Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sitzung ist eröffnet.
Vor Eintritt in die Tagesordnung einige amtliche Mitteilungen:
Der Kollege Ruprecht Polenz feierte am 26. Mai und
der Kollege Eike Hovermann am 27. Mai seinen
60. Geburtstag. Im Namen des ganzen Hauses gratuliere
ich den beiden Kollegen nachträglich sehr herzlich.
({0})
Die Kollegin Mechthild Dyckmans hat ihr Amt als
Schriftführerin niedergelegt. Als Nachfolgerin schlägt
die Fraktion der FDP die Kollegin Angelika Brunkhorst
vor. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Die Fraktion der SPD teilt mit, dass der Kollege
Christian Lange sein Amt als Mitglied im Gremium gemäß § 23 c Abs. 8 des Zollfahndungsdienstgesetzes aufgibt. Als Nachfolgerin wird die Kollegin Ute Berg vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist
offenkundig der Fall. Die Kollegin Ute Berg ist somit
ebenfalls gewählt.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene
Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern:
ZP 1 Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus Kurth,
Irmingard Schewe-Gerigk, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Alternativen zum Heim schaffen - Ambulante Angebote
für Menschen mit Behinderungen weiterentwickeln und
ausbauen
- Drucksache 16/1644 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({1})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
ZP 2 Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Europäischen
Übereinkommen vom 6. November 2003 über den Schutz
von Tieren beim internationalen Transport ({2})
- Drucksache 16/1346 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({3})
- Drucksache 16/1664 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Peter Jahr
Dr. Wilhelm Priesmeier
Hans-Michael Goldmann
Dr. Kirsten Tackmann
Bärbel Höhn
ZP 3 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU
und der SPD: Lage am Ausbildungsmarkt - Ausbildungspakt als Chance für Unternehmen, junge Menschen und
den Arbeitsmarkt
ZP 4 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({4}) zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-Christian Ströbele, Volker Beck ({5}), Grietje
Bettin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Überwachung von Journalisten durch den Bundesnachrichtendienst
- Drucksachen 16/85, 16/1656 Berichterstattung:
Abgeordnete Clemens Binninger
Dr. Max Stadler
Ulla Jelpke
Wolfgang Wieland
Die Tagesordnungspunkte 9 und 11 sollen in der Folge
getauscht werden.
Außerdem soll statt des Tagesordnungspunkts 8 c
- Beratung eines Zwischenberichts - die mittlerweile
fertig gestellte Beschlussempfehlung des Innenausschusses zu der Vorlage aufgerufen werden.
Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden.
Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Fragestunde
- Drucksachen 16/1604, 16/1645 Redetext
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Zunächst einmal behandeln wir die dringlichen Fragen. Sie betreffen den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Zur Beantwortung
steht der Parlamentarische Staatssekretär Franz Thönnes
zur Verfügung.
Wir kommen zur dringlichen Frage 1 des Kollegen
Dirk Niebel:
Wie stellt sich die Bundesregierung zu Absprachen zwischen dem Bundesminister für Arbeit und Soziales, Franz
Müntefering, und dem Bundesminister der Finanzen, Peer
Steinbrück, zur Entlastung des Bundeshaushalts den Aussteuerungsbetrag von 10 000 auf 12 000 Euro anzuheben ({6})?
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Werter Kollege Niebel, nach § 46 Abs. 4 des Zweiten
Buchs Sozialgesetzbuch entspricht der Aussteuerungsbetrag dem Zwölffachen der durchschnittlichen monatlichen Aufwendungen für Arbeitslosengeld II, Sozialgeld
und Beiträgen zur Sozialversicherung im vorangegangenen Kalendervierteljahr. Bei der Abrechnung zum
15. Mai 2006 betrug dieser Betrag rund 10 000 Euro je
Abrechnungsfall. Eine Absprache, diese Regelung zu
ändern, gibt es nicht.
Nachfrage, Kollege Niebel? - Bitte.
Sehr geehrter Herr Staatssekretär, der Kollege
Kampeter von der CDU/CSU-Fraktion hat gestern in einer dpa-Meldung verlauten lassen - ich zitiere -:
Die schlechten Risiken wandern nach einem Jahr in
den Hartz-IV-Bereich. Das heißt: Während die Arbeitslosigkeit im Beitragsbereich ({0}) gegenüber dem Vorjahr erheblich abnimmt, ist im steuerfinanzierten Hartz-IV-Bereich ({1}) ein Zuwachs zu verzeichnen.
Können Sie vor diesem Hintergrund ausschließen, dass
im Verlauf dieses Jahres der Aussteuerungsbetrag in irgendeiner Weise noch verändert wird?
Herr Niebel, es ist so, dass mit der Absenkung des
Aussteuerungsbetrags der Istentwicklung nach den ersten beiden Abrechnungen zum 15. Februar und 15. Mai
dieses Jahres Rechnung getragen worden ist. Ich will
mich hier überhaupt nicht irgendwelchen Spekulationen
anschließen. Die faktische Entwicklung bleibt abzuwarten. Ich stelle hier fest, dass wir den Betrag der Istentwicklung angeglichen haben.
Weitere Nachfrage? - Bitte.
Herr Kollege Staatssekretär, Ihrer Antwort entnehme
ich: Sie können nicht ausschließen, dass im Laufe des
Jahres der Aussteuerungsbetrag verändert wird. - Vor
dem Hintergrund dessen, dass die Bundesagentur bei der
Betreuung der Arbeitslosen den Schwerpunkt ihrer Integrationstätigkeit offenkundig auf den Arbeitslosengeld-I-Bereich legt, um - vermeintlich - ihren eigenen
Haushalt gegenüber dem des Bundes zu schonen, würde
ich gerne wissen, wie Sie die Haushaltsrisiken bei weiterem Fortfahren der Bundesagentur in diesem Sinne einschätzen.
Ich glaube, dass wir Haushaltsrisiken in der Form
nicht einzuschätzen brauchen, weil sich die Entwicklung
in der Bundesagentur relativ gut darstellt. Bei der Entwicklung der Ausgaben für Leistungen nach dem SGB II
müssen wir uns ganz einfach vor Augen führen, dass
sich das, was manchmal mit solchen Fragestellungen impliziert wird, nämlich dass es sich bei der Entwicklung
dort um eine Explosion handelt, nicht durch Fakten belegen lässt.
Es gibt keine explosionsartige Zunahme der Kosten.
Ich will Ihnen das anhand der Zahlen für die ersten vier
Monate dieses Jahres zu erläutern versuchen. Wir haben
Ausgaben gehabt im Januar von 2,46 Milliarden Euro,
im Februar von 2,25 Milliarden Euro, im März von
2,26 Milliarden Euro und im April von 2,22 Milliarden
Euro. Ich glaube, dass im Haushaltsausschuss gestern
die richtigen Entscheidungen getroffen worden sind, sodass ich die Risiken, die Sie beschreiben, nicht sehe.
Wir sollten uns ein Stück weit mit den positiveren Arbeitsmarktdaten auseinander setzen, die wir seit Mai haben. Es ist gut, wenn wir im Vergleich zum Vorjahr
255 000 Arbeitslose weniger haben. Es ist gut, wenn wir
sehen, dass die Abgänge aus Arbeitslosigkeit in Erwerbstätigkeit relativ stark zunehmen. Das ist eine erfreuliche Entwicklung, die auch positive Auswirkungen
haben wird, insbesondere aufgrund der verstärkten Bemühungen, die in den Arbeitsgemeinschaften, in den
Leistungszentren und bei den Optionskommunen jetzt
anlaufen, sodass Menschen, die Leistungen nach dem
SGB II beziehen, auch Arbeit finden werden.
Eine weitere Frage, und zwar der Kollegin Kornelia
Möller.
Vielen Dank. - Herr Thönnes, in welcher Höhe rechnet die Bundesregierung mit Einsparungen von Transferleistungen durch den vermehrten Einsatz von Sofortmaßnahmen zur Überprüfung der Arbeitsbereitschaft
und in welchem zusätzlichen Umfang plant die Regierung den Einsatz von Sofortmaßnahmen?
Frau Möller, es ist unsere Aufgabe, mit den Steuermitteln effektiv umzugehen. Dementsprechend ist vorgesehen - das soll jetzt im SGB-II-Fortentwicklungsgesetz
so geregelt werden -, dass dort, wo dies begründet und
nachvollziehbar ist, Menschen, die länger arbeitslos sind
und einen Antrag auf Arbeitslosengeld II stellen, Sofortmaßnahmen angeboten werden sollen. Wir gehen davon
aus, dass mit dem SGB-II-Änderungsgesetz insgesamt
gut 3,8 Milliarden Euro eingespart werden können. Das
wird im Jahr der vollen Wirksamkeit der Fall sein. Sie
wissen, dass es aufgrund der unterschiedlichen Möglichkeiten seitens der Administration, das umzusetzen, unterschiedliche Inkraftsetzungsdaten geben wird. Ich gehe
davon aus, dass das in diesem Bereich mit dazu beitragen wird, die Solidarität zu stärken, indem Direktangebote unterbreitet werden; werden diese Angebote nicht
angenommen, gibt es wohl auch keinen ernsthaften Bedarf.
Danke. - Eine weitere Frage hat die Kollegin Katja
Kipping.
Herr Thönnes, Sie haben sich gerade selber skeptisch
zu dem Begriff der Kostenexplosion geäußert. In der
Unterrichtung der Bundesregierung an den Ausschuss
für Arbeit und Soziales gibt es die Berechnung, wie viel
Geld nach dem alten Recht insgesamt für Sozialhilfeempfänger und Langzeiterwerbslose hätte ausgegeben
werden müssen. Da es in den Medien weiterhin gezielt
gestreute Nachrichten über angebliche Kostenexplosionen gibt, frage ich Sie: Was ist nach Meinung der Bundesregierung der Hauptgrund für diese angeblich steigenden Ausgaben?
Frau Kipping, wir sollten realistisch mit den Zahlen
umgehen und angesichts bestimmter Daten nicht panisch
reagieren. Man kann davon ausgehen, dass, wenn man
die alte Sachlage fortgeschrieben hätte, nach der auf der
einen Seite Sozialhilfe und die Kosten der Unterkunft
gezahlt werden und auf der anderen Seite die Arbeitslosenhilfe als getrenntes System existiert, Aufwendungen
in einer Größenordnung von 35,5 Milliarden Euro entstanden wären. Nach der Zusammenführung, also nach
neuem Recht, betrugen die Istausgaben im Jahr 2005
37,3 Milliarden Euro. Das ist keine Kostenexplosion und
auch kein sozialer Kahlschlag, wie das an mancher
Stelle von der anderen Seite behauptet wird.
Kenner der Szene wissen, dass es im alten Sozialhilferecht eine Dunkelziffer gab, dass einer von drei Menschen, die berechtigt gewesen wären, Sozialhilfe zu beziehen, diesen Anspruch nicht geltend gemacht hat.
Unter dem neuen Recht machen nun auch diese Sozialhilfeberechtigten Gebrauch von ihrem Anspruch.
Vor diesem Hintergrund sage ich deutlich: Wir wollten mit der Zusammenführung der Arbeitslosenhilfe und
der Sozialhilfe eine Verbesserung für die Menschen erreichen, die gerade in der Sozialhilfe zu einem großen
Teil von den Angeboten der Arbeitsförderung, den Leistungen zur Integration ausgeschlossen waren. Das haben
wir mit der Reform erreicht. Von daher ergibt sich an
dieser Stelle ein Anstieg der Zahl der Menschen, die von
ihrem Rechtsanspruch Gebrauch machen und die Förderungsmöglichkeiten der Arbeitsverwaltung nutzen.
Eine weitere Frage hat der Kollege Klaus Brandner.
Herr Staatssekretär, die Praxis bei der Bekämpfung
des Leistungsmissbrauchs soll jetzt durch das SGB-IIÄnderungsgesetz aufgegriffen werden. Können Sie uns
erklären,
({0})
inwiefern durch dieses Gesetz Kosteneinsparungen erreicht und Leistungsmissbräuche verhindert werden können?
Herr Kollege Brandner, aus der Praxis gab es - diese
Erfahrung machen alle, wenn sie die Arbeitsgemeinschaften oder Leistungszentren besuchen - die Forderung nach der Erweiterung der Abfragemöglichkeiten.
Diese haben wir aufgegriffen. Die Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende können künftig Daten des
Kraftfahrt-Bundesamtes und der Meldebehörden abfragen und auch das Vorhandensein von Autos oder die
Wohnsituation der Leistungsbezieher überprüfen. Außerdem gibt es einen automatisierten Datenabgleich. Bereits
der erste Abgleich, den die Bundesagentur für Arbeit im
Oktober 2005 durchgeführt hat, hat Leistungsüberzahlungen aufgedeckt. Es gibt eine vorläufige Schätzung der
BA; sie beläuft sich auf 35 Milliarden Euro.
Ich weise darauf hin, dass nun auch im EU-Ausland
vorhandenes Vermögen überprüft werden kann. Es gibt
eine Konkretisierung der Verantwortlichkeit bei der Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten im Bereich der
Grundsicherung. Wir haben die Zusammenarbeit mit
dem Zoll gestärkt, weil wir insbesondere Leistungsmissbrauch und Schwarzarbeit bekämpfen wollen. In der
Praxis hat sich auch gezeigt, dass die Entscheidungen
von den vor Ort Tätigen nicht allein im Büro getroffen
werden können. Deswegen haben wir vorgesehen, dass
jetzt ein Außendienst zur Vermeidung von Leistungsmissbrauch eingerichtet wird. Das alles wird in die Maßnahmen Eingang finden, mit denen 3,8 Milliarden Euro
eingespart werden.
Wenn durch das Aufdecken von Leistungsmissbrauch
weitere Finanzmittel eingespart werden können, dann
kann das nur im Sinne der Steuerzahler und auch im
Sinne der Betroffenen sein, weil dann schlichtweg mehr
Mittel zur Integration zur Verfügung stehen.
Ich mache darauf aufmerksam, dass es noch eine
ganze Reihe von Wortmeldungen gibt. Ich bitte deswegen um kurze Beantwortung.
({0})
Die nächste Frage stellt der Kollege Jörg Rohde.
Herr Staatssekretär, Sie haben gesagt, dass Sie nicht
denken, dass weitere Kosten im Bereich des SGB II auf
den Bundeshaushalt zukommen. Vor dem Hintergrund,
dass durch das neue Gesetz der Kreis der bisherigen
Leistungsempfänger, die die Kosten für die Unterkunft
von den Kommunen erstatten bekommen, beispielsweise
um BAföG-Empfänger erweitert wird, frage ich: Ist es
Strategie der Bundesregierung, die Kosten im Bundeshaushalt konstant zu halten, indem sie auf die Kommunen abgewälzt werden?
Herr Kollege Rohde, in diesem Gesetz gibt es eine
klare Aufteilung: Der Bund übernimmt die Transferleistungen, was zu einer erheblichen Entlastung der Kommunen beigetragen hat. Die Kommunen tragen die Kosten für die Unterkunft. Die Beteiligung des Bundes
beträgt 29,1 Prozent. Im Herbst des letzten Jahres sind
wir in diesem Punkt noch einmal Kompromisse eingegangen, die zu einer Belastung des Bundes weit über
diesen Betrag in Höhe von 2,5 Milliarden Euro führen.
Im Ergebnis der gesamten gesetzlichen Neuregelungen
kann ich keine zusätzliche Belastung der Kommunen erkennen. Ich denke, es liegt genau die Aufgabenteilung
vor, die im Gesetz festgelegt worden ist.
({0})
Nächste Frage hat der Kollege Dr. Heinrich Kolb.
Herr Staatssekretär, sind Angaben in einem Artikel
des „Focus“ von Anfang der Woche zutreffend, dass
- bei gleicher Rechtslage - die Ausgaben für Hartz IV in
den ersten vier Monaten dieses Jahres um etwa
4 Milliarden Euro höher liegen als die Ausgaben im gleichen Zeitraum des Vorjahres? Können Sie bestätigen,
dass selbst bei einem sofortigen Greifen des SGB-IIFortentwicklungsgesetzes, das wir heute verabschieden
wollen, am Jahresende immer noch Mehrausgaben in
Höhe von rund 3 Milliarden Euro gegenüber dem Vorjahreszeitraum zu erwarten sind?
Ich konzentriere mich auf die Entwicklung, die durch
die Zahlen, die ich Ihnen gerade genannt habe, gekennzeichnet ist. Wir gehen von einem Mehrbetrag in Höhe
von circa 2,25 Milliarden Euro in den ersten vier Monaten aus. Wenn man diesen Betrag auf das Jahr hochrechnet sowie die Tatsachen berücksichtigt, dass wir mit einer Reduzierung der Arbeitslosenzahl rechnen können
und dass gestern vom Haushaltsausschuss eine Sperre in
Höhe von 1,1 Milliarden Euro beim Eingliederungstitel
beschlossen wurde, dann kann man sagen, dass Ihre geäußerten Befürchtungen nicht eintreten werden.
Die nächste Frage hat der Kollege Dr. Ralf
Brauksiepe.
Herr Staatssekretär, die Fragen der FDP beziehen sich
auf die finanziellen Konsequenzen der gesetzlichen
Maßnahmen im Bereich des SGB II. Es ist unstrittig,
dass wir darauf achten müssen, dass die Haushaltsansätze eingehalten werden. In diesem Zusammenhang
wird viel über Missbrauchsbekämpfung gesprochen.
Können Sie im Zusammenhang mit den geplanten finanziellen Verbesserungen dieses Haus einmal darüber informieren, was gerade für die Förderung der Menschen
im Bereich des SGB II getan wird,
({0})
um die finanziellen Rahmenbedingungen einzuhalten,
worauf es der FDP ebenfalls ankommt.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte darum,
Ihre Aufmerksamkeit dem Herrn Staatssekretär für die
Beantwortung der Frage zu schenken.
Herr Kollege Brauksiepe, ich habe vorhin ausgeführt,
dass es Bestreben des Gesetzgebers war, die beiden konkurrierenden Transfersysteme, nämlich Arbeitslosenhilfe
und Sozialhilfe, zusammenzuführen, um denjenigen Menschen eine Perspektive zu geben, die als Sozialhilfeempfänger bislang von den Förderleistungen ausgeschlossen
waren. Bei dieser Personengruppe war es auch nicht
möglich, aus einer Hand weitere ergänzende Leistungen
wie Suchtberatung oder Schuldnerberatung anzubieten
und mit Integrationsmaßnahmen dafür zu sorgen, dass
die Hemmnisse für eine Rückkehr auf den Arbeitsmarkt
beseitigt werden. Ich glaube, dass bestehende Diskriminierungen jetzt aufgehoben worden sind.
Wir haben einen stark verbesserten Betreuungsschlüssel insbesondere im Bereich der jungen Menschen eingeführt. Im Kern ist das gesetzliche Ziel erreicht worden,
dass ein Betreuer für 75 Jugendliche zuständig ist. Er
kann sich also viel besser um deren Integration kümmern. Noch vor einigen Jahren bestand die Situation,
dass 250 bis 300 Menschen auf einen Betreuer kamen.
({0})
Ich will hinzufügen, dass man dem Bericht der Bundesagentur für Arbeit das positive Ergebnis entnehmen
konnte, dass im letzten Jahr 1,6 Millionen erwerbsfähige
Hilfebedürftige an Maßnahmen der aktiven Arbeitsförderung teilgenommen haben.
({1})
In den ersten neun Monaten des letzten Jahres war bei
den entsprechenden Anträgen ein Anstieg von 16 Prozent zu verzeichnen. 7,6 Millionen Anträge sind eingereicht worden. Das zeigt schlichtweg, wie der Sozialstaat
an dieser Stelle greift.
Es ist sehr gut, dass es uns gelungen ist, 350 000 erwerbsfähigen hilfebedürftigen Jugendlichen eine Maßnahme der aktiven Arbeitsmarktförderung anzubieten
und zur Verfügung zu stellen. Das hat mit dazu beigetragen, dass im letzten Jahr im Vergleich zum Jahr 2004
156 900 Jugendliche mehr ihre Arbeitslosigkeit beenden
konnten. Das zeigt, dass dort schrittweise ein positiver
Effekt der Reformen eintritt.
Ich denke, wir sind auf einem guten Weg. Die Arbeitsgemeinschaften und die Leistungszentren haben ihre organisatorischen Findungsprozesse jetzt weitgehend abgeschlossen und es werden Qualifizierungsmaßnahmen
für die Mitarbeiter durchgeführt. Es gibt ein starkes Engagement. Die Reform gewinnt daher zunehmend an
Wirkung.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Inge HögerNeuling.
Herr Staatssekretär, Sie haben eben gesagt, es bestehe
kein Grund, panisch zu reagieren. Sie haben gesagt, es
gebe keine Kostenexplosion und es würden nur die
Rechtsansprüche, die den Menschen zustehen, wahrgenommen. Es gebe also keinen massenhaften Missbrauch.
Warum reagieren Sie dann panisch und bringen zwei
Tage vor der abschließenden Beratung des Hartz-IVFortentwicklungsgesetzes Änderungsanträge ein,
({0})
in denen massenhafter Missbrauch unterstellt wird, und
drohen den Empfängern von Arbeitslosengeld II massiv
mit Leistungskürzungen, um Kosten einzusparen - angeblich gibt es ja keine Kostenexplosion - und den angeblichen Missbrauch zu bekämpfen?
Frau Kollegin, ich will auf Folgendes hinweisen: Die
Anträge wurden von den Regierungsfraktionen eingebracht.
({0})
Ich will Ihnen auch sagen, dass es völlig in Ordnung
ist, bei Missbrauch Sanktionen vorzunehmen. Man muss
sich darüber im Klaren sein, worüber wir hier eigentlich
sprechen. Es geht auf der einen Seite um die Arbeitslosengeld-II-Bezieher. Der übergroße Teil dieser Menschen will Arbeit haben. Die Arbeitsgemeinschaften
kümmern sich darum und sind sehr engagiert dabei. Auf
der anderen Seite tragen die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler mit ihren Steuergeldern dazu bei, dass Solidarität gewährleistet werden kann. Wenn jemand in Not geraten ist, wenn jemand keine Arbeit hat, erhält er eine
Transferzahlung und es werden ihm Eingliederungsmaßnahmen angeboten. Das heißt, es besteht ein sozusagen
solidarischer Rechtsanspruch darauf, dass sich alle daran
beteiligen, sich zu integrieren, sich zu engagieren. Missbrauch bei denjenigen, die dies nicht tun, muss bekämpft
werden.
Dies gilt ja nicht für den Fall, dass jemand erstmalig
eine Arbeitsstelle ablehnt. Es sind jetzt Sanktionsmechanismen in Bezug darauf vorgesehen, dass innerhalb eines Jahres dreimal Pflichtverletzungen begangen werden.
({1})
An dieser Stelle muss man auch sagen: Man kann daraus, dass jemand dies tut, schließen, dass er die soziale
Leistung vielleicht gar nicht braucht.
({2})
Wer eine solche benötigt, wird sich integrieren und beteiligen.
Man muss auch einmal darüber reden, wie die Leistungen ausgestattet sind: Es gibt den Regelsatz. Es gibt
die Erstattung der Kosten für die Unterkunft. Es gibt ein
Schonvermögen, das besser geregelt ist als in der Sozialhilfe. Es gibt Hinzuverdienstzuschläge. Es gibt die Möglichkeit, etwas hinzuzuverdienen. - An der Stelle wird
deutlich, dass diejenigen, die die Solidaritätsleistungen
erbringen, einen Anspruch darauf haben, dass ihre Steuermittel vernünftig für die Integration verwendet werden. Solidarität darf an dieser Stelle keine Einbahnstraße
sein.
({3})
Die nächste Frage geht an den Kollegen Jürgen
Koppelin.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie fragen, wann Sie
denn Ihr Haus zu diesem Gesamtkomplex so im Griff
haben werden, wie Sie jetzt in der Lage sind, die Antworten auf Zusatzfragen von Koalitionsabgeordneten
vom Zettel abzulesen?
({0})
Da wir auch an anderer Stelle - Sie wissen das als
Haushälter - Antworten auf ähnliche Fragen zu geben
haben, wie es sich zum Beispiel mit Sanktionen verhält,
wie es sich mit Daten verhält, welche Maßnahmen ergriffen worden sind usw., hat man eine Sammlung entsprechender Daten, auf die man zurückgreifen kann.
Diese hat man in einer solchen Fragestunde mit, Kollege
Koppelin. Das dürfte Ihnen doch bekannt sein.
({0})
Die nächste Frage geht an den Kollegen Rolf Stöckel.
Herr Thönnes, uns allen ist bekannt, dass das SGB II
ein Gesetz ist, das in wesentlichen Grundzügen von einer Kommission vorgeschlagen worden ist, die aus Wissenschaftlern, Experten, Gewerkschaftsvertreterinnen und
-vertretern sowie Arbeitgebervertreterinnen und -vertretern bestanden hat. Außerdem ist das Gesetz im Vermittlungsausschuss unter maßgeblicher Beteiligung der Bundesländer beschlossen worden.
Wir haben international die Erfahrung gemacht, dass
es bei ähnlichen Systemveränderungen drei bis fünf
Jahre gedauert hat, bis sie in der Praxis optimal umgesetzt worden sind. Es gibt überall in dieser Republik Kritik an diesem Gesetz. Einige fordern, es müsse ganz
weg, andere fordern eine Generalrevision. Ist der Bundesregierung irgendein ganzheitlicher Ansatz als Alternative zu der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und
Sozialhilfe bekannt, der die Zielsetzung auch im Interesse der Betroffenen eventuell besser umsetzen könnte?
Herr Stöckel, es handelt sich hier um eine der größten
Sozialreformen in der Geschichte der Bundesrepublik
Deutschland;
({0})
das war ein sehr langwieriger Prozess. Was jetzt vorliegt,
ist das Ergebnis eines parlamentarischen demokratischen
Prozesses. Es sieht etwas anders aus als das, was die damalige Bundesregierung wollte.
Durch das Zusammenführen von zwei Systemen zu
einem wurde die Situation vieler arbeitsloser Menschen,
insbesondere der Sozialhilfeempfänger, verbessert, und
zwar durch die Einbeziehung in die Fördermaßnahmen
der Bundesagentur für Arbeit, in die Rentenversicherung, in die Krankenversicherung und in die Pflegeversicherung. An dieser Stelle mussten für die Umsetzung
notwendige Organisationsstrukturen aus Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus der Arbeitsverwaltung und
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus den Sozialverwaltungen der Kommunen neu geschaffen werden. Das
Ganze arbeitsfähig zu machen, ist eine weitere große
Herausforderung.
Es hat sich gezeigt, dass die Leistungsauszahlung
zum 1. Januar 2005 relativ ungebrochen erfolgt ist. Wir
haben die Erfahrung gemacht, dass es etwas länger gedauert hat, bis die Eingliederungsmaßnahmen gegriffen
haben, dass es aber zunehmend gut vorangeht. In diesem
Umfang, bezogen auf heute über 5 Millionen betroffene
Menschen, findet man so etwas in Europa kaum. Ich
glaube, dass das System vor diesem Hintergrund relativ
gut funktioniert.
Es gibt Kritiken, so wie jetzt vom Bundesrechnungshof; das ist auch in Ordnung. Es gibt Punkte, die man
aufgreifen muss. Wir werden weiterhin im Verfahren
versuchen müssen, effizient zu arbeiten und den Prozess
zu optimieren. Deswegen sind die Kontakte zu den Akteuren vor Ort ganz wichtig.
Ich glaube, es gibt keine Alternative. Diesen Weg im
Kern weiter zu gehen, wird auch von einer großen parlamentarischen Mehrheit getragen. Wir werden das machen, mit Augenmaß, mit der Beachtung der Ausgaben,
aber auch mit dem festen Ziel, zu helfen, zu stützen und
Menschen wieder in Arbeit zu bringen.
Die nächste Frage geht an den Kollegen Frank Spieth.
Herr Staatssekretär, Sie sprachen vorhin in der Antwort auf eine Frage von notwendigen Sanktionen bei
Missbrauch. Sind Sie der Auffassung, dass mit den Kürzungen der Unterhaltsleistungen und insbesondere den
jetzt vorgesehenen Kürzungen der Leistungen für die
Kosten der Unterkunft bei nicht mit dem Berater verabredeter Abwesenheit vom Wohnort Sanktionen verbunden sein sollten, die nach unserer Auffassung verfassungswidrig sind, weil sie eindeutig gegen Art. 1 des
Grundgesetzes und Art. 20 des Grundgesetzes verstoßen? Halten Sie nicht eine Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung vor einer Entscheidung hier
im Deutschen Bundestag für dringend erforderlich?
Ich denke, dass die Regelung erstens verfassungsgemäß und zweitens angemessen ist. Ich glaube schon,
dass man Folgendes deutlich unterstreichen muss: Wenn
jemand von seinen Rechtsansprüchen Gebrauch macht,
die Solidarität derjenigen, die die steuerlichen Leistungen erbringen, in Anspruch nimmt, Transferleistungen
erhält und sagt, dass er einen Arbeitsplatz oder einen
Ausbildungsplatz will, dann kann man erwarten, dass er
sich für die Eingliederung in den Arbeitsmarkt zur Verfügung hält und vor Ort erreichbar ist und sich nicht
ohne Absprache entfernt. Die Regelungen sind klar. Jeder weiß, welche Folgen die Abwesenheit haben kann.
Ich halte die Regelung für vertretbar.
({0})
Jetzt hat sich der Kollege Jürgen Koppelin zur Geschäftsordnung gemeldet.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
glaube, wir können auf die Antworten zu den nächsten
drei dringlichen Fragen verzichten, da der Herr Staatssekretär nicht in der Lage ist, konkret die Fragen zu beantworten, die von der Opposition kommen.
({0})
Er kann nur dann etwas konkreter werden, wenn Zusatzfragen aus den Reihen der Koalition kommen, weil ihm
zu diesen Fragen schon die schriftlichen Antworten vorliegen. Das reicht uns aber nicht. Deswegen beantragt
die Fraktion der Freien Demokratischen Partei heute
eine Aktuelle Stunde. Wir schlagen vor, Herr Präsident,
diese Aktuelle Stunde etwa um 12.35 Uhr aufzurufen.
({1})
Die FDP-Fraktion hat beantragt, eine Aktuelle Stunde
zu dem Thema der dringlichen Frage 1 durchzuführen.
Das entspricht Nr. 1 b der Richtlinien für die Aktuelle
Stunde. Interfraktionell ist vereinbart - es ist keine Überraschung, weil offenkundig alle darüber vorher informiert waren -,
({0})
dass die Aktuelle Stunde nach den Ohne-Debatte-Punkten aufgerufen werden soll. Ist das einvernehmlich? - Es
gibt keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
({1})
Herr Kollege Koppelin und Herr Kollege Niebel, dann
können die weiteren dringlichen Fragen schriftlich beantwortet werden.
Wir kommen nun zu dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Hermann Kues zur Verfügung.
Die Frage 1 hat die Kollegin Ekin Deligöz gestellt:
Welche Kosten hat die Durchführung des Ersten Deutschen Familientages am 15. Mai 2006 in Berlin verursacht
und wer kommt für diese auf?
Veranstalter des Ersten Deutschen Familientages war
das Servicebüro „Lokale Bündnisse für Familie“, das
den Ausbau und die Vernetzung der lokalen Bündnisse
in Deutschland gemeinsam mit vielen gesellschaftlichen
Partnern vorantreibt und begleitet. Der Erste Deutsche
Familientag wandte sich sowohl an ein breites Fachpublikum aus den Einzelbündnissen als auch an eine breitere Öffentlichkeit, um die Initiative bekannt zu machen.
Für den Zeitraum 2003 bis Ende 2006 hat das Servicebüro aus Bundesmitteln etwa 6 Millionen Euro für
diese Arbeit zur Verfügung. Daraus werden die Initiierung, die Beratung und der Aufbau der aktuell 308 lokalen Bündnisse, die über 35 Millionen Menschen erreichen, organisiert und finanziert. An über 250 weiteren
Standorten werden Gründungen von lokalen Bündnissen
vorbereitet. Diese Summe schließt Mittel für Öffentlichkeitsarbeit und die Organisation von lokalen und regionalen Veranstaltungen sowie bundesweite Großveranstaltungen wie den Familientag ein. In den vergangenen
Jahren hat das Servicebüro jeweils eine bundesweite
Veranstaltung als Netzwerkkonferenz organisiert. In diesem Jahr ist dies in erweiterter Form als Familientag
geschehen. Die öffentlichkeitswirksame Zentralveranstaltung auf der Museumsinsel - Schirmherr war der
Bundespräsident, ein Grußwort kam von der Bundeskanzlerin - war für das Bündnis eine hervorragende Gelegenheit, seine Leistung zu präsentieren und weitere
Mitglieder zu werben. Am Familientag beteiligten sich
viele wichtige Partner aus der Wirtschaft mit eigenen
Beiträgen auf eigene Kosten, unter anderem die Unternehmen Unilever, JAKO-O, Adidas und Douglas Holding. Das Bundesministerium steuerte keine weiteren
Mittel bei.
Der Familientag sollte und wollte dazu beitragen,
dass aktuelle Entwicklungen in der Familienpolitik, neue
Themen und innovative Ideen eine Plattform finden und
alle an der Familienpolitik Interessierten erreichen, Bürgerinnen und Bürger eingeschlossen. Deswegen richtete
sich der Familientag neben dem Fachpublikum - insgesamt waren 1 700 Fachleute aus ganz Deutschland angemeldet - auch an Familien mit Kindern und enthielt das
Rahmenprogramm neben dem Fachprogramm und den
Informationsangeboten für Familien auch unterhaltende
Elemente, wie etwa den Rekordversuch „Das größte Familienfoto der Welt“.
Nachfrage, Frau Kollegin Deligöz.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, dass dieses
Servicebüro im Auftrag des Familienministeriums arbeitet, weil diese Bündnisse eine Initiative des Familienministeriums sind, und dass eine Veranstaltung, die im
Auftrag des Familienministeriums stattfindet, auch eine
Veranstaltung des Familienministeriums ist?
Ich stimme Ihnen erstens zu, dass das Servicebüro im
Auftrag des Familienministeriums handelt und dass das
insofern natürlich auch eine Veranstaltung des Familienministeriums ist.
Weitere Nachfrage. Bitte, Frau Deligöz.
Können Sie beziffern, was dieser Tag gekostet hat?
Zu den Kosten habe ich eben Ausführungen gemacht.
Ich habe deutlich gemacht, was das Servicebüro für die
Leistungen, die ich eben beschrieben habe, aus dem
Bundeshaushalt insgesamt erhält. Ich habe aber auch
darauf hingewiesen, dass dies durch Mittel der Bündnispartner - sie sind auch entsprechend aufgetreten - ergänzt wird.
Ich rufe die Frage 2 der Kollegin Deligöz auf:
Was hat die Bundesregierung auf dem von ihr veranstalteten Ersten Deutschen Familientag gegen die dortige Verbreitung einer von der Frauen-Union der CDU Deutschland ausgelegten Publikation unternommen, in der der Eindruck
erweckt wird, das Elterngeld sei bereits ein gesetzliches Regelwerk, ohne dass bislang ein Gesetzentwurf öffentlich vorliegt oder gar im Deutschen Bundestag debattiert worden ist?
Auf dem Ersten Deutschen Familientag haben sich
232 lokale Bündnisse für Familie sowie zahlreiche
Bündnisfreunde präsentiert. Die Bundesregierung hat
sich nicht darum gekümmert, welche Publikationen im
Einzelnen ausgelegt wurden.
Nachfrage.
Herr Staatssekretär, wir haben vorhin festgestellt,
dass dieser Veranstaltungstag im Auftrag des Familienministeriums stattfand und damit eine Veranstaltung des
Familienministeriums war. Können Sie mir erklären, wie
es dazu kommt, dass die Frauen-Union als einzige Parteiorganisation auf diesem Parteitag Flugblätter verteilen
durfte, während es allen anderen Fraktionen und Parteien nicht erlaubt war, sich selbst darzustellen, auf
Podien aufzutreten oder in irgendeiner anderen Form
Veröffentlichungen zu präsentieren? Das wurde lediglich
der Frauen-Union erlaubt. Übrigens durften auch andere
Verbände kein Informationsmaterial verteilen.
Es ist offensichtlich richtig, dass die Frauen-Union einen Flyer ausgelegt hat. Die Frauenunion gehört genauso wie die Bundeswehr, Wirtschaftsunternehmen, der
DGB, der Deutsche Städte- und Gemeindebund oder die
Sozialdemokratische Gemeinschaft für Kommunalpolitik zu den Bündnisfreunden. Insgesamt waren 30 Bündnisfreunde, die sich als solche haben erfassen lassen, auf
der Veranstaltung vertreten.
Zweite Nachfrage.
Herr Staatssekretär, es war den anderen Parteien und
Fraktionen nicht erlaubt, dort ihre Flugblätter auszulegen, obwohl auch sie, da es sich um ein Programm der
Regierung handelt, hinter dem alle Fraktionen stehen, zu
den Bündnispartnern zählen. Wie begründen Sie, dass
lediglich die Frauen-Union als Parteiuntergliederung
dort Werbung machen durfte, die Untergliederungen der
FDP, der Grünen, der SPD und der Linken aber nicht?
Ich habe eben versucht, zu erläutern, dass es Bündnisfreunde gibt, die sich als solche haben registrieren lassen. Diese Bündnisfreunde waren alle berechtigt, Materialien auszulegen. Das haben nicht alle in gleicher
Weise genutzt. Einige haben zum Beispiel Ansteckplaketten verteilt, mit denen sie aufgetreten sind. Insofern
ist das unterschiedlich gehandhabt worden. Spielraum
gab es für alle, die Mitglied im Bündnis sind oder dort
mitarbeiten.
Weitere Nachfrage der Kollegin Laurischk.
Herr Staatssekretär, inwieweit waren Frauenorganisationen, die den politischen Parteien nahe stehen oder Unterorganisationen von ihnen sind, zu dieser Veranstaltung eingeladen?
Ich habe eben gesagt, dass es eine Sache des Bündnisses für Familie ist, dass es also an der Konstruktion liegt,
in der es dieses Bündnis gibt und auch die Bündnisfreunde, die sich erfassen lassen. Ich habe gesagt, dass
30 Bündnisfreunde anwesend waren. Darüber hinaus
war allgemein die Öffentlichkeit eingeladen. Ich habe
Ihnen eben die Zahl 1 700 genannt. Sie wissen, dass das
Ganze am Berliner Dom stattgefunden hat. Es war also
öffentlichkeitswirksam. Offener geht es eigentlich nicht.
Frau Laurischk, eine weitere Frage kann ich Ihnen
nicht gewähren.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Michael Müller zur Verfügung.
Wir kommen zur Frage 3 der Kollegin Gudrun Kopp:
Teilt die Bundesregierung die Einschätzung des Wissenschaftsrates, der in seiner „Wissenschaftspolitischen Stellungnahme zum Bundesamt für Strahlenschutz ({0})“ vom
19. Mai 2006 zu dem Ergebnis kommt, dass in der Vergangenheit bei der Berufung der Amtsleitung wohl nicht hinreichend
auf die wissenschaftliche Kompetenz der Kandidaten geachtet
wurde?
Sehr geehrte Frau Kollegin, vor dem Hintergrund der
gesetzlich fixierten Aufgabenstellung des Amtes und vor
dem Hintergrund des Lebenslaufs des Präsidenten und
seiner Arbeitsleistung können wir nur mit Nein antworten.
Nachfrage, Frau Kopp?
Herr Staatssekretär, es geht hier nicht um den Lebenslauf des Präsidenten, sondern es geht um seine wissenschaftliche Qualifikation. Der Wissenschaftsrat hat kritisiert, dass gerade die Führung des Bundesamtes für
Strahlenschutz keine naturwissenschaftliche Vorbildung
hat. Das ist aber eine Voraussetzung zur Führung dieses
Amtes. Würden Sie dazu bitte einmal Stellung nehmen?
Ich habe auf Ihre Frage geantwortet und aus meiner
Sicht gehört zum Lebenslauf natürlich auch die wissenschaftliche bzw. berufliche Leistung einer Person. Insofern bleibe ich bei dieser Antwort. Aber ich will gern
noch ein paar Sätze hinzufügen. Der Präsident des BfS
war Staatssekretär und er hat eine wissenschaftliche
Ausbildung. Im Übrigen muss ich darauf hinweisen,
dass dieses Amt zu mehr als 80 Prozent verwaltungsmäßige Tätigkeiten übernimmt. Vielleicht sollten wir Ihnen
eine genauere Beschreibung seiner Tätigkeit zukommen
lassen.
Weitere Nachfrage, Frau Kopp.
Der Wissenschaftsrat bemängelt unter anderem, dass
das BfS so gut wie keinerlei wissenschaftliche Publikationen und kaum Forschungsprojekte gemacht hat. Das
müsste man von einem solchen Bundesamt erwarten
können. Im Übrigen wird kritisiert, dass das Bundesamt
sich im internationalen Vergleich nicht auf dem Stand
der neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse befindet.
Würden Sie bitte auch dazu etwas sagen?
Auch hier teilen wir die Kritik nicht. Es ist manchmal
sehr interessant: Die Kriterien, die der Wissenschaftsrat
an andere anlegt, sollte er auch an sich selbst anlegen
lassen. Da könnte ich Ihnen eine Menge Beispiele nennen. Aber das ist jetzt nicht der entscheidende Punkt.
Der entscheidende Punkt ist vielmehr - das schreibt der
Wissenschaftsrat selbst -:
Eigene wissenschaftliche Forschung selbst steht
nicht im Vordergrund der Arbeit des BfS, sondern
sie hat eine dienende Funktion zur sachgerechten
Erledigung der vom Gesetzgeber übertragenen Verwaltungsaufgaben.
In diesem Sinn erfüllt das BfS seine Aufgabenstellungen. Ich möchte darauf hinweisen, dass das BfS klare
Aufgaben hat, die es erfüllt, nämlich in den drei Bereichen kerntechnische Sicherheit, Strahlenschutz und Endlagerforschung. In allen drei Bereichen gibt es keine derartige Kritik.
Dann kommen wir zur Frage 4 der Kollegin Kopp:
Auf welche Weise stellt die Bundesregierung sicher, dass
der gesetzlich formulierte Auftrag des Bundesamtes für Strahlenschutz, auch eigene Forschungen auf dem Gebiet des
Strahlenschutzes und in der Kerntechnik durchzuführen, erfüllt wird?
Zur Frage 4 - sie hängt mit der vorherigen zusammen sagen wir: Gemäß dem Gesetz über die Errichtung eines
Bundesamtes für Strahlenschutz betreibt das BfS zur Erfüllung seiner Aufgaben wissenschaftliche Forschung.
Man muss natürlich die Rahmenbedingungen sehen, die
sich aus dem Haushalt und auch aus der Personalsitua3222
tion ergeben. In den angesprochenen Bereichen kommt
das BfS den ihm übertragenen Aufgaben nach.
Nachfrage? - Bitte.
Herr Staatssekretär, es gibt insgesamt 582 Planstellen
im BfS. Würden Sie bitte ausführen, wie viele dieser
Planstellen nicht nur pro forma mit wissenschaftlichen
Mitarbeitern ausgewiesen sind, sondern tatsächlich mit
Wissenschaftlern der Bereiche kerntechnologische Sicherheit und Kerntechnologie besetzt sind?
Ich sage Ihnen, dass der Ausdruck „pro forma“ nicht
akzeptabel ist. Wir haben bei den Stellenausschreibungen immer den Kriterien entsprochen, die wir in Bezug
auf die Funktionsfähigkeit dieses Hauses haben. Im Übrigen muss man sehen, dass dieses Haus mit anderen
Einrichtungen, die in diesem Bereich tätig sind, eng verzahnt ist.
Ich wiederhole: Von uns als zuständigem Ministerium
wird keine Kritik an der wissenschaftlichen Leistung des
BfS geäußert. Die konkreten Zahlen werde ich Ihnen
gerne nachliefern. Allerdings gehe ich davon aus, dass
das Amt seine Aufgaben erfüllt. Was die Aufgabenerfüllung angeht, gibt es von uns keine Kritik.
Weitere Nachfrage? - Bitte.
Das habe ich in dem Bericht des Wissenschaftsrates
anders gelesen.
Man muss seine Einschätzung ja nicht teilen. - Entschuldigung.
Gut. Ich teile das, was Sie gesagt haben, auch nicht. Herr Staatssekretär, ich glaube, wir sind uns einig, dass
die kerntechnologische Sicherheit und insbesondere
Wissenschaft und Forschung in Bezug auf neueste Sicherheitsstandards ein Kernpunkt und wichtig für unser
Land sind. Vor diesem Hintergrund frage ich Sie noch
einmal, und zwar sehr eindringlich, ob Sie tatsächlich
nicht der Meinung sind, dass es nötig ist, wie es der Wissenschaftsrat ausdrücklich fordert, diese Ressortforschung zu verbessern. Bitte antworten Sie darauf, ob es
Planungen zur Verbesserung gibt, oder ob Sie der Meinung sind, dass alles prima ist.
Wie Sie wissen, überprüfen wir die Aufsicht und die
kerntechnische Forschung in der Bundesrepublik insgesamt und bewerten anschließend die Ergebnisse. Es gibt
mehrere Institutionen, die an dieser Beratung beteiligt
sind. Sollten wir die Notwendigkeit sehen, die Forschung in bestimmten Bereichen auszuweiten und die erforderlichen finanziellen Mittel dafür bereitzustellen,
dann hoffen wir, dass auch die FDP hilft.
Danke schön, Herr Staatssekretär. - Aber die Mehrheit im Haushaltsausschuss hat natürlich die Regierung.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Die Frage 5 der
Kollegin Cornelia Hirsch soll schriftlich beantwortet
werden.
Nun kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Die Frage 6 der Kollegin
Dr. Gesine Lötzsch wird ebenfalls schriftlich beantwortet.
Dann kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Zur
Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär
Peter Hintze zur Verfügung.
Die Frage 7 des Kollegen Peter Hettlich soll schriftlich beantwortet werden.
Wir kommen dann zur Frage 8 der Kollegin Ulla
Lötzer:
Welche konkreten Verhandlungsziele und Änderungsvorschläge hat die Bundesregierung auf der Sitzung des Wettbewerbsrates am 29. und 30. Mai 2006 in den Verhandlungen
zum geänderten Vorschlag der EU-Kommission für eine
Richtlinie über Dienstleistungen im Binnenmarkt verfolgt
bzw. vorgelegt?
Herr Präsident, mit Ihrer Genehmigung würde ich
gerne die Fragen 8 und 9 wegen der engen thematischen
Verschränkung gemeinsam beantworten.
Ja, gut. Dann rufe ich auch die Frage 9 der Kollegin
Ulla Lötzer auf:
Wie hat die Bundesregierung dabei im Einzelnen die Forderungen des Bundesrates aus seiner aktuellen Entschließung
({0}) berücksichtigt, die sich auf
Ausnahmen vom Anwendungsbereich der Richtlinie, die Daseinsvorsorge, das Subsidiaritätsprinzip, die Entscheidungsfreiheit der nationalen Gesetzgeber und weitere konkrete Änderungswünsche beziehen?
Frau Kollegin, die Bundesregierung hat den Deutschen Bundestag in der Vergangenheit intensiv über ihre
Position informiert. Ich erinnere in diesem Zusammenhang insbesondere an das Ihnen übersandte EckpunkteParl. Staatssekretär Peter Hintze
papier vom 6. März 2006, an die Beantwortung der Kleinen Anfrage der Fraktion Die Linke vom 23. März 2006
und an die Berichterstattung in den einzelnen Fachausschüssen. Hinweisen möchte ich auch auf das jüngste
Schreiben meiner Kollegin Frau Staatssekretärin
Caspers-Merk an den Gesundheitsausschuss, in dem wir
am 19. Mai 2006 unsere Verhandlungsposition speziell
zum Bereich Dienstleistungen dargelegt haben. Diese
von uns dargelegten Positionen haben wir auch im Rat
mit Erfolg vertreten.
Vor diesem Hintergrund besteht volle Klarheit über
unsere Verhandlungsziele. Die geplante Richtlinie über
Dienstleistungen im Binnenmarkt ist ein zentrales Projekt im Rahmen der Lissabonstrategie der Europäischen
Union, die von der Bundesregierung mitgetragen wird.
Das beabsichtigte Ziel des Richtlinienvorschlags, die
weitere Stärkung des Binnenmarktes für Dienstleistungen, um positive Wachstums- und Beschäftigungsanreize zu erreichen, wurde und wird von der Bundesregierung unterstützt. Zugleich hat sich die Bundesregierung
entschieden dafür eingesetzt, dass auch die berechtigten
sozial- und gesellschaftspolitischen Anliegen berücksichtigt und eine ausgewogene Balance zwischen den
Zielen erreicht werden. Die Bundesregierung hat auf
dieser Grundlage eine differenzierte Verhandlungsposition entwickelt und den Deutschen Bundestag fortlaufend über die einzelnen Punkte informiert. Diese Punkte
haben wir auch auf dem Wettbewerbsrat in Brüssel eingefordert.
Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, kurz über die
Ergebnisse des Wettbewerbsrats vom letzten Montag zu
berichten: Wir haben mit der politischen Einigung viel
erreicht, und dies trotz schwieriger Ausgangslage. Das
gemeinsame Bemühen um eine bessere Richtlinie hat
sich für Deutschland gelohnt. Nach schwierigen Beratungen haben wir nun eine Lösung sowohl im Interesse
der deutschen Anbieter als auch der Kunden erreicht.
Das im Rat erzielte Verhandlungsergebnis trägt wichtigen deutschen Interessen Rechnung. Es basiert auf dem
ökonomisch und sozial ausgewogenen Kompromiss des
Europäischen Parlaments, auf dem schon die Europäische Kommission ihren geänderten Richtlinienvorschlag
aufgebaut hat. Wir haben nun eine fein austarierte Balance zwischen Marktöffnung und Sozial- und Umweltschutz erreicht.
Um einige Eckpunkte konkret zu benennen: Wir haben durchgesetzt, dass Gesundheits- und soziale Dienstleistungen nicht unter die Richtlinie fallen, und zwar einschließlich des Pflegebereichs. Auch das Arbeitsrecht
und die Rechtsvorschriften über die soziale Sicherheit
bleiben endgültig aus der Richtlinie ausgenommen.
Ebenso wurden Notare aus dem Anwendungsbereich der
Richtlinie ausgenommen. Die Umsetzungsfrist wird auf
drei Jahre verlängert - auch das war eine Forderung des
Parlaments und des Bundesrates - und die Entscheidungsfreiräume des nationalen Gesetzgebers konnten
nochmals erweitert werden.
Das sind wichtige Erfolge, gerade für uns in Deutschland. Die Forderungen des Bundesrates konnten damit in
den wesentlichen Punkten durchgesetzt werden.
Nachfrage? - Bitte schön.
Herr Hintze, erst einmal vielen Dank für die Information. Meine Fragen beziehen sich konkret auf die Einigung im Wettbewerbsrat über weitere Änderungen an
der Richtlinie, die jetzt noch zur formellen Beschlussfassung sowie dem EP zur zweiten Lesung vorgelegt werden.
Ist meine Information richtig, dass Sie zwar erreicht
haben, dass der Pflegebereich ausgenommen wird, dass
es aber bei der Einschränkung der sozialen Dienstleistungen auf die Frage der Bedürftigkeit - was beispielsweise der Bundesrat als sachlich nicht gerechtfertigt abgelehnt hat - bleibt? Verschiedene Mitgliedsländer
sollen im Wettbewerbsrat darauf gedrängt haben, dass
sie für die Zustimmung zum Verzicht auf das Herkunftslandprinzip weitere Einschränkungen gegenüber dem
Entwurf der Europäischen Kommission erhalten. Dafür
ist ein neuer Erwägungsgrund, 39 c, beschlossen worden, nach dem die Beschäftigungsbedingungen nur dann
als einzuhalten gelten, wenn sie aus Gründen des Schutzes der Arbeitnehmer gerechtfertigt, nicht diskriminierend, notwendig und verhältnismäßig sind. Was bedeutet
diese Einschränkung aus Ihrer Sicht? Wie wird das entschieden? Welche Konsequenz hat das für den Schutz
vor Lohn- und Sozialdumping?
Ferner wurden auch in Bezug auf die Daseinsvorsorge, ein wichtiger Punkt in der Auseinandersetzung
um die Dienstleistungsrichtlinie, Einschränkungen vom
Rat beschlossen wurden. Es ist nämlich nicht so, dass
Dienstleistungen von allgemeinem Interesse insgesamt
ausgenommen werden sollen, sondern nur die nicht wirtschaftlichen Dienstleistungen von allgemeinem Interesse. Was heißt das? Einen solchen Rechtsbegriff gibt
es bisher überhaupt nicht. Welche Konsequenzen hat das
für die Daseinsvorsorge?
Das war jetzt ein Bündel von Fragen. Ich bitte Sie, sie
so weit wie möglich zu beantworten.
Herr Präsident, ich versuche, sie präzise zu beantworten, wobei ich darauf hinweisen möchte, dass es noch
eine Große Anfrage der Fraktion Die Linke gibt, die wir
im Juli beantworten werden, weil die entsprechenden
Rechtstexte, der gemeinsame Standpunkt, erst in einer
Sitzung des Rates im Juni förmlich verabschiedet werden; darauf haben Sie hingewiesen, Frau Kollegin.
Ich will trotzdem einen kleinen Durchgang durch Ihre
Fragen machen: Erstens. Die Bedürftigkeitsthematik ist
im Sinne des Wunsches des Bundesrates geregelt worden.
Zweitens, zum Komplex des Herkunftslandprinzips.
Sie wissen, dass die ursprünglich vorgeschlagene Form
des Herkunftslandprinzips herausgenommen worden ist.
Sie haben gefragt, was dafür eingefügt worden ist. An
die Stelle des Herkunftslandprinzips tritt jetzt ein Behinderungsverbot mit Berichtspflichten. Der Grundgedanke der Richtlinie ist ja ein Behinderungsverbot; das
heißt, dass die Dienstleistungserbringung im gemeinsamen Markt nicht durch unsachgemäße Regeln und Vorschriften behindert werden soll. Deswegen ist jetzt ein
Berichtsverfahren eingeführt worden, nach dem die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, Einschränkungen und Regelungen, die für ausländische Dienstleistungserbringer
gelten, der Kommission mitzuteilen, damit man einem
möglichen Missbrauch frühzeitig auf die Spur kommen
kann. Das Herkunftslandprinzip wird also von einem
Bestimmungslandprinzip abgelöst, das aber mit einem
sehr ausgeprägten Behinderungsverbot versehen wurde.
Ich finde, das ist eine Lösung, mit der alle Beteiligten
gut leben können. Es gab ja im Rat eine große Auseinandersetzung zwischen den neuen Mitgliedstaaten und den
alten Mitgliedstaaten. Insbesondere die neuen Mitgliedstaaten haben auf eine wesentlich weiter gehende Liberalisierung gedrängt. Wir haben zum Schutz unseres Arbeitsrechtes, unserer Sozialstandards und zum Schutz
vor Umwelt- oder Lohndumping die Regelungen durchgesetzt, die ich eben dargestellt habe.
Beim Thema Daseinsvorsorge besteht vielleicht ein
Missverständnis. Die Thematik der Daseinsvorsorge als
solche - auch in weiteren Fragen wird es darum gehen wird von der Richtlinie nicht tangiert. Es geht vielmehr
um die Frage, ob es sich um eine wirtschaftliche Tätigkeit oder um eine nicht wirtschaftliche Tätigkeit handelt.
Diese ist aus dem Geltungsbereich der Richtlinie herausgenommen worden.
Die Fragen, die Sie gestellt haben, beziehen sich auf
wirtschaftliche Tätigkeiten. Man muss das im Einzelnen
betrachten. Zur Daseinsvorsorge im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse zum Beispiel zählen die Versorgung mit Strom, die Müllentsorgung und Ähnliches.
Wenn in den einzelnen Mitgliedstaaten oder nach anderen einschlägigen Vorschriften eine Marktöffnung vorgesehen ist, dann müssen alle Anbieter die Chance haben,
sich an diesem Markt zu beteiligen. Der Kern ist nicht,
ob eine Leistung eine Leistung der Daseinsvorsorge ist,
sondern, ob eine Leistung gegen Entgelt erbracht wird,
also ob es eine wirtschaftliche oder eine nicht wirtschaftliche Leistung ist.
Herr Präsident, ich schlage vor, über die Einzelheiten
in den Fachausschüssen zu diskutieren, wenn der
Rechtstext vorliegt.
Sind Sie damit einverstanden, Frau Kollegin Lötzer?
Ich habe eine konkrete Nachfrage, da Sie in einem
Punkt nicht auf meine Frage geantwortet haben.
Ich bitte um Entschuldigung, aber Sie haben eine
Fülle von Fragen gestellt.
Dann stelle ich diese Frage gerne noch einmal. Bei der
Ergänzung, die der Wettbewerbsrat im Bereich der Daseinsvorsorge angebracht hat, geht es nicht um die
Dienstleistungen der Daseinsvorsorge von wirtschaftlichem Interesse, sondern um die Dienstleistungen der Daseinsvorsorge von allgemeinem Interesse. Hier schlägt
der Rat nach meiner Information eine weitere Einschränkung vor, welche die nicht wirtschaftlichen Dienstleistungen von allgemeinem Interesse betreffen soll. Darauf
bezog sich meine Frage. Welche Konsequenzen hat das?
Es geht um die Daseinsvorsorge von allgemeinem Interesse. Diesen Rechtsbegriff gibt es überhaupt nicht. Welche Dienstleistungen sind damit gemeint und werden
gegenüber dem bisherigen Entwurf zusätzlich in den Geltungsbereich der Richtlinie einbezogen?
Frau Kollegin, ich werde dieser Frage gerne nachgehen und sie Ihnen schriftlich beantworten.
Gut.
Vielen Dank. - Wir kommen dann zur Frage 10 der
Kollegin Inge Höger-Neuling:
Welche Position vertritt die Bundesregierung gegenüber
der Forderung des Bundesrates aus seiner aktuellen Entschließung ({0}) zur EU-Richtlinie über
Dienstleistungen im Binnenmarkt, Leistungen der Pflege und
Rehabilitation explizit vom Anwendungsbereich der Richtlinie auszunehmen, insbesondere auch in den Verhandlungen
des Wettbewerbsrates?
Mit Ihrer Genehmigung, Herr Präsident, würde ich
die Fragen 10 und 11 gerne im Zusammenhang beantworten, weil sie inhaltlich eng zusammenhängen und
beide das Thema zum Gegenstand haben, über das wir
gerade gesprochen haben.
Dann rufe ich auch Frage 11 der Kollegin Inge HögerNeuling auf:
Welche Position vertritt die Bundesregierung gegenüber
der Forderung des Bundesrates aus seiner aktuellen Entschließung ({0}) zur EU-Richtlinie über
Dienstleistungen im Binnenmarkt, soziale Dienstleistungen
vollumfänglich und demnach auch ohne Einschränkung auf
das Kriterium der Bedürftigkeit aus dem Geltungsbereich der
Richtlinie auszunehmen, insbesondere auch in den Verhandlungen des Wettbewerbsrates?
Ich beantworte die Fragen 10 und 11 wie folgt: Die
Bundesregierung hat, wie ich eben zu den Fragen 8 und 9
ausgeführt habe, in den Verhandlungen erfolgreich die
gleiche Position wie der Bundesrat vertreten. Wir haben
uns dezidiert für die notwendigen Textänderungen
sowohl bei Art. 2 als auch in den Erwägungsgründen
stark gemacht. Gegen erheblichen Widerstand von anderen Mitgliedstaaten konnte die Bundesregierung damit
durchsetzen, dass Gesundheits- und soziale Dienstleistungen nicht unter die Richtlinie fallen, und zwar einschließlich des Pflegebereichs.
Ihre Nachfrage, bitte.
Meine Nachfrage - sie steht im Zusammenhang mit
dem, was schon die Kollegin Lötzer gefragt hat -: Gehören zum Pflegebereich auch Beratungsangebote für
Menschen, zum Beispiel zu Themen wie Pflege und
Kinderbetreuung, und die Unterstützung bedürftiger Familien und Personen? Wie ist die Definition abgefasst?
Können Sie dazu schon Genaueres sagen? Die Informationen, die wir bisher dazu bekommen haben, gehen
nämlich sehr durcheinander.
Die von Ihnen gestellten Fragen kann ich jeweils mit
Ja beantworten. Ich schlage aber vor, die weiteren Einzelheiten im Fachausschuss zu besprechen.
Nun hat die Kollegin Schwall-Düren eine Nachfrage.
Herr Staatssekretär, Sie haben vorhin darauf hinge-
wiesen, dass das Herkunftslandprinzip durch das Be-
stimmungslandprinzip ersetzt wurde, verbunden mit der
Auflage, regelmäßig Berichte darüber abzugeben, wel-
che Beschränkungen ausländischen Dienstleistern aufer-
legt werden sollen. Es gab das Ansinnen, dass diese
Berichtspflichten oder Rechtfertigungspflichten sehr in-
tensiv genutzt werden sollen. Meiner Kenntnis nach hat
sich die Bundesregierung dafür eingesetzt, dass diese in-
tensive Rechtfertigungspflicht reduziert wird. Konnten
Sie in diesem Bereich einen Erfolg erzielen?
Frau Kollegin, ich beantworte diese Frage gerne.
Zu den Erfolgen der deutschen Verhandlungsführung
im Rat gehört, dass wir die Berichtspflichten auf das not-
wendige Maß zurückführen konnten, dass es eine allge-
meine Übermittlungspflicht, aber kein formales Notifi-
zierungsverfahren gibt und dass wir bezogen auf die
Auflagen für kleine und mittlere Unternehmen insbeson-
dere den Grundsatz der Erforderlichkeit mit einführen
konnten, sodass hier ein echter Beitrag zur Entbürokrati-
sierung geleistet wurde.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Die Zeit für die
Fragestunde ist abgelaufen. Damit müssen wir die Fra-
gestunde für heute beenden. Die nicht beantworteten
Fragen werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen damit zu den Tagesordnungspunkten 2 a
bis 2 c:
a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines
Steueränderungsgesetzes 2007
- Drucksache 16/1545 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({0})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
b) Beratung des Antrags der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Steueränderungsgesetz 2007 zurückziehen
- Drucksache 16/1501 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({1})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Volker Wissing, Dr. Hermann Otto Solms,
Carl-Ludwig Thiele, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der FDP
Keine weiteren Steuererhöhungen
- Drucksache 16/1654 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({2})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss
Der Antrag auf Herbeirufung des Bundesministers
der Finanzen aus der letzten Plenarsitzung, in der dieser
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Tagesordnungspunkt behandelt wurde, sollte sich durch
die Anwesenheit des Ministers erledigt haben. - Ich sehe
ihn aber nicht.
({3})
Können wir davon ausgehen, dass der Herr Minister bald
hier ist? - Er erscheint soeben. Damit hat sich dies erledigt.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Vorsitzende des Finanzausschusses, Eduard Oswald, für
die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({4})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
habe heute zum zweiten Mal Gelegenheit, in erster Lesung zum Steueränderungsgesetz 2007 zu sprechen.
({0})
Im Interesse einer sachgerechten Behandlung erspare ich
mir, auf die Vorgänge einzugehen, die dazu geführt haben, dass diese erste Lesung noch einmal angesetzt werden musste.
({1})
Mit dem Entwurf zum Steueränderungsgesetz 2007
wird die Haushaltssanierung konsequent fortgesetzt.
Mit ihm werden insbesondere Maßnahmen aus der Koalitionsvereinbarung verwirklicht. Darüber hinaus enthält er Regelungen zur Rechtsbereinigung sowie zur Anpassung an die neue Rechtsprechung. Außerdem werden
mit ihm spezifische europarechtliche Vorgaben erfüllt.
Gerade auch mit Blick auf die nachfolgenden Generationen wollen wir die Konsolidierung der öffentlichen
Haushalte vorantreiben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer bei einem Schuldenberg von 1,5 Billionen Euro
„Weiter so wie bisher“ sagt, handelt nicht verantwortungsbewusst.
({2})
Wir müssen verhindern, dass den künftigen Generationen zusätzlich zu den demografischen Problemen in
den sozialen Sicherungssystemen weitere Zinslasten aufgebürdet werden. Deshalb müssen wir gegensteuern.
Dieses Gegensteuern führt für viele Betroffene zu Einschnitten, ist ohne Alternative und sind wir unseren
künftigen Generationen schuldig.
({3})
Die Aufgaben, vor denen wir heute stehen, sind gewaltig. Arbeitslosigkeit, Staatsverschuldung, demografischer Wandel und Veränderungsdruck der Globalisierung verlangen große Anstrengungen, um den heutigen
und den künftigen Generationen ein Leben in Wohlstand zu sichern. Zukunftsweisende und Wachstumskräfte fördernde Investitionen sind aufgrund der Haushaltslage aller staatlichen Ebenen aber nur dann
nachhaltig, wenn diese mit sinnvollen strukturellen Reformen und mit notwendigen und unausweichlichen
Maßnahmen zur Sanierung der öffentlichen Haushalte
einhergehen.
({4})
Investieren, sanieren, reformieren - dieser Dreischritt an
Maßnahmen ist aus unserer Sicht ohne Alternative.
({5})
Diesen Weg werden wir konsequent beschreiten. Wir
sind davon überzeugt, dass diese seriöse Steuer- und Finanzpolitik von der Bevölkerung anerkannt wird; denn
sie schafft letzten Endes Vertrauen in die Zukunft. Wir
alle können sehr wohl nachvollziehen, dass unsere Bürgerinnen und Bürger, wenn sie ganz persönlich von den
Sparmaßnahmen betroffen sind, nicht gerade in Hurrarufe ausbrechen. Aber ich bin mir sicher, dass diese
Maßnahmen als ein notwendiger Beitrag zur Sicherstellung der langfristigen Tragfähigkeit der öffentlichen
Finanzen akzeptiert werden. Wenn der Staat heute
100 Euro ausgibt, aber nur 80 Euro nachhaltig an Einnahmen hat, so muss dies im Interesse zukünftiger Generationen verändert werden.
({6})
Wenn man sich etwas nicht mehr leisten kann, dann
kann man es nicht mehr machen; das ist ganz einfach.
({7})
Der heute vorliegende Gesetzentwurf reiht sich in
eine Reihe bereits beschlossener Gesetze oder Maßnahmen ein, die den politischen Weg der großen Koalition
verdeutlichen, auf dem wir konsequent steuerliche Ausnahmetatbestände und Subventionen abgebaut haben:
das Gesetz zur Beschränkung der Verlustverrechnung im
Zusammenhang mit Steuerstundungsmodellen, das Gesetz zum Einstieg in ein steuerliches Sofortprogramm,
das Gesetz zur Abschaffung der Eigenheimzulage, das
Gesetz zur Eindämmung missbräuchlicher Steuergestaltungen.
Wenn wir uns diese Gesetze einmal genauer anschauen, so können wir feststellen, dass es sich hierbei
um ausgewogene Maßnahmen handelt. Nehmen wir
zum Beispiel das Gesetz zur Beschränkung der Verlustverrechnung im Zusammenhang mit Steuerstundungsmodellen. Der Ausschluss allein dieser Steuersparmodelle bringt bei voller Jahreswirkung Mehreinnahmen in
Höhe von über 2 Milliarden Euro. Das ist eine Maßnahme, von der nun wahrlich nicht die kleinen Leute betroffen sind. Auf der anderen Seite haben wir die konsequente Stärkung von Wachstum und Beschäftigung im
Blick.
Bei dem Gesetz zur steuerlichen Förderung von
Wachstum und Beschäftigung darf ich nur auf die verEduard Oswald
besserte steuerliche Berücksichtigung von Kinderbetreuungskosten und Handwerkerleistungen hinweisen. Damit werden Familien und private Haushalte erheblich
entlastet und neue Arbeitsplätze in diesem Bereich geschaffen. Allein das Volumen für die verbesserte steuerliche Berücksichtigung von Handwerkerleistungen beträgt bei voller Jahreswirkung über 1 Milliarde Euro.
({8})
Wer vor Ort mit den Handwerkern spricht, hört, dass die
Bürgerinnen und Bürger erheblich mehr legale Handwerkerleistungen nachfragen.
({9})
Ich nenne den Entwurf des Investitionszulagengesetzes 2007, der heute auf unserer Tagesordnung steht
und mit dem wir das Aufbauprogramm für die neuen
Länder konsequent fortsetzen. Das Fördervolumen von
rund 600 Millionen Euro kann sich sehen lassen. Bei einem Fördersatz von 20 Prozent sieht man, wie viel an Investitionen wir damit in den neuen Ländern mobilisieren.
Als einen weiteren wichtigen Punkt nenne ich die
Verbesserung der Unternehmensnachfolge durch eine
Änderung des Erbschaftsteuerrechts zum 1. Januar 2007.
Hier werden wir erhebliche Verbesserungen insbesondere für unsere mittelständische Wirtschaft erreichen.
Eine verbesserte Unternehmensnachfolge ist mehr als
nur eine steuerliche Erleichterung. Sie ist vielmehr ein
Beitrag zur Erhaltung von Arbeitsplätzen. Darum geht es
uns allen.
({10})
Nur Unternehmen, die auch über die erforderliche finanzielle Ausstattung verfügen, können am Markt erfolgreich operieren, Arbeitsplätze sichern und neue schaffen.
Wir werden zum 1. Januar 2008 eine Reform der Unternehmensbesteuerung auf den Weg bringen. Dies haben wir in der Koalition vereinbart. Noch vor der Sommerpause werden hierzu Eckpunkte vorgelegt werden,
damit die in der Wirtschaft handelnden Personen klare
Vorgaben für ihre wichtigen unternehmerischen Entscheidungen haben.
Aus dem bisher Gesagten wird deutlich, dass der
heute vorliegende Entwurf des Steueränderungsgesetzes 2007 nicht isoliert betrachtet werden kann. Dieser
Gesetzentwurf ist einer von vielen wichtigen Bausteinen
in unserer steuerrechtlichen Gesamtkonzeption.
Selbstverständlich werden wir in den weiteren parlamentarischen Beratungen alle Argumente sorgfältig abwägen
und in die Überlegungen einbeziehen. Heute werden wir
allein zu diesem Gesetzentwurf eine vierstündige öffentliche Anhörung durchführen. Danach werden wir intensiv beraten.
Wenn wir uns den Entwurf des Steueränderungsgesetzes genau anschauen, dann stellen wir fest, dass darin
enthaltene Maßnahmen, auch wenn sie im Einzelfall
durchaus zu Belastungen führen können, insgesamt doch
angemessen ausgestaltet sind.
Ich möchte nur zwei Punkte herausgreifen, die zurzeit
zur Diskussion stehen. So ist es vorgesehen, Fernpendlern, die besondere Mühen auf sich nehmen, die Entfernungspauschale ab dem 21. Kilometer in der bisherigen
Höhe von 30 Cent zu gewähren. Damit können wir besondere Härten für Fernpendler deutlich abmildern.
Bei der Absenkung der Altersgrenze bei der Gewährung des Kindergeldes von 27 auf 25 Jahre sieht der Gesetzentwurf eine moderate Übergangsregelung vor. Die
betroffenen Bürgerinnen und Bürger haben also Zeit,
sich auf die neue Rechtslage einzustellen. Übrigens wird
der Grundwehrdienst ebenso wie der Zivildienst nicht
angerechnet, damit den Betroffenen kein Nachteil entsteht.
Gestatten Sie mir noch eine Bemerkung zu der Einführung eines Zuschlags auf die Einkommenssteuer für
Spitzenverdiener. Wie Sie wissen, bedeutet eine Koalition, dass immer wieder Kompromisse geschlossen werden müssen. Koalition heißt Geben und Nehmen. Das
war bei allen Koalitionen so, wer auch immer sie gebildet hat.
({11})
Diese Maßnahme, die von vielen zu Unrecht und irreführend als „Reichensteuer“ bezeichnet wird, ist im Zusammenhang mit den anderen steuerlichen Maßnahmen
zu sehen. Ich bin davon überzeugt, dass wir im Rahmen
der Unternehmensteuerreform einen Weg finden, der zu
einer angemessenen Besteuerung der Leistungsträger in
unserer Gesellschaft führt.
({12})
Unser Ziel ist es, die Regelgrenze des Art. 115
Grundgesetz einzuhalten und die 3-Prozent-Defizitgrenze des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts zu unterschreiten. Dies zu erreichen, ist ein lobenswertes Ziel, für das es im Interesse der Stabilität unseres
Landes zu kämpfen gilt.
Ich bin davon überzeugt, dass die Bürger die Politik
zur Sicherstellung der langfristigen Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen honorieren werden, auch wenn zurzeit auf der einen Seite die hohen Schulden kritisiert
werden und auf der anderen Seite jede Sparmaßnahme
gebrandmarkt wird. Unsere Maßnahmen sind im Interesse der Gesamtverantwortung für unser Land erforderlich. Es gibt keine verantwortbare Alternative zu unserem Gesamtkonzept.
({13})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Volker Wissing
von der FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte, heißt es so
schön. Für diese große Koalition gilt: Wenn zwei sich
vertragen, zahlt der Dritte. Das sind in diesem Fall die
Bürgerinnen und Bürger unseres Landes.
({0})
Was diese Regierungskoalition im Innersten zusammenhält, ist eine Steuererhöhung nach der anderen. Die
CDU/CSU kann die Mehrwertsteuererhöhung durchsetzen, aber nur dann, wenn die SPD noch einen Prozentpunkt drauflegen darf. Die CDU/CSU darf die Unternehmensteuer ein bisschen reformieren, aber nur, wenn der
SPD eine Reichensteuer zugestanden wird. Die Basis
dieser Koalition ist kein Geben und Nehmen; es gibt nur
ein einseitiges Nehmen aus den Taschen der Bürgerinnen und Bürger.
({1})
Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, es ist schon schlimm, dass Sie den Menschen so
hemmungslos in die Taschen greifen, aber dass dieses
Abkassieren völlig ohne Konzept erfolgt, macht das
Ganze noch schlimmer.
({2})
So bleibt für Trüffel und Gänsestopfleber der reduzierte
Mehrwertsteuersatz erhalten; für Babywindeln und Kinderartikel wird er demnächst um 3 Prozentpunkte erhöht.
({3})
Das folgt keinem Konzept; das ist vielmehr Steuerirrsinn.
Ihre Steuererhöhungspolitik belastet vor allem die
kleinen und mittleren Einkommen. Ich will deshalb nicht
nur über die Akteure auf der Regierungsbank reden, sondern auch über die Opfer dieser Steuererhöhungspolitik. Allein mit der Absenkung des Sparerfreibetrages,
den Sie auf 1 500 bzw. 750 Euro nahezu halbieren, treffen Sie 2,6 Millionen Bürgerinnen und Bürger. 15 Millionen Bürgerinnen und Bürger sind von der Änderung
der Pendlerpauschale betroffen und wen Sie mit Ihrer
Mehrwertsteuererhöhung zur Kasse bitten, interessiert
Sie nicht einmal.
Ich habe Sie, Herr Minister Steinbrück, neulich gefragt, wie Sie die Auswirkungen der Mehrwertsteuererhöhung für BAföG-Empfänger, Familien mit Kindern,
Rentnerinnen und Rentner und ALG-II-Empfänger einschätzen. Über Ihre Antwort habe ich nicht schlecht gestaunt. Ich zitiere: „Entsprechende Berechnungen hat die
Bundesregierung nicht durchgeführt.“ Nichts zu wissen
ist vielleicht eine gute Voraussetzung für Sie, um ein gutes Gewissen zu haben. So kann man zwar auch Politik
machen, aber das sollte zumindest einer sozialdemokratischen Fraktion unwürdig sein.
({4})
Sie beschließen eine Steuererhöhung nach der anderen
und interessieren sich nicht einmal dafür, wie sich das
auf die sozial Schwachen in unserer Gesellschaft auswirkt. Das ist ungeheuerlich.
({5})
Herr Poß, die Einführung einer Reichensteuer kann
weiß Gott nicht die sozialpolitische Blöße der SPD in
der Finanzpolitik bedecken. Politik sollte eigentlich zum
Ziel haben, dass es den Menschen besser geht. Aber Ihr
Anspruch beschränkt sich inzwischen darauf, dass es allen in unserem Land gleichermaßen schlecht geht. Ich
frage Sie: Was ist das denn für eine Politik?
({6})
Soziale Gerechtigkeit schafft man doch nicht, indem
man vielen viel nimmt, sondern indem man vielen möglichst viel belässt. Das war im Übrigen auch einmal eine
Erkenntnis der Union, zumindest bis zu den Koalitionsverhandlungen. Aber während dieser Verhandlungen ist
Ihnen offenbar der finanzpolitische Sachverstand verloren gegangen.
({7})
In der Opposition Steuervereinfachungen und Steuersenkungen fordern und in der Regierung eine Steuererhöhung nach der anderen machen, das ist eine 180-GradWendung der Union in der Finanzpolitik.
({8})
Ich kann verstehen, liebe Kolleginnen und Kollegen von
der Union, dass vielen von Ihnen diese Politik peinlich
ist.
Peinlich war ebenfalls das jähe Ende der Debatte am
vorletzten Freitag. Da soll über den Entwurf Ihres Steuererhöhungsgesetzes in den Abendstunden beraten werden
und am Ende scheitert es dann daran, dass nicht mehr
genügend Abgeordnete im Saal sind. So geht es wirklich
nicht! Sie können nicht erst die Bürgerinnen und Bürger
massiv belasten und sich dann nicht der Debatte stellen.
({9})
Das ist typisch für die Abgeordneten der großen Koalition. In Berlin werden die Steuern erhöht und im Wahlkreis will es dann niemand gewesen sein. Die Menschen
in unserem Land haben mehr Respekt verdient. Damit
meine ich auch mehr Respekt vor ihrem Eigentum. Es
geht doch letztlich darum, dass Sie mit Ihrer Steuererhöhungspolitik den Bürgerinnen und Bürgern Geld wegnehmen. Herr Oswald, Sie reden davon, dass gespart
werden soll. Aber der Staat spart nicht. Das ist doch der
Fehler, den Sie machen. Sie verlangen, dass die Bürgerinnen und Bürger mehr an den Staat zahlen, und zwar
mehr von dem Geld, das sich die Menschen zuvor ehrlich und hart erarbeitet haben. Wir sollten vor den Leistungen der Bürgerinnen und Bürger mehr Respekt haben, als Sie mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zeigen.
({10})
Egal ob Sparerfreibetrag oder Pendlerpauschale, der
Staat hat den Menschen damit letztlich kein Geschenk
gemacht, sondern ihnen nur mehr von dem belassen, was
ihnen ohnehin zusteht, nämlich der Lohn für ihre Arbeit.
Das sollten wir nicht vergessen.
Meine Damen und Herren von Schwarz-Rot, der wesentliche Unterschied zwischen Ihnen und der FDP ist,
dass Sie glauben, dass das Geld der Bürgerinnen und
Bürger in die Hände des Staates gehört. Aber wir sagen
Ihnen: Lassen Sie es den Bürgerinnen und Bürgern! Nur
so entstehen Leistung, Wachstum und Arbeitsplätze. Das
muss doch das Ziel einer wirklich sozialen Politik sein.
({11})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Gabriele Frechen von
der SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Sehr geehrter Herr Kollege Wissing, es
gibt noch andere Unterschiede zwischen uns. SPD und
Grüne haben die größte Steuersenkung in der Geschichte der Bundesrepublik durchgeführt. Dazu war die
FDP, solange sie in der Regierung war, nicht in der Lage.
({0})
Sie versprechen immer nur, die Steuern zu senken. Aber
in Wirklichkeit hatten Sie in der Zeit Ihrer Regierungsbeteiligung die höchste Steuer- und Abgabenquote in
der Geschichte der Bundesrepublik zu verantworten.
({1})
„Konjunktur treibt Steuereinnahmen hoch - Experten
erwarten 14 Prozent Zuwachs bei der Körperschaftsteuer - Kommunen freuen sich über sprudelnde Gewerbesteuer“, so lautet die Überschrift der „Financial Times
Deutschland“ vom 12. Mai dieses Jahres. Dass ich darauf erst jetzt zurückkomme, liegt weniger daran, dass
ich meine Zeitungen so spät lese, als daran, dass die
erste Lesung, die schon in der letzten Sitzungswoche
hätte stattfinden sollen, dem Kollegen Beck und seinem
Geschäftsordnungsantrag zum Opfer gefallen ist. Trotzdem hat diese Überschrift nichts an ihrer Gültigkeit verloren.
({2})
Herr Kollege Wissing hat eben gesagt, wir hätten uns
der Diskussion nicht stellen wollen. Weder Herr Oswald
noch ich haben unsere Reden zu Protokoll gegeben; wir
hätten uns hierhin gestellt. Tun Sie also nicht so, als ob
wir uns dem nicht gestellt hätten!
({3})
Was für Sie gilt, gilt auch für uns.
Die Überschrift zeigt, dass die Unternehmensteuerreform und auch die steuerpolitischen Maßnahmen der
vergangenen Jahre Früchte tragen. Das Körperschaftsteueraufkommen wird trotz Absenkung des Steuersatzes von 40 Prozent auf 25 Prozent fast wieder so hoch
sein wie 1998. Das Gewerbesteueraufkommen wird mit
34,2 Milliarden Euro nochmals eine große Steigerung
erfahren. Das ist auch gut so; denn die Kommunen brauchen dieses Geld dringend, um aufgeschobene Investitionen jetzt endlich zu tätigen, damit die Handwerkerschaft, die mittelständische Wirtschaft zu stärken und so
den Arbeitsmarkt sowie die Sozialversicherungssysteme
zu entlasten. Die Konjunktur gewinnt dadurch.
({4})
Das alles sind positive Entwicklungen, die wir als
solche würdigen dürfen, ja sogar würdigen müssen. Aber
rechtfertigen sie schon den Schluss, dass weitere Sparmaßnahmen, dass weitere Schritte zum Abbau steuerlicher Vergünstigungen überflüssig sind? Unser Finanzminister Peer Steinbrück hat diese Debatte bereits
vorausgesehen. Er hat gesagt: Selbst wenn die Konjunktur so wie jetzt läuft, wird das nicht reichen, um das
strukturelle Defizit im Staatshaushalt zu decken. Um es
einfacher zu sagen: Auch nach diesen positiven Berechnungen klafft eine deutliche Lücke zwischen den Einnahmen und den Ausgaben des Staates.
Wir wollen doch alle - die FDP vielleicht nicht - einen aktiven und einen handlungsfähigen Staat,
({5})
der Infrastruktur zur Verfügung stellt, der Sicherheit bietet, der in Familien, in Forschung und Bildung investiert
und der solidarische Hilfe da leistet, wo sie benötigt
wird. Deshalb müssen wir weiterhin die undankbare
Aufgabe angehen, Ausnahmetatbestände abzuschaffen,
Vergünstigungen zu streichen und uns auch von lieb gewonnenen Dingen zu verabschieden. Leider kann man
den Haushalt ohne spürbare Einschnitte nicht konsolidieren. Aber wir müssen sehen, dass es zu keiner sozialen Schieflage in der Steuergesetzgebung kommt.
({6})
Die Abschaffung von Steuerstundungsmodellen oder
von Steuerumgehungsmodellen wurde von den allermeisten Menschen mit Kopfnicken, also mit Zustimmung, belohnt. Diese Menschen waren davon in der
Regel nicht betroffen. Das ist bei diesem Steueränderungsgesetz anders. Die meisten Menschen werden davon betroffen sein, aber je nach Leistungsfähigkeit mehr
oder weniger.
Der Gesetzentwurf sieht zum Beispiel vor, die Altersgrenze beim Kindergeldbezug auf 25 Jahre abzusenken.
Ich kann aus meiner eigenen Erfahrung Folgendes sagen: Meine Tochter war mit ihrem Studium mit 27 Jahren fertig, obwohl sie erst mit sieben eingeschult wurde,
obwohl sie ein zusätzliches Schuljahr in Amerika verbracht hat und obwohl sie uns ein Examens-, das heißt
zusätzliches Semester abgeschwatzt hat. Ich bin überzeugt: Man kann auch schneller fertig werden. Wie viele
andere junge Menschen sieht sie diese 27 Jahre als
Grenze, bis zu der das Studium abgeschlossen sein muss.
Ob die Übergangsfristen ausreichend sind, welche
sonstigen rechtlichen Verknüpfungen wie Beihilferegelungen betroffen sind, das wird die Anhörung zeigen. Ich
bin sicher, wir werden Antworten auf unsere gezielt gestellten Fragen bekommen und wir werden zu einem guten Ergebnis kommen.
Des Weiteren sieht der Gesetzentwurf vor, die Entfernungspauschale für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte unter 20 Kilometer zu streichen. Darüber wird
es eine heftige Diskussion geben; die Briefe, die uns erreichen, zeigen es.
Der vorgegebene Finanzrahmen muss eingehalten
werden; da gibt es keinen Zweifel. Aber wir müssen prüfen, ob wir dieses Ziel nicht auch auf anderem Wege erreichen können. Ich kann für die SPD-Bundestagsfraktion sagen, dass wir uns durchaus auch andere Lösungen
vorstellen können.
Der Sparerfreibetrag ist eine der lieb gewonnenen
Ausnahmen vom Prinzip der Besteuerung nach Leistungsfähigkeit. Gibt es Gründe, gerade diese Ausnahme
jetzt nicht abzuschaffen? Natürlich gibt es die! Zum einen handelt es sich um eine Vereinfachung; zum anderen
hat jeder Betroffene immer Gründe dafür, dass just die
Ausnahme, die ihn selbst betrifft, nicht abgeschafft werden darf. Aber reicht das aus? Ich glaube nicht. Aber um
kleinere Sparguthaben - wir reden da bei Verheirateten
von 50 000 Euro - von der Veränderung auszunehmen,
werden wir einen - reduzierten - Sparerfreibetrag von
750 Euro bzw. 1 500 Euro für Verheiratete festlegen.
Die Kosten für ein häusliches Arbeitszimmer werden
nur noch dann anerkannt und abgesetzt werden können,
wenn dieses Arbeitszimmer den Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit darstellt. Eine weitere Ausnahmeregelung
wird gestrichen.
Schließlich werden wir den Spitzensteuersatz für
Einkommen über 250 000 bzw. 500 000 Euro von 42 auf
45 Prozent erhöhen.
Frau Kollegin Frechen, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Kopp?
Ja.
Bitte schön, Frau Kopp.
Frau Kollegin, Sie sprachen eben davon, dass sich die
Bundesregierung vorgenommen habe, Ausnahmen abzuschaffen, um einen Ausgleich zu erreichen. Erklären Sie
mir bitte, weshalb die Bundesregierung im Zusammenhang mit dem Steueränderungsgesetz die Frage, weshalb
sie Flüssiggas nur bis 2009, Erdgas aber bis 2020 steuerbegünstigt behandelt,
({0})
nach wie vor unbeantwortet lässt.
Frau Kopp, vielen Dank, für die Frage. - Zum einen
spreche ich für die Koalitionsfraktionen, deren Gesetzentwurf wir heute diskutieren; es geht nicht um einen
Gesetzentwurf der Bundesregierung.
({0})
Zum anderen sprechen wir über ein Thema, das in dieser
Woche im Finanzausschuss behandelt wurde. Der
Finanzausschuss tagt nicht öffentlich - Sie werden das
verstehen -; bitte fragen Sie Ihre Kollegen danach. Die
waren dabei. Die kennen die Überlegungen, die die
Koalitionsfraktionen zu diesem Thema angestellt haben.
({1})
- Im richtigen Gesetz sollte man schon sein. Aber das
kann mal passieren, Frau Kopp; das ist auch nicht weiter
schlimm.
({2})
Ich sprach über die Erhöhung des Steuersatzes für höhere Einkommen um 3 Prozentpunkte. Wir haben im
Gesetzentwurf - anders als im Koalitionsvertrag vereinbart - alle unternehmerischen Einkommen ausgenommen, um das Gesetz verfassungsfest zu machen. Im Rahmen der Unternehmensteuerreform werden wir sehen,
wie der Koalitionsvertrag insofern endgültig umgesetzt
wird.
Wer diese Erhöhung des Spitzensteuersatzes für
Symbolik oder eine Neidsteuer hält, den kann ich nicht
verstehen. Wir sprechen im Veranlagungsjahr - jetzt
nicht wieder mit dem Kassenjahr verwechseln! - 2007
über eine Summe von 250 Millionen Euro, kassenwirksam wegen Vorauszahlung und Veranlagung in den Jahren 2007 und 2008. Darüber hinaus rechnen wir mit
Mehreinnahmen von über 1 Milliarde Euro. Wer das für
Symbolik hält, der sollte mal über sein Verhältnis zu
Geld nachdenken.
({3})
Wer das für eine Neidsteuer hält, dem sage ich, dass
das weit mehr bedeutet. Es ist eine Frage der sozialen
Balance und Ausgewogenheit, Besserverdienende stärker zur Finanzierung des Staates heranzuziehen.
({4})
Leider bleibt mir nicht mehr die Zeit, noch ein bisschen auf den Antrag der FDP einzugehen, aber den Kollegen von den Grünen will ich noch etwas sagen. Sie,
meine Damen und Herren, fordern in Ihrem Antrag zu
unserem Entwurf die Bundesregierung zu verschiedenen
Dingen auf und übersehen dabei völlig - bei dem Theaterdonner, den Sie am Freitag veranstaltet haben, ist das
auch kein Wunder -, dass Sie Ihren Antrag eigentlich
zum Koalitionsentwurf hätten schreiben müssen. Den
behandeln wir heute nämlich. Solche Kleinigkeiten fallen bei Ihnen nicht sonderlich ins Gewicht. Ich weiß, der
Unterschied zwischen Parlament und Regierung ist Ihnen offensichtlich nicht so wichtig.
({5})
Ich muss zum Schluss kommen. - Ein Zitat für alle,
die es gern einfach hätten, von Poul Anderson:
Mir ist bis heute kein auch noch so kompliziertes
Problem begegnet, das nicht, richtig betrachtet,
noch komplizierter wurde.
In diesem Sinne freue ich mich auf interessante Beratungen im Ausschuss.
({6})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Barbara Höll von
der Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wo
steht die deutsche Sozialdemokratie?
({0})
Die größte Steuersenkung aller Zeiten - jawohl. Diese
wird aber finanziert durch die größten Sozialkürzungen
aller Zeiten. Das ist die Realität.
({1})
Steuerfreiheit der Veräußerungsgewinne, Senkung des
Spitzensteuersatzes um 11 Prozent - von 53 auf
42 Prozent -, Senkung der Körperschaftsteuer, das sind
die Realitäten, von denen wir hier reden.
Wenn man den heutigen Tag in seiner Gesamtheit betrachtet, zeigt sich eine Offenbarung der Regierungspolitik Ihrer großen Koalition: Am Vormittag sprechen wir,
zum Glück in öffentlich wahrnehmbarer Debatte, über
Steuererhöhungen, die in erster Linie zulasten der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen gehen. Am Nachmittag setzt sich das mit einer Verschärfung der Hartz-IVGesetzgebung fort - so weit, dass Sie bereit sind, die
Menschenwürde auszuhebeln. Wer nicht hört, wird bestraft; ihm werden alle Leistungen gekürzt. Das betrifft
nicht nur Essen und Trinken, sondern Sie sind bereit, die
Unterhaltskosten vollständig zu streichen. Die Leute
können dann unter der Brücke schlafen. Das ist die Realität Ihrer Politik.
({2})
Ihre Vorschläge, die wir heute in erster Lesung beraten, zeigen, dass die Steuerpolitik zur Manövriermasse
des Finanzministers verkommt. Die realen Lebensverhältnisse zählen nicht; Steuergrundsätze werden willkürlich ausgehebelt.
Eine Maßnahme, die Sie vorschlagen, ist die Veränderung bei der steuerlichen Absetzbarkeit des Arbeitszimmers. Nur noch dann, wenn die berufliche Tätigkeit vollständig im häuslichen Arbeitszimmer absolviert wird
und dieses damit den Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit bildet, kann man das Arbeitszimmer steuerlich geltend machen. Was ist aber nun mit den Lehrerinnen und
Lehrern,
({3})
mit den vielen Menschen, die im Servicebereich, im Außendienst tätig sind? Was ist mit den Versicherungsbetreibern? Wir haben keine Ganztagsschulen mit Arbeitszimmern für Lehrerinnen und Lehrer; deshalb sind auch
die Lehrer auf den häuslichen Arbeitsplatz angewiesen.
Sie verschärfen nun deren Situation. 300 Millionen Euro
soll Ihnen diese Belastung der tätigen Menschen bringen.
Die Entfernungspauschale: 2,5 Milliarden Euro wollen Sie durch die neue Regelung mehr einnehmen. Herr
Oswald hat gesagt, das sei moderat und man solle die Finanzpolitik doch bitte in ihrer Gesamtheit sehen.
({4})
Wohl wahr. Abgesehen davon, dass die von Ihnen vorgeschlagene Regelung grundgesetzwidrig sein dürfte
- denn Sie übersehen dabei, dass der Weg von der Wohnung zur Betriebsstätte notwendigerweise bewältigt werden und deshalb auch steuerlich absetzbar sein muss -,
sollten wir das in der Tat einmal in der Gesamtheit betrachten: Noch vor einigen Wochen ließ sich die Familienministerin für die Möglichkeit der steuerlichen
Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten als Werbungskosten bzw. Betriebsausgaben groß feiern. Gut;
aber wie ist nun die Lage der erwerbstätigen Eltern, die
Kinderbetreuungskosten steuerlich absetzen können, denen aber die Entfernungspauschale gekürzt wird? Die
Absetzbarkeit der Kinderbetreuungskosten schlägt im
Endeffekt nicht bis in ihr Portemonnaie durch, sondern
sie müssen mehr Steuern zahlen als noch im vergangenen Jahr.
Ich will Ihnen das an einem Beispiel deutlich machen:
Eine Familie mit einem Jahreseinkommen von
48 000 Euro brutto, bei der der eine Ehepartner einen
Arbeitsweg von 20 Kilometern hat, den er also nicht
steuerlich absetzen kann, und der andere einen Arbeitsweg von 30 Kilometern, und mit durchschnittlichen Kinderbetreuungskosten, die sie steuerlich geltend machen
können, hat nun eine jährliche steuerliche Mehrbelastung von 565 Euro. Da sprechen Sie von einer tollen Familienpolitik? Das ist familienfeindlich! Dieser Tatsache
müssten Sie sich hier stellen.
({5})
Bei einer weiteren Regelung können Sie sich nicht
dem Vorwurf entziehen, dass sie nur eine Placebomaßnahme ist. Sie schlagen die so genannte Reichensteuer
vor. Was ist denn das? Wie viele Steuerpflichtige mit einem Einkommen von über 250 000 Euro haben wir
denn? Hier kommt es nur zu einer klitzekleinen Erhöhung, weil Sie die Gewinneinkünfte sogar noch herausnehmen. Sie geben selber zu, dass Sie im ersten Jahr
Einkünfte von unter 1 Milliarde Euro erzielen werden,
Frau Frechen.
({6})
Wie es dann weiter aussieht mit Ihrer Regelung und der
Verlagerung von Einkünften, bleibt abzuwarten.
Wir lehnen Ihre unsoziale Politik ab. Ringen Sie sich
zu einer ordentlichen Sozialpolitik durch, die von einer
ordentlichen Steuerpolitik flankiert wird! Wenn Sie sich
schon durch Maßnahmen hervortun wollen - bitte schön:
Erhöhen Sie den Spitzensteuersatz! Dies kann moderat,
Schritt für Schritt um 2 Prozentpunkte jedes Jahr, geschehen, bis wir wieder bei einem Satz von 50 Prozent
angekommen sind. Erst dann können wir davon reden,
dass diejenigen in unserer Gesellschaft, die ein hohes
Einkommen haben, ihren Beitrag leisten.
Ihr Gesetz ist in dieser Form abzulehnen. Ich befürchte auch, dass durch unsere Beratungen im Ausschuss, die Sie im Schweinsgalopp durchführen wollen
- bereits heute Mittag gibt es parallel zum Plenum eine
Anhörung; deswegen können wir der weiteren Debatte
nicht folgen -, leider keine große Änderungen mehr bewirkt werden. Wir müssen den Druck also außerparlamentarisch erhöhen. Was Sie machen, ist einfach unsozial.
Ich danke Ihnen.
({7})
Das Wort hat die Kollegin Kerstin Andreae vom
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der
Opposition!
({0})
- Ich meine natürlich Koalition. Auf die Opposition
komme ich aber noch zu sprechen.
Wir können dieses Gesetz heute - das ist gut so - zu
einer Zeit behandeln, zu der die Öffentlichkeit diese Debatte verfolgen kann. Denn sie findet nicht abends quasi
unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Die Opposition
insgesamt hat gefordert, dass dieses Gesetz in einer verbundenen Debatte mit dem Haushaltsbegleitgesetz und
zusammen mit der Erhöhung der Mehrwertsteuer diskutiert wird.
({1})
Damit soll deutlich werden, um welche Belastungen es
in der Summe geht. Heute diskutieren wir vor vollem
Haus. Es geht doch! Stellen Sie die Tagesordnung vernünftig auf, dann können wir auch anständig debattieren.
({2})
Der günstige Debattenzeitpunkt ändert leider nichts
am Inhalt des Gesetzes. Dieses Gesetz ist ein weiteres
Beispiel dafür, welches Steuerchaos Sie verursachen. Es
ist keine seriöse Finanzpolitik, die sie noch im Koalitionsvertrag angekündigt haben. Dieses Gesetz ist ohne
Plan und Logik. Maßnahmen werden willkürlich aneinander gereiht. Ich kann nur sagen: Steuerchaos pur.
({3})
Alle reden von der Stärkung der privaten Altersvorsorge. In den Reden kommt es gut an. Aber mit der Halbierung des Sparerfreibetrages wenden Sie sich frontal gegen die Stärkung der privaten Altersvorsorge.
Dadurch belasten Sie vor allem die Kleinsparer.
Für die Einführung des Sparerfreibetrages gab es drei
Gründe. Erstens sollte, wie gesagt, die private Altersvorsorge gestärkt werden. Zweitens sollte Bürokratie abgebaut werden. 80 Prozent der Kleinsparer mussten für
ihre Spareinlage keine zusätzliche Steuererklärung abgeben. Ich bin sehr gespannt, ob Sie uns einmal darlegen
können, welche zusätzlichen Kosten auf die Finanzverwaltung zukommen, wenn die von der Halbierung des
Sparerfreibetrages betroffenen Menschen zukünftig eine
Steuererklärung für ihre Zinseinkünfte abgeben müssen.
Drittens handelt es sich beim Sparerfreibetrag um einen
klassischen Inflationsausgleich; das wissen Sie. Wenn
Sie den Sparerfreibetrag halbieren, dann belasten Sie die
Kleinsparer und negieren all die Ziele, die vernünftig
sind. Hören Sie mit dieser falschen Politik auf!
({4})
Trotz der vor uns liegenden Zukunftsaufgaben legen
Sie einen zweiten Teil vor, mit dem Sie eine ökologisch
gesehen vollkommen falsche Politik machen. Die Regelung, die Sie zur Entfernungspauschale vorlegen - einmal abgesehen davon, dass es sich um einen fragwürdigen Trick handelt, sie aus den Werbungskosten
herauszunehmen -, zeugt nicht von einer ökologisch
ausgerichteten Politik. Sie fördern die Stadtflucht, die
Zersiedelung und den Flächenverbrauch; aber anstatt
eine klare ökologische Komponente in der Steuerpolitik
- die Betonung liegt auf „steuern“ - einzuführen, maKerstin Andreae
chen Sie das Gegenteil. Gehen Sie stattdessen an die
ökologischen Steuersünden heran: Bauen Sie ökologisch
schädliche Subventionen ab! Bringen Sie endlich die
Kerosinbesteuerung auf den Weg! Bauen Sie die Ökosteuerbefreiung im produzierenden Gewerbe ab! Das
wäre wesentlich vernünftiger als das, was Sie jetzt machen.
({5})
Am besten aber ist die Reichensteuer. Im Finanzausschuss hieß es von der Union, dass diese Steuer - neues
Label - eigentlich „Leistungsfähigkeitssteuer“ heißen
sollte. Ich finde es ziemlich fragwürdig, wie Sie Leistungsfähigkeit definieren. Aber ein Aufkommen von
127 Millionen Euro angesichts des Aufkommens von
23 Milliarden Euro durch die Mehrwertsteuererhöhung
ist ein Witz. Da bringt die Sektsteuer mehr ein.
Wie Sie an den Steuergesetzen herumdoktern! Mit der
Änderung des § 32 a Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes führen Sie die Reichensteuer ein. Mit der Einfügung
des § 32 c führen Sie wieder eine Ausnahme ein und
nennen das Ganze „Einführung eines tariflichen Entlastungsbetrages“. Mit der Reichensteuer erreichen Sie tatsächlich nur eine Hand voll: Arbeitnehmer mit einem
Einkommen über 250 000 Euro pro Jahr bzw. Verheiratete bei gemeinsamer Veranlagung mit einem Einkommen von über 500 000 Euro pro Jahr. Ich sage es Ihnen
klar: Diese Reichensteuer können Sie sich glatt sparen.
({6})
Wo bleibt überhaupt die Steuervereinfachung? Was
Sie uns in den letzten Monaten vorgelegt haben: Die Absetzbarkeit der Aufwendungen für die Kinderbetreuung
ist erwähnt worden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass
einer von Ihnen tatsächlich noch erklären kann, wie die
Absetzbarkeit der Kosten für die Kinderbetreuung en
détail funktioniert. Sie haben die Absetzbarkeit der Steuerberaterkosten eingeschränkt, aber nicht die der Kosten,
die der Steuerberater für das Ausfüllen der Anlage Kinder verlangt, deren Bestimmungen, wie gesagt, keiner
mehr durchschaut. Bei der Entfernungspauschale behandeln Sie die Menschen unterschiedlich. Beim Sparerfreibetrag führen Sie mehr Bürokratie ein und bewirken eine
geringere private Altersvorsorge.
Das beste Gesetz werden wir in den nächsten Sitzungswochen behandeln: Dabei geht es um die Besteuerung von Biodiesel. Es ist noch völlig unklar, was Sie da
machen wollen.
({7})
Es gibt keine Verlässlichkeit und keine Planbarkeit. Sie
kündigen gestern im Finanzausschuss an, dass Sie in einem Änderungsantrag zu diesem Gesetzentwurf darstellen werden, dass man 2007 noch einmal prüfen will, ob
man dieses Gesetz 2008 auch braucht.
Sie sind in eine Schieflage geraten. Das ist der falsche
Weg. Ziehen Sie den heute vorliegenden Gesetzentwurf
zurück! Folgen Sie unserem Antrag! Legen Sie einen
neuen Gesetzentwurf vor, in dem Sie die soziale Balance
halten und eine ökologische Politik machen!
Danke schön.
({8})
Das Wort hat jetzt der Kollege Olav Gutting von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine werten Kolleginnen und Kollegen! Das Steueränderungsgesetz 2007 steht für die konsequente Fortsetzung der bereits begonnenen Haushaltskonsolidierung. Bei allem Geplänkel über die einzelnen
Maßnahmen dieses Gesetzes: Das zentrale Ziel, nämlich
die Stabilisierung des Haushaltes, sollten wir alle nicht
aus dem Auge verlieren.
({0})
Circa 1,5 Billionen Euro beträgt der aktuelle Schuldenstand der Bundesrepublik Deutschland. Auf jeden
einzelnen Bürger entfallen damit circa 17 000 Euro Tendenz steigend. Ich würde mir wirklich wünschen,
dass wir zumindest in diesem Hause endlich parteiübergreifend die Einsicht durchsetzen könnten, dass es so
nicht mehr weitergehen kann.
({1})
Unser Staat ist das Opfer einer seit Jahrzehnten praktizierten verfehlten Ausgabenpolitik. Wir müssen schon
Schulden machen, um die Zinsen für die Schulden zahlen zu können. Finanzielle Spielräume gibt es nicht
mehr. Stellen wir uns vor, das Zinsniveau würde nur etwas steigen. 2 Prozentpunkte mehr würden eine zusätzliche Belastung der öffentlichen Hand in Höhe von
30 Milliarden Euro bedeuten - und das Ganze vor dem
Hintergrund einer immer weiter schrumpfenden Bevölkerung. Wo sind denn die Generationen, die zukünftig
all diese Lasten tragen sollen? Fakt ist: Die steigende
Verschuldung ruht auf immer schmaler werdenden
Schultern.
Wer politisch verantwortungsvoll handelt, muss den
Menschen klar sagen: Es geht nicht nur mit Sparen.
Zwar müssen wir bei den Ausgaben sparen, aber gleichzeitig müssen wir eine Verbesserung auf der Einnahmeseite herbeiführen.
Das Steueränderungsgesetz 2007 beinhaltet Elemente von beidem. Ja, es gibt zum Teil schmerzhafte
Einschnitte. Das ist aber beim Subventionsabbau fast
immer so. Dass aber gerade diejenigen, die immer für
Subventionsabbau und Verwaltungsvereinfachung eintreten, nun so vehement gegen dieses Gesetz polemisieren, ist nicht nur verwunderlich, sondern auch peinlich.
({2})
Die neue Regelung bezüglich der Abzugsfähigkeit
der Aufwendungen für das häusliche Arbeitszimmer
stellt ebenso wie die Abschaffung der Bergmannsprämie
Subventionsabbau und Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens in einem dar. Die Umstellung auf das Werktorprinzip bei der Pendlerpauschale ist richtig. Der Weg
zur Arbeit ist Privatsache und muss nicht von der Allgemeinheit mitfinanziert werden.
Ich will an dieser Stelle gerne zugeben, dass meiner
Meinung nach konsequenterweise dann auch die Ausnahmeregelung für Fernpendler hätte fallen sollen. Hier
zeigt sich, dass das Bestreben nach mehr Gerechtigkeit
letztendlich eine zusätzliche Verkomplizierung des Steuerrechts zur Folge hat. Der grundsätzliche Schritt hin
zum Werktorprinzip bleibt aber auch mit dieser Ausnahme richtig. Mit dieser überfälligen Klarstellung, dass
die Berufssphäre erst am Werkstor beginnt, eröffnen wir
uns im Übrigen für die Zukunft weiteren politischen
Handlungsspielraum.
Ich will zum Abschluss noch ein paar Sätze zum
Thema Absenkung des Sparerfreibetrages sagen:
Erstens. Auch beim Sparerfreibetrag handelt es sich
um eine Subvention.
Zweitens. Auch nach der Absenkung auf 750 bzw.
1 500 Euro für Verheiratete bleiben bei den heutigen
Zinssätzen immer noch Zinserträge aus einer Summe
von über 50 000 Euro steuerfrei. Wer mehr hat, muss
sich mit den Mehreinkünften eben auch an der
Finanzierung unseres Staates beteiligen.
({3})
Unabhängig hiervon brauchen wir endlich ein schlüssiges Gesamtkonzept zur Besteuerung von Kapitalanlagen, also von Kapitalerträgen und privaten Veräußerungsgewinnen gemeinsam. Mit einem vernünftigen
Steuersatz gäbe es dann auch gute Chancen für eine
Rückkehr so mancher Fluchtgelder. Auch die problematische Kontoabfrage würde sich erübrigen. In diesem
Zusammenhang kann man sich also nur die baldige Einführung einer Abgeltungsteuer mit einem attraktiven
Steuersatz wünschen. Lassen Sie uns das gemeinsam angehen!
({4})
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat
der Kollege Florian Pronold von der SPD-Fraktion das
Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich finde die Grünen wirklich spannend.
({0})
Es ist geradezu unglaublich: Es war für Freitagnachmittag eine öffentliche Debatte über diesen Punkt angesetzt.
Vier Grüne sind hier im Saal und die beantragen dann,
die Beschlussfähigkeit festzustellen. Welch ein Hohn!
({1})
Seien Sie heute pünktlich hier und nehmen Sie Ihre Arbeit entsprechend wahr! Dann müssen wir diesen Unsinn
heute nicht noch einmal wiederholen.
({2})
Herr Kollege Pronold, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Thiele?
Ja. Der war auch nicht da, oder?
Sehr geehrter Herr Kollege Pronold, Sie sprachen davon, dass die Debatte über das Steueränderungsgesetz
für den frühen Freitagnachmittag angesetzt gewesen sei.
Sie war für 19.45 Uhr angesetzt!
({0})
Halten Sie das für einen frühen Nachmittag? Noch dazu
war es ein Freitag.
({1})
Halten Sie es angesichts der Bedeutung dieses Gesetzes,
angesichts der Belastungen für die Steuerzahler, die mit
diesem Gesetz verbunden sind, überhaupt für adäquat,
diesen Punkt so weit hinten auf der Tagesordnung zu
verstecken? Wäre es nicht richtig gewesen, diesen Punkt
ganz früh am Freitagmorgen in angemessener Präsenz
des Deutschen Bundestages zu debattieren? Das ist die
Frage, die sich hier stellt.
({2})
Herr Kollege Thiele, erstens wissen Sie - ich glaube,
Sie waren da -, dass wir in derselben Woche eine Aktuelle Stunde zu genau dieser Thematik gehabt haben. All
die Dinge, die wir heute diskutieren, kamen dort - zum
Teil wortgleich - zur Sprache.
({0})
Zweitens wissen Sie sicher, dass wir derzeit eine der
größten Grundgesetzreformen in der Geschichte der
Bundesrepublik diskutieren und wir deswegen den gesamten Sitzungsablauf in diesen Wochen umstellen.
({1})
Deswegen war es notwendig, wichtige Debatten auch zu
etwas ungünstigeren Zeiten zu führen. Wer sich dafür interessiert, kann da sein. Das ist niemandem verboten.
({2})
Jetzt aber zu den Inhalten. Bei dem vorliegenden Gesetz handelt es sich um ein Steuergesetz, das Subvention
abbaut. In der politischen Debatte sprechen immer alle
davon, dass wir Steuersubventionen abbauen müssen.
Wenn es dann aber an die konkrete Subvention geht, ist
es plötzlich keine Subvention mehr. Nie! Dann gibt es
nichts Lebensnotwendigeres mehr als diesen Tatbestand
und jeder, der daran geht, ist dann ein Steuererhöher.
Diejenigen, die am meisten dieses Spiel spielen, sind Sie
von der FDP:
({3})
Sie betreiben durchgängig Klientelpolitik. Die Steuersubventionen, die Ihrer Klientel zugute kommen, greifen
Sie nie an. Wenn wir aber Steuersubventionen abbauen
wollen, dann sprechen Sie von Steuererhöhung.
Herr Kollege Pronold, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Westerwelle?
Gerne, das verlängert meine Redezeit. Das freut mich.
Bitte schön, Herr Westerwelle.
Das sei Ihnen gegönnt, Herr Kollege. - Da Sie sich
mit meiner Fraktion auseinander setzen, möchte ich
gerne eine Frage stellen. Am 7. September des Jahres
2005 sagte der Vizekanzler Franz Müntefering im Deutschen Bundestag wörtlich:
Wer darüber stöhnt, dass die Benzinpreise so hoch
sind, aber gleichzeitig die Erhöhung der Mehrwertsteuer und die Kürzung der Pendlerpauschale ankündigt, der hat die Interessenlage der Menschen
nicht im Blick. Das ist unehrlich und geht an der
Realität dieses Landes und an dem, was für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu tun ist, vorbei.
Wollen Sie uns vorwerfen, dass wir das, was Herr
Müntefering damals gesagt hat, immer noch richtig finden?
({0})
Herr Westerwelle, ich würde Ihnen dann keinen Vorwurf machen, wenn Sie alles, was der Kollege
Müntefering sagt, immer richtig finden und hier entsprechend abstimmen würden. Das ist der erste Punkt.
Der zweite Punkt ist: Wir als Sozialdemokraten sind
in dem Wahlkampf genau mit diesen Aussagen angetreten. Das ist nicht zu bestreiten. Darüber hinaus ging es
um die Steuerfreiheit der Nacht- und Schichtarbeit, was
je nach Branche eine Summe von vier bis 17 Prozent des
Nettolohns der Betroffenen bedeutet, darüber hinaus
ging es um viele andere Fragen, zum Beispiel um Fragen
des Arbeitsrechts. Wir haben dann einen Koalitionsvertrag abgeschlossen. Mit diesem Koalitionsvertrag haben
wir die Blockade beseitigen müssen, an der auch Sie sich
zusammen mit anderen, die damals in der Opposition
waren, im Bundesrat beteiligt haben.
({0})
Ich rede davon, dass die Steuersubventionen, die wir seit
Jahren abbauen wollten, blockiert worden sind. Das gilt
zum Beispiel für die Eigenheimzulage. Wenn wir die
Subventionen früher hätten abbauen können, dann
brauchten wir über bestimmte Fragen des Haushalts gar
nicht mehr zu reden.
({1})
Sie sind ein Pharisäer und sind schon immer einer gewesen. Sie reden davon, Steuersubventionen abzubauen,
aber wenn es darauf ankommt, bezeichnen Sie den Abbau als Steuererhöhung und weigern sich, diese mit zu
tragen. In einem weiteren Schritt prangern Sie die hohe
Staatsverschuldung an und verlangen Maßnahmen, diese
zu reduzieren. Erst tragen Sie selber zu dieser Staatsverschuldung bei, wenn es aber darauf ankommt, konkrete
Maßnahmen zu ergreifen, um sie abzubauen, schlagen
Sie auf andere ein. Das ist doch billig.
Ich gehe gerne auf die Pendlerpauschale und auch
auf das ein, was der Kollege Gutting gesagt hat. Wir haben dazu eine Anhörung. Die Frage, ob die vorgesehene
Regelung verfassungsfest ist, ist eine spannende Frage.
Wir wollen mit dem Steueränderungsgesetz 2007, über
das wir hier reden, ein angemessenes Einsparvolumen
erbringen. Dabei werden wir die Frage, ob es ein gerechteres Modell Pendlerpauschale gibt und ob wir alternativ
vielleicht lieber Steuersubventionen, die Sie so heftig
verteidigen, abbauen sollten, nach dieser Anhörung noch
einmal aufgreifen. Das wird noch eine spannende Angelegenheit in diesem Haus.
({2})
Ein bisschen überrascht bin ich auch darüber, was Sie,
Frau Höll, unter Kleinsparern verstehen. Wenn eine Familie ihr Geld mit 3 Prozent Zinsen anlegt - dann hat die
Familie sehr vorsichtig angelegt -, dann muss sie
45 000 Euro auf der hohen Kante oder Aktien im Wert
von 90 000 Euro haben, bevor sie Steuern zahlen muss.
Ich habe in der Sparkasse von Deggendorf gearbeitet.
Dort gelten Leute, die 45 000 Euro auf der hohen Kante
haben, in der Regel nicht als Kleinsparer.
Ein zweiter Punkt betrifft die steuerliche Absetzbarkeit der Kosten eines Arbeitszimmers. In unserem
Steuerrecht gibt es den Versuch - der an manchen Stellen durchbrochen wird -, die Kosten der privaten Lebensführung von den beruflichen Aufwendungen zu
trennen. Das ist bei gemischt genutzten Dingen sehr
schwierig. Machen Sie sich einmal die Mühe, die Rechtsprechung zur steuerlichen Absetzbarkeit der Kosten für
ein Arbeitszimmer anzuschauen. Sie werden dann sehen, dass immer wieder teure Teppiche, Gemälde und
die Größe des Arbeitszimmers eine Rolle spielen. Da
wird viel Verwaltungsaufwand getrieben. Auch Lehrerinnen und Lehrer werden weiterhin die Kosten für all
das, was sie beruflich brauchen, von der Steuer absetzen
können. Aber in Bezug auf das Arbeitszimmer ist es
doch gerechtfertigt, eine Regelung zu treffen, nach der
nur diejenigen die Kosten steuerlich absetzen können,
deren Arbeitsmittelpunkt das Arbeitszimmer ist. Anders
bekommen Sie es doch nie sauber hin.
({3})
Ansonsten brechen Sie einen riesigen Streit vom Zaun
und stehen vor den Gerichten.
({4})
Wir haben übrigens - das ist noch einmal in Erinnerung zu rufen - die größte Steuersenkung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland vorgenommen. Bei den unteren und mittleren Einkommen haben
wir in den letzten Jahren über Steuersenkungen einen
größeren Reallohnzuwachs erzielt als durch Tarifabschlüsse.
Beim Abbau von Steuersubventionen sind wir leider
nicht so weit gekommen, weil blockiert wurde. In der
neuen Konstellation machen wir uns jetzt gemeinsam an
diese Aufgabe. Manch einer hätte schon früher vom Saulus zum Paulus werden können; aber besser spät als nie.
Das ist keine einfache Geschichte, weil wir viele Menschen treffen. Deswegen werden wir in der Debatte, die
auf die Anhörung folgt, an den kritischen Punkten Pendlerpauschale und Kinderbetreuungskosten für eine gerechte und ausgewogene Lösung sorgen. Man muss diesen Entwurf aber im Gesamtkontext dessen, was wir hier
machen, betrachten: konsolidieren und gleichzeitig in
Richtung Zukunft investieren!
Herzlichen Dank.
({5})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/1545, 16/1501 und 16/1654 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b
auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Bundesregierung
Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte
an der EU-geführten Operation EUFOR RD
CONGO zur zeitlich befristeten Unterstützung der Friedensmission MONUC der Vereinten Nationen während des Wahlprozesses
in der Demokratischen Republik Kongo auf
Grundlage der Resolution 1671 ({1}) des Si-
cherheitsrates der Vereinten Nationen vom
25. April 2006
- Drucksache 16/1507 -
aa) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Auswärtigen Ausschusses
({2})
- Drucksache 16/1649 Berichterstattung:
Abgeordnete Bernd Schmidbauer
Brunhilde Irber
Dr. Norman Paech
Kerstin Müller ({3})
bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({4}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/1698 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Jürgen Koppelin
Herbert Frankenhauser
Lothar Mark
Michael Leutert
Alexander Bonde
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({5}) zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Paul Schäfer ({6}), Dr. Norman Paech,
Monika Knoche, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der LINKEN zu dem Antrag der Bundesregierung
Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte
an der EU-geführten Operation EUFOR RD
CONGO zur zeitlich befristeten Unterstützung der Friedensmission MONUC der Vereinten Nationen während des Wahlprozesses
in der Demokratischen Republik Kongo auf
Grundlage der Resolution 1671 ({7}) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom
25. April 2006
- Drucksachen 16/1507, 16/1522, 16/1650 Berichterstattung:
Abgeordnete Bernd Schmidbauer
Brunhilde Irber
Dr. Norman Paech
Kerstin Müller ({8})
Zu dem Antrag der Bundesregierung liegen mehrere
Entschließungsanträge vor. Über die Beschlussempfehlung zum Antrag der Bundesregierung werden wir später
namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort unserem Kollegen Walter Kolbow von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In
dieser Woche stehen im Deutschen Bundestag die ManWalter Kolbow
datierungen von drei Bundeswehreinsätzen an: die Verlängerung des Bundeswehreinsatzes im Kosovo, AMIS
im Sudan und die Entsendung von Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten in den Kongo.
Ich denke, es ist richtig, darauf hinzuweisen, dass das
vereinfachte Verfahren gemäß Parlamentsbeteiligungsgesetz bei AMIS, dem sich diesmal auch die Fraktion
Die Linke angeschlossen hat, und die knappe Redezeit
von 30 Minuten beim Kosovomandat nicht darüber hinwegtäuschen dürfen, dass es sich hierbei, wie beim Kongomandat, um ernsthafte Entscheidungen handelt.
({0})
Trotzdem wiegt die Beschlussfassung zur Kongomission
besonders schwer, handelt es sich doch um den ersten
Einsatz von Bodentruppen der Bundeswehr in Afrika
seit Somalia.
Für die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr
hatte es stets eine besondere Bedeutung, dass der Deutsche Bundestag fraktionsübergreifend und mit großer
Mehrheit, wenn möglich, den Einsätzen zugestimmt hat.
Es wäre gut, wenn dies auch heute der Fall ist. Meine
Fraktion wird ihren Beitrag dazu leisten, zumal zur Erarbeitung unserer Position im Spannungsfeld zwischen politischer Vorbereitung und verbindlicher Entscheidung
hinreichend Zeit und schlussendlich die notwendigen Informationen und militärischen Expertisen zur Verfügung
standen. Deshalb ist EUFOR in der Demokratischen Republik Kongo ein militärisches Mittel zum Erreichen des
politischen Ziels der Stabilität dieses Landes.
Der Krieg im Kongo hat für die Menschen unsägliches Leid und Tod gebracht. Im Entschließungsantrag
der Koalitionsfraktionen weisen wir noch einmal auf die
erschütternden Fakten dieses Krieges hin. Mit der heutigen Entscheidung des Bundestages wird ein weiterer
wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem sich demokratisch und friedlich entwickelnden Kongo versucht und,
ich denke, auch gegangen.
Es ist in den vergangenen Wochen immer wieder auf
die strategische Bedeutung des Kontinents Afrika und
des Kongo hingewiesen worden. Ich will dies heute noch
einmal hervorheben: Der Kongo ist das Schlüsselland
für die Stabilisierung nicht nur der Region der Großen
Seen.
„Der afrikanische Kontinent
wird sich nur stabilisieren lassen, wenn es gelingt, den
Kongo zu stabilisieren.“ So wird die Möglichkeit zu einer friedvollen Entwicklung in der Demokratischen Republik Kongo nicht nur positive Auswirkungen für die
Menschen dort, sondern auch darüber hinaus haben können. Die Interessenlagen der Afrikaner und der internationalen Gemeinschaft stehen dabei im Einklang.
Aus unserer Sicht bedeutet dies: Deutschland hat ein
sicherheitspolitisches Interesse an einer erfolgreichen
Stabilisierung des Kongo nach dem Grundsatz der europäischen Sicherheitsstrategie. Wir müssen vor Ort die
Probleme angehen, bevor die Probleme zu uns kommen.
({0})
Die Vereinten Nationen sind seit 1999 mit ihrer größten Friedensmission im Kongo engagiert. Die MONUC
hat generell die Aufgabe der Unterstützung und Koordinierung des politischen Übergangsprozesses. Im vergangenen Jahr hat MONUC dem Verfassungsreferendum im
Kongo zum Erfolg verholfen. Die kongolesische Bevölkerung hat mit einer Zustimmung von 84 Prozent eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass ihr an einer friedlichen und demokratischen Entwicklung liegt. Im Übrigen
wird von denen, die dort waren, zu Recht immer wieder
darauf hingewiesen - Kollegin Mogg, Kollege Kramer,
Kollege Wellmann, Kollege Schmidbauer und natürlich
auch Kollege Nachtwei und Kollege Ströbele haben das
in ihren eindrucksvollen Berichten getan -, dass die Kongolesen wählen wollen. Dies beweist auch der Andrang
auf die Wählerlisten, die ja aufgrund der Unwägbarkeit
im Kongo nicht leicht zu erreichen sind.
({1})
Im Vorfeld der anstehenden Parlaments- und Präsidentschaftswahlen wurde die Europäische Union von
den Vereinten Nationen gebeten, einen als notwendig erachteten militärischen Beitrag zur Unterstützung von
MONUC bei der Absicherung des Wahlprozesses zur
Verfügung zu stellen. Diese Anfrage der Vereinten Nationen konnte nicht überraschen, da die Europäische
Union und die Bundesrepublik Deutschland den Befriedungsprozess im Kongo seit Jahren finanziell, materiell
und personell - auch in die Zivilgesellschaft hinein - unterstützen. Darüber hinaus hat die Europäische Union
mit einem Afrikastrategiedokument vom Dezember
2005 ihre ausdrückliche Bereitschaft bekundet, Demokratisierungsprozesse in Afrika zu unterstützen. Es ist
also falsch, zu behaupten, Deutschland sei in die militärische Unterstützung von MONUC hineingeschlittert
oder Europa wolle mit diesem Einsatz endlich die bisher
nicht dargelegte Handlungsfähigkeit beweisen. Die Europäische Union hat bewiesen und beweist, dass sie im
Rahmen ihrer Außen- und Sicherheitspolitik handlungsfähig ist. Ihre Missionen in Mazedonien, in BosnienHerzegowina - sie dauert noch an - und 2003 mit Artemis im Ostkongo unterstreichen das.
Die Unterstützung von MONUC durch die Europäische Union und durch unsere Beteiligung steht in der
Logik des langjährigen europäischen Engagements in
dieser Region. Der Herr Außenminister hat dies in der
Begründung des Antrages der Bundesregierung in der
ersten Lesung überzeugend dargelegt. Mit dem Ablauf
des militärischen Einsatzes wird sich unser politisches
Engagement im Kongo nicht erschöpfen. In Vorbereitung unserer Entscheidung im Parlament hat die Bundesregierung wiederholt bekräftigt, dass es ihr um ein nachhaltiges politisches Engagement geht, das über die
infrage stehende Mission hinausgeht. Dies betrifft in besonderem Maße die entwicklungspolitische Zusammenarbeit mit dem Kongo. Wir unterstützen diesen Ansatz
ausdrücklich.
({2})
Nicht nur auf der Ebene der Bundespolitik hat
Deutschland im Rahmen der europäischen Aktivitäten
ein spezifisches Interesse am Kongo. Es gibt in der Europäischen Union und in Deutschland auch vielfältige zivilgesellschaftliche Kooperationen auf regionaler und
lokaler Ebene, die dem Kongo helfen. So unterstützt
zum Beispiel die Universität Würzburg seit 2003 die
kongolesische Hochschule in Kinshasa. Das ist nur ein
Beispiel von vielen. Da mag man von Kleinteiligkeit reden. Aber auch das ist ein Teil des Mosaiks, das für die
Förderung des dortigen Friedensprozesses von Bedeutung ist.
({3})
Frauennetzwerke, Opfernetzwerke, Demobilisierung von
Kämpfern und Kindersoldaten sowie deren Zusammenführung mit ihren Familien unterstreichen diese positive
Entwicklung, wie Frau Entwicklungshilfeministerin
Heide Wieczorek-Zeul das in der ersten Lesung ebenfalls
sehr intensiv und überzeugend dargelegt hat.
Ich sage, dass es auch darauf ankommt, den schmutzigen Rohstoffkrieg zu beenden. Das ist eine der Hauptaufgaben der künftigen demokratisch gewählten kongolesischen Regierung. Es gibt nichts Wichtigeres als die
Förderung von Demokratie und Staatlichkeit, um diesem
heute stattfindenden Rohstoffkrieg ein Ende zu bereiten.
Dafür müssen wir uns gemeinsam engagieren; denn das
Einkommen aus diesen Rohstoffen muss endlich den
Menschen selbst zugute kommen.
({4})
Wir haben die notwendige militärische Expertise
eingeholt. Wo sonst sollten wir diese Expertise, die wir
als Grundlage unserer politischen Entscheidung brauchen, einholen, als bei unseren Soldatinnen und Soldaten
und bei denen, die im Hauptquartier in Potsdam im Auftrag der Europäischen Union die militärische Arbeit machen müssen, die sie gut machen? Dort haben wir uns
überzeugt.
General Viereck hat uns gesagt: Jawohl, ich kann diesen Einsatz mit den militärischen Mitteln, die mir von
18 Mitgliedstaaten der Europäischen Union, auch von
Deutschland, zur Verfügung gestellt werden, bewältigen.
Ich kann diesen Einsatz in militärischer Hinsicht durchführen, um ihm politisch zum Erfolg zu verhelfen. - Unsere Soldatinnen und Soldaten sind erfahren, sie sind
ausgebildet und sie können politische Aufträge einschätzen. Der Verteidigungsminister hat diese Auffassung
dargelegt und umgesetzt. Damit hat auch er seinen Beitrag geleistet.
({5})
Die Entscheidung über den Einsatz von bewaffneten
Streitkräften gerade in diesem Zusammenhang und im
Rahmen dieser Mission fällt niemandem von uns leicht.
Ich habe Respekt vor Auffassungen, die sich nicht der
meinen anschließen können und eine andere Abwägungsentscheidung getroffen haben. Bei jeder Mission
ringen Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen um
das Ja oder Nein zum Antrag der Bundesregierung, Soldaten ins Ausland zu schicken. Deswegen gibt es das
Parlamentsbeteiligungsgesetz. Deswegen führen wir
diese verantwortungsvolle und von der Zeit und den Inhalten her respektable Debatte. Deswegen hat meine
Fraktion mit überzeugender Mehrheit die Entscheidung
getroffen, für den Antrag zu stimmen und der Europäischen Union, den Vereinten Nationen und der internationalen Staatengemeinschaft im Rahmen unserer Möglichkeiten zu helfen. Zur Förderung der Stabilität des Kongo
wollen wir die Unterstützung geben, die für den Erfolg
gebraucht wird.
Ich danke Ihnen für das Zuhören.
({6})
Ich erteile das Wort Kollegen Werner Hoyer, FDPFraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Deutsche Bundestag kann zu einem Antrag der Bundesregierung auf Entsendung von Bundeswehrsoldaten nur
Ja oder Nein sagen. Wir können den Antrag in seiner
Substanz nicht ändern, wir können das Einsatzkonzept
nicht ändern und wir können auch keine Änderungsanträge einbringen. Deswegen macht es keinen Sinn, hier
über Alternativen zu diskutieren. Das haben wir in den
Ausschüssen teilweise getan und wir sind gerne bereit,
das wieder zu tun; denn wir haben Alternativen.
Hier müssen wir Ja oder Nein sagen. Das heißt, die
Bundesregierung muss uns davon überzeugen, dass dieser Einsatz Sinn macht, dass er gut begründet, konzeptionell gut unterlegt und verantwortbar ist. Die Bundesregierung hat uns hiervon nicht überzeugen können.
Deshalb werden wir Freien Demokraten diesen Antrag
der Bundesregierung ablehnen.
({0})
Frau Bundeskanzlerin, ich fürchte, Sie sind gerade
dabei, Ihren ersten großen außenpolitischen Fehler zu
machen. Wir Freien Demokraten haben in den letzten
Monaten Ihre neuen außenpolitischen Weichenstellungen immer wieder begrüßt und ausdrücklich unterstützt.
Aber hier machen Sie einen Fehler. Ich vermute, gut gemeint - ich unterstelle das durchaus, sowohl europapolitisch als auch deutsch-französisch und was Afrika angeht -; aber am Ende ist es eben doch ein Fehler.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, vielleicht
haben wir uns schon zu sehr daran gewöhnt, in kritischen Situationen, wenn es darum geht, Friedenseinsätze
weltweit zu unterstützen, auch zum Instrument des Einsatzes der Bundeswehr zu greifen. Bisweilen scheint mir
aber aus dem Blick zu geraten, dass der Einsatz der
Streitkräfte, insbesondere der deutschen Streitkräfte,
immer nur das letzte, das allerletzte Mittel sein kann.
(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Oskar
Lafontaine ({1})
Ich anerkenne selbstverständlich, dass die Vereinten
Nationen, dass die Afrikanische Union, dass die Europäische Union im Kongo sehr viel getan haben, dass sehr
viel auf den Weg gebracht worden ist, dass sehr viel Engagement gezeigt und sehr viel Geld aufgebracht worden
ist. Aber nach meiner Auffassung sind die Strukturen
noch nicht da, um jetzt mit Wahlen sozusagen das Sahnehäubchen draufzusetzen und zu glauben, damit sei die
Sache erledigt.
Es ist eine absurde, geradezu tieftraurige Situation,
dass eines der reichsten Länder Afrikas sich durch so unvorstellbare Not auszeichnet. Aber es sind ja gerade
diese enormen Ressourcen, die Bodenschätze, die dieses Land schon so lange zum Spielball von Kolonialherren, von Interessenvertretern aus aller Welt und von korrupten Machteliten im eigenen Land machen. An dieser
Stelle stellt sich die Frage nach den Interessen der beteiligten Parteien, auch derjenigen, die jetzt hilfreich intervenieren wollen. Ich bezweifle, dass sich diese Interessen zur Deckung bringen lassen, erst recht mit den
deutschen Interessen.
({2})
Am Anfang jedes internationalen Engagements stehen die Hilfe für die Menschen in Not und der Aufbau
stabiler und verlässlicher staatlicher Strukturen, vor allem zuverlässiger Sicherheits- und Justizstrukturen. Das
ist auch im Kongo der große Schwachpunkt. Der Aufbau staatlicher Strukturen, die den Menschen ein Mindestmaß an Sicherheit und Aussicht auf Gerechtigkeit
gewährleisten könnten, steckt erst in den Kinderschuhen.
Die Menschen sehnen sich in erster Linie übrigens nicht
nach Wahlen, sie sehnen sich in erster Linie nach Sicherheit, nach einer aussichtsreichen Zukunft für sich selber
und ihre Kinder.
({3})
Es mag mit den Regeln der so genannten Political
Correctness kollidieren, dies zu sagen, aber das Abhalten
von Wahlen - hoffentlich in einigermaßen fairer und
freier Form - allein kann die Stabilisierung nicht bringen, wenn die auf diese Weise formal Legitimierten sich
nicht auf zuverlässige staatliche Strukturen abstützen
können und andererseits auf genau diese verpflichtet
sind. Mit anderen Worten: Die Freien Demokraten bezweifeln die Nachhaltigkeit der Wirkung dieses Einsatzes.
({4})
Ich zweifle, dass selbst bei erfolgreichem Abschluss dieser Mission, nach gesunder Heimkehr hoffentlich aller
unserer Soldaten, das Ergebnis ihrer Anstrengungen Bestand haben wird. Ich bezweifle, dass wir wirklich vorbereitet sind, falls die Konfliktparteien, die ihre schlagkräftigsten Einheiten ja keineswegs demobilisiert und in
den Friedensprozess eingebracht haben, einfach den Abzug der europäischen Soldaten abwarten, um ihre Ziele
doch noch zu erreichen, sind Wahlen für sie doch, wie
die SWP es formuliert, lediglich die Fortsetzung des
Krieges mit anderen Mitteln. Kehren wir dann sofort in
den Kongo zurück? Lassen wir uns dann in einen blutigen Bürgerkrieg hineinziehen? Werden unsere Soldaten
zu Geiseln kongolesischer Warlords?
Ich bezweifle übrigens auch, dass wir der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik einen guten
Dienst erweisen, wenn wir einen Einsatz zum großen europäischen Projekt hochstilisieren, an dem sich so beschämend wenige Teilnehmer mit einem nennenswerten
Beitrag engagieren wollen.
({5})
Als ob sie nicht wüssten, warum sie sich so zurückhalten! Ich zweifle erst recht an dem Argument, mit dem
Einsatz im Kongo würden wir den Migrationsdruck, von
Afrika nach Europa zu gelangen, abschwächen. Die tatsächlichen Zahlen sprechen, was den Kongo angeht, eine
ganz andere Sprache.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, der Antrag
der Bundesregierung ist stümperhaft vorbereitet und von
vorn bis hinten in sich nicht schlüssig. Deshalb lehnen
wir ihn ab.
({6})
Wir tun das nach sorgfältiger Abwägung. Das ist übrigens die gute Tradition in allen Ländern, die mehr Erfahrungen mit Auslandseinsätzen haben als wir.
Über die Sinnhaftigkeit und Verantwortbarkeit von
Auslandseinsätzen von Streitkräften muss man streiten.
Es wäre völlig unnatürlich, wenn wir es nicht tun würden angesichts der Tatsache, dass Sie für diesen Antrag
weder in der Bundeswehr noch in der Bevölkerung noch
in diesem Hause, wenn wir ehrlich sind, liebe Kolleginnen und Kollegen, eine Mehrheit haben. Hier wird die
Koalitionsräson in den Vordergrund gerückt. Hier will
niemand die Bundesregierung im Regen stehen lassen.
({7})
In diesem Hause wäre die Mehrheit nicht gegeben, wenn
die vielen Kolleginnen und Kollegen, die mir seit Monaten sagen, wir sollten diesen Einsatz um Himmels willen
verhindern, heute mit Nein stimmen würden.
({8})
Meine Damen und Herren, meine letzte Bemerkung.
Wenn nach kritischer Debatte die Entsendeentscheidung
getroffen ist - diese respektieren wir dann selbstverständlich -, können sich die Soldatinnen und Soldaten
der Bundeswehr darauf verlassen, dass wir Freien
Demokraten alles dafür tun werden, damit ihnen die
Möglichkeiten, die Ressourcen und die Unterstützung
gegeben werden, ihren Auftrag erfolgreich zu erfüllen
und gesund und heil nach Hause zurückzukehren.
Herzlichen Dank.
({9})
Ich erteile das Wort Kollegen Eckart von Klaeden,
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine
Fraktion wird dem Antrag der Bundesregierung zustimmen. Wir teilen die Einschätzung der Bundesregierung,
dass dieser Einsatz notwendig und erforderlich ist. Wir
vertrauen der Zusicherung der Bundesregierung, insbesondere nach der Beratung in den Ausschüssen, dass die
notwendigen Kräfte für die Durchführung des Auftrages
zur Verfügung stehen.
Ich will die Gelegenheit gleich nutzen und auf die
Kritik der FDP eingehen. Kritik ist immer erlaubt; das
ist, wie ich finde, selbstverständlich. Aber ich teile Ihre
Kritik nicht. Ihre Kritik wäre glaubwürdiger, wenn Sie
nicht vorher mit völlig abwegigen Ausführungen zum
Parlamentsbeteiligungsgesetz den Eindruck erweckt hätten, die - erfolgreichen - Versuche der Bundesregierung,
eine größere europäische Beteiligung zu erreichen, seien
mit dem Grundgesetz und dem Parlamentsbeteiligungsgesetz nicht vereinbar. Wenn man Ihr Verhalten zum allgemeinen Maßstab machen würde, dann wäre die Folge,
dass eine Abstimmung innerhalb der Europäischen
Union nicht möglich wäre und wir alleine in den Kongo
müssten. Die Kritik, die Sie hinsichtlich des Ansatzes,
multilateral vorzugehen, vorgebracht haben, ist geradezu
abwegig gewesen. Jetzt zu erklären, es fehle am nötigen
Einsatz und an den nötigen Mitteln, ist wenig glaubwürdig.
({0})
Es ist auch falsch, hier den Eindruck zu erwecken, als
sei der Einsatz die einzige Maßnahme, die durchgeführt
wird. Wir unterstützen seit langem MONUC. Es gibt
EUSEC und EUPOL.
Sie haben den Zeitpunkt der Wahl kritisiert. Ich will
darauf hinweisen, dass der Zeitpunkt von den Kongolesen in ihrem Friedensvertrag selber gewählt worden ist.
Wenn wir den Vorwurf eines neokolonialen Ansatzes
vermeiden wollen, dann müssen wir den Wunsch nach
Demokratie im Kongo und den Fahrplan, der hierzu
entstanden ist, in Übereinstimmung mit der internationalen Gemeinschaft unterstützen und dürfen uns nicht naseweis davon distanzieren.
({1})
Es ist der Weg, den die Kongolesen selber gewählt haben, den wir unterstützen wollen.
Wir wollen eine erfolgreiche Mission und wünschen
unseren Soldatinnen und Soldaten eine sichere und unversehrte Rückkehr. Ich glaube, im Namen des ganzen
Hauses sprechen zu können, wenn ich sage, dass die Soldatinnen und Soldaten, die diesen Auftrag übernehmen,
unseren Respekt und unsere Unterstützung verdienen.
({2})
Es ist auch falsch, wenn von den Kritikern dieses Einsatzes immer wieder der Eindruck erweckt wird, es gehe
bei dem vorgesehenen EUFOR-Einsatz alleine darum,
den gesamten Stabilisierungs- und Demokratisierungsprozess im Kongo zu unterstützen. Das ist falsch. Der Stabilisierungs- und Demokratisierungsprozess im Kongo ist
eine UN-Mission, die bekannte MONUC. Im Rahmen
dieser Mission sind seit dem Friedensvertrag von 2002
17 000 Soldaten im Land.
Wir sind von den Vereinten Nationen gebeten worden, für einen bestimmten Zeitraum spezielle Kräfte für
spezielle Aufgaben zur Verfügung zu stellen und den
Wahlprozess abzusichern. Es bleibt aber bei MONUC.
Wer also behauptet, man wolle den gesamten Kongo in
vier Monaten mit 2 000 Soldaten stabilisieren, der sagt
bewusst die Unwahrheit und führt die Öffentlichkeit in
die Irre.
({3})
Die Mission beginnt auch nicht beim Nullpunkt, sondern
es hat in dem Land bereits die erfolgreiche Operation
Artemis gegeben. EUSEC und EUPOL habe ich auch
schon angesprochen.
Der Stabilisierungsprozess ist unerwartet erfolgreich.
Der Kongo ist nicht nur in geografischer Hinsicht eines
der zentralen afrikanischen Länder, deren Stabilisierung
erforderlich ist, wenn wir wollen, dass es auf dem gesamten afrikanischen Kontinent zu Frieden und Stabilität
kommt. Wir müssen doch auch einmal an die Alternative denken. Wenn der Stabilisierungsprozess nicht
gelingt, dann wird das nicht nur für Afrika Folgen haben,
die wirklich unabsehbar sind.
Denken wir einmal an die Berichte über die Wahl in
Südafrika im Jahre 1994. Eine alte Frau wurde gefragt,
warum sie stundenlang in der Hitze ansteht, um wählen
zu können. Sie hat gesagt: Ich habe mein ganzes Leben
lang auf diese Möglichkeit gewartet, dann kann ich jetzt
auch noch diesen Tag in der Hitze ertragen. - Dass die
Kongolesen wählen wollen und Demokratie wollen,
wurde durch die beeindruckende Beteiligung am Verfassungsreferendum doch unter Beweis gestellt.
({4})
Bei mancher Kritik an dem Einsatz klingt die Vorstellung durch - Herr Kollege Hoyer, ich nehme Sie hier
ausdrücklich aus -, dass man glaubt, die Kongolesen
seien prinzipiell nicht in der Lage, einen demokratischen
Staat aufzubauen. Diese Geisteshaltung ist nicht nur zynisch, sondern auch rassistisch.
({5})
Wenn wir in diesem Hause über Entwicklungshilfe
debattiert haben, dann haben wir immer wieder zwei
Punkte angesprochen und kritisiert, nämlich zum einen,
dass nicht ausreichend präventiv gehandelt wird, und
zum anderen, dass es hinterher an Nachhaltigkeit gefehlt
hat. Den ersten Fehler vermeiden wir mit der EUFORMission; denn auf Wunsch der Kongolesen und der internationalen Staatengemeinschaft gehen wir präventiv
in den Kongo. Aufgabe dieser Mission ist, gerade das zu
verhindern, was andere hinterher wieder tränenreich beklagen wollen.
Es ist natürlich unsere Verpflichtung, den Kongo auch
danach nicht zu vergessen und auch den zweiten Fehler
zu vermeiden. Wir müssen hier also über die weitere Stabilisierung im Rahmen der Entwicklungshilfe usw. sprechen. Das ist doch selbstverständlich. Wenn sich die
FDP und die PDS daran beteiligen wollen, dann sind sie
herzlich dazu eingeladen.
Es ist aber auch falsch, zu behaupten, dass es automatisch zur Destabilisierung des Kongo kommen werde,
wenn die EUFOR-Mission abgezogen sei. Dann wird
MONUC wieder die Aufgaben übernehmen können.
MONUC hat bisher eine erfolgreiche Arbeit geleistet
und ich bin mir sicher und habe das begründete Vertrauen, dass diese Aufgabe auch hinterher weiter durchgeführt werden kann. Es ist aber wirklich keine glaubhafte Position, mit dem Hinweis auf kommende Risiken
schon jetzt die Unterstützung zu verweigern.
Wir haben Interessen in Afrika. Wir haben das Interesse, dass es zu einer guten Regierungsform, zur Stabilisierung und zur Einhaltung der Menschenrechte kommt.
Wir haben aber auch das Interesse, dass es in einem
Land wie dem Kongo zu einem Abbau von Rohstoffen
kommt, die der eigenen Bevölkerung zugute kommen,
dass es nicht zu einem Raubbau kommt, dass der Reichtum des Kongo nicht zu einem Fluch für die Bevölkerung wird, dass die Korruption nicht befördert wird und
dass die Menschen dort von den Reichtümern ihres Landes profitieren können.
Wir haben aber auch ein Interesse daran - es gehört
auch zur Ehrlichkeit, das zu sagen -, dass die Rohstoffe
nach einem fairen Verfahren so abgebaut werden, dass
sie auch von Ländern wie der Bundesrepublik Deutschland genutzt werden können. Gerade wir, die wir in einem rohstoffarmen Land leben, das Exportweltmeister
ist, haben an diesen beiden Elementen ein enormes Interesse. Deswegen ist es wichtig, den Kongo und andere
rohstoffreiche Staaten in ein faires internationales System einzubinden, in dem die Rohstoffe, die in ihren Ländern abgebaut werden, auch ihrer eigenen Bevölkerung
zugute kommen können.
Ich will ein letztes Wort zur Abstimmung des Mandats auf europäischer Ebene sagen. Da hat es Schwierigkeiten gegeben; das haben wir alle öffentlich verfolgen
können. Es ist in unserem Interesse und auch im Interesse der Soldaten, dass der Auftritt von EUFOR und
möglichen weiteren Missionen in der Weltöffentlichkeit
überzeugend stattfindet. Deswegen müssen wir im Rahmen der ESVP über die Frage nachdenken, wie wir Kapazitäten und Fähigkeiten für solche maßgeschneiderten
Missionen zur Verfügung stellen. Neben der Diskussion
um die Frage der Battle-Groups brauchen wir auch eine
Diskussion über die reguläre und periodische Zurverfügungstellung von Fähigkeiten, damit ein solch komplizierter und in der Öffentlichkeit nicht immer überzeugender Abstimmungsprozess auf europäischer Ebene
vermieden werden kann.
Gleichwohl haben wir jetzt eine verantwortungsvolle
und gute Mission zustande gebracht. Die Schwierigkeiten, die es auf europäischer Ebene gegeben hat, dürfen
nicht die Substanz des Einsatzes und die Ziele infrage
stellen.
({6})
Wer das durcheinander bringt, zeigt, dass er zu einem
wirklichen politischen Urteil kaum in der Lage ist.
Wir stimmen zu.
({7})
Ich erteile das Wort Kollegen Wolfgang Gehrcke,
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
muss zu Beginn einen Irrtum des Kollegen Kolbow berichtigen. Wir haben zugestimmt, über die Verlängerung
des Darfurmandates AMIS nicht hier im Plenum zu diskutieren.
({0})
Wir haben nicht dem Mandat selbst zugestimmt und das
gegenüber dem Präsidenten des Bundestages zum Ausdruck gebracht.
({1})
Um es etwas salopp zu sagen, Kollege Kolbow: Wir sind
nicht Mitglied im Klub und wir wollen auch nicht Mitglied in dem Klub derer werden, die Soldaten in Auslandseinsätze schicken.
({2})
Wenn allerdings solche Irrtümer entstehen, dann werden
wir künftig darauf bestehen müssen, die Verlängerung
aller Mandate grundsätzlich hier im Plenum zu debattieren. Das ist sowieso besser, um die Mandate auf ihre
Substanz immer wieder zu überprüfen und gegebenenfalls zu korrigieren. Insofern sind wir lernfähig. Ich
danke Ihnen, dass Sie zu dieser Lernfähigkeit meiner
Fraktion und bei mir selber beigetragen haben.
({3})
Jetzt zum Kongo selbst. Wir lehnen den Antrag der
Bundesregierung zur Entsendung deutscher Soldaten in
den Kongo ab. Wir halten diese Mission selbst für politisch falsch, in sich widersprüchlich und für nicht geeignet, den Kongo zu stabilisieren. Damit befinden wir uns
im Widerspruch zur Mehrheit im Bundestag; das
verwundert nicht. Wir befinden uns aber in Übereinstimmung mit weiten Teilen der Friedensbewegung,
entwicklungspolitischen und kirchlichen Gruppen, also
sozusagen der besseren Gesellschaft.
({4})
Ihnen kann ich nur raten - mein Kollege Herr Hoyer formuliert das immer sehr schön diplomatisch -: Verwechseln Sie Mehrheiten hier im Saal nicht mit Mehrheiten
im Leben. Sie haben für diesen Einsatz keine Zustimmung in der Gesellschaft.
({5})
Der Kongo ist ein reiches Land, reich an Naturressourcen wie Kupfer, Coltan, Kobalt, Gold, Diamanten,
um nur einige zu nennen. Aber dieser Reichtum ist eine
der Ursachen für das Elend der Menschen. Dieser Reichtum ist nie den Menschen selbst im Kongo zugute
gekommen, sondern war Gegenstand von Ausplünderungen durch internationale Konzerne und korrupte
Warlords à la Mobutu.
({6})
Der Kongo war und ist Gegenstand geostrategischer
Auseinandersetzungen. Elend durch Reichtum - das ist
die Tragödie des Kongo.
({7})
Wer über den Kongo wirklich diskutieren will - Bundesaußenminister Steinmeier hat in seiner Einbringungsrede zum Antrag der Bundesregierung auf die letzten
fünf Jahre der Geschichte der Zusammenarbeit aufmerksam gemacht -, der muss aus meiner Sicht weiter
zurückschauen. Herr Außenminister, ich habe noch die
Bilder des ersten frei gewählten Präsidenten Kongos,
Patrice Lumumba, vor Augen: geschunden, geschlagen
und ermordet.
({8})
Auch habe ich die Bilder der deutschen Söldner im
Kongo vor Augen, etwa des berüchtigten Kongo-Müller.
Wenn wir über den Kongo diskutieren, dann müssen wir
auch über die Folgen einer solchen Kolonialpolitik reden.
({9})
Wer über die Verbrechen des Kolonialismus schweigt,
der kann zu der künftigen Entwicklung des Kongo nichts
Konstruktives beitragen.
({10})
In den Debatten, die wir bereits zu diesem Thema geführt haben, haben Sie, Herr Außenminister gesagt, dass
die Konsequenz darin bestehe, Soldaten in den Kongo zu
schicken. Wir hingegen sagen: Der Kongo braucht keine
Soldaten. Er braucht mehr Hilfe für den zivilen Aufbau,
den Aufbau der Verwaltung, der Kommunen, der Polizei
und einer eigenständigen Wirtschaft. Er braucht Hilfe
zur Selbsthilfe. Wir von der Fraktion Die Linke würden
die 60 Millionen Euro, die auf Kosten der Steuerzahler
für den Militäreinsatz aufgebracht werden sollen, mit
Freude für den zivilen Aufbau im Kongo einsetzen. Das
Geld wäre für diesen Zweck besser genutzt. Aber an dieser Stelle fehlen die Mittel.
({11})
Die Wahlen im Kongo sind die Leistung der Bürgerinnen und Bürger des Landes selbst; ich bin froh darüber. Das sollten wir unterstreichen, statt so zu tun, als
ob es unsere Leistung wäre. Der Außenminister hat im
Auswärtigen Ausschuss argumentiert, dass die Zeit des
Bürgerkriegs zu Ende gehe und dass die Verfassungsabstimmung friedlich verlaufen sei. Das ist eine Tatsache.
Unbewiesen ist aber, dass die Wahl im Kongo die Gefahr
einer militärischen Auseinandersetzung mit sich bringt.
({12})
Wir haben Ihnen schon einige Male entsprechende Argumente vorgehalten.
Die Bundesregierung hat einen Antrag vorgelegt. Es
wäre in diesem Zusammenhang ihre Pflicht gewesen,
ihn glaubhaft zu begründen. Das konnten Sie aber nicht.
Hinzu kommt, dass Sie jede Woche eine neue Begründung vorgelegt haben.
Weil meine Redezeit knapp wird, will ich mich auf einige Stichworte beschränken. 17 000 Soldaten sind im
Rahmen der Friedensmission MONUC im Kongo im
Einsatz. Wenn Sie über militärische Einsätze diskutieren, dann frage ich mich, warum Sie einen eigenen EUEinsatz für nötig halten, statt über eine verstärkte Beteiligung an MONUC zu verhandeln.
({13})
- Das ist nicht mein Problem. Es wäre aber möglich gewesen. Hinter vorgehaltener Hand sagen Sie deutlich,
dass europäische Truppen eine höhere Abschreckungswirkung als Pakistaner oder andere hätten.
({14})
Mit einer solchen Argumentation kann man vor den Vereinten Nationen nicht bestehen.
({15})
Der Verteidigungsminister beschwört einen Einwanderungs- und Flüchtlingsdruck. Ich finde dieses Argument schlimm, weil man damit Ängste in der deutschen
Bevölkerung weckt, die man nicht wecken sollte. Es
wurde argumentiert, dass die strategischen Rohstoffe des
Kongo nicht in falsche Hände fallen dürfen. In welchen
Händen sind die strategischen Rohstoffe denn richtig
aufgehoben? Sie gehören in die Hände der Bevölkerung
des Kongo.
({16})
Vielleicht können Sie noch eine weitere Frage beantworten - damit komme ich zum Schluss -: Sie diskutieren seit Monaten über den Militäreinsatz und erstellen
entsprechende Pläne. Warum ist erst vor drei Wochen in
der Europäischen Union über den Einsatz ziviler Wahlbeobachter gesprochen worden? Sie haben dann ganze
200 Wahlbeobachter gewinnen können. Mit einem Militäreinsatz sind sie schnell bei der Hand; mit zivilen Beobachtern und ziviler Hilfe sind sie zögerlicher. Das ist
die Konsequenz einer falschen Politik. Die Ergebnisse
dieser Politik kann man im Irak und in Afghanistan studieren.
({17})
Machen Sie die Augen auf, um zu sehen, wohin Militärpolitik immer führt und führen muss!
Schönen Dank.
({18})
Ich erteile das Wort Kollegen Fritz Kuhn für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
große Mehrheit meiner Fraktion wird der Beteiligung am
EUFOR-Mandat zustimmen, und zwar nicht wegen der
Art und Weise, auf die Sie das Mandat vorbereitet haben,
Herr Verteidigungsminister,
({0})
sondern eher trotz der Art und Weise.
({1})
Ich will Ihnen das deutlich sagen, weil Sie mit Ihren
Festlegungen, Ihrem Hin und Her und Ihrem systematischen Eiertanz zu einem Zeitpunkt, als Verhandlungen
notwendig gewesen wären, die Verunsicherung eher vergrößert als abgebaut haben. Ich rate Ihnen für die Zukunft zu einem offeneren und klareren Umgang mit diesem Parlament. Das gilt übrigens auch für das Weißbuch.
Die Zustimmung des Parlaments zu solchen schwierigen
Einsätzen hängt auch von dem Stil und der Transparenz
Ihres Agierens ab.
({2})
Es gibt viele Fragezeichen und Einwände, die auch
für diejenigen in meiner Fraktion, die der Mission nicht
zustimmen werden, wichtig sind. Dazu gehört zum Beispiel die Festlegung auf vier Monate zu einem Zeitpunkt, zu dem noch nicht bekannt ist, ob in diesen vier
Monaten der zweite Wahlgang überhaupt stattfinden
kann. Solche Fragen sind nicht ganz geklärt. Aber ich
will begründen, warum die Mehrheit meiner Fraktion
nach Abwägung der Risiken, die ein solcher Einsatz mit
sich bringt, sagt: Es ist richtig, deutsche Soldaten in den
Kongo zu schicken.
Herr Westerwelle und Herr Hoyer, Ihr Argument, die
Regierung habe Sie von der Notwendigkeit des Einsatzes nicht überzeugt, kann ich nicht verstehen; denn dieses Argument entbindet Sie doch nicht von der Pflicht,
selber darüber nachzudenken, ob der Einsatz notwendig
ist oder nicht.
({3})
Eine Partei wie die FDP - in der Tradition von HansDietrich Genscher und mit dem außenpolitischen Wissen, das bei ihr zumindest einmal vorhanden war - muss
sich doch die Frage stellen, was sachlich für einen Kongoeinsatz spricht.
Ich nenne drei Punkte. Der erste Punkt ist: Der Einsatz ist deswegen wichtig, weil die Stabilisierung des
Kongo durch demokratische Wahlen für die Entwicklung sowohl im Land selber als auch im restlichen
Afrika elementar ist.
({4})
Angesichts der Tatsache, dass 3,8 Millionen Menschen
im Bürgerkrieg umgekommen sind und dass heute noch
täglich über 1 000 Menschen an den Folgen des Krieges
sterben, können Sie doch nicht sagen, dass Herr Jung Sie
nicht überzeugt habe. Vielmehr müssen Sie sich aus
Gründen einer vernünftigen Afrikapolitik die Frage stellen, ob die Wahlen im Kongo nun durchgeführt werden
sollen, und die Verantwortung übernehmen, die hier notwendig ist.
Der zweite Punkt ist: Ob im Herzen Afrikas ein großer Failing State ohne jegliches staatliche Gewaltmonopol bestehen bleibt, ist eine elementare Frage für die
Teilhabe der kongolesischen Bevölkerung an Entwicklung und ihre Möglichkeiten, aus der Armut herauszukommen und Lebenschancen zu bekommen. Das ist außerdem für die Sicherheit nicht nur in Afrika, sondern
auf der ganzen Erde entscheidend; denn Failing States
sind immer Quellen von Terror und Terrorismus sowohl
in den betreffenden Ländern als auch auf internationaler
Ebene. Die bevorstehenden Wahlen im Kongo bieten
nun die Chance, einen Failing State schrittweise in eine
wachsende Demokratie zu verwandeln; das ist elementar. Daher können Sie nicht im Schulterschluss mit der
PDS einfach sagen, die Regierung habe es Ihnen nicht
richtig erklärt, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
FDP.
({5})
Herr Hoyer, Sie haben behauptet, die Bevölkerung im
Kongo wolle gar keine Wahlen, sondern Sicherheit. Das
ist wirklich unter Ihrem Niveau. Sie tun so, als gäbe es
keinen Zusammenhang zwischen Demokratie und Sicherheit. So darf man heutzutage nicht mehr argumentieren.
({6})
Der dritte Punkt ist: Ein weiterer Grund, warum wir
mehrheitlich dem Einsatz zustimmen, ist, dass wir nicht
das Scheitern der Vereinten Nationen etwa in Ruanda
beklagen können, dann aber der Bitte der Vereinten Nationen an die EU um Unterstützung nicht nachkommen
- übrigens, Herr Gehrcke, Sie sollten einmal nach New
York fahren und sich erklären lassen, wie die Mandatierung der Vereinten Nationen abläuft ({7})
und sagen: Das machen wir jetzt nicht. Aber beim nächsten Mal, wenn es scheitert, sind wir wieder wortreich dabei und machen darauf aufmerksam, wie schlimm das alles ist und was nicht funktioniert hat.
Für jemanden wie mich, der den Wehrdienst aus Gewissensgründen verweigert hat, erfordert die Frage, ob
man dem Einsatz zustimmen sollte, ob man dorthin Soldaten schicken sollte, schwierige Abwägungen im Detail. Für viele in meiner Fraktion gilt Ähnliches. Aber
man muss sich in einer solchen Situation auch die Frage
stellen - das sage ich an die Adresse der FDP -, welche
Folgen die Unterlassung eines solchen Einsatzes, also
das Nichthandeln, praktisch haben wird.
({8})
Herr Kollege Westerwelle und Herr Kollege Hoyer, ich
sehe zwar die Risiken. Aber nach reiflicher Abwägung
bin ich zu dem Ergebnis gekommen, dass die elementaren Risiken einer Ablehnung des Hilfeersuchens des
Kongo größer sind. Deswegen stimmen wir nach einem
Abwägungsprozess mehrheitlich zu.
An die Adresse der FDP sage ich: Ich wünsche mir,
dass die Koalition, die sich heute zusammen mit der
PDS gebildet hat, keinen langen Bestand hat; denn sie
dient der Sache nicht und setzt Sie dem Verdacht aus,
dass Sie diese Position aus taktischen Gründen einnehmen und nicht aufgrund der Befassung mit dem Inhalt.
Ich danke Ihnen.
({9})
Ich erteile das Wort Kollegen Gert Weisskirchen,
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Kollege Hoyer, Sie wissen, dass ich Sie
und besonders Ihre Argumentationsfähigkeit sehr
schätze. Mit dem, was Sie hier gesagt haben, verfehlen
Sie meiner Meinung nach allerdings die Substanz dessen, was „freidemokratisch“ eigentlich heißt. Sie schätzen gering, dass Freiheit und Demokratie etwas sein
können, was mithilft, dass Institutionen aufgebaut, stabilisiert und gefestigt werden, obwohl das eine der Grundbedingungen dafür ist, dass der Kongo überhaupt eine sichere Perspektive haben kann.
Sie stellen sich hier also hin, präsentieren sich - Entschuldigung, wenn ich das sage - unterhalb Ihrer eigenen
Fähigkeiten und bar Ihrer Erkenntnisse und sagen: Die
Geschehnisse im Kongo stellen sich aus unserer europäischen Perspektive anders dar - hinzu kommt womöglich
das, was der Kollege Gehrcke angesprochen hat - und
unser Nein ist dadurch begründet, dass wir für eine bessere Gesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland stehen.
({0})
Das mag zwar in Ihrem eigenen Denken so sein; aber Sie
sollten auch daran denken, dass es im Kongo Menschen
gibt, die selbst für eine bessere Gesellschaft kämpfen
wollen und die deswegen wählen wollen. Können Sie
auch darüber nachdenken? Nein!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht in erster Linie nicht um unsere eigene europäische - enge - Perspektive, sondern darum, dass eine Bitte, die aus dem
Kongo an uns herangetragen wird, eine Bitte, die die
Vereinten Nationen bekräftigen, eine Bitte, die die Europäische Union an uns richtet, eine konstruktive und vernünftige Reaktion nach sich zieht. Daher bitten wir darum, dass dieses Mandat vom Deutschen Bundestag
unterstützt und beschlossen wird.
({1})
Es gibt im Übrigen eine ganze Reihe von guten Gründen. Ich frage die FDP, die - jedenfalls nach ihrem
Selbstverständnis - eine der europäischsten Parteien ist,
({2})
was sie von dem hält, was die Europäische Union im
Dezember 2005 selbst beschlossen hat.
({3})
Gleich zu Beginn des Beschlusses mit der Überschrift
„Die EU und Afrika: Zu einer strategischen Partnerschaft“ heißt es:
Europa und Afrika sind miteinander verbunden
durch Geschichte, Geographie und beide teilen wir
das Bild von einer friedvollen, demokratischen und
aussichtsreichen Zukunft für alle unsere Völker.
Jetzt kommt es darauf an, zu dem, was wir alle für programmatisch richtig halten, zu dem, was wir gemeinsam
in der Europäischen Union beschlossen haben, also bei
diesem ersten wirklichen Lackmustest, Ja zu sagen und
mitzuhelfen, den Menschen im Kongo eine neue Perspektive zu geben.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass Mitglieder des
Deutschen Bundestages dazu tatsächlich Nein sagen.
Wenn die Europäische Union das umsetzen will, was sie
Gert Weisskirchen ({4})
beschlossen hat, dann kann das nur bedeuten, dass wir
diesem Mandat zustimmen werden; denn wir wollen die
Partnerschaft zwischen der Europäischen Union und
Afrika mit Leben erfüllen. Leben heißt für die Menschen im Kongo, dass sie jetzt die Chance haben, ihre eigene Zukunft durch demokratische Entscheidungen in
die Hand zu nehmen. Deswegen bitten die sozialdemokratische Bundestagsfraktion und auch ich alle Mitglieder dieses Hauses, diesem Antrag der Bundesregierung
zuzustimmen.
({5})
Wir sollten uns einen Moment vor Augen führen, was
im Kongo wirklich vor sich geht.
({6})
Herr Kollege Gehrcke, Sie haben in diesem Punkt natürlich Recht:
({7})
Das ist eine Geschichte des Elends, eine Geschichte der
Angst, eine Geschichte des Leids, eine Geschichte des
Mordens, eine Geschichte der Ausplünderung dieses ungeheuer reichen Landes. Genau aus diesem Grund wollen wir jetzt mithelfen, dass das Plündern gestoppt wird
({8})
und dass die demokratischen Institutionen des Kongo
ihre Sache in die eigene Hand nehmen.
Sollte es eines Beweises bedürfen, dass die Menschen
im Kongo und vor allem diejenigen, die politische Verantwortung tragen, dazu auch die Kraft aufbringen können, dann schauen Sie sich einmal die beiden Berichte
an, die in der Assemblée Nationale von der LutundulaKommission erstellt worden sind. Die Kommission hat
nämlich genau ermittelt, welche Kontrakte in den letzten
Jahren zwischen ausländischen großen Konzernen und
verbrecherischen Banden innerhalb des Kongo selbst geschlossen worden sind.
({9})
Das ist aufgedeckt. Das ist aufgeklärt. Fragen Sie doch
einmal den Vorsitzenden dieser Kommission, Herrn
Lutundula, der den Mut gehabt hat, solche Berichte
schonungslos zu veröffentlichen - sein Leben ist in Gefahr, weil jene Banden, jene Verbrecher kein Interesse
daran haben, dass diese kriminellen Machenschaften öffentlich werden -, was er von dem hält, was Sie hier sagen! Fragen Sie ihn! Er wird Ihnen sagen: Wir möchten,
dass das neue Parlament gewählt wird, und wir möchten,
dass die Europäische Union dabei hilft und dass ihr uns
mit deutschen Soldaten dabei helft, das Maß an Sicherheit im eigenen Land zu produzieren, das wir nicht produzieren können.
({10})
Deswegen wollen wir die Wahlen sichern. Deswegen
gehen die Soldaten dahin. Wir wollen dem Prozess Boden geben, Festigkeit geben, damit die Menschen im
Kongo, die 28 Millionen, die jetzt wählen gehen wollen,
die sich in die Wählerlisten eingeschrieben haben, auch
wählen können.
Ich möchte darum bitten, dass wir alle erkennen, was
da vor sich geht. Es ist ein erster Schritt, ein erster
Schritt in eine neue Zukunft. Dieser erste Schritt muss
begleitet werden, weil, jedenfalls im Moment, die Sicherheit im Lande dort noch nicht durch die eigenen Institutionen hergestellt werden kann. Das können sie noch
nicht. Sie wollen es aber. Sie brauchen unsere Unterstützung, damit dieser Prozess in Gang kommt, damit
der Prozess stabil wird und gefestigt werden kann.
Wenn das Mandat zu Ende sein wird, hoffentlich positiv - davon gehen wir alle aus -, wenn die vier Monate
vorüber sein werden, wird die Arbeit nicht beendet sein.
Dann beginnt ein Prozess, in dem endlich das Realität
werden kann, was Sie, Herr Außenminister, schon in Ihrer letzten Rede unterstrichen haben - auch Mbeki hat
das schon gesagt -: Die Stabilität Afrikas kann nur durch
die Stabilität des Kongo hergestellt werden. - Das ist
ein langwieriger Prozess, ein Prozess, der auf Jahre angelegt sein wird. Deshalb wird es darauf ankommen,
dass wir die zivilgesellschaftlichen Prozesse unterstützen, begleiten und fördern und dass die Europäische
Union nach den Wahlgängen, nach der Wahl des Präsidenten, nach der Wahl des Parlaments, alles tut, damit
dieser Prozess im Kongo vervollständigt werden kann.
Aber damit er vervollständigt werden kann, damit die
Gewaltökonomie von einer Friedensökonomie abgelöst
werden kann, braucht der Deutsche Bundestag jetzt den
Mut, dem Mandat zuzustimmen. Ich bitte Sie darum, das
zu tun.
({11})
Ich erteile das Wort Kollegin Birgit Homburger, FDPFraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Weisskirchen, Sie haben hier gerade gesagt: Freiheit und Demokratie, die Sicherung freier Wahlen und die Stabilisierung des Kongo müssen Ziele sein,
die alle unterstützen. - Das ist richtig. Auch die FDP unterstützt diese Ziele. Aber Sie müssen sich fragen lassen,
Herr Weisskirchen, ob das vorliegende Konzept dazu
taugt, diese Ziele zu erreichen. Die Welt wird nicht
durch Gutmenschen wie Sie verbessert; die Welt wird
durch durchdachte Konzepte verbessert.
({0})
Ich möchte Ihnen vorlesen, was der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, der bekannterma3246
ßen nicht der FDP angehört, heute Morgen gesagt hat
- ich zitiere -:
Ich behaupte, die Bundeswehr ist nicht vorbereitet
auf Afrika.
Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Koalition, Sie sollten sich langsam einmal überlegen, ob Sie
an diesem Einsatz tatsächlich festhalten wollen. Es ist
doch kein Wunder, dass in dieser Debatte kein einziger
Vertreter der Regierung spricht, und auch die Aussage
des Wehrbeauftragten macht deutlich: Sie stehen selbst
nicht mehr hinter dem, was Sie in diesem Mandat beantragt haben.
({1})
Herr Weisskirchen, Sie haben hier sehr hohe moralische Ansprüche formuliert. Herr Kuhn hat deutlich gesagt, es gebe ein UN-Mandat und dem müsse man folgen. Ich will Ihnen beiden einmal ganz klar sagen: Ein
UN-Mandat allein ist keine ausschlaggebende Begründung. Es ist ein Gesichtspunkt; aber man muss selber bewerten und entscheiden, ob man an einem Einsatz teilnehmen will. Keiner von Ihnen hätte einem Einsatz
beispielsweise im Irak zugestimmt, auch wenn es ein
UN-Mandat gegeben hätte. Vor diesem Hintergrund
halte ich Ihre Argumentation für nicht legitim.
({2})
Ich möchte Sie fragen, meine Damen und Herren:
Wird denn eigentlich das Ziel erreicht? Das Ziel heißt
- ich zitiere aus der Antwort der Bundesregierung auf
eine Kleine Anfrage -:
Die Aufgabe von EUFOR RD CONGO ist es, potenzielle Störer abzuschrecken ...
Erreichen Sie das mit diesem Konzept wirklich? Ursprünglich war von 1 500 Soldaten in Kinshasa die
Rede, die nötig sind, um eine Stabilisierung zu erreichen; jetzt ist von 500 Soldaten die Rede. Aber Klarheit
über die Zahl der Soldaten, die in Kinshasa vor Ort sein
werden, haben wir bis heute nicht. Sie sagen, Sie wollten
das nicht mitteilen; das sei eine Aufgabe des Operationsplans. Ich verstehe, dass Sie keine militärischen Details
preisgeben wollen; das ist auch richtig. Aber man wird
doch wohl noch fragen können, wie viele Soldaten direkt
vor Ort sein sollen, um die Abschreckungskomponente
zu realisieren!
Ich mache darauf aufmerksam, dass der Vorsitzende
des Bundeswehr-Verbandes, Oberst Bernhard Gertz,
mehrfach öffentlich darauf hingewiesen hat, dass mit der
Anzahl der Soldaten, die jetzt für Kinshasa vorgesehen
sind, eine Stabilisierung nicht zu erreichen ist.
({3})
Es geht ja nicht um eine Präsenz von 8 bis 16 Uhr zu den
üblichen Arbeitszeiten, sondern es geht um eine Präsenz
rund um die Uhr. Wenn Sie die Soldaten abziehen, die
Sie für das Hauptquartier und die eigene Sicherheit brauchen, dann bleiben 50 Soldaten für eine Stadt mit
7,8 Millionen Einwohnern. Angesichts dessen sagt
Oberst Gertz zu Recht, dass das nicht für eine Abschreckungspräsenz reicht. Sie erreichen mit dem, was Sie
vorlegen, die Ziele nicht.
({4})
Wir teilen das Ziel der Stabilisierung des Kongo.
Aber ich lese Ihnen einmal vor, was der Evangelische
Entwicklungsdienst sagt - ich zitiere -:
Es ist nicht zu erwarten, dass eine kurzfristige Militärpräsenz der Europäer zu einer langfristigen Befriedung des Landes führt.
({5})
Das ist richtig. Die Stabilisierung nach der Wahl erfordert nämlich ein Gesamtkonzept. Zu einem Gesamtkonzept gehört, dass Sie Antworten auf die Fragen nach einer weiteren Entwaffnung der Milizen, einer verstärkten
Ausbildung der Polizei vor Ort und dem Aufbau demokratischer und rechtsstaatlicher Institutionen geben. Ein
solches Gesamtkonzept hat weder die Europäische
Union noch die Bundesregierung bisher vorgelegt.
Auch Misereor hat entsprechende Forderungen. Wir
befinden uns in guter Gesellschaft. Wir erwarten von Ihnen Antworten, wie die Stabilisierung des Landes nach
den Wahlen erfolgen soll. Es geht nicht nur um den Zeitraum der Wahlen, sondern es geht darüber hinaus um ein
Gesamtkonzept, und dieses fehlt.
({6})
Auch der frühere Planungschef des BMVg, Vizeadmiral Ulrich Weisser, hat öffentlich mehrfach Kritik
geübt. Er hat gesagt:
Ich habe Bedenken, ob ein relativ kleines Truppenkontingent mehr ist als ein Signal an die Bevölkerung des Kongo, dass Europa an Frieden und Stabilität in ihrem Land interessiert ist.
Aber für ein Signal sind der Aufwand zu groß und das
Risiko, das mit dem Einsatz für die Soldaten verbunden
ist, zu hoch. Deswegen kann man diese Position nicht
akzeptieren.
({7})
Ich möchte Ihnen ein letztes Argument nennen. Die
Vorbereitung dieses Einsatzes ist stümperhaft. Wir haben immer wieder eine ganze Reihe unterschiedlicher
Positionen erlebt. Erst war von 500 Soldaten und jetzt ist
von 780 Soldaten die Rede. Hinsichtlich der Finanzierung war erst von einer Summe in Höhe von
20 Millionen Euro die Rede und jetzt in Höhe von
56 Millionen Euro. Herr Steinmeier sagte, wir hätten
keine wirtschaftlichen Interessen. Herr Jung hingegen
sagte, wir hätten welche. Es geht also hin und her. Selbst
in den Ausschüssen herrschte diesbezüglich bis zum
Schluss ein einziges Durcheinander.
Der Herr Bundesverteidigungsminister hat in der vorhergehenden Sitzung gesagt, die Soldatinnen und Soldaten hätten die Unterstützung des ganzen Hauses verdient. Ja, Herr Minister Jung, die Soldatinnen und
Soldaten haben die Unterstützung des Deutschen Bundestages verdient. Aber sie haben auch eine bessere Vorbereitung dieses Einsatzes durch die Bundesregierung
verdient.
({8})
Der Einsatz ist politisch miserabel vorbereitet. Ob mit
ihm die selbst gesetzten Ziele erreicht werden, ist zweifelhaft. Ein politisches Gesamtkonzept fehlt. Vor diesem
Hintergrund sehen wir uns nicht in der Lage, diesem Antrag zuzustimmen.
Vielen Dank.
({9})
Ich erteile das Wort Kollegen Bernd Siebert, CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Deutsche Bundestag entscheidet heute über die Beteiligung der Bundeswehr an einer militärischen Operation
im Kongo unter der Führung der Europäischen Union.
Frau Homburger hat vorhin kritisiert, dass heute kein
Minister redet. Frau Homburger, heute ist der Tag des
Parlaments.
({0})
Als die Regierung den Antrag eingebracht hat, haben
drei Minister gesprochen. Es ist daher richtig, dass heute
die Parlamentarier reden und über diesen Antrag entscheiden.
({1})
Ich glaube, dass wir eine vernünftige und richtige Entscheidung treffen werden.
Ich verhehle nicht, dass viele von uns - so auch ich am Anfang der öffentlichen Debatte - das hat die Diskussion in den letzten Monaten gezeigt - Skepsis gegenüber einem Einsatz im Kongo gehabt haben. Mir ist niemand bekannt, der heute mit Euphorie und mit
besonderer Begeisterung seine Zustimmung erteilen
wird.
({2})
Es sind sachliche Argumente vorgetragen worden, über
die wir lange diskutiert haben. Diese Argumente haben
die weit überwiegende Mehrheit unserer Kolleginnen
und Kollegen veranlasst, heute Ja zu sagen. Das finde
ich gut.
Ich möchte an dieser Stelle der gesamten Bundesregierung, insbesondere der Bundeskanzlerin und dem Außenminister, danken. Aber ganz besonders danke ich
dem Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung. Seiner Beharrlichkeit in der Sache ist es zu verdanken, dass
aus einer anfänglichen Idee mit vielen ungeordneten Details allmählich ein tragfähiges Konzept wurde.
({3})
Der Verteidigungsminister hat frühzeitig unsere Bedenken in fünf Kriterien formuliert, deren Erfüllung uns
heute zu einer positiven Bewertung kommen lässt.
Was von Teilen der Opposition als chaotisch bezeichnet wurde - so heute von Frau Homburger -, war zum
einen bedingt durch die mehrfache Verschiebung der
Wahltermine. Man muss deutlich machen, dass die Sache anders lag, als sie hier vorgetragen worden ist. Zum
anderen war zu verhindern, dass die Hauptlast der Verantwortung allein auf unsere Schultern geladen wurde.
Das ist der Bundesregierung überzeugend gelungen.
({4})
Deshalb war es uns erstens wichtig, dass unsere europäischen Partner eine sichtbare und breit angelegte Solidarität gegenüber dem Kongo zeigen. Nach anfänglichem Zögern haben inzwischen 18 Staaten ihre
Bereitschaft zur Teilnahme an der Operation erklärt. Damit gewinnt die Gemeinsame Europäische Sicherheitsund Verteidigungspolitik spürbar an Profil und Glaubwürdigkeit.
Zweitens war ein klares Mandat der Vereinten Nationen eine entscheidende Voraussetzung für unseren
Einsatz. Dieses Mandat liegt seit dem 25. April vor.
Darüber hinaus war aus Sicht der Bundeswehr eine
klare Aufgabenzuordnung nach Zeit und Raum anzustreben. Es ist der Bundesregierung drittens in zähen
Verhandlungen gelungen, dass als Einsatzraum für unsere Soldatinnen und Soldaten der Raum Kinshasa bestätigt wurde.
Die zeitliche Fixierung auf vier Monate, gerechnet
vom Zeitpunkt der ersten Wahlen, war das vierte Kriterium, an dem wir von Beginn an festgehalten haben.
Auch diese Forderung wurde von der Europäischen
Union erfüllt.
Fünftens haben der kongolesische Präsident und sein
Vizepräsident am 19. März dem Einsatz der Europäischen Union zugestimmt. Ohne dieses Einverständnis
und ohne die Bitte der örtlichen Regierung, dort hinzukommen, hätten wir einen solchen Einsatz nicht durchführen können.
Die Bundeswehr wird sich aufgrund der klaren Aufgabenzuordnung auf die mögliche Evakuierung der
Wahlbeobachter und derjenigen europäischen Staatsbürger konzentrieren, die im Kongo leben und möglicherweise in Risikosituationen geraten. Evakuierungen
außerhalb Kinshasas werden im Bedarfsfall von unseren
französischen Freunden vorgenommen.
Für einen Einsatz spricht, dass die Verantwortung
der Europäer für die Entwicklung in Afrika sichtbar
wird. Die Zukunft unseres Nachbarkontinentes kann
Europa nicht gleichgültig sein. Verantwortung zu übernehmen, bedeutet aber auch, einen angemessenen Beitrag zu leisten. Dies tun wir mit dem Beschluss heute.
Zudem wird die Europäische Union die Kräfte der VNMission MONUC entlasten, sodass sich diese weiter auf
ihren Hauptauftrag konzentrieren kann, nämlich Stabilität im Osten und Süden des Landes zu schaffen.
Schließlich erhält durch unseren Einsatz die Demokratie im Kongo erstmals nach langer Zeit eine reale
Chance. Unser Einsatz hat Signalwirkung für den
Kongo, aber auch für das restliche Afrika. Das ist das
entscheidende Zeichen für die Menschen vor Ort, verbunden mit einer klaren Perspektive.
Die Reputation der Bundeswehr im Kongo ist nicht
zuletzt mit der Operation Artemis im Jahre 2003 gewachsen. Unsere Soldaten werden im Kongo allgemein
als Friedensstifter mit Stabilitätswirkung anerkannt. Zudem ergänzt der Einsatz unserer Soldaten die bisher so
erfolgreiche deutsche Hilfe im Kongo und in Zentralafrika.
Ich bin fest davon überzeugt, dass unsere Soldatinnen
und Soldaten aufgrund ihrer fundierten Ausbildung auch
diesem Einsatz gewachsen sein werden.
({5})
Trotzdem bleibt ein Restrisiko, wie es bei jedem Einsatz
besteht. Ich wünsche deshalb unseren Soldatinnen und
Soldaten im Namen meiner Fraktion Fortune für ihren
schwierigen Einsatz. Ich rufe den Soldatinnen und Soldaten zu: Passen Sie auf sich auf, damit Sie alle gesund
nach Hause zurückkehren können!
({6})
Ich verkenne bei all dem nicht die Schwierigkeiten
und auch nicht das für unsere Soldatinnen und Soldaten
bestehende Risiko. Es ist unsere Aufgabe als Parlamentarier, die Rahmenbedingungen so auszugestalten, dass
sie größtmögliche Sicherheit erfahren. Das sind wir unseren Soldatinnen und Soldaten sowie ihren Familien
schuldig. Ich denke, dass mit der Vorbereitung dieses
Einsatzes auch diese Pflicht erfüllt wurde.
Mit der Erfüllung der genannten fünf Kriterien ist der
Einsatz, so meine ich, verantwortbar. Ich werbe deshalb
auch bei den Freunden der Freien Demokratischen Partei
dafür, dem Einsatz zuzustimmen. Ich weiß, dass Sie eine
ziemlich intensive innerparteiliche Diskussion darüber
geführt haben, ob das, was Sie heute vorgetragen haben,
auch wirklich die richtige Politik ist. Wir jedenfalls stimmen mit einem guten Gewissen zu. Ich denke, dass das
zum Wohle der Menschen im Kongo sein wird und von
Bedeutung für die Zukunft unserer Sicherheitspolitik in
Europa ist.
Herzlichen Dank.
({7})
Ich erteile das Wort Kollegen Norman Paech, Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Bundestag hatte schon über viele Auslandseinsätze zu
entscheiden. Selten aber gab es so viele unterschiedliche
und sich widersprechende Begründungen dafür wie in
diesem Fall. Genannt werden die Absicherung der ersten
demokratischen Wahlen, die Stabilisierung des Kongo,
unsere Verantwortung für Afrika - was auch immer das
ist -, Handlungsfähigkeit der EU-Militärpolitik beweisen, Sicherung der Rohstoffversorgung und der Handelswege bis hin zur Verhinderung gigantischer Migrantenströme nach Europa. Da ist für jeden etwas dabei.
Die Wirkung ist aber nicht: je mehr Begründungen,
desto überzeugender. Das Gegenteil ist der Fall, wie jetzt
auch die jüngste „Stern“-Umfrage wieder gezeigt hat:
Der weitaus größte Teil der deutschen Bevölkerung ist
gegen diesen Einsatz im Kongo.
({0})
Wir bestreiten nicht die Ernsthaftigkeit all der
Gründe, sich in Afrika zu engagieren. Auch ökonomische Interessen sind legitim. Wir sind aber dagegen, dass
das Militär dabei eine Rolle spielen soll. Sie, Herr
Schockenhoff, haben den Einsatz des Militärs mit den
strategischen Rohstoffen des Kongo begründet. Aus
der SPD hören wir dagegen, das sei alles Unsinn, es
gehe nicht um Rohstoffe, sondern um die Stabilisierung
des demokratischen Prozesses im Kongo. Ich frage Sie:
Was haben wir denn eigentlich aus den sich rapide verschlechternden Verhältnissen in Afghanistan und im Irak
gelernt? Sehen Sie nicht, dass militärische Gewalt immer nur weitere Gewalt erzeugt und eben nicht Demokratie, allenfalls eine seltsame Abart von Demokratie?
({1})
Man kann mit dem Militär natürlich eine Stadt für die
Wahltage und die Wochen danach in einen Ausnahmezustand versetzen. Das kann das Militär leisten. Aber was
kommt dann? Bei unserer gestrigen Diskussion im Auswärtigen Ausschuss glaubte kaum noch jemand an die
Begrenzung dieses Einsatzes auf vier Monate. Steht uns
hier vielleicht ein Einsatz von den Ausmaßen wie dem in
Afghanistan ins Haus? Das kann niemand voraussagen.
Der Kongo gehört zweifelsohne zu den rohstoffreichsten Regionen der Welt. Da gibt es auch keinen
Einwand, wenn Sie fordern - ich zitiere Sie, Herr
Schockenhoff -,
dass der Abbau dieser Ressourcen legal und nach
marktwirtschaftlichen Aspekten erfolgt.
({2})
Wenn Sie damit aber den Einsatz des Militärs begründen, fragt man doch nach der Rolle des Militärs bei der
Herstellung des freien Marktes.
({3})
Herr Schockenhoff, meinen Sie etwa, dass das Militär
auch die Verstaatlichung der Rohstoffe zum Nutzen der
kongolesischen Bevölkerung, wie jüngst in Bolivien geschehen, absichern wird?
Was kommt dann nach dem Kongo? Bundesverteidigungsminister Jung möchte mithilfe der Bundeswehr die
Rohstoffversorgung weltweit sichern. Sie möchten - so
steht es in Ihrem Weißbuch, was wir bisher leider nur
aus der Presse erfahren -, dass sich die Bundeswehr wegen der Export- und Rohstoffabhängigkeit Deutschlands
besonders den Regionen zuwenden soll, in denen kritische Rohstoffe und Energieträger gefördert werden. Da
übernehmen Sie das, was schon 1999 in die neue NATOStrategie geschrieben und später, 2003, in die Europäische Sicherheitsstrategie übernommen worden ist.
Liegt es da allzu fern, wenn man den Kongoeinsatz
jetzt gleichsam als Pilotprojekt für eine neue Afrikastrategie begreift? Kommt nach zahllosen feierlich ausgerufenen und gescheiterten Entwicklungsdekaden in
Afrika nun vielleicht eine Militärdekade? So wie der
völkerrechtswidrige Krieg gegen Jugoslawien seinerzeit
die humanitäre Intervention begründen sollte, ist der
Kongoeinsatz nun vielleicht ein Pilotprojekt für eine zukünftige Ressourcenintervention?
Man kann das auch anders ausdrücken. Hier zitiere
ich die Ihnen wohl gesonnene „Süddeutsche Zeitung“,
da kritisiert Joachim Käppner:
Sie benutzt die Bundeswehr wie eine beliebig einsetzbare Interventionsarmee.
Käppner warnt:
Das Abenteuer am großen Fluss könnte der Beginn
eines neuen militärpolitischen Kapitels werden,
nämlich dessen der Beliebigkeit und Bedenkenlosigkeit.
Er schließt:
… gleicht der Einsatz im Kongo tatsächlich einer
Reise in die Finsternis.
Das wollen wir der kongolesischen Bevölkerung ersparen. Das wollen wir den Bundeswehrsoldaten ersparen und das wollen wir uns selbst ersparen. Deswegen
sind wir gegen diesen Einsatz.
Danke sehr.
({4})
Ich erteile das Wort Kollegen Rainer Arnold, SPDFraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Es ist richtig: Europa hat in Bezug auf Afrika eine Strategie. Aus dieser Strategie erwachsen Verantwortung
und Ernsthaftigkeit. Deutschland hat im Dezember zugestimmt. Wenn jetzt das wichtige und große Land Kongo
uns Deutsche und uns Europäer bittet, dann gilt es nicht
zu kneifen. Wer ernsthaft eine europäische Sicherheitsund Verteidigungsidentität anstrebt, muss dieses Papier
mit Leben erfüllen. Darum geht es eben auch.
Herr Paech, wir müssen aufpassen, dass wir dieses
Mandat nicht falsch zeichnen, was die Sicherheit und
den Auftrag anbelangt. Wir Verteidigungspolitiker analysieren sehr sorgfältig und verantwortungsbewusst,
welchem Risiko wir die Soldaten aussetzen. Das lassen
wir uns von niemandem absprechen. Wir wissen, dass
die deutschen Soldaten hervorragend auf ihren Einsatz
vorbereitet werden. Wir wissen, dass in Potsdam ein exzellentes Zentrum für europäische Friedensmissionen
aufgebaut wird. Wir zollen allen Respekt und sagen den
Soldaten Dank, die ihre Beiträge leisten.
Wir sollten aber auch nicht überzeichnen. Die Soldaten
gehen nicht in ein feindlich gesinntes Land, sondern sie
finden ein freundliches Umfeld vor, wo die Menschen die
Soldaten begrüßen. Alle Parteien, die bei der Wahl antreten, haben sich für die Präsenz der Europäer ausgesprochen. Dies macht deutlich, dass es für die Bevölkerung
ein wichtiges psychologisches Zeichen ist, wenn die Europäer ihre Flagge im Kongo hissten. Es ist wichtig, dass
Europa diesen weiteren Schritt - das ist nicht der einzige
Schritt, sondern nur ein Mosaikstein auf dem Weg zu einem friedlichen Kongo - absichert und hinter dieser demokratischen Wahl steht. Das ist die eine Aufgabe.
({0})
Die zweite Aufgabe ist eindeutig: Es hat eine abschreckende Wirkung, wenn europäische Soldaten mitten in der Hauptstadt Flagge zeigen. So wissen auch diejenigen, die möglicherweise das Wahlergebnis nicht
akzeptieren, weil sie in der Minderheit sind, dass sie
keine Chance hätten, wenn sie zu zündeln versuchten.
Das ist eine wichtige Botschaft. Diese kommt, so wie
das Mandat angelegt ist, dort an.
Die dritte Aufgabe ist die Vorsorge. Falls es irgendwo schwierig wird, müssen wir natürlich Beistand
leisten. Wir dürfen nicht vergessen: Deutschland ist
längst im Kongo. Nicht deswegen, weil wir 80 Millionen
Euro für die MONUC bezahlen - das tun wir auch -,
sondern es sind Zigtausende von Europäern im Kongo.
Es werden fast 1 000 Wahlbeobachter dort sein. Es wird
zivile Unterstützung und es wird bilaterale Entwicklungshilfe geleistet. Glaubt jemand im Ernst, dass es uns
Deutsche nichts anginge, wenn jemand in den nächsten
Monaten in Bedrängnis käme? Natürlich würden wir
dort im Zweifelsfall militärisch Hilfe leisten müssen.
Darum geht es.
Deshalb überrascht es mich schon ein bisschen, was
die Kollegin von der FDP hier gesagt hat. Ich habe den
Eindruck, Kollegin Homburger, dass Sie etwas durcheinander bringen. Der Verteidigungsausschuss ist zwar ein
geschlossener Ausschuss, er hindert Sie aber nicht daran,
die Informationen, die Sie dort erhalten, zur eigenen
Willensbildung in Ihrer Fraktion zu verwenden. Mir
scheint, dass das überhaupt nicht bei Ihnen geschieht.
Sonst hätten Sie nicht solche Dinge behauptet. Sie stützen sich auf einige Vertreter, die auch Lobbyisten sind
und die bestimmte Interessen wahrnehmen.
({1})
Hören Sie einmal zu, was Wissenschaft und Politik sagen, hören Sie einmal zu, was das Zentrum für Internationale Friedenseinsätze sagt! Hören Sie vor allen Dingen den Menschen zu - das haben wir getan -, die seit
Jahren im Kongo leben! Deren Rat war uns bei der Analyse und bei der Mandatsfindung sehr wichtig.
({2})
Ich werde den Verdacht nicht los, dass die FDP mit
ihrer doch stolzen Tradition der Außenpolitik jetzt aus
eher populistischen Gründen dieses Mandat ablehnt,
({3})
dies aber im Wissen tut, dass die beiden Koalitionsfraktionen die richtige Entscheidung treffen werden.
({4})
Das klang bei Herrn Hoyer ein bisschen an.
Wir werden das Richtige tun, weil wir der Auffassung
sind, dass dieses Mandat notwendig und sehr wohl gut zu
begründen ist. Es ist humanitär zu begründen. Wir stehen den Menschen im Kongo bei dieser Etappe bei. Sie
dürfen nicht in das massenhafte Morden zurückfallen.
Dieses Mandat ist im deutschen und europäischen Interesse, weil wir ein Interesse an Stabilität nicht nur im
Kongo, sondern an der gesamten Region der südlichen
Sahara haben müssen. Deshalb dürfen keine Fehlinterpretationen - das sage ich an die Adresse der Kollegen
von der Linken - vorgenommen werden: Mit Rohstoffsicherung durch das Militär hat das nun wirklich gar
nichts zu tun.
({5})
Wahr ist aber, dass die Wirtschaft und die Bevölkerung nur in einem stabilen Land, wo kriminelle Ausbeuter der Ressourcen zurückgedrängt werden, eine Chance
haben, an diesen Rohstoffen zu partizipieren.
({6})
Es ist nun wirklich nicht unanständig, wenn wir Deutschen sagen, dass wir das unter fairen Bedingungen erreichen wollen.
Das Mandat hat eine dritte, in sich schlüssige Begründung: Wir tun das auch aus politischen Interessen. Wer
in Sonntagsreden immer davon spricht, dass wir die internationalen Organisationen und das internationale
Recht stärken müssen - das tut die FDP in ganz hohem
Maße bezüglich der Vereinten Nationen -, der darf das
am nächsten Tag nicht vergessen. Nein, internationales
Recht und internationale Organisationen zu stärken,
heißt auch, dass Deutschland nicht in eine Sonderrolle
gerät, sondern gemeinsam mit Partnern agiert.
Herr Hoyer, es ist falsch, dass sich alle anderen Europäer zurückhalten. Wir haben 18 Partner im Kongo.
({7})
- Natürlich kann Lettland keine Hundertschaften schicken. Das wissen Sie doch auch. Aber die Länder, die etwas leisten können, nämlich Frankreich, Spanien, Polen
und natürlich auch die Bundesrepublik, interessanterweise auch die Schweden, leisten auch ihren Beitrag.
Darüber bin ich sehr froh.
({8})
- Wenn Sie Großbritannien ansprechen, lassen Sie mich
dazu eines sagen: Wir sollten mit dem britischen Partner
fair umgehen. Was die britische Armee für die Staatengemeinschaft - ich rede jetzt gar nicht vom Irak, sondern
von Afghanistan - in dieser schwierigen Situation in der
ärmsten Region im Süden Afghanistans leistet, verdient
unser aller Respekt und keine Kritik.
({9})
Ich denke, dieses Mandat ist auch von daher sehr begründet.
Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.
Ich komme zum Ende. - Es gibt selbstverständlich
keine Garantie - das ist immer so -, dass dieses Mandat
gelingt; aber die Chancen sind gut. Eines weiß ich: Würden wir jetzt Nein sagen, würde Europa jetzt wieder einmal, wie in den vergangenen Jahren, in Bezug auf Afrika
zur Seite schauen, würden wir in arge Bedrängnis geraten, wenn es im Kongo schief geht.
Herzlichen Dank.
({0})
Ich erteile das Wort Kollegen Winfried Nachtwei,
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Alle Vorrednerinnen und Vorredner haben betont, wie
wichtig die Unterstützung der Demokratischen Republik
Kongo gerade in dieser Situation ist. Das ist sehr gut.
Das ist aber auch eine Selbstverpflichtung über die Wahlen und die EU-Mission hinaus. Das ist eine sehr wichtige Botschaft des Deutschen Bundestages - ich gehe dabei von 100 Prozent der Mitglieder des Deutschen
Bundestages aus - gegenüber der kongolesischen Öffentlichkeit.
({0})
Selbstverständlich geht es nicht darum, die Konflikte
im Kongo militärisch zu lösen. Es hat einen mehrjährigen Friedensprozess gegeben. Es gibt ihn immer noch.
Die Demobilisierung spielt dabei eine entscheidende
Rolle. Immerhin konnten von 20 000 Kindersoldaten
16 000 demobilisiert werden. Das ist ein enormer Erfolg.
Aber wie es auf Dauer keine Sicherheit ohne Entwicklung gibt, so gibt es auch keinen Aufbau, keine Entwicklung ohne Sicherheit. Diese beiden Erfordernisse als Alternative gegeneinander zu stellen, ist völliger Unsinn,
widerspricht allen Erfahrungen in solchen Ländern und
widerspricht völlig den Erfahrungen der Vereinten Nationen. Herr Gehrcke, das sollten Sie sich in der Tat einmal zu Gemüte führen.
({1})
Dieser Kongoeinsatz ist ganz offensichtlich der bei
weitem strittigste seit der Entscheidung über den Afghanistaneinsatz 2001. Man muss auch sagen, dass die Bundesregierung, vor allem in Gestalt des Verteidigungsministers, erheblich dazu beigetragen hat. Ginge es heute
nur darum, den Zickzackkurs der Bundesregierung zu
bewerten, dann könnte man mit Fug und Recht Nein sagen. Aber es geht dabei noch um ein paar andere Sachen.
Ich will zu den einzelnen Fragen Stellung nehmen.
Ist diese Mission zwingend notwendig oder überflüssig? Wer behauptet, sie sei überflüssig, ignoriert damit
die eindeutigen Positionen und Forderungen der UNO in
New York und der Blauhelmmission MONUC in Kinshasa; aber nicht nur diese, sondern auch die der großen
Masse der kongolesischen Zivilgesellschaft. Sie wollen
dies vor allem.
Wenn Sie hier den Evangelischen Entwicklungsdienst
zitieren, dann, Frau Kollegin Homburger, zitieren Sie
bitte korrekt. Der Vorsitzende, Konrad von Bonin, hat
festgestellt: Auch die Partner des EED im Kongo erhoffen sich überwiegend eine Absicherung der Wahlen
durch die MONUC und die EU-Sondertruppe und begrüßen die deutsche Beteiligung.
({2})
Es ist in allen Gesprächen aber auch deutlich geworden,
dass für sie die Beteiligung der EUFOR im Kongo nur
ein kleiner Teil dessen ist, was sie längerfristig von der
Europäischen Union und insbesondere von Deutschland
im Rahmen der Politik der EU erwarten. Das ist völlig
richtig. Denn beides gehört zusammen.
({3})
Handelt es sich hier um eine Showveranstaltung, wie
zum Beispiel der Vorsitzende des Bundeswehr-Verbandes sagt, oder ist es abenteuerlich? Herr Westerwelle,
man muss es immer wieder feststellen: Seit Wochen ziehen Sie durchs Land und verzerren mutwillig den Auftrag dieser Mission.
({4})
Sie tun so, als sei diese Mission für die gesamte Stabilisierung verantwortlich. Das ist Unsinn. Wir und auch Sie
wissen es besser: EUFOR ist nur ein Teil eines ganzen
Stabilisierungspakets. Es geht um die Unterstützung von
MONUC in einer kritischen Phase, vor allem in der Region Kinshasa.
Zu den Risiken. Die anfänglichen Festlegungen haben auch bei mir Zweifel geschürt, ob diese Mission
glaubwürdig und verantwortbar ist. So, wie sie jetzt gestaltet ist - mit stärkeren Kräften und dem jetzigen Einsatzkonzept -, meine ich, ist sie glaubwürdig verantwortbar und richtig.
({5})
Man muss auch feststellen, dass alle Experten in UNFriedensmissionen, die Sie fragen, sagen: Auch mit einer
recht kleinen, aber professionellen Truppe kann man
eine ganz erhebliche abschreckende Wirkung hinbekommen.
({6})
Außerdem sollte man bei den Risiken auch bedenken,
welchen Risiken wir denn die ungeschützten Wahlbeobachter aussetzen. Von unseren Zivilexperten, die dort
arbeiten, wird gar nicht gesprochen.
Diese EU-Mission ist notwendig, aber keineswegs
hinreichend für die friedlichen Wahlen und eine nachhaltige Stabilisierung. Die Bundesregierung und die
EU müssen alles für die politische Deeskalation im Vorwahlkampf tun. Nach den Wahlen - das ist mehrfach
festgestellt worden; wir können es nur bekräftigen - geht
die Arbeit allerdings erst richtig los. Dies wurde in Kinshasa von verschiedenen Organisationen betont, jetzt
auch richtigerweise von humanitären und Entwicklungsorganisationen.
Dann geht es zum Beispiel um dieses Hemd, das ich
aus einem Demobilisierungscamp im Kongo mitgebracht habe. Die Demobilisierung, die Reintegration von
Milizionären und Kindersoldaten ist ein entscheidender
Punkt bei der Stabilisierung des Kongo über die Wahlen
hinaus. Hier leistet die kongolesische Zivilgesellschaft
fantastische Arbeit.
Ich meine, dass wir in dieser Situation die kongolesische Zivilgesellschaft, die große Erwartungen an die Europäische Union und auch an die Bundesrepublik richtet,
nicht enttäuschen und nicht entmutigen sollten, sondern
nach besten Kräften jetzt, im nächsten Jahr und in den
Folgejahren unterstützen sollten. Deshalb bitten wir um
Ihre Zustimmung, auch wenn wir Gegenstimmen selbstverständlich respektieren.
Danke.
({7})
Ich erteile das Wort Kollegen Hans Raidel, CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wer sich mit dem Kongo beschäftigt, wer die
Menschen dort ein bisschen kennt, wer Afrika ein bisschen kennt, weiß ganz genau, wie sehr sich der Kongo
jetzt nach Frieden sehnt, wie er diese Wahlen herbeiwünscht. Gerade wir in Europa, gerade wir in Deutschland können einen Beitrag dazu leisten. Auch das wird
ganz besonders begrüßt. Wer Afrika insgesamt helfen
will, der muss jetzt helfen, dieses Signal geben und im
Rahmen dieser Mission im Kongo präsent sein.
Wir führen eine erstaunliche Debatte. Diejenigen, die
verbal ständig die helfende Hand ausstrecken, ziehen sie
in dem Moment, in dem die helfende Hand ergriffen
werden soll, zurück. Das ist scheinheilig und wird auch
der Würde dieses Hauses nicht gerecht.
({0})
Ich bitte Sie sehr herzlich, sich die Fakten anzusehen;
sie wurden alle schon aufgezählt. Die UNO hat die EU
darum gebeten, ein Kontingent zu stellen. Auch die Afrikanische Union ist dafür. Im Kongo haben sich selbst die
politisch Verantwortlichen dazu bereit erklärt, diesen
Prozess zu unterstützen, damit die Demokratisierung
voranschreiten kann. Dennoch führen wir - in ganz Europa nur wir - diese quälende Debatte über diesen Einsatz. In keinem anderen Land, weder in Frankreich noch
sonst wo, wird eine derartige Debatte geführt.
Wir sollten uns schon von den positiven Vorgängen
beeindrucken lassen, die im Kongo mittlerweile geschehen sind. Das ganze Land steht vor einer entscheidenden
politischen Weichenstellung. Der Kollege Kolbow hat zu
Recht den südafrikanischen Präsidenten zitiert, der festgestellt hat: Der afrikanische Kontinent wird sich nur
stabilisieren lassen, wenn der Kongo stabilisiert werden
kann. Damit sind auch die Interessenlagen der internationalen Gemeinschaft prägnant beschrieben.
Diese Wahlen bieten dem Kongo endlich die Chance,
das Land in wirtschaftlicher, kultureller und sozialer
Hinsicht wieder aufzubauen und für ein besseres Leben
der Bevölkerung zu sorgen. Deswegen braucht der
Kongo gerade jetzt viele helfende Hände.
Wir haben uns die Entscheidung über die Rahmenbedingungen dieses Einsatzes nicht leicht gemacht. Der
Kollege Siebert hat darauf hingewiesen, dass der Verteidigungsminister auf europäischer Ebene dafür geworben
hat, dass nicht, wie eigentlich vorgesehen war, das
Battle-Group-Konzept reinrassig zum Einsatz kommt,
sondern dass sich Europa breit aufstellt und viele Länder
durch die Bereitstellung von Kontingenten helfen.
Wir helfen schon jetzt - auch das sollte noch einmal
erwähnt werden - mit sehr vielen Programmen. Es ist
einfach nicht wahr, dass wir noch ganz am Anfang stehen. Vielmehr handelt es sich hier um einen Prozess, der
mit den bevorstehenden Wahlen seinen vorläufigen positiven Abschluss findet, der aber auch zu einem Neubeginn beitragen soll. Wir müssen alles tun, um dafür zu
sorgen, dass das bisherige Engagement nicht umsonst
gewesen ist.
Die politischen Rahmenbedingungen für diesen Einsatz sind geschaffen. Das deutsche Kontingent, das wir
im Rahmen der EU stellen, ist das Beste vom Besten.
Die deutsche Truppe besteht im Wesentlichen aus Fallschirmjägern, die bestens auf ihre Aufgaben vorbereitet,
gut ausgebildet und gut ausgerüstet sind. Auch die medizinische Versorgung - darauf haben wir sehr großen
Wert gelegt - hat einen hohen Standard und ist gewährleistet.
Im Verteidigungsausschuss haben wir uns sehr genau
und im Detail mit diesen Dingen befasst. Wer sie ordentlich einordnet und auch den militärischen Wert richtig
beurteilt, der kann feststellen, dass die gesamte Mission
sowohl in strategischer als auch in einsatztaktischer Hinsicht - einschließlich einer guten Notfallplanung - hervorragend und sehr fürsorglich geplant worden ist, um
die Gefährdungen, die unzweifelhaft vorhanden sind, zu
minimieren. Ich habe im Ausschuss dem Generalinspekteur und dem Verteidigungsminister ausdrücklich für die
fürsorgliche Planung gedankt und ich habe festgestellt,
dass wir diesem Einsatz bei diesen Maßgaben, bei diesen
Einsatzplänen, mit gutem Gewissen zustimmen können.
Ich möchte das zurückweisen, was Herr Gertz, der
Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, gesagt hat. Das
Parlament betreibt kein „politisches Showbusiness“ mit
militärischen Mitteln. Wir gehen verantwortungsvoll mit
unseren Soldaten um,
({1})
sei es in Afghanistan, sei es auf dem Balkan oder jetzt im
Kongo. Recht hat er allerdings, wenn er feststellt, dass
die europäische Afrikastrategie wieder mehr in den Mittelpunkt gestellt werden muss. Das geschieht meiner
Auffassung nach mit der heutigen Abstimmung über dieses Mandat. Es gibt objektiv kaum einen Grund, gegen
diesen Einsatz zu stimmen, es gibt aber viele Gründe für
diesen Einsatz. Wer dem Kongo wirklich helfen will, der
muss heute mit Ja stimmen.
Vielen Dank.
({2})
Ich erteile das Wort Kollegen Gert Winkelmeier.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Meine ablehnende Haltung im Hinblick auf eine BeteiliGert Winkelmeier
gung deutscher Streitkräfte an einem Einsatz in der Demokratischen Republik Kongo hatte ich bereits in der
letzten Debatte begründet. Ich möchte mich jetzt einmal
mit den fünf Bedingungen auseinander setzen, die Minister Jung in der letzten Debatte dargestellt hat. Meines
Erachtens werden diese Voraussetzungen, die er für einen robusten Einsatz nannte, in der Öffentlichkeit bewusst falsch dargestellt.
Erstens. Ein Votum der Vereinten Nationen gibt es.
Das erfolgte aber erst, als die Entscheidungen auf Regierungsebene längst getroffen waren; das war bereits Ende
2005.
Zweite Voraussetzung war die Zustimmung der kongolesischen Regierung. Tatsache ist aber, dass diese so
ziemlich als letzte gefragt wurde; Herr Solana musste
Herrn Kabila regelrecht drängen. In der Europäischen
Union war zu dieser Zeit der Hauptgrund für den Einsatz
- die Demonstration eigener militärischer Handlungsfähigkeit - schon längst beschlossene Sache.
Die dritte Bedingung sollte eine breite europäische
Beteiligung sein. Auch da lügt man sich in die Tasche:
Von den 1 500 Soldaten der Einsatzkräfte - ich lasse hier
einmal die 280 zusätzlichen deutschen Soldaten beiseite - stellen Deutschland und Frankreich jeweils ein
Drittel, das letzte Drittel teilen sich 16 andere EU-Nationen; das ist reine Symbolik.
Die vierte und fünfte Bedingung sollten die räumliche und die zeitliche Begrenzung sein. Selbst Militärangehörige sagen, dass dies, falls es zu Kampfhandlungen kommt, nicht einzuhaltende Bedingungen sind.
Verteidigungsminister Jung, ich stelle fest, Sie haben
mit Ihrem berühmten Vorgänger im Amt nicht nur den
Vornamen gemeinsam, sondern auch die Art und Weise,
sich die Bedingungen so hinzubiegen, wie es im Interesse der großen global agierenden Konzerne gebraucht
wird. Das ist auch der Grund, warum die Bundesregierung um ein Mandat für diesen Einsatz gebeten hat. Wie
es in der Rede, die Minister Jung in der letzten Sitzung
hielt, heißt - man kann es im Protokoll nachlesen -, hat
die Bundesregierung um einen solchen Einsatz gebeten.
Der Bundesregierung werfe ich vor, dass sie die Unterstützung von demokratischen Wahlen im Kongo von
Anfang an unter dem militärischen Aspekt diskutiert hat.
Es ist zu erfahren, dass lediglich rund 200 zivile Wahlbeobachter aus der EU eingesetzt werden sollen - und
das in einem Land, das fast siebenmal so groß ist wie die
Bundesrepublik Deutschland, in dem es circa 50 000
Wahllokale geben wird, in dem sich fast 28 Millionen
Wähler haben registrieren lassen, in dem Bedingungen
herrschen, unter denen sogar der An- und Abtransport
der Wahlmaterialien die heimische Bevölkerung logistisch vor große Probleme stellte.
Unter diesem Aspekt ist die Zahl der zivilen Wahlbeobachter schlicht lächerlich. Mehrere zehntausend Wahlbegleiter wären notwendig, wie alle kirchlichen und entwicklungspolitischen Organisationen sagen. Unser Land
hätte sich weltweit als helfende Nation einen guten Namen machen können, wenn es Initiativen ergriffen hätte,
damit mehr Wahlhelfer und Wahlbeobachter die Wahl im
Kongo absichern.
Stattdessen hat es die Bundesregierung zugelassen,
dass im Zusammenhang mit dieser Wahl immer nur in
militärischen Kategorien gedacht wird. Mit dem robusten Militäreinsatz im Kongo tritt die Bundesregierung in
eine neue Phase der Militarisierung der Außenpolitik
ein. Diese Phase wird irgendwann einmal in einem Fiasko enden; davon bin ich überzeugt.
Vielen Dank.
({0})
Ich erteile das Wort Kollegen Christoph Strässer,
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Bei solchen Debatten ist es nicht unüblich, dass
man Kronzeugen bemüht. Ob sie einem ansonsten in das
politische Konzept passen oder nicht, ist dabei meist
zweitrangig. Ich möchte zwei Kronzeugen benennen, die
aus meiner Sicht unverdächtig sind, in ein bestimmtes
politisches Lager einsortiert zu werden.
Als Ersten nenne ich Denis M. Tull. Er ist Afrika-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin und
hat in Bezug auf den Bundeswehreinsatz gesagt:
Man hat in die UN-Mission Milliarden investiert
und in Aufbauhilfe, die nun langsam Erfolg trägt.
Die Wahlen sind jetzt eine kritische Schwelle, über
die das Land gehen muss. Wenn man in diesem Moment durch einen relativ kleinen Beitrag zum Erfolg beitragen kann, halte ich das für eine gute Investition.
Diese Aussage ist zutreffend.
({0})
Die zweite Aussage kommt von Ross Mountain, dem
Nothilfekoordinator der Vereinten Nationen, der, wie ich
denke, auch unverdächtig ist, irgendeinem Lager zugeordnet zu werden. Er hat am 17. Mai 2006 im ZDF Folgendes gesagt - ich bitte all diejenigen, besonders zuzuhören, die so wie der Kollege eben der Meinung sind,
wir würden das alles ausschließlich unter militärischen
Aspekten diskutieren -:
Die Europäische Union hat sich schon lange im
Kongo engagiert, es ist wichtig, dass sie während
der Wahlen Verantwortung zeigt … Ein paar hundert Soldaten können einen großen Unterschied machen. Abschreckung ist wichtig.
Meine Damen und Herren, wir sollten diese Stimmen
ernsthaft zur Kenntnis nehmen und sie in der Debatte berücksichtigen.
({1})
Ich möchte auf den Kollegen Hoyer eingehen, der
mehr oder weniger unterstellt hat, die Regierungsfraktionen würden dem Votum der Bundesregierung folgen,
weil sie dazu gezwungen seien. Nein, lieber Kollege
Hoyer, das Gegenteil ist richtig: Wir haben in unserer
Fraktion sehr intensiv über dieses Thema diskutiert und
haben die Argumente ausgetauscht. Ich habe großen
Respekt vor den Kolleginnen und Kollegen, die heute
Nein sagen werden. Wir haben aber bei uns Argumente
gehört, die tiefer gegangen sind und die zutreffender
sind als die, die hier heute von der FDP und der Linkspartei vorgebracht wurden.
({2})
Ich will drei Punkte ansprechen, von denen ich
glaube, dass sie bewusst oder unbewusst desorientierend
wirken:
Erstens. Frau Kollegin Homburger hat die Entscheidung der Vereinten Nationen angesprochen und gesagt, man müsse nicht alles übernehmen, was von den
Vereinten Nationen komme. Richtig! Wir haben gesagt
- das ist vernünftig und soll in diesem Hohen Hause
auch so bleiben -: Ein Militäreinsatz kann unter völkerrechtlichen Aspekten nur dann stattfinden, wenn es eine
entsprechende Entscheidung des Weltsicherheitsrates
gibt. Dies ist die Kernaussage. Ohne eine solche Entscheidung würden wir die Diskussion in diesem Hohen
Hause nicht führen. Das sollten wir bedenken.
({3})
Zweitens. Ich will etwas anführen, was deutlich
macht, dass diese Argumente schlecht sind: Auf das Bezug zu nehmen, was im Irak passiert ist, zeigt, dass Sie
die Dimensionen dieses Einsatzes und des Irakkrieges
völlig durcheinander bringen.
({4})
Der Irakkrieg war ein Angriffskrieg, dem wir mit guten
Gründen widerstanden haben. Das mit der Wahlbeobachtung und der Unterstützung von Wahlen zu vergleichen, ist aus meiner Sicht schon zynisch. Das möchte ich
an dieser Stelle deutlich sagen. Das kann man nicht als
politischen Grund nennen.
({5})
Drittens. Diese Bemerkung richte ich an Sie, Herr
Kollege Gehrcke. Ich finde, es ist desorientierend und
unwahr, wenn man sagt, die Bundesrepublik Deutschland hätte sich besser darauf verstanden, zu unterstützen,
dass die MONUC-Truppe aufgestockt wird. Aber Sie
wissen doch wohl - das muss der Ehrlichkeit, der Fairness und der Transparenz wegen an die Kritiker gesagt
werden -: Der Weltsicherheitsrat hat die Aufstockung
des MONUC-Mandats zweimal abgelehnt und uns gegenüber auf der Grundlage einer MONUC-Entscheidung
die Bitte geäußert, das zu tun, worüber wir heute entscheiden. Das alles sollte man nicht durcheinander
schmeißen und dadurch den Eindruck erwecken, es hätte
Alternativen gegeben.
({6})
Ich möchte noch etwas sagen, was mir wirklich sehr
am Herzen liegt. Hier ist schon wieder behauptet worden, wir würden diese ganze Veranstaltung ausschließlich unter militärischen Aspekten sehen. Dies ist unzutreffend. Ich darf nur eine Zahl nennen, damit man eine
kleine Vorstellung von der Dimension erhält, welche europäische nichtmilitärische und zivile Hilfe und Unterstützung in diesem Land bereits geleistet worden ist.
640 Millionen Euro wurden für Bewässerungsprojekte,
für Demobilisierungsprojekte und für viele gute zivile
Maßnahmen zur Verfügung gestellt, die richtig sind und
die fortgesetzt werden müssen. Dazu dient auch dieser
Einsatz.
({7})
Ein letzter Punkt: Natürlich sollten wir die zivile
Konfliktbewältigung präferieren. Ich sage aber: Es kann
nicht richtig sein, dass wir Menschen in einen Failing
State wie den Kongo schicken, die dort in Lebensgefahr
geraten. Wir erleben gerade in Osttimor, dass zivile
Hilfsorganisationen evakuiert werden müssen, weil die
Sicherheitslage in diesem Land so ist, dass man sie nicht
dort belassen kann.
Deshalb ist das, was wir dort tun, eine klare und deutliche Unterstützung für den zivilen Aufbau. Wir brauchen diese Maßnahme. Aus meiner Sicht kann ich diesem Antrag nur aus vollem Herzen und nicht gezwungen
zustimmen.
Herzlichen Dank.
({8})
Ich erteile Kollegen Hartwig Fischer das Wort und
bitte Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, herzlich, dem
Kollegen Fischer die Chance zu geben, gehört zu werden.
({0})
Herzlichen Dank. - Herr Präsident! Ich bemühe mich
auch, die Aufmerksamkeit des Hauses zu erhalten, und
sage als Erstes, dass ich es für ungeheuerlich halte, dass
sich jemand von den Linken, der niemals im Kongo gewesen ist - niemand aus Ihrer Fraktion war dort -, hier
hinstellt und von „irgendwelchen Pakistanis“ spricht, die
dort im Rahmen der UN ihren Einsatz leisten und im Osten des Kongo mit zur Befriedung beigetragen haben.
({0})
Hartwig Fischer ({1})
Wer hier behauptet, es gebe kein Gesamtkonzept, der
spricht wider besseres Wissen. Es war nicht allein die
Operation ARTEMIS, sondern es war die Völkergemeinschaft, die die verfeindeten Truppen zueinander gebracht
und eine Übergangsregierung, zusammengesetzt aus den
gegensätzlichen Truppen, geschaffen hat. Durch die
Operation ARTEMIS wurde dann dafür gesorgt, dass
insbesondere im Osten des Kongo eine Grundbefriedung eingetreten ist. Nach dem Zeitplan hat es dann das
Verfassungsreferendum gegeben.
Meine Damen und Herren, was ist denn eigentlich
eine nachhaltige zivile Friedenspolitik? Das ist das,
was die europäische und die deutsche Entwicklungspolitik in den vergangenen Jahren im Kongo geleistet haben.
Es waren Deutsche und Europäer, die beim Aufbau der
Justiz mit dazu beigetragen haben, dass es inzwischen
auch im Ostkongo funktionierende Gerichte gibt. Durch
EUPOL - dazu gehören auch deutsche Polizisten wurde dazu beigetragen, dass die Polizei langsam aber
sicher wieder nach rechtstaatlichen Prinzipien arbeitet.
Im Rahmen von EUSEC wurde seit der Operation
ARTEMIS dazu beigetragen, dass die Armee demobilisiert und neu aufgestellt wurde. Wir sind aber noch
längst nicht am Ende dieses Prozesses. Deutsche Entwicklungshelfer und Organisationen haben dazu beigetragen, dass es inzwischen nicht mehr 30 000, sondern
weit unter 15 000 Kindersoldaten gibt. Die anderen sind
demobilisiert und zurückgeführt worden, sodass sie wieder eine Chance auf eine Zukunft haben.
({2})
Aus Ihrer Fraktion waren keine Parlamentarier im
Kongo und Sie haben nicht mit den vergewaltigten
Frauen und mit den Kindern gesprochen, die dort misshandelt worden sind und einen Teil ihrer Identität verloren haben. Nur jemand, der das nicht erlebt hat, kann so
sprechen, wie Sie das hier im Parlament getan haben.
Das EU-Mandat im Auftrag der UN unter Führung der
deutschen Bundeswehr ist ein Friedensmandat, ein Stabilisierungsmandat. Es ist eine militärische Komponente
neben der zivilen Sicherung, die wir in den vergangenen
Jahren bereits aufgebaut haben.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist doch eben
deutlich gemacht worden, dass es auch die europäische
und deutsche Beteiligung gewesen ist, die dazu geführt
hat, dass friedlich und mit großer Mehrheit ein Verfassungsreferendum überhaupt erst einmal vorbereitet
werden konnte. Die Europäische Union, aber auch die
GTZ und die Konrad-Adenauer-Stiftung haben vor Ort
für dieses Verfassungsreferendum nicht nur geworben,
sondern es ist bis ins Detail hinein auch informiert worden. Ich sage Ihnen ganz offen: Ich habe in den Gesprächen mit allen Nichtregierungsorganisationen, mit Opposition und Regierung zusammen mit meiner Kollegin
Schäfer feststellen können, dass die Menschen in vielen
Fällen nicht gewusst haben, worüber sie im Detail bei
dieser Verfassung abstimmen. Aber die Menschen haben
gewusst, dass dies die Grundvoraussetzung für Wahlen
ist.
Wir stehen jetzt am Vorabend von Entscheidungen,
die dazu beitragen können, dass ein zentraler Unruheherd in Afrika befriedet wird. Keiner von uns kann eine
Garantie geben. Aber wir können versuchen, die Kongolesen bei dieser zum ersten Mal stattfindenden freien und
geheimen Wahl einen Anflug von Sicherheit spüren zu
lassen.
Wir sind als neutrale Partner im Kongo angesehen,
weil wir keine koloniale Vergangenheit haben. Dies
müssen wir in die Waagschale werfen. Deshalb bitte ich
alle hier im Hause, heute bei der Abstimmung daran zu
denken, dass es die Völkergemeinschaft gewesen ist, die
einst dem Genozid in Ruanda tatenlos zugesehen hat.
Wir haben jetzt die Gelegenheit, mit einem kurzen
militärischen Einsatz einem Volk die Chance zu geben,
in freier Verantwortung seine Parlamentarier und seinen
Präsidenten zu wählen. Dann kommt auf uns gemeinsam
die schwierige Aufgabe zu, diesen Prozess zu begleiten,
weil die Hoffnungen der Bürgerinnen und Bürger enorm
sind. Deshalb bitte ich Sie ganz herzlich, nicht nach
Fraktionszwang, sondern nach Ihrem Gewissen zu handeln und mit der blauen Karte abzustimmen.
Herzlichen Dank.
({4})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 16/1649 zu dem Antrag der Bundesregierung zur
Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der
EU-geführten Operation in der Demokratischen Republik Kongo auf Grundlage der Resolution 1671 ({0})
des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen. Der Aus-
schuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/1507
anzunehmen.
Es ist namentliche Abstimmung verlangt. Bei der
Stimmabgabe bitte ich alle Kolleginnen und Kollegen,
sorgfältig darauf zu achten, dass die Stimmkarten, die
Sie verwenden, Ihren Namen tragen. Es liegen inzwi-
schen von 47 Kolleginnen und Kollegen schriftliche Er-
klärungen zur Abstimmung vor; die Zahl steigt ständig.1)
Ich will zudem ausdrücklich darauf hinweisen, dass im
Anschluss an die namentliche Abstimmung noch fünf
weitere Abstimmungen zu diesem Thema stattfinden.
Ich bitte nun die Schriftführerinnen und Schriftführer,
die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Das ist passiert.
Dann eröffne ich die Abstimmung.
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der
Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schrift-
1) Anlagen 6 bis 12
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
führerinnen und Schriftführer, mit dem Auszählen zu be-
ginnen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung
wird Ihnen später bekannt gegeben.1)
Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, ihre Plätze
wieder einzunehmen, weil wir nun noch eine Reihe von
Abstimmungen durchführen müssen.
Wir setzen die Abstimmungen fort. Zunächst stim-
men wir über die Entschließungsanträge ab.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak-
tionen der CDU/CSU und der SPD auf Druck-
sache 16/1658? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltun-
gen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen
der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD gegen die
Stimmen der FDP und der Linksfraktion bei Stimment-
haltung der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen an-
genommen.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak-
tion der FDP auf Drucksache 16/1659? - Wer stimmt da-
gegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag
ist mit den Stimmen der CDU/CSU, der SPD und des
Bündnisses 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion
Die Linke und Zustimmung der FDP abgelehnt.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak-
tion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Druck-
sache 16/1660? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltun-
gen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen
des Hauses bei Zustimmung der Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen abgelehnt.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak-
tion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Druck-
sache 16/1661? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltun-
gen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen
der CDU/CSU und der SPD bei Zustimmung der drei
anderen Fraktionen abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Tagesord-
nungspunkt 3 b: Beschlussempfehlung des Auswärtigen
Ausschusses zu dem Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke zu dem Antrag der Bundesregierung auf Be-
teiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-
geführten Operation im Kongo, Drucksachen 16/1507
und 16/1650. Der Ausschuss empfiehlt, den Entschlie-
ßungsantrag auf Drucksache 16/1522 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der
Fraktion Die Linke angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Norbert Röttgen, Dr. Michael Meister,
Laurenz Meyer ({1}), weiteren Abgeordneten
und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abge-
ordneten Olaf Scholz, Ludwig Stiegler,
Dr. Rainer Wend, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines
1) Seite 3259 C
Gesetzes zur Einsetzung eines Nationalen
Normenkontrollrates
- Drucksache 16/1406 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({2})
- Drucksache 16/1665 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Rainer Wend
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({3}) zu dem Antrag der Abgeordneten Birgit Homburger, Martin Zeil,
Christian Ahrendt und der Fraktion der FDP
Bürokratieabbau - Jetzt sind konkrete
Schritte gefragt
- Drucksachen 16/472, 16/1665 Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Rainer Wend
Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie hat in
seine Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/1665 den
Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/472 mit
dem Titel „Bürokratieabbau - Jetzt sind konkrete
Schritte gefragt“ einbezogen. Über diesen Antrag soll
nun ebenfalls abschließend beraten werden. - Ich sehe,
Sie sind damit einverstanden. Dann ist das so beschlossen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Laurenz Meyer, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
({4})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Eine Reihe europäischer Länder ist bereits dem niederländischen Vorbild gefolgt und hat ein System zur Messung der Bürokratiekosten eingerichtet. Dieses System
ist in den Niederlanden sehr erfolgreich. Wir wollen es
den Niederländern heute gleichtun. Das zeigt: Man sollte
sich ruhig in Europa umschauen und das, was gut funktioniert, hemmungslos abkupfern. Unsere Intention ist,
in Zukunft ein solches System in ganz Europa einzurichten.
Die Niederlande haben sich vorgenommen, ihrer
Volkswirtschaft rund 4 Milliarden Euro durch eine
Senkung der Bürokratiekosten um 25 Prozent zu ersparen. Wenn wir das auf Deutschland übertragen, dann
bedeutet das, dass wir eine Entlastung in Höhe von rund
20 Milliarden Euro ins Auge fassen können. Allein das
zeigt, dass wir hier in einer richtigen Win-win-Situation
sind; denn die Kosten, die hier abgebaut werden, müssen
nicht zusätzlich aufgebracht werden. Mehr noch: Auch
der Staat spart Kosten ein.
Laurenz Meyer ({0})
({1})
Worum geht es? Wir wollen die Bürokratiekosten, die
bei natürlichen und juristischen Personen aufgrund von
Informations-, Berichts- und Statistikpflichten anfallen,
messen und in der Folge spürbar reduzieren. Die FDP hat
vor - genauso wie im Wirtschaftsausschuss beantragt -,
das auf weitere Bereiche des Bürokratieabbaus auszudehnen. Wir sind nicht dafür, weil dies den Nachteil
hätte, dass die klare Definition, die wir nun gefunden haben, verwässert, unklarer würde. Dann gerieten wir wieder in politische Diskussionen, die bislang den Bürokratieabbau zu guten Teilen verhindert haben.
({2})
Wir wollen, dass sich der Nationale Normenkontrollrat
sehr streng an seinen Auftrag - er ist weit genug gefasst hält. Wir wollen nicht, dass die gute Aufgabe des Bürokratieabbaus durch Versuche - auch aus der Wirtschaft belastet wird, unter dem Stichwort „Bürokratieabbau“
Veränderungen beispielsweise im Arbeitsrecht vorzunehmen. Es besteht kein Zweifel, dass darüber politisch diskutiert werden muss und dass der Änderungsbedarf groß
ist. Aber das gehört nicht zur Aufgabe, die wir nun beim
Nationalen Normenkontrollrat ansiedeln.
Die Genialität des niederländischen Modells besteht
gerade in seiner Einfachheit und Beschränkung. Auf
diese Weise ist man dort wirklich große Schritte vorangekommen. Die niederländischen Kollegen haben uns
erzählt, dass die maximale Dauer solcher Berechnungen
bei vier Wochen liegt; manchmal gehe es sehr viel
schneller. Ich finde deshalb, wir sollten dieses Modell im
Kern in Zukunft bei allen vorliegenden Gesetzentwürfen
anwenden.
Der Normenkontrollrat soll im Bundeskanzleramt
angesiedelt werden. Wir halten das für eindeutig richtig
und wünschen insbesondere der Kollegin Müller viel Erfolg. Sie wird sich um diese Sache intensiv bemühen
können. Durch den Druck aus dem Bundeskanzleramt
sollen die Ministerien auf Trab gebracht werden. Dass
die Bundeskanzlerin hierfür - auch persönlich - die Verantwortung übernimmt, ist eine wichtige Voraussetzung
für den Bürokratieabbau in Deutschland.
({3})
Es wurde danach gefragt, was eigentlich geprüft werden soll. Das ist im Gesetzentwurf relativ klar beschrieben: In § 4 steht, dass alle Gesetzentwürfe geprüft werden sollen, natürlich auch Entwürfe für Bundesgesetze.
Wenn der Normenkontrollrat es will, kann er selbstverständlich auch Gesetzentwürfe aus der Mitte dieses Hauses prüfen. Er sollte das meiner Meinung nach auch tun.
Wir möchten, dass zusätzlich eine Nullmessung von
Bürokratiekosten vorgenommen wird; nur so können wir
Veränderungen erkennen. Durch die Feststellung des Istbestandes wird eine Ausdehnung dieses Vorgehens, zum
Beispiel auf die Bundesländer, erleichtert. Ich bin sicher,
dass es Nachahmer geben wird - dieser Ansatz wird um
sich greifen - und dass die Bundesratsinitiativen auf
Dauer einbezogen werden.
Wir wollen, dass auch die europäischen Richtlinien
hier geprüft werden, und zwar schon im Entwurfsstadium. Unsere Bundesregierung soll dagegenhalten können, wenn dadurch zusätzliche Bürokratiekosten drohen.
Am besten ist, man verhindert, dass solche Richtlinien
überhaupt erst entstehen.
({4})
Das, was aus Brüssel gekommen ist, ist mit viel zu viel
Bürokratie verbunden. Das muss nach unserer Meinung
in dieser Form nicht sein. Darüber müssen wir hier diskutieren.
Ich sage hier ganz deutlich: Es wäre uns lieber gewesen, wenn in diesem Gesetzentwurf geregelt wäre, dass
die Gesetzentwürfe der Fraktionen schon im Vorstadium geprüft werden können. Die SPD-Fraktion, insbesondere wohl die Fraktionsführung, wollte das nicht aus welchen Gründen auch immer. Ich halte das - Entschuldigung, wenn ich das so sage - für einen Ausdruck
mangelnden Selbstbewusstseins.
({5})
Die Fraktionsführung sollte sich fragen, ob sie hier nicht
eine Chance vergeben hat. Unser Ziel war ja, den Fraktionen die Gelegenheit zu geben, von ihnen ausgearbeitete Gesetzentwürfe schon im Entstehungsstadium prüfen zu lassen, damit sie vor der Einbringung wissen, ob
sie noch Änderungen vornehmen müssen. Ich bin sicher:
Die Medien und die Öffentlichkeit werden uns nicht
durchgehen lassen, dass das Parlament und die Fraktionen eigene Gesetzentwürfe anders behandeln als etwa
Gesetzentwürfe der Bundesregierung.
({6})
Seitens der Medien wird entsprechender Druck ausgeübt
werden.
Mit für manch einen sicherlich tröstlichen Worten
will ich schließen. Einige Kollegen haben sich im Vorfeld in den Niederlanden umgesehen. Die niederländischen Kollegen haben ihnen gesagt: Ihr Deutschen
macht das immer alles so perfekt. Fangt doch erst einmal
an! Dann werdet ihr sehen, dass dieses Modell um sich
greift und dass letztlich alle Gesetzentwürfe auf diese
Weise geprüft werden. - Ich glaube schon, dass dieses
Perfekt-sein-Wollen ein deutsches Problem ist. Wir sollten deshalb anfangen. Wir sollten dieses Gesetz heute
verabschieden, damit die Arbeit aufgenommen werden
kann, und zwar möglichst schnell und mit dem nötigen
Druck. Diesen Druck wird das Parlament dem Normenkontrollrat machen. Ich wünsche dem neuen Gremium
viel Erfolg.
({7})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Martin Zeil für die
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Deutschland ist Weltmeister, zwar noch nicht im
Fußball, aber bezogen auf Regelungsdichte und Bürokratielasten. Das in der Koalitionsvereinbarung festgeschriebene Ziel, die milliardenschweren Bürokratielasten abzubauen und neue zu vermeiden, ist deshalb
unbestritten richtig.
Leider haben Sie, Schwarz-Rot, in dieser Frage schon
in kurzer Zeit mehrfach schwer gesündigt, was zeigt,
dass selbst die besten Kontroll- und Messmechanismen,
Herr Kollege Meyer, versagen, wenn die Regierungspraxis von Regelungswut, Fantasielosigkeit und Reformverweigerung geprägt bleibt.
({0})
Auch müssen wir erkennen: Bürokratieabbau ist zwar in
aller Munde, aber im Konkreten oftmals äußerst mühsam, weil es auch immer um die Frage geht: Was soll
und was darf der Staat?
Unsere Fraktion hat seit Jahren Wege zum Bürokratieabbau und zur Messung von Bürokratiekosten aufgezeigt. Wir haben auch immer gesagt: Wenn Sie hier neue
Wege beschreiten, wenn Sie mutig in die richtige Richtung gehen, unterstützen wir das.
({1})
Leider lassen der vorliegende Gesetzentwurf und sein
Werdegang nur wenig Hoffnung aufkommen. Der Wachhund „Normenkontrollrat“ droht zur ausgestopften Attrappe zu werden, noch bevor er mit der Arbeit beginnt.
({2})
Ich darf unsere Punkte noch einmal kurz zusammenfassen:
Erstens. Die Unabhängigkeit des Rates und seine Bedeutung nehmen deutlich zu, wenn er keine reine Veranstaltung der Exekutive ist. Aus diesem Grund muss der
Normenkontrollrat beim Deutschen Bundestag, bei diesem Parlament, angesiedelt werden und auch von ihm
besetzt werden.
({3})
Damit könnten wir gleichzeitig dem Bedenken Rechnung tragen, dass ein Gremium der Exekutive auch Gesetzentwürfe aus der Mitte des Parlaments würdigt.
Zweitens. Der Normenkontrollrat muss die Möglichkeit haben, neben den Gesetzesvorhaben der Bundesregierung auch Gesetzesvorhaben aus der Mitte des
Parlaments und des Bundesrates zu bewerten. Wenn
Ihr Entwurf so Gesetz wird, Herr Kollege Meyer, dann
sind weite Teile der Gesetzgebung von der vorbeugenden Bürokratiekostenprüfung ausgeschlossen und die
Umgehung des Normenkontrollrats durch die jeweiligen
Regierungsfraktionen ist vorgezeichnet.
({4})
Dass vor allem die SPD die einhellige Empfehlung der
Sachverständigen hierzu in den Wind geschlagen hat,
liebe Kollegen, zeigt, dass man entweder Angst vor objektivem Rat hat oder die Sache insgesamt doch nicht so
ernst nimmt. Weder das eine noch das andere ist ein gutes Vorzeichen für die Arbeit des Normenkontrollrats.
Drittens. Der Begriff der Bürokratiekosten darf nicht
auf die Kosten infolge von Informationspflichten beschränkt werden. Wir haben deshalb beantragt, dass alle
administrativen und Erfüllungskosten Gegenstand der
Stellungnahmen des Normenkontrollrats sein sollen. Nur
dann, wenn wir als Gesetzgeber ein umfassendes Bild
davon haben, welche Kosten unsere Entscheidungen
auslösen, können wir spürbare Erfolge beim Abbau und
bei der Vermeidung von Bürokratielasten erzielen.
Die Beschränkung auf die Kosten infolge von Informationspflichten hat eine Schwäche; das zeigen auch die
Erfahrungen in anderen Ländern. Dort ist zwar viel gemessen und objektiv auch einiges vereinfacht worden,
aber die Betroffenen haben davon zu wenig gespürt, weil
nämlich die Investitions- und sonstigen Kosten unberücksichtigt geblieben sind.
Es ist von den Kollegen der SPD und auch der Linken
die Sorge geäußert worden, der Normenkontrollrat
könne, wenn seine Aufgabe umfassender sei, zu einem
politischen Kampfinstrument gemacht werden.
({5})
Ich glaube nicht, dass das von einem richtigen Verständnis zeugt. Wenn schon jetzt Gremien in ihren Möglichkeiten beschnitten werden sollen - aus Angst vor objektiven Erkenntnissen -, dann werden dadurch nur die
Vorurteile bestätigt, die es gegenüber der Politik insgesamt gibt.
({6})
Sie entwerten mit dieser Ängstlichkeit das ganze Projekt, indem Sie dem neuen Rat mit Absicht hier nur
eine abgegrenzte Spielwiese zuweisen, das Parlament
nicht an der Besetzung beteiligen, sondern diese auf
Regierungsebene auskungeln, und jedes Risiko, sich für
Bürokratiekosten rechtfertigen zu müssen, vermeiden
wollen.
Wenn Sie diesen Gesetzentwurf unverändert lassen,
handeln Sie so wie in dieser Koalition bisher immer: zu
wenig, zu zaghaft, zu ängstlich. Sie reden immer gern
von ersten Schritten - wir haben das auch im Ausschuss
gehört -; Sie müssen aber aufpassen, dass Sie vor lauter
ersten Schritten nicht dauerhaft auf der Stelle treten.
Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Im Schneckentempo werden wir die Probleme nicht lösen. Unser Land
hat weit mehr Bewegung nötig, wenn wir es mit dem
Abbau von Bürokratie wirklich ernst meinen.
({7})
Bevor wir die Aussprache fortsetzen, komme ich zum
Tagesordnungspunkt 3 a zurück und gebe Ihnen das von
den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte
Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu
dem Antrag der Bundesregierung auf Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten
Operation in der Demokratischen Republik Kongo bekannt: Abgegebene Stimmen 581. Mit Ja haben 440 Kolleginnen und Kollegen gestimmt, mit Nein haben
135 gestimmt, es gab sechs Enthaltungen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 581;
davon
ja: 440
nein: 135
enthalten: 6
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({0})
Dr. Christoph Bergner
Otto Bernhardt
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({1})
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Georg Fahrenschon
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Hartwig Fischer ({2})
Dirk Fischer ({3})
Axel E. Fischer ({4})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Dr. Hans-Peter Friedrich
({5})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Michael Glos
Dr. Reinhard Göhner
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Karl-Theodor Freiherr
zu Guttenberg
Holger Haibach
Gerda Hasselfeldt
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung ({6})
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({7})
Volker Kauder
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Kristina Köhler ({8})
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Johann-Henrich
Krummacher
Dr. Karl A. Lamers
({9})
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Ingbert Liebing
Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Stephan Mayer ({10})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Laurenz Meyer ({11})
Maria Michalk
Hans Michelbach
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Carsten Müller
({12})
Stefan Müller ({13})
Bernward Müller ({14})
Dr. Gerd Müller
Hildegard Müller
Bernd Neumann ({15})
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Dr. Peter Paziorek
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({16})
Klaus Riegert
Franz Romer
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht ({17})
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({18})
Hermann-Josef Scharf
Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Georg Schirmbeck
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({19})
Andreas Schmidt ({20})
Ingo Schmitt ({21})
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Horst Seehofer
Kurt Segner
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Thomas Strobl ({22})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Peter Weiß ({23})
Gerald Weiß ({24})
Karl-Georg Wellmann
Anette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer ({25})
Elisabeth WinkelmeierBecker
Matthias Wissmann
Dagmar Wöhrl
Willi Zylajew
Vizepräsidentin Petra Pau
SPD
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Ernst Bahr ({26})
Doris Barnett
Dr. Hans- Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Dr. Axel Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({27})
Kurt Bodewig
Clemens Bollen
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({28})
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Sigmar Gabriel
Martin Gerster
Iris Gleicke
Renate Gradistanac
Angelika Graf ({29})
Dieter Grasedieck
Kerstin Griese
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann
({30})
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({31})
Frank Hofmann ({32})
Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Brunhilde Irber
Johannes Jung ({33})
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange ({34})
Dr. Karl Lauterbach
Waltraud Lehn
Helga Lopez
Gabriele Lösekrug-Möller
Lothar Mark
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Petra Merkel ({35})
Ulrike Merten
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Detlef Müller ({36})
Michael Müller ({37})
Gesine Multhaupt
Dr. Rolf Mützenich
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Joachim Poß
Christoph Pries
Dr. Wilhelm Priesmeier
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Steffen Reiche ({38})
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
Sönke Rix
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({39})
Michael Roth ({40})
Ortwin Runde
Axel Schäfer ({41})
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Marianne Schieder
Otto Schily
Silvia Schmidt ({42})
Dr. Frank Schmidt
Heinz Schmitt ({43})
Carsten Schneider ({44})
Olaf Scholz
Ottmar Schreiner
Reinhard Schultz
({45})
Swen Schulz ({46})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Ludwig Stiegler
Christoph Strässer
Joachim Stünker
Dr. Rainer Tabillion
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Franz Thönnes
Hans-Jürgen Uhl
Rüdiger Veit
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Gunter Weißgerber
({47})
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Engelbert Wistuba
Heidi Wright
Manfred Zöllmer
FDP
Marina Schuster
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Marieluise Beck ({48})
Volker Beck ({49})
Cornelia Behm
Birgitt Bender
Grietje Bettin
Dr. Thea Dückert
Dr. Ursula Eid
Joseph Fischer ({50})
Kai Gehring
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Priska Hinz ({51})
Ulrike Höfken
Bärbel Höhn
Thilo Hoppe
Ute Koczy
Renate Künast
Undine Kurth ({52})
Markus Kurth
Dr. Reinhard Loske
Anna Lührmann
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({53})
Brigitte Pothmer
Claudia Roth ({54})
Elisabeth Scharfenberg
Silke Stokar von Neuforn
Jürgen Trittin
Wolfgang Wieland
Margareta Wolf ({55})
Nein
CDU/CSU
Anke Eymer ({56})
Herbert Frankenhauser
Norbert Königshofen
Henry Nitzsche
Norbert Schindler
Ingo Wellenreuther
SPD
Gregor Amann
Dr. Peter Danckert
Wolfgang Gunkel
Petra Heß
Petra Hinz ({57})
Ernst Kranz
Dirk Manzewski
Marko Mühlstein
Maik Reichel
Dr. Carola Reimann
Rene Röspel
Dr. Margrit Spielmann
Waltraud Wolff
({58})
Vizepräsidentin Petra Pau
FDP
Jens Ackermann
Daniel Bahr ({59})
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Miriam Gruß
Joachim Günther ({60})
Dr. Christel Happach-Kasan
Elke Hoff
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Hellmut Königshaus
Jürgen Koppelin
Heinz Lanfermann
Harald Leibrecht
Michael Link ({61})
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Hans-Joachim Otto
({62})
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Frank Schäffler
Dr. Konrad Schily
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Florian Toncar
Christoph Waitz
Dr. Claudia Winterstein
Hartfrid Wolff ({63})
DIE LINKE
Hüseyin-Kenan Aydin
Karin Binder
Dr. Lothar Bisky
Heidrun Bluhm
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Sevim Dagdelen
Dr. Diether Dehm
Werner Dreibus
Klaus Ernst
Diana Golze
Dr. Gregor Gysi
Heike Hänsel
Lutz Heilmann
Hans-Kurt Hill
Cornelia Hirsch
Dr. Barbara Höll
Ulla Jelpke
Dr. Hakki Keskin
Jan Korte
Katrin Kunert
Michael Leutert
Dr. Gesine Lötzsch
Dorothee Menzner
Kersten Naumann
Dr. Norman Paech
Bodo Ramelow
Elke Reinke
Paul Schäfer ({64})
({65})
Dr. Herbert Schui
Dr. Ilja Seifert
Dr. Petra Sitte
Dr. Kirsten Tackmann
Jörn Wunderlich
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Alexander Bonde
Hans-Josef Fell
Winfried Hermann
Dr. Anton Hofreiter
Sylvia Kotting-Uhl
Monika Lazar
Irmingard Schewe-Gerigk
Dr. Gerhard Schick
Josef Philip Winkler
fraktionslos
Enthalten
CDU/CSU
Veronika Bellmann
Dr. Peter Jahr
FDP
Ina Lenke
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Christine Scheel
Wir fahren nun in der Debatte fort. Das Wort hat der
Kollege Dr. Rainer Wend für die SPD-Fraktion.
({66})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Wenn ich mich nur an die letzte Legislaturperiode erinnere, haben wir an dieser Stelle schon häufig
über das Thema Bürokratieabbau gesprochen. Ich will
nicht behaupten, dass wir bei diesem Thema nie Fortschritte erzielt hätten. Wir dürfen uns aber nichts vormachen: In der Sache sind wir bisher nicht große Schritte
vorangekommen.
Kann das heute anders werden? Wir wissen es nicht.
Zwei Dinge sprechen allerdings dafür: Zum einen wählen wir heute einen neuen Ansatz der Bürokratiebekämpfung. Wir nehmen uns nicht einzelne Maßnahmen vor,
um Veränderungen herbeizuführen, sondern messen mit
dem neuen systematischen Ansatz Bürokratiekosten
nach einem Standardkostenmodell, um die Kosten anschließend reduzieren zu können. Das soll von einem
unabhängigen Normenkontrollrat überprüft werden.
Ich glaube, dass dieser Ansatz sinnvoll ist. Er wurde
- das ist der zweite Grund, der für einen Erfolg spricht bereits in den Niederlanden und anderen Ländern erfolgreich angewandt. Er vermeidet etwas, was der Kollege
Meyer zu Recht angesprochen hat, nämlich dass über ein
Trojanisches Pferd namens Bürokratieabbau in Wirklichkeit materielle Gesetzesänderungen durchgesetzt
werden; denn nach unserem Gesetzentwurf sollen über
das Standardkostenmodell ausschließlich Informationspflichten überprüft werden.
Weil wir einen neuen systematischen Ansatz wählen,
der international erfolgreich war, glaube ich, dass wir
heute beim Thema Bürokratieabbau eine neue Seite im
Buch aufschlagen können und Erfolge erzielen werden.
Die Kollegen, die bisher gesprochen haben, Herr
Meyer und Herr Zeil, haben angedeutet - Herr Berninger
wird das gleich sicherlich auch für die Grünen tun -,
dass sie heute gerne noch einen Schritt weitergekommen
wären: Sie wollen auch Gesetzentwürfe aus der Mitte
des Hauses einer Prüfung durch den Normenkontrollrat
zugänglich machen. Ich möchte Ihnen ein Argument und
zwei Befürchtungen nennen, um zu begründen, warum
die Sozialdemokratie das heute so nicht mittragen wird.
Zunächst das - ich gebe es zu - demokratietheoretische, aber, wie ich finde, beachtenswerte Argument: Der
Normenkontrollrat wird zwar durch Gesetz eingesetzt;
über seine personelle Zusammensetzung entscheidet jedoch die Exekutive. Das würde bei der von einigen angedachten Prüfung der Gesetzentwürfe dazu führen, dass
ein von der Exekutive besetztes Gremium die Legislative, wenn auch begrenzt auf Informationspflichten, in
ihrer Arbeit im Vorfeld ein Stück weit kontrolliert. Man
kann das in Ordnung finden, weil wir wollen, dass nicht
nur Gesetzentwürfe der Exekutive, sondern auch der Legislative überprüft werden können. Das ändert aber
nichts an der Richtigkeit des demokratietheoretischen
Arguments, dass die Legislative vorsichtig sein muss,
wenn sie von einer Institution, die durch die Exekutive
bestellt wird, überprüft werden soll. Dieses sachliche Argument bitte ich ernst zu nehmen.
Zu den zwei Befürchtungen. Die eine Befürchtung ist,
dass wir immer mehr zu einer Expertokratie werden,
das heißt, dass weniger das Parlament die Entscheidungen trifft, weil diese in Sachverständigengremien verlagert werden und die Sachverständigen es mit ihren geäußerten Auffassungen und Positionen der Legislative
nicht immer leicht machen, da sie, auch im Zusammenhang mit Medienarbeit, Druck erzeugen. Ich glaube,
dass das für diesen Normenkontrollrat nicht zutreffen
muss, weil er keine allgemeine politische Kontrolle vornimmt, sondern sich - ich betone es noch einmal - auf
die Überprüfung der mit Informationspflichten einhergehenden Kosten beschränkt.
Die zweite Befürchtung ist schwerwiegender. Es wird
nämlich befürchtet, dass Bürokratieabbau - gleichsam
einem Trojanischen Pferd - nur vorgeschoben wird, aber
der Inhalt von Gesetzen geprüft werden soll. Diese Befürchtung lässt sich aber aus dem Gesetz nicht ableiten.
In § 2 Abs. 1 unseres Gesetzentwurfs heißt es nämlich:
Bürokratiekosten
- diese sollen reduziert werden im Sinne dieses Gesetzes sind solche, die natürlichen oder juristischen Personen durch Informationspflichten entstehen. … Andere … entstehende
Kosten sind nicht umfasst.
Im Gesetzentwurf findet sich also kein Grund für diese
Befürchtung.
Aufgrund der politischen Debatte ist diese Befürchtung aber sehr wohl berechtigt. Ich erinnere an unsere
Anhörung, auf der ein Vertreter einer Mittelstandsvereinigung erklärt hat, dass beispielsweise das Antidiskriminierungsgesetz vom Tisch wäre, wenn wir erst einen
Normenkontrollrat hätten. Nun kann man über dieses
Gesetz bekanntlich diskutieren, aber an geeigneter
Stelle. Wenn schon Sachverständige, die nicht wissen,
was in diesem Gesetz steht und was dessen Grundlage
ist, die politische Debatte nutzen, um ihnen offensichtlich nicht gefallende Gesetzentwürfe über den Umweg
Bürokratieabbau zu verhindern, dann muss man die von
mir angesprochene Befürchtung verstehen.
Das sind die Argumente, die die SPD bewegt haben,
an dieser Stelle heute noch nicht weiter zu gehen.
Ich sage aber auch: Dieser Normenkontrollrat hat eine
großartige Chance. Er kann uns einerseits beweisen, dass
er kein Gremium von Klugscheißern ist, sondern ein
Gremium, das hart arbeitet, um uns zu helfen, Bürokratiekosten zu reduzieren. Er kann andererseits und vor allen Dingen im Rahmen seiner praktischen Arbeit zeigen,
dass alle Befürchtungen, er könne als politisches Instrument missbraucht werden, unberechtigt sind. Daher
verstehe ich das Gesetz, das wir heute verabschieden, als
den Beginn eines offenen Prozesses.
Wir wollen einen unabhängigen Normenkontrollrat,
der Bürokratiekostenmessungen macht mit dem Ziel,
diese Kosten zu reduzieren. Wir gehen heute einen ersten ganz wichtigen Schritt in die richtige Richtung. Wir
werden auswerten, wie der Normenkontrollrat arbeitet.
Ich bin optimistisch, dass er eine ganz hervorragende
Arbeit leisten wird. Wir werden zu prüfen haben, wie
sich dieser offene Prozess, den wir heute in Gang setzen,
entwickelt.
Ich bin froh, dass wir heute zu einer solchen Entscheidung kommen. Ich glaube, wir sind auf dem richtigen
Weg.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Sabine Zimmermann für
die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich den
Kollegen Wend korrigieren: Der Normenkontrollrat soll
keine Messungen durchführen; das sollen die Ministerien selber machen.
Im Koalitionsvertrag haben die beiden Regierungsparteien eine Entlastung der Bürger und der Wirtschaft
von Bürokratiekosten angekündigt. Dies ist ein gutes
Vorhaben, solange mit Bürokratieabbau nicht ein Abbau
von sozialen Rechten und ökologischen Standards gemeint ist. Hier beginnt eigentlich das Problem.
Zunächst einmal muss man feststellen, dass der Bürger bei Ihren Plänen überhaupt nicht mehr vorkommt.
Im Gegenteil: Mit der Verschärfung von Hartz IV werden die Arbeitslosen drangsaliert, in Armut gestürzt und
die Menschenwürde wird einfach mit Füßen getreten.
({0})
Bis zu 45 Minuten braucht ein erfahrener Sachbearbeiter, um komplizierte Anträge zu bearbeiten. Wofür? Dafür, dass 90 Prozent der Anträge abgelehnt werden, um
den Menschen ein menschenwürdiges Leben vorzuenthalten. Unter dieser Bürokratie leiden die Arbeitslosen
und die Sachbearbeiter der Arbeitsagenturen und der Arbeitsgemeinschaften.
Die Koalition - das wird deutlich - vertritt eine einseitige Ansicht von Bürokratieabbau. Aber wen wundert
das? Der Vorkämpfer der Union für Bürokratieabbau,
Herr Norbert Röttgen, wird künftig als Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie seinen Dienst antreten. Ich muss sagen: Wir werden doch
keine Freunde mehr, Herr Röttgen.
({1})
- Hören Sie mir bitte zu! - In dieser Funktion und als
Abgeordneter können Sie dafür sorgen, dass Bürokratieabbau im richtigen Interesse betrieben wird, nämlich im
Interesse der Wirtschaft und nicht der Menschen in diesem Land.
({2})
Nun zu Ihrem Gesetzesvorschlag, den Sie heute verabschieden wollen. Sie meinen, wir haben in Deutschland zu viel Bürokratie, die die Wirtschaft fesselt. Ein
wenig wundert mich das schon. Gerade die Union und
die SPD tragen doch die Verantwortung für den derzeitigen Wulst an Bürokratie; denn sie waren in den letzten
zehn Jahren an der Regierung. Nun wollen Sie einen so
genannten Normenkontrollrat einrichten. Dessen Aufgabe soll es sein, die Kosten zu bewerten, die den Unternehmen durch staatliche Informationspflichten entstehen. Er soll Vorschläge machen, wie sie reduziert
werden können.
Die Regierung verweist mit ihrem geplanten Vorhaben auf die Erfahrungen in den Niederlanden. Danach ist
dort der Bürokratieabbau äußerst erfolgreich. Deshalb
will sie dieses Modell in Deutschland umsetzen. Einige
Abgeordnete durften deswegen in der letzten Woche
- Herr Wend hat es schon erwähnt - in die Niederlande
reisen. Ich war dabei und muss sagen: Es läuft dort keineswegs so toll und erfolgreich, wie uns die Bundesregierung glauben machen will.
Meine Kollegin Frau Berg von der SPD hat gestern
im Ausschuss beklagt, dass die Unternehmen dort den
Bürokratieabbau nicht honorieren, sondern mehr fordern. Dazu kommen kritische Stimmen, die beklagen,
dass dem Bürokratieabbau der Umweltschutz oder sogar
Frauenrechte zum Opfer gefallen sind. Nimmt man dies
alles auf, dann muss man, vorsichtig gesagt, zu einer
skeptischen Einschätzung des niederländischen Modells
kommen.
Union und SPD haben versucht, die Debatte um die
Einrichtung eines Normenkontrollrates und die Frage
des Bürokratieabbaus zu entpolitisieren, frei nach dem
Motto: Es geht nur darum, einige überflüssige Vorschriften zu streichen. Erst auf Druck der Opposition hat dann
eine Anhörung stattgefunden.
({3})
Dort hat unter anderem der Deutsche Gewerkschaftsbund die Sorge geäußert, dass hier möglicherweise
Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, beispielsweise beim Arbeitsschutz und beim Datenschutz,
abgebaut werden können. Einige Wirtschaftsvertreter
haben das erschreckend deutlich bestätigt, als sie das
Antidiskriminierungsgesetz oder das Betriebsverfassungsgesetz - Herr Wend, Sie waren dabei - als ein Projekt für den Bürokratieabbau benannten.
Interessant ist, dass dieses Problem auch in der SPD
wahrgenommen wird. Herr Wend, Sie räumen ehrlich
ein, dass solche Äußerungen das Misstrauen nähren,
dass es im Hinblick auf den Normenkontrollrat nicht nur
darum geht, Informations- und Dokumentationspflichten
zu nennen, sondern auch darum, mit politischer Absicht
Gesetze zu verhindern. In den letzten Jahren ergriffen einige Bundesländer verschiedene Initiativen zum Bürokratieabbau. Stets hieß es: Soziale Rechte, Umweltschutzvorschriften und die Bürgerbeteiligung fallen dem
Bürokratieabbau nicht zum Opfer. Oftmals stiegen jedoch Umweltverbände und Gewerkschaften aus diesen
Vorhaben aus, weil genau das passierte.
Kollege Wend meint, dass dies mit dem Gesetzentwurf nicht beabsichtigt ist.
({4})
Er weiß aber, dass diese Begehrlichkeiten existieren.
Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie denn daraus?
Dieses Problem hätte sich im Gesetzentwurf zumindest
widerspiegeln müssen. Aber es war davon leider nichts
zu lesen.
({5})
Auch nach einer Antwort auf die Frage, warum Verbraucherverbände, Gewerkschaften und Sozialverbände nicht
einbezogen werden sollen, sucht man vergeblich. Die
Linke hat grundsätzliche Zweifel an dem geplanten Bürokratieabbau. Wenn davon gesprochen wird, ist meist
Deregulierung gemeint.
Wir sind dafür, die Verwaltung effektiver zu organisieren. Auch die Erfüllung von Informationspflichten
kann sicherlich effektiver gestaltet werden. Aber das
darf eben nicht bedeuten, gesellschaftlich notwendige
Regelungen abzubauen. Wir schlagen deshalb vor, statt
eines Normenkontrollrates eine interministerielle Arbeitsgruppe für eine rationelle Verwaltung einzurichten.
Diese soll die Informationsgewinnung effektiver machen, aber keinen einseitigen Abbau vorschlagen.
Zum Schluss muss ich feststellen, dass Sie alle beim
Bürokratieabbau das Lied des Neoliberalismus singen.
({6})
Wir werden unsere Partner am kommenden Samstag in
Berlin außerhalb des Parlaments treffen, wenn Arbeitslose, Gewerkschafter und viele andere gegen die asoziale
Reformpolitik der großen Koalition auf die Straße gehen
werden.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und lade
Sie herzlich ein, am Sonnabend dabei zu sein.
({7})
Der Kollege Matthias Berninger hat für die Fraktion
des Bündnisses 90/Die Grünen das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau
Kollegin Zimmermann, so einfach kann man es sich
nicht machen.
({0})
Wenn ein Handwerker zu einer Bank geht - wo auch immer in Deutschland - und sich Geld leihen möchte, weil
er vielleicht investieren will, möglicherweise sogar Arbeitsplätze sichern oder schaffen will, infolge von Gesetzen und Verordnungen durch seine Bank mit einem Wust
von entsprechenden Informationspflichten belastet wird,
weil man an einer anderen Stelle gedacht hat, eine vernünftige Finanzaufsicht brauche diese Informationen,
und dann möglicherweise den Kredit nicht bekommt, ist
den vielen Arbeitslosen in Deutschland überhaupt nicht
gedient. Das ist Bürokratie, die Arbeitsplätze abbaut
bzw. deren Schaffung verhindert.
({1})
Das hat nichts mit Neoliberalismus, sondern sehr viel
mit gesundem Menschenverstand zu tun.
Dem sozialen, ökologischen Anliegen oder dem Gender Mainstreaming wird man auch nicht dadurch gerecht, dass man jedes Gesetz, weil es eben ein Gesetz für
einen bestimmten Bereich ist, pauschal für gut hält. Gerade die Bereiche, die uns wichtig sind, wie Bürgerrechte, Datenschutz, Umweltschutz und soziale Standards, werden nur dann dauerhaft Bestand haben, wenn
sie in modernen Gesetzen abgesichert sind. Von daher
halte ich es für falsch, dass die Opposition versucht, den
Bürokratieabbau in einer pauschalen Art und Weise zu
diffamieren, wie Sie das nicht nur heute versuchen. Ich
glaube, dass Bürokratieabbau dringend Not tut.
Ich glaube auch, dass sowohl der Regierung als auch
der Opposition in diesem Haus klar ist, dass die Bundesrepublik Deutschland mit den bisherigen Instrumenten
nicht die notwendigen Fortschritte gemacht hat.
({2})
Insofern ist es nur richtig, dass wir uns in den Ländern
der Europäischen Union umschauen. Es ist auch folgerichtig, dass wir dabei in den Niederlanden angekommen sind. Diese haben zwei Dinge gemacht: Sie haben
erstens etwas Neues gemacht und zweitens - auch das ist
deutlich geworden - damit durchaus Erfolge gehabt.
({3})
Jetzt wird gesagt: Die Unternehmen aber sind vom
Stamme Nimm und hätten gern immer noch mehr. Wir
machen den Bürokratieabbau aber nicht, damit uns Unternehmer oder Unternehmensinteressenverbände zufrieden loben. Wenn irgendjemand in diesem Hause seine
Politik darauf ausrichten würde, dass die Unternehmer
am Ende des Tages zufrieden sind und nicht noch mehr
fordern, könnte er nach Hause gehen. Wir würden nie
glücklich und zufrieden werden.
In der Sache sind die Kosten für Bürokratie in den
Niederlanden reduziert worden, und zwar durch drei
Elemente:
Erstens. Man versucht, die Kosten für Bürokratie zu
ermitteln, vergleichbar zu machen, um im Gesetzgebungsverfahren sagen zu können: Dieses Gesetz führt
auf der einen Seite zu folgenden Informationen und verursacht auf der anderen Seite folgende Kosten. - Ich
denke, es ist notwendig, den Bürokratieabbau auf diese
Ebene zu bringen und - vergleichbar mit der Haushaltspolitik - für eine Kostenreduzierung Sorge zu tragen.
Zweitens. Ein weiteres Element des niederländischen
Vorgehens ist Konsens. Konsens bedeutet, dass das niederländische Parlament das Vorgehen mit großer Mehrheit unterstützt hat. Unsere letzte politische Debatte ging
ja auch in diese Richtung. Es gab Redner - ich zitiere sie
mit Rücksicht auf die Kollegen nicht; der Kollege
Röttgen ist heute schon ausreichend bedacht worden -,
die angeboten haben, Änderungsvorschläge der Opposition aufzunehmen. Die Änderungsvorschläge, die im
Wesentlichen von der FDP und dem Bündnis 90/Die
Grünen stammen, decken sich mit den Vorschlägen, die
in der Anhörung unterbreitet wurden, decken sich mit
dem, was die Wirtschaftsexperten der Unionsfraktion
fordern, und mit dem, was die Wirtschaftsexperten der
SPD-Fraktion fordern.
Dummerweise decken sie sich nicht mit dem, was der
Fraktionsvorsitzende Struck darüber denkt, und zwar aus
zwei Gründen:
Der eine Grund ist die Angst, dass der Normenkontrollrat übermächtig wird. Meine Güte! Die große Koalition hat eine breite Mehrheit und angeblich ein breites
Kreuz. Ihre Nerven müssen ja sehr blank liegen, wenn
man eine solche Angst vor einem solchen Gremium hat.
Wenn ein Wirtschaftssachverständiger, der - wie er das
immer macht - das Antidiskriminierungsgesetz, das inzwischen auch die Union für sinnvoll hält, für falsch
hält, da seine alten Thesen vertritt, muss man sich nicht
ängstlich verstecken.
Der zweite Grund ist, dass man in der SPD mit dem
Bürokratieabbau nicht ganz so ernst macht, wie manche
das hier gesagt haben. Das größte Problem des Bürokratieabbaus und der Strategie der Bundesregierung ist,
dass die beteiligten Ressorts nicht unbedingt gemeinsam
und in dieselbe Richtung arbeiten. Ich habe die Ressortegoismen selber erlebt. Ich habe diesen Krieg um die
Gartenzwerge in den Vorgärten selber mitgemacht. Ich
glaube, wir müssen da herauskommen. Es bedarf eines
Mentalitätswechsels, wenn wir die Bürokratie erfolgreich abbauen wollen. Das funktioniert nur dann, wenn
man mit Mut und Entschlossenheit und nicht mit Hasenfüßigkeit herangeht. Herr Struck hat sich für etwas anderes entschieden. Das ist ein schlechtes Omen für die weitere Arbeit des Normenkontrollrats.
Was hat er abgelehnt? Er hat erstens abgelehnt, dass
auch Vorschläge aus dem Parlament in die Arbeit einbezogen werden. Dieses Parlament ist der Gesetzgeber und
nicht der Gesetzentgegennehmer. Ich finde, es steht diesem Parlament sehr gut an, dass auch seine Vorschläge
einer solchen Prüfung unterzogen werden.
({4})
Nur dann ergibt es wirklich einen Sinn. Das ist aber
nicht gewollt worden. Das ist nicht nur eine demokratietheoretische Frage, sondern auch eine demokratiepraktische Frage. Natürlich hätte man, indem man das
Parlament an der Auswahl der Sachverständigen im
Normenkontrollrat beteiligt, auch das Problem lösen
können, dass jemand anderer sozusagen die Schiedsrichter über uns bestimmt. Das wäre überhaupt kein Problem
gewesen, wenn man es gewollt hätte.
Das Zweite, was abgelehnt wurde, ist die Ausweitung
des Tätigkeitsbereichs. Der Kollege Wend hat die Enge
des Gartens, in dem der Normenkontrollrat grasen darf,
angesprochen. Das ist gemessen an der gesamten Wiese
Bürokratie schon viel. Davon kann man als Kuh gut satt
werden. Ich habe Expertisen, was Kühe angeht. Das
Grundproblem aber ist: Wenn der Normenkontrollrat getreu dem chinesischen Sprichwort, dass jede lange Reise
mit einem ersten Schritt beginnt, in diesem Bereich erfolgreich ist, dann müsste anschließend dieses Parlament
ein Gesetzgebungsverfahren starten, damit der Normenkontrollrat mehr machen kann. Das halte ich für aberwitzig und irrsinnig.
({5})
Ein selbstbewusstes Parlament hätte gesagt: Der Normenkontrollrat soll damit anfangen und wenn er noch
weitere Punkte findet, bei denen Bürokratiekosten zu reduzieren sind, dann soll er auch links und rechts neben
dem Zaun grasen dürfen. - Das hat die SPD verhindert.
Das bedauern wir als Grüne sehr, weil wir glauben, dass
am Ende des Tages hier eine Chance vertan worden sein
wird.
({6})
Ich will noch einen dritten Punkt nennen. Die Niederländer haben dem Normenkontrollrat ein parlamentarisches Gremium zur Seite gestellt. Wir haben in der
Haushaltspolitik den Haushaltsausschuss. Die Kollegen
können gerade nicht hier sein, weil sie in einer Bereinigungssitzung darüber brüten, ob all die Vorschläge der
verschiedenen Experten finanzierbar sind. Das ist ein
schwieriger Job. Haushälter sind nicht sehr beliebt, vor
allem dann nicht, wenn sie Geld streichen müssen. Die
Erfahrung lehrt aber, dass es eines Gremiums bedarf, das
das Gesamtinteresse im Auge hat und nicht die jeweiligen Fachgebiete isoliert betrachtet.
So verhält es sich auch mit dem Bürokratieabbau.
Dieses Parlament braucht - das ist unsere feste Überzeugung - einen eigenen Ausschuss für Bürokratieabbau,
damit nicht das passiert, was diese Woche passiert ist.
Am Montag hatten wir eine Anhörung zum Thema
Bürokratieabbau. Am Dienstag gab es eine Anhörung im
Finanzausschuss, an deren Ende was stand? Die Vorschriften für Banken, die Informationspflichten für
kleine Unternehmen, die Kredite haben wollen, enthalten und diese belasten, sind von 80 Seiten auf 150 Seiten
angewachsen, weil das Bundesfinanzministerium das
eine macht und andere Ministerien das andere machen.
So verhindern wir nicht nur Bürokratieabbau, sondern
machen wir uns auch unglaubwürdig. So belasten wir
die Unternehmen und am Ende die Menschen mit Kosten, die vermeidbar wären, wenn die eine Hand wüsste,
was die andere macht. Dazu kann dieses Parlament mehr
beitragen als mit der heutigen Entscheidung zu einem,
wie ich finde, unzureichenden Normenkontrollrat.
Ich danke Ihnen.
({7})
Für die Bundesregierung erhält der Parlamentarische
Staatssekretär Hartmut Schauerte das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen
und Kollegen! Deutschland muss besser sein, wo es teurer als andere ist, und es muss schneller sein. Nichts
kann so effizient, ohne dass Haushaltsmittel erforderlich
sind, bei der Verfolgung dieses Programms eingesetzt
werden wie wirkungsvoller Bürokratieabbau. Bürokratie
ist teuer und verlangsamt und genau diese beiden Elemente wollen wir bekämpfen.
Wir tun mit der Einrichtung dieses Normenkontrollrats und mit dem ersten Mittelstandsentlastungsgesetz
- es wird ein zweites Mittelstandsentlastungsgesetz
kommen - das, was wir im Koalitionsvertrag festgeschrieben haben, konsequenter als jemals zuvor, höherrangiger als jemals zuvor und gründlicher als jemals zuvor. Wir gehen systematisch vor, wie wir es noch nie
getan haben. Eigentlich müssen wir uns als Parlament
und Regierung fragen, warum wir das eigentlich nicht
schon immer gemacht haben. Wir tun etwas, was absolut
normal und notwendig ist. Deswegen kann ich überhaupt
nicht verstehen, wenn bei einem solchen normalen Vorgehen gegen eine Geißel, die unsere ganze Gesellschaft
lähmt, die überbordende Bürokratie, sofort Bedenken
geäußert werden. Eigentlich kann man das doch nur
positiv annehmen und sagen: Nun lasst uns vorangehen
und es probieren! Man kann doch nicht gleich wieder sagen: Ihr wollt über die Hintertür alle Inhalte verändern.
Ich habe, auch im Namen der Bundesregierung, immer
wieder erklärt: Wir wissen sehr wohl, dass wir nur dann
glaubwürdig und effektiv sind, wenn wir nicht durch die
Hintertür, unter dem Deckmantel des Bürokratieabbaus,
Inhalte verändern wollen, die in die politische Debatte
und nicht in die Bürokratiedebatte gehören. Das ist nicht
unser Thema.
({0})
Wenn wir uns darüber verständigt haben, brauchen
wir auch keine Angst vor einer Expertokratie zu haben;
Herr Wend, Sie haben das Argument erwähnt. Es gehört
zu den vornehmen Rechten und Pflichten des Gesetzgebers, alles Fachwissen zusammenzutragen, um eine vernünftige Entscheidung treffen zu können. Dazu gehört
auch das Fachwissen darüber, wie wir bei neuen und bestehenden Gesetzen unnötige Bürokratie vermeiden. Es
ist doch völlig normal, dass man sich diesem Prozess unterwirft.
Wenn wir das jetzt beschlossen haben, werden wir einen Standard bekommen - das werden wir erleben -,
den wir in der Gesetzgebungsarbeit gar nicht mehr wegdenken können. Es ist das gute Recht einer jeden Fraktion, die Regierung zu bitten, ihr mitzuteilen, welcher
Bürokratieaufwand mit einer Gesetzesinitiative verbunden ist. Die Regierung müsste antworten. Wenn sie einen
Normenkontrollrat hat, wird sie sich bemühen, das Fachwissen des Normenkontrollrats bei der Beantwortung
dieser Frage heranzuziehen. Stellen Sie sich doch den
Wettbewerb der Fraktionen vor! Eine Fraktion sagt: Ich
habe da einen Gesetzentwurf, möchte ihn aber nicht auf
den Bürokratieaufwand hin überprüfen lassen. - Diese
Fraktion ist durch diese Vorgehensweise doch öffentlich
gebrandmarkt, weil die Menschen wollen, dass wir möglichst jeden Weg nutzen, um das, was wir politisch wollen, mit so wenig Bürokratie umzusetzen, wie es eben
geht.
Wir haben keine Angst vor Fachleuten. Es wird Entscheidungen geben, bei denen uns der Normenkontrollrat sagt: Das ist zu viel Bürokratie. Wir werden möglicherweise sagen, dass wir es aus anderen, politischen
Gründen dennoch machen. Was erreicht werden muss,
ist Transparenz. Wir müssen endlich wissen, wie viel
Bürokratieaufwand mit den Gesetzen, die wir beschließen, verbunden ist. Diesen Aspekt haben wir in der Vergangenheit alle miteinander sträflich vernachlässigt. Unter unseren Gesetzentwürfen stand: Kosten: Keine.
Bürokratie: Keine. - Keiner hat wirklich hingeschaut.
Insofern machen wir uns die Gesetzgebungsarbeit bewusst schwerer. Das ist nur vernünftig.
({1})
Ich warne davor, zu sagen: Die fangen gleich wieder mit
ein paar Bürokraten an, die das zu steuern und zu verwalten haben. Es bleibt dabei: Gegen Bürokraten helfen
am Ende nur Bürokraten, so wie man gegen Soldaten
schließlich hin und wieder auch Soldaten einsetzen
muss. Es geht nicht anders.
Wir wollen die Bürokratie schon bei uns bekämpfen.
Wir wollen vermeiden, dass sie überhaupt beim Bürger
ankommt und dann in einem mühsamen Prozess wieder
auf die Politikebene zurückgespült wird. Wir wollen sie
im Entstehungsprozess bekämpfen. Das macht Gesetzgebungsarbeit schwerer und an der einen oder anderen
Stelle sogar etwas bürokratischer. Ich denke aber, eine
Verlangsamung und eine Erhöhung der Gründlichkeit
unserer Gesetzgebungsarbeit mit Blick auf die Frage der
Bürokratie sind vernünftig und geboten. Das ist besser,
als wenn wir die Bürokratie beim Bürger ankommen lassen, weil wir Gesetzesvorhaben nicht entsprechend geprüft haben.
({2})
Das ist die Vorgehensweise. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir mit diesem Gesetz in die Gänge kommen,
dass das jetzt schnell passiert, dass es eine große Akzeptanz erfahren wird und wir alle miteinander erleben werden, wie nützlich es für die Gesetzgebungsarbeit ist.
Wenn dieser erste Test bestanden ist, sehe ich keinen
Grund, warum wir es nicht ausweiten sollten. Immer sofort alles machen zu wollen, ist möglicherweise nicht
klug.
Lasst uns jetzt diese Schneise schlagen, die ersten
Schritte des Weges gehen! Ich bin sicher, dass wir ganz
schnell sehr erfolgreich an dem Thema arbeiten können.
Das wird eine Daueraufgabe bleiben. Es wird immer
wieder Unzufriedenheiten geben. Es wird nie den Zustand der Seligkeit geben. Wenn wir aber die Nulllinie
bestimmt haben, wenn wir ein geschnürtes Paket auf den
Tisch legen und sagen: „Davon wollen wir 20 oder
25 Prozent abbauen!“, dann haben wir uns den Erfolg ins
Stammbuch geschrieben und haben uns sozusagen die
Rute vor den Hintern gebunden. Dann müssen wir bei
dem Thema erfolgreich sein. Das wollen wir. Es lohnt
sich. Lieber Michael Fuchs, wir werden sorgfältig darauf
achten. Wenn es zu wenig wird, legen wir nach. Wir lassen uns vom Parlament gerne daran erinnern, dass man
ein bisschen mutiger vorgehen kann.
Herzlichen Dank.
({3})
Für die FDP-Fraktion erhält die Kollegin Birgit
Homburger das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Bürokratie ist die Pest des modernen Staates und sie
muss konsequent bekämpft werden. Die Bürokratiekosten in Deutschland haben 46 Milliarden Euro erreicht.
Tatsächlich bedeutet das eine ganz massive Belastung
der kleinen und mittleren Betriebe, des Mittelstandes,
der Betriebe, die insbesondere die Arbeits- und Ausbildungsplätze in diesem Land schaffen. Denn das Institut
für Mittelstandsforschung hat errechnet, dass für ein Unternehmen, das diesen Bürokratiewust bewältigen muss,
pro Arbeitsplatz in einem Großbetrieb 350 Euro und in
einem Kleinbetrieb 4 500 Euro pro Jahr an Belastung anfallen. Das ist eine Ungleichbehandlung der kleinen und
mittleren Betriebe, die nicht länger hingenommen werden kann.
({0})
Deshalb ist der Bürokratieabbau gerade für Handwerk,
Mittelstand und freie Berufe zu einer Überlebensfrage
geworden. Die FDP hat deshalb schon lange einen Bürokratiekosten-TÜV in diesem Hause gefordert. Das ist allerdings nur ein erster Schritt.
Heute diskutieren wir über einen Gesetzentwurf zur
Einsetzung eines Normenkontrollrats. Ich finde es außerordentlich bedauerlich, dass dies wieder nur halbherzig angegangen wird. Herr Kollege Schauerte, die Rede,
die Sie hier gehalten haben, lässt wirklich nichts Gutes
ahnen. Sie haben über die Besetzung des Normenkontrollrats gesprochen und erklärt, Bürokratie könne man
nur mit Bürokraten begegnen. Das ist das Prinzip: Wir
trocknen den Sumpf mit den Fröschen aus, die drin sitzen. Das funktioniert doch nicht.
({1})
Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, dass wir bei der
Zusammensetzung des Normenkontrollrats darauf achten, dass externer Sachverstand einbezogen wird. Das ist
eigentlich so vorgesehen. Ich hoffe, dass es so passiert
und die entsprechenden Persönlichkeiten ausgewählt
werden.
Die Bürokratiekosten, die durch den Normenkontrollrat überprüft werden dürfen, sind auf solche beschränkt,
die sich aufgrund von Informationspflichten ergeben.
Das heißt, so kostenträchtige Beschlüsse wie die Vorverlegung der Fälligkeit der Sozialversicherungsabgaben,
die dazu führt, dass die Betriebe jetzt regelmäßig zwei
Abrechnungen machen müssen - eine am Ende des Monats und eine am Beginn des nächsten Monats -,
({2})
was zu geschätzten Kostenbelastungen in Höhe von 3 bis
5 Milliarden Euro jährlich für Betriebe und Krankenkassen führt, hätten mit diesem Gesetz zum Normenkontrollrat gar nicht erst überprüft werden können. Das kann
doch wohl nicht wahr sein.
({3})
Sie, Herr Schauerte, sagen: Aber es entsteht ein politischer Druck und wenn ein politischer Druck entsteht,
kann man auch etwas anderes überprüfen lassen als das,
was das Gesetz vorsieht. Dann frage ich mich: Warum
schreiben Sie das, wenn Sie es denn wollen, nicht einfach gleich ins Gesetz? Dann hätten Sie es doch gleich
richtig machen können; dann hätte man einen richtigen
Schritt in Richtung Bürokratieabbau gemacht.
({4})
Wir haben, wie das Institut für Mittelstandsforschung
sagt, fünf große Kostenblöcke: zu kompliziertes Steuerbzw. Abgabenrecht, zu kompliziertes Sozialversicherungsrecht, zu kompliziertes Arbeitsrecht, zu kompliziertes Umweltrecht und zu viele Statistiken. Für einen
Großteil dieser Kostenblöcke werden Sie mit diesem Gesetz keine Überprüfung erreichen. Deswegen ist die
Konzeption, die Sie hier vorlegen, alles andere als richtig.
({5})
Damit wird der Normenkontrollrat zu einem zahnlosen
Tiger. Das wird den Betrieben nicht helfen.
({6})
Ich komme zum Schluss. Ich möchte sehr deutlich sagen, dass wir mit dem Normenkontrollrat vielleicht einen ersten Schritt in die richtige Richtung machen. Aber
Sie von den Koalitionsfraktionen haben keinerlei Grund,
sich selbstzufrieden zurückzulehnen. Es bleibt viel zu
tun. Der Normenkontrollrat hat nicht das Recht, alles zu
prüfen, was er für richtig hält. Er bekommt sogar vorgeschrieben, wie er zu prüfen hat. Das alles bleibt weit hinter den Erwartungen zurück.
Deshalb werden wir vonseiten der FDP-Bundestagsfraktion diesem Gesetzentwurf leider nicht zustimmen
können. Weil wir aber deutlich machen wollen, dass wir
eine solche Einrichtung grundsätzlich befürworten, werden wir uns der Stimme enthalten.
({7})
Für die SPD-Fraktion erhält das Wort die Kollegin
Ute Berg.
Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Frau Präsidentin! Herr Röttgen, Sie haben neulich den Normenkontrollrat als Wachhund bezeichnet, der dann bellen
soll, wenn zu hohe Bürokratiekosten drohen. Nun haben
wir gerade gehört, dass dieser so genannte Wachhund
von einigen, zum Beispiel von Ihnen, Frau Homburger,
als zahnloser Tiger bezeichnet wird. Von anderen wird er
als gefährlicher Pitbull an die Wand gemalt.
Ich würde vorschlagen, wir einigen uns auf einen anderen Vergleich, der den Skeptikern vielleicht eher die
Möglichkeit gibt, ihre Angst zu überwinden: Einigen wir
uns auf einen Vergleich mit der Gans. Sie ist bekanntlich
der beste Wächter. Mit heftigen Flügelschlägen und lautem Geschnatter reagiert sie auf Bedrohungen, aber sie
greift niemanden an, der sich ihr nähert.
({0})
Die Vorbehalte gegenüber dem Normenkontrollrat,
die teilweise bestehen, sind, jedenfalls aus meiner Sicht,
unbegründet. Das geplante Gremium hat zwar einen, wie
ich finde, durchaus abschreckenden Namen, ist aber dem
erprobten und bewährten Modell Actal der Niederlande
nachempfunden.
Mit einigen Kolleginnen und Kollegen - das wurde
schon erwähnt - waren wir kürzlich in Den Haag, um
uns dieses Modell direkt vor Ort anzuschauen. Die Niederlande haben mit ihrem Kontrollrat, dem Actal, der
das Standardkostenmodell anwendet, bemerkenswerte
Erfolge erzielt, und alle Fraktionen unterstützen Actal
einmütig.
Noch einmal kurz zur Erinnerung: Die Niederlande
haben gemessen, dass ihrer Wirtschaft jährlich allein
durch Informationspflichten Kosten von mehr als
3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes entstehen. Das
entspricht einem Volumen von gut 16 Milliarden Euro
jährlich. Bei uns wären das hochgerechnet bis zu
80 Milliarden Euro, so die Schätzung von Experten bei
der Anhörung am Montag.
Die niederländische Regierung hat nun beschlossen,
bis zum Jahr 2007 25 Prozent der Belastungen, also etwa
4 Milliarden Euro pro Jahr, abzubauen. Nach ersten
Schätzungen wirtschaftswissenschaftlicher Institute sind
bereits 20 Prozent erreicht. Das heißt aber mitnichten
- auch das wurde hier schon erwähnt -, dass sich die
Wirtschaft sehr zufrieden gezeigt hätte. Ganz im Gegenteil - das haben unsere holländischen Kolleginnen und
Kollegen im Übrigen übereinstimmend berichtet -, es
gab die üblichen Kommentare: nicht schnell genug,
nicht umfassend genug usw. Aber das kennen wir ja:
Verbesserungen werden kommentarlos abgehakt, Folgeforderungen hingegen lautstark erhoben. Davon sollten
wir uns aber nicht demotivieren lassen.
Der Erfolg der Niederlande hat in der Europäischen
Union bereits viele Nachahmer gefunden: Dänemark,
Großbritannien, Schweden, Norwegen und Belgien haben schon mit der Messung von Bürokratiekosten auf
Basis des Standardkostenmodells begonnen. Die
OECD empfiehlt das Modell nachdrücklich.
Auch bei uns soll es nun angewendet werden. Dabei
- das betone ich - werden nur die Kosten gemessen, die
Unternehmen durch Informationspflichten entstehen, die
bundesgesetzlich vorgeschrieben sind, also zum Beispiel
die Kosten, die durch das Erstellen von Berichten, das
Ausfüllen von Anträgen oder das Beibringen von Nachweisen und Belegen entstehen.
Das Messverfahren selbst ist standardisiert, damit
man mit angemessenem Aufwand zu eindeutig zurechenbaren Daten kommen kann. Dadurch wird transparent, wie hoch tatsächlich die Kosten sind, die durch in
Bundesgesetzen und -regelungen enthaltene Informationspflichten entstehen - eine wichtige Voraussetzung,
um wirklich überbordender Bürokratie entgegenwirken
zu können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind uns alle einig: Es ist gut, überflüssige Bürokratie abzubauen. Noch
besser ist es aber, von vornherein zu vermeiden, dass
überhaupt erst unnötige Bürokratie entsteht. Auch dazu
kann der Normenkontrollrat beitragen.
({1})
Ich betone, dass wirklich nur überflüssige Bürokratie
gemeint ist. Es gibt natürlich auch Informationspflichten, die den Unternehmen in der Praxis zwar Umstände
bereiten, die aber notwendig sind und nicht einfach zum
Zweck der Arbeitsentlastung und der Kosteneinsparung
abgeschafft werden sollten. Auch hier wurden schon die
Ängste geäußert, dass zum Beispiel Arbeitsschutzbestimmungen und soziale oder ökologische Regelungen
beeinträchtigt werden könnten.
Diese Furcht ist meines Erachtens unbegründet. Der
Normenkontrollrat hat sich nämlich nicht zu inhaltlichen
Aspekten und zu politischen Fragen zu äußern, sondern
ausschließlich zu überprüfen, welche Belastungen durch
Informationspflichten entstehen. Damit zwingt er die
Regierung, darüber nachzudenken, ob sie ein Gesetzesziel nicht effizienter erreichen kann als ursprünglich geplant. Das ist ausdrücklich gewollt.
Noch einmal: Der Normenkontrollrat ist definitiv
kein politisches Entscheidungs-, sondern ein unabhängiges Beratungsgremium. Die politische Entscheidung, ob
entstehende Kosten notwendig und gerechtfertigt sind,
fällt nach wie vor das Parlament; da sollten wir auch
selbstbewusst an die Sache herangehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere Absicht ist
es, insbesondere kleine und mittlere Unternehmen von
Bürokratiekosten zu entlasten, und zwar mit dem Ziel,
mehr Raum für Investitionen, Wachstum und Arbeitsplätze zu schaffen. Mit dem Normenkontrollrat, wie er
jetzt angelegt ist, haben wir ein Instrument dafür.
Ich wende mich abschließend noch einmal an die, denen das, was wir jetzt beschließen wollen, nicht weit genug geht. Herr Berninger, dass Sie daraus den Schluss
ziehen wollen, jetzt komplett gegen die Einrichtung dieses Gremiums zu stimmen, kann ich absolut nicht nachempfinden.
({2})
Halten Sie es doch mit den Holländern, die die Diskussion in Deutschland nicht begreifen und die auf dem
Standpunkt stehen, dass es wichtig ist, überhaupt anzufangen. Dann kann man peu à peu - durch Erfolg - überzeugen. Weiterentwickeln kann man ein solches System
schließlich immer noch. Packen wir es also einfach an!
Danke schön.
({3})
Für die Unionsfraktion erhält das Wort der Kollege
Franz Obermeier.
({0})
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Es ist
vieles Richtige gesagt worden; nur einiges von der linken Seite ist wenig akzeptabel. „Kosten: keine“ steht in
den meisten Gesetzentwürfen, über die wir in diesem
Hohen Hause beraten, und wenn Kostenermittlungen
oder -aussagen im Gesetzgebungsverfahren gemacht
werden, dann geht es in aller Regel um verwaltungsinterne Kosten, etwa Kosten der Vollzugsbehörden, aber
wenig bis gar nicht um die Kosten derjenigen, die die
Gesetze zu vollziehen haben.
Nun wollen wir heute den Normenkontrollrat installieren. Ich bin überzeugt, dass dieser Normenkontrollrat
allen Unkenrufen zum Trotz substanzielle Wirkung haben kann. Ich möchte mit ein paar Worten auf das eingehen, was Herr Zeil gesagt hat. Herr Zeil, dieses Haus
sollte eigentlich dankbar sein, dass wir diesen Schritt
jetzt gehen.
({0})
Denn wenn man irgendwohin geht, ist es entscheidend,
in welche Richtung man geht, und wir sind uns doch einig, dass die Richtung eindeutig stimmt.
({1})
Lassen Sie uns jetzt bitte nicht darüber streiten, wie wir
den Normenkontrollrat besetzen. Frau Homburger, das
Beispiel mit den Fröschen passt hier nicht so ganz - es
muss so nicht kommen. Herr Zeil, natürlich hätte man
sich einige Dinge klarer wünschen können, aber entscheidend ist immer noch, was wir hier im Parlament aus
der Arbeit des Normenkontrollrats machen.
({2})
Natürlich wissen wir genau, dass die Bürokratie neben
den Kosten, die sie in den zurückliegenden Jahren und
Jahrzehnten verursacht hat, auch eine psychologische
Wirkung auf die Betriebe, auf die Unternehmen, auf die
Entscheidungsträger hat. Wenn junge Absolventen sich
überlegen, ob sie sich mit ihrer Idee selbstständig machen sollen, und sich mit der Bürokratie, die ihnen hier
bevorsteht, vertraut machen, schrecken sie in aller Regel
zurück und arbeiten lieber weiter dort, wo sie bisher gearbeitet haben; so weit zum Wissenschaftsstandort.
Herr Berninger, was Sie hier ausgeführt haben, das ist
schon toll.
({3})
Ich erinnere mich an Ihre Zeit als Regierungsmitglied:
Was Sie in Ihrem Funktionsbereich im Ministerium an
Bürokratiesünden begangen haben, spottet jeder Beschreibung
({4})
und lässt Sie persönlich höchst unglaubwürdig erscheinen, wenn Sie Verbesserungsvorschläge zu diesem Normenkontrollrat machen. Wenn ich Sie sehe, hier im Parlament und draußen,
({5})
dann muss ich immer denken: Draufsatteln! Sie stehen
als Synonym dafür, dass europäische Richtlinien bei der
Umsetzung in deutsche Gesetze mit zusätzlichem Ballast
versehen werden - und jetzt kommen ausgerechnet Sie
daher und machen uns Vorschläge zur Deregulierung.
({6})
Lassen Sie mich noch etwas zur Europapolitik sagen.
Selbstverständlich ist es zwingend notwendig, dass wir
uns frühzeitig in die Rechtsetzungsverfahren der Europäischen Union einbringen und schon frühzeitig auf die
Inhalte der Richtlinien Einfluss nehmen.
({7})
Der Normenkontrollrat wird seine Aufgabe wahrnehmen. Ich hege nicht die Besorgnis, dass es zu einer Übersteuerung kommen wird. Wichtig ist, dass der Normenkontrollrat bei seiner Prüfung, ob die Gesetze, die von
Bundestag und Bundesregierung eingebracht werden,
nachteilige Wirkungen haben, konkret nachvollziehbare
Aussagen macht, die als richtig anerkannt werden können. Die Qualität seiner Arbeit ist meiner Auffassung
nach ganz entscheidend.
Mit der Entbürokratisierung zielen wir natürlich besonders auf die Entlastung der kleinen und mittelständischen Betriebe. Ich als Vertreter der CDU/CSU-Bundestagsfraktion möchte ausdrücklich darauf hinweisen,
dass wir bei diesem Gesetz und bei allen folgenden Gesetzen besonders die Belange der kleinen und mittelständischen Unternehmen im Blick haben; denn vor allem
diese leiden darunter, dass sie mit zusätzlichen Kosten
belastet werden. Sie können nämlich die ihnen übertragenen Aufgaben oft nicht selbst erledigen und müssen
sie an Dritte vergeben. Der Normenkontrollrat sollte besonders die Auswirkungen der Gesetze, die die kleinen
und mittelständischen Unternehmen betreffen, im Auge
haben.
({8})
Ich wünsche dem Normenkontrollrat eine gute Arbeitsaufnahme und hoffe, dass wir hier im Parlament
seine Arbeit positiv begleiten werden.
Vielen Dank.
({9})
Als letzter Redner in dieser Debatte erhält das Wort
der Kollege Dr. Carl-Christian Dressel für die SPDFraktion.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, zu Beginn meiner Rede feststellen
zu können, dass wir alle im Ziel übereinstimmen: Wir
alle wollen, dass Bürokratie in unserem Land reduziert
wird.
Da Verwaltung, wie schon Max Weber feststellte, entweder bürokratisch oder dilettantisch ist, hat die Verwaltung nur dann die Gelegenheit, effizient zu sein, wenn
wir als Gesetzgeber bereits unsere Gesetze auf die Verursachung von Bürokratie hin überprüfen lassen. Die
Verursachung von Bürokratie muss rechtfertigungsbedürftig werden.
Dabei gehen wir mit der Einrichtung eines Normenkontrollrates den richtigen Weg. Er prüft, ob das von der
Regierung eingebrachte Gesetz bei der Verwirklichung
des politisch angestrebten Ziels zu viel Bürokratie hervorruft. Überprüft wird also nicht das politische Ziel,
sondern die Auswirkung des Mittels.
Frau Kollegin Homburger von der FDP, niemand hat
bislang deutlicher gemacht als Sie in Ihrer Rede vorhin,
dass Ihre Zielrichtung nicht die Überprüfung des Mittels
ist, sondern die Überprüfung des politischen Ziels. Sie
wollen eine zwar neutrale, aber nichtsdestoweniger politisch arbeitende Behörde, die die politische Tätigkeit
von Parlament und Regierung überprüft. Das darf es
nicht sein. Für mich ist klar: Was Sie unter Bürokratieabbau verstehen, ist und bleibt der Abbau von Schutzrechten, von Beteiligungsrechten und damit der Abbau
des Sozialstaats insgesamt.
({0})
- Es tut mir Leid, wenn es Sie stört. So, wie Sie stets
denselben Antrag stellen, muss man auf den Antrag immer wieder dieselben Worte entgegnen.
({1})
Kollege Berninger, es wäre wenig hilfreich, wenn wir
jetzt an die Stelle von Bürokratie eine Bürokratieabbaubehörde oder eine ganze Bürokratieabbaubürokratie
setzten. Das wäre nicht zielführend.
Ebenso wenig zielführend ist es, jetzt einige Fallen
aufzustellen:
Meine Damen und Herren, in der Diskussion über den
Gesetzentwurf zur Einsetzung eines Nationalen Normenkontrollrates haben wir ausreichend über verfassungsrechtliche Probleme gesprochen. Ich sage - ich
denke, als Mitglied des Rechtsausschusses muss ich
dazu berufen sein -: Dieser Gesetzentwurf ist und bleibt
verfassungsgemäß; denn die Gewaltenteilung zwischen
der Exekutive und der Legislative und die Organisationsgewalt der Bundesregierung werden nicht eingeschränkt und der Normenkontrollrat ist ausreichend
demokratisch legitimiert, was sich aus § 3 des Gesetzentwurfs ergibt. Wenn wir allerdings, wie teilweise aus
der Opposition gefordert, auch die Gesetzentwürfe aus
den Reihen der Fraktionen dieses Hauses obligatorisch
durch den Nationalen Normenkontrollrat überprüfen ließen, so wären Sie die Ersten - diese Prognose erlaube
ich mir -, die beim Bundesverfassungsgericht wegen einer verfassungswidrigen Einschränkung des Gesetzesinitiativrechts anklopfen würden.
Das Ziel, das wir verfolgen, sollte uns gemeinsam
dazu bringen, diesem Gesetzentwurf zur Einsetzung eines Nationalen Normenkontrollrates zuzustimmen. Dabei geht es nicht um den Abbau von Schutz- und Beteiligungsrechten, sondern um die Einführung einer
Behörde, die aufgrund eines anerkannt erfolgreichen
Verfahrens Gesetze hinsichtlich ihrer bürokratischen
Auswirkungen überprüft und damit eine reale Chance
bietet, die Bürokratie in unserem Land zu mindern.
Meine Damen und Herren des Hohen Hauses, lassen
Sie uns diese gemeinsame Chance nutzen und stimmen
Sie dem Gesetzentwurf bitte zu.
Ich danke Ihnen.
({2})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten
Gesetzentwurf zur Einsetzung eines Nationalen Nor-
menkontrollrats. Dieser Gesetzentwurf findet sich auf
der Drucksache 16/1406.
Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie emp-
fiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/1665, den Gesetzentwurf anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um ihr Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? -
Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zwei-
ter Beratung gegen die Stimmen der Fraktionen Die
Linke und des Bündnisses 90/Die Grünen und bei Ent-
haltung der FDP-Fraktion angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. -
Wer stimmt dagegen? - Wer möchte sich enthalten? -
Damit ist der Gesetzentwurf mit dem gleichen Abstim-
mungsergebnis angenommen.
Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der
Fraktion der FDP auf Drucksache 16/472 mit dem Titel
„Bürokratieabbau - Jetzt sind konkrete Schritte gefragt“.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Wer möchte sich enthalten? - Die
Beschlussempfehlung ist bei Enthaltung der Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen und bei Ablehnung der An-
tragsteller angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 26 a bis 26 q sowie
den Zusatzpunkt 1 auf:
26 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen
Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss
- Drucksache 16/1368 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({0})
Innenausschuss
Finanzausschuss
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Bärbel
Höhn, Volker Beck ({1}), Grietje Bettin, weiteren Abgeordneten und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten EntVizepräsidentin Petra Pau
wurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung
des Teledienstegesetzes ({2})
- Drucksache 16/1436 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({3})
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({4})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Kultur und Medien
Federführung strittig
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 8. Juni 2005 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und
dem Schweizerischen Bundesrat, handelnd im
Namen des Kantons Schaffhausen, über die
Erhaltung einer Straßenbrücke über die
Wutach zwischen Stühlingen ({5}) und Oberwiesen ({6})
- Drucksache 16/1611 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 8. Juni 2005 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und
dem Schweizerischen Bundesrat, handelnd im
Namen des Kantons Aargau, über Bau und
Erhaltung einer Rheinbrücke zwischen Laufenburg ({7}) und Laufenburg ({8})
- Drucksache 16/1612 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
e) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab-
kommen vom 28. Juni 2004 zwischen der Bun-
desrepublik Deutschland und der Republik
Singapur zur Vermeidung der Doppelbesteu-
erung auf dem Gebiet der Steuern vom Ein-
kommen und vom Vermögen
- Drucksache 16/1619 -
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
f) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes
über die Bereinigung von Bundesrecht im Zu-
ständigkeitsbereich des Bundesministeriums
des Innern
- Drucksache 16/1620 -
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
g) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Cornelia Behm, Hans-Josef Fell, Winfried
Hermann, weiteren Abgeordneten und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur
Änderung des Wasserverbandsgesetzes
- Drucksache 16/1642 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({9})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Undine
Kurth ({10}), Bärbel Höhn, Ulrike
Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Einfuhrverbot für Katzen- und Hundefelle
- Drucksache 16/841 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({11})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
i) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Anton Hofreiter, Winfried Hermann, Peter
Hettlich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Öffentlicher Personennahverkehr - Wettbewerb transparent und fair ordnen
- Drucksache 16/1065 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({12})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
j) Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia
Behm, Hans-Josef Fell, Winfried Hermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Verbrennung von Halmgut als Biobrennstoff
in Kleinfeuerungsanlagen neu regeln
- Drucksache 16/1149 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({13})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
k) Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia
Behm, Undine Kurth ({14}), Ulrike
Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
UN-Moratorium für die Grundschleppnetzfischerei auf der Hohen See durchsetzen
- Drucksache 16/1151 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Vizepräsidentin Petra Pau
Verbraucherschutz ({15})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
l) Beratung des Antrags der Abgeordneten HansMichael Goldmann, Patrick Döring, Horst
Friedrich ({16}), weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der FDP
Defizite im Kampf gegen Trunkenheitsfahrten
in der Seeschifffahrt beseitigen
- Drucksache 16/1158 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({17})
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
m)Beratung des Antrags der Abgeordneten Ina
Lenke, Miriam Gruß, Cornelia Pieper, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Flexible Konzepte für die Familie - Kinderbetreuung und frühkindliche Bildung zukunftsfähig machen
- Drucksache 16/1168 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({18})
Finanzausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
n) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-
Michael Goldmann, Dr. Christel Happach-Kasan,
Dr. Edmund Peter Geisen, weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion der FDP
BSE-Testpflichtaltersgrenze anheben
- Drucksache 16/1170 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
o) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sevim
Dagdelen, Karin Binder, Ulla Jelpke, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Für einen Schutz der Opfer von Zwangsverheiratungen, für die Stärkung ihrer Rechte
und die längerfristige Bekämpfung der Ursachen patriarchaler Gewalt
- Drucksache 16/1564 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({19})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
p) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ingbert
Liebing, Enak Ferlemann, Dirk Fischer ({20}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU sowie der Abgeordneten
Dr. Margrit Wetzel, Uwe Beckmeyer, Sören
Bartol, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD
Notschleppkonzept den veränderten Bedingungen der Seeschifffahrt anpassen
- Drucksache 16/1647 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({21})
Innenausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss
q) Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst
Friedrich ({22}), Jan Mücke, Patrick Döring,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Nein zur ÖPNV-Nachfolgeverordnung ({23}) - Chancengleichheit für mittelständische Unternehmen
sichern
- Drucksache 16/1652 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({24})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
ZP 1 Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus
Kurth, Irmingard Schewe-Gerigk, Britta
Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Alternativen zum Heim schaffen - Ambulante
Angebote für Menschen mit Behinderungen
weiterentwickeln und ausbauen
- Drucksache 16/1644 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({25})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach-
ten Verfahren ohne Debatte.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Allerdings ist die Federführung zur Vorlage
auf Drucksache 16/1436 - Tagesordnungspunkt 26 b -
strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der
FDP wünschen, die Federführung beim Ausschuss für
Wirtschaft und Technologie, die Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen wünscht, die Federführung
beim Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Ver-
braucherschutz anzusiedeln.
Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen abstimmen. Wer
stimmt für den Vorschlag zur federführenden Überwei-
sung in den Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft
und Verbraucherschutz? - Wer stimmt dagegen? - Wer
möchte sich enthalten? - Der Überweisungsvorschlag ist
damit abgelehnt.
Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der
Koalitionsfraktionen und der FDP abstimmen. Wer
stimmt dafür, den Gesetzentwurf federführend in den
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie zu überwei-
sen? - Wer stimmt dagegen? - Wer möchte sich enthal-
Vizepräsidentin Petra Pau
ten? - Damit liegt die Federführung beim Ausschuss für
Wirtschaft und Technologie.
Die Vorlage auf Drucksache 16/1642 zu
Tagesordnungspunkt 26 g soll zusätzlich in den Rechts-
ausschuss überwiesen werden. Sind Sie damit einver-
standen? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisun-
gen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 27 a bis 27 k sowie
den Zusatzpunkt 2 auf. Es handelt sich hierbei um
Beschlussfassungen zu Vorlagen, zu denen keine Aus-
sprache vorgesehen ist.
Tagesordnungspunkt 27 a:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes über die Bereinigung von Bundesrecht im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
- Drucksache 16/1290 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
({26})
- Drucksache 16/1633 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Peter Hettlich
Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwick-
lung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/1633, den Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um ihr Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? -
Enthaltungen? - Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter
Beratung einstimmig angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. -
Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetz-
entwurf auch in dritter Beratung einstimmig angenom-
men.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 b auf:
b) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur
Änderung der Bundesnotarordnung
- Drucksache 16/1340 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({27})
- Drucksache 16/1606 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Andrea Astrid Voßhoff
Christine Lambrecht
Mechthild Dyckmans
Jerzy Montag
Der Rechtsausschuss empfiehlt auf Drucksache 16/
1606, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejeni-
gen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um ihr
Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der
Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung einstimmig ange-
nommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. -
Gibt es Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Das ist nicht
der Fall. Damit ist auch dieser Gesetzentwurf in dritter
Beratung einstimmig angenommen.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 27 c:
c) - Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung von Vorschriften des Personenbeförderungsrechts
- Drucksache 16/517 - Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Personenbeförderungsgesetzes und des Allgemeinen Eisenbahngesetzes
- Drucksache 16/1039 - Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Personenbeförderungsgesetzes
- Drucksache 16/1341 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({28})
- Drucksache 16/1685 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Klaus Hofbauer
Heinz Paula
Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwick-
lung empfiehlt unter Punkt I seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 16/1685, den Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um ihr Handzeichen. - Gegenstimmen? - Ent-
haltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Be-
ratung gegen die Stimmen der Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. -
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der
Gesetzentwurf in dritter Beratung gegen die Stimmen
der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen angenom-
men.
Vizepräsidentin Petra Pau
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung zu dem vom Bundesrat eingebrachten
Gesetzentwurf zur Änderung des Personenbeförderungs-
gesetzes und des Allgemeinen Eisenbahngesetzes auf
Drucksache 16/1685. Der Ausschuss empfiehlt unter
Punkt II seiner Beschlussempfehlung, den Gesetzent-
wurf auf Drucksache 16/1039 für erledigt zu erklären.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegen-
probe! - Gibt es Enthaltungen? - Dann ist die Beschluss-
empfehlung angenommen.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zu dem
vom Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurf zur Ände-
rung des Personenbeförderungsgesetzes. Der Ausschuss
empfiehlt unter Punkt III seiner Beschlussempfehlung,
den Gesetzentwurf auf Drucksache 16/1341 für erledigt
zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung?
- Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfeh-
lung ist einstimmig angenommen.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 27 d:
d) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Einführung einer Grundqualifikation und
Weiterbildung der Fahrer im Güterkraft- oder
Personenverkehr
- Drucksachen 16/1365, 16/1613 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
({29})
- Drucksache 16/1655 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Patrick Döring
Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwick-
lung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/1655, den Gesetzentwurf anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen?
- Enthaltungen? - Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter
Beratung einstimmig angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. -
Gegenstimmen? - Gibt es Enthaltungen? - Dann ist die-
ser Gesetzentwurf einstimmig angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 e auf:
e) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über die Bereinigung von Bundesrecht im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums
für Arbeit und Soziales und des Bundesministeriums für Gesundheit
- Drucksache 16/1293 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({30})
- Drucksache 16/1663 Berichterstattung:
Abgeordneter Max Straubinger
Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/1663,
den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung bei einigen Gegenstimmen und einigen Enthaltungen aus der Fraktion Die
Linke angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist in dritter Beratung angenommen, wobei sich das Abstimmungsverhalten der Fraktion Die Linke noch einmal
unwesentlich geändert hat.
({31})
- Sollten Sie die Auszählung verlangen, dann wiederhole ich natürlich die Abstimmung.
({32})
Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Pe-
titionsausschusses. Ich rufe zunächst den Tagesord-
nungspunkt 27 f auf:
f) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({33})
Sammelübersicht 46 zu Petitionen
- Drucksache 16/1512 -
Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? -
Dann ist die Sammelübersicht 46 einstimmig angenom-
men.
Tagesordnungspunkt 27 g:
g) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({34})
Sammelübersicht 47 zu Petitionen
- Drucksache 16/1513 Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist die Sammelübersicht gegen die Stimmen
der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen angenommen.
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({0})
Sammelübersicht 48 zu Petitionen
- Drucksache 16/1514 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dann ist die Sammelübersicht 48 einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 27 i:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({1})
Sammelübersicht 49 zu Petitionen
- Drucksache 16/1515
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Gibt es
Enthaltungen? - Dann ist die Sammelübersicht 49 gegen
die Stimmen der Fraktionen Die Linke, des Bündnisses 90/Die Grünen und der FDP angenommen.
Tagesordnungspunkt 27 j:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({2})
Sammelübersicht 50 zu Petitionen
- Drucksache 16/1516 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Gibt es
Enthaltungen? - Dann ist die Sammelübersicht 50 gegen
die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion
des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 27 k:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({3})
Sammelübersicht 51 zu Petitionen
- Drucksache 16/1517 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dann ist die Sammelübersicht 51 bei Enthaltung
der Fraktion Die Linke angenommen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 2 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zu dem Europäischen Übereinkommen vom
6. November 2003 über den Schutz von Tieren
beim internationalen Transport ({4})
- Drucksache 16/1346 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({5})
- Drucksache 16/1664 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Peter Jahr
Dr. Wilhelm Priesmeier
Hans-Michael Goldmann
Dr. Kirsten Tackmann
Bärbel Höhn
Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/1664, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer
stimmt dagegen? - Möchte sich jemand enthalten? Dann ist der Gesetzentwurf einstimmig angenommen.
Gemäß I 1 b der Richtlinien für Aussprachen zu Themen von allgemeinem aktuellen Interesse hat die Fraktion der FDP im Zusammenhang mit der Antwort der
Bundesregierung auf die dringliche Frage 1 auf Drucksache 16/1645 eine Aktuelle Stunde verlangt.
Ich rufe daher Zusatzpunkt 3 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der FDP
zu den Antworten der Bundesregierung auf
die dringliche Frage 1 auf Drucksache 16/1645
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Niebel für die FDP-Fraktion.
({6})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Bundesregierung war während der Fragestunde leider nicht in der Lage, auf die Fragen der Opposition ausreichend Auskunft zu geben.
({0})
Das verwundert nicht; denn wer in den letzten Wochen
nur die Überschriften in den Zeitungen gelesen hat, hat
bemerkt, dass sich die Mitglieder dieser Regierung intern wie die Kesselflicker streiten. Das ist auch kein
Wunder; denn eine Regierung, die kleine Schritte und
den Kompromiss als Wert an sich definiert hat, kann
sich, wenn überhaupt, nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen. Allein der Versuch, das so genannte Hartz-IV-Fortentwicklungsgesetz einigermaßen
SPD-konform zu gestalten, ist der Grund für den Streit
innerhalb der Regierung darüber, ob die Formulierung
von Frau Bundeskanzlerin Merkel, man wolle eine
grundlegende Überholung durchführen, oder die Formulierung von anderen, man wolle eine Generalrevision
durchführen, der gängige Sprachgebrauch der Regierung
ist.
Der CSU-Vorsitzende, Herr Stoiber, bettelt bei seinen
SPD-Kollegen geradezu, doch wenigstens auf den von
der SPD gestellten Finanzminister, Herrn Steinbrück, zu
hören, der gesagt hat, ebendiese Hartz-Gesetzgebung sei
für den Haushalt von großer Sprengkraft. Diese Aussage
macht natürlich Sinn; denn im Jahre 2005 sind für das
Arbeitslosengeld II 10,4 Milliarden Euro mehr als geplant ausgegeben worden. Wenn sich die Entwicklung
bis April fortsetzt, dann müssen wir im Jahre 2006 mit
3,2 Milliarden Euro Mehrausgaben rechnen. Der SPDVorsitzende Beck kann bei Hartz IV überhaupt keine
finanziellen Probleme erkennen. Der Bürger und unsereins müssen sich schon wundern, warum der Realitätsverlust bei SPD-Vorsitzenden in letzter Zeit so häufig
eintritt.
({1})
Die Hartz-Gesetzgebung litt von Anfang an an einem
dramatischen Konstruktionsfehler: Er besteht darin, dass
man bei der Trägerschaft keine einheitliche Zuständigkeit gewählt hat, dass man nicht - wie es die Union im
Vermittlungsverfahren gefordert und im Wahlkampf versprochen hat - allein die Kommunen in die Zuständigkeit der Betreuung der Langzeitarbeitslosen überführt.
Das hat übrigens auch der Vorsitzende der ChristlichDemokratischen Arbeitnehmerschaft erst heute wieder
in einem Interview mit der „Thüringer Allgemeinen“ gefordert. Es macht nämlich überhaupt keinen Sinn, auch
nur auf den Gedanken zu kommen, man könne irgendwelche Kosten sparen, wenn man zwei Behörden um
eine dritte ergänzt. Der gesunde Menschenverstand sagt
jedem Menschen: Wenn sich zu zwei Behörden eine
dritte dazugesellt, dann wird es teurer und nicht billiger.
Das nicht erkannt zu haben, war der Kardinalfehler Ihrer
Regierung.
({2})
Eine weitere Konsequenz dieses Kardinalfehlers sind
die Verschiebebahnhöfe in den öffentlichen Haushalten.
Dem Bürger kann es vordergründig erst einmal egal sein,
ob aus der Kasse der Bundesagentur oder aus der Kasse
von Herrn Steinbrück gezahlt wird; denn im Endeffekt
hat sowieso er alles zu finanzieren. Das Ergebnis ist,
dass sich die Bundesagentur aufgrund dieses unsäglichen Aussteuerungsbetrags vornehmlich auf die Integration von arbeitsmarktnahen Arbeitslosengeld-I-Empfängern konzentriert. Sie spart vermeintlich dadurch Geld,
dass diese Personen keine Arbeitslosengeld-II-Empfänger werden, übersieht aber, dass die fiskalischen Belastungen für die Gesamtheit dadurch größer werden. Diese
Fehlentwicklung kostet alle tatsächlich bares Geld.
Ein weiteres Problem, das Sie trotz Ihres Streits nicht
lösen, ist, dass nicht zügig gehandelt wird. Herr
Müntefering, Trippelschritte sind das Prinzip dieser Regierung. Die Zeitverluste kosten uns alle Geld. Von Anfang an, schon im Vermittlungsverfahren, ist es doch
selbstverständlich gewesen, dass man auch eine Gegenleistung erwarten kann - sei es nur, sich möglichst
schnell um die Beendigung des Hilfebezugs zu kümmern -, wenn der Steuerzahler eine Leistung finanziert.
Was getan werden muss, bringen Sie erst jetzt auf den
Weg.
Genauso bringen Sie erst jetzt ein Sofortangebot auf
den Weg, obwohl wir das schon im Vermittlungsverfahren gefordert haben. Natürlich muss jeder, der zum Arbeitsamt, zur Bundesagentur oder zu welcher zuständigen Stelle auch immer kommt, sofort ein Angebot
bekommen - idealerweise einen Arbeitsplatz, eine Qualifizierungsmaßnahme oder wenigstens eine gemeinnützige Tätigkeit -, damit er sich ans Nichtstun gar nicht
erst gewöhnt.
Sie streiten und zetern. Herr Heil „glosiert“ die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung, woraufhin die CSU
zur vorzeitigen „Hubertus-Jagd“ bläst. Die Unionsseite
hat beim Antidiskriminierungsgesetz im Endeffekt all
das gemacht, was sie im Wahlkampf verteufelt hat. Die
SPD-Seite hat bei der Mehrwertsteuererhöhung im Endeffekt all das gemacht, was sie im Wahlkampf verteufelt
hat. Diese große Koalition ist vielleicht groß bei der Anzahl der Mandate, die sie hat, aber nicht groß bei der
Problemlösungskompetenz, um die Lebenssituation der
Menschen in diesem Land zu verbessern.
({3})
Die Bürgerinnen und Bürger werden auch eine
schwarz-rote Regierung am Erfolg messen. Jede Regierung bekommt irgendwann ein Etikett. Bei der Regierung Kohl war es das Etikett „Aussitzen“, bei Rot-Grün
war es das Etikett „Nachbessern“, bei Ihnen wird es das
Etikett „Abkassieren“ sein. Das nützt den Menschen in
Deutschland nicht. Das verhindert die Schaffung von
Arbeitsplätzen und sorgt dafür, dass noch mehr Menschen zu Leistungsbeziehern werden und dass Sie, die
Regierung, scheitern - das aber besser heute als morgen.
({4})
Das Wort erhält die Kollegin Ilse Falk für die Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Niebel, ich glaube nicht, dass es in diesem
Fall darum geht, abzukassieren; bei Hartz IV geht es
vielmehr darum, welche Leistungen der Staat denjenigen
gewährt, die staatliche Leistungen benötigen, und zwar
aus Gründen, die er sicherlich nicht in allen Einzelheiten
zu bewerten hat.
Wir haben heute viele Gelegenheiten, über Hartz IV
zu diskutieren. Am späten Nachmittag steht der Entwurf
des so genannten Fortentwicklungsgesetzes auf der Tagesordnung. Deswegen will ich darauf jetzt nicht im
Einzelnen eingehen, auch wenn Sie viele Probleme angesprochen haben, die durch dieses Gesetz gelöst werden sollen. Sie haben gefordert, etwas über unsere Vorstellungen über die Zukunft von Hartz IV zu hören. Das
will ich ernst nehmen.
Bei einem so großen Projekt wie der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe war - das ist
überhaupt nicht anders zu erwarten gewesen - nicht jede
Konsequenz vorherzusehen, auch wenn die FDP da sehr
hellsichtig gewesen ist oder jedenfalls glaubt, es gewesen zu sein. Fortentwicklungen werden immer nötig
sein. Auch ein Nachsteuern wird von Zeit zu Zeit nötig
sein. Nach 15 Monaten mit Hartz IV müssen wir die Erfahrungen aufgreifen und darauf reagieren.
Ein Nachsteuern wird auch weiter nötig sein. Deswegen wissen wir, dass wir mit dem Schritt, den wir heute
mit dem Fortentwicklungsgesetz tun, nicht den letzten
Schritt getan haben werden. Wir müssen das, was im Bereich ALG II/Hartz IV zu beobachten ist, zum Anlass
nehmen, uns sehr gründlich mit bestimmten Entwicklungen und vor allem mit deren Ursachen zu befassen.
Weil wir die Kürzung von Regelleistungen nicht zur
Debatte stellen wollen, müssen wir die Kostenentwicklung an sich analysieren. Der Grundsatz, den wir immer
wieder vertreten, ist: Wirklich Bedürftige müssen sich
auf die Hilfe der Solidargemeinschaft verlassen können.
Aber es kann nicht sein, dass manch einer über staatliche
Leistungen mehr erhält, als er auf dem Arbeitsmarkt
durch Arbeit erzielen würde. Dass dann, wenn zum Beispiel ein Paar mit zwei Kindern eine Nettotransferleistung von 1 643 Euro erhält,
({0})
der Anreiz, Arbeit aufzunehmen, wesentlich reduziert
ist, ist, denke ich, jedem einsichtig.
({1})
Wir müssen also über das Lohnabstandsgebot und die
Verpflichtung zur Arbeit bei Leistungsbezug reden, aber
wir müssen auch darüber reden, was die Ursachen für
die dramatisch gestiegene Zahl von Leistungsbeziehern
sein können, darüber, was in der Gesellschaft möglicherweise falsch läuft. Wir müssen uns fragen, ob der Staat
durch seine Anmaßung, alles für seine Bürger regeln zu
wollen, weil er es - angeblich - besser kann, seine Bürger nicht entmündigt. Wenn das so ist, dann dürfen wir
uns nicht wundern, wenn die Menschen ihre Verantwortung nicht mehr wahrnehmen, weil sie sich nicht als Teil
des Staates sehen, sondern den Staat sogar als ihren Gegner ansehen. Sie beobachten, dass ihnen der Staat immer
mehr nimmt, was sie viel zu oft schon nicht mehr durchschauen können. Sie trachten danach, sich möglichst viel
zurückzuholen. Die Grenze zur Ausnutzung und zum
Missbrauch kann dabei schon mal schnell übersehen
werden. Man beginnt dann tatsächlich, über den Verfall
von Anstand und Moral in der Gesellschaft zu grübeln.
({2})
Dabei werden genau diejenigen in Misskredit gebracht, die sich redlich um Arbeit bemühen und die es für
selbstverständlich halten, dass man sich zunächst in den
natürlichen Verantwortungsbezügen - Ehe, Partnerschaft,
Familie - gegenseitig stützt. Da müssen wir differenzieren - zum Schutz genau derjenigen, die redlich sind.
({3})
In den Gesamtzusammenhang gehört auch die Kombilohndebatte. Die Entwicklung im Bereich der Aufstock- und Ergänzungsleistungen beim ALG II muss in
diese Debatte einfließen. Wir haben im Grunde schon
heute eine Vielfalt von Kombilohnmodellen; das muss
klar gesehen werden.
Die Debatte, die fortzusetzen ist, darf auch die eigentliche Zielsetzung des Förderns und Forderns nicht aus
dem Auge verlieren. Dafür brauchen wir starke Partner
in der Wirtschaft. Diese Partner - auch das gehört in den
Gesamtzusammenhang - brauchen gute Rahmenbedingungen.
({4})
Es gibt also nach der Verabschiedung des Fortentwicklungsgesetzes heute Nachmittag noch viel zu tun.
Das sind wir auch denjenigen schuldig, finde ich, die mit
ihrer Arbeit, mit ihren Steuern und Abgaben unseren Sozialstaat finanzieren.
Danke schön.
({5})
Das Wort hat der Kollege Oskar Lafontaine für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Der Herr Kollege Ramsauer von der CDU/CSUFraktion hat das Gesetz, über das wir jetzt reden, den
größten sozialpolitischen Flop der Nachkriegsgeschichte
genannt. Diese Bezeichnung ist sicherlich so gemeint
gewesen, dass zu viel Geld ausgegeben werde. Für die
Fraktion der Linken möchte ich sagen: Wir reden hier
über den größten sozialpolitischen Kahlschlag der Nachkriegsgeschichte, der gegen die Mehrheit der Bevölkerung in Szene und ins Werk gesetzt worden ist.
({0})
Es ist bedauerlich, dass dieses Parlament auf die vielen Demonstrationen, die gegen dieses Gesetz stattgefunden haben, nicht reagiert hat, als hätten wir es aus
dem Auge verloren, dass dieses Parlament den Auftrag
hat, die Mehrheit der Bevölkerung zu vertreten und entsprechende Gesetze zu machen. Zwei Drittel der Bevölkerung haben diese Gesetze abgelehnt. Heute, nach gut
einem Jahr, können wir sagen, dass diese Gesetze alle
Ziele verfehlt haben, die mit ihnen verbunden waren.
Vergessen Sie nicht das Versprechen, dass 2 Millionen
neue Arbeitsplätze entstehen und die Arbeitslosigkeit
drastisch sinkt. Nichts davon ist erreicht worden.
({1})
Die ganze Philosophie ist auf zweierlei zu reduzieren:
Auf der einen Seite kürzen wir massiv die Leistungen für
die sozial Schwächeren, auf der anderen Seite senken
wir massiv die Steuern für Unternehmen und Reiche,
was zu einem wirtschaftlichen Aufschwung führen soll.
Dieser hat aber nicht stattgefunden. Es ist an der Zeit,
dass die Mehrheit dieses Hauses ihre Politik grundlegend revidiert.
({2})
Ich will nicht, dass in Vergessenheit gerät, dass dieses
Gesetz von Anfang an auf einem grundlegenden Strickfehler beruhte, nämlich dem Zusammenlegen von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe. Es darf nicht in Vergessenheit geraten, dass dieses Gesetz auch zu einer
brutalen Enteignung der älteren Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer führt. Dazu wird leider nichts mehr gesagt; aber das ist der schlimmste Skandal, der mit diesem
Gesetz verbunden ist. Ich sage es noch einmal: Ein
53 Jahre alter Durchschnittsverdiener hat 60 000 Euro in
die Arbeitslosenkassen eingezahlt. Wenn er arbeitslos
wird, bekommt er ein Jahr Arbeitslosengeld und damit
10 000 Euro zurück. Arbeitslosengeld II bekommt er nur
dann, wenn er vorher seine Versicherung verscherbelt,
sein Vermögen angreift, vielleicht sein Haus verkauft
usw. Das ist und bleibt ein ungeheuerlicher Skandal, der
niemals akzeptiert werden kann.
({3})
Wenn es irgendeine Berufsgruppe gibt, bei der man
sich eine solche Enteignung vorstellen kann, dann bitte
ich darum, dass jemand aufsteht und diese Berufsgruppe
nennt. Kann sich irgendjemand vorstellen, dass beispielsweise mit Unternehmen so verfahren würde und
dann in diesem Hause eine Mehrheit aufrechtzuerhalten
wäre?
Dann gab es noch das klägliche Argument, das ich
jetzt wieder höre, man habe das Prinzip einer Versicherung nicht verstanden.
({4})
Nennen Sie mir eine einzige Versicherung - Feuerversicherung, Sachversicherung oder eine sonstige -, bei der
man, wie bei der Arbeitslosenversicherung, 60 000 Euro
einbezahlt, aber nur 10 000 Euro zurückbekommt! Sie
können sich noch so sehr herausreden; das ist kein sozialpolitischer Flop, sondern das ist und bleibt eine einzige sozialpolitische Sauerei, um das einmal in aller
Deutlichkeit zu sagen.
({5})
Meine Damen und Herren, auch bei der wiederholten
Beschwörung der Formel „Fördern und Fordern“ ist eines aus den Augen verloren worden. Ein amerikanischer
Nobelpreisträger, Bob Solow, hat einmal gesagt, die
Hartz-Gesetze hätten vielleicht dann einen Sinn gehabt,
wenn zuerst die Konjunktur in Gang gekommen und
massiv neue Arbeitsplätze entstanden wären und anschließend diese Politik ins Werk gesetzt worden wäre.
Er hat gesagt, es sei ein Grundfehler, Druck auf die Arbeitslosen auszuüben, bevor überhaupt neue Arbeitsplätze geschaffen worden seien. Das gilt nach wie vor:
Die neuen Arbeitsplätze fehlen in weiten Bereichen unserer Gesellschaft; aber der Druck auf die Arbeitslosen
wird immer weiter verstärkt.
({6})
Sie benutzen in diesem Zusammenhang den Begriff
„Redlichkeit“; Sie sagen, man müsse redlich sein gegenüber denen, die Arbeit suchen, und die bestrafen, die
sich nicht in ausreichendem Umfang darum bemühen.
Angesichts des Begriffes der Redlichkeit will ich Sie an
eines erinnern:
({7})
Es ist wahr, dass diejenigen, die Arbeit haben und sehr
gering bezahlt werden, Ressentiments gegenüber denjenigen entwickeln, die keine Arbeit haben und trotzdem
soziale Leistungen beziehen. Jeder, der sich in Wirtshäusern oder sonst wo mit Leuten unterhält, die davon betroffen sind, weiß das. Es ist aber nicht redlich, diese
Ressentiments auszunutzen und zulasten der Arbeitslosen, die keine Arbeit finden, auszuschlachten.
({8})
Nichts anderes tun Sie mit dieser Gesetzgebung und mit
der ganzen Diskussion, es gehe um Kostenexplosion
usw.
Zur Unredlichkeit gehört ebenso, Frau Kollegin, dass
Sie es versäumt haben, die gesamten Ausgaben im sozialen Bereich immer wieder zu saldieren. Es ist unredlich,
auf der einen Seite darauf hinzuweisen, dass die Ausgaben für das Arbeitslosengeld II gestiegen sind, auf der
anderen Seite aber zu verschweigen, dass in demselben
Gesetzesrahmen die Ausgaben für das Arbeitslosengeld I
massiv gesunken sind. Das ist in höchstem Maße unredlich. Sie benutzen diese Unredlichkeit, um immer weiteren Druck auf die Arbeitslosen auszuüben.
({9})
Dass das Ganze ein unredliches Unterfangen ist, sieht
man schon an den Überschriften. Da ist von „Fortentwicklung“ und von „Optimierung“ die Rede. Aber die
Wahrheit ist doch die, dass Sie nach wie vor Ihre gescheiterte Politik fortsetzen und weiterhin Druck auf die
Arbeitslosen ausüben, statt - wie es Ihre Pflicht wäre neue Arbeitsplätze zu schaffen.
({10})
Für die Bundesregierung hat Franz Müntefering das
Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hatte mir
ein DIN-A4-Blatt hingelegt, um das aufzuschreiben, was
diejenigen, die diese Aktuelle Stunde beantragt haben,
zu sagen haben. Herr Niebel, ich habe mir nichts aufschreiben können, weil Sie nichts Neues gesagt haben.
Diese Debatte hätten wir uns also gut und gerne sparen
können.
({0})
Oskar Lafontaines Rede habe ich schon zum zehnten
Mal gehört. Sie wird dadurch, dass er sie so oft hält, aber
nicht wahrer. In Sachen Agitation war er auch schon einmal besser.
Ich will versuchen, die Dinge wieder auf die Beine zu
stellen und deutlich zu machen, um was es in dieser Debatte geht. Eine der zentralen Aufgaben der Politik in
Deutschland ist es, dafür zu sorgen, dass die Arbeitslosigkeit reduziert wird und dass mehr Menschen Arbeit
haben.
({1})
Dafür steht diese Koalition; da versuchen wir voranzukommen.
({2})
Wir haben ein Programm mit einem Volumen von
25 Milliarden Euro aufgelegt. Das hilft offensichtlich,
dem Wachstum, das wir im Moment haben, zusätzlichen
Rückenwind zu geben.
Was ist die Situation im Augenblick? Wir merken,
dass am Arbeitsmarkt die Dinge in Bewegung sind.
({3})
Ich wundere mich da wirklich über Herrn Niebel. Er beschwert sich darüber, dass sich die Bundesagentur darum
bemüht, die Zahl der Empfänger von Arbeitslosengeld I
zu reduzieren, indem die Arbeitslosen schnell wieder
vermittelt werden. Die Bundesagentur hat doch Anfang
des Jahres gesagt, dass es in diesem Jahr einen Überschuss von 1,8 Milliarden Euro gibt. Jetzt wissen wir,
dass dieser Überschuss 4,5 oder sogar 5 Milliarden Euro
betragen wird. Vielleicht sind es sogar 6 Milliarden
Euro.
Wieso ist das so? Die Bundesagentur nimmt mehr
Geld ein, weil wieder mehr Beiträge in die Arbeitslosenversicherung gezahlt werden. Das ist dann der Fall,
wenn mehr Menschen arbeiten, sei es auch mit mehr
Überstunden. Mit anderen Worten: Es fallen immer weniger Menschen in den Bereich des Arbeitslosengeldes I
und die, die in diesem Bereich sind, kommen schneller
wieder heraus. Das wollen wir. Es ist gut, dass es eine
Bewegung am Arbeitsmarkt gibt; denn das wirkt sich
positiv auch auf den Bereich des Arbeitslosengelds II
aus.
({4})
Im SGB II ist der Auftrag enthalten, zu vermitteln, zu
qualifizieren und zu betreuen. Eines müssen alle die, die
wollen, dass die Intention des Gesetzes verwirklicht
wird, im Blick behalten: Hartz IV ist etwas anderes als
Sozialhilfe. Es geht nicht darum, dass sich die Menschen
dauerhaft in der Sozialhilfe einrichten. Es geht vielmehr
darum, Wege zu suchen, die Menschen zu qualifizieren
und in Beschäftigung zu bringen. An diesem Ziel arbeiten wir. Dass man dafür Zeit braucht, ist völlig unbestritten. Man braucht natürlich auch Arbeitsplätze, um die
Menschen vermitteln zu können. Aber auch da sind wir
ein gutes Stück vorangekommen.
Es war richtig, dieses SGB II auf den Weg zu bringen
und dafür zu sorgen, dass Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zum Arbeitslosengeld II zusammengelegt werden.
Wir sind uns aber alle einig darin, dass es Probleme gab,
als es um die Frage ging, wie man diese komplexe Operation umsetzt. Mit den Regelungen für Argen und für
optierende Gemeinden sind Konstruktionen entstanden,
die hoch labil sind. Das darf man aber nicht denen vor
die Tür kippen, die täglich damit zu tun haben. Die Politik muss vielmehr versuchen, die Schwachstellen zu reparieren. Daran arbeiten wir. Wir müssen ohne Zweifel
dafür sorgen, dass wir an dieser Stelle besser werden.
({5})
Was machen wir im Augenblick? Wir haben mit dem
SGB-II-Änderungsgesetz und dem SGB-II-Fortentwicklungsgesetz das erreicht, was wir innerhalb der Koalition
vereinbart haben, nämlich im nächsten Jahr 3,8 bis
4 Milliarden Euro zu sparen. Ich sage: verantwortbar zu
sparen.
({6})
Davon ist der Regelsatz des Arbeitslosengelds II nicht
betroffen. Er bleibt bei 345 Euro für die erste Person und
80 Prozent davon für die zweite Person. Für Kinder gibt
es 207 Euro. Wohnkosten werden erstattet. Das Auto
und die angesparten Beiträge für die Riesterrente werden
nicht berücksichtigt. Diese Größenordnung lässt sich
sehr wohl verantworten. Das soll auch in Zukunft so
bleiben.
({7})
Wie gesagt: Wir werden im nächsten Jahr 3,8 Milliarden
bis 4 Milliarden Euro an dieser Stelle sparen.
Wir werden in diesem Herbst die Debatte über den
Niedriglohnbereich zu führen haben. Es geht um die
Frage: Was kann mit Kombilohn oder mit Mindestlohn
gesetzlicher oder tariflicher Art eigentlich bewirkt werden? Wie wirken eigentlich Mini- und Midijobs? Was ist
in diesem Bereich eigentlich los? Wir wollen nicht, dass
die Menschen in Niedriglöhne bzw. in sittenwidrige
Löhne durchrutschen. Wir wollen, dass hier Stabilität
herrscht.
Bei dieser Gelegenheit werden wir in der Koalition
auch darüber sprechen und Vorschläge dazu machen, wie
sich das Ganze zum SGB II bzw. zum gesamten Hartz-IVBereich verhält. Man kann den Niedriglohnbereich nicht
vernünftig regeln, ohne zu überlegen: Welchen Bezug
hat das eigentlich zu Hartz IV bzw. zum SGB II? Welche
Dinge sind an dieser Stelle zu entscheiden? Das regeln
wir miteinander in diesem Herbst.
({8})
Wir werden - auch das ist vereinbart - einen neuen
Anlauf machen, in Bezug auf die Argen für eine klare
Situation zu sorgen. Der Bund ist Leistungsträger. Wir
geben 10 Milliarden Euro an die Argen, mit denen sie
ihre Verwaltungskosten und Eingliederungshilfen finanzieren. Deshalb muss der Leistungsträger Bund über den
Gewährleistungsträger Bundesagentur für Arbeit Einfluss darauf nehmen, dass die Gelder, die bei den Argen
ankommen, vernünftig und effizient eingesetzt werden,
sodass möglichst vielen Menschen geholfen werden
kann. Das ist das Ziel, das wir damit verbinden. Da müssen wir besser werden.
Ich sage hier vorweg: Es kann nicht im Interesse der
Menschen sein, wenn das eine oder andere Land glaubt,
mit Bundesmitteln seinen Ruhm mehren zu können.
({9})
Wir als Bundesregierung und Sie als Bundestagsabgeordnete sind verantwortlich dafür, dass die 10 Milliarden
Euro, die wir für Verwaltungskosten und Eingliederungshilfen an die Argen geben, nach den Modalitäten,
die wir bestimmt haben, ausgegeben werden. Wir müssen den Geschäftsführern in den Argen und den optierenden Gemeinden helfen und dafür sorgen, dass das so
abgewickelt werden kann, dass es zu vernünftigen Ergebnissen führt.
({10})
Darüber werden wir miteinander zu sprechen haben.
Wir werden im Jahre 2007 - auch das steht im Koalitionsvertrag - die Instrumente des Arbeitsmarktes neu
schärfen. Als wir den Koalitionsvertrag vorbereitet haben, haben wir festgestellt - alle anderen wissen das -:
Es gibt auf dem Arbeitsmarkt zwar eine große Zahl an
Instrumenten. Aber nicht alle sind kompatibel und wirklich aufeinander abgestimmt. Deshalb müssen wir an
dieser Stelle besser werden. Das steht nach gemeinsamer
Vereinbarung im Koalitionsvertrag auf dem Prüfstand.
Im nächsten Jahr werden wir aus einer Wirkungsanalyse
die nötigen Konsequenzen ziehen.
Es wurde zudem festgelegt, dass im Jahre 2008 die
Evaluierung zu Hartz IV - Argen oder optierende Gemeinden? - abgeschlossen wird. Dann wird entschieden,
wie diese Dinge auf dem langen Weg zu regeln sind. An
dieser Stelle ist keinerlei Hektik nötig. Alle Schritte sind
vereinbart worden. Sie sollten einmal den Koalitionsvertrag lesen. Das haben Sie offensichtlich nicht getan;
sonst wüssten Sie, dass wir ein Konzept bzw. einen Plan
haben, wie wir das Ganze angehen, und uns in unserem
Zeitplan befinden. Es gibt keinen Grund, uns voranzutreiben.
({11})
Die letzte Minute meiner Redezeit möchte ich dazu
nutzen, etwas zu der angeblichen Kostenexplosion zu
sagen. Im Dezember letzten Jahres haben wir in einer
Größenordnung von etwa 1,75 Milliarden Euro Arbeitslosengeld II gezahlt. Im Januar waren es etwa 2,4 Milliarden. Offensichtlich ist das bei einigen zu einem Missverständnis geraten. Wenn Sie sich die Entwicklung des
zweiten Halbjahres 2005 ansehen, erkennen Sie, dass in
diesem Halbjahr Arbeitslosengeld II in einer Größenordnung von durchschnittlich 2,15 Milliarden Euro pro Monat gezahlt wurde. Im Januar waren es 2,45 Milliarden,
weil die Ausgaben zuvor im Dezember zum Jahresabschluss stark gesunken sind. Im Februar waren es
2,25 Milliarden. Im März waren es 2,25 Milliarden. Im
April waren es 2,25 Milliarden und nicht mehr.
All die Geschichten, die im Moment erzählt werden
nach dem Motto „Das Ding explodiert“, können nur davon kommen, dass irgendjemand nicht genau hinschaut.
Es ist nicht so, dass die Kosten an dieser Stelle explodieren. Es gibt eine leichte Anhebung; aber das bewegt sich
in der Größenordnung von 5 Prozent.
({12})
- Ich spreche hier zu allen und natürlich in ganz besonderer Weise zu Herrn Westerwelle.
({13})
Ich will damit nur klarstellen: Was die Entwicklung
der Kosten im Bereich des Arbeitslosengeldes II angeht,
so ist auch dies unter Kontrolle. An dieser Stelle findet
keine Kostenexplosion statt.
({14})
Wir werden darauf zu achten haben, dass die Gelder, die
zur Verfügung stehen, so eingesetzt werden, dass möglichst viele Menschen über die Vermittlung und die Qualifizierung davon profitieren und letztlich Arbeit bekommen. Es täte uns allen miteinander gut, wenn wir die
Entwicklung, dass sich am Arbeitsmarkt etwas bewegt
und viele Leute in diesem Lande Zuversicht gewinnen,
nicht kaputtreden, sondern den Leuten sagen: Es gibt
eine Chance. Es wird besser. Ihr werdet sehen, in diesem
Jahr gibt es am Arbeitsmarkt eine gehörige Bewegung.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({15})
Das Wort hat der Kollege Fritz Kuhn für die Fraktion
des Bündnisses 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn
man im Land genau hinschaut und hört, wie im Zusammenhang mit Hartz IV auf der einen Seite von einer riesigen Missbrauchskultur und auf der anderen Seite von
Armut per Gesetz gesprochen wird, muss man sich die
Frage stellen, ob dabei nicht vielleicht mit ideologischen
Positionen argumentiert wird.
({0})
Zu dem, was Oskar Lafontaine gesagt hat, will ich nur
eine Bemerkung machen: Wenn Sie sich hierhin stellen
und sagen, alle würden jetzt schlechter gestellt,
({1})
haben Sie offenbar den alten Sozialstaat nicht gekannt.
Viele Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger, vor
allem Frauen, werden durch das Zusammenlegen von
Arbeitslosen- und Sozialhilfe massiv besser gestellt, vor
allem weil sie plötzlich Zugangsrechte zu Qualifikationsmaßnahmen am Erwerbsarbeitsmarkt haben. Aber
das stört Sie offensichtlich bei der Kultivierung Ihres eigenen einfachen Weltbilds.
({2})
An die Union gerichtet möchte ich eines sagen: Sie
demonstrieren hier jetzt den Schulterschluss in der Koalition.
({3})
Tatsächlich aber findet etwas anderes statt: Stoiber,
Laumann, Koch und wie sie alle heißen führen eine
Missbrauchsdebatte,
({4})
tun so, als hätten sie von Hartz IV nichts gewusst. Im
Vermittlungsausschuss jedoch waren alle vorne mit dabei, auch Ihr Fraktionsvorsitzender, Herr Kauder. Jetzt
versuchen Sie, alles, was schief läuft, auf die Seite des
Koalitionspartners zu schieben und sich einen schlanken
Fuß zu machen.
({5})
Ich finde daran eines unerträglich: Was Sie in Ihrer
Koalition veranstalten, könnte mir ja egal sein. Sie tun
dies aber zulasten der Dauerarbeitslosen; denn Sie spielen ein unredliches politisches Spiel mit den Behauptungen, dass die Dauerarbeitslosen das soziale Sicherungssystem missbrauchen würden. Ich fordere Sie auf, diese
Kampagne sein zu lassen, sonst werden Leute wie
Stoiber zum Problem in dieser Diskussion.
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, hier halten Sie besonnene Reden, tatsächlich aber greifen Sie auf der Ebene
der Länder zulasten der Arbeitslosen an.
Jetzt will ich einmal sagen, was okay ist und was noch
schief läuft. Hierüber müssen wir klar reden, Herr
Müntefering. Gut und richtig war die Zusammenlegung
der beiden sozialen Sicherungssysteme Arbeitslosenund Sozialhilfe. Das ist keine Armut nach Gesetz, sondern die Voraussetzung für eine vernünftige Grundsicherung in Deutschland. Was aber noch nicht funktioniert,
ist das Fördern. Die Förderhilfen für die Arbeitslosengeld-II-Empfänger wurden im letzten Jahr nur zur Hälfte
ausgeschöpft. In diesem Jahr wird es wieder so sein. Es
gibt zu wenig konkrete Maßnahmen für die Langzeitarbeitslosen; die Vermittlung über die Arbeitsagenturen
- egal nach welchem Modell - funktioniert noch nicht
richtig.
({7})
Wenn ein Arbeitsloser auch nach Monaten noch keinen
Fallmanager gesehen hat, also auch kein Angebot bekommen konnte, kann man nicht sagen, dass sich die
Förderkultur, die elementarer Bestandteil der Hartz-Gesetzgebung ist, in Deutschland bereits entfaltet hat.
({8})
Herr Müntefering, deshalb fordere ich Sie auf, die
Mittel für die Durchführung der Fördermaßnahmen, die
im Etat vorgesehen sind - zum Beispiel, um Menschen,
die dauerhaft gehandikapt sind, wieder in Arbeit zu bringen -, tatsächlich auszuschöpfen. Die Bundesagentur für
Arbeit hockt auf diesen Mitteln und versucht sie einzusparen. Sie können mir nicht erzählen, dass dies nicht ein
verdecktes Spiel ist, bei dem Sie nicht mitmachen. Sie
müssen das Fördern jetzt endlich auf den Weg bringen,
sonst wird aus dieser Geschichte nichts.
({9})
Des Weiteren müssen wir an die zu hohen Lohnnebenkosten ran, vor allem im Niedriglohnsektor. Wir haben ein Progressivmodell vorgeschlagen, also die Lohnnebenkosten bis zu einer bestimmten Grenze massiv zu
senken. Wenn Sie wirklich einen Schub in Richtung der
Verringerung der Arbeitslosenzahlen leisten wollen,
müssen Sie die Lohnnebenkosten im nächsten Jahr senken. Statt mit der Mehrwertsteuererhöhung Haushaltslöcher zu stopfen, sollten Sie in diesem Bereich tätig
werden - damit Leute mit geringerem Einkommen insgesamt wieder eine Chance bekommen.
({10})
Nun zu der Frage „Kommunen oder Arbeitsgemeinschaften?“. Hier muss man schauen, wer im Wettbewerb
der Systeme besser ist, aber nicht mehr allzu lange. Ich
stelle die Frage, ob der Zeitplan - 2008 - wirklich noch
zumutbar ist. Ich will auch noch einmal an die Union sagen: Es war die Union, die im Vermittlungsausschuss
dieses Kuddelmuddel mit den verschiedenen Systemen
ausgelöst hat.
({11})
Diese Uneinheitlichkeit macht es heute so schwer, zu der
besten Lösung insgesamt zu kommen.
Ich möchte zusammenfassen: Es ist richtig, dass wir
uns endlich in Richtung einer Grundsicherung in
Deutschland bewegt haben. Es gibt viele Defizite vor allem beim Fördern. Wir müssen auch den Menschen, die
auf Dauer arbeitslos sind und mehrere Handicaps haben,
eine zusätzliche, neue Chance geben. Deswegen sage
ich: Es gibt keine Missbrauchskultur, sondern es gibt gegenwärtig vor allem ein massives Defizit beim Fördern.
Es ist Ihre Aufgabe, Herr Müntefering, nicht nur zu
schauen, nachzudenken und zu diskutieren, sondern vor
allem dieses Defizit beim Fördern jetzt endlich zu beheben.
({12})
Das Wort hat der Kollege Dr. Ralf Brauksiepe für die
Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die FDP hat aus der Fragestunde heraus nach zweitägigem Überlegen „spontan“ diese Debatte entwickelt. Das
ist legitim. Sie können uns in der Tat einen Vorwurf machen: Wir als große Koalition lösen nicht alle Probleme
gleichzeitig. Wir lösen sie vielmehr Schritt für Schritt.
Wir haben das SGB-II-Änderungsgesetz mit umfangreichen Maßnahmen vorgelegt und wir legen heute das
SGB-II-Fortentwicklungsgesetz mit rund 70 weiteren
Maßnahmen vor. Wir erledigen damit all das, was wir
uns im Koalitionsvertrag zur Verbesserung von Hartz IV
vorgenommen haben. Das machen wir Schritt für Schritt
und wir sind im Plan.
Sehr wohl nehmen wir zur Kenntnis, welche Entwicklungen sich vollziehen. Wir nehmen natürlich zur Kenntnis, dass der Bundesfinanzminister erklärt hat, dass das
SGB II ein Haushaltsrisiko sei und man weiter darüber
reden müsse. Deswegen werden wir das tun. Diese Debatte findet statt. Gleichzeitig lösen wir aber Schritt für
Schritt die Probleme, die sich stellen, so wie wir uns das
vorgenommen haben. Deswegen haben wir heute mit
dem SGB-II-Fortentwicklungsgesetz eine Menge auf
den Weg zu bringen. Wir werden weiter daran arbeiten.
Seien Sie ganz entspannt.
Der Kollege Kolb hat einmal gesagt, wir säßen an einzelnen Gesetzen länger, als er angemessen finde, und gefragt, wie das erst werden solle, wenn die Materie
schwieriger werde. - Seien Sie unbesorgt. Wir haben das
SGB-II-Fortentwicklungsgesetz zustande gebracht
- dies wird zu erheblichen Verbesserungen führen - und
wir werden auch die anderen Probleme lösen. Der Bundesfinanzminister kann sich auf die CDU/CSU-Fraktion
verlassen, wenn es darum geht, den Haushalt aufzustellen. Seien Sie ganz unbesorgt, Herr Kollege.
({0})
Nun wird heute das eine Thema mit dem anderen vermengt. Mehrere Vorredner haben so geredet, als wären
wir schon mitten in der Debatte über das SGB-II-Fortentwicklungsgesetz. Ich will hier auf einige Fakten hinweisen, um einen Teil dessen zurechtzurücken, was Herr
Lafontaine hier fälschlicherweise gesagt hat. Wir haben
für Leistungen an die ehemaligen Arbeitslosenhilfe- und
Sozialhilfeempfänger im Jahr 2005 im Vergleich zum
Jahr 2004 - das war das Jahr vor Hartz IV - 7 Milliarden Euro mehr ausgegeben.
({1})
Deswegen leben die Menschen nicht in Saus und Braus.
Das ist wahr. Aber wie man erzählen kann, 7 Milliarden
Euro mehr für die Menschen bedeuteten den sozialen
Kahlschlag, ist mir unverständlich. Das muss marxistische Dialektik sein, die sich seriösen Menschen nicht erschließen kann.
({2})
Wir haben an Leistungen im SGB II neben dem häufig zitierten Regelsatz die Kosten der Unterkunft, den
befristeten Zuschlag und die Hinzuverdienstmöglichkeiten berücksichtigt. Wir haben ein Schonvermögen, das
im Gegensatz zu dem, was Herr Lafontaine gesagt hat,
natürlich Lebensversicherungen - auch Riesterrentenprodukte - umfasst, genauso wie selbst genutztes angemessenes Wohneigentum. Herr Lafontaine, Sie dürfen
nicht davon ausgehen, dass jeder wie Sie in einem Palast
lebt. Das normale angemessene Wohneigentum, das die
Menschen haben, ist auch bei Hartz IV, im SGB II, geschützt.
({3})
Wir haben im Gegensatz zum früheren System der Sozialhilfe die Menschen in die Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung einbezogen. Daran wird nicht gerüttelt.
All diese Ansprüche bleiben durch das SGB-II-Fortentwicklungsgesetz vollkommen unangetastet.
Was passiert nun tatsächlich? Im Bericht des Bundesrechnungshofes heißt es:
Mit Blick auf die unbefriedigende Abschlusspraxis
von Eingliederungsvereinbarungen ... sollte der Gesetzgeber die rechtlichen Möglichkeiten für den
Eintritt einer leistungsrechtlichen Sanktion bei einem ungenehmigten Aufenthalt außerhalb des zeitund ortsnahen Bereichs erleichtern und die Rolle
der Grundsicherungsstellen stärken.
Genau das, was uns der mit Steuergeldern finanzierte
Bundesrechnungshof empfiehlt, tun wir. Der Rechnungshof ist dafür da, dass er uns Empfehlungen gibt.
Wir als Gesetzgeber dürfen diese nicht einfach abheften,
sondern wir müssen die Empfehlungen umsetzen. Das
machen wir.
({4})
Das hat nichts damit zu tun, dass die Leute ihren Aufenthaltsort nicht verändern dürfen. Aber wer sich arbeitslos
meldet, erklärt damit, dass er dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht und er arbeiten will. Das heißt nicht, dass er
jeden Tag rund um die Uhr da sein muss. Es kann aber
nicht angehen, dass er drei Viertel des Jahres nicht erreichbar ist. Das ist Missbrauch von Geldern und das
machen wir nicht mit.
({5})
Ich möchte noch einen Punkt anführen. Es ist wahr,
dass wir in Deutschland immer noch zu wenig Arbeit haben, obwohl es jetzt den höchsten Rückgang der Arbeitslosigkeit in einem Mai seit der Wiedervereinigung gab.
Allerdings ist die Lage nach wie vor regional sehr unterschiedlich. In dem Land, das von Edmund Stoiber regiert
wird, wie auch in Baden-Württemberg haben wir in weiten Regionen annähernd Vollbeschäftigung.
({6})
Ganz anders sieht es da aus, wo Sie die Verantwortung
tragen, insbesondere in Mecklenburg-Vorpommern. Das
ist wahr.
({7})
Worum geht es bei den Sanktionen, von denen wir
sprechen? Wir müssen dafür sorgen, dass mehr Menschen Arbeit haben. Deshalb: Wer dreimal im Jahr ein
Angebot bekommt und dreimal sagt: „Nein, Arbeit will
ich nicht! Ich lebe lieber von dem, was andere erarbeiten!“, und das in einer Zeit, in der Millionen Menschen
keine Arbeit haben, der bedarf der Hilfe offenbar nicht
und der kann, um das ganz deutlich zu sagen, nicht geschützt werden.
({8})
- Wofür treten Sie denn ein? Jedenfalls nicht für die Arbeitnehmer, nicht für die Arbeitslosen und nicht für die
Hilfsbedürftigen. Mit denen machen Sie sich hier nicht
gemein. Für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer,
für die sozial Schwachen, für die Hilfsbedürftigen und
für die Arbeitslosen machen wir Politik. Das werden wir
weiterhin betreiben.
({9})
Das Wort hat der Kollege Peter Haustein für die FDPFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Der Werbeslogan der sächsischen FDP war
„Herz statt Hartz“. Wir haben das Problem aufgegriffen
und sind erstaunlicherweise mit vier Sachsen in den
Bundestag gekommen.
({0})
In der letzten Legislaturperiode haben wir diesem Regelwerk - mit Ausnahme der Optierung - zugestimmt.
Wir halten das Gesetz nur in den Teilen für richtig, in denen es um die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe
und Sozialhilfe geht. Der Gedanke des Förderns und
Forderns kommt zu kurz. Derjenige, der arbeitet, muss
mehr verdienen, als derjenige, der zu Hause bleibt.
({1})
Wir haben damals gesagt: Das ist ein erster Schritt;
dabei kann es nicht bleiben. Leider ist aber wieder einmal das eingetreten, worunter dieses Land stöhnt und
worunter wir alle leiden: Es wird mit alchimistischen
Methoden an einem Gesetz herumexperimentiert, anstatt
mit einem mutigen Schritt umzusteuern, solange der
Staat überhaupt noch Zeit dazu hat.
({2})
Das, was einmal als „Mutter aller Reformen“ - von
Wolfgang Clement so genannt - gestartet war, hat bei
den Menschen eine Unsicherheit ausgelöst, von der ich
Ihnen erzählen will. Ich bin Bürgermeister von Deutschneudorf im Erzgebirge. Wenn die Menschen zu mir kommen, erlebe ich, dass die Leute verunsichert sind, Angst
haben und nicht weiter wissen. Sie fühlen sich, obwohl
wir Milliarden ausgeben, ungerecht behandelt - und das
zu Recht; denn wir nehmen den Arbeitnehmern das Ersparte weg, was sie fürs Alter brauchen. So sieht es doch
aus. Kommen Sie einmal aufs Land. Kommen Sie einmal an die Basis. Schauen Sie sich an, was dieses Gesetz
gemacht hat!
Das grundlegende Problem ist: Wir brauchen einen
Politikwechsel und eine durchgreifende Steuerreform,
anstatt die Verwaltung der Arbeitslosigkeit mit Milliardenbeträgen zu finanzieren.
({3})
Anstatt mit mutigen Schritten umzusteuern, um die Probleme an der Wurzel zu bekämpfen, geben wir einen
Haufen Geld aus, um die Arbeitslosigkeit einfach nur zu
verwalten. Wir brauchen mehr Arbeitsplätze. Was haben
wir aber getan? Wir haben eine Ökosteuer eingeführt,
die dazu geführt hat, dass die Betriebe ins Ausland abgehauen sind. Zudem gehen die Investitionen der Städte
und Gemeinden drastisch zurück. Auch das verhindert,
dass Arbeitsplätze entstehen. Die Kosten bei Hartz IV
explodieren. Auf der anderen Seite zahlen wir über
50 Milliarden Euro an das Arbeitsamt, was jetzt BA
heißt. Sie verwalten die Arbeitslosigkeit, schaffen aber
keine Arbeitsplätze. Daran krankt unsere Politik.
({4})
Die FDP ist der Überzeugung, dass die Probleme nur
dezentral und regional zu lösen sind, nicht in einer zentralistischen Mammutbehörde.
({5})
Das Übel scheint eher die Staatsgläubigkeit zu sein, der
Glaube, man könne totale soziale Sicherheit mit absoluter Einzelfallgerechtigkeit erzeugen. Dabei verzettelt
man sich im Klein-Klein, ohne es zu merken. Wir müssen uns Gedanken darüber machen, wie wir Synergien
zur Schaffung von Arbeitsplätzen freisetzen.
({6})
Wir diskutieren darüber, ob arbeitslose Jugendliche mit
25 eine Wohnung bezahlt bekommen, anstatt uns zu fragen, wieso diese Jugendlichen überhaupt arbeitslos sind.
Das ist das Problem. Von der Lehrstellenproblematik
möchte ich gar nicht sprechen.
Hartz IV produziert Angst vor dem sozialen Abstieg.
Ich erlebe das täglich bei Gesprächen in meinem Ort.
Das kann so nicht richtig sein. Wir geben auf der einen
Seite Milliarden Euro aus und auf der anderen Seite
haben die Menschen Angst vor der Zukunft. Das kleine
Pflänzchen Konjunkturerholung werden wir nächstes
Jahr mit der Mehrwertsteuererhöhung zusammenkloppen. Auch das ist nicht richtig.
({7})
Die ganze Verunsicherung der Menschen in dieser
Weise ist nicht richtig. „Herz statt Hartz“ - das war unser Werbeslogan. Das halte ich für richtig. Wir könnten
Milliarden Euro mit einer Dezentralisierung des Arbeitsamtes einsparen
({8})
und das Geld investieren. Das würde Arbeitsplätze
schaffen. Dann würden die Probleme vor Ort gelöst und
nicht in einer zentralen Mammutbehörde.
In diesem Sinne ein herzliches Glückauf und vergessen Sie nicht: Hartz mit Herz.
({9})
Das Wort hat der Kollege Klaus Brandner für die
SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Die FDP bringt uns heute Morgen in
den Genuss, ein ganz besonderes Thema, das SGB-IIÄnderungsgesetz und die Veränderungen der Arbeitsmarktpolitik, zu besprechen. Ich will mich dafür bedanken, weil uns das hier die Gelegenheit gibt, auf manche
Diffamierungen und Verunglimpfungen einzugehen. Sie
verlängern ja damit die Debattenzeit, die wir zu diesem
Thema für heute Nachmittag vorgesehen haben.
Sie haben dabei, glaube ich, schnell festgestellt, dass
sich die Regierung in den politischen Ansichten sehr einig ist.
({0})
Vizekanzler Müntefering hat das in seiner Rede hier
deutlich gemacht. Wie ich mich erinnern kann, liebe
Kollegen von der FDP, sind die Herren Rüttgers und
Stoiber immer noch nicht in der Regierung, und deshalb
sind sie auch keine geeigneten Personen, die Sie zitieren
können, um die Regierungspolitik zu kritisieren.
({1})
Wir haben natürlich im Auge, dass die Arbeitslosigkeit
systematisch zurückgeführt wird.
({2})
Die Entwicklung der Zahl der Arbeitslosen zeigt sich positiver, als manche Debattenredner es hier darstellen
wollen. 255 000 Arbeitslose weniger! Wir sind auf gutem Weg.
({3})
Ich habe davon gesprochen, dass diese Aktuelle
Stunde die Gelegenheit bietet, Verunsicherung abzubauen. Kollege Lafontaine hat, wie ich finde, das Solidarsystem in einer Art und Weise in Misskredit gebracht,
wie man es hier so nicht einfach stehen lassen kann.
({4})
Wenn er davon spricht, die Enteignung der älteren Arbeitnehmer im Rahmen der Arbeitslosenversicherung sei
vorangetrieben worden, dann zeigt er, dass er die Situation nicht verstanden hat, die über Jahrzehnte auf dem
Solidargedanken aufgebaut worden ist, dass diejenigen,
die in Arbeit sind, Beiträge für diejenigen leisten, die aus
dem Arbeitsprozess heraus sind. Es geht hier nicht um
eine Sparkasse.
({5})
Ihr Gedankengang ist der Gedankengang der FDP. Ihr
Gedankengang ist der, ein Sparkonto anzulegen und aus
dem Sparkonto die eingezahlten Leistungen abzurufen.
Wer so etwas will, der braucht keine Sozialgesetzgebung.
({6})
Ich sage ganz deutlich: Das ist Stammtischpolitik niederster Güte. Wer eine solche Neidkampagne im Lande
betreibt, der sorgt dafür, dass das, was wir an sozialstaatlichen Aktivitäten aufgebaut haben, nicht nur in Misskredit gebracht wird, sondern auch wegen dieser Diffamierungskampagne systematisch abgebaut wird.
({7})
Lassen Sie mich ganz deutlich sagen: Wenn ich davon
spreche, wer hier verunglimpft, dann will ich mich
durchaus auch an die rechte Seite wenden und sagen,
dass man mit einer Faulheits- und einer Missbrauchsdebatte, also indem man Arbeitslose generell unter den
Verdacht des Missbrauchs stellt, in unverantwortlicher
Weise Verunsicherung und Angst in diesem Lande
schürt. Damit sind Sie auf der rechten Seite
({8})
überhaupt nicht besser als die linke Seite des Hauses.
Dort wird behauptet: Hartz IV sei der Angriff auf die
Menschenwürde. Hartz IV sei eine Kriegserklärung gegen den sozialen Frieden im Land.
({9})
Arbeitslose würden ins soziale Elend getrieben, wir würden den Menschen die Mindestvoraussetzungen für ein
menschenwürdiges Dasein entziehen. Quasi über Nacht,
also anschlagartig, würde das Sozialstaatsgebot des
Grundgesetzes ausgehebelt.
({10})
Es fehle nur noch die elektronische Fessel, die man ansonsten nur bei Schwerkriminellen anwendet. Dieses Niveau, auf dem Sie Ihrer Verantwortung als Parlamentarier nachkommen wollen, kann ich in keiner Weise
teilen.
({11})
Sie betreiben gefährliche Hetze. Was Sie machen, ist
unverantwortlich, weil Sie Falschheiten verbreiten und
bewusst Irreführung betreiben.
({12})
Ich will ganz deutlich sagen, was Sie damit erreichen
wollen: Sie wollen die Regierung treffen, Sozialdemokraten und Christdemokraten, und all diejenigen, die
sich für einen engagierten Sozialstaat einsetzen.
({13})
Was Sie aber tatsächlich machen, ist: Sie verunsichern
gerade diejenigen Menschen, die Sie eigentlich vertreten
wollen. Das ist das Schlimme an dem, was Sie tun.
({14})
Man mag - ganz nebenbei - politisch fragen, ob Sie
damit von der pragmatischen Politik, die Sie im Berliner
Senat oder in Mecklenburg-Vorpommern betreiben und
die nicht so gut ankommt, ablenken wollen; in dieser
Debatte muss einmal gesagt werden, dass Sie mit Ihren
Verunglimpfungen eigentlich nur von Ihren innerparteilichen Auseinandersetzungen ablenken wollen.
({15})
Ich will in diesem Zusammenhang klipp und klar feststellen: Niemand bleibt in diesem Land ohne Leistung
und niemand wird verhungern.
({16})
- Ja, natürlich. Haben Sie denn auch bis zum Ende gelesen oder sind Sie noch bei der Verunglimpfung?
({17})
Erstens kann erst bei der dritten Verweigerung der
Annahme einer zumutbaren Tätigkeit der Fall eintreten,
dass es theoretisch zu einem hundertprozentigen Leistungsentzug kommen kann. Der Fallmanager kann eine
100-Prozent-Sanktion aber sofort auf eine 60-prozentige
Kürzung reduzieren, wenn jemand eine Arbeit annimmt
und er sich dem Verstoß stellt, den er begangen hat, indem er sich beharrlich einer Aktivität verweigert hat.
Der zweite Punkt ist:
Herr Kollege, der zweite muss der letzte sein.
({0})
Ich komme zum Ende. - Sobald eine Sanktion verhängt wurde, die in einer Kürzung um mehr als
30 Prozent besteht, kann der Fallmanager ergänzende
Sachleistungen zur Verfügung stellen oder geldwerte
Leistungen erbringen.
({0})
Es muss also niemand, auch nicht im Falle wiederholter
Verweigerung der Annahme einer Tätigkeit, mit einer
Nichtunterstützung rechnen.
Zum Schluss: Der Fallmanager soll, ja er muss ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen erbringen, wenn minderjährige Kinder in einer Bedarfsgemeinschaft leben und jemand, der beharrlich die Arbeit
verweigert, sagt: Ich will von dieser Gesellschaft keine
Unterstützung bekommen und habe deshalb, weil ich
mich einer zumutbaren solidarstaatlichen Aktivität verweigere, auch keinen Anspruch darauf, dass die Solidargemeinschaft Leistungen für diejenigen erbringt, die
durch eigene Aktivitäten selbst Leistungen erbringen
könnten.
({1})
Das Wort hat der Kollege Hans-Joachim Fuchtel,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Mit der grundlegenden Überholung des Sozialgesetzbuchs II sind die Regierung und die Regierungskoalition
ganz sicher auf dem richtigen Weg.
({0})
Wenn die Kosten höher sind als geplant,
({1})
dann ist es geradezu eine Vorsorgemaßnahme der Regierung und der Koalition, über die Kosten zu sprechen und
die Kosten an den Stellen zu senken, an denen sie zu Unrecht entstanden sind.
({2})
Deswegen geht es uns darum, zum einen die vorhandenen Instrumente treffsicherer zu gestalten und zum anderen die Mitnahmeeffekte aus dem System zu eliminieren. Wie wir aus dem Rechnungsprüfungsbericht vom
19. Mai dieses Jahres wissen, gibt es davon noch eine
große Zahl. Unsere Arbeit besteht darin, sowohl die gerade in der Beratung befindlichen Gesetzgebungsvorhaben durchzuziehen als auch die Erkenntnisse, die sich
aus dem Bericht des Bundesrechnungshofes ergeben,
umzusetzen.
({3})
Herr Kollege Niebel, in einem muss ich Ihnen sehr
widersprechen:
({4})
Diese Koalition macht nicht das, was wir früher im
Übermaß erlebt haben: den Verschiebebahnhof zu benutzen, um die Probleme zu bewältigen. Auch Sie waren an
vielen Maßnahmen beteiligt, an die Sie sich heute nicht
mehr erinnern können.
({5})
Deswegen sollten Sie ganz ruhig sein, wenn wir hier
über Verschiebebahnhöfe sprechen.
Es geht darum: Wir haben in der aktuellen Beratung
sichergestellt, dass die Mehrkosten im Bereich des
SGB II aufgefangen werden und Überschüsse bei den
Einnahmen aus Beiträgen nicht im Bereich des ALG II
vervespert werden. Das ist etwas ganz Wichtiges, das
man in den letzten Tagen in der öffentlichen Debatte
sehr oft vermissen musste; deswegen sage ich es als
Haushälter noch einmal so deutlich.
({6})
Dazu gehört auch, dass wir jetzt den Bericht des Bundesrechnungshofs in die Hand nehmen und feststellen, dass
manches anders werden muss.
({7})
Ich gebe dem Kollegen Kuhn völlig Recht, dass die Strategie nicht heißen kann: Erst einmal die Leistung beschreiben und bezahlen, dann fünf Monate nichts tun,
langsam eine Zielvereinbarung treffen, was schließlich
nach sieben, acht Monaten in einer Maßnahme mündet.
({8})
Das wollen wir nicht und das hat der Gesetzgeber zu keiner Zeit gewollt, als er das Gesetz gemacht hat. So etwas
muss beendet werden.
({9})
Es muss so sein, dass als Allererstes geprüft wird, was
man an Beratung leisten kann. Dann muss die Maßnahme kommen und dann müssen die Leistungen erfolgen, aber nur so lange, wie sie auch wirklich notwendig
sind.
({10})
Wenn wir dies beherzigen und es umsetzen, dann wird
das sehr viel Geld sparen,
({11})
ohne dass irgendwem die Leistung gekürzt werden
muss. Genau dieses Vorgehen ist unser strategisches
Ziel.
Was die 1-Euro-Jobs betrifft: Auch hier muss man
eine Analyse vornehmen. Im Rechnungshofbericht kann
man lesen, dass selbst ein Orchester mit 46 Mitgliedern
als 1-Euro-Job hochgezogen worden ist.
({12})
Hier fängt es also schon an, dass man sich fragen muss,
ob nicht Leistungen in eine ganz falsche Richtung gelenkt werden.
({13})
Auch hier muss man sich auf den eigentlichen Zweck
besinnen und Leistungen nur dort gewähren, wo ein entsprechender 1-Euro-Job infrage kommt,
({14})
sie aber nicht in jede Richtung ausbreiten. Hier sind wir
unzufrieden mit dem, was bis jetzt geleistet wurde.
({15})
So hat jeder seine Aufgabe auf diesem Feld. Wir prognostizieren, dass in diesem Bereich, ohne dass man an
den Leistungen weitere Einschnitte vornehmen müsste,
noch sehr viel Geld steckt. Wenn wir es richtig verwenden, wird uns dieses Geld helfen, mit den Haushaltsansätzen zurechtzukommen; das ist die Bemühung, die wir
in den nächsten Monaten in der Koalition gemeinsam
mit der Regierung Stück für Stück umsetzen werden.
Sie, Herr Minister, haben dafür unsere volle Unterstützung.
({16})
Das Wort hat die Kollegin Krüger-Leißner von der
SPD-Fraktion.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich
zunächst einmal sagen, wie betroffen mich die Debatte,
die wir in den letzten Wochen im Parlament geführt haben, macht. Ich bin eigentlich entsetzt, welches Bild wir
in der Öffentlichkeit abgeben. Ich frage mich, was die
Menschen in diesem Land davon halten sollen, wenn sie
hören, dass wir am Montag in einer Anhörung viele ExAngelika Krüger-Leißner
perten, Sachverständige da hatten, um sie zu unserem
Gesetzentwurf zu befragen, und bei dieser Gelegenheit
ein Spektakel organisiert wurde,
({0})
das zu einer Störung und Verunglimpfung der Experten
führt,
({1})
an dem sich Abgeordnete einer Fraktion durch ihr Verhalten beteiligt haben.
({2})
Das hat für mich mit Ernsthaftigkeit überhaupt nichts zu
tun.
({3})
- Das müssen Sie sich anhören! - Übrigens hat sich die
gleiche Fraktion gestern aus einer sachlichen Debatte im
Ausschuss gestohlen,
({4})
obwohl es doch gerade im Ausschuss wirklich um Argumente geht, um die Beratung von Änderungsanträgen als
Ergebnis dieser Anhörung.
({5})
Da muss man sich doch fragen: Wie wichtig ist Ihnen die
parlamentarische Arbeit und die Vertretung von Menschen, die in diesem Land Arbeit suchen, überhaupt?
({6})
Ich glaube, wir alle haben an dem Redebeitrag Ihres Vertreters gemerkt: So wichtig ist es Ihnen nicht. Wir haben
flotte Sprüche gehört, althergebrachte Dinge, die wiedergekäut werden, fernab der Realität in diesem Land.
({7})
Ich glaube, wir haben gemerkt, und ich hoffe, dass auch
die Menschen draußen, die Arbeit suchen, merken, dass
sie sich eigentlich verhöhnt fühlen müssen von dem, was
Sie hier machen.
({8})
Wenn man auf die rechte Seite schaut, muss man feststellen: Heute Morgen war es auch nicht besser: Die Inszenierung dieser Aktuellen Stunde war doch ein
Krampf!
({9})
Alles, was Sie gefragt haben, ist bereits beantwortet worden, und nicht nur einmal; Sie können das in den Protokollen nachlesen.
({10})
Fazit: Die Art von parlamentarischer Arbeit, die ich in
dieser Woche erlebt habe, war für mich neu. Dies hatte
für mich mit ehrlichem Bemühen um neue, bessere gesetzliche Regelungen zur Fortentwicklung eines sehr
schwierigen Gesetzes nichts, aber auch gar nichts zu tun.
({11})
- Ich möchte gerne in meiner Rede fortfahren.
Meiner Meinung nach war in dieser Debatte in der
letzten Zeit zu viel über die Themen Missbrauch und
Kostenexplosion zu hören, und zwar nicht nur von der
Presse, auch von einigen Abgeordneten und Landesfürsten; die Namen sind bekannt.
({12})
Ich halte das für überzogen und skandalierend.
Ich möchte in diesem Zusammenhang Missbrauch
nicht negieren, es gibt ihn. Aber um welche Größenordnung handelt es sich? Anfang des Jahres gab es
7,6 Millionen Leistungsempfänger. Ich denke, nur bei einem kleinen Teil besteht der Verdacht auf Missbrauch,
was wir aber sehr ernst nehmen müssen und wogegen
wir etwas tun müssen.
Das sind wir vor allem allen ehrlichen Menschen
schuldig. Der überwiegende Teil der Hartz-IV-Empfänger und -Antragsteller will eine Förderung, um wieder in
Arbeit und Beschäftigung zu kommen. Die Menschen
wollen unabhängig vom Staat werden und ein eigenes
Einkommen für sich und ihre Familien haben. Das
stimmt mit der Zielsetzung unseres Gesetzes, nämlich
Fördern und Fordern, überein. Ich bin überzeugt, dass
wir den Bereich Fördern in diesem Jahr durch eine bessere Betreuung und Begleitung der Arbeitsuchenden und
durch eine bessere Vermittlung noch mehr stärken können.
({13})
Woher nehme ich den Optimismus? Erstens. Die Einführung des Gesetzes zum Arbeitslosengeld II hat einen
komplizierten und gewaltigen sozialpolitischen Veränderungsprozess ausgelöst. Es braucht Zeit, damit dieser
seine Wirkung entfalten kann. Ich frage Sie: Woher nehmen wir in Deutschland eigentlich die Arroganz, zu
glauben, dass wir diesen Prozess schon nach einem Jahr
im Griff haben, also schneller als andere Länder, die diesen Prozess schon hinter sich haben? Wir sprechen von
einem Zeitraum von fünf Jahren.
Zweitens. Zum ersten Mal begleiten wir ein Gesetz
kontinuierlich durch Evaluierung und entwickeln es fort.
Das gab es bei keinem Gesetz vorher. Ich denke, dass
wir alle von unserer hohen Erwartungshaltung etwas
aufgeben und zur Normalität und zu den Tatsachen zurückkommen müssen.
Drittens. Auch der Blick heute Morgen in die Zeitung
hat mich optimistisch gestimmt. Einige haben das wohl
nicht getan.
({14})
Dort waren einige Fakten zu lesen, die man einfach zur
Kenntnis nehmen muss. Wir haben den stärksten Rückgang der Arbeitslosigkeit seit der Wiedervereinigung.
Das ist eine sehr positive Entwicklung. Das dürfen wir
nicht kleinreden.
({15})
Das ist noch keine große Erleichterung; das weiß ich.
Aber es ist ein erstes gutes Ergebnis für Hartz IV. Lassen
Sie uns also mit sehr kritischem Blick - den dürfen wir
nicht verlieren, den brauchen wir - die Entwicklung verfolgen. Aber wir dürfen die positiven Signale nicht zerreden.
Das sage ich auch mit Blick auf unseren Partner, die
Wirtschaft. Diesen Partner brauchen wir. Hartz IV kann
uns nur gelingen, wenn wir die Wirtschaft an unserer
Seite haben. Sie muss nämlich Arbeitsplätze schaffen.
Dann schaffen wir auch eine gute Integration.
Danke fürs Zuhören.
({16})
Das Wort hat der Kollege Stefan Müller, CDU/CSUFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Wir haben heute Mittag schon vieles gehört, unter anderem von der FDP, die diese Aktuelle Stunde beantragt
hat.
({0})
Herr Kollege Kolb, wir haben von Ihnen vor allem gehört, wogegen Sie sind. Wofür Sie sind, haben Sie uns
bislang tunlichst verschwiegen.
({1})
- Vielen Dank, Herr Niebel, dass Sie das zugerufen haben. Ich komme auf die Kommunalisierung noch zu
sprechen.
Ich kann mich nicht erinnern, dass Sie zum Beispiel
gestern im Ausschuss Änderungsanträge zum Fortentwicklungsgesetz eingebracht haben. Man muss ehrlicherweise sagen, dass sich Ihre neuen Freunde in der
Opposition zumindest die Mühe gemacht haben, Anträge zu schreiben. Dem sind Sie jedenfalls nicht nachgekommen. Ich dachte, wir würden heute Nachmittag
von Ihnen vielleicht etwas mehr erfahren. Vielleicht
kommt das noch, wenn es um das Fortentwicklungsgesetz geht. Darüber würde ich mich freuen.
In der Vorbereitung auf diese Aktuelle Stunde habe
ich versucht, gewissermaßen eine liberale Erleuchtung
zu bekommen, weshalb ich mir das Internetangebot Ihrer
Fraktion einmal angesehen habe. Weil dort nicht sehr
viel zum Thema Hartz IV steht, habe ich ein wenig länger dafür gebraucht.
({2})
Ich bin dann aber doch fündig geworden. Das letzte
Positionspapier der FDP zum Thema Hartz IV datiert in
der Tat vom 2. April 2004. Es ist also über zwei Jahre
alt.
({3})
Zu aktuellen Vorhaben habe ich dort zumindest nicht besonders viel gefunden.
Nach einer weiteren Recherche habe ich allerdings
festgestellt, dass Sie immerhin eine Kurzbewertung der
Koalitionsvereinbarung zwischen der CDU/CSU und der
SPD vorgenommen haben.
({4})
Das ehrt Sie ja. Ich darf aus dieser Kurzbewertung zum
Thema Hartz IV zitieren:
Die derzeitige Ausgestaltung des Hartz-IV-Gesetzes … weist viele Mängel auf.
({5})
Daher ist der Ansatz der Koalition richtig, dass Änderungen an der Hartz-IV-Reform kurzfristig vorgenommen werden sollen, z. B. durch Bekämpfung
von Leistungsmissbrauch.
({6})
Die Koalition beseitigt damit Fehler, die zu den
drastischen Mehrausgaben geführt haben.
Vielen Dank für Ihre Unterstützung.
({7})
Es würde mich freuen, wenn Sie das auch durch Ihr Abstimmungsverhalten heute Nachmittag noch einmal eindrucksvoll unter Beweis stellen würden.
({8})
Immerhin klingt das auf dem Papier schon einmal konstruktiver als das, was wir bisher gehört haben.
({9})
Niemand wird bestreiten, dass es Probleme gibt, und
nur wenige bestreiten, dass es Fehlentwicklungen und
Missbrauch gibt. Genau deswegen gehen wir ja an diese
Gesetze heran und haben wir schon vor zwei Monaten
ein SGB-II-Änderungsgesetz auf den Weg gebracht. GeStefan Müller ({10})
nau deswegen werden wir heute auch das SGB-II-Fortentwicklungsgesetz auf den Weg bringen.
({11})
Wir wollen nämlich das Leistungsrecht fortentwickeln,
die Verwaltungspraxis verbessern und natürlich auch
Maßnahmen ergreifen, um Missbrauch zu verhindern.
Wir tun das im Übrigen auch gegen erhebliche Widerstände. Ich blicke einmal auf die linke Seite des Hauses.
({12})
Wir tun das aber vor allem deswegen, weil wir uns dazu
verpflichtet fühlen und weil wir denen gegenüber eine
Verantwortung haben, die die ganze Veranstaltung bezahlen müssen, nämlich den Steuerzahlern. Genau deswegen werden wir dieses Gesetz heute Nachmittag beschließen.
({13})
Dass das SGB-II-Fortentwicklungsgesetz im Übrigen
in die richtige Richtung geht, hat die Anhörung am
Montag ja bewiesen.
({14})
Die von der FDP benannte Sachverständige, die von mir
sehr geschätzte Bürgermeisterin meiner Heimatstadt Erlangen, meines Wahlkreises, hat ja bestätigt, dass es in
die richtige Richtung geht.
({15})
Auch dafür bin ich ihr und auch Ihnen selbstverständlich
sehr dankbar.
({16})
Nun kann man sich ja auf den Standpunkt stellen,
dass das alles, was wir tun, noch nicht ausreichend ist.
({17})
Ich würde mir dann allerdings wünschen, dass Sie uns
einmal sagen, wie es denn geschehen sollte. Sie kommen
mit der Kommunalisierung. Richtig ist, dass wir als
Union seinerzeit vorgeschlagen haben, die Betreuung
der Langzeitarbeitslosen durch die Kommunen zu übernehmen.
({18})
Richtig ist, dass wir uns in einem Vermittlungsverfahren
nicht durchsetzen konnten. Herr Kollege Kuhn, den
Kuddelmuddel, den Sie ansprechen, können Sie natürlich nicht nur uns zuschreiben, sondern der ist in diesem
Vermittlungsverfahren entstanden.
({19})
Sie waren seinerzeit ja ebenfalls nicht bereit, auf unsere
Vorschläge einzugehen.
Nun kann man sich auf den Standpunkt stellen, dass
das richtig ist. Der Vollständigkeit halber möchte ich
aber eines hinzufügen: Die Kommunen, um die es ging,
haben uns seinerzeit auch im Stich gelassen.
({20})
Die Kommunen sollten auch die Betreuung der Langzeitarbeitslosen übernehmen. Insbesondere die großen
Städte waren dazu nicht bereit. Die Landkreise wären
dazu bereit gewesen. Die fehlende Unterstützung hat es
uns wiederum sehr schwer gemacht, hier ein Ergebnis zu
erreichen.
Wir werden der Frage nachgehen, inwieweit wir allein mit dem Ändern von Gesetzen etwas erreichen.
Durch den Bericht des Bundesrechnungshofes wurde zumindest eindrucksvoll bestätigt, dass wir hier beschließen können, was wir wollen: Wenn die Umsetzung vor
Ort nicht funktioniert, dann hilft das alles im Endeffekt
nichts.
({21})
Das heißt, wir werden sehr viel mehr darauf achten müssen, dass die Umsetzung in den Arbeitsgemeinschaften
vor Ort und in den Optionskommunen wirklich funktioniert.
({22})
Über alles, was darüber hinausgehen soll, werden wir
weiter beraten.
({23})
Sie sind herzlich eingeladen, sich an dieser Debatte zu
beteiligen.
({24})
Jetzt hat der Kollege Rolf Stöckel, SPD-Fraktion, das
Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Während ich diese Debatte verfolgt habe, ist mir die Frage
durch den Kopf gegangen, was eigentlich die Tausenden
von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Argen und
in den Optionskommunen sowie die Betroffenen, die seit
eineinhalb Jahren konkret von der Umsetzung des
SGB II betroffen sind, über diese Debatte denken. Sie
müssen sich verhöhnt fühlen. Sie haben nicht nur Überstunden geleistet, weil es schwierig war, die Systeme zu
transformieren, sondern auch, damit die Gelder pünktlich
gezahlt werden. Sie haben sich bemüht, die Eingliederungstitel umzusetzen. Sie haben das bis Ende 2005 nur
zur Hälfte geschafft. Ich könnte noch viele Beispiele von
engagierten Arbeitsvermittlerinnen und Arbeitsvermittlern, Jobmanagern, Fallmanagerinnen und Mitarbeitern
der Sozialverwaltung nennen, die sich in der Tat um die
Betroffenen kümmern und das Fördern verbessern wollen. Wer behauptet, das Fördern funktioniere nicht, der
redet an der Realität vorbei.
({0})
Das reicht nicht aus. Damit können wir noch nicht zufrieden sein. Internationale Erfahrungen haben gezeigt,
dass die Umsetzung eines solch anspruchsvollen Programms in aktive Sozialstaatspolitik drei bis fünf Jahre
dauert. Anderthalb Jahre nach In-Kraft-Treten des Gesetzes sind wir dabei, von „Generalrevision“ und
„Hartz IV muss weg“ zu reden. Mittlerweile werden die
Begriffe von rechts und links beliebig gebraucht; das haben wir gerade bei der Rede des Kollegen Lafontaine gemerkt. Er fordert die Generalrevision. Ähnlich sehen das
einige Ministerpräsidenten etwa in Bayern und Nordrhein-Westfalen, die zwar den Kompromiss des Vermittlungsausschusses unterschrieben, sich aber dann vom
Acker gemacht haben und jetzt aus rein oberflächlichen,
durchsichtigen und parteipolitischen Gründen gegen die
Politik der großen Koalition agitieren, wie die Aktuelle
Stunde im Düsseldorfer Landtag - wahrscheinlich ist sie
jetzt schon vorbei - zeigt.
Wer das Ziel, den Betroffenen zu helfen und den aktivierenden Sozialstaat umzusetzen, wirklich verfolgt, der
ist dazu verpflichtet, den Geist des Gesetzes, unter anderem auch den Charakter des Gesetzes als werdende Gesetzgebung, offensiv zu unterstützen und sich hier wieder zu einer sachlichen Debatte bereit zu finden. Was die
gestrige Ausschusssitzung angeht, so muss man der Linken sagen, dass man sich überhaupt erst einmal zu einer
Debatte bereit finden sollte.
Hier ist mehrmals von Redlichkeit gesprochen worden. Ich will darauf noch einmal zurückkommen. Kollege Lafontaine, als Sie noch SPD-Vorsitzender waren,
haben wir gemeinsam ein Wahlprogramm verabschiedet,
in dem die Zusammenlegung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe oberhalb des damaligen Sozialhilfeniveaus
vorgesehen war.
(Widerspruch des Abg. Oskar Lafontaine ({1})
Wenn Sie heute sagen, dass dieses System, das man kritisieren und im Detail auch noch verbessern kann, der
Sozialabbau schlechthin ist, dann haben Sie ein Beispiel
für Unredlichkeit geliefert, das nicht zu überbieten ist.
({2})
Wir werden heute - ich muss mich beschränken, weil
ich nur noch anderthalb Minuten Redezeit habe - noch
über Mindestlöhne debattieren. In der Tat steht die Debatte, wie das der Minister gesagt hat, über den Niedriglohnbereich, über Kombilöhne und existenzsichernde
Mindestlöhne im Zusammenhang mit Hartz IV und dem
SGB II. Warum? Das muss ich einmal den Fachpolitikerinnen und Fachpolitikern der CDU/CSU sagen: Wir
haben mit den Hartz-IV-Gesetzen, dem SGB II und dem
Arbeitslosengeld II einen flächendeckenden Kombilohn
geschaffen. Wir haben mit den Regelungen zum
Arbeitslosengeld II im SGB II faktisch ein gesetzliches
Mindesteinkommen beschlossen.
({3})
Die Frage, wie hoch, in welcher Form und wer demnächst Mindestlöhne beschließen wird, hat direkt etwas
damit zu tun, wie hoch die ergänzende Kombileistung
des Staates für entlohnte Arbeit ist, um die Existenzsicherung zu erreichen. Dabei ist es - das ist jetzt meine
persönliche Meinung; wir arbeiten in meiner Fraktion
und auch in der Koalition daran und werden im Herbst
Ergebnisse vorlegen - gerade für die Bereiche, die tariflich nicht mehr gebunden sind, absolut notwendig, gesetzliche Mindestlöhne einzuführen, die allerdings nicht
dazu führen dürfen, dass in bestimmten Branchen Arbeitsplätze wegfallen. Dieses Argument muss berücksichtigt werden.
({4})
- Ich kann Ihnen eine Zahl nennen, weil ich mich auf die
Erfahrungen in Großbritannien stützen kann. Der Mindestlohn muss auf jeden Fall unter 7,50 Euro liegen, weil
etwa im Bereich Nahrung und Gaststätten die Tarife wesentlich niedriger liegen. Das ist aber an sich kein Problem, weil wir faktisch mit dem ALG II ein Mindesteinkommen geschaffen haben.
({5})
Wenn wir von Mehrkosten oder sogar einer Kostenexplosion sprechen, dann müssen wir Folgendes registrieren: Wir haben in der Tat die vielen Tausenden von
erwerbsfähigen Arbeitslosen in der Bundesrepublik, die
im Schatten waren, ans Licht geholt.
Das verursacht anfangs höhere Kosten. Wir werden
umso mehr Geld einsparen, je besser wir gemeinsam an
der aktiven Förderung und vor allen Dingen an der Qualifizierung der Langzeitarbeitslosen arbeiten.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
Als letzte Rednerin dieser Debatte spricht die Kollegin Andrea Nahles, SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich komme aus der Vulkaneifel und kenne
mich mit Explosionen aus. Was hier als Kostenexplosion
bezeichnet wird, entbehrt jeder Grundlage.
({0})
Was Ihnen am 2. Mai als Bundestagsdrucksache zugegangen ist, hat keine Kostenexplosion zur Folge. Vor der
Änderung des Hartz-IV-Gesetzes haben wir insgesamt
43,5 Milliarden Euro für Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik - zum Beispiel im Rahmen des SGB II und der
Arbeitslosenhilfe - ausgegeben. Wenn wir jetzt unter
dem neuen Hartz-IV-Gesetz 44,5 Milliarden Euro ausgeben,
({1})
dann ist das keine Kostenexplosion, sondern eine normale Schwankung.
({2})
Deswegen bitte ich, davon Abstand zu nehmen, solche
Märchen in die Welt zu setzen.
Ich komme zu einem weiteren Punkt. Ich bekenne
mich dazu, dass ich es für notwendig erachte, bei der Gewährung von bedarfsorientierten Leistungen darauf zu
achten, was damit passiert. Mein Vater hat 45 Jahre auf
dem Bau gearbeitet. Er hat sein Brot durch harte Arbeit
verdient und er hat Steuern gezahlt. Ich stehe voll und
ganz dahinter, danach zu fragen, wofür diese Steuermittel ausgegeben werden, und sage klar, dass einem Missbrauch mit Sanktionen begegnet werden muss.
({3})
Insoweit bitte ich aber auch, präzise zu sein. Ich bitte
diejenigen, die alles, was in den letzten Jahren passiert
ist, pauschal als Missbrauch diffamieren, um Zurückhaltung. Denn es trifft nicht zu, dass diejenigen, die Bedarfsgemeinschaften gegründet haben - wie wir es
schließlich im Gesetz vorgesehen haben -, Leistungen
missbrauchen; vielmehr haben wir gesetzliche Regelungen geschaffen, die wir aufgrund der Erfahrungen in der
Praxis jetzt teilweise korrigieren müssen. Deswegen
stehe ich klipp und klar dazu, die Beweislastumkehr einzuführen; das heißt, wir wollen bundeseinheitlich klären,
was eine Bedarfsgemeinschaft ist. Dafür sollten wir
rechtliche Kriterien festlegen, statt eine Sippenhaft zu
praktizieren, wie Sie es polemisch gefordert haben. Die
Betroffenen bekommen eine klarere Rechtsgrundlage.
Denn bisher kann jede Arge und jeder Arbeitsvermittler
vor Ort nach seinem Ermessen entscheiden. Ich meine,
dass wir mehr Rechtssicherheit schaffen und eine bundeseinheitliche Regelung einführen sollten. Das würde
keine Verschlechterung, sondern eine Verbesserung für
die Menschen bedeuten.
({4})
Im Übrigen müssen wir an dieser Stelle deutlich machen, dass es zu wenig gute Beschäftigungsangebote für
arbeitslose Menschen in diesem Land gibt. Ich verwahre
mich deswegen sehr dringend gegen die polemische Behauptung, dass die Arbeitslosen in diesem Land in der
Hängematte liegen.
In diesem Zusammenhang verweise ich auf eine Untersuchung des IAT bzw. des Bundesarbeitsministeriums
aus dem vergangenen Jahr über das Verhalten von Menschen in unteren Einkommensgruppen. Es gibt eine
Schwemme von Bewerbern gerade für einfache und
niedrig bezahlte Tätigkeiten. 2,6 Millionen Menschen in
diesem Land arbeiten Vollzeit für Armutslöhne. Sie hätten vielleicht mehr in der Tasche, wenn sie zu Hause
bleiben und Transferleistungen erhalten würden; sie
wollen aber arbeiten, weil sie Anstand haben und in der
Arbeit einen Sinn und eine Aufgabe für ihr Leben sehen.
Deswegen bitte ich dringend darum, in der Öffentlichkeit nicht den Eindruck zu vermitteln, die Arbeitslosen in diesem Land lägen in der Hängematte. Das ist
nämlich Quatsch. Es geht vielmehr darum, dass sie mehr
gute Arbeitsangebote brauchen. Da müssen wir ansetzen.
({5})
Ich möchte darüber hinaus anmerken - das ist mir
sehr wichtig -, dass es hier eine Verunsicherung ersten
Ranges gab, als behauptet wurde, in diesem Lande würden Menschen verhungern, weil wir im Falle von Sanktionen die Leistungen auf maximal null reduzieren. Das
ist Quatsch. In Deutschland kann niemand unter die
Grenze der Existenzsicherung fallen. Das hat das Bundesverfassungsgericht eindeutig festgestellt.
({6})
Das wurde schon mehrfach gerichtlich bestätigt, weiland
übrigens bei den Asylbewerbern. Daher gibt es keine
Chance, dieses Gesetz verfassungswidrig zu machen,
was seine Ausführungsbestimmungen angeht. Es wird in
Zukunft in bestimmten Fällen zwar keine Geldleistungen
mehr geben, wohl aber Sachleistungen.
({7})
Um Irritationen zu vermeiden: Lasst euch nicht aufhetzen! In diesem Land erhält jeder das für sein Existenzminimum Notwendige; das garantieren wir.
({8})
Bei den Grünen bedanke ich mich für die Versachlichung der Debatte; das hat gut getan. Bei aller berechtigten Kritik an den noch vorhandenen Schwächen im Bereich der Förderung sind die Grünen mit diesem Thema
so umgegangen, wie es parlamentarisch angemessen ist.
Vielen Dank.
({9})
Damit ist die Aktuelle Stunde beendet.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
({0})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Werner
Dreibus, Dr. Barbara Höll, Dr. Axel Troost,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
LINKEN
Mindestlohnregelung einführen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Brigitte
Pothmer, Irmingard Schewe-Gerigk, Markus
Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Mindestarbeitsbedingungen mit regional
und branchenspezifisch differenzierten Min-
destlohnregelungen sichern
- Drucksachen 16/398, 16/656, 16/989 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Paul Lehrieder
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Heinrich L. Kolb, Dirk Niebel, Christian
Ahrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP
Gesetzliche Mindestlöhne ablehnen
- Drucksache 16/1653 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({1})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für
Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Fraktion Die
Linke werden wir später namentlich abstimmen. Ich
bitte Sie, darauf zu achten, dass auf Ihren Stimmkarten
Ihr eigener Name steht.
({2})
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Dazu
höre ich keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Ich gebe als erster Rednerin der Kollegin Anette Kramme, SPD-Fraktion, das
Wort.
({3})
Das alles macht Frau Nahles doch hervorragend, nicht
wahr, Herr Niebel?
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und
Kolleginnen! Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland kein Problem mit zu hohen Löhnen im unteren Tätigkeitssegment, sondern ein Problem mit zu niedrigen
Löhnen. Ein Wachmann erhält einen Stundenlohn von
3 Euro. Eine Kassiererin kommt bei einer 38-StundenWoche auf einen Monatsverdienst von 800 Euro. Ein
Friseur in Thüringen arbeitet für einen Stundenlohn von
3,18 Euro. Beispiele lassen sich wie Sand am Meer finden. Die „Geiz ist geil“-Philosophie hat in widerwärtiger
Weise auf den Arbeitsmarkt übergegriffen. In zahlreichen Branchen gibt es das sprichwörtliche Fass ohne Boden.
Dabei sind die Schutzregelungen im deutschen
Recht schlichtweg unzureichend. § 138 des Bürgerlichen
Gesetzbuchs, der Wucher verbietet, gewährt nur dann
einen Anspruch auf zusätzliche Bezahlung, wenn die
Vergütung mindestens 25 bis 30 Prozent unter der ortsüblichen bzw. tariflichen liegt. Der Arbeitnehmer trägt
darüber hinaus die Beweislast dafür, dass die Lohnabrede unter Ausbeutung seiner Zwangslage zustande
gekommen ist. Prozesschancen hat er nur, wenn er beim
Einstellungsgespräch seine Notlage offenbart hat. Zuallerletzt: Jede richterliche Überprüfung setzt den Gang
zur Arbeitsgerichtsbarkeit voraus. Viele Menschen klagen nicht, weil sie schlichtweg Angst vor Repressalien
ihrer Arbeitgeber haben.
Die Situation ist: 7,7 Millionen vollzeitbeschäftigte
Arbeitnehmer verfügen lediglich über 50 bis 75 Prozent
des Durchschnittseinkommens von 2 884 Euro. Rund
2,5 Millionen Menschen haben sogar weniger als
50 Prozent dieses Betrages. Internationale Organisationen bezeichnen das ganz klar als Armutslöhne. Working Poor - da müssen wir Farbe bekennen - gibt es
nicht nur in den USA, sondern auch in der Bundesrepublik Deutschland.
Die Tarifbindung ist seit den 90er-Jahren spürbar zurückgegangen. Laut IAB-Panel sank die Tarifbindung
der Beschäftigten im Zeitraum bis 2003 im Westen von
76 auf 70 Prozent und im Osten von 63 auf 54 Prozent.
Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass es nicht mehr
ausreicht, Löhne tariflich abzusichern oder einzelne Tarifverträge für allgemein verbindlich zu erklären. Die
Hälfte aller Arbeitnehmer im Osten bliebe schlichtweg
auf der Strecke.
Fakt ist, dass es auch unakzeptable Tarifverträge gibt.
Die Aufstellung des Bundesarbeitsministeriums aus dem
Jahr 2003 weist nach, dass es 670 Tarifvereinbarungen
mit weniger als 6 Euro brutto Stundenlohn gibt. Das ist
unsere Ausgangsposition. Wir stehen deshalb vor der
Aufgabe, dafür zu sorgen, dass auch Geringqualifizierte
in Deutschland wieder Chancen auf Arbeit haben und
dafür einen Lohn bekommen, mit dem sie leben können.
Wir nehmen diese Aufgabe ernst.
Ich sage dennoch, dass wir uns unüberlegte und populistische Schnellschüsse, wie den vorliegenden Antrag
der Linken, nicht leisten können.
({1})
Mit Ihrer Forderung nach einem einheitlichen Mindestlohn von pauschal 8 Euro machen Sie es sich zu leicht.
Wir brauchen beispielsweise Klarheit darüber, wie das
Verhältnis zum Sozialrecht sein soll. Haben Sie einmal
ausgerechnet, wie viel jemand verdienen muss, damit er
so viel hat wie ein ALG-II-Empfänger? Ein Alleinverdiener mit zwei oder drei Kindern brauchte 10,50 Euro
in der Stunde. Ein Single ohne Kinder muss hingegen
nur zwischen 4,80 Euro und 5 Euro verdienen.
Wir müssen uns über die Höhe eines Mindestlohns
klar werden. Ist der Mindestlohn zu hoch angesetzt, wird
er zum Einstellungshindernis, gerade für Ältere und Jugendliche. Wird er zu niedrig festgesetzt, haben wir den
ungewollten staatlich legitimierten Niedriglohnbereich.
({2})
Wir müssen überlegen, ob wir mit branchenspezifischen
Lösungen arbeiten oder mit einer einheitlichen Regelung
mit Übergangsfristen. Wie setzen wir die genauen Maßstäbe bei branchenspezifischen Lösungen oder wie lang
bemessen wir Übergangsfristen? Treffen wir selber die
Entscheidung über die Höhe einer Mindestsicherung
oder greifen wir auf die Tarifvertragsparteien oder auf
einen Sachverständigenrat zurück? Es gibt eine Vielzahl
von Fragen, deren Beantwortung genauerer Überlegung
bedarf.
({3})
Um es in aller Deutlichkeit zu sagen: Wir brauchen
eine untere Auffanglinie. Da sind wir uns in diesem
Hause - lassen wir einmal die FDP beiseite - einig. Und
das ist gut so.
({4})
Wir brauchen eine relativ kurzfristige Lösung. Auch darüber sind wir uns einig. Und auch das ist gut so.
Wir haben im Koalitionsvertrag festgelegt, das Arbeitnehmer-Entsendegesetz auf das Gebäudereinigerhandwerk auszudehnen. Wir werden im Herbst einen
Vorschlag zu Kombilöhnen und Mindestlöhnen vorlegen. Ich bin zuversichtlich, dass wir eine gute Lösung
finden.
({5})
Ein allerletzter Satz. Ian Brinkley, Chefökonom des
britischen Gewerkschaftsbundes TUC, bringt es auf den
Punkt:
Heute sagen auch die Arbeitgeber in Großbritannien, dass der Mindestlohn ein Erfolgsmodell ist.
({6})
Als Nächster hat das Wort der Kollege Dr. Heinrich
Kolb, FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich freue mich über die freundliche Begrüßung, Herr
Kollege Brauksiepe. Frau Kollegin Kramme, ich möchte
an Ihre Adresse sagen: Sie haben hier Fragen über Fragen aufgeworfen; aber außer einem imaginären Hinweis
auf eine untere Auffanglinie haben wir von Ihnen nicht
gehört, wie eine Lösung aussehen könnte.
({0})
Da ein gesetzlicher Mindestlohn, wie er von den Linken heute hier in einem Antrag gefordert wird, einen
nicht unerheblichen Eingriff in den Arbeitsmarkt darstellt, möchte ich zunächst einmal eines festhalten: Der
Lohn eines Arbeitnehmers und der Wert der von ihm
produzierten Güter oder Dienstleistungen stehen in einem engen und auch unauflöslichen Zusammenhang;
kein Unternehmen kann einem Arbeitnehmer auf Dauer
einen Lohn zahlen, der durch den Wert der Gegenleistung nicht gedeckt ist. Verstöße gegen diese Grundregel
der Marktwirtschaft, Herr Kollege Stöckel, werden im
Wettbewerb ganz unweigerlich und ausnahmslos mit der
Insolvenz des Unternehmens bestraft. Das ist so; das
muss man sehen.
({1})
- Ja, Sie haben das vorhin in gewisser Weise sogar eingeräumt.
Vor diesem Hintergrund stößt die Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn - das will ich hier deutlich sagen - auf den entschiedenen Widerspruch der
FDP-Bundestagsfraktion.
({2})
Arbeitnehmer, die nach dem, was ich gesagt habe, über
eine nur geringe Produktivität verfügen - das ist oft mit
einer geringen Qualifikation gleichbedeutend -, werden
durch die Einführung eines Mindestlohns vom ersten Arbeitsmarkt faktisch ausgeschlossen.
({3})
Schon heute sind aber fast 40 Prozent der 4,6 Millionen
Arbeitslosen ohne eine abgeschlossene Berufsausbildung. In den alten Bundesländern liegt der Anteil sogar
noch höher. Diese Menschen wären nicht etwa Begünstigte, sondern Opfer der Einführung von Mindestlöhnen,
Frau Kollegin Nahles, weil ihr Wunsch nach einem
neuen Arbeitsplatz mit einem gesetzlichen Mindestlohn
endgültig in unerreichbare Ferne rückt.
({4})
Aber es werden nicht nur Arbeitslose ausgeschlossen,
sondern es werden auch viele bestehende Arbeitsplätze
gefährdet.
({5})
- Frau Präsidentin! - Nach einer Studie des DIHK verdienen hierzulande derzeit 1,3 Millionen Vollzeitbeschäftigte weniger als 6 Euro pro Stunde. Legt man die
DGB-Forderung von 7,50 Euro pro Stunde zugrunde,
dürften sogar mehr als 2,6 Millionen Menschen betroffen sein, das heißt bei Einführung eines Mindestlohns
ganz konkret von Arbeitslosigkeit bedroht sein.
Herr Kolb, möchten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Nahles zulassen?
Sehr gern.
Bitte schön.
({0})
- Ja, ich freue mich.
({0})
So geht das bei uns von „Arbeit und Soziales“ mit
dem Freuen.
({0})
- Wenn alle da sind, wenn alle da bleiben.
Sie behaupten indirekt immer wieder: Sobald ein
Mindestlohn eingeführt wird, wird das Arbeitsplätze
kosten. - Haben Sie zur Kenntnis genommen, dass es
dazu ausführliche Studien gibt, allein zehn Untersuchungen der wichtigen Wirtschaftsinstitute in Deutschland,
und acht von diesen zehn klipp und klar besagen, dass es
nachweislich keine positiven, aber auch keine negativen
Arbeitsmarkteffekte in den betreffenden Ländern - das
sind 18 von 25 in Europa; aber auch in den USA wurde
untersucht - gibt?
({1})
Haben Sie also zur Kenntnis genommen, dass es für Ihre
Aussage - Mindestlöhne kosten Arbeitsplätze - keinerlei empirischen Belege gibt?
Frau Kollegin Nahles, ich habe Kenntnis von der
Aussage eines Sachverständigen der Bundesregierung,
der das Ganze auf die schöne Formel gebracht hat, ein
Mindestlohn sei maximaler ökonomischer Unsinn. Besser kann ich es auch nicht ausdrücken.
({0})
Frau Kollegin Nahles - bleiben Sie noch stehen! -,
das Grundgesetz der Marktwirtschaft - ich habe das eingangs gesagt - können Sie nicht außer Kraft setzen. Ein
Unternehmer kann vielleicht für eine bestimmte Zeit einen Lohn zahlen, der über der Produktivität liegt, aber
auf Dauer geht das eben nicht. Mit einem bestimmten
Timelag wird - davon bin ich fest überzeugt - ein Verlust von Arbeitsplätzen eintreten.
Diese Arbeitsplatzvernichtung droht übrigens besonders in den neuen Bundesländern, weil dort die
Löhne nur etwa 80 Prozent des Westniveaus betragen.
Die Linken als Regionalpartei Ost leisten den Menschen
dort mit ihrem Antrag einen Bärendienst - der Meinung
bin ich -, weil die Verlierer eines Mindestlohns zwischen Rostock und Sonneberg, zwischen Eisenach und
Cottbus wohnen.
({1})
Nun ist ein Stundenlohn von 4,60 Euro, wie er etwa in
Sachsen für eine Friseuse tarifvertraglich vereinbart
wurde - mit Unterschrift der Arbeitgeber und Gewerkschaften -, alles andere als auskömmlich - das sehen wir
natürlich auch -, aber die Formel des Bundesarbeitsministers „Wer Vollzeit arbeitet, muss auch davon leben
können“ nützt denen, die Vollzeit arbeitslos sind oder
werden, überhaupt nichts. Deswegen kann die Lösung
nicht darin bestehen, den Lohn per Gesetz nach oben zu
definieren. Die Lösung liegt darin, denen, deren Bedarf
durch eigenes Arbeitseinkommen nicht ausreichend gedeckt wird, einen Transfer zu gewähren, der die bestehende Lücke schließt. Die FDP hat dazu mit ihrem
Konzept eines Bürgergeldes einen ganz konkreten Vorschlag gemacht. Eine negative Einkommensteuer, also
eine Steuergutschrift, soll denen zugute kommen, die bereit sind, auch für einen geringeren Stundenlohn zu arbeiten.
({2})
Es wäre also falsch, den Niedriglohnsektor zu eliminieren. Das Gegenteil ist richtig, Frau Nahles. Deutschland braucht dringend einen wirklich funktionierenden
Niedriglohnsektor, einen Niedriglohnsektor, in dem die
Aufnahme einer nur gering entlohnten Beschäftigung attraktiver ist als die ausschließliche Inanspruchnahme
staatlicher Transferleistungen.
Das ist im Grunde auch die Frage, vor der wir bei
Hartz IV stehen.
({3})
Man mag ja über die Höhe der Regelsätze streiten - der
Herr Kollege Stöckel hat es ja gesagt -, aber darüber,
dass sie am Ende praktisch wie ein Mindestlohn wirken,
sollte in diesem Hause Konsens herrschen.
({4})
Anders als der DGB ist der CGB, der Christliche Gewerkschaftsbund Deutschlands, wie die FDP ein entschiedener Gegner gesetzlicher Mindestlöhne.
({5})
Der CGB ist auch - das sage ich an die Adresse der Kollegen der Union - gegen eine Ausdehnung des Entsendegesetzes auf andere Branchen. Sie wissen, dass dieses
Ziel speziell für die Zeitarbeitsbranche vom DGB zurzeit
mit Nachdruck verfolgt wird. Aber - das muss man hier
klar sagen - eine solche Ausdehnung wäre eine Vernichtung quasi durch die Hintertür der derzeit bestehenden
Tarifvertragspluralität, für die der Christliche Gewerkschaftsbund in der Vergangenheit hart gekämpft hat.
({6})
Ich bin mir sicher, dass der Antrag der Linken heute
hier keine Mehrheit finden wird.
({7})
Aber ich bin gespannt, wie die Koalition, insbesondere
die Union, sich in dieser Frage verhalten wird. Noch vor
einem Jahr war die Haltung der CDU klar. Frau Merkel,
die damalige und auch jetzige Bundesvorsitzende der
Union, hat gesagt: Wir wollen keinen gesetzlichen Mindestlohn. - Herr Kauder, Herr Laumann und Herr
Pofalla haben zugestimmt und gesagt: Mit der Union auf
keinen Fall.
Das ist zwar erst knapp ein Jahr her; aber heute klingt
das anders und das macht mich sehr hellhörig: Man stehe
diesem Thema grundsätzlich offen gegenüber, heißt es
nun.
({8})
Das lässt bei mir in der Tat alle Alarmglocken schrillen.
Ich sage insbesondere an die Adresse der Union: Finger weg vom Mindestlohn! Wir brauchen in Deutschland
nicht mehr, sondern weniger staatliche Eingriffe, nicht
mehr, sondern weniger Bürokratie, nicht mehr Planwirtschaft, sondern mehr Marktwirtschaft.
Ich habe - das sage ich zum Schluss - die Vorstellung, dass in Wahlkampfzeiten ein gesetzlicher Mindestlohn politisch instrumentalisiert werden wird, ganz nach
dem Motto: Wer bietet mehr? Wenn es einen Mindestlohn von 7,50 Euro gibt und sich mit 8 oder 9 Euro Wähler mobilisieren lassen, wird genau das auch geschehen.
Die Politik aus der Lohnfindung herauszuhalten, war
eine sehr kluge Idee der Väter des Grundgesetzes, wie
ich finde. Wir sollten deren Rat auch heute beherzigen
({9})
und der Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn
ebenso wie der Forderung nach einer Ausdehnung des
Entsendegesetzes eine klare Absage erteilen.
Vielen Dank.
({10})
Ich erteile das Wort der Kollegin Gitta Connemann,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Welchen
Wert hat Arbeit? Das ist die eigentliche Kernfrage der
heutigen Debatte. Für die Damen und Herren von den
Linken liegt die Antwort ausschließlich in dem Wert einer Arbeitsstunde: 8 Euro sollen es nach Ihrem Antrag
sein.
Arbeit dient natürlich dem Lebensunterhalt, gar keine
Frage. Aber sie gibt auch mehr: Beschäftigung, Sinn,
Aufgabe und Würde. Das ist eine alte Weisheit. Ich zitiere insoweit den verstorbenen Präsidenten Harry
S. Truman:
Wir wissen, dass die Begriffe Arbeit und Menschenwürde nicht sentimentale Utopien sind, eitle
Hoffnungen oder rhetorische Schnörkel. Sie sind
die stärksten und schöpferischsten Kräfte der ganzen Welt.
Arbeit und Würde hängen untrennbar zusammen.
Dies erleben schmerzhaft alle, die vom Arbeitsmarkt
ausgeschlossen sind. Mehr als die Hälfte davon sind
Langzeitarbeitslose und Geringqualifizierte, Menschen
ohne Schulabschluss, ohne Ausbildung, ohne Perspektive.
Nicht alle Menschen sind gleich leistungsfähig. Dies
lässt sich nun einmal nicht ignorieren. Es gibt nicht nur
die Starken, die Klugen, die Gesunden. Wenn wir den
Schwächeren wirklich helfen wollen, müssen wir ihnen
eine Chance auf dem Arbeitsmarkt bieten. Das ist möglich.
({0})
Ich habe vor kurzem ein Berufsbildungswerk in meinem
Wahlkreis besucht. Dort werden Sonderausbildungsformen für Lernbehinderte angeboten, unter anderem die so
genannte Helferausbildung. Mehr als 50 Prozent der Jugendlichen werden nach dieser Ausbildung vermittelt,
allerdings wegen geringerer Qualifikation zu niedrigeren
Löhnen.
Meine Damen und Herren von den Linken, bei einem
gesetzlichen Mindestlohn von 8 Euro hätten diese Jugendlichen eines nicht: Arbeit.
({1})
Da kann Ihr Kollege Herr Gysi in der letzten Debatte
viel von Mindestanforderungen sprechen, die Sie an Arbeitgeber stellen. Sie zeigen mit dieser Forderung aber
nur eines: vollständige Unkenntnis der Lage gerade der
kleinen und mittelständischen Betriebe.
({2})
Wissen Sie eigentlich, was zum Beispiel einem Handwerkerbetrieb bei einem Stundenverrechnungssatz von
44 Euro bleibt? Genau 1,20 Euro.
({3})
Da bleiben einem kleinen oder mittelständischen Unternehmen keine Spielräume mehr. Mir ist natürlich klar,
dass Sie das aufregt, dass diese Realität nicht in Ihr ideologisches Weltbild passt.
({4})
Ich zitiere aus dem neuesten Jahresgutachten des
Sachverständigenrates:
Die überproportional angehobenen oder gar gänzlich gestrichenen unteren Tariflohngruppen haben
in den vergangenen beiden Jahrzehnten nicht unwesentlich zu dem dramatischen Anstieg der Arbeitslosigkeit gering qualifizierter Arbeit beigetragen …
Ein gesetzlicher Mindestlohn … wiese ähnliche Effekte auf. Ein Verlust von Arbeitsplätzen wäre die
Folge.
Dies ist nicht nur bei gering Qualifizierten der Fall,
sondern insbesondere auch bei Menschen in den neuen
Bundesländern. Der Kollege Carsten Schneider von der
SPD hatte Recht, als er jetzt in der „Leipziger Volkszeitung“ warnte:
Es bringt nichts, in München einen Lohn festzulegen, der im Osten alle Arbeit platt macht.
({5})
Ein Mindestlohn von 8 Euro wäre für die Menschen
in Thüringen und Sachsen eine reine Jobvernichtungsaktion. Eine Kfz-Werkstatt in Görlitz muss mit einer Werkstatt im polnischen Zgorzelec konkurrieren. Die beiden
Städte trennt nur ein Fluss. In Polen gibt es einen Mindestlohn; dieser liegt aber bei 1,15 Euro pro Stunde. In
Tschechien beträgt er 1,24 Euro pro Stunde. Diese Länder sind unsere direkten Nachbarn. Wir wollen solche
Löhne nicht. Aber nur wenn wir besser und produktiver
sind, können wir höhere Löhne zahlen.
({6})
Ich weiß, was jetzt kommt, nämlich der Hinweis auf
die höheren Mindestlöhne in Frankreich und Großbritannien. Aber genau dieser Hinweis greift nicht. Denn
empirische Studien belegen - auch diese werden im Jahresgutachten des Sachverständigenrates zitiert -, dass
der Salaire minimum in Frankreich mitverantwortlich
für den Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit war.
({7})
- Liebe Frau Nahles, regen Sie sich nicht auf, sondern
lesen Sie einfach im Jahresgutachten des Sachverständigenrates nach!
({8})
- Ich verstehe aufgrund Ihres vulkanischen Temperaments Ihren Zuruf. Aber trotzdem mein Rat an Sie, in
diesem Gutachten einmal nachzulesen.
({9})
Ich komme jetzt auf Großbritannien zu sprechen. Dort
übernimmt der Mindestlohn die Funktion einer Mindesteinkommensregelung. Ein Engländer ohne Arbeit
muss mit 669 Euro auskommen. Dies ist in Deutschland
anders. Denn wir haben durch ALG II und weitere ergänzende Sozialleistungen schon einen Quasimindestlohn. Laut IW Köln beläuft sich der ALG-II-Anspruch
bei einem Singlehaushalt auf 850 Euro brutto, bei einem
Vierpersonenhaushalt auf rund 2 000 Euro brutto.
Bundesminister Franz Müntefering hat deshalb auf
dem DGB-Kongress in der vergangenen Woche zu Recht
vor einem gesetzlichen Mindestlohn von 7,50 oder 8 Euro
gewarnt. Ich erlaube mir, ihn zu zitieren:
Wenn das kommt, geht der Familienvater als Alleinverdiener mit weniger Geld nach Hause als der,
der ALG II bekommt.
Frau Kollegin, möchten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Kolb zulassen?
Immer.
({0})
Frau Kollegin Connemann, ich habe Ihnen aufmerksam zugehört. Ich bin mir aber nicht ganz schlüssig, ob
Sie generell gegen einen gesetzlichen Mindestlohn sind
oder ob Sie nur gegen einen gesetzlichen Mindestlohn in
der Höhe von 8 oder 8,50 Euro sind. Vielleicht können
Sie es am Schluss Ihrer Rede einmal klipp und klar sagen.
Lassen Sie sich überraschen.
({0})
- Nein. Die Antwort werde ich Ihnen am Ende dieser
Rede geben. Das wird die reine Offenbarung werden.
({1})
Ich war bei dem Zitat des Bundesministers Franz
Müntefering stehen geblieben, der auf die Problematik
bezüglich des Mindestlohns hingewiesen hatte.
Ein Einkommen unterhalb des Mindestlohns bietet
eigentlich keinen Anreiz mehr zur Arbeitsaufnahme. Eigentlich. Denn wissen Sie, was mich wirklich beeindruckt? Dass trotzdem sehr viele Menschen in diesem
Land lieber für weniger arbeiten, als staatliche Transferleistungen in Anspruch zu nehmen und davon abhängig
zu werden. Leider arbeiten diese Menschen manchmal
für einen viel zu geringen Lohn. Etwa 1,3 Millionen
Beschäftigte verdienen in Deutschland weniger als
1 000 Euro bzw. 6 Euro pro Stunde - übrigens auch in
tarifgebundenen Branchen. Einige Beispiele sind von
der Kollegin Kramme schon genannt worden.
Es ist keine Frage, dass man von solchen Löhnen
nicht leben kann. Der Beschäftigte muss aber von seinem Lohn leben können; alles andere wäre mit seiner
Würde unvereinbar. Mit der CDU/CSU-Bundestagsfraktion sind Hungerlöhne nicht zu machen. Missbrauch und
Lohndumping werden wir nicht tatenlos zusehen.
({2})
Aber wenn es einen Markt für gering bezahlte Tätigkeit gibt, dann müssen wir darüber nachdenken, wie man
sie durch staatliche Hilfen attraktiver machen kann.
Kombilohn, Ausweitung des Entsendegesetzes - das
sind nur einige Stichworte. Wir sind in der Diskussion.
Die Bundesregierung wird im Herbst einen Vorschlag
unterbreiten. Was uns sicherlich nicht hilft, sind Schnellschüsse wie ein Nacht-und-Nebel-Antrag der FDP-Fraktion,
({3})
wie er jetzt unterbreitet wurde, oder aber ein kaum
durchdachter Antrag der Grünen.
Ich bin froh, dass diese Diskussion in der großen Koalition offen und ohne ideologische Scheuklappen geführt wird. Am Ende dieser Diskussion muss eines stehen: nicht weniger Arbeit, sondern mehr. Zuerst kommt
das Ziel, dann die Instrumente. Der Maßstab bleibt die
Würde des Einzelnen. Diese ist für uns unantastbar.
Vielen Dank.
({4})
Für den Bundesrat erhält das Wort der Kollege Harald
Wolf, Senator für Wirtschaft, Arbeit und Frauen, Berlin.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir
brauchen in Deutschland dringend einen Mindestlohn.
Beispiele dafür, dass tarifgebundene Beschäftigungen
keine existenzsichernden Einkommen mehr gewährleisten, sind genannt worden. Im Wachschutzgewerbe in
Berlin gibt es einen Stundenlohn von 5,30 Euro und bei
Friseurinnen und Friseuren in Ostdeutschland einen
Stundenlohn von gerade 3 Euro. Das sind Löhne, die
nicht akzeptabel sind. Das ist Arbeit, bei der die Vollzeitbeschäftigung arm macht. Eine Existenzsicherung in
Würde, Frau Kollegin, wird damit nicht gewährleistet.
({0})
In den letzten Tagen und Wochen ist viel über die Revision von Hartz IV diskutiert worden. Unter anderem
hat Herr Stoiber aus Bayern erklärt, es sei nicht hinnehmbar, dass manche Vollzeitbeschäftigungen nur ein
Nettoeinkommen ermöglichen, das unterhalb des Niveaus von Hartz IV liegt. Ich bin da mit Herrn Stoiber einig. Auch ich halte das für einen nicht hinnehmbaren
Zustand. Nur, meine Konsequenz ist eine völlig andere.
Meine Konsequenz ist nämlich nicht, dass die Transferleistung gesenkt werden muss. Meine Konsequenz ist
vielmehr: Die Löhne müssen auf ein existenzsicherndes
Niveau angehoben werden.
({1})
Hartz IV ist mehr und mehr - auch das ist in der Debatte bereits gesagt worden - zu einem flächendeckenden Kombilohn geworden. Wenn es richtig ist, dass wir
mittlerweile fast 1 Million Aufstocker haben - diese
Zahl hat sich aus einer Umfrage ergeben -, das heißt
Menschen, die ihr nicht existenzsicherndes Einkommen
mit Leistungen aus Hartz IV aufstocken, dann - so muss
ich sagen - haben wir an dieser Stelle in der Tat eine
Kostenexplosion zu verzeichnen, nämlich eine flächendeckende Subventionierung von nicht existenzsichernden Löhnen. Das muss verändert werden.
({2})
Deshalb wäre die Einführung eines Mindestlohnes
eine wirklich sinnvolle Maßnahme der Kostendeckung
und Kostendämpfung. Denn ein Mindestlohn würde bedeuten, dass die Differenz zwischen den nicht existenzsichernden Löhnen und dem existenzsichernden Niveau
von den Unternehmen und nicht vom Steuerzahler gezahlt wird. Das ist der Weg, den wir gehen müssen.
({3})
Nun kommt das Argument - das ist in der Diskussion
heute wieder genannt worden -, dass die Einführung eines Mindestlohnes Arbeitsplätze im Bereich der niedrigen Einkommen vernichten würde.
({4})
In meiner Eigenschaft als Wirtschaftssenator in Berlin
rede ich täglich mit Unternehmerinnen und Unternehmern, zum Beispiel mit Unternehmen aus der Gebäudereinigerinnung in Berlin oder dem Vorstand von Securitas,
dem größten deutschen Wachschutzunternehmen. Sie
alle erklären mir, sie seien für einen gesetzlichen Mindestlohn.
({5})
Denn diese Unternehmen wissen, liebe Kolleginnen und
Kollegen von der FDP, dass sich Ihr Marktradikalismus
und Ihre Lehrbuchweisheit über den Markt nicht mit der
Realität decken.
({6})
- Ja. Aber es sind die großen, die nach Tarif zahlen. Es
sind die großen, die ausbilden und die qualifizierte Leute
einsetzen. - Diese sagen mir: Mit Dumpingpreisen und
der Schmutzkonkurrenz, die es in diesen Sektoren teilweise gibt, werden Arbeitsplätze vernichtet, wird tarifgebundene Beschäftigung vom Markt verdrängt und
Senator Harald Wolf ({7})
werden Möglichkeiten der Ausbildung und der Qualifizierung vernichtet. Das kann nicht der Weg sein, den wir
gehen sollten.
({8})
Herr Senator, möchten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Rohde zulassen?
Bitte.
Bitte schön.
Können Sie mir vielleicht erklären, wie Sie zu einem
Mindestlohn mit einem Betrag X - es können 8 Euro
sein - stehen und welche Strategie Sie entwickeln, um
Schwarzarbeit in Deutschland zu bekämpfen?
Schwarzarbeit in Deutschland bekämpft man nicht
durch Dumpinglöhne, was ja die Auffassung der FDP
ist.
({0})
Schwarzarbeit bekämpft man, indem man klare Repressionsmaßnahmen durchführt und
({1})
dafür sorgt, dass Unternehmer, die Schwarzarbeiter beschäftigen, die Strafen und Ordnungsgelder nicht aus der
Portokasse zahlen können, und dass das tatsächlich als
sozial schädliches Verhalten gilt.
({2})
Ich habe Beispiele von Unternehmern genannt, die
aus wirtschaftlicher Rationalität dafür eintreten, einen
Mindestlohn einzuführen. Ich kann noch hinzufügen:
Michael Knieper vom Hauptverband der Deutschen
Bauindustrie hat darauf hingewiesen, dass ohne einen
Mindestlohn in der Bauindustrie noch 250 000 weitere
Arbeitsplätze vernichtet worden wären
({3})
und dass Mindestlöhne durchaus ein arbeitsmarktstabilisierender Faktor sein können.
({4})
Vorhin ist schon die Einführung des Mindestlohnes in
Großbritannien angeführt worden. Dazu kamen auch
noch andere Beispiele. Die Mehrheit der EU-Länder hat
einen gesetzlichen Mindestlohn. Die Mehrheit dieser
Länder hat auch eine bessere Arbeitsmarktsituation und
einen höheren Beschäftigungsgrad,
({5})
weil sie eben nicht den Weg gegangen sind, die Löhne
nach unten zu nivellieren und damit die Binnenkaufkraft
und Unternehmensstrukturen zu zerstören, sondern weil
sie einen Mindeststandard eingeführt und damit für Stabilität gesorgt und Wachstum ermöglicht haben. Das ist
der Weg, den wir in der Bundesrepublik Deutschland gehen müssen.
({6})
Wir sollten nicht immer als Einzige in Europa versuchen, den falschen Weg zu gehen, sondern wir sollten
uns an positiven Beispielen aus anderen europäischen
Ländern orientieren.
({7})
Deshalb sage ich: Der gesetzliche Mindestlohn ist
keine spinnerte Idee der politischen Linken oder von
verantwortungslosen Gewerkschaften, sondern er ist erstens ein Gebot der wirtschaftspolitischen Vernunft und
zweitens sozial- und arbeitsmarktpolitisch notwendig.
Im Übrigen ist er angesichts der Tatsache, dass von den
Niedriglohnbezieherinnen und -beziehern 70 Prozent
Frauen sind, auch noch frauen- und gleichstellungspolitisch geboten.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({8})
Das Wort hat Brigitte Pothmer, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Müntefering, Sie betonen immer wieder, dass Sie der
Auffassung sind, dass Löhne von 4,50 Euro und weniger
- Sie wissen, es ist oft noch deutlich weniger - sittenwidrig sind.
({0})
- Ja. Herr Kolb, wir reden heute auch deshalb über dieses Problem, weil die Gewerkschaften das wollen
({1})
und merken, dass die Kräfteverhältnisse in diesem Land
inzwischen so sind, dass ein Eingreifen des Staates notwendig ist.
({2})
- Herr Kolb, ich schlage vor, dass Sie sich einfach einmal bei Verdi bewerben mit dem Argument, Sie würden
alles besser machen. Ich fürchte nur, Sie würden nie gewählt.
({3})
Ich komme noch einmal auf Herrn Müntefering zurück. Herr Müntefering, Sie sagen auch, dass ein Mann,
der den ganzen Tag ordentliche Arbeit leistet, von dem
so verdienten Geld auch sich und seine Familie ernähren
können soll. Abgesehen davon, dass das ein überkommenes und patriarchales Bild ist, stimme ich Ihnen in der
Sache ausdrücklich zu.
({4})
Sie fordern auch immer wieder, dass Deutschland ein
Hochlohnland bleiben soll. Gut so, sage ich. Meine
Frage an Sie als Arbeitsminister ist aber: Was tun Sie dafür? Bei der Einbringung des Antrages hatte ich tatsächlich den Eindruck, wir wären weiter. Das ist jetzt ein halbes Jahr her. Damals wurde ein Gesetzentwurf
angekündigt. Jetzt hören wir, dass das ganze Projekt auf
den Herbst verschoben worden ist. Ganz offensichtlich
hat das auch etwas mit den Koalitionsquerelen zu tun.
Inzwischen weiß jeder hier im Lande, der sich dafür
interessiert, was die SPD nicht will und was die CDU/
CSU nicht will; aber was Sie in Sachen Mindestlohn
konkret wollen, ist immer noch nicht klar. Dabei ist Handeln - das betonen alle Rednerinnen und Redner immer dringender und notwendiger denn je; denn das Lohndumping geht weiter und das Unterschreiten sozialer
Standards auf dem Arbeitsmarkt muss dringend gestoppt
werden. All das haben Sie hier beschworen.
({5})
Wir merken das auch in der SGB-II-Debatte. Da verstehe ich gerade die Scharfmacher aus der CDU und aus
der CSU nicht mehr. Sie beschreien eine so genannte
Kostenexplosion, obwohl sie haargenau wissen, dass
ein Großteil der Kosten deswegen entsteht, weil Menschen, auch wenn sie in Vollzeit sozialversicherungspflichtig arbeiten, von ihren Löhnen nicht mehr leben
können. Es handelt sich um 500 000 Menschen. Hinzu
kommen 500 000 Menschen, die geringfügig beschäftigt
sind. Herr Kolb, genau die bekommen die Aufstockung
im Rahmen des ALG II.
({6})
- Herr Kolb, erklären Sie mir bitte einmal, was der genaue strukturelle Unterschied zwischen der Aufstockung
durch ALG II und Ihrem Vorschlag der negativen Einkommensteuer ist.
({7})
Alle Berechnungen zeigen uns, dass das erstens ein ungeheuer teures Projekt ist und dass zweitens mit diesem
Projekt ausdrücklich Druck auf die Löhne ausgeübt
wird. So einfach, wie Sie sich das vorstellen, ist es eben
nicht.
({8})
Ich würde mir sehr wünschen, dass sich insbesondere
die CDU/CSU dem Projekt des Mindestlohns stärker annimmt, statt hier hysterische Debatten über Missbrauch
bei Hartz IV zu führen.
({9})
Seit geraumer Zeit verweist die Koalition - ich habe
es schon erwähnt - auf den Herbst. Offenbar kommt
dann die arbeitsmarktpolitische Offenbarung. Die soll
Ihnen dann wie ein reifer Apfel in den Schoß fallen. Lassen Sie mich etwas als Bauerstochter sagen. Eine alte
Bauernweisheit ist: Wer im Frühjahr nicht sät, wird im
Herbst nicht ernten. Deswegen schlage ich Ihnen vor,
sehr schnell in die Strümpfe zu kommen. Wir haben Ihnen mit unserem sehr differenzierten und an der gesellschaftlichen Wirklichkeit ausgerichteten Konzept eine
gute Arbeitsgrundlage geliefert. Dieses meistert genau
die Gratwanderung, die darin besteht, auf der einen Seite
Lohndumping zu verhindern, auf der anderen Seite aber
auch zu vermeiden, dass Arbeitsplätze, für die jetzt nicht
sehr hohe Löhne gezahlt werden, wegbrechen und wir
dann zwar einen hohen Mindestlohn haben, aber ein großer Teil der Arbeitsfelder, die wir dringend brauchen,
nicht mehr existiert.
({10})
Wir schlagen vor, das Arbeitnehmer-Entsendegesetz
auszuweiten. Das findet auch bei der SPD Zustimmung.
Wir schlagen weiterhin die Reform der Allgemeinverbindlichkeitserklärung im Tarifvertragsgesetz und die
Reform des Mindestarbeitsbedingungengesetzes von
1952 vor. Diesem überlegten Dreischritt können auch
Sie von der SPD - ich spreche besonders Frau Kramme
an - zustimmen nach dem, was Sie heute hier vorgetragen haben.
({11})
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.
Frau Connemann, auch Sie können diesen Antrag eigentlich nicht ablehnen, weil er genau Ihre Bedingung
erfüllt. Danach ist es nämlich nicht so, dass Löhne, die in
München festgelegt werden, auch bei Ihnen an der Unterweser gelten. Geben Sie sich einmal einen Schubs und
bringen Sie die Sache voran! Stimmen Sie unserem Antrag zu! Das wäre eine gute Arbeitsgrundlage für Minister Müntefering.
Ich danke Ihnen.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Andrea Nahles, SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Frage ist: Warum brauchen wir einen
Mindestlohn? Heute haben viele darauf hingewiesen,
dass wir die Ausnahme von der Regel in Europa sind,
dass also die Mehrheit der europäischen Länder einen
Mindestlohn hat. Deswegen habe ich mir einmal angeschaut, welche Regelungen es in den Staaten, die keinen
Mindestlohn haben, gibt, um ein Abrutschen der Löhne
in den nicht mehr menschenwürdigen Bereich zu verhindern.
Interessant ist das Beispiel Österreich - das schlage
ich der FDP, wenn sie keinen Mindestlohn will, als Alternative vor, wo es eine Pflichtmitgliedschaft der Arbeitgeber in der Wirtschaftskammer gibt. Die Italiener
haben de facto eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung
für tarifliche Löhne per Gesetz. Wenn Sie darin eine Alternative sehen, dann können wir gerne darüber reden.
({0})
Beispiel Skandinavien: Dort gibt es keinen Mindestlohn,
dort liegt der Organisationsgrad der Gewerkschaften
aber bei über 80 Prozent.
({1})
Die Gewerkschaften haben daher natürlich auch in den
Bereichen, die in Deutschland besonders problematisch
sind - NGG und andere -, eine ganz andere Verhandlungsmacht.
({2})
Wenn Sie auch der Meinung sind, dass Armutslöhne
in diesem Land mit der Menschenwürde nicht vereinbar
sind, Sie einen Mindestlohn aber nicht mittragen wollen,
dann schlage ich Ihnen alternativ das vor, was die Österreicher, die Italiener und die Schweden gemacht haben.
({3})
Aber auch dazu sind Sie nicht bereit, weil Sie in Wirklichkeit nicht die Interessen der Menschen im Auge haben, sondern nur verhindern wollen, dass ein bisschen
mehr Ordnung und ein bisschen mehr Recht auf dem Arbeitsmarkt geschaffen wird.
({4})
- Nein, jetzt nicht.
Jetzt nicht.
Wenn wir schon die internationale Perspektive aufnehmen - das ist für mich ein ganz zentraler Punkt -,
müssen wir feststellen, dass Deutschland das einzige
Land in Europa mit neun Ländergrenzen ist. Wir wollen
ein offenes Europa. Wir wollen Schritt für Schritt - mit
der Dienstleistungsrichtlinie, aber auch mit der Freizügigkeit, die 2011 wahrscheinlich endgültig kommt - eine
Situation schaffen, die es uns ermöglicht, hier in
Deutschland unsere Hausaufgaben zu machen. Wir haben in Deutschland unsere Hausaufgaben noch nicht gemacht.
({0})
Das Entsendegesetz muss aus unserer Sicht auf alle
Branchen ausgedehnt werden, damit wir in einem offenen Europa den Arbeitnehmern, die ihre Arbeit in
Deutschland anbieten, auch Mindestregeln mit auf den
Weg geben. Sie müssen sich in Deutschland dann an
Mindeststandards halten. Das ist dringend erforderlich.
Deswegen muss der Geltungsbereich des Entsendegesetzes ausgedehnt werden.
({1})
Die Ausgestaltung der Mindestlöhne in Europa ist
interessant. Frau Connemann, ich bitte Sie an dieser
Stelle, sich das wirklich einmal anzuschauen. In den allermeisten Ländern gibt es selbstverständlich Sonderregelungen für Behinderte und Auszubildende. Sie sind
von den Mindestlöhnen ausgenommen.
Sie beziehen sich auf einen Brief des Beirates des
Wirtschaftsministeriums, in dem versucht wird, dem
Mindestlohn die Schuld für 25 Prozent Jugendarbeitslosigkeit in Frankreich zuzuschieben.
Ich sage Ihnen dazu Folgendes: Das hat mit dem
SMIC - so heißt der Mindestlohn in Frankreich - nichts
zu tun. Das hat damit zu tun, dass die konservative Regierung in Frankreich das Programm gegen Jugendarbeitslosigkeit - „Emplois Jeunes“ - seit 2001 massiv
heruntergefahren hat. Das haben wir nicht getan. Wir haben investiert. Wir haben mit den Programmen „JUMP“,
„JUMP plus“ und anderen das Gegenteil gemacht. Deswegen stehen wir bei der Jugendarbeitslosigkeit auch
deutlich besser da.
({2})
Das hat mit dem Mindestlohn in Frankreich überhaupt
nichts zu tun.
({3})
Was sollen wir machen?
({4})
Wir Sozialdemokraten nehmen die Tarifautonomie in
diesem Land sehr ernst. Deswegen wollen wir den Tarifparteien im Rahmen des Entsendegesetzes zunächst die
Möglichkeit geben, branchenspezifische Vereinbarungen zu treffen. In dieser Woche hat es eine branchenspezifische Vereinbarung gegeben. Die Zeitarbeitsfirmen
haben 7 Euro Mindestlohn in Deutschland vereinbart.
({5})
- Herr Kolb, das muss man Ihnen doch einmal vorhalten: 7 Euro in einer unter hohem Wettbewerbsdruck stehenden Branche wie der Zeitarbeit.
({6})
Diese Vereinbarung ist auch auf Wunsch der Arbeitgeberverbände zustande gekommen. Das sollte die FDP
doch einmal zum Nachdenken bringen. Es kann doch
nicht sein, dass Sie das nicht zur Kenntnis nehmen.
({7})
Darüber hinaus sage ich für meine Fraktion klipp und
klar: Wir wissen, dass wir eine Vielzahl von branchenspezifischen Absprachen und Tarifverträgen haben. Wir
haben inklusive Hausverträgen sage und schreibe
46 000 Tarifverträge in Deutschland. Ich glaube, es wird
uns nicht gelingen, allein über das Instrument des Entsendegesetzes tatsächlich in allen Branchen zu verbindlichen Lösungen zu kommen. Deswegen brauchen wir als
zweiten Schritt einen gesetzlichen Mindestlohn. Das
muss aus meiner Sicht klar gesagt werden.
({8})
- Ich habe ein Zweistufenverfahren vorgeschlagen; das
haben Sie nur nicht mitbekommen.
({9})
Zur Höhe des Mindestlohns. Die Linkspartei haut uns
das Thema immer vor die Füße: 8 Euro, 9 Euro, könnte
es nicht noch ein bisschen mehr sein? Ich sage dazu: Ich
halte dieses Vorgehen für falsch. Da stimme ich Ihnen,
Herr Kolb, ausdrücklich zu. Die Frage, wie hoch der
Mindestlohn in Deutschland ist, darf nicht zu Plenardebatten - ein bisschen mehr vor den Wahlen, ein bisschen
weniger nach Wahlen - führen.
({10})
Wir brauchen eine unabhängige Kommission,
({11})
wie es die Briten vorgemacht haben.
({12})
Deswegen sage ich an dieser Stelle, dass wir uns nicht
auf eine Höhe festlegen werden und uns dann in den
nächsten Jahren mit Ihnen über 20 Cent mehr oder weniger streiten. Aus meiner Sicht ist der britische Weg mit
einer unabhängigen Kommission der richtige. Wir werden dazu im September Vorschläge vorlegen.
Heute haben wir eine namentliche Abstimmung - es
ist spannend - über einen Antrag, hinter dem die Linkspartei nicht mehr steht. Herr Dreibus - dort hinten sitzt
er - hat doch allen Ernstes am 19. Mai dieses Jahres einen Rundbrief an die Linksfraktion und die Gäste einer
Anhörung geschickt, in dem steht, dass bereits ein zweiter Antrag in der Pipeline sei, weil der, der heute zur namentlichen Abstimmung stehe, leider qualitative Mängel
habe. Man darf vermuten, dass ihn die Linkspartei gar
nicht mehr ernst nimmt.
({13})
Ich frage mich: Warum führen wir hier eine namentliche
Abstimmung über einen Antrag durch, den Sie selber gar
nicht mehr wollen? Das ist alles nur Show. Mehr ist das
in diesem Hohen Haus nicht.
({14})
Deswegen fordere ich Sie auf: Beteiligen Sie sich,
aber machen Sie es seriös. Ich rufe alle dazu auf, dass
wir trotz aller Scharmützel, die wir in den nächsten Monaten noch haben werden, eines nicht vergessen: Vollzeitarbeit muss am Ende das bringen, was ein Mensch
braucht. Wenn das, was wir mit Mindestlöhnen machen,
nicht hilft - ich sage nicht, dass das Problem damit gelöst wird -, dann weiß ich wirklich nicht, was noch helfen soll.
Vielen Dank.
({15})
Es ist ja zu begrüßen, dass wir ein sehr kommunikatives Haus sind. Aber ich fände es sehr gut, wenn wir die
Kommunikation in den nächsten sieben Minuten darauf
beschränken könnten, den Redner zu unterstützen oder
ihn mit Zwischenrufen zu unterbrechen. Aber den anderen Geräuschpegel sollten wir etwas herunterfahren.
Ich gebe das Wort dem Kollegen Paul Lehrieder,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Zunächst zu Frau Kollegin Pothmer
und ihren biologischen Erkenntnissen. Liebe Frau
Pothmer, ich habe auch ein bisschen mit der Landwirtschaft zu tun und ich kann Ihnen sagen: Die besten
Früchte reifen nun einmal im Herbst.
({0})
Das heißt, wenn wir unseren Kombilohn im Herbst vorstellen, können Sie davon ausgehen, dass etwas Vernünftiges dabei herauskommt.
({1})
- Genau, sie säen nicht, sie ernten nicht und der Herrgott
ernährt sie doch. Ich stelle fest, Herr Kolb, Sie sind bibelfest. Das ist für einen Freien Demokraten schon sehr
beachtlich.
({2})
Rund um die Hartz-IV-Debatte begegnet uns naturgemäß immer wieder auch das Thema Mindestlohn, leider
auch immer wieder in unangenehmer Form von Aktionen, mit denen sich die Linke selbst disqualifiziert hat.
Ihre Anbiederung an die Gewerkschaften nimmt sie
wohl selbst nicht ernst. Eine sachorientierte Debatte ist
ihr anscheinend zu riskant. Populismus ist viel billiger.
Mir ist bekannt, dass die Linkspartei mittlerweile einen Napoleon hat. Ich wusste allerdings nicht, dass sie
auch noch eine Jeanne d’Arc hat. Nachdem gestern die
Kollegin Katja Kipping mit wehenden Fahnen aus dem
Ausschuss für Arbeit und Soziales ausgezogen ist,
({3})
weil sie sich einer inhaltlichen Diskussion verweigern
wollte, weiß ich jetzt, was Aktionismus bei der Linkspartei bedeutet.
({4})
Gerade die Gewerkschaften waren es, die die Mindestlohndebatte angestoßen haben. Dieses Thema verdient diese Debatte auch. Vom Grundsatz her wird sich
unsere Partei einer Diskussion über den Sinn und die
Höhe eines möglichen Mindestlohnes nicht entziehen.
Ein gesetzlicher Mindestlohn in der geforderten Höhe
von 8 Euro pro Stunde, was bei einer 38-Stunden-Woche
einem Monatslohn von über 1 250 Euro entspricht, kann
unsere Probleme auf dem Arbeitsmarkt aber nicht lösen.
({5})
In der „Welt“ vom heutigen Tag - die meisten von Ihnen haben es gelesen - steht ausdrücklich: Wir haben es
geschafft, die Arbeitslosenzahlen deutlich zu senken.
Wir haben jetzt immerhin 349 000 Arbeitslose weniger
als noch vor Jahresfrist. Gleichzeitig ist aber auch festzustellen: Das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass
bei den sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen immer noch ein leichter Rückgang zu verzeichnen ist.
Die Gewerkschaften sollten im Auge behalten, dass
das, worin sich die Koalitionsfraktionen einig sind, auch
ihnen am Herzen liegen sollte: Tarifliche Lösungen sind
gesetzlichen Lösungen immer vorzuziehen.
({6})
Hochinteressant ist, dass die Gewerkschaften in
puncto Mindestlohn selbst nicht an einem Strang ziehen.
Sogar der Vorsitzende der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie, Hubertus Schmoldt, hat vor Folgen wie Schwarzarbeit, Abwanderung von Arbeitsplätzen, Aushöhlung der Tarifautonomie und wachsender
staatlicher Einflussnahme gewarnt. Er hat Recht.
Völlig unverständlich ist mir hingegen, dass IG-Metall-Chef Peters in einem Interview mit der „Welt am
Sonntag“ vom 28. Mai 2006 bürokratische Neuschöpfungen fordert, indem er - Zitat - „die Behörden kontrollieren lassen will, ob der gesetzliche Mindestlohn tatsächlich eingehalten wird“. Dass dies so kommen würde,
will ich nicht bestreiten. Dass aber ein Gewerkschafter
dies so ernsthaft wie freudig in Kauf nimmt, muss zu
denken geben.
Im Niedriglohnsektor, also bei einem Jahreseinkommen von weniger als 20 000 Euro, gibt es schon genug
Probleme. Das gilt auch für Branchen, in denen ein tariflicher Mindestlohn eingeführt wurde. In den Tarifverhandlungen der Vergangenheit sind die Löhne für einfache Arbeiten so stark angehoben worden, bis sie für
viele Unternehmen schlicht zu teuer wurden.
({7})
In der niedersächsischen Chemieindustrie zum Beispiel werden in der untersten Tarifgruppe 11,10 Euro pro
Stunde gezahlt. In der Metall- und Elektroindustrie in
Baden-Württemberg beträgt der niedrigste Stundenlohn
10,42 Euro. Im Baugewerbe - das beste Beispiel für tarifliche Mindestlöhne - kommt ein ungelernter Arbeiter
im Zeitraum von September 2005 bis August 2006 auf
einen tariflichen Mindestlohn von 10,20 Euro. Oft bleiben die niedrigsten Tarifgruppen gerade deshalb unbesetzt. In den vergangenen Jahren wurden in diesen Branchen stattdessen sogar Hunderttausende Arbeitsplätze
gestrichen oder ins Ausland verlagert,
({8})
von der Schaffung neuer Stellen ganz zu schweigen.
Dasselbe würde in größerem Umfang auch dann geschehen, wenn wir einen gesetzlichen Mindestlohn auf
hohem Niveau einführen würden.
({9})
Er würde zwar ausländische Billigarbeitskräfte von unserem Arbeitsmarkt fernhalten, aber auch die Beschäftigungschancen für gering Qualifizierte verringern. Wenn
ein Mindestlohn höher ist, als es der Arbeitsmarkt eigentlich hergibt, dann sperrt er gerade diese Menschen
vom Arbeitsmarkt aus.
({10})
Soll ein Unternehmer zwischen den Alternativen
wählen, bei hohem Mindestlohn einen gering Qualifizierten einzustellen oder die Produktion in Länder mit
niedrigem Lohnniveau zu verlagern? Man braucht nicht
viel Fantasie, um sich vorstellen zu können, wofür er
sich entscheidet.
Von dieser Möglichkeit kann ein Globalplayer natürlich ungleich stärker Gebrauch machen als ein kleiner
mittelständischer Handwerksbetrieb. Kein Unternehmen kann es sich angesichts des Wettbewerbs auf Dauer
leisten, Löhne zu zahlen, die nicht von der Produktivität
gedeckt sind.
({11})
Die Arbeit, die heute bezahlbar ist, würde sich verteuern, insbesondere in den Sparten mit geringen tariflichen
Stundenlöhnen. Die entsprechenden Beispiele sind
schon genannt worden: das Friseurhandwerk in Sachsen
mit 3,06 Euro, die Floristikbranche in Brandenburg mit
4,58 Euro oder der Einzelhandel in Hamburg mit
7,28 Euro. Die gesetzlich verteuerte Arbeit könnten die
Betriebe nur über höhere Preise ausgleichen. Aber die
Preise können nicht endlos steigen,
({12})
ohne dass man dadurch die Kunden vergrault und das
Geschäft schädigt.
Wenn es einen Mindestlohn geben soll, dann muss er
so niedrig angesetzt werden, dass Arbeitskräfte, deren
heutige Produktivität unterhalb der Löhne der Flächentarifverträge liegt, wieder eine Chance haben. Kleine und
mittlere Unternehmen, die 75 Prozent der Arbeits- und
Ausbildungsplätze schaffen, sind demgegenüber benachteiligt. Aber sie sind es, die nachhaltig für mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse sorgen können.
({13})
Eine solche Entwicklung kann im Übrigen nicht im
Interesse der Tarifvertragsparteien sein. Es kann nicht
darum gehen, durch die Einführung eines gesetzlichen
Mindestlohns das untere Lohnniveau anzuheben und als
unerwünschten Nebeneffekt weite Teile unseres Arbeitsmarktes von unten stillzulegen. Gefährdet werden letztlich 2,4 Millionen Arbeitsplätze.
So viele Stellen gibt es derzeit im Lohnsegment unter
der von den Gewerkschaften geforderten 7,50-EuroSchwelle. Bei einem Mindestlohn von 6 Euro sind es immerhin noch 1,3 Millionen Arbeitsplätze, die durch ein
entsprechendes Mindestlohnniveau gefährdet würden.
Vorhin wurde mehrfach angesprochen, Frankreich
sei ein Paradebeispiel für gute Erfahrungen mit einem
Mindestlohn. Dazu will ich Ihnen sagen: Frankreich hat
1980 mit einem Mindestlohn experimentiert. Er ist von
ursprünglich 2,04 Euro auf heute 8,03 Euro angestiegen
- ein möglicher Grund für die hohe Jugendarbeitslosigkeit; es wurde bereits darauf hingewiesen.
({14})
Da auch Großbritannien glorifiziert wurde, müssen
Sie wissen, dass in Großbritannien wegen etlicher Ausnahmen tatsächlich weniger als 3 Prozent der Arbeitsverhältnisse unter die Mindestlohnregelung fallen. Von
daher eignet sich auch Großbritannien nicht als Präjudiz
für Deutschland.
Wie soll es weitergehen? Die Einführung eines Mindestlohnstandards macht ohne die Einbeziehung der
Kombilohndiskussion keinen Sinn. Wir wollen deshalb
ohne Aufgeregtheit die Einführung eines Kombilohnmodells prüfen und ob - und, wenn ja, in welcher Höhe ein Mindestlohn eingeführt werden kann. Hier muss genau durchgerechnet werden - wir wollen eine unliebsame Überraschung wie bei Hartz IV nicht noch einmal
erleben. Deshalb lassen Sie uns auf den Herbst warten!
Wir werden mit unseren neuen Freunden von der SPD
versuchen, einen vernünftigen Kompromiss aus Mindestlohn- und Kombilohnmodell vorzulegen.
Herzlichen Dank.
({15})
Damit schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales auf
Drucksache 16/989. Der Ausschuss empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung
des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/
398 mit dem Titel „Mindestlohnregelung einführen“.
Die Fraktion Die Linke hat namentliche Abstimmung
verlangt. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftfüh-
rer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Ich bitte die
Kolleginnen und Kollegen Abgeordneten, auf ihre
Stimmkarten zu schauen und zu überprüfen, ob der
Name auf der Stimmkarte mit dem Namen des Trägers
oder der Trägerin der Stimmkarte übereinstimmt.
Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Damit er-
öffne ich die Abstimmung.
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der
Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh-
lung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird
Ihnen später bekannt gegeben.1)
1) Seite 3308
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Wir setzen die Abstimmungen fort:
Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/989 empfiehlt der Ausschuss für Arbeit
und Soziales die Ablehnung des Antrags der Fraktion
des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/656
mit dem Titel „Mindestarbeitsbedingungen mit regional
und branchenspezifisch differenzierten Mindestlohnre-
gelungen sichern“. Wer stimmt für diese Beschlussemp-
fehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist
die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Fraktio-
nen der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der Linken
gegen die Stimmen vom Bündnis 90/Die Grünen ange-
nommen.
Tagesordnungspunkt 5 b: Interfraktionell wird vorge-
schlagen, die Vorlage auf Drucksache 16/1653 zur feder-
führenden Beratung an den Ausschuss für Arbeit und
Soziales und zur Mitberatung an den Ausschuss für
Wirtschaft und Technologie zu überweisen. - Dazu gibt
es offensichtlich keine anderweitigen Vorschläge. Dann
ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a bis 6 e auf: -
6 a) Balkandebatte
Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung über die Ergebnisse ihrer Bemühungen um die Weiterentwicklung der politischen und ökonomischen
Gesamtstrategie für die Balkanstaaten und
ganz Südosteuropa für das Jahr 2005
- Drucksache 16/778 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({0})
Sportausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Rainer Stinner, Dr. Karl Addicks, Christian
Ahrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP
Kosovo-Statusverhandlungen noch 2006 zu erfolgreichem Abschluss bringen
- Drucksache 16/588 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({1})
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Marieluise Beck ({2}), Volker Beck ({3}),
Dr. Uschi Eid, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Das Abkommen von Dayton weiterentwickeln
und überwinden
- Drucksache 16/877 -
d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({4}) zu dem Antrag der Abgeordneten
Dr. Norman Paech, Paul Schäfer ({5}), Monika
Knoche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der LINKEN
Beendigung der Operation „ALTHEA“ und
Einrichtung einer internationalen nicht-militärischen Polizeimission in Bosnien und Herzegowina
- Drucksachen 16/217, 16/861 Berichterstattung:
Abgeordnete Karl-Theodor Freiherr zu
Guttenberg
Detlef Dzembritzki
Dr. Norman Paech
Marieluise Beck ({6})
e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({7}) zu dem Antrag der Abgeordneten
Dr. Rainer Stinner, Daniel Bahr ({8}),
Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Eigenverantwortung von Bosnien und Herzegowina stärken - Verfassungsprozess unterstützen und "Bonn Powers" des Hohen Repräsentanten abschaffen
- Drucksachen 16/228, 16/862 Berichterstattung:
Abgeordnete Karl-Theodor Freiherr zu
Guttenberg
Detlef Dzembritzki
Dr. Norman Paech
Marieluise Beck ({9})
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Dazu höre
ich keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich möchte nun die Aussprache eröffnen und bitte die
Kolleginnen und Kollegen, die dieser Debatte nicht folgen möchten, den Saal zu verlassen, damit sich die anderen auf den ersten Redner konzentrieren können.
Ich erteile das Wort dem Kollegen Gernot Erler für
die Bundesregierung.
({10})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Bundesregierung hat am 24. Februar dieses Jahres
ihren Bericht über die Ergebnisse ihrer Bemühungen um
die Weiterentwicklung der politischen und ökonomischen Gesamtstrategie für die Balkanstaaten und ganz
Südosteuropa für das Jahr 2005 vorgelegt. Dieser Bericht stellt fest, dass es sieben Jahre nach dem Ende des
letzten der vier blutigen Balkankriege der 90er-Jahre des
letzten Jahrhunderts, des Kosovokrieges, in dieser Region signifikante Fortschritte bei der politischen Stabilität, bei der gesellschaftlichen Transformation in Richtung Rechtsstaatlichkeit und Demokratie und bei der
weiteren wirtschaftlichen Konsolidierung gibt.
Diese Entwicklungen sind nicht zuletzt einer zentralen politischen Entscheidung zu verdanken, nämlich
dem Angebot an die Länder des westlichen Balkans, sich
in die euroatlantischen Strukturen zu integrieren. Heute
befinden sich die Staaten alle auf diesem Weg, wenn
auch in unterschiedlicher Ausprägung. EU- und NATOMitgliedschaft sind für sie nicht nur eine ermutigende
Perspektive, sondern auch ein Ansporn, auf dem genannten Weg fortzuschreiten.
Diese Perspektive stellt auch den unverzichtbaren
Rahmen für die Lösung nach wie vor ungelöster Probleme und Konflikte der Westbalkanregion dar. Die
den Ländern des westlichen Balkans 2003 in Thessaloniki zugesagte europäische Perspektive hat daher für
die Bundesregierung nach wie vor Bestand.
({0})
Deutschland und die EU werden den Prozess der Integration sämtlicher Länder der Region weiterhin unterstützen. Gerade weil es zunehmend nötig wird, die Aufrechterhaltung der Beitrittsperspektive öffentlich zu
erklären und offensiv gegen Zweifel zu vertreten, muss
weiter gelten: Entscheidendes Kriterium für die Beitrittschance jedes einzelnen Landes muss die Erfüllung der
Kriterien des Acquis communautaire bleiben. Die von
der Kommission im November 2005 hierzu verabschiedete Roadmap ist ein gutes Instrument für diese konditionierte Heranführung.
Eine besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang der grenzüberschreitenden regionalen Zusammenarbeit zu. In deren Zentrum steht nach wie vor der
Stabilitätspakt für Südosteuropa, der vor sieben Jahren unter deutscher EU-Präsidentschaft initiiert wurde.
Unter seinem Dach hat sich ein dichtes Netzwerk von regionalen Abkommen entwickelt, deren engagiertestes
die geplante Schaffung einer regionalen Freihandelszone
in Südosteuropa ist. Aber auch der unerlässliche Kampf
gegen organisierte Kriminalität und Korruption kann nur
über eine verstärkte regionale Zusammenarbeit erfolgreich sein.
Es gibt also Fortschritte, aber nach wie vor auch
ernsthafte Herausforderungen. An erster Stelle muss dabei die Statusfrage für das Kosovo genannt werden.
Eine Nichtklärung des Kosovostatus birgt sowohl im
Hinblick auf die Sicherheit als auch bei der wirtschaftlichen Entwicklung große Risiken. Deswegen hat sich der
Sicherheitsrat der Vereinten Nationen im Oktober letzten
Jahres für die Einleitung des Statusprozesses ausgesprochen, der dann im November unter Leitung des ehemaligen finnischen Präsidenten Martti Ahtisaari formell begonnen wurde. Bei ihrem Treffen mit Martti Ahtisaari
Ende Januar in London haben sich die Außenminister
der Kontaktgruppe für eine Statuslösung noch in diesem
Jahr ausgesprochen.
Grundlage des Statusprozesses bleiben die vom Sicherheitsrat gebilligten Leitlinien der Kontaktgruppe,
vor allem die bekannten drei Neins: keine Rückkehr zu
den Bedingungen von vor 1999, keine Vereinigung des
Kosovo mit einem Drittstaat oder Teilen davon und
keine Teilung des Kosovo. Daneben sollte jegliche Statuslösung die folgenden Kriterien erfüllen: den Willen
der Bevölkerung respektieren, dem Schutzbedürfnis der
Minderheit vollständig Rechnung tragen und die Stabilität in der gesamten Region erhöhen.
({1})
Wir machen uns keine Illusionen: Auch nach der Beantwortung der Statusfrage wird die internationale zivile und militärische Präsenz noch für einen beträchtlichen Zeitraum erforderlich sein, das heißt: KFOR bleibt
unerlässlich. Darüber wird der Bundestag direkt im Anschluss hieran eine Beschlussfassung treffen.
Lassen Sie mich wegen der Bedeutung der Kosovofrage für den Erfolg der Stabilisierung der Region
Südosteuropa noch einige Worte zum Verlauf sagen: Seit
Februar finden in Wien unter der Leitung von Martti
Ahtisaari Direktverhandlungen zwischen Belgrad und
Pristina statt. Auch nach nunmehr insgesamt sechs Verhandlungen liegen die Positionen der Parteien leider
immer noch weit auseinander. Da sind die KosovoAlbaner, die für eine rasche und unkonditionierte Unabhängigkeit eintreten, dort ist Belgrad, das für einen Status plädiert, bei dem - Zitat - mehr als Autonomie, aber
weniger als Unabhängigkeit vorgesehen ist, und nicht
zuletzt sind dort die Kosovo-Serben, die mit Recht auf
Garantien für ihre Zukunft dringen. Es ist völlig klar:
Eine Lösung der Statusfrage kann ohne eine Beachtung
der Rechte auf Sicherheit, auf Bewegungsfreiheit, auf
Flüchtlingsrückkehr und auf Schutz gefährdeter religiöser Stätten nicht funktionieren.
({2})
Dazu hat Außenminister Steinmeier auch entsprechende Gespräche mit dem neuen kosovarischen Premierminister Ceku geführt. Wir sind im Übrigen auch
der Meinung, dass es nicht hilfreich war, dass die serbische Führung die kosovarischen Serben aufgefordert und
einen entsprechenden Druck ausgeübt hat, sich aus den
Institutionen vor Ort zurückzuziehen.
({3})
Auch darüber hat der deutsche Außenminister mit Premierminister Koštunica gesprochen, wobei er unsere Position sehr deutlich gemacht hat.
Die Bundesregierung begrüßt, dass das Referendum
in Montenegro am 21. Mai dieses Jahres friedlich und
ohne Zwischenfälle verlaufen ist. Sie begrüßt auch, dass
das inzwischen amtlich bestätigte Ergebnis von
55,5 Prozent Zustimmung bei einer Wahlbeteiligung von
mehr als 85 Prozent Klarheit geschaffen hat. Die OSZE
hat bescheinigt, dass hierbei alle internationalen Standards eingehalten worden sind.
Entscheidend ist jetzt, dass dieses Ergebnis definitiv
von allen Seiten akzeptiert wird. Wir begrüßen, dass
hierzu konstruktive Reaktionen aus Belgrad zu verzeichnen waren. Die EU hat in ihren Verlautbarungen bereits
deutlich gemacht, dass sie diesem Ergebnis Rechnung
tragen wird. Wir unterstützen diese Position. Belgrad
und Podgorica sollten nunmehr unverzüglich in einen
Dialog über die Ausgestaltung ihres künftigen Verhältnisses treten und dabei ihre Beziehung auf eine gutnachbarschaftliche Basis stellen.
Im Rückblick auf die vergangenen zwölf Monate
kann man feststellen, dass sich das Stufenmodell bei
den Integrationsprozessen dynamisch entwickelt. Slowenien ist schon seit zwei Jahren Mitglied der EU und
schickt sich an, 2007 der Eurozone beizutreten. Wir sehen dem Beitritt von Bulgarien und Rumänien zum
1. Januar 2007 entgegen. Mit Kroatien wurden im Oktober 2005 Beitrittsverhandlungen aufgenommen. Albanien schaut voller Zuversicht auf die nächste Sitzung des
Europäischen Rates, damit das SAA-Abkommen unterzeichnet werden kann. Mit Bosnien und Herzegowina
sind Verhandlungen über ein solches Abkommen bereits
letztes Jahr aufgenommen worden und können wahrscheinlich im ersten Halbjahr 2007 abgeschlossen werden.
Mit Serbien und Montenegro laufen ebenfalls Verhandlungen über ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen, nachdem Mazedonien schon den Status eines Kandidaten erreicht hat. Allerdings sind die
Verhandlungen mit Serbien und Montenegro im Augenblick wegen der fehlenden Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof in Sachen Jugoslawien
unterbrochen. Wir müssen darauf bestehen, dass die
mutmaßlichen Täter von Srebrenica einschließlich General Mladic zur Verantwortung gezogen werden. Daran
führt kein Weg vorbei.
({4})
Um den Überblick über das Stufenmodell abzuschließen: Moldova ist inzwischen ein aktiver Partner der EUNachbarschaftspolitik geworden. So weit zum aktuellen
Sachstand bei der aktiven Umsetzung unserer Südosteuropa-Gesamtstrategie.
Ich möchte abschließend Folgendes betonen: Wir sind
davon überzeugt, dass die gemachten Zusagen des Europäischen Rates - von der Sitzung in Thessaloniki im
Juni 2003 bis zur Salzburger Erklärung der EU-Außenminister am 12. März 2006 - zur europäischen Perspektive weiterhin den verlässlichen politischen Rahmen für
die Länder Südosteuropas und des Westbalkans darstellen müssen. Wir sind auch davon überzeugt, dass die Lösung der nach wie vor vorhandenen Konflikte und Probleme in dieser Region ohne eine solche verlässliche
europäische Perspektive nicht möglich ist.
({5})
Wir sind ebenso davon überzeugt, dass trotz aller
Schwierigkeiten beim europäischen Verfassungsprozess
die friedenspolitische und stabilitätswirksame Erfolgsgeschichte der Integrationspolitik nicht infrage gestellt
werden darf.
Nur wenn die EU auf diesem Weg weiter vorangeht,
werde ich im nächsten Jahr in der Lage sein, Ihnen erneut einen Bericht mit positiven Ergebnissen über die
Umsetzung der Gesamtstrategie vorzulegen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
Das Wort hat der Kollege Dr. Rainer Stinner, FDPFraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich stimme
der Einschätzung des Herrn Staatsministers zu. Es hat im
letzten Jahr in der Region Balkan/Südosteuropa Licht
und Schatten gegeben. Aber wir können zum Glück feststellen, dass in den letzten zwölf Monaten in der Gesamtbetrachtung eher das Licht überwogen hat. Es gibt
tatsächlich eine ganze Reihe von positiven Entwicklungen.
Im Kosovo haben endlich die Statusverhandlungen
begonnen. Wir begrüßen das sehr; denn wir haben schon
immer auf den Beginn dieser Verhandlungen gedrängt.
Dazu haben wir einen Antrag vorgelegt, in dem wir
deutlich machen, dass diese Verhandlungen möglichst
zügig abgeschlossen werden sollen. Inzwischen sind
auch die internationale Gemeinschaft, die Kontaktgruppe und andere unserer Meinung, dass wir zügig zum
Ende kommen sollen. Wir werden in der nächsten Debatte ausführlich darauf eingehen können.
Nach dem erfolgreichen und friedlichen Referendum
in Montenegro kann die dortige Regierung nun beweisen, dass sie in der Lage und willens ist, die friedliche
Entwicklung ihres Landes zu fördern. Ich bin sehr gespannt auf die Erfolge. Wir werden die Regierung dabei
unterstützen, aber wir werden sie auch an ihren früheren
Aussagen messen. Auch das gehört zu unserer Rolle als
Europäer.
Wir Europäer - und damit auch die Bundesregierung haben aber auch sehr viel Glück gehabt. Glücklicherweise hat das Referendum ein punktgenaues Ergebnis
erbracht. Stellen Sie sich bitte vor: Hätten 53,7 Prozent
der Wähler zugestimmt, dann wäre das eine politische
Katastrophe gewesen. Deshalb habe ich es nie verstanden, Herr Staatsminister, warum die Europäische Union
und auch die Bundesregierung der Hürde von 55 Prozent
zugestimmt haben. Das war sehr gefährlich. Sie haben
diesmal noch Glück gehabt.
({0})
Serbien stellt nach wie vor ein Problem dar. Wir müssen bedauerlicherweise feststellen, dass sich Serbien
selbst im Weg steht. Das Land ist sehr wichtig. Das ist
uns bekannt und wir möchten Serbien gerne helfen. Aber
solange Serbien nicht in der Lage ist, mit seiner Vergangenheit umzugehen, wird das Land es schwer haben, in
Zukunft in Europa seinen Platz zu finden. Das müssen
wir so deutlich feststellen.
({1})
Lassen Sie mich als Beauftragter des Deutschen Bundestages für Bosnien-Herzegowina nunmehr auf dieses
Land eingehen. Leider ist in den letzten Wochen der Versuch einer Verfassungsreform im Parlament gescheitert.
Ich bedauere das sehr. Sie wäre keine endgültige Lösung
gewesen, aber sie hätte einen Schritt in die richtige Richtung bedeutet.
Ich mache mir auch einige Sorgen über die Einstellung und Verhaltensweise der kroatischen Ethnie in Bosnien-Herzegowina gegenüber dem Gesamtstaat. Ich
möchte alle bitten, wo auch immer wir Einfluss haben
- in den Parteien, aber auch bei den Kirchen -, auf die
Kroaten innerhalb und außerhalb Bosnien-Herzegowinas
entsprechend einzuwirken. Dass auch der Anteil der
Kroaten am Zustandekommen einer friedlichen Entwicklung dieses Landes berücksichtigt wird, ist für mich
sehr wichtig. Darauf sollten wir, wie gesagt, gemeinsam
hinwirken, wo immer wir das können.
({2})
Nach dem Scheitern des Versuchs einer Verfassungsreform wäre es eine Versuchung für den Hohen Repräsentanten in Bosnien-Herzegowina, Schwarz-Schilling,
gewesen, die „Bonn Powers“ einzusetzen. Er hat zwar
noch die dafür notwendige Machtbefugnis, aber klug,
wie er ist, hat er darauf verzichtet. Er weiß nämlich genau, dass es heutzutage keinen Sinn macht, zu versuchen, von außen mithilfe der „Bonn Powers“ dafür zu
sorgen, dass sich Bosnien-Herzegowina in die richtige
Richtung bewegt. Ihm ist nämlich klar - das hat er am
23. Mai in einer wegweisenden Rede im Parlament sehr
deutlich zum Ausdruck gebracht -, dass es Aufgabe der
Politiker und Repräsentanten in diesem Lande ist, selber
Verantwortung zu übernehmen.
({3})
Kein Mensch, keine Organisation und kein OHR kann
sie davon abhalten und ihnen diese Aufgabe abnehmen.
Wir müssen die Politiker und andere Verantwortliche in
diesem Lande dazu bringen, diese Verantwortung wahrzunehmen. Das macht Herr Schwarz-Schilling in ausgezeichneter Weise.
({4})
Aus diesem Grunde haben wir gefordert, dass die
„Bonn Powers“ abgeschafft werden. Denn sie sind nicht
mehr zeitgemäß. Wir möchten das Land selbst auffordern und dazu ermächtigen, seine Angelegenheiten
selbst in die Hand zu nehmen. Das haben wir auch in unserem Antrag formuliert.
Alles in allem kann ich - hoffentlich mit Ihrer aller
Zustimmung - feststellen, dass die Art und Weise, in der
Herr Schwarz-Schilling sein Amt ausübt, und der riesige
persönliche Einsatz unseren Dank verdienen. Wir können stolz darauf sein, dass wir diesen Vertreter in Bosnien-Herzegowina haben.
({5})
Wir werden heute dem Antrag der Grünen zu Bosnien-Herzegowina zustimmen. Das ist der richtige Ansatz. Wir haben schon 2004 ähnliche Ansätze vorgeschlagen. Wir sind dabei völlig d’accord und von daher
sollten wir dem Antrag zustimmen. Auch wenn wir verschiedenen Parteien angehören, sind wir in dieser Sache
einer Meinung.
In Bosnien-Herzegowina ist das drittgrößte Kontingent deutscher Soldaten im Einsatz. Es ist richtig, dass
das Kontingent in der Vergangenheit bereits abgeschmolzen wurde. Wir stehen vor der neuen Weichenstellung, nach und nach den Anteil des Militärs zu senken und den der Polizei zu erhöhen. Das ist eine richtige
und sinnvolle Entwicklung, die wir uneingeschränkt befürworten.
Aber, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von
den Linken, heute ist leider noch nicht der richtige Zeitpunkt, vollständig auf das militärische Potenzial verzichten zu können. Ich verstehe zwar die Richtung, aber Ihr
Antrag kommt zur Unzeit. Deshalb werden wir ihn heute
ablehnen müssen, aber die Richtung ist sicherlich vorgegeben.
Die gesamte Region Südosteuropa eint eines, nämlich
die Vision auf dem Weg zu Europa. Wir haben in Thessaloniki ein starkes politisches Commitment abgegeben,
zu dem wir auch stehen. Herr Staatsminister, ich unterstütze Ihre Ausführungen dazu voll.
Wir müssen aus eigenem, aus innereuropäischem Interesse einen Beitrag zur positiven Entwicklung der Region leisten; das wollen wir tun. Unsere Versprechen
müssen gelten. Die Länder der Region sind aufgefordert,
das Ihre zu einer positiven Entwicklung beizutragen und
dafür zu sorgen, dass wir unsere politischen Versprechen
halten können. Darauf sollten wir diese Länder einmal
hinweisen.
Vielen Dank.
({6})
Ich komme zurück zu Tagesordnungspunkt 5 a und
gebe das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der
namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Mindestlohnregelung einführen“, Drucksachen 16/398 und 16/989,
bekannt: Abgegebene Stimmen 571. Mit Ja haben gestimmt 520, mit Nein haben gestimmt 50. Es gab eine Enthaltung. Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 571;
davon
ja: 520
nein: 50
enthalten: 1
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({0})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Otto Bernhardt
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({1})
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Anke Eymer ({2})
Georg Fahrenschon
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Hartwig Fischer ({3})
Dirk Fischer ({4})
Axel E. Fischer ({5})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({6})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Michael Glos
Dr. Reinhard Göhner
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Karl-Theodor Freiherr zu
Guttenberg
Holger Haibach
Gerda Hasselfeldt
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung ({7})
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({8})
Volker Kauder
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Kristina Köhler ({9})
Norbert Königshofen
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Johann-Henrich
Krummacher
Dr. Karl A. Lamers
({10})
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Ingbert Liebing
Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
Dr. Michael Luther
Stephan Mayer ({11})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Laurenz Meyer ({12})
Maria Michalk
Hans Michelbach
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Carsten Müller
({13})
Stefan Müller ({14})
Bernward Müller ({15})
Dr. Gerd Müller
Hildegard Müller
Bernd Neumann ({16})
Henry Nitzsche
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Dr. Peter Paziorek
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({17})
Klaus Riegert
Franz Romer
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht ({18})
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({19})
Hermann-Josef Scharf
Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Annette Schavan
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({20})
Andreas Schmidt ({21})
Ingo Schmitt ({22})
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Horst Seehofer
Kurt Segner
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Thomas Strobl ({23})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Peter Weiß ({24})
Gerald Weiß ({25})
Ingo Wellenreuther
Anette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer ({26})
Elisabeth WinkelmeierBecker
Matthias Wissmann
Dagmar Wöhrl
Willi Zylajew
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
SPD
Gregor Amann
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Ernst Bahr ({27})
Doris Barnett
Dr. Hans- Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Dr. Axel Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({28})
Kurt Bodewig
Clemens Bollen
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({29})
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Sigmar Gabriel
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Graf ({30})
Dieter Grasedieck
Kerstin Griese
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann
({31})
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({32})
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({33})
Frank Hofmann ({34})
Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Brunhilde Irber
Johannes Jung ({35})
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Dr. h.c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange ({36})
Dr. Karl Lauterbach
Waltraud Lehn
Helga Lopez
Gabriele Lösekrug-Möller
Dirk Manzewski
Lothar Mark
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Petra Merkel ({37})
Ulrike Merten
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller ({38})
Gesine Multhaupt
Dr. Rolf Mützenich
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Joachim Poß
Christoph Pries
Dr. Wilhelm Priesmeier
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Steffen Reiche ({39})
Maik Reichel
Dr. Carola Reimann
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
Sönke Rix
Rene Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({40})
Michael Roth ({41})
Ortwin Runde
Axel Schäfer ({42})
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Marianne Schieder
Otto Schily
Silvia Schmidt ({43})
Dr. Frank Schmidt
Heinz Schmitt ({44})
Carsten Schneider ({45})
Olaf Scholz
Reinhard Schultz
({46})
Swen Schulz ({47})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Ludwig Stiegler
Christoph Strässer
Joachim Stünker
Dr. Rainer Tabillion
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. h.c. Wolfgang Thierse
Jörn Thießen
Hans-Jürgen Uhl
Rüdiger Veit
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Gunter Weißgerber
({48})
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Engelbert Wistuba
Waltraud Wolff
({49})
Heidi Wright
Manfred Zöllmer
FDP
Jens Ackermann
Daniel Bahr ({50})
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Miriam Gruß
Joachim Günther ({51})
Dr. Christel Happach-Kasan
Elke Hoff
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Hellmut Königshaus
Jürgen Koppelin
Heinz Lanfermann
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Michael Link ({52})
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Hans-Joachim Otto
({53})
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Frank Schäffler
Dr. Konrad Schily
Marina Schuster
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Florian Toncar
Christoph Waitz
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Dr. Claudia Winterstein
Hartfrid Wolff ({54})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Marieluise Beck ({55})
Volker Beck ({56})
Cornelia Behm
Birgitt Bender
Grietje Bettin
Alexander Bonde
Dr. Thea Dückert
Dr. Ursula Eid
Hans-Josef Fell
Joseph Fischer ({57})
Kai Gehring
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Winfried Hermann
Priska Hinz ({58})
Ulrike Höfken
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Thilo Hoppe
Ute Koczy
Sylvia Kotting-Uhl
Renate Künast
Undine Kurth ({59})
Markus Kurth
Monika Lazar
Dr. Reinhard Loske
Anna Lührmann
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({60})
Brigitte Pothmer
Claudia Roth ({61})
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Dr. Gerhard Schick
Silke Stokar von Neuforn
Jürgen Trittin
Wolfgang Wieland
Josef Philip Winkler
Margareta Wolf ({62})
Nein
SPD
Lothar Ibrügger
DIE LINKE
Hüseyin-Kenan Aydin
Karin Binder
Dr. Lothar Bisky
Heidrun Bluhm
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Sevim Dagdelen
Dr. Diether Dehm
Werner Dreibus
Klaus Ernst
Diana Golze
Dr. Gregor Gysi
Heike Hänsel
Lutz Heilmann
Hans-Kurt Hill
Cornelia Hirsch
Dr. Barbara Höll
Ulla Jelpke
Katja Kipping
Jan Korte
Katrin Kunert
Michael Leutert
Dr. Gesine Lötzsch
Dorothee Menzner
Kersten Naumann
Dr. Norman Paech
Bodo Ramelow
Elke Reinke
Paul Schäfer ({63})
({64})
Dr. Herbert Schui
Dr. Ilja Seifert
Dr. Petra Sitte
Dr. Kirsten Tackmann
Jörn Wunderlich
fraktionslos
Enthalten
SPD
Ottmar Schreiner
Ich komme zurück zur Redeliste und gebe dem Kollegen Eckart von Klaeden, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
({65})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Wenn wir über die Geschichte der Europäischen
Union und über deren Zukunft sprechen, dann wird meiner Ansicht nach zu wenig gewürdigt, welchen Erfolg
die Europäische Union in Kooperation mit der NATO in
den Jahren von 1989 bis 2004 erzielt hat; denn nach dem
Fall des Eisernen Vorhangs hätten ja die Staaten Mittelund Osteuropas zu potenziellen Failing States werden
können. Es hat dort viele ethnische Konflikte gegeben.
Die Transformation ist schwierig gewesen. Aber die Perspektive, zuerst NATO-Mitglied und dann Mitglied der
Europäischen Union werden zu können, hat es den jungen Demokratien in diesen Ländern ermöglicht, Stabilität zu gewinnen und auf dem Weg hin zu Demokratie
und Marktwirtschaft - jedenfalls im Großen und Ganzen - erfolgreich zu sein.
({0})
Aus dieser Lehre für die Staaten Mittel- und Osteuropas sollten wir Konsequenzen für die Balkanregion ziehen. Bei allen Konflikten, die es dort gibt, und bei allen
Schwierigkeiten, die die Europäische Union selber hat,
muss völlig klar sein, dass die Balkanstaaten die Beitrittsperspektive behalten müssen.
({1})
Denn die Beitrittsperspektive gibt den europafreundlichen politischen Führungen dort die Möglichkeit,
schwierige Transformationsprozesse durchzuführen und
ihre Völker zu überzeugen. Wenn die Beitrittsperspektive entfällt, dann wird es für diese politischen Eliten nur
noch schwer oder gar nicht mehr möglich sein, den
Transformationsprozess in Richtung mehr Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Marktwirtschaft in ihren
Ländern zu meistern. Dann droht nicht nur ein Verharren
im Status quo, sondern sogar ein Rückfall. Das hätte
schließlich auch Konsequenzen für unsere Sicherheitslage und unsere wirtschaftliche Entwicklung.
({2})
Klar ist ebenfalls - das ist sozusagen die andere Seite
der Medaille -, dass die betreffenden Länder selber die
Beitrittsperspektive mit Leben erfüllen müssen. Auf
Neudeutsch: Es muss „performance driven“ sein. Die
Länder müssen also die Voraussetzungen und Kriterien
zunehmend selber erfüllen, um immer näher an die
Europäische Union herangeführt werden zu können. Sie
müssen ihre Verantwortung wahrnehmen und ihre Chancen nutzen. Dieser europäische Prozess bietet insbesondere die Chance, zu erkennen, dass Grenzfragen und
ethnische Konflikte, die teilweise Jahrhunderte zurückgehen, an Bedeutung verlieren bzw. gelöst werden könEckart von Klaeden
nen, wenn schließlich die Möglichkeit einer gemeinsamen Mitgliedschaft in der Europäischen Union besteht.
Ich finde, wir müssen die Beitrittsperspektive aufrechterhalten, auch wenn es immer wieder Schwierigkeiten in der Umsetzung gibt, wie wir gerade in Wien erlebt
haben. Dort ist die sechste Verhandlungsrunde zum
Status des Kosovo genauso erfolglos zu Ende gegangen
wie die fünf Verhandlungsrunden zuvor. Ein westlicher
Diplomat hat die Verhandlungen als Gespräche von Gehörlosen bezeichnet. Ich finde, diese Bezeichnung ist ungerecht gegenüber Gehörlosen.
({3})
Hier geht es vielmehr darum, dass die Verhandlungsparteien sich die Ohren bewusst zuhalten und die Probleme
der anderen nicht sehen wollen.
Wir müssen deswegen immer wieder darauf aufmerksam machen, dass auf beiden Seiten noch viel Flexibilität und viel Kompromissbereitschaft erforderlich sind.
Auch der jüngste Vorschlag der serbischen Regierung
zur Zukunft des Kosovo ist nicht geeignet, die Verhandlungen erfolgreich fortzusetzen.
Herr Erler hat es gerade schon betont: Wir unterstützen die Bemühungen des Sonderbeauftragten der Vereinten Nationen, Martti Ahtisaari, zu einer Verhandlungslösung zu kommen. Es ist richtig, dass für die Lösung der
Statusfrage ein gewisser Zeitdruck vorhanden sein muss.
Insofern hat die FDP mit ihrem Antrag Recht. Ich finde
bloß, dass der in Ihrem Antrag zum Ausdruck kommende Wunsch, die Statusfrage in diesem Jahr auf jeden
Fall zu lösen, nicht richtig ist. Deswegen werden wir Ihren Antrag ablehnen.
({4})
Die innenpolitische Situation Serbiens muss uns allen Anlass zur Sorge geben. Ich verweise auf das Referendum in Montenegro, das zwar offiziell akzeptiert
wird, die politische Klasse in Serbien dennoch tief verletzt hat. Diesen Eindruck habe ich jedenfalls bei meinem Besuch in Serbien und auch im Kosovo in der letzten Woche gewinnen können. Beide Seiten, Serbien und
Montenegro, sind aufgefordert, für eine friedliche und
einvernehmliche Trennung zu sorgen und gutnachbarliche Beziehungen herzustellen. Ein erster Schritt - das
will ich hier deutlich sagen - ist sicherlich die gestrige
Entscheidung Belgrads gewesen, Serbien zum alleinigen
Rechtsnachfolger des bisherigen Staatenbundes zu erklären und damit das offiziell bestätigte Referendumsergebnis anzuerkennen. Beide Staaten - noch Teilstaaten,
dann unabhängige Staaten - müssen in den Bereichen
Justiz, Verwaltungsreform, Demokratisierung, Kriminalitätsbekämpfung und Wirtschaftsreformen noch erhebliche Anstrengungen unternehmen.
Insbesondere was die Belgrader Regierung angeht,
muss man immer wieder darauf hinweisen, dass die Auslieferung von Mladić an den Internationalen Gerichtshof
in Den Haag eine wesentliche und nicht wegzudenkende
Voraussetzung dafür ist, dass die Beitrittsverhandlungen
mit der Europäischen Union weitergehen. Hier darf es
von unserer Seite keine Kompromisse geben. Serbien
muss klar gemacht werden, dass es in diesem Punkt kein
Wackeln und kein Verhandeln geben kann. Es liegt allein
in der Verantwortung Belgrads, dafür zu sorgen, dass es
dort weitergehen kann.
({5})
Über die Perspektive des Westbalkans und seine
grundsätzliche politische Bedeutung habe ich schon gesprochen, auch darüber, dass die Europäische Union
diese europäische Perspektive in Thessaloniki im
Juni 2003 betont hat. Die Bundesregierung stellt in ihrem Bericht zur Gesamtstrategie für die Balkanstaaten
und ganz Südosteuropa bemerkenswerte Fortschritte
fest.
Blicken wir zum Beispiel nach Kroatien: Im Oktober
2005 konnte schließlich bestätigt werden, dass die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Gerichtshof in
einer Weise funktioniert, die es ermöglicht, die Beitrittsverhandlungen aufzunehmen. Mazedonien erhielt im
November 2005 den Status eines Beitrittskandidaten.
Die entsprechenden Verhandlungen können aufgenommen werden, sobald die noch offenen Bedingungen erfüllt werden, vor allem die Überbrückung der Kluft
zwischen den ethnischen Gruppen. Insbesondere das Ergebnis der Parlamentswahlen am 5. Juli wird interessant
sein.
({6})
Bedauerlicherweise ist der Prozess in Bosnien und
Herzegowina ins Stocken geraten. Das Repräsentantenhaus in Bosnien-Herzegowina hat im April ein Verfassungsreferendum abgelehnt, mittels dessen funktionalere
Strukturen entsprechend den europäischen Standards geschaffen werden sollten.
Herr Kollege Stinner hat zu Recht auf die bemerkenswerte und von unserer Seite besonders zu lobende Arbeit
von Christian Schwarz-Schilling hingewiesen.
({7})
Er hat bei seinem Amtsantritt deutlich gemacht, dass er
nicht vorhat, die „Bonn Powers“ einzusetzen. Die Entwicklung zu mehr Demokratie und zu mehr Rechtsstaatlichkeit soll ihren Ursprung in der Bevölkerung BosnienHerzegowinas selber haben. Daraus sollte man aber, wie
ich finde, nicht die Konsequenz ziehen, die „Bonn
Powers“ abzuschaffen. Die Entscheidung, mit dem Einsatz dieser Kräfte sehr zurückhaltend zu sein, ist meiner
Meinung nach sehr weise. Gerade die Initiative aus der
Republika Srpska, nach dem Referendum in Montenegro
ein ähnliches Referendum in dieser serbisch-bosnischen
Teilrepublik durchzuführen und auf diese Weise den
Staatenverbund infrage zu stellen, zeigt, dass es für die
Abschaffung der „Bonn Powers“ einfach noch zu früh
ist. Deswegen sind wir hier auch unterschiedlicher Ansicht, Herr Kollege Stinner.
({8})
Eine besonders wichtige Rolle spielt weiterhin die
Althea-Mission, über die wir voraussichtlich Ende November im Bundestag erneut debattieren werden. Althea
ist ein beeindruckendes Beispiel. Ich habe vorhin schon
von der Kooperation zwischen NATO und Europäischer
Union gesprochen. Deswegen finde ich es besonders bedauerlich, dass die „Berlin Plus“-Vereinbarungen insbesondere von der Türkei immer wieder gestört werden.
({9})
Wenn die Türkei Mitglied der Europäischen Union werden will, dann muss sie vorher zeigen, dass sie den europäischen Geist unterstützen und weitertragen will. „Berlin Plus“ ist ein Zeichen dafür. Deswegen ist von der
Türkei zu verlangen, dass sie „Berlin Plus“ unterstützt
und nicht weiter behindert.
({10})
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme zum Schluss und will dann auch mit meinem Fazit enden: Es liegt weiterhin viel Arbeit vor uns.
Wir sollten bei allen täglichen Schwierigkeiten in den
Verhandlungen und in den Entwicklungsprozessen in
den einzelnen Ländern nicht den Erfolg der letzten
Jahre, seit 1989 insbesondere, aus den Augen verlieren.
Wir brauchen einen langen Atem. Dann werden wir - da
bin ich mir sicher - mit den nötigen Anstrengungen auch
zum Erfolg kommen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Als nächster Redner hat das Wort der Kollege
Dr. Norman Paech von der Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das
anspruchsvolle Thema heißt: Gesamtstrategie für die
Balkanstaaten und ganz Südosteuropa. Wir haben insgesamt 30 Minuten dafür. Mir bleiben vier Minuten. Was
mache ich?
({0})
Ich konzentriere mich auf das, was sich bei näherem
Hinsehen auf die Beseitigung der Folgen eines beispiellosen Zerfalls- und Zerschlagungsprozesses eines Landes reduziert. Da bin ich mit Ihnen, Herr von Klaeden,
über die Leistung der NATO-Staaten gar nicht einer
Meinung; die NATO hat nicht einmal vor einem völkerrechtswidrigen Krieg zurückgeschreckt. Daran ist immer
wieder zu erinnern; denn die Wunden dieses Krieges
sind noch heute zu spüren.
({1})
Jetzt soll der Kosovo von Serbien getrennt werden.
Das ist nicht nur das eindeutige Ziel der Kosovo-Albaner, sondern das ist auch das Ziel der NATO-Staaten.
Dabei spielt die Ausgangsresolution 1244 des UNOSicherheitsrats gar keine Rolle mehr. Diese Resolution
spricht noch von der - ich zitiere - Erhaltung der Souveränität und territorialen Unversehrtheit Serbiens und einer substanziellen Autonomie und tatsächlichen Selbstverwaltung des Kosovo innerhalb der Grenzen Serbiens.
Das ist auch das Angebot Belgrads. Von dort wird gesagt: Gebt uns 20 Jahre, um den endgültigen Status dieser Provinz zu finden. - Das ist ein faires Angebot.
Beide Seiten müssen sich gemeinsam über die neuen
Grenzen und die eventuelle Teilung einigen. Die Entscheidung zwischen Trennung und Autonomie mag noch
Zeit erfordern, aber jede Teilung von außen - durch die
EU oder sogar durch die NATO - ist nicht nur völkerrechtswidrig, sondern wird mit Sicherheit neue Gewalt
erzeugen.
({2})
Der EU und der Bundesregierung - das wissen wir
jetzt - sind 20 Jahre allzu lang und sie drängen auf eine
Lösung noch in diesem Jahr. Aber anders als in Montenegro hilft hier kein Referendum; denn es geht um eine
weitere Teilung Serbiens, der auch die serbische Regierung zustimmen muss. Das Recht auf Selbstbestimmung, auf das man sich so oft beruft, gibt in diesem Fall
kein einseitiges Recht auf Sezession. Das ist genauso
wie zum Beispiel bei den Völkern Abchasiens, Transnistriens, Kurdistans und des Baskenlandes. Deswegen fordern wir von der Bundesregierung - da sind wir, Herr
von Klaeden, wieder zusammen -: Unterlassen Sie alles,
was eine einseitige und gewaltsame Trennung des Kosovo herbeiführt! Bleiben Sie bei dem Verhandlungsprozess, auch über das Jahr 2006 hinaus!
({3})
Schauen wir dann noch kurz auf Bosnien-Herzegowina, wo drei Völker in einem Protektorat zusammengehalten werden. Hier ist von Separation keine Rede,
sondern nur von Demokratiedefizit, Kriminalität, Prostitution und Drogenhandel, sozusagen den üblichen und
notwendigen Konsequenzen aus den Schwierigkeiten
des Zusammenlebens solcher Völker im Alltag. Hier
wird der Aufbau eines neuen multiethnischen Staates
versucht. - Serbien hingegen soll in weitgehend monoethnische Teile getrennt werden. Ein Narr, wer einer solchen Gesamtstrategie der Widersprüche nicht misstraut.
({4})
Wir - damit komme ich zum Ende - unterstützen allerdings alle Versuche, aus dem Protektorat BosnienHerzegowina einen eigenständigen und souveränen Staat
zu machen und die spätfeudalen Eingriffsrechte eines
Hohen Repräsentanten, auch wenn er ein Deutscher ist,
abzuschaffen. Aber das ist nur ein Schritt auf dem Weg
zu einem richtigen Staat und zu einer richtigen Gesellschaft.
- Deswegen unsere Forderung: Ziehen Sie - Herr
Stinner, das ist überfällig - die deutschen Truppen der
Althea-Mission jetzt ab;
({5})
denn diese haben nur noch polizeiliche Aufgaben zu verrichten; das ist nachgewiesen. Das kann auch eine Polizei machen.
({6})
Ziehen Sie sie ab,
({7})
ersetzen Sie sie durch polizeiliche Kräfte und stärken Sie
die immer noch schwachen institutionellen Kräfte des
Staates! Dabei werden wir Sie immer unterstützen.
Danke sehr.
({8})
Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin
Marieluise Beck vom Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Es könnte in der Tat keinen größeren Widerspruch zwischen der zeitlichen Kürze der Debatte und
der Komplexität der Verhältnisse auf dem Balkan geben.
({0})
Der Zerfall Jugoslawiens mit den Schrecken des Krieges dauert eigentlich immer noch an und wird die internationale Gemeinschaft sicherlich auf lange Zeit als Moderator, Begleiter und auf einige Zeit mit militärischer
Präsenz zur Friedenssicherung brauchen. Bei aller Unvollkommenheit und Mühseligkeit des Prozesses muss
man sagen: Es gibt keine Alternative zu diesem Engagement, das das vereinigte Europa sowohl aus ethischen
Gründen als auch aus eigenen Interessen aufrechterhalten muss.
Zu Bosnien. Der Vertrag von Dayton war unvollkommen und bleibt eine Hypothek für die junge Republik
Bosnien, die, nach wie vor faktisch zweigeteilt, damit
schlechte Rahmenbedingungen sowohl für die ökonomische Entwicklung als auch für die politische Stabilisierung hat. Das Land hat 180 Minister, wie wir inzwischen
wissen; das ist aberwitzig.
Der Verfassungsentwurf ist aus unterschiedlichen
Motiven heraus abgelehnt worden, und zwar aus gegensätzlichen: von einigen politischen Kräften, weil sie
fürchten, dass mit diesem Verfassungsentwurf die Zweiteilung fortgeschrieben würde, von anderen, weil sie ein
geeintes Bosnien nicht wollen. Das ist das Dilemma bei
der Ablehnung des Verfassungsentwurfes.
Nun kommt die nächste Etappe, die zeigt, wie gefährlich die Situation in Bosnien noch ist. Der Ministerpräsident der Republik Srpska, Dodik, ein Hoffnungsträger
für einige Zeit, hat nun vorgeschlagen, dass es für die
Republik Srpska ein Referendum geben müsse, ähnlich
wie für Montenegro. Das ist aberwitzig; denn wir alle
wissen, dass die serbische Mehrheit in der Republik
Srpska nur durch Krieg, Vertreibung und Mord hergestellt worden ist. Das kann keine Grundlage für ein Referendum sein. Das ist noch einmal die Stunde für die
„Bonn Powers“, die unmissverständlich deutlich machen
müssen, dass die Entitäten kein Recht haben, sich aus
dem bosnischen Gesamtstaat herauszulösen, sondern nur
die UN Änderungen vornehmen könnte.
Über Montenegro ist hier gesprochen worden. Ich
hoffe, dass es einen möglichst konsensualen Weg der
Trennung und Entflechtung der beiden Länder gibt.
Am schwierigsten ist derzeit sicherlich die Situation
bei den Statusverhandlungen im Kosovo. Ahtisaari steht
fast vor einer Quadratur des Kreises. Ich glaube, dass es
klug ist, zunächst einmal die Eckpunkte zu definieren
und zu sagen, was nicht akzeptabel ist. Das sind die drei
Neins, die wir alle kennen.
Man hat den Eindruck, dass weite Teile der serbischen Bevölkerung und auch weite Teile der politischen
Elite in Serbien immer noch nicht die volle Tragweite ihres Handelns begriffen haben, nämlich dass der Krieg
und die Aggression, die von serbischem Boden ausgegangen sind, Folgen für das eigene Land haben. Das
müssen wir den Serben immer wieder sagen.
Dennoch kann durch eine Strategie, den Status vor
Stabilität zu stellen, der Balkan wieder zu einem Pulverfass werden. Wir müssen daher den Prozess sehr deutlich
im Auge behalten, der neben der Regelung der Statusfrage vor allen Dingen die Forderung an die Kosovo-Albaner enthält, eine Politik zu machen, mit der die Minderheiten tatsächlich geschützt werden, und ein
Strafrechtssystem aufzubauen, das dem eines Rechtsstaates gleicht.
({1})
In dem neuen Bericht von Human Rights Watch über das
Rechtswesen im Kosovo wird festgestellt, dass auch
nach sieben Jahren viele Unzulänglichkeiten gerade im
Strafrechtssystem zu finden sind und dass es eine strafrechtliche Verfolgung der Übergriffe insbesondere des
Jahres 2004, die im großen Maßstab stattgefunden haben, kaum gegeben hat.
Es gilt also jetzt, diesen Prozess in kluger Weise fortzuführen. Ob er in diesem Jahr beendet werden kann,
können wir nicht wissen. Aber es ist gut, zeitlich Druck
auszuüben. Es ist auch klar, dass während dieser schwierigen Phase die militärische Präsenz notwendig bleiben
wird. Wir werden innerhalb des nächsten Tagesordnungspunktes im Einzelnen darüber sprechen.
Trotz aller Schwierigkeiten muss man sagen: Zu Beginn des Krieges vor mehr als zehn Jahren gab es von
ernst zu nehmenden Politikern die These, man müsse
Marieluise Beck ({2})
den Konflikt auf dem Balkan ausbluten lassen. Im Vergleich zu einer solch grausamen Perspektive ist der Weg,
den die internationale Gemeinschaft eingeschlagen hat
- bei aller Unvollkommenheit -, doch der bessere gewesen und er bleibt der einzig vertretbare.
Schönen Dank.
({3})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/778 und 16/588 an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind
Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind
die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache
16/877 mit dem Titel „Das Abkommen von Dayton wei-
terentwickeln und überwinden“. Wer stimmt für diesen
Antrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der An-
trag ist damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
und der Fraktion der Linken gegen die Stimmen von
FDP und Grünen abgelehnt.
Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses
auf Drucksache 16/861 zu dem Antrag der Fraktion Die
Linke mit dem Titel „Beendigung der Operation
,ALTHEA‘ und Einrichtung einer internationalen nicht-
militärischen Polizeimission in Bosnien und Herzego-
wina“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Druck-
sache 16/217 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltun-
gen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
aller Fraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion Die
Linke angenommen.
Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses
auf Drucksache 16/862 zu dem Antrag der Fraktion der
FDP mit dem Titel „Eigenverantwortung von Bosnien
und Herzegowina stärken - Verfassungsprozess unter-
stützen und ,Bonn Powers‘ des Hohen Repräsentanten
abschaffen“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 16/228 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltun-
gen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
aller Fraktionen gegen die Stimmen der FDP-Fraktion
angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Bundesregierung
Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der
Internationalen Sicherheitspräsenz im Kosovo zur Gewährleistung eines sicheren Umfeldes für die Flüchtlingsrückkehr und zur militärischen Absicherung der Friedensregelung
für das Kosovo auf der Grundlage der Resolution 1244 ({1}) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 10. Juni 1999 und des
Militärisch-Technischen Abkommens zwischen der Internationalen Sicherheitspräsenz
({2}) und den Regierungen der Bundesrepublik Jugoslawien und der Republik Serbien
({3}) vom 9. Juni
- Drucksachen 16/1509, 16/1651 Berichterstattung:
Abgeordnete Karl-Theodor Freiherr zu
Guttenberg
Detlef Dzembritzki
Wolfgang Gehrcke
Marieluise Beck ({4})
b) Bericht des Haushaltsausschusses ({5})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/1699 Berichterstattung:
Abgeordnete Jürgen Koppelin
Herbert Frankenhauser
Lothar Mark
Michael Leutert
Alexander Bonde
Über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses werden wir später namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
und sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin das Wort der Kollegin Uta Zapf von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es hat eine gewisse Logik, dass wir die Verlängerung des Kosovoeinsatzes in den Zusammenhang der
Gesamtstrategie für die Balkanstaaten stellen. Ich hätte
es nur noch klüger gefunden, wir hätten darüber gemeinsam diskutiert und ein bisschen mehr Zeit darauf verwendet. Denn die vorhergehende Diskussion hat gezeigt,
dass noch sehr viele Probleme bestehen.
Ich möchte auch feststellen: Wie wir mit den Anträgen umgehen, die die Grünen zum Daytonabkommen
und die FDP vorgelegt haben, drückt sich nicht in der
Ablehnung dieser Anträge aus. Wir müssen noch eine intensivere Diskussion über eine wirklich tragfähige Gesamtstrategie führen. Ich denke, das sollten wir in naher
Zukunft tun.
({0})
Es ist richtig: Die Lösung der Kosovofrage ist die
Kernfrage für die Zukunft der Balkanregion. Noch brauchen wir die internationale Sicherheitspräsenz; das
sind immerhin 16 000 NATO-Soldaten, davon 2 500 aus
Deutschland. Noch brauchen wir die internationale PoliUta Zapf
zei; das sind 2 186 Polizisten, davon 239 aus Deutschland. Noch müssen wir mit dieser internationalen Sicherheitspräsenz dafür sorgen, dass die ehemaligen Krieg
führenden Parteien und andere bewaffnete Gruppen von
der Aufnahme erneuter Feindseligkeiten und Gewalttaten abgehalten werden.
Der Einsatz ist auch nötig, um die laufenden Verhandlungen um den Status Kosovos abzusichern. Diese Verhandlungen sind extrem schwierig und weit von einer
konsensualen Lösung entfernt. Serbiens Position „mehr
Autonomie“ und Kosovos Position der Unabhängigkeit
sind bisher nicht in Übereinstimmung gebracht worden,
auch nicht durch den neuen Vorschlag Serbiens - ich
halte ihn für ausgesprochen gefährlich -, innerhalb einer
20-Jahre-Frist Kosovo als Bestandteil Serbiens festzuschreiben, bestimmte Befugnisse bei Serbien zu belassen
und andere der internationalen Sicherheitspräsenz zu
übertragen. Das kann keine akzeptable Lösung für die
Kosovaren sein. Ich hoffe, dies wird in einer ohnehin angespannten Situation nicht noch ein bisschen mehr Öl
ins Feuer schütten.
„Konditionierte“ oder „eingeschränkte Unabhängigkeit“ sind Zauberworte, die im Zusammenhang mit einer
Lösung für Kosovo immer genannt werden. Das wäre
für die Kosovaren akzeptabel, wenn ein gewisses Maß
an Verantwortung, vor allen Dingen im Bereich der Sicherheitspräsenz, bei der internationalen Staatengemeinschaft bliebe. Dabei sollte vorzugsweise die EU mehr
Verantwortung übernehmen. Aber ich sage hier ausdrücklich: Dies alles kann nur unter der Prämisse funktionieren, dass der gesamte Prozess in eine Integration in
die Europäische Union mündet.
({1})
Auch Serbien sieht seine Zukunft in der EU. Trotzdem sind die Statusverhandlungen im Moment festgefahren, weil eine Hürde nicht zu überwinden ist. Das hat
auch damit zu tun, dass Serbien in keiner besonders guten Verfassung ist; dies wurde schon erwähnt. Die Abstimmung in Montenegro war gewissermaßen ein
Trauma und wirkt sich natürlich auf die Befindlichkeit
im Hinblick auf eine Lösung für Kosovo aus.
Es wird auf der einen Seite befürchtet, dass die radikalen Kräfte in Serbien erstarken; wir brauchen uns nur
die entsprechenden Umfragen anzusehen. Auf der anderen Seite gelingt es nicht, dass sich die demokratischen
Kräfte Koštunica und Tadić in ein Boot setzen und den
Tendenzen der nationalistischen Parteien etwas entgegensetzen, obwohl Tadić dies angeboten hat.
Dann ist da noch die Sache mit Mladić und dem dadurch bedingten Aussetzen des SAA, des Stabilitäts- und
Assoziationsabkommens. Die USA haben ihre Finanzhilfen für Serbien gesperrt. - Das heißt, dass wir auf Serbien in gewisser Weise Rücksicht nehmen müssen, dass
wir Serbien in diesem Prozess mitnehmen müssen, weil
es sonst zu Instabilitäten kommt.
({2})
Bezüglich der Zukunft Serbiens in der EU werden
zwei Versionen diskutiert. Die eine ist die Forderung
nach einer schnellen Entscheidung des Sicherheitsrates
noch vor Ende 2006, Herr Stinner, und einer Lösung, die
Serbien notfalls aufgezwungen wird. Die anderen plädieren dafür, Serbien mehr Zeit zu geben.
Ich sage: Vor dem Hintergrund, dass sich für den Kosovo eine gefährliche Situation ergibt, wenn sich der
Prozess zu lange hinzieht, und dass sich auch für Serbien
eine schwierige Situation ergibt, wenn ihm etwas aufgedrückt wird, müssen wir die Perspektive eines Beitritts
zur Europäischen Union für Serbien verstärken und
unser Wort halten, das wir der ganzen Region gegeben
haben. Wir müssen Serbien in diesem Prozess mit deutlichen Signalen unterstützen. Es kann nicht nur Prügel für
Serbien geben, so schwierig die Situation auch ist. Wir
müssen in dieser Situation mit ein wenig mehr Fingerspitzengefühl agieren.
({3})
Ich möchte noch einmal ganz allgemein auf die Gesamtstrategie für die Balkanstaaten eingehen. Es wurde
erwähnt, dass die Irritationen, die auch durch die Krise
im Kontext mit der europäischen Verfassung und durch
die Fragen, ob wir uns durch weitere Erweiterungen
übernehmen, ausgelöst worden sind, natürlich auch Auswirkungen auf die Balkanländer gehabt haben. Ich empfehle, dass wir uns die Mahnung der Balkan Commission, die diese vor einiger Zeit herausgegeben hat, nicht
von dem europäischen Versprechen einer Beitrittsperspektive für diese Region abzuweichen, wirklich zu Herzen nehmen und nicht aufgrund von Egoismen vergessen, was Europa eigentlich ist, nämlich ein Raum für
Frieden, Stabilität und Sicherheit in ganz Europa.
Ich danke Ihnen.
({4})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Rainer Stinner von
der FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
FDP-Fraktion wird heute der Verlängerung des KFORMandats zustimmen. Wir sehen das genauso wie die
Bundesregierung. Es wäre völlig destruktiv, das zu diesem Zeitpunkt, in dieser kritischen Phase nicht zu tun.
Die Begründung der Bundesregierung ist sehr plausibel.
Wir haben ihr nichts hinzuzufügen, werden also zustimmen.
({0})
Endlich beginnt der politische Prozess im Kosovo,
auf den wir gedrängt haben, mit Statusverhandlungen.
Das ist ganz wichtig. Wir haben unseren Antrag bewusst
gestellt. Herr von Klaeden, ich bedauere, dass Ihre Fraktionsreferenten Ihren Antragsentwurf verändert haben.
In unserem Antrag steht nichts von „Biegen und Brechen“. Bei uns steht: Wir wollen zügig verhandeln, und
zwar bis Ende 2006. - Natürlich habe ich kein Problem
damit, wenn wir es im ersten Quartal 2007 schaffen. Ich
befinde mich da in bester Gesellschaft mit Herrn
Athisaari und Herrn Rohan, die genau dasselbe sagen.
Ich will auch sagen, warum wir das so sehen. Ich bin
der festen Überzeugung, dass es - egal, wie lange Sie
verhandeln, ob zwei Monate, 20 Jahre oder 200 Jahre kein gemeinsames Papier geben wird, von dem beide
Seiten freudestrahlend sagen: Jawohl, das ist die Lösung. Da wir wissen, dass es auch am Schluss der Verhandlungen ein Gap, einen Unterschied, geben wird, halten wir
es für besser, die Entscheidung in absehbarer Zeit zu fällen, nicht auf Biegen und weiß Gott nicht auf Brechen,
aber nicht erst im Jahre 2025. Athisaari und Rohan sehen
das ganz genauso. Da es, wie wir glauben, in dem Prozess, egal, wie lange wir ihn führen, kein gemeinsames
Papier geben wird, weil die Positionen unvereinbar sind,
muss es jemanden geben, der entscheidet. Das sind im
Augenblick noch die Vereinten Nationen. Das ist völkerrechtlich ganz klar so definiert. Die Vereinten Nationen
müssen also entweder Ende dieses Jahres oder spätestens
im ersten Quartal des nächsten Jahres eine Entscheidung
fällen.
Jetzt stellt sich die Frage, wie die Lösung aussehen
kann. Ich warne hier vor falschen Hoffnungen, speziell
gegenüber den Kosovaren.
Es wird immer gesagt, die konditionierte Unabhängigkeit könne nicht funktionieren. In Wirklichkeit bedeuten diese drei Neins, die eigentlich vier Neins sind,
schon eine Kondition; denn das Kosovo ist nicht ein
Land wie Island, Dänemark oder Neuseeland. Aus diesem Grunde hat die internationale Gemeinschaft diese
drei bzw. vier Neins hineingeschrieben. Das ist eine
Konditionierung; das ist keine Frage. Das Kosovo
könnte nicht, selbst wenn wir ihm die Unabhängigkeit
gäben, beschließen, sich mit Albanien zu vereinigen
oder die Menschenrechte so oder so zu handhaben. Nein,
wir konditionieren durch die Politik, die wir betreiben,
die eventuell infrage kommende Unabhängigkeit des
Kosovos. Deshalb warne ich davor, unerfüllbare Hoffnungen bei den Kosovaren zu wecken. Das kann nur gefährlich sein. Das können wir nicht zulassen.
Es gibt diese drei bzw. vier Neins. Diese sind bekannt: kein Zurückgehen zu der Situation vor 1999,
keine Vereinigung mit Albanien etc., aber auch keine unkonditionierte Unabhängigkeit. Wir brauchen nach wie
vor eine internationale Präsenz im Kosovo.
Meine Damen und Herren, Sie lehnen immer wieder
mit großer Freude unsere Anträge ab. Sie haben unseren
Antrag, der auf eine europäische Perspektive für das Kosovo zielte, vor zwei Jahren abgelehnt. Heute erleben
wir, dass uns die Entwicklung Recht gegeben hat. Wir
hatten schon vor zwei Jahren die Realität erkannt. Herzlichen Glückwunsch an alle, die in der Realität angekommen sind.
({1})
Sowohl die Balkankommission als auch die Eide-Kommission und die Kontaktgruppe denken in die Richtung,
die wir schon vor zwei Jahren vorgeschlagen haben. Ich
vermute, dass sich in zwei oder drei Jahren - falls ich
dann noch im Bundestag bin - herausstellen wird, dass
Anträge, die wir heute gestellt haben, realistisch waren.
({2})
Ich warne vor uneinlösbaren Versprechen. Ich warne
auch vor dem Satz: Die Kosovaren akzeptieren nur die
uneingeschränkte Unabhängigkeit, sonst knallt es. - Das
ist etwas ganz Gefährliches.
({3})
Ich werfe das niemandem vor. Wir dürfen es nicht zulassen, dass so etwas gesagt wird. Wir müssen deutlich machen, dass wir nicht akzeptieren - dafür haben wir unsere Soldaten dorthin geschickt -, dass es dort knallt,
ganz egal, was die Vereinten Nationen entscheiden. Das
ist unsere Aufgabe. Dafür schicken wir unsere Soldaten
in diesen gefährlichen Einsatz.
Wir haben meines Erachtens vier Aufgaben. Die erste
Aufgabe ist, die Verhandlungen kritisch zu begleiten und
in den Verhandlungen dafür zu sorgen, dass keine faulen
Kompromisse gemacht werden und vor allen Dingen
keine weiteren dysfunktionalen Strukturen auf dem Balkan entstehen. Dysfunktionale Strukturen gab es auf
dem Balkan in den letzten Jahren weiß Gott genug. Das
darf im Kosovo jedenfalls nicht auch noch passieren.
Wir müssen zweitens sowohl Serben als auch Kosovaren auf schmerzhafte Kompromisse vorbereiten. Wir
dürfen keiner Seite sagen, sie werde hundertprozentig
der Gewinner sein. Es wird nach meinem Dafürhalten
keinen hundertprozentigen Gewinner geben. Das müssen wir heute schon deutlich machen. Zu einer europäischen politischen Ordnung gehört auch Kompromissfähigkeit. Das müssen wir deutlich sagen.
Wir müssen drittens an verantwortliche Serben und
Kosovaren appellieren, dass sie bei ihrer Bevölkerung
dafür werben und um Verständnis dafür bitten, dass es
am Ende für die jeweilige Bevölkerungsgruppe schmerzhafte Kompromisse geben wird. Sowohl im Kosovo als
auch in Belgrad haben noch die Leute die Überhand, die
für sich 100 Prozent verlangen und der anderen Seite
0 Prozent zugestehen wollen. Das wird meines Erachtens nicht gehen.
Wir Europäer müssen viertens zu unserem Commitment stehen. Wir dürfen nicht nur mit dem Wort, sondern wir müssen auch mit der Tat dafür sorgen, dass sich
die ganze Region positiv entwickelt. Dazu müssen wir
unseren Beitrag leisten. Wenn wir das tun, dann habe ich
die gute Hoffnung, dass wir hoffentlich in einem Jahr
über ein anderes Mandat sprechen können, mit wesentlich weniger Soldaten und einer völlig anderen Verteilung zwischen Militär und Polizei. Das wäre ein Fortschritt, für den es sich zu arbeiten lohnt.
Herzlichen Dank.
({4})
Das Wort hat jetzt der Bundesminister Dr. Franz Josef
Jung.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Ich bitte Sie namens der Bundesregierung, dem Antrag
zur Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der internationalen Sicherheitspräsenz im Kosovo zuzustimmen.
Es wurde schon erwähnt und es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass, seitdem die NATO die Aufgabe übernommen hat, Sicherheit im Kosovo herzustellen, eine
weit reichende Verbesserung der Sicherheitslage im Kosovo erreicht werden konnte. Es gibt aber noch keine
dauerhafte, sich selbst tragende Stabilität. Die gesellschaftliche und politische Entwicklung im Kosovo ist
weiterhin gefährdet. Die Gründe sind vielschichtig, angefangen von der wirtschaftlichen Entwicklung über
Spannungen zwischen den Ethnien bis hin zu Kriminalität und teilweise politischem Extremismus. Es steht aber
fest, dass gerade der laufende politische Prozess zur Zukunft des Kosovo in einem stabilen, in einem sicheren
Umfeld stattfinden muss, wenn er zum Erfolg führen
soll.
({0})
Deshalb ist es das Ziel der internationalen Gemeinschaft,
zu einer zukunftsweisenden Lösung der Statusfragen
beizutragen und damit eine Grundlage für Stabilität sowie für demokratische Entwicklungen im Kosovo zu
schaffen. Nur durch die Lösung der Statusfragen kann
die Unsicherheit beseitigt und eine positive Perspektive
für die Region in Gang gesetzt werden. Um dieses Ziel
langfristig zu erreichen, ist es auch notwendig, eine europäische Perspektive aufzuzeigen.
Die Übernahme der militärischen Verantwortung
sollte aber zunächst weiterhin bei der NATO verbleiben.
Nach einer positiven Entwicklung sollte man dann eine
Reduzierung vornehmen. Der erfolgreiche Abschluss
der Statusgespräche, wozu wir alle politisch verantwortlichen Akteure im Kosovo auffordern müssen, zieht den
Transfer der Aufgaben an nationale und internationale
Organisationen nach sich. Gerade wenn unsere langjährigen Anstrengungen und die Ergebnisse, die wir erreicht haben, nicht aufs Spiel gesetzt werden sollen, ist
jetzt die Verlängerung des KFOR-Mandates durch den
Deutschen Bundestag erforderlich.
Lassen Sie mich noch auf eines hinweisen: Seit Beginn der Operation sind wir der größte Truppensteller.
Wir haben einen großen Anteil an der Stabilisierung der
Region. Wir haben damit auch eine herausgehobene Verantwortung zur Aufrechterhaltung eines stabilen und sicheren Umfeldes für den Prozess, der im Rahmen der
Statusverhandlungen jetzt hoffentlich zu einer positiven
Entwicklung führt. Deshalb bitte ich Sie, der Fortsetzung
des deutschen Beitrages zu KFOR auf dem bisherigen
Niveau zuzustimmen.
Besten Dank.
({1})
Das Wort hat der Kollege Paul Schäfer von der Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Potemkin baut in Orahovac. Das geht so: 40 Häuser, die
bei den Märzunruhen 2004 zerstört worden sind, werden
jetzt - wie sich die Mitglieder des Verteidigungsausschusses vor kurzem vor Ort überzeugen konnten - wieder aufgebaut. Die Verkaufsverhandlungen mit Kosovoalbanern sind praktisch bereits im Gange. Die für die
kosovarischen Familienverhältnisse zu kleinen Häuser
werden dann abgerissen werden. Darin drückt sich leider
ein Trend aus: Die jungen Serbinnen und Serben gehen,
ein Teil der älteren bleibt.
Der Antrag der Bundesregierung ist überschrieben
mit „Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der Internationalen Sicherheitspräsenz im Kosovo zur Gewährleistung eines sicheren Umfeldes für die Flüchtlingsrückkehr“ - das ist Teil eins der Überschrift. In den
Ohren der weit über 200 000 Flüchtlinge und Vertriebenen - Serben, Sinti und Roma - muss das wie Hohn klingen. Das passierte bekanntlich unter den Augen der
NATO-Truppen.
Das Beispiel Orahovac zeigt, wie weiter an der Legende gestrickt wird, dass der KFOR-Einsatz für ein
multiethnisches Kosovo sorgen werde. Ich weiß, dass
die Soldatinnen und Soldaten - wir haben es gesehen:
die deutschen, die schweizerischen, die österreichischen sehr bemüht sind, diesen Auftrag zu erfüllen. Es geht
aber um das Versagen der Politik.
({0})
Das Kriegsziel „multiethnisches Kosovo“ ist spätestens mit den Luftangriffen der NATO an der Seite der
UCK verspielt worden. Die International Commission
on the Balkans, der Carl Bildt und Richard von
Weizsäcker angehörten, hat im letzten Jahr festgestellt:
Die Situation der serbischen Minderheit in Kosovo
ist die größte Anklage gegen den Willen und die Fähigkeit Europas, seine eigenen proklamierten Werte
zu verteidigen.
({1})
Der zum Staatsmann gewendete Kriegsherr Agim
Ceku redet - ich habe genau mitgeschrieben - vom Ausgleich zwischen den Kommunitäten. Derweil rappt die
kosovarische Jugend zu heroischen Bildern von „Albania“, so der Titel des Videoclips, den uns die KFOR gezeigt hat und der in den Diskotheken der Hit ist, und
träumt den großalbanischen Traum.
Paul Schäfer ({2})
Ich will das nicht überdramatisieren, aber bereits
heute stellt sich die Frage: Was kommt nach der Unabhängigkeit des Kosovo? Die Lostrennung des Kosovo ist
- Kollege Paech hat es gesagt - ausgesprochene Politik
der NATO. Ahtisaari wird sich dem anschließen. Auch
in dieser Hinsicht entspricht der Antrag der Bundesregierung längst nicht mehr den Realitäten. Es geht nicht
um die Durchsetzung der Resolution 1244, sondern um
eine weitgreifende Änderung. Natürlich kann über diese
Änderung des Status verhandelt werden. Aber es muss
eine einvernehmliche Lösung zwischen den Beteiligten
geben, kein Oktroi. Denn sonst kommen wir in Teufels
Küche.
({3})
Krieg produziert Folgezwänge, denen man sich realpolitisch kaum entziehen kann. Ich weiß, es gibt Gründe
dafür, zu sagen: Wir müssen jetzt die Minderheiten im
Kosovo durch die KFOR schützen. Aber wir wollen eine
andere Logik der internationalen Politik durchsetzen.
Für uns ist Krieg kein Mittel der Politik. Gerade Kosovo
hat gezeigt, dass Krieg eine immense Eskalation von Gewalt und Hass mit sich bringt. Sehen Sie sich die Zahlen
der Vertriebenen und der Todesopfer an! Krieg darf kein
Mittel der Politik sein. Deshalb stimmen wir gegen den
Antrag der Bundesregierung.
({4})
Wir wollen jetzt, da sich die jugoslawische Tragödie
dem Ende nähert, deutlich sagen: Politik muss sich strikt
ans Völkerrecht halten. Das fordern wir von dieser und
von jeder künftigen Bundesregierung. Der NATO-Krieg
war und bleibt ein eklatanter Bruch des Völkerrechts.
Die NATO muss deshalb, wenn sie im nächsten Jahr ihre
Strategie überarbeitet, definitiv auf selbstmandatierte
Militäreinsätze verzichten.
({5})
Schließlich: Ohne eine genauere Schuldzumessung
für die verschiedenen Beteiligten der Balkankriege hier
vornehmen zu können oder zu wollen, finde ich, dass es
an der Zeit ist, Gerechtigkeit für Serbien zu fordern. Da
dieses Land - nicht zuletzt durch äußere Einflüsse - um
viele Jahrzehnte zurückgeworfen worden ist, geht es
jetzt um Hilfe, um Unterstützung, um Integration und
nicht um Demütigung und Pression.
({6})
Der schlimme Ausdruck „Die Serben in die Knie zwingen“ - das hat ein bundesdeutscher Außenminister gesagt, liebe Kollegin - klingt mir noch in den Ohren. Ich
finde, es ist an der Zeit, den Serben jetzt wieder auf die
Beine zu helfen.
Danke.
({7})
Das Wort hat der Kollege Winfried Nachtwei von
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Kollege Schäfer, es ist die Frage, ob man den serbischen
Minderheiten dadurch hilft, dass man jetzt zum Beispiel
die KFOR von den Enklaven abzieht.
({0})
Vor sieben Jahren ging der Kosovo-Luftkrieg der
NATO gegen die Bundesrepublik Jugoslawien zu Ende.
Dieser Krieg war zu Recht sehr umstritten. Es hat danach, so finde ich, viel zu wenig offene, selbstkritische
Auswertungen dieses Krieges gegeben. Es überwogen
Verdrängung einerseits und Kriegsschuldvorwürfe andererseits. Aber es sind tatsächlich einige Konsequenzen
gezogen und Lehren umgesetzt worden: der Stabilitätspakt, die neuen Fähigkeiten der zivilen Krisenprävention
und Friedenskonsolidierung,
({1})
die zwei Säulen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik und nicht zuletzt die verstärkte UNOTreue und Verlässlichkeit der Bundesrepublik Deutschland. Das alles sind wesentliche, tatsächliche Konsequenzen.
({2})
Vor drei Wochen begann im Kosovo der Einsatz des
14. Kontingents der Bundeswehr. Manche Soldaten sind
schon zum dritten Mal oder sogar noch öfter dabei. Da
stellt sich selbstverständlich die Frage - diese Frage stellen sich auch die Soldaten, die gerade im Saal sind -:
Soll das etwa eine unendliche Geschichte werden?
Als Obleute des Verteidigungsausschusses waren wir
vor knapp zwei Wochen im Kosovo. Dort haben wir Verschiedenes festgestellt. Vor zwei Jahren - Sie erinnern
sich - waren die schlimmen Märzunruhen. Da hatten wir
die Befürchtung, dass die bis dahin geleistete mühsamste
Aufbauarbeit völlig zusammengebrochen wäre. Schauen
wir genauer hin: Einiges hat sich inzwischen sehr gut
entwickelt. Die Kosovo Police Force, von der man annahm, dass sie sich erst einmal gar nicht entwickeln
würde, ist jetzt weitestgehend selbstständig und arbeitet
insgesamt recht gut und verlässlich. Die UN-Polizei ist
nur noch in beratender Funktion tätig. Das ist ein sehr
wichtiger Fortschritt. Die KFOR ist jetzt eindeutig auf
konsequenten Minderheitenschutz und auch auf Wiederholungen der Märzunruhen vorbereitet.
Zugleich gehen sie mit den „Liaison and Monitoring
Teams“ jetzt viel dichter an die kosovarische Gesellschaft heran. Das sind eindeutige Fortschritte, ebenso
wie die Beschäftigungserfolge privatisierter Firmen, in
denen etliche Hunderte bis Tausende neuer Arbeitsplätze
geschaffen wurden. Das sind die positiven Veränderungen.
Zugleich ist die Situation aber auch sehr ernüchternd.
Denn die latente, hoch organisierte Gewalt ist im Kosovo weiterhin enorm und die organisierte Kriminalität
sehr verbreitet. Es wurde schon darauf hingewiesen, wie
mangelhaft die Strafjustiz noch immer arbeitet, insbesondere bei der Aufarbeitung der Verbrechen, die im
Rahmen der Märzunruhen verübt wurden. Schließlich ist
auch die Situation der Minderheiten weiterhin eine
Schande, obwohl es einzelne Gebiete gibt, Orahovac
zum Beispiel, in denen sie zumindest einigermaßen gut
nebeneinander leben können.
Welche Konsequenzen sind am heutigen Tag zu ziehen? Die jüngsten Statusgespräche markieren eine politisch besonders heikle Phase; denn die Konfliktparteien
halten sich jetzt einigermaßen zurück. Aber es gibt verstärkte Anzeichen dafür, dass die Welle der Gewalt,
wenn es zu nicht zufrieden stellenden Ergebnissen
kommt, sehr hoch schlagen könnte. Hier muss die Botschaft der internationalen Gemeinschaft völlig klar sein
- Kollege Stinner, Sie haben das zu Recht angesprochen -: Gewalt darf keine „Lösung“ mehr sein
({3})
und Gewalt darf sich nicht mehr lohnen.
Darauf nicht hinreichend zu achten, dieser Fehler ist
in der Vergangenheit immer wieder gemacht worden.
Deshalb ist die Verlängerung des KFOR-Mandats jetzt
- ich wiederhole: jetzt - notwendig und unverzichtbar.
Denn jetzt abzuziehen - ich sage wieder: jetzt; vielleicht
stellt sich die Situation in einem Jahr schon anders dar;
das wäre am besten -, hieße, die Enklaven den in den
Startlöchern stehenden Gewalttätern zu überlassen. Das
wäre unverantwortlich.
Danke schön.
({4})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Hans-Peter Bartels
von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute beschließen wir eine weitere Verlängerung des Kosovomandats. Das scheint schon fast Routine zu sein. Nach
unserer Zustimmung zur Bereitstellung eines ersten
deutschen KFOR-Kontingents im Sommer 1999 liegt
uns heute der siebte Verlängerungsantrag der Bundesregierung vor.
Ich möchte deshalb an dieser Stelle vor einer öffentlichen Fehlwahrnehmung warnen: Dass der Einsatz im
Kosovo genauso wie die Einsätze in Bosnien-Herzegowina und in Afghanistan immer wieder verlängert werden muss, liegt nicht daran, dass etwas, was schnell zu
erledigen gewesen wäre, deshalb länger dauert, weil immer alles schief geht. Manchmal wird das in den Medien
nach dem Motto dargestellt: Sie kriegen es einfach nicht
hin; jetzt müssen wir das Mandat schon wieder verlängern. - Aber das ist die falsche Wahrnehmung.
Richtig ist: Wir brauchen von vornherein einen langen Atem, Geduld und Entschlossenheit.
({0})
Auf dem Balkan ist der Fortschritt eine Schnecke. Damit
sie sich in die richtige Richtung bewegt, müssen wir ihr
den Rückweg versperren. Das dauert gewiss länger als
ein Jahr; ich glaube: viel länger.
Dass wir aber jedes Jahr aufs Neue darüber beraten,
hat nichts mit dem Erfolg oder Misserfolg des Einsatzes
zu tun, sondern mit unseren Rechten als Parlament. Wir
wollen von der Bundesregierung nach jeweils einem
Jahr erneut gefragt werden. Genau deshalb haben wir damals das Parlamentsbeteiligungsgesetz beschlossen. Die
Bundeswehr bleibt eine Parlamentsarmee.
Dass die Präsenz der internationalen Truppen im Kosovo seit 1999 alles andere als erfolglos war, lässt sich
zum Beispiel daran ablesen, dass wir die Sicherheit in
der Provinz heute mit deutlich weniger Soldaten als zu
Beginn der KFOR-Mission gewährleisten können. Zurzeit sind 2 600 Soldaten der Bundeswehr im KFOR-Einsatz, vor sieben Jahren, 1999, waren es fast 6 500. Das
damalige Bundestagsmandat, das durch die Mandatsverlängerung in diesem Punkt übrigens nicht geändert
wurde, lässt nach wie vor den Einsatz von bis zu
8 500 Soldaten zu.
Was für das deutsche Kontingent gilt, gilt auch für die
Gesamtmission der NATO: Betrug ihre Gesamtstärke im
Jahre 1999 noch 45 000 Soldaten, so sind es gegenwärtig 16 500. Es ist übrigens einer Erwähnung wert, dass
KFOR wirklich im besten Sinne multinational zusammengesetzt ist: Über 35 Staaten sind derzeit dabei, darunter sogar ferne Länder wie Argentinien und die Mongolei. Die NATO-Staaten sind fast vollzählig vertreten,
wie es sich gehört und wie wir das auch bei anderen Aktionen erwarten.
Mit der heutigen Zustimmung zur Mandatsverlängerung bekräftigen wir unser Interesse an einem dauerhaft
stabilen und demokratischen Kosovo. Nur weil die Provinz nicht mehr die Nachrichten bestimmt - man möchte
sagen: Gott sei Dank! -, lassen wir in unserem Engagement nicht nach. Das gilt für die vielfältigen zivilen Hilfen - Deutschland stellt etwa einen wesentlichen Beitrag
für die UNO-Polizei im Kosovo - wie auch für die militärische Absicherung der Entwicklung. Wann der letzte
KFOR-Soldat die Provinz verlassen wird, kann heute
niemand sagen. Denn das lehrt uns die Erfahrung aus
diesem wie aus anderen Einsätzen: Wenn unsere Politik
eine dauerhafte Befriedung und Entwicklung der Region
bewirken soll, dann müssen wir einen langen Atem haben.
Ich bitte um Zustimmung.
({1})
Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt
erteile ich das Wort dem Kollegen Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg.
({0})
- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie doch,
auch dem letzten Redner Ihre Aufmerksamkeit zu schenken, bevor wir zur namentlichen Abstimmung kommen.
({1})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die CDU/CSU-Fraktion teilt die Auffassung der
Bundesregierung und wird einer Verlängerung des
KFOR-Mandats zustimmen.
({0})
Dieser Einsatz ist für uns ohne Alternative. Alles andere,
verehrte Kolleginnen und Kollegen aus der Linkspartei,
was Sie vorgetragen haben, ist in unseren Augen eher
ein Beitrag zur Destabilisierung der Region - man fragt
sich, welchen Interessen Sie eigentlich dienen.
({1})
Verehrter Herr Dr. Paech, Sie haben vorhin den Bezug
hergestellt, dass die Wunden in dieser Region auf die
NATO zurückzuführen seien, ohne dabei den Namen
Milošević überhaupt in den Mund zu nehmen. Das ist
schlichtweg unglaublich, das ist wirklich unter Ihrer
Würde.
({2})
Meine Damen und Herren, Herr Kollege Bartels, trotz
allem ist es richtig: Mandatsverlängerungen dürfen
nicht zur Routine werden. Von daher ist es unsere Aufgabe, dieses Mandat stets aufs Neue dahin gehend zu
überprüfen, ob es aus sich selbst weiterhin erklärbar ist
und erklärbar bleibt, dahin gehend auch, ob die innenund die sicherheitspolitischen Gegebenheiten vor Ort
Neubewertungen erfordern; und dahin gehend, ob für
ausreichenden Schutz, für entsprechende Ausrüstung
und auch für klare Strukturen für unsere Soldatinnen und
Soldaten vor Ort gesorgt ist.
({3})
Dies entspricht zu Recht der Erwartung unserer Soldaten, denen von unserer Seite - ich glaube, das kann man
für das ganze Haus sagen - einmal gedankt sein soll dafür, dass sie vor Ort ihren Auftrag erfüllen und ihren
Dienst versehen, und für den nimmermüden Einsatz, den
sie dort leisten.
({4})
Meine Damen und Herren von der Linkspartei, dass
Sie noch nicht einmal in der Lage sind, unseren Soldaten
für ihren Einsatz vor Ort, der gerade den Interessen der
von Ihnen benannten Minderheiten dient, Dank zu zollen, ist in meinen Augen beschämend. Ein Applaus für
unsere Soldaten
({5})
wäre auch einmal von Ihrer Seite angebracht; das kann
man auch dann machen, wenn man dem Mandat widersprechen möchte.
({6})
Gleichwohl gibt eine Mandatsverlängerung immer
Grund zur Überprüfung, ob die Bundesregierung und ob
das Parlament die nötige Sorgfalt mit Blick auf den Auftrag walten lassen.
Herr Kollege Freiherr zu Guttenberg, erlauben Sie
eine Zwischenfrage des Kollegen Schäfer?
Aber selbstverständlich.
({0})
Bitte schön, Herr Schäfer.
Lieber Kollege von Guttenberg, wären Sie bereit, im
Protokoll nachzulesen, was ich an dieser Stelle gesagt
habe, auch was das Engagement deutscher, schweizer
und österreichischer Soldaten betrifft, und dies hier im
Plenum noch einmal zu sagen?
Ich bin gern bereit, das nachzulesen, Herr Kollege
Schäfer. Ich darf aber auch noch einmal daran erinnern,
dass man, wenn sich das Haus bei unseren Soldaten für
den Einsatz bedankt und sich bei Ihnen diesbezüglich
nicht einmal eine Hand rührt, den Eindruck bekommt,
dass Sie Ihre ablehnende Haltung auf unsere Soldaten
projizieren. Aber unsere Soldaten leisten ihren Dienst
vor Ort und haben allein deswegen Applaus verdient.
({0})
Dem Überprüfungsauftrag, der uns alle betrifft, liebe
Kolleginnen und Kollegen, ist dieses Haus in den letzten
Jahren mit großer Verantwortung und mit großer Ernsthaftigkeit nachgekommen. Gelegentlich wurde natürlich auch kontrovers diskutiert, wie man das heute Morgen wieder sehen konnte.
Warum diese romantische Floskel von meiner Seite?
Dies hat folgenden Hintergrund: Gestern durften wir die
Behauptung eines Spitzenvertreters eines großen Verbandes lesen, die Politik rede sich manchmal die Verhältnisse schön, das habe man insbesondere im Kosovo
gesehen. Derselbe Herr sprach im Zusammenhang mit
den Vorgängen im Kongo von politischem Showbusiness mit militärischen Mitteln.
Für mich sind diese Äußerungen nur schwer erträglich;
({1})
denn sie tragen dazu bei, dass zwischen dem Parlament
und unseren Soldaten eine Kluft aufgerissen wird. Wir
müssen aufpassen, dass das nicht geschieht. Fehleinschätzungen gab es immer und wird es immer geben.
Natürlich gab es gelegentlich Versäumnisse; auch die
wird es immer wieder geben. Aber mit Schönrednerei
hat dies nichts zu tun. Damit lassen wir uns nicht abspeisen.
({2})
In gewisser Weise besteht natürlich immer Nachbesserungsbedarf.
Unsere Bevölkerung hat - auch das darf einmal erwähnt werden - die bisherigen Auslandseinsätze mit viel
Verständnis und mit Selbstverständlichkeit mitgetragen.
Das ist ein hohes Gut und muss gepflegt werden, wenn
dieses Niveau gehalten werden soll. Von denjenigen, die
über die Arbeit der Regierung zu urteilen haben, wird
man gottlob nie eine Routine erwarten dürfen, was die
Auslandseinsätze angeht.
Die Aufgaben für unsere Soldaten sind in immer
komplexeren Zusammenhängen zu sehen, die Einsätze
werden - siehe Afghanistan, Herr Bundesminister - immer gefährlicher. Umso deutlicher, vielleicht noch deutlicher als bisher, muss der Sinn einer jeden Streife, einer
jeden Sicherung, einer jeden militärischen Maßnahme
erkennbar und erklärbar sein, auch vonseiten des Parlamentes.
({3})
Die Botschaften, die wir unseren Soldaten und allen
Menschen in unserem Land mitgeben, müssen kohärent,
verständlich und schlüssig sein. Dem wird möglicherweise das Weißbuch gerecht, das Weißbuch, das für einen gewöhnlichen Unionsabgeordneten natürlich nicht
in irgendeiner Weise bekannt ist.
({4})
- Ob ich das Weißbuch kenne? Ich kenne es nicht. Aber
möglicherweise haben wir die Chance, der Forderung
nachzukommen, dass sich die Auslandseinsätze auf den
Interessen unseres Landes gründen.
Herzlichen Dank.
({5})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswär-
tigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregie-
rung zur Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der
Internationalen Sicherheitspräsenz im Kosovo, Druck-
sache 16/1651. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 16/1509 anzunehmen. Es ist namentliche
Abstimmung verlangt. Ich bitte die Schriftführerinnen
und Schriftführer, ihre Plätze einzunehmen.
Ich sehe, die Plätze sind besetzt. Dann eröffne ich die
Abstimmung.
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das scheint nicht
der Fall zu sein. Ich schließe die Abstimmung und bitte
die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Aus-
zählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung
wird Ihnen später bekannt gegeben. Wir setzen die Bera-
tungen fort.
Kolleginnen und Kollegen, ich bitte, Platz zu nehmen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8 a und 8 b sowie
Zusatzpunkt 4 auf:
8 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten HansChristian Ströbele, Volker Beck ({0}),
Marieluise Beck ({1}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN
Für eine wirksamere Kontrolle der Geheimdienste
- Drucksache 16/843 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({2})
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
b) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Dr. Max Stadler, Gisela Piltz, Sabine LeutheusserSchnarrenberger, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Kontrollgremiumgesetzes
- Drucksache 16/1163 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({3})
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung
Rechtsausschuss
ZP 4 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({4}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Hans-Christian
Ströbele, Volker Beck ({5}), Grietje Bettin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Überwachung von Journalisten durch den
Bundesnachrichtendienst
- Drucksachen 16/85, 16/1656 Berichterstattung:
Abgeordnete Clemens Binninger
Dr. Max Stadler
Ulla Jelpke
Wolfgang Wieland
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen fünf Minuten
erhalten soll. Gibt es Widerspruch dagegen? - Das ist
nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Hans-Christian Ströbele vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Der Bundesnachrichtendienst, die Geheimdienste und
die Kontrolle der Geheimdienste sind Dauerbrenner geworden. In fast jeder Sitzungswoche gibt es neue Ereignisse, sodass wir eigentlich immer neue Aktuelle Stunden beantragen könnten. Auch heute hat uns dieser
Trend nicht verlassen.
Wir sind heute Mittag von der Mitteilung des Bundesnachrichtendienstes überrascht worden, dass einer seiner
Mitarbeiter doch bereits sehr früh von dem Vorgang gewusst hat, dass der deutsche Staatsbürger el-Masri zum
Jahreswechsel 2003/2004 entführt, an die Amerikaner
übergeben und von den Amerikanern verschleppt worden ist. Das wundert uns; denn seit einem halben Jahr
betonen die Bundesregierung und der Bundesnachrichtendienst in vielen Verlautbarungen immer wieder, dass
sie von einer Entführung des el-Masri zum ersten Mal
Kenntnis erlangt haben, nachdem dieser Mann von den
Amerikanern bereits wieder entlassen worden war - das
war Ende Mai 2004 - und als ein Gespräch zwischen
dem damaligen Bundesinnenminister Schily und dem
US-Botschafter Coats stattgefunden hat.
Nun hören wir plötzlich: In einem Kantinengespräch
in Mazedonien, wo die Entführung ihren Anfang genommen hat, soll bereits darüber gesprochen worden sein. In
diesem Gespräch erfährt der Geheimdienstmann des
Bundesnachrichtendienstes davon, dass ein deutscher
Staatsbürger festgenommen und an die Amerikaner
übergeben worden ist. Er verschließt das aber in seinem
Herzen und erzählt niemandem etwas davon. Deshalb
wussten der Bundesnachrichtendienst und auch die Bundesregierung angeblich nichts davon. Das können wir
nicht glauben.
({0})
Uns fehlt die nötige Fantasie dafür, zu glauben, dass ein
Mann, der in einem Geheimdienst tätig ist und Informationen aus Mazedonien beschaffen soll, keine Informationen über einen solch wichtigen Sachverhalt weitergibt.
Was uns noch mehr wundert: Seit einem guten halben
Jahr diskutiert die Republik über die Frage, ob es denn
sein kann, dass der Bundesnachrichtendienst nichts davon gewusst hat. Auch in all dieser Zeit hält der betreffende Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes, der all
diese Meldungen mitbekommen haben muss, nichts davon, seinem Bundesnachrichtendienst nun Meldung zu
erstatten und zu sagen: Ich wusste aber schon, dass damals was passiert ist. Vielmehr behauptet er nach wie
vor, das sei ihm entfallen und er hätte sich erst daran erinnert, als der Untersuchungsausschuss nachfragte, ob er
jetzt nicht vor dem Untersuchungsausschuss gehört werden müsse.
Das ist eine Verheimlichungsstrategie, die wir dem
Bundesnachrichtendienst und der Bundesregierung nicht
durchgehen lassen. Wir glauben das nicht. Wir fordern
Aufklärung. Wir fordern, dass erstens diejenigen, die damals davon unterrichtet gewesen sind, zur Rechenschaft
gezogen werden, aber auch diejenigen, die eine Organisation des Bundesnachrichtendienstes verhindert haben,
die solche Geheimnistuerei unmöglich gemacht hätte.
({1})
Wir haben heute eigentlich das Spezialthema: Wie
kann der Bundesnachrichtendienst, wie können die deutschen Geheimdienste besser überwacht werden? Wir
haben dazu eine Reihe von Vorschlägen gemacht. Wir
sagen: Wenn es uns schon nicht gelingt, den Geheimdiensten das Geheime zu nehmen, dann sollten wir möglichst alles dafür tun, dass wir wenigstens dem Kontrollorgan, dem Parlamentarischen Kontrollgremium, das
diese Geheimdienste kontrolliert, das Geheime nehmen.
Wir müssen mehr Transparenz herstellen und ermöglichen, dass die Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums wenigstens die Vorsitzenden darüber unterrichten dürfen, was dort besprochen und diskutiert
wird und was dort an Skandalen ans Licht kommt. Das
ist an sich eine Selbstverständlichkeit; aber bis heute
dürfen wir das nicht, sondern müssen die Bundesregierung fragen, ob wir solche Mitteilungen machen können.
So kann das nicht weitergehen.
({2})
Wir fordern darüber hinaus, dass die Mitglieder des
Parlamentarischen Kontrollgremiums in Zukunft weiter
das tun dürfen, was sie jetzt tun, ohne dass es bisher im
Gesetz verankert ist: Sie müssen nach der Aufdeckung
von Skandalen an die Öffentlichkeit gehen können und
nicht nur Bewertungen abgeben dürfen, sondern auch
die Fakten mitteilen dürfen, die sie in dem Gremium erfahren haben, damit sich die Bürgerinnen und Bürger
und damit sich der Deutsche Bundestag ein Bild davon
machen kann.
Wir fordern auch, dass die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass dieses Gremium besser arbeiten
kann. Es muss möglich sein, dass wir Mitarbeiter mit in
das Gremium nehmen, dass dort protokolliert wird und
dass die Arbeitsweise des Gremiums insgesamt besser
unterstützt wird. Das Wichtigste ist: Wir wollen die BunHans-Christian Ströbele
desregierung verpflichten, dass sie dem Gremium in Zukunft von sich aus über besondere Vorgänge berichtet
und dass es nicht darauf warten muss, bis etwas in der
Zeitung steht. Das heißt, wir wollen im Gesetz verankern, dass die Fälle, bei denen es sich um besondere Angelegenheiten, um besondere Vorfälle handelt, im Gesetz
definiert sind. Es müssen etwa alle Vorfälle, die in der
Präsidentenlage im Bundeskanzleramt erörtert werden,
und alle Vorfälle, über die der Chef des Bundesnachrichtendienstes informiert wird, auch dem Parlamentarischen Kontrollgremium zur Diskussion, zur Überprüfung und zur Kontrolle vorgelegt werden. Nur wenn wir
es schaffen, dass wenigstens dieses Gremium offen und
transparent arbeiten kann, erreichen wir, dass die Bevölkerung dem Parlament wieder vertraut, dass eine wirksame Kontrolle stattfindet und es im Bundesnachrichtendienst und in anderen Geheimdiensten nicht zu dem
kommt, was meine Fraktionsvorsitzende zu Recht als
„Sauladen“ bezeichnet hat.
({3})
Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, gebe
ich das von den Schriftführerinnen und Schriftführern
ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung
über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zum Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der Internationalen
Sicherheitspräsenz im Kosovo bekannt: Abgegebene
Stimmen 570, mit Ja haben gestimmt 516, mit Nein haben gestimmt 54, Enthaltungen keine.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 570;
davon
ja: 516
nein: 54
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({0})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Otto Bernhardt
Renate Blank
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Georg Fahrenschon
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Hartwig Fischer ({1})
Dirk Fischer ({2})
Axel E. Fischer ({3})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({4})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Michael Glos
Dr. Reinhard Göhner
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Karl-Theodor Freiherr
zu Guttenberg
Holger Haibach
Gerda Hasselfeldt
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung ({5})
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({6})
Volker Kauder
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Kristina Köhler ({7})
Norbert Königshofen
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Johann-Henrich
Krummacher
Dr. Karl A. Lamers
({8})
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Ingbert Liebing
Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
Dr. Michael Luther
Stephan Mayer ({9})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Laurenz Meyer ({10})
Maria Michalk
Hans Michelbach
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Carsten Müller
({11})
Stefan Müller ({12})
Bernward Müller ({13})
Dr. Gerd Müller
Hildegard Müller
Bernd Neumann ({14})
Henry Nitzsche
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Dr. Peter Paziorek
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({15})
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht ({16})
Peter Rzepka
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Anita Schäfer ({17})
Hermann-Josef Scharf
Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Annette Schavan
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({18})
Andreas Schmidt ({19})
Ingo Schmitt ({20})
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Horst Seehofer
Kurt Segner
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Thomas Strobl ({21})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Peter Weiß ({22})
Gerald Weiß ({23})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Anette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Matthias Wissmann
Dagmar Wöhrl
Willi Zylajew
SPD
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Ernst Bahr ({24})
Doris Barnett
Dr. Hans- Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Dr. Axel Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({25})
Kurt Bodewig
Clemens Bollen
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({26})
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Sigmar Gabriel
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Graf ({27})
Dieter Grasedieck
Kerstin Griese
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann
({28})
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({29})
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({30})
Frank Hofmann ({31})
Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Brunhilde Irber
Johannes Jung ({32})
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Dr. h.c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange ({33})
Dr. Karl Lauterbach
Waltraud Lehn
Helga Lopez
Gabriele Lösekrug-Möller
Dirk Manzewski
Lothar Mark
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Petra Merkel ({34})
Ulrike Merten
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller ({35})
Michael Müller ({36})
Gesine Multhaupt
Dr. Rolf Mützenich
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Joachim Poß
Christoph Pries
Dr. Wilhelm Priesmeier
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Steffen Reiche ({37})
Maik Reichel
Dr. Carola Reimann
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
Sönke Rix
Rene Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({38})
Ortwin Runde
Axel Schäfer ({39})
Bernd Scheelen
Marianne Schieder
Otto Schily
Silvia Schmidt ({40})
Renate Schmidt ({41})
Dr. Frank Schmidt
Heinz Schmitt ({42})
Carsten Schneider ({43})
Olaf Scholz
Ottmar Schreiner
Reinhard Schultz
({44})
Swen Schulz ({45})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Andreas Steppuhn
Ludwig Stiegler
Christoph Strässer
Joachim Stünker
Dr. Rainer Tabillion
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. h.c. Wolfgang Thierse
Jörn Thießen
Rüdiger Veit
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Gunter Weißgerber
({46})
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Dieter Wiefelspütz
Engelbert Wistuba
Waltraud Wolff
({47})
Heidi Wright
Manfred Zöllmer
FDP
Jens Ackermann
Daniel Bahr ({48})
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Patrick Döring
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Miriam Gruß
Joachim Günther ({49})
Dr. Christel Happach-Kasan
Elke Hoff
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Hellmut Königshaus
Heinz Lanfermann
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Michael Link ({50})
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Hans-Joachim Otto
({51})
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Frank Schäffler
Dr. Konrad Schily
Marina Schuster
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Florian Toncar
Christoph Waitz
Dr. Claudia Winterstein
Hartfrid Wolff ({52})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Marieluise Beck ({53})
Volker Beck ({54})
Cornelia Behm
Birgitt Bender
Grietje Bettin
Alexander Bonde
Dr. Thea Dückert
Dr. Ursula Eid
Hans-Josef Fell
Joseph Fischer ({55})
Kai Gehring
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Winfried Hermann
Priska Hinz ({56})
Ulrike Höfken
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Thilo Hoppe
Ute Koczy
Renate Künast
Undine Kurth ({57})
Markus Kurth
Monika Lazar
Dr. Reinhard Loske
Anna Lührmann
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({58})
Claudia Roth ({59})
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Dr. Gerhard Schick
Silke Stokar von Neuforn
Jürgen Trittin
Wolfgang Wieland
Josef Philip Winkler
Margareta Wolf ({60})
Nein
CDU/CSU
Dr. Wolf Bauer
Wolfgang Börnsen
({61})
Willy Wimmer ({62})
SPD
Gregor Amann
FDP
DIE LINKE
Hüseyin-Kenan Aydin
Karin Binder
Dr. Lothar Bisky
Heidrun Bluhm
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Sevim Dagdelen
Dr. Diether Dehm
Werner Dreibus
Klaus Ernst
Diana Golze
Dr. Gregor Gysi
Heike Hänsel
Lutz Heilmann
Hans-Kurt Hill
Cornelia Hirsch
Ulla Jelpke
Katja Kipping
Jan Korte
Katrin Kunert
Michael Leutert
Dr. Gesine Lötzsch
Dorothee Menzner
Kersten Naumann
Dr. Norman Paech
Bodo Ramelow
Elke Reinke
Paul Schäfer ({63})
({64})
Dr. Herbert Schui
Dr. Ilja Seifert
Dr. Petra Sitte
Dr. Kirsten Tackmann
Jörn Wunderlich
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Sylvia Kotting-Uhl
fraktionslos
Das Wort hat jetzt der Kollege Clemens Binninger
von der CDU/CSU-Fraktion.
({65})
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Wenn wir über den Gesetzentwurf der FDP
zur gesetzlichen Neuregelung der Arbeit des Parlamentarischen Kontrollgremiums debattieren, dann müssen
wir auch mit einigen Sätzen auf die zahlreichen Vorwürfe eingehen. Es ist unbestritten, dass es in den vergangenen Wochen und Monaten kritikwürdige Vorfälle
gegeben hat.
Bei aller Kritikwürdigkeit, Herr Kollege Ströbele
- das Wort „Sauladen“ kam Ihnen mit sichtlichem Vergnügen über die Lippen -, möchte ich aber eines klarstellen: Die große Mehrheit der Beschäftigten in unseren
Sicherheitsbehörden in Bund und Ländern leistet unter
schwierigsten Bedingungen hervorragende Arbeit zum
Schutz der Sicherheit dieses Landes. Wir sollten uns
davor hüten, unsere Sicherheitsbehörden pauschal so
darzustellen, als ob es dort nur Skandale gäbe. Sie leisten
hervorragende Arbeit. Das sollten wir auch betonen.
({0})
Denn es ist niemandem damit gedient, wenn wir unsere
Sicherheitsbehörden pauschal schlecht reden.
({1})
Wenn es um Veränderungen geht, dann müssen wir
zunächst nach den Fehlerquellen für die Verstöße aus
den vergangenen Monaten fragen. Es gibt offensichtlich
zwei Fehlerquellen. Die eine können wir möglicherweise beseitigen oder zumindest eindämmen. Für die
zweite gilt das vielleicht auch; es ist aber sehr viel
schwieriger.
Die erste Fehlerquelle liegt - das hat auch der Bundesrichter a. D. Schäfer festgestellt - in den Informationsregeln innerhalb des BND, die durchaus verbesserungsfähig sind und durch verschiedene Maßnahmen
auch in Bezug auf die BND-Spitze und den Austausch
zwischen BND und Kanzleramt geändert werden müssen. Das wird von niemandem - auch nicht vom Kanzleramt - bestritten. An der Stelle besteht sicherlich
Handlungsbedarf, weil das PKGr nur dann frühzeitig
über bedeutende Vorgänge informiert werden kann,
wenn sie dem Kanzleramt und der BND-Spitze bekannt
sind.
Die zweite Fehlerquelle ist schwieriger zu beheben;
sie ist aber vielleicht die Hauptursache der Vorfälle. Sie
liegt in dem persönlichen Fehlverhalten einzelner Beschäftigter,
({2})
einiger weniger Journalisten, die aus Sensationsgier,
Wichtigtuerei oder was auch immer handeln, bis hin zum
Fehlverhalten von Mitgliedern aus dem PKGr oder dessen Umfeld - ich sage das bewusst so vorsichtig -, wo
jemand Geheimnisverrat begangen hat
({3})
und den Schäfer-Bericht sehr früh - bevor er veröffentlicht wurde - an die Medien durchgestochen hat.
Wenn es um Konsequenzen geht, dann hilft es nicht,
etwas flapsig von einem „Sauladen“ zu reden. Wir müssen vielmehr fragen, wie wir diese Fehlerquellen beseitigen können.
Eines dürfen wir aber nicht vergessen: Geheimdienstarbeit muss geheim bleiben, genauso wie in notwendigem Maße die Kontrolle dieser Arbeit.
({4})
Wir würden dem Vertrauensbruch Tür und Tor öffnen,
wenn wir verlangten, alles auf dem freien Markt auszutragen. Ein Nachrichtendienst, der davon ausgehen
muss, dass die sensiblen Maßnahmen, die er durchführt,
und die Informationen, die er erhält, anschließend bei jeder Gelegenheit öffentlich seziert werden, ist kein Nachrichtendienst mehr und kann für die Sicherheit dieses
Landes nichts mehr tun. Die Geheimhaltung muss eine
Vorbedingung sein. Erst dann können wir über konkrete
Maßnahmen reden.
Nun haben Sie von der FDP den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Kontrollgremiumgesetzes vorgelegt. Ich weiß nicht so recht, ob Sie hier einen Schnellschuss gemacht haben, um als Erste etwas vorzulegen.
({5})
Jedenfalls möchte ich etwas zur Eignung der drei von Ihnen vorgeschlagenen Maßnahmen sagen. Erster Vorschlag. Sie beklagen, dass das PKGr häufig zu spät informiert wird und die Dinge erst aus der Zeitung erfährt.
Hier kann man durchaus Kritikwürdiges erkennen. Aber
Ihren Ansatz, wonach eine schuldhafte Verletzung der
Unterrichtungspflicht ein Dienstvergehen darstellt, halte
ich für sehr bürokratisch. Er ist in der Praxis kaum anzuwenden.
Zweiter Vorschlag. Sie wollen den Mitarbeitern des
BND die Möglichkeit geben, sich zukünftig unter Umgehung der BND-Spitze direkt an das Parlamentarische
Kontrollgremium zu wenden. Schon heute dürfen sie
sich an das Parlamentarische Kontrollgremium wenden,
müssen aber zuvor versucht haben, bei der BND-Spitze
Gehör zu finden. Wenn das abgeschafft wird, hält eine
Misstrauenskultur beim BND Einzug. Das wird zu
nichts führen. Die bestehende Möglichkeit, sich an das
PKGr zu wenden, reicht allemal aus. Ich halte es für
kontraproduktiv, den BND-Mitarbeitern die Möglichkeit
zu geben, sich unter Umgehung der BND-Spitze - Sie
selber sagen, diese sei nicht gut informiert - an das Parlamentarische Kontrollgremium zu wenden. Das würde
die bestehenden Probleme vielleicht eher verschärfen als
lösen.
Der dritte Vorschlag zeigt vielleicht - das haben Sie
bereits angesprochen, Herr Kollege Ströbele -, was Sie
sich eigentlich wünschen. Wie vorhin beschrieben haben
wir das Problem, dass offensichtlich im PKGr oder in
dessen Umfeld Geheimnisverrat begangen wurde. Bislang gehören dem Parlamentarischen Kontrollgremium
neun Mitglieder, neun Geheimnisträger an. Herr
Ströbele, Sie schlagen nun - genauso wie die FDP - vor,
dass jedes der neun Mitglieder einen Stellvertreter bekommt.
({6})
Außerdem sollen ausgewählte Mitarbeiter der Fraktionen einbezogen werden, genauso wie die Fraktionsspitzen. Dann gäbe es statt neun 25 Geheimnisträger. Wie
Sie mit 25 Geheimnisträgern die Geheimhaltung besser
wahren wollen als mit neun, ist mir schleierhaft. Das ist
für mich eher der Versuch, quasi eine organisierte Unverantwortlichkeit entstehen zu lassen, die dazu führt,
dass anschließend niemand mehr weiß, wo eine Information durchgesickert ist. Darum geht es Ihnen offensichtlich mehr als um die Geheimhaltung.
({7})
Wir sind durchaus bereit, über eine Änderung der Arbeitsweise des Parlamentarischen Kontrollgremiums zu
diskutieren. Aber wir sollten uns dabei an dem von Bundesrichter a. D. Schäfer vorgelegten Bericht orientieren. Er schreibt auf Seite 176, gesetzgeberische Maßnahmen seien nicht notwendig und das PKGr habe im
konkreten Fall, also bei der Überwachung von Journalisten, alle Befugnisse gehabt. Dennoch skizziert er, wie
die Rolle des PKGr zukünftig aussehen könnte. Er sagt
- ich formuliere es in eigenen Worten -: Das PKGr hat
eine Zwischenfunktion zwischen einem „normalen“
Ausschuss und einem Untersuchungsausschuss. Eine
sinngemäße Anwendung der StPO könnte die Rechte
dieses Gremiums stärken. Das halte ich für überlegenswert. Weil dies heute eher eine Hilfskonstruktion ist,
fügt Herr Schäfer hinzu: Man müsste die Herausgabe
von Akten und ihre Einsicht verpflichtend machen, also
mehr als Amtshilfe. Auch ich halte es für überlegenswert, die Befugnisse des Parlamentarischen Kontrollgremiums zu stärken und sich so eher einem Untersuchungsausschuss anstatt einem „normalen“ Ausschuss
zu nähern.
Wer nun argumentiert, die Fülle an Informationen, die
auf das PKGr einstürzen, sei so groß, dass man sie kaum
bewerten könne, dem sei gesagt: Vielleicht macht es
Sinn, neben dem Parlamentarischen Kontrollgremium
jemanden aus der Mitte des Parlaments, einen Geheimdienstbeauftragten, zu haben, der sich ständig - quasi als
Frühwarnsystem - mit dieser Thematik befasst. Ich wiederhole: Man kann darüber diskutieren.
({8})
- An Herrn Ströbele habe ich dabei zuletzt gedacht.
Diese drei Punkte sind durchaus überlegenswert. Wir
können die Arbeit des Parlamentarischen Kontrollgremiums stärken: bei der Beweiserhebung und bei der Befragung von Zeugen durch eine Annäherung an die Vorschriften der StPO, durch eine Verpflichtung zur
Beiziehung und Herausgabe von Akten und schließlich
- darüber sollten wir diskutieren - durch eine Person aus
dem Parlament, die die Arbeit dieses Gremiums unterstützt.
Herr Kollege Binninger, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ströbele?
Ja.
Herr Kollege, der Vorschlag, dem PKGr die Befugnisse eines Untersuchungsausschusses zu geben, hört
sich zunächst einmal ganz sachdienlich an. Widerspricht
er nicht Ihrer eigenen Argumentation? Wenn dieses Gremium die gleichen Befugnisse wie ein Untersuchungsausschuss hat - das ist nach dem Grundgesetz zum Beispiel beim Verteidigungsausschuss vorgesehen -, muss
dann für die Behandlung von solche Befugnisse erfordernden Fällen nicht auch ein ähnlicher Apparat wie der
zur Verfügung gestellt werden, der einem Untersuchungsausschuss heute zur Verfügung steht? Ich habe im
Augenblick die Ehre, dem PKGr und gleichzeitig einem
Untersuchungsausschuss anzugehören. Ich sehe, dass in
einem Untersuchungsausschuss fünf- oder zehnmal so
viel Personen wie im Parlamentarischen Kontrollgremium mit einer Sache befasst sind. Inwiefern ist Ihr Vorschlag mit Ihrer Forderung vereinbar, es solle bei neun
PKGr-Mitgliedern bleiben?
Ich will diese Frage gern beantworten, Herr Kollege.
Ich habe nicht gesagt: identisch mit einem Untersuchungsausschuss. Vielmehr habe ich gesagt: Annäherung an dessen Befugnisse und Kompetenzen. Wie viel
Personal man dafür braucht, das kann niemand von uns
heute einschätzen.
Wir diskutieren über die Frage, wie wir die Stellung
des parlamentarischen Kontrollgremiums verbessern
können. Ich empfehle: Lassen Sie uns all die Kollegen
heranziehen, die in den letzten Jahren, Jahrzehnten lange
Zeit in diesem Gremium gearbeitet haben. Das sind die
eigentlichen Praktiker, die uns mitteilen können, welche
Verbesserungen notwendig sind und welche nicht. Diese
Kollegen heranzuziehen und dann ergebnisoffen zu diskutieren, das macht Sinn. Wenn man das täte, dann gäbe
es auch keinen Widerspruch zu meiner Argumentation,
Herr Ströbele. Am Ende würde man sehen, ob man wirklich mehr Personal brauchte; die Zahl der zu behandelnden Fälle wäre vielleicht gar nicht so groß.
Ich glaube, dass wir in dieser ganzen Debatte in sehr
viel höherem Maße beide Aspekte im Blick behalten
müssen: die Kontrolle der Geheimdienste - sie muss
sein -, aber auch das Eintreten gegen die pauschale Verurteilung der Geheimdienste. Tun wir das nicht, erweisen wir der Sicherheit unseres Landes einen Bärendienst.
Wir sind für die Kontrolle und auch für die Stärkung unserer Sicherheitsbehörden. Damit sind wir auf dem richtigen Weg.
Herzlichen Dank.
({0})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Max Stadler von
der FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Forderung nach mehr und besserer Kontrolle
richtet sich nicht gegen die Geheimdienste; Kontrolle ist
vielmehr ein wesentlicher Teil der Legitimation der Arbeit von Geheimdiensten in einer Demokratie.
({0})
Leider müssen wir feststellen, dass es mit der Kontrolle der Arbeit der Geheimdienste, zuletzt des Bundesnachrichtendienstes, schon ein rechtes Kreuz ist. Die
Bundesregierung hat vor einigen Wochen einen sehr umfangreichen Bericht über verschiedene in der Öffentlichkeit diskutierte Vorgänge über die Entführung und Verschleppung eines deutschen Staatsangehörigen, über
Vernehmungen auf Guantanamo und in Syrien unter
fragwürdigen Umständen und über andere Vorgänge
vorgelegt. Nach der Vorstellung dieses Berichts meinte
der Kollege Olaf Scholz - ich habe es noch im Ohr -,
von diesem Zeitpunkt an sei alles aufgeklärt, es blieben
keine Fragen mehr unbeantwortet. Wir von der Opposition haben diesem Frieden nicht getraut und entschieden,
einen Untersuchungsausschuss einzurichten.
({1})
Heute hat sich etwas höchst Ungewöhnliches ereignet. Noch ehe dieser Untersuchungsausschuss den ersten
Zeugen vernommen hat, stellte sich heraus, dass die
Bundesregierung ihren umfangreichen Bericht an einer
wichtigen Stelle in einem wichtigen Punkt korrigieren
muss. Ein Geheimdienstmitarbeiter hat, weil er vor sich
sah, im Untersuchungsausschuss unter Wahrheitspflicht aussagen zu müssen, von sich aus jetzt sein Wissen über die Verhaftung el-Masris in Mazedonien offenbart, das er bisher für sich behalten hat. Ich werte das so:
Der Untersuchungsausschuss entfaltet bereits Wirkung.
Er war und ist deshalb dringend notwendig.
({2})
Nun sagt Herr Ströbele, dass hier ein Einzelner etwas
über die Vernehmung el-Masris gewusst habe, sei nicht
glaubhaft. Wir haben da auch Zweifel. Geheimdienstarbeit bedeutet ja nicht, dass man eine Information geheim
für sich behält. Das Normale ist, dass man sie dem Vorgesetzten mitteilt. Das werden wir klären.
Die Argumentation, da handele es sich um das Versagen eines Einzelnen, haben wir schon bei der Frage der
rechtswidrigen Observation von Journalisten erlebt.
Auch da wird es so dargestellt, dass sich eine bestimmte
Abteilung verselbstständigt habe. Aber wenn das so sein
sollte, meine Damen und Herren, dann wäre das immerhin ein Zeichen dafür, dass es höchste Zeit ist, Ordnung
im eigenen Haus zu schaffen.
({3})
Geheimdienstkontrolle bedeutet in erster Linie zunächst einmal interne Kontrolle. Ich stehe nicht an, zu
sagen: Die organisatorischen Sofortmaßnahmen, die
Herr Fritsche und Herr de Maizière vorgesehen haben,
finden die Unterstützung der FDP. - Aber wir dürfen dabei nicht stehen bleiben. Wir brauchen natürlich auch
eine effektivere parlamentarische Kontrolle der Nachrichtendienste. Ich sagte schon: Das dient der Legitimation der Arbeit unserer Sicherheitsbehörden.
Herr Kollege Binninger, Sie haben Recht: Die FDP
hat als erste Fraktion einen Gesetzentwurf dazu vorgelegt, über den wir jetzt in erster Lesung beraten. Wir
wollen, dass wir vom Allgemeinen zum Konkreten kommen. Ich höre überall, eine Reform sei notwendig, aber
einen konkreten Gesetzentwurf vermisse ich bisher von
der CDU/CSU genauso wie von der SPD.
Wir haben diesen Entwurf mit einer internen Sachverständigenanhörung sorgfältig vorbereitet und genau
Ihre Forderung erfüllt, nämlich Parlamentarier, die früher in dem Gremium tätig waren, zu Rate gezogen. Dabei hat sich ergeben: Der Hauptfehler in der jetzigen
Konstruktion liegt darin, dass das Parlamentarische
Kontrollgremium oft zu spät und unvollständig, jedenfalls so, dass es seine Arbeit nicht richtig machen
konnte, informiert worden ist. Das ist der Grund dafür,
dass wir in unserem Gesetzentwurf noch einmal klarstellen: Es ist eine Bringschuld der Bundesregierung, die
Parlamentarier zu unterrichten, damit die Kontrolle
wirksam ausgeübt werden kann.
Aber wir halten das noch nicht für ausreichend. Wir
meinen - auf den Rat von Sachverständigen hin; Herr
Werthebach ist ein profilierter CDU-Politiker, der uns
dankenswerterweise auch beraten hat -, dass es heilsam
sein kann, wenn Mitarbeiter der Dienste das Recht erhalten, sich unmittelbar, ohne den Dienstweg einzuhalten,
an die Parlamentarier zu wenden, um Missstände aufzuzeigen.
({4})
Das könnte dazu führen, dass wir künftig eher von Fehlentwicklungen erfahren und dass das Kontrollgremium
nicht immer nur nachträglich eingreift, sondern auch in
laufende Prozesse eingreift.
({5})
- Ein Aufsichtsrat in der freien Wirtschaft, der erst informiert wird, wenn die Firma schon pleite ist, ist offenkundig überflüssig.
({6})
In laufende Prozesse muss man eingreifen können.
({7})
- Dazu haben wir eine Reihe von Vorschlägen gemacht,
Herr Struck; ich hoffe, Sie haben das alles gelesen. Im
Ausschuss können wir gern darüber diskutieren.
Ich greife nur einen Punkt auf, nämlich den Geheimdienstbeauftragten des Parlaments.
Herr Kollege Stadler, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Struck?
Sehr gern; denn sonst wäre meine Redezeit zu Ende
und so kann ich noch antworten.
({0})
Herr Kollege Struck, bitte schön.
Ich helfe Ihnen ja gern, Herr Kollege Stadler. Für die
Nöte kleiner Fraktionen bin ich immer offen.
Sie sagen: in laufende Prozesse eingreifen. Ich
möchte Sie fragen: Heißt das, dass sich nach Ihrer Vorstellung Mitarbeiter des BND an das PKGr wenden können, wenn eine Operation läuft, und sagen können: „Herr
Stadler, was mein Vorgesetzter da macht, das geht nicht;
das akzeptiere ich nicht“? Das kann doch nicht Ihr Ernst
sein, Herr Stadler;
({0})
denn das würde die Funktionsfähigkeit eines Dienstes
nachhaltig beeinträchtigen.
({1})
Verehrter Herr Kollege Struck, es kann nicht Ihr Ernst
sein, dass es richtig sein soll, dass Journalisten über
Jahre hinweg in rechtswidriger Weise ausspioniert werden,
({0})
wie ein neutraler Gutachter feststellt, unter Verletzung
des Prinzips der Verhältnismäßigkeit, das dafür zuständige Kontrollgremium nach Jahren erstmals davon erfährt und erst dann Gelegenheit hat, sich dazu zu äußern.
Wenn es solche offenkundigen Fehltendenzen in einzelnen Abteilungen eines Dienstes gibt, dann habe ich das
Vertrauen, dass es Mitarbeiter gibt, die eine derartige
Entwicklung mit Sorge sehen und uns informieren, damit wir an die Bundesregierung die richtigen Fragen
stellen, nämlich: Was läuft da in Bezug auf Eigensicherung? Mit welchen Methoden wird hier versucht - was
an sich legitim ist -, undichte Stellen im eigenen Apparat aufzudecken? Ist das, was da geschieht, noch im Rahmen des gesetzlich Zulässigen? - Dann mag uns die
Bundesregierung die richtigen Antworten oder die richtige Sachverhaltsdarstellung geben. Die Schwierigkeit,
die wir im Kontrollgremium haben, ist, dass wir gar
nicht zu den richtigen Fragen kommen. Manchmal ist es
schwieriger, die richtige Frage zu wissen als die richtige
Antwort.
({1})
Deswegen, Herr Kollege Struck, laden wir alle Fraktionen dazu ein, die Vorschläge, die wir gemacht haben,
zu erörtern. Ich möchte einen Vorschlag noch ganz kurz
erwähnen
Herr Kollege, bitte!
- in einem Satz -: Ein Geheimdienstbeauftragter des
Parlaments darf nicht an die Stelle des Kontrollgremiums treten, sondern soll ihm zuarbeiten; denn die Kontrolle der Dienste ist und bleibt eine Aufgabe aller Fraktionen des Bundestages.
({0})
Dass sie besser erfüllt wird als bisher, dazu soll unser
Gesetzentwurf beitragen.
Vielen Dank.
({1})
Das Wort hat der Kollege Klaus Uwe Benneter von
der SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Wir dürfen unsere Arbeit als Parlamentarier nicht als absurd erscheinen lassen, indem wir
drei oder vier Gremien nebeneinander für Aufklärung
sorgen lassen.
Was hier vorgefallen ist, war - der Kollege Binninger
hat zu Recht darauf hingewiesen - nicht alles in Ordnung; das wissen wir jetzt.
({0})
- Natürlich wissen wir das.
({1})
Das ist ja schon zusammengeführt worden. Sowohl die
Amtsspitze des BND als auch die Bundesregierung haben das sofort erkannt und entsprechende Sofortmaßnahmen ergriffen. Aber Sie wollen das Thema zum Dauerbrenner machen und dadurch wird es natürlich zum
Dauerbrenner.
Wir stehen vor dem Problem: Welche Rolle sollen die
Geheimdienste bei uns denn einnehmen? Wir brauchen
zur Aufklärung, gerade im internationalen Bereich, diese
Geheimdienstarbeit. Die Geheimdienste müssen in der
Lage sein, auch in der internationalen Zusammenarbeit
Informationen zu bekommen, wenn es um unsere Sicherheit geht. Deshalb ist es notwendig, dass die Geheimdienste geheim, aber eben auch sauber arbeiten
können.
Herr Kollege Benneter, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ströbele?
Herr Ströbele.
Bitte.
Herr Kollege Benneter, Sie sagen, es sei alles aufgeklärt und wir bräuchten nicht weiter aufzuklären, schon
gar nicht in mehreren parlamentarischen Gremien.
({0})
Wollen Sie zur Kenntnis nehmen, dass das Bundeskanzleramt und der Bundesnachrichtendienst am heutigen
Tag eine Erklärung herausgegeben haben, nach der sie
ihren eigenen Bericht korrigiert haben, weil festgestellt
wurde, dass ganz offensichtlich die Angaben, die in dem
Bericht der Bundesregierung zum Fall el-Masri gestanden haben und von denen die parlamentarischen Gremien bisher ausgegangen sind, nicht vollständig waren,
sondern unvollständig, und dass das - der Kollege
Stadler hat darauf hingewiesen - nur deshalb herausgekommen ist, weil sich nun ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss mit diesem Thema befasst und in
diesem Zusammenhang Zeugen angefordert hat, die darauf hingewiesen wurden, dass sie bei ihren Aussagen
vor dem Ausschuss zur Wahrheit verpflichtet sind, woraufhin offenbar einem Zeugen eingefallen ist, dass er bereits seit Januar 2004 davon unterrichtet war, dass Herr
el-Masri an die Amerikaner ausgeliefert worden ist?
Herr Ströbele, wollen Sie bitte zur Kenntnis nehmen,
dass ich nicht davon gesprochen habe, dass alles aufgeklärt ist? Ich habe vielmehr davon gesprochen, dass Fehler vorgekommen sind, die jetzt aufgeklärt werden müssen. Dazu haben wir einen Untersuchungsausschuss
eingerichtet, den Sie wollten. Wir hätten es für ausreichend gehalten, wenn im Parlamentarischen Kontrollgremium diese Aufklärung weiter betrieben worden
wäre. Jetzt haben wir also zusätzlich einen Untersuchungsausschuss. Ich denke, diese beiden Gremien haben die weitere Aufklärungsarbeit zu leisten.
Hinsichtlich des neuesten Falls muss man sagen, dass
die Bundesregierung sofort reagiert hat. Der Schäfer-Bericht befindet sich in vollem Einklang mit dem Zwischenbericht der Bundesregierung vom November letzten Jahres. Die Bundesregierung hat in ihrem Bericht
klargestellt, dass sie nur das kundtut, was ihr bekannt
war. Ihre Behauptung und die eines jetzt aufgetauchten
Mitarbeiters, die Entführung sei der Bundesregierung
oder der Amtsspitze des BND bekannt gewesen, trifft offensichtlich nicht zu.
({0})
Wenn Sie behaupten, es sei der Einrichtung des Untersuchungsausschusses zu verdanken, dass sich dieser Mitarbeiter offenbart habe, dann kann ich nur sagen: Es ist Ihr
gutes Recht, dieser Meinung zu sein.
Der Tatsache, dass hier Fehler passiert sind, hat die
Bundesregierung dadurch Rechnung getragen, dass sie
in dem Zwischenbericht dargelegt hat, wie die Abläufe
nach ihrer Kenntnis waren.
({1})
Jetzt sind wir am entscheidenden Punkt. Auch wir
sind der Auffassung, dass wir eine wirksame Kontrolle
der Geheimdienste brauchen. Deshalb hat das Parlamentarische Kontrollgremium sofort reagiert, als ruchbar
wurde, dass Journalisten weit über das Maß hinaus, das
im Zusammenhang mit einer Eigensicherung zulässig
ist, observiert worden sein sollen.
Die Bundesregierung hat dies alles offen gelegt. Es ist
also nicht so gewesen, wie Sie uns hier glauben machen
wollen, nämlich dass die Kenntnisse allein beim Parlamentarischen Kontrollgremium geblieben wären. Die
Bundesregierung und auch wir haben uns sofort dafür
eingesetzt, diese Erkenntnisse öffentlich zu machen - so
wie wir jetzt sofort dafür waren, dass der Schäfer-Bericht öffentlich gemacht wird. Wir wären noch froher,
wenn dies in vollem Umfang geschehen könnte. Denn
dann wär uns auch der Inhalt der weißen Seiten bekannt.
Damit hätten wir die Möglichkeit einer besseren Kontrolle.
Das Parlament hat die Stellung des Parlamentarischen
Kontrollgremiums 1999 dadurch gestärkt, dass es die
Stelle eines Sachverständigen eingerichtet hat - nicht anstelle des Kontrollgremiums, aber zur Unterstützung des
Kontrollgremiums. Wir sehen an dem Schäfer-Bericht,
dass dieser Sachverständige eine wertvolle Hilfe ist.
Was die Bringschuld angeht, Herr Stadler, von der Sie
gesprochen haben, verweise ich darauf, dass es in § 2
des Kontrollgremiumgesetzes heißt:
Die Bundesregierung unterrichtet das Parlamentarische Kontrollgremium umfassend über die allgemeine Tätigkeit … und über die Vorgänge von besonderer Bedeutung.
({2})
Das Wort „Bringschuld“ ist zwar nicht direkt formuliert,
aber im übertragenen Sinne schon enthalten.
Jetzt stellen wir fest, dass es offensichtlich Tätigkeiten des Bundesnachrichtendienstes gegeben hat, von denen weder die Amtsleitung des BND noch die Bundesregierung Kenntnis hatten. Darauf müssen wir unser
Augenmerk richten. Es kommt jetzt darauf an, dass wir
eine bessere Kontrolle durchsetzen können. Dass wir auf
dem richtigen Weg sind, erkennt man, wie gesagt, daran,
dass der Schäfer-Bericht nahezu deckungsgleich mit
dem BND-Bericht der Bundesregierung aus dem letzten
Jahr ist.
Durch den Schäfer-Bericht wird deutlich - auch das
konnten wir nachlesen -, dass die Kontakte zwischen
Journalisten und dem Geheimdienst von sehr unterschiedlicher Qualität waren. Es gab vier Kategorien: Es
gab Journalisten, die normale Hintergrundgespräche geführt haben. Dann gab es Journalisten, die, weil sie sich
einer gewissen Sorgfalt verpflichtet fühlten, mit dem
BND gesprochen haben. Darüber hinaus gab es sehr umfängliche Informationsgespräche, in denen beide Seiten
Informationen lieferten. Und letztlich gab es diejenigen,
bei denen ich mich frage, ob wir die überhaupt als JourKlaus Uwe Benneter
nalisten bezeichnen dürfen oder können, diejenigen, die
sich als Nachrichtenhändler und V-Leute betätigt haben.
({3})
Das sind diejenigen, die sich als angebliche Journalisten
auf andere Journalisten haben ansetzen lassen.
Eigentlich hat diese Sache mit Pressefreiheit nichts zu
tun. In einem anderen Zusammenhang wurde angesprochen, dass wir etwas für die Journalisten tun müssten,
um deren Pressefreiheit zu sichern. Wenn es aber um solche Nachrichtenhändler geht, dann ist es Sache der Journalisten, in ihrem Kreise selbst darauf zu achten, solche
Fehlentwicklungen einzudämmen und solche Typen in
ihren Reihen auszuschalten.
({4})
Herr Ströbele, ich denke, Ihr diesbezüglicher Antrag
ist überholt. Es war ja beantragt worden, die Erkenntnisse über die Überwachung von Journalisten öffentlich
zu machen. Das alles ist jetzt passiert.
Das Parlamentarische Kontrollgremium hat den
Schäfer-Bericht bisher noch überhaupt nicht ausgewertet
oder bewertet.
({5})
Er ist im Innenausschuss behandelt worden, aber auch
dort ist keine Be- oder Auswertung erfolgt. Vielmehr
ging es darum, zusätzliche Informationen zu erhalten,
die sicher hilfreich für das Verständnis dieses Berichtes
waren.
Herr Ströbele, Sie sind ja Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums. Ich finde, Sie sollten daran interessiert sein, dass dieses Kontrollgremium seine Aufgabe auch erfüllen kann und die Arbeitsweise dieses
Gremiums nicht dadurch in die Absurdität geführt wird,
dass all das, was in diesem geheim tagenden Kontrollgremium verlautbart wurde, am nächsten Tag in der
„Süddeutschen Zeitung“ nachzulesen ist.
({6})
Wenn dies weiter geschieht, Herr Ströbele, dann wird
das künftig kein Kontrollgremium mehr sein können und
dann besteht die Gefahr, dass sich bei den Geheimdiensten solche Verfahrensweisen, wie wir sie hier teilweise
feststellen können, weiter breit machen.
({7})
Ich denke, dass es sicher richtig ist, darüber nachzudenken, ob wir die Kontrolle der Geheimdienste nicht
sinnvoll ausweiten können. Die Bundesregierung selbst
hat klar und deutlich adäquate Sofortmaßnahmen ergriffen; das hat sie uns gestern im Innenausschuss dargelegt.
Sie hat disziplinarrechtliche und arbeitsrechtliche
Schritte in die Wege geleitet, um, wenn es um persönliche Verfehlungen geht, diese entsprechend zu ahnden.
Die Frage allerdings, wie der Gesetzentwurf der FDP
verbessert werden könnte, können wir erst beantworten,
wenn uns der Untersuchungsausschuss Ergebnisse vorlegt,
({8})
wenn wir festgestellt haben, welche Tatsachen, welche
Maßnahmen und welche Vorgänge zu diesen Fehlentwicklungen geführt haben,
({9})
und wenn klar ist, woran es lag, dass die Amtsleitung
nicht rechtzeitig informiert wurde und die Bundesregierung nicht Bescheid wusste, und wie es möglich war,
dass die Eigensicherung innerhalb des BND so abgeschottet durchgeführt wurde, dass diejenigen, die dafür
politisch verantwortlich sind, nichts davon mitbekommen haben. Das sind Dinge, die wir erst dann bewerten
können, wenn die Ergebnisse des Untersuchungsausschusses vorliegen.
({10})
Deshalb ist es verfrüht - und der Antrag der Grünen ist
überholt -, schon jetzt in dieser Art und Weise Verbesserungen zu fordern. Das können wir dann erledigen, wenn
die Ergebnisse des Untersuchungsausschusses vorliegen.
({11})
Das Wort hat der Kollege Wolfgang Nešković von der
Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Der britische Philosoph und Mathematiker Isaac Newton sagte einmal:
Was wir wissen, ist ein Tropfen, was wir nicht wissen, ein Ozean.
Sie werden erahnen, warum ich diesen Einstieg wähle.
Ich meine, das Zitat klingt heute wie eine treffende Bestandsaufnahme in Hinblick auf den Kenntnisstand des
Parlamentarischen Kontrollgremiums bei den Aktivitäten der Nachrichtendienste in den letzten Jahren. Auf die
nötige Spitze getrieben lässt sich sagen: Wenn wir im
Gremium überhaupt etwas wissen, haben wir es in allererster Hinsicht einer investigativen Presse, in allerletzter Hinsicht unserem Privileg, im Parlamentarischen
Kontrollgremium vom Dienst persönlich und direkt informiert zu werden, zu verdanken.
({0})
Die wichtigste Informationsquelle eines Mitgliedes
des PKGr ist - Herr Körper hat es neulich selbst im
„Spiegel“ gesagt - die Tages- und Wochenpresse, so wie
sie jedem Bürger dieses Landes zur Verfügung steht.
Wenn Sie also etwas über die momentane Kontrolldichte
beim Parlamentarischen Kontrollgremium erfahren wollen, müssen Sie eigentlich nur Zeitung lesen.
({1})
Dann können Sie sich ausmalen, ob die Mitglieder des
PKGr gerade etwas nachzufragen haben oder im Augenblick eher zu einer gemächlichen Arbeitsatmosphäre
verurteilt sind. Selbst wenn wir etwas nachzufragen haben, beginnt eine Irrfahrt wirkungsloser Kontrolle.
Dead reckoning - zu deutsch: unsicheres Schätzen nannte man zu Lebzeiten Newtons eine Methode der Bestimmung der Position auf den Weiten des Ozeans, weil
sie in der Regel nutzlos war und nicht selten böse endete.
Unsicheres Schätzen vollzieht sich heute, wenn ein
neunköpfiges Gremium der Regierung bei der Überwachung von etwa 10 000 Mitarbeitern hinterhernavigiert.
Wir wissen in der Regel nicht, was diese 10 000 Mitarbeiter gerade tun. Wir wissen viel zu wenig über die Arbeitsweise der Geheimdienste, über ihre innere Struktur.
Durch die bloße Wahl in das Parlamentarische Kontrollgremium wird der Abgeordnete nicht automatisch zu einem Geheimdienstexperten.
({2})
Dennoch segelt er ohne Mannschaft und zudem ohne
Stellvertreter.
Die Kontrolle des Gremiums erstreckt sich nur auf
das Material, das man ihm zur Verfügung stellt. Mit anderen Worten: Der zu Kontrollierende bestimmt das
Ausmaß der Kontrolle.
({3})
Was wir wissen, ist ein Tropfen, was wir nicht wissen, ein Ozean.
Dummerweise sind wir als Parlamentarier - ob wir wollen oder nicht - für den ganzen Ozean zuständig; denn
im Bereich geheimdienstlicher Tätigkeit darf es keine
kontrollfreien Räume geben. Darum geht es. Die Demokratie darf keine kontrollfreien Räume dulden.
({4})
Mit unserer Wahl zum Abgeordneten ist uns zugleich
die Verpflichtung übertragen, das Handeln der Exekutive
und damit auch die Tätigkeit der Geheimdienste dauerhaft, umfassend und effektiv zu kontrollieren.
Für die Erfüllung dieser Aufgabe ist das bestehende
Kontrollgremiumsgesetz eine völlig unzureichende
Grundlage. Wir brauchen - ich sage das im Ernst - eine
ernsthafte, aufrichtige, informierte und gutwillige Diskussion darüber, also das, was ich insbesondere im
Rechtsausschuss schmerzlich vermisse: einen Diskurs
im habermasschen Sinne. Der Gesetzesantrag der FDP
bildet hierfür eine Grundlage. Er geht allerdings nicht
weit genug. Eine sichere Navigation in den Untiefen geheimdienstlicher Tätigkeit erfordert weit mehr.
Ich nenne Ihnen die wichtigsten Forderungen. Nötig
für eine wirksame politische Kontrolle ist stets die Möglichkeit der Sanktion. Kontrolle ohne Sanktion ist wie
ein Mast ohne Segel; sie bringt nichts.
({5})
Eine wirkungsvolle Sanktion wäre zum Beispiel die Berechtigung jedes Gremiumsmitgliedes, zumindest Rechtsbrüche öffentlich zu machen. Rechtsbrüche sind nie geheimhaltungsbedürftig!
({6})
Zum anderen meinen wir, dass sich die Kontrollbefugnis auch auf solche Vorgänge beziehen muss, die die
partnerschaftliche Zusammenarbeit betreffen. Wenn
ein Partnerdienst dem BND Informationen zur Verfügung stellt, dann stellt er sie, um in der Sprache des § 2 b
zu bleiben, auch dem Parlamentarischen Kontrollgremium zur Verfügung. Es widerspricht jeder demokratischen Legitimierung, dass 6 500 Bedienstete des BND
über mehr sensible Informationen verfügen dürfen als
ein unmittelbar vom Volk gewählter, zur Geheimhaltung
verpflichteter Parlamentarier, der zudem von der absoluten Mehrheit des Bundestages in das Gremium entsandt
wurde.
({7})
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich bin am Schluss. - Ich habe Ihnen zwei Positionsbestimmungen genannt. Ich werde in der parlamentarischen Beratung weitere benennen, damit wir endlich einen sicheren Kurs setzen können, zu einer effektiven
Kontrolle der Geheimdienste.
Vielen Dank.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/843 und 16/1163 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.
Beschlussempfehlung des Innenausschusses auf
Drucksache 16/1656 zu dem Antrag der Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel „Überwachung
von Journalisten durch den Bundesnachrichtendienst“:
Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache
16/85 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussemp-
fehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen bei Gegenstimmen der Oppositionsfrak-
tionen und einer Enthaltung aus der CDU/CSU-Fraktion
angenommen.
Wolfgang NeškoviæWolfgang Nešković
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 11 a und 11 b auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Fortentwicklung
der Grundsicherung für Arbeitssuchende
- Drucksache 16/1410 - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Brigitte Pothmer, Volker Beck ({0}),
Birgitt Bender, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ver-
längerung der Ich-AG
- Drucksache 16/1405 -
aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({1})
- Drucksache 16/1696 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Klaus Brandner
bb)Bericht des Haushaltsausschusses ({2}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/1697 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Claudia Winterstein
Dr. Gesine Lötzsch
Anja Hajduk
Waltraud Lehn
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
({3})
- zu dem Antrag der Fraktion der LINKEN
Für Selbstbestimmung und soziale Sicherheit
- Strategie zur Überwindung von Hartz IV
- zu dem Antrag der Abgeordneten Brigitte
Pothmer, Markus Kurth, Irmingard ScheweGerigk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Hartz IV weiterentwickeln - Existenzsichernd,
individuell, passgenau
- zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus Ernst,
Katja Kipping, Heidrun Bluhm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Wohnungslosigkeit vermeiden - Wiedereinführung von Beihilfen und Übernahme von
Mietschulden auch für Erwerbstätige mit niedrigem Einkommen und Arbeitslosengeld-I-Bezieher
- Drucksachen 16/997, 16/1124, 16/1201, 16/1696 Berichterstattung:
Abgeordneter Klaus Brandner
Über den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD werden wir später namentlich abstimmen. Zu dem Gesetzentwurf liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor.
Der Ausschuss für Arbeit und Soziales hat in seine
Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/1696 den von
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen eingebrachten Gesetzentwurf zur Verlängerung der Ich-AG auf Drucksache 16/1405 sowie den Antrag der Fraktion Die Linke
auf Drucksache 16/1201 mit dem Titel „Wohnungslosigkeit vermeiden - Wiedereinführung von Beihilfen und
Übernahme von Mietschulden auch für Erwerbstätige
mit niedrigem Einkommen und Arbeitslosengeld-I-Bezieher“ einbezogen. Über diese Vorlagen soll jetzt ebenfalls abschließend beraten werden. - Ich sehe, Sie sind
damit einverstanden. Dann ist so beschlossen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Gibt es
Widerspruch dagegen? - Das ist nicht der Fall.
Bevor ich die Aussprache eröffne, erteile ich Frau
Kollegin Dr. Enkelmann, Fraktion Die Linke, das Wort
zur Begründung Ihres Antrages.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion Die Linke beantragt die Rücküberweisung des vorliegenden Gesetzentwurfes und der entsprechenden Änderungsanträge an die Ausschüsse. Die Fragestunde
heute früh und auch die Aktuelle Stunde haben offenbart, dass es nach wie vor eine ganze Reihe von offenen
Fragen gibt, die auch in der Aktuellen Stunde nicht beantwortet wurden.
({0})
Wir haben heute festgestellt, dass in einem überstürzten Verfahren ein so genanntes Optimierungs- bzw. Fortentwicklungsgesetz in Sachen Hartz IV durch den Bundestag gepeitscht werden soll. Wer möglicherweise
meint, es gehe hier wirklich um eine Optimierung oder
Fortentwicklung in Sachen Hartz IV, der sieht sich allerdings getäuscht. Das Gegenteil ist der Fall. Noch am
Dienstagabend sind mehrere Änderungsanträge der Koalitionsfraktionen an die Fraktionen gegangen. Das war
ein ganzer Packen. Es war aus unserer Sicht nicht möglich, sich sachgerecht mit diesen Anträgen zu befassen.
({1})
Sie sind dennoch gestern durch die Ausschüsse gepeitscht worden.
Meine Damen und Herren, es gibt Fragen, die Sie mit
zu beantworten haben, wenn Sie entscheiden: Sind Sie
sicher, dass Sie wirklich alles gründlich geprüft haben?
Sind Sie sicher, dass es vor dem Verfassungsgericht Bestand haben wird, wenn Menschen die Existenzgrundlage genommen wird?
({2})
Immerhin garantiert unser Grundgesetz ausdrücklich die
Menschenwürde. Sind Sie sicher, dass das, was Sie hier
vorhaben, mit der UN-Menschenrechtskonvention vereinbar ist? Sind Sie sicher, dass es vor dem Verfassungs3334
gericht Bestand hat, wenn das Aufenthaltsrecht von Arbeitslosen derart beschränkt wird?
({3})
Heute früh hat der zuständige Staatssekretär - er sitzt
hier - auf eine Frage geantwortet, er glaube, dass das alles funktioniere. Ich denke, für einen Glauben reicht ein
solcher Gesetzentwurf weiß Gott nicht aus.
({4})
Sind Sie sicher, dass Sie wirklich alle Auswirkungen
des Gesetzes auf die Betroffenen, den Haushalt des Bundes - da haben wir in den letzten Monaten denkbar
schlechte Erfahrungen gemacht - oder die Kommunen
geprüft haben? Wollen Sie wirklich verantworten, dass,
wenn Betroffenen selbst die Unterkunftsleistungen gestrichen werden, die Kommunen für Obdachlosenheime,
für die Sicherung der Tafeln usw. aufkommen müssen?
Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, ich will
mich ausdrücklich an Sie wenden: Lassen Sie nicht alles
mit sich machen!
({5})
Merken Sie denn nicht, dass Sie als Ausputzer benutzt
werden?
Meine Damen und Herren, wenn Sie diese Fragen
nicht guten Gewissens und vollen Herzens mit Ja beantworten können, wenn Sie also nicht sagen können: „Ja,
es soll so sein und es ist alles rechtens, so wie wir es haben!“, dann wäre es sehr vernünftig, unserem Antrag auf
Rücküberweisung zuzustimmen.
Ich danke Ihnen.
({6})
Im Ältestenrat ist heute vereinbart worden, dass ohne
Gegenrede und ohne Aussprache über diesen Antrag entschieden wird. Wer stimmt für den Antrag auf Rücküberweisung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion der FDP gegen die Stimmen der
Fraktionen der Linken und des Bündnisses 90/Die Grünen abgelehnt.
({0})
Ich eröffne jetzt die Aussprache. Als erster Redner
spricht für die Bundesregierung der Parlamentarische
Staatssekretär Franz Thönnes.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und
Kollegen! Die große Koalition hat verabredet, die Arbeitsmarktreformen, die eingeleitet worden sind, zum
Erfolg zu bringen. Dabei ist allen Beteiligten klar, dass
ein solch umfangreiches Reformwerk nicht auf einen
Schlag umgesetzt werden kann, sondern es weiterer
wichtiger Schritte bedarf, um das System, in dem wir die
Arbeitslosenhilfe und die Sozialhilfe zusammengeführt
haben, richtig ins Laufen zu bringen. Wir müssen deutlich sagen, dass damit Hunderttausenden von Menschen
geholfen wurde, die in der Sozialhilfe bislang von Möglichkeiten der Förderung im Bereich der Arbeitsmarktpolitik ausgeschlossen gewesen sind.
({0})
Die Veränderungen, die zum 1. Januar 2005 in Kraft
getreten sind, die waren, die sind und die bleiben richtig.
Es ist gut, dass es eine breite parlamentarische Mehrheit
dafür gab; denn diese breite parlamentarische Mehrheit
steht auch heute gemeinsam in der Verantwortung und
sorgt dafür, dass diese Reform ein Erfolg wird.
Einer dieser wichtigen Schritte, die wir machen müssen, ist die Entscheidung über das SGB-II-Fortentwicklungsgesetz, welches wir heute in zweiter und dritter
Lesung beraten. Mit ihm werden Klarstellungen vorgenommen und Entscheidungen getroffen, die die Leistungsfähigkeit und Effizienz des Systems erhöhen
sollen. Das mit dem SGB II neu eingeführte Arbeitslosengeld II ist eine steuerfinanzierte und bedürftigkeitsorientierte Leistung. Diejenigen, die einen Anspruch haben, sollen ihn auch durchsetzen können. Ich sage sogar:
Sie haben das Recht, dies zu bekommen. Das gilt aber
eben nur für diejenigen, die sich auch an dem anderen
Teil des Prozesses „Fördern und Fordern“ beteiligen, die
sich selbst einbringen und aus eigener Kraft versuchen,
mit der Unterstützung, die ihnen gegeben wird, ihre Situation zu verbessern.
({1})
Deswegen sage ich auch: Bei denen, die berechtigt
sind, geht es überhaupt nicht um die Kürzung von Leistungen. Es geht darum, genau hinzuschauen, wer bedürftig ist und wem die Leistungen zustehen. Wir müssen da,
wo das Gesetz gedehnt worden ist, etwas zurückschneiden. Das muss präziser und treffgenauer werden. Wir
müssen aber auch deutlich darauf hinarbeiten, dass die
Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, von denen wir Solidarität erwarten, auch bereit sind, solidarisch zu sein. Im
Gegenzug muss die Bereitschaft vorhanden sein, diese
Solidarleistung anzuerkennen; denn die sozialen Leistungen werden aus Steuern finanziert und sind nicht irgendeine Transferleistung.
({2})
Das bedeutet, dass das SGB-II-Fortentwicklungsgesetz auch Maßnahmen beinhaltet, die das Leistungsrecht optimieren, zur Verbesserung der Verwaltungspraxis beitragen und Leistungsmissbrauch verhindern
sollen.
Ich will einige der wichtigen Maßnahmen nennen.
Wer innerhalb der letzten zwei Jahre keine Leistungen
aus dem Arbeitslosengeld I oder dem Arbeitslosengeld II bezogen hat und erstmals einen Antrag auf
Arbeitslosengeld II stellt, dem soll sofort ein Angebot
für eine Eingliederungsmaßnahme unterbreitet werden. Wir wollen nicht, dass erst ein längerer Zeitraum
entsteht, bis der Antrag beschieden wird, und dann geprüft wird, ob Arbeitsbereitschaft vorhanden ist, ob die
Arbeitsaufnahme erfolgen kann. Nein, das soll sofort
passieren.
Bei der Frage, ob eine eheähnliche oder eine lebenspartnerschaftsähnliche Gemeinschaft vorliegt, wird die
Beweislast umgekehrt. Ich glaube, dass das eher zum
Vorteil der Betroffenen ist,
({3})
weil dann die Kriterien, nach denen das erfolgt, klar
definiert sind. Mit automatisierten Datenabgleichen
und -abfragen soll ermittelt werden, ob einige Personen
Arbeitslosengeld II zu Unrecht beziehen. Auch das hat
damit zu tun, darauf zu achten, dass die Gelder sorgsam
verwendet werden.
Vieles andere kommt hinzu. So ist auch vereinbart
worden, dass derjenige, der drei Mal in einem Jahr ohne
guten Grund ein Angebot ablehnt, die ihm zugewiesenen
Leistungen gekürzt bekommen kann, und zwar in vollem
Umfang. Das ist eine Entscheidung, die dazu beitragen
soll, dass die Angebote wirklich angenommen werden,
dass die Zahl der Fortbildungs-, Weiterbildungs-, Jobund Förderangebote steigt. Diejenigen, die das kritisieren, will ich auf Folgendes hinweisen: Für den Arbeitslosen ist diese Situation sofort veränderbar, indem er
sagt: Ich nehme die Angebote an, ich will raus aus der
Arbeitslosigkeit, ich will wieder eine Unterhaltsversorgung, die ich mir selbst erarbeitet habe.
({4})
Deswegen haben wir viele Anregungen aus der Praxis
aufgegriffen, die die Abläufe effizienter machen. Einiges
kam in der parlamentarischen Debatte dazu, zum Beispiel wird jetzt die Möglichkeit geschaffen, dass die Argen und die Optionskommunen auch die BA mit der
Ausbildungsvermittlung beauftragen können. Die Aufsicht über die Argen ist im Prinzip rechtlich geregelt. Da
bedarf es vielleicht noch einiger Klarstellungen. Das
werden wir mit den Ländern bereden.
Der neue Gründungszuschuss, der im Verfahren besprochen worden ist und zum 1. August dieses Jahres in
Kraft tritt, setzt das Prinzip fort, dass wir die guten Erfahrungen - im Jahr 2005 sind über das Instrument der
so genannten Ich-AG 250 000 Menschen aus der Arbeitslosigkeit in die Selbstständigkeit gegangen - jetzt in
einer Förderleistung fortsetzen, weil wir schlichtweg
kein Nebeneinander von zwei Förderinstrumenten haben
wollen.
Alles in allem geht es im Kern darum, dass mit dem
SGB-II-Änderungsgesetz und jetzt auch mit dem Fortentwicklungsgesetz Einsparungen in Höhe von gut
3,8 Milliarden Euro - wie im Koalitionsvertrag vereinbart - zustande kommen. Es geht eben nicht nur um
Kosten, wie das hier teilweise diskutiert wurde - das ist
wichtig; wir dürfen das nicht vergessen -, aber wir brauchen auch mehr Chancen auf Arbeit, mehr Möglichkeiten, dass Menschen aus Arbeitslosigkeit herauskommen.
Die letzten Arbeitsmarktzahlen sind wirklich ein guter
Hoffnungsschimmer.
({5})
Es ist gut, dass wir gegenüber April einen Rückgang
von 5,3 Prozent haben, um 255 000. Aber das reicht
noch nicht. Immer noch sind 4,5 Millionen Menschen
ohne Arbeit. Sie brauchen Chancen auf Arbeit, auf Teilhabe und auf Integration. Das ist die große Aufgabe, vor
der wir stehen. Deswegen stehen weiterhin - auch nach
der gestrigen Entscheidung im Haushaltsausschuss - gut
5,4 Milliarden Euro in diesem Jahr für die Eingliederung
zur Verfügung. Das sind gut 2 Milliarden Euro mehr, als
im letzten Jahr effektiv ausgegeben worden ist. Wir wollen damit und mit dem 25-Milliarden-Euro-Programm
für Wachstum, für Innovation und für Beschäftigung erreichen, dass die Konjunktur weiter an Fahrt gewinnt
und dass die Menschen schneller Beschäftigung bekommen. Die Arbeitsmarktreformen sollen dabei helfen.
Ich will deutlich sagen: Es reicht nicht, wenn wir feststellen, dass sich sozusagen der Abgang aus der Arbeitslosigkeit in die Erwerbstätigkeit in den ersten fünf Monaten um 1,35 Millionen bewegt hat. Das sind plus
9,3 Prozent. Arbeit zu schaffen, der Kampf gegen Arbeitslosigkeit, diesen Kampf hat nicht allein die Politik
zu leisten. Das ist eine Aufgabe für die ganze Gesellschaft. Alle sind gefragt, sich hier einzubringen und
Ideen zu entwickeln. Ich appelliere von dieser Stelle aus
ganz stark an die Wirtschaft: Kommen Sie mit ins Boot,
wenn es darum geht, Wirtschaft, Wachstum, Arbeit und
Ausbildung anzukurbeln, damit die Zuversicht in unsere
sozialen Sicherungssysteme in Deutschland wieder zunehmen kann und deren Stabilität gestärkt wird.
({6})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Heinrich Kolb von
der FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die heute zu beratende Vorlage ist nach unserer
Auffassung Ausdruck von Halbherzigkeit, von mangelndem Mut und von mangelnder Entschlossenheit seitens
der großen Koalition. Dass es sich dabei wohl nur um einen Trippelzwischenschritt handelt, wird schon an der
Überschrift des Gesetzentwurfs deutlich. Ursprünglich
als Hartz-IV-Optimierungsgesetz angekündigt, kommt er
jetzt wesentlich nüchterner als Hartz-IV-Fortentwicklungsgesetz daher. Das regt natürlich schon die Fantasie
an, was uns auf dem Weg von „Hartz IV - das Gesetz“
über „Hartz IV - die Änderung“ und „Hartz IV - die
Fortentwicklung“ bis irgendwann zu „Hartz IV - die finale Optimierung“ noch alles erwarten wird.
({0})
Heike Göbel von der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ hat es in einem Kommentar vom heutigen Tag auf
den Punkt gebracht, indem sie von „unzulänglichen Vereinbarungen“ spricht, mit denen die Ausgaben für die
Langzeitarbeitslosen eingedämmt werden sollen. Sie
verweist darauf, dass die große Koalition trotz ihrer breiten Mehrheit nicht zum Kern des Problems vordringen
wolle, der darin bestehe, dass sich mit staatlichen Hilfen
durchaus ein Grundeinkommen erzielen lasse, das in der
Nähe des Einkommens aus gering entlohnter tariflicher
Beschäftigung liege. Göbel schreibt wörtlich: „In Kombination mit Schwarzarbeit oder erlaubtem Zuverdienst
ist das ein Anreiz, sich in der Hilfe einzurichten.“ Die
Ausblendung dieses Kernproblems durch die große Koalition ist der Grund - zusammen mit anderen Gründen,
die ich gleich anführen werde -, warum wir den Entwurf
eines Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung
für Arbeitsuchende ablehnen.
({1})
Zwar enthält der Gesetzentwurf Korrekturen, die
durchaus in die richtige Richtung weisen. Wir dürfen
- hier sind wir uns einig - keinen Leistungsmissbrauch
zulasten der Steuerzahler zulassen. Aber wenn ein weiteres Kernproblem, die ungeklärte Kompetenzverteilung
zwischen Bundesagentur, Kommunen und Arbeitsgemeinschaften, mit dem Gesetzentwurf nicht behoben
wird, dann reicht das aus unserer Sicht nicht aus. Dann
können wir ihm unsere Zustimmung nicht geben.
({2})
Herr Weiß, die Verschiebebahnhöfe, die wir damals
bei der Sozialhilfe und der Arbeitslosenhilfe festgestellt
und auch beklagt haben, sind nicht beseitigt. Die erzwungene Kooperation von Bundesagentur für Arbeit
und Kommunen in den Argen funktioniert nicht reibungslos.
({3})
Die organisatorischen Mängel und unklaren Verantwortlichkeiten drücken sich in einem Kompetenzgerangel
aus. Zeitverzögerungen durch nicht abgestimmte und zu
wenig flexible Software sowie mangelnde Transparenz
beim Datenaustausch verbessern die Situation der Arbeitslosen nicht, sondern verschärfen sie aus unserer
Sicht eher.
Wenn die ehemalige DGB-Vizechefin Ursula
Engelen-Kefer,
({4})
mit der ich nicht oft übereinstimme, kritisiert, die Zusammenarbeit in den Arbeitsgemeinschaften sei von
Chaoszuständen geprägt, dann hat sie Recht. Wenn sie
sagt, die Bundesregierung setze auf verschärfte Kontrollen und Kürzungen, ohne die Arbeitsförderung zu verbessern, dann hat sie leider ebenfalls Recht.
({5})
Wir brauchen und wir fordern klare Zuständigkeiten
und Verantwortlichkeiten. Es war ein Fehler, im Grundsatz die Bundesagentur für Arbeit mit der Betreuung der
ALG-II-Empfänger zu beauftragen. Sie ist für die Wahrnehmung der Aufgabe der Betreuung schon aufgrund ihrer zentralistischen Struktur nicht geeignet und mit der
praktischen Umsetzung - das muss man feststellen schlicht überfordert. Eine kommunale Trägerschaft und
die damit verbundene Dezentralisierung wäre der effizientere Weg. Das fordern wir.
({6})
Wir wollen und fordern auch eine Steigerung der Effizienz der Beratung und Vermittlung. Wenn die jüngste
Untersuchung des Bundesrechnungshofes zeigt, dass
die Vermittlung nach wie vor nicht erfolgreich ist und
Erwerbslose monatelang auf Vermittlungsgespräche
warten, dann wird die Arbeitslosigkeit dieser Menschen
unzumutbar und unnötig verlängert. Mit einem Drittel
der überprüften ALG-II-Empfänger, so sagt der Bundesrechnungshof, wurden keine strategischen Gespräche
geführt, obwohl die Betroffenen bereits seit durchschnittlich siebeneinhalb Monaten Leistungen bezogen
hatten. Nur in etwa der Hälfte aller Fälle gibt es überhaupt eine Eingliederungsvereinbarung. Das ist aus unserer Sicht nicht akzeptabel. Auch mit dem Gesetzentwurf, der heute vorliegt, wird an dieser Stelle nicht für
Abhilfe gesorgt.
({7})
Ich will stichwortartig weitere Kritikpunkte anführen:
Die Bundesagenturen prüfen aus unserer Sicht nicht ausreichend, ob Langzeitarbeitslose tatsächlich Anspruch
auf staatliche Hilfen haben. Die Telefonbefragungen, die
unter ALG-II-Beziehern durchgeführt wurden, ergeben
ein vernichtendes Zeugnis. Wir fordern eine Pflicht zur
Teilnahme an Telefonbefragungen, und zwar für Leistungsempfänger und für die Argen, die Arbeitsgemeinschaften, gleichermaßen.
Ein weiterer wichtiger Punkt: In Ihrem Gesetzentwurf
findet sich trotz der Leistungsausweitungen zulasten der
Kommunen, zum Beispiel bei den Kosten der Unterkunft von BAföG-Beziehern, kein Wort zur Aufteilung
der Kostentragungspflicht zwischen Bund und Kommunen. Die ursprünglich vereinbarte Revisionsklausel hat
sich als undurchführbar erwiesen. Die jetzt bestehende
Festschreibung auf eine Beteiligung des Bundes von
29,1 Prozent ist befristet bis Ende 2006. Was kommt danach? Wir fordern und vermissen in dem Gesetzentwurf,
dass Planungssicherheit für die Kommunen geschaffen wird.
({8})
Wie in der Anhörung am Montag deutlich wurde - man
kann es hier ja leider nur stichwortartig anführen -, ist
eine rechtzeitige Anpassung der Software „A2LL“ bis
zum beabsichtigten In-Kraft-Treten des Gesetzes nicht
zu gewährleisten. Herr Alt hat gesagt, es soll Umgehungsmöglichkeiten geben. Aber damit ist wieder personeller, bürokratischer und auch finanzieller Mehraufwand verbunden, zu dem die BA überhaupt keine
Angaben machen konnte. Wir vermuten und befürchten,
dass die Zeit der Mitarbeiter wieder einmal durch Bürokratie gebunden wird und somit nicht im Interesse der
Arbeitslosen für deren Förderung und Rückkehr in den
ersten Arbeitsmarkt eingesetzt werden kann.
All das macht deutlich: Mit einer - noch dazu halbherzigen - Fortentwicklung von Hartz IV ist es nicht getan. Wir fordern eine Generalrevision der Reform.
({9})
Die Steuerzahler, die durch die Mehrwertsteuererhöhung
zum Stopfen von Haushaltslöchern herangezogen werden, werden nicht verstehen, dass die Koalition die
Dinge sehenden Auges laufen lässt.
Ich will mit einem weiteren Zitat schließen. Stefan
von Borsl hat heute in der „Welt“ geschrieben:
Die Koalitionäre seien davor gewarnt, sich bequem
zurückzulehnen und auf die Konjunktur zu hoffen.
Mit 70 Minikorrekturen bei Hartz IV ist es nicht getan. Der große Wurf am Arbeitsmarkt steht noch
aus.
Für Halbherzigkeiten heben wir unsere Hand heute
nicht: Ihr Gesetzentwurf kann unsere Zustimmung nicht
finden.
Vielen Dank.
({10})
Das Wort hat der Kollege Karl Schiewerling, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Zusammenlegung der Arbeitslosenhilfe und der Sozialhilfe
ist 2004 von allen Parteien gefordert worden. Es ging
und es geht darum, Menschen, die arbeiten können, auch
in Erwerbsarbeit zu bringen. Bundesrat und Bundestag
haben dem zugestimmt. Entgegen den Aussagen des
Kollegen Kuhn von heute Mittag stiehlt sich die CDU/
CSU nicht aus ihrer Verantwortung, sie steht zu diesem
gemeinsam beschlossenen Gesetz.
({0})
Sie steht deswegen dazu, weil es eine Frage der Menschenwürde ist: Jeder, der die Möglichkeit hat, sich mit
seiner Hände Arbeit den Lebensunterhalt zu verdienen,
hat auch die Pflicht dazu, seine Familie damit zu ernähren.
({1})
Damit die Menschen das auch tun können, fördern
wir sie. Trainingsmaßnahmen, Maßnahmen zur Arbeitsförderung, Strukturanpassungsmaßnahmen, alle diese
Initiativen und diese Instrumente aus dem Leistungsangebot des SGB III stehen auch denen zur Verfügung, die
unter das SGB II fallen. Dafür stehen im Bundeshaushalt
über 5,5 Milliarden Euro zur Verfügung. Zusätzliche
1,3 Milliarden Euro sind zunächst blockiert. Dennoch
bin ich sicher, dass wir mit diesem Budget erfolgreich
Integrationsleistungen erbringen können; es spricht alles dafür, dass diese Mittel auch ausreichen. An der Bereitschaft des Bundes, sinnvolle und passgenaue Maßnahmen zur Eingliederung zu fördern, wird es nicht
scheitern.
Ich appelliere ausdrücklich an die Bundesagentur für
Arbeit, die örtlichen Arbeitsgemeinschaften und die Optionskommunen, die zur Verfügung stehenden Gelder für
Eingliederungs- und Qualifizierungsmaßnahmen auch
zu nutzen. Von diesen Mitteln sind bisher erst 1,5 Milliarden Euro abgerufen worden.
({2})
Aber auch das Folgende gehört zur Systematik des
Gesetzes. Wenn ein Angebot zur Arbeit oder zur Teilnahme an einer Trainingsmaßnahme oder eine Arbeitsgelegenheit nicht angenommen wird, dann greifen Sanktionen. Wer dreimal ein solches Angebot ausschlägt,
muss mit Kürzungen rechnen.
({3})
Die im SGB II beschriebene Grundsicherung ist dabei
das staatlich finanzierte Auffangnetz. Hartz IV war immer konzipiert als Grundsicherung, nicht mehr und nicht
weniger.
({4})
Dieses Gesetz ist seit nunmehr 18 Monaten in Kraft und
es stellt sich heraus, dass Veränderungen notwendig
sind, um das eigentliche Ziel des Gesetzes zu erreichen.
In dem Fortentwicklungsgesetz greifen wir in unzähligen Punkten den Änderungsbedarf auf; dabei werden
auch Punkte aufgegriffen, die im Bericht des Bundesrechnungshofs stehen. Ich bin sicher, Herr Kollege Kolb,
dass das, was wir im Augenblick an Änderungen in dem
Gesetzentwurf untergebracht haben, viel mehr ist, als Sie
vielleicht vermuten.
Vorgesehen sind unter anderem die Erweiterung des
automatischen Datenabgleichs und die Überprüfung von
Daten in Verdachtsfällen bei Leistungsmissbrauch. Des
Weiteren sollen Außendienste in allen Arbeitsgemeinschaften eingerichtet werden. Es wird die rechtliche
Grundlage für telefonische Befragungen geschaffen.
Sanktionen werden greifen, wenn sich Menschen nicht
mit Motivation und Bereitschaft bei der Arbeitsuche einbringen. Bei Ablehnung einer angebotenen Arbeit oder
Eingliederungsmaßnahme wird es zu den Sanktionen
kommen. Ich begrüße es daher ausdrücklich, dass die
Kontroll- sowie die Sanktionsmöglichkeiten mit der jetzigen Gesetzesnovelle erneuert und verschärft werden.
In diesem Zusammenhang möchte ich in Erinnerung
rufen: Das SGB II kann und will keine Arbeitsplätze
schaffen. Das gilt auch für die 1-Euro-Jobs. Die 1-EuroJobs sind von Anfang an so ausgestaltet worden, um
Langzeitarbeitslose wieder an einen geregelten Arbeitstag heranzuführen. Die Regelungen des SGB II waren
nicht als Regelungen zum Kombilohn konzipiert. Aus
der Praxis wird mir zugetragen, dass Leiter von Arbeitsgemeinschaften Anrufe erhalten, in denen manche ALG-IIEmpfänger nachfragen, wie viel sie dazuverdienen können, ohne den Anspruch auf Hartz IV zu verlieren.
Hier läuft etwas schief: Statt aus der Grundsicherung
herauskommen zu wollen und auf eigenen Beinen zu stehen, verharren einige lieber in der Grundsicherung und
verdienen sich ein paar Euro dazu. Es muss ein Umdenken in den Köpfen der Menschen einsetzen. Es müssen
Anreize geschaffen werden, damit die Menschen wieder
arbeiten gehen. Aber es muss sichergestellt sein, dass
derjenige, der arbeiten geht, am Ende auch mehr in der
Tasche hat.
({5})
Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kurth zu?
Nein. - Ich räume ein, dass die Situation in manchen
Regionen in Deutschland trotz der sehr erfreulichen aktuellen Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt momentan
schwierig ist. Ich sehe auch, wie sich viele Menschen bemühen, eine Arbeit zu finden, aber keinen Arbeitsplatz
bekommen, weil zu wenige Arbeitsplätze vorhanden
sind. Wir kennen die regionalen Unterschiede in unserem Land und die damit einhergehenden Probleme. Ich
beobachte auch, dass viele ältere Arbeitnehmer ohne eigene Schuld arbeitslos werden, nicht mehr unterkommen
und fürchten, ihr angespartes Vermögen aufbrauchen zu
müssen, und Angst haben, in Altersarmut zu geraten.
Die Lebenssituation der Menschen ist vielfältig. Das
schlägt sich auch in dem Gesetzgebungsverfahren nieder. Ich sehe aber auch, dass es Menschen gibt, die sich
in der Grundsicherung einrichten wollen und ziemlich
anreizresistent sind. Ihnen wollen wir mit den nun zu beschließenden Sanktionen auf die Sprünge helfen. Missbrauch und ungewollte Mitnahmeeffekte wollen wir
mit diesem Gesetz so weit wie möglich einschränken.
Dies ist auch eine Frage der Gerechtigkeit gerade denjenigen gegenüber, die diesen Sozialstaat durch ihre Erwerbsarbeit erst ermöglichen.
In deren Ohren muss es wie Hohn klingen, wenn Sie
von der Linken fordern, dass Empfänger von SGB-IILeistungen bei Beibehaltung aller Transferleistungen
frei entscheiden können, ob sie arbeiten wollen oder
nicht.
({0})
Wer die von Ihnen organisierte Demonstration bei der
Anhörung erlebt hat, hat einen Vorgeschmack bekommen, wie Sie dabei sind, Menschen für Ihre Partei- und
Fraktionsinteressen aus parteipolitischen Zielen heraus
zu instrumentalisieren.
({1})
Lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Maurer
zu?
Er kann sich gleich melden. - Sie versprechen den
Menschen in den neuen Ländern eine Rundumversorgung und tun so, als sei dieser freie demokratische Staat
in der Lage, allen Bürgerinnen und Bürgern eine Rundumversorgung zu ermöglichen. Das geht nicht. Das entmündigt und führt zu weniger Freiheit.
({0})
Lassen Sie die Zwischenfrage des Kollegen Maurer
jetzt zu?
Ja, ich lasse eine Frage zu.
Herr Kollege Maurer, bitte.
Herr Kollege, da Sie zu denjenigen gehören, die diese
Änderungsanträge in letzter Minute ersonnen haben,
bitte ich Sie in Form einer Frage um eine Rechtsauskunft. Wir haben folgenden Fall: Sie entziehen einem
ALG-II-Bezieher, verheiratet, zwei Kinder, gemäß Ihren
Voraussetzungen seine Unterstützung und die Unterstützung für den Wohnbereich. Was wird mit dieser Familie
geschehen? Können Sie mir bitte die Frage beantworten,
was mit dieser Familie geschehen wird?
Dieser Familie wird die Unterstützung im Wohnbereich nicht entzogen werden. Diese Regelung gilt für die
Jugendlichen und nicht für die Erwachsenen.
({0})
- Lassen Sie einmal die Luft ab! Sie erhalten von mir
eine Antwort, die sich darauf stützt, wie ich das Gesetz
lese. Sie müssen sie aushalten. Sie können aber auch
gerne wieder ausziehen, wenn Sie wollen.
Dieses Problem betrifft junge Menschen. Selbst dann
besteht aber die Möglichkeit - zum Beispiel, wenn sie
sich dem widersetzen -, dass die Miete für die jungen
Menschen nicht mehr ausgezahlt wird, sondern dass sie
direkt an den Vermieter geht und dass Naturalien gezahlt
werden. Für Familien ist die Sanktion in der Form, wie
Sie sie beschreiben, nicht vorgesehen.
({1})
Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
In dem Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende, das wir heute beschließen,
wird der Veränderungsbedarf insgesamt aufgegriffen.
Wir wissen, dass das nicht die letzte Änderung sein wird;
denn das Leben der Menschen ist vielfältig und dynamisch. Die Fortentwicklung der Grundsicherung ist notwendig, richtig und richtungweisend. Wir werden diesen
Reformprozess im Herbst gründlich und grundsätzlich
weiterführen. Das heute zu verabschiedende Gesetz ist
ein weiterer Schritt zu einer nachhaltigen Reform.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Das Wort hat der Kollege Klaus Ernst, Die Linke.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Präsidentin! Ich nehme schon mit Verwunderung zur Kenntnis, welchen nachhaltigen Eindruck diese Anhörung auf
Sie gemacht hat. Offensichtlich reicht der normale Kontakt mit der Bevölkerung so lange, dass Sie drei Tage
lang darüber lamentieren müssen.
({0})
Ich kann Ihnen nur sagen: Hätten Sie auch sonst Kontakt
mit dem normalen Bürger dieses Landes, dann müssten
Sie sich nach der Anhörung nicht so aufregen. Das ist
doch die Realität in diesem Land.
({1})
Meine Damen und Herren, gestern lässt sich der Finanzminister dieses Landes mit den Worten zitieren: Es
kann jetzt nicht um Leistungskürzungen gehen. Vorgestern haben Sie einen Änderungsantrag ins parlamentarische Geschehen eingebracht, in dem genau das steht.
Beziehern von Arbeitslosengeld II wird das Arbeitslosengeld und auch das, was sie für ihre Wohnung erhalten, letztlich auf Null gekürzt. Die Residenzpflicht wird
eingeführt und wer sich nicht daran hält, erhält kein Arbeitslosengeld. Wenn das keine Kürzung ist, dann weiß
ich nicht, was Kürzungen sein sollen. Kürzungen liegen
bei Ihnen dann vor, wenn man als Arbeitsloser noch
Geld mitbringen muss. Das ist die Realität in diesem
Land.
({2})
- Warum regen Sie sich denn so über die Wahrheit auf?
Haben Sie sonst keine Gelegenheit, die Wahrheit zu hören? Seien Sie froh, dass Sie im Parlament sitzen können; denn da Sie das selbst nicht mehr wahrnehmen,
kann ich es Ihnen sagen. Das freut mich.
({3})
Sie wollen 5 Milliarden Euro einsparen. Wo wollen
Sie sie hernehmen? Natürlich wollen Sie sie von den Arbeitslosen nehmen. Das ist doch eine Einsparung in diesem Bereich. Sie stellen Langzeitarbeitslose unter den
Generalverdacht des Leistungsmissbrauchs. Das hat das
Forschungsinstitut der Bundesanstalt für Arbeit, das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, festgestellt.
({4})
Das tun Sie, obwohl es keinen einzigen empirischen Beweis dafür gibt, dass ein Missbrauch stattfindet.
Ich kann Ihnen aber sagen, wo es Missbrauch gibt.
Lesen Sie vielleicht einmal den Bericht des Rechnungshofes. Wenn Sie ihn lesen, dann stellen Sie fest,
dass dort steht:
Bei fast einem Viertel der geprüften Maßnahmen
mit Arbeitsgelegenheiten lagen die Förderungsvoraussetzungen nicht vor.
({5})
Bei weiteren knapp 50 Prozent der geprüften Fälle hatten die Grundsicherungsstellen keine verlässlichen
Kenntnisse über die Inhalte der Maßnahmen, sodass
auch hier Zweifel an der Förderungsfähigkeit bestanden.
({6})
Wenn Sie Kontrolleure einsetzen wollen, dann schicken
Sie sie an die Arbeitsplätze der Arbeitslosengeld-I-Bezieher. Dort und nicht bei diesen Leuten hier wird beschissen und betrogen. Das ist die Realität.
({7})
Wir fordern aus diesem Grunde, dass die Aufnahme von
1-Euro-Jobs für Arbeitslosengeld-II-Bezieher freiwillig
ist. Wir wollen in dieser Frage keinen Zwang, weil wir
wissen, dass geschummelt wird und tatsächlich Kontrolleure notwendig wären.
Künftig sollen Menschen, die länger als ein Jahr mit
einem Arbeitslosengeld-II-Bezieher zusammenwohnen,
beweisen, dass sie nicht bereit sind, Verantwortung für
den anderen, der mit ihnen zusammen lebt, zu übernehmen. Das ist Ihre Umkehr der Beweislast. Das ist Ihre
Aufforderung zur Entsolidarisierung. Sie wollen, dass
der, der für den anderen einsteht, von einem Kontrolleur
besucht wird. Sie wollen letztendlich, dass die Menschen
in diesem Land nicht mehr solidarisch sind, sondern sich
anderen gegenüber zum Schwein entwickeln. Das wollen wir nicht, meine Damen und Herren. Deshalb lehnen
wir Ihr Gesetz ab.
({8})
Lieber Kollege Ernst, würden Sie eine Zwischenfrage
der Kollegin Nahles zulassen?
Ja, gerne.
Bitte schön.
Herr Ernst, ich möchte Sie fragen, ob Ihnen aufgefallen ist, dass das, was Sie da gerade argumentativ vorgetragen haben, in sich völlig unlogisch ist,
({0})
weil wir gerade durch die Beweislastumkehr die von Ihnen nicht ganz zu Unrecht kritisierten so genannten
Schnüffelaktionen verhindern werden.
({1})
Ist Ihnen das schon aufgefallen? Es wird zum ersten Mal
eine bundeseinheitliche Regelung aufgelegt, wonach
nicht mehr jede Arge vor Ort und nicht mehr jeder einzelne Arbeitsvermittler einfach entscheidet, wie das gehandhabt wird, sondern auf der Basis von gerichtlichen
Kriterien entschieden wird, ob eine Bedarfsgemeinschaft
vermutet wird. Diese Vermutung kann dann in einem
normalen Widerspruchsverfahren - bis hin zu einem
Sozialgerichtsverfahren - widerlegt werden.
({2})
- Entschuldigung, krakeelen Sie bitte nicht so. - Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass es sich hier um eine
Verbesserung der Rechtslage für die Betroffenen handelt
und nicht um eine Verschlechterung.
({3})
Liebe Kollegin Nahles, über diese Frage freue ich
mich sehr. Sie gibt mir nämlich Gelegenheit, darauf hinzuweisen, dass wir im deutschen Strafrecht die Umkehr
der Beweislast insbesondere bei der organisierten Kriminalität haben.
({0})
Genau diese Umkehr der Beweislast führen Sie bei den
Arbeitslosengeld-II-Empfängern ein. Diese Umkehr der
Beweislast führt dazu, dass jemand, der mit einem anderen in einer Wohngemeinschaft lebt, künftig nachweisen
muss, dass er nicht für ihn einsteht und sich nicht solidarisch mit ihm verhält. Das führt dazu, dass Leute in solchen Gemeinschaften künftig ausziehen werden müssen,
wenn in ihrer Gemeinschaft ein Arbeitslosengeld-IIEmpfänger wohnt. Das ist Ihre Politik und das ist Unfug,
Frau Nahles.
({1})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch auf
einen Punkt hinweisen, der mir sehr wichtig ist. Ihre
ganze Begründung stellt unter anderem darauf ab, dass
der Abstand zwischen Arbeitslosengeld II und Arbeitseinkommen zu gering wäre. Wissen Sie, was ich Ihnen
dazu sage? Wir haben das Problem, dass wir Löhne haben, die so gering geworden sind, dass man von diesen
Löhnen nicht mehr leben kann. Das müssen wir ändern
und nicht auf die Arbeitslosengeld-II-Bezieher einprügeln, sie kriminalisieren und ihnen das Geld wegnehmen. Wir müssen für vernünftige Löhne in diesem Land
sorgen, dann stimmt auch der Abstand wieder.
({2})
Lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schaaf
zu?
Ich bin bereit.
Bitte schön, Herr Kollege.
Herr Kollege Ernst, würden Sie mir Recht geben
- nur diese eine Frage möchte ich beantwortet haben -,
dass für die Frage der Löhne in diesem Lande in erster
Linie die Tarifparteien, insbesondere auch unsere Gewerkschaften, zuständig sind und nicht die Politik?
({0})
Selbstverständlich. Ich weise aber darauf hin, Herr
Kollege, dass es aufgrund der Tatsache, dass auch unter
den Gewerkschaftsmitgliedern die große Befürchtung
besteht, dass das Arbeitslosengeld II zu zunehmender
Arbeitslosigkeit führen wird, für die Gewerkschaften zunehmend schwieriger geworden ist, vernünftige Löhne
durchzusetzen. Das müssten Sie als Gewerkschaftsfunktionär auch gemerkt haben.
({0})
Insbesondere die Residenzpflicht führt dazu, dass
Arbeitslosen eine Fußfessel angelegt wird.
({1})
Sie müssen um Erlaubnis fragen, wenn sie ihren Wohnraum verlassen wollen. Das können Sie sich sicherlich
nicht vorstellen. Damit Sie sich das vorstellen können,
werde ich nun diese Fußfessel auf der Regierungsbank
abstellen.
Herr Kollege, ich muss Sie darauf hinweisen, dass
erstens Ihre Redezeit abgelaufen ist und dass wir zweitens hier keine Demonstration veranstalten. Ich bitte Sie
sehr, das Gerät wieder mitzunehmen.
({0})
Herr Kollege Ernst, ich erteile Ihnen hiermit einen
Ordnungsruf. Dieses Verhalten hat nichts mit der Würde
des Hauses zu tun. Insofern müssen Sie das bitte zur
Kenntnis nehmen.
({1})
Wir setzen unsere Beratungen fort und ich erteile der
Kollegin Brigitte Pothmer das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
glaube, es lässt sich hier eine Kritik an der Sache formulieren, ohne ununterbrochen mit Kraftausdrücken zu arbeiten und sich unparlamentarisch zu verhalten.
({0})
Es lässt sich aber nicht leugnen - wir alle wissen es -,
dass die Hartz-Gesetze unter Beschuss stehen. Es gibt in
der Tat auch Mängel.
({1})
In den letzten Wochen ist deutlich geworden, dass es
vor allem um Änderungen bei der Umsetzung der Regelungen geht, und zwar sowohl bei den Vermittlungsaktivitäten als auch bei der Überprüfung der Leistungsberechtigung.
Herr Kolb hat eine Menge Beispiele genannt, die richtig sind. Sie sind im Bericht des Bundesrechnungshofs
aufgeführt. Ich will sie an dieser Stelle nicht wiederholen. Aber der Bundesrechnungshof stellt ausdrücklich
fest, dass nicht die gesetzlichen Regelungen das Problem
darstellen, sondern deren unzureichende Umsetzung.
({2})
- Herr Kolb, können Sie sich zu Wort melden, wenn Sie
etwas fragen wollen?
({3})
Verhalten Sie sich nicht immer wie ein ungezogener
Schüler!
({4})
Frau Kollegin, möchten Sie denn eine Zwischenfrage
von Herrn Kolb zulassen?
Nein, Herr Kolb muss jetzt erst einmal Ruhe bewahren.
Der Bundesrechnungshof fordert das Bundesministerium ausdrücklich auf - ich bringe das an dieser Stelle
stellvertretend vor -, seine Möglichkeiten der Fach- und
Rechtsaufsicht zu nutzen, um die Umsetzung der Regelungen zu optimieren und die Aufgabenerledigung zu
gewährleisten. Ich verstehe deswegen nicht, dass Sie in
der großen Koalition nach einer völlig anderen Logik
verfahren. Sie verfahren nach der Logik: Wenn gesetzliche Regelungen nicht oder nur mangelhaft umgesetzt
werden, dann müssen einfach neue oder zusätzliche Regelungen her. Was versetzt Sie eigentlich in die Hoffnung, dass diese Regelungen dann umgesetzt werden?
Das geht gänzlich an dem vollständig identifizierten Problem vorbei.
({0})
Das so genannte Fortentwicklungsgesetz und auch die
Änderungsanträge zeigen, dass Sie nicht wissen, wo das
Problem eigentlich liegt. Sie drohen den Arbeitslosen
mit Sanktionen, wenn sie nicht schnell genug bei ihrem
Fallmanager auflaufen. Umgekehrt wird aber ein Schuh
daraus: Die Fallmanager nehmen doch nicht Kontakt zu
den Arbeitslosen auf, um sie zu einem Gespräch einzuladen.
({1})
Sie drohen den Arbeitslosen mit Sanktionen, wenn sie
ein zumutbares Angebot ablehnen. Wo ist denn das Angebot, das sie ablehnen könnten?
({2})
Das Problem besteht doch nicht darin, dass immer wieder Angebote abgelehnt werden; es fehlt vielmehr an
Angeboten.
({3})
Sie führen zusätzliche Kontrollen ein, sorgen aber nicht
einmal dafür, dass die vorhandenen Kontrollmöglichkeiten
genutzt werden. Damit verplempern Sie Geld und Personal, das an anderer Stelle dringend gebraucht wird.
Ich sage Ihnen ausdrücklich: Es sind nicht die Arbeitslosen, die die Vereinbarung nicht einhalten. Es ist
vielmehr die Bundesregierung, die das gegebene Versprechen, dass dem Fordern auch ein Fördern gegenübersteht, nicht einhält. Hier liegt das Problem.
({4})
Sie sind es, die nicht vertragstreu sind. Sie sind es, die
die Mittel für die Eingliederung von Arbeitslosen zusammenstreichen. Ich will es einmal ein bisschen zuspitzen: In Sachen Förderung sind Sie die Faulenzer und
nicht die Arbeitslosen. Sie liegen in der großkoalitionären Hängematte und tun nichts anderes, als sich gegenseitig anzunörgeln. Um vom eigenen Versagen abzulenken, kommt es zu hysterischen Attacken. Aber diese
Attacken fallen zunehmend auf Sie selber zurück.
Mein Kollege Kuhn hat gesagt, dass Sie von der
CDU/CSU sich nicht einfach vom Acker machen können. Die Ministerpräsidenten der Union, die nun am radikalsten gegen die Hartz-Gesetze argumentieren, waren
es doch, die all die krummen Kompromisse geboren haben, die uns jetzt die allergrößten Probleme bereiten.
Auf einmal reden Sie von einer Kostenexplosion. Wenn
man aber etwas genauer hinschaut und die Ausgaben mit
den Kosten vergleicht, die die alten Regelungen verursacht hätten, dann stellt man fest: Die Kostenexplosion
ist verschwunden. Es gibt nur vereinzelt Mehrausgaben,
beispielsweise für die Arbeitslosen in der Renten- und
der Krankenversicherung und dort, wo es uns gelungen
ist - das wollten wir so -, die verschämte Armut zu bekämpfen. Was ist daran falsch? Das war schließlich unser Ziel. Wir sind froh, dass wir es erreicht haben.
({5})
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme zum Schluss.
Lassen Sie mich noch etwas zur Missbrauchspropaganda sagen. Es ist von einer Missbrauchsquote von 20
bis 25 Prozent die Rede. Aber das sind nur gefühlte
Werte; denn empirisch gesehen geht es nur um 2 bis
3 Prozent. Daher ist die Propaganda mehr als unangemessen.
Ein letztes Wort an die Freunde von der Sozialdemokratie.
Nein, Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.
Ihr habt das Gesetz damals genauso gewollt wie wir.
Lasst es nicht zu, dass es jetzt auf diese Weise verkrüppelt wird! Knickt vor der Propaganda von der rechten
Seite nicht so erbärmlich ein!
Ich danke euch.
({0})
Ich gebe nun dem Kollegen Kolb das Wort zu einer
Kurzintervention.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich möchte zuerst auf Sie eingehen, Herr Kollege Ernst.
Wir halten die Politik der Bundesregierung auf diesem
Feld ebenfalls für falsch. Aber wir halten Klamauk für
die falsche Reaktion auf diese falsche Politik.
({0})
Ich bin mir sicher, dass Sie von dem, was Sie hier gemacht haben, letztlich nicht profitieren werden, sondern
dass Sie uns sowie der Politik und der Demokratie in unserem Lande insgesamt schaden.
({1})
Kollegin Pothmer, da ich immer bereit bin, zu lernen,
lasse ich mich gerne als Schüler bezeichnen. Aber ich
hätte von Ihnen erwartet, dass Sie - entsprechend den
parlamentarischen Gepflogenheiten - in einer Debatte
eine Zwischenfrage zulassen. Weil Sie das nicht getan
haben, will ich Ihnen Folgendes vorhalten: Sie haben gesagt, nicht der Gesetzgeber, sondern die Agenturen vor
Ort seien schuld, weil sie die Gesetze nicht richtig umsetzten. In diesem Zusammenhang möchte ich Ihnen das
zitieren, was Herr Dr. Fogt von der Bundesvereinigung
der Kommunalen Spitzenverbände ausweislich des Protokolls in einer Anhörung des Ausschusses für Arbeit
und Soziales gesagt hat:
Wir sehen auch das Problem, die Organisationen,
insbesondere die Arbeitsgemeinschaften, in den
Stand zu versetzen, dass die vom Gesetz gewünschten Eingliederungsmaßnahmen auch zügig und umfassend erfolgen können. Dabei gibt es eine Reihe
von Hindernissen, was die Organisation in den Arbeitsgemeinschaften angeht. Sie sind ja auch allgemein bekannt. Ich weise zum wiederholten Male
auf das Computer-System hin, was in den Arbeitsgemeinschaften zum Einsatz kommt, was einen
ganz unverhältnismäßigen Arbeitsaufwand in den
Arbeitsgemeinschaften auslöst. Ich weise auch darauf hin, dass es einen nicht unerheblichen Teil an
Bürokratie mittlerweile in diesen Arbeitsgemeinschaften gibt, mit Statistik und Berichtspflichten,
die für sich genommen begründet sein mögen, die
aber in der konkreten Umsetzung einen enormen
Arbeitsaufwand darstellen und Kräfte binden.
Das sind Dinge, die Herr Dr. Fogt angesprochen hat. Sie
müssen sie sich vorhalten lassen, da Ihre Fraktion damals Regierungsfraktion war. Sie haben die bürokratische Ausgestaltung dieser Gesetze selbst mitbeschlossen. Das bitte ich Sie zur Kenntnis zu nehmen.
({2})
Frau Pothmer, Sie möchten erwidern.
Herr Kollege Kolb, ist Ihnen bekannt, dass dieses Gesetz das Ergebnis von Verhandlungen im Vermittlungsausschuss war?
({0})
Ist Ihnen bekannt, dass es - jedenfalls bis jetzt - nicht
üblich war, dass eine Fraktion des Bundestages, selbst
wenn sie die Regierung mitträgt, die Entscheidung über
einzelne Computersysteme trifft?
({1})
Ist Ihnen bekannt, dass ich auf dieses Problem seit längerem, unter anderen in mehreren Pressemitteilungen, hingewiesen habe und dass ich die Regierung immer wieder
auffordere, dieses Problem nicht noch dadurch zu verschärfen, dass sie ständig neue Regelungen einführt, die
sozusagen händisch umgesetzt werden müssen? Wenn
Sie noch weitere Fragen haben, Herr Kollege Kolb: jederzeit und gerne; Sie können sie auch schriftlich an
mich richten.
({2})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Klaus Brandner,
SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir verabschieden heute das
SGB-II-Fortentwicklungsgesetz. Dabei geht es nicht nur
um Sparen, sondern insbesondere um schnellere und
bessere Leistungen für die Langzeitarbeitslosen. Genau
dieser Personenkreis hat es aus meiner Sicht nicht verdient, dass eine Diffamierungsdebatte stattfindet wie die,
die wir hier teilweise erlebt haben.
({0})
Die Linke, die PDS, stellt es so dar, als wenn der Sozialstaat über Nacht aus den Angeln gehoben wird, als
wenn ein Angriff auf den sozialen Frieden gestartet und
damit eine Kriegserklärung an das Land ausgerufen wird.
Ich bitte darum - das will ich ganz deutlich sagen -, den
Langzeitarbeitslosen mit Falschheiten und Täuschungen,
die man in die Welt setzt, nicht noch mehr Pein zuzufügen, als sie aufgrund ihres Schicksals ohnehin schon haben müssen.
({1})
Ich will das ganz konkret erläutern. Hier ist gerade
eine Fußangel überbracht worden. Dies sollte darstellen,
dass Langzeitarbeitslose mit der Erreichbarkeitsanordnung quasi gefesselt sind. Hier wird etwas dramatisiert,
was für die Arbeitslosen in diesem Land gang und gäbe
ist:
({2})
Diejenigen, die Leistungen nach der Arbeitslosengeld-IRegelung beziehen, müssen sich auf die Erreichbarkeitsanordnung der Bundesagentur für Arbeit verweisen
lassen. Diese Erreichbarkeitsanordnung haben Gewerkschafter, Arbeitgeber und die öffentliche Hand einvernehmlich begrüßt. Genau darauf beziehen wir uns. Keine
Regelung im künftigen Sozialversicherungsrecht bedeutet für die Arbeitslosen, auch für die Langzeitarbeitslosen, eine Schlechterstellung.
({3})
Kollege Ernst, ich will ganz offen sagen: Diese Demonstration war eine Schande. Ich verstehe nicht, dass
du als jemand, der sich auskennen muss, dich für so etwas hergibst. Das tut mir Leid. Kolleginnen und Kollegen in dieser Koalition haben sich dafür ausgesprochen,
Arbeitslosen, auch Langzeitarbeitslosen, Urlaub zu ermöglichen.
({4})
Mir ist in dieser Debatte viel zu viel über Sanktionen
und auch über die Folgen von Sanktionen geredet worden.
({5})
- Entschuldigen Sie mal! - Sanktionen kommen doch
wohl nur zustande, wenn es Angebote gibt. Der Staat
nimmt sich in die Pflicht. Wir reden über Sanktionen.
Wir müssen aber darüber reden, was für Angebote wir
organisieren. Ohne zumutbare Angebote gibt es keine
Sanktionen. Das muss hier herausgestellt werden.
({6})
Dabei wird dramatisiert und so getan, als müssten in diesem Land Menschen verhungern, weil diese Sanktionen
greifen.
Stärke und Wirkung der Sanktionen sind - das sage
ich ganz deutlich - unterschiedlich: Je beharrlicher die
Weigerung ist, eine zumutbare Arbeit anzunehmen,
desto ausgeprägter greifen diese Sanktionen. Keiner
muss in diesem Land verhungern. Wenn es die Situation
erfordert, erhält niemand in diesem Land nur passive
Leistungen.
({7})
Das wird durch das Gesetz ganz klar geregelt. Der Fallmanager kann auch Sachleistungen oder ergänzende
geldwerte Leistungen zusagen, wenn dies notwendig ist.
Aber bei jemandem, der vermögend ist und sich zumutbaren Angeboten widersetzt, muss die Gemeinschaft
auch das Recht haben, einen aktiven Leistungsentzug
durchzusetzen.
({8})
Herr Kollege Brandner, möchten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Höll zulassen?
Nein, ich möchte keine Zwischenfragen beantworten.
({0})
Die Überschrift „Generalrevision“, unter die viele die
Änderungen im SGB II stellen, dient aus meiner Sicht
der Diffamierung eines Gesetzgebungsverfahrens, das
notwendigerweise Korrekturen und Anpassungen im
Umsetzungsprozess erfordert. Wir, insbesondere wir
Sozialdemokraten, wollen mehr als nur sparen. Ein Fortentwicklungsgesetz ist für uns mehr als ein Spargesetz.
Wir wollen eine verbesserte Eingliederung und Optimierung des Leistungsrechts. Wir wollen eine Verbesserung
der Verwaltungspraxis und wir wollen die Vermeidung
von Leistungsansprüchen, die so nicht gewollt sind.
Schnellere Aktivierung der Arbeitsuchenden, Sofortangebote - das ist ein Schritt, der zur Optimierung
des Leistungsrechts beiträgt. Die Unterstützung junger
Menschen, die Vollfinanzierung der Aktivierungshilfen
für erwerbsfähige hilfebedürftige Jugendliche, ist eine
Ergänzung der Leistungen. Weiter ist die bedarfsgerechte Ausgestaltung von Leistungen, zum Beispiel für
BAföG-Empfänger, zu nennen; auch sie erhalten jetzt
Leistungen, wenn über das BAföG die Wohnkosten nicht
völlig abgedeckt sind. Das sind nur drei Beispiele, an denen deutlich wird: Es geht nicht nur ums Sparen; es geht
auch darum, sachgerechte Leistungen zur Verfügung zu
stellen. Darüber haben wir bisher viel zu wenig geredet.
({1})
Es wird nur darauf geschaut, wie eigentlich bestraft werden kann, wofür überhaupt keine Notwendigkeit besteht.
Deshalb sage ich: Es geht nicht nur ums Sparen. Wir
müssen mehr und bessere Leistungen gewähren. Wir
müssen weniger Bürokratie erreichen. Wir müssen durch
eine effizientere Leistungserbringung mehr Beratungszeit für die Einzelnen zur Verfügung stellen. Das ist der
Sinn des Gesetzes.
Kürzen ohne Sinn und Verstand haben wir immer abgelehnt. Durch Leistungskürzungen werden wir der Arbeitslosigkeit nicht Herr werden, werden wir die Arbeitslosigkeit nicht bekämpfen können. Weniger Arbeitslose
- das sage ich ganz deutlich - gibt es nur durch eine erfolgreiche Beschäftigungspolitik und erfolgreiche Förderpolitik. Das ist der Ansatz, für den wir antreten und
für den wir einstehen.
({2})
Was in all diesen Debatten um Sanktionen und Verschlechterungen völlig aus dem Blick geraten ist, ist,
dass wir den Menschen helfen, auf eigenen Füßen zu stehen, indem wir Existenzgründungen systematisch voranbringen.
({3})
Das ist eine Antwort, die wir in der arbeitsmarktpolitischen Debatte geben. Mit dem Gründungszuschuss wird
eines der erfolgreichsten Instrumente der Hartz-Reformen fortgesetzt. Wir helfen den Menschen dabei, sich
selbstständig zu machen. Wir aktivieren die Menschen.
Wir fördern die Eigeninitiative für Gründungsaktivitäten
durch systematische Zuschüsse und Unterstützungsleistungen sowie durch Beratung und tragen so dazu bei,
dass der Arbeitsmarkt auch durch Selbstständigkeit Entlastung erfährt.
Zum Bild des modernen Sozialstaats passt, dass wir
unterstützen, indem wir Hilfe zur Selbsthilfe organisieren. Das ist in der Vergangenheit positiv gewesen.
({4})
2005 haben sich 250 000 Gründer - ich hoffe auch
ebenso viele 2006 - aus der Arbeitslosigkeit heraus in
die Selbstständigkeit hineingewagt und ein neues Geschäft aufgemacht.
Wir haben bei der Neuregelung auch auf die Erfahrungen mit der Ich-AG und dem Überbrückungsgeld zurückgegriffen. Gerade heute hat in einem fraktionsinternen
Workshop der Vertreter des IAB, der dort zuständig ist,
noch einmal ganz deutlich gesagt: Hier ist aus zwei guten
Instrumenten ein noch besseres gemacht worden. - Von
der Wissenschaft wird dieser Reformansatz ausdrücklich
gelobt, weil wir uns durchgesetzt haben. Wir haben die
Entscheidung getroffen, dass der Gründungszuschuss
Anspruchsleistung für diejenigen bleibt, die in eine Existenzgründung hineingehen wollen.
({5})
Wir sind dafür, diesen Prozess insgesamt weiterzuentwickeln und damit mehr Menschen Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu geben.
Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte.
Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Hartz IV ist
nicht gescheitert, auch wenn sich das die Populisten von
rechts und links immer wieder wünschen, um sich auf
Kosten der Arbeitsuchenden und der Menschen in den
Arbeitsgemeinschaften und Kommunen zu profilieren.
Dafür reichen wir nicht die Hand. Wir reichen die Hand
zu Chancen. Dafür stehen wir.
({0})
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort der
Kollegin Dr. Barbara Höll.
({0})
Herr Kollege, Sie haben eben versucht, etwas schönzureden, was nur abzulehnen ist und bei dem vor allem
Sie selbst nicht einmal wissen, was im Gesetz steht.
Oder können Sie mir heute erklären, was gestern bei der
Beratung im Finanzausschuss niemand, nicht einmal der
Vertreter des Ministeriums, erklären konnte, nämlich
warum Sie die zur Erhaltung des Kinderzuschlages - etwas, was laut der Synopse des Ministeriums unmittelbar
zur Verbesserung der Lebenssituation von etwa
195 000 Kindern in der Bundesrepublik Deutschland geführt hätte - ursprünglich geplante Flexibilisierung der
Mindesteinkommensgrenze aus dem Gesetzentwurf herausgenommen haben? Könnte das eventuell damit zusammenhängen, dass auch das Ministerium hinter dieser
Zahl den Vermerk gemacht hatte, dass sie bitte vertraulich zu behandeln sei? Ich hätte gern hier eine Antwort,
warum Sie diese vorgesehene Regelung zurückgenommen haben und ob Sie das überhaupt wissen.
({0})
Sehr geehrte Abgeordnete, wir haben bei der Frage
des Kinderzuschusses ganz bewusst die Regelung einer
Wahlleistungsmöglichkeit gesetzt und uns vorgenommen, diesen Kinderzuschuss weiterzuentwickeln.
Aber ich will Ihnen klar sagen: Sie stellen hier eine
Frage, die sich auf eine Debatte im Finanzausschuss bezieht. Im Arbeits- und Sozialausschuss haben Sie sich
dieser Debatte völlig entzogen. Sie haben überhaupt
nicht daran teilgenommen und damit Ihre inhaltliche
Teilnahme an diesem Thema verwirkt. Nun erwarten Sie
bitte nicht, dass Sie hier im Parlament Nachhilfeunterricht bekommen.
({0})
Zum Abschluss der Debatte erteile ich das Wort dem
Kollegen Max Straubinger, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Werte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben im Zusammenhang mit der Verabschiedung des SGB-II-Fortentwicklungsgesetzes eine
sehr erregte Debatte miterlebt. Ich glaube, dass es hier
durchaus angebracht ist, darzustellen, dass dieses Gesetz
sehr erfolgreich in die Zukunft hineinwirken wird. Es
bietet 70 neue Maßnahmen zur effizienteren Gestaltung
des Arbeitsmarktes und zur Einschränkung von möglichem Leistungsmissbrauch, aber darüber hinaus vor allen Dingen Chancen für die Menschen, in Arbeit zu
kommen. Dies ist letztendlich der prägende Gedanke
dieses Gesetzes.
({0})
Man kann sich sicherlich nicht immer über alle Fraktionen hinweg einig sein. Die Regierung und die sie
tragenden Bundestagsfraktionen sind aufgefordert, Beschlüsse herbeizuführen. Wir tun dies in großer Geschlossenheit. Ziel dieser großen Koalition ist es, die
Chancen für die Menschen in Deutschland, wieder in
Arbeit zu kommen, zu verbessern und den Menschen vor
allen Dingen mehr Zutrauen in die Zukunft zu vermitteln.
({1})
Dabei ist gerade für uns als CDU/CSU-Bundestagsfraktion entscheidend, dass die soziale Absicherung der
Menschen weiterhin in höchstem Maße gewährleistet ist.
Werte Damen und Herren, gerade von der linken Seite
dieses Hauses, in Deutschland werden die umfangreichsten und besten sozialen Leistungen für Menschen, die
hilfsbedürftig sind oder denen es noch schlechter geht,
erbracht. Viele Menschen in Europa würden sich danach
sehnen, überhaupt an solchen Leistungen teilhaben zu
können.
({2})
Diese Leistungen sind letztendlich Ausdruck eines hervorragenden Sozialstaates, den wir haben und den es
weiterzuentwickeln gilt.
Man kann ihn aber nur mit Diskussionen weiterentwickeln. Der Kollege Brandner hat vorhin bereits darauf
hingewiesen: Gerade diejenigen, die die ganze Zeit die
meiste Kritik an diesem Gesetzesvorhaben anbringen,
haben sich der parlamentarischen Auseinandersetzung,
der parlamentarischen Diskussion entzogen. Sie haben
hier keinen Beitrag geleistet, indem Sie ausgezogen sind
und sozusagen nur auf der Straße Politik gemacht haben.
Dafür werden Sie letztendlich keine große Zustimmung
bei den Menschen erhalten.
({3})
Ich möchte noch einmal Folgendes klarstellen: Klamauk ist dieses Hauses und der Diskussionskultur insgesamt höchst unwürdig. Werter Kollege Ernst, angesichts
der Tatsache, dass Sie mit einer Eisenkugelattrappe in
Richtung Regierungsbank gegangen sind, muss ich Sie
fragen: Ist das der Geist der Vergangenheit von SED,
Stacheldraht und sonstigen Zwangsmaßnahmen, den Sie
hier weitertragen?
({4})
Ihr Verhalten ist einer solchen Diskussion nicht angemessen.
Herr Straubinger, möchten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Ernst zulassen?
Nein, denn er hat sich der parlamentarischen Diskussion entzogen.
({0})
Mit diesem SGB-II-Fortentwicklungsgesetz werden
wir dem Grundsatz „Fördern und Fordern“ besonders Rechnung tragen. Meine Vorredner haben in vielfältigster Weise bereits auf einzelne Maßnahmen hingewiesen. Der entscheidende Punkt ist, dass erwerbsfähige
Hilfebedürftige besser unterstützt werden, damit sie
schneller in Lohn und Brot gebracht werden können.
Dass diese Entwicklung derzeit gut verläuft, belegen die
neuesten Zahlen vom Arbeitsmarkt: Im Monat Mai gab
es 250 000 weniger Arbeitslose im Vergleich zum Vormonat. Dies zeigt sehr deutlich, dass vor allen Dingen
die Rahmenbedingungen durch die Bundesregierung, an
der Spitze die Bundeskanzlerin und die sie tatkräftig unterstützenden Ministerinnen und Minister, verbessert
wurden. Das trägt, wie gesagt, dazu bei, dass die Menschen schneller in Lohn und Brot kommen.
({1})
Ein entscheidendes Kriterium ist natürlich auch, dass
die Verwaltungspraxis in vielen Bereichen verändert
und verbessert wird. Das ist eine Konsequenz aus dem
Bericht des Bundesrechnungshofes. Hieran werden wir
selbstverständlich arbeiten.
Ich bin davon überzeugt, dass die an uns gerichteten
Forderungen des Präsidenten des Deutschen Städtetages,
Ude, und auch führender Vertreter von Wohlfahrtsverbänden, zielgerichtetere Maßnahmen zu ergreifen und finanzielle Mittel effizienter einzusetzen, in einem ersten
Schritt mit diesem Gesetz erfüllt werden und dass wir damit den an uns gestellten Anforderungen gerecht werden.
({2})
Entscheidend ist natürlich auch, die Selbstständigkeit in unserem Land zu fördern. Es gab in der Vergangenheit dazu mehrere Instrumente. Ich nenne Überbrückungsgeld und Ich-AG. Diese Instrumente waren
sicherlich in einzelnen Bereichen erfolgreich, aber sie
haben auch Mitnahmeeffekte bewirkt. Die Grünen wollen nun eine Verlängerung der Förderung der Ich-AG.
({3})
Ich glaube aber, die Neuregelung, die am 1. August in
Kraft tritt, ist besser. Denn diejenigen, die sich aus der
Arbeitslosigkeit in die Selbstständigkeit wagen, bekommen einerseits die notwendige Unterstützung. Andererseits wird nach neun Monaten die Tragfähigkeit ihres
Unternehmens überprüft. Dies führt nicht nur zur Einsparung von Mitteln, sondern hat darüber hinaus auch
eine Schutzfunktion. Denn es kann ja sein, dass sich jemand verkalkuliert hat und zu lange in der Selbstständigkeit verharrt, was möglicherweise dazu führen kann,
dass er hinterher mit einem Haufen Schulden der sozialen Unterstützung bedarf.
({4})
Unter diesem Gesichtspunkt haben wir ein gutes Instrument gefunden.
({5})
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ja, Frau Präsidentin.
Es wird oft kritisiert, dass in diesem Bereich gespart
wird. Natürlich ist es wichtig, mit den begrenzten finanziellen Ressourcen sparsam umzugehen. Unter diesem
Gesichtspunkt ist es absolut vertretbar, dass wir einzelne
Bereiche auf den Prüfstand gestellt haben. Ich bin davon
überzeugt, dass wir mit diesem Gesetz, das wir heute in
zweiter und dritter Lesung beraten und dann verabschieden, einen großen Schritt weiterkommen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({0})
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem
Kollegen Klaus Ernst.
Herr Kollege Straubinger, ich habe an Ihrem Dialekt
erkannt, dass Sie eher aus meiner Gegend und nicht aus
den neuen Bundesländern stammen. Ich habe des Öfteren wie eben auch bei Ihrer Rede zur Kenntnis nehmen
müssen, dass man mich sehr gern mit der SED in Verbindung bringt.
({0})
Es ist mir in den 30 Jahren, in denen ich in Bayern Mitglied der SPD war, immer so gegangen, dass die CSU
gesagt hat: Das ist die SED. Jetzt passiert mir das hier
wieder. Ich stelle daher die Frage: Haben Sie da etwas
verwechselt, Herr Straubinger? Wenn es die SED in
Bayern tatsächlich gab, wo war die denn? Ich habe sie da
nicht finden können.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten
Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung der Grund-
sicherung für Arbeitsuchende, Drucksache 16/1410. Zur
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Abstimmung liegt eine Erklärung nach § 31 der Ge-
schäftsordnung der Kollegin Silvia Schmidt1) ({0})
von der SPD vor.
Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt un-
ter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/1696, den Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? -
Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter
Beratung angenommen mit den Stimmen der CDU/
CSU-Fraktion, mit der großen Mehrheit der Stimmen
der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktionen der
Linken, der FDP und des Bündnisses 90/Die Grünen bei
drei Enthaltungen aus der SPD-Fraktion.
Es ist eine weitere Erklärung zur Abstimmung nach
§ 31 der Geschäftsordnung von Frau Reinke2) von der
Linksfraktion eingegangen.
Wir kommen jetzt zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Es ist namentliche Abstim-
mung verlangt. Ich bitte die Schriftführerinnen und
Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen.
Sind die Urnen besetzt? - Das scheint der Fall zu sein.
Dann eröffne ich hiermit die Abstimmung.
Ist noch jemand im Hause, der seine Stimme nicht ab-
gegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich
die Abstimmung.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit
der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstim-
mung wird Ihnen später bekannt gegeben.3)
Es gibt eine weitere persönliche Erklärung zur Ab-
stimmung nach § 31 GO der Kollegin Hiller-Ohm, SPD-
Fraktion.4)
Wir setzen die Abstimmungen fort. Zunächst stimmen wir über den Entschließungsantrag der Fraktion Die
Linke ab. Wer stimmt für den Entschließungsantrag auf
Drucksache 16/1702? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Entschließungsantrag mit den
Stimmen der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen des
Rests des Hauses abgelehnt.
({1})
Wir kommen zur Abstimmung über den Entwurf ei-
nes Gesetzes zur Verlängerung der Ich-AG der Fraktion
des Bündnisses 90/Die Grünen, Drucksache 16/1405.
Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt unter
Buchstabe e seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 16/1696, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
um das Handzeichen - Gegenstimmen? - Enthaltungen? -
Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stim-
1) Anlage 10
2) Anlage 13
3) Seite 3351 B
4) Anlage 14
men der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen und der
Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der Koalition bei
Enthaltung der FDP abgelehnt. Damit entfällt nach unse-
rer Geschäftsordnung eine weitere Beratung.
Tagesordnungspunkt 11 b: Der Ausschuss empfiehlt
unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ab-
lehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Druck-
sache 16/997 mit dem Titel „Für Selbstbestimmung und
soziale Sicherheit - Strategie zur Überwindung von
Hartz IV“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? -
Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfeh-
lung ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen
der Fraktion Die Linke angenommen.
Unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache
16/1124 mit dem Titel „Hartz IV weiterentwickeln -
Existenzsichernd, individuell, passgenau“. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? -
Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die
Stimmen des Bündnisses 90/Die Grünen mit den Stim-
men des übrigen Hauses angenommen.
Unter Buchstabe d empfiehlt der Ausschuss die Ab-
lehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Druck-
sache 16/1201 mit dem Titel „Wohnungslosigkeit ver-
meiden - Wiedereinführung von Beihilfen und
Übernahme von Mietschulden auch für Erwerbstätige
mit niedrigem Einkommen und Arbeitslosengeld-I-Be-
zieher“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? -
Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Diese Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen der Koalition und der
FDP gegen die Stimmen der Linksfraktion und des
Bündnisses 90/Die Grünen angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10 a und 10 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Konrad Schily, Cornelia Pieper, Uwe Barth,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Hochschulbaumittel gerecht verteilen
- Drucksache 16/1166 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({2})
Rechtsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Krista
Sager, Kai Boris Gehring, Priska Hinz ({3}),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Für eine starke Wissenschaftsinfrastruktur im
gemeinsamen Interesse von Bund und Ländern
- Drucksache 16/1643 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({4})
Rechtsausschuss
Zwischen den Fraktionen ist verabredet, eine halbe
Stunde zu debattieren. - Ich höre keinen Widerspruch.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Uwe Barth, FDP-Fraktion, das Wort.
({5})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ziel des von der FDP-Fraktion vorgelegten Antrags ist
es, die Situation der chronisch unterfinanzierten deutschen Hochschulen zu verbessern und sie damit in die
Lage zu versetzen, im internationalen Wettbewerb wieder mithalten zu können. Dass dazu Maßnahmen nötig
sind, ist unstreitig. Auch der Antrag der Grünen geht in
diese Richtung. Diverse Formulierungen aus dem Koalitionsvertrag und den verschiedenen Regierungserklärungen belegen im Übrigen, dass dies im Grunde in der Koalition genauso gesehen wird.
Wie aber sieht die Wirklichkeit aus? Seit Jahren sind
unsere Hochschulen und vor allem die Hochschullehre
dramatisch unterfinanziert. Wir haben die Zahlen alle
parat. Ich erspare Ihnen und mir eine langwierige Aufzählung. Nur auf eines will ich hinweisen: Es geht nicht
allein um Quantität, die berühmten 40 Prozent eines
Jahrganges. Es geht vor allem um die Qualität. Wir brauchen vielleicht mehr Studierende, vor allem aber brauchen wir mehr erfolgreiche Hochschulabsolventen.
({0})
An dieser Stelle sind wir erneut beim internationalen
Wettbewerb. Wenn man im Wettbewerb standhalten,
ihn sogar gewinnen will, muss man zunächst in der Lage
sein, überhaupt teilnehmen zu können. Mit einem Fußballvergleich gesprochen heißt das: Wenn man die
Champions League gewinnen will, muss man sich zunächst qualifizieren. Teams, die das schaffen können, hat
man nur, wenn man daheim in der eigenen Liga eine ausreichende Leistungsbreite und eine hochwertige Leistungsspitze hat. Der Gesamtverband ist dabei nicht
Schiedsrichter, sondern Ausrichter. Seine Aufgabe ist es
vor allem, für Chancengleichheit zu sorgen und die angemessene Förderung der Leistungsspitze sicherzustellen. Bezogen auf unser Thema bedeutet das, dass der Gesamtstaat die Sicherung der Chancengleichheit für alle
deutschen Hochschulen im Wettbewerb um internationale Spitzenplätze sicherstellen muss.
In diesen Tagen und Wochen diskutieren wir ausführlich über ein Reformvorhaben, welches genau diesem
Anspruch sehr dienlich sein könnte. Statt jedoch die Föderalismusreform für Regelungen zu nutzen, die den Bedarf der Gesellschaft an gut ausgebildeten Köpfen decken
helfen, verliert man sich in filigranen Überlegungen, wie
man den Bund aus der Finanzierung der Hochschullehre
heraushalten könnte. Statt mittels der Föderalismusreform optimale Studienbedingungen zu ermöglichen, verbringen die Studierenden viel wertvolle Zeit in semesterlangen Warteschleifen für die notwendigen Seminare.
Unterdessen will die Koalition die Mittel für Hochschulbauten langfristig einfrieren. Auch Sonntagsreden
und wohlfeile Forderungen können darüber nicht hinwegtäuschen.
({1})
Herr Beck hat sich am Sonntag den Beifall der Jusos
gesichert, als er kostenlose Kindergärten, ein flächendeckendes Angebot an Ganztagsschulen und gebührenfreie Hochschulen forderte. Wunderbar. Die Uni Mainz
hat derzeit 35 000 Studierende. Ausgelegt ist sie für
18 000. Dementsprechend wird sie auch finanziert. Herr
Beck hat gesagt, er erwarte einen Anstieg um ein weiteres Drittel auf circa 46 000. Wo sollen die Bauten und
die Professoren herkommen?
Sehr verehrte Kollegin Aigner, in Bayern ist die Situation kaum besser. Ein Vergleich der TU München mit
der unmittelbar konkurrierenden Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich zeigt: Die ETH hat dreimal
so viel Mittel pro Student wie die TU München. Bei
solch krasser Unterfinanzierung kann man auf Dauer
selbst in Bayern, so fürchte ich, im internationalen Wettbewerb nicht mithalten.
Mit unserem Antrag wollen wir eine Dynamik erreichen, die sich an entwicklungs- und leistungsbezogenen
Kriterien orientiert. Wir wollen auch den finanzschwachen Bundesländern eine Chance geben, ihre Hochschulen so zu entwickeln, dass sie im internationalen Wettbewerb mithalten können. Wir wollen, dass die
Hochschulen nicht zu einer künstlichen Unterscheidung
zwischen Forschung und Lehre gezwungen werden. Das
ist völlig sachfremd; denn Kern des Hochschulgedankens ist ja gerade die Einheit von Forschung und Lehre.
({2})
Der im Rahmen der Föderalismusreform vorgeschlagene Entwurf verbietet dem Bund aber gerade Hochschulprogramme zur Förderung der Hochschullehre.
Fast alle Experten halten dies für groben Unfug. Selbst
Herr Biedenkopf hat hier, bei der Anhörung vor drei Tagen, als Experte des Bundesrates im Hinblick auf die
künftige Hochschulfinanzierung großes Unbehagen geäußert.
({3})
Ich weiß, dass viele Kolleginnen und Kollegen von
der Koalition dieses Problem erfreulicherweise ebenso
sehen. Deswegen hoffe ich wirklich sehr, dass wir im
Verlauf der weiteren Beratungen im Sinne unserer Hochschulen zu konstruktiven und sachgerechten Lösungen
kommen.
Der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Professor Winnacker, hat auf der gestrigen Jahrestagung die Föderalismusreform und den Wettbewerb
angesprochen. Er sagte, dass aufgrund der grundsätzlich
unterschiedlichen finanziellen Ausgangslage zwischen
den Ländern ein wirklicher Wettbewerb um Ressourcen
aller Art gar nicht entstehen könne. Aus seiner Sicht
wird sich dies erst dann ändern, wenn wir in Deutschland auch zu einer Gebietsreform kommen. Dies, so Professor Winnacker, seien wir dem Föderalismus im
Grunde schuldig, wenn wir ihn ernst nehmen und ihn
nicht auf dem Altar des Regionalismus opfern wollen.
Ich persönlich stimme dem ausdrücklich zu. Wenn
wir nicht den Mut zu wirklichen Reformen haben, zu einer Reform, die die Länderneuordnung ebenso einschließt wie die Neuregelung der Finanzbeziehungen,
wird jeder Reformversuch Stückwerk bleiben und wir
werden uns auf dem Weg an die Spitze in Europa und
der Welt auch weiterhin vor allem selbst im Wege stehen.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat der Kollege Markus Weinberg, CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen! Sehr geehrte
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr
Kollege Barth, eines überrascht mich schon: Wir führen
eine Anhörung zur Föderalismuskommission durch, die
Sie gewollt und befürwortet haben, und die FDP schafft
es, die Erkenntnisse dieser Anhörung bereits zwei Monate vor dieser Anhörung in einem Antrag zu formulieren. Das ist sehr überraschend, Herr Barth. Sie sollten so
eine Anhörung ernster nehmen und reagieren, wenn die
Anhörung abgeschlossen ist, und nicht vorher.
({0})
Ich nehme Ihre Argumentation aber gerne auf, insbesondere im Zusammenhang mit der Frage, welche Probleme und Defizite wir haben. Für den Bildungsbereich
und somit auch für den Hochschulbereich lässt sich,
glaube ich, festhalten, dass Verflechtungen und Verwischungen von Verantwortlichkeiten, Entparlamentarisierung und die damit verbundene Schwächung der direkten Demokratie genauso wie strukturell bedingte
Reformschwäche das Problem der Bildungslandschaft
darstellen. In der Vergangenheit mussten wir uns immer
auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen. Innovation und Wettbewerb blieben dabei auf der Strecke. Das
ist eines der negativen Ergebnisse im Bildungsbereich.
Das heißt, unüberschaubare Kompetenzverflechtungen
und der Versuch, durch Novellierung von Leistung Einheitlichkeit herzustellen, schwächen das System.
Roman Herzog hat das so formuliert - ich glaube, jeder hier hat vor zwei Tagen seinen Bericht in der „Süddeutschen Zeitung“ gelesen -: Einheitlichkeit als solches ist kein Wert an sich. Die Vielfalt ist der Leitwert in
einem freiheitlichen Gemeinwesen. Vielfalt ist in höchstem Maße produktiv und kann dann auch paradoxerweise zu einer Einheitlichkeit führen.
Das - und das soll unser Ziel sein - sollte auch kommen; allerdings auf einem höheren Niveau als heute.
({1})
Wenn man das analysiert, dann muss man gewisse
Konsequenzen ziehen. Das hat die Anhörung ja auch ergeben. Dann muss ich als Bundestagsabgeordneter möglicherweise darüber nachdenken, Kompetenzen abzugeben. Dann muss ich einsehen, dass die Verantwortung
dorthin soll, wo sie liegt, nämlich in den Ländern - das
betrifft nicht nur den Schulbereich, sondern insbesondere auch den Hochschulbereich -,
({2})
dass die direkt Verantwortlichen - das heißt, auch die
Landesparlamente - darüber entscheiden, wo und wann
was gebaut wird. Dass diese Reform dann unter dem
Strich nicht alle Menschen glücklich machen kann, das
hat Roman Herzog auch beschrieben. Aber er sagt auch:
Im übergeordneten Interesse ist es sicherlich auch hinnehmbar, dass einige bei der Komplexität dieser Reform
möglicherweise ihr Glücksgefühl etwas reduzieren müssen. Aber es gibt keine Alternative.
Das müssen diejenigen, die jetzt darüber diskutieren,
immer wissen. Die Föderalismusreform muss beweisen,
dass dieses Land noch reformfähig ist. Man muss ganz
klar sagen: Diejenigen, die jetzt möglicherweise das
Scheitern dieser Reform in Kauf nehmen, nehmen auch
in Kauf, dass dieses Land nicht mehr reformfähig ist.
({3})
Das muss man wissen. Das ist, insbesondere wenn man
unüberlegt und unabgestimmt Vorschläge unterbreitet, in
einer gewissen Art und Weise ein Tanz auf dem Vulkan,
Herr Rossmann. Denn nicht zuletzt sind wir nicht die
einzigen, die bei dieser Reform involviert sind. Wir
sind vielmehr genauso wie die Länder ein Teil.
Apropos Länder: Als Kollege Barth darüber sprach,
den Ländern die Verantwortung zu geben, schwang unterschwellig mit, dass die Länder das alles nicht so richtig können. Da kann man nur sagen: Genau das Gegenteil ist der Fall. Gerade unter dem Gesichtspunkt der
Schulpolitik haben die Länder bewiesen - Beispiel Thüringen und Sachsen-Anhalt -, was sie leisten können. Einige Länder haben sich auf den Weg gemacht, einige
auch nicht. Zum Beispiel Sachsen-Anhalt, ein kleines,
schwaches Land, hat es durch eine gezielte Reform geschafft, bereits in wenigen Jahren die ersten kleinen Erfolge zu erzielen. Also muss man Abstand von gewissen
Illusionen nehmen, dass Gemeinschaftsaufgaben so, wie
sie zurzeit angelegt sind, gewisse Aufgaben der Bildungspolitik lösen können. Auch die Gemeinschaftsaufgabe „Bildungsplanung“ - das hat man in der Anhörung
klar herausgearbeitet - war überflüssig und hat nicht die
gewünschten Ergebnisse gebracht.
({4})
Jetzt komme ich zu den beiden Anträgen, zuerst zu
dem der FDP. Sie haben es genau wie die Grünen formuliert. Es geht zunächst einmal um die Frage - Hoch3350
schulpakt 2020 ist ein besonderer Punkt -, wie denn der
Hochschulbau finanziert werden soll. Die Grünen haben in ihrem Antrag - ich darf zitieren; denn es freut
mich immer, die Grünen zu zitieren - das Richtige zur
Gemeinschaftsaufgabe „Hochschulbau“ dargestellt:
Die Finanzierungsmechanismen der GA Hochschulbau stehen seit vielen Jahren in der Kritik: Die
komplizierten Verfahren mit mehrstufigen, stets
überbuchten Rahmenplänen werden nur noch von
Spezialisten durchschaut. Den Landesparlamenten
ist eine angemessene Mitwirkung bei der Entscheidung über Hochschulbaumaßnahmen kaum noch
möglich.
Damit haben Sie vollkommen Recht.
Ihre zweite Forderung ist auch richtig. Dort schreiben
Sie: Die Landesparlamente sollen in Zukunft besser an
der Prioritätenentscheidung eines jeweiligen Bundeslandes mitwirken können. Auch das ist richtig. Doch dann
kommt genau das Inkonsequente, was Sie in Ihrer Politik
stringent durchziehen; denn im Zuge Ihres Antrages
richten Sie sofort wieder Auflagen an die Länder. Seien
Sie doch einmal konsequent! Geben Sie doch einmal insgesamt den Ländern die Verantwortung! Reichen Sie die
Verantwortung nach unten durch! Denn die Länder werden mit der Verantwortung richtig und gut umgehen können.
Grundsätzlich widersprechen Gemeinschaftsaufgaben dem verfassungsrechtlichen Trennungsgebot.
({5})
Sie produzieren - das wissen Sie ganz genau - einen hohen Abstimmungs- und Verwaltungsaufwand. Sie machen Entscheidungsprozesse schwerer durchschaubar,
verwischen politische Verantwortlichkeiten zwischen
Bund und Ländern, aber auch zwischen Exekutive und
Legislative. Das ist übrigens nicht nur die Position der
CDU/CSU, sondern das war auch die Position eines Experten bei der Anhörung. Herr Barth, wir nehmen ja von
der Anhörung das mit, was uns dort dargelegt wurde.
({6})
Insoweit ist Ihr Antrag mit Ihrer Schlussfolgerung,
was die Finanzierung des Hochschulbaus betrifft, leider
falsch. Im ursprünglichen Koalitionsentwurf wurde die
Anknüpfung an den Bedarfsbezug gewählt, also kein
Gießkannenprinzip. Die Hochschulbauförderung ist kein
Element des Finanzausgleichs. Finanzkraft, Einwohner
oder Studierende waren nicht der Verteilungsmaßstab
und können es auch nicht sein.
Während der Debatte im Ausschuss hat Frau Pieper
dargestellt, wie sich das für die ostdeutschen Länder entwickeln würde. Das haben wir natürlich nachgerechnet.
Dazu kann ich nur eines sagen: Es wäre fatal, wenn wir
Ihren Schlüssel zugrunde legen würden. Man kann natürlich mehrere Schlüssel wählen, zum Beispiel den
Königsteiner Schlüssel oder eine Mischform.
Frau Pieper hat damals im Ausschuss gesagt, die ostdeutschen Länder würden verlieren. Genau das Gegenteil ist aber der Fall. Wenn ich Ihren Ansatz, die Anzahl
der Studierenden zugrunde zu legen, mit dem Ansatz,
der im Koalitionsvertrag enthalten ist, vergleiche,
komme ich auf der Grundlage des Ansatzes im Koalitionsvertrag zu dem Ergebnis: Brandenburg 9 Millionen
Euro plus, Thüringen 12,6 Millionen Euro plus, Mecklenburg-Vorpommern 13,3 Millionen Euro plus, Sachsen-Anhalt 20,4 Millionen Euro plus und Sachsen
22,4 Millionen Euro als plus.
({7})
Im Hinblick auf die Verteilung gibt es folgendes
Grundproblem: Es wird, egal welchen Schlüssel Sie
wählen - das ist ein Problem der gesamten Föderalismusreform -, immer wieder Verlierer geben. Ich glaube,
dass der Ansatz, der zu dieser Verteilung führt, falsch ist,
weil hier andere Finanzhilfen einen Ausgleich schaffen
sollen.
Sie haben Kurt Biedenkopf erwähnt. Ihm kann ich
auch nur zustimmen. Wenn man die Kompetenzen neu
verteilt, dann bedarf es natürlich auch einer Neuverteilung der finanziellen Ressourcen. Er hat mit seiner Aussage Recht, dass erst eine echte Finanzreform alle Länder in die Lage versetzen wird, ihren Aufgaben im
Bildungsbereich gerecht zu werden. An diesem Prozess
beteilige ich mich gerne, soweit ich das mitentscheiden
kann, um den Ländern diese finanziellen Möglichkeiten
zu geben.
({8})
Richtig ist Ihre Analyse bezüglich des
Hochschulpaktes 2020. Hier sind Bund und Länder aufgefordert, die möglicherweise bis zu 500 000 neuen Studienplätze zu schaffen.
Möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Barth
zulassen?
Ja.
Bitte schön, Herr Barth.
Lieber Kollege Weinberg, ich möchte Sie fragen, ob
Sie bereit sind, zur Kenntnis zu nehmen, dass Sie bei Ihren Berechnungen und Gegenüberstellungen möglicherweise übersehen haben, dass in Punkt 5 unseres Antrages hinsichtlich der Bewertung der Situation in den
neuen Ländern ein differenzierter Vergabeschlüssel herangezogen werden soll, und eben nicht der, der sich nur
nach den Studierendenzahlen richtet.
({0})
Herr Barth, das nehme ich zur Kenntnis und das habe
ich auch gelesen. Trotzdem sage ich noch einmal: Die
Aufgabe der Finanzhilfen muss anders gegliedert werden. Sie vermischen wieder verschiedene Dinge. Das
schafft Unklarheiten und ist ein unsauberes Vorgehen. Es
wäre auch für die ostdeutschen Länder besser, wenn man
die Regelung der Finanzhilfen sauber und ordentlich koordinieren würde.
({0})
Nun will ich noch auf den Hochschulpakt 2020 zu
sprechen kommen. Wenn es Gott sei Dank tatsächlich
bzw. hoffentlich 25 Prozent neue Studienplätze, also
300 000 bis 500 000 zusätzliche Plätze, geben wird,
dann ist das eine gemeinsame Aufgabe. Auch hier stellt
sich zunächst einmal die Frage: Wer trägt dafür die Verantwortung? In Ihrem Antrag wird die Neuaufteilung der
Mittel für den Hochschulbau zum Teil in Zusammenhang gesetzt mit dem Hochschulpakt bzw. mit den zu erwartenden Steigerungen der Studentenzahlen, übrigens
auch mit dem sehr großen Sanierungsbedarf, der meines
Erachtens das eigentliche Problem ist. Nein, dieses Paket
wird kommen. Es wird geschnürt werden und zu guten
Ergebnissen führen.
Unter dem Strich bleibt festzuhalten, dass die Föderalismusreform nur ein Kompromiss sein kann. Aber ich
glaube, es ist richtig - das hat auch die Anhörung bestätigt -, dass die Föderalismusreform so kommen wird wie
geplant. Mit Blick auf all diejenigen, die noch die eine
oder andere Änderung auf den Weg bringen wollen, sei
bemerkt, sie mögen immer auch das Ende ihrer jeweiligen Handlungen bedenken. Diese Reform ist so, wie sie
vorgesehen ist, gut. Auf jeden Fall ist sie eine Verbesserung im Vergleich zum jetzigen Zustand. Deswegen werden wir sie weiterhin mittragen.
Vielen Dank.
({1})
Ich komme zurück zum Tagesordnungspunkt 11 a.
Zunächst teile ich mit, dass eine weitere persönliche Er-
klärung nach § 31 GO des Kollegen Lothar Mark, SPD-
Fraktion, vorliegt.1)
Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schrift-
führern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstim-
mung über den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD zur Fortentwicklung der Grundsicherung
für Arbeitsuchende, Drucksachen 16/1410 und 16/1696,
bekannt. Es wurden 557 Stimmen abgegeben. Mit Ja ha-
ben gestimmt 393 Abgeordnete, mit Nein haben ge-
stimmt 150, es hat 14 Enthaltungen gegeben. Damit ist
der Gesetzentwurf angenommen.
1) Anlage 16
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 559;
davon
ja: 393
nein: 152
enthalten: 14
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({0})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Otto Bernhardt
Renate Blank
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({1})
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Anke Eymer ({2})
Georg Fahrenschon
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Dirk Fischer ({3})
Axel E. Fischer ({4})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({5})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Michael Glos
Dr. Reinhard Göhner
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Karl-Theodor Freiherr
zu Guttenberg
Holger Haibach
Gerda Hasselfeldt
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung ({6})
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({7})
Volker Kauder
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Kristina Köhler ({8})
Norbert Königshofen
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Johann-Henrich
Krummacher
Dr. Karl A. Lamers
({9})
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Ingbert Liebing
Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
Dr. Michael Luther
Stephan Mayer ({10})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Laurenz Meyer ({11})
Maria Michalk
Hans Michelbach
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Carsten Müller
({12})
Stefan Müller ({13})
Bernward Müller ({14})
Dr. Gerd Müller
Hildegard Müller
Henry Nitzsche
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Dr. Peter Paziorek
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Eckhardt Rehberg
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht ({15})
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({16})
Hermann-Josef Scharf
Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Annette Schavan
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({17})
Andreas Schmidt ({18})
Ingo Schmitt ({19})
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Horst Seehofer
Kurt Segner
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Thomas Strobl ({20})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Peter Weiß ({21})
Gerald Weiß ({22})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Anette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer ({23})
Elisabeth WinkelmeierBecker
Matthias Wissmann
Dagmar Wöhrl
Willi Zylajew
SPD
Gregor Amann
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Ernst Bahr ({24})
Doris Barnett
Dr. Hans- Peter Bartels
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Dr. Axel Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({25})
Kurt Bodewig
Clemens Bollen
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Bernhard Brinkmann
({26})
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Peter Friedrich
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Graf ({27})
Dieter Grasedieck
Kerstin Griese
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann
({28})
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Petra Hinz ({29})
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({30})
Frank Hofmann ({31})
Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Brunhilde Irber
Johannes Jung ({32})
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Astrid Klug
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange ({33})
Dr. Karl Lauterbach
Waltraud Lehn
Gabriele Lösekrug-Möller
Dirk Manzewski
Caren Marks
Katja Mast
Markus Meckel
Petra Merkel ({34})
Ulrike Merten
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller ({35})
Michael Müller ({36})
Gesine Multhaupt
Dr. Rolf Mützenich
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Joachim Poß
Christoph Pries
Dr. Wilhelm Priesmeier
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Steffen Reiche ({37})
Maik Reichel
Dr. Carola Reimann
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
Sönke Rix
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({38})
Ortwin Runde
Axel Schäfer ({39})
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Marianne Schieder
Otto Schily
Silvia Schmidt ({40})
Renate Schmidt ({41})
Dr. Frank Schmidt
Heinz Schmitt ({42})
Carsten Schneider ({43})
Olaf Scholz
Reinhard Schultz
({44})
Swen Schulz ({45})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Dr. Ditmar Staffelt
Andreas Steppuhn
Ludwig Stiegler
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Dr. Rainer Tabillion
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Jörn Thießen
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Gunter Weißgerber
({46})
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Dieter Wiefelspütz
Engelbert Wistuba
Heidi Wright
Manfred Zöllmer
Nein
SPD
Lothar Mark
Ottmar Schreiner
FDP
Jens Ackermann
Daniel Bahr ({47})
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Miriam Gruß
Joachim Günther ({48})
Dr. Christel Happach-Kasan
Elke Hoff
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Hellmut Königshaus
Jürgen Koppelin
Heinz Lanfermann
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Michael Link ({49})
Horst Meierhofer
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Hans-Joachim Otto
({50})
Detlef Parr
Gisela Piltz
Frank Schäffler
Dr. Konrad Schily
Marina Schuster
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Florian Toncar
Christoph Waitz
Dr. Claudia Winterstein
Hartfrid Wolff ({51})
DIE LINKE
Hüseyin-Kenan Aydin
Karin Binder
Dr. Lothar Bisky
Heidrun Bluhm
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Sevim Dagdelen
Werner Dreibus
Klaus Ernst
Diana Golze
Dr. Gregor Gysi
Heike Hänsel
Lutz Heilmann
Hans-Kurt Hill
Cornelia Hirsch
Dr. Barbara Höll
Ulla Jelpke
Katja Kipping
Jan Korte
Katrin Kunert
Michael Leutert
Dr. Gesine Lötzsch
Dorothee Menzner
Kersten Naumann
Dr. Norman Paech
Bodo Ramelow
Elke Reinke
Paul Schäfer ({52})
({53})
Dr. Herbert Schui
Dr. Ilja Seifert
Dr. Petra Sitte
Dr. Kirsten Tackmann
Jörn Wunderlich
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Marieluise Beck ({54})
Volker Beck ({55})
Cornelia Behm
Birgitt Bender
Grietje Bettin
Alexander Bonde
Dr. Thea Dückert
Dr. Ursula Eid
Hans-Josef Fell
Joseph Fischer ({56})
Kai Gehring
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Winfried Hermann
Priska Hinz ({57})
Ulrike Höfken
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Thilo Hoppe
Ute Koczy
Sylvia Kotting-Uhl
Renate Künast
Undine Kurth ({58})
Markus Kurth
Monika Lazar
Dr. Reinhard Loske
Anna Lührmann
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({59})
Brigitte Pothmer
Claudia Roth ({60})
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Dr. Gerhard Schick
Silke Stokar von Neuforn
Jürgen Trittin
Josef Philip Winkler
fraktionslos
Enthalten
SPD
Klaus Barthel
Willi Brase
Martin Burkert
Wolfgang Gunkel
Gabriele Hiller-Ohm
Dr. Bärbel Kofler
Helga Lopez
Hilde Mattheis
Rene Röspel
Wolfgang Spanier
Rüdiger Veit
Waltraud Wolff
({61})
Ich komme zurück zu den Tagesordnungspunkten 10 a und 10 b und erteile das Wort dem Kollegen Volker Schneider, Die Linke.
({62})
Schauen wir mal! Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich vor einiger Zeit las, dass sich
eine Universität in unmittelbarer Nähe des Bundestages
auf den Weg zur Eliteuniversität machen will, habe ich
zugegebenermaßen gestutzt. Ich fragte mich: Wie soll,
Volker Schneider ({0})
wie kann in diesem heruntergekommenen Gemäuer Exzellenz entstehen?
({1})
Jenen unter Ihnen, die nicht ganz so glücklich mit ihren
Büroräumen hier im Bundestag sind, empfehle ich einen
kurzen Fußmarsch dorthin.
({2})
- Ich habe „Unter den Linden“ hervorragende Büroräume; ich habe keine Veranlassung, mich zu beschweren. - Wie gesagt, ich empfehle Ihnen den Fußmarsch,
um sich dort einige Räume anzuschauen. Es würde mich
sehr wundern, wenn Sie danach auf die Idee kämen,
diese Räume gegen Ihre zu tauschen. Es würde mich
noch mehr wundern, wenn Sie zu dem Ergebnis kämen,
dass Sie in einem solchen Umfeld optimal, kreativ und
produktiv arbeiten könnten. Diese Universität ist leider
kein Einzelfall; insoweit greifen beide hier vorliegenden
Anträge eine zentrale Herausforderung künftiger Hochschulbildung auf.
Auch wenn es langsam zu einer abgegriffenen Floskel
wird: Bildung ist die wichtigste Ressource und damit
eine zentrale Herausforderung für die Zukunft unseres
Landes. Wir brauchen - Herr Barth, Sie haben es ähnlich
formuliert - nicht länger Sonntagsreden, sondern endlich
entschlossenes, konkretes Handeln. Die kreativen und
intellektuellen Potenziale unseres Landes erschließen
sich nicht in einer trostlosen Lernumgebung, in Lehrsälen, in denen sich seit Ewigkeiten wenig bis überhaupt
nichts getan hat, wo ein simpler Anstrich unschätzbar
lange zurückliegt und an ein paar wohnliche Accessoires
schon überhaupt nicht zu denken ist. So verkümmern die
geistigen Potenziale dieses Landes in trostloser Öde. Das
können und das dürfen wir uns nicht leisten.
So ist es nicht verwunderlich, dass die Hochschulfinanzierung auch in den Anhörungen zur Föderalismusreform immer wieder eine Rolle gespielt hat. Auch vor
dem Hintergrund, dass, wie ein Sachverständiger dramatisch formuliert hat, ein „Studierenden-Tsunami“ bevorsteht, steht doch die drängende Frage im Raum: Wie
schafft Politik verlässliche Rahmenbedingungen? Die
Kolleginnen und Kollegen der FDP hat dabei anscheinend die Zuversicht verlassen, dass die nötigen Weichenstellungen noch im Rahmen der Föderalismusreform möglich sein könnten. Wie wenig man bereit sein
kann, Ergebnisse der Anhörung auch nur wahrzunehmen
- geschweige denn, daraus auch noch Schlüsse zu ziehen -,
hat der Kollege Weinberg gestern im Bildungsausschuss
demonstriert; Herr Weinberg, Sie haben es eben eindrucksvoll wiederholt. Dem Gesicht von Herrn Barth
habe ich entnommen, dass er ähnlich wie ich wahrscheinlich den Eindruck gehabt hat, auf einer anderen
Veranstaltung gewesen zu sein.
({3})
Ich muss hinzufügen: Bei den Ausführungen im Bildungsausschuss haben auch in den Reihen des kleineren
Koalitionspartners einige sichtlich schlucken müssen.
Insoweit kann ich die Zweifel der FDP an der Einsichtsund Lernfähigkeit der Bundesregierung durchaus verstehen.
Es gibt innerhalb der CDU/CSU aber auch andere
Stimmen. So hat sich etwa der Ministerpräsident meines
Landes, Herr Müller, deutlich anders geäußert als Sie,
Herr Weinberg.
Wir danken der FDP und natürlich auch den Grünen
dennoch für die Vorlagen, bieten sie doch einen Einstieg,
einige wesentliche Fragen der zukünftigen Hochschulfinanzierung in den Ausschüssen vertiefend zu diskutieren. Dazu nur einige Stichworte. Auch aus der Sicht der
Linken benachteiligen die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Übergangsregelungen insbesondere strukturschwache Bundesländer. Was uns in den Anträgen
fehlt, ist eine klare Forderung nach einer Erhöhung der
Mittel für den Hochschulbau. Gerade angesichts des zu
erwartenden Studierendenbergs und des Sanierungsbedarfs wird eine Finanzierung auf dem jetzigen Niveau
nicht ausreichen. Kritisch wird es ab 2013, wenn nach
den derzeitigen Planungen die Zweckbindung der Bundesmittel entfällt.
Abschließend: Wenn Sie nicht wollen, dass in Zukunft Abertausenden von Studierwilligen aus Platzmangel ein Studienplatz verwehrt bleibt, wenn Sie nicht wollen, dass große Teile der Studierendenschaft nur noch
auf Treppen Platz finden, wenn Sie nicht wollen, dass
Studierende demnächst bei Regen massenhaft mit dem
Schirm ihre Hörsäle aufsuchen müssen, dann lassen Sie
uns Mittel und Wege finden, um den Hochschulbau
überall in Deutschland auf eine stabile und ausreichende
Finanzierungsbasis zu stellen.
Danke schön.
({4})
Das Wort hat der Kollege Thomas Oppermann, SPDFraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! FDP
und Grüne wollen mit ihren Anträgen die wissenschaftliche Infrastruktur stärken und die Bundesmittel für den
Hochschulbau gerechter verteilen. Beides sind vernünftige, wichtige Anliegen und in beiden Anträgen gibt es
durchaus konstruktive Vorschläge.
({0})
- Das muss man einmal sagen: Die Opposition ist nicht
nur destruktiv.
Im Rahmen der Föderalismusreform sollen das Hochschulbaufinanzierungsgesetz aufgehoben und die Gemeinschaftsaufgabe „Hochschulbau“ abgeschafft werden. Ich glaube, diesem Gesetz muss niemand eine
Träne nachweinen. Dadurch wurden den Ländern und
Hochschulen bürokratische und intransparente Verfahren
aufgenötigt, es hatte endlose Planungs- und Bauzeiten
zur Folge und hat den Hochschulbau unnötig verteuert.
Wenn es um die Gemeinschaftsaufgabe „Hochschulbau“ geht, muss man einen sehr differenzierten Blick
wählen. Immerhin: Diese Gemeinschaftsaufgabe hat die
erste große Koalition auf den Weg gebracht. Ihr war bewusst, dass eine so gewaltige Aufgabe weder die Länder
noch der Bund allein bewerkstelligen konnten. Mit der
Gemeinschaftsaufgabe sind seit 1970 60 Milliarden
Euro mobilisiert worden.
Das ist nicht folgenlos geblieben, sondern hat unser
Land verändert: Vor 1960 haben 10 Prozent eines Jahrgangs studiert, also eine kleine privilegierte Gruppe. Im
letzten Jahr waren es 36,7 Prozent eines Jahrgangs, die
ein Studium aufgenommen haben.
({1})
Das ist ein großer Fortschritt. Ohne diesen Fortschritt
wäre unser Land heute wirtschaftlich nicht so stark.
Wenn wir so stark bleiben wollen, dann müssen wir uns
der Herausforderung stellen, die heute ähnlich groß ist
wie 1970, als die Gemeinschaftsaufgabe eingeführt
wurde.
Deswegen sollten wir eines klarstellen: Wenn der
Bund 300 Millionen Euro für Forschungsinvestitionen in
Hochschulen zur Verfügung stellt und den Anteil von
700 Millionen Euro auf die Länder überträgt, dann darf
das nicht dazu führen, dass die Länder den Anteil, den
sie bisher schon aufgebracht haben, mindern.
({2})
Die Länder schultern eine gewaltige Aufgabe, wenn
sie den Bereich Hochschulbau übernehmen wollen. Wir
brauchen in Zukunft nicht weniger, sondern mehr Mittel
für den Hochschulbau. Die Gründe sind bekannt: Zum
einen werden wir im kommenden Jahrzehnt mindestens
500 000 Studierende zusätzlich haben, die gut untergebracht werden müssen. Zum anderen sind die Gebäude,
die vor 30 Jahren schnell hochgezogen wurden, heute sanierungsbedürftig. Es besteht ein gewaltiger Sanierungsbedarf. Er wird mit mehr als 10 Milliarden Euro
beziffert. Der Sanierungsaufwand ist auch deshalb so
groß, weil die Länder in den letzten Jahren die Hochschulbauunterhaltungsmittel kontinuierlich gekürzt haben. Wenn die Länder den Bereich Hochschulbau übernehmen wollen, dann wäre eine vertrauensbildende
Maßnahme die Verdopplung der Hochschulbauunterhaltungsmittel, damit der Sanierungsaufwand nicht noch
größer wird.
({3})
Davon kann ich in den Haushaltsplanungen der Länder
leider nichts entdecken.
Zur Verteilung der Mittel; dieses Thema ist schon
angesprochen worden. Es hat sich im Laufe der Jahrzehnte ein enormes Nord-Süd-Gefälle ergeben. Das kann
natürlich nicht so bleiben. Das ist nicht gerechtfertigt.
Nordrhein-Westfalen hat seit 1970 Bundesmittel in Höhe
von 1 Milliarde Euro zu wenig bekommen, Niedersachsen 620 Millionen Euro. Bayern, wie immer sehr tüchtig,
hat 1,5 Milliarden Euro mehr Mittel an Land gezogen,
Baden-Württemberg sogar 2 Milliarden Euro. Diese Verteilung kann so nicht bestehen bleiben.
({4})
Wir sind für Wettbewerb der Länder untereinander
und der Hochschulen miteinander. Für Wettbewerb ist
aber eine faire Verteilung der Investitionsmittel des Bundes Voraussetzung.
({5})
Wer meint, dass diejenigen, die sich bis jetzt die größten
Stücke aus dem Kuchen herausgeschnitten haben, Ansprüche auf Besitzwahrung anmelden könnten, der irrt.
Das würde eher zu einer Wettbewerbsverzerrung führen.
({6})
Die Zahl der Studierenden als Verteilungskriterium
ist sinnvoll. Dabei werden wir aber einen Schlüssel
finden müssen, der die berechtigten Interessen der ostdeutschen Länder berücksichtigt. Diese bekommen
überproportional viele Hochschulbaumittel, weil sie entsprechenden Nachholbedarf haben. Das ist also vernünftig.
Meine Damen und Herren, nächste Woche wird die
Fußballweltmeisterschaft eröffnet.
({7})
Wir werden unseren Gästen die schönsten Stadien auf
der ganzen Welt und eine perfekte Infrastruktur bieten.
Nirgendwo besteht die Gefahr, dass es durchregnet.
({8})
- Zumindest außerhalb von Frankfurt. - Meine Vorstellung ist: Das sollte uns auch bei den Hochschulen gelingen.
({9})
Wenn wir sie in einen Zustand bringen, der dem der Stadien entspricht, dann werden wir in Zukunft vielleicht
sogar wieder Wissenschaftsweltmeister.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({10})
Das Wort hat die Kollegin Krista Sager, Bündnis 90/
Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Einige
der Sachverständigen aus dem Bildungs- und Wissenschaftsbereich haben am Montag auf einen Widerspruch
hingewiesen, den Sie, Herr Weinberg, mit der starken
Betonung der Notwendigkeit einer klaren Trennung von
Verantwortlichkeiten nicht auflösen können, und zwar
auf den Widerspruch, dass die Förderung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit selbst nach Ihrer Föderalismusreform weiterhin eine gesamtstaatliche Dimension
behält. Selbst nach Ihrer Föderalismusreform bleibt ein
Zusammenwirken von Bund und Ländern zum Beispiel
in der Agrarpolitik möglich. Aber ausgerechnet dann,
wenn es um leistungsfähige Hochschulstrukturen geht,
wollen Sie diese gesamtstaatliche Dimension negieren
und soll ein Zusammenwirken nicht mehr möglich sein.
({0})
Da Sie die gesamtstaatliche Dimension in diesem Bereich praktisch völlig außer Acht lassen, frage ich Sie
schon, wie ernst Sie es eigentlich nehmen, dass wir uns
in einer Diskussion über den Transformationsprozess hin
zu einer wissensbasierten Ökonomie befinden.
({1})
Zumindest die Sachverständigen aus dem Bildungsund Wissenschaftsbereich haben aus meiner Sicht deutlich gemacht, dass wir bei der Föderalismusreform für
Bildung und Wissenschaft Korrekturen brauchen. Herr
Weinberg, es geht nicht um die Nivellierung der Infrastruktur im Wissenschaftsbereich, sondern es geht um
die Leistungsfähigkeit.
({2})
Herr Barth hat Recht: Die notwendige Leistungsfähigkeit werden wir nicht erreichen, wenn wir die Förderung
von Forschung, wo man zusammenwirken darf, und die
Förderung von Lehre, wo man nicht zusammenwirken
darf, künstlich trennen.
({3})
Genauso unsinnig ist es, die Trennung zwischen der
Förderung von Forschung im außeruniversitären Bereich
und der Förderung von Forschung im Hochschulbereich
in der Verfassung festzuschreiben. Auch darüber wollen
wir hinaus.
({4})
Wir brauchen eine klare Rechtsgrundlage, durch die die
gemeinsame Förderung der Wissenschaft durch den
Bund und die Länder möglich, nicht erzwungen wird.
Diese muss eine Befristungsregelung und die Möglichkeit beinhalten, sowohl Investitions- als auch Personalmittel bereitzustellen. Auf der Basis einer solchen klaren
Rechtsgrundlage benötigt man auch gerechte Verteilungsregelungen.
Es ist doch einfach ein Armutszeugnis, dass einige
Länder jetzt erst merken, dass sie nach den alten Spielregeln - fortgeschrieben bis 2019 - die eigentlichen Verlierer dieser Reform sind, dass ihre Hochschulkliniken
zukünftig nicht gesichert sind
({5})
und dass die Bagatellgrenze von 5 Millionen Euro für
Großgeräte nicht in Ihrem Interesse liegt.
({6})
Dieses traurige Licht, das auf die Haltung der Länder bezüglich der Wissenschaft geworfen wird, lässt für die
Frage, was eigentlich geschieht, wenn die Zusammenwirkungsmöglichkeiten jetzt praktisch sang- und klanglos aufgelöst werden, Schlimmes befürchten. Die Länder
haben sich eben nicht selbst verpflichtet. Der Bund soll
weiter bezahlen, aber die Länder haben sich nicht selbst
verpflichtet. Die Länder wollen das Geld des Bundes ab
2013 absurderweise auch noch für völlig andere Zwecke
ausgeben. Das ist wirklich ein Stück aus Absurdistan.
({7})
Natürlich können wir mit der Gemeinschaftsaufgabe
„Hochschulbau“ und den alten Spielregeln der GA nicht
weitermachen. Das haben Sie richtig zitiert. Deswegen
will ich das hier auch nicht wiederholen. Das ist unsere
feste Überzeugung, Herr Weinberg. Das Verrückte und
das Ungerechte an der alten GA ist, dass die starken
Länder stärker gefördert werden als die schwachen Länder und dass es für das, was für uns besonders wichtig
ist, nämlich die Studienkapazitäten auszubauen, in den
Verteilungsmechanismen der alten GA überhaupt keine
Anreize gibt. Diese wollen Sie aber sogar noch bis 2019
verlängern. Welchen Sinn soll das eigentlich machen?
({8})
Wir brauchen gerade jetzt doch Regelungen, die Anreize
dafür schaffen, dass die Länder zusammen mit dem
Bund wieder Kapazitäten ausbauen.
Herr Weinberg, ich hatte es Ihnen schon im Ausschuss gesagt und ich sage es Ihnen hier zum Schluss
noch einmal: Sie betonen immer, dass die Verantwortung
eindeutig bei den Ländern liegen muss. Wenn wir in
15 Jahren feststellen, dass wir zu wenige Hochschulabsolventen und zu wenige Fachkräfte haben, international
nicht wettbewerbsfähig sind und eine Innovationsschwäche mit negativen Effekten auf Beschäftigung und Wohlstandsentwicklung haben, dann werden Sie dafür kein
Land in die Verantwortung nehmen können. Ausbaden
müssen es alle Menschen in diesem Lande, vor allen
Dingen die nächsten Generationen.
Deswegen mein Plädoyer: Einigung muss sein bei einer Verfassungsreform, aber bitte kein Denkverbot,
wenn es um sachgerechte Lösungen für solch ein Zukunftsthema geht.
({9})
Das Wort hat der Kollege Swen Schulz, SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! In dieser Debatte ist in der Tat schon eine ganze Menge Richtiges gesagt worden. Auch in den Anträgen von FDP und Grünen
steht einiges Richtiges. Ich möchte zum Thema Zukunft
des Hochschulbaus noch ein paar Gedanken anfügen.
Wir müssen vor allem auf zwei Aspekte achten. Erstens muss genügend, muss mehr Geld zur Verfügung gestellt werden, weil wir einen enormen Investitionsbedarf an den Hochschulen haben. Das ist am Montag in
der Anhörung auch sehr gut und plastisch ausgedrückt
worden. Bei den Hochschulbauten im Westen aus den
70er-Jahren tropft es inzwischen durch die Dächer und
im Osten wachsen teilweise noch Bäume in den Kriegsruinen. Außerdem erwarten wir - Gott sei Dank - mehr
Studierende. Wir brauchen also mehr Geld für den
Hochschulbau.
({0})
Zweitens muss dieses Geld so verteilt werden, dass
die Studierenden überall in Deutschland davon profitieren und dass sich alle Bundesländer in Zukunft Hochschulen leisten können.
({1})
Alles andere wäre ungerecht. Es wäre außerdem für ganz
Deutschland ein Problem, wenn die Hochschulen in Teilen des Landes vernachlässigt würden.
Vor diesem Hintergrund scheint mir die vorgeschlagene Föderalismusreform noch nicht ganz ausgereift zu
sein.
({2})
Wenn die Gemeinschaftsaufgabe abgeschafft wird, wird
wohl im Resultat insgesamt weniger Geld für den Hochschulbau zur Verfügung gestellt; denn die Länder müssen dann die Bundesmittel nicht mehr kofinanzieren und
werden angesichts ihrer Sparzwänge den Hochschulbau
an der einen oder anderen Stelle sicherlich herunterfahren. Außerdem soll die Zweckbindung der Bundesmittel
für den Hochschulbau im Jahr 2013 auslaufen. Dann erhalten die Länder zwar Geld, müssen aber gar nicht
mehr in die Hochschulen investieren.
Diese Struktur dürfte auch eine deutliche Verteilungswirkung haben. Die finanzschwachen Länder
würden in besonderem Maße versucht sein, ihre Mittel
für den Hochschulbau zu kürzen - nicht weil sie möglicherweise nicht wollen, Herr Weinberg, sondern weil sie
gar nicht anders können. Es besteht also die Gefahr, dass
erstens künftig noch weniger Geld in den Hochschulbau
fließt und dass zweitens die Entwicklung der Hochschullandschaft in einer Art und Weise auseinander geht, dass
die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse massiv infrage gestellt ist.
Ich fürchte, dass die vorgeschlagene Föderalismusreform auf einen Wettbewerb zwischen den Ländern abzielt, der schlechte Ergebnisse hat. Wettbewerb ist nur
sinnvoll, wenn die Teilnehmer auch wettbewerbsfähig
sind und wenn er die richtige Zielsetzung hat. Bisher
gibt es jedoch für die Länder zu wenig Anreize, in die
Hochschulen und in die Lehre zu investieren.
Als aktuelles Beispiel möchte ich Berlin nennen. Die
Hauptstadt finanziert Lehre weit über den eigenen Bedarf hinaus.
({3})
Wenn das alle Bundesländer täten, bräuchten wir uns gar
keine Gedanken über möglicherweise fehlende Studienkapazitäten machen.
({4})
Es ist aber doch klar, dass angesichts der Haushaltsnotlage in Berlin natürlich Überlegungen angestellt werden,
an welchen Ecken und Enden im Bereich der Hochschulen gespart werden kann. Wir müssen diese Logik aber
umdrehen und einen Wettbewerb um und für die Studierenden bewirken, damit sich Lehre lohnt, anstatt einfach
nur eine Kostenlast zu sein.
({5})
Das schaffen wir aber nicht, indem wir den Bund als
unterstützende und koordinierende Kraft ausschalten.
Wir benötigen klügere Lösungen, als den Ländern Geld
in die Hand zu drücken und ihnen ansonsten eine gute
Reise zu wünschen. Man kann die Gemeinschaftsaufgabe „Hochschulbau“ beenden; dafür gibt es gute Argumente, die auch vorgetragen worden sind. Dann müssen
wir das aber verbinden mit einer Stärkung der Zusammenarbeit von Bund und Ländern an den Stellen, an denen es sinnvoll ist. Dann kann man aber nicht im Grundgesetz festschreiben, dass der Bund nichts mit der Lehre
zu tun hat.
({6})
Wir brauchen eine vernünftige Änderung des Grundgesetzes, die einen ordentlichen Hochschulpakt zwischen
Bund und Ländern unterstützt.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({7})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/1166 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Vorlage auf
Drucksache 16/1643 soll federführend an den Ausschuss
für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
und zur Mitberatung an den Rechtsausschuss überwiesen
werden. - Damit sind Sie offensichtlich einverstanden.
Dann ist so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 9 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten
Entwurfs eines Investitionszulagengesetzes
2007 ({0})
- Drucksache 16/1409 -
a) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({1})
- Drucksache 16/1539 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Manfred Kolbe
b) Bericht des Haushaltsausschusses ({2}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/1543 Berichterstattung:
Abgeordnete Jochen-Konrad Fromme
Carsten Schneider ({3})
Otto Fricke
Dr. Gesine Lötzsch
Anja Hajduk
Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin
Simone Violka, SPD-Fraktion, das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wie wir alle wissen, läuft das
Investitionszulagengesetz 2005 zum Ende des Jahres
2006 aus. Wir haben aber bereits im Koalitionsvertrag
festgeschrieben, dass der Aufbau Ost weitergeführt
werden muss, der weiterhin eine Gemeinschaftsaufgabe
ist und im Interesse des ganzen Landes liegt.
In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass die Investitionszulage ein wirksames Instrument für den Aufbau
Ost ist. Der heute in zweiter und dritter Beratung zur Abstimmung stehende Gesetzentwurf dient der Schaffung
einer Nachfolgeregelung. Das Gesetz soll die Investitionszulage auf hohem Niveau über 2006 hinaus bis
Ende 2009 festschreiben. Damit schaffen wir Planungssicherheit für einen nicht unerheblichen Zeitraum und
stellen sicher, dass Investitionen in den neuen Ländern
weiter fortgeführt werden.
Obwohl bereits viel erreicht wurde und viele Unternehmen auf gesunden Beinen stehen, dürfen wir aber
nicht vergessen, dass es auch Unternehmen gibt, die
zwar innovativ und zukunftsfähig sind, aber aufgrund
fehlender Eigenmittel nicht recht vorwärts kommen.
Leider - das betrifft das gesamte Land - sind die Banken zurzeit nur sehr schwer für Investitionen zu begeistern. Das gilt vor allem dann, wenn die Unternehmen
klein und noch nicht lange am Markt sind.
Da gerade in den neuen Ländern schon aus historischer Sicht viele Unternehmen auf kein langes Bestehen
zurückblicken können und in dieser kurzen Zeit keine
hohen Rücklagen für Investitionen bilden konnten, trifft
sie die Finanzierungszurückhaltung der Banken überproportional. An dieser Stelle wollen wir mit dem Gesetz
Unterstützung leisten, ohne damit das Investitionsverhalten der Geldinstitute zu tolerieren oder gar unwidersprochen zu akzeptieren und zu unterstützen.
Ich weiß aber, dass es vonseiten der Opposition Kritik
gibt, weil Unternehmen, die in den neuen Ländern investieren, auf die Leistungen des Investitionszulagengesetzes einen Rechtsanspruch haben. Als Begründung für
die Kritik werden immer wieder die mit dem Rechtsanspruch verbunden Mitnahmeeffekte angeführt. Ich will
nicht abstreiten, dass es Mitnahmeeffekte gegeben hat.
Aber wie kann man Mitnahmeeffekte hundertprozentig
verhindern?
Auch bei der GA-Zulage, die ebenfalls zum Aufbau
Ost gehört, sind Mitnahmeeffekte nicht auszuschließen.
Auch bei vielen anderen Leistungen des Staates - ob im
sozialen, im wirtschaftlichen oder in einem anderen Bereich - sind Mitnahmeeffekte zwar nicht gewollt, aber
leider auch nicht zu verhindern, ohne diejenigen, die redlich mit diesen Förderungen umgehen, ungerecht in Mithaftung zu nehmen. Hier bleibt uns immer nur, an die
Moral und Redlichkeit der Nutznießer zu appellieren.
Ich möchte das an dieser Stelle tun, wo es um die finanziellen Mittel aus der Investitionszulage geht.
Wir alle erinnern uns an die großen Anstrengungen
unserer Regierung, um in Brüssel die Fortführung dieses
Gesetzes durchzusetzen. Die Verantwortlichen in Brüssel - davon konnte ich mich selbst vor Ort in Gesprächen überzeugen - wollten kein Nachfolgegesetz. Sie
mussten erst in zähen Verhandlungen und mit guten Argumenten überzeugt werden, dass der Osten unseres
Landes weiterhin auf solche Maßnahmen und Gesetze
angewiesen ist, wenn er langsam den Anschluss an andere Gebiete in Deutschland finden soll.
Ich bin froh, dass wir jetzt in Abstimmung mit Brüssel die Möglichkeit zu diesem Gesetz haben, das den gestiegenen Anforderungen der Europäischen Union an die
Beihilferegelungen gerecht wird. Deshalb appelliere ich
hier noch einmal an die Investoren, mit den Steuermitteln, die von der gesamten Gesellschaft erwirtschaftet
werden, so effektiv wie möglich umzugehen, damit
keine Mitnahmeeffekte eintreten können. Denn was
wäre die Konsequenz, wenn die Unternehmen keinen
Rechtsanspruch hätten? Dann würden wir aus diesem
auch für kleine Unternehmen leicht anzuwendenden Gesetz wieder ein bürokratisches Monster machen. Aber jedes Formular, das die Unternehmen beantragen, begründen, mehrfach unterzeichnen usw. und schließlich
einreichen müssen, ist ein Formular zu viel. Umso weniger können sich gerade kleine und mittelständische Unternehmen dieses Instrumentes bedienen, weil sie gar
nicht die Kapazitäten für diesen bürokratischen Aufwand haben. Genau das wollen wir nicht; denn das
würde gerade die Unternehmer und Unternehmen bestrafen, die nicht in Verdacht stehen, Mitnahmeeffekte zu erzeugen.
Entgegen unserem Gesetzestext bei der Einbringung
hat sich das Fördergebiet - darüber stimmen wir heute
ebenfalls ab - verändert. Da die neue Fördergebietskarte
2007 bis 2013 noch nicht von der EU-Kommission genehmigt wurde, wurde ganz Berlin wieder im Investitionszulagengesetz berücksichtigt. Aufgrund deutscher
Bemühungen konnte mit Brüssel vereinbart werden,
dass nicht erst ab 2007, sondern bereits 2006, ab dem
Tag nach Verkündung des Gesetzes, Investitionen in den
festgelegten Fördergebieten wieder förderfähig sind.
Deshalb können wir nicht warten, bis die Fördergebietskarte feststeht. Vielmehr wollen wir den Gesetzentwurf
so schnell wie möglich verabschieden.
({0})
Damit dennoch auch in Berlin Planungssicherheit besteht, ist Berlin nach dem Tag der Gesetzesverkündung
bis zum Feststehen der neuen Fördergebietskarte der
EU-Kommission wieder voll förderfähig. Sollte die
Kommission dann Teile von Berlin nicht mehr als förderwürdig erachten, sind die bis dahin getätigten Investitionen von dieser Entscheidung nicht negativ betroffen.
Das ist im Sinne von Planungssicherheit und Vertrauensschutz ein unbedingt erforderlicher Punkt. Beides wollen
wir mit unserem Gesetz erreichen.
Auch wenn sich in den letzten 16 Jahren in den neuen
Bundesländern Erstaunliches entwickelt hat und sich
weiterentwickelt, müssen wir darauf achten, dass die
Entwicklungsdynamik nicht stoppt. Leider ist sie schon
langsamer geworden; denn noch gibt es trotz vieler Unternehmensansiedlungen zu wenige Arbeitsplätze. Es
gibt außerdem zu viele Arbeitsplätze, mit denen die
Menschen nicht genügend verdienen. Das hat zur Folge,
dass viele Menschen an den Angeboten in ihrer Region
aus wirtschaftlichen Gründen nicht oder nur ungenügend
teilhaben können. Da, wo keine Käufer sind, kann man
auch nichts verkaufen. Also müssen wir weiterhin die
Wirtschaft beim Schaffen von Arbeitsplätzen unterstützen, damit mehr Menschen wieder eine Perspektive in
ihrer Region haben.
Oft wird gefordert - jeder, der in seinem Wahlkreis
unterwegs ist, hört das immer wieder -, die Politik solle
mehr Arbeitsplätze schaffen. Aber jedem Mitglied dieses
Hohen Hauses ist klar, dass die Politik keine Arbeitsplätze schaffen kann, sondern die Schaffung von Arbeitsplätzen nur durch die Rahmenbedingungen unterstützen kann.
({1})
Oft werde ich dann nach Beispielen für die Schaffung
solcher Rahmenbedingungen gefragt. Neben Beispielen
wie die Senkung der Lohnnebenkosten, eine gute Infrastruktur und ein international konkurrenzfähiges Steuersystem nenne ich immer das Investitionszulagengesetz.
Das verstehen die Menschen auch; denn alle wissen,
dass wir einen Anschluss der neuen Bundesländer an die
anderen Gebiete nur erreichen können, wenn weiterhin
sichere Arbeitsplätze entstehen. Erst dann haben die
Menschen in ihrer Region wieder eine Perspektive und
können in ihrer Heimat bleiben. Wenn das geschieht,
dann wird die Region attraktiver. So genannte weiche
Faktoren müssen dann ausgeweitet werden. Sie machen
die Gebiete zusätzlich attraktiv. Das zieht häufig weitere
Investoren an.
Natürlich geschieht das nicht von heute auf morgen.
Aber die Menschen müssen sehen, dass sich etwas tut.
Dabei sind auch wir als Politiker gefordert. Damit meine
ich alle Politiker, egal ob auf Bundes-, Landes-, Kreis-,
Stadt- oder Gemeindeebene. Wir alle haben Verantwortung. Jeder muss in seinem Zuständigkeitsbereich alles
dafür tun, dass Gelder möglichst zielführend, effektiv
und verantwortungsvoll eingesetzt werden; denn das alles sind Steuergelder, die von der Gemeinschaft erwirtschaftet wurden und die möglichst mit Gewinn für die
Gesellschaft wieder investiert werden müssen.
Wenig effektiv für die Gesellschaft sind Betriebsverlagerungen, bei denen lediglich Arbeitsplätze von A
nach B verlagert und dabei möglichst noch Arbeitsplätze
eingespart werden. Bei einer ständig größer werdenden
Europäischen Gemeinschaft ist diese Gefahr sehr groß.
Daher müssen wir einen europäischen Wettlauf verhindern, bei dem es nur noch um das Angebot größtmöglicher staatlicher Beihilfen bei der Schaffung von Arbeitsplätzen geht.
({2})
Denn das schafft keine Arbeitsplätze; im Gegenteil. Wir
brauchen ein starkes Europa, das einer solchen Entwicklung entgegensteht; denn Deutschland allein kann das
nicht leisten. Deshalb ist es richtig, dass die EU-Kommission die Beihilferegelungen verschärft hat.
Mit unserer heutigen Abstimmung schaffen wir gute
Voraussetzungen dafür, dass der wirtschaftliche Aufbau
in den neuen Ländern weitergeht und dass die Menschen
dringend benötigte Arbeitsplätze erhalten. Das käme
ganz Deutschland zugute: Unsere Kassen und auch der
Bundeshaushalt würden entlastet. Die Regionen bräuchten künftig weniger staatliche Gelder, um sich weiterzuentwickeln, und der Aufbau setzte sich automatisch
fort. - Ich denke, es lohnt sich, dieses Ziel zu erreichen.
Deshalb bitte ich um große Zustimmung zu diesem Gesetz, welches Investitionen in den neuen Ländern fördert
und diese Gebiete uneingeschränkt leistungsfähiger und
konkurrenzfähiger macht.
Vielen Dank.
({3})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Christian Ahrendt,
FDP-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Die erste Lesung des Investitionszulagengesetzes hat bereits gezeigt, dass die konkrete Ausgestaltung einer Investitionsförderung in diesem Haus
auf eine breite Zustimmung stößt.
({0})
Ich will die wichtigen Ziele, die mit diesem Gesetz verfolgt werden, hervorheben:
Erstens. Wie meine Vorrednerin schon angemerkt hat,
wird die Investitionskraft der Klein- und Kleinstunternehmen - sie gibt es in den neuen Bundesländern nach
wie vor - gestärkt. Diese Betriebe prägen dort noch immer die unternehmerische Landschaft. Ihnen fehlt nach
wie vor Eigenkapital, um Investitionen tätigen zu können.
Zweitens wird mit der Aufnahme des Beherbergungsgewerbes in den Förderkatalog des Investitionszulagengesetzes - das freut mich als Abgeordneten aus Mecklenburg-Vorpommern besonders - der Wirtschaftszweig
Tourismus gefördert: Gerade die Tourismusbranche hat
in den letzten Jahren gezeigt, dass sie ein nachhaltiger
Wirtschaftsfaktor in den neuen Bundesländern ist.
({1})
Diese Debatte hat Anfang der Woche allerdings eine
Begleitmusik erhalten, auf die man an dieser Stelle
durchaus einmal eingehen sollte. Wir kennen das Thema
„Fehlverwendung der Mittel aus dem Solidarpakt II“.
Mit Ausnahme von Sachsen, das keine Fehlverwendung
praktiziert hat, müssen sich die neuen Länder vorhalten
lassen, dass letztendlich jeder zweite Euro aus dem
Solidarpakt II nicht zweckentsprechend verwendet wird.
Ich möchte das anhand von Zahlen einmal deutlich
machen: Im Korb I sind Fördermittel in Höhe von
105 Milliarden Euro. Von diesem Geld werden zunächst
rund 20 Prozent benötigt, um die unterproportionale Finanzkraft in den Kommunen auszugleichen. 80 Prozent
- das sind rund 84 Milliarden Euro - stehen zur Verfügung, um die infrastrukturellen Lücken, die in den neuen
Bundesländern nach wie vor bestehen, zu schließen.
Dieser Ansatz entspricht dem finanziellen Bedarf, den
das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung zur Bewältigung dieser Aufgabe errechnet hat.
Die Fehlverwendungsquoten sind nicht nur dramatisch, weil es nicht sein kann, dass Länder 50 Prozent der
zweckgebundenen Gelder zweckwidrig verwenden
- Unternehmen dürfen das längst nicht -, sondern auch,
weil die Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen
im Solidarpakt II in fallenden Raten zur Verfügung gestellt werden: Im Jahr 2005 haben die neuen Bundesländer 10,5 Milliarden Euro erhalten, in diesem Jahr erhalten sie noch 10,45 Milliarden Euro und im Jahr 2019
sind es dann nur noch 2,09 Milliarden Euro.
Rechnet man mit einer Fehlverwendungsquote von
50 Prozent bis 2010, kommt man zu dem Ergebnis, dass
rund 25 Prozent der Gesamtförderung schlichtweg
zweckwidrig verwendet werden. Dies entspricht immerhin 25 Milliarden Euro bzw. einem Viertel der Gesamtförderung. Man mag sich fragen, wie man bei einer so
erheblichen Fehlverwendung von Mitteln den eigentlichen Auftrag, den Aufbau Ost, noch erfüllen kann.
Man kann sich - das ist das Spannende, wenn man
über das Investitionszulagengesetz diskutiert - die Frage
stellen: Wozu braucht man ein Investitionszulagengesetz, durch das letztendlich Investitionen in Maschinen
gefördert werden, wenn man nachher zwar modern ausgestattete Unternehmen hat, die Unternehmen aber nicht
über die notwendigen Transportwege verfügen, weil die
Infrastruktur nicht in Ordnung ist und sie deswegen nicht
wettbewerbsfähig sind?
Es gibt eine ganz einfache Lösung dieses Problems
- wir kennen sie; sie ist in ähnlicher Form in dem Gesetz
enthalten, das wir heute beraten -: Wie Sie alle wissen,
muss man bei der Beantragung der Investitionsförderung
beim Finanzamt erklären, dass der Gegenstand der Förderung fünf Jahre in den neuen Bundesländern verbleibt.
Wenn Sie diese Auflage nicht erfüllen, dann hat das örtliche Finanzamt die Möglichkeit, den Investitionszulagenbescheid aufzuheben und die Zulage zu widerrufen.
Das kann man auch mit den Mitteln des Solidarpakts II, genauer: mit den Mitteln aus dem Korb I, machen. Man möge hier überlegen - ein Teil ist ja noch
nachzuverhandeln -, dass der Bund das Recht erhält,
zweckwidrig verwendete Gelder zurückzufordern, wobei es allerdings nicht sein kann, dass diese Gelder dann
sozusagen in allgemeinen Haushaltslöchern des Bundes
verschwinden. Die Gelder sollten in einen eigenen
Fonds eingestellt werden, um sie am Ende wieder für
Aufgaben im Bereich „Aufbau Ost“ zur Verfügung zu
haben, damit sie letztlich dem Ziel zugute kommen, für
das sie ursprünglich eingeplant waren.
({2})
An dieser Stelle muss man ansetzen, wenn man sich
die geschilderte Dramatik vor Augen führt. Die Aufgabe
ist, die neuen Bundesländer letztlich wirtschaftlich so
aufzustellen, dass sie selbstständig und eigenständig
konkurrieren können. Die Erfüllung dieser Aufgabe darf
nicht dadurch verfehlt werden, dass die Mittel, die für sie
zur Verfügung gestellt werden, zweckwidrig verwendet
werden. Dieses Thema darf man nicht auf die lange
Bank schieben. Es passt auch gut zur Investitionszulage,
weil letztlich auch die Investitionszulage nur eine flankierende Maßnahme zu dem ist, was man im Korb I geregelt hat. In diesem Sinne geht die Aufforderung an die
Koalitionsfraktionen und die Bundesregierung, sich dieses Themas anzunehmen und es nicht auf die lange Bank
oder in die Arbeitsebene zu schieben.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({3})
Nächster Redner ist der Kollege Manfred Kolbe,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir stehen heute vor dem Abschluss eines kurzen, knappen und hoffentlich auch erfolgreichen Gesetzgebungsvorhabens. Vor exakt drei Wochen, am 11. Mai 2006, haben wir dieses Gesetz in erster Lesung eingebracht. Am
17. Mai fand bereits die Ausschussberatung statt. Heute,
nach drei Wochen, wollen wir das Gesetz in zweiter und
dritter Lesung beraten und verabschieden. Es war eine
zügige Beratung. Ich darf mich bei allen bedanken, die
daran mitgewirkt haben: beim Bundesministerium der
Finanzen, das den Entwurf erarbeitet hat, beim Ausschusssekretariat und bei Ihnen, liebe Kolleginnen und
Kollegen. Nach unserem Gesetzesbeschluss ist der Bundesrat am Zug. Er wird voraussichtlich am 7. Juli
entscheiden. Dann kann dieses Investitionszulagengesetz 2007 Mitte Juli in Kraft treten und im Bundesgesetzblatt verkündet werden.
Die Grundlage dafür hat der Koalitionsvertrag gelegt,
in dem sich CDU, CSU und SPD auf die Fortführung der
Investitionszulage verständigt haben. Das ist gut so,
auch wenn der Aufschwung mittlerweile den deutschen
Arbeitsmarkt erreicht hat. Wir haben gestern die Zahlen
gehört. Es sind erfreuliche Zahlen: 250 000 Arbeitslose
weniger als im April, 350 000 Arbeitslose weniger als
im Vorjahresmonat. Die neue Bundesregierung unter
Angela Merkel ist also nicht nur in Washington, Moskau
und Peking erfolgreich; sie ist auch am deutschen Arbeitsmarkt erfolgreich.
({0})
Liebe Fraktionskollegen, da können Sie mal klatschen.
({1})
Dennoch bleibt noch viel zu tun. Mit diesem
Investitionszulagengesetz 2007 legen wir heute einen
weiteren Grundstein. Dieses Investitionszulagengesetz
wird zu Investitionszulagen in Höhe von 350 Millionen Euro im Jahr 2008, knapp 600 Millionen Euro in
2009, knapp 600 Millionen Euro in 2010 und noch einmal 250 Millionen Euro in 2011 führen. Bei einer
20-prozentigen Investitionszulage wird das Investitionen
in Höhe von etwa 10 Milliarden Euro generieren, die einen weiteren Impuls für den Aufbau Ost geben.
Die Investitionszulage - über sie und über die Mitnahmeeffekte wird vielfach diskutiert - ist ein sehr beliebtes Förderinstrumentarium, das vom Handwerk und
vom Mittelstand sehr gern angenommen wird, weil sie
eine Rechtssicherheit bietet, wie sie kein anderes Förderinstrumentarium gewährt.
({2})
Auch deshalb setzen wir die Gewährung der Investitionszulage fort. Sie ist unbürokratisch. Sie ist nicht mit
langen Genehmigungsverfahren verbunden. Die Missbrauchsdebatte, die wir auch in dieser Woche wieder hatten, erstreckt sich nicht nur in Sachsen, sondern auch in
den anderen vier neuen Bundesländern - Thüringen,
Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern - nicht auf die Investitionszulage.
Das Investitionszulagengesetz selber habe ich bereits
in der ersten Lesung dargestellt. In den Ausschussberatungen hat sich an dem Gesetzentwurf nichts geändert.
Die Vorgabe kommt aus Europa. Art. 87 des EU-Vertrages verbietet grundsätzlich regionale Investitionsbeihilfen, es sei denn, sie sind ausnahmsweise zulässig. Diese
Vereinbarkeit ist in den „Leitlinien für staatliche Beihilfen mit regionaler Zielsetzung 2007-2013“ geregelt.
Diese Leitlinien müssen wir einhalten.
Ganz kurz noch einmal die wichtigsten fünf Punkte:
Erstens. Fördergebiet sind die fünf östlichen Länder.
Zweitens. Begünstigte Investitionen sind Erstinvestitionen, die mindestens fünf Jahre zum Anlagevermögen
eines Betriebs des verarbeitenden Gewerbes, der produktionsnahen Dienstleistungen oder des Beherbergungsgewerbes gehören. Erstinvestitionen sind die Errichtung einer neuen Betriebsstätte, die Erweiterung
einer bestehenden Betriebsstätte, die Diversifizierung
der Produktion und die Vornahme einer grundlegenden
Änderung des gesamten Produktionsverfahrens.
Drittens. Begünstigte Wirtschaftszweige sind wie bisher das verarbeitende Gewerbe und die produktionsnahen Dienstleistungen. Neu hinzugekommen ist das Beherbergungsgewerbe.
Viertens. Investitionszeitraum ist die Zeit nach der
Verkündung des Gesetzes, also hoffentlich Mitte Juli, bis
Ende 2009, also knapp dreieinhalb Jahre.
Fünftens. Der Fördersatz beträgt 12,5 Prozent der Bemessungsgrundlage bzw. bei kleinen und mittleren Unternehmen 25 Prozent.
Kurz zu den Ausschussberatungen. Wir haben uns im
Ausschuss mit drei Punkten dieses Gesetzes befasst.
Der erste war die vorläufige Streichung der Einschränkung des Fördergebiets Berlin ab 2007 in § 1
Abs. 2 Satz 2 des Gesetzentwurfs. Das Land Berlin
wird ab 2007 möglicherweise nicht mehr vollständig
Fördergebiet sein; einige Teile fallen heraus. Heute steht
noch nicht fest, welche Teile des Landes Berlin das sind;
das wird noch verhandelt. Damit wir das Gesetz heute
verabschieden können, haben wir diesen Satz erst einmal
herausgenommen. Wir werden uns im Herbst dieses Jahres noch einmal mit dem Investitionszulagengesetz beschäftigen müssen, wenn die exakte Fördergebietskarte
2007 bis 2013 feststeht.
Wir haben zweitens eine kleine Änderung in der Form
vorgenommen, dass wir die vollständigen Anschaffungs- und Herstellungskosten 2006 bei Betrieben des
Beherbergungsgewerbes in die Bemessungsgrundlage
2007 einbeziehen. Das Beherbergungsgewerbe wird ja
erst ab 2007 gefördert. Investiert werden kann aber ab
Verkündung, also ab Mitte 2006. Die Investitionskosten,
die 2006 entstanden sind, können in die Bemessungsgrundlage 2007 aufgenommen werden.
({3})
Diskussionen hat es - das ist der dritte Punkt - allein
um die weggefallene Förderung des Leasings gegeben.
Nach Ansicht des Bundesministeriums der Finanzen ist
nach den neuen EU-Leitlinien eine Investitionszulage
für die Überlassung beweglicher Wirtschaftsgüter, die
am Ende der Laufzeit des Nutzungsüberlassungsvertrages nicht in das Eigentum des Nutzenden übergehen,
nicht mehr zulässig. Die Leasingwirtschaft bestreitet
dies energisch. Hier werden wir noch sorgfältig prüfen,
inwieweit die EU-Leitlinien tatsächlich die Investitionszulage bei Leasing untersagen.
So weit das Gesetzgebungsverfahren. Lassen Sie
mich ganz kurz noch einmal ausdrücklich auf die Förderlücke hinweisen, die in der Natur des Gesetzes liegt;
es ist keine von uns verursachte Förderlücke.
Damit sich niemand durch vorschnelles Investieren
der Möglichkeit der Förderung begibt - nicht immer im
Leben gilt Michail Gorbatschows berühmter Satz „Wer
zu spät kommt, den bestraft das Leben“ -, ist darauf hinzuweisen, dass es hier drei Möglichkeiten gibt:
Erstens. Wer dieses Jahr investiert und in diesem Jahr
sein Investitionsvorhaben abschließt, wird nach dem Investitionszulagengesetz 2005 gefördert; da gibt es kein
Problem mit Michail Gorbatschow.
Zweitens. Wer erst nach der Verkündung des Gesetzes, also ab circa Mitte 2006, sein Investitionsvorhaben
beginnt, wird mit den noch 2006 beendeten Investitionen
nach dem Investitionszulagengesetz 2005 und mit den
ab 2006 beendeten Investitionen nach dem neuen Investitionszulagengesetz 2007 gefördert; auch hier gibt es
kein Problem mit Michail Gorbatschow.
Drittens. Nur demjenigen, der vor Mitte Juli, also vor
dem Tag der Verkündung des Gesetzes, investiert - das
sind vielleicht besonders investitionsfreudige Unternehmer, die uns allen am Herzen liegen -, sei gesagt, dass er
diese Investition 2006 abgeschlossen haben muss. Wenn
dies erst 2007 der Fall ist, dann plumpst er sozusagen in
die Förderlücke. Nur für diesen einen Fall gilt der „umgekehrte Gorbatschow“: Wer zu früh startet, den bestraft
das Investitionszulagengesetz. Davor sollten wir ihn bewahren.
Herr Kollege, auch Sie müssen mit Ihrer Rede zum
Schluss kommen.
Damit bin ich am Schluss meiner Rede.
Danke schön.
({0})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Barbara Höll,
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Debatte über das jetzt zu beschließende Gesetz zeigt
die erfreuliche Situation auf, dass im Plenum eine relative Einigkeit hinsichtlich der Bewertung dieses Gesetzes existiert. Auch wir werden diesem Gesetz zustimmen;
({0})
denn wir begrüßen es ausdrücklich, dass die Förderpolitik für die neuen Bundesländer fortgesetzt wird.
({1})
- Bitte stellen Sie mir eine richtige Frage; dann können
wir darüber gerne weiter diskutieren.
Wir begrüßen die Fortsetzung der Förderpolitik deswegen ausdrücklich, weil hiermit Rechtssicherheit für
die nächsten drei Jahre geschaffen wird. Es ist gelungen,
die notwendige Nachfolgeregelung auf den Weg zu bringen, in der die Auflagen der Europäischen Kommission
hinsichtlich der Beihilferegelung beachtet werden. Mit
diesem Gesetz wird der Situation in den neuen Bundesländern Rechnung getragen. Wir müssen leider konstatieren, dass es mit dem wirtschaftlichen Aufschwung
nicht so geklappt hat, wie man es sich gewünscht hat.
Das betrifft leider alle neuen Bundesländer, also auch
das Land Sachsen, aus dem ich komme und das sich
gerne damit schmückt, dass alle Investitionen en gros erfolgreich waren.
In meiner Heimatstadt Leipzig, die mit der Ansiedlung von Porsche und BMW sehr gut dasteht, gibt es die
zweithöchste Arbeitslosigkeit in Sachsen, die - offene
und verdeckte Arbeitslosigkeit zusammengenommen bei über 20 Prozent liegt. Deshalb ist es richtig und notwendig, dass mittels einer Förderung von Erstinvestitionen versucht wird, Arbeitsplätze zu schaffen. Damit soll
der Abwanderung insbesondere von Fachkräften und
von jungen Menschen, die wir in den neuen Bundesländern vorfinden, entgegengewirkt werden.
Wir begrüßen es nachdrücklich, dass es erstmals mithilfe dieses Gesetzes gelungen ist, die Tourismusbranche einzubeziehen. Das betrifft Betriebe der Hotellerie,
Jugendherbergen und Hütten, Campingplätze sowie Erholungs- und Ferienheime. Die Entwicklung des Tourismus eröffnet in Gegenden, in denen es keine Industrie,
aber dafür eine schöne Landschaft gibt, neue Chancen.
Ich denke beispielsweise an Gegenden in MecklenburgVorpommern, in denen es durch eine solche Politik zu
positiven Effekten kommen kann.
Die vorgenommene Ausgestaltung ist differenziert.
Es gibt einen Unterschied hinsichtlich der Fördersätze
für normale Gebiete und für Randgebiete. Wir als Linke
sehen die Rechtssicherheit - in dem EntschließungsanDr. Barbara Höll
trag des Bündnisses 90/Die Grünen wird sie als unzureichend kritisiert -, die mit dem Investitionszulagengesetz
geschaffen wird, als einen unschlagbaren Vorteil an.
Gerade für Kleinst-, kleine und mittelständische Betriebe ist es äußerst schwierig, an Mittel für Investitionen
heranzukommen. Es existieren entsprechende Programme
in einer solchen Vielzahl, dass es diesen Betrieben oftmals nicht möglich ist, durch den Förderdschungel durchzublicken. Die Fraktion der PDS im Sächsischen Landtag
hat bereits vor drei Jahren eine Fördermitteldatenbank
erstellt. Das ist eigentlich nicht unbedingt Aufgabe einer
Parlamentsfraktion, sondern des Wirtschaftsministeriums
des betreffenden Landes. Eine solche Datenbank ist notwendig; denn die Unternehmen schauen nicht durch, welche Mittel zur Verfügung stehen.
Wenn man als Kleinstunternehmerin mit einer Bank
in Verhandlungen um einen Kredit tritt, wird man oftmals gleich abgewiesen, weil die Summen, die man beantragt, zu gering sind oder weil es sich für die großen
Kreditinstitute gar nicht lohnt, sich mit den vorgelegten
Konzepten auseinander zu setzen.
Mit dem Investitionszulagengesetz gibt es einen
Rechtsanspruch. Deshalb werden in den Förderjahren
2007/2008 die zur Verfügung stehenden 580 Millionen
Euro hoffentlich fließen. Es ist wirklich gut angelegtes
Geld; die Förderung beträgt im Durchschnitt nur
20 Prozent der Investitionskosten.
Wir begrüßen auch, dass bezogen auf die jetzt etwas
unklare Situation für das Land Berlin eine Regelung gefunden wurde. Im Finanzausschuss wurde uns versichert, dass in Berlin Sicherheit für alle Investitionen, die
noch in diesem Jahr angeschoben werden, besteht, sodass auch da die Zeichen auf Grün stehen.
Wir hoffen, dass es nach Verabschiedung dieses Gesetzes möglich sein wird, mit der Fortführung der Gemeinschaftsaufgabe einen Beitrag dazu zu leisten, in der
wirtschaftlichen Entwicklung der neuen Bundesländer
ein Stück gemeinschaftlich voranzukommen.
Ich danke Ihnen.
({2})
Das Wort hat der Kollege Peter Hettlich, Bündnis 90/
Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Situation in Ostdeutschland ist 15 Jahre nach der Wiedervereinigung immer noch von hoher Arbeitslosigkeit geprägt; Kollegin Höll hat eben die entsprechenden Zahlen
aus Leipzig genannt. Wir sind nach wie vor sehr stark
von Transferleistungen abhängig. Es gibt nach wie vor
eine dramatische Verschuldung in den ostdeutschen
Bundesländern. Hinzu kommt das Problem des demografischen Wandels.
Wir haben schon zu verschiedenen Gelegenheiten,
zum Beispiel in der Debatte über den Bericht zum Stand
der deutschen Einheit, über diese Problematik diskutiert.
In diesen Zusammenhang müssen wir heute die Debatte
über die Frage, ob es eine Investitionszulage geben soll
oder nicht, stellen.
Ein Lösungsansatz für die Probleme, die ich eben beschrieben habe, liegt darin, dass sie sich gegenseitig bedingen. Wenn ich zunächst sage, dass wir erst einmal die
Wirtschaftskraft der neuen Bundesländer stärken,
dann muss das nicht unbedingt heißen, dass die nächsten
Punkte unwichtiger sind. Denn aus der Stärkung der
Wirtschaftskraft der neuen Bundesländer entsteht natürlich eine Verbesserung der Einnahmesituation der neuen
Bundesländer. Aufgrund einer Verbesserung der Einnahmesituation werden wir weniger abhängig von Transferleistungen. Natürlich ist es auch so: Wenn wir in Ostdeutschland erfolgreich wirtschaften, dann schaffen wir
Arbeitsplätze. Das passt zusammen. Dies muss auch so
sein. Aus all dem, worüber wir hier diskutieren, wird ein
Schuh. Darin sind wir uns, glaube ich, einig.
Wir sind uns auch einig darin, dass wir eine Investitionsförderung brauchen, und zwar aus unserer Sicht in
zwei Bereichen; das haben wir in unserem Entschließungsantrag deutlich gemacht.
Der erste Bereich betrifft die direkte Investitionsförderung der Unternehmen. Wir haben in Ostdeutschland zum einen das Problem, dass wir zu wenige Unternehmen haben. Wir haben eine Unternehmenslücke von
etwa 100 000 in Ostdeutschland. Zum anderen sind die
Unternehmen viel zu klein. Die Klein- und Kleinstunternehmen, von denen auch Frau Höll gerade sprach, sind
in Ostdeutschland überproportional stark vertreten.
Klein- oder Kleinstbetriebe sind automatisch finanzschwach. Wenn sie finanzschwach sind, dann kommen
sie, egal was sie machen wollen, beispielsweise wenn sie
in die Weiterentwicklung investieren wollen, sehr
schwer an entsprechende Mittel. Wenn sie klein sind, haben sie zudem das Problem, dass sie mit ihren innovativen Produkten, die man möglicherweise in einer kleinen
Firma entwickeln kann, keinen Zugang zum Markt
schaffen. Das heißt, es geht auch um Marktchancen.
Das alles sind Probleme, über die wir in diesem Zusammenhang sprechen. Wir sagen an dieser Stelle ganz
klar: Wir wollen hier weiterhin stark fördern. Über die
Instrumente dazu spreche ich gleich.
Der zweite Bereich, den wir angehen wollen, betrifft
Folgendes: Wir müssen uns stärker mit dem Bereich
Forschung und Entwicklung, mit Investitionen in Bildung und Hochschulen beschäftigen.
({0})
Denken wir einmal daran, dass wir es uns in Ostdeutschland erlauben, dass zwischen 10 und 15 Prozent der
Hauptschüler eines jeden Jahrgangs ohne Abschluss die
Schule verlassen. Denken Sie daran, welch dramatischen
demografischen Wandel wir in Ostdeutschland haben.
Dazu muss ich sagen: An dieser Stelle ist jede Einsparung falsch. Wir müssen noch viel stärkere Akzente bei
den Investitionen setzen. Deswegen müssen wir darüber
sprechen, ob der Investitionsbegriff, über den wir hier
diskutieren, überhaupt richtig ist. Das würde zu weit führen; das will ich heute nicht mehr ausführen.
Für uns ist ganz klar: Die Instrumente zur Investitionsförderung sind vielfältig. Kollegin Höll hatte es angesprochen: Die Investitionszulage lehnen wir nicht deswegen ab, weil es um Rechtssicherheit geht, sondern um
einen Rechtsanspruch. Das Problem sind nicht die
Klein- und Kleinstunternehmen. Kollegin Höll, ich kann
Ihnen nur sagen: Wenn Sie mit einem Unternehmen einen Neustart machen und Sie noch nicht einmal einen
ersten Kredit bekommen, dann bekommen Sie auch
keine Investitionszulage. Ohne Eigenkapital und ohne
anderes Geld können Sie keine Investitionszulage erhalten.
Mein Problem ist, dass es viel zu viele Unternehmen
gibt, die mit den Geldern Investitionen tätigen, die sie
sowieso getätigt hätten. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Das
produzierende Gewerbe in Ostdeutschland, wo es
Wachstumsraten von 10 Prozent gibt, und ähnliche Bereiche müssen wir nicht weiter fördern.
({1})
- Nein, tut mir Leid. Ich habe wirklich wenig Zeit. Ich
muss gleich wieder zur Anhörung zum Thema „Bahn“.
Ich bin stellvertretender Ausschussvorsitzender und
muss gleich von Herrn Lippold den Vorsitz übernehmen.
Ich bin wirklich in Eile.
Wir sind ganz klar für die Förderung, die Unterstützung und die weitere Ausgestaltung der Gemeinschaftsaufgabe „Ost“. Die Kolleginnen und Kollegen haben
gesagt, dass sie unsere Einwände, gerade was die Frage
der Mitnahmeeffekte angeht, ernst nehmen. Deswegen
sagen wir ganz deutlich: Wir müssen uns mit Programmen beschäftigen, bei denen Mitnahmeeffekte vermieden werden, und gezielt die Bereiche fördern, über die
wir gesprochen haben.
({2})
Dazu gehören neben der GA eben die gesamten Projekte
aus dem Forschungsbereich. Kollegin Wicklein weiß,
wovon ich rede: Inno-Regio, NEMO, Inno-Watt. Alle
diese Programme müssen gesichert werden. Jedes Jahr
droht da Ungemach.
Last but not least: Der Kollege Ahrendt hat auf den
Solidarpakt II verwiesen. Jedes Jahr - ich sage immer:
Jährlich grüßt das Murmeltier - gibt es im Bundestag die
gleiche Debatte über die Fehlverwendung. Es geht hier
nicht um Missbrauch, sondern um Fehlverwendung. Die
Mittel in Höhe von 5 Milliarden Euro, die im letzten
Jahr nicht richtig verwendet worden sind, sind nicht investiert worden. Das ist, verglichen mit der Investitionszulage, ein richtig dickes Ding. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Es wäre gut, wenn die Länder diese Mittel in Höhe
von 5 Milliarden Euro investierten, unter anderem im
Bereich der direkten Unternehmensförderungen. Diese
Investitionen schönen außerdem die Bilanz; denn die
durchgereichten Investitionsförderungsmittel werden
von den Instituten, die die Untersuchungen dazu durchführen, als Investitionen der Länder gerechnet. An dieser
Stelle müssen wir den Hebel ansetzen.
Wir haben vor zwei Jahren gefordert: Wir müssen
auch über Sanktionen sprechen. - Dafür sind wir geprügelt worden. Ich werde diese Forderung aufrechterhalten. Wir müssen - auch in dieser Form - über den
Solidarpakt II sprechen.
Herr Kollege!
Wir können nicht einfach sagen: Die Investitionszulage ist toll, aber der Solidarpakt ist uns egal.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. Ich muss
los.
({0})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Andrea Wicklein,
SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrter Herr Hettlich, schade, dass Sie
jetzt gehen müssen. Dann können Sie meine Einwände
gar nicht mehr mitverfolgen. Ich werde sie trotzdem vorbringen.
Als ostdeutsche Abgeordnete bin sehr froh, dass wir
heute im Bundestag abschließend über die Verlängerung
der Investitionszulage diskutieren und dass wir im Zeitplan liegen, dass wir die Investitionszulage noch vor der
Sommerpause auf den Weg bringen können. Damit können wir - das wurde schon gesagt - die Förderlücke entscheidend verkleinern; denn ab Verkündung des Gesetzes kann die Investitionszulage in Anspruch genommen
werden.
Die Verlängerung der Investitionszulage bis 2009 ist
im Übrigen nicht nur ein Zeichen für die weitere Unterstützung von Investitionen in Ostdeutschland, sondern
auch ein deutliches Zeichen für eine gesamtdeutsche
Solidarität. Das muss man an dieser Stelle einmal sagen.
({0})
Wir alle wissen, dass der Bund und die alten Länder die
finanzielle Hauptlast tragen, weil alle erkannt haben,
dass die weitere wirtschaftliche Entwicklung im Osten
im gesamtdeutschen Interesse ist. Deswegen möchte ich
mich an dieser Stelle für die breite Unterstützung hier im
Hause bedanken. Nicht nur die Regierungskoalition,
sondern auch die FDP und die Fraktion Die Linke unterstützen dieses Gesetz. Das halte ich für ein sehr gutes
Signal in die Richtung der ostdeutschen Bundesländer.
Mit der Investitionszulage gleichen wir die Eigenkapitalschwäche aus; das ist gerade für die KMU besonders wichtig. Wir schaffen mit einem unbürokratischen
Verfahren sehr wichtige Anreize für Investitionen. Deshalb ist es richtig, dass wir die Verlängerung auf den
Weg bringen. Daran gibt es nichts zu rütteln.
({1})
Wenn wir uns die Investitionsentscheidungen in den
neuen Ländern genau anschauen, erkennen wir, dass die
Summe der unterschiedlichen Standortqualitäten ausschlaggebend für Investitionen ist.
Deshalb setzt die Bundesregierung auf einen Fördermix, der in erster Linie die regionalen Stärken und die
Standortqualitäten insgesamt entwickelt. Die Investitionszulage ist ein zentrales Element in diesem Instrumentenmix. Sie wird durch ein Gesamtpaket von staatlichen Fördermaßnahmen flankiert. Ich will einige
nennen. Die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der
regionalen Wirtschaftsstruktur“ wurde heute schon genannt. Es gibt aber auch die Programmfamilie „Unternehmen Region“. Herr Hettlich hat den Bereich der Forschung angesprochen. Die Vernetzung von Wissenschaft
und Forschung mit der Wirtschaft fördern wir genauso
wie Programme zur Erhöhung der technologischen
Kompetenz, zum Beispiel Inno-Watt. Das sind Programme, die deutlich im Haushalt aufgestockt wurden.
Da gehen wir in der Gesamtheit der Förderpolitik den
richtigen Weg.
({2})
Diese Maßnahmen greifen dort am besten, wo sie in
branchenbezogene regionale Entwicklungskonzepte und
Schwerpunktsetzungen eingebettet werden. Wenn diese
Potenziale erkannt und zielgerichtet gefördert werden,
dann wird das Wachstum nachhaltig sein und dann werden wir von der unsäglichen Verschwendungsdebatte
wegkommen und sachlich diskutieren. Dazu könnte ich
viel sagen, aber die Zeit reicht leider nicht aus.
Es ist ein großer Erfolg, dass künftig auch touristische Betriebe wie Hotels und Jugendherbergen gefördert werden können. Dabei geht es uns nicht um das
zehnte Hotel am Marktplatz; vielmehr müssen auch im
Bereich des Tourismus intelligente regionale Konzepte
entwickelt werden. Dann kann Tourismus zu einem der
entscheidenden Wirtschaftszweige im Osten werden. An
einigen Stellen funktioniert das schon heute. Es ist richtig, dass gerade die Tourismusbranche überwiegend von
kleinen und mittelständischen Unternehmen geprägt ist,
die in der Region fest verankert sind und ihre Arbeitsplätze nicht exportieren können. Deshalb ist es richtig,
dass wir diesen Bereich unterstützen.
Osten ist nicht gleich Osten. Wir haben in der Debatte
über den Stand der deutschen Einheit darüber gesprochen, wie differenziert die Wirtschaftsstruktur in den
neuen Bundesländern ist. Wir stellen fest, wenn wir uns
die Gesamtentwicklung ansehen, dass wir noch viel zu
tun haben. Wir können mit dem Erreichten noch nicht
zufrieden sein. Das verarbeitende Gewerbe ist aber in
den letzten Jahren hier zwischen 6 und 8 Prozent gewachsen. Das ist ein Verdienst der Investitionszulage.
Ich hoffe, dass es mir in der kurzen Zeit ein Stück
weit gelungen ist, deutlich zu machen, dass die Investitionszulage ein wesentlicher Baustein im Mosaik der
Gesamtförderkulisse für den Aufbau Ost ist und dass wir
im Zusammenspiel der unterschiedlichen Instrumente
und Maßnahmen gute Voraussetzungen haben, den Aufholprozess in Ostdeutschland voranzubringen. Unser Signal von heute sollte deshalb lauten: Investitionen in
Ostdeutschland lohnen sich nicht nur, aber auch wegen
der Investitionszulage.
Vielen Dank.
({3})
Das Wort hat die Kollegin Antje Tillmann, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Damen und Herren! Heute beenden wir die
Diskussion über das Investitionszulagengesetz 2007 und
geben damit als Bundestag 1,74 Milliarden Euro Investitionsförderung an Unternehmen frei, die damit möglichst viele Arbeitsplätze in den neuen Ländern schaffen
oder erhalten.
Wir haben in der ersten Lesung sehr intensiv über die
verschiedenen Fördermittel diskutiert und haben die Unterschiede zwischen Gemeinschaftsaufgabe und Investitionszulage teilweise kontrovers, aber sehr sachlich angesprochen. Die Mehrheit dieses Hauses hat sich dafür
entschieden, die Investitionszulage bis 2009 aus folgenden Gründen zu verlängern: Die Vorteile gegenüber der
Gemeinschaftsaufgabe sind völlig klar. Die Gemeinschaftsaufgabe steht unter Haushaltsvorbehalt und die
Erfahrungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass der
Sparzwang sehr leicht dazu führt, dass die Mittel eingeschränkt werden. Die Gemeinschaftsaufgabe wird hälftig von Bund und Ländern getragen, was dazu führt, dass
gerade finanzschwache Länder, die sich bemühen, ihren
Haushalt in Ordnung zu bringen, diese Fördermittel
nicht abrufen und damit nicht nur der Länder-, sondern
auch der Bundesanteil für die Unternehmen wegfällt.
Die Gemeinschaftsaufgabe kann nur unter Haushaltsvorbehalt genehmigt werden. Die Verpflichtungsermächtigungen würden, sobald sie ausgeschöpft wären, keine
Sicherheit für die Unternehmen bieten. All das sind Vorteile der Investitionszulage, die wir heute, wie schon in
der ersten Lesung, genannt haben. Hier gibt es Rechtssicherheit für die Unternehmen.
({0})
Seit dieser Woche kommt ein weiteres Argument
hinzu, welches ich gar nicht unter den Tisch fallen lassen
möchte - Herr Ahrendt, Sie haben sehr intensiv darauf
hingewiesen -: die Fehlverwendung der Mittel aus dem
Solidarpakt I. Sie wird uns in den neuen Ländern zu
Recht vorgeworfen. Diese Fehlverwendung kann nur die
Konsequenz haben, dass wir sehr genau aufpassen, dass
die Mittel aus dem Solidarpakt II wie vorgesehen verwendet werden. Genau das ist bei der Investitionszulage
gewährleistet. Sie kann systemimmanent nur für Investitionen ausgegeben werden, sodass von diesen 1,74 Milliarden Euro zwingend Investitionen in Höhe von fast
10 Milliarden Euro finanziert werden können.
Lieber Kollege Ahrendt, Sie haben die Fehlverwendung zu sehr kritisiert. Ich teile Ihre Auffassung, dass
wir als Deutscher Bundestag darauf achten müssen, dass
die Länder mit den Mitteln sorgfältig umgehen. Ihre Kritik an den Fehlverwendungen klang aber so, als würden
die neuen Länder dieses Geld einfach verbrennen. Das
tun sie natürlich nicht. Wenn ich mir zum Beispiel mein
Land ansehe, dann stelle ich fest, dass dort mit diesen
Geldern sehr viel Vernünftiges getan wird. Es werden
damit Kindergartenplätze und Hortbetreuung bezahlt
- die Personalkosten sind hoch -, was nicht dem Gesetz
entspricht, was aber auch keine Verschwendung ist, wie
es manchmal in den Zeitungen dargestellt wird.
({1})
Das sind zwar sinnvolle Investitionen; das Gesetz war
aber für Investitionen in Werte vorgesehen. Darüber
müssen wir bei Gelegenheit noch einmal sprechen. Ich
teile die Auffassung, dass die Investitionszulage gerade
in diesem Bereich eine sehr große Sicherheit gegen die
Zweckentfremdung bietet.
Der Kollege Hettlich ist leider nicht mehr anwesend.
Ich sage einmal lachend: Es kann passieren, dass man in
Eile ist. Es kann auch passieren, dass man mehrere Termine gleichzeitig hat. Bei einem so wichtigen Gesetz,
wenn man fordert, für die neuen Länder 1,74 Milliarden
Euro nicht auszugeben, sollte man sich aber vielleicht
doch die Zeit nehmen. Vielleicht hätte ein anderer Redner aus der Fraktion das übernehmen können.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, leider
haben Sie nur den ersten Schritt dessen getan, was Sie
angekündigt haben. Herr Hettlich hat in der ersten Lesung den Eindruck vermittelt, als würde er die Mittel, die
wir für Investitionszulagen ausgeben, für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ verwenden. Den zweiten Schritt haben
Sie leider vergessen. Im Moment finden die Bereinigungssitzungen des Haushaltsausschusses statt. Dort haben Sie Ihren Antrag nicht eingebracht, sodass ganz klar
ist: Sie wollen weder die Investitionsförderung noch machen Sie sich die Mühe, im Haushaltsausschuss einen
Ergänzungsantrag für die Gemeinschaftsaufgabe zu stellen. Dazu kann ich nur sagen: Sie haben offensichtlich
keine Zeit für die neuen Länder. Das kann man Ihnen
schon vorwerfen.
({3})
Auch Ihr Vorschlag, die neuen Länder sollten den eingesparten Anteil an der Einkommensteuer zur Refinanzierung der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ verwenden, geht einfach
nicht weit genug. Offensichtlich haben Sie nicht ausgerechnet, dass der Anteil eines durchschnittlichen neuen
Landes an 1 000 Euro Investitionszulage genau 113 Euro
beträgt. Mit diesen 113 Euro können Sie bei weitem nicht
das leisten, was das Investitionszulagengesetz bis 2009
mit Investitionen in Höhe von insgesamt fast 10 Milliarden Euro schafft.
({4})
Es war gut, dass wir uns in den Ausschussberatungen
die Zeit genommen haben, das Gesetz noch einmal sehr
intensiv anzuschauen. Zwei Fehler konnten ausgemerzt
werden, die nicht beabsichtigt waren: Bei dem Beherbergungsgewerbe - der Kollege Kolbe hat darauf hingewiesen - war nicht gewollt, dass Investitionen, die 2006 vorgenommen werden, nicht förderfähig sind. Das zweite
Problem bezog sich auf das Land Berlin; es wird hoffentlich noch im Sinne Berlins gelöst werden.
Wir sollten nach dem heutigen Tag aber keineswegs
aufatmen. Wir haben jetzt Zeit bis 2009. Bis dahin
herrscht Sicherheit für die Unternehmen in den neuen
Ländern, dass Investitionen gefördert werden können.
Wir alle wissen, das Jahr 2009 ist sehr schnell da. Die
Erfahrungen, die wir in dieser Debatte über die Investitionszulage mit der EU gemacht haben - Frau Violka,
Sie haben zu Recht darauf hingewiesen -, waren schon
schlecht. In drei Jahren werden wir mit Sicherheit noch
schlechtere Erfahrungen machen.
Daher bitte ich Sie, gemeinsam zu überlegen, wie wir
bis zum Jahre 2009 eine andere Art der Förderung unserer Unternehmen finden. Dafür bietet sich die Föderalismuskommission II an; da müssen wir über Geld und
Geldverteilung sprechen. Liebe Kollegen und Kolleginnen von den Grünen, ich würde an dieser Stelle eigentlich noch weiter gehen: Über die regionale Wirtschaftsförderung sollte regional entschieden werden. Die
Länder sollen sagen, wie sie die Mittel einsetzen wollen.
Im Gegenzug werden sie dazu verpflichtet, uns Rechenschaft darüber abzulegen, dass die Mittel ordentlich verwendet werden.
Dazu fordere ich Sie auf. Aber ich gebe zu: Heute bin
ich erst einmal froh, dass wir diesen Schritt geschafft haben. Ich glaube, darüber sind die Unternehmen und die
Bürgerinnen und Bürger in den neuen Ländern ebenso
froh.
Danke schön.
({5})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Investitionszulagengesetzes 2007 auf Drucksache 16/1409. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/1539, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von SPD,
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
CDU/CSU, FDP und der Fraktion Die Linke gegen die
Stimmen der Fraktion der Grünen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Beratung mit demselben Stimmergebnis
wie in zweiter Beratung angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen
auf Drucksache 16/1662. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen
der Fraktionen SPD, CDU/CSU, FDP und der Fraktion
Die Linke gegen die Stimmen der Grünen abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Frank
Spieth, Dr. Martina Bunge, Inge Höger-Neuling,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Erlass der Rechtsverordnung zum morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich gemäß § 268 Abs. 2 SGB V
- Drucksache 16/1511 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion Die Linke fünf Minuten erhalten soll. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frank
Spieth, Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es endet fast die 13. Stunde der heutigen parlamentarischen
Beratungen. Hoffentlich ist das kein schlechtes Omen
für die Gesundheitspolitik in diesem Land. Vielleicht
hängt die Abwesenheit vieler Kollegen damit zusammen, dass einige entweder erschöpft oder im Geschäft
mit den Lobbygruppen verschwunden sind und deshalb
keine Zeit haben, gerade dann, wenn es um die wesentlichen gesundheitspolitischen Themen geht, hier in diesem Hohen Hause anwesend zu sein. Ich bedauere das
sehr. Ich freue mich aber, dass immerhin der Staatssekretär des zuständigen Ministeriums heute anwesend
ist.
({0})
Der in der gesetzlichen Krankenversicherung 1994
eingeführte Risikostrukturausgleich ist eine unverzichtbare Voraussetzung für die Umsetzung des Versorgungsauftrags der Krankenkassen und für einen funktionsfähigen Kassenwettbewerb. Um das einmal klar in
Zahlen auszudrücken: Würden wir diesen Risikostrukturausgleich zwischen den Krankenkassen in Deutschland nicht haben, hätten einige Krankenkassen einen
Beitrag von 25 Prozent und andere einen Beitrag von
5 Prozent. Dies würde überhaupt keine Wettbewerbsfähigkeit mehr garantieren und zu einem Vernichtungswettbewerb führen.
({1})
Der bisherige Risikostrukturausgleich ist aber unzureichend. Die großen Kassen mit vielen Kranken tragen
weiterhin die Hauptlast in diesem Wettbewerb, während
die kleinen Kassen mit überwiegend gesunden Versicherten die großen Nutznießer sind. Sinnvoller Wettbewerb aber setzt gleiche Bedingungen für die Wettbewerber voraus. Wenn die einen Lasten zu tragen haben und
andere nicht, dann kann man nicht von gleichen Bedingungen sprechen. Das kommt einem so vor, als wollte
man einigen Beteiligten bei einem 1 000-Meter-Lauf einen Vorsprung von 100, 200 und 300 Metern einräumen.
Dann zu behaupten, dies seien gleiche Wettbewerbsbedingungen, ist allergrößter Unsinn.
Die Notwendigkeit einer Reform des Risikostrukturausgleichs hat das Bundesverfassungsgericht in seinem
Beschluss vom 18. Juli 2005 noch einmal ausdrücklich
bestätigt. Hier hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich festgestellt, dass die unscharfe Abbildung des
Gesundheitszustands der Versicherten im gegenwärtigen
Ausgleich die Erreichung der gesetzlichen Hauptziele
gefährdet. Dadurch werden logischerweise Tendenzen
zur Risikoselektion zwischen den Kassen begünstigt.
Wir stellen deshalb fest: Die Rechtsverordnung des
Bundesministeriums für Gesundheit, die nach dem Gesetz bis zum 30. Juni 2004 hätte erlassen werden müssen
und die die Einführung dieses krankheitsbezogenen Ausgleiches hätte regeln sollen, liegt bis heute nicht vor,
nach meiner Auffassung unter Missachtung dessen, was
hier im Deutschen Bundestag beschlossen wurde. Das ist
ein gültiges Gesetz.
({2})
Wenn Sie, wie in der Debatte über die Gesundheitsreform zu hören ist, wohlfeil auf die Ärzteproteste reagieren - hier ist auch ein gehöriger Schuss Populismus mit
dabei ({3})
und die Ärztevergütungen jetzt neu regeln - vom Grundsatz her bin ich dafür -, gleichzeitig aber die Regelung
des Risikostrukturausgleichs für die krankheitsbezogenen Ursachen quasi auf den Sankt-Nimmerleins-Tag vertagen, dann schaffen Sie für die Krankenkassen, die mit
besonderen Krankheitsrisiken zu kämpfen haben, Bedingungen, die es unmöglich machen, dass sie eine neue
Vergütung für Ärzte finanzieren. Das ist das Problem.
({4})
Die Gesundheitspolitiker der großen Koalition bekommen immer glänzende Augen, wenn vom neuen Gesundheitssystem in den Niederlanden die Rede ist. Das
haben wir dieser Tage auch beim Besuch des holländischen Gesundheitsministers Hoogervorst im Gesundheitsausschuss beobachten können.
Aber ich rate Ihnen, genauer hinzuschauen: In Holland besteht für die gesamte Bevölkerung eine Versicherungspflicht. Für alle Teilnehmer am Wettbewerb gelten
die gleichen Bedingungen. In den Niederlanden gibt es
einen krankheitsorientierten Risikostrukturausgleich, in
den schon vor der jetzigen Reform gesetzliche und private Krankenkassen - bei uns ist es ein Sakrileg, das nur
zu sagen - eingebunden waren und der über Alter und
Geschlecht deutlich hinausgeht. Dort sind chronisch
Kranke jetzt eine für alle Kassen interessante Gruppe.
Das, meine ich, muss unser Ziel sein.
({5})
Ein anderes Bild zeigt sich beim Vergleich mit der
Schweiz. Dort wurde der Wettbewerb zwischen den
Krankenkassen ohne einen krankheitsbezogenen Ausgleich herbeigeführt, mit der Folge, dass dies zulasten
der Kranken geht. In der Schweiz wurde ein Fehler gemacht, den wir in Deutschland jetzt möglicherweise
auch machen: Wir werden die notwendigen finanziellen
Anpassungen ohne Ausgleichssysteme vornehmen, mit
der Folge, dass sich der Wettbewerb um Junge und Gesunde - und nicht der Wettbewerb um Kranke - weiter
verstärkt.
Frau Präsidentin, ich komme zum Ende. - Wer Solidarität und Gerechtigkeit will, muss diese Rechtsverordnung erlassen. Verwirklichen Sie endlich den krankheitsbezogenen Risikostrukturausgleich zwischen den
Kassen, wie er längst im Gesetz steht! Dann ist auch die
Einführung einer gerechten Ärztevergütung möglich.
Schönen Dank.
({6})
Die Kollegen Dr. Hans Georg Faust, Dr. Karl
Lauterbach, Daniel Bahr ({0}), die Kollegin
Elisabeth Scharfenberg und der Parlamentarische
Staatssekretär Rolf Schwanitz haben ihre Reden zu Pro-
tokoll gegeben1). Deshalb schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/1511 an den Ausschuss für Gesundheit
vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist
der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 13 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über die Errichtung einer Bundesanstalt für
den Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben ({1})
- Drucksachen 16/1364, 16/1610 -
1) Anlage 17
a) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({2})
- Drucksache 16/1683 Berichterstattung:
Abgeordnete Ralf Göbel
Hartfrid Wolff ({3})
Ulla Jelpke
b) Bericht des Haushaltsausschusses ({4}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/1701 Berichterstattung:
Abgeordnete Bettina Hagedorn
Dr. Michael Luther
Roland Claus
Alexander Bonde
Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der
FDP vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Peter Altmaier.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach
mancherlei Irrungen, Wirrungen und Rückschlägen in
der Vergangenheit sind wir dem Ziel der Einführung des
Digitalfunks in unserem Land einen wichtigen, vielleicht
sogar den entscheidenden Schritt näher gekommen. Wir
können heute zuversichtlich sagen, dass wir in absehbarer Zeit den Polizeien, den Feuerwehren, den Rettungsdiensten und den übrigen Sicherheitsbehörden einen
bundesweit einheitlichen Digitalfunk zur Verfügung stellen werden und dass wir weltweit das größte Land mit
einem solchen funktionierenden Digitalfunk sein werden. Wir haben in den zurückliegenden Wochen entscheidende Etappenziele erreicht: Das Verwaltungsabkommen zur Zusammenarbeit von Bund und Ländern
und zur Kostenverteilung ist paraphiert. Die Vertragsverhandlungen mit dem künftigen Betreiber des Digitalfunks werden in Kürze ihren Abschluss finden. Das Vergabeverfahren für die Systemtechnik befindet sich in der
Endphase und die vorläufige Satzung der einzurichtenden Bundesanstalt ist zwischen Bund und Ländern abgestimmt. In dem vorliegenden Gesetzentwurf geht es um
die Einrichtung genau dieser Bundesanstalt.
Es hat in den vergangenen Monaten eine Diskussion
über die richtige Rechtsform für die Wahrnehmung dieser Aufgabe gegeben; diese Diskussion ist auf beiden
Seiten mit guten Argumenten geführt worden. Dass wir
uns am Ende dafür entschieden haben, die Rechtsform
einer Bundesanstalt zu wählen, liegt darin begründet,
dass wir keine Zeit verlieren wollen, dass wir möglichst
schnell vorangehen wollen. Schließlich gibt es, wie ich
meine, auch gute Argumente in der Sache. Die Gewährleistung der Sicherheit - in diesem Fall mithilfe der Sicherheitsinfrastruktur - ist eine der vornehmsten Aufgaben des Staates überhaupt. Es spricht deshalb einiges
dafür, dass der Staat die Überwachung und die Sicherstellung der Funktionsfähigkeit des Digitalfunknetzes
selbst wahrnimmt. Genau dieses Ziel wollen wir mit der
Bundesanstalt für den Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben erreichen, indem
wir auch hoheitliches Handeln ermöglichen. Wir nehmen aber auch die Anregungen auf, die es im Hinblick
auf schlanke und effiziente Organisationsstrukturen gegeben hat: Wir werden die Bundesanstalt mit einer kaufmännischen Buchhaltung und mit einem ständigen Controlling ausstatten.
Wir haben in der gesamten Phase der Planung und
Durchführung dafür gesorgt, dass ein hohes Maß an
Kostentransparenz gewährleistet ist. Die Bundesregierung hat die Kosten für die Bundesanstalt im Vorblatt
zum Gesetzentwurf ausführlich dargelegt. Sie sind überschaubar: Sie belaufen sich auf etwa 10 Millionen Euro
jährlich. Wir haben auch die Folgekosten von Systemlieferung und privatem Betreiber berechnet und diese Zahlen auch veröffentlicht. Die endgültigen Folgekosten
können wir zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht berechnen, weil sie natürlich vom Vergabeverfahren für die Beschaffung der Systemtechnik und vom Abschluss des
Betreibervertrages abhängen; wir werden auch diese
Zahlen vorlegen, sobald sie feststehen.
Es ist wichtig, bei einem derart großen Projekt dafür
zu sorgen, dass das Vergabeverfahren einwandfrei abläuft und allen Anfechtungen standhält. Wir sind davon
überzeugt, dass dies gelungen ist und dass das Verfahren
allen rechtlichen Überprüfungen standhalten wird.
Die Einführung des Digitalfunks bedeutet für unser
Land einen großen Zugewinn an innerer Sicherheit. Sie
ist ein herausragendes Beispiel für die technologische
Leistungsfähigkeit unserer Industrie und sie ist auch ein
Beispiel für die Leistungsfähigkeit unserer öffentlichen
Verwaltung. Ich glaube, dass wir es den Bürgerinnen und
Bürgern unseres Landes nach langen Jahren der Diskussion schuldig sind, ihnen nun endlich rasch ein modernes, vielleicht sogar das modernste Kommunikationssystem überhaupt zur Verfügung zu stellen.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Hartfrid Wolff, FDPFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Die unterschiedliche Berichterstattung in den Medien,
unter anderem kürzlich im „Spiegel“, hat deutlich gemacht: Die Einführung des BOS-Digitalfunks ist technisch, wirtschaftlich und nun auch politisch in ein unerfreuliches Fahrwasser geraten. Dieses Projekt ist aber zu
wichtig, als dass es auf Dauer riskiert werden dürfte. Wir
brauchen den Digitalfunk in Deutschland schnellstmöglich, doch ich bezweifle, dass der von der Bundesregierung eingeschlagene Weg wirklich zum Ziel führt. Der
Ausschluss sämtlicher Mitbewerber von EADS durch
das Beschaffungsamt hat mehr als ein Geschmäckle. Die
laut „Spiegel“ von einem Mitbewerber aufgeworfene
Frage, ob nicht auch EADS aufgrund strafrechtlich relevanter Handlungen im Vergabeverfahren auszuschließen gewesen wäre, ist bislang nicht überzeugend beantwortet worden. Dass alle anderen Mitbewerber, die ja
sämtlich keine Nullachtfünfzehn-Unternehmen sind,
ausgeschlossen wurden, zeigt, dass die Ausschreibungsbedingungen nicht nachvollziehbar waren.
Obwohl die Bundesregierung immer wieder das Gegenteil behauptet: Der Eindruck ist unabweisbar, dass
die Kosten für den Steuerzahler als eine zu vernachlässigende Größe angesehen werden. Im Jahr der größten
Steuererhöhung in der deutschen Geschichte spielt Geld
offensichtlich keine Rolle. Der Bürger wird einfach weiter geschröpft, privilegierte Konzerne können Monopolpreise für nicht garantierte Leistungen verlangen.
({0})
Was für das Vergabeverfahren als Ganzes gilt, gilt im
Detail auch für die geplante Einrichtung der Bundesanstalt für den Digitalfunk. Es ist nicht ersichtlich, warum die im Gesetzentwurf der Bundesanstalt zugewiesenen Aufgaben nicht ebenso von einem entsprechenden
Stab im Bundesinnenministerium erledigt werden können. Wir brauchen keine Vielzahl neuer Dienstposten,
sondern eine effiziente Ausgestaltung der Digitalfunkeinführung.
Die Kosten für eine Bundesanstalt von wenigstens
3 Millionen Euro jährlich sind überflüssig. Auch teilen
wir nicht den Optimismus, dass die zusätzlichen Personalkosten über den Wegfall von Planstellen im BMI finanziert werden können. Die Erfahrung mit der Gründung neuer Behörden spricht eindeutig dagegen.
({1})
Die Steuerung der Digitalfunkeinführung kann sehr gut
in Zusammenarbeit mit Privatunternehmen erfolgen.
Das geht besser als durch jede neue Behörde.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die neue Bundesregierung nimmt die dringend notwendige Einführung der
Digitalfunktechnik für die BOS zum Anlass, mit nachhaltiger Wirkung das Geld der Steuerzahler zum Fenster
hinauszuwerfen. Zudem werden die Länder mit unzumutbaren Kosten belastet. Neben der Finanzierung des
vom Bundesrumpfnetz nicht abgedeckten Flächennetzes, das erheblich teurer als das Netz der DB Telematik
werden wird, kommt auf die Länder aber noch der
Kampf bei der Errichtung der zusätzlichen Sendemasten
zu. Schon gegenüber der Errichtung der normalen Mobilfunkmasten sind die Bürgerinnen und Bürger sehr kritisch eingestellt. Der Widerstand wird bei den noch größer dimensionierten BOS-Digitalfunkmasten sicher
nicht geringer werden.
Hartfrid Wolff ({2})
Die FDP hat erhebliche Bedenken gegen die Gründung der Bundesanstalt und vor allem gegen die Art und
Weise, wie die Bundesregierung hinsichtlich der
schnellstmöglichen Einführung des Digitalfunks durch
mögliches Missmanagement und ein fragwürdiges Vergabeverfahren insgesamt Risiken eingeht.
({3})
Da nach all dem, was man in der Öffentlichkeit erfährt,
dies rechtlich bedenklich ist - das ist nur vorsichtig ausgedrückt -, wächst mein Verständnis für diejenigen, die
nach einem sicheren Neustart für das Projekt rufen.
Durch eine neue Ausschreibung können nicht nur die
Kosten für den BOS-Digitalfunk reduziert werden, sondern auch die technische Verlässlichkeit und die baldige
Einführung sichergestellt und gegebenenfalls sogar noch
beschleunigt werden. Dabei muss im Rahmen einer größeren Technikoffenheit ausdrücklich auch der GSMStandard als Möglichkeit einbezogen und eine Vorfestlegung vermieden werden können.
Wir sollten im Interesse der Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger und vor dem Hintergrund der Haushaltslage schnellstmöglich die beste, aber auch preiswerteste
und wirtschaftlichste Technik in Deutschland umsetzen.
Vielen Dank.
({4})
Nächster Redner ist der Kollege Gerold Reichenbach,
SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Die Errichtung der Bundesanstalt für den Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg, ein
Herzstück unseres Sicherheitsbereichs, nämlich die
Kommunikation und den Datenaustausch, zu modernisieren. Das ist, was Umfang, Organisation und Kosten
betrifft, eine große Aufgabe; denn anders als in den übrigen europäischen Ländern wollen wir in Deutschland ein
bereits bestehendes flächendeckendes und integriertes
Funksystem von der alten analogen auf die neue Digitaltechnik umstellen. Das ist bisher einmalig. Zwar hat
man in vielen Ländern Europas den Digitalfunk inzwischen eingeführt - darauf wird in der Debatte immer
wieder süffisant verwiesen -, aber bisher nur als Insellösung oder als Teilfunknetze. Unsere europäischen Nachbarländer sind erst dabei, auf dieser Basis integrierte Gesamtlösungen zu planen und umzusetzen.
Die Einführung des flächendeckenden Digitalfunks
ist aber nicht nur vom Umfang her, sondern auch in ihrer
Komplexität eine gewaltige Aufgabe. An diesem Prozess sind entsprechend unserer föderalen Struktur im Sicherheitsbereich mehrere Aufgabenträger beteiligt. Dies
sind der Bund und die Länder in der polizeilichen Gefahrenabwehr und in der nicht polizeilichen Gefahrenabwehr kommen die Gemeinden und Hilfsorganisationen
hinzu. Bereits jetzt gibt es einen Lenkungsausschuss
mit über 100 Mitgliedern. Wer glaubt, diese Aufgabe mit
einer Stabsstelle im Ministerium bewältigen zu können,
der irrt.
Die Notwendigkeit, ein digitales Netz einzuführen, ist
unter Sicherheitsexperten unumstritten. Der Digitalfunk
bietet gegenüber dem analogen System vor allem die seit
langem geforderte Abhörsicherheit, einen höheren Kommunikationskomfort, die Möglichkeit des Datentransports und damit die Möglichkeit neuer zusätzlicher Anwendungen. Mit einem Wort: Er bietet die Möglichkeit
der besseren Organisation und des effektiveren Managements in unserem Sicherheitsbereich. Dies ist gerade im
Hinblick auf Katastrophen oder Großschadenslagen ein
wesentlicher Punkt.
Dass dieser Prozess bisweilen ins Stocken geraten ist,
mag zu bedauern sein. Das ist aber auch nicht ganz verwunderlich. Es geht um die Finanzierung - wir sprechen
hier von einem Investitionsvolumen von insgesamt mehreren Milliarden Euro - und um Zuständigkeiten. Nicht
selten hängt das eine mit dem anderen zusammen, wie
wir ja auch bei der Föderalismusreform gelernt haben.
Seit März letzten Jahres hat das Großprojekt aber
wieder Fahrt aufgenommen; denn das Angebot des Bundes an die Länder, 50 Prozent der Gesamtkosten zu übernehmen, obwohl sein Nutzervolumen nur knapp
20 Prozent beträgt, hat wieder Schwung in die Sache gebracht. An dieser Stelle darüber zu reden, dass der Bund
Kosten auf die Länder abwälzt, scheint mir nur möglich
zu sein, wenn man das deutsche Gefahrenabwehrsystem
und seine Beteiligten nicht sehr gut kennt.
({0})
Dass wir heute hier stehen und den Weg für die
Errichtung einer Bundesanstalt frei machen, zeigt,
dass alle Akteure die gewonnene Dynamik beibehalten
wollen, auch wenn es, um im Bild zu bleiben, genau vor
einem Jahr etwas überflüssige Bremsspuren bei diesem
Gesetz gab, als nämlich ein im Grundsatz identisches
Gesetz der rot-grünen Koalition im Bundesrat abgelehnt
wurde.
Gut ist, dass sich die Länder inzwischen auf ein Verwaltungsabkommen zu dem vorliegenden Gesetzentwurf
geeinigt haben, mit dem die Bundesanstalt operativ tätig
werden kann. Mit unserem Änderungsantrag kommen
wir auch den Bedenken der Länder im Bundesrat entgegen, indem wir klarstellen, dass die Anstalt nicht kreditermächtigt sein wird. Dies dient auch der Haushaltsklarheit und -wahrheit. Als positiv empfinde ich es
weiterhin, dass die Organisationsform als Bundesanstalt
mit hoheitlichem Charakter außer vielleicht bei der FDP
inzwischen nicht mehr wirklich streitig ist. Bei ihr habe
ich aber ohnehin den Eindruck, dass sie erst dann zufrieden sein wird, wenn wir auch das Bundeskanzleramt privatisiert haben.
Auch der hessische Staatssekretär Lemke, der in der
letzten Legislaturperiode noch einer der heftigsten Kritiker des Gesetzes und der Bundesanstalt war, hört sich zu
Hause inzwischen anders an. Ausweislich des „Darmstädter Echos“ erklärte Staatssekretär Lemke gegenüber
Vertretern von Feuerwehr und Rettungsdiensten im
Landkreis Bergstraße, dass das Projekt einen Betreiber
erfordere, der aus Sicherheitsgründen unter staatlicher
Aufsicht stehen müsse. - Dem ist nichts hinzuzufügen.
Das war schon immer unsere Sichtweise: Nur eine Bundesanstalt mit hoheitlichen Befugnissen besitzt auch die
Eingriffsrechte, um den Betrieb des Netzes jederzeit
überwachen oder notfalls per Ersatzvornahme sicherstellen zu können. Es ist richtig, dass wir einen solchen zentralen Sicherheitsbereich nicht allein dem Wirtschaftsrecht überlassen dürfen.
Mit der Errichtung der Bundesanstalt haben wir zudem eine einheitliche Anlaufstelle für die Wirtschaft
geschaffen. Wir erhalten damit die organisatorischen
Voraussetzungen dafür, die Interessen aller Nutzer des
Digitalfunks gegenüber seinen Auftragnehmern zu bündeln. Außerdem wird es die Aufgabe der Bundesanstalt
sein, die technische Weiterentwicklung in den kommenden Jahren und Jahrzehnten zu begleiten, und sie garantiert die angemessene Beteiligung der Länder nicht nur
bei der Einführung, sondern auch bei der Weiterentwicklung der Technik und des Netzes.
Auch das Vergabeverfahren zur Auswahl desjenigen
Unternehmens, das das Netz mit der notwendigen Systemtechnik ausstatten wird, läuft nach meinem Kenntnisstand allen Unkenrufen zum Trotz planmäßig. Die in
der Presse aufgetauchten Gerüchte kann und will ich
nicht kommentieren. Ich will mich hier auch nicht zum
Fürsprecher einzelner Bieter oder unterlegener Bieter
machen. Ich denke, sie alle haben auch noch eine rechtliche Möglichkeit. Das sollten wir im Parlament nicht tun.
({1})
Wir haben uns im Interesse der Sache mit Fakten und
nicht mit Gerüchten zu beschäftigen. Das Ministerium
hat dafür zu sorgen - ich habe keinen Zweifel daran,
dass es das tut -, dass das Verfahren korrekt umgesetzt
wird. Dafür ist es dem Parlament gegenüber verantwortlich, und zwar auch, um mögliche Verzögerungen durch
langwierige Konkurrentenklagen auszuschließen. Natürlich steht in einem Rechtsstaat jedem in einem Vergabeverfahren Unterlegenen der Weg der rechtlichen Überprüfung frei. Daran ist auch nichts Ehrenrühriges oder
Skandalöses. Bislang wurde die korrekte Durchführung
des Verfahrens durch das Ministerium aber noch nirgendwo angezweifelt.
Vergleiche mit den Problemen, wie sie bei der Einführung des Mautsystems entstanden sind, halte ich übrigens für unangebracht. Wir werden nicht in eine Sicherheitslücke laufen. Wir haben nach wie vor einen
funktionstüchtigen integrierten Analogfunk für die Behörden und Organisationen im Sicherheitsbereich. Dieser Analogfunk wird nicht zu einem festen Zeitpunkt abgeschaltet. Er wird nur in dem Maße zurückgefahren,
wie der moderne Digitalfunk in die einzelnen Ebenen
migriert.
Nichtsdestotrotz ist es unsere Aufgabe, weitere unnötige Verzögerungen bei der Umsetzung des neuen Funksystems auszuschließen; denn mit der neuen Technik
sind auch qualitative Verbesserungen für die innere Sicherheit zu erreichen, und dies natürlich möglichst früh.
Wir werden alles tun, was in unserer Verantwortung
liegt, um den vorgegebenen Zeitplan einzuhalten und
das BOS-Netz bis 2010 einzuführen.
Entscheidend für den endgültigen Aufbau und die
künftige Weiterentwicklung des neuen Funknetzes ist
meiner Meinung nach auch, dass wir einen breiten Wettbewerb bei den Endgeräten gewährleisten. Deshalb ist
es richtig, Netz- und Systembetrieb getrennt zu vergeben
und dafür zu sorgen, dass die Schnittstelle zu den Endgeräten offen bleibt. Genau durch dieses Konstrukt erhalten wir einen Wettbewerb der Preise und einen Wettbewerb bei der Weiterentwicklung, was nicht zuletzt den
Kommunen und Hilfsorganisationen bei der Beschaffung zugute kommt. Das Bundesministerium hat mehrfach betont, dass es diesen Wettbewerb bei den Endgeräten befürwortet und deshalb auch bei der Vergabe
sicherstellen wird.
Im Aufbau und in der Weiterentwicklung des Digitalfunks in Deutschland sowie in den Milliardeninvestitionen, die in den nächsten Jahren gemeinsam von Bund,
Ländern und den anderen Trägern geleistet werden, sehe
ich auch eine gute Chance für den Mittelstand und die
Arbeitsplätze dort. Auch das sollte ruhig einmal an dieser Stelle gesagt werden.
({2})
Mit der heutigen Verabschiedung des Gesetzentwurfs
werden wir wieder im Tritt sein. Darum halten wir an
dem Ziel fest, bis zum Jahre 2010 das digitale integrierte
BOS-Netz vollständig ausgebaut zu haben.
({3})
Damit werden wir die Sicherheit in unserem Lande weiter verbessern.
Der hier vorliegende Gesetzentwurf ist der nächste
fällige Schritt, damit das digitale BOS-Netz für Deutschland ein Erfolg wird. Darum bitte ich um Ihre Zustimmung.
({4})
Das Wort hat die Kollegin Silke Stokar von Neuforn,
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe
bereits in meiner Rede zur Einbringung des Gesetzentwurfs gesagt, dass wir diesem Gesetzentwurf der Bundesregierung zustimmen werden.
({0})
Ich halte nach wie vor - es wurde hier bereits richtig
gesagt, dass die Grundlagen unter Rot-Grün erarbeitet
wurden - die Rechtsform einer Bundesanstalt für die
richtige Lösung. Es ist eine staatliche, hoheitliche
Aufgabe, den Funkverkehr der Sicherheitsbehörden zu
gewährleisten. Aus diesem Grunde lehnen wir den Antrag der FDP ab. Wir wollen nach den jahrelangen Querelen zwischen Bund und Ländern nicht erneut in die Suche nach Alternativen zur Gründung einer Anstalt
einsteigen. Hier ist schon viel zu viel Zeit verloren worden. Ich habe gelacht, Herr Kollege Reichenbach, weil
Sie in Ihrer letzten Rede zum Digitalfunk gesagt haben,
dass Sie sicher seien, dass er 2006 eingeführt werde.
Jetzt sind wir bei 2010. Ich meine aber, dass wir alle gemeinsam zur Fußball-WM 2006 Anstrengungen unternehmen müssen, das Sicherheitsdefizit des analogen
Funkverkehrs tatsächlich abzubauen.
Wir unterstützen die Rechtsform einer Bundesanstalt
auch, weil wir die Kooperation mit den Ländern wollen.
Herr Kollege Wolff von der FDP, ich fand Ihre Rede populistisch,
({1})
auch angesichts der Zustimmung aller FDP-mitregierten
Länder, die dem Verwaltungsabkommen mittlerweile
beigetreten sind und die auch dieser Rechtsform zustimmen werden.
Im Gesetzentwurf steht nichts zu den laufenden Vertragsverhandlungen. Ich habe es bereits im Innenausschuss sehr deutlich gesagt: Wir als grüne Fraktion gehen nicht in Mithaftung für das damals sehr eigensinnige
und eigenwillige Verhandeln des Bundesinnenministers
Schily. Ich erinnere mich noch sehr gut an die gemeinsame Pressekonferenz, die eine Farce war. Es gab einen
öffentlichen Händedruck zwischen Bundesinnenminister Schily und Bahnchef Mehdorn. Zwischen ihnen lag
ein Papier, in das niemand einen Blick werfen durfte. Ich
fand es interessant, was ich im Nachhinein über diesen
Handschlag gelernt habe: Der öffentliche Handschlag
des Bundesinnenministers war nichts anderes als eine
visualisierte Absichtserklärung ohne juristische Bindung.
({2})
Heute weiß ich: Damit wurden Nebelkerzen gegenüber
dem Parlament geworfen und ein unangemessener
Druck auf die Länder ausgeübt.
Wir unterstützen Punkt 2 des FDP-Antrages. Auch
wir haben im Innenausschuss ausdrücklich eine stärkere
Transparenz hinsichtlich der Folgekosten gefordert. Der
Finanzausschuss des Bundesrates hat dazu Aufklärungsbedarf angemeldet.
Die Bundesregierung wird nicht erneut mit dem Parlament so umgehen können wie bei dem Toll-CollectVertrag bei der Einführung der Maut. Wir verlangen als
Abgeordnete, dass wir - bevor wir bei der Haushaltsplanung die Hand für Investitionen in Milliardenhöhe
heben - vor dem Abschluss von Verträgen Einblick in
die Verträge nehmen können und dass keine Vertragsklauseln zulässig sind, die Transparenz und Offenheit
gegenüber dem Parlament verhindern.
({3})
Wir wollen genauso wie die FDP saubere Ausschreibungs- und Vergabeverfahren. Dann kommen wir gemeinsam dem Ziel einer höheren Sicherheit durch den
digitalen Polizeifunk näher. Hier unterstützen wir Ihre
Forderungen. Aber wegen ihrer Privatisierungsbestrebungen und wegen ihres Populismus lehnen wir den Antrag der FDP ab.
Danke.
({4})
Das Wort hat der Kollege Ralf Göbel, CDU/CSUFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Heute reden wir in diesem Hohen Hause zum wiederholten Male seit dem Jahre 2002 über den Digitalfunk. Ich
bin froh, dass wir hinsichtlich der inneren Sicherheit und
der Verbesserung der Kommunikationsmöglichkeiten
unserer Sicherheitsbehörden endlich einen Schritt weiter
kommen. Dies war dringend notwendig.
Herr Wolff, wenn man danach ginge, was Sie an Bedenken und Einwänden vorgetragen haben, müssten wir
dieses Verfahren eigentlich nicht weiterverfolgen. Wir
könnten uns freuen, wenn wir vielleicht bis zur übernächsten Fußball-WM in Deutschland den Digitalfunk
eingeführt hätten.
Die Gründung der Bundesanstalt ist eine wichtige Voraussetzung, um dieses Verfahren weiterzuverfolgen.
Dazu ist schon viel gesagt worden. Die Realisierung des
Projekts ist längst überfällig. Ich will ohne Schuldzuweisung feststellen, dass das keine Sternstunde des Föderalismus in Deutschland war, was die innere Sicherheit betrifft. Wer dieses Verfahren seit zehn Jahren beobachtet,
kommt nicht umhin, alles, was in diesen Jahren passiert
ist, zumindest mit einem Stirnrunzeln zu betrachten.
({0})
Ich will nicht weiter in die Vergangenheit zurückblicken; ich will vielmehr darauf eingehen, wie weit wir
gekommen sind und was wir in Zukunft tun wollen.
Über die Vergabe der Systemtechnik und des Betriebes wird in den kommenden Wochen entschieden.
Wir haben es bereits im Innenausschuss erörtert, Herr
Staatssekretär: Ich bin sehr froh darüber, dass uns das
Bundesinnenministerium eine sehr große Transparenz
zugesagt hat. Das ist neu; das kannten wir in der Vergangenheit nicht. Wir werden das Verfahren konstruktiv und
kritisch begleiten.
Übrigens, Herr Wolff, ich war auf der CeBIT bei allen
Digitalfunkanbietern. Aber kein einziger Anbieter hat
die Qualität der Ausschreibungsunterlagen infrage gestellt. Alle Anbieter haben gesagt, dass das Bundesinnenministerium und das zuständige Beschaffungsamt
die Unterlagen mit großer Professionalität erstellt haben.
Insoweit geht die von Ihnen geäußerte Kritik ins Leere.
({1})
Der Bundestag wird demnächst die finanziellen Voraussetzungen beschließen. Die Haushaltsmittel sind bereitgestellt. Bund und Länder haben am 11. Mai dieses
Jahres ein Verwaltungsabkommen paraphiert, das die
Zusammenarbeit bei Aufbau und Betrieb des Digitalfunks regelt. Wir brauchen eine zentrale Stelle; denn wir
bekommen ein hochkomplexes Netz mit einer unglaublichen Vielzahl an Nutzern. Wenn das stimmt, was uns
alle Anbieter sagen, dann ist es das komplexeste und
größte Netz weltweit. Wenn es uns gelingt, dieses professionell zu errichten, dann wird es nicht nur einen
positiven Impuls für die Sicherheitsbehörden haben,
sondern auch einen positiven industriepolitischen Impuls, der die daran beteiligten Unternehmen auf ganz andere Weise qualifiziert.
Die Innenministerkonferenz hat ebenfalls angeregt,
eine BOS-Stelle einzurichten. Nun lässt sich über die
Organisationsform trefflich streiten. Ich persönlich hätte
nicht eine Stabsstelle beim Bundesinnenministerium,
sondern eine privatrechtliche Organisationsform bevorzugt, weil dann flexibleres Handeln möglich gewesen
wäre. Auf der anderen Seite ist zu bedenken, dass die zu
errichtende Bundesanstalt hoheitlich tätig werden soll.
Wir brauchen einen hoheitlichen Zugriff auf die Netze.
Insofern ist die Bundesanstalt geeignet.
Herr Kollege Reichenbach, der nun vorliegende Gesetzentwurf ist nicht mit dem identisch, mit dem wir uns
im letzten Jahr befasst haben. Der entscheidende Unterschied ist - das ist bei der Anhörung im letzten Jahr
deutlich geworden -, dass wir mit dem nun abgeschlossenen Verwaltungsabkommen eine genaue Definition
der Rechte und Pflichten der Länder haben. Wenn wir
schon damals, als es dieses Abkommen noch nicht gab,
die Errichtung einer Bundesanstalt beschlossen hätten,
hätten wir gar nicht gewusst, wie diese hätte verfasst und
strukturiert sein sollen. Insoweit sind die Bedenken der
damaligen Sachverständigen ausgeräumt.
Herr Wolff, Sie kritisieren das paraphierte Verwaltungsabkommen und sagen, es gebe so viele Probleme
mit dem Verfahren, dass wir eigentlich sofort abbrechen
müssten. Aber Ihr Innenminister in Nordrhein-Westfalen
hat dieses Abkommen paraphiert, hält es für rechtlich
völlig bedenkenlos und ist froh, dass nun der Digitalfunk
auch in Nordrhein-Westfalen eingeführt wird. Insoweit
hat Frau Stokar Recht: Ihre Kritik ist nichts anderes als
eine populistische Äußerung. Wenn Sie von der FDP
schon einmal für die innere Sicherheit in einem Bundesland zuständig sind, sollten Sie auch für einen Informationsaustausch zwischen Bundestagsfraktion und Landesinnenminister sorgen. Dann könnten wir auf gleicher
Ebene miteinander sprechen.
({2})
Ich möchte zum Schluss meiner Redezeit noch einen
Dank loswerden. Er gilt dem Bundesinnenminister und
all denjenigen, die das Verwaltungsabkommen erarbeitet
haben. Ich habe den Eindruck, dass auf der Innenministerkonferenz und in das Verhältnis zwischen Bund und
Ländern ein neuer Klang Einzug gehalten hat. Das Verhältnis ist nicht mehr so sehr von Konfrontation, sondern
von Kooperation geprägt. Der Bundesinnenminister
nimmt auf der Innenministerkonferenz wieder die Stellung ein, die er eigentlich innehaben sollte
Herr Kollege, das ist ein langer Dank. Schauen Sie
auf die Uhr.
- ich komme sofort zum Ende -, nämlich die Stellung
eines Gastes, der Impulse gibt und alles vorantreibt, was
der inneren Sicherheit dient, so auch den Digitalfunk.
Herzlichen Dank.
({0})
Die Kollegin Ulla Jelpke von der Fraktion Die Linke
hat ihre Rede zu Protokoll gegeben. Deshalb schließe ich
die Aussprache.1)
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über
die Errichtung einer Bundesanstalt für den Digitalfunk
der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufga-
ben, Drucksachen 16/1364 und 16/1610. Der Innenaus-
schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/1683, den Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthal-
tungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Bera-
tung mit den Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/Die
Grünen und der CDU/CSU bei Gegenstimmen der Frak-
tionen der Linken und der FDP angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. -
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzent-
wurf ist mit demselben Stimmenergebnis wie in der
zweiten Beratung angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache
16/1703. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? -
Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsan-
trag ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grü-
nen und CDU/CSU bei Gegenstimmen der FDP und der
Fraktion Die Linke abgelehnt.
1) Anlage 18
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Christine Scheel, Kerstin Andreae, Dr. Gerhard
Schick, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Individualbesteuerung mit übertragbarem
Höchstbetrag von 10 000 Euro
- Drucksache 16/1152 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({0})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss
Die Kolleginnen Patricia Lips, Petra Hinz ({1}),
Dr. Barbara Höll und Christine Scheel sowie der Kollege
Carl-Ludwig Thiele haben ihre Reden zu Protokoll gege-
ben.1)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/1152 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:
Vereinbarte Debatte
Zu den Fortschrittsberichten zu Bulgarien
und Rumänien sowie zur aktuellen Entwick-
lung auf europäischer Ebene
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Staats-
minister Günter Gloser.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Der Beitritt Rumäniens und Bulgariens bildet den
Abschluss der fünften Erweiterungsrunde der Euro-
päischen Union. Er stellt damit - das muss immer wieder
betont werden - in historischer Perspektive einen konse-
quenten Schritt hin zum Zusammenwachsen Europas
nach der überwundenen Teilung in Ost und West dar.
Auch wenn es manchmal in Vergessenheit geraten ist:
Die Beitrittsländer haben unter großen Anstrengungen in
den Jahren nach der Zeitenwende von 1989 ihre politi-
sche, wirtschaftliche und rechtliche Entwicklung an dem
Standard der Europäischen Union ausgerichtet.
Die Bundesregierung hat den Beitritt der mittel- und
osteuropäischen Staaten zur Europäischen Union von
Anfang an unterstützt und gefördert. Dieser Politik liegt
die Erkenntnis zugrunde, dass es eine historische Verant-
wortung Deutschlands gibt, zur Überwindung der Tei-
lung Europas beizutragen, die das Ergebnis des vom na-
1) Anlage 19
tionalsozialistischen Deutschland ausgehenden Zweiten
Weltkrieges war.
Die Einigung Europas liegt aber gerade im Interesse
Deutschlands, dessen Mittellage in Europa oft tragische
Auswirkungen gehabt hat, und das sich jetzt erstmals in
seiner Geschichte nur noch von Staaten umgeben findet,
mit denen es freundschaftlich verbunden ist. Für den
Beitritt sprechen aber auch politische und wirtschaftliche
Vorteile in beide Richtungen. Die Aufnahme von Bulgarien und Rumänien erhöht die Sicherheit in der Region
und in Europa, erschließt neue Märkte und Handelsbeziehungen, wiederum in beide Richtungen. Ich füge
hinzu: Sie stärkt, ergänzt und bereichert aber auch die
kulturelle Vielfalt in Europa.
Voraussetzung für einen Beitritt aber ist und bleibt:
Die Beitrittsländer müssen die 1993 in Kopenhagen aufgestellten politischen, wirtschaftlichen und rechtlichen
Kriterien erfüllen. Nur so kann der Beitritt für beide Seiten zum gemeinsamen Vorteil gereichen. Die Bundesregierung wird darauf bestehen, dass dies von der Kommission konstant überwacht wird.
Ich glaube aber auch an dieser Stelle sagen zu können: Die von der Europäischen Kommission am 16. Mai
vorgelegten Monitoring-Berichte sind eine objektive und
ehrliche Bestandsaufnahme der Beitrittsvorbereitungen von Bulgarien und Rumänien. Gegenüber dem letzten Jahr haben beide Länder erhebliche Fortschritte bei
ihren Vorbereitungen auf den EU-Beitritt erzielt.
Besonders weit ist dabei Rumänien, das die Bereiche,
in denen, wie es definiert wird, „ernste Besorgnis“ hinsichtlich der Beitrittsreife besteht, von 14 auf vier deutlich reduzieren konnte. Verstärkte rumänische Anstrengungen sind noch in Teilbereichen der Landwirtschaft
und bei der Umsetzung des EU-Mehrwertsteuersystems
erforderlich. Dabei handelt es sich aber vorwiegend
- auch das sollte unterstrichen werden - um technische
Fragen. Diese können nach Auffassung der Bundesregierung bis zum 1. Januar 2007 mit vermehrten Anstrengungen geregelt werden.
Bulgarien, das andere Land, hat die Zahl der Bereiche, in denen die ernste Besorgnis hinsichtlich der Beitrittsreife bestand, ebenfalls deutlich von 16 auf sechs
reduziert. Neben Defiziten in Teilbereichen der Landwirtschaft geben allerdings besonders die fehlenden
Fortschritte im Bereich Justiz und Inneres, bei der Bekämpfung von Korruption, organisierter Kriminalität
und Geldwäsche, Anlass zur Sorge. Notwendige Rechtsvorschriften sind bereits erlassen worden, doch es fehlen
die vorzeigbaren Resultate bei ihrer Umsetzung. Auch
das ist ein Punkt, den wir in vorangegangenen Beitrittsphasen erlebt haben. Insofern ist der Appell an beide
Länder richtig und wichtig, allen Nachdruck darauf zu
legen, dass die Vorschriften auch umgesetzt werden.
Die erreichten Fortschritte zeigen, dass das Monitoring-Verfahren der Kommission die gewünschten Resultate erzielt. Die Europäische Kommission hat ihre
Empfehlungen für den Beitritt zum 1. Januar 2007 mit
der Bedingung verbunden, dass beide Länder bis zum
Herbst konkrete Fortschritte in den Bereichen mit DefiStaatsminister Günter Gloser
ziten erzielen. Damit werden zum einen die bereits erreichten Fortschritte der Beitrittsländer anerkannt - das
ist wichtig -, zum anderen bleibt aber der Druck auf die
Beitrittsländer aufrechterhalten, ihre Reformbemühungen fortzusetzen und auch substanziell zu verstärken.
Darüber hinaus behält sich die Kommission das Recht
vor, Schutzmaßnahmen zu ergreifen, die sicherstellen,
dass negative Auswirkungen noch verbleibender Defizite, zum Beispiel auf den Binnenmarkt, verhindert werden. Diese Maßnahmen können bis zu drei Jahre nach
dem Beitritt ergriffen werden und auch noch darüber hinaus angewandt werden. Es kann zum Beispiel - das ist
gelegentlich auch bei uns in der öffentlichen Debatte
ums Geld schon deutlich geworden - die Auszahlung
von EU-Geldern gesperrt werden, wenn die Voraussetzungen für eine Kontrolle der Verwendung dieser Gelder
in den Beitrittsländern nicht sichergestellt ist, oder es
können steuerliche Grenzkontrollen aufrechterhalten
werden, wenn die Mehrwertsteuererhebung in den Beitrittsländern eben nicht EU-konform ist.
Wir begrüßen, dass der Beitritt beider Länder in greifbare Nähe gerückt ist. Wir sehen aber noch erheblichen
Reformbedarf in beiden Ländern. Die verbleibende Zeit
bis zum Beitritt und darüber hinaus muss für weitere
substanzielle und nachhaltige Reformen genutzt werden.
Es darf nicht bei politischen Willensbekundungen bleiben, vielmehr müssen die gesetzlichen Maßnahmen auch
verabschiedet und umgesetzt werden.
Die Bundesregierung hat mit der Weiterleitung des
Entwurfs des Vertragsgesetzes an den Bundesrat alles
Erforderliche getan, um die rechtzeitige Ratifizierung
des Beitrittsvertrages zu ermöglichen. Das Verfahren
liegt nun in den Händen von Bundesrat und Bundestag.
Es ist gewährleistet, dass beide, Bundestag wie Bundesrat, die abschließende Entscheidung auch in Kenntnis
des Monitoring-Berichtes, dessen Vorlage für den Herbst
vorgesehen ist, wie wir es auch in der Koalitionsvereinbarung ausgedrückt haben, treffen können. Wir sind daher zuversichtlich, dass Deutschland die Ratifizierung
rechtzeitig bis zum Jahresende abschließen kann.
Beim informellen Treffen der Außenminister am vergangenen Wochenende in Österreich war man sich darüber einig, dass eine grundsätzliche Debatte über die
Erweiterung notwendig ist. Aus unserer Sicht soll diese
Debatte spätestens während der finnischen Präsidentschaft zum Abschluss gebracht werden. Die österreichische Präsidentschaft wird ihrerseits die Kommission bitten, zusammen mit dem Erweiterungspaket im Herbst
einen umfassenden Bericht zur Aufnahmefähigkeit der
EU vorzulegen. Auf der Grundlage dieses Berichts soll
der Europäische Rat im Dezember die Grundsatzdebatte
über die Erweiterung fortführen und mit seinen Schlussfolgerungen Ergebnisse produzieren.
Die Bundesregierung unterstützt diesen Fahrplan.
Aus unserer Sicht ist die Grundsatzdebatte notwendig
und kommt zum rechten Zeitpunkt. Wir brauchen für die
Erweiterung einen erneuerten Ansatz, der eine Fortsetzung des Erweiterungsprozesses mit Augenmaß ermöglicht. Der zu erwartende Bericht der Kommission
zur Aufnahmefähigkeit ist deshalb willkommen.
In der nationalen Debatte - ich komme zum Schluss kommt zunehmend ein deutliches Maß an Unsicherheit
und Besorgnis der Bürger über die Zukunft Europas zum
Ausdruck. Es ist klar: Wir werden stärker als bisher darüber nachdenken müssen, wie wir den Menschen wieder das Gefühl geben, in einer Union zu leben, die ihnen
gerade im Zeitalter der Globalisierung langfristig Wohlstand und soziale Sicherheit garantiert. Das ist unsere
gemeinsame Verantwortung.
Vielen Dank.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Markus Löning,
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kollegen! Bevor ich zu Bulgarien und Rumänien
komme, möchte ich ein anderes Thema kurz ansprechen,
das auf dem Rat in zwei Wochen ebenfalls eine Rolle
spielen wird: Der Rat plant, eine weitere Behörde ins Leben zu rufen. Wir hatten dieses Thema gestern im Europaausschuss und waren uns unter den Fraktionen eigentlich einig, dass wir das nicht wollen. Wir brauchen keine
weitere EU-Behörde, und sei es eine, die sich um die
Grundrechte kümmert. Da sollen 29 Millionen Euro in
die Hand genommen werden. Wofür? Es kann nicht sein,
dass die Österreicher meinen, sich ihre Präsidentschaft
mit einer eigenen Behörde in Wien krönen zu müssen.
Wir haben den Europarat, der sich sehr gut um die
Grundrechte, um die Einhaltung der Menschenrechte
kümmert. Es wäre schlauer, den Europarat zu stärken,
als eine eigene Agentur zu gründen.
({0})
Außerdem haben wir in unseren Ländern selbstverständlich die Gerichte, die sich um die Einhaltung der Grundrechte kümmern. Diese Behörde ist überflüssig wie ein
Kropf. Herr Gloser, bitte geben Sie das an den Außenminister und die Kanzlerin weiter. Wir brauchen dieses
Ding nicht und die Bundesregierung kann es verhindern;
sie muss es einfach nur ablehnen.
({1})
Ich glaube, das ist etwas, woran wir uns in der Europapolitik generell stärker orientieren sollten: Wir sollten
nicht so sehr auf Bürokratie setzen, sondern mehr auf Erfolge.
Ich werde das hier immer wieder sagen, auch wenn es
in Deutschland in der öffentlichen Debatte unpopulär ist:
Die Osterweiterung ist ein Erfolg gewesen, ein Erfolg
für Deutschland und für Europa. Das können wir nicht
oft genug wiederholen.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
({2})
Es ist falsch, wenn Stimmung gemacht wird aufgrund
von Bildern, die zeigen, dass jemand seinen Arbeitsplatz
verliert, weil dieser nach Polen verlagert wird; denn es
wird nie der Arbeitsplatz gezeigt, der durch den Handel
mit unseren neuen Mitgliedsländern entstanden ist.
Durch den Handel, den die Osterweiterung nach sich
zieht, sind unzählige Arbeitsplätze mehr entstanden. Der
deutsche Groß- und Einzelhandel spricht von 50 000 Arbeitsplätzen, die durch die Osterweiterung und den Handel mit den neuen Ländern jedes Jahr entstehen.
Das ist die Botschaft, die wir immer wiederholen
müssen, wider Europamüdigkeit und den Widerstand
derjenigen, die sagen, wir bräuchten die Erweiterung
nicht, sie schade Deutschland. Das ist falsch. Die Erweiterung hat Deutschland genutzt. Sie hat uns wirtschaftlich genutzt und sie hat Arbeitsplätze nach Deutschland
gebracht.
Außerdem haben wir es mit der EU geschafft - Herr
Gloser, Sie haben es angesprochen; wir vergessen das zu
oft -, in den osteuropäischen Ländern in den letzten
15 Jahren eine Entwicklung in Gang zu setzen, die in der
Geschichte Europas beispielhaft ist. Es ist außerordentlich, wie sich Länder aus der Diktatur befreit haben, wie
sie zu Rechtsstaaten geworden sind und Marktwirtschaft
eingeführt haben, wie sie stabile Demokratien installiert
haben. Wir als Deutsche liegen mittendrin. Deshalb
müssen wir, wenn irgendjemand über Europa meckert,
das zurückweisen - wieder und wieder und wieder.
({3})
Ich möchte das jetzt ausdrücklich auch auf die Diskussion über Bulgarien und Rumänien beziehen. Olli
Rehn hat einen sehr guten, ehrlichen Fortschrittsbericht vorgelegt. Er hat gezeigt, wo die Probleme sind. Es
gibt eindeutig Probleme, insbesondere in Bulgarien, die
sehr ernst genommen werden müssen. Es gibt aber auch
- das muss ebenfalls gesagt werden - einen enormen
Fortschritt in den beiden Ländern. Sie werden sicher verstehen, dass ich das als Liberaler mit einem gewissen
Stolz sage. Bulgarien hat in den Jahren, in denen
Simeon II. als Premierminister einer liberalen Regierung
das Land geführt hat, enorme Fortschritte gemacht. Es
hat sich an die europäischen Standards angenährt. Erst in
der neuen Koalitionsregierung unter Beteiligung der
Sozialisten geht es leider nicht mehr so gut vorwärts. Ich
sage ungern, dass es nicht mehr so gut vorwärts geht.
Aber ich sage mit Stolz, dass es die Liberalen in diesen
Regierungen sind, die die Länder deutlich nach vorne
gebracht haben.
Das Gleiche gilt im Übrigen für unsere rumänischen
Freunde, die seit dem Regierungsantritt von Ministerpräsident Popescu-Tăriceanu eine enorme Dynamik an den
Tag gelegt und einen enormen politischen Willen gezeigt
haben, die Probleme anzupacken und ihr Land nach
vorne zu bringen und an die europäischen Standards anzugleichen.
({4})
Meine Damen und Herren, wir wollen, dass die beiden Länder zum 1. Januar 2007 Mitglieder der Europäischen Union werden. Es gibt aber noch die berühmten
roten Fahnen - Herr Gloser, Sie haben sie genannt -,
die teilweise technischer Natur sind. Wenn die Auszahlungsagentur der Rumänen für Landwirte nicht zum
1. Januar, sondern erst zum 1. März arbeitsfähig ist - die
Rumänen sind aber mit voller Kraft dabei, den Termin
einzuhalten -, dann ist es nicht unser Schaden, sondern
es ist der Schaden der Rumänen selber, weil dann das
Geld nicht fließen wird. Man muss in der Debatte deutlich machen, dass es bei der Bewertung der roten Fahnen, die da gesteckt werden, Unterschiede gibt.
Man muss an dieser Stelle ebenfalls deutlich machen,
dass es in Rumänen, aber insbesondere in Bulgarien
große Defizite im Bereich der Korruptionsbekämpfung
gibt. Wir sollten in allen unseren Gesprächen mit unseren bulgarischen Kollegen klar sagen: Es ist enorm
wichtig, dass Bulgarien hier vom Fleck kommt. Was die
Rechtsstaatlichkeit angeht und was die Bekämpfung von
Korruption unter Führungskadern und unter führenden
Persönlichkeiten angeht, muss sich Bulgarien ein Beispiel an Rumänien nehmen, wo inzwischen ein ehemaliger Ministerpräsident auf der Anklagebank sitzt. Von unseren bulgarischen Freunden müssen hier größere
Anstrengungen unternommen werden. Das sollten wir
ihnen immer wieder deutlich sagen.
Ich möchte Bezug nehmen auf das, was Sie zur Ratifikation gesagt haben. Ich denke nicht, dass wir die Ratifikation von dem, was ich eben ausgeführt habe, abhängig
machen sollten. Es ist wichtig, klar zu sagen: Wir ratifizieren bis Jahresende. Wir sind ja auch völkerrechtlich
verpflichtet, das zu tun. Ob der Beitritt 2007 oder 2008
stattfindet, hängt nicht davon ab, dass wir ratifizieren.
Ich glaube, dass wir uns aufgrund des von Olli Rehn
jetzt vorgelegten Berichts, der durch Ehrlichkeit und
Klarheit überzeugt, auf seinen Bericht im September
verlassen können. Dann können wir ratifizieren und
dann ist bis zum Jahresende alles durch.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort hat der Kollege Gunther Krichbaum, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen
und Kollegen! Allen Unkenrufen zum Trotz ist die Stimmung in Europa heute Abend besser als meine Stimme.
Lassen Sie sich also bitte nicht irritieren, dass ich etwas
heiser bin.
Rückblende auf Weihnachten 1989. Diese Bilder gingen um die Welt: Der kommunistische Diktator
Ceauşescu und seine Frau wurden von einem Militärgericht verurteilt und hingerichtet. Man kann sagen, dass in
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Rumänien und Bulgarien der letzte Teil des Eisernen
Vorhangs in Europa fiel. Heute, fast 17 Jahre später, hat
die Welt ihr Gesicht verändert. Wir haben die Teilung
Deutschlands und die Teilung Europas überwunden. Die
Teilung Deutschlands konnte aber nur deswegen überwunden werden, weil wir in einem gefestigten Europa
leben.
({0})
Wie es damals der Traum der Deutschen war, die Teilung ihres Landes zu überwinden, war es der Traum der
Rumänen und der Bulgaren, die europäische Teilung zu
überwinden. Spätestens ab 1. Januar 2007 sind beide
Länder fest in Europa integriert. Das ist ein Zugewinn,
von dem alle profitieren. Für die Rumänen und für die
Bulgaren bedeutet der Beitritt Stabilität in ihren Ländern. Angesichts der Ereignisse auf dem Balkan können
auch wir kein größeres Interesse an einer Stabilität in
diesen Ländern haben.
({1})
Ein Europa zu einen, in dem Frieden, Freiheit, Wohlstand und Demokratie garantiert sind, war stets das große
Ziel von Staatsmännern wie de Gaulle und Adenauer
und im späteren Verlauf von Helmut Schmidt, Giscard
d'Estaing, Helmut Kohl und François Mitterrand. Ich bin
mir ganz sicher, dass diese Politik von unserer Bundeskanzlerin Angela Merkel fortgeführt wird. Ich denke,
das ist der Kontext, in dem die europäische Erweiterung
stattfinden wird. Das ist das Fundament, auf dem die Erweiterung um Bulgarien und Rumänien stehen wird.
Die Fortschritte, die beide Länder in den letzten Jahren gemacht haben - das wurde richtigerweise angesprochen -, sind enorm. Wir vergessen es leider noch allzu
häufig bei den Alltagsproblemen, die natürlich zu Recht
auch erwähnt werden müssen. Aber wenn man die Länder betrachtet, in Zeitabschnitten, also fünf Jahre, zehn
Jahre und 15 Jahre, zurückgeht und diese Bilder nebeneinander hält, dann erkennt man umso deutlicher den
Kontrast, wie sich beide Länder zu ihrem Vorteil verändert haben. Das dürfen wir bei den Alltagsproblemen,
die sicherlich in diesen Ländern noch bestehen, nicht
vergessen.
Es bleibt eine Menge zu tun; das wurde richtigerweise
von Ihnen, Herr Löning, aber auch von Ihnen, Herr
Staatsminister Gloser, angesprochen. Insbesondere der
Kampf gegen die Korruption steht in beiden Ländern
ganz oben auf der Agenda. Wir brauchen in beiden Ländern ein besser funktionierendes Justizwesen. Hier bestehen noch große Probleme. Die Kollegin Frau
Leutheusser-Schnarrenberger hat sich in diesen Themen,
gerade was Rumänien und Bulgarien angeht, sehr engagiert.
Eines der ganz großen Probleme insbesondere im
Hinblick auf Bulgarien ist natürlich die organisierte
Kriminalität. Dies muss man so deutlich ansprechen,
wie sich das darstellt, und wir sollten hier unsere klaren
Erwartungen an die Regierung bzw. an die Staatsführung
formulieren. Wir erwarten hier null Toleranz. Denn letztlich werden Investoren gebraucht, um beide Länder weiter aufzubauen. Diese Investoren müssen sich auf verlässliche Rahmenbedingungen stützen können.
Es ist aber auch so, dass wir unseren Bürgern gegenüber garantieren müssen, dass ihre Steuergelder, die einen großen Umfang einnehmen - Deutschland trägt zum
EU-Haushalt circa 22 Prozent bei -, zweckentsprechend
verwendet werden und nicht irgendwo in dunklen Kanälen versanden. Ich denke, wir sind es unseren Menschen
hier im Land schuldig, Sorge dafür zu tragen, dass in
diesen Ländern weiterhin Rechtssicherheit aufgebaut
wird. Wir erwarten zudem entsprechende Anstrengungen in den Ländern.
({2})
In diesem Zusammenhang ein Satz dazu, was das
Verfahren angeht. Ich glaube, wir alle sind nicht glücklich über den Umstand, dass man gesagt hat: Ein Beitritt
erfolgt 2007, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind;
wenn sie nicht erfüllt sind, dann automatisch 2008. Diese Formulierung war mehr als kontraproduktiv, wie
wir heute wissen. Aber ich denke auch, man sollte die
Kritik an diesem Verfahren nicht mit der Kritik an den
betroffenen Ländern verwechseln. Man darf diese Kritik
nicht einseitig bei den Ländern abladen.
Die Frage, ob ein Beitritt 2007 oder 2008 erfolgt, stellt
sich auch nicht. Für eine solche Verschiebung wäre im
Falle Bulgariens Einstimmigkeit erforderlich. Diese Einstimmigkeit ist nicht zu erzielen. Es haben schon heute
Länder wie Großbritannien, aber auch Österreich und Polen angekündigt, dass sie da nicht mitmachen werden.
Auch im Falle von Rumänien, wo bereits eine qualifizierte Mehrheit ausreichen würde, stellt sich diese Frage
nicht, weil die Reformanstrengungen in Rumänien heute
weiter vorangekommen sind. Auch das hatten Sie, Herr
Staatsminister Gloser, richtigerweise hervorgehoben.
Wir haben andere Möglichkeiten. Wir haben Schutzklauseln, zu denen wir greifen können und sicherlich
dann greifen müssen, wenn nach der Vorlage eines weiteren Monitoringberichts so genannte rote Flaggen ersichtlich bleiben. Denn hier muss schon um der Glaubwürdigkeit willen, was künftige Beitritte und künftige
Erweiterungen angeht, reagiert werden. Denn wir müssen die Menschen bei allen späteren Erweiterungsschritten mitnehmen.
Deswegen ist es wichtig, dass der Fortschrittsbericht
bis Ende Oktober, wenn wir eine weitere Debatte zu diesem Thema führen werden, rechtzeitig vorliegt. Die
Kommission hat bereits entsprechende Zusicherungen
gemacht. Es muss in diesem Fortschrittsbericht genauso
Klartext gesprochen werden, wie dies im Zwischenbericht der Fall war.
Sicherlich wird es erforderlich sein, dass der Monitoringprozess, der sich sehr bewährt hat, fortgesetzt wird.
Das wird - mir ist das völlig klar - nicht immer den Regierungen in den Ländern schmecken. Das größte Interesse daran, dass die Reformen weitergehen, haben die
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Menschen in den Ländern. Sie sind die eigentlichen Gewinner. Wir müssen natürlich auch an die Bürger unseres
Landes denken, weil es sonst zunehmend zu einem Akzeptanzproblem kommen kann.
Ich persönlich und wir alle hier im Hause können uns
freuen, dass mit dem Beitritt von Bulgarien und Rumänien endgültig die Teilung Europas überwunden ist, dass
wir hier in Frieden, in Sicherheit, in Stabilität leben können. Wenn man in andere Ecken dieser Welt blickt, erkennt man: Das ist keine Selbstverständlichkeit. Das
kann Mut machen und Ansporn für manche Auseinandersetzung bei uns sein. Ich denke, man darf wirklich
einmal zur Kenntnis nehmen, dass die Europäische
Union von außen viel stärker eingeschätzt wird als von
uns im Inneren. Es sollte uns ermutigen und dafür sorgen, dass wir eventuell bei mancher Diskussion gelassener bleiben.
Vielen Dank.
({3})
Das Wort hat der Kollege Dr. Hakki Keskin, Fraktion
Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Im Monitoringbericht der EU-Kommission über
den Stand der Beitrittsvorbereitungen Bulgariens und
Rumäniens vom Mai 2006 wird bestätigt, dass beide
Länder die politischen Kriterien für einen EU-Beitritt erfüllen. Bulgarien und Rumänien haben seit dem Beginn
der EU-Beitrittsverhandlungen im politischen, sozialen
und gesellschaftspolitischen Bereich ganz erhebliche Erfolge erzielt. Zwar werden, wie wir bereits gehört haben,
für einige Bereiche noch Defizite benannt; doch beide
Länder sind fest entschlossen, die restlichen Mängel bis
zu ihrem geplanten Beitritt am 1. Januar 2007 zu beheben.
Hierbei muss Rumänien - auf den bisherigen Erfolgen aufbauend - die Rechtsstaatlichkeit voll zur Geltung bringen und den Kampf gegen Korruption entschieden fortführen. Bulgarien muss in erster Linie seine
Justizreform konsequent vollenden. Vor allem Korruption und Kriminalität müssen weiter und weitaus entschiedener bekämpft werden. Trotz dieser Schwierigkeiten ist es wichtig, hier festzustellen, dass die Perspektive
eines EU-Beitritts bei diesen Ländern zu einem großen
Schub im Gesamtreformprozess und bei der Demokratisierung geführt hat. In beiden Ländern fand ein tief greifender Wandel statt.
Wir brauchen auch in Südosteuropa politisch stabile,
wirtschaftlich dynamische, gleichzeitig aber voll funktionsfähige sozialstaatliche Sicherungssysteme. Dies
liegt zweifellos im Interesse der Europäischen Union,
aber auch Deutschlands. Ich bin selbstverständlich der
Meinung, dass die EU-Aufnahmekriterien erfüllt werden
müssen. Allerdings darf es wegen der anhaltenden
Schwierigkeiten in der EU nicht zu einer Blockadehaltung hinsichtlich des EU-Beitritts kommen. Es wäre
auch nicht akzeptabel, den Beitrittsländern höhere Hürden für ihre EU-Mitgliedschaft aufzustellen.
Es ist unbestritten, dass sich die EU in einer tiefen
Vertrauenskrise bzw. Akzeptanzkrise befindet. Es wäre
aber falsch, die Ursache des fehlenden Vertrauens in der
EU-Erweiterung zu sehen. Sie hängt vielmehr mit der
neoliberalen Grundorientierung der EU-Politik zusammen, die unsere Staatengemeinschaft als einen Wirtschaftsraum für ihre expansiven Kapitalinteressen betrachtet.
({0})
Der Abbau des Sozialstaates und der sozialen Sicherungssysteme löst nicht zu Unrecht Ängste aus. Daher
müssen wir die Menschen mit einer sozial gerechten
Politik wieder davon überzeugen, wofür ein vereintes
und gemeinsames Europa steht, nämlich für Menschenrechte, für Demokratie, für Rechtsstaatlichkeit und für
den Sozialstaat, aber vor allem auch für die Sicherung
des Friedens.
({1})
In diesem Kontext ist jeder weitere Beitrittskandidat, der
diese Werte eines friedlich-demokratischen Systems erfüllt und den Menschen eine soziale Grundsicherung garantieren will und kann, ein Gewinn für die Europäische
Union.
Ich danke Ihnen.
({2})
Nächster Redner ist der Kollege Rainder Steenblock,
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lassen Sie mich zwei Vorbemerkungen zu der Debatte
machen, bevor ich nachher keine Zeit mehr habe.
Erstens. Der Kollege Löning hat die Grundrechteagentur angesprochen. Ich will dem nur eines hinzufügen. Wenn wir über die Verteidigung von Menschenrechten in Europa ernsthaft diskutieren wollen - wir
haben schon darüber diskutiert; bei der Grundrechteagentur sind wir uns einig -, dann ist eine Forderung
wichtig, die bisher fehlte. Mir ist sehr wichtig, dass die
Europäische Union endlich in dem großen Europa ankommt, in dem Europaratseuropa, in dem die Menschenrechte geschützt werden. Deshalb ist es wichtig, dass
auch die EU endlich dem Europarat beitritt und die
Menschenrechtskonvention ratifiziert. Das würde die
Menschenrechtssituation und die Wahrnehmung von
Menschenrechten vor dem Europäischen Gerichtshof
deutlich verbessern.
({0})
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Lassen Sie uns uns dafür gemeinsam einsetzen; denn das
ist ein wichtiges Ziel.
Zweitens. Wenn man sich die Debatten, die es jetzt in
Europa gibt - Kollege Keskin hat es gerade unter dem
Stichwort Vertrauenskrise angesprochen -, anschaut,
dann stellt man fest, dass wir in der Gefahr sind, einige
Tendenzen deutlich zu überhöhen. Es hat immer Debatten über Europa gegeben. Das ist überhaupt keine Frage.
Es gibt Eurobarometerumfragen, wonach bestimmte Institutionen in Europa, gerade bürokratische Organisationen, von der Bevölkerung hart kritisiert werden. Das
finde ich richtig. Das ist überhaupt kein Grund, nervös
zu werden, sondern es ist ein völlig gesunder demokratischer Mechanismus, dass die Bevölkerung staatliche Institutionen erst einmal kritisiert.
Wenn man sich diese Eurobarometerumfragen anschaut und sie mit Umfragen über nationalstaatliche Institutionen vergleicht, dann sieht man sehr deutlich, dass
das Kritikbedürfnis gegenüber nationalstaatlichen Institutionen genauso hoch ist wie gegenüber europäischen
bürokratischen Strukturen. Deshalb ist es sehr gefährlich, diese europakritische Tendenz überzubewerten und
zu glauben, dass daraus eine Stimmung gegen die europäische Idee in Europa resultiert. Das halte ich für völlig falsch. Die Strukturen, die wir in Europa geschaffen
haben, sind auch in der Bevölkerung fest verankert; das
Projekt an sich ist ein riesiger Erfolg. Das Management
wird zum Teil kritisiert, aber die Idee, gemeinsam die
europäische Integration voranzutreiben, und dieses Friedensprojekt, das wir in Europa aufgebaut haben, das den
Menschen in Europa Wohlstand gebracht hat, das Demokratie stabilisiert hat, das die Menschenrechte in Europa
gefestigt hat und das dem Rechtsstaat in Europa den
Durchbruch dauerhaft gesichert hat, sind tief in der Bevölkerung verankert. Wir sollten ein bisschen Vertrauen
haben. Das ist etwas, was wir weiter unterstützen und
worauf wir unsere Politik aufbauen müssen.
({1})
Ich halte es für hoch gefährlich - ich sage das in Richtung der Linken -, wenn in dieser Debatte unter dem
Stichwort „Neoliberalismus“ eine Sozialstaatsdebatte
auf europäischer Ebene aufgemacht wird.
({2})
Auch ich halte vieles, was die Kommission macht, für
falsch und kritikwürdig. Wenn Sie das aber benutzen,
leisten Sie einem antieuropäischen Populismus Vorschub.
({3})
Sie müssen sich einmal anschauen, was man in Europa
mit Integration gemeint hat und welche Bereiche der Politik vergesellschaftet sind. Viele, die über die Frage einer Grundversorgung oder Grundsicherheit auf europäischer Ebene diskutieren, wissen nicht, wovon sie reden.
Mich ärgert das total, weil diese Frage von allen Regierungen - ausdrücklich gewollt - auf die nationale Ebene
geschoben wurde. Sie reden doch immer über Subsidiarität. Sie müssen aufpassen, dass der Populismus, den
Sie an dieser Stelle verbreiten, nicht sehr nationalistisch
gefärbt werden kann.
({4})
Bulgarien und Rumänien haben viel geleistet. In diesem Zusammenhang stimme ich mit all dem überein
- ich will das nicht wiederholen -, was die Kollegen
vorher gesagt haben. Wir haben ein Beitrittsdatum, das
eingehalten werden muss. Ich bin dafür, dass das der
1. Januar 2007 ist. Alles andere wäre unter pragmatischen Gesichtspunkten, was die Folgen angeht - das andere Datum könnte nur der 1. Januar 2008 sein -, viel
gefährlicher und kontraproduktiv.
Die Anstrengungen in diesen Ländern müssen verstärkt werden. Das ist überhaupt keine Frage.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Keskin?
Aber gerne, es laufen nämlich schon die letzten Sekunden meiner Redezeit.
Bitte.
Lieber Kollege, Sie wissen, ich schätze Sie. Soll ich
Ihre Bemerkung so verstehen, dass wir ein Europa ohne
den Sozialstaat und ohne soziale Sicherungssysteme haben wollen? Die Tendenz ging gerade in den letzten Jahren in diese Richtung.
Nein, da haben Sie mich sicherlich etwas falsch verstanden. Europa und die europäische Integration basieren auf den sozialen Grundwerten, die wir alle vertreten.
Darin sind wir uns immer alle einig gewesen. Es wäre
falsch, hierbei zu polarisieren. Auf diese Werte haben
wir Europa immer verpflichtet.
Ich habe nur sehr deutlich gemacht, dass es unter dem
Stichwort „Neoliberalismus“ eine bestimmte Kritik gibt,
die sich sehr leicht - ich will das noch einmal zuspitzen,
weil mich das immer ärgert - mit der Verteidigung der
Errungenschaften der Arbeiterklasse in einem Land verbinden lässt. Ich selbst habe genug Marxismusschulungen hinter mir und kenne darum die ganzen Debatten.
Ich halte es für außerordentlich gefährlich und kontraproduktiv, wenn ein bestimmtes soziales Gefühl - das
wir ja teilen -, wenn ein soziales Sicherungssystem instrumentalisiert wird, um antieuropäische, nationale Gedanken zu verbreiten.
({0})
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Ich habe nicht gesagt, dass Sie das tun. Ich habe gesagt:
Mit einer solchen Argumentation leistet man dem Vorschub. Das ist die große Gefahr, die ich in dieser Argumentation sehe. Ich will das sehr deutlich sagen, weil ich
glaube, dass das eine ernste Angelegenheit ist.
({1})
Gestatten Sie mir zum Abschluss noch zwei Sätze.
Ich glaube, wir müssen aus den Schwierigkeiten, die es
beim Beitritt von Bulgarien und Rumänien gegeben hat,
Konsequenzen ziehen: Es darf nicht wieder eine Kopplung von Staaten geben - ich denke an Kroatien und die
Türkei - und es darf nicht wieder eine klare Jahreszahl
geben, an der sich Wohl und Wehe entscheidet. Es darf
nicht mehr so sein, dass Kapitel einstimmig abgeschlossen werden und zwei Jahre später alle feststellen, dass es
doch noch große Probleme gibt. Die Verhandlungen
müssen in Zukunft neu strukturiert werden.
Ich glaube aber, dass der europäische Integrationsprozess, der politisch, kulturell, demokratisch und ökonomisch so viele Erfolge aufzuweisen hat - die Erweiterung macht den Erfolg aus -, mit Rumänien und
Bulgarien noch nicht zu Ende sein kann. Wir brauchen
neue Spielregeln, aber die Europäische Union muss für
alle Länder, die in Europa liegen, offen sein. Lassen Sie
uns dafür streiten. Die Spielregeln müssen hart sein; aber
die Offenheit brauchen wir.
Vielen Dank.
({2})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Lale Akgün,
SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich möchte erst einmal Kollegen Steenblock
und Kollegen Keskin danken, denn sie haben die Müdigkeit zu der späten Stunde unserer Debatte aus diesem
Raum vertrieben. Ich wünschte mir, sie würden auch die
Erweiterungsmüdigkeit vertreiben, die sich in der EU
in der letzten Zeit breit macht. Deswegen bin ich sehr
froh, dass wir immer noch so heftig und breit in der Diskussion über die EU streiten können. Das zeigt, wie lebendig die EU ist und dass sie eigentlich gar nicht so
langweilig ist, wie manche es gern in der Öffentlichkeit
darstellen.
Ich bin auch sehr froh über die offenen und entschlossenen Worte, die Erweiterungskommissar Rehn in dieser
Woche im Europaausschuss zum Beitritt Bulgariens und
Rumäniens gefunden hat. Olli Rehn hat vor den Europapolitikern dieses Hauses die politische Botschaft wiederholt, die bereits von den Fortschrittsberichten der Kommission im Mai ausging, nämlich das bedingte Ja zum
Beitritt der beiden Länder zum 1. Januar 2007.
({0})
Wir Sozialdemokraten begrüßen dieses Ja, denn wir
sind uns seiner historischen Bedeutung vollends bewusst. Wir teilen auch die Bedenken, die sich in dem
Aber ausdrücken, und wir kennen die Ängste in der
Bevölkerung. Diese Ängste sind begründet, aber, ich
denke, sie sind genau in der Art und Weise zu verstehen
wie der Erweiterungsblues der politischen Klasse. Beheben können wir beides nur durch eine Politik, die zum
einen Wirtschaftswachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen hervorruft und zum anderen die Missverständnisse im Zusammenhang mit den Erweiterungen
aufklärt.
Aber zurück zu den Fortschrittsberichten der Kommission: Lassen Sie mich zunächst zu dem Ja einige
Punkte ausführen. Die sicherheitspolitische Bedeutung
Bulgariens und Rumäniens hat mein Kollege Gloser bereits erwähnt. Ich möchte noch einmal betonen - auch
darauf hat Staatsminister Gloser bereits hingewiesen -,
dass der Beitritt Bulgariens und Rumäniens eine Art
nachholende Integration - das ist ein Begriff, den wir eigentlich eher im innenpolitischen Kontext benutzen darstellt. Der Beitritt Bulgariens und Rumäniens stellt
den verspäteten Abschluss der historischen Osterweiterung und damit der Wiedervereinigung Europas dar,
nicht mehr und nicht weniger. Das vorweggeschickt.
Jetzt möchte ich zu dem Aber der Kommission einiges ausführen. Sowohl Bulgarien als auch Rumänien haben seit Beginn der Beitrittsverhandlungen im Jahr 2000
Erhebliches geleistet. Dazu möchte ich beiden Ländern
gratulieren. Die Fortschrittsberichte bescheinigen besonders Rumänien erhebliche Fortschritte. Es bestehen nur
noch Bedenken in vier Bereichen und nicht mehr wie
zuvor in 14. Auch Bulgarien ist der vollen Erfüllung der
Kopenhagener Kriterien näher gekommen. Hier sind es
noch sechs Bereiche - vor allem Landwirtschaft, Justiz,
Inneres und Korruption -, die Sorgen bereiten. Genau
diese Bedenken rechtfertigen das politische Signal, das
konditionierte Ja zu dem Beitritt der beiden Länder zum
1. Januar 2007.
Allerdings hat die Kommission gewichtige Bedenken
geäußert, ob es den beiden Ländern noch möglich sein
wird, die bestehenden Mängel bis zum Ende dieses Jahres auszuräumen. Daher ist es richtig, dass die Entscheidung über den Beitritt erst im Herbst fallen wird. Von
europäischer Seite aus müssen wir den Druck auf die
Länder aufrechterhalten. Die Länder müssen ihre Hausaufgaben machen und ihre Anstrengungen noch einmal
intensivieren. Aber die Zielmarge „Beitritt zum 1. Januar
2007“ bleibt bestehen.
Uns allen ist bewusst: Es geht nicht um die Frage des
Ob, sondern um die Frage des Wann. Es muss erlaubt
sein, zu fragen, was sich durch eine Verschiebung des
Beitritts tatsächlich ändern würde. Es muss auch erlaubt
sein, auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hinzuweisen. Vor allem Bulgarien muss Fortschritte im Bereich der Korruptionsbekämpfung machen. Das ist
richtig. Aber bitte halten wir uns immer wieder vor Augen, dass Korruption überall existiert. Letztens in der
Ausschusssitzung wurde sogar von einem Kollegen ausVizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
geführt, in meiner Heimatstadt Köln solle es Korruption
geben. Das weise ich hiermit entschieden zurück.
({1})
Transparency International sieht Bulgarien, was das
Ausmaß der Korruption betrifft, im internationalen Vergleich auf Platz 55 von 153 Staaten. Es gibt durchaus
EU-Mitgliedstaaten, die auf vergleichbaren bzw. hinteren Plätzen anzutreffen sind.
({2})
Lassen Sie uns also die Dimensionen wahren. Seien
wir ehrlich, was die Möglichkeiten der Bewältigung bestimmter Probleme in einer kurzen Zeitspanne anbelangt. Viele der Problemlagen in den Ländern des ehemaligen Ostblocks sind tief gehend mit der Geschichte
der Länder und ihrer staatssozialistischen Vergangenheit
verbunden. Sie werden sich nicht in einem Jahr lösen
lassen.
Das gilt auch für die Minderheitenrechte der Roma.
Eine volle Gleichberechtigung der Roma kann nicht
durch Gesetzestexte allein erreicht werden. Hier braucht
es gesellschaftlicher Umwandlungsprozesse, die langwierig sind.
Seien wir ehrlich: Die Bewältigung von so mancher
Aufgabe wird noch Zeit brauchen. Das gilt auch für die
Vergangenheitsbewältigung, die heute in der „Süddeutschen Zeitung“ thematisiert wurde. Aber auch hier dürfen wir nicht mit zweierlei Maß messen. Auch andere
neue EU-Länder tun sich da noch schwer.
Wir müssen nicht nur die Verhältnismäßigkeit wahren, sondern uns auch die Frage stellen, was eine Verschiebung politisch bedeuten würde. Eine Verzögerung
des Beitritts wäre Wasser auf die Mühlen der antieuropäischen Kräfte wie der rechtsradikalen „Ataka“ und der
Bewegung „Wappen“ in Bulgarien. Sie würden die Verschiebung instrumentalisieren und in der Bevölkerung
Zulauf gewinnen. Es bestünde die Gefahr, dass der
Schuss nach hinten losgeht.
Aus all diesen Gründen ist es richtig und wichtig, am
Beitritt zum 1. Januar 2007 festzuhalten. Allerdings sage
ich noch einmal, dass hierfür in Bulgarien und in Rumänien noch weitere Anstrengungen notwendig sind. Auch
die im Beitrittsvertrag vorhandenen Schutzklauseln in
den Bereichen Wirtschaft, Binnenmarkt sowie Justiz und
Inneres müssen sinnvoll angewandt werden.
Die Schutzklauseln und das vorgeschlagene Post-Beitritts-Mentoring sind weitaus sinnvoller als eine Verschiebung des Beitritts. Lassen Sie mich anfügen: Wir
brauchen dafür keine neuen vertraglichen Grundlagen.
Die bestehenden Verträge enthalten die notwendigen
Vorkehrungen bereits.
Schließlich möchte ich noch darauf hinweisen, dass
auch wir unsere Hausaufgaben machen müssen und dafür sorgen müssen, dass das Ratifikationsverfahren in
Deutschland nach Plan und zügig fortgeführt wird.
({3})
Lassen Sie uns endlich die Erweiterungsmüdigkeit überwinden. Wer müde ist, droht einzunicken und die Zeichen der Zeit zu verschlafen. Erweiterungen waren in
der Vergangenheit der Motor für die Dynamik der EU.
Sie werden es auch in Zukunft sein. Nur so können wir
dafür sorgen, dass die EU ihre Mission als Friedensprojekt in einer globalisierten Welt erfüllen kann.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat der Kollege Thomas Silberhorn für die
Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will
in dieser Debatte zunächst die Gelegenheit nutzen, etwas
zu tun, wozu ich bisher selten Veranlassung hatte, nämlich der Europäischen Kommission ausdrücklich ein
Kompliment für die Vorlage des Fortschrittsberichts zu
Bulgarien und Rumänien zu machen. Die Fortschritte,
die diese beiden Länder in den letzten Monaten gemacht
haben, sind ausdrücklich gewürdigt worden. Ebenso klar
sind die noch bestehenden Defizite benannt worden. Die
Kommission hat manchem politischen Druck widerstanden, die Lage zu beschönigen. Sie hat sich nicht an Erwartungen orientiert, die man insbesondere in Bulgarien
und Rumänien gehegt hat, sondern sie hat die Fakten vor
Ort zur Grundlage ihres Berichts gemacht und ihrerseits
Erwartungen an Bulgarien und Rumänien formuliert. Ich
denke, das ist begrüßenswert. Dieser Bericht ermöglicht
es, neues Vertrauen in die Unabhängigkeit der Kommission zu fassen. Das ist, meine ich, viel wert.
Die Europäische Kommission hat ganz bewusst keine
Empfehlung für einen Beitritt zum 1. Januar 2007 ausgesprochen, was für Bulgarien und Rumänien, aber durchaus auch für andere in der Europäischen Union sicherlich ernüchternd sein mag. Das ist eine klare Ansage,
dass bislang weder Bulgarien noch Rumänien reif ist für
einen Beitritt und dass weitere Fortschritte notwendig
sind. Deswegen muss die Linie jetzt sein, die Motivation
nicht nur aufrechtzuerhalten, sondern sie zu verstärken,
dass es in Bulgarien und Rumänien zu Reformen
kommt.
({0})
Beide Länder haben dabei unsere volle Unterstützung.
Völlig klar ist aber auch, dass beide Länder Hausaufgaben machen müssen. Niemand von uns hat ein Interesse
daran, den noch möglichen Beitritt zum 1. Januar 2007
infrage zu stellen. Aber es ist eben Sache Bulgariens und
Rumäniens, einen Beitritt zu diesem Termin möglich zu
machen.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Wir haben anhand des Berichts der Kommission einen klaren Fahrplan. Es liegt auf der Hand, dass die
Priorität nun in den Bereichen liegen muss, in denen die
Kommission eine rote Karte gezogen hat. Wir müssen
deutlich machen, dass in genau diesen Bereichen noch
substanzielle Fortschritte erzielt werden müssen. Das
heißt, es müssen die Strukturen in Bulgarien und Rumänien verändert werden, zum Beispiel in der Verwaltung
und in der Justiz. Reformen dürfen nicht nur auf dem
Papier stattfinden, sondern müssen in der Praxis umgesetzt werden. Was mir besonders wichtig ist: Der politische Wille der Regierungen in Bulgarien und Rumänien,
durchzugreifen, muss deutlich werden. Wir müssen den
Regierungen klar machen, dass wir es damit wirklich
ernst meinen.
({1})
Ich möchte zwei praktische Beispiele nennen. Zunächst zum Thema Auftragsmorde in Bulgarien: Bei
Auftragsmorden handelt es sich um die schwersten Verbrechen, die eine Rechtsordnung kennt. Wenn in Bulgarien noch nicht einmal bei den schwersten Verbrechen,
die wir kennen, ausreichende Ermittlungsarbeit geleistet
wird, es weder zu Anklagen noch zu Verurteilungen
kommt, wie muss die Situation dann erst bei weniger
schweren Verbrechen oder Vergehen aussehen? Ich sage
das nicht, um den Zeigefinger zu heben, sondern ich
glaube, es ist insbesondere für die Bevölkerungen in
Bulgarien und Rumänien wichtig, dass diese Themen
angegangen werden. Auch auf uns lastet ein hoher Erwartungsdruck der Gesellschaften Bulgariens und Rumäniens, auf diese kritischen Punkte zu schauen und den
Druck auf die dortigen Regierungen zu erhöhen, diese
Probleme zu lösen.
Lassen Sie mich ein zweites Beispiel nennen: In dem
Fortschrittsbericht ist die Tierkörperbeseitigung angesprochen worden. Dahinter steckt die Sorge, dass, wenn
die Tierkörperbeseitigung in diesen Ländern nicht zureichend gelöst werden kann, die BSE-Risiken erhöht werden könnten, sie mit einem Beitritt möglicherweise importiert werden. Auch da wird deutlich, dass Probleme,
die noch nationale Probleme Bulgariens und Rumäniens
sind, nach einem Beitritt europäische Probleme und damit unsere Probleme werden. Deshalb liegt es im wohlverstandenen Eigeninteresse der Europäischen Union
und namentlich auch Deutschlands, genau hinzuschauen,
dass die nötigen Fortschritte dort möglichst zügig bis
Ende des Jahres erzielt werden.
Ich glaube, wir tun gut daran, wenn wir den angekündigten nächsten Monitoringbericht abwarten und unsere
zweite Lesung, in der wir entscheiden, wie wir weiter
vorgehen, erst danach durchführen. Wir müssen die Zeit
dafür nutzen, uns auch darüber zu unterhalten, was wir
im Herbst dieses Jahres tun, falls im nächsten Fortschrittsbericht wieder solche Defizite benannt sein sollten, wie wir sie in dem jetzigen Fortschrittsbericht finden.
Es zeichnet sich ab, dass wir ein Monitoring auch
nach dem Beitritt fortführen müssen. Es zeichnet sich
auch ab, dass wir Schutzklauseln aktivieren müssen.
Das bedeutet aus meiner Sicht, dass wir Fragen beantworten müssen, die sich dann ganz konkret stellen, etwa:
Können wir angesichts des Zustands des Justizsystems
in Bulgarien und Rumänien Urteile von dortigen Gerichten bei uns überhaupt anerkennen? Ich würde da ein Fragezeichen setzen. Können wir die Regelungen über den
Europäischen Haftbefehl anwenden? Da hätte ich allergrößte Zweifel. Können wir den Verwaltungen, den Polizeien dieser Länder Zugang zu den Datenbanken von
Europol gewähren? Nach dem, was in den jetzigen Fortschrittsberichten steht: unter keinen Umständen. Mit solchen ganz konkreten Fragen müssen wir uns befassen.
Deshalb glaube ich, dass schon jetzt erkennbar ist,
dass wir Schutzklauseln werden aktivieren müssen. Wir
werden insbesondere auf die sensiblen Bereiche achten
müssen, in denen es ums Geld geht. Auch da ist das erste
Interesse doch das Interesse des bulgarischen und des rumänischen Volkes. Sie wollen doch wissen, dass die Gelder, die Europa zur Verfügung stellt - in der Agrarpolitik, in den Strukturfonds, Kohäsionsfonds; überall, wo es
um Geld geht -, nicht in dunklen Kanälen verschwinden,
sondern dort ankommen, wo sie tatsächlich helfen sollen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluss meiner Rede noch einige Punkte stichwortartig
formulieren.
Kollege Silberhorn, das wird Ihnen nicht mehr gelingen. Sie haben Ihre Redezeit schon überschritten. Neue
Themen können Sie nun wirklich nicht mehr ansprechen.
Es handelt sich nicht um neue Themen. Ich möchte
nur abschließend etwas sagen.
Sie müssten den letzten Satz bilden.
Der abschließende Satz lautet: Erstens müssen wir
deutlich machen, dass wir Unterschiede zwischen Bulgarien und Rumänien machen werden, wenn es um die
Fortschritte hinsichtlich der Frage der Schutzklauseln
geht; zweitens werden wir nicht wiederholen, was wir
jetzt gemacht haben, und keine Beitrittstermine mehr
festlegen, bevor nicht klar ist, dass die Kriterien erfüllt
sind; drittens müssen wir jeden Kandidatenstaat einzeln
bewerten; viertens und abschließend müssen wir darauf
achten, dass unsere Beitrittsstrategie berechenbar bleibt,
denn nur wenn wir selber in der Europäischen Union
glaubwürdig sind, werden wir auch in unserer Bevölkerung auf Akzeptanz stoßen.
Vielen Dank.
({0})
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Ich denke, wir werden noch Gelegenheit haben, dieses Thema zu vertiefen und über Ihren letzten Satz etwas
ausführlicher zu debattieren.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell ist vereinbart, die heutige Tagesordnung um die Beratung der Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zu einem Antrag auf Genehmigung zur
Durchführung eines Strafverfahrens zu erweitern und
diese sofort als Zusatzpunkt 6 ohne Aussprache aufzurufen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall.
Dann ist das so beschlossen.
Dann rufe ich Zusatzpunkt 6 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({0})
Antrag auf Genehmigung zur Durchführung
eines Strafverfahrens
- Drucksache 16/1718 -
Der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Ge-
schäftsordnung empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 16/1718 - das ist die Beschluss-
empfehlung, die Sie gerade empfangen haben -, die
Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens
zu erteilen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? - Gibt es Gegenstimmen? - Gibt es Enthaltungen?
- Das ist nicht der Fall. Dann ist das einstimmig so be-
schlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 16 a bis 16 c auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung ({1}) zu dem Antrag
der Abgeordneten Horst Friedrich ({2}),
Jan Mücke, Patrick Döring, weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion der FDP
Sonderprogramm „Kommunale Brückenbau-
werke“ auflegen
- Drucksachen 16/261, 16/1008 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Renate Blank
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung ({3}) zu dem Antrag
der Abgeordneten Winfried Hermann, Peter
Hettlich, Dr. Anton Hofreiter und der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Bestandssanierung der Verkehrsinfrastruktur
ausweiten und effektive Sanierungsstrategie
vorlegen
- Drucksachen 16/553, 16/1090 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Uwe Beckmeyer
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heidrun
Bluhm, Katrin Kunert, Dorothee Menzner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Freistellung der Kommunen von der Mitfinanzierung bei Baumaßnahmen im Kreuzungsbereich von Eisenbahnen und Straßen
- Drucksache 16/1657 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({4})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss
Die Kolleginnen und Kollegen Renate Blank für die
Unionsfraktion, Rita Schwarzelühr-Sutter für die SPD-
Fraktion, Jan Mücke für die FDP-Fraktion, Heidrun
Bluhm für die Fraktion Die Linke und Dr. Anton
Hofreiter für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen haben
ihre Reden zu Protokoll gegeben.1)
Ich schließe damit die Aussprache.
Wir kommen zu den Abstimmungen.
Tagesordnungspunkt 16 a. Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau
und Stadtentwicklung auf Drucksache 16/1008 zu dem
Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Sonderpro-
gramm ‚Kommunale Brückenbauwerke’ auflegen“. Der
Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/261
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Be-
schlussempfehlung ist mit den Stimmen der SPD-Frak-
tion und der Unionsfraktion angenommen.
Tagesordnungspunkt 16 b. Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung auf
Drucksache 16/1090 zu dem Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Bestandssanie-
rung der Verkehrsinfrastruktur ausweiten und effektive
Sanierungsstrategie vorlegen“. Der Ausschuss emp-
fiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/553 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegen-
stimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen bei Enthaltung
der Fraktion der FDP angenommen.
Tagesordnungspunkt 16 c. Interfraktionell wird vor-
geschlagen, die Vorlage auf Drucksache 16/1657 zu
überweisen, und zwar zur federführenden Beratung an
den Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
und zur Mitberatung an den Innenausschuss, den Rechts-
ausschuss, den Ausschuss für Wirtschaft und Technolo-
gie und den Haushaltsausschuss. Gibt es zu diesen Über-
weisungen anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der
Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
1) Anlage 20
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Ich rufe Tagesordnungspunkt 17 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({5}) zu
der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Verordnung des Europäi-
schen Parlaments und des Rates zur Einfüh-
rung eines europäischen Verfahrens für ge-
ringfügige Forderungen Ratsdok. 15954/05
- Drucksachen 16/901 Nr. 2.2, 16/1684 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Michael Grosse-Brömer
Dirk Manzewski
Mechthild Dyckmans
Sevim Dagdelen
Jerzy Montag
Dazu liegen mir zu Protokoll gegebene Reden von
den Kolleginnen und Kollegen Michael Grosse-Brömer
von der Unionsfraktion, Dirk Manzewski von der SPD-
Fraktion, Mechthild Dyckmans von der FDP-Fraktion,
Sevim Dagdelen von der Fraktion Die Linke und Jerzy
Montag von der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen
vor.1) Das heißt, wir können auch hier die Aussprache
schließen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses zu der Unterrichtung
durch die Bundesregierung über einen Vorschlag für eine
Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates
zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen. Dies finden Sie auf der Drucksache 16/1684. Der Ausschuss empfiehlt in Kenntnis der
Unterrichtung, eine Entschließung anzunehmen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gibt es Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dann ist diese Beschlussempfehlung bei Enthaltung des Kollegen
Wunderlich aus der Fraktion Die Linke angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Lukrezia Jochimsen, Dr. Petra Sitte,
Dr. Lothar Bisky, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der LINKEN
UNESCO-Übereinkommen zur kulturellen
Vielfalt schnell ratifizieren
- Drucksache 16/457 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien ({6})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Auch dazu liegt mir eine Reihe von zu Protokoll ge-
gebener Reden vor. Von der Unionsfraktion haben die
Kolleginnen Dorothee Bär und Professorin Monika
Grütters ihre Reden zu Protokoll gegeben. Für die SPD-
Fraktion hat der Kollege Steffen Reiche seine Rede zu
Protokoll gegeben. Von der FDP-Fraktion hat der Kol-
1) Anlage 21
lege Christoph Waitz seinen Redebeitrag zu Protokoll
gegeben.2)
Ich eröffne die Aussprache und rufe jetzt die Kollegin
Lukrezia Jochimsen für die Fraktion Die Linke auf. Sie
hat das Wort.
({7})
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Es tut
mir sehr Leid und ich bitte um Entschuldigung, dass ich
heute Abend hier noch die Gelegenheit zu einer Rede ergreife.
({0})
Ich habe die Ehre, heute vor dem Hohen Haus zwei Reden zur Kultur zu halten, und zwar im späten Abendund Nachtghetto, wie man bei Fernsehsendern sagen
würde.
({1})
So ist das eben mit der Kultur und wir alle machen das
mit.
({2})
Interessanterweise beziehen sich beide Reden - keine
Angst: Die für nach Mitternacht vorgesehene Rede gebe
ich zu Protokoll ({3}) Anlage 22
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Welt eine erstaunliche Gegenbewegung: das Setzen auf
die gemeinsame vielfältige Kultur, ihr Erbe und ihre Zukunftsfähigkeit, die es zu fördern und zu schützen gilt.
({4})
Worum geht es im Kern? Es geht um das Recht auf
eigene Kultur, um eigenständige kulturelle Werte in der
sich globalisierenden Welt, um Handlungsspielraum und
Handlungsfreiheit für Kulturpolitik. Der beeindruckende
weltweite Einsatz für die kulturelle Vielfalt, an dem die
Bundesrepublik Deutschland einen großen Anteil hat
- wo Lob angebracht ist, lobt auch die Opposition -, ist
zu begreifen als ein Teil des globalen Kampfes gegen die
Kommerzialisierung aller Dinge und Werte, auch der
Kultur. Da diese Kommerzialisierung ein rasantes
Tempo vorlegt, muss die Gegenbewegung ebenso dynamisch sein, um das Gleichgewicht zwischen Handelsfreiheit und Kultur zu erhalten.
({5})
Vorgestern hat hier in Berlin eine große Konsultation
der deutschen UNESCO-Kommission stattgefunden. Da
wurde immer wieder die dringliche Bitte geäußert, jetzt
schnell mit der Umsetzung zu beginnen. Deshalb sind
wir als Parlament aufgerufen, den weltweiten Einsatz für
die UNESCO-Konvention zur kulturellen Vielfalt zu unterstützen. Daher fordern wir die Bundesrepublik heute
auf, unverzüglich ein Gesetz zur Ratifizierung des
UNESCO-Übereinkommens vorzulegen.
Alle 25 europäischen Mitgliedstaaten haben sich bereit erklärt, die Konvention zu ratifizieren. Wenn 30 Mitgliedstaaten das völkerrechtliche Übereinkommen anerkannt haben, tritt es in allen Signatarstaaten in Kraft.
Schon jetzt haben Kanada, Mauritius, Mexiko und Burkina Faso ratifiziert. In deren globaler Mitte könnte
Deutschland, wie ich finde, ein gutes Zeichen setzen.
Ich bitte Sie deshalb, den Antrag der Linksfraktion
zur Vorlage eines Gesetzes zur alsbaldigen Ratifizierung
auch in Deutschland zu unterstützen.
Herzlichen Dank.
({6})
Mir liegen zum Tagesordnungspunkt 18 weitere Re-
den zu Protokoll vor. Die Kollegin Uschi Eid für
Bündnis 90/Die Grünen und der Staatsminister Bernd
Neumann haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1)
Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell
wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/457
an die an der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse
vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist
der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Michael Meister, Otto Bernhardt, Eduard
1) Anlage 22
Oswald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Nina
Hauer, Ingrid Arndt-Brauer, Lothar Binding ({0}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD
Grenzüberschreitender Zahlungsverkehr im
europäischen Binnenmarkt
- Drucksache 16/1646 -
Auch hier haben die Kolleginnen und Kollegen ihre
Reden zu Protokoll gegeben. Wir nehmen die Reden des
Kollegen Georg Fahrenschon für die Unionsfraktion, der
Kollegin Nina Hauer für die SPD, des Kollegen Frank
Schäffler für die FDP, der Kollegin Ulla Lötzer für die
Linken und des Kollegen Dr. Gerhard Schick für
Bündnis 90/Die Grünen zu Protokoll und können damit
die Aussprache schließen.2)
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf
Drucksache 16/1646 mit dem Titel „Grenzüberschreitender Zahlungsverkehr im europäischen Binnenmarkt“.
Wer stimmt für diesen Antrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dann ist der Antrag gegen die Stimmen der
Fraktion Die Linke angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried
Hermann, Rainder Steenblock, Marieluise Beck
({1}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Für eine anspruchsvolle und umfassende EUNachhaltigkeitstrategie
- Drucksache 16/1437 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({2})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Auch hier werden die Reden zu Protokoll gegeben.
Die Kollegen Thomas Bareiß für die Unionsfraktion,
Steffen Reiche für die SPD, Michael Kauch für die FDP,
Lutz Heilmann für die Linke und Rainder Steenblock für
das Bündnis 90/Die Grünen haben ihre Reden zu Pro-
tokoll gegeben3). Wir können die Aussprache damit be-
enden.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/1437 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
2) Anlage 23
3) Anlage 24
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a und 21 b auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Übereinkommen vom 14. November 1970 über
Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung
der rechtswidrigen Einfuhr, Ausfuhr und
Übereignung von Kulturgut
- Drucksache 16/1372 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien ({3})
Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ausführung des UNESCO-Übereinkommens vom
14. November 1970 über Maßnahmen zum
Verbot und zur Verhütung der rechtswidrigen
Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut ({4})
- Drucksache 16/1371 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien ({5})
Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Auch hier werden die Reden zu Protokoll gegeben. Das
gilt für die Redebeiträge der Kolleginnen und Kollegen
Professor Monika Grütters für die Unionsfraktion, Steffen
Reiche für die SPD, Christoph Waitz für die FDP, Luc
Jochimsen für die Linke, Uschi Eid für das Bündnis 90/
Die Grünen und des Staatsministers Bernd Neumann.1) Wir
können auch hier die Aussprache beenden.
Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 16/1372 und 16/1371 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu andere Vorschläge? - Das ist
nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 22:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Ilja
Seifert, Karin Binder, Dr. Lothar Bisky, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Einsetzung einer Enquete-Kommission „Ethik,
Recht und Finanzierung des Wohnens mit
Assistenz ({6})“
- Drucksache 16/1267 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({7})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Auch zu diesem Tagesordnungspunkt werden die Re-
den zu Protokoll gegeben. Es liegen vor die Beiträge der
1) Anlage 25
Kollegen Hubert Hüppe und Markus Grübel für die
Unionsfraktion, der Kolleginnen Angelika Graf für die
SPD, Sibylle Laurischk für die FDP, des Kollegen
Dr. Ilja Seifert für die Linken und des Kollegen Markus
Kurth für das Bündnis 90/Die Grünen.2) Damit schließe
ich die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/1267 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Erhebt sich dagegen
Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist auch
diese Überweisung so beschlossen.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 23:
Beratung der Unterrichtung durch den Bundesbeauftragten für den Datenschutz
Tätigkeitsbericht 2003 und 2004 des Bundesbeauftragten für den Datenschutz - 20. Tätigkeitsbericht - Drucksache 15/5252 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({8})
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Kultur und Medien
Hier werden die Beiträge der Kolleginnen und Kolle-
gen Beatrix Philipp für die Unionsfraktion, Jörg Tauss
für die SPD, Gisela Piltz für die FDP, Petra Pau für die
Linke und Silke Stokar für das Bündnis 90/Die Grünen
zu Protokoll gegeben.3) Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird auch hier die Überweisung der
Vorlage auf Drucksache 15/5252 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie
damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist auch
diese Überweisung so beschlossen.
Wir kommen damit zu den Tagesordnungspunkten
24 a und b:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus
Kurth, Katrin Göring-Eckardt, Britta Haßelmann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Recht statt Pflicht - Einschränkungen behin-
derter Menschen bei der Teilhabe am öffentli-
chen Leben entgegenwirken
- Drucksache 16/949 -
2) Anlage 26
3) Anlage 27
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({9})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jörg
Rohde, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Teilhabe von Menschen mit Behinderungen
am öffentlichen Leben konsequent sichern
- Drucksache 16/853 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({10})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Auch hier nehmen wir die Debattenbeiträge zu Pro-
tokoll. Es liegen vor die Beiträge der Kolleginnen und
Kollegen Hubert Hüppe, Antje Blumenthal, Silvia
Schmidt, Jörg Rohde, Dr. Ilja Seifert und Markus Kurth.1)
Damit ist die Aussprache beendet.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 16/949 und 16/853 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Gibt es weitergehende Vorschläge? - Das ist nicht der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia
Behm, Alexander Bonde, Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Kürzungen bei der Finanzierung der Entwicklung ländlicher Räume verhindern
- Drucksache 16/952 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({11})
1) Anlage 28
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
Auch hier haben alle Rednerinnen und Redner ihre
Reden zu Protokoll gegeben. Es handelt sich um die Re-
debeiträge der Kollegin Marlene Mortler von der Unions-
fraktion, von Holger Ortel von der SPD, Dr. Christel
Happach-Kasan von der FDP-Fraktion, der Kollegin
Dr. Kirsten Tackmann für die Fraktion Die Linke und
der Kollegin Cornelia Behm vom Bündnis 90/Die
Grünen.2) Ich kann damit die Aussprache schließen.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/952 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Dienstag, den 20. Juni 2006, 10.30 Uhr, ein.
Der Ältestenrat hat in seiner heutigen Sitzung vereinbart, dass während der Haushaltsberatungen ab dem
20. Juni 2006 keine Befragung der Bundesregierung,
keine Fragestunde und keine Aktuellen Stunden stattfinden sollen. Sind Sie mit dieser Vereinbarung einverstanden? - Mir wird kein Widerspruch angezeigt. Dann verfahren wir so.
Ich wünsche Ihnen einen sehr schönen Feierabend.
Die Sitzung ist geschlossen.