Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 6/1/2006

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Vor Eintritt in die Tagesordnung einige amtliche Mitteilungen: Der Kollege Ruprecht Polenz feierte am 26. Mai und der Kollege Eike Hovermann am 27. Mai seinen 60. Geburtstag. Im Namen des ganzen Hauses gratuliere ich den beiden Kollegen nachträglich sehr herzlich. ({0}) Die Kollegin Mechthild Dyckmans hat ihr Amt als Schriftführerin niedergelegt. Als Nachfolgerin schlägt die Fraktion der FDP die Kollegin Angelika Brunkhorst vor. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Die Fraktion der SPD teilt mit, dass der Kollege Christian Lange sein Amt als Mitglied im Gremium gemäß § 23 c Abs. 8 des Zollfahndungsdienstgesetzes aufgibt. Als Nachfolgerin wird die Kollegin Ute Berg vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offenkundig der Fall. Die Kollegin Ute Berg ist somit ebenfalls gewählt. Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 1 Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus Kurth, Irmingard Schewe-Gerigk, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Alternativen zum Heim schaffen - Ambulante Angebote für Menschen mit Behinderungen weiterentwickeln und ausbauen - Drucksache 16/1644 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({1}) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit ZP 2 Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Europäischen Übereinkommen vom 6. November 2003 über den Schutz von Tieren beim internationalen Transport ({2}) - Drucksache 16/1346 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({3}) - Drucksache 16/1664 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Peter Jahr Dr. Wilhelm Priesmeier Hans-Michael Goldmann Dr. Kirsten Tackmann Bärbel Höhn ZP 3 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD: Lage am Ausbildungsmarkt - Ausbildungspakt als Chance für Unternehmen, junge Menschen und den Arbeitsmarkt ZP 4 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({4}) zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-Christian Ströbele, Volker Beck ({5}), Grietje Bettin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Überwachung von Journalisten durch den Bundesnachrichtendienst - Drucksachen 16/85, 16/1656 Berichterstattung: Abgeordnete Clemens Binninger Dr. Max Stadler Ulla Jelpke Wolfgang Wieland Die Tagesordnungspunkte 9 und 11 sollen in der Folge getauscht werden. Außerdem soll statt des Tagesordnungspunkts 8 c - Beratung eines Zwischenberichts - die mittlerweile fertig gestellte Beschlussempfehlung des Innenausschusses zu der Vorlage aufgerufen werden. Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden. Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist so beschlossen. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 1 auf: Fragestunde - Drucksachen 16/1604, 16/1645 Redetext Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Zunächst einmal behandeln wir die dringlichen Fragen. Sie betreffen den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Franz Thönnes zur Verfügung. Wir kommen zur dringlichen Frage 1 des Kollegen Dirk Niebel: Wie stellt sich die Bundesregierung zu Absprachen zwischen dem Bundesminister für Arbeit und Soziales, Franz Müntefering, und dem Bundesminister der Finanzen, Peer Steinbrück, zur Entlastung des Bundeshaushalts den Aussteuerungsbetrag von 10 000 auf 12 000 Euro anzuheben ({6})?

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Werter Kollege Niebel, nach § 46 Abs. 4 des Zweiten Buchs Sozialgesetzbuch entspricht der Aussteuerungsbetrag dem Zwölffachen der durchschnittlichen monatlichen Aufwendungen für Arbeitslosengeld II, Sozialgeld und Beiträgen zur Sozialversicherung im vorangegangenen Kalendervierteljahr. Bei der Abrechnung zum 15. Mai 2006 betrug dieser Betrag rund 10 000 Euro je Abrechnungsfall. Eine Absprache, diese Regelung zu ändern, gibt es nicht.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nachfrage, Kollege Niebel? - Bitte.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Staatssekretär, der Kollege Kampeter von der CDU/CSU-Fraktion hat gestern in einer dpa-Meldung verlauten lassen - ich zitiere -: Die schlechten Risiken wandern nach einem Jahr in den Hartz-IV-Bereich. Das heißt: Während die Arbeitslosigkeit im Beitragsbereich ({0}) gegenüber dem Vorjahr erheblich abnimmt, ist im steuerfinanzierten Hartz-IV-Bereich ({1}) ein Zuwachs zu verzeichnen. Können Sie vor diesem Hintergrund ausschließen, dass im Verlauf dieses Jahres der Aussteuerungsbetrag in irgendeiner Weise noch verändert wird?

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Herr Niebel, es ist so, dass mit der Absenkung des Aussteuerungsbetrags der Istentwicklung nach den ersten beiden Abrechnungen zum 15. Februar und 15. Mai dieses Jahres Rechnung getragen worden ist. Ich will mich hier überhaupt nicht irgendwelchen Spekulationen anschließen. Die faktische Entwicklung bleibt abzuwarten. Ich stelle hier fest, dass wir den Betrag der Istentwicklung angeglichen haben.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Weitere Nachfrage? - Bitte.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Staatssekretär, Ihrer Antwort entnehme ich: Sie können nicht ausschließen, dass im Laufe des Jahres der Aussteuerungsbetrag verändert wird. - Vor dem Hintergrund dessen, dass die Bundesagentur bei der Betreuung der Arbeitslosen den Schwerpunkt ihrer Integrationstätigkeit offenkundig auf den Arbeitslosengeld-I-Bereich legt, um - vermeintlich - ihren eigenen Haushalt gegenüber dem des Bundes zu schonen, würde ich gerne wissen, wie Sie die Haushaltsrisiken bei weiterem Fortfahren der Bundesagentur in diesem Sinne einschätzen.

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Ich glaube, dass wir Haushaltsrisiken in der Form nicht einzuschätzen brauchen, weil sich die Entwicklung in der Bundesagentur relativ gut darstellt. Bei der Entwicklung der Ausgaben für Leistungen nach dem SGB II müssen wir uns ganz einfach vor Augen führen, dass sich das, was manchmal mit solchen Fragestellungen impliziert wird, nämlich dass es sich bei der Entwicklung dort um eine Explosion handelt, nicht durch Fakten belegen lässt. Es gibt keine explosionsartige Zunahme der Kosten. Ich will Ihnen das anhand der Zahlen für die ersten vier Monate dieses Jahres zu erläutern versuchen. Wir haben Ausgaben gehabt im Januar von 2,46 Milliarden Euro, im Februar von 2,25 Milliarden Euro, im März von 2,26 Milliarden Euro und im April von 2,22 Milliarden Euro. Ich glaube, dass im Haushaltsausschuss gestern die richtigen Entscheidungen getroffen worden sind, sodass ich die Risiken, die Sie beschreiben, nicht sehe. Wir sollten uns ein Stück weit mit den positiveren Arbeitsmarktdaten auseinander setzen, die wir seit Mai haben. Es ist gut, wenn wir im Vergleich zum Vorjahr 255 000 Arbeitslose weniger haben. Es ist gut, wenn wir sehen, dass die Abgänge aus Arbeitslosigkeit in Erwerbstätigkeit relativ stark zunehmen. Das ist eine erfreuliche Entwicklung, die auch positive Auswirkungen haben wird, insbesondere aufgrund der verstärkten Bemühungen, die in den Arbeitsgemeinschaften, in den Leistungszentren und bei den Optionskommunen jetzt anlaufen, sodass Menschen, die Leistungen nach dem SGB II beziehen, auch Arbeit finden werden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Frage, und zwar der Kollegin Kornelia Möller.

Kornelia Möller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003811, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. - Herr Thönnes, in welcher Höhe rechnet die Bundesregierung mit Einsparungen von Transferleistungen durch den vermehrten Einsatz von Sofortmaßnahmen zur Überprüfung der Arbeitsbereitschaft und in welchem zusätzlichen Umfang plant die Regierung den Einsatz von Sofortmaßnahmen?

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Frau Möller, es ist unsere Aufgabe, mit den Steuermitteln effektiv umzugehen. Dementsprechend ist vorgesehen - das soll jetzt im SGB-II-Fortentwicklungsgesetz so geregelt werden -, dass dort, wo dies begründet und nachvollziehbar ist, Menschen, die länger arbeitslos sind und einen Antrag auf Arbeitslosengeld II stellen, Sofortmaßnahmen angeboten werden sollen. Wir gehen davon aus, dass mit dem SGB-II-Änderungsgesetz insgesamt gut 3,8 Milliarden Euro eingespart werden können. Das wird im Jahr der vollen Wirksamkeit der Fall sein. Sie wissen, dass es aufgrund der unterschiedlichen Möglichkeiten seitens der Administration, das umzusetzen, unterschiedliche Inkraftsetzungsdaten geben wird. Ich gehe davon aus, dass das in diesem Bereich mit dazu beitragen wird, die Solidarität zu stärken, indem Direktangebote unterbreitet werden; werden diese Angebote nicht angenommen, gibt es wohl auch keinen ernsthaften Bedarf.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Danke. - Eine weitere Frage hat die Kollegin Katja Kipping.

Katja Kipping (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003786, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Thönnes, Sie haben sich gerade selber skeptisch zu dem Begriff der Kostenexplosion geäußert. In der Unterrichtung der Bundesregierung an den Ausschuss für Arbeit und Soziales gibt es die Berechnung, wie viel Geld nach dem alten Recht insgesamt für Sozialhilfeempfänger und Langzeiterwerbslose hätte ausgegeben werden müssen. Da es in den Medien weiterhin gezielt gestreute Nachrichten über angebliche Kostenexplosionen gibt, frage ich Sie: Was ist nach Meinung der Bundesregierung der Hauptgrund für diese angeblich steigenden Ausgaben?

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Frau Kipping, wir sollten realistisch mit den Zahlen umgehen und angesichts bestimmter Daten nicht panisch reagieren. Man kann davon ausgehen, dass, wenn man die alte Sachlage fortgeschrieben hätte, nach der auf der einen Seite Sozialhilfe und die Kosten der Unterkunft gezahlt werden und auf der anderen Seite die Arbeitslosenhilfe als getrenntes System existiert, Aufwendungen in einer Größenordnung von 35,5 Milliarden Euro entstanden wären. Nach der Zusammenführung, also nach neuem Recht, betrugen die Istausgaben im Jahr 2005 37,3 Milliarden Euro. Das ist keine Kostenexplosion und auch kein sozialer Kahlschlag, wie das an mancher Stelle von der anderen Seite behauptet wird. Kenner der Szene wissen, dass es im alten Sozialhilferecht eine Dunkelziffer gab, dass einer von drei Menschen, die berechtigt gewesen wären, Sozialhilfe zu beziehen, diesen Anspruch nicht geltend gemacht hat. Unter dem neuen Recht machen nun auch diese Sozialhilfeberechtigten Gebrauch von ihrem Anspruch. Vor diesem Hintergrund sage ich deutlich: Wir wollten mit der Zusammenführung der Arbeitslosenhilfe und der Sozialhilfe eine Verbesserung für die Menschen erreichen, die gerade in der Sozialhilfe zu einem großen Teil von den Angeboten der Arbeitsförderung, den Leistungen zur Integration ausgeschlossen waren. Das haben wir mit der Reform erreicht. Von daher ergibt sich an dieser Stelle ein Anstieg der Zahl der Menschen, die von ihrem Rechtsanspruch Gebrauch machen und die Förderungsmöglichkeiten der Arbeitsverwaltung nutzen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Frage hat der Kollege Klaus Brandner.

Klaus Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003053, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, die Praxis bei der Bekämpfung des Leistungsmissbrauchs soll jetzt durch das SGB-IIÄnderungsgesetz aufgegriffen werden. Können Sie uns erklären, ({0}) inwiefern durch dieses Gesetz Kosteneinsparungen erreicht und Leistungsmissbräuche verhindert werden können?

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Herr Kollege Brandner, aus der Praxis gab es - diese Erfahrung machen alle, wenn sie die Arbeitsgemeinschaften oder Leistungszentren besuchen - die Forderung nach der Erweiterung der Abfragemöglichkeiten. Diese haben wir aufgegriffen. Die Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende können künftig Daten des Kraftfahrt-Bundesamtes und der Meldebehörden abfragen und auch das Vorhandensein von Autos oder die Wohnsituation der Leistungsbezieher überprüfen. Außerdem gibt es einen automatisierten Datenabgleich. Bereits der erste Abgleich, den die Bundesagentur für Arbeit im Oktober 2005 durchgeführt hat, hat Leistungsüberzahlungen aufgedeckt. Es gibt eine vorläufige Schätzung der BA; sie beläuft sich auf 35 Milliarden Euro. Ich weise darauf hin, dass nun auch im EU-Ausland vorhandenes Vermögen überprüft werden kann. Es gibt eine Konkretisierung der Verantwortlichkeit bei der Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten im Bereich der Grundsicherung. Wir haben die Zusammenarbeit mit dem Zoll gestärkt, weil wir insbesondere Leistungsmissbrauch und Schwarzarbeit bekämpfen wollen. In der Praxis hat sich auch gezeigt, dass die Entscheidungen von den vor Ort Tätigen nicht allein im Büro getroffen werden können. Deswegen haben wir vorgesehen, dass jetzt ein Außendienst zur Vermeidung von Leistungsmissbrauch eingerichtet wird. Das alles wird in die Maßnahmen Eingang finden, mit denen 3,8 Milliarden Euro eingespart werden. Wenn durch das Aufdecken von Leistungsmissbrauch weitere Finanzmittel eingespart werden können, dann kann das nur im Sinne der Steuerzahler und auch im Sinne der Betroffenen sein, weil dann schlichtweg mehr Mittel zur Integration zur Verfügung stehen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich mache darauf aufmerksam, dass es noch eine ganze Reihe von Wortmeldungen gibt. Ich bitte deswegen um kurze Beantwortung. ({0}) Die nächste Frage stellt der Kollege Jörg Rohde.

Jörg Rohde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003831, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, Sie haben gesagt, dass Sie nicht denken, dass weitere Kosten im Bereich des SGB II auf den Bundeshaushalt zukommen. Vor dem Hintergrund, dass durch das neue Gesetz der Kreis der bisherigen Leistungsempfänger, die die Kosten für die Unterkunft von den Kommunen erstatten bekommen, beispielsweise um BAföG-Empfänger erweitert wird, frage ich: Ist es Strategie der Bundesregierung, die Kosten im Bundeshaushalt konstant zu halten, indem sie auf die Kommunen abgewälzt werden?

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Herr Kollege Rohde, in diesem Gesetz gibt es eine klare Aufteilung: Der Bund übernimmt die Transferleistungen, was zu einer erheblichen Entlastung der Kommunen beigetragen hat. Die Kommunen tragen die Kosten für die Unterkunft. Die Beteiligung des Bundes beträgt 29,1 Prozent. Im Herbst des letzten Jahres sind wir in diesem Punkt noch einmal Kompromisse eingegangen, die zu einer Belastung des Bundes weit über diesen Betrag in Höhe von 2,5 Milliarden Euro führen. Im Ergebnis der gesamten gesetzlichen Neuregelungen kann ich keine zusätzliche Belastung der Kommunen erkennen. Ich denke, es liegt genau die Aufgabenteilung vor, die im Gesetz festgelegt worden ist. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nächste Frage hat der Kollege Dr. Heinrich Kolb.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, sind Angaben in einem Artikel des „Focus“ von Anfang der Woche zutreffend, dass - bei gleicher Rechtslage - die Ausgaben für Hartz IV in den ersten vier Monaten dieses Jahres um etwa 4 Milliarden Euro höher liegen als die Ausgaben im gleichen Zeitraum des Vorjahres? Können Sie bestätigen, dass selbst bei einem sofortigen Greifen des SGB-IIFortentwicklungsgesetzes, das wir heute verabschieden wollen, am Jahresende immer noch Mehrausgaben in Höhe von rund 3 Milliarden Euro gegenüber dem Vorjahreszeitraum zu erwarten sind?

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Ich konzentriere mich auf die Entwicklung, die durch die Zahlen, die ich Ihnen gerade genannt habe, gekennzeichnet ist. Wir gehen von einem Mehrbetrag in Höhe von circa 2,25 Milliarden Euro in den ersten vier Monaten aus. Wenn man diesen Betrag auf das Jahr hochrechnet sowie die Tatsachen berücksichtigt, dass wir mit einer Reduzierung der Arbeitslosenzahl rechnen können und dass gestern vom Haushaltsausschuss eine Sperre in Höhe von 1,1 Milliarden Euro beim Eingliederungstitel beschlossen wurde, dann kann man sagen, dass Ihre geäußerten Befürchtungen nicht eintreten werden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die nächste Frage hat der Kollege Dr. Ralf Brauksiepe.

Dr. Ralf Brauksiepe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, die Fragen der FDP beziehen sich auf die finanziellen Konsequenzen der gesetzlichen Maßnahmen im Bereich des SGB II. Es ist unstrittig, dass wir darauf achten müssen, dass die Haushaltsansätze eingehalten werden. In diesem Zusammenhang wird viel über Missbrauchsbekämpfung gesprochen. Können Sie im Zusammenhang mit den geplanten finanziellen Verbesserungen dieses Haus einmal darüber informieren, was gerade für die Förderung der Menschen im Bereich des SGB II getan wird, ({0}) um die finanziellen Rahmenbedingungen einzuhalten, worauf es der FDP ebenfalls ankommt. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte darum, Ihre Aufmerksamkeit dem Herrn Staatssekretär für die Beantwortung der Frage zu schenken.

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Herr Kollege Brauksiepe, ich habe vorhin ausgeführt, dass es Bestreben des Gesetzgebers war, die beiden konkurrierenden Transfersysteme, nämlich Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe, zusammenzuführen, um denjenigen Menschen eine Perspektive zu geben, die als Sozialhilfeempfänger bislang von den Förderleistungen ausgeschlossen waren. Bei dieser Personengruppe war es auch nicht möglich, aus einer Hand weitere ergänzende Leistungen wie Suchtberatung oder Schuldnerberatung anzubieten und mit Integrationsmaßnahmen dafür zu sorgen, dass die Hemmnisse für eine Rückkehr auf den Arbeitsmarkt beseitigt werden. Ich glaube, dass bestehende Diskriminierungen jetzt aufgehoben worden sind. Wir haben einen stark verbesserten Betreuungsschlüssel insbesondere im Bereich der jungen Menschen eingeführt. Im Kern ist das gesetzliche Ziel erreicht worden, dass ein Betreuer für 75 Jugendliche zuständig ist. Er kann sich also viel besser um deren Integration kümmern. Noch vor einigen Jahren bestand die Situation, dass 250 bis 300 Menschen auf einen Betreuer kamen. ({0}) Ich will hinzufügen, dass man dem Bericht der Bundesagentur für Arbeit das positive Ergebnis entnehmen konnte, dass im letzten Jahr 1,6 Millionen erwerbsfähige Hilfebedürftige an Maßnahmen der aktiven Arbeitsförderung teilgenommen haben. ({1}) In den ersten neun Monaten des letzten Jahres war bei den entsprechenden Anträgen ein Anstieg von 16 Prozent zu verzeichnen. 7,6 Millionen Anträge sind eingereicht worden. Das zeigt schlichtweg, wie der Sozialstaat an dieser Stelle greift. Es ist sehr gut, dass es uns gelungen ist, 350 000 erwerbsfähigen hilfebedürftigen Jugendlichen eine Maßnahme der aktiven Arbeitsmarktförderung anzubieten und zur Verfügung zu stellen. Das hat mit dazu beigetragen, dass im letzten Jahr im Vergleich zum Jahr 2004 156 900 Jugendliche mehr ihre Arbeitslosigkeit beenden konnten. Das zeigt, dass dort schrittweise ein positiver Effekt der Reformen eintritt. Ich denke, wir sind auf einem guten Weg. Die Arbeitsgemeinschaften und die Leistungszentren haben ihre organisatorischen Findungsprozesse jetzt weitgehend abgeschlossen und es werden Qualifizierungsmaßnahmen für die Mitarbeiter durchgeführt. Es gibt ein starkes Engagement. Die Reform gewinnt daher zunehmend an Wirkung.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die nächste Frage stellt die Kollegin Inge HögerNeuling.

Inge Höger-Neuling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003773, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, Sie haben eben gesagt, es bestehe kein Grund, panisch zu reagieren. Sie haben gesagt, es gebe keine Kostenexplosion und es würden nur die Rechtsansprüche, die den Menschen zustehen, wahrgenommen. Es gebe also keinen massenhaften Missbrauch. Warum reagieren Sie dann panisch und bringen zwei Tage vor der abschließenden Beratung des Hartz-IVFortentwicklungsgesetzes Änderungsanträge ein, ({0}) in denen massenhafter Missbrauch unterstellt wird, und drohen den Empfängern von Arbeitslosengeld II massiv mit Leistungskürzungen, um Kosten einzusparen - angeblich gibt es ja keine Kostenexplosion - und den angeblichen Missbrauch zu bekämpfen?

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Frau Kollegin, ich will auf Folgendes hinweisen: Die Anträge wurden von den Regierungsfraktionen eingebracht. ({0}) Ich will Ihnen auch sagen, dass es völlig in Ordnung ist, bei Missbrauch Sanktionen vorzunehmen. Man muss sich darüber im Klaren sein, worüber wir hier eigentlich sprechen. Es geht auf der einen Seite um die Arbeitslosengeld-II-Bezieher. Der übergroße Teil dieser Menschen will Arbeit haben. Die Arbeitsgemeinschaften kümmern sich darum und sind sehr engagiert dabei. Auf der anderen Seite tragen die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler mit ihren Steuergeldern dazu bei, dass Solidarität gewährleistet werden kann. Wenn jemand in Not geraten ist, wenn jemand keine Arbeit hat, erhält er eine Transferzahlung und es werden ihm Eingliederungsmaßnahmen angeboten. Das heißt, es besteht ein sozusagen solidarischer Rechtsanspruch darauf, dass sich alle daran beteiligen, sich zu integrieren, sich zu engagieren. Missbrauch bei denjenigen, die dies nicht tun, muss bekämpft werden. Dies gilt ja nicht für den Fall, dass jemand erstmalig eine Arbeitsstelle ablehnt. Es sind jetzt Sanktionsmechanismen in Bezug darauf vorgesehen, dass innerhalb eines Jahres dreimal Pflichtverletzungen begangen werden. ({1}) An dieser Stelle muss man auch sagen: Man kann daraus, dass jemand dies tut, schließen, dass er die soziale Leistung vielleicht gar nicht braucht. ({2}) Wer eine solche benötigt, wird sich integrieren und beteiligen. Man muss auch einmal darüber reden, wie die Leistungen ausgestattet sind: Es gibt den Regelsatz. Es gibt die Erstattung der Kosten für die Unterkunft. Es gibt ein Schonvermögen, das besser geregelt ist als in der Sozialhilfe. Es gibt Hinzuverdienstzuschläge. Es gibt die Möglichkeit, etwas hinzuzuverdienen. - An der Stelle wird deutlich, dass diejenigen, die die Solidaritätsleistungen erbringen, einen Anspruch darauf haben, dass ihre Steuermittel vernünftig für die Integration verwendet werden. Solidarität darf an dieser Stelle keine Einbahnstraße sein. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die nächste Frage geht an den Kollegen Jürgen Koppelin.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, darf ich Sie fragen, wann Sie denn Ihr Haus zu diesem Gesamtkomplex so im Griff haben werden, wie Sie jetzt in der Lage sind, die Antworten auf Zusatzfragen von Koalitionsabgeordneten vom Zettel abzulesen? ({0})

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Da wir auch an anderer Stelle - Sie wissen das als Haushälter - Antworten auf ähnliche Fragen zu geben haben, wie es sich zum Beispiel mit Sanktionen verhält, wie es sich mit Daten verhält, welche Maßnahmen ergriffen worden sind usw., hat man eine Sammlung entsprechender Daten, auf die man zurückgreifen kann. Diese hat man in einer solchen Fragestunde mit, Kollege Koppelin. Das dürfte Ihnen doch bekannt sein. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die nächste Frage geht an den Kollegen Rolf Stöckel.

Rolf Stöckel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003240, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Thönnes, uns allen ist bekannt, dass das SGB II ein Gesetz ist, das in wesentlichen Grundzügen von einer Kommission vorgeschlagen worden ist, die aus Wissenschaftlern, Experten, Gewerkschaftsvertreterinnen und -vertretern sowie Arbeitgebervertreterinnen und -vertretern bestanden hat. Außerdem ist das Gesetz im Vermittlungsausschuss unter maßgeblicher Beteiligung der Bundesländer beschlossen worden. Wir haben international die Erfahrung gemacht, dass es bei ähnlichen Systemveränderungen drei bis fünf Jahre gedauert hat, bis sie in der Praxis optimal umgesetzt worden sind. Es gibt überall in dieser Republik Kritik an diesem Gesetz. Einige fordern, es müsse ganz weg, andere fordern eine Generalrevision. Ist der Bundesregierung irgendein ganzheitlicher Ansatz als Alternative zu der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe bekannt, der die Zielsetzung auch im Interesse der Betroffenen eventuell besser umsetzen könnte?

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Herr Stöckel, es handelt sich hier um eine der größten Sozialreformen in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland; ({0}) das war ein sehr langwieriger Prozess. Was jetzt vorliegt, ist das Ergebnis eines parlamentarischen demokratischen Prozesses. Es sieht etwas anders aus als das, was die damalige Bundesregierung wollte. Durch das Zusammenführen von zwei Systemen zu einem wurde die Situation vieler arbeitsloser Menschen, insbesondere der Sozialhilfeempfänger, verbessert, und zwar durch die Einbeziehung in die Fördermaßnahmen der Bundesagentur für Arbeit, in die Rentenversicherung, in die Krankenversicherung und in die Pflegeversicherung. An dieser Stelle mussten für die Umsetzung notwendige Organisationsstrukturen aus Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus der Arbeitsverwaltung und Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus den Sozialverwaltungen der Kommunen neu geschaffen werden. Das Ganze arbeitsfähig zu machen, ist eine weitere große Herausforderung. Es hat sich gezeigt, dass die Leistungsauszahlung zum 1. Januar 2005 relativ ungebrochen erfolgt ist. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es etwas länger gedauert hat, bis die Eingliederungsmaßnahmen gegriffen haben, dass es aber zunehmend gut vorangeht. In diesem Umfang, bezogen auf heute über 5 Millionen betroffene Menschen, findet man so etwas in Europa kaum. Ich glaube, dass das System vor diesem Hintergrund relativ gut funktioniert. Es gibt Kritiken, so wie jetzt vom Bundesrechnungshof; das ist auch in Ordnung. Es gibt Punkte, die man aufgreifen muss. Wir werden weiterhin im Verfahren versuchen müssen, effizient zu arbeiten und den Prozess zu optimieren. Deswegen sind die Kontakte zu den Akteuren vor Ort ganz wichtig. Ich glaube, es gibt keine Alternative. Diesen Weg im Kern weiter zu gehen, wird auch von einer großen parlamentarischen Mehrheit getragen. Wir werden das machen, mit Augenmaß, mit der Beachtung der Ausgaben, aber auch mit dem festen Ziel, zu helfen, zu stützen und Menschen wieder in Arbeit zu bringen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die nächste Frage geht an den Kollegen Frank Spieth.

Frank Spieth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003849, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, Sie sprachen vorhin in der Antwort auf eine Frage von notwendigen Sanktionen bei Missbrauch. Sind Sie der Auffassung, dass mit den Kürzungen der Unterhaltsleistungen und insbesondere den jetzt vorgesehenen Kürzungen der Leistungen für die Kosten der Unterkunft bei nicht mit dem Berater verabredeter Abwesenheit vom Wohnort Sanktionen verbunden sein sollten, die nach unserer Auffassung verfassungswidrig sind, weil sie eindeutig gegen Art. 1 des Grundgesetzes und Art. 20 des Grundgesetzes verstoßen? Halten Sie nicht eine Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung vor einer Entscheidung hier im Deutschen Bundestag für dringend erforderlich?

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Ich denke, dass die Regelung erstens verfassungsgemäß und zweitens angemessen ist. Ich glaube schon, dass man Folgendes deutlich unterstreichen muss: Wenn jemand von seinen Rechtsansprüchen Gebrauch macht, die Solidarität derjenigen, die die steuerlichen Leistungen erbringen, in Anspruch nimmt, Transferleistungen erhält und sagt, dass er einen Arbeitsplatz oder einen Ausbildungsplatz will, dann kann man erwarten, dass er sich für die Eingliederung in den Arbeitsmarkt zur Verfügung hält und vor Ort erreichbar ist und sich nicht ohne Absprache entfernt. Die Regelungen sind klar. Jeder weiß, welche Folgen die Abwesenheit haben kann. Ich halte die Regelung für vertretbar. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Jetzt hat sich der Kollege Jürgen Koppelin zur Geschäftsordnung gemeldet. ({0})

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, wir können auf die Antworten zu den nächsten drei dringlichen Fragen verzichten, da der Herr Staatssekretär nicht in der Lage ist, konkret die Fragen zu beantworten, die von der Opposition kommen. ({0}) Er kann nur dann etwas konkreter werden, wenn Zusatzfragen aus den Reihen der Koalition kommen, weil ihm zu diesen Fragen schon die schriftlichen Antworten vorliegen. Das reicht uns aber nicht. Deswegen beantragt die Fraktion der Freien Demokratischen Partei heute eine Aktuelle Stunde. Wir schlagen vor, Herr Präsident, diese Aktuelle Stunde etwa um 12.35 Uhr aufzurufen. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die FDP-Fraktion hat beantragt, eine Aktuelle Stunde zu dem Thema der dringlichen Frage 1 durchzuführen. Das entspricht Nr. 1 b der Richtlinien für die Aktuelle Stunde. Interfraktionell ist vereinbart - es ist keine Überraschung, weil offenkundig alle darüber vorher informiert waren -, ({0}) dass die Aktuelle Stunde nach den Ohne-Debatte-Punkten aufgerufen werden soll. Ist das einvernehmlich? - Es gibt keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. ({1}) Herr Kollege Koppelin und Herr Kollege Niebel, dann können die weiteren dringlichen Fragen schriftlich beantwortet werden. Wir kommen nun zu dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Hermann Kues zur Verfügung. Die Frage 1 hat die Kollegin Ekin Deligöz gestellt: Welche Kosten hat die Durchführung des Ersten Deutschen Familientages am 15. Mai 2006 in Berlin verursacht und wer kommt für diese auf?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Veranstalter des Ersten Deutschen Familientages war das Servicebüro „Lokale Bündnisse für Familie“, das den Ausbau und die Vernetzung der lokalen Bündnisse in Deutschland gemeinsam mit vielen gesellschaftlichen Partnern vorantreibt und begleitet. Der Erste Deutsche Familientag wandte sich sowohl an ein breites Fachpublikum aus den Einzelbündnissen als auch an eine breitere Öffentlichkeit, um die Initiative bekannt zu machen. Für den Zeitraum 2003 bis Ende 2006 hat das Servicebüro aus Bundesmitteln etwa 6 Millionen Euro für diese Arbeit zur Verfügung. Daraus werden die Initiierung, die Beratung und der Aufbau der aktuell 308 lokalen Bündnisse, die über 35 Millionen Menschen erreichen, organisiert und finanziert. An über 250 weiteren Standorten werden Gründungen von lokalen Bündnissen vorbereitet. Diese Summe schließt Mittel für Öffentlichkeitsarbeit und die Organisation von lokalen und regionalen Veranstaltungen sowie bundesweite Großveranstaltungen wie den Familientag ein. In den vergangenen Jahren hat das Servicebüro jeweils eine bundesweite Veranstaltung als Netzwerkkonferenz organisiert. In diesem Jahr ist dies in erweiterter Form als Familientag geschehen. Die öffentlichkeitswirksame Zentralveranstaltung auf der Museumsinsel - Schirmherr war der Bundespräsident, ein Grußwort kam von der Bundeskanzlerin - war für das Bündnis eine hervorragende Gelegenheit, seine Leistung zu präsentieren und weitere Mitglieder zu werben. Am Familientag beteiligten sich viele wichtige Partner aus der Wirtschaft mit eigenen Beiträgen auf eigene Kosten, unter anderem die Unternehmen Unilever, JAKO-O, Adidas und Douglas Holding. Das Bundesministerium steuerte keine weiteren Mittel bei. Der Familientag sollte und wollte dazu beitragen, dass aktuelle Entwicklungen in der Familienpolitik, neue Themen und innovative Ideen eine Plattform finden und alle an der Familienpolitik Interessierten erreichen, Bürgerinnen und Bürger eingeschlossen. Deswegen richtete sich der Familientag neben dem Fachpublikum - insgesamt waren 1 700 Fachleute aus ganz Deutschland angemeldet - auch an Familien mit Kindern und enthielt das Rahmenprogramm neben dem Fachprogramm und den Informationsangeboten für Familien auch unterhaltende Elemente, wie etwa den Rekordversuch „Das größte Familienfoto der Welt“.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nachfrage, Frau Kollegin Deligöz.

Ekin Deligöz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003068, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, dass dieses Servicebüro im Auftrag des Familienministeriums arbeitet, weil diese Bündnisse eine Initiative des Familienministeriums sind, und dass eine Veranstaltung, die im Auftrag des Familienministeriums stattfindet, auch eine Veranstaltung des Familienministeriums ist?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Ich stimme Ihnen erstens zu, dass das Servicebüro im Auftrag des Familienministeriums handelt und dass das insofern natürlich auch eine Veranstaltung des Familienministeriums ist.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Weitere Nachfrage. Bitte, Frau Deligöz.

Ekin Deligöz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003068, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Können Sie beziffern, was dieser Tag gekostet hat?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Zu den Kosten habe ich eben Ausführungen gemacht. Ich habe deutlich gemacht, was das Servicebüro für die Leistungen, die ich eben beschrieben habe, aus dem Bundeshaushalt insgesamt erhält. Ich habe aber auch darauf hingewiesen, dass dies durch Mittel der Bündnispartner - sie sind auch entsprechend aufgetreten - ergänzt wird.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich rufe die Frage 2 der Kollegin Deligöz auf: Was hat die Bundesregierung auf dem von ihr veranstalteten Ersten Deutschen Familientag gegen die dortige Verbreitung einer von der Frauen-Union der CDU Deutschland ausgelegten Publikation unternommen, in der der Eindruck erweckt wird, das Elterngeld sei bereits ein gesetzliches Regelwerk, ohne dass bislang ein Gesetzentwurf öffentlich vorliegt oder gar im Deutschen Bundestag debattiert worden ist?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Auf dem Ersten Deutschen Familientag haben sich 232 lokale Bündnisse für Familie sowie zahlreiche Bündnisfreunde präsentiert. Die Bundesregierung hat sich nicht darum gekümmert, welche Publikationen im Einzelnen ausgelegt wurden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nachfrage.

Ekin Deligöz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003068, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, wir haben vorhin festgestellt, dass dieser Veranstaltungstag im Auftrag des Familienministeriums stattfand und damit eine Veranstaltung des Familienministeriums war. Können Sie mir erklären, wie es dazu kommt, dass die Frauen-Union als einzige Parteiorganisation auf diesem Parteitag Flugblätter verteilen durfte, während es allen anderen Fraktionen und Parteien nicht erlaubt war, sich selbst darzustellen, auf Podien aufzutreten oder in irgendeiner anderen Form Veröffentlichungen zu präsentieren? Das wurde lediglich der Frauen-Union erlaubt. Übrigens durften auch andere Verbände kein Informationsmaterial verteilen.

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Es ist offensichtlich richtig, dass die Frauen-Union einen Flyer ausgelegt hat. Die Frauenunion gehört genauso wie die Bundeswehr, Wirtschaftsunternehmen, der DGB, der Deutsche Städte- und Gemeindebund oder die Sozialdemokratische Gemeinschaft für Kommunalpolitik zu den Bündnisfreunden. Insgesamt waren 30 Bündnisfreunde, die sich als solche haben erfassen lassen, auf der Veranstaltung vertreten.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zweite Nachfrage.

Ekin Deligöz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003068, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, es war den anderen Parteien und Fraktionen nicht erlaubt, dort ihre Flugblätter auszulegen, obwohl auch sie, da es sich um ein Programm der Regierung handelt, hinter dem alle Fraktionen stehen, zu den Bündnispartnern zählen. Wie begründen Sie, dass lediglich die Frauen-Union als Parteiuntergliederung dort Werbung machen durfte, die Untergliederungen der FDP, der Grünen, der SPD und der Linken aber nicht?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Ich habe eben versucht, zu erläutern, dass es Bündnisfreunde gibt, die sich als solche haben registrieren lassen. Diese Bündnisfreunde waren alle berechtigt, Materialien auszulegen. Das haben nicht alle in gleicher Weise genutzt. Einige haben zum Beispiel Ansteckplaketten verteilt, mit denen sie aufgetreten sind. Insofern ist das unterschiedlich gehandhabt worden. Spielraum gab es für alle, die Mitglied im Bündnis sind oder dort mitarbeiten.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Weitere Nachfrage der Kollegin Laurischk.

Sibylle Laurischk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003580, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, inwieweit waren Frauenorganisationen, die den politischen Parteien nahe stehen oder Unterorganisationen von ihnen sind, zu dieser Veranstaltung eingeladen?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Ich habe eben gesagt, dass es eine Sache des Bündnisses für Familie ist, dass es also an der Konstruktion liegt, in der es dieses Bündnis gibt und auch die Bündnisfreunde, die sich erfassen lassen. Ich habe gesagt, dass 30 Bündnisfreunde anwesend waren. Darüber hinaus war allgemein die Öffentlichkeit eingeladen. Ich habe Ihnen eben die Zahl 1 700 genannt. Sie wissen, dass das Ganze am Berliner Dom stattgefunden hat. Es war also öffentlichkeitswirksam. Offener geht es eigentlich nicht.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Laurischk, eine weitere Frage kann ich Ihnen nicht gewähren. Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Michael Müller zur Verfügung. Wir kommen zur Frage 3 der Kollegin Gudrun Kopp: Teilt die Bundesregierung die Einschätzung des Wissenschaftsrates, der in seiner „Wissenschaftspolitischen Stellungnahme zum Bundesamt für Strahlenschutz ({0})“ vom 19. Mai 2006 zu dem Ergebnis kommt, dass in der Vergangenheit bei der Berufung der Amtsleitung wohl nicht hinreichend auf die wissenschaftliche Kompetenz der Kandidaten geachtet wurde?

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Sehr geehrte Frau Kollegin, vor dem Hintergrund der gesetzlich fixierten Aufgabenstellung des Amtes und vor dem Hintergrund des Lebenslaufs des Präsidenten und seiner Arbeitsleistung können wir nur mit Nein antworten.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nachfrage, Frau Kopp?

Gudrun Kopp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, es geht hier nicht um den Lebenslauf des Präsidenten, sondern es geht um seine wissenschaftliche Qualifikation. Der Wissenschaftsrat hat kritisiert, dass gerade die Führung des Bundesamtes für Strahlenschutz keine naturwissenschaftliche Vorbildung hat. Das ist aber eine Voraussetzung zur Führung dieses Amtes. Würden Sie dazu bitte einmal Stellung nehmen?

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Ich habe auf Ihre Frage geantwortet und aus meiner Sicht gehört zum Lebenslauf natürlich auch die wissenschaftliche bzw. berufliche Leistung einer Person. Insofern bleibe ich bei dieser Antwort. Aber ich will gern noch ein paar Sätze hinzufügen. Der Präsident des BfS war Staatssekretär und er hat eine wissenschaftliche Ausbildung. Im Übrigen muss ich darauf hinweisen, dass dieses Amt zu mehr als 80 Prozent verwaltungsmäßige Tätigkeiten übernimmt. Vielleicht sollten wir Ihnen eine genauere Beschreibung seiner Tätigkeit zukommen lassen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Weitere Nachfrage, Frau Kopp.

Gudrun Kopp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Der Wissenschaftsrat bemängelt unter anderem, dass das BfS so gut wie keinerlei wissenschaftliche Publikationen und kaum Forschungsprojekte gemacht hat. Das müsste man von einem solchen Bundesamt erwarten können. Im Übrigen wird kritisiert, dass das Bundesamt sich im internationalen Vergleich nicht auf dem Stand der neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse befindet. Würden Sie bitte auch dazu etwas sagen?

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Auch hier teilen wir die Kritik nicht. Es ist manchmal sehr interessant: Die Kriterien, die der Wissenschaftsrat an andere anlegt, sollte er auch an sich selbst anlegen lassen. Da könnte ich Ihnen eine Menge Beispiele nennen. Aber das ist jetzt nicht der entscheidende Punkt. Der entscheidende Punkt ist vielmehr - das schreibt der Wissenschaftsrat selbst -: Eigene wissenschaftliche Forschung selbst steht nicht im Vordergrund der Arbeit des BfS, sondern sie hat eine dienende Funktion zur sachgerechten Erledigung der vom Gesetzgeber übertragenen Verwaltungsaufgaben. In diesem Sinn erfüllt das BfS seine Aufgabenstellungen. Ich möchte darauf hinweisen, dass das BfS klare Aufgaben hat, die es erfüllt, nämlich in den drei Bereichen kerntechnische Sicherheit, Strahlenschutz und Endlagerforschung. In allen drei Bereichen gibt es keine derartige Kritik.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Dann kommen wir zur Frage 4 der Kollegin Kopp: Auf welche Weise stellt die Bundesregierung sicher, dass der gesetzlich formulierte Auftrag des Bundesamtes für Strahlenschutz, auch eigene Forschungen auf dem Gebiet des Strahlenschutzes und in der Kerntechnik durchzuführen, erfüllt wird?

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Zur Frage 4 - sie hängt mit der vorherigen zusammen sagen wir: Gemäß dem Gesetz über die Errichtung eines Bundesamtes für Strahlenschutz betreibt das BfS zur Erfüllung seiner Aufgaben wissenschaftliche Forschung. Man muss natürlich die Rahmenbedingungen sehen, die sich aus dem Haushalt und auch aus der Personalsitua3222 tion ergeben. In den angesprochenen Bereichen kommt das BfS den ihm übertragenen Aufgaben nach.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nachfrage? - Bitte.

Gudrun Kopp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, es gibt insgesamt 582 Planstellen im BfS. Würden Sie bitte ausführen, wie viele dieser Planstellen nicht nur pro forma mit wissenschaftlichen Mitarbeitern ausgewiesen sind, sondern tatsächlich mit Wissenschaftlern der Bereiche kerntechnologische Sicherheit und Kerntechnologie besetzt sind?

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Ich sage Ihnen, dass der Ausdruck „pro forma“ nicht akzeptabel ist. Wir haben bei den Stellenausschreibungen immer den Kriterien entsprochen, die wir in Bezug auf die Funktionsfähigkeit dieses Hauses haben. Im Übrigen muss man sehen, dass dieses Haus mit anderen Einrichtungen, die in diesem Bereich tätig sind, eng verzahnt ist. Ich wiederhole: Von uns als zuständigem Ministerium wird keine Kritik an der wissenschaftlichen Leistung des BfS geäußert. Die konkreten Zahlen werde ich Ihnen gerne nachliefern. Allerdings gehe ich davon aus, dass das Amt seine Aufgaben erfüllt. Was die Aufgabenerfüllung angeht, gibt es von uns keine Kritik.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Weitere Nachfrage? - Bitte.

Gudrun Kopp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das habe ich in dem Bericht des Wissenschaftsrates anders gelesen.

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Man muss seine Einschätzung ja nicht teilen. - Entschuldigung.

Gudrun Kopp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Gut. Ich teile das, was Sie gesagt haben, auch nicht. Herr Staatssekretär, ich glaube, wir sind uns einig, dass die kerntechnologische Sicherheit und insbesondere Wissenschaft und Forschung in Bezug auf neueste Sicherheitsstandards ein Kernpunkt und wichtig für unser Land sind. Vor diesem Hintergrund frage ich Sie noch einmal, und zwar sehr eindringlich, ob Sie tatsächlich nicht der Meinung sind, dass es nötig ist, wie es der Wissenschaftsrat ausdrücklich fordert, diese Ressortforschung zu verbessern. Bitte antworten Sie darauf, ob es Planungen zur Verbesserung gibt, oder ob Sie der Meinung sind, dass alles prima ist.

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Wie Sie wissen, überprüfen wir die Aufsicht und die kerntechnische Forschung in der Bundesrepublik insgesamt und bewerten anschließend die Ergebnisse. Es gibt mehrere Institutionen, die an dieser Beratung beteiligt sind. Sollten wir die Notwendigkeit sehen, die Forschung in bestimmten Bereichen auszuweiten und die erforderlichen finanziellen Mittel dafür bereitzustellen, dann hoffen wir, dass auch die FDP hilft.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Danke schön, Herr Staatssekretär. - Aber die Mehrheit im Haushaltsausschuss hat natürlich die Regierung. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Die Frage 5 der Kollegin Cornelia Hirsch soll schriftlich beantwortet werden. Nun kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Die Frage 6 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch wird ebenfalls schriftlich beantwortet. Dann kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Peter Hintze zur Verfügung. Die Frage 7 des Kollegen Peter Hettlich soll schriftlich beantwortet werden. Wir kommen dann zur Frage 8 der Kollegin Ulla Lötzer: Welche konkreten Verhandlungsziele und Änderungsvorschläge hat die Bundesregierung auf der Sitzung des Wettbewerbsrates am 29. und 30. Mai 2006 in den Verhandlungen zum geänderten Vorschlag der EU-Kommission für eine Richtlinie über Dienstleistungen im Binnenmarkt verfolgt bzw. vorgelegt?

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Herr Präsident, mit Ihrer Genehmigung würde ich gerne die Fragen 8 und 9 wegen der engen thematischen Verschränkung gemeinsam beantworten.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ja, gut. Dann rufe ich auch die Frage 9 der Kollegin Ulla Lötzer auf: Wie hat die Bundesregierung dabei im Einzelnen die Forderungen des Bundesrates aus seiner aktuellen Entschließung ({0}) berücksichtigt, die sich auf Ausnahmen vom Anwendungsbereich der Richtlinie, die Daseinsvorsorge, das Subsidiaritätsprinzip, die Entscheidungsfreiheit der nationalen Gesetzgeber und weitere konkrete Änderungswünsche beziehen?

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Frau Kollegin, die Bundesregierung hat den Deutschen Bundestag in der Vergangenheit intensiv über ihre Position informiert. Ich erinnere in diesem Zusammenhang insbesondere an das Ihnen übersandte EckpunkteParl. Staatssekretär Peter Hintze papier vom 6. März 2006, an die Beantwortung der Kleinen Anfrage der Fraktion Die Linke vom 23. März 2006 und an die Berichterstattung in den einzelnen Fachausschüssen. Hinweisen möchte ich auch auf das jüngste Schreiben meiner Kollegin Frau Staatssekretärin Caspers-Merk an den Gesundheitsausschuss, in dem wir am 19. Mai 2006 unsere Verhandlungsposition speziell zum Bereich Dienstleistungen dargelegt haben. Diese von uns dargelegten Positionen haben wir auch im Rat mit Erfolg vertreten. Vor diesem Hintergrund besteht volle Klarheit über unsere Verhandlungsziele. Die geplante Richtlinie über Dienstleistungen im Binnenmarkt ist ein zentrales Projekt im Rahmen der Lissabonstrategie der Europäischen Union, die von der Bundesregierung mitgetragen wird. Das beabsichtigte Ziel des Richtlinienvorschlags, die weitere Stärkung des Binnenmarktes für Dienstleistungen, um positive Wachstums- und Beschäftigungsanreize zu erreichen, wurde und wird von der Bundesregierung unterstützt. Zugleich hat sich die Bundesregierung entschieden dafür eingesetzt, dass auch die berechtigten sozial- und gesellschaftspolitischen Anliegen berücksichtigt und eine ausgewogene Balance zwischen den Zielen erreicht werden. Die Bundesregierung hat auf dieser Grundlage eine differenzierte Verhandlungsposition entwickelt und den Deutschen Bundestag fortlaufend über die einzelnen Punkte informiert. Diese Punkte haben wir auch auf dem Wettbewerbsrat in Brüssel eingefordert. Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, kurz über die Ergebnisse des Wettbewerbsrats vom letzten Montag zu berichten: Wir haben mit der politischen Einigung viel erreicht, und dies trotz schwieriger Ausgangslage. Das gemeinsame Bemühen um eine bessere Richtlinie hat sich für Deutschland gelohnt. Nach schwierigen Beratungen haben wir nun eine Lösung sowohl im Interesse der deutschen Anbieter als auch der Kunden erreicht. Das im Rat erzielte Verhandlungsergebnis trägt wichtigen deutschen Interessen Rechnung. Es basiert auf dem ökonomisch und sozial ausgewogenen Kompromiss des Europäischen Parlaments, auf dem schon die Europäische Kommission ihren geänderten Richtlinienvorschlag aufgebaut hat. Wir haben nun eine fein austarierte Balance zwischen Marktöffnung und Sozial- und Umweltschutz erreicht. Um einige Eckpunkte konkret zu benennen: Wir haben durchgesetzt, dass Gesundheits- und soziale Dienstleistungen nicht unter die Richtlinie fallen, und zwar einschließlich des Pflegebereichs. Auch das Arbeitsrecht und die Rechtsvorschriften über die soziale Sicherheit bleiben endgültig aus der Richtlinie ausgenommen. Ebenso wurden Notare aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie ausgenommen. Die Umsetzungsfrist wird auf drei Jahre verlängert - auch das war eine Forderung des Parlaments und des Bundesrates - und die Entscheidungsfreiräume des nationalen Gesetzgebers konnten nochmals erweitert werden. Das sind wichtige Erfolge, gerade für uns in Deutschland. Die Forderungen des Bundesrates konnten damit in den wesentlichen Punkten durchgesetzt werden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nachfrage? - Bitte schön.

Ursula Lötzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003174, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Hintze, erst einmal vielen Dank für die Information. Meine Fragen beziehen sich konkret auf die Einigung im Wettbewerbsrat über weitere Änderungen an der Richtlinie, die jetzt noch zur formellen Beschlussfassung sowie dem EP zur zweiten Lesung vorgelegt werden. Ist meine Information richtig, dass Sie zwar erreicht haben, dass der Pflegebereich ausgenommen wird, dass es aber bei der Einschränkung der sozialen Dienstleistungen auf die Frage der Bedürftigkeit - was beispielsweise der Bundesrat als sachlich nicht gerechtfertigt abgelehnt hat - bleibt? Verschiedene Mitgliedsländer sollen im Wettbewerbsrat darauf gedrängt haben, dass sie für die Zustimmung zum Verzicht auf das Herkunftslandprinzip weitere Einschränkungen gegenüber dem Entwurf der Europäischen Kommission erhalten. Dafür ist ein neuer Erwägungsgrund, 39 c, beschlossen worden, nach dem die Beschäftigungsbedingungen nur dann als einzuhalten gelten, wenn sie aus Gründen des Schutzes der Arbeitnehmer gerechtfertigt, nicht diskriminierend, notwendig und verhältnismäßig sind. Was bedeutet diese Einschränkung aus Ihrer Sicht? Wie wird das entschieden? Welche Konsequenz hat das für den Schutz vor Lohn- und Sozialdumping? Ferner wurden auch in Bezug auf die Daseinsvorsorge, ein wichtiger Punkt in der Auseinandersetzung um die Dienstleistungsrichtlinie, Einschränkungen vom Rat beschlossen wurden. Es ist nämlich nicht so, dass Dienstleistungen von allgemeinem Interesse insgesamt ausgenommen werden sollen, sondern nur die nicht wirtschaftlichen Dienstleistungen von allgemeinem Interesse. Was heißt das? Einen solchen Rechtsbegriff gibt es bisher überhaupt nicht. Welche Konsequenzen hat das für die Daseinsvorsorge?

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das war jetzt ein Bündel von Fragen. Ich bitte Sie, sie so weit wie möglich zu beantworten.

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Herr Präsident, ich versuche, sie präzise zu beantworten, wobei ich darauf hinweisen möchte, dass es noch eine Große Anfrage der Fraktion Die Linke gibt, die wir im Juli beantworten werden, weil die entsprechenden Rechtstexte, der gemeinsame Standpunkt, erst in einer Sitzung des Rates im Juni förmlich verabschiedet werden; darauf haben Sie hingewiesen, Frau Kollegin. Ich will trotzdem einen kleinen Durchgang durch Ihre Fragen machen: Erstens. Die Bedürftigkeitsthematik ist im Sinne des Wunsches des Bundesrates geregelt worden. Zweitens, zum Komplex des Herkunftslandprinzips. Sie wissen, dass die ursprünglich vorgeschlagene Form des Herkunftslandprinzips herausgenommen worden ist. Sie haben gefragt, was dafür eingefügt worden ist. An die Stelle des Herkunftslandprinzips tritt jetzt ein Behinderungsverbot mit Berichtspflichten. Der Grundgedanke der Richtlinie ist ja ein Behinderungsverbot; das heißt, dass die Dienstleistungserbringung im gemeinsamen Markt nicht durch unsachgemäße Regeln und Vorschriften behindert werden soll. Deswegen ist jetzt ein Berichtsverfahren eingeführt worden, nach dem die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, Einschränkungen und Regelungen, die für ausländische Dienstleistungserbringer gelten, der Kommission mitzuteilen, damit man einem möglichen Missbrauch frühzeitig auf die Spur kommen kann. Das Herkunftslandprinzip wird also von einem Bestimmungslandprinzip abgelöst, das aber mit einem sehr ausgeprägten Behinderungsverbot versehen wurde. Ich finde, das ist eine Lösung, mit der alle Beteiligten gut leben können. Es gab ja im Rat eine große Auseinandersetzung zwischen den neuen Mitgliedstaaten und den alten Mitgliedstaaten. Insbesondere die neuen Mitgliedstaaten haben auf eine wesentlich weiter gehende Liberalisierung gedrängt. Wir haben zum Schutz unseres Arbeitsrechtes, unserer Sozialstandards und zum Schutz vor Umwelt- oder Lohndumping die Regelungen durchgesetzt, die ich eben dargestellt habe. Beim Thema Daseinsvorsorge besteht vielleicht ein Missverständnis. Die Thematik der Daseinsvorsorge als solche - auch in weiteren Fragen wird es darum gehen wird von der Richtlinie nicht tangiert. Es geht vielmehr um die Frage, ob es sich um eine wirtschaftliche Tätigkeit oder um eine nicht wirtschaftliche Tätigkeit handelt. Diese ist aus dem Geltungsbereich der Richtlinie herausgenommen worden. Die Fragen, die Sie gestellt haben, beziehen sich auf wirtschaftliche Tätigkeiten. Man muss das im Einzelnen betrachten. Zur Daseinsvorsorge im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse zum Beispiel zählen die Versorgung mit Strom, die Müllentsorgung und Ähnliches. Wenn in den einzelnen Mitgliedstaaten oder nach anderen einschlägigen Vorschriften eine Marktöffnung vorgesehen ist, dann müssen alle Anbieter die Chance haben, sich an diesem Markt zu beteiligen. Der Kern ist nicht, ob eine Leistung eine Leistung der Daseinsvorsorge ist, sondern, ob eine Leistung gegen Entgelt erbracht wird, also ob es eine wirtschaftliche oder eine nicht wirtschaftliche Leistung ist. Herr Präsident, ich schlage vor, über die Einzelheiten in den Fachausschüssen zu diskutieren, wenn der Rechtstext vorliegt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Sind Sie damit einverstanden, Frau Kollegin Lötzer?

Ursula Lötzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003174, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich habe eine konkrete Nachfrage, da Sie in einem Punkt nicht auf meine Frage geantwortet haben.

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Ich bitte um Entschuldigung, aber Sie haben eine Fülle von Fragen gestellt.

Ursula Lötzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003174, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Dann stelle ich diese Frage gerne noch einmal. Bei der Ergänzung, die der Wettbewerbsrat im Bereich der Daseinsvorsorge angebracht hat, geht es nicht um die Dienstleistungen der Daseinsvorsorge von wirtschaftlichem Interesse, sondern um die Dienstleistungen der Daseinsvorsorge von allgemeinem Interesse. Hier schlägt der Rat nach meiner Information eine weitere Einschränkung vor, welche die nicht wirtschaftlichen Dienstleistungen von allgemeinem Interesse betreffen soll. Darauf bezog sich meine Frage. Welche Konsequenzen hat das? Es geht um die Daseinsvorsorge von allgemeinem Interesse. Diesen Rechtsbegriff gibt es überhaupt nicht. Welche Dienstleistungen sind damit gemeint und werden gegenüber dem bisherigen Entwurf zusätzlich in den Geltungsbereich der Richtlinie einbezogen?

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Frau Kollegin, ich werde dieser Frage gerne nachgehen und sie Ihnen schriftlich beantworten.

Ursula Lötzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003174, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Gut.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank. - Wir kommen dann zur Frage 10 der Kollegin Inge Höger-Neuling: Welche Position vertritt die Bundesregierung gegenüber der Forderung des Bundesrates aus seiner aktuellen Entschließung ({0}) zur EU-Richtlinie über Dienstleistungen im Binnenmarkt, Leistungen der Pflege und Rehabilitation explizit vom Anwendungsbereich der Richtlinie auszunehmen, insbesondere auch in den Verhandlungen des Wettbewerbsrates?

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Mit Ihrer Genehmigung, Herr Präsident, würde ich die Fragen 10 und 11 gerne im Zusammenhang beantworten, weil sie inhaltlich eng zusammenhängen und beide das Thema zum Gegenstand haben, über das wir gerade gesprochen haben.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Dann rufe ich auch Frage 11 der Kollegin Inge HögerNeuling auf: Welche Position vertritt die Bundesregierung gegenüber der Forderung des Bundesrates aus seiner aktuellen Entschließung ({0}) zur EU-Richtlinie über Dienstleistungen im Binnenmarkt, soziale Dienstleistungen vollumfänglich und demnach auch ohne Einschränkung auf das Kriterium der Bedürftigkeit aus dem Geltungsbereich der Richtlinie auszunehmen, insbesondere auch in den Verhandlungen des Wettbewerbsrates?

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Ich beantworte die Fragen 10 und 11 wie folgt: Die Bundesregierung hat, wie ich eben zu den Fragen 8 und 9 ausgeführt habe, in den Verhandlungen erfolgreich die gleiche Position wie der Bundesrat vertreten. Wir haben uns dezidiert für die notwendigen Textänderungen sowohl bei Art. 2 als auch in den Erwägungsgründen stark gemacht. Gegen erheblichen Widerstand von anderen Mitgliedstaaten konnte die Bundesregierung damit durchsetzen, dass Gesundheits- und soziale Dienstleistungen nicht unter die Richtlinie fallen, und zwar einschließlich des Pflegebereichs.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ihre Nachfrage, bitte.

Inge Höger-Neuling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003773, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Meine Nachfrage - sie steht im Zusammenhang mit dem, was schon die Kollegin Lötzer gefragt hat -: Gehören zum Pflegebereich auch Beratungsangebote für Menschen, zum Beispiel zu Themen wie Pflege und Kinderbetreuung, und die Unterstützung bedürftiger Familien und Personen? Wie ist die Definition abgefasst? Können Sie dazu schon Genaueres sagen? Die Informationen, die wir bisher dazu bekommen haben, gehen nämlich sehr durcheinander.

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Die von Ihnen gestellten Fragen kann ich jeweils mit Ja beantworten. Ich schlage aber vor, die weiteren Einzelheiten im Fachausschuss zu besprechen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nun hat die Kollegin Schwall-Düren eine Nachfrage.

Dr. Angelica Schwall-Düren (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002795, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, Sie haben vorhin darauf hinge- wiesen, dass das Herkunftslandprinzip durch das Be- stimmungslandprinzip ersetzt wurde, verbunden mit der Auflage, regelmäßig Berichte darüber abzugeben, wel- che Beschränkungen ausländischen Dienstleistern aufer- legt werden sollen. Es gab das Ansinnen, dass diese Berichtspflichten oder Rechtfertigungspflichten sehr in- tensiv genutzt werden sollen. Meiner Kenntnis nach hat sich die Bundesregierung dafür eingesetzt, dass diese in- tensive Rechtfertigungspflicht reduziert wird. Konnten Sie in diesem Bereich einen Erfolg erzielen?

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Frau Kollegin, ich beantworte diese Frage gerne. Zu den Erfolgen der deutschen Verhandlungsführung im Rat gehört, dass wir die Berichtspflichten auf das not- wendige Maß zurückführen konnten, dass es eine allge- meine Übermittlungspflicht, aber kein formales Notifi- zierungsverfahren gibt und dass wir bezogen auf die Auflagen für kleine und mittlere Unternehmen insbeson- dere den Grundsatz der Erforderlichkeit mit einführen konnten, sodass hier ein echter Beitrag zur Entbürokrati- sierung geleistet wurde.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Die Zeit für die Fragestunde ist abgelaufen. Damit müssen wir die Fra- gestunde für heute beenden. Die nicht beantworteten Fragen werden schriftlich beantwortet. Wir kommen damit zu den Tagesordnungspunkten 2 a bis 2 c: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Steueränderungsgesetzes 2007 - Drucksache 16/1545 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({0}) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO b) Beratung des Antrags der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Steueränderungsgesetz 2007 zurückziehen - Drucksache 16/1501 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({1}) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Volker Wissing, Dr. Hermann Otto Solms, Carl-Ludwig Thiele, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Keine weiteren Steuererhöhungen - Drucksache 16/1654 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({2}) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss Der Antrag auf Herbeirufung des Bundesministers der Finanzen aus der letzten Plenarsitzung, in der dieser Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Tagesordnungspunkt behandelt wurde, sollte sich durch die Anwesenheit des Ministers erledigt haben. - Ich sehe ihn aber nicht. ({3}) Können wir davon ausgehen, dass der Herr Minister bald hier ist? - Er erscheint soeben. Damit hat sich dies erledigt. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der Vorsitzende des Finanzausschusses, Eduard Oswald, für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({4})

Eduard Oswald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001663, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe heute zum zweiten Mal Gelegenheit, in erster Lesung zum Steueränderungsgesetz 2007 zu sprechen. ({0}) Im Interesse einer sachgerechten Behandlung erspare ich mir, auf die Vorgänge einzugehen, die dazu geführt haben, dass diese erste Lesung noch einmal angesetzt werden musste. ({1}) Mit dem Entwurf zum Steueränderungsgesetz 2007 wird die Haushaltssanierung konsequent fortgesetzt. Mit ihm werden insbesondere Maßnahmen aus der Koalitionsvereinbarung verwirklicht. Darüber hinaus enthält er Regelungen zur Rechtsbereinigung sowie zur Anpassung an die neue Rechtsprechung. Außerdem werden mit ihm spezifische europarechtliche Vorgaben erfüllt. Gerade auch mit Blick auf die nachfolgenden Generationen wollen wir die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte vorantreiben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer bei einem Schuldenberg von 1,5 Billionen Euro „Weiter so wie bisher“ sagt, handelt nicht verantwortungsbewusst. ({2}) Wir müssen verhindern, dass den künftigen Generationen zusätzlich zu den demografischen Problemen in den sozialen Sicherungssystemen weitere Zinslasten aufgebürdet werden. Deshalb müssen wir gegensteuern. Dieses Gegensteuern führt für viele Betroffene zu Einschnitten, ist ohne Alternative und sind wir unseren künftigen Generationen schuldig. ({3}) Die Aufgaben, vor denen wir heute stehen, sind gewaltig. Arbeitslosigkeit, Staatsverschuldung, demografischer Wandel und Veränderungsdruck der Globalisierung verlangen große Anstrengungen, um den heutigen und den künftigen Generationen ein Leben in Wohlstand zu sichern. Zukunftsweisende und Wachstumskräfte fördernde Investitionen sind aufgrund der Haushaltslage aller staatlichen Ebenen aber nur dann nachhaltig, wenn diese mit sinnvollen strukturellen Reformen und mit notwendigen und unausweichlichen Maßnahmen zur Sanierung der öffentlichen Haushalte einhergehen. ({4}) Investieren, sanieren, reformieren - dieser Dreischritt an Maßnahmen ist aus unserer Sicht ohne Alternative. ({5}) Diesen Weg werden wir konsequent beschreiten. Wir sind davon überzeugt, dass diese seriöse Steuer- und Finanzpolitik von der Bevölkerung anerkannt wird; denn sie schafft letzten Endes Vertrauen in die Zukunft. Wir alle können sehr wohl nachvollziehen, dass unsere Bürgerinnen und Bürger, wenn sie ganz persönlich von den Sparmaßnahmen betroffen sind, nicht gerade in Hurrarufe ausbrechen. Aber ich bin mir sicher, dass diese Maßnahmen als ein notwendiger Beitrag zur Sicherstellung der langfristigen Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen akzeptiert werden. Wenn der Staat heute 100 Euro ausgibt, aber nur 80 Euro nachhaltig an Einnahmen hat, so muss dies im Interesse zukünftiger Generationen verändert werden. ({6}) Wenn man sich etwas nicht mehr leisten kann, dann kann man es nicht mehr machen; das ist ganz einfach. ({7}) Der heute vorliegende Gesetzentwurf reiht sich in eine Reihe bereits beschlossener Gesetze oder Maßnahmen ein, die den politischen Weg der großen Koalition verdeutlichen, auf dem wir konsequent steuerliche Ausnahmetatbestände und Subventionen abgebaut haben: das Gesetz zur Beschränkung der Verlustverrechnung im Zusammenhang mit Steuerstundungsmodellen, das Gesetz zum Einstieg in ein steuerliches Sofortprogramm, das Gesetz zur Abschaffung der Eigenheimzulage, das Gesetz zur Eindämmung missbräuchlicher Steuergestaltungen. Wenn wir uns diese Gesetze einmal genauer anschauen, so können wir feststellen, dass es sich hierbei um ausgewogene Maßnahmen handelt. Nehmen wir zum Beispiel das Gesetz zur Beschränkung der Verlustverrechnung im Zusammenhang mit Steuerstundungsmodellen. Der Ausschluss allein dieser Steuersparmodelle bringt bei voller Jahreswirkung Mehreinnahmen in Höhe von über 2 Milliarden Euro. Das ist eine Maßnahme, von der nun wahrlich nicht die kleinen Leute betroffen sind. Auf der anderen Seite haben wir die konsequente Stärkung von Wachstum und Beschäftigung im Blick. Bei dem Gesetz zur steuerlichen Förderung von Wachstum und Beschäftigung darf ich nur auf die verEduard Oswald besserte steuerliche Berücksichtigung von Kinderbetreuungskosten und Handwerkerleistungen hinweisen. Damit werden Familien und private Haushalte erheblich entlastet und neue Arbeitsplätze in diesem Bereich geschaffen. Allein das Volumen für die verbesserte steuerliche Berücksichtigung von Handwerkerleistungen beträgt bei voller Jahreswirkung über 1 Milliarde Euro. ({8}) Wer vor Ort mit den Handwerkern spricht, hört, dass die Bürgerinnen und Bürger erheblich mehr legale Handwerkerleistungen nachfragen. ({9}) Ich nenne den Entwurf des Investitionszulagengesetzes 2007, der heute auf unserer Tagesordnung steht und mit dem wir das Aufbauprogramm für die neuen Länder konsequent fortsetzen. Das Fördervolumen von rund 600 Millionen Euro kann sich sehen lassen. Bei einem Fördersatz von 20 Prozent sieht man, wie viel an Investitionen wir damit in den neuen Ländern mobilisieren. Als einen weiteren wichtigen Punkt nenne ich die Verbesserung der Unternehmensnachfolge durch eine Änderung des Erbschaftsteuerrechts zum 1. Januar 2007. Hier werden wir erhebliche Verbesserungen insbesondere für unsere mittelständische Wirtschaft erreichen. Eine verbesserte Unternehmensnachfolge ist mehr als nur eine steuerliche Erleichterung. Sie ist vielmehr ein Beitrag zur Erhaltung von Arbeitsplätzen. Darum geht es uns allen. ({10}) Nur Unternehmen, die auch über die erforderliche finanzielle Ausstattung verfügen, können am Markt erfolgreich operieren, Arbeitsplätze sichern und neue schaffen. Wir werden zum 1. Januar 2008 eine Reform der Unternehmensbesteuerung auf den Weg bringen. Dies haben wir in der Koalition vereinbart. Noch vor der Sommerpause werden hierzu Eckpunkte vorgelegt werden, damit die in der Wirtschaft handelnden Personen klare Vorgaben für ihre wichtigen unternehmerischen Entscheidungen haben. Aus dem bisher Gesagten wird deutlich, dass der heute vorliegende Entwurf des Steueränderungsgesetzes 2007 nicht isoliert betrachtet werden kann. Dieser Gesetzentwurf ist einer von vielen wichtigen Bausteinen in unserer steuerrechtlichen Gesamtkonzeption. Selbstverständlich werden wir in den weiteren parlamentarischen Beratungen alle Argumente sorgfältig abwägen und in die Überlegungen einbeziehen. Heute werden wir allein zu diesem Gesetzentwurf eine vierstündige öffentliche Anhörung durchführen. Danach werden wir intensiv beraten. Wenn wir uns den Entwurf des Steueränderungsgesetzes genau anschauen, dann stellen wir fest, dass darin enthaltene Maßnahmen, auch wenn sie im Einzelfall durchaus zu Belastungen führen können, insgesamt doch angemessen ausgestaltet sind. Ich möchte nur zwei Punkte herausgreifen, die zurzeit zur Diskussion stehen. So ist es vorgesehen, Fernpendlern, die besondere Mühen auf sich nehmen, die Entfernungspauschale ab dem 21. Kilometer in der bisherigen Höhe von 30 Cent zu gewähren. Damit können wir besondere Härten für Fernpendler deutlich abmildern. Bei der Absenkung der Altersgrenze bei der Gewährung des Kindergeldes von 27 auf 25 Jahre sieht der Gesetzentwurf eine moderate Übergangsregelung vor. Die betroffenen Bürgerinnen und Bürger haben also Zeit, sich auf die neue Rechtslage einzustellen. Übrigens wird der Grundwehrdienst ebenso wie der Zivildienst nicht angerechnet, damit den Betroffenen kein Nachteil entsteht. Gestatten Sie mir noch eine Bemerkung zu der Einführung eines Zuschlags auf die Einkommenssteuer für Spitzenverdiener. Wie Sie wissen, bedeutet eine Koalition, dass immer wieder Kompromisse geschlossen werden müssen. Koalition heißt Geben und Nehmen. Das war bei allen Koalitionen so, wer auch immer sie gebildet hat. ({11}) Diese Maßnahme, die von vielen zu Unrecht und irreführend als „Reichensteuer“ bezeichnet wird, ist im Zusammenhang mit den anderen steuerlichen Maßnahmen zu sehen. Ich bin davon überzeugt, dass wir im Rahmen der Unternehmensteuerreform einen Weg finden, der zu einer angemessenen Besteuerung der Leistungsträger in unserer Gesellschaft führt. ({12}) Unser Ziel ist es, die Regelgrenze des Art. 115 Grundgesetz einzuhalten und die 3-Prozent-Defizitgrenze des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts zu unterschreiten. Dies zu erreichen, ist ein lobenswertes Ziel, für das es im Interesse der Stabilität unseres Landes zu kämpfen gilt. Ich bin davon überzeugt, dass die Bürger die Politik zur Sicherstellung der langfristigen Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen honorieren werden, auch wenn zurzeit auf der einen Seite die hohen Schulden kritisiert werden und auf der anderen Seite jede Sparmaßnahme gebrandmarkt wird. Unsere Maßnahmen sind im Interesse der Gesamtverantwortung für unser Land erforderlich. Es gibt keine verantwortbare Alternative zu unserem Gesamtkonzept. ({13})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Volker Wissing von der FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Volker Wissing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003702, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte, heißt es so schön. Für diese große Koalition gilt: Wenn zwei sich vertragen, zahlt der Dritte. Das sind in diesem Fall die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes. ({0}) Was diese Regierungskoalition im Innersten zusammenhält, ist eine Steuererhöhung nach der anderen. Die CDU/CSU kann die Mehrwertsteuererhöhung durchsetzen, aber nur dann, wenn die SPD noch einen Prozentpunkt drauflegen darf. Die CDU/CSU darf die Unternehmensteuer ein bisschen reformieren, aber nur, wenn der SPD eine Reichensteuer zugestanden wird. Die Basis dieser Koalition ist kein Geben und Nehmen; es gibt nur ein einseitiges Nehmen aus den Taschen der Bürgerinnen und Bürger. ({1}) Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, es ist schon schlimm, dass Sie den Menschen so hemmungslos in die Taschen greifen, aber dass dieses Abkassieren völlig ohne Konzept erfolgt, macht das Ganze noch schlimmer. ({2}) So bleibt für Trüffel und Gänsestopfleber der reduzierte Mehrwertsteuersatz erhalten; für Babywindeln und Kinderartikel wird er demnächst um 3 Prozentpunkte erhöht. ({3}) Das folgt keinem Konzept; das ist vielmehr Steuerirrsinn. Ihre Steuererhöhungspolitik belastet vor allem die kleinen und mittleren Einkommen. Ich will deshalb nicht nur über die Akteure auf der Regierungsbank reden, sondern auch über die Opfer dieser Steuererhöhungspolitik. Allein mit der Absenkung des Sparerfreibetrages, den Sie auf 1 500 bzw. 750 Euro nahezu halbieren, treffen Sie 2,6 Millionen Bürgerinnen und Bürger. 15 Millionen Bürgerinnen und Bürger sind von der Änderung der Pendlerpauschale betroffen und wen Sie mit Ihrer Mehrwertsteuererhöhung zur Kasse bitten, interessiert Sie nicht einmal. Ich habe Sie, Herr Minister Steinbrück, neulich gefragt, wie Sie die Auswirkungen der Mehrwertsteuererhöhung für BAföG-Empfänger, Familien mit Kindern, Rentnerinnen und Rentner und ALG-II-Empfänger einschätzen. Über Ihre Antwort habe ich nicht schlecht gestaunt. Ich zitiere: „Entsprechende Berechnungen hat die Bundesregierung nicht durchgeführt.“ Nichts zu wissen ist vielleicht eine gute Voraussetzung für Sie, um ein gutes Gewissen zu haben. So kann man zwar auch Politik machen, aber das sollte zumindest einer sozialdemokratischen Fraktion unwürdig sein. ({4}) Sie beschließen eine Steuererhöhung nach der anderen und interessieren sich nicht einmal dafür, wie sich das auf die sozial Schwachen in unserer Gesellschaft auswirkt. Das ist ungeheuerlich. ({5}) Herr Poß, die Einführung einer Reichensteuer kann weiß Gott nicht die sozialpolitische Blöße der SPD in der Finanzpolitik bedecken. Politik sollte eigentlich zum Ziel haben, dass es den Menschen besser geht. Aber Ihr Anspruch beschränkt sich inzwischen darauf, dass es allen in unserem Land gleichermaßen schlecht geht. Ich frage Sie: Was ist das denn für eine Politik? ({6}) Soziale Gerechtigkeit schafft man doch nicht, indem man vielen viel nimmt, sondern indem man vielen möglichst viel belässt. Das war im Übrigen auch einmal eine Erkenntnis der Union, zumindest bis zu den Koalitionsverhandlungen. Aber während dieser Verhandlungen ist Ihnen offenbar der finanzpolitische Sachverstand verloren gegangen. ({7}) In der Opposition Steuervereinfachungen und Steuersenkungen fordern und in der Regierung eine Steuererhöhung nach der anderen machen, das ist eine 180-GradWendung der Union in der Finanzpolitik. ({8}) Ich kann verstehen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, dass vielen von Ihnen diese Politik peinlich ist. Peinlich war ebenfalls das jähe Ende der Debatte am vorletzten Freitag. Da soll über den Entwurf Ihres Steuererhöhungsgesetzes in den Abendstunden beraten werden und am Ende scheitert es dann daran, dass nicht mehr genügend Abgeordnete im Saal sind. So geht es wirklich nicht! Sie können nicht erst die Bürgerinnen und Bürger massiv belasten und sich dann nicht der Debatte stellen. ({9}) Das ist typisch für die Abgeordneten der großen Koalition. In Berlin werden die Steuern erhöht und im Wahlkreis will es dann niemand gewesen sein. Die Menschen in unserem Land haben mehr Respekt verdient. Damit meine ich auch mehr Respekt vor ihrem Eigentum. Es geht doch letztlich darum, dass Sie mit Ihrer Steuererhöhungspolitik den Bürgerinnen und Bürgern Geld wegnehmen. Herr Oswald, Sie reden davon, dass gespart werden soll. Aber der Staat spart nicht. Das ist doch der Fehler, den Sie machen. Sie verlangen, dass die Bürgerinnen und Bürger mehr an den Staat zahlen, und zwar mehr von dem Geld, das sich die Menschen zuvor ehrlich und hart erarbeitet haben. Wir sollten vor den Leistungen der Bürgerinnen und Bürger mehr Respekt haben, als Sie mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zeigen. ({10}) Egal ob Sparerfreibetrag oder Pendlerpauschale, der Staat hat den Menschen damit letztlich kein Geschenk gemacht, sondern ihnen nur mehr von dem belassen, was ihnen ohnehin zusteht, nämlich der Lohn für ihre Arbeit. Das sollten wir nicht vergessen. Meine Damen und Herren von Schwarz-Rot, der wesentliche Unterschied zwischen Ihnen und der FDP ist, dass Sie glauben, dass das Geld der Bürgerinnen und Bürger in die Hände des Staates gehört. Aber wir sagen Ihnen: Lassen Sie es den Bürgerinnen und Bürgern! Nur so entstehen Leistung, Wachstum und Arbeitsplätze. Das muss doch das Ziel einer wirklich sozialen Politik sein. ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Gabriele Frechen von der SPD-Fraktion. ({0})

Gabriele Frechen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003529, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Sehr geehrter Herr Kollege Wissing, es gibt noch andere Unterschiede zwischen uns. SPD und Grüne haben die größte Steuersenkung in der Geschichte der Bundesrepublik durchgeführt. Dazu war die FDP, solange sie in der Regierung war, nicht in der Lage. ({0}) Sie versprechen immer nur, die Steuern zu senken. Aber in Wirklichkeit hatten Sie in der Zeit Ihrer Regierungsbeteiligung die höchste Steuer- und Abgabenquote in der Geschichte der Bundesrepublik zu verantworten. ({1}) „Konjunktur treibt Steuereinnahmen hoch - Experten erwarten 14 Prozent Zuwachs bei der Körperschaftsteuer - Kommunen freuen sich über sprudelnde Gewerbesteuer“, so lautet die Überschrift der „Financial Times Deutschland“ vom 12. Mai dieses Jahres. Dass ich darauf erst jetzt zurückkomme, liegt weniger daran, dass ich meine Zeitungen so spät lese, als daran, dass die erste Lesung, die schon in der letzten Sitzungswoche hätte stattfinden sollen, dem Kollegen Beck und seinem Geschäftsordnungsantrag zum Opfer gefallen ist. Trotzdem hat diese Überschrift nichts an ihrer Gültigkeit verloren. ({2}) Herr Kollege Wissing hat eben gesagt, wir hätten uns der Diskussion nicht stellen wollen. Weder Herr Oswald noch ich haben unsere Reden zu Protokoll gegeben; wir hätten uns hierhin gestellt. Tun Sie also nicht so, als ob wir uns dem nicht gestellt hätten! ({3}) Was für Sie gilt, gilt auch für uns. Die Überschrift zeigt, dass die Unternehmensteuerreform und auch die steuerpolitischen Maßnahmen der vergangenen Jahre Früchte tragen. Das Körperschaftsteueraufkommen wird trotz Absenkung des Steuersatzes von 40 Prozent auf 25 Prozent fast wieder so hoch sein wie 1998. Das Gewerbesteueraufkommen wird mit 34,2 Milliarden Euro nochmals eine große Steigerung erfahren. Das ist auch gut so; denn die Kommunen brauchen dieses Geld dringend, um aufgeschobene Investitionen jetzt endlich zu tätigen, damit die Handwerkerschaft, die mittelständische Wirtschaft zu stärken und so den Arbeitsmarkt sowie die Sozialversicherungssysteme zu entlasten. Die Konjunktur gewinnt dadurch. ({4}) Das alles sind positive Entwicklungen, die wir als solche würdigen dürfen, ja sogar würdigen müssen. Aber rechtfertigen sie schon den Schluss, dass weitere Sparmaßnahmen, dass weitere Schritte zum Abbau steuerlicher Vergünstigungen überflüssig sind? Unser Finanzminister Peer Steinbrück hat diese Debatte bereits vorausgesehen. Er hat gesagt: Selbst wenn die Konjunktur so wie jetzt läuft, wird das nicht reichen, um das strukturelle Defizit im Staatshaushalt zu decken. Um es einfacher zu sagen: Auch nach diesen positiven Berechnungen klafft eine deutliche Lücke zwischen den Einnahmen und den Ausgaben des Staates. Wir wollen doch alle - die FDP vielleicht nicht - einen aktiven und einen handlungsfähigen Staat, ({5}) der Infrastruktur zur Verfügung stellt, der Sicherheit bietet, der in Familien, in Forschung und Bildung investiert und der solidarische Hilfe da leistet, wo sie benötigt wird. Deshalb müssen wir weiterhin die undankbare Aufgabe angehen, Ausnahmetatbestände abzuschaffen, Vergünstigungen zu streichen und uns auch von lieb gewonnenen Dingen zu verabschieden. Leider kann man den Haushalt ohne spürbare Einschnitte nicht konsolidieren. Aber wir müssen sehen, dass es zu keiner sozialen Schieflage in der Steuergesetzgebung kommt. ({6}) Die Abschaffung von Steuerstundungsmodellen oder von Steuerumgehungsmodellen wurde von den allermeisten Menschen mit Kopfnicken, also mit Zustimmung, belohnt. Diese Menschen waren davon in der Regel nicht betroffen. Das ist bei diesem Steueränderungsgesetz anders. Die meisten Menschen werden davon betroffen sein, aber je nach Leistungsfähigkeit mehr oder weniger. Der Gesetzentwurf sieht zum Beispiel vor, die Altersgrenze beim Kindergeldbezug auf 25 Jahre abzusenken. Ich kann aus meiner eigenen Erfahrung Folgendes sagen: Meine Tochter war mit ihrem Studium mit 27 Jahren fertig, obwohl sie erst mit sieben eingeschult wurde, obwohl sie ein zusätzliches Schuljahr in Amerika verbracht hat und obwohl sie uns ein Examens-, das heißt zusätzliches Semester abgeschwatzt hat. Ich bin überzeugt: Man kann auch schneller fertig werden. Wie viele andere junge Menschen sieht sie diese 27 Jahre als Grenze, bis zu der das Studium abgeschlossen sein muss. Ob die Übergangsfristen ausreichend sind, welche sonstigen rechtlichen Verknüpfungen wie Beihilferegelungen betroffen sind, das wird die Anhörung zeigen. Ich bin sicher, wir werden Antworten auf unsere gezielt gestellten Fragen bekommen und wir werden zu einem guten Ergebnis kommen. Des Weiteren sieht der Gesetzentwurf vor, die Entfernungspauschale für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte unter 20 Kilometer zu streichen. Darüber wird es eine heftige Diskussion geben; die Briefe, die uns erreichen, zeigen es. Der vorgegebene Finanzrahmen muss eingehalten werden; da gibt es keinen Zweifel. Aber wir müssen prüfen, ob wir dieses Ziel nicht auch auf anderem Wege erreichen können. Ich kann für die SPD-Bundestagsfraktion sagen, dass wir uns durchaus auch andere Lösungen vorstellen können. Der Sparerfreibetrag ist eine der lieb gewonnenen Ausnahmen vom Prinzip der Besteuerung nach Leistungsfähigkeit. Gibt es Gründe, gerade diese Ausnahme jetzt nicht abzuschaffen? Natürlich gibt es die! Zum einen handelt es sich um eine Vereinfachung; zum anderen hat jeder Betroffene immer Gründe dafür, dass just die Ausnahme, die ihn selbst betrifft, nicht abgeschafft werden darf. Aber reicht das aus? Ich glaube nicht. Aber um kleinere Sparguthaben - wir reden da bei Verheirateten von 50 000 Euro - von der Veränderung auszunehmen, werden wir einen - reduzierten - Sparerfreibetrag von 750 Euro bzw. 1 500 Euro für Verheiratete festlegen. Die Kosten für ein häusliches Arbeitszimmer werden nur noch dann anerkannt und abgesetzt werden können, wenn dieses Arbeitszimmer den Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit darstellt. Eine weitere Ausnahmeregelung wird gestrichen. Schließlich werden wir den Spitzensteuersatz für Einkommen über 250 000 bzw. 500 000 Euro von 42 auf 45 Prozent erhöhen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Frechen, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Kopp?

Gabriele Frechen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003529, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön, Frau Kopp.

Gudrun Kopp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin, Sie sprachen eben davon, dass sich die Bundesregierung vorgenommen habe, Ausnahmen abzuschaffen, um einen Ausgleich zu erreichen. Erklären Sie mir bitte, weshalb die Bundesregierung im Zusammenhang mit dem Steueränderungsgesetz die Frage, weshalb sie Flüssiggas nur bis 2009, Erdgas aber bis 2020 steuerbegünstigt behandelt, ({0}) nach wie vor unbeantwortet lässt.

Gabriele Frechen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003529, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kopp, vielen Dank, für die Frage. - Zum einen spreche ich für die Koalitionsfraktionen, deren Gesetzentwurf wir heute diskutieren; es geht nicht um einen Gesetzentwurf der Bundesregierung. ({0}) Zum anderen sprechen wir über ein Thema, das in dieser Woche im Finanzausschuss behandelt wurde. Der Finanzausschuss tagt nicht öffentlich - Sie werden das verstehen -; bitte fragen Sie Ihre Kollegen danach. Die waren dabei. Die kennen die Überlegungen, die die Koalitionsfraktionen zu diesem Thema angestellt haben. ({1}) - Im richtigen Gesetz sollte man schon sein. Aber das kann mal passieren, Frau Kopp; das ist auch nicht weiter schlimm. ({2}) Ich sprach über die Erhöhung des Steuersatzes für höhere Einkommen um 3 Prozentpunkte. Wir haben im Gesetzentwurf - anders als im Koalitionsvertrag vereinbart - alle unternehmerischen Einkommen ausgenommen, um das Gesetz verfassungsfest zu machen. Im Rahmen der Unternehmensteuerreform werden wir sehen, wie der Koalitionsvertrag insofern endgültig umgesetzt wird. Wer diese Erhöhung des Spitzensteuersatzes für Symbolik oder eine Neidsteuer hält, den kann ich nicht verstehen. Wir sprechen im Veranlagungsjahr - jetzt nicht wieder mit dem Kassenjahr verwechseln! - 2007 über eine Summe von 250 Millionen Euro, kassenwirksam wegen Vorauszahlung und Veranlagung in den Jahren 2007 und 2008. Darüber hinaus rechnen wir mit Mehreinnahmen von über 1 Milliarde Euro. Wer das für Symbolik hält, der sollte mal über sein Verhältnis zu Geld nachdenken. ({3}) Wer das für eine Neidsteuer hält, dem sage ich, dass das weit mehr bedeutet. Es ist eine Frage der sozialen Balance und Ausgewogenheit, Besserverdienende stärker zur Finanzierung des Staates heranzuziehen. ({4}) Leider bleibt mir nicht mehr die Zeit, noch ein bisschen auf den Antrag der FDP einzugehen, aber den Kollegen von den Grünen will ich noch etwas sagen. Sie, meine Damen und Herren, fordern in Ihrem Antrag zu unserem Entwurf die Bundesregierung zu verschiedenen Dingen auf und übersehen dabei völlig - bei dem Theaterdonner, den Sie am Freitag veranstaltet haben, ist das auch kein Wunder -, dass Sie Ihren Antrag eigentlich zum Koalitionsentwurf hätten schreiben müssen. Den behandeln wir heute nämlich. Solche Kleinigkeiten fallen bei Ihnen nicht sonderlich ins Gewicht. Ich weiß, der Unterschied zwischen Parlament und Regierung ist Ihnen offensichtlich nicht so wichtig. ({5}) Ich muss zum Schluss kommen. - Ein Zitat für alle, die es gern einfach hätten, von Poul Anderson: Mir ist bis heute kein auch noch so kompliziertes Problem begegnet, das nicht, richtig betrachtet, noch komplizierter wurde. In diesem Sinne freue ich mich auf interessante Beratungen im Ausschuss. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Barbara Höll von der Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wo steht die deutsche Sozialdemokratie? ({0}) Die größte Steuersenkung aller Zeiten - jawohl. Diese wird aber finanziert durch die größten Sozialkürzungen aller Zeiten. Das ist die Realität. ({1}) Steuerfreiheit der Veräußerungsgewinne, Senkung des Spitzensteuersatzes um 11 Prozent - von 53 auf 42 Prozent -, Senkung der Körperschaftsteuer, das sind die Realitäten, von denen wir hier reden. Wenn man den heutigen Tag in seiner Gesamtheit betrachtet, zeigt sich eine Offenbarung der Regierungspolitik Ihrer großen Koalition: Am Vormittag sprechen wir, zum Glück in öffentlich wahrnehmbarer Debatte, über Steuererhöhungen, die in erster Linie zulasten der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen gehen. Am Nachmittag setzt sich das mit einer Verschärfung der Hartz-IVGesetzgebung fort - so weit, dass Sie bereit sind, die Menschenwürde auszuhebeln. Wer nicht hört, wird bestraft; ihm werden alle Leistungen gekürzt. Das betrifft nicht nur Essen und Trinken, sondern Sie sind bereit, die Unterhaltskosten vollständig zu streichen. Die Leute können dann unter der Brücke schlafen. Das ist die Realität Ihrer Politik. ({2}) Ihre Vorschläge, die wir heute in erster Lesung beraten, zeigen, dass die Steuerpolitik zur Manövriermasse des Finanzministers verkommt. Die realen Lebensverhältnisse zählen nicht; Steuergrundsätze werden willkürlich ausgehebelt. Eine Maßnahme, die Sie vorschlagen, ist die Veränderung bei der steuerlichen Absetzbarkeit des Arbeitszimmers. Nur noch dann, wenn die berufliche Tätigkeit vollständig im häuslichen Arbeitszimmer absolviert wird und dieses damit den Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit bildet, kann man das Arbeitszimmer steuerlich geltend machen. Was ist aber nun mit den Lehrerinnen und Lehrern, ({3}) mit den vielen Menschen, die im Servicebereich, im Außendienst tätig sind? Was ist mit den Versicherungsbetreibern? Wir haben keine Ganztagsschulen mit Arbeitszimmern für Lehrerinnen und Lehrer; deshalb sind auch die Lehrer auf den häuslichen Arbeitsplatz angewiesen. Sie verschärfen nun deren Situation. 300 Millionen Euro soll Ihnen diese Belastung der tätigen Menschen bringen. Die Entfernungspauschale: 2,5 Milliarden Euro wollen Sie durch die neue Regelung mehr einnehmen. Herr Oswald hat gesagt, das sei moderat und man solle die Finanzpolitik doch bitte in ihrer Gesamtheit sehen. ({4}) Wohl wahr. Abgesehen davon, dass die von Ihnen vorgeschlagene Regelung grundgesetzwidrig sein dürfte - denn Sie übersehen dabei, dass der Weg von der Wohnung zur Betriebsstätte notwendigerweise bewältigt werden und deshalb auch steuerlich absetzbar sein muss -, sollten wir das in der Tat einmal in der Gesamtheit betrachten: Noch vor einigen Wochen ließ sich die Familienministerin für die Möglichkeit der steuerlichen Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten als Werbungskosten bzw. Betriebsausgaben groß feiern. Gut; aber wie ist nun die Lage der erwerbstätigen Eltern, die Kinderbetreuungskosten steuerlich absetzen können, denen aber die Entfernungspauschale gekürzt wird? Die Absetzbarkeit der Kinderbetreuungskosten schlägt im Endeffekt nicht bis in ihr Portemonnaie durch, sondern sie müssen mehr Steuern zahlen als noch im vergangenen Jahr. Ich will Ihnen das an einem Beispiel deutlich machen: Eine Familie mit einem Jahreseinkommen von 48 000 Euro brutto, bei der der eine Ehepartner einen Arbeitsweg von 20 Kilometern hat, den er also nicht steuerlich absetzen kann, und der andere einen Arbeitsweg von 30 Kilometern, und mit durchschnittlichen Kinderbetreuungskosten, die sie steuerlich geltend machen können, hat nun eine jährliche steuerliche Mehrbelastung von 565 Euro. Da sprechen Sie von einer tollen Familienpolitik? Das ist familienfeindlich! Dieser Tatsache müssten Sie sich hier stellen. ({5}) Bei einer weiteren Regelung können Sie sich nicht dem Vorwurf entziehen, dass sie nur eine Placebomaßnahme ist. Sie schlagen die so genannte Reichensteuer vor. Was ist denn das? Wie viele Steuerpflichtige mit einem Einkommen von über 250 000 Euro haben wir denn? Hier kommt es nur zu einer klitzekleinen Erhöhung, weil Sie die Gewinneinkünfte sogar noch herausnehmen. Sie geben selber zu, dass Sie im ersten Jahr Einkünfte von unter 1 Milliarde Euro erzielen werden, Frau Frechen. ({6}) Wie es dann weiter aussieht mit Ihrer Regelung und der Verlagerung von Einkünften, bleibt abzuwarten. Wir lehnen Ihre unsoziale Politik ab. Ringen Sie sich zu einer ordentlichen Sozialpolitik durch, die von einer ordentlichen Steuerpolitik flankiert wird! Wenn Sie sich schon durch Maßnahmen hervortun wollen - bitte schön: Erhöhen Sie den Spitzensteuersatz! Dies kann moderat, Schritt für Schritt um 2 Prozentpunkte jedes Jahr, geschehen, bis wir wieder bei einem Satz von 50 Prozent angekommen sind. Erst dann können wir davon reden, dass diejenigen in unserer Gesellschaft, die ein hohes Einkommen haben, ihren Beitrag leisten. Ihr Gesetz ist in dieser Form abzulehnen. Ich befürchte auch, dass durch unsere Beratungen im Ausschuss, die Sie im Schweinsgalopp durchführen wollen - bereits heute Mittag gibt es parallel zum Plenum eine Anhörung; deswegen können wir der weiteren Debatte nicht folgen -, leider keine große Änderungen mehr bewirkt werden. Wir müssen den Druck also außerparlamentarisch erhöhen. Was Sie machen, ist einfach unsozial. Ich danke Ihnen. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Kerstin Andreae vom Bündnis 90/Die Grünen.

Kerstin Andreae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003493, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition! ({0}) - Ich meine natürlich Koalition. Auf die Opposition komme ich aber noch zu sprechen. Wir können dieses Gesetz heute - das ist gut so - zu einer Zeit behandeln, zu der die Öffentlichkeit diese Debatte verfolgen kann. Denn sie findet nicht abends quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Die Opposition insgesamt hat gefordert, dass dieses Gesetz in einer verbundenen Debatte mit dem Haushaltsbegleitgesetz und zusammen mit der Erhöhung der Mehrwertsteuer diskutiert wird. ({1}) Damit soll deutlich werden, um welche Belastungen es in der Summe geht. Heute diskutieren wir vor vollem Haus. Es geht doch! Stellen Sie die Tagesordnung vernünftig auf, dann können wir auch anständig debattieren. ({2}) Der günstige Debattenzeitpunkt ändert leider nichts am Inhalt des Gesetzes. Dieses Gesetz ist ein weiteres Beispiel dafür, welches Steuerchaos Sie verursachen. Es ist keine seriöse Finanzpolitik, die sie noch im Koalitionsvertrag angekündigt haben. Dieses Gesetz ist ohne Plan und Logik. Maßnahmen werden willkürlich aneinander gereiht. Ich kann nur sagen: Steuerchaos pur. ({3}) Alle reden von der Stärkung der privaten Altersvorsorge. In den Reden kommt es gut an. Aber mit der Halbierung des Sparerfreibetrages wenden Sie sich frontal gegen die Stärkung der privaten Altersvorsorge. Dadurch belasten Sie vor allem die Kleinsparer. Für die Einführung des Sparerfreibetrages gab es drei Gründe. Erstens sollte, wie gesagt, die private Altersvorsorge gestärkt werden. Zweitens sollte Bürokratie abgebaut werden. 80 Prozent der Kleinsparer mussten für ihre Spareinlage keine zusätzliche Steuererklärung abgeben. Ich bin sehr gespannt, ob Sie uns einmal darlegen können, welche zusätzlichen Kosten auf die Finanzverwaltung zukommen, wenn die von der Halbierung des Sparerfreibetrages betroffenen Menschen zukünftig eine Steuererklärung für ihre Zinseinkünfte abgeben müssen. Drittens handelt es sich beim Sparerfreibetrag um einen klassischen Inflationsausgleich; das wissen Sie. Wenn Sie den Sparerfreibetrag halbieren, dann belasten Sie die Kleinsparer und negieren all die Ziele, die vernünftig sind. Hören Sie mit dieser falschen Politik auf! ({4}) Trotz der vor uns liegenden Zukunftsaufgaben legen Sie einen zweiten Teil vor, mit dem Sie eine ökologisch gesehen vollkommen falsche Politik machen. Die Regelung, die Sie zur Entfernungspauschale vorlegen - einmal abgesehen davon, dass es sich um einen fragwürdigen Trick handelt, sie aus den Werbungskosten herauszunehmen -, zeugt nicht von einer ökologisch ausgerichteten Politik. Sie fördern die Stadtflucht, die Zersiedelung und den Flächenverbrauch; aber anstatt eine klare ökologische Komponente in der Steuerpolitik - die Betonung liegt auf „steuern“ - einzuführen, maKerstin Andreae chen Sie das Gegenteil. Gehen Sie stattdessen an die ökologischen Steuersünden heran: Bauen Sie ökologisch schädliche Subventionen ab! Bringen Sie endlich die Kerosinbesteuerung auf den Weg! Bauen Sie die Ökosteuerbefreiung im produzierenden Gewerbe ab! Das wäre wesentlich vernünftiger als das, was Sie jetzt machen. ({5}) Am besten aber ist die Reichensteuer. Im Finanzausschuss hieß es von der Union, dass diese Steuer - neues Label - eigentlich „Leistungsfähigkeitssteuer“ heißen sollte. Ich finde es ziemlich fragwürdig, wie Sie Leistungsfähigkeit definieren. Aber ein Aufkommen von 127 Millionen Euro angesichts des Aufkommens von 23 Milliarden Euro durch die Mehrwertsteuererhöhung ist ein Witz. Da bringt die Sektsteuer mehr ein. Wie Sie an den Steuergesetzen herumdoktern! Mit der Änderung des § 32 a Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes führen Sie die Reichensteuer ein. Mit der Einfügung des § 32 c führen Sie wieder eine Ausnahme ein und nennen das Ganze „Einführung eines tariflichen Entlastungsbetrages“. Mit der Reichensteuer erreichen Sie tatsächlich nur eine Hand voll: Arbeitnehmer mit einem Einkommen über 250 000 Euro pro Jahr bzw. Verheiratete bei gemeinsamer Veranlagung mit einem Einkommen von über 500 000 Euro pro Jahr. Ich sage es Ihnen klar: Diese Reichensteuer können Sie sich glatt sparen. ({6}) Wo bleibt überhaupt die Steuervereinfachung? Was Sie uns in den letzten Monaten vorgelegt haben: Die Absetzbarkeit der Aufwendungen für die Kinderbetreuung ist erwähnt worden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass einer von Ihnen tatsächlich noch erklären kann, wie die Absetzbarkeit der Kosten für die Kinderbetreuung en détail funktioniert. Sie haben die Absetzbarkeit der Steuerberaterkosten eingeschränkt, aber nicht die der Kosten, die der Steuerberater für das Ausfüllen der Anlage Kinder verlangt, deren Bestimmungen, wie gesagt, keiner mehr durchschaut. Bei der Entfernungspauschale behandeln Sie die Menschen unterschiedlich. Beim Sparerfreibetrag führen Sie mehr Bürokratie ein und bewirken eine geringere private Altersvorsorge. Das beste Gesetz werden wir in den nächsten Sitzungswochen behandeln: Dabei geht es um die Besteuerung von Biodiesel. Es ist noch völlig unklar, was Sie da machen wollen. ({7}) Es gibt keine Verlässlichkeit und keine Planbarkeit. Sie kündigen gestern im Finanzausschuss an, dass Sie in einem Änderungsantrag zu diesem Gesetzentwurf darstellen werden, dass man 2007 noch einmal prüfen will, ob man dieses Gesetz 2008 auch braucht. Sie sind in eine Schieflage geraten. Das ist der falsche Weg. Ziehen Sie den heute vorliegenden Gesetzentwurf zurück! Folgen Sie unserem Antrag! Legen Sie einen neuen Gesetzentwurf vor, in dem Sie die soziale Balance halten und eine ökologische Politik machen! Danke schön. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Olav Gutting von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Olav Gutting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003544, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine werten Kolleginnen und Kollegen! Das Steueränderungsgesetz 2007 steht für die konsequente Fortsetzung der bereits begonnenen Haushaltskonsolidierung. Bei allem Geplänkel über die einzelnen Maßnahmen dieses Gesetzes: Das zentrale Ziel, nämlich die Stabilisierung des Haushaltes, sollten wir alle nicht aus dem Auge verlieren. ({0}) Circa 1,5 Billionen Euro beträgt der aktuelle Schuldenstand der Bundesrepublik Deutschland. Auf jeden einzelnen Bürger entfallen damit circa 17 000 Euro Tendenz steigend. Ich würde mir wirklich wünschen, dass wir zumindest in diesem Hause endlich parteiübergreifend die Einsicht durchsetzen könnten, dass es so nicht mehr weitergehen kann. ({1}) Unser Staat ist das Opfer einer seit Jahrzehnten praktizierten verfehlten Ausgabenpolitik. Wir müssen schon Schulden machen, um die Zinsen für die Schulden zahlen zu können. Finanzielle Spielräume gibt es nicht mehr. Stellen wir uns vor, das Zinsniveau würde nur etwas steigen. 2 Prozentpunkte mehr würden eine zusätzliche Belastung der öffentlichen Hand in Höhe von 30 Milliarden Euro bedeuten - und das Ganze vor dem Hintergrund einer immer weiter schrumpfenden Bevölkerung. Wo sind denn die Generationen, die zukünftig all diese Lasten tragen sollen? Fakt ist: Die steigende Verschuldung ruht auf immer schmaler werdenden Schultern. Wer politisch verantwortungsvoll handelt, muss den Menschen klar sagen: Es geht nicht nur mit Sparen. Zwar müssen wir bei den Ausgaben sparen, aber gleichzeitig müssen wir eine Verbesserung auf der Einnahmeseite herbeiführen. Das Steueränderungsgesetz 2007 beinhaltet Elemente von beidem. Ja, es gibt zum Teil schmerzhafte Einschnitte. Das ist aber beim Subventionsabbau fast immer so. Dass aber gerade diejenigen, die immer für Subventionsabbau und Verwaltungsvereinfachung eintreten, nun so vehement gegen dieses Gesetz polemisieren, ist nicht nur verwunderlich, sondern auch peinlich. ({2}) Die neue Regelung bezüglich der Abzugsfähigkeit der Aufwendungen für das häusliche Arbeitszimmer stellt ebenso wie die Abschaffung der Bergmannsprämie Subventionsabbau und Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens in einem dar. Die Umstellung auf das Werktorprinzip bei der Pendlerpauschale ist richtig. Der Weg zur Arbeit ist Privatsache und muss nicht von der Allgemeinheit mitfinanziert werden. Ich will an dieser Stelle gerne zugeben, dass meiner Meinung nach konsequenterweise dann auch die Ausnahmeregelung für Fernpendler hätte fallen sollen. Hier zeigt sich, dass das Bestreben nach mehr Gerechtigkeit letztendlich eine zusätzliche Verkomplizierung des Steuerrechts zur Folge hat. Der grundsätzliche Schritt hin zum Werktorprinzip bleibt aber auch mit dieser Ausnahme richtig. Mit dieser überfälligen Klarstellung, dass die Berufssphäre erst am Werkstor beginnt, eröffnen wir uns im Übrigen für die Zukunft weiteren politischen Handlungsspielraum. Ich will zum Abschluss noch ein paar Sätze zum Thema Absenkung des Sparerfreibetrages sagen: Erstens. Auch beim Sparerfreibetrag handelt es sich um eine Subvention. Zweitens. Auch nach der Absenkung auf 750 bzw. 1 500 Euro für Verheiratete bleiben bei den heutigen Zinssätzen immer noch Zinserträge aus einer Summe von über 50 000 Euro steuerfrei. Wer mehr hat, muss sich mit den Mehreinkünften eben auch an der Finanzierung unseres Staates beteiligen. ({3}) Unabhängig hiervon brauchen wir endlich ein schlüssiges Gesamtkonzept zur Besteuerung von Kapitalanlagen, also von Kapitalerträgen und privaten Veräußerungsgewinnen gemeinsam. Mit einem vernünftigen Steuersatz gäbe es dann auch gute Chancen für eine Rückkehr so mancher Fluchtgelder. Auch die problematische Kontoabfrage würde sich erübrigen. In diesem Zusammenhang kann man sich also nur die baldige Einführung einer Abgeltungsteuer mit einem attraktiven Steuersatz wünschen. Lassen Sie uns das gemeinsam angehen! ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat der Kollege Florian Pronold von der SPD-Fraktion das Wort.

Florian Pronold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003612, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde die Grünen wirklich spannend. ({0}) Es ist geradezu unglaublich: Es war für Freitagnachmittag eine öffentliche Debatte über diesen Punkt angesetzt. Vier Grüne sind hier im Saal und die beantragen dann, die Beschlussfähigkeit festzustellen. Welch ein Hohn! ({1}) Seien Sie heute pünktlich hier und nehmen Sie Ihre Arbeit entsprechend wahr! Dann müssen wir diesen Unsinn heute nicht noch einmal wiederholen. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Pronold, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Thiele?

Florian Pronold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003612, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja. Der war auch nicht da, oder?

Carl Ludwig Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002315, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Kollege Pronold, Sie sprachen davon, dass die Debatte über das Steueränderungsgesetz für den frühen Freitagnachmittag angesetzt gewesen sei. Sie war für 19.45 Uhr angesetzt! ({0}) Halten Sie das für einen frühen Nachmittag? Noch dazu war es ein Freitag. ({1}) Halten Sie es angesichts der Bedeutung dieses Gesetzes, angesichts der Belastungen für die Steuerzahler, die mit diesem Gesetz verbunden sind, überhaupt für adäquat, diesen Punkt so weit hinten auf der Tagesordnung zu verstecken? Wäre es nicht richtig gewesen, diesen Punkt ganz früh am Freitagmorgen in angemessener Präsenz des Deutschen Bundestages zu debattieren? Das ist die Frage, die sich hier stellt. ({2})

Florian Pronold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003612, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Thiele, erstens wissen Sie - ich glaube, Sie waren da -, dass wir in derselben Woche eine Aktuelle Stunde zu genau dieser Thematik gehabt haben. All die Dinge, die wir heute diskutieren, kamen dort - zum Teil wortgleich - zur Sprache. ({0}) Zweitens wissen Sie sicher, dass wir derzeit eine der größten Grundgesetzreformen in der Geschichte der Bundesrepublik diskutieren und wir deswegen den gesamten Sitzungsablauf in diesen Wochen umstellen. ({1}) Deswegen war es notwendig, wichtige Debatten auch zu etwas ungünstigeren Zeiten zu führen. Wer sich dafür interessiert, kann da sein. Das ist niemandem verboten. ({2}) Jetzt aber zu den Inhalten. Bei dem vorliegenden Gesetz handelt es sich um ein Steuergesetz, das Subvention abbaut. In der politischen Debatte sprechen immer alle davon, dass wir Steuersubventionen abbauen müssen. Wenn es dann aber an die konkrete Subvention geht, ist es plötzlich keine Subvention mehr. Nie! Dann gibt es nichts Lebensnotwendigeres mehr als diesen Tatbestand und jeder, der daran geht, ist dann ein Steuererhöher. Diejenigen, die am meisten dieses Spiel spielen, sind Sie von der FDP: ({3}) Sie betreiben durchgängig Klientelpolitik. Die Steuersubventionen, die Ihrer Klientel zugute kommen, greifen Sie nie an. Wenn wir aber Steuersubventionen abbauen wollen, dann sprechen Sie von Steuererhöhung.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Pronold, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Westerwelle?

Florian Pronold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003612, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gerne, das verlängert meine Redezeit. Das freut mich.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön, Herr Westerwelle.

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das sei Ihnen gegönnt, Herr Kollege. - Da Sie sich mit meiner Fraktion auseinander setzen, möchte ich gerne eine Frage stellen. Am 7. September des Jahres 2005 sagte der Vizekanzler Franz Müntefering im Deutschen Bundestag wörtlich: Wer darüber stöhnt, dass die Benzinpreise so hoch sind, aber gleichzeitig die Erhöhung der Mehrwertsteuer und die Kürzung der Pendlerpauschale ankündigt, der hat die Interessenlage der Menschen nicht im Blick. Das ist unehrlich und geht an der Realität dieses Landes und an dem, was für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu tun ist, vorbei. Wollen Sie uns vorwerfen, dass wir das, was Herr Müntefering damals gesagt hat, immer noch richtig finden? ({0})

Florian Pronold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003612, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Westerwelle, ich würde Ihnen dann keinen Vorwurf machen, wenn Sie alles, was der Kollege Müntefering sagt, immer richtig finden und hier entsprechend abstimmen würden. Das ist der erste Punkt. Der zweite Punkt ist: Wir als Sozialdemokraten sind in dem Wahlkampf genau mit diesen Aussagen angetreten. Das ist nicht zu bestreiten. Darüber hinaus ging es um die Steuerfreiheit der Nacht- und Schichtarbeit, was je nach Branche eine Summe von vier bis 17 Prozent des Nettolohns der Betroffenen bedeutet, darüber hinaus ging es um viele andere Fragen, zum Beispiel um Fragen des Arbeitsrechts. Wir haben dann einen Koalitionsvertrag abgeschlossen. Mit diesem Koalitionsvertrag haben wir die Blockade beseitigen müssen, an der auch Sie sich zusammen mit anderen, die damals in der Opposition waren, im Bundesrat beteiligt haben. ({0}) Ich rede davon, dass die Steuersubventionen, die wir seit Jahren abbauen wollten, blockiert worden sind. Das gilt zum Beispiel für die Eigenheimzulage. Wenn wir die Subventionen früher hätten abbauen können, dann brauchten wir über bestimmte Fragen des Haushalts gar nicht mehr zu reden. ({1}) Sie sind ein Pharisäer und sind schon immer einer gewesen. Sie reden davon, Steuersubventionen abzubauen, aber wenn es darauf ankommt, bezeichnen Sie den Abbau als Steuererhöhung und weigern sich, diese mit zu tragen. In einem weiteren Schritt prangern Sie die hohe Staatsverschuldung an und verlangen Maßnahmen, diese zu reduzieren. Erst tragen Sie selber zu dieser Staatsverschuldung bei, wenn es aber darauf ankommt, konkrete Maßnahmen zu ergreifen, um sie abzubauen, schlagen Sie auf andere ein. Das ist doch billig. Ich gehe gerne auf die Pendlerpauschale und auch auf das ein, was der Kollege Gutting gesagt hat. Wir haben dazu eine Anhörung. Die Frage, ob die vorgesehene Regelung verfassungsfest ist, ist eine spannende Frage. Wir wollen mit dem Steueränderungsgesetz 2007, über das wir hier reden, ein angemessenes Einsparvolumen erbringen. Dabei werden wir die Frage, ob es ein gerechteres Modell Pendlerpauschale gibt und ob wir alternativ vielleicht lieber Steuersubventionen, die Sie so heftig verteidigen, abbauen sollten, nach dieser Anhörung noch einmal aufgreifen. Das wird noch eine spannende Angelegenheit in diesem Haus. ({2}) Ein bisschen überrascht bin ich auch darüber, was Sie, Frau Höll, unter Kleinsparern verstehen. Wenn eine Familie ihr Geld mit 3 Prozent Zinsen anlegt - dann hat die Familie sehr vorsichtig angelegt -, dann muss sie 45 000 Euro auf der hohen Kante oder Aktien im Wert von 90 000 Euro haben, bevor sie Steuern zahlen muss. Ich habe in der Sparkasse von Deggendorf gearbeitet. Dort gelten Leute, die 45 000 Euro auf der hohen Kante haben, in der Regel nicht als Kleinsparer. Ein zweiter Punkt betrifft die steuerliche Absetzbarkeit der Kosten eines Arbeitszimmers. In unserem Steuerrecht gibt es den Versuch - der an manchen Stellen durchbrochen wird -, die Kosten der privaten Lebensführung von den beruflichen Aufwendungen zu trennen. Das ist bei gemischt genutzten Dingen sehr schwierig. Machen Sie sich einmal die Mühe, die Rechtsprechung zur steuerlichen Absetzbarkeit der Kosten für ein Arbeitszimmer anzuschauen. Sie werden dann sehen, dass immer wieder teure Teppiche, Gemälde und die Größe des Arbeitszimmers eine Rolle spielen. Da wird viel Verwaltungsaufwand getrieben. Auch Lehrerinnen und Lehrer werden weiterhin die Kosten für all das, was sie beruflich brauchen, von der Steuer absetzen können. Aber in Bezug auf das Arbeitszimmer ist es doch gerechtfertigt, eine Regelung zu treffen, nach der nur diejenigen die Kosten steuerlich absetzen können, deren Arbeitsmittelpunkt das Arbeitszimmer ist. Anders bekommen Sie es doch nie sauber hin. ({3}) Ansonsten brechen Sie einen riesigen Streit vom Zaun und stehen vor den Gerichten. ({4}) Wir haben übrigens - das ist noch einmal in Erinnerung zu rufen - die größte Steuersenkung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland vorgenommen. Bei den unteren und mittleren Einkommen haben wir in den letzten Jahren über Steuersenkungen einen größeren Reallohnzuwachs erzielt als durch Tarifabschlüsse. Beim Abbau von Steuersubventionen sind wir leider nicht so weit gekommen, weil blockiert wurde. In der neuen Konstellation machen wir uns jetzt gemeinsam an diese Aufgabe. Manch einer hätte schon früher vom Saulus zum Paulus werden können; aber besser spät als nie. Das ist keine einfache Geschichte, weil wir viele Menschen treffen. Deswegen werden wir in der Debatte, die auf die Anhörung folgt, an den kritischen Punkten Pendlerpauschale und Kinderbetreuungskosten für eine gerechte und ausgewogene Lösung sorgen. Man muss diesen Entwurf aber im Gesamtkontext dessen, was wir hier machen, betrachten: konsolidieren und gleichzeitig in Richtung Zukunft investieren! Herzlichen Dank. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/1545, 16/1501 und 16/1654 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge- schlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b auf: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Bundesregierung Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Operation EUFOR RD CONGO zur zeitlich befristeten Unterstützung der Friedensmission MONUC der Vereinten Nationen während des Wahlprozesses in der Demokratischen Republik Kongo auf Grundlage der Resolution 1671 ({1}) des Si- cherheitsrates der Vereinten Nationen vom 25. April 2006 - Drucksache 16/1507 - aa) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({2}) - Drucksache 16/1649 Berichterstattung: Abgeordnete Bernd Schmidbauer Brunhilde Irber Dr. Norman Paech Kerstin Müller ({3}) bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({4}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 16/1698 - Berichterstattung: Abgeordnete Jürgen Koppelin Herbert Frankenhauser Lothar Mark Michael Leutert Alexander Bonde b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({5}) zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Paul Schäfer ({6}), Dr. Norman Paech, Monika Knoche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN zu dem Antrag der Bundesregierung Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Operation EUFOR RD CONGO zur zeitlich befristeten Unterstützung der Friedensmission MONUC der Vereinten Nationen während des Wahlprozesses in der Demokratischen Republik Kongo auf Grundlage der Resolution 1671 ({7}) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 25. April 2006 - Drucksachen 16/1507, 16/1522, 16/1650 Berichterstattung: Abgeordnete Bernd Schmidbauer Brunhilde Irber Dr. Norman Paech Kerstin Müller ({8}) Zu dem Antrag der Bundesregierung liegen mehrere Entschließungsanträge vor. Über die Beschlussempfehlung zum Antrag der Bundesregierung werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort unserem Kollegen Walter Kolbow von der SPD-Fraktion.

Walter Kolbow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001175, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In dieser Woche stehen im Deutschen Bundestag die ManWalter Kolbow datierungen von drei Bundeswehreinsätzen an: die Verlängerung des Bundeswehreinsatzes im Kosovo, AMIS im Sudan und die Entsendung von Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten in den Kongo. Ich denke, es ist richtig, darauf hinzuweisen, dass das vereinfachte Verfahren gemäß Parlamentsbeteiligungsgesetz bei AMIS, dem sich diesmal auch die Fraktion Die Linke angeschlossen hat, und die knappe Redezeit von 30 Minuten beim Kosovomandat nicht darüber hinwegtäuschen dürfen, dass es sich hierbei, wie beim Kongomandat, um ernsthafte Entscheidungen handelt. ({0}) Trotzdem wiegt die Beschlussfassung zur Kongomission besonders schwer, handelt es sich doch um den ersten Einsatz von Bodentruppen der Bundeswehr in Afrika seit Somalia. Für die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr hatte es stets eine besondere Bedeutung, dass der Deutsche Bundestag fraktionsübergreifend und mit großer Mehrheit, wenn möglich, den Einsätzen zugestimmt hat. Es wäre gut, wenn dies auch heute der Fall ist. Meine Fraktion wird ihren Beitrag dazu leisten, zumal zur Erarbeitung unserer Position im Spannungsfeld zwischen politischer Vorbereitung und verbindlicher Entscheidung hinreichend Zeit und schlussendlich die notwendigen Informationen und militärischen Expertisen zur Verfügung standen. Deshalb ist EUFOR in der Demokratischen Republik Kongo ein militärisches Mittel zum Erreichen des politischen Ziels der Stabilität dieses Landes. Der Krieg im Kongo hat für die Menschen unsägliches Leid und Tod gebracht. Im Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen weisen wir noch einmal auf die erschütternden Fakten dieses Krieges hin. Mit der heutigen Entscheidung des Bundestages wird ein weiterer wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem sich demokratisch und friedlich entwickelnden Kongo versucht und, ich denke, auch gegangen. Es ist in den vergangenen Wochen immer wieder auf die strategische Bedeutung des Kontinents Afrika und des Kongo hingewiesen worden. Ich will dies heute noch einmal hervorheben: Der Kongo ist das Schlüsselland für die Stabilisierung nicht nur der Region der Großen Seen.

Not found (Mitglied des Präsidiums)

„Der afrikanische Kontinent wird sich nur stabilisieren lassen, wenn es gelingt, den Kongo zu stabilisieren.“ So wird die Möglichkeit zu einer friedvollen Entwicklung in der Demokratischen Republik Kongo nicht nur positive Auswirkungen für die Menschen dort, sondern auch darüber hinaus haben können. Die Interessenlagen der Afrikaner und der internationalen Gemeinschaft stehen dabei im Einklang. Aus unserer Sicht bedeutet dies: Deutschland hat ein sicherheitspolitisches Interesse an einer erfolgreichen Stabilisierung des Kongo nach dem Grundsatz der europäischen Sicherheitsstrategie. Wir müssen vor Ort die Probleme angehen, bevor die Probleme zu uns kommen. ({0}) Die Vereinten Nationen sind seit 1999 mit ihrer größten Friedensmission im Kongo engagiert. Die MONUC hat generell die Aufgabe der Unterstützung und Koordinierung des politischen Übergangsprozesses. Im vergangenen Jahr hat MONUC dem Verfassungsreferendum im Kongo zum Erfolg verholfen. Die kongolesische Bevölkerung hat mit einer Zustimmung von 84 Prozent eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass ihr an einer friedlichen und demokratischen Entwicklung liegt. Im Übrigen wird von denen, die dort waren, zu Recht immer wieder darauf hingewiesen - Kollegin Mogg, Kollege Kramer, Kollege Wellmann, Kollege Schmidbauer und natürlich auch Kollege Nachtwei und Kollege Ströbele haben das in ihren eindrucksvollen Berichten getan -, dass die Kongolesen wählen wollen. Dies beweist auch der Andrang auf die Wählerlisten, die ja aufgrund der Unwägbarkeit im Kongo nicht leicht zu erreichen sind. ({1}) Im Vorfeld der anstehenden Parlaments- und Präsidentschaftswahlen wurde die Europäische Union von den Vereinten Nationen gebeten, einen als notwendig erachteten militärischen Beitrag zur Unterstützung von MONUC bei der Absicherung des Wahlprozesses zur Verfügung zu stellen. Diese Anfrage der Vereinten Nationen konnte nicht überraschen, da die Europäische Union und die Bundesrepublik Deutschland den Befriedungsprozess im Kongo seit Jahren finanziell, materiell und personell - auch in die Zivilgesellschaft hinein - unterstützen. Darüber hinaus hat die Europäische Union mit einem Afrikastrategiedokument vom Dezember 2005 ihre ausdrückliche Bereitschaft bekundet, Demokratisierungsprozesse in Afrika zu unterstützen. Es ist also falsch, zu behaupten, Deutschland sei in die militärische Unterstützung von MONUC hineingeschlittert oder Europa wolle mit diesem Einsatz endlich die bisher nicht dargelegte Handlungsfähigkeit beweisen. Die Europäische Union hat bewiesen und beweist, dass sie im Rahmen ihrer Außen- und Sicherheitspolitik handlungsfähig ist. Ihre Missionen in Mazedonien, in BosnienHerzegowina - sie dauert noch an - und 2003 mit Artemis im Ostkongo unterstreichen das. Die Unterstützung von MONUC durch die Europäische Union und durch unsere Beteiligung steht in der Logik des langjährigen europäischen Engagements in dieser Region. Der Herr Außenminister hat dies in der Begründung des Antrages der Bundesregierung in der ersten Lesung überzeugend dargelegt. Mit dem Ablauf des militärischen Einsatzes wird sich unser politisches Engagement im Kongo nicht erschöpfen. In Vorbereitung unserer Entscheidung im Parlament hat die Bundesregierung wiederholt bekräftigt, dass es ihr um ein nachhaltiges politisches Engagement geht, das über die infrage stehende Mission hinausgeht. Dies betrifft in besonderem Maße die entwicklungspolitische Zusammenarbeit mit dem Kongo. Wir unterstützen diesen Ansatz ausdrücklich. ({2}) Nicht nur auf der Ebene der Bundespolitik hat Deutschland im Rahmen der europäischen Aktivitäten ein spezifisches Interesse am Kongo. Es gibt in der Europäischen Union und in Deutschland auch vielfältige zivilgesellschaftliche Kooperationen auf regionaler und lokaler Ebene, die dem Kongo helfen. So unterstützt zum Beispiel die Universität Würzburg seit 2003 die kongolesische Hochschule in Kinshasa. Das ist nur ein Beispiel von vielen. Da mag man von Kleinteiligkeit reden. Aber auch das ist ein Teil des Mosaiks, das für die Förderung des dortigen Friedensprozesses von Bedeutung ist. ({3}) Frauennetzwerke, Opfernetzwerke, Demobilisierung von Kämpfern und Kindersoldaten sowie deren Zusammenführung mit ihren Familien unterstreichen diese positive Entwicklung, wie Frau Entwicklungshilfeministerin Heide Wieczorek-Zeul das in der ersten Lesung ebenfalls sehr intensiv und überzeugend dargelegt hat. Ich sage, dass es auch darauf ankommt, den schmutzigen Rohstoffkrieg zu beenden. Das ist eine der Hauptaufgaben der künftigen demokratisch gewählten kongolesischen Regierung. Es gibt nichts Wichtigeres als die Förderung von Demokratie und Staatlichkeit, um diesem heute stattfindenden Rohstoffkrieg ein Ende zu bereiten. Dafür müssen wir uns gemeinsam engagieren; denn das Einkommen aus diesen Rohstoffen muss endlich den Menschen selbst zugute kommen. ({4}) Wir haben die notwendige militärische Expertise eingeholt. Wo sonst sollten wir diese Expertise, die wir als Grundlage unserer politischen Entscheidung brauchen, einholen, als bei unseren Soldatinnen und Soldaten und bei denen, die im Hauptquartier in Potsdam im Auftrag der Europäischen Union die militärische Arbeit machen müssen, die sie gut machen? Dort haben wir uns überzeugt. General Viereck hat uns gesagt: Jawohl, ich kann diesen Einsatz mit den militärischen Mitteln, die mir von 18 Mitgliedstaaten der Europäischen Union, auch von Deutschland, zur Verfügung gestellt werden, bewältigen. Ich kann diesen Einsatz in militärischer Hinsicht durchführen, um ihm politisch zum Erfolg zu verhelfen. - Unsere Soldatinnen und Soldaten sind erfahren, sie sind ausgebildet und sie können politische Aufträge einschätzen. Der Verteidigungsminister hat diese Auffassung dargelegt und umgesetzt. Damit hat auch er seinen Beitrag geleistet. ({5}) Die Entscheidung über den Einsatz von bewaffneten Streitkräften gerade in diesem Zusammenhang und im Rahmen dieser Mission fällt niemandem von uns leicht. Ich habe Respekt vor Auffassungen, die sich nicht der meinen anschließen können und eine andere Abwägungsentscheidung getroffen haben. Bei jeder Mission ringen Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen um das Ja oder Nein zum Antrag der Bundesregierung, Soldaten ins Ausland zu schicken. Deswegen gibt es das Parlamentsbeteiligungsgesetz. Deswegen führen wir diese verantwortungsvolle und von der Zeit und den Inhalten her respektable Debatte. Deswegen hat meine Fraktion mit überzeugender Mehrheit die Entscheidung getroffen, für den Antrag zu stimmen und der Europäischen Union, den Vereinten Nationen und der internationalen Staatengemeinschaft im Rahmen unserer Möglichkeiten zu helfen. Zur Förderung der Stabilität des Kongo wollen wir die Unterstützung geben, die für den Erfolg gebraucht wird. Ich danke Ihnen für das Zuhören. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Werner Hoyer, FDPFraktion. ({0})

Dr. Werner Hoyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000967, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Deutsche Bundestag kann zu einem Antrag der Bundesregierung auf Entsendung von Bundeswehrsoldaten nur Ja oder Nein sagen. Wir können den Antrag in seiner Substanz nicht ändern, wir können das Einsatzkonzept nicht ändern und wir können auch keine Änderungsanträge einbringen. Deswegen macht es keinen Sinn, hier über Alternativen zu diskutieren. Das haben wir in den Ausschüssen teilweise getan und wir sind gerne bereit, das wieder zu tun; denn wir haben Alternativen. Hier müssen wir Ja oder Nein sagen. Das heißt, die Bundesregierung muss uns davon überzeugen, dass dieser Einsatz Sinn macht, dass er gut begründet, konzeptionell gut unterlegt und verantwortbar ist. Die Bundesregierung hat uns hiervon nicht überzeugen können. Deshalb werden wir Freien Demokraten diesen Antrag der Bundesregierung ablehnen. ({0}) Frau Bundeskanzlerin, ich fürchte, Sie sind gerade dabei, Ihren ersten großen außenpolitischen Fehler zu machen. Wir Freien Demokraten haben in den letzten Monaten Ihre neuen außenpolitischen Weichenstellungen immer wieder begrüßt und ausdrücklich unterstützt. Aber hier machen Sie einen Fehler. Ich vermute, gut gemeint - ich unterstelle das durchaus, sowohl europapolitisch als auch deutsch-französisch und was Afrika angeht -; aber am Ende ist es eben doch ein Fehler. Meine sehr verehrten Damen und Herren, vielleicht haben wir uns schon zu sehr daran gewöhnt, in kritischen Situationen, wenn es darum geht, Friedenseinsätze weltweit zu unterstützen, auch zum Instrument des Einsatzes der Bundeswehr zu greifen. Bisweilen scheint mir aber aus dem Blick zu geraten, dass der Einsatz der Streitkräfte, insbesondere der deutschen Streitkräfte, immer nur das letzte, das allerletzte Mittel sein kann. (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Oskar Lafontaine ({1}) Ich anerkenne selbstverständlich, dass die Vereinten Nationen, dass die Afrikanische Union, dass die Europäische Union im Kongo sehr viel getan haben, dass sehr viel auf den Weg gebracht worden ist, dass sehr viel Engagement gezeigt und sehr viel Geld aufgebracht worden ist. Aber nach meiner Auffassung sind die Strukturen noch nicht da, um jetzt mit Wahlen sozusagen das Sahnehäubchen draufzusetzen und zu glauben, damit sei die Sache erledigt. Es ist eine absurde, geradezu tieftraurige Situation, dass eines der reichsten Länder Afrikas sich durch so unvorstellbare Not auszeichnet. Aber es sind ja gerade diese enormen Ressourcen, die Bodenschätze, die dieses Land schon so lange zum Spielball von Kolonialherren, von Interessenvertretern aus aller Welt und von korrupten Machteliten im eigenen Land machen. An dieser Stelle stellt sich die Frage nach den Interessen der beteiligten Parteien, auch derjenigen, die jetzt hilfreich intervenieren wollen. Ich bezweifle, dass sich diese Interessen zur Deckung bringen lassen, erst recht mit den deutschen Interessen. ({2}) Am Anfang jedes internationalen Engagements stehen die Hilfe für die Menschen in Not und der Aufbau stabiler und verlässlicher staatlicher Strukturen, vor allem zuverlässiger Sicherheits- und Justizstrukturen. Das ist auch im Kongo der große Schwachpunkt. Der Aufbau staatlicher Strukturen, die den Menschen ein Mindestmaß an Sicherheit und Aussicht auf Gerechtigkeit gewährleisten könnten, steckt erst in den Kinderschuhen. Die Menschen sehnen sich in erster Linie übrigens nicht nach Wahlen, sie sehnen sich in erster Linie nach Sicherheit, nach einer aussichtsreichen Zukunft für sich selber und ihre Kinder. ({3}) Es mag mit den Regeln der so genannten Political Correctness kollidieren, dies zu sagen, aber das Abhalten von Wahlen - hoffentlich in einigermaßen fairer und freier Form - allein kann die Stabilisierung nicht bringen, wenn die auf diese Weise formal Legitimierten sich nicht auf zuverlässige staatliche Strukturen abstützen können und andererseits auf genau diese verpflichtet sind. Mit anderen Worten: Die Freien Demokraten bezweifeln die Nachhaltigkeit der Wirkung dieses Einsatzes. ({4}) Ich zweifle, dass selbst bei erfolgreichem Abschluss dieser Mission, nach gesunder Heimkehr hoffentlich aller unserer Soldaten, das Ergebnis ihrer Anstrengungen Bestand haben wird. Ich bezweifle, dass wir wirklich vorbereitet sind, falls die Konfliktparteien, die ihre schlagkräftigsten Einheiten ja keineswegs demobilisiert und in den Friedensprozess eingebracht haben, einfach den Abzug der europäischen Soldaten abwarten, um ihre Ziele doch noch zu erreichen, sind Wahlen für sie doch, wie die SWP es formuliert, lediglich die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln. Kehren wir dann sofort in den Kongo zurück? Lassen wir uns dann in einen blutigen Bürgerkrieg hineinziehen? Werden unsere Soldaten zu Geiseln kongolesischer Warlords? Ich bezweifle übrigens auch, dass wir der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik einen guten Dienst erweisen, wenn wir einen Einsatz zum großen europäischen Projekt hochstilisieren, an dem sich so beschämend wenige Teilnehmer mit einem nennenswerten Beitrag engagieren wollen. ({5}) Als ob sie nicht wüssten, warum sie sich so zurückhalten! Ich zweifle erst recht an dem Argument, mit dem Einsatz im Kongo würden wir den Migrationsdruck, von Afrika nach Europa zu gelangen, abschwächen. Die tatsächlichen Zahlen sprechen, was den Kongo angeht, eine ganz andere Sprache. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, der Antrag der Bundesregierung ist stümperhaft vorbereitet und von vorn bis hinten in sich nicht schlüssig. Deshalb lehnen wir ihn ab. ({6}) Wir tun das nach sorgfältiger Abwägung. Das ist übrigens die gute Tradition in allen Ländern, die mehr Erfahrungen mit Auslandseinsätzen haben als wir. Über die Sinnhaftigkeit und Verantwortbarkeit von Auslandseinsätzen von Streitkräften muss man streiten. Es wäre völlig unnatürlich, wenn wir es nicht tun würden angesichts der Tatsache, dass Sie für diesen Antrag weder in der Bundeswehr noch in der Bevölkerung noch in diesem Hause, wenn wir ehrlich sind, liebe Kolleginnen und Kollegen, eine Mehrheit haben. Hier wird die Koalitionsräson in den Vordergrund gerückt. Hier will niemand die Bundesregierung im Regen stehen lassen. ({7}) In diesem Hause wäre die Mehrheit nicht gegeben, wenn die vielen Kolleginnen und Kollegen, die mir seit Monaten sagen, wir sollten diesen Einsatz um Himmels willen verhindern, heute mit Nein stimmen würden. ({8}) Meine Damen und Herren, meine letzte Bemerkung. Wenn nach kritischer Debatte die Entsendeentscheidung getroffen ist - diese respektieren wir dann selbstverständlich -, können sich die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr darauf verlassen, dass wir Freien Demokraten alles dafür tun werden, damit ihnen die Möglichkeiten, die Ressourcen und die Unterstützung gegeben werden, ihren Auftrag erfolgreich zu erfüllen und gesund und heil nach Hause zurückzukehren. Herzlichen Dank. ({9})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Eckart von Klaeden, CDU/CSU-Fraktion.

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion wird dem Antrag der Bundesregierung zustimmen. Wir teilen die Einschätzung der Bundesregierung, dass dieser Einsatz notwendig und erforderlich ist. Wir vertrauen der Zusicherung der Bundesregierung, insbesondere nach der Beratung in den Ausschüssen, dass die notwendigen Kräfte für die Durchführung des Auftrages zur Verfügung stehen. Ich will die Gelegenheit gleich nutzen und auf die Kritik der FDP eingehen. Kritik ist immer erlaubt; das ist, wie ich finde, selbstverständlich. Aber ich teile Ihre Kritik nicht. Ihre Kritik wäre glaubwürdiger, wenn Sie nicht vorher mit völlig abwegigen Ausführungen zum Parlamentsbeteiligungsgesetz den Eindruck erweckt hätten, die - erfolgreichen - Versuche der Bundesregierung, eine größere europäische Beteiligung zu erreichen, seien mit dem Grundgesetz und dem Parlamentsbeteiligungsgesetz nicht vereinbar. Wenn man Ihr Verhalten zum allgemeinen Maßstab machen würde, dann wäre die Folge, dass eine Abstimmung innerhalb der Europäischen Union nicht möglich wäre und wir alleine in den Kongo müssten. Die Kritik, die Sie hinsichtlich des Ansatzes, multilateral vorzugehen, vorgebracht haben, ist geradezu abwegig gewesen. Jetzt zu erklären, es fehle am nötigen Einsatz und an den nötigen Mitteln, ist wenig glaubwürdig. ({0}) Es ist auch falsch, hier den Eindruck zu erwecken, als sei der Einsatz die einzige Maßnahme, die durchgeführt wird. Wir unterstützen seit langem MONUC. Es gibt EUSEC und EUPOL. Sie haben den Zeitpunkt der Wahl kritisiert. Ich will darauf hinweisen, dass der Zeitpunkt von den Kongolesen in ihrem Friedensvertrag selber gewählt worden ist. Wenn wir den Vorwurf eines neokolonialen Ansatzes vermeiden wollen, dann müssen wir den Wunsch nach Demokratie im Kongo und den Fahrplan, der hierzu entstanden ist, in Übereinstimmung mit der internationalen Gemeinschaft unterstützen und dürfen uns nicht naseweis davon distanzieren. ({1}) Es ist der Weg, den die Kongolesen selber gewählt haben, den wir unterstützen wollen. Wir wollen eine erfolgreiche Mission und wünschen unseren Soldatinnen und Soldaten eine sichere und unversehrte Rückkehr. Ich glaube, im Namen des ganzen Hauses sprechen zu können, wenn ich sage, dass die Soldatinnen und Soldaten, die diesen Auftrag übernehmen, unseren Respekt und unsere Unterstützung verdienen. ({2}) Es ist auch falsch, wenn von den Kritikern dieses Einsatzes immer wieder der Eindruck erweckt wird, es gehe bei dem vorgesehenen EUFOR-Einsatz alleine darum, den gesamten Stabilisierungs- und Demokratisierungsprozess im Kongo zu unterstützen. Das ist falsch. Der Stabilisierungs- und Demokratisierungsprozess im Kongo ist eine UN-Mission, die bekannte MONUC. Im Rahmen dieser Mission sind seit dem Friedensvertrag von 2002 17 000 Soldaten im Land. Wir sind von den Vereinten Nationen gebeten worden, für einen bestimmten Zeitraum spezielle Kräfte für spezielle Aufgaben zur Verfügung zu stellen und den Wahlprozess abzusichern. Es bleibt aber bei MONUC. Wer also behauptet, man wolle den gesamten Kongo in vier Monaten mit 2 000 Soldaten stabilisieren, der sagt bewusst die Unwahrheit und führt die Öffentlichkeit in die Irre. ({3}) Die Mission beginnt auch nicht beim Nullpunkt, sondern es hat in dem Land bereits die erfolgreiche Operation Artemis gegeben. EUSEC und EUPOL habe ich auch schon angesprochen. Der Stabilisierungsprozess ist unerwartet erfolgreich. Der Kongo ist nicht nur in geografischer Hinsicht eines der zentralen afrikanischen Länder, deren Stabilisierung erforderlich ist, wenn wir wollen, dass es auf dem gesamten afrikanischen Kontinent zu Frieden und Stabilität kommt. Wir müssen doch auch einmal an die Alternative denken. Wenn der Stabilisierungsprozess nicht gelingt, dann wird das nicht nur für Afrika Folgen haben, die wirklich unabsehbar sind. Denken wir einmal an die Berichte über die Wahl in Südafrika im Jahre 1994. Eine alte Frau wurde gefragt, warum sie stundenlang in der Hitze ansteht, um wählen zu können. Sie hat gesagt: Ich habe mein ganzes Leben lang auf diese Möglichkeit gewartet, dann kann ich jetzt auch noch diesen Tag in der Hitze ertragen. - Dass die Kongolesen wählen wollen und Demokratie wollen, wurde durch die beeindruckende Beteiligung am Verfassungsreferendum doch unter Beweis gestellt. ({4}) Bei mancher Kritik an dem Einsatz klingt die Vorstellung durch - Herr Kollege Hoyer, ich nehme Sie hier ausdrücklich aus -, dass man glaubt, die Kongolesen seien prinzipiell nicht in der Lage, einen demokratischen Staat aufzubauen. Diese Geisteshaltung ist nicht nur zynisch, sondern auch rassistisch. ({5}) Wenn wir in diesem Hause über Entwicklungshilfe debattiert haben, dann haben wir immer wieder zwei Punkte angesprochen und kritisiert, nämlich zum einen, dass nicht ausreichend präventiv gehandelt wird, und zum anderen, dass es hinterher an Nachhaltigkeit gefehlt hat. Den ersten Fehler vermeiden wir mit der EUFORMission; denn auf Wunsch der Kongolesen und der internationalen Staatengemeinschaft gehen wir präventiv in den Kongo. Aufgabe dieser Mission ist, gerade das zu verhindern, was andere hinterher wieder tränenreich beklagen wollen. Es ist natürlich unsere Verpflichtung, den Kongo auch danach nicht zu vergessen und auch den zweiten Fehler zu vermeiden. Wir müssen hier also über die weitere Stabilisierung im Rahmen der Entwicklungshilfe usw. sprechen. Das ist doch selbstverständlich. Wenn sich die FDP und die PDS daran beteiligen wollen, dann sind sie herzlich dazu eingeladen. Es ist aber auch falsch, zu behaupten, dass es automatisch zur Destabilisierung des Kongo kommen werde, wenn die EUFOR-Mission abgezogen sei. Dann wird MONUC wieder die Aufgaben übernehmen können. MONUC hat bisher eine erfolgreiche Arbeit geleistet und ich bin mir sicher und habe das begründete Vertrauen, dass diese Aufgabe auch hinterher weiter durchgeführt werden kann. Es ist aber wirklich keine glaubhafte Position, mit dem Hinweis auf kommende Risiken schon jetzt die Unterstützung zu verweigern. Wir haben Interessen in Afrika. Wir haben das Interesse, dass es zu einer guten Regierungsform, zur Stabilisierung und zur Einhaltung der Menschenrechte kommt. Wir haben aber auch das Interesse, dass es in einem Land wie dem Kongo zu einem Abbau von Rohstoffen kommt, die der eigenen Bevölkerung zugute kommen, dass es nicht zu einem Raubbau kommt, dass der Reichtum des Kongo nicht zu einem Fluch für die Bevölkerung wird, dass die Korruption nicht befördert wird und dass die Menschen dort von den Reichtümern ihres Landes profitieren können. Wir haben aber auch ein Interesse daran - es gehört auch zur Ehrlichkeit, das zu sagen -, dass die Rohstoffe nach einem fairen Verfahren so abgebaut werden, dass sie auch von Ländern wie der Bundesrepublik Deutschland genutzt werden können. Gerade wir, die wir in einem rohstoffarmen Land leben, das Exportweltmeister ist, haben an diesen beiden Elementen ein enormes Interesse. Deswegen ist es wichtig, den Kongo und andere rohstoffreiche Staaten in ein faires internationales System einzubinden, in dem die Rohstoffe, die in ihren Ländern abgebaut werden, auch ihrer eigenen Bevölkerung zugute kommen können. Ich will ein letztes Wort zur Abstimmung des Mandats auf europäischer Ebene sagen. Da hat es Schwierigkeiten gegeben; das haben wir alle öffentlich verfolgen können. Es ist in unserem Interesse und auch im Interesse der Soldaten, dass der Auftritt von EUFOR und möglichen weiteren Missionen in der Weltöffentlichkeit überzeugend stattfindet. Deswegen müssen wir im Rahmen der ESVP über die Frage nachdenken, wie wir Kapazitäten und Fähigkeiten für solche maßgeschneiderten Missionen zur Verfügung stellen. Neben der Diskussion um die Frage der Battle-Groups brauchen wir auch eine Diskussion über die reguläre und periodische Zurverfügungstellung von Fähigkeiten, damit ein solch komplizierter und in der Öffentlichkeit nicht immer überzeugender Abstimmungsprozess auf europäischer Ebene vermieden werden kann. Gleichwohl haben wir jetzt eine verantwortungsvolle und gute Mission zustande gebracht. Die Schwierigkeiten, die es auf europäischer Ebene gegeben hat, dürfen nicht die Substanz des Einsatzes und die Ziele infrage stellen. ({6}) Wer das durcheinander bringt, zeigt, dass er zu einem wirklichen politischen Urteil kaum in der Lage ist. Wir stimmen zu. ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Wolfgang Gehrcke, Fraktion Die Linke. ({0})

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss zu Beginn einen Irrtum des Kollegen Kolbow berichtigen. Wir haben zugestimmt, über die Verlängerung des Darfurmandates AMIS nicht hier im Plenum zu diskutieren. ({0}) Wir haben nicht dem Mandat selbst zugestimmt und das gegenüber dem Präsidenten des Bundestages zum Ausdruck gebracht. ({1}) Um es etwas salopp zu sagen, Kollege Kolbow: Wir sind nicht Mitglied im Klub und wir wollen auch nicht Mitglied in dem Klub derer werden, die Soldaten in Auslandseinsätze schicken. ({2}) Wenn allerdings solche Irrtümer entstehen, dann werden wir künftig darauf bestehen müssen, die Verlängerung aller Mandate grundsätzlich hier im Plenum zu debattieren. Das ist sowieso besser, um die Mandate auf ihre Substanz immer wieder zu überprüfen und gegebenenfalls zu korrigieren. Insofern sind wir lernfähig. Ich danke Ihnen, dass Sie zu dieser Lernfähigkeit meiner Fraktion und bei mir selber beigetragen haben. ({3}) Jetzt zum Kongo selbst. Wir lehnen den Antrag der Bundesregierung zur Entsendung deutscher Soldaten in den Kongo ab. Wir halten diese Mission selbst für politisch falsch, in sich widersprüchlich und für nicht geeignet, den Kongo zu stabilisieren. Damit befinden wir uns im Widerspruch zur Mehrheit im Bundestag; das verwundert nicht. Wir befinden uns aber in Übereinstimmung mit weiten Teilen der Friedensbewegung, entwicklungspolitischen und kirchlichen Gruppen, also sozusagen der besseren Gesellschaft. ({4}) Ihnen kann ich nur raten - mein Kollege Herr Hoyer formuliert das immer sehr schön diplomatisch -: Verwechseln Sie Mehrheiten hier im Saal nicht mit Mehrheiten im Leben. Sie haben für diesen Einsatz keine Zustimmung in der Gesellschaft. ({5}) Der Kongo ist ein reiches Land, reich an Naturressourcen wie Kupfer, Coltan, Kobalt, Gold, Diamanten, um nur einige zu nennen. Aber dieser Reichtum ist eine der Ursachen für das Elend der Menschen. Dieser Reichtum ist nie den Menschen selbst im Kongo zugute gekommen, sondern war Gegenstand von Ausplünderungen durch internationale Konzerne und korrupte Warlords à la Mobutu. ({6}) Der Kongo war und ist Gegenstand geostrategischer Auseinandersetzungen. Elend durch Reichtum - das ist die Tragödie des Kongo. ({7}) Wer über den Kongo wirklich diskutieren will - Bundesaußenminister Steinmeier hat in seiner Einbringungsrede zum Antrag der Bundesregierung auf die letzten fünf Jahre der Geschichte der Zusammenarbeit aufmerksam gemacht -, der muss aus meiner Sicht weiter zurückschauen. Herr Außenminister, ich habe noch die Bilder des ersten frei gewählten Präsidenten Kongos, Patrice Lumumba, vor Augen: geschunden, geschlagen und ermordet. ({8}) Auch habe ich die Bilder der deutschen Söldner im Kongo vor Augen, etwa des berüchtigten Kongo-Müller. Wenn wir über den Kongo diskutieren, dann müssen wir auch über die Folgen einer solchen Kolonialpolitik reden. ({9}) Wer über die Verbrechen des Kolonialismus schweigt, der kann zu der künftigen Entwicklung des Kongo nichts Konstruktives beitragen. ({10}) In den Debatten, die wir bereits zu diesem Thema geführt haben, haben Sie, Herr Außenminister gesagt, dass die Konsequenz darin bestehe, Soldaten in den Kongo zu schicken. Wir hingegen sagen: Der Kongo braucht keine Soldaten. Er braucht mehr Hilfe für den zivilen Aufbau, den Aufbau der Verwaltung, der Kommunen, der Polizei und einer eigenständigen Wirtschaft. Er braucht Hilfe zur Selbsthilfe. Wir von der Fraktion Die Linke würden die 60 Millionen Euro, die auf Kosten der Steuerzahler für den Militäreinsatz aufgebracht werden sollen, mit Freude für den zivilen Aufbau im Kongo einsetzen. Das Geld wäre für diesen Zweck besser genutzt. Aber an dieser Stelle fehlen die Mittel. ({11}) Die Wahlen im Kongo sind die Leistung der Bürgerinnen und Bürger des Landes selbst; ich bin froh darüber. Das sollten wir unterstreichen, statt so zu tun, als ob es unsere Leistung wäre. Der Außenminister hat im Auswärtigen Ausschuss argumentiert, dass die Zeit des Bürgerkriegs zu Ende gehe und dass die Verfassungsabstimmung friedlich verlaufen sei. Das ist eine Tatsache. Unbewiesen ist aber, dass die Wahl im Kongo die Gefahr einer militärischen Auseinandersetzung mit sich bringt. ({12}) Wir haben Ihnen schon einige Male entsprechende Argumente vorgehalten. Die Bundesregierung hat einen Antrag vorgelegt. Es wäre in diesem Zusammenhang ihre Pflicht gewesen, ihn glaubhaft zu begründen. Das konnten Sie aber nicht. Hinzu kommt, dass Sie jede Woche eine neue Begründung vorgelegt haben. Weil meine Redezeit knapp wird, will ich mich auf einige Stichworte beschränken. 17 000 Soldaten sind im Rahmen der Friedensmission MONUC im Kongo im Einsatz. Wenn Sie über militärische Einsätze diskutieren, dann frage ich mich, warum Sie einen eigenen EUEinsatz für nötig halten, statt über eine verstärkte Beteiligung an MONUC zu verhandeln. ({13}) - Das ist nicht mein Problem. Es wäre aber möglich gewesen. Hinter vorgehaltener Hand sagen Sie deutlich, dass europäische Truppen eine höhere Abschreckungswirkung als Pakistaner oder andere hätten. ({14}) Mit einer solchen Argumentation kann man vor den Vereinten Nationen nicht bestehen. ({15}) Der Verteidigungsminister beschwört einen Einwanderungs- und Flüchtlingsdruck. Ich finde dieses Argument schlimm, weil man damit Ängste in der deutschen Bevölkerung weckt, die man nicht wecken sollte. Es wurde argumentiert, dass die strategischen Rohstoffe des Kongo nicht in falsche Hände fallen dürfen. In welchen Händen sind die strategischen Rohstoffe denn richtig aufgehoben? Sie gehören in die Hände der Bevölkerung des Kongo. ({16}) Vielleicht können Sie noch eine weitere Frage beantworten - damit komme ich zum Schluss -: Sie diskutieren seit Monaten über den Militäreinsatz und erstellen entsprechende Pläne. Warum ist erst vor drei Wochen in der Europäischen Union über den Einsatz ziviler Wahlbeobachter gesprochen worden? Sie haben dann ganze 200 Wahlbeobachter gewinnen können. Mit einem Militäreinsatz sind sie schnell bei der Hand; mit zivilen Beobachtern und ziviler Hilfe sind sie zögerlicher. Das ist die Konsequenz einer falschen Politik. Die Ergebnisse dieser Politik kann man im Irak und in Afghanistan studieren. ({17}) Machen Sie die Augen auf, um zu sehen, wohin Militärpolitik immer führt und führen muss! Schönen Dank. ({18})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Fritz Kuhn für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

Fritz Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003577, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die große Mehrheit meiner Fraktion wird der Beteiligung am EUFOR-Mandat zustimmen, und zwar nicht wegen der Art und Weise, auf die Sie das Mandat vorbereitet haben, Herr Verteidigungsminister, ({0}) sondern eher trotz der Art und Weise. ({1}) Ich will Ihnen das deutlich sagen, weil Sie mit Ihren Festlegungen, Ihrem Hin und Her und Ihrem systematischen Eiertanz zu einem Zeitpunkt, als Verhandlungen notwendig gewesen wären, die Verunsicherung eher vergrößert als abgebaut haben. Ich rate Ihnen für die Zukunft zu einem offeneren und klareren Umgang mit diesem Parlament. Das gilt übrigens auch für das Weißbuch. Die Zustimmung des Parlaments zu solchen schwierigen Einsätzen hängt auch von dem Stil und der Transparenz Ihres Agierens ab. ({2}) Es gibt viele Fragezeichen und Einwände, die auch für diejenigen in meiner Fraktion, die der Mission nicht zustimmen werden, wichtig sind. Dazu gehört zum Beispiel die Festlegung auf vier Monate zu einem Zeitpunkt, zu dem noch nicht bekannt ist, ob in diesen vier Monaten der zweite Wahlgang überhaupt stattfinden kann. Solche Fragen sind nicht ganz geklärt. Aber ich will begründen, warum die Mehrheit meiner Fraktion nach Abwägung der Risiken, die ein solcher Einsatz mit sich bringt, sagt: Es ist richtig, deutsche Soldaten in den Kongo zu schicken. Herr Westerwelle und Herr Hoyer, Ihr Argument, die Regierung habe Sie von der Notwendigkeit des Einsatzes nicht überzeugt, kann ich nicht verstehen; denn dieses Argument entbindet Sie doch nicht von der Pflicht, selber darüber nachzudenken, ob der Einsatz notwendig ist oder nicht. ({3}) Eine Partei wie die FDP - in der Tradition von HansDietrich Genscher und mit dem außenpolitischen Wissen, das bei ihr zumindest einmal vorhanden war - muss sich doch die Frage stellen, was sachlich für einen Kongoeinsatz spricht. Ich nenne drei Punkte. Der erste Punkt ist: Der Einsatz ist deswegen wichtig, weil die Stabilisierung des Kongo durch demokratische Wahlen für die Entwicklung sowohl im Land selber als auch im restlichen Afrika elementar ist. ({4}) Angesichts der Tatsache, dass 3,8 Millionen Menschen im Bürgerkrieg umgekommen sind und dass heute noch täglich über 1 000 Menschen an den Folgen des Krieges sterben, können Sie doch nicht sagen, dass Herr Jung Sie nicht überzeugt habe. Vielmehr müssen Sie sich aus Gründen einer vernünftigen Afrikapolitik die Frage stellen, ob die Wahlen im Kongo nun durchgeführt werden sollen, und die Verantwortung übernehmen, die hier notwendig ist. Der zweite Punkt ist: Ob im Herzen Afrikas ein großer Failing State ohne jegliches staatliche Gewaltmonopol bestehen bleibt, ist eine elementare Frage für die Teilhabe der kongolesischen Bevölkerung an Entwicklung und ihre Möglichkeiten, aus der Armut herauszukommen und Lebenschancen zu bekommen. Das ist außerdem für die Sicherheit nicht nur in Afrika, sondern auf der ganzen Erde entscheidend; denn Failing States sind immer Quellen von Terror und Terrorismus sowohl in den betreffenden Ländern als auch auf internationaler Ebene. Die bevorstehenden Wahlen im Kongo bieten nun die Chance, einen Failing State schrittweise in eine wachsende Demokratie zu verwandeln; das ist elementar. Daher können Sie nicht im Schulterschluss mit der PDS einfach sagen, die Regierung habe es Ihnen nicht richtig erklärt, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP. ({5}) Herr Hoyer, Sie haben behauptet, die Bevölkerung im Kongo wolle gar keine Wahlen, sondern Sicherheit. Das ist wirklich unter Ihrem Niveau. Sie tun so, als gäbe es keinen Zusammenhang zwischen Demokratie und Sicherheit. So darf man heutzutage nicht mehr argumentieren. ({6}) Der dritte Punkt ist: Ein weiterer Grund, warum wir mehrheitlich dem Einsatz zustimmen, ist, dass wir nicht das Scheitern der Vereinten Nationen etwa in Ruanda beklagen können, dann aber der Bitte der Vereinten Nationen an die EU um Unterstützung nicht nachkommen - übrigens, Herr Gehrcke, Sie sollten einmal nach New York fahren und sich erklären lassen, wie die Mandatierung der Vereinten Nationen abläuft ({7}) und sagen: Das machen wir jetzt nicht. Aber beim nächsten Mal, wenn es scheitert, sind wir wieder wortreich dabei und machen darauf aufmerksam, wie schlimm das alles ist und was nicht funktioniert hat. Für jemanden wie mich, der den Wehrdienst aus Gewissensgründen verweigert hat, erfordert die Frage, ob man dem Einsatz zustimmen sollte, ob man dorthin Soldaten schicken sollte, schwierige Abwägungen im Detail. Für viele in meiner Fraktion gilt Ähnliches. Aber man muss sich in einer solchen Situation auch die Frage stellen - das sage ich an die Adresse der FDP -, welche Folgen die Unterlassung eines solchen Einsatzes, also das Nichthandeln, praktisch haben wird. ({8}) Herr Kollege Westerwelle und Herr Kollege Hoyer, ich sehe zwar die Risiken. Aber nach reiflicher Abwägung bin ich zu dem Ergebnis gekommen, dass die elementaren Risiken einer Ablehnung des Hilfeersuchens des Kongo größer sind. Deswegen stimmen wir nach einem Abwägungsprozess mehrheitlich zu. An die Adresse der FDP sage ich: Ich wünsche mir, dass die Koalition, die sich heute zusammen mit der PDS gebildet hat, keinen langen Bestand hat; denn sie dient der Sache nicht und setzt Sie dem Verdacht aus, dass Sie diese Position aus taktischen Gründen einnehmen und nicht aufgrund der Befassung mit dem Inhalt. Ich danke Ihnen. ({9})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Gert Weisskirchen, SPD-Fraktion.

Gert Weisskirchen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002465, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Hoyer, Sie wissen, dass ich Sie und besonders Ihre Argumentationsfähigkeit sehr schätze. Mit dem, was Sie hier gesagt haben, verfehlen Sie meiner Meinung nach allerdings die Substanz dessen, was „freidemokratisch“ eigentlich heißt. Sie schätzen gering, dass Freiheit und Demokratie etwas sein können, was mithilft, dass Institutionen aufgebaut, stabilisiert und gefestigt werden, obwohl das eine der Grundbedingungen dafür ist, dass der Kongo überhaupt eine sichere Perspektive haben kann. Sie stellen sich hier also hin, präsentieren sich - Entschuldigung, wenn ich das sage - unterhalb Ihrer eigenen Fähigkeiten und bar Ihrer Erkenntnisse und sagen: Die Geschehnisse im Kongo stellen sich aus unserer europäischen Perspektive anders dar - hinzu kommt womöglich das, was der Kollege Gehrcke angesprochen hat - und unser Nein ist dadurch begründet, dass wir für eine bessere Gesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland stehen. ({0}) Das mag zwar in Ihrem eigenen Denken so sein; aber Sie sollten auch daran denken, dass es im Kongo Menschen gibt, die selbst für eine bessere Gesellschaft kämpfen wollen und die deswegen wählen wollen. Können Sie auch darüber nachdenken? Nein! Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht in erster Linie nicht um unsere eigene europäische - enge - Perspektive, sondern darum, dass eine Bitte, die aus dem Kongo an uns herangetragen wird, eine Bitte, die die Vereinten Nationen bekräftigen, eine Bitte, die die Europäische Union an uns richtet, eine konstruktive und vernünftige Reaktion nach sich zieht. Daher bitten wir darum, dass dieses Mandat vom Deutschen Bundestag unterstützt und beschlossen wird. ({1}) Es gibt im Übrigen eine ganze Reihe von guten Gründen. Ich frage die FDP, die - jedenfalls nach ihrem Selbstverständnis - eine der europäischsten Parteien ist, ({2}) was sie von dem hält, was die Europäische Union im Dezember 2005 selbst beschlossen hat. ({3}) Gleich zu Beginn des Beschlusses mit der Überschrift „Die EU und Afrika: Zu einer strategischen Partnerschaft“ heißt es: Europa und Afrika sind miteinander verbunden durch Geschichte, Geographie und beide teilen wir das Bild von einer friedvollen, demokratischen und aussichtsreichen Zukunft für alle unsere Völker. Jetzt kommt es darauf an, zu dem, was wir alle für programmatisch richtig halten, zu dem, was wir gemeinsam in der Europäischen Union beschlossen haben, also bei diesem ersten wirklichen Lackmustest, Ja zu sagen und mitzuhelfen, den Menschen im Kongo eine neue Perspektive zu geben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Mitglieder des Deutschen Bundestages dazu tatsächlich Nein sagen. Wenn die Europäische Union das umsetzen will, was sie Gert Weisskirchen ({4}) beschlossen hat, dann kann das nur bedeuten, dass wir diesem Mandat zustimmen werden; denn wir wollen die Partnerschaft zwischen der Europäischen Union und Afrika mit Leben erfüllen. Leben heißt für die Menschen im Kongo, dass sie jetzt die Chance haben, ihre eigene Zukunft durch demokratische Entscheidungen in die Hand zu nehmen. Deswegen bitten die sozialdemokratische Bundestagsfraktion und auch ich alle Mitglieder dieses Hauses, diesem Antrag der Bundesregierung zuzustimmen. ({5}) Wir sollten uns einen Moment vor Augen führen, was im Kongo wirklich vor sich geht. ({6}) Herr Kollege Gehrcke, Sie haben in diesem Punkt natürlich Recht: ({7}) Das ist eine Geschichte des Elends, eine Geschichte der Angst, eine Geschichte des Leids, eine Geschichte des Mordens, eine Geschichte der Ausplünderung dieses ungeheuer reichen Landes. Genau aus diesem Grund wollen wir jetzt mithelfen, dass das Plündern gestoppt wird ({8}) und dass die demokratischen Institutionen des Kongo ihre Sache in die eigene Hand nehmen. Sollte es eines Beweises bedürfen, dass die Menschen im Kongo und vor allem diejenigen, die politische Verantwortung tragen, dazu auch die Kraft aufbringen können, dann schauen Sie sich einmal die beiden Berichte an, die in der Assemblée Nationale von der LutundulaKommission erstellt worden sind. Die Kommission hat nämlich genau ermittelt, welche Kontrakte in den letzten Jahren zwischen ausländischen großen Konzernen und verbrecherischen Banden innerhalb des Kongo selbst geschlossen worden sind. ({9}) Das ist aufgedeckt. Das ist aufgeklärt. Fragen Sie doch einmal den Vorsitzenden dieser Kommission, Herrn Lutundula, der den Mut gehabt hat, solche Berichte schonungslos zu veröffentlichen - sein Leben ist in Gefahr, weil jene Banden, jene Verbrecher kein Interesse daran haben, dass diese kriminellen Machenschaften öffentlich werden -, was er von dem hält, was Sie hier sagen! Fragen Sie ihn! Er wird Ihnen sagen: Wir möchten, dass das neue Parlament gewählt wird, und wir möchten, dass die Europäische Union dabei hilft und dass ihr uns mit deutschen Soldaten dabei helft, das Maß an Sicherheit im eigenen Land zu produzieren, das wir nicht produzieren können. ({10}) Deswegen wollen wir die Wahlen sichern. Deswegen gehen die Soldaten dahin. Wir wollen dem Prozess Boden geben, Festigkeit geben, damit die Menschen im Kongo, die 28 Millionen, die jetzt wählen gehen wollen, die sich in die Wählerlisten eingeschrieben haben, auch wählen können. Ich möchte darum bitten, dass wir alle erkennen, was da vor sich geht. Es ist ein erster Schritt, ein erster Schritt in eine neue Zukunft. Dieser erste Schritt muss begleitet werden, weil, jedenfalls im Moment, die Sicherheit im Lande dort noch nicht durch die eigenen Institutionen hergestellt werden kann. Das können sie noch nicht. Sie wollen es aber. Sie brauchen unsere Unterstützung, damit dieser Prozess in Gang kommt, damit der Prozess stabil wird und gefestigt werden kann. Wenn das Mandat zu Ende sein wird, hoffentlich positiv - davon gehen wir alle aus -, wenn die vier Monate vorüber sein werden, wird die Arbeit nicht beendet sein. Dann beginnt ein Prozess, in dem endlich das Realität werden kann, was Sie, Herr Außenminister, schon in Ihrer letzten Rede unterstrichen haben - auch Mbeki hat das schon gesagt -: Die Stabilität Afrikas kann nur durch die Stabilität des Kongo hergestellt werden. - Das ist ein langwieriger Prozess, ein Prozess, der auf Jahre angelegt sein wird. Deshalb wird es darauf ankommen, dass wir die zivilgesellschaftlichen Prozesse unterstützen, begleiten und fördern und dass die Europäische Union nach den Wahlgängen, nach der Wahl des Präsidenten, nach der Wahl des Parlaments, alles tut, damit dieser Prozess im Kongo vervollständigt werden kann. Aber damit er vervollständigt werden kann, damit die Gewaltökonomie von einer Friedensökonomie abgelöst werden kann, braucht der Deutsche Bundestag jetzt den Mut, dem Mandat zuzustimmen. Ich bitte Sie darum, das zu tun. ({11})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegin Birgit Homburger, FDPFraktion. ({0})

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Weisskirchen, Sie haben hier gerade gesagt: Freiheit und Demokratie, die Sicherung freier Wahlen und die Stabilisierung des Kongo müssen Ziele sein, die alle unterstützen. - Das ist richtig. Auch die FDP unterstützt diese Ziele. Aber Sie müssen sich fragen lassen, Herr Weisskirchen, ob das vorliegende Konzept dazu taugt, diese Ziele zu erreichen. Die Welt wird nicht durch Gutmenschen wie Sie verbessert; die Welt wird durch durchdachte Konzepte verbessert. ({0}) Ich möchte Ihnen vorlesen, was der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, der bekannterma3246 ßen nicht der FDP angehört, heute Morgen gesagt hat - ich zitiere -: Ich behaupte, die Bundeswehr ist nicht vorbereitet auf Afrika. Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Koalition, Sie sollten sich langsam einmal überlegen, ob Sie an diesem Einsatz tatsächlich festhalten wollen. Es ist doch kein Wunder, dass in dieser Debatte kein einziger Vertreter der Regierung spricht, und auch die Aussage des Wehrbeauftragten macht deutlich: Sie stehen selbst nicht mehr hinter dem, was Sie in diesem Mandat beantragt haben. ({1}) Herr Weisskirchen, Sie haben hier sehr hohe moralische Ansprüche formuliert. Herr Kuhn hat deutlich gesagt, es gebe ein UN-Mandat und dem müsse man folgen. Ich will Ihnen beiden einmal ganz klar sagen: Ein UN-Mandat allein ist keine ausschlaggebende Begründung. Es ist ein Gesichtspunkt; aber man muss selber bewerten und entscheiden, ob man an einem Einsatz teilnehmen will. Keiner von Ihnen hätte einem Einsatz beispielsweise im Irak zugestimmt, auch wenn es ein UN-Mandat gegeben hätte. Vor diesem Hintergrund halte ich Ihre Argumentation für nicht legitim. ({2}) Ich möchte Sie fragen, meine Damen und Herren: Wird denn eigentlich das Ziel erreicht? Das Ziel heißt - ich zitiere aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage -: Die Aufgabe von EUFOR RD CONGO ist es, potenzielle Störer abzuschrecken ... Erreichen Sie das mit diesem Konzept wirklich? Ursprünglich war von 1 500 Soldaten in Kinshasa die Rede, die nötig sind, um eine Stabilisierung zu erreichen; jetzt ist von 500 Soldaten die Rede. Aber Klarheit über die Zahl der Soldaten, die in Kinshasa vor Ort sein werden, haben wir bis heute nicht. Sie sagen, Sie wollten das nicht mitteilen; das sei eine Aufgabe des Operationsplans. Ich verstehe, dass Sie keine militärischen Details preisgeben wollen; das ist auch richtig. Aber man wird doch wohl noch fragen können, wie viele Soldaten direkt vor Ort sein sollen, um die Abschreckungskomponente zu realisieren! Ich mache darauf aufmerksam, dass der Vorsitzende des Bundeswehr-Verbandes, Oberst Bernhard Gertz, mehrfach öffentlich darauf hingewiesen hat, dass mit der Anzahl der Soldaten, die jetzt für Kinshasa vorgesehen sind, eine Stabilisierung nicht zu erreichen ist. ({3}) Es geht ja nicht um eine Präsenz von 8 bis 16 Uhr zu den üblichen Arbeitszeiten, sondern es geht um eine Präsenz rund um die Uhr. Wenn Sie die Soldaten abziehen, die Sie für das Hauptquartier und die eigene Sicherheit brauchen, dann bleiben 50 Soldaten für eine Stadt mit 7,8 Millionen Einwohnern. Angesichts dessen sagt Oberst Gertz zu Recht, dass das nicht für eine Abschreckungspräsenz reicht. Sie erreichen mit dem, was Sie vorlegen, die Ziele nicht. ({4}) Wir teilen das Ziel der Stabilisierung des Kongo. Aber ich lese Ihnen einmal vor, was der Evangelische Entwicklungsdienst sagt - ich zitiere -: Es ist nicht zu erwarten, dass eine kurzfristige Militärpräsenz der Europäer zu einer langfristigen Befriedung des Landes führt. ({5}) Das ist richtig. Die Stabilisierung nach der Wahl erfordert nämlich ein Gesamtkonzept. Zu einem Gesamtkonzept gehört, dass Sie Antworten auf die Fragen nach einer weiteren Entwaffnung der Milizen, einer verstärkten Ausbildung der Polizei vor Ort und dem Aufbau demokratischer und rechtsstaatlicher Institutionen geben. Ein solches Gesamtkonzept hat weder die Europäische Union noch die Bundesregierung bisher vorgelegt. Auch Misereor hat entsprechende Forderungen. Wir befinden uns in guter Gesellschaft. Wir erwarten von Ihnen Antworten, wie die Stabilisierung des Landes nach den Wahlen erfolgen soll. Es geht nicht nur um den Zeitraum der Wahlen, sondern es geht darüber hinaus um ein Gesamtkonzept, und dieses fehlt. ({6}) Auch der frühere Planungschef des BMVg, Vizeadmiral Ulrich Weisser, hat öffentlich mehrfach Kritik geübt. Er hat gesagt: Ich habe Bedenken, ob ein relativ kleines Truppenkontingent mehr ist als ein Signal an die Bevölkerung des Kongo, dass Europa an Frieden und Stabilität in ihrem Land interessiert ist. Aber für ein Signal sind der Aufwand zu groß und das Risiko, das mit dem Einsatz für die Soldaten verbunden ist, zu hoch. Deswegen kann man diese Position nicht akzeptieren. ({7}) Ich möchte Ihnen ein letztes Argument nennen. Die Vorbereitung dieses Einsatzes ist stümperhaft. Wir haben immer wieder eine ganze Reihe unterschiedlicher Positionen erlebt. Erst war von 500 Soldaten und jetzt ist von 780 Soldaten die Rede. Hinsichtlich der Finanzierung war erst von einer Summe in Höhe von 20 Millionen Euro die Rede und jetzt in Höhe von 56 Millionen Euro. Herr Steinmeier sagte, wir hätten keine wirtschaftlichen Interessen. Herr Jung hingegen sagte, wir hätten welche. Es geht also hin und her. Selbst in den Ausschüssen herrschte diesbezüglich bis zum Schluss ein einziges Durcheinander. Der Herr Bundesverteidigungsminister hat in der vorhergehenden Sitzung gesagt, die Soldatinnen und Soldaten hätten die Unterstützung des ganzen Hauses verdient. Ja, Herr Minister Jung, die Soldatinnen und Soldaten haben die Unterstützung des Deutschen Bundestages verdient. Aber sie haben auch eine bessere Vorbereitung dieses Einsatzes durch die Bundesregierung verdient. ({8}) Der Einsatz ist politisch miserabel vorbereitet. Ob mit ihm die selbst gesetzten Ziele erreicht werden, ist zweifelhaft. Ein politisches Gesamtkonzept fehlt. Vor diesem Hintergrund sehen wir uns nicht in der Lage, diesem Antrag zuzustimmen. Vielen Dank. ({9})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Bernd Siebert, CDU/ CSU-Fraktion.

Bernd Siebert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Deutsche Bundestag entscheidet heute über die Beteiligung der Bundeswehr an einer militärischen Operation im Kongo unter der Führung der Europäischen Union. Frau Homburger hat vorhin kritisiert, dass heute kein Minister redet. Frau Homburger, heute ist der Tag des Parlaments. ({0}) Als die Regierung den Antrag eingebracht hat, haben drei Minister gesprochen. Es ist daher richtig, dass heute die Parlamentarier reden und über diesen Antrag entscheiden. ({1}) Ich glaube, dass wir eine vernünftige und richtige Entscheidung treffen werden. Ich verhehle nicht, dass viele von uns - so auch ich am Anfang der öffentlichen Debatte - das hat die Diskussion in den letzten Monaten gezeigt - Skepsis gegenüber einem Einsatz im Kongo gehabt haben. Mir ist niemand bekannt, der heute mit Euphorie und mit besonderer Begeisterung seine Zustimmung erteilen wird. ({2}) Es sind sachliche Argumente vorgetragen worden, über die wir lange diskutiert haben. Diese Argumente haben die weit überwiegende Mehrheit unserer Kolleginnen und Kollegen veranlasst, heute Ja zu sagen. Das finde ich gut. Ich möchte an dieser Stelle der gesamten Bundesregierung, insbesondere der Bundeskanzlerin und dem Außenminister, danken. Aber ganz besonders danke ich dem Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung. Seiner Beharrlichkeit in der Sache ist es zu verdanken, dass aus einer anfänglichen Idee mit vielen ungeordneten Details allmählich ein tragfähiges Konzept wurde. ({3}) Der Verteidigungsminister hat frühzeitig unsere Bedenken in fünf Kriterien formuliert, deren Erfüllung uns heute zu einer positiven Bewertung kommen lässt. Was von Teilen der Opposition als chaotisch bezeichnet wurde - so heute von Frau Homburger -, war zum einen bedingt durch die mehrfache Verschiebung der Wahltermine. Man muss deutlich machen, dass die Sache anders lag, als sie hier vorgetragen worden ist. Zum anderen war zu verhindern, dass die Hauptlast der Verantwortung allein auf unsere Schultern geladen wurde. Das ist der Bundesregierung überzeugend gelungen. ({4}) Deshalb war es uns erstens wichtig, dass unsere europäischen Partner eine sichtbare und breit angelegte Solidarität gegenüber dem Kongo zeigen. Nach anfänglichem Zögern haben inzwischen 18 Staaten ihre Bereitschaft zur Teilnahme an der Operation erklärt. Damit gewinnt die Gemeinsame Europäische Sicherheitsund Verteidigungspolitik spürbar an Profil und Glaubwürdigkeit. Zweitens war ein klares Mandat der Vereinten Nationen eine entscheidende Voraussetzung für unseren Einsatz. Dieses Mandat liegt seit dem 25. April vor. Darüber hinaus war aus Sicht der Bundeswehr eine klare Aufgabenzuordnung nach Zeit und Raum anzustreben. Es ist der Bundesregierung drittens in zähen Verhandlungen gelungen, dass als Einsatzraum für unsere Soldatinnen und Soldaten der Raum Kinshasa bestätigt wurde. Die zeitliche Fixierung auf vier Monate, gerechnet vom Zeitpunkt der ersten Wahlen, war das vierte Kriterium, an dem wir von Beginn an festgehalten haben. Auch diese Forderung wurde von der Europäischen Union erfüllt. Fünftens haben der kongolesische Präsident und sein Vizepräsident am 19. März dem Einsatz der Europäischen Union zugestimmt. Ohne dieses Einverständnis und ohne die Bitte der örtlichen Regierung, dort hinzukommen, hätten wir einen solchen Einsatz nicht durchführen können. Die Bundeswehr wird sich aufgrund der klaren Aufgabenzuordnung auf die mögliche Evakuierung der Wahlbeobachter und derjenigen europäischen Staatsbürger konzentrieren, die im Kongo leben und möglicherweise in Risikosituationen geraten. Evakuierungen außerhalb Kinshasas werden im Bedarfsfall von unseren französischen Freunden vorgenommen. Für einen Einsatz spricht, dass die Verantwortung der Europäer für die Entwicklung in Afrika sichtbar wird. Die Zukunft unseres Nachbarkontinentes kann Europa nicht gleichgültig sein. Verantwortung zu übernehmen, bedeutet aber auch, einen angemessenen Beitrag zu leisten. Dies tun wir mit dem Beschluss heute. Zudem wird die Europäische Union die Kräfte der VNMission MONUC entlasten, sodass sich diese weiter auf ihren Hauptauftrag konzentrieren kann, nämlich Stabilität im Osten und Süden des Landes zu schaffen. Schließlich erhält durch unseren Einsatz die Demokratie im Kongo erstmals nach langer Zeit eine reale Chance. Unser Einsatz hat Signalwirkung für den Kongo, aber auch für das restliche Afrika. Das ist das entscheidende Zeichen für die Menschen vor Ort, verbunden mit einer klaren Perspektive. Die Reputation der Bundeswehr im Kongo ist nicht zuletzt mit der Operation Artemis im Jahre 2003 gewachsen. Unsere Soldaten werden im Kongo allgemein als Friedensstifter mit Stabilitätswirkung anerkannt. Zudem ergänzt der Einsatz unserer Soldaten die bisher so erfolgreiche deutsche Hilfe im Kongo und in Zentralafrika. Ich bin fest davon überzeugt, dass unsere Soldatinnen und Soldaten aufgrund ihrer fundierten Ausbildung auch diesem Einsatz gewachsen sein werden. ({5}) Trotzdem bleibt ein Restrisiko, wie es bei jedem Einsatz besteht. Ich wünsche deshalb unseren Soldatinnen und Soldaten im Namen meiner Fraktion Fortune für ihren schwierigen Einsatz. Ich rufe den Soldatinnen und Soldaten zu: Passen Sie auf sich auf, damit Sie alle gesund nach Hause zurückkehren können! ({6}) Ich verkenne bei all dem nicht die Schwierigkeiten und auch nicht das für unsere Soldatinnen und Soldaten bestehende Risiko. Es ist unsere Aufgabe als Parlamentarier, die Rahmenbedingungen so auszugestalten, dass sie größtmögliche Sicherheit erfahren. Das sind wir unseren Soldatinnen und Soldaten sowie ihren Familien schuldig. Ich denke, dass mit der Vorbereitung dieses Einsatzes auch diese Pflicht erfüllt wurde. Mit der Erfüllung der genannten fünf Kriterien ist der Einsatz, so meine ich, verantwortbar. Ich werbe deshalb auch bei den Freunden der Freien Demokratischen Partei dafür, dem Einsatz zuzustimmen. Ich weiß, dass Sie eine ziemlich intensive innerparteiliche Diskussion darüber geführt haben, ob das, was Sie heute vorgetragen haben, auch wirklich die richtige Politik ist. Wir jedenfalls stimmen mit einem guten Gewissen zu. Ich denke, dass das zum Wohle der Menschen im Kongo sein wird und von Bedeutung für die Zukunft unserer Sicherheitspolitik in Europa ist. Herzlichen Dank. ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Norman Paech, Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Norman Paech (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003822, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bundestag hatte schon über viele Auslandseinsätze zu entscheiden. Selten aber gab es so viele unterschiedliche und sich widersprechende Begründungen dafür wie in diesem Fall. Genannt werden die Absicherung der ersten demokratischen Wahlen, die Stabilisierung des Kongo, unsere Verantwortung für Afrika - was auch immer das ist -, Handlungsfähigkeit der EU-Militärpolitik beweisen, Sicherung der Rohstoffversorgung und der Handelswege bis hin zur Verhinderung gigantischer Migrantenströme nach Europa. Da ist für jeden etwas dabei. Die Wirkung ist aber nicht: je mehr Begründungen, desto überzeugender. Das Gegenteil ist der Fall, wie jetzt auch die jüngste „Stern“-Umfrage wieder gezeigt hat: Der weitaus größte Teil der deutschen Bevölkerung ist gegen diesen Einsatz im Kongo. ({0}) Wir bestreiten nicht die Ernsthaftigkeit all der Gründe, sich in Afrika zu engagieren. Auch ökonomische Interessen sind legitim. Wir sind aber dagegen, dass das Militär dabei eine Rolle spielen soll. Sie, Herr Schockenhoff, haben den Einsatz des Militärs mit den strategischen Rohstoffen des Kongo begründet. Aus der SPD hören wir dagegen, das sei alles Unsinn, es gehe nicht um Rohstoffe, sondern um die Stabilisierung des demokratischen Prozesses im Kongo. Ich frage Sie: Was haben wir denn eigentlich aus den sich rapide verschlechternden Verhältnissen in Afghanistan und im Irak gelernt? Sehen Sie nicht, dass militärische Gewalt immer nur weitere Gewalt erzeugt und eben nicht Demokratie, allenfalls eine seltsame Abart von Demokratie? ({1}) Man kann mit dem Militär natürlich eine Stadt für die Wahltage und die Wochen danach in einen Ausnahmezustand versetzen. Das kann das Militär leisten. Aber was kommt dann? Bei unserer gestrigen Diskussion im Auswärtigen Ausschuss glaubte kaum noch jemand an die Begrenzung dieses Einsatzes auf vier Monate. Steht uns hier vielleicht ein Einsatz von den Ausmaßen wie dem in Afghanistan ins Haus? Das kann niemand voraussagen. Der Kongo gehört zweifelsohne zu den rohstoffreichsten Regionen der Welt. Da gibt es auch keinen Einwand, wenn Sie fordern - ich zitiere Sie, Herr Schockenhoff -, dass der Abbau dieser Ressourcen legal und nach marktwirtschaftlichen Aspekten erfolgt. ({2}) Wenn Sie damit aber den Einsatz des Militärs begründen, fragt man doch nach der Rolle des Militärs bei der Herstellung des freien Marktes. ({3}) Herr Schockenhoff, meinen Sie etwa, dass das Militär auch die Verstaatlichung der Rohstoffe zum Nutzen der kongolesischen Bevölkerung, wie jüngst in Bolivien geschehen, absichern wird? Was kommt dann nach dem Kongo? Bundesverteidigungsminister Jung möchte mithilfe der Bundeswehr die Rohstoffversorgung weltweit sichern. Sie möchten - so steht es in Ihrem Weißbuch, was wir bisher leider nur aus der Presse erfahren -, dass sich die Bundeswehr wegen der Export- und Rohstoffabhängigkeit Deutschlands besonders den Regionen zuwenden soll, in denen kritische Rohstoffe und Energieträger gefördert werden. Da übernehmen Sie das, was schon 1999 in die neue NATOStrategie geschrieben und später, 2003, in die Europäische Sicherheitsstrategie übernommen worden ist. Liegt es da allzu fern, wenn man den Kongoeinsatz jetzt gleichsam als Pilotprojekt für eine neue Afrikastrategie begreift? Kommt nach zahllosen feierlich ausgerufenen und gescheiterten Entwicklungsdekaden in Afrika nun vielleicht eine Militärdekade? So wie der völkerrechtswidrige Krieg gegen Jugoslawien seinerzeit die humanitäre Intervention begründen sollte, ist der Kongoeinsatz nun vielleicht ein Pilotprojekt für eine zukünftige Ressourcenintervention? Man kann das auch anders ausdrücken. Hier zitiere ich die Ihnen wohl gesonnene „Süddeutsche Zeitung“, da kritisiert Joachim Käppner: Sie benutzt die Bundeswehr wie eine beliebig einsetzbare Interventionsarmee. Käppner warnt: Das Abenteuer am großen Fluss könnte der Beginn eines neuen militärpolitischen Kapitels werden, nämlich dessen der Beliebigkeit und Bedenkenlosigkeit. Er schließt: … gleicht der Einsatz im Kongo tatsächlich einer Reise in die Finsternis. Das wollen wir der kongolesischen Bevölkerung ersparen. Das wollen wir den Bundeswehrsoldaten ersparen und das wollen wir uns selbst ersparen. Deswegen sind wir gegen diesen Einsatz. Danke sehr. ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Rainer Arnold, SPDFraktion.

Rainer Arnold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003029, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Es ist richtig: Europa hat in Bezug auf Afrika eine Strategie. Aus dieser Strategie erwachsen Verantwortung und Ernsthaftigkeit. Deutschland hat im Dezember zugestimmt. Wenn jetzt das wichtige und große Land Kongo uns Deutsche und uns Europäer bittet, dann gilt es nicht zu kneifen. Wer ernsthaft eine europäische Sicherheitsund Verteidigungsidentität anstrebt, muss dieses Papier mit Leben erfüllen. Darum geht es eben auch. Herr Paech, wir müssen aufpassen, dass wir dieses Mandat nicht falsch zeichnen, was die Sicherheit und den Auftrag anbelangt. Wir Verteidigungspolitiker analysieren sehr sorgfältig und verantwortungsbewusst, welchem Risiko wir die Soldaten aussetzen. Das lassen wir uns von niemandem absprechen. Wir wissen, dass die deutschen Soldaten hervorragend auf ihren Einsatz vorbereitet werden. Wir wissen, dass in Potsdam ein exzellentes Zentrum für europäische Friedensmissionen aufgebaut wird. Wir zollen allen Respekt und sagen den Soldaten Dank, die ihre Beiträge leisten. Wir sollten aber auch nicht überzeichnen. Die Soldaten gehen nicht in ein feindlich gesinntes Land, sondern sie finden ein freundliches Umfeld vor, wo die Menschen die Soldaten begrüßen. Alle Parteien, die bei der Wahl antreten, haben sich für die Präsenz der Europäer ausgesprochen. Dies macht deutlich, dass es für die Bevölkerung ein wichtiges psychologisches Zeichen ist, wenn die Europäer ihre Flagge im Kongo hissten. Es ist wichtig, dass Europa diesen weiteren Schritt - das ist nicht der einzige Schritt, sondern nur ein Mosaikstein auf dem Weg zu einem friedlichen Kongo - absichert und hinter dieser demokratischen Wahl steht. Das ist die eine Aufgabe. ({0}) Die zweite Aufgabe ist eindeutig: Es hat eine abschreckende Wirkung, wenn europäische Soldaten mitten in der Hauptstadt Flagge zeigen. So wissen auch diejenigen, die möglicherweise das Wahlergebnis nicht akzeptieren, weil sie in der Minderheit sind, dass sie keine Chance hätten, wenn sie zu zündeln versuchten. Das ist eine wichtige Botschaft. Diese kommt, so wie das Mandat angelegt ist, dort an. Die dritte Aufgabe ist die Vorsorge. Falls es irgendwo schwierig wird, müssen wir natürlich Beistand leisten. Wir dürfen nicht vergessen: Deutschland ist längst im Kongo. Nicht deswegen, weil wir 80 Millionen Euro für die MONUC bezahlen - das tun wir auch -, sondern es sind Zigtausende von Europäern im Kongo. Es werden fast 1 000 Wahlbeobachter dort sein. Es wird zivile Unterstützung und es wird bilaterale Entwicklungshilfe geleistet. Glaubt jemand im Ernst, dass es uns Deutsche nichts anginge, wenn jemand in den nächsten Monaten in Bedrängnis käme? Natürlich würden wir dort im Zweifelsfall militärisch Hilfe leisten müssen. Darum geht es. Deshalb überrascht es mich schon ein bisschen, was die Kollegin von der FDP hier gesagt hat. Ich habe den Eindruck, Kollegin Homburger, dass Sie etwas durcheinander bringen. Der Verteidigungsausschuss ist zwar ein geschlossener Ausschuss, er hindert Sie aber nicht daran, die Informationen, die Sie dort erhalten, zur eigenen Willensbildung in Ihrer Fraktion zu verwenden. Mir scheint, dass das überhaupt nicht bei Ihnen geschieht. Sonst hätten Sie nicht solche Dinge behauptet. Sie stützen sich auf einige Vertreter, die auch Lobbyisten sind und die bestimmte Interessen wahrnehmen. ({1}) Hören Sie einmal zu, was Wissenschaft und Politik sagen, hören Sie einmal zu, was das Zentrum für Internationale Friedenseinsätze sagt! Hören Sie vor allen Dingen den Menschen zu - das haben wir getan -, die seit Jahren im Kongo leben! Deren Rat war uns bei der Analyse und bei der Mandatsfindung sehr wichtig. ({2}) Ich werde den Verdacht nicht los, dass die FDP mit ihrer doch stolzen Tradition der Außenpolitik jetzt aus eher populistischen Gründen dieses Mandat ablehnt, ({3}) dies aber im Wissen tut, dass die beiden Koalitionsfraktionen die richtige Entscheidung treffen werden. ({4}) Das klang bei Herrn Hoyer ein bisschen an. Wir werden das Richtige tun, weil wir der Auffassung sind, dass dieses Mandat notwendig und sehr wohl gut zu begründen ist. Es ist humanitär zu begründen. Wir stehen den Menschen im Kongo bei dieser Etappe bei. Sie dürfen nicht in das massenhafte Morden zurückfallen. Dieses Mandat ist im deutschen und europäischen Interesse, weil wir ein Interesse an Stabilität nicht nur im Kongo, sondern an der gesamten Region der südlichen Sahara haben müssen. Deshalb dürfen keine Fehlinterpretationen - das sage ich an die Adresse der Kollegen von der Linken - vorgenommen werden: Mit Rohstoffsicherung durch das Militär hat das nun wirklich gar nichts zu tun. ({5}) Wahr ist aber, dass die Wirtschaft und die Bevölkerung nur in einem stabilen Land, wo kriminelle Ausbeuter der Ressourcen zurückgedrängt werden, eine Chance haben, an diesen Rohstoffen zu partizipieren. ({6}) Es ist nun wirklich nicht unanständig, wenn wir Deutschen sagen, dass wir das unter fairen Bedingungen erreichen wollen. Das Mandat hat eine dritte, in sich schlüssige Begründung: Wir tun das auch aus politischen Interessen. Wer in Sonntagsreden immer davon spricht, dass wir die internationalen Organisationen und das internationale Recht stärken müssen - das tut die FDP in ganz hohem Maße bezüglich der Vereinten Nationen -, der darf das am nächsten Tag nicht vergessen. Nein, internationales Recht und internationale Organisationen zu stärken, heißt auch, dass Deutschland nicht in eine Sonderrolle gerät, sondern gemeinsam mit Partnern agiert. Herr Hoyer, es ist falsch, dass sich alle anderen Europäer zurückhalten. Wir haben 18 Partner im Kongo. ({7}) - Natürlich kann Lettland keine Hundertschaften schicken. Das wissen Sie doch auch. Aber die Länder, die etwas leisten können, nämlich Frankreich, Spanien, Polen und natürlich auch die Bundesrepublik, interessanterweise auch die Schweden, leisten auch ihren Beitrag. Darüber bin ich sehr froh. ({8}) - Wenn Sie Großbritannien ansprechen, lassen Sie mich dazu eines sagen: Wir sollten mit dem britischen Partner fair umgehen. Was die britische Armee für die Staatengemeinschaft - ich rede jetzt gar nicht vom Irak, sondern von Afghanistan - in dieser schwierigen Situation in der ärmsten Region im Süden Afghanistans leistet, verdient unser aller Respekt und keine Kritik. ({9}) Ich denke, dieses Mandat ist auch von daher sehr begründet.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.

Rainer Arnold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003029, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme zum Ende. - Es gibt selbstverständlich keine Garantie - das ist immer so -, dass dieses Mandat gelingt; aber die Chancen sind gut. Eines weiß ich: Würden wir jetzt Nein sagen, würde Europa jetzt wieder einmal, wie in den vergangenen Jahren, in Bezug auf Afrika zur Seite schauen, würden wir in arge Bedrängnis geraten, wenn es im Kongo schief geht. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Winfried Nachtwei, Bündnis 90/Die Grünen.

Winfried Nachtwei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002743, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Alle Vorrednerinnen und Vorredner haben betont, wie wichtig die Unterstützung der Demokratischen Republik Kongo gerade in dieser Situation ist. Das ist sehr gut. Das ist aber auch eine Selbstverpflichtung über die Wahlen und die EU-Mission hinaus. Das ist eine sehr wichtige Botschaft des Deutschen Bundestages - ich gehe dabei von 100 Prozent der Mitglieder des Deutschen Bundestages aus - gegenüber der kongolesischen Öffentlichkeit. ({0}) Selbstverständlich geht es nicht darum, die Konflikte im Kongo militärisch zu lösen. Es hat einen mehrjährigen Friedensprozess gegeben. Es gibt ihn immer noch. Die Demobilisierung spielt dabei eine entscheidende Rolle. Immerhin konnten von 20 000 Kindersoldaten 16 000 demobilisiert werden. Das ist ein enormer Erfolg. Aber wie es auf Dauer keine Sicherheit ohne Entwicklung gibt, so gibt es auch keinen Aufbau, keine Entwicklung ohne Sicherheit. Diese beiden Erfordernisse als Alternative gegeneinander zu stellen, ist völliger Unsinn, widerspricht allen Erfahrungen in solchen Ländern und widerspricht völlig den Erfahrungen der Vereinten Nationen. Herr Gehrcke, das sollten Sie sich in der Tat einmal zu Gemüte führen. ({1}) Dieser Kongoeinsatz ist ganz offensichtlich der bei weitem strittigste seit der Entscheidung über den Afghanistaneinsatz 2001. Man muss auch sagen, dass die Bundesregierung, vor allem in Gestalt des Verteidigungsministers, erheblich dazu beigetragen hat. Ginge es heute nur darum, den Zickzackkurs der Bundesregierung zu bewerten, dann könnte man mit Fug und Recht Nein sagen. Aber es geht dabei noch um ein paar andere Sachen. Ich will zu den einzelnen Fragen Stellung nehmen. Ist diese Mission zwingend notwendig oder überflüssig? Wer behauptet, sie sei überflüssig, ignoriert damit die eindeutigen Positionen und Forderungen der UNO in New York und der Blauhelmmission MONUC in Kinshasa; aber nicht nur diese, sondern auch die der großen Masse der kongolesischen Zivilgesellschaft. Sie wollen dies vor allem. Wenn Sie hier den Evangelischen Entwicklungsdienst zitieren, dann, Frau Kollegin Homburger, zitieren Sie bitte korrekt. Der Vorsitzende, Konrad von Bonin, hat festgestellt: Auch die Partner des EED im Kongo erhoffen sich überwiegend eine Absicherung der Wahlen durch die MONUC und die EU-Sondertruppe und begrüßen die deutsche Beteiligung. ({2}) Es ist in allen Gesprächen aber auch deutlich geworden, dass für sie die Beteiligung der EUFOR im Kongo nur ein kleiner Teil dessen ist, was sie längerfristig von der Europäischen Union und insbesondere von Deutschland im Rahmen der Politik der EU erwarten. Das ist völlig richtig. Denn beides gehört zusammen. ({3}) Handelt es sich hier um eine Showveranstaltung, wie zum Beispiel der Vorsitzende des Bundeswehr-Verbandes sagt, oder ist es abenteuerlich? Herr Westerwelle, man muss es immer wieder feststellen: Seit Wochen ziehen Sie durchs Land und verzerren mutwillig den Auftrag dieser Mission. ({4}) Sie tun so, als sei diese Mission für die gesamte Stabilisierung verantwortlich. Das ist Unsinn. Wir und auch Sie wissen es besser: EUFOR ist nur ein Teil eines ganzen Stabilisierungspakets. Es geht um die Unterstützung von MONUC in einer kritischen Phase, vor allem in der Region Kinshasa. Zu den Risiken. Die anfänglichen Festlegungen haben auch bei mir Zweifel geschürt, ob diese Mission glaubwürdig und verantwortbar ist. So, wie sie jetzt gestaltet ist - mit stärkeren Kräften und dem jetzigen Einsatzkonzept -, meine ich, ist sie glaubwürdig verantwortbar und richtig. ({5}) Man muss auch feststellen, dass alle Experten in UNFriedensmissionen, die Sie fragen, sagen: Auch mit einer recht kleinen, aber professionellen Truppe kann man eine ganz erhebliche abschreckende Wirkung hinbekommen. ({6}) Außerdem sollte man bei den Risiken auch bedenken, welchen Risiken wir denn die ungeschützten Wahlbeobachter aussetzen. Von unseren Zivilexperten, die dort arbeiten, wird gar nicht gesprochen. Diese EU-Mission ist notwendig, aber keineswegs hinreichend für die friedlichen Wahlen und eine nachhaltige Stabilisierung. Die Bundesregierung und die EU müssen alles für die politische Deeskalation im Vorwahlkampf tun. Nach den Wahlen - das ist mehrfach festgestellt worden; wir können es nur bekräftigen - geht die Arbeit allerdings erst richtig los. Dies wurde in Kinshasa von verschiedenen Organisationen betont, jetzt auch richtigerweise von humanitären und Entwicklungsorganisationen. Dann geht es zum Beispiel um dieses Hemd, das ich aus einem Demobilisierungscamp im Kongo mitgebracht habe. Die Demobilisierung, die Reintegration von Milizionären und Kindersoldaten ist ein entscheidender Punkt bei der Stabilisierung des Kongo über die Wahlen hinaus. Hier leistet die kongolesische Zivilgesellschaft fantastische Arbeit. Ich meine, dass wir in dieser Situation die kongolesische Zivilgesellschaft, die große Erwartungen an die Europäische Union und auch an die Bundesrepublik richtet, nicht enttäuschen und nicht entmutigen sollten, sondern nach besten Kräften jetzt, im nächsten Jahr und in den Folgejahren unterstützen sollten. Deshalb bitten wir um Ihre Zustimmung, auch wenn wir Gegenstimmen selbstverständlich respektieren. Danke. ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Hans Raidel, CDU/ CSU-Fraktion.

Hans Raidel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001768, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer sich mit dem Kongo beschäftigt, wer die Menschen dort ein bisschen kennt, wer Afrika ein bisschen kennt, weiß ganz genau, wie sehr sich der Kongo jetzt nach Frieden sehnt, wie er diese Wahlen herbeiwünscht. Gerade wir in Europa, gerade wir in Deutschland können einen Beitrag dazu leisten. Auch das wird ganz besonders begrüßt. Wer Afrika insgesamt helfen will, der muss jetzt helfen, dieses Signal geben und im Rahmen dieser Mission im Kongo präsent sein. Wir führen eine erstaunliche Debatte. Diejenigen, die verbal ständig die helfende Hand ausstrecken, ziehen sie in dem Moment, in dem die helfende Hand ergriffen werden soll, zurück. Das ist scheinheilig und wird auch der Würde dieses Hauses nicht gerecht. ({0}) Ich bitte Sie sehr herzlich, sich die Fakten anzusehen; sie wurden alle schon aufgezählt. Die UNO hat die EU darum gebeten, ein Kontingent zu stellen. Auch die Afrikanische Union ist dafür. Im Kongo haben sich selbst die politisch Verantwortlichen dazu bereit erklärt, diesen Prozess zu unterstützen, damit die Demokratisierung voranschreiten kann. Dennoch führen wir - in ganz Europa nur wir - diese quälende Debatte über diesen Einsatz. In keinem anderen Land, weder in Frankreich noch sonst wo, wird eine derartige Debatte geführt. Wir sollten uns schon von den positiven Vorgängen beeindrucken lassen, die im Kongo mittlerweile geschehen sind. Das ganze Land steht vor einer entscheidenden politischen Weichenstellung. Der Kollege Kolbow hat zu Recht den südafrikanischen Präsidenten zitiert, der festgestellt hat: Der afrikanische Kontinent wird sich nur stabilisieren lassen, wenn der Kongo stabilisiert werden kann. Damit sind auch die Interessenlagen der internationalen Gemeinschaft prägnant beschrieben. Diese Wahlen bieten dem Kongo endlich die Chance, das Land in wirtschaftlicher, kultureller und sozialer Hinsicht wieder aufzubauen und für ein besseres Leben der Bevölkerung zu sorgen. Deswegen braucht der Kongo gerade jetzt viele helfende Hände. Wir haben uns die Entscheidung über die Rahmenbedingungen dieses Einsatzes nicht leicht gemacht. Der Kollege Siebert hat darauf hingewiesen, dass der Verteidigungsminister auf europäischer Ebene dafür geworben hat, dass nicht, wie eigentlich vorgesehen war, das Battle-Group-Konzept reinrassig zum Einsatz kommt, sondern dass sich Europa breit aufstellt und viele Länder durch die Bereitstellung von Kontingenten helfen. Wir helfen schon jetzt - auch das sollte noch einmal erwähnt werden - mit sehr vielen Programmen. Es ist einfach nicht wahr, dass wir noch ganz am Anfang stehen. Vielmehr handelt es sich hier um einen Prozess, der mit den bevorstehenden Wahlen seinen vorläufigen positiven Abschluss findet, der aber auch zu einem Neubeginn beitragen soll. Wir müssen alles tun, um dafür zu sorgen, dass das bisherige Engagement nicht umsonst gewesen ist. Die politischen Rahmenbedingungen für diesen Einsatz sind geschaffen. Das deutsche Kontingent, das wir im Rahmen der EU stellen, ist das Beste vom Besten. Die deutsche Truppe besteht im Wesentlichen aus Fallschirmjägern, die bestens auf ihre Aufgaben vorbereitet, gut ausgebildet und gut ausgerüstet sind. Auch die medizinische Versorgung - darauf haben wir sehr großen Wert gelegt - hat einen hohen Standard und ist gewährleistet. Im Verteidigungsausschuss haben wir uns sehr genau und im Detail mit diesen Dingen befasst. Wer sie ordentlich einordnet und auch den militärischen Wert richtig beurteilt, der kann feststellen, dass die gesamte Mission sowohl in strategischer als auch in einsatztaktischer Hinsicht - einschließlich einer guten Notfallplanung - hervorragend und sehr fürsorglich geplant worden ist, um die Gefährdungen, die unzweifelhaft vorhanden sind, zu minimieren. Ich habe im Ausschuss dem Generalinspekteur und dem Verteidigungsminister ausdrücklich für die fürsorgliche Planung gedankt und ich habe festgestellt, dass wir diesem Einsatz bei diesen Maßgaben, bei diesen Einsatzplänen, mit gutem Gewissen zustimmen können. Ich möchte das zurückweisen, was Herr Gertz, der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, gesagt hat. Das Parlament betreibt kein „politisches Showbusiness“ mit militärischen Mitteln. Wir gehen verantwortungsvoll mit unseren Soldaten um, ({1}) sei es in Afghanistan, sei es auf dem Balkan oder jetzt im Kongo. Recht hat er allerdings, wenn er feststellt, dass die europäische Afrikastrategie wieder mehr in den Mittelpunkt gestellt werden muss. Das geschieht meiner Auffassung nach mit der heutigen Abstimmung über dieses Mandat. Es gibt objektiv kaum einen Grund, gegen diesen Einsatz zu stimmen, es gibt aber viele Gründe für diesen Einsatz. Wer dem Kongo wirklich helfen will, der muss heute mit Ja stimmen. Vielen Dank. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Gert Winkelmeier.

Gert Winkelmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003864, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Meine ablehnende Haltung im Hinblick auf eine BeteiliGert Winkelmeier gung deutscher Streitkräfte an einem Einsatz in der Demokratischen Republik Kongo hatte ich bereits in der letzten Debatte begründet. Ich möchte mich jetzt einmal mit den fünf Bedingungen auseinander setzen, die Minister Jung in der letzten Debatte dargestellt hat. Meines Erachtens werden diese Voraussetzungen, die er für einen robusten Einsatz nannte, in der Öffentlichkeit bewusst falsch dargestellt. Erstens. Ein Votum der Vereinten Nationen gibt es. Das erfolgte aber erst, als die Entscheidungen auf Regierungsebene längst getroffen waren; das war bereits Ende 2005. Zweite Voraussetzung war die Zustimmung der kongolesischen Regierung. Tatsache ist aber, dass diese so ziemlich als letzte gefragt wurde; Herr Solana musste Herrn Kabila regelrecht drängen. In der Europäischen Union war zu dieser Zeit der Hauptgrund für den Einsatz - die Demonstration eigener militärischer Handlungsfähigkeit - schon längst beschlossene Sache. Die dritte Bedingung sollte eine breite europäische Beteiligung sein. Auch da lügt man sich in die Tasche: Von den 1 500 Soldaten der Einsatzkräfte - ich lasse hier einmal die 280 zusätzlichen deutschen Soldaten beiseite - stellen Deutschland und Frankreich jeweils ein Drittel, das letzte Drittel teilen sich 16 andere EU-Nationen; das ist reine Symbolik. Die vierte und fünfte Bedingung sollten die räumliche und die zeitliche Begrenzung sein. Selbst Militärangehörige sagen, dass dies, falls es zu Kampfhandlungen kommt, nicht einzuhaltende Bedingungen sind. Verteidigungsminister Jung, ich stelle fest, Sie haben mit Ihrem berühmten Vorgänger im Amt nicht nur den Vornamen gemeinsam, sondern auch die Art und Weise, sich die Bedingungen so hinzubiegen, wie es im Interesse der großen global agierenden Konzerne gebraucht wird. Das ist auch der Grund, warum die Bundesregierung um ein Mandat für diesen Einsatz gebeten hat. Wie es in der Rede, die Minister Jung in der letzten Sitzung hielt, heißt - man kann es im Protokoll nachlesen -, hat die Bundesregierung um einen solchen Einsatz gebeten. Der Bundesregierung werfe ich vor, dass sie die Unterstützung von demokratischen Wahlen im Kongo von Anfang an unter dem militärischen Aspekt diskutiert hat. Es ist zu erfahren, dass lediglich rund 200 zivile Wahlbeobachter aus der EU eingesetzt werden sollen - und das in einem Land, das fast siebenmal so groß ist wie die Bundesrepublik Deutschland, in dem es circa 50 000 Wahllokale geben wird, in dem sich fast 28 Millionen Wähler haben registrieren lassen, in dem Bedingungen herrschen, unter denen sogar der An- und Abtransport der Wahlmaterialien die heimische Bevölkerung logistisch vor große Probleme stellte. Unter diesem Aspekt ist die Zahl der zivilen Wahlbeobachter schlicht lächerlich. Mehrere zehntausend Wahlbegleiter wären notwendig, wie alle kirchlichen und entwicklungspolitischen Organisationen sagen. Unser Land hätte sich weltweit als helfende Nation einen guten Namen machen können, wenn es Initiativen ergriffen hätte, damit mehr Wahlhelfer und Wahlbeobachter die Wahl im Kongo absichern. Stattdessen hat es die Bundesregierung zugelassen, dass im Zusammenhang mit dieser Wahl immer nur in militärischen Kategorien gedacht wird. Mit dem robusten Militäreinsatz im Kongo tritt die Bundesregierung in eine neue Phase der Militarisierung der Außenpolitik ein. Diese Phase wird irgendwann einmal in einem Fiasko enden; davon bin ich überzeugt. Vielen Dank. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Christoph Strässer, SPD-Fraktion. ({0})

Christoph Strässer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003644, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei solchen Debatten ist es nicht unüblich, dass man Kronzeugen bemüht. Ob sie einem ansonsten in das politische Konzept passen oder nicht, ist dabei meist zweitrangig. Ich möchte zwei Kronzeugen benennen, die aus meiner Sicht unverdächtig sind, in ein bestimmtes politisches Lager einsortiert zu werden. Als Ersten nenne ich Denis M. Tull. Er ist Afrika-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin und hat in Bezug auf den Bundeswehreinsatz gesagt: Man hat in die UN-Mission Milliarden investiert und in Aufbauhilfe, die nun langsam Erfolg trägt. Die Wahlen sind jetzt eine kritische Schwelle, über die das Land gehen muss. Wenn man in diesem Moment durch einen relativ kleinen Beitrag zum Erfolg beitragen kann, halte ich das für eine gute Investition. Diese Aussage ist zutreffend. ({0}) Die zweite Aussage kommt von Ross Mountain, dem Nothilfekoordinator der Vereinten Nationen, der, wie ich denke, auch unverdächtig ist, irgendeinem Lager zugeordnet zu werden. Er hat am 17. Mai 2006 im ZDF Folgendes gesagt - ich bitte all diejenigen, besonders zuzuhören, die so wie der Kollege eben der Meinung sind, wir würden das alles ausschließlich unter militärischen Aspekten diskutieren -: Die Europäische Union hat sich schon lange im Kongo engagiert, es ist wichtig, dass sie während der Wahlen Verantwortung zeigt … Ein paar hundert Soldaten können einen großen Unterschied machen. Abschreckung ist wichtig. Meine Damen und Herren, wir sollten diese Stimmen ernsthaft zur Kenntnis nehmen und sie in der Debatte berücksichtigen. ({1}) Ich möchte auf den Kollegen Hoyer eingehen, der mehr oder weniger unterstellt hat, die Regierungsfraktionen würden dem Votum der Bundesregierung folgen, weil sie dazu gezwungen seien. Nein, lieber Kollege Hoyer, das Gegenteil ist richtig: Wir haben in unserer Fraktion sehr intensiv über dieses Thema diskutiert und haben die Argumente ausgetauscht. Ich habe großen Respekt vor den Kolleginnen und Kollegen, die heute Nein sagen werden. Wir haben aber bei uns Argumente gehört, die tiefer gegangen sind und die zutreffender sind als die, die hier heute von der FDP und der Linkspartei vorgebracht wurden. ({2}) Ich will drei Punkte ansprechen, von denen ich glaube, dass sie bewusst oder unbewusst desorientierend wirken: Erstens. Frau Kollegin Homburger hat die Entscheidung der Vereinten Nationen angesprochen und gesagt, man müsse nicht alles übernehmen, was von den Vereinten Nationen komme. Richtig! Wir haben gesagt - das ist vernünftig und soll in diesem Hohen Hause auch so bleiben -: Ein Militäreinsatz kann unter völkerrechtlichen Aspekten nur dann stattfinden, wenn es eine entsprechende Entscheidung des Weltsicherheitsrates gibt. Dies ist die Kernaussage. Ohne eine solche Entscheidung würden wir die Diskussion in diesem Hohen Hause nicht führen. Das sollten wir bedenken. ({3}) Zweitens. Ich will etwas anführen, was deutlich macht, dass diese Argumente schlecht sind: Auf das Bezug zu nehmen, was im Irak passiert ist, zeigt, dass Sie die Dimensionen dieses Einsatzes und des Irakkrieges völlig durcheinander bringen. ({4}) Der Irakkrieg war ein Angriffskrieg, dem wir mit guten Gründen widerstanden haben. Das mit der Wahlbeobachtung und der Unterstützung von Wahlen zu vergleichen, ist aus meiner Sicht schon zynisch. Das möchte ich an dieser Stelle deutlich sagen. Das kann man nicht als politischen Grund nennen. ({5}) Drittens. Diese Bemerkung richte ich an Sie, Herr Kollege Gehrcke. Ich finde, es ist desorientierend und unwahr, wenn man sagt, die Bundesrepublik Deutschland hätte sich besser darauf verstanden, zu unterstützen, dass die MONUC-Truppe aufgestockt wird. Aber Sie wissen doch wohl - das muss der Ehrlichkeit, der Fairness und der Transparenz wegen an die Kritiker gesagt werden -: Der Weltsicherheitsrat hat die Aufstockung des MONUC-Mandats zweimal abgelehnt und uns gegenüber auf der Grundlage einer MONUC-Entscheidung die Bitte geäußert, das zu tun, worüber wir heute entscheiden. Das alles sollte man nicht durcheinander schmeißen und dadurch den Eindruck erwecken, es hätte Alternativen gegeben. ({6}) Ich möchte noch etwas sagen, was mir wirklich sehr am Herzen liegt. Hier ist schon wieder behauptet worden, wir würden diese ganze Veranstaltung ausschließlich unter militärischen Aspekten sehen. Dies ist unzutreffend. Ich darf nur eine Zahl nennen, damit man eine kleine Vorstellung von der Dimension erhält, welche europäische nichtmilitärische und zivile Hilfe und Unterstützung in diesem Land bereits geleistet worden ist. 640 Millionen Euro wurden für Bewässerungsprojekte, für Demobilisierungsprojekte und für viele gute zivile Maßnahmen zur Verfügung gestellt, die richtig sind und die fortgesetzt werden müssen. Dazu dient auch dieser Einsatz. ({7}) Ein letzter Punkt: Natürlich sollten wir die zivile Konfliktbewältigung präferieren. Ich sage aber: Es kann nicht richtig sein, dass wir Menschen in einen Failing State wie den Kongo schicken, die dort in Lebensgefahr geraten. Wir erleben gerade in Osttimor, dass zivile Hilfsorganisationen evakuiert werden müssen, weil die Sicherheitslage in diesem Land so ist, dass man sie nicht dort belassen kann. Deshalb ist das, was wir dort tun, eine klare und deutliche Unterstützung für den zivilen Aufbau. Wir brauchen diese Maßnahme. Aus meiner Sicht kann ich diesem Antrag nur aus vollem Herzen und nicht gezwungen zustimmen. Herzlichen Dank. ({8})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile Kollegen Hartwig Fischer das Wort und bitte Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, herzlich, dem Kollegen Fischer die Chance zu geben, gehört zu werden. ({0})

Hartwig Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003526, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herzlichen Dank. - Herr Präsident! Ich bemühe mich auch, die Aufmerksamkeit des Hauses zu erhalten, und sage als Erstes, dass ich es für ungeheuerlich halte, dass sich jemand von den Linken, der niemals im Kongo gewesen ist - niemand aus Ihrer Fraktion war dort -, hier hinstellt und von „irgendwelchen Pakistanis“ spricht, die dort im Rahmen der UN ihren Einsatz leisten und im Osten des Kongo mit zur Befriedung beigetragen haben. ({0}) Hartwig Fischer ({1}) Wer hier behauptet, es gebe kein Gesamtkonzept, der spricht wider besseres Wissen. Es war nicht allein die Operation ARTEMIS, sondern es war die Völkergemeinschaft, die die verfeindeten Truppen zueinander gebracht und eine Übergangsregierung, zusammengesetzt aus den gegensätzlichen Truppen, geschaffen hat. Durch die Operation ARTEMIS wurde dann dafür gesorgt, dass insbesondere im Osten des Kongo eine Grundbefriedung eingetreten ist. Nach dem Zeitplan hat es dann das Verfassungsreferendum gegeben. Meine Damen und Herren, was ist denn eigentlich eine nachhaltige zivile Friedenspolitik? Das ist das, was die europäische und die deutsche Entwicklungspolitik in den vergangenen Jahren im Kongo geleistet haben. Es waren Deutsche und Europäer, die beim Aufbau der Justiz mit dazu beigetragen haben, dass es inzwischen auch im Ostkongo funktionierende Gerichte gibt. Durch EUPOL - dazu gehören auch deutsche Polizisten wurde dazu beigetragen, dass die Polizei langsam aber sicher wieder nach rechtstaatlichen Prinzipien arbeitet. Im Rahmen von EUSEC wurde seit der Operation ARTEMIS dazu beigetragen, dass die Armee demobilisiert und neu aufgestellt wurde. Wir sind aber noch längst nicht am Ende dieses Prozesses. Deutsche Entwicklungshelfer und Organisationen haben dazu beigetragen, dass es inzwischen nicht mehr 30 000, sondern weit unter 15 000 Kindersoldaten gibt. Die anderen sind demobilisiert und zurückgeführt worden, sodass sie wieder eine Chance auf eine Zukunft haben. ({2}) Aus Ihrer Fraktion waren keine Parlamentarier im Kongo und Sie haben nicht mit den vergewaltigten Frauen und mit den Kindern gesprochen, die dort misshandelt worden sind und einen Teil ihrer Identität verloren haben. Nur jemand, der das nicht erlebt hat, kann so sprechen, wie Sie das hier im Parlament getan haben. Das EU-Mandat im Auftrag der UN unter Führung der deutschen Bundeswehr ist ein Friedensmandat, ein Stabilisierungsmandat. Es ist eine militärische Komponente neben der zivilen Sicherung, die wir in den vergangenen Jahren bereits aufgebaut haben. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist doch eben deutlich gemacht worden, dass es auch die europäische und deutsche Beteiligung gewesen ist, die dazu geführt hat, dass friedlich und mit großer Mehrheit ein Verfassungsreferendum überhaupt erst einmal vorbereitet werden konnte. Die Europäische Union, aber auch die GTZ und die Konrad-Adenauer-Stiftung haben vor Ort für dieses Verfassungsreferendum nicht nur geworben, sondern es ist bis ins Detail hinein auch informiert worden. Ich sage Ihnen ganz offen: Ich habe in den Gesprächen mit allen Nichtregierungsorganisationen, mit Opposition und Regierung zusammen mit meiner Kollegin Schäfer feststellen können, dass die Menschen in vielen Fällen nicht gewusst haben, worüber sie im Detail bei dieser Verfassung abstimmen. Aber die Menschen haben gewusst, dass dies die Grundvoraussetzung für Wahlen ist. Wir stehen jetzt am Vorabend von Entscheidungen, die dazu beitragen können, dass ein zentraler Unruheherd in Afrika befriedet wird. Keiner von uns kann eine Garantie geben. Aber wir können versuchen, die Kongolesen bei dieser zum ersten Mal stattfindenden freien und geheimen Wahl einen Anflug von Sicherheit spüren zu lassen. Wir sind als neutrale Partner im Kongo angesehen, weil wir keine koloniale Vergangenheit haben. Dies müssen wir in die Waagschale werfen. Deshalb bitte ich alle hier im Hause, heute bei der Abstimmung daran zu denken, dass es die Völkergemeinschaft gewesen ist, die einst dem Genozid in Ruanda tatenlos zugesehen hat. Wir haben jetzt die Gelegenheit, mit einem kurzen militärischen Einsatz einem Volk die Chance zu geben, in freier Verantwortung seine Parlamentarier und seinen Präsidenten zu wählen. Dann kommt auf uns gemeinsam die schwierige Aufgabe zu, diesen Prozess zu begleiten, weil die Hoffnungen der Bürgerinnen und Bürger enorm sind. Deshalb bitte ich Sie ganz herzlich, nicht nach Fraktionszwang, sondern nach Ihrem Gewissen zu handeln und mit der blauen Karte abzustimmen. Herzlichen Dank. ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 16/1649 zu dem Antrag der Bundesregierung zur Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Operation in der Demokratischen Republik Kongo auf Grundlage der Resolution 1671 ({0}) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen. Der Aus- schuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/1507 anzunehmen. Es ist namentliche Abstimmung verlangt. Bei der Stimmabgabe bitte ich alle Kolleginnen und Kollegen, sorgfältig darauf zu achten, dass die Stimmkarten, die Sie verwenden, Ihren Namen tragen. Es liegen inzwi- schen von 47 Kolleginnen und Kollegen schriftliche Er- klärungen zur Abstimmung vor; die Zahl steigt ständig.1) Ich will zudem ausdrücklich darauf hinweisen, dass im Anschluss an die namentliche Abstimmung noch fünf weitere Abstimmungen zu diesem Thema stattfinden. Ich bitte nun die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Das ist passiert. Dann eröffne ich die Abstimmung. Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schrift- 1) Anlagen 6 bis 12 Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse führerinnen und Schriftführer, mit dem Auszählen zu be- ginnen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.1) Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, ihre Plätze wieder einzunehmen, weil wir nun noch eine Reihe von Abstimmungen durchführen müssen. Wir setzen die Abstimmungen fort. Zunächst stim- men wir über die Entschließungsanträge ab. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak- tionen der CDU/CSU und der SPD auf Druck- sache 16/1658? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltun- gen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD gegen die Stimmen der FDP und der Linksfraktion bei Stimment- haltung der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen an- genommen. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak- tion der FDP auf Drucksache 16/1659? - Wer stimmt da- gegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU, der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und Zustimmung der FDP abgelehnt. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak- tion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Druck- sache 16/1660? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltun- gen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen des Hauses bei Zustimmung der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen abgelehnt. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak- tion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Druck- sache 16/1661? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltun- gen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU und der SPD bei Zustimmung der drei anderen Fraktionen abgelehnt. Wir kommen zur Abstimmung über den Tagesord- nungspunkt 3 b: Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke zu dem Antrag der Bundesregierung auf Be- teiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU- geführten Operation im Kongo, Drucksachen 16/1507 und 16/1650. Der Ausschuss empfiehlt, den Entschlie- ßungsantrag auf Drucksache 16/1522 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Norbert Röttgen, Dr. Michael Meister, Laurenz Meyer ({1}), weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abge- ordneten Olaf Scholz, Ludwig Stiegler, Dr. Rainer Wend, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines 1) Seite 3259 C Gesetzes zur Einsetzung eines Nationalen Normenkontrollrates - Drucksache 16/1406 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({2}) - Drucksache 16/1665 - Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Rainer Wend b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({3}) zu dem Antrag der Abgeordneten Birgit Homburger, Martin Zeil, Christian Ahrendt und der Fraktion der FDP Bürokratieabbau - Jetzt sind konkrete Schritte gefragt - Drucksachen 16/472, 16/1665 Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Rainer Wend Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie hat in seine Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/1665 den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/472 mit dem Titel „Bürokratieabbau - Jetzt sind konkrete Schritte gefragt“ einbezogen. Über diesen Antrag soll nun ebenfalls abschließend beraten werden. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann ist das so beschlossen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Laurenz Meyer, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. ({4})

Laurenz Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003592, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine Reihe europäischer Länder ist bereits dem niederländischen Vorbild gefolgt und hat ein System zur Messung der Bürokratiekosten eingerichtet. Dieses System ist in den Niederlanden sehr erfolgreich. Wir wollen es den Niederländern heute gleichtun. Das zeigt: Man sollte sich ruhig in Europa umschauen und das, was gut funktioniert, hemmungslos abkupfern. Unsere Intention ist, in Zukunft ein solches System in ganz Europa einzurichten. Die Niederlande haben sich vorgenommen, ihrer Volkswirtschaft rund 4 Milliarden Euro durch eine Senkung der Bürokratiekosten um 25 Prozent zu ersparen. Wenn wir das auf Deutschland übertragen, dann bedeutet das, dass wir eine Entlastung in Höhe von rund 20 Milliarden Euro ins Auge fassen können. Allein das zeigt, dass wir hier in einer richtigen Win-win-Situation sind; denn die Kosten, die hier abgebaut werden, müssen nicht zusätzlich aufgebracht werden. Mehr noch: Auch der Staat spart Kosten ein. Laurenz Meyer ({0}) ({1}) Worum geht es? Wir wollen die Bürokratiekosten, die bei natürlichen und juristischen Personen aufgrund von Informations-, Berichts- und Statistikpflichten anfallen, messen und in der Folge spürbar reduzieren. Die FDP hat vor - genauso wie im Wirtschaftsausschuss beantragt -, das auf weitere Bereiche des Bürokratieabbaus auszudehnen. Wir sind nicht dafür, weil dies den Nachteil hätte, dass die klare Definition, die wir nun gefunden haben, verwässert, unklarer würde. Dann gerieten wir wieder in politische Diskussionen, die bislang den Bürokratieabbau zu guten Teilen verhindert haben. ({2}) Wir wollen, dass sich der Nationale Normenkontrollrat sehr streng an seinen Auftrag - er ist weit genug gefasst hält. Wir wollen nicht, dass die gute Aufgabe des Bürokratieabbaus durch Versuche - auch aus der Wirtschaft belastet wird, unter dem Stichwort „Bürokratieabbau“ Veränderungen beispielsweise im Arbeitsrecht vorzunehmen. Es besteht kein Zweifel, dass darüber politisch diskutiert werden muss und dass der Änderungsbedarf groß ist. Aber das gehört nicht zur Aufgabe, die wir nun beim Nationalen Normenkontrollrat ansiedeln. Die Genialität des niederländischen Modells besteht gerade in seiner Einfachheit und Beschränkung. Auf diese Weise ist man dort wirklich große Schritte vorangekommen. Die niederländischen Kollegen haben uns erzählt, dass die maximale Dauer solcher Berechnungen bei vier Wochen liegt; manchmal gehe es sehr viel schneller. Ich finde deshalb, wir sollten dieses Modell im Kern in Zukunft bei allen vorliegenden Gesetzentwürfen anwenden. Der Normenkontrollrat soll im Bundeskanzleramt angesiedelt werden. Wir halten das für eindeutig richtig und wünschen insbesondere der Kollegin Müller viel Erfolg. Sie wird sich um diese Sache intensiv bemühen können. Durch den Druck aus dem Bundeskanzleramt sollen die Ministerien auf Trab gebracht werden. Dass die Bundeskanzlerin hierfür - auch persönlich - die Verantwortung übernimmt, ist eine wichtige Voraussetzung für den Bürokratieabbau in Deutschland. ({3}) Es wurde danach gefragt, was eigentlich geprüft werden soll. Das ist im Gesetzentwurf relativ klar beschrieben: In § 4 steht, dass alle Gesetzentwürfe geprüft werden sollen, natürlich auch Entwürfe für Bundesgesetze. Wenn der Normenkontrollrat es will, kann er selbstverständlich auch Gesetzentwürfe aus der Mitte dieses Hauses prüfen. Er sollte das meiner Meinung nach auch tun. Wir möchten, dass zusätzlich eine Nullmessung von Bürokratiekosten vorgenommen wird; nur so können wir Veränderungen erkennen. Durch die Feststellung des Istbestandes wird eine Ausdehnung dieses Vorgehens, zum Beispiel auf die Bundesländer, erleichtert. Ich bin sicher, dass es Nachahmer geben wird - dieser Ansatz wird um sich greifen - und dass die Bundesratsinitiativen auf Dauer einbezogen werden. Wir wollen, dass auch die europäischen Richtlinien hier geprüft werden, und zwar schon im Entwurfsstadium. Unsere Bundesregierung soll dagegenhalten können, wenn dadurch zusätzliche Bürokratiekosten drohen. Am besten ist, man verhindert, dass solche Richtlinien überhaupt erst entstehen. ({4}) Das, was aus Brüssel gekommen ist, ist mit viel zu viel Bürokratie verbunden. Das muss nach unserer Meinung in dieser Form nicht sein. Darüber müssen wir hier diskutieren. Ich sage hier ganz deutlich: Es wäre uns lieber gewesen, wenn in diesem Gesetzentwurf geregelt wäre, dass die Gesetzentwürfe der Fraktionen schon im Vorstadium geprüft werden können. Die SPD-Fraktion, insbesondere wohl die Fraktionsführung, wollte das nicht aus welchen Gründen auch immer. Ich halte das - Entschuldigung, wenn ich das so sage - für einen Ausdruck mangelnden Selbstbewusstseins. ({5}) Die Fraktionsführung sollte sich fragen, ob sie hier nicht eine Chance vergeben hat. Unser Ziel war ja, den Fraktionen die Gelegenheit zu geben, von ihnen ausgearbeitete Gesetzentwürfe schon im Entstehungsstadium prüfen zu lassen, damit sie vor der Einbringung wissen, ob sie noch Änderungen vornehmen müssen. Ich bin sicher: Die Medien und die Öffentlichkeit werden uns nicht durchgehen lassen, dass das Parlament und die Fraktionen eigene Gesetzentwürfe anders behandeln als etwa Gesetzentwürfe der Bundesregierung. ({6}) Seitens der Medien wird entsprechender Druck ausgeübt werden. Mit für manch einen sicherlich tröstlichen Worten will ich schließen. Einige Kollegen haben sich im Vorfeld in den Niederlanden umgesehen. Die niederländischen Kollegen haben ihnen gesagt: Ihr Deutschen macht das immer alles so perfekt. Fangt doch erst einmal an! Dann werdet ihr sehen, dass dieses Modell um sich greift und dass letztlich alle Gesetzentwürfe auf diese Weise geprüft werden. - Ich glaube schon, dass dieses Perfekt-sein-Wollen ein deutsches Problem ist. Wir sollten deshalb anfangen. Wir sollten dieses Gesetz heute verabschieden, damit die Arbeit aufgenommen werden kann, und zwar möglichst schnell und mit dem nötigen Druck. Diesen Druck wird das Parlament dem Normenkontrollrat machen. Ich wünsche dem neuen Gremium viel Erfolg. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich erteile das Wort dem Kollegen Martin Zeil für die FDP-Fraktion. ({0})

Martin Zeil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003868, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Deutschland ist Weltmeister, zwar noch nicht im Fußball, aber bezogen auf Regelungsdichte und Bürokratielasten. Das in der Koalitionsvereinbarung festgeschriebene Ziel, die milliardenschweren Bürokratielasten abzubauen und neue zu vermeiden, ist deshalb unbestritten richtig. Leider haben Sie, Schwarz-Rot, in dieser Frage schon in kurzer Zeit mehrfach schwer gesündigt, was zeigt, dass selbst die besten Kontroll- und Messmechanismen, Herr Kollege Meyer, versagen, wenn die Regierungspraxis von Regelungswut, Fantasielosigkeit und Reformverweigerung geprägt bleibt. ({0}) Auch müssen wir erkennen: Bürokratieabbau ist zwar in aller Munde, aber im Konkreten oftmals äußerst mühsam, weil es auch immer um die Frage geht: Was soll und was darf der Staat? Unsere Fraktion hat seit Jahren Wege zum Bürokratieabbau und zur Messung von Bürokratiekosten aufgezeigt. Wir haben auch immer gesagt: Wenn Sie hier neue Wege beschreiten, wenn Sie mutig in die richtige Richtung gehen, unterstützen wir das. ({1}) Leider lassen der vorliegende Gesetzentwurf und sein Werdegang nur wenig Hoffnung aufkommen. Der Wachhund „Normenkontrollrat“ droht zur ausgestopften Attrappe zu werden, noch bevor er mit der Arbeit beginnt. ({2}) Ich darf unsere Punkte noch einmal kurz zusammenfassen: Erstens. Die Unabhängigkeit des Rates und seine Bedeutung nehmen deutlich zu, wenn er keine reine Veranstaltung der Exekutive ist. Aus diesem Grund muss der Normenkontrollrat beim Deutschen Bundestag, bei diesem Parlament, angesiedelt werden und auch von ihm besetzt werden. ({3}) Damit könnten wir gleichzeitig dem Bedenken Rechnung tragen, dass ein Gremium der Exekutive auch Gesetzentwürfe aus der Mitte des Parlaments würdigt. Zweitens. Der Normenkontrollrat muss die Möglichkeit haben, neben den Gesetzesvorhaben der Bundesregierung auch Gesetzesvorhaben aus der Mitte des Parlaments und des Bundesrates zu bewerten. Wenn Ihr Entwurf so Gesetz wird, Herr Kollege Meyer, dann sind weite Teile der Gesetzgebung von der vorbeugenden Bürokratiekostenprüfung ausgeschlossen und die Umgehung des Normenkontrollrats durch die jeweiligen Regierungsfraktionen ist vorgezeichnet. ({4}) Dass vor allem die SPD die einhellige Empfehlung der Sachverständigen hierzu in den Wind geschlagen hat, liebe Kollegen, zeigt, dass man entweder Angst vor objektivem Rat hat oder die Sache insgesamt doch nicht so ernst nimmt. Weder das eine noch das andere ist ein gutes Vorzeichen für die Arbeit des Normenkontrollrats. Drittens. Der Begriff der Bürokratiekosten darf nicht auf die Kosten infolge von Informationspflichten beschränkt werden. Wir haben deshalb beantragt, dass alle administrativen und Erfüllungskosten Gegenstand der Stellungnahmen des Normenkontrollrats sein sollen. Nur dann, wenn wir als Gesetzgeber ein umfassendes Bild davon haben, welche Kosten unsere Entscheidungen auslösen, können wir spürbare Erfolge beim Abbau und bei der Vermeidung von Bürokratielasten erzielen. Die Beschränkung auf die Kosten infolge von Informationspflichten hat eine Schwäche; das zeigen auch die Erfahrungen in anderen Ländern. Dort ist zwar viel gemessen und objektiv auch einiges vereinfacht worden, aber die Betroffenen haben davon zu wenig gespürt, weil nämlich die Investitions- und sonstigen Kosten unberücksichtigt geblieben sind. Es ist von den Kollegen der SPD und auch der Linken die Sorge geäußert worden, der Normenkontrollrat könne, wenn seine Aufgabe umfassender sei, zu einem politischen Kampfinstrument gemacht werden. ({5}) Ich glaube nicht, dass das von einem richtigen Verständnis zeugt. Wenn schon jetzt Gremien in ihren Möglichkeiten beschnitten werden sollen - aus Angst vor objektiven Erkenntnissen -, dann werden dadurch nur die Vorurteile bestätigt, die es gegenüber der Politik insgesamt gibt. ({6}) Sie entwerten mit dieser Ängstlichkeit das ganze Projekt, indem Sie dem neuen Rat mit Absicht hier nur eine abgegrenzte Spielwiese zuweisen, das Parlament nicht an der Besetzung beteiligen, sondern diese auf Regierungsebene auskungeln, und jedes Risiko, sich für Bürokratiekosten rechtfertigen zu müssen, vermeiden wollen. Wenn Sie diesen Gesetzentwurf unverändert lassen, handeln Sie so wie in dieser Koalition bisher immer: zu wenig, zu zaghaft, zu ängstlich. Sie reden immer gern von ersten Schritten - wir haben das auch im Ausschuss gehört -; Sie müssen aber aufpassen, dass Sie vor lauter ersten Schritten nicht dauerhaft auf der Stelle treten. Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Im Schneckentempo werden wir die Probleme nicht lösen. Unser Land hat weit mehr Bewegung nötig, wenn wir es mit dem Abbau von Bürokratie wirklich ernst meinen. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bevor wir die Aussprache fortsetzen, komme ich zum Tagesordnungspunkt 3 a zurück und gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung auf Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Operation in der Demokratischen Republik Kongo bekannt: Abgegebene Stimmen 581. Mit Ja haben 440 Kolleginnen und Kollegen gestimmt, mit Nein haben 135 gestimmt, es gab sechs Enthaltungen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 581; davon ja: 440 nein: 135 enthalten: 6 Ja CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({0}) Dr. Christoph Bergner Otto Bernhardt Peter Bleser Antje Blumenthal Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert Wolfgang Börnsen ({1}) Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Michael Brand Helmut Brandt Monika Brüning Georg Brunnhuber Leo Dautzenberg Hubert Deittert Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Georg Fahrenschon Dr. Hans Georg Faust Enak Ferlemann Hartwig Fischer ({2}) Dirk Fischer ({3}) Axel E. Fischer ({4}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Dr. Hans-Peter Friedrich ({5}) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Dr. Michael Fuchs Dr. Jürgen Gehb Norbert Geis Eberhard Gienger Michael Glos Dr. Reinhard Göhner Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg Holger Haibach Gerda Hasselfeldt Michael Hennrich Jürgen Herrmann Bernd Heynemann Ernst Hinsken Robert Hochbaum Klaus Hofbauer Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Susanne Jaffke Dr. Hans-Heinrich Jordan Andreas Jung ({6}) Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({7}) Volker Kauder Jürgen Klimke Julia Klöckner Jens Koeppen Kristina Köhler ({8}) Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Dr. Günter Krings Dr. Martina Krogmann Johann-Henrich Krummacher Dr. Karl A. Lamers ({9}) Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Ingbert Liebing Eduard Lintner Dr. Klaus W. Lippold Patricia Lips Dr. Michael Luther Stephan Mayer ({10}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz Laurenz Meyer ({11}) Maria Michalk Hans Michelbach Philipp Mißfelder Dr. Eva Möllring Marlene Mortler Carsten Müller ({12}) Stefan Müller ({13}) Bernward Müller ({14}) Dr. Gerd Müller Hildegard Müller Bernd Neumann ({15}) Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Eduard Oswald Henning Otte Rita Pawelski Dr. Peter Paziorek Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Daniela Raab Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Peter Rauen Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({16}) Klaus Riegert Franz Romer Johannes Röring Kurt J. Rossmanith Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Albert Rupprecht ({17}) Peter Rzepka Anita Schäfer ({18}) Hermann-Josef Scharf Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Georg Schirmbeck Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({19}) Andreas Schmidt ({20}) Ingo Schmitt ({21}) Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer Kurt Segner Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Gero Storjohann Andreas Storm Thomas Strobl ({22}) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Uwe Vogel Andrea Astrid Voßhoff Gerhard Wächter Marco Wanderwitz Kai Wegner Peter Weiß ({23}) Gerald Weiß ({24}) Karl-Georg Wellmann Anette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Willy Wimmer ({25}) Elisabeth WinkelmeierBecker Matthias Wissmann Dagmar Wöhrl Willi Zylajew Vizepräsidentin Petra Pau SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Ernst Bahr ({26}) Doris Barnett Dr. Hans- Peter Bartels Klaus Barthel Sören Bartol Sabine Bätzing Dirk Becker Uwe Beckmeyer Dr. Axel Berg Petra Bierwirth Lothar Binding ({27}) Kurt Bodewig Clemens Bollen Gerd Bollmann Dr. Gerhard Botz Willi Brase Bernhard Brinkmann ({28}) Edelgard Bulmahn Marco Bülow Ulla Burchardt Martin Burkert Dr. Michael Bürsch Christian Carstensen Marion Caspers-Merk Dr. Herta Däubler-Gmelin Karl Diller Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Garrelt Duin Detlef Dzembritzki Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Hans Eichel Karin Evers-Meyer Annette Faße Elke Ferner Gabriele Fograscher Rainer Fornahl Dagmar Freitag Peter Friedrich Sigmar Gabriel Martin Gerster Iris Gleicke Renate Gradistanac Angelika Graf ({29}) Dieter Grasedieck Kerstin Griese Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Alfred Hartenbach Michael Hartmann ({30}) Nina Hauer Hubertus Heil Reinhold Hemker Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Gerd Höfer Iris Hoffmann ({31}) Frank Hofmann ({32}) Eike Hovermann Klaas Hübner Christel Humme Lothar Ibrügger Brunhilde Irber Johannes Jung ({33}) Josip Juratovic Johannes Kahrs Ulrich Kasparick Ulrich Kelber Christian Kleiminger Hans-Ulrich Klose Astrid Klug Dr. Bärbel Kofler Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Rolf Kramer Nicolette Kressl Volker Kröning Dr. Hans-Ulrich Krüger Jürgen Kucharczyk Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Dr. Uwe Küster Christine Lambrecht Christian Lange ({34}) Dr. Karl Lauterbach Waltraud Lehn Helga Lopez Gabriele Lösekrug-Möller Lothar Mark Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Markus Meckel Petra Merkel ({35}) Ulrike Merten Dr. Matthias Miersch Ursula Mogg Detlef Müller ({36}) Michael Müller ({37}) Gesine Multhaupt Dr. Rolf Mützenich Thomas Oppermann Holger Ortel Heinz Paula Joachim Poß Christoph Pries Dr. Wilhelm Priesmeier Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Steffen Reiche ({38}) Christel RiemannHanewinckel Walter Riester Sönke Rix Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({39}) Michael Roth ({40}) Ortwin Runde Axel Schäfer ({41}) Bernd Scheelen Dr. Hermann Scheer Marianne Schieder Otto Schily Silvia Schmidt ({42}) Dr. Frank Schmidt Heinz Schmitt ({43}) Carsten Schneider ({44}) Olaf Scholz Ottmar Schreiner Reinhard Schultz ({45}) Swen Schulz ({46}) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Rita Schwarzelühr-Sutter Wolfgang Spanier Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Ludwig Stiegler Christoph Strässer Joachim Stünker Dr. Rainer Tabillion Jörg Tauss Jella Teuchner Franz Thönnes Hans-Jürgen Uhl Rüdiger Veit Jörg Vogelsänger Dr. Marlies Volkmer Hedi Wegener Andreas Weigel Petra Weis Gunter Weißgerber ({47}) Lydia Westrich Dr. Margrit Wetzel Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Engelbert Wistuba Heidi Wright Manfred Zöllmer FDP Marina Schuster BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Marieluise Beck ({48}) Volker Beck ({49}) Cornelia Behm Birgitt Bender Grietje Bettin Dr. Thea Dückert Dr. Ursula Eid Joseph Fischer ({50}) Kai Gehring Anja Hajduk Britta Haßelmann Priska Hinz ({51}) Ulrike Höfken Bärbel Höhn Thilo Hoppe Ute Koczy Renate Künast Undine Kurth ({52}) Markus Kurth Dr. Reinhard Loske Anna Lührmann Jerzy Montag Kerstin Müller ({53}) Brigitte Pothmer Claudia Roth ({54}) Elisabeth Scharfenberg Silke Stokar von Neuforn Jürgen Trittin Wolfgang Wieland Margareta Wolf ({55}) Nein CDU/CSU Anke Eymer ({56}) Herbert Frankenhauser Norbert Königshofen Henry Nitzsche Norbert Schindler Ingo Wellenreuther SPD Gregor Amann Dr. Peter Danckert Wolfgang Gunkel Petra Heß Petra Hinz ({57}) Ernst Kranz Dirk Manzewski Marko Mühlstein Maik Reichel Dr. Carola Reimann Rene Röspel Dr. Margrit Spielmann Waltraud Wolff ({58}) Vizepräsidentin Petra Pau FDP Jens Ackermann Daniel Bahr ({59}) Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Patrick Döring Mechthild Dyckmans Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Paul K. Friedhoff Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Miriam Gruß Joachim Günther ({60}) Dr. Christel Happach-Kasan Elke Hoff Dr. Werner Hoyer Michael Kauch Hellmut Königshaus Jürgen Koppelin Heinz Lanfermann Harald Leibrecht Michael Link ({61}) Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Jan Mücke Burkhardt Müller-Sönksen Hans-Joachim Otto ({62}) Detlef Parr Cornelia Pieper Gisela Piltz Frank Schäffler Dr. Konrad Schily Dr. Max Stadler Carl-Ludwig Thiele Florian Toncar Christoph Waitz Dr. Claudia Winterstein Hartfrid Wolff ({63}) DIE LINKE Hüseyin-Kenan Aydin Karin Binder Dr. Lothar Bisky Heidrun Bluhm Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Roland Claus Sevim Dagdelen Dr. Diether Dehm Werner Dreibus Klaus Ernst Diana Golze Dr. Gregor Gysi Heike Hänsel Lutz Heilmann Hans-Kurt Hill Cornelia Hirsch Dr. Barbara Höll Ulla Jelpke Dr. Hakki Keskin Jan Korte Katrin Kunert Michael Leutert Dr. Gesine Lötzsch Dorothee Menzner Kersten Naumann Dr. Norman Paech Bodo Ramelow Elke Reinke Paul Schäfer ({64}) ({65}) Dr. Herbert Schui Dr. Ilja Seifert Dr. Petra Sitte Dr. Kirsten Tackmann Jörn Wunderlich BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Alexander Bonde Hans-Josef Fell Winfried Hermann Dr. Anton Hofreiter Sylvia Kotting-Uhl Monika Lazar Irmingard Schewe-Gerigk Dr. Gerhard Schick Josef Philip Winkler fraktionslos Enthalten CDU/CSU Veronika Bellmann Dr. Peter Jahr FDP Ina Lenke Sabine LeutheusserSchnarrenberger BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Christine Scheel Wir fahren nun in der Debatte fort. Das Wort hat der Kollege Dr. Rainer Wend für die SPD-Fraktion. ({66})

Dr. Rainer Wend (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003258, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn ich mich nur an die letzte Legislaturperiode erinnere, haben wir an dieser Stelle schon häufig über das Thema Bürokratieabbau gesprochen. Ich will nicht behaupten, dass wir bei diesem Thema nie Fortschritte erzielt hätten. Wir dürfen uns aber nichts vormachen: In der Sache sind wir bisher nicht große Schritte vorangekommen. Kann das heute anders werden? Wir wissen es nicht. Zwei Dinge sprechen allerdings dafür: Zum einen wählen wir heute einen neuen Ansatz der Bürokratiebekämpfung. Wir nehmen uns nicht einzelne Maßnahmen vor, um Veränderungen herbeizuführen, sondern messen mit dem neuen systematischen Ansatz Bürokratiekosten nach einem Standardkostenmodell, um die Kosten anschließend reduzieren zu können. Das soll von einem unabhängigen Normenkontrollrat überprüft werden. Ich glaube, dass dieser Ansatz sinnvoll ist. Er wurde - das ist der zweite Grund, der für einen Erfolg spricht bereits in den Niederlanden und anderen Ländern erfolgreich angewandt. Er vermeidet etwas, was der Kollege Meyer zu Recht angesprochen hat, nämlich dass über ein Trojanisches Pferd namens Bürokratieabbau in Wirklichkeit materielle Gesetzesänderungen durchgesetzt werden; denn nach unserem Gesetzentwurf sollen über das Standardkostenmodell ausschließlich Informationspflichten überprüft werden. Weil wir einen neuen systematischen Ansatz wählen, der international erfolgreich war, glaube ich, dass wir heute beim Thema Bürokratieabbau eine neue Seite im Buch aufschlagen können und Erfolge erzielen werden. Die Kollegen, die bisher gesprochen haben, Herr Meyer und Herr Zeil, haben angedeutet - Herr Berninger wird das gleich sicherlich auch für die Grünen tun -, dass sie heute gerne noch einen Schritt weitergekommen wären: Sie wollen auch Gesetzentwürfe aus der Mitte des Hauses einer Prüfung durch den Normenkontrollrat zugänglich machen. Ich möchte Ihnen ein Argument und zwei Befürchtungen nennen, um zu begründen, warum die Sozialdemokratie das heute so nicht mittragen wird. Zunächst das - ich gebe es zu - demokratietheoretische, aber, wie ich finde, beachtenswerte Argument: Der Normenkontrollrat wird zwar durch Gesetz eingesetzt; über seine personelle Zusammensetzung entscheidet jedoch die Exekutive. Das würde bei der von einigen angedachten Prüfung der Gesetzentwürfe dazu führen, dass ein von der Exekutive besetztes Gremium die Legislative, wenn auch begrenzt auf Informationspflichten, in ihrer Arbeit im Vorfeld ein Stück weit kontrolliert. Man kann das in Ordnung finden, weil wir wollen, dass nicht nur Gesetzentwürfe der Exekutive, sondern auch der Legislative überprüft werden können. Das ändert aber nichts an der Richtigkeit des demokratietheoretischen Arguments, dass die Legislative vorsichtig sein muss, wenn sie von einer Institution, die durch die Exekutive bestellt wird, überprüft werden soll. Dieses sachliche Argument bitte ich ernst zu nehmen. Zu den zwei Befürchtungen. Die eine Befürchtung ist, dass wir immer mehr zu einer Expertokratie werden, das heißt, dass weniger das Parlament die Entscheidungen trifft, weil diese in Sachverständigengremien verlagert werden und die Sachverständigen es mit ihren geäußerten Auffassungen und Positionen der Legislative nicht immer leicht machen, da sie, auch im Zusammenhang mit Medienarbeit, Druck erzeugen. Ich glaube, dass das für diesen Normenkontrollrat nicht zutreffen muss, weil er keine allgemeine politische Kontrolle vornimmt, sondern sich - ich betone es noch einmal - auf die Überprüfung der mit Informationspflichten einhergehenden Kosten beschränkt. Die zweite Befürchtung ist schwerwiegender. Es wird nämlich befürchtet, dass Bürokratieabbau - gleichsam einem Trojanischen Pferd - nur vorgeschoben wird, aber der Inhalt von Gesetzen geprüft werden soll. Diese Befürchtung lässt sich aber aus dem Gesetz nicht ableiten. In § 2 Abs. 1 unseres Gesetzentwurfs heißt es nämlich: Bürokratiekosten - diese sollen reduziert werden im Sinne dieses Gesetzes sind solche, die natürlichen oder juristischen Personen durch Informationspflichten entstehen. … Andere … entstehende Kosten sind nicht umfasst. Im Gesetzentwurf findet sich also kein Grund für diese Befürchtung. Aufgrund der politischen Debatte ist diese Befürchtung aber sehr wohl berechtigt. Ich erinnere an unsere Anhörung, auf der ein Vertreter einer Mittelstandsvereinigung erklärt hat, dass beispielsweise das Antidiskriminierungsgesetz vom Tisch wäre, wenn wir erst einen Normenkontrollrat hätten. Nun kann man über dieses Gesetz bekanntlich diskutieren, aber an geeigneter Stelle. Wenn schon Sachverständige, die nicht wissen, was in diesem Gesetz steht und was dessen Grundlage ist, die politische Debatte nutzen, um ihnen offensichtlich nicht gefallende Gesetzentwürfe über den Umweg Bürokratieabbau zu verhindern, dann muss man die von mir angesprochene Befürchtung verstehen. Das sind die Argumente, die die SPD bewegt haben, an dieser Stelle heute noch nicht weiter zu gehen. Ich sage aber auch: Dieser Normenkontrollrat hat eine großartige Chance. Er kann uns einerseits beweisen, dass er kein Gremium von Klugscheißern ist, sondern ein Gremium, das hart arbeitet, um uns zu helfen, Bürokratiekosten zu reduzieren. Er kann andererseits und vor allen Dingen im Rahmen seiner praktischen Arbeit zeigen, dass alle Befürchtungen, er könne als politisches Instrument missbraucht werden, unberechtigt sind. Daher verstehe ich das Gesetz, das wir heute verabschieden, als den Beginn eines offenen Prozesses. Wir wollen einen unabhängigen Normenkontrollrat, der Bürokratiekostenmessungen macht mit dem Ziel, diese Kosten zu reduzieren. Wir gehen heute einen ersten ganz wichtigen Schritt in die richtige Richtung. Wir werden auswerten, wie der Normenkontrollrat arbeitet. Ich bin optimistisch, dass er eine ganz hervorragende Arbeit leisten wird. Wir werden zu prüfen haben, wie sich dieser offene Prozess, den wir heute in Gang setzen, entwickelt. Ich bin froh, dass wir heute zu einer solchen Entscheidung kommen. Ich glaube, wir sind auf dem richtigen Weg. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Sabine Zimmermann für die Fraktion Die Linke. ({0})

Sabine Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003869, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich den Kollegen Wend korrigieren: Der Normenkontrollrat soll keine Messungen durchführen; das sollen die Ministerien selber machen. Im Koalitionsvertrag haben die beiden Regierungsparteien eine Entlastung der Bürger und der Wirtschaft von Bürokratiekosten angekündigt. Dies ist ein gutes Vorhaben, solange mit Bürokratieabbau nicht ein Abbau von sozialen Rechten und ökologischen Standards gemeint ist. Hier beginnt eigentlich das Problem. Zunächst einmal muss man feststellen, dass der Bürger bei Ihren Plänen überhaupt nicht mehr vorkommt. Im Gegenteil: Mit der Verschärfung von Hartz IV werden die Arbeitslosen drangsaliert, in Armut gestürzt und die Menschenwürde wird einfach mit Füßen getreten. ({0}) Bis zu 45 Minuten braucht ein erfahrener Sachbearbeiter, um komplizierte Anträge zu bearbeiten. Wofür? Dafür, dass 90 Prozent der Anträge abgelehnt werden, um den Menschen ein menschenwürdiges Leben vorzuenthalten. Unter dieser Bürokratie leiden die Arbeitslosen und die Sachbearbeiter der Arbeitsagenturen und der Arbeitsgemeinschaften. Die Koalition - das wird deutlich - vertritt eine einseitige Ansicht von Bürokratieabbau. Aber wen wundert das? Der Vorkämpfer der Union für Bürokratieabbau, Herr Norbert Röttgen, wird künftig als Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie seinen Dienst antreten. Ich muss sagen: Wir werden doch keine Freunde mehr, Herr Röttgen. ({1}) - Hören Sie mir bitte zu! - In dieser Funktion und als Abgeordneter können Sie dafür sorgen, dass Bürokratieabbau im richtigen Interesse betrieben wird, nämlich im Interesse der Wirtschaft und nicht der Menschen in diesem Land. ({2}) Nun zu Ihrem Gesetzesvorschlag, den Sie heute verabschieden wollen. Sie meinen, wir haben in Deutschland zu viel Bürokratie, die die Wirtschaft fesselt. Ein wenig wundert mich das schon. Gerade die Union und die SPD tragen doch die Verantwortung für den derzeitigen Wulst an Bürokratie; denn sie waren in den letzten zehn Jahren an der Regierung. Nun wollen Sie einen so genannten Normenkontrollrat einrichten. Dessen Aufgabe soll es sein, die Kosten zu bewerten, die den Unternehmen durch staatliche Informationspflichten entstehen. Er soll Vorschläge machen, wie sie reduziert werden können. Die Regierung verweist mit ihrem geplanten Vorhaben auf die Erfahrungen in den Niederlanden. Danach ist dort der Bürokratieabbau äußerst erfolgreich. Deshalb will sie dieses Modell in Deutschland umsetzen. Einige Abgeordnete durften deswegen in der letzten Woche - Herr Wend hat es schon erwähnt - in die Niederlande reisen. Ich war dabei und muss sagen: Es läuft dort keineswegs so toll und erfolgreich, wie uns die Bundesregierung glauben machen will. Meine Kollegin Frau Berg von der SPD hat gestern im Ausschuss beklagt, dass die Unternehmen dort den Bürokratieabbau nicht honorieren, sondern mehr fordern. Dazu kommen kritische Stimmen, die beklagen, dass dem Bürokratieabbau der Umweltschutz oder sogar Frauenrechte zum Opfer gefallen sind. Nimmt man dies alles auf, dann muss man, vorsichtig gesagt, zu einer skeptischen Einschätzung des niederländischen Modells kommen. Union und SPD haben versucht, die Debatte um die Einrichtung eines Normenkontrollrates und die Frage des Bürokratieabbaus zu entpolitisieren, frei nach dem Motto: Es geht nur darum, einige überflüssige Vorschriften zu streichen. Erst auf Druck der Opposition hat dann eine Anhörung stattgefunden. ({3}) Dort hat unter anderem der Deutsche Gewerkschaftsbund die Sorge geäußert, dass hier möglicherweise Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, beispielsweise beim Arbeitsschutz und beim Datenschutz, abgebaut werden können. Einige Wirtschaftsvertreter haben das erschreckend deutlich bestätigt, als sie das Antidiskriminierungsgesetz oder das Betriebsverfassungsgesetz - Herr Wend, Sie waren dabei - als ein Projekt für den Bürokratieabbau benannten. Interessant ist, dass dieses Problem auch in der SPD wahrgenommen wird. Herr Wend, Sie räumen ehrlich ein, dass solche Äußerungen das Misstrauen nähren, dass es im Hinblick auf den Normenkontrollrat nicht nur darum geht, Informations- und Dokumentationspflichten zu nennen, sondern auch darum, mit politischer Absicht Gesetze zu verhindern. In den letzten Jahren ergriffen einige Bundesländer verschiedene Initiativen zum Bürokratieabbau. Stets hieß es: Soziale Rechte, Umweltschutzvorschriften und die Bürgerbeteiligung fallen dem Bürokratieabbau nicht zum Opfer. Oftmals stiegen jedoch Umweltverbände und Gewerkschaften aus diesen Vorhaben aus, weil genau das passierte. Kollege Wend meint, dass dies mit dem Gesetzentwurf nicht beabsichtigt ist. ({4}) Er weiß aber, dass diese Begehrlichkeiten existieren. Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie denn daraus? Dieses Problem hätte sich im Gesetzentwurf zumindest widerspiegeln müssen. Aber es war davon leider nichts zu lesen. ({5}) Auch nach einer Antwort auf die Frage, warum Verbraucherverbände, Gewerkschaften und Sozialverbände nicht einbezogen werden sollen, sucht man vergeblich. Die Linke hat grundsätzliche Zweifel an dem geplanten Bürokratieabbau. Wenn davon gesprochen wird, ist meist Deregulierung gemeint. Wir sind dafür, die Verwaltung effektiver zu organisieren. Auch die Erfüllung von Informationspflichten kann sicherlich effektiver gestaltet werden. Aber das darf eben nicht bedeuten, gesellschaftlich notwendige Regelungen abzubauen. Wir schlagen deshalb vor, statt eines Normenkontrollrates eine interministerielle Arbeitsgruppe für eine rationelle Verwaltung einzurichten. Diese soll die Informationsgewinnung effektiver machen, aber keinen einseitigen Abbau vorschlagen. Zum Schluss muss ich feststellen, dass Sie alle beim Bürokratieabbau das Lied des Neoliberalismus singen. ({6}) Wir werden unsere Partner am kommenden Samstag in Berlin außerhalb des Parlaments treffen, wenn Arbeitslose, Gewerkschafter und viele andere gegen die asoziale Reformpolitik der großen Koalition auf die Straße gehen werden. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und lade Sie herzlich ein, am Sonnabend dabei zu sein. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Matthias Berninger hat für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen das Wort.

Matthias Berninger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002627, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Zimmermann, so einfach kann man es sich nicht machen. ({0}) Wenn ein Handwerker zu einer Bank geht - wo auch immer in Deutschland - und sich Geld leihen möchte, weil er vielleicht investieren will, möglicherweise sogar Arbeitsplätze sichern oder schaffen will, infolge von Gesetzen und Verordnungen durch seine Bank mit einem Wust von entsprechenden Informationspflichten belastet wird, weil man an einer anderen Stelle gedacht hat, eine vernünftige Finanzaufsicht brauche diese Informationen, und dann möglicherweise den Kredit nicht bekommt, ist den vielen Arbeitslosen in Deutschland überhaupt nicht gedient. Das ist Bürokratie, die Arbeitsplätze abbaut bzw. deren Schaffung verhindert. ({1}) Das hat nichts mit Neoliberalismus, sondern sehr viel mit gesundem Menschenverstand zu tun. Dem sozialen, ökologischen Anliegen oder dem Gender Mainstreaming wird man auch nicht dadurch gerecht, dass man jedes Gesetz, weil es eben ein Gesetz für einen bestimmten Bereich ist, pauschal für gut hält. Gerade die Bereiche, die uns wichtig sind, wie Bürgerrechte, Datenschutz, Umweltschutz und soziale Standards, werden nur dann dauerhaft Bestand haben, wenn sie in modernen Gesetzen abgesichert sind. Von daher halte ich es für falsch, dass die Opposition versucht, den Bürokratieabbau in einer pauschalen Art und Weise zu diffamieren, wie Sie das nicht nur heute versuchen. Ich glaube, dass Bürokratieabbau dringend Not tut. Ich glaube auch, dass sowohl der Regierung als auch der Opposition in diesem Haus klar ist, dass die Bundesrepublik Deutschland mit den bisherigen Instrumenten nicht die notwendigen Fortschritte gemacht hat. ({2}) Insofern ist es nur richtig, dass wir uns in den Ländern der Europäischen Union umschauen. Es ist auch folgerichtig, dass wir dabei in den Niederlanden angekommen sind. Diese haben zwei Dinge gemacht: Sie haben erstens etwas Neues gemacht und zweitens - auch das ist deutlich geworden - damit durchaus Erfolge gehabt. ({3}) Jetzt wird gesagt: Die Unternehmen aber sind vom Stamme Nimm und hätten gern immer noch mehr. Wir machen den Bürokratieabbau aber nicht, damit uns Unternehmer oder Unternehmensinteressenverbände zufrieden loben. Wenn irgendjemand in diesem Hause seine Politik darauf ausrichten würde, dass die Unternehmer am Ende des Tages zufrieden sind und nicht noch mehr fordern, könnte er nach Hause gehen. Wir würden nie glücklich und zufrieden werden. In der Sache sind die Kosten für Bürokratie in den Niederlanden reduziert worden, und zwar durch drei Elemente: Erstens. Man versucht, die Kosten für Bürokratie zu ermitteln, vergleichbar zu machen, um im Gesetzgebungsverfahren sagen zu können: Dieses Gesetz führt auf der einen Seite zu folgenden Informationen und verursacht auf der anderen Seite folgende Kosten. - Ich denke, es ist notwendig, den Bürokratieabbau auf diese Ebene zu bringen und - vergleichbar mit der Haushaltspolitik - für eine Kostenreduzierung Sorge zu tragen. Zweitens. Ein weiteres Element des niederländischen Vorgehens ist Konsens. Konsens bedeutet, dass das niederländische Parlament das Vorgehen mit großer Mehrheit unterstützt hat. Unsere letzte politische Debatte ging ja auch in diese Richtung. Es gab Redner - ich zitiere sie mit Rücksicht auf die Kollegen nicht; der Kollege Röttgen ist heute schon ausreichend bedacht worden -, die angeboten haben, Änderungsvorschläge der Opposition aufzunehmen. Die Änderungsvorschläge, die im Wesentlichen von der FDP und dem Bündnis 90/Die Grünen stammen, decken sich mit den Vorschlägen, die in der Anhörung unterbreitet wurden, decken sich mit dem, was die Wirtschaftsexperten der Unionsfraktion fordern, und mit dem, was die Wirtschaftsexperten der SPD-Fraktion fordern. Dummerweise decken sie sich nicht mit dem, was der Fraktionsvorsitzende Struck darüber denkt, und zwar aus zwei Gründen: Der eine Grund ist die Angst, dass der Normenkontrollrat übermächtig wird. Meine Güte! Die große Koalition hat eine breite Mehrheit und angeblich ein breites Kreuz. Ihre Nerven müssen ja sehr blank liegen, wenn man eine solche Angst vor einem solchen Gremium hat. Wenn ein Wirtschaftssachverständiger, der - wie er das immer macht - das Antidiskriminierungsgesetz, das inzwischen auch die Union für sinnvoll hält, für falsch hält, da seine alten Thesen vertritt, muss man sich nicht ängstlich verstecken. Der zweite Grund ist, dass man in der SPD mit dem Bürokratieabbau nicht ganz so ernst macht, wie manche das hier gesagt haben. Das größte Problem des Bürokratieabbaus und der Strategie der Bundesregierung ist, dass die beteiligten Ressorts nicht unbedingt gemeinsam und in dieselbe Richtung arbeiten. Ich habe die Ressortegoismen selber erlebt. Ich habe diesen Krieg um die Gartenzwerge in den Vorgärten selber mitgemacht. Ich glaube, wir müssen da herauskommen. Es bedarf eines Mentalitätswechsels, wenn wir die Bürokratie erfolgreich abbauen wollen. Das funktioniert nur dann, wenn man mit Mut und Entschlossenheit und nicht mit Hasenfüßigkeit herangeht. Herr Struck hat sich für etwas anderes entschieden. Das ist ein schlechtes Omen für die weitere Arbeit des Normenkontrollrats. Was hat er abgelehnt? Er hat erstens abgelehnt, dass auch Vorschläge aus dem Parlament in die Arbeit einbezogen werden. Dieses Parlament ist der Gesetzgeber und nicht der Gesetzentgegennehmer. Ich finde, es steht diesem Parlament sehr gut an, dass auch seine Vorschläge einer solchen Prüfung unterzogen werden. ({4}) Nur dann ergibt es wirklich einen Sinn. Das ist aber nicht gewollt worden. Das ist nicht nur eine demokratietheoretische Frage, sondern auch eine demokratiepraktische Frage. Natürlich hätte man, indem man das Parlament an der Auswahl der Sachverständigen im Normenkontrollrat beteiligt, auch das Problem lösen können, dass jemand anderer sozusagen die Schiedsrichter über uns bestimmt. Das wäre überhaupt kein Problem gewesen, wenn man es gewollt hätte. Das Zweite, was abgelehnt wurde, ist die Ausweitung des Tätigkeitsbereichs. Der Kollege Wend hat die Enge des Gartens, in dem der Normenkontrollrat grasen darf, angesprochen. Das ist gemessen an der gesamten Wiese Bürokratie schon viel. Davon kann man als Kuh gut satt werden. Ich habe Expertisen, was Kühe angeht. Das Grundproblem aber ist: Wenn der Normenkontrollrat getreu dem chinesischen Sprichwort, dass jede lange Reise mit einem ersten Schritt beginnt, in diesem Bereich erfolgreich ist, dann müsste anschließend dieses Parlament ein Gesetzgebungsverfahren starten, damit der Normenkontrollrat mehr machen kann. Das halte ich für aberwitzig und irrsinnig. ({5}) Ein selbstbewusstes Parlament hätte gesagt: Der Normenkontrollrat soll damit anfangen und wenn er noch weitere Punkte findet, bei denen Bürokratiekosten zu reduzieren sind, dann soll er auch links und rechts neben dem Zaun grasen dürfen. - Das hat die SPD verhindert. Das bedauern wir als Grüne sehr, weil wir glauben, dass am Ende des Tages hier eine Chance vertan worden sein wird. ({6}) Ich will noch einen dritten Punkt nennen. Die Niederländer haben dem Normenkontrollrat ein parlamentarisches Gremium zur Seite gestellt. Wir haben in der Haushaltspolitik den Haushaltsausschuss. Die Kollegen können gerade nicht hier sein, weil sie in einer Bereinigungssitzung darüber brüten, ob all die Vorschläge der verschiedenen Experten finanzierbar sind. Das ist ein schwieriger Job. Haushälter sind nicht sehr beliebt, vor allem dann nicht, wenn sie Geld streichen müssen. Die Erfahrung lehrt aber, dass es eines Gremiums bedarf, das das Gesamtinteresse im Auge hat und nicht die jeweiligen Fachgebiete isoliert betrachtet. So verhält es sich auch mit dem Bürokratieabbau. Dieses Parlament braucht - das ist unsere feste Überzeugung - einen eigenen Ausschuss für Bürokratieabbau, damit nicht das passiert, was diese Woche passiert ist. Am Montag hatten wir eine Anhörung zum Thema Bürokratieabbau. Am Dienstag gab es eine Anhörung im Finanzausschuss, an deren Ende was stand? Die Vorschriften für Banken, die Informationspflichten für kleine Unternehmen, die Kredite haben wollen, enthalten und diese belasten, sind von 80 Seiten auf 150 Seiten angewachsen, weil das Bundesfinanzministerium das eine macht und andere Ministerien das andere machen. So verhindern wir nicht nur Bürokratieabbau, sondern machen wir uns auch unglaubwürdig. So belasten wir die Unternehmen und am Ende die Menschen mit Kosten, die vermeidbar wären, wenn die eine Hand wüsste, was die andere macht. Dazu kann dieses Parlament mehr beitragen als mit der heutigen Entscheidung zu einem, wie ich finde, unzureichenden Normenkontrollrat. Ich danke Ihnen. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Bundesregierung erhält der Parlamentarische Staatssekretär Hartmut Schauerte das Wort.

Hartmut Schauerte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002770

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Deutschland muss besser sein, wo es teurer als andere ist, und es muss schneller sein. Nichts kann so effizient, ohne dass Haushaltsmittel erforderlich sind, bei der Verfolgung dieses Programms eingesetzt werden wie wirkungsvoller Bürokratieabbau. Bürokratie ist teuer und verlangsamt und genau diese beiden Elemente wollen wir bekämpfen. Wir tun mit der Einrichtung dieses Normenkontrollrats und mit dem ersten Mittelstandsentlastungsgesetz - es wird ein zweites Mittelstandsentlastungsgesetz kommen - das, was wir im Koalitionsvertrag festgeschrieben haben, konsequenter als jemals zuvor, höherrangiger als jemals zuvor und gründlicher als jemals zuvor. Wir gehen systematisch vor, wie wir es noch nie getan haben. Eigentlich müssen wir uns als Parlament und Regierung fragen, warum wir das eigentlich nicht schon immer gemacht haben. Wir tun etwas, was absolut normal und notwendig ist. Deswegen kann ich überhaupt nicht verstehen, wenn bei einem solchen normalen Vorgehen gegen eine Geißel, die unsere ganze Gesellschaft lähmt, die überbordende Bürokratie, sofort Bedenken geäußert werden. Eigentlich kann man das doch nur positiv annehmen und sagen: Nun lasst uns vorangehen und es probieren! Man kann doch nicht gleich wieder sagen: Ihr wollt über die Hintertür alle Inhalte verändern. Ich habe, auch im Namen der Bundesregierung, immer wieder erklärt: Wir wissen sehr wohl, dass wir nur dann glaubwürdig und effektiv sind, wenn wir nicht durch die Hintertür, unter dem Deckmantel des Bürokratieabbaus, Inhalte verändern wollen, die in die politische Debatte und nicht in die Bürokratiedebatte gehören. Das ist nicht unser Thema. ({0}) Wenn wir uns darüber verständigt haben, brauchen wir auch keine Angst vor einer Expertokratie zu haben; Herr Wend, Sie haben das Argument erwähnt. Es gehört zu den vornehmen Rechten und Pflichten des Gesetzgebers, alles Fachwissen zusammenzutragen, um eine vernünftige Entscheidung treffen zu können. Dazu gehört auch das Fachwissen darüber, wie wir bei neuen und bestehenden Gesetzen unnötige Bürokratie vermeiden. Es ist doch völlig normal, dass man sich diesem Prozess unterwirft. Wenn wir das jetzt beschlossen haben, werden wir einen Standard bekommen - das werden wir erleben -, den wir in der Gesetzgebungsarbeit gar nicht mehr wegdenken können. Es ist das gute Recht einer jeden Fraktion, die Regierung zu bitten, ihr mitzuteilen, welcher Bürokratieaufwand mit einer Gesetzesinitiative verbunden ist. Die Regierung müsste antworten. Wenn sie einen Normenkontrollrat hat, wird sie sich bemühen, das Fachwissen des Normenkontrollrats bei der Beantwortung dieser Frage heranzuziehen. Stellen Sie sich doch den Wettbewerb der Fraktionen vor! Eine Fraktion sagt: Ich habe da einen Gesetzentwurf, möchte ihn aber nicht auf den Bürokratieaufwand hin überprüfen lassen. - Diese Fraktion ist durch diese Vorgehensweise doch öffentlich gebrandmarkt, weil die Menschen wollen, dass wir möglichst jeden Weg nutzen, um das, was wir politisch wollen, mit so wenig Bürokratie umzusetzen, wie es eben geht. Wir haben keine Angst vor Fachleuten. Es wird Entscheidungen geben, bei denen uns der Normenkontrollrat sagt: Das ist zu viel Bürokratie. Wir werden möglicherweise sagen, dass wir es aus anderen, politischen Gründen dennoch machen. Was erreicht werden muss, ist Transparenz. Wir müssen endlich wissen, wie viel Bürokratieaufwand mit den Gesetzen, die wir beschließen, verbunden ist. Diesen Aspekt haben wir in der Vergangenheit alle miteinander sträflich vernachlässigt. Unter unseren Gesetzentwürfen stand: Kosten: Keine. Bürokratie: Keine. - Keiner hat wirklich hingeschaut. Insofern machen wir uns die Gesetzgebungsarbeit bewusst schwerer. Das ist nur vernünftig. ({1}) Ich warne davor, zu sagen: Die fangen gleich wieder mit ein paar Bürokraten an, die das zu steuern und zu verwalten haben. Es bleibt dabei: Gegen Bürokraten helfen am Ende nur Bürokraten, so wie man gegen Soldaten schließlich hin und wieder auch Soldaten einsetzen muss. Es geht nicht anders. Wir wollen die Bürokratie schon bei uns bekämpfen. Wir wollen vermeiden, dass sie überhaupt beim Bürger ankommt und dann in einem mühsamen Prozess wieder auf die Politikebene zurückgespült wird. Wir wollen sie im Entstehungsprozess bekämpfen. Das macht Gesetzgebungsarbeit schwerer und an der einen oder anderen Stelle sogar etwas bürokratischer. Ich denke aber, eine Verlangsamung und eine Erhöhung der Gründlichkeit unserer Gesetzgebungsarbeit mit Blick auf die Frage der Bürokratie sind vernünftig und geboten. Das ist besser, als wenn wir die Bürokratie beim Bürger ankommen lassen, weil wir Gesetzesvorhaben nicht entsprechend geprüft haben. ({2}) Das ist die Vorgehensweise. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir mit diesem Gesetz in die Gänge kommen, dass das jetzt schnell passiert, dass es eine große Akzeptanz erfahren wird und wir alle miteinander erleben werden, wie nützlich es für die Gesetzgebungsarbeit ist. Wenn dieser erste Test bestanden ist, sehe ich keinen Grund, warum wir es nicht ausweiten sollten. Immer sofort alles machen zu wollen, ist möglicherweise nicht klug. Lasst uns jetzt diese Schneise schlagen, die ersten Schritte des Weges gehen! Ich bin sicher, dass wir ganz schnell sehr erfolgreich an dem Thema arbeiten können. Das wird eine Daueraufgabe bleiben. Es wird immer wieder Unzufriedenheiten geben. Es wird nie den Zustand der Seligkeit geben. Wenn wir aber die Nulllinie bestimmt haben, wenn wir ein geschnürtes Paket auf den Tisch legen und sagen: „Davon wollen wir 20 oder 25 Prozent abbauen!“, dann haben wir uns den Erfolg ins Stammbuch geschrieben und haben uns sozusagen die Rute vor den Hintern gebunden. Dann müssen wir bei dem Thema erfolgreich sein. Das wollen wir. Es lohnt sich. Lieber Michael Fuchs, wir werden sorgfältig darauf achten. Wenn es zu wenig wird, legen wir nach. Wir lassen uns vom Parlament gerne daran erinnern, dass man ein bisschen mutiger vorgehen kann. Herzlichen Dank. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion erhält die Kollegin Birgit Homburger das Wort. ({0})

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bürokratie ist die Pest des modernen Staates und sie muss konsequent bekämpft werden. Die Bürokratiekosten in Deutschland haben 46 Milliarden Euro erreicht. Tatsächlich bedeutet das eine ganz massive Belastung der kleinen und mittleren Betriebe, des Mittelstandes, der Betriebe, die insbesondere die Arbeits- und Ausbildungsplätze in diesem Land schaffen. Denn das Institut für Mittelstandsforschung hat errechnet, dass für ein Unternehmen, das diesen Bürokratiewust bewältigen muss, pro Arbeitsplatz in einem Großbetrieb 350 Euro und in einem Kleinbetrieb 4 500 Euro pro Jahr an Belastung anfallen. Das ist eine Ungleichbehandlung der kleinen und mittleren Betriebe, die nicht länger hingenommen werden kann. ({0}) Deshalb ist der Bürokratieabbau gerade für Handwerk, Mittelstand und freie Berufe zu einer Überlebensfrage geworden. Die FDP hat deshalb schon lange einen Bürokratiekosten-TÜV in diesem Hause gefordert. Das ist allerdings nur ein erster Schritt. Heute diskutieren wir über einen Gesetzentwurf zur Einsetzung eines Normenkontrollrats. Ich finde es außerordentlich bedauerlich, dass dies wieder nur halbherzig angegangen wird. Herr Kollege Schauerte, die Rede, die Sie hier gehalten haben, lässt wirklich nichts Gutes ahnen. Sie haben über die Besetzung des Normenkontrollrats gesprochen und erklärt, Bürokratie könne man nur mit Bürokraten begegnen. Das ist das Prinzip: Wir trocknen den Sumpf mit den Fröschen aus, die drin sitzen. Das funktioniert doch nicht. ({1}) Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, dass wir bei der Zusammensetzung des Normenkontrollrats darauf achten, dass externer Sachverstand einbezogen wird. Das ist eigentlich so vorgesehen. Ich hoffe, dass es so passiert und die entsprechenden Persönlichkeiten ausgewählt werden. Die Bürokratiekosten, die durch den Normenkontrollrat überprüft werden dürfen, sind auf solche beschränkt, die sich aufgrund von Informationspflichten ergeben. Das heißt, so kostenträchtige Beschlüsse wie die Vorverlegung der Fälligkeit der Sozialversicherungsabgaben, die dazu führt, dass die Betriebe jetzt regelmäßig zwei Abrechnungen machen müssen - eine am Ende des Monats und eine am Beginn des nächsten Monats -, ({2}) was zu geschätzten Kostenbelastungen in Höhe von 3 bis 5 Milliarden Euro jährlich für Betriebe und Krankenkassen führt, hätten mit diesem Gesetz zum Normenkontrollrat gar nicht erst überprüft werden können. Das kann doch wohl nicht wahr sein. ({3}) Sie, Herr Schauerte, sagen: Aber es entsteht ein politischer Druck und wenn ein politischer Druck entsteht, kann man auch etwas anderes überprüfen lassen als das, was das Gesetz vorsieht. Dann frage ich mich: Warum schreiben Sie das, wenn Sie es denn wollen, nicht einfach gleich ins Gesetz? Dann hätten Sie es doch gleich richtig machen können; dann hätte man einen richtigen Schritt in Richtung Bürokratieabbau gemacht. ({4}) Wir haben, wie das Institut für Mittelstandsforschung sagt, fünf große Kostenblöcke: zu kompliziertes Steuerbzw. Abgabenrecht, zu kompliziertes Sozialversicherungsrecht, zu kompliziertes Arbeitsrecht, zu kompliziertes Umweltrecht und zu viele Statistiken. Für einen Großteil dieser Kostenblöcke werden Sie mit diesem Gesetz keine Überprüfung erreichen. Deswegen ist die Konzeption, die Sie hier vorlegen, alles andere als richtig. ({5}) Damit wird der Normenkontrollrat zu einem zahnlosen Tiger. Das wird den Betrieben nicht helfen. ({6}) Ich komme zum Schluss. Ich möchte sehr deutlich sagen, dass wir mit dem Normenkontrollrat vielleicht einen ersten Schritt in die richtige Richtung machen. Aber Sie von den Koalitionsfraktionen haben keinerlei Grund, sich selbstzufrieden zurückzulehnen. Es bleibt viel zu tun. Der Normenkontrollrat hat nicht das Recht, alles zu prüfen, was er für richtig hält. Er bekommt sogar vorgeschrieben, wie er zu prüfen hat. Das alles bleibt weit hinter den Erwartungen zurück. Deshalb werden wir vonseiten der FDP-Bundestagsfraktion diesem Gesetzentwurf leider nicht zustimmen können. Weil wir aber deutlich machen wollen, dass wir eine solche Einrichtung grundsätzlich befürworten, werden wir uns der Stimme enthalten. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion erhält das Wort die Kollegin Ute Berg.

Ute Berg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003504, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Frau Präsidentin! Herr Röttgen, Sie haben neulich den Normenkontrollrat als Wachhund bezeichnet, der dann bellen soll, wenn zu hohe Bürokratiekosten drohen. Nun haben wir gerade gehört, dass dieser so genannte Wachhund von einigen, zum Beispiel von Ihnen, Frau Homburger, als zahnloser Tiger bezeichnet wird. Von anderen wird er als gefährlicher Pitbull an die Wand gemalt. Ich würde vorschlagen, wir einigen uns auf einen anderen Vergleich, der den Skeptikern vielleicht eher die Möglichkeit gibt, ihre Angst zu überwinden: Einigen wir uns auf einen Vergleich mit der Gans. Sie ist bekanntlich der beste Wächter. Mit heftigen Flügelschlägen und lautem Geschnatter reagiert sie auf Bedrohungen, aber sie greift niemanden an, der sich ihr nähert. ({0}) Die Vorbehalte gegenüber dem Normenkontrollrat, die teilweise bestehen, sind, jedenfalls aus meiner Sicht, unbegründet. Das geplante Gremium hat zwar einen, wie ich finde, durchaus abschreckenden Namen, ist aber dem erprobten und bewährten Modell Actal der Niederlande nachempfunden. Mit einigen Kolleginnen und Kollegen - das wurde schon erwähnt - waren wir kürzlich in Den Haag, um uns dieses Modell direkt vor Ort anzuschauen. Die Niederlande haben mit ihrem Kontrollrat, dem Actal, der das Standardkostenmodell anwendet, bemerkenswerte Erfolge erzielt, und alle Fraktionen unterstützen Actal einmütig. Noch einmal kurz zur Erinnerung: Die Niederlande haben gemessen, dass ihrer Wirtschaft jährlich allein durch Informationspflichten Kosten von mehr als 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes entstehen. Das entspricht einem Volumen von gut 16 Milliarden Euro jährlich. Bei uns wären das hochgerechnet bis zu 80 Milliarden Euro, so die Schätzung von Experten bei der Anhörung am Montag. Die niederländische Regierung hat nun beschlossen, bis zum Jahr 2007 25 Prozent der Belastungen, also etwa 4 Milliarden Euro pro Jahr, abzubauen. Nach ersten Schätzungen wirtschaftswissenschaftlicher Institute sind bereits 20 Prozent erreicht. Das heißt aber mitnichten - auch das wurde hier schon erwähnt -, dass sich die Wirtschaft sehr zufrieden gezeigt hätte. Ganz im Gegenteil - das haben unsere holländischen Kolleginnen und Kollegen im Übrigen übereinstimmend berichtet -, es gab die üblichen Kommentare: nicht schnell genug, nicht umfassend genug usw. Aber das kennen wir ja: Verbesserungen werden kommentarlos abgehakt, Folgeforderungen hingegen lautstark erhoben. Davon sollten wir uns aber nicht demotivieren lassen. Der Erfolg der Niederlande hat in der Europäischen Union bereits viele Nachahmer gefunden: Dänemark, Großbritannien, Schweden, Norwegen und Belgien haben schon mit der Messung von Bürokratiekosten auf Basis des Standardkostenmodells begonnen. Die OECD empfiehlt das Modell nachdrücklich. Auch bei uns soll es nun angewendet werden. Dabei - das betone ich - werden nur die Kosten gemessen, die Unternehmen durch Informationspflichten entstehen, die bundesgesetzlich vorgeschrieben sind, also zum Beispiel die Kosten, die durch das Erstellen von Berichten, das Ausfüllen von Anträgen oder das Beibringen von Nachweisen und Belegen entstehen. Das Messverfahren selbst ist standardisiert, damit man mit angemessenem Aufwand zu eindeutig zurechenbaren Daten kommen kann. Dadurch wird transparent, wie hoch tatsächlich die Kosten sind, die durch in Bundesgesetzen und -regelungen enthaltene Informationspflichten entstehen - eine wichtige Voraussetzung, um wirklich überbordender Bürokratie entgegenwirken zu können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind uns alle einig: Es ist gut, überflüssige Bürokratie abzubauen. Noch besser ist es aber, von vornherein zu vermeiden, dass überhaupt erst unnötige Bürokratie entsteht. Auch dazu kann der Normenkontrollrat beitragen. ({1}) Ich betone, dass wirklich nur überflüssige Bürokratie gemeint ist. Es gibt natürlich auch Informationspflichten, die den Unternehmen in der Praxis zwar Umstände bereiten, die aber notwendig sind und nicht einfach zum Zweck der Arbeitsentlastung und der Kosteneinsparung abgeschafft werden sollten. Auch hier wurden schon die Ängste geäußert, dass zum Beispiel Arbeitsschutzbestimmungen und soziale oder ökologische Regelungen beeinträchtigt werden könnten. Diese Furcht ist meines Erachtens unbegründet. Der Normenkontrollrat hat sich nämlich nicht zu inhaltlichen Aspekten und zu politischen Fragen zu äußern, sondern ausschließlich zu überprüfen, welche Belastungen durch Informationspflichten entstehen. Damit zwingt er die Regierung, darüber nachzudenken, ob sie ein Gesetzesziel nicht effizienter erreichen kann als ursprünglich geplant. Das ist ausdrücklich gewollt. Noch einmal: Der Normenkontrollrat ist definitiv kein politisches Entscheidungs-, sondern ein unabhängiges Beratungsgremium. Die politische Entscheidung, ob entstehende Kosten notwendig und gerechtfertigt sind, fällt nach wie vor das Parlament; da sollten wir auch selbstbewusst an die Sache herangehen. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere Absicht ist es, insbesondere kleine und mittlere Unternehmen von Bürokratiekosten zu entlasten, und zwar mit dem Ziel, mehr Raum für Investitionen, Wachstum und Arbeitsplätze zu schaffen. Mit dem Normenkontrollrat, wie er jetzt angelegt ist, haben wir ein Instrument dafür. Ich wende mich abschließend noch einmal an die, denen das, was wir jetzt beschließen wollen, nicht weit genug geht. Herr Berninger, dass Sie daraus den Schluss ziehen wollen, jetzt komplett gegen die Einrichtung dieses Gremiums zu stimmen, kann ich absolut nicht nachempfinden. ({2}) Halten Sie es doch mit den Holländern, die die Diskussion in Deutschland nicht begreifen und die auf dem Standpunkt stehen, dass es wichtig ist, überhaupt anzufangen. Dann kann man peu à peu - durch Erfolg - überzeugen. Weiterentwickeln kann man ein solches System schließlich immer noch. Packen wir es also einfach an! Danke schön. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Unionsfraktion erhält das Wort der Kollege Franz Obermeier. ({0})

Franz Obermeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003201, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Es ist vieles Richtige gesagt worden; nur einiges von der linken Seite ist wenig akzeptabel. „Kosten: keine“ steht in den meisten Gesetzentwürfen, über die wir in diesem Hohen Hause beraten, und wenn Kostenermittlungen oder -aussagen im Gesetzgebungsverfahren gemacht werden, dann geht es in aller Regel um verwaltungsinterne Kosten, etwa Kosten der Vollzugsbehörden, aber wenig bis gar nicht um die Kosten derjenigen, die die Gesetze zu vollziehen haben. Nun wollen wir heute den Normenkontrollrat installieren. Ich bin überzeugt, dass dieser Normenkontrollrat allen Unkenrufen zum Trotz substanzielle Wirkung haben kann. Ich möchte mit ein paar Worten auf das eingehen, was Herr Zeil gesagt hat. Herr Zeil, dieses Haus sollte eigentlich dankbar sein, dass wir diesen Schritt jetzt gehen. ({0}) Denn wenn man irgendwohin geht, ist es entscheidend, in welche Richtung man geht, und wir sind uns doch einig, dass die Richtung eindeutig stimmt. ({1}) Lassen Sie uns jetzt bitte nicht darüber streiten, wie wir den Normenkontrollrat besetzen. Frau Homburger, das Beispiel mit den Fröschen passt hier nicht so ganz - es muss so nicht kommen. Herr Zeil, natürlich hätte man sich einige Dinge klarer wünschen können, aber entscheidend ist immer noch, was wir hier im Parlament aus der Arbeit des Normenkontrollrats machen. ({2}) Natürlich wissen wir genau, dass die Bürokratie neben den Kosten, die sie in den zurückliegenden Jahren und Jahrzehnten verursacht hat, auch eine psychologische Wirkung auf die Betriebe, auf die Unternehmen, auf die Entscheidungsträger hat. Wenn junge Absolventen sich überlegen, ob sie sich mit ihrer Idee selbstständig machen sollen, und sich mit der Bürokratie, die ihnen hier bevorsteht, vertraut machen, schrecken sie in aller Regel zurück und arbeiten lieber weiter dort, wo sie bisher gearbeitet haben; so weit zum Wissenschaftsstandort. Herr Berninger, was Sie hier ausgeführt haben, das ist schon toll. ({3}) Ich erinnere mich an Ihre Zeit als Regierungsmitglied: Was Sie in Ihrem Funktionsbereich im Ministerium an Bürokratiesünden begangen haben, spottet jeder Beschreibung ({4}) und lässt Sie persönlich höchst unglaubwürdig erscheinen, wenn Sie Verbesserungsvorschläge zu diesem Normenkontrollrat machen. Wenn ich Sie sehe, hier im Parlament und draußen, ({5}) dann muss ich immer denken: Draufsatteln! Sie stehen als Synonym dafür, dass europäische Richtlinien bei der Umsetzung in deutsche Gesetze mit zusätzlichem Ballast versehen werden - und jetzt kommen ausgerechnet Sie daher und machen uns Vorschläge zur Deregulierung. ({6}) Lassen Sie mich noch etwas zur Europapolitik sagen. Selbstverständlich ist es zwingend notwendig, dass wir uns frühzeitig in die Rechtsetzungsverfahren der Europäischen Union einbringen und schon frühzeitig auf die Inhalte der Richtlinien Einfluss nehmen. ({7}) Der Normenkontrollrat wird seine Aufgabe wahrnehmen. Ich hege nicht die Besorgnis, dass es zu einer Übersteuerung kommen wird. Wichtig ist, dass der Normenkontrollrat bei seiner Prüfung, ob die Gesetze, die von Bundestag und Bundesregierung eingebracht werden, nachteilige Wirkungen haben, konkret nachvollziehbare Aussagen macht, die als richtig anerkannt werden können. Die Qualität seiner Arbeit ist meiner Auffassung nach ganz entscheidend. Mit der Entbürokratisierung zielen wir natürlich besonders auf die Entlastung der kleinen und mittelständischen Betriebe. Ich als Vertreter der CDU/CSU-Bundestagsfraktion möchte ausdrücklich darauf hinweisen, dass wir bei diesem Gesetz und bei allen folgenden Gesetzen besonders die Belange der kleinen und mittelständischen Unternehmen im Blick haben; denn vor allem diese leiden darunter, dass sie mit zusätzlichen Kosten belastet werden. Sie können nämlich die ihnen übertragenen Aufgaben oft nicht selbst erledigen und müssen sie an Dritte vergeben. Der Normenkontrollrat sollte besonders die Auswirkungen der Gesetze, die die kleinen und mittelständischen Unternehmen betreffen, im Auge haben. ({8}) Ich wünsche dem Normenkontrollrat eine gute Arbeitsaufnahme und hoffe, dass wir hier im Parlament seine Arbeit positiv begleiten werden. Vielen Dank. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Als letzter Redner in dieser Debatte erhält das Wort der Kollege Dr. Carl-Christian Dressel für die SPDFraktion.

Dr. Carl Christian Dressel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003750, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, zu Beginn meiner Rede feststellen zu können, dass wir alle im Ziel übereinstimmen: Wir alle wollen, dass Bürokratie in unserem Land reduziert wird. Da Verwaltung, wie schon Max Weber feststellte, entweder bürokratisch oder dilettantisch ist, hat die Verwaltung nur dann die Gelegenheit, effizient zu sein, wenn wir als Gesetzgeber bereits unsere Gesetze auf die Verursachung von Bürokratie hin überprüfen lassen. Die Verursachung von Bürokratie muss rechtfertigungsbedürftig werden. Dabei gehen wir mit der Einrichtung eines Normenkontrollrates den richtigen Weg. Er prüft, ob das von der Regierung eingebrachte Gesetz bei der Verwirklichung des politisch angestrebten Ziels zu viel Bürokratie hervorruft. Überprüft wird also nicht das politische Ziel, sondern die Auswirkung des Mittels. Frau Kollegin Homburger von der FDP, niemand hat bislang deutlicher gemacht als Sie in Ihrer Rede vorhin, dass Ihre Zielrichtung nicht die Überprüfung des Mittels ist, sondern die Überprüfung des politischen Ziels. Sie wollen eine zwar neutrale, aber nichtsdestoweniger politisch arbeitende Behörde, die die politische Tätigkeit von Parlament und Regierung überprüft. Das darf es nicht sein. Für mich ist klar: Was Sie unter Bürokratieabbau verstehen, ist und bleibt der Abbau von Schutzrechten, von Beteiligungsrechten und damit der Abbau des Sozialstaats insgesamt. ({0}) - Es tut mir Leid, wenn es Sie stört. So, wie Sie stets denselben Antrag stellen, muss man auf den Antrag immer wieder dieselben Worte entgegnen. ({1}) Kollege Berninger, es wäre wenig hilfreich, wenn wir jetzt an die Stelle von Bürokratie eine Bürokratieabbaubehörde oder eine ganze Bürokratieabbaubürokratie setzten. Das wäre nicht zielführend. Ebenso wenig zielführend ist es, jetzt einige Fallen aufzustellen: Meine Damen und Herren, in der Diskussion über den Gesetzentwurf zur Einsetzung eines Nationalen Normenkontrollrates haben wir ausreichend über verfassungsrechtliche Probleme gesprochen. Ich sage - ich denke, als Mitglied des Rechtsausschusses muss ich dazu berufen sein -: Dieser Gesetzentwurf ist und bleibt verfassungsgemäß; denn die Gewaltenteilung zwischen der Exekutive und der Legislative und die Organisationsgewalt der Bundesregierung werden nicht eingeschränkt und der Normenkontrollrat ist ausreichend demokratisch legitimiert, was sich aus § 3 des Gesetzentwurfs ergibt. Wenn wir allerdings, wie teilweise aus der Opposition gefordert, auch die Gesetzentwürfe aus den Reihen der Fraktionen dieses Hauses obligatorisch durch den Nationalen Normenkontrollrat überprüfen ließen, so wären Sie die Ersten - diese Prognose erlaube ich mir -, die beim Bundesverfassungsgericht wegen einer verfassungswidrigen Einschränkung des Gesetzesinitiativrechts anklopfen würden. Das Ziel, das wir verfolgen, sollte uns gemeinsam dazu bringen, diesem Gesetzentwurf zur Einsetzung eines Nationalen Normenkontrollrates zuzustimmen. Dabei geht es nicht um den Abbau von Schutz- und Beteiligungsrechten, sondern um die Einführung einer Behörde, die aufgrund eines anerkannt erfolgreichen Verfahrens Gesetze hinsichtlich ihrer bürokratischen Auswirkungen überprüft und damit eine reale Chance bietet, die Bürokratie in unserem Land zu mindern. Meine Damen und Herren des Hohen Hauses, lassen Sie uns diese gemeinsame Chance nutzen und stimmen Sie dem Gesetzentwurf bitte zu. Ich danke Ihnen. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen nun zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Gesetzentwurf zur Einsetzung eines Nationalen Nor- menkontrollrats. Dieser Gesetzentwurf findet sich auf der Drucksache 16/1406. Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie emp- fiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/1665, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zwei- ter Beratung gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und des Bündnisses 90/Die Grünen und bei Ent- haltung der FDP-Fraktion angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer möchte sich enthalten? - Damit ist der Gesetzentwurf mit dem gleichen Abstim- mungsergebnis angenommen. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung emp- fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/472 mit dem Titel „Bürokratieabbau - Jetzt sind konkrete Schritte gefragt“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer möchte sich enthalten? - Die Beschlussempfehlung ist bei Enthaltung der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen und bei Ablehnung der An- tragsteller angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 26 a bis 26 q sowie den Zusatzpunkt 1 auf: 26 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss - Drucksache 16/1368 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({0}) Innenausschuss Finanzausschuss Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Bärbel Höhn, Volker Beck ({1}), Grietje Bettin, weiteren Abgeordneten und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten EntVizepräsidentin Petra Pau wurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Teledienstegesetzes ({2}) - Drucksache 16/1436 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({3}) Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({4}) Rechtsausschuss Ausschuss für Kultur und Medien Federführung strittig c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 8. Juni 2005 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und dem Schweizerischen Bundesrat, handelnd im Namen des Kantons Schaffhausen, über die Erhaltung einer Straßenbrücke über die Wutach zwischen Stühlingen ({5}) und Oberwiesen ({6}) - Drucksache 16/1611 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 8. Juni 2005 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und dem Schweizerischen Bundesrat, handelnd im Namen des Kantons Aargau, über Bau und Erhaltung einer Rheinbrücke zwischen Laufenburg ({7}) und Laufenburg ({8}) - Drucksache 16/1612 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung e) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab- kommen vom 28. Juni 2004 zwischen der Bun- desrepublik Deutschland und der Republik Singapur zur Vermeidung der Doppelbesteu- erung auf dem Gebiet der Steuern vom Ein- kommen und vom Vermögen - Drucksache 16/1619 - Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss f) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes über die Bereinigung von Bundesrecht im Zu- ständigkeitsbereich des Bundesministeriums des Innern - Drucksache 16/1620 - Überweisungsvorschlag: Innenausschuss g) Erste Beratung des von den Abgeordneten Cornelia Behm, Hans-Josef Fell, Winfried Hermann, weiteren Abgeordneten und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Wasserverbandsgesetzes - Drucksache 16/1642 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({9}) Rechtsausschuss Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Undine Kurth ({10}), Bärbel Höhn, Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Einfuhrverbot für Katzen- und Hundefelle - Drucksache 16/841 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({11}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union i) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter, Winfried Hermann, Peter Hettlich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Öffentlicher Personennahverkehr - Wettbewerb transparent und fair ordnen - Drucksache 16/1065 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({12}) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss j) Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia Behm, Hans-Josef Fell, Winfried Hermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Verbrennung von Halmgut als Biobrennstoff in Kleinfeuerungsanlagen neu regeln - Drucksache 16/1149 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({13}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung k) Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia Behm, Undine Kurth ({14}), Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN UN-Moratorium für die Grundschleppnetzfischerei auf der Hohen See durchsetzen - Drucksache 16/1151 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Vizepräsidentin Petra Pau Verbraucherschutz ({15}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union l) Beratung des Antrags der Abgeordneten HansMichael Goldmann, Patrick Döring, Horst Friedrich ({16}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Defizite im Kampf gegen Trunkenheitsfahrten in der Seeschifffahrt beseitigen - Drucksache 16/1158 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({17}) Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union m)Beratung des Antrags der Abgeordneten Ina Lenke, Miriam Gruß, Cornelia Pieper, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Flexible Konzepte für die Familie - Kinderbetreuung und frühkindliche Bildung zukunftsfähig machen - Drucksache 16/1168 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({18}) Finanzausschuss Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung n) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans- Michael Goldmann, Dr. Christel Happach-Kasan, Dr. Edmund Peter Geisen, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der FDP BSE-Testpflichtaltersgrenze anheben - Drucksache 16/1170 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz o) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sevim Dagdelen, Karin Binder, Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Für einen Schutz der Opfer von Zwangsverheiratungen, für die Stärkung ihrer Rechte und die längerfristige Bekämpfung der Ursachen patriarchaler Gewalt - Drucksache 16/1564 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({19}) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe p) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ingbert Liebing, Enak Ferlemann, Dirk Fischer ({20}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Margrit Wetzel, Uwe Beckmeyer, Sören Bartol, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Notschleppkonzept den veränderten Bedingungen der Seeschifffahrt anpassen - Drucksache 16/1647 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({21}) Innenausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuss q) Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst Friedrich ({22}), Jan Mücke, Patrick Döring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Nein zur ÖPNV-Nachfolgeverordnung ({23}) - Chancengleichheit für mittelständische Unternehmen sichern - Drucksache 16/1652 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({24}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ZP 1 Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus Kurth, Irmingard Schewe-Gerigk, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Alternativen zum Heim schaffen - Ambulante Angebote für Menschen mit Behinderungen weiterentwickeln und ausbauen - Drucksache 16/1644 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({25}) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach- ten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Allerdings ist die Federführung zur Vorlage auf Drucksache 16/1436 - Tagesordnungspunkt 26 b - strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der FDP wünschen, die Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Technologie, die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen wünscht, die Federführung beim Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Ver- braucherschutz anzusiedeln. Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen abstimmen. Wer stimmt für den Vorschlag zur federführenden Überwei- sung in den Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz? - Wer stimmt dagegen? - Wer möchte sich enthalten? - Der Überweisungsvorschlag ist damit abgelehnt. Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der Koalitionsfraktionen und der FDP abstimmen. Wer stimmt dafür, den Gesetzentwurf federführend in den Ausschuss für Wirtschaft und Technologie zu überwei- sen? - Wer stimmt dagegen? - Wer möchte sich enthal- Vizepräsidentin Petra Pau ten? - Damit liegt die Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Technologie. Die Vorlage auf Drucksache 16/1642 zu Tagesordnungspunkt 26 g soll zusätzlich in den Rechts- ausschuss überwiesen werden. Sind Sie damit einver- standen? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisun- gen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 27 a bis 27 k sowie den Zusatzpunkt 2 auf. Es handelt sich hierbei um Beschlussfassungen zu Vorlagen, zu denen keine Aus- sprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt 27 a: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes über die Bereinigung von Bundesrecht im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung - Drucksache 16/1290 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({26}) - Drucksache 16/1633 - Berichterstattung: Abgeordneter Peter Hettlich Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwick- lung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/1633, den Gesetzentwurf in der Aus- schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetz- entwurf auch in dritter Beratung einstimmig angenom- men. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 b auf: b) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung der Bundesnotarordnung - Drucksache 16/1340 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({27}) - Drucksache 16/1606 - Berichterstattung: Abgeordnete Andrea Astrid Voßhoff Christine Lambrecht Mechthild Dyckmans Jerzy Montag Der Rechtsausschuss empfiehlt auf Drucksache 16/ 1606, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejeni- gen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung einstimmig ange- nommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gibt es Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Das ist nicht der Fall. Damit ist auch dieser Gesetzentwurf in dritter Beratung einstimmig angenommen. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 27 c: c) - Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften des Personenbeförderungsrechts - Drucksache 16/517 - Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Personenbeförderungsgesetzes und des Allgemeinen Eisenbahngesetzes - Drucksache 16/1039 - Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Personenbeförderungsgesetzes - Drucksache 16/1341 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({28}) - Drucksache 16/1685 - Berichterstattung: Abgeordnete Klaus Hofbauer Heinz Paula Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwick- lung empfiehlt unter Punkt I seiner Beschlussempfeh- lung auf Drucksache 16/1685, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Gegenstimmen? - Ent- haltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Be- ratung gegen die Stimmen der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Beratung gegen die Stimmen der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen angenom- men. Vizepräsidentin Petra Pau Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zu dem vom Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Personenbeförderungs- gesetzes und des Allgemeinen Eisenbahngesetzes auf Drucksache 16/1685. Der Ausschuss empfiehlt unter Punkt II seiner Beschlussempfehlung, den Gesetzent- wurf auf Drucksache 16/1039 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegen- probe! - Gibt es Enthaltungen? - Dann ist die Beschluss- empfehlung angenommen. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus- schusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zu dem vom Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurf zur Ände- rung des Personenbeförderungsgesetzes. Der Ausschuss empfiehlt unter Punkt III seiner Beschlussempfehlung, den Gesetzentwurf auf Drucksache 16/1341 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfeh- lung ist einstimmig angenommen. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 27 d: d) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung einer Grundqualifikation und Weiterbildung der Fahrer im Güterkraft- oder Personenverkehr - Drucksachen 16/1365, 16/1613 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({29}) - Drucksache 16/1655 - Berichterstattung: Abgeordneter Patrick Döring Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwick- lung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/1655, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Gibt es Enthaltungen? - Dann ist die- ser Gesetzentwurf einstimmig angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 e auf: e) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Bereinigung von Bundesrecht im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales und des Bundesministeriums für Gesundheit - Drucksache 16/1293 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({30}) - Drucksache 16/1663 Berichterstattung: Abgeordneter Max Straubinger Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/1663, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung bei einigen Gegenstimmen und einigen Enthaltungen aus der Fraktion Die Linke angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung angenommen, wobei sich das Abstimmungsverhalten der Fraktion Die Linke noch einmal unwesentlich geändert hat. ({31}) - Sollten Sie die Auszählung verlangen, dann wiederhole ich natürlich die Abstimmung. ({32}) Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Pe- titionsausschusses. Ich rufe zunächst den Tagesord- nungspunkt 27 f auf: f) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({33}) Sammelübersicht 46 zu Petitionen - Drucksache 16/1512 - Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Peti- tionsausschusses? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dann ist die Sammelübersicht 46 einstimmig angenom- men. Tagesordnungspunkt 27 g: g) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({34}) Sammelübersicht 47 zu Petitionen - Drucksache 16/1513 Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist die Sammelübersicht gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen.

Not found (Mitglied des Präsidiums)

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({0}) Sammelübersicht 48 zu Petitionen - Drucksache 16/1514 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dann ist die Sammelübersicht 48 einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 27 i: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({1}) Sammelübersicht 49 zu Petitionen - Drucksache 16/1515 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Dann ist die Sammelübersicht 49 gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke, des Bündnisses 90/Die Grünen und der FDP angenommen. Tagesordnungspunkt 27 j: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({2}) Sammelübersicht 50 zu Petitionen - Drucksache 16/1516 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Dann ist die Sammelübersicht 50 gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 27 k: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({3}) Sammelübersicht 51 zu Petitionen - Drucksache 16/1517 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dann ist die Sammelübersicht 51 bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe den Zusatzpunkt 2 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Europäischen Übereinkommen vom 6. November 2003 über den Schutz von Tieren beim internationalen Transport ({4}) - Drucksache 16/1346 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({5}) - Drucksache 16/1664 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Peter Jahr Dr. Wilhelm Priesmeier Hans-Michael Goldmann Dr. Kirsten Tackmann Bärbel Höhn Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/1664, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Möchte sich jemand enthalten? Dann ist der Gesetzentwurf einstimmig angenommen. Gemäß I 1 b der Richtlinien für Aussprachen zu Themen von allgemeinem aktuellen Interesse hat die Fraktion der FDP im Zusammenhang mit der Antwort der Bundesregierung auf die dringliche Frage 1 auf Drucksache 16/1645 eine Aktuelle Stunde verlangt. Ich rufe daher Zusatzpunkt 3 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der FDP zu den Antworten der Bundesregierung auf die dringliche Frage 1 auf Drucksache 16/1645 Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Niebel für die FDP-Fraktion. ({6})

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung war während der Fragestunde leider nicht in der Lage, auf die Fragen der Opposition ausreichend Auskunft zu geben. ({0}) Das verwundert nicht; denn wer in den letzten Wochen nur die Überschriften in den Zeitungen gelesen hat, hat bemerkt, dass sich die Mitglieder dieser Regierung intern wie die Kesselflicker streiten. Das ist auch kein Wunder; denn eine Regierung, die kleine Schritte und den Kompromiss als Wert an sich definiert hat, kann sich, wenn überhaupt, nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen. Allein der Versuch, das so genannte Hartz-IV-Fortentwicklungsgesetz einigermaßen SPD-konform zu gestalten, ist der Grund für den Streit innerhalb der Regierung darüber, ob die Formulierung von Frau Bundeskanzlerin Merkel, man wolle eine grundlegende Überholung durchführen, oder die Formulierung von anderen, man wolle eine Generalrevision durchführen, der gängige Sprachgebrauch der Regierung ist. Der CSU-Vorsitzende, Herr Stoiber, bettelt bei seinen SPD-Kollegen geradezu, doch wenigstens auf den von der SPD gestellten Finanzminister, Herrn Steinbrück, zu hören, der gesagt hat, ebendiese Hartz-Gesetzgebung sei für den Haushalt von großer Sprengkraft. Diese Aussage macht natürlich Sinn; denn im Jahre 2005 sind für das Arbeitslosengeld II 10,4 Milliarden Euro mehr als geplant ausgegeben worden. Wenn sich die Entwicklung bis April fortsetzt, dann müssen wir im Jahre 2006 mit 3,2 Milliarden Euro Mehrausgaben rechnen. Der SPDVorsitzende Beck kann bei Hartz IV überhaupt keine finanziellen Probleme erkennen. Der Bürger und unsereins müssen sich schon wundern, warum der Realitätsverlust bei SPD-Vorsitzenden in letzter Zeit so häufig eintritt. ({1}) Die Hartz-Gesetzgebung litt von Anfang an an einem dramatischen Konstruktionsfehler: Er besteht darin, dass man bei der Trägerschaft keine einheitliche Zuständigkeit gewählt hat, dass man nicht - wie es die Union im Vermittlungsverfahren gefordert und im Wahlkampf versprochen hat - allein die Kommunen in die Zuständigkeit der Betreuung der Langzeitarbeitslosen überführt. Das hat übrigens auch der Vorsitzende der ChristlichDemokratischen Arbeitnehmerschaft erst heute wieder in einem Interview mit der „Thüringer Allgemeinen“ gefordert. Es macht nämlich überhaupt keinen Sinn, auch nur auf den Gedanken zu kommen, man könne irgendwelche Kosten sparen, wenn man zwei Behörden um eine dritte ergänzt. Der gesunde Menschenverstand sagt jedem Menschen: Wenn sich zu zwei Behörden eine dritte dazugesellt, dann wird es teurer und nicht billiger. Das nicht erkannt zu haben, war der Kardinalfehler Ihrer Regierung. ({2}) Eine weitere Konsequenz dieses Kardinalfehlers sind die Verschiebebahnhöfe in den öffentlichen Haushalten. Dem Bürger kann es vordergründig erst einmal egal sein, ob aus der Kasse der Bundesagentur oder aus der Kasse von Herrn Steinbrück gezahlt wird; denn im Endeffekt hat sowieso er alles zu finanzieren. Das Ergebnis ist, dass sich die Bundesagentur aufgrund dieses unsäglichen Aussteuerungsbetrags vornehmlich auf die Integration von arbeitsmarktnahen Arbeitslosengeld-I-Empfängern konzentriert. Sie spart vermeintlich dadurch Geld, dass diese Personen keine Arbeitslosengeld-II-Empfänger werden, übersieht aber, dass die fiskalischen Belastungen für die Gesamtheit dadurch größer werden. Diese Fehlentwicklung kostet alle tatsächlich bares Geld. Ein weiteres Problem, das Sie trotz Ihres Streits nicht lösen, ist, dass nicht zügig gehandelt wird. Herr Müntefering, Trippelschritte sind das Prinzip dieser Regierung. Die Zeitverluste kosten uns alle Geld. Von Anfang an, schon im Vermittlungsverfahren, ist es doch selbstverständlich gewesen, dass man auch eine Gegenleistung erwarten kann - sei es nur, sich möglichst schnell um die Beendigung des Hilfebezugs zu kümmern -, wenn der Steuerzahler eine Leistung finanziert. Was getan werden muss, bringen Sie erst jetzt auf den Weg. Genauso bringen Sie erst jetzt ein Sofortangebot auf den Weg, obwohl wir das schon im Vermittlungsverfahren gefordert haben. Natürlich muss jeder, der zum Arbeitsamt, zur Bundesagentur oder zu welcher zuständigen Stelle auch immer kommt, sofort ein Angebot bekommen - idealerweise einen Arbeitsplatz, eine Qualifizierungsmaßnahme oder wenigstens eine gemeinnützige Tätigkeit -, damit er sich ans Nichtstun gar nicht erst gewöhnt. Sie streiten und zetern. Herr Heil „glosiert“ die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung, woraufhin die CSU zur vorzeitigen „Hubertus-Jagd“ bläst. Die Unionsseite hat beim Antidiskriminierungsgesetz im Endeffekt all das gemacht, was sie im Wahlkampf verteufelt hat. Die SPD-Seite hat bei der Mehrwertsteuererhöhung im Endeffekt all das gemacht, was sie im Wahlkampf verteufelt hat. Diese große Koalition ist vielleicht groß bei der Anzahl der Mandate, die sie hat, aber nicht groß bei der Problemlösungskompetenz, um die Lebenssituation der Menschen in diesem Land zu verbessern. ({3}) Die Bürgerinnen und Bürger werden auch eine schwarz-rote Regierung am Erfolg messen. Jede Regierung bekommt irgendwann ein Etikett. Bei der Regierung Kohl war es das Etikett „Aussitzen“, bei Rot-Grün war es das Etikett „Nachbessern“, bei Ihnen wird es das Etikett „Abkassieren“ sein. Das nützt den Menschen in Deutschland nicht. Das verhindert die Schaffung von Arbeitsplätzen und sorgt dafür, dass noch mehr Menschen zu Leistungsbeziehern werden und dass Sie, die Regierung, scheitern - das aber besser heute als morgen. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort erhält die Kollegin Ilse Falk für die Unionsfraktion. ({0})

Ilse Falk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000513, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Niebel, ich glaube nicht, dass es in diesem Fall darum geht, abzukassieren; bei Hartz IV geht es vielmehr darum, welche Leistungen der Staat denjenigen gewährt, die staatliche Leistungen benötigen, und zwar aus Gründen, die er sicherlich nicht in allen Einzelheiten zu bewerten hat. Wir haben heute viele Gelegenheiten, über Hartz IV zu diskutieren. Am späten Nachmittag steht der Entwurf des so genannten Fortentwicklungsgesetzes auf der Tagesordnung. Deswegen will ich darauf jetzt nicht im Einzelnen eingehen, auch wenn Sie viele Probleme angesprochen haben, die durch dieses Gesetz gelöst werden sollen. Sie haben gefordert, etwas über unsere Vorstellungen über die Zukunft von Hartz IV zu hören. Das will ich ernst nehmen. Bei einem so großen Projekt wie der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe war - das ist überhaupt nicht anders zu erwarten gewesen - nicht jede Konsequenz vorherzusehen, auch wenn die FDP da sehr hellsichtig gewesen ist oder jedenfalls glaubt, es gewesen zu sein. Fortentwicklungen werden immer nötig sein. Auch ein Nachsteuern wird von Zeit zu Zeit nötig sein. Nach 15 Monaten mit Hartz IV müssen wir die Erfahrungen aufgreifen und darauf reagieren. Ein Nachsteuern wird auch weiter nötig sein. Deswegen wissen wir, dass wir mit dem Schritt, den wir heute mit dem Fortentwicklungsgesetz tun, nicht den letzten Schritt getan haben werden. Wir müssen das, was im Bereich ALG II/Hartz IV zu beobachten ist, zum Anlass nehmen, uns sehr gründlich mit bestimmten Entwicklungen und vor allem mit deren Ursachen zu befassen. Weil wir die Kürzung von Regelleistungen nicht zur Debatte stellen wollen, müssen wir die Kostenentwicklung an sich analysieren. Der Grundsatz, den wir immer wieder vertreten, ist: Wirklich Bedürftige müssen sich auf die Hilfe der Solidargemeinschaft verlassen können. Aber es kann nicht sein, dass manch einer über staatliche Leistungen mehr erhält, als er auf dem Arbeitsmarkt durch Arbeit erzielen würde. Dass dann, wenn zum Beispiel ein Paar mit zwei Kindern eine Nettotransferleistung von 1 643 Euro erhält, ({0}) der Anreiz, Arbeit aufzunehmen, wesentlich reduziert ist, ist, denke ich, jedem einsichtig. ({1}) Wir müssen also über das Lohnabstandsgebot und die Verpflichtung zur Arbeit bei Leistungsbezug reden, aber wir müssen auch darüber reden, was die Ursachen für die dramatisch gestiegene Zahl von Leistungsbeziehern sein können, darüber, was in der Gesellschaft möglicherweise falsch läuft. Wir müssen uns fragen, ob der Staat durch seine Anmaßung, alles für seine Bürger regeln zu wollen, weil er es - angeblich - besser kann, seine Bürger nicht entmündigt. Wenn das so ist, dann dürfen wir uns nicht wundern, wenn die Menschen ihre Verantwortung nicht mehr wahrnehmen, weil sie sich nicht als Teil des Staates sehen, sondern den Staat sogar als ihren Gegner ansehen. Sie beobachten, dass ihnen der Staat immer mehr nimmt, was sie viel zu oft schon nicht mehr durchschauen können. Sie trachten danach, sich möglichst viel zurückzuholen. Die Grenze zur Ausnutzung und zum Missbrauch kann dabei schon mal schnell übersehen werden. Man beginnt dann tatsächlich, über den Verfall von Anstand und Moral in der Gesellschaft zu grübeln. ({2}) Dabei werden genau diejenigen in Misskredit gebracht, die sich redlich um Arbeit bemühen und die es für selbstverständlich halten, dass man sich zunächst in den natürlichen Verantwortungsbezügen - Ehe, Partnerschaft, Familie - gegenseitig stützt. Da müssen wir differenzieren - zum Schutz genau derjenigen, die redlich sind. ({3}) In den Gesamtzusammenhang gehört auch die Kombilohndebatte. Die Entwicklung im Bereich der Aufstock- und Ergänzungsleistungen beim ALG II muss in diese Debatte einfließen. Wir haben im Grunde schon heute eine Vielfalt von Kombilohnmodellen; das muss klar gesehen werden. Die Debatte, die fortzusetzen ist, darf auch die eigentliche Zielsetzung des Förderns und Forderns nicht aus dem Auge verlieren. Dafür brauchen wir starke Partner in der Wirtschaft. Diese Partner - auch das gehört in den Gesamtzusammenhang - brauchen gute Rahmenbedingungen. ({4}) Es gibt also nach der Verabschiedung des Fortentwicklungsgesetzes heute Nachmittag noch viel zu tun. Das sind wir auch denjenigen schuldig, finde ich, die mit ihrer Arbeit, mit ihren Steuern und Abgaben unseren Sozialstaat finanzieren. Danke schön. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Oskar Lafontaine für die Fraktion Die Linke. ({0})

Oskar Lafontaine (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002715, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Herr Kollege Ramsauer von der CDU/CSUFraktion hat das Gesetz, über das wir jetzt reden, den größten sozialpolitischen Flop der Nachkriegsgeschichte genannt. Diese Bezeichnung ist sicherlich so gemeint gewesen, dass zu viel Geld ausgegeben werde. Für die Fraktion der Linken möchte ich sagen: Wir reden hier über den größten sozialpolitischen Kahlschlag der Nachkriegsgeschichte, der gegen die Mehrheit der Bevölkerung in Szene und ins Werk gesetzt worden ist. ({0}) Es ist bedauerlich, dass dieses Parlament auf die vielen Demonstrationen, die gegen dieses Gesetz stattgefunden haben, nicht reagiert hat, als hätten wir es aus dem Auge verloren, dass dieses Parlament den Auftrag hat, die Mehrheit der Bevölkerung zu vertreten und entsprechende Gesetze zu machen. Zwei Drittel der Bevölkerung haben diese Gesetze abgelehnt. Heute, nach gut einem Jahr, können wir sagen, dass diese Gesetze alle Ziele verfehlt haben, die mit ihnen verbunden waren. Vergessen Sie nicht das Versprechen, dass 2 Millionen neue Arbeitsplätze entstehen und die Arbeitslosigkeit drastisch sinkt. Nichts davon ist erreicht worden. ({1}) Die ganze Philosophie ist auf zweierlei zu reduzieren: Auf der einen Seite kürzen wir massiv die Leistungen für die sozial Schwächeren, auf der anderen Seite senken wir massiv die Steuern für Unternehmen und Reiche, was zu einem wirtschaftlichen Aufschwung führen soll. Dieser hat aber nicht stattgefunden. Es ist an der Zeit, dass die Mehrheit dieses Hauses ihre Politik grundlegend revidiert. ({2}) Ich will nicht, dass in Vergessenheit gerät, dass dieses Gesetz von Anfang an auf einem grundlegenden Strickfehler beruhte, nämlich dem Zusammenlegen von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe. Es darf nicht in Vergessenheit geraten, dass dieses Gesetz auch zu einer brutalen Enteignung der älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer führt. Dazu wird leider nichts mehr gesagt; aber das ist der schlimmste Skandal, der mit diesem Gesetz verbunden ist. Ich sage es noch einmal: Ein 53 Jahre alter Durchschnittsverdiener hat 60 000 Euro in die Arbeitslosenkassen eingezahlt. Wenn er arbeitslos wird, bekommt er ein Jahr Arbeitslosengeld und damit 10 000 Euro zurück. Arbeitslosengeld II bekommt er nur dann, wenn er vorher seine Versicherung verscherbelt, sein Vermögen angreift, vielleicht sein Haus verkauft usw. Das ist und bleibt ein ungeheuerlicher Skandal, der niemals akzeptiert werden kann. ({3}) Wenn es irgendeine Berufsgruppe gibt, bei der man sich eine solche Enteignung vorstellen kann, dann bitte ich darum, dass jemand aufsteht und diese Berufsgruppe nennt. Kann sich irgendjemand vorstellen, dass beispielsweise mit Unternehmen so verfahren würde und dann in diesem Hause eine Mehrheit aufrechtzuerhalten wäre? Dann gab es noch das klägliche Argument, das ich jetzt wieder höre, man habe das Prinzip einer Versicherung nicht verstanden. ({4}) Nennen Sie mir eine einzige Versicherung - Feuerversicherung, Sachversicherung oder eine sonstige -, bei der man, wie bei der Arbeitslosenversicherung, 60 000 Euro einbezahlt, aber nur 10 000 Euro zurückbekommt! Sie können sich noch so sehr herausreden; das ist kein sozialpolitischer Flop, sondern das ist und bleibt eine einzige sozialpolitische Sauerei, um das einmal in aller Deutlichkeit zu sagen. ({5}) Meine Damen und Herren, auch bei der wiederholten Beschwörung der Formel „Fördern und Fordern“ ist eines aus den Augen verloren worden. Ein amerikanischer Nobelpreisträger, Bob Solow, hat einmal gesagt, die Hartz-Gesetze hätten vielleicht dann einen Sinn gehabt, wenn zuerst die Konjunktur in Gang gekommen und massiv neue Arbeitsplätze entstanden wären und anschließend diese Politik ins Werk gesetzt worden wäre. Er hat gesagt, es sei ein Grundfehler, Druck auf die Arbeitslosen auszuüben, bevor überhaupt neue Arbeitsplätze geschaffen worden seien. Das gilt nach wie vor: Die neuen Arbeitsplätze fehlen in weiten Bereichen unserer Gesellschaft; aber der Druck auf die Arbeitslosen wird immer weiter verstärkt. ({6}) Sie benutzen in diesem Zusammenhang den Begriff „Redlichkeit“; Sie sagen, man müsse redlich sein gegenüber denen, die Arbeit suchen, und die bestrafen, die sich nicht in ausreichendem Umfang darum bemühen. Angesichts des Begriffes der Redlichkeit will ich Sie an eines erinnern: ({7}) Es ist wahr, dass diejenigen, die Arbeit haben und sehr gering bezahlt werden, Ressentiments gegenüber denjenigen entwickeln, die keine Arbeit haben und trotzdem soziale Leistungen beziehen. Jeder, der sich in Wirtshäusern oder sonst wo mit Leuten unterhält, die davon betroffen sind, weiß das. Es ist aber nicht redlich, diese Ressentiments auszunutzen und zulasten der Arbeitslosen, die keine Arbeit finden, auszuschlachten. ({8}) Nichts anderes tun Sie mit dieser Gesetzgebung und mit der ganzen Diskussion, es gehe um Kostenexplosion usw. Zur Unredlichkeit gehört ebenso, Frau Kollegin, dass Sie es versäumt haben, die gesamten Ausgaben im sozialen Bereich immer wieder zu saldieren. Es ist unredlich, auf der einen Seite darauf hinzuweisen, dass die Ausgaben für das Arbeitslosengeld II gestiegen sind, auf der anderen Seite aber zu verschweigen, dass in demselben Gesetzesrahmen die Ausgaben für das Arbeitslosengeld I massiv gesunken sind. Das ist in höchstem Maße unredlich. Sie benutzen diese Unredlichkeit, um immer weiteren Druck auf die Arbeitslosen auszuüben. ({9}) Dass das Ganze ein unredliches Unterfangen ist, sieht man schon an den Überschriften. Da ist von „Fortentwicklung“ und von „Optimierung“ die Rede. Aber die Wahrheit ist doch die, dass Sie nach wie vor Ihre gescheiterte Politik fortsetzen und weiterhin Druck auf die Arbeitslosen ausüben, statt - wie es Ihre Pflicht wäre neue Arbeitsplätze zu schaffen. ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Bundesregierung hat Franz Müntefering das Wort.

Franz Müntefering (Minister:in)

Politiker ID: 11001570

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hatte mir ein DIN-A4-Blatt hingelegt, um das aufzuschreiben, was diejenigen, die diese Aktuelle Stunde beantragt haben, zu sagen haben. Herr Niebel, ich habe mir nichts aufschreiben können, weil Sie nichts Neues gesagt haben. Diese Debatte hätten wir uns also gut und gerne sparen können. ({0}) Oskar Lafontaines Rede habe ich schon zum zehnten Mal gehört. Sie wird dadurch, dass er sie so oft hält, aber nicht wahrer. In Sachen Agitation war er auch schon einmal besser. Ich will versuchen, die Dinge wieder auf die Beine zu stellen und deutlich zu machen, um was es in dieser Debatte geht. Eine der zentralen Aufgaben der Politik in Deutschland ist es, dafür zu sorgen, dass die Arbeitslosigkeit reduziert wird und dass mehr Menschen Arbeit haben. ({1}) Dafür steht diese Koalition; da versuchen wir voranzukommen. ({2}) Wir haben ein Programm mit einem Volumen von 25 Milliarden Euro aufgelegt. Das hilft offensichtlich, dem Wachstum, das wir im Moment haben, zusätzlichen Rückenwind zu geben. Was ist die Situation im Augenblick? Wir merken, dass am Arbeitsmarkt die Dinge in Bewegung sind. ({3}) Ich wundere mich da wirklich über Herrn Niebel. Er beschwert sich darüber, dass sich die Bundesagentur darum bemüht, die Zahl der Empfänger von Arbeitslosengeld I zu reduzieren, indem die Arbeitslosen schnell wieder vermittelt werden. Die Bundesagentur hat doch Anfang des Jahres gesagt, dass es in diesem Jahr einen Überschuss von 1,8 Milliarden Euro gibt. Jetzt wissen wir, dass dieser Überschuss 4,5 oder sogar 5 Milliarden Euro betragen wird. Vielleicht sind es sogar 6 Milliarden Euro. Wieso ist das so? Die Bundesagentur nimmt mehr Geld ein, weil wieder mehr Beiträge in die Arbeitslosenversicherung gezahlt werden. Das ist dann der Fall, wenn mehr Menschen arbeiten, sei es auch mit mehr Überstunden. Mit anderen Worten: Es fallen immer weniger Menschen in den Bereich des Arbeitslosengeldes I und die, die in diesem Bereich sind, kommen schneller wieder heraus. Das wollen wir. Es ist gut, dass es eine Bewegung am Arbeitsmarkt gibt; denn das wirkt sich positiv auch auf den Bereich des Arbeitslosengelds II aus. ({4}) Im SGB II ist der Auftrag enthalten, zu vermitteln, zu qualifizieren und zu betreuen. Eines müssen alle die, die wollen, dass die Intention des Gesetzes verwirklicht wird, im Blick behalten: Hartz IV ist etwas anderes als Sozialhilfe. Es geht nicht darum, dass sich die Menschen dauerhaft in der Sozialhilfe einrichten. Es geht vielmehr darum, Wege zu suchen, die Menschen zu qualifizieren und in Beschäftigung zu bringen. An diesem Ziel arbeiten wir. Dass man dafür Zeit braucht, ist völlig unbestritten. Man braucht natürlich auch Arbeitsplätze, um die Menschen vermitteln zu können. Aber auch da sind wir ein gutes Stück vorangekommen. Es war richtig, dieses SGB II auf den Weg zu bringen und dafür zu sorgen, dass Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zum Arbeitslosengeld II zusammengelegt werden. Wir sind uns aber alle einig darin, dass es Probleme gab, als es um die Frage ging, wie man diese komplexe Operation umsetzt. Mit den Regelungen für Argen und für optierende Gemeinden sind Konstruktionen entstanden, die hoch labil sind. Das darf man aber nicht denen vor die Tür kippen, die täglich damit zu tun haben. Die Politik muss vielmehr versuchen, die Schwachstellen zu reparieren. Daran arbeiten wir. Wir müssen ohne Zweifel dafür sorgen, dass wir an dieser Stelle besser werden. ({5}) Was machen wir im Augenblick? Wir haben mit dem SGB-II-Änderungsgesetz und dem SGB-II-Fortentwicklungsgesetz das erreicht, was wir innerhalb der Koalition vereinbart haben, nämlich im nächsten Jahr 3,8 bis 4 Milliarden Euro zu sparen. Ich sage: verantwortbar zu sparen. ({6}) Davon ist der Regelsatz des Arbeitslosengelds II nicht betroffen. Er bleibt bei 345 Euro für die erste Person und 80 Prozent davon für die zweite Person. Für Kinder gibt es 207 Euro. Wohnkosten werden erstattet. Das Auto und die angesparten Beiträge für die Riesterrente werden nicht berücksichtigt. Diese Größenordnung lässt sich sehr wohl verantworten. Das soll auch in Zukunft so bleiben. ({7}) Wie gesagt: Wir werden im nächsten Jahr 3,8 Milliarden bis 4 Milliarden Euro an dieser Stelle sparen. Wir werden in diesem Herbst die Debatte über den Niedriglohnbereich zu führen haben. Es geht um die Frage: Was kann mit Kombilohn oder mit Mindestlohn gesetzlicher oder tariflicher Art eigentlich bewirkt werden? Wie wirken eigentlich Mini- und Midijobs? Was ist in diesem Bereich eigentlich los? Wir wollen nicht, dass die Menschen in Niedriglöhne bzw. in sittenwidrige Löhne durchrutschen. Wir wollen, dass hier Stabilität herrscht. Bei dieser Gelegenheit werden wir in der Koalition auch darüber sprechen und Vorschläge dazu machen, wie sich das Ganze zum SGB II bzw. zum gesamten Hartz-IVBereich verhält. Man kann den Niedriglohnbereich nicht vernünftig regeln, ohne zu überlegen: Welchen Bezug hat das eigentlich zu Hartz IV bzw. zum SGB II? Welche Dinge sind an dieser Stelle zu entscheiden? Das regeln wir miteinander in diesem Herbst. ({8}) Wir werden - auch das ist vereinbart - einen neuen Anlauf machen, in Bezug auf die Argen für eine klare Situation zu sorgen. Der Bund ist Leistungsträger. Wir geben 10 Milliarden Euro an die Argen, mit denen sie ihre Verwaltungskosten und Eingliederungshilfen finanzieren. Deshalb muss der Leistungsträger Bund über den Gewährleistungsträger Bundesagentur für Arbeit Einfluss darauf nehmen, dass die Gelder, die bei den Argen ankommen, vernünftig und effizient eingesetzt werden, sodass möglichst vielen Menschen geholfen werden kann. Das ist das Ziel, das wir damit verbinden. Da müssen wir besser werden. Ich sage hier vorweg: Es kann nicht im Interesse der Menschen sein, wenn das eine oder andere Land glaubt, mit Bundesmitteln seinen Ruhm mehren zu können. ({9}) Wir als Bundesregierung und Sie als Bundestagsabgeordnete sind verantwortlich dafür, dass die 10 Milliarden Euro, die wir für Verwaltungskosten und Eingliederungshilfen an die Argen geben, nach den Modalitäten, die wir bestimmt haben, ausgegeben werden. Wir müssen den Geschäftsführern in den Argen und den optierenden Gemeinden helfen und dafür sorgen, dass das so abgewickelt werden kann, dass es zu vernünftigen Ergebnissen führt. ({10}) Darüber werden wir miteinander zu sprechen haben. Wir werden im Jahre 2007 - auch das steht im Koalitionsvertrag - die Instrumente des Arbeitsmarktes neu schärfen. Als wir den Koalitionsvertrag vorbereitet haben, haben wir festgestellt - alle anderen wissen das -: Es gibt auf dem Arbeitsmarkt zwar eine große Zahl an Instrumenten. Aber nicht alle sind kompatibel und wirklich aufeinander abgestimmt. Deshalb müssen wir an dieser Stelle besser werden. Das steht nach gemeinsamer Vereinbarung im Koalitionsvertrag auf dem Prüfstand. Im nächsten Jahr werden wir aus einer Wirkungsanalyse die nötigen Konsequenzen ziehen. Es wurde zudem festgelegt, dass im Jahre 2008 die Evaluierung zu Hartz IV - Argen oder optierende Gemeinden? - abgeschlossen wird. Dann wird entschieden, wie diese Dinge auf dem langen Weg zu regeln sind. An dieser Stelle ist keinerlei Hektik nötig. Alle Schritte sind vereinbart worden. Sie sollten einmal den Koalitionsvertrag lesen. Das haben Sie offensichtlich nicht getan; sonst wüssten Sie, dass wir ein Konzept bzw. einen Plan haben, wie wir das Ganze angehen, und uns in unserem Zeitplan befinden. Es gibt keinen Grund, uns voranzutreiben. ({11}) Die letzte Minute meiner Redezeit möchte ich dazu nutzen, etwas zu der angeblichen Kostenexplosion zu sagen. Im Dezember letzten Jahres haben wir in einer Größenordnung von etwa 1,75 Milliarden Euro Arbeitslosengeld II gezahlt. Im Januar waren es etwa 2,4 Milliarden. Offensichtlich ist das bei einigen zu einem Missverständnis geraten. Wenn Sie sich die Entwicklung des zweiten Halbjahres 2005 ansehen, erkennen Sie, dass in diesem Halbjahr Arbeitslosengeld II in einer Größenordnung von durchschnittlich 2,15 Milliarden Euro pro Monat gezahlt wurde. Im Januar waren es 2,45 Milliarden, weil die Ausgaben zuvor im Dezember zum Jahresabschluss stark gesunken sind. Im Februar waren es 2,25 Milliarden. Im März waren es 2,25 Milliarden. Im April waren es 2,25 Milliarden und nicht mehr. All die Geschichten, die im Moment erzählt werden nach dem Motto „Das Ding explodiert“, können nur davon kommen, dass irgendjemand nicht genau hinschaut. Es ist nicht so, dass die Kosten an dieser Stelle explodieren. Es gibt eine leichte Anhebung; aber das bewegt sich in der Größenordnung von 5 Prozent. ({12}) - Ich spreche hier zu allen und natürlich in ganz besonderer Weise zu Herrn Westerwelle. ({13}) Ich will damit nur klarstellen: Was die Entwicklung der Kosten im Bereich des Arbeitslosengeldes II angeht, so ist auch dies unter Kontrolle. An dieser Stelle findet keine Kostenexplosion statt. ({14}) Wir werden darauf zu achten haben, dass die Gelder, die zur Verfügung stehen, so eingesetzt werden, dass möglichst viele Menschen über die Vermittlung und die Qualifizierung davon profitieren und letztlich Arbeit bekommen. Es täte uns allen miteinander gut, wenn wir die Entwicklung, dass sich am Arbeitsmarkt etwas bewegt und viele Leute in diesem Lande Zuversicht gewinnen, nicht kaputtreden, sondern den Leuten sagen: Es gibt eine Chance. Es wird besser. Ihr werdet sehen, in diesem Jahr gibt es am Arbeitsmarkt eine gehörige Bewegung. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({15})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Fritz Kuhn für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

Fritz Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003577, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn man im Land genau hinschaut und hört, wie im Zusammenhang mit Hartz IV auf der einen Seite von einer riesigen Missbrauchskultur und auf der anderen Seite von Armut per Gesetz gesprochen wird, muss man sich die Frage stellen, ob dabei nicht vielleicht mit ideologischen Positionen argumentiert wird. ({0}) Zu dem, was Oskar Lafontaine gesagt hat, will ich nur eine Bemerkung machen: Wenn Sie sich hierhin stellen und sagen, alle würden jetzt schlechter gestellt, ({1}) haben Sie offenbar den alten Sozialstaat nicht gekannt. Viele Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger, vor allem Frauen, werden durch das Zusammenlegen von Arbeitslosen- und Sozialhilfe massiv besser gestellt, vor allem weil sie plötzlich Zugangsrechte zu Qualifikationsmaßnahmen am Erwerbsarbeitsmarkt haben. Aber das stört Sie offensichtlich bei der Kultivierung Ihres eigenen einfachen Weltbilds. ({2}) An die Union gerichtet möchte ich eines sagen: Sie demonstrieren hier jetzt den Schulterschluss in der Koalition. ({3}) Tatsächlich aber findet etwas anderes statt: Stoiber, Laumann, Koch und wie sie alle heißen führen eine Missbrauchsdebatte, ({4}) tun so, als hätten sie von Hartz IV nichts gewusst. Im Vermittlungsausschuss jedoch waren alle vorne mit dabei, auch Ihr Fraktionsvorsitzender, Herr Kauder. Jetzt versuchen Sie, alles, was schief läuft, auf die Seite des Koalitionspartners zu schieben und sich einen schlanken Fuß zu machen. ({5}) Ich finde daran eines unerträglich: Was Sie in Ihrer Koalition veranstalten, könnte mir ja egal sein. Sie tun dies aber zulasten der Dauerarbeitslosen; denn Sie spielen ein unredliches politisches Spiel mit den Behauptungen, dass die Dauerarbeitslosen das soziale Sicherungssystem missbrauchen würden. Ich fordere Sie auf, diese Kampagne sein zu lassen, sonst werden Leute wie Stoiber zum Problem in dieser Diskussion. ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, hier halten Sie besonnene Reden, tatsächlich aber greifen Sie auf der Ebene der Länder zulasten der Arbeitslosen an. Jetzt will ich einmal sagen, was okay ist und was noch schief läuft. Hierüber müssen wir klar reden, Herr Müntefering. Gut und richtig war die Zusammenlegung der beiden sozialen Sicherungssysteme Arbeitslosenund Sozialhilfe. Das ist keine Armut nach Gesetz, sondern die Voraussetzung für eine vernünftige Grundsicherung in Deutschland. Was aber noch nicht funktioniert, ist das Fördern. Die Förderhilfen für die Arbeitslosengeld-II-Empfänger wurden im letzten Jahr nur zur Hälfte ausgeschöpft. In diesem Jahr wird es wieder so sein. Es gibt zu wenig konkrete Maßnahmen für die Langzeitarbeitslosen; die Vermittlung über die Arbeitsagenturen - egal nach welchem Modell - funktioniert noch nicht richtig. ({7}) Wenn ein Arbeitsloser auch nach Monaten noch keinen Fallmanager gesehen hat, also auch kein Angebot bekommen konnte, kann man nicht sagen, dass sich die Förderkultur, die elementarer Bestandteil der Hartz-Gesetzgebung ist, in Deutschland bereits entfaltet hat. ({8}) Herr Müntefering, deshalb fordere ich Sie auf, die Mittel für die Durchführung der Fördermaßnahmen, die im Etat vorgesehen sind - zum Beispiel, um Menschen, die dauerhaft gehandikapt sind, wieder in Arbeit zu bringen -, tatsächlich auszuschöpfen. Die Bundesagentur für Arbeit hockt auf diesen Mitteln und versucht sie einzusparen. Sie können mir nicht erzählen, dass dies nicht ein verdecktes Spiel ist, bei dem Sie nicht mitmachen. Sie müssen das Fördern jetzt endlich auf den Weg bringen, sonst wird aus dieser Geschichte nichts. ({9}) Des Weiteren müssen wir an die zu hohen Lohnnebenkosten ran, vor allem im Niedriglohnsektor. Wir haben ein Progressivmodell vorgeschlagen, also die Lohnnebenkosten bis zu einer bestimmten Grenze massiv zu senken. Wenn Sie wirklich einen Schub in Richtung der Verringerung der Arbeitslosenzahlen leisten wollen, müssen Sie die Lohnnebenkosten im nächsten Jahr senken. Statt mit der Mehrwertsteuererhöhung Haushaltslöcher zu stopfen, sollten Sie in diesem Bereich tätig werden - damit Leute mit geringerem Einkommen insgesamt wieder eine Chance bekommen. ({10}) Nun zu der Frage „Kommunen oder Arbeitsgemeinschaften?“. Hier muss man schauen, wer im Wettbewerb der Systeme besser ist, aber nicht mehr allzu lange. Ich stelle die Frage, ob der Zeitplan - 2008 - wirklich noch zumutbar ist. Ich will auch noch einmal an die Union sagen: Es war die Union, die im Vermittlungsausschuss dieses Kuddelmuddel mit den verschiedenen Systemen ausgelöst hat. ({11}) Diese Uneinheitlichkeit macht es heute so schwer, zu der besten Lösung insgesamt zu kommen. Ich möchte zusammenfassen: Es ist richtig, dass wir uns endlich in Richtung einer Grundsicherung in Deutschland bewegt haben. Es gibt viele Defizite vor allem beim Fördern. Wir müssen auch den Menschen, die auf Dauer arbeitslos sind und mehrere Handicaps haben, eine zusätzliche, neue Chance geben. Deswegen sage ich: Es gibt keine Missbrauchskultur, sondern es gibt gegenwärtig vor allem ein massives Defizit beim Fördern. Es ist Ihre Aufgabe, Herr Müntefering, nicht nur zu schauen, nachzudenken und zu diskutieren, sondern vor allem dieses Defizit beim Fördern jetzt endlich zu beheben. ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr. Ralf Brauksiepe für die Unionsfraktion. ({0})

Dr. Ralf Brauksiepe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die FDP hat aus der Fragestunde heraus nach zweitägigem Überlegen „spontan“ diese Debatte entwickelt. Das ist legitim. Sie können uns in der Tat einen Vorwurf machen: Wir als große Koalition lösen nicht alle Probleme gleichzeitig. Wir lösen sie vielmehr Schritt für Schritt. Wir haben das SGB-II-Änderungsgesetz mit umfangreichen Maßnahmen vorgelegt und wir legen heute das SGB-II-Fortentwicklungsgesetz mit rund 70 weiteren Maßnahmen vor. Wir erledigen damit all das, was wir uns im Koalitionsvertrag zur Verbesserung von Hartz IV vorgenommen haben. Das machen wir Schritt für Schritt und wir sind im Plan. Sehr wohl nehmen wir zur Kenntnis, welche Entwicklungen sich vollziehen. Wir nehmen natürlich zur Kenntnis, dass der Bundesfinanzminister erklärt hat, dass das SGB II ein Haushaltsrisiko sei und man weiter darüber reden müsse. Deswegen werden wir das tun. Diese Debatte findet statt. Gleichzeitig lösen wir aber Schritt für Schritt die Probleme, die sich stellen, so wie wir uns das vorgenommen haben. Deswegen haben wir heute mit dem SGB-II-Fortentwicklungsgesetz eine Menge auf den Weg zu bringen. Wir werden weiter daran arbeiten. Seien Sie ganz entspannt. Der Kollege Kolb hat einmal gesagt, wir säßen an einzelnen Gesetzen länger, als er angemessen finde, und gefragt, wie das erst werden solle, wenn die Materie schwieriger werde. - Seien Sie unbesorgt. Wir haben das SGB-II-Fortentwicklungsgesetz zustande gebracht - dies wird zu erheblichen Verbesserungen führen - und wir werden auch die anderen Probleme lösen. Der Bundesfinanzminister kann sich auf die CDU/CSU-Fraktion verlassen, wenn es darum geht, den Haushalt aufzustellen. Seien Sie ganz unbesorgt, Herr Kollege. ({0}) Nun wird heute das eine Thema mit dem anderen vermengt. Mehrere Vorredner haben so geredet, als wären wir schon mitten in der Debatte über das SGB-II-Fortentwicklungsgesetz. Ich will hier auf einige Fakten hinweisen, um einen Teil dessen zurechtzurücken, was Herr Lafontaine hier fälschlicherweise gesagt hat. Wir haben für Leistungen an die ehemaligen Arbeitslosenhilfe- und Sozialhilfeempfänger im Jahr 2005 im Vergleich zum Jahr 2004 - das war das Jahr vor Hartz IV - 7 Milliarden Euro mehr ausgegeben. ({1}) Deswegen leben die Menschen nicht in Saus und Braus. Das ist wahr. Aber wie man erzählen kann, 7 Milliarden Euro mehr für die Menschen bedeuteten den sozialen Kahlschlag, ist mir unverständlich. Das muss marxistische Dialektik sein, die sich seriösen Menschen nicht erschließen kann. ({2}) Wir haben an Leistungen im SGB II neben dem häufig zitierten Regelsatz die Kosten der Unterkunft, den befristeten Zuschlag und die Hinzuverdienstmöglichkeiten berücksichtigt. Wir haben ein Schonvermögen, das im Gegensatz zu dem, was Herr Lafontaine gesagt hat, natürlich Lebensversicherungen - auch Riesterrentenprodukte - umfasst, genauso wie selbst genutztes angemessenes Wohneigentum. Herr Lafontaine, Sie dürfen nicht davon ausgehen, dass jeder wie Sie in einem Palast lebt. Das normale angemessene Wohneigentum, das die Menschen haben, ist auch bei Hartz IV, im SGB II, geschützt. ({3}) Wir haben im Gegensatz zum früheren System der Sozialhilfe die Menschen in die Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung einbezogen. Daran wird nicht gerüttelt. All diese Ansprüche bleiben durch das SGB-II-Fortentwicklungsgesetz vollkommen unangetastet. Was passiert nun tatsächlich? Im Bericht des Bundesrechnungshofes heißt es: Mit Blick auf die unbefriedigende Abschlusspraxis von Eingliederungsvereinbarungen ... sollte der Gesetzgeber die rechtlichen Möglichkeiten für den Eintritt einer leistungsrechtlichen Sanktion bei einem ungenehmigten Aufenthalt außerhalb des zeitund ortsnahen Bereichs erleichtern und die Rolle der Grundsicherungsstellen stärken. Genau das, was uns der mit Steuergeldern finanzierte Bundesrechnungshof empfiehlt, tun wir. Der Rechnungshof ist dafür da, dass er uns Empfehlungen gibt. Wir als Gesetzgeber dürfen diese nicht einfach abheften, sondern wir müssen die Empfehlungen umsetzen. Das machen wir. ({4}) Das hat nichts damit zu tun, dass die Leute ihren Aufenthaltsort nicht verändern dürfen. Aber wer sich arbeitslos meldet, erklärt damit, dass er dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht und er arbeiten will. Das heißt nicht, dass er jeden Tag rund um die Uhr da sein muss. Es kann aber nicht angehen, dass er drei Viertel des Jahres nicht erreichbar ist. Das ist Missbrauch von Geldern und das machen wir nicht mit. ({5}) Ich möchte noch einen Punkt anführen. Es ist wahr, dass wir in Deutschland immer noch zu wenig Arbeit haben, obwohl es jetzt den höchsten Rückgang der Arbeitslosigkeit in einem Mai seit der Wiedervereinigung gab. Allerdings ist die Lage nach wie vor regional sehr unterschiedlich. In dem Land, das von Edmund Stoiber regiert wird, wie auch in Baden-Württemberg haben wir in weiten Regionen annähernd Vollbeschäftigung. ({6}) Ganz anders sieht es da aus, wo Sie die Verantwortung tragen, insbesondere in Mecklenburg-Vorpommern. Das ist wahr. ({7}) Worum geht es bei den Sanktionen, von denen wir sprechen? Wir müssen dafür sorgen, dass mehr Menschen Arbeit haben. Deshalb: Wer dreimal im Jahr ein Angebot bekommt und dreimal sagt: „Nein, Arbeit will ich nicht! Ich lebe lieber von dem, was andere erarbeiten!“, und das in einer Zeit, in der Millionen Menschen keine Arbeit haben, der bedarf der Hilfe offenbar nicht und der kann, um das ganz deutlich zu sagen, nicht geschützt werden. ({8}) - Wofür treten Sie denn ein? Jedenfalls nicht für die Arbeitnehmer, nicht für die Arbeitslosen und nicht für die Hilfsbedürftigen. Mit denen machen Sie sich hier nicht gemein. Für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, für die sozial Schwachen, für die Hilfsbedürftigen und für die Arbeitslosen machen wir Politik. Das werden wir weiterhin betreiben. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Peter Haustein für die FDPFraktion. ({0})

Heinz Peter Haustein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003765, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Werbeslogan der sächsischen FDP war „Herz statt Hartz“. Wir haben das Problem aufgegriffen und sind erstaunlicherweise mit vier Sachsen in den Bundestag gekommen. ({0}) In der letzten Legislaturperiode haben wir diesem Regelwerk - mit Ausnahme der Optierung - zugestimmt. Wir halten das Gesetz nur in den Teilen für richtig, in denen es um die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe geht. Der Gedanke des Förderns und Forderns kommt zu kurz. Derjenige, der arbeitet, muss mehr verdienen, als derjenige, der zu Hause bleibt. ({1}) Wir haben damals gesagt: Das ist ein erster Schritt; dabei kann es nicht bleiben. Leider ist aber wieder einmal das eingetreten, worunter dieses Land stöhnt und worunter wir alle leiden: Es wird mit alchimistischen Methoden an einem Gesetz herumexperimentiert, anstatt mit einem mutigen Schritt umzusteuern, solange der Staat überhaupt noch Zeit dazu hat. ({2}) Das, was einmal als „Mutter aller Reformen“ - von Wolfgang Clement so genannt - gestartet war, hat bei den Menschen eine Unsicherheit ausgelöst, von der ich Ihnen erzählen will. Ich bin Bürgermeister von Deutschneudorf im Erzgebirge. Wenn die Menschen zu mir kommen, erlebe ich, dass die Leute verunsichert sind, Angst haben und nicht weiter wissen. Sie fühlen sich, obwohl wir Milliarden ausgeben, ungerecht behandelt - und das zu Recht; denn wir nehmen den Arbeitnehmern das Ersparte weg, was sie fürs Alter brauchen. So sieht es doch aus. Kommen Sie einmal aufs Land. Kommen Sie einmal an die Basis. Schauen Sie sich an, was dieses Gesetz gemacht hat! Das grundlegende Problem ist: Wir brauchen einen Politikwechsel und eine durchgreifende Steuerreform, anstatt die Verwaltung der Arbeitslosigkeit mit Milliardenbeträgen zu finanzieren. ({3}) Anstatt mit mutigen Schritten umzusteuern, um die Probleme an der Wurzel zu bekämpfen, geben wir einen Haufen Geld aus, um die Arbeitslosigkeit einfach nur zu verwalten. Wir brauchen mehr Arbeitsplätze. Was haben wir aber getan? Wir haben eine Ökosteuer eingeführt, die dazu geführt hat, dass die Betriebe ins Ausland abgehauen sind. Zudem gehen die Investitionen der Städte und Gemeinden drastisch zurück. Auch das verhindert, dass Arbeitsplätze entstehen. Die Kosten bei Hartz IV explodieren. Auf der anderen Seite zahlen wir über 50 Milliarden Euro an das Arbeitsamt, was jetzt BA heißt. Sie verwalten die Arbeitslosigkeit, schaffen aber keine Arbeitsplätze. Daran krankt unsere Politik. ({4}) Die FDP ist der Überzeugung, dass die Probleme nur dezentral und regional zu lösen sind, nicht in einer zentralistischen Mammutbehörde. ({5}) Das Übel scheint eher die Staatsgläubigkeit zu sein, der Glaube, man könne totale soziale Sicherheit mit absoluter Einzelfallgerechtigkeit erzeugen. Dabei verzettelt man sich im Klein-Klein, ohne es zu merken. Wir müssen uns Gedanken darüber machen, wie wir Synergien zur Schaffung von Arbeitsplätzen freisetzen. ({6}) Wir diskutieren darüber, ob arbeitslose Jugendliche mit 25 eine Wohnung bezahlt bekommen, anstatt uns zu fragen, wieso diese Jugendlichen überhaupt arbeitslos sind. Das ist das Problem. Von der Lehrstellenproblematik möchte ich gar nicht sprechen. Hartz IV produziert Angst vor dem sozialen Abstieg. Ich erlebe das täglich bei Gesprächen in meinem Ort. Das kann so nicht richtig sein. Wir geben auf der einen Seite Milliarden Euro aus und auf der anderen Seite haben die Menschen Angst vor der Zukunft. Das kleine Pflänzchen Konjunkturerholung werden wir nächstes Jahr mit der Mehrwertsteuererhöhung zusammenkloppen. Auch das ist nicht richtig. ({7}) Die ganze Verunsicherung der Menschen in dieser Weise ist nicht richtig. „Herz statt Hartz“ - das war unser Werbeslogan. Das halte ich für richtig. Wir könnten Milliarden Euro mit einer Dezentralisierung des Arbeitsamtes einsparen ({8}) und das Geld investieren. Das würde Arbeitsplätze schaffen. Dann würden die Probleme vor Ort gelöst und nicht in einer zentralen Mammutbehörde. In diesem Sinne ein herzliches Glückauf und vergessen Sie nicht: Hartz mit Herz. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Klaus Brandner für die SPD-Fraktion.

Klaus Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003053, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die FDP bringt uns heute Morgen in den Genuss, ein ganz besonderes Thema, das SGB-IIÄnderungsgesetz und die Veränderungen der Arbeitsmarktpolitik, zu besprechen. Ich will mich dafür bedanken, weil uns das hier die Gelegenheit gibt, auf manche Diffamierungen und Verunglimpfungen einzugehen. Sie verlängern ja damit die Debattenzeit, die wir zu diesem Thema für heute Nachmittag vorgesehen haben. Sie haben dabei, glaube ich, schnell festgestellt, dass sich die Regierung in den politischen Ansichten sehr einig ist. ({0}) Vizekanzler Müntefering hat das in seiner Rede hier deutlich gemacht. Wie ich mich erinnern kann, liebe Kollegen von der FDP, sind die Herren Rüttgers und Stoiber immer noch nicht in der Regierung, und deshalb sind sie auch keine geeigneten Personen, die Sie zitieren können, um die Regierungspolitik zu kritisieren. ({1}) Wir haben natürlich im Auge, dass die Arbeitslosigkeit systematisch zurückgeführt wird. ({2}) Die Entwicklung der Zahl der Arbeitslosen zeigt sich positiver, als manche Debattenredner es hier darstellen wollen. 255 000 Arbeitslose weniger! Wir sind auf gutem Weg. ({3}) Ich habe davon gesprochen, dass diese Aktuelle Stunde die Gelegenheit bietet, Verunsicherung abzubauen. Kollege Lafontaine hat, wie ich finde, das Solidarsystem in einer Art und Weise in Misskredit gebracht, wie man es hier so nicht einfach stehen lassen kann. ({4}) Wenn er davon spricht, die Enteignung der älteren Arbeitnehmer im Rahmen der Arbeitslosenversicherung sei vorangetrieben worden, dann zeigt er, dass er die Situation nicht verstanden hat, die über Jahrzehnte auf dem Solidargedanken aufgebaut worden ist, dass diejenigen, die in Arbeit sind, Beiträge für diejenigen leisten, die aus dem Arbeitsprozess heraus sind. Es geht hier nicht um eine Sparkasse. ({5}) Ihr Gedankengang ist der Gedankengang der FDP. Ihr Gedankengang ist der, ein Sparkonto anzulegen und aus dem Sparkonto die eingezahlten Leistungen abzurufen. Wer so etwas will, der braucht keine Sozialgesetzgebung. ({6}) Ich sage ganz deutlich: Das ist Stammtischpolitik niederster Güte. Wer eine solche Neidkampagne im Lande betreibt, der sorgt dafür, dass das, was wir an sozialstaatlichen Aktivitäten aufgebaut haben, nicht nur in Misskredit gebracht wird, sondern auch wegen dieser Diffamierungskampagne systematisch abgebaut wird. ({7}) Lassen Sie mich ganz deutlich sagen: Wenn ich davon spreche, wer hier verunglimpft, dann will ich mich durchaus auch an die rechte Seite wenden und sagen, dass man mit einer Faulheits- und einer Missbrauchsdebatte, also indem man Arbeitslose generell unter den Verdacht des Missbrauchs stellt, in unverantwortlicher Weise Verunsicherung und Angst in diesem Lande schürt. Damit sind Sie auf der rechten Seite ({8}) überhaupt nicht besser als die linke Seite des Hauses. Dort wird behauptet: Hartz IV sei der Angriff auf die Menschenwürde. Hartz IV sei eine Kriegserklärung gegen den sozialen Frieden im Land. ({9}) Arbeitslose würden ins soziale Elend getrieben, wir würden den Menschen die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein entziehen. Quasi über Nacht, also anschlagartig, würde das Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes ausgehebelt. ({10}) Es fehle nur noch die elektronische Fessel, die man ansonsten nur bei Schwerkriminellen anwendet. Dieses Niveau, auf dem Sie Ihrer Verantwortung als Parlamentarier nachkommen wollen, kann ich in keiner Weise teilen. ({11}) Sie betreiben gefährliche Hetze. Was Sie machen, ist unverantwortlich, weil Sie Falschheiten verbreiten und bewusst Irreführung betreiben. ({12}) Ich will ganz deutlich sagen, was Sie damit erreichen wollen: Sie wollen die Regierung treffen, Sozialdemokraten und Christdemokraten, und all diejenigen, die sich für einen engagierten Sozialstaat einsetzen. ({13}) Was Sie aber tatsächlich machen, ist: Sie verunsichern gerade diejenigen Menschen, die Sie eigentlich vertreten wollen. Das ist das Schlimme an dem, was Sie tun. ({14}) Man mag - ganz nebenbei - politisch fragen, ob Sie damit von der pragmatischen Politik, die Sie im Berliner Senat oder in Mecklenburg-Vorpommern betreiben und die nicht so gut ankommt, ablenken wollen; in dieser Debatte muss einmal gesagt werden, dass Sie mit Ihren Verunglimpfungen eigentlich nur von Ihren innerparteilichen Auseinandersetzungen ablenken wollen. ({15}) Ich will in diesem Zusammenhang klipp und klar feststellen: Niemand bleibt in diesem Land ohne Leistung und niemand wird verhungern. ({16}) - Ja, natürlich. Haben Sie denn auch bis zum Ende gelesen oder sind Sie noch bei der Verunglimpfung? ({17}) Erstens kann erst bei der dritten Verweigerung der Annahme einer zumutbaren Tätigkeit der Fall eintreten, dass es theoretisch zu einem hundertprozentigen Leistungsentzug kommen kann. Der Fallmanager kann eine 100-Prozent-Sanktion aber sofort auf eine 60-prozentige Kürzung reduzieren, wenn jemand eine Arbeit annimmt und er sich dem Verstoß stellt, den er begangen hat, indem er sich beharrlich einer Aktivität verweigert hat. Der zweite Punkt ist:

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, der zweite muss der letzte sein. ({0})

Klaus Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003053, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme zum Ende. - Sobald eine Sanktion verhängt wurde, die in einer Kürzung um mehr als 30 Prozent besteht, kann der Fallmanager ergänzende Sachleistungen zur Verfügung stellen oder geldwerte Leistungen erbringen. ({0}) Es muss also niemand, auch nicht im Falle wiederholter Verweigerung der Annahme einer Tätigkeit, mit einer Nichtunterstützung rechnen. Zum Schluss: Der Fallmanager soll, ja er muss ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen erbringen, wenn minderjährige Kinder in einer Bedarfsgemeinschaft leben und jemand, der beharrlich die Arbeit verweigert, sagt: Ich will von dieser Gesellschaft keine Unterstützung bekommen und habe deshalb, weil ich mich einer zumutbaren solidarstaatlichen Aktivität verweigere, auch keinen Anspruch darauf, dass die Solidargemeinschaft Leistungen für diejenigen erbringt, die durch eigene Aktivitäten selbst Leistungen erbringen könnten. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat der Kollege Hans-Joachim Fuchtel, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Hans Joachim Fuchtel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000616, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der grundlegenden Überholung des Sozialgesetzbuchs II sind die Regierung und die Regierungskoalition ganz sicher auf dem richtigen Weg. ({0}) Wenn die Kosten höher sind als geplant, ({1}) dann ist es geradezu eine Vorsorgemaßnahme der Regierung und der Koalition, über die Kosten zu sprechen und die Kosten an den Stellen zu senken, an denen sie zu Unrecht entstanden sind. ({2}) Deswegen geht es uns darum, zum einen die vorhandenen Instrumente treffsicherer zu gestalten und zum anderen die Mitnahmeeffekte aus dem System zu eliminieren. Wie wir aus dem Rechnungsprüfungsbericht vom 19. Mai dieses Jahres wissen, gibt es davon noch eine große Zahl. Unsere Arbeit besteht darin, sowohl die gerade in der Beratung befindlichen Gesetzgebungsvorhaben durchzuziehen als auch die Erkenntnisse, die sich aus dem Bericht des Bundesrechnungshofes ergeben, umzusetzen. ({3}) Herr Kollege Niebel, in einem muss ich Ihnen sehr widersprechen: ({4}) Diese Koalition macht nicht das, was wir früher im Übermaß erlebt haben: den Verschiebebahnhof zu benutzen, um die Probleme zu bewältigen. Auch Sie waren an vielen Maßnahmen beteiligt, an die Sie sich heute nicht mehr erinnern können. ({5}) Deswegen sollten Sie ganz ruhig sein, wenn wir hier über Verschiebebahnhöfe sprechen. Es geht darum: Wir haben in der aktuellen Beratung sichergestellt, dass die Mehrkosten im Bereich des SGB II aufgefangen werden und Überschüsse bei den Einnahmen aus Beiträgen nicht im Bereich des ALG II vervespert werden. Das ist etwas ganz Wichtiges, das man in den letzten Tagen in der öffentlichen Debatte sehr oft vermissen musste; deswegen sage ich es als Haushälter noch einmal so deutlich. ({6}) Dazu gehört auch, dass wir jetzt den Bericht des Bundesrechnungshofs in die Hand nehmen und feststellen, dass manches anders werden muss. ({7}) Ich gebe dem Kollegen Kuhn völlig Recht, dass die Strategie nicht heißen kann: Erst einmal die Leistung beschreiben und bezahlen, dann fünf Monate nichts tun, langsam eine Zielvereinbarung treffen, was schließlich nach sieben, acht Monaten in einer Maßnahme mündet. ({8}) Das wollen wir nicht und das hat der Gesetzgeber zu keiner Zeit gewollt, als er das Gesetz gemacht hat. So etwas muss beendet werden. ({9}) Es muss so sein, dass als Allererstes geprüft wird, was man an Beratung leisten kann. Dann muss die Maßnahme kommen und dann müssen die Leistungen erfolgen, aber nur so lange, wie sie auch wirklich notwendig sind. ({10}) Wenn wir dies beherzigen und es umsetzen, dann wird das sehr viel Geld sparen, ({11}) ohne dass irgendwem die Leistung gekürzt werden muss. Genau dieses Vorgehen ist unser strategisches Ziel. Was die 1-Euro-Jobs betrifft: Auch hier muss man eine Analyse vornehmen. Im Rechnungshofbericht kann man lesen, dass selbst ein Orchester mit 46 Mitgliedern als 1-Euro-Job hochgezogen worden ist. ({12}) Hier fängt es also schon an, dass man sich fragen muss, ob nicht Leistungen in eine ganz falsche Richtung gelenkt werden. ({13}) Auch hier muss man sich auf den eigentlichen Zweck besinnen und Leistungen nur dort gewähren, wo ein entsprechender 1-Euro-Job infrage kommt, ({14}) sie aber nicht in jede Richtung ausbreiten. Hier sind wir unzufrieden mit dem, was bis jetzt geleistet wurde. ({15}) So hat jeder seine Aufgabe auf diesem Feld. Wir prognostizieren, dass in diesem Bereich, ohne dass man an den Leistungen weitere Einschnitte vornehmen müsste, noch sehr viel Geld steckt. Wenn wir es richtig verwenden, wird uns dieses Geld helfen, mit den Haushaltsansätzen zurechtzukommen; das ist die Bemühung, die wir in den nächsten Monaten in der Koalition gemeinsam mit der Regierung Stück für Stück umsetzen werden. Sie, Herr Minister, haben dafür unsere volle Unterstützung. ({16})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat die Kollegin Krüger-Leißner von der SPD-Fraktion.

Angelika Krüger-Leißner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003164, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich zunächst einmal sagen, wie betroffen mich die Debatte, die wir in den letzten Wochen im Parlament geführt haben, macht. Ich bin eigentlich entsetzt, welches Bild wir in der Öffentlichkeit abgeben. Ich frage mich, was die Menschen in diesem Land davon halten sollen, wenn sie hören, dass wir am Montag in einer Anhörung viele ExAngelika Krüger-Leißner perten, Sachverständige da hatten, um sie zu unserem Gesetzentwurf zu befragen, und bei dieser Gelegenheit ein Spektakel organisiert wurde, ({0}) das zu einer Störung und Verunglimpfung der Experten führt, ({1}) an dem sich Abgeordnete einer Fraktion durch ihr Verhalten beteiligt haben. ({2}) Das hat für mich mit Ernsthaftigkeit überhaupt nichts zu tun. ({3}) - Das müssen Sie sich anhören! - Übrigens hat sich die gleiche Fraktion gestern aus einer sachlichen Debatte im Ausschuss gestohlen, ({4}) obwohl es doch gerade im Ausschuss wirklich um Argumente geht, um die Beratung von Änderungsanträgen als Ergebnis dieser Anhörung. ({5}) Da muss man sich doch fragen: Wie wichtig ist Ihnen die parlamentarische Arbeit und die Vertretung von Menschen, die in diesem Land Arbeit suchen, überhaupt? ({6}) Ich glaube, wir alle haben an dem Redebeitrag Ihres Vertreters gemerkt: So wichtig ist es Ihnen nicht. Wir haben flotte Sprüche gehört, althergebrachte Dinge, die wiedergekäut werden, fernab der Realität in diesem Land. ({7}) Ich glaube, wir haben gemerkt, und ich hoffe, dass auch die Menschen draußen, die Arbeit suchen, merken, dass sie sich eigentlich verhöhnt fühlen müssen von dem, was Sie hier machen. ({8}) Wenn man auf die rechte Seite schaut, muss man feststellen: Heute Morgen war es auch nicht besser: Die Inszenierung dieser Aktuellen Stunde war doch ein Krampf! ({9}) Alles, was Sie gefragt haben, ist bereits beantwortet worden, und nicht nur einmal; Sie können das in den Protokollen nachlesen. ({10}) Fazit: Die Art von parlamentarischer Arbeit, die ich in dieser Woche erlebt habe, war für mich neu. Dies hatte für mich mit ehrlichem Bemühen um neue, bessere gesetzliche Regelungen zur Fortentwicklung eines sehr schwierigen Gesetzes nichts, aber auch gar nichts zu tun. ({11}) - Ich möchte gerne in meiner Rede fortfahren. Meiner Meinung nach war in dieser Debatte in der letzten Zeit zu viel über die Themen Missbrauch und Kostenexplosion zu hören, und zwar nicht nur von der Presse, auch von einigen Abgeordneten und Landesfürsten; die Namen sind bekannt. ({12}) Ich halte das für überzogen und skandalierend. Ich möchte in diesem Zusammenhang Missbrauch nicht negieren, es gibt ihn. Aber um welche Größenordnung handelt es sich? Anfang des Jahres gab es 7,6 Millionen Leistungsempfänger. Ich denke, nur bei einem kleinen Teil besteht der Verdacht auf Missbrauch, was wir aber sehr ernst nehmen müssen und wogegen wir etwas tun müssen. Das sind wir vor allem allen ehrlichen Menschen schuldig. Der überwiegende Teil der Hartz-IV-Empfänger und -Antragsteller will eine Förderung, um wieder in Arbeit und Beschäftigung zu kommen. Die Menschen wollen unabhängig vom Staat werden und ein eigenes Einkommen für sich und ihre Familien haben. Das stimmt mit der Zielsetzung unseres Gesetzes, nämlich Fördern und Fordern, überein. Ich bin überzeugt, dass wir den Bereich Fördern in diesem Jahr durch eine bessere Betreuung und Begleitung der Arbeitsuchenden und durch eine bessere Vermittlung noch mehr stärken können. ({13}) Woher nehme ich den Optimismus? Erstens. Die Einführung des Gesetzes zum Arbeitslosengeld II hat einen komplizierten und gewaltigen sozialpolitischen Veränderungsprozess ausgelöst. Es braucht Zeit, damit dieser seine Wirkung entfalten kann. Ich frage Sie: Woher nehmen wir in Deutschland eigentlich die Arroganz, zu glauben, dass wir diesen Prozess schon nach einem Jahr im Griff haben, also schneller als andere Länder, die diesen Prozess schon hinter sich haben? Wir sprechen von einem Zeitraum von fünf Jahren. Zweitens. Zum ersten Mal begleiten wir ein Gesetz kontinuierlich durch Evaluierung und entwickeln es fort. Das gab es bei keinem Gesetz vorher. Ich denke, dass wir alle von unserer hohen Erwartungshaltung etwas aufgeben und zur Normalität und zu den Tatsachen zurückkommen müssen. Drittens. Auch der Blick heute Morgen in die Zeitung hat mich optimistisch gestimmt. Einige haben das wohl nicht getan. ({14}) Dort waren einige Fakten zu lesen, die man einfach zur Kenntnis nehmen muss. Wir haben den stärksten Rückgang der Arbeitslosigkeit seit der Wiedervereinigung. Das ist eine sehr positive Entwicklung. Das dürfen wir nicht kleinreden. ({15}) Das ist noch keine große Erleichterung; das weiß ich. Aber es ist ein erstes gutes Ergebnis für Hartz IV. Lassen Sie uns also mit sehr kritischem Blick - den dürfen wir nicht verlieren, den brauchen wir - die Entwicklung verfolgen. Aber wir dürfen die positiven Signale nicht zerreden. Das sage ich auch mit Blick auf unseren Partner, die Wirtschaft. Diesen Partner brauchen wir. Hartz IV kann uns nur gelingen, wenn wir die Wirtschaft an unserer Seite haben. Sie muss nämlich Arbeitsplätze schaffen. Dann schaffen wir auch eine gute Integration. Danke fürs Zuhören. ({16})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat der Kollege Stefan Müller, CDU/CSUFraktion. ({0})

Stefan Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003597, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute Mittag schon vieles gehört, unter anderem von der FDP, die diese Aktuelle Stunde beantragt hat. ({0}) Herr Kollege Kolb, wir haben von Ihnen vor allem gehört, wogegen Sie sind. Wofür Sie sind, haben Sie uns bislang tunlichst verschwiegen. ({1}) - Vielen Dank, Herr Niebel, dass Sie das zugerufen haben. Ich komme auf die Kommunalisierung noch zu sprechen. Ich kann mich nicht erinnern, dass Sie zum Beispiel gestern im Ausschuss Änderungsanträge zum Fortentwicklungsgesetz eingebracht haben. Man muss ehrlicherweise sagen, dass sich Ihre neuen Freunde in der Opposition zumindest die Mühe gemacht haben, Anträge zu schreiben. Dem sind Sie jedenfalls nicht nachgekommen. Ich dachte, wir würden heute Nachmittag von Ihnen vielleicht etwas mehr erfahren. Vielleicht kommt das noch, wenn es um das Fortentwicklungsgesetz geht. Darüber würde ich mich freuen. In der Vorbereitung auf diese Aktuelle Stunde habe ich versucht, gewissermaßen eine liberale Erleuchtung zu bekommen, weshalb ich mir das Internetangebot Ihrer Fraktion einmal angesehen habe. Weil dort nicht sehr viel zum Thema Hartz IV steht, habe ich ein wenig länger dafür gebraucht. ({2}) Ich bin dann aber doch fündig geworden. Das letzte Positionspapier der FDP zum Thema Hartz IV datiert in der Tat vom 2. April 2004. Es ist also über zwei Jahre alt. ({3}) Zu aktuellen Vorhaben habe ich dort zumindest nicht besonders viel gefunden. Nach einer weiteren Recherche habe ich allerdings festgestellt, dass Sie immerhin eine Kurzbewertung der Koalitionsvereinbarung zwischen der CDU/CSU und der SPD vorgenommen haben. ({4}) Das ehrt Sie ja. Ich darf aus dieser Kurzbewertung zum Thema Hartz IV zitieren: Die derzeitige Ausgestaltung des Hartz-IV-Gesetzes … weist viele Mängel auf. ({5}) Daher ist der Ansatz der Koalition richtig, dass Änderungen an der Hartz-IV-Reform kurzfristig vorgenommen werden sollen, z. B. durch Bekämpfung von Leistungsmissbrauch. ({6}) Die Koalition beseitigt damit Fehler, die zu den drastischen Mehrausgaben geführt haben. Vielen Dank für Ihre Unterstützung. ({7}) Es würde mich freuen, wenn Sie das auch durch Ihr Abstimmungsverhalten heute Nachmittag noch einmal eindrucksvoll unter Beweis stellen würden. ({8}) Immerhin klingt das auf dem Papier schon einmal konstruktiver als das, was wir bisher gehört haben. ({9}) Niemand wird bestreiten, dass es Probleme gibt, und nur wenige bestreiten, dass es Fehlentwicklungen und Missbrauch gibt. Genau deswegen gehen wir ja an diese Gesetze heran und haben wir schon vor zwei Monaten ein SGB-II-Änderungsgesetz auf den Weg gebracht. GeStefan Müller ({10}) nau deswegen werden wir heute auch das SGB-II-Fortentwicklungsgesetz auf den Weg bringen. ({11}) Wir wollen nämlich das Leistungsrecht fortentwickeln, die Verwaltungspraxis verbessern und natürlich auch Maßnahmen ergreifen, um Missbrauch zu verhindern. Wir tun das im Übrigen auch gegen erhebliche Widerstände. Ich blicke einmal auf die linke Seite des Hauses. ({12}) Wir tun das aber vor allem deswegen, weil wir uns dazu verpflichtet fühlen und weil wir denen gegenüber eine Verantwortung haben, die die ganze Veranstaltung bezahlen müssen, nämlich den Steuerzahlern. Genau deswegen werden wir dieses Gesetz heute Nachmittag beschließen. ({13}) Dass das SGB-II-Fortentwicklungsgesetz im Übrigen in die richtige Richtung geht, hat die Anhörung am Montag ja bewiesen. ({14}) Die von der FDP benannte Sachverständige, die von mir sehr geschätzte Bürgermeisterin meiner Heimatstadt Erlangen, meines Wahlkreises, hat ja bestätigt, dass es in die richtige Richtung geht. ({15}) Auch dafür bin ich ihr und auch Ihnen selbstverständlich sehr dankbar. ({16}) Nun kann man sich ja auf den Standpunkt stellen, dass das alles, was wir tun, noch nicht ausreichend ist. ({17}) Ich würde mir dann allerdings wünschen, dass Sie uns einmal sagen, wie es denn geschehen sollte. Sie kommen mit der Kommunalisierung. Richtig ist, dass wir als Union seinerzeit vorgeschlagen haben, die Betreuung der Langzeitarbeitslosen durch die Kommunen zu übernehmen. ({18}) Richtig ist, dass wir uns in einem Vermittlungsverfahren nicht durchsetzen konnten. Herr Kollege Kuhn, den Kuddelmuddel, den Sie ansprechen, können Sie natürlich nicht nur uns zuschreiben, sondern der ist in diesem Vermittlungsverfahren entstanden. ({19}) Sie waren seinerzeit ja ebenfalls nicht bereit, auf unsere Vorschläge einzugehen. Nun kann man sich auf den Standpunkt stellen, dass das richtig ist. Der Vollständigkeit halber möchte ich aber eines hinzufügen: Die Kommunen, um die es ging, haben uns seinerzeit auch im Stich gelassen. ({20}) Die Kommunen sollten auch die Betreuung der Langzeitarbeitslosen übernehmen. Insbesondere die großen Städte waren dazu nicht bereit. Die Landkreise wären dazu bereit gewesen. Die fehlende Unterstützung hat es uns wiederum sehr schwer gemacht, hier ein Ergebnis zu erreichen. Wir werden der Frage nachgehen, inwieweit wir allein mit dem Ändern von Gesetzen etwas erreichen. Durch den Bericht des Bundesrechnungshofes wurde zumindest eindrucksvoll bestätigt, dass wir hier beschließen können, was wir wollen: Wenn die Umsetzung vor Ort nicht funktioniert, dann hilft das alles im Endeffekt nichts. ({21}) Das heißt, wir werden sehr viel mehr darauf achten müssen, dass die Umsetzung in den Arbeitsgemeinschaften vor Ort und in den Optionskommunen wirklich funktioniert. ({22}) Über alles, was darüber hinausgehen soll, werden wir weiter beraten. ({23}) Sie sind herzlich eingeladen, sich an dieser Debatte zu beteiligen. ({24})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat der Kollege Rolf Stöckel, SPD-Fraktion, das Wort.

Rolf Stöckel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003240, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Während ich diese Debatte verfolgt habe, ist mir die Frage durch den Kopf gegangen, was eigentlich die Tausenden von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Argen und in den Optionskommunen sowie die Betroffenen, die seit eineinhalb Jahren konkret von der Umsetzung des SGB II betroffen sind, über diese Debatte denken. Sie müssen sich verhöhnt fühlen. Sie haben nicht nur Überstunden geleistet, weil es schwierig war, die Systeme zu transformieren, sondern auch, damit die Gelder pünktlich gezahlt werden. Sie haben sich bemüht, die Eingliederungstitel umzusetzen. Sie haben das bis Ende 2005 nur zur Hälfte geschafft. Ich könnte noch viele Beispiele von engagierten Arbeitsvermittlerinnen und Arbeitsvermittlern, Jobmanagern, Fallmanagerinnen und Mitarbeitern der Sozialverwaltung nennen, die sich in der Tat um die Betroffenen kümmern und das Fördern verbessern wollen. Wer behauptet, das Fördern funktioniere nicht, der redet an der Realität vorbei. ({0}) Das reicht nicht aus. Damit können wir noch nicht zufrieden sein. Internationale Erfahrungen haben gezeigt, dass die Umsetzung eines solch anspruchsvollen Programms in aktive Sozialstaatspolitik drei bis fünf Jahre dauert. Anderthalb Jahre nach In-Kraft-Treten des Gesetzes sind wir dabei, von „Generalrevision“ und „Hartz IV muss weg“ zu reden. Mittlerweile werden die Begriffe von rechts und links beliebig gebraucht; das haben wir gerade bei der Rede des Kollegen Lafontaine gemerkt. Er fordert die Generalrevision. Ähnlich sehen das einige Ministerpräsidenten etwa in Bayern und Nordrhein-Westfalen, die zwar den Kompromiss des Vermittlungsausschusses unterschrieben, sich aber dann vom Acker gemacht haben und jetzt aus rein oberflächlichen, durchsichtigen und parteipolitischen Gründen gegen die Politik der großen Koalition agitieren, wie die Aktuelle Stunde im Düsseldorfer Landtag - wahrscheinlich ist sie jetzt schon vorbei - zeigt. Wer das Ziel, den Betroffenen zu helfen und den aktivierenden Sozialstaat umzusetzen, wirklich verfolgt, der ist dazu verpflichtet, den Geist des Gesetzes, unter anderem auch den Charakter des Gesetzes als werdende Gesetzgebung, offensiv zu unterstützen und sich hier wieder zu einer sachlichen Debatte bereit zu finden. Was die gestrige Ausschusssitzung angeht, so muss man der Linken sagen, dass man sich überhaupt erst einmal zu einer Debatte bereit finden sollte. Hier ist mehrmals von Redlichkeit gesprochen worden. Ich will darauf noch einmal zurückkommen. Kollege Lafontaine, als Sie noch SPD-Vorsitzender waren, haben wir gemeinsam ein Wahlprogramm verabschiedet, in dem die Zusammenlegung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe oberhalb des damaligen Sozialhilfeniveaus vorgesehen war. (Widerspruch des Abg. Oskar Lafontaine ({1}) Wenn Sie heute sagen, dass dieses System, das man kritisieren und im Detail auch noch verbessern kann, der Sozialabbau schlechthin ist, dann haben Sie ein Beispiel für Unredlichkeit geliefert, das nicht zu überbieten ist. ({2}) Wir werden heute - ich muss mich beschränken, weil ich nur noch anderthalb Minuten Redezeit habe - noch über Mindestlöhne debattieren. In der Tat steht die Debatte, wie das der Minister gesagt hat, über den Niedriglohnbereich, über Kombilöhne und existenzsichernde Mindestlöhne im Zusammenhang mit Hartz IV und dem SGB II. Warum? Das muss ich einmal den Fachpolitikerinnen und Fachpolitikern der CDU/CSU sagen: Wir haben mit den Hartz-IV-Gesetzen, dem SGB II und dem Arbeitslosengeld II einen flächendeckenden Kombilohn geschaffen. Wir haben mit den Regelungen zum Arbeitslosengeld II im SGB II faktisch ein gesetzliches Mindesteinkommen beschlossen. ({3}) Die Frage, wie hoch, in welcher Form und wer demnächst Mindestlöhne beschließen wird, hat direkt etwas damit zu tun, wie hoch die ergänzende Kombileistung des Staates für entlohnte Arbeit ist, um die Existenzsicherung zu erreichen. Dabei ist es - das ist jetzt meine persönliche Meinung; wir arbeiten in meiner Fraktion und auch in der Koalition daran und werden im Herbst Ergebnisse vorlegen - gerade für die Bereiche, die tariflich nicht mehr gebunden sind, absolut notwendig, gesetzliche Mindestlöhne einzuführen, die allerdings nicht dazu führen dürfen, dass in bestimmten Branchen Arbeitsplätze wegfallen. Dieses Argument muss berücksichtigt werden. ({4}) - Ich kann Ihnen eine Zahl nennen, weil ich mich auf die Erfahrungen in Großbritannien stützen kann. Der Mindestlohn muss auf jeden Fall unter 7,50 Euro liegen, weil etwa im Bereich Nahrung und Gaststätten die Tarife wesentlich niedriger liegen. Das ist aber an sich kein Problem, weil wir faktisch mit dem ALG II ein Mindesteinkommen geschaffen haben. ({5}) Wenn wir von Mehrkosten oder sogar einer Kostenexplosion sprechen, dann müssen wir Folgendes registrieren: Wir haben in der Tat die vielen Tausenden von erwerbsfähigen Arbeitslosen in der Bundesrepublik, die im Schatten waren, ans Licht geholt. Das verursacht anfangs höhere Kosten. Wir werden umso mehr Geld einsparen, je besser wir gemeinsam an der aktiven Förderung und vor allen Dingen an der Qualifizierung der Langzeitarbeitslosen arbeiten. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Als letzte Rednerin dieser Debatte spricht die Kollegin Andrea Nahles, SPD-Fraktion.

Andrea Nahles (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich komme aus der Vulkaneifel und kenne mich mit Explosionen aus. Was hier als Kostenexplosion bezeichnet wird, entbehrt jeder Grundlage. ({0}) Was Ihnen am 2. Mai als Bundestagsdrucksache zugegangen ist, hat keine Kostenexplosion zur Folge. Vor der Änderung des Hartz-IV-Gesetzes haben wir insgesamt 43,5 Milliarden Euro für Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik - zum Beispiel im Rahmen des SGB II und der Arbeitslosenhilfe - ausgegeben. Wenn wir jetzt unter dem neuen Hartz-IV-Gesetz 44,5 Milliarden Euro ausgeben, ({1}) dann ist das keine Kostenexplosion, sondern eine normale Schwankung. ({2}) Deswegen bitte ich, davon Abstand zu nehmen, solche Märchen in die Welt zu setzen. Ich komme zu einem weiteren Punkt. Ich bekenne mich dazu, dass ich es für notwendig erachte, bei der Gewährung von bedarfsorientierten Leistungen darauf zu achten, was damit passiert. Mein Vater hat 45 Jahre auf dem Bau gearbeitet. Er hat sein Brot durch harte Arbeit verdient und er hat Steuern gezahlt. Ich stehe voll und ganz dahinter, danach zu fragen, wofür diese Steuermittel ausgegeben werden, und sage klar, dass einem Missbrauch mit Sanktionen begegnet werden muss. ({3}) Insoweit bitte ich aber auch, präzise zu sein. Ich bitte diejenigen, die alles, was in den letzten Jahren passiert ist, pauschal als Missbrauch diffamieren, um Zurückhaltung. Denn es trifft nicht zu, dass diejenigen, die Bedarfsgemeinschaften gegründet haben - wie wir es schließlich im Gesetz vorgesehen haben -, Leistungen missbrauchen; vielmehr haben wir gesetzliche Regelungen geschaffen, die wir aufgrund der Erfahrungen in der Praxis jetzt teilweise korrigieren müssen. Deswegen stehe ich klipp und klar dazu, die Beweislastumkehr einzuführen; das heißt, wir wollen bundeseinheitlich klären, was eine Bedarfsgemeinschaft ist. Dafür sollten wir rechtliche Kriterien festlegen, statt eine Sippenhaft zu praktizieren, wie Sie es polemisch gefordert haben. Die Betroffenen bekommen eine klarere Rechtsgrundlage. Denn bisher kann jede Arge und jeder Arbeitsvermittler vor Ort nach seinem Ermessen entscheiden. Ich meine, dass wir mehr Rechtssicherheit schaffen und eine bundeseinheitliche Regelung einführen sollten. Das würde keine Verschlechterung, sondern eine Verbesserung für die Menschen bedeuten. ({4}) Im Übrigen müssen wir an dieser Stelle deutlich machen, dass es zu wenig gute Beschäftigungsangebote für arbeitslose Menschen in diesem Land gibt. Ich verwahre mich deswegen sehr dringend gegen die polemische Behauptung, dass die Arbeitslosen in diesem Land in der Hängematte liegen. In diesem Zusammenhang verweise ich auf eine Untersuchung des IAT bzw. des Bundesarbeitsministeriums aus dem vergangenen Jahr über das Verhalten von Menschen in unteren Einkommensgruppen. Es gibt eine Schwemme von Bewerbern gerade für einfache und niedrig bezahlte Tätigkeiten. 2,6 Millionen Menschen in diesem Land arbeiten Vollzeit für Armutslöhne. Sie hätten vielleicht mehr in der Tasche, wenn sie zu Hause bleiben und Transferleistungen erhalten würden; sie wollen aber arbeiten, weil sie Anstand haben und in der Arbeit einen Sinn und eine Aufgabe für ihr Leben sehen. Deswegen bitte ich dringend darum, in der Öffentlichkeit nicht den Eindruck zu vermitteln, die Arbeitslosen in diesem Land lägen in der Hängematte. Das ist nämlich Quatsch. Es geht vielmehr darum, dass sie mehr gute Arbeitsangebote brauchen. Da müssen wir ansetzen. ({5}) Ich möchte darüber hinaus anmerken - das ist mir sehr wichtig -, dass es hier eine Verunsicherung ersten Ranges gab, als behauptet wurde, in diesem Lande würden Menschen verhungern, weil wir im Falle von Sanktionen die Leistungen auf maximal null reduzieren. Das ist Quatsch. In Deutschland kann niemand unter die Grenze der Existenzsicherung fallen. Das hat das Bundesverfassungsgericht eindeutig festgestellt. ({6}) Das wurde schon mehrfach gerichtlich bestätigt, weiland übrigens bei den Asylbewerbern. Daher gibt es keine Chance, dieses Gesetz verfassungswidrig zu machen, was seine Ausführungsbestimmungen angeht. Es wird in Zukunft in bestimmten Fällen zwar keine Geldleistungen mehr geben, wohl aber Sachleistungen. ({7}) Um Irritationen zu vermeiden: Lasst euch nicht aufhetzen! In diesem Land erhält jeder das für sein Existenzminimum Notwendige; das garantieren wir. ({8}) Bei den Grünen bedanke ich mich für die Versachlichung der Debatte; das hat gut getan. Bei aller berechtigten Kritik an den noch vorhandenen Schwächen im Bereich der Förderung sind die Grünen mit diesem Thema so umgegangen, wie es parlamentarisch angemessen ist. Vielen Dank. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Damit ist die Aktuelle Stunde beendet. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b auf: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({0}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Werner Dreibus, Dr. Barbara Höll, Dr. Axel Troost, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Mindestlohnregelung einführen - zu dem Antrag der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Irmingard Schewe-Gerigk, Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Mindestarbeitsbedingungen mit regional und branchenspezifisch differenzierten Min- destlohnregelungen sichern - Drucksachen 16/398, 16/656, 16/989 - Berichterstattung: Abgeordneter Paul Lehrieder b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Heinrich L. Kolb, Dirk Niebel, Christian Ahrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Gesetzliche Mindestlöhne ablehnen - Drucksache 16/1653 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({1}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Fraktion Die Linke werden wir später namentlich abstimmen. Ich bitte Sie, darauf zu achten, dass auf Ihren Stimmkarten Ihr eigener Name steht. ({2}) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Ich gebe als erster Rednerin der Kollegin Anette Kramme, SPD-Fraktion, das Wort. ({3})

Anette Kramme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003162, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das alles macht Frau Nahles doch hervorragend, nicht wahr, Herr Niebel? ({0}) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland kein Problem mit zu hohen Löhnen im unteren Tätigkeitssegment, sondern ein Problem mit zu niedrigen Löhnen. Ein Wachmann erhält einen Stundenlohn von 3 Euro. Eine Kassiererin kommt bei einer 38-StundenWoche auf einen Monatsverdienst von 800 Euro. Ein Friseur in Thüringen arbeitet für einen Stundenlohn von 3,18 Euro. Beispiele lassen sich wie Sand am Meer finden. Die „Geiz ist geil“-Philosophie hat in widerwärtiger Weise auf den Arbeitsmarkt übergegriffen. In zahlreichen Branchen gibt es das sprichwörtliche Fass ohne Boden. Dabei sind die Schutzregelungen im deutschen Recht schlichtweg unzureichend. § 138 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, der Wucher verbietet, gewährt nur dann einen Anspruch auf zusätzliche Bezahlung, wenn die Vergütung mindestens 25 bis 30 Prozent unter der ortsüblichen bzw. tariflichen liegt. Der Arbeitnehmer trägt darüber hinaus die Beweislast dafür, dass die Lohnabrede unter Ausbeutung seiner Zwangslage zustande gekommen ist. Prozesschancen hat er nur, wenn er beim Einstellungsgespräch seine Notlage offenbart hat. Zuallerletzt: Jede richterliche Überprüfung setzt den Gang zur Arbeitsgerichtsbarkeit voraus. Viele Menschen klagen nicht, weil sie schlichtweg Angst vor Repressalien ihrer Arbeitgeber haben. Die Situation ist: 7,7 Millionen vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer verfügen lediglich über 50 bis 75 Prozent des Durchschnittseinkommens von 2 884 Euro. Rund 2,5 Millionen Menschen haben sogar weniger als 50 Prozent dieses Betrages. Internationale Organisationen bezeichnen das ganz klar als Armutslöhne. Working Poor - da müssen wir Farbe bekennen - gibt es nicht nur in den USA, sondern auch in der Bundesrepublik Deutschland. Die Tarifbindung ist seit den 90er-Jahren spürbar zurückgegangen. Laut IAB-Panel sank die Tarifbindung der Beschäftigten im Zeitraum bis 2003 im Westen von 76 auf 70 Prozent und im Osten von 63 auf 54 Prozent. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass es nicht mehr ausreicht, Löhne tariflich abzusichern oder einzelne Tarifverträge für allgemein verbindlich zu erklären. Die Hälfte aller Arbeitnehmer im Osten bliebe schlichtweg auf der Strecke. Fakt ist, dass es auch unakzeptable Tarifverträge gibt. Die Aufstellung des Bundesarbeitsministeriums aus dem Jahr 2003 weist nach, dass es 670 Tarifvereinbarungen mit weniger als 6 Euro brutto Stundenlohn gibt. Das ist unsere Ausgangsposition. Wir stehen deshalb vor der Aufgabe, dafür zu sorgen, dass auch Geringqualifizierte in Deutschland wieder Chancen auf Arbeit haben und dafür einen Lohn bekommen, mit dem sie leben können. Wir nehmen diese Aufgabe ernst. Ich sage dennoch, dass wir uns unüberlegte und populistische Schnellschüsse, wie den vorliegenden Antrag der Linken, nicht leisten können. ({1}) Mit Ihrer Forderung nach einem einheitlichen Mindestlohn von pauschal 8 Euro machen Sie es sich zu leicht. Wir brauchen beispielsweise Klarheit darüber, wie das Verhältnis zum Sozialrecht sein soll. Haben Sie einmal ausgerechnet, wie viel jemand verdienen muss, damit er so viel hat wie ein ALG-II-Empfänger? Ein Alleinverdiener mit zwei oder drei Kindern brauchte 10,50 Euro in der Stunde. Ein Single ohne Kinder muss hingegen nur zwischen 4,80 Euro und 5 Euro verdienen. Wir müssen uns über die Höhe eines Mindestlohns klar werden. Ist der Mindestlohn zu hoch angesetzt, wird er zum Einstellungshindernis, gerade für Ältere und Jugendliche. Wird er zu niedrig festgesetzt, haben wir den ungewollten staatlich legitimierten Niedriglohnbereich. ({2}) Wir müssen überlegen, ob wir mit branchenspezifischen Lösungen arbeiten oder mit einer einheitlichen Regelung mit Übergangsfristen. Wie setzen wir die genauen Maßstäbe bei branchenspezifischen Lösungen oder wie lang bemessen wir Übergangsfristen? Treffen wir selber die Entscheidung über die Höhe einer Mindestsicherung oder greifen wir auf die Tarifvertragsparteien oder auf einen Sachverständigenrat zurück? Es gibt eine Vielzahl von Fragen, deren Beantwortung genauerer Überlegung bedarf. ({3}) Um es in aller Deutlichkeit zu sagen: Wir brauchen eine untere Auffanglinie. Da sind wir uns in diesem Hause - lassen wir einmal die FDP beiseite - einig. Und das ist gut so. ({4}) Wir brauchen eine relativ kurzfristige Lösung. Auch darüber sind wir uns einig. Und auch das ist gut so. Wir haben im Koalitionsvertrag festgelegt, das Arbeitnehmer-Entsendegesetz auf das Gebäudereinigerhandwerk auszudehnen. Wir werden im Herbst einen Vorschlag zu Kombilöhnen und Mindestlöhnen vorlegen. Ich bin zuversichtlich, dass wir eine gute Lösung finden. ({5}) Ein allerletzter Satz. Ian Brinkley, Chefökonom des britischen Gewerkschaftsbundes TUC, bringt es auf den Punkt: Heute sagen auch die Arbeitgeber in Großbritannien, dass der Mindestlohn ein Erfolgsmodell ist. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Als Nächster hat das Wort der Kollege Dr. Heinrich Kolb, FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich über die freundliche Begrüßung, Herr Kollege Brauksiepe. Frau Kollegin Kramme, ich möchte an Ihre Adresse sagen: Sie haben hier Fragen über Fragen aufgeworfen; aber außer einem imaginären Hinweis auf eine untere Auffanglinie haben wir von Ihnen nicht gehört, wie eine Lösung aussehen könnte. ({0}) Da ein gesetzlicher Mindestlohn, wie er von den Linken heute hier in einem Antrag gefordert wird, einen nicht unerheblichen Eingriff in den Arbeitsmarkt darstellt, möchte ich zunächst einmal eines festhalten: Der Lohn eines Arbeitnehmers und der Wert der von ihm produzierten Güter oder Dienstleistungen stehen in einem engen und auch unauflöslichen Zusammenhang; kein Unternehmen kann einem Arbeitnehmer auf Dauer einen Lohn zahlen, der durch den Wert der Gegenleistung nicht gedeckt ist. Verstöße gegen diese Grundregel der Marktwirtschaft, Herr Kollege Stöckel, werden im Wettbewerb ganz unweigerlich und ausnahmslos mit der Insolvenz des Unternehmens bestraft. Das ist so; das muss man sehen. ({1}) - Ja, Sie haben das vorhin in gewisser Weise sogar eingeräumt. Vor diesem Hintergrund stößt die Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn - das will ich hier deutlich sagen - auf den entschiedenen Widerspruch der FDP-Bundestagsfraktion. ({2}) Arbeitnehmer, die nach dem, was ich gesagt habe, über eine nur geringe Produktivität verfügen - das ist oft mit einer geringen Qualifikation gleichbedeutend -, werden durch die Einführung eines Mindestlohns vom ersten Arbeitsmarkt faktisch ausgeschlossen. ({3}) Schon heute sind aber fast 40 Prozent der 4,6 Millionen Arbeitslosen ohne eine abgeschlossene Berufsausbildung. In den alten Bundesländern liegt der Anteil sogar noch höher. Diese Menschen wären nicht etwa Begünstigte, sondern Opfer der Einführung von Mindestlöhnen, Frau Kollegin Nahles, weil ihr Wunsch nach einem neuen Arbeitsplatz mit einem gesetzlichen Mindestlohn endgültig in unerreichbare Ferne rückt. ({4}) Aber es werden nicht nur Arbeitslose ausgeschlossen, sondern es werden auch viele bestehende Arbeitsplätze gefährdet. ({5}) - Frau Präsidentin! - Nach einer Studie des DIHK verdienen hierzulande derzeit 1,3 Millionen Vollzeitbeschäftigte weniger als 6 Euro pro Stunde. Legt man die DGB-Forderung von 7,50 Euro pro Stunde zugrunde, dürften sogar mehr als 2,6 Millionen Menschen betroffen sein, das heißt bei Einführung eines Mindestlohns ganz konkret von Arbeitslosigkeit bedroht sein.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kolb, möchten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Nahles zulassen?

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr gern.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bitte schön. ({0})

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

- Ja, ich freue mich. ({0})

Andrea Nahles (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

So geht das bei uns von „Arbeit und Soziales“ mit dem Freuen. ({0}) - Wenn alle da sind, wenn alle da bleiben. Sie behaupten indirekt immer wieder: Sobald ein Mindestlohn eingeführt wird, wird das Arbeitsplätze kosten. - Haben Sie zur Kenntnis genommen, dass es dazu ausführliche Studien gibt, allein zehn Untersuchungen der wichtigen Wirtschaftsinstitute in Deutschland, und acht von diesen zehn klipp und klar besagen, dass es nachweislich keine positiven, aber auch keine negativen Arbeitsmarkteffekte in den betreffenden Ländern - das sind 18 von 25 in Europa; aber auch in den USA wurde untersucht - gibt? ({1}) Haben Sie also zur Kenntnis genommen, dass es für Ihre Aussage - Mindestlöhne kosten Arbeitsplätze - keinerlei empirischen Belege gibt?

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin Nahles, ich habe Kenntnis von der Aussage eines Sachverständigen der Bundesregierung, der das Ganze auf die schöne Formel gebracht hat, ein Mindestlohn sei maximaler ökonomischer Unsinn. Besser kann ich es auch nicht ausdrücken. ({0}) Frau Kollegin Nahles - bleiben Sie noch stehen! -, das Grundgesetz der Marktwirtschaft - ich habe das eingangs gesagt - können Sie nicht außer Kraft setzen. Ein Unternehmer kann vielleicht für eine bestimmte Zeit einen Lohn zahlen, der über der Produktivität liegt, aber auf Dauer geht das eben nicht. Mit einem bestimmten Timelag wird - davon bin ich fest überzeugt - ein Verlust von Arbeitsplätzen eintreten. Diese Arbeitsplatzvernichtung droht übrigens besonders in den neuen Bundesländern, weil dort die Löhne nur etwa 80 Prozent des Westniveaus betragen. Die Linken als Regionalpartei Ost leisten den Menschen dort mit ihrem Antrag einen Bärendienst - der Meinung bin ich -, weil die Verlierer eines Mindestlohns zwischen Rostock und Sonneberg, zwischen Eisenach und Cottbus wohnen. ({1}) Nun ist ein Stundenlohn von 4,60 Euro, wie er etwa in Sachsen für eine Friseuse tarifvertraglich vereinbart wurde - mit Unterschrift der Arbeitgeber und Gewerkschaften -, alles andere als auskömmlich - das sehen wir natürlich auch -, aber die Formel des Bundesarbeitsministers „Wer Vollzeit arbeitet, muss auch davon leben können“ nützt denen, die Vollzeit arbeitslos sind oder werden, überhaupt nichts. Deswegen kann die Lösung nicht darin bestehen, den Lohn per Gesetz nach oben zu definieren. Die Lösung liegt darin, denen, deren Bedarf durch eigenes Arbeitseinkommen nicht ausreichend gedeckt wird, einen Transfer zu gewähren, der die bestehende Lücke schließt. Die FDP hat dazu mit ihrem Konzept eines Bürgergeldes einen ganz konkreten Vorschlag gemacht. Eine negative Einkommensteuer, also eine Steuergutschrift, soll denen zugute kommen, die bereit sind, auch für einen geringeren Stundenlohn zu arbeiten. ({2}) Es wäre also falsch, den Niedriglohnsektor zu eliminieren. Das Gegenteil ist richtig, Frau Nahles. Deutschland braucht dringend einen wirklich funktionierenden Niedriglohnsektor, einen Niedriglohnsektor, in dem die Aufnahme einer nur gering entlohnten Beschäftigung attraktiver ist als die ausschließliche Inanspruchnahme staatlicher Transferleistungen. Das ist im Grunde auch die Frage, vor der wir bei Hartz IV stehen. ({3}) Man mag ja über die Höhe der Regelsätze streiten - der Herr Kollege Stöckel hat es ja gesagt -, aber darüber, dass sie am Ende praktisch wie ein Mindestlohn wirken, sollte in diesem Hause Konsens herrschen. ({4}) Anders als der DGB ist der CGB, der Christliche Gewerkschaftsbund Deutschlands, wie die FDP ein entschiedener Gegner gesetzlicher Mindestlöhne. ({5}) Der CGB ist auch - das sage ich an die Adresse der Kollegen der Union - gegen eine Ausdehnung des Entsendegesetzes auf andere Branchen. Sie wissen, dass dieses Ziel speziell für die Zeitarbeitsbranche vom DGB zurzeit mit Nachdruck verfolgt wird. Aber - das muss man hier klar sagen - eine solche Ausdehnung wäre eine Vernichtung quasi durch die Hintertür der derzeit bestehenden Tarifvertragspluralität, für die der Christliche Gewerkschaftsbund in der Vergangenheit hart gekämpft hat. ({6}) Ich bin mir sicher, dass der Antrag der Linken heute hier keine Mehrheit finden wird. ({7}) Aber ich bin gespannt, wie die Koalition, insbesondere die Union, sich in dieser Frage verhalten wird. Noch vor einem Jahr war die Haltung der CDU klar. Frau Merkel, die damalige und auch jetzige Bundesvorsitzende der Union, hat gesagt: Wir wollen keinen gesetzlichen Mindestlohn. - Herr Kauder, Herr Laumann und Herr Pofalla haben zugestimmt und gesagt: Mit der Union auf keinen Fall. Das ist zwar erst knapp ein Jahr her; aber heute klingt das anders und das macht mich sehr hellhörig: Man stehe diesem Thema grundsätzlich offen gegenüber, heißt es nun. ({8}) Das lässt bei mir in der Tat alle Alarmglocken schrillen. Ich sage insbesondere an die Adresse der Union: Finger weg vom Mindestlohn! Wir brauchen in Deutschland nicht mehr, sondern weniger staatliche Eingriffe, nicht mehr, sondern weniger Bürokratie, nicht mehr Planwirtschaft, sondern mehr Marktwirtschaft. Ich habe - das sage ich zum Schluss - die Vorstellung, dass in Wahlkampfzeiten ein gesetzlicher Mindestlohn politisch instrumentalisiert werden wird, ganz nach dem Motto: Wer bietet mehr? Wenn es einen Mindestlohn von 7,50 Euro gibt und sich mit 8 oder 9 Euro Wähler mobilisieren lassen, wird genau das auch geschehen. Die Politik aus der Lohnfindung herauszuhalten, war eine sehr kluge Idee der Väter des Grundgesetzes, wie ich finde. Wir sollten deren Rat auch heute beherzigen ({9}) und der Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn ebenso wie der Forderung nach einer Ausdehnung des Entsendegesetzes eine klare Absage erteilen. Vielen Dank. ({10})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich erteile das Wort der Kollegin Gitta Connemann, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Gitta Connemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003514, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Welchen Wert hat Arbeit? Das ist die eigentliche Kernfrage der heutigen Debatte. Für die Damen und Herren von den Linken liegt die Antwort ausschließlich in dem Wert einer Arbeitsstunde: 8 Euro sollen es nach Ihrem Antrag sein. Arbeit dient natürlich dem Lebensunterhalt, gar keine Frage. Aber sie gibt auch mehr: Beschäftigung, Sinn, Aufgabe und Würde. Das ist eine alte Weisheit. Ich zitiere insoweit den verstorbenen Präsidenten Harry S. Truman: Wir wissen, dass die Begriffe Arbeit und Menschenwürde nicht sentimentale Utopien sind, eitle Hoffnungen oder rhetorische Schnörkel. Sie sind die stärksten und schöpferischsten Kräfte der ganzen Welt. Arbeit und Würde hängen untrennbar zusammen. Dies erleben schmerzhaft alle, die vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen sind. Mehr als die Hälfte davon sind Langzeitarbeitslose und Geringqualifizierte, Menschen ohne Schulabschluss, ohne Ausbildung, ohne Perspektive. Nicht alle Menschen sind gleich leistungsfähig. Dies lässt sich nun einmal nicht ignorieren. Es gibt nicht nur die Starken, die Klugen, die Gesunden. Wenn wir den Schwächeren wirklich helfen wollen, müssen wir ihnen eine Chance auf dem Arbeitsmarkt bieten. Das ist möglich. ({0}) Ich habe vor kurzem ein Berufsbildungswerk in meinem Wahlkreis besucht. Dort werden Sonderausbildungsformen für Lernbehinderte angeboten, unter anderem die so genannte Helferausbildung. Mehr als 50 Prozent der Jugendlichen werden nach dieser Ausbildung vermittelt, allerdings wegen geringerer Qualifikation zu niedrigeren Löhnen. Meine Damen und Herren von den Linken, bei einem gesetzlichen Mindestlohn von 8 Euro hätten diese Jugendlichen eines nicht: Arbeit. ({1}) Da kann Ihr Kollege Herr Gysi in der letzten Debatte viel von Mindestanforderungen sprechen, die Sie an Arbeitgeber stellen. Sie zeigen mit dieser Forderung aber nur eines: vollständige Unkenntnis der Lage gerade der kleinen und mittelständischen Betriebe. ({2}) Wissen Sie eigentlich, was zum Beispiel einem Handwerkerbetrieb bei einem Stundenverrechnungssatz von 44 Euro bleibt? Genau 1,20 Euro. ({3}) Da bleiben einem kleinen oder mittelständischen Unternehmen keine Spielräume mehr. Mir ist natürlich klar, dass Sie das aufregt, dass diese Realität nicht in Ihr ideologisches Weltbild passt. ({4}) Ich zitiere aus dem neuesten Jahresgutachten des Sachverständigenrates: Die überproportional angehobenen oder gar gänzlich gestrichenen unteren Tariflohngruppen haben in den vergangenen beiden Jahrzehnten nicht unwesentlich zu dem dramatischen Anstieg der Arbeitslosigkeit gering qualifizierter Arbeit beigetragen … Ein gesetzlicher Mindestlohn … wiese ähnliche Effekte auf. Ein Verlust von Arbeitsplätzen wäre die Folge. Dies ist nicht nur bei gering Qualifizierten der Fall, sondern insbesondere auch bei Menschen in den neuen Bundesländern. Der Kollege Carsten Schneider von der SPD hatte Recht, als er jetzt in der „Leipziger Volkszeitung“ warnte: Es bringt nichts, in München einen Lohn festzulegen, der im Osten alle Arbeit platt macht. ({5}) Ein Mindestlohn von 8 Euro wäre für die Menschen in Thüringen und Sachsen eine reine Jobvernichtungsaktion. Eine Kfz-Werkstatt in Görlitz muss mit einer Werkstatt im polnischen Zgorzelec konkurrieren. Die beiden Städte trennt nur ein Fluss. In Polen gibt es einen Mindestlohn; dieser liegt aber bei 1,15 Euro pro Stunde. In Tschechien beträgt er 1,24 Euro pro Stunde. Diese Länder sind unsere direkten Nachbarn. Wir wollen solche Löhne nicht. Aber nur wenn wir besser und produktiver sind, können wir höhere Löhne zahlen. ({6}) Ich weiß, was jetzt kommt, nämlich der Hinweis auf die höheren Mindestlöhne in Frankreich und Großbritannien. Aber genau dieser Hinweis greift nicht. Denn empirische Studien belegen - auch diese werden im Jahresgutachten des Sachverständigenrates zitiert -, dass der Salaire minimum in Frankreich mitverantwortlich für den Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit war. ({7}) - Liebe Frau Nahles, regen Sie sich nicht auf, sondern lesen Sie einfach im Jahresgutachten des Sachverständigenrates nach! ({8}) - Ich verstehe aufgrund Ihres vulkanischen Temperaments Ihren Zuruf. Aber trotzdem mein Rat an Sie, in diesem Gutachten einmal nachzulesen. ({9}) Ich komme jetzt auf Großbritannien zu sprechen. Dort übernimmt der Mindestlohn die Funktion einer Mindesteinkommensregelung. Ein Engländer ohne Arbeit muss mit 669 Euro auskommen. Dies ist in Deutschland anders. Denn wir haben durch ALG II und weitere ergänzende Sozialleistungen schon einen Quasimindestlohn. Laut IW Köln beläuft sich der ALG-II-Anspruch bei einem Singlehaushalt auf 850 Euro brutto, bei einem Vierpersonenhaushalt auf rund 2 000 Euro brutto. Bundesminister Franz Müntefering hat deshalb auf dem DGB-Kongress in der vergangenen Woche zu Recht vor einem gesetzlichen Mindestlohn von 7,50 oder 8 Euro gewarnt. Ich erlaube mir, ihn zu zitieren: Wenn das kommt, geht der Familienvater als Alleinverdiener mit weniger Geld nach Hause als der, der ALG II bekommt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin, möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kolb zulassen?

Gitta Connemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003514, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Immer. ({0})

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin Connemann, ich habe Ihnen aufmerksam zugehört. Ich bin mir aber nicht ganz schlüssig, ob Sie generell gegen einen gesetzlichen Mindestlohn sind oder ob Sie nur gegen einen gesetzlichen Mindestlohn in der Höhe von 8 oder 8,50 Euro sind. Vielleicht können Sie es am Schluss Ihrer Rede einmal klipp und klar sagen.

Gitta Connemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003514, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lassen Sie sich überraschen. ({0}) - Nein. Die Antwort werde ich Ihnen am Ende dieser Rede geben. Das wird die reine Offenbarung werden. ({1}) Ich war bei dem Zitat des Bundesministers Franz Müntefering stehen geblieben, der auf die Problematik bezüglich des Mindestlohns hingewiesen hatte. Ein Einkommen unterhalb des Mindestlohns bietet eigentlich keinen Anreiz mehr zur Arbeitsaufnahme. Eigentlich. Denn wissen Sie, was mich wirklich beeindruckt? Dass trotzdem sehr viele Menschen in diesem Land lieber für weniger arbeiten, als staatliche Transferleistungen in Anspruch zu nehmen und davon abhängig zu werden. Leider arbeiten diese Menschen manchmal für einen viel zu geringen Lohn. Etwa 1,3 Millionen Beschäftigte verdienen in Deutschland weniger als 1 000 Euro bzw. 6 Euro pro Stunde - übrigens auch in tarifgebundenen Branchen. Einige Beispiele sind von der Kollegin Kramme schon genannt worden. Es ist keine Frage, dass man von solchen Löhnen nicht leben kann. Der Beschäftigte muss aber von seinem Lohn leben können; alles andere wäre mit seiner Würde unvereinbar. Mit der CDU/CSU-Bundestagsfraktion sind Hungerlöhne nicht zu machen. Missbrauch und Lohndumping werden wir nicht tatenlos zusehen. ({2}) Aber wenn es einen Markt für gering bezahlte Tätigkeit gibt, dann müssen wir darüber nachdenken, wie man sie durch staatliche Hilfen attraktiver machen kann. Kombilohn, Ausweitung des Entsendegesetzes - das sind nur einige Stichworte. Wir sind in der Diskussion. Die Bundesregierung wird im Herbst einen Vorschlag unterbreiten. Was uns sicherlich nicht hilft, sind Schnellschüsse wie ein Nacht-und-Nebel-Antrag der FDP-Fraktion, ({3}) wie er jetzt unterbreitet wurde, oder aber ein kaum durchdachter Antrag der Grünen. Ich bin froh, dass diese Diskussion in der großen Koalition offen und ohne ideologische Scheuklappen geführt wird. Am Ende dieser Diskussion muss eines stehen: nicht weniger Arbeit, sondern mehr. Zuerst kommt das Ziel, dann die Instrumente. Der Maßstab bleibt die Würde des Einzelnen. Diese ist für uns unantastbar. Vielen Dank. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für den Bundesrat erhält das Wort der Kollege Harald Wolf, Senator für Wirtschaft, Arbeit und Frauen, Berlin. ({0})

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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir brauchen in Deutschland dringend einen Mindestlohn. Beispiele dafür, dass tarifgebundene Beschäftigungen keine existenzsichernden Einkommen mehr gewährleisten, sind genannt worden. Im Wachschutzgewerbe in Berlin gibt es einen Stundenlohn von 5,30 Euro und bei Friseurinnen und Friseuren in Ostdeutschland einen Stundenlohn von gerade 3 Euro. Das sind Löhne, die nicht akzeptabel sind. Das ist Arbeit, bei der die Vollzeitbeschäftigung arm macht. Eine Existenzsicherung in Würde, Frau Kollegin, wird damit nicht gewährleistet. ({0}) In den letzten Tagen und Wochen ist viel über die Revision von Hartz IV diskutiert worden. Unter anderem hat Herr Stoiber aus Bayern erklärt, es sei nicht hinnehmbar, dass manche Vollzeitbeschäftigungen nur ein Nettoeinkommen ermöglichen, das unterhalb des Niveaus von Hartz IV liegt. Ich bin da mit Herrn Stoiber einig. Auch ich halte das für einen nicht hinnehmbaren Zustand. Nur, meine Konsequenz ist eine völlig andere. Meine Konsequenz ist nämlich nicht, dass die Transferleistung gesenkt werden muss. Meine Konsequenz ist vielmehr: Die Löhne müssen auf ein existenzsicherndes Niveau angehoben werden. ({1}) Hartz IV ist mehr und mehr - auch das ist in der Debatte bereits gesagt worden - zu einem flächendeckenden Kombilohn geworden. Wenn es richtig ist, dass wir mittlerweile fast 1 Million Aufstocker haben - diese Zahl hat sich aus einer Umfrage ergeben -, das heißt Menschen, die ihr nicht existenzsicherndes Einkommen mit Leistungen aus Hartz IV aufstocken, dann - so muss ich sagen - haben wir an dieser Stelle in der Tat eine Kostenexplosion zu verzeichnen, nämlich eine flächendeckende Subventionierung von nicht existenzsichernden Löhnen. Das muss verändert werden. ({2}) Deshalb wäre die Einführung eines Mindestlohnes eine wirklich sinnvolle Maßnahme der Kostendeckung und Kostendämpfung. Denn ein Mindestlohn würde bedeuten, dass die Differenz zwischen den nicht existenzsichernden Löhnen und dem existenzsichernden Niveau von den Unternehmen und nicht vom Steuerzahler gezahlt wird. Das ist der Weg, den wir gehen müssen. ({3}) Nun kommt das Argument - das ist in der Diskussion heute wieder genannt worden -, dass die Einführung eines Mindestlohnes Arbeitsplätze im Bereich der niedrigen Einkommen vernichten würde. ({4}) In meiner Eigenschaft als Wirtschaftssenator in Berlin rede ich täglich mit Unternehmerinnen und Unternehmern, zum Beispiel mit Unternehmen aus der Gebäudereinigerinnung in Berlin oder dem Vorstand von Securitas, dem größten deutschen Wachschutzunternehmen. Sie alle erklären mir, sie seien für einen gesetzlichen Mindestlohn. ({5}) Denn diese Unternehmen wissen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, dass sich Ihr Marktradikalismus und Ihre Lehrbuchweisheit über den Markt nicht mit der Realität decken. ({6}) - Ja. Aber es sind die großen, die nach Tarif zahlen. Es sind die großen, die ausbilden und die qualifizierte Leute einsetzen. - Diese sagen mir: Mit Dumpingpreisen und der Schmutzkonkurrenz, die es in diesen Sektoren teilweise gibt, werden Arbeitsplätze vernichtet, wird tarifgebundene Beschäftigung vom Markt verdrängt und Senator Harald Wolf ({7}) werden Möglichkeiten der Ausbildung und der Qualifizierung vernichtet. Das kann nicht der Weg sein, den wir gehen sollten. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Senator, möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Rohde zulassen?

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Bitte.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bitte schön.

Jörg Rohde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003831, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Können Sie mir vielleicht erklären, wie Sie zu einem Mindestlohn mit einem Betrag X - es können 8 Euro sein - stehen und welche Strategie Sie entwickeln, um Schwarzarbeit in Deutschland zu bekämpfen?

Not found (Gast)

Schwarzarbeit in Deutschland bekämpft man nicht durch Dumpinglöhne, was ja die Auffassung der FDP ist. ({0}) Schwarzarbeit bekämpft man, indem man klare Repressionsmaßnahmen durchführt und ({1}) dafür sorgt, dass Unternehmer, die Schwarzarbeiter beschäftigen, die Strafen und Ordnungsgelder nicht aus der Portokasse zahlen können, und dass das tatsächlich als sozial schädliches Verhalten gilt. ({2}) Ich habe Beispiele von Unternehmern genannt, die aus wirtschaftlicher Rationalität dafür eintreten, einen Mindestlohn einzuführen. Ich kann noch hinzufügen: Michael Knieper vom Hauptverband der Deutschen Bauindustrie hat darauf hingewiesen, dass ohne einen Mindestlohn in der Bauindustrie noch 250 000 weitere Arbeitsplätze vernichtet worden wären ({3}) und dass Mindestlöhne durchaus ein arbeitsmarktstabilisierender Faktor sein können. ({4}) Vorhin ist schon die Einführung des Mindestlohnes in Großbritannien angeführt worden. Dazu kamen auch noch andere Beispiele. Die Mehrheit der EU-Länder hat einen gesetzlichen Mindestlohn. Die Mehrheit dieser Länder hat auch eine bessere Arbeitsmarktsituation und einen höheren Beschäftigungsgrad, ({5}) weil sie eben nicht den Weg gegangen sind, die Löhne nach unten zu nivellieren und damit die Binnenkaufkraft und Unternehmensstrukturen zu zerstören, sondern weil sie einen Mindeststandard eingeführt und damit für Stabilität gesorgt und Wachstum ermöglicht haben. Das ist der Weg, den wir in der Bundesrepublik Deutschland gehen müssen. ({6}) Wir sollten nicht immer als Einzige in Europa versuchen, den falschen Weg zu gehen, sondern wir sollten uns an positiven Beispielen aus anderen europäischen Ländern orientieren. ({7}) Deshalb sage ich: Der gesetzliche Mindestlohn ist keine spinnerte Idee der politischen Linken oder von verantwortungslosen Gewerkschaften, sondern er ist erstens ein Gebot der wirtschaftspolitischen Vernunft und zweitens sozial- und arbeitsmarktpolitisch notwendig. Im Übrigen ist er angesichts der Tatsache, dass von den Niedriglohnbezieherinnen und -beziehern 70 Prozent Frauen sind, auch noch frauen- und gleichstellungspolitisch geboten. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat Brigitte Pothmer, Bündnis 90/Die Grünen.

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Müntefering, Sie betonen immer wieder, dass Sie der Auffassung sind, dass Löhne von 4,50 Euro und weniger - Sie wissen, es ist oft noch deutlich weniger - sittenwidrig sind. ({0}) - Ja. Herr Kolb, wir reden heute auch deshalb über dieses Problem, weil die Gewerkschaften das wollen ({1}) und merken, dass die Kräfteverhältnisse in diesem Land inzwischen so sind, dass ein Eingreifen des Staates notwendig ist. ({2}) - Herr Kolb, ich schlage vor, dass Sie sich einfach einmal bei Verdi bewerben mit dem Argument, Sie würden alles besser machen. Ich fürchte nur, Sie würden nie gewählt. ({3}) Ich komme noch einmal auf Herrn Müntefering zurück. Herr Müntefering, Sie sagen auch, dass ein Mann, der den ganzen Tag ordentliche Arbeit leistet, von dem so verdienten Geld auch sich und seine Familie ernähren können soll. Abgesehen davon, dass das ein überkommenes und patriarchales Bild ist, stimme ich Ihnen in der Sache ausdrücklich zu. ({4}) Sie fordern auch immer wieder, dass Deutschland ein Hochlohnland bleiben soll. Gut so, sage ich. Meine Frage an Sie als Arbeitsminister ist aber: Was tun Sie dafür? Bei der Einbringung des Antrages hatte ich tatsächlich den Eindruck, wir wären weiter. Das ist jetzt ein halbes Jahr her. Damals wurde ein Gesetzentwurf angekündigt. Jetzt hören wir, dass das ganze Projekt auf den Herbst verschoben worden ist. Ganz offensichtlich hat das auch etwas mit den Koalitionsquerelen zu tun. Inzwischen weiß jeder hier im Lande, der sich dafür interessiert, was die SPD nicht will und was die CDU/ CSU nicht will; aber was Sie in Sachen Mindestlohn konkret wollen, ist immer noch nicht klar. Dabei ist Handeln - das betonen alle Rednerinnen und Redner immer dringender und notwendiger denn je; denn das Lohndumping geht weiter und das Unterschreiten sozialer Standards auf dem Arbeitsmarkt muss dringend gestoppt werden. All das haben Sie hier beschworen. ({5}) Wir merken das auch in der SGB-II-Debatte. Da verstehe ich gerade die Scharfmacher aus der CDU und aus der CSU nicht mehr. Sie beschreien eine so genannte Kostenexplosion, obwohl sie haargenau wissen, dass ein Großteil der Kosten deswegen entsteht, weil Menschen, auch wenn sie in Vollzeit sozialversicherungspflichtig arbeiten, von ihren Löhnen nicht mehr leben können. Es handelt sich um 500 000 Menschen. Hinzu kommen 500 000 Menschen, die geringfügig beschäftigt sind. Herr Kolb, genau die bekommen die Aufstockung im Rahmen des ALG II. ({6}) - Herr Kolb, erklären Sie mir bitte einmal, was der genaue strukturelle Unterschied zwischen der Aufstockung durch ALG II und Ihrem Vorschlag der negativen Einkommensteuer ist. ({7}) Alle Berechnungen zeigen uns, dass das erstens ein ungeheuer teures Projekt ist und dass zweitens mit diesem Projekt ausdrücklich Druck auf die Löhne ausgeübt wird. So einfach, wie Sie sich das vorstellen, ist es eben nicht. ({8}) Ich würde mir sehr wünschen, dass sich insbesondere die CDU/CSU dem Projekt des Mindestlohns stärker annimmt, statt hier hysterische Debatten über Missbrauch bei Hartz IV zu führen. ({9}) Seit geraumer Zeit verweist die Koalition - ich habe es schon erwähnt - auf den Herbst. Offenbar kommt dann die arbeitsmarktpolitische Offenbarung. Die soll Ihnen dann wie ein reifer Apfel in den Schoß fallen. Lassen Sie mich etwas als Bauerstochter sagen. Eine alte Bauernweisheit ist: Wer im Frühjahr nicht sät, wird im Herbst nicht ernten. Deswegen schlage ich Ihnen vor, sehr schnell in die Strümpfe zu kommen. Wir haben Ihnen mit unserem sehr differenzierten und an der gesellschaftlichen Wirklichkeit ausgerichteten Konzept eine gute Arbeitsgrundlage geliefert. Dieses meistert genau die Gratwanderung, die darin besteht, auf der einen Seite Lohndumping zu verhindern, auf der anderen Seite aber auch zu vermeiden, dass Arbeitsplätze, für die jetzt nicht sehr hohe Löhne gezahlt werden, wegbrechen und wir dann zwar einen hohen Mindestlohn haben, aber ein großer Teil der Arbeitsfelder, die wir dringend brauchen, nicht mehr existiert. ({10}) Wir schlagen vor, das Arbeitnehmer-Entsendegesetz auszuweiten. Das findet auch bei der SPD Zustimmung. Wir schlagen weiterhin die Reform der Allgemeinverbindlichkeitserklärung im Tarifvertragsgesetz und die Reform des Mindestarbeitsbedingungengesetzes von 1952 vor. Diesem überlegten Dreischritt können auch Sie von der SPD - ich spreche besonders Frau Kramme an - zustimmen nach dem, was Sie heute hier vorgetragen haben. ({11})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Connemann, auch Sie können diesen Antrag eigentlich nicht ablehnen, weil er genau Ihre Bedingung erfüllt. Danach ist es nämlich nicht so, dass Löhne, die in München festgelegt werden, auch bei Ihnen an der Unterweser gelten. Geben Sie sich einmal einen Schubs und bringen Sie die Sache voran! Stimmen Sie unserem Antrag zu! Das wäre eine gute Arbeitsgrundlage für Minister Müntefering. Ich danke Ihnen. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat die Kollegin Andrea Nahles, SPD-Fraktion. ({0})

Andrea Nahles (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Frage ist: Warum brauchen wir einen Mindestlohn? Heute haben viele darauf hingewiesen, dass wir die Ausnahme von der Regel in Europa sind, dass also die Mehrheit der europäischen Länder einen Mindestlohn hat. Deswegen habe ich mir einmal angeschaut, welche Regelungen es in den Staaten, die keinen Mindestlohn haben, gibt, um ein Abrutschen der Löhne in den nicht mehr menschenwürdigen Bereich zu verhindern. Interessant ist das Beispiel Österreich - das schlage ich der FDP, wenn sie keinen Mindestlohn will, als Alternative vor, wo es eine Pflichtmitgliedschaft der Arbeitgeber in der Wirtschaftskammer gibt. Die Italiener haben de facto eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung für tarifliche Löhne per Gesetz. Wenn Sie darin eine Alternative sehen, dann können wir gerne darüber reden. ({0}) Beispiel Skandinavien: Dort gibt es keinen Mindestlohn, dort liegt der Organisationsgrad der Gewerkschaften aber bei über 80 Prozent. ({1}) Die Gewerkschaften haben daher natürlich auch in den Bereichen, die in Deutschland besonders problematisch sind - NGG und andere -, eine ganz andere Verhandlungsmacht. ({2}) Wenn Sie auch der Meinung sind, dass Armutslöhne in diesem Land mit der Menschenwürde nicht vereinbar sind, Sie einen Mindestlohn aber nicht mittragen wollen, dann schlage ich Ihnen alternativ das vor, was die Österreicher, die Italiener und die Schweden gemacht haben. ({3}) Aber auch dazu sind Sie nicht bereit, weil Sie in Wirklichkeit nicht die Interessen der Menschen im Auge haben, sondern nur verhindern wollen, dass ein bisschen mehr Ordnung und ein bisschen mehr Recht auf dem Arbeitsmarkt geschaffen wird. ({4}) - Nein, jetzt nicht.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt nicht.

Andrea Nahles (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wenn wir schon die internationale Perspektive aufnehmen - das ist für mich ein ganz zentraler Punkt -, müssen wir feststellen, dass Deutschland das einzige Land in Europa mit neun Ländergrenzen ist. Wir wollen ein offenes Europa. Wir wollen Schritt für Schritt - mit der Dienstleistungsrichtlinie, aber auch mit der Freizügigkeit, die 2011 wahrscheinlich endgültig kommt - eine Situation schaffen, die es uns ermöglicht, hier in Deutschland unsere Hausaufgaben zu machen. Wir haben in Deutschland unsere Hausaufgaben noch nicht gemacht. ({0}) Das Entsendegesetz muss aus unserer Sicht auf alle Branchen ausgedehnt werden, damit wir in einem offenen Europa den Arbeitnehmern, die ihre Arbeit in Deutschland anbieten, auch Mindestregeln mit auf den Weg geben. Sie müssen sich in Deutschland dann an Mindeststandards halten. Das ist dringend erforderlich. Deswegen muss der Geltungsbereich des Entsendegesetzes ausgedehnt werden. ({1}) Die Ausgestaltung der Mindestlöhne in Europa ist interessant. Frau Connemann, ich bitte Sie an dieser Stelle, sich das wirklich einmal anzuschauen. In den allermeisten Ländern gibt es selbstverständlich Sonderregelungen für Behinderte und Auszubildende. Sie sind von den Mindestlöhnen ausgenommen. Sie beziehen sich auf einen Brief des Beirates des Wirtschaftsministeriums, in dem versucht wird, dem Mindestlohn die Schuld für 25 Prozent Jugendarbeitslosigkeit in Frankreich zuzuschieben. Ich sage Ihnen dazu Folgendes: Das hat mit dem SMIC - so heißt der Mindestlohn in Frankreich - nichts zu tun. Das hat damit zu tun, dass die konservative Regierung in Frankreich das Programm gegen Jugendarbeitslosigkeit - „Emplois Jeunes“ - seit 2001 massiv heruntergefahren hat. Das haben wir nicht getan. Wir haben investiert. Wir haben mit den Programmen „JUMP“, „JUMP plus“ und anderen das Gegenteil gemacht. Deswegen stehen wir bei der Jugendarbeitslosigkeit auch deutlich besser da. ({2}) Das hat mit dem Mindestlohn in Frankreich überhaupt nichts zu tun. ({3}) Was sollen wir machen? ({4}) Wir Sozialdemokraten nehmen die Tarifautonomie in diesem Land sehr ernst. Deswegen wollen wir den Tarifparteien im Rahmen des Entsendegesetzes zunächst die Möglichkeit geben, branchenspezifische Vereinbarungen zu treffen. In dieser Woche hat es eine branchenspezifische Vereinbarung gegeben. Die Zeitarbeitsfirmen haben 7 Euro Mindestlohn in Deutschland vereinbart. ({5}) - Herr Kolb, das muss man Ihnen doch einmal vorhalten: 7 Euro in einer unter hohem Wettbewerbsdruck stehenden Branche wie der Zeitarbeit. ({6}) Diese Vereinbarung ist auch auf Wunsch der Arbeitgeberverbände zustande gekommen. Das sollte die FDP doch einmal zum Nachdenken bringen. Es kann doch nicht sein, dass Sie das nicht zur Kenntnis nehmen. ({7}) Darüber hinaus sage ich für meine Fraktion klipp und klar: Wir wissen, dass wir eine Vielzahl von branchenspezifischen Absprachen und Tarifverträgen haben. Wir haben inklusive Hausverträgen sage und schreibe 46 000 Tarifverträge in Deutschland. Ich glaube, es wird uns nicht gelingen, allein über das Instrument des Entsendegesetzes tatsächlich in allen Branchen zu verbindlichen Lösungen zu kommen. Deswegen brauchen wir als zweiten Schritt einen gesetzlichen Mindestlohn. Das muss aus meiner Sicht klar gesagt werden. ({8}) - Ich habe ein Zweistufenverfahren vorgeschlagen; das haben Sie nur nicht mitbekommen. ({9}) Zur Höhe des Mindestlohns. Die Linkspartei haut uns das Thema immer vor die Füße: 8 Euro, 9 Euro, könnte es nicht noch ein bisschen mehr sein? Ich sage dazu: Ich halte dieses Vorgehen für falsch. Da stimme ich Ihnen, Herr Kolb, ausdrücklich zu. Die Frage, wie hoch der Mindestlohn in Deutschland ist, darf nicht zu Plenardebatten - ein bisschen mehr vor den Wahlen, ein bisschen weniger nach Wahlen - führen. ({10}) Wir brauchen eine unabhängige Kommission, ({11}) wie es die Briten vorgemacht haben. ({12}) Deswegen sage ich an dieser Stelle, dass wir uns nicht auf eine Höhe festlegen werden und uns dann in den nächsten Jahren mit Ihnen über 20 Cent mehr oder weniger streiten. Aus meiner Sicht ist der britische Weg mit einer unabhängigen Kommission der richtige. Wir werden dazu im September Vorschläge vorlegen. Heute haben wir eine namentliche Abstimmung - es ist spannend - über einen Antrag, hinter dem die Linkspartei nicht mehr steht. Herr Dreibus - dort hinten sitzt er - hat doch allen Ernstes am 19. Mai dieses Jahres einen Rundbrief an die Linksfraktion und die Gäste einer Anhörung geschickt, in dem steht, dass bereits ein zweiter Antrag in der Pipeline sei, weil der, der heute zur namentlichen Abstimmung stehe, leider qualitative Mängel habe. Man darf vermuten, dass ihn die Linkspartei gar nicht mehr ernst nimmt. ({13}) Ich frage mich: Warum führen wir hier eine namentliche Abstimmung über einen Antrag durch, den Sie selber gar nicht mehr wollen? Das ist alles nur Show. Mehr ist das in diesem Hohen Haus nicht. ({14}) Deswegen fordere ich Sie auf: Beteiligen Sie sich, aber machen Sie es seriös. Ich rufe alle dazu auf, dass wir trotz aller Scharmützel, die wir in den nächsten Monaten noch haben werden, eines nicht vergessen: Vollzeitarbeit muss am Ende das bringen, was ein Mensch braucht. Wenn das, was wir mit Mindestlöhnen machen, nicht hilft - ich sage nicht, dass das Problem damit gelöst wird -, dann weiß ich wirklich nicht, was noch helfen soll. Vielen Dank. ({15})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Es ist ja zu begrüßen, dass wir ein sehr kommunikatives Haus sind. Aber ich fände es sehr gut, wenn wir die Kommunikation in den nächsten sieben Minuten darauf beschränken könnten, den Redner zu unterstützen oder ihn mit Zwischenrufen zu unterbrechen. Aber den anderen Geräuschpegel sollten wir etwas herunterfahren. Ich gebe das Wort dem Kollegen Paul Lehrieder, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Paul Lehrieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst zu Frau Kollegin Pothmer und ihren biologischen Erkenntnissen. Liebe Frau Pothmer, ich habe auch ein bisschen mit der Landwirtschaft zu tun und ich kann Ihnen sagen: Die besten Früchte reifen nun einmal im Herbst. ({0}) Das heißt, wenn wir unseren Kombilohn im Herbst vorstellen, können Sie davon ausgehen, dass etwas Vernünftiges dabei herauskommt. ({1}) - Genau, sie säen nicht, sie ernten nicht und der Herrgott ernährt sie doch. Ich stelle fest, Herr Kolb, Sie sind bibelfest. Das ist für einen Freien Demokraten schon sehr beachtlich. ({2}) Rund um die Hartz-IV-Debatte begegnet uns naturgemäß immer wieder auch das Thema Mindestlohn, leider auch immer wieder in unangenehmer Form von Aktionen, mit denen sich die Linke selbst disqualifiziert hat. Ihre Anbiederung an die Gewerkschaften nimmt sie wohl selbst nicht ernst. Eine sachorientierte Debatte ist ihr anscheinend zu riskant. Populismus ist viel billiger. Mir ist bekannt, dass die Linkspartei mittlerweile einen Napoleon hat. Ich wusste allerdings nicht, dass sie auch noch eine Jeanne d’Arc hat. Nachdem gestern die Kollegin Katja Kipping mit wehenden Fahnen aus dem Ausschuss für Arbeit und Soziales ausgezogen ist, ({3}) weil sie sich einer inhaltlichen Diskussion verweigern wollte, weiß ich jetzt, was Aktionismus bei der Linkspartei bedeutet. ({4}) Gerade die Gewerkschaften waren es, die die Mindestlohndebatte angestoßen haben. Dieses Thema verdient diese Debatte auch. Vom Grundsatz her wird sich unsere Partei einer Diskussion über den Sinn und die Höhe eines möglichen Mindestlohnes nicht entziehen. Ein gesetzlicher Mindestlohn in der geforderten Höhe von 8 Euro pro Stunde, was bei einer 38-Stunden-Woche einem Monatslohn von über 1 250 Euro entspricht, kann unsere Probleme auf dem Arbeitsmarkt aber nicht lösen. ({5}) In der „Welt“ vom heutigen Tag - die meisten von Ihnen haben es gelesen - steht ausdrücklich: Wir haben es geschafft, die Arbeitslosenzahlen deutlich zu senken. Wir haben jetzt immerhin 349 000 Arbeitslose weniger als noch vor Jahresfrist. Gleichzeitig ist aber auch festzustellen: Das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass bei den sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen immer noch ein leichter Rückgang zu verzeichnen ist. Die Gewerkschaften sollten im Auge behalten, dass das, worin sich die Koalitionsfraktionen einig sind, auch ihnen am Herzen liegen sollte: Tarifliche Lösungen sind gesetzlichen Lösungen immer vorzuziehen. ({6}) Hochinteressant ist, dass die Gewerkschaften in puncto Mindestlohn selbst nicht an einem Strang ziehen. Sogar der Vorsitzende der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie, Hubertus Schmoldt, hat vor Folgen wie Schwarzarbeit, Abwanderung von Arbeitsplätzen, Aushöhlung der Tarifautonomie und wachsender staatlicher Einflussnahme gewarnt. Er hat Recht. Völlig unverständlich ist mir hingegen, dass IG-Metall-Chef Peters in einem Interview mit der „Welt am Sonntag“ vom 28. Mai 2006 bürokratische Neuschöpfungen fordert, indem er - Zitat - „die Behörden kontrollieren lassen will, ob der gesetzliche Mindestlohn tatsächlich eingehalten wird“. Dass dies so kommen würde, will ich nicht bestreiten. Dass aber ein Gewerkschafter dies so ernsthaft wie freudig in Kauf nimmt, muss zu denken geben. Im Niedriglohnsektor, also bei einem Jahreseinkommen von weniger als 20 000 Euro, gibt es schon genug Probleme. Das gilt auch für Branchen, in denen ein tariflicher Mindestlohn eingeführt wurde. In den Tarifverhandlungen der Vergangenheit sind die Löhne für einfache Arbeiten so stark angehoben worden, bis sie für viele Unternehmen schlicht zu teuer wurden. ({7}) In der niedersächsischen Chemieindustrie zum Beispiel werden in der untersten Tarifgruppe 11,10 Euro pro Stunde gezahlt. In der Metall- und Elektroindustrie in Baden-Württemberg beträgt der niedrigste Stundenlohn 10,42 Euro. Im Baugewerbe - das beste Beispiel für tarifliche Mindestlöhne - kommt ein ungelernter Arbeiter im Zeitraum von September 2005 bis August 2006 auf einen tariflichen Mindestlohn von 10,20 Euro. Oft bleiben die niedrigsten Tarifgruppen gerade deshalb unbesetzt. In den vergangenen Jahren wurden in diesen Branchen stattdessen sogar Hunderttausende Arbeitsplätze gestrichen oder ins Ausland verlagert, ({8}) von der Schaffung neuer Stellen ganz zu schweigen. Dasselbe würde in größerem Umfang auch dann geschehen, wenn wir einen gesetzlichen Mindestlohn auf hohem Niveau einführen würden. ({9}) Er würde zwar ausländische Billigarbeitskräfte von unserem Arbeitsmarkt fernhalten, aber auch die Beschäftigungschancen für gering Qualifizierte verringern. Wenn ein Mindestlohn höher ist, als es der Arbeitsmarkt eigentlich hergibt, dann sperrt er gerade diese Menschen vom Arbeitsmarkt aus. ({10}) Soll ein Unternehmer zwischen den Alternativen wählen, bei hohem Mindestlohn einen gering Qualifizierten einzustellen oder die Produktion in Länder mit niedrigem Lohnniveau zu verlagern? Man braucht nicht viel Fantasie, um sich vorstellen zu können, wofür er sich entscheidet. Von dieser Möglichkeit kann ein Globalplayer natürlich ungleich stärker Gebrauch machen als ein kleiner mittelständischer Handwerksbetrieb. Kein Unternehmen kann es sich angesichts des Wettbewerbs auf Dauer leisten, Löhne zu zahlen, die nicht von der Produktivität gedeckt sind. ({11}) Die Arbeit, die heute bezahlbar ist, würde sich verteuern, insbesondere in den Sparten mit geringen tariflichen Stundenlöhnen. Die entsprechenden Beispiele sind schon genannt worden: das Friseurhandwerk in Sachsen mit 3,06 Euro, die Floristikbranche in Brandenburg mit 4,58 Euro oder der Einzelhandel in Hamburg mit 7,28 Euro. Die gesetzlich verteuerte Arbeit könnten die Betriebe nur über höhere Preise ausgleichen. Aber die Preise können nicht endlos steigen, ({12}) ohne dass man dadurch die Kunden vergrault und das Geschäft schädigt. Wenn es einen Mindestlohn geben soll, dann muss er so niedrig angesetzt werden, dass Arbeitskräfte, deren heutige Produktivität unterhalb der Löhne der Flächentarifverträge liegt, wieder eine Chance haben. Kleine und mittlere Unternehmen, die 75 Prozent der Arbeits- und Ausbildungsplätze schaffen, sind demgegenüber benachteiligt. Aber sie sind es, die nachhaltig für mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse sorgen können. ({13}) Eine solche Entwicklung kann im Übrigen nicht im Interesse der Tarifvertragsparteien sein. Es kann nicht darum gehen, durch die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns das untere Lohnniveau anzuheben und als unerwünschten Nebeneffekt weite Teile unseres Arbeitsmarktes von unten stillzulegen. Gefährdet werden letztlich 2,4 Millionen Arbeitsplätze. So viele Stellen gibt es derzeit im Lohnsegment unter der von den Gewerkschaften geforderten 7,50-EuroSchwelle. Bei einem Mindestlohn von 6 Euro sind es immerhin noch 1,3 Millionen Arbeitsplätze, die durch ein entsprechendes Mindestlohnniveau gefährdet würden. Vorhin wurde mehrfach angesprochen, Frankreich sei ein Paradebeispiel für gute Erfahrungen mit einem Mindestlohn. Dazu will ich Ihnen sagen: Frankreich hat 1980 mit einem Mindestlohn experimentiert. Er ist von ursprünglich 2,04 Euro auf heute 8,03 Euro angestiegen - ein möglicher Grund für die hohe Jugendarbeitslosigkeit; es wurde bereits darauf hingewiesen. ({14}) Da auch Großbritannien glorifiziert wurde, müssen Sie wissen, dass in Großbritannien wegen etlicher Ausnahmen tatsächlich weniger als 3 Prozent der Arbeitsverhältnisse unter die Mindestlohnregelung fallen. Von daher eignet sich auch Großbritannien nicht als Präjudiz für Deutschland. Wie soll es weitergehen? Die Einführung eines Mindestlohnstandards macht ohne die Einbeziehung der Kombilohndiskussion keinen Sinn. Wir wollen deshalb ohne Aufgeregtheit die Einführung eines Kombilohnmodells prüfen und ob - und, wenn ja, in welcher Höhe ein Mindestlohn eingeführt werden kann. Hier muss genau durchgerechnet werden - wir wollen eine unliebsame Überraschung wie bei Hartz IV nicht noch einmal erleben. Deshalb lassen Sie uns auf den Herbst warten! Wir werden mit unseren neuen Freunden von der SPD versuchen, einen vernünftigen Kompromiss aus Mindestlohn- und Kombilohnmodell vorzulegen. Herzlichen Dank. ({15})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales auf Drucksache 16/989. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/ 398 mit dem Titel „Mindestlohnregelung einführen“. Die Fraktion Die Linke hat namentliche Abstimmung verlangt. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftfüh- rer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen Abgeordneten, auf ihre Stimmkarten zu schauen und zu überprüfen, ob der Name auf der Stimmkarte mit dem Namen des Trägers oder der Trägerin der Stimmkarte übereinstimmt. Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Damit er- öffne ich die Abstimmung. Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh- lung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.1) 1) Seite 3308 Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Wir setzen die Abstimmungen fort: Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/989 empfiehlt der Ausschuss für Arbeit und Soziales die Ablehnung des Antrags der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/656 mit dem Titel „Mindestarbeitsbedingungen mit regional und branchenspezifisch differenzierten Mindestlohnre- gelungen sichern“. Wer stimmt für diese Beschlussemp- fehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Fraktio- nen der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der Linken gegen die Stimmen vom Bündnis 90/Die Grünen ange- nommen. Tagesordnungspunkt 5 b: Interfraktionell wird vorge- schlagen, die Vorlage auf Drucksache 16/1653 zur feder- führenden Beratung an den Ausschuss für Arbeit und Soziales und zur Mitberatung an den Ausschuss für Wirtschaft und Technologie zu überweisen. - Dazu gibt es offensichtlich keine anderweitigen Vorschläge. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a bis 6 e auf: - 6 a) Balkandebatte Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die Ergebnisse ihrer Bemühungen um die Weiterentwicklung der politischen und ökonomischen Gesamtstrategie für die Balkanstaaten und ganz Südosteuropa für das Jahr 2005 - Drucksache 16/778 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({0}) Sportausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Rainer Stinner, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Kosovo-Statusverhandlungen noch 2006 zu erfolgreichem Abschluss bringen - Drucksache 16/588 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({1}) Verteidigungsausschuss Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Marieluise Beck ({2}), Volker Beck ({3}), Dr. Uschi Eid, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Das Abkommen von Dayton weiterentwickeln und überwinden - Drucksache 16/877 - d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({4}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Norman Paech, Paul Schäfer ({5}), Monika Knoche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Beendigung der Operation „ALTHEA“ und Einrichtung einer internationalen nicht-militärischen Polizeimission in Bosnien und Herzegowina - Drucksachen 16/217, 16/861 Berichterstattung: Abgeordnete Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg Detlef Dzembritzki Dr. Norman Paech Marieluise Beck ({6}) e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({7}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Rainer Stinner, Daniel Bahr ({8}), Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Eigenverantwortung von Bosnien und Herzegowina stärken - Verfassungsprozess unterstützen und "Bonn Powers" des Hohen Repräsentanten abschaffen - Drucksachen 16/228, 16/862 Berichterstattung: Abgeordnete Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg Detlef Dzembritzki Dr. Norman Paech Marieluise Beck ({9}) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich möchte nun die Aussprache eröffnen und bitte die Kolleginnen und Kollegen, die dieser Debatte nicht folgen möchten, den Saal zu verlassen, damit sich die anderen auf den ersten Redner konzentrieren können. Ich erteile das Wort dem Kollegen Gernot Erler für die Bundesregierung. ({10})

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung hat am 24. Februar dieses Jahres ihren Bericht über die Ergebnisse ihrer Bemühungen um die Weiterentwicklung der politischen und ökonomischen Gesamtstrategie für die Balkanstaaten und ganz Südosteuropa für das Jahr 2005 vorgelegt. Dieser Bericht stellt fest, dass es sieben Jahre nach dem Ende des letzten der vier blutigen Balkankriege der 90er-Jahre des letzten Jahrhunderts, des Kosovokrieges, in dieser Region signifikante Fortschritte bei der politischen Stabilität, bei der gesellschaftlichen Transformation in Richtung Rechtsstaatlichkeit und Demokratie und bei der weiteren wirtschaftlichen Konsolidierung gibt. Diese Entwicklungen sind nicht zuletzt einer zentralen politischen Entscheidung zu verdanken, nämlich dem Angebot an die Länder des westlichen Balkans, sich in die euroatlantischen Strukturen zu integrieren. Heute befinden sich die Staaten alle auf diesem Weg, wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung. EU- und NATOMitgliedschaft sind für sie nicht nur eine ermutigende Perspektive, sondern auch ein Ansporn, auf dem genannten Weg fortzuschreiten. Diese Perspektive stellt auch den unverzichtbaren Rahmen für die Lösung nach wie vor ungelöster Probleme und Konflikte der Westbalkanregion dar. Die den Ländern des westlichen Balkans 2003 in Thessaloniki zugesagte europäische Perspektive hat daher für die Bundesregierung nach wie vor Bestand. ({0}) Deutschland und die EU werden den Prozess der Integration sämtlicher Länder der Region weiterhin unterstützen. Gerade weil es zunehmend nötig wird, die Aufrechterhaltung der Beitrittsperspektive öffentlich zu erklären und offensiv gegen Zweifel zu vertreten, muss weiter gelten: Entscheidendes Kriterium für die Beitrittschance jedes einzelnen Landes muss die Erfüllung der Kriterien des Acquis communautaire bleiben. Die von der Kommission im November 2005 hierzu verabschiedete Roadmap ist ein gutes Instrument für diese konditionierte Heranführung. Eine besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang der grenzüberschreitenden regionalen Zusammenarbeit zu. In deren Zentrum steht nach wie vor der Stabilitätspakt für Südosteuropa, der vor sieben Jahren unter deutscher EU-Präsidentschaft initiiert wurde. Unter seinem Dach hat sich ein dichtes Netzwerk von regionalen Abkommen entwickelt, deren engagiertestes die geplante Schaffung einer regionalen Freihandelszone in Südosteuropa ist. Aber auch der unerlässliche Kampf gegen organisierte Kriminalität und Korruption kann nur über eine verstärkte regionale Zusammenarbeit erfolgreich sein. Es gibt also Fortschritte, aber nach wie vor auch ernsthafte Herausforderungen. An erster Stelle muss dabei die Statusfrage für das Kosovo genannt werden. Eine Nichtklärung des Kosovostatus birgt sowohl im Hinblick auf die Sicherheit als auch bei der wirtschaftlichen Entwicklung große Risiken. Deswegen hat sich der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen im Oktober letzten Jahres für die Einleitung des Statusprozesses ausgesprochen, der dann im November unter Leitung des ehemaligen finnischen Präsidenten Martti Ahtisaari formell begonnen wurde. Bei ihrem Treffen mit Martti Ahtisaari Ende Januar in London haben sich die Außenminister der Kontaktgruppe für eine Statuslösung noch in diesem Jahr ausgesprochen. Grundlage des Statusprozesses bleiben die vom Sicherheitsrat gebilligten Leitlinien der Kontaktgruppe, vor allem die bekannten drei Neins: keine Rückkehr zu den Bedingungen von vor 1999, keine Vereinigung des Kosovo mit einem Drittstaat oder Teilen davon und keine Teilung des Kosovo. Daneben sollte jegliche Statuslösung die folgenden Kriterien erfüllen: den Willen der Bevölkerung respektieren, dem Schutzbedürfnis der Minderheit vollständig Rechnung tragen und die Stabilität in der gesamten Region erhöhen. ({1}) Wir machen uns keine Illusionen: Auch nach der Beantwortung der Statusfrage wird die internationale zivile und militärische Präsenz noch für einen beträchtlichen Zeitraum erforderlich sein, das heißt: KFOR bleibt unerlässlich. Darüber wird der Bundestag direkt im Anschluss hieran eine Beschlussfassung treffen. Lassen Sie mich wegen der Bedeutung der Kosovofrage für den Erfolg der Stabilisierung der Region Südosteuropa noch einige Worte zum Verlauf sagen: Seit Februar finden in Wien unter der Leitung von Martti Ahtisaari Direktverhandlungen zwischen Belgrad und Pristina statt. Auch nach nunmehr insgesamt sechs Verhandlungen liegen die Positionen der Parteien leider immer noch weit auseinander. Da sind die KosovoAlbaner, die für eine rasche und unkonditionierte Unabhängigkeit eintreten, dort ist Belgrad, das für einen Status plädiert, bei dem - Zitat - mehr als Autonomie, aber weniger als Unabhängigkeit vorgesehen ist, und nicht zuletzt sind dort die Kosovo-Serben, die mit Recht auf Garantien für ihre Zukunft dringen. Es ist völlig klar: Eine Lösung der Statusfrage kann ohne eine Beachtung der Rechte auf Sicherheit, auf Bewegungsfreiheit, auf Flüchtlingsrückkehr und auf Schutz gefährdeter religiöser Stätten nicht funktionieren. ({2}) Dazu hat Außenminister Steinmeier auch entsprechende Gespräche mit dem neuen kosovarischen Premierminister Ceku geführt. Wir sind im Übrigen auch der Meinung, dass es nicht hilfreich war, dass die serbische Führung die kosovarischen Serben aufgefordert und einen entsprechenden Druck ausgeübt hat, sich aus den Institutionen vor Ort zurückzuziehen. ({3}) Auch darüber hat der deutsche Außenminister mit Premierminister Koštunica gesprochen, wobei er unsere Position sehr deutlich gemacht hat. Die Bundesregierung begrüßt, dass das Referendum in Montenegro am 21. Mai dieses Jahres friedlich und ohne Zwischenfälle verlaufen ist. Sie begrüßt auch, dass das inzwischen amtlich bestätigte Ergebnis von 55,5 Prozent Zustimmung bei einer Wahlbeteiligung von mehr als 85 Prozent Klarheit geschaffen hat. Die OSZE hat bescheinigt, dass hierbei alle internationalen Standards eingehalten worden sind. Entscheidend ist jetzt, dass dieses Ergebnis definitiv von allen Seiten akzeptiert wird. Wir begrüßen, dass hierzu konstruktive Reaktionen aus Belgrad zu verzeichnen waren. Die EU hat in ihren Verlautbarungen bereits deutlich gemacht, dass sie diesem Ergebnis Rechnung tragen wird. Wir unterstützen diese Position. Belgrad und Podgorica sollten nunmehr unverzüglich in einen Dialog über die Ausgestaltung ihres künftigen Verhältnisses treten und dabei ihre Beziehung auf eine gutnachbarschaftliche Basis stellen. Im Rückblick auf die vergangenen zwölf Monate kann man feststellen, dass sich das Stufenmodell bei den Integrationsprozessen dynamisch entwickelt. Slowenien ist schon seit zwei Jahren Mitglied der EU und schickt sich an, 2007 der Eurozone beizutreten. Wir sehen dem Beitritt von Bulgarien und Rumänien zum 1. Januar 2007 entgegen. Mit Kroatien wurden im Oktober 2005 Beitrittsverhandlungen aufgenommen. Albanien schaut voller Zuversicht auf die nächste Sitzung des Europäischen Rates, damit das SAA-Abkommen unterzeichnet werden kann. Mit Bosnien und Herzegowina sind Verhandlungen über ein solches Abkommen bereits letztes Jahr aufgenommen worden und können wahrscheinlich im ersten Halbjahr 2007 abgeschlossen werden. Mit Serbien und Montenegro laufen ebenfalls Verhandlungen über ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen, nachdem Mazedonien schon den Status eines Kandidaten erreicht hat. Allerdings sind die Verhandlungen mit Serbien und Montenegro im Augenblick wegen der fehlenden Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof in Sachen Jugoslawien unterbrochen. Wir müssen darauf bestehen, dass die mutmaßlichen Täter von Srebrenica einschließlich General Mladic zur Verantwortung gezogen werden. Daran führt kein Weg vorbei. ({4}) Um den Überblick über das Stufenmodell abzuschließen: Moldova ist inzwischen ein aktiver Partner der EUNachbarschaftspolitik geworden. So weit zum aktuellen Sachstand bei der aktiven Umsetzung unserer Südosteuropa-Gesamtstrategie. Ich möchte abschließend Folgendes betonen: Wir sind davon überzeugt, dass die gemachten Zusagen des Europäischen Rates - von der Sitzung in Thessaloniki im Juni 2003 bis zur Salzburger Erklärung der EU-Außenminister am 12. März 2006 - zur europäischen Perspektive weiterhin den verlässlichen politischen Rahmen für die Länder Südosteuropas und des Westbalkans darstellen müssen. Wir sind auch davon überzeugt, dass die Lösung der nach wie vor vorhandenen Konflikte und Probleme in dieser Region ohne eine solche verlässliche europäische Perspektive nicht möglich ist. ({5}) Wir sind ebenso davon überzeugt, dass trotz aller Schwierigkeiten beim europäischen Verfassungsprozess die friedenspolitische und stabilitätswirksame Erfolgsgeschichte der Integrationspolitik nicht infrage gestellt werden darf. Nur wenn die EU auf diesem Weg weiter vorangeht, werde ich im nächsten Jahr in der Lage sein, Ihnen erneut einen Bericht mit positiven Ergebnissen über die Umsetzung der Gesamtstrategie vorzulegen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat der Kollege Dr. Rainer Stinner, FDPFraktion.

Dr. Rainer Stinner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003640, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich stimme der Einschätzung des Herrn Staatsministers zu. Es hat im letzten Jahr in der Region Balkan/Südosteuropa Licht und Schatten gegeben. Aber wir können zum Glück feststellen, dass in den letzten zwölf Monaten in der Gesamtbetrachtung eher das Licht überwogen hat. Es gibt tatsächlich eine ganze Reihe von positiven Entwicklungen. Im Kosovo haben endlich die Statusverhandlungen begonnen. Wir begrüßen das sehr; denn wir haben schon immer auf den Beginn dieser Verhandlungen gedrängt. Dazu haben wir einen Antrag vorgelegt, in dem wir deutlich machen, dass diese Verhandlungen möglichst zügig abgeschlossen werden sollen. Inzwischen sind auch die internationale Gemeinschaft, die Kontaktgruppe und andere unserer Meinung, dass wir zügig zum Ende kommen sollen. Wir werden in der nächsten Debatte ausführlich darauf eingehen können. Nach dem erfolgreichen und friedlichen Referendum in Montenegro kann die dortige Regierung nun beweisen, dass sie in der Lage und willens ist, die friedliche Entwicklung ihres Landes zu fördern. Ich bin sehr gespannt auf die Erfolge. Wir werden die Regierung dabei unterstützen, aber wir werden sie auch an ihren früheren Aussagen messen. Auch das gehört zu unserer Rolle als Europäer. Wir Europäer - und damit auch die Bundesregierung haben aber auch sehr viel Glück gehabt. Glücklicherweise hat das Referendum ein punktgenaues Ergebnis erbracht. Stellen Sie sich bitte vor: Hätten 53,7 Prozent der Wähler zugestimmt, dann wäre das eine politische Katastrophe gewesen. Deshalb habe ich es nie verstanden, Herr Staatsminister, warum die Europäische Union und auch die Bundesregierung der Hürde von 55 Prozent zugestimmt haben. Das war sehr gefährlich. Sie haben diesmal noch Glück gehabt. ({0}) Serbien stellt nach wie vor ein Problem dar. Wir müssen bedauerlicherweise feststellen, dass sich Serbien selbst im Weg steht. Das Land ist sehr wichtig. Das ist uns bekannt und wir möchten Serbien gerne helfen. Aber solange Serbien nicht in der Lage ist, mit seiner Vergangenheit umzugehen, wird das Land es schwer haben, in Zukunft in Europa seinen Platz zu finden. Das müssen wir so deutlich feststellen. ({1}) Lassen Sie mich als Beauftragter des Deutschen Bundestages für Bosnien-Herzegowina nunmehr auf dieses Land eingehen. Leider ist in den letzten Wochen der Versuch einer Verfassungsreform im Parlament gescheitert. Ich bedauere das sehr. Sie wäre keine endgültige Lösung gewesen, aber sie hätte einen Schritt in die richtige Richtung bedeutet. Ich mache mir auch einige Sorgen über die Einstellung und Verhaltensweise der kroatischen Ethnie in Bosnien-Herzegowina gegenüber dem Gesamtstaat. Ich möchte alle bitten, wo auch immer wir Einfluss haben - in den Parteien, aber auch bei den Kirchen -, auf die Kroaten innerhalb und außerhalb Bosnien-Herzegowinas entsprechend einzuwirken. Dass auch der Anteil der Kroaten am Zustandekommen einer friedlichen Entwicklung dieses Landes berücksichtigt wird, ist für mich sehr wichtig. Darauf sollten wir, wie gesagt, gemeinsam hinwirken, wo immer wir das können. ({2}) Nach dem Scheitern des Versuchs einer Verfassungsreform wäre es eine Versuchung für den Hohen Repräsentanten in Bosnien-Herzegowina, Schwarz-Schilling, gewesen, die „Bonn Powers“ einzusetzen. Er hat zwar noch die dafür notwendige Machtbefugnis, aber klug, wie er ist, hat er darauf verzichtet. Er weiß nämlich genau, dass es heutzutage keinen Sinn macht, zu versuchen, von außen mithilfe der „Bonn Powers“ dafür zu sorgen, dass sich Bosnien-Herzegowina in die richtige Richtung bewegt. Ihm ist nämlich klar - das hat er am 23. Mai in einer wegweisenden Rede im Parlament sehr deutlich zum Ausdruck gebracht -, dass es Aufgabe der Politiker und Repräsentanten in diesem Lande ist, selber Verantwortung zu übernehmen. ({3}) Kein Mensch, keine Organisation und kein OHR kann sie davon abhalten und ihnen diese Aufgabe abnehmen. Wir müssen die Politiker und andere Verantwortliche in diesem Lande dazu bringen, diese Verantwortung wahrzunehmen. Das macht Herr Schwarz-Schilling in ausgezeichneter Weise. ({4}) Aus diesem Grunde haben wir gefordert, dass die „Bonn Powers“ abgeschafft werden. Denn sie sind nicht mehr zeitgemäß. Wir möchten das Land selbst auffordern und dazu ermächtigen, seine Angelegenheiten selbst in die Hand zu nehmen. Das haben wir auch in unserem Antrag formuliert. Alles in allem kann ich - hoffentlich mit Ihrer aller Zustimmung - feststellen, dass die Art und Weise, in der Herr Schwarz-Schilling sein Amt ausübt, und der riesige persönliche Einsatz unseren Dank verdienen. Wir können stolz darauf sein, dass wir diesen Vertreter in Bosnien-Herzegowina haben. ({5}) Wir werden heute dem Antrag der Grünen zu Bosnien-Herzegowina zustimmen. Das ist der richtige Ansatz. Wir haben schon 2004 ähnliche Ansätze vorgeschlagen. Wir sind dabei völlig d’accord und von daher sollten wir dem Antrag zustimmen. Auch wenn wir verschiedenen Parteien angehören, sind wir in dieser Sache einer Meinung. In Bosnien-Herzegowina ist das drittgrößte Kontingent deutscher Soldaten im Einsatz. Es ist richtig, dass das Kontingent in der Vergangenheit bereits abgeschmolzen wurde. Wir stehen vor der neuen Weichenstellung, nach und nach den Anteil des Militärs zu senken und den der Polizei zu erhöhen. Das ist eine richtige und sinnvolle Entwicklung, die wir uneingeschränkt befürworten. Aber, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von den Linken, heute ist leider noch nicht der richtige Zeitpunkt, vollständig auf das militärische Potenzial verzichten zu können. Ich verstehe zwar die Richtung, aber Ihr Antrag kommt zur Unzeit. Deshalb werden wir ihn heute ablehnen müssen, aber die Richtung ist sicherlich vorgegeben. Die gesamte Region Südosteuropa eint eines, nämlich die Vision auf dem Weg zu Europa. Wir haben in Thessaloniki ein starkes politisches Commitment abgegeben, zu dem wir auch stehen. Herr Staatsminister, ich unterstütze Ihre Ausführungen dazu voll. Wir müssen aus eigenem, aus innereuropäischem Interesse einen Beitrag zur positiven Entwicklung der Region leisten; das wollen wir tun. Unsere Versprechen müssen gelten. Die Länder der Region sind aufgefordert, das Ihre zu einer positiven Entwicklung beizutragen und dafür zu sorgen, dass wir unsere politischen Versprechen halten können. Darauf sollten wir diese Länder einmal hinweisen. Vielen Dank. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich komme zurück zu Tagesordnungspunkt 5 a und gebe das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Mindestlohnregelung einführen“, Drucksachen 16/398 und 16/989, bekannt: Abgegebene Stimmen 571. Mit Ja haben gestimmt 520, mit Nein haben gestimmt 50. Es gab eine Enthaltung. Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 571; davon ja: 520 nein: 50 enthalten: 1 Ja CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({0}) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Otto Bernhardt Peter Bleser Antje Blumenthal Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert Wolfgang Börnsen ({1}) Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Michael Brand Helmut Brandt Monika Brüning Georg Brunnhuber Leo Dautzenberg Hubert Deittert Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Anke Eymer ({2}) Georg Fahrenschon Dr. Hans Georg Faust Enak Ferlemann Hartwig Fischer ({3}) Dirk Fischer ({4}) Axel E. Fischer ({5}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich ({6}) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Dr. Michael Fuchs Dr. Peter Gauweiler Dr. Jürgen Gehb Norbert Geis Eberhard Gienger Michael Glos Dr. Reinhard Göhner Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg Holger Haibach Gerda Hasselfeldt Michael Hennrich Jürgen Herrmann Bernd Heynemann Ernst Hinsken Robert Hochbaum Klaus Hofbauer Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Susanne Jaffke Dr. Peter Jahr Dr. Hans-Heinrich Jordan Andreas Jung ({7}) Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({8}) Volker Kauder Jürgen Klimke Julia Klöckner Jens Koeppen Kristina Köhler ({9}) Norbert Königshofen Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Dr. Günter Krings Dr. Martina Krogmann Johann-Henrich Krummacher Dr. Karl A. Lamers ({10}) Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Ingbert Liebing Eduard Lintner Dr. Klaus W. Lippold Dr. Michael Luther Stephan Mayer ({11}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Laurenz Meyer ({12}) Maria Michalk Hans Michelbach Philipp Mißfelder Dr. Eva Möllring Marlene Mortler Carsten Müller ({13}) Stefan Müller ({14}) Bernward Müller ({15}) Dr. Gerd Müller Hildegard Müller Bernd Neumann ({16}) Henry Nitzsche Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Eduard Oswald Henning Otte Rita Pawelski Dr. Peter Paziorek Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Daniela Raab Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Peter Rauen Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({17}) Klaus Riegert Franz Romer Johannes Röring Kurt J. Rossmanith Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Albert Rupprecht ({18}) Peter Rzepka Anita Schäfer ({19}) Hermann-Josef Scharf Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Norbert Schindler Georg Schirmbeck Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({20}) Andreas Schmidt ({21}) Ingo Schmitt ({22}) Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer Kurt Segner Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Gero Storjohann Andreas Storm Thomas Strobl ({23}) Lena Strothmann Michael Stübgen Arnold Vaatz Volkmar Uwe Vogel Andrea Astrid Voßhoff Gerhard Wächter Marco Wanderwitz Kai Wegner Peter Weiß ({24}) Gerald Weiß ({25}) Ingo Wellenreuther Anette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Willy Wimmer ({26}) Elisabeth WinkelmeierBecker Matthias Wissmann Dagmar Wöhrl Willi Zylajew Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt SPD Gregor Amann Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Ernst Bahr ({27}) Doris Barnett Dr. Hans- Peter Bartels Klaus Barthel Sören Bartol Sabine Bätzing Dirk Becker Uwe Beckmeyer Dr. Axel Berg Petra Bierwirth Lothar Binding ({28}) Kurt Bodewig Clemens Bollen Gerd Bollmann Dr. Gerhard Botz Willi Brase Bernhard Brinkmann ({29}) Edelgard Bulmahn Marco Bülow Ulla Burchardt Martin Burkert Dr. Michael Bürsch Christian Carstensen Marion Caspers-Merk Dr. Peter Danckert Dr. Herta Däubler-Gmelin Karl Diller Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Garrelt Duin Detlef Dzembritzki Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Hans Eichel Karin Evers-Meyer Annette Faße Elke Ferner Gabriele Fograscher Rainer Fornahl Dagmar Freitag Peter Friedrich Sigmar Gabriel Martin Gerster Iris Gleicke Angelika Graf ({30}) Dieter Grasedieck Kerstin Griese Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Alfred Hartenbach Michael Hartmann ({31}) Nina Hauer Hubertus Heil Reinhold Hemker Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Petra Heß Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz ({32}) Gerd Höfer Iris Hoffmann ({33}) Frank Hofmann ({34}) Eike Hovermann Klaas Hübner Christel Humme Brunhilde Irber Johannes Jung ({35}) Josip Juratovic Johannes Kahrs Ulrich Kasparick Dr. h.c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Christian Kleiminger Hans-Ulrich Klose Astrid Klug Dr. Bärbel Kofler Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Rolf Kramer Ernst Kranz Nicolette Kressl Volker Kröning Dr. Hans-Ulrich Krüger Jürgen Kucharczyk Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Dr. Uwe Küster Christine Lambrecht Christian Lange ({36}) Dr. Karl Lauterbach Waltraud Lehn Helga Lopez Gabriele Lösekrug-Möller Dirk Manzewski Lothar Mark Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Markus Meckel Petra Merkel ({37}) Ulrike Merten Dr. Matthias Miersch Ursula Mogg Marko Mühlstein Detlef Müller ({38}) Gesine Multhaupt Dr. Rolf Mützenich Thomas Oppermann Holger Ortel Heinz Paula Joachim Poß Christoph Pries Dr. Wilhelm Priesmeier Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Steffen Reiche ({39}) Maik Reichel Dr. Carola Reimann Christel RiemannHanewinckel Walter Riester Sönke Rix Rene Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({40}) Michael Roth ({41}) Ortwin Runde Axel Schäfer ({42}) Bernd Scheelen Dr. Hermann Scheer Marianne Schieder Otto Schily Silvia Schmidt ({43}) Dr. Frank Schmidt Heinz Schmitt ({44}) Carsten Schneider ({45}) Olaf Scholz Reinhard Schultz ({46}) Swen Schulz ({47}) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Rita Schwarzelühr-Sutter Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Ludwig Stiegler Christoph Strässer Joachim Stünker Dr. Rainer Tabillion Jörg Tauss Jella Teuchner Dr. h.c. Wolfgang Thierse Jörn Thießen Hans-Jürgen Uhl Rüdiger Veit Jörg Vogelsänger Dr. Marlies Volkmer Hedi Wegener Andreas Weigel Petra Weis Gunter Weißgerber ({48}) Lydia Westrich Dr. Margrit Wetzel Engelbert Wistuba Waltraud Wolff ({49}) Heidi Wright Manfred Zöllmer FDP Jens Ackermann Daniel Bahr ({50}) Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Patrick Döring Mechthild Dyckmans Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Paul K. Friedhoff Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Miriam Gruß Joachim Günther ({51}) Dr. Christel Happach-Kasan Elke Hoff Dr. Werner Hoyer Michael Kauch Hellmut Königshaus Jürgen Koppelin Heinz Lanfermann Harald Leibrecht Ina Lenke Sabine LeutheusserSchnarrenberger Michael Link ({52}) Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Jan Mücke Burkhardt Müller-Sönksen Hans-Joachim Otto ({53}) Detlef Parr Cornelia Pieper Gisela Piltz Frank Schäffler Dr. Konrad Schily Marina Schuster Dr. Max Stadler Carl-Ludwig Thiele Florian Toncar Christoph Waitz Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Dr. Claudia Winterstein Hartfrid Wolff ({54}) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Marieluise Beck ({55}) Volker Beck ({56}) Cornelia Behm Birgitt Bender Grietje Bettin Alexander Bonde Dr. Thea Dückert Dr. Ursula Eid Hans-Josef Fell Joseph Fischer ({57}) Kai Gehring Anja Hajduk Britta Haßelmann Winfried Hermann Priska Hinz ({58}) Ulrike Höfken Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Thilo Hoppe Ute Koczy Sylvia Kotting-Uhl Renate Künast Undine Kurth ({59}) Markus Kurth Monika Lazar Dr. Reinhard Loske Anna Lührmann Jerzy Montag Kerstin Müller ({60}) Brigitte Pothmer Claudia Roth ({61}) Elisabeth Scharfenberg Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Dr. Gerhard Schick Silke Stokar von Neuforn Jürgen Trittin Wolfgang Wieland Josef Philip Winkler Margareta Wolf ({62}) Nein SPD Lothar Ibrügger DIE LINKE Hüseyin-Kenan Aydin Karin Binder Dr. Lothar Bisky Heidrun Bluhm Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Roland Claus Sevim Dagdelen Dr. Diether Dehm Werner Dreibus Klaus Ernst Diana Golze Dr. Gregor Gysi Heike Hänsel Lutz Heilmann Hans-Kurt Hill Cornelia Hirsch Dr. Barbara Höll Ulla Jelpke Katja Kipping Jan Korte Katrin Kunert Michael Leutert Dr. Gesine Lötzsch Dorothee Menzner Kersten Naumann Dr. Norman Paech Bodo Ramelow Elke Reinke Paul Schäfer ({63}) ({64}) Dr. Herbert Schui Dr. Ilja Seifert Dr. Petra Sitte Dr. Kirsten Tackmann Jörn Wunderlich fraktionslos Enthalten SPD Ottmar Schreiner Ich komme zurück zur Redeliste und gebe dem Kollegen Eckart von Klaeden, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. ({65})

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Wenn wir über die Geschichte der Europäischen Union und über deren Zukunft sprechen, dann wird meiner Ansicht nach zu wenig gewürdigt, welchen Erfolg die Europäische Union in Kooperation mit der NATO in den Jahren von 1989 bis 2004 erzielt hat; denn nach dem Fall des Eisernen Vorhangs hätten ja die Staaten Mittelund Osteuropas zu potenziellen Failing States werden können. Es hat dort viele ethnische Konflikte gegeben. Die Transformation ist schwierig gewesen. Aber die Perspektive, zuerst NATO-Mitglied und dann Mitglied der Europäischen Union werden zu können, hat es den jungen Demokratien in diesen Ländern ermöglicht, Stabilität zu gewinnen und auf dem Weg hin zu Demokratie und Marktwirtschaft - jedenfalls im Großen und Ganzen - erfolgreich zu sein. ({0}) Aus dieser Lehre für die Staaten Mittel- und Osteuropas sollten wir Konsequenzen für die Balkanregion ziehen. Bei allen Konflikten, die es dort gibt, und bei allen Schwierigkeiten, die die Europäische Union selber hat, muss völlig klar sein, dass die Balkanstaaten die Beitrittsperspektive behalten müssen. ({1}) Denn die Beitrittsperspektive gibt den europafreundlichen politischen Führungen dort die Möglichkeit, schwierige Transformationsprozesse durchzuführen und ihre Völker zu überzeugen. Wenn die Beitrittsperspektive entfällt, dann wird es für diese politischen Eliten nur noch schwer oder gar nicht mehr möglich sein, den Transformationsprozess in Richtung mehr Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Marktwirtschaft in ihren Ländern zu meistern. Dann droht nicht nur ein Verharren im Status quo, sondern sogar ein Rückfall. Das hätte schließlich auch Konsequenzen für unsere Sicherheitslage und unsere wirtschaftliche Entwicklung. ({2}) Klar ist ebenfalls - das ist sozusagen die andere Seite der Medaille -, dass die betreffenden Länder selber die Beitrittsperspektive mit Leben erfüllen müssen. Auf Neudeutsch: Es muss „performance driven“ sein. Die Länder müssen also die Voraussetzungen und Kriterien zunehmend selber erfüllen, um immer näher an die Europäische Union herangeführt werden zu können. Sie müssen ihre Verantwortung wahrnehmen und ihre Chancen nutzen. Dieser europäische Prozess bietet insbesondere die Chance, zu erkennen, dass Grenzfragen und ethnische Konflikte, die teilweise Jahrhunderte zurückgehen, an Bedeutung verlieren bzw. gelöst werden könEckart von Klaeden nen, wenn schließlich die Möglichkeit einer gemeinsamen Mitgliedschaft in der Europäischen Union besteht. Ich finde, wir müssen die Beitrittsperspektive aufrechterhalten, auch wenn es immer wieder Schwierigkeiten in der Umsetzung gibt, wie wir gerade in Wien erlebt haben. Dort ist die sechste Verhandlungsrunde zum Status des Kosovo genauso erfolglos zu Ende gegangen wie die fünf Verhandlungsrunden zuvor. Ein westlicher Diplomat hat die Verhandlungen als Gespräche von Gehörlosen bezeichnet. Ich finde, diese Bezeichnung ist ungerecht gegenüber Gehörlosen. ({3}) Hier geht es vielmehr darum, dass die Verhandlungsparteien sich die Ohren bewusst zuhalten und die Probleme der anderen nicht sehen wollen. Wir müssen deswegen immer wieder darauf aufmerksam machen, dass auf beiden Seiten noch viel Flexibilität und viel Kompromissbereitschaft erforderlich sind. Auch der jüngste Vorschlag der serbischen Regierung zur Zukunft des Kosovo ist nicht geeignet, die Verhandlungen erfolgreich fortzusetzen. Herr Erler hat es gerade schon betont: Wir unterstützen die Bemühungen des Sonderbeauftragten der Vereinten Nationen, Martti Ahtisaari, zu einer Verhandlungslösung zu kommen. Es ist richtig, dass für die Lösung der Statusfrage ein gewisser Zeitdruck vorhanden sein muss. Insofern hat die FDP mit ihrem Antrag Recht. Ich finde bloß, dass der in Ihrem Antrag zum Ausdruck kommende Wunsch, die Statusfrage in diesem Jahr auf jeden Fall zu lösen, nicht richtig ist. Deswegen werden wir Ihren Antrag ablehnen. ({4}) Die innenpolitische Situation Serbiens muss uns allen Anlass zur Sorge geben. Ich verweise auf das Referendum in Montenegro, das zwar offiziell akzeptiert wird, die politische Klasse in Serbien dennoch tief verletzt hat. Diesen Eindruck habe ich jedenfalls bei meinem Besuch in Serbien und auch im Kosovo in der letzten Woche gewinnen können. Beide Seiten, Serbien und Montenegro, sind aufgefordert, für eine friedliche und einvernehmliche Trennung zu sorgen und gutnachbarliche Beziehungen herzustellen. Ein erster Schritt - das will ich hier deutlich sagen - ist sicherlich die gestrige Entscheidung Belgrads gewesen, Serbien zum alleinigen Rechtsnachfolger des bisherigen Staatenbundes zu erklären und damit das offiziell bestätigte Referendumsergebnis anzuerkennen. Beide Staaten - noch Teilstaaten, dann unabhängige Staaten - müssen in den Bereichen Justiz, Verwaltungsreform, Demokratisierung, Kriminalitätsbekämpfung und Wirtschaftsreformen noch erhebliche Anstrengungen unternehmen. Insbesondere was die Belgrader Regierung angeht, muss man immer wieder darauf hinweisen, dass die Auslieferung von Mladić an den Internationalen Gerichtshof in Den Haag eine wesentliche und nicht wegzudenkende Voraussetzung dafür ist, dass die Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Union weitergehen. Hier darf es von unserer Seite keine Kompromisse geben. Serbien muss klar gemacht werden, dass es in diesem Punkt kein Wackeln und kein Verhandeln geben kann. Es liegt allein in der Verantwortung Belgrads, dafür zu sorgen, dass es dort weitergehen kann. ({5}) Über die Perspektive des Westbalkans und seine grundsätzliche politische Bedeutung habe ich schon gesprochen, auch darüber, dass die Europäische Union diese europäische Perspektive in Thessaloniki im Juni 2003 betont hat. Die Bundesregierung stellt in ihrem Bericht zur Gesamtstrategie für die Balkanstaaten und ganz Südosteuropa bemerkenswerte Fortschritte fest. Blicken wir zum Beispiel nach Kroatien: Im Oktober 2005 konnte schließlich bestätigt werden, dass die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Gerichtshof in einer Weise funktioniert, die es ermöglicht, die Beitrittsverhandlungen aufzunehmen. Mazedonien erhielt im November 2005 den Status eines Beitrittskandidaten. Die entsprechenden Verhandlungen können aufgenommen werden, sobald die noch offenen Bedingungen erfüllt werden, vor allem die Überbrückung der Kluft zwischen den ethnischen Gruppen. Insbesondere das Ergebnis der Parlamentswahlen am 5. Juli wird interessant sein. ({6}) Bedauerlicherweise ist der Prozess in Bosnien und Herzegowina ins Stocken geraten. Das Repräsentantenhaus in Bosnien-Herzegowina hat im April ein Verfassungsreferendum abgelehnt, mittels dessen funktionalere Strukturen entsprechend den europäischen Standards geschaffen werden sollten. Herr Kollege Stinner hat zu Recht auf die bemerkenswerte und von unserer Seite besonders zu lobende Arbeit von Christian Schwarz-Schilling hingewiesen. ({7}) Er hat bei seinem Amtsantritt deutlich gemacht, dass er nicht vorhat, die „Bonn Powers“ einzusetzen. Die Entwicklung zu mehr Demokratie und zu mehr Rechtsstaatlichkeit soll ihren Ursprung in der Bevölkerung BosnienHerzegowinas selber haben. Daraus sollte man aber, wie ich finde, nicht die Konsequenz ziehen, die „Bonn Powers“ abzuschaffen. Die Entscheidung, mit dem Einsatz dieser Kräfte sehr zurückhaltend zu sein, ist meiner Meinung nach sehr weise. Gerade die Initiative aus der Republika Srpska, nach dem Referendum in Montenegro ein ähnliches Referendum in dieser serbisch-bosnischen Teilrepublik durchzuführen und auf diese Weise den Staatenverbund infrage zu stellen, zeigt, dass es für die Abschaffung der „Bonn Powers“ einfach noch zu früh ist. Deswegen sind wir hier auch unterschiedlicher Ansicht, Herr Kollege Stinner. ({8}) Eine besonders wichtige Rolle spielt weiterhin die Althea-Mission, über die wir voraussichtlich Ende November im Bundestag erneut debattieren werden. Althea ist ein beeindruckendes Beispiel. Ich habe vorhin schon von der Kooperation zwischen NATO und Europäischer Union gesprochen. Deswegen finde ich es besonders bedauerlich, dass die „Berlin Plus“-Vereinbarungen insbesondere von der Türkei immer wieder gestört werden. ({9}) Wenn die Türkei Mitglied der Europäischen Union werden will, dann muss sie vorher zeigen, dass sie den europäischen Geist unterstützen und weitertragen will. „Berlin Plus“ ist ein Zeichen dafür. Deswegen ist von der Türkei zu verlangen, dass sie „Berlin Plus“ unterstützt und nicht weiter behindert. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum Schluss und will dann auch mit meinem Fazit enden: Es liegt weiterhin viel Arbeit vor uns. Wir sollten bei allen täglichen Schwierigkeiten in den Verhandlungen und in den Entwicklungsprozessen in den einzelnen Ländern nicht den Erfolg der letzten Jahre, seit 1989 insbesondere, aus den Augen verlieren. Wir brauchen einen langen Atem. Dann werden wir - da bin ich mir sicher - mit den nötigen Anstrengungen auch zum Erfolg kommen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Dr. Norman Paech von der Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Norman Paech (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003822, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das anspruchsvolle Thema heißt: Gesamtstrategie für die Balkanstaaten und ganz Südosteuropa. Wir haben insgesamt 30 Minuten dafür. Mir bleiben vier Minuten. Was mache ich? ({0}) Ich konzentriere mich auf das, was sich bei näherem Hinsehen auf die Beseitigung der Folgen eines beispiellosen Zerfalls- und Zerschlagungsprozesses eines Landes reduziert. Da bin ich mit Ihnen, Herr von Klaeden, über die Leistung der NATO-Staaten gar nicht einer Meinung; die NATO hat nicht einmal vor einem völkerrechtswidrigen Krieg zurückgeschreckt. Daran ist immer wieder zu erinnern; denn die Wunden dieses Krieges sind noch heute zu spüren. ({1}) Jetzt soll der Kosovo von Serbien getrennt werden. Das ist nicht nur das eindeutige Ziel der Kosovo-Albaner, sondern das ist auch das Ziel der NATO-Staaten. Dabei spielt die Ausgangsresolution 1244 des UNOSicherheitsrats gar keine Rolle mehr. Diese Resolution spricht noch von der - ich zitiere - Erhaltung der Souveränität und territorialen Unversehrtheit Serbiens und einer substanziellen Autonomie und tatsächlichen Selbstverwaltung des Kosovo innerhalb der Grenzen Serbiens. Das ist auch das Angebot Belgrads. Von dort wird gesagt: Gebt uns 20 Jahre, um den endgültigen Status dieser Provinz zu finden. - Das ist ein faires Angebot. Beide Seiten müssen sich gemeinsam über die neuen Grenzen und die eventuelle Teilung einigen. Die Entscheidung zwischen Trennung und Autonomie mag noch Zeit erfordern, aber jede Teilung von außen - durch die EU oder sogar durch die NATO - ist nicht nur völkerrechtswidrig, sondern wird mit Sicherheit neue Gewalt erzeugen. ({2}) Der EU und der Bundesregierung - das wissen wir jetzt - sind 20 Jahre allzu lang und sie drängen auf eine Lösung noch in diesem Jahr. Aber anders als in Montenegro hilft hier kein Referendum; denn es geht um eine weitere Teilung Serbiens, der auch die serbische Regierung zustimmen muss. Das Recht auf Selbstbestimmung, auf das man sich so oft beruft, gibt in diesem Fall kein einseitiges Recht auf Sezession. Das ist genauso wie zum Beispiel bei den Völkern Abchasiens, Transnistriens, Kurdistans und des Baskenlandes. Deswegen fordern wir von der Bundesregierung - da sind wir, Herr von Klaeden, wieder zusammen -: Unterlassen Sie alles, was eine einseitige und gewaltsame Trennung des Kosovo herbeiführt! Bleiben Sie bei dem Verhandlungsprozess, auch über das Jahr 2006 hinaus! ({3}) Schauen wir dann noch kurz auf Bosnien-Herzegowina, wo drei Völker in einem Protektorat zusammengehalten werden. Hier ist von Separation keine Rede, sondern nur von Demokratiedefizit, Kriminalität, Prostitution und Drogenhandel, sozusagen den üblichen und notwendigen Konsequenzen aus den Schwierigkeiten des Zusammenlebens solcher Völker im Alltag. Hier wird der Aufbau eines neuen multiethnischen Staates versucht. - Serbien hingegen soll in weitgehend monoethnische Teile getrennt werden. Ein Narr, wer einer solchen Gesamtstrategie der Widersprüche nicht misstraut. ({4}) Wir - damit komme ich zum Ende - unterstützen allerdings alle Versuche, aus dem Protektorat BosnienHerzegowina einen eigenständigen und souveränen Staat zu machen und die spätfeudalen Eingriffsrechte eines Hohen Repräsentanten, auch wenn er ein Deutscher ist, abzuschaffen. Aber das ist nur ein Schritt auf dem Weg zu einem richtigen Staat und zu einer richtigen Gesellschaft. - Deswegen unsere Forderung: Ziehen Sie - Herr Stinner, das ist überfällig - die deutschen Truppen der Althea-Mission jetzt ab; ({5}) denn diese haben nur noch polizeiliche Aufgaben zu verrichten; das ist nachgewiesen. Das kann auch eine Polizei machen. ({6}) Ziehen Sie sie ab, ({7}) ersetzen Sie sie durch polizeiliche Kräfte und stärken Sie die immer noch schwachen institutionellen Kräfte des Staates! Dabei werden wir Sie immer unterstützen. Danke sehr. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Marieluise Beck vom Bündnis 90/Die Grünen.

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es könnte in der Tat keinen größeren Widerspruch zwischen der zeitlichen Kürze der Debatte und der Komplexität der Verhältnisse auf dem Balkan geben. ({0}) Der Zerfall Jugoslawiens mit den Schrecken des Krieges dauert eigentlich immer noch an und wird die internationale Gemeinschaft sicherlich auf lange Zeit als Moderator, Begleiter und auf einige Zeit mit militärischer Präsenz zur Friedenssicherung brauchen. Bei aller Unvollkommenheit und Mühseligkeit des Prozesses muss man sagen: Es gibt keine Alternative zu diesem Engagement, das das vereinigte Europa sowohl aus ethischen Gründen als auch aus eigenen Interessen aufrechterhalten muss. Zu Bosnien. Der Vertrag von Dayton war unvollkommen und bleibt eine Hypothek für die junge Republik Bosnien, die, nach wie vor faktisch zweigeteilt, damit schlechte Rahmenbedingungen sowohl für die ökonomische Entwicklung als auch für die politische Stabilisierung hat. Das Land hat 180 Minister, wie wir inzwischen wissen; das ist aberwitzig. Der Verfassungsentwurf ist aus unterschiedlichen Motiven heraus abgelehnt worden, und zwar aus gegensätzlichen: von einigen politischen Kräften, weil sie fürchten, dass mit diesem Verfassungsentwurf die Zweiteilung fortgeschrieben würde, von anderen, weil sie ein geeintes Bosnien nicht wollen. Das ist das Dilemma bei der Ablehnung des Verfassungsentwurfes. Nun kommt die nächste Etappe, die zeigt, wie gefährlich die Situation in Bosnien noch ist. Der Ministerpräsident der Republik Srpska, Dodik, ein Hoffnungsträger für einige Zeit, hat nun vorgeschlagen, dass es für die Republik Srpska ein Referendum geben müsse, ähnlich wie für Montenegro. Das ist aberwitzig; denn wir alle wissen, dass die serbische Mehrheit in der Republik Srpska nur durch Krieg, Vertreibung und Mord hergestellt worden ist. Das kann keine Grundlage für ein Referendum sein. Das ist noch einmal die Stunde für die „Bonn Powers“, die unmissverständlich deutlich machen müssen, dass die Entitäten kein Recht haben, sich aus dem bosnischen Gesamtstaat herauszulösen, sondern nur die UN Änderungen vornehmen könnte. Über Montenegro ist hier gesprochen worden. Ich hoffe, dass es einen möglichst konsensualen Weg der Trennung und Entflechtung der beiden Länder gibt. Am schwierigsten ist derzeit sicherlich die Situation bei den Statusverhandlungen im Kosovo. Ahtisaari steht fast vor einer Quadratur des Kreises. Ich glaube, dass es klug ist, zunächst einmal die Eckpunkte zu definieren und zu sagen, was nicht akzeptabel ist. Das sind die drei Neins, die wir alle kennen. Man hat den Eindruck, dass weite Teile der serbischen Bevölkerung und auch weite Teile der politischen Elite in Serbien immer noch nicht die volle Tragweite ihres Handelns begriffen haben, nämlich dass der Krieg und die Aggression, die von serbischem Boden ausgegangen sind, Folgen für das eigene Land haben. Das müssen wir den Serben immer wieder sagen. Dennoch kann durch eine Strategie, den Status vor Stabilität zu stellen, der Balkan wieder zu einem Pulverfass werden. Wir müssen daher den Prozess sehr deutlich im Auge behalten, der neben der Regelung der Statusfrage vor allen Dingen die Forderung an die Kosovo-Albaner enthält, eine Politik zu machen, mit der die Minderheiten tatsächlich geschützt werden, und ein Strafrechtssystem aufzubauen, das dem eines Rechtsstaates gleicht. ({1}) In dem neuen Bericht von Human Rights Watch über das Rechtswesen im Kosovo wird festgestellt, dass auch nach sieben Jahren viele Unzulänglichkeiten gerade im Strafrechtssystem zu finden sind und dass es eine strafrechtliche Verfolgung der Übergriffe insbesondere des Jahres 2004, die im großen Maßstab stattgefunden haben, kaum gegeben hat. Es gilt also jetzt, diesen Prozess in kluger Weise fortzuführen. Ob er in diesem Jahr beendet werden kann, können wir nicht wissen. Aber es ist gut, zeitlich Druck auszuüben. Es ist auch klar, dass während dieser schwierigen Phase die militärische Präsenz notwendig bleiben wird. Wir werden innerhalb des nächsten Tagesordnungspunktes im Einzelnen darüber sprechen. Trotz aller Schwierigkeiten muss man sagen: Zu Beginn des Krieges vor mehr als zehn Jahren gab es von ernst zu nehmenden Politikern die These, man müsse Marieluise Beck ({2}) den Konflikt auf dem Balkan ausbluten lassen. Im Vergleich zu einer solch grausamen Perspektive ist der Weg, den die internationale Gemeinschaft eingeschlagen hat - bei aller Unvollkommenheit -, doch der bessere gewesen und er bleibt der einzig vertretbare. Schönen Dank. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/778 und 16/588 an die in der Tages- ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/877 mit dem Titel „Das Abkommen von Dayton wei- terentwickeln und überwinden“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der An- trag ist damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion der Linken gegen die Stimmen von FDP und Grünen abgelehnt. Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 16/861 zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Beendigung der Operation ,ALTHEA‘ und Einrichtung einer internationalen nicht- militärischen Polizeimission in Bosnien und Herzego- wina“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Druck- sache 16/217 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltun- gen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen aller Fraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 16/862 zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Eigenverantwortung von Bosnien und Herzegowina stärken - Verfassungsprozess unter- stützen und ,Bonn Powers‘ des Hohen Repräsentanten abschaffen“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/228 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltun- gen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen aller Fraktionen gegen die Stimmen der FDP-Fraktion angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der Internationalen Sicherheitspräsenz im Kosovo zur Gewährleistung eines sicheren Umfeldes für die Flüchtlingsrückkehr und zur militärischen Absicherung der Friedensregelung für das Kosovo auf der Grundlage der Resolution 1244 ({1}) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 10. Juni 1999 und des Militärisch-Technischen Abkommens zwischen der Internationalen Sicherheitspräsenz ({2}) und den Regierungen der Bundesrepublik Jugoslawien und der Republik Serbien ({3}) vom 9. Juni - Drucksachen 16/1509, 16/1651 Berichterstattung: Abgeordnete Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg Detlef Dzembritzki Wolfgang Gehrcke Marieluise Beck ({4}) b) Bericht des Haushaltsausschusses ({5}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 16/1699 Berichterstattung: Abgeordnete Jürgen Koppelin Herbert Frankenhauser Lothar Mark Michael Leutert Alexander Bonde Über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin das Wort der Kollegin Uta Zapf von der SPD-Fraktion.

Uta Zapf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002582, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es hat eine gewisse Logik, dass wir die Verlängerung des Kosovoeinsatzes in den Zusammenhang der Gesamtstrategie für die Balkanstaaten stellen. Ich hätte es nur noch klüger gefunden, wir hätten darüber gemeinsam diskutiert und ein bisschen mehr Zeit darauf verwendet. Denn die vorhergehende Diskussion hat gezeigt, dass noch sehr viele Probleme bestehen. Ich möchte auch feststellen: Wie wir mit den Anträgen umgehen, die die Grünen zum Daytonabkommen und die FDP vorgelegt haben, drückt sich nicht in der Ablehnung dieser Anträge aus. Wir müssen noch eine intensivere Diskussion über eine wirklich tragfähige Gesamtstrategie führen. Ich denke, das sollten wir in naher Zukunft tun. ({0}) Es ist richtig: Die Lösung der Kosovofrage ist die Kernfrage für die Zukunft der Balkanregion. Noch brauchen wir die internationale Sicherheitspräsenz; das sind immerhin 16 000 NATO-Soldaten, davon 2 500 aus Deutschland. Noch brauchen wir die internationale PoliUta Zapf zei; das sind 2 186 Polizisten, davon 239 aus Deutschland. Noch müssen wir mit dieser internationalen Sicherheitspräsenz dafür sorgen, dass die ehemaligen Krieg führenden Parteien und andere bewaffnete Gruppen von der Aufnahme erneuter Feindseligkeiten und Gewalttaten abgehalten werden. Der Einsatz ist auch nötig, um die laufenden Verhandlungen um den Status Kosovos abzusichern. Diese Verhandlungen sind extrem schwierig und weit von einer konsensualen Lösung entfernt. Serbiens Position „mehr Autonomie“ und Kosovos Position der Unabhängigkeit sind bisher nicht in Übereinstimmung gebracht worden, auch nicht durch den neuen Vorschlag Serbiens - ich halte ihn für ausgesprochen gefährlich -, innerhalb einer 20-Jahre-Frist Kosovo als Bestandteil Serbiens festzuschreiben, bestimmte Befugnisse bei Serbien zu belassen und andere der internationalen Sicherheitspräsenz zu übertragen. Das kann keine akzeptable Lösung für die Kosovaren sein. Ich hoffe, dies wird in einer ohnehin angespannten Situation nicht noch ein bisschen mehr Öl ins Feuer schütten. „Konditionierte“ oder „eingeschränkte Unabhängigkeit“ sind Zauberworte, die im Zusammenhang mit einer Lösung für Kosovo immer genannt werden. Das wäre für die Kosovaren akzeptabel, wenn ein gewisses Maß an Verantwortung, vor allen Dingen im Bereich der Sicherheitspräsenz, bei der internationalen Staatengemeinschaft bliebe. Dabei sollte vorzugsweise die EU mehr Verantwortung übernehmen. Aber ich sage hier ausdrücklich: Dies alles kann nur unter der Prämisse funktionieren, dass der gesamte Prozess in eine Integration in die Europäische Union mündet. ({1}) Auch Serbien sieht seine Zukunft in der EU. Trotzdem sind die Statusverhandlungen im Moment festgefahren, weil eine Hürde nicht zu überwinden ist. Das hat auch damit zu tun, dass Serbien in keiner besonders guten Verfassung ist; dies wurde schon erwähnt. Die Abstimmung in Montenegro war gewissermaßen ein Trauma und wirkt sich natürlich auf die Befindlichkeit im Hinblick auf eine Lösung für Kosovo aus. Es wird auf der einen Seite befürchtet, dass die radikalen Kräfte in Serbien erstarken; wir brauchen uns nur die entsprechenden Umfragen anzusehen. Auf der anderen Seite gelingt es nicht, dass sich die demokratischen Kräfte Koštunica und Tadić in ein Boot setzen und den Tendenzen der nationalistischen Parteien etwas entgegensetzen, obwohl Tadić dies angeboten hat. Dann ist da noch die Sache mit Mladić und dem dadurch bedingten Aussetzen des SAA, des Stabilitäts- und Assoziationsabkommens. Die USA haben ihre Finanzhilfen für Serbien gesperrt. - Das heißt, dass wir auf Serbien in gewisser Weise Rücksicht nehmen müssen, dass wir Serbien in diesem Prozess mitnehmen müssen, weil es sonst zu Instabilitäten kommt. ({2}) Bezüglich der Zukunft Serbiens in der EU werden zwei Versionen diskutiert. Die eine ist die Forderung nach einer schnellen Entscheidung des Sicherheitsrates noch vor Ende 2006, Herr Stinner, und einer Lösung, die Serbien notfalls aufgezwungen wird. Die anderen plädieren dafür, Serbien mehr Zeit zu geben. Ich sage: Vor dem Hintergrund, dass sich für den Kosovo eine gefährliche Situation ergibt, wenn sich der Prozess zu lange hinzieht, und dass sich auch für Serbien eine schwierige Situation ergibt, wenn ihm etwas aufgedrückt wird, müssen wir die Perspektive eines Beitritts zur Europäischen Union für Serbien verstärken und unser Wort halten, das wir der ganzen Region gegeben haben. Wir müssen Serbien in diesem Prozess mit deutlichen Signalen unterstützen. Es kann nicht nur Prügel für Serbien geben, so schwierig die Situation auch ist. Wir müssen in dieser Situation mit ein wenig mehr Fingerspitzengefühl agieren. ({3}) Ich möchte noch einmal ganz allgemein auf die Gesamtstrategie für die Balkanstaaten eingehen. Es wurde erwähnt, dass die Irritationen, die auch durch die Krise im Kontext mit der europäischen Verfassung und durch die Fragen, ob wir uns durch weitere Erweiterungen übernehmen, ausgelöst worden sind, natürlich auch Auswirkungen auf die Balkanländer gehabt haben. Ich empfehle, dass wir uns die Mahnung der Balkan Commission, die diese vor einiger Zeit herausgegeben hat, nicht von dem europäischen Versprechen einer Beitrittsperspektive für diese Region abzuweichen, wirklich zu Herzen nehmen und nicht aufgrund von Egoismen vergessen, was Europa eigentlich ist, nämlich ein Raum für Frieden, Stabilität und Sicherheit in ganz Europa. Ich danke Ihnen. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Rainer Stinner von der FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Rainer Stinner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003640, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die FDP-Fraktion wird heute der Verlängerung des KFORMandats zustimmen. Wir sehen das genauso wie die Bundesregierung. Es wäre völlig destruktiv, das zu diesem Zeitpunkt, in dieser kritischen Phase nicht zu tun. Die Begründung der Bundesregierung ist sehr plausibel. Wir haben ihr nichts hinzuzufügen, werden also zustimmen. ({0}) Endlich beginnt der politische Prozess im Kosovo, auf den wir gedrängt haben, mit Statusverhandlungen. Das ist ganz wichtig. Wir haben unseren Antrag bewusst gestellt. Herr von Klaeden, ich bedauere, dass Ihre Fraktionsreferenten Ihren Antragsentwurf verändert haben. In unserem Antrag steht nichts von „Biegen und Brechen“. Bei uns steht: Wir wollen zügig verhandeln, und zwar bis Ende 2006. - Natürlich habe ich kein Problem damit, wenn wir es im ersten Quartal 2007 schaffen. Ich befinde mich da in bester Gesellschaft mit Herrn Athisaari und Herrn Rohan, die genau dasselbe sagen. Ich will auch sagen, warum wir das so sehen. Ich bin der festen Überzeugung, dass es - egal, wie lange Sie verhandeln, ob zwei Monate, 20 Jahre oder 200 Jahre kein gemeinsames Papier geben wird, von dem beide Seiten freudestrahlend sagen: Jawohl, das ist die Lösung. Da wir wissen, dass es auch am Schluss der Verhandlungen ein Gap, einen Unterschied, geben wird, halten wir es für besser, die Entscheidung in absehbarer Zeit zu fällen, nicht auf Biegen und weiß Gott nicht auf Brechen, aber nicht erst im Jahre 2025. Athisaari und Rohan sehen das ganz genauso. Da es, wie wir glauben, in dem Prozess, egal, wie lange wir ihn führen, kein gemeinsames Papier geben wird, weil die Positionen unvereinbar sind, muss es jemanden geben, der entscheidet. Das sind im Augenblick noch die Vereinten Nationen. Das ist völkerrechtlich ganz klar so definiert. Die Vereinten Nationen müssen also entweder Ende dieses Jahres oder spätestens im ersten Quartal des nächsten Jahres eine Entscheidung fällen. Jetzt stellt sich die Frage, wie die Lösung aussehen kann. Ich warne hier vor falschen Hoffnungen, speziell gegenüber den Kosovaren. Es wird immer gesagt, die konditionierte Unabhängigkeit könne nicht funktionieren. In Wirklichkeit bedeuten diese drei Neins, die eigentlich vier Neins sind, schon eine Kondition; denn das Kosovo ist nicht ein Land wie Island, Dänemark oder Neuseeland. Aus diesem Grunde hat die internationale Gemeinschaft diese drei bzw. vier Neins hineingeschrieben. Das ist eine Konditionierung; das ist keine Frage. Das Kosovo könnte nicht, selbst wenn wir ihm die Unabhängigkeit gäben, beschließen, sich mit Albanien zu vereinigen oder die Menschenrechte so oder so zu handhaben. Nein, wir konditionieren durch die Politik, die wir betreiben, die eventuell infrage kommende Unabhängigkeit des Kosovos. Deshalb warne ich davor, unerfüllbare Hoffnungen bei den Kosovaren zu wecken. Das kann nur gefährlich sein. Das können wir nicht zulassen. Es gibt diese drei bzw. vier Neins. Diese sind bekannt: kein Zurückgehen zu der Situation vor 1999, keine Vereinigung mit Albanien etc., aber auch keine unkonditionierte Unabhängigkeit. Wir brauchen nach wie vor eine internationale Präsenz im Kosovo. Meine Damen und Herren, Sie lehnen immer wieder mit großer Freude unsere Anträge ab. Sie haben unseren Antrag, der auf eine europäische Perspektive für das Kosovo zielte, vor zwei Jahren abgelehnt. Heute erleben wir, dass uns die Entwicklung Recht gegeben hat. Wir hatten schon vor zwei Jahren die Realität erkannt. Herzlichen Glückwunsch an alle, die in der Realität angekommen sind. ({1}) Sowohl die Balkankommission als auch die Eide-Kommission und die Kontaktgruppe denken in die Richtung, die wir schon vor zwei Jahren vorgeschlagen haben. Ich vermute, dass sich in zwei oder drei Jahren - falls ich dann noch im Bundestag bin - herausstellen wird, dass Anträge, die wir heute gestellt haben, realistisch waren. ({2}) Ich warne vor uneinlösbaren Versprechen. Ich warne auch vor dem Satz: Die Kosovaren akzeptieren nur die uneingeschränkte Unabhängigkeit, sonst knallt es. - Das ist etwas ganz Gefährliches. ({3}) Ich werfe das niemandem vor. Wir dürfen es nicht zulassen, dass so etwas gesagt wird. Wir müssen deutlich machen, dass wir nicht akzeptieren - dafür haben wir unsere Soldaten dorthin geschickt -, dass es dort knallt, ganz egal, was die Vereinten Nationen entscheiden. Das ist unsere Aufgabe. Dafür schicken wir unsere Soldaten in diesen gefährlichen Einsatz. Wir haben meines Erachtens vier Aufgaben. Die erste Aufgabe ist, die Verhandlungen kritisch zu begleiten und in den Verhandlungen dafür zu sorgen, dass keine faulen Kompromisse gemacht werden und vor allen Dingen keine weiteren dysfunktionalen Strukturen auf dem Balkan entstehen. Dysfunktionale Strukturen gab es auf dem Balkan in den letzten Jahren weiß Gott genug. Das darf im Kosovo jedenfalls nicht auch noch passieren. Wir müssen zweitens sowohl Serben als auch Kosovaren auf schmerzhafte Kompromisse vorbereiten. Wir dürfen keiner Seite sagen, sie werde hundertprozentig der Gewinner sein. Es wird nach meinem Dafürhalten keinen hundertprozentigen Gewinner geben. Das müssen wir heute schon deutlich machen. Zu einer europäischen politischen Ordnung gehört auch Kompromissfähigkeit. Das müssen wir deutlich sagen. Wir müssen drittens an verantwortliche Serben und Kosovaren appellieren, dass sie bei ihrer Bevölkerung dafür werben und um Verständnis dafür bitten, dass es am Ende für die jeweilige Bevölkerungsgruppe schmerzhafte Kompromisse geben wird. Sowohl im Kosovo als auch in Belgrad haben noch die Leute die Überhand, die für sich 100 Prozent verlangen und der anderen Seite 0 Prozent zugestehen wollen. Das wird meines Erachtens nicht gehen. Wir Europäer müssen viertens zu unserem Commitment stehen. Wir dürfen nicht nur mit dem Wort, sondern wir müssen auch mit der Tat dafür sorgen, dass sich die ganze Region positiv entwickelt. Dazu müssen wir unseren Beitrag leisten. Wenn wir das tun, dann habe ich die gute Hoffnung, dass wir hoffentlich in einem Jahr über ein anderes Mandat sprechen können, mit wesentlich weniger Soldaten und einer völlig anderen Verteilung zwischen Militär und Polizei. Das wäre ein Fortschritt, für den es sich zu arbeiten lohnt. Herzlichen Dank. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Bundesminister Dr. Franz Josef Jung. ({0})

Dr. Franz Josef Jung (Minister:in)

Politiker ID: 11003781

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich bitte Sie namens der Bundesregierung, dem Antrag zur Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der internationalen Sicherheitspräsenz im Kosovo zuzustimmen. Es wurde schon erwähnt und es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass, seitdem die NATO die Aufgabe übernommen hat, Sicherheit im Kosovo herzustellen, eine weit reichende Verbesserung der Sicherheitslage im Kosovo erreicht werden konnte. Es gibt aber noch keine dauerhafte, sich selbst tragende Stabilität. Die gesellschaftliche und politische Entwicklung im Kosovo ist weiterhin gefährdet. Die Gründe sind vielschichtig, angefangen von der wirtschaftlichen Entwicklung über Spannungen zwischen den Ethnien bis hin zu Kriminalität und teilweise politischem Extremismus. Es steht aber fest, dass gerade der laufende politische Prozess zur Zukunft des Kosovo in einem stabilen, in einem sicheren Umfeld stattfinden muss, wenn er zum Erfolg führen soll. ({0}) Deshalb ist es das Ziel der internationalen Gemeinschaft, zu einer zukunftsweisenden Lösung der Statusfragen beizutragen und damit eine Grundlage für Stabilität sowie für demokratische Entwicklungen im Kosovo zu schaffen. Nur durch die Lösung der Statusfragen kann die Unsicherheit beseitigt und eine positive Perspektive für die Region in Gang gesetzt werden. Um dieses Ziel langfristig zu erreichen, ist es auch notwendig, eine europäische Perspektive aufzuzeigen. Die Übernahme der militärischen Verantwortung sollte aber zunächst weiterhin bei der NATO verbleiben. Nach einer positiven Entwicklung sollte man dann eine Reduzierung vornehmen. Der erfolgreiche Abschluss der Statusgespräche, wozu wir alle politisch verantwortlichen Akteure im Kosovo auffordern müssen, zieht den Transfer der Aufgaben an nationale und internationale Organisationen nach sich. Gerade wenn unsere langjährigen Anstrengungen und die Ergebnisse, die wir erreicht haben, nicht aufs Spiel gesetzt werden sollen, ist jetzt die Verlängerung des KFOR-Mandates durch den Deutschen Bundestag erforderlich. Lassen Sie mich noch auf eines hinweisen: Seit Beginn der Operation sind wir der größte Truppensteller. Wir haben einen großen Anteil an der Stabilisierung der Region. Wir haben damit auch eine herausgehobene Verantwortung zur Aufrechterhaltung eines stabilen und sicheren Umfeldes für den Prozess, der im Rahmen der Statusverhandlungen jetzt hoffentlich zu einer positiven Entwicklung führt. Deshalb bitte ich Sie, der Fortsetzung des deutschen Beitrages zu KFOR auf dem bisherigen Niveau zuzustimmen. Besten Dank. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Paul Schäfer von der Fraktion Die Linke. ({0})

Paul Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003833, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Potemkin baut in Orahovac. Das geht so: 40 Häuser, die bei den Märzunruhen 2004 zerstört worden sind, werden jetzt - wie sich die Mitglieder des Verteidigungsausschusses vor kurzem vor Ort überzeugen konnten - wieder aufgebaut. Die Verkaufsverhandlungen mit Kosovoalbanern sind praktisch bereits im Gange. Die für die kosovarischen Familienverhältnisse zu kleinen Häuser werden dann abgerissen werden. Darin drückt sich leider ein Trend aus: Die jungen Serbinnen und Serben gehen, ein Teil der älteren bleibt. Der Antrag der Bundesregierung ist überschrieben mit „Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der Internationalen Sicherheitspräsenz im Kosovo zur Gewährleistung eines sicheren Umfeldes für die Flüchtlingsrückkehr“ - das ist Teil eins der Überschrift. In den Ohren der weit über 200 000 Flüchtlinge und Vertriebenen - Serben, Sinti und Roma - muss das wie Hohn klingen. Das passierte bekanntlich unter den Augen der NATO-Truppen. Das Beispiel Orahovac zeigt, wie weiter an der Legende gestrickt wird, dass der KFOR-Einsatz für ein multiethnisches Kosovo sorgen werde. Ich weiß, dass die Soldatinnen und Soldaten - wir haben es gesehen: die deutschen, die schweizerischen, die österreichischen sehr bemüht sind, diesen Auftrag zu erfüllen. Es geht aber um das Versagen der Politik. ({0}) Das Kriegsziel „multiethnisches Kosovo“ ist spätestens mit den Luftangriffen der NATO an der Seite der UCK verspielt worden. Die International Commission on the Balkans, der Carl Bildt und Richard von Weizsäcker angehörten, hat im letzten Jahr festgestellt: Die Situation der serbischen Minderheit in Kosovo ist die größte Anklage gegen den Willen und die Fähigkeit Europas, seine eigenen proklamierten Werte zu verteidigen. ({1}) Der zum Staatsmann gewendete Kriegsherr Agim Ceku redet - ich habe genau mitgeschrieben - vom Ausgleich zwischen den Kommunitäten. Derweil rappt die kosovarische Jugend zu heroischen Bildern von „Albania“, so der Titel des Videoclips, den uns die KFOR gezeigt hat und der in den Diskotheken der Hit ist, und träumt den großalbanischen Traum. Paul Schäfer ({2}) Ich will das nicht überdramatisieren, aber bereits heute stellt sich die Frage: Was kommt nach der Unabhängigkeit des Kosovo? Die Lostrennung des Kosovo ist - Kollege Paech hat es gesagt - ausgesprochene Politik der NATO. Ahtisaari wird sich dem anschließen. Auch in dieser Hinsicht entspricht der Antrag der Bundesregierung längst nicht mehr den Realitäten. Es geht nicht um die Durchsetzung der Resolution 1244, sondern um eine weitgreifende Änderung. Natürlich kann über diese Änderung des Status verhandelt werden. Aber es muss eine einvernehmliche Lösung zwischen den Beteiligten geben, kein Oktroi. Denn sonst kommen wir in Teufels Küche. ({3}) Krieg produziert Folgezwänge, denen man sich realpolitisch kaum entziehen kann. Ich weiß, es gibt Gründe dafür, zu sagen: Wir müssen jetzt die Minderheiten im Kosovo durch die KFOR schützen. Aber wir wollen eine andere Logik der internationalen Politik durchsetzen. Für uns ist Krieg kein Mittel der Politik. Gerade Kosovo hat gezeigt, dass Krieg eine immense Eskalation von Gewalt und Hass mit sich bringt. Sehen Sie sich die Zahlen der Vertriebenen und der Todesopfer an! Krieg darf kein Mittel der Politik sein. Deshalb stimmen wir gegen den Antrag der Bundesregierung. ({4}) Wir wollen jetzt, da sich die jugoslawische Tragödie dem Ende nähert, deutlich sagen: Politik muss sich strikt ans Völkerrecht halten. Das fordern wir von dieser und von jeder künftigen Bundesregierung. Der NATO-Krieg war und bleibt ein eklatanter Bruch des Völkerrechts. Die NATO muss deshalb, wenn sie im nächsten Jahr ihre Strategie überarbeitet, definitiv auf selbstmandatierte Militäreinsätze verzichten. ({5}) Schließlich: Ohne eine genauere Schuldzumessung für die verschiedenen Beteiligten der Balkankriege hier vornehmen zu können oder zu wollen, finde ich, dass es an der Zeit ist, Gerechtigkeit für Serbien zu fordern. Da dieses Land - nicht zuletzt durch äußere Einflüsse - um viele Jahrzehnte zurückgeworfen worden ist, geht es jetzt um Hilfe, um Unterstützung, um Integration und nicht um Demütigung und Pression. ({6}) Der schlimme Ausdruck „Die Serben in die Knie zwingen“ - das hat ein bundesdeutscher Außenminister gesagt, liebe Kollegin - klingt mir noch in den Ohren. Ich finde, es ist an der Zeit, den Serben jetzt wieder auf die Beine zu helfen. Danke. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Winfried Nachtwei von Bündnis 90/Die Grünen.

Winfried Nachtwei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002743, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Schäfer, es ist die Frage, ob man den serbischen Minderheiten dadurch hilft, dass man jetzt zum Beispiel die KFOR von den Enklaven abzieht. ({0}) Vor sieben Jahren ging der Kosovo-Luftkrieg der NATO gegen die Bundesrepublik Jugoslawien zu Ende. Dieser Krieg war zu Recht sehr umstritten. Es hat danach, so finde ich, viel zu wenig offene, selbstkritische Auswertungen dieses Krieges gegeben. Es überwogen Verdrängung einerseits und Kriegsschuldvorwürfe andererseits. Aber es sind tatsächlich einige Konsequenzen gezogen und Lehren umgesetzt worden: der Stabilitätspakt, die neuen Fähigkeiten der zivilen Krisenprävention und Friedenskonsolidierung, ({1}) die zwei Säulen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik und nicht zuletzt die verstärkte UNOTreue und Verlässlichkeit der Bundesrepublik Deutschland. Das alles sind wesentliche, tatsächliche Konsequenzen. ({2}) Vor drei Wochen begann im Kosovo der Einsatz des 14. Kontingents der Bundeswehr. Manche Soldaten sind schon zum dritten Mal oder sogar noch öfter dabei. Da stellt sich selbstverständlich die Frage - diese Frage stellen sich auch die Soldaten, die gerade im Saal sind -: Soll das etwa eine unendliche Geschichte werden? Als Obleute des Verteidigungsausschusses waren wir vor knapp zwei Wochen im Kosovo. Dort haben wir Verschiedenes festgestellt. Vor zwei Jahren - Sie erinnern sich - waren die schlimmen Märzunruhen. Da hatten wir die Befürchtung, dass die bis dahin geleistete mühsamste Aufbauarbeit völlig zusammengebrochen wäre. Schauen wir genauer hin: Einiges hat sich inzwischen sehr gut entwickelt. Die Kosovo Police Force, von der man annahm, dass sie sich erst einmal gar nicht entwickeln würde, ist jetzt weitestgehend selbstständig und arbeitet insgesamt recht gut und verlässlich. Die UN-Polizei ist nur noch in beratender Funktion tätig. Das ist ein sehr wichtiger Fortschritt. Die KFOR ist jetzt eindeutig auf konsequenten Minderheitenschutz und auch auf Wiederholungen der Märzunruhen vorbereitet. Zugleich gehen sie mit den „Liaison and Monitoring Teams“ jetzt viel dichter an die kosovarische Gesellschaft heran. Das sind eindeutige Fortschritte, ebenso wie die Beschäftigungserfolge privatisierter Firmen, in denen etliche Hunderte bis Tausende neuer Arbeitsplätze geschaffen wurden. Das sind die positiven Veränderungen. Zugleich ist die Situation aber auch sehr ernüchternd. Denn die latente, hoch organisierte Gewalt ist im Kosovo weiterhin enorm und die organisierte Kriminalität sehr verbreitet. Es wurde schon darauf hingewiesen, wie mangelhaft die Strafjustiz noch immer arbeitet, insbesondere bei der Aufarbeitung der Verbrechen, die im Rahmen der Märzunruhen verübt wurden. Schließlich ist auch die Situation der Minderheiten weiterhin eine Schande, obwohl es einzelne Gebiete gibt, Orahovac zum Beispiel, in denen sie zumindest einigermaßen gut nebeneinander leben können. Welche Konsequenzen sind am heutigen Tag zu ziehen? Die jüngsten Statusgespräche markieren eine politisch besonders heikle Phase; denn die Konfliktparteien halten sich jetzt einigermaßen zurück. Aber es gibt verstärkte Anzeichen dafür, dass die Welle der Gewalt, wenn es zu nicht zufrieden stellenden Ergebnissen kommt, sehr hoch schlagen könnte. Hier muss die Botschaft der internationalen Gemeinschaft völlig klar sein - Kollege Stinner, Sie haben das zu Recht angesprochen -: Gewalt darf keine „Lösung“ mehr sein ({3}) und Gewalt darf sich nicht mehr lohnen. Darauf nicht hinreichend zu achten, dieser Fehler ist in der Vergangenheit immer wieder gemacht worden. Deshalb ist die Verlängerung des KFOR-Mandats jetzt - ich wiederhole: jetzt - notwendig und unverzichtbar. Denn jetzt abzuziehen - ich sage wieder: jetzt; vielleicht stellt sich die Situation in einem Jahr schon anders dar; das wäre am besten -, hieße, die Enklaven den in den Startlöchern stehenden Gewalttätern zu überlassen. Das wäre unverantwortlich. Danke schön. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Hans-Peter Bartels von der SPD-Fraktion.

Dr. Hans Peter Bartels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003031, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute beschließen wir eine weitere Verlängerung des Kosovomandats. Das scheint schon fast Routine zu sein. Nach unserer Zustimmung zur Bereitstellung eines ersten deutschen KFOR-Kontingents im Sommer 1999 liegt uns heute der siebte Verlängerungsantrag der Bundesregierung vor. Ich möchte deshalb an dieser Stelle vor einer öffentlichen Fehlwahrnehmung warnen: Dass der Einsatz im Kosovo genauso wie die Einsätze in Bosnien-Herzegowina und in Afghanistan immer wieder verlängert werden muss, liegt nicht daran, dass etwas, was schnell zu erledigen gewesen wäre, deshalb länger dauert, weil immer alles schief geht. Manchmal wird das in den Medien nach dem Motto dargestellt: Sie kriegen es einfach nicht hin; jetzt müssen wir das Mandat schon wieder verlängern. - Aber das ist die falsche Wahrnehmung. Richtig ist: Wir brauchen von vornherein einen langen Atem, Geduld und Entschlossenheit. ({0}) Auf dem Balkan ist der Fortschritt eine Schnecke. Damit sie sich in die richtige Richtung bewegt, müssen wir ihr den Rückweg versperren. Das dauert gewiss länger als ein Jahr; ich glaube: viel länger. Dass wir aber jedes Jahr aufs Neue darüber beraten, hat nichts mit dem Erfolg oder Misserfolg des Einsatzes zu tun, sondern mit unseren Rechten als Parlament. Wir wollen von der Bundesregierung nach jeweils einem Jahr erneut gefragt werden. Genau deshalb haben wir damals das Parlamentsbeteiligungsgesetz beschlossen. Die Bundeswehr bleibt eine Parlamentsarmee. Dass die Präsenz der internationalen Truppen im Kosovo seit 1999 alles andere als erfolglos war, lässt sich zum Beispiel daran ablesen, dass wir die Sicherheit in der Provinz heute mit deutlich weniger Soldaten als zu Beginn der KFOR-Mission gewährleisten können. Zurzeit sind 2 600 Soldaten der Bundeswehr im KFOR-Einsatz, vor sieben Jahren, 1999, waren es fast 6 500. Das damalige Bundestagsmandat, das durch die Mandatsverlängerung in diesem Punkt übrigens nicht geändert wurde, lässt nach wie vor den Einsatz von bis zu 8 500 Soldaten zu. Was für das deutsche Kontingent gilt, gilt auch für die Gesamtmission der NATO: Betrug ihre Gesamtstärke im Jahre 1999 noch 45 000 Soldaten, so sind es gegenwärtig 16 500. Es ist übrigens einer Erwähnung wert, dass KFOR wirklich im besten Sinne multinational zusammengesetzt ist: Über 35 Staaten sind derzeit dabei, darunter sogar ferne Länder wie Argentinien und die Mongolei. Die NATO-Staaten sind fast vollzählig vertreten, wie es sich gehört und wie wir das auch bei anderen Aktionen erwarten. Mit der heutigen Zustimmung zur Mandatsverlängerung bekräftigen wir unser Interesse an einem dauerhaft stabilen und demokratischen Kosovo. Nur weil die Provinz nicht mehr die Nachrichten bestimmt - man möchte sagen: Gott sei Dank! -, lassen wir in unserem Engagement nicht nach. Das gilt für die vielfältigen zivilen Hilfen - Deutschland stellt etwa einen wesentlichen Beitrag für die UNO-Polizei im Kosovo - wie auch für die militärische Absicherung der Entwicklung. Wann der letzte KFOR-Soldat die Provinz verlassen wird, kann heute niemand sagen. Denn das lehrt uns die Erfahrung aus diesem wie aus anderen Einsätzen: Wenn unsere Politik eine dauerhafte Befriedung und Entwicklung der Region bewirken soll, dann müssen wir einen langen Atem haben. Ich bitte um Zustimmung. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt erteile ich das Wort dem Kollegen Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg. ({0}) - Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie doch, auch dem letzten Redner Ihre Aufmerksamkeit zu schenken, bevor wir zur namentlichen Abstimmung kommen. ({1})

Karl Theodor Guttenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003543, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion teilt die Auffassung der Bundesregierung und wird einer Verlängerung des KFOR-Mandats zustimmen. ({0}) Dieser Einsatz ist für uns ohne Alternative. Alles andere, verehrte Kolleginnen und Kollegen aus der Linkspartei, was Sie vorgetragen haben, ist in unseren Augen eher ein Beitrag zur Destabilisierung der Region - man fragt sich, welchen Interessen Sie eigentlich dienen. ({1}) Verehrter Herr Dr. Paech, Sie haben vorhin den Bezug hergestellt, dass die Wunden in dieser Region auf die NATO zurückzuführen seien, ohne dabei den Namen Milošević überhaupt in den Mund zu nehmen. Das ist schlichtweg unglaublich, das ist wirklich unter Ihrer Würde. ({2}) Meine Damen und Herren, Herr Kollege Bartels, trotz allem ist es richtig: Mandatsverlängerungen dürfen nicht zur Routine werden. Von daher ist es unsere Aufgabe, dieses Mandat stets aufs Neue dahin gehend zu überprüfen, ob es aus sich selbst weiterhin erklärbar ist und erklärbar bleibt, dahin gehend auch, ob die innenund die sicherheitspolitischen Gegebenheiten vor Ort Neubewertungen erfordern; und dahin gehend, ob für ausreichenden Schutz, für entsprechende Ausrüstung und auch für klare Strukturen für unsere Soldatinnen und Soldaten vor Ort gesorgt ist. ({3}) Dies entspricht zu Recht der Erwartung unserer Soldaten, denen von unserer Seite - ich glaube, das kann man für das ganze Haus sagen - einmal gedankt sein soll dafür, dass sie vor Ort ihren Auftrag erfüllen und ihren Dienst versehen, und für den nimmermüden Einsatz, den sie dort leisten. ({4}) Meine Damen und Herren von der Linkspartei, dass Sie noch nicht einmal in der Lage sind, unseren Soldaten für ihren Einsatz vor Ort, der gerade den Interessen der von Ihnen benannten Minderheiten dient, Dank zu zollen, ist in meinen Augen beschämend. Ein Applaus für unsere Soldaten ({5}) wäre auch einmal von Ihrer Seite angebracht; das kann man auch dann machen, wenn man dem Mandat widersprechen möchte. ({6}) Gleichwohl gibt eine Mandatsverlängerung immer Grund zur Überprüfung, ob die Bundesregierung und ob das Parlament die nötige Sorgfalt mit Blick auf den Auftrag walten lassen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Freiherr zu Guttenberg, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schäfer?

Karl Theodor Guttenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003543, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber selbstverständlich. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön, Herr Schäfer.

Paul Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003833, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Lieber Kollege von Guttenberg, wären Sie bereit, im Protokoll nachzulesen, was ich an dieser Stelle gesagt habe, auch was das Engagement deutscher, schweizer und österreichischer Soldaten betrifft, und dies hier im Plenum noch einmal zu sagen?

Karl Theodor Guttenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003543, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin gern bereit, das nachzulesen, Herr Kollege Schäfer. Ich darf aber auch noch einmal daran erinnern, dass man, wenn sich das Haus bei unseren Soldaten für den Einsatz bedankt und sich bei Ihnen diesbezüglich nicht einmal eine Hand rührt, den Eindruck bekommt, dass Sie Ihre ablehnende Haltung auf unsere Soldaten projizieren. Aber unsere Soldaten leisten ihren Dienst vor Ort und haben allein deswegen Applaus verdient. ({0}) Dem Überprüfungsauftrag, der uns alle betrifft, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist dieses Haus in den letzten Jahren mit großer Verantwortung und mit großer Ernsthaftigkeit nachgekommen. Gelegentlich wurde natürlich auch kontrovers diskutiert, wie man das heute Morgen wieder sehen konnte. Warum diese romantische Floskel von meiner Seite? Dies hat folgenden Hintergrund: Gestern durften wir die Behauptung eines Spitzenvertreters eines großen Verbandes lesen, die Politik rede sich manchmal die Verhältnisse schön, das habe man insbesondere im Kosovo gesehen. Derselbe Herr sprach im Zusammenhang mit den Vorgängen im Kongo von politischem Showbusiness mit militärischen Mitteln. Für mich sind diese Äußerungen nur schwer erträglich; ({1}) denn sie tragen dazu bei, dass zwischen dem Parlament und unseren Soldaten eine Kluft aufgerissen wird. Wir müssen aufpassen, dass das nicht geschieht. Fehleinschätzungen gab es immer und wird es immer geben. Natürlich gab es gelegentlich Versäumnisse; auch die wird es immer wieder geben. Aber mit Schönrednerei hat dies nichts zu tun. Damit lassen wir uns nicht abspeisen. ({2}) In gewisser Weise besteht natürlich immer Nachbesserungsbedarf. Unsere Bevölkerung hat - auch das darf einmal erwähnt werden - die bisherigen Auslandseinsätze mit viel Verständnis und mit Selbstverständlichkeit mitgetragen. Das ist ein hohes Gut und muss gepflegt werden, wenn dieses Niveau gehalten werden soll. Von denjenigen, die über die Arbeit der Regierung zu urteilen haben, wird man gottlob nie eine Routine erwarten dürfen, was die Auslandseinsätze angeht. Die Aufgaben für unsere Soldaten sind in immer komplexeren Zusammenhängen zu sehen, die Einsätze werden - siehe Afghanistan, Herr Bundesminister - immer gefährlicher. Umso deutlicher, vielleicht noch deutlicher als bisher, muss der Sinn einer jeden Streife, einer jeden Sicherung, einer jeden militärischen Maßnahme erkennbar und erklärbar sein, auch vonseiten des Parlamentes. ({3}) Die Botschaften, die wir unseren Soldaten und allen Menschen in unserem Land mitgeben, müssen kohärent, verständlich und schlüssig sein. Dem wird möglicherweise das Weißbuch gerecht, das Weißbuch, das für einen gewöhnlichen Unionsabgeordneten natürlich nicht in irgendeiner Weise bekannt ist. ({4}) - Ob ich das Weißbuch kenne? Ich kenne es nicht. Aber möglicherweise haben wir die Chance, der Forderung nachzukommen, dass sich die Auslandseinsätze auf den Interessen unseres Landes gründen. Herzlichen Dank. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswär- tigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregie- rung zur Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der Internationalen Sicherheitspräsenz im Kosovo, Druck- sache 16/1651. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/1509 anzunehmen. Es ist namentliche Abstimmung verlangt. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, ihre Plätze einzunehmen. Ich sehe, die Plätze sind besetzt. Dann eröffne ich die Abstimmung. Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das scheint nicht der Fall zu sein. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Aus- zählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben. Wir setzen die Bera- tungen fort. Kolleginnen und Kollegen, ich bitte, Platz zu nehmen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8 a und 8 b sowie Zusatzpunkt 4 auf: 8 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten HansChristian Ströbele, Volker Beck ({0}), Marieluise Beck ({1}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Für eine wirksamere Kontrolle der Geheimdienste - Drucksache 16/843 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({2}) Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Rechtsausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Max Stadler, Gisela Piltz, Sabine LeutheusserSchnarrenberger, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Kontrollgremiumgesetzes - Drucksache 16/1163 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({3}) Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Rechtsausschuss ZP 4 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({4}) zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-Christian Ströbele, Volker Beck ({5}), Grietje Bettin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Überwachung von Journalisten durch den Bundesnachrichtendienst - Drucksachen 16/85, 16/1656 Berichterstattung: Abgeordnete Clemens Binninger Dr. Max Stadler Ulla Jelpke Wolfgang Wieland Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen fünf Minuten erhalten soll. Gibt es Widerspruch dagegen? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Hans-Christian Ströbele vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Bundesnachrichtendienst, die Geheimdienste und die Kontrolle der Geheimdienste sind Dauerbrenner geworden. In fast jeder Sitzungswoche gibt es neue Ereignisse, sodass wir eigentlich immer neue Aktuelle Stunden beantragen könnten. Auch heute hat uns dieser Trend nicht verlassen. Wir sind heute Mittag von der Mitteilung des Bundesnachrichtendienstes überrascht worden, dass einer seiner Mitarbeiter doch bereits sehr früh von dem Vorgang gewusst hat, dass der deutsche Staatsbürger el-Masri zum Jahreswechsel 2003/2004 entführt, an die Amerikaner übergeben und von den Amerikanern verschleppt worden ist. Das wundert uns; denn seit einem halben Jahr betonen die Bundesregierung und der Bundesnachrichtendienst in vielen Verlautbarungen immer wieder, dass sie von einer Entführung des el-Masri zum ersten Mal Kenntnis erlangt haben, nachdem dieser Mann von den Amerikanern bereits wieder entlassen worden war - das war Ende Mai 2004 - und als ein Gespräch zwischen dem damaligen Bundesinnenminister Schily und dem US-Botschafter Coats stattgefunden hat. Nun hören wir plötzlich: In einem Kantinengespräch in Mazedonien, wo die Entführung ihren Anfang genommen hat, soll bereits darüber gesprochen worden sein. In diesem Gespräch erfährt der Geheimdienstmann des Bundesnachrichtendienstes davon, dass ein deutscher Staatsbürger festgenommen und an die Amerikaner übergeben worden ist. Er verschließt das aber in seinem Herzen und erzählt niemandem etwas davon. Deshalb wussten der Bundesnachrichtendienst und auch die Bundesregierung angeblich nichts davon. Das können wir nicht glauben. ({0}) Uns fehlt die nötige Fantasie dafür, zu glauben, dass ein Mann, der in einem Geheimdienst tätig ist und Informationen aus Mazedonien beschaffen soll, keine Informationen über einen solch wichtigen Sachverhalt weitergibt. Was uns noch mehr wundert: Seit einem guten halben Jahr diskutiert die Republik über die Frage, ob es denn sein kann, dass der Bundesnachrichtendienst nichts davon gewusst hat. Auch in all dieser Zeit hält der betreffende Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes, der all diese Meldungen mitbekommen haben muss, nichts davon, seinem Bundesnachrichtendienst nun Meldung zu erstatten und zu sagen: Ich wusste aber schon, dass damals was passiert ist. Vielmehr behauptet er nach wie vor, das sei ihm entfallen und er hätte sich erst daran erinnert, als der Untersuchungsausschuss nachfragte, ob er jetzt nicht vor dem Untersuchungsausschuss gehört werden müsse. Das ist eine Verheimlichungsstrategie, die wir dem Bundesnachrichtendienst und der Bundesregierung nicht durchgehen lassen. Wir glauben das nicht. Wir fordern Aufklärung. Wir fordern, dass erstens diejenigen, die damals davon unterrichtet gewesen sind, zur Rechenschaft gezogen werden, aber auch diejenigen, die eine Organisation des Bundesnachrichtendienstes verhindert haben, die solche Geheimnistuerei unmöglich gemacht hätte. ({1}) Wir haben heute eigentlich das Spezialthema: Wie kann der Bundesnachrichtendienst, wie können die deutschen Geheimdienste besser überwacht werden? Wir haben dazu eine Reihe von Vorschlägen gemacht. Wir sagen: Wenn es uns schon nicht gelingt, den Geheimdiensten das Geheime zu nehmen, dann sollten wir möglichst alles dafür tun, dass wir wenigstens dem Kontrollorgan, dem Parlamentarischen Kontrollgremium, das diese Geheimdienste kontrolliert, das Geheime nehmen. Wir müssen mehr Transparenz herstellen und ermöglichen, dass die Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums wenigstens die Vorsitzenden darüber unterrichten dürfen, was dort besprochen und diskutiert wird und was dort an Skandalen ans Licht kommt. Das ist an sich eine Selbstverständlichkeit; aber bis heute dürfen wir das nicht, sondern müssen die Bundesregierung fragen, ob wir solche Mitteilungen machen können. So kann das nicht weitergehen. ({2}) Wir fordern darüber hinaus, dass die Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums in Zukunft weiter das tun dürfen, was sie jetzt tun, ohne dass es bisher im Gesetz verankert ist: Sie müssen nach der Aufdeckung von Skandalen an die Öffentlichkeit gehen können und nicht nur Bewertungen abgeben dürfen, sondern auch die Fakten mitteilen dürfen, die sie in dem Gremium erfahren haben, damit sich die Bürgerinnen und Bürger und damit sich der Deutsche Bundestag ein Bild davon machen kann. Wir fordern auch, dass die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass dieses Gremium besser arbeiten kann. Es muss möglich sein, dass wir Mitarbeiter mit in das Gremium nehmen, dass dort protokolliert wird und dass die Arbeitsweise des Gremiums insgesamt besser unterstützt wird. Das Wichtigste ist: Wir wollen die BunHans-Christian Ströbele desregierung verpflichten, dass sie dem Gremium in Zukunft von sich aus über besondere Vorgänge berichtet und dass es nicht darauf warten muss, bis etwas in der Zeitung steht. Das heißt, wir wollen im Gesetz verankern, dass die Fälle, bei denen es sich um besondere Angelegenheiten, um besondere Vorfälle handelt, im Gesetz definiert sind. Es müssen etwa alle Vorfälle, die in der Präsidentenlage im Bundeskanzleramt erörtert werden, und alle Vorfälle, über die der Chef des Bundesnachrichtendienstes informiert wird, auch dem Parlamentarischen Kontrollgremium zur Diskussion, zur Überprüfung und zur Kontrolle vorgelegt werden. Nur wenn wir es schaffen, dass wenigstens dieses Gremium offen und transparent arbeiten kann, erreichen wir, dass die Bevölkerung dem Parlament wieder vertraut, dass eine wirksame Kontrolle stattfindet und es im Bundesnachrichtendienst und in anderen Geheimdiensten nicht zu dem kommt, was meine Fraktionsvorsitzende zu Recht als „Sauladen“ bezeichnet hat. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, gebe ich das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zum Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der Internationalen Sicherheitspräsenz im Kosovo bekannt: Abgegebene Stimmen 570, mit Ja haben gestimmt 516, mit Nein haben gestimmt 54, Enthaltungen keine. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 570; davon ja: 516 nein: 54 Ja CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({0}) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Otto Bernhardt Renate Blank Peter Bleser Antje Blumenthal Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Michael Brand Helmut Brandt Monika Brüning Georg Brunnhuber Leo Dautzenberg Hubert Deittert Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Georg Fahrenschon Dr. Hans Georg Faust Enak Ferlemann Hartwig Fischer ({1}) Dirk Fischer ({2}) Axel E. Fischer ({3}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich ({4}) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Dr. Michael Fuchs Dr. Jürgen Gehb Norbert Geis Eberhard Gienger Michael Glos Dr. Reinhard Göhner Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg Holger Haibach Gerda Hasselfeldt Michael Hennrich Jürgen Herrmann Bernd Heynemann Ernst Hinsken Robert Hochbaum Klaus Hofbauer Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Susanne Jaffke Dr. Peter Jahr Dr. Hans-Heinrich Jordan Andreas Jung ({5}) Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({6}) Volker Kauder Jürgen Klimke Julia Klöckner Jens Koeppen Kristina Köhler ({7}) Norbert Königshofen Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Dr. Günter Krings Dr. Martina Krogmann Johann-Henrich Krummacher Dr. Karl A. Lamers ({8}) Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Ingbert Liebing Eduard Lintner Dr. Klaus W. Lippold Dr. Michael Luther Stephan Mayer ({9}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Laurenz Meyer ({10}) Maria Michalk Hans Michelbach Philipp Mißfelder Dr. Eva Möllring Marlene Mortler Carsten Müller ({11}) Stefan Müller ({12}) Bernward Müller ({13}) Dr. Gerd Müller Hildegard Müller Bernd Neumann ({14}) Henry Nitzsche Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Eduard Oswald Henning Otte Rita Pawelski Dr. Peter Paziorek Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Daniela Raab Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Peter Rauen Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({15}) Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Johannes Röring Kurt J. Rossmanith Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Albert Rupprecht ({16}) Peter Rzepka Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Anita Schäfer ({17}) Hermann-Josef Scharf Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Norbert Schindler Georg Schirmbeck Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({18}) Andreas Schmidt ({19}) Ingo Schmitt ({20}) Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer Kurt Segner Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Gero Storjohann Andreas Storm Thomas Strobl ({21}) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Uwe Vogel Andrea Astrid Voßhoff Gerhard Wächter Marco Wanderwitz Kai Wegner Peter Weiß ({22}) Gerald Weiß ({23}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Anette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Matthias Wissmann Dagmar Wöhrl Willi Zylajew SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Ernst Bahr ({24}) Doris Barnett Dr. Hans- Peter Bartels Klaus Barthel Sören Bartol Sabine Bätzing Dirk Becker Uwe Beckmeyer Dr. Axel Berg Petra Bierwirth Lothar Binding ({25}) Kurt Bodewig Clemens Bollen Gerd Bollmann Dr. Gerhard Botz Willi Brase Bernhard Brinkmann ({26}) Edelgard Bulmahn Marco Bülow Ulla Burchardt Martin Burkert Dr. Michael Bürsch Christian Carstensen Dr. Peter Danckert Dr. Herta Däubler-Gmelin Karl Diller Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Garrelt Duin Detlef Dzembritzki Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Hans Eichel Karin Evers-Meyer Annette Faße Elke Ferner Gabriele Fograscher Rainer Fornahl Dagmar Freitag Peter Friedrich Sigmar Gabriel Martin Gerster Iris Gleicke Angelika Graf ({27}) Dieter Grasedieck Kerstin Griese Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Alfred Hartenbach Michael Hartmann ({28}) Nina Hauer Hubertus Heil Reinhold Hemker Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Petra Heß Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz ({29}) Gerd Höfer Iris Hoffmann ({30}) Frank Hofmann ({31}) Eike Hovermann Klaas Hübner Christel Humme Lothar Ibrügger Brunhilde Irber Johannes Jung ({32}) Josip Juratovic Johannes Kahrs Ulrich Kasparick Dr. h.c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Christian Kleiminger Hans-Ulrich Klose Astrid Klug Dr. Bärbel Kofler Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Rolf Kramer Ernst Kranz Nicolette Kressl Volker Kröning Dr. Hans-Ulrich Krüger Jürgen Kucharczyk Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Dr. Uwe Küster Christine Lambrecht Christian Lange ({33}) Dr. Karl Lauterbach Waltraud Lehn Helga Lopez Gabriele Lösekrug-Möller Dirk Manzewski Lothar Mark Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Markus Meckel Petra Merkel ({34}) Ulrike Merten Dr. Matthias Miersch Ursula Mogg Marko Mühlstein Detlef Müller ({35}) Michael Müller ({36}) Gesine Multhaupt Dr. Rolf Mützenich Thomas Oppermann Holger Ortel Heinz Paula Joachim Poß Christoph Pries Dr. Wilhelm Priesmeier Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Steffen Reiche ({37}) Maik Reichel Dr. Carola Reimann Christel RiemannHanewinckel Walter Riester Sönke Rix Rene Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({38}) Ortwin Runde Axel Schäfer ({39}) Bernd Scheelen Marianne Schieder Otto Schily Silvia Schmidt ({40}) Renate Schmidt ({41}) Dr. Frank Schmidt Heinz Schmitt ({42}) Carsten Schneider ({43}) Olaf Scholz Ottmar Schreiner Reinhard Schultz ({44}) Swen Schulz ({45}) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Rita Schwarzelühr-Sutter Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Andreas Steppuhn Ludwig Stiegler Christoph Strässer Joachim Stünker Dr. Rainer Tabillion Jörg Tauss Jella Teuchner Dr. h.c. Wolfgang Thierse Jörn Thießen Rüdiger Veit Jörg Vogelsänger Dr. Marlies Volkmer Hedi Wegener Andreas Weigel Petra Weis Gunter Weißgerber ({46}) Lydia Westrich Dr. Margrit Wetzel Dr. Dieter Wiefelspütz Engelbert Wistuba Waltraud Wolff ({47}) Heidi Wright Manfred Zöllmer FDP Jens Ackermann Daniel Bahr ({48}) Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Patrick Döring Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Mechthild Dyckmans Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Paul K. Friedhoff Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Miriam Gruß Joachim Günther ({49}) Dr. Christel Happach-Kasan Elke Hoff Dr. Werner Hoyer Michael Kauch Hellmut Königshaus Heinz Lanfermann Harald Leibrecht Ina Lenke Sabine LeutheusserSchnarrenberger Michael Link ({50}) Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Jan Mücke Burkhardt Müller-Sönksen Hans-Joachim Otto ({51}) Detlef Parr Cornelia Pieper Gisela Piltz Frank Schäffler Dr. Konrad Schily Marina Schuster Dr. Max Stadler Carl-Ludwig Thiele Florian Toncar Christoph Waitz Dr. Claudia Winterstein Hartfrid Wolff ({52}) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Marieluise Beck ({53}) Volker Beck ({54}) Cornelia Behm Birgitt Bender Grietje Bettin Alexander Bonde Dr. Thea Dückert Dr. Ursula Eid Hans-Josef Fell Joseph Fischer ({55}) Kai Gehring Anja Hajduk Britta Haßelmann Winfried Hermann Priska Hinz ({56}) Ulrike Höfken Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Thilo Hoppe Ute Koczy Renate Künast Undine Kurth ({57}) Markus Kurth Monika Lazar Dr. Reinhard Loske Anna Lührmann Jerzy Montag Kerstin Müller ({58}) Claudia Roth ({59}) Elisabeth Scharfenberg Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Dr. Gerhard Schick Silke Stokar von Neuforn Jürgen Trittin Wolfgang Wieland Josef Philip Winkler Margareta Wolf ({60}) Nein CDU/CSU Dr. Wolf Bauer Wolfgang Börnsen ({61}) Willy Wimmer ({62}) SPD Gregor Amann FDP DIE LINKE Hüseyin-Kenan Aydin Karin Binder Dr. Lothar Bisky Heidrun Bluhm Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Roland Claus Sevim Dagdelen Dr. Diether Dehm Werner Dreibus Klaus Ernst Diana Golze Dr. Gregor Gysi Heike Hänsel Lutz Heilmann Hans-Kurt Hill Cornelia Hirsch Ulla Jelpke Katja Kipping Jan Korte Katrin Kunert Michael Leutert Dr. Gesine Lötzsch Dorothee Menzner Kersten Naumann Dr. Norman Paech Bodo Ramelow Elke Reinke Paul Schäfer ({63}) ({64}) Dr. Herbert Schui Dr. Ilja Seifert Dr. Petra Sitte Dr. Kirsten Tackmann Jörn Wunderlich BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Sylvia Kotting-Uhl fraktionslos Das Wort hat jetzt der Kollege Clemens Binninger von der CDU/CSU-Fraktion. ({65})

Clemens Binninger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003507, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir über den Gesetzentwurf der FDP zur gesetzlichen Neuregelung der Arbeit des Parlamentarischen Kontrollgremiums debattieren, dann müssen wir auch mit einigen Sätzen auf die zahlreichen Vorwürfe eingehen. Es ist unbestritten, dass es in den vergangenen Wochen und Monaten kritikwürdige Vorfälle gegeben hat. Bei aller Kritikwürdigkeit, Herr Kollege Ströbele - das Wort „Sauladen“ kam Ihnen mit sichtlichem Vergnügen über die Lippen -, möchte ich aber eines klarstellen: Die große Mehrheit der Beschäftigten in unseren Sicherheitsbehörden in Bund und Ländern leistet unter schwierigsten Bedingungen hervorragende Arbeit zum Schutz der Sicherheit dieses Landes. Wir sollten uns davor hüten, unsere Sicherheitsbehörden pauschal so darzustellen, als ob es dort nur Skandale gäbe. Sie leisten hervorragende Arbeit. Das sollten wir auch betonen. ({0}) Denn es ist niemandem damit gedient, wenn wir unsere Sicherheitsbehörden pauschal schlecht reden. ({1}) Wenn es um Veränderungen geht, dann müssen wir zunächst nach den Fehlerquellen für die Verstöße aus den vergangenen Monaten fragen. Es gibt offensichtlich zwei Fehlerquellen. Die eine können wir möglicherweise beseitigen oder zumindest eindämmen. Für die zweite gilt das vielleicht auch; es ist aber sehr viel schwieriger. Die erste Fehlerquelle liegt - das hat auch der Bundesrichter a. D. Schäfer festgestellt - in den Informationsregeln innerhalb des BND, die durchaus verbesserungsfähig sind und durch verschiedene Maßnahmen auch in Bezug auf die BND-Spitze und den Austausch zwischen BND und Kanzleramt geändert werden müssen. Das wird von niemandem - auch nicht vom Kanzleramt - bestritten. An der Stelle besteht sicherlich Handlungsbedarf, weil das PKGr nur dann frühzeitig über bedeutende Vorgänge informiert werden kann, wenn sie dem Kanzleramt und der BND-Spitze bekannt sind. Die zweite Fehlerquelle ist schwieriger zu beheben; sie ist aber vielleicht die Hauptursache der Vorfälle. Sie liegt in dem persönlichen Fehlverhalten einzelner Beschäftigter, ({2}) einiger weniger Journalisten, die aus Sensationsgier, Wichtigtuerei oder was auch immer handeln, bis hin zum Fehlverhalten von Mitgliedern aus dem PKGr oder dessen Umfeld - ich sage das bewusst so vorsichtig -, wo jemand Geheimnisverrat begangen hat ({3}) und den Schäfer-Bericht sehr früh - bevor er veröffentlicht wurde - an die Medien durchgestochen hat. Wenn es um Konsequenzen geht, dann hilft es nicht, etwas flapsig von einem „Sauladen“ zu reden. Wir müssen vielmehr fragen, wie wir diese Fehlerquellen beseitigen können. Eines dürfen wir aber nicht vergessen: Geheimdienstarbeit muss geheim bleiben, genauso wie in notwendigem Maße die Kontrolle dieser Arbeit. ({4}) Wir würden dem Vertrauensbruch Tür und Tor öffnen, wenn wir verlangten, alles auf dem freien Markt auszutragen. Ein Nachrichtendienst, der davon ausgehen muss, dass die sensiblen Maßnahmen, die er durchführt, und die Informationen, die er erhält, anschließend bei jeder Gelegenheit öffentlich seziert werden, ist kein Nachrichtendienst mehr und kann für die Sicherheit dieses Landes nichts mehr tun. Die Geheimhaltung muss eine Vorbedingung sein. Erst dann können wir über konkrete Maßnahmen reden. Nun haben Sie von der FDP den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Kontrollgremiumgesetzes vorgelegt. Ich weiß nicht so recht, ob Sie hier einen Schnellschuss gemacht haben, um als Erste etwas vorzulegen. ({5}) Jedenfalls möchte ich etwas zur Eignung der drei von Ihnen vorgeschlagenen Maßnahmen sagen. Erster Vorschlag. Sie beklagen, dass das PKGr häufig zu spät informiert wird und die Dinge erst aus der Zeitung erfährt. Hier kann man durchaus Kritikwürdiges erkennen. Aber Ihren Ansatz, wonach eine schuldhafte Verletzung der Unterrichtungspflicht ein Dienstvergehen darstellt, halte ich für sehr bürokratisch. Er ist in der Praxis kaum anzuwenden. Zweiter Vorschlag. Sie wollen den Mitarbeitern des BND die Möglichkeit geben, sich zukünftig unter Umgehung der BND-Spitze direkt an das Parlamentarische Kontrollgremium zu wenden. Schon heute dürfen sie sich an das Parlamentarische Kontrollgremium wenden, müssen aber zuvor versucht haben, bei der BND-Spitze Gehör zu finden. Wenn das abgeschafft wird, hält eine Misstrauenskultur beim BND Einzug. Das wird zu nichts führen. Die bestehende Möglichkeit, sich an das PKGr zu wenden, reicht allemal aus. Ich halte es für kontraproduktiv, den BND-Mitarbeitern die Möglichkeit zu geben, sich unter Umgehung der BND-Spitze - Sie selber sagen, diese sei nicht gut informiert - an das Parlamentarische Kontrollgremium zu wenden. Das würde die bestehenden Probleme vielleicht eher verschärfen als lösen. Der dritte Vorschlag zeigt vielleicht - das haben Sie bereits angesprochen, Herr Kollege Ströbele -, was Sie sich eigentlich wünschen. Wie vorhin beschrieben haben wir das Problem, dass offensichtlich im PKGr oder in dessen Umfeld Geheimnisverrat begangen wurde. Bislang gehören dem Parlamentarischen Kontrollgremium neun Mitglieder, neun Geheimnisträger an. Herr Ströbele, Sie schlagen nun - genauso wie die FDP - vor, dass jedes der neun Mitglieder einen Stellvertreter bekommt. ({6}) Außerdem sollen ausgewählte Mitarbeiter der Fraktionen einbezogen werden, genauso wie die Fraktionsspitzen. Dann gäbe es statt neun 25 Geheimnisträger. Wie Sie mit 25 Geheimnisträgern die Geheimhaltung besser wahren wollen als mit neun, ist mir schleierhaft. Das ist für mich eher der Versuch, quasi eine organisierte Unverantwortlichkeit entstehen zu lassen, die dazu führt, dass anschließend niemand mehr weiß, wo eine Information durchgesickert ist. Darum geht es Ihnen offensichtlich mehr als um die Geheimhaltung. ({7}) Wir sind durchaus bereit, über eine Änderung der Arbeitsweise des Parlamentarischen Kontrollgremiums zu diskutieren. Aber wir sollten uns dabei an dem von Bundesrichter a. D. Schäfer vorgelegten Bericht orientieren. Er schreibt auf Seite 176, gesetzgeberische Maßnahmen seien nicht notwendig und das PKGr habe im konkreten Fall, also bei der Überwachung von Journalisten, alle Befugnisse gehabt. Dennoch skizziert er, wie die Rolle des PKGr zukünftig aussehen könnte. Er sagt - ich formuliere es in eigenen Worten -: Das PKGr hat eine Zwischenfunktion zwischen einem „normalen“ Ausschuss und einem Untersuchungsausschuss. Eine sinngemäße Anwendung der StPO könnte die Rechte dieses Gremiums stärken. Das halte ich für überlegenswert. Weil dies heute eher eine Hilfskonstruktion ist, fügt Herr Schäfer hinzu: Man müsste die Herausgabe von Akten und ihre Einsicht verpflichtend machen, also mehr als Amtshilfe. Auch ich halte es für überlegenswert, die Befugnisse des Parlamentarischen Kontrollgremiums zu stärken und sich so eher einem Untersuchungsausschuss anstatt einem „normalen“ Ausschuss zu nähern. Wer nun argumentiert, die Fülle an Informationen, die auf das PKGr einstürzen, sei so groß, dass man sie kaum bewerten könne, dem sei gesagt: Vielleicht macht es Sinn, neben dem Parlamentarischen Kontrollgremium jemanden aus der Mitte des Parlaments, einen Geheimdienstbeauftragten, zu haben, der sich ständig - quasi als Frühwarnsystem - mit dieser Thematik befasst. Ich wiederhole: Man kann darüber diskutieren. ({8}) - An Herrn Ströbele habe ich dabei zuletzt gedacht. Diese drei Punkte sind durchaus überlegenswert. Wir können die Arbeit des Parlamentarischen Kontrollgremiums stärken: bei der Beweiserhebung und bei der Befragung von Zeugen durch eine Annäherung an die Vorschriften der StPO, durch eine Verpflichtung zur Beiziehung und Herausgabe von Akten und schließlich - darüber sollten wir diskutieren - durch eine Person aus dem Parlament, die die Arbeit dieses Gremiums unterstützt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Binninger, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ströbele?

Clemens Binninger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003507, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege, der Vorschlag, dem PKGr die Befugnisse eines Untersuchungsausschusses zu geben, hört sich zunächst einmal ganz sachdienlich an. Widerspricht er nicht Ihrer eigenen Argumentation? Wenn dieses Gremium die gleichen Befugnisse wie ein Untersuchungsausschuss hat - das ist nach dem Grundgesetz zum Beispiel beim Verteidigungsausschuss vorgesehen -, muss dann für die Behandlung von solche Befugnisse erfordernden Fällen nicht auch ein ähnlicher Apparat wie der zur Verfügung gestellt werden, der einem Untersuchungsausschuss heute zur Verfügung steht? Ich habe im Augenblick die Ehre, dem PKGr und gleichzeitig einem Untersuchungsausschuss anzugehören. Ich sehe, dass in einem Untersuchungsausschuss fünf- oder zehnmal so viel Personen wie im Parlamentarischen Kontrollgremium mit einer Sache befasst sind. Inwiefern ist Ihr Vorschlag mit Ihrer Forderung vereinbar, es solle bei neun PKGr-Mitgliedern bleiben?

Clemens Binninger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003507, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich will diese Frage gern beantworten, Herr Kollege. Ich habe nicht gesagt: identisch mit einem Untersuchungsausschuss. Vielmehr habe ich gesagt: Annäherung an dessen Befugnisse und Kompetenzen. Wie viel Personal man dafür braucht, das kann niemand von uns heute einschätzen. Wir diskutieren über die Frage, wie wir die Stellung des parlamentarischen Kontrollgremiums verbessern können. Ich empfehle: Lassen Sie uns all die Kollegen heranziehen, die in den letzten Jahren, Jahrzehnten lange Zeit in diesem Gremium gearbeitet haben. Das sind die eigentlichen Praktiker, die uns mitteilen können, welche Verbesserungen notwendig sind und welche nicht. Diese Kollegen heranzuziehen und dann ergebnisoffen zu diskutieren, das macht Sinn. Wenn man das täte, dann gäbe es auch keinen Widerspruch zu meiner Argumentation, Herr Ströbele. Am Ende würde man sehen, ob man wirklich mehr Personal brauchte; die Zahl der zu behandelnden Fälle wäre vielleicht gar nicht so groß. Ich glaube, dass wir in dieser ganzen Debatte in sehr viel höherem Maße beide Aspekte im Blick behalten müssen: die Kontrolle der Geheimdienste - sie muss sein -, aber auch das Eintreten gegen die pauschale Verurteilung der Geheimdienste. Tun wir das nicht, erweisen wir der Sicherheit unseres Landes einen Bärendienst. Wir sind für die Kontrolle und auch für die Stärkung unserer Sicherheitsbehörden. Damit sind wir auf dem richtigen Weg. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Max Stadler von der FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Max Stadler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002805, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Forderung nach mehr und besserer Kontrolle richtet sich nicht gegen die Geheimdienste; Kontrolle ist vielmehr ein wesentlicher Teil der Legitimation der Arbeit von Geheimdiensten in einer Demokratie. ({0}) Leider müssen wir feststellen, dass es mit der Kontrolle der Arbeit der Geheimdienste, zuletzt des Bundesnachrichtendienstes, schon ein rechtes Kreuz ist. Die Bundesregierung hat vor einigen Wochen einen sehr umfangreichen Bericht über verschiedene in der Öffentlichkeit diskutierte Vorgänge über die Entführung und Verschleppung eines deutschen Staatsangehörigen, über Vernehmungen auf Guantanamo und in Syrien unter fragwürdigen Umständen und über andere Vorgänge vorgelegt. Nach der Vorstellung dieses Berichts meinte der Kollege Olaf Scholz - ich habe es noch im Ohr -, von diesem Zeitpunkt an sei alles aufgeklärt, es blieben keine Fragen mehr unbeantwortet. Wir von der Opposition haben diesem Frieden nicht getraut und entschieden, einen Untersuchungsausschuss einzurichten. ({1}) Heute hat sich etwas höchst Ungewöhnliches ereignet. Noch ehe dieser Untersuchungsausschuss den ersten Zeugen vernommen hat, stellte sich heraus, dass die Bundesregierung ihren umfangreichen Bericht an einer wichtigen Stelle in einem wichtigen Punkt korrigieren muss. Ein Geheimdienstmitarbeiter hat, weil er vor sich sah, im Untersuchungsausschuss unter Wahrheitspflicht aussagen zu müssen, von sich aus jetzt sein Wissen über die Verhaftung el-Masris in Mazedonien offenbart, das er bisher für sich behalten hat. Ich werte das so: Der Untersuchungsausschuss entfaltet bereits Wirkung. Er war und ist deshalb dringend notwendig. ({2}) Nun sagt Herr Ströbele, dass hier ein Einzelner etwas über die Vernehmung el-Masris gewusst habe, sei nicht glaubhaft. Wir haben da auch Zweifel. Geheimdienstarbeit bedeutet ja nicht, dass man eine Information geheim für sich behält. Das Normale ist, dass man sie dem Vorgesetzten mitteilt. Das werden wir klären. Die Argumentation, da handele es sich um das Versagen eines Einzelnen, haben wir schon bei der Frage der rechtswidrigen Observation von Journalisten erlebt. Auch da wird es so dargestellt, dass sich eine bestimmte Abteilung verselbstständigt habe. Aber wenn das so sein sollte, meine Damen und Herren, dann wäre das immerhin ein Zeichen dafür, dass es höchste Zeit ist, Ordnung im eigenen Haus zu schaffen. ({3}) Geheimdienstkontrolle bedeutet in erster Linie zunächst einmal interne Kontrolle. Ich stehe nicht an, zu sagen: Die organisatorischen Sofortmaßnahmen, die Herr Fritsche und Herr de Maizière vorgesehen haben, finden die Unterstützung der FDP. - Aber wir dürfen dabei nicht stehen bleiben. Wir brauchen natürlich auch eine effektivere parlamentarische Kontrolle der Nachrichtendienste. Ich sagte schon: Das dient der Legitimation der Arbeit unserer Sicherheitsbehörden. Herr Kollege Binninger, Sie haben Recht: Die FDP hat als erste Fraktion einen Gesetzentwurf dazu vorgelegt, über den wir jetzt in erster Lesung beraten. Wir wollen, dass wir vom Allgemeinen zum Konkreten kommen. Ich höre überall, eine Reform sei notwendig, aber einen konkreten Gesetzentwurf vermisse ich bisher von der CDU/CSU genauso wie von der SPD. Wir haben diesen Entwurf mit einer internen Sachverständigenanhörung sorgfältig vorbereitet und genau Ihre Forderung erfüllt, nämlich Parlamentarier, die früher in dem Gremium tätig waren, zu Rate gezogen. Dabei hat sich ergeben: Der Hauptfehler in der jetzigen Konstruktion liegt darin, dass das Parlamentarische Kontrollgremium oft zu spät und unvollständig, jedenfalls so, dass es seine Arbeit nicht richtig machen konnte, informiert worden ist. Das ist der Grund dafür, dass wir in unserem Gesetzentwurf noch einmal klarstellen: Es ist eine Bringschuld der Bundesregierung, die Parlamentarier zu unterrichten, damit die Kontrolle wirksam ausgeübt werden kann. Aber wir halten das noch nicht für ausreichend. Wir meinen - auf den Rat von Sachverständigen hin; Herr Werthebach ist ein profilierter CDU-Politiker, der uns dankenswerterweise auch beraten hat -, dass es heilsam sein kann, wenn Mitarbeiter der Dienste das Recht erhalten, sich unmittelbar, ohne den Dienstweg einzuhalten, an die Parlamentarier zu wenden, um Missstände aufzuzeigen. ({4}) Das könnte dazu führen, dass wir künftig eher von Fehlentwicklungen erfahren und dass das Kontrollgremium nicht immer nur nachträglich eingreift, sondern auch in laufende Prozesse eingreift. ({5}) - Ein Aufsichtsrat in der freien Wirtschaft, der erst informiert wird, wenn die Firma schon pleite ist, ist offenkundig überflüssig. ({6}) In laufende Prozesse muss man eingreifen können. ({7}) - Dazu haben wir eine Reihe von Vorschlägen gemacht, Herr Struck; ich hoffe, Sie haben das alles gelesen. Im Ausschuss können wir gern darüber diskutieren. Ich greife nur einen Punkt auf, nämlich den Geheimdienstbeauftragten des Parlaments.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Stadler, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Struck?

Dr. Max Stadler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002805, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr gern; denn sonst wäre meine Redezeit zu Ende und so kann ich noch antworten. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Struck, bitte schön.

Dr. Peter Struck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002278, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich helfe Ihnen ja gern, Herr Kollege Stadler. Für die Nöte kleiner Fraktionen bin ich immer offen. Sie sagen: in laufende Prozesse eingreifen. Ich möchte Sie fragen: Heißt das, dass sich nach Ihrer Vorstellung Mitarbeiter des BND an das PKGr wenden können, wenn eine Operation läuft, und sagen können: „Herr Stadler, was mein Vorgesetzter da macht, das geht nicht; das akzeptiere ich nicht“? Das kann doch nicht Ihr Ernst sein, Herr Stadler; ({0}) denn das würde die Funktionsfähigkeit eines Dienstes nachhaltig beeinträchtigen. ({1})

Dr. Max Stadler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002805, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Verehrter Herr Kollege Struck, es kann nicht Ihr Ernst sein, dass es richtig sein soll, dass Journalisten über Jahre hinweg in rechtswidriger Weise ausspioniert werden, ({0}) wie ein neutraler Gutachter feststellt, unter Verletzung des Prinzips der Verhältnismäßigkeit, das dafür zuständige Kontrollgremium nach Jahren erstmals davon erfährt und erst dann Gelegenheit hat, sich dazu zu äußern. Wenn es solche offenkundigen Fehltendenzen in einzelnen Abteilungen eines Dienstes gibt, dann habe ich das Vertrauen, dass es Mitarbeiter gibt, die eine derartige Entwicklung mit Sorge sehen und uns informieren, damit wir an die Bundesregierung die richtigen Fragen stellen, nämlich: Was läuft da in Bezug auf Eigensicherung? Mit welchen Methoden wird hier versucht - was an sich legitim ist -, undichte Stellen im eigenen Apparat aufzudecken? Ist das, was da geschieht, noch im Rahmen des gesetzlich Zulässigen? - Dann mag uns die Bundesregierung die richtigen Antworten oder die richtige Sachverhaltsdarstellung geben. Die Schwierigkeit, die wir im Kontrollgremium haben, ist, dass wir gar nicht zu den richtigen Fragen kommen. Manchmal ist es schwieriger, die richtige Frage zu wissen als die richtige Antwort. ({1}) Deswegen, Herr Kollege Struck, laden wir alle Fraktionen dazu ein, die Vorschläge, die wir gemacht haben, zu erörtern. Ich möchte einen Vorschlag noch ganz kurz erwähnen

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege, bitte!

Dr. Max Stadler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002805, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

- in einem Satz -: Ein Geheimdienstbeauftragter des Parlaments darf nicht an die Stelle des Kontrollgremiums treten, sondern soll ihm zuarbeiten; denn die Kontrolle der Dienste ist und bleibt eine Aufgabe aller Fraktionen des Bundestages. ({0}) Dass sie besser erfüllt wird als bisher, dazu soll unser Gesetzentwurf beitragen. Vielen Dank. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Klaus Uwe Benneter von der SPD-Fraktion. ({0})

Klaus Uwe Benneter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003503, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Wir dürfen unsere Arbeit als Parlamentarier nicht als absurd erscheinen lassen, indem wir drei oder vier Gremien nebeneinander für Aufklärung sorgen lassen. Was hier vorgefallen ist, war - der Kollege Binninger hat zu Recht darauf hingewiesen - nicht alles in Ordnung; das wissen wir jetzt. ({0}) - Natürlich wissen wir das. ({1}) Das ist ja schon zusammengeführt worden. Sowohl die Amtsspitze des BND als auch die Bundesregierung haben das sofort erkannt und entsprechende Sofortmaßnahmen ergriffen. Aber Sie wollen das Thema zum Dauerbrenner machen und dadurch wird es natürlich zum Dauerbrenner. Wir stehen vor dem Problem: Welche Rolle sollen die Geheimdienste bei uns denn einnehmen? Wir brauchen zur Aufklärung, gerade im internationalen Bereich, diese Geheimdienstarbeit. Die Geheimdienste müssen in der Lage sein, auch in der internationalen Zusammenarbeit Informationen zu bekommen, wenn es um unsere Sicherheit geht. Deshalb ist es notwendig, dass die Geheimdienste geheim, aber eben auch sauber arbeiten können.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Benneter, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ströbele?

Klaus Uwe Benneter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003503, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Ströbele.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Benneter, Sie sagen, es sei alles aufgeklärt und wir bräuchten nicht weiter aufzuklären, schon gar nicht in mehreren parlamentarischen Gremien. ({0}) Wollen Sie zur Kenntnis nehmen, dass das Bundeskanzleramt und der Bundesnachrichtendienst am heutigen Tag eine Erklärung herausgegeben haben, nach der sie ihren eigenen Bericht korrigiert haben, weil festgestellt wurde, dass ganz offensichtlich die Angaben, die in dem Bericht der Bundesregierung zum Fall el-Masri gestanden haben und von denen die parlamentarischen Gremien bisher ausgegangen sind, nicht vollständig waren, sondern unvollständig, und dass das - der Kollege Stadler hat darauf hingewiesen - nur deshalb herausgekommen ist, weil sich nun ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss mit diesem Thema befasst und in diesem Zusammenhang Zeugen angefordert hat, die darauf hingewiesen wurden, dass sie bei ihren Aussagen vor dem Ausschuss zur Wahrheit verpflichtet sind, woraufhin offenbar einem Zeugen eingefallen ist, dass er bereits seit Januar 2004 davon unterrichtet war, dass Herr el-Masri an die Amerikaner ausgeliefert worden ist?

Klaus Uwe Benneter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003503, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Ströbele, wollen Sie bitte zur Kenntnis nehmen, dass ich nicht davon gesprochen habe, dass alles aufgeklärt ist? Ich habe vielmehr davon gesprochen, dass Fehler vorgekommen sind, die jetzt aufgeklärt werden müssen. Dazu haben wir einen Untersuchungsausschuss eingerichtet, den Sie wollten. Wir hätten es für ausreichend gehalten, wenn im Parlamentarischen Kontrollgremium diese Aufklärung weiter betrieben worden wäre. Jetzt haben wir also zusätzlich einen Untersuchungsausschuss. Ich denke, diese beiden Gremien haben die weitere Aufklärungsarbeit zu leisten. Hinsichtlich des neuesten Falls muss man sagen, dass die Bundesregierung sofort reagiert hat. Der Schäfer-Bericht befindet sich in vollem Einklang mit dem Zwischenbericht der Bundesregierung vom November letzten Jahres. Die Bundesregierung hat in ihrem Bericht klargestellt, dass sie nur das kundtut, was ihr bekannt war. Ihre Behauptung und die eines jetzt aufgetauchten Mitarbeiters, die Entführung sei der Bundesregierung oder der Amtsspitze des BND bekannt gewesen, trifft offensichtlich nicht zu. ({0}) Wenn Sie behaupten, es sei der Einrichtung des Untersuchungsausschusses zu verdanken, dass sich dieser Mitarbeiter offenbart habe, dann kann ich nur sagen: Es ist Ihr gutes Recht, dieser Meinung zu sein. Der Tatsache, dass hier Fehler passiert sind, hat die Bundesregierung dadurch Rechnung getragen, dass sie in dem Zwischenbericht dargelegt hat, wie die Abläufe nach ihrer Kenntnis waren. ({1}) Jetzt sind wir am entscheidenden Punkt. Auch wir sind der Auffassung, dass wir eine wirksame Kontrolle der Geheimdienste brauchen. Deshalb hat das Parlamentarische Kontrollgremium sofort reagiert, als ruchbar wurde, dass Journalisten weit über das Maß hinaus, das im Zusammenhang mit einer Eigensicherung zulässig ist, observiert worden sein sollen. Die Bundesregierung hat dies alles offen gelegt. Es ist also nicht so gewesen, wie Sie uns hier glauben machen wollen, nämlich dass die Kenntnisse allein beim Parlamentarischen Kontrollgremium geblieben wären. Die Bundesregierung und auch wir haben uns sofort dafür eingesetzt, diese Erkenntnisse öffentlich zu machen - so wie wir jetzt sofort dafür waren, dass der Schäfer-Bericht öffentlich gemacht wird. Wir wären noch froher, wenn dies in vollem Umfang geschehen könnte. Denn dann wär uns auch der Inhalt der weißen Seiten bekannt. Damit hätten wir die Möglichkeit einer besseren Kontrolle. Das Parlament hat die Stellung des Parlamentarischen Kontrollgremiums 1999 dadurch gestärkt, dass es die Stelle eines Sachverständigen eingerichtet hat - nicht anstelle des Kontrollgremiums, aber zur Unterstützung des Kontrollgremiums. Wir sehen an dem Schäfer-Bericht, dass dieser Sachverständige eine wertvolle Hilfe ist. Was die Bringschuld angeht, Herr Stadler, von der Sie gesprochen haben, verweise ich darauf, dass es in § 2 des Kontrollgremiumgesetzes heißt: Die Bundesregierung unterrichtet das Parlamentarische Kontrollgremium umfassend über die allgemeine Tätigkeit … und über die Vorgänge von besonderer Bedeutung. ({2}) Das Wort „Bringschuld“ ist zwar nicht direkt formuliert, aber im übertragenen Sinne schon enthalten. Jetzt stellen wir fest, dass es offensichtlich Tätigkeiten des Bundesnachrichtendienstes gegeben hat, von denen weder die Amtsleitung des BND noch die Bundesregierung Kenntnis hatten. Darauf müssen wir unser Augenmerk richten. Es kommt jetzt darauf an, dass wir eine bessere Kontrolle durchsetzen können. Dass wir auf dem richtigen Weg sind, erkennt man, wie gesagt, daran, dass der Schäfer-Bericht nahezu deckungsgleich mit dem BND-Bericht der Bundesregierung aus dem letzten Jahr ist. Durch den Schäfer-Bericht wird deutlich - auch das konnten wir nachlesen -, dass die Kontakte zwischen Journalisten und dem Geheimdienst von sehr unterschiedlicher Qualität waren. Es gab vier Kategorien: Es gab Journalisten, die normale Hintergrundgespräche geführt haben. Dann gab es Journalisten, die, weil sie sich einer gewissen Sorgfalt verpflichtet fühlten, mit dem BND gesprochen haben. Darüber hinaus gab es sehr umfängliche Informationsgespräche, in denen beide Seiten Informationen lieferten. Und letztlich gab es diejenigen, bei denen ich mich frage, ob wir die überhaupt als JourKlaus Uwe Benneter nalisten bezeichnen dürfen oder können, diejenigen, die sich als Nachrichtenhändler und V-Leute betätigt haben. ({3}) Das sind diejenigen, die sich als angebliche Journalisten auf andere Journalisten haben ansetzen lassen. Eigentlich hat diese Sache mit Pressefreiheit nichts zu tun. In einem anderen Zusammenhang wurde angesprochen, dass wir etwas für die Journalisten tun müssten, um deren Pressefreiheit zu sichern. Wenn es aber um solche Nachrichtenhändler geht, dann ist es Sache der Journalisten, in ihrem Kreise selbst darauf zu achten, solche Fehlentwicklungen einzudämmen und solche Typen in ihren Reihen auszuschalten. ({4}) Herr Ströbele, ich denke, Ihr diesbezüglicher Antrag ist überholt. Es war ja beantragt worden, die Erkenntnisse über die Überwachung von Journalisten öffentlich zu machen. Das alles ist jetzt passiert. Das Parlamentarische Kontrollgremium hat den Schäfer-Bericht bisher noch überhaupt nicht ausgewertet oder bewertet. ({5}) Er ist im Innenausschuss behandelt worden, aber auch dort ist keine Be- oder Auswertung erfolgt. Vielmehr ging es darum, zusätzliche Informationen zu erhalten, die sicher hilfreich für das Verständnis dieses Berichtes waren. Herr Ströbele, Sie sind ja Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums. Ich finde, Sie sollten daran interessiert sein, dass dieses Kontrollgremium seine Aufgabe auch erfüllen kann und die Arbeitsweise dieses Gremiums nicht dadurch in die Absurdität geführt wird, dass all das, was in diesem geheim tagenden Kontrollgremium verlautbart wurde, am nächsten Tag in der „Süddeutschen Zeitung“ nachzulesen ist. ({6}) Wenn dies weiter geschieht, Herr Ströbele, dann wird das künftig kein Kontrollgremium mehr sein können und dann besteht die Gefahr, dass sich bei den Geheimdiensten solche Verfahrensweisen, wie wir sie hier teilweise feststellen können, weiter breit machen. ({7}) Ich denke, dass es sicher richtig ist, darüber nachzudenken, ob wir die Kontrolle der Geheimdienste nicht sinnvoll ausweiten können. Die Bundesregierung selbst hat klar und deutlich adäquate Sofortmaßnahmen ergriffen; das hat sie uns gestern im Innenausschuss dargelegt. Sie hat disziplinarrechtliche und arbeitsrechtliche Schritte in die Wege geleitet, um, wenn es um persönliche Verfehlungen geht, diese entsprechend zu ahnden. Die Frage allerdings, wie der Gesetzentwurf der FDP verbessert werden könnte, können wir erst beantworten, wenn uns der Untersuchungsausschuss Ergebnisse vorlegt, ({8}) wenn wir festgestellt haben, welche Tatsachen, welche Maßnahmen und welche Vorgänge zu diesen Fehlentwicklungen geführt haben, ({9}) und wenn klar ist, woran es lag, dass die Amtsleitung nicht rechtzeitig informiert wurde und die Bundesregierung nicht Bescheid wusste, und wie es möglich war, dass die Eigensicherung innerhalb des BND so abgeschottet durchgeführt wurde, dass diejenigen, die dafür politisch verantwortlich sind, nichts davon mitbekommen haben. Das sind Dinge, die wir erst dann bewerten können, wenn die Ergebnisse des Untersuchungsausschusses vorliegen. ({10}) Deshalb ist es verfrüht - und der Antrag der Grünen ist überholt -, schon jetzt in dieser Art und Weise Verbesserungen zu fordern. Das können wir dann erledigen, wenn die Ergebnisse des Untersuchungsausschusses vorliegen. ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Wolfgang Nešković von der Fraktion Die Linke. ({0})

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der britische Philosoph und Mathematiker Isaac Newton sagte einmal: Was wir wissen, ist ein Tropfen, was wir nicht wissen, ein Ozean. Sie werden erahnen, warum ich diesen Einstieg wähle. Ich meine, das Zitat klingt heute wie eine treffende Bestandsaufnahme in Hinblick auf den Kenntnisstand des Parlamentarischen Kontrollgremiums bei den Aktivitäten der Nachrichtendienste in den letzten Jahren. Auf die nötige Spitze getrieben lässt sich sagen: Wenn wir im Gremium überhaupt etwas wissen, haben wir es in allererster Hinsicht einer investigativen Presse, in allerletzter Hinsicht unserem Privileg, im Parlamentarischen Kontrollgremium vom Dienst persönlich und direkt informiert zu werden, zu verdanken. ({0}) Die wichtigste Informationsquelle eines Mitgliedes des PKGr ist - Herr Körper hat es neulich selbst im „Spiegel“ gesagt - die Tages- und Wochenpresse, so wie sie jedem Bürger dieses Landes zur Verfügung steht. Wenn Sie also etwas über die momentane Kontrolldichte beim Parlamentarischen Kontrollgremium erfahren wollen, müssen Sie eigentlich nur Zeitung lesen. ({1}) Dann können Sie sich ausmalen, ob die Mitglieder des PKGr gerade etwas nachzufragen haben oder im Augenblick eher zu einer gemächlichen Arbeitsatmosphäre verurteilt sind. Selbst wenn wir etwas nachzufragen haben, beginnt eine Irrfahrt wirkungsloser Kontrolle. Dead reckoning - zu deutsch: unsicheres Schätzen nannte man zu Lebzeiten Newtons eine Methode der Bestimmung der Position auf den Weiten des Ozeans, weil sie in der Regel nutzlos war und nicht selten böse endete. Unsicheres Schätzen vollzieht sich heute, wenn ein neunköpfiges Gremium der Regierung bei der Überwachung von etwa 10 000 Mitarbeitern hinterhernavigiert. Wir wissen in der Regel nicht, was diese 10 000 Mitarbeiter gerade tun. Wir wissen viel zu wenig über die Arbeitsweise der Geheimdienste, über ihre innere Struktur. Durch die bloße Wahl in das Parlamentarische Kontrollgremium wird der Abgeordnete nicht automatisch zu einem Geheimdienstexperten. ({2}) Dennoch segelt er ohne Mannschaft und zudem ohne Stellvertreter. Die Kontrolle des Gremiums erstreckt sich nur auf das Material, das man ihm zur Verfügung stellt. Mit anderen Worten: Der zu Kontrollierende bestimmt das Ausmaß der Kontrolle. ({3}) Was wir wissen, ist ein Tropfen, was wir nicht wissen, ein Ozean. Dummerweise sind wir als Parlamentarier - ob wir wollen oder nicht - für den ganzen Ozean zuständig; denn im Bereich geheimdienstlicher Tätigkeit darf es keine kontrollfreien Räume geben. Darum geht es. Die Demokratie darf keine kontrollfreien Räume dulden. ({4}) Mit unserer Wahl zum Abgeordneten ist uns zugleich die Verpflichtung übertragen, das Handeln der Exekutive und damit auch die Tätigkeit der Geheimdienste dauerhaft, umfassend und effektiv zu kontrollieren. Für die Erfüllung dieser Aufgabe ist das bestehende Kontrollgremiumsgesetz eine völlig unzureichende Grundlage. Wir brauchen - ich sage das im Ernst - eine ernsthafte, aufrichtige, informierte und gutwillige Diskussion darüber, also das, was ich insbesondere im Rechtsausschuss schmerzlich vermisse: einen Diskurs im habermasschen Sinne. Der Gesetzesantrag der FDP bildet hierfür eine Grundlage. Er geht allerdings nicht weit genug. Eine sichere Navigation in den Untiefen geheimdienstlicher Tätigkeit erfordert weit mehr. Ich nenne Ihnen die wichtigsten Forderungen. Nötig für eine wirksame politische Kontrolle ist stets die Möglichkeit der Sanktion. Kontrolle ohne Sanktion ist wie ein Mast ohne Segel; sie bringt nichts. ({5}) Eine wirkungsvolle Sanktion wäre zum Beispiel die Berechtigung jedes Gremiumsmitgliedes, zumindest Rechtsbrüche öffentlich zu machen. Rechtsbrüche sind nie geheimhaltungsbedürftig! ({6}) Zum anderen meinen wir, dass sich die Kontrollbefugnis auch auf solche Vorgänge beziehen muss, die die partnerschaftliche Zusammenarbeit betreffen. Wenn ein Partnerdienst dem BND Informationen zur Verfügung stellt, dann stellt er sie, um in der Sprache des § 2 b zu bleiben, auch dem Parlamentarischen Kontrollgremium zur Verfügung. Es widerspricht jeder demokratischen Legitimierung, dass 6 500 Bedienstete des BND über mehr sensible Informationen verfügen dürfen als ein unmittelbar vom Volk gewählter, zur Geheimhaltung verpflichteter Parlamentarier, der zudem von der absoluten Mehrheit des Bundestages in das Gremium entsandt wurde. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich bin am Schluss. - Ich habe Ihnen zwei Positionsbestimmungen genannt. Ich werde in der parlamentarischen Beratung weitere benennen, damit wir endlich einen sicheren Kurs setzen können, zu einer effektiven Kontrolle der Geheimdienste. Vielen Dank. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/843 und 16/1163 an die in der Ta- gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Beschlussempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 16/1656 zu dem Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel „Überwachung von Journalisten durch den Bundesnachrichtendienst“: Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/85 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussemp- fehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koali- tionsfraktionen bei Gegenstimmen der Oppositionsfrak- tionen und einer Enthaltung aus der CDU/CSU-Fraktion angenommen. Wolfgang NeškoviæWolfgang Nešković Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Ich rufe die Tagesordnungspunkte 11 a und 11 b auf: a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitssuchende - Drucksache 16/1410 - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Brigitte Pothmer, Volker Beck ({0}), Birgitt Bender, weiteren Abgeordneten und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ver- längerung der Ich-AG - Drucksache 16/1405 - aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({1}) - Drucksache 16/1696 - Berichterstattung: Abgeordneter Klaus Brandner bb)Bericht des Haushaltsausschusses ({2}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 16/1697 - Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Claudia Winterstein Dr. Gesine Lötzsch Anja Hajduk Waltraud Lehn b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({3}) - zu dem Antrag der Fraktion der LINKEN Für Selbstbestimmung und soziale Sicherheit - Strategie zur Überwindung von Hartz IV - zu dem Antrag der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Markus Kurth, Irmingard ScheweGerigk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Hartz IV weiterentwickeln - Existenzsichernd, individuell, passgenau - zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus Ernst, Katja Kipping, Heidrun Bluhm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Wohnungslosigkeit vermeiden - Wiedereinführung von Beihilfen und Übernahme von Mietschulden auch für Erwerbstätige mit niedrigem Einkommen und Arbeitslosengeld-I-Bezieher - Drucksachen 16/997, 16/1124, 16/1201, 16/1696 Berichterstattung: Abgeordneter Klaus Brandner Über den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/ CSU und der SPD werden wir später namentlich abstimmen. Zu dem Gesetzentwurf liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales hat in seine Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/1696 den von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen eingebrachten Gesetzentwurf zur Verlängerung der Ich-AG auf Drucksache 16/1405 sowie den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/1201 mit dem Titel „Wohnungslosigkeit vermeiden - Wiedereinführung von Beihilfen und Übernahme von Mietschulden auch für Erwerbstätige mit niedrigem Einkommen und Arbeitslosengeld-I-Bezieher“ einbezogen. Über diese Vorlagen soll jetzt ebenfalls abschließend beraten werden. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann ist so beschlossen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch dagegen? - Das ist nicht der Fall. Bevor ich die Aussprache eröffne, erteile ich Frau Kollegin Dr. Enkelmann, Fraktion Die Linke, das Wort zur Begründung Ihres Antrages.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion Die Linke beantragt die Rücküberweisung des vorliegenden Gesetzentwurfes und der entsprechenden Änderungsanträge an die Ausschüsse. Die Fragestunde heute früh und auch die Aktuelle Stunde haben offenbart, dass es nach wie vor eine ganze Reihe von offenen Fragen gibt, die auch in der Aktuellen Stunde nicht beantwortet wurden. ({0}) Wir haben heute festgestellt, dass in einem überstürzten Verfahren ein so genanntes Optimierungs- bzw. Fortentwicklungsgesetz in Sachen Hartz IV durch den Bundestag gepeitscht werden soll. Wer möglicherweise meint, es gehe hier wirklich um eine Optimierung oder Fortentwicklung in Sachen Hartz IV, der sieht sich allerdings getäuscht. Das Gegenteil ist der Fall. Noch am Dienstagabend sind mehrere Änderungsanträge der Koalitionsfraktionen an die Fraktionen gegangen. Das war ein ganzer Packen. Es war aus unserer Sicht nicht möglich, sich sachgerecht mit diesen Anträgen zu befassen. ({1}) Sie sind dennoch gestern durch die Ausschüsse gepeitscht worden. Meine Damen und Herren, es gibt Fragen, die Sie mit zu beantworten haben, wenn Sie entscheiden: Sind Sie sicher, dass Sie wirklich alles gründlich geprüft haben? Sind Sie sicher, dass es vor dem Verfassungsgericht Bestand haben wird, wenn Menschen die Existenzgrundlage genommen wird? ({2}) Immerhin garantiert unser Grundgesetz ausdrücklich die Menschenwürde. Sind Sie sicher, dass das, was Sie hier vorhaben, mit der UN-Menschenrechtskonvention vereinbar ist? Sind Sie sicher, dass es vor dem Verfassungs3334 gericht Bestand hat, wenn das Aufenthaltsrecht von Arbeitslosen derart beschränkt wird? ({3}) Heute früh hat der zuständige Staatssekretär - er sitzt hier - auf eine Frage geantwortet, er glaube, dass das alles funktioniere. Ich denke, für einen Glauben reicht ein solcher Gesetzentwurf weiß Gott nicht aus. ({4}) Sind Sie sicher, dass Sie wirklich alle Auswirkungen des Gesetzes auf die Betroffenen, den Haushalt des Bundes - da haben wir in den letzten Monaten denkbar schlechte Erfahrungen gemacht - oder die Kommunen geprüft haben? Wollen Sie wirklich verantworten, dass, wenn Betroffenen selbst die Unterkunftsleistungen gestrichen werden, die Kommunen für Obdachlosenheime, für die Sicherung der Tafeln usw. aufkommen müssen? Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, ich will mich ausdrücklich an Sie wenden: Lassen Sie nicht alles mit sich machen! ({5}) Merken Sie denn nicht, dass Sie als Ausputzer benutzt werden? Meine Damen und Herren, wenn Sie diese Fragen nicht guten Gewissens und vollen Herzens mit Ja beantworten können, wenn Sie also nicht sagen können: „Ja, es soll so sein und es ist alles rechtens, so wie wir es haben!“, dann wäre es sehr vernünftig, unserem Antrag auf Rücküberweisung zuzustimmen. Ich danke Ihnen. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Im Ältestenrat ist heute vereinbart worden, dass ohne Gegenrede und ohne Aussprache über diesen Antrag entschieden wird. Wer stimmt für den Antrag auf Rücküberweisung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion der FDP gegen die Stimmen der Fraktionen der Linken und des Bündnisses 90/Die Grünen abgelehnt. ({0}) Ich eröffne jetzt die Aussprache. Als erster Redner spricht für die Bundesregierung der Parlamentarische Staatssekretär Franz Thönnes.

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Die große Koalition hat verabredet, die Arbeitsmarktreformen, die eingeleitet worden sind, zum Erfolg zu bringen. Dabei ist allen Beteiligten klar, dass ein solch umfangreiches Reformwerk nicht auf einen Schlag umgesetzt werden kann, sondern es weiterer wichtiger Schritte bedarf, um das System, in dem wir die Arbeitslosenhilfe und die Sozialhilfe zusammengeführt haben, richtig ins Laufen zu bringen. Wir müssen deutlich sagen, dass damit Hunderttausenden von Menschen geholfen wurde, die in der Sozialhilfe bislang von Möglichkeiten der Förderung im Bereich der Arbeitsmarktpolitik ausgeschlossen gewesen sind. ({0}) Die Veränderungen, die zum 1. Januar 2005 in Kraft getreten sind, die waren, die sind und die bleiben richtig. Es ist gut, dass es eine breite parlamentarische Mehrheit dafür gab; denn diese breite parlamentarische Mehrheit steht auch heute gemeinsam in der Verantwortung und sorgt dafür, dass diese Reform ein Erfolg wird. Einer dieser wichtigen Schritte, die wir machen müssen, ist die Entscheidung über das SGB-II-Fortentwicklungsgesetz, welches wir heute in zweiter und dritter Lesung beraten. Mit ihm werden Klarstellungen vorgenommen und Entscheidungen getroffen, die die Leistungsfähigkeit und Effizienz des Systems erhöhen sollen. Das mit dem SGB II neu eingeführte Arbeitslosengeld II ist eine steuerfinanzierte und bedürftigkeitsorientierte Leistung. Diejenigen, die einen Anspruch haben, sollen ihn auch durchsetzen können. Ich sage sogar: Sie haben das Recht, dies zu bekommen. Das gilt aber eben nur für diejenigen, die sich auch an dem anderen Teil des Prozesses „Fördern und Fordern“ beteiligen, die sich selbst einbringen und aus eigener Kraft versuchen, mit der Unterstützung, die ihnen gegeben wird, ihre Situation zu verbessern. ({1}) Deswegen sage ich auch: Bei denen, die berechtigt sind, geht es überhaupt nicht um die Kürzung von Leistungen. Es geht darum, genau hinzuschauen, wer bedürftig ist und wem die Leistungen zustehen. Wir müssen da, wo das Gesetz gedehnt worden ist, etwas zurückschneiden. Das muss präziser und treffgenauer werden. Wir müssen aber auch deutlich darauf hinarbeiten, dass die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, von denen wir Solidarität erwarten, auch bereit sind, solidarisch zu sein. Im Gegenzug muss die Bereitschaft vorhanden sein, diese Solidarleistung anzuerkennen; denn die sozialen Leistungen werden aus Steuern finanziert und sind nicht irgendeine Transferleistung. ({2}) Das bedeutet, dass das SGB-II-Fortentwicklungsgesetz auch Maßnahmen beinhaltet, die das Leistungsrecht optimieren, zur Verbesserung der Verwaltungspraxis beitragen und Leistungsmissbrauch verhindern sollen. Ich will einige der wichtigen Maßnahmen nennen. Wer innerhalb der letzten zwei Jahre keine Leistungen aus dem Arbeitslosengeld I oder dem Arbeitslosengeld II bezogen hat und erstmals einen Antrag auf Arbeitslosengeld II stellt, dem soll sofort ein Angebot für eine Eingliederungsmaßnahme unterbreitet werden. Wir wollen nicht, dass erst ein längerer Zeitraum entsteht, bis der Antrag beschieden wird, und dann geprüft wird, ob Arbeitsbereitschaft vorhanden ist, ob die Arbeitsaufnahme erfolgen kann. Nein, das soll sofort passieren. Bei der Frage, ob eine eheähnliche oder eine lebenspartnerschaftsähnliche Gemeinschaft vorliegt, wird die Beweislast umgekehrt. Ich glaube, dass das eher zum Vorteil der Betroffenen ist, ({3}) weil dann die Kriterien, nach denen das erfolgt, klar definiert sind. Mit automatisierten Datenabgleichen und -abfragen soll ermittelt werden, ob einige Personen Arbeitslosengeld II zu Unrecht beziehen. Auch das hat damit zu tun, darauf zu achten, dass die Gelder sorgsam verwendet werden. Vieles andere kommt hinzu. So ist auch vereinbart worden, dass derjenige, der drei Mal in einem Jahr ohne guten Grund ein Angebot ablehnt, die ihm zugewiesenen Leistungen gekürzt bekommen kann, und zwar in vollem Umfang. Das ist eine Entscheidung, die dazu beitragen soll, dass die Angebote wirklich angenommen werden, dass die Zahl der Fortbildungs-, Weiterbildungs-, Jobund Förderangebote steigt. Diejenigen, die das kritisieren, will ich auf Folgendes hinweisen: Für den Arbeitslosen ist diese Situation sofort veränderbar, indem er sagt: Ich nehme die Angebote an, ich will raus aus der Arbeitslosigkeit, ich will wieder eine Unterhaltsversorgung, die ich mir selbst erarbeitet habe. ({4}) Deswegen haben wir viele Anregungen aus der Praxis aufgegriffen, die die Abläufe effizienter machen. Einiges kam in der parlamentarischen Debatte dazu, zum Beispiel wird jetzt die Möglichkeit geschaffen, dass die Argen und die Optionskommunen auch die BA mit der Ausbildungsvermittlung beauftragen können. Die Aufsicht über die Argen ist im Prinzip rechtlich geregelt. Da bedarf es vielleicht noch einiger Klarstellungen. Das werden wir mit den Ländern bereden. Der neue Gründungszuschuss, der im Verfahren besprochen worden ist und zum 1. August dieses Jahres in Kraft tritt, setzt das Prinzip fort, dass wir die guten Erfahrungen - im Jahr 2005 sind über das Instrument der so genannten Ich-AG 250 000 Menschen aus der Arbeitslosigkeit in die Selbstständigkeit gegangen - jetzt in einer Förderleistung fortsetzen, weil wir schlichtweg kein Nebeneinander von zwei Förderinstrumenten haben wollen. Alles in allem geht es im Kern darum, dass mit dem SGB-II-Änderungsgesetz und jetzt auch mit dem Fortentwicklungsgesetz Einsparungen in Höhe von gut 3,8 Milliarden Euro - wie im Koalitionsvertrag vereinbart - zustande kommen. Es geht eben nicht nur um Kosten, wie das hier teilweise diskutiert wurde - das ist wichtig; wir dürfen das nicht vergessen -, aber wir brauchen auch mehr Chancen auf Arbeit, mehr Möglichkeiten, dass Menschen aus Arbeitslosigkeit herauskommen. Die letzten Arbeitsmarktzahlen sind wirklich ein guter Hoffnungsschimmer. ({5}) Es ist gut, dass wir gegenüber April einen Rückgang von 5,3 Prozent haben, um 255 000. Aber das reicht noch nicht. Immer noch sind 4,5 Millionen Menschen ohne Arbeit. Sie brauchen Chancen auf Arbeit, auf Teilhabe und auf Integration. Das ist die große Aufgabe, vor der wir stehen. Deswegen stehen weiterhin - auch nach der gestrigen Entscheidung im Haushaltsausschuss - gut 5,4 Milliarden Euro in diesem Jahr für die Eingliederung zur Verfügung. Das sind gut 2 Milliarden Euro mehr, als im letzten Jahr effektiv ausgegeben worden ist. Wir wollen damit und mit dem 25-Milliarden-Euro-Programm für Wachstum, für Innovation und für Beschäftigung erreichen, dass die Konjunktur weiter an Fahrt gewinnt und dass die Menschen schneller Beschäftigung bekommen. Die Arbeitsmarktreformen sollen dabei helfen. Ich will deutlich sagen: Es reicht nicht, wenn wir feststellen, dass sich sozusagen der Abgang aus der Arbeitslosigkeit in die Erwerbstätigkeit in den ersten fünf Monaten um 1,35 Millionen bewegt hat. Das sind plus 9,3 Prozent. Arbeit zu schaffen, der Kampf gegen Arbeitslosigkeit, diesen Kampf hat nicht allein die Politik zu leisten. Das ist eine Aufgabe für die ganze Gesellschaft. Alle sind gefragt, sich hier einzubringen und Ideen zu entwickeln. Ich appelliere von dieser Stelle aus ganz stark an die Wirtschaft: Kommen Sie mit ins Boot, wenn es darum geht, Wirtschaft, Wachstum, Arbeit und Ausbildung anzukurbeln, damit die Zuversicht in unsere sozialen Sicherungssysteme in Deutschland wieder zunehmen kann und deren Stabilität gestärkt wird. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Heinrich Kolb von der FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die heute zu beratende Vorlage ist nach unserer Auffassung Ausdruck von Halbherzigkeit, von mangelndem Mut und von mangelnder Entschlossenheit seitens der großen Koalition. Dass es sich dabei wohl nur um einen Trippelzwischenschritt handelt, wird schon an der Überschrift des Gesetzentwurfs deutlich. Ursprünglich als Hartz-IV-Optimierungsgesetz angekündigt, kommt er jetzt wesentlich nüchterner als Hartz-IV-Fortentwicklungsgesetz daher. Das regt natürlich schon die Fantasie an, was uns auf dem Weg von „Hartz IV - das Gesetz“ über „Hartz IV - die Änderung“ und „Hartz IV - die Fortentwicklung“ bis irgendwann zu „Hartz IV - die finale Optimierung“ noch alles erwarten wird. ({0}) Heike Göbel von der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ hat es in einem Kommentar vom heutigen Tag auf den Punkt gebracht, indem sie von „unzulänglichen Vereinbarungen“ spricht, mit denen die Ausgaben für die Langzeitarbeitslosen eingedämmt werden sollen. Sie verweist darauf, dass die große Koalition trotz ihrer breiten Mehrheit nicht zum Kern des Problems vordringen wolle, der darin bestehe, dass sich mit staatlichen Hilfen durchaus ein Grundeinkommen erzielen lasse, das in der Nähe des Einkommens aus gering entlohnter tariflicher Beschäftigung liege. Göbel schreibt wörtlich: „In Kombination mit Schwarzarbeit oder erlaubtem Zuverdienst ist das ein Anreiz, sich in der Hilfe einzurichten.“ Die Ausblendung dieses Kernproblems durch die große Koalition ist der Grund - zusammen mit anderen Gründen, die ich gleich anführen werde -, warum wir den Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende ablehnen. ({1}) Zwar enthält der Gesetzentwurf Korrekturen, die durchaus in die richtige Richtung weisen. Wir dürfen - hier sind wir uns einig - keinen Leistungsmissbrauch zulasten der Steuerzahler zulassen. Aber wenn ein weiteres Kernproblem, die ungeklärte Kompetenzverteilung zwischen Bundesagentur, Kommunen und Arbeitsgemeinschaften, mit dem Gesetzentwurf nicht behoben wird, dann reicht das aus unserer Sicht nicht aus. Dann können wir ihm unsere Zustimmung nicht geben. ({2}) Herr Weiß, die Verschiebebahnhöfe, die wir damals bei der Sozialhilfe und der Arbeitslosenhilfe festgestellt und auch beklagt haben, sind nicht beseitigt. Die erzwungene Kooperation von Bundesagentur für Arbeit und Kommunen in den Argen funktioniert nicht reibungslos. ({3}) Die organisatorischen Mängel und unklaren Verantwortlichkeiten drücken sich in einem Kompetenzgerangel aus. Zeitverzögerungen durch nicht abgestimmte und zu wenig flexible Software sowie mangelnde Transparenz beim Datenaustausch verbessern die Situation der Arbeitslosen nicht, sondern verschärfen sie aus unserer Sicht eher. Wenn die ehemalige DGB-Vizechefin Ursula Engelen-Kefer, ({4}) mit der ich nicht oft übereinstimme, kritisiert, die Zusammenarbeit in den Arbeitsgemeinschaften sei von Chaoszuständen geprägt, dann hat sie Recht. Wenn sie sagt, die Bundesregierung setze auf verschärfte Kontrollen und Kürzungen, ohne die Arbeitsförderung zu verbessern, dann hat sie leider ebenfalls Recht. ({5}) Wir brauchen und wir fordern klare Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten. Es war ein Fehler, im Grundsatz die Bundesagentur für Arbeit mit der Betreuung der ALG-II-Empfänger zu beauftragen. Sie ist für die Wahrnehmung der Aufgabe der Betreuung schon aufgrund ihrer zentralistischen Struktur nicht geeignet und mit der praktischen Umsetzung - das muss man feststellen schlicht überfordert. Eine kommunale Trägerschaft und die damit verbundene Dezentralisierung wäre der effizientere Weg. Das fordern wir. ({6}) Wir wollen und fordern auch eine Steigerung der Effizienz der Beratung und Vermittlung. Wenn die jüngste Untersuchung des Bundesrechnungshofes zeigt, dass die Vermittlung nach wie vor nicht erfolgreich ist und Erwerbslose monatelang auf Vermittlungsgespräche warten, dann wird die Arbeitslosigkeit dieser Menschen unzumutbar und unnötig verlängert. Mit einem Drittel der überprüften ALG-II-Empfänger, so sagt der Bundesrechnungshof, wurden keine strategischen Gespräche geführt, obwohl die Betroffenen bereits seit durchschnittlich siebeneinhalb Monaten Leistungen bezogen hatten. Nur in etwa der Hälfte aller Fälle gibt es überhaupt eine Eingliederungsvereinbarung. Das ist aus unserer Sicht nicht akzeptabel. Auch mit dem Gesetzentwurf, der heute vorliegt, wird an dieser Stelle nicht für Abhilfe gesorgt. ({7}) Ich will stichwortartig weitere Kritikpunkte anführen: Die Bundesagenturen prüfen aus unserer Sicht nicht ausreichend, ob Langzeitarbeitslose tatsächlich Anspruch auf staatliche Hilfen haben. Die Telefonbefragungen, die unter ALG-II-Beziehern durchgeführt wurden, ergeben ein vernichtendes Zeugnis. Wir fordern eine Pflicht zur Teilnahme an Telefonbefragungen, und zwar für Leistungsempfänger und für die Argen, die Arbeitsgemeinschaften, gleichermaßen. Ein weiterer wichtiger Punkt: In Ihrem Gesetzentwurf findet sich trotz der Leistungsausweitungen zulasten der Kommunen, zum Beispiel bei den Kosten der Unterkunft von BAföG-Beziehern, kein Wort zur Aufteilung der Kostentragungspflicht zwischen Bund und Kommunen. Die ursprünglich vereinbarte Revisionsklausel hat sich als undurchführbar erwiesen. Die jetzt bestehende Festschreibung auf eine Beteiligung des Bundes von 29,1 Prozent ist befristet bis Ende 2006. Was kommt danach? Wir fordern und vermissen in dem Gesetzentwurf, dass Planungssicherheit für die Kommunen geschaffen wird. ({8}) Wie in der Anhörung am Montag deutlich wurde - man kann es hier ja leider nur stichwortartig anführen -, ist eine rechtzeitige Anpassung der Software „A2LL“ bis zum beabsichtigten In-Kraft-Treten des Gesetzes nicht zu gewährleisten. Herr Alt hat gesagt, es soll Umgehungsmöglichkeiten geben. Aber damit ist wieder personeller, bürokratischer und auch finanzieller Mehraufwand verbunden, zu dem die BA überhaupt keine Angaben machen konnte. Wir vermuten und befürchten, dass die Zeit der Mitarbeiter wieder einmal durch Bürokratie gebunden wird und somit nicht im Interesse der Arbeitslosen für deren Förderung und Rückkehr in den ersten Arbeitsmarkt eingesetzt werden kann. All das macht deutlich: Mit einer - noch dazu halbherzigen - Fortentwicklung von Hartz IV ist es nicht getan. Wir fordern eine Generalrevision der Reform. ({9}) Die Steuerzahler, die durch die Mehrwertsteuererhöhung zum Stopfen von Haushaltslöchern herangezogen werden, werden nicht verstehen, dass die Koalition die Dinge sehenden Auges laufen lässt. Ich will mit einem weiteren Zitat schließen. Stefan von Borsl hat heute in der „Welt“ geschrieben: Die Koalitionäre seien davor gewarnt, sich bequem zurückzulehnen und auf die Konjunktur zu hoffen. Mit 70 Minikorrekturen bei Hartz IV ist es nicht getan. Der große Wurf am Arbeitsmarkt steht noch aus. Für Halbherzigkeiten heben wir unsere Hand heute nicht: Ihr Gesetzentwurf kann unsere Zustimmung nicht finden. Vielen Dank. ({10})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat der Kollege Karl Schiewerling, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Karl Schiewerling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003839, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Zusammenlegung der Arbeitslosenhilfe und der Sozialhilfe ist 2004 von allen Parteien gefordert worden. Es ging und es geht darum, Menschen, die arbeiten können, auch in Erwerbsarbeit zu bringen. Bundesrat und Bundestag haben dem zugestimmt. Entgegen den Aussagen des Kollegen Kuhn von heute Mittag stiehlt sich die CDU/ CSU nicht aus ihrer Verantwortung, sie steht zu diesem gemeinsam beschlossenen Gesetz. ({0}) Sie steht deswegen dazu, weil es eine Frage der Menschenwürde ist: Jeder, der die Möglichkeit hat, sich mit seiner Hände Arbeit den Lebensunterhalt zu verdienen, hat auch die Pflicht dazu, seine Familie damit zu ernähren. ({1}) Damit die Menschen das auch tun können, fördern wir sie. Trainingsmaßnahmen, Maßnahmen zur Arbeitsförderung, Strukturanpassungsmaßnahmen, alle diese Initiativen und diese Instrumente aus dem Leistungsangebot des SGB III stehen auch denen zur Verfügung, die unter das SGB II fallen. Dafür stehen im Bundeshaushalt über 5,5 Milliarden Euro zur Verfügung. Zusätzliche 1,3 Milliarden Euro sind zunächst blockiert. Dennoch bin ich sicher, dass wir mit diesem Budget erfolgreich Integrationsleistungen erbringen können; es spricht alles dafür, dass diese Mittel auch ausreichen. An der Bereitschaft des Bundes, sinnvolle und passgenaue Maßnahmen zur Eingliederung zu fördern, wird es nicht scheitern. Ich appelliere ausdrücklich an die Bundesagentur für Arbeit, die örtlichen Arbeitsgemeinschaften und die Optionskommunen, die zur Verfügung stehenden Gelder für Eingliederungs- und Qualifizierungsmaßnahmen auch zu nutzen. Von diesen Mitteln sind bisher erst 1,5 Milliarden Euro abgerufen worden. ({2}) Aber auch das Folgende gehört zur Systematik des Gesetzes. Wenn ein Angebot zur Arbeit oder zur Teilnahme an einer Trainingsmaßnahme oder eine Arbeitsgelegenheit nicht angenommen wird, dann greifen Sanktionen. Wer dreimal ein solches Angebot ausschlägt, muss mit Kürzungen rechnen. ({3}) Die im SGB II beschriebene Grundsicherung ist dabei das staatlich finanzierte Auffangnetz. Hartz IV war immer konzipiert als Grundsicherung, nicht mehr und nicht weniger. ({4}) Dieses Gesetz ist seit nunmehr 18 Monaten in Kraft und es stellt sich heraus, dass Veränderungen notwendig sind, um das eigentliche Ziel des Gesetzes zu erreichen. In dem Fortentwicklungsgesetz greifen wir in unzähligen Punkten den Änderungsbedarf auf; dabei werden auch Punkte aufgegriffen, die im Bericht des Bundesrechnungshofs stehen. Ich bin sicher, Herr Kollege Kolb, dass das, was wir im Augenblick an Änderungen in dem Gesetzentwurf untergebracht haben, viel mehr ist, als Sie vielleicht vermuten. Vorgesehen sind unter anderem die Erweiterung des automatischen Datenabgleichs und die Überprüfung von Daten in Verdachtsfällen bei Leistungsmissbrauch. Des Weiteren sollen Außendienste in allen Arbeitsgemeinschaften eingerichtet werden. Es wird die rechtliche Grundlage für telefonische Befragungen geschaffen. Sanktionen werden greifen, wenn sich Menschen nicht mit Motivation und Bereitschaft bei der Arbeitsuche einbringen. Bei Ablehnung einer angebotenen Arbeit oder Eingliederungsmaßnahme wird es zu den Sanktionen kommen. Ich begrüße es daher ausdrücklich, dass die Kontroll- sowie die Sanktionsmöglichkeiten mit der jetzigen Gesetzesnovelle erneuert und verschärft werden. In diesem Zusammenhang möchte ich in Erinnerung rufen: Das SGB II kann und will keine Arbeitsplätze schaffen. Das gilt auch für die 1-Euro-Jobs. Die 1-EuroJobs sind von Anfang an so ausgestaltet worden, um Langzeitarbeitslose wieder an einen geregelten Arbeitstag heranzuführen. Die Regelungen des SGB II waren nicht als Regelungen zum Kombilohn konzipiert. Aus der Praxis wird mir zugetragen, dass Leiter von Arbeitsgemeinschaften Anrufe erhalten, in denen manche ALG-IIEmpfänger nachfragen, wie viel sie dazuverdienen können, ohne den Anspruch auf Hartz IV zu verlieren. Hier läuft etwas schief: Statt aus der Grundsicherung herauskommen zu wollen und auf eigenen Beinen zu stehen, verharren einige lieber in der Grundsicherung und verdienen sich ein paar Euro dazu. Es muss ein Umdenken in den Köpfen der Menschen einsetzen. Es müssen Anreize geschaffen werden, damit die Menschen wieder arbeiten gehen. Aber es muss sichergestellt sein, dass derjenige, der arbeiten geht, am Ende auch mehr in der Tasche hat. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kurth zu?

Karl Schiewerling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003839, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein. - Ich räume ein, dass die Situation in manchen Regionen in Deutschland trotz der sehr erfreulichen aktuellen Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt momentan schwierig ist. Ich sehe auch, wie sich viele Menschen bemühen, eine Arbeit zu finden, aber keinen Arbeitsplatz bekommen, weil zu wenige Arbeitsplätze vorhanden sind. Wir kennen die regionalen Unterschiede in unserem Land und die damit einhergehenden Probleme. Ich beobachte auch, dass viele ältere Arbeitnehmer ohne eigene Schuld arbeitslos werden, nicht mehr unterkommen und fürchten, ihr angespartes Vermögen aufbrauchen zu müssen, und Angst haben, in Altersarmut zu geraten. Die Lebenssituation der Menschen ist vielfältig. Das schlägt sich auch in dem Gesetzgebungsverfahren nieder. Ich sehe aber auch, dass es Menschen gibt, die sich in der Grundsicherung einrichten wollen und ziemlich anreizresistent sind. Ihnen wollen wir mit den nun zu beschließenden Sanktionen auf die Sprünge helfen. Missbrauch und ungewollte Mitnahmeeffekte wollen wir mit diesem Gesetz so weit wie möglich einschränken. Dies ist auch eine Frage der Gerechtigkeit gerade denjenigen gegenüber, die diesen Sozialstaat durch ihre Erwerbsarbeit erst ermöglichen. In deren Ohren muss es wie Hohn klingen, wenn Sie von der Linken fordern, dass Empfänger von SGB-IILeistungen bei Beibehaltung aller Transferleistungen frei entscheiden können, ob sie arbeiten wollen oder nicht. ({0}) Wer die von Ihnen organisierte Demonstration bei der Anhörung erlebt hat, hat einen Vorgeschmack bekommen, wie Sie dabei sind, Menschen für Ihre Partei- und Fraktionsinteressen aus parteipolitischen Zielen heraus zu instrumentalisieren. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Maurer zu?

Karl Schiewerling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003839, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Er kann sich gleich melden. - Sie versprechen den Menschen in den neuen Ländern eine Rundumversorgung und tun so, als sei dieser freie demokratische Staat in der Lage, allen Bürgerinnen und Bürgern eine Rundumversorgung zu ermöglichen. Das geht nicht. Das entmündigt und führt zu weniger Freiheit. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Lassen Sie die Zwischenfrage des Kollegen Maurer jetzt zu?

Karl Schiewerling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003839, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, ich lasse eine Frage zu.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege Maurer, bitte.

Ulrich Maurer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003805, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege, da Sie zu denjenigen gehören, die diese Änderungsanträge in letzter Minute ersonnen haben, bitte ich Sie in Form einer Frage um eine Rechtsauskunft. Wir haben folgenden Fall: Sie entziehen einem ALG-II-Bezieher, verheiratet, zwei Kinder, gemäß Ihren Voraussetzungen seine Unterstützung und die Unterstützung für den Wohnbereich. Was wird mit dieser Familie geschehen? Können Sie mir bitte die Frage beantworten, was mit dieser Familie geschehen wird?

Karl Schiewerling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003839, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dieser Familie wird die Unterstützung im Wohnbereich nicht entzogen werden. Diese Regelung gilt für die Jugendlichen und nicht für die Erwachsenen. ({0}) - Lassen Sie einmal die Luft ab! Sie erhalten von mir eine Antwort, die sich darauf stützt, wie ich das Gesetz lese. Sie müssen sie aushalten. Sie können aber auch gerne wieder ausziehen, wenn Sie wollen. Dieses Problem betrifft junge Menschen. Selbst dann besteht aber die Möglichkeit - zum Beispiel, wenn sie sich dem widersetzen -, dass die Miete für die jungen Menschen nicht mehr ausgezahlt wird, sondern dass sie direkt an den Vermieter geht und dass Naturalien gezahlt werden. Für Familien ist die Sanktion in der Form, wie Sie sie beschreiben, nicht vorgesehen. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.

Karl Schiewerling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003839, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

In dem Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende, das wir heute beschließen, wird der Veränderungsbedarf insgesamt aufgegriffen. Wir wissen, dass das nicht die letzte Änderung sein wird; denn das Leben der Menschen ist vielfältig und dynamisch. Die Fortentwicklung der Grundsicherung ist notwendig, richtig und richtungweisend. Wir werden diesen Reformprozess im Herbst gründlich und grundsätzlich weiterführen. Das heute zu verabschiedende Gesetz ist ein weiterer Schritt zu einer nachhaltigen Reform. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat der Kollege Klaus Ernst, Die Linke. ({0})

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Präsidentin! Ich nehme schon mit Verwunderung zur Kenntnis, welchen nachhaltigen Eindruck diese Anhörung auf Sie gemacht hat. Offensichtlich reicht der normale Kontakt mit der Bevölkerung so lange, dass Sie drei Tage lang darüber lamentieren müssen. ({0}) Ich kann Ihnen nur sagen: Hätten Sie auch sonst Kontakt mit dem normalen Bürger dieses Landes, dann müssten Sie sich nach der Anhörung nicht so aufregen. Das ist doch die Realität in diesem Land. ({1}) Meine Damen und Herren, gestern lässt sich der Finanzminister dieses Landes mit den Worten zitieren: Es kann jetzt nicht um Leistungskürzungen gehen. Vorgestern haben Sie einen Änderungsantrag ins parlamentarische Geschehen eingebracht, in dem genau das steht. Beziehern von Arbeitslosengeld II wird das Arbeitslosengeld und auch das, was sie für ihre Wohnung erhalten, letztlich auf Null gekürzt. Die Residenzpflicht wird eingeführt und wer sich nicht daran hält, erhält kein Arbeitslosengeld. Wenn das keine Kürzung ist, dann weiß ich nicht, was Kürzungen sein sollen. Kürzungen liegen bei Ihnen dann vor, wenn man als Arbeitsloser noch Geld mitbringen muss. Das ist die Realität in diesem Land. ({2}) - Warum regen Sie sich denn so über die Wahrheit auf? Haben Sie sonst keine Gelegenheit, die Wahrheit zu hören? Seien Sie froh, dass Sie im Parlament sitzen können; denn da Sie das selbst nicht mehr wahrnehmen, kann ich es Ihnen sagen. Das freut mich. ({3}) Sie wollen 5 Milliarden Euro einsparen. Wo wollen Sie sie hernehmen? Natürlich wollen Sie sie von den Arbeitslosen nehmen. Das ist doch eine Einsparung in diesem Bereich. Sie stellen Langzeitarbeitslose unter den Generalverdacht des Leistungsmissbrauchs. Das hat das Forschungsinstitut der Bundesanstalt für Arbeit, das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, festgestellt. ({4}) Das tun Sie, obwohl es keinen einzigen empirischen Beweis dafür gibt, dass ein Missbrauch stattfindet. Ich kann Ihnen aber sagen, wo es Missbrauch gibt. Lesen Sie vielleicht einmal den Bericht des Rechnungshofes. Wenn Sie ihn lesen, dann stellen Sie fest, dass dort steht: Bei fast einem Viertel der geprüften Maßnahmen mit Arbeitsgelegenheiten lagen die Förderungsvoraussetzungen nicht vor. ({5}) Bei weiteren knapp 50 Prozent der geprüften Fälle hatten die Grundsicherungsstellen keine verlässlichen Kenntnisse über die Inhalte der Maßnahmen, sodass auch hier Zweifel an der Förderungsfähigkeit bestanden. ({6}) Wenn Sie Kontrolleure einsetzen wollen, dann schicken Sie sie an die Arbeitsplätze der Arbeitslosengeld-I-Bezieher. Dort und nicht bei diesen Leuten hier wird beschissen und betrogen. Das ist die Realität. ({7}) Wir fordern aus diesem Grunde, dass die Aufnahme von 1-Euro-Jobs für Arbeitslosengeld-II-Bezieher freiwillig ist. Wir wollen in dieser Frage keinen Zwang, weil wir wissen, dass geschummelt wird und tatsächlich Kontrolleure notwendig wären. Künftig sollen Menschen, die länger als ein Jahr mit einem Arbeitslosengeld-II-Bezieher zusammenwohnen, beweisen, dass sie nicht bereit sind, Verantwortung für den anderen, der mit ihnen zusammen lebt, zu übernehmen. Das ist Ihre Umkehr der Beweislast. Das ist Ihre Aufforderung zur Entsolidarisierung. Sie wollen, dass der, der für den anderen einsteht, von einem Kontrolleur besucht wird. Sie wollen letztendlich, dass die Menschen in diesem Land nicht mehr solidarisch sind, sondern sich anderen gegenüber zum Schwein entwickeln. Das wollen wir nicht, meine Damen und Herren. Deshalb lehnen wir Ihr Gesetz ab. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Lieber Kollege Ernst, würden Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Nahles zulassen?

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, gerne.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bitte schön.

Andrea Nahles (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Ernst, ich möchte Sie fragen, ob Ihnen aufgefallen ist, dass das, was Sie da gerade argumentativ vorgetragen haben, in sich völlig unlogisch ist, ({0}) weil wir gerade durch die Beweislastumkehr die von Ihnen nicht ganz zu Unrecht kritisierten so genannten Schnüffelaktionen verhindern werden. ({1}) Ist Ihnen das schon aufgefallen? Es wird zum ersten Mal eine bundeseinheitliche Regelung aufgelegt, wonach nicht mehr jede Arge vor Ort und nicht mehr jeder einzelne Arbeitsvermittler einfach entscheidet, wie das gehandhabt wird, sondern auf der Basis von gerichtlichen Kriterien entschieden wird, ob eine Bedarfsgemeinschaft vermutet wird. Diese Vermutung kann dann in einem normalen Widerspruchsverfahren - bis hin zu einem Sozialgerichtsverfahren - widerlegt werden. ({2}) - Entschuldigung, krakeelen Sie bitte nicht so. - Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass es sich hier um eine Verbesserung der Rechtslage für die Betroffenen handelt und nicht um eine Verschlechterung. ({3})

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Liebe Kollegin Nahles, über diese Frage freue ich mich sehr. Sie gibt mir nämlich Gelegenheit, darauf hinzuweisen, dass wir im deutschen Strafrecht die Umkehr der Beweislast insbesondere bei der organisierten Kriminalität haben. ({0}) Genau diese Umkehr der Beweislast führen Sie bei den Arbeitslosengeld-II-Empfängern ein. Diese Umkehr der Beweislast führt dazu, dass jemand, der mit einem anderen in einer Wohngemeinschaft lebt, künftig nachweisen muss, dass er nicht für ihn einsteht und sich nicht solidarisch mit ihm verhält. Das führt dazu, dass Leute in solchen Gemeinschaften künftig ausziehen werden müssen, wenn in ihrer Gemeinschaft ein Arbeitslosengeld-IIEmpfänger wohnt. Das ist Ihre Politik und das ist Unfug, Frau Nahles. ({1}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch auf einen Punkt hinweisen, der mir sehr wichtig ist. Ihre ganze Begründung stellt unter anderem darauf ab, dass der Abstand zwischen Arbeitslosengeld II und Arbeitseinkommen zu gering wäre. Wissen Sie, was ich Ihnen dazu sage? Wir haben das Problem, dass wir Löhne haben, die so gering geworden sind, dass man von diesen Löhnen nicht mehr leben kann. Das müssen wir ändern und nicht auf die Arbeitslosengeld-II-Bezieher einprügeln, sie kriminalisieren und ihnen das Geld wegnehmen. Wir müssen für vernünftige Löhne in diesem Land sorgen, dann stimmt auch der Abstand wieder. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schaaf zu?

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich bin bereit.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bitte schön, Herr Kollege.

Anton Schaaf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003623, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Ernst, würden Sie mir Recht geben - nur diese eine Frage möchte ich beantwortet haben -, dass für die Frage der Löhne in diesem Lande in erster Linie die Tarifparteien, insbesondere auch unsere Gewerkschaften, zuständig sind und nicht die Politik? ({0})

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Selbstverständlich. Ich weise aber darauf hin, Herr Kollege, dass es aufgrund der Tatsache, dass auch unter den Gewerkschaftsmitgliedern die große Befürchtung besteht, dass das Arbeitslosengeld II zu zunehmender Arbeitslosigkeit führen wird, für die Gewerkschaften zunehmend schwieriger geworden ist, vernünftige Löhne durchzusetzen. Das müssten Sie als Gewerkschaftsfunktionär auch gemerkt haben. ({0}) Insbesondere die Residenzpflicht führt dazu, dass Arbeitslosen eine Fußfessel angelegt wird. ({1}) Sie müssen um Erlaubnis fragen, wenn sie ihren Wohnraum verlassen wollen. Das können Sie sich sicherlich nicht vorstellen. Damit Sie sich das vorstellen können, werde ich nun diese Fußfessel auf der Regierungsbank abstellen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, ich muss Sie darauf hinweisen, dass erstens Ihre Redezeit abgelaufen ist und dass wir zweitens hier keine Demonstration veranstalten. Ich bitte Sie sehr, das Gerät wieder mitzunehmen. ({0}) Herr Kollege Ernst, ich erteile Ihnen hiermit einen Ordnungsruf. Dieses Verhalten hat nichts mit der Würde des Hauses zu tun. Insofern müssen Sie das bitte zur Kenntnis nehmen. ({1}) Wir setzen unsere Beratungen fort und ich erteile der Kollegin Brigitte Pothmer das Wort.

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es lässt sich hier eine Kritik an der Sache formulieren, ohne ununterbrochen mit Kraftausdrücken zu arbeiten und sich unparlamentarisch zu verhalten. ({0}) Es lässt sich aber nicht leugnen - wir alle wissen es -, dass die Hartz-Gesetze unter Beschuss stehen. Es gibt in der Tat auch Mängel. ({1}) In den letzten Wochen ist deutlich geworden, dass es vor allem um Änderungen bei der Umsetzung der Regelungen geht, und zwar sowohl bei den Vermittlungsaktivitäten als auch bei der Überprüfung der Leistungsberechtigung. Herr Kolb hat eine Menge Beispiele genannt, die richtig sind. Sie sind im Bericht des Bundesrechnungshofs aufgeführt. Ich will sie an dieser Stelle nicht wiederholen. Aber der Bundesrechnungshof stellt ausdrücklich fest, dass nicht die gesetzlichen Regelungen das Problem darstellen, sondern deren unzureichende Umsetzung. ({2}) - Herr Kolb, können Sie sich zu Wort melden, wenn Sie etwas fragen wollen? ({3}) Verhalten Sie sich nicht immer wie ein ungezogener Schüler! ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin, möchten Sie denn eine Zwischenfrage von Herrn Kolb zulassen?

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein, Herr Kolb muss jetzt erst einmal Ruhe bewahren. Der Bundesrechnungshof fordert das Bundesministerium ausdrücklich auf - ich bringe das an dieser Stelle stellvertretend vor -, seine Möglichkeiten der Fach- und Rechtsaufsicht zu nutzen, um die Umsetzung der Regelungen zu optimieren und die Aufgabenerledigung zu gewährleisten. Ich verstehe deswegen nicht, dass Sie in der großen Koalition nach einer völlig anderen Logik verfahren. Sie verfahren nach der Logik: Wenn gesetzliche Regelungen nicht oder nur mangelhaft umgesetzt werden, dann müssen einfach neue oder zusätzliche Regelungen her. Was versetzt Sie eigentlich in die Hoffnung, dass diese Regelungen dann umgesetzt werden? Das geht gänzlich an dem vollständig identifizierten Problem vorbei. ({0}) Das so genannte Fortentwicklungsgesetz und auch die Änderungsanträge zeigen, dass Sie nicht wissen, wo das Problem eigentlich liegt. Sie drohen den Arbeitslosen mit Sanktionen, wenn sie nicht schnell genug bei ihrem Fallmanager auflaufen. Umgekehrt wird aber ein Schuh daraus: Die Fallmanager nehmen doch nicht Kontakt zu den Arbeitslosen auf, um sie zu einem Gespräch einzuladen. ({1}) Sie drohen den Arbeitslosen mit Sanktionen, wenn sie ein zumutbares Angebot ablehnen. Wo ist denn das Angebot, das sie ablehnen könnten? ({2}) Das Problem besteht doch nicht darin, dass immer wieder Angebote abgelehnt werden; es fehlt vielmehr an Angeboten. ({3}) Sie führen zusätzliche Kontrollen ein, sorgen aber nicht einmal dafür, dass die vorhandenen Kontrollmöglichkeiten genutzt werden. Damit verplempern Sie Geld und Personal, das an anderer Stelle dringend gebraucht wird. Ich sage Ihnen ausdrücklich: Es sind nicht die Arbeitslosen, die die Vereinbarung nicht einhalten. Es ist vielmehr die Bundesregierung, die das gegebene Versprechen, dass dem Fordern auch ein Fördern gegenübersteht, nicht einhält. Hier liegt das Problem. ({4}) Sie sind es, die nicht vertragstreu sind. Sie sind es, die die Mittel für die Eingliederung von Arbeitslosen zusammenstreichen. Ich will es einmal ein bisschen zuspitzen: In Sachen Förderung sind Sie die Faulenzer und nicht die Arbeitslosen. Sie liegen in der großkoalitionären Hängematte und tun nichts anderes, als sich gegenseitig anzunörgeln. Um vom eigenen Versagen abzulenken, kommt es zu hysterischen Attacken. Aber diese Attacken fallen zunehmend auf Sie selber zurück. Mein Kollege Kuhn hat gesagt, dass Sie von der CDU/CSU sich nicht einfach vom Acker machen können. Die Ministerpräsidenten der Union, die nun am radikalsten gegen die Hartz-Gesetze argumentieren, waren es doch, die all die krummen Kompromisse geboren haben, die uns jetzt die allergrößten Probleme bereiten. Auf einmal reden Sie von einer Kostenexplosion. Wenn man aber etwas genauer hinschaut und die Ausgaben mit den Kosten vergleicht, die die alten Regelungen verursacht hätten, dann stellt man fest: Die Kostenexplosion ist verschwunden. Es gibt nur vereinzelt Mehrausgaben, beispielsweise für die Arbeitslosen in der Renten- und der Krankenversicherung und dort, wo es uns gelungen ist - das wollten wir so -, die verschämte Armut zu bekämpfen. Was ist daran falsch? Das war schließlich unser Ziel. Wir sind froh, dass wir es erreicht haben. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme zum Schluss. Lassen Sie mich noch etwas zur Missbrauchspropaganda sagen. Es ist von einer Missbrauchsquote von 20 bis 25 Prozent die Rede. Aber das sind nur gefühlte Werte; denn empirisch gesehen geht es nur um 2 bis 3 Prozent. Daher ist die Propaganda mehr als unangemessen. Ein letztes Wort an die Freunde von der Sozialdemokratie.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Nein, Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ihr habt das Gesetz damals genauso gewollt wie wir. Lasst es nicht zu, dass es jetzt auf diese Weise verkrüppelt wird! Knickt vor der Propaganda von der rechten Seite nicht so erbärmlich ein! Ich danke euch. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich gebe nun dem Kollegen Kolb das Wort zu einer Kurzintervention.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zuerst auf Sie eingehen, Herr Kollege Ernst. Wir halten die Politik der Bundesregierung auf diesem Feld ebenfalls für falsch. Aber wir halten Klamauk für die falsche Reaktion auf diese falsche Politik. ({0}) Ich bin mir sicher, dass Sie von dem, was Sie hier gemacht haben, letztlich nicht profitieren werden, sondern dass Sie uns sowie der Politik und der Demokratie in unserem Lande insgesamt schaden. ({1}) Kollegin Pothmer, da ich immer bereit bin, zu lernen, lasse ich mich gerne als Schüler bezeichnen. Aber ich hätte von Ihnen erwartet, dass Sie - entsprechend den parlamentarischen Gepflogenheiten - in einer Debatte eine Zwischenfrage zulassen. Weil Sie das nicht getan haben, will ich Ihnen Folgendes vorhalten: Sie haben gesagt, nicht der Gesetzgeber, sondern die Agenturen vor Ort seien schuld, weil sie die Gesetze nicht richtig umsetzten. In diesem Zusammenhang möchte ich Ihnen das zitieren, was Herr Dr. Fogt von der Bundesvereinigung der Kommunalen Spitzenverbände ausweislich des Protokolls in einer Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales gesagt hat: Wir sehen auch das Problem, die Organisationen, insbesondere die Arbeitsgemeinschaften, in den Stand zu versetzen, dass die vom Gesetz gewünschten Eingliederungsmaßnahmen auch zügig und umfassend erfolgen können. Dabei gibt es eine Reihe von Hindernissen, was die Organisation in den Arbeitsgemeinschaften angeht. Sie sind ja auch allgemein bekannt. Ich weise zum wiederholten Male auf das Computer-System hin, was in den Arbeitsgemeinschaften zum Einsatz kommt, was einen ganz unverhältnismäßigen Arbeitsaufwand in den Arbeitsgemeinschaften auslöst. Ich weise auch darauf hin, dass es einen nicht unerheblichen Teil an Bürokratie mittlerweile in diesen Arbeitsgemeinschaften gibt, mit Statistik und Berichtspflichten, die für sich genommen begründet sein mögen, die aber in der konkreten Umsetzung einen enormen Arbeitsaufwand darstellen und Kräfte binden. Das sind Dinge, die Herr Dr. Fogt angesprochen hat. Sie müssen sie sich vorhalten lassen, da Ihre Fraktion damals Regierungsfraktion war. Sie haben die bürokratische Ausgestaltung dieser Gesetze selbst mitbeschlossen. Das bitte ich Sie zur Kenntnis zu nehmen. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Pothmer, Sie möchten erwidern.

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Kolb, ist Ihnen bekannt, dass dieses Gesetz das Ergebnis von Verhandlungen im Vermittlungsausschuss war? ({0}) Ist Ihnen bekannt, dass es - jedenfalls bis jetzt - nicht üblich war, dass eine Fraktion des Bundestages, selbst wenn sie die Regierung mitträgt, die Entscheidung über einzelne Computersysteme trifft? ({1}) Ist Ihnen bekannt, dass ich auf dieses Problem seit längerem, unter anderen in mehreren Pressemitteilungen, hingewiesen habe und dass ich die Regierung immer wieder auffordere, dieses Problem nicht noch dadurch zu verschärfen, dass sie ständig neue Regelungen einführt, die sozusagen händisch umgesetzt werden müssen? Wenn Sie noch weitere Fragen haben, Herr Kollege Kolb: jederzeit und gerne; Sie können sie auch schriftlich an mich richten. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich erteile das Wort dem Kollegen Klaus Brandner, SPD-Fraktion.

Klaus Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003053, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir verabschieden heute das SGB-II-Fortentwicklungsgesetz. Dabei geht es nicht nur um Sparen, sondern insbesondere um schnellere und bessere Leistungen für die Langzeitarbeitslosen. Genau dieser Personenkreis hat es aus meiner Sicht nicht verdient, dass eine Diffamierungsdebatte stattfindet wie die, die wir hier teilweise erlebt haben. ({0}) Die Linke, die PDS, stellt es so dar, als wenn der Sozialstaat über Nacht aus den Angeln gehoben wird, als wenn ein Angriff auf den sozialen Frieden gestartet und damit eine Kriegserklärung an das Land ausgerufen wird. Ich bitte darum - das will ich ganz deutlich sagen -, den Langzeitarbeitslosen mit Falschheiten und Täuschungen, die man in die Welt setzt, nicht noch mehr Pein zuzufügen, als sie aufgrund ihres Schicksals ohnehin schon haben müssen. ({1}) Ich will das ganz konkret erläutern. Hier ist gerade eine Fußangel überbracht worden. Dies sollte darstellen, dass Langzeitarbeitslose mit der Erreichbarkeitsanordnung quasi gefesselt sind. Hier wird etwas dramatisiert, was für die Arbeitslosen in diesem Land gang und gäbe ist: ({2}) Diejenigen, die Leistungen nach der Arbeitslosengeld-IRegelung beziehen, müssen sich auf die Erreichbarkeitsanordnung der Bundesagentur für Arbeit verweisen lassen. Diese Erreichbarkeitsanordnung haben Gewerkschafter, Arbeitgeber und die öffentliche Hand einvernehmlich begrüßt. Genau darauf beziehen wir uns. Keine Regelung im künftigen Sozialversicherungsrecht bedeutet für die Arbeitslosen, auch für die Langzeitarbeitslosen, eine Schlechterstellung. ({3}) Kollege Ernst, ich will ganz offen sagen: Diese Demonstration war eine Schande. Ich verstehe nicht, dass du als jemand, der sich auskennen muss, dich für so etwas hergibst. Das tut mir Leid. Kolleginnen und Kollegen in dieser Koalition haben sich dafür ausgesprochen, Arbeitslosen, auch Langzeitarbeitslosen, Urlaub zu ermöglichen. ({4}) Mir ist in dieser Debatte viel zu viel über Sanktionen und auch über die Folgen von Sanktionen geredet worden. ({5}) - Entschuldigen Sie mal! - Sanktionen kommen doch wohl nur zustande, wenn es Angebote gibt. Der Staat nimmt sich in die Pflicht. Wir reden über Sanktionen. Wir müssen aber darüber reden, was für Angebote wir organisieren. Ohne zumutbare Angebote gibt es keine Sanktionen. Das muss hier herausgestellt werden. ({6}) Dabei wird dramatisiert und so getan, als müssten in diesem Land Menschen verhungern, weil diese Sanktionen greifen. Stärke und Wirkung der Sanktionen sind - das sage ich ganz deutlich - unterschiedlich: Je beharrlicher die Weigerung ist, eine zumutbare Arbeit anzunehmen, desto ausgeprägter greifen diese Sanktionen. Keiner muss in diesem Land verhungern. Wenn es die Situation erfordert, erhält niemand in diesem Land nur passive Leistungen. ({7}) Das wird durch das Gesetz ganz klar geregelt. Der Fallmanager kann auch Sachleistungen oder ergänzende geldwerte Leistungen zusagen, wenn dies notwendig ist. Aber bei jemandem, der vermögend ist und sich zumutbaren Angeboten widersetzt, muss die Gemeinschaft auch das Recht haben, einen aktiven Leistungsentzug durchzusetzen. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege Brandner, möchten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Höll zulassen?

Klaus Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003053, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, ich möchte keine Zwischenfragen beantworten. ({0}) Die Überschrift „Generalrevision“, unter die viele die Änderungen im SGB II stellen, dient aus meiner Sicht der Diffamierung eines Gesetzgebungsverfahrens, das notwendigerweise Korrekturen und Anpassungen im Umsetzungsprozess erfordert. Wir, insbesondere wir Sozialdemokraten, wollen mehr als nur sparen. Ein Fortentwicklungsgesetz ist für uns mehr als ein Spargesetz. Wir wollen eine verbesserte Eingliederung und Optimierung des Leistungsrechts. Wir wollen eine Verbesserung der Verwaltungspraxis und wir wollen die Vermeidung von Leistungsansprüchen, die so nicht gewollt sind. Schnellere Aktivierung der Arbeitsuchenden, Sofortangebote - das ist ein Schritt, der zur Optimierung des Leistungsrechts beiträgt. Die Unterstützung junger Menschen, die Vollfinanzierung der Aktivierungshilfen für erwerbsfähige hilfebedürftige Jugendliche, ist eine Ergänzung der Leistungen. Weiter ist die bedarfsgerechte Ausgestaltung von Leistungen, zum Beispiel für BAföG-Empfänger, zu nennen; auch sie erhalten jetzt Leistungen, wenn über das BAföG die Wohnkosten nicht völlig abgedeckt sind. Das sind nur drei Beispiele, an denen deutlich wird: Es geht nicht nur ums Sparen; es geht auch darum, sachgerechte Leistungen zur Verfügung zu stellen. Darüber haben wir bisher viel zu wenig geredet. ({1}) Es wird nur darauf geschaut, wie eigentlich bestraft werden kann, wofür überhaupt keine Notwendigkeit besteht. Deshalb sage ich: Es geht nicht nur ums Sparen. Wir müssen mehr und bessere Leistungen gewähren. Wir müssen weniger Bürokratie erreichen. Wir müssen durch eine effizientere Leistungserbringung mehr Beratungszeit für die Einzelnen zur Verfügung stellen. Das ist der Sinn des Gesetzes. Kürzen ohne Sinn und Verstand haben wir immer abgelehnt. Durch Leistungskürzungen werden wir der Arbeitslosigkeit nicht Herr werden, werden wir die Arbeitslosigkeit nicht bekämpfen können. Weniger Arbeitslose - das sage ich ganz deutlich - gibt es nur durch eine erfolgreiche Beschäftigungspolitik und erfolgreiche Förderpolitik. Das ist der Ansatz, für den wir antreten und für den wir einstehen. ({2}) Was in all diesen Debatten um Sanktionen und Verschlechterungen völlig aus dem Blick geraten ist, ist, dass wir den Menschen helfen, auf eigenen Füßen zu stehen, indem wir Existenzgründungen systematisch voranbringen. ({3}) Das ist eine Antwort, die wir in der arbeitsmarktpolitischen Debatte geben. Mit dem Gründungszuschuss wird eines der erfolgreichsten Instrumente der Hartz-Reformen fortgesetzt. Wir helfen den Menschen dabei, sich selbstständig zu machen. Wir aktivieren die Menschen. Wir fördern die Eigeninitiative für Gründungsaktivitäten durch systematische Zuschüsse und Unterstützungsleistungen sowie durch Beratung und tragen so dazu bei, dass der Arbeitsmarkt auch durch Selbstständigkeit Entlastung erfährt. Zum Bild des modernen Sozialstaats passt, dass wir unterstützen, indem wir Hilfe zur Selbsthilfe organisieren. Das ist in der Vergangenheit positiv gewesen. ({4}) 2005 haben sich 250 000 Gründer - ich hoffe auch ebenso viele 2006 - aus der Arbeitslosigkeit heraus in die Selbstständigkeit hineingewagt und ein neues Geschäft aufgemacht. Wir haben bei der Neuregelung auch auf die Erfahrungen mit der Ich-AG und dem Überbrückungsgeld zurückgegriffen. Gerade heute hat in einem fraktionsinternen Workshop der Vertreter des IAB, der dort zuständig ist, noch einmal ganz deutlich gesagt: Hier ist aus zwei guten Instrumenten ein noch besseres gemacht worden. - Von der Wissenschaft wird dieser Reformansatz ausdrücklich gelobt, weil wir uns durchgesetzt haben. Wir haben die Entscheidung getroffen, dass der Gründungszuschuss Anspruchsleistung für diejenigen bleibt, die in eine Existenzgründung hineingehen wollen. ({5}) Wir sind dafür, diesen Prozess insgesamt weiterzuentwickeln und damit mehr Menschen Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu geben.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte.

Klaus Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003053, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Hartz IV ist nicht gescheitert, auch wenn sich das die Populisten von rechts und links immer wieder wünschen, um sich auf Kosten der Arbeitsuchenden und der Menschen in den Arbeitsgemeinschaften und Kommunen zu profilieren. Dafür reichen wir nicht die Hand. Wir reichen die Hand zu Chancen. Dafür stehen wir. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort der Kollegin Dr. Barbara Höll. ({0})

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege, Sie haben eben versucht, etwas schönzureden, was nur abzulehnen ist und bei dem vor allem Sie selbst nicht einmal wissen, was im Gesetz steht. Oder können Sie mir heute erklären, was gestern bei der Beratung im Finanzausschuss niemand, nicht einmal der Vertreter des Ministeriums, erklären konnte, nämlich warum Sie die zur Erhaltung des Kinderzuschlages - etwas, was laut der Synopse des Ministeriums unmittelbar zur Verbesserung der Lebenssituation von etwa 195 000 Kindern in der Bundesrepublik Deutschland geführt hätte - ursprünglich geplante Flexibilisierung der Mindesteinkommensgrenze aus dem Gesetzentwurf herausgenommen haben? Könnte das eventuell damit zusammenhängen, dass auch das Ministerium hinter dieser Zahl den Vermerk gemacht hatte, dass sie bitte vertraulich zu behandeln sei? Ich hätte gern hier eine Antwort, warum Sie diese vorgesehene Regelung zurückgenommen haben und ob Sie das überhaupt wissen. ({0})

Klaus Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003053, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Abgeordnete, wir haben bei der Frage des Kinderzuschusses ganz bewusst die Regelung einer Wahlleistungsmöglichkeit gesetzt und uns vorgenommen, diesen Kinderzuschuss weiterzuentwickeln. Aber ich will Ihnen klar sagen: Sie stellen hier eine Frage, die sich auf eine Debatte im Finanzausschuss bezieht. Im Arbeits- und Sozialausschuss haben Sie sich dieser Debatte völlig entzogen. Sie haben überhaupt nicht daran teilgenommen und damit Ihre inhaltliche Teilnahme an diesem Thema verwirkt. Nun erwarten Sie bitte nicht, dass Sie hier im Parlament Nachhilfeunterricht bekommen. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Zum Abschluss der Debatte erteile ich das Wort dem Kollegen Max Straubinger, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Werte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben im Zusammenhang mit der Verabschiedung des SGB-II-Fortentwicklungsgesetzes eine sehr erregte Debatte miterlebt. Ich glaube, dass es hier durchaus angebracht ist, darzustellen, dass dieses Gesetz sehr erfolgreich in die Zukunft hineinwirken wird. Es bietet 70 neue Maßnahmen zur effizienteren Gestaltung des Arbeitsmarktes und zur Einschränkung von möglichem Leistungsmissbrauch, aber darüber hinaus vor allen Dingen Chancen für die Menschen, in Arbeit zu kommen. Dies ist letztendlich der prägende Gedanke dieses Gesetzes. ({0}) Man kann sich sicherlich nicht immer über alle Fraktionen hinweg einig sein. Die Regierung und die sie tragenden Bundestagsfraktionen sind aufgefordert, Beschlüsse herbeizuführen. Wir tun dies in großer Geschlossenheit. Ziel dieser großen Koalition ist es, die Chancen für die Menschen in Deutschland, wieder in Arbeit zu kommen, zu verbessern und den Menschen vor allen Dingen mehr Zutrauen in die Zukunft zu vermitteln. ({1}) Dabei ist gerade für uns als CDU/CSU-Bundestagsfraktion entscheidend, dass die soziale Absicherung der Menschen weiterhin in höchstem Maße gewährleistet ist. Werte Damen und Herren, gerade von der linken Seite dieses Hauses, in Deutschland werden die umfangreichsten und besten sozialen Leistungen für Menschen, die hilfsbedürftig sind oder denen es noch schlechter geht, erbracht. Viele Menschen in Europa würden sich danach sehnen, überhaupt an solchen Leistungen teilhaben zu können. ({2}) Diese Leistungen sind letztendlich Ausdruck eines hervorragenden Sozialstaates, den wir haben und den es weiterzuentwickeln gilt. Man kann ihn aber nur mit Diskussionen weiterentwickeln. Der Kollege Brandner hat vorhin bereits darauf hingewiesen: Gerade diejenigen, die die ganze Zeit die meiste Kritik an diesem Gesetzesvorhaben anbringen, haben sich der parlamentarischen Auseinandersetzung, der parlamentarischen Diskussion entzogen. Sie haben hier keinen Beitrag geleistet, indem Sie ausgezogen sind und sozusagen nur auf der Straße Politik gemacht haben. Dafür werden Sie letztendlich keine große Zustimmung bei den Menschen erhalten. ({3}) Ich möchte noch einmal Folgendes klarstellen: Klamauk ist dieses Hauses und der Diskussionskultur insgesamt höchst unwürdig. Werter Kollege Ernst, angesichts der Tatsache, dass Sie mit einer Eisenkugelattrappe in Richtung Regierungsbank gegangen sind, muss ich Sie fragen: Ist das der Geist der Vergangenheit von SED, Stacheldraht und sonstigen Zwangsmaßnahmen, den Sie hier weitertragen? ({4}) Ihr Verhalten ist einer solchen Diskussion nicht angemessen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Straubinger, möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ernst zulassen?

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, denn er hat sich der parlamentarischen Diskussion entzogen. ({0}) Mit diesem SGB-II-Fortentwicklungsgesetz werden wir dem Grundsatz „Fördern und Fordern“ besonders Rechnung tragen. Meine Vorredner haben in vielfältigster Weise bereits auf einzelne Maßnahmen hingewiesen. Der entscheidende Punkt ist, dass erwerbsfähige Hilfebedürftige besser unterstützt werden, damit sie schneller in Lohn und Brot gebracht werden können. Dass diese Entwicklung derzeit gut verläuft, belegen die neuesten Zahlen vom Arbeitsmarkt: Im Monat Mai gab es 250 000 weniger Arbeitslose im Vergleich zum Vormonat. Dies zeigt sehr deutlich, dass vor allen Dingen die Rahmenbedingungen durch die Bundesregierung, an der Spitze die Bundeskanzlerin und die sie tatkräftig unterstützenden Ministerinnen und Minister, verbessert wurden. Das trägt, wie gesagt, dazu bei, dass die Menschen schneller in Lohn und Brot kommen. ({1}) Ein entscheidendes Kriterium ist natürlich auch, dass die Verwaltungspraxis in vielen Bereichen verändert und verbessert wird. Das ist eine Konsequenz aus dem Bericht des Bundesrechnungshofes. Hieran werden wir selbstverständlich arbeiten. Ich bin davon überzeugt, dass die an uns gerichteten Forderungen des Präsidenten des Deutschen Städtetages, Ude, und auch führender Vertreter von Wohlfahrtsverbänden, zielgerichtetere Maßnahmen zu ergreifen und finanzielle Mittel effizienter einzusetzen, in einem ersten Schritt mit diesem Gesetz erfüllt werden und dass wir damit den an uns gestellten Anforderungen gerecht werden. ({2}) Entscheidend ist natürlich auch, die Selbstständigkeit in unserem Land zu fördern. Es gab in der Vergangenheit dazu mehrere Instrumente. Ich nenne Überbrückungsgeld und Ich-AG. Diese Instrumente waren sicherlich in einzelnen Bereichen erfolgreich, aber sie haben auch Mitnahmeeffekte bewirkt. Die Grünen wollen nun eine Verlängerung der Förderung der Ich-AG. ({3}) Ich glaube aber, die Neuregelung, die am 1. August in Kraft tritt, ist besser. Denn diejenigen, die sich aus der Arbeitslosigkeit in die Selbstständigkeit wagen, bekommen einerseits die notwendige Unterstützung. Andererseits wird nach neun Monaten die Tragfähigkeit ihres Unternehmens überprüft. Dies führt nicht nur zur Einsparung von Mitteln, sondern hat darüber hinaus auch eine Schutzfunktion. Denn es kann ja sein, dass sich jemand verkalkuliert hat und zu lange in der Selbstständigkeit verharrt, was möglicherweise dazu führen kann, dass er hinterher mit einem Haufen Schulden der sozialen Unterstützung bedarf. ({4}) Unter diesem Gesichtspunkt haben wir ein gutes Instrument gefunden. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, Frau Präsidentin. Es wird oft kritisiert, dass in diesem Bereich gespart wird. Natürlich ist es wichtig, mit den begrenzten finanziellen Ressourcen sparsam umzugehen. Unter diesem Gesichtspunkt ist es absolut vertretbar, dass wir einzelne Bereiche auf den Prüfstand gestellt haben. Ich bin davon überzeugt, dass wir mit diesem Gesetz, das wir heute in zweiter und dritter Lesung beraten und dann verabschieden, einen großen Schritt weiterkommen. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen Klaus Ernst.

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege Straubinger, ich habe an Ihrem Dialekt erkannt, dass Sie eher aus meiner Gegend und nicht aus den neuen Bundesländern stammen. Ich habe des Öfteren wie eben auch bei Ihrer Rede zur Kenntnis nehmen müssen, dass man mich sehr gern mit der SED in Verbindung bringt. ({0}) Es ist mir in den 30 Jahren, in denen ich in Bayern Mitglied der SPD war, immer so gegangen, dass die CSU gesagt hat: Das ist die SED. Jetzt passiert mir das hier wieder. Ich stelle daher die Frage: Haben Sie da etwas verwechselt, Herr Straubinger? Wenn es die SED in Bayern tatsächlich gab, wo war die denn? Ich habe sie da nicht finden können. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung der Grund- sicherung für Arbeitsuchende, Drucksache 16/1410. Zur Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Abstimmung liegt eine Erklärung nach § 31 der Ge- schäftsordnung der Kollegin Silvia Schmidt1) ({0}) von der SPD vor. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt un- ter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/1696, den Gesetzentwurf in der Aus- schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen mit den Stimmen der CDU/ CSU-Fraktion, mit der großen Mehrheit der Stimmen der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktionen der Linken, der FDP und des Bündnisses 90/Die Grünen bei drei Enthaltungen aus der SPD-Fraktion. Es ist eine weitere Erklärung zur Abstimmung nach § 31 der Geschäftsordnung von Frau Reinke2) von der Linksfraktion eingegangen. Wir kommen jetzt zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Es ist namentliche Abstim- mung verlangt. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind die Urnen besetzt? - Das scheint der Fall zu sein. Dann eröffne ich hiermit die Abstimmung. Ist noch jemand im Hause, der seine Stimme nicht ab- gegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstim- mung wird Ihnen später bekannt gegeben.3) Es gibt eine weitere persönliche Erklärung zur Ab- stimmung nach § 31 GO der Kollegin Hiller-Ohm, SPD- Fraktion.4) Wir setzen die Abstimmungen fort. Zunächst stimmen wir über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke ab. Wer stimmt für den Entschließungsantrag auf Drucksache 16/1702? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Entschließungsantrag mit den Stimmen der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen des Rests des Hauses abgelehnt. ({1}) Wir kommen zur Abstimmung über den Entwurf ei- nes Gesetzes zur Verlängerung der Ich-AG der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen, Drucksache 16/1405. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt unter Buchstabe e seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- che 16/1696, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stim- 1) Anlage 10 2) Anlage 13 3) Seite 3351 B 4) Anlage 14 men der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der Koalition bei Enthaltung der FDP abgelehnt. Damit entfällt nach unse- rer Geschäftsordnung eine weitere Beratung. Tagesordnungspunkt 11 b: Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ab- lehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Druck- sache 16/997 mit dem Titel „Für Selbstbestimmung und soziale Sicherheit - Strategie zur Überwindung von Hartz IV“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfeh- lung ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung emp- fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/1124 mit dem Titel „Hartz IV weiterentwickeln - Existenzsichernd, individuell, passgenau“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen des Bündnisses 90/Die Grünen mit den Stim- men des übrigen Hauses angenommen. Unter Buchstabe d empfiehlt der Ausschuss die Ab- lehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Druck- sache 16/1201 mit dem Titel „Wohnungslosigkeit ver- meiden - Wiedereinführung von Beihilfen und Übernahme von Mietschulden auch für Erwerbstätige mit niedrigem Einkommen und Arbeitslosengeld-I-Be- zieher“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Diese Beschluss- empfehlung ist mit den Stimmen der Koalition und der FDP gegen die Stimmen der Linksfraktion und des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10 a und 10 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Konrad Schily, Cornelia Pieper, Uwe Barth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Hochschulbaumittel gerecht verteilen - Drucksache 16/1166 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({2}) Rechtsausschuss b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Krista Sager, Kai Boris Gehring, Priska Hinz ({3}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Für eine starke Wissenschaftsinfrastruktur im gemeinsamen Interesse von Bund und Ländern - Drucksache 16/1643 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({4}) Rechtsausschuss Zwischen den Fraktionen ist verabredet, eine halbe Stunde zu debattieren. - Ich höre keinen Widerspruch. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Uwe Barth, FDP-Fraktion, das Wort. ({5})

Uwe Barth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003735, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ziel des von der FDP-Fraktion vorgelegten Antrags ist es, die Situation der chronisch unterfinanzierten deutschen Hochschulen zu verbessern und sie damit in die Lage zu versetzen, im internationalen Wettbewerb wieder mithalten zu können. Dass dazu Maßnahmen nötig sind, ist unstreitig. Auch der Antrag der Grünen geht in diese Richtung. Diverse Formulierungen aus dem Koalitionsvertrag und den verschiedenen Regierungserklärungen belegen im Übrigen, dass dies im Grunde in der Koalition genauso gesehen wird. Wie aber sieht die Wirklichkeit aus? Seit Jahren sind unsere Hochschulen und vor allem die Hochschullehre dramatisch unterfinanziert. Wir haben die Zahlen alle parat. Ich erspare Ihnen und mir eine langwierige Aufzählung. Nur auf eines will ich hinweisen: Es geht nicht allein um Quantität, die berühmten 40 Prozent eines Jahrganges. Es geht vor allem um die Qualität. Wir brauchen vielleicht mehr Studierende, vor allem aber brauchen wir mehr erfolgreiche Hochschulabsolventen. ({0}) An dieser Stelle sind wir erneut beim internationalen Wettbewerb. Wenn man im Wettbewerb standhalten, ihn sogar gewinnen will, muss man zunächst in der Lage sein, überhaupt teilnehmen zu können. Mit einem Fußballvergleich gesprochen heißt das: Wenn man die Champions League gewinnen will, muss man sich zunächst qualifizieren. Teams, die das schaffen können, hat man nur, wenn man daheim in der eigenen Liga eine ausreichende Leistungsbreite und eine hochwertige Leistungsspitze hat. Der Gesamtverband ist dabei nicht Schiedsrichter, sondern Ausrichter. Seine Aufgabe ist es vor allem, für Chancengleichheit zu sorgen und die angemessene Förderung der Leistungsspitze sicherzustellen. Bezogen auf unser Thema bedeutet das, dass der Gesamtstaat die Sicherung der Chancengleichheit für alle deutschen Hochschulen im Wettbewerb um internationale Spitzenplätze sicherstellen muss. In diesen Tagen und Wochen diskutieren wir ausführlich über ein Reformvorhaben, welches genau diesem Anspruch sehr dienlich sein könnte. Statt jedoch die Föderalismusreform für Regelungen zu nutzen, die den Bedarf der Gesellschaft an gut ausgebildeten Köpfen decken helfen, verliert man sich in filigranen Überlegungen, wie man den Bund aus der Finanzierung der Hochschullehre heraushalten könnte. Statt mittels der Föderalismusreform optimale Studienbedingungen zu ermöglichen, verbringen die Studierenden viel wertvolle Zeit in semesterlangen Warteschleifen für die notwendigen Seminare. Unterdessen will die Koalition die Mittel für Hochschulbauten langfristig einfrieren. Auch Sonntagsreden und wohlfeile Forderungen können darüber nicht hinwegtäuschen. ({1}) Herr Beck hat sich am Sonntag den Beifall der Jusos gesichert, als er kostenlose Kindergärten, ein flächendeckendes Angebot an Ganztagsschulen und gebührenfreie Hochschulen forderte. Wunderbar. Die Uni Mainz hat derzeit 35 000 Studierende. Ausgelegt ist sie für 18 000. Dementsprechend wird sie auch finanziert. Herr Beck hat gesagt, er erwarte einen Anstieg um ein weiteres Drittel auf circa 46 000. Wo sollen die Bauten und die Professoren herkommen? Sehr verehrte Kollegin Aigner, in Bayern ist die Situation kaum besser. Ein Vergleich der TU München mit der unmittelbar konkurrierenden Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich zeigt: Die ETH hat dreimal so viel Mittel pro Student wie die TU München. Bei solch krasser Unterfinanzierung kann man auf Dauer selbst in Bayern, so fürchte ich, im internationalen Wettbewerb nicht mithalten. Mit unserem Antrag wollen wir eine Dynamik erreichen, die sich an entwicklungs- und leistungsbezogenen Kriterien orientiert. Wir wollen auch den finanzschwachen Bundesländern eine Chance geben, ihre Hochschulen so zu entwickeln, dass sie im internationalen Wettbewerb mithalten können. Wir wollen, dass die Hochschulen nicht zu einer künstlichen Unterscheidung zwischen Forschung und Lehre gezwungen werden. Das ist völlig sachfremd; denn Kern des Hochschulgedankens ist ja gerade die Einheit von Forschung und Lehre. ({2}) Der im Rahmen der Föderalismusreform vorgeschlagene Entwurf verbietet dem Bund aber gerade Hochschulprogramme zur Förderung der Hochschullehre. Fast alle Experten halten dies für groben Unfug. Selbst Herr Biedenkopf hat hier, bei der Anhörung vor drei Tagen, als Experte des Bundesrates im Hinblick auf die künftige Hochschulfinanzierung großes Unbehagen geäußert. ({3}) Ich weiß, dass viele Kolleginnen und Kollegen von der Koalition dieses Problem erfreulicherweise ebenso sehen. Deswegen hoffe ich wirklich sehr, dass wir im Verlauf der weiteren Beratungen im Sinne unserer Hochschulen zu konstruktiven und sachgerechten Lösungen kommen. Der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Professor Winnacker, hat auf der gestrigen Jahrestagung die Föderalismusreform und den Wettbewerb angesprochen. Er sagte, dass aufgrund der grundsätzlich unterschiedlichen finanziellen Ausgangslage zwischen den Ländern ein wirklicher Wettbewerb um Ressourcen aller Art gar nicht entstehen könne. Aus seiner Sicht wird sich dies erst dann ändern, wenn wir in Deutschland auch zu einer Gebietsreform kommen. Dies, so Professor Winnacker, seien wir dem Föderalismus im Grunde schuldig, wenn wir ihn ernst nehmen und ihn nicht auf dem Altar des Regionalismus opfern wollen. Ich persönlich stimme dem ausdrücklich zu. Wenn wir nicht den Mut zu wirklichen Reformen haben, zu einer Reform, die die Länderneuordnung ebenso einschließt wie die Neuregelung der Finanzbeziehungen, wird jeder Reformversuch Stückwerk bleiben und wir werden uns auf dem Weg an die Spitze in Europa und der Welt auch weiterhin vor allem selbst im Wege stehen. Vielen Dank. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat der Kollege Markus Weinberg, CDU/ CSU-Fraktion.

Marcus Weinberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003861, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen! Sehr geehrte Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kollege Barth, eines überrascht mich schon: Wir führen eine Anhörung zur Föderalismuskommission durch, die Sie gewollt und befürwortet haben, und die FDP schafft es, die Erkenntnisse dieser Anhörung bereits zwei Monate vor dieser Anhörung in einem Antrag zu formulieren. Das ist sehr überraschend, Herr Barth. Sie sollten so eine Anhörung ernster nehmen und reagieren, wenn die Anhörung abgeschlossen ist, und nicht vorher. ({0}) Ich nehme Ihre Argumentation aber gerne auf, insbesondere im Zusammenhang mit der Frage, welche Probleme und Defizite wir haben. Für den Bildungsbereich und somit auch für den Hochschulbereich lässt sich, glaube ich, festhalten, dass Verflechtungen und Verwischungen von Verantwortlichkeiten, Entparlamentarisierung und die damit verbundene Schwächung der direkten Demokratie genauso wie strukturell bedingte Reformschwäche das Problem der Bildungslandschaft darstellen. In der Vergangenheit mussten wir uns immer auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen. Innovation und Wettbewerb blieben dabei auf der Strecke. Das ist eines der negativen Ergebnisse im Bildungsbereich. Das heißt, unüberschaubare Kompetenzverflechtungen und der Versuch, durch Novellierung von Leistung Einheitlichkeit herzustellen, schwächen das System. Roman Herzog hat das so formuliert - ich glaube, jeder hier hat vor zwei Tagen seinen Bericht in der „Süddeutschen Zeitung“ gelesen -: Einheitlichkeit als solches ist kein Wert an sich. Die Vielfalt ist der Leitwert in einem freiheitlichen Gemeinwesen. Vielfalt ist in höchstem Maße produktiv und kann dann auch paradoxerweise zu einer Einheitlichkeit führen. Das - und das soll unser Ziel sein - sollte auch kommen; allerdings auf einem höheren Niveau als heute. ({1}) Wenn man das analysiert, dann muss man gewisse Konsequenzen ziehen. Das hat die Anhörung ja auch ergeben. Dann muss ich als Bundestagsabgeordneter möglicherweise darüber nachdenken, Kompetenzen abzugeben. Dann muss ich einsehen, dass die Verantwortung dorthin soll, wo sie liegt, nämlich in den Ländern - das betrifft nicht nur den Schulbereich, sondern insbesondere auch den Hochschulbereich -, ({2}) dass die direkt Verantwortlichen - das heißt, auch die Landesparlamente - darüber entscheiden, wo und wann was gebaut wird. Dass diese Reform dann unter dem Strich nicht alle Menschen glücklich machen kann, das hat Roman Herzog auch beschrieben. Aber er sagt auch: Im übergeordneten Interesse ist es sicherlich auch hinnehmbar, dass einige bei der Komplexität dieser Reform möglicherweise ihr Glücksgefühl etwas reduzieren müssen. Aber es gibt keine Alternative. Das müssen diejenigen, die jetzt darüber diskutieren, immer wissen. Die Föderalismusreform muss beweisen, dass dieses Land noch reformfähig ist. Man muss ganz klar sagen: Diejenigen, die jetzt möglicherweise das Scheitern dieser Reform in Kauf nehmen, nehmen auch in Kauf, dass dieses Land nicht mehr reformfähig ist. ({3}) Das muss man wissen. Das ist, insbesondere wenn man unüberlegt und unabgestimmt Vorschläge unterbreitet, in einer gewissen Art und Weise ein Tanz auf dem Vulkan, Herr Rossmann. Denn nicht zuletzt sind wir nicht die einzigen, die bei dieser Reform involviert sind. Wir sind vielmehr genauso wie die Länder ein Teil. Apropos Länder: Als Kollege Barth darüber sprach, den Ländern die Verantwortung zu geben, schwang unterschwellig mit, dass die Länder das alles nicht so richtig können. Da kann man nur sagen: Genau das Gegenteil ist der Fall. Gerade unter dem Gesichtspunkt der Schulpolitik haben die Länder bewiesen - Beispiel Thüringen und Sachsen-Anhalt -, was sie leisten können. Einige Länder haben sich auf den Weg gemacht, einige auch nicht. Zum Beispiel Sachsen-Anhalt, ein kleines, schwaches Land, hat es durch eine gezielte Reform geschafft, bereits in wenigen Jahren die ersten kleinen Erfolge zu erzielen. Also muss man Abstand von gewissen Illusionen nehmen, dass Gemeinschaftsaufgaben so, wie sie zurzeit angelegt sind, gewisse Aufgaben der Bildungspolitik lösen können. Auch die Gemeinschaftsaufgabe „Bildungsplanung“ - das hat man in der Anhörung klar herausgearbeitet - war überflüssig und hat nicht die gewünschten Ergebnisse gebracht. ({4}) Jetzt komme ich zu den beiden Anträgen, zuerst zu dem der FDP. Sie haben es genau wie die Grünen formuliert. Es geht zunächst einmal um die Frage - Hoch3350 schulpakt 2020 ist ein besonderer Punkt -, wie denn der Hochschulbau finanziert werden soll. Die Grünen haben in ihrem Antrag - ich darf zitieren; denn es freut mich immer, die Grünen zu zitieren - das Richtige zur Gemeinschaftsaufgabe „Hochschulbau“ dargestellt: Die Finanzierungsmechanismen der GA Hochschulbau stehen seit vielen Jahren in der Kritik: Die komplizierten Verfahren mit mehrstufigen, stets überbuchten Rahmenplänen werden nur noch von Spezialisten durchschaut. Den Landesparlamenten ist eine angemessene Mitwirkung bei der Entscheidung über Hochschulbaumaßnahmen kaum noch möglich. Damit haben Sie vollkommen Recht. Ihre zweite Forderung ist auch richtig. Dort schreiben Sie: Die Landesparlamente sollen in Zukunft besser an der Prioritätenentscheidung eines jeweiligen Bundeslandes mitwirken können. Auch das ist richtig. Doch dann kommt genau das Inkonsequente, was Sie in Ihrer Politik stringent durchziehen; denn im Zuge Ihres Antrages richten Sie sofort wieder Auflagen an die Länder. Seien Sie doch einmal konsequent! Geben Sie doch einmal insgesamt den Ländern die Verantwortung! Reichen Sie die Verantwortung nach unten durch! Denn die Länder werden mit der Verantwortung richtig und gut umgehen können. Grundsätzlich widersprechen Gemeinschaftsaufgaben dem verfassungsrechtlichen Trennungsgebot. ({5}) Sie produzieren - das wissen Sie ganz genau - einen hohen Abstimmungs- und Verwaltungsaufwand. Sie machen Entscheidungsprozesse schwerer durchschaubar, verwischen politische Verantwortlichkeiten zwischen Bund und Ländern, aber auch zwischen Exekutive und Legislative. Das ist übrigens nicht nur die Position der CDU/CSU, sondern das war auch die Position eines Experten bei der Anhörung. Herr Barth, wir nehmen ja von der Anhörung das mit, was uns dort dargelegt wurde. ({6}) Insoweit ist Ihr Antrag mit Ihrer Schlussfolgerung, was die Finanzierung des Hochschulbaus betrifft, leider falsch. Im ursprünglichen Koalitionsentwurf wurde die Anknüpfung an den Bedarfsbezug gewählt, also kein Gießkannenprinzip. Die Hochschulbauförderung ist kein Element des Finanzausgleichs. Finanzkraft, Einwohner oder Studierende waren nicht der Verteilungsmaßstab und können es auch nicht sein. Während der Debatte im Ausschuss hat Frau Pieper dargestellt, wie sich das für die ostdeutschen Länder entwickeln würde. Das haben wir natürlich nachgerechnet. Dazu kann ich nur eines sagen: Es wäre fatal, wenn wir Ihren Schlüssel zugrunde legen würden. Man kann natürlich mehrere Schlüssel wählen, zum Beispiel den Königsteiner Schlüssel oder eine Mischform. Frau Pieper hat damals im Ausschuss gesagt, die ostdeutschen Länder würden verlieren. Genau das Gegenteil ist aber der Fall. Wenn ich Ihren Ansatz, die Anzahl der Studierenden zugrunde zu legen, mit dem Ansatz, der im Koalitionsvertrag enthalten ist, vergleiche, komme ich auf der Grundlage des Ansatzes im Koalitionsvertrag zu dem Ergebnis: Brandenburg 9 Millionen Euro plus, Thüringen 12,6 Millionen Euro plus, Mecklenburg-Vorpommern 13,3 Millionen Euro plus, Sachsen-Anhalt 20,4 Millionen Euro plus und Sachsen 22,4 Millionen Euro als plus. ({7}) Im Hinblick auf die Verteilung gibt es folgendes Grundproblem: Es wird, egal welchen Schlüssel Sie wählen - das ist ein Problem der gesamten Föderalismusreform -, immer wieder Verlierer geben. Ich glaube, dass der Ansatz, der zu dieser Verteilung führt, falsch ist, weil hier andere Finanzhilfen einen Ausgleich schaffen sollen. Sie haben Kurt Biedenkopf erwähnt. Ihm kann ich auch nur zustimmen. Wenn man die Kompetenzen neu verteilt, dann bedarf es natürlich auch einer Neuverteilung der finanziellen Ressourcen. Er hat mit seiner Aussage Recht, dass erst eine echte Finanzreform alle Länder in die Lage versetzen wird, ihren Aufgaben im Bildungsbereich gerecht zu werden. An diesem Prozess beteilige ich mich gerne, soweit ich das mitentscheiden kann, um den Ländern diese finanziellen Möglichkeiten zu geben. ({8}) Richtig ist Ihre Analyse bezüglich des Hochschulpaktes 2020. Hier sind Bund und Länder aufgefordert, die möglicherweise bis zu 500 000 neuen Studienplätze zu schaffen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Barth zulassen?

Marcus Weinberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003861, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bitte schön, Herr Barth.

Uwe Barth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003735, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Lieber Kollege Weinberg, ich möchte Sie fragen, ob Sie bereit sind, zur Kenntnis zu nehmen, dass Sie bei Ihren Berechnungen und Gegenüberstellungen möglicherweise übersehen haben, dass in Punkt 5 unseres Antrages hinsichtlich der Bewertung der Situation in den neuen Ländern ein differenzierter Vergabeschlüssel herangezogen werden soll, und eben nicht der, der sich nur nach den Studierendenzahlen richtet. ({0})

Marcus Weinberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003861, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Barth, das nehme ich zur Kenntnis und das habe ich auch gelesen. Trotzdem sage ich noch einmal: Die Aufgabe der Finanzhilfen muss anders gegliedert werden. Sie vermischen wieder verschiedene Dinge. Das schafft Unklarheiten und ist ein unsauberes Vorgehen. Es wäre auch für die ostdeutschen Länder besser, wenn man die Regelung der Finanzhilfen sauber und ordentlich koordinieren würde. ({0}) Nun will ich noch auf den Hochschulpakt 2020 zu sprechen kommen. Wenn es Gott sei Dank tatsächlich bzw. hoffentlich 25 Prozent neue Studienplätze, also 300 000 bis 500 000 zusätzliche Plätze, geben wird, dann ist das eine gemeinsame Aufgabe. Auch hier stellt sich zunächst einmal die Frage: Wer trägt dafür die Verantwortung? In Ihrem Antrag wird die Neuaufteilung der Mittel für den Hochschulbau zum Teil in Zusammenhang gesetzt mit dem Hochschulpakt bzw. mit den zu erwartenden Steigerungen der Studentenzahlen, übrigens auch mit dem sehr großen Sanierungsbedarf, der meines Erachtens das eigentliche Problem ist. Nein, dieses Paket wird kommen. Es wird geschnürt werden und zu guten Ergebnissen führen. Unter dem Strich bleibt festzuhalten, dass die Föderalismusreform nur ein Kompromiss sein kann. Aber ich glaube, es ist richtig - das hat auch die Anhörung bestätigt -, dass die Föderalismusreform so kommen wird wie geplant. Mit Blick auf all diejenigen, die noch die eine oder andere Änderung auf den Weg bringen wollen, sei bemerkt, sie mögen immer auch das Ende ihrer jeweiligen Handlungen bedenken. Diese Reform ist so, wie sie vorgesehen ist, gut. Auf jeden Fall ist sie eine Verbesserung im Vergleich zum jetzigen Zustand. Deswegen werden wir sie weiterhin mittragen. Vielen Dank. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich komme zurück zum Tagesordnungspunkt 11 a. Zunächst teile ich mit, dass eine weitere persönliche Er- klärung nach § 31 GO des Kollegen Lothar Mark, SPD- Fraktion, vorliegt.1) Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schrift- führern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstim- mung über den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/ CSU und SPD zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende, Drucksachen 16/1410 und 16/1696, bekannt. Es wurden 557 Stimmen abgegeben. Mit Ja ha- ben gestimmt 393 Abgeordnete, mit Nein haben ge- stimmt 150, es hat 14 Enthaltungen gegeben. Damit ist der Gesetzentwurf angenommen. 1) Anlage 16 Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 559; davon ja: 393 nein: 152 enthalten: 14 Ja CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({0}) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Otto Bernhardt Renate Blank Antje Blumenthal Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert Wolfgang Börnsen ({1}) Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Michael Brand Helmut Brandt Monika Brüning Georg Brunnhuber Leo Dautzenberg Hubert Deittert Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Anke Eymer ({2}) Georg Fahrenschon Dr. Hans Georg Faust Enak Ferlemann Dirk Fischer ({3}) Axel E. Fischer ({4}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich ({5}) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Dr. Michael Fuchs Dr. Peter Gauweiler Dr. Jürgen Gehb Norbert Geis Eberhard Gienger Michael Glos Dr. Reinhard Göhner Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg Holger Haibach Gerda Hasselfeldt Michael Hennrich Jürgen Herrmann Bernd Heynemann Ernst Hinsken Robert Hochbaum Klaus Hofbauer Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Susanne Jaffke Dr. Peter Jahr Dr. Hans-Heinrich Jordan Andreas Jung ({6}) Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({7}) Volker Kauder Jürgen Klimke Julia Klöckner Jens Koeppen Kristina Köhler ({8}) Norbert Königshofen Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Dr. Günter Krings Dr. Martina Krogmann Johann-Henrich Krummacher Dr. Karl A. Lamers ({9}) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Ingbert Liebing Eduard Lintner Dr. Klaus W. Lippold Dr. Michael Luther Stephan Mayer ({10}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz Laurenz Meyer ({11}) Maria Michalk Hans Michelbach Philipp Mißfelder Dr. Eva Möllring Marlene Mortler Carsten Müller ({12}) Stefan Müller ({13}) Bernward Müller ({14}) Dr. Gerd Müller Hildegard Müller Henry Nitzsche Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Eduard Oswald Henning Otte Rita Pawelski Dr. Peter Paziorek Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Daniela Raab Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Peter Rauen Eckhardt Rehberg Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Johannes Röring Kurt J. Rossmanith Dr. Christian Ruck Albert Rupprecht ({15}) Peter Rzepka Anita Schäfer ({16}) Hermann-Josef Scharf Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Norbert Schindler Georg Schirmbeck Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({17}) Andreas Schmidt ({18}) Ingo Schmitt ({19}) Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer Kurt Segner Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Gero Storjohann Andreas Storm Thomas Strobl ({20}) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Uwe Vogel Andrea Astrid Voßhoff Gerhard Wächter Marco Wanderwitz Kai Wegner Peter Weiß ({21}) Gerald Weiß ({22}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Anette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Willy Wimmer ({23}) Elisabeth WinkelmeierBecker Matthias Wissmann Dagmar Wöhrl Willi Zylajew SPD Gregor Amann Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Ernst Bahr ({24}) Doris Barnett Dr. Hans- Peter Bartels Sören Bartol Sabine Bätzing Dirk Becker Uwe Beckmeyer Dr. Axel Berg Petra Bierwirth Lothar Binding ({25}) Kurt Bodewig Clemens Bollen Gerd Bollmann Dr. Gerhard Botz Bernhard Brinkmann ({26}) Edelgard Bulmahn Marco Bülow Ulla Burchardt Dr. Michael Bürsch Christian Carstensen Dr. Peter Danckert Dr. Herta Däubler-Gmelin Karl Diller Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Garrelt Duin Detlef Dzembritzki Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Hans Eichel Karin Evers-Meyer Annette Faße Elke Ferner Gabriele Fograscher Rainer Fornahl Peter Friedrich Martin Gerster Iris Gleicke Angelika Graf ({27}) Dieter Grasedieck Kerstin Griese Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Alfred Hartenbach Michael Hartmann ({28}) Nina Hauer Hubertus Heil Reinhold Hemker Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Petra Heß Petra Hinz ({29}) Gerd Höfer Iris Hoffmann ({30}) Frank Hofmann ({31}) Eike Hovermann Klaas Hübner Christel Humme Lothar Ibrügger Brunhilde Irber Johannes Jung ({32}) Josip Juratovic Johannes Kahrs Ulrich Kasparick Ulrich Kelber Christian Kleiminger Astrid Klug Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Rolf Kramer Ernst Kranz Nicolette Kressl Volker Kröning Dr. Hans-Ulrich Krüger Jürgen Kucharczyk Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Dr. Uwe Küster Christine Lambrecht Christian Lange ({33}) Dr. Karl Lauterbach Waltraud Lehn Gabriele Lösekrug-Möller Dirk Manzewski Caren Marks Katja Mast Markus Meckel Petra Merkel ({34}) Ulrike Merten Dr. Matthias Miersch Ursula Mogg Marko Mühlstein Detlef Müller ({35}) Michael Müller ({36}) Gesine Multhaupt Dr. Rolf Mützenich Thomas Oppermann Holger Ortel Heinz Paula Joachim Poß Christoph Pries Dr. Wilhelm Priesmeier Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Steffen Reiche ({37}) Maik Reichel Dr. Carola Reimann Christel RiemannHanewinckel Walter Riester Sönke Rix Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({38}) Ortwin Runde Axel Schäfer ({39}) Bernd Scheelen Dr. Hermann Scheer Marianne Schieder Otto Schily Silvia Schmidt ({40}) Renate Schmidt ({41}) Dr. Frank Schmidt Heinz Schmitt ({42}) Carsten Schneider ({43}) Olaf Scholz Reinhard Schultz ({44}) Swen Schulz ({45}) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Dr. Ditmar Staffelt Andreas Steppuhn Ludwig Stiegler Dr. Peter Struck Joachim Stünker Dr. Rainer Tabillion Jörg Tauss Jella Teuchner Jörn Thießen Simone Violka Jörg Vogelsänger Dr. Marlies Volkmer Hedi Wegener Andreas Weigel Petra Weis Gunter Weißgerber ({46}) Lydia Westrich Dr. Margrit Wetzel Dr. Dieter Wiefelspütz Engelbert Wistuba Heidi Wright Manfred Zöllmer Nein SPD Lothar Mark Ottmar Schreiner FDP Jens Ackermann Daniel Bahr ({47}) Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Patrick Döring Mechthild Dyckmans Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Paul K. Friedhoff Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Miriam Gruß Joachim Günther ({48}) Dr. Christel Happach-Kasan Elke Hoff Dr. Werner Hoyer Michael Kauch Hellmut Königshaus Jürgen Koppelin Heinz Lanfermann Harald Leibrecht Ina Lenke Sabine LeutheusserSchnarrenberger Michael Link ({49}) Horst Meierhofer Jan Mücke Burkhardt Müller-Sönksen Hans-Joachim Otto ({50}) Detlef Parr Gisela Piltz Frank Schäffler Dr. Konrad Schily Marina Schuster Dr. Max Stadler Carl-Ludwig Thiele Florian Toncar Christoph Waitz Dr. Claudia Winterstein Hartfrid Wolff ({51}) DIE LINKE Hüseyin-Kenan Aydin Karin Binder Dr. Lothar Bisky Heidrun Bluhm Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Roland Claus Sevim Dagdelen Werner Dreibus Klaus Ernst Diana Golze Dr. Gregor Gysi Heike Hänsel Lutz Heilmann Hans-Kurt Hill Cornelia Hirsch Dr. Barbara Höll Ulla Jelpke Katja Kipping Jan Korte Katrin Kunert Michael Leutert Dr. Gesine Lötzsch Dorothee Menzner Kersten Naumann Dr. Norman Paech Bodo Ramelow Elke Reinke Paul Schäfer ({52}) ({53}) Dr. Herbert Schui Dr. Ilja Seifert Dr. Petra Sitte Dr. Kirsten Tackmann Jörn Wunderlich BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Marieluise Beck ({54}) Volker Beck ({55}) Cornelia Behm Birgitt Bender Grietje Bettin Alexander Bonde Dr. Thea Dückert Dr. Ursula Eid Hans-Josef Fell Joseph Fischer ({56}) Kai Gehring Anja Hajduk Britta Haßelmann Winfried Hermann Priska Hinz ({57}) Ulrike Höfken Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Thilo Hoppe Ute Koczy Sylvia Kotting-Uhl Renate Künast Undine Kurth ({58}) Markus Kurth Monika Lazar Dr. Reinhard Loske Anna Lührmann Jerzy Montag Kerstin Müller ({59}) Brigitte Pothmer Claudia Roth ({60}) Elisabeth Scharfenberg Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Dr. Gerhard Schick Silke Stokar von Neuforn Jürgen Trittin Josef Philip Winkler fraktionslos Enthalten SPD Klaus Barthel Willi Brase Martin Burkert Wolfgang Gunkel Gabriele Hiller-Ohm Dr. Bärbel Kofler Helga Lopez Hilde Mattheis Rene Röspel Wolfgang Spanier Rüdiger Veit Waltraud Wolff ({61}) Ich komme zurück zu den Tagesordnungspunkten 10 a und 10 b und erteile das Wort dem Kollegen Volker Schneider, Die Linke. ({62})

Volker Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003843, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Schauen wir mal! Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich vor einiger Zeit las, dass sich eine Universität in unmittelbarer Nähe des Bundestages auf den Weg zur Eliteuniversität machen will, habe ich zugegebenermaßen gestutzt. Ich fragte mich: Wie soll, Volker Schneider ({0}) wie kann in diesem heruntergekommenen Gemäuer Exzellenz entstehen? ({1}) Jenen unter Ihnen, die nicht ganz so glücklich mit ihren Büroräumen hier im Bundestag sind, empfehle ich einen kurzen Fußmarsch dorthin. ({2}) - Ich habe „Unter den Linden“ hervorragende Büroräume; ich habe keine Veranlassung, mich zu beschweren. - Wie gesagt, ich empfehle Ihnen den Fußmarsch, um sich dort einige Räume anzuschauen. Es würde mich sehr wundern, wenn Sie danach auf die Idee kämen, diese Räume gegen Ihre zu tauschen. Es würde mich noch mehr wundern, wenn Sie zu dem Ergebnis kämen, dass Sie in einem solchen Umfeld optimal, kreativ und produktiv arbeiten könnten. Diese Universität ist leider kein Einzelfall; insoweit greifen beide hier vorliegenden Anträge eine zentrale Herausforderung künftiger Hochschulbildung auf. Auch wenn es langsam zu einer abgegriffenen Floskel wird: Bildung ist die wichtigste Ressource und damit eine zentrale Herausforderung für die Zukunft unseres Landes. Wir brauchen - Herr Barth, Sie haben es ähnlich formuliert - nicht länger Sonntagsreden, sondern endlich entschlossenes, konkretes Handeln. Die kreativen und intellektuellen Potenziale unseres Landes erschließen sich nicht in einer trostlosen Lernumgebung, in Lehrsälen, in denen sich seit Ewigkeiten wenig bis überhaupt nichts getan hat, wo ein simpler Anstrich unschätzbar lange zurückliegt und an ein paar wohnliche Accessoires schon überhaupt nicht zu denken ist. So verkümmern die geistigen Potenziale dieses Landes in trostloser Öde. Das können und das dürfen wir uns nicht leisten. So ist es nicht verwunderlich, dass die Hochschulfinanzierung auch in den Anhörungen zur Föderalismusreform immer wieder eine Rolle gespielt hat. Auch vor dem Hintergrund, dass, wie ein Sachverständiger dramatisch formuliert hat, ein „Studierenden-Tsunami“ bevorsteht, steht doch die drängende Frage im Raum: Wie schafft Politik verlässliche Rahmenbedingungen? Die Kolleginnen und Kollegen der FDP hat dabei anscheinend die Zuversicht verlassen, dass die nötigen Weichenstellungen noch im Rahmen der Föderalismusreform möglich sein könnten. Wie wenig man bereit sein kann, Ergebnisse der Anhörung auch nur wahrzunehmen - geschweige denn, daraus auch noch Schlüsse zu ziehen -, hat der Kollege Weinberg gestern im Bildungsausschuss demonstriert; Herr Weinberg, Sie haben es eben eindrucksvoll wiederholt. Dem Gesicht von Herrn Barth habe ich entnommen, dass er ähnlich wie ich wahrscheinlich den Eindruck gehabt hat, auf einer anderen Veranstaltung gewesen zu sein. ({3}) Ich muss hinzufügen: Bei den Ausführungen im Bildungsausschuss haben auch in den Reihen des kleineren Koalitionspartners einige sichtlich schlucken müssen. Insoweit kann ich die Zweifel der FDP an der Einsichtsund Lernfähigkeit der Bundesregierung durchaus verstehen. Es gibt innerhalb der CDU/CSU aber auch andere Stimmen. So hat sich etwa der Ministerpräsident meines Landes, Herr Müller, deutlich anders geäußert als Sie, Herr Weinberg. Wir danken der FDP und natürlich auch den Grünen dennoch für die Vorlagen, bieten sie doch einen Einstieg, einige wesentliche Fragen der zukünftigen Hochschulfinanzierung in den Ausschüssen vertiefend zu diskutieren. Dazu nur einige Stichworte. Auch aus der Sicht der Linken benachteiligen die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Übergangsregelungen insbesondere strukturschwache Bundesländer. Was uns in den Anträgen fehlt, ist eine klare Forderung nach einer Erhöhung der Mittel für den Hochschulbau. Gerade angesichts des zu erwartenden Studierendenbergs und des Sanierungsbedarfs wird eine Finanzierung auf dem jetzigen Niveau nicht ausreichen. Kritisch wird es ab 2013, wenn nach den derzeitigen Planungen die Zweckbindung der Bundesmittel entfällt. Abschließend: Wenn Sie nicht wollen, dass in Zukunft Abertausenden von Studierwilligen aus Platzmangel ein Studienplatz verwehrt bleibt, wenn Sie nicht wollen, dass große Teile der Studierendenschaft nur noch auf Treppen Platz finden, wenn Sie nicht wollen, dass Studierende demnächst bei Regen massenhaft mit dem Schirm ihre Hörsäle aufsuchen müssen, dann lassen Sie uns Mittel und Wege finden, um den Hochschulbau überall in Deutschland auf eine stabile und ausreichende Finanzierungsbasis zu stellen. Danke schön. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat der Kollege Thomas Oppermann, SPDFraktion.

Thomas Oppermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003820, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! FDP und Grüne wollen mit ihren Anträgen die wissenschaftliche Infrastruktur stärken und die Bundesmittel für den Hochschulbau gerechter verteilen. Beides sind vernünftige, wichtige Anliegen und in beiden Anträgen gibt es durchaus konstruktive Vorschläge. ({0}) - Das muss man einmal sagen: Die Opposition ist nicht nur destruktiv. Im Rahmen der Föderalismusreform sollen das Hochschulbaufinanzierungsgesetz aufgehoben und die Gemeinschaftsaufgabe „Hochschulbau“ abgeschafft werden. Ich glaube, diesem Gesetz muss niemand eine Träne nachweinen. Dadurch wurden den Ländern und Hochschulen bürokratische und intransparente Verfahren aufgenötigt, es hatte endlose Planungs- und Bauzeiten zur Folge und hat den Hochschulbau unnötig verteuert. Wenn es um die Gemeinschaftsaufgabe „Hochschulbau“ geht, muss man einen sehr differenzierten Blick wählen. Immerhin: Diese Gemeinschaftsaufgabe hat die erste große Koalition auf den Weg gebracht. Ihr war bewusst, dass eine so gewaltige Aufgabe weder die Länder noch der Bund allein bewerkstelligen konnten. Mit der Gemeinschaftsaufgabe sind seit 1970 60 Milliarden Euro mobilisiert worden. Das ist nicht folgenlos geblieben, sondern hat unser Land verändert: Vor 1960 haben 10 Prozent eines Jahrgangs studiert, also eine kleine privilegierte Gruppe. Im letzten Jahr waren es 36,7 Prozent eines Jahrgangs, die ein Studium aufgenommen haben. ({1}) Das ist ein großer Fortschritt. Ohne diesen Fortschritt wäre unser Land heute wirtschaftlich nicht so stark. Wenn wir so stark bleiben wollen, dann müssen wir uns der Herausforderung stellen, die heute ähnlich groß ist wie 1970, als die Gemeinschaftsaufgabe eingeführt wurde. Deswegen sollten wir eines klarstellen: Wenn der Bund 300 Millionen Euro für Forschungsinvestitionen in Hochschulen zur Verfügung stellt und den Anteil von 700 Millionen Euro auf die Länder überträgt, dann darf das nicht dazu führen, dass die Länder den Anteil, den sie bisher schon aufgebracht haben, mindern. ({2}) Die Länder schultern eine gewaltige Aufgabe, wenn sie den Bereich Hochschulbau übernehmen wollen. Wir brauchen in Zukunft nicht weniger, sondern mehr Mittel für den Hochschulbau. Die Gründe sind bekannt: Zum einen werden wir im kommenden Jahrzehnt mindestens 500 000 Studierende zusätzlich haben, die gut untergebracht werden müssen. Zum anderen sind die Gebäude, die vor 30 Jahren schnell hochgezogen wurden, heute sanierungsbedürftig. Es besteht ein gewaltiger Sanierungsbedarf. Er wird mit mehr als 10 Milliarden Euro beziffert. Der Sanierungsaufwand ist auch deshalb so groß, weil die Länder in den letzten Jahren die Hochschulbauunterhaltungsmittel kontinuierlich gekürzt haben. Wenn die Länder den Bereich Hochschulbau übernehmen wollen, dann wäre eine vertrauensbildende Maßnahme die Verdopplung der Hochschulbauunterhaltungsmittel, damit der Sanierungsaufwand nicht noch größer wird. ({3}) Davon kann ich in den Haushaltsplanungen der Länder leider nichts entdecken. Zur Verteilung der Mittel; dieses Thema ist schon angesprochen worden. Es hat sich im Laufe der Jahrzehnte ein enormes Nord-Süd-Gefälle ergeben. Das kann natürlich nicht so bleiben. Das ist nicht gerechtfertigt. Nordrhein-Westfalen hat seit 1970 Bundesmittel in Höhe von 1 Milliarde Euro zu wenig bekommen, Niedersachsen 620 Millionen Euro. Bayern, wie immer sehr tüchtig, hat 1,5 Milliarden Euro mehr Mittel an Land gezogen, Baden-Württemberg sogar 2 Milliarden Euro. Diese Verteilung kann so nicht bestehen bleiben. ({4}) Wir sind für Wettbewerb der Länder untereinander und der Hochschulen miteinander. Für Wettbewerb ist aber eine faire Verteilung der Investitionsmittel des Bundes Voraussetzung. ({5}) Wer meint, dass diejenigen, die sich bis jetzt die größten Stücke aus dem Kuchen herausgeschnitten haben, Ansprüche auf Besitzwahrung anmelden könnten, der irrt. Das würde eher zu einer Wettbewerbsverzerrung führen. ({6}) Die Zahl der Studierenden als Verteilungskriterium ist sinnvoll. Dabei werden wir aber einen Schlüssel finden müssen, der die berechtigten Interessen der ostdeutschen Länder berücksichtigt. Diese bekommen überproportional viele Hochschulbaumittel, weil sie entsprechenden Nachholbedarf haben. Das ist also vernünftig. Meine Damen und Herren, nächste Woche wird die Fußballweltmeisterschaft eröffnet. ({7}) Wir werden unseren Gästen die schönsten Stadien auf der ganzen Welt und eine perfekte Infrastruktur bieten. Nirgendwo besteht die Gefahr, dass es durchregnet. ({8}) - Zumindest außerhalb von Frankfurt. - Meine Vorstellung ist: Das sollte uns auch bei den Hochschulen gelingen. ({9}) Wenn wir sie in einen Zustand bringen, der dem der Stadien entspricht, dann werden wir in Zukunft vielleicht sogar wieder Wissenschaftsweltmeister. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({10})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat die Kollegin Krista Sager, Bündnis 90/ Die Grünen.

Krista Sager (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003622, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Einige der Sachverständigen aus dem Bildungs- und Wissenschaftsbereich haben am Montag auf einen Widerspruch hingewiesen, den Sie, Herr Weinberg, mit der starken Betonung der Notwendigkeit einer klaren Trennung von Verantwortlichkeiten nicht auflösen können, und zwar auf den Widerspruch, dass die Förderung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit selbst nach Ihrer Föderalismusreform weiterhin eine gesamtstaatliche Dimension behält. Selbst nach Ihrer Föderalismusreform bleibt ein Zusammenwirken von Bund und Ländern zum Beispiel in der Agrarpolitik möglich. Aber ausgerechnet dann, wenn es um leistungsfähige Hochschulstrukturen geht, wollen Sie diese gesamtstaatliche Dimension negieren und soll ein Zusammenwirken nicht mehr möglich sein. ({0}) Da Sie die gesamtstaatliche Dimension in diesem Bereich praktisch völlig außer Acht lassen, frage ich Sie schon, wie ernst Sie es eigentlich nehmen, dass wir uns in einer Diskussion über den Transformationsprozess hin zu einer wissensbasierten Ökonomie befinden. ({1}) Zumindest die Sachverständigen aus dem Bildungsund Wissenschaftsbereich haben aus meiner Sicht deutlich gemacht, dass wir bei der Föderalismusreform für Bildung und Wissenschaft Korrekturen brauchen. Herr Weinberg, es geht nicht um die Nivellierung der Infrastruktur im Wissenschaftsbereich, sondern es geht um die Leistungsfähigkeit. ({2}) Herr Barth hat Recht: Die notwendige Leistungsfähigkeit werden wir nicht erreichen, wenn wir die Förderung von Forschung, wo man zusammenwirken darf, und die Förderung von Lehre, wo man nicht zusammenwirken darf, künstlich trennen. ({3}) Genauso unsinnig ist es, die Trennung zwischen der Förderung von Forschung im außeruniversitären Bereich und der Förderung von Forschung im Hochschulbereich in der Verfassung festzuschreiben. Auch darüber wollen wir hinaus. ({4}) Wir brauchen eine klare Rechtsgrundlage, durch die die gemeinsame Förderung der Wissenschaft durch den Bund und die Länder möglich, nicht erzwungen wird. Diese muss eine Befristungsregelung und die Möglichkeit beinhalten, sowohl Investitions- als auch Personalmittel bereitzustellen. Auf der Basis einer solchen klaren Rechtsgrundlage benötigt man auch gerechte Verteilungsregelungen. Es ist doch einfach ein Armutszeugnis, dass einige Länder jetzt erst merken, dass sie nach den alten Spielregeln - fortgeschrieben bis 2019 - die eigentlichen Verlierer dieser Reform sind, dass ihre Hochschulkliniken zukünftig nicht gesichert sind ({5}) und dass die Bagatellgrenze von 5 Millionen Euro für Großgeräte nicht in Ihrem Interesse liegt. ({6}) Dieses traurige Licht, das auf die Haltung der Länder bezüglich der Wissenschaft geworfen wird, lässt für die Frage, was eigentlich geschieht, wenn die Zusammenwirkungsmöglichkeiten jetzt praktisch sang- und klanglos aufgelöst werden, Schlimmes befürchten. Die Länder haben sich eben nicht selbst verpflichtet. Der Bund soll weiter bezahlen, aber die Länder haben sich nicht selbst verpflichtet. Die Länder wollen das Geld des Bundes ab 2013 absurderweise auch noch für völlig andere Zwecke ausgeben. Das ist wirklich ein Stück aus Absurdistan. ({7}) Natürlich können wir mit der Gemeinschaftsaufgabe „Hochschulbau“ und den alten Spielregeln der GA nicht weitermachen. Das haben Sie richtig zitiert. Deswegen will ich das hier auch nicht wiederholen. Das ist unsere feste Überzeugung, Herr Weinberg. Das Verrückte und das Ungerechte an der alten GA ist, dass die starken Länder stärker gefördert werden als die schwachen Länder und dass es für das, was für uns besonders wichtig ist, nämlich die Studienkapazitäten auszubauen, in den Verteilungsmechanismen der alten GA überhaupt keine Anreize gibt. Diese wollen Sie aber sogar noch bis 2019 verlängern. Welchen Sinn soll das eigentlich machen? ({8}) Wir brauchen gerade jetzt doch Regelungen, die Anreize dafür schaffen, dass die Länder zusammen mit dem Bund wieder Kapazitäten ausbauen. Herr Weinberg, ich hatte es Ihnen schon im Ausschuss gesagt und ich sage es Ihnen hier zum Schluss noch einmal: Sie betonen immer, dass die Verantwortung eindeutig bei den Ländern liegen muss. Wenn wir in 15 Jahren feststellen, dass wir zu wenige Hochschulabsolventen und zu wenige Fachkräfte haben, international nicht wettbewerbsfähig sind und eine Innovationsschwäche mit negativen Effekten auf Beschäftigung und Wohlstandsentwicklung haben, dann werden Sie dafür kein Land in die Verantwortung nehmen können. Ausbaden müssen es alle Menschen in diesem Lande, vor allen Dingen die nächsten Generationen. Deswegen mein Plädoyer: Einigung muss sein bei einer Verfassungsreform, aber bitte kein Denkverbot, wenn es um sachgerechte Lösungen für solch ein Zukunftsthema geht. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat der Kollege Swen Schulz, SPD-Fraktion. ({0})

Swen Schulz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003630, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In dieser Debatte ist in der Tat schon eine ganze Menge Richtiges gesagt worden. Auch in den Anträgen von FDP und Grünen steht einiges Richtiges. Ich möchte zum Thema Zukunft des Hochschulbaus noch ein paar Gedanken anfügen. Wir müssen vor allem auf zwei Aspekte achten. Erstens muss genügend, muss mehr Geld zur Verfügung gestellt werden, weil wir einen enormen Investitionsbedarf an den Hochschulen haben. Das ist am Montag in der Anhörung auch sehr gut und plastisch ausgedrückt worden. Bei den Hochschulbauten im Westen aus den 70er-Jahren tropft es inzwischen durch die Dächer und im Osten wachsen teilweise noch Bäume in den Kriegsruinen. Außerdem erwarten wir - Gott sei Dank - mehr Studierende. Wir brauchen also mehr Geld für den Hochschulbau. ({0}) Zweitens muss dieses Geld so verteilt werden, dass die Studierenden überall in Deutschland davon profitieren und dass sich alle Bundesländer in Zukunft Hochschulen leisten können. ({1}) Alles andere wäre ungerecht. Es wäre außerdem für ganz Deutschland ein Problem, wenn die Hochschulen in Teilen des Landes vernachlässigt würden. Vor diesem Hintergrund scheint mir die vorgeschlagene Föderalismusreform noch nicht ganz ausgereift zu sein. ({2}) Wenn die Gemeinschaftsaufgabe abgeschafft wird, wird wohl im Resultat insgesamt weniger Geld für den Hochschulbau zur Verfügung gestellt; denn die Länder müssen dann die Bundesmittel nicht mehr kofinanzieren und werden angesichts ihrer Sparzwänge den Hochschulbau an der einen oder anderen Stelle sicherlich herunterfahren. Außerdem soll die Zweckbindung der Bundesmittel für den Hochschulbau im Jahr 2013 auslaufen. Dann erhalten die Länder zwar Geld, müssen aber gar nicht mehr in die Hochschulen investieren. Diese Struktur dürfte auch eine deutliche Verteilungswirkung haben. Die finanzschwachen Länder würden in besonderem Maße versucht sein, ihre Mittel für den Hochschulbau zu kürzen - nicht weil sie möglicherweise nicht wollen, Herr Weinberg, sondern weil sie gar nicht anders können. Es besteht also die Gefahr, dass erstens künftig noch weniger Geld in den Hochschulbau fließt und dass zweitens die Entwicklung der Hochschullandschaft in einer Art und Weise auseinander geht, dass die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse massiv infrage gestellt ist. Ich fürchte, dass die vorgeschlagene Föderalismusreform auf einen Wettbewerb zwischen den Ländern abzielt, der schlechte Ergebnisse hat. Wettbewerb ist nur sinnvoll, wenn die Teilnehmer auch wettbewerbsfähig sind und wenn er die richtige Zielsetzung hat. Bisher gibt es jedoch für die Länder zu wenig Anreize, in die Hochschulen und in die Lehre zu investieren. Als aktuelles Beispiel möchte ich Berlin nennen. Die Hauptstadt finanziert Lehre weit über den eigenen Bedarf hinaus. ({3}) Wenn das alle Bundesländer täten, bräuchten wir uns gar keine Gedanken über möglicherweise fehlende Studienkapazitäten machen. ({4}) Es ist aber doch klar, dass angesichts der Haushaltsnotlage in Berlin natürlich Überlegungen angestellt werden, an welchen Ecken und Enden im Bereich der Hochschulen gespart werden kann. Wir müssen diese Logik aber umdrehen und einen Wettbewerb um und für die Studierenden bewirken, damit sich Lehre lohnt, anstatt einfach nur eine Kostenlast zu sein. ({5}) Das schaffen wir aber nicht, indem wir den Bund als unterstützende und koordinierende Kraft ausschalten. Wir benötigen klügere Lösungen, als den Ländern Geld in die Hand zu drücken und ihnen ansonsten eine gute Reise zu wünschen. Man kann die Gemeinschaftsaufgabe „Hochschulbau“ beenden; dafür gibt es gute Argumente, die auch vorgetragen worden sind. Dann müssen wir das aber verbinden mit einer Stärkung der Zusammenarbeit von Bund und Ländern an den Stellen, an denen es sinnvoll ist. Dann kann man aber nicht im Grundgesetz festschreiben, dass der Bund nichts mit der Lehre zu tun hat. ({6}) Wir brauchen eine vernünftige Änderung des Grundgesetzes, die einen ordentlichen Hochschulpakt zwischen Bund und Ländern unterstützt. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/1166 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Vorlage auf Drucksache 16/1643 soll federführend an den Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung und zur Mitberatung an den Rechtsausschuss überwiesen werden. - Damit sind Sie offensichtlich einverstanden. Dann ist so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 9 auf: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Investitionszulagengesetzes 2007 ({0}) - Drucksache 16/1409 - a) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({1}) - Drucksache 16/1539 - Berichterstattung: Abgeordnete Manfred Kolbe b) Bericht des Haushaltsausschusses ({2}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 16/1543 Berichterstattung: Abgeordnete Jochen-Konrad Fromme Carsten Schneider ({3}) Otto Fricke Dr. Gesine Lötzsch Anja Hajduk Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin Simone Violka, SPD-Fraktion, das Wort.

Simone Violka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003250, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie wir alle wissen, läuft das Investitionszulagengesetz 2005 zum Ende des Jahres 2006 aus. Wir haben aber bereits im Koalitionsvertrag festgeschrieben, dass der Aufbau Ost weitergeführt werden muss, der weiterhin eine Gemeinschaftsaufgabe ist und im Interesse des ganzen Landes liegt. In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass die Investitionszulage ein wirksames Instrument für den Aufbau Ost ist. Der heute in zweiter und dritter Beratung zur Abstimmung stehende Gesetzentwurf dient der Schaffung einer Nachfolgeregelung. Das Gesetz soll die Investitionszulage auf hohem Niveau über 2006 hinaus bis Ende 2009 festschreiben. Damit schaffen wir Planungssicherheit für einen nicht unerheblichen Zeitraum und stellen sicher, dass Investitionen in den neuen Ländern weiter fortgeführt werden. Obwohl bereits viel erreicht wurde und viele Unternehmen auf gesunden Beinen stehen, dürfen wir aber nicht vergessen, dass es auch Unternehmen gibt, die zwar innovativ und zukunftsfähig sind, aber aufgrund fehlender Eigenmittel nicht recht vorwärts kommen. Leider - das betrifft das gesamte Land - sind die Banken zurzeit nur sehr schwer für Investitionen zu begeistern. Das gilt vor allem dann, wenn die Unternehmen klein und noch nicht lange am Markt sind. Da gerade in den neuen Ländern schon aus historischer Sicht viele Unternehmen auf kein langes Bestehen zurückblicken können und in dieser kurzen Zeit keine hohen Rücklagen für Investitionen bilden konnten, trifft sie die Finanzierungszurückhaltung der Banken überproportional. An dieser Stelle wollen wir mit dem Gesetz Unterstützung leisten, ohne damit das Investitionsverhalten der Geldinstitute zu tolerieren oder gar unwidersprochen zu akzeptieren und zu unterstützen. Ich weiß aber, dass es vonseiten der Opposition Kritik gibt, weil Unternehmen, die in den neuen Ländern investieren, auf die Leistungen des Investitionszulagengesetzes einen Rechtsanspruch haben. Als Begründung für die Kritik werden immer wieder die mit dem Rechtsanspruch verbunden Mitnahmeeffekte angeführt. Ich will nicht abstreiten, dass es Mitnahmeeffekte gegeben hat. Aber wie kann man Mitnahmeeffekte hundertprozentig verhindern? Auch bei der GA-Zulage, die ebenfalls zum Aufbau Ost gehört, sind Mitnahmeeffekte nicht auszuschließen. Auch bei vielen anderen Leistungen des Staates - ob im sozialen, im wirtschaftlichen oder in einem anderen Bereich - sind Mitnahmeeffekte zwar nicht gewollt, aber leider auch nicht zu verhindern, ohne diejenigen, die redlich mit diesen Förderungen umgehen, ungerecht in Mithaftung zu nehmen. Hier bleibt uns immer nur, an die Moral und Redlichkeit der Nutznießer zu appellieren. Ich möchte das an dieser Stelle tun, wo es um die finanziellen Mittel aus der Investitionszulage geht. Wir alle erinnern uns an die großen Anstrengungen unserer Regierung, um in Brüssel die Fortführung dieses Gesetzes durchzusetzen. Die Verantwortlichen in Brüssel - davon konnte ich mich selbst vor Ort in Gesprächen überzeugen - wollten kein Nachfolgegesetz. Sie mussten erst in zähen Verhandlungen und mit guten Argumenten überzeugt werden, dass der Osten unseres Landes weiterhin auf solche Maßnahmen und Gesetze angewiesen ist, wenn er langsam den Anschluss an andere Gebiete in Deutschland finden soll. Ich bin froh, dass wir jetzt in Abstimmung mit Brüssel die Möglichkeit zu diesem Gesetz haben, das den gestiegenen Anforderungen der Europäischen Union an die Beihilferegelungen gerecht wird. Deshalb appelliere ich hier noch einmal an die Investoren, mit den Steuermitteln, die von der gesamten Gesellschaft erwirtschaftet werden, so effektiv wie möglich umzugehen, damit keine Mitnahmeeffekte eintreten können. Denn was wäre die Konsequenz, wenn die Unternehmen keinen Rechtsanspruch hätten? Dann würden wir aus diesem auch für kleine Unternehmen leicht anzuwendenden Gesetz wieder ein bürokratisches Monster machen. Aber jedes Formular, das die Unternehmen beantragen, begründen, mehrfach unterzeichnen usw. und schließlich einreichen müssen, ist ein Formular zu viel. Umso weniger können sich gerade kleine und mittelständische Unternehmen dieses Instrumentes bedienen, weil sie gar nicht die Kapazitäten für diesen bürokratischen Aufwand haben. Genau das wollen wir nicht; denn das würde gerade die Unternehmer und Unternehmen bestrafen, die nicht in Verdacht stehen, Mitnahmeeffekte zu erzeugen. Entgegen unserem Gesetzestext bei der Einbringung hat sich das Fördergebiet - darüber stimmen wir heute ebenfalls ab - verändert. Da die neue Fördergebietskarte 2007 bis 2013 noch nicht von der EU-Kommission genehmigt wurde, wurde ganz Berlin wieder im Investitionszulagengesetz berücksichtigt. Aufgrund deutscher Bemühungen konnte mit Brüssel vereinbart werden, dass nicht erst ab 2007, sondern bereits 2006, ab dem Tag nach Verkündung des Gesetzes, Investitionen in den festgelegten Fördergebieten wieder förderfähig sind. Deshalb können wir nicht warten, bis die Fördergebietskarte feststeht. Vielmehr wollen wir den Gesetzentwurf so schnell wie möglich verabschieden. ({0}) Damit dennoch auch in Berlin Planungssicherheit besteht, ist Berlin nach dem Tag der Gesetzesverkündung bis zum Feststehen der neuen Fördergebietskarte der EU-Kommission wieder voll förderfähig. Sollte die Kommission dann Teile von Berlin nicht mehr als förderwürdig erachten, sind die bis dahin getätigten Investitionen von dieser Entscheidung nicht negativ betroffen. Das ist im Sinne von Planungssicherheit und Vertrauensschutz ein unbedingt erforderlicher Punkt. Beides wollen wir mit unserem Gesetz erreichen. Auch wenn sich in den letzten 16 Jahren in den neuen Bundesländern Erstaunliches entwickelt hat und sich weiterentwickelt, müssen wir darauf achten, dass die Entwicklungsdynamik nicht stoppt. Leider ist sie schon langsamer geworden; denn noch gibt es trotz vieler Unternehmensansiedlungen zu wenige Arbeitsplätze. Es gibt außerdem zu viele Arbeitsplätze, mit denen die Menschen nicht genügend verdienen. Das hat zur Folge, dass viele Menschen an den Angeboten in ihrer Region aus wirtschaftlichen Gründen nicht oder nur ungenügend teilhaben können. Da, wo keine Käufer sind, kann man auch nichts verkaufen. Also müssen wir weiterhin die Wirtschaft beim Schaffen von Arbeitsplätzen unterstützen, damit mehr Menschen wieder eine Perspektive in ihrer Region haben. Oft wird gefordert - jeder, der in seinem Wahlkreis unterwegs ist, hört das immer wieder -, die Politik solle mehr Arbeitsplätze schaffen. Aber jedem Mitglied dieses Hohen Hauses ist klar, dass die Politik keine Arbeitsplätze schaffen kann, sondern die Schaffung von Arbeitsplätzen nur durch die Rahmenbedingungen unterstützen kann. ({1}) Oft werde ich dann nach Beispielen für die Schaffung solcher Rahmenbedingungen gefragt. Neben Beispielen wie die Senkung der Lohnnebenkosten, eine gute Infrastruktur und ein international konkurrenzfähiges Steuersystem nenne ich immer das Investitionszulagengesetz. Das verstehen die Menschen auch; denn alle wissen, dass wir einen Anschluss der neuen Bundesländer an die anderen Gebiete nur erreichen können, wenn weiterhin sichere Arbeitsplätze entstehen. Erst dann haben die Menschen in ihrer Region wieder eine Perspektive und können in ihrer Heimat bleiben. Wenn das geschieht, dann wird die Region attraktiver. So genannte weiche Faktoren müssen dann ausgeweitet werden. Sie machen die Gebiete zusätzlich attraktiv. Das zieht häufig weitere Investoren an. Natürlich geschieht das nicht von heute auf morgen. Aber die Menschen müssen sehen, dass sich etwas tut. Dabei sind auch wir als Politiker gefordert. Damit meine ich alle Politiker, egal ob auf Bundes-, Landes-, Kreis-, Stadt- oder Gemeindeebene. Wir alle haben Verantwortung. Jeder muss in seinem Zuständigkeitsbereich alles dafür tun, dass Gelder möglichst zielführend, effektiv und verantwortungsvoll eingesetzt werden; denn das alles sind Steuergelder, die von der Gemeinschaft erwirtschaftet wurden und die möglichst mit Gewinn für die Gesellschaft wieder investiert werden müssen. Wenig effektiv für die Gesellschaft sind Betriebsverlagerungen, bei denen lediglich Arbeitsplätze von A nach B verlagert und dabei möglichst noch Arbeitsplätze eingespart werden. Bei einer ständig größer werdenden Europäischen Gemeinschaft ist diese Gefahr sehr groß. Daher müssen wir einen europäischen Wettlauf verhindern, bei dem es nur noch um das Angebot größtmöglicher staatlicher Beihilfen bei der Schaffung von Arbeitsplätzen geht. ({2}) Denn das schafft keine Arbeitsplätze; im Gegenteil. Wir brauchen ein starkes Europa, das einer solchen Entwicklung entgegensteht; denn Deutschland allein kann das nicht leisten. Deshalb ist es richtig, dass die EU-Kommission die Beihilferegelungen verschärft hat. Mit unserer heutigen Abstimmung schaffen wir gute Voraussetzungen dafür, dass der wirtschaftliche Aufbau in den neuen Ländern weitergeht und dass die Menschen dringend benötigte Arbeitsplätze erhalten. Das käme ganz Deutschland zugute: Unsere Kassen und auch der Bundeshaushalt würden entlastet. Die Regionen bräuchten künftig weniger staatliche Gelder, um sich weiterzuentwickeln, und der Aufbau setzte sich automatisch fort. - Ich denke, es lohnt sich, dieses Ziel zu erreichen. Deshalb bitte ich um große Zustimmung zu diesem Gesetz, welches Investitionen in den neuen Ländern fördert und diese Gebiete uneingeschränkt leistungsfähiger und konkurrenzfähiger macht. Vielen Dank. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich erteile das Wort dem Kollegen Christian Ahrendt, FDP-Fraktion.

Christian Ahrendt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003729, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die erste Lesung des Investitionszulagengesetzes hat bereits gezeigt, dass die konkrete Ausgestaltung einer Investitionsförderung in diesem Haus auf eine breite Zustimmung stößt. ({0}) Ich will die wichtigen Ziele, die mit diesem Gesetz verfolgt werden, hervorheben: Erstens. Wie meine Vorrednerin schon angemerkt hat, wird die Investitionskraft der Klein- und Kleinstunternehmen - sie gibt es in den neuen Bundesländern nach wie vor - gestärkt. Diese Betriebe prägen dort noch immer die unternehmerische Landschaft. Ihnen fehlt nach wie vor Eigenkapital, um Investitionen tätigen zu können. Zweitens wird mit der Aufnahme des Beherbergungsgewerbes in den Förderkatalog des Investitionszulagengesetzes - das freut mich als Abgeordneten aus Mecklenburg-Vorpommern besonders - der Wirtschaftszweig Tourismus gefördert: Gerade die Tourismusbranche hat in den letzten Jahren gezeigt, dass sie ein nachhaltiger Wirtschaftsfaktor in den neuen Bundesländern ist. ({1}) Diese Debatte hat Anfang der Woche allerdings eine Begleitmusik erhalten, auf die man an dieser Stelle durchaus einmal eingehen sollte. Wir kennen das Thema „Fehlverwendung der Mittel aus dem Solidarpakt II“. Mit Ausnahme von Sachsen, das keine Fehlverwendung praktiziert hat, müssen sich die neuen Länder vorhalten lassen, dass letztendlich jeder zweite Euro aus dem Solidarpakt II nicht zweckentsprechend verwendet wird. Ich möchte das anhand von Zahlen einmal deutlich machen: Im Korb I sind Fördermittel in Höhe von 105 Milliarden Euro. Von diesem Geld werden zunächst rund 20 Prozent benötigt, um die unterproportionale Finanzkraft in den Kommunen auszugleichen. 80 Prozent - das sind rund 84 Milliarden Euro - stehen zur Verfügung, um die infrastrukturellen Lücken, die in den neuen Bundesländern nach wie vor bestehen, zu schließen. Dieser Ansatz entspricht dem finanziellen Bedarf, den das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung zur Bewältigung dieser Aufgabe errechnet hat. Die Fehlverwendungsquoten sind nicht nur dramatisch, weil es nicht sein kann, dass Länder 50 Prozent der zweckgebundenen Gelder zweckwidrig verwenden - Unternehmen dürfen das längst nicht -, sondern auch, weil die Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen im Solidarpakt II in fallenden Raten zur Verfügung gestellt werden: Im Jahr 2005 haben die neuen Bundesländer 10,5 Milliarden Euro erhalten, in diesem Jahr erhalten sie noch 10,45 Milliarden Euro und im Jahr 2019 sind es dann nur noch 2,09 Milliarden Euro. Rechnet man mit einer Fehlverwendungsquote von 50 Prozent bis 2010, kommt man zu dem Ergebnis, dass rund 25 Prozent der Gesamtförderung schlichtweg zweckwidrig verwendet werden. Dies entspricht immerhin 25 Milliarden Euro bzw. einem Viertel der Gesamtförderung. Man mag sich fragen, wie man bei einer so erheblichen Fehlverwendung von Mitteln den eigentlichen Auftrag, den Aufbau Ost, noch erfüllen kann. Man kann sich - das ist das Spannende, wenn man über das Investitionszulagengesetz diskutiert - die Frage stellen: Wozu braucht man ein Investitionszulagengesetz, durch das letztendlich Investitionen in Maschinen gefördert werden, wenn man nachher zwar modern ausgestattete Unternehmen hat, die Unternehmen aber nicht über die notwendigen Transportwege verfügen, weil die Infrastruktur nicht in Ordnung ist und sie deswegen nicht wettbewerbsfähig sind? Es gibt eine ganz einfache Lösung dieses Problems - wir kennen sie; sie ist in ähnlicher Form in dem Gesetz enthalten, das wir heute beraten -: Wie Sie alle wissen, muss man bei der Beantragung der Investitionsförderung beim Finanzamt erklären, dass der Gegenstand der Förderung fünf Jahre in den neuen Bundesländern verbleibt. Wenn Sie diese Auflage nicht erfüllen, dann hat das örtliche Finanzamt die Möglichkeit, den Investitionszulagenbescheid aufzuheben und die Zulage zu widerrufen. Das kann man auch mit den Mitteln des Solidarpakts II, genauer: mit den Mitteln aus dem Korb I, machen. Man möge hier überlegen - ein Teil ist ja noch nachzuverhandeln -, dass der Bund das Recht erhält, zweckwidrig verwendete Gelder zurückzufordern, wobei es allerdings nicht sein kann, dass diese Gelder dann sozusagen in allgemeinen Haushaltslöchern des Bundes verschwinden. Die Gelder sollten in einen eigenen Fonds eingestellt werden, um sie am Ende wieder für Aufgaben im Bereich „Aufbau Ost“ zur Verfügung zu haben, damit sie letztlich dem Ziel zugute kommen, für das sie ursprünglich eingeplant waren. ({2}) An dieser Stelle muss man ansetzen, wenn man sich die geschilderte Dramatik vor Augen führt. Die Aufgabe ist, die neuen Bundesländer letztlich wirtschaftlich so aufzustellen, dass sie selbstständig und eigenständig konkurrieren können. Die Erfüllung dieser Aufgabe darf nicht dadurch verfehlt werden, dass die Mittel, die für sie zur Verfügung gestellt werden, zweckwidrig verwendet werden. Dieses Thema darf man nicht auf die lange Bank schieben. Es passt auch gut zur Investitionszulage, weil letztlich auch die Investitionszulage nur eine flankierende Maßnahme zu dem ist, was man im Korb I geregelt hat. In diesem Sinne geht die Aufforderung an die Koalitionsfraktionen und die Bundesregierung, sich dieses Themas anzunehmen und es nicht auf die lange Bank oder in die Arbeitsebene zu schieben. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({3})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Manfred Kolbe, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Manfred Kolbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001172, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir stehen heute vor dem Abschluss eines kurzen, knappen und hoffentlich auch erfolgreichen Gesetzgebungsvorhabens. Vor exakt drei Wochen, am 11. Mai 2006, haben wir dieses Gesetz in erster Lesung eingebracht. Am 17. Mai fand bereits die Ausschussberatung statt. Heute, nach drei Wochen, wollen wir das Gesetz in zweiter und dritter Lesung beraten und verabschieden. Es war eine zügige Beratung. Ich darf mich bei allen bedanken, die daran mitgewirkt haben: beim Bundesministerium der Finanzen, das den Entwurf erarbeitet hat, beim Ausschusssekretariat und bei Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Nach unserem Gesetzesbeschluss ist der Bundesrat am Zug. Er wird voraussichtlich am 7. Juli entscheiden. Dann kann dieses Investitionszulagengesetz 2007 Mitte Juli in Kraft treten und im Bundesgesetzblatt verkündet werden. Die Grundlage dafür hat der Koalitionsvertrag gelegt, in dem sich CDU, CSU und SPD auf die Fortführung der Investitionszulage verständigt haben. Das ist gut so, auch wenn der Aufschwung mittlerweile den deutschen Arbeitsmarkt erreicht hat. Wir haben gestern die Zahlen gehört. Es sind erfreuliche Zahlen: 250 000 Arbeitslose weniger als im April, 350 000 Arbeitslose weniger als im Vorjahresmonat. Die neue Bundesregierung unter Angela Merkel ist also nicht nur in Washington, Moskau und Peking erfolgreich; sie ist auch am deutschen Arbeitsmarkt erfolgreich. ({0}) Liebe Fraktionskollegen, da können Sie mal klatschen. ({1}) Dennoch bleibt noch viel zu tun. Mit diesem Investitionszulagengesetz 2007 legen wir heute einen weiteren Grundstein. Dieses Investitionszulagengesetz wird zu Investitionszulagen in Höhe von 350 Millionen Euro im Jahr 2008, knapp 600 Millionen Euro in 2009, knapp 600 Millionen Euro in 2010 und noch einmal 250 Millionen Euro in 2011 führen. Bei einer 20-prozentigen Investitionszulage wird das Investitionen in Höhe von etwa 10 Milliarden Euro generieren, die einen weiteren Impuls für den Aufbau Ost geben. Die Investitionszulage - über sie und über die Mitnahmeeffekte wird vielfach diskutiert - ist ein sehr beliebtes Förderinstrumentarium, das vom Handwerk und vom Mittelstand sehr gern angenommen wird, weil sie eine Rechtssicherheit bietet, wie sie kein anderes Förderinstrumentarium gewährt. ({2}) Auch deshalb setzen wir die Gewährung der Investitionszulage fort. Sie ist unbürokratisch. Sie ist nicht mit langen Genehmigungsverfahren verbunden. Die Missbrauchsdebatte, die wir auch in dieser Woche wieder hatten, erstreckt sich nicht nur in Sachsen, sondern auch in den anderen vier neuen Bundesländern - Thüringen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern - nicht auf die Investitionszulage. Das Investitionszulagengesetz selber habe ich bereits in der ersten Lesung dargestellt. In den Ausschussberatungen hat sich an dem Gesetzentwurf nichts geändert. Die Vorgabe kommt aus Europa. Art. 87 des EU-Vertrages verbietet grundsätzlich regionale Investitionsbeihilfen, es sei denn, sie sind ausnahmsweise zulässig. Diese Vereinbarkeit ist in den „Leitlinien für staatliche Beihilfen mit regionaler Zielsetzung 2007-2013“ geregelt. Diese Leitlinien müssen wir einhalten. Ganz kurz noch einmal die wichtigsten fünf Punkte: Erstens. Fördergebiet sind die fünf östlichen Länder. Zweitens. Begünstigte Investitionen sind Erstinvestitionen, die mindestens fünf Jahre zum Anlagevermögen eines Betriebs des verarbeitenden Gewerbes, der produktionsnahen Dienstleistungen oder des Beherbergungsgewerbes gehören. Erstinvestitionen sind die Errichtung einer neuen Betriebsstätte, die Erweiterung einer bestehenden Betriebsstätte, die Diversifizierung der Produktion und die Vornahme einer grundlegenden Änderung des gesamten Produktionsverfahrens. Drittens. Begünstigte Wirtschaftszweige sind wie bisher das verarbeitende Gewerbe und die produktionsnahen Dienstleistungen. Neu hinzugekommen ist das Beherbergungsgewerbe. Viertens. Investitionszeitraum ist die Zeit nach der Verkündung des Gesetzes, also hoffentlich Mitte Juli, bis Ende 2009, also knapp dreieinhalb Jahre. Fünftens. Der Fördersatz beträgt 12,5 Prozent der Bemessungsgrundlage bzw. bei kleinen und mittleren Unternehmen 25 Prozent. Kurz zu den Ausschussberatungen. Wir haben uns im Ausschuss mit drei Punkten dieses Gesetzes befasst. Der erste war die vorläufige Streichung der Einschränkung des Fördergebiets Berlin ab 2007 in § 1 Abs. 2 Satz 2 des Gesetzentwurfs. Das Land Berlin wird ab 2007 möglicherweise nicht mehr vollständig Fördergebiet sein; einige Teile fallen heraus. Heute steht noch nicht fest, welche Teile des Landes Berlin das sind; das wird noch verhandelt. Damit wir das Gesetz heute verabschieden können, haben wir diesen Satz erst einmal herausgenommen. Wir werden uns im Herbst dieses Jahres noch einmal mit dem Investitionszulagengesetz beschäftigen müssen, wenn die exakte Fördergebietskarte 2007 bis 2013 feststeht. Wir haben zweitens eine kleine Änderung in der Form vorgenommen, dass wir die vollständigen Anschaffungs- und Herstellungskosten 2006 bei Betrieben des Beherbergungsgewerbes in die Bemessungsgrundlage 2007 einbeziehen. Das Beherbergungsgewerbe wird ja erst ab 2007 gefördert. Investiert werden kann aber ab Verkündung, also ab Mitte 2006. Die Investitionskosten, die 2006 entstanden sind, können in die Bemessungsgrundlage 2007 aufgenommen werden. ({3}) Diskussionen hat es - das ist der dritte Punkt - allein um die weggefallene Förderung des Leasings gegeben. Nach Ansicht des Bundesministeriums der Finanzen ist nach den neuen EU-Leitlinien eine Investitionszulage für die Überlassung beweglicher Wirtschaftsgüter, die am Ende der Laufzeit des Nutzungsüberlassungsvertrages nicht in das Eigentum des Nutzenden übergehen, nicht mehr zulässig. Die Leasingwirtschaft bestreitet dies energisch. Hier werden wir noch sorgfältig prüfen, inwieweit die EU-Leitlinien tatsächlich die Investitionszulage bei Leasing untersagen. So weit das Gesetzgebungsverfahren. Lassen Sie mich ganz kurz noch einmal ausdrücklich auf die Förderlücke hinweisen, die in der Natur des Gesetzes liegt; es ist keine von uns verursachte Förderlücke. Damit sich niemand durch vorschnelles Investieren der Möglichkeit der Förderung begibt - nicht immer im Leben gilt Michail Gorbatschows berühmter Satz „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“ -, ist darauf hinzuweisen, dass es hier drei Möglichkeiten gibt: Erstens. Wer dieses Jahr investiert und in diesem Jahr sein Investitionsvorhaben abschließt, wird nach dem Investitionszulagengesetz 2005 gefördert; da gibt es kein Problem mit Michail Gorbatschow. Zweitens. Wer erst nach der Verkündung des Gesetzes, also ab circa Mitte 2006, sein Investitionsvorhaben beginnt, wird mit den noch 2006 beendeten Investitionen nach dem Investitionszulagengesetz 2005 und mit den ab 2006 beendeten Investitionen nach dem neuen Investitionszulagengesetz 2007 gefördert; auch hier gibt es kein Problem mit Michail Gorbatschow. Drittens. Nur demjenigen, der vor Mitte Juli, also vor dem Tag der Verkündung des Gesetzes, investiert - das sind vielleicht besonders investitionsfreudige Unternehmer, die uns allen am Herzen liegen -, sei gesagt, dass er diese Investition 2006 abgeschlossen haben muss. Wenn dies erst 2007 der Fall ist, dann plumpst er sozusagen in die Förderlücke. Nur für diesen einen Fall gilt der „umgekehrte Gorbatschow“: Wer zu früh startet, den bestraft das Investitionszulagengesetz. Davor sollten wir ihn bewahren.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, auch Sie müssen mit Ihrer Rede zum Schluss kommen.

Manfred Kolbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001172, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Damit bin ich am Schluss meiner Rede. Danke schön. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Barbara Höll, Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte über das jetzt zu beschließende Gesetz zeigt die erfreuliche Situation auf, dass im Plenum eine relative Einigkeit hinsichtlich der Bewertung dieses Gesetzes existiert. Auch wir werden diesem Gesetz zustimmen; ({0}) denn wir begrüßen es ausdrücklich, dass die Förderpolitik für die neuen Bundesländer fortgesetzt wird. ({1}) - Bitte stellen Sie mir eine richtige Frage; dann können wir darüber gerne weiter diskutieren. Wir begrüßen die Fortsetzung der Förderpolitik deswegen ausdrücklich, weil hiermit Rechtssicherheit für die nächsten drei Jahre geschaffen wird. Es ist gelungen, die notwendige Nachfolgeregelung auf den Weg zu bringen, in der die Auflagen der Europäischen Kommission hinsichtlich der Beihilferegelung beachtet werden. Mit diesem Gesetz wird der Situation in den neuen Bundesländern Rechnung getragen. Wir müssen leider konstatieren, dass es mit dem wirtschaftlichen Aufschwung nicht so geklappt hat, wie man es sich gewünscht hat. Das betrifft leider alle neuen Bundesländer, also auch das Land Sachsen, aus dem ich komme und das sich gerne damit schmückt, dass alle Investitionen en gros erfolgreich waren. In meiner Heimatstadt Leipzig, die mit der Ansiedlung von Porsche und BMW sehr gut dasteht, gibt es die zweithöchste Arbeitslosigkeit in Sachsen, die - offene und verdeckte Arbeitslosigkeit zusammengenommen bei über 20 Prozent liegt. Deshalb ist es richtig und notwendig, dass mittels einer Förderung von Erstinvestitionen versucht wird, Arbeitsplätze zu schaffen. Damit soll der Abwanderung insbesondere von Fachkräften und von jungen Menschen, die wir in den neuen Bundesländern vorfinden, entgegengewirkt werden. Wir begrüßen es nachdrücklich, dass es erstmals mithilfe dieses Gesetzes gelungen ist, die Tourismusbranche einzubeziehen. Das betrifft Betriebe der Hotellerie, Jugendherbergen und Hütten, Campingplätze sowie Erholungs- und Ferienheime. Die Entwicklung des Tourismus eröffnet in Gegenden, in denen es keine Industrie, aber dafür eine schöne Landschaft gibt, neue Chancen. Ich denke beispielsweise an Gegenden in MecklenburgVorpommern, in denen es durch eine solche Politik zu positiven Effekten kommen kann. Die vorgenommene Ausgestaltung ist differenziert. Es gibt einen Unterschied hinsichtlich der Fördersätze für normale Gebiete und für Randgebiete. Wir als Linke sehen die Rechtssicherheit - in dem EntschließungsanDr. Barbara Höll trag des Bündnisses 90/Die Grünen wird sie als unzureichend kritisiert -, die mit dem Investitionszulagengesetz geschaffen wird, als einen unschlagbaren Vorteil an. Gerade für Kleinst-, kleine und mittelständische Betriebe ist es äußerst schwierig, an Mittel für Investitionen heranzukommen. Es existieren entsprechende Programme in einer solchen Vielzahl, dass es diesen Betrieben oftmals nicht möglich ist, durch den Förderdschungel durchzublicken. Die Fraktion der PDS im Sächsischen Landtag hat bereits vor drei Jahren eine Fördermitteldatenbank erstellt. Das ist eigentlich nicht unbedingt Aufgabe einer Parlamentsfraktion, sondern des Wirtschaftsministeriums des betreffenden Landes. Eine solche Datenbank ist notwendig; denn die Unternehmen schauen nicht durch, welche Mittel zur Verfügung stehen. Wenn man als Kleinstunternehmerin mit einer Bank in Verhandlungen um einen Kredit tritt, wird man oftmals gleich abgewiesen, weil die Summen, die man beantragt, zu gering sind oder weil es sich für die großen Kreditinstitute gar nicht lohnt, sich mit den vorgelegten Konzepten auseinander zu setzen. Mit dem Investitionszulagengesetz gibt es einen Rechtsanspruch. Deshalb werden in den Förderjahren 2007/2008 die zur Verfügung stehenden 580 Millionen Euro hoffentlich fließen. Es ist wirklich gut angelegtes Geld; die Förderung beträgt im Durchschnitt nur 20 Prozent der Investitionskosten. Wir begrüßen auch, dass bezogen auf die jetzt etwas unklare Situation für das Land Berlin eine Regelung gefunden wurde. Im Finanzausschuss wurde uns versichert, dass in Berlin Sicherheit für alle Investitionen, die noch in diesem Jahr angeschoben werden, besteht, sodass auch da die Zeichen auf Grün stehen. Wir hoffen, dass es nach Verabschiedung dieses Gesetzes möglich sein wird, mit der Fortführung der Gemeinschaftsaufgabe einen Beitrag dazu zu leisten, in der wirtschaftlichen Entwicklung der neuen Bundesländer ein Stück gemeinschaftlich voranzukommen. Ich danke Ihnen. ({2})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Peter Hettlich, Bündnis 90/ Die Grünen.

Peter Hettlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003554, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Situation in Ostdeutschland ist 15 Jahre nach der Wiedervereinigung immer noch von hoher Arbeitslosigkeit geprägt; Kollegin Höll hat eben die entsprechenden Zahlen aus Leipzig genannt. Wir sind nach wie vor sehr stark von Transferleistungen abhängig. Es gibt nach wie vor eine dramatische Verschuldung in den ostdeutschen Bundesländern. Hinzu kommt das Problem des demografischen Wandels. Wir haben schon zu verschiedenen Gelegenheiten, zum Beispiel in der Debatte über den Bericht zum Stand der deutschen Einheit, über diese Problematik diskutiert. In diesen Zusammenhang müssen wir heute die Debatte über die Frage, ob es eine Investitionszulage geben soll oder nicht, stellen. Ein Lösungsansatz für die Probleme, die ich eben beschrieben habe, liegt darin, dass sie sich gegenseitig bedingen. Wenn ich zunächst sage, dass wir erst einmal die Wirtschaftskraft der neuen Bundesländer stärken, dann muss das nicht unbedingt heißen, dass die nächsten Punkte unwichtiger sind. Denn aus der Stärkung der Wirtschaftskraft der neuen Bundesländer entsteht natürlich eine Verbesserung der Einnahmesituation der neuen Bundesländer. Aufgrund einer Verbesserung der Einnahmesituation werden wir weniger abhängig von Transferleistungen. Natürlich ist es auch so: Wenn wir in Ostdeutschland erfolgreich wirtschaften, dann schaffen wir Arbeitsplätze. Das passt zusammen. Dies muss auch so sein. Aus all dem, worüber wir hier diskutieren, wird ein Schuh. Darin sind wir uns, glaube ich, einig. Wir sind uns auch einig darin, dass wir eine Investitionsförderung brauchen, und zwar aus unserer Sicht in zwei Bereichen; das haben wir in unserem Entschließungsantrag deutlich gemacht. Der erste Bereich betrifft die direkte Investitionsförderung der Unternehmen. Wir haben in Ostdeutschland zum einen das Problem, dass wir zu wenige Unternehmen haben. Wir haben eine Unternehmenslücke von etwa 100 000 in Ostdeutschland. Zum anderen sind die Unternehmen viel zu klein. Die Klein- und Kleinstunternehmen, von denen auch Frau Höll gerade sprach, sind in Ostdeutschland überproportional stark vertreten. Klein- oder Kleinstbetriebe sind automatisch finanzschwach. Wenn sie finanzschwach sind, dann kommen sie, egal was sie machen wollen, beispielsweise wenn sie in die Weiterentwicklung investieren wollen, sehr schwer an entsprechende Mittel. Wenn sie klein sind, haben sie zudem das Problem, dass sie mit ihren innovativen Produkten, die man möglicherweise in einer kleinen Firma entwickeln kann, keinen Zugang zum Markt schaffen. Das heißt, es geht auch um Marktchancen. Das alles sind Probleme, über die wir in diesem Zusammenhang sprechen. Wir sagen an dieser Stelle ganz klar: Wir wollen hier weiterhin stark fördern. Über die Instrumente dazu spreche ich gleich. Der zweite Bereich, den wir angehen wollen, betrifft Folgendes: Wir müssen uns stärker mit dem Bereich Forschung und Entwicklung, mit Investitionen in Bildung und Hochschulen beschäftigen. ({0}) Denken wir einmal daran, dass wir es uns in Ostdeutschland erlauben, dass zwischen 10 und 15 Prozent der Hauptschüler eines jeden Jahrgangs ohne Abschluss die Schule verlassen. Denken Sie daran, welch dramatischen demografischen Wandel wir in Ostdeutschland haben. Dazu muss ich sagen: An dieser Stelle ist jede Einsparung falsch. Wir müssen noch viel stärkere Akzente bei den Investitionen setzen. Deswegen müssen wir darüber sprechen, ob der Investitionsbegriff, über den wir hier diskutieren, überhaupt richtig ist. Das würde zu weit führen; das will ich heute nicht mehr ausführen. Für uns ist ganz klar: Die Instrumente zur Investitionsförderung sind vielfältig. Kollegin Höll hatte es angesprochen: Die Investitionszulage lehnen wir nicht deswegen ab, weil es um Rechtssicherheit geht, sondern um einen Rechtsanspruch. Das Problem sind nicht die Klein- und Kleinstunternehmen. Kollegin Höll, ich kann Ihnen nur sagen: Wenn Sie mit einem Unternehmen einen Neustart machen und Sie noch nicht einmal einen ersten Kredit bekommen, dann bekommen Sie auch keine Investitionszulage. Ohne Eigenkapital und ohne anderes Geld können Sie keine Investitionszulage erhalten. Mein Problem ist, dass es viel zu viele Unternehmen gibt, die mit den Geldern Investitionen tätigen, die sie sowieso getätigt hätten. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Das produzierende Gewerbe in Ostdeutschland, wo es Wachstumsraten von 10 Prozent gibt, und ähnliche Bereiche müssen wir nicht weiter fördern. ({1}) - Nein, tut mir Leid. Ich habe wirklich wenig Zeit. Ich muss gleich wieder zur Anhörung zum Thema „Bahn“. Ich bin stellvertretender Ausschussvorsitzender und muss gleich von Herrn Lippold den Vorsitz übernehmen. Ich bin wirklich in Eile. Wir sind ganz klar für die Förderung, die Unterstützung und die weitere Ausgestaltung der Gemeinschaftsaufgabe „Ost“. Die Kolleginnen und Kollegen haben gesagt, dass sie unsere Einwände, gerade was die Frage der Mitnahmeeffekte angeht, ernst nehmen. Deswegen sagen wir ganz deutlich: Wir müssen uns mit Programmen beschäftigen, bei denen Mitnahmeeffekte vermieden werden, und gezielt die Bereiche fördern, über die wir gesprochen haben. ({2}) Dazu gehören neben der GA eben die gesamten Projekte aus dem Forschungsbereich. Kollegin Wicklein weiß, wovon ich rede: Inno-Regio, NEMO, Inno-Watt. Alle diese Programme müssen gesichert werden. Jedes Jahr droht da Ungemach. Last but not least: Der Kollege Ahrendt hat auf den Solidarpakt II verwiesen. Jedes Jahr - ich sage immer: Jährlich grüßt das Murmeltier - gibt es im Bundestag die gleiche Debatte über die Fehlverwendung. Es geht hier nicht um Missbrauch, sondern um Fehlverwendung. Die Mittel in Höhe von 5 Milliarden Euro, die im letzten Jahr nicht richtig verwendet worden sind, sind nicht investiert worden. Das ist, verglichen mit der Investitionszulage, ein richtig dickes Ding. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Es wäre gut, wenn die Länder diese Mittel in Höhe von 5 Milliarden Euro investierten, unter anderem im Bereich der direkten Unternehmensförderungen. Diese Investitionen schönen außerdem die Bilanz; denn die durchgereichten Investitionsförderungsmittel werden von den Instituten, die die Untersuchungen dazu durchführen, als Investitionen der Länder gerechnet. An dieser Stelle müssen wir den Hebel ansetzen. Wir haben vor zwei Jahren gefordert: Wir müssen auch über Sanktionen sprechen. - Dafür sind wir geprügelt worden. Ich werde diese Forderung aufrechterhalten. Wir müssen - auch in dieser Form - über den Solidarpakt II sprechen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege!

Peter Hettlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003554, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wir können nicht einfach sagen: Die Investitionszulage ist toll, aber der Solidarpakt ist uns egal. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. Ich muss los. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Andrea Wicklein, SPD-Fraktion.

Andrea Wicklein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003659, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Hettlich, schade, dass Sie jetzt gehen müssen. Dann können Sie meine Einwände gar nicht mehr mitverfolgen. Ich werde sie trotzdem vorbringen. Als ostdeutsche Abgeordnete bin sehr froh, dass wir heute im Bundestag abschließend über die Verlängerung der Investitionszulage diskutieren und dass wir im Zeitplan liegen, dass wir die Investitionszulage noch vor der Sommerpause auf den Weg bringen können. Damit können wir - das wurde schon gesagt - die Förderlücke entscheidend verkleinern; denn ab Verkündung des Gesetzes kann die Investitionszulage in Anspruch genommen werden. Die Verlängerung der Investitionszulage bis 2009 ist im Übrigen nicht nur ein Zeichen für die weitere Unterstützung von Investitionen in Ostdeutschland, sondern auch ein deutliches Zeichen für eine gesamtdeutsche Solidarität. Das muss man an dieser Stelle einmal sagen. ({0}) Wir alle wissen, dass der Bund und die alten Länder die finanzielle Hauptlast tragen, weil alle erkannt haben, dass die weitere wirtschaftliche Entwicklung im Osten im gesamtdeutschen Interesse ist. Deswegen möchte ich mich an dieser Stelle für die breite Unterstützung hier im Hause bedanken. Nicht nur die Regierungskoalition, sondern auch die FDP und die Fraktion Die Linke unterstützen dieses Gesetz. Das halte ich für ein sehr gutes Signal in die Richtung der ostdeutschen Bundesländer. Mit der Investitionszulage gleichen wir die Eigenkapitalschwäche aus; das ist gerade für die KMU besonders wichtig. Wir schaffen mit einem unbürokratischen Verfahren sehr wichtige Anreize für Investitionen. Deshalb ist es richtig, dass wir die Verlängerung auf den Weg bringen. Daran gibt es nichts zu rütteln. ({1}) Wenn wir uns die Investitionsentscheidungen in den neuen Ländern genau anschauen, erkennen wir, dass die Summe der unterschiedlichen Standortqualitäten ausschlaggebend für Investitionen ist. Deshalb setzt die Bundesregierung auf einen Fördermix, der in erster Linie die regionalen Stärken und die Standortqualitäten insgesamt entwickelt. Die Investitionszulage ist ein zentrales Element in diesem Instrumentenmix. Sie wird durch ein Gesamtpaket von staatlichen Fördermaßnahmen flankiert. Ich will einige nennen. Die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ wurde heute schon genannt. Es gibt aber auch die Programmfamilie „Unternehmen Region“. Herr Hettlich hat den Bereich der Forschung angesprochen. Die Vernetzung von Wissenschaft und Forschung mit der Wirtschaft fördern wir genauso wie Programme zur Erhöhung der technologischen Kompetenz, zum Beispiel Inno-Watt. Das sind Programme, die deutlich im Haushalt aufgestockt wurden. Da gehen wir in der Gesamtheit der Förderpolitik den richtigen Weg. ({2}) Diese Maßnahmen greifen dort am besten, wo sie in branchenbezogene regionale Entwicklungskonzepte und Schwerpunktsetzungen eingebettet werden. Wenn diese Potenziale erkannt und zielgerichtet gefördert werden, dann wird das Wachstum nachhaltig sein und dann werden wir von der unsäglichen Verschwendungsdebatte wegkommen und sachlich diskutieren. Dazu könnte ich viel sagen, aber die Zeit reicht leider nicht aus. Es ist ein großer Erfolg, dass künftig auch touristische Betriebe wie Hotels und Jugendherbergen gefördert werden können. Dabei geht es uns nicht um das zehnte Hotel am Marktplatz; vielmehr müssen auch im Bereich des Tourismus intelligente regionale Konzepte entwickelt werden. Dann kann Tourismus zu einem der entscheidenden Wirtschaftszweige im Osten werden. An einigen Stellen funktioniert das schon heute. Es ist richtig, dass gerade die Tourismusbranche überwiegend von kleinen und mittelständischen Unternehmen geprägt ist, die in der Region fest verankert sind und ihre Arbeitsplätze nicht exportieren können. Deshalb ist es richtig, dass wir diesen Bereich unterstützen. Osten ist nicht gleich Osten. Wir haben in der Debatte über den Stand der deutschen Einheit darüber gesprochen, wie differenziert die Wirtschaftsstruktur in den neuen Bundesländern ist. Wir stellen fest, wenn wir uns die Gesamtentwicklung ansehen, dass wir noch viel zu tun haben. Wir können mit dem Erreichten noch nicht zufrieden sein. Das verarbeitende Gewerbe ist aber in den letzten Jahren hier zwischen 6 und 8 Prozent gewachsen. Das ist ein Verdienst der Investitionszulage. Ich hoffe, dass es mir in der kurzen Zeit ein Stück weit gelungen ist, deutlich zu machen, dass die Investitionszulage ein wesentlicher Baustein im Mosaik der Gesamtförderkulisse für den Aufbau Ost ist und dass wir im Zusammenspiel der unterschiedlichen Instrumente und Maßnahmen gute Voraussetzungen haben, den Aufholprozess in Ostdeutschland voranzubringen. Unser Signal von heute sollte deshalb lauten: Investitionen in Ostdeutschland lohnen sich nicht nur, aber auch wegen der Investitionszulage. Vielen Dank. ({3})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Kollegin Antje Tillmann, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Antje Tillmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003646, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Heute beenden wir die Diskussion über das Investitionszulagengesetz 2007 und geben damit als Bundestag 1,74 Milliarden Euro Investitionsförderung an Unternehmen frei, die damit möglichst viele Arbeitsplätze in den neuen Ländern schaffen oder erhalten. Wir haben in der ersten Lesung sehr intensiv über die verschiedenen Fördermittel diskutiert und haben die Unterschiede zwischen Gemeinschaftsaufgabe und Investitionszulage teilweise kontrovers, aber sehr sachlich angesprochen. Die Mehrheit dieses Hauses hat sich dafür entschieden, die Investitionszulage bis 2009 aus folgenden Gründen zu verlängern: Die Vorteile gegenüber der Gemeinschaftsaufgabe sind völlig klar. Die Gemeinschaftsaufgabe steht unter Haushaltsvorbehalt und die Erfahrungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass der Sparzwang sehr leicht dazu führt, dass die Mittel eingeschränkt werden. Die Gemeinschaftsaufgabe wird hälftig von Bund und Ländern getragen, was dazu führt, dass gerade finanzschwache Länder, die sich bemühen, ihren Haushalt in Ordnung zu bringen, diese Fördermittel nicht abrufen und damit nicht nur der Länder-, sondern auch der Bundesanteil für die Unternehmen wegfällt. Die Gemeinschaftsaufgabe kann nur unter Haushaltsvorbehalt genehmigt werden. Die Verpflichtungsermächtigungen würden, sobald sie ausgeschöpft wären, keine Sicherheit für die Unternehmen bieten. All das sind Vorteile der Investitionszulage, die wir heute, wie schon in der ersten Lesung, genannt haben. Hier gibt es Rechtssicherheit für die Unternehmen. ({0}) Seit dieser Woche kommt ein weiteres Argument hinzu, welches ich gar nicht unter den Tisch fallen lassen möchte - Herr Ahrendt, Sie haben sehr intensiv darauf hingewiesen -: die Fehlverwendung der Mittel aus dem Solidarpakt I. Sie wird uns in den neuen Ländern zu Recht vorgeworfen. Diese Fehlverwendung kann nur die Konsequenz haben, dass wir sehr genau aufpassen, dass die Mittel aus dem Solidarpakt II wie vorgesehen verwendet werden. Genau das ist bei der Investitionszulage gewährleistet. Sie kann systemimmanent nur für Investitionen ausgegeben werden, sodass von diesen 1,74 Milliarden Euro zwingend Investitionen in Höhe von fast 10 Milliarden Euro finanziert werden können. Lieber Kollege Ahrendt, Sie haben die Fehlverwendung zu sehr kritisiert. Ich teile Ihre Auffassung, dass wir als Deutscher Bundestag darauf achten müssen, dass die Länder mit den Mitteln sorgfältig umgehen. Ihre Kritik an den Fehlverwendungen klang aber so, als würden die neuen Länder dieses Geld einfach verbrennen. Das tun sie natürlich nicht. Wenn ich mir zum Beispiel mein Land ansehe, dann stelle ich fest, dass dort mit diesen Geldern sehr viel Vernünftiges getan wird. Es werden damit Kindergartenplätze und Hortbetreuung bezahlt - die Personalkosten sind hoch -, was nicht dem Gesetz entspricht, was aber auch keine Verschwendung ist, wie es manchmal in den Zeitungen dargestellt wird. ({1}) Das sind zwar sinnvolle Investitionen; das Gesetz war aber für Investitionen in Werte vorgesehen. Darüber müssen wir bei Gelegenheit noch einmal sprechen. Ich teile die Auffassung, dass die Investitionszulage gerade in diesem Bereich eine sehr große Sicherheit gegen die Zweckentfremdung bietet. Der Kollege Hettlich ist leider nicht mehr anwesend. Ich sage einmal lachend: Es kann passieren, dass man in Eile ist. Es kann auch passieren, dass man mehrere Termine gleichzeitig hat. Bei einem so wichtigen Gesetz, wenn man fordert, für die neuen Länder 1,74 Milliarden Euro nicht auszugeben, sollte man sich aber vielleicht doch die Zeit nehmen. Vielleicht hätte ein anderer Redner aus der Fraktion das übernehmen können. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, leider haben Sie nur den ersten Schritt dessen getan, was Sie angekündigt haben. Herr Hettlich hat in der ersten Lesung den Eindruck vermittelt, als würde er die Mittel, die wir für Investitionszulagen ausgeben, für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ verwenden. Den zweiten Schritt haben Sie leider vergessen. Im Moment finden die Bereinigungssitzungen des Haushaltsausschusses statt. Dort haben Sie Ihren Antrag nicht eingebracht, sodass ganz klar ist: Sie wollen weder die Investitionsförderung noch machen Sie sich die Mühe, im Haushaltsausschuss einen Ergänzungsantrag für die Gemeinschaftsaufgabe zu stellen. Dazu kann ich nur sagen: Sie haben offensichtlich keine Zeit für die neuen Länder. Das kann man Ihnen schon vorwerfen. ({3}) Auch Ihr Vorschlag, die neuen Länder sollten den eingesparten Anteil an der Einkommensteuer zur Refinanzierung der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ verwenden, geht einfach nicht weit genug. Offensichtlich haben Sie nicht ausgerechnet, dass der Anteil eines durchschnittlichen neuen Landes an 1 000 Euro Investitionszulage genau 113 Euro beträgt. Mit diesen 113 Euro können Sie bei weitem nicht das leisten, was das Investitionszulagengesetz bis 2009 mit Investitionen in Höhe von insgesamt fast 10 Milliarden Euro schafft. ({4}) Es war gut, dass wir uns in den Ausschussberatungen die Zeit genommen haben, das Gesetz noch einmal sehr intensiv anzuschauen. Zwei Fehler konnten ausgemerzt werden, die nicht beabsichtigt waren: Bei dem Beherbergungsgewerbe - der Kollege Kolbe hat darauf hingewiesen - war nicht gewollt, dass Investitionen, die 2006 vorgenommen werden, nicht förderfähig sind. Das zweite Problem bezog sich auf das Land Berlin; es wird hoffentlich noch im Sinne Berlins gelöst werden. Wir sollten nach dem heutigen Tag aber keineswegs aufatmen. Wir haben jetzt Zeit bis 2009. Bis dahin herrscht Sicherheit für die Unternehmen in den neuen Ländern, dass Investitionen gefördert werden können. Wir alle wissen, das Jahr 2009 ist sehr schnell da. Die Erfahrungen, die wir in dieser Debatte über die Investitionszulage mit der EU gemacht haben - Frau Violka, Sie haben zu Recht darauf hingewiesen -, waren schon schlecht. In drei Jahren werden wir mit Sicherheit noch schlechtere Erfahrungen machen. Daher bitte ich Sie, gemeinsam zu überlegen, wie wir bis zum Jahre 2009 eine andere Art der Förderung unserer Unternehmen finden. Dafür bietet sich die Föderalismuskommission II an; da müssen wir über Geld und Geldverteilung sprechen. Liebe Kollegen und Kolleginnen von den Grünen, ich würde an dieser Stelle eigentlich noch weiter gehen: Über die regionale Wirtschaftsförderung sollte regional entschieden werden. Die Länder sollen sagen, wie sie die Mittel einsetzen wollen. Im Gegenzug werden sie dazu verpflichtet, uns Rechenschaft darüber abzulegen, dass die Mittel ordentlich verwendet werden. Dazu fordere ich Sie auf. Aber ich gebe zu: Heute bin ich erst einmal froh, dass wir diesen Schritt geschafft haben. Ich glaube, darüber sind die Unternehmen und die Bürgerinnen und Bürger in den neuen Ländern ebenso froh. Danke schön. ({5})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Investitionszulagengesetzes 2007 auf Drucksache 16/1409. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/1539, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von SPD, Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner CDU/CSU, FDP und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der Fraktion der Grünen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Beratung mit demselben Stimmergebnis wie in zweiter Beratung angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/1662. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Fraktionen SPD, CDU/CSU, FDP und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der Grünen abgelehnt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Frank Spieth, Dr. Martina Bunge, Inge Höger-Neuling, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Erlass der Rechtsverordnung zum morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich gemäß § 268 Abs. 2 SGB V - Drucksache 16/1511 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion Die Linke fünf Minuten erhalten soll. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frank Spieth, Fraktion Die Linke. ({0})

Frank Spieth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003849, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es endet fast die 13. Stunde der heutigen parlamentarischen Beratungen. Hoffentlich ist das kein schlechtes Omen für die Gesundheitspolitik in diesem Land. Vielleicht hängt die Abwesenheit vieler Kollegen damit zusammen, dass einige entweder erschöpft oder im Geschäft mit den Lobbygruppen verschwunden sind und deshalb keine Zeit haben, gerade dann, wenn es um die wesentlichen gesundheitspolitischen Themen geht, hier in diesem Hohen Hause anwesend zu sein. Ich bedauere das sehr. Ich freue mich aber, dass immerhin der Staatssekretär des zuständigen Ministeriums heute anwesend ist. ({0}) Der in der gesetzlichen Krankenversicherung 1994 eingeführte Risikostrukturausgleich ist eine unverzichtbare Voraussetzung für die Umsetzung des Versorgungsauftrags der Krankenkassen und für einen funktionsfähigen Kassenwettbewerb. Um das einmal klar in Zahlen auszudrücken: Würden wir diesen Risikostrukturausgleich zwischen den Krankenkassen in Deutschland nicht haben, hätten einige Krankenkassen einen Beitrag von 25 Prozent und andere einen Beitrag von 5 Prozent. Dies würde überhaupt keine Wettbewerbsfähigkeit mehr garantieren und zu einem Vernichtungswettbewerb führen. ({1}) Der bisherige Risikostrukturausgleich ist aber unzureichend. Die großen Kassen mit vielen Kranken tragen weiterhin die Hauptlast in diesem Wettbewerb, während die kleinen Kassen mit überwiegend gesunden Versicherten die großen Nutznießer sind. Sinnvoller Wettbewerb aber setzt gleiche Bedingungen für die Wettbewerber voraus. Wenn die einen Lasten zu tragen haben und andere nicht, dann kann man nicht von gleichen Bedingungen sprechen. Das kommt einem so vor, als wollte man einigen Beteiligten bei einem 1 000-Meter-Lauf einen Vorsprung von 100, 200 und 300 Metern einräumen. Dann zu behaupten, dies seien gleiche Wettbewerbsbedingungen, ist allergrößter Unsinn. Die Notwendigkeit einer Reform des Risikostrukturausgleichs hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 18. Juli 2005 noch einmal ausdrücklich bestätigt. Hier hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich festgestellt, dass die unscharfe Abbildung des Gesundheitszustands der Versicherten im gegenwärtigen Ausgleich die Erreichung der gesetzlichen Hauptziele gefährdet. Dadurch werden logischerweise Tendenzen zur Risikoselektion zwischen den Kassen begünstigt. Wir stellen deshalb fest: Die Rechtsverordnung des Bundesministeriums für Gesundheit, die nach dem Gesetz bis zum 30. Juni 2004 hätte erlassen werden müssen und die die Einführung dieses krankheitsbezogenen Ausgleiches hätte regeln sollen, liegt bis heute nicht vor, nach meiner Auffassung unter Missachtung dessen, was hier im Deutschen Bundestag beschlossen wurde. Das ist ein gültiges Gesetz. ({2}) Wenn Sie, wie in der Debatte über die Gesundheitsreform zu hören ist, wohlfeil auf die Ärzteproteste reagieren - hier ist auch ein gehöriger Schuss Populismus mit dabei ({3}) und die Ärztevergütungen jetzt neu regeln - vom Grundsatz her bin ich dafür -, gleichzeitig aber die Regelung des Risikostrukturausgleichs für die krankheitsbezogenen Ursachen quasi auf den Sankt-Nimmerleins-Tag vertagen, dann schaffen Sie für die Krankenkassen, die mit besonderen Krankheitsrisiken zu kämpfen haben, Bedingungen, die es unmöglich machen, dass sie eine neue Vergütung für Ärzte finanzieren. Das ist das Problem. ({4}) Die Gesundheitspolitiker der großen Koalition bekommen immer glänzende Augen, wenn vom neuen Gesundheitssystem in den Niederlanden die Rede ist. Das haben wir dieser Tage auch beim Besuch des holländischen Gesundheitsministers Hoogervorst im Gesundheitsausschuss beobachten können. Aber ich rate Ihnen, genauer hinzuschauen: In Holland besteht für die gesamte Bevölkerung eine Versicherungspflicht. Für alle Teilnehmer am Wettbewerb gelten die gleichen Bedingungen. In den Niederlanden gibt es einen krankheitsorientierten Risikostrukturausgleich, in den schon vor der jetzigen Reform gesetzliche und private Krankenkassen - bei uns ist es ein Sakrileg, das nur zu sagen - eingebunden waren und der über Alter und Geschlecht deutlich hinausgeht. Dort sind chronisch Kranke jetzt eine für alle Kassen interessante Gruppe. Das, meine ich, muss unser Ziel sein. ({5}) Ein anderes Bild zeigt sich beim Vergleich mit der Schweiz. Dort wurde der Wettbewerb zwischen den Krankenkassen ohne einen krankheitsbezogenen Ausgleich herbeigeführt, mit der Folge, dass dies zulasten der Kranken geht. In der Schweiz wurde ein Fehler gemacht, den wir in Deutschland jetzt möglicherweise auch machen: Wir werden die notwendigen finanziellen Anpassungen ohne Ausgleichssysteme vornehmen, mit der Folge, dass sich der Wettbewerb um Junge und Gesunde - und nicht der Wettbewerb um Kranke - weiter verstärkt. Frau Präsidentin, ich komme zum Ende. - Wer Solidarität und Gerechtigkeit will, muss diese Rechtsverordnung erlassen. Verwirklichen Sie endlich den krankheitsbezogenen Risikostrukturausgleich zwischen den Kassen, wie er längst im Gesetz steht! Dann ist auch die Einführung einer gerechten Ärztevergütung möglich. Schönen Dank. ({6})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Die Kollegen Dr. Hans Georg Faust, Dr. Karl Lauterbach, Daniel Bahr ({0}), die Kollegin Elisabeth Scharfenberg und der Parlamentarische Staatssekretär Rolf Schwanitz haben ihre Reden zu Pro- tokoll gegeben1). Deshalb schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/1511 an den Ausschuss für Gesundheit vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 13 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Errichtung einer Bundesanstalt für den Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben ({1}) - Drucksachen 16/1364, 16/1610 - 1) Anlage 17 a) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({2}) - Drucksache 16/1683 Berichterstattung: Abgeordnete Ralf Göbel Hartfrid Wolff ({3}) Ulla Jelpke b) Bericht des Haushaltsausschusses ({4}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 16/1701 Berichterstattung: Abgeordnete Bettina Hagedorn Dr. Michael Luther Roland Claus Alexander Bonde Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Peter Altmaier.

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach mancherlei Irrungen, Wirrungen und Rückschlägen in der Vergangenheit sind wir dem Ziel der Einführung des Digitalfunks in unserem Land einen wichtigen, vielleicht sogar den entscheidenden Schritt näher gekommen. Wir können heute zuversichtlich sagen, dass wir in absehbarer Zeit den Polizeien, den Feuerwehren, den Rettungsdiensten und den übrigen Sicherheitsbehörden einen bundesweit einheitlichen Digitalfunk zur Verfügung stellen werden und dass wir weltweit das größte Land mit einem solchen funktionierenden Digitalfunk sein werden. Wir haben in den zurückliegenden Wochen entscheidende Etappenziele erreicht: Das Verwaltungsabkommen zur Zusammenarbeit von Bund und Ländern und zur Kostenverteilung ist paraphiert. Die Vertragsverhandlungen mit dem künftigen Betreiber des Digitalfunks werden in Kürze ihren Abschluss finden. Das Vergabeverfahren für die Systemtechnik befindet sich in der Endphase und die vorläufige Satzung der einzurichtenden Bundesanstalt ist zwischen Bund und Ländern abgestimmt. In dem vorliegenden Gesetzentwurf geht es um die Einrichtung genau dieser Bundesanstalt. Es hat in den vergangenen Monaten eine Diskussion über die richtige Rechtsform für die Wahrnehmung dieser Aufgabe gegeben; diese Diskussion ist auf beiden Seiten mit guten Argumenten geführt worden. Dass wir uns am Ende dafür entschieden haben, die Rechtsform einer Bundesanstalt zu wählen, liegt darin begründet, dass wir keine Zeit verlieren wollen, dass wir möglichst schnell vorangehen wollen. Schließlich gibt es, wie ich meine, auch gute Argumente in der Sache. Die Gewährleistung der Sicherheit - in diesem Fall mithilfe der Sicherheitsinfrastruktur - ist eine der vornehmsten Aufgaben des Staates überhaupt. Es spricht deshalb einiges dafür, dass der Staat die Überwachung und die Sicherstellung der Funktionsfähigkeit des Digitalfunknetzes selbst wahrnimmt. Genau dieses Ziel wollen wir mit der Bundesanstalt für den Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben erreichen, indem wir auch hoheitliches Handeln ermöglichen. Wir nehmen aber auch die Anregungen auf, die es im Hinblick auf schlanke und effiziente Organisationsstrukturen gegeben hat: Wir werden die Bundesanstalt mit einer kaufmännischen Buchhaltung und mit einem ständigen Controlling ausstatten. Wir haben in der gesamten Phase der Planung und Durchführung dafür gesorgt, dass ein hohes Maß an Kostentransparenz gewährleistet ist. Die Bundesregierung hat die Kosten für die Bundesanstalt im Vorblatt zum Gesetzentwurf ausführlich dargelegt. Sie sind überschaubar: Sie belaufen sich auf etwa 10 Millionen Euro jährlich. Wir haben auch die Folgekosten von Systemlieferung und privatem Betreiber berechnet und diese Zahlen auch veröffentlicht. Die endgültigen Folgekosten können wir zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht berechnen, weil sie natürlich vom Vergabeverfahren für die Beschaffung der Systemtechnik und vom Abschluss des Betreibervertrages abhängen; wir werden auch diese Zahlen vorlegen, sobald sie feststehen. Es ist wichtig, bei einem derart großen Projekt dafür zu sorgen, dass das Vergabeverfahren einwandfrei abläuft und allen Anfechtungen standhält. Wir sind davon überzeugt, dass dies gelungen ist und dass das Verfahren allen rechtlichen Überprüfungen standhalten wird. Die Einführung des Digitalfunks bedeutet für unser Land einen großen Zugewinn an innerer Sicherheit. Sie ist ein herausragendes Beispiel für die technologische Leistungsfähigkeit unserer Industrie und sie ist auch ein Beispiel für die Leistungsfähigkeit unserer öffentlichen Verwaltung. Ich glaube, dass wir es den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes nach langen Jahren der Diskussion schuldig sind, ihnen nun endlich rasch ein modernes, vielleicht sogar das modernste Kommunikationssystem überhaupt zur Verfügung zu stellen. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Hartfrid Wolff, FDPFraktion. ({0})

Hartfrid Wolff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003866, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die unterschiedliche Berichterstattung in den Medien, unter anderem kürzlich im „Spiegel“, hat deutlich gemacht: Die Einführung des BOS-Digitalfunks ist technisch, wirtschaftlich und nun auch politisch in ein unerfreuliches Fahrwasser geraten. Dieses Projekt ist aber zu wichtig, als dass es auf Dauer riskiert werden dürfte. Wir brauchen den Digitalfunk in Deutschland schnellstmöglich, doch ich bezweifle, dass der von der Bundesregierung eingeschlagene Weg wirklich zum Ziel führt. Der Ausschluss sämtlicher Mitbewerber von EADS durch das Beschaffungsamt hat mehr als ein Geschmäckle. Die laut „Spiegel“ von einem Mitbewerber aufgeworfene Frage, ob nicht auch EADS aufgrund strafrechtlich relevanter Handlungen im Vergabeverfahren auszuschließen gewesen wäre, ist bislang nicht überzeugend beantwortet worden. Dass alle anderen Mitbewerber, die ja sämtlich keine Nullachtfünfzehn-Unternehmen sind, ausgeschlossen wurden, zeigt, dass die Ausschreibungsbedingungen nicht nachvollziehbar waren. Obwohl die Bundesregierung immer wieder das Gegenteil behauptet: Der Eindruck ist unabweisbar, dass die Kosten für den Steuerzahler als eine zu vernachlässigende Größe angesehen werden. Im Jahr der größten Steuererhöhung in der deutschen Geschichte spielt Geld offensichtlich keine Rolle. Der Bürger wird einfach weiter geschröpft, privilegierte Konzerne können Monopolpreise für nicht garantierte Leistungen verlangen. ({0}) Was für das Vergabeverfahren als Ganzes gilt, gilt im Detail auch für die geplante Einrichtung der Bundesanstalt für den Digitalfunk. Es ist nicht ersichtlich, warum die im Gesetzentwurf der Bundesanstalt zugewiesenen Aufgaben nicht ebenso von einem entsprechenden Stab im Bundesinnenministerium erledigt werden können. Wir brauchen keine Vielzahl neuer Dienstposten, sondern eine effiziente Ausgestaltung der Digitalfunkeinführung. Die Kosten für eine Bundesanstalt von wenigstens 3 Millionen Euro jährlich sind überflüssig. Auch teilen wir nicht den Optimismus, dass die zusätzlichen Personalkosten über den Wegfall von Planstellen im BMI finanziert werden können. Die Erfahrung mit der Gründung neuer Behörden spricht eindeutig dagegen. ({1}) Die Steuerung der Digitalfunkeinführung kann sehr gut in Zusammenarbeit mit Privatunternehmen erfolgen. Das geht besser als durch jede neue Behörde. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die neue Bundesregierung nimmt die dringend notwendige Einführung der Digitalfunktechnik für die BOS zum Anlass, mit nachhaltiger Wirkung das Geld der Steuerzahler zum Fenster hinauszuwerfen. Zudem werden die Länder mit unzumutbaren Kosten belastet. Neben der Finanzierung des vom Bundesrumpfnetz nicht abgedeckten Flächennetzes, das erheblich teurer als das Netz der DB Telematik werden wird, kommt auf die Länder aber noch der Kampf bei der Errichtung der zusätzlichen Sendemasten zu. Schon gegenüber der Errichtung der normalen Mobilfunkmasten sind die Bürgerinnen und Bürger sehr kritisch eingestellt. Der Widerstand wird bei den noch größer dimensionierten BOS-Digitalfunkmasten sicher nicht geringer werden. Hartfrid Wolff ({2}) Die FDP hat erhebliche Bedenken gegen die Gründung der Bundesanstalt und vor allem gegen die Art und Weise, wie die Bundesregierung hinsichtlich der schnellstmöglichen Einführung des Digitalfunks durch mögliches Missmanagement und ein fragwürdiges Vergabeverfahren insgesamt Risiken eingeht. ({3}) Da nach all dem, was man in der Öffentlichkeit erfährt, dies rechtlich bedenklich ist - das ist nur vorsichtig ausgedrückt -, wächst mein Verständnis für diejenigen, die nach einem sicheren Neustart für das Projekt rufen. Durch eine neue Ausschreibung können nicht nur die Kosten für den BOS-Digitalfunk reduziert werden, sondern auch die technische Verlässlichkeit und die baldige Einführung sichergestellt und gegebenenfalls sogar noch beschleunigt werden. Dabei muss im Rahmen einer größeren Technikoffenheit ausdrücklich auch der GSMStandard als Möglichkeit einbezogen und eine Vorfestlegung vermieden werden können. Wir sollten im Interesse der Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger und vor dem Hintergrund der Haushaltslage schnellstmöglich die beste, aber auch preiswerteste und wirtschaftlichste Technik in Deutschland umsetzen. Vielen Dank. ({4})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Gerold Reichenbach, SPD-Fraktion.

Gerold Reichenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003615, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Die Errichtung der Bundesanstalt für den Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg, ein Herzstück unseres Sicherheitsbereichs, nämlich die Kommunikation und den Datenaustausch, zu modernisieren. Das ist, was Umfang, Organisation und Kosten betrifft, eine große Aufgabe; denn anders als in den übrigen europäischen Ländern wollen wir in Deutschland ein bereits bestehendes flächendeckendes und integriertes Funksystem von der alten analogen auf die neue Digitaltechnik umstellen. Das ist bisher einmalig. Zwar hat man in vielen Ländern Europas den Digitalfunk inzwischen eingeführt - darauf wird in der Debatte immer wieder süffisant verwiesen -, aber bisher nur als Insellösung oder als Teilfunknetze. Unsere europäischen Nachbarländer sind erst dabei, auf dieser Basis integrierte Gesamtlösungen zu planen und umzusetzen. Die Einführung des flächendeckenden Digitalfunks ist aber nicht nur vom Umfang her, sondern auch in ihrer Komplexität eine gewaltige Aufgabe. An diesem Prozess sind entsprechend unserer föderalen Struktur im Sicherheitsbereich mehrere Aufgabenträger beteiligt. Dies sind der Bund und die Länder in der polizeilichen Gefahrenabwehr und in der nicht polizeilichen Gefahrenabwehr kommen die Gemeinden und Hilfsorganisationen hinzu. Bereits jetzt gibt es einen Lenkungsausschuss mit über 100 Mitgliedern. Wer glaubt, diese Aufgabe mit einer Stabsstelle im Ministerium bewältigen zu können, der irrt. Die Notwendigkeit, ein digitales Netz einzuführen, ist unter Sicherheitsexperten unumstritten. Der Digitalfunk bietet gegenüber dem analogen System vor allem die seit langem geforderte Abhörsicherheit, einen höheren Kommunikationskomfort, die Möglichkeit des Datentransports und damit die Möglichkeit neuer zusätzlicher Anwendungen. Mit einem Wort: Er bietet die Möglichkeit der besseren Organisation und des effektiveren Managements in unserem Sicherheitsbereich. Dies ist gerade im Hinblick auf Katastrophen oder Großschadenslagen ein wesentlicher Punkt. Dass dieser Prozess bisweilen ins Stocken geraten ist, mag zu bedauern sein. Das ist aber auch nicht ganz verwunderlich. Es geht um die Finanzierung - wir sprechen hier von einem Investitionsvolumen von insgesamt mehreren Milliarden Euro - und um Zuständigkeiten. Nicht selten hängt das eine mit dem anderen zusammen, wie wir ja auch bei der Föderalismusreform gelernt haben. Seit März letzten Jahres hat das Großprojekt aber wieder Fahrt aufgenommen; denn das Angebot des Bundes an die Länder, 50 Prozent der Gesamtkosten zu übernehmen, obwohl sein Nutzervolumen nur knapp 20 Prozent beträgt, hat wieder Schwung in die Sache gebracht. An dieser Stelle darüber zu reden, dass der Bund Kosten auf die Länder abwälzt, scheint mir nur möglich zu sein, wenn man das deutsche Gefahrenabwehrsystem und seine Beteiligten nicht sehr gut kennt. ({0}) Dass wir heute hier stehen und den Weg für die Errichtung einer Bundesanstalt frei machen, zeigt, dass alle Akteure die gewonnene Dynamik beibehalten wollen, auch wenn es, um im Bild zu bleiben, genau vor einem Jahr etwas überflüssige Bremsspuren bei diesem Gesetz gab, als nämlich ein im Grundsatz identisches Gesetz der rot-grünen Koalition im Bundesrat abgelehnt wurde. Gut ist, dass sich die Länder inzwischen auf ein Verwaltungsabkommen zu dem vorliegenden Gesetzentwurf geeinigt haben, mit dem die Bundesanstalt operativ tätig werden kann. Mit unserem Änderungsantrag kommen wir auch den Bedenken der Länder im Bundesrat entgegen, indem wir klarstellen, dass die Anstalt nicht kreditermächtigt sein wird. Dies dient auch der Haushaltsklarheit und -wahrheit. Als positiv empfinde ich es weiterhin, dass die Organisationsform als Bundesanstalt mit hoheitlichem Charakter außer vielleicht bei der FDP inzwischen nicht mehr wirklich streitig ist. Bei ihr habe ich aber ohnehin den Eindruck, dass sie erst dann zufrieden sein wird, wenn wir auch das Bundeskanzleramt privatisiert haben. Auch der hessische Staatssekretär Lemke, der in der letzten Legislaturperiode noch einer der heftigsten Kritiker des Gesetzes und der Bundesanstalt war, hört sich zu Hause inzwischen anders an. Ausweislich des „Darmstädter Echos“ erklärte Staatssekretär Lemke gegenüber Vertretern von Feuerwehr und Rettungsdiensten im Landkreis Bergstraße, dass das Projekt einen Betreiber erfordere, der aus Sicherheitsgründen unter staatlicher Aufsicht stehen müsse. - Dem ist nichts hinzuzufügen. Das war schon immer unsere Sichtweise: Nur eine Bundesanstalt mit hoheitlichen Befugnissen besitzt auch die Eingriffsrechte, um den Betrieb des Netzes jederzeit überwachen oder notfalls per Ersatzvornahme sicherstellen zu können. Es ist richtig, dass wir einen solchen zentralen Sicherheitsbereich nicht allein dem Wirtschaftsrecht überlassen dürfen. Mit der Errichtung der Bundesanstalt haben wir zudem eine einheitliche Anlaufstelle für die Wirtschaft geschaffen. Wir erhalten damit die organisatorischen Voraussetzungen dafür, die Interessen aller Nutzer des Digitalfunks gegenüber seinen Auftragnehmern zu bündeln. Außerdem wird es die Aufgabe der Bundesanstalt sein, die technische Weiterentwicklung in den kommenden Jahren und Jahrzehnten zu begleiten, und sie garantiert die angemessene Beteiligung der Länder nicht nur bei der Einführung, sondern auch bei der Weiterentwicklung der Technik und des Netzes. Auch das Vergabeverfahren zur Auswahl desjenigen Unternehmens, das das Netz mit der notwendigen Systemtechnik ausstatten wird, läuft nach meinem Kenntnisstand allen Unkenrufen zum Trotz planmäßig. Die in der Presse aufgetauchten Gerüchte kann und will ich nicht kommentieren. Ich will mich hier auch nicht zum Fürsprecher einzelner Bieter oder unterlegener Bieter machen. Ich denke, sie alle haben auch noch eine rechtliche Möglichkeit. Das sollten wir im Parlament nicht tun. ({1}) Wir haben uns im Interesse der Sache mit Fakten und nicht mit Gerüchten zu beschäftigen. Das Ministerium hat dafür zu sorgen - ich habe keinen Zweifel daran, dass es das tut -, dass das Verfahren korrekt umgesetzt wird. Dafür ist es dem Parlament gegenüber verantwortlich, und zwar auch, um mögliche Verzögerungen durch langwierige Konkurrentenklagen auszuschließen. Natürlich steht in einem Rechtsstaat jedem in einem Vergabeverfahren Unterlegenen der Weg der rechtlichen Überprüfung frei. Daran ist auch nichts Ehrenrühriges oder Skandalöses. Bislang wurde die korrekte Durchführung des Verfahrens durch das Ministerium aber noch nirgendwo angezweifelt. Vergleiche mit den Problemen, wie sie bei der Einführung des Mautsystems entstanden sind, halte ich übrigens für unangebracht. Wir werden nicht in eine Sicherheitslücke laufen. Wir haben nach wie vor einen funktionstüchtigen integrierten Analogfunk für die Behörden und Organisationen im Sicherheitsbereich. Dieser Analogfunk wird nicht zu einem festen Zeitpunkt abgeschaltet. Er wird nur in dem Maße zurückgefahren, wie der moderne Digitalfunk in die einzelnen Ebenen migriert. Nichtsdestotrotz ist es unsere Aufgabe, weitere unnötige Verzögerungen bei der Umsetzung des neuen Funksystems auszuschließen; denn mit der neuen Technik sind auch qualitative Verbesserungen für die innere Sicherheit zu erreichen, und dies natürlich möglichst früh. Wir werden alles tun, was in unserer Verantwortung liegt, um den vorgegebenen Zeitplan einzuhalten und das BOS-Netz bis 2010 einzuführen. Entscheidend für den endgültigen Aufbau und die künftige Weiterentwicklung des neuen Funknetzes ist meiner Meinung nach auch, dass wir einen breiten Wettbewerb bei den Endgeräten gewährleisten. Deshalb ist es richtig, Netz- und Systembetrieb getrennt zu vergeben und dafür zu sorgen, dass die Schnittstelle zu den Endgeräten offen bleibt. Genau durch dieses Konstrukt erhalten wir einen Wettbewerb der Preise und einen Wettbewerb bei der Weiterentwicklung, was nicht zuletzt den Kommunen und Hilfsorganisationen bei der Beschaffung zugute kommt. Das Bundesministerium hat mehrfach betont, dass es diesen Wettbewerb bei den Endgeräten befürwortet und deshalb auch bei der Vergabe sicherstellen wird. Im Aufbau und in der Weiterentwicklung des Digitalfunks in Deutschland sowie in den Milliardeninvestitionen, die in den nächsten Jahren gemeinsam von Bund, Ländern und den anderen Trägern geleistet werden, sehe ich auch eine gute Chance für den Mittelstand und die Arbeitsplätze dort. Auch das sollte ruhig einmal an dieser Stelle gesagt werden. ({2}) Mit der heutigen Verabschiedung des Gesetzentwurfs werden wir wieder im Tritt sein. Darum halten wir an dem Ziel fest, bis zum Jahre 2010 das digitale integrierte BOS-Netz vollständig ausgebaut zu haben. ({3}) Damit werden wir die Sicherheit in unserem Lande weiter verbessern. Der hier vorliegende Gesetzentwurf ist der nächste fällige Schritt, damit das digitale BOS-Netz für Deutschland ein Erfolg wird. Darum bitte ich um Ihre Zustimmung. ({4})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Kollegin Silke Stokar von Neuforn, Bündnis 90/Die Grünen.

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, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe bereits in meiner Rede zur Einbringung des Gesetzentwurfs gesagt, dass wir diesem Gesetzentwurf der Bundesregierung zustimmen werden. ({0}) Ich halte nach wie vor - es wurde hier bereits richtig gesagt, dass die Grundlagen unter Rot-Grün erarbeitet wurden - die Rechtsform einer Bundesanstalt für die richtige Lösung. Es ist eine staatliche, hoheitliche Aufgabe, den Funkverkehr der Sicherheitsbehörden zu gewährleisten. Aus diesem Grunde lehnen wir den Antrag der FDP ab. Wir wollen nach den jahrelangen Querelen zwischen Bund und Ländern nicht erneut in die Suche nach Alternativen zur Gründung einer Anstalt einsteigen. Hier ist schon viel zu viel Zeit verloren worden. Ich habe gelacht, Herr Kollege Reichenbach, weil Sie in Ihrer letzten Rede zum Digitalfunk gesagt haben, dass Sie sicher seien, dass er 2006 eingeführt werde. Jetzt sind wir bei 2010. Ich meine aber, dass wir alle gemeinsam zur Fußball-WM 2006 Anstrengungen unternehmen müssen, das Sicherheitsdefizit des analogen Funkverkehrs tatsächlich abzubauen. Wir unterstützen die Rechtsform einer Bundesanstalt auch, weil wir die Kooperation mit den Ländern wollen. Herr Kollege Wolff von der FDP, ich fand Ihre Rede populistisch, ({1}) auch angesichts der Zustimmung aller FDP-mitregierten Länder, die dem Verwaltungsabkommen mittlerweile beigetreten sind und die auch dieser Rechtsform zustimmen werden. Im Gesetzentwurf steht nichts zu den laufenden Vertragsverhandlungen. Ich habe es bereits im Innenausschuss sehr deutlich gesagt: Wir als grüne Fraktion gehen nicht in Mithaftung für das damals sehr eigensinnige und eigenwillige Verhandeln des Bundesinnenministers Schily. Ich erinnere mich noch sehr gut an die gemeinsame Pressekonferenz, die eine Farce war. Es gab einen öffentlichen Händedruck zwischen Bundesinnenminister Schily und Bahnchef Mehdorn. Zwischen ihnen lag ein Papier, in das niemand einen Blick werfen durfte. Ich fand es interessant, was ich im Nachhinein über diesen Handschlag gelernt habe: Der öffentliche Handschlag des Bundesinnenministers war nichts anderes als eine visualisierte Absichtserklärung ohne juristische Bindung. ({2}) Heute weiß ich: Damit wurden Nebelkerzen gegenüber dem Parlament geworfen und ein unangemessener Druck auf die Länder ausgeübt. Wir unterstützen Punkt 2 des FDP-Antrages. Auch wir haben im Innenausschuss ausdrücklich eine stärkere Transparenz hinsichtlich der Folgekosten gefordert. Der Finanzausschuss des Bundesrates hat dazu Aufklärungsbedarf angemeldet. Die Bundesregierung wird nicht erneut mit dem Parlament so umgehen können wie bei dem Toll-CollectVertrag bei der Einführung der Maut. Wir verlangen als Abgeordnete, dass wir - bevor wir bei der Haushaltsplanung die Hand für Investitionen in Milliardenhöhe heben - vor dem Abschluss von Verträgen Einblick in die Verträge nehmen können und dass keine Vertragsklauseln zulässig sind, die Transparenz und Offenheit gegenüber dem Parlament verhindern. ({3}) Wir wollen genauso wie die FDP saubere Ausschreibungs- und Vergabeverfahren. Dann kommen wir gemeinsam dem Ziel einer höheren Sicherheit durch den digitalen Polizeifunk näher. Hier unterstützen wir Ihre Forderungen. Aber wegen ihrer Privatisierungsbestrebungen und wegen ihres Populismus lehnen wir den Antrag der FDP ab. Danke. ({4})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Ralf Göbel, CDU/CSUFraktion. ({0})

Ralf Göbel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003535, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute reden wir in diesem Hohen Hause zum wiederholten Male seit dem Jahre 2002 über den Digitalfunk. Ich bin froh, dass wir hinsichtlich der inneren Sicherheit und der Verbesserung der Kommunikationsmöglichkeiten unserer Sicherheitsbehörden endlich einen Schritt weiter kommen. Dies war dringend notwendig. Herr Wolff, wenn man danach ginge, was Sie an Bedenken und Einwänden vorgetragen haben, müssten wir dieses Verfahren eigentlich nicht weiterverfolgen. Wir könnten uns freuen, wenn wir vielleicht bis zur übernächsten Fußball-WM in Deutschland den Digitalfunk eingeführt hätten. Die Gründung der Bundesanstalt ist eine wichtige Voraussetzung, um dieses Verfahren weiterzuverfolgen. Dazu ist schon viel gesagt worden. Die Realisierung des Projekts ist längst überfällig. Ich will ohne Schuldzuweisung feststellen, dass das keine Sternstunde des Föderalismus in Deutschland war, was die innere Sicherheit betrifft. Wer dieses Verfahren seit zehn Jahren beobachtet, kommt nicht umhin, alles, was in diesen Jahren passiert ist, zumindest mit einem Stirnrunzeln zu betrachten. ({0}) Ich will nicht weiter in die Vergangenheit zurückblicken; ich will vielmehr darauf eingehen, wie weit wir gekommen sind und was wir in Zukunft tun wollen. Über die Vergabe der Systemtechnik und des Betriebes wird in den kommenden Wochen entschieden. Wir haben es bereits im Innenausschuss erörtert, Herr Staatssekretär: Ich bin sehr froh darüber, dass uns das Bundesinnenministerium eine sehr große Transparenz zugesagt hat. Das ist neu; das kannten wir in der Vergangenheit nicht. Wir werden das Verfahren konstruktiv und kritisch begleiten. Übrigens, Herr Wolff, ich war auf der CeBIT bei allen Digitalfunkanbietern. Aber kein einziger Anbieter hat die Qualität der Ausschreibungsunterlagen infrage gestellt. Alle Anbieter haben gesagt, dass das Bundesinnenministerium und das zuständige Beschaffungsamt die Unterlagen mit großer Professionalität erstellt haben. Insoweit geht die von Ihnen geäußerte Kritik ins Leere. ({1}) Der Bundestag wird demnächst die finanziellen Voraussetzungen beschließen. Die Haushaltsmittel sind bereitgestellt. Bund und Länder haben am 11. Mai dieses Jahres ein Verwaltungsabkommen paraphiert, das die Zusammenarbeit bei Aufbau und Betrieb des Digitalfunks regelt. Wir brauchen eine zentrale Stelle; denn wir bekommen ein hochkomplexes Netz mit einer unglaublichen Vielzahl an Nutzern. Wenn das stimmt, was uns alle Anbieter sagen, dann ist es das komplexeste und größte Netz weltweit. Wenn es uns gelingt, dieses professionell zu errichten, dann wird es nicht nur einen positiven Impuls für die Sicherheitsbehörden haben, sondern auch einen positiven industriepolitischen Impuls, der die daran beteiligten Unternehmen auf ganz andere Weise qualifiziert. Die Innenministerkonferenz hat ebenfalls angeregt, eine BOS-Stelle einzurichten. Nun lässt sich über die Organisationsform trefflich streiten. Ich persönlich hätte nicht eine Stabsstelle beim Bundesinnenministerium, sondern eine privatrechtliche Organisationsform bevorzugt, weil dann flexibleres Handeln möglich gewesen wäre. Auf der anderen Seite ist zu bedenken, dass die zu errichtende Bundesanstalt hoheitlich tätig werden soll. Wir brauchen einen hoheitlichen Zugriff auf die Netze. Insofern ist die Bundesanstalt geeignet. Herr Kollege Reichenbach, der nun vorliegende Gesetzentwurf ist nicht mit dem identisch, mit dem wir uns im letzten Jahr befasst haben. Der entscheidende Unterschied ist - das ist bei der Anhörung im letzten Jahr deutlich geworden -, dass wir mit dem nun abgeschlossenen Verwaltungsabkommen eine genaue Definition der Rechte und Pflichten der Länder haben. Wenn wir schon damals, als es dieses Abkommen noch nicht gab, die Errichtung einer Bundesanstalt beschlossen hätten, hätten wir gar nicht gewusst, wie diese hätte verfasst und strukturiert sein sollen. Insoweit sind die Bedenken der damaligen Sachverständigen ausgeräumt. Herr Wolff, Sie kritisieren das paraphierte Verwaltungsabkommen und sagen, es gebe so viele Probleme mit dem Verfahren, dass wir eigentlich sofort abbrechen müssten. Aber Ihr Innenminister in Nordrhein-Westfalen hat dieses Abkommen paraphiert, hält es für rechtlich völlig bedenkenlos und ist froh, dass nun der Digitalfunk auch in Nordrhein-Westfalen eingeführt wird. Insoweit hat Frau Stokar Recht: Ihre Kritik ist nichts anderes als eine populistische Äußerung. Wenn Sie von der FDP schon einmal für die innere Sicherheit in einem Bundesland zuständig sind, sollten Sie auch für einen Informationsaustausch zwischen Bundestagsfraktion und Landesinnenminister sorgen. Dann könnten wir auf gleicher Ebene miteinander sprechen. ({2}) Ich möchte zum Schluss meiner Redezeit noch einen Dank loswerden. Er gilt dem Bundesinnenminister und all denjenigen, die das Verwaltungsabkommen erarbeitet haben. Ich habe den Eindruck, dass auf der Innenministerkonferenz und in das Verhältnis zwischen Bund und Ländern ein neuer Klang Einzug gehalten hat. Das Verhältnis ist nicht mehr so sehr von Konfrontation, sondern von Kooperation geprägt. Der Bundesinnenminister nimmt auf der Innenministerkonferenz wieder die Stellung ein, die er eigentlich innehaben sollte

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, das ist ein langer Dank. Schauen Sie auf die Uhr.

Ralf Göbel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003535, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

- ich komme sofort zum Ende -, nämlich die Stellung eines Gastes, der Impulse gibt und alles vorantreibt, was der inneren Sicherheit dient, so auch den Digitalfunk. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Die Kollegin Ulla Jelpke von der Fraktion Die Linke hat ihre Rede zu Protokoll gegeben. Deshalb schließe ich die Aussprache.1) Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die Errichtung einer Bundesanstalt für den Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufga- ben, Drucksachen 16/1364 und 16/1610. Der Innenaus- schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/1683, den Gesetzentwurf in der Aus- schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthal- tungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Bera- tung mit den Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der CDU/CSU bei Gegenstimmen der Frak- tionen der Linken und der FDP angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzent- wurf ist mit demselben Stimmenergebnis wie in der zweiten Beratung angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- ßungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/1703. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsan- trag ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grü- nen und CDU/CSU bei Gegenstimmen der FDP und der Fraktion Die Linke abgelehnt. 1) Anlage 18 Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Christine Scheel, Kerstin Andreae, Dr. Gerhard Schick, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Individualbesteuerung mit übertragbarem Höchstbetrag von 10 000 Euro - Drucksache 16/1152 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({0}) Rechtsausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss Die Kolleginnen Patricia Lips, Petra Hinz ({1}), Dr. Barbara Höll und Christine Scheel sowie der Kollege Carl-Ludwig Thiele haben ihre Reden zu Protokoll gege- ben.1) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/1152 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf: Vereinbarte Debatte Zu den Fortschrittsberichten zu Bulgarien und Rumänien sowie zur aktuellen Entwick- lung auf europäischer Ebene Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Staats- minister Günter Gloser.

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Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Der Beitritt Rumäniens und Bulgariens bildet den Abschluss der fünften Erweiterungsrunde der Euro- päischen Union. Er stellt damit - das muss immer wieder betont werden - in historischer Perspektive einen konse- quenten Schritt hin zum Zusammenwachsen Europas nach der überwundenen Teilung in Ost und West dar. Auch wenn es manchmal in Vergessenheit geraten ist: Die Beitrittsländer haben unter großen Anstrengungen in den Jahren nach der Zeitenwende von 1989 ihre politi- sche, wirtschaftliche und rechtliche Entwicklung an dem Standard der Europäischen Union ausgerichtet. Die Bundesregierung hat den Beitritt der mittel- und osteuropäischen Staaten zur Europäischen Union von Anfang an unterstützt und gefördert. Dieser Politik liegt die Erkenntnis zugrunde, dass es eine historische Verant- wortung Deutschlands gibt, zur Überwindung der Tei- lung Europas beizutragen, die das Ergebnis des vom na- 1) Anlage 19 tionalsozialistischen Deutschland ausgehenden Zweiten Weltkrieges war. Die Einigung Europas liegt aber gerade im Interesse Deutschlands, dessen Mittellage in Europa oft tragische Auswirkungen gehabt hat, und das sich jetzt erstmals in seiner Geschichte nur noch von Staaten umgeben findet, mit denen es freundschaftlich verbunden ist. Für den Beitritt sprechen aber auch politische und wirtschaftliche Vorteile in beide Richtungen. Die Aufnahme von Bulgarien und Rumänien erhöht die Sicherheit in der Region und in Europa, erschließt neue Märkte und Handelsbeziehungen, wiederum in beide Richtungen. Ich füge hinzu: Sie stärkt, ergänzt und bereichert aber auch die kulturelle Vielfalt in Europa. Voraussetzung für einen Beitritt aber ist und bleibt: Die Beitrittsländer müssen die 1993 in Kopenhagen aufgestellten politischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Kriterien erfüllen. Nur so kann der Beitritt für beide Seiten zum gemeinsamen Vorteil gereichen. Die Bundesregierung wird darauf bestehen, dass dies von der Kommission konstant überwacht wird. Ich glaube aber auch an dieser Stelle sagen zu können: Die von der Europäischen Kommission am 16. Mai vorgelegten Monitoring-Berichte sind eine objektive und ehrliche Bestandsaufnahme der Beitrittsvorbereitungen von Bulgarien und Rumänien. Gegenüber dem letzten Jahr haben beide Länder erhebliche Fortschritte bei ihren Vorbereitungen auf den EU-Beitritt erzielt. Besonders weit ist dabei Rumänien, das die Bereiche, in denen, wie es definiert wird, „ernste Besorgnis“ hinsichtlich der Beitrittsreife besteht, von 14 auf vier deutlich reduzieren konnte. Verstärkte rumänische Anstrengungen sind noch in Teilbereichen der Landwirtschaft und bei der Umsetzung des EU-Mehrwertsteuersystems erforderlich. Dabei handelt es sich aber vorwiegend - auch das sollte unterstrichen werden - um technische Fragen. Diese können nach Auffassung der Bundesregierung bis zum 1. Januar 2007 mit vermehrten Anstrengungen geregelt werden. Bulgarien, das andere Land, hat die Zahl der Bereiche, in denen die ernste Besorgnis hinsichtlich der Beitrittsreife bestand, ebenfalls deutlich von 16 auf sechs reduziert. Neben Defiziten in Teilbereichen der Landwirtschaft geben allerdings besonders die fehlenden Fortschritte im Bereich Justiz und Inneres, bei der Bekämpfung von Korruption, organisierter Kriminalität und Geldwäsche, Anlass zur Sorge. Notwendige Rechtsvorschriften sind bereits erlassen worden, doch es fehlen die vorzeigbaren Resultate bei ihrer Umsetzung. Auch das ist ein Punkt, den wir in vorangegangenen Beitrittsphasen erlebt haben. Insofern ist der Appell an beide Länder richtig und wichtig, allen Nachdruck darauf zu legen, dass die Vorschriften auch umgesetzt werden. Die erreichten Fortschritte zeigen, dass das Monitoring-Verfahren der Kommission die gewünschten Resultate erzielt. Die Europäische Kommission hat ihre Empfehlungen für den Beitritt zum 1. Januar 2007 mit der Bedingung verbunden, dass beide Länder bis zum Herbst konkrete Fortschritte in den Bereichen mit DefiStaatsminister Günter Gloser ziten erzielen. Damit werden zum einen die bereits erreichten Fortschritte der Beitrittsländer anerkannt - das ist wichtig -, zum anderen bleibt aber der Druck auf die Beitrittsländer aufrechterhalten, ihre Reformbemühungen fortzusetzen und auch substanziell zu verstärken. Darüber hinaus behält sich die Kommission das Recht vor, Schutzmaßnahmen zu ergreifen, die sicherstellen, dass negative Auswirkungen noch verbleibender Defizite, zum Beispiel auf den Binnenmarkt, verhindert werden. Diese Maßnahmen können bis zu drei Jahre nach dem Beitritt ergriffen werden und auch noch darüber hinaus angewandt werden. Es kann zum Beispiel - das ist gelegentlich auch bei uns in der öffentlichen Debatte ums Geld schon deutlich geworden - die Auszahlung von EU-Geldern gesperrt werden, wenn die Voraussetzungen für eine Kontrolle der Verwendung dieser Gelder in den Beitrittsländern nicht sichergestellt ist, oder es können steuerliche Grenzkontrollen aufrechterhalten werden, wenn die Mehrwertsteuererhebung in den Beitrittsländern eben nicht EU-konform ist. Wir begrüßen, dass der Beitritt beider Länder in greifbare Nähe gerückt ist. Wir sehen aber noch erheblichen Reformbedarf in beiden Ländern. Die verbleibende Zeit bis zum Beitritt und darüber hinaus muss für weitere substanzielle und nachhaltige Reformen genutzt werden. Es darf nicht bei politischen Willensbekundungen bleiben, vielmehr müssen die gesetzlichen Maßnahmen auch verabschiedet und umgesetzt werden. Die Bundesregierung hat mit der Weiterleitung des Entwurfs des Vertragsgesetzes an den Bundesrat alles Erforderliche getan, um die rechtzeitige Ratifizierung des Beitrittsvertrages zu ermöglichen. Das Verfahren liegt nun in den Händen von Bundesrat und Bundestag. Es ist gewährleistet, dass beide, Bundestag wie Bundesrat, die abschließende Entscheidung auch in Kenntnis des Monitoring-Berichtes, dessen Vorlage für den Herbst vorgesehen ist, wie wir es auch in der Koalitionsvereinbarung ausgedrückt haben, treffen können. Wir sind daher zuversichtlich, dass Deutschland die Ratifizierung rechtzeitig bis zum Jahresende abschließen kann. Beim informellen Treffen der Außenminister am vergangenen Wochenende in Österreich war man sich darüber einig, dass eine grundsätzliche Debatte über die Erweiterung notwendig ist. Aus unserer Sicht soll diese Debatte spätestens während der finnischen Präsidentschaft zum Abschluss gebracht werden. Die österreichische Präsidentschaft wird ihrerseits die Kommission bitten, zusammen mit dem Erweiterungspaket im Herbst einen umfassenden Bericht zur Aufnahmefähigkeit der EU vorzulegen. Auf der Grundlage dieses Berichts soll der Europäische Rat im Dezember die Grundsatzdebatte über die Erweiterung fortführen und mit seinen Schlussfolgerungen Ergebnisse produzieren. Die Bundesregierung unterstützt diesen Fahrplan. Aus unserer Sicht ist die Grundsatzdebatte notwendig und kommt zum rechten Zeitpunkt. Wir brauchen für die Erweiterung einen erneuerten Ansatz, der eine Fortsetzung des Erweiterungsprozesses mit Augenmaß ermöglicht. Der zu erwartende Bericht der Kommission zur Aufnahmefähigkeit ist deshalb willkommen. In der nationalen Debatte - ich komme zum Schluss kommt zunehmend ein deutliches Maß an Unsicherheit und Besorgnis der Bürger über die Zukunft Europas zum Ausdruck. Es ist klar: Wir werden stärker als bisher darüber nachdenken müssen, wie wir den Menschen wieder das Gefühl geben, in einer Union zu leben, die ihnen gerade im Zeitalter der Globalisierung langfristig Wohlstand und soziale Sicherheit garantiert. Das ist unsere gemeinsame Verantwortung. Vielen Dank. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Markus Löning, FDP-Fraktion. ({0})

Markus Löning (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003583, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen! Bevor ich zu Bulgarien und Rumänien komme, möchte ich ein anderes Thema kurz ansprechen, das auf dem Rat in zwei Wochen ebenfalls eine Rolle spielen wird: Der Rat plant, eine weitere Behörde ins Leben zu rufen. Wir hatten dieses Thema gestern im Europaausschuss und waren uns unter den Fraktionen eigentlich einig, dass wir das nicht wollen. Wir brauchen keine weitere EU-Behörde, und sei es eine, die sich um die Grundrechte kümmert. Da sollen 29 Millionen Euro in die Hand genommen werden. Wofür? Es kann nicht sein, dass die Österreicher meinen, sich ihre Präsidentschaft mit einer eigenen Behörde in Wien krönen zu müssen. Wir haben den Europarat, der sich sehr gut um die Grundrechte, um die Einhaltung der Menschenrechte kümmert. Es wäre schlauer, den Europarat zu stärken, als eine eigene Agentur zu gründen. ({0}) Außerdem haben wir in unseren Ländern selbstverständlich die Gerichte, die sich um die Einhaltung der Grundrechte kümmern. Diese Behörde ist überflüssig wie ein Kropf. Herr Gloser, bitte geben Sie das an den Außenminister und die Kanzlerin weiter. Wir brauchen dieses Ding nicht und die Bundesregierung kann es verhindern; sie muss es einfach nur ablehnen. ({1}) Ich glaube, das ist etwas, woran wir uns in der Europapolitik generell stärker orientieren sollten: Wir sollten nicht so sehr auf Bürokratie setzen, sondern mehr auf Erfolge. Ich werde das hier immer wieder sagen, auch wenn es in Deutschland in der öffentlichen Debatte unpopulär ist: Die Osterweiterung ist ein Erfolg gewesen, ein Erfolg für Deutschland und für Europa. Das können wir nicht oft genug wiederholen. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner ({2}) Es ist falsch, wenn Stimmung gemacht wird aufgrund von Bildern, die zeigen, dass jemand seinen Arbeitsplatz verliert, weil dieser nach Polen verlagert wird; denn es wird nie der Arbeitsplatz gezeigt, der durch den Handel mit unseren neuen Mitgliedsländern entstanden ist. Durch den Handel, den die Osterweiterung nach sich zieht, sind unzählige Arbeitsplätze mehr entstanden. Der deutsche Groß- und Einzelhandel spricht von 50 000 Arbeitsplätzen, die durch die Osterweiterung und den Handel mit den neuen Ländern jedes Jahr entstehen. Das ist die Botschaft, die wir immer wiederholen müssen, wider Europamüdigkeit und den Widerstand derjenigen, die sagen, wir bräuchten die Erweiterung nicht, sie schade Deutschland. Das ist falsch. Die Erweiterung hat Deutschland genutzt. Sie hat uns wirtschaftlich genutzt und sie hat Arbeitsplätze nach Deutschland gebracht. Außerdem haben wir es mit der EU geschafft - Herr Gloser, Sie haben es angesprochen; wir vergessen das zu oft -, in den osteuropäischen Ländern in den letzten 15 Jahren eine Entwicklung in Gang zu setzen, die in der Geschichte Europas beispielhaft ist. Es ist außerordentlich, wie sich Länder aus der Diktatur befreit haben, wie sie zu Rechtsstaaten geworden sind und Marktwirtschaft eingeführt haben, wie sie stabile Demokratien installiert haben. Wir als Deutsche liegen mittendrin. Deshalb müssen wir, wenn irgendjemand über Europa meckert, das zurückweisen - wieder und wieder und wieder. ({3}) Ich möchte das jetzt ausdrücklich auch auf die Diskussion über Bulgarien und Rumänien beziehen. Olli Rehn hat einen sehr guten, ehrlichen Fortschrittsbericht vorgelegt. Er hat gezeigt, wo die Probleme sind. Es gibt eindeutig Probleme, insbesondere in Bulgarien, die sehr ernst genommen werden müssen. Es gibt aber auch - das muss ebenfalls gesagt werden - einen enormen Fortschritt in den beiden Ländern. Sie werden sicher verstehen, dass ich das als Liberaler mit einem gewissen Stolz sage. Bulgarien hat in den Jahren, in denen Simeon II. als Premierminister einer liberalen Regierung das Land geführt hat, enorme Fortschritte gemacht. Es hat sich an die europäischen Standards angenährt. Erst in der neuen Koalitionsregierung unter Beteiligung der Sozialisten geht es leider nicht mehr so gut vorwärts. Ich sage ungern, dass es nicht mehr so gut vorwärts geht. Aber ich sage mit Stolz, dass es die Liberalen in diesen Regierungen sind, die die Länder deutlich nach vorne gebracht haben. Das Gleiche gilt im Übrigen für unsere rumänischen Freunde, die seit dem Regierungsantritt von Ministerpräsident Popescu-Tăriceanu eine enorme Dynamik an den Tag gelegt und einen enormen politischen Willen gezeigt haben, die Probleme anzupacken und ihr Land nach vorne zu bringen und an die europäischen Standards anzugleichen. ({4}) Meine Damen und Herren, wir wollen, dass die beiden Länder zum 1. Januar 2007 Mitglieder der Europäischen Union werden. Es gibt aber noch die berühmten roten Fahnen - Herr Gloser, Sie haben sie genannt -, die teilweise technischer Natur sind. Wenn die Auszahlungsagentur der Rumänen für Landwirte nicht zum 1. Januar, sondern erst zum 1. März arbeitsfähig ist - die Rumänen sind aber mit voller Kraft dabei, den Termin einzuhalten -, dann ist es nicht unser Schaden, sondern es ist der Schaden der Rumänen selber, weil dann das Geld nicht fließen wird. Man muss in der Debatte deutlich machen, dass es bei der Bewertung der roten Fahnen, die da gesteckt werden, Unterschiede gibt. Man muss an dieser Stelle ebenfalls deutlich machen, dass es in Rumänen, aber insbesondere in Bulgarien große Defizite im Bereich der Korruptionsbekämpfung gibt. Wir sollten in allen unseren Gesprächen mit unseren bulgarischen Kollegen klar sagen: Es ist enorm wichtig, dass Bulgarien hier vom Fleck kommt. Was die Rechtsstaatlichkeit angeht und was die Bekämpfung von Korruption unter Führungskadern und unter führenden Persönlichkeiten angeht, muss sich Bulgarien ein Beispiel an Rumänien nehmen, wo inzwischen ein ehemaliger Ministerpräsident auf der Anklagebank sitzt. Von unseren bulgarischen Freunden müssen hier größere Anstrengungen unternommen werden. Das sollten wir ihnen immer wieder deutlich sagen. Ich möchte Bezug nehmen auf das, was Sie zur Ratifikation gesagt haben. Ich denke nicht, dass wir die Ratifikation von dem, was ich eben ausgeführt habe, abhängig machen sollten. Es ist wichtig, klar zu sagen: Wir ratifizieren bis Jahresende. Wir sind ja auch völkerrechtlich verpflichtet, das zu tun. Ob der Beitritt 2007 oder 2008 stattfindet, hängt nicht davon ab, dass wir ratifizieren. Ich glaube, dass wir uns aufgrund des von Olli Rehn jetzt vorgelegten Berichts, der durch Ehrlichkeit und Klarheit überzeugt, auf seinen Bericht im September verlassen können. Dann können wir ratifizieren und dann ist bis zum Jahresende alles durch. Vielen Dank. ({5})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Gunther Krichbaum, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Gunther Krichbaum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003573, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Allen Unkenrufen zum Trotz ist die Stimmung in Europa heute Abend besser als meine Stimme. Lassen Sie sich also bitte nicht irritieren, dass ich etwas heiser bin. Rückblende auf Weihnachten 1989. Diese Bilder gingen um die Welt: Der kommunistische Diktator Ceauşescu und seine Frau wurden von einem Militärgericht verurteilt und hingerichtet. Man kann sagen, dass in Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Rumänien und Bulgarien der letzte Teil des Eisernen Vorhangs in Europa fiel. Heute, fast 17 Jahre später, hat die Welt ihr Gesicht verändert. Wir haben die Teilung Deutschlands und die Teilung Europas überwunden. Die Teilung Deutschlands konnte aber nur deswegen überwunden werden, weil wir in einem gefestigten Europa leben. ({0}) Wie es damals der Traum der Deutschen war, die Teilung ihres Landes zu überwinden, war es der Traum der Rumänen und der Bulgaren, die europäische Teilung zu überwinden. Spätestens ab 1. Januar 2007 sind beide Länder fest in Europa integriert. Das ist ein Zugewinn, von dem alle profitieren. Für die Rumänen und für die Bulgaren bedeutet der Beitritt Stabilität in ihren Ländern. Angesichts der Ereignisse auf dem Balkan können auch wir kein größeres Interesse an einer Stabilität in diesen Ländern haben. ({1}) Ein Europa zu einen, in dem Frieden, Freiheit, Wohlstand und Demokratie garantiert sind, war stets das große Ziel von Staatsmännern wie de Gaulle und Adenauer und im späteren Verlauf von Helmut Schmidt, Giscard d'Estaing, Helmut Kohl und François Mitterrand. Ich bin mir ganz sicher, dass diese Politik von unserer Bundeskanzlerin Angela Merkel fortgeführt wird. Ich denke, das ist der Kontext, in dem die europäische Erweiterung stattfinden wird. Das ist das Fundament, auf dem die Erweiterung um Bulgarien und Rumänien stehen wird. Die Fortschritte, die beide Länder in den letzten Jahren gemacht haben - das wurde richtigerweise angesprochen -, sind enorm. Wir vergessen es leider noch allzu häufig bei den Alltagsproblemen, die natürlich zu Recht auch erwähnt werden müssen. Aber wenn man die Länder betrachtet, in Zeitabschnitten, also fünf Jahre, zehn Jahre und 15 Jahre, zurückgeht und diese Bilder nebeneinander hält, dann erkennt man umso deutlicher den Kontrast, wie sich beide Länder zu ihrem Vorteil verändert haben. Das dürfen wir bei den Alltagsproblemen, die sicherlich in diesen Ländern noch bestehen, nicht vergessen. Es bleibt eine Menge zu tun; das wurde richtigerweise von Ihnen, Herr Löning, aber auch von Ihnen, Herr Staatsminister Gloser, angesprochen. Insbesondere der Kampf gegen die Korruption steht in beiden Ländern ganz oben auf der Agenda. Wir brauchen in beiden Ländern ein besser funktionierendes Justizwesen. Hier bestehen noch große Probleme. Die Kollegin Frau Leutheusser-Schnarrenberger hat sich in diesen Themen, gerade was Rumänien und Bulgarien angeht, sehr engagiert. Eines der ganz großen Probleme insbesondere im Hinblick auf Bulgarien ist natürlich die organisierte Kriminalität. Dies muss man so deutlich ansprechen, wie sich das darstellt, und wir sollten hier unsere klaren Erwartungen an die Regierung bzw. an die Staatsführung formulieren. Wir erwarten hier null Toleranz. Denn letztlich werden Investoren gebraucht, um beide Länder weiter aufzubauen. Diese Investoren müssen sich auf verlässliche Rahmenbedingungen stützen können. Es ist aber auch so, dass wir unseren Bürgern gegenüber garantieren müssen, dass ihre Steuergelder, die einen großen Umfang einnehmen - Deutschland trägt zum EU-Haushalt circa 22 Prozent bei -, zweckentsprechend verwendet werden und nicht irgendwo in dunklen Kanälen versanden. Ich denke, wir sind es unseren Menschen hier im Land schuldig, Sorge dafür zu tragen, dass in diesen Ländern weiterhin Rechtssicherheit aufgebaut wird. Wir erwarten zudem entsprechende Anstrengungen in den Ländern. ({2}) In diesem Zusammenhang ein Satz dazu, was das Verfahren angeht. Ich glaube, wir alle sind nicht glücklich über den Umstand, dass man gesagt hat: Ein Beitritt erfolgt 2007, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind; wenn sie nicht erfüllt sind, dann automatisch 2008. Diese Formulierung war mehr als kontraproduktiv, wie wir heute wissen. Aber ich denke auch, man sollte die Kritik an diesem Verfahren nicht mit der Kritik an den betroffenen Ländern verwechseln. Man darf diese Kritik nicht einseitig bei den Ländern abladen. Die Frage, ob ein Beitritt 2007 oder 2008 erfolgt, stellt sich auch nicht. Für eine solche Verschiebung wäre im Falle Bulgariens Einstimmigkeit erforderlich. Diese Einstimmigkeit ist nicht zu erzielen. Es haben schon heute Länder wie Großbritannien, aber auch Österreich und Polen angekündigt, dass sie da nicht mitmachen werden. Auch im Falle von Rumänien, wo bereits eine qualifizierte Mehrheit ausreichen würde, stellt sich diese Frage nicht, weil die Reformanstrengungen in Rumänien heute weiter vorangekommen sind. Auch das hatten Sie, Herr Staatsminister Gloser, richtigerweise hervorgehoben. Wir haben andere Möglichkeiten. Wir haben Schutzklauseln, zu denen wir greifen können und sicherlich dann greifen müssen, wenn nach der Vorlage eines weiteren Monitoringberichts so genannte rote Flaggen ersichtlich bleiben. Denn hier muss schon um der Glaubwürdigkeit willen, was künftige Beitritte und künftige Erweiterungen angeht, reagiert werden. Denn wir müssen die Menschen bei allen späteren Erweiterungsschritten mitnehmen. Deswegen ist es wichtig, dass der Fortschrittsbericht bis Ende Oktober, wenn wir eine weitere Debatte zu diesem Thema führen werden, rechtzeitig vorliegt. Die Kommission hat bereits entsprechende Zusicherungen gemacht. Es muss in diesem Fortschrittsbericht genauso Klartext gesprochen werden, wie dies im Zwischenbericht der Fall war. Sicherlich wird es erforderlich sein, dass der Monitoringprozess, der sich sehr bewährt hat, fortgesetzt wird. Das wird - mir ist das völlig klar - nicht immer den Regierungen in den Ländern schmecken. Das größte Interesse daran, dass die Reformen weitergehen, haben die Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Menschen in den Ländern. Sie sind die eigentlichen Gewinner. Wir müssen natürlich auch an die Bürger unseres Landes denken, weil es sonst zunehmend zu einem Akzeptanzproblem kommen kann. Ich persönlich und wir alle hier im Hause können uns freuen, dass mit dem Beitritt von Bulgarien und Rumänien endgültig die Teilung Europas überwunden ist, dass wir hier in Frieden, in Sicherheit, in Stabilität leben können. Wenn man in andere Ecken dieser Welt blickt, erkennt man: Das ist keine Selbstverständlichkeit. Das kann Mut machen und Ansporn für manche Auseinandersetzung bei uns sein. Ich denke, man darf wirklich einmal zur Kenntnis nehmen, dass die Europäische Union von außen viel stärker eingeschätzt wird als von uns im Inneren. Es sollte uns ermutigen und dafür sorgen, dass wir eventuell bei mancher Diskussion gelassener bleiben. Vielen Dank. ({3})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Dr. Hakki Keskin, Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Hakki Keskin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003785, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Monitoringbericht der EU-Kommission über den Stand der Beitrittsvorbereitungen Bulgariens und Rumäniens vom Mai 2006 wird bestätigt, dass beide Länder die politischen Kriterien für einen EU-Beitritt erfüllen. Bulgarien und Rumänien haben seit dem Beginn der EU-Beitrittsverhandlungen im politischen, sozialen und gesellschaftspolitischen Bereich ganz erhebliche Erfolge erzielt. Zwar werden, wie wir bereits gehört haben, für einige Bereiche noch Defizite benannt; doch beide Länder sind fest entschlossen, die restlichen Mängel bis zu ihrem geplanten Beitritt am 1. Januar 2007 zu beheben. Hierbei muss Rumänien - auf den bisherigen Erfolgen aufbauend - die Rechtsstaatlichkeit voll zur Geltung bringen und den Kampf gegen Korruption entschieden fortführen. Bulgarien muss in erster Linie seine Justizreform konsequent vollenden. Vor allem Korruption und Kriminalität müssen weiter und weitaus entschiedener bekämpft werden. Trotz dieser Schwierigkeiten ist es wichtig, hier festzustellen, dass die Perspektive eines EU-Beitritts bei diesen Ländern zu einem großen Schub im Gesamtreformprozess und bei der Demokratisierung geführt hat. In beiden Ländern fand ein tief greifender Wandel statt. Wir brauchen auch in Südosteuropa politisch stabile, wirtschaftlich dynamische, gleichzeitig aber voll funktionsfähige sozialstaatliche Sicherungssysteme. Dies liegt zweifellos im Interesse der Europäischen Union, aber auch Deutschlands. Ich bin selbstverständlich der Meinung, dass die EU-Aufnahmekriterien erfüllt werden müssen. Allerdings darf es wegen der anhaltenden Schwierigkeiten in der EU nicht zu einer Blockadehaltung hinsichtlich des EU-Beitritts kommen. Es wäre auch nicht akzeptabel, den Beitrittsländern höhere Hürden für ihre EU-Mitgliedschaft aufzustellen. Es ist unbestritten, dass sich die EU in einer tiefen Vertrauenskrise bzw. Akzeptanzkrise befindet. Es wäre aber falsch, die Ursache des fehlenden Vertrauens in der EU-Erweiterung zu sehen. Sie hängt vielmehr mit der neoliberalen Grundorientierung der EU-Politik zusammen, die unsere Staatengemeinschaft als einen Wirtschaftsraum für ihre expansiven Kapitalinteressen betrachtet. ({0}) Der Abbau des Sozialstaates und der sozialen Sicherungssysteme löst nicht zu Unrecht Ängste aus. Daher müssen wir die Menschen mit einer sozial gerechten Politik wieder davon überzeugen, wofür ein vereintes und gemeinsames Europa steht, nämlich für Menschenrechte, für Demokratie, für Rechtsstaatlichkeit und für den Sozialstaat, aber vor allem auch für die Sicherung des Friedens. ({1}) In diesem Kontext ist jeder weitere Beitrittskandidat, der diese Werte eines friedlich-demokratischen Systems erfüllt und den Menschen eine soziale Grundsicherung garantieren will und kann, ein Gewinn für die Europäische Union. Ich danke Ihnen. ({2})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Rainder Steenblock, Bündnis 90/Die Grünen.

Rainder Steenblock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002806, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich zwei Vorbemerkungen zu der Debatte machen, bevor ich nachher keine Zeit mehr habe. Erstens. Der Kollege Löning hat die Grundrechteagentur angesprochen. Ich will dem nur eines hinzufügen. Wenn wir über die Verteidigung von Menschenrechten in Europa ernsthaft diskutieren wollen - wir haben schon darüber diskutiert; bei der Grundrechteagentur sind wir uns einig -, dann ist eine Forderung wichtig, die bisher fehlte. Mir ist sehr wichtig, dass die Europäische Union endlich in dem großen Europa ankommt, in dem Europaratseuropa, in dem die Menschenrechte geschützt werden. Deshalb ist es wichtig, dass auch die EU endlich dem Europarat beitritt und die Menschenrechtskonvention ratifiziert. Das würde die Menschenrechtssituation und die Wahrnehmung von Menschenrechten vor dem Europäischen Gerichtshof deutlich verbessern. ({0}) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Lassen Sie uns uns dafür gemeinsam einsetzen; denn das ist ein wichtiges Ziel. Zweitens. Wenn man sich die Debatten, die es jetzt in Europa gibt - Kollege Keskin hat es gerade unter dem Stichwort Vertrauenskrise angesprochen -, anschaut, dann stellt man fest, dass wir in der Gefahr sind, einige Tendenzen deutlich zu überhöhen. Es hat immer Debatten über Europa gegeben. Das ist überhaupt keine Frage. Es gibt Eurobarometerumfragen, wonach bestimmte Institutionen in Europa, gerade bürokratische Organisationen, von der Bevölkerung hart kritisiert werden. Das finde ich richtig. Das ist überhaupt kein Grund, nervös zu werden, sondern es ist ein völlig gesunder demokratischer Mechanismus, dass die Bevölkerung staatliche Institutionen erst einmal kritisiert. Wenn man sich diese Eurobarometerumfragen anschaut und sie mit Umfragen über nationalstaatliche Institutionen vergleicht, dann sieht man sehr deutlich, dass das Kritikbedürfnis gegenüber nationalstaatlichen Institutionen genauso hoch ist wie gegenüber europäischen bürokratischen Strukturen. Deshalb ist es sehr gefährlich, diese europakritische Tendenz überzubewerten und zu glauben, dass daraus eine Stimmung gegen die europäische Idee in Europa resultiert. Das halte ich für völlig falsch. Die Strukturen, die wir in Europa geschaffen haben, sind auch in der Bevölkerung fest verankert; das Projekt an sich ist ein riesiger Erfolg. Das Management wird zum Teil kritisiert, aber die Idee, gemeinsam die europäische Integration voranzutreiben, und dieses Friedensprojekt, das wir in Europa aufgebaut haben, das den Menschen in Europa Wohlstand gebracht hat, das Demokratie stabilisiert hat, das die Menschenrechte in Europa gefestigt hat und das dem Rechtsstaat in Europa den Durchbruch dauerhaft gesichert hat, sind tief in der Bevölkerung verankert. Wir sollten ein bisschen Vertrauen haben. Das ist etwas, was wir weiter unterstützen und worauf wir unsere Politik aufbauen müssen. ({1}) Ich halte es für hoch gefährlich - ich sage das in Richtung der Linken -, wenn in dieser Debatte unter dem Stichwort „Neoliberalismus“ eine Sozialstaatsdebatte auf europäischer Ebene aufgemacht wird. ({2}) Auch ich halte vieles, was die Kommission macht, für falsch und kritikwürdig. Wenn Sie das aber benutzen, leisten Sie einem antieuropäischen Populismus Vorschub. ({3}) Sie müssen sich einmal anschauen, was man in Europa mit Integration gemeint hat und welche Bereiche der Politik vergesellschaftet sind. Viele, die über die Frage einer Grundversorgung oder Grundsicherheit auf europäischer Ebene diskutieren, wissen nicht, wovon sie reden. Mich ärgert das total, weil diese Frage von allen Regierungen - ausdrücklich gewollt - auf die nationale Ebene geschoben wurde. Sie reden doch immer über Subsidiarität. Sie müssen aufpassen, dass der Populismus, den Sie an dieser Stelle verbreiten, nicht sehr nationalistisch gefärbt werden kann. ({4}) Bulgarien und Rumänien haben viel geleistet. In diesem Zusammenhang stimme ich mit all dem überein - ich will das nicht wiederholen -, was die Kollegen vorher gesagt haben. Wir haben ein Beitrittsdatum, das eingehalten werden muss. Ich bin dafür, dass das der 1. Januar 2007 ist. Alles andere wäre unter pragmatischen Gesichtspunkten, was die Folgen angeht - das andere Datum könnte nur der 1. Januar 2008 sein -, viel gefährlicher und kontraproduktiv. Die Anstrengungen in diesen Ländern müssen verstärkt werden. Das ist überhaupt keine Frage.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Keskin?

Rainder Steenblock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002806, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Aber gerne, es laufen nämlich schon die letzten Sekunden meiner Redezeit.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Bitte.

Dr. Hakki Keskin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003785, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Lieber Kollege, Sie wissen, ich schätze Sie. Soll ich Ihre Bemerkung so verstehen, dass wir ein Europa ohne den Sozialstaat und ohne soziale Sicherungssysteme haben wollen? Die Tendenz ging gerade in den letzten Jahren in diese Richtung.

Rainder Steenblock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002806, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein, da haben Sie mich sicherlich etwas falsch verstanden. Europa und die europäische Integration basieren auf den sozialen Grundwerten, die wir alle vertreten. Darin sind wir uns immer alle einig gewesen. Es wäre falsch, hierbei zu polarisieren. Auf diese Werte haben wir Europa immer verpflichtet. Ich habe nur sehr deutlich gemacht, dass es unter dem Stichwort „Neoliberalismus“ eine bestimmte Kritik gibt, die sich sehr leicht - ich will das noch einmal zuspitzen, weil mich das immer ärgert - mit der Verteidigung der Errungenschaften der Arbeiterklasse in einem Land verbinden lässt. Ich selbst habe genug Marxismusschulungen hinter mir und kenne darum die ganzen Debatten. Ich halte es für außerordentlich gefährlich und kontraproduktiv, wenn ein bestimmtes soziales Gefühl - das wir ja teilen -, wenn ein soziales Sicherungssystem instrumentalisiert wird, um antieuropäische, nationale Gedanken zu verbreiten. ({0}) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Ich habe nicht gesagt, dass Sie das tun. Ich habe gesagt: Mit einer solchen Argumentation leistet man dem Vorschub. Das ist die große Gefahr, die ich in dieser Argumentation sehe. Ich will das sehr deutlich sagen, weil ich glaube, dass das eine ernste Angelegenheit ist. ({1}) Gestatten Sie mir zum Abschluss noch zwei Sätze. Ich glaube, wir müssen aus den Schwierigkeiten, die es beim Beitritt von Bulgarien und Rumänien gegeben hat, Konsequenzen ziehen: Es darf nicht wieder eine Kopplung von Staaten geben - ich denke an Kroatien und die Türkei - und es darf nicht wieder eine klare Jahreszahl geben, an der sich Wohl und Wehe entscheidet. Es darf nicht mehr so sein, dass Kapitel einstimmig abgeschlossen werden und zwei Jahre später alle feststellen, dass es doch noch große Probleme gibt. Die Verhandlungen müssen in Zukunft neu strukturiert werden. Ich glaube aber, dass der europäische Integrationsprozess, der politisch, kulturell, demokratisch und ökonomisch so viele Erfolge aufzuweisen hat - die Erweiterung macht den Erfolg aus -, mit Rumänien und Bulgarien noch nicht zu Ende sein kann. Wir brauchen neue Spielregeln, aber die Europäische Union muss für alle Länder, die in Europa liegen, offen sein. Lassen Sie uns dafür streiten. Die Spielregeln müssen hart sein; aber die Offenheit brauchen wir. Vielen Dank. ({2})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Lale Akgün, SPD-Fraktion.

Dr. Lale Akgün (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003492, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte erst einmal Kollegen Steenblock und Kollegen Keskin danken, denn sie haben die Müdigkeit zu der späten Stunde unserer Debatte aus diesem Raum vertrieben. Ich wünschte mir, sie würden auch die Erweiterungsmüdigkeit vertreiben, die sich in der EU in der letzten Zeit breit macht. Deswegen bin ich sehr froh, dass wir immer noch so heftig und breit in der Diskussion über die EU streiten können. Das zeigt, wie lebendig die EU ist und dass sie eigentlich gar nicht so langweilig ist, wie manche es gern in der Öffentlichkeit darstellen. Ich bin auch sehr froh über die offenen und entschlossenen Worte, die Erweiterungskommissar Rehn in dieser Woche im Europaausschuss zum Beitritt Bulgariens und Rumäniens gefunden hat. Olli Rehn hat vor den Europapolitikern dieses Hauses die politische Botschaft wiederholt, die bereits von den Fortschrittsberichten der Kommission im Mai ausging, nämlich das bedingte Ja zum Beitritt der beiden Länder zum 1. Januar 2007. ({0}) Wir Sozialdemokraten begrüßen dieses Ja, denn wir sind uns seiner historischen Bedeutung vollends bewusst. Wir teilen auch die Bedenken, die sich in dem Aber ausdrücken, und wir kennen die Ängste in der Bevölkerung. Diese Ängste sind begründet, aber, ich denke, sie sind genau in der Art und Weise zu verstehen wie der Erweiterungsblues der politischen Klasse. Beheben können wir beides nur durch eine Politik, die zum einen Wirtschaftswachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen hervorruft und zum anderen die Missverständnisse im Zusammenhang mit den Erweiterungen aufklärt. Aber zurück zu den Fortschrittsberichten der Kommission: Lassen Sie mich zunächst zu dem Ja einige Punkte ausführen. Die sicherheitspolitische Bedeutung Bulgariens und Rumäniens hat mein Kollege Gloser bereits erwähnt. Ich möchte noch einmal betonen - auch darauf hat Staatsminister Gloser bereits hingewiesen -, dass der Beitritt Bulgariens und Rumäniens eine Art nachholende Integration - das ist ein Begriff, den wir eigentlich eher im innenpolitischen Kontext benutzen darstellt. Der Beitritt Bulgariens und Rumäniens stellt den verspäteten Abschluss der historischen Osterweiterung und damit der Wiedervereinigung Europas dar, nicht mehr und nicht weniger. Das vorweggeschickt. Jetzt möchte ich zu dem Aber der Kommission einiges ausführen. Sowohl Bulgarien als auch Rumänien haben seit Beginn der Beitrittsverhandlungen im Jahr 2000 Erhebliches geleistet. Dazu möchte ich beiden Ländern gratulieren. Die Fortschrittsberichte bescheinigen besonders Rumänien erhebliche Fortschritte. Es bestehen nur noch Bedenken in vier Bereichen und nicht mehr wie zuvor in 14. Auch Bulgarien ist der vollen Erfüllung der Kopenhagener Kriterien näher gekommen. Hier sind es noch sechs Bereiche - vor allem Landwirtschaft, Justiz, Inneres und Korruption -, die Sorgen bereiten. Genau diese Bedenken rechtfertigen das politische Signal, das konditionierte Ja zu dem Beitritt der beiden Länder zum 1. Januar 2007. Allerdings hat die Kommission gewichtige Bedenken geäußert, ob es den beiden Ländern noch möglich sein wird, die bestehenden Mängel bis zum Ende dieses Jahres auszuräumen. Daher ist es richtig, dass die Entscheidung über den Beitritt erst im Herbst fallen wird. Von europäischer Seite aus müssen wir den Druck auf die Länder aufrechterhalten. Die Länder müssen ihre Hausaufgaben machen und ihre Anstrengungen noch einmal intensivieren. Aber die Zielmarge „Beitritt zum 1. Januar 2007“ bleibt bestehen. Uns allen ist bewusst: Es geht nicht um die Frage des Ob, sondern um die Frage des Wann. Es muss erlaubt sein, zu fragen, was sich durch eine Verschiebung des Beitritts tatsächlich ändern würde. Es muss auch erlaubt sein, auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hinzuweisen. Vor allem Bulgarien muss Fortschritte im Bereich der Korruptionsbekämpfung machen. Das ist richtig. Aber bitte halten wir uns immer wieder vor Augen, dass Korruption überall existiert. Letztens in der Ausschusssitzung wurde sogar von einem Kollegen ausVizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner geführt, in meiner Heimatstadt Köln solle es Korruption geben. Das weise ich hiermit entschieden zurück. ({1}) Transparency International sieht Bulgarien, was das Ausmaß der Korruption betrifft, im internationalen Vergleich auf Platz 55 von 153 Staaten. Es gibt durchaus EU-Mitgliedstaaten, die auf vergleichbaren bzw. hinteren Plätzen anzutreffen sind. ({2}) Lassen Sie uns also die Dimensionen wahren. Seien wir ehrlich, was die Möglichkeiten der Bewältigung bestimmter Probleme in einer kurzen Zeitspanne anbelangt. Viele der Problemlagen in den Ländern des ehemaligen Ostblocks sind tief gehend mit der Geschichte der Länder und ihrer staatssozialistischen Vergangenheit verbunden. Sie werden sich nicht in einem Jahr lösen lassen. Das gilt auch für die Minderheitenrechte der Roma. Eine volle Gleichberechtigung der Roma kann nicht durch Gesetzestexte allein erreicht werden. Hier braucht es gesellschaftlicher Umwandlungsprozesse, die langwierig sind. Seien wir ehrlich: Die Bewältigung von so mancher Aufgabe wird noch Zeit brauchen. Das gilt auch für die Vergangenheitsbewältigung, die heute in der „Süddeutschen Zeitung“ thematisiert wurde. Aber auch hier dürfen wir nicht mit zweierlei Maß messen. Auch andere neue EU-Länder tun sich da noch schwer. Wir müssen nicht nur die Verhältnismäßigkeit wahren, sondern uns auch die Frage stellen, was eine Verschiebung politisch bedeuten würde. Eine Verzögerung des Beitritts wäre Wasser auf die Mühlen der antieuropäischen Kräfte wie der rechtsradikalen „Ataka“ und der Bewegung „Wappen“ in Bulgarien. Sie würden die Verschiebung instrumentalisieren und in der Bevölkerung Zulauf gewinnen. Es bestünde die Gefahr, dass der Schuss nach hinten losgeht. Aus all diesen Gründen ist es richtig und wichtig, am Beitritt zum 1. Januar 2007 festzuhalten. Allerdings sage ich noch einmal, dass hierfür in Bulgarien und in Rumänien noch weitere Anstrengungen notwendig sind. Auch die im Beitrittsvertrag vorhandenen Schutzklauseln in den Bereichen Wirtschaft, Binnenmarkt sowie Justiz und Inneres müssen sinnvoll angewandt werden. Die Schutzklauseln und das vorgeschlagene Post-Beitritts-Mentoring sind weitaus sinnvoller als eine Verschiebung des Beitritts. Lassen Sie mich anfügen: Wir brauchen dafür keine neuen vertraglichen Grundlagen. Die bestehenden Verträge enthalten die notwendigen Vorkehrungen bereits. Schließlich möchte ich noch darauf hinweisen, dass auch wir unsere Hausaufgaben machen müssen und dafür sorgen müssen, dass das Ratifikationsverfahren in Deutschland nach Plan und zügig fortgeführt wird. ({3}) Lassen Sie uns endlich die Erweiterungsmüdigkeit überwinden. Wer müde ist, droht einzunicken und die Zeichen der Zeit zu verschlafen. Erweiterungen waren in der Vergangenheit der Motor für die Dynamik der EU. Sie werden es auch in Zukunft sein. Nur so können wir dafür sorgen, dass die EU ihre Mission als Friedensprojekt in einer globalisierten Welt erfüllen kann. Vielen Dank. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Thomas Silberhorn für die Unionsfraktion. ({0})

Thomas Silberhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003636, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will in dieser Debatte zunächst die Gelegenheit nutzen, etwas zu tun, wozu ich bisher selten Veranlassung hatte, nämlich der Europäischen Kommission ausdrücklich ein Kompliment für die Vorlage des Fortschrittsberichts zu Bulgarien und Rumänien zu machen. Die Fortschritte, die diese beiden Länder in den letzten Monaten gemacht haben, sind ausdrücklich gewürdigt worden. Ebenso klar sind die noch bestehenden Defizite benannt worden. Die Kommission hat manchem politischen Druck widerstanden, die Lage zu beschönigen. Sie hat sich nicht an Erwartungen orientiert, die man insbesondere in Bulgarien und Rumänien gehegt hat, sondern sie hat die Fakten vor Ort zur Grundlage ihres Berichts gemacht und ihrerseits Erwartungen an Bulgarien und Rumänien formuliert. Ich denke, das ist begrüßenswert. Dieser Bericht ermöglicht es, neues Vertrauen in die Unabhängigkeit der Kommission zu fassen. Das ist, meine ich, viel wert. Die Europäische Kommission hat ganz bewusst keine Empfehlung für einen Beitritt zum 1. Januar 2007 ausgesprochen, was für Bulgarien und Rumänien, aber durchaus auch für andere in der Europäischen Union sicherlich ernüchternd sein mag. Das ist eine klare Ansage, dass bislang weder Bulgarien noch Rumänien reif ist für einen Beitritt und dass weitere Fortschritte notwendig sind. Deswegen muss die Linie jetzt sein, die Motivation nicht nur aufrechtzuerhalten, sondern sie zu verstärken, dass es in Bulgarien und Rumänien zu Reformen kommt. ({0}) Beide Länder haben dabei unsere volle Unterstützung. Völlig klar ist aber auch, dass beide Länder Hausaufgaben machen müssen. Niemand von uns hat ein Interesse daran, den noch möglichen Beitritt zum 1. Januar 2007 infrage zu stellen. Aber es ist eben Sache Bulgariens und Rumäniens, einen Beitritt zu diesem Termin möglich zu machen. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Wir haben anhand des Berichts der Kommission einen klaren Fahrplan. Es liegt auf der Hand, dass die Priorität nun in den Bereichen liegen muss, in denen die Kommission eine rote Karte gezogen hat. Wir müssen deutlich machen, dass in genau diesen Bereichen noch substanzielle Fortschritte erzielt werden müssen. Das heißt, es müssen die Strukturen in Bulgarien und Rumänien verändert werden, zum Beispiel in der Verwaltung und in der Justiz. Reformen dürfen nicht nur auf dem Papier stattfinden, sondern müssen in der Praxis umgesetzt werden. Was mir besonders wichtig ist: Der politische Wille der Regierungen in Bulgarien und Rumänien, durchzugreifen, muss deutlich werden. Wir müssen den Regierungen klar machen, dass wir es damit wirklich ernst meinen. ({1}) Ich möchte zwei praktische Beispiele nennen. Zunächst zum Thema Auftragsmorde in Bulgarien: Bei Auftragsmorden handelt es sich um die schwersten Verbrechen, die eine Rechtsordnung kennt. Wenn in Bulgarien noch nicht einmal bei den schwersten Verbrechen, die wir kennen, ausreichende Ermittlungsarbeit geleistet wird, es weder zu Anklagen noch zu Verurteilungen kommt, wie muss die Situation dann erst bei weniger schweren Verbrechen oder Vergehen aussehen? Ich sage das nicht, um den Zeigefinger zu heben, sondern ich glaube, es ist insbesondere für die Bevölkerungen in Bulgarien und Rumänien wichtig, dass diese Themen angegangen werden. Auch auf uns lastet ein hoher Erwartungsdruck der Gesellschaften Bulgariens und Rumäniens, auf diese kritischen Punkte zu schauen und den Druck auf die dortigen Regierungen zu erhöhen, diese Probleme zu lösen. Lassen Sie mich ein zweites Beispiel nennen: In dem Fortschrittsbericht ist die Tierkörperbeseitigung angesprochen worden. Dahinter steckt die Sorge, dass, wenn die Tierkörperbeseitigung in diesen Ländern nicht zureichend gelöst werden kann, die BSE-Risiken erhöht werden könnten, sie mit einem Beitritt möglicherweise importiert werden. Auch da wird deutlich, dass Probleme, die noch nationale Probleme Bulgariens und Rumäniens sind, nach einem Beitritt europäische Probleme und damit unsere Probleme werden. Deshalb liegt es im wohlverstandenen Eigeninteresse der Europäischen Union und namentlich auch Deutschlands, genau hinzuschauen, dass die nötigen Fortschritte dort möglichst zügig bis Ende des Jahres erzielt werden. Ich glaube, wir tun gut daran, wenn wir den angekündigten nächsten Monitoringbericht abwarten und unsere zweite Lesung, in der wir entscheiden, wie wir weiter vorgehen, erst danach durchführen. Wir müssen die Zeit dafür nutzen, uns auch darüber zu unterhalten, was wir im Herbst dieses Jahres tun, falls im nächsten Fortschrittsbericht wieder solche Defizite benannt sein sollten, wie wir sie in dem jetzigen Fortschrittsbericht finden. Es zeichnet sich ab, dass wir ein Monitoring auch nach dem Beitritt fortführen müssen. Es zeichnet sich auch ab, dass wir Schutzklauseln aktivieren müssen. Das bedeutet aus meiner Sicht, dass wir Fragen beantworten müssen, die sich dann ganz konkret stellen, etwa: Können wir angesichts des Zustands des Justizsystems in Bulgarien und Rumänien Urteile von dortigen Gerichten bei uns überhaupt anerkennen? Ich würde da ein Fragezeichen setzen. Können wir die Regelungen über den Europäischen Haftbefehl anwenden? Da hätte ich allergrößte Zweifel. Können wir den Verwaltungen, den Polizeien dieser Länder Zugang zu den Datenbanken von Europol gewähren? Nach dem, was in den jetzigen Fortschrittsberichten steht: unter keinen Umständen. Mit solchen ganz konkreten Fragen müssen wir uns befassen. Deshalb glaube ich, dass schon jetzt erkennbar ist, dass wir Schutzklauseln werden aktivieren müssen. Wir werden insbesondere auf die sensiblen Bereiche achten müssen, in denen es ums Geld geht. Auch da ist das erste Interesse doch das Interesse des bulgarischen und des rumänischen Volkes. Sie wollen doch wissen, dass die Gelder, die Europa zur Verfügung stellt - in der Agrarpolitik, in den Strukturfonds, Kohäsionsfonds; überall, wo es um Geld geht -, nicht in dunklen Kanälen verschwinden, sondern dort ankommen, wo sie tatsächlich helfen sollen. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluss meiner Rede noch einige Punkte stichwortartig formulieren.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Silberhorn, das wird Ihnen nicht mehr gelingen. Sie haben Ihre Redezeit schon überschritten. Neue Themen können Sie nun wirklich nicht mehr ansprechen.

Thomas Silberhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003636, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es handelt sich nicht um neue Themen. Ich möchte nur abschließend etwas sagen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie müssten den letzten Satz bilden.

Thomas Silberhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003636, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Der abschließende Satz lautet: Erstens müssen wir deutlich machen, dass wir Unterschiede zwischen Bulgarien und Rumänien machen werden, wenn es um die Fortschritte hinsichtlich der Frage der Schutzklauseln geht; zweitens werden wir nicht wiederholen, was wir jetzt gemacht haben, und keine Beitrittstermine mehr festlegen, bevor nicht klar ist, dass die Kriterien erfüllt sind; drittens müssen wir jeden Kandidatenstaat einzeln bewerten; viertens und abschließend müssen wir darauf achten, dass unsere Beitrittsstrategie berechenbar bleibt, denn nur wenn wir selber in der Europäischen Union glaubwürdig sind, werden wir auch in unserer Bevölkerung auf Akzeptanz stoßen. Vielen Dank. ({0}) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich denke, wir werden noch Gelegenheit haben, dieses Thema zu vertiefen und über Ihren letzten Satz etwas ausführlicher zu debattieren. Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell ist vereinbart, die heutige Tagesordnung um die Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zu einem Antrag auf Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens zu erweitern und diese sofort als Zusatzpunkt 6 ohne Aussprache aufzurufen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen. Dann rufe ich Zusatzpunkt 6 auf: Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({0}) Antrag auf Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens - Drucksache 16/1718 - Der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Ge- schäftsordnung empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- lung auf Drucksache 16/1718 - das ist die Beschluss- empfehlung, die Sie gerade empfangen haben -, die Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens zu erteilen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- lung? - Gibt es Gegenstimmen? - Gibt es Enthaltungen? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das einstimmig so be- schlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 16 a bis 16 c auf: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({1}) zu dem Antrag der Abgeordneten Horst Friedrich ({2}), Jan Mücke, Patrick Döring, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der FDP Sonderprogramm „Kommunale Brückenbau- werke“ auflegen - Drucksachen 16/261, 16/1008 - Berichterstattung: Abgeordnete Renate Blank b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({3}) zu dem Antrag der Abgeordneten Winfried Hermann, Peter Hettlich, Dr. Anton Hofreiter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Bestandssanierung der Verkehrsinfrastruktur ausweiten und effektive Sanierungsstrategie vorlegen - Drucksachen 16/553, 16/1090 - Berichterstattung: Abgeordneter Uwe Beckmeyer c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heidrun Bluhm, Katrin Kunert, Dorothee Menzner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Freistellung der Kommunen von der Mitfinanzierung bei Baumaßnahmen im Kreuzungsbereich von Eisenbahnen und Straßen - Drucksache 16/1657 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({4}) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Haushaltsausschuss Die Kolleginnen und Kollegen Renate Blank für die Unionsfraktion, Rita Schwarzelühr-Sutter für die SPD- Fraktion, Jan Mücke für die FDP-Fraktion, Heidrun Bluhm für die Fraktion Die Linke und Dr. Anton Hofreiter für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1) Ich schließe damit die Aussprache. Wir kommen zu den Abstimmungen. Tagesordnungspunkt 16 a. Abstimmung über die Be- schlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung auf Drucksache 16/1008 zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Sonderpro- gramm ‚Kommunale Brückenbauwerke’ auflegen“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/261 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- lung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Be- schlussempfehlung ist mit den Stimmen der SPD-Frak- tion und der Unionsfraktion angenommen. Tagesordnungspunkt 16 b. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung auf Drucksache 16/1090 zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Bestandssanie- rung der Verkehrsinfrastruktur ausweiten und effektive Sanierungsstrategie vorlegen“. Der Ausschuss emp- fiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/553 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegen- stimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion der FDP angenommen. Tagesordnungspunkt 16 c. Interfraktionell wird vor- geschlagen, die Vorlage auf Drucksache 16/1657 zu überweisen, und zwar zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung und zur Mitberatung an den Innenausschuss, den Rechts- ausschuss, den Ausschuss für Wirtschaft und Technolo- gie und den Haushaltsausschuss. Gibt es zu diesen Über- weisungen anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. 1) Anlage 20 Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Ich rufe Tagesordnungspunkt 17 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({5}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Verordnung des Europäi- schen Parlaments und des Rates zur Einfüh- rung eines europäischen Verfahrens für ge- ringfügige Forderungen Ratsdok. 15954/05 - Drucksachen 16/901 Nr. 2.2, 16/1684 - Berichterstattung: Abgeordnete Michael Grosse-Brömer Dirk Manzewski Mechthild Dyckmans Sevim Dagdelen Jerzy Montag Dazu liegen mir zu Protokoll gegebene Reden von den Kolleginnen und Kollegen Michael Grosse-Brömer von der Unionsfraktion, Dirk Manzewski von der SPD- Fraktion, Mechthild Dyckmans von der FDP-Fraktion, Sevim Dagdelen von der Fraktion Die Linke und Jerzy Montag von der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen vor.1) Das heißt, wir können auch hier die Aussprache schließen. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung über einen Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen. Dies finden Sie auf der Drucksache 16/1684. Der Ausschuss empfiehlt in Kenntnis der Unterrichtung, eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gibt es Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dann ist diese Beschlussempfehlung bei Enthaltung des Kollegen Wunderlich aus der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Lukrezia Jochimsen, Dr. Petra Sitte, Dr. Lothar Bisky, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN UNESCO-Übereinkommen zur kulturellen Vielfalt schnell ratifizieren - Drucksache 16/457 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien ({6}) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Auch dazu liegt mir eine Reihe von zu Protokoll ge- gebener Reden vor. Von der Unionsfraktion haben die Kolleginnen Dorothee Bär und Professorin Monika Grütters ihre Reden zu Protokoll gegeben. Für die SPD- Fraktion hat der Kollege Steffen Reiche seine Rede zu Protokoll gegeben. Von der FDP-Fraktion hat der Kol- 1) Anlage 21 lege Christoph Waitz seinen Redebeitrag zu Protokoll gegeben.2) Ich eröffne die Aussprache und rufe jetzt die Kollegin Lukrezia Jochimsen für die Fraktion Die Linke auf. Sie hat das Wort. ({7})

Dr. Lukrezia Jochimsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003777, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Es tut mir sehr Leid und ich bitte um Entschuldigung, dass ich heute Abend hier noch die Gelegenheit zu einer Rede ergreife. ({0}) Ich habe die Ehre, heute vor dem Hohen Haus zwei Reden zur Kultur zu halten, und zwar im späten Abendund Nachtghetto, wie man bei Fernsehsendern sagen würde. ({1}) So ist das eben mit der Kultur und wir alle machen das mit. ({2}) Interessanterweise beziehen sich beide Reden - keine Angst: Die für nach Mitternacht vorgesehene Rede gebe ich zu Protokoll ({3}) Anlage 22 Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Welt eine erstaunliche Gegenbewegung: das Setzen auf die gemeinsame vielfältige Kultur, ihr Erbe und ihre Zukunftsfähigkeit, die es zu fördern und zu schützen gilt. ({4}) Worum geht es im Kern? Es geht um das Recht auf eigene Kultur, um eigenständige kulturelle Werte in der sich globalisierenden Welt, um Handlungsspielraum und Handlungsfreiheit für Kulturpolitik. Der beeindruckende weltweite Einsatz für die kulturelle Vielfalt, an dem die Bundesrepublik Deutschland einen großen Anteil hat - wo Lob angebracht ist, lobt auch die Opposition -, ist zu begreifen als ein Teil des globalen Kampfes gegen die Kommerzialisierung aller Dinge und Werte, auch der Kultur. Da diese Kommerzialisierung ein rasantes Tempo vorlegt, muss die Gegenbewegung ebenso dynamisch sein, um das Gleichgewicht zwischen Handelsfreiheit und Kultur zu erhalten. ({5}) Vorgestern hat hier in Berlin eine große Konsultation der deutschen UNESCO-Kommission stattgefunden. Da wurde immer wieder die dringliche Bitte geäußert, jetzt schnell mit der Umsetzung zu beginnen. Deshalb sind wir als Parlament aufgerufen, den weltweiten Einsatz für die UNESCO-Konvention zur kulturellen Vielfalt zu unterstützen. Daher fordern wir die Bundesrepublik heute auf, unverzüglich ein Gesetz zur Ratifizierung des UNESCO-Übereinkommens vorzulegen. Alle 25 europäischen Mitgliedstaaten haben sich bereit erklärt, die Konvention zu ratifizieren. Wenn 30 Mitgliedstaaten das völkerrechtliche Übereinkommen anerkannt haben, tritt es in allen Signatarstaaten in Kraft. Schon jetzt haben Kanada, Mauritius, Mexiko und Burkina Faso ratifiziert. In deren globaler Mitte könnte Deutschland, wie ich finde, ein gutes Zeichen setzen. Ich bitte Sie deshalb, den Antrag der Linksfraktion zur Vorlage eines Gesetzes zur alsbaldigen Ratifizierung auch in Deutschland zu unterstützen. Herzlichen Dank. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Mir liegen zum Tagesordnungspunkt 18 weitere Re- den zu Protokoll vor. Die Kollegin Uschi Eid für Bündnis 90/Die Grünen und der Staatsminister Bernd Neumann haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1) Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/457 an die an der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Michael Meister, Otto Bernhardt, Eduard 1) Anlage 22 Oswald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Nina Hauer, Ingrid Arndt-Brauer, Lothar Binding ({0}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Grenzüberschreitender Zahlungsverkehr im europäischen Binnenmarkt - Drucksache 16/1646 - Auch hier haben die Kolleginnen und Kollegen ihre Reden zu Protokoll gegeben. Wir nehmen die Reden des Kollegen Georg Fahrenschon für die Unionsfraktion, der Kollegin Nina Hauer für die SPD, des Kollegen Frank Schäffler für die FDP, der Kollegin Ulla Lötzer für die Linken und des Kollegen Dr. Gerhard Schick für Bündnis 90/Die Grünen zu Protokoll und können damit die Aussprache schließen.2) Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/1646 mit dem Titel „Grenzüberschreitender Zahlungsverkehr im europäischen Binnenmarkt“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dann ist der Antrag gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried Hermann, Rainder Steenblock, Marieluise Beck ({1}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Für eine anspruchsvolle und umfassende EUNachhaltigkeitstrategie - Drucksache 16/1437 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({2}) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Auch hier werden die Reden zu Protokoll gegeben. Die Kollegen Thomas Bareiß für die Unionsfraktion, Steffen Reiche für die SPD, Michael Kauch für die FDP, Lutz Heilmann für die Linke und Rainder Steenblock für das Bündnis 90/Die Grünen haben ihre Reden zu Pro- tokoll gegeben3). Wir können die Aussprache damit be- enden. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/1437 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. 2) Anlage 23 3) Anlage 24 Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a und 21 b auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 14. November 1970 über Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der rechtswidrigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut - Drucksache 16/1372 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien ({3}) Auswärtiger Ausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ausführung des UNESCO-Übereinkommens vom 14. November 1970 über Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der rechtswidrigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut ({4}) - Drucksache 16/1371 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien ({5}) Auswärtiger Ausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Auch hier werden die Reden zu Protokoll gegeben. Das gilt für die Redebeiträge der Kolleginnen und Kollegen Professor Monika Grütters für die Unionsfraktion, Steffen Reiche für die SPD, Christoph Waitz für die FDP, Luc Jochimsen für die Linke, Uschi Eid für das Bündnis 90/ Die Grünen und des Staatsministers Bernd Neumann.1) Wir können auch hier die Aussprache beenden. Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 16/1372 und 16/1371 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 22: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Ilja Seifert, Karin Binder, Dr. Lothar Bisky, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Einsetzung einer Enquete-Kommission „Ethik, Recht und Finanzierung des Wohnens mit Assistenz ({6})“ - Drucksache 16/1267 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({7}) Rechtsausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Auch zu diesem Tagesordnungspunkt werden die Re- den zu Protokoll gegeben. Es liegen vor die Beiträge der 1) Anlage 25 Kollegen Hubert Hüppe und Markus Grübel für die Unionsfraktion, der Kolleginnen Angelika Graf für die SPD, Sibylle Laurischk für die FDP, des Kollegen Dr. Ilja Seifert für die Linken und des Kollegen Markus Kurth für das Bündnis 90/Die Grünen.2) Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/1267 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Erhebt sich dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist auch diese Überweisung so beschlossen. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 23: Beratung der Unterrichtung durch den Bundesbeauftragten für den Datenschutz Tätigkeitsbericht 2003 und 2004 des Bundesbeauftragten für den Datenschutz - 20. Tätigkeitsbericht - Drucksache 15/5252 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({8}) Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für Kultur und Medien Hier werden die Beiträge der Kolleginnen und Kolle- gen Beatrix Philipp für die Unionsfraktion, Jörg Tauss für die SPD, Gisela Piltz für die FDP, Petra Pau für die Linke und Silke Stokar für das Bündnis 90/Die Grünen zu Protokoll gegeben.3) Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird auch hier die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 15/5252 an die in der Tagesord- nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist auch diese Überweisung so beschlossen. Wir kommen damit zu den Tagesordnungspunkten 24 a und b: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus Kurth, Katrin Göring-Eckardt, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Recht statt Pflicht - Einschränkungen behin- derter Menschen bei der Teilhabe am öffentli- chen Leben entgegenwirken - Drucksache 16/949 - 2) Anlage 26 3) Anlage 27 Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({9}) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jörg Rohde, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am öffentlichen Leben konsequent sichern - Drucksache 16/853 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({10}) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Auch hier nehmen wir die Debattenbeiträge zu Pro- tokoll. Es liegen vor die Beiträge der Kolleginnen und Kollegen Hubert Hüppe, Antje Blumenthal, Silvia Schmidt, Jörg Rohde, Dr. Ilja Seifert und Markus Kurth.1) Damit ist die Aussprache beendet. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/949 und 16/853 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es weitergehende Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia Behm, Alexander Bonde, Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Kürzungen bei der Finanzierung der Entwicklung ländlicher Räume verhindern - Drucksache 16/952 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({11}) 1) Anlage 28 Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss Auch hier haben alle Rednerinnen und Redner ihre Reden zu Protokoll gegeben. Es handelt sich um die Re- debeiträge der Kollegin Marlene Mortler von der Unions- fraktion, von Holger Ortel von der SPD, Dr. Christel Happach-Kasan von der FDP-Fraktion, der Kollegin Dr. Kirsten Tackmann für die Fraktion Die Linke und der Kollegin Cornelia Behm vom Bündnis 90/Die Grünen.2) Ich kann damit die Aussprache schließen. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/952 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Dienstag, den 20. Juni 2006, 10.30 Uhr, ein. Der Ältestenrat hat in seiner heutigen Sitzung vereinbart, dass während der Haushaltsberatungen ab dem 20. Juni 2006 keine Befragung der Bundesregierung, keine Fragestunde und keine Aktuellen Stunden stattfinden sollen. Sind Sie mit dieser Vereinbarung einverstanden? - Mir wird kein Widerspruch angezeigt. Dann verfahren wir so. Ich wünsche Ihnen einen sehr schönen Feierabend. Die Sitzung ist geschlossen.