend zu diskutieren. Das wäre
vernünftig.
Hinsichtlich der Schulen, Frau Bundeskanzlerin - wir
werden die Bildungsdebatte ja noch führen -, stimme ich
Ihnen völlig zu. Mich interessiert nicht die Frage, wie
Bayern die Schulzeit behandelt. Dazu habe ich eine Meinung; aber es interessiert mich nicht als Bundespolitiker.
Mich interessiert nicht einmal die Frage, warum es nicht
möglich ist, dass Bayern und Baden-Württemberg ein
gemeinsames Lateinbuch herausgeben. Es gibt kein einziges Land, das mit einem anderen Land ein gemeinsames Schulbuch hat. Darüber könnten wir einmal im Zusammenhang mit der Föderalismusreform diskutieren.
Das ist jetzt aber nicht unser Thema.
({6})
Eines würde ich allerdings gerne thematisieren: Da
die Länder für die Schulen zuständig sind - sie sollen es
auch sein -, müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass jedes
Jahr Zehntausende von Jugendlichen - auch aus BadenWürttemberg, Bayern, Berlin und Nordrhein-Westfalen die Schule ohne Abschluss verlassen und keine Chance
auf eine Lehrstelle haben. Dieses Problem wird dem
Bund von den Ländern sozusagen vor die Haustür gekippt.
({7})
Ich akzeptiere es, wenn die Länder nicht wollen, dass
der Bund für die Schulpolitik zuständig ist. Aber ich will
gemeinsam mit den Ländern darüber diskutieren können, welche Folgen sich aus ihrer misslingenden Schulpolitik für den Bund ergeben. Er muss nämlich Milliardenbeträge aufwenden, um die Folgen dieses Systems
bis in die Schulstrukturen hinein zu reparieren.
({8})
Da meine Redezeit gleich abgelaufen ist, möchte ich
folgende Schlussbemerkung machen: Unsere Fraktion
ist sich mit Peter Struck völlig einig: Über ein Kooperationsverbot muss diskutiert werden dürfen.
({9})
Liebe Frau Bundeskanzlerin, es macht keinen Sinn, im
Grundgesetz vorzuschreiben, dass im Hinblick auf die
Zukunftsthemen Bildung, Wissenschaft und Forschung
keine Kooperation staatlicher Ebenen möglich sein darf.
Das wäre Unfug. Meine Bitte an Sie ist, den Fraktionsvorsitzenden der SPD, die SPD-Fraktion, die vielen Vernünftigen in den Reihen der Union, der FDP, der Grünen
und teilweise sogar der Linken hier zu unterstützen.
Herzlichen Dank.
({10})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den
Einzelplan 04 in der Ausschussfassung. Hierzu liegen
zwei Änderungsanträge der Fraktion Die Linke vor, über
die wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 16/1862? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist
mit den Stimmen aller Fraktionen bei Zustimmung der
Fraktion Die Linke abgelehnt.
Wir kommen zum Änderungsantrag auf Drucksache 16/1892. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist mit
dem gleichen Stimmenverhältnis abgelehnt.
Wir stimmen jetzt über den Einzelplan 04 in der Ausschussfassung ab. Es ist namentliche Abstimmung beantragt worden.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind die Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Dann bitte ich, mit der Abstimmung zu beginnen.
Haben jetzt alle Mitglieder ihre Stimmkarte abgegeben? - Das scheint der Fall zu sein.
Ich schließe die Abstimmung und bitte, mit der Auszählung zu beginnen.
Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen
Abstimmung unterbreche ich die Sitzung.
({0})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Ich
bitte darum, wieder die Plätze einzunehmen.
Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Entwurf eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2006 - hier: Einzelplan 04, Geschäftsbereich
der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes - bekannt: Abgegebene Stimmen 580. Mit Ja haben gestimmt 425, mit Nein haben gestimmt 155, Enthaltungen
keine. Die Beschlussempfehlung und damit der Einzelplan 04 sind angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 580;
davon
ja: 425
nein: 155
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Albach
Peter Altmaier
Thomas Bareiß
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({0})
Dr. Christoph Bergner
Otto Bernhardt
Clemens Binninger
Carl-Eduard von Bismarck
Renate Blank
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen
({1})
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Georg Fahrenschon
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({2})
Dirk Fischer ({3})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Dr. Hans-Peter Friedrich
({4})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Michael Glos
Ralf Göbel
Dr. Reinhard Göhner
Josef Göppel
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Karl-Theodor Freiherr zu
Guttenberg
Olav Gutting
Holger Haibach
Ursula Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung ({5})
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({6})
Eckart von Klaeden
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Kristina Köhler ({7})
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Johann-Henrich
Krummacher
Dr. Hermann Kues
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
Patricia Lips
Stephan Mayer ({8})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Friedrich Merz
Laurenz Meyer ({9})
Maria Michalk
Hans Michelbach
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Carsten Müller
({10})
Stefan Müller ({11})
Bernward Müller ({12})
Dr. Gerd Müller
Hildegard Müller
Bernd Neumann ({13})
Henry Nitzsche
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Dr. Peter Paziorek
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({14})
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Albert Rupprecht ({15})
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({16})
Hermann-Josef Scharf
Hartmut Schauerte
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({17})
Andreas Schmidt ({18})
Ingo Schmitt ({19})
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Kurt Segner
Bernd Siebert
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Thomas Strobl ({20})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß ({21})
Gerald Weiß ({22})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Anette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer ({23})
Elisabeth WinkelmeierBecker
Matthias Wissmann
Dagmar Wöhrl
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
SPD
Dr. Lale Akgün
Gregor Amann
Gerd Andres
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr ({24})
Dr. Hans- Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({25})
Volker Blumentritt
Kurt Bodewig
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({26})
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Martin Dörmann
Dr. Carl-Christian Dressel
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Peter Friedrich
Sigmar Gabriel
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Renate Gradistanac
Angelika Graf ({27})
Dieter Grasedieck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann
({28})
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({29})
Iris Hoffmann ({30})
Frank Hofmann ({31})
Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Brunhilde Irber
Johannes Jung ({32})
Josip Juratovic
Ulrich Kasparick
Dr. h.c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Anette Kramme
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange ({33})
Dr. Karl Lauterbach
Waltraud Lehn
Helga Lopez
Gabriele Lösekrug-Möller
Dirk Manzewski
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Petra Merkel ({34})
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller ({35})
Michael Müller ({36})
Gesine Multhaupt
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Christoph Pries
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Mechthild Rawert
Steffen Reiche ({37})
Maik Reichel
Dr. Carola Reimann
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
Sönke Rix
Rene Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({38})
Michael Roth ({39})
Ortwin Runde
Marlene Rupprecht
({40})
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({41})
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Marianne Schieder
Ulla Schmidt ({42})
Silvia Schmidt ({43})
Renate Schmidt ({44})
Dr. Frank Schmidt
Heinz Schmitt ({45})
Carsten Schneider ({46})
Ottmar Schreiner
Reinhard Schultz
({47})
Swen Schulz ({48})
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Andreas Steppuhn
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Joachim Stünker
Dr. Rainer Tabillion
Jella Teuchner
Dr. h.c. Wolfgang Thierse
Jörn Thießen
Franz Thönnes
Hans-Jürgen Uhl
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Petra Weis
Gunter Weißgerber
({49})
Dr. Rainer Wend
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Dr. Dieter Wiefelspütz
Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Waltraud Wollf
({50})
Heidi Wright
Uta Zapf
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
Nein
SPD
Ulla Burchardt
FDP
Jens Ackermann
Christian Ahrendt
Daniel Bahr ({51})
Uwe Barth
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich ({52})
Dr. Edmund Peter Geisen
Hans-Michael Goldmann
Miriam Gruß
Joachim Günther ({53})
Dr. Christel Happach-Kasan
Birgit Homburger
Michael Kauch
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Heinz Lanfermann
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Markus Löning
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
({54})
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Jörg Rohde
Frank Schäffler
Marina Schuster
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Florian Toncar
Christoph Waitz
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({55})
Martin Zeil
DIE LINKE
Hüseyin-Kenan Aydin
Karin Binder
Heidrun Bluhm
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Sevim Dagdelen
Dr. Diether Dehm
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Diana Golze
Heike Hänsel
Lutz Heilmann
Hans-Kurt Hill
Inge Höger-Neuling
Dr. Barbara Höll
Dr. Hakki Keskin
Katja Kipping
Jan Korte
Oskar Lafontaine
Ulla Lötzer
Ulrich Maurer
Dorothee Menzner
Kornelia Möller
Kersten Naumann
Wolfgang Neskovic
Dr. Norman Paech
Petra Pau
Bodo Ramelow
Elke Reinke
Paul Schäfer ({56})
Volker Schneider
({57})
Dr. Herbert Schui
Dr. Ilja Seifert
Dr. Petra Sitte
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann
BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({58})
Volker Beck ({59})
Cornelia Behm
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Dr. Ursula Eid
Hans Josef Fell
Kai Gehring
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Winfried Hermann
Peter Hettlich
Priska Hinz ({60})
Ulrike Höfken
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Thilo Hoppe
Ute Koczy
Sylvia Kotting-Uhl
Renate Künast
Undine Kurth ({61})
Markus Kurth
Monika Lazar
Dr. Reinhard Loske
Anna Lührmann
Jerzy Montag
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Kerstin Müller ({62})
Brigitte Pothmer
Claudia Roth ({63})
Krista Sager
Elisabeth Scharfenberg
Irmingard Schewe-Gerigk
Dr. Gerhard Schick
Silke Stokar von Neuforn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Jürgen Trittin
Josef Philip Winkler
Margareta Wolf ({64})
fraktionslos
Gert Winkelmeier
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.7 auf:
Einzelplan 05
Auswärtiges Amt
- Drucksachen 16/1305, 16/1324 Berichterstattung:
Abgeordnete Jürgen Koppelin
Lothar Mark
Alexander Bonde
Zum Einzelplan 05 liegt ein Änderungsantrag der
Fraktion der Linken vor.
Außerdem rufe ich den Zusatzpunkt 2 auf:
Beratung des Antrags der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Neubesetzung des Amtes des Koordinators für
die deutsch-russische zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit
- Drucksache 16/1885 Über diesen Antrag werden wir später abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin das Wort der Kollegin Birgit Homburger von der
FDP-Fraktion.
({65})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
„Die Welt zu Gast bei Freunden“ - das erleben derzeit
Hunderttausende Besucher aus aller Herren Länder überall in Deutschland. Ausländische Gesprächspartner sind
voll des Lobes und manche internationalen Zeitungen
geradezu überrascht: Das hatte man uns Deutschen nicht
zugetraut.
({0})
In der Debatte heute Morgen war schon von der Gastfreundlichkeit und Weltoffenheit, die von den Menschen
in diesem Land gezeigt wird, die Rede. Ich möchte den
Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes und insbesondere den Fußballfans ein Kompliment machen; denn sie
machen mit ihrer Begeisterung und Gastfreundschaft
eine tolle Imagekampagne für dieses Land. Sie sind zwar
keine klassischen Diplomaten, aber sie machen eine tolle
Außenpolitik für dieses Land. Ich will hinzufügen: Mit
dem, was sie damit leisten, toppen sie auch die Bundesregierung.
({1})
Die FDP hat die Außenpolitik der Bundeskanzlerin
und der Bundesregierung in den letzten Wochen oft genug gelobt, Frau Kollegin. Wir bleiben dabei: Es war gut
und richtig, dass Frau Merkel Neujustierungen vorgenommen hat. Die deutsche Außenpolitik musste nach
sieben Jahren Rot-Grün dringend wieder auf Kurs gebracht werden. Wir sind froh, dass erste Ansätze sichtbar
werden.
({2})
Ein Beispiel ist die Russlandpolitik. Herr Schröder
war aus lauter Freundschaft zu Präsident Putin vollkommen unkritisch geworden. Seine Betriebsblindheit gegenüber Russland hat ihn inzwischen sogar dazu gebracht, ganz unmittelbar in einen Betrieb des Kreml
einzusteigen.
({3})
Ich finde, dieses Vorgehen ist schlicht schamlos.
({4})
Frau Merkel dagegen hat bei ihrem Moskaubesuch
gezeigt, Herr Kollege Tauss, dass man ein gutes Arbeitsverhältnis mit dem russischen Präsidenten durchaus mit
direkter und indirekter Kritik am leider rückläufigen
Transformationsprozess in Russland verbinden kann.
Das Zusammentreffen mit Vertretern der russischen Zivilgesellschaft war geschickt und wirkt in Russland bis
heute nach. Es ist ein ermutigendes und positives Zeichen; denn diese Zivilgesellschaft ist Russlands Zukunft.
Jetzt bleibt nur zu hoffen, dass dies nicht nur der erste
Elan war, sondern dass es in der Substanz bei dieser
Politik bleibt. Dazu fordert die FDP Sie auf.
({5})
Beim G-8-Gipfel in Sankt Petersburg gibt es die Gelegenheit dazu. Dieser Gipfel darf nicht einfach zu einer
Jubelarie für den russischen Präsidenten werden. Dafür
ist die Entwicklung in Russland einfach zu besorgniserregend. Freedom House hat Russland gerade zum zweiten Mal in die Gruppe der unfreien Staaten eingruppiert,
und zwar auf derselben Stufe wie Simbabwe. Die G 7
- das möchte ich an dieser Stelle hervorheben - sind sei3586
nerzeit als Zusammenschluss der industrialisierten Demokratien gegründet worden. Genau deshalb ist es so
wichtig, den G-8-Gipfel in Russland auch dazu zu nutzen, gemeinsam mit den Partnern gegenüber dem russischen Präsidenten und auch der russischen Zivilgesellschaft deutlich zu machen, dass wir mit Sorge sehen,
dass Russland den Weg der Demokratie und Rechtstaatlichkeit verlassen hat.
({6})
Ich finde, wir sollten Russland nicht nur auffordern,
sondern anlässlich des G-8-Gipfels von Russland auch
deutlich einfordern, Herr Bundesaußenminister, auf den
Weg zur Transformation zurückzukehren. Das ist vor allen Dingen auch deshalb so entscheidend, weil die kleinen und mittleren Länder in der EU auf Deutschland
schauen. Eine klare Haltung Deutschlands ist entscheidend für die Haltung Europas.
Hinzu kommt, dass Deutschland zum 1. Januar nächsten Jahres die Präsidentschaft in der EU übernimmt. Das
heißt, die Blicke sind schon heute besonders auf die
Bundeskanzlerin gerichtet. Es gibt hohe Erwartungen an
Deutschland. Deshalb fordern wir, dass Deutschland in
enger Abstimmung mit Finnland eine konsistente, an demokratischen Grundsätzen und Menschenrechten orientierte Russlandpolitik betreibt.
({7})
Frau Merkel ist auch in den USA sehr positiv aufgenommen worden, und zwar trotz ihrer Kritik an Guantanamo. Das zeigt vor allem eines: Amerika ist und bleibt
eine offene Gesellschaft. Die Amerikaner wissen sehr
genau, dass man einzelne Aspekte der Politik ihres Präsidenten kritisieren kann. Sie tun das selbst zur Genüge.
Aber man sollte das in Deutschland nicht innenpolitisch
instrumentalisieren und die transatlantische Freundschaft nicht riskieren. Deshalb ist es so wichtig, dass die
transatlantischen Beziehungen wieder in Ordnung gebracht werden. Wir als FDP sind froh, dass wir hierbei
auf einem guten Weg sind.
({8})
Wir hoffen, Herr Bundesaußenminister, dass Sie diese
Linie übernehmen. In den ersten Monaten waren Sie ja
vor allem mit dem Versuch beschäftigt, das Erbe Schröders
zu retten, während Frau Merkel Außenpolitik gemacht
hat. Wir fordern die Übernahme der Politik, die Frau
Merkel eingeleitet hat, und damit nicht mehr und nicht
weniger als die Rückkehr zu einer werteorientierten Außenpolitik, die unter Rot-Grün völlig vernachlässigt
wurde.
({9})
Die FDP unterstützt nicht nur diesen Kurswechsel,
sondern auch die Politik der Bundesregierung in den aktuellen Brennpunkten der Außenpolitik, beispielsweise
der Irankrise.
({10})
In der Irankrise gibt es keine Alternative zu Verhandlungen. Wir sind der Meinung, dass sich eine militärische Option nicht stellt. Anreize müssen glaubwürdig
mit Druckmitteln verknüpft werden. Das ist jetzt geschehen. Der Iran muss reagieren. Wenn der iranische Präsident das Angebot einfach ausschlägt, dann brüskiert er
nicht nur die internationale Staatengemeinschaft. Er
stößt dann auch die durchaus offen und modern denkende iranische Mittelschicht vor den Kopf. Denn sie
will das Land nicht auf Dauer in völliger Isolation sehen.
Deswegen sollte diese Politik fortgesetzt werden.
Im Nahen Osten spitzt sich die Entwicklung leider
immer weiter zu. Trotzdem bleiben auch wir Liberalen
dabei, dass mit der Hamas erst dann kooperiert werden
kann, wenn diese dem Terror abschwört, Israel anerkennt und sich zu internationalen Abkommen bekennt.
Wenn das auf glaubwürdige Weise geschieht, dann sollten wir die israelische Regierung auffordern, zum Verhandlungsweg und zur Road Map zurückzukehren.
({11})
Wir machen uns große Sorgen um die Situation und
die Entwicklung in Afghanistan. Es zeigt sich leider,
dass auch Jahre des intensiven internationalen Engagements das Land noch nicht so weit vorangebracht haben,
wie wir uns das erhoffen. Es gibt sicherlich keinen Königsweg für Afghanistan, aber es muss allmählich Licht
am Ende des Tunnels auftauchen,
({12})
weil sich ein militärisches Engagement im derzeitigen
Umfang sicherlich nicht über Jahrzehnte aufrechterhalten lässt. So wichtig und richtig die Durchführung freier
Wahlen war, so notwendig ist auch die Unterstützung
von Präsident Karzai. Wir müssen uns aber über eines im
Klaren sein: Afghanistan ist nicht nur Kabul und Karzai
ist nicht Afghanistan. Wir brauchen neben der militärischen Konzeption mit den PRTs dringend ein politisches
Konzept, das diesem Land auch eine wirtschaftliche Perspektive eröffnet; denn die UNO hat im Jahr 2005 festgestellt, dass die Hälfte des afghanischen Bruttoinlandsprodukts im Drogenhandel erwirtschaftet wird. Es
bedarf also eines politischen Konzeptes und hier sind
Sie, Herr Bundesaußenminister, aus unserer Sicht in besonderem Maße gefordert.
({13})
Abschließend möchte ich noch etwas zum Kongoeinsatz sagen, über den wir hier ja bereits diskutiert haben:
Es ist ein außenpolitischer Fehler - der erste der Bundeskanzlerin und dieser Bundesregierung -, Soldaten in
eine solche unsichere Mission zu schicken. Wir Liberale
appellieren an die Bundesregierung sowie an die Kollegen von der Koalition, künftig Auslandseinsätze der
Bundeswehr nur als letztes Mittel zu beschließen. Wir
fordern eine überzeugende, multilateral abgestimmte
und zeitlich absehbare Rahmenkonzeption. Wir wollen
vor allen Dingen ein politisches Gesamtkonzept für die
Stabilisierung eines Landes nach einem Einsatz. Ein solches Konzept beinhaltet auch das nun vorgelegte WeißBirgit Homburger
buch nicht. Das sollte Sie, Herr Bundesaußenminister
Steinmeier, ganz besonders interessieren; denn schließlich ist dieses Dokument dann eine außenpolitische
Grundlage. Wir hoffen, dass Sie sich einschalten und auf
eine intensive Überarbeitung dieses Weißbuchs drängen.
In der jetzigen Fassung findet das Weißbuch jedenfalls
nicht unsere Zustimmung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition,
wer Bundeswehreinsätze zunehmend als Politikersatz in
der Außenpolitik missbraucht, versündigt sich nicht nur
an unseren Soldaten und deren Angehörigen, sondern
beschädigt auch massiv das Ansehen unseres Landes.
Hier besteht Handlungsbedarf. Wir erwarten, dass Sie
darüber öffentlich und im Parlament diskutieren.
Vielen Dank.
({14})
Das Wort hat jetzt der Kollege Lothar Mark von der
SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Ich möchte darauf aufmerksam machen, dass die FDP mit dieser Rede die Beratungen über
den Haushalt des Auswärtigen Amtes eröffnet hat.
Trotzdem möchte ich kurz auf ein paar Punkte eingehen.
Es wurde gesagt, dass das Auswärtige Amt auf Kurs gebracht werden müsse. Das bedeutet, dass die Friedenspolitik, die wir die ganze Zeit betrieben haben, seitens
der FDP infrage gestellt wird. Oder wie ist das zu interpretieren? Genauso verhält es sich, wenn gesagt wird,
eine werteorientierte Außenpolitik sei vernachlässigt
worden. Ich weise das ganz entschieden zurück;
({0})
denn das ist eine Unterstellung, die weder die alte Bundesregierung noch die neue Bundesregierung verdient
haben.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Deutschlands
Verantwortung in der internationalen Politik ist in den
vergangenen Jahren kontinuierlich gewachsen. Erst
kürzlich wurde Deutschland mit der höchsten Stimmenzahl in den neuen UN-Menschenrechtsrat gewählt,
was als Zeichen der Anerkennung für eine berechenbare
und ausgewogene Linie Deutschlands in der internationalen Menschenrechtspolitik zu verstehen ist, Frau
Homburger.
({2})
Im ersten Halbjahr 2007 werden wir - wie bereits erwähnt - die EU-Präsidentschaft sowie ganzjährig den
Vorsitz der G 8 mit Ausrichtung des G-8-Gipfels übernehmen, was neue Herausforderungen an uns alle stellen
wird. Vor dem Hintergrund, dass der islamistische Terror
in den letzten Jahren Europa erreicht hat, dass nach wie
vor humanitäre Hilfe in bekannten und neuen Krisenregionen zu leisten ist und dass bei der Sicherung des Friedens bzw. beim zivilen Aufbau in Afghanistan, im Kosovo, im Irak und in Darfur sowie nun bei der Sicherung
der Wahlen im Kongo unsere Unterstützung gefragt ist,
sind die Erwartungen an die Bundesregierung und das
Auswärtige Amt - auch in konzeptioneller Hinsicht gewachsen.
Der Haushalt des Auswärtigen Amtes hat im Jahr
2006 ein Gesamtvolumen von circa 2,3 Milliarden Euro.
Damit beträgt der Anteil der Ausgaben für die Außenpolitik am Gesamthaushalt lediglich 0,88 Prozent. Im
Vergleich zu 2005 steigt der Haushalt des AA realiter
zwar um 87 Millionen Euro; davon sind aber allein
73 Millionen Euro auf Wechselkursanpassungen bei den
UN-Pflichtbeiträgen zurückzuführen.
Seit langem trete ich dafür ein, dass die Konzernkosten - so nenne ich das - wie die UN-Pflichtbeiträge von
den flexiblen Ausgaben getrennt und herausgerechnet
werden, da heute bei Kürzungen die flexiblen Titel überproportional belastet werden.
({3})
Dies ist allerdings nur dann umsetzbar, wenn im Bundeshaushalt generell so verfahren wird. Die Berichterstatter
- darunter Herr Koppelin - haben dies bereits im Auswärtigen Ausschuss thematisiert.
Die große Koalition hat zahlreiche Maßnahmen eingeleitet, um Binnenkonjunktur und Außenwirtschaft anzukurbeln. Ich appelliere deshalb an Sie, mit uns dafür
zu sorgen, dass der Haushalt des AA in den nächsten
Jahren wieder einen echten Aufwuchs erfährt,
({4})
wie der Auswärtige Ausschuss mit seinem Beschluss
vom 5. April 2006 für das Haushaltsjahr 2007 bereits angemahnt hatte.
Der Ansatz für humanitäre Hilfe konnte in den diesjährigen Haushaltsberatungen erstmals substanziell, auf
50 Millionen Euro, angehoben werden und in der
Finanzplanung verstetigt werden. Ich glaube, dass dies
ein großer Erfolg ist.
Mit meinem Berichterstatterkollegen Herbert
Frankenhauser habe ich dafür gesorgt, dass der Ansatz
beim Titel „Demokratisierungs- und Ausstattungshilfe,
Minenbeseitigungsprogramme, Unterstützung von Maßnahmen zur Förderung der Menschenrechte“ gegenüber
dem Regierungsentwurf eine Erhöhung um 504 000 Euro
auf fast 19 Millionen Euro erfährt.
({5})
Die zusätzlichen Mittel sollen zur Verstärkung der laufenden Minenbeseitigungsprogramme dienen.
Allerdings muss hier auch angemerkt werden, dass
das Ottawa-Abkommen, mit dem Antipersonenminen
geächtet werden, intensiver verfolgt werden muss und
dass nicht weiter Antipersonenminen produziert, ver3588
kauft und zum Schluss verlegt werden dürfen. Produktion und Vertrieb sind grundsätzlich einzustellen und zu
ächten.
({6})
Wir sollten die Länder, die in der Vergangenheit solche
Minen produziert und vertrieben haben, verstärkt heranziehen, wenn es um die Beseitigung dieser Minen geht.
Zum Thema Ausstattungshilfe gestatten Sie mir ein
paar Sätze. Wir hatten die Gelegenheit, die Ausstattungshilfe in Tansania zu besichtigen. Da ist uns klar geworden, welch segensreiche Arbeit geleistet wird. Mit
dieser Ausstattungshilfe werden zum Beispiel Krankenhäuser finanziert, wird das Gesundheitswesen in Tansania aufgebaut, allerdings unter Oberaufsicht der dortigen
Armee. Aber wenn man um die Strukturen in diesen
Ländern weiß, wird man sehr schnell erkennen, dass es
leider keinen anderen Akteur gibt, der in der Lage ist, sicherzustellen, dass dies auf Dauer funktioniert.
Wichtig scheint mir noch zu sein, den Stabilitätspakt
Afghanistan und den Stabilitätspakt Südosteuropa zu erwähnen. Diese beiden Pakte sind mit 30 Millionen Euro
ausgestattet, derzeit beim BMZ etatisiert. Sie laufen in
diesem Jahr aus. Ich bitte darum - und das habe ich dem
Bundesfinanzminister bereits mitgeteilt -, dass diese
Mittel auch in Zukunft bereitgestellt und beim AA etatisiert werden, weil hier auch die politische Fachverantwortung liegt. Ich bitte darum, dass im Sinne von Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit so verfahren wird.
({7})
Ich möchte einige Anmerkungen zur internationalen
Politik insgesamt machen, bevor ich auf die auswärtige
Kulturpolitik eingehe. Ich habe mit sehr großer Freude
zur Kenntnis genommen, dass unser Außenminister
Dr. Steinmeier auch eine Weichenstellung in Richtung
Lateinamerika vorgenommen hat. Er hat dies mit einer
Auslandsreise wenige Monate nach seinem Amtsantritt
dokumentiert. Ich denke, hiermit wird signalisiert, dass
wir diesen Bereich stärker beobachten müssen. In
Lateinamerika gehen fundamentale Änderungen vor
sich, die wir verfolgen müssen, wenn wir die Märkte
dort nicht verlieren wollen.
Der Mercosur spielt in Zukunft eine große Rolle. Deshalb bitte ich, auch die Kontakte in Richtung Venezuela
zu überprüfen. Ich habe bei meinem Besuch festgestellt,
dass Italien, Spanien und Frankreich sehr intensive
Wirtschaftskontakte und auch Regierungskontakte mit
Venezuela pflegen und dort sehr stark ins Geschäft kommen.
({8})
Ich denke, dass wir darüber verstärkt nachdenken müssen.
Ich möchte einige kleine Hinweise geben, die vielleicht Beachtung finden können: Es stellt sich die Frage,
wieso ein Militärattaché in Lima, aber nicht in Caracas
ist und wieso aus dem prosperierenden Land Panama der
Wirtschaftsattaché abgezogen wurde. Auch darüber
sollte man neu nachdenken.
Zum Thema Kuba werde ich nichts sagen, weil wir
demnächst eine Kubadebatte haben werden.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, da in den
letzten Wochen eine breite Diskussion zur auswärtigen
Kultur- und Bildungspolitik insbesondere im Zusammenhang mit dem Goethe-Institut in den Medien, aber
auch in den Ausschüssen stattgefunden hat, will ich darauf eingehen. Zunächst einmal bekunde ich mit Dankbarkeit und Freude, dass wir im Auswärtigen Ausschuss
einen Unterausschuss für auswärtige Kultur- und Bildungspolitik geschaffen haben.
({9})
Auch hier wird daran gearbeitet, eine Trendwende in der
Förderung der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik
einzuleiten.
Nach den parlamentarischen Beratungen kann das
Kapitel „Pflege kultureller Beziehungen zum Ausland“
mit einem Volumen von 548 Millionen Euro im laufenden Jahr einen leichten Zuwachs gegenüber 2005 verzeichnen.
Die Haushaltslage des Goethe-Instituts gibt Anlass
zur Sorge. Die Geschäftsführung ist deshalb gebeten, bis
spätestens Herbst 2006 ein Sanierungskonzept zu erarbeiten, bei dem es nicht nur darum gehen kann, bewährte Einrichtungen im alten Europa zu schließen, wie
vielfach in den Medien berichtet wurde. Effizienzsteigerung durch Bündelung der Kräfte, Vernetzung und gemeinsame Unterbringung mehrerer Mittlerorganisationen vor Ort sind hier genauso gefragt wie Kooperationen
mit dem Institut Français, dem Instituto Cervantes und
dem British Council. Ich begrüße außerordentlich, dass
in diesem Jahr in Abu Dhabi ein Goethe-Institut eingerichtet wurde, das sich mit dem Deutschen Akademischen Austauschdienst und der GTZ die Räumlichkeiten
teilt, um damit gegenseitig Synergieeffekte zu nutzen.
Die Emirate sind inzwischen Deutschlands größter Handelspartner in der Region. Die Nachfrage nach deutscher
Sprache kann kaum befriedigt werden.
Im Zuge der parlamentarischen Beratungen wurde
beim Goethe-Institut eine Umschichtung von Programmmitteln zur institutionellen Förderung vorgenommen, damit die Zentrale die Deckungslücke von rund
7 Millionen Euro in diesem Jahr schließen kann; prinzipiell sollen aber die Projektmittel verstärkt werden.
Wir hatten für diesen Haushalt bereits das Pilotprojekt
Italien des Goethe-Instituts beschlossen, das die gesamte
Budgetierung für Goethe in Italien beinhaltet. Ich begrüße, dass mit dem neuen Haushalt die Erprobungsphase auf die Regionen Nordamerika, Osteuropa und
Zentralasien ausgedehnt werden soll. Ich bin der festen
Überzeugung, dass die neuen Steuerungsinstrumente
- Budgetierung und die damit verbundene strategische
Zielvereinbarung - dazu beitragen werden, eine effizientere Steuerung und größeres Kostenbewusstsein zu ermöglichen. Durch sie werden die Eigenverantwortung
der Mittler gestärkt sowie eine bessere Überschaubarkeit
und Kontrolle der Ausgaben sichergestellt.
({10})
Ich bin allerdings auch der Meinung, dass wir diese
Budgetierung auf das Goethe-Institut weltweit ausdehnen müssen und dass wir weitere Mittlerorganisationen
budgetieren sollten,
({11})
weil damit ein Weg gezeigt würde, wie man effizient mit
Steuermitteln des Bundes umgehen kann.
({12})
Die Mittel für den Deutschen Akademischen Austauschdienst wurden auf 119,7 Millionen Euro, die für
die Alexander-von-Humboldt-Stiftung auf 34 Millionen
und die für das Deutsche Archäologische Institut auf fast
25 Millionen Euro aufgestockt.
({13})
In diesem Zusammenhang will ich darauf hinweisen,
dass diese Institutionen dazu beitragen, den Ruf der
Bundesrepublik international zu stärken, und dass gerade in diesen Sektoren Zukunftsentwicklungen möglich
sind.
({14})
Ich möchte den Europäisch-Islamischen Kulturdialog
erwähnen. Er wird in den nächsten Jahren immer mehr
an Bedeutung gewinnen. Es ist uns gelungen, die Mittel
hierfür auf immerhin 6 Millionen Euro anzuhäufen.
({15})
Dass hier weiterer Bedarf besteht, steht außer Frage.
Das Thema Auslandsschulen kann ich nur kurz streifen. Auch hier ist es unabdingbar, dass ein neues umfassendes Konzept entwickelt wird, das uns nach Möglichkeit noch in diesem Jahr vorgelegt wird. Dass die
Auslandsschulen eine sehr große Bedeutung haben, zeigt
sich am Beispiel Mexiko, wo annähernd 100 Absolventen der deutschen Schule in einheimischen Spitzenfunktionen arbeiten, einschließlich zweier Minister. Es ist
darauf hinzuweisen, dass diese Absolventen natürlich
eine große Affinität zu Deutschland - auch im ökonomischen Sinne - entwickeln.
Meine Redezeit läuft mir davon. Ich möchte nur noch
darauf hinweisen, dass Kultur- und Bildungsmittel Investitionen in die Zukunft sind, die der Konfliktprävention auch im Inland dienen.
({16})
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss. Sie haben Ihre Zeit weit überzogen.
In diesem Zusammenhang denke ich auch an die politischen Stiftungen und deren Engagement im Ausland.
Abschließend einen herzlichen Dank an den Haushaltsauschuss und den Auswärtigen Ausschuss und an
die Mitberichterstatterkollegen und den Hauptberichterstatter Jürgen Koppelin sowie an die Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes, die uns in vorbildlicher Weise Rede und Antwort standen.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Monika Knoche von
der Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Guantanamo muss geschlossen werden. Diesen
Satz sollte die Bundeskanzlerin ihrem baldigen Gast,
Herrn Präsidenten Bush, in aller Deutlichkeit sagen.
({0})
Wer politischen Gefangenen grundlegende Rechte
vorenthält, sie körperlicher und psychischer Gewalt aussetzt und sie in Suizide treibt - das ist noch zu untersuchen -, darf nicht erwarten, dass die Frau an der Spitze
Deutschlands darüber hinweglächelt. Frau Merkel hat
als Repräsentantin eines demokratischen Rechtsstaates
die Pflicht, deutlich zu fordern, dass dieses Lager geschlossen wird.
Der Präsident der USA führt den Krieg gegen Terror
mit all seinen Unerträglichkeiten, zum Beispiel mit besonderen Verhörmethoden in Abu Ghureib, politisch katastrophalen Auswirkungen im Irak, neuen Bombardements, geheimen Gefängnissen und all dem, womit der
Untersuchungsausschuss sich zu beschäftigen hat. Guantanamo ist ein Schandfleck für das Völker- und das Menschenrecht.
({1})
Nicht nur die Fraktion Die Linke, die aus tiefer Überzeugung gegen den Krieg gegen Terror ist, sieht das so
und vertritt diese Einstellung. Ich denke, wir Abgeordneten sollten es dem Europaparlament gleichtun und eine
gemeinsame Erklärung abgeben. Diese Realität belastet
in nicht unbeträchtlicher Weise die deutsch-amerikanischen Beziehungen.
Mit Kontinuität sind die transatlantischen Beziehungen unter der großen Koalition meines Erachtens
nicht treffend beschrieben. Die Zeit nach dem Kalten
Krieg währt schon 16 Jahre. Durch die Macht des Faktischen hat sich mehr neu definiert, als die Politik je diskutiert hat. Die Mehrheit der Bevölkerung lehnt die
neuen Kriege des 21. Jahrhunderts ab, auch wenn sie im
Namen der Terrorbekämpfung geführt werden.
Die große Koalition aber löst sich in dieser Frage
nicht aus der unguten Überloyalität zu den USA. Im Gegenteil: Sie versucht, mit einer Militarisierung der EU
neben der NATO einen eigenen militärischen Arm zu bewegen.
All das geschieht in völkerrechtlich nicht gesicherter
oder in verfassungsrechtlich zweifelhafter Weise. Eine
weltweit einsetzbare Interventionsarmee soll nach
60 Jahren die Verteidigungsarmee ablösen. Das deutsche
Selbstverständnis soll sich ändern. Man ändert lieber die
Verfassung, als dass man die Politik zivilisiert. Zivilisierend wäre es, alle Anstrengungen zu unternehmen, sich
aus der Abhängigkeit von Öl und Gas zu emanzipieren.
Nicht alle Konflikte dieser Welt lassen sich auf dieses
Schema zurückführen. Der Konflikt Israel/Palästina
beispielsweise steht in einem anderen historischen und
aktuellen Kontext. Aber auch da schlägt sich Deutschland nur auf die Seite Israels und der USA.
Im Iran geriert sich Deutschland als diplomatische
Vortruppe der US-genehmen Positionen. Der Iran hat
sich keiner Verletzung des Atomwaffensperrvertrags
schuldig gemacht, aber er droht in unannehmbarer Weise
Israel. Und dennoch: Wir Linke setzen auf eine diplomatische Lösung und eine Friedenskonferenz als Bühne dafür.
({2})
Etwas näher gerückt ist erfreulicherweise eine friedliche
Beilegung des Konflikts. Bemerkenswert bleibt aus meiner Sicht: Deutschland scheint über kein eigenes diplomatisches Besteck zu verfügen. Es ist eine Außenpolitik,
die sich in dem Kreis der G 8 und einer neuen Militärmacht Europa einfindet.
Es mag im Einzelnen nach nicht zusammenhängenden Außenaktivitäten aussehen, wenn überallhin Soldaten entsandt werden. Trotzdem ergibt sich ein stimmiges
Bild. Deutschland will den Kampf um die Ressourcen
mal mit der NATO, mal mit der EU gewinnen. Das ist
eine Ausrichtung, die wir Linke nicht akzeptieren.
({3})
Mitte Juli treffen sich in Sankt Petersburg die Regierungschefs der G-8-Staaten. Sie treffen, wie immer,
Verabredungen von globaler Tragweite. Ein repräsentatives Gremium für solche weitreichenden Entscheidungen
sind sie aber keinesfalls.
({4})
Sie haben nicht das Mandat der Welt, um maßgeblichen
Einfluss auf diese zu nehmen. Nur ein Siebtel der Weltbevölkerung lebt in diesen reichen G-8-Staaten und doch
wird die Geschäftspolitik des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank von ihnen allein bestimmt.
({5})
Mittlerweile eignet sich die G 8 immer mehr Themen
an, die bei der UNO besser aufgehoben wären, zum Beispiel das Thema HIV/Aids. Der UN-Aids-Gipfel vor
drei Wochen in New York ergab unter anderem, dass
Aids/HIV, gerade was Spritzdrogengebrauch und Prostitution angeht, so eng mit der afghanischen Drogenmafia
verbunden ist, dass es ohne eine weltweit neue Ausrichtung der Drogenpolitik nicht zu einer Beherrschung der
Infektion kommen kann. Es gibt aber keine Anzeichen
- ich war gerade in Russland -, dass die Mächte der G 8
vom unsinnigen und gescheiterten „Krieg gegen Drogen“ ablassen und sich einer aufgeklärten Politik zuwenden. Oder glaubt jemand, Präsident Putin wird nach Petersburg die Erkenntnis haben, mit Methadon und
Heroinsubstitution für sich prostituierende Mädchen
oder Gefängnisinsassen den Kampf gegen Aids aufzunehmen? - Das ist ein Randthema der G 8; ich weiß.
Aber es ist aufgerufen worden.
Die große Aufgabenstellung lautet: globale Energiesicherheit. Im Klartext: Es wird dabei mehr Kriegsgefahr beim Kampf um die knapper werdenden Ressourcen
und eine Renaissance der Atomindustrie herauskommen.
Das halten wir für eine fatale Fehlentwicklung.
({6})
Umso mehr muss begriffen werden, dass die UNO
aufgewertet werden muss, wie es auch der UN-Generalsekretär in dieser Woche in der „Frankfurter Rundschau“
sagte, als er davon sprach, dass die Reichen einen erdrückenden Einfluss auf die Vereinten Nationen ausüben.
Viele sagen zur EU-Politik: Nach dem Brüsseler
Gipfel ist die Zukunft ungewiss; die EU ist zerrissen.
Das kommt davon - so will ich etwas flapsig sagen -,
wenn man sich das Gigaprojekt „supranationale Verfasstheit“ in den Kopf setzt und glaubt, via einen Konvent über die Meinung der Bevölkerung der Mitgliedstaaten hinweggehen zu können. Ich halte die Prognosen
hinsichtlich einer Zerrissenheit für übertrieben. Das Projekt „Verfassung“ ist geplatzt. Mehr ist nicht passiert.
({7})
Die Verträge bestehen weiter. Es kann auch ohne Verfassung eine Reform für ein soziales, friedliches Europa geben.
({8})
Eine Reform jedoch hat die EU offenbar vollkommen
verpasst; das ist die, die in einigen Ländern Lateinamerikas stattgefunden hat. Deshalb begrüße ich, was Sie,
Herr Mark, in Ihrer Haushaltsrede dazu gesagt haben.
Hätte die Regierung unseren Antrag zum Wiener Gipfel gelesen, wäre sie nicht erstaunt gewesen, dass es
nicht dazu gekommen ist, eine Freihandelszone auf ganz
Lateinamerika auszuweiten.
({9})
Insofern ist es eine gute Nachricht, wenn dort im
Schlussdokument die Souveränität und die politische
Unabhängigkeit der Staaten Lateinamerikas hervorgehoben werden. Wir hoffen doch sehr, dass sich auch die
USA diese Erklärung zu Gemüte führen. Das ist eine
gute Nachricht.
Keine gute Nachricht - damit komme ich zum
Schluss - kommt derzeit aus Afghanistan. Hier will die
NATO ihr Konzept ausweiten, ja sogar ISAF und Enduring Freedom faktisch zusammenlegen. Am Ende bekäme die Bundeswehr noch einen Kampfauftrag. Das
wollen wir auf keinen Fall.
({10})
Deutsche Soldaten sollen nicht Konfliktpartei werden. Was wir stattdessen brauchen, ist eine Exitstrategie.
Die Truppenstellenden müssen folgende Fragen beantworten: Erstens. Was sind die eigentlichen Kriegsziele?
Zweitens. Wann sind diese Kriegsziele erreicht? Drittens. Die Taliban sind erstarkt, es blüht der Mohnanbau,
es herrscht der Drogenhandel - was jetzt? Wir sagen, Afghanistan ist so nicht zu schaffen - nicht mit Waffen.
({11})
Die wichtige und richtige Antwort findet man in einer
radikalen Energiewende und dem Ende des Krieges um
Öl. Das befriedet die Transit- und Exportstaaten, minimiert das Risiko atomarer Bewaffnung und schließt eine
radikale Abwehr vom Krieg gegen Drogen ein.
Ich danke Ihnen.
({12})
Das Wort hat jetzt der Kollege Eckart von Klaeden
von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
stehen in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten vor
wichtigen Herausforderungen und Entscheidungen in
der Außen- und Sicherheitspolitik. Ich nenne beispielhaft Iran, Afghanistan und Kongo. Bei all diesen Herausforderungen stellt sich die Frage, wie wir gemeinsam mit
unseren Partnern und Verbündeten auch in Zukunft in
der Lage sein werden, die globale Ordnung zu gestalten.
Das gilt zunächst einmal für den Iran. Dort geht es
um die Durchsetzung der Aufrechterhaltung unserer
Prinzipien, nämlich um die Achtung des Völkerrechts
und globaler Institutionen, um die Fortführung der Abrüstung und Unterbindung der Proliferation sowie um
die Anerkennung des Existenzrechts Israels. Es geht deshalb auch nicht, Frau Kollegin Knoche, um einen Konflikt zwischen dem Iran und den USA, sondern um einen
Konflikt des Iran mit der internationalen Rechtsgemeinschaft.
({0})
Es ist nicht zuletzt ein besonderer Erfolg der Bundesregierung - Frau Knoche, auch hier hätten Sie sich ein
anderes Feld für Ihre Kritik an der Bundesregierung aussuchen müssen; Sie müssten allerdings selbst herausfinden, welches -,
({1})
dass dem Iran ein neues Verhandlungsangebot unterbreitet worden ist. Wir müssen bei dieser Frage geschlossen
und auch entschlossen vorgehen. Geschlossenheit bezieht sich auf den Weg und Entschlossenheit auf das
Ziel.
Der Iran darf auf keinen Fall Nuklearmacht werden.
Das ist die Forderung des Völkerrechts. Völkerrecht ist
eine Sollensordnung mit dem Anspruch auf internationale Durchsetzung, eine Ordnung, die am Ende auch gegen den Willen des Rechtsunterworfenen durchgesetzt
werden muss. Dazu müssen wir bereit sein, alle geeigneten und erforderlichen Mittel einzusetzen, die nukleare
Bewaffnung des Iran zu verhindern, und dürfen von
vornherein keine Optionen ausschließen.
({2})
Bundesaußenminister Steinmeier hat zu Recht in einem „Spiegel“-Interview in dieser Woche eine neue
Qualität in der amerikanischen Außenpolitik festgestellt.
Das gilt auch für unsere Außenpolitik. Wir bekennen uns
im Koalitionsvertrag zum effektiven Multilateralismus.
Unsere Verpflichtung ist es, seine Effektivität - das heißt
die Fähigkeit, Probleme multilateral lösen zu können unter Beweis zu stellen.
Der Iran betont wie viele andere muslimische Staaten
bei der Auseinandersetzung immer wieder die Ehre seiner Nation. In der Tat verfügt der Iran über eine jahrtausendealte beeindruckende Geschichte. Das erneute Verhandlungsangebot zeigt, wie respektvoll wir den Iran
behandeln. Die Ehre des Iran wird aber nicht durch die
Behandlung durch den Westen, sondern durch die Äußerungen seines Präsidenten Ahmadinedschad verletzt.
({3})
Es geht nicht nur um die Ehre des Iran, sondern auch um
unsere Ehre
({4})
und unsere Pflicht, dem Recht zur Durchsetzung zu verhelfen. Opus iustitiae pax - der Friede ist das Werk des
Rechts.
Vor ähnlichen Herausforderungen stehen wir auch in
Bezug auf Nordkorea. Wir haben in diesen Tagen erfahren, dass Nordkorea vor dem Abschuss einer so genannten Taepodong-2-Rakete steht, einer nordkoreanischen
Kontinentalrakete, die die USA erreichen und letztlich
auch uns bedrohen kann. Ein heißer, möglicherweise sogar nuklearer Konflikt in Ostasien würde Länder treffen,
die enge Partner von uns sind, und die Weltwirtschaft
auf das Schwerste erschüttern. Gareth Evans, der Präsident der International Crisis Group, hat Nordostasien als
einen der gefährlichsten Brandherde der Welt qualifiziert
und das auch an der „Wiederauferstehung eines rüden
Nationalismus“ in der Region festgemacht.
Nordkorea und Iran zeigen uns, dass unsere Sicherheit auch durch Konflikte in weit entfernten Regionen
gefährdet werden kann.
({5})
Deswegen ist es wichtig, dass die NATO den Dialog und
die globale Partnerschaft mit Staaten wie Japan oder
Australien sucht, die unsere Werte und unsere sicherheitspolitischen Interessen teilen.
({6})
Auch Singapur ist ein Partner von uns und kann eventuell eine Vermittlerrolle übernehmen.
Es ist richtig und wichtig, dass wir uns weiterhin in
Afghanistan und im Kongo mit Bundeswehrsoldaten
engagieren. Ich will hier ausdrücklich den Soldatinnen
und Soldaten für ihren Einsatz danken.
({7})
Die Einsätze sind ein Beispiel für das breite internationale Engagement und die Verpflichtung zum Völkerrecht der Bundesrepublik Deutschland.
({8})
In Afghanistan müssen wir mehr dafür tun, dass die
Afghanen auch in entlegenen Gegenden von internationalen Einsätzen profitieren und damit die Präsenz internationaler Organisationen anerkennen. Wir müssen
mehr und effektivere Maßnahmen gegen Drogenanbau
und -handel treffen. Wir sollten die Kritik von Lakhdar
Brahimi, dem ehemaligen algerischen Außenminister
und Sondergesandten der UNO, in der „FAZ“ vom
6. Juni 2006 beherzigen. Er mahnte, die internationale
Gemeinschaft müsse sich realistische Ziele setzen und
auf das Wesentliche konzentrieren, so beispielsweise in
Afghanistan auf den Aufbau der Rechtsstaatlichkeit.
Nach Brahimi könne es nicht darum gehen, aus Afghanistan ein Schweden zu machen, und es deshalb mit
800 Nichtregierungsorganisationen zu überziehen und
Geld „ohne Sinn und Verstand“ zu verteilen.
({9})
Was wir im Kongo nach dem Wahlprozess unterstützen wollen, muss auch heute schon eine Rolle spielen
und darauf müssen wir uns stärker konzentrieren. Wir
müssen größeres Gewicht auf den Aufbau einer formellen, transparenten und rationalen Bergbauwirtschaft, die
auch ihren Beitrag für die kongolesische Bevölkerung
leisten kann, legen.
({10})
Erste richtige Schritte sind die europäische Initiative zu
Transparenz in der Rohstoffindustrie sowie die geplante
Einrichtung einer Kommission zur Überwachung der
Rohstoffförderung im Kongo. Wir sollten die afrikanischen Staaten viel mehr ermuntern, sich stärker dem
Aufbau regionaler Märkte zu widmen. Das ist die beste
Entwicklungszusammenarbeit. Mosambiks wirtschaftlicher Aufschwung zum Beispiel ist mitunter auf die beeindruckende Steigerung eines interregionalen Handels
in der SADC zurückzuführen.
Die genannten Themen haben eines gemeinsam, was
vor wenigen Jahren noch nicht der Fall war: Bei all diesen Fragen spielt China eine zunehmend wichtigere
Rolle. Dies wird besonders bei dem Thema Energiesicherheit deutlich. China, aber auch die anderen asiatischen Staaten von Indien über die südostasiatischen Länder bis nach Japan stellen für uns als Deutsche und für
Europa die Herausforderung überhaupt dar. Wir stehen
am Anfang eines asiatischen Zeitalters und die besondere Wichtigkeit Asiens für unsere Politik, nicht nur für
unsere Außenpolitik, haben die Reisen von Bundesminister Steinmeier und auch der Bundeskanzlerin unterstrichen.
China drängt auf die Weltmärkte. Das ist keine Neuigkeit. Indien und China vereinen 40 Prozent der Weltbevölkerung im arbeitsfähigen Alter. Im besten Fall ist
China auf dem Weg, die technologischen und finanziellen Stärken einer hoch entwickelten Gesellschaft mit
dem Kostenvorteil eines Entwicklungslandes zu verbinden. China ist nicht mehr allein die Werkbank der Welt.
China verfügt mit über 750 Milliarden US-Dollar über
die zweitgrößten Devisenreserven der Welt. Chinesische
Familien haben eine enorme Sparquote; sie liegt bei
circa 40 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. China baut
sein Humankapital kontinuierlich aus. Chinesische Universitäten graduieren jährlich mehr als 200 000 Ingenieure. Die chinesische Regierung gründet jedes Jahr
über 200 Forschungsinstitute. Das Microsoft-Entwicklungsbüro in China dominiert zunehmend die Innovationen dieses Weltkonzerns. Indien blickt auf ähnlich kraftvolle Zahlen. - Auf diese geballte Entwicklung müssen
wir uns einstellen. Wir müssen uns fit machen für den
Wettbewerb und uns die Frage stellen, wie wir uns in
eine zunehmend asiatisch dominierte Weltwirtschaft integrieren.
In diesem Zusammenhang sollten wir auch die Prinzipien unserer Entwicklungszusammenarbeit mit China
ständig neu hinterfragen und weiterentwickeln. Dazu gehört, dass wir unsere eigenen Interessen, zum Beispiel an
einem funktionierenden und transparenten Rechtssystem
in China, in den Vordergrund stellen. Wir können nicht
die soziale und ökologische Verantwortung der chinesischen Regierung gegenüber ihrer eigenen Gesellschaft
übernehmen. Wir sollten darauf achten, dass China kontinuierlich und immer mehr für Leistungen bezahlt, die
von uns erbracht werden.
({11})
Die Herausforderung gegenüber China hat nicht nur
eine innen-, sondern auch eine außenpolitische Dimension. China stellt uns die Systemfrage. Das chinesische
System, ein Einparteienstaat, der das Land wie ein gigantisches modernes Wirtschaftsunternehmen führt, übt
aufgrund seines Erfolges eine große Anziehungskraft
aus. Dagegen wirken westliche Demokratien schwerfällig. Andere Staaten könnten in der Einschränkung der
Beteiligung der eigenen Bevölkerung eine Erfolgsformel
für ihre eigene Zukunft sehen. Deswegen sind wir herausgefordert, zu zeigen, dass unser System erfolgreich
ist. Die Reformen, die wir in unserem Land durchführen,
sind also auch Teil unserer Asienstrategie. Es geht um
die Frage, wie unser Modell auf andere Länder ausstrahlt.
({12})
Dass China eine außenpolitische Herausforderung
darstellt, zeigte sich erneut beim Treffen der SchanghaiKooperation-Organisation in der vergangenen Woche.
Die Organisation gewinnt regional auch in Abgrenzung
zu den transatlantischen Partnern an Bedeutung; sie bot
dem iranischen Präsidenten Ahmadinedschad eine internationale Bühne. Des Weiteren finden Herrscher wie die
birmanischen Generäle, Diktatoren wie Mugabe, Populisten wie Chávez oder islamische Führer wie Bashir Unterstützung in Peking, weil ihre Länder über wertvolle
Bodenschätze verfügen. Das erschwert unsere Bemühungen um Förderung der Demokratisierung in diesen
Ländern. Zudem kann das Verhalten Chinas zum Beispiel gegenüber dem Sudan oder dem Iran unmittelbar
unsere europäischen Sicherheitsinteressen berühren.
Welche Konsequenzen müssen wir daraus ziehen?
Erstens. Wir müssen alles dafür tun, dass sich China
friedlich und im Rahmen des internationalen Rechts entwickeln kann. Wir müssen China, soweit es geht, in die
internationale, globale Ordnung einbinden. Daran muss
China selber ein Interesse haben, weil es die internationale, die globale Interdependenz als eigenen Entwicklungsweg gewählt hat.
Zweitens müssen wir China ermuntern, einen eigenen
Beitrag zur Regelung von Problemen zu leisten. Letztlich kann auch China kein Interesse an Instabilität wie
im Sudan oder in Simbabwe haben.
Drittens müssen wir Europäer uns sehr viel mehr um
unsere natürlichen Verbündeten kümmern, um unsere
Gleichgesinnten in Asien, mit denen wir gemeinsame
politische Ziele verfolgen. Ich nenne hier insbesondere
Japan, aber auch Südkorea oder Singapur.
Wir haben ein Interesse an einer friedlichen Entwicklung Chinas zu mehr Wohlstand. Wir haben aber auch
ein Interesse daran, dass die Risiken in der Entwicklung
Chinas gesehen werden und alles getan wird, dass entsprechende Entwicklungen nicht eintreten.
Das führt uns zu den Aufgaben, die wir in Europa
wahrzunehmen haben. Die europäische Sicherheitsstrategie soll dafür sorgen, dass sich Sicherheit und Wohlstand in unserer Nachbarschaft weiterentwickeln können. Dazu gehört die Entwicklung auf dem Balkan, aber
auch die Entwicklung in der Ukraine. Die Ukraine ist
ein Schlüsselland in Osteuropa. Deswegen ist es gut,
dass sich in der letzten Nacht die Parteien der orangenen
Revolution auf eine Neuauflage der Koalition geeinigt
haben.
({13})
Die Ukraine braucht eine klare europäische Perspektive
und wir müssen ihr diese klare europäische Perspektive
einräumen. Die Zusammenarbeit mit der Ukraine könnte
und sollte ein Schwerpunkt der deutschen EU-Präsidentschaft sein. Dabei gilt es auch - wir sind ja in der Haushaltsdebatte -, die Instrumente unserer Außenpolitik auf
solche Schlüsselländer wie die Ukraine stärker auszurichten.
In diesem Zusammenhang möchte ich, wie es der
Kollege Mark schon getan hat, die Arbeit der politischen Stiftungen in der Ukraine, aber auch in anderen
Ländern ganz besonders loben und ihnen dafür danken.
Wir sollten darauf achten, dass den politischen Stiftungen für ihre hervorragende Arbeit auch in Zukunft die
nötigen Mittel zur Verfügung stehen.
({14})
Ein letztes Wort zu Russland. Das G-8-Treffen in
Sankt Petersburg im Juli steht unmittelbar bevor. Russland steht vor ähnlichen Herausforderungen wie China.
Russlands Demokraten benötigen den Westen als Modell. Wir wollen, dass die viel beschworene strategische
Partnerschaft zwischen Deutschland und Russland nicht
nur eine wirtschaftliche Partnerschaft ist, sondern sich
diese Partnerschaft an universellen Werten orientiert.
Dazu gilt es die Vertrauensbasis weiterzuentwickeln. In
diesem Zusammenhang spielt auch die Frage, wie sich
Russland innenpolitisch entwickelt und wie es sich seinen Nachbarn gegenüber verhält, eine Rolle. Was die innenpolitische Entwicklung Russlands angeht, so will ich
hier ganz deutlich sagen, weil es dazu einen Antrag der
Grünen gibt, dass wir die Übergriffe auf unseren Kollegen Volker Beck bedauern und verurteilen.
({15})
Gleichzeitig weisen wir darauf hin, dass die Delegation der Nichtregierungsorganisationen, die vor zwei
Wochen auf Einladung von Andreas Schockenhoff in
Berlin war, zum Ausdruck gebracht hat, welche Wertschätzung Andreas Schockenhoff bei den Nichtregierungsorganisationen in Russland genießt und dass ihm
die demokratische Entwicklung Russlands sehr am Herzen liegt. Deswegen werden wir Ihren Antrag ablehnen.
({16})
Bevor ich in der Rednerliste fortfahre, möchte ich Ihnen Folgendes bekannt geben: Die Fraktionen haben
sich darauf verständigt, dass die Beratung des
Einzelplans 06 wie vorgesehen heute Abend stattfindet,
jedoch die Abstimmungen über den Einzelplan 06 einschließlich der namentlichen Abstimmung erst morgen
zu Beginn der Sitzung erfolgen. Gleiches gilt für die Beratung und Abstimmung über den Einzelplan 10. Die
Beratung erfolgt wie vorgesehen morgen Abend, die Abstimmungen einschließlich der namentlichen Abstimmung finden jedoch erst am Freitag zu Beginn der
Sitzung statt. Damit können wir abends zu der entspre3594
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
chenden Zeit auf die namentlichen Abstimmungen verzichten und sie morgens früh durchführen.
Als nächste Rednerin erteile ich der Kollegin Kerstin
Müller vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am
Montag hat der neue Menschenrechtsrat der Vereinten
Nationen erstmals getagt. Das war für die Menschenrechte sicherlich ein guter Tag. Gleichzeitig wird damit
ein Teil der Reformen der Vereinten Nationen umgesetzt, leider aber nur ein Teil. Darauf will ich zunächst
einmal zu sprechen kommen. Sie, Herr von Klaeden, haben den effektiven Multilateralismus angesprochen.
Deshalb wundert mich, dass Sie die UN-Reform nicht
erwähnt haben; denn in einem Hilferuf hat Kofi Annan
in diesen Tagen deutlich gemacht, dass die Vereinten
Nationen als Ganzes scheitern, wenn nicht auch die übrigen Reformen angegangen werden, weil sie für die
neuen internationalen Herausforderungen nicht gewappnet sind.
Die Vereinten Nationen stehen vor einem Moment
der Wahrheit,
so Kofi Annan. Er hat Recht. Die Selbstblockade, die
wir zurzeit bei der UN-Reform erleben, ist verheerend.
So notwendig die Reformen sind, der Beitragsboykott
der USA ist, so meine ich, ein völlig unakzeptables Mittel zu deren Durchsetzung. Damit wird man nicht weiterkommen.
({0})
Fatal ist auch - das ist die andere Seite des Konflikts die momentane Reformverweigerung vieler Entwicklungsländer.
Herr Außenminister, die Reformvorschläge liegen auf
dem Tisch. Wir brauchen jetzt eine neue Initiative zur
Umsetzung der Reformen. Ich fordere Sie auf: Werden
Sie als Bundesregierung endlich sichtbar aktiv. Ein
Scheitern der UN-Reformen wäre ein verheerendes
Signal.
({1})
Der Einsatz für den effektiven Multilateralismus - darin
sind wir uns alle einig - gehört zu den Grundsäulen der
deutschen und der europäischen Außenpolitik.
({2})
Nirgendwo wird das deutlicher - das ist in der Tat ein
positives Beispiel - als im Atomstreit mit dem Iran. Von
Anfang an haben die Europäer auf eine Verhandlungslösung gesetzt. Herr Außenminister, ich bin sehr froh, dass
Sie den Kurs der alten Regierung fortsetzen und dass
dem Iran jetzt ein neues Angebot der internationalen Gemeinschaft vorgelegt wurde.
({3})
Das ist der richtige Weg, auch wenn manche Äußerungen von Präsident Ahmadinedschad wirklich unerträglich sind. Auch die Amerikaner sind jetzt zu direkten
Gesprächen mit Iran bereit und unterstützen das Angebot. Das hat auch meine Fraktion immer wieder gefordert. Das ist ein zentraler und wichtiger Schritt nach
vorn. Das zeigt: Wenn die internationale Gemeinschaft
gemeinsam und entschlossen handelt, dann sind auch in
schwierigen Krisensituationen Verhandlungslösungen
erreichbar.
Jetzt aber ist der Iran am Zuge. Wir fordern Iran auf,
auf der Basis dieses Angebotes wirklich ernsthafte Verhandlungen aufzunehmen und natürlich während dieser
Zeit die Urananreicherung zu suspendieren. Das ist - das
muss man deutlich sagen - die letzte Chance. Wir bieten
Anerkennung und Sicherheit, einschließlich Sicherheitsgarantien. Falls der Iran das Angebot ablehnt, führt der
Weg in die Isolation. Das sind die Alternativen.
Das bedeutet aber, dass wir dem Iran auch klarmachen müssen: Falls neue Verhandlungen abgelehnt
werden, sind wir bereit, das gesamte Instrumentarium
politischer, finanzieller und ökonomischer Druckmittel
anzuwenden, auch wenn das teilweise zu unseren Lasten
gehen wird. Ohne diese Konsequenz bleibt das Angebot
wirkungslos.
Der Fall Iran weist auf ein weiteres ernsthaftes Problem hin: Der Nichtverbreitungsvertrag ist inzwischen
fast wirkungslos. Wenn wir aber den Iran, Nordkorea
und andere davon abhalten wollen, Nuklearwaffen zu
entwickeln, dann müssen auch die Atommächte ihre Abrüstungsverpflichtungen endlich ernst nehmen.
({4})
Herr Außenminister, Sie haben die Atommächte gemahnt. Aber auch hier ist, so glaube ich, Initiative gefragt. Gerade Deutschland - ich darf daran erinnern, dass
auch in unserem Land noch Atomwaffen stationiert sind sollte gemeinsam mit anderen Nichtkernwaffenstaaten
eine politische Initiative zur grundlegenden Reform und
Stärkung des Nichtverbreitungsvertrages ergreifen.
({5})
Das zeigt: Deutsche Außenpolitik bleibt Friedenspolitik; sie ist eingebunden in die Vereinten Nationen und
wir betreiben sie gemeinsam mit den europäischen Partnern. Was heißt das für den Nahostkonflikt? Gerade in
der zurzeit verfahrenen Situation müssen wir auch hier
multilateral, das heißt im Rahmen des Nahostquartetts,
alles versuchen, damit der Friedensprozess zwischen den
Konfliktparteien wieder aufgenommen wird. Die Forderungen an die Hamas sind klar: Ohne Anerkennung des
Existenzrechts Israels und ohne einen klaren Gewaltverzicht der Hamas ist auch für uns eine Kooperation mit
der neuen Regierung undenkbar;
({6})
Kerstin Müller ({7})
denn die Sicherheit des Staates Israel ist - darin stimmen
wir alle überein - eine historische Verpflichtung unserer
Außenpolitik. Dennoch war es überfällig, dass das Nahostquartett am Samstag einen Hilfsfonds für die Palästinenser beschlossen hat, der unter Umgehung der HamasRegierung zumindest eine humanitäre Krise verhindern
soll.
Der Vorschlag von Präsident Abbas, notfalls eine
Volksabstimmung über die Gefangeneninitiative, das
heißt, letztlich über eine Zweistaatenlösung, herbeizuführen, ist, meine ich, ein sehr kluger Vorschlag, den wir
und die EU unterstützen sollten. Wir brauchen eine
schnelle Rückkehr an den Verhandlungstisch, solange
Präsident Abbas noch das Vertrauen der palästinensischen Bevölkerung hat. Insofern ist das morgige erste
Treffen zwischen Abbas und Premier Olmert in Jordanien ein wichtiger Schritt.
Ein Bürgerkrieg zwischen Hamas und Fatah und eine
weitere Eskalation mit Israel sind noch lange nicht abgewendet. Die EU braucht daher schnellstens eine Strategie, wie eine weitere Eskalation der Lage verhindert
werden kann. Die Isolation der Hamas ist richtig. Aber
sie ersetzt keine Politik.
Zum Schluss möchte ich noch einmal zum Thema
Menschenrechte zurückkommen. Herr von Klaeden, es
ist sicher gut, dass Sie hier noch einmal klargestellt haben, dass Sie die Übergriffe auf Herrn Beck anlässlich
der Demonstration in Moskau bedauern. Aber ich meine
- das muss ich hier sehr deutlich sagen -: Das reicht
nicht. Man braucht sich nur die Äußerungen anzusehen,
die Herr Schockenhoff, Ihr Koordinator für deutsch-russische Zusammenarbeit, gemacht hat. Zum grundrechtswidrigen Verbot des Christopher Street Days in Moskau
hat Herr Schockenhoff gesagt, man müsse „sich auf die
politische Ordnung eines Gastlandes einstellen“ und
dürfe nicht die russischen „Spielregeln“ unterlaufen.
Den Einsatz des Kollegen Volker Beck für die Rechte
der Lesben und Schwulen hat er sehr heftig kritisiert.
Ich will Sie nur einmal darauf aufmerksam machen:
Wenn sich die Ostdeutschen an die politische Ordnung
und die Spielregeln der DDR gehalten hätten, dann
stünde die Mauer heute noch. Dann wäre man nicht sehr
weit gekommen.
({8})
Russische NGOs wie zum Beispiel Memorial haben
ausdrücklich die Teilnahme ausländischer Politiker an
solchen Aktionen begrüßt. Sie haben noch einmal deutlich gemacht: Die russische Bürokratie zwingt NGOs
mit fadenscheinigen Demonstrationsverboten zu solchen
nicht genehmigten Versammlungen. Sie, Herr
Schockenhoff, haben sich bisher leider nicht entschuldigt. Ich meine: Wer Menschenrechtsaktivisten vom sicheren Deutschland aus verbal in die Kniekehlen tritt,
der taugt nicht mehr als Russlandkoordinator. Ich meine,
der Rücktritt des Herrn Schockenhoff von seinem Amt
als Koordinator ist überfällig, Herr Außenminister.
Vielen Dank.
({9})
Das Wort hat jetzt der Bundesminister Frank-Walter
Steinmeier.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Reisende im deutschen Interesse sind wir alle,
die einen mehr, die anderen weniger. Fast überall sind
wir zu Gast bei Freunden. Ich jedenfalls stoße bei fast
allen meinen Gesprächspartnern im Augenblick auf denselben Grundton. Deutschland ist ein international
wichtiger und - wie ich finde - zunehmend gefragter
Gesprächspartner, allerdings auch einer, an den hohe Erwartungen gerichtet werden. Ich bin mir sicher, dass Sie
fast alle - außer offensichtlich Frau Knoche - bei Ihren
Auslandsreisen, bei Ihren Kontakten in den Gastländern,
bei Ihren Besuchen in den Botschaften und Vertretungen
dort, die gleiche Botschaft erhalten. Weltweit wird unser
Land als gewichtiger Akteur - gewichtig weil vernünftig
und effektiv multilateral aufgestellt - im internationalen
Staatengefüge wahrgenommen.
({0})
Das ist keine falsche Wahrnehmung. Die Wahrnehmung ist zutreffend. Wir tragen in der Tat mehr Verantwortung. Gleichzeitig - ich finde das richtig und notwendig - überlegen wir uns sehr genau, wo und wie wir
diese Verantwortung übernehmen. Das hat die jüngste
Debatte über einen Einsatz im Kongo hier im Hohen
Hause durchaus eindrucksvoll gezeigt. Lange haben wir
miteinander darüber diskutiert. Lange haben wir das Für
und Wider einer Beteiligung an einer solchen Mission
abgewogen. Ich glaube, eines wird man uns nicht vorwerfen können: Leicht hat es sich hier in diesem Hohen
Hause in der Tat niemand gemacht. Am Ende, nach langer Diskussion, war sich eine übergroße Mehrheit des
Bundestages einig, dass es richtig ist, die Wahlen im
Kongo durch eine europäische Mission, an der wir beteiligt sein werden, abzusichern. Hier stehen wir gemeinsam in einer internationalen Pflicht: in der Pflicht, gemeinsam mit unseren Partnern dafür zu sorgen, dass die
Stabilisierungsbemühungen der letzten Jahre, von denen
ich berichtet habe, nach der Wahl nicht in Gefahr gebracht werden.
Meine Damen und Herren, wenn wir heute über den
Haushalt des Auswärtigen Amtes diskutieren, so tun wir
das vor dem Hintergrund einer veränderten Situation, einer Situation, in der wir gewachsene internationale Verantwortung tragen. Verantwortung heißt ganz praktisch
- das ist in vielen Reden angeklungen -: höhere Ansprüche an unsere Kreativität und Sachkompetenz, überdurchschnittlicher Einsatz, aber auch angemessene Mittelausstattung; darauf werde ich am Ende meiner
Ausführungen noch einmal zu sprechen kommen.
Ich möchte kurz zwei Krisenherde ansprechen, obwohl wir in den vergangenen Wochen und Monaten bereits häufig genug Anlass hatten, über diese Themen zu
reden. Beginnen sollte ich mit Afghanistan, weil diese
Region in den allermeisten Reden, die hier gehalten wurden, eine Rolle gespielt hat. Zu Recht sind die Schwierigkeiten, die wir im Augenblick in Afghanistan haben,
angesprochen worden. Aber wir sollten trotz aller
Schwierigkeiten nicht vergessen, dass wir dort gemeinsam mit unseren internationalen Partnern ein Fundament
für die Stabilisierung und den Aufbau eines demokratischen Staatswesens geschaffen haben.
Deutschland hat dazu wichtige Beiträge geleistet. Wir
tragen seit kurzer Zeit die Verantwortung für das Regionalkommando Nord. Wir haben für den Aufbau der
Polizei in Afghanistan Verantwortung übernommen.
Darüber hinaus leiten wir zwei regionale Wiederaufbauteams. Deshalb glaube ich, dass wir - damit meine ich
auch dieses Haus - selbstbewusst feststellen können:
Wir haben in den letzten Monaten und Jahren vieles erreicht.
Das sage ich auch vor dem Hintergrund einer sich
verändernden, weil angespannten Sicherheitslage in Afghanistan; auch das darf nicht verschwiegen werden.
Das, was dort jetzt geschieht, verdeutlicht im Grunde genommen nur das, was wir in unseren Analysen der letzten Jahre immer wieder festgestellt haben: Das Land ist
von staatlicher Normalität noch weit entfernt. Natürlich
ist unsere Mission nicht ohne Risiko. Aber genau deshalb sind wir, sowohl mit zivilen als auch mit militärischen Kräften, so prominent vor Ort. Ich jedenfalls bin
fest davon überzeugt - ich bin froh, dass das auch andere
festgestellt haben -: Wir dürfen in dieser unserer Unterstützung Afghanistans nicht nachlassen.
({1})
Meine zweite Bemerkung bezieht sich auf den Nahen
Osten: Die Lage bleibt kompliziert. Die Hamas-Regierung verweigert sich den Kriterien - sie sind heute viele
Male genannt worden -, die das Nahostquartett für eine
konstruktive Zusammenarbeit mit der dortigen Regierung genannt hat. Gleichzeitig verschlechtert sich die Sicherheitslage in den palästinensischen Gebieten ganz erkennbar. Ich kann nur hoffen, dass, wie es Frau Müller
zum Ausdruck gebracht hat, die Initiative von Mahmud
Abbas hilft, den innenpolitischen Stillstand, den es ganz
ohne Zweifel gibt, aufzulösen und die vorherrschende
Gewalt einzudämmen. Das habe ich dem Präsidenten der
Palästinensischen Autonomiebehörde am vergangenen
Freitag in einem ausführlichen Telefongespräch gesagt
und ihm unsere Unterstützung für diesen Prozess zugesichert.
Das alles hilft jedoch nicht, wenn wir gleichzeitig zur
Kenntnis nehmen müssen, dass sich die humanitäre Lage
in den palästinensischen Gebieten verschlechtert. Wie
Sie wissen, haben wir im Kreise der EU-Außenminister
in den letzten Wochen intensiv nach Wegen gesucht, wie
wir den Menschen in den palästinensischen Gebieten
konkret helfen können: bei der Nahrungsmittelversorgung, bei der Versorgung mit Wasser und Energie und
letztlich auch bei der Versorgung von Kranken.
Seit Montag vergangener Woche gibt es einen internationalen Finanzierungsmechanismus, der im Europäischen Rat vereinbart wurde. Frau Bundeskanzlerin, ich
bin froh, dass nach dem Europäischen Rat auch das Nahostquartett diesem Finanzierungsmechanismus zugestimmt hat. Jetzt bin ich zuversichtlich, dass es mithilfe
der Weltbank gelingen wird, der Not leidenden palästinensischen Bevölkerung tatsächlich und schnell zu helfen,
({2})
und zwar - das betone ich - unter Umgehung der
Hamas-Regierung. Ich weiß, dass viele - vielleicht auch
der eine oder andere hier im Hause - sich in dieser Frage
mehr Flexibilität wünschen. Ich halte all denjenigen, die
unsere restriktive Haltung gegenüber der Hamas kritisch
sehen, entgegen: Wir haben eine klare Verantwortung aus unserer Geschichte - gegenüber Israel. Unser Platz
kann daher nie an der Seite derjenigen sein, die das Existenzrecht Israels infrage stellen.
({3})
Ich kann bestätigen, dass das drängendste politische
Problem der Konflikt um das iranische Atomprogramm ist. Sie wissen, dass wir, die EU-3, gemeinsam
mit Russland, China und den USA dem Iran ein umfassendes Angebot zur Kooperation vorgelegt haben. Dieses Kooperationsangebot eröffnet dem Iran Perspektiven; wie ich finde, sogar weit reichende Perspektiven.
Sie wissen ebenso, dass eine Antwort bis zum heutigen
Tage leider nicht vorliegt. Wir verfolgen natürlich mit
großer Aufmerksamkeit das, was gegenwärtig an Äußerungen aus der iranischen Führung zu hören ist. Wir sind
im Augenblick zufrieden - müssen zufrieden damit sein -,
dass die iranische Führung und viele Beteiligte sich dahin gehend geäußert haben, dass man dieses Angebot
ernsthaft prüfen will. Wie ich immer öffentlich gesagt
habe: Das rechtfertigt noch keinen Optimismus. Aber
ich kenne meinen iranischen Amtskollegen, Herrn
Mottaki, der am Wochenende wieder hier in Berlin sein
und ein Gespräch mit mir führen wird, aus früheren Begegnungen. Deshalb sage ich ausdrücklich: Ich bin froh,
dass er dieses Angebot öffentlich zumindest als einen
entscheidenden Schritt nach vorn bezeichnet hat. Ich
hoffe natürlich, dass sich in Teheran am Ende der internen Beratungen die Kräfte der Vernunft durchsetzen.
Wir hoffen, dass der Iran die Chancen erkennt, die in
diesem Angebot liegen.
Dokumentiert wird in dem Verfahren, wie wir zu diesem Angebot gekommen sind, aber auch ein Zweites:
Die USA haben in Gesprächen mit den Europäern ihre
Bereitschaft bekundet, an diesen Verhandlungen teilzunehmen, und es besteht die begründete Hoffnung, dass
Russland und China diesem Beispiel folgen. Das allein
ist ein großer Erfolg der internationalen Politik und wir
dürfen uns freuen, dass wir hier in vorderster Reihe mitgearbeitet haben.
({4})
Wenn ich noch einen Nachsatz sagen darf: Aus meiner
Sicht ist das auch ein Erfolg für die europäische Außenpolitik. Der Hohe Repräsentant der EU, Solana, war als
fest eingebundener, glaubwürdiger und akzeptierter Partner an den Gesprächen von Anfang an beteiligt. Er hat
als Vertreter aller sechs Staaten, die in Wien zusammen
verhandelt haben, das Angebot nach Teheran überbracht.
Das ist letztlich auch ein Beweis für das Vertrauen in die
gemeinsame europäische Außenpolitik, die wir vielleicht etwas selbstbewusster vertreten sollten, als wir das
in der Vergangenheit getan haben.
({5})
Der westliche Balkan wird uns weiterhin beschäftigen, gar keine Frage: Es gibt viele ungelöste Probleme,
denen wir uns weiterhin widmen müssen, ganz zuvorderst natürlich die Klärung des Status des Kosovo. Ich
will dazu zum gegenwärtigen Zeitpunkt gar nichts weiter
sagen, weil wir diese Frage hier oft genug erörtert haben.
Martti Ahtisaari hält an seinem Zeitplan fest, er hat die
beteiligten Parteien in Wien beieinander. Zur Kenntnis
nehmen müssen wir allerdings, dass die Positionen noch
weit auseinander liegen. Ich greife dieses Stichwort deshalb auf, um auf eine Entwicklung hinzuweisen, die sich
in den letzten beiden Wochen ergeben hat, eine Entwicklung, deren Brisanz auch in anderen europäischen
Hauptstädten stärker erkannt wird: Für Serbien häufen
sich in diesem Jahr nicht leicht zu verkraftende Entwicklungen: Montenegro hat sich von Serbien losgelöst, Serbien muss befürchten, demnächst mit einer Klärung des
Status des Kosovo konfrontiert zu werden, und die Verhandlungen mit der EU sind ausgesetzt - keine einfache
Situation. Unter den europäischen Außenministern ist
besprochen worden, dass wir uns intensiver bemühen
müssen, auch Serbien auf dem Weg nach Europa zu halten;
({6})
denn eines ist bei all den Bemühungen um den westlichen Balkan ja klar: Ohne Serbien wird es keine Stabilität auf dem Balkan geben. Insofern müssen wir diese Bemühungen bei aller berechtigten Kritik gegenüber der
Politik in Belgrad fortsetzen.
({7})
Meine Damen und Herren, einige wenige Sätze zur
deutschen Ratspräsidentschaft. Auch hier schauen alle
mit großen Erwartungen auf uns. Die Erwartungen an
unsere Präsidentschaft sind groß. Es gibt viele Ratschläge dafür, wie wir diese Präsidentschaft anlegen
können. Reden wir aber nicht darum herum: Auch dann,
wenn wir uns darum bemühen, die Verfassung nicht so
sehr in den Mittelpunkt zu stellen, wird sie ein wichtiger
Punkt unserer Präsidentschaft sein. Sie wissen, dass der
Rat Deutschland beauftragt hat, Mitte nächsten Jahres
einen Bericht vorzulegen. Mit diesem Bericht wird natürlich erwartet, dass wir, wie es heißt, einen tragfähigen
Vorschlag für die Fortsetzung des Verfassungsprozesses
entwickeln. Ich hoffe, dass uns das gelingt, aber ich kann
Ihnen auch sagen: Das wird nicht allein von der Präsidentschaft, sondern auch von der Bereitschaft vieler
wichtiger Mitgliedstaaten abhängen, an diesem Prozess
mitzuwirken.
Ich spreche von der Präsidentschaft aber auch, weil
ich sagen will, dass wir in erster Linie natürlich inhaltlich gefordert sein werden. Das ist aber nicht alles. In einer groß gewordenen Europäischen Union wird die europäische Ratspräsidentschaft auch unter protokollarischen
und logistischen Gesichtspunkten eine Herausforderung
sein. Ich sage das deshalb, weil das einerseits Last, andererseits aber zugleich Chance ist. Ich finde, wenn wir erkennen, wie es bei Großveranstaltungen gelingen kann,
das äußere Erscheinungsbild eines Landes zu prägen,
dann müssen wir auch zusehen, wie dies nicht nur bei einer Fußballweltmeisterschaft, sondern auch während
einer Ratspräsidentschaft gelingen kann. Ich darf hinzufügen: Österreich hat das während seiner Ratspräsidentschaft in geradezu vorbildlicher Art und Weise gezeigt.
({8})
Meine Damen und Herren, einige wenige abschließende Bemerkungen zum Haushalt selbst. Ich stehe zu
den Konsolidierungsbemühungen der Bundesregierung.
Deshalb sage ich auch in Richtung des Bundesfinanzministeriums: Wir haben unsere Einsparungen gemäß
dem Koalitionsvertrag erbracht. Es ist gesagt worden:
Dieser Haushalt entsteht und steht unter etwas ungewöhnlichen politischen Rahmenbedingungen. Er ist deshalb eher so etwas wie ein Übergangshaushalt. Dies ist
für uns mit der Möglichkeit eines knapp 4-prozentigen
Zuwachses verbunden. Herr Mark hat darauf hingewiesen: Das gleicht den Mehrbedarf bei den Pflichtbeiträgen
aus. Lothar, neben den vielen anderen Dingen, die du erwähnt hast, möchte ich zwei Erfolge herausheben, nämlich zum einen die humanitäre Hilfe mit einer Absicherung in der Größenordnung von 50 Millionen Euro und
zum anderen zumindest in den Bereichen Wissenschaftsaustausch und Stipendien verbesserte Möglichkeiten im
Bereich der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik.
Wenn meine Redezeit jetzt nicht vorbei wäre, dann
würde ich jetzt anknüpfend an die Fußballweltmeisterschaft sagen:
({9})
Mit Blick auf die gelungene neue Präsentation unseres
Landes müssen wir gemeinsam miteinander auch eine
neue Wertschätzung gegenüber der auswärtigen Kulturund Bildungspolitik auf den Weg bringen, und zwar
nicht eine, die wir nur in Sonntagsreden formulieren,
sondern eine, die sich in den Haushaltsansätzen widerspiegelt.
({10})
Meinen Dank an diejenigen, die im Parlament für den
Haushalt 2006 zuständig waren - Herrn Koppelin als
Hauptberichterstatter und Herrn Frankenhausen, Herrn
Mark, Herrn Bonde und Herrn Leutert als
Mitberichterstatter -, verbinde ich deshalb mit der Ankündigung und der Bitte, bei der Diskussion über den
Haushalt 2007 so etwas wie eine kleine Trendwende bei
den Ansätzen für den Bereich der auswärtigen Kulturund Bildungspolitik hinzubekommen. Ich danke Ihnen
schon jetzt für Ihre Bereitschaft.
Vielen Dank.
({11})
Herr Bundesminister Steinmeier, es ist zwar einerseits
richtig, dass Sie aufgrund der Verfassung jederzeit unbegrenzt Rederecht haben. Aber es ist andererseits üblich,
sich in einem gewissen Rahmen an die Vereinbarungen
der Geschäftsführer der Fraktionen zu halten, weil dann,
wenn Sie länger reden, dies auf Kosten der Redezeit der
Kollegen aus der eigenen Fraktion geschieht.
({0})
Ich erteile als nächstem Redner das Wort dem Kollegen Jürgen Koppelin von der FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Minister, ich will auch Ihnen zuerst einmal Dank
sagen. Sie haben eben die Berichterstatter erwähnt. Ich
bin in dieser Legislaturperiode Hauptberichterstatter für
den Etat 05, Auswärtiges Amt. Ich will mich ausdrücklich bei Ihnen und vor allem bei den Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern des Auswärtigen Amtes für die gute
Zusammenarbeit bedanken.
Da Sie uns Berichterstatter erwähnt haben, will ich
hier ausdrücklich sagen, dass wir als Berichterstattergruppe ein ausgesprochen gutes Team sind. Sie werden
- das haben Sie erlebt - kaum eine Unterscheidung zwischen Regierung und Opposition finden. Das ändert
nichts daran, dass natürlich jede Opposition versucht,
Akzente zu setzen. Das gilt ebenfalls für Ihren Haushalt.
Auch bei den Koalitionsabgeordneten hat jeder sein Steckenpferd; das ist völlig in Ordnung.
Als Oppositionsabgeordneter sage ich: Wir suchen
zwar in jedem Etat nach Einsparmöglichkeiten. Der Etat
des Auswärtigen Amtes jedoch hat kaum Speck auf den
Rippen. Im Gegenteil: Nach meiner Auffassung - das
sage ich ganz deutlich - ist er, wenn man ganz ehrlich
ist, unterfinanziert. Für einen Minister gehört es dazu,
sich bei den Haushaltsberatungen nicht mit globalen
Minderausgaben abspeisen zu lassen, die die Haushälter
erbringen müssen. Vielmehr müssen Sie dem Finanzminister sagen: So geht das nicht. Wenn ich Außenpolitik
machen und über die Botschaften unserer Wirtschaft
helfen soll, Kontakte ins Ausland zu knüpfen, dann gehört es dazu, dass ich einen vernünftigen Etat habe und
dass vor allem die Botschaften personell entsprechend
ausgestattet sind.
Ich will das einmal deutlich machen. Als es darum
ging, diesen Haushalt abzuspecken, waren wir alle ohne
Ausnahme dabei. Seit 1993 wurde allein bei den Botschaften die Zahl der Beschäftigten um 2 000 reduziert.
Der Rest ist Substanz. Mehr geht nicht. Das ist insgesamt die Auffassung der Berichterstatter. Deswegen haben wir schon vor längerer Zeit das Personal des
Auswärtigen Amtes von allgemeinen Kürzungen ausgenommen.
Ich möchte an dieser Stelle - ich glaube, das tue ich
für alle Berichterstatter - nicht nur den Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern des Auswärtigen Amtes, sondern vor
allem auch unserem Personal an den Botschaften überall
dort, wo es seinen Dienst tut, ausdrücklich danken.
({0})
Wir haben große Erwartungen, wenn wir Politik machen. Jedes Mal, wenn es darauf ankommt - bei dem
Tsunami haben wir es erlebt und erleben das auch bei anderen Katastrophen -, merken wir, welche Leistungsfähigkeit in den Botschaften steckt, obwohl sie teilweise
personell ausgesprochen dünn besetzt sind. Sie leisten
eine hervorragende Arbeit, ohne dabei im Dienst auf die
Uhr zu schauen. Wir müssen uns irgendwann einmal
darüber unterhalten - wir haben hier eine Fürsorgepflicht und Verantwortung -, ob unsere Botschaften in
dieser Weise noch arbeiten können. Das trifft nicht nur
auf das Personal, sondern auch auf die finanzielle Situation zu. Ich finde, so geht es auf Dauer nicht mehr weiter.
({1})
Wenn wir für die Botschaften gute Leute bekommen
wollen, dann muss sich ein Minister darum kümmern,
was mit den Ehepartnern derjenigen, die ins Ausland gehen, passiert, die keinen Job haben. Auch bei der Besoldung wird gekürzt. Dadurch wird der Dienst im Auswärtigen Amt bei den Botschaften immer unattraktiver. Das
wird dazu führen, dass wir kaum noch gute Leute bekommen. Insofern ist es wichtig, sich darum zu kümmern, an den Botschaften zum Beispiel eine Jobbörse
einzurichten, damit die Ehepartner die Möglichkeit bekommen, bei deutschen Firmen, die im Ausland tätig
sind, eine Stelle zu finden. Das sollten wir langfristig angehen. Das halte ich für dringend erforderlich.
Ich will noch einen weiteren Bereich ansprechen, um
den Sie sich als Minister kümmern sollten; dabei werden
wir Sie gerne unterstützen. Ich staune immer über das
Tempo, wie hier am Potsdamer Platz die US-Botschaft
entsteht.
({2})
- Entschuldigung. Ich nehme die Korrektur entgegen.
({3})
- Das ist nicht so entscheidend. Es geht um den Bau dieser Botschaft. Manchmal wünsche ich mir, dass die Baumaßnahmen des Bundes vor allem im Ausland in einem
ähnlichen Tempo stattfänden, anstatt Behörden zwischenzuschalten, die - das ist mein Eindruck - blockieren, sodass sich unsere Botschaften noch mit den Behörden herumschlagen müssen. Es wäre gut, sich auch
darum zu kümmern, Herr Außenminister.
({4})
Dadurch könnten wir auch viel Geld sparen. Das ist
meine Meinung.
Ich habe mich auch deswegen zu Wort gemeldet, um
- damit spreche ich sicherlich für alle Berichterstatter unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an den Botschaften herzlich zu danken. Sie sollen wissen, dass sie
sich auf uns verlassen können. Wir können natürlich
kein Geld drucken.
({5})
Deshalb sind wir darauf angewiesen, dass der Minister
erfolgreich mit dem Bundesfinanzminister verhandelt.
Herzlichen Dank für Ihre Geduld.
({6})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Veronika Bellmann
von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Debatte über den Haushalt des Auswärtigen
Amtes bietet traditionell auch die Möglichkeit zu einigen
grundsätzlichen Ausführungen zum Thema EU. Als
Sächsin aus dem Erzgebirge - der neuen geografischen
Mitte der EU nach der Osterweiterung - tue ich das sehr
gerne.
({0})
Insbesondere nach dem Ratstreffen vom 15. bis
16. Juni dieses Jahres stellt sich die Frage, ob Europa gerettet werden will, kann oder soll. Die Antwort ist: Es
muss gerettet werden; denn es gibt keine Alternative zur
Wirtschafts- und Wertegemeinschaft der EU. Es gibt erst
recht keine Alternative zu der seit fast 60 Jahren bestehenden Friedensgemeinschaft der EU.
({1})
Angesichts der Globalisierung brauchen wir die Wirtschaftsgemeinschaft; denn nur sie verleiht uns Stärke.
Ich denke zum Beispiel an die Durchsetzungsfähigkeit in
der Welthandelsorganisation, bei dem Partnerschaftsabkommen mit Russland oder demnächst bei dem Transatlantischen Partnerschaftsabkommen mit den USA. Wir
brauchen diese Stärke. Aber um sie wiederzugewinnen,
müssen wir die EU meines Erachtens in vielerlei Hinsicht wieder vom Kopf auf die Füße stellen.
Das Motto „Die Welt zu Gast bei Freunden“ wurde
heute schon vielfach erwähnt. Von Deutschland geht ein
positives Bild um die Welt. Wir sehen allenthalben die
schwarz-rot-goldenen Flaggen. Sie sind von den meisten
völlig unpolitisch gemeint: nicht als Symbol der Einheit,
der Demokratie oder der sozialen Marktwirtschaft, sondern als kleines Zeichen der deutschen Identität.
Wenn wir im Zusammenhang mit der Wertegemeinschaft von europäischer Identität sprechen, dann ist,
glaube ich, die deutsche Identität die Basis dafür. Insofern bedauere ich das, was zurzeit in Sachsen bei den
Jungen Linken passiert. Dort ist von einer linken Abgeordneten zu hören, dass die Flaggen von den Straßen zu
holen seien und dass sie gegen T-Shirts mit Antinaziaufdrucken getauscht werden könnten.
Deutschland hat mit der Fußballweltmeisterschaft ein
positives Bild in die Welt getragen. Wir haben aber auch
in den Jahren davor mit unserem Engagement für den
Aufbau der Europäischen Union und die Integration
neuer Mitgliedstaaten ein positives Bild in die Welt getragen.
({2})
Nun sind wir an einem Punkt angelangt, an dem
Deutschland sein Ansehen und seinen Einfluss dazu nutzen muss, die EU wieder auf den richtigen Weg zu bringen. Es gibt jede Menge Baustellen: die Erweiterung der
Europäischen Union, Wachstum und Beschäftigung, der
Verfassungsvertrag, die Finanzierung, die Energiepolitik und die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik.
Lassen Sie mich zwei Punkte herausgreifen. Zunächst
zur Finanzierung: Der Kampf um den neuen EU-Haushalt für die Jahre 2007 bis 2013 hat gezeigt, dass es auch
in Zukunft nicht leichter wird, ein angemessenes Budget
zusammenzubekommen. Obgleich die Einigung für den
neuen Förderungszeitraum gelungen ist, wird die finnische Ratspräsidentschaft noch Einzelheiten auszuhandeln haben. Denn wir haben immerhin über 40 Politikprogramme, bei denen wir uns keinen Aufschub mehr
leisten dürfen. Das gilt vor allem für die Bereiche Strukturpolitik, Forschung und Ausbildung.
Gerade als ostdeutsche Abgeordnete will ich aber auf
einen positiven Aspekt hinweisen, den die EU-Förderung mit sich gebracht hat. Bei der EU-Strukturförderung haben wir in hohem Maße von den Haushaltsmitteln profitiert, die die Mitgliedstaaten jährlich zur
Verfügung gestellt haben. Ich nenne nur ein Beispiel aus
der Solarindustrie. In meinem Wahlkreis ist die deutsche
Solar-World angesiedelt. In Sachsen-Anhalt ist Q-Cells
vertreten. Diese Solarfirmen sind bekanntlich mittlerweile börsennotiert. Sie haben in den 90er-Jahren mit
vier bis zehn Arbeitsplätzen begonnen. Die Zahl der
Arbeitsplätze ist inzwischen - auch dank der millionenschweren EU-Förderung - auf 700 bis 1 000 Arbeitsplätze angewachsen. Das zeigt doch, wie man eine sinnvoll angewendete EU-Förderung in Beschäftigung
({3})
- auch in Geld, Herr Löning - ummünzen kann.
Wir müssen dennoch über eine Neuordnung der
Finanzierung nachdenken. Ich meine damit nicht die
unsägliche Debatte über die Einführung einer EUSteuer, sondern die solide Finanzpolitik der EU, die natürlich auf der soliden Finanzpolitik der einzelnen Mitgliedstaaten basiert und davon nicht abgekoppelt werden
kann. Daher ist die Forderung der Europäischen Kommission nach mehr Transparenz bei der Strukturförderung richtig. Dort gibt es erhebliche Informationsdefizite. So haben wir bislang kaum überblicken können, ob
mit EU-Mitteln zum Beispiel die Arbeitsplatzverlagerung von einem Staat in einen anderen gefördert worden
ist.
({4})
Insofern muss es dort mehr Information und Kommunikation sowie Kontrolle geben.
Der Vorschlag Frankreichs ist zu begrüßen, die Agrarpolitik zu vereinfachen. Immerhin ist der Agrarhaushalt
mit einem Anteil von 40 Prozent am EU-Gesamthaushalt ein großer Posten.
Die Kanzlerin betont ständig die Themen Deregulierung und Entbürokratisierung und übt Aufgabenkritik.
Das alles führt zu Einsparungen. Man darf nicht vergessen: 30 Prozent der EU-Kosten sind Verwaltungskosten.
Die hierfür verwendeten Mittel kommen nur in einem
sehr geringen Umfang dem Bürger zugute. Ich glaube,
dass wir auf diesem Gebiet hart in der Sache bleiben
müssen.
({5})
Ich komme zur Erweiterungspolitik. Auch der neuen
Europäischen Kommission ist nicht verborgen geblieben, dass eine gewisse Erweiterungsmüdigkeit herrscht.
Es gibt eine Abkehr vom bisherigen Erweiterungsautomatismus; das ist zu begrüßen. Wir müssen aber das,
was wir in Zukunft in Bezug auf die Erweiterung machen wollen, neu definieren. Das betrifft zum einen den
politischen und den wirtschaftlichen Charakter der
Union und zum anderen die geografische Ausbreitung
und den kulturhistorischen Bereich. Die Forderung des
Europäischen Parlaments an die EU-Kommission, einen
Zeitplan für die Neukonzeption der Erweiterungsstrategie vorzulegen, und die Forderung, dass zukünftig
Kandidatenländer bereits vor der Aufnahme von Verhandlungen die EU-Grundsätze - Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit - verwirklichen sollen, sind unbedingt zu begrüßen.
Ich möchte an dieser Stelle eine Metapher des serbischen Außenministers Vuk Drašković aufgreifen, die er
kürzlich bei seinem Parisbesuch vortrug: Wenn wir das
Prinzip so fortsetzen wie bisher, dann ist das so, als
wenn ein Student zu seinem Professor geht und sagt, gib
mir das Diplom, ich lerne dann schon. So darf es bei der
Erweiterung nicht zugehen. Zuerst muss gelernt und
müssen die Aufgaben bzw. die Beitrittskriterien erfüllt
werden. Dann kann es das Diplom geben bzw. die Aufnahme in die EU erfolgen. Die besten Beispiele bieten
zurzeit Bulgarien und Rumänien, deren Aufnahme in die
EU ansteht. Sie werden alle Hände voll zu tun haben, bis
zur Vorlage des Fortschrittsberichts im Herbst die Beitrittskriterien zu erfüllen. Erst dann sind sie würdig, in
die EU aufgenommen zu werden.
Die Bundesregierung übernimmt mit der Ratspräsidentschaft 2007 viel Verantwortung. Alles, was von uns
erwartet wird, können wir, glaube ich, gar nicht schultern. Aber am wichtigsten ist - gerade in Bezug auf den
Verfassungsvertrag - das Thema Bürgernähe. Mehr Information und mehr Kommunikation mit den Bürgern
sind notwendig, wenn mehr Identität entstehen soll. Wir
brauchen mehr Transparenz und eine stärkere demokratische Legitimation.
Frau Kollegin, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Ich komme zum Schluss.
Es sind viele Aufgaben erwähnt worden, die wir in
Zukunft im Hinblick auf die EU zu erledigen haben.
Hierauf bezogen darf ich Mahatma Gandhi zitieren, der
einmal gesagt hat: „Ohne Tat bleibt jeder Gedanke
blass.“
Herzlichen Dank.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Michael Leutert von
der Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Seit geraumer Zeit gehört der Koalitionsvertrag zu meinen Lieblingslektüren.
({0})
Ich darf kurz daraus zitieren:
Vertraglich abgesicherte Nichtverbreitung, Abrüstung und Rüstungskontrolle sind zentrale Anliegen
der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik. Wir
halten an dem langfristigen Ziel der vollständigen
Abschaffung aller Massenvernichtungswaffen fest.
({1})
Diesen Punkt können auch wir als Linke unterschreiben
und unterstützen.
({2})
Nun gibt es im Einzelplan des Auswärtigen Amtes einen Titel, in dem auch Mittel zur Minenbeseitigung beMichael Leutert
reitgestellt werden. Leider muss man feststellen, dass
diese Gelder von ehemals 12 Millionen Euro auf jetzt
knapp 9 Millionen Euro abgeschmolzen werden. Zum
Vergleich dazu - um die Dimension deutlich zu machen -:
Der Verteidigungsetat mit einem Volumen von fast
24 Milliarden Euro - das ist der zweitgrößte Etat - und
mit etwas mehr als 9 Prozent des Gesamthaushalts enthält ein Extrakapitel - ich habe das hier schon einmal an
anderer Stelle gesagt - mit der Bezeichnung „Wehrforschung, wehrtechnische und sonstige militärische Entwicklung und Erprobung“. Allein dieses Kapitel umfasst
circa 1,1 Milliarden Euro. Das sind 0,4 Prozent des Gesamthaushalts. Der Einzelplan 05 umfasst lediglich das
Doppelte, 0,88 Prozent des Gesamthaushalts. Die Mittel
in diesem Kapitel sind natürlich um 153 Millionen Euro
aufgestockt worden. Hier scheinen die Schwerpunktsetzungen etwas verfehlt zu sein. Haushaltsplan und Koalitionsvertrag passen an dem Punkt meines Erachtens
nicht so ganz zusammen.
({3})
Auch die CDU/CSU war schon einmal Oppositionspartei.
({4})
Im März 2002 stellte die CDU/CSU-Fraktion einen Antrag im Bundestag, auch von Frau Merkel unterzeichnet,
in dem es unter anderem heißt - ich zitiere -:
Jahr für Jahr sind mehrere tausend zivile Minenopfer zu beklagen. In allen Teilen der Welt gibt es
Länder, in denen Minen in einer so großen Menge
verlegt wurden, dass sie eine immense Gefahr für
die Bevölkerung darstellen ...
Sie kommt zu der Schlussfolgerung:
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, ... den nationalen Beitrag für Minenräumprojekte und die Minenopferhilfe signifikant zu erhöhen.
Damals war ein Betrag von 9,5 Millionen Euro eingestellt. Sie sprachen von signifikanter Erhöhung und nicht
von Kürzung in diesem Bereich. Ich frage Sie einfach,
ob Sie mir sagen können, warum Sie jetzt, wo Sie die
Chance haben, das durchzusetzen, was Sie eigentlich
wollten, das nicht in die Tat umsetzen.
Ich glaube auch nicht, dass das am Widerstand der
SPD liegt. Immerhin meinte der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse - Zitat -:
Über 30 000 Menschen kommen jährlich durch Minen ums Leben oder werden durch sie schwer verletzt. Sie treffen ihre Opfer unvorbereitet und völlig
wahllos auf grausamste Weise. Es muss alles getan
werden, um diesem Wahnsinn ein Ende zu machen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich kann also hier
im Hohen Hause eine breite Mehrheit feststellen - die
FDP und die Grünen haben ähnlich gelagerte Anträge in
den letzten Legislaturperioden gestellt -, was die Mittel
für Minenbeseitigung betrifft. Deshalb kann ich Sie nur
darum bitten, unserem heute vorliegenden Änderungsantrag zuzustimmen, die Mittel für die Minenbeseitigung
zu verdoppeln, nämlich auf 16 Millionen Euro zu erhöhen. Wir alle haben also heute die Chance, unseren Worten Taten folgen zu lassen.
Danke.
({5})
Nächster Redner ist der Kollege Gert Weisskirchen,
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Außenminister hat den Krisenbogen beschrieben,
der uns direkt berührt, in dessen räumlicher Nähe wir leben: die arabische Welt. Sie befindet sich in einem fundamentalen Wandel und in einem Umbruch, der viel tiefer geht als das, was wir Europäer an Umbrüchen in den
letzten 15 Jahren erlebt haben.
Wenn man sich die Region genau anschaut, dann wird
auch klar, warum es so einen dramatischen Unterschied
gibt zwischen den Transformationsprozessen, die in Europa stattgefunden haben und noch stattfinden, und dem,
was der arabischen Welt bevorsteht. Dort gibt es keinen
Anker, an dem sich die Länder festhalten können. Anders war es bei den Ländern, die damals den Wandel in
Osteuropa durchgesetzt haben. Sie hatten einen Anker:
Sie konnten in die Europäische Union, nach Westen und
sich dort erstens in Bezug auf Stabilität, Konsolidierung
und Demokratie und zweitens in Richtung ökonomischer
Modernisierung orientieren. So konnten sie den Versuch
unternehmen, zivilisatorische Nachholprozesse zu organisieren. Das ist der Unterschied zur arabischen Welt.
Unsere Aufgabe ist es, der arabischen Welt in dieser
Situation, die zurzeit erlebt wird und die in Angst, zum
Teil in Verzweiflung mündet, eine vernünftige, kluge
Antwort zu geben. Die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik, der Islamdialog ist eine solche Antwort. Ich bin
froh darüber, dass der Außenminister am Schluss seiner
Rede deutlich gemacht hat, dass die auswärtige Kulturpolitik einer der ganz zentralen Punkte - mit Blick auf
das, was künftig zu tun ist, vielleicht sogar das Herzstück - unserer Außenpolitik ist. Ich bin froh darüber,
dass das in Ihren Händen ist. Diese Politik wird fortgesetzt und das Parlament wird Sie dabei unterstützen.
({0})
Die Angst, die man in der arabischen Welt erleben
kann, sucht sich Fluchtwege. Um nur ein Beispiel zu
nennen: Seit 1976 ist die Hälfte aller Ärztinnen und
Ärzte - vorwiegend Ärzte -, die in der arabischen Welt
ausgebildet worden sind, ausgewandert, in die USA oder
in die Europäische Union. Die Angst verlangt aber eine
andere Antwort. Diese Antwort zu finden, dazu können
wir etwas beitragen. Wir können die entwickelten
Gert Weisskirchen ({1})
Instrumente verstärken und, wo es nötig ist, zuspitzen.
Zum Beispiel halte ich es für zwingend erforderlich,
dass der Islamdialog an folgendem Punkt ergänzt und
erweitert wird, Herr Außenminister: Wir sollten nicht alleine - was wichtig genug ist - mit den politischen Akteuren, etwa Parlamentariern, in diesen Regionen Kontakte pflegen und ausbauen, sondern darüber hinaus den
Jugendlichen in dieser Region die Chance zu einer Begegnung mit Jugendlichen der Europäischen Union geben. Ich glaube, dass das eines der ganz zentralen neuen
Instrumente sein muss. Damit ist schon begonnen worden, aber das muss ausgebaut und verstärkt werden.
Denn die Begegnung zwischen jungen Menschen ist Teil
dessen, wonach die islamische Welt - das ist einer der
Gründe, warum sie sich gegenwärtig in Aufruhr befindet geradezu sehnsüchtig sucht: Anerkennung und Achtung
ihrer eigenen Religion.
Ich glaube, an diesem Punkt kann der Islamdialog ein
ungeheuer vernünftiges, kluges Instrument sein, das unverzichtbar ist und an dem wir weiterarbeiten müssen,
liebe Kolleginnen und Kollegen.
({2})
Das ist auch deshalb nötig, weil die Modernisierungsversuche, die in der arabischen Welt seit Jahrzehnten unternommen werden, allesamt gescheitert sind, und zwar
auch deshalb, weil die Konzepte, die als Modernisierungsversuche überlegt worden sind, entliehene Konzepte waren; entliehen aus der europäischen Welt nach
dem Vorbild des Kolonialismus. Der erste Versuch war,
den Nationalismus zu adaptieren, zu übernehmen, obwohl die Europäer schon damals erkannt hatten, dass das
falsch war. Ich nenne nur das Beispiel der PLO. Der Versuch, den Nationalismus auf die eigene Region zu übertragen, ist gescheitert; er musste scheitern. Schon in dem
Moment war klar, dass der blinde Aktionismus der PLO
nur in die Leere gehen oder gar zu etwas viel Gefährlicherem führen kann - das war schon zu Beginn zu erkennen -: In dem Moment, wo die Enttäuschungen über
die Fehlkonzepte der europäischen Welt, wie etwa der
Nationalismus eines war, in dieser Region explodieren,
gibt es einen Adressaten, bei dem man den Hass abladen
kann, nämlich Israel.
Herr Kollege, darf ich Sie sanft an die Zeit erinnern?
({0})
Ich meine, gerade aus diesem Grunde haben wir
Deutsche und wir Europäer die Aufgabe, die Pflicht, dafür zu sorgen, dass die Modernisierungsblockaden in der
arabischen Welt aufgelöst werden, damit Israel als Anker
der Modernisierung und der Demokratie in dieser Region eine andere und noch bessere Chance hat, als es gegenwärtig der Fall ist. Auch deshalb ist es wichtig, dass
der Islamdialog fortgesetzt wird.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Rainder Steenblock,
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr verehrter Herr Außenminister, Sie haben im außenpolitischen Teil Ihrer Rede eine ganze Reihe von Fragen
angeschnitten, in denen Sie in diesem Hause über die
Regierungsfraktionen hinaus sicherlich eine breite Unterstützung haben werden.
Das Wenige, das Sie heute zu Europa gesagt haben,
hat mich doch sehr enttäuscht. Sie haben im Grunde nur
kurz auf die Frage des Verfassungsvertrages hingewiesen, so wie er auf dem letzten Rat behandelt worden ist. Sehr geehrte Frau Kollegin Schwall-Düren, ich spreche
gerade mit dem Außenminister.
({0})
- In diesem Hohen Hause ist es in der Regel so, dass
man das vom Rednerpult aus macht. Es hat sich aber, gerade wenn ein Vertreter der Opposition redet, eingeschlichen, dass andere als der Redner, der am Rednerpult
steht, mit den Vertretern und Vertreterinnen der Regierung sprechen. Ich finde diesen Stil in diesem Hause
nicht in Ordnung. Das will ich in aller Ruhe sagen.
({1})
- Ich bin nicht derjenige, der berufen ist, irgendjemanden zu verteidigen.
({2})
Ich finde, wir haben Regularien, die wir alle einhalten
sollten. Daran möchte ich in aller Ruhe erinnern.
({3})
Herr Außenminister, Sie haben zwar auf die gewachsene Bedeutung Deutschlands und die Erwartungen, die
an uns gerichtet werden, hingewiesen. Es wäre aber auch
notwendig gewesen, etwas zum Inhalt der Verfassungsdebatte zu sagen. Sie hätten darstellen können, dass wir
im nächsten Jahr während der deutschen Ratspräsidentschaft nicht nur Vorschläge dazu machen wollen, wie
das Verfahren weitergeht - es wäre zu wenig, diesbezüglich nur eine Tagesordnung aufzustellen -, sondern auch
dazu, wie wir in der Sache vorankommen. Diese Verantwortung liegt zu einem ganz großen Teil bei uns. Darüber müssen wir mit unseren Freundinnen und Freunden reden. Dieser Verantwortung sollten wir uns nicht
entziehen.
Das heißt natürlich auch, dass wir das Gespräch mit
den Menschen in diesem Lande suchen müssen. Die
Europäische Union hat sich mit ihrer Kommunikationsstrategie nicht besonders mit Ruhm bekleckert. Im
Grunde findet in der EU keine Debatte über die Konsequenzen aus den Voten von Frankreich und den Niederlanden statt. Wir brauchen eine neue Kommunikationsinitiative, um die Menschen in der EU tatsächlich wieder
für die europäischen Ideen zu begeistern. Der Internationalismus, der die Herzen der Menschen in diesem Lande
erobert hat - das sehen wir bei dieser Weltmeisterschaft -, ist eine gute Grundlage dafür, um europäische
Politik aus Deutschland heraus zu gestalten. Es ist wichtig, dass die Bundesregierung intensivere Kommunikation betreibt, als Sie das heute dargestellt haben.
Sie haben die Frage der Erweiterung so gut wie gar
nicht angesprochen. Auch die Energie wird ein zentrales
Thema auf dem Frühjahrsgipfel, den die deutsche Ratspräsidentschaft durchführen wird, sein. Sie haben dazu
und zum Lissabonprozess nichts gesagt.
({4})
Die Bundesregierung wird natürlich an der Frage gemessen, ob sie in der Lage ist, diesen Themenkatalog abzuarbeiten. In Bezug auf die Frage des Verfassungsvertrages stimmt mich sehr nachdenklich, dass der Rat
beschlossen hat, den Zeitplan so aufzubauen, dass erst
unter der französischen Ratspräsidentschaft auf dem Dezembergipfel am Ende des Jahres 2008 eine Entscheidung über den Verfassungsvertrag erfolgt. Ich halte diesen Zeitablauf vor dem Hintergrund der Debatten, die
wir führen, für hochgefährlich. Der vorgesehene Zeitpunkt der Entscheidung liegt wenige Wochen vor der
Europawahl.
Wenn man möchte, dass die Menschen in der EU ausreichend Zeit haben, um über diesen gegebenenfalls
neuen Verfassungsvertrag zu diskutieren, brauchen wir
eine andere Zeitplanung, sodass sich die Menschen in
der EU ernst genommen fühlen. Wir müssen die Menschen in dieser Debatte mitnehmen.
({5})
Das Gleiche gilt für die Frage der Erweiterung der
Union. Sie haben - das unterstütze ich sehr - die Perspektive für den Balkan angesprochen. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage - da gebe ich Ihnen völlig Recht -, wie man zu Serbien steht. Auch ich
halte die Stimmung und Perspektivlosigkeit, die sich im
Augenblick auf dem Balkan zusammenbrauen, für hochbrisant. Deshalb, glaube ich, sind wir gut beraten, die Erweiterungsdiskussion so zu führen, dass die Menschen
und die Staaten dort eine Perspektive erhalten.
({6})
Es wird nicht anders gehen. Sonst drohen uns extrem
große Gefahren.
Jeder, der sich dort aufhält, weiß, dass die Diskussionen, die derzeit dort geführt werden, fast schon ein Pulverfass darstellen. Auch aus diesem Grunde bin ich dafür, dass die Erweiterungsverhandlungen mit Kroatien
von denen mit der Türkei getrennt werden. Denn die Erweiterungsverhandlungen mit Kroatien haben mit Blick
auf die Region einen anderen Stellenwert. Deshalb müssen wir deutlich machen: Wir wollen die Integration des
Balkans in die Europäische Gemeinschaft, wobei die
einzelnen Staaten unterschiedliche zeitliche Perspektiven erhalten sollten. Das müssen wir ernst nehmen und
dazu benötigen wir Symbole.
({7})
Die Verhandlungen mit Kroatien stellen eines dieser
Symbole dar.
({8})
Lassen Sie mich zum Schluss noch Folgendes - was
ich sehr ärgerlich finde - sagen. Wenn wir angesichts der
Vertrauenskrise der Europäischen Union, die es im Augenblick gibt, die Menschen begeistern wollen, dann
gilt: Wir brauchen Transparenz. Wir müssen den Menschen sagen, was passiert. Ein Beispiel ist der Umgang
mit dem Geld der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler
aus Deutschland. In diesen Zusammenhang gehört für
mich die Frage der Transparenz entscheidend dazu.
({9})
Wenn dann die Bundesregierung, der Bauernverband
oder wer auch immer sagen, dass sie keine Offenlegung
dahin gehend wollen, wo zum Beispiel Mittel aus der
Agrarförderung oder der Strukturförderung ausgegeben
werden, dann ist das nicht nur beschämend. Vielmehr ist
das genau der falsche Weg, wenn man Menschen für die
EU begeistern und sie mitnehmen will.
({10})
Deshalb glaube ich, dass wir an dieser Stelle mehr
Mut brauchen. Die Menschen in Deutschland und in der
EU sind nicht gegen die europäische Integration. Aber
sie wollen wissen, was passiert. Wir haben die Verantwortung, mit ihnen darüber zu diskutieren. Das ist eine
Aufgabe, der sich die Bundesregierung in der Zukunft
stärker als in der Vergangenheit widmen muss.
Vielen Dank.
({11})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Erika Steinbach,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen
und Kollegen! Es ist nötig, dass wir in einer Haushalts3604
debatte eben nicht nur über Geld reden, sondern auch
über Menschen und ihre Rechte, insbesondere beim
Thema Außenpolitik. Erfreulicherweise haben das ja
auch alle Redner getan; die Menschenrechte haben in
den Reden eine sehr deutliche Rolle gespielt.
Seit Montag dieser Woche trifft sich in Genf der neu
gegründete Menschenrechtsrat. Mit der hochrangigen
Vertretung Deutschlands durch Außenminister FrankWalter Steinmeier und den neuen Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung, unseren früheren Kollegen
Günter Nooke, zeigt Deutschland, welche Bedeutung es
dem Thema Menschenrechte zumisst. Es wird nicht die
zweite, die dritte oder die vierte Garnitur geschickt; vielmehr ist es gut, dass Sie, Herr Außenminister, persönlich
dort teilnehmen.
({0})
Deutsche Außenpolitik kümmert sich eben nicht nur
um Wirtschaftskontakte - so wichtig sie auch immer
sind - oder um Sicherheitspolitik, sondern auch um
Menschenrechte. Finanziell ist das wohl eher eine zu
vernachlässigende Größenordnung im Haushalt des Auswärtigen Amtes oder im gesamten Bundeshaushalt; moralisch aber ist dieser Einsatz von herausragender Bedeutung. Er muss immer wieder in den Vordergrund
gestellt werden.
Wie nötig der Einsatz für Menschen ist, zeigt die
Vielzahl von erschütternden Berichten über Menschenrechtsverletzungen weltweit. Ein Blick nach China
macht das aktuell sehr deutlich. Das Schicksal des chinesischen Regierungskritikers und Umweltaktivisten Fu
Xiancai, der schwere Verletzungen durch brutale Schläger erlitten hat, weil er um sein Recht kämpfte, und die
dann unterlassene notwendige medizinische Behandlung
haben viele bei uns in Deutschland berührt; ja, es hat
viele Menschen auch erschüttert. Erst die finanzielle Unterstützung von deutscher Seite hat es am Ende ermöglicht, dass dieser Mann operiert werden konnte. Auch
wenn ihm diese Operation wohl das Leben gerettet hat,
wird er wahrscheinlich leider querschnittsgelähmt bleiben und im Rollstuhl sitzen müssen. Dieses Beispiel ist
nur ein kleiner Ausschnitt aus dem chinesischen Alltag.
Es zeigt aber, wie richtig die Bundeskanzlerin lag, als sie
bei ihrem Staatsbesuch in China vor Ort die Einhaltung
der Menschenrechte dezidiert gefordert hat.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen vom Koalitionspartner, ich verkneife mir, zu sagen, dass ich diesen Paradigmenwechsel in der deutschen Außenpolitik begrüße;
denn ich weiß, dass es Sie ein wenig treffen würde. Darum sage ich es ausdrücklich nicht.
({2})
Aber nicht nur im entfernten Asien, in Afrika, in Südamerika oder auch in Guantanamo - das sage ich mit
Blick auf die Vereinigten Staaten - stellen wir tagtäglich
Menschenrechtsverletzungen fest. Schauen wir doch
einmal auf Europa. Der Europäische Rat hat auf seiner
Sitzung am 15./16. Juni in Brüssel die Aufnahme der
Beitrittsverhandlungen mit der Türkei thematisiert. Der
Rat hat die Türkei aufgefordert, die in Gang gesetzten
Reformprozesse zu intensivieren. Die Aktualität dieses
Hinweises wird durch die Statistik der ergangenen Urteile des Europäischen Gerichthofes für Menschenrechte
in Straßburg verdeutlicht. Die Türkei führt mit 290 Verurteilungen im Jahre 2005 leider die Liste der Länder an,
in denen Menschenrechtsverletzungen begangen wurden. Das ist eine dramatische Entwicklung; denn das
entspricht einem Anteil von 26 Prozent aller Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte. Daran sieht man, dass es in der Türkei in diesem
Bereich erhebliche Defizite gibt.
Durch die gesetzlichen Reformen im Bereich des türkischen Strafrechts wurden in den letzten Monaten zwar
ohne Zweifel Fortschritte erzielt - insbesondere die Zahl
der Folterungen von politischen Gefangenen ist wohl
rückläufig -, aber gleichzeitig stellt Amnesty International in seinem Jahresbericht fest, dass sich „gewöhnliche
Straftäter“ heute eher einer erhöhten Gefahr ausgesetzt
sehen, Misshandlungen zu erleiden. Das zeigt, dass die
Türkei noch weit davon entfernt ist, europäische Menschenrechtsstandards zu erreichen.
Amnesty International hat mehrfach auf den neuen
§ 301 im türkischen Strafgesetzbuch verwiesen, der die
„Herabwürdigung des Türkentums, der türkischen Republik und der Institutionen des Staates“ - so heißt es
darin - unter Strafe stellt. Schon diese nebulösen Formulierungen lassen den Verdacht aufkommen, dass sich
darunter bei Bedarf eine Menge subsumieren lässt. In
der Tat gibt es unzählige Berichte, dass türkische Behörden auf ebenjenen Paragrafen zurückgreifen, um Kritiker einzuschüchtern sowie Menschenrechtsverteidiger
und Pressevertreter am Ende strafrechtlich zu belangen.
Schließlich höhlen auch die Einschränkungen für den
Gebrauch von Minderheitensprachen das Recht auf Meinungsfreiheit aus. Hierdurch werden insbesondere die
Kurden in ihren Rechten beschnitten.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass in der
Türkei mit Bezug auf Menschenrechte noch vieles im
Argen liegt. Es ist völlig unerheblich, ob man der Meinung ist, dass die Türkei Mitglied der Europäischen
Union werden solle, oder ob man begründete Bedenken
dagegen hat wie viele Kolleginnen und Kollegen aus der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Die Menschenrechtslage in der Türkei ist für beide Positionen nicht akzeptabel. Sie muss sich deutlich verbessern.
({3})
Ich bitte die Bundesregierung, sich weiterhin so intensiv wie in den vergangenen Monaten für Menschenrechtsfragen einzusetzen, und danke für das in diesen
Monaten gezeigte Engagement.
({4})
Das Wort hat der Kollege Michael Link, FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die Frau Bundeskanzlerin hat mit ihrem Wort vom
Sanierungsfall bewusst oder unbewusst vielleicht das
Wort der Woche, vielleicht das Wort des Monats und
vielleicht sogar mehr geprägt.
Ich will über einen anderen Sanierungsfall reden, den
Sanierungsfall Europäische Union. Ich konzentriere
mich dabei insbesondere auf die Finanzen. Ich denke,
wir sind uns da gar nicht so uneinig, denn immerhin ist
unter starker Mitwirkung der Bundeskanzlerin und des
Bundesaußenministers - wir haben das begrüßt - ein Beschluss herbeigeführt worden, dass die gesamten Einnahmen und Ausgaben der Europäischen Union 2008
auf den Prüfstand sollen. Auch das nennt man einen Sanierungsfall. Gerade weil gegenwärtig so vieles bei den
Finanzen der EU im Argen liegt, haben wir als FDP im
Europäischen Parlament genauso wie hier den im Dezember letzten Jahres in Brüssel gefundenen Kompromiss bezüglich der finanziellen Vorausschau, die nicht
weniger als sieben Jahre gelten soll, abgelehnt.
Ein solcher Beschluss - das muss man sich einmal
klar machen; es ist ja auch vielen, die sich mit dieser extrem komplizierten Materie EU-Haushalt befassen, nicht
klar - bindet uns hier auf sieben Jahre. Wir könnten nicht
einfach von einem Jahr zum anderen sagen, wir nehmen
unser Entscheidungsrecht wahr. Dieses Recht haben wir
nämlich nicht. Deshalb müssen wir - das ist ein ganz
entscheidender Punkt, wo das Parlament über die Fraktionsgrenzen hinweg endlich tätig werden muss - dazu
kommen, dass in Zukunft vor Entscheidungen, die sich
über sieben Jahre bindend auf den Bundeshaushalt auswirken, wirklich eine substanzielle Befassung damit im
Parlament stattfindet und dem Bundestag auch ein wirkliches Mitspracherecht zukommt und nicht nur das
Recht, einen solchen Beschluss im Nachhinein abzusegnen.
({0})
Das Stichwort „im Nachhinein“ möchte ich zum Anlass nehmen, daran zu erinnern, wie spät wir beim letzten und bisher einzigen Mal darüber abgestimmt haben:
Etwa zwei Jahre, nachdem die finanzielle Vorausschau
von den Staats- und Regierungschefs der Europäischen
Union beschlossen wurde, bekamen wir nämlich den so
genannten EU-Eigenmittelbeschluss zur Ratifizierung
vorgelegt. Glauben Sie im Ernst daran, dass jemand die
finanzielle Vorausschau, nachdem sie schon zwei Jahre
Basis für das Handeln war, ablehnen könnte? Es sind
beileibe auch keine Peanuts, über die wir hier reden, sondern es geht jedes Jahr um 21 Milliarden Euro, über die
der Bundestag eigentlich nicht wirklich mitentscheiden
darf. Das ist, meine Damen und Herren, Demokratiedefizit live.
({1})
Bitte verstehen Sie die FDP an dieser Stelle nicht
falsch. Wir sind überhaupt nicht dagegen, dass wir Geld
für die Europäische Union ausgeben, und wir sagen auch
nicht per se, die Beträge sind zu hoch. Wir sagen aber,
die Ausgaben sind vor dem Hintergrund dessen, wofür
sie ausgegeben werden, zu hoch und formell nicht in
Ordnung, weil der Bundestag darüber nicht mitentscheiden durfte. Das muss sich ändern, im Bereich EU-Finanzen genauso wie im Bereich EU-Vertragsänderungen
und europäische Verfassung. Mitspracherecht des Bundestages ist das Gebot der Stunde.
({2})
Wir haben es heute sehr stark vermisst, von Ihnen,
Herr Bundesaußenminister, dazu etwas zu hören. Wir
wissen zwar, dass gegenwärtig die Verhandlungen über
die Vereinbarung zwischen Bundestag und Bundesregierung laufen, aber zumindest eine Absichtserklärung
wäre schön gewesen. Zu einem Zeitpunkt, wo wir merken, dass zurückgerudert wird, leider auch bei Punkten,
die die Kollegen von der CDU/CSU letztes Jahr selber in
den Deutschen Bundestag eingebracht haben, wäre es
doch wichtig, ein Signal zu setzen, dass der Deutsche
Bundestag bei Vertragsänderungen und bei Beschlüssen
über weitere Erweiterungsschritte im Vorfeld eingebunden wird, und zwar auch in der Art, dass, wie es im Antrag der CDU/CSU vom 25. Januar 2005 noch heißt, mit
dem Bundestag Einvernehmen hergestellt wird.
({3})
Wenn sich die derzeitige Bundesregierung, in der ja
auch Abgeordnete der damaligen Opposition vertreten
sind, nicht an das hält, was damals gesagt wurde, und
wenn auch die Frau Bundeskanzlerin in diesem Punkt
nicht den Mut hat, dem Parlament die Rechte zu geben,
die sie damals selbst eingefordert hat, dann hat die Bundesregierung ein Glaubwürdigkeitsproblem. Deshalb
werden wir dieses Thema weiterhin massiv propagieren.
Wir als FDP sagen deshalb auch zum Bundesaußenminister: Trauen Sie in den Bereichen europäische Finanzen und auch Mitwirkungsrechte der frei gewählten
Parlamentarier dem Bundestag mehr zu. Wir sind hier
keine Populisten, die ein „race to the bottom“ veranstalten wollen. Wir wollen mit der Regierung Schritte für
die EU unternehmen: beim Geld, bei der Erweiterung,
bei der Verfassung. Das geht aber nur, wenn wir nicht
nur hinterher abnicken dürfen, sondern auch mitreden
dürfen.
Danke schön.
({4})
Nächster Redner ist der Kollege Axel Schäfer, SPDFraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Mein Bochumer Mitbürger Herbert Grönemeyer hat bei
Axel Schäfer ({0})
der WM-Fußballhymne getextet: „Zeit, dass sich was
dreht“. Das stimmt. Das stimmt, Gott sei Dank, auch für
Europa.
Das Erste. Wir bringen Soziales wieder voran. Gestern hat der Kommissionspräsident Barroso in seinem
Bericht vor dem Europäischen Parlament so häufig über
die Notwendigkeit von sozialer Verantwortung und Zusammenhalt geredet wie nie zuvor in seiner Amtszeit. Es
ist wichtig, dass wir deutlich machen: Europa wird Menschen nur überzeugen, wenn es auch als Sozialgemeinschaft funktioniert. Es ist gut, dass sich in der Kommission etwas gedreht hat, dass sie dazugelernt hat und dass
daher der kalte Marktradikalismus in Brüssel keine
Chance hat.
({1})
Das Zweite. Die Verfassung lebt.
({2})
Die Initiative des Außenministertreffens und des EUGipfels haben das deutlich gezeigt. Es hat sich auch gezeigt, was die Neinsager an Alternativen haben: Sie haben keine. Sie haben keine konkreten Vorstellungen und
sie haben keine Überlegungen, die irgendwo mehrheitsfähig sein könnten, geschweige denn konsensfähig. Deshalb ist es wichtig, dass wir das in der deutschen Ratspräsidentschaft weiterdrehen und dass wir zu guten
Ergebnissen kommen. Ich glaube, das gehört genau an
dieser Stelle einmal gesagt.
({3})
Ein Drittes. Wir kommen mit der Parlamentarisierung voran. Es hat viele gute Gespräche gegeben, in die
die Obleute des Bundestages eingebunden waren und die
sie vorangebracht haben. Es ist gut, dass sich auch die
Bundesregierung an dieser Stelle bewegt. Ich gehe davon aus, dass wir dort zu Ergebnissen kommen, die in
diesem Hause mit breiter Mehrheit tragfähig sind.
({4})
Neben Bewegung und Änderung geht es in Europa
auch immer um Kontinuität. Ein Teil dieser Kontinuität
ist der Bundesaußenminister. Frank-Walter Steinmeier
formuliert ja eher bescheiden; aber er spricht zu Recht
von Selbstbewusstsein. Wir als Deutsche müssen in Europa und auch für Europa selbstbewusst auftreten.
Ich habe gerade die Ticker-Meldung aus Wien erhalten: Beim EU-USA-Gipfel hat Präsident Bush angekündigt, dass Guantanamo geschlossen werden soll. Das ist
auch ein wichtiger Erfolg für Europa. Das ist ein wichtiger Erfolg für unsere Politik, die heißt: Wir setzen auf
die Stärke des Rechts und nicht auf das Recht des Stärkeren.
({5})
Herbert Grönemeyer hat in seiner Fußball-WMHymne im englischen Text geschrieben:
… never stop fighting, moving as one will still
work for all.
Das ist eine gute Aufgabe auch für die Deutsche Ratspräsidentschaft: immer in Europa weiterkämpfen, sich
selbst engagieren und dabei andere mitnehmen. Ich
glaube, die heutige Debatte hat gezeigt, dass wir da gut
aufgestellt sind. Glückauf für diese unsere Bundesregierung, vor allem für unseren Außenminister in der Europapolitik!
({6})
Das Wort hat der Kollege Herbert Frankenhauser,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist nicht sehr einfach, am Ende einer Debatte, die
sich Haushaltsdebatte nennt, aber vorwiegend geprägt ist
durch außenpolitische Ausführungen mit sehr stark
sportpolitischen Inhalten, noch einmal zum Haushalt zurückzukommen.
Zunächst kann ich mit Freude feststellen - wir haben
viel über Fahnen gesprochen -, Herr Außenminister,
dass wir beide heute gemeinsam noch die Farben Weiß
und Blau des Freistaates Bayern hier vertreten. Das kann
man auch als Symbol der Harmonie in der Koalition
werten.
({0})
Es ist darauf hingewiesen worden, dass der Haushalt
des Auswärtigen Amtes ein außerordentlich schwieriger
ist. Das ist er wohl auch deswegen, weil in den zurückliegenden Jahren die Aufgaben des Auswärtigen Amtes überproportional zugenommen haben, aber die dafür
notwendige finanzielle Ausstattung nicht Schritt gehalten hat. Es kam eine Menge von zusätzlichen Belastungen insbesondere auf die Mitarbeiter zu, denen von dieser Stelle aus zu Recht schon gedankt worden ist. Auch
wir im Haushaltsausschuss wissen, dass vieles notwendig oder zumindest wünschbar wäre, insbesondere wenn
ich an unsere Mittlerorganisationen denke, die exzellente
Arbeit leisten. Wir würden den Wünschen gerne entsprechen, aber wir sind in einem gewissen Maße verpflichtet,
an der Konsolidierung des Bundeshaushalts teilzunehmen, wobei ich die Auffassung teile, dass wir im Personalbereich, wenn die Aufgaben beibehalten werden sollen, künftig wohl nicht mehr an der pauschalen
Stellenkürzung teilnehmen können.
({1})
Das müssen schon die ersten Beratungen für den anstehenden Haushalt 2007 zeigen. Ebenso wollen wir beim
nächsten Haushalt unsere Koalitionsvereinbarung über
die Stärkung der deutschen Schulen im Ausland umsetzen und diese entsprechend dotieren. Es bleibt Ihnen,
Herr Außenminister, die gütige Hilfe unseres Kollegen
Koppelin, der Ihnen angeboten hat, dass Sie künftig das
nötige Geld selber drucken dürfen.
({2})
Es ist schon angesprochen worden, dass es eine gewisse Grundskepsis der Bevölkerung gegenüber der EU
gibt, die nicht zuletzt auch darin begründet ist, dass die
Leute nicht mehr erkennen können, ob mit ihren Steuergeldern ordnungsgemäß und ordentlich umgegangen
wird. Deswegen scheint mir für den Einigungsprozess
außerordentlich wichtig zu sein, der Bevölkerung die Sicherheit zu geben, dass die Steuergelder ordentlich verwandt werden. Daher bitte ich Sie, Herr Außenminister,
um Unterstützung bei der Offenlegung zum Beispiel der
Strukturmittel des EU-Haushalts, die immerhin ein
Drittel des gesamten EU-Haushaltes ausmachen, der bis
2013 auf sage und schreibe 308 Milliarden Euro anwachsen soll. Ich denke, es ist im gemeinsamen Interesse, eine solche Offenlegung dieser Fördergelder für
die Landwirtschaft und für die Strukturprogramme hinzubekommen. Das muss nicht unbedingt, wie befürchtet
wird, ein Datenfriedhof werden. Wer Gelder ordentlich
verwendet, braucht keine Sorge zu haben, die Daten offen zu legen.
({3})
Ich möchte eine weitere Bitte an Sie, Herr Außenminister, richten. Es werden die Zahlungen an die Autonomiebehörde Palästinas jetzt wieder aufgenommen,
wenn auch nicht direkt an die Regierung. Ich bitte, dafür
Sorge zu tragen, dass der fast ausschließlich aus EUGeldern finanzierte palästinensische Sender PA TV damit aufhört, weiterhin quasi mit unserem Geld zur Vernichtung des Staates Israel aufzurufen. Das kann nicht
hingenommen werden.
({4})
Vieles ist wünschenswert. Sie haben zu Recht die
Sorge um die adäquate Finanzausstattung geäußert, damit sich Deutschland nicht nur personell - das ist durch
die Bundeskanzlerin und das Kabinett gewährleistet während der EU-Präsidentschaft darstellen kann. Das
bedeutet, dass auch das Equipment entsprechend sein
soll. Ich glaube, für alle Kollegen in der Koalition sprechen zu dürfen, wenn ich sage, dass dafür in ausreichendem Maße vorgesorgt wird. Wir haben bereits Mittel bereitgestellt.
({5})
- Ich habe die besorgten Einwände des Kollegen
Kampeter zur Kenntnis genommen. Wir werden dafür
sorgen, dass diese Präsidentschaft nicht nur inhaltlich,
sondern insgesamt ein voller Erfolg wird.
Gestatten Sie mir noch ein paar Anmerkungen zu der
Problematik Goethe-Institut. Ich denke, es muss auch
von dieser Stelle aus einmal deutlich gesagt werden,
dass die Maßnahmen zur Konsolidierung des Bundes-
haushalts nicht an einem einzigen Institut - die Zentrale
des Goethe-Instituts befindet sich in der Bundesrepublik
Deutschland - vorbeigehen können. Wenn wir das be-
rücksichtigen, müssen wir feststellen, dass die Vorge-
hensweise dieses Instituts, zunächst einmal die Feuille-
tons damit zu füttern, wie viele Institute wegen der
mangelnden Finanzausstattung weltweit geschlossen
werden müssen, nicht akzeptabel ist. Das ist der ver-
kehrte Weg. Den werden wir nicht mitgehen.
Nach meiner festen Überzeugung hat das Goethe-In-
stitut zunächst endlich - nach vielen Ankündigungen -
eine Konzeption vorzulegen, die a) die Aufgaben bein-
haltet, die das Goethe-Institut als Mittlerorganisation im
Ausland zu erbringen hat, und die b) aufzeigt, welche
Möglichkeiten der Umorganisation im Hause selbst vorhanden sind. Von der Sparsamkeit ist auch die Zentrale
in München nicht auszunehmen, weil das Goethe-Institut die vornehmliche Arbeit im Ausland und nicht in der
Zentrale in München vorzunehmen hat.
({6})
Wenn diese Informationen vorliegen, wird der Haushaltsausschuss - davon bin ich überzeugt - Verständnis
aufbringen und für eine vernünftige Finanzausstattung
dieses Instituts sorgen. Ich bitte das Goethe-Institut aber
dringend, von der umgekehrten Vorgehensweise abzusehen.
Ich unterstütze nachdrücklich den Vorschlag des
Hauptberichterstatters, doch auch einmal über die Frage
der Zuständigkeiten und der Ablehnungspraxis bei den
Bauten des Auswärtigen Amtes nachzudenken.
({7})
Mir schwebt in diesem Zusammenhang keine neue Baubehörde vor, sondern eine Einrichtung, die es ermöglicht, dass die notwendigen Botschaften im Ausland
sachgerecht, schnell und unkompliziert errichtet werden,
und die dafür sorgt, dass die eingesparten Mittel, zum
Beispiel für Schneefanggitter in Afrika, sinnvoll verwendet werden.
({8})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzel-
plan 05 - Auswärtiges Amt - in der Ausschussfassung.
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die Linke
auf Drucksache 16/1863 vor. Wer stimmt für diesen Än-
derungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? -
Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen von SPD,
CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmen der Fraktionen
Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.
Wer stimmt für den Einzelplan 05 in der Ausschuss-
fassung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Einzelplan 05 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio-
nen bei Gegenstimmen der Fraktionen Die Linke,
Bündnis 90/Die Grünen und FDP angenommen.
Zusatzpunkt 2. Wir kommen zur Abstimmung über
den Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen
auf Drucksache 16/1885 mit dem Titel „Neubesetzung
des Amtes des Koordinators für die deutsch-russische
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit“. Die Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen verlangt namentliche Ab-
stimmung.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind die Plätze an
den Urnen besetzt? - Sind die Schriftführer an den Ur-
nen? - Das ist der Fall.
Ich eröffne die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? - Ich glaube, jetzt haben
alle Mitglieder des Hauses ihre Stimme abgegeben.
Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schrift-
führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu
beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen
später bekannt gegeben.1)
Ich bitte all diejenigen, die sich anderweitig unterhalten wollen, ihre Gespräche außerhalb des Plenarsaals zu
führen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt I.8 auf:
Einzelplan 14
Bundesministerium der Verteidigung
- Drucksachen 16/1313, 16/1324 Berichterstattung:
Abgeordnete Johannes Kahrs
Susanne Jaffke
Bartholomäus Kalb
Dr. Gesine Lötzsch
Zum Einzelplan 14 liegen zwei Entschließungsanträge der Fraktion der FDP und ein Entschließungsantrag
der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen vor, über die
wir am Freitag nach der Schlussabstimmung abstimmen
werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Elke Hoff, FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Die meisten Fachpolitiker in diesem
Hause sind sich sicherlich darüber einig, dass der jetzt
vorliegende Entwurf des Verteidigungshaushaltes für das
Jahr 2006 noch nicht all die Zumutungen enthält, die
schon in wenigen Wochen mit dem Entwurf des
Verteidigungshaushaltes 2007 mit voller Wucht auf uns
zukommen werden. Aber schon der Haushaltsent-
wurf 2006 entspricht nicht dem, was sich der Bundesver-
teidigungsminister vorgenommen hat und was auch nur
1) Seite 3609 D
einigermaßen den sicherheitspolitischen Anforderungen
entsprechen würde.
({0})
Herr Minister Jung, Sie haben am 29. März 2006 in
einer Pressemitteilung erklärt: Im Entwurf des Verteidigungshaushaltes stehen der Bundeswehr 23,88 Milliarden Euro zur Verfügung. Im Vergleich zum Haushalt 2005 bedeutet dies eine Verbesserung um
150 Millionen. - Diese Behauptung ist nicht zu halten,
da Belastungen des Verteidigungshaushaltes von bis zu
300 Millionen Euro durch die Finanzierung israelischer
U-Boote und die Abgabe von Verkaufserlösen an den Finanzminister nicht berücksichtigt werden.
({1})
Tatsächlich sinkt der Verteidigungshaushalt um mehr
als 20 Millionen Euro. Auch die Kosten, die durch den
bevorstehenden Kongoeinsatz der Bundeswehr als zusätzliche Belastungen auf den Verteidigungshaushalt zukommen, nämlich 56 Millionen Euro plus XXL, sind
noch nicht berücksichtigt. Von Herrn Steinbrück habe
ich bis heute noch nicht gehört, dass er diesen Einsatz
aus seinen leeren Schatullen finanzieren will, wie von
Herrn Minister Jung angekündigt. Dagegen werden die
Auslandszulagen unserer Soldaten im Kongo zum Gegenstand der öffentlichen Auseinandersetzung. Es ist
schlimm, Herr Minister, dass Sie in der Bundeswehr
nicht für Ruhe sorgen.
({2})
Schon bei der Verabschiedung dieses Haushaltes sind
die Vorgaben des Bundeswehrplanes 2006, also des
wichtigsten Planungsdokumentes für die Bundeswehr,
Makulatur. Tatsächlich wird der ermittelte Finanzbedarf
in Höhe von 24,2 Milliarden Euro um bis zu 430 Millionen Euro unterschritten. Ein so massives Unterschreiten
der Finanzvorgabe des Bundeswehrplanes hat fatale
Konsequenzen für die zukünftige Ausrüstung der Bundeswehr, da diese Lücke nur durch eine weitere Runde
Streichen, Strecken und Kürzen geschlossen werden
kann.
Die Situation im Hinblick auf den Materialerhalt, die
insbesondere beim Heer bereits heute dramatisch ist,
verschärft sich weiter und beeinträchtigt damit zunehmend die Einsatzbereitschaft, und zwar auch die der Soldaten, die sich im Auslandseinsatz befinden. Es grenzt
inzwischen an Verantwortungslosigkeit, bestehende Einsatzverpflichtungen weiterhin zu mandatieren und
gleichzeitig neue Verpflichtungen einzugehen, ohne die
hierfür notwendigen Mittel bereitzustellen.
({3})
Die Bundesregierung muss, indem sie ihren Haushalt
vorlegt, die Frage beantworten, was ihr die Sicherheit
und die internationalen Verpflichtungen unseres Landes
wert sind. Nach Bekundungen von allen Seiten darf die
Ausrüstung der Bundeswehr keinen Kompromissen
unterliegen. Die Soldatinnen und Soldaten im Einsatz
sind mit dem besten und sichersten Material auszustatten, welches zur Verfügung steht. Eine Erhöhung der
Anzahl geschützter Fahrzeuge, aber auch die dringend
notwendige Beschaffung eines Schutzsystems gegen
Sprengfallen gehören an die Spitze der Agenda. Wir
müssen daher neue Spielräume schaffen, um die Bundeswehr adäquat auszurüsten. Dies wird mittelfristig nur
möglich sein, wenn wir bei der Beschaffung des Eurofighters und des A400M Abstriche machen.
({4})
Niemand in der Bundeswehr behauptet heute noch
ernsthaft, der Kauf von 180 Eurofightern sei zwingend
notwendig.
({5})
Diese Stückzahl entspricht nicht den sicherheitspolitischen Anforderungen. Was wir dagegen brauchen, ist
eine Mehrrollenbefähigung des Eurofighters. Daher hat
die FDP-Fraktion die Reduzierung des dritten Loses
Eurofighter sowie die Überprüfung einer Weiterveräußerung von Eurofightern an Drittstaaten beantragt. Gleiches gilt für die Beschaffung von 60 Transportflugzeugen vom Typ A400M. Die Beschaffung des A400M unterliegt der Prämisse, dass er zu einer Verlegeoperation
fähig sein muss. Aber dazu werden selbst nach Angaben
des Ministeriums nur 49 Maschinen benötigt. Um finanziell neue Spielräume zu gewinnen, ist es deshalb aus
der Sicht der FDP geboten, den Umfang der Beschaffung des A400M auf 49 Stück zu begrenzen. Eine Reduzierung der Stückzahl ist auch deshalb nötig, weil der
zeitgleiche Zulauf neuer Flugzeuge bei Weiternutzung
der vorhandenen zu einer Explosion der Betriebskosten
führt. Schon jetzt ist absehbar, dass sich die Bundeswehr
nicht einmal die für die Schulung des Personals erforderlichen Flugstunden leisten kann. Es ist abenteuerlich,
dass die Bundeswehr teures Gerät beschafft, ohne dessen
Betrieb finanzieren zu können!
({6})
Ähnliche Probleme gibt es offenbar bei der Ausbildung
von Personal, das einen Auslandseinsatz vor sich hat,
im Umgang mit geschützten Fahrzeugen. In Afghanistan
stehen dem Vernehmen nach geschützte Fahrzeuge zur
Verfügung, die, weil unsere Soldatinnen und Soldaten zu
Hause nicht die Möglichkeit hatten, auf diesem Gerät
ausgebildet zu werden, nicht eingesetzt werden können.
Wenn das stimmt, wäre das ein Skandal.
({7})
Die Entwicklung der Bundeswehr weg von Streitkräften, die vorrangig die Heimat schützen, hin zu einer Armee im Einsatz soll nach dem Willen der jetzigen Bundesregierung fortgeschrieben werden. Daher ist es
notwendiger denn je, die sicherheitspolitischen Interessen Deutschlands, aber auch die Grenzen möglicher zukünftiger Auslandseinsätze zu definieren. Obwohl der
Ressortentwurf eines Weißbuches den Fraktionen des
Deutschen Bundestages immer noch nicht auf einem angemessenen Wege bekannt gegeben wurde, kennen inzwischen alle sicherheitspolitisch Interessierten dieses
Papier aus dem Hause Jung.
({8})
Nichts von dem, was darin über die Finanzierung der
Bundeswehr geschrieben steht, findet sich im vorliegenden Entwurf oder im Bundeswehrplan 2007 wieder. Sie
werden weder heute noch bis zum Jahre 2009 eine Verstetigung der Verteidigungsausgaben auf 10 Prozent des
gesamten Bundeshaushaltes erreichen, wie dies von Ihrem Vorgänger, Herrn Struck, gefordert wurde, noch ist
eine Erhöhung des investiven Anteils auf mindestens
30 Prozent in Ihrer vorliegenden Planung wiederzufinden. Wir können unseren Soldatinnen und Soldaten nicht
immer mehr zumuten und sie dabei materiell immer
schlechter stellen. Die Berufs- und die Zeitsoldaten
mussten erst kürzlich schmerzhafte Einbußen beim Urlaubs- und beim Weihnachtsgeld hinnehmen. Die Diskrepanz zwischen der Bezahlung von Soldaten und der
von Bediensteten auf allen anderen Ebenen des öffentlichen Dienstes ist aufgrund der hohen Anforderungen an
die Soldaten und der Gefährlichkeit ihres Einsatzes nicht
länger hinnehmbar.
({9})
Herr Minister Jung, führen Sie endlich eine eigene
Besoldungsordnung für Soldaten ein, die der beruflichen Realität gerecht wird und spürbare Verbesserungen
mit sich bringt! Andernfalls werden Sie aus den kommenden geburtenschwachen Jahrgängen nicht mehr die
jungen Menschen gewinnen können, die Sie für die Bewältigung der immer anspruchsvoller werdenden Aufgaben brauchen, ganz zu schweigen von der Motivation
der jetzt dienenden Soldatinnen und Soldaten.
Man kann nicht immer neue Aufgaben annehmen und
internationale Verpflichtungen eingehen, die finanziellen
Rahmenbedingungen aber unberührt lassen. Anspruch
und finanzielle Wirklichkeit klaffen gerade in der Sicherheitspolitik immer weiter auseinander. Es ist an der
Zeit, dieses Auseinanderklaffen endlich zu stoppen, um
den, wie es Außenminister Steinmeier in der vorigen Debatte betont hat, hohen internationalen Erwartungen an
Deutschland gerecht werden zu können.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({10})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zurück
zum Zusatzpunkt 2 und gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Antrag der Fraktion
des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/1885
mit dem Titel „Neubesetzung des Amtes des Koordinators für die deutsch-russische zwischengesellschaftliche
Zusammenarbeit“ bekannt: Abgegebene Stimmen 557.
Mit Ja haben gestimmt 127, mit Nein haben gestimmt
410, Enthaltungen 20. Dieser Antrag ist damit abgelehnt.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 554;
davon
ja: 128
nein: 406
enthalten: 20
Ja
SPD
Marco Bülow
Wolfgang Grotthaus
Ottmar Schreiner
FDP
Jens Ackermann
Daniel Bahr ({0})
Angelika Brunkhorst
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Horst Friedrich ({1})
Dr. Edmund Peter Geisen
Hans-Michael Goldmann
Miriam Gruß
Dr. Christel Happach-Kasan
Birgit Homburger
Michael Kauch
Jürgen Koppelin
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Michael Link ({2})
Markus Löning
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Burkhardt Müller-Sönksen
Jörg Rohde
Frank Schäffler
Marina Schuster
Dr. Max Stadler
Florian Toncar
Christoph Waitz
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({3})
Martin Zeil
DIE LINKE.
Hüseyin-Kenan Aydin
Karin Binder
Heidrun Bluhm
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Sevim Dagdelen
Dr. Diether Dehm
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Diana Golze
Lutz Heilmann
Hans-Kurt Hill
Dr. Barbara Höll
Jan Korte
Oskar Lafontaine
Dr. Gesine Lötzsch
Ulrich Maurer
Dorothee Menzner
Kornelia Möller
Kersten Naumann
Wolfgang Neskovic
Bodo Ramelow
Elke Reinke
Paul Schäfer ({4})
Volker Schneider
({5})
Dr. Ilja Seifert
Dr. Petra Sitte
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann
BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({6})
Volker Beck ({7})
Cornelia Behm
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Dr. Ursula Eid
Hans Josef Fell
Kai Gehring
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Winfried Hermann
Peter Hettlich
Priska Hinz ({8})
Ulrike Höfken
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Thilo Hoppe
Ute Koczy
Sylvia Kotting-Uhl
Renate Künast
Undine Kurth ({9})
Markus Kurth
Monika Lazar
Anna Lührmann
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({10})
Brigitte Pothmer
Krista Sager
Elisabeth Scharfenberg
Irmingard Schewe-Gerigk
Dr. Gerhard Schick
Silke Stokar von Neuforn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Jürgen Trittin
Josef Philip Winkler
Margareta Wolf ({11})
Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Albach
Thomas Bareiß
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({12})
Dr. Christoph Bergner
Otto Bernhardt
Carl-Eduard von Bismarck
Renate Blank
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen
({13})
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Georg Fahrenschon
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({14})
Dirk Fischer ({15})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Dr. Hans-Peter Friedrich
({16})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Ralf Göbel
Dr. Reinhard Göhner
Josef Göppel
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Karl-Theodor Freiherr zu
Guttenberg
Olav Gutting
Holger Haibach
Ursula Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung ({17})
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({18})
Eckart von Klaeden
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Kristina Köhler ({19})
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Johann-Henrich
Krummacher
Dr. Hermann Kues
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Ingbert Liebing
Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
Patricia Lips
Stephan Mayer ({20})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Friedrich Merz
Laurenz Meyer ({21})
Maria Michalk
Hans Michelbach
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Carsten Müller
({22})
Stefan Müller ({23})
Bernward Müller ({24})
Hildegard Müller
Bernd Neumann ({25})
Henry Nitzsche
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Rita Pawelski
Dr. Peter Paziorek
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({26})
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Albert Rupprecht ({27})
Anita Schäfer ({28})
Hermann-Josef Scharf
Hartmut Schauerte
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({29})
Andreas Schmidt ({30})
Ingo Schmitt ({31})
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Kurt Segner
Bernd Siebert
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Thomas Strobl ({32})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß ({33})
Gerald Weiß ({34})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Anette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer ({35})
Elisabeth WinkelmeierBecker
Matthias Wissmann
Dagmar Wöhrl
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
SPD
Dr. Lale Akgün
Gregor Amann
Gerd Andres
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr ({36})
Doris Barnett
Klaus Barthel
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({37})
Volker Blumentritt
Kurt Bodewig
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({38})
Edelgard Bulmahn
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Martin Dörmann
Dr. Carl-Christian Dressel
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Peter Friedrich
Sigmar Gabriel
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Renate Gradistanac
Angelika Graf ({39})
Dieter Grasedieck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({40})
Iris Hoffmann ({41})
Frank Hofmann ({42})
Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Brunhilde Irber
Johannes Jung ({43})
Josip Juratovic
Ulrich Kasparick
Dr. h.c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Anette Kramme
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange ({44})
Dr. Karl Lauterbach
Waltraud Lehn
Helga Lopez
Gabriele Lösekrug-Möller
Dirk Manzewski
Caren Marks
Katja Mast
Markus Meckel
Petra Merkel ({45})
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller ({46})
Michael Müller ({47})
Gesine Multhaupt
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Christoph Pries
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Mechthild Rawert
Steffen Reiche ({48})
Maik Reichel
Dr. Carola Reimann
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
Sönke Rix
Rene Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({49})
Michael Roth ({50})
Ortwin Runde
Marlene Rupprecht
({51})
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({52})
Dr. Hermann Scheer
Marianne Schieder
Ulla Schmidt ({53})
Silvia Schmidt ({54})
Dr. Frank Schmidt
Heinz Schmitt ({55})
Carsten Schneider ({56})
Reinhard Schultz
({57})
Swen Schulz ({58})
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Joachim Stünker
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Dr. Rainer Tabillion
Jella Teuchner
Dr. h.c. Wolfgang Thierse
Jörn Thießen
Franz Thönnes
Hans-Jürgen Uhl
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Petra Weis
Gunter Weißgerber
({59})
Dr. Rainer Wend
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Waltraud Wollf
({60})
Heidi Wright
Uta Zapf
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
FDP
Uwe Barth
Joachim Günther ({61})
Enthalten
FDP
Christian Ahrendt
Ernst Burgbacher
Ulrike Flach
Paul K. Friedhoff
Dr. Heinrich L. Kolb
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Jan Mücke
({62})
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Carl-Ludwig Thiele
DIE LINKE.
Inge Höger-Neuling
Dr. Norman Paech
fraktionslos
Gert Winkelmeier
Bevor ich dem Kollegen Kurt Rossmanith das Wort
gebe, gratuliere ich dem Kollegen Rainer Arnold recht
herzlich zu seinem heutigen Geburtstag.
({63})
Nun hat das Wort Kurt Rossmanith, CDU/CSU-Fraktion.
({64})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren Kollegen! Es ist schön für den Kollegen Arnold, dass er heute als Sprecher der SPD-Fraktion
für die Sicherheits- und Verteidigungspolitik seinen Geburtstag im Plenum bei dem wunderschönen Thema dieses Einzelplans 14 verbringen darf. Deshalb auch von
meiner Seite und vonseiten der CDU/CSU-Fraktion
noch einmal herzliche Glückwünsche!
Der Einzelplan 14 des Haushalts hat einen Umfang
von fast 23,9 Milliarden Euro, wobei die Betriebsausgaben 17,2 Milliarden Euro betragen. Das heißt, wir haben
den Anteil der Betriebsausgaben von über drei Viertel
auf 72 Prozent zurückgeführt. In diesem Jahr haben wir
11,8 Milliarden Euro an Personalausgaben zu leisten.
Diese Zahl konnten wir in den vergangenen 15 Jahren
nie erreichen. Im Verteidigungsbereich haben wir die investiven Ausgaben von 5,9 Milliarden Euro im vergangenen Jahr auf über 6 Milliarden Euro angehoben. Das
heißt, der Anteil am Plafond beträgt wieder über
25 Prozent.
Das sind die Fakten, die man zur Kenntnis nehmen
und auch würdigen sollte, weil die Mittel in unserem
Bundeshaushalt knapp sind und weil bei einer Konsolidierung des Bundeshaushalts alle Bereiche des Bundeshaushalts erfasst werden. Dennoch haben wir erreicht,
dass wir uns bei den Ausgaben für unsere Streitkräfte im
sicherheitspolitischen und im sicherheitstechnischen Bereich - im Einzelplan 14 - nur sehr behutsam an Rückführungen beteiligen.
Ich finde, dass gerade die Steigerungen bei den Investitionsausgaben - das sind sowohl die Ausgaben für
die Beschaffung als auch für die Forschung und Entwicklung - zu begrüßen sind. Das ist der Einklang, den
wir uns in der großen Koalition vorgenommen haben.
Wir wollen zukunftsorientierte Technologien fördern.
Die Verteidigungstechnik ist sicherlich auch eine Zukunftstechnologie. Frau Kollegin Hoff, Sie haben das ja
angesprochen: Unsere Soldaten brauchen bei ihren Auslandseinsätzen neben der besten Ausbildung natürlich
auch die beste Ausrüstung und die beste Technologie.
({0})
Ich habe bei Ihrer Rede mit meinem Zwischenruf
schon gesagt, man solle nicht jeden Unfug, den irgendjemand von sich gibt und den die Presse aufgreift, einfach
kritiklos übernehmen. Ich habe dabei den Dingo im
Blick. Es ist ein Märchen, das nicht einmal zu
1001 Nacht passen würde, dass wir Material für den Einsatz beschaffen und in den Einsatzgebieten bereitstellen,
welches niemand bedienen kann. Ich empfehle wirklich,
dies nicht weiter zu verbreiten.
({1})
Herr Kollege Rossmanith, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Stinner?
Ja.
Vielen Dank. - Lieber Herr Kollege, sind Sie bereit,
zur Kenntnis zu nehmen, dass ich vor drei Wochen in
Faizabad persönlich gesehen habe, dass dort vier nagelneue Dingos auf dem Hof gestanden haben, und dass mir
der Kommandeur in Faizabad persönlich gesagt hat, dass
sie diese vier neuen Dingos, die dort auf dem Hof stehen, nicht einsetzen können, weil sie kein Personal haben, das dieses Gerät fahren kann?
({0})
Herr Kollege Stinner, ich bin bereit, zur Kenntnis zu
nehmen, dass Sie diese Frage gestellt haben und dass Sie
in Afghanistan waren.
({0})
Wenn der Kommandeur Ihnen dies wirklich so gesagt
hat, dann muss ich ein sehr großes Fragezeichen hinter
diesen Kommandeur setzen. Ich sage es Ihnen einmal
sehr vereinfacht. Selbst ich würde mir noch zutrauen,
den Dingo zu fahren.
({1})
Ich kenne ihn. Ich bin ein aktiver Reservist, aber nicht in
diesem Bereich. Vielleicht haben Sie den Kommandeur
missverstanden. Das unterstelle ich jetzt einmal für
beide Seiten. Wenn dort ein Dingo ist, dann heißt das ja
nicht, dass dieser von null bis 24 Uhr bewegt werden
muss. Die Dingos standen gerade zu dem Zeitpunkt
draußen, als Sie, lieber Kollege Stinner, sie besichtigt
haben. Vielleicht wurden sie auch extra für Sie herausgestellt, um zu zeigen, was an Material alles vorhanden ist.
({2})
Aber die Behauptung, niemand sei in der Lage, diese
Fahrzeuge zu fahren, weise ich zurück. Ich werde der
Sache - das können wir gerne gemeinsam machen nachgehen; das ist gar kein großes Problem.
({3})
Wir können uns hier noch und nöcher streiten. Aber
es wäre ein Armutszeugnis, für diese Panne die Soldaten
verantwortlich zu machen. Ich stelle mich vor die Soldaten, weil ich weiß, dass sie im Einsatz eine hervorragende Leistung erbringen. Ich darf mich nicht nur für
meine Fraktion, sondern - davon bin ich überzeugt - im
Namen des ganzen Hauses ausdrücklich für das bedanken, was unsere Soldaten von A wie Afghanistan bis Z
wie Zaire - heute heißt es wieder Kongo - leisten und
noch zukünftig leisten müssen. Sie machen eine großartige Arbeit.
({4})
Ich weiß, dass sie bestens ausgebildet sind und mit
dem neuesten Gerät, das ihnen zur Verfügung gestellt
wird, bereits hier in Deutschland vertraut gemacht werden. Es mag vielleicht sein, dass die eine oder andere
Gasse - lieber Kollege Stinner, da Sie dort waren, kennen Sie sich aus - nicht die Breite hat, wie das bei uns
der Fall ist. Durch einige Sträßchen - da stimme ich zu passt ein Dingo nicht. Da kann man vielleicht noch mit
einem Fahrrad durchfahren.
({5})
Aber dass die Soldaten nicht mit einem Dingo fahren
können, ist ein Märchen, das wir so nicht weiter verbreiten sollten.
Herr Kollege, Sie sind sicherlich der Überzeugung,
dass der Herr Kollege Stinner umfassend aufgeklärt ist
und sich hinsetzen darf.
({0})
Ich möchte gerne Ihre Redezeit weiterlaufen lassen und
werde das auch tun.
Frau Präsidentin, ich werde den Kollegen Stinner so
weit unterrichten und ihm den Sachverhalt so lange erläutern, wie er dies wünscht. Solange er steht, wünscht
er sich das wohl.
({0})
Herr Kollege Stinner, ich denke, Sie können jetzt
Platz nehmen.
({0})
Lieber Kollege Stinner, dann diskutieren wir das anschließend mit dem Bundesminister der Verteidigung
weiter, da die Frau Präsidentin - dafür habe ich natürlich
Verständnis - meine Redezeit nicht übermäßig verlängern will, weil die Sitzung sonst zu lange dauert.
({0})
Frau Kollegin Hoff, bei einer Sache bin ich mit Ihnen
völlig einig: Wir müssen eine Lösung dafür finden, wie
wir diese Auslandseinsätze finanzieren. Aber 1 Milliarde Euro weniger ist angesichts des relativ schmalen
Budgets schon sehr viel. Wir alle wünschen uns, hier
mehr Mittel zur Verfügung stellen zu können, aber die
Haushaltszwänge sind nun einmal so, wie sie sind. Hier
müssen wir - damit beschäftigen wir uns gerade - eine
gerechte Lösung finden. Wir werden - davon bin ich
überzeugt - auch eine Lösung finden. Auslandseinsätze
und Transformationsprozesse kosten nun einmal Geld.
Liebe Frau Hoff und verehrte Kolleginnen und Kollegen von der FDP, der Kollege van Essen hat es sicherheitshalber vorgezogen, heute gar nicht zu erscheinen.
({1})
Ich frage mich schon, weshalb Sie auf der einen Seite
das schmale Budget des Verteidigungshaushaltes
({2})
beklagen - unter den gegebenen Zwängen geht das nicht
anders - und auf der anderen Seite milliardenschwere
Kürzungsanträge stellen.
({3})
- Nein, von den Reservisten hat sie gar nichts gesagt. Ich
weiß nicht, ob die vielen aktiven Reservisten der FDP
diesen Anträgen zugestimmt haben. Dass Sie gerade in
dem Bereich der Reservisten, die nicht nur die Verbindung zwischen dem zivilen und dem militärischen Bereich schaffen, sondern sich auch an den Auslandseinsätzen aktiv beteiligen, und zwar unter Inkaufnahme
persönlicher Unbill - schließlich brauchen wir Fachleute
und die Reservisten stellen sich gerne zur Verfügung -,
einen Kürzungsantrag stellen, finde ich geradezu schäbig und völlig unangebracht.
Sie hätten sich vielleicht informieren sollen, bevor Sie
nur deshalb einen Antrag vorlegen, weil Sie wissen, dass
er ohnehin abgelehnt wird. Auch das sage ich klar und
deutlich.
({4})
An den Bundesminister der Verteidigung und die gesamte Hardthöhe gewandt, weise ich darauf hin, dass wir
gemeinsam eine Konzeption zur Neuordnung des Reservistenwesens erarbeiten müssen, weil wir die Reservisten dringend brauchen, und zwar nicht nur als Verbindung zwischen dem zivilen und dem militärischen
Bereich, sondern auch für den Einsatz selbst. Dabei leisten die Reservisten hervorragende Arbeit.
Ich möchte als letzten Punkt die Kooperation mit
der Wirtschaft ansprechen. Auch hier müssen wir zu einem Ergebnis kommen. Wir können weder nur auf die
Streitkräfte noch allein auf die Wirtschaft setzen; auch
hierbei ist ein gemeinsames Vorgehen notwendig. Das
wird die gemeinsame Aufgabe des Haushaltsausschusses, des Verteidigungsausschusses und des Ministeriums
sein. Ich bin sicher, dass wir auf diesem Weg eine geeignete Linie finden werden und dass wir alle in diesem
Haus - vielleicht mit Ausnahme der PDS - gut ausgebildete Streitkräfte wollen. Wir sind stolz auf unsere Soldatinnen und Soldaten. Deswegen bitte ich herzlich um Zustimmung zu diesem Haushalt.
Auch mir persönlich fällt es aufgrund der Einschränkungen dieses Haushalts nicht leicht, ihm zuzustimmen.
Aber wir wissen, dass wir mit in der Verantwortung stehen und dass sich die Haushaltskonsolidierung über alle
Bereiche erstrecken muss.
Herzlichen Dank.
({5})
Das Wort hat die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch, Fraktion Die Linke.
({0})
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Liebe Gäste auf der Tribüne! „Es
gibt nichts mehr zu verteilen“ lautet die Dauerfalschbehauptung der Kanzlerin und des Finanzministers, die
man am Verteidigungsetat sehr schön widerlegen kann.
Da es mein Vorredner von der CSU nicht getan hat,
möchte ich Sie darauf hinweisen, dass es sich dabei um
den drittgrößten Einzelhaushalt im Bundeshaushalt handelt. Er macht fast 11 Prozent des gesamten Haushaltes
aus.
({0})
Der Verteidigungsetat hat - nach den Beratungen im
Haushaltsausschuss ist der Etat noch etwas erhöht worden - ein Gesamtvolumen von 23,88 Milliarden Euro.
({1})
Das ist mehr, als zum Beispiel das Land Niedersachsen
insgesamt für die Erfüllung seiner staatlichen Aufgaben
im Jahr 2006 zur Verfügung hat.
({2})
Der niedersächsische Landeshaushalt hat lediglich ein
Gesamtvolumen von 22 Milliarden Euro.
Herr Schäuble hat, als er noch in der Opposition war,
keine Tagung und kein Interview ausgelassen, um den
aus seiner Sicht bedauernswerten Zustand der Bundeswehr zu beklagen. In den Medien wurde berichtet, dass
sich die Bundeswehrsoldaten in Afghanistan selbst mit
Tchibo-Ferngläsern ausrüsten müssten, weil die Bundeswehr dafür kein Geld habe.
Es ist immer das gleiche Spiel: Bei der Sicherheit und
der persönlichen Ausrüstung der Soldaten wird gespart.
Dafür fließt das Geld üppig, wenn es um die Beschaffung von neuen Rüstungsgütern geht, die keiner braucht.
Wir als Linke lehnen zum Beispiel - um das etwas
deutlicher zu machen - die Anschaffung des Hubschraubers Tiger ab.
({3})
Er ist als zweisitziger Begleit- und Unterstützungshubschrauber konzipiert und soll den Panzerabwehrhubschrauber BO-105 ersetzen. Der Steuerzahler soll dafür
380 Millionen Euro bezahlen. Welche Panzer sollen
denn damit abgewehrt werden? Es ist vielleicht die
Technik, die begeistert; die Bundeswehr braucht sie aber
nicht. Wie Sie alle wissen, werden im Rüstungshaushalt
noch Projekte aus dem Kalten Krieg realisiert, die keine
Antwort auf die heutigen sicherheitspolitischen Herausforderungen geben.
({4})
Ich finde es erstaunlich, dass Rüstungsprojekte in der
Öffentlichkeit so gut wie gar nicht diskutiert werden.
Wie viele andere Projekte werden solche Anschaffungen
von der Koalition - häufig, wie bei MEADS, mit Unterstützung der Grünen - durch den Bundestag gewunken,
ohne dass in den Medien davon Notiz genommen und
über den Sinn oder Unsinn solcher Projekte diskutiert
wird.
Wie lange zum Beispiel wurde öffentlich über das Für
und Wider der Angleichung des Arbeitslosengeldes II
Ost an das Westniveau gestritten?
({5})
Jetzt gibt es für jeden Arbeitslosengeld-II-Empfänger im
Osten 14 Euro mehr. Das macht insgesamt 120 Millionen Euro. Aber allein die Anschaffung der Tiger-Hubschrauber kostet den Steuerzahler 380 Millionen Euro
im Jahr 2006 und kein Mensch möchte darüber reden.
({6})
Es verwundert mich, dass sich die kritischen Medien
und der Bund der Steuerzahler so gar nicht für die Verschwendung von Steuergeldern bei der Rüstungsbeschaffung interessieren. In letzter Zeit hört man leider
auch wenig darüber, wenn es um Korruption in diesem
Bereich geht. Ich habe die Bundesregierung gefragt, wie
hoch die Korruptionsschäden im Gesundheitswesen, bei
der Rüstungsbeschaffung und im Bauwesen geschätzt
werden. War die Antwort, bezogen auf das Bauwesen,
noch halbwegs informativ, habe ich über Korruption bei
der Rüstungsbeschaffung nichts erfahren. Dabei wissen
wir alle doch seit den Geschäften, die die Bundesregierung Kohl mit Waffenhändlern realisiert hat, dass es hier
in der Regel um sehr viel Geld geht. Wenn die Bundeswehr eine Parlamentsarmee sein soll, dann muss auch
hier offen und ehrlich über solche Fragen geredet werden. Doch als Parlamentarier trifft man auf eine Mauer
des Schweigens.
({7})
Wir, die Linke, fordern die Bundesregierung auf, die
Heimlichtuerei endlich zu beenden und mehr Transparenz bei der Rüstungsbeschaffung herzustellen.
({8})
Unsere Fraktion hat in den Haushaltsberatungen Kürzungen beim Verteidigungsetat in Höhe von 2,6 Milliarden Euro vorgeschlagen. Das sind ungefähr10 Prozent
dieses Etats. Dieser Konsolidierungsbeitrag würde die
Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger in keiner Weise
einschränken. Leider sind alle unsere Vorschläge abgelehnt worden.
({9})
Deshalb werden wir gegen den Einzelplan 14 stimmen.
Abschließend möchte ich Ihnen klar und deutlich sagen, dass wir, die Linke, der begründeten Auffassung
sind, dass die Bundeswehr die Sicherheit unseres Landes nicht zu garantieren vermag. Wer glaubt, die Sicherheit durch neue Waffensysteme zu garantieren, der hat
die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Nur eine gerechtere
Wirtschafts- und Sozialpolitik, die Bekämpfung von Armut sowie die Verhinderung bzw. die Beendigung von
Kriegen können uns allen mehr Sicherheit geben.
Vielen Dank.
({10})
Nächster Redner ist der Kollege Johannes Kahrs,
SPD-Fraktion.
({0})
Man kennt mich nicht anders. - Sehr geehrte Frau
Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Verteidigungshaushalt gehört zu den stabilen Haushalten.
Er hat ein Volumen von 23,88 Milliarden Euro. Ungefähr auf diesem Niveau bewegt er sich seit Mitte der
90er-Jahre. Das heißt, der Verteidigungshaushalt ist in
den letzten Jahren immer stabil gewesen. Der einzige
Unterschied ist, dass kein Inflationsausgleich stattgefunden hat, sodass die Kaufkraft abgenommen hat. Rein
zahlenmäßig ist dieser Etat allerdings stabil.
Es wird viel über die berühmte Friedensdividende gesprochen. 1990 hatte der Verteidigungsetat ein Volumen
von 29,42 Milliarden Euro. Nun sind es 23,88 Milliarden Euro. Das heißt, die Verteidigungsausgaben sind in
den letzten Jahren kontinuierlich gesunken.
({0})
Die Friedensdividende ist eingefahren worden. Aber die
entscheidende Frage ist, wie viel man noch sparen kann,
ohne die Soldaten in Gefahr zu bringen.
({1})
1993 betrug der Anteil des Einzelplans 14 am Bundeshaushalt 10 Prozent. Nun sind es rund 9 Prozent.
Die FDP hat Kürzungsvorschläge mit einem Volumen
von 350 Millionen Euro gemacht. Frau Kollegin Hoff,
vor diesem Hintergrund ist es relativ schwierig, Ihre
Rede zu begreifen; denn Sie haben eher das genaue Gegenteil gefordert. Wir geben sehr viel Geld aus, um dem
Schutz der Soldaten Rechnung zu tragen.
({2})
Alle Beschaffungsvorhaben der letzten Zeit dienen dazu.
Sie wissen das ebenfalls. Ich muss an dieser Stelle sicherlich nicht mehr auf die Dingos eingehen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Herrn Kollegen Koppelin?
Der von mir geschätzte Kollege Koppelin kann immer eine Zwischenfrage stellen.
Vielen Dank, Herr Kollege Kahrs. - Ich greife einmal
einen Kürzungsvorschlag der FDP heraus, der auch einiges an Geld gebracht hätte. Dazu hätte ich doch gern
Ihre Stellungnahme. Sind Sie nicht mit uns der Auffassung, dass man eigentlich zum Beispiel die Stelle des
Parlamentarischen Staatssekretärs streichen könnte, der
sich kaum noch im Ministerium aufhält, sondern Wahlkampf in Berlin macht und kaum noch Zeit für dieses
Ministerium zu haben scheint?
({0})
Geschätzter Kollege Koppelin, wie Sie wissen,
schätze ich die beiden Parlamentarischen Staatssekretäre, die wir haben, sehr. Ich glaube, dass sie ihre Arbeit
hervorragend machen, so wie der Minister auch, und
deswegen kann ich das leider nicht nachvollziehen.
({0})
Zu der Rede der Kollegin Hoff möchte ich noch anmerken, dass wir zum Schutz der Soldaten viel Geld
ausgeben. Wir priorisieren das, um dem ganz besonders
Rechnung zu tragen. Wenn man schaut, was im Bereich
des persönlichen Schutzes getan wird, stellt man fest,
dass das sehr überzeugend ist. Uns alle eint das gemeinschaftliche Bemühen, die Soldaten, die wir ins Ausland
schicken, vernünftig auszurüsten und auszustatten, damit
sie da nicht in Gefahr geraten. Wir haben einen eigenen
Etat für einsatzbedingten Sofortbedarf. Ich persönlich
habe mich sehr dafür eingesetzt - wie meine Fraktion
und wie diese Koalition -, dass man im Notfall bestimmte Dinge auch beschleunigt, damit die Soldaten im
Einsatz das Notwendige bekommen. Dabei kann es Probleme geben. Im Einzelfall muss man das dann aufklären. Aber in der Sache ist dieser Koalition, dem Verteidigungsministerium und dem Minister nicht vorzuwerfen,
irgendetwas unterlassen zu haben.
In dem Zusammenhang kann ich auf das Beispiel der
Kollegin Lötzsch mit dem Tiger eingehen. Wir hätten
den Tiger jetzt ganz gern in Afghanistan. Man könnte
damit Konvois, die über lange Strecken fahren müssen,
besser schützen, wobei auch insbesondere die eigenen
Soldaten nicht so gefährdet wären. Deswegen hätten wir
damit kein Problem.
Der 39. Finanzplan sieht eine jährliche Steigerung um
circa 300 Millionen Euro ab dem Jahr 2007 vor. Das bedeutet, dass die Preissteigerung in jedem Jahr aufgefangen wird. Das wiederum bedeutet, dass wir ein stabiles
Niveau haben. Das bedeutet, dass der eingeschlagene
Weg der Transformation der Bundeswehr so weiterverfolgt werden kann. Das heißt wiederum, dass wir die
Transformationsziele auch erreichen können.
Es gibt bei der ganzen Sache noch ein Risiko. Das ist
die Mehrwertsteuererhöhung. Sie wird bei uns mit um
die 300 Millionen Euro zu Buche schlagen. Im Etat 2007
wird man zu einer Lösung dafür kommen müssen. Wir
werden an dieser Stelle diskutieren müssen - das ist uns
bekannt -, wie die Koalition dieses Problem löst. Für
den Haushalt 2006 ist das noch nicht das Problem.
Wenn wir uns die Struktur des Haushalts anschauen,
stellen wir fest, dass wir für Betriebsausgaben 17,2 Milliarden Euro vorsehen. Das sind 72 Prozent des Verteidigungshaushalts. Damit sind wir das erste Mal seit ewigen Zeiten unter der 75-Prozent-Marke, was daran liegt,
dass wir insbesondere im Personalbereich sparen. Das
Thema „Abbau des Zivilpersonals“ kennen Sie. Der Betrag für die Personalkosten beläuft sich auf 11,8 Milliarden Euro. Es gab einmal eine Deckelung auf 12,5 Milliarden Euro. Das heißt, hier geht die Koalition einen
richtigen Weg weiter. Ich glaube, dass das auch von Erfolg gekrönt sein wird. Wir haben die Personalstärke bei
den Soldatinnen und Soldaten, die in der Zielstruktur
2010 veranschlagt ist, jetzt schon fast erreicht.
Beim Zivilpersonal werden wir uns in dieser Hinsicht
noch anstrengen müssen. Da gibt es die Zielmarke von
75 000, wobei diese Marke auch gern unterschritten werden kann. Staatssekretär Dr. Wichert wird ein Personalstrukturmodell vorlegen. Wir als Fachpolitiker, als Haushälter werden daran mitwirken, weil das eine wichtige
Aufgabe ist, wenn es darum geht, die Bundeswehr vernünftig aufzustellen.
Es gab bedauerliche Kürzungen; Sie haben sie aufgeführt. Genauso richtig ist aber auch, dass es uns gelungen ist, das Entlassungsgeld für Wehrpflichtige zu erhalten. Es ist nicht gestrichen worden. Das haben wir für
besonders wichtig erachtet. Die anderen Dinge, so unschön sie sind, sind damit zu erklären, dass man sich im
Bereich des öffentlichen Dienstes bewegt und die Bundeswehr da keine Extraregelung bekommen kann. In
dem Fall wäre es eine Extraregelung gewesen. Das haben wir verhindert.
Wenn man sich das Ganze anschaut, stellt man fest,
dass wir als Koalition im Bereich der Planstellen viel
verbessert haben. Für die Feldwebel sind schon im Regierungsentwurf 900 Planstellen gehoben worden. Wir,
Fachpolitiker, Haushälter und Ministerium, haben in Zusammenarbeit mit dem Bundeswehr-Verband weitere
Verbesserungen erreicht, sodass wir hoffen, dass sich die
Wartezeit für die Beförderung zum nächsten Dienstgrad
deutlich verkürzt. Der Beförderungsstau kann nicht
komplett aufgelöst werden, wir sind aber auf dem richtigen Weg.
Für die Materialerhaltung geben wir 1,9 Milliarden
Euro aus, für den sonstigen Betrieb, also Treibstoffe,
Bewirtschaftung der Liegenschaften und Ähnliches,
3,5 Milliarden Euro.
Lassen Sie mich, was den Betrieb der Liegenschaften
angeht, noch etwas sagen. Wir haben in den letzten Jahren viel Geld investiert, insbesondere in den neuen Bundesländern. Das war notwendig, richtig und gut. Gleichzeitig ist es aber so, dass im Westen der Republik ein
erhöhter Handlungsbedarf besteht. Nachdem wir nun ein
feststehendes Stationierungskonzept haben, ist es wichtig, dass wir insbesondere Geld in die Hand nehmen, um
die Infrastruktur, das heißt die Umgebung unserer Soldatinnen und Soldaten, zu verbessern und aufzuwerten.
Das muss sowohl für die Übernachtungsräume, also die
Kasernen selber, als auch für die Kantinen und anderes
gelten. Ich persönlich stehe dafür ebenso wie meine Kolleginnen und Kollegen. Ich glaube, dass wir als Parlament mit der Verbesserung des täglichen Umfeldes der
Soldaten eine wichtige Aufgabe haben.
({1})
Für die Betreiberlösung stellen wir 652 Millionen
Euro zur Verfügung. Davon gehen allein 365 Millionen
Euro in die Bundeswehr-Fuhrpark Service GmbH. Da
gab es viel Kritik und am Anfang auch viele Probleme.
Aber wenn man jetzt mit den Kameradinnen und Kameraden in der Truppe darüber redet, stellt man fest, dass
die Begeisterung angesichts der neuen Autos doch deutlich überwiegt; denn das ist etwas, was es vorher so nicht
gegeben hat. Ich glaube, dass das eine vernünftige Maßnahme war, die man weiter unterstützen sollte. Auch die
Heeresinstandsetzungslogistik GmbH, HIL, bauen wir
zurzeit auf.
Die verteidigungsinvenstiven Ausgaben liegen bei
circa 6 Milliarden Euro und machen ungefähr 25 Prozent
des Etats aus. Das bedeutet, dass wir für Investitionen
mehr ausgeben als seit langem in der Geschichte der
Bundeswehr. Das Ziel von 30 Prozent wird angestrebt;
dazu haben wir auch entsprechende Vorlagen gemacht.
Ich glaube, dass wir hier auf einem guten Wege sind.
Wichtig ist, dass zusätzliche Handlungsspielräume bei
Senkung der Betriebsausgaben erreicht werden. Das
werden wir angehen.
Probleme gibt es - das ist hier angesprochen worden wegen entsprechender Großvorhaben in dem Etat. Das
betrifft allerdings, wenn ich mir die Bemerkung erlauben
darf, insbesondere den Eurofighter, der unter einer
schwarz-gelben Regierungskonstellation beschlossen
worden ist. Jetzt muss man sehen, wie man das vernünftig regelt. Wir haben aber in der Vergangenheit immer
hervorragende Lösungen gefunden, wobei das Verteidigungsministerium geholfen hat.
Ich möchte jetzt einige inhaltliche Punkte ansprechen,
von denen ich glaube, dass sie für die Arbeit der nächsten Jahre wesentlich sind und über das Klein-Klein ein
bisschen hinausgehen.
Wir haben schon in den Koalitionsverhandlungen darüber gesprochen, inwieweit Art. 87 b Grundgesetz
noch eine Funktion erfüllt. Der darin enthaltene zweigliedrige Aufbau der Bundeswehr lässt sich aus den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs erklären. Heute müssen wir uns fragen, ob das nach wie vor sinnstiftend ist
oder ob das zu Doppelungen bei den Strukturen führt,
die nur Geld kosten, und ob man das anders hinbekommt. Ich glaube, dass wir darüber mit allen Fraktionen und mit den Bundesländern, die wir dafür ebenfalls
brauchen, diskutieren müssen. An diese Diskussion
muss man ergebnisoffen herangehen. Aber wenn sich
dadurch Effizienzpotenziale heben ließen, wäre das ein
vernünftiger Weg, den man nicht dogmatisch angehen
sollte.
Des Weiteren möchte ich mit den Kollegen Haushältern über die Frage der Struktur des Verteidigungshaushaltes diskutieren, der als einziger Haushalt so aufgebaut ist, dass alles mit allem deckungsfähig ist. Das
hat Vorteile, die wir alle kennen, nämlich dass der Haushalt sehr gut ausgeschöpft werden kann. Am Ende eines
Haushaltsjahres gibt es beim Verteidigungsetat fast keine
Haushaltsreste.
({2})
Das ist löblich und relativ selten. Dass alles mit allem
deckungsfähig ist, bedeutet aber auch, dass eine parlamentarische Kontrolle nach dem Wahlspruch „Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit“ relativ schwierig
zu erreichen ist.
({3})
Dazu gehört viel Vertrauen.
Ich glaube, dass man sich einmal darüber unterhalten
sollte, inwieweit man einzelne Deckungskreise schaffen
kann, mit denen das Gleiche, nämlich die Ausschöpfung
des Etats, erreicht wird, aber auf der anderen Seite die
Möglichkeit der parlamentarischen Kontrolle erhöht
wird. Frau Lötzsch hatte die Transparenz angesprochen.
Ich glaube, das würde uns allen dienen; denn dann
könnte jeder sehen, was in diesem Hauhalt passiert. Wir
hatten zum Beispiel einen Titel von ungefähr 470 Millionen Euro für den einsatzbedingten Sofortbedarf, der im
letzten Jahr nur zur Hälfte ausgeschöpft worden ist. Das
ist für viele Parlamentarier schwer nachvollziehbar. Ich
glaube, dass es für uns alle besser wäre, wenn wir diese
Diskussion rechtzeitig führten, um zu erleben, dass es
auch anders funktioniert. Das heißt, mehr Transparenz
ist nötig; dann bekommt man das auch hin.
({4})
Diese Diskussion sollten wir führen.
Des Weiteren sollten wir nicht nur über die Finanzierung, sondern auch über die Auslandseinsätze an sich
sprechen. Deren Finanzierung müssen wir einzeln ausweisen. Man muss einen entsprechenden Weg finden.
Ich halte es für schwierig, den Haushalt des Einzelplans 14 immer als komplett deckungsfähig anzusehen.
Das können wir bis zu den nächsten Beratungen regeln.
Mir ist es insbesondere nach den Reden, die bisher
gehalten worden sind, wichtig, darauf hinzuweisen, dass
deutlich weniger Soldaten als in den letzten Jahren im
Auslandseinsatz sind. Zurzeit sind noch ungefähr
6 400 Soldatinnen und Soldaten im Auslandseinsatz.
Man muss aber auch betonen - das fällt mir in diesem
Hause manchmal nicht leicht -, dass die Einsätze im Kosovo und in Nordafghanistan keine Routine sind. Diese
Einsätze sind eher gefährlicher denn friedlicher geworden. Sie sind sehr anspruchsvoll und werden unsere Aufmerksamkeit und Konzentration benötigen. Das heißt,
wir als Parlamentarier sind gefordert, uns mehr um diese
Einsätze - insbesondere auch den Einsatz in Afghanistan zu kümmern.
Wir haben vor kurzem eine Diskussion über den
Kongoeinsatz geführt. Meine Ablehnung, was diesen
Einsatz angeht, ist hinlänglich bekannt. Solch ein Einsatz bringt ganz eigene Probleme mit sich, die wir aus
anderen Einsätzen nicht kennen; das ist von Generalleutnant Viereck angesprochen worden. Dabei geht es zum
Beispiel um die Frage der Kindersoldaten. Dazu gibt es
politische Aussagen. In der Sache ist es relativ schwierig, den Soldaten diese Problematik zu vermitteln und
sie darauf vorzubereiten. Auch das sollten wir sehr ernst
nehmen; denn es handelt sich um eine Parlamentsarmee.
Der Einsatz im Kongo wird die Bundeswehr vor neue
Situationen und Herausforderungen stellen. Man muss
sich überlegen, wie das weitergehen soll. An internationalen Verpflichtungen sind wir in einigen Bereichen,
zum Beispiel mit der Bereitstellung von Truppen zur
NATO Response Force oder zu den EU-Battle-Groups,
beteiligt. Dies birgt die Gefahr, dass wir an Einsätzen
teilnehmen, die wir so gar nicht vorhergesehen oder geplant haben. Das alles kann sehr schnell gehen. Deswegen sollte man diesem Punkt eine ganz andere Aufmerksamkeit schenken.
Die kritische Diskussion über und die Vorbereitung
zum Kongoeinsatz sind sehr wichtig gewesen. Die getroffene Entscheidung müssen wir jetzt gemeinsam
durchstehen, so unterschiedlich unser aller Auffassungen
vielleicht waren. Die Soldaten können von uns verlangen, dass wir dies tun. Was zukünftige Einsätze jenseits
des Kongos angeht, würde ich darum bitten, sehr kritisch
und sehr vorsichtig vorzugehen. Denn mit Afghanistan
und dem Kosovo haben wir zwei offene Baustellen, die
uns beschäftigen werden. Ich glaube, dass der Einsatz im
Kongo nicht einfach wird. Ich glaube, dass er länger
dauern wird, als wir alle uns das vorstellen.
({5})
Deswegen habe ich meine Probleme mit einem Konzept,
das langfristig mehr Auslandseinsätze vorsieht als die,
die wir jetzt kennen. Meine Bitte ist, dies vorsichtig zu
betreiben.
An dieser Stelle möchte ich mich bei meinen Kolleginnen und Kollegen ganz herzlich für die gute Zusammenarbeit bedanken, insbesondere bei der Kollegin
Jaffke, die heute aus gesundheitlichen Gründen leider
nicht hier sein kann - ich wünsche ihr von dieser Stelle
gute Besserung -,
({6})
und dem Kollegen Bartholomäus Kalb. Insbesondere mit
dem geschätzten Kollegen Koppelin, der durch seine kritischen Einwürfe unsere Arbeit immer wieder befruchtet, gab es eine hervorragende Zusammenarbeit.
({7})
Ich bedanke mich auch bei dem ehemals verbündeten
Kollegen Bonde, mit dem wir immer gerne zusammenarbeiten, und der Kollegin Lötzsch, die wir sehr schätzen, was ihre konstruktiven Vorschläge und Äußerungen
angeht.
Bei allen Meinungsverschiedenheiten kann man festhalten, dass wir alle dafür arbeiten, dass die Soldaten im
Ausland vernünftig ausgerüstet werden und geschützt
sind. Es ist unser Bemühen, die Bundeswehr, wenn es
notwendig und nicht vermeidbar ist, in entsprechender
Art und Weise in den Einsatz zu schicken. Ich möchte
mich bei dem zuständigen Ministerium, insbesondere
beim Minister und seinen Staatssekretären, für die gute
Zusammenarbeit bedanken.
Glückauf!
({8})
Das Wort hat der Kollege Alexander Bonde,
Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es ist schwierig, nach so viel Dank an die Opposition die
notwendigen Anmerkungen zu einem Einzelplan wie
diesem zu machen. Ich möchte die Anregung des Kollegen Kahrs aufgreifen, der uns alle dazu eingeladen hat,
sehr intensiv über die Struktur dieses Haushaltes zu diskutieren. Ich will festhalten, dass wir mit den Koalitionsfraktionen in diesen Haushaltsberatungen in dieser Diskussion nicht weitergekommen sind. Denn dieser
Haushalt hat den Ausschuss praktisch unverändert, so
wie ihn uns das Ministerium vorgeschlagen hat, passiert.
Alle Diskussionen, die wir heute in dieser Debatte,
aber auch in der Debatte über den Einzelplan des Auswärtigen Amts, über die Veränderung von Einsatzszenarien der Bundeswehr und über die konkreten Situationen
geführt haben, in denen sich deutsche Streitkräfte in ihren Einsätzen befinden, finden wir in der Struktur dieses
Haushalts nicht wirklich wieder. Wenn wir bei diesem
Einzelplan eine Diskussion über seine Gesamthöhe führen und uns fragen, ob er zu niedrig oder zu hoch ist,
dann fehlt mir dabei die entscheidende Frage, nämlich:
Bekommen wir für das Geld, das wir bzw. die Steuerzahler in diesen Einzelplan investieren, die militärischen
Kapazitäten und Fähigkeiten, die heute eigentlich angemessen sind und die zu der Rolle der Bundeswehr und
zu der Rolle der Bundesrepublik im internationalen Geschehen passen?
({0})
Ich will in dem Zusammenhang mit einem Totschlagargument aufräumen, das heute Morgen die Debatte bestimmt hat. Ich will mit Blick auf die Änderungsanträge
meiner Fraktion sagen: Wir haben in Bezug auf diesen
Einzelplan eine Reihe von Kürzungsanträgen gestellt;
jeder einzelne dieser Anträge ist umsetzbar und kein einziger gefährdet die Soldaten in den Einsätzen. Das ist ja
ein Pappkamerad, der hier in den Debatten aufgebaut
wird. Damit will man ausblenden, dass auch bei diesem
Einzelplan die Notwendigkeit besteht, sehr genau jede
Ausgabe zu prüfen und dort, wo einer Ausgabe keine Fähigkeit gegenübersteht, entsprechend zu kürzen.
Ich will dafür Beispiele benennen. Ein Paradebeispiel
ist eine Sonderaktion des Bundesverteidigungsministers,
der über die Medien bekannt gegeben hat, er wolle, abweichend von den Plänen seines Vorgängers, 5 000 zusätzliche Wehrpflichtige einberufen.
({1})
Damit rückt er von den Planungen des Hauses ab; damit
ignoriert er die Vorschläge seines eigenen Hauses, und
zwar an einem Punkt, bei dem es um eine ideologische
Frage geht. Denn jeder weiß, dass die Wehrpflichtigen
keine Hilfe für die Soldatinnen und Soldaten in den Einsätzen sind, und jeder weiß, dass sie eine Belastung für
die Bundeswehr in Bezug auf ihre Struktur und die Ressourcenplanung sind. Die ganze Operation kostet - wir
mussten lange bohren, um eine Zahl aus dem Ministerium zu bekommen - den Steuerzahler 80 Millionen
Euro. Diese 80 Millionen findet man in diesem Einzelplan auch gar nicht, weil sie generalstabsmäßig versteckt
worden sind. Auf langes Bohren unsererseits wurde uns
gesagt: Der Verteidigungsminister will diese Stellen finanzieren, indem er Einsparungen bei den Berufs- und
Zeitsoldaten entgegen der Personalplanung und entgegen dem Stellenplan des Einzelplans 14 vornimmt.
Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit finden bei diesem Minister also nicht statt. Wir sind gespannt, wie er
gegenüber der Truppe diese Abweichung vom Plan in
den nächsten Jahren begründen will; wir sind gespannt,
wie er diese Gesamtzahl haushaltsrechtlich absichern
will.
Es wären auch noch weitere Fragen zu stellen, etwa:
Werden die Beschaffungsprioritäten mit Blick auf die
Einsatzszenarien richtig gesetzt? Welches Ausgangsbild
und welche Bedrohungslage werden unterstellt? Der
Entwurf des Weißbuches, der auf dem Tisch liegt - auch
eine Geheimoperation des Ministers -, sorgt eher für
eine Verunklarung, als dass er eine klarere Priorisierung
bei der Beschaffung deutlich macht.
Ich will auf zwei dieser Beschaffungsmaßnahmen
eingehen:
Der Eurofighter wurde ja bereits genannt. Wir wissen alle: Keiner braucht 180 Stück. Wir wissen aber
auch, dass dieser Minister nicht in der Lage ist, hier eine
Priorisierung vorzunehmen und in Gespräche über eine
Stückzahlreduzierung einzutreten. Das wäre aber der
richtige Weg. Wir sehen im Gegensatz zur FDP den richtigen Weg nicht in der Weiterveräußerung, sondern in
Verhandlungen zur Reduzierung der Stückzahlen.
({2})
Das nächste Rüstungsprojekt wird uns in der nächsten
Woche auf den Tisch gelegt werden. Es ist PARS 3, eine
Panzerabwehrwaffe, die man sich Anfang der 80er-Jahre
ausgedacht hat, die Mitte der 80er-Jahre konzeptioniert
wurde, der in den 90er-Jahren der Feind abhanden gekommen ist und die wir nun, 2006, beschaffen sollen.
Sie ist ein typisches Beispiel dafür, dass in diesem Haus
die Auslastung der Kapazitäten der Rüstungsindustrie
wesentlich wichtiger ist als die Frage nach dem tatsächlichen Bedarf. Herr Minister, wer ein solches Projekt, das
Rot-Grün zu Recht auf Eis gelegt hat, nun als Hochzeitsgeschenk für die deutsche Lenkwaffenindustrie wieder
hervorholt, muss sich schon fragen lassen, ob er der
große Bundeswehrreformer ist, der er sein will, oder
doch nur das Schoßhündchen der Rüstungsindustrie.
({3})
Wir reden hier über ein Projekt, aus dem die europäischen Partnernationen längst ausgestiegen sind, weil sie
erkannt haben, dass es die Bedrohung mit Panzern aus
dem Osten nicht mehr gibt. Wir reden über ein System,
bei dem jeder Schuss eine halbe Million Euro kosten
wird. Knapp 400 Millionen Euro sollen für ein Projekt
ausgegeben werden, das ungefähr zu einer Zeit begonnen wurde, als ich auf die Welt kam. Wir reden über Panzerabwehrwaffen und Bunkerbekämpfungswaffen, die
für keinen Einsatz gebraucht werden, den die Bundeswehr heute durchführt.
Dieser Einzelplan leidet darunter, dass in ihm keine
politische Priorität gesetzt wird. Die alten Auftragsbücher werden von Jahr zu Jahr weitergeführt. Aber es
fehlt der politische Mut, einen Schnitt vorzunehmen. Es
fehlt ein klares Verständnis, was Priorität haben muss.
Außerdem fehlt die Überlegung, bei welchen Szenarien
wir militärische Gewalt einsetzen müssen und wie wir
dafür unsere Soldatinnen und Soldaten verantwortungsvoll ausrüsten können.
Sie haben unsere Unterstützung, wenn es darum geht,
sinnvolle internationale Einsätze unter UN-Mandat zu
organisieren und die Soldatinnen und Soldaten adäquat
auszurüsten. Aber Sie bekommen unsere Unterstützung
nicht dafür, den Kalten Krieg fortzuführen, als hätte sich
die Welt nicht verändert.
Dieser Einzelplan ist in dieser Form nicht zustimmungsfähig. Legen Sie einen vor, der ins Jahr 2006
passt! Dann können wir ihn ernsthaft beraten.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat der Bundesminister der Verteidigung,
Dr. Franz Josef Jung.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrte Damen und
Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich will zunächst festhalten, dass mit dem Haushalt 2006 die
Grundlage geschaffen wird, dass die Bundeswehr die Sicherheit und Freiheit unserer Bürgerinnen und Bürger
weiterhin gewährleisten kann, dass sie ihre friedensichernde Funktion in den Auslandseinsätzen wahrneh3620
men kann und dass die Soldatinnen und Soldaten die
notwendigen Rahmenbedingungen für die erfolgreiche
Erfüllung dieser Aufträge vorfinden.
({0})
Ich bin den Berichterstattern und auch der Mehrheit
im Haushaltsausschuss für die Unterstützung sehr dankbar. Frau Kollegin Hoff, ich habe mich aber schon sehr
gewundert, als ich Ihre Ausführungen gehört habe. Ich
hätte mir gewünscht, dass das, was Sie hier gesagt haben, auch Ihren Taten entsprochen hätte. Denn Ihre Ausführungen stehen schon im Widerspruch zu den Kürzungsanträgen, die Ihre Fraktion im Rahmen dieser
Haushaltsberatungen gestellt hat.
Frau Kollegin Lötzsch, wenn Sie hier den Eindruck
erwecken, es sei erheblich draufgesattelt worden, nur
weil wir bei 27 Milliarden Euro landen, dann muss ich
sagen, dass Sie verkannt haben, dass es eine neue Versorgungsregelung gibt - Herr Kollege Kampeter hat
gestern darauf hingewiesen - und dass wegen der Berücksichtigung der neuen Versorgungsbezüge der Etatansatz bei 27 Milliarden Euro liegt. Dieser Anstieg hat
aber nichts mit einem Aufwuchs im Rüstungsbereich zu
tun, wie Sie kritisiert haben.
Lassen Sie mich einen weiteren Punkt erwähnen. Wir
sind mittlerweile mit rund 6 500 Soldatinnen und Soldaten in den Auslandseinsätzen tätig, sei es in Afghanistan, am Horn von Afrika oder auf dem Balkan. Wir stellen teilweise die stärksten Kontingente. Im Rahmen der
IFOR-Mission in Bosnien-Herzegowina stellen wir das
stärkste Kontingent. In Afghanistan sind wir bei einem
nicht einfachen Einsatz mit 2 800 Soldatinnen und Soldaten vertreten. Im Kosovo stellen wir ebenfalls ein großes Kontingent.
Ich will einmal festhalten, dass sich unsere Soldatinnen und Soldaten in gefährlichen Einsätzen beispielhaft
verhalten. Deshalb möchte ich auch ihnen für diesen
Einsatz im Rahmen friedenssichernder Missionen herzlich danken.
({1})
Weil im Rahmen dieser Debatte schon viel von der
Fußballweltmeisterschaft gesprochen worden ist,
möchte ich erwähnen, dass ich Jürgen Klinsmann und
der deutschen Nationalmannschaft sehr dankbar bin,
dass am Montag auf der Pressekonferenz zu unseren Soldaten nach Afghanistan geschaltet wurde. Damit wurde
ein Stück Verbundenheit mit ihnen zum Ausdruck gebracht. Ich denke, dass unsere Soldaten dies verdient haben, wo sie doch in solch einer schwierigen Situation
ihre Aufgabe erfüllen.
({2})
Ich will noch eine Anmerkung zu dem machen, was
Frau Künast heute Morgen gesagt hat. Sie hat Punkte
vorgetragen, die mit der Realität überhaupt nicht in Einklang stehen.
({3})
Natürlich leisten wir in Afghanistan einen Stabilisierungs-, aber auch einen Wiederaufbaubeitrag. Natürlich
leistet die Bundeswehr diesen Beitrag, aber wir betreiben dort eine vernetzte Sicherheitspolitik. Jeden Montag
findet nämlich eine Schaltung zwischen Bundesaußenministerium, Bundesinnenministerium, Bundesverteidigungsministerium, Bundesentwicklungsministerium und
Bundeswirtschaftsministerium statt, um entsprechende
Aktivitäten abzustimmen. Zur Frage der Sicherheitspolitik auch und gerade in Afghanistan gehört ja mit dazu,
dass auch andere Bereiche entwickelt werden, sei es im
zivilen Bereich der Ausbau der Polizei, seien es Maßnahmen im Bereich der Entwicklungspolitik, sei es im
wirtschaftlichen Bereich, dass man den Bauern, die jetzt
mit der Drogenszene zusammenarbeiten, Alternativen
eröffnet, damit sie nicht zu ihrem Überleben zwingend
darauf angewiesen sind, Mohn und andere Drogenpflanzen anzubauen. Unsere vernetzte Sicherheitspolitik ist,
wie ich glaube, notwendig, um einen positiven Aufbauprozess in Afghanistan zu bewirken. Sie ist auch richtig,
denn mit dieser Arbeit haben wir auch und gerade in den
PRTs Erfolg.
({4})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte
auch darauf hinweisen, dass wir gerade jetzt vor weiteren Herausforderungen stehen. Es ist meines Erachtens
in der Öffentlichkeit noch viel zu wenig bekannt, dass ab
nächsten Monat - ich wiederhole: ab 1. Juli 6 600 deutsche Soldaten in der NATO Response Force
stehen. Das ist die schnelle Eingreiftruppe der NATO,
die innerhalb von fünf Tagen einsatzfähig sein soll. Das
sind neue und weitere Herausforderungen, die hier auf
die Bundeswehr zukommen. Weiterhin steht ab 1. Januar
nächsten Jahres die EU-Battle-Group. Diskussionen,
wie wir sie etwa im Zusammenhang mit dem Kongoeinsatz hatten, finden dann in der Art und Weise nicht
mehr statt, weil wir an dieser ersten EU-Battle-Group,
die ebenfalls innerhalb von fünf Tagen einsatzfähig sein
soll, mit 1 200 Soldaten beteiligt sein werden.
({5})
- Nicht ohne die Zustimmung des Deutschen Bundestages. Aber wir sind dort, Kollege Kahrs - das sollte
fairerweise auch berücksichtigt werden -, schon Verpflichtungen eingegangen, bevor ich in dieses Amt kam,
und wir müssen im Rahmen der internationalen Verpflichtungen unsere Verantwortung wahrnehmen. Wir
können dann konkret über die einzelnen Dinge diskutieren. Darüber, dass wir für Einsätze ein Mandat brauchen,
gibt es überhaupt keine Diskussion. Ich halte es aber
schon für richtig, den Deutschen Bundestag und auch die
deutsche Öffentlichkeit darauf hinzuweisen, in welchem
Umfang wir internationale Verpflichtungen im Hinblick
auf Sicherheitspolitik eingegangen sind, damit sie sich
darüber bewusst sind, welche weiteren HerausforderunBundesminister Dr. Franz Josef Jung
gen gegebenenfalls auf die Bundeswehr zukommen können, wenn solche Einsätze bevorstehen.
({6})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie
mich noch einen zweiten Gesichtspunkt vortragen. Wir
leisten einmal unseren Beitrag im Rahmen von friedenstiftenden Missionen im Ausland. Wir leisten aber, wie
ich finde, auch einen effektiven, positiven und guten
Beitrag für den Schutz Deutschlands. Ich denke nur an
die Handlungs- und Leistungsfähigkeit der Bundeswehr
bei der Schneekatastrophe in Bayern, an die Handlungsund Leistungsfähigkeit bei der Bekämpfung der Vogelgrippe auf Rügen und an die Handlungs- und Leistungsfähigkeit beim Hochwasserschutz, der von Sachsen über
Sachsen-Anhalt bis Niedersachsen hohe Anforderungen
an die Bundeswehr gestellt hat. Oder denken Sie daran,
wie leistungsfähig die Bundeswehr jetzt während der
Fußballweltmeisterschaft ist. Ich halte es schon für positiv, auf welche Art und Weise unsere Sicherheitskräfte
- da beziehe ich selbstverständlich ausdrücklich die
Polizei ein - die Sicherheit bei dieser Fußballweltmeisterschaft gewährleisten. Ohne sich aufzudrängen oder einen falschen Eindruck in der Öffentlichkeit zu bewirken,
wird dezent im Hintergrund Sicherheit gewährleistet.
Die 2 800 Soldaten, die jetzt im Einsatz sind, schaffen
also die Voraussetzungen dafür, dass diese Weltmeisterschaft in einer so fröhlichen und friedlichen Stimmung
stattfinden kann. Das ist eine positive Leistung, die die
Bundeswehr erbringt. Auch das wollte ich in diesem Zusammenhang gerne erwähnen.
({7})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, angesichts
dessen, was wir von unseren Soldatinnen und Soldaten
fordern, müssen wir auch daran denken, dass die sozialen Rahmenbedingungen stimmen. Ich bin dankbar dafür, dass wir im Rahmen dieses Haushaltes die Möglichkeit haben, jetzt beispielsweise eine erhebliche Anzahl
von Beförderungen von Feldwebeln und von Soldaten
mit Mannschaftsdienstgraden vorzunehmen. Ich finde
nämlich schon, dass es ein Stück dazugehört, dass gute
Leistung berücksichtigt und auch belohnt wird. Wenn
ich es richtig sehe - auch das möchte ich in dieser Debatte erwähnen -, ist die Bundeswehr die einzige Institution des öffentlichen Dienstes, in der es als Einstiegsgehalt die Besoldungsgruppe A 3 gibt.
({8})
Das dürfen wir nicht ganz aus den Augen verlieren,
wenn wir über strukturelle Fragen sprechen. Deshalb bin
ich dankbar, dass wir im Rahmen dieses Haushaltes
Möglichkeiten der Beförderung für die Mannschaften
und für die Feldwebeldienstgrade haben.
({9})
Herr Kollege Bonde, Sie haben etwas kritisch angesprochen, dass wir an der Wehrpflicht festhalten. Sie
haben eine andere Einstellung zur Wehrpflicht. Das habe
ich nicht zu kritisieren. Ich halte diese Einstellung nur
für falsch. Ich glaube - nicht nur, weil ich Wehrpflichtiger war -, dass die Wehrpflicht einen entscheidenden
Beitrag dazu geleistet hat, wie sich die Bundeswehr
heute darstellt und wie sie in unserer Gesellschaft verwurzelt ist.
({10})
Ich glaube, es ist wichtig - auch für die Entwicklung einer Armee und im Zusammenhang mit der inneren Führung -, dass wir an der Wehrpflicht festhalten. Wenn ich
aber an der Wehrpflicht festhalten will, dann muss ich
auch in der Lage sein, dem Anspruch der Wehrgerechtigkeit bzw., wie wir sagen, Einberufungsgerechtigkeit
nachzukommen. Sie wissen, dass beim Bundesverfassungsgericht ein Vorlagebeschluss liegt. Ich möchte
nicht, dass wir in der Koalition sagen, dass wir an der
Wehrpflichtarmee festhalten wollen, dann aber nicht in
der Lage sind, ausreichend viele Wehrpflichtige einzuziehen, sodass uns dann das Bundesverfassungsgericht
sagt, das entspreche nicht der Wehrgerechtigkeit und wir
hätten keine Chance mehr, die Wehrpflicht aufrechtzuerhalten. Deshalb habe ich entschieden, dass wir die Zahl
der Grundwehrdienstleistenden auf 35 000 stabilisieren,
um dem Anspruch der Einberufungsgerechtigkeit Rechnung tragen zu können.
({11})
Ich möchte noch erwähnen, dass wir etwa 60 000
Wehrpflichtige im Jahr einziehen. Davon verpflichten
sich 25 000 weiter, was eine gute Entwicklung ist. Insofern wird auch die Strukturentwicklung der Bundeswehr
durch die Wehrpflicht positiv beeinflusst. Ich denke, das
findet eine sehr gute Resonanz in der Öffentlichkeit.
({12})
Da ich sehe, dass die vereinbarte Zeit abgelaufen ist,
möchte ich nur noch zusammenfassend sagen, dass ich
denke, dass die Bundeswehr ihre Aufgaben - wir müssen damit rechnen, dass wir noch mehr Aufgaben wahrnehmen müssen; wir sehen das im Zusammenhang mit
der Mission im Kongo - gut und im Interesse der Sicherheit unserer Bevölkerung ausübt und dadurch dazu beiträgt, dass wir unsere internationalen Verpflichtungen erfüllen. Unser Ziel muss es sein, die Bundeswehr so
auszustatten, dass die deutschen Streitkräfte weiterhin
ihre Aufträge erfüllen können und unser Land seinen internationalen Verpflichtungen nachkommen kann, im Interesse der Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger,
aber auch im Interesse der friedenssichernden Funktion
der Bundeswehr. Dafür ist dieser Haushalt eine gute
Grundlage. Deshalb bitte ich um Ihre Zustimmung.
Besten Dank.
({13})
Das Wort hat nun der Kollege Jürgen Koppelin für die
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Einzelplan 14, der Haushalt des Verteidigungsministers, ist wohl der Haushalt, der mit Haushaltswahrheit
und -klarheit überhaupt nichts zu tun hat. Das ist kein
Vorwurf an den Verteidigungsminister; das will ich ausdrücklich sagen. Darauf hätte der Finanzminister achten
müssen.
Wer in der Situation des Verteidigungsministers ist,
müsste ähnlich verfahren, wie es der Verteidigungsminister macht. Wenn Sie sich den Etat anschauen, dann
werden Sie an vielen Kostenstellen die Bemerkung finden, dass die Mittel, wenn sie nicht ausgegeben werden,
dem Einzelplan 14 zufließen. Es gibt überall Spardosen.
Warum? Wenn hier ein Auslandseinsatz beschlossen
wird, dann muss der Verteidigungsminister einsammeln.
Und wo sammelt er ein? An diesen vielen Kostenstellen.
Deswegen haben wir als FDP gesagt: Wir müssen einen
ehrlichen Haushalt aufstellen und sagen, was für jede
Kostenstelle notwendig ist. Das Geld für Auslandseinsätze hat gefälligst der Bundesfinanzminister über den
Einzelplan 60 zur Verfügung zu stellen. - Das ist Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit, deswegen unsere
Anträge.
({0})
Die einzigen echten Zahlen in Ihrem Haushalt, Herr
Minister - es tut mir Leid, das sagen zu müssen -, sind
wahrscheinlich Ihr Gehalt und die Gehälter der Staatssekretäre. Da sind wir schon auf den Gedanken gekommen, dass man das Gehalt des Staatssekretärs Pflüger
einsparen könnte. Im Ministerium würde ihn kaum einer
vermissen.
({1})
Das ist jedenfalls unsere Auffassung.
Herr Minister, ich hätte mir schon gewünscht, dass
Sie etwas zu den Beschaffungsmaßnahmen sagen. Wir
haben 1994 den Eurofighter bestellt - damals in einer
Koalition aus CDU/CSU und FDP, mit teilweiser Zustimmung bei den Sozialdemokraten. Nach zwölf Jahren
wird man solche Beschaffungsmaßnahmen ja wohl auf
den Prüfungstand stellen dürfen. Man muss sagen können, ob die Zahlen noch stimmen und ob die Firma
EADS ihre Verträge bisher erfüllt hat. Dazu hätte ich mir
- das sage ich auch mit Blick auf die momentane Krise
bei EADS - schon eine Bemerkung von Ihnen gewünscht.
Unsere Bundeswehr ist einer der größten Auftraggeber für EADS. Ich finde, dazu kann der Verteidigungsminister, der diese vielen Aufträge unterschreiben muss,
schon einmal ein Wort sagen. Wie ist es möglich, dass
die Briten die Zahl ihrer bestellten Flugzeuge reduzieren
können, was früher angeblich nicht machbar war? Sie
verkaufen die Flugzeuge an das Ausland und wir dürfen
das nicht. Wir müssen uns an alle Regeln halten, aber die
Briten machen etwas ganz anderes. In den Verträgen
stand etwas anderes. Ich finde, darüber darf man ganz
offen sprechen.
Man darf wohl auch einmal darüber sprechen, wenn
man Haushaltspolitiker ist, ob es wirklich notwendig ist
- ich sage nicht Ja oder Nein zur Lieferung der U-Boote
an Israel -, dass der Verteidigungsminister den Anteil
für die U-Boote bezahlen muss, oder ob das nicht der Finanzminister im Einzelplan 60 machen muss. Das darf
man ja wohl einmal fragen.
({2})
Herr Minister, wir haben zu den Beschaffungsmaßnahmen Anträge gestellt. Schauen Sie sich einmal die
letzte Etatberatung an! Die gleichen Anträge mit einem
Einsparvolumen von etwa 400 Millionen Euro, die jetzt
die FDP vorlegt, hat damals die CDU/CSU gestellt. Wir
sind da gar nicht so weit voneinander entfernt. Jetzt sind
Sie in einer Koalition und wollen davon plötzlich nichts
mehr wissen.
Sie können in diesem Haushalt noch weiter sparen.
Sorgen Sie endlich für einen radikalen Bürokratieabbau auch bei der Bundeswehr.
({3})
Ich bedaure jeden Kompaniechef. Wenn Sie einen Kompaniechef nach seinen Vorschriften fragen, dann öffnet
er seinen Schrank, der mit Vorschriften über Vorschriften
gefüllt ist. Das darf doch nicht wahr sein. Die Leute werden von den Vorschriften erschlagen. Misten Sie dieses
Zeug endlich aus! Dann können wir viel Geld sparen.
Das ist jedenfalls meine Auffassung.
Sie hätten eine Bemerkung zu dem Vorgang um die
Firma Dussmann und die Verpflegung der Bundeswehr machen müssen, weil die FDP-Fraktion die einzige Fraktion war, die dies kritisiert hat. Wir als FDP haben von vornherein gesagt, dass das Projekt zum
Scheitern verurteilt ist, dass der Vertrag zu lange läuft
usw. Die Bundeswehr hat kräftig investiert und
Dussmann kündigt den Vertrag schon nach einem Jahr
einseitig. Ich hätte schon ganz gerne in nächster Zeit einen Bericht im Haushaltsausschuss und im Verteidigungsausschuss darüber, was uns der Spaß gekostet hat.
Das war eine Fehlplanung, die auch andere, zum Beispiel der Kollege Bonde, zu verantworten haben.
Sie sollten darüber nachdenken, wenn Sie zukünftig
Geld sparen müssen - das werden Sie müssen -, ob Sie
Projekte wie MEADS wirklich brauchen und ob wir in
solche Projekte investieren müssen. Wir als FDP sind
der Auffassung, dass wir das nicht brauchen. Unsere
Soldaten sollen wirklich die modernste Ausrüstung bekommen bei dem schweren Job, den sie machen, insbesondere bei den Auslandseinsätzen. Man darf ihnen aber
nicht vorgaukeln, sie erhielten das Beste, während sie im
Ausland vor Ort feststellen müssen, dass sie doch nicht
das Beste zu ihrem Schutz bekommen haben.
Da ist einiges zu tun. Ich hätte gern noch eine Bemerkung zur Zusammenarbeit mit der wehrtechnischen
Industrie gehört. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir
über eine Zusammenlegung beim Panzerbau mit den Firmen reden müssen, auch damit wir zu vernünftigen Preisen kommen. Es kann aber nicht sein, dass wir unsere
wehrtechnische Industrie so im Unklaren darüber lassen,
was die Bundeswehr zukünftig beschaffen will. Das
wird eine Ihrer wichtigsten Aufgaben in der Zukunft
sein.
Vielen Dank für Ihre Geduld.
({4})
Ich erteile das Wort der Kollegin Ulrike Merten für
die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Eine moderne, wirksame, ausreichende und mit
dem notwendigen Schutz ausgestatte Ausrüstung, die
Einsatzorientierung im Bündnis sowie die Attraktivität
der Streitkräfte sind die wichtigsten Koordinaten dieses
Verteidigungshaushalts.
Die Bundeswehr ist eine Armee im weltweiten Einsatz und sie ist zugleich eine Armee im tief greifenden
Wandel. Beide eng miteinander verknüpften Entwicklungen kennzeichnen den Weg der Streitkräfte zu einer
modernen Armee des 21. Jahrhunderts. Unser Ziel muss
es sein, trotz der gegenwärtigen Sparzwänge, die nicht
von der Hand zu weisen sind, in absehbarer Zeit noch
bessere und einsatzfähigere Streitkräfte zur Verfügung
zu stellen, um sie im Rahmen des erweiterten Aufgabenspektrums bedrohungsadäquat und wirkungsvoll einsetzen zu können.
Derzeit haben wir 6 500 unserer 250 000 Soldatinnen
und Soldaten in acht verschiedenen Operationen auf drei
Erdteilen eingesetzt. Ich glaube, darauf muss man einmal hinweisen, weil den meisten Menschen gar nicht
klar ist, dass die Soldaten seit Jahren in so vielen Einsätzen tätig sind. In Kürze wird der Kongoeinsatz, an dem
wir uns im Rahmen der EU-Mission mit 780 deutschen
Soldaten beteiligen, beginnen. An dieser Stelle darf man
den Soldatinnen und Soldaten und nicht zuletzt auch den
Zivilbeschäftigten für ihr Engagement in den Missionen
danken. Weil die Zivilbeschäftigten im Zusammenhang
mit den Auslandseinsätzen so gerne vergessen werden,
will ich ausdrücklich sagen: Ohne ihre Leistung wäre
das, was die Soldaten in ihren Einsätzen leisten, nicht
möglich.
({0})
Der diesjährige Einzelplan 14 ist vor allem von Kontinuität geprägt; darauf ist bereits hingewiesen worden.
Wir haben ihn seit nunmehr sechs Jahren bei 24 Milliarden Euro verstetigt. Damit leistet der Verteidigungshaushalt wiederholt einen Beitrag zur notwendigen Konsolidierung des Bundeshaushalts. Vor dem Hintergrund der
schwierigen finanzpolitischen Gesamtsituation ist der
Plafond eine Grundlage, die uns verlässliches Handeln
ermöglicht, aber auch ein hohes Maß an Kreativität abfordert. Umso wichtiger ist die Verlässlichkeit der mittelfristigen Finanzplanung bis 2009, die eine recht deutliche Steigerung, um rund 1 Milliarde Euro, auf dann
25 Milliarden Euro vorsieht. Nach dem Bundesratsbeschluss vom letzten Freitag wird die Erhöhung der
Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte im nächsten Jahr
kommen. Allein das bedeutet für den kostenintensiven
Verteidigungsbereich eine Mehrbelastung in Höhe von
300 Millionen Euro jährlich. Es ist durchaus ein Problem, dies aufzufangen.
Die Investitionsmittel wurden ebenfalls verstetigt,
und zwar bei 25 Prozent. Das ist wichtig. Rechnet man
die Mittel für Forschung und Technologie hinzu, die um
153 Millionen Euro auf circa 1,1 Milliarden Euro gestiegen sind, befinden sich Bundeswehrplanung und Finanzplanung im Einklang. Zum Glück bewegen wir uns damit - ich glaube, darauf darf man hinweisen - auf das
Ziel von 30 Prozent für Investitionen zu.
Bei den Investitivausgaben treten in diesem Jahr die
Fähigkeiten Aufklärung, Informations- und Kommunikationstechnik sowie Logistik besonders hervor. Erst vor
wenigen Tagen wurden entsprechende Verträge zu den
Projekten vorbereitet, die über Betreiberverträge realisiert werden. Gerade von dem Projekt „Herkules“ erhoffe ich mir, dass kleine und mittelständische IT-Unternehmen ihre Kompetenz weiterhin in den Dienst der
Bundeswehr stellen können.
Die andauernden Auslandseinsätze und die sich verändernden Bedingungen in den Einsatzgebieten erfordern in erster Linie die Fähigkeiten des Heeres. Von den
6 500 Soldaten der Bundeswehr in Auslandseinsätzen
stellt das Heer weit über die Hälfte. Es liegt in seiner
Struktur, dass es den Herausforderungen bei der Mandatserfüllung am Boden direkt ausgesetzt ist. Aufgrund
der aktuellen Ereignisse in Afghanistan, wo sich Sprengstoffanschläge gegen deutsche ISAF-Truppenteile nicht
erst seit der Übernahme des Kommandos über die internationale Schutztruppe mehren, werden wir die Schutzkomponente bei Planung und Beschaffung noch stärker
gewichten müssen.
Der Schutz der Soldatinnen und Soldaten ist ein ganz
wichtiger Punkt. Darüber hinaus kommt es aber auch
darauf an, dass man den Soldatinnen und Soldaten, die in
ihren Einsätzen häufig einer Gefahr für Leib und Leben
ausgesetzt sind, ein möglichst hohes Maß an Sicherheit
und Verlässlichkeit hinsichtlich ihrer Berufsperspektive
eröffnet. Deswegen ist es gut, dass der Bundesminister
der Verteidigung jetzt über das Einsatzversorgungsgesetz hinaus eine Initiative, die aus dem Bereich der Abgeordneten gekommen ist, aufgegriffen hat. Demnächst
dürfen Soldatinnen und Soldaten, die im Auslandseinsatz verwundet wurden, sicher sein, dass sie auch nach
ihrem Einsatz eine Beschäftigung in der Bundeswehr
finden. Das wird nicht von dem Wohlwollen des jeweiligen Ministers abhängig sein, sondern dafür wird es eine
gesetzliche Grundlage geben. Darauf haben wir lange
gewartet. Das ist wichtig; darauf müssen sich die Soldaten verlassen können.
({1})
Ein wesentlicher Faktor der Transformation der Bundeswehr ist nicht zuletzt das Personalstrukturmodell
2010, das Minister Jung von seinem Vorgänger Peter
Struck übernommen hat und konsequent weiterführt. Mit
den bereits vollzogenen Strukturmaßnahmen konnten
wir im letzten Jahr die Personalausgaben erstmals bei
unter 50 Prozent des Gesamthaushalts veranschlagen.
Das ist wichtig, weil wir zunehmend Spielräume für die
notwendigen Beschaffungsvorhaben brauchen. An dieser Stelle sind wir um ein Erhebliches vorangekommen.
Allerdings dürfen wir in unseren Anstrengungen nicht
nachlassen. Das fordert den Soldatinnen und Soldaten,
aber auch den Zivilbeschäftigten ein hohes Maß an Verständnis ab. Sie immer wieder einzubinden und ihnen
deutlich zu machen, dass sie sich auf das, was geplant
ist, auch verlassen können, dass der Mensch im Vordergrund des Transformationsprozesses steht, das muss von
hier aus unsere Botschaft sein. Ich meine, das sind wir
den Soldatinnen und Soldaten schuldig. Auch die Zivilbeschäftigten müssen sich darauf verlassen können.
Herzlichen Dank.
({2})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Katrin Kunert,
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Gäste! Wäre der Bundeshaushalt ein
kommunaler Haushalt, wäre er stark genehmigungsgefährdet. Nur: Leider gibt es keine übergeordnete Genehmigungsbehörde für den Bundeshaushalt. Mehrheiten
ersetzen Haushaltsrecht und Mehrheiten bestimmen darüber, was für den Bund Pflicht ist und was Kür. Diese
Haushaltspolitik ist weder seriös noch nachhaltig.
({0})
Der Verteidigungshaushalt, der Einzelplan 14, ist der
drittgrößte Einzelplan und rangiert noch vor dem Haushalt für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, dem Bereich, der eigentlich so wichtig ist für die Entwicklung
gleicher Lebensverhältnisse in Ost und West. In der gestrigen Debatte zum Einzelplan Finanzen hat ein Kollege
gesagt, dass dieser Haushalt dazu beitragen wird, dass
jetzt noch sachgerechter mit öffentlichen Mitteln umgegangen wird. Nun frage ich: Wie ist denn bisher mit öffentlichen Mitteln umgegangen worden und wann geht
ein Staat sachgerecht mit öffentlichen Mitteln um?
Orientiert er sich an den Aufgaben, die er erfüllen will
oder muss, oder erledigt er Aufgaben nach Kassenlage?
Der uns vorliegende Haushaltsentwurf orientiert sich an
der Kassenlage; darauf weisen Sie immer wieder hin.
Nur beim Einzelplan 14 gibt es eine gewisse Stetigkeit.
Aus unserer Sicht ist dieser Etat einfach zu hoch.
({1})
Der Kalte Krieg ist seit Jahren vorbei und so viele Bedrohungen können gar nicht herbeigeredet werden, um
diesen Etat mit rund 28 Milliarden Euro zu rechtfertigen.
Die klassische Aufgabenstellung der Bundeswehr ist für
uns nach wie vor die Landesverteidigung. Eine Bundeswehr als schnelle Eingreiftruppe für das Ausland lehnen wir ab.
({2})
Für die Aufgaben der inneren Sicherheit haben wir die
Polizei.
Wir bleiben dabei: Abschaffung der Wehrpflicht, eine
Berufsarmee mit 100 000 Mann und keine Auslandseinsätze! Mit dem dann kleineren Etat wäre eine wirksame
Landesverteidigung gesichert und die freigesetzten Mittel könnten für eine wirkliche Entwicklungshilfe und für
eine langfristige Deeskalation in den betroffenen Ländern eingesetzt werden.
Bei Betrachtung des Verteidigungshaushalts wird
auch deutlich - meine Kollegin Gesine Lötzsch hat darauf hingewiesen -, dass es eine Schere zwischen den
Investitionen in Prestigeobjekte und den Arbeitsbedingungen der Soldatinnen und Soldaten gibt. Hier ist ein
Ungleichgewicht entstanden; dem muss man entgegenwirken. Die Absicherung von immer mehr und längeren
Auslandseinsätzen geht zulasten der Ausstattung im Inland. Das kann nicht so bleiben.
Eine Grundlage für die Erstellung des Verteidigungshaushaltes müsste eigentlich der Bericht des Wehrbeauftragten sein. In ihm werden Jahr für Jahr Probleme aufgelistet, die die Arbeitsbedingungen betreffen.
Der Zustand der Kasernen und der Soldatenunterkünfte
wird bemängelt. Hier besteht erheblicher Sanierungsbedarf. Die Versorgung im Sanitätsbereich ist grenzwertig.
Durch die vielen Auslandseinsätze kann sie nicht mehr
in vollem Umfang gewährleistet werden.
In der ersten Lesung des Haushalts haben wir bereits
darauf hingewiesen, dass die Sozialverträglichkeit bei
der Umsetzung des Stationierungskonzeptes auch im
Haushalt ihren Niederschlag finden muss. Konversionsprogramme sind von Bund, Ländern und Kommunen
zu entwickeln, um die Umstrukturierungsprozesse in den
Kommunen nachhaltig zu gestalten und den Beschäftigten eine Zukunft zu geben.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Haushalt ist eine
weitere Kürzung des Weihnachtsgeldes vorgesehen. Das
ist aus unserer Sicht nicht akzeptabel. Wir haben dazu im
Verteidigungsausschuss einen Antrag gestellt. Er hat leider keine Mehrheit gefunden.
({4})
Nach wie vor werden Soldatinnen und Soldaten aus Ost
und West unterschiedlich bezahlt. Die Angleichung der
Tarife wird für 2009 in Aussicht gestellt. Warum erst
2009? Wir haben im Verteidigungsausschuss auch den
Antrag gestellt, die Tarife ab 2006 anzugleichen. Die
Angleichung der Tarife der Berufssoldatinnen und -soldaten auf Zeit würde 33 Millionen Euro ausmachen, die
Angleichung der Tarife der zivilen Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter 36 Millionen Euro, also circa die Summe,
die der Kongoeinsatz kosten wird.
({5})
Auch diesen Antrag haben Sie leider abgelehnt.
An dieser Stelle möchte ich Ihnen eines ganz deutlich
sagen: Wenn Sie die Soldatinnen und Soldaten in Zukunft loben und ihnen Ihren Dank und Ihre Anerkennung
aussprechen, sollten Sie daran denken, dass sich Lob,
Dank und Anerkennung auch im Geldbeutel bemerkbar
machen müssen.
({6})
Mit Blick auf die Ausgestaltung des Verteidigungshaushaltes sei mir abschließend noch eine Bemerkung
gestattet: Die Haushaltstitel weisen den gewünschten
Weg für die Bundeswehr aus. Herr Minister Jung, lassen
Sie uns doch gemeinsam über die künftigen Aufgaben
der Bundeswehr reden.
({7})
Wie man den Zeitungen entnehmen kann, steht es um Ihr
Weißbuch im Moment nicht ganz so rosig.
({8})
- Hören Sie doch bitte bis zum Schluss zu!
Ich hoffe, dass sich die Genossen in der SPD wieder
auf die klassischen Aufgaben der Bundeswehr besinnen.
Die Grundausrichtung auf eine globale Einsatztruppe
mit neuen Angriffswaffen, wie im Haushalt festgeschrieben, und die Ausweitung der Einsätze der Bundeswehr
im Innern lehnen wir weiterhin ab.
Schönen Dank.
({9})
Das Wort hat nun der Kollege Winfried Nachtwei für
die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir stehen kurz vor der Sommerpause. Aber in der Sicherheitspolitik wird es garantiert keine Sommerpause
geben, im Gegenteil. Aus diesem Anlass und angesichts
der vor uns liegenden Monate möchte ich etwas zu den
Bundeswehreinsätzen und zum Weißbuch sagen.
Erstens. Was den Kongoeinsatz angeht, sei auf Folgendes hingewiesen: Beim Kongoeinsatz und bei der
Beteiligung Deutschlands an der EU-Truppe kommt es
so sehr auf Glaubwürdigkeit an, wie es bei früheren Einsätzen selten der Fall war. Damit meine ich Glaubwürdigkeit sowohl im Hinblick auf die eingesetzten Einheiten als auch hinsichtlich der zentralen Botschaften. Hier
kam es in den letzten Wochen von ziviler Seite aus leider
zu einem sehr schädlichen Durcheinander.
Zweitens. Die Entwicklung in Afghanistan ist - normalerweise bin ich in meinen Bewertungen sehr zurückhaltend - sehr beunruhigend, nicht nur aufgrund der Zunahme der Kämpfe im Süden und der zunehmenden
Perfektionierung der Anschläge, sondern auch aus anderen Gründen. Mittlerweile müssen wir einen eklatanten
Rückschlag bei der Drogenbekämpfung befürchten. Im
vorigen Jahr ging die Anbaufläche um ungefähr ein
Viertel enorm zurück. Für dieses Jahr weisen die Prognosen einen Anstieg hinsichtlich der Anbaufläche um
zum Teil mehr als 50 Prozent aus, zum Beispiel in Badakhshan. Was den Drogenanbau betrifft, sind also wieder rapide Steigerungen zu verzeichnen.
Woran liegt das? Im letzten Jahr wurden Versprechungen gemacht, dass für die Betroffenen alternative Erwerbsmöglichkeiten geschaffen werden. Diese Versprechungen sind nicht eingehalten worden.
({0})
Stattdessen findet eine verschärfte und aggressive Vernichtung der Anbaufelder statt. Die Folge ist, dass die
Bauern ihre Existenz verlieren.
({1})
Die Bauern suchen Schutz. Wer bietet ihnen den? Die
Taliban. Im Süden - das ist deutlich festzustellen - entsteht das, wovor wir schon vor geraumer Zeit gewarnt
haben: eine Drogenvolksfront. Dadurch wird die Spirale
der Gewalt enorm angetrieben.
Hinzu kommt, dass „Enduring Freedom“-Einsätze
vor allem im Süden und Südosten offenkundig viel zu
oft kontraproduktiv wirken. Die Folge ist, dass die internationale Gemeinschaft und die Zentralregierung immer
mehr die Herzen der Afghanen verlieren. Das ist eine
sehr bedrohliche Entwicklung. Das heißt, es besteht die
Gefahr, dass die ISAF, die internationale Sicherheitsunterstützungstruppe, in der Wahrnehmung von immer
mehr Menschen nicht mehr als Friedensunterstützungstruppe, sondern als Besatzungstruppe wahrgenommen
zu werden droht. Eine Besatzungstruppe ist aber keine
Stabilisierungstruppe mehr. Das ist eine äußerst gefährliche Entwicklung.
({2})
Die Konsequenz daraus ist, dass es bei dem Afghanistaneinsatz nicht um neue Konzepte gehen muss - Konzepte
gibt es sehr viele -, sondern darum, die Strategie, die am
Boden praktiziert wird, in den nächsten Monaten, vor
der Verlängerung der Mandate, zu überprüfen.
({3})
Zum Weißbuch. Seit einigen Wochen ist der Entwurf
des Weißbuchs im Umlauf. Es soll laut Ihren Aussagen,
Herr Minister, sicherheitspolitisch und strategisch eine
Standortbestimmung bringen. Dieser Anspruch ist völlig
richtig; doch er wird mangelhaft eingelöst.
Erstes Beispiel: Nach mehr als zehn Jahren deutschen
Krisenengagements bzw. Einsätzen der Bundeswehr ist
es an der Zeit, zu einer systematischen und offenen Auswertung dieses Teils deutscher Außenpolitik zu kommen. Das ist dringend erforderlich. Tätigkeitsberichte allein reichen nicht; wir brauchen eine Auswertung.
Hierüber steht im Weißbuch nichts. Dabei wäre das eine
enorme Chance. Es wäre auch zwingend notwendig, um
abschätzen zu können, was Militär, was Bundeswehr an
Außenpolitik leisten kann und was nicht. Das ist das
erste wichtige Versäumnis.
Zweitens. Der Verteidigungsbegriff ist diffus formuliert. Aber die Andeutungen gehen in Richtung einer
Ausweitung des Verteidigungsbegriffes, sowohl nach innen - dass eine Terrorattacke dem Verteidigungsfall vergleichbar sei - als auch nach außen, Ressourcenschutz
usw. Dazu müssen wir kurz und knapp feststellen: Das
bringt kein Mehr an Sicherheit, sondern eindeutig mehr
Unsicherheit.
Drittens. Der Anspruch umfassender und Gewalt vorbeugender Sicherheitspolitik bleibt leider in der Ansage
stecken. Herr Minister, Sie haben selbst darauf hingewiesen, dass die Bundeswehr in den Einsatzgebieten mit
den anderen Kräften vernetzt ist und mit ihnen gut zusammenarbeitet, mit einigen Lücken zwar, aber insgesamt gut. Doch diese besondere Zusammenarbeit mit
den verschiedenen Kräften schlägt sich nicht im Weißbuch nieder.
Hier gibt es also ganz deutlich eine Unausgewogenheit der militärischen, polizeilichen und zivilen Krisenmanagementfähigkeiten. Vorprogrammiert ist dabei Folgendes: Immer mehr Bundeswehreinsätze und immer
längere Bundeswehreinsätze mit immer weniger Wirkung.
Herr Kollege, denken Sie an Ihre Redezeit!
Ja, ich komme zum Schluss. - Diese Schlüsselfragen
können nicht per Kabinettsbeschluss über ein Weißbuch
sozusagen erlassen werden. Sie brauchen eine breite Debatte. Ob diese breite Debatte blockiert wird oder ob sie
zustande kommt, dafür tragen Sie, Herr Minister, eine
sehr große Verantwortung. Ich appelliere an Sie - ich
glaube, ich spreche hier, ausgesprochen oder unausgesprochen, im Namen aller Kollegen -: Tragen Sie bitte
Ihren Anteil dazu bei, dass wir eine solche Debatte bekommen!
Danke schön.
({0})
Das Wort hat nun der Kollege Thomas Kossendey für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Viele Zahlen sind heute genannt worden; manches von
dem, was im Haushalt verankert werden soll, ist angesprochen worden. Dies ist der erste Haushalt der großen
Koalition. Deswegen möchte ich einige Aspekte herausgreifen, die noch nicht erwähnt worden sind.
Was bleibt? Was wird anders? Was bleibt, ist die
wirkliche Enge in diesem Verteidigungshaushalt. Er ist
so knapp auf Kante genäht wie alle in den Jahren zuvor.
Wir haben allerdings - das finde ich positiv - eine Perspektive der Verlässlichkeit bekommen. Was uns in den
letzten Jahren immer wieder geärgert hat, waren die
unkalkulierbaren Eingriffe in den laufenden Haushalt,
({0})
die eine Planungssicherheit gar nicht erst haben aufkommen lassen.
({1})
Es gibt allerdings schon jetzt zwei Punkte, die in diesem Zusammenhang anzusprechen sind - der Kollege
Johannes Kahrs hat das bereits getan -: Ohne dass wir
das vorher planen konnten, müssen wir aus dem Verteidigungshaushalt den Kongoeinsatz und unseren Anteil
an den israelischen U-Booten finanzieren. Beides sind
wichtige Aufgaben, aber nicht jede wichtige Aufgabe,
die wir in diesem Land zu lösen haben und die außenpolitische Akzente hat, muss aus dem Verteidigungshaushalt bezahlt werden.
({2})
Deswegen habe ich eine sehr große Sympathie dafür,
dass wir uns im Parlament, im Verteidigungsausschuss
und auch im Haushaltsausschuss darüber verständigen,
wie wir diese unwägbaren Eingriffe für die Zukunft ausschließen.
Ich will nicht wieder auf den Einzelplan 60 zurückkommen, aber ein vergleichbares Verfahren wie dort
brauchen wir dringend, um eine Verlässlichkeit in der
Planung zu erreichen. Hier sollten uns auch Leertitel und
globale Minderausgaben nicht helfen. Nein, wir brauchen eine wirkliche Etatisierung von unvorhergesehenen
Ausgaben, durch die der Verteidigungshaushalt weitgehend geschützt wird.
Verlässlichkeit ist das Thema. Ich will dazu noch einen Vorschlag wiederholen, den ich hier vor einigen Jahren gemacht habe und der mir politisch immer noch
wichtig erscheint. Wir müssen aus meiner Sicht drei
Haushalte zusammen betrachten: den Verteidigungshaushalt, den Haushalt für das Auswärtige und den
Haushalt für das Bundesministerium für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung. Alle drei haben nämlich eine außergewöhnlich wichtige Ausstrahlung nach
draußen und sind für die Bedeutung und den Stellenwert
unseres Landes in der Völkergemeinschaft wichtig. Ich
denke, deshalb sollten wir versuchen, ein Agreement dahin gehend zu schaffen, dass wir diese drei Haushalte
vor die Klammer ziehen, wenn es wieder einmal darum
geht, mit dem Rasenmäher zu kürzen, weil wir den Ruf
unseres Landes nicht aus haushalterischen Gründen unnütz aufs Spiel setzen sollten.
Wenn ich von Verlässlichkeit spreche, dann meine ich
den Investivbereich; insbesondere aber meine ich die
Menschen in der Bundeswehr, die eine Verlässlichkeit
der Planung verdient haben. Wir haben bei diesem Haushalt zum ersten Mal notieren können, dass der Personalanteil auf unter 50 Prozent gefallen ist. Das klingt zunächst sehr gut, aber ist teuer erkauft, nämlich durch den
Verzicht auf Zulagen, Weihnachtsgeld und anderes - und
das in einer Zeit, da wir unsere Soldaten in den nächsten
Wochen in einen sehr schwierigen Auftrag schicken
werden.
Ich bin deswegen dankbar, dass die Frau Kollegin
Merten angesprochen hat, dass wir nach dem Einsatzversorgungsgesetz nun auch eine gesetzliche Grundlage dafür schaffen wollen, dass Soldaten, die im Einsatz verletzt worden sind, mehr Möglichkeiten haben, hinterher
ihre berufliche Perspektive bei der Bundeswehr zu finden. Was nutzt es dem Zeitsoldaten auf vier Jahren nämlich, wenn er im Einsatz auf eine Mine tritt, ein Bein verliert und wir ihm nach vier Jahren sagen: Tschüss, das
war es! - Das kann nicht die Fürsorge unseres Landes
gegenüber denjenigen sein, die für uns und in unserem
Auftrag ihr Leben riskieren. Deswegen ist das, was der
Minister dort vorhat, sehr wichtig.
({3})
Wir müssen uns auch noch mehr als bisher um die
Motivation und die Attraktivität des Dienstes in der
Bundeswehr kümmern. Der Erfolg eines Einsatzes hängt
in einer Zeit, in der ein Einsatz in internationalen Gebieten eigentlich der tägliche reale Dienst ist, nicht nur von
der Zahl der Soldatinnen und Soldaten, sondern auch
von der Motivation der Soldatinnen und Soldaten ab. Es
ist viel wichtiger als vieles andere, was wir in der Bundeswehr zu beobachten haben, dass wir diesen Dienst
attraktiv gestalten; denn in absehbarer Zeit wird die
Bundeswehr mit vielen anderen Arbeitgebern um Nachwuchs kämpfen müssen. Wenn dann der Dienst nicht attraktiv ist und der Verdacht besteht, dass wir unsere Fürsorgepflicht nicht ernst nehmen, dann wird es schwer
werden, diejenigen zu finden, die wir bei der Bundeswehr brauchen.
Ich will hier ein Stichwort ansprechen, das mir sehr
am Herzen liegt. Wir haben fast 7 500 weibliche Soldaten. Das SOWI hat untersucht, dass 75 Prozent dieser
Frauen ihren Dienst bei der Bundeswehr mit einem Kinderwunsch angetreten haben. Was tun wir eigentlich für
diese Frauen?
({4})
- Elterngeld ist das eine, danke. Das ist eine sehr wichtige Perspektive. - Nehmen Sie aber einmal eine junge
Soldatin, die Dienstzeiten hat, die eben nicht mit denen
im öffentlichen Dienst im Allgemeinen vergleichbar
sind. Wenn sie morgens zum Dienst in die Kaserne geht,
hat noch kein öffentlicher Kindergarten offen, und wenn
sie eine Übung oder abends vielleicht verlängerten
Dienst hat, wird es ganz schwierig. Deswegen sollte sich
die Bundeswehr, so denke ich, in den Kommunen intensiv an den runden Tischen für die Familie beteiligen, damit wir für diese Gruppe von Soldatinnen eine Möglichkeit finden, ihrer Betreuungspflicht nachkommen zu
können. Ich will das dem Minister sehr ans Herz legen,
weil ich glaube, dass hier vieles zu tun ist.
Lassen Sie mich noch einen zweiten Bereich ansprechen, der gerade in den letzten Wochen in der Öffentlichkeit Aufmerksamkeit erregt hat, nämlich die Belastung der Soldaten in internationalen Einsätzen, deren
Folgen die Psychologen so wunderbar posttraumatisches
Belastungssyndrom oder posttraumatische Belastungsstörung nennen. Ich glaube, wir sind es unseren Soldatinnen und Soldaten, aber auch den zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die im internationalen Einsatz
stehen, schuldig, dass wir uns darum kümmern, dass da,
wo psychische Probleme entstehen, nachgearbeitet wird.
({5})
Das tun wir bereits vereinzelt; es ist auch richtig und gut.
Wir sollten das aber viel besser organisieren.
Der heute schon mehrfach erwähnte Staatssekretär
Dr. Pflüger
({6})
hat im Verteidigungsausschuss dazu einen sehr intensiven Bericht vorgelegt, den ich dringend zur Beratung in
diesem Ausschuss empfehle. Ich meine, wir sollten in
unsere Überlegungen auch diejenigen einbeziehen, die
in internationalen Einsätzen entsprechende Störungen
davongetragen haben und zwischenzeitlich aus dem
Dienst ausgeschieden sind. Eine so verstandene Fürsorgepflicht kann möglicherweise in der Einrichtung eines
Rehazentrums ihren Ausdruck finden.
Wenn ich von den Menschen bei der Bundeswehr
spreche, dann bleiben die Zivilbediensteten sozusagen
etwas im Schatten. Die Zahl von 75 000 Zivilbediensteten, die wir bis 2010 erreichen wollen, ist aus haushalterischen Gründen festgelegt worden. Ihr lag keine Struktur zugrunde, liebe Frau Kollegin Merten. Ich bin
dankbar, dass Staatssekretär Dr. Wichert diese Struktur
bis zum Jahresende schafft. Denn nur mit einer Struktur,
die bis zum letzten Standort ausgeplant ist, können wir
den Menschen, die versetzt werden müssen, helfen, Alternativen im Bereich der Bundeswehr zu finden. Dann
hört endlich das Elend auf, dass keine Stelle mehr nachbesetzt wird und die Menschen nur um den Preis von
Zeitverträgen bei der Bundeswehr beschäftigt werden.
Das kann nicht richtig sein.
Deswegen ist meine dringende Bitte, Herr Minister:
Sorgen Sie dafür, dass der Bericht über die Struktur
möglichst schnell erscheint und dass wir zügig umsetzen, was wir mittlerweile in die Kern- und Nichtkernaufgaben der Bundeswehr aufgeteilt haben! Wann bekommen wir zum Beispiel eine Übersicht, welche
Liegenschaft aus militärischen Gründen dringend notwendig ist und welche vielleicht in die Verwaltung der
BImA abgegeben werden kann? Wir brauchen dabei
Klarheit, um auch für das Personal eine Perspektive zu
schaffen.
Lassen Sie mich noch etwas zum Thema Dussmann
ausführen, das vom Kollegen Koppelin angesprochen
worden ist. Mich ärgert es sehr, dass der Versuch in
München in die Hose gegangen ist, weil Dussmann den
Vertrag gekündigt hat.
({7})
Es ärgert mich deswegen, weil ich nach wie vor glaube,
dass die Übertragung von Aufgaben, die bislang innerhalb der Bundeswehr erledigt wurden, an Private eine
Perspektive bieten kann, die sowohl für die Soldaten gut
als auch hinsichtlich des Haushalts richtig sein kann.
({8})
Das von uns festgestellte Unvermögen eines Auftragnehmers, den Auftrag zur Zufriedenheit der Soldaten
auszuführen,
({9})
darf nicht dazu führen, dass wir das Thema grundsätzlich von der Tagesordnung nehmen. Wir müssen sehr genau prüfen, wo die Gründe für das Versagen lagen. Wir
müssen prüfen, ob sie einseitig bei dem Unternehmer lagen oder ob vonseiten der Verwaltung oder des Ministeriums Vorgaben gemacht wurden, die nicht umzusetzen
waren.
Ich glaube, wenn wir uns in diesen Tagen über den
Fall aufregen, der 13 Küchen betrifft, dann sollten wir
auch berücksichtigen, dass allein bei den Küchen der
Bundeswehr, die wir noch selber verwalten, ein Investitionsbedarf in Höhe von 300 Millionen Euro besteht, um
sie so weit instand zu setzen, dass ein Veterinär sie bei
einer Inspektion nicht gleich schließt. Das müssen wir
im Haushalt berücksichtigen.
An dem Standort in meinem Wahlkreis Oldenburg
gibt es drei Truppenküchen. Alle drei Küchen sind vom
Veterinär geschlossen worden, weil der bauliche Zustand
es nicht zuließ, Essen zu kochen, das für den menschlichen Verzehr bestimmt ist. Die Luftlandebrigade 31
- eine der Brigaden, die wir als erstes in den Einsatz
schicken wollen - wird, weil kein Geld für eine neue
Küche vorhanden ist, in den nächsten fünf Jahren aus einer containerisierten Küche in Zelten verpflegt werden.
Das ist keine Fürsorge, wie wir sie uns vorstellen.
({10})
Lassen Sie mich noch etwas zum Thema Material
und Investitionen ausführen. Wir haben die Betriebskosten um 4 Prozent senken können. Das ist gut. Es gibt
uns Raum für Investitionen. Wir müssen dringend identifizieren, wo Investitionen notwendig sind. Der strategische Lufttransport ist einer der wichtigsten Punkte in
diesem Zusammenhang. Aber, Herr Minister, nehmen
Sie bitte Kontakt mit den Damen und Herren von EADS
auf! Ich befürchte angesichts der aktuellen Ereignisse,
dass unser Flugzeug A400M, das von diesem Unternehmen gebaut wird, unter Umständen ins Hintertreffen gerät.
({11})
Denn die Ingenieurkapazitäten, die EADS braucht, um
beim Airbus umzusteuern, werden unter Umständen bei
der Produktion des A400M fehlen, was zu einer Zeitverzögerung führen könnte. Das sollten wir auf jeden Fall
verhindern.
Denken Sie im Investivbereich auch an die Materialerhaltung! Nach Aussagen des Bundeswehrplans 2007 bis
2010 werden ungefähr 1 Milliarde Euro fehlen, die notwendig sind, um das vorhandene Material instand zu
halten. Diese Unterdeckung müssen wir nicht einfach
hinnehmen; wir müssen vielmehr genau überprüfen, was
wir im Bereich der Materialerhaltung selber machen
können und was von anderen durchgeführt werden muss.
Wir müssen aber auch kritisch auf den Prüfstand stellen,
mit welchem Stückzahlgerüst wir unser Material erhalten wollen.
({12})
Und schließlich müssen wir darauf achten, dass wir im
Bereich der Luftwaffenwerften und des Marinearsenals
eigene Kompetenz und Expertise erhalten, damit wir
nicht den Preisen, die uns die Wirtschaft diktiert, wahllos ausgeliefert sind.
Lassen Sie mich zum Schluss noch auf das Weißbuch
zu sprechen kommen. Ich habe selten eine solche Diskussion über ein noch nicht veröffentlichtes Buch und
solche detaillierten Forderungen erlebt, wie es beim
Weißbuch der Fall ist. Ich glaube, dieses Weißbuch hat
schon jetzt einen wichtigen Teil seiner Aufgabe erfüllt.
Das vom Bundespräsidenten angesprochene wohlwollende Desinteresse, das der Bundeswehr in der Öffentlichkeit entgegenschlägt, ist einer engagierten Diskussion gewichen. Was kann einem Weißbuch Besseres
passieren, als dass darüber schon vor seiner Veröffentlichung so intensiv diskutiert wird? Das halte ich für
wichtig.
Wir haben in Deutschland drei Sicherheitsbereiche:
die soziale Sicherheit, die innere Sicherheit und die äußere Sicherheit. Über die soziale Sicherheit diskutieren
wir jeden Tag. Die innere Sicherheit liegt uns deswegen
am Herzen, weil uns die Menschen fragen, was wir eigentlich tun. Aber die äußere Sicherheit hat längst nicht
den gleichen Stellenwert. Ich wünsche mir, dass das
Weißbuch dafür sorgt, dass die äußere Sicherheit wieder
den Stellenwert in der öffentlichen Diskussion bekommt,
den sie verdient.
Vielen Dank.
({13})
Das Wort hat nun für die SPD-Fraktion der Kollege
Andreas Weigel.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der von mir sehr geschätzte Kollege Alexander Bonde
hat in seiner Rede die Frage gestellt, ob wir für das investierte Geld das Optimum bekommen. Ich will diese
Frage aufgreifen. Entscheidend ist, wie wir das Optimum definieren. Das ist eine sehr subjektive Bewertung.
Das Optimum kann sein, dass der Einzelplan 14 an dritter Stelle steht, was ja von der PDS kritisiert wird. Das
Optimum kann sein, dass alles drin ist, was wir auf der
großen „Wünsch dir was“-Liste aufgeführt haben. Das
Optimum kann aber auch sein, dass die Einsatzbereitschaft und die Sicherheit der Truppe gewährleistet sind.
Ich glaube, dass der heute zur Diskussion stehende
Einzelplan 14 dieses Kriterium auf alle Fälle erfüllt. Verehrter Herr Kollege Kossendey, wir stehen damit in der
guten Kontinuität der Haushalte in den vergangenen Jahren und sorgen für Verlässlichkeit. Die Einsatzbereitschaft und die Sicherheit der Truppe sind gewährleistet.
({0})
Als letzter Redner in dieser Debatte will ich kurz drei
Themen ansprechen, die nicht nur den hier zur Beratung
anstehenden Haushalt betreffen, sondern auch die kommenden Haushalte. Das sind die Themen Anpassung der
Bundeswehrverwaltung an die Herausforderungen der
Transformation, die Kooperation der Bundeswehr mit
der Wirtschaft und die Kooperation im Rüstungsbereich
auf europäischer Ebene.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, 17 Prozent
des Verteidigungsetats, ungefähr 4 Milliarden Euro,
nimmt Jahr für Jahr die Finanzierung des Zivilpersonals
der Bundeswehr in Anspruch. Ungefähr 250 000 Soldaten - einschließlich der Wehrpflichtigen - stehen annähernd 120 000 Zivilbeschäftigten gegenüber. Wir haben
uns das Ziel gesetzt, bis 2010 die Zahl der Zivilbeschäftigten auf 75 000 zu reduzieren. Aber wir werden dieses
Ziel - ich glaube, das bestreitet niemand ernsthaft wohl nicht erreichen. Was bedeutet das und was folgt
daraus?
Wir kommen in der Haushaltsplanung nicht darum
herum, die Betriebskosten zu reduzieren und Zivilpersonal sozialverträglich abzubauen. Der jetzige Zustand ist
für das Zivilpersonal in vielerlei Hinsicht unbefriedigend. Jeder weiß, dass es Veränderungen geben wird.
Aber niemand weiß, wie sie sich auswirken werden. Die
Zivilbeschäftigten sorgen sich um ihre Arbeitsplätze und
ihre berufliche Zukunft. Die mittelfristige Entwicklung
ist ungeklärt. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir über das
von Ihnen, Herr Minister, vorgelegte Konzept rasch diskutieren, damit wir für alle Klarheit über die tatsächliche
Entwicklung schaffen. Die Wehrverwaltung ist 16 Jahre
lang nicht immer ausreichend an die Realitäten angepasst worden. Dabei brauchen wir eine Wehrverwaltung,
die in die Transformation der Streitkräfte unmittelbar
eingebettet ist. Wir haben das Problem in den letzten
Jahren unter Minister Struck sehr intensiv angepackt.
Diesen Weg müssen wir weitergehen.
Ähnliche Fragen stellen sich bei der Kooperation
der Bundeswehr mit der Wirtschaft, dem zweiten Bereich, den ich hier kurz ansprechen möchte. Maßgeblich
für unsere Bemühungen muss die Konzentration der
Bundeswehr auf die Kernfähigkeiten und Kernaufgaben
sein. Wir haben hierbei bemerkenswerte Fortschritte erreicht. Das Potenzial ist allerdings noch nicht ganz ausgeschöpft.
Die Partnerschaft mit der Wirtschaft, sei es in Form
von Betreibermodellen oder Kooperationsmodellen im
engeren Sinne, ist ein zentraler Bestandteil der Transformation. Dass es auf der militärischen Seite erhebliche
Skepsis gegenüber PPP-Vorhaben gibt, ist kein Geheimnis. Die Sorge, die mit dieser kritischen Haltung verbunden ist, nämlich dass die Leistungen nicht in der richtigen Qualität und Menge erbracht werden, darf nicht
einfach ignoriert werden. Die Vertragskündigung durch
die Firma Dussmann, die wir derzeit diskutieren, ist ein
Thema, das wir wirklich sehr sorgfältig und ausführlich
im Verteidigungsausschuss beraten müssen. Wir müssen
aufpassen, dass wir dabei nicht das Kind mit dem Bade
ausschütten.
({1})
Privatisierungsprojekte sind wichtig. Wir alle gemeinsam müssen sicherlich aus dem, was wir derzeit erleben,
lernen und unsere Lehren für weitere Projekte ziehen.
Wir müssen darüber hinaus überlegen, ob wir im Bereich der Kameralistik und des Rechnungswesens zu
Veränderungen kommen. Sparen muss sich lohnen.
Dienstbereichs- und dienststellenbezogene Globalhaushalte müssen Standard werden. Flexible Budgetierung in
der Verantwortung und Zuständigkeit des jeweiligen militärischen und zivilen Leiters sollte in Zukunft die Norm
werden. Sie sollte für alle Anreize bieten.
({2})
Schließlich werden wir im Bereich der Streitkräfte
neue Wege gehen müssen. Die Festlegung auf Kernfähigkeiten und die Bereitschaft zur Integration auf europäischer Ebene sind hier wichtige Stichworte. Das
muss wesentlich stärker als bislang seinen Niederschlag
auch im Haushalt finden. Die Bundeswehr ist als Bündnisarmee konzipiert und die europäischen Streitkräfte
wachsen zusammen. Deshalb ist es geboten, über neue
Formen einer verstärkten gemeinsamen europäischen
Finanzierung nachzudenken. Dies könnte mit dem Ausbau der Europäischen Verteidigungsagentur zu einem
wesentlichen Instrument bei der Vernetzung europäischer Streitkräfte gekoppelt werden.
Die Bundesregierung geht hier mit gutem Beispiel
voran. Ich glaube, dass wir in Europa auf einem guten
Weg sind. Wir sollten das im nächsten Haushalt, den wir
sehr bald diskutieren werden, berücksichtigen.
Ich glaube, dass der vorliegende Haushalt es wert ist,
mit Zustimmung bedacht zu werden.
Ich danke.
({3})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 14 - Bundesministerium der Verteidigung - in der
Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist der Einzelplan 14 mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktionen von FDP, Bündnis 90/Die Grünen
und Die Linke angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.9 auf:
Einzelplan 23
Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
- Drucksachen 16/1319, 16/1324 Berichterstattung:
Abgeordnete Alexander Bonde
Iris Hoffmann ({0})
Michael Leutert
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre dazu
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Bevor ich das Wort dem
Kollegen Hellmut Königshaus für die FDP-Fraktion
gebe, bitte ich darum, dass die Gespräche nicht hier im
Plenum, sondern vor dem Saal geführt werden, damit
wir dem Redner aufmerksam zuhören können. - Herr
Kollege Königshaus.
Ich bedanke mich sehr herzlich, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin, ich
könnte es mir leicht machen und meine Rede zur ersten
Lesung des Einzelplans hier noch einmal wiederholen;
denn am Sachverhalt hat sich leider nichts geändert.
Wenn wir deshalb nachher - was Sie wahrscheinlich
nicht sehr überraschen wird - Ihren Haushalt ablehnen
werden, können Sie die Gründe dort nachlesen.
Ich will mich auf zwei Kernpunkte konzentrieren, die
mir besonders dringlich erscheinen. Mein Kollege
Dr. Addicks wird nachher noch einiges ergänzen.
Erstens zur politischen Konzeption. Frau Ministerin,
wann erhalten wir von Ihnen ein klares und nachvollziehbares Konzept, in welchem Verhältnis die verschiedenen Felder unserer Entwicklungszusammenarbeit - bilateral, europäisch, multilateral - zueinander stehen?
Wie sollen wir heute, frage ich Sie, liebe Kolleginnen
und Kollegen, verantwortlich über einen Haushalt befinden, aus dem ein großer Teil der Mittel in ein diffuses
Umfeld abfließen soll, bei dem wir kaum Möglichkeiten
der Einflussnahme oder der Kontrolle haben?
Und wann - das wäre eine weitere Frage an Sie, Frau
Ministerin - werden wir, das Parlament, in die Erörterung über die zukünftige Struktur der Durchführungsorganisationen eingebunden?
({0})
Ich hoffe, es ist kein schlechtes Omen, dass das von Ihrem Haus in Auftrag gegebene Gutachten hierzu justament kurz vor Beginn der parlamentarischen Sommerpause vorgelegt werden soll. Ich will nicht hoffen, dass
wir dann nach der Sommerpause vor vollendete Tatsachen gestellt werden. Das wäre sehr ärgerlich. Sie alle
wissen: Organisation und Struktur sind gelebte Politik;
das brauche ich Ihnen nicht zu sagen. Sie können auch
den Kollegen Struck fragen; der spricht immer davon.
Noch dringlicher allerdings erwarten wir - zweitens von Ihnen, Frau Staatssekretärin, und im Übrigen auch
vom Bundesfinanzminister eine Stellungsnahme zum
Europäischen Entwicklungsfonds. Ich habe das in
meinem Beitrag zur ersten Lesung schon einmal gesagt.
Dass und warum wir Liberale dem Fonds kritisch gegenüberstehen, können Sie dort nachlesen. Wir zahlen in die
Nachsorge kolonialer Sünden unserer Partner, teilweise
sogar in die Infrastruktur der Überseegebiete von EUMitgliedstaaten. Das ist doch sehr erstaunlich; ich
glaube, kaum einer weiß das. Das sollten wir bei anderer
Gelegenheit noch einmal erörtern, übrigens auch, warum
wir dort mit 23,36 Prozent am meisten einzahlen. Geklärt werden muss ebenso, warum wir es immer noch
hinnehmen sollen, dass es hierfür keinerlei parlamentarische Kontrolle gibt.
({1})
Ich erwarte von Ihnen aber vor allem eine Stellungnahme zu den dort angehäuften Haushaltsrisiken. Ich
hatte Sie danach in der ersten Lesung gefragt, habe aber
bis heute noch keine Antwort erhalten. Es geht dabei um
namhafte Beträge, die der EEF in der Vergangenheit
nicht abgerufen hat. Diese summieren sich mittlerweile,
wenn wir richtig gerechnet haben, auf insgesamt
9,9 Milliarden Euro; der deutsche Anteil beläuft sich auf
rund 2,4 Milliarden Euro.
Sie haben diese nicht abgeflossenen Mittel großzügig
in die bilaterale finanzielle Zusammenarbeit umgeleitet,
also ausgegeben. Nun hat es aber in den vergangenen
Jahren erstmals Nachforderungen bezüglich der damals
aufgelaufenen Rückstände gegeben, im vergangenen
Haushaltsjahr beispielsweise in Höhe von 97 Millionen
Euro. Darunter ist Ihr Haushalt fast zusammengebrochen.
Welche Konsequenzen hat die Koalition daraus gezogen? Haben Sie mit dem EEF, mit der Kommission gesprochen? Und wie soll es denn nun weitergehen? Was,
wenn die Kommission die in den vergangenen Jahren
aufgelaufenen Mittel vollständig nachfordert? Können
Sie das ausschließen? Wenn ja, haben Sie das schriftlich? Was also, Frau Staatssekretärin, ist mit dem verbleibenden Risiko von 2,4 Milliarden Euro? Das sind ja
keine Peanuts. Das wären acht weitere Monate Elterngeld oder 500 Kilometer neue Autobahnen. Sie könnten
auf die Erhöhung der Versicherungsteuer verzichten oder
drei Jahre lang kostenlos Kitas anbieten.
({2})
Ich will diese Anliegen nicht gegeneinander ausspielen,
meine Damen und Herren. Aber ich bin schon verwundert über die Leichtigkeit, mit der hier über solche Risiken gesprochen oder, genauer gesagt, nicht gesprochen
wird. Deshalb erwarten wir hier von Ihnen eine Antwort.
Solange wir über solche Unsicherheiten reden müssen, solange diese nicht einfach aufgeklärt werden können, ist die Haushaltsplanung nicht seriös. So lange können wir Ihrem Haushalt nicht zustimmen.
Danke schön.
({3})
Das Wort hat nun für die SPD-Fraktion die Kollegin
Iris Hoffmann.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Fast das gesamte öffentliche Leben steht im Moment im Zeichen
der Fußballweltmeisterschaft. Viele der Länder, deren
Nationalteams zurzeit bei uns zu Gast sind, sind unsere
Partner im Bereich der wirtschaftlichen Zusammenarbeit
und Entwicklung. Ich denke beispielsweise an Ghana,
die Elfenbeinküste, an Ecuador oder Paraguay, aber auch
an Serbien-Montenegro oder die Ukraine.
Diese Länder bauen nicht nur während der Fußballweltmeisterschaft auf unsere Zusammenarbeit und Unterstützung. Deshalb freut es mich, dass die wirtschaftliche Zusammenarbeit und die Entwicklungspolitik einen
bedeutenden Stellenwert in der Arbeit der Bundesregierung einnehmen. Das wird auch in der Mittelausstattung
des Einzelplans 23 sehr deutlich.
Ich möchte Sie nicht mit zu vielen Zahlen nötigen.
Aber in einer Haushaltsdebatte kommt man natürlich
nicht umhin, die wichtigsten Eckpunkte und Entwicklungslinien des Etatentwurfs zu skizzieren. Der Haushaltsansatz des Bundesministeriums sieht Gesamtausgaben von rund 4 Milliarden Euro vor. Lässt man die
Dezentralisierung der Versorgungsausgaben, also die
Pensionen, einmal außen vor, beträgt die Steigerung im
Vergleich zu 2005 circa 300 Millionen Euro.
Ich finde aber, noch bedeutender als der nominale
Aufwuchs ist die Tatsache, dass der Einzelplan 23 damit
prozentual wesentlich deutlicher wächst als der Gesamthaushalt. Auch der Anteil der Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit am Bundeshaushalt und an den
Gesamtinvestitionen des Bundes kann in diesem Jahr signifikant gesteigert werden.
Von dieser Erhöhung profitiert natürlich insbesondere
der Europäische Entwicklungsfonds. Sein Baransatz
steigt um 126 Millionen Euro. Hier gerieten im Übrigen
die verspäteten Haushaltsberatungen zu einem Vorteil:
Der Titel musste nicht wie in den Vorjahren geschätzt
werden, sondern konnte anhand der konkreten Beschlüsse der EU-Kommission vom Dezember 2005 veranschlagt werden. Dadurch wird in diesem Bereich
höchstwahrscheinlich kein abrufbedingter Mehrbedarf
anfallen. Das ist insbesondere für die Kreditanstalt für
Wiederaufbau ein Vorteil, da die Mehrbedarfe im Rahmen des Europäischen Entwicklungsfonds im vergangenen Jahr aus Mitteln der bilateralen finanziellen Zusammenarbeit gedeckt werden mussten.
Die anderen Ansätze im Rahmen der multilateralen
Entwicklungszusammenarbeit, wie der für die Vereinten
Nationen, der für die Weltbank, aber auch der für die Regionalbanken, steigen maßvoll um circa 34 Millionen
Euro.
Der zweite Haushaltstitel, der maßgeblich von der
Mittelerhöhung profitiert, ist die Wiederaufbauhilfe für
die vom Seebeben bzw. vom Tsunami im Indischen
Ozean betroffenen Regionen. In diesem Verstärkungstitel sind 150 Millionen Euro veranschlagt worden, von
denen das Ministerium 108 Millionen Euro direkt bewirtschaftet. Der Rest verteilt sich auf verschiedene andere Ressorts. Die Tsunamimittel fließen überwiegend in
Vorhaben der bilateralen staatlichen und nicht staatlichen Entwicklungszusammenarbeit, die ansonsten in
etwa auf dem Niveau des Vorjahres fortgeführt wird.
Bei den beiden großen staatlichen Durchführungsorganisationen KfW und GTZ wurden die Verpflichtungsermächtigungen gekürzt, um die vorhandenen Barmittellücken abzubauen und künftigen Barmittelproblemen
vorzubeugen. Allerdings sind im Gegenzug beim Tsunamititel neue Verpflichtungsermächtigungen in Höhe von
125 Millionen Euro ausgebracht worden.
Meine Damen und Herren, insgesamt sind in diesem
Haushalt für die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit
im weiteren Sinne Barmittel in Höhe von rund 2,5 Milliarden Euro vorgesehen, während für die multilaterale
Entwicklungszusammenarbeit gut 1,5 Milliarden Euro
veranschlagt wurden. Prozentual ist bei der multilateralen Entwicklungszusammenarbeit im Vergleich zu 2005
die Steigerung in etwa doppelt so hoch wie bei der bilateralen. Diese Zahlen veranschaulichen natürlich die Dynamik, die sich in den letzten Jahren zugunsten der multilateralen Entwicklungszusammenarbeit entwickelt hat.
Ohne sie hierbei abwerten zu wollen, sind wir uns in den
Koalitionsfraktionen sehr wohl darin einig, dass diese
Dynamik sich nicht weiter zuungunsten der bilateralen
Zusammenarbeit entwickeln darf.
In diesem Zusammenhang möchte ich an den bestehenden Beschluss des Haushaltsausschusses erinnern
- ich glaube, er stammt aus dem Jahre 1994 -, nach dem
die Mittel des Einzelplans 23 im Verhältnis zwei Drittel
zu einem Drittel zwischen der bilateralen und der multi3632
Iris Hoffmann ({0})
lateralen Entwicklungszusammenarbeit aufgeteilt werden. Wir sollten in der Tat gemeinsam versuchen, in den
kommenden Haushaltsjahren zu dieser Aufteilung zurückzukehren.
Um ein politisches Zeichen zu setzen, haben die
Haushälter der großen Koalition im Rahmen der diesjährigen Etatberatungen einige Umschichtungen vor allen
Dingen zugunsten der zivilgesellschaftlichen bilateralen
Zusammenarbeit vorgenommen. Die Gegenfinanzierung wird hier vom Europäischen Entwicklungsfonds erbracht.
Es ist wichtig, zu erwähnen, dass der Mittelansatz für
den reinen Verwaltungsbereich im Einzelplan 23 gegenüber dem Vorjahr um 8 Millionen Euro zurückgeht.
Das ist viel Geld für ein vergleichsweise kleines Ministerium. Das Haus erbringt also weiterhin seinen Beitrag
zur Konsolidierung. Allerdings kann man die kritische
Frage stellen, inwieweit dies angesichts eines, wie wir
alle hoffen, insgesamt weiterhin steigenden Etats und eines entsprechend erhöhten Arbeits-, Koordinierungsund Kontrollaufwandes in den kommenden Jahren sinnvoll ist.
Einige Worte zu den Kürzungen bei den Verpflichtungsermächtigungen. Mir ist bewusst, dass wir - ich
habe das bereits erwähnt - vor allen Dingen bei der technischen Zusammenarbeit eine Barmittellücke aufgebaut
haben, weil in früheren Haushalten mehr für Verpflichtungsermächtigungen veranschlagt wurde, als schlussendlich durch Barmittel abgedeckt werden konnte. Auch
mir ist klar, dass diese Lücke geschlossen werden muss.
Mir ist es wichtig, die politische Intention aufzuzeigen,
die hinter den damaligen Erhöhungen der Verpflichtungsermächtigungen stand: Die erhöhten Verpflichtungsermächtigungen sollten mittelfristig mit ebenfalls
höheren Barmitteln unterfüttert werden. Das ist nicht geschehen. Nun haben wir die Barmittellücke und die Verpflichtungsermächtigungen werden gekürzt.
In der momentanen Situation mag das haushalterisch
völlig richtig und sinnvoll sein.
({1})
Nach meiner Meinung ist aber eine Reduzierung der
Verpflichtungsermächtigungen bei der bilateralen Zusammenarbeit das falsche politische Signal. Theoretisch
hätte man die Höhe der Barmittellücke und die der Verpflichtungsermächtigungen dadurch in Einklang bringen
können, dass man die Barmittel stärker erhöht, anstatt
die Verpflichtungsermächtigungen selbst zu reduzieren.
({2})
Ich weiß, dass dies angesichts der Gesamthaushaltslage schwer zu realisieren und damit illusorisch ist.
({3})
Wenn die Bundesregierung ihre internationalen Verpflichtungen ernst nimmt - davon bin ich überzeugt und die ODA-Zusage erfüllen möchte, muss dies neben
anderem durch eine deutliche und nachhaltige Stärkung
des Einzelplans 23 ermöglicht werden. Damit man mich
nicht falsch versteht: Ich bewerte den vorliegenden
Haushalt insgesamt sehr positiv und denke, dass er ein
großer Schritt in die richtige Richtung ist; es werden
aber noch viele weitere Schritte folgen müssen.
({4})
In 2005 hat die Bundesrepublik nach den vorläufigen
Zahlen ihre ODA-Zusage sogar übererfüllt. Auch in diesem Jahr werden wir das Ziel mit allergrößter Wahrscheinlichkeit erreichen. Es ist kein Geheimnis, dass uns
dies nicht zuletzt aufgrund eines Schuldenerlasses gelungen ist bzw. gelingt. Das ist legitim; man muss sich dafür
nicht schämen.
({5})
Dieses Instrument, ODA zu generieren, wird jedoch in
zukünftigen Jahren nur noch eingeschränkt zur Verfügung stehen.
Bis 2010 fehlen nach heutigem Stand etwa 7 Milliarden Euro, um das zugesagte ODA-Zwischenziel von
0,51 Prozent des Bruttonationaleinkommens zu erreichen. Was ich mir persönlich in diesem Zusammenhang
wünsche, ist ein abgestimmtes und in sich tragfähiges
Gesamtkonzept der Bundesregierung im Hinblick auf
die Frage, in welchen Schritten und mit welchen Mitteln
die ODA-Zusage bis zum Jahr 2015 erfüllt werden soll.
Ich denke, der Haushalt 2006 des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung lässt sich mit einem Fußballvergleich auf den Punkt
bringen: Die Vorrunde ist erfolgreich überstanden, aber
bis zum Titel ist es noch ein weiter Weg. Doch wenn wir
alle in der Entwicklungszusammenarbeit als Team agieren, können wir hierbei einen großen Schritt vorankommen.
Ich danke Ihnen.
({6})
Das Wort hat nun die Kollegin Heike Hänsel für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Danke, Frau Präsidentin. - Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Gestern, am 20. Juni, war der Tag des Flüchtlings. Frau Wieczorek-Zeul hat eine Presseerklärung
dazu herausgegeben. Sie hat darin vor allem auf die Situation der Flüchtlinge in Darfur hingewiesen. Das halte
ich für sehr wichtig; denn die Situation ist für sehr viele
Menschen katastrophal. Mia Farrow war gestern ebenfalls anwesend und hat darüber sehr eindrücklich berichtet. Ich begrüße diese Initiative.
Allerdings vermisse ich, dass Sie am Tag des Flüchtlings kein Wort zu den Flüchtlingen gesagt haben, die
Tag für Tag an den Außengrenzen der Europäischen
Union ankommen, und dass Sie sich nicht dazu geäußert
haben, wie wir mit diesen Flüchtlingen umgehen. Wie
reagiert die EU auf diese Flüchtlinge? Wir schicken jetzt
sogar mobile Eingreiftruppen auf die Kanarischen Inseln. Man muss sich das einmal vorstellen: Wo Touristen
ihren Urlaub verbringen, werden Flüchtlinge mit Schiffen abgefangen, um sie dann in ihr Heimatland zurückzubringen.
Es gab vor kurzem einen sehr guten und eindrücklichen Bericht in der „tageszeitung“ über die Situation von
Kleinfischern im Senegal, deren Existenzgrundlage zunehmend bedroht ist. Sie haben keine Einnahmequellen
mehr, weil große EU-Fischereiflotten für eine enorme
Überfischung im Hoheitsgebiet dieses Landes sorgen
und schwimmende Fischfabriken in dieser Region Tag
für Tag Fisch verarbeiten.
Was unternehmen diese Fischer nun? Sie vermieten
ihre Boote, mit denen sie früher Fisch gefangen haben,
an Flüchtlinge für die Überfahrt Richtung Europa. Damit
kommen Menschen an unseren Außengrenzen an. Was
ist unsere Antwort darauf? Zunehmend haben wir darauf
eine militärische Antwort parat. Da stellt sich die Frage,
warum wir Entwicklungspolitikerinnen und Entwicklungspolitiker keine andere Antwort haben und warum
wir vor allem keine grundsätzlichen Debatten führen.
({0})
Es stellt sich außerdem die Frage nach den Strukturen
unserer Wirtschaftsordnung. Wir haben auch heute gehört, dass wir sie im Zuge der EU-Verfassung weiterentwickeln wollen. Das neoliberale Modell soll ausgebaut
werden, obwohl es sehr viele Probleme verursacht, für
die wir keine Lösungen haben. Trotzdem entwickeln wir
diese Politik konsequent weiter.
Wir müssen uns weiterhin die Frage stellen: Kann mit
der jetzigen Weltwirtschaftsordnung das durch die Vereinten Nationen verbriefte Recht der Menschen auf Entwicklung gewährleistet werden? Die Antwort lautet ganz
klar Nein. Deshalb müssen wir grundsätzliche Alternativen dazu entwickeln.
({1})
Bei dieser und bei der letzten Debatte ist mir aufgefallen, dass wir die Millenniumsziele, die wir verabschiedet haben, überhaupt nicht thematisieren. Den ganzen
Tag über gab es kein Wort dazu, wie die Armutsbekämpfung angegangen werden soll. Was sind unsere Antworten und wo setzen wir der Armut etwas entgegen?
({2})
- Sie können gerne eine Zwischenfrage stellen. Aber
halten Sie sich ansonsten bitte zurück!
({3})
- Ja, genau.
Die Antwort ist der freie Markt, mit dem anscheinend
alle Probleme gelöst werden können. Aber er verursacht
immer mehr Probleme, und das längst nicht mehr nur in
den armen Ländern des Südens, sondern mittlerweile
auch in unserer Region. Daher wollen wir an Alternativen anknüpfen, die es in vielen anderen Ländern gibt.
Dazu werde ich gleich noch etwas sagen.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die zunehmende
weltweite Militarisierung. Die Entwicklungspolitik
muss sich die Frage stellen, ob sie sich dafür instrumentalisieren lässt. Ganz aktuell stellt sich die Frage nach
der zivil-militärischen Zusammenarbeit. Trotz der Verschärfung der Situation in Afghanistan gibt es weiterhin
eine sehr enge Verknüpfung zwischen zivilen und militärischen Aufgaben. Ich sehe darin eine sehr große Gefährdung der dort arbeitenden Menschen und außerdem
besteht die Gefahr, dass die Interessen der Entwicklungspolitik instrumentalisiert werden. Dem müssen wir
eine ganz klare Absage erteilen.
({4})
Wir müssen uns auch mit dem dahinterstehenden Sicherheitsbegriff auseinander setzen. Auch das wurde
heute mehrmals erwähnt. Wir müssen den Sicherheitsbegriff erweitern, ohne militärische Aspekte einzubringen.
Es wird nämlich weltweit keine militärische Sicherheit
geben, wenn es keine Weiterentwicklung der sozialen Sicherheit gibt. In diese Sicherheit müssen wir viel mehr
investieren. Aber wenn wir uns den Haushalt anschauen,
dann können wir erkennen, dass er das überhaupt nicht
hergibt.
({5})
Ein aktuelles Beispiel ist der Kongo. Wir schicken
1 500 Soldaten in den Kongo. Wir entsenden aber nur
200 zivile Wahlbeobachterinnen und Wahlbeobachter
dorthin. Das ist eine völlige Verkehrung der Aufgabe,
die wir dort haben. So wird eine völlig falsche Gewichtung vorgenommen.
Da ich nicht sehe, dass von der auswärtigen Politik
Antworten in diesem Bereich gegeben werden, ist es die
Aufgabe von Entwicklungspolitikerinnen und Entwicklungspolitikern, sich für den Aufbau neuer Instrumente
der zivilen Konfliktlösung einzusetzen, sowohl auf internationaler Ebene, also auf UNO-Ebene, als auch nationaler Ebene. Wir selbst haben uns für die Erhöhung
der Mittel für den zivilen Friedensdienst eingesetzt. Eine
deutliche Aufstockung wäre angebracht; diese hat es leider nicht gegeben. Es konnte gerade der Status quo beibehalten werden. Gleichwohl wäre es von entscheidender Bedeutung, viel mehr in diesen Bereich zu
investieren, weil so ganz andere Möglichkeiten für Konfliktlösungen entwickelt werden könnten.
Zum Haushalt möchte ich noch ganz kurz Folgendes
sagen:
({6})
Erster Punkt. Es ärgert mich schon, dass bei der
ODA-Quote Entschuldungsmaßnahmen und die
Tsunamihilfe angerechnet wurden. Das halte ich nicht
für seriös.
({7})
Es handelt sich um Extraposten, die nicht dafür benutzt
werden dürften, die ODA-Quote zu erhöhen.
({8})
Statt sie durch einmalige Zahlungen zu erhöhen, müssten vielmehr feste Ausgabeposten im Haushalt eingeplant werden. In dieser Frage gibt es auch überhaupt
kein Gegenargument; das räumt selbst die Ministerin
ein.
Zweiter Punkt ist, dass keine neuen Finanzierungsmechanismen wie zum Beispiel die Flugticketabgabe, deren Einführung auch wir unterstützen, vorgesehen werden. Frau Ministerin, wenn Sie sich dafür einsetzen,
sichere ich Ihnen unsere Unterstützung zu. Ich finde, die
Flugticketabgabe ist längst überfällig.
Ein aus unserer Sicht interessanter Punkt ist es, dass
es in Ländern auf anderen Kontinenten Alternativen
gibt. Ich denke da zum Beispiel an Lateinamerika. Es
gab den EU-Lateinamerika-Gipfel. Dort haben wir uns
dafür engagiert, dass kein Freihandelsabkommen zustande kommt. Wir glauben nämlich, dass es in Lateinamerika nun vermehrt zu selbstbestimmter Entwicklung
kommt. Wir halten zum Beispiel die Verstaatlichung der
Erdgas- und Erdölreserven in Bolivien für einen der besten Beiträge zur Entwicklungspolitik der letzten Jahre.
({9})
- Es gibt dort weitere neue Ansätze, von denen Sie keine
Ahnung haben. Sie beziehen mittlerweile völlig altbackene Positionen, weil Sie in keiner Weise für eine
selbstbestimmte Entwicklung eintreten.
({10})
Sie sitzen hier im Parlament, machen schlaue Sprüche,
aber sind nicht bereit, in Gesellschaften zu investieren,
um neue Prozesse anzustoßen.
({11})
Beispielsweise über regionale Integration wird anderswo
versucht, neue Antworten zu geben.
({12})
- Das ist eine andere Frage. - Was Sie machen, ist im
Grunde genommen überholt. Sie kommen mit alten Antworten, obwohl es neue Ansätze gibt. An diese wollen
wir anknüpfen. Wir werden die Menschen in Lateinamerika unterstützen und sehen uns als Teil einer Bewegung,
die für die Umsetzung solcher Ansätze in Europa eintritt.
Herzlichen Dank.
({13})
Das Wort hat nun der Kollege Jochen Borchert für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Bundeshaushalt 2006 steht im Zeichen der Konsolidierung einerseits und notwendiger Reformen andererseits. Das Ziel ist klar: Wir müssen und wir wollen die
Maastrichtkriterien und gleichzeitig die Vorschriften des
Art. 115 des Grundgesetzes einhalten.
({0})
- Sie müssen etwas lauter zwischenrufen; ich habe Sie
nicht verstanden. - Dabei steht der Einzelplan 23 als investiver Einzelplan in einer besonderen Verantwortung;
denn neben der Konsolidierung des Bundeshaushaltes
haben wir uns im Koalitionsvertrag auch auf eine Erhöhung der ODA-Quote verständigt. Das bedeutet, dass im
Jahr 2010 0,51 Prozent unseres Bruttonationaleinkommens für Entwicklungsaufgaben aufgewendet werden
sollen. Meine Damen und Herren, das ist unser Anteil an
der Armutsbekämpfung, das ist unser Anteil zum sozialen Frieden und das ist unsere internationale Zusage.
Es galt für die Bundesregierung, schon in diesem
Haushalt Zeichen zu setzen. Dies ist, wie ich denke, eindrucksvoll gelungen. Für das Bundesministerium für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung bringt
dies eine Erhöhung des Etats um 320 Millionen Euro mit
sich. Das entspricht einer Erhöhung von fast 8,2 Prozent
im Vergleich zum Vorjahresetat. Damit werden die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen, wie ich
denke, ihrer Verpflichtung aus der ODA-Zusage gerecht.
Das stärkt auch das Ministerium bei der Bewältigung der
wachsenden Aufgaben. Wir setzen diese Erhöhung - damit halten wir unsere Zusage ein - in einem Haushalt
durch, in dem zugleich intensiv gespart wird.
({1})
Die nächsten Ziele lauten: eine ODA-Quote von
0,51 Prozent im Jahr 2010 und 0,7 Prozent im Jahr 2015.
Bevor ich einen Ausblick gebe, wie wir dieses Ziel
gemeinsam erreichen wollen, lassen Sie mich noch einige Worte zu den Haushaltsberatungen dieses Jahres sagen. Nach der parlamentarischen Beratung hat der
Einzelplan 23 knapp 320 Millionen Euro mehr in diesem
Haushaltsjahr. Diesen Aufwuchs benötigen wir auf der
einen Seite für unsere Verpflichtungen im Europäischen
Entwicklungsfonds und auf der anderen Seite, um unsere
Zusagen für die vom Tsunami betroffenen Regionen erfüllen zu können und diese Regionen nachhaltig zu unterstützen.
Herr Kollege Königshaus, wir haben den Anforderungen aus dem EEF natürlich mit Erhöhungen Rechnung
getragen. Wir haben aber auch - mit Zustimmung der
FDP - im Haushaltsauschuss beschlossen, dass dem
Haushaltsausschuss in Zukunft vor internationalen Zusagen frühzeitig - ehe die Bundesregierung Verpflichtungen eingeht - entsprechende Informationen vorgelegt
werden, damit wir die Auswirkungen auf kommende
Haushalte genau überprüfen können. Das heißt, wir legen Wert darauf, dass hier in Zukunft keine Risiken aufwachsen. Ich denke, wir werden in den nächsten Jahren
mit den Verpflichtungen im EEF den Zusagen gerecht
und werden das auch umsetzen können.
Mit den 150 Millionen Euro für die vom Tsunami betroffenen Regionen unterstützen wir vor allen Dingen
bilaterale Partner in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Sie können ihr Engagement vor Ort nachhaltig fortführen. Die Stärkung unserer deutschen Partner in
der Entwicklungszusammenarbeit ist uns ein besonderes
Anliegen. Daher war in den Haushaltsberatungen die
Umschichtung zugunsten bilateraler Entwicklungszusammenarbeit, soweit dies in diesem Etat möglich war,
für uns wichtig. Wir konnten dies auch mit großer Mehrheit im Haushaltsausschuss beschließen.
Vor allem die politischen Stiftungen und die Kirchen
profitieren von dieser Umschichtung. So kann auch dem
Koalitionsvertrag Rechnung getragen werden, der den
Stiftungen, aber auch den Kirchen eine besondere Rolle
bei der Entwicklungszusammenarbeit zuweist.
Dies gilt auch für die internationale Agrarforschung. Gerade unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit ist
es wichtig, unseren Partnerländern das erforderliche
Wissen zur Verfügung zu stellen, damit sie selbstständig
Ernährungssicherung durchsetzen und selbstständig Armutsbekämpfung betreiben können. Ich sehe in der Unterstützung der internationalen Agrarforschung nicht nur
einen wesentlichen Beitrag zur Bekämpfung des Hungers und dadurch zur Armuts- und Krankheitsbekämpfung, sondern auch einen wesentlichen Beitrag zum
Schutz der natürlichen Ressourcen. Ich denke, dies gilt
für alle Bereiche der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft. Diese Bereiche wollen wir auch in Zukunft intensiv unterstützen.
Meine Damen und Herren, in den letzten Wochen ist
viel darüber diskutiert worden, dass deutliche Zeichen
gesetzt werden müssen. Die Bundesregierung und die
Koalition haben das Ziel der Erhöhung der ODA-Quote
auf 0,51 Prozent bis 2010 bzw. auf 0,7 Prozent bis 2015
ernst genommen. Eine Etaterhöhung um 8,2 Prozent ist
hier ein richtiger und wichtiger Schritt und ein deutliches
Zeichen.
Die deutliche Steigerung der Barmittel hat auch einen
positiven Nebeneffekt, auf den die Kollegin Hoffmann
bereits hingewiesen hat: Damit kann die Barmittellücke
in diesem Jahr abgebaut werden. Wir werden dann im
nächsten Jahr über die Erhöhung der VE und der Barmittel diskutieren können.
Um die ODA-Quote zu steigern, werden wir neben
der Barmittelsteigerung noch über andere Instrumente
der Finanzierung der Entwicklungszusammenarbeit
diskutieren müssen. Erstens werden wir das Instrument
des Schuldenerlasses fortführen. Es hat sich gezeigt,
dass hier bei verantwortungsvollem Einsatz weitere Entwicklungspotenziale unserer Partner freigesetzt werden
können.
({2})
Zweitens wird es eine besondere Herausforderung für
das Ministerium, für die Durchführungsorganisationen
und für uns sein, neue kreative Finanzierungsinstrumente zu entwickeln. Ich denke, da sind wir alle gefordert. Drittens geht es darum, die vorhandenen Mittel
möglichst effizient einzusetzen.
Das Thema Effizienz ist nicht nur vor dem Hintergrund der ODA-Quote eine große Herausforderung für
uns. Der DAC-Bericht für Deutschland hat gezeigt, dass
wir in Sachen Harmonisierung und Effizienz mehr leisten können, wenn wir die Strukturen der Entwicklungszusammenarbeit verbessern. Diese Aufgabe müssen wir
entschlossen und schnell umsetzen. Herr Kollege
Königshaus hat darauf hingewiesen, dass hierzu eine
Studie über die Zusammenarbeit der TZ und der FZ in
Auftrag gegeben worden ist. Ich stimme Ihnen zu, dass
wir über diese Studie parlamentarisch sehr intensiv diskutieren und daraus gemeinsam die richtigen Konsequenzen ziehen müssen. Über diese Studie muss mit
dem Parlament und den beteiligten Organisationen intensiv diskutiert werden. So unterschiedlich die Positionen einzelner Akteure in dieser Diskussion, die nicht neu
ist, sondern die uns seit langem begleitet, sind, unter
dem Strich muss eine deutliche Verbesserung der Effizienz stehen.
({3})
Um dies zu erreichen, müssen wir unsere Kriterien
und Maßnahmen immer wieder überprüfen. Für den Bereich der Steigerung der Barmittel heißt das, dass mit
steigenden Mitteln die Evaluierung immer wichtiger
wird, und zwar sowohl im staatlichen als auch im nichtstaatlichen Bereich. Für den Bereich der Entlastung der
Staatshaushalte der Partnerländer über den Schuldenerlass oder auch über die Gewährung neuer Mittel muss
dies bedeuten, dass wir klare Konditionen an den Schuldenerlass und an die Budgethilfe binden, auf deren Einhaltung wir achten und drängen müssen. Für den Bereich
der innovativen Finanzierungsinstrumente muss das heißen, dass wir auch nach 2015 ein verlässlicher Partner in
der Entwicklungszusammenarbeit sind.
Wir brauchen eine Debatte darüber, welche Länder
wir im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit auch
in Zukunft unterstützen wollen. Bei den am wenigsten
entwikkelten Ländern wird diese Frage selten oder gar
nicht gestellt. Was bedeutet dies aber für Partnerländer,
die an der Schwelle zum Industrieland stehen, Länder,
deren Wachstum das der Bundesrepublik übertrifft? Dürfen wir uns von dort zurückziehen? Ist in solchen Ländern die Armut überwunden, der Frieden gesichert, die
Umwelt geschützt und die Nachhaltigkeit gesichert?
Sind Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte in diesen Ländern verwirklicht? Wenn wir über
Schwellenländer diskutieren, müssen wir diese Punkte
sachlich überprüfen. Wir müssen die wirtschaftliche Zu3636
sammenarbeit mit einem Schwellenland mit anderen
Schwerpunkten fortführen als die Hilfe für die am wenigsten entwickelten Länder. Bei Schwellenländern können wir unsere Hilfe auf eine Beratungsleistung in den
Bereichen Demokratisierung, Umwelt- und Ressourcenschutz oder in anderen Bereichen konzentrieren.
Nehmen wir das Beispiel China. Wir hören häufig
die Forderung, die Entwicklungszusammenarbeit mit
China einzustellen. Prüfen wir aber die oben genannten
Ziele der Entwicklungspolitik aus dem Koalitionsvertrag, wird schnell deutlich, dass China Unterstützung
und wirtschaftliche Zusammenarbeit braucht.
({4})
- Das ging auch an Ihre Adresse. - Niemand bestreitet,
dass die Dynamik der wirtschaftlichen Entwicklung in
China immens ist. Gerade erst wurde aber das Weißbuch
zur Umweltsituation in China vorgestellt. Es deckt erschreckende Mängel auf. 200 Milliarden US-Dollar kostet die Umweltzerstörung pro Jahr. Das entspricht einem
großen Teil des Bruttosozialprodukts und frisst damit
fast das gesamte Wirtschaftswachstum dieses Landes
auf.
({5})
- Herr Kollege Kampeter, die deutsche Entwicklungshilfe setzt genau da ein, um diese Umweltschäden zu
vermeiden.
({6})
Ich bin gerne bereit, Ihnen das in einem Vieraugengespräch intensiv zu erläutern.
({7})
Die Umweltsünden dieses Landes sind nicht nur für
China, sondern weltweit eine Bedrohung, der wir uns
stellen müssen. Deshalb muss die Zusammenarbeit mit
China fortgesetzt werden und es müssen Konzepte gefunden werden, die nachhaltig den Energiebedarf des
Landes gewährleisten, aber gleichzeitig die Umwelt und
die natürlichen Ressourcen schonen.
({8})
- Ich bedanke mich besonders für diesen Beifall.
({9})
- Das ist nicht so wichtig. - Es entspricht unserer globalen Verantwortung, dass wir uns nicht aus dieser Entwicklungszusammenarbeit zurückziehen.
Die Bundesregierung hat mit dem vorgelegten Entwurf ein deutliches Zeichen in Richtung der ODA-Quote
von 0,7 Prozent gesetzt. Dies ist ein erster, ein wichtiger
Schritt in einer schwierigen Haushaltssituation. Ich
möchte diese Gelegenheit nicht verstreichen lassen,
ohne mich beim Bundesministerium für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung sowie den Mitarbeitern des Hauses nachdrücklich für die gute Zusammenarbeit bei den diesjährigen Haushaltsberatungen zu bedanken. Ich bedanke mich auch sehr herzlich bei den
Berichterstattern für die gute Zusammenarbeit bei den
Beratungen im Haushaltsausschuss. Ich darf Sie bitten,
dem vorgelegten Haushalt zuzustimmen.
Herzlichen Dank.
({10})
Das Wort hat nun der Kollege Alexander Bonde für
die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Als Hauptberichterstatter zu diesem Einzelplan möchte
auch ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung sowie den Kolleginnen und Kollegen
meinen Dank aussprechen. Die Beratungen sind in einer
sehr sachlichen und freundschaftlichen Atmosphäre verlaufen. Gleichwohl ist es geboten, dass wir uns in der
Sache über diesen Einzelplan streiten.
Frau Ministerin, in den vergangenen Jahren haben
Ihre und meine Fraktion gemeinsam sehr intensiv für die
Einhaltung der Millenniumsziele gekämpft. Wir haben
uns um die Schaffung von Kapazitäten bemüht, damit
der EU-Stufenplan, nach dem die ODA-Mittel im Jahr
2015 bei 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens liegen sollen, tatsächlich eingehalten wird.
Gleichwohl komme ich zu einer ganz anderen Bewertung dieses Einzelplans als die Rednerinnen und Redner
der Koalition. Es bedarf einer enormen Anstrengung, damit man überhaupt in die Nähe dessen kommt, was der
Stufenplan vorgibt.
({0})
Wir erkennen ausdrücklich an, dass in diesem Jahr
ebenso wie im letzten Jahr zusätzliche Mittel in den Etat
eingestellt wurden. Wir bedauern aber, dass die Kolleginnen und Kollegen der anderen Fraktionen nicht die
Möglichkeit genutzt haben, über die Erhöhungen, die der
Finanzminister im Kabinettsentwurf zugelassen hat, hinausgehend etwas zu tun. Ich will aber deutlich sagen:
Um das Ziel, das wir hier gemeinsam propagieren, zu erreichen, ist das, was hier vorgelegt wird, viel zu wenig.
({1})
Ich will das an drei Punkten sehr deutlich machen.
Erstens. Das 0,7-Prozent-Ziel erreicht man nicht - das
ist der zentrale Punkt - durch eine Einmalzahlung. Sie
bewirkt lediglich eine leichte Korrektur des Prozentbzw. des Promillesatzes. Man muss vielmehr langfristig
Kurs halten. Die zentrale Frage in diesem Zusammenhang sind die Verpflichtungsermächtigungen. Es geht
also um die Gelder, die man in den Folgejahren für Projekte tatsächlich einsetzen kann. Es geht um die Gelder,
die für eine langfristige Finanzierung von Entwicklungsmaßnahmen erforderlich sind. In diesem Einzelplan hat
sich diesbezüglich nichts zum Positiven verändert. Im
Gegenteil: In diesem Bereich werden die Mittel um
20 Prozent abgesenkt, was in vielen Bereichen dazu
führt, dass keine neuen Projekte angestoßen werden können.
({2})
Zweitens. Sie wissen alle, dass es zur Erreichung der
ODA-Ziele nicht ausreichen wird, wie bisher Haushaltsmittel umzuschichten oder mit dem manchmal auch
fragwürdigen, bisher eingesetzten Mittel des Schuldenerlasses zu operieren, sondern dass wir neue Finanzinstrumente brauchen.
({3})
Insofern freue ich mich, dass in den Reihen der Koalitionsfraktionen die Frage zusätzlicher Finanzierungsinstrumente thematisiert wird. Gleichzeitig müssen wir an
dieser Stelle aber sagen, dass diese neue Koalition auch
auf diesem Gebiet nichts auf die Reihe bringt. Was ist
mit dem französischen Vorschlag der Ticket-Tax? Wenn
man genau hinhört, erkennt man in der Regierung ein
Stimmengewirr, hört aber keine klaren Bekenntnisse.
Teilweise herrschte auch ein peinliches Schweigen bei
den Auftritten auf internationalen Konferenzen. Sie wissen, dass meine Fraktion hierzu klar positioniert ist. Wir
erahnen, dass auch Sie, Frau Ministerin, klar positioniert
sind. Eine klare Position der Bundesregierung und der
Koalitionsfraktionen zu dieser Frage steht aber noch aus
wie bei so vielen Dingen.
Drittens. Man fragt sich, mit welcher Strategie das
immer wieder propagierte Ziel, das von uns ausdrücklich
unterstützt wird, umgesetzt werden soll. Auch dazu
herrscht im Ministerium Schweigen.
Spätestens ab 2008, wenn der Schuldenerlass keine
Wirkung mehr zeigt, steht die Antwort auf die Frage an,
wie die große Koalition das Ziel eigentlich ernsthaft verfolgen will, ob die Festlegung im Koalitionsvertrag mehr
als ein Lippenbekenntnis ist. Wir sind sehr gespannt.
Unsere Fraktion hat bei den Haushaltsverhandlungen
belegt, dass man im Rahmen dieses Einzelplans mehr für
die Entwicklungszusammenarbeit tun kann. Wir haben
unsere Vorschläge gegenfinanziert und haben belegt, wie
man bereits in diesem Haushalt 100 Millionen Euro
mehr in den Bereich der ODA-Mittel hätte umschichten
können, und zwar sowohl im Bundesministerium für
wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit wie
auch im Auswärtigen Amt oder anderen beteiligten Ministerien. Wir haben vor allem belegt, wie man 445 Millionen Euro an Verpflichtungsermächtigungen hätte umschichten können. Sie als Koalition haben sich dazu
nicht durchringen können.
({4})
Ich finde, diese Blockade des Finanzministeriums gegenüber dem BMZ steht in einer Kontinuität, die zeigt,
wie in dieser Regierung der Entwicklungsbereich angefasst wird, welche Priorität er hat.
({5})
Man hat manchmal den Eindruck, dass es kein völliger
Zufall ist, dass das Entwicklungsministerium auf der Regierungsbank in die dritte Reihe gerückt ist. Denn in den
politischen Feldern spielt sich das häufig auch so ab.
({6})
Ich will einmal aktuelle Debatten aufgreifen und daran erinnern, was wir gerade in der Debatte mit dem
Bundesverteidigungsminister erlebt haben. Wir erleben,
dass der Bundesverteidigungsminister in den großen politischen Linien all das, was wir, Frau Wieczorek-Zeul,
gemeinsam als Rot-Grün im Zusammenhang mit dem erweiterten Sicherheitsbegriff entwickelt haben - den Stellenwert, den Entwicklungszusammenarbeit auch in der
Sicherheitskonzeption und politisch für die Regierung
hatte -, in seinem Weißbuch abräumt. In diesem Grundsatzdokument für deutsche Sicherheitspolitik fällt kein
Wort mehr zur Entwicklungszusammenarbeit. Sämtliche
präventive Maßnahmen werden an den Rand gedrückt.
Die Remilitarisierung des Sicherheitsbegriffes wird in
dieser Koalition zur Sicherheitsdoktrin.
Frau Ministerin, wir kennen Sie nicht als sehr
schweigsame Ministerin. Wir warten noch darauf, dass
in Verteidigung der gemeinsamen rot-grünen Position in
dieser Koalition endlich einmal ein Aufschrei kommt,
der diesem Zurückdrängen von Entwicklungszusammenarbeit, diesem Zurückdrängen von konfliktpräventiven Maßnahmen und von zivilen Maßnahmen endlich
ein Ende setzt. Denn das ist eine Frage des Selbstverständnisses von Entwicklungspolitik in dieser Regierung
und in dieser Koalition.
Wenn ich das alles zusammennehme, dann kann ich
sagen, dass wir uns über leichte Erhöhungen freuen, uns
aber nicht sicher sind, ob diese wirklich vom Herzen getragen sind.
({7})
In den großen Linien der Koalition findet Entwicklungspolitik nicht statt. Wir warten gespannt auf die Stimmen
aus der Koalition, die in diese Debatten eingreifen. Bisher herrscht, wenn es zum Schwur kommt, noch immer
das Schweigen. Sie protestieren hier nun schon so lautstark. Wir warten mit Spannung darauf, dass Sie Ihrem
Protest Taten folgen lassen. Erste selbstkritische Anmerkungen aus den Koalitionsreihen in dieser Debatte nehmen wir mit Wohlwollen entgegen.
({8})
Wenn dem nun auch Zustimmung zu unseren Änderungsanträgen gegenüberstünde, wäre unser Wohlwollen
noch viel größer. Aber darauf werden wir wohl noch
eine Weile warten müssen.
Vielen Dank.
({9})
Nun hat das Wort der Kollege Dr. Sascha Raabe für
die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Lieber Herr Kollege Bonde, Sie haben
das angebliche Schweigen beklagt. Manchmal ist es so:
Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Ihre Rede bietet
dafür ein ganz gutes Beispiel. Denn es geht nicht darum,
wer hier am lautesten redet, wie die Kollegin Hänsel,
oder wer am lautesten Beifall klatscht, wie die Kollegin
Koczy.
({0})
Wir wollen nicht an unseren Worten, sondern an unseren
Taten gemessen werden. Die können sich beim Haushalt
2006 mit über 300 Millionen Euro Steigerung sehen lassen.
({1})
Es fällt Ihnen ja auch erkennbar schwer, diesen Haushalt wirklich sachlich schlechtzureden.
({2})
Wenn Sie selbst einräumen müssen, dass wir mit über
8 Prozent Steigerung und einer historischen Steigerung
der ODA-Quote von 0,28 Prozent im Jahr 2004 auf
0,35 Prozent im letzten Jahr einen Riesenaufwuchs für
Entwicklungspolitik und -zusammenarbeit gehabt haben, dann kann ich schon verstehen, dass Sie dann darauf zurückgreifen müssen, zu sagen: Na ja, diese
300 Millionen Euro kommen vielleicht nicht von Herzen. Also, den Menschen in Afrika und Lateinamerika
ist es egal, ob das Geld von Herzen kommt oder nicht,
sondern ihnen ist wichtig, dass sie durch das Geld ein
selbstbestimmtes Leben führen können. Das ist für die
Menschen wichtig. Wir sind stolz darauf, dass wir einen
Haushalt mit solchen Steigerungsraten vorgelegt haben.
({3})
Es geht bei der finanziellen und technischen Zusammenarbeit nicht um Almosen, sondern es geht um Hilfe
zur Selbsthilfe. Wir wollen die Millenniumsentwicklungsziele, die die Vereinten Nationen gesetzt haben, unter anderem die Halbierung von Hunger und Armut bis
zum Jahr 2015, mit diesem Haushalt und mit unserer
Entwicklungspolitik erreichen. Denn nach wie vor sterben pro Tag 30 000 Kinder an den Folgen von Hunger
und Armut. Das ist für uns Ansporn genug, etwas zu unternehmen.
Letztlich zahlen sich Investitionen in die Bekämpfung
von Armut auch für uns immer aus. Wir müssen uns vor
Augen führen, dass wir in vielen Ländern der Welt
- zum Beispiel in Afghanistan, im Irak, im Kongo und
im Sudan - oft im Rahmen sehr teurer Militärmissionen
das reparieren, was man präventiv durch Entwicklungszusammenarbeit hätte verhindern können. Wenn man die
entsprechenden Zahlen gegenüberstellt, wird man feststellen, dass die Militär- und Rüstungsausgaben pro Jahr
weltweit 1 000 Milliarden Euro betragen, dass aber nur
ungefähr ein Zehntel dieses Betrages für die Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung gestellt wird. Es
wäre besser, dieses Verhältnis umzukehren und den
Schwerpunkt bei der Entwicklungszusammenarbeit zu
setzen.
({4})
Dann hätten wir viel erreicht.
({5})
- Dieser Haushalt, Frau Hänsel, ist ein wichtiger Schritt
in diese Richtung. Immerhin haben wir eine fast 10-prozentige Steigerung zu verzeichnen. Das wollen wir in
den nächsten Jahren mit dem ODA-Stufenplan fortführen.
({6})
Aber natürlich muss die Erhöhung der Mittel für die
Entwicklungszusammenarbeit von der Gesellschaft mitgetragen werden. In diesem Zusammenhang werden wir
sicherlich noch über andere Instrumente diskutieren
müssen. Herr Bonde, Sie haben zum Beispiel die Flugticketabgabe angesprochen. Wir werden den Menschen
erklären müssen, warum sie noch mehr Geld für die Entwicklungszusammenarbeit aufbringen sollen.
Ich glaube, dass die Menschen in Deutschland bereit
sind, Geld für die Ärmsten auf der Welt auszugeben; das
haben sie beim Tsunami und in anderen Fällen bewiesen.
Aber sie müssen das Gefühl haben, dass es wirklich den
Ärmsten zugute kommt. Deswegen legen wir großen
Wert auf gute Regierungsführung und setzen einen
Schwerpunkt unserer Arbeit bei Antikorruptionsprogrammen und Demokratisierungsprozessen. Es darf kein
Pardon mit Despoten und korrupten Eliten in den Entwicklungsländern geben.
({7})
Aber die Forderung, die Entwicklungszusammenarbeit mit jedem Land, das nicht ganz lupenrein arbeitet,
einzustellen - wahrscheinlich wird Herr Addicks das
gleich ansprechen -,
({8})
ist natürlich auch problematisch. Wir müssen schon darauf achten, dass wir die treffen, die die Mittel verantwortungslos in den Sand setzen, dass wir aber nicht die
Ärmsten der Armen treffen. Deshalb werden wir auch
weiterhin differenziert vorgehen, wenn es um die Zusammenarbeit mit nicht staatlichen Organisationen und
um die anderen Instrumente im Hinblick auf die staatlichen Institutionen geht.
Wir brauchen gute Regierungsführung nicht nur in
den Entwicklungsländern, sondern auch in den Industrieländern. Oft ist es leider so, dass viele Industrieländer
durch ihre Agrar- und Handelspolitik das kaputtmachen, was sie zuvor im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit aufgebaut haben. Deswegen brauchen wir
beim Welthandel gerechtere Regeln. Es muss Schluss
sein mit den zerstörerischen Agrarsubventionen weltweit.
Auch die Schaffung eines besseren Marktzugangs
für die Entwicklungsländer ist sehr wichtig. Hier müssen
wir gute Regierungsführung beweisen. Unsere Regierung bzw. unsere Ministerin hat bei der WTO schon oft
gute Initiativen auf den Weg gebracht, um zum Beispiel
den Baumwollfarmern in Westafrika, aber auch anderen
Kleinbauern auf aller Welt Chancen zu geben. In der
nächsten Woche wird sich auf der Mini-Ministerkonferenz der WTO in Genf zeigen, ob auch die EU und die
USA zu guter Regierungsführung bereit sind.
Wir haben schon früh als Kernbestandteil unserer
Entwicklungszusammenarbeit erkannt, dass Entwicklungspolitik auch globale Strukturpolitik ist. Deshalb ist
der Einzelplan 23 auch in Kohärenz zu den Haushalten
anderer Ministerien zu sehen. Aber auch der Haushalt
insgesamt macht Mut, dass es möglich ist, auf der Welt
bessere und gerechtere Bedingungen zu schaffen. Deswegen sollte das Motto „Die Welt zu Gast bei Freunden“
auch nach der WM gelten. Wir wollen für die Welt gute
Freunde sein und allen Menschen ein selbstbestimmtes
und gerechtes Leben ohne Hunger und Armut ermöglichen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({9})
Nächster Redner ist nun der Kollege Dr. Karl Addicks
für die FDP-Fraktion.
Danke, Frau Präsidentin. - Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
fällt mir wirklich nicht ganz leicht, einen Haushalt für
EZ abzulehnen. Denn das Thema Entwicklungszusammenarbeit eignet sich nicht für einen deftigen Haushaltsstreit. Deutschland hat nun einmal bindende Zusagen gegenüber der Völkergemeinschaft abgegeben. Aber ich
habe ein kleines Problem damit, die ODA auf Pump zu
finanzieren, auch wenn es für einen guten Zweck ist. Ich
frage Sie, ob wir nicht erst einmal die Wirkungen und
die Qualität unserer EZ verbessern sollten, bevor wir
nach immer mehr Geld rufen. Ich denke, es gibt einige
Möglichkeiten, die Effizienz zu erhöhen. Bevor wir das
nicht getan haben, können wir diesem Haushalt leider
nicht zustimmen.
({0})
Der gute Zweck allein heiligt nicht die Mittel. Sie verletzen die Stabilitätskriterien, Sie türmen einen gigantischen Schuldenberg auf, Sie ziehen die Steuerschraube
immer weiter an; gerade haben wir wieder etwas von einer Ticketsteuer gehört. Erstens sind das alles schlechte
Beispiele für unsere Partnerländer und zweitens würgen
wir damit das Wirtschaftswachstum ab, das wir brauchen, wenn wir eine substanzielle Zusammenarbeit auf
Dauer finanzieren wollen.
({1})
Aber zurück zur EZ - ich habe hier nur drei Minuten
und muss haushalten; deshalb komme ich lieber wieder
zum Thema - und gleich zu den MDGs: Von den acht
MDGs beziehen sich drei auf den Gesundheitsbereich.
Aids ist dort namentlich genannt worden. Jeder von uns
kennt die verheerenden Auswirkungen, die Aids auf die
Entwicklung gerade der Länder Afrikas hat, wo die Seuche am allerschlimmsten wütet: Ganze soziale Gefüge
kommen durch diese Krankheit ins Wanken. Im entwicklungspolitischen Teil der Koalitionsvereinbarung kommt
das Wort „Profilschärfung“ zweimal vor, das Wort
„Aids“ aber kein einziges Mal, nicht einmal unter dem
Oberbegriff „Gesundheit“. Ich weiß nicht, wie so etwas
auf unsere Partner wirkt. Vielleicht ist es ja vergessen
worden. Das hätten wir gutmachen können, wenn Sie
wenigstens unserem Änderungsantrag zugestimmt hätten, für die Bekämpfung von Aids Mindestmittel anzusetzen. Aber auch das haben Sie nicht getan. Dabei hätten wir hier ein Signal setzen können, wie wichtig uns
die Bekämpfung von Aids ist.
({2})
Nach dem, was uns bisher an Daten vorliegt, wird ausgerechnet bei der Aidsbekämpfung das Haushaltsziel 2006
nicht erreicht. Könnte mir das bitte jemand erklären?
Wir müssen unsere Anstrengungen noch viel mehr, als
wir das bisher getan haben, auf die Bekämpfung von
Aids, Malaria und Tbc richten; denn bei der Gesundheit
fängt die Entwicklungszusammenarbeit an. Wie effektiv
ist die Prävention, wenn wir erfahren müssen, dass in
manchen Ländern Afrikas 75 Prozent aller 15- bis
25-Jährigen immer noch nicht wissen, wie Aids übertragen wird? Thailand hat hier große Erfolge vorzuweisen;
wir sollten versuchen, dies auf Afrika zu übertragen.
Wie effektiv ist die Behandlung von HIV-Infizierten,
wenn wir erfahren müssen, dass gerade einmal
20 Prozent aller Infizierten in den Genuss einer Behandlung kommen, wenn wir erfahren müssen, dass pro
Mann und Jahr ganze vier Kondome zur Verfügung stehen? Was stimmt nicht am deutschen Konzept, wenn
zum Beispiel in Südafrika, dem am schlimmsten betroffenen Land, Präventionsmethoden abenteuerlichster Art
selbst von Ministern propagiert werden?
Meine Damen und Herren, je länger wir in diesem
wichtigen Bereich der Entwicklungszusammenarbeit mit
entschlossenem Handeln warten, desto schwieriger wird
es werden: Was wir heute nicht leisten, das können wir
in Zukunft selbst mit der zwei- bis dreifachen Anstrengung nicht erreichen. Deshalb mein Appell an Sie: Bevor wir den EZ-Haushalt auf Pump weiter aufblähen,
bitte noch einmal genau prüfen, wie man die knappen
Mittel wirkungsvoller einsetzen könnte!
Ich danke Ihnen.
({3})
Nun hat das Wort der Kollege Hartwig Fischer für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Auch in Zeiten, in denen wir vor der Herausforderung
stehen, unseren eigenen Haushalt zu konsolidieren, stehen wir gleichzeitig in der Verantwortung für viele Menschen anderer Kontinente; auch dies liegt im deutschen
Interesse. Deutschland hat sich dem Ziel der Völkergemeinschaft verschrieben, die Armut bis 2015 zu halbieren. Jochen Borchert hat aufgezeigt, wie wir multilateral
Verpflichtungen eingehen und ihnen nachkommen und
wie wir bilateral Schwerpunkte setzen können; er hat
gleichzeitig klare Aussagen zu den Schwellenländern
gemacht. Im Zeitalter der Globalisierung kommt nachhaltiger Entwicklungszusammenarbeit eine entscheidende Rolle zu, wenn wir eine Weiterentwicklung der armen Länder erreichen wollen.
Sauberes Wasser ist Lebensgrundlage, doch 1,1 Milliarden Menschen verfügen nicht über sauberes Wasser.
Die Menschen müssen sich eigenverantwortlich Ernährungsquellen schaffen können, wenn wir den Hunger bekämpfen wollen. Bildung für Mädchen wie für Jungen
ist der Schlüssel für die Lösung der Probleme der armen
Länder, sie versetzt sie in die Lage, ihre Zukunft eigenverantwortlich zu gestalten. 785 Millionen Menschen
können weder lesen noch schreiben. 100 Millionen Kinder haben keine Chance, eine Schule zu besuchen. Dabei
ist Bildung auch die Grundlage für die Bekämpfung von
Aids. An Unterstützung bei Gesundheitsvorsorge und
Gesundheitsversorgung besteht in den Entwicklungsländern dringender Bedarf. Diese Länder brauchen
Chancen für ihre Infrastruktur, um Güter, insbesondere
Nahrungsmittel, in Eigenversorgung herzustellen oder,
wenn möglich, auf dem Weltmarkt zu verkaufen.
Herr von Klaeden hat vorhin in der außenpolitischen
Debatte deutlich gemacht, dass der Aufbau einer formellen, transparenten und rationalen Nutzung von Rohstoffen notwendig ist - und zwar nicht nur im Kongo -, damit sie in die Wertschöpfung der jeweiligen Haushalte
der Länder einfließen kann. Meine Damen und Herren,
gerade um die Lebensgrundlagen nicht nur für die Menschen in ihrem eigenen Land zu erhalten, sondern auch,
weil dies Auswirkungen auf unsere Lebensbedingungen,
auf das Großklima in unserer Welt und auf das Wasser
hat, brauchen wir in Bezug auf die Biodiversität und die
Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen weitere
wichtige Schritte. Schauen Sie sich nur die Abwasserentwicklung in den Megastädten der verschiedenen
Kontinente an!
({0})
All diese Punkte sind Teil der wichtigen entwicklungspolitischen Aufgaben, denen wir uns multilateral
und bilateral stellen müssen. Mit diesem Haushalt leisten
wir einen Beitrag dazu, gerade auch, um die Durchführungsorganisationen in die Lage zu versetzen, zu handeln, und auch den NGOs Planungssicherheit zu geben.
Bad Governance, also schlechte Regierungsführung,
fehlende Rechtsstaatlichkeit, Korruption, keine funktionierenden Verwaltungsstrukturen, keine Finanz- und
keine Sozialsysteme - das sind oft Hemmnisse für eine
positive Entwicklung. Mit diesem Haushalt tragen wir
dem Rechnung, weil unseren Stiftungen - zum Beispiel
beim Rechtsstaatsdialog, beim Aufbau der Wirtschaftskreisläufe und auch im humanitären Bereich -, den
Durchführungsorganisationen und den Kirchen dadurch
Möglichkeiten gegeben werden.
Kriege, Armut und Perspektivlosigkeit sind Auslöser
für Flüchtlingsströme - auch nach Europa. Darauf
wurde eben hingewiesen. Täglich erreichen uns Bilder,
was sich auf Schiffen im Mittelmeer abspielt. Kriege,
Armut und Perspektivlosigkeit können aber auch Nährboden für Fundamentalisten und Terroristen und damit
kurz-, mittel- und langfristig auch für unsere Sicherheit
bedeutsam sein. Das heißt, wir handeln hier in unserem
eigenen Interesse.
Wir werden das Elend, das es in Teilen dieser Welt
gibt, nicht allein in Deutschland und auch nicht in
Europa bewältigen können. Wir werden es mittelfristig
nur gemeinsam durch eine nachhaltige Entwicklungsarbeit in den betroffenen Ländern überwinden können.
({1})
In diesem Zusammenhang habe ich eine Bitte, die ich
insbesondere an die Tribüne der Journalisten richte, die
heute Abend nicht besetzt ist: Auch über die Entwicklungspolitik brauchen wir eine nachhaltige Berichterstattung, um in der Bevölkerung eine höhere Akzeptanz für die Entwicklungspolitik zu erreichen. Lassen
Sie uns gemeinsam dafür arbeiten.
({2})
Ich möchte das aufgreifen, was Herr Raabe eben gesagt hat. Es geht darum, was im Bewusstsein unserer Bevölkerung nicht vorhanden ist. Als es beim Tsunami
300 000 Tote gab, war die Weltbevölkerung entsetzt
über diese Naturkatastrophe und die Spendenbereitschaft
war unglaublich. Meine Damen und Herren, in dieser
Stunde der Debatte sterben 1 250 Kinder von Millionen
Kindern dieser Welt, die leiden, weil sie eine mangelnde
Ernährung, kein sauberes Wasser und eine mangelnde
Gesundheitsversorgung haben und Kriege mitmachen
müssen. 1 250 sterbende Kinder in einer Stunde bedeuHartwig Fischer ({3})
tet, dass 30 000 Kinder an einem Tag und 10,5 Millionen
Kinder im Jahr sterben. Das ist so viel, als wenn die Gesamtbevölkerung von Niedersachsen und SchleswigHolstein innerhalb eines Jahres von der Landkarte verschwinden würde - und das jedes Jahr.
Deshalb bitte ich um Verständnis dafür, dass ich Folgendes heute auch einmal sage: Wir sprechen in
Deutschland manchmal über Armut - ich weiß, dass es
Armut durch Vereinsamung gibt und dass nicht alle auf
der Sonnenseite des Lebens leben -, aber Armut in
Deutschland ist nicht mit dem täglichen Kampf ums
Überleben, um sauberes Wasser und um Ernährung zu
vergleichen. Deshalb bitte ich, dass wir unser politisches
Koordinatensystem bei manchen Diskussionen einmal
zurechtrücken.
({4})
Ein Euro sichert eine ganze Tagesration Noternährung
für ein hungerndes Kind.
({5})
Acht Euro genügen, um eine Hirseernte für eine ganze
Familie zu sichern. Acht Euro für zwei imprägnierte
Moskitonetze helfen, dass Kinder vor Malaria geschützt
werden. 9 Euro kosten 1 000 Tabletten, um in einem
Krisengebiet 5 000 Liter Wasser zu entkeimen.
Ich bin dankbar, dass es nach Jahren der Stagnation
einen klaren Aufwuchs in der Entwicklungspolitik gibt.
Ich setze darauf, dass diese Koalition, die meine Kolleginnen und Kollegen und ich gewollt haben, den Aufwuchs so fortsetzt, dass wir uns den Millenniumzielen
nicht nur rhetorisch, sondern auch materiell verpflichtet
fühlen.
Ich danke Ihnen.
({6})
Das Wort hat nun für die Bundesregierung die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung, Heidemarie Wieczorek-Zeul.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich bedanke mich bei allen, die sich an den Beratungen
beteiligt haben, aber auch bei allen, die in den Ausschüssen - vor allem im Haushaltsausschuss - dazu beigetragen haben, dass die Mittel in einem solchen Umfang erhöht werden konnten. Mit über 300 Millionen Euro ist
das der höchste Aufwuchs, den wir in den letzten Jahren
erreicht haben. Ich verspreche Ihnen - das gilt insbesondere für diejenigen, die daran zweifeln -, dass wir es
schaffen werden, den Stufenplan der Europäischen
Union zur Erhöhung der Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit auf 0,51 Prozent des Bruttoinlandsprodukts bis zum Jahr 2010, den wir mit unterstützt haben,
in den kommenden Jahren zeitgerecht umzusetzen. Das
sind wir den Kindern und den Menschen, die in Elend
und Armut leben und ihre Hoffnungen in uns setzen,
schuldig und wir werden es auch schaffen.
({0})
An Herrn Königshaus gewandt, möchte ich feststellen, dass wir es ihnen schuldig sind, auch bei uns Effizienz zu praktizieren. Wir werden in diesem Jahr noch
viele Reformen auch im Inneren durchführen. Das ist
notwendig.
Ich sage ausdrücklich zu, dass das in Auftrag gegebene Gutachten den Obleuten in den zuständigen Ausschüssen dargestellt wird. Wir werden im Herbst - so
viel Zeit muss sein - die verschiedenen Optionen diskutieren. Denn es ist wichtig, dass über diese Fragen eine
Diskussion stattfindet und eine möglichst breite Zustimmung erzielt wird.
Lassen Sie mich angesichts der kurzen Redezeit ein
paar Punkte ansprechen, die mir besonders am Herzen
liegen. Manche sind bereits von meinen Vorrednern erwähnt worden.
Einer der Punkte ist Lateinamerika. Dabei handelt es
sich mittlerweile um die demokratischste Entwicklungsregion der Welt.
({1})
- Ja, die lateinamerikanischen Länder haben die Diktaturen überwunden.
({2})
Es ist wichtig, dass wir den Ländern, die soziale Gerechtigkeit und Beteiligungsrechte für die Menschen wollen,
europäische Unterstützung und unsere Partnerschaft anbieten. Europa und Lateinamerika sind aus meiner Sicht
natürliche Bündnispartner.
Eines der in unserem Haushalt enthaltenen Ziele ist,
auch in unserem Interesse dazu beizutragen, dass die
Biodiversität in dieser Region erhalten bleibt, indem wir
die Zusammenarbeit fortsetzen und verstärken. Das gilt
im Übrigen auch für die Energieeffizienz und die erneuerbaren Energien, die wir gerade mit Blick auf Lateinamerika entsprechend ausweiten werden.
Ich möchte abschließend aus zeitlichen Gründen nur
noch zwei Punkte ansprechen - ich denke, zum Thema
China hat Herr Borchert das Notwendige gesagt -, die
mir auch unter dem Gesichtspunkt der aktuellen Entwicklung besonders am Herzen liegen. Ich freue mich
über den Soforthilfefonds der Europäischen Union für
die Menschen in den Palästinensischen Gebieten.
Wenn er in die Praxis umgesetzt wird, dann wird endlich
ein Beitrag dazu geleistet, der wachsenden Armut entgegenzuwirken und zu verhindern, dass Kinder weiter in
elende Verhältnisse abrutschen, in denen sie dann leben
müssen. Denn mit der Armut wächst das Elend und die
Radikalisierung nimmt zu. Deshalb haben wir ein großes
Interesse daran, dass auch bezogen auf die Palästinensischen Gebiete den Menschen geholfen wird. Es wird
einen europäischen Fonds geben, an dem sich die Bundesrepublik Deutschland mit 20 Millionen Euro beteiligen wird.
Der letzte Punkt betrifft Darfur. Die Situation der
2 Millionen Flüchtlinge, die in dieser Region leben, hat
sich - Herr Hartwig Fischer, Sie haben es heute nicht ansprechen können; aber wir haben bereits darüber gesprochen - drastisch verschlechtert. Mein Appell ist: Wir
dürfen uns mit der Vertreibung dieser Menschen nicht
abfinden. Anderenfalls hätte die sudanesische Regierung
das erreicht, was sie sich vorgenommen hat, nämlich auf
Dauer die Menschen zu vertreiben. Das dürfen wir nicht
zulassen.
({3})
Es ist wichtig, dass die Hilfe die Flüchtlinge auch erreicht. Aber ich plädiere nachdrücklich für ein neues
UN-Mandat für diese Region; denn die internationale
Gemeinschaft muss die Sicherheit der dort lebenden
Menschen garantieren. Sonst werden wir keine Hilfe
leisten können. Wir dürfen Vertreibungen weder in
Europa noch in anderen Regionen zulassen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 23 - Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung - in der Ausschussfassung.
Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? Dann ist der Einzelplan 23 mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen von der FDP-Fraktion, der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen und der
Fraktion Die Linke angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I. 10 auf:
Einzelplan 15
Bundesministerium für Gesundheit
- Drucksache 16/1324 Berichterstattung:
Abgeordnete Ewald Schurer
Dr. Claudia Winterstein
Anja Hajduk
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich
höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Kollegin Dr. Claudia Winterstein von der FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Gesundheitsreform gilt als der entscheidende Indikator dafür, ob die Koalition überhaupt zu
grundlegenden Reformen fähig ist. Bislang sieht es nicht
so aus. Dabei stehen wir vor massiven Problemen. Bei
den gesetzlichen Krankenkassen stehen die nächsten
Beitragserhöhungen vor der Tür. Jedenfalls hat die Ministerin das bereits für unausweichlich erklärt. Neben
einer höheren Mehrwertsteuer und höheren Rentenbeiträgen sind also höhere Krankenkassenbeiträge zu erwarten.
Das Modell des Gesundheitsfonds, auf das sich nun
beide Koalitionspartner zubewegen, stellt keine grundlegende Reform dar, sondern ist ein Etikettenschwindel.
Es ist nämlich eine Einigung, die nur darauf abzielt,
nichts zu entscheiden und sich alle Wege offen zu halten.
({0})
Diesen Eindruck konnte die Bundeskanzlerin auch heute
früh nicht widerlegen. Das soll der notwendige Reformschritt sein, der das Gesundheitswesen für die nächsten
Jahrzehnte sattelfest macht? Meine Damen und Herren
von der Regierungskoalition, das ist keine seriöse Politik. Das einzig klare Ergebnis der bisherigen Reformdebatte ist: Für die Bürger wird es teurer, ohne dass dabei
das System zukunftsfest wird; denn es werden keine
Rücklagen gebildet.
({1})
Aber nur ein System mit Rücklagen kann die künftigen
Ausgabensteigerungen auffangen, die durch die Bevölkerungsentwicklung und den medizinischen Fortschritt
auf uns zukommen.
Frau Ministerin, Sie haben in der ersten Lesung des
Haushaltes eine Reform sowohl der Finanzierungsseite
als auch der Strukturen in Richtung mehr Wettbewerb,
mehr Transparenz und Vertragsfreiheit angekündigt. Das
sind die richtigen Kriterien. Sie legen dafür aber leider
die falschen Instrumente vor. Der Fonds löst die Finanzprobleme nicht und sorgt nicht für die notwendigen
Strukturveränderungen. Er ist nur der kleinste gemeinsame Nenner der Koalition.
({2})
Mehr Wettbewerb, mehr Transparenz und Vertragsfreiheit, das alles kann mit dem FDP-Modell, das Ihnen
schon lange bekannt ist, erreicht werden. Unser Vorschlag orientiert sich an diesen entscheidenden Kriterien.
Ich nenne noch einmal die Hauptpunkte: Die Gesundheitskosten müssen von den Arbeitskosten abgekoppelt
werden.
({3})
Das System muss mit Altersrückstellungen arbeiten. Der
Leistungskatalog muss konzentriert werden.
({4})
Die Kernforderung aus liberaler Sicht ist: Wenn der Bürger für seine Gesundheitsversorgung künftig mehr zahlen muss, dann muss er auch mehr Gestaltungsfreiheit
bekommen,
({5})
nämlich freie Entscheidung für alle Bürger darüber, ob
sie sich in der gesetzlichen oder in der privaten Krankenversicherung versichern lassen wollen;
({6})
freie Entscheidung über den Umfang des Versicherungsschutzes, Pflicht zur Versicherung nur für den Grundleistungskatalog; freie Wahl des gewünschten Tarifs, zum
Beispiel mit oder ohne Selbstbehalt; mehr Transparenz
im System durch Rechnungen.
({7})
Wir wollen, dass die Patienten wissen, was Gesundheitsleistungen kosten, und wir wollen auch, dass die Ärzte
für ihre Leistungen feste Preise bekommen.
Der Fonds kann das alles nicht leisten. Ich zitiere das
Urteil des Vorsitzenden der Wirtschaftsweisen, Bert
Rürup:
Der Fonds ist ein „Reform-Alibi, das vor allem der
Gesichtswahrung der beiden politischen Partner
dient“.
({8})
Weiter sagt er:
Wenn man nicht mehr zustande bringt als den
Fonds, sollte man die Strukturreform lieber abblasen...
({9})
Da der Haushalt des Gesundheitsministeriums 2006
knapp 4,6 Milliarden Euro umfasst und 4,2 Milliarden
Euro davon als Zuschuss für die gesetzliche Krankenversicherung bestimmt sind, fallen die restlichen Ausgabeposten mit circa 382 Millionen Euro im Vergleich bescheiden aus. Das heißt aber noch lange nicht, dass in
diesem Haushalt alles in Ordnung wäre. Zu viel fließt in
gewohnte Strukturen. Unseren Antrag, einen von zwei
Parlamentarischen Staatssekretären abzuschaffen, haben
Sie abgelehnt.
({10})
Zu viel fließt in die Selbstdarstellung. Unseren Antrag, die Mittel für Öffentlichkeitsarbeit zu kürzen, haben Sie abgelehnt. Im Gegenteil, Sie erhöhen diesen
Posten in Ihrem Etat um 20 Prozent auf 6,1 Millionen
Euro. Da lässt sich die 10-prozentige Kürzung, die die
Koalitionshaushälter jetzt tatsächlich beschlossen haben,
natürlich leicht hinnehmen. Ganz schön trickreich.
Aber nicht nur das. Frau Ministerin, Sie geben in diesem Haushalt außerdem noch 3,6 Millionen Euro für
eine Präventionskampagne aus. Sie begründen das mit
dem Präventionsgesetz. Das Gesetz gibt es aber noch gar
nicht. Es ist auch überhaupt noch nicht in Sicht.
({11})
Diese 3,6 Millionen Euro für die Präventionskampagne
sind in Wahrheit Gelder, die unter „Öffentlichkeitsarbeit“ verbucht werden müssten,
({12})
die Sie in diesem Jahr einfach auch sparen könnten.
Hinzu kommen in diesem Haushalt die Kosten, die
durch die Neustrukturierung von Arbeits-, Wirtschaftsund Gesundheitsministerium entstehen. Das Gesundheitsministerium hat es doch tatsächlich geschafft, als
einziges dieser drei Häuser eine deutliche Stellenvermehrung vorzunehmen.
({13})
2002, als das Haus den gleichen Zuschnitt hatte wie
jetzt, waren es 462 Stellen, jetzt sind es 499 Stellen.
({14})
Der Haushalt des Gesundheitsministeriums wird den
Notwendigkeiten nicht gerecht.
({15})
Die Arbeit der Gesundheitsministerin wird den Notwendigkeiten ebenfalls nicht gerecht. Mit dem von der
Ministerin verfochtenen Gesundheitsfonds betrügen Sie
die Bevölkerung um die nötige Sicherung der Gesundheitsversorgung in der Zukunft. Die „Zeit“ hat es in der
letzten Woche auf den Punkt gebracht: Diese „Gesundheitsreform hilft der großen Koalition, nicht aber den
Versicherten“.
Vielen Dank.
({16})
Das Wort hat jetzt der Kollege Ewald Schurer von der
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Einzelplan 15 - Gesundheit - steht natürlich im Zeichen
der vor uns liegenden Gesundheitsreform; keine Frage.
Ich möchte damit starten, dass ich auf Folgendes verweise: 1994 hat die „Süddeutsche Zeitung“ in München
in einem Leitartikel zu den damaligen Reformbemühungen in der Gesundheitspolitik von einem „verminten
Feld“ gesprochen. Die Autorin wies darauf hin, dass sich
Kassen, Kassenärztliche Vereinigungen, Pharmaindustrie, Apotheker und die weiteren Akteure unversöhnlich
gegenüberstünden. Ich denke, „vermintes Feld“ war ein
bisschen übertrieben. Aber auch heute stellen wir noch
fest, dass gewisse Akteure Schwierigkeiten haben, über
Interaktion und Kommunikation zusammenzufinden.
Damals wurde unterstellt, dass man nicht in der Lage
sei, das System strukturell - die Kollegin Winterstein hat
es gerade vorweggenommen - zu reformieren, dass man
stattdessen nach mehr Geld im System suchen oder mit
einer zweiten Variante den Versuch machen würde, die
Kosten zu deckeln. Soweit die Analyse der Situation
1994 als Rückblick auf vergangene Gesundheitsdebatten
in Deutschland.
Heute, zwölf Jahre später, können wir feststellen, dass
die Frontstellung der Akteure im Gesundheitswesen
nach wie vor existiert, wenn auch vielleicht nicht mehr
ganz so ausgeprägt wie damals. Ganz aktuell geht es um
eine echte Strukturreform im deutschen Gesundheitswesen. Ich denke, dass es zwischen allen Fraktionen den
Minimalkonsens gibt - auch wenn sich Frau Winterstein
hier sehr negativ und nicht überzeugt geäußert hat -,
dass wir eine nachhaltige Reform brauchen, die über den
Charakter einer Finanzreform hinausgehen und eine
wirkliche Strukturreform darstellen sollte.
({0})
Man muss dazusagen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Die Menschen haben eine Erwartung. Die Debatte
zum Thema Gesundheit ist wichtig angesichts des Vertrauens der Bürgerinnen und Bürger in die Fähigkeit des
Staates, die Sozialsysteme im Sinne von Leistungsfähigkeit und Solidarität zu reformieren. Das ist die Erwartungshaltung von Menschen, die ein Leben lang lernen,
leisten und Beiträge zahlen.
({1})
Deswegen steht die Koalition in einer riesigen Verantwortung. Ich bin überzeugt, dass wir dieser Verantwortung gerecht werden.
({2})
Meine erste These heißt: Ausgangsposition ist die
volkswirtschaftliche Wertschöpfung. Dieses Land hat
trotz Stagnation bei den binnenwirtschaftlichen Zuwächsen in den letzten Jahren und bei einem weltmeisterlichen Export eine volkswirtschaftliche Wertschöpfung
entwickelt, die so groß ist wie nie zuvor. Als Gesundheitsökonom kann man da, wenn man ideologische Versatzstücke einmal weglässt, nur feststellen: Die volkswirtschaftliche Wertschöpfung ermöglicht es durchaus,
die Finanzierung eines solidarischen Gesundheitssystems ohne Wenn und Aber auch künftig sicherzustellen
und zu garantieren. Das ist ein wichtiger Punkt.
Meine zweite These ist: Dieses Land ist trotz aller
wirtschaftlichen Probleme ein hochproduktives Land. In
Industrie, Gewerbe und Dienstleistung sind wir, was die
Produktivität angeht, Weltspitze. Das brachte allerdings
unter anderem das Problem mit sich, dass aufgrund der
technischen Systeme immer weniger Menschen immer
mehr produzieren und deswegen bei uns die versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse in den
letzten zehn Jahren leider zurückgegangen sind. Das ist
eine Tatsache, der sich die Politik stellen muss. So waren
1995 noch 28,2 Millionen Menschen sozialversicherungspflichtig beschäftigt; im Jahr 2005 waren es nur
noch 26,5 Millionen Menschen. Wenn aber die versicherungspflichtige Beschäftigung - ein Stück weit leider
auch aufgrund der hohen Produktivität und des Ersatzes
menschlicher Arbeitskraft durch Maschinentechnik wegbricht, führt das dazu, dass alle Sozialsysteme massive Probleme auf der Einnahmeseite haben.
Wir stehen - dazu hat sich die Frau Kollegin schon
ausgelassen - vor der ökonomischen Notwendigkeit,
künftig neben dem Faktor Arbeit einen weiteren Faktor
in das Gesundheitswesen einzubringen, um die Entwicklung im medizinischen Bereich ergänzend zu finanzieren. Das heißt für mich, dass wir den Faktor Arbeit als
Grundlage der solidarischen Finanzierung im Kern beibehalten, diesen aber künftig um einen Faktor X ergänzen, um die Entwicklung im Gesundheitswesen finanziell abzusichern.
Das ist der Grund für den Diskurs über einen Gesundheitsfonds, den wir hier führen. Ich bin überzeugt, dass
die koalitionären Verhandlungspartner diese Aufgabe,
wie immer am Ende die Ausgestaltung des Fonds aussehen wird, bewältigen werden. Die Gespräche befinden
sich jetzt, anders als teilweise öffentlich dargestellt, auf
einer konstruktiven Ebene.
Als Hauptberichterstatter für den Einzelplan 15 und
Haushaltspolitiker fasse ich die zweite These zusammen:
Die volkswirtschaftliche Wertschöpfung in diesem
Lande ist groß genug, um das solidarische Gesundheitswesen auch künftig im Kern durch den Faktor Arbeit zu
finanzieren, ergänzt durch einen zusätzlichen Faktor in
der Finanzierung.
Meine dritte These lautet - das wissen natürlich wir
alle -, dass im Zuge der Mehrwertsteuererhöhung für die
Arbeitnehmerhaushalte, die kleinen und mittleren Betriebe und die Selbstständigen die Belastungsgrenze erreicht ist. Wir wissen, dass wir den Menschen nicht mehr
beliebig finanzielle Zusatzbelastungen im Rahmen der
Gesundheitsreform zumuten können.
({3})
Wir wissen, dass es keine Alternative dazu gibt, gezielt
an die Ineffizienzen im System heranzugehen. Ich sage:
Es gibt keine Alternative für uns.
Wir müssen dafür sorgen, dass die integrierte Versorgung, also eine bessere Verzahnung des Vorhaltens
ambulanter und stationärer medizinischer Leistungen,
vorangebracht wird. Die integrierte Versorgung zwischen den niedergelassenen Ärzten und den Kliniken in
Deutschland ist für mich ein ganz wichtiger Punkt. Sie
muss künftig ganz gezielt entwickelt werden, weil in
diesem Bereich Reserven in Milliardenhöhe stecken.
({4})
OECD-Gutachten besagen seit Anfang der 90er-Jahre,
dass diese Schnittstelle, dieses doppelte Vorhalten von
medizinischen Leistungen in Deutschland weder von der
Leistungsseite noch von der finanziellen Darstellung her
zu rechtfertigen ist. Das müssen wir beachten; das ist
von großer Bedeutung.
({5})
Auch der Pharmabereich darf nicht tabuisiert werden. Ich erkenne an, dass die Pharmaindustrie gerade im
mittelständischen Bereich eminente Leistungen in Wissenschaft und Forschung erbringt. Aber ich sehe überhaupt keine Rechtfertigung dafür, dass wir in Deutschland einen Pharmamarkt haben, in dem teilweise ein
Drittel oder sogar 40 Prozent höhere Marktpreise für
Medikamente bzw. Arzneimittel als im europäischen
Durchschnitt verlangt werden. Wir liegen bei diesen
Preisen sogar signifikant höher als das nicht arme Nachbarland Schweiz. Das kann man so nicht lassen. Ich bin
überzeugt davon, dass mit einer Gesundheitsstrukturreform - in Ergänzung zum Gesetz zur Verbesserung der
Wirtschaftlichkeit in der Arzneimittelversorgung, das
wir erst kürzlich, nämlich am 17. Februar 2006, verabschiedet haben - die Situation im pharmazeutischen Bereich deutlich verbessert werden muss.
Meine vierte These lautet - das ist bei aller fachlichen
Liebe zu diesem Thema für einen Haushälter der SPDFraktion, aber auch für die Haushälter der CDU/CSUFraktion, so denke ich, nicht verwunderlich -, dass das
Nachschießen von frischem Geld in das Gesundheitssystem - das klingt ein bisschen polemisch; das gebe ich
zu - ohne ein gleichzeitiges Nutzen der in Milliardenhöhe vorhandenen Reserven schlicht und einfach nicht
goutiert werden kann. Wenn wir künftig versuchen, in
Ergänzung zum Faktor Arbeit über einen Fonds entsprechend Geld bereitzustellen, dann müssen wir auch die in
Milliardenhöhe vorhandenen Reserven nutzen. Dies ist
meine Meinung zu diesem Bereich. Das heißt ganz konkret: Zusätzliches Steuergeld sollte nur unter der Bedingung einer höheren Effizienz, also bei Nutzung der
Reserven und nach Einführung eines stärkeren Wettbewerbs im Gesundheitssystem zur Verfügung gestellt
werden.
({6})
Die Zielmarke ist, dadurch auch weiterhin ein solidarisches Gesundheitssystem zu garantieren, zu dem ganz
bewusst Junge und Alte, Gesunde und Kranke und
- jetzt kommt es - gesetzlich und privat Versicherte
ihren sozial gerechten Anteil leisten. Meine Lieblingsvorstellung ist immer noch, dass auch die privat Versicherten - man möge es mir verzeihen - mit in den
Risikostrukturausgleich eingebunden werden, um die
Solidarität im System entsprechend hoch zu halten.
({7})
Wir müssen mit dieser Strukturreform dazu kommen,
dass wir auf der Kostenseite effizient werden. In einschlägigen Gutachten steht dazu, wir seien in Deutschland, was eine effektive medizinische Versorgung angehe, Weltspitze. Wir seien aber auf der Kostenseite
nicht effizient genug. Wir sollten versuchen, die guten
Leistungen kostenmäßig effizienter darzustellen.
Die Partner der Union mögen es mir verzeihen, wenn
ich meine, bei all den Überlegungen, die wir in Bezug
auf einen möglichen Gesundheitsfonds anstellen, sind
Zuschläge der Patienten an die Kassen nicht wünschenswert und nicht vermittelbar, weil dies zu einer Belastung
der Menschen führen würde, die nicht darstellbar ist.
In einer fünften und letzten These möchte ich die
volkswirtschaftliche Bedeutung des Sektors Gesundheit darstellen. In der öffentlichen Diskussion wird immer so getan, als ginge es bei der Gesundheit nur um
Kosten. Das ist eine völlige Verkennung der objektiven
ökonomischen Tatsachen. Das Gesundheitswesen in
Deutschland beschäftigt als mittlerweile größter volkswirtschaftlicher Arbeitsmarktsektor - je nach Art der
Rechnung - zwischen 4,2 und 4,5 Millionen Menschen,
viel mehr als die Automobilindustrie und die Elektroindustrie. Das vergessen viele.
Der Gesundheitsmarkt ist ein absoluter Wachstumsmarkt. Während wir noch im Jahr 1970 6,2 Prozent des
Volkseinkommens für Gesundheit ausgegeben haben,
waren es im Jahr 2004 bereits 11,3 Prozent. Führende Institute sagen voraus, dass im Jahr 2015 13 Prozent des
Volkseinkommens im Bereich Gesundheit ausgegeben
werden. Das heißt, dass der Anteil des Gesundheitsmarkts am Bruttoinlandsprodukt binnen zehn Jahren von
einem Neuntel auf ein Achtel steigen wird. Das bedeutet
für die Gesellschaft: Der Gesundheitsmarkt ist ein riesiger Wachstumsmarkt und ein riesiger Arbeitsmarkt.
Noch ein Vorurteil, mit dem aufgeräumt werden
muss: Es ist definitiv falsch - oft wird es so dargestellt -,
zu glauben, dass die demografische Entwicklung nur
etwas mit Kostensteigerungen in der Gesellschaft zu tun
hätte. Wenn die Menschen länger leben, birgt dies ein
zusätzliches Potenzial für die Gesellschaft. Die Gesundheitskosten am Ende des Lebens sind zwar signifikant
hoch; die sinkende Sterblichkeit der Menschen führt
aber auch dazu, dass lebenslang lernende Menschen sehr
viel für die Gesellschaft leisten können, entweder durch
bürgerschaftliches Engagement oder durch Teilnahme
am regulären Arbeitsleben.
Wenn man mit einem richtigen Ansatz für mehr Prävention sorgt, können die Kosten im Alter deutlich begrenzt werden. Natürlich ist es richtig, dass älter werdende Menschen einen ganz speziellen Bedarf an
zusätzlichen Gesundheitsleistungen haben. Aber auch
darin liegt eine riesige Chance, entsprechend qualifizierte, neue Arbeitsplätze zu schaffen, die wiederum zur
volkswirtschaftlichen Wertschöpfung beitragen.
Es ist klar: „Entscheidender Wachstumstreiber für den
Gesundheitsmarkt ist der medizinisch-technische Fortschritt“ - so die Deutsche Bank Research. Es ist die entscheidende Größe. Der Markt der medizinischen Möglichkeiten, das Machbare im medizinischen Bereich wird
sich auch in den nächsten zehn bis 20 Jahren gewaltig
ausdehnen.
In der Zusammenfassung heißt das: Für die ökonomische Entwicklung des Landes bergen die Medizin und
der Sektor Gesundheit gewaltige Chancen. Wenn wir
den demografischen Wandel richtig gestalten, die künf3646
tige Medizintechnik mit ihren Potenzialen richtig einsetzen und die Wirtschaftlichkeitsreserven gezielt heben,
haben wir alle Chancen, in den nächsten Jahren einen
Strukturprozess im Gesundheitswesen voranzutreiben,
der ebendiesen Namen verdient.
Zum Schluss: Die Ausgaben im Gesundheitsmarkt in
Deutschland betrugen in den Jahren 2003 und 2004
240 Milliarden Euro. Daran hat allein die GKV einen
Anteil von rund 144 Milliarden Euro. In der gesetzlichen
Krankenversicherung sind 70,5 Millionen Menschen
versichert, während die privaten Versicherungen gut
8 Millionen Menschen betreuen.
Ich denke, der Einzelplan 15 des Haushalts 2006 des
Bundes ist, wie die Kollegin schon gesagt hat, relativ
übersichtlich. Die Mittel in Höhe von 4,58 Milliarden
Euro beinhalten die so genannte GKV-Pauschale in
Höhe von 4,2 Milliarden Euro, mit der die Aufwendungen der Krankenkassen für versicherungsfremde Leistungen abgegolten werden. Die Pauschale wird, wie wir
wissen, entsprechend der Koalitionsvereinbarung vom
Herbst 2005 auf null zurückgeführt.
Damit sind wir wieder beim Thema Gesundheitsreform. Wir wissen, dass aufgrund der Erhöhung der
Mehrwertsteuer und der abnehmenden GKV-Pauschale
die Gefahr droht, dass die Krankenkassen ihre Beiträge
um 1 Prozentpunkt anheben. Das können wir uns nicht
leisten, weil es Belastungen für die Haushalte mit sich
brächte, die wir vermeiden wollen.
Für den eigentlichen Bereich verbleiben im Haushalt
382 Millionen Euro, womit das Gesundheitsministerium
und seine fünf nachgelagerten Behörden bzw. Institute,
darunter das hoch reputierte Robert-Koch-Institut - in
letzter Zeit wegen der Pandemiegefahr in aller Munde -,
bedient werden müssen. Ich denke, wir Berichterstatter
haben es geschafft, in sehr kollegialer Weise die vorhandenen Mittel effizient in den Titeln zu disponieren.
Zum Schluss möchte ich sagen, dass die Aufstellung
des Haushalts 2007 sicherlich eine sehr spannende Aufgabe werden wird; denn er wird entlang der Ergebnisse,
die die Gesundheitsstrukturreform mit sich bringt, erstellt werden müssen. Es handelt sich also nicht um eine
isolierte Veranstaltung.
Ich bin überzeugt, dass wir es mit Sachverstand und
mit dem politischen Kalkül von Union und SPD schaffen
werden, eine tragfähige Gesundheitsreform hinzubekommen, die zum 1. Januar 2007 in Kraft tritt und mit
der den Menschen gezeigt wird, dass eine Reform in diesem Bereich funktionieren kann.
Ganz zum Schluss möchte ich sagen, dass ich realistisch optimistisch bin.
Das ist jetzt schon die dritte Schlussbemerkung, Herr
Kollege Schurer.
Werter Präsident, ganz zum Schluss
Das ist jetzt die vierte Schlussbemerkung.
- möchte ich mich, wie es üblich ist, bei den Berichterstattern und bei den Vertretern der beiden Ministerien,
des Finanzministeriums und des Gesundheitsministeriums, für die gute Kooperation und für ihre Geduld sowie
bei Ihnen für die Aufmerksamkeit ganz herzlich bedanken.
({0})
Das Wort hat der Kollege Frank Spieth von der Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es war
schon beeindruckend, wie Herr Schurer eben als Haushälter das Thema Gesundheit sachkundig bearbeitet hat.
({0})
Ich muss sagen: Respekt. Viele Thesen, die Sie hier vorgetragen haben, kann ich als Abgeordneter der Linken
auch im Namen meiner Fraktion dick unterstreichen:
wenn es um Solidarität, um neue Versorgungsformen
und um bessere Qualität im Gesundheitswesen geht.
({1})
- Sie werden noch Anlass für weitere Ahnungen haben,
Herr Bahr. - Ich habe aber Bedenken, dass hier genau
wieder das geschieht, was wir in den letzten Monaten
ständig erleben mussten: Sie blinken links und biegen
anschließend in der großen Koalition mit der CDU/CSU
nach rechts ab.
({2})
Ich habe daher hinsichtlich dessen, was Sie in Bezug auf
den Gesundheitsfonds angedeutet haben, große Bedenken.
Das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die
Gesundheitspolitik nimmt in den Zeiten der großen Koalition dramatisch ab. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Studie des Kölner Marktforschungs- und Beratungsinstituts psychonomics AG, die vom April bis zum Mai
1 500 Bundesbürger befragt hat. Nicht einmal ein Drittel
der Befragten, genau nur 29 Prozent, traut der Bundesregierung noch zu, die gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung langfristig sicherstellen zu können. Das ist ein
dramatisches Testat.
Dieses Ergebnis hat übrigens seine Ursachen. Unter
Willy Brandt war Reform das Schlüsselwort für Demokratisierung. Menschen mit geringem Einkommen haben
damit die Hoffnung verbunden, am sozialen Staat und
am gesellschaftlichen Reichtum auch durch Umverteilung beteiligt zu werden. Aber diese Zeiten sind lange
vorbei. Dieser Anspruch ist schon unter Rot-Grün unter
die Räder geraten und wird durch die gegenwärtigen gesundheitspolitischen Planspiele der großen Koalition
quasi wie mit der Dampframme unter die Erde gestampft.
Keine Wählerin und kein Wähler der Union werden
sich darüber wundern, dass die CDU/CSU getreu ihrem
Bundestagswahlprogramm den Weg über den Gesundheitsfonds mit Elementen der Kopfpauschale bis zur
endgültigen Privatisierung des Gesundheitsrisikos beschreitet. Die Wählerinnen und Wähler der SPD werden
sich allerdings an den Kopf fassen angesichts des zentralen Wahlversprechens der Sozialdemokraten. Sie wollten
die Einführung der Bürgerversicherung. Jetzt aber machen Sie einen Gesundheitsfonds, aller Voraussicht
nach verbunden mit einer Kopfpauschale.
In Ihrem Aufruf zur Bundestagswahl 2005 haben Sie
unter der Überschrift „Vertrauen in Deutschland Gerhard Schröder muss Kanzler bleiben!“ unter anderem
gesagt:
Wir kämpfen auch für die kommende Legislaturperiode für eine sozialdemokratisch geführte Bundesregierung. Doch wir wollen mehr: 1. Wir sind bereit, unsere Fehler einzugestehen. Das einseitige
Setzen auf die Senkung der Lohnnebenkosten hat
den Menschen vieles zugemutet: die Rentenreform,
die Gesundheitsreform und auch die Arbeitsmarktreform werden in der Bevölkerung primär als
sozial ungerecht wahrgenommen - auch weil diese
Reformen nicht in der Lage waren, dem Arbeitsmarkt die dringend notwendigen Impulse zu geben.
Damit hatten Sie absolut Recht. Diese Selbsterkenntnis
hat dann anschließend offenkundig bei den Bürgern Eindruck gemacht und dazu geführt, dass Sie ein überraschend gutes Wahlergebnis einfahren konnten.
Sie haben den Bürgerinnen und Bürgern versprochen
- ich zitiere noch einmal wörtlich -:
Wir führen die solidarische Bürgerversicherung in
der Gesundheitspolitik ein. Vergleichbar soll die
Lösung bei der Pflegeversicherung sein. Wer leistungsfähig ist, muss auch stärker zur Solidarität beitragen. Das gilt in den sozialen Sicherungsystemen
und in der Steuerpolitik.
Es ist Ihnen gelungen, mit dem Hinweis auf Ihre ursprünglichen Fehler bei den Wählern den Eindruck zu
vermitteln, ab sofort werde wieder sozialdemokratische
Politik gemacht.
Ich kann Ihr Versprechen allerdings nicht in der Koalitionsvereinbarung und schon gar nicht in der derzeitigen Gesundheitspolitik wiederfinden. Sie beantworten
mit den bisher bekannt gewordenen Vorschlägen zum
Gesundheitsfonds keine der strukturellen Fragen, die
sich bezüglich der gesetzlichen Krankenversicherung
stellen. Sie wollen zwar weiterhin die Arbeitgeber zur
Beitragszahlung heranziehen, aber nur noch mit einem
gedeckelten Satz von 6 Prozent. Die Kostensteigerungen
im Gesundheitssystem werden dann zukünftig nicht
mehr von den Arbeitgebern mitfinanziert, sondern sie
werden alleine von den Versicherten zu zahlen sein, die
dann zukünftig mit 8 Prozent und wie auf einer nach offenen Richterskala bei allen zukünftigen Kostensteigerungen alleine zusätzlich belastet werden. Darüber hinaus wollen Sie die Einführung einer Kopfpauschale
unterstützen,
({3})
die von den Krankenversicherten alleine finanziert werden soll.
Das bisschen zusätzliche Steuerfinanzierung ist
nicht mehr als eine Beruhigungspille, die dazu dient, den
Eindruck zu vermitteln, es ginge gerecht zu. Tatsächlich
wollen Sie aber die bislang beitragsfreie Kindermitversicherung über Steuern finanzieren.
({4})
Einerseits ermöglicht das nach Bekunden der Sachverständigen eine Beitragsreduzierung um 1,4 Prozentpunkte, andererseits führt das aber dazu, dass der Entlastungseffekt von 7 Milliarden Euro ausschließlich bei den
Unternehmen wirksam wird - eine erneute und aus meiner Sicht perfide Umverteilung von unten nach oben.
({5})
Außerdem machen Sie damit den Privatversicherten ein
Geschenk, indem Sie deren Beiträge für die Kinderkrankenversicherung den Steuerzahlern und damit wiederum
im Wesentlichen den Arbeitnehmern aufdrücken.
({6})
Mit Ihrem Gesundheitsfonds errichten Sie nur eine
neue Geldverteilungsmaschine ganz nach der Methode:
Wenn ich kein Ziel habe, dann ist jeder Weg der richtige.
Wenn Sie schon nicht zu einer sozial gerechten Gesundheitsreform in der Lage sind, dann machen Sie wenigstens Ihre Hausaufgaben, indem Sie das für 2007 zu erwartende Finanzdebakel in der GKV angehen. Die
Finanzprobleme und die Strukturprobleme im Gesundheitswesen werden durch Errichtung einer neuen Bürokratie nicht gelöst, sondern vergrößert.
Sie haben durch die von Ihnen zu verantwortende
Politik Verschiebebahnhöfe geschaffen, die zu erheblichen Einnahmeverlusten bei den Krankenkassen führen: Die Absenkung der Beiträge für Arbeitslose, die
Verkürzung der Anspruchszeiten beim Arbeitslosengeld,
die nun geplante Abschaffung der durch die Tabaksteuer
finanzierten Mutterschaftsleistungen, die Verpflichtung
der Kassen zur Entschuldung bis zum Dezember 2007,
die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte sowie die Mehrwertsteuererhöhung sind unter anderem mit
dafür verantwortlich, dass wir nach unserer Einschätzung im kommenden Jahr in der gesetzlichen Krankenversicherung ein Finanzloch von mindestens
15 Milliarden Euro haben werden. Selbst mein geschätzter Kollege Lauterbach spricht davon, dass im kommenden Jahr über 10 Milliarden Euro fehlen werden. Wir
halten es deshalb für dringend erforderlich, dass Sie
zunächst einmal zur Sicherstellung der Krankenversi3648
cherungsleistungen unverzüglich ein Vorschaltgesetz zur
Gewährleistung der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung einbringen.
Die sozialen Sicherungssysteme, meine Damen und
Herren, sind dazu da, im Bedarfsfall frei von Diskriminierung und sozialer Ausgrenzung Versicherten in jeder
Lebensphase alle erforderlichen Leistungen bereitzustellen. Dazu wurden sie geschaffen. Dies gilt insbesondere
für die gesetzliche Krankenversicherung. Mir erzählte
kürzlich eine Frau bei einer Veranstaltung in Hannover,
dass eine Ultraschalluntersuchung, die in ihrem Fall erforderlich war, nur gemacht wurde, weil sie diese privat
bezahlte. Am Montag dieser Woche erzählte mir ein
Rentner auf einer Veranstaltung in Dresden, dass er zum
Ende des Quartals regelmäßig zur privaten Finanzierung
von Medikamenten aufgefordert werde, weil das Budget
erschöpft sei. Eine Arbeitslosengeld-II-Empfängerin in
Weimar schilderte mir vor einigen Tagen an ihrem Beispiel auf bedrückende Art und Weise, dass sie schon
mehrfach vor der Entscheidung gestanden habe - hören
Sie gut zu -, für sich und ihre Tochter entweder Lebensmittel zu kaufen oder die Eintrittsgebühr beim Arzt zu
zahlen. Dies sind Einzelbeispiele, die man beliebig ergänzen könnte.
Es kann nicht sein, dass durch Zuzahlungen, durch
Leistungsausgrenzungen, durch Eintrittsgebühren bei
Ärzten, durch Sonderbeiträge
({7})
und - jetzt offenkundig beabsichtigt - durch endgültige
Abschaffung des Krankengelds und die Abschaffung der
Versicherung privater Unfälle die Versicherten immer
weniger Leistungen erhalten, dafür aber zusätzlich zur
Kasse gebeten werden, wie Frau Merkel heute Morgen
gesagt hat.
Die Grundprinzipien der gesetzlichen Krankenversicherung, nämlich Solidarausgleich, Parität, umfassende
Sachleistungen, Umlageverfahren und Kontrahierungszwang haben sich nach unserer Auffassung bewährt. Sie
finden in der Bevölkerung eine breite Akzeptanz. Arbeitnehmer, Arbeitslose, Rentnerinnen und Rentner sowie
bisher beitragsfrei mitversicherte Angehörige erwarten
von uns, dass wir ein Gesundheitssystem anbieten, mit
dem die vorgenannten Ansprüche erfüllt werden können.
Die Bürgerversicherung findet in der Bevölkerung
große Zustimmung.
({8})
Die Wählerinnen und Wähler haben bei ihrer Stimmabgabe auch eine parlamentarische Mehrheit für diese
Bürgerversicherung geschaffen. Die Linksfraktion, die
Fraktion der Bündnisgrünen und die Sozialdemokraten,
die sich eindeutig dafür ausgesprochen haben, haben,
wenn sie es wollen, die Mehrheit in diesem Haus, als
einzig notwendige und richtige Reformalternative eine
Bürgerversicherung einzuführen. Wir werden Sie dabei
unterstützen. Nehmen Sie das Angebot ernst!
Danke.
({9})
Das Wort hat jetzt der Kollege Norbert Barthle von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Wir beraten hier heute abschließend
den Etat des Gesundheitsministeriums. Zieht man die
Zuschüsse zur Krankenversicherung ab, dann verbleiben
noch ganze 381 Millionen Euro oder auch schlanke
1,5 Promille des Gesamtetats - ein, wie ich immer sage,
kleiner, aber feiner Etat, dessen Volumen in krassem Gegensatz zur gesellschaftlichen Bedeutung dieses Ressorts steht.
Dass man aber auch über die richtige Ausgabe von
381 Millionen Euro konstruktiv nachdenken und beraten
kann, haben die Berichterstattergespräche gezeigt. Ich
will deshalb an dieser Stelle, gleich zu Anfang, allen Beteiligten aus Opposition und Koalition und vor allem
auch Ihnen, Frau Ministerin, und Ihrem Hause ganz
herzlich für diese Beratungen und deren konstruktiven
Verlauf danken.
({0})
Wir Großkoalitionäre, mein Kollege Ewald Schurer
und ich, waren uns einig, dass es auch mit diesem kleinen Etat durchaus möglich ist, Schwerpunkte zu setzen.
Bereits zu Beginn dieses Jahres erschreckte uns das
Thema Vogelgrippe und machte uns darauf aufmerksam, dass Deutschland auf eine Pandemie vielleicht
doch nicht ganz so gut vorbereitet ist, wie wir alle angenommen haben. Bislang ist das Virus zwar noch nicht
derart mutiert, dass es von Mensch zu Mensch überspringen kann, aber wir sollten uns nicht nur mit dem
Ob, sondern auch mit dem Wenn beschäftigen.
Auch das Thema HIV/Aids bedarf wieder verstärkt
unserer Aufmerksamkeit; denn auch wenn die Zahl der
Infizierten in Deutschland auf einem erfreulich niedrigen
Niveau liegt, macht es uns doch besorgt, dass die Zahl
der Neuinfektionen binnen eines Jahres um 20 Prozent
gestiegen ist. Also fragen wir uns: Stimmt die Aufklärungskampagne noch? Erreichen wir die entsprechenden
Zielgruppen? Müssen wir nicht unsere Anstrengungen in
diesem Bereich verstärken?
Wir haben uns als große Koalition auf die Fahnen geschrieben, die Haushaltskonsolidierung als oberstes Ziel
zu verfolgen. Deshalb müssen alle Mehrmittel, die wir
einsetzen wollen, sauber gegenfinanziert sein. Wir waren uns da einig, dass die Öffentlichkeitsarbeit ein möglicher Bereich ist. Aber nachdem sich der Haushaltsausschuss darauf geeinigt hat, dass wir rund 10 Millionen
Euro als globale Minderausgabe im Einzelplan 60 realisieren wollen, die eigentlich schwerpunktmäßig über Öffentlichkeitsarbeit erbracht werden soll, blieb für diese
Gegenfinanzierungsmöglichkeit kein Spielraum. Deshalb sage ich an dieser Stelle: Das wird eine Aufgabe für
die kommenden Jahre sein. Frau Kollegin Winterstein,
ich verspreche Ihnen: Wir bleiben am Ball.
Wir müssen feststellen, dass die Spielräume sehr eng
sind. Im Einzelplan 15 sind 140 Millionen Euro des
Etats alleine für Personalausgaben vorgesehen. Ich frage
mich manchmal schon, ob zum Beispiel das RobertKoch-Institut mit der bestehenden Mittel- und Personalausstattung die Aufgaben tatsächlich bewältigen
kann.
({1})
Wir haben im Koalitionsvertrag mit guten Gründen formuliert:
Die gesundheitspolitische Schlüsselstellung des
Robert-Koch-Instituts insbesondere im Hinblick
auf die wachsenden potentiell erheblichen Gesundheitsgefährdungen der Bevölkerung … soll ausgebaut und institutionell gefördert werden.
Wenn ich bedenke, dass bei diesem Institut seit dem
Jahr 2000 mehr als 20 Prozent der etatisierten Stellen abgebaut wurden, dann haben wir noch eine Menge Arbeit
vor uns. Andererseits sind wir Haushälter immer darauf
bedacht, Aufwüchse bei den Personalkosten zu vermeiden und Einsparungen vorzusehen. Deshalb wird es für
uns alle eine schwierige Aufgabe sein, einen entsprechenden Weg zu suchen.
Lassen Sie mich kurz auf das „Sparbuch“ der FDP
eingehen. Ich gehe davon aus, dass wir damit auch in
den kommenden Jahren wieder traktiert werden sollen;
denn das Austauschen und Fortschreiben von Zahlen ist
nicht besonders schwer, auch wenn die Idee an sich
schon ziemlich abgegriffen ist.
({2})
Das Ganze wirkt etwas antiquiert wie ein abgegriffenes
Telefonbuch. Vielleicht können Sie Herrn Westerwelle
den Rat geben, er möge eine CD vorlegen, wenn Sie eine
moderne Partei sein wollen. Dann müssen die Kolleginnen und Kollegen nicht immer das schwere Buch herumtragen.
({3})
Frau Kollegin, Sie selbst haben die Kürzung der Ausgaben für die Prävention um mehr als die Hälfte angesprochen. Ich bleibe dabei: Jeder Euro, den wir für Prävention ausgeben, ist gut angelegtes Geld. Wir können
hinterher bei der Behandlung von Erkrankungen gar
nicht so viel einsparen wie vorher durch eine wirksame
und gezielte Prävention.
({4})
Wenn ich zum Beispiel im aktuellen Mikrozensus lese,
dass jeder zweite Deutsche übergewichtig ist und sogar
14 Prozent stark übergewichtig sind, dann bin ich mir sicher, dass im Bereich der Prävention noch erheblicher
Handlungsbedarf herrscht.
({5})
Wer hier mit spitzer Feder kürzt, der handelt falsch. Was
die Anwesenden anbelangt, so trifft diese Analyse sicher
auch auf diese zu.
Lassen Sie mich eine zweite Kritik aufgreifen, die
von der Opposition immer wieder vorgetragen wird: Sie
betrifft die Kürzung der Zuschüsse für die GKV. Natürlich ist es richtig, dass wir in Zukunft einen größeren
Teil der Kosten unserer Sozialsysteme über das Steuersystem finanzieren wollen.
({6})
Anders werden wir die notwendige Trendwende am Arbeitsmarkt nicht realisieren können. Das ist vollkommen
klar. Aber die reine Umschichtung zur Steuerfinanzierung ergibt keinen Sinn. Das haben wir aus der rot-grünen Rentenreform gelernt; denn die Mittel aus der Ökosteuer sollten die Rentenbeiträge auf Dauer stabilisieren.
Das Ganze hielt nur sehr kurze Zeit. Anschließend versickerten die Mittel in einem Fass ohne Boden.
({7})
Da wir aber alle kluge Menschen sind - jedenfalls die in
der Koalition -, haben wir aus den Fehlern gelernt. Deshalb wird es die angekündigte Umsteuerung ohne eine
echte Strukturreform nicht geben.
Damit bin ich bei der aktuellen Gesundheitsreform,
zu der ich mich nicht im Detail äußern will.
({8})
Dafür haben wir unsere Experten, die mit großer Sachkunde und mit großem Enthusiasmus zu Werke gehen.
Ich will nur zwei Punkte ansprechen, die aus meiner
Sicht wichtig sind. Einerseits sollten wir die Ausgabenseite mutig angehen. Wenn in einem Bereich 240 Milliarden Euro jährlich ausgegeben werden, dann ist das
wie eine Mine, in der noch so manche Goldreserve
schlummert. Da sind noch Milliardenbeträge zu heben,
wenn man mit dem notwendigen Mut an das System herangeht und für zusätzliche Effizienz sorgt. Effizienz
heißt wirtschaftlicher Einsatz der vorhandenen Mittel
und steht nicht im Gegensatz zu einer bedarfsgerechten
Versorgung. Das hat nichts mit Rationalisierung oder gar
Rationierung zu tun.
Andererseits muss jede Gesundheitsreform, die ihren
Namen wirklich verdient, eine zentrale Frage beantworten, nämlich wie wir die steigenden Gesundheitskosten
auffangen können, ohne die Arbeitskosten zu belasten.
Ich bin dankbar, dass unsere Bundeskanzlerin Angela
Merkel diese Tatsache heute früh mit großer Ehrlichkeit
angesprochen und auf den Punkt gebracht hat. Sie hat
den Dreiklang benannt: Mit mehr Transparenz, mehr
Effizienz und mehr Konkurrenz wäre dieses Problem zu
lösen.
({9})
Lassen Sie mich noch auf das viel diskutierte Thema
GKV und PKV eingehen und dazu ein schönes Bild anführen: Wenn man die GKV als einen leckgeschlagenen
Tanker betrachtet, dann sind die PKVen die schwimmfähigen Rettungsboote. Es macht schlicht keinen Sinn, die
Rettungsboote noch enger an den Tanker zu ketten; denn
dann würden sie durch den Strudel mit in die Tiefe gerissen. Ich bin mir sicher und sehr zuversichtlich, dass die
großkoalitionären Verhandlungsführer den Mut aufbringen, sich an das Schließen des Lecks im Tanker zu machen, und dabei die Rettungsboote schwimmfähig erhalten. Das ist, so denke ich, der richtige Weg. Alles andere
führt auf Dauer zu einem Unglück für beide.
({10})
Deshalb wünsche ich mir, dass die großkoalitionären
Verhandlungsführer - ich spreche ihnen Mut zu - tatsächlich an das Thema Eigenverantwortung herangehen. Eine gesunde Lebensführung, eine Lebensführung,
die Gesundheitsrisiken vermeidet, muss letztendlich belohnt und darf nicht bestraft werden. Das muss der Drehund Angelpunkt aller Überlegungen sein, bei denen es
darum geht, mehr Eigenverantwortung zu realisieren. Es
kann nicht angehen, dass man nur einzelne Risikobereiche benennt und womöglich wieder auf die berühmten
Risikosportarten, die auch sehr umstritten sind, zu sprechen kommt. Es ist wesentlich sinnvoller, zu sagen: Wer
durch eigenverantwortliches Handeln zu einer gesunden
Lebensführung beiträgt, der soll auch entsprechend belohnt werden. Das muss der Weg sein. Einzelne Bereiche
dürfen nicht ausgegrenzt werden.
In diesem Sinne herzlichen Dank und gute weitere
Beratungen.
({11})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Birgitt Bender von
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es war
schon die Rede davon, dass nach einer aktuellen Umfrage nur noch 29 Prozent der Bevölkerung der Regierungskoalition zutrauen, die strukturellen Probleme des
Gesundheitswesens zu lösen.
({0})
Ich füge hinzu: Im letzten Jahr waren es noch
37 Prozent. Wie das wohl kommt?! Im letzten Jahr war
in den Medien des Öfteren zu lesen, eine große Koalition
sei das, was das Land braucht. Eine große Koalition
kann große Probleme lösen und gerade im Gesundheitswesen wird sie die Kraft haben, sich gegen die versammelten Lobbyisten durchzusetzen. Ach, meine Damen
und Herren, wenn es doch nur so wäre!
({1})
Vorhin haben wir von dem Kollegen Haushälter, dem
Kollegen Schurer, eine zutreffende Problembeschreibung des Gesundheitswesens gehört. Er hat einen Pfad
mit möglichen Lösungswegen aufgezeigt. Nur, der sitzt
nicht am Verhandlungstisch. Was hören wir stattdessen
von denen, die eben dort sitzen, von den politischen
Spitzen der Koalition? Hören wir da etwas von mehr
Wettbewerb auf der Anbieterseite und den Wegen dahin?
({2})
- Herr Zöller, hören wir etwas von mehr Effizienz, und
davon, was man tun könnte, um sie zu erreichen?
({3})
Hören wir etwas davon, wie eine nachhaltige Finanzierung all dieser möglichen Wege aussähe?
({4})
Aber nein! Sie reden lediglich über eine neue Behörde.
Vielleicht nennen Sie sie Bundesagentur für Gesundheit
oder so ähnlich. Die Behörde hat einen unglaublichen
Vorteil: Die einkommensabhängigen Beiträge, die die
SPD vorsieht, gehen vorne rein und die Kopfpauschale
der CDU kommt hinten raus. Da kommt bei den Koalitionsfraktionen Freude auf, weil alle sehen, sie haben etwas realisiert.
({5})
Was haben Sie damit aber geschaffen? Eine „Reformattrappe“, wie „Die Zeit“ zuletzt zu Recht schrieb. Ich
füge hinzu: eine Reformattrappe, die viel Bürokratie
nach sich zieht.
({6})
Von der Bundeskanzlerin mussten wir heute früh leider
erfahren, dass Sie sich tatsächlich darauf geeinigt haben.
Das ist der Stand der Dinge.
Nun geht es noch um die Ausgestaltung im Einzelnen,
zum Beispiel um die Frage, wie die Beteiligung der privaten Krankenversicherung aussieht. Ich werde gelegentlich gefragt, wie es eigentlich mit dem Einfluss der
Lobbyisten im Gesundheitswesen sei.
({7})
- Wenn ich mir die Union so anhöre, muss ich feststellen, dass das ein gutes Beispiel ist. Das ist in den Sprechwerkzeugen der Politik schon angekommen, jedenfalls
auf der Unionsseite.
Herr Barthle, wenn die PKV das Rettungsboot ist,
dann lassen Sie die Boote doch zu Wasser und setzen Sie
die PKV dem Wettbewerb aus!
({8})
Aber gerade das tun Sie nicht, weil Sie sich weigern, den
einheitlichen Versichertenmarkt einzuführen. Das wäre
doch der richtige Weg, wenn Ihr Bild stimmen würde.
({9})
Ich sage Ihnen: Wenn Sie das nicht machen, wenn die
PKV völlig ungeschoren hinter ihrem Schutzzaun bleibt,
dann wird es wieder so sein, dass die Gesunden und die
Einkommensstarken von dieser Reform, die größere Belastungen mit sich bringen wird, nicht berührt werden.
Ich sage Ihnen: Solidarität ohne die Stärksten - das hält
kein Sozialsystem auf Dauer aus.
({10})
- Ja, das weiß ich recht gut, Herr Zöller. Viele von uns
hier zum Beispiel.
({11})
Wir könnten etwas dazu beitragen, dass Solidarität gestärkt wird, anstatt Schutzzäune zu erhalten.
({12})
Nächste Frage, über die Sie diskutieren: die so genannte kleine Kopfpauschale.
({13})
Wenn die zusätzlich zu den Beiträgen erhoben wird,
dann ist das erstens eine erhebliche Wettbewerbsverzerrung zulasten der Kassen, die viele kranke Menschen
versorgen. Das ist schon Grund genug, sie nicht einzuführen. Zweitens belastet eine Kopfpauschale Geringverdiener mehr als Gutverdienende. Deswegen ist sie sozial ungerecht.
Jetzt muss mir einmal jemand von der SPD eine Frage
beantworten.
({14})
Wir, Rot-Grün, haben im letzten Jahr die kleine Kopfpauschale für den Zahnersatz in Höhe von 5 bis 8 Euro,
die uns die Union aufgedrückt hatte, gekippt. Warum?
Weil wir gesagt haben, dass sie sozial ungerecht sei.
Kann mir jetzt jemand erklären, warum der sozialdemokratische Parteivorsitzende Beck die kleine Kopfpauschale, die bis zu 40 Euro betragen soll, für sozial verträglich hält?
({15})
Diese Frage müssen Sie mir wirklich einmal beantworten. Ich finde, manchmal ist es ganz gut, wenn das Geschwätz von gestern auch heute noch etwas gilt.
({16})
- Es ist doch nachzulesen, dass er das in eurer Sitzung
des Parteirats und ich weiß nicht wem vorgetragen hat.
({17})
Nächste Diskussion: Sie wollen den Arbeitgeberbeitrag einfrieren. Wenn Sie den auf 6 Prozent reduzieren
- gegenwärtig zahlen die Arbeitgeber im Durchschnitt
6,65 Prozent -, dann bedeutet das schon einmal mehr als
ein halbes Prozent, das von den Versicherten zusätzlich
getragen werden muss. Das Einfrieren bedeutet auch,
dass jede zusätzliche Belastung im Gesundheitswesen,
wie auch immer sie entstehen wird, einseitig zulasten der
Versicherten geht. Das nenne ich eine soziale Schieflage.
({18})
Ich weiß nicht, was eine große Koalition bewegt, dies
tun zu wollen.
Nächste Frage: Steuerfinanzierung im Gesundheitswesen. Davon ist oft die Rede. Nun kann man unterschiedlicher Meinung sein, wie wichtig der Schritt wäre,
tatsächlich mehr Steuern für die Sozialversicherung aufzubringen. Gerade wurde das Beispiel Ökosteuer genannt. Das ist, wie ich finde, ein erfolgreiches Beispiel.
({19})
Hinsichtlich des Gesundheitswesens bin ich eher etwas
skeptisch. Wenn etwas meine Skepsis befördert hat,
dann ist es der jüngste Schritt der großen Koalition. Sie
haben sich daran gemacht, die 4,2 Milliarden Steuerzuschuss, die wir gemeinsam verabredet hatten, erst einmal
wieder einzukassieren. Da sieht man, wie es mit den
Steuern gehen kann.
Aber wenn man das jetzt einmal ernst nimmt und
sagt, dass Steuern ein Teil dieser Finanzierung sein sollen, dann braucht man dafür ein Konzept. Ich sage nur:
Diskutiert wird immer über 15 Milliarden Euro für die
Finanzierung der Gesundheitsversorgung der Kinder.
Wo ist denn die Gegenfinanzierung dafür? Ich habe gelesen - das steht übrigens auch in der Zeitung; das sage ich
an die Adresse der SPD -, der sozialdemokratische Parteivorsitzende sei der Meinung, dass 30 bis 45 Milliarden Euro Steueranteil in der Krankenversicherung eine
gute Sache seien.
({20})
Dazu kann ich nur sagen, Herr Spieth: Wenn die PDS so
etwas vorschlagen würde,
({21})
dann würden hier alle sagen, dass die PDS glaube, das
Geld komme aus der Steckdose, und dass sie mit einem
solchen Vorschlag zeige, dass sie nicht regierungsfähig
ist. Wie nennt man dann so etwas bei der großen Koalition?
({22})
Sie haben gleich am Anfang zwei große Fehler gemacht. Sie haben das 5-Milliarden-Euro-Loch selbst
geschaffen. Die Steuerzuschüsse in Höhe von 4,2 Milliarden Euro haben Sie herausgenommen und die Mehrwertsteuer erhöht. Dadurch haben Sie für Zusatzbelastungen von 900 Millionen Euro gesorgt. Zur Verdeckung
dieser Missetat - als Juristin weise ich darauf hin, dass
die Verdeckungsabsicht im Strafrecht straferhöhend
wirkt - hat die Kanzlerin in schöner Eintracht mit der
Gesundheitsministerin gesagt: Gesundheit wird teurer.
Als Gründe wurden die Alterung der Bevölkerung und
der medizinische Fortschritt angeführt. Aber Gesundheit
wird nur teurer, weil Sie selbst dieses Milliardenloch geschaffen haben.
({23})
Die Alterung unserer Bevölkerung führt nicht notwendigerweise dazu, dass Gesundheit teurer wird; denn
die Menschen haben die Chance, gesünder alt zu werden. Auch der medizinische Fortschritt hat nicht notwendigerweise die Folge, dass sie teurer wird; denn eine Innovation wie zum Beispiel die Schlüssellochchirurgie
bietet auch Potenzial zum Sparen. Der medizinische
Fortschritt kann also auch in dieser Richtung wirken.
({24})
Sie haben gesagt: Gesundheit wird mehr Geld kosten.
Wozu hat das geführt? Dadurch haben Sie bei allen, die
ihr Geld im Gesundheitswesen verdienen, die Hoffnung
geweckt, dass es frisches Geld gibt und dass bald
Schluss ist mit den lästigen Diskussionen über Strukturreformen. Wie können Sie das nun wieder rückgängig
machen? Gar nicht.
({25})
Sie müssen erst einmal frisches Geld organisieren.
Hier haben die Versicherten, so fürchte ich, nichts Gutes
zu erwarten. Denn wenn man Ihre Diskussionen verfolgt, kommt man zu dem Ergebnis: Demnächst zahlen
die Versicherten erstens einkommensabhängige Beiträge, zweitens eine Kopfpauschale und drittens noch
höhere Steuern. Alles wird also teurer, ohne dass dadurch auch nur ein einziges strukturelles Problem des
Gesundheitswesens gelöst würde.
({26})
- Frau Widmann-Mauz, die einzige Meinungsverschiedenheit, die es bei Ihnen noch gibt, betrifft die Frage, bei
wem das meiste Geld zu holen ist.
({27})
Die einen denken, dass dies bei den Geringverdienern
der Fall ist, weil sie durch die Kopfpauschale am meisten belastet werden.
({28})
Dann sagen die anderen: Holen wir das Geld doch bei
den Gutverdienern, und zwar durch eine höhere Beitragsbemessungsgrenze! Hier möchte ich Ihnen ironisch
empfehlen: Kombinieren Sie doch beides;
({29})
dann sind Sie alle wieder glücklich.
({30})
Ich komme zum Ende. Gelegentlich heißt es, wenn
eine Reform nicht zustande kommt: Der Berg kreißt und
gebiert eine Maus. Ich würde sagen: Hier kreißen zwei
Berge mit zahlreichen Untergipfeln. Was dabei herauskommt, ist eine Maus mit Schwimmflossen, mit der niemand etwas anfangen kann. Anders gesagt: Die große
Koalition ist nicht reformfähig. Das schätzt die Bevölkerung völlig richtig ein.
({31})
Das Wort hat jetzt die Bundesministerin Ulla
Schmidt.
({0})
Vielen Dank, Herr Präsident. - Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Liebe Kollegin Bender, ich habe gedacht:
Mein Gott, was schreibt man sich nur auf, wenn man
nicht weiß, worüber man spricht.
({0})
Sie haben sich an jegliche Kritik angeschlossen, die derzeit in diesem Lande geäußert wird. Wir haben immer
gesagt, dass wir die Eckpunkte zu Beginn des Sommers,
also Anfang Juli,
({1})
vorlegen. Dieser Termin liegt noch vor uns. Da können
Sie noch so lange fragen, welche Vorschläge vorliegen.
Auch Sie selbst haben einmal an solchen Verhandlungen teilgenommen.
({2})
Wir werden die Präsentation der Ergebnisse erst machen,
wenn alles vereinbart ist. Ich kann verstehen, dass Sie
neugierig sind.
({3})
Ich kann auch verstehen, dass Sie sehr ungeduldig sind.
Allerdings heute - das sei ganz nebenbei erwähnt - habe
ich kein einziges Konzept, wie man die Probleme im Gesundheitswesen lösen kann, gehört,
({4})
weder von der Linken noch von der FDP noch von Ihnen, Frau Bender.
Aber es scheint üblich zu sein, dass man, ohne zu wissen, worüber man redet, sagt: Wir sind dagegen. - Es ist
ja immer gut, gegen etwas zu sein. Da befinden Sie sich
in guter Gesellschaft mit den Verbänden, mit verschiedenen Organisationen und mit Professoren, die beleidigt
sind, weil sie nicht beteiligt wurden, und deswegen alle
Vorschläge für falsch halten.
Ihnen haben die Wählerinnen und Wähler keinen Regierungsauftrag erteilt. Sie haben so gewählt, dass die
große Koalition den Auftrag bekommen hat, die entsprechenden Reformen auf den Weg zu bringen und die Probleme in diesem Land zu lösen.
({5})
Zur Prävention gehört auch, sich nicht immer so aufzuregen. Warten Sie doch einfach ab, bis wir Ihnen das
Konzept vorlegen, und lassen Sie uns, nachdem Sie es
gelesen haben, in aller Ruhe Stück für Stück darüber reden, ob diese Vorschläge geeignet sind, den wachsenden
Herausforderungen der demografischen Entwicklung
und der Veränderung der Erwerbsbiografien zu begegnen. Herausforderungen entstehen aber auch durch den
medizinischen Fortschritt; dabei geht es darum, zu entscheiden, was zur Bekämpfung von Krankheiten tatsächlich nutzt bzw. was die Lebensqualität der Menschen
wirklich erhöht. Wir müssen diesen Herausforderungen
gerecht werden, damit eines gesichert ist - das ist die
Grundlage unserer Verhandlungen -: Alle Menschen in
diesem Lande müssen unabhängig von ihrem Portemonnaie eine gute gesundheitliche Versorgung bekommen,
alle müssen unabhängig von ihrem Portemonnaie am
medizinischen Fortschritt teilhaben können und für alle
Menschen in unserem Lande müssen, egal ob sie in
Brandenburg, in Mecklenburg-Vorpommern, in SachsenAnhalt, in Sachsen, in Thüringen, im Bayerischen Wald,
in Niedersachsen oder anderswo leben, Medizinerinnen
und Mediziner da sein, die sie versorgen, sowie Menschen, die in der Pflege tätig sind - das sicherzustellen,
ist unsere Aufgabe.
({6})
Man kann dabei über vieles reden.
Herr Kollege Spieth, Sie sind doch für eine AOK verantwortlich,
({7})
doch das bereitet Ihnen schon genügend Probleme.
({8})
Ich sage Ihnen: Auf dem Posten, den ich jetzt im sechsten Jahr innehabe, würden Sie es keine einzige Woche
aushalten! Sie würden kein einziges Problem lösen können; da können Sie sicher sein.
({9})
Wenn wir darüber reden, wie wir die Finanzierung der
Gesundheitsversorgung sichern können und wie die
Strukturen im Gesundheitssystem aussehen müssen,
dann sind das zwei Seiten einer Medaille. Wir werden
die Strukturveränderungen, die wir mit der Gesundheitsreform 2003 begonnen haben, konsequent fortsetzen:
Wir werden die integrierte Versorgung weiterentwickeln,
wir werden die medizinischen Versorgungszentren
fördern, wir werden die starre Grenze zwischen dem ambulanten und dem stationären Sektor überwinden, wir
werden die Patientenbeteiligung und die Prävention ausbauen und wir werden für mehr Wettbewerb im System
sorgen - weil wir eines wissen: Ehe neues Geld in dieses
System fließt, muss der Topf wasserdicht gemacht werden, damit das Geld nicht irgendwo unnütz eingesetzt
wird, wo es für die Versorgung von Patientinnen und Patienten gar nicht nötig ist. Das ist der erste Punkt.
({10})
Der zweite Punkt ist: Wir wissen, dass die Bindung
der Beiträge an sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse die Achillesferse unseres Gesundheitssystems bleibt. Diese Bindung trägt nicht mehr,
weil wir in den letzten Jahren - leider - einen großen
Abbau von sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen hatten. Auch wenn ich froh bin, dass
das jetzt gestoppt ist und wir langsam wieder einen Zuwachs haben, weiß ich sehr wohl, dass diese Bindung
auf Dauer nicht ausreicht. Schon in den letzten 20 Jahren
ist die Entwicklung der Beitragseinnahmen um 31 Prozent hinter der Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts
zurückgeblieben.
({11})
Darauf brauchen wir eine Antwort. Jetzt reden wir über
den Fonds, Herr Kollege Spieth.
({12})
- Das ist klar.
({13})
Für die Kritikaster in diesem Land - ich habe sie eben
schon genannt -, die immer nur darüber reden, wie
schlecht alles ist, ist schon, dass es ein neues Wort gibt,
Grund genug, erst einmal Nein zu sagen.
({14})
Hier könnte sich einmal etwas positiv verändern; doch
das würde vieles erfordern. Gehen Sie doch mit einer anderen Sichtweise an diesen Fonds heran - auch Sie von
der FDP - und überlegen Sie, wie wir - Herr Spieth, Sie
als AOKler müssten das kennen - das, was in § 1 Satz 1
des Sozialgesetzbuches V steht - die Krankenkassen als
Solidargemeinschaft -, umsetzen können.
Wenn wir einen Fonds hätten - wir reden gerade über
ihn und seine Ausgestaltung -, in den die Beiträge der
Arbeitgeber, der Versicherten, der Rentner und der Arbeitslosen sowie Gelder der Bundesagentur für Arbeit
und Steuern einfließen, dann könnten wir sagen: In diesem Land findet ein 100-prozentiger Einkommensausgleich statt.
({15})
- Haben wir nicht, es sind 92 Prozent.
({16})
- Herr Kollege Spieth, wir wollen nicht, dass es für eine
Krankenkasse einen Unterschied macht, ob dort ein
Empfänger von Arbeitslosengeld II oder ein Bankdirektor versichert ist. Wir wollen, dass alle Krankenkassen in
diesem Land den gleichen Anteil je Versicherten an den
Gesamteinnahmen aller gesetzlichen Krankenkassen erhalten. Das ist der erste Schritt und das ist eine wesentliche Vereinfachung gegenüber dem, was heute ist.
Der zweite Schritt ist, dass wir von dort ausgehend
klären, wie wir die unterschiedlichen Krankheitsrisiken
ausgleichen können. Deswegen gehört zu einem 100prozentigen Einkommensausgleich ein zielgenauer, an
den Krankheitsrisiken orientierter Risikostrukturausgleich. Ich sage Ihnen: Viele Kassen, die heute Probleme
haben, weil sie viele ältere und kränkere Menschen versichern, würden mit einer solchen Lösung sehr viel besser gestellt, als sie es heute sind, und wären endlich in
der Lage, ihre Aufgaben innerhalb des Wettbewerbs
wahrzunehmen. Ich bitte Sie alle: Gehen Sie doch einmal mit einer anderen Sichtweise heran, springen Sie
einmal über die Hürden, nehmen Sie Ihr Herz in die
Hand und lassen Sie uns die Zukunft diskutieren.
({17})
Frau Ministerin, möchten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Hajduk zulassen?
Nein.
Ein weiterer Punkt, warum wir eine Reform brauchen. Wir haben zwar ein gutes Gesundheitswesen, aber
es lässt uns keine Ruhe, dass eine zunehmende Anzahl
von Menschen in diesem Land nicht versichert ist.
({0})
Auch dafür, dass alle Menschen in diesem Land versichert sind, soll dieser Fonds dienen. Wir müssen dafür
sorgen, dass jede Kasse und jede Krankenversicherung
in diesem Land jeden versichern muss. Wir wollen
Schluss damit machen, dass die großen Risiken bei den
gesetzlichen Krankenkassen abgeladen werden und sich
die Privaten auf Dauer aussuchen können, wen sie aufnehmen. Wir wollen einen Weg finden, dass jede Versicherung jeden aufnehmen muss. Das ist ein Riesenfortschritt gegenüber dem, was wir heute haben.
({1})
Herr Kollege Barthle, das wird vielleicht dazu führen,
dass die Rettungsboote ihrer Bestimmung nach eingesetzt werden. Es gehört zu diesem System, dass man jeden rettet, der eine solche Rettung nötig hat, und nicht
manche außen vor lässt.
({2})
Neben den notwendigen Strukturreformen werden wir
auch dafür sorgen - das ist mir ein ernstes Anliegen -,
dass nicht nur die Ärzte und Ärztinnen, sondern auch die
Menschen, die Tag für Tag in nicht ärztlichen medizinischen Berufen arbeiten und für kranke Menschen und
Menschen, die Hilfe benötigen, da sind, eine Perspektive
erhalten. Wir wollen zu einer angemessenen und gerechteren Finanzierung kommen, als das heute der Fall ist;
denn ich sage Ihnen eines: Wir reden nicht nur über das
nächste Jahr, sondern wir müssen uns heute schon GeBundesministerin Ulla Schmidt
danken darüber machen, wie wir dafür sorgen können,
dass junge Menschen wieder eine Perspektive in Pflegeberufen und auch in ärztlichen Berufen haben. Auch
das wollen wir mit dieser Reform anpacken.
({3})
Ich finde es sehr gut und es spricht für die Qualität der
deutschen Mediziner und Medizinerinnen, dass sie auch
im Ausland gefragt sind. Wir möchten aber auch, dass
sie hier bleiben und hier ihre Arbeit machen. Wir werden
uns darum kümmern.
Frau Kollegin Winterstein, wir sehen Perspektiven in
unserem Land und wir gehören nicht zu denen - so, wie
Ihre Partei -, die immer glauben, dass die Probleme besser lösbar sind, wenn man alles dem internationalen Kapitalmarkt aussetzt.
({4})
Wir glauben zum Beispiel, dass die Rentnerinnen und
Rentner in diesem Land, die ihr Leben lang in die solidarische Kasse eingezahlt haben, auch einen Anspruch darauf haben, im Alter Solidarität zu genießen. Auch darum werden wir uns kümmern.
Lassen Sie mich noch ein Thema ansprechen, das mir
wichtig ist. Wir haben heute schon viel über Aids,
Aidsprävention und unsere Aufgaben in diesem Zusammenhang gehört. Wir werden auf Dauer mehr tun müssen als bisher und wir werden auch mehr Mittel in den
Haushalt einstellen müssen. Darüber werden wir in den
kommenden Haushaltsberatungen diskutieren. Die Kollegen Barthle und Schurer haben es bereits angesprochen.
Aids ist nicht nur ein gesundheitliches, sondern auch
ein soziales, gesellschaftspolitisches und ökonomisches
Problem. Die internationale Staatengemeinschaft wie
auch die Europäische Union würden sehr schlecht daran
tun, dieses Thema nicht als globales Problem zu behandeln. Es geht um viel mehr als das, was unser Land betrifft. In unserem Land müssen wir in die Prävention investieren, weil sie das einzige Mittel ist, mit dem Aids
bekämpft werden kann. Wir haben aber auch die Verantwortung, in einem geeinten Europa - dazu gehört auch
Osteuropa - dafür zu sorgen, dass Menschen Zugang zur
Behandlung erhalten. Es ist ein Skandal, wenn von weltweit über 40 Millionen infizierten Menschen nur gut
1,3 Millionen Zugang zur Behandlung haben.
({5})
Das ist nicht nur ein entwicklungspolitisches Thema,
sondern es geht uns alle an.
Aids ist zunehmend ein Armutsproblem. Es steht in
einem engen Zusammenhang mit der Armutsbekämpfung, dem Zugang zur Bildung und ganz massiv mit dem
Kampf um Menschenrechte und Frauenrechte.
({6})
Deswegen haben wir entschieden, Aids zu einem der
Hauptthemen während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im kommenden Jahr zu machen und uns endlich
damit auseinander zu setzen, wie durch die Verantwortung der Politik und der Zivilgesellschaft dafür gesorgt
werden kann, dass die notwendigen Strukturen für eine
nachhaltige Aidspolitik geschaffen werden.
Ich bin dankbar, wenn Sie das alles mit unterstützen.
Ich glaube, dass das Thema unterschätzt wird. Es ist aber
eines der wichtigen Themen der Menschheit, das mehr
Menschen betrifft als die, die wir zum Beispiel durch
Maßnahmen zur Bekämpfung einer Pandemie schützen
zu müssen glauben. Deshalb muss der Kampf gegen
Aids unser gemeinsames Anliegen sein.
Meine Redezeit nähert sich dem Ende. Ich kann leider
nicht näher auf andere Themen eingehen. Wir werden
aber die Pflege reformieren und das Präventionsgesetz
auf den Weg bringen. Wir werden unseren Kampf gegen
legale und illegale Drogen fortsetzen.
Insofern werden wir auch in den kommenden Wochen
und Monaten noch sehr viel Gelegenheit haben zu streiten. In zwei Wochen sind wir etwas weiter. Dann reden
wir nicht nur darüber, wie die Dinge heißen, sondern
auch mehr über Inhalte.
Vielen Dank.
({7})
Das Wort hat der Kollege Daniel Bahr, FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sie von der schwarz-roten Koalition verhalten
sich drollig: Sie debattieren hier und wenn die Opposition Kritik übt, regen Sie sich auf, frei nach dem Motto
„Wir wissen noch nicht, wo es hingeht, also hat auch die
Opposition kein Recht, das zu kritisieren“. Ein Realist,
der die Probleme benennt, ist aber noch lange kein Miesmacher. Es ist auch nicht so, dass die Vorschläge, die in
den Medien kursieren, aus dem luftleeren Raum kommen. Sie sind doch von Teilnehmern aus der Verhandlungsgruppe gezielt an die Medien gegeben worden. Es
werden doch gezielt Papiere aus den Ministerien an
Journalisten weitergegeben, um sie in der Öffentlichkeit
zu debattieren.
Es ist insofern notwendig, dass wir hier über die angeblich in der Verhandlungsgruppe behandelten Vorschläge diskutieren, die derzeit kursieren. Es ist doch das
gute Recht der Opposition, sich mit Vorschlägen auseinander zu setzen.
({0})
Ich finde Ihr Verhalten übrigens zutiefst beschämend
für den Parlamentarismus.
({1})
Daniel Bahr ({2})
Am heutigen Abend - es ist jetzt 20.08 Uhr - soll das
große Thema Gesundheit mit einem der größten Etats im
Haushalt beraten werden. Dass die Vorschläge unter dem
Deckmantel der Fußball-WM-Euphorie
({3})
klammheimlich noch vor dem Endspiel in die Öffentlichkeit gelangen und dass diese Debatte quasi unter
Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet, zeigt doch nur,
dass Sie Angst vor der Reaktion der Öffentlichkeit und
damit der Wählerinnen und Wähler haben. Sie werden es
aber noch bereuen, wenn die Öffentlichkeit davon erfährt.
({4})
- Dass Sie sich so aufregen, zeigt nur, dass ich einen
wunden Punkt getroffen habe.
({5})
Es war richtig, was eben gesagt wurde: Wer sich aufregt,
schadet seiner Gesundheit.
Ich teile viele Kritikpunkte der Kollegin Bender. Man
darf aber nicht vergessen, dass die letzte große Gesundheitsreform einer vermeintlich großen Koalition noch
gar nicht so lange her ist. Im Sommer 2003 sollte eine
Jahrhundertreform auf den Weg gebracht werden, die
das Gesundheitswesen stabilisieren und zu sinkenden
Beitragssätzen führen sollte. Nach Ihren Versprechungen, Frau Schmidt, müsste der durchschnittliche Beitragssatz heute bei 13,0 Prozent liegen. Tatsächlich liegt
er bei 14,2 Prozent.
({6})
Ich vertraue Ihren Aussagen und der großen Koalition
im Gesundheitswesen nicht mehr, genauso wenig wie
die Versicherten.
Nun spricht Herr Beck, der SPD-Vorsitzende, schon
nicht mehr von einer Jahrhundertreform. Vielmehr sagt
er, sie solle 15 Jahre halten. Damit geht er schon ein bisschen realistischer an die Sache heran. Ich sage Ihnen voraus, dass Ihre geplante Reform möglicherweise noch
nicht einmal die ganze Legislaturperiode halten wird. Zu
diesem Schluss bin ich gekommen, als ich mich mit Ihren Vorschlägen auseinander gesetzt habe.
Frau
„Wir werden es grundlegend anders machen, damit es grundlegend besser wird.“ Nach dem, was ich bislang gehört
habe, muss ich feststellen, dass es teurer wird, ohne besser zu werden. Sie machen es grundlegend anders und es
wird grundlegend teurer. Die Kanzlerin hat sicherlich
Recht, wenn sie sagt, dass das Gesundheitssystem in den
nächsten Jahrzehnten aufgrund der alternden Bevölkerung tendenziell teurer wird. Aber ich kann nicht erkennen, dass die Fragen betreffend die Nachhaltigkeit und
die Demografieanfälligkeit des Umlageverfahrens in der
gesetzlichen Krankenversicherung überhaupt eine Rolle
in Ihren Verhandlungen spielen. Zumindest ist das bislang nicht festzustellen.
({0})
Nun kommen Sie auf die Idee, die Löcher kurzfristig
durch mehr Steuergelder zu stopfen. Das ist laut „Zeit“
jedenfalls der Vorschlag von Herrn Beck. Das wird Sie
aber auch nicht weiterbringen. Das wird die Demografieprobleme mitnichten lösen. Ähnliches haben wir
bereits bei der Rentenversicherung, der Pflegeversicherung, der Arbeitslosenversicherung und beim Bundeszuschuss für die Krankenversicherung erlebt. Erstens.
Steuerzuschüsse sind sehr unsicher; denn der Finanzminister und der Haushaltsausschuss können jedes Jahr
aufs Neue darüber entscheiden, ob der Zuschuss gesenkt
werden soll. Zweitens. Damit wird das Problem der Demografieanfälligkeit von den Krankenkassen auf den
Bundeshaushalt verlagert. Dort werden Sie die Lasten
den kommenden Generationen aufbürden, genauso wie
mit der Ausweitung der Umlagefinanzierung.
Die nun diskutierte Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze ist nichts anderes als eine verkappte Beitragserhöhung für eine bestimmte Einkommensgruppe.
Das hat die langsame Austrocknung des Demografievorsorge betreibenden Systems der privaten Krankenversicherungen zur Folge. Ist das mehr Freiheit wagen, wenn
immer weniger Menschen die Wahl haben, sich privat zu
versichern? Nein, das ist es nicht!
({1})
Wir fordern: Schaffen Sie die Versicherungspflichtgrenze ab! Geben Sie den Bürgerinnen und Bürgern
doch die freie Wahl, sich gesetzlich oder privat zu versichern! Wir brauchen aufgrund der steigenden Gesundheitskosten im Alter eher mehr Privatversicherte und
nicht ein Austrocknen der privaten Krankenversicherung. Lassen Sie die Bürgerinnen und Bürger selber entscheiden! Damit betreiben Sie Vorsorge!
Die Streichung des Bundeszuschusses, die Senkung
der Beiträge für Arbeitslosengeld-II-Bezieher und die
Erhöhung der Mehrwertsteuer, die ab dem nächsten Jahr
bei den Arzneimittelkosten zu einer Belastung in Höhe
von 800 Millionen Euro und in der stationären Versorgung zu einer Belastung in Höhe von 500 Millionen
Euro führen wird, all das sind hausgemachte Probleme,
die Sie von der schwarz-roten Koalition zuallererst selber zu verantworten haben. Das wird im nächsten Jahr
zu einem enormen Beitragssatzdruck in der gesetzlichen
Krankenversicherung führen.
({2})
Zu Ihrem Gesundheitsfonds: Der Begriff hört sich
prima an. Ich habe extra im Duden nachgeschlagen, was
ein Fonds eigentlich ist. Die erste Erklärungsvariante
lautet: Geld- oder Vermögensreserve für bestimmte
Zwecke. Dem würden wir zustimmen. Aber ich kann
nicht erkennen, dass Ihr Gesundheitsfonds dazu dient,
Reserven bzw. Rücklagen für steigende Kosten zu bilden. Im Gegenteil: Ihr Fonds ist nichts anderes als eine
gigantische Geldsammelstelle, die allein - darin bin ich
durch die eben gemachten Vorschläge bestätigt worden der stärkeren Umverteilung und der zunehmenden staatlichen Reglementierung im Gesundheitswesen dient.
Die zweite Erklärungsvariante lautet: Gesamtheit der
im gesellschaftlichen Interesse verwendbaren materielDaniel Bahr ({3})
len und finanziellen Mittel eines sozialistischen Betriebes. In Klammern wird auf die sozialistische Planwirtschaft hingewiesen.
({4})
Der Gesundheitsfonds ist also nichts anderes als der Einstieg in die Planwirtschaft im Gesundheitswesen. Deswegen lehnen wir eine solche gigantische Geldsammelstelle ab. Sie wird kein einziges Struktur- und
Finanzproblem im Gesundheitswesen lösen. Sie haben
in den Verhandlungen noch Gelegenheit, sich davon zu
trennen und stattdessen für mehr Wettbewerb, Transparenz und Eigenverantwortung zu sorgen. Nutzen Sie die
letzten Tage, an denen Sie noch verhandeln!
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Das Wort hat die Kollegin Annette Widmann-Mauz,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Kollege Bahr, auch wenn Sie mit dem Duden
in der Hand, in dem Sie sonst, glaube ich, nicht so häufig
nachschlagen - er sieht noch so ungebraucht aus -,
({0})
viel kritisieren, sich viel mit Begriffen auseinander setzen - Sie haben sich gerade als Realist bezeichnet -,
muss ich sagen: Problemlöser waren Sie am heutigen
frühen Abend wieder einmal nicht.
({1})
Das trägt nicht dazu bei, dass wir über die gesetzliche
Krankenversicherung den Menschen in unserem Land
Schutz bieten.
Dass Sie vor Kameras beklagen, dass wir um diese
Uhrzeit debattieren, ist schön;
({2})
nur da, wo Sie es hätten tun müssen - im Ältestenrat hätten Sie widersprechen und fordern müssen, dass wir dieses wichtige Thema und diesen wichtigen Etat zu anderer Zeit debattieren -, haben Sie geschwiegen.
({3})
So kann man Politik nicht betreiben.
Das Fußballfieber in unserem Land steigt von Spiel
zu Spiel. Wie unsere Mannschaft so kommen auch wir
bei den Gesundheitsreformgesprächen von Runde zu
Runde dem Finale näher.
({4})
Ich bin mir sicher: Wir werden noch vor Jürgen
Klinsmann und seinen Jungs im Finale stehen. Herr
Bahr, wir wollen auch nicht bis zur Reiter-WM warten.
Es ist doch gut, wenn wir uns anstrengen, vor dem WMFinale fertig zu sein.
So wie unser Team im Fußball sind auch wir mit der
Zeit zu einem konzentrierten Team, zu einer Mannschaft
zusammengewachsen.
({5})
Jetzt liegen noch zwei anstrengende Beratungswochen
vor uns. Dann werden wir Anfang Juli Eckpunkte präsentieren. Wir haben ein konstruktives Gesprächsklima.
Deshalb sind wir auch zuversichtlich, die schweren Brocken, die noch vor uns liegen, insbesondere die Ausgestaltung der Finanzierungsreform, im Zeitplan abschließen zu können.
Ich will an dieser Stelle noch einmal betonen, worauf
es der Union bei der Neugestaltung der Einnahmeseite
ankommt. Das dringendste Problem stellt doch nach wie
vor die Situation auf dem Arbeitsmarkt dar. Um eine
weitgehende Entlastung des Faktors Arbeit zu erreichen
und die Wirtschaft wieder anzukurbeln, ist es notwendig,
auch in der Gesundheitspolitik Anreize zu setzen, die auf
eine weitgehende Entlastung der Arbeitskosten über alle
Wirtschaftsbereiche hinweg zielen. Immer mehr Menschen beklagen, dass ihnen von ihrem Gehalt netto immer weniger in der Tasche bleibt. Hinter dieser Klage
steckt der Wunsch, wieder über mehr Geld in der Lohntüte zu verfügen, aber vor allem auch der Wunsch, selbst
entscheiden zu können, wofür sie ihr Geld ausgeben.
Das schließt den Wunsch ein, mehr Gestaltungsmöglichkeiten, mehr Einfluss auf die Absicherung des Krankheitsrisikos zu haben.
Auch die Arbeitgeber wollen mehr Freiraum haben.
Wie können wir in einer Welt, in der die Globalisierung
das wirtschaftliche Leben bestimmt, den Betrieben, den
Unternehmen noch zumuten, sich in einem System mit
freiem Zugang der Versicherten zu jeder Kasse mit der
Hälfte des Beitrags zum Beispiel einer besonders teuren
Kasse zu beteiligen, wenn der Versicherte auch die Möglichkeit hätte, in eine preiswertere Kasse einzutreten?
Deshalb müssen wir Arbeitnehmer und Arbeitgeber
von den Gesundheitskosten entlasten und Voraussetzungen dafür schaffen, dass der Versicherte bei einem Anbieter seiner Wahl einen soweit als möglich auch nach
seinen Maßstäben individualisierbaren Versicherungsschutz erhält.
Mit einem freiheitlich organisierten Versicherungsschutz können wir mehr Wachstumsimpulse setzen, die
dann auch Beschäftigungspotenziale im Innovationsund Dienstleistungssektor Gesundheit erschließen. Das
haben Sie auf dieser Seite des Hauses mittlerweile erkannt.
Angesichts der Dynamik des medizinischen Fortschritts und des demografischen Wandels muss mit der
Finanzierungsreform auch ein Beitrag zur Nachhaltigkeit und damit zur Demografieresistenz in der gesetzlichen Krankenversicherung geleistet werden.
({6})
Der Wandel der Erwerbsbiografien - ich denke nur an
die Erwerbstätigkeit der Frauen, Beschäftigungsunterbrechungen durch Schwangerschaft, Arbeitslosigkeit,
geringfügige Beschäftigungsverhältnisse oder Selbstständigkeit - und die abnehmende Bedeutung von Erwerbseinkommen als Ausdruck der wirtschaftlichen
Leistungsfähigkeit führen zu Veränderungen in der
Struktur der Einkommen und damit eben der Einnahmebasis der gesetzlichen Krankenversicherung.
({7})
Wir beobachten seit Jahren, dass die Schere zwischen
den Einnahmen und den Ausgaben immer weiter auseinander klafft. Die Lösung dieser Problematik erfordert
eine stärkere Berücksichtigung der wirtschaftlichen
Leistungsfähigkeit. Dies ist im Hinblick auf zukünftige
Generationen per se schon ein wichtiger Beitrag zur
Nachhaltigkeit.
({8})
Starke Schultern müssen sich stärker an der Finanzierung der Solidarlast beteiligen als schwache. Eine bessere Abbildung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
lässt sich am einfachsten und ohne größeren bürokratischen Aufwand über das Steuersystem organisieren.
Deshalb begrüße ich, dass in der Führung der SPD, wenn
man einem Bericht der „Zeit“ Glauben schenken darf,
die Einsicht gewachsen ist, dass die Solidarlasten aus
dem Steuersystem zu finanzieren sind.
({9})
Denn die größte Solidargemeinschaft ist die Gemeinschaft der Steuerzahler. Dabei können auch privat Versicherte durchaus mit einbezogen werden, ohne dass das
auf verfassungsrechtliche Hindernisse stößt.
Wenn es der SPD-Vorsitzende mit der Finanzierung
über das Steuersystem ernst meint, dann müsste er
auch einen zweiten Schritt machen und die Gesundheitskosten von den Sozialkosten trennen. Das tut die SPD
aber nicht. Wenn sie es nicht tut, dann droht die Steuerfinanzierung wie bei der Rente zu einer ausschließlichen
Subventionsspritze zu werden. Hier haben wir Vorbehalte.
Wir wissen nun, dass eine Steuerfinanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung in dem Haushalt, den
wir heute beraten, nicht zu realisieren ist. Vielmehr wird
im Haushalt 2007 der Zufluss aus der Tabaksteuer auf
1,5 Milliarden Euro gekürzt und im Jahre 2008 wohl
gänzlich gestrichen werden.
Wir, die Gesundheitspolitiker der Unionsfraktion,
sind über diese Entwicklung alles andere als erfreut. Das
gehört zur Ehrlichkeit dazu. Ebenso gehört zur Wahrheit,
dass wir den Bundeshaushalt erst konsolidieren müssen,
um wieder Handlungsfähigkeit und Gestaltungsfähigkeit
zu erlangen und damit auch auf dem Feld des Gesundheitswesens die notwendigen Investitionen in zukunftsfähige Strukturen tätigen zu können.
Eine Steuerfinanzierung der Sozialkosten würde die
Kosten für die Gesundheit deutlicher machen und den
Wettbewerb zwischen der gesetzlichen Krankenversicherung und der privaten Krankenversicherung, aber
auch innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung
intensivieren. Deshalb sind einzelne Aussagen in den
Medien über eine angebliche Zurückhaltung der Koalition in Sachen Wettbewerb absoluter Blödsinn. Schon
ein Prämienmodell, wie es die Union vorgeschlagen hat,
setzt den Wettbewerb geradezu voraus, und zwar sowohl
aufseiten der Kassen als auch aufseiten der Leistungserbringer.
Damit Wettbewerb nämlich überhaupt stattfinden
kann, müssen die Versicherten doch einen Anreiz haben,
zwischen den verschiedenen Kassen zu wählen. Diesen
Anreiz haben sie in der Krankenversicherung wie auch
sonst im täglichen Leben über den Preis der Leistung.
Ein Fonds - oder ein Pool, wenn Sie sich darunter mehr
vorstellen können; Sie können ja auch nachschlagen könnte die Wechselbereitschaft erhöhen und damit zur
Belebung des Wettbewerbs beitragen.
({10})
Mit einem solidarischen Beitragsguthaben würde der
Versicherte selbst entscheiden, zu welchen Konditionen
er seinen garantierten Leistungsumfang absichern will
und ob und inwieweit er zusätzliche Leistungen erhalten
will. Zwar garantieren freier Zugang zu jeder Kasse und
der Kontrahierungszwang schon heute ein hohes Wechsel- und Wettbewerbspotenzial. Dieses kann aber mit einem Pauschalbeitrag, der einen Preisvergleich wirklich
erlaubt, viel besser erreicht werden, als das mit prozentualen Beiträgen, wie Frau Nahles sie heute wieder gefordert hat, geschehen kann. Denn nur so haben am Ende
die Kassen einen wirklichen Anreiz, ihren Versicherten
differenzierte Tarife und Leistungsangebote anzubieten.
Das ist der grundlegende Unterschied zu der derzeitigen
Finanzierungs- und Angebotsform in der gesetzlichen
Krankenversicherung.
In einem wettbewerblichen System müssen die Gestaltungsmöglichkeiten für die einzelnen Kassen erweitert
werden. Die Kassen müssen die Möglichkeit erhalten,
Verträge zu besseren Konditionen als ihre Konkurrenten
abschließen zu können. Preisverhandlungen müssen dabei auch mit der Perspektive geführt werden, mit Leistungserbringern, die zum Beispiel den hohen Qualitätsstandards nicht genügen, keine Verträge abzuschließen.
Nur dann kann die Nachfrage in einen Preisdruck umgemünzt werden. Diesen brauchen wir; denn nur so ist Wettbewerb um Qualität und Leistung zu realisieren.
({11})
So wie der Wettbewerb bei den Beiträgen schon heute
nach bestimmten Regeln abläuft, muss dies in Zukunft
auch beim Wettbewerb um Qualität und Leistung geschehen. Auch dieser muss nach bestimmten Regeln erfolgen. Dabei dürfen zum Beispiel Art und Umfang des
Wettbewerbs nicht zur Entsolidarisierung oder gar zur
Risikoselektion führen. Das heißt, insbesondere der Zugang zu medizinischer Versorgung und Mindeststandards müssen gewährleistet bleiben. Daneben findet der
Wettbewerb seine Grenzen im Wettbewerbs- und Kartellrecht. Das heißt, es darf weder ein Nachfragemonopol zum Beispiel einer in einer Region dominierenden
Kasse noch ein Monopol eines großen Anbieters, zum
Beispiel eines Krankenhausriesens, geben.
({12})
Die Mitglieder der Unionsfraktion und auch die Mitglieder unserer Verhandlungsdelegation sind der Auffassung, dass wir mehr Freiheit im System der gesetzlichen Krankenversicherung brauchen.
({13})
Aus Sicht der Versicherten bedeutet dies klar mehr
Wahlmöglichkeiten hinsichtlich des Leistungsumfangs.
({14})
Wir brauchen nämlich keine paternalistische Zwangsbeglückung,
({15})
sondern attraktive Angebote für mündige Versicherte.
({16})
Aus Sicht der Leistungsanbieter und der Kostenträger
bedeutet dies, mehr Vertragsfreiheit zu haben und damit
mehr Verantwortung zu übernehmen. In den Verhandlungen drängen wir auf die Durchsetzung gerade dieser
Punkte. Intransparente Strukturen werten Leistungsanstrengungen ab und befördern damit mangelndes Kostenbewusstsein. Sie schwächen geradezu die Wahrnehmung der jeweiligen Verantwortung. Dies darf nicht
sein.
Ich erwähne diese Punkte, um deutlich zu machen,
worauf es bei der anstehenden Gesundheitsreform ankommt. Wir wollen nicht nur eine weitere Kostendämpfungsmaßnahme betreiben, das heißt, nicht lediglich notwendige Verbesserungen auf der Ausgabenseite erzielen,
um uns dann mit dem Stopfen der Löcher zu beschäftigen, die wir selbst hineingerissen haben. Dies ist keine
nachhaltige und zielgerichtete Politik.
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme dann auch zum Schluss.
Bitte gleich.
Wir dürfen nicht ständig Ausgaben bejammern, wenn
wir nicht bereit sind, Kosten, die auf uns zukommen, zu
vermeiden. Ich nenne nur das Stichwort „Nichtraucherschutz“. Auch diesen nehmen wir sehr ernst.
({0})
Für Schnellschüsse ist die Reform nicht geeignet.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen; ansonsten geht das noch mehr auf Kosten Ihrer nachfolgenden Redner.
Wir werden über die Sommerpause die notwendigen
Maßnahmen beraten und vorbereiten.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Das Wort hat der Kollege Max Straubinger, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Für alle Schlechtredner in diesem Land und vielen Unkenrufen zum Trotz möchte ich vorausschicken: Unser
Land verfügt über ein großartiges und modernes Gesundheitssystem.
({0})
Dies sollte wieder einmal in Erinnerung gerufen werden.
Ich glaube, das gerät ob der Diskussionen, die darüber
geführt werden, vielfältigst aus dem Blickwinkel.
In punkto Versorgungsqualität und -intensität ist
Deutschland absolute Weltspitze. Viele Menschen im
Ausland würden es sich wünschen, dieses System in Anspruch nehmen zu können, ein System, in dem unabhängig von Alter, Geschlecht, sozialer Herkunft und Einkunftslage alle Bürgerinnen und Bürger behandelt
werden. Darauf können wir alle stolz sein.
Weil wir nicht nur in Zeiten der WM, sondern auch
kurz vor der Urlaubssaison sind: Ich weiß, dass viele
Menschen in Deutschland, wenn sie in ferne Länder reisen und dort krank werden oder einem Unglück anheim
fallen, so schnell wie möglich wieder zu Hause sein wollen, weil sie im deutschen Gesundheitssystem versorgt
werden wollen. Auch dies ist ein wichtiger Punkt.
({1})
Dieses qualitativ hochwertige Gesundheitswesen hat
seinen Preis. Wir alle profitieren von moderner Diagnostik, modernen Therapien, pharmazeutischer Forschung
und modernster Medizintechnik. Unsere steigende Lebenserwartung wäre ohne diese Fortschritte - sie ist ein
sichtbares Zeichen dafür - nicht denkbar. Wer meint,
dass diese Errungenschaften und Herausforderungen zukünftig ohne Steigerungen der Kosten für die Bürgerinnen und Bürger zu bewältigen sind, streut den Bürgern
Sand in die Augen.
Ich versuche, die Worte des Kollegen Bahr und die
Debatte des Tages insgesamt zu verinnerlichen. Die FDP
fordert auf der einen Seite steuerliche Erleichterungen,
was natürlich zu Einnahmeverlusten führen würde. Auf
der anderen Seite beklagt die FDP, dass der Zuschuss aus
dem Bundeshaushalt, der an die gesetzlichen Krankenversicherungen gezahlt wird, abgesenkt und langfristig
gestrichen werden soll.
({2})
Man kann nicht alles haben: einerseits den Zuschuss, andererseits den Abbau von Steuern, der zu niedrigeren
Einnahmen im Bundeshaushalt führt. Es ist meines Erachtens wichtig, darauf hinzuweisen.
Sieht man von der Bürgerversicherung ab, wurden
heute kaum Vorschläge gemacht. Es wurde weder von
den Kolleginnen und Kollegen von den Grünen noch
vom Kollegen Spieth von der PDS, von der Linken oder
wie Sie sich gerade nennen, verdeutlicht, wie eine Bürgerversicherung aussehen soll.
({3})
Diese Partei steht in der Tradition eines staatlichen Gesundheitssystems,
({4})
das bis zum Gehtnichtmehr marode war. Dieses sozialistische Gesundheitssystem war Ausdruck einer Zweiklassenmedizin: Die Funktionäre hatten Medikamente aus
dem Westen zur Verfügung; die anderen Bürgerinnen
und Bürger darbten in dieser Hinsicht. Es ist entscheidend, dass die große Koalition es schafft, ein modernes,
hochwertiges Gesundheitssystem, das auch die Bürgerinnen und Bürger im Osten kennen und schätzen gelernt
haben, weiterzuentwickeln und zukunftsfest zu gestalten.
({5})
Die solidarische Finanzierung der gesetzlichen
Krankenversicherung ist für uns eine weitere Herausforderung. Trotz aller Kostendämpfungsmaßnahmen in
der jüngeren Vergangenheit sieht sich die GKV der Entwicklung eines ansteigenden Defizits gegenüber. Selbst
unter Ausnutzung der vielen Wirtschaftlichkeits- und Effizienzreserven ist derzeit wahrscheinlich nicht glaubhaft darzulegen, dass mit der jetzigen Form die Finanzierungsbasis dauerhaft gesichert ist. Wir haben das auch
im Koalitionsvertrag dargelegt.
Für uns, die große Koalition, ist entscheidend: Wir
wollen weiterhin am Ziel festhalten, dass alle Menschen
auch zukünftig unabhängig von Alter, Krankheit, Einkommensverhältnissen und sozialer Herkunft an der
Hochleistungsmedizin, am medizinischen Fortschritt
teilhaben können.
({6})
Weil ich aus einem ländlichen Bereich komme, weise
ich auch auf eines hin: Wir wollen auch, dass es eine flächendeckende Versorgung gibt. Es ist entscheidend,
dass es in erreichbarer Entfernung ein Krankenhaus der
Grundversorgungsstufe gibt. Was nützt mir der beste
Facharzt, wenn ich beispielsweise 150 Kilometer anreisen muss? Wir stehen zur Notwendigkeit einer flächendeckenden Versorgung.
Deshalb müssen wir - die Kollegin Widmann-Mauz
und die Frau Gesundheitsministerin haben darauf hingewiesen - mit der Gesundheitsreform neue Wege beschreiten. Bei der Diskussion müssen wir uns manchen
Fragen zuwenden, insbesondere im Hinblick auf die
Leistungen: Gehören Surf- oder Kletterunfälle zu den
Problembereichen? Kann man die damit verbundenen
Gefahren im Finanzierungssystem anders absichern?
Wir müssen uns auch mit den Fragen der Generationengerechtigkeit befassen, die uns gerade junge Beitragszahler stellen: Ist es auf Dauer angemessen, dass die
Rentner, wie es heute der Fall ist, durch ihre Beiträge nur
40 Prozent der durch den eigenen Leistungsbezug verursachten Kosten tragen?
({7})
Vor 20 Jahren waren es noch 70 Prozent. Diese Fragen
werden natürlich von der jungen Generation an uns herangetragen.
Ich möchte betonen: Die ältere Generation hat trotz
der steigenden Lebenserwartung die größten Vorteile
aufgrund des medizinischen Fortschritts. Ich weiß das
aus eigener Erfahrung; denn es trifft auf meine Mutter
zu. Wenn sie ihre Krankheit vor 20 Jahren bekommen
hätte, dann würde sie heute möglicherweise nicht mehr
leben. Durch modernste Medizintechnik ist es möglich,
den Patienten die bestmögliche Versorgung zu geben. Es
ist wichtig, dies den Bürgerinnen und Bürgern darzulegen und darüber mit ihnen zu diskutieren.
Es stellt sich auch die Frage, was insgesamt gesehen
sozial ist. Wir erheben den Anspruch, dass alle Menschen an unserem Gesundheitssystem teilhaben können,
unabhängig von ihrer Herkunft, von ihrem Einkommen
und von ihrem Gesundheitszustand. In Zuge der vergangenen Gesundheitsreform haben wir Instrumente mit
Lenkungswirkung wie die Praxisgebühr und wie Eigenbeteiligung in einzelnen Bereichen eingeführt. Mit
der Einführung einer Überforderungsklausel haben wir
für eine sozial ausgewogene Ausgestaltung gesorgt: Es
gibt die 2-Prozent-Regelung für die chronisch Kranken
und die 1-Prozent-Regelung für anderweitig Kranke.
({8})
Es ist sozial verantwortbar, unter Umständen eine
stärkere Eigenbeteiligung einzufordern; denn damit
können wir den Menschen gewährleisten, auch zukünftig von der Spitzenmedizin zu profitieren. Alles andere
würde zu einer Rationierung führen, was wir letztendlich
nicht wollen.
Ich möchte nur noch folgenden Punkt ganz kurz ansprechen. Wir legen Wert darauf, dass die private Krankenversicherung auch weiterhin im Wettbewerb bestehen kann. In vielen Diskussionen wird die private
Krankenversicherung als die Versicherung der Reichen
abgetan. Das ist aber beileibe nicht so. Nur 20 Prozent
der privat Krankenversicherten verdienen über der Beitragsbemessungsgrenze. 80 Prozent liegen mit ihrem
Verdienst darunter. Sehr viele, die eine Ich-AG gegründet haben und sich privat krankenversichert haben, verfügen über kein hohes Einkommen.
Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
Wir müssen auch Solidarität mit Beitragszahlern
üben, die nur über ein geringes Einkommen verfügen.
Unter diesem Gesichtspunkt wird die große Koalition
- davon bin ich überzeugt - die kommenden Aufgaben
sehr zielorientiert angehen. Es ist wie immer vor Weihnachten: Viele können es nicht erwarten. Aber Sie können sicher sein: Bis zur Sommerpause werden die Eckpunkte stehen. Sie müssen nur noch ein wenig darauf
warten.
Besten Dank.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 15,
Bundesministerium für Gesundheit, in der Ausschussfassung. Wer möchte diesem Einzelplan zustimmen? Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Einzelplan mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen
der gesamten Opposition angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.11 auf:
Einzelplan 06
Bundesministerium des Innern
- Drucksachen 16/1306, 16/1324 Berichterstattung:
Abgeordnete Bettina Hagedorn
Norbert Barthle
Roland Claus
Zum Einzelplan 06 liegen zwei Änderungsanträge der
Fraktion Die Linke und ein Änderungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen vor. Über den zuletzt
genannten Änderungsantrag soll namentlich abgestimmt
werden.
Ich rufe außerdem den Zusatzpunkt 3 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Ernst
Burgbacher, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger,
Gisela Piltz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Konsequenzen ziehen aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 30. Mai 2006 zur
Weitergabe europäischer Fluggastdaten an die
Vereinigten Staaten von Amerika
- Drucksache 16/1876 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({0})
Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Zwischen den Fraktionen ist verabredet, eine Stunde
zu debattieren. - Dazu höre ich keinen Widerspruch.
Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort der
Kollegin Gisela Piltz, FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich glaube, die Stimmung im Lande kann man am besten
mit der Abwandlung einer früheren Überschrift einer
großen Boulevardzeitung zusammenfassen: „Wir sind
die WM!“. Das ist es, was nach unserer Ansicht Millionen im Moment dadurch zum Ausdruck bringen, dass sie
Fähnchen schwenken, entsprechende Hüte aufsetzen
oder schwarz-rot-goldene Girlanden um den Hals tragen.
Das hat nichts mit übersteigertem Nationalismus zu tun,
sondern das ist einfach Ausdruck der Freude darüber,
dass ein solches Ereignis hier in Deutschland stattfindet.
({0})
Wenn das infrage gestellt oder wie von der GEW zum
Anlass genommen wird, über die Nationalhymne zu debattieren
({1})
- ich weiß, dass sie es schon zurückgenommen hat -,
sehe ich mich schon veranlasst, zu fragen, wer alles in
diesem Lande etwas sagen darf und wie lange manche
brauchen, etwas Unpassendes zurückzunehmen.
({2})
- Entschuldigung, wir debattieren hier nicht über Bildung; aber wenn sich die Lehrergewerkschaft in einer
solchen Art und Weise äußert, dann darf man auch einmal sagen, dass man das nicht für akzeptabel hält, wenn
die Lehrer unsere Kinder in einem solchen Geist erziehen. Darüber brauchen Sie sich gar nicht aufzuregen.
({3})
Mehr als die Hälfte der Spiele haben wir jetzt vor dem
Fernseher oder im Stadion gesehen. Mein besonderer
Dank gilt heute insbesondere denen, die dazu beitragen,
dass diese Spiele so friedlich und erfolgreich verlaufen.
Ich danke nicht nur der Elf von Jürgen Klinsmann, sondern vor allen Dingen den Polizistinnen und Polizisten,
dem THW, dem Roten Kreuz und vielen anderen ehrenamtlichen Helfern,
({4})
ohne die das überhaupt nicht möglich wäre.
({5})
Es zeigt sich aber auch, dass der Einsatz der Bundeswehr im Innern nicht nötig gewesen wäre und die ganze
Debatte nur eine Scheindebatte darstellte. Die FDP kann
hier und heute nur nochmals bekräftigen: Wir haben den
Einsatz der Bundeswehr im Innern immer abgelehnt, wir
lehnen ihn auch heute ab und werden das auch in Zukunft tun.
({6})
Wir sind froh, dass die beiden Panzer am Sowjetischen
Ehrenmal an der Fanmeile hier in Berlin die einzigen
Panzer sind, die in der Nähe von Orten stehen, an denen
man sich in Deutschland die Fußball-WM anschaut.
({7})
Bei der Fußball-WM fällt einem noch ein anderes
Stichwort ein, nämlich BOS-Digitalfunk. Herr Minister,
Sie können nichts dafür, dass Ihr Vorgänger, der andere
Schily - Kollege Schily, verzeihen Sie mir das -, uns immer wieder versprochen hat, dass bis zur Fußball-WM
der BOS-Digitalfunk eingeführt sein wird.
({8})
Wir hoffen, dass er jetzt zügig eingeführt wird und wir
nicht bis zur nächsten Fußball-WM warten müssen, sondern dass dieses Vorhaben jetzt zeitnah umgesetzt wird.
({9})
- Man kann das ja auch als Ansporn nehmen, dass diese
in 30 Jahren wieder hier bei uns stattfindet. Aber so
lange wollen wir nicht warten.
Zum THW lässt sich nur sagen, dass wir froh sind,
dass es gelungen ist, den entsprechenden Etat um
20 Prozent zu steigern. Wir bedauern aber die Kürzung
der für die Feuerwehren relevanten Mittel, die unverändert vorgesehen ist. Wir glauben, dass sozusagen nicht
nur die „Blauen“, sondern auch die „Roten“ mehr Mittel
brauchen. Deren Arbeit geschieht vornehmlich ehrenamtlich. Wir hoffen, dass dies auch in Zukunft berücksichtigt wird.
({10})
Weiterhin bedauern wir, dass wir uns beim Punkt
Integrationskurse nicht durchsetzen konnten. Hier war
die Bundesregierung nämlich nicht bereit, sich zu bewegen. Die vorgesehenen Kürzungen in diesem Bereich
sind nicht nachvollziehbar.
({11})
- Herr Wiefelspütz, wenn Sie das für so unglaublich halten, hätten Sie sich einmal durchsetzen sollen, statt aus
der zweiten Reihe Zurufe zu machen. - Das durch diese
Entscheidung gegebene Signal ist aus unserer Sicht völlig falsch. Meine Damen und Herren aus den Koalitionsfraktionen, Ihre eigene Integrationsbeauftragte, Frau
Professor Böhmer, die ja hier auch anwesend ist, hat mit
Datum vom 3. Mai 2006 ausführlich ihre Eckpunkte zur
qualitativen Verbesserung der Integrationskurse vorgestellt: mehr Stunden, bessere Finanzausstattung und zum
Beispiel auch kostenlose Teilnahme von Bedürftigen.
({12})
Warum tun Sie da nichts, nachdem Ihre Integrationsbeauftragte das schon eindeutig festgestellt hat? Warum
warten Sie bis zum nächsten Haushalt?
({13})
Machen Sie es jetzt. Das wäre überhaupt kein Problem.
Migration und Integration sind wichtige Themen.
Deshalb erneuern wir noch einmal unsere Forderung, in
dieser Legislaturperiode dazu eine Enquete-Kommission
einzusetzen. Wir hoffen, dass Sie dabei alle an unserer
Seite sind; ich denke, das dürfte die Zustimmung des
ganzen Hauses finden.
({14})
Sie werden uns fragen, woher denn das Geld dafür kommen soll. Das ist aus unserer Sicht wie immer auch eine
Frage der richtigen Verteilung. Nach dem 11. September
wurden zum Beispiel die Tabak- und die Versicherungsteuer erhöht, um mehr Mittel zur Bekämpfung des Terrorismus ausgeben zu können. Der Bürger glaubt, er sei
jetzt geschützt. Im ersten Jahr haben Sie auch einen Bericht über die Mittelverwendung vorlegen können. Aber
auf unsere Kleine Anfrage haben Sie dann geantwortet
- ich darf zitieren -: Die finanziellen Auswirkungen des
Gesetzes zur Finanzierung der Terrorbekämpfung können ex post nicht aus dem Kassenaufkommen hergeleitet
werden. Die Vielzahl an Einflussfaktoren, die auf das
kassenmäßige Steueraufkommen wirken, wie zum Beispiel die dreistufige Tabaksteuererhöhung ab dem
Jahr 2004, macht es uns unmöglich, die Effekte der einzelnen gesetzlichen Maßnahmen zu separieren.
Wenn das Ihre Antwort auf eine Steuererhöhung ist
- nach vier Jahren wissen Sie nicht, wo das Geld herkommt und wo es hingeht -, dann habe ich ganz
schlimme Ahnungen, was mit den 3 Prozent Mehrwertsteuererhöhung passiert, die Sie uns allen als Bürger
jetzt aufbrummen. Das ist keine solide Kassenführung.
Das ist, finde ich, eine Unverschämtheit.
({15})
Sie könnten aus meiner Sicht auch beim Innenministerium einsparen, nämlich beim Neubau. Es wird geplant und geplant - dafür wird bereits Geld ausgegeben.
Sie haben einen teuren Mietvertrag und Sie planen einen
teuren Neubau. Im Innenausschuss ist gesagt worden,
das sei zusammen wirtschaftlich. Wenn Sie das hinbekommen, also wenn es wirklich so wäre, dass ein Neubau und der bestehende Vertrag wirtschaftlich vertretbar
wären, müssten wir uns um den Haushalt keine Sorgen
machen. Ich kann das nicht erkennen. Von daher hoffe
ich, dass Sie da etwas ändern.
Aber es gibt natürlich auch Sachen, die Sie nichts
kosten würden und die Sie locker tun könnten. Das betrifft zum einen die Frage, wie wir mit dem Datenschutz
umgehen. Wir haben hier heute einen Antrag betreffend
die Weitergabe der Passagierdaten an die USA eingereicht. Wir erwarten, dass Sie die Kommission daran
hindern, diese Daten weiterhin unmittelbar zu übertragen. Wir brauchen eine Diskussion in den Landesparlamenten zu diesem Thema. Wir sind im Übrigen auch der
Ansicht, dass seit 2003 genügend Zeit verstrichen ist, um
das Ganze jetzt zu evaluieren. So etwas darf man nicht
durchpeitschen, so etwas muss man diskutieren. Genauso müssen wir aus unserer Sicht das Bundesdatenschutzgesetz dringend überarbeiten. Es ist weder in der
Praxis für den Verbraucher noch was neue Technologien
angeht einigermaßen nachvollziehbar. Deshalb setzen
wir uns für eine Überarbeitung ein.
({16})
Zur Pressefreiheit. Dabei geht es nicht nur um die
Durchsuchung von Büros von Journalisten. Dabei geht
es auch darum, was wir uns bei der Pressefreiheit eigentlich leisten und wie wir dieses Thema behandeln. Wenn
ein Beamter eine Information weitergibt und dafür bestraft wird, dann ist das eine Sache. Die andere aber ist:
Wie gehen wir mit dem Journalisten um, der diese Daten
verwertet? Herr Minister, Sie haben in einem „Spiegel“Interview vor einigen Wochen dazu Stellung genommen.
Die FDP hat dazu einen Gesetzentwurf eingebracht. Sie
haben das zumindest inhaltlich positiv begleitet. Wir
würden uns freuen, wenn Sie uns auch bei diesem Gesetzentwurf weiterhin positiv begleiten könnten.
Zum Abschluss: Die Vorgänge zum BND werden im
Untersuchungsausschuss ausführlich behandelt werden.
Die Diskussionen haben aber doch ergeben, dass das
Verfahren des PKGr überarbeitungswürdig ist. Von daher bitten wir auch um Ihre Unterstützung für eine Reform des PKGr; denn ich glaube, was jetzt passiert, hat
gezeigt, dass das dringend notwendig ist.
Zum Abschluss mein Dank -
Zum Abschluss müssen Sie jetzt bitte kommen.
Ja. - Zum Abschluss mein Dank an die Haushaltsabteilung des Ministeriums, die immer guten Willens war.
Sie hat zwar nicht alle meine Fragen beantwortet, aber
wenn es nicht ging, hat sie wenigstens nett gesagt: Es
geht nicht. Zum Abschluss auch mein Dank an alle Berichterstatter. Das war immer eine freundliche Zusammenarbeit, auch in Zeiten der großen Koalition.
Meine Damen und Herren, das, was Sie hier zeigen,
ist mehr Bürokratie, ist mehr Staat und sind mehr Schulden. Deshalb werden wir diesen Haushalt ablehnen.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat der Kollege Dr. Michael Luther, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Hinter uns liegen arbeitsreiche Wochen der
Haushaltsberatungen. Gleich am Anfang möchte ich
mich bei Minister Schäuble und seinem gesamten Haus
sowie insbesondere natürlich beim Haushaltsreferat für
die gute Zusammenarbeit bedanken.
Unser Bundestagspräsident Norbert Lammert sprach
in seiner Antrittsrede im vergangenen Oktober davon,
dass das Parlament nicht Vollzugsorgan, sondern Auftraggeber der Regierung sei. Insbesondere in Zeiten einer großen Koalition bedürfe es daher eines selbstbewussten Parlaments. Wir sind ein selbstbewusstes
Parlament. Das hat gerade das Innenministerium während der Haushaltsberatungen gespürt. Ich danke daher
recht herzlich für die Geduld, die man mit uns hatte.
({0})
- Gut. Die Insider wissen Bescheid.
Ein wichtiges Ziel der Haushaltsberatung war nämlich, einen Teil der globalen Minderausgabe aufzulösen, die im Einzelplan 06 immerhin 132 Millionen Euro
ausmachte. Was ist ein Haushalt mit einer solch hohen
globalen Minderausgabe wert? Die einzelnen Haushaltstitel versprechen Geld und im Haushaltsvollzug führt
dann die Auflösung der globalen Minderausgabe dazu,
dass das versprochene Geld im Endeffekt nicht fließt.
Letztendlich handelt es sich also nur um eine Ankündigungspolitik. Wir wollen damit Schluss machen. Ich
glaube, dass diese GMA das Budgetrecht des Parlamentes aushebelt. Deshalb haben wir die GMA um
50 Prozent reduziert. Das ist im Etat des Innenministeriums nicht ganz so einfach. Man kann das nicht einfach
auf zwei oder drei Haushaltstitel umlegen. Es hat sich
vielmehr gezeigt, dass es einer generellen Überarbeitung
des Haushaltes bedurfte. Der Beleg dafür sind die
160 Änderungsanträge, die wir als Koalition in den
Haushaltsberatungen erarbeitet und letztendlich beschlossen haben. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, bis
2008 die GMA ganz zurückzuführen. Das wird schwierig werden, weil es dazu struktureller Veränderungen im
Haushalt und geänderter Schwerpunktsetzungen bedarf.
Herr Minister, ich als Haushälter gebe Ihnen an dieser
Stelle die Zusage, dass wir Sie bei dieser schwierigen
Arbeit unterstützen werden.
Ich will noch eine Bemerkung zu den Einsparvorschlägen machen, die die FDP in Form einer dicken Bibel vorgelegt hat. Ich habe die Zahlen nachgerechnet. Die
FDP hat für das Innenressort Kürzungen in Höhe von
rund 90 Millionen Euro vorgeschlagen. Diese 90 Millionen Euro reichen nicht aus, um die globale Minderausgabe von 132 Millionen Euro aufzuheben. Allerdings haben Sie sie in Ihrer Sparbibel aufgelistet. Es wäre seriös,
wenn Sie in diesem Buch, das Sie verfasst haben, wenigstens diese Sparvorschläge von 90 Millionen Euro
streichen würden.
({1})
Wir haben in den Haushaltsberatungen strukturelle
Schwerpunkte gesetzt. Dazu will ich einige Stichpunkte
nennen. Erstens. Sehr wichtig ist für uns die Einführung
des BOS-Digitalfunks - davon wurde schon gesprochen - für Polizei, Feuerwehr und viele andere. Diese
Einführung ist längst überfällig. Ich bin Minister
Schäuble sehr dankbar, dass er dieses Thema nach dem
Regierungswechsel konsequent weiter verfolgt und dabei auf die existierenden Unterlagen zurückgreift und
nicht etwa etwas Neues anfängt. Wir als Parlament werden ihn auf diesem Weg unterstützen. 2006 stehen für
die Einführung des Digitalfunks rund 100 Millionen Euro zur Verfügung. Sollte dieses Geld 2006 aber
nicht in Gänze abgerufen werden können, so haben wir
als Haushälter sichergestellt, dass es auch 2007 noch zur
Verfügung steht.
Zweitens. Der Slogan lautet: Die Welt zu Gast bei
Freunden. Die Fußballweltmeisterschaft ist bislang in
zweifacher Hinsicht ein voller Erfolg. In sportlicher Hinsicht freue auch ich mich, dass die deutsche Nationalmannschaft so gut spielt und erfolgreich ist. Ich freue
mich allerdings auch, dass sich Zehntausende von Fußballfans aus der ganzen Welt in Deutschland wohl und
sicher fühlen.
({2})
Das heißt, dass neben dem FIFA-Organisationskomitee,
das hervorragende Arbeit leistet, insbesondere die Sicherheitskräfte unseres Landes, die des Bundes und der
Länder, ihren Beitrag zur Sicherheit leisten. Den Tausenden von Polizeibeamten und - aus unserer Sicht ganz besonders der Bundespolizei und dem Bundeskriminalamt gilt unser Dank für die hohe Einsatzbereitschaft, die sie in diesen Tagen zeigen.
({3})
Sicherheit ist nicht selbstverständlich. Die Bundespolizei und das BKA sind nicht nur im Rahmen der Fußball-WM unabdingbar. Sie sind wichtig im Kampf gegen
Kriminalität, bei der Terrorismusabwehr oder bei der Sicherung der EU-Außengrenzen. Wir als Parlament unterstützen die Bundespolizei, damit sie auch in Zukunft
dieser Aufgabe gerecht werden kann. Meines Erachtens
ist es sehr wichtig, dass der Dienst in der Bundespolizei
attraktiver wird. Deshalb beinhaltet auch der Bundeshaushalt 2006 Mittel für die Fortsetzung des Attraktivitätsprogramms der Bundespolizei.
Das Bundesministerium des Innern ist auch das
Sportministerium des Bundes. An dieser Stelle will ich
einen persönlichen Dank formulieren. Das Bundesministerium des Innern kümmert sich seit 1990 auch um den
Ausbau der Sportinfrastruktur in den neuen Bundesländern. Hierbei gab es, beginnend mit der Regierung
Helmut Kohl bis heute, eine große Kontinuität. Deshalb
können wir heute auf sanierte Stadien in Berlin und
Leipzig zurückgreifen. Eine Fußballweltmeisterschaft in
Deutschland könnte nicht in ganz Deutschland stattfinden, wenn dies nicht gemacht worden wäre. Sie findet
halt nicht nur bei den großen Vereinen in den alten Bundesländern, zum Beispiel in Hamburg oder München
statt, sondern eben auch in Berlin und Leipzig. Das finde
ich sehr gut. Dafür meinen recht herzlichen Dank!
({4})
Ein weiteres Themenfeld war für uns das Technische
Hilfswerk, das zum Gelingen der Fußballweltmeisterschaft ebenfalls maßgeblich beiträgt. Tausende freiwillige Helfer kümmern sich in ihrer Freizeit ohne finanziellen Ausgleich darum, dass die Spiele gut ablaufen. Das
machen sie nicht nur jetzt - das ist ein aktueller Anlass -,
sondern auch bei vielen anderen Gelegenheiten. Ich
denke zum Beispiel an den Tsunami oder das Hochwasser in Sachsen. Diese Ereignisse liegen noch nicht allzu
lange zurück. Sie sind wirklich sehr aktiv.
Das THW verfügt über eine ehrenamtliche Basis von
circa 41 000 Helfern. Ich bin der festen Überzeugung,
dass es sich nicht lohnt, um Ehrenamtler zu werben,
wenn wir nicht in der Lage sind, sie ordentlich auszubilden, adäquat auszurüsten und einsatzfähig zu halten.
Deshalb haben wir innerhalb des Etats des Bundesinnenministeriums Mittel zugunsten des THW umgeschichtet,
das heißt, mehr Geld für Aus- und Fortbildung sowie für
die Ortsverbände zur Verfügung gestellt.
({5})
Noch ein Wort zu dem Antrag, der zur namentlichen
Abstimmung gestellt wird, zum Thema Integration. Wir
sind uns alle einig, dass Integration ein wichtiges Thema
ist. Die jüngsten Vorgänge, wie zum Beispiel die an der
Berliner Rütli-Schule, haben uns gezeigt, dass Sprache
und Sprachförderung von entscheidender Bedeutung
sind, wenn Integration gelingen soll.
({6})
Nun wird kritisiert, dass dafür im vorliegenden Haushalt weniger Mittel als 2005 eingestellt sind.
({7})
Fakt ist: Die Mittel für Integration wurden im vergangenen Jahr nicht in vollem Umfang abgerufen. Über die
Ursachen dafür kann man philosophieren. Es macht aber
keinen Sinn, Geld in den Haushalt einzustellen, das voraussichtlich wieder nicht abgerufen wird.
({8})
Unser Haushaltsansatz für die Sprachförderung ist
seriös und bezieht sich auf die Zahlen, die sich in diesem
Jahr anzeigen.
({9})
Außerdem haben wir für alle Eventualitäten einen Haushaltsvermerk eingebracht, der sicherstellt, dass bei einem eventuellen finanziellen Mehrbedarf das entsprechende Geld auch zur Verfügung steht.
({10})
Damit ist ausreichend Vorsorge getroffen.
Wir wollen die Integrationsmaßnahmen verbessern.
({11})
Wenn das geschehen ist, folgt dem auch das Geld. Einfach nur Geld zu fordern, ohne konkrete Planungen vorzulegen und die entsprechenden Rahmenbedingungen zu
schaffen, ist aus meiner Sicht nichts weiter als billiger
Populismus. Das bringt die Integration nicht voran.
({12})
Lieber Kollege, ich nehme an, Sie kommen zum
Schluss.
Ein letzter Satz von mir. - Der Innenausschuss des
Bundestages tagt zu dem Einzelplan heute aus aktuellem
Anlass unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Ich bedanke
mich dafür, dass Sie mir trotzdem aufmerksam zugehört
haben.
Schönen Dank.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Ulla Jelpke, Fraktion Die
Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Auf den Repressionsapparat werde ich noch zu sprechen
kommen. Keine Angst.
({0})
Die Integrationspolitik ist eine der größten Aufgaben, vor denen die Bundesrepublik steht. Wenn wir aber
die Politik der Bundesregierung in Sachen Integration
anschauen, dann kann man eigentlich nur feststellen,
dass sie darauf ausgerichtet ist, keine Angebote zu machen und vor allen Dingen zu schikanieren.So wird regelmäßig die Bedeutung von guten Deutschkenntnissen
beschworen. Doch die meisten Kurse sind so überfüllt,
dass auf die individuelle Ausgangssituation der Teilnehmer nicht eingegangen werden kann. Die Kritik, die die
Träger der Kurse an der schon bestehenden Unterfinanzierung üben, Herr Luther, stößt bei der Bundesregierung auf taube Ohren. Vollmundig wurde versprochen,
keine Kürzungen bei den Mitteln für Sprachkurse vorzunehmen. Doch genau diese Kürzungen sind weiter im
Haushalt vorgesehen.
Im Juli will die Bundeskanzlerin einen Integrationsgipfel abhalten. Herr Faruk Sen, der Leiter des Zentrums
für Türkeistudien, hat dazu erklärt, diese Veranstaltung
illustriere lediglich die Konzeptionslosigkeit der Integrationspolitik der Bundesregierung. Eine fundierte Vorbereitung habe es nicht gegeben, Migrationsorganisationen
seien weitgehend nicht repräsentiert. Faruk Sen kommt
zu dem Schluss, der Gipfel habe nur eine Feigenblattfunktion. Ich muss ihm da leider Recht geben.
Integrationspolitik - das können die Minister der
Kanzlerin bestellen - erschöpft sich eben nicht darin,
Einwanderer unter Strafandrohung in überfüllte
Deutschkurse zu zwingen. Sprache zu erlernen, ist wichtig; das betone ich hier. Aber eine gescheiterte Integration können Sie nicht nur auf fehlende Sprachkenntnisse
zurückführen.
({1})
Sie nehmen hier eine, gelinde gesagt, unterkomplexe Betrachtung vor. Migranten sind in vielen Bereichen unserer Gesellschaft benachteiligt. Der letzte Bericht zur
Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland
hat gezeigt: Von den negativen Entwicklungen am Arbeitsmarkt und in der Sozialpolitik sowie von der zunehmenden sozialen Selektion im Bildungssystem sind
Menschen mit Migrationshintergrund besonders betroffen.
Gute Integrationspolitik ist unserer Auffassung nach
in erster Linie eine gute Sozialpolitik. Für diese Bundesregierung sind freilich beides Fremdworte. Sie beschränkt sich in beiden Politikbereichen darauf, noch
mehr Kürzungen, noch mehr Repressionen und noch
mehr Kontrollen einzuführen. In die Zukunft weisende
Vorstellungen hat sie leider nicht.
Das gilt insbesondere, aber leider nicht nur für
Edmund Stoiber, den Prokonsul aus München. Als Signal für eine ernst gemeinte Integrationspolitik will er
jetzt den so genannten Gotteslästerungsparagrafen,
§ 166 des Strafgesetzbuches, verschärfen. Auf eine Herausforderung der modernen Gesellschaft reagiert er mit
dem Rückgriff auf einen Zensurparagrafen des Kaiserreichs. Das zeigt exemplarisch die Ratlosigkeit der Regierungsparteien. Das zeigt aber auch, was Sie unter
Leitkultur verstehen: Repression statt Freiheit.
Dass Migranten von der Bundesregierung im Kampf
gegen den Terrorismus als Bedrohung beschrieben werden, hat fatale Folgen. In den letzten Wochen häufen
sich gewalttätige Angriffe auf Menschen, die ihren Peinigern nicht weiß und nicht deutsch genug sind. Der Verfassungsschutz gibt an, dass die Zahl der rechtsextremistischen Gewalttaten um 23,5 Prozent und die der
Straftaten insgesamt sogar um 27,5 Prozent gestiegen
ist. Die Zahlen sind erschreckend. Sie sind eine Herausforderung für die Demokratie.
Auch hier fehlt der Bundesregierung jedes Konzept.
Sie will den Verfassungsschutz umbauen und die Abteilung für den so genannten Linksextremismus mit der
Abteilung für Rechtsextremismus zusammenlegen.
Dazu fällt mir nur ein: Wenn zwei Dumme sich zusammentun, sind sie auch nicht schlauer als vorher.
({2})
- Sie können sich gerne darüber aufregen. Aber ich kann
die Einseitigkeit, die hier immer wieder zur Schau getragen wird, wenn es um den so genannten Extremismus
geht, wirklich nicht anders bezeichnen.
Die Unzulänglichkeit des Verfassungsschutzes ist
schon eine Legende. Er fasst in seinem Bericht lediglich
Daten zusammen, die wir im Übrigen bereits durch das
Bundeskriminalamt kennen.
Der Bundesverfassungsschutz malt ständig das Gespenst vom Linksextremismus an die Wand und bezeichnet Friedensgruppen und Überlebende des NS-Regimes
als Verfassungsfeinde.
Auf der anderen Seite kann man im Verfassungsschutzbericht 2005 lesen, wie sehr verharmlost wird. Der
Bericht betont - ich zitiere - „die grundsätzlich vorhandene Gewaltaffinität der Szeneangehörigen“. Es seien
wiederholt Waffen gefunden worden, auch fände paramilitärisches Training statt. Aber Anhaltspunkte für terroristische Absichten von Rechtsextremisten lägen nicht
vor.
Da werden also Waffen und Sprengstoff gefunden. Da
werden Wehrsportübungen durchgeführt. Da hat die
Gruppe „Freikorps Havelland“ einen ganzen Landstrich
mit Brandanschlägen überzogen. Da kommt es in Berlin,
Rheinsberg, Magdeburg, Dortmund und in vielen anderen Städten in Ost und West regelmäßig zu Übergriffen
mit Verletzten und Toten. Da gibt es Zonen, in die sich
Menschen, vor allen Dingen Menschen mit ausländischer Herkunft, nicht mehr trauen. Das ist der alltägliche
Terror, den Neofaschisten ausüben. Aber der Innenminister erklärt in gespielter und dreister Ahnungslosigkeit,
es gebe keine Angstzonen - offensichtlich, weil es sie
nicht geben darf. Machen Sie doch einmal die Augen
auf, Herr Schäuble!
Werte Kollegen, ich begrüße es, dass unsere Proteste
zumindest dazu geführt haben, dass weitere Kürzungen
der Mittel für die Bundeszentrale für politische Bildung verhindert werden konnten.
({3})
- Nehmen Sie meine Kritik trotzdem zur Kenntnis! Der Haushaltsansatz für die Bundeszentrale für politische Bildung verharrt allerdings auf niedrigem Niveau.
Die Stärkung des demokratischen Bewusstseins erreicht
man nicht durch Repression und durch den Abbau von
Grundrechten im Kampf gegen die vermeintlichen oder
echten Feinde der Demokratie. Das ist genau der falsche
Weg.
Wir brauchen eine detaillierte Analyse der Bedrohungen der Demokratie und der Grundrechte. Die Fraktion Die Linke fordert deswegen die Einrichtung einer
unabhängigen Beobachtungsstelle für Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus, die vom Bundestag im Übrigen schon einmal beschlossen wurde.
({4})
Frau Jelpke, kommen Sie bitte zum Schluss.
Vor allen Dingen fordern wir, dass Projekte wie die
„Opferperspektive“ und die „Mobilen Beratungsteams“
weiterhin, also auch im Jahre 2007, finanziert werden.
({0})
Im Übrigen möchte ich auf eines aufmerksam machen:
Frau Jelpke, Sie müssen zum Ende kommen.
Wenn die Bundesregierung durch ihre Politik endlich
dafür sorgen würde, dass deutsche Polizisten die Nazis
auf der Straße nicht mehr schützen müssten, dann wären
wir, was die Bekämpfung der Übergriffe und Angriffe
von Neonazis angeht, schon viel weiter.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Bettina Hagedorn, SPDFraktion.
Verehrtes Präsidium! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Als zuständige Hauptberichterstatterin kann ich
heute feststellen: Die Schularbeiten sind gemacht.
({0})
Stärker, als es in anderen Etatbereichen der Fall war, haben wir Abgeordnete in den letzten Wochen den Haushaltsentwurf des Bundesinnenministeriums gestaltet und
verändert. Dabei haben wir als Koalitionsfraktion im
Haushaltsausschuss sage und schreibe - ich habe nachgezählt - 180 Anträge gestellt und über sie abgestimmt.
Zum Teil haben wir unpopuläre Einsparungen durchgesetzt, dabei Druck erzeugt und ausgehalten. Das war fürwahr oft keine vergnügungssteuerpflichtige Aufgabe.
Insbesondere die Tatsache, dass im Regierungsentwurf dieses Haushalts, der ohne Versorgungslasten insgesamt eine Größenordnung von gut 4 Milliarden Euro
hat, pauschal eine globale Minderausgabe von 132 Millionen Euro veranschlagt war, von der wir um der Haushaltswahrheit und -klarheit willen immerhin die Hälfte
auflösen und damit gut 66 Millionen Euro einsparen
wollten, stellte uns vor schwierige Herausforderungen.
Da mehr als die Hälfte des gesamten Etats, nämlich
über 2,1 Milliarden Euro, allein für Personal, nämlich
für circa 54 000 Mitarbeiter, aufgewendet wird, konnten
wir die Einsparung in Höhe von 66 Millionen Euro nicht
erbringen, ohne auch im Personalbereich zu kürzen.
Kein Bereich und keine der 18 Verwaltungsbehörden des
Bundesinnenministeriums blieben davon verschont. Das
ist die schlechte Nachricht.
Uns ist bewusst, dass die beim Personal vorgenommenen Einsparungen in Höhe von 20 Millionen Euro,
die vom Ministerium dauerhaft erbracht werden sollen,
nur durch strukturelle Änderungen zu erreichen sind.
Wir Berichterstatter erwarten gespannt die Konzepte, die
das Ministerium dazu entwickeln wird.
Aber es gibt auch eine gute Nachricht: Im Schwerpunktbereich der inneren Sicherheit, bei der Bundespolizei, wird es im mittleren Polizeivollzugsdienst trotzdem 1 190 neue Planstellen geben. Bereits 2002
beschloss die damalige Bundesregierung im Rahmen des
Antiterrorpakets die Einstellung und Ausbildung dieser
Anwärter für den Polizeivollzugsdienst. Sie sind nun mit
ihrer Ausbildung fertig und werden 2006 fest in den
Dienst übernommen. Den Bürgerinnen und Bürgern geben wir damit das klare Signal, dass die Sicherheit im
Land trotz aller Sparbemühungen Schwerpunkt unserer
Arbeit bleibt.
({1})
Zum Thema Beamte, zu den Personalkosten und den
Pensionen. Wie wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben, hat der öffentliche Dienst allein in diesem Jahr mit
500 Millionen Euro zu den Sparbemühungen beizutragen; davon betroffen sind 372 000 aktive Beamte und
Soldaten und 710 000 Pensionäre. Angesichts dieser
Zahlen kann sich jeder ausmalen, dass die Pensionslasten für den Bundeshaushalt kein Pappenstiel sind. Sie
betragen genau 8,5 Milliarden Euro; das ist mehr als
doppelt so viel wie der gesamte Haushalt des Bundesinnenministeriums. Man muss nicht mit besonders viel
Fantasie ausgestattet sein, um sich vorstellen zu können,
dass diese Pensionslasten angesichts der demografischen Entwicklung künftig beängstigend steigen werden.
Bisher waren die Pensionslasten im Einzelplan 33, für
den ich auch zuständig bin, zentral veranschlagt. Diese
zentrale Veranschlagung hat natürlich in allen Ministerien weder bei der Personaleinstellung noch bei der Bewilligung von Frühpensionierungen oder Altersteilzeit
zu einem Problembewusstsein beigetragen, welche Konsequenzen solche pensionsrelevanten Entscheidungen
haben.
({2})
Deshalb bin ich besonders stolz, dass wir es im Haushaltsausschuss in diesem Frühjahr - nach jahrelanger
Diskussion und gegen erheblichen Widerstand aller Ressorts - endlich geschafft haben, den Einzelplan 33 praktisch aufzulösen und zu veranlassen, dass die Pensionslasten künftig dezentral, in den Haushalten der einzelnen
Bundesministerien, veranschlagt werden müssen.
({3})
Allein für das Ministerium des Innern bedeutet dieser
Schritt zu veranschlagende Mehrkosten von gut 298 Millionen Euro. Zusätzlich richten wir einen Pensionsfonds
ein, in den künftig durch die Ministerien Einzahlungen
zu leisten sind, damit die Versorgungslasten nicht länger
allein auf die Schultern künftiger Generationen geladen
werden. Das ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.
18 Verwaltungsbehörden gehören zum Bundesinnenministerium; die meisten von ihnen spielen in der Sicherheitsarchitektur unseres Landes eine zentrale Rolle.
Dazu gehört natürlich insbesondere die Bundespolizei,
die mit über 2 Milliarden Euro allein die Hälfte des Gesamtetats ausmacht. Rund 87 Prozent des Gesamtetats
werden für diese 18 Verwaltungsbehörden verausgabt.
Deswegen konnte bei unserer Kürzung um 66 Millionen
Euro keine dieser Behörden ein Tabu sein. Dennoch haben wir Parlamentarier den finanziellen Bedarf wichtiger
Politikbereiche anders eingeschätzt als das Bundesinnenministerium und deshalb in den überaus harten Haushaltsverhandlungen an den politisch entscheidenden
Stellen gegenüber dem Regierungsentwurf kleine, aber
wirkungsvolle Korrekturen vorgenommen.
Im Ergebnis setzen wir mit diesem Haushalt einerseits
klar auf Haushaltskonsolidierung durch strukturelle Einsparungen. Andererseits ist er ein Bekenntnis zu wichtigen gesellschaftlichen Schwerpunkten.
Mein Kollege Michael Luther hat das Beispiel
„THW und Katastrophenschutz“ schon angesprochen.
Auch dieser Bereich konnte von Einsparungen nicht völlig ausgenommen werden. Aber es gibt eindeutig einen
Gewinner im Bereich des Katastrophenschutzes. Das ist
das Ehrenamt, das sind die Helferinnen und Helfer, das
sind die Ortsverbände, wo die erfolgreiche und wichtige
Jugendarbeit geschieht. Das THW schreibt gerade in der
Jugendarbeit bereits seit Jahren eine Erfolgsstory: Die
Anzahl der freiwilligen jugendlichen THWler ist seit
2002 von über 12 300 auf jetzt über 15 000 angestiegen;
das ist ein Plus von 22 Prozent. Das verdient einerseits
unseren Beifall und andererseits unsere massive finanzielle Unterstützung.
({4})
Die verbesserte Grundlage haben wir jetzt geschaffen,
indem die zuständigen Ortsverbände und die Helfervereinigung des THW insgesamt 3,6 Millionen Euro mehr
als im Regierungsentwurf vorgesehen erhalten. Zusätzlich haben wir die Mittel für die Aus- und Fortbildung
um 1,5 Millionen Euro erhöht. Den Ortsverbänden des
THW stehen damit 23,5 Millionen Euro zur Verfügung.
Das ist ein Aufwuchs um satte 14,5 Prozent. Das ist
wahrlich eine gute Nachricht.
({5})
Anlässlich der Fußballweltmeisterschaft werden die
Ehrenamtlichen des THW zahlreiche zusätzliche Einsätze in erheblichem Umfang absolvieren und damit zur
Sicherheit der Sportereignisse beitragen. In den letzten
Jahren hat sich die Zahl der Einsätze des THW vor allem
in Katastrophengebieten im Ausland massiv erhöht. Waren es 2004 noch 42 Einsätze, so kam das THW 2005
schon 71-mal zu Hilfe. Bei dieser Arbeit hat sich das
THW weltweit einen ausgezeichneten Ruf erworben.
THWler sind vorbildliche Botschafter Deutschlands.
({6})
Auch die Zahl der Einsätze der Bereitschaftspolizeien der Länder steigt bundesweit an. Auch sie haben
im Moment mit Urlaubssperren und explodierenden
Überstundenkonten zu kämpfen. Die Mittel für die Fahrzeugbeschaffung im Regierungsentwurf wurden gegenüber den Vorjahren dennoch gekürzt. Ich bin froh, dass
es im Haushaltsausschuss auch in diesem Bereich gelang, eine Erhöhung von 1,5 Millionen Euro durchzusetzen, um dringend notwendige Modernisierungen im
Fahrzeugpark vorzunehmen; denn klar ist: Wir wollen
die Polizisten in ihrer oft schwierigen Arbeit durch verstärkte Investitionen in ihre Ausstattung unterstützen.
Bei der Programmarbeit der Bundeszentrale für politische Bildung sollten laut Regierungsentwurf 5 Millionen Euro gegenüber 2005 gestrichen werden. Das
wäre eine Kürzung um fast 30 Prozent gewesen und war
nach Auffassung der SPD völlig unakzeptabel. Gerade
junge Menschen profitieren von den unglaublich breit
gefächerten Informationsangeboten. Bundesweit nutzen
die Schulen die kostengünstig zur Verfügung stehenden
Schriften, die eine aktuelle Ergänzung nicht nur für den
gesellschaftspolitischen Unterricht darstellen und durch
kein Schulbuch abgedeckt werden. Das ist Aufklärung,
Information und Prävention, wie wir sie in Deutschland
angesichts steigender Politikverdrossenheit, Wahlmüdigkeit und - schlimmer noch - des Abdriftens von Jungwählern nach rechts und in die Gewalt dringend brauchen. Ich bin glücklich, dass es in einem Kraftakt
gelungen ist, die vorgesehene Kürzung von 18,4 auf
13,4 Millionen Euro komplett rückgängig zu machen.
5 Millionen Euro in diesem Schwerpunktbereich „on
top“, das ist wahrlich eine gute Nachricht.
({7})
Ich muss allerdings zugeben, dass mich eine schlechte
Nachricht bedrückt: Die Mittel für den wichtigen Bereich der Sprachkurse für Zuwanderer werden gegenüber dem Soll von 2005 faktisch um 67 Millionen Euro,
also um ein Drittel des Gesamtetats, auf 140 Millionen Euro gekürzt. Mein Kollege Luther ist darauf eingegangen: Das Innenministerium hat auf unseren
Wunsch hin mehrfach Berichte vorgelegt, aus denen dessen Prognose hervorgeht, dass das Geld angesichts der
Erfahrungen aus dem Vorjahr im Jahre 2006 reichen
wird. Der Innenausschuss ist dieser Kalkulation mehrheitlich gefolgt.
Ich persönlich fürchte aber, dass wir aufgrund der im
Vorjahr verspätet angelaufenen Sprachkurse kurz nach
In-Kraft-Treten des Zuwanderungsgesetzes, aufgrund
verzögerter Abrechnungen der Träger bis in dieses Jahr
hinein und aufgrund der viel zu langen Fristen von bis zu
zwei Jahren für das Einlösen der Berechtigungsscheine
in Wahrheit eine Bugwelle an nicht absolvierten Sprachkursen für Zuwanderer aus 2005 vor uns herschieben,
für die dringend zusätzliche Mittel zur Verfügung stehen
müssen.
({8})
Das Innenministerium versicherte uns, dass Mehrausgaben durch einen vorsorglichen Haushaltsvermerk gedeckt würden und dass in diesem Jahr kein integrationswilliger Zuwanderer und kein Träger Abstriche beim
Angebot von Sprachkursen machen muss.
({9})
Darauf, Herr Minister, werde ich pochen.
Der geplante Integrationsgipfel wäre ein zahnloser
Tiger, wenn die Mittel für eine verbesserte Integration in
Deutschland nicht kassenwirksam zur Verfügung stehen.
Im Zuwanderungsgesetz vorgesehene Spezialkurse zum
Beispiel für Frauen mit Betreuungsangeboten für ihre
Kinder, für Jugendliche und für Analphabeten wurden
bisher bundesweit noch viel zu wenig angeboten.
Ich freue mich, dass eine kleine Gruppe in meiner
Heimat, im deutsch-dänischen Grenzland in SchleswigHolstein, bereits in diesem Jahr von einer wichtigen
Kurskorrektur profitiert. Dabei handelt es sich um den
Bund der Nordschleswiger. Immerhin konnten wir die
vorgesehene Kürzung in Höhe von 100 000 Euro zurücknehmen, Herr Bergner. Wie Sie wissen, hat das im
Norden zu großer Zufriedenheit geführt.
Auch in einem anderen Bereich hat eine vergleichsweise kleine Summe große Wirkung erzielt. Dem
Abraham-Geiger-Kolleg stehen als jüdischer Bildungseinrichtung mit Sitz an der Universität Potsdam 2006
73 000 Euro mehr zur Verfügung. Das ist ein Signal in
Anerkennung der Leistungen der ersten Rabbinerausbildungsstätte in Deutschland.
({10})
Zum Schluss möchte ich noch auf das 6-MilliardenEuro-Programm für mehr Forschung und Entwicklung und das im Koalitionsvertrag festgelegte Ziel eingehen, diese Ausgaben bis 2009 auf 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes zu steigern. Das ist für mich eines
der Kernziele dieser großen Koalition. Ich gehöre zu
denjenigen, die schon in der Vergangenheit mit ganzer
Seele für die Aufstockung der Mittel für Bildung und
Forschung gekämpft haben. Ich hätte mir schon in der
letzten Wahlperiode gewünscht, dass der Bundesrat die
Abschaffung der Eigenheimzulage zugunsten des Bildungs- und Forschungsbereiches nicht, wie geschehen,
blockiert hätte; denn dann wären wir in Deutschland in
diesem Bereich vielleicht schon weiter. Aber den Blick
nicht zurück, sondern nach vorne zu richten, soll auch
meine Parole sein.
Ich freue mich, dass das Bundesinnenministerium an
dem 6-Milliarden-Euro-Programm der Bundesregierung
teilhaben wird. Allein 2006 sind 20 Millionen Euro zusätzlich für fünf Projektbereiche vorgesehen. Bis 2009
sollen insgesamt 80 Millionen Euro Bundesmittel bereitgestellt werden.
Dennoch muss ich gestehen, dass die Haushälter diese
Mittel vorerst komplett gesperrt haben. Ich will gerne
kurz den Grund dafür erläutern. Ich erinnere an die
Worte der Bundeskanzlerin bei der ersten Beratung des
Haushaltes im März. Sie sagte damals, dass die Frage
- ich zitiere -, „an welcher Stelle wir diesen Betrag in
Höhe von 6 Milliarden Euro ausgeben müssen, damit am
Ende der Legislaturperiode Deutschland insgesamt
3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Forschung und
Entwicklung ausgibt“, noch genau geklärt werden
müsse. Diese Sache sei „noch nicht in trockenen
Tüchern, weil auf jeden Euro der öffentlichen Hand
2 Euro privater Investitionen der Wirtschaft folgen müssen“. Ich gebe der Kanzlerin ausdrücklich Recht. Weil es
noch keine Gesamtstrategie gibt und weil es vor allem
noch keine Zusagen der Bundesländer und der Wirtschaft gibt, ihren jeweiligen Anteil zur Steigerung der
F-und-E-Mittel beizutragen, bleiben diese Mittel vorerst
gesperrt. Welchen Effekt wir durch die 6 Milliarden
Euro auf Bundesebene erzielen können, will ich am Beispiel des BMI-Haushalts verdeutlichen.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.
Ich komme zum Schluss. - Aus den 20 Millionen Euro, die allein 2006 etatisiert sind, und den
80 Millionen Euro bis 2009 könnten nämlich insgesamt
480 Millionen Euro für Bildung und Forschung werden,
wenn die Bundesländer und die Wirtschaft ihre Zusagen
an dieser Stelle einhalten.
({0})
Frau Kollegin, Sie müssen jetzt dringend zum Schluss
kommen.
Ich möchte mich bei meinen Mitberichterstattern für
die kollegiale Zusammenarbeit und bei Innenminister
Dr. Schäuble und seinen Mitarbeitern für die vielfache
Unterstützung bedanken. Ich glaube, wir haben eine gute
Arbeit geleistet und können zufrieden auf diese Haushaltsberatungen zurückblicken.
Ich danke Ihnen.
({0})
Das Wort hat der Kollege Wolfgang Wieland, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst
möchte auch ich mich als Fachpolitiker bei den Kolleginnen und Kollegen aus dem Haushaltsausschuss, insbesondere bei den Berichterstatterinnen und Berichterstattern,
bedanken. Ich füge aber hinzu, dass die Schlussdebatte
nach meinem Verständnis eher eine Stunde der politischen Auseinandersetzung als der Buchhalter sein sollte.
Es sollte eher eine Stunde der Generalabrechnung mit der
politischen Linie der Regierung sein. Hier fängt unsere
Schwierigkeit an. Wo ist eigentlich die Linie der großen
Koalition im Bereich des Innern? Was man sieht, lieber
Kollege Wiefelspütz, ist eine Art Waffenstillstandslinie
zwischen SPD und CDU/CSU, die sich ständig ändert.
Oder um es in der Sprache des Fußballs auszudrücken,
damit Sie es verstehen: Zu sehen ist eine Mannschaft, die
gegeneinander spielt, in der der eine Teil stürmt - die
CDU/CSU stürmt immer gegen Bürgerrechte und rechtsstaatliche Fundamente an -, während ein großer Teil der
SPD verteidigt und einige an der Außenlinie irrlichtern
und nicht wissen, ob sie stürmen oder verteidigen sollen.
Das ist ziemlich amüsant anzusehen, aber Weltmeister
wird eine solche Mannschaft nicht.
({0})
Eigentlich müsste der Trainer, der Bundesminister des
Innern, sagen, welchen Kurs die Regierung steuern will.
Er hat ja eine unnachahmliche Art. Er kommt ohne Manuskript oder legt es beiseite, schüttelt dann Grundsätzliches aus dem Ärmel und sagt im Plauderton, wie er
denkt, dass sich die Innenpolitik entwickeln sollte. So
hat er es auch im Innenausschuss gemacht, als er sein
Vierjahresprogramm vorlegen sollte und zu der Evaluation der Sicherheitsgesetze, der Nutzung von Autobahnmautanlagen zu Fahndungszwecken, der Heraufsetzung des Nachzugsalters von Ehegatten und dem Einsatz
der Bundeswehr im Innern, seinem Steckenpferd, Stellung genommen hat. Auf die Frage, ob das alles mit dem
Koalitionspartner abgesprochen sei, ob das wirklich Regierungspolitik wird, antwortete er nicht und schaute
stattdessen wie ein Auto nach dem Motto „Dann hätte
ich hier doch gar nichts sagen können“. In der Pädagogik
gibt es den unterforderten bzw. den sich unterfordert
fühlenden Schüler. Bei diesem Innenminister habe ich
ständig den Eindruck, dass wir nun den sich unterfordert
fühlenden Innenminister erleben, der eigentlich gerne etwas ganz anderes machen möchte, aber tatsächlich nur
dasitzt und die Welt beobachtet, genauso wie im Augenblick.
({1})
- Danke für das Kompliment.
Lieber Herr Schäuble, Sie wählen die passive Rolle,
und zwar auch bei der Föderalismusreform, obwohl
Sie als Verfassungsminister für die Beziehungen zu den
Ländern und - last, but not least - für die Angelegenheiten der Beamten zuständig sind. Selbst bei dieser als
Jahrhundertwerk titulierten Reform haben Sie nur die
Rolle eines Zaungastes gespielt. Sie haben lediglich einen Anstandsbesuch am ersten Tag der Anhörungen gemacht. Sie haben aber nicht in die Debatte eingegriffen.
Sie haben nichts dazu gesagt, dass das Versammlungsrecht auf 16 Bundesländer aufgeteilt und so zersplittert
werden soll, genauso wenig wie zu der geplanten BKAAllzuständigkeit. Das ist sicherlich ganz in Ihrem Sinne.
Aber eine aktive Politikgestaltung sieht anders aus. Wer
Sie noch aus Ihrer ersten Amtszeit kennt - ich nenne als
Beispiele nur das Ausländergesetz, an dem Ihr Vorgänger, Herr Zimmermann, gescheitert ist, und die Verhandlungen über den Einigungsvertrag -, der hat einen Macher in Erinnerung, der wirklich herangeht.
Was aber passiert heute? Morgen und übermorgen
wird Politik gemacht; so lauten die Versprechungen.
Man ist fast versucht, zu sagen: Vielleicht ist es gut, dass
Sie diese Form der Arbeitsverweigerung zurzeit noch an
den Tag legen; denn Ihre Langzeitprojekte, die Verschmelzung von Militär und Polizei sowie von Polizei
und Geheimdiensten - auf die Auseinandersetzungen
darüber freuen wir uns; diese Projekte haben Sie bestimmt nicht vergessen; Sie warten nur auf den richtigen
Zeitpunkt, sie umzusetzen -, veränderten die Sicherheitsarchitektur in diesem Land. Es wäre eine Architektur, die uns das Grausen lehrte.
({2})
- Es ist schön, wenn Sie sich gruseln. Dann hat sie ihren
Sinn erfüllt.
({3})
Da sich hier die Redezeit reziprok proportional zu den
Inhalten verhält, die die Rednerinnen und Redner vortragen, möchte ich ohne Hader noch ein deutliches Wort zu
den Integrationskursen sagen. Das ist wirklich ein
Stück aus dem Tollhaus. Der Kollege Grindel hat eine
Bildungsreise zu einem solchen Kurs gemacht. Als er zurückkam, sagte er im Innenausschuss - Reisen bildet -:
Das muss anders gemacht werden. Hier ist eine Binnendifferenzierung notwendig. Eine Analphabetin darf nicht
neben einer Studentin sitzen. Zudem müssen wir das Honorar heraufsetzen und die Zeiten verlängern. - Das alles
ist richtig. Gleichzeitig war man sich einig, dass nicht nur
die Neuzuzügler, sondern auch die so genannten Bestandsausländerinnen solche Kurse besuchen sollten.
Gleichzeitig sagte uns das Statistische Bundesamt bei der
Vorstellung des Mikrozensus 2005: Wir haben in diesem
Land 15,3 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund. - Das ist fast ein Fünftel der Bevölkerung. Gleichzeitig sagt der ebenfalls Ihnen zugeordnete Leiter des
Bundesamts für Migration und Flüchtlinge: Das Geld
wird nicht reichen. - Sie wollen die Kurse verbessern, wir
wollen das auf Bestandsausländerinnen und -ausländer
ausdehnen und dann werden die Gelder um ein Drittel
gekürzt. Das passt nicht zusammen. Deswegen haben wir
zu unserem Änderungsantrag eine namentliche Abstimmung gefordert. Ihnen zuliebe, den Kollegen zuliebe, die
nicht da sind - die können Fußball gucken -, wollen wir
die Abstimmung darüber nicht jetzt. So freundlich sind
wir.
({4})
Aber wir erwarten als Gegenleistung, Kolleginnen und
Kollegen der SPD, dass Sie Ihren Worten hier Taten folgen lassen und zustimmen.
Abschließend zum Thema Integration. Weil so gern
über Fußball geredet wird, will ich noch sagen: Wir haben in den letzten Tagen gerade in Berlin erfreut festgestellt - als Innenpolitiker soll man den Tag nie vor dem
Abend loben; das weiß ich -, dass die WM bisher ein
fröhliches Fest war. Wir hoffen, dass es so bleibt.
({5})
Erfreulich war auch, dass viele junge Türken hier in Berlin mit der Deutschlandfahne durch die Straßen gelaufen
sind und sich entsprechend bemalt haben.
Herr Kollege!
Das ist mein letzter Satz. - Das ist ein Signal. Sie
wollen dazugehören. Sie wollen mit dabei sein. Das sollten wir ernst nehmen
({0})
und in Zukunft sagen: Bei der Integration brauchen wir
einen Quantensprung und keine Mittelkürzung.
Vielen Dank.
({1})
Das Wort hat der Bundesminister des Innern,
Dr. Wolfgang Schäuble.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Ich will zunächst einmal eine Bemerkung zu Ihnen machen, Herr Kollege Wieland. Natürlich müssen
wir über die Sache der Innenpolitik intensiv diskutieren.
Aber wer die sorgfältige Wahrnehmung des Budgetrechts des Parlaments als Buchhalterei bezeichnet, verrät
ein unzureichendes Verständnis von der Notwendigkeit,
mit knappen Steuergeldern verantwortungsvoll umzugehen.
({0})
Ich will mich in der gebotenen Konzentration zunächst beim Haushaltsausschuss und bei den Berichterstattern herzlich für die intensive Beratung bedanken;
Frau Kollegin Hagedorn hat es gerade beschrieben. Wir
haben seit Beginn der Haushaltsberatungen gestern Morgen darüber geredet, dass dieser Haushalt ein Stück weit
ein Haushalt des Übergangs ist. Wir haben im Einzelplan 06 - gewissermaßen als Erblast - eine relativ hohe
globale Minderausgabe vorgefunden. Die ist nicht jetzt
entstanden. Die Probleme bei ihrem Abbau und die Konsequenzen daraus haben Sie liebenswürdigerweise sehr
präzise beschrieben; ich brauche das gar nicht zu wiederholen. Ich bin jedenfalls dankbar dafür, dass wir sie abbauen; ich unterstütze das ausdrücklich.
Insbesondere bei Frau Hagedorn und Herrn Luther
sowie den anderen Berichterstattern bedanke ich mich
dafür, dass wir einen großen Schritt vorangekommen
sind, sowie auch für die Bereitschaft, zu akzeptieren,
dass wir diese globale Minderausgabe nicht in einem
Schritt abbauen können, sondern dass wir zwei Schritte
brauchen und dass wir das auf die nächsten Haushaltsjahre bis 2008 verteilen müssen; sonst kommen wir
überhaupt nicht zurande. Ich sage Ihnen zu, das mit
Nachdruck zu unterstützen und meinen Beitrag dazu zu
leisten. Ich bedanke mich so, wie Sie sich bei den Mitarbeitern des Hauses für die Zusammenarbeit bedankt haben. Ich sehe auch gar keine grundsätzlichen Meinungsunterschiede.
Herr Kollege Wieland, machen Sie sich keine Sorge
im Hinblick auf Unterforderung oder Arbeitsverweigerung. Diese Sorge brauchen Sie nicht zu haben. Im Übrigen habe ich nicht verstanden: Wollen Sie nun mehr oder
weniger von mir?
({1})
Da müssen Sie sich irgendwie entscheiden. Aber es
macht ja Spaß.
Meine Aussage, dass es nichts Schöneres gibt, als Ihnen zuzuhören, war natürlich nur eine Aussage für die
Gegenwart. In dem Moment, in dem Sie gesprochen haben, hat es für mich nichts Schöneres gegeben, als Ihnen
aufmerksam zuzuhören. Aber das Ende der Redezeit ist
dann auch wieder schön. Jetzt ist es schön, dass Sie mir
zuhören.
Aber Spaß beiseite. Ich möchte in diesem Zusammenhang eine Bemerkung zum Thema BOS machen, das
mehrfach, angefangen bei Frau Piltz, erwähnt worden
ist. Ich finde, dieses Thema zeigt beispielhaft - das
möchte ich, verehrte Kolleginnen und Kollegen, mit allem Nachdruck sagen -, dass es in diesem Land, unabhängig davon, wer welche Mehrheit hat, wahnsinnig
schwierig ist, Entscheidungen zustande zu bringen und
umzusetzen. Das Thema BOS hat ja eine lange Leidensgeschichte. Bis die nächste Fußballweltmeisterschaft in
Deutschland stattfindet, sind Sie wahrscheinlich nicht
mehr Mitglied des Innenausschusses und ich bin vermutlich nicht mehr Mitglied des Deutschen Bundestages.
({2})
- Es wird auf jeden Fall eine Zeit lang dauern.
Ich füge hinzu: Ich fürchte, dass die Haushaltsvorsorge - bisher steht im Haushalt eine Verpflichtungsermächtigung - nicht ganz ausreichen wird. Wir brauchen sie aber dringend. Ich mache zurzeit Druck, dass
keine überzogenen Anforderungen gestellt werden; aber
wir müssen eine funktionsfähige Regelung haben. Wir
müssen übrigens berücksichtigen, dass wir bei jedem
Handeln im Bereich der inneren Sicherheit - davon bin
ich im Grundsatz sehr überzeugt - auf die Zusammenarbeit mit den prioritär verantwortlichen und zuständigen
Bundesländern angewiesen sind. Das macht die Einführung des BOS-Digitalfunks noch komplizierter. Es ist
aber gesamtstaatlich richtig. Ich bekenne mich als Bundesinnenminister und Verfassungsminister zur föderalen
Ordnung. Deswegen befürworte ich die prioritäre Zuständigkeit der Bundesländer, wo sie gegeben ist.
Ich habe übrigens auch als Mitglied der Bundesregierung großen Respekt vor den Verfassungsorganen Bundestag und Bundesrat, Herr Kollege Wieland. Deswegen
weise ich als Mitglied des Bundestages die Kritik zurück. Der Deutsche Bundestag hat die Kommission zur
Reform des Föderalismus vor vier Jahren zu seiner eigenen Sache gemacht. Da waren doch auch Sie dabei.
Entstanden ist eine gemeinsame Kommission von Bun3672
destag und Bundesrat. Da können Sie doch jetzt nicht sagen, die Bundesregierung hätte dafür sorgen sollen, dass
Bundestag und Bundesrat nicht das umsetzen, was sie
selber in schwierigsten Verhandlungen als richtig erarbeitet haben! Entweder - oder! Sie sollten der Bundesregierung nicht Respekt vor dem Parlament vorwerfen.
({3})
- Wir haben uns an den Beratungen intensiv beteiligt.
Aber da Sie ja das Gefühl haben, ich sei unterfordert,
werde ich Ihnen bei Gelegenheit einmal meinen Tagesablauf schildern.
Eine Bemerkung zur Fußballweltmeisterschaft. Es
herrschen große Freude und Erleichterung, dass - jedenfalls bis jetzt - alles so gut läuft; wir befinden uns wirklich am oberen Rand jeder denkbaren Erwartung. Wenn
die Weltmeisterschaft zu Ende ist, werden wir viel
Grund haben, uns bei den Zehntausenden von Polizeibeamtinnen und -beamten, bei den Helferinnen und Helfern der Hilfswerke, des Technischen Hilfswerks - ich
bedanke mich übrigens für das hier geäußerte große Lob
für das THW - und bei vielen anderen sehr für den tollen
Einsatz zu bedanken. Das gilt auch für die vielen ehrenamtlichen Helfer und die Bevölkerung insgesamt, die ein
großes Maß an Gastfreundschaft und Aufnahmebereitschaft gezeigt hat. Unsere ausländischen Gäste sind einfach begeistert von diesem Land. Am Ende glauben wir
selber noch, dass wir gar nicht so schlecht sind.
({4})
Trotzdem füge ich in dieser Stunde auch der Erleichterung darüber, dass bisher alles gut gelaufen ist, hinzu:
Hätten wir nicht einen so ungeheuer großen präventiven
Sicherheitsaufwand betrieben,
({5})
würde es vielleicht nicht so gut laufen. Deswegen darf
aus den Erfahrungen dieser Fußballweltmeisterschaft um
Himmels willen nicht abgeleitet werden, dass wir die
Anforderungen an die innere Sicherheit in Zukunft nicht
mehr so ernst zu nehmen brauchen.
Ich füge hinzu: Wir werden auch in Zukunft dringend
leistungsfähige Nachrichtendienste brauchen, weil wir
sonst in der Prävention, in der Gefahrenabwehr verraten
und verkauft und nicht in der Lage sind, unserer Verantwortung gerecht zu werden.
({6})
Auch diese Bemerkung mache ich mit großem Ernst und
mit aller möglichen Eindringlichkeit.
Ich will zu dem Thema Integration in aller Kürze etwas sagen. Was den Integrationsgipfel anbelangt, warten
Sie ihn doch erst einmal ab! Lassen Sie ihn erst einmal
stattfinden, bevor Sie ihn schlechtreden! Ich jedenfalls
höre bei den betroffenen Bevölkerungsgruppen positive
Reaktionen und erkenne durchaus die Bereitschaft, da
mitzumachen. Wir sind entschlossen, das Menschenmögliche zu tun, um Defizite, die es in diesem Land
ganz sicher gibt, abzubauen. Man kann ja auch daraus
lernen und es besser machen.
Was die Integrationskurse anbetrifft: Wir alle sollten
mit den Einbürgerungskursen seriös umgehen. Sie sind
letztes Jahr eingeführt worden. Wir haben eine Evaluierung in Auftrag gegeben. Das Bundesamt für Migration
und Flüchtlinge, das übrigens jenseits aller parteipolitischen Zuordnung weitgehend gelobt wird und eine wirklich gute Arbeit leistet, hat Aufträge - auch extern - vergeben, um diese Kurse zu evaluieren.
Wir wissen, dass die Mittel hierfür in diesem Jahr
ausreichen. Wir befinden uns übrigens in der Mitte des
Jahres und haben keine vergleichbaren Zahlen von 2005;
so viel zur Bugwelle, die wir angeblich vor uns herschieben. Es spricht alles dafür, dass das, was ich im Innenausschuss gesagt habe, eintreten wird, nämlich dass die
Mittel ausreichen. Im Übrigen gilt die Zusage, dass kein
Kurs, sollte ein Mangel an Mitteln eintreten, daran scheitern wird. Ob wir die Mittel für das nächste Jahr erhöhen
müssen, werden wir in den nächsten Haushaltsberatungen seriös und intensiv beraten.
Wie wir die Kurse ändern und welche Erfahrungen
wir machen, evaluieren wir seriös. Deswegen haben wir
entsprechende Aufträge vergeben. Wenn man eine Evaluation in Auftrag gibt, dann kennt man das Ergebnis
nicht, bevor der Bericht über die Evaluation vorliegt.
Wenn es anders wäre, würde sie keinen Sinn machen.
Dann wäre es rausgeschmissenes Geld.
({7})
- Die sind leider so, dass ich den Haushaltsausschuss
bitten müsste, die Mittel für diesen Bereich nicht nur
marginal zu erhöhen, sondern zu verdoppeln. Wir haben
einmal nachgerechnet, was deren Umsetzung kostet.
Von der Opposition habe ich übrigens gestern und
heute Kritik dazu gehört - ich habe der Haushaltsdebatte
in weiten Teilen aufmerksam zugehört -, die Verschuldung sei zu hoch. Sie können nicht den ganzen Tag die
Verschuldung als zu hoch kritisieren, dann ständig mehr
Geld ausgeben wollen und nicht sagen, woher es kommen soll. Das geht nicht.
({8})
Wir müssen bei begrenzten Mitteln die Effizienz verstärken. Deswegen muss erst einmal evaluiert werden.
Wenn eine Sache erst ein Jahr in Kraft ist, macht es keinen Sinn, blind etwas Neues zu sagen. Man muss vielmehr bereit sein, unvoreingenommen zu prüfen, wo es
Verbesserungsnotwendigkeiten und -möglichkeiten gibt.
Wenn es welche gibt, dann setzen wir diese auch um.
Dies aber vorher zu wissen, ist ideologisches Handeln
und keine verantwortliche Politik.
({9})
Deswegen meine Bitte: Lassen Sie uns im Ausschuss
oder wo auch immer über die Fragen dieser Politik intensiv diskutieren! Heute ist die Stunde der Beratung des
Einzelplans - im Rahmen der begrenzten Redezeit, die
wir für Haushaltsberatungen festgelegt haben. Ich bedanke mich dafür, dass wir bei insgesamt begrenzten
Mitteln mit diesem Haushalt das Notwendige für die prioritären Aufgaben im Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern zur Verfügung gestellt bekommen. Ich
bedanke mich für die gute Zusammenarbeit und bitte
Sie, dem Einzelplan 06 zuzustimmen.
({10})
Das Wort hat der Kollege Gerold Reichenbach, SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin, ich möchte mir außerhalb der Redezeit, solange das Rednerpult hochfährt, eine kurze Information erlauben: Das Spiel Argentinien gegen Italien
steht 0 : 0.
({0})
- Entschuldigung, Niederlande. Für den Überblick haben wir ja einen Innenminister.
Die Mitglieder des Sportausschusses sind nicht da;
vielleicht lag daran Ihr Versehen.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Wir Sozialdemokraten haben uns bereits in den letzten
beiden Legislaturperioden als Garant von Sicherheit und
Freiheit in diesem Lande begriffen. Dies werden wir in
der neuen Konstellation fortsetzen.
Der Etat, der heute zur Verabschiedung ansteht, ist
davon getragen. Wir haben das Notwendige getan. Wir
werden es auch weiterhin tun, um in unserem Lande ein
Höchstmaß an Sicherheit gegenüber den neuen Herausforderungen zu bieten. Wir werden dabei aber auch darauf achten, dass die Freiheitsrechte der Bürger und die
Grundentscheidung unserer Verfassungsväter nicht unter
die Räder kommen. Der Satz: „Freiheit ohne Sicherheit
ist nichts“ ist richtig; aber er gilt auch umgekehrt.
Wir wissen, dass insbesondere die Prävention und die
Bekämpfung des Terrorismus und der internationalen
Kriminalität nur mit einer bestmöglichen Vernetzung
und einem effektiven Informationsaustausch zu leisten
sind. Das wollen wir voranbringen, aber unter Beachtung der Trennung von Polizei und Geheimdiensten und
unter der Maßgabe einer klaren Kontrolle. Die jüngste
Debatte über die Geheimdienste bestärkt uns darin.
({0})
Wir werden darauf achten - und haben dies auch im
Koalitionsvertrag festgehalten -, dass die grundgesetzliche Trennung zwischen polizeilichen und militärischen
Aufgaben gewahrt bleibt.
({1})
Die Verschränkung von innerer und äußerer Sicherheit
bedeutet, dass unsere Polizei - die Bundespolizei, das
BKA, aber auch die Landespolizeien - verstärkt internationale Verantwortung wahrnimmt. Schon heute spielen
wir international eine wichtige Rolle, wenn es darum
geht, in Krisenregionen eine verlässliche und rechtsstaatliche Polizei aufzubauen. Der Wert dieses Beitrags
zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus und
der internationalen Kriminalität kann nicht hoch genug
eingeschätzt werden. Wir Sozialdemokraten werden uns
auch in Zukunft der Verantwortung stellen. Lassen Sie
mich an dieser Stelle den Männern und Frauen bei der
Polizei, die dafür vor Ort den Kopf hinhalten, danken.
({2})
Wir werden unsere Sicherheitsarchitektur dort, wo
wir Mängel erkannt haben, weiterentwickeln. Dabei haben Sozialdemokraten Impulse gesetzt. Wir wollen, dass
das Bundeskriminalamt auch bei der Bekämpfung des
Terrorismus die Möglichkeit erhält, selbstständig im
Vorfeld Ermittlungen zu tätigen. Das ist insbesondere
dann wichtig, wenn es darum geht, Hinweisen von ausländischen Stellen vertieft nachzugehen.
({3})
Auch an anderer Stelle halten wir eine Weiterentwicklung unserer Sicherheitsarchitektur für notwendig. Ich
meine hier den Schutz der Bevölkerung. Grundsätzlich
haben wir ein gutes Notfallversorgungssystem. Ich freue
mich sehr, dass wir mit dem Mittelaufwuchs für das
THW dort, wo der Bund Verantwortung trägt, ausdrücklich den Einsatz der ehrenamtlichen Helfer würdigen
und sie unterstützen. Für den Fall von länderübergreifenden Katastrophen und Terroranschlägen fehlt es dem
Bund aber an Möglichkeiten, korrigierend und steuernd
einzugreifen. Die Flutkatastrophe an der Elbe und das
Versagen der FEMA in den USA haben uns das deutlich
aufgezeigt. Wir wollen diese Sicherheitslücke beseitigen. Wir brauchen eine gesetzliche Grundlage dafür,
dass der Bund in solchen Fällen tätig werden kann.
Die Fußball-WM hat in der Vorbereitungsphase
wichtige Impulse für den Sicherheitsbereich gegeben,
auf denen wir aufbauen werden. Ich möchte mich ausdrücklich dem Dank an diejenigen anschließen, die nach
intensiver Vorbereitung rund um die Uhr im Einsatz
sind, um eine sichere WM zu gewährleisten: den Polizistinnen und Polizisten, den Helfern vom THW, von der
Feuerwehr und den Rettungsdiensten sowie den anderen
ehrenamtlichen Helfern. Sie alle leisten tolle Arbeit.
Danke!
({4})
Wir zeigen in diesen Tagen ein weltoffenes Deutschland. Junge Menschen ziehen mit Fahnen durch die Gegend, nicht, wie im Vorfeld befürchtet, mit Baseballschlägern. Das überlassen sie den Spielern der New York
Yankees.
({5})
Menschen aus allen Erdteilen werden offen und vorurteilsfrei empfangen; ihre Teams werden auch von den
einheimischen Schlachtenbummlern unterstützt. Wir
werden alles dafür tun, dass dies so bleibt, dass Fremdenfeindlichkeit in unserem Land keine Chance hat.
Deswegen werden wir unsere Anstrengungen bei der Bekämpfung von Rechtsradikalismus fortsetzen.
({6})
Wir wollen Zukunftsperspektiven für das Zusammenleben mit den Menschen, die als Migranten zu uns gekommen sind - auch mit denen, die schon länger mit uns
leben -, aufzeigen. Zum Thema Integrationskurse ist genügend gesagt worden. Integration bedeutet mehr: Sie
umfasst auch Bildungschancen, Arbeit und Wohnen. Wir
können zu Recht fordern, dass Migranten die Werte unseres Grundgesetzes akzeptieren. Wir müssen ihnen aber
im Gegenzug die Chance zur gesellschaftlichen Teilhabe
eröffnen. Um im Bild dieser Tage zu bleiben: Wir dürfen
die Menschen nicht auf den Elfmeterpunkt stellen und
ihnen dann den Ball vorenthalten. Es nutzt nichts, mit
Platzverweis zu drohen, wenn sie nicht auf das Tor
schießen können. Wir müssen ihnen Chancen und
Perspektiven eröffnen.
({7})
Das betrifft auch die rund 300 000 Menschen, die von
Kettenduldungen betroffen sind. Auch sie benötigen eine
Perspektive; sonst gibt es keine Integration.
Wie Menschen, gerade junge Menschen, reagieren,
wenn sie keine Chance erhalten - egal ob es sich um
Ausländer oder Inländer handelt -, ist bekannt: Perspektivlosigkeit ist auch eine Quelle von Gewalt und letztlich
von Terrorismus.
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme zum Ende.
Wir Sozialdemokraten wollen, dass das sichere und
weltoffene Bild, das unser Land in diesen Tagen der
Weltöffentlichkeit zeigt, auch im Alltag von Dauer ist.
Mit dem Haushalt soll ein Beitrag dazu geleistet werden.
Ich bitte um Ihre Unterstützung.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
In Übereinstimmung mit den Parlamentariergruppen,
die für die Niederlande und Argentinien zuständig sind,
wurde zwischen den Fraktionen vereinbart - das ist wahrscheinlich auch mit Rücksicht auf die Sicherheitskräfte
geschehen, die das Viertelfinale betreuen werden -, die
Abstimmungen zu diesem Tagesordnungspunkt, auch die
namentliche Abstimmung, auf morgen früh zu Beginn der
Sitzung zu vertagen. Ich gehe davon aus, dass Sie damit
einverstanden sind. - Dann ist das so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Donnerstag, den 22. Juni 2006, 9 Uhr, ein.
Genießen Sie die gewonnenen Einsichten und den
Rest des Abends.
Die Sitzung ist geschlossen.